Kompendium Internistische Onkologie, 4. Aufl. – Teil 1
H.-J. Schmoll K. Hffken K. Possinger (Hrsg.)
Kompendium
Internistische Onkologie
Standards in Diagnostik und Therapie Teil 1 Epidemiologie, Tumorbiologie, Zytostatika, Prinzipien der Tumortherapie, Supportive Maßnahmen Vierte, vllig berarbeitete und erweiterte Auflage
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schmoll Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin IV Schwerpunkt Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40, 06120 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Klaus Ho¨ffken Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin II Onkologie-Hmatologie-Gastroenterologie-Hepatologie-Infektiologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Jena Erlanger Allee 101, 07740 Jena
Prof. Dr. med. Kurt Possinger Direktor der Medizinischen Klinik II Schwerpunkt Onkologie und Hmatologie Universittsmedizin Berlin CharitØ-Campus Mitte Schumannstrae 20/21, 10117 Berlin Projektorganisation: Gisela Ruscheweyh, Projektmanagement Printmedien, Medizin … Wissenschaft Redaktion: Frank Wittenhagen
ISBN-10 3-540-20657-4 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-20657-6 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschtzt. Die dadurch begrndeten Rechte, insbesondere die der bersetzung, des Nachdrucks, des Vertrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulssig. Sie ist grundstzlich vergtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag.
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springer.de F Springer Medizin Verlag Heidelberg 1986, 1997, 1999, 2006 Printed in Italy Warenschutzvermerk: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, da solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und daher von jedermann benutzt werden drften. Produkthaftung: Fr Angaben ber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewhr bernommen werden. Derartige Angaben mssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit berprft werden. Planung: Ulrike Conrad-Willmann, Dr. Sabine Hschele Herstellung: Martha Berg Umschlaggestaltung: deblik Berlin SPIN 10760660 Satz: Mitterweger & Partner, Plankstadt Abbildungen: Gnther u. Oliver Hippmann, Hippmann GbR, Schwarzenbruck Druck und Bindearbeiten: Legoprint, Trient/Italien Gedruckt auf surefreiem Papier 2111 … 5 4 3 2 1 0
Fr unsere Patienten
Vorwort zur vierten Auflage
Die vorwrts drngende Erforschung von biologischen und molekularbiologischen Grundlagen der malignen Entartung und der darauf aufbauenden Therapieprinzipien erfordern die kontinuierliche Optimierung der praktischen Tumortherapie. Hinzu kommt die Notwendigkeit, Therapiestandards zu berprfen und diese immer wieder neu im Sinne der „evidence based medicine“ festzulegen. Schlielich trifft der jetzt begonnene Wandel im Gesundheitssystem Deutschlands in besondere Weise die Versorgung von Krebskranken. Aus diesem Grund hat das Kompendium Internistische Onkologie in der vorliegenden 4. Auflage die grundlegendste berarbeitung seit seiner Erscheinung erfahren. Das bewhrte Format wurde zwar beibehalten und die in der 3. Auflage vorgenommene Herausgabe in 3 Bnden weitergefhrt. Dennoch hat sich vieles gendert, vieles ist neu hinzugekommen. Rund 30 Kapitel wurden zustzlich aufgenommen. Der inhaltlich komplett aktualisierte und erweiterte Band 1 konnte im Umfang nur durch die Wahl einer kleineren Schrift und die Entnahme der 430 Seiten des Adressverzeichnisses konstant gehalten werden, das aktuelle Adressverzeichnis ist zuknftig fr den Besitzer des Kompendiums im Internet zugnglich. Der Inhalt von Band 2 ist ebenfalls durchweg aktualisiert worden, zuletzt mit den Ergebnissen vom ASCO 2004. Ferner wurden in allen Therapiekapiteln die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und die aktuelle TNM-Klassifikation zugrunde gelegt. All dies wurde nur durch die Mitarbeit eines hochkartigen Autorenteams mglich, das jetzt aus 370 Persnlichkeiten besteht und dem wir zu auerordentlichem Dank fr die kompetente und geduldige Mitarbeit verpflichtet sind. Leider mssen wir auch das Ableben von drei Autoren beklagen, deren wichtigen Beitrge in dieser Auflage integriert sind. Das Werk ist nicht nur inhaltlich auf dem neuesten Stand, sondern satztechnisch wurde im Verlag zum ersten Mal ein neues Verfahren angewendet. Die Herausgeber und Autoren sind dem Verlag zu groem Dank verpflichtet. Unser Dank gilt insbesondere Frau H. Hensler-
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Vorwort zur vierten Auflage
Fritton, die es ermglicht hat, das Werk weiterzuentwickeln, Frau U. Conrad-Willmann, die den Fortgang des Projekts immer untersttzend und mit groer Geduld leitete, Frau M. Berg, die fr die technische Herstellung des Werkes verantwortlich war, der Fa. Hippmann GbR in Schwarzenbruck, fr die hervorragende Umsetzung der oft schwierigen Graphiken und Herrn Bruno Faulhaber, Fa. Mitterweger & Partner GmbH in Plankstadt, fr die geschickte Umsetzung der vielfltigen Korrekturen. Auch bei unseren Herausgebersekretrinnen, Frau Grit Gardelegen, Frau G. Stoschek, Frau E. Kehrmann und Frau E. Mauckner, mchten wir uns sehr bedanken. Ohne ihren Einsatz und ihre Organisation wre die Flut von Manuskripten und Druckfahnen nicht zu bewltigen gewesen. Unser besonderer Dank gilt Frau G. Ruscheweyh mit Ihrem Team, die in bewhrter und engagierter Weise das Management und die redaktionelle Arbeit der 4. Auflage bernommen hat. Ihr kompetenter, unermdlicher, stets freundlicher, aber drngelnder Einsatz ist aus der Realisierung des Kompendiums nicht wegzudenken. Auch wenn Autoren, Herausgeber und Verlag sich alle erdenkliche Mhe gegeben haben, um insbesondere bei Dosierungsvorschlgen und Therapieplnen korrekte Wiedergaben zu gewhrleisten, kann sich doch der eine oder andere Fehler eingeschlichen haben. Fr die Dosierungen und Therapieplne kann somit von den Herausgebern und dem Verlag keine Garantie bernommen werden; eine berprfung der Dosis und Applikationsweise in der Originalliteratur ist dringend zu empfehlen. Das Kompendium Internistische Onkologie lebt als Standard fr Diagnostik und Therapie maligner Erkrankungen nicht nur von den Autoren, sondern ganz besonders auch von den Benutzern. Herausgeber und Verlag sind jederzeit offen und dankbar fr kritische Hinweise und Verbesserungsvorschlge. Halle/Saale, Jena, Berlin im November 2005
Hans-Joachim Schmoll Klaus Ho¨ffken Kurt Possinger
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Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
„Jede Therapie ist ein Versuch. Der absolute Erfolg kann keinem Kranken sicher vorausgesagt werden, weder die Wirkung, die notwendige Dosis, noch das Verhltnis von Wirkung und Nebenwirkung.“ F. Hartmann
Die Behandlung von Krebserkrankungen ist ein ganz aktuelles medizinisches Problem: Die zweithufigste Todesursache ist nach wie vor Krebs; jeder Dritte erkrankt und jeder Fnfte stirbt an Krebs. Die moderne Onkologie mit Einfhrung der Mono- und Kombinationschemotherapie in den 60er Jahren hat bei einem Teil der Tumoren die Fnfjahresberlebens- und zum Teil die Heilungsraten merklich verbessern knnen: beim Hodenkarzinom, beim Hodgkin- und Non-HodgkinLymphom, bei den akuten Leukmien, beim Mamma- und Endometriumkarzinom sowie beim Osteosarkom. Die Verbesserung der Fnfjahresberlebensraten beim Blasen-, Prostata-, Kolon-, Rektum-, Nieren-Karzinom und beim Melanom sind weniger der Verbesserung der Systemtherapie, als vielmehr der Vorverlagerung der Diagnose zuzuschreiben. Angesichts der erheblichen Ausweitung und Differenzierung der onkologischen Therapie im letzten Jahrzehnt sind die Fortschritte eher gering: Die Fnfjahresberlebensraten sind … mit Ausnahme des Melanoms und der Hodentumoren … nur noch um maximal 5…10 % angestiegen; die Zahl der im disseminierten Stadium durch eine Chemotherapie heilbaren Tumoren hat nur minimal zugenommen: nach wie vor betrifft dies nur 10…12 % aller fr eine Systemtherapie in Frage kommenden disseminierten Malignome. Dies zeigt die auch heute noch bestehenden engen Grenzen unserer therapeutischen Mglichkeiten. Trotzdem ist die Bedeutung der Onkologie fr den individuell betroffenen Patienten immens gewachsen. Durch die Weiterentwicklung, Verfeinerung und Vereinheitlichung der Therapiemodalitten und durch die konsequente und differenzierte Anwendung neuerer Sub-
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Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
stanzen sind in den letzten 10 Jahren entscheidende Fortschritte erzielt worden: fr ca. 40 % aller disseminierten Neoplasien existiert eine Standardtherapie, die vielen Patienten eine gute Palliation ermglicht und in der Regel die berlebenszeit verlngert; bei weiteren 20…30 % ist, wenn auch keine Verlngerung der berlebenszeit, so doch eine deutliche Verbesserung der berlebensqualitt … trotz Chemotherapie … erreichbar. Nur fr 20…30 % aller durch Chirurgie oder Strahlentherapie nicht mehr kurativ zu beeinflussenden Tumoren besteht keine adquate chemotherapeutische Mglichkeit. Ebenso wesentlich war die Entwicklung und Verbesserung der supportiven Therapie und die Verringerung der therapiebedingten Toxizitt. Mehr und mehr lernen wir, die bekannten wirksamen Substanzen und Therapiemodalitten so einzusetzen, da trotz erhaltener oder gar verbesserter Antitumoraktivitt die Nebenwirkungen reduziert werden und die Toxizitt in einem adquaten Verhltnis zum erreichbaren Therapieeffekt steht. Wir verstehen zunehmend, bei welchen Tumoren und in welcher Situation eine Remission das Therapieziel sein mu und wann es eher darauf ankommt, nur die Progression der Erkrankung mglichst lange aufzuhalten und die tumorbedingten Symptome zu mildern. Gilt somit die kurative Zielsetzung bei der Chemotherapie nur fr eine Minoritt der Patienten, so steht bei der Therapie der meisten Patienten die Verbesserung der Lebensqualitt und … nach Mglichkeit … eine Verlngerung der berlebenszeit mit einer guten Lebensqualitt im Vordergrund der onkologischen Ttigkeit. Hierfr reicht es aber nicht aus, unreflektiert starre Therapieschemata anzuwenden. Vielmehr bedarf es einer sehr groen Erfahrung des Therapeuten und einer Kenntnis des natrlichen Krankheitsverlaufs, um die Prognose der Tumorerkrankung in dem entsprechenden Stadium und in der individuellen Situation des Patienten einschtzen zu knnen. Die Indikationsstellung, Durchfhrung und berwachung der einzuleitenden Therapie erfordert eine fundierte Kenntnis der derzeit etablierten Therapie und ihrer Nebenwirkungen. Erst recht in dem Grenzbereich, wo es kein „Mu“ zu einer Standardchemotherapie gibt, sondern im Einzelfall immer neu entschieden werden mu, ist der onkologische Fachmann ganz besonders gefordert. Der Idealfall wre, da der onkologisch-hmatologische Spezialist ber die Art und den Zeitpunkt des Beginns der Systemtherapie bzw. die gesamte Therapiestrategie entscheidet … d. h. da alle Patienten an einem onkologischen Zentrum behandelt oder dort zumindest
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
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rechtzeitig vorgestellt wrden. Diese Zielvorstellung ist jetzt und in den nchsten Jahren bei den vorhandenen und sich entwickelnden Strukturen in Deutschland illusionr; die Realitt ist, da der Groteil der onkologischen Systemtherapien an kleineren, evtl. hmatologischonkologisch ausgerichteten Abteilungen, besonders aber in nicht spezialisierten kleinen und greren Krankenhusern durchgefhrt wird … nmlich dort, wo die Krebserkrankung diagnostiziert wird. Dort werden die Weichen fr das weitere therapeutische Vorgehen gestellt und damit ber das Schicksal des Patienten entschieden. In dieser Situation mu dem verantwortlichen Arzt die Mglichkeit gegeben werden, sich schnell und zugleich umfassend ber den aktuellen Stand der Therapiemglichkeiten zu informieren. Er mu eindeutig erkennen knnen, wann eine kurative Therapiemglichkeit besteht, deren Durchfhrung an Zentren gebunden ist, welche Voraussetzungen erfllt sein mssen fr die Entscheidung zur Systemtherapie und welche Schwierigkeiten, Nebenwirkungen und Gefahren bei der konkreten Durchfhrung der onkologischen Therapie bestehen. Man kann verlangen, aber darf nicht erwarten, da dieser nichtspezialisierte Kollege sich ausfhrlich in die aktuelle Literatur oder die umfangreichen Bcher einarbeitet; auf der anderen Seite sollte er sich auch nicht der zum Teil einseitig ausgewhlten oder nicht immer dem aktuellen internationalen Wissensstand entsprechenden „Literatur“ der pharmazeutischen Industrie … inkl. sog. „Rezeptbcher“ … bedienen mssen. Die Zeit der unreflektierten Therapie nach „Kochbuch“ oder „Schemataheftchen“ mu der Vergangenheit angehren. Das vorliegende Buch wendet sich an jeden Arzt, der regelmig eine onkologische Therapie praktisch durchfhrt, ebenso aber an den Kollegen, der nicht an einem onkologischen Zentrum ausgebildet oder ttig ist, aber entsprechende Entscheidungen trifft oder gar Therapien durchfhrt. Es war das Ziel bei der Gestaltung dieses Buches, zu allen Problemkreisen und Fragen Stellung zu nehmen, die sich im Rahmen einer onkologischen Therapie ergeben knnen, und die Therapieoder Lsungsmglichkeiten konkret und praxisgerecht darzustellen. Dabei nehmen die den Therapiekapiteln vorangestellten Schwerpunkte „Toxizitt“, „Supportive Therapie“ und „Prophylaktische Manahmen“ einen breiten Raum ein. Deren Kenntnis sollte eine essentielle Voraussetzung fr die Durchfhrung einer onkologischen Therapie sein, damit der Therapieerfolg gewhrleistet bleibt und der Patient dabei subjektiv wie objektiv so wenig Nebenwirkungen wie mglich erleiden mu.
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Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Aus praktischen Grnden, insbesondere um das Taschenbuchformat beizubehalten und damit den schnellen Zugriff leichter zu machen, mute das Buch in zwei Bnde geteilt werden. Die in Band 2 enthaltenen Konzepte zum stadiengerechten therapeutischen Vorgehen beinhalten konkrete Anweisungen zur Therapiestrategie und zur definitiven Therapie, entsprechend dem aktuellen internationalen Stand der Diskussion. Es gibt zwar noch viele offene Fragen, Widersprchliches oder kontrovers Diskutierbares; mehr denn je fordern diese offenen Fragen ihre Beantwortung in klinischen Studien. Wir sind trotz allem heute in der Lage, fr die meisten Tumoren ein stadiengerechtes Standardvorgehen zu definieren. Angesichts der schnellen Weiterentwicklung der onkologischen Therapieforschung kann die Darstellung der Therapieoptionen allerdings nur den Charakter einer momentanen Bestandsaufnahme haben. Es mu weiter Arbeit geleistet werden, um die Konzepte immer neu zu berarbeiten und zu verbessern. Dabei sind wir wesentlich auf konstruktive Kritik und hilfreiche Hinweise aus dem Leserkreis angewiesen, um die wir an dieser Stelle herzlich bitten mchten. Die therapeutischen Vorschlge in den Therapiekapiteln sind somit auf keinen Fall apodiktisch als Rezept zu verstehen; sie sollen vielmehr ermglichen, nach klarer Definition der fr den Therapieentscheid erforderlichen objektiven Parameter (Stadium; Histologie; Risikofaktoren etc.) und unter Bercksichtigung der individuellen Patientenfaktoren (Alter; Komorbiditt; Psyche etc.) die definitive Therapie fr den einzelnen Patienten zu bestimmen oder ber die Behandlung im Rahmen eines Studienprotokolles zu entscheiden. Nach Mglichkeit sollte dies immer in Absprache mit einem Fachonkologen geschehen; zur Kommunikationshilfe sind in einem ausfhrlichen Adressenteil die zunchst mglichen Ansprechpartner in den Tumorzentren aufgefhrt. Onkologische Behandlung ist zumeist eine Aufforderung auch zum interdisziplinren Vorgehen: Die Organisation der Therapie, der rechtzeitige und adquate Einsatz der verschiedenen Disziplinen wie Strahlentherapie, Chirurgie mit ihren Subdisziplinen und Chemotherapie setzen ein solides Grundwissen ber den Stellenwert und die Indikation der einzelnen Therapiemodalitten voraus. Die Angaben zur Therapiestrategie sollen dem behandelnden Arzt die Grundlage geben fr die rechtzeitige interdisziplinre Beratung mit dem entsprechenden Spezialisten. Dieses Buch soll helfen, da mglicherweise bestehende Heilungschancen nicht vertan werden, indem die optimale Therapiestrategie
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
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konsequent und unter Ausnutzung aller therapeutischen und supportiven Mglichkeiten zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt wird. Ebenso wichtig ist das andere Ziel des Buches: da in der viel hufiger vorkommenden palliativen Situation eine „patientenfreundliche“ Therapieentscheidung getroffen wird, insbesondere dann, wenn mit einer Lebensverlngerung nicht zu rechnen ist. Dieses Buch mge aber auch dazu beitragen, da keine onkologische Therapie mit fragwrdiger Indikation durchgefhrt und der Patient dadurch unntig mit chemotherapiebedingter Toxizitt belastet wird … in einer Situation, in der das Leiden des Patienten schon gro genug und die noch verbleibende Lebenszeit limitiert ist. Es ist nicht nur die Kunst in der Onkologie zu wissen, wann und wie man behandelt; vielmehr noch ist es die Kunst zu wissen, wann man nicht oder nicht mehr behandelt. In dieser Situation ist mehr denn je der ganze Arzt mit seiner Menschlichkeit gefordert. ber die mglichst groe Linderung des krperlichen Leidens hinaus mu er seinen Patienten weiter begleiten und ihn in der letzten Phase des irdischen Lebens, im Sterben, beistehen. In dieser Situation darf eine onkologische Therapie nicht als Ersatz fr menschliche Zuwendung gegeben werden. Diese Seite der rztlichen Ttigkeit im Rahmen der Betreuung eines Tumorkranken ist nicht Thema dieses Buches; sie ist auch nicht aus einem Buch erlernbar. Vielmehr erfordert sie eine immer wieder neue und intensive Einbung, Erfahrung und Empathie. Die Begleitung des todkranken Menschen verlangt ber die rein medizinische Kunst des Arztes hinaus viel Kraft. Diese wnsche ich uns und allen unseren Kollegen. Hannover, im Januar 1986
Hans-Joachim Schmoll
Onkologisches Adressverzeichnis unter www.springeronline.com/3-540-20657-4
Inhaltsverzeichnis
1
Prinzipien der Tumorbiologie
1.1
Einfhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Nordheim, B. Lu¨scher
1
1.2
Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose . . . . . . . . . . . . . . B. Lu¨scher, A. Nordheim
6
1.3
Zellulre Signalbertragung und Genaktivitt . . . . . . . . . . . A. Nordheim, B. Lu¨scher
18
1.4
Onkogene und Proto-Onkogene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Lu¨scher, A. Nordheim
21
1.5
Tumorsuppressorgene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Nordheim, B. Lu¨scher
29
1.6
Genomintegritt: DNS-Schden und Mutatorgene . . . . . . . . . B. Lu¨scher, A. Nordheim
34
1.7
Virustiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Du¨rst
38
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Haase, C. Fonatsch
1.9
2
Lokales Tumorwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Kath, A. Grothey
46 93
Prinzipien der Tumorimmunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 B. Seliger, C. Huber
3
Spontanremissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 H. Kappauf, W. M. Gallmeier
XVI
4
Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie von Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 N. Becker
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
5.1
Mechanismen der Karzinogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 G. Ko¨hler, H. Herbst
5.2
Genetische Prdisposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 W. Henn, K. D. Zang
5.3
Beruflich verursachte Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 K. Norpoth, H.-J. Woitowitz
6
Pra¨vention
6.1
Primre Prvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 K. S. Za¨nker, N. Becker
6.2
Sekundre Prvention (Krebsfrherkennung) . . . . . . . . . . . . 307 N. Becker, L. v. Karsa
6.3
Tertire Prvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 H. Delbru¨ck
7
Tumorpathologie
7.1
Prinzipien der Pathologie in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . 351 C. Wittekind, A. Tannapfel
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung bei Leukmien, Lymphomen und soliden Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 M. Kneba, M. Bru¨ggemann, U. Keilholz, T. Lion, G. Do¨lken, K. Pantel, A. Zoubek
Inhaltsverzeichnis
8
XVII
Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 M. Galanski, K. Lackner
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik . . . . . . 449 V. Ivancˇevic´, D. L. Munz
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
10.1
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 T. Ro¨sch, M. Classen
10.2
Endoskopische Therapie gastrointestinaler Tumoren . . . . . . . 485 T. Ro¨sch, M. Classen
10.3
Kontrollierte Feinnadeldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 M. Gebel
11
Tumormarker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 P. Nollau, K. Mann, C. Wagener
12 12.1
13
Prinzipien der onkologischen Chirurgie Standards in der interdisziplinren Diagnostik und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 J. R. Siewert, F. Lordick
Prinzipien der Strahlentherapie
13.1
Strahlenbiologische Grundlagen der Strahlentherapie . . . . . . 541 M. Molls, B. Ro¨per
13.2
Perkutane Radiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 M. Schiebe, W. Hoffmann, M. Bamberg
XVIII
Inhaltsverzeichnis
13.3
Interstitielle Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 M. Wannenmacher, P. Fritz
13.4
Intrakavitre Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 W. Sauerwein
13.5
Stereotaktische Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie) . . . . . . . 568 J. Debus
13.6
Stellenwert der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen im Vergleich zu Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . 580 J. Debus
13.7
Neue Strahlenarten … Strahlentherapie mit schweren Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 M. Stuschke
13.8
Intraoperative Strahlentherapie (IORT) . . . . . . . . . . . . . . . . 602 N. Willich
13.9
Hyperthermie in Kombination mit Radiotherapie oder Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 P. Wust, M. Molls, R. Issels
13.10 Radiosensitizer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 W. Rhomberg, J. Dunst 13.11 Kombination von Strahlen- und Chemotherapie . . . . . . . . . . 626 J. Dunst, V. Budach, H. J. Schmoll 13.12 Akute und chronische Toxizitt der Strahlentherapie . . . . . . 635 R. Sauer, L. Keilholz
14
Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie . . . . . . . 651 M. Pfreundschuh
15 15.1
Immuntherapie Prinzipien der Immuntherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703 G. Schlimok, G. Riethmu¨ller
Inhaltsverzeichnis
XIX
15.2
Zellulre Immuntherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 U. Keilholz, L. Bergmann, M. Schmitt, C. Scheibenbogen
15.3
Tumorvakzine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 W. Herr, C. Huber
15.4
Humorale Immuntherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 G. Schlimok, A. Engert
15.5
Radioimmuntherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 B. Wittig, A. Rieth, E. Enghofer
15.6
Chemo-Immuno-Prvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 K. S. Za¨nker
15.7
Psychoneuroimmunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 M. Schedlowski, M. U. Goebel, U. Tewes, H.-J. Schmoll
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
16.1
Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese . . . . 767 N. Schleucher, U. Vanhoefer
16.2
Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz . . . . . . . . 776 U. Keilholz, U. Vanhoefer
16.3
Proapoptotische Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793 A. Grothey, W. Voigt, H. Mu¨ller-Huesmann, L. P. Mu¨ller
16.4
Chronomodulierte Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 K.-O. Kliche, R. W. von Roemeling
16.5
Photodynamische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832 P. M. Schlag, M. Hu¨nerbein, K. T. Moesta
16.6
Gen- und „Anti“-Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836 I. Schmidt-Wolf, C. Rochlitz
16.7
Prklinische Testung und Pharmakogenomik . . . . . . . . . . . . 847 W. Voigt
16.8
Pharmakogenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 J. Sto¨hlmacher, H.-J. Lenz
XX
17
Inhaltsverzeichnis
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
17.1
Prinzipien der lokoregionren Chemotherapie . . . . . . . . . . . 873 K. H. Link, J. Preiß
17.2
Lokal ablative Therapieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 882 W. Dempke, K. Alimi, M. Gebel
17.3
Regionale Chemotherapie von Lebermetastasen . . . . . . . . . A. Schalhorn, K. H. Link, W. Voigt
893
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen . . . . . . . . . . . M. Golling, T. Lehnert, W. O. Bechstein
907
17.5
Lokoregionre Therapie von primren Lebertumoren . . . . . M. Golling, A. Schaudt, W. O. Bechstein
937
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen . . . . . . . . . . J. Schirren, T. Muley, S. Trainer, C. Trainer, O. Rick, I. Vogt-Moykopf
958
17.7
Therapie von Skelettmetastasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. J. Diel, H. Seegenschmiedt
994
17.8
Operative Therapie von Wirbelkrpermetastasen . . . . . . . . 1015 L. Lindemann-Sperfeld, A. Held
17.9
Hirnmetastasen bei soliden Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029 S. Hofer, R. Herrmann
17.10 Epidurale spinale Metastasen und leptomeningeale Karzinose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036 S. Hofer, R. Herrmann 17.11 Intrakavitre Therapie bei Pleuraergu . . . . . . . . . . . . . . . 1041 K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser 17.12 Intrakavitre Therapie bei malignem Perikardergu . . . . . . 1055 K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser 17.13 Aszites und intraperitoneale Chemotherapie . . . . . . . . . . . 1061 D. Arnold, H.-J. Schmoll 17.14 Intravesikale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 S. Krege
Inhaltsverzeichnis
XXI
17.15 Extremittenperfusion beim Weichgewebssarkom und malignen Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1076 P. Hohenberger, W. Hohenberger 17.16 Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie . . . . . . . 1090 R. D. Issels, S. Hegewisch-Becker
18
Notfallmaßnahmen in der Onkologie
18.1
Hyperkalzmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109 K. Possinger, P. Schmid
18.2
Tumorlysesyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.3
Intrakranielle Drucksteigerung/Hirndem . . . . . . . . . . . . . 1118 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.4
Kompression des Spinalkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1126 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.5
Obere Einflustauung … Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS) 1134 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.6
Intensivmedizinische Versorgung von Tumorkranken . . . . . 1139 F. Kroschinsky, U. Schuler
19
Zentralveno¨se Zuga¨nge fu¨r die Tumortherapie
19.1
Zentralvense Katheter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1149 O. Kellner, H.-J. Schmoll
20
Paraneoplasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1163 K. Possinger, P. Schmid, U. Ru¨ther, H.-G. Mergenthaler, C. Nunnensiek
21
Tumortherapie bei Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . 1203 F. S. Oduncu, R. Kimmig, B. Emmerich
XXII
22
Inhaltsverzeichnis
Tumortherapie bei HIV-Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 M. Ruhnke, C. Lu¨ke, M. Schrappe, H.-D. Peters
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten . . . . . . 1245 M. Graubner, A. J. Ullmann
24
Humangenetische Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1259 C. Pagenstecher, P. Propping
25
Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten . . . . . . . . . . 1273 E. Hiller
26
Prinzipien des Blutzellersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1291 W. Dempke, H.-J. Schmoll
27
Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue) . . . . . . . . . . . . . 1305 U. Ru¨ffer, R. Schwarz
28
Prinzipien der geriatrischen Onkologie . . . . . . . . . . . . 1315 U. Wedding, K. Ho¨ffken
29
Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
29.1
Nachsorge und Rehabilitation nach Tumortherapie . . . . . . . 1343 H. Delbru¨ck
29.2
Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren . . . . . . . . . 1352 B. Mu¨ller
29.3
Rehabilitation bei Patienten mit Kopf-Halstumoren . . . . . . 1363 E. J. Borghardt
Inhaltsverzeichnis
XXIII
29.4
Rehabilitation nach Laryngektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373 J. A. Schiefer
29.5
Rehabilitationsmanahmen nach Lungenresektion . . . . . . . 1381 H. Delbru¨ck
29.6
Rehabilitationsmanahmen nach Mammaresektion . . . . . . . 1388 H. Delbru¨ck
29.7
Rehabilitationsmanahmen nach Magenresektion . . . . . . . . 1396 H. Delbru¨ck
29.8
Standards rehabilitativer Manahmen bei Lymphdemen . . 1402 G.-D. Braun
29.9
Rehabilitation und Nachsorge nach Operation kolorektaler Karzinome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406 P. Kruck
29.10 Rehabilitationsmanahmen nach Resektion von Weichgewebssarkomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1413 R. Bo¨kel 29.11 Rehabilitationsmanahmen bei Patienten mit urologischen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1416 H. Delbru¨ck 29.12 Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie und allogener KMT (HSCT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1426 A. Mumm, W. Willenbacher, J. Weis, H. H. Bartsch, W. Siegert
30
Antineoplastische Substanzen
30.1
Substanzklassen und Wirkmechanismen . . . . . . . . . . . . . . 1437 T. Efferth, R. Osieka
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1455 P. Schmid, K. Possinger, H.-D. Peters
30.3
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellulre Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1538 M. Borner, T. Cerny, M. E. Scheulen
XXIV
Inhaltsverzeichnis
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine . . . . . . . . 1547 U. Keilholz, H. Knoth, H. Sauer
30.5
Generika, Handelsformen, Packungsgren, Applikationsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1728 H. Paul, H. Schneemann, J. Barth
30.6
Richtlinien fr die Lsung, Weiterverdnnung und Lagerung zytostatisch wirkender Substanzen . . . . . . . . . . . 1744 J. Barth, H. Schneemann, H. Paul
30.7
Dosismodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1781 U. Keilholz, H. Knoth, H. Sauer
30.8
Arzneimittelinteraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1791 H.-J. Illiger, U. Schuler
30.9
Sicherer Umgang mit Zytostatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1846 L. Bornmann, K. Herdrich, H.-J. Illiger
31
Akute und chronische Toxizita¨t sowie Spa¨ttoxizita¨t antineoplastischer Substanzen
31.1
Allgemeine Toxizitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1872 C. Bokemeyer, H.-P. Lipp, H.-J. Schmoll
31.2
Organtoxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1882 C. Bokemeyer, H.-P. Lipp, H.-J. Schmoll
31.3
Renale Toxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1895 G. Weber, J. Radermacher, C. Bokemeyer
31.4
Kardiale Toxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1904 P. Schmid, C. Bokemeyer, W. Dempke
31.5
Neurotoxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1916 R. Kath, C. Bokemeyer
31.6
Pulmonale Toxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1923 J. Niedermeyer, C. Bokemeyer, H. Fabel
31.7
Hepatotoxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1932 C. Bokemeyer, H.-P. Lipp
Inhaltsverzeichnis
XXV
31.8
Dermatotoxizitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1938 C. Bokemeyer, H.-P. Lipp
31.9
Allergische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1947 C. Bokemeyer, H.-P. Lipp
31.10 Gonadale Toxizitt und Infertilitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1953 C. Bokemeyer, C. Kollmannsberger, H.-J. Schmoll 31.11 Teratogenitt und Mutagenitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1966 C. Bokemeyer, C. Kollmannsberger, H.-J. Schmoll 31.12 Kanzerogenitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1972 C. Bokemeyer, C. Kollmannsberger 31.13 Tumorassoziiertes hmolytisch-urmisches Syndrom (c-HUS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1986 E. J. Borghardt 31.14 Sptfolgen der antineoplastischen Behandlung im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1995 J.-D. Beck, H. G. Do¨rr, Th. Langer, S. S. Bielack, R. Rossi, P. Gutjahr
32
Supportivtherapie (Pra¨vention von Toxizita¨t)
32.1
Pathogenese und Therapie der therapie- und tumorbedingten Anmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2011 H. Ludwig, G. Pohl
32.2
Therapie mit den hmatopoetischen Wachstumsfaktoren G-CSF und GM-CSF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2025 H. Link
32.3
Hmatopoetische Wachstumsfaktoren in der Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2036 J. Dunst, I. Wildfang
32.4
Zytokine in der Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2047 H. Link
32.5
Intralsionale Interferontherapie und Strahlentherapie . . . . 2058 I. Wildfang, K. Schumacher
XXVI
Inhaltsverzeichnis
32.6
Thrombopoetine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2080 D. P. Berger
32.7
Therapie und Prophylaxe von Infektionen bei Neutropenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2088 H. Link, G. Maschmeyer
32.8
Richtlinien zur antiemetischen Therapie . . . . . . . . . . . . . . 2132 K. Jordan, J. Casper, M. S. Aapro, H.-J. Schmoll
32.9
Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2162 R. Hartenstein, U. R. Kleeberg
32.10 Kachexie, Anorexie und Ernhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2180 M. E. Heim, J. Arends 32.11 Kryokonservierung von Oozyten oder Ovarialgewebe . . . . . 2192 P. Kaltwaßer, F. Ro¨pke 32.12 Kryokonservierung von Spermatozoen . . . . . . . . . . . . . . . . 2201 U. Schneider 32.13 Fertilisierungsmglichkeiten bei andrologischer Subfertilitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2205 S. Kliesch, O. Buurman
33
Pra¨vention und Begleittherapie bei Nebenwirkungen durch Zytostatika sowie bei speziellen Medikamenten
33.1
Prvention der Harnsurenephropathie . . . . . . . . . . . . . . . 2215 C. Bokemeyer, M. So¨kler, H.-J. Schmoll, H. Sauer
33.2
Prvention und Therapie von Organtoxizitten im Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2218 P. Scho¨ffski
33.3
Alopezie nach Chemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2244 P. Scho¨ffski
33.4
Prvention und Therapie von Paravasaten . . . . . . . . . . . . . 2248 K. Jordan, W. E. Berdel, H.-J. Schmoll
Inhaltsverzeichnis
XXVII
33.5
Substanzen zur medikamentsen Prvention von Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2267 T. Cerny
33.6
Begleittherapie bei Cisplatin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2274 C. Bokemeyer, M. So¨kler, H.-J. Schmoll, H. Sauer
33.7
Begleittherapie bei Methotrexat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2281 C. Bokemeyer, M. So¨kler, H.-J. Schmoll, H. Sauer
33.8
Begleittherapie bei Ifosfamid und Cyclophosphamid . . . . . . 2287 T. Cerny, C. Bokemeyer
33.9
Begleittherapie bei Taxanen, Irinotecan und anderen Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2293 T. Cerny, S. Gillessen
34
Ha¨matopoetische Stammzellen
34.1
Klinische Bedeutung hmatopoetischer Stammzellen . . . . . 2299 H.-H. Wolf, H. G. Sayer
34.2
Indikationen zur Transplantation hmatopoetischer Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2318 C. Kasper =, H. G. Sayer
35
Stammzellen und ihre Bedeutung fu¨r die Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2333 L. P. Mu¨ller
36
Alternative, komplementa¨re, integrative Medizin, Paramedizin oder CAM in der Onkologie? . . . . . . . . . . 2361 B. Burkhard
37
Die Fu¨hrung des Krebskranken und seine Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2399 U. R. Kleeberg
XXVIII
38
Inhaltsverzeichnis
Aufgaben der Krankenpflegekra¨fte in der Tumortherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2415 R. Bodenmu¨ller-Kroll
39
Psychoonkologie
39.1
Psychoonkologische Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2425 A. Sellschopp
39.2
Seelsorgerische Betreuung von Tumorkranken . . . . . . . . . . 2436 H. Pera =
39.3
Kraftquellen bei der Betreuung von Krebsbetroffenen und Angehrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2448 R. Verres
39.4
Psychosoziale Rehabilitation nach Krebs . . . . . . . . . . . . . . 2455 J. Weis, U. Koch
39.5
Sexualitt und Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2461 U. Gruber, M. Fegg
40
Patientenverfu¨gung und Betreuung von Sterbenden
40.1
Patientenverfgung, Betreuungsverfgung, Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2471 U. Schuler, F. Kroschinsky
40.2
Prinzipien der Palliativmedizin und Sterbebegleitung . . . . . 2478 R. Hartenstein
40.3
Ethik in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2490 J. Beyer, A. Frewer
41
Methoden zur Lebensqualita¨tsbewertung in der Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2505 M. Bullinger, S. Schmidt
Inhaltsverzeichnis
42
XXIX
Methoden klinischer Studien in der Onkologie . . . . . . 2517 H. Sindermann, H.-J. Schmoll
43
Qualita¨tsmanagement in der Onkologie . . . . . . . . . . . . 2539 S. Sa¨nger, E. Enghofer, K. Ho¨ffken
44
Gesundheitso¨konomie in der Ha¨matologie und Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2549 T. D. Szucs, R. Kath, M. Hartmann
45
Organisationsstrukturen der Onkologie im deutschsprachigen Raum und Europa . . . . . . . . . . . 2563 U. Wedding, K. Ho¨ffken, C. Leitgeb, H. Ludwig
46
Datenverarbeitung und Internet
46.1
EDV in der Hmatologie und Onkologie . . . . . . . . . . . . . . 2583 H. Pralle, M. B. Wischnewsky
46.2
Hmatologie/Onkologie im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2592 T. Bu¨chele, N. Oehlrich, M. Oehlrich, D. Lu¨ftner Sachverzeichnis
Autorenverzeichnis
Dr. med. Matti S. Aapro Multidisciplinary Oncology Institute Clinique de Genolier CH-1272 Genolier Dr. med. Sven Ackermann Frauenklinik Universittsklinikum der Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 21-23 91054 Erlangen Dr. med. Kyrus Alimi Praxis fr Allgemeinmedizin Schwanhildenstrae 10-12 45141 Essen Oberarzt Dr. med. Jann Arends und Leiter Ernhrungsmedizin Klinik fr Tumorbiologie Tumor Biology Center Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Oberarzt Dr. Dirk Arnold Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Walter Erich Aulitzky Chefarzt der Abteilung Hmatologie, Onkologie und Immunologie Robert-Bosch-Krankenhaus Auerbachstrae 110 70376 Stuttgart
Prof. Dr. med. Michael Bamberg Universittsklinik fr Radioonkologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen Jrgen Barth Apotheker fr Klinische Pharmazie Onkologische Pharmazie Apotheke des Universittsklinikum Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Hans Helge Bartsch Klinik fr Onkologische Rehabilitation und Nachsorge der Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Prof. Dr. Wolf Otto Bechstein Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. Jrn-Dirk Beck Leiter der Abteilung Immunologie und Onkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen Prof. Dr. Nikolaus Becker Deutsches Krebsforschungszentrum Abteilung Klinische Epidemiologie Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
XXXII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. M. W. Beckmann Direktor der Frauenklinik Universittsklinikum der Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 21-23 91054 Erlangen
Prof. Dr. med. Stefan Bielack Olgahospital … Pdiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart Pdiatrie 5 Onkologie, Hmatologie, Immunologie Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart
Dr. med. Karolin Behringer Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
Dr. med. Dr. rer. nat. R. Bltters-Sawatzki Abteilung Hmatologie und Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Feulgenstrae 12 35385 Gieen
Prof. Dr. med. Wolfgang E. Berdel Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster PD Dr. Dietmar P. Berger Amgen (Europe) GmbH Alpenquai 30 CH-6002 Luzern Prof. Dr. med. Lothar Bergmann Medizinische Klinik II Zentrum der Inneren Medizin Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. Frank Berthold Klinik fr Kinder- und Jugendheilkunde Universittsklinikum zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln PD Dr. Jrg Beyer Klinik fr Hmatologie, Onkologie und Immunologie Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Baldinger Strae 35033 Marburg
Schwester Rita Bodenmller-Kroll Fachkrankenschwester fr Onkologie Innere Klinik und Poliklinik fr Tumorforschung Westdeutsches Tumorzentrum Essen der Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. RenØ Bkel Abteilung Onkologische Rehabilitation Klinik Bergisch-Land Im Saalscheid 5 42369 Wuppertal Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer Direktor der Medizinischen Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Sigrid Borberg Praxis fr Strahlentherapie und Radioonkologie am Siloah Krankenhaus Roesebeckstrae 15 30449 Hannover Dr. med. E. Jrgen Borghardt Leitender Arzt der Abteilung Hmatologie/Onkologie der Deister-Sntel-Kliniken und ˜rztlicher Direktor … Onkologie der Rehaklinik Bad Mnder Deisterallee 36-38 31848 Bad Mnder
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Markus Borner Institut fr Medizinische Onkologie Inselspital Freiburgstrae CH-3010 Bern Prof. Dr. med. Norbert Bornfeld Augenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
XXXIII
Thomas Bchele Hgelstrae 23 65779 Kelkheim Prof. Dr. med. Thomas Bchner Medizinische Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
Dr. Lothar Bornmann Apotheke des Klinikums Stdtisches Klinikum Oldenburg gGmbH Gerhard-Stalling-Strae 29 26135 Oldenburg
Prof. Dr. med. Volker Budach Klinik fr Strahlentherapie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Gerd-D. Braun Leitender Arzt Kardiologie/Angiologie Rhnblick Klinik Brder-Grimm-Strae 15-17 63628 Bad Soden-Salmnster
Oberarzt PD Dr. med. W. Budach Abteilung fr Strahlentherapie Universittsklinik fr Radioonkologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen
Dr. Ines Beatrice Brecht CWS-Studie Olgahospital - Pdiatrisches Zentrum Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart
Prof. Dr. Monika Bullinger Institut und Poliklinik fr Medizinische Psychologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20248 Hamburg
Prof. em. Dr. med. Gnter Brittinger Klinik fr Hmatologie Zentrum fr Innere Medizin Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. I. Bruaset Mund- und Kieferchirurgie University Hospital Nijmegen Geert Grooteplein 8 NL-6500 HB Nijmegen Dr. med. Monika Brggemann II. Medizinische Klinik Molekulargenetisches Labor Campus Kiel im Stdtischen Krankenhaus Universittsklinikum Schleswig-Holstein Chemnitzstrae 33 24116 Kiel
Prof. Dr. med. Gnter Burg Klinikdirektor der Dermatologischen Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Dr. med. Barbara Burkhard Internistin Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Bayern Putzbrunner Strae 73 81739 Mnchen Dr. med. Dipl. Biochem. Onno Buurman Gemeinschaftspraxis Dres. Buurman/Dumschat/Heidecker Artilleriestrae 9 32427 Minden
XXXIV
Autorenverzeichnis
Dr. med. Gabriele Calaminus Klinik fr Pdiatrie/Onkologie/ Hmatologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf
Prof. Dr. Pieter H. M. De Mulder Division of Medical Oncology … Departement of Internal Medicine University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 8 NL-6500 HB Nijmegen
Oberarzt PD Dr. med. Jochen Casper Medizinische Fakultt Hmatologie/Onkologie Universitt Rostock Ernst-Heydemann-Strae 6 18057 Rostock
Prof. Dr. med. Hermann Delbrck Abteilung fr Hmatologie und Onkologie Chefarzt der Klinik Bergisch-Land Im Saalscheid 5 42369 Wuppertal
Prof. Dr. med. Thomas Cerny Chefarzt Medizinische Klinik C fr Innere Medizin - Spezielle Onkologie Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen
PD Dr. med. Wolfram Dempke TTG Bochum Technologiezentrum Universittsstrae 142 44799 Bochum
PD Dr. med. Kai Uwe Chow Medizinisches Versorgungszentrum Hmatologie und Onkologie Stresemannallee 3 60596 Frankfurt
Chefarzt Dr. med. K.-M. Deppermann Ruppiner Kliniken GmbH Klinik fr Pneumologie Fehrbelliner Strae 38 16816 Neuruppin
Prof. Dr. Dr. h.c. Meinhard Classen II. Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
Prof. Dr. med. Volker Diehl Haus LebensWert Universittsklinikum zu Kln Josef-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln (Lindenthal)
Prof. Dr. med. Ursula Creutzig Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendmedizin Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
Prof. Dr. Ingo J. Diel CGG Klinik GmbH Centrum fr ganzheitl. Gynkologie Quadrat P7, 16-18 68161 Mannheim
Prof. Dr. Dr. med. J. Debus Radiologische Klinik Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie Czernyklinik Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Hendrik Dienemann Chirurgische Abteilung der Thoraxklinik am Universittsklinikum Heidelberg Amalienstrae 5 69126 Heidelberg Prof. Dr. med. Gottfried Dlken Klinik fr Innere Medizin C Ernst-Moritz-Arndt-Univers. Greifswald Sauerbruchstrae 17487 Greifswald
Autorenverzeichnis
XXXV
Dr. med. W. Drffel 2. Klinik fr Kinderheilkunde und Jugendmedizin HELIOS-Klinikum … Robert-RssleKlinik … CharitØ Campus Buch Wiltbergstrae 50 13125 Berlin-Buch
Prof. Dr. Matthias Drst Klinik fr Frauenheilkunde und Geburtshilfe Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Bachstrae 18 07743 Jena
Prof. Dr. med. H. G. Drr Pdiatrische Endokrinologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen
PD Dr. med. Thomas Efferth Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Henning Dralle Klinik fr Allgemein-, Viszeral-und Gefchirurgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale PD Dr. med. Martin Dreyling Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Prof. Dr. med. Peter Drings ˜rztlicher Direktor Innere Medizin - Onkologie Thoraxklinik-Heidelberg gGmbH Amalienstrae 5 69126 Heidelberg-Rohrbach Prof. Dr. med. Reinhard Dummer Dermatologische Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Prof. Dr. med. Jrgen Dunst Direktor der Klinik fr Strahlentherapie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Dryanderstrae 4 06110 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Angelika Eggert Klinik fr Hmatologie/Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendliche Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. med. Bertold Emmerich Medizinische Klinik … Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universitt Ziemssenstrae 1 80336 Mnchen Dr. med. Marianne Engelhard Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. A. Engert Bettenhaus, E4 Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
XXXVI
Autorenverzeichnis
Dr. Erich Enghofer Leiter der Onkologie fr Deutschland und Europa Bayer Vital GmbH Pharma 51368 Leverkusen Prof. Dr. med. H. Fabel Abteilung Pneumologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dipl.-Psych. Martin Fegg Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Prof. Dr. med. A. C. Feller Institut fr Pathologie Campus Lbeck Universittsklinikum Schleswig-Holstein Ratzeburger Allee 160 23538 Lbeck
Prof. Dr. med. Peter Fritz St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH Klinik fr Radioonkologie Kampenstrae 51 57072 Siegen Prof. Dr. med. Helmut Gadner ˜rztlicher Leiter St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Michael Galanski Diagnostische Radiologie I der Medizinischen Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30623 Hannover Prof. Dr. med. Walter Michael Gallmeier Vorstand der Medizinischen Klinik 5 Klinikum Nrnberg Nord Prof.-Ernst-Nathan-Strae 1 90419 Nrnberg
Prof. Dr. Christa Fonatsch Abteilung fr Humangenetik/KIMCL Medizinische Universitt Wien Whringer Strae 10 A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Claus Garbe Sektion Dermatologische Onkologie Universitts-Hautklinik Eberhard-Karls-Universitt Liebermeisterstrae 25 72074 Tbingen
Prof. Dr. med. Mathias Freund Medizinische Fakultt Hmatologie/Onkologie Universitt Rostock Ernst-Heydemann-Strae 6 18057 Rostock
Prof. Dr. med. Michael Gebel Abteilung fr Gastroenterologie und Hepatologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover
Prof. Dr. med. Andreas Frewer Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover
Dr. med. Silke Gillessen Onkologie Haus 01 Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen
PD Dr. med. Hans-Jrg Fricke Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena
Prof. Dr. med. U. Gbel Klinik fr Onkologie/Hmatologie/Immunologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40001 Dsseldorf
Autorenverzeichnis Dr. rer. medic. M. U. Goebel Institut fr Medizinische Psychologie der Gesamthochschule Essen Universtittsklinikum Duisburg-Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen PD Dr. med. Markus Golling Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. G. G. Grabenbauer Leitender Oberarzt der Strahlentherapeutischen Klinik und Poliklinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 27 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Norbert Graf Klinik fr Pdiatrische Hmatologie/Onkologie Universitt des Saarlandes 66421 Homburg (Saar) PD Dr. med. Martin Graubner Arzt fr Innere Medizin Chefarzt der Inneren Abteilung Hmatologie, Internist. Onkologie Kliniken des Wetteraukreises 63679 Schotten Dr. med. Nicole Grois LCH Studienzentrale Forschungsinstitut im St. Anna Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Dr. med. Axel Grothey Division of Medical Oncology Mayo Clinic College of Medicine 200 First St. SW USA Rochester MN 55902 Dr. med. Ursula Gruber Praxis fr Psychotherapie u. Psychoonkologie Rotkreuzplatz 8 80634 Mnchen
XXXVII
Prof. Dr. med. Peter Gutjahr Universitts-Kinder- und Jugendklinik Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55101 Mainz PD Dr. med. Dr. rer. nat. Jrgen Haas Max-von-Pettenkofer Institut Ludwig-Maximilians-Universitt Pettenkoferstrae 9a 80336 Mnchen PD Dr. med. Detlef Haase Abteilung Hmatologie und Onkologie Klinikum der Georg-August-Universitt Gttingen Robert-Koch-Strae 40 37075 Gttingen Prof. Dr. med. Michael Hallek Direktor der Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln PD Dr. med. Andreas Harstrick Head Global Clinical Research Oncology Merck KGaA Frankfurter Strae 250 64293 Darmstadt Prof. Dr. med. Reiner Hartenstein Chefarzt i. R. Mnchener Onkologische Praxis im Elisenhof Prielmayerstrae 1 80335 Mnchen Dr. rer. nat. Michael Hartmann, MPH, MBA Direktor der Apotheke des Klinikum der Friedrich-SchillerUniversitt Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. med. Werner Havers Klinik fr Pdiatrische Hmatologie, Onkologie und Endokrinologie Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
XXXVIII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Ralf Heermann Hals-Nasen-Ohren-Abt. des St. Franziskus Hospitals Hohenzollernring 72 48145 Mnster Prof. Dr. med. Susanna Hegewisch-Becker Onkologische Schwerpunktpraxis Eppendorfer Landstrae 42 20249 Hamburg Prof. Dr. med. Rdiger Hehlmann Direktor der III. Medizinische Universittsklinik Klinikum Mannheim der Ruprecht-Karls-Universitt Heidelberg Wiesbadener Strae 7-11 68305 Mannheim Prof. Dr. med. Axel Heidenreich Leiter Bereich Urologische Onkologie Klinik fr Urologie der Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50931 Kln Prof. Dr. med. Manfred E. Heim Internist. Hmatologie/ Internist. Onkologie Sonnenberg-Klinik Hardtstrae 13 37242 Bad Sooden-Allendorf
Prof. Dr. med. Hermann Herbst Vivantes Netzw. fr Gesundheit GmbH Fachbereich Pathologie Klinikum Neuklln Rudower Strae 48 12351 Berlin Dr. rer. nat. Klaus Herdrich Baxter Oncology Baxter Deutschland GmbH Im Breitspiel 13 69126 Heidelberg M.D. H. W. Herr Urology Service Memorial Sloan-Kettering Cancer Center 1025 York Avenue USA 10021 New York (NY) Prof. Dr. med. Richard Herrmann Chefarzt der Klinik fr Onkologie Universittsspital Basel Petersgraben 4 CH-4031 Basel Dr. med. Monika Hess Schmid Fachrztin FMH fr Dermatologie und Venerologie Dufourstrae 31 CH-8008 Zrich
PD Dr. med. Volker Heinemann Medizinische Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Prof. Dr. med. Wolfgang Hiddemann Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Oberarzt Dr. A. Held Orthopdie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Wolfgang F. A. Hiller Klinik fr Viszeral- und Thoraxchirurgie Klinikum Lippe-Detmold Rntgenstrae 18 32756 Detmold
Prof. Dr. med. Wolfram Henn Institut fr Humangenetik Universitt des Saarlandes Universittsklinik Bau 68 66421 Homburg (Saar)
Prof. Dr. med. Erhard Hiller Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Dieter Hoelzer Abteilung Hmatologie Zentrum Innere Medizin Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. Silvia Hofer Onkologie St. Clara Spital Kleinriehenstrae 30 CH-4016 Basel Prof. Dr. med. Klaus Hffken Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin II Onkologie-HmatologieGastroenterologie-HepatologieInfektiologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann Chefarzt der Klinik fr Radioonkologie und Strahlentherapie Stdtisches Klinikum Braunschweig Celler Strae 38 38114 Braunschweig Dr. med. Christiane Hoffmann Klinik fr Orthopdie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster Prof. Dr. med. Peter Hohenberger Leiter der Sektion Chirurgische Onkologie und Thoraxchirurge Chirurg. Universitt-Klinik Mannheim Theodor-Kutzer-Ufer 68135 Mannheim Prof. Dr. med. Werner Hohenberger Direktor der Chirurgischen Klinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Krankenhausstrae 12 91054 Erlangen
XXXIX
Prof. Dr. med. Wolfgang Hltl Urologische Abteilung Kaiser-Franz-Josef-Spital Kundratstrae 3 A-1100 Wien Prof. Dr. med. Christoph Huber Direktor der III. Medizinischen Klinik Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55131 Mainz Oberarzt Dr. med. Gerdt Hbner Medizinische Klinik I Westpfalz-Klinikum GmbH Hellmut-Hartert-Strae 1 67655 Kaiserslautern Prof. Dr. med. Hartwig Huland Geschftsfhrender Direktor der Klinik und Poliklinik fr Urologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg PD Dr. med. Michael Hnerbein Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Prof. Dr. med. Hans-Jochen Illiger Kleiner Kohlweg 17a 26123 Oldenburg Prof. Dr. med. Dipl.-Biochem. Rolf D. Issels Medizinische Klinik und Poliklinik III und GSF … Forschungszentrum fr Umwelt und Gesundheit Institut fr Molekulare Immunologie … Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
XL
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Peter Rolf Issing Chefarzt der Klinik fr HNO-Heilkunde Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie Klinikum Bad Hersfeld Seilerweg 29 36251 Bad Hersfeld PD Dr. (Univ. Zagreb) Velimir Ivancevic Nuklearmedizin Gemeinschaftspraxis im Allgemeinen Kreiskrankenhaus Siemensstrae 4 29223 Celle Prof. Dr. Ulrich Jger Medizinische Universitt Wien Universitt Klinik fr Innere Medizin I Klinische Abteilung fr Hmatologie und Hmostaseologie Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Joachim Jhne Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Chirurgisches Zentrum Henriettenstiftung Hannover Marienstrae 72-90 30171 Hannover Dr. med. Karin Jordan Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. H. Jrgens Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendmedizin Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Dr. med. Johannes H.A.M. Kaanders Institute of Radiotherapy University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen
Oberrztin Dr. med. Petra Kaltwaer Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Dr. med. Herbert W. Kappauf Internistische Schwerpunktpraxis Hmatologie … Onkologie Owaldstrae 1a 82319 Starnberg PD Dr. med. Lawrence von Karsa Kooperationsgemeinschaft Mammographie Hermann-Heinrich-Gossen-Strae 3 50858 Kln-Marsdorf Dr. med. Christoph Kasper = Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale PD Dr. med. Roland Kath Chefarzt der Medizinischen Klinik I … Hmatologie/Onkologie Philippusstift kath. Krkhs. gem. GmbH Adademisches Lehrkrankenhaus Duisburg-Essen Hlsmannstrae 17 45355 Essen Prof. Dr. med. Roland Kaufmann Zentrum fr Dermatologie und Venerologie Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. Thomas Kegel Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Autorenverzeichnis
XLI
Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz Leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik III Hmatologie/Onkologie/ Transfusionsmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
Dr. med. Kay-Oliver Kliche Arzt fr Innere Medizin, Hmatologie und Internist. Onkologie Director … Clinical Research and Development Clinical Project Leader MediGene AG Lochhamer Str. 11 82152 Planegg/Martinsried
PD Dr. med. Ludwig Keilholz Praxis Dr. Keilholz Am Klinikum Frth Jakob-Henle-Strae 1 90766 Frth
PD Dr. med. Sabine Kliesch Oberrztin der Klinik und Poliklinik fr Urologie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster
Oberarzt Dipl.-Med. Olaf Kellner Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie/Internist. Onkologie Asklepios Kliniken Weissenfels-Hohenmlsen GmbH Naumburger Strae 76 06667 Weienfels PD Dr. med. Werner Kempf Oberarzt der Dermatologischen Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Prof. Dr. med. Rainer Kimmig Direktor der Klinik fr Frauenheilkunde und Geburtshilfe Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Ulrich R. Kleeberg Hmatologisch-onkologische Praxis Altona Mrkenstrae 47 22767 Hamburg Prof. Dr. med. Jrgen Klempnauer Knappschaftskrankenhaus Ruhr-Universitt Bochum In der Schornau 23-25 44892 Bochum
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Kneba Direktor der II. Medizinischen Klinik Campus Kiel im Stdtischen Krankenhaus Universittsklinikum Schleswig-Holstein Chemnitzstrae 33 24116 Kiel Dr. rer. nat. Holger Knoth Klinik-Apotheke Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. med. Dr. phil. Uwe Koch Zentrum fr Psychosoziale Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 … S 35 20246 Hamburg Dr. med. Peter Koch Medizinische Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster Prof. Dr. med. Gabriele Khler Gerhard-Domagk-Institut fr Pathologie Universittsklinikum Mnster Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Domagkstrae 17 48149 Mnster
XLII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Claus-Henning Khne Klinik fr Innere Medizin II Stdtisches Klinikum Oldenburg gGmbH Dr.-Eden-Strae 10 26133 Oldenburg PD Dr. med. Christian Kollmannsberger Div. of Medical Oncology British Columbia Cancer Agency Vancouver Cancer Center 600 West 10th Avenue Vancouver BC V5Z 4E6 Canada Dr. A. Korfel Medizinische Klinik III Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Prof. Dr. med. R.-D. Kortmann Klinik fr Radioonkologie Universittsklinikum Leipzig Stephanstrae 9a 04103 Leipzig Prof. Dr. med. Rainer Kotz Universittsklinik fr Orthopdie Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Whringer Grtel 18 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. P. Krauseneck Chefarzt Neurologische Klinik St. Getreu-Strae 14-18 96049 Bamberg Oberrztin PD Dr. med. Susanne Krege Urologische Klinik Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Rolf Kreienberg Universittsfrauenklinik Ulm Prittwitzstrae 43 89075 Ulm
Prof. Dr. med. Ernst-Dietrich Kreuser Chefarzt der Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Krankenhaus Barmherzige Brder Prfeninger Strae 86 93049 Regensburg Oberarzt Dr. med. Frank Kroschinsky Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie/Internist. Onkologie Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Dr. med. Peter Kruck ˜rztlicher Direktor … Facharzt fr Innere Medizin, Gastroenterologie, Sozialmedizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin Klinik Reinhardshhe Quellenstrae 8-12 34537 Bad Wildungen Prof. Dr. med. J. Khl = Kinderonkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Universitt Wrzburg Josef-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg Dr. rer. nat. Christa Kunert Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena Prof. Dr. K. Lackner Institut und Poliklinik fr Radiologische Diagnostik Anstalt des ffentlichen Rechts Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
Autorenverzeichnis Dr. med. Thorsten Langer Immunologie und Onkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Klaus Lechner Klinische Abteilung fr Hmatologie und Hmostaseologie Innere Medizin I Universittsklinik Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. Th. Lehnert ˜rztlicher Direktor der Kliniken fr Viszeral- und Gefchirurgie Klinikum Bremen-Mitte St.-Jrgen-Strae 1 28205 Bremen Oberarzt Dr. Clemens Leitgeb I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Montleartstrae 37 A-1171 Wien Dr. Heinz-Josef Lenz Assoc. Prof. of Medicin and Preventive Medicin … Division of Oncology USC/Norris Comp. Cancer Center USC Keck School of Medicine 1441 Eastlake Ave, Suite 3456 Los Angeles,CA 90089 Dr. med. Lutz Lindemann-Sperfeld Klinik und Poliklinik fr Unfall- und Wiederherstellungs-Chirurgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. K. H. Link Direktor des Chirurgischen Zentrums Asklepios Paulinen Klinik Geisenheimer Strae 10 65197 Wiesbaden
XLIII
Prof. Dr. med. Hartmut Link Chefarzt der Medizinischen Klinik I Westpfalz-Klinikum GmbH Hellmut-Hartert-Strae 1 67655 Kaiserslautern Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Lion CCRI Forschungsinstitut fr krebskranke Kinder St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Dr. H.-P. Lipp Chefapotheker Universittsklinik … Apotheke Eberhard-Karls-Universitt Rntgenweg 72076 Tbingen SR., M.D. Patrick J. Loehrer Indiana University Hematology/Oncology Indiana Cancer Pavillon 535 Barnhill Dr., Rm 473 USA Indianapolis, Indiana 46202-5112 Dr. med. Florian Lordick Chirurgische Klinik und III. Medizinische Klinik Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen Prof. Dr. med. Heinz Ludwig I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Montleartstrae 37 A-1160 Wien PD Dr. med. Diana Irina Lftner Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Dr. med. Claudia Lke Medizinische Klinik II Hmatologie/Onkologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
XLIV
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Bernhard Lscher Abteilung fr Biochemie und Molekularbiologie Institut fr Biochemie Rheinisch-Westflische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstrae 30 52057 Aachen PD Dr. med. habil. Sabine Malur/ Dr. med. Christine Martin-Petrat Gemeinschaftspraxis in Partnerschaft fr Gynkologie und Geburtshilfe Hermann-Pistor-Strae 33a 07745 Jena Prof. Dr. med. Christian Manegold Interdisziplinre Thorakale Onkologie … Chirurgische Klinik Klinikum Mannheim der Ruprecht-Karls-Universitt Heidelberg Theodor-Kutzer-Ufer 1-3 68167 Mannheim Prof. Dr. med. K. Mann Klinik fr Endokrinologie Zentrum fr Innere Medizin Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. H. A. M. Marres Department of Head and Neck Surgery University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen Prof. Dr. Georg Maschmeyer Chefarzt der Abteilung Hmatologie/Onkologie Klinikum Ernst von Bergmann Charlottenstrae 72 14457 Potsdam Prof. Dr. med. Hans-Gerd Meerpohl Direktor der Frauenklinik mit Hebammenlehranstalt St.-Vincentius-Krankenhuser Sdendstrae 32 76137 Karlsruhe
Prof. Dr. med. H.-G. Mergenthaler ˜rztlicher Direktor der Klinik fr Onkologie des Katharinenhospitals und der Medizinischen Klinik I des Brgerhospitals Kriegsbergstrae 60 70174 Stuttgart Prof. Dr. med. Peter Meusers Strahlenklinik Universittsklinikum Duisburg-Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Hans-Joachim Meyer Chefarzt der Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Stdtisches Klinikum Solingen Gotenstrae 1 42653 Solingen Oberarzt Dr. med. Milen Minkov Onko-Hmatologische Ambulanz St. Anna Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Paris S. Mitrou Medizinische Klinik III Hmatologie/Onkologie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. K. Thomas Moesta Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Prof. Dr. med. Michael Molls Direktor der Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie und Radiol. Onkologie Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
Autorenverzeichnis Dr. med. Anja Mricke Abteilung Kinderheilkunde IV Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dr. sc. hum. Thomas Muley Internist. Onkologie der Thoraxtumoren … Thoraxchirurgie Thoraxklinik am Universittklinikum Heidelberg Amalienstrae 5 69126 Heidelberg
XLV
Prof. Dr. med. Norbert Niederle Medizinische Klinik III der Universitt zu Kln Dhnnberg 60 51375 Leverkusen Dr. med. Jost Niedermeyer Medizinische Klinik I Krankenhaus Bad Oeynhausen Wielandstrae 28 32545 Bad Oeynhausen
Dr. med. Bettina Mller Klinik Bavaria Kreischa An der Wolfsschlucht 1-2 01731 Kreischa
Prof. Dr. med. Gerald Niedobitek Pathologisches Institut Universittsklinkum Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Krankenhausstrae 8-10 91054 Erlangen
Dr. med. Lutz Peter Mller Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Dr. Peter Nollau Institut fr Klinische Chemie Zentrum fr Klinisch-Theoretische Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg
Dr. Harald Mller-Huesmann Klinik fr Innere Medizin I Gastroenterologie / Internist. Onkologie Mathias-Spital Frankenburgerstrae 31 48431 Rheine
Prof. Dr. rer. nat. Alfred Nordheim Universittsklinik Lehrstuhl fr Molekularbiologie Eberhard-Karls-Universitt Auf der Morgenstelle 15 72076 Tbingen
Dr. med. Dipl. Psych. Andreas Mumm Klinik fr Onkologische Rehabilitation und Nachsorge der Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg
Prof. Dr. med. Klaus Norpoth Mausbachstrae 81 48149 Mnster
Prof. Dr. med. Dieter Ludwig Munz Direktor der Klinik und Hochschulambulanz Nuklearmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Christa Nunnensiek Innere Medizin - Endokrinologie Psychotherapeutische Medizin Psychotherapie - Psychoanalyse Kammweg 1 72762 Reutlingen Dr. med. Dr. phil. Fuat S. Oduncu Abteilung fr Hmatologie und Onkologie Medizinische Klinik … Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universitt Ziemssenstrae 1 80336 Mnchen
XLVI
Autorenverzeichnis
Dr. med. Marcus Oehlrich Volker Karl OehlrichGesellschaft e.V. Eisenacher Strae 8 64560 Riedstadt Dr. rer. nat. Nicole Oehlrich Volker Karl OehlrichGesellschaft e.V. Eisenacher Strae 8 64560 Riedstadt PD Dr. med. Helmut Oettle Medizinische Klinik Hmatologie und Onkologie Virchow-Klinikum … CharitØ Campus Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Hartmut Paul Leitender Apotheker - Zentralapotheke St. Bernward Krankenhaus Treibestrae 9 31134 Hildesheim Prof. Dr. med. Michael Paulussen Universitts-Kinderspital beider Basel Postfach CH-4005 Basel Klinikseelsorger Heinrich Pera = Geschftsfhrer Hospiz GmbH Halle Taubenstrae 25-28 06110 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Rainhardt Osieka Medizinische Klinik IV Rheinisch-Westflische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstrae 30 52074 Aachen
Prof. Dr. med. Hans-Dieter Peters Arzt fr Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Arzt fr Innere Medizin Gregor-Mendel-Strae 2 14469 Potsdam
Dr. med. Constanze Pagenstecher Institut fr Humangenetik Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Wilhelmstrae 31 53111 Bonn
Prof. Dr. med. Michael Pfreundschuh Direktor der Inneren Medizin I Universitt des Saarlandes Postfach 66421 Homburg-Saar
Prof. Dr. Klaus Pantel Institut fr Tumorbiologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg PD Dr. med. Hildegard Pape Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf
Dr. med. Gudrun Pohl I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Pav. 23 Montleartstrae 37 A-1160 Wien Dr. med. L. A. M. Pop Institute of Radiotherapy University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen Prof. Dr. med. Kurt Possinger Direktor der Medizinischen Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Autorenverzeichnis
XLVII
Prof. Dr. med. Hans Pralle Direktor der Medizinischen Klinik IV Hmatologie und Internist. Onkologie Justus-Liebig-Universitt Gieen Klinikstrae 36 35385 Gieen
Prof. Dr. med. Alfred Reiter Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Feulgenstrae 12 35392 Gieen
Prof. Dr. med. Joachim Prei Chefarzt der Klinik fr Hmatologie/Onkologie Caritasklinik St. Theresia Rheinstrae 2 66113 Saarbrcken
Prof. Dr. med. Walter Rhomberg Abteilung Radioonkologie Landeskrankenhaus Feldkirch Carinagasse 47 A-6800 Feldkirch
Prof. Dr. med. P. Propping Institut fr Humangenetik Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Wilhelmstrae 31 53111 Bonn Prof. Dr. med. Jrg Radermacher Chefarzt der Abteilung Nephrologie Klinikum Minden Friedrichstrae 17 32427 Minden Prof. Dr. med. Friedhelm Raue Endokrinologische Praxis Brckenstrae 21 69120 Heidelberg Dr. med. Peter Reichardt Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie/ Tumorimmunologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13125 Berlin Prof. Dr. med. Christoph Reiners Direktor der Klinik und Poliklinik fr Nuklearmedizin Universitt Wrzburg Joseph-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg
PD Dr. med. Oliver Rick Chefarzt Klinik Reinhardshhe Quellenstrae 8-12 34537 Bad Wildungen Prof. Dr. Dr. h.c. H. Riehm Abteilung Kinderheilkunde IV Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dr. med. Achim Rieth MedacSchering Onkologie GmbH Nrdl. Auffahrtsallee 44 80638 Mnchen Prof. Dr. med. G. Riethmller Institut fr Immunologie Ludwig-Maximilians-Universitt Goethestrae 31 80336 Mnchen Univ-Prof. Dr. med. J. Ritter Pdiatrische Hmatologie/Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendheilkunde Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. med. Christoph Rochlitz Leitender Arzt Abteilung Onkologie, Dept. Innere Medizin Kantonsspital Petersgraben 4 CH-4051 Basel
XLVIII
Autorenverzeichnis
Dr. med. Felicitas Roelofsen Oberrztin der Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Ev. Bethesda Krankenhaus Bocholder Strae 11-13 45355 Essen Dr. med. Reinhard W. von Roemeling Boehringer Ingelheim Pharmaceuticals Inc. 900 Ridgebury Rd./P.O. Box 368 USA Ridgefield, Conneticut 06877-0368 Dr. med. Barbara Rper Hugo-Weiss-Strae 66 81827 Mnchen Prof. Dr. med. Friedrich Rpke Direktor der Universittsklinik fr Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Prof. Dr. Thomas Rsch II. Medizinische Klinik Endoskopie Klinikum rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen Prof. Dr. R. Rossi Vivantes Netzwerk fr Gesundheit GmbH Klinik fr Kinder- und Jugendmedizin Klinikum Neuklln Rudower Strae 48 12351 Berlin Dr. med. Jens Ulrich Rffer 1. Vorsitzender Deutsche Fatigue Gesellschaft e.V. Maria-Hilf-Strae 15 50677 Kln Prof. Dr. Markus Ruhnke Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Ursula Rther Fachrztin fr Innere Medizin Hmatologie, Internist. Onkologie, Endokrinologie Hyperthermie-Zentrum Ludwigsburg Schillerplatz 7 71638 Ludwigsburg Dr. med. Stefan Rutkowski Pdiatrische Onkologie/Hmatologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Universitt Wrzburg Josef-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg Dr. Sylvia Snger Schlehendornweg 3 07751 Cospeda Prof. Dr. med. Hansjrg Sauer Medizinische Klinik und Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81366 Mnchen Prof. Dr. med. Rolf Sauer Direktor der Strahlentherapeutischen Klinik und Poliklinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 27 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Wolfgang Sauerwein Strahlenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. Herbert G. Sayer Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie/Onkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena
Autorenverzeichnis Dipl.-Med. Brbel Schdlich Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin IV, Hmatologie/Onkolgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Andreas Schalhorn Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Dr. med. AndrØ Schaudt Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. Dipl.-Psych. M. Schedlowski Institute for Bahavioral Sciences Psychology and Behavioral Immun. Swiss Federal Institute of Technol. Scheuchzerstrae 17 CH-8092 Zrich Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen Medizinische Klinik III Hmatologie/Onkologie/ Transfusionsmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Prof. Dr. med. Gnther Schellong Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendheilkunde Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
XLIX
Prof. Dr. med. Max E. Scheulen Innere Klinik und Poliklinik (Tumorforschung) Universittsklinikum Essen Westdt. Tumorzentrum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Oberrztin Dr. med. Martina Schiebe Klinik fr Radiologie und Strahlentherapie Stdtisches Klinikum Braunschweig Celler Strae 38 38114 Braunschweig Dr. med. Johann Andreas Schiefer Chefarzt HNO Fachklinik fr Onkol. Rehabilitation Parksanatorium Schussenrieder Strae 5 88326 Aulendorf PD Dr. med. Joachim Schirren Direktor der Klinik fr Thoraxchirurgie HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken-GmbH Klinikum der Landeshauptstadt Wiesbaden Ludwig-Erhard-Strae 100 65199 Wiesbaden Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter M. Schlag Direktor der Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Oberarzt Dr. med. Norbert Schleucher Zentrum fr Innere Medizin Hmatologie und Internist. Onkologie Marienkrankenhaus Alfredstrae 9 22087 Hamburg Oberarzt PD Dr. med. Andreas Schlichter Klinik und Poliklinik fr Urologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Lessingstrae 1 07740 Jena
L
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Gnter Schlimok Chefarzt der II. Medizinischen Klinik Klinikum Augsburg Stenglinstrae 2 86156 Augsburg Dr. med. Peter Schmid Medizinische Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Dr. Silke Schmidt Institut und Poliklinik fr Medizinische Psychologie Zentrum fr Psychosoziale Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Prof. Dr. med. Ingo Schmidt-Wolf Medizinische Klinik und Poliklinik I Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Sigmund-Freud-Strae 25 53105 Bonn PD Dr. med. Michael Schmitt Universittsklinikum Ulm Abteilung Innere Medizin III Robert-Koch-Strae 8 89070 Ulm Prof. Dr. med. Norbert Schmitz Allgemeines Krankenhaus St. Georg Hmatologie Lohmhlenstrae 5 20099 Hamburg Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schmoll Direktor der Klinik u. Poliklinik f. Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Dr. Hubert Schneemann Apotheke Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Achim Schneider Direktor der Klinik fr Gynkologie und Hochschulambulanz Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Oberrztin Dr. Ulrike Schneider Abteilung Pathologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13125 Berlin PD Dr. med. Paul Schneider Chirurgische Klinik DRK-Kliniken Berlin Drontheimer Strae 39-40 13359 Berlin PD Dr. Dr. Ulrich Schneider Deutsches Institut fr Reproduktionsmedizin GmbH Hannoversche Strae 24 31848 Bad Mnder PD Dr. med. Dominik T. Schneider Klinik fr Onkologie/Hmatologie/ Immunologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40001 Dsseldorf Prof. Dr. H.-G. Schnrch Chefarzt der Frauenklinik Stdtische Kliniken Neuss Lukaskrankenhaus Preuenstrae 84 41456 Neuss
Autorenverzeichnis Prof. Dr. Patrick Schffski, M.D., M.P.H. Head, Department of General Medical Oncology Leuven Cancer Institute University Hospital Gasthuisberg Catholic University Leuven Herestraat 49 B-3000 Leuven Prof. Dr. med. Martin Schrappe Klinik fr Allgemeine Pdiatrie Campus Kiel Universittsklinikum Schleswig-Holstein Schwanenweg 20 24105 Kiel Prof. Dr. Matthias Schrappe ˜rztlicher Direktor Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Baldingerstrae 35043 Marburg Prof. Dr. med. Willibald Schrder Direktor der Frauenklinik Klinikum Bremen-Mitte St.-Jrgen-Strae 1 28205 Bremen Oberarzt PD Dr. med. Ulrich Schuler Medizinische Klinik und Poliklinik I Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. Kurt Schumacher Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie und Internist. Onkologie Unterer Schlossberg 13 70839 Gerlingen Prof. Dr. med. Frank Schuppert Chefarzt der Medizinischen Klinik II Krankenhaus Bad Oeynhausen Wielandstrae 28 32545 Bad Oeynhausen
LI
Prof. Dr. med. Reinhold Schwarz 2. Vorsitzender DFaG Leiter der selbstndigen Abteilung Sozialmedizin Universittsklinikum Leipzig Riemannstrae 32 04107 Leipzig Prof. Dr. I. Schwarzinger Hmatologie Klinisches Institut fr Medizinische und Chemische Labordiagnostik Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. med. M. H. Seegenschmiedt Leitender Arzt der Klinik fr Radioonkologie und Strahlentherapie Alfried Krupp Krankenhaus Alfried-Krupp-Strae 21 45117 Essen-Rttenscheid Prof. Dr. Barbara Seliger Direktorin des Instituts fr Medizinische Immunologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Magdeburger Strae 2 06112 Halle/Saale Prof. Dr. Almuth Sellschopp Institut und Poliklinik fr Psychosomatische Medizin Psychotherapie und Med. Psychologie Technische Universitt Mnchen Langerstrae 3 81675 Mnchen Prof. Dr. W. Siegert Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Prof. Dr. med. J. Rdiger Siewert Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universitt Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
LII
Autorenverzeichnis
Dr. Herbert Sindermann Leiter Klinische Forschung Zentaris GmbH Weismllerstrae 45 60314 Frankfurt
PD Dr. Georg Stben Chefarzt der Strahlenklinik Klinikum Augsburg Stenglinstrae 2 86156 Augsburg
Oberarzt Dr. M. Skler Universittsklinikum Medizinische Klinik, Abteilung II Eberhard-Karls-Universitt Otfried-Mller-Strae 10 72076 Tbingen
Prof. Dr. med. Martin Stuschke Direktor der Strahlenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
Oberarzt PD Dr. Michael Stahl Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Zentrum fr Palliativmedizin Kliniken Essen-Mitte Henricistrae 92 45136 Essen Prof. Dr. med. Berthold Steinke Internist/Hmatologe Medizinische Klinik Kreiskrankenhaus Krankenhausstrae 30 78628 Rottweil Dr. Jan Sthlmacher II. Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20247 Hamburg Gabriele Stoschek Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena PD Dr. med. Dirk Strumberg Medizinische Klinik III Hmatologie/Internist. Onkologie Marienhospital Herne … Ruhr-Universitt Bochum Hlkeskampring 40 44625 Herne
Prof. Dr. med. Thomas D. Szucs European Center of Pharmaceutical Medicine Universittsspital Basel CH-4031 Basel Prof. Dr. med. Andrea Tannapfel Oberrztin des Instituts fr Pathologie Universittsklinikum Leipzig Liebigstrae 26 04103 Leipzig Prof. Dr. Uwe Tewes Abteilung Medizinische Psychologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Prof. Dr. med. Eckhard Thiel Direktor der Medizinischen Klinik III Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Dr. med. Roman K. Thomas Klinik I fr Innere Medizin der Universitt zu Kln Josef-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln Prof. Dr. med. Michael Thomas Internist. Onkologie der Thoraxtumoren - Thoraxchirurgie Thoraxklinik am Universittklinikum Amalienstrae 5 69126 Heidelberg
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Christoph Thomssen Klinikum der Medizinischen Fakultt Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Dr. med. S. Trainer Abteilung Thoraxchirurgie Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken-GmbH Klinikum der Landeshauptstadt Wiesbaden Ludwig-Erhard-Strae 100 65199 Wiesbaden Dr. med. C. Trainer Markgrafenstrae 2 68723 Schwetzingen Prof. Dr. med. Jrn Treuner ˜rztlicher Direktor der Abteilung Onkologie und Hmatologie Olgahospital - Pdiatrisches Zentrum Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart Prof. Dr. med. Lorenz Trmper Abteilung Hmatologie und Onkologie Klinikum der Georg-August-Universitt Robert-Koch-Strae 40 37099 Gttingen Dr. med. Andrew J. Ullmann III. Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55101 Mainz PD Dr. med. Udo Joachim Vanhoefer Chefarzt-Zentrum Innere Medizin Schwerpunkt Onkologie/Hmatologie Marienkrankenhaus Alfredstrae 9 22087 Hamburg Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Verres Institut fr Medizinische Psychologie im Zentrum fr Psychosoziale Medizin des Universittsklinikums Heidelberg Bergheimer Strae 20 69115 Heidelberg
LIII
Prof. Dr. med. Ingolf Vogt-Moykopf Ziegelhuser Landstrae 65 69120 Heidelberg Dr. med. Wieland Voigt Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Christoph Wagener Direktor des Instituts fr Klinische Chemie/Zentrallaboratorien Zentrum fr Klinisch-Theoretische Medizin I Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Dr. med. Frank Waldfahrer Klinik und Poliklinik fr Hals-Nasen-Ohrenkranke Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Waldstrae 1 91054 Erlangen Prof. Dr. Dr. med. M. Wannenmacher Strahlentherapie und Radioonkologie Universittsklinik Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. Gerhard Weber c/o Dr. L. Zon Howard Hughes Medical Institute Enders 7, The Children’s Hospital 300 Longwood Avenue USA Boston MA 02115 Oberarzt Dr. med. Ulrich Wedding Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie/Onkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07747 Jena
LIV
Autorenverzeichnis
Dr. med. Bernd Weidmann Medizinische Klinik III Onkologie, Hmatologie, Immunologie Universitt zu Kln Dhnnberg 60 51375 Leverkusen
Dr. med. Ingeborg Wildfang Praxis fr Strahlentherapie und Radioonkologie am Siloah Krankenhaus Roesebeckstrae 15 30449 Hannover
PD Dr. med. Eckhart Weidmann II. Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie Krankenhaus Nordwest Steinbacher Hohl 2-26 60488 Frankfurt
Prof. Dr. med. Hansjochen Wilke Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Zentrum fr Palliativmedizin Kliniken Essen-Mitte Henricistrae 92 45136 Essen
Prof. Dr. J. Weis Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Prof. Dr. med. Michael Weller Neurologische Universittklinik Tbingen Abteilung Allgemeine Neurologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen Prof. Dr. Thomas G. Wendt Direktor der Abteilung Strahlentherapie Strahlentherapie/Radioonkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Bachstrae 18 07743 Jena Prof. Dr. med. Karl Werdan Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin III Zentrum fr Innere Medizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Prof. Dr. Jochen Alfred Werner Direktor der Universitt-HNO-Klinik Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Deutschhausstrae 3 35033 Marburg/Lahn
Oberarzt Dr. med. Ralf Wilkowski Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Dr. med. Wolfgang Willenbacher Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie-Onkologie (IMO) Vhrenbacher Strae 23 78050 VS-Villingen Prof. Dr. med. Normann Willich Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie/Radioonkologie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. med. Winfried Winkelmann Klinik und Poliklinik fr Allgemeine Orthopdie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. M. B. Wischnewsky Zentrum fr angewandte Informationstechnologien - ZAIT Universitt Bremen Bibliothekstrae 1 28359 Bremen
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Christian Wittekind Direktor des Instituts fr Pathologie Universittsklinikum Leipzig Liebigstrae 26 04103 Leipzig PD Dr. med. Bianca M. Wittig 1. Medizinische Klinik Gastroenterologie/Infektiologie/ Rheumatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Dr. med. Martin Wittkamp Klinik fr Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Heinrich-Heine-Universitt Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz Direktor des Instituts und Poliklinik fr Arbeits- und Sozialmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Aulweg 129/III 35392 Gieen Oberarzt Dr. med. Hans-Heinrich Wolf Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Martin Wolf Direktor der Medizinischen Klinik IV Hmatologie/Onkologie Klinikum Kassel Mnchebergstrae 41-43 34125 Kassel
Prof. Dr. med. Jrgen Wolf Klinik I fr Innere Medizin der Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln Prof. Dr. med. Johannes E.A. Wolff MD Anderson Cancer Center University of Texas Dept. Pediatrics, Section Ped. Neurooncology 1515 Holcombe Blvd., Unit 87 Houston, TX 77030 USA Prof. Dr. med. Peter Wust Klinik fr Strahlenheilkunde Virchow-Klinikum … CharitØ Campus Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Prof. Dr. Dr. Klaus D. Zang Institut fr Humangenetik Universitt des Saarlandes 66421 Homburg (Saar) Prof. Dr. Dr. Kurt S. Znker Institut fr Immunologie Universitt Witten-Herdecke Stockumer Strae 10 58448 Witten Dr. med. Andreas Zoubek Forschungsinstitut St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien
LV
Kompendium Internistische Onkologie, 4. Aufl. – Teil 2
H.-J. Schmoll K. Hffken K. Possinger (Hrsg.)
Kompendium
Internistische Onkologie
Standards in Diagnostik und Therapie Teil 2 Therapiekonzepte maligner Tumoren Vierte, vllig berarbeitete und erweiterte Auflage.
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schmoll Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin IV Schwerpunkt Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40, 06120 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Klaus Ho¨ffken Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin II Onkologie-Hmatologie-Gastroenterologie-Hepatologie-Infektiologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Jena Erlanger Allee 101, 07740 Jena
Prof. Dr. med. Kurt Possinger Direktor der Medizinischen Klinik II Schwerpunkt Onkologie und Hmatologie Universittsmedizin Berlin CharitØ-Campus Mitte Schumannstrae 20/21, 10117 Berlin Projektorganisation: Gisela Ruscheweyh, Projektmanagement Printmedien, Medizin … Wissenschaft Redaktion: Frank Wittenhagen
ISBN-10 3-540-20657-4 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-20657-6 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschtzt. Die dadurch begrndeten Rechte, insbesondere die der bersetzung, des Nachdrucks, des Vertrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulssig. Sie ist grundstzlich vergtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag.
Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media
springer.de F Springer Medizin Verlag Heidelberg 1986, 1997, 1999, 2006 Printed in Italy Warenschutzvermerk: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, da solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und daher von jedermann benutzt werden drften. Produkthaftung: Fr Angaben ber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewhr bernommen werden. Derartige Angaben mssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit berprft werden. Planung: Ulrike Conrad-Willmann, Dr. Sabine Hschele Herstellung: Martha Berg Umschlaggestaltung: deblik Berlin SPIN 10760660 Satz: Mitterweger & Partner, Plankstadt Abbildungen: Gnther u. Oliver Hippmann, Hippmann GbR, Schwarzenbruck Druck und Bindearbeiten: Legoprint, Trient/Italien Gedruckt auf surefreiem Papier 2111 … 5 4 3 2 1 0
Fr unsere Patienten
Inhaltsverzeichnis
I
Leuka¨mien und myelodysplastisches Syndrom
47
Akute myeloische Leukmie (AML) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2605 T. Bu¨chner, G. Ehninger, K. Lechner, I. Schwarzinger
48
Akute lymphatische Leukmie (ALL) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2646 M. Freund, D. Hoelzer
49
Chronische myeloische Leukmie (CML) . . . . . . . . . . . . . . 2691 W. E. Aulitzky, R. Hehlmann
50
Myelodysplastisches Syndrom (MDS) . . . . . . . . . . . . . . . . 2727 H.-J. Fricke, C. Kunert, K. Ho¨ffken, G. Ehninger
51
Myeloproliferative Erkrankungen … Polycythaemia vera, idiopathische Myelofibrose, essentielle Thrombozythmie . . 2749 U. Schuler, G. Ehninger
II
Maligne Lymphome
52
Hodgkin-Lymphom (Morbus Hodgkin) . . . . . . . . . . . . . . . 2777 K. Behringer, R. K. Thomas, M. Pfreundschuh, V. Diehl, J. Wolf
53
Klassifikation der Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . 2829 A. C. Feller
54
Chronische lymphatische Leukmie/lymphoplasmozytoides Lymphom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2845 M. Hallek, B. Emmerich
55
Haarzell-Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2887 H. Pralle, I. Schmidt-Wolf
56
Follikulres Keimzentrums-Lymphom (zentroblastisch-zentrozytisches Lymphom) . . . . . . . . . . . . 2899 W. Hiddemann, M. Dreyling, M. Engelhard
VIII
Inhaltsverzeichnis
57
Lymphoplasmozytisches Lymphom/Makroglobulinmie Waldenstrm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2928 M. Hallek, P. Meusers, U. Ja¨ger, M. Engelhard
58
Mantelzell-Lymphom (zentrozytisches Lymphom) . . . . . . . 2953 P. Meusers, M. Dreyling, G. Brittinger, M. Engelhard
59
Nodale aggressive Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . 2987 L. Tru¨mper, M. Engelhard, N. Schmitz
60
Periphere T-Zell-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3048 E. Weidmann, P. S. Mitrou
61
Primre gastrointestinale Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . 3066 P. Koch, N. Willich, W. E. Berdel
62
Kutane Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3086 R. Dummer, M. Hess Schmid, W. Kempf, P. S. Mitrou, G. Burg
63
Weitere extranodale Lymphome … bersicht . . . . . . . . . . . 3101 B. Steinke
64
Malignes Lymphom im HNO-Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . 3105 B. Steinke
65
Malignes Lymphom des Hodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3110 B. Steinke
66
Malignes Lymphom der Mamma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3113 B. Steinke
67
Malignes Lymphom der Schilddrse . . . . . . . . . . . . . . . . . 3116 B. Steinke
68
Malignes Lymphom im Skelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3119 B. Steinke
69
Malignes Lymphom des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3122 B. Steinke
70
ZNS-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3125 E. Thiel, A. Korfel, B. Steinke
71
HIV-assoziierte Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3146 P. S. Mitrou, K. U. Chow, M. Ruhnke
Inhaltsverzeichnis
IX
72
Multiples Myelom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3165 H. Ludwig, H.-J. Schmoll
73
Castlemansche Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3206 J. Haas
III
Tumoren im Kopf-Hals-Bereich
74
Primre Hirntumoren bei Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . 3219 M. Weller, P. Krauseneck, R. Kath, R.-D. Kortmann, H.-J. Schmoll
75
Pinealistumoren bei Jugendlichen und Erwachsenen . . . . . . 3261 M. Weller, R.-D. Kortmann, H.-J. Schmoll
76
Tumoren des Auges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3273 N. Bornfeld, U. Keilholz
77
Nasopharynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3287 G. G. Grabenbauer, G. Niedobitek, F. Waldfahrer, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
78
˜sthesioneuroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3312 H. Pape, M. Wittkamp, I. Wildfang, P. R. Issing, H.-J. Schmoll
79
Speicheldrsenmalignome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3326 H. A. M. Marres, J. H. A. M. Kaanders, J. A. Werner, T. G. Wendt, I. Bruaset, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
80
Lippen-, Mundhhlen- und Oropharynxtumoren . . . . . . . . 3342 R. Heermann, J. A. Werner, T. G. Wendt, H.-J. Schmoll
81
Hypopharynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3382 J. H. A. M. Kaanders, J. A. Werner, T. G. Wendt, H. A. M. Marres, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
82
Larynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3397 J. H. A. M. Kaanders, J. A. Werner, T. G. Wendt, H. A. M. Marres, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
83
Schilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3421 C. Reiners, M. Stuschke, H. Dralle, W. Voigt, H.-J. Schmoll
X
IV
Inhaltsverzeichnis
Tumoren des Thorax und des Mediastinums
84
Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3467 M. Wolf, P. Schneider, V. Budach, M. Thomas
85
Kleinzelliges Lungenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3585 N. Niederle, B. Weidmann, M. Stuschke, J. Schirren
86
Bronchioloalveolres Karzinom und weitere seltene Lungentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3626 P. Drings
87
Pleuramesotheliom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3641 C. Manegold, J. Schirren, H. Dienemann, M. Wannenmacher
88
Thymom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3658 H.-H. Wolf, P. J. Loehrer sr., P. Schneider, H.-J. Schmoll
89
Tumoren des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3700 W. Dempke, T. Kegel, K. Werdan
V
Tumoren des Gastrointestinaltrakts
90
sophaguskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3709 M. Stahl, H. Wilke, H.-J. Meyer, V. Budach
91
Magenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3737 H. Wilke, M. Stahl, H.-J. Meyer, D. Arnold
92
Dnndarmtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3769 P. Scho¨ffski, C.-H. Ko¨hne, H.-J. Schmoll
93
Kolorektales Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3787 H.-J. Schmoll, D. Arnold
94
Analkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3938 F. Roelofsen, H.-J. Schmoll, J. Dunst, P. M. Schlag
95
Pankreaskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3969 D. Strumberg, H. Oettle, V. Heinemann, R. Wilkowski, J. Klempnauer, D. Arnold
96
Gastrointestinaler Stromatumor (GIST) . . . . . . . . . . . . . . . 3999 P. Reichardt, P. Hohenberger, U. Schneider
Inhaltsverzeichnis
XI
97
Pseudomyxoma peritonei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4014 J. Ja¨hne, S. Borberg
98
Cholangiozellulres Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4027 M. Stahl, G. Stu¨ben, M. Stuschke, H. Wilke
99
Hepatozellulres Karzinom (HCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4045 A. Grothey, D. Strumberg, M. Gebel
VI
Endokrin aktive Tumoren
100
Medullres Schilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4071 F. Raue, W. Voigt, H. Dralle, H.-J. Schmoll
101
Nebenschilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4092 W. Voigt, F. Schuppert, H. Dralle, H.-J. Schmoll
102
Neuroendokrine Tumoren (NET) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4101 T. Kegel, H. Dralle, H.-J. Schmoll
103
Phochromozytom und Paragangliom . . . . . . . . . . . . . . . . 4164 F. Schuppert, H.-J. Schmoll, W. F. A. Hiller
104
Nebennierenrindenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4181 H.-J. Schmoll, B. Scha¨dlich, H. Dralle
VII
Tumoren der Mamma und gyna¨kologische Tumoren
105
Mammakarzinom der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4215 K. Possinger, P. Schmid, H.-J. Schmoll, K. Ho¨ffken, R. Kreienberg, J. Dunst
106
Mammakarzinom des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4332 R. Kath, K. Ho¨ffken, P. M. Schlag
107
Maligner Ovarialtumor … bersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4342 H. G. Meerpohl
108
Epitheliales Ovarialkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4344 H. G. Meerpohl
109
Maligner Stromazelltumor des Ovars . . . . . . . . . . . . . . . . . 4465 H. G. Meerpohl
XII
Inhaltsverzeichnis
110
Granulosazelltumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4467 H. G. Meerpohl
111
Sertoli-Leydig-Zell-Tumor der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4482 H. G. Meerpohl
112
Maligner Trophoblastenzelltumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4489 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
113
Maligner Keimzelltumor der Frau … bersicht . . . . . . . . . . 4508 W. Schro¨der, H. G. Meerpohl
114
Dysgerminom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4515 W. Schro¨der, H. G. Meerpohl
115
Endodermaler Sinustumor (Dottersacktumor) . . . . . . . . . . 4522 Chr. Thomssen, U. Go¨bel, H. G. Meerpohl
116
Immatures Teratom/malignes Teratom . . . . . . . . . . . . . . . . 4531 Chr. Thomssen, U. Go¨bel, H. G. Meerpohl
117
Weitere Keimzelltumoren … nicht-schwangerschaftsassoziierte Chorionkarzinome des Ovars . . . . . . . . . . . . . . 4539 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
118
Tubenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4544 S. Malur, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
119
Endometriumkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4559 M. W. Beckmann, H. G. Meerpohl
120
Uterussarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4597 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
121
Zervixkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4616 A. Schneider, T. G. Wendt, H. G. Meerpohl
122
Vaginalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4744 H. G. Meerpohl, H.-G. Schnu¨rch
123
Vulvakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4765 H.-G. Schnu¨rch, H. G. Meerpohl
Inhaltsverzeichnis
XIII
VIII Urogenitaltumoren 124
Maligner Keimzelltumor des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4789 H.-J. Schmoll
125
Sertoli-Zell-Tumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4897 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
126
Leydig-Zell-Tumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4901 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
127
Malignes Mesotheliom der Tunica vaginalis testis . . . . . . . . 4905 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
128
Paratestikulres Rhabdomyosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4909 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
129
Karzinom des Rete testis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4914 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
130
Nierenzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4920 R. Kath, A. Schlichter, K. Ho¨ffken, A. Heidenreich, P. H. M. De Mulder
131
Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4977 P. Scho¨ffski, J. Dunst, W. Ho¨ltl, H.-J. Schmoll
132
Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5019 U. Wedding, W. Budach, H. Huland, K. Ho¨ffken
133
Peniskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5062 H.-J. Schmoll, S. Krege
IX
Tumoren der Haut
134
Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5081 U. R. Kleeberg, U. Keilholz, R. Kaufmann, H.-J. Schmoll
135
Plattenepithelkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5121 C. Garbe
136
Basalzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5138 C. Garbe, U. R. Kleeberg
XIV
137
X
Inhaltsverzeichnis
Merkel-Zell-Tumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5148 C. Garbe
Sarkome
138
Osteosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5157 S. Bielack, A. Zoubek, R. Kotz
139
Weichteilsarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5192 T. Cerny, R. D. Issels, V. Budach, P. M. Schlag, I. Brecht, H.-J. Schmoll
140
Kaposisarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5251 P. S. Mitrou, K. U. Chow
141
Malignes fibrses Histiozytom (MFH) des Knochens . . . . . 5265 C. Bokemeyer, J. Debus
142
Desmoidtumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5270 H. Pape, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
143
Ewing-Tumor (Ewing-Sarkom und maligner peripherer neuroektodermaler Tumor, PNET) . . . . . . . . . . 5292 M. Paulussen, H. Ju¨rgens, J. Dunst, H.-J. Schmoll, W. Winkelmann, Ch. Hoffmann
XI
Unbekannter Prima¨rtumor und seltene Tumoren
144
Metastasen bei unbekanntem Primrtumor … CUP-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5317 G. Hu¨bner, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
145
Seltene solide Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5365 A. Grothey, T. Kegel, H.-J. Schmoll
XII 146
Leuka¨mien und Lymphome im Kindes- und Jugendalter Akute myeloische Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5379 U. Creutzig
Inhaltsverzeichnis
XV
147
Akute lymphoblastische Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5404 J. Ritter, A. Mo¨ricke, H. Riehm, M. Schrappe
148
Morbus Hodgkin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5427 W. Do¨rffel, G. Schellong
149
Non-Hodgkin-Lymphom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5448 R. Blu¨tters-Sawatzki, A. Reiter
150
Langerhans-Zell-Histiozytose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5464 H. Gadner, N. Grois, M. Minkow
XIII
Solide Tumoren im Kindes- und Jugendalter
151
Keimzelltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5487 U. Go¨bel, G. Calaminus, D. T. Schneider
152
Weichteilsarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5514 J. Treuner, I. B. Brecht
153
Hirntumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5551 J. E. A. Wolff, S. Rutkowski, J. Ku¨hl =, R. D. Kortmann
154
Neuroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5567 F. Berthold
155
Nephroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5582 N. Graf, P. Gutjahr
156
Seltene Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5592 A. Eggert, W. Havers Sachverzeichnis
Autorenverzeichnis
Dr. med. Matti S. Aapro Multidisciplinary Oncology Institute Clinique de Genolier CH-1272 Genolier Dr. med. Sven Ackermann Frauenklinik Universittsklinikum der Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 21-23 91054 Erlangen Dr. med. Kyrus Alimi Praxis fr Allgemeinmedizin Schwanhildenstrae 10-12 45141 Essen Oberarzt Dr. med. Jann Arends und Leiter Ernhrungsmedizin Klinik fr Tumorbiologie Tumor Biology Center Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Oberarzt Dr. Dirk Arnold Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Walter Erich Aulitzky Chefarzt der Abteilung Hmatologie, Onkologie und Immunologie Robert-Bosch-Krankenhaus Auerbachstrae 110 70376 Stuttgart
Prof. Dr. med. Michael Bamberg Universittsklinik fr Radioonkologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen Jrgen Barth Apotheker fr Klinische Pharmazie Onkologische Pharmazie Apotheke des Universittsklinikum Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Hans Helge Bartsch Klinik fr Onkologische Rehabilitation und Nachsorge der Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Prof. Dr. Wolf Otto Bechstein Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. Jrn-Dirk Beck Leiter der Abteilung Immunologie und Onkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen Prof. Dr. Nikolaus Becker Deutsches Krebsforschungszentrum Abteilung Klinische Epidemiologie Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
XVIII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. M. W. Beckmann Direktor der Frauenklinik Universittsklinikum der Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 21-23 91054 Erlangen
Prof. Dr. med. Stefan Bielack Olgahospital … Pdiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart Pdiatrie 5 Onkologie, Hmatologie, Immunologie Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart
Dr. med. Karolin Behringer Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
Dr. med. Dr. rer. nat. R. Bltters-Sawatzki Abteilung Hmatologie und Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Feulgenstrae 12 35385 Gieen
Prof. Dr. med. Wolfgang E. Berdel Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster PD Dr. Dietmar P. Berger Amgen (Europe) GmbH Alpenquai 30 CH-6002 Luzern Prof. Dr. med. Lothar Bergmann Medizinische Klinik II Zentrum der Inneren Medizin Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. Frank Berthold Klinik fr Kinder- und Jugendheilkunde Universittsklinikum zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln PD Dr. Jrg Beyer Klinik fr Hmatologie, Onkologie und Immunologie Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Baldinger Strae 35033 Marburg
Schwester Rita Bodenmller-Kroll Fachkrankenschwester fr Onkologie Innere Klinik und Poliklinik fr Tumorforschung Westdeutsches Tumorzentrum Essen der Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. RenØ Bkel Abteilung Onkologische Rehabilitation Klinik Bergisch-Land Im Saalscheid 5 42369 Wuppertal Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer Direktor der Medizinischen Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Sigrid Borberg Praxis fr Strahlentherapie und Radioonkologie am Siloah Krankenhaus Roesebeckstrae 15 30449 Hannover Dr. med. E. Jrgen Borghardt Leitender Arzt der Abteilung Hmatologie/Onkologie der Deister-Sntel-Kliniken und ˜rztlicher Direktor … Onkologie der Rehaklinik Bad Mnder Deisterallee 36-38 31848 Bad Mnder
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Markus Borner Institut fr Medizinische Onkologie Inselspital Freiburgstrae CH-3010 Bern Prof. Dr. med. Norbert Bornfeld Augenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
XIX
Thomas Bchele Hgelstrae 23 65779 Kelkheim Prof. Dr. med. Thomas Bchner Medizinische Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
Dr. Lothar Bornmann Apotheke des Klinikums Stdtisches Klinikum Oldenburg gGmbH Gerhard-Stalling-Strae 29 26135 Oldenburg
Prof. Dr. med. Volker Budach Klinik fr Strahlentherapie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Gerd-D. Braun Leitender Arzt Kardiologie/Angiologie Rhnblick Klinik Brder-Grimm-Strae 15-17 63628 Bad Soden-Salmnster
Oberarzt PD Dr. med. W. Budach Abteilung fr Strahlentherapie Universittsklinik fr Radioonkologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen
Dr. Ines Beatrice Brecht CWS-Studie Olgahospital - Pdiatrisches Zentrum Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart
Prof. Dr. Monika Bullinger Institut und Poliklinik fr Medizinische Psychologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20248 Hamburg
Prof. em. Dr. med. Gnter Brittinger Klinik fr Hmatologie Zentrum fr Innere Medizin Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. I. Bruaset Mund- und Kieferchirurgie University Hospital Nijmegen Geert Grooteplein 8 NL-6500 HB Nijmegen Dr. med. Monika Brggemann II. Medizinische Klinik Molekulargenetisches Labor Campus Kiel im Stdtischen Krankenhaus Universittsklinikum Schleswig-Holstein Chemnitzstrae 33 24116 Kiel
Prof. Dr. med. Gnter Burg Klinikdirektor der Dermatologischen Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Dr. med. Barbara Burkhard Internistin Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in Bayern Putzbrunner Strae 73 81739 Mnchen Dr. med. Dipl. Biochem. Onno Buurman Gemeinschaftspraxis Dres. Buurman/Dumschat/Heidecker Artilleriestrae 9 32427 Minden
XX
Autorenverzeichnis
Dr. med. Gabriele Calaminus Klinik fr Pdiatrie/Onkologie/ Hmatologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf
Prof. Dr. Pieter H. M. De Mulder Division of Medical Oncology … Departement of Internal Medicine University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 8 NL-6500 HB Nijmegen
Oberarzt PD Dr. med. Jochen Casper Medizinische Fakultt Hmatologie/Onkologie Universitt Rostock Ernst-Heydemann-Strae 6 18057 Rostock
Prof. Dr. med. Hermann Delbrck Abteilung fr Hmatologie und Onkologie Chefarzt der Klinik Bergisch-Land Im Saalscheid 5 42369 Wuppertal
Prof. Dr. med. Thomas Cerny Chefarzt Medizinische Klinik C fr Innere Medizin - Spezielle Onkologie Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen
PD Dr. med. Wolfram Dempke TTG Bochum Technologiezentrum Universittsstrae 142 44799 Bochum
PD Dr. med. Kai Uwe Chow Medizinisches Versorgungszentrum Hmatologie und Onkologie Stresemannallee 3 60596 Frankfurt
Chefarzt Dr. med. K.-M. Deppermann Ruppiner Kliniken GmbH Klinik fr Pneumologie Fehrbelliner Strae 38 16816 Neuruppin
Prof. Dr. Dr. h.c. Meinhard Classen II. Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
Prof. Dr. med. Volker Diehl Haus LebensWert Universittsklinikum zu Kln Josef-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln (Lindenthal)
Prof. Dr. med. Ursula Creutzig Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendmedizin Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
Prof. Dr. Ingo J. Diel CGG Klinik GmbH Centrum fr ganzheitl. Gynkologie Quadrat P7, 16-18 68161 Mannheim
Prof. Dr. Dr. med. J. Debus Radiologische Klinik Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie Czernyklinik Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Hendrik Dienemann Chirurgische Abteilung der Thoraxklinik am Universittsklinikum Heidelberg Amalienstrae 5 69126 Heidelberg Prof. Dr. med. Gottfried Dlken Klinik fr Innere Medizin C Ernst-Moritz-Arndt-Univers. Greifswald Sauerbruchstrae 17487 Greifswald
Autorenverzeichnis Dr. med. W. Drffel 2. Klinik fr Kinderheilkunde und Jugendmedizin HELIOS-Klinikum … Robert-RssleKlinik … CharitØ Campus Buch Wiltbergstrae 50 13125 Berlin-Buch
Prof. Dr. Matthias Drst Klinik fr Frauenheilkunde und Geburtshilfe Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Bachstrae 18 07743 Jena
Prof. Dr. med. H. G. Drr Pdiatrische Endokrinologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen
PD Dr. med. Thomas Efferth Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Henning Dralle Klinik fr Allgemein-, Viszeral-und Gefchirurgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale PD Dr. med. Martin Dreyling Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Prof. Dr. med. Peter Drings ˜rztlicher Direktor Innere Medizin - Onkologie Thoraxklinik-Heidelberg gGmbH Amalienstrae 5 69126 Heidelberg-Rohrbach Prof. Dr. med. Reinhard Dummer Dermatologische Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Prof. Dr. med. Jrgen Dunst Direktor der Klinik fr Strahlentherapie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Dryanderstrae 4 06110 Halle/Saale
XXI
Prof. Dr. med. Angelika Eggert Klinik fr Hmatologie/Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendliche Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Gerhard Ehninger Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. med. Bertold Emmerich Medizinische Klinik … Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universitt Ziemssenstrae 1 80336 Mnchen Dr. med. Marianne Engelhard Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. A. Engert Bettenhaus, E4 Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
XXII
Autorenverzeichnis
Dr. Erich Enghofer Leiter der Onkologie fr Deutschland und Europa Bayer Vital GmbH Pharma 51368 Leverkusen Prof. Dr. med. H. Fabel Abteilung Pneumologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dipl.-Psych. Martin Fegg Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Prof. Dr. med. A. C. Feller Institut fr Pathologie Campus Lbeck Universittsklinikum Schleswig-Holstein Ratzeburger Allee 160 23538 Lbeck
Prof. Dr. med. Peter Fritz St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH Klinik fr Radioonkologie Kampenstrae 51 57072 Siegen Prof. Dr. med. Helmut Gadner ˜rztlicher Leiter St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Michael Galanski Diagnostische Radiologie I der Medizinischen Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30623 Hannover Prof. Dr. med. Walter Michael Gallmeier Vorstand der Medizinischen Klinik 5 Klinikum Nrnberg Nord Prof.-Ernst-Nathan-Strae 1 90419 Nrnberg
Prof. Dr. Christa Fonatsch Abteilung fr Humangenetik/KIMCL Medizinische Universitt Wien Whringer Strae 10 A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Claus Garbe Sektion Dermatologische Onkologie Universitts-Hautklinik Eberhard-Karls-Universitt Liebermeisterstrae 25 72074 Tbingen
Prof. Dr. med. Mathias Freund Medizinische Fakultt Hmatologie/Onkologie Universitt Rostock Ernst-Heydemann-Strae 6 18057 Rostock
Prof. Dr. med. Michael Gebel Abteilung fr Gastroenterologie und Hepatologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover
Prof. Dr. med. Andreas Frewer Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover
Dr. med. Silke Gillessen Onkologie Haus 01 Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen
PD Dr. med. Hans-Jrg Fricke Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena
Prof. Dr. med. U. Gbel Klinik fr Onkologie/Hmatologie/Immunologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40001 Dsseldorf
Autorenverzeichnis Dr. rer. medic. M. U. Goebel Institut fr Medizinische Psychologie der Gesamthochschule Essen Universtittsklinikum Duisburg-Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen PD Dr. med. Markus Golling Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. med. G. G. Grabenbauer Leitender Oberarzt der Strahlentherapeutischen Klinik und Poliklinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 27 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Norbert Graf Klinik fr Pdiatrische Hmatologie/Onkologie Universitt des Saarlandes 66421 Homburg (Saar) PD Dr. med. Martin Graubner Arzt fr Innere Medizin Chefarzt der Inneren Abteilung Hmatologie, Internist. Onkologie Kliniken des Wetteraukreises 63679 Schotten Dr. med. Nicole Grois LCH Studienzentrale Forschungsinstitut im St. Anna Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Dr. med. Axel Grothey Division of Medical Oncology Mayo Clinic College of Medicine 200 First St. SW USA Rochester MN 55902 Dr. med. Ursula Gruber Praxis fr Psychotherapie u. Psychoonkologie Rotkreuzplatz 8 80634 Mnchen
XXIII
Prof. Dr. med. Peter Gutjahr Universitts-Kinder- und Jugendklinik Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55101 Mainz PD Dr. med. Dr. rer. nat. Jrgen Haas Max-von-Pettenkofer Institut Ludwig-Maximilians-Universitt Pettenkoferstrae 9a 80336 Mnchen PD Dr. med. Detlef Haase Abteilung Hmatologie und Onkologie Klinikum der Georg-August-Universitt Gttingen Robert-Koch-Strae 40 37075 Gttingen Prof. Dr. med. Michael Hallek Direktor der Klinik I fr Innere Medizin Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln PD Dr. med. Andreas Harstrick Head Global Clinical Research Oncology Merck KGaA Frankfurter Strae 250 64293 Darmstadt Prof. Dr. med. Reiner Hartenstein Chefarzt i. R. Mnchener Onkologische Praxis im Elisenhof Prielmayerstrae 1 80335 Mnchen Dr. rer. nat. Michael Hartmann, MPH, MBA Direktor der Apotheke des Klinikum der Friedrich-SchillerUniversitt Erlanger Allee 101 07747 Jena Prof. Dr. med. Werner Havers Klinik fr Pdiatrische Hmatologie, Onkologie und Endokrinologie Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
XXIV
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Ralf Heermann Hals-Nasen-Ohren-Abt. des St. Franziskus Hospitals Hohenzollernring 72 48145 Mnster Prof. Dr. med. Susanna Hegewisch-Becker Onkologische Schwerpunktpraxis Eppendorfer Landstrae 42 20249 Hamburg Prof. Dr. med. Rdiger Hehlmann Direktor der III. Medizinische Universittsklinik Klinikum Mannheim der Ruprecht-Karls-Universitt Heidelberg Wiesbadener Strae 7-11 68305 Mannheim Prof. Dr. med. Axel Heidenreich Leiter Bereich Urologische Onkologie Klinik fr Urologie der Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50931 Kln Prof. Dr. med. Manfred E. Heim Internist. Hmatologie/ Internist. Onkologie Sonnenberg-Klinik Hardtstrae 13 37242 Bad Sooden-Allendorf
Prof. Dr. med. Hermann Herbst Vivantes Netzw. fr Gesundheit GmbH Fachbereich Pathologie Klinikum Neuklln Rudower Strae 48 12351 Berlin Dr. rer. nat. Klaus Herdrich Baxter Oncology Baxter Deutschland GmbH Im Breitspiel 13 69126 Heidelberg M.D. H. W. Herr Urology Service Memorial Sloan-Kettering Cancer Center 1025 York Avenue USA 10021 New York (NY) Prof. Dr. med. Richard Herrmann Chefarzt der Klinik fr Onkologie Universittsspital Basel Petersgraben 4 CH-4031 Basel Dr. med. Monika Hess Schmid Fachrztin FMH fr Dermatologie und Venerologie Dufourstrae 31 CH-8008 Zrich
PD Dr. med. Volker Heinemann Medizinische Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Prof. Dr. med. Wolfgang Hiddemann Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Oberarzt Dr. A. Held Orthopdie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Wolfgang F. A. Hiller Klinik fr Viszeral- und Thoraxchirurgie Klinikum Lippe-Detmold Rntgenstrae 18 32756 Detmold
Prof. Dr. med. Wolfram Henn Institut fr Humangenetik Universitt des Saarlandes Universittsklinik Bau 68 66421 Homburg (Saar)
Prof. Dr. med. Erhard Hiller Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Dieter Hoelzer Abteilung Hmatologie Zentrum Innere Medizin Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. Silvia Hofer Onkologie St. Clara Spital Kleinriehenstrae 30 CH-4016 Basel Prof. Dr. med. Klaus Hffken Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin II Onkologie-HmatologieGastroenterologie-HepatologieInfektiologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann Chefarzt der Klinik fr Radioonkologie und Strahlentherapie Stdtisches Klinikum Braunschweig Celler Strae 38 38114 Braunschweig Dr. med. Christiane Hoffmann Klinik fr Orthopdie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster Prof. Dr. med. Peter Hohenberger Leiter der Sektion Chirurgische Onkologie und Thoraxchirurge Chirurg. Universitt-Klinik Mannheim Theodor-Kutzer-Ufer 68135 Mannheim Prof. Dr. med. Werner Hohenberger Direktor der Chirurgischen Klinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Krankenhausstrae 12 91054 Erlangen
XXV
Prof. Dr. med. Wolfgang Hltl Urologische Abteilung Kaiser-Franz-Josef-Spital Kundratstrae 3 A-1100 Wien Prof. Dr. med. Christoph Huber Direktor der III. Medizinischen Klinik Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55131 Mainz Oberarzt Dr. med. Gerdt Hbner Medizinische Klinik I Westpfalz-Klinikum GmbH Hellmut-Hartert-Strae 1 67655 Kaiserslautern Prof. Dr. med. Hartwig Huland Geschftsfhrender Direktor der Klinik und Poliklinik fr Urologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg PD Dr. med. Michael Hnerbein Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Prof. Dr. med. Hans-Jochen Illiger Kleiner Kohlweg 17a 26123 Oldenburg Prof. Dr. med. Dipl.-Biochem. Rolf D. Issels Medizinische Klinik und Poliklinik III und GSF … Forschungszentrum fr Umwelt und Gesundheit Institut fr Molekulare Immunologie … Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen
XXVI
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Peter Rolf Issing Chefarzt der Klinik fr HNO-Heilkunde Kopf-, Hals- und plastische Gesichtschirurgie Klinikum Bad Hersfeld Seilerweg 29 36251 Bad Hersfeld PD Dr. (Univ. Zagreb) Velimir Ivancevic Nuklearmedizin Gemeinschaftspraxis im Allgemeinen Kreiskrankenhaus Siemensstrae 4 29223 Celle Prof. Dr. Ulrich Jger Medizinische Universitt Wien Universitt Klinik fr Innere Medizin I Klinische Abteilung fr Hmatologie und Hmostaseologie Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Joachim Jhne Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Chirurgisches Zentrum Henriettenstiftung Hannover Marienstrae 72-90 30171 Hannover Dr. med. Karin Jordan Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. H. Jrgens Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendmedizin Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Dr. med. Johannes H.A.M. Kaanders Institute of Radiotherapy University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen
Oberrztin Dr. med. Petra Kaltwaer Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Dr. med. Herbert W. Kappauf Internistische Schwerpunktpraxis Hmatologie … Onkologie Owaldstrae 1a 82319 Starnberg PD Dr. med. Lawrence von Karsa Kooperationsgemeinschaft Mammographie Hermann-Heinrich-Gossen-Strae 3 50858 Kln-Marsdorf Dr. med. Christoph Kasper = Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale PD Dr. med. Roland Kath Chefarzt der Medizinischen Klinik I … Hmatologie/Onkologie Philippusstift kath. Krkhs. gem. GmbH Adademisches Lehrkrankenhaus Duisburg-Essen Hlsmannstrae 17 45355 Essen Prof. Dr. med. Roland Kaufmann Zentrum fr Dermatologie und Venerologie Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. Thomas Kegel Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Autorenverzeichnis
XXVII
Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz Leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik III Hmatologie/Onkologie/ Transfusionsmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
Dr. med. Kay-Oliver Kliche Arzt fr Innere Medizin, Hmatologie und Internist. Onkologie Director … Clinical Research and Development Clinical Project Leader MediGene AG Lochhamer Str. 11 82152 Planegg/Martinsried
PD Dr. med. Ludwig Keilholz Praxis Dr. Keilholz Am Klinikum Frth Jakob-Henle-Strae 1 90766 Frth
PD Dr. med. Sabine Kliesch Oberrztin der Klinik und Poliklinik fr Urologie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster
Oberarzt Dipl.-Med. Olaf Kellner Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie/Internist. Onkologie Asklepios Kliniken Weissenfels-Hohenmlsen GmbH Naumburger Strae 76 06667 Weienfels PD Dr. med. Werner Kempf Oberarzt der Dermatologischen Klinik Universittsspital Zrich Gloriastrae 31 CH-8091 Zrich Prof. Dr. med. Rainer Kimmig Direktor der Klinik fr Frauenheilkunde und Geburtshilfe Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Ulrich R. Kleeberg Hmatologisch-onkologische Praxis Altona Mrkenstrae 47 22767 Hamburg Prof. Dr. med. Jrgen Klempnauer Knappschaftskrankenhaus Ruhr-Universitt Bochum In der Schornau 23-25 44892 Bochum
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Michael Kneba Direktor der II. Medizinischen Klinik Campus Kiel im Stdtischen Krankenhaus Universittsklinikum Schleswig-Holstein Chemnitzstrae 33 24116 Kiel Dr. rer. nat. Holger Knoth Klinik-Apotheke Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. med. Dr. phil. Uwe Koch Zentrum fr Psychosoziale Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 … S 35 20246 Hamburg Dr. med. Peter Koch Medizinische Klinik und Poliklinik A Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster Prof. Dr. med. Gabriele Khler Gerhard-Domagk-Institut fr Pathologie Universittsklinikum Mnster Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Domagkstrae 17 48149 Mnster
XXVIII
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Claus-Henning Khne Klinik fr Innere Medizin II Stdtisches Klinikum Oldenburg gGmbH Dr.-Eden-Strae 10 26133 Oldenburg PD Dr. med. Christian Kollmannsberger Div. of Medical Oncology British Columbia Cancer Agency Vancouver Cancer Center 600 West 10th Avenue Vancouver BC V5Z 4E6 Canada Dr. A. Korfel Medizinische Klinik III Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Prof. Dr. med. R.-D. Kortmann Klinik fr Radioonkologie Universittsklinikum Leipzig Stephanstrae 9a 04103 Leipzig Prof. Dr. med. Rainer Kotz Universittsklinik fr Orthopdie Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien Whringer Grtel 18 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. P. Krauseneck Chefarzt Neurologische Klinik St. Getreu-Strae 14-18 96049 Bamberg Oberrztin PD Dr. med. Susanne Krege Urologische Klinik Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Rolf Kreienberg Universittsfrauenklinik Ulm Prittwitzstrae 43 89075 Ulm
Prof. Dr. med. Ernst-Dietrich Kreuser Chefarzt der Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Krankenhaus Barmherzige Brder Prfeninger Strae 86 93049 Regensburg Oberarzt Dr. med. Frank Kroschinsky Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie/Internist. Onkologie Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Dr. med. Peter Kruck ˜rztlicher Direktor … Facharzt fr Innere Medizin, Gastroenterologie, Sozialmedizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin Klinik Reinhardshhe Quellenstrae 8-12 34537 Bad Wildungen Prof. Dr. med. J. Khl = Kinderonkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Universitt Wrzburg Josef-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg Dr. rer. nat. Christa Kunert Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena Prof. Dr. K. Lackner Institut und Poliklinik fr Radiologische Diagnostik Anstalt des ffentlichen Rechts Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln
Autorenverzeichnis Dr. med. Thorsten Langer Immunologie und Onkologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Loschgestrae 15 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Klaus Lechner Klinische Abteilung fr Hmatologie und Hmostaseologie Innere Medizin I Universittsklinik Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. Th. Lehnert ˜rztlicher Direktor der Kliniken fr Viszeral- und Gefchirurgie Klinikum Bremen-Mitte St.-Jrgen-Strae 1 28205 Bremen Oberarzt Dr. Clemens Leitgeb I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Montleartstrae 37 A-1171 Wien Dr. Heinz-Josef Lenz Assoc. Prof. of Medicin and Preventive Medicin … Division of Oncology USC/Norris Comp. Cancer Center USC Keck School of Medicine 1441 Eastlake Ave, Suite 3456 Los Angeles,CA 90089 Dr. med. Lutz Lindemann-Sperfeld Klinik und Poliklinik fr Unfall- und Wiederherstellungs-Chirurgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. K. H. Link Direktor des Chirurgischen Zentrums Asklepios Paulinen Klinik Geisenheimer Strae 10 65197 Wiesbaden
XXIX
Prof. Dr. med. Hartmut Link Chefarzt der Medizinischen Klinik I Westpfalz-Klinikum GmbH Hellmut-Hartert-Strae 1 67655 Kaiserslautern Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas Lion CCRI Forschungsinstitut fr krebskranke Kinder St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Dr. H.-P. Lipp Chefapotheker Universittsklinik … Apotheke Eberhard-Karls-Universitt Rntgenweg 72076 Tbingen SR., M.D. Patrick J. Loehrer Indiana University Hematology/Oncology Indiana Cancer Pavillon 535 Barnhill Dr., Rm 473 USA Indianapolis, Indiana 46202-5112 Dr. med. Florian Lordick Chirurgische Klinik und III. Medizinische Klinik Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen Prof. Dr. med. Heinz Ludwig I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Montleartstrae 37 A-1160 Wien PD Dr. med. Diana Irina Lftner Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Dr. med. Claudia Lke Medizinische Klinik II Hmatologie/Onkologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
XXX
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Bernhard Lscher Abteilung fr Biochemie und Molekularbiologie Institut fr Biochemie Rheinisch-Westflische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstrae 30 52057 Aachen PD Dr. med. habil. Sabine Malur/ Dr. med. Christine Martin-Petrat Gemeinschaftspraxis in Partnerschaft fr Gynkologie und Geburtshilfe Hermann-Pistor-Strae 33a 07745 Jena Prof. Dr. med. Christian Manegold Interdisziplinre Thorakale Onkologie … Chirurgische Klinik Klinikum Mannheim der Ruprecht-Karls-Universitt Heidelberg Theodor-Kutzer-Ufer 1-3 68167 Mannheim Prof. Dr. med. K. Mann Klinik fr Endokrinologie Zentrum fr Innere Medizin Universittsklinik um Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. H. A. M. Marres Department of Head and Neck Surgery University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen Prof. Dr. Georg Maschmeyer Chefarzt der Abteilung Hmatologie/Onkologie Klinikum Ernst von Bergmann Charlottenstrae 72 14457 Potsdam Prof. Dr. med. Hans-Gerd Meerpohl Direktor der Frauenklinik mit Hebammenlehranstalt St.-Vincentius-Krankenhuser Sdendstrae 32 76137 Karlsruhe
Prof. Dr. med. H.-G. Mergenthaler ˜rztlicher Direktor der Klinik fr Onkologie des Katharinenhospitals und der Medizinischen Klinik I des Brgerhospitals Kriegsbergstrae 60 70174 Stuttgart Prof. Dr. med. Peter Meusers Strahlenklinik Universittsklinikum Duisburg-Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Hans-Joachim Meyer Chefarzt der Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Stdtisches Klinikum Solingen Gotenstrae 1 42653 Solingen Oberarzt Dr. med. Milen Minkov Onko-Hmatologische Ambulanz St. Anna Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien Prof. Dr. med. Paris S. Mitrou Medizinische Klinik III Hmatologie/Onkologie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Dr. med. K. Thomas Moesta Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Prof. Dr. med. Michael Molls Direktor der Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie und Radiol. Onkologie Klinikum Rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
Autorenverzeichnis Dr. med. Anja Mricke Abteilung Kinderheilkunde IV Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dr. sc. hum. Thomas Muley Internist. Onkologie der Thoraxtumoren … Thoraxchirurgie Thoraxklinik am Universittklinikum Heidelberg Amalienstrae 5 69126 Heidelberg
XXXI
Prof. Dr. med. Norbert Niederle Medizinische Klinik III der Universitt zu Kln Dhnnberg 60 51375 Leverkusen Dr. med. Jost Niedermeyer Medizinische Klinik I Krankenhaus Bad Oeynhausen Wielandstrae 28 32545 Bad Oeynhausen
Dr. med. Bettina Mller Klinik Bavaria Kreischa An der Wolfsschlucht 1-2 01731 Kreischa
Prof. Dr. med. Gerald Niedobitek Pathologisches Institut Universittsklinkum Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Krankenhausstrae 8-10 91054 Erlangen
Dr. med. Lutz Peter Mller Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Dr. Peter Nollau Institut fr Klinische Chemie Zentrum fr Klinisch-Theoretische Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg
Dr. Harald Mller-Huesmann Klinik fr Innere Medizin I Gastroenterologie / Internist. Onkologie Mathias-Spital Frankenburgerstrae 31 48431 Rheine
Prof. Dr. rer. nat. Alfred Nordheim Universittsklinik Lehrstuhl fr Molekularbiologie Eberhard-Karls-Universitt Auf der Morgenstelle 15 72076 Tbingen
Dr. med. Dipl. Psych. Andreas Mumm Klinik fr Onkologische Rehabilitation und Nachsorge der Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg
Prof. Dr. med. Klaus Norpoth Mausbachstrae 81 48149 Mnster
Prof. Dr. med. Dieter Ludwig Munz Direktor der Klinik und Hochschulambulanz Nuklearmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Christa Nunnensiek Innere Medizin - Endokrinologie Psychotherapeutische Medizin Psychotherapie - Psychoanalyse Kammweg 1 72762 Reutlingen Dr. med. Dr. phil. Fuat S. Oduncu Abteilung fr Hmatologie und Onkologie Medizinische Klinik … Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universitt Ziemssenstrae 1 80336 Mnchen
XXXII
Autorenverzeichnis
Dr. med. Marcus Oehlrich Volker Karl OehlrichGesellschaft e.V. Eisenacher Strae 8 64560 Riedstadt Dr. rer. nat. Nicole Oehlrich Volker Karl OehlrichGesellschaft e.V. Eisenacher Strae 8 64560 Riedstadt PD Dr. med. Helmut Oettle Medizinische Klinik Hmatologie und Onkologie Virchow-Klinikum … CharitØ Campus Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Hartmut Paul Leitender Apotheker - Zentralapotheke St. Bernward Krankenhaus Treibestrae 9 31134 Hildesheim Prof. Dr. med. Michael Paulussen Universitts-Kinderspital beider Basel Postfach CH-4005 Basel Klinikseelsorger Heinrich Pera = Geschftsfhrer Hospiz GmbH Halle Taubenstrae 25-28 06110 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Rainhardt Osieka Medizinische Klinik IV Rheinisch-Westflische Technische Hochschule Aachen Pauwelsstrae 30 52074 Aachen
Prof. Dr. med. Hans-Dieter Peters Arzt fr Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Arzt fr Innere Medizin Gregor-Mendel-Strae 2 14469 Potsdam
Dr. med. Constanze Pagenstecher Institut fr Humangenetik Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Wilhelmstrae 31 53111 Bonn
Prof. Dr. med. Michael Pfreundschuh Direktor der Inneren Medizin I Universitt des Saarlandes Postfach 66421 Homburg-Saar
Prof. Dr. Klaus Pantel Institut fr Tumorbiologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg PD Dr. med. Hildegard Pape Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf
Dr. med. Gudrun Pohl I. Medizinische Abteilung mit Onkologie Wilhelminenspital Pav. 23 Montleartstrae 37 A-1160 Wien Dr. med. L. A. M. Pop Institute of Radiotherapy University Hospital Nijmegen Radboud University Medical Center Geert Grooteplein 32 NL-6500 HB Nijmegen Prof. Dr. med. Kurt Possinger Direktor der Medizinischen Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Autorenverzeichnis
XXXIII
Prof. Dr. med. Hans Pralle Direktor der Medizinischen Klinik IV Hmatologie und Internist. Onkologie Justus-Liebig-Universitt Gieen Klinikstrae 36 35385 Gieen
Prof. Dr. med. Alfred Reiter Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Feulgenstrae 12 35392 Gieen
Prof. Dr. med. Joachim Prei Chefarzt der Klinik fr Hmatologie/Onkologie Caritasklinik St. Theresia Rheinstrae 2 66113 Saarbrcken
Prof. Dr. med. Walter Rhomberg Abteilung Radioonkologie Landeskrankenhaus Feldkirch Carinagasse 47 A-6800 Feldkirch
Prof. Dr. med. P. Propping Institut fr Humangenetik Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Wilhelmstrae 31 53111 Bonn Prof. Dr. med. Jrg Radermacher Chefarzt der Abteilung Nephrologie Klinikum Minden Friedrichstrae 17 32427 Minden Prof. Dr. med. Friedhelm Raue Endokrinologische Praxis Brckenstrae 21 69120 Heidelberg Dr. med. Peter Reichardt Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie/ Tumorimmunologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13125 Berlin Prof. Dr. med. Christoph Reiners Direktor der Klinik und Poliklinik fr Nuklearmedizin Universitt Wrzburg Joseph-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg
PD Dr. med. Oliver Rick Chefarzt Klinik Reinhardshhe Quellenstrae 8-12 34537 Bad Wildungen Prof. Dr. Dr. h.c. H. Riehm Abteilung Kinderheilkunde IV Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Dr. med. Achim Rieth MedacSchering Onkologie GmbH Nrdl. Auffahrtsallee 44 80638 Mnchen Prof. Dr. med. G. Riethmller Institut fr Immunologie Ludwig-Maximilians-Universitt Goethestrae 31 80336 Mnchen Univ-Prof. Dr. med. J. Ritter Pdiatrische Hmatologie/Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendheilkunde Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. med. Christoph Rochlitz Leitender Arzt Abteilung Onkologie, Dept. Innere Medizin Kantonsspital Petersgraben 4 CH-4051 Basel
XXXIV
Autorenverzeichnis
Dr. med. Felicitas Roelofsen Oberrztin der Klinik fr Allgemein- und Viszeralchirurgie Ev. Bethesda Krankenhaus Bocholder Strae 11-13 45355 Essen Dr. med. Reinhard W. von Roemeling Boehringer Ingelheim Pharmaceuticals Inc. 900 Ridgebury Rd./P.O. Box 368 USA Ridgefield, Conneticut 06877-0368 Dr. med. Barbara Rper Hugo-Weiss-Strae 66 81827 Mnchen Prof. Dr. med. Friedrich Rpke Direktor der Universittsklinik fr Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Prof. Dr. Thomas Rsch II. Medizinische Klinik Endoskopie Klinikum rechts der Isar, TU Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen Prof. Dr. R. Rossi Vivantes Netzwerk fr Gesundheit GmbH Klinik fr Kinder- und Jugendmedizin Klinikum Neuklln Rudower Strae 48 12351 Berlin Dr. med. Jens Ulrich Rffer 1. Vorsitzender Deutsche Fatigue Gesellschaft e.V. Maria-Hilf-Strae 15 50677 Kln Prof. Dr. Markus Ruhnke Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin
Dr. med. Ursula Rther Fachrztin fr Innere Medizin Hmatologie, Internist. Onkologie, Endokrinologie Hyperthermie-Zentrum Ludwigsburg Schillerplatz 7 71638 Ludwigsburg Dr. med. Stefan Rutkowski Pdiatrische Onkologie/Hmatologie Universittsklinik fr Kinder und Jugendliche Universitt Wrzburg Josef-Schneider-Strae 2 97080 Wrzburg Dr. Sylvia Snger Schlehendornweg 3 07751 Cospeda Prof. Dr. med. Hansjrg Sauer Medizinische Klinik und Poliklinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81366 Mnchen Prof. Dr. med. Rolf Sauer Direktor der Strahlentherapeutischen Klinik und Poliklinik Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Universittsstrae 27 91054 Erlangen Prof. Dr. med. Wolfgang Sauerwein Strahlenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Dr. med. Herbert G. Sayer Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie/Onkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena
Autorenverzeichnis Dipl.-Med. Brbel Schdlich Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin IV, Hmatologie/Onkolgie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Andreas Schalhorn Medizinische Klinik III Klinikum Grohadern der Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Dr. med. AndrØ Schaudt Klinik fr Allgemein- und Gefchirurgie Johann-Wolfgang-Goethe-Universitt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Prof. Dr. Dipl.-Psych. M. Schedlowski Institute for Bahavioral Sciences Psychology and Behavioral Immun. Swiss Federal Institute of Technol. Scheuchzerstrae 17 CH-8092 Zrich Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen Medizinische Klinik III Hmatologie/Onkologie/ Transfusionsmedizin Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Prof. Dr. med. Gnther Schellong Pdiatrische Hmatologie und Onkologie Klinik und Poliklinik fr Kinderund Jugendheilkunde Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48129 Mnster
XXXV
Prof. Dr. med. Max E. Scheulen Innere Klinik und Poliklinik (Tumorforschung) Universittsklinikum Essen Westdt. Tumorzentrum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Oberrztin Dr. med. Martina Schiebe Klinik fr Radiologie und Strahlentherapie Stdtisches Klinikum Braunschweig Celler Strae 38 38114 Braunschweig Dr. med. Johann Andreas Schiefer Chefarzt HNO Fachklinik fr Onkol. Rehabilitation Parksanatorium Schussenrieder Strae 5 88326 Aulendorf PD Dr. med. Joachim Schirren Direktor der Klinik fr Thoraxchirurgie HSK, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken-GmbH Klinikum der Landeshauptstadt Wiesbaden Ludwig-Erhard-Strae 100 65199 Wiesbaden Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter M. Schlag Direktor der Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13122 Berlin Oberarzt Dr. med. Norbert Schleucher Zentrum fr Innere Medizin Hmatologie und Internist. Onkologie Marienkrankenhaus Alfredstrae 9 22087 Hamburg Oberarzt PD Dr. med. Andreas Schlichter Klinik und Poliklinik fr Urologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Lessingstrae 1 07740 Jena
XXXVI
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Gnter Schlimok Chefarzt der II. Medizinischen Klinik Klinikum Augsburg Stenglinstrae 2 86156 Augsburg Dr. med. Peter Schmid Medizinische Klinik II Onkologie/Hmatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Dr. Silke Schmidt Institut und Poliklinik fr Medizinische Psychologie Zentrum fr Psychosoziale Medizin Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Prof. Dr. med. Ingo Schmidt-Wolf Medizinische Klinik und Poliklinik I Universittsklinikum Bonn und Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversitt Sigmund-Freud-Strae 25 53105 Bonn PD Dr. med. Michael Schmitt Universittsklinikum Ulm Abteilung Innere Medizin III Robert-Koch-Strae 8 89070 Ulm Prof. Dr. med. Norbert Schmitz Allgemeines Krankenhaus St. Georg Hmatologie Lohmhlenstrae 5 20099 Hamburg Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schmoll Direktor der Klinik u. Poliklinik f. Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale
Dr. Hubert Schneemann Apotheke Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen Prof. Dr. med. Achim Schneider Direktor der Klinik fr Gynkologie und Hochschulambulanz Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Oberrztin Dr. Ulrike Schneider Abteilung Pathologie Robert-Rssle-Klinik … CharitØ Campus Buch Lindenberger Weg 80 13125 Berlin PD Dr. med. Paul Schneider Chirurgische Klinik DRK-Kliniken Berlin Drontheimer Strae 39-40 13359 Berlin PD Dr. Dr. Ulrich Schneider Deutsches Institut fr Reproduktionsmedizin GmbH Hannoversche Strae 24 31848 Bad Mnder PD Dr. med. Dominik T. Schneider Klinik fr Onkologie/Hmatologie/ Immunologie Zentrum fr Kinder- und Jugendmedizin Heinrich-Heine-Universitt Dsseldorf Moorenstrae 5 40001 Dsseldorf Prof. Dr. H.-G. Schnrch Chefarzt der Frauenklinik Stdtische Kliniken Neuss Lukaskrankenhaus Preuenstrae 84 41456 Neuss
Autorenverzeichnis Prof. Dr. Patrick Schffski, M.D., M.P.H. Head, Department of General Medical Oncology Leuven Cancer Institute University Hospital Gasthuisberg Catholic University Leuven Herestraat 49 B-3000 Leuven Prof. Dr. med. Martin Schrappe Klinik fr Allgemeine Pdiatrie Campus Kiel Universittsklinikum Schleswig-Holstein Schwanenweg 20 24105 Kiel Prof. Dr. Matthias Schrappe ˜rztlicher Direktor Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Baldingerstrae 35043 Marburg Prof. Dr. med. Willibald Schrder Direktor der Frauenklinik Klinikum Bremen-Mitte St.-Jrgen-Strae 1 28205 Bremen Oberarzt PD Dr. med. Ulrich Schuler Medizinische Klinik und Poliklinik I Universittsklinik Carl Gustav Carus Fetscherstrae 74 01307 Dresden Prof. Dr. Kurt Schumacher Facharzt fr Innere Medizin Hmatologie und Internist. Onkologie Unterer Schlossberg 13 70839 Gerlingen Prof. Dr. med. Frank Schuppert Chefarzt der Medizinischen Klinik II Krankenhaus Bad Oeynhausen Wielandstrae 28 32545 Bad Oeynhausen
XXXVII
Prof. Dr. med. Reinhold Schwarz 2. Vorsitzender DFaG Leiter der selbstndigen Abteilung Sozialmedizin Universittsklinikum Leipzig Riemannstrae 32 04107 Leipzig Prof. Dr. I. Schwarzinger Hmatologie Klinisches Institut fr Medizinische und Chemische Labordiagnostik Whringer Grtel 18-20 A-1090 Wien Prof. Dr. med. M. H. Seegenschmiedt Leitender Arzt der Klinik fr Radioonkologie und Strahlentherapie Alfried Krupp Krankenhaus Alfried-Krupp-Strae 21 45117 Essen-Rttenscheid Prof. Dr. Barbara Seliger Direktorin des Instituts fr Medizinische Immunologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Magdeburger Strae 2 06112 Halle/Saale Prof. Dr. Almuth Sellschopp Institut und Poliklinik fr Psychosomatische Medizin Psychotherapie und Med. Psychologie Technische Universitt Mnchen Langerstrae 3 81675 Mnchen Prof. Dr. W. Siegert Medizinische Klinik und Poliklinik II Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Mitte Schumannstrae 20/21 10117 Berlin Prof. Dr. med. J. Rdiger Siewert Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universitt Mnchen Ismaninger Strae 22 81675 Mnchen
XXXVIII
Autorenverzeichnis
Dr. Herbert Sindermann Leiter Klinische Forschung Zentaris GmbH Weismllerstrae 45 60314 Frankfurt
PD Dr. Georg Stben Chefarzt der Strahlenklinik Klinikum Augsburg Stenglinstrae 2 86156 Augsburg
Oberarzt Dr. M. Skler Universittsklinikum Medizinische Klinik, Abteilung II Eberhard-Karls-Universitt Otfried-Mller-Strae 10 72076 Tbingen
Prof. Dr. med. Martin Stuschke Direktor der Strahlenklinik Universittsklinikum Essen Hufelandstrae 55 45122 Essen
Oberarzt PD Dr. Michael Stahl Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Zentrum fr Palliativmedizin Kliniken Essen-Mitte Henricistrae 92 45136 Essen Prof. Dr. med. Berthold Steinke Internist/Hmatologe Medizinische Klinik Kreiskrankenhaus Krankenhausstrae 30 78628 Rottweil Dr. Jan Sthlmacher II. Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20247 Hamburg Gabriele Stoschek Klinik fr Innere Medizin II Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07740 Jena PD Dr. med. Dirk Strumberg Medizinische Klinik III Hmatologie/Internist. Onkologie Marienhospital Herne … Ruhr-Universitt Bochum Hlkeskampring 40 44625 Herne
Prof. Dr. med. Thomas D. Szucs European Center of Pharmaceutical Medicine Universittsspital Basel CH-4031 Basel Prof. Dr. med. Andrea Tannapfel Oberrztin des Instituts fr Pathologie Universittsklinikum Leipzig Liebigstrae 26 04103 Leipzig Prof. Dr. Uwe Tewes Abteilung Medizinische Psychologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Strae 1 30625 Hannover Prof. Dr. med. Eckhard Thiel Direktor der Medizinischen Klinik III Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Dr. med. Roman K. Thomas Klinik I fr Innere Medizin der Universitt zu Kln Josef-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln Prof. Dr. med. Michael Thomas Internist. Onkologie der Thoraxtumoren - Thoraxchirurgie Thoraxklinik am Universittklinikum Amalienstrae 5 69126 Heidelberg
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Christoph Thomssen Klinikum der Medizinischen Fakultt Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Dr. med. S. Trainer Abteilung Thoraxchirurgie Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken-GmbH Klinikum der Landeshauptstadt Wiesbaden Ludwig-Erhard-Strae 100 65199 Wiesbaden Dr. med. C. Trainer Markgrafenstrae 2 68723 Schwetzingen Prof. Dr. med. Jrn Treuner ˜rztlicher Direktor der Abteilung Onkologie und Hmatologie Olgahospital - Pdiatrisches Zentrum Bismarckstrae 8 70176 Stuttgart Prof. Dr. med. Lorenz Trmper Abteilung Hmatologie und Onkologie Klinikum der Georg-August-Universitt Robert-Koch-Strae 40 37099 Gttingen Dr. med. Andrew J. Ullmann III. Medizinische Klinik und Poliklinik Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universitt Mainz Langenbeckstrae 1 55101 Mainz PD Dr. med. Udo Joachim Vanhoefer Chefarzt-Zentrum Innere Medizin Schwerpunkt Onkologie/Hmatologie Marienkrankenhaus Alfredstrae 9 22087 Hamburg Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Verres Institut fr Medizinische Psychologie im Zentrum fr Psychosoziale Medizin des Universittsklinikums Heidelberg Bergheimer Strae 20 69115 Heidelberg
XXXIX
Prof. Dr. med. Ingolf Vogt-Moykopf Ziegelhuser Landstrae 65 69120 Heidelberg Dr. med. Wieland Voigt Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Christoph Wagener Direktor des Instituts fr Klinische Chemie/Zentrallaboratorien Zentrum fr Klinisch-Theoretische Medizin I Universittsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistrae 52 20246 Hamburg Dr. med. Frank Waldfahrer Klinik und Poliklinik fr Hals-Nasen-Ohrenkranke Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg Waldstrae 1 91054 Erlangen Prof. Dr. Dr. med. M. Wannenmacher Strahlentherapie und Radioonkologie Universittsklinik Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. Gerhard Weber c/o Dr. L. Zon Howard Hughes Medical Institute Enders 7, The Children’s Hospital 300 Longwood Avenue USA Boston MA 02115 Oberarzt Dr. med. Ulrich Wedding Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie/Onkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Erlanger Allee 101 07747 Jena
XL
Autorenverzeichnis
Dr. med. Bernd Weidmann Medizinische Klinik III Onkologie, Hmatologie, Immunologie Universitt zu Kln Dhnnberg 60 51375 Leverkusen
Dr. med. Ingeborg Wildfang Praxis fr Strahlentherapie und Radioonkologie am Siloah Krankenhaus Roesebeckstrae 15 30449 Hannover
PD Dr. med. Eckhart Weidmann II. Medizinische Klinik Hmatologie/Onkologie Krankenhaus Nordwest Steinbacher Hohl 2-26 60488 Frankfurt
Prof. Dr. med. Hansjochen Wilke Klinik fr Internist. Onkologie und Hmatologie Zentrum fr Palliativmedizin Kliniken Essen-Mitte Henricistrae 92 45136 Essen
Prof. Dr. J. Weis Klinik fr Tumorbiologie Breisacher Strae 117 79106 Freiburg Prof. Dr. med. Michael Weller Neurologische Universittklinik Tbingen Abteilung Allgemeine Neurologie Eberhard-Karls-Universitt Hoppe-Seyler-Strae 3 72076 Tbingen Prof. Dr. Thomas G. Wendt Direktor der Abteilung Strahlentherapie Strahlentherapie/Radioonkologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Bachstrae 18 07743 Jena Prof. Dr. med. Karl Werdan Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin III Zentrum fr Innere Medizin Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06097 Halle/Saale Prof. Dr. Jochen Alfred Werner Direktor der Universitt-HNO-Klinik Klinikum der Philipps-Universitt Marburg Deutschhausstrae 3 35033 Marburg/Lahn
Oberarzt Dr. med. Ralf Wilkowski Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie Ludwig-Maximilians-Universitt Marchioninistrae 15 81377 Mnchen Dr. med. Wolfgang Willenbacher Klinik fr Innere Medizin II Hmatologie-Onkologie (IMO) Vhrenbacher Strae 23 78050 VS-Villingen Prof. Dr. med. Normann Willich Klinik und Poliklinik fr Strahlentherapie/Radioonkologie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. med. Winfried Winkelmann Klinik und Poliklinik fr Allgemeine Orthopdie Westf. Wilhelms-Universitt Mnster Albert-Schweitzer-Strae 33 48149 Mnster Prof. Dr. M. B. Wischnewsky Zentrum fr angewandte Informationstechnologien - ZAIT Universitt Bremen Bibliothekstrae 1 28359 Bremen
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Christian Wittekind Direktor des Instituts fr Pathologie Universittsklinikum Leipzig Liebigstrae 26 04103 Leipzig PD Dr. med. Bianca M. Wittig 1. Medizinische Klinik Gastroenterologie/Infektiologie/ Rheumatologie Universittsmedizin Berlin … CharitØ Campus Benjamin Franklin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin Dr. med. Martin Wittkamp Klinik fr Strahlentherapie und Radiologische Onkologie Heinrich-Heine-Universitt Moorenstrae 5 40225 Dsseldorf Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz Direktor des Instituts und Poliklinik fr Arbeits- und Sozialmedizin Justus-Liebig-Universitt Gieen Aulweg 129/III 35392 Gieen Oberarzt Dr. med. Hans-Heinrich Wolf Klinik fr Innere Medizin IV Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40 06120 Halle/Saale Prof. Dr. med. Martin Wolf Direktor der Medizinischen Klinik IV Hmatologie/Onkologie Klinikum Kassel Mnchebergstrae 41-43 34125 Kassel
Prof. Dr. med. Jrgen Wolf Klinik I fr Innere Medizin der Universitt zu Kln Joseph-Stelzmann-Strae 9 50924 Kln Prof. Dr. med. Johannes E.A. Wolff MD Anderson Cancer Center University of Texas Dept. Pediatrics, Section Ped. Neurooncology 1515 Holcombe Blvd., Unit 87 Houston, TX 77030 USA Prof. Dr. med. Peter Wust Klinik fr Strahlenheilkunde Virchow-Klinikum … CharitØ Campus Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Prof. Dr. Dr. Klaus D. Zang Institut fr Humangenetik Universitt des Saarlandes 66421 Homburg (Saar) Prof. Dr. Dr. Kurt S. Znker Institut fr Immunologie Universitt Witten-Herdecke Stockumer Strae 10 58448 Witten Dr. med. Andreas Zoubek Forschungsinstitut St.-Anna-Kinderspital Kinderspitalgasse 6 A-1090 Wien
XLI
Kompendium Internistische Onkologie, 4. Aufl. – Teil 3
H.-J. Schmoll K. Hffken K. Possinger (Hrsg.)
Kompendium
Internistische Onkologie
Standards in Diagnostik und Therapie Teil 3 Indikationen, Therapiekonzepte und spezielle Therapiemodalita¨ten (aus Teil 2 und Teil 1) Vierte, vllig berarbeitete und erweiterte Auflage.
Prof. Dr. med. Hans-Joachim Schmoll Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin IV Schwerpunkt Hmatologie/Onkologie Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg Ernst-Grube-Strae 40, 06120 Halle/Saale
Prof. Dr. med. Klaus Ho¨ffken Direktor der Klinik und Poliklinik fr Innere Medizin II Onkologie-Hmatologie-Gastroenterologie-Hepatologie-Infektiologie Klinikum der Friedrich-Schiller-Universitt Jena Erlanger Allee 101, 07740 Jena
Prof. Dr. med. Kurt Possinger Direktor der Medizinischen Klinik II Schwerpunkt Onkologie und Hmatologie Universittsmedizin Berlin CharitØ-Campus Mitte Schumannstrae 20/21, 10117 Berlin Projektorganisation und Redaktion: Gisela Ruscheweyh, Projektmanagement Printmedien, Medizin … Wissenschaft
ISBN-10 3-540-20657-4 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-20657-6 4. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschtzt. Die dadurch begrndeten Rechte, insbesondere die der bersetzung, des Nachdrucks, des Vertrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulssig. Sie ist grundstzlich vergtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag.
Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media
springer.de F Springer Medizin Verlag Heidelberg 1986, 1997, 1999, 2006 Printed in Italy Warenschutzvermerk: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, da solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und daher von jedermann benutzt werden drften. Produkthaftung: Fr Angaben ber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewhr bernommen werden. Derartige Angaben mssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit berprft werden. Planung: Ulrike Conrad-Willmann, Dr. Sabine Hschele Herstellung: Martha Berg Umschlaggestaltung: deblik Berlin SPIN 10760660 Satz: Mitterweger & Partner, Plankstadt Abbildungen: Gnther u. Oliver Hippmann, Hippmann GbR, Schwarzenbruck Druck und Bindearbeiten: Legoprint, Trient/Italien Gedruckt auf surefreiem Papier 2111 … 5 4 3 2 1 0
Wichtige Hinweise fu¨r den Anwender
In diesem Band sind die therapierelevanten Elemente aus Band 2 und 1 zusammengefat … zum kurzfristigen Nachschlagen und zur Erleichterung bei der tglichen Routine. Zustzlich wurden in diesem Band Bewertungskriterien fr die Tumortherapie integriert. Keinesfalls will jedoch dieser Band 3 das Studium des Inhalts von Band 2 und Band 1 ersetzen. Die Kenntnis der Voraussetzungen und Grnde, die zur Entscheidung fr ein bestimmtes Therapiekonzept und zur Wahl der Therapie fhren sowie die Kenntnis aller damit verbundenen Perspektiven, Probleme und Risiken, sind elementare Bedingungen fr die Benutzung von Band 3. Diese Kurzfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollstndigkeit und enthebt den Benutzer des Buches nicht von der Pflicht, bei der Behandlung seiner Patienten unter den entsprechenden Krankheitsbildern in Band 2 oder Band 1 nachzuschlagen. Hinweise auf Abbildungen, Tabellen, andere Kapitelabschnitte und Literatur beziehen sich auf den Text in Band 2 bzw. Band 1 und sind dort nachzuschlagen. Hans Joachim Schmoll (fr die Herausgeber)
Inhaltsverzeichnis
I
Leuka¨mien und myelodysplastisches Syndrom
47
Akute myeloische Leukmie (AML) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Bu¨chner, G. Ehninger, K. Lechner, I. Schwarzinger
1
48
Akute lymphatische Leukmie (ALL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Freund, D. Hoelzer
17
49
Chronische myeloische Leukmie (CML) . . . . . . . . . . . . . . . W. E. Aulitzky, R. Hehlmann
47
50
Myelodysplastisches Syndrom (MDS) . . . . . . . . . . . . . . . . . H.-J. Fricke, C. Kunert, K. Ho¨ffken, G. Ehninger
55
51
Myeloproliferative Erkrankungen … Polycythaemia vera, idiopathische Myelofibrose, essentielle Thrombozythmie . . . U. Schuler, G. Ehninger
II
62
Maligne Lymphome
52
Hodgkin-Lymphom (Morbus Hodgkin) . . . . . . . . . . . . . . . . K. Behringer, R. K. Thomas, M. Pfreundschuh, V. Diehl, J. Wolf
69
53
Klassifikation der Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . . A. C. Feller
89
54
Chronische lymphatische Leukmie/lymphoplasmozytoides Lymphom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Hallek, B. Emmerich
91
55
Haarzell-Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 H. Pralle, I. Schmidt-Wolf
56
Follikulres Keimzentrums-Lymphom (zentroblastisch-zentrozytisches Lymphom) . . . . . . . . . . . . . 107 W. Hiddemann, M. Dreyling, M. Engelhard
VIII
Inhaltsverzeichnis
57
Lymphoplasmozytisches Lymphom/Makroglobulinmie Waldenstrm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 M. Hallek, P. Meusers, U. Ja¨ger, M. Engelhard
58
Mantelzell-Lymphom (zentrozytisches Lymphom) . . . . . . . . 123 P. Meusers, M. Dreyling, G. Brittinger, M. Engelhard
59
Nodale aggressive Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . . 133 L. Tru¨mper, M. Engelhard, N. Schmitz
60
Periphere T-Zell-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 E. Weidmann, P. S. Mitrou
61
Primre gastrointestinale Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . 151 P. Koch, N. Willich, W. E. Berdel
62
Kutane Non-Hodgkin-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 R. Dummer, M. Hess Schmid, W. Kempf, P. S. Mitrou, G. Burg
63
Weitere extranodale Lymphome … bersicht . . . . . . . . . . . . 164 B. Steinke
70
ZNS-Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 E. Thiel, A. Korfel, B. Steinke
71
HIV-assoziierte Lymphome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 P. S. Mitrou, K. U. Chow, M. Ruhnke
72
Multiples Myelom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 H. Ludwig, H.-J. Schmoll
73
Castlemansche Erkrankung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 J. Haas
III
Tumoren im Kopf-Hals-Bereich
74
Primre Hirntumoren bei Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . 195 M. Weller, P. Krauseneck, R. Kath, R.-D. Kortmann, H.-J. Schmoll
75
Pinealistumoren bei Jugendlichen und Erwachsenen . . . . . . . 219 M. Weller, R.-D. Kortmann, H.-J. Schmoll
76
Tumoren des Auges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 N. Bornfeld, U. Keilholz
Inhaltsverzeichnis
IX
77
Nasopharynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 G. G. Grabenbauer, G. Niedobitek, F. Waldfahrer, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
78
˜sthesioneuroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 H. Pape, M. Wittkamp, I. Wildfang, P. R.Issing, H.-J. Schmoll
79
Speicheldrsenmalignome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 H. A. M. Marres, J. H. A. M. Kaanders, J. A.Werner, T. G. Wendt, I. Bruaset, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
80
Lippen-, Mundhhlen- und Oropharynxtumoren . . . . . . . . . 245 R. Heermann, J. A. Werner, T. G. Wendt, H.-J. Schmoll
81
Hypopharynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 J. H. A. M. Kaanders, J. A. Werner, T. G. Wendt, H. A. M. Marres, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
82
Larynxkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 J. H. A. M. Kaanders, J. A. Werner, T. G. Wendt, H. A. M. Marres, L. A. M. Pop, P. H. M. De Mulder, H.-J. Schmoll
83
Schilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 C. Reiners, M. Stuschke, H. Dralle, W. Voigt, H.-J. Schmoll
IV
Tumoren des Thorax und des Mediastinums
84
Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 M. Wolf, P. Schneider, V. Budach, M. Thomas
85
Kleinzelliges Lungenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 N. Niederle, B. Weidmann, M. Stuschke, J. Schirren
86
Bronchioloalveolres Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 P. Drings
87
Pleuramesotheliom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 C. Manegold, J. Schirren, H. Dienemann, M. Wannenmacher
88
Thymom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 H.-H. Wolf, P. J. Loehrer sr., P. Schneider, H.-J. Schmoll
89
Tumoren des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 W. Dempke, T. Kegel, K. Werdan
X
V
Inhaltsverzeichnis
Tumoren des Gastrointestinaltrakts
90
sophaguskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 M. Stahl, H. Wilke, H.-J. Meyer, V. Budach
91
Magenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 H. Wilke, M. Stahl, H.-J. Meyer, D. Arnold
92
Dnndarmtumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 P. Scho¨ffski, C.-H. Ko¨hne, H.-J. Schmoll
93
Kolorektales Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 H.-J. Schmoll, D. Arnold
94
Analkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 F. Roelofsen, H.-J. Schmoll, J. Dunst, P. M. Schlag
95
Pankreaskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 D. Strumberg, H. Oettle, V. Heinemann, R. Wilkowski, J. Klempnauer, D. Arnold
96
Gastrointestinaler Stromatumor (GIST) . . . . . . . . . . . . . . . . 404 P. Reichardt, P. Hohenberger, U. Schneider
97
Pseudomyxoma peritonei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 J. Ja¨hne, S. Borberg
98
Cholangiozellulres Karzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 M. Stahl, G. Stu¨ben, M. Stuschke, H. Wilke
99
Hepatozellulres Karzinom (HCC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 A. Grothey, D. Strumberg, M. Gebel
VI
Endokrin aktive Tumoren
100
Medullres Schilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 F. Raue, W. Voigt, H. Dralle, H.-J. Schmoll
101
Nebenschilddrsenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 W. Voigt, F. Schuppert, H. Dralle, H.-J. Schmoll
102
Neuroendokrine Tumoren (NET) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 T. Kegel, H. Dralle, H.-J. Schmoll
Inhaltsverzeichnis
XI
103
Phochromozytom und Paragangliom . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 F. Schuppert, H.-J. Schmoll, W. F. A. Hiller
104
Nebennierenrindenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 H.-J. Schmoll, B. Scha¨dlich, H. Dralle
VII
Tumoren der Mamma und gyna¨kologische Tumoren
105
Mammakarzinom der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 K. Possinger, P. Schmid, H.-J. Schmoll, K. Ho¨ffken, R. Kreienberg, J. Dunst
106
Mammakarzinom des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 R. Kath, K. Ho¨ffken, P. M. Schlag
107
Maligner Ovarialtumor … bersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 H. G. Meerpohl
108
Epitheliales Ovarialkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 H. G. Meerpohl
109
Maligner Stromazelltumor des Ovars . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 H. G. Meerpohl
110
Granulosazelltumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 H. G. Meerpohl
111
Sertoli-Leydig-Zell-Tumor der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 H. G. Meerpohl
112
Maligner Trophoblastenzelltumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
113
Maligner Keimzelltumor der Frau … bersicht . . . . . . . . . . . 574 W. Schro¨der, H. G. Meerpohl
114
Dysgerminom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 W. Schro¨der, H. G. Meerpohl
115
Endodermaler Sinustumor (Dottersacktumor) . . . . . . . . . . . 552 Chr. Thomssen, U. Go¨bel, H. G. Meerpohl
116
Immatures Teratom/malignes Teratom . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Chr. Thomssen, U. Go¨bel, H. G. Meerpohl
XII
Inhaltsverzeichnis
117
Weitere Keimzelltumoren … nicht-schwangerschaftsassoziierte Chorionkarzinome des Ovars . . . . . . . . . . . . . . . 558 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
118
Tubenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 S. Malur, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
119
Endometriumkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 M. W. Beckmann, H. G. Meerpohl
120
Uterussarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 S. Ackermann, H. G. Meerpohl, M. W. Beckmann
121
Zervixkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 A. Schneider, T. G. Wendt, H. G. Meerpohl
122
Vaginalkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 H. G. Meerpohl, H.-G. Schnu¨rch
123
Vulvakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 H.-G. Schnu¨rch, H. G. Meerpohl
VIII Urogenitaltumoren 124
Maligner Keimzelltumor des Mannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 H.-J. Schmoll
128
Paratestikulres Rhabdomyosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
129
Karzinom des Rete testis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 C. Bokemeyer, P. Scho¨ffski
130
Nierenzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 R. Kath, A. Schlichter, K. Ho¨ffken, A. Heidenreich, P. H. M. De Mulder
131
Harnblasenkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 P. Scho¨ffski, J. Dunst, W. Ho¨ltl, H.-J. Schmoll
132
Prostatakarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 U. Wedding, W. Budach, H. Huland, K. Ho¨ffken
Inhaltsverzeichnis
133
IX
XIII
Peniskarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 H.-J. Schmoll, S. Krege
Tumoren der Haut
134
Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 U. R. Kleeberg, U. Keilholz, R. Kaufmann, H.-J. Schmoll
135
Plattenepithelkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 C. Garbe
136
Basalzellkarzinom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 C. Garbe, U. R. Kleeberg
137
Merkel-Zell-Tumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 C. Garbe
X
Sarkome
138
Osteosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 S. Bielack, A. Zoubek, R. Kotz
139
Weichteilsarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 T. Cerny, R. D. Issels, V. Budach, P. M. Schlag, I. Brecht, H.-J. Schmoll
140
Kaposisarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 P. S. Mitrou, K. U. Chow
141
Malignes fibrses Histiozytom (MFH) des Knochens . . . . . . 733 C. Bokemeyer, J. Debus
142
Desmoidtumor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 H. Pape, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
143
Ewing-Tumor (Ewing-Sarkom und maligner peripherer neuroektodermaler Tumor, PNET) . . . . . . . . . . . 742 M. Paulussen, H. Ju¨rgens, J. Dunst, H.-J. Schmoll, W. Winkelmann, Ch. Hoffmann
XIV
XI
Inhaltsverzeichnis
Unbekannter Prima¨rtumor und seltene Tumoren
144
Metastasen bei unbekanntem Primrtumor … CUP-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 G. Hu¨bner, I. Wildfang, H.-J. Schmoll
145
Seltene solide Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 A. Grothey, T. Kegel, H.-J. Schmoll
XII
Leuka¨mien und Lymphome im Kindes- und Jugendalter
146
Akute myeloische Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 U. Creutzig
147
Akute lymphoblastische Leukmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 J. Ritter, A. Mo¨ricke, H. Riehm, M. Schrappe
148
Morbus Hodgkin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790 W. Do¨rffel, G. Schellong
149
Non-Hodgkin-Lymphom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 R. Blu¨tters-Sawatzki, A. Reiter
150
Langerhans-Zell-Histiozytose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 H. Gadner, N. Grois, M. Minkow
XIII
Solide Tumoren im Kindes- und Jugendalter
151
Keimzelltumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815 U. Go¨bel, G. Calaminus, D. T. Schneider
152
Weichteilsarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822 J. Treuner, I. B. Brecht
153
Hirntumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833 J. E. A. Wolff, S. Rutkowski, J. Ku¨hl =, R. D. Kortmann
154
Neuroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842 F. Berthold
155
Nephroblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 N. Graf, P. Gutjahr
Inhaltsverzeichnis
156
XIV
XV
Seltene Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 A. Eggert, W. Havers
Bewertungskriterien der Tumortherapie
157
Empfehlungen zur Bewertung mebarer und nichtmebarer Tumorparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 K. Jordan, S. Sa¨nger
158
Empfehlungen zur Bewertung der Tumorremission . . . . . . . 860 K. Jordan, S. Sa¨nger
159
Empfehlungen zur Bewertung des Allgemeinzustands des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866 K. Jordan, S. Sa¨nger
160
Empfehlungen zur Klassifizierung und Graduierung unerwnschter Ereignisse und Therapienebenwirkungen . . . 885 H. Sindermann, K. Jordan, M. H. Seegenschmiedt, S. Sa¨nger
XVI
Inhaltsverzeichnis
Auszu¨ge aus Band I XV
Spezielle Therapiemodalita¨ten
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie 17.3
Regionale Chemotherapie von Lebermetastasen . . . . . . . . . A. Schalhorn, K. H. Link, W. Voigt
971
17.7
Ossre Metastasen: kurzgefate Therapieempfehlungen . . . . I. J. Diel
975
17.9
Hirnmetastasen bei soliden Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Hofer, R. Herrmann
977
17.10 Epidurale spinale Metastasen und leptomeningeale Karzinose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Hofer, R. Herrmann
979
17.11 Intrakavitre Therapie bei Pleuraergu . . . . . . . . . . . . . . . K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser
981
17.12 Intrakavitre Therapie bei malignem Perikardergu . . . . . . K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser
983
17.13 Aszites und intraperitoneale Chemotherapie . . . . . . . . . . . D. Arnold, H.-J. Schmoll
985
17.14 Intravesikale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Krege
990
17.15 Extremittenperfusion beim Weichgewebssarkom und malignen Melanom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Hohenberger, W. Hohenberger 17.16 Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie . . . . . . . R. D. Issels, S. Hegewisch-Becker
994 996
Inhaltsverzeichnis
XVII
Notfallmaßnahmen in der Onkologie 18.1
Hyperkalzmie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Possinger, P. Schmid
997
18.2
Tumorlysesyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.3
Intrakranielle Drucksteigerung/Hirndem . . . . . . . . . . . . . 1001 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.4
Kompression des Spinalkanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.5
Obere Einflustauung … Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS) 1005 N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
18.6
Intensivmedizinische Versorgung von Tumorkranken . . . . . 1008 F. Kroschinsky, U. Schuler
25
Gerinnungsstrungen bei Tumorpatienten . . . . . . . . . . . . . 1011 E. Hiller
26
Prinzipien des Blutzellersatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1014 W. Dempke, H.-J. Schmoll
Supportivtherapie (Pra¨vention von Toxizita¨t) 32.8
Richtlinien zur antiemetischen Therapie . . . . . . . . . . . . . . 1015 K. Jordan, J. Casper, M. S. Aapro, H.-J. Schmoll
32.9
Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 R. Hartenstein, U. R. Kleeberg
Pra¨vention und Begleittherapie bei Nebenwirkungen durch Zytostatika sowie bei speziellen Medikamenten 33.4
Prvention und Therapie von Paravasaten . . . . . . . . . . . . . 1025 K. Jordan, W. E. Berdel, H.-J. Schmoll
33.6
Begleittherapie bei Cisplatin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1034 C. Bokemeyer, M. So¨kler, H.-J. Schmoll, H. Sauer
33.7
Begleittherapie bei Methotrexat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037 C. Bokemeyer, M. So¨kler, H.-J. Schmoll, H. Sauer
XVIII
Inhaltsverzeichnis
33.8
Begleittherapie bei Ifosfamid und Cyclophosphamid . . . . . . 1040 T. Cerny, C. Bokemeyer
33.9
Begleittherapie bei Taxanen, Irinotecan und anderen Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043 T. Cerny, S. Gillessen Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1047
1
Prinzipien der Tumorbiologie A. Nordheim, B. Lscher
1.1
Einfu¨hrung
Die Zellen eines jeden Lebenwesens existieren in einem exakt geregelten homostatischen Gleichgewicht von Wachstum (Proliferation), Differenzierung (zellula¨re Spezialisierung) und Zelltod (Apoptose bzw. Nekrose). Diesen zellulren Erscheinungsformen liegen genau definierte genetische Instruktionen zugrunde, die das Wachstumsverhalten von Zellen und den genauen Ablauf der Zellteilung (Zellzyklus) steuern. Derartige genetische Programme werden wesentlich durch extrazellula¨re Signale beeinflut, die die Aktivitt der Gene einer Zelle bestimmen. Fehlregulation der Genaktivitt, hervorgerufen durch DNS-Schdigungen (Mutationen), kann zu unkontrolliertem Zellwachstum fhren. >
Tumorwachstum entsteht, wenn Zellen aufgrund von Schdigungen ihres DNS-Erbmaterials fehlregulierte Genaktivitt zum Ausdruck bringen.
Jeder Mechanismus, der das berleben DNS-geschdigter Zellen erhht, z.B. durch Verhinderung des apoptotischen Todes solcher Zellen, trgt zum karzinogenen Proze bei (Hanahan u. Weinberg 2000). Die vorgenannten Aussagen basieren auf einer Vielzahl klinischer, zellbiologischer, molekularbiologischer und genetischer Untersuchungen, die zusammengefat eine eindeutige Aussage diktieren: >
Ursache jeder Tumorerkrankung sind Vernderungen im Erbmaterial der primren Tumorzelle (Mutationen oder Virusinfektionen) (zur historischen bersicht: Bishop 1991; Varmus u. Weinberg 1993; Lengauer et al. 1998; Nigg 2002).
Grtenteils erfolgen tumorinduzierende Mutationen in Somazellen (d.h. Krperzellen, deren Chromosomen nicht auf Nachkommen vererbt werden), jedoch knnen auch vererbte genetische Defekte im Genom von Keimzellen eine wesentliche Prdisposition fr die Tumorgefhrdung eines Individuums festlegen (Balmain et al. 2003). Ein extremes Beispiel einer derartigen genetischen Prdisposition liegt beim Li-Fraumeni-Syndrom vor, das auf der Existenz eines defekten Allels jenes Gens beruht, welches fr das Tumorsuppressorprotein p53 kodiert (Srivastava et al. 1990; s. Kap.1.5).
1
2
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Typen der genetischen Vera¨nderungen
Bei den genetischen Vernderungen von Tumorzellen lassen sich verschiedene Typen unterscheiden (Loeb et al. 2003): F F F F F F
Punktmutation (Einzelbasenvernderung), Deletion (Verlust grerer DNS-Segmente), Insertion (Integration von Fremd-DNS), Amplifikation (Vervielfachung einzelner DNS-Segmente), Rekombination (chromosomales Rearrangement) oder viraler Befall.
Diese genomischen Vernderungen knnen verschiedenartige Konsequenzen auf die Genaktivitt oder Proteinfunktion in einer Zelle haben, z.B. Zerstren eines Gens oder des hier kodierten Proteins, Erzeugung eines funktionell vernderten Proteins oder Fehlregulation eines Gens und dadurch Herstellung unphysiologischer Mengen des korrespondierenden Proteins. Durch den zunehmend verbesserten Einsatz molekularbiologischer Analytik sind in den vergangenen 10…15 Jahren wesentliche Einblicke in die molekularen Ursachen der zellulren Transformation gewonnen worden, so da eine direkte Identifizierung vieler durch DNS-Schdigung betroffener Genloci und individueller Gene in Tumorzellen mglich wurde. Dabei zeigte sich, da die betroffenen Gene und ihre Produkte in der normalen Zelle wichtige Schaltfunktionen fr die intrazellulre Vermittlung mitogener Signale und die dadurch bedingte Genregulation erfllen (s. Kap.1.3). Diese in der normalen Zelle funktionell wichtigen Gene werden Protoonkogene genannt, die in Tumorzellen in dominant mutierter Form als aktivierte ,,Onkogene" vorgefunden werden (s. Kap.1.4). Andererseits findet man in transformierten Tumorzellen auch den durch Mutation bedingten rezessiven Verlust sogenannter Tumorsuppressorgene (s. Kap.1.5). Fehlfunktionen beider Klassen von Genen tragen zu vernderter Progression des Zellzyklus proliferationsaktiver Zellen bei (s. Kap.1.2). Dabei kann der Eintritt ruhender Zellen in die Wachstumsphase begnstigt oder der Austritt aus derselben in eine Ruhephase verhindert werden. Die frhe Mutation eines Mutatorgens bildet hufig die Voraussetzung fr nachfolgende Erzeugung und Akkumulation von Mutationen (s. Kap. 1.6). Fr eine Zusammenstellung der menschlichen Krebsgene siehe Futreal et al. (2004). Modell der Mehrstufenmutation
In der Entwicklung der malignen Tumorzelle und deren Selektion im Verlauf des Tumorwachstums offenbart sich das Vorhandensein multipler mutationsbedingter Vernderungen, die im Genom einer Tumorzelle angereichert sind. Vogelstein et al. haben aus dieser Erkenntnis am Beispiel des
1.1
Einfu¨hrung
3
1
Abb. 1. Konzept der „Mehrstufenmutation“ im Verlauf der Tumorprogression des Kolonkarzinoms. (Nach Fearon u. Vogelstein 1990)
Kolonkarzinoms das Modell der Tumorprogression durch „Mehrstufenmutation“ formuliert (s. Abb. 1). Dabei geht mit der klinischen Manifestation eines Karzinoms im Verlauf der Tumorprogression die Akkumulation spezifischer Mutationen in Protoonkogenen, Tumorsuppressorgenen, Mutatorgenen und Genen mit Einflu auf das Metastasierungspotential einher (Fearon u. Vogelstein 1990; s. Tabelle 1 und Abb.1). Tabelle 1. Kombinationen multipler Mutationen von Protoonkogenen und Tumorsuppressorgenen in menschlichen Tumoren. (Zusammenstellung nach Hesketh 1994) Tumor
Mutierte Genloci
Zervixkarzinom
H-RAS, MYC
Kolonkarzinom
APC, MCC, DCC, K-RAS2, p53
Lungenkarzinom
RAF1, p53, RB1, H-RAS, N-MYC, MYC, JUN
Mammakarzinom
MYB, MYC, EGFR, HER2, H-RAS, p53, RB1, BRCA1, BCL1, HSTF1, INT2
Plattenepithelkarzinom
H-RAS, p53, RAF1, INT2
Burkitt-Lymphom
MYC, BLYM
4
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Erkennung von Pra¨disposition und Fru¨herkennung
Die Befhigung zur molekularen Identifizierung mutierter genetischer Loci im Zusammenhang mit der Tumorentwicklung erffnet neue Mglichkeiten des Gebrauchs der DNS-Diagnostik fr die prognostische Abscha¨tzung von individuellem Risiko fu¨r Krebsanfa¨lligkeit (Prdisposition). Familir bedingte, keimbahnvererbte Mutation des p53-Tumorsuppressorgens wre ein Beispiel eines hochinformativen prdiktiven Markers fr signifikant erhhtes individuelles Risiko zur Manifestation einer Tumorerkrankung (Malkin 1994; s. Kap.1.5). Darber hinaus kann die DNS-vermittelte Erfassung des aktuellen Status somatischer Mutationen in Geweben, beispielsweise in Adenombiopsaten des Kolons, wesentliche Vorhersagen fr die Gefahr der Progression zum Kolonkarzinom nach Frherkennung prmaligner Vorstufen gestatten (Balmain et al. 2003) (s. Abb.1). Letztendlich sollte die hochsensitive DNS-Diagnostik zuknftig auch die frhzeitige Erkennung von Mikrometastasen ermglichen, da mit Hilfe der PCR (Polymerasekettenreaktion) spezifische tumorassoziierte Genompolymorphismen in kleinsten Zellpopulationen nachweisbar geworden sind. Therapie des molekularen Zellschadens (,,Gentherapie")
Auch im Hinblick auf die Tumortherapie zeichnen sich neue Strategien aus dem Gebrauch moderner molekularbiologischer Methoden ab. So erffnet sich die Gentherapie als vielversprechende Zukunftsperspektive fr die gezielte Intervention gegen Tumorwachstum (zur bersicht: Culver u. Blaese 1994). Potentiell sinnvolle gentherapeutische Strategien gegen Tumorwachstum wren wie folgt zu benennen: F F F F
Erhhung der Antitumoraktivitt von Immunzellen, Erhhung der Immunogenitt eines Tumors, Schutz von Stammzellen vor den toxischen Effekten der Chemotherapie, Blockade der Expression von Onkogenen in Tumorzellen und Expression toxischer Genprodukte in Tumorzellen.
Literatur Balmain A, Gray J, Ponder B (2003) The genetics and genomics of cancer. Nat Genet 33:238…244 Culver KW, Blaese RM (1994) Gene therapy for cancer. Trend Genet 10:174…178 Futreal PA, Coin L, Marshall M et al (2004) A census of human cancer genes. Nat Rev Cancer 4(3):177…183 Fearon ER, Vogelstein B (1990) A genetic model for colorectal tumorigenesis. Cell 61:750…767 Hanahan D, Weinberg RA (2000) The hallmarks of cancer. Cell 100:57…70 Hesketh R (1994) The Oncogene Handbook. Academic Press, London
1.1
Einfu¨hrung
5
Hunter T (1997) Oncoprotein networks. Cell 88:333…346 Lengauer C, Kinzler KW, Vogelstein B (1998) Genetic instabilities in human cancers. Nature 396:643…649 Loeb LA, Loeb KR, Anderson JP (2003) Multiple mutations and cancer. Proc Natl Acad Sci USA 100:776…781 Malkin D (1994) Germ line p53 gene mutations and cancer. Pandora‘s box or open sesame? J Natl Cancer Inst 86:326…328 Nigg EA (2002) Centrosome aberrations: cause or consequence of cancer progression. Nat Rev Cancer 2:815…825 Srivastava S, Zou Z, Pirollo K et al (1990) Germ line transmission of a mutated p53 gene in a cancer-prone family with Li-Fraumeni syndrome. Nature 348:747…749 Varmus H, Weinberg RA (1993) Genes and the Biology of Cancer. Scientific American Library, New York
1
1.2
Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose B. Lscher, A. Nordheim
In einem adulten Organismus befindet sich die Mehrzahl der Zellen, z.B. Neuronen, Hepatozyten oder unstimulierte Thymozyten, bezglich des Zellzyklus im Ruhezustand (Quieszenz), d.h., sie befinden sich in der G0Phase, in der das Genom im diploiden Chromosomensatz vorliegt, ohne zustzlich repliziert zu werden (s. Abb. 1). Zellen knnen in der Quieszenz fr lange Zeit verharren und dabei ihren zelltypspezifischen Metabolismus ausben; viele dieser ruhenden Zellen sind aber in der Lage, durch extrazellulre Stimuli wieder in den proliferativen Zellzyklus berfhrt und so zur Zellteilung angeregt zu werden. Diese extrazellulren Stimuli werden entweder durch zellfreie, diffundierbare Wachstumsfaktoren oder durch Zell-Interaktionen ausgelst. Die homostatische Balance zwischen zellulrer Proliferation (zellulre Vermehrung; hier im Vergleich zu zellulrem Wachstum, was sich auf das Grenwachstum der Zelle bezieht) und Quieszenz ist im Organismus durch genetische Mechanismen exakt geregelt. Zu dieser Balance trgt auch der programmierte Zelltod, die Apoptose, in wesentlichem Mae bei. Unter Apoptose versteht man einen geregelten, aktiven Proze des zellulren Suizids, der ebenfalls durch extrazellulre Signale induziert werden kann. Daneben spielen intrazellulre Vorgnge, wie z.B. oxidativer Stre und Schdigung der DNS, eine wichtige Rolle bei der Induktion von Apoptose. Zusammenfassend kann festgestellt werden, da die zellulre Homostase von einem genau regulierten Gleichgewicht zwischen proliferativen, differenzierenden und apoptotischen Vorgngen abhngig ist.
1 Zellzyklus Zellzyklusphasen
Der Zellzyklus wird im wesentlichen in 5 verschiedene Phasen aufgeteilt (Abb. 1). Dabei wurde frh erkannt, da in der S-Phase die DNS verdoppelt (Replikation) wird und in der M-Phase (Mitose) die Chromosomen auf die entstehenden Tochterzellen verteilt werden und die eigentliche Zellteilung erfolgt. Das bedeutet, da in den S- und M-Phasen wesentliche Ereignisse ablaufen, die zur Verdoppelung des genetischen Materials und dessen Verteilung auf zwei Tochterzellen fhren. Intensive Untersuchungen zur Kontrolle des Zellwachstums in den letzten 25 Jahren haben gezeigt, da in den Zwischenphasen G1 und G2 (G von „gap“ fr Lcke, da diesen Zwischenphasen ursprnglich keine Funktion zugeordnet werden konnte) wesentliche Aspekte der Regulation der Progression durch den Zellzyklus erfolgen.
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Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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Abb. 1. Der Zellzyklus mit seinen unterschiedlichen Stadien. Fu¨nf wesentliche Zellzyklusstadien ko¨nnen unterschieden werden. Proliferierende Zellen befinden sich in einer der vier Phasen, die mit G1, S, G2 und M bezeichnet werden. Zellen ko¨nnen vorwiegend in der G1-Phase aus dem Zyklus austreten oder wieder eintreten. Nicht-proliferierende Zellen befinden sich in der G0-Phase. Die Mehrzahl der Differenzierungsprozesse werden u¨ber den Eintritt in G0 initiiert. Funktionen, die mit den einzelnen Zellzyklusphasen assoziiert sind, sind angegeben (CDK = cyclin-dependent kinase; CDK1 wird auch als CDC2 bezeichnet)
In der G1-Phase wird bestimmt, ob eine Zelle, die aus einer vorangegangenen Mitose hervorgegangen ist, nochmals einen Teilungszyklus initiiert oder aus dem Zellzyklus austritt und sich in die Ruhephase oder G0-Phase begibt. Der Austritt aus dem Proliferationszyklus kann die Voraussetzung zur Aktivierung von Differenzierungsprogrammen bieten. Des weiteren werden in der G1-Phase die Vorbereitungen fr den Eintritt in die S-Phase getroffen. Dabei wird eine Vielzahl von Parametern berprft, die die Entscheidung, ob eine Zelle in die S-Phase eintritt oder nicht, beeinflussen. Insbesondere sind das Vorhandensein von Wachstums- und berlebensfaktoren und von Nhrstoffen, die Wechselwirkung mit der extrazellulren Matrix und mit Nachbarzellen wie auch der Zustand der DNS (geschdigte DNS soll nicht repliziert werden, um das Entstehen von Mutationen zu vermeiden) von Bedeutung. Die G2-Phase des Zellzyklus hat fr die Mitose eine hnliche Bedeutung wie die G1-Phase fr die S-Phase. In G2 sind Kontrollmechanismen etabliert, die den Zustand der replizierten DNS abfragen. Hier wird berprft, ob die DNS vollstndig verdoppelt wurde und die neu synthetisierten DNS-Strnge miteinander verknpft sind. Fehler in diesen Prozessen wrden zu einer
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Prinzipien der Tumorbiologie
ungleichmigen Verteilung der Erbsubstanz in der Mitose fhren und dadurch das Entstehen von Zellen mit Mutationen frdern. Es lt sich feststellen, da der Ablauf des Zellzyklus einem genau vorgegebenen Plan folgt. Insbesondere ist die Reihenfolge der Phasen von grter Wichtigkeit, um eine Zellverdoppelung so zu gewhrleisten, da die Tochterzellen genetisch identisch sind. Einer S-Phase, d.h. der Replikation der DNS, mu immer eine M-Phase, d.h. eine Zellteilung mit identischer Verteilung der Erbsubstanz auf die Tochterzellen, folgen. Wird dieser Rhythmus der Abfolge (S…M)n durchbrochen, resultieren daraus Zellen, die eine vernderte genetische Ausstattung besitzen, und es kommt dadurch potentiell zu einer Entstehung von Zellen mit modifiziertem Proliferations- und/oder Apoptoseverhalten bis hin zu tumorigenen Zellen (Tsihlias et al. 1999). Kontrolle des Zellzyklus und regulatorische Proteine
Die Proliferation wird vor allem durch extrazellulre Signale reguliert, die sowohl induzierende wie auch inhibitorische Wirkungen haben knnen und vor allem die G1-Phase beeinflussen. Diese Signale werden ber Rezeptoren in die Zelle weitergeleitet, wo sie in spezifische Genaktivitt umgesetzt werden (s. Kap. 1.3). Normale Zellen sind fr den Eintritt in den Zellzyklus von Wachstumsfaktoren abhngig, die bis zum Erreichen des Restriktionspunktes R (s. unten) in der G1-Phase vorhanden sein mssen. Nach erfolgtem berschreiten von R ist zur Vollendung des Zellzyklus, einschlielich der Teilung in der Mitose, die Verfgbarkeit von Wachstumsfaktoren nicht mehr notwendig. Zustzlich sind fr ein erfolgreiches Durchlaufen des Zellzyklus berlebensfaktoren notwendig. Diese regulieren die Apoptose und sichern das berleben der Zelle (s. unten). Eine proliferierende Zelle durchluft den Zyklus der DNS-Synthese und der nachfolgenden mitotischen Chromosomenseparation unter extrem stringenter interner Kontrolle. Diese Kontrollmechanismen gewhrleisten im Normalfall, da die Erbinformation einer Zelle identisch, fehlerfrei und ungeschdigt auf die Tochterzelle weitervererbt wird. Bei Versagen dieser Kontrollmechanismen kann ungeregeltes Wachstum entstehen. Mutationsbedingte Fehlsteuerung der Proliferationskontrolle und der Apoptose sind die primren Ursachen der Tumorentstehung, das heit, Mutationen sind dann tumorfrdernd, wenn ein erhhtes Proliferationspotential ohne entsprechende gegensteuernde apoptotische Prozesse erzielt wird. Die aktuellen Erkenntnisse der molekularen Ablufe des Zellzyklus und der Apoptose bieten somit eine wichtige Basis fr die Entschlsselung der urschlichen Defekte, die Tumorwachstum hervorrufen. Die bertritte von einer Zellzyklusphase in eine andere werden genau reguliert. Dabei spielen sog. Kontrollpunkte („check points“) eine zentrale
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Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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Abb. 2. Die Regulation des Zellzyklus. Die U¨berga¨nge innerhalb des Zellzyklus sind an Kontrollpunkten genau reguliert. Drei dieser Kontrollpunkte, der Restriktionspunkt R am U¨bergang von der G1- in die S-Phase, der U¨bergang von der G2- in die M-Phase und der U¨bergang von der Meta- in die Anaphase, sind angegeben. Weitere hier nicht diskutierte Kontrollpunkte existieren. Die Kontrollpunkte werden durch Cyclin/CDK-Kinasen kontrolliert. Cyclin-D-Komplexe regulieren Prozesse in G1, Cyclin-E-Komplexe in der spa¨ten G1 und in S, Cyclin-A-Komplexe in S und G2 sowie Cyclin-BKomplexe in der spa¨ten G2 und in M. Ein wichtiges Substrat ist das Tumorsuppressorprotein p105RB, das zuerst von Cyclin D/CDK4,6 und anschließend von Cyclin E/CDK2 phosphoryliert wird. Cyclin-abha¨ngige Kinasen werden durch verschiedene Inhibitoren, sog. CKIs (cyclin-dependent kinase inhibitors, z.B. p16INK4A, p27KIP1 und p21WAF1), die durch unterschiedliche Signale aktiviert werden ko¨nnen, reguliert. Nicht alle bekannten Wechselwirkungen zwischen den hier benannten Moleku¨len sind angegeben
Rolle (Abb. 2). An diesen Kontrollpunkten werden Signale integriert, die es der Zelle erlauben zu entscheiden, ob die nchste Zellzyklusphase aktiviert werden kann. Dabei spielt unter anderem der Zustand, d.h. die Integritt, der DNS eine wichtige Rolle. DNS-Schden aktivieren sowohl den Restriktionspunkt R (G1/S-Kontrollpunkt) wie auch den G2/M-Kontrollpunkt und fhren zu einem Zellzyklusstillstand. Erst nach erfolgter vollstndiger Reparatur der DNS knnen diese beiden Kontrollpunkte berschritten werden (s. unten). Am G2/M-Kontrollpunkt wird zustzlich berprft, ob die DNS vollstndig repliziert ist. Am Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkt (Spindel-, Mitosekontrollpunkt) werden die korrekte Ausrichtung der Chro-
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mosomen in der Metaphase und deren Verbindung mit der mitotischen Spindel berprft. Der exakt regulierte zeitliche Ablauf des Zellzyklus und das berwinden der Kontrollpunkte wird durch ein vielfltiges intrinsisches Programm von Genaktivitten gesteuert. Dieses wiederum unterliegt der Kontrolle einer Gruppe von Regulationsproteinen, den Cyclinen und den cyclinabhngigen Kinasen (CDK; Enzyme, die Phosphatgruppen auf Zielproteine transferieren) (Morgan 1997). Die Cycline sind die regulatorischen Untereinheiten der CDK und werden zellzyklusabhngig synthetisiert, whrend die CDK kontinuierlich exprimiert werden. In der G1-Phase wird zuerst Cyclin D (drei D-Typ-Cycline, D1, D2 und D3, sind bekannt) und dann Cyclin E, in der S-Phase Cycline E und A und in der G2-Phase Cycline A und B exprimiert. Cyclin D bildet Komplexe mit CDK4 und 6, Cyclin E und A mit CDK2 und Cyclin A und B mit CDK1 (CDC2) (Abb. 2). Dabei sind insbesondere die Cyclin-D-Komplexe, aber auch die Cyclin-E-Komplexe durch Wachstumsfaktoren reguliert und integrieren so Signale, die von auen an die Zelle gelangen, in zellzyklusrelevante Aktivitten. Der basalen Kontrolle durch die Verfgbarkeit einzelner Cycline sind weitere Regulationsmechanismen bergeordnet. Dabei spielen aktivierende und inhibierende Phosphorylierungen der CDK und die Interaktion der Cyclin/CDK-Komplexe mit den Cyclin/CDK-Inhibitoren (CKI; s. auch Kap. 1.5) eine wichtige Rolle. In der Progression des Zellzyklus ist somit die phasenspezifische Phosphorylierung von Zielproteinen durch die CDK ein essentielles, bergeordnetes Prinzip. Das Tumorsuppressorprotein p105RB ist ein wichtiges CDK-Substrat, das am Restriktionspunkt R durch Cyclin D/CDK4,6 und Cyclin E/CDK2 phosphoryliert (und von einer hypophosphorylierten in eine hyperphosphorylierte Form berfhrt) und damit inaktiviert wird (Abb. 2). Die Phosphorylierung von p105RB ist eine Voraussetzung, um den G1/S-bergang zu berschreiten. p105RB inhibiert Transkriptionsfaktoren (Proteine, die die Genexpression steuern), die Gene aktivieren, deren Proteinprodukte fr die Ausfhrung der DNS-Replikation essentiell sind. Die Inaktivierung der p105RB-Funktion in Tumorzellen durch Mutation des pRB-Gens oder seiner Regulatoren fhrt zu einer deutlichen Erleichterung fr Zellen, den Restriktionspunkt R zu berschreiten und in die S-Phase des Zellzyklus einzutreten. Faktoren, die die Proliferation von Zellen negativ regulieren, ben ihre Aktivitt mindestens teilweise ber die Modulation von Cyclin-KinaseKomplexen aus. Fr die Tumorbiologie von besonderem Interesse ist das CKI p27KIP1, das die Aktivitt von Cyclin E/CDK2 inhibieren kann. Die Expression des p27-Gens wird durch den wachstumsinhibierenden Faktor TGFb aktiviert mit der Konsequenz, da dadurch der bergang von G1 nach S blockiert wird.
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Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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Reparatur von DNS-Scha¨den und genetische Stabilita¨t
Wie bereits erwhnt, fhren Schdigungen der DNS zu einem Zellzyklusblock. Hier spielt ein weiterer Tumorsuppressor, das p53-Protein, eine wichtige Rolle, der nach DNS-Schdigung, aber auch nach anderen Formen zellulren Stresses aktiviert wird. p53 funktioniert als Transkriptionsfaktor, und aktiviertes p53 stimuliert die Expression von Genen, darunter dasjenige, das fr das CKI p21WAF1 kodiert. Dieses Protein inhibiert CDK4,6- und CDK2-Kinase-Komplexe und kann somit zum Blockieren des Zellzyklus am Restriktionspunkt R und in der S-Phase fhren. Dieser Mechanismus verschafft der Zelle die Zeit, die sie bentigt, um vor dem Eintritt in die S-Phase und whrend der DNS-Replikation die DNS-Schden zu beheben. Dadurch wird verhindert, da geschdigte DNS repliziert und auf die Tochterzellen weitergegeben wird, was Mutationen zur Folge haben wrde. Sind die DNSSchdigungen zu gro, als da sie repariert werden knnten, kann p53 auch den Zelltod durch Apoptose stimulieren (s. unten). Damit erfllt p53 eine essentielle Funktion in der Erhaltung der genetischen Stabilitt und wurde deshalb als Wa¨chter des Genoms (guardian of the genome) bezeichnet (s. a. Kap. 1.5). Von groer Wichtigkeit fr die genetische Stabilitt einer Zelle ist auch der Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkt (Jallepalli u. Lengauer 2001; Nasmyth 2002). Um das genetische Material identisch auf die zwei Tochterzellen zu verteilen, mssen eine Reihe von Voraussetzungen erfllt sein. Eine erste ist der Aufbau einer bipolaren Spindel, die von den Zentrosomen orchestriert wird. Die Zentrosomenduplikation beginnt in der spten G1- bzw. frhen S-Phase, wobei Cyclin E/CDK2 ein zentraler Regulator dieses Prozesses ist. Eine vernderte Zahl von Zentrosomen (mehr als zwei) wird hufig in Tumorzellen beobachtet und kann zu einer Dissegregation der Chromosomen fhren und damit zur genetischen Instabilitt beitragen (Nigg 2002). Des weiteren mssen die Chromosomen korrekt kondensieren, die Schwesterchromatiden (das Produkt der Replikation eines Chromosoms), die ber kohsive Proteine miteinander verbunden sind, korrekt in der Metaphaseplatte aufgereiht und die beiden Zentromere (der Komplex aus spezialisierten Proteinen, die an das Zentromer binden, wird als Kinetochor bezeichnet) ber die Spindel mit je einem Zentrosom verbunden sein (Abb. 3). Fehler in einem dieser Schritte fhrt zur Aktivierung des Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkts und damit zur Inhibition der Mitose. In normalen Zellen signalisieren freie Kinetochore ein Stoppsignal, so da der Kontrollpunkt nicht berschritten werden kann. Verschiedene Proteine (z.B. BUB-Proteine, MAD2), die an der Regulation des Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkts beteiligt sind, wurden in einer Reihe von Tumoren in mutierter Form identifiziert. Solche Vernderungen resultieren in chromosomaler Instabilitt (CIN) (Lengauer et al. 1998).
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BUB-Proteine und MAD2 sind, neben cyclinabhngigen Kinasen, Teil des regulatorischen Netzwerks, das die Aktivitt des APC (anaphase promoting complex) kontrolliert (Nasmyth 2002). Der APC-Komplex aktiviert Proteasen und reguliert dadurch den Abbau der kohsiven Proteine, die die Separierung der Schwesterchromatiden verhindern (Abb. 3). Erst die Degra-
Abb. 3. Der Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkt. Die korrekte Verteilung des genetischen Materials auf die beiden Tochterzellen ist fu¨r die Aufrechterhaltung der genetischen Stabilita¨t mitentscheidend. Wichtige Schritte sind unter anderem die Verdoppelung der Zentrosomen, der Aufbau der mitotischen Spindel und die Aufreihung der Chromosomen in der Metaphaseplatte, die Aktivierung des APC („anaphase promoting complex“), die darauf folgende Spaltung der Koha¨sionsproteine und die Separierung der Chromosomen. BUB-Proteine und MAD2, die in Tumoren ha¨ufig mutiert sind, verknu¨pfen Spindelaufbau/Aufreihung der Chromosomen mit der Aktivierung des APC. Die Verha¨ltnisse sind in vereinfachter Form dargestellt.
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Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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dation dieser Proteine erlaubt die Aufteilung des genetischen Materials und das Fortschreiten der Zellteilung. Die verfrhte Inaktivierung des APC resultiert in einer vorzeitigen Progression in die Anaphase, was eine unsymmetrische Verteilung der Chromosomen zur Folge haben kann und somit zu Aneuploidie fhrt. Zusammenfassend lt sich feststellen, da Regulatorproteine des Zellzyklus bei Fehlfunktion direkt an dem Proze der Onkogenese beteiligt sein knnen. Dies trifft neben den bereits genannten Tumorsuppressorproteinen p105RB und p53, deren Funktionen in Tumoren hufig ausgeschaltet sind, auch fr verschiedene Cycline (z.B. Cyclin E im Brustkarzinom) zu, die in Tumoren berexprimiert werden. Auch die CKI-Proteine (z.B. p16INK4A im Melanom) sind in Tumoren dereguliert, wobei hier Deletionen oder Methylierungen der Gene eine wichtige Rolle spielen. Die berexpression von Cyclin D1 oder der Verlust von p16 fhren zu einer Inaktivierung von p105RB (Abb. 2). Die Proteine, die den Metaphase-Anaphase-Kontrollpunkt regulieren, sind ebenfalls an der Entstehung von Tumoren beteiligt.
2 Apoptose Physiologische Funktion der Apoptose
Neben der aktiven Zellproliferation kann auch das gegenstzliche Ereignis, der Zelltod, ein aktiver zellulrer Mechanismus sein, der durch extrazellulre Signale initiiert wird und nachfolgend entsprechend einem intrinsischen Programm definierter zellphysiologischer Reaktionen verluft. Dieser programmierte Zelltod wird Apoptose genannt (Wyllie 1994; Green 1998). Die Zellbiologie der Apoptose ist in dem bersichtsartikel von Danial und Korsmeyer (2004) bersichtlich diskutiert. Gestrte Apoptose und damit einhergehende unvollstndige Elimination mutierter Zellen trgt wesentlich zur Tumorentstehung bei. Apoptose kann als wichtiger natrlicher homostatischer Proze hherer Organismen eingestuft werden. Er wirkt beispielsweise in morphogenetischen Prozessen der embryonalen Entwicklung oder bei der Erneuerung adulter Gewebe. Weiterhin tritt Tod durch Apoptose natrlicherweise auch bei der klonalen Selektion von T- und B-Lymphozyten des Immunsystems auf. Hufig wird die Apoptose durch den Entzug oder das Fehlen von Wachstums- und berlebensfaktoren beschleunigt oder sogar induziert. So reagieren T-Lymphozyten bzw. Makrophagen auf den Entzug von IL-2 bzw. CSF und unreife Thymozyten auf Glukokortikoide mit Apoptose. Im weiteren wurden verschiedene Signalmolekle identifiziert, die ber spezifische Rezeptoren (Todesrezeptoren wie diejenigen fr TNF [„tumor necrosis factor“] und FAS-L) Apoptose in Zellen auslsen knnen (Ash-
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kenazi u. Dixit 1998). Diese Form der Apoptoseinduktion wird somit … hnlich wie die Zellproliferationskontrolle … durch extrazellulre Signale reguliert. Apoptose wird ebenfalls durch eine Reihe von zellulren Stresituationen induziert, wobei hier das p53-Protein eine signalbertragende Rolle spielt (Abb. 4). Wichtige hier zu erwhnende Streformen sind die Schdigung der DNS, das Auftreten von reaktiven Sauerstoffradikalen und das Verhindern der Ausbildung der mitotischen Spindel als Folge der Behandlung durch Chemotherapeutika und Strahlentherapie (Rich et al. 2000). Auch Vernderungen des Hormonspiegels knnen apoptotische Prozesse auslsen, z.B. nach Androgenablation in der Behandlung des malignen Wachstums von Prostatagewebe.
Abb. 4. Regulationsvorga¨nge wa¨hrend der Apoptose. Einzelne wichtige Schritte, die fu¨r den regulierten Ablauf der Apoptose relevant sind, sind zusammengefaßt. Todesrezeptoren ko¨nnen, nach Aktivierung durch die entsprechenden Liganden, u¨ber die Aktivierung von Caspasen Apoptose in Zellen auslo¨sen. Caspasen sind ubiquita¨r vorkommende Proteasen, die in einer inaktiven Proform in Zellen vorliegen. Nach Aktivierung der Caspasen werden eine Vielzahl von zellula¨ren Proteinen wie auch die DNS spezifisch hydrolysiert und dadurch der Zelltod eingeleitet. Mitochondrien integrieren eine Reihe von Signalen, die letztendlich Apoptose herbeifu¨hren ko¨nnen. Als Beispiele sind die Signalwege von Todesrezeptoren, die Aktivierung von Onkoproteinen (Produkte der Onkogene) und zellula¨rer Streß, hier in Form von Chemotherapeutika, die die DNS scha¨digen oder den Aufbau der mitotischen Spindel blockieren. Aufgrund dieser Signale werden die Aktivita¨ten von Bcl-2-Familienmitgliedern, die sowohl pro- wie auch antiapoptotisch wirken ko¨nnen, vera¨ndert. Die Aktivierung von Bax fu¨hrt zu Membranvera¨nderungen in den Mitochondrien mit einem Austritt einer Reihe von proapoptotischen Proteinen. Dazu geho¨rt Cytochrom c (Cyt-c), das ein essentieller Kofaktor der Aktivierung der Caspase 9 ist.
1.2
Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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Aus den hier zusammengefaten Befunden lt sich schlieen, da die Apoptose ein universeller Proze ist, der in allen Bereichen der zellulren Verhaltenskontrolle von zentraler Bedeutung ist. Dies schliet normale Vorgnge in der Homostase von Geweben und Zellpopulationen ebenso ein wie pathologische Ereignisse, wie sie bei Tumoren, Autoimmunkrankheiten und degenerativen Syndromen zu beobachten sind. Exekution der Apoptose
Die Apoptose steht im Gegensatz zum nekrotischen Zelltod. Letzterer ist ein ungeregelter, passiver Proze als Folge von Zellschdigungen, die eine drastische Reduktion der Energie-(ATP-)Produktion bewirken. Das fhrt zum Verlust einer Vielzahl von Zellfunktionen, die ATP-abhngig sind. So kann unter anderem der zellulre Ionenhaushalt nicht aufrechterhalten werden, was zu einer erhhten Permeabilitt der Plasmamembran fhrt und schluendlich den Verlust der Zellintegritt nach sich zieht. Demgegenber erfolgen nach Induktion der Apoptose definierte biochemische und physiologische Ereignisse. Die aufflligsten Merkmale sind F F F F
das Schrumpfen der Zelle, das Auftreten von Membranausstlpungen („membrane blebbing“), die Kondensierung des Chromatins und die Fragmentierung der DNS.
In der Endphase der Apoptose wird die Zelle in einzelne Fragmente („apoptotic bodies“) zerlegt, die alle ber eine vollstndige Membran verfgen und dann im Gewebe durch die umliegenden Zellen phagozytiert werden. Der signalinduzierte Eintritt in die Apoptose kann aus jedem Stadium des Zellzyklus erfolgen. Die Induktion der Apoptose fhrt in der betroffenen Zelle zur Aktivierung einer spezifischen Klasse von Proteasen, den Caspasen (Abb. 4) (Hengartner 2000). Diese Enzyme liegen im Zytoplasma von Zellen als inaktive Formen (Proenzyme) vor und werden nach entsprechender Stimulation in ihre aktive Form berfhrt. Sie degradieren dann spezifische Substratproteine, was in den oben beschriebenen morphologischen und molekularen Vernderungen resultiert. Die Effektormolekle (Caspasen, aber auch DNS-schneidende Enzyme), die fr die Exekution der Apoptose ntig sind, sind also in allen Zellen in latenter Form vorhanden. Entsprechend mu die Apoptose durch Kontrollmechanismen effizient negativ reguliert sein, um eine spontane Aktivierung zu verhindern. Verschiedene Proteine sind identifiziert worden, die die Apoptose inhibieren und somit Gegenspieler apoptoseinduzierender Prozesse darstellen. Dazu gehren sog. berlebensfaktoren, die ber membranstndige Rezeptoren wirken, und Proteine der Bcl-2-Familie, die unter anderem die Aktivierung der Caspasen verhindern.
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Apoptose und Tumorentstehung
Apoptose ist ein zentraler Aspekt der Tumorentstehung, da, wie oben erwhnt, DNS-Schdigungen den Zelltod durch Apoptose induzieren knnen. Verhinderung der Apoptose kann somit zur klonalen Erhaltung von genomgeschdigten Zellen fhren und die genomische Instabilitt einer Zelle frdern, was wiederum zur Aktivierung von Onkoproteinen und zur Inaktivierung von Tumorsuppressorproteinen fhren kann. Entsprechend sind Mutationen und/oder Deletionen des p53-Gens besonders hufig in menschlichen Tumoren zu finden, da das p53-Protein als Sensor fr DNS-Schden funktioniert und diese Information wie oben beschrieben entweder in einen Zellwachstumsstopp oder in die Aktivierung der Apoptose umsetzen kann. Fehlt p53, fhrt dies zu einer Inaktivierung von zellulren Kontrollpunkten, was mit einer Zellzyklusprogression trotz mutierter oder nicht vollstndig replizierter DNS einhergeht. Aber nicht nur p53 findet sich in mutierter Form in Tumorzellen. Viele der in Abbildung 4 gezeigten Proteine werden in Tumorzellen in vernderter Form oder Menge exprimiert. Dies sind die Folgen von Mutationen der entsprechenden Gene. So wird z. B. eine berexpression von Bcl-2 („B cell leukemia 2“), das Apoptose inhibiert, in verschiedenen Tumoren beobachtet, und demzufolge wird dieses Protein als Protoonkoprotein klassifiziert. Eine umfassendere Liste von apoptoserelevanten Genen und Proteinen, die in Tumorzellen mutiert sind, ist in Johnstone et al. (2002) zu finden. Zunehmend werden Substanzen, die apoptotische Prozesse in der Zelle beeinflussen, klinisch eingesetzt, ein wichtiger Hinweis auf die erkannte Bedeutung der Apoptose fr das Tumorwachstum (Nicholson 2000). Zusammenfassung
Das Zusammenspiel von genetischen Vernderungen, die die Zellproliferation stimulieren und die Apoptose inhibieren, ist von zentraler Bedeutung fr die Entstehung von Tumoren (Evan u. Vousden 2001). Eine wachsende Zahl von Moleklen wird identifiziert, die fr diese Prozesse wichtig sind und die in Tumorzellen mutiert sind. Die Charakterisierung dieser Molekle und die Analyse der Signalwege und biochemischen Vorgnge, die mit diesen Moleklen assoziiert sind, erlauben es zunehmend, molekulare Profile von Tumortypen zu definieren und die Unterschiede mit normalen, nicht transformierten Zellen zu vergleichen. Dieses Wissen sollte es in Zukunft erlauben, tumorspezifische Therapiestrategien zu entwickeln, die die Manipulation der vernderten Molekle und Signalwege zum Ziel hat.
1.2
Zellproliferation, Zellzyklus und Apoptose
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Literatur Ashkenazi A, Dixit VM (1998) Death receptors: signaling and modulation. Science 281:1305…1308 Danial NN, Korsmeyer SJ (2004) Cell death: critical control points. Cell 116:205…219 Evan GI, Vousden KH (2001) Proliferation, cell cycle and apoptosis in cancer. Nature 411:342…348 Green DR (1998) Apoptotic pathways: The roads to ruin. Cell 94:695…698 Hengartner MO (2000) The biochemistry of apoptosis. Nature 407:770…776 Hoeijmakers JH (2001) Genome maintenance mechanisms for preventing cancer. Nature 411:366…374 Jallepalli PV, Lengauer C (2001) Chromosome segregation and cancer: cutting through the mystery. Nat Rev Cancer 1:109…117 Johnstone RW (2002) Apoptosis: A link between cancer genetics and chemotherapy. Cell 108:153…164 Lengauer C, Kinzler KW, Vogelstein B (1998) Genetic instabilities in human cancers. Nature 396:643…649 Morgan DO (1997) Cyclin-dependent kinases: engines, clocks, and microprocessors. Annu Rev Cell Dev Biol 13:261…291 Nasmyth K (2002) Segregating sister genomes: the molecular biology of chromosome separation. Science 297:559…565 Nicholson DW (2000) From bench to clinic with apoptosis-based therapeutic agents. Nature 407:810…816 Nigg EA (2002) Centrosome aberrations: cause or consequence of cancer progression? Nat Rev Cancer 2:815…825 Rich T, Allen RL, Wyllie AH (2000) Defying death after DNA damage. Nature 407:777…783 Tsihlias J, Kapusta L, Slingerland J (1999) The prognostic significance of altered cyclin-dependent kinase inhibitors in human cancer. Annu Rev Med 50:401…423 Wyllie AH (1994) Death gets a break. Nature 369:272…273
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Zellula¨re Signalu¨bertragung und Genaktivita¨t A. Nordheim, B. Lscher
Extrazellula¨re Signale zur Regulation des Zellwachstums
Die Regulation des zellulren Wachstums wird sehr wesentlich durch extrazellulre Signale gesteuert, die den Eintritt in die G0- und G1-Phasen des Zellzyklus determinieren (Kap.1.2). Exogene Signale leiten aber nicht nur bestimmte Phasen des proliferativen Zellzyklus ein, sondern sie bewirken auch die Induktion von Zellelimination durch apoptotischen Zelltod (Kap.1.2). Somit ist die detaillierte Kenntnis der molekularen Mechanismen zellulrer Signalbertragung eine wichtige Voraussetzung fr das Verstndnis des fehlregulierten Wachstums und der Expansion von Tumorzellen. Von gleichrangiger Bedeutung fr ein umfassendes Verstndnis der Tumorentstehung ist die genaue Kenntnis der molekularen Regulationsmechanismen der Genaktivitt; denn letztendlich determinieren extrazellulre Wachstumssignale das Zellwachstum, indem sie die zellulren Genaktivitten kontrollieren. Dieser Zusammenhang erklrt die Tatsache, da Onkogenprodukte (z.B. Ras oder Myc) nahezu ausnahmslos die normale Regulation von Signalbertragung und Genaktivitt stren (s. Kap.1.4). Die beeindruckende Komplexitt der Mechanismen der zellulren Signalbertragung und Genregulation kann hier nur fragmentarisch angedeutet werden bei gleichzeitiger Empfehlung der Lektre aktueller Lehrbcher der molekularen Zellbiologie (z.B. Alberts et al. 2002). Mechanismus der Signalu¨bertragung
In der zellulren Signalbertragung laufen schrittweise folgende funktionellen Wirkmechanismen nacheinander ab: F F F F F
Erkennung/Bindung des Signalmolekls an der Zelloberflche, Internalisierung des Signals, Transmission des Signals durch das Zytoplasma, Eintritt des Signals in den Zellkern und letztendlich Signalbedingte Modulation von Genaktivitten.
Die Bindung von extrazellulren Signalen fr Stimulation oder Inhibition des Wachstums durch Wachstumsfaktoren (z.B. EGF) oder Hemmstoffe (z.B. TGF-b) erfolgt ber spezifische membransta¨ndige Rezeptoren, wie z.B. den EGF-Rezeptor (EGF-R). Derartige Rezeptoren bestehen aus 3 funktionellen Proteindoma¨nen, der extrazellulren, der transmembransen und der zytoplasmatischen Domne. Die Wechselwirkung von Ligand und Rezeptor kann bei entsprechenden Rezeptoren zu strukturellen Konformationsvernderungen fhren, die die Stimulation einer enzymatischen Kinase-
1.3
Zellula¨re Signalu¨bertragung und Genaktivita¨t
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aktivita¨t der zytoplasmatischen Doma¨ne bewirken. Derartig wirkende Rezeptoren werden als Rezeptortyrosinkinasen (RTK) bezeichnet. Die Stimulation dieser Kinaseaktivitt und die damit einhergehende Autophosphorylierung der zytoplasmatischen Domne reprsentieren die biochemische Internalisierung der extrazellula¨ren Signalinformation. Phosphorylierte RTK knnen nachfolgend von zytoplasmatischen Effektorproteinen gebunden werden, und derartige Wechselwirkungen fhren ber mehrere Nachfolgeschritte zur Aktivierung von weiteren enzymatischen Aktivitten des Zytoplasmas. Wichtige derartige Enzymaktivitten sind diejenigen von Proteinkinasen, Proteinphosphatasen und GTPasen. In der signalbedingten Regulation dieser Enzyme spielen Konzentrationsvernderungen niedermolekularer Substanzen, z.B. cAMP, oder mono- und divalente Ionen wie K+ und Ca++ ebenfalls eine wesentliche Rolle. Direkt nacheinandergeschaltete Aktivierungen mehrerer Kinasen, wie in der Raf/MAPK-Kaskade (s. Abb.1), sind ein weiteres wichtiges Funktionsprinzip der mitogenen Signalbertragung. U¨bertragung des Signals in den Zellkern
Die so erfolgte Transmission des Signals durch das Zytoplasma fhrt nachfolgend zu dessen bertragung durch die Kernmembran in den Zellkern. Dies kann in Form der Translokation eines aktivierten Transkriptionsfaktors vom Zytoplasma in den Zellkern erfolgen (z.B. Transkriptionsfaktor NF-jB, die STAT-Faktoren, oder b-Catenin) (Korinek et al. 1997) oder aber durch Translokation einer aktivierten Proteinkinase in den Zellkern (z.B. Proteinkinase MAPK; s. Abb.1). Die aktivierte nuklere Kinase phosphoryliert dann kernstndige Transkriptionsfaktoren und stimuliert dadurch deren Potential zur Regulation der Genaktivita¨t (Treisman 1996). Ein mechanistisch unterschiedlicher Signalbertragungsweg wird durch Steroidhormone initiiert, die nach Eintritt in die Zelle an zytoplasmatische Steroidhormonrezeptoren binden und direkt deren Translokation in den Zellkern bewirken. Kontrolle der Genaktivita¨t
Die zeitgerechte und exakt kontrollierte Umsetzung der genetischen Information in Genprodukte, d.h. die transkriptionelle Aktivierung und Abschaltung (Repression) von Genen, ist eine grundlegende Voraussetzung fr normales Zellwachstum (Harbour u. Dean 2000). Die signalaktivierten Transkriptionsfaktoren regulieren dabei die Initiation und Repression der Transkription. Bei der mitogenen Aktivierung des G0/G1-berganges ruhender Zellen, d.h. bei der Stimulation oben genannter Signalbertragungsprozesse, werden innerhalb weniger Minuten ca. 80…100 verschiedene Gene transkriptionell induziert. Die dabei erstellten Genprodukte regulieren
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Prinzipien der Tumorbiologie
Abb. 1. Zellula¨re Signalu¨bertragung am Beispiel des Ras/Raf-Signalwegs. (Vereinfachte Darstellung nach Janknecht et. al. 1993)
nachfolgend das genau determinierte intrinsische Programm der Zellzyklusprogression (s. Kap.1.2). Die molekularen Mechanismen der Genregulation sind auerordentlich komplex, und ein zunehmend besseres Verstndnis dieser Prozesse wird die Voraussetzung fr weitere Einblicke in die Ursachen der Tumorentstehung und ebenso fr potentielle Therapien des fehlregulierten zellulren Wachstums darstellen. Literatur Alberts B, Bray D, Johnson A et al (2002) Essential Cell Biology. Garland, New York London Harbour JW, Dean DC (2000) The Rb/E2F pathway: expanding roles and emerging paradigms. Genes Dev 14:2393…2409 Hunter T (1997) Oncoprotein networks. Cell 88:333…346 Janknecht R, Ernst WH, Pingoud V, Nordheim A (1993) Activation of ternary complex factor Elk-1 by MAP kinases. EMBO J 12:5097…5104 Korinek V, Barker N, Morin PJ et al (1997) Constitutive transcriptional activation by a b-catenin-Tcf complex in APC-colon carcinoma. Science 275:1784…1787 Treisman T (1996) Regulation of transcription by MAP kinases. Curr Opin Cell Biol 8:205…215
1.4
Onkogene und Protoonkogene B. Lscher, A. Nordheim
1 Funktion von Protoonkogenen Onkogene wurden erstmalig als retroviral kodierte Gene erkannt, die in Vgeln und Nagetieren nach Virusinfektion Tumoren erzeugen. Die retroviralen Onkogene konnten als Abkmmlinge normaler zellulrer Gene identifiziert werden, die in das Virusgenom in mutierter und dadurch aktivierter Form eingebaut worden waren (Bishop 1991). In funktioneller Analogie sind auch menschliche Onkogene als genetisch vernderte Abkmmlinge von normalen chromosomalen Genen (Protoonkogenen) einer Zelle definiert. Die berfhrung eines Protoonkogens in das korrespondierende Onkogen reprsentiert ein dominantes Mutationsereignis, das heit, das nichtmutierte zweite Allel kann den Phnotyp des aktivierten Allels nicht kompensieren. Diese dominante Mutation fhrt zur Synthese eines aktivierten Onkoproteins und reprsentiert somit eine „gain of function“-Mutation. Aktivierte Onkoproteine bewirken generell stimulatorische Effekte auf die zellulre Proliferation, indem sie den Zellzyklus aktivieren, die Differenzierung inhibieren oder die Apoptose blockieren, und tragen so zur Ausbildung des tumorigenen Phnotyps einer Zelle bei. Whrend der Transformation einer normalen Zelle in eine Tumorzelle findet man typischerweise eine Aktivierung von Onkogenen, kombiniert mit der Inaktivierung oder dem Verlust von Tumorsuppressorgenen (s.a. Kap.1.5) (Hunter 1997; Hanahan u. Weinberg 2000). In den letzten 25 Jahren wurden eine groe Zahl von Protoonkogenen bzw. Onkogenen identifiziert. Einige dieser Gene sind hufig und in sehr vielen unterschiedlichen Tumortypen aktiviert (z.B. Ras, Myc), whrend andere ein sehr restriktives Wirkspektrum aufweisen (z.B. PMLRARa). Die bekannten Onkoproteine lassen sich in die folgenden funktionellen Gruppen einteilen: Zellula¨re Signalu¨bertragung F F
F
Wachstumsfaktoren (z.B. PDGF, Wnt) Rezeptoren von Wachstumsfaktoren … Tyrosinkinaserezeptoren (z.B. ErbB, Her2/Neu, Met) … Zytokinrezeptoren (z.B. Mpl) Rezeptoren von membranstndigen Liganden (z.B. Notch, E-Cadherin)
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F
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Prinzipien der Tumorbiologie
Zytoplasmatische Signalbertragungsmolekle … Tyrosinkinasen (z.B. Abl, Src, Fyn) … Serin/Threoninkinasen (z.B. Bcr, Mos, Pim1) … Phosphatasen (z.B. PTEN) … Adaptorproteine (z.B. Bcl1, Crk) … Membranassoziierte G-Proteine (z.B. Ras) … Regulatoren von kleinen G-Proteinen (z.B. Dbl, Vav) Phospholipidderivate/„second messenger“ (z.B. PI3K, PTEN)
Gentranskription F F F F
Transkriptionsaktivatoren (z.B. Myc, Jun, Myb, Rel) Transkriptionsrepressoren (z.B. WT1, Evi1, PML-RARa) Kofaktoren (z.B. CBP, Bmi1, MLL) RNS-Polymerase-II-abhngige Transkription (z.B. VHL, ELL)
Proteinbiosynthese (z.B. EF-1a) Zellzyklus (z.B. Cyclin D, Cyclin E, CDK4) Apoptose (z.B. Bcl-2) Die hier gewhlte Gruppierung teilt die Protoonkoproteine nach funktionellen Kriterien ein. Die zusammengestellte Auswahl erweckt den Eindruck, da in Tumoren insbesondere Gene bzw. Proteine, die an der Signalbertragung und an der Genregulation beteiligt sind, in vernderter und aktivierter Form vorliegen wrden. In diesen beiden Gruppen sind tatschlich bis heute die meisten Protoonkoproteine gefunden worden. Dieses scheinbare bergewicht wird wenigstens teilweise durch die Rolle von Tumorsuppressorproteinen kompensiert, die eine wichtige Rolle z.B. in der Zellzykluskontrolle und in der Apoptose spielen (s.a. Kap. 1.5 und 1.6).
2 Autokrine Zellproliferationskontrolle Normale Zellen sind abhngig von Proliferationssignalen, die durch Wachstumsfaktoren vermittelt werden, um aus der Ruhephase (G0-Phase, s. Kap. 1.2) in den Zellzyklus eintreten zu knnen. Diese Signale werden ber die entsprechenden Rezeptoren in das Zellinnere weitergeleitet, in intrazellulren Signalnetzwerken prozessiert und schluendlich in modifiziertes Zellverhalten, wie z.B. Eintritt in den Zellzyklus und Proliferation, umgesetzt. Wachstumsfaktoren sind im allgemeinen limitierend, so da unter normalen physiologischen Bedingungen durch deren Aktivitt nur wenige Zellen aus der Ruhephase heraus stimuliert werden. Fr die exakte Kontrolle der Zellproliferation werden aber nicht nur positive, sondern auch negative Signale, die ebenfalls ber Rezeptoren vermittelt werden, genutzt. Das Zusammenspiel sowohl positiver wie negativer Signale ist von zentraler Bedeutung fr die Erhaltung der zellulren Homostase.
1.4
Onkogene und Protoonkogene
23
Im Gegensatz zu normalen Zellen sind Tumorzellen wenig oder nicht abhngig von exogenen Proliferationssignalen und hufig zustzlich resistent gegenber proliferationsinhibierenden Signalen. Die der Autonomie von Proliferationssignalen unterliegenden genetischen und epigenetischen Vernderungen sind fr die Entstehung von Tumorzellen mitentscheidend. Viele der oben erwhnten Onkoproteine, insbesondere die der zellulren Signalbertragung, Gentranskription und des Zellzyklus, erlauben es Tumorzellen unabhngig von Wachstumsfaktoren zu proliferieren. Die Inaktivierung von Proteinen, die an der Umsetzung inhibitorischer Signale und somit als Tumorsuppressoren wirken knnen, wird in Kapitel 1.5 besprochen.
3 Effektoren der Plasmamembran An der Plasmamembran wirksame aktivierte Onkogenprodukte schlieen sowohl extrazellulre Wachstumsfaktoren als auch membranstndige Rezeptoren von Wachstumsfaktoren ein (Abb. 1). Dabei werden Wachstumsfaktoren in den meisten Fllen durch ihre erhhte Produktion, was in deren hheren Verfgbarkeit resultiert, als tumorfrdernde Proteine aktiv. Whrend normale Zellen mit proliferationsstimulierenden Moleklen ber endokrine oder parakrine Mechanismen in Kontakt kommen, produzieren Tumorzellen in vielen Fllen eigene Wachstumsfaktoren, die autokrin wirken und damit zur Autonomie der Tumorzellen von exogenen Wachstumsfaktoren beitragen. So kann z.B. die Produktion von PDGF und TGFa und deren autokrine Wirkung auf die Proliferation in Glioblastomen und Sarkomen beobachtet werden. Membranrezeptoren, die als Liganden Wachstumsfaktoren haben und oft ber Tyrosinkinaseaktivitt verfgen, sind ebenfalls das Ziel von Vernderungen in Tumorzellen. Solche Rezeptoren sind hufig berexprimiert in Tumoren. berexpression von Rezeptoren kann dazu fhren, da Tumorzellen hyperresponsiv fr die entsprechenden Wachstumsfaktoren werden und deshalb bereits bei geringen Konzentrationen von Faktoren gengend Signale fr die Proliferation erhalten. Unter diesen Bedingungen proliferieren normale Zellen nicht. Die berexpression kann aufgrund der erhhten Wahrscheinlichkeit einer Rezeptordimerisierung aber auch zu einer ligandenunabhngigen Autoaktivierung der Rezeptorfunktion und als Resultat zur Stimulation der Proliferation fhren. Beispiele fr solche Vernderungen in Tumorzellen sind die berexpression von Rezeptoren fr den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) in Karzinomen der Brust oder des Magens. Eine dritte Mglichkeit, Rezeptoren zu aktivieren, beruht auf deren Mutation. Diese fhrt zu strukturellen Modifikationen der Rezeptormolekle, die in einer konstitutiven ligandenunabhngigen Aktivierung resultieren und somit kontinuierlich Proliferationssignale in die Zelle abgeben. Zustzlich
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Prinzipien der Tumorbiologie
Abb. 1. Signalu¨bertragungssysteme, die in Tumorzellen in vera¨nderter Form vorliegen. Eine Reihe von Signalu¨bertragungssystemen, die wa¨hrend der Entwicklung und in der Zellproliferationskontrolle wichtig sind, liegen in Tumorzellen in mutierter Form vor. Ein wichtiger Effekt dieser vera¨nderten Signalwege ist, daß das Genexpressionsmuster modifiziert und dadurch das Verhalten der Zellen dereguliert wird
werden Mutationen beobachtet, die die Rezeptoren insensitiv fr repressorische Signale machen. Dadurch werden negative Rckkopplungswege ausgeschaltet, und es kommt zu einer erhhten und verlngerten Rezeptoraktivierung. In all diesen Situationen wird eine erhhte und gegenber normalen Zellen fehlregulierte enzymatische Aktivitt der Tyrosinkinaseaktivitt der Rezeptoren beobachtet. Dies fhrt zu einer Fehlregulation intrazellulrer Signalbertragungskaskaden, die die Information der Signale, die die Zelle an ihrer Oberflche registriert, prozessiert und weiterleitet. In den letzten Jahren wurden verschiedene Nicht-Tyrosinkinaserezeptoren als Protoonkoproteine erkannt. Dazu gehren z.B. die Mitglieder der Notch-Familie. Diese Rezeptoren werden nach Aktivierung proteolytisch gespalten und der zytoplasmatische Teil kann in den Zellkern einwandern und dort die Genregulation beeinflussen. Aktivierte Notch-Rezeptoren zeigen Deletionen der extrazellulren Domne und scheinen dadurch konstitutiv aktiviert zu sein.
1.4
Onkogene und Protoonkogene
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Neben Rezeptoren, die lsliche Liganden erkennen, sind auch Rezeptoren, die Zell-Zell-Wechselwirkungen (z.B. E-Cadherin) und die Interaktion mit der extrazellulren Matrix (z.B. Integrine) vermitteln, fr Tumorzellen von Bedeutung. Diese Rezeptoren geben ebenfalls Signale in das Zellinnere weiter, die der Regulation von Zellverhalten wie Proliferation, aber auch Mobilitt dienen.
4 Effektoren des Zytoplasmas Aktivierte Rezeptoren bermitteln ihre Information an eine Vielzahl von zytoplasmatischen Signalbertragungsmoleklen. Die konstitutive Aktivierung oder Inaktivierung von Komponenten dieser Signalnetzwerke knnen, wie die Vernderungen an den Rezeptoren, zu konstitutiven Proliferationssignalen fhren. Entsprechend sind eine Reihe von onkogenen Mutationen von Effektoren des Zytoplasmas bekannt. Wie bei den onkogenen Rezeptoren bewirken diese Mutationen hufig eine Aktivierung der entsprechenden Proteine, fhren zu deren Insensitivitt gegenber regulatorischen oder inhibitorischen Faktoren oder resultieren in deren subzellulren Umverteilung. Diese Vernderungen bewirken die konstitutive Aktivierung von Moleklen, die weiter unterhalb in der Signalbertragungskaskade gelegen sind, und entkoppeln, zumindest teilweise, die entsprechenden Signalwege von regulatorischen Einflssen, die ber Rezeptoren in die entsprechende Zelle weitergeleitet werden. Durch Mutationen sind hufig entweder Ser/Thr- oder Tyr-abhngige Proteinkinasen oder im zytoplasmatischen Kompartiment membranassoziierte G-Proteine betroffen. Bei den Kinasen ist eine fehlregulierte enzymatische Aktivitt zu erkennen, wobei diese im allgemeinen aktiviert wird. Im Gegensatz dazu ist das Onkoprotein Ras durch Mutation in seiner enzymatischen Aktivitt als GTPase behindert. Hier ist das Gleichgewicht der beiden Zustandsformen Ras-GTP und Ras-GDP gestrt, so da nachgeschaltete Signalkaskaden inkorrekt aktiviert werden. Dies trifft vor allem fr die durch Ras regulierte Raf/MAPK-Kaskade zu, die wesentlichen Einflu auf die Stimulation der zellulren Proliferation nimmt. Mutationen von Ras sind die am hufigsten vorkommenden Mutationen eines einzelnen Onkogens.
5 Effektoren des Zellkerns Bei den durch onkogene Mutation vernderten Proteinen des Zellkerns handelt es sich primr um Regulatoren der Genaktivitt (s. oben). Die Analyse von nukleren Onkoproteinen hat zuerst zur Identifizierung von Transkriptionsfaktoren gefhrt, whrend in neueren Jahren transkriptionelle Repressoren und Kofaktoren ebenfalls als onkogene Proteine gefunden wer-
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Prinzipien der Tumorbiologie
den konnten. Fr die transkriptionellen Regulatoren wurden in den letzten Jahren zahlreiche Zielgene identifiziert, die Hinweise liefern, wie diese Faktoren das Zellverhalten steuern. Es zeigt sich, da viele dieser onkogenen Transkriptionsfaktoren in Tumorzellen berexprimiert werden und hufig nicht den normalen Mechanismen der Expressionskontrolle unterworfen sind. Dadurch werden diese Proteine zur falschen Zeit am falschen Ort gebildet und fhren folglich zu Zellverhaltensstrungen. So konnten z.B. fr das Protoonkoprotein c-Myc, das in der Mehrzahl menschlicher Tumoren dereguliert/berexprimiert wird, Zielgene definiert werden, die Funktionen von c-Myc unter anderem in der Zellzykluskontrolle, in der Angiogenese und in der Metastasierung postulieren (Lscher 2001). Interessanterweise finden sich unter den Genen, die mit Translokationen assoziiert sind, viele, die fr Regulatoren der Transkription kodieren. Dabei werden unter anderem Hybridproteine ausgebildet, das heit Molekle, die aus den Sequenzen von zwei unterschiedlichen Genen zusammengesetzt sind. So wird der von der Translokation t(15;17) in der akuten Promyelozytenleukmie hybride Transkriptionsfaktor PML-RARa exprimiert (Lin et al. 2001). Dieser ist unter physiologischen Bedingungen ein konstitutiver Repressor und verhindert dadurch das Anschalten retinsureregulierter Gene, was fr die Differenzierung normaler myeloider Zellen wichtig ist. Erst die pharmakologische Dosierung von Retinsure fhrt zur Umwandlung von PML-RARa in einen Aktivator und erlaubt damit Zelldifferenzierung. Dieses Prinzip wird therapeutisch angewendet. Die transkriptionellen Kofaktoren, die im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen gefunden worden sind, knnen alle der Klasse der chromatinmodulierenden Proteine zugeordnet werden (Neely u. Workman 2002). Diese Proteine beeinflussen die Struktur des Chromatins, d.h. der DNS, die durch die Wechselwirkung mit unterschiedlichen Proteinen verpackt und organisiert wird. Die kleinste Einheit des Chromatins ist das Nukleosom, das aus den Core-Histonen und ca. 150 Basenpaaren DNS gebildet wird. In den letzten Jahren wurde erkannt, da das Nukleosom Ziel vielfltiger regulatorischer Mechanismen ist, die letztendlich die Genexpression kontrollieren. Dabei spielen Proteine wie das CBP oder MLL eine wichtige Rolle, da sie die Struktur und Funktion von Nukleosomen verndern knnen. Die hier besprochenen Mechanismen beeinflussen die Initiation der Gentranskription. Der Vorgang der eigentlichen Transkription und hier insbesondere die Kontrolle der Elongation, d.h. des Fortschreitens der RNS-Polymerase auf der DNS-Matrize, ist ebenfalls Ziel genetischer Vernderungen in Tumoren (z.B. VHL, ELL). Hier ist allerdings nicht klar, wie Spezifitt fr einzelne Gene erzeugt und dadurch Zellverhalten reguliert wird. Neue Befunde fr das von-Hippel-Lindau-Protein (VHL) zeigen, da dieses Protein auch eine Untereinheit eines E3-Ubiquitin-Ligase-Komplexes ist. Solche
1.4
Onkogene und Protoonkogene
27
Komplexe sind fr den selektiven Proteinabbau in Zellen verantwortlich. ber diese Funktion reguliert der VHL-Komplex Gene, die fr die Adaptation an hypoxische Bedingungen, wie sie in Tumoren auftreten, wichtig sind.
6 Proteinbiosynthese, Zellzyklus und Apoptose In einer letzten Gruppe von Onkogenen sind die Molekle zusammengefat, die andere Bereiche zellulren Verhaltens beeinflussen. Die Signalbertragung, wie oben beschrieben, reguliert nicht nur die Expression von Genen, sondern eine Reihe anderer Aspekte, die fr das Zellverhalten wichtig sind. Proliferationssignale regulieren die Proteinbiosynthese ber die Regulation von Initiations- und Elongationsfaktoren (Dua et al. 2001). Dabei werden die Selektion der zu translatierenden mRNS-Molekle wie auch die Auswahl des Startkodons (die Sequenz, an der die Translation beginnt) beeinflut. Als Resultat wird das Proteinexpressionsmuster verndert, was wiederum das Zellverhalten beeinflussen kann. Proliferationssignale knnen in der Aktivierung des Zellzyklus resultieren. Es ist deshalb nicht unerwartet, da Komponenten des Zellzyklus ebenfalls onkogene Aktivitt besitzen knnen (Malumbres u. Barbacid 2001). Insbesondere kann in vielen Tumoren eine berexpression von Cyclinen beobachtet werden (s. Kap. 1.2). Dabei kommt es zu einer erhhten Aktivitt von Cyclin-abhngigen Kinasen, was eine Reduzierung der Sensitivitt gegenber Wachstumsfaktoren zur Folge hat. Zunehmende Bedeutung werden den Vernderungen in Genen, die die Apoptose kontrollieren, zugemessen (Johnstone et al. 2002). Eine Dysbalance zwischen Proliferation und Apoptose ist sehr hufig in Tumorzellen zu beobachten. Die Aktivierung von Onkogenen in normalen Zellen fhrt zu Apoptose. Es ist deshalb offensichtlich, da Tumorzellen, die im allgemeinen ber aktivierte Onkogene verfgen, die Apoptose negativ regulieren mssen. Ein klassisches Beispiel ist die Aktivierung von Bcl-2, einem antiapoptotischen Protein (s. Kap. 1.2). Durch die Inhibition der Apoptose knnen somit die Vernderungen, die zu einer unkontrollierten Proliferation fhren, erst erfolgen. Literatur Bishop JM (1991) Molecular themes in oncogenesis. Cell 64:235…248 Dua K, Williams TM, Beretta L (2001) Translational control of the proteome: relevance to cancer. Proteomics 1:1191…1199 Hanahan D, Weinberg RA (2000) The hallmarks of cancer. Cell 100:57…70 Hunter T (1997) Oncoprotein networks. Cell 88:333…346 Johnstone RW, Ruefli AA, Lowe SW (2002) Apoptosis: a link between cancer genetics and chemotherapy. Cell 108:153…164
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Prinzipien der Tumorbiologie
Lin RJ, Sternsdorf T, Tini M, Evans RM (2001) Transcriptional regulation in acute promyelocytic leukemia. Oncogene 20:7204…7215 Lscher B (2001) Function and regulation of the transcription factors of the Myc/ Max/Mad network. Gene 277:1…14 Malumbres M, Barbacid M (2001) To cycle or not to cycle: a critical decision in cancer. Nat Rev Cancer 1:222…231 Neely KE, Workman JL (2002) The complexity of chromatin remodeling and its links to cancer. Biochim Biophys Acta 1603:19…29
1.5
Tumorsuppressorgene
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A. Nordheim, B. Lscher In Zellfusionsexperimenten mit Tumorzellen und normalen Zellen wurde erkannt, da die erzeugten Hybridzellen die Fhigkeit zum Tumorwachstum aufgrund genetischer Information der einfusionierten Normalzelle verloren hatten. Diese Aktivitt der Normalzelle wurde als Tumorsuppressoraktivita¨t bezeichnet, eine Aktivitt, die offensichtlich der Tumorzelle durch einen genetischen Defekt abhanden gekommen war (zur bersicht: Sherr 2004). Die Tumorsuppressoraktivitt kann als „Bremse“ der Proliferation, d.h. des Zellzyklus, bezeichnet werden. Mutationen in Tumorsuppressorgenen sind im allgemeinen rezessiv, d.h., ein normales Allel ist ausreichend, die normale Funktion aufrechtzuerhalten (zur bersicht: Levine 1993). Erst ein zweites mutagenes Ereignis im 2. Allel desselben Gens fhrt zum Verlust der Tumorsuppressorfunktion („Loss-of-function-Mutationen“). Diese „Two-hit-Theorie“ wurde von Knudson (1971) am Fallbeispiel des Retinoblastoms entwickelt, das entweder mit einer vererbten Prdisposition assoziiert ist oder spontan in den Somazellen der Retina auftreten kann. Bei den familiren Retinoblastomen prdisponieren Keimbahnmutationen in einem Allel des Rb-Locus ein Individuum fr erhhtes Risiko zur AusTabelle 1. Tumorsuppressorgene in menschlichen Tumoren (Auswahl) Gen
Chromosom Locus
Tumor
Funktion
Rb
13q14
Retinoblastom Osteosarkom Blasenkarzinom Lungenkarzinom etc.
Regulator von Transkriptionsfaktoren (s. Abschn. 1)
p53
17p13
Osteosarkom Mammakarzinom Hirntumoren etc.
Transkriptionsfaktor (s. Abschn. 2)
WT-1
11p13
Wilms-Tumor Nephroblastom
Transkriptionsfaktor
NF-1
17q
Neurofibromatose (Typ 1)
GTPase aktivierend
NF-2
22q12
Neurofibromatose (Typ 2)
Membranorganisator
APC
5q21
Adenomato¨se Polypen Kolonkarzinom
Regulation von b-Catenin/LEF
DCC
18q21
Kolonkarzinom
Adha¨sionsprotein der Membran
30
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Prinzipien der Tumorbiologie
bildung eines Retinoblastoms oder eines Osteosarkoms. Die sptere Manifestation dieser Tumoren korreliert dann mit der Etablierung einer zustzlichen Mutation im 2. Rb-Allel. Bei der sporadischen Ausprgung des Retinoblastoms findet man statt dessen somatische Mutationen in beiden RbAllelen in den Tumorzellen der Retina; eine keimbahnbedingte genetische Vorbelastung existiert dann nicht. Das Produkt des Rb-Gens erfllt in der Regulation des Zellzyklus essentielle Funktionen, deren Verlust zu unkontrolliertem Zellwachstum fhrt. Die erste Mutation im Locus eines Tumorsuppressorgens fhrt zur genetischen Heterogenitt („heterogenicity“, abgekrzt H), die jedoch mit phnotypischer Unaufflligkeit aufgrund des rezessiven Charakters der Mutation verbunden ist. Die Mutation des 2. Allels in derselben Zelle fhrt zum Verlust der Heterogenitt („loss of heterogenicity“, abgekrzt LOH) und trgt zu ungehindertem Proliferationsverhalten, d.h. zur Tumorgenitt, bei. Eine Vielzahl von LOH unterschiedlicher Genloci wurde inzwischen in Tumorzellen verschiedenster Herkunft identifiziert und teilweise molekular charakterisiert (s. Tabelle 1). Betroffene Tumorsuppressorloci korrelieren sehr hufig mit charakteristischen Tumorarten. Die normale Funktion von Tumorsuppressorproteinen kann auer durch genetische Mutation auch durch virale Proteine transformierender Tumorviren gestrt werden (Levine 1993).
1 Retinoblastomaprotein pRB Untersuchungen der chromosomalen Aberrationen in Retinoblastomzellen sowie nachfolgende molekulare Klonierung des betroffenen 13q14-Locus fhrten zur Identifizierung des Rb-Gens (Friend et al. 1986). Das von diesem Locus kodierte Rb-Protein (pRB oder p108Rb) ist im Zellkern lokalisiert und erfllt eine wichtige Funktion in der Regulation von Genaktivitt im Verlauf des Zellzyklus. pRB interagiert direkt mit Transkriptionsfaktoren, z.B. E2F-Faktor, und kontrolliert somit deren Aktivitt in der Regulation zellzyklusabhngiger Genexpression (Harbour u. Dean 2000). pRB selbst wird durch posttranslationale Modifikationen reguliert und durchluft zyklische Phasen unterschiedlicher Phosphorylierung (s. Abb. 2 in Kap. 1.2). Diese Phosphorylierung von Rb wird durch cyclinabhngige Kinasen (CDK) durchgefhrt. Die Phosphorylierung von pRB bestimmt dessen Wechselwirkung mit Transkriptionsfaktoren. pRB nimmt somit Einflu auf die zeitliche Ausdehnung der G1-Phase des Zellzyklus und determiniert dadurch auch die Entscheidung des Eintritts in die S-Phase (s. Kap.1.2). In dieser Funktion bernimmt pRB eine wichtige Aufgabe als Kontrolleur des geordneten Ablaufs des Zellzyklus. Fehlfunktion von pRB trgt deshalb zur Entwicklung unkontrollierten Zellwachstums und damit zur Tumorentstehung bei.
1.5
Tumorsuppressorgene
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2 Tumorsuppressorprotein p53 Fehlfunktion des Tumorsuppressorproteins p53 ist der am hufigsten erkennbare molekulare Defekt in Tumorzellen. Bis zu 50% aller humanen Neoplasien zeigen Mutationen in dem p53-Genlocus (Nigro et al. 1990; Olivier et al. 2002). Keimbahnmutationen in diesem Locus stellen einen extrem schwerwiegenden Prdispositionsfaktor fr Tumoranflligkeit dar, wie eindeutig an den Beispielen des Li-Fraumeni-Syndroms oder einiger Gliome gezeigt wurde (Malkin 1994). Das p53-Protein ist multifunktionell (zur bersicht: Levine 1993, 1997; s. Tabelle 2), und es nimmt wesentlichen Einflu auf das Proliferationsverhalten von Zellen. Es ist in der Lage, die Progression des Zellzyklus dann zu stoppen, wenn DNS-Schdigungen im Genom der Zelle vorliegen. In dieser Funktion induziert p53 die transkriptionelle Stimulation eines Gens, dessen Genprodukt (der CDK-Inhibitor p21) als negativer Regulator der CDK-Kinasen und somit als temporrer Inhibitor der Zellzyklusprogression wirkt (Marx 1993). Erst nach erfolgter Reparatur dieser Schdigungen gestattet p53 den Eintritt dieser Zelle in die S-Phase des Zellzyklus und gewhrleistet dadurch, da sich im Genom keine potentiell gefhrlichen Mutationen manifestieren bzw. anreichern. Erfolgt keine angemessene Reparatur von DNS-Schden, so bewirkt p53 den Eintritt der Zelle in Apoptose und fhrt damit generell zur Elimination geschdigter Zellen. p53 erfllt somit eine Funktion als „Wchter der Genomintegritt“ und verhindert die Etablierung geschdigter Zellen mit potentiellen Mutationen in Loci von Onkogenen oder Tumorsuppressorgenen. In Tumorzellen finden sich meist erhhte Konzentrationen des p53-Proteins. Dabei handelt es sich jedoch um nichtfunktionelle Varianten, die die Tabelle 2. Zellbiologische Funktionen und biochemische Aktivita¨ten des p53-Proteins Zellbiologische Funktionen Suppressor des Zellwachstums Kontrolleur des G1/S-U¨berganges im Zellzyklus Funktion am G2/M-U¨bergang des Zellzyklus Initiator der Apoptose „Wa¨chter“ der Genomintegrita¨t * * * * *
Biochemische Aktivita¨ten Bindung an RNS sequenzspezifische Bindung an DNS Aktivierung der Transkription Repression der Transkription Regulation der DNS-Replikation Regulation von Bcl-2-Familienmitgliedern (durch Protein-Protein-Wechselwirkung an Mitochondrien) * * * * * *
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Prinzipien der Tumorbiologie
normale p53-Funktion der Eliminierung DNS-geschdigter Zellen nicht vermitteln und deshalb eine klonale Selektion der mutationsbeladenen Tumorzellen nicht verhindern knnen. Die molekularen Mechanismen der Wirkungsweise von p53 sind Inhalt intensivster Forschungsbemhungen, die auch mit der Hoffnung auf Entwicklung neuartiger Therapeutika zur Rekonstitution der Aktivitten von p53 verbunden sind. In der Erfllung seiner Funktion als „Wchter der Genomintegritt“ mu speziell die Fhigkeit von p53 zur spezifischen DNS-Bindung als besonders wichtig eingeschtzt werden, da die am hufigsten auftretenden Punktmutationen ausnahmslos die spezifische Erkennung von DNS beeintrchtigen (Friend 1994; Abb.1).
Abb. 1. Induktion von Apoptose durch p53 bei irreparablen DNS-Scha¨den
1.5
Tumorsuppressorgene
33
Literatur Friend S (1994) p53: A glimpse at the puppet behind the shadow play. Science 265:334…335 Friend SH, Bernards R, Rogelj S et al. (1986) A human DNA segment with properties of the gene that predisposes to retinoblastoma and osteosarcoma. Nature 323:643…646 Harbour JW, Dean DC (2000) The Rb/E2F pathway: expanding roles and emerging paradigms. Genes Dev 14:2393…2409 Knudson AG (1971) Mutation and cancer … statistical study of retinoblastoma. Proc Natl Acad Sci USA 68:820…823 Lane DP (1994) The regulation of p53 function: Steiner Award Lecture. Int J Cancer 57:623…627 Levine AJ (1993) The tumor suppressor genes. Ann Rev Biochem 62:623…651 Levine AJ (1997) p53, the cellular gatekeeper for growth and division. Cell 88:323…331 Malkin D (1994) Germ line p53 gene mutations and cancer … pandora‘s box or open sesame? J Natl Cancer Inst 86:326…328 Marx J (1993) How p53 suppresses cell growth. Science 262:1644…1645 Mowat MRA (1998) p53 in tumor progression: life, death, and everything. Adv Cancer Res 74:25…48 Nigro JM, Baker SJ, Preisinger AC et al. (1989) Mutations in the p53 gene occur in diverse human tumour types. Nature 342:705…708 Olivier M, Eales R, Hallstein M et al (2002) The IARC TP53 database: new online mutation analysis and recommendations to users. Hum Mutat 19:607…614 Sherr C (2004) Principles of tumor suppression Cell 116:235…246
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1.6
Genomintegrita¨t: DNS-Scha¨den und Mutatorgene B. Lscher, A. Nordheim
Mutationen im Genom einer Zelle sind erwiesenermaen Ursache fr die Entstehung von Tumorwachstum. Schdigungen der DNS treten mit kalkulierbarer Frequenz in normalen Zellen auf. Die DNS ist einer Vielzahl von Noxen ausgesetzt, die Lsionen erzeugen und, wenn diese nicht repariert werden, Mutationen zur Folge haben. Vier wichtige Ursachen fr solche Lsionen knnen benannt werden. Zum ersten sind Einflsse aus der Umgebung, wie die UV-Strahlung, ionisierende Strahlung und DNS-schdigende (genotoxische) Substanzen, zu nennen. Eine zweite Klasse von Substanzen sind die Produkte des normalen zellulren Metabolismus, wie z.B. Sauerstoffradikale, die die DNS angreifen und zu einer Vielzahl von Modifikationen fhren. Drittens sind einige chemische Bindungen innerhalb der DNS thermolabil und hydrolysieren spontan bei normaler Krpertemperatur. Dadurch knnen z.B. Basen verlorengehen, oder es kommt zur Deaminierung von Basen. Schluendlich treten Fehler bei der Replikation der DNS durch den Falscheinbau von Basen („mismatch“) oder das Einfgen oder Weglassen von Basen auf. Um zu verhindern, da diese Lsionen als Mutationen an die nchste Zellgeneration weitergegeben werden, existieren intrazellulre Reparaturmechanismen, die die Korrektur derartiger DNS-Schden gewhrleisten. Diese Reparatursysteme erkennen unterschiedliche Arten der DNS-Schdigung, und einige dieser Systeme sind in der Evolution hochkonserviert. Dies ist ein starker Hinweis auf die zentrale Bedeutung dieser Systeme fr die genetische Stabilitt von Zellen im allgemeinen. In Sugerzellen werden die folgenden Reparatursysteme unterschieden (Hoeijmakers 2001): F
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Kleine DNS-Schden, die einzelne Basen betreffen (z.B. Verlust einer Base oder Deaminierung), werden durch das „base excision repair“ (BER)-System repariert. DNS-Schdigungen, die grere Vernderungen von Basen bewirken (z.B. die Modifikation durch polyzyklische Aromaten oder die UVinduzierte Pyrimidindimerisierung), werden durch das „nucleotide excision repair“ (NER)-System korrigiert. Fehler der Replikation werden durch das „mismatch repair“(MMR)System repariert. Um grere DNS-Schdigungen und Doppelstrangbrche (DSB) zu reparieren, werden die homologe Rekombination und die Doppelstrangbruch-Reparatur („end joining or double strand break repair“) genutzt. Die Erhaltung der Telomere (Struktur, die die Enden von Chromosomen definiert und schtzt) durch die Telomerase oder durch Rekombination
1.6
Genomintegrita¨t: DNS-Scha¨den und Mutatorgene
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(ein Enzym mit Reverse-Transkriptase-Aktivitt) kann ebenfalls als eine Form der DNS-Reparatur bezeichnet werden. Fehlerhafte DNS-Reparatursysteme sind die Ursache einer erhhten Mutationsrate in Zellen und somit fr die Tumorentstehung von zentraler Bedeutung. Angeborene Defekte im NER-System sind z.B. assoziiert mit Xeroderma pigmentosum. Patienten mit dieser Krankheit zeigen eine dramatische Zunahme der Hautkrebsinzidenz aufgrund einer erhhten Sensitivitt auf UV-Strahlung. Auch die Inzidenz anderer Tumoren ist erhht. Im Gegensatz dazu sind fr das BER-System keine angeborenen Defizienzen bekannt, die die Tumorentstehung beeinflussen. Das MMR-System korrigiert Fehler der DNS-Replikation, wobei falsch gepaarte wie auch fehlende Basen erkannt werden. Letzteres wird beobachtet, wenn repetitive Dinukleotidsequenzen nicht vollstndig repliziert werden. Die Instabilitt solcher Sequenzen wird als „microsatellite instability“ bezeichnet, wie sie hufig in Tumorzellen gefunden wird. Die aus mehreren Komponenten bestehende Enzymatik des MMR-Systems ist besonders gut in einzelligen Organismen wie Bakterien und Hefen verstanden und ist grundstzlich in hheren Eukaryonten konserviert. Angeborene Mutationen in zwei Komponenten des MMR-Systems, hMLH1 und hMSH2, sind Ursache fr etwa die Hlfte aller erblichen Kolonkarzinome („hereditary nonpolyposis colon carcinoma“, HNPCC, oder auch LynchSyndrom) (Fodde et al. 2001). Zustzlich werden Mutationen in anderen Komponenten des MMR-Systems im HNPCC gefunden, was die zentrale Bedeutung dieses Reparatursystems fr diesen Tumortyp unterstreicht. Neben Tumoren des Kolons werden auch solche des Endometriums und der Ovarien beobachtet. Allerdings ist immer noch unklar, wieso Mutationen des MMR-Systems bevorzugt zu den hier erwhnten Tumoren fhren und kein breiteres Spektrum an Geweben betroffen ist. Die Mutation von Genen, die fr Komponenten des MMR-Systems kodieren, fhren zu einer Erhhung der Mutationsrate (deshalb der Begriff Mutatorgen) und damit zu einer erhhten Wahrscheinlichkeit der Aktivierung von Onkogenen und Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen, was unter anderem die schrittweise Entstehung („Mehrstufenmutation“) des transformierten Phnotyps einer malignen Tumorzelle erkrt. Eine Reihe von Noxen (z.B. ionisierende Strahlung, c-Strahlung, freie Radikale) fhren zu Doppelstrangbrchen, die den Verlust von genetischem Material zur Folge haben knnen (Khanna u. Jackson 2001). DSB aktivieren eine komplexe Abfolge von zellulren Reaktionen, die darauf abzielen, den Zellzyklus anzuhalten und Reparaturproteine an den Ort der Schdigung zu rekrutieren. Dabei spielen in der bermittlung der Schadensmeldung die ATM-Kinase und das p53-Tumorsuppressorprotein eine wichtige Rolle (s.a. Kap. 1.2). Mutationen in Genen, die an der Reparatur von DSB beteiligt
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Prinzipien der Tumorbiologie
sind, resultieren in Syndromen (z.B. Ataxia telangiectasia, bei dem das ATM-Gen mutiert ist), die neben einer erhhten Tumorrate eine Reihe weiterer Phnotypen zeigen. Auch Mutationen in Genen, die wahrscheinlich fr Komponenten der homologen Rekombination kodieren, wurden in Syndromen (z.B. Werner- und Bloom-Syndrom), die eine erhhte Tumorinzidenz zeigen, identifiziert. Insbesondere sind Mutationen in der RecQ-hnlichen Helicase in diesen Syndromen besonders hufig. Die DNS-Polymerasen knnen die Enden der Chromosomen nicht vollstndig replizieren. Da in somatischen Zellen die Telomerase nicht aktiv ist, werden die Telomere in jeder Zellteilung krzer. Es wird angenommen, da diese Verkrzung mit ein Faktor ist, der die Alterung von Zellen definiert. Der Verlust von Telomeren fhrt zu genetischer Instabilitt und Zelltod. Deshalb mssen Tumorzellen, um sich ein erhhtes Wachstumspotential zu sichern, Wege finden, die Telomere zu erhalten (Maser u. DePinho 2002). Dieses kann ber Rekombinationsprozesse geschehen oder ber die Reaktivierung der Telomeraseaktivitt, was in vielen Tumorzellen zu beobachten ist. Allerdings sind die Telomere im allgemeinen in Tumorzellen krzer als in den Zellen entsprechender Normalgewebe. Diese Verkrzung der Telomere erhht mglicherweise die genetische Instabilitt, so da chromosomale Vernderungen leichter entstehen knnen und damit zur genetischen Plastizitt beitragen, die fr die Entwicklung von Tumorzellen ntig ist. Zusammenfassend kann festgestellt werden, da Mutationen in DNS-Reparatursystemen zum Phnotyp der genetischen Instabilitt beitragen und damit eine wichtige Voraussetzung fr die Anhufung von Mutationen sind. Dadurch kommt vielen dieser mutierten Gene eine Mutatorfunktion zu, die die Entstehung und Entwicklung von Tumorzellen frdert.
Abb. 1. Zusammenfassung der unterschiedlichen Noxen und deren Effekte auf die DNS mit den entsprechenden DNS-Scha¨digungen und den Reparatursystemen, die diese Scha¨digungen reparieren
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Genomintegrita¨t: DNS-Scha¨den und Mutatorgene
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Literatur Fodde R, Smits R, Clevers H (2001) APC, signal transduction and genetic instability in colorectal cancer. Nat Rev Cancer 1:55-67 Hoeijmakers JH (2001) Genome maintenance mechanisms for preventing cancer. Nature 411:366…374 Khanna KK, Jackson SP (2001) DNA double-strand breaks: signaling, repair and the cancer connection. Nat Genet 27:247…254 Maser RS, DePinho RA (2002) Connecting chromosomes, crisis, and cancer. Science 297:565…569
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Virusa¨tiologie M. Drst
1 Viren und Krebs: historische Entwicklung Obwohl Viren als infektise Agenzien noch nicht bekannt waren, wurde bereits im neunzehnten Jahrhundert ber einen Zusammenhang zwischen Infektion (in Form von Promiskuitt) und der Entwicklung eines Zervixkarzinoms berichtet. Dem italienischen Arzt Rigoni-Stern war aufgefallen, da Jungfrauen und Nonnen im Vergleich zu anderen Frauen seltener an einem Zervixkarzinom erkrankten. In einem experimentellen Beitrag zur Geschwulstlehre gelang dem Dozenten Otto Lanz im Jahr 1899 die bertragung von Warzen von Mensch zu Mensch. Wenige Jahre spter folgte die erste zellfreie bertragung von Warzen in einem Selbstversuch. Vor etwa 70 Jahren beschrieb Shope eine Papillomatose bei amerikanischen Wildkaninchen, die sich auf das Hauskaninchen bertragen lie und dort Papillome hervorrief. Die wiederum konvertierten nach mehreren Tabelle 1. Menschliche Tumorviren und die damit verbundenen Tumorentita¨ten Virus
Virusfamilie
Humane Papillomviren (HPV) der High-riskGruppe, z.B. HPV16, 18, 31, 33 und 45
Papillomaviridae 8 kb, doppelstra¨ngige zirkula¨re DNS
Anogenitale Karzinome, z.T. auch Mundho¨hlenkarzinom
Hepatitis-B-Virus (HBV)
Hepadnaviridae
3,2 kb, partiell doppelstra¨ngige zirkula¨re DNS
Leberzellkarzinom
Hepatitis-C-Virus (HCV)
Flaviviridae
9,4 kb, einzelstra¨ngige lineare RNS
Leberzellkarzinom
Epstein-Barr-Virus
Herpesviridae
172 kb, doppelstra¨ngige Nasopharynxkarzinom, lineare DNS Burkitt-Lymphom, Bund T-Zell-Lymphome, Hodgkin-Lymphom
Humanes T-ZellLeuka¨mie-Virus-1 (HTLV-1)
Retroviridae
9 kb, einzelstra¨ngige lineare RNS
Humanes Herpesvirus 8 Herpesviridae (HHV-8), auch KaposiSarkom-assoziiertes Herpesvirus (HSHV)
Genomorganisation
Assoziierte Tumoren
Adulte T-Zell-Leuka¨mie
140 kb, doppelstra¨ngige Kaposi-Sarkom, PEL, lineare DNS Castleman-Syndrom
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Virusa¨tiologie
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Monaten hufig zu Plattenepithelkarzinomen. Auch beim Wildkaninchen traten solche Karzinome auf, wenn auch wesentlich seltener. Durch die systematischen Untersuchungen von Rous und Friedewald im Jahr 1944 wurde die karzinogene Wirkung dieser Viren eindrucksvoll belegt. Erst 1949 konnten Strauss und Kollegen Papillomviruspartikel elektronenmikroskopisch nachweisen. Es vergingen weitere 14 Jahre, bevor dieses Genom als doppelstrngiges DNS-Ringmolekl mit etwa 7800 Basenpaaren bestimmt war. Kurz davor konnte von Ito und Evan gezeigt werden, da allein die gereinigte DNS des Shopeschen Papillomvirus ausreichte, um bei Hauskaninchen Krebs zu erzeugen. Mit anderen Worten: Hier war bereits der frhe Nachweis erbracht, da das Erbgut eines Papillomvirus als solitres Karzinogen wirksam sein kann. Die Schwierigkeiten in den folgenden Jahren, auch beim Menschen krebserzeugende Viren zu finden, lieen das anfngliche Interesse an diesen Befunden rasch verblassen. Erst mit der Entwicklung der Molekularbiologie wurden in den 70er Jahren rasche Fortschritte gemacht. Inzwischen sind eine Reihe von Viren bekannt, die urschlich an der Entstehung verschiedener Tumorentitten des Menschen beteiligt sind (Tabelle 1).
2 Pra¨valenz und Epidemiologie Etwa 15…20% aller Karzinome sind virusinduziert (Klein 2002, zur Hausen 2002). Das Zervixkarzinom zhlt zu den hufigsten Krebserkrankungen des Menschen und nimmt heute weltweit bei Frauen (nach dem Mamma- und dem Kolonkarzinom) den dritten Platz ein. Insgesamt erkranken etwa 370 000 Frauen pro Jahr am Karzinom der Cervix uteri. In Deutschland wird die Zahl der Neuerkrankungen auf jhrlich 7000 geschtzt. Die Inzidenz ist in den Entwicklungslndern am hchsten. Die im Vergleich dazu niedrige Inzidenz in Lndern mit hohem soziokonomischem Status ist vor allem auf die von Papanicolaou und Traut entwickelte zytologische Vorsorgeuntersuchung zurckzufhren, durch die dysplastische Zellen aus Prkanzerosen nachgewiesen werden knnen. Zahlreiche epidemiologische und experimentelle Studien belegen, da die humanen Papillomviren (HPV) vom Typ 16 und 18 urschlich an der Entstehung des Zervixkarzinoms beteiligt sind (zur Hausen 2002). Mindestens 11 weitere HPV-Typen (31, 33, 35, 39, 45, 52, 56, 58, 59, 66 und 68) sind aufgrund ihrer phylogenetischen Verwandtschaft und ihrer Assoziation mit Zervixkarzinomen als sogenannte High-risk(HR)-HPV-Typen eingestuft worden. Am hufigsten sind Frauen zwischen 20 und 25 Jahren von HPV-Infektionen betroffen. Die kumulative Inzidenz betrgt bei jungen Frauen, die nach erstem Sexualkontakt ber einen Zeitraum von mehreren Jahren beobachtet wurden, bis zu 50%. Die mediane Infektionsdauer betrgt 8 Monate. In einer prospektiven Studie war bereits nach 12 bzw. 24 Monaten die Infektion bei 70 bzw.
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91% der Frauen nicht mehr nachweisbar. Besteht eine HPV-Infektion ber mehrere Jahre, erhht sich das Risiko fr die Entwicklung einer schwergradigen Prkanzerose (CIN3). Es wird geschtzt, da ber 12% der CIN3 zum invasiven Karzinom progredieren. Somit entwickeln etwa 2% der mit HRHPV infizierten Frauen ein Zervixkarzinom. Der berwiegende Anteil (> 80%) der hepatozellulren Karzinome (HCC) ist auf eine Infektion mit Hepatitis-B-Viren (HBV) oder Hepatitis-C-Viren (HCV) zurckzufhren. Chronisch infizierte Personen zeigen im Vergleich zu nichtinfizierten ein etwa 100fach hheres Risiko, an einem Tumor zu erkranken. Epidemiologisch gesichert ist auch die kausale Rolle des Epstein-Barr-Virus (EBV) bei der Entstehung von Burkitt-Lymphomen, die endemisch in ˜quatorialafrika auftreten. Ebenfalls von klinischer Bedeutung sind EBV-induzierte B-Zell-Lymphome in immunsupprimierten Individuen, wie z.B. Transplantationspatienten oder HIV-infizierte Personen. Des weiteren werden T-Zell-Lymphome, Hodgkin-Lymphome und Nasopharynxkarzinome mit EBV-Infektionen in Verbindung gebracht. Letzteres ist ein Plattenepithelkarzinom mit der hchsten Inzidenz im sdstlichen Teil Chinas. Das humane T-Zell-Leukmie-Virus 1 (HTLV-1) ist ein weiteres Beispiel eines lymphotropen Virus. Hier kann eine Infektion die Transformation von CD4+-T-Zellen zur Folge haben. Endemiegebiete sind in Japan und der Karibik zu finden. Neu auf der Liste der menschlichen Tumorviren ist das humane Herpesvirus 8 (HHV-8). Dieses Virus trgt zur Entstehung von Kaposi-Sarkomen bei, dem hufigsten Malignom bei AIDSPatienten. Alle virusinduzierten Tumoren enthalten und exprimieren zumindest Teile des viralen Genoms. Da nur die wenigsten der Infizierten an Krebs erkranken und die Zeitspanne zwischen Infektion und der Entwicklung des Tumors in der Regel mehrere Jahre betrgt, ist es offensichtlich, da die Infektion zwar eine notwendige, aber allein nicht ausreichende Voraussetzung fr die Karzinogenese darstellt. Eine Vielzahl von genetischen und epigenetischen Vernderungen der Wirtszelle werden zustzlich bentigt. 2.1 Risikofaktoren Zahlreiche Risikofaktoren tragen zur Tumorentstehung bei. Hierbei mu unterschieden werden zwischen Kofaktoren, die die Virusinfektion und -replikation begnstigen (z.B. Anzahl Sexualpartner, Endemiegebiete), und unabhngigen Risikofaktoren (Ernhrung, Rauchen). Genetische Faktoren, die es dem Immunsystem nicht erlauben, eine Infektion effizient zu eliminieren, wie z.B. HLA-Haplotyp und -Expression oder ein krzlich identifizierter Nukleotidpolymorphismus im Bereich des Fas-Promotors, stellen mglicherweise ebenfalls wichtige Faktoren dar. Eine reduzierte Fas-Expression knnte das Potential einer Zelle, die Apoptose (program-
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Virusa¨tiologie
41
mierter Zelltod) zu durchlaufen, beeintrchtigen (s.u.). Ein weiteres Beispiel, wie sich ein Nukleotidpolymorphismus auf die Zelle auswirken kann, ist der beschleunigte Abbau von p53 (Arginin anstelle von Prolin bei Codon 72) in Gegenwart des Onkoproteins E6 von HPV16.
3 Molekulare Mechanismen der virusinduzierten Karzinogenese Normalerweise unterliegt die Zelle einer Vielzahl von fein aufeinander abgestimmten wachstumshemmenden und -stimulierenden Signalen. Eine Reihe von Kontrollpunkten whrend des Zellzyklus sichern den korrekten Ablauf der Zellteilung. Akute Vernderungen der Stoffwechsellage, DNSSchdigungen oder ein unvollstndig ausgebildeter Spindelapparat bewirken eine Arretierung des Zellzyklus. Dies ermglicht der Zelle, auf die vernderte Situation zu reagieren, indem zum Beispiel die DNS-Schden beseitigt werden und so die Integritt des Genoms wiederhergestellt ist oder da der Eintritt in die Mitose(M)-Phase erst erfolgt, wenn der Spindelapparat vollstndig und korrekt aufgebaut ist. Krebs beruht auf der Akkumulation von mehreren unabhngigen, in der Regel somatischen Mutationen von Genen, deren Produkte eine Vielzahl von solchen zellregulatorischen Kontrollmechanismen steuern. Die Folge der Mutationen sind phnotypische Vernderungen wie der Verlust der Kontakthemmung, deregulierte Proliferation, Strungen der Differenzierungsablufe, invasives Wachstum, Induktion der Angiogenese und die Fhigkeit zur Metastasierung. 3.1 Auswirkung viraler Onkoproteine auf die genetische Stabilita¨t der Zelle Auch bei der virusinduzierten Krebsentstehung sind zellulre genetische Vernderungen entscheidend. Diese werden unter anderem durch eine spezifische Komplexierung der viralen Onkoproteine mit den zellulren Proteinen p53 und pRB hervorgerufen. Letztere ben ihre Kontrollfunktion in der G1-Phase des Zellzyklus aus und tragen zur Entscheidung bei, ob eine Zelle sich teilt, in den Differenzierungsproze eingeht oder aufgrund von genetischen Vernderungen durch Apoptose entfernt wird. Eine Interaktion zwischen dem Onkoprotein E6 der HR-HPV-Typen und p53 fhrt zu einer ubiquitinabhngigen Proteolyse von p53. Die Funktion von p53 als „Wchter des Genoms“ wird dadurch stark beeintrchtigt (zur Hausen 2002). Auch das Genprodukt HBx des Hepatitis-B-Virus bindet p53 und bewirkt dadurch dessen funktionelle Inaktivierung. Obwohl HBx, bedingt durch die Integration der Virus-DNS in das Wirtszellgenom, im Tumor hufig verkrzt vorliegt, ist es immer noch in der Lage, eine p53-vermittelte Apoptose zu unterdrcken (Staib et al. 2003). Bei EBV und HHV-8 sind es die Proteine BZLF1 bzw. LANA, die die p53-gesteuerten Prozesse beeinflus-
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sen (Katano et al. 2002, Mauser et al. 2002). Im Gegensatz zu den DNS-Tumorviren ist fr HTLV-1 keine direkte Interaktion zwischen viralen Proteinen und p53 bekannt. Trotzdem liegt in HTLV-1-transformierten Zellen p53 funktionell inaktiviert vor. Dies wird erreicht, indem das Protein Tax eine konstitutive Phosphorylierung von p53 an den Serinresten -15 und -392 bewirkt (Pise-Masison et al. 2002). Krzlich konnte auch fr HCV eine funktionelle Verbindung zu p53 gezeigt werden. NS5A, ein nichtstrukturelles virales Protein, blockiert die Bindung von p53 an das entsprechende DNS-Motiv und hemmt dadurch die Transaktivierung von p53-regulierten Genen wie z.B. p21 (Qadri et al. 2002). Letzteres ist ein Inhibitor einer zellzyklusabhngigen Kinase und ermglicht eine Arretierung der Zelle in der G1/S-Phase. Ebenfalls im Detail untersucht ist die Interaktion der viralen Onkoproteine mit dem Tumorsuppressorgenprodukt pRB (zur Hausen 2002). So bindet zum Beispiel das E7-Protein der HR-HPV an pRB. Dies fhrt zu einer verstrkten Phosphorylierung von pRB und somit zu dessen Inaktivierung. Transkriptionsfaktoren der E2F-Familie werden dadurch freigesetzt und vermitteln die Transkription verschiedener Gene, deren Proteine an der DNS-Synthese und Progression des Zellzyklus beteiligt sind. Bedingt durch die funktionelle Inaktivierung von p53 und pRB knnen sich HPV-infizierte Zellen auch nach genotoxischem Stre ungehindert teilen. Dies begnstigt ein Anhufen von Mutationen, die eine maligne Progression vorantreibt. Bezglich einer direkten Interaktion eines Onkoproteins mit pRB bildet HR-HPV-E7 bei den hier diskutierten Tumorviren eine Ausnahme. Die gleiche Auswirkung kann jedoch auch indirekt erzielt werden. Dies wird am Beispiel von Tax, das mit der zyklinabhngigen Kinase 4 (CDK4) interagiert und dadurch eine Phosphorylierung von pRb stimuliert, verdeutlicht (Haller et al. 2002). Eine konstitutive Expression der viralen Onkogene ist eine Voraussetzung fr die Tumorentstehung. Im Falle einer HPV-Infektion wird dies hufig durch die Integration des normalerweise episomal persistierenden viralen Genoms ermglicht. Infolge der Umstrukturierung und Deletion wird die viruseigene negative Regulation der Onkogene durch das virale E2-Protein ausgeschaltet. Des weiteren knnen auch Positionseffekte im Chromatin und/oder das Ausschalten zellulrer regulatorischer Faktoren eine berexpression der Gene E6 und E7 bewirken. Die krebsinduzierende Wirkung von Tumorviren lt sich jedoch durch eine funktionelle Inaktivierung von p53 und pRB nicht vollstndig erklren (zur Hausen 2002). So kann z.B. ein mutiertes E6-Protein, das nicht in der Lage ist, p53 zu binden, zur Zelltransformation beitragen. Inzwischen sind mehrere Interaktionen zwischen dem E6-Protein der HR-HPV-Typen und zellulren Proteinen identifiziert worden, die zu einer p53-unabhngigen Transformation beitragen knnten. Ebenfalls konnte gezeigt werden, da ein mutiertes HPV16-E7-Protein zur Immortalisierung von primren Kera-
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Virusa¨tiologie
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tinozyten beitragen kann, obwohl es seine Bindungsaffinitt zu pRB verloren hat. Bercksichtigt werden sollte auch die Tatsache, da das E7-Protein mit einer Reihe anderer zellregulatorischer Proteine, wie z.B. dem mit pRB verwandten p107 und p130, in Wechselwirkungen treten kann. Darber hinaus konnte gezeigt werden, da Fehler bei der Duplikation von Zentrosomen durch das E7-Protein induziert werden. Auch die in Tumoren hufig beobachtete Telomeraseaktivitt, die eine stete Verkrzung der Chromosomenden (Telomere) nach jeder Mitose verhindert, kann in telomerasenegativen Zellen durch das Einbringen des E6-Onkogens aktiviert werden. In analoger Weise sind auch fr die anderen Tumorviren eine Vielzahl von Proteininteraktionen beschrieben, die eine genetische Instabilitt der Zelle bewirken. 3.2 Chromosomale Aberrationen Aus Zellkulturexperimenten geht hervor, da HPV-transfizierte menschliche primre Keratinozyten bereits nach wenigen Zellteilungen chromosomale Vernderungen aufweisen. Charakteristische Vernderungen in Form von DNS-Verlust oder -zugewinn konnten mit Hilfe einer vergleichenden chromosomalen Hybridisierung (CGH) identifiziert werden (PoignØe et al. 2001). Weiterfhrende funktionelle Analysen besttigten, da Genverluste auf Chromosom 4q und 10p fr die Immortalisierung dieser Zellen bedeutsam sind (Solinas-Toldo et al. 1997). Da auch in zervikalen Prkanzerosen Chromosom 4q hufig von Allelverlust (LOH) betroffen ist, kann davon ausgegangen werden, da in dieser Region ein oder mehrere Tumorsuppressorgene lokalisiert sind. Auch in Leberzirrhosen ist Chromosom 4q hufig unterreprsentiert. Weitere chromosomale Vernderungen zu einem frhen Zeitpunkt der Leberkarzinogenese sind Allelverluste der Chromosomen 1p, 6q und 8p (Feitelson et al. 2002). Bei allen virusinduzierten Tumoren kommen im Verlauf der Progression zahlreiche weitere chromosomale Aberrationen hinzu. Amplifikationen scheinen aber im Vergleich zu LOH eine untergeordnete Rolle zu spielen. Beim Burkitt-Lymphom ist eine spezifische chromosomale Translokation beschrieben, die das c-myc-Protoonkogen auf Chromosom 8 in die Nhe der Immunglobulingene bringt. Dadurch kommt es zu einer deregulierten und konstitutiven Expression dieses proliferationassoziierten Gens.
4 Pra¨vention Da die Virusinfektion als solches einen essentiellen Schritt in der Karzinogenese darstellt, wre eine prophylaktische Impfung eine geeignete Manahme, um die Tumorinzidenz zu reduzieren. In der Tat zeigt die systematische Immunisierung von neugeborenen Kindern in Taiwan gegen HBV
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erste mebare Erfolge (Chang et al. 1997). Ein prophylaktischer Impfstoff gegen HPV16 ist ebenfalls kurz vor der Zulassung. Als effektive Manahme fr die Tumorprvention hat sich auch der Pap-Test durchgesetzt, mit dessen Hilfe HPV-induzierte Prkanzerosen rechtzeitig erkannt werden knnen. Eine Reihe von innovativen Anstzen zielen auf eine funktionelle Inaktivierung viraler Onkoproteine, die ein Merkmal fr alle virusinduzierten Tumorzellen darstellen. Vielversprechend ist die durch Peptidaptamere oder siRNS spezifische Repression viraler Onkogene, wie z.B. E6 von HPV oder LMP1 von EBV (Hoppe-Seyler und Butz 2000). Dadurch wird die Empfindlichkeit der Zelle gegenber Apoptose stark erhht. Eine weitere Strategie, Tumoren bzw. Prkanzerosen zu bekmpfen, sind immuntherapeutische Verfahren, mit denen unter anderem zytotoxische T-Zellen aktiviert werden, die gegen Tumorzellen gerichtet sind, auf deren Oberflche virusspezifische Peptide prsentiert werden (Kaufmann et al. 2002). Literatur Chang MH, Chen CJ, Lai MS et al (1997) Universal hepatitis B vaccination in Taiwan and the incidence of hepatocellular carcinoma in children. Taiwan Childhood Hepatoma Study Group. N Engl J Med 336:1855…1859 Feitelson MA, Sun B, Satiroglu TN et al (2002) Genetic mechanisms of hepatocarcinogenesis. Oncogene 21:2593…2604 Haller K, Wu Y, Derow E et al (2002) Physical interaction of human T-cell leukemia virus type 1 Tax with cyclin-dependent kinase 4 stimulates the phosphorylation of retinoblastoma protein. Mol Cell Biol 22:3327…3338 Hoppe-Seyler F, Butz K (2000) Peptide aptamers: powerful new tools for molecular medicine. J Mol Med 78:426…430 Katano H, Sato Y, Sata T (2002) Expression of p53 and human herpesvirus-8 (HHV8)-encoded latency-associated nuclear antigen with inhibition of apoptosis in HHV-8-associated malignancies. Cancer 92:3076…3084 Kaufmann AM, Stern PL, Rankin EM et al (2002) Safety and immunogenicity of TA-HPV, a recombinant vaccinia virus expressing modified human papillomavirus HPV-16 and HPV-18 E6 and E7 genes, in women with progressive cervical cancer. Clin Cancer Res 8:3676…3685 Klein G (2002) Perspectives in studies of human tumor viruses. Front Biosci 7:d268… d274 Mauser A, Saito S, Appella E et al (2002) The Epstein-Barr virus immediate-early protein BZLF1 regulates p53 function through multiple mechanisms. J Virol 76:12503…12512 Pise-Masison CA, Mahieux R, Radonovich M et al. (2001) Insights into the molecular mechanism of p53 inhibition by HTLV type 1 Tax. AIDS Res Hum Retroviruses 16:1669…1675 PoignØe M, Backsch C, Beer K et al (2001) Evidence for a putative senescence gene locus within the chromosomal region 10p14-p15. Cancer Res 61:7118…7121
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Virusa¨tiologie
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Qadri I, Iwahashi M, Simon F (2002) Hepatitis C virus NS5A protein binds TBP and p53, inhibiting their DNA binding and p53 interactions with TBP and ERCC3. Biochim Biophys Acta 1592:193…204 Solinas-Toldo S, Drst M, Lichter P (1997) Specific chromosomal imbalances in human papillomavirustransfected cells during progression toward immortality. Proc Natl Acad Sci USA 94:3854…3859 Staib F, Hussain SP, Hofseth LJ et al (2003) TP53 and liver carcinogenesis s. Hum Mutat 21:201…2l6 zur Hausen H (2002) Papillomaviruses and cancer: from basic studies to clinical application. Nat Rev Cancer 2:342…350
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Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen D. Haase, C. Fonatsch
1 Technik der Chromosomenanalyse 1.1 Metaphasentechnik Die Chromosomenanalyse erfordert eine gengende Anzahl gut gespreiteter und gebnderter Metaphasen. Fr die Erstellung eines verllichen Befundes wird entsprechend internationalem Konsens die komplette Analyse von mindestens 20…25 Metaphasen gefordert. Bei Leukmien sollte wenn mglich stets Knochenmark, zustzlich auch peripheres Blut untersucht werden; bei problematischen Fllen (z.B. Punctio sicca) kann auch peripheres Blut allein einer Chromosomenanalyse zugefhrt werden, sofern mit gengend teilungsfhigen Zellen (Blasten) im peripheren Blut gerechnet werden kann. Eine Untersuchung nach adquatem (steril, bruchsicher verpackt) Versand des Materials auf dem Postweg (max. 24 h) ist mglich. Maligne Lymphome und solide Tumoren hingegen knnen in der Regel nur direkt nach Entnahme erfolgreich analysiert werden. Erfahrungsgem lt sich bei ihnen eine Chromosomenanalyse aus Versandmaterial meist nicht durchfhren. Lymphome und solide Tumoren bedrfen einer intensiven mechanischen Zerkleinerung. Eine Vorbehandlung mit Kollagenase wird von vielen Arbeitsgruppen bevorzugt. Pro Milliliter Kulturmedium werden 1…2 Mio teilungsfhiger Zellen bei 37 C ber bis zu 72 h kultiviert. Bei Leukmien sind Kulturen ber Nacht (16…24 h) am ergiebigsten. Solide Tumoren und Lymphome bedrfen hufig lngerer Kultivierungszeiten, die bis zu mehrere Tage betragen knnen. Myeloische Zellen lassen sich sehr effizient mit Zytokinen wie G-CSF (Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor), GM-CSF (Granulozyten- und Makrophagen-Kolonien-stimulierender Faktor), IL-3 (Interleukin-3), SCF (Stammzellfaktor) oder mit Cocktails dieser Faktoren stimulieren. T-Zell-Neoplasien (hierbei in erster Linie T-Helferzellen) knnen durch Zusatz von PHA (Phytohmagglutinin), B-Zell-Neoplasien durch Pokeweed-Mitogen, Lipopolysaccharide oder Epstein-BarrVirus stimuliert werden. Lymphokine wie IL-2 bei T-Zellen und IL-7 bei B-Zellen lassen sich ebenfalls zur gezielten Stimulation einsetzen. Eine halbe bis 2 h vor Beendigung der Kultur werden die Mitosen durch Zugabe von Colcemid in der Metaphase arretiert. Der darauf folgende hypotone Schock mit einer hypoosmolaren KCl-Lsung bewirkt ein Anschwellen der Zellen. Nach Fixierung mit einer Essigsure-/˜thanollsung wird das Material auf Objekttrger getropft. Der mechanische Reiz bewirkt
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
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ein Platzen der Zellmembran und eine Freisetzung der kondensierten Chromosomen, die sich in Form einer Metaphasenplatte auf dem Objekttrger anordnen. Die Chromosomen knnen nun gebndert und gefrbt werden. Bei einem anderen Verfahren, der sogenannten Hypermetaphasen-Technik, wird das Colcemid ber 12…20 h einwirken gelassen. Auf diese Weise lt sich eine hhere Metaphasenausbeute erreichen. 1.2 Prophasentechnik Ein spezielles Verfahren, um besonders diffizile chromosomale Strukturanomalien, wie z.B. sehr kleine Deletionen, zu erfassen, ist die Prophasentechnik. Whrend mit der Metaphasentechnik meist nur ca. 300…450 Banden pro haploidem Chromosomensatz nachgewiesen werden knnen, ermglicht die Prophasentechnik durch Zugabe von Amethopterin und Thymidin sowie durch kurze Colcemid-Zeiten eine Differenzierung von bis zu 1000 Banden (Yunis 1981). 1.3 Ba¨nderungstechniken 1970 fhrten Caspersson und Zech die erste Bnderungstechnik, die Q-Bnderung, ein. Dabei werden die Objekttrger mit Quinacrin, einer fluoreszierenden Substanz, berschichtet, was zu charakteristischen, stark fluoreszierenden positiven und blassen, negativen Banden fhrt. Somit war es erstmals mglich, jedes Chromosom durch sein individuelles ,,Ba¨nderungsmuster" genau zu charakterisieren und zu identifizieren. Auch Strukturanomalien knnen aufgrund fehlender, zustzlicher oder vernderter Banden bestimmt werden. Bei G-Banden entsteht durch die Einwirkung von z.B. Trypsin oder SSC-Puffer ein den Q-Banden vergleichbares Muster von hellen und dunklen Zonen auf den Chromosomen, die durch die sich anschlieende Giemsa-Frbung zur Darstellung kommen. R-Banden, durch Hitzedenaturierung oder die fluoreszierende Substanz Acridinorange erzeugt, ergeben ein umgekehrtes Muster wie die Q- oder G-Banden. C-Banden markieren die Zentromer-Region, T-Banden die terminalen Anteile der Chromosomen. Im Regelfall gengt es, entweder die Q-, G- oder R-Bandentechnik durchzufhren. C- und T-Banden sind besonderen Fragestellungen vorbehalten. 1.4 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) In den letzten 10 Jahren wurde die Methode der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung durch ihre technische Optimierung und Etablierung fr die Diagnostik bei bestimmten Entitten zu einem wichtigen ergnzenden Bestandteil des diagnostischen Instrumentariums bei malignen Neoplasien. Wie fr die Chromosomenbandenanalyse gilt jedoch auch fr FISH-Unter-
1
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Prinzipien der Tumorbiologie
suchungen, da fr die Durchfhrung und Interpretation der Analysen ein hohes Ma an Kompetenz und Erfahrung zu fordern ist und labortechnische Qualittsstandards einzuhalten sind. 1.4.1 Technik
Bei der In-situ-Hybridisierung nutzt man die spezifische Bindung einer DNS-Sonde an komplementre DNS-Sequenzen innerhalb des Untersuchungsmaterials. Hierbei werden die DNS des Untersuchungsmaterials und die der Sonde, die doppelstrngig vorliegen, durch Erhitzen in Formamidlsung denaturiert und auf diese Weise in einzelstrngige Konformation gebracht. Whrend der anschlieenden Hybridisierung binden die komplementren Ziel- und Sondensequenzen aneinander und bilden einen neuen Doppelstrang. Um die gesuchten Sequenzen nachweisen zu knnen, werden die Sonden entweder direkt durch Kopplung an Fluoreszenzfarbstoffe oder indirekt durch Bindung an Reportermolekle (z.B. Biotin), die wiederum an ein zweites Fluoreszenz-gekoppeltes Molekl binden (z.B. Avidin), markiert. Verschiedene Verfahren ermglichen die Verstrkung des Fluoreszenzsignales durch Verwendung von speziellen Antikrpern („SandwichVerfahren“) gegen Reportermolekle oder Fluorochrome (Pinkel et al. 1986). Prinzipiell lassen sich numerische Anomalien durch Verwendung von zentromerspezifischen Sonden und Strukturanomalien durch Einsatz von Bruchpunkt-berspannenden oder Bruchpunkt-nahen Sonden erfassen. Deletionen lassen sich mittels Sonden nachweisen, die innerhalb des sog. „kritischen Bereiches“ (kleinster gemeinsamer, stets bei einer zytogenetischen Entitt deletierter Bereich auf einem Chromosom) binden. Derzeit stehen bereits eine Reihe von verllichen Sonden fr die Analyse bei bestimmten Entitten zur Verfgung (Tabelle 1). Komplette Chromosomen knnen durch Chromosomen-spezifische DNS-Bibliotheken selektiv dargestellt werden („chromosome painting“). Dieses Verfahren ist besonders geeignet, um in Metaphasen die Zusammensetzung unklarer Markerchromosomen, wie sie hufig im Rahmen komplexer Chromosomenanomalien auftreten, aufzuschlsseln. Bei der vergleichenden Genomhybridisierung (CGH) wird die gesamte genomische DNS der zu analysierenden malignen Zellpopulation mit einem Fluorochrom markiert und nach Mischung mit DNS normaler Zellen (Kontroll-DNS), die mit einem anderen Fluorochrom versehen wurde, auf Metaphasen eines gesunden Spenders hybridisiert („reverse painting“). Sind im zu untersuchenden Material bestimmte Chromosomenbereiche beroder unterreprsentiert, so zeigen sich auf den korrespondierenden Bereichen der normalen Chromosomen divergent angefrbte Areale, die bei Unterreprsentanz die Fluoreszenz des normalen Chromosomensatzes auf-
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
49
weisen und bei berreprsentanz die des zu untersuchenden Materials. Auf den Arealen mit gleicher chromosomaler Zusammensetzung entsteht eine Mischfarbe (Kallioniemi et al. 1992). Fr eine zuverlssige Quantifizierung der unterschiedlichen Fluoreszenzsignale bedarf es spezieller Computerprogramme. Eine Standardisierung liegt bisher noch nicht vor. Konkrete Indikationen fr den Einsatz der CGH sind bisher nicht etabliert; diese Methode drfte jedoch besonders fr die genetische Analyse Tabelle 1. Klinisch-relevante Sonden fu¨r die FISH-Analytik Chromosomenanomalie
Erkrankung
Sonde/Gen (chromosomale Lokalisation)
Nachweis
Trisomie 8
AML, MDS
cen # 8, alphoid
Signalanzahl
Monosomie 7
cen # 7, alphoid
Signalanzahl
Trisomie 12
CLL
cen # 12, alphoid
Signalanzahl
Deletion 5q
AML, MDS
Locus-spezifisch (5q31)
Signalanzahl
Deletion 13q
CLL, Multiples Myelom (AML, MDS)
RB (13q14)
Signalanzahl
Deletion 17p
AML, MDS, CML in Blastenkrise, Multiples Myelom
P53 (17p13.1)
Signalanzahl
t(8;21)(q22;q22)
AML M1+M2
ETO (8q22) AML1 (21q22)
Fusionssignal/ Kolokalisation/ Signalsplitting
t(9;22)(q34;q11)
CML, ALL
ABL (9q34) BCR (22q11)
Fusionssignal/ Kolokalisation
t(14;18)(q32;q21)
Follikula¨re NHL
IGH (14q32)
Signalsplitting
t(14;varia)(q32;varia)
Multiples Myelom
IGH (14q32)
Signalsplitting
t(8;14)(q24;q32)
Burkitt-NHL, Burkitt-Type ALL, sekunda¨r hochmaligne NHL
CMYC (8q24) IGH (14q32)
Signalsplitting/ Kolokalisation
t(11;14)(q13;q32)
Mantelzell-NHL
CYCLIN D1 (11q13)
Signalsplitting
t(15;17)(q22;q11)
AML M3+M3V
PML (15q22) RARA (17q11)
Fusionssignal/ Kolokalisation
inv(16)(p13q22)
AML M4eo
MYH 11 (16p13) CBFb (16q22)
Signalsplitting/ Kolokalisation
cen = zentromernahe Sonde, # = Chromosom ..., RB = Retinoblastomgen-Locus, P53 = P53-Suppressorgen-Locus, IGH = Immunglobulin-Schwerkettengen-Locus, varia = variable Translokationspartner.
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Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 2. Vergleich zytogenetischer Methoden Methode
Vorteile
Klassische Zytogenetik
* * *
FISH
*
* *
CGH
*
*
*
Nachteile
Erfassung des kompletten Karyotyps Erfassung von Subklonen Erfassung von im Verlauf neu auftretenden Anomalien
*
Analyse von nicht-teilungsfa¨higen Zellen (Interphase-Kernen) Keine Kultivierung erforderlich Geringe Materialmengen erforderlich
*
Analyse von nicht-teilungsfa¨higen Zellen Bei Kombination mit PCR Analyse kleinster Zellpopulationen mo¨glich Kenntnis der genetisch vera¨nderten Bereiche nicht notwendig
*
*
*
*
* *
Kultivierungsaufwand Analyse auf teilungsfa¨hige Zellen beschra¨nkt Relativ viel Untersuchungsmaterial erforderlich Limitierung der Aussage auf die eingesetzte Sonde Subklone und Vera¨nderungen im Verlauf werden nicht erfaßt Balancierte Anomalien werden nicht erfaßt Kleinere Subklone werden nicht erfaßt Kleinere Deletionen oder Duplikationen werden nicht erfaßt (Mindestgro¨ße z.Zt. 10 Megabasenpaare)
solider Tumoren geeignet sein. Wie die klassische Zytogenetik und die konventionelle FISH-Analyse hat die CGH spezifische Vorteile, aber auch eindeutige Limitierungen (Tabelle 2). Die klassische Zytogenetik, FISH und in Zukunft wahrscheinlich auch die CGH sind einander ergnzende Methoden, fr die derzeit eindeutige Indikationen bestehen bzw. in Zukunft erarbeitet werden (Tabelle 3), die sich aus den Strken und Schwchen der jeweiligen Verfahren ergeben (Tabelle 2). Generell gilt, da bei gut proliferierenden Neoplasien die klassische Zytogenetik die Methode der Wahl ist, whrend bei Entitten Tabelle 3. Indikationen fu¨r klassische Zytogenetik, FISH, CGH und M-FISH
AML, ALL, MDS CML CLL Multiples Myelom NHL Solide Tumoren
Klassische Zytogenetik
FISH
CGH
M-FISH
+ + (+) (+) + +
(+) (+) + + (+) (+)
– – (+) – – (+)
(+) (+) + + (+)
+ = Methode der Wahl, (+) = Methode zweiter Wahl bzw. erga¨nzend oder im Verlauf sinnvoll, – = nicht sinnvoll bzw. noch nicht etabliert.
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
51
mit geringem Proliferationsindex die FISH-Analyse oder die CGH einen Zugewinn an Informationen bedeuten kann. Bei der Analyse vor allem von komplex aberranten Karyotypen haben sich FISH-Techniken, die alle 24 menschlichen Chromosomen durch verschiedene Farbmarkierung deutlich machen, bewhrt. Mit der Multicolour-FISH (M-FISH) und dem Spectral Karyotyping (SKY) werden folgende Ziele verfolgt: F F F
In einem Arbeitsgang werden smtliche Chromosomen-Rearrangements charakterisiert, es soll nach neuen tumorspezifischen Anomalien gefahndet werden, es knnen auf diesem Weg neue Zielregionen fr Genidentifizierungsstrategien gefunden werden.
Whrend mittels SKY und M-FISH kleine Deletionen, Duplikationen und parazentrische Inversionen nicht entdeckt werden knnen, ist die genauere Identifizierung komplexer Chromosomenstze, z.B. auch bei akuten myeloischen Leukmien, gelungen. Allerdings ist meist der zustzliche Einsatz der FISH mit spezifischen Sonden, z.B. Telomersonden, fr eine genauere Identifizierung und Verifizierung der Anomalien erforderlich. Als gewichtige Limitationen sind anzusehen, da manche balancierte Chromosomenanomalien als unbalanciert erscheinen, da kleinere Translokationspartner nicht nachweisbar sind. Eine Auflsung von Chromosomensegmenten unter 5 Megabasen ist nicht mglich. Kleine Marker aus hochrepetitiven heterochromatischen Sequenzen werden nicht dargestellt und somit bersehen. Da meist nur wenige Metaphasen analysiert werden, knnen kleine Subklone unentdeckt bleiben.
2 Nomenklatur Entsprechend internationalen Standardisierungsbemhungen wurde ein Nomenklatur-System entwickelt (ISCN 1985; Mitelman 1991), mit dem sich nahezu jeder aberrante Karyotyp reproduzierbar dokumentieren lt (Tabelle 4). Eine Anomalie gilt als klonal, wenn sie in mindestens 2 (Strukturanomalie oder Hinzugewinn eines Chromosoms) bzw. in mindestens 3 Metaphasen (Verlust eines Chromosoms) nachweisbar ist. Liegen 3 oder mehr unterschiedliche klonale Anomalien vor, spricht man von komplexen Chromosomenaberrationen. Der Proze der Akkumulation zytogenetischer Anomalien, ausgehend von einer primren klonalen Vernderung, wird als Karyotypevolution bezeichnet. Tabelle 4 sind einige relevante Beispiele fr die Verwendung des ISCN zu entnehmen.
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Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 4. Prinzipien des ISCN (International System for Chromosome Nomenclature) anhand von Beispielen Anomalie(n)
ISCN-Formel
Monosomie 7, weiblich
45,XX,–7
Trisomie 8, ma¨nnlich
47,XY,+8
Interstitielle Deletion eines Teiles des langen Armes eines Chromosoms 5 zwischen den Banden q13 und q33, weiblich
46,XX,del(5)(q13q33)
Reziproke Translokation zwischen dem langen Arm von Chromosom 8 in der Bande q22 und dem langen Arm von Chromosom 21 in der Bande q22, weiblich
46,XX,t(8;21)(q22;q22)
Perizentrische Inversion betreffend die Banden p13 (im kurzen Arm) und q22 (langer Arm) eines Chromosoms 16, zusa¨tzliche Trisomie 8, ma¨nnlich
47,XY,+8,inv(16)(p13q22)
46,XX,del(5)(q31q33)/ Ein Klon mit interstitieller Deletion im langen Arm von Chromosom 5 (s.o.), ein zweiter Subklon mit 5q– und zusa¨tzlicher 47,XX,idem,+21 [in diesem Fall liegt eine KaryotypTrisomie 21, weiblich evolution vor] Duplikation eines Teiles des langen Armes eines Chromosoms 1 zwischen den Banden q13 und q42, interstitielle Deletion im langen Arm eines Chromosoms 7 zwischen den Banden q22 und q34, Trisomie 11, Anlagerung von unbekanntem Material an den kurzen Arm von Chromosom 12 an die Bande p12, weiblich
47,XX,dupl(1)(q13q42), del(7)(q22q34),+11, add(12)(p12) [bei diesem Karyotyp liegen definitionsgema¨ß – 3 oder mehr Anomalien – komplexe Chromosomenvera¨nderungen vor]
3 Bedeutung der Chromosomenanalyse und Art der chromosomalen Aberrationen Bei den meisten malignen Erkrankungen des hmatopoetischen/lymphatischen Systems sowie den soliden Tumoren lassen sich chromosomale Anomalien nachweisen. Die Tatsache, da nicht bei allen Neoplasien der Nachweis von Chromosomenanomalien gelingt, kann einerseits technisch bedingt sein (geringe Proliferationsrate, geringe Gre des malignen Zellklons oder prferentielle Apoptose der malignen Zellen) oder ist darauf zurckzufhren, da submikroskopische Defekte (Punktmutationen, Mikrodeletionen, Amplifikationen u.a.) vorliegen, die nur mit molekulargenetischen Methoden detektierbar sind. Chromosomale Anomalien bei Neoplasien sind erworbene Aberrationen, die auf maligne Zellen beschrnkt und die dementsprechend in der kompletten Remission nicht mehr nachweisbar sind. Der Nachweis eines patho-
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
53
logischen Karyotyps in einem Gewebe ist jedoch nicht per se mit Malignitt gleichzusetzen. Es gibt mehr und mehr Beispiele benigner Tumoren mit erworbenen Chromosomenaberrationen (Meningiom, Lipom, Leiomyom), und sogar bei nicht-neoplastischen, lediglich hyperproliferativen Erkrankungen, wie Dupuytren-Kontraktur und Karpaltunnelsyndrom, wurden klonale Chromosomenanomalien beobachtet. Je nach Art der malignen Erkrankung kommen chromosomalen Aberrationen in unterschiedlichem Ausmae folgende Bedeutungen zu: F F F F F
Sie knnen diagnostisch hilfreich sein, ¨ tiologie der Erkrankung erlauben, Rckschlsse auf die A das Konzept der Klonalita¨t untersttzen, Wegbereiter fr weiterfu¨hrende molekulargenetische Untersuchungen sein und prognostische Bedeutung besitzen.
Es knnen numerische Anomalien vorliegen (z.B. eine Trisomie 8) oder strukturelle Vernderungen (z.B. Translokationen). Man unterscheidet ferner primre und sekundre chromosomale Anomalien: F
F
Prima¨re Anomalien stellen ein frhes Ereignis im Rahmen der malignen Transformation dar. Sie sind kausal eng mit der Initiierung der Erkrankung korreliert und finden sich hufig als alleinige Anomalien. Ein Beispiel hierfr ist die Translokation t(9;22) bei der CML, die ber die Bildung eines chimren BCR-ABL-Gens zur Expression eines Fusionstranskriptes mit onkogener Tyrosinkinaseaktivitt fhrt. Sekunda¨re Anomalien treten erst spter im Krankheitsverlauf auf, ihnen kommt keine auslsende Bedeutung zu. Vielmehr sind diese Vernderungen bedeutsam fr die Progression bzw. Metastasierung der Erkrankung. Ein Beispiel hierfr sind Anomalien des kurzen Armes von Chromosom 17 im Bereich der Bande p13, die zum Verlust des Tumorsuppressorgens P53 fhren.
Diese Anomalien treten auf bei der CML in Blastenkrise, sekundren MDS, AML, NHL sowie vielen soliden Tumoren, z.B. gastrointestinalen Malignomen. Nach wie vor ungeklrt ist die prinzipielle Frage, ob die Progression einer malignen Erkrankung korreliert ist mit distinkten genetischen Vernderungen oder mit der reinen Akkumulation genetischer Defekte. Man unterscheidet schlielich spezifische Aberrationen, z.B. die Translokation t(15;17) bei der Promyelozytenleukmie (AML M3 und M3v), charakteristische Anomalien, z.B. 5q… bei Myelodysplasien und unspezifische Anomalien, z.B. +8 bei der AML.
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54
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Prinzipien der Tumorbiologie
4 Chronische myeloische Leuka¨mie (CML) Die CML ist eine neoplastische Stammzellerkrankung des hmatopoetischen Systems. Es kommt zu einer Akkumulation unreifer myeloischer Zellen im Knochenmark mit allerdings zunchst partiell noch erhaltener Ausreifung und zu einer Ausschwemmung der Zellen ins periphere Blut. In der Regel verluft die Erkrankung zunchst ber 3 bis 5 Jahre chronisch. Bei den meisten Patienten kommt es nach einer sog. akzelerierten Phase zum bergang in eine akute Phase, die Blastenkrise, in der die meisten Patienten versterben. Das von Nowell und Hungerford 1960 entdeckte Philadelphia-Chromosom (Ph) stellte die erste nachgewiesene konstante chromosomale Anomalie bei malignen Erkrankungen dar. Es ist erkennbar bei 90% aller Patienten mit einer CML in den Zellen der Erythro-, Granulo- und Megakaryopoese, ebenfalls in den B-Lymphozyten und vereinzelt auch in den T-Lymphozyten, was auf den Stammzellcharakter der CML hinweist. In 95% der Flle resultiert es aus der Translokation t(9;22)(q34;q11), bei 5% der Flle ist scheinbar ein anderes Chromosom als 9 (variante Translokation) beteiligt, oder es liegen komplexe Translokationen vor. Bei den komplexen oder varianten Translokationen ist jedoch immer das Chromosom 9 mit dem ABL-Onkogen in der Bande q34 involviert, und es kommt zur Bildung des spezifischen Fusionsgens. Der Befund einer zytomorphologisch typischen CML, bei der die Philadelphia-Translokation zytogenetisch nicht nachweisbar ist, mu eine molekulargenetische Analyse nach sich ziehen (s.u.). Nur sehr wenige, vermeintlich typische CML sind auch in der molekulargenetischen Analyse negativ fr das BCR-ABL-Genprodukt. Diese Formen, frher als Ph-negative CML bezeichnet, lassen sich heute in der Regel entweder als ein Subtyp der myelodysplastischen Syndrome, nmlich der CMML, oder als myeloproliferatives Syndrom (MPS) klassifizieren. Diese Erkrankungen zeichnen sich durch ein hheres Alter der Betroffenen, berwiegen des mnnlichen Geschlechts, niedrigere Leuko- und Thrombozytenzahlen sowie eine schlechtere Prognose im Vergleich zur Ph-positiven CML aus. Die Translokation t(9;22) ist ein typisches Beispiel einer primren Chromosomenaberration. Im Rahmen der t(9;22) wird das auf 9q34 lokalisierte C-ABL-Protoonkogen auf Chromosom 22q11 in eine 5,8 kB kleine Region (BCR = breakpoint cluster region) transloziert. Diese umfat die Exons 12 bis 16 des BCR-Gens und wird mit M-BCR (major breakpoint region) bezeichnet. Hierbei entsteht ein neues Fusionsgen BCR-ABL, das ein Protein mit einem Molekulargewicht von 210 kD kodiert, das transformierende Tyrosinkinaseaktivitt hat und an der Pathogenese der CML wesentlich beteiligt ist. In seltenen Fllen fllt der Bruchpunkt in 22q11 in eine andere Region, innerhalb eines langen Introns zwischen den Exons e1 und e2. Diese Region wird als ,,minor
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
55
breakpoint region“ (m-BCR) bezeichnet. In diesen Fllen entsteht ein kleineres, nur 190 kD schweres Protein. Patienten mit m-BCR-Beteiligung zeigen tendenziell eine vorherrschende monozytre Komponente, die an das morphologische Erscheinungsbild der CMML erinnert. Diese molekularbiologischen Vernderungen lassen sich mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) nachweisen, was besonders fr die Beurteilung der minimalen Resterkrankung (MRD) bei kompletter hmatologischer Remission als sehr wertvolle Zusatzinformation anzusehen ist. Bei Diagnosestellung sind 90…100% der Metaphasen Ph-positiv. In der mit konventioneller Chemotherapie (Busulfan, Hydroxyurea) erreichbaren hmatologischen Remission kommt es zu keiner signifikanten Verringerung des Ph+-Zellklons. Seit Einfhrung der Interferon-a-Therapie sind bei 5…27% der Patienten partielle oder sogar komplette zytogenetische Remissionen erreichbar geworden. Das Erreichen einer zytogenetischen Remission hat sich als signifikanter berlebensvorteil erwiesen. Die Relevanz des Nachweises einer MRD mittels PCR ist bisher ungeklrt, wenngleich es Hinweise auf ein erhhtes Rezidivrisiko fr Patienten mit zwar kompletter zytogenetischer Remission, aber MRD auf PCR-Niveau gibt. Zustzliche sekundre chromosomale Aberrationen (Tabelle 5) treten bei 75% der Patienten mit Blastenschub auf. Das Auftreten genetischer Instabilitt, nachgewiesen mittels sogenannter Mikrosatellitenanalysen auf PCR-Basis, scheint den bergang zwischen chronischer Phase und Progre
Tabelle 5. Chromosomenanomalien bei CML, molekulares Korrelat und Assoziation mit Erkrankungsphase. (Nach Heim und Mitelman 1994) Anomalien [ISCN]
Ha¨ufigkeit
Molekulares Korrelat
Erkrankungsphase
Philadelphia-Translokation [t(9;22)(q34;q11)]
90%
BCR-ABL-Fusionsgen
Initiierung, chronische Phase
Trisomie 8, [+8], sekunda¨r
11%*
Gendosis?, Gen unbekannt
Akzeleration, Blastenkrise
Isochromosom 17q, [i(17)(q10)], sekunda¨r
12%*
TumorsuppressorgenVerlust (P53)
Blastenkrise
Trisomie 19, [+19], sekunda¨r
8%*
Gendosis? Gen unbekannt
Blastenkrise
Trisomie 21, [+21], sekunda¨r
7%*
Gendosis? Gen unbekannt
Akzeleration, Blastenkrise
Zusa¨tzliches Philadelphia-Chromosom, [+der(22)t(9;22)(q34;q11), sekunda¨r]
15%*
Gendosis? BCR-ABL-Fusionsgen
Blastenkrise
* = Ha¨ufigkeit bei Blastenkrise, [...] = ISCN-Formel.
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Prinzipien der Tumorbiologie
der CML zu charakterisieren. Der Nachweis zustzlicher Chromosomenanomalien vor klinischer Manifestation der Progression gewhrt einen Planungsspielraum fr weitere therapeutische Optionen, z.B. Knochenmarktransplantation oder Chemotherapien mit Komponenten wie hochdosiertem Cytosin-Arabinosid, die bei akuten myeloischen Leukmien erfolgversprechend sind. Eine neue, mageschneiderte Therapie ist zu erwhnen, die sich gegen das vom BCR-ABL-Fusionsgen gebildete chimre Protein, eine Tyrosinkinase, richtet. Diese, als STI 571 oder Glivec oder Imatinib bezeichnete Substanz, ein Tyrosinkinase-Inhibitor, ist zur Zeit weltweit in klinischer Erprobung.
5 Akute myeloische Leuka¨mie (AML) Bei etwa 50…70% aller Patienten mit einer De-novo-AML knnen klonale Chromosomenanomalien nachgewiesen werden (Fourth IWCL 1984) (Tabelle 6). Viele Anomalien sind zwar charakteristisch fr eine AML, knnen jedoch auch bei MDS, ALL oder chronischen myeloproliferativen Erkrankungen auftreten. In aktuellen Untersuchungen von hochreinen gesorteten Stammzellen konnte gezeigt werden, da unabhngig von der Genese der Leukmie (de novo oder sekundr), vom FAB-Subtyp oder von der jeweiligen genetischen Anomalie unreife Stammzellen klonale Aberrationen aufweisen. Somit drften auch AML als klonale Erkrankungen hmatopoetischer Stammzellen anzusehen sein (Haase et al. 1995). Die drei hufigsten Strukturanomalien, t(8;21), t(15;17) und inv(16), sind AML-spezifisch und charakteristisch fr bestimmte Subtypen nach der FAB-Klassifikation (Bennett et al. 1976). Die t(15;17) findet sich nur bei der AML M3 und ihrer varianten Form, der M3v, die inv(16) fast ausschlielich bei der AML M4Eo und die t(8;21) vorwiegend bei der AML M2 mit auffallend groen Auer-Stbchen im Golgi-Apparat. Auch andere Anomalien sind eng mit morphologischen Besonderheiten assoziiert. Eine inv(3) geht in der Regel einher mit normaler oder erhhter Thrombozytenzahl und dysplastischen Vernderungen, vor allem der Megakaryopoese. Bei der t(6;9) liegt meist eine AML M2, seltener eine AML M4, jeweils mit deutlicher Basophilie, vor. Anomalien, die die Bande 11q23 betreffen, meist in Form von Translokationen oder Deletionen, sind hufig bei der AML M5, insbesondere der AML M5A, nachweisbar. Bei vielen zytogenetischen Anomalien der AML konnten bereits die zugrundeliegenden molekulargenetischen Vernderungen aufgeschlsselt werden (Tabelle 6). Sekunda¨re Leuka¨mien nach vorausgegangener Chemo- oder Strahlentherapie, beruflicher oder akzidenteller Mutagenexposition weisen in bis zu 90% der Flle einen pathologischen Karyotyp auf. Prinzipiell knnen bei sekundren AML (sAML) und MDS (sMDS) die gleichen Anomalien auftre-
1.8
57
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
Tabelle 6. Ha¨ufige chromosomale Anomalien bei AML, molekulares Korrelat, mittlere U¨berlebenszeit* und Remissionsrate*. (Nach Daten der AML CG 86 und Cline 1994) Anomalie
FAB/Morphologie
Ha¨ufig- Molekulares Korrelat keit (%) (pathogenetische Funktion)
Komplexe Anomalien
Alle
10
+8
Alle
9
(Gendosis?)
14
69
inv(16)(p13q22)
M4Eo
7
CBFB/MYH11-Fusionsgen (Transkriptionsfaktor)
44
84
t(8;21)(q22;q22)
M1, M2
6
AML1/ETO-Fusionsgen (Transkriptionsfaktor)
43
79
–5/5q–
Alle
5
(Suppressorgen-Verlust?, 7 Gen unbekannt)
33
–7/7q–
Alle
4
(Suppressorgen-Verlust, Gen unbekannt)
6
33
t(15;17)(q22;q21)
M3, M3v
4
PML/RARA-Fusionsgen (Differenzierungsblock durch Rezeptordysfunktion)
25
60#
–X/Y
Alle
3
(SuppressorgenVerlust?)
59
71
inv(3)(q21q26), t(3;3)(q21;q26)
3 M1, M2, M4–7, MDS-Vorphase, Thrombozytose, Dysmegakaryopoese
EVI1 in 3q26?, Gen in 3q21 unbekannt (Onkogenaktivierung?)
13
21
del/t(17p)
Alle
3
P53-Allelverlust (Suppressorgen-Verlust)
4
21
del/t(12p)
Alle
2
ETV6/TEL
5
43
del/t(11)(q23)
M4, M5, „mixed-lineage“ Leuka¨mie
2
MLL/Varia-Fusionsgen (Transkriptionsfaktor)
8
64
t(6;9)(p23;q34)
AML M2/M4 Baso < 1
DEK/CAN-Fusionsgen (Funktion unklar)
5% auf (weitere Details siehe Tabelle 9). Eine eigene Entitt stellt das sogenannte 5q-Syndrom dar. Es ist gekennzeichnet durch eine makrozytre Anmie, eine interstitielle Deletion im Tabelle 8. Ha¨ufige Chromosomenanomalien bei MDS* (bezogen auf aberrante Fa¨lle) Anomalien
Ha¨ufigkeit (%)
5q– –7 +8 –20/20q– +1q t/del(12p) –18/18q– +21 –5 t/inv(3q) Komplex
30 22,6 20 10 9,5 9,5 8,9 8,4 7,9 7,4 16
* (Haase et al. 1997).
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
61
Tabelle 9. Karyotypvera¨nderungen bei MDS – Verteilung in FAB-Subtypen* (bezogen auf aberrante Fa¨lle) Anomalien
RA (%)
RARS (%)
CMML (%)
RAEB (%)
RAEB-T (%)
Aberrationsrate Komplex 5q– –7 +8 –20/20q– +1q
43 5 39 7 14 21 11
29 4 25 25 25 13 0
42 5 6 35 18 0 18
53 21 33 28 22 14 19
69 27 39 21 12 12 6
* (Haase et al. 1997).
langen Arm des Chromosoms 5, eine normale oder gering erniedrigte Leukozytenzahl, eine normale oder erhhte Thrombozytenzahl, eine hyperplastische Megakaryopoese mit vielen kleinen, einkernigen Megakaryozyten, die eine verminderte Kernlappung aufweisen, eine hypoplastische Erythropoese sowie einen Blastenanteil im Knochenmark von meist unter 5%. Der klinische Verlauf ist blande. Therapie der Wahl ist die Substitution von Erythrozyten und Thrombozyten. Das Transformationsrisiko in eine AML ist gering. Bei Auftreten zustzlicher Anomalien steigt jedoch das Risiko fr einen Progre. Wie bei der AML haben sich auch bei MDS Chromosomenanomalien als wichtige unabhngige Prognosemarker erwiesen (Tabelle 10). Zytogenetische Untergruppen lassen sich wie bei der AML zu Prognosegruppen zusammenfassen: F F F
gnstig (normaler Karyotyp, isoliertes 5q…, isoliertes 20q…), intermedir (isoliertes +8, +1q u.a.), ungnstig (komplex, inv[3], …7/7q…, 12p-Anomalien, 17p-Anomalien).
Tabelle 10. Karyotypvera¨nderungen und mediane U¨berlebenszeit bei MDS* Karyotyp
Mediane U¨berlebenszeit (in Monaten)
Normal Komplexe Anomalien 5q– –7 +8 –20/20q– +1q
27,4 3,7 > 48 Monate 9,6 18,2 19,6 11,9
* (Haase et al. 1997).
1
62
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Abb. 2. Overall survival bei Patienten mit MDS
Diese Unterteilung erlaubt eine sehr gute Auftrennung der zytogenetischen Prognosegruppen (siehe Abb. 2). Trotz intensiver Forschungsbemhungen konnten die molekulargenetischen Korrelate der hufigsten Chromosomenaberrationen bei MDS bisher noch nicht identifiziert werden. So wurde bei der interstitiellen Deletion von 5q lange Zeit eine entscheidende Rolle von Zytokingenen und Zytokinrezeptorgenen vermutet, die im kritischen Bereich in 5q lokalisiert sind. Dieses konnte jedoch nicht besttigt werden. Allelverluste der Gene IRF1 (Interferon-regulierender Faktor 1) und FMS (hier auch Punktmutationen) konnten in einigen, aber nicht in allen 5q-Fllen nachgewiesen werden, deshalb ist es unwahrscheinlich, da es sich bei einem dieser Gene um das kritische „5q-Gen“ handelt (Boultwood et al. 1995). Hufige molekulargenetische Vernderungen ohne zytogenetisches Korrelat, also submikroskopische Vernderungen, sind RAS-Mutationen und BCL-2-berexpressionen. Mutationen der Gene P53, FMS und IRF-1 knnen in Form zytogenetisch sichtbarer Deletionen auftreten. P53- und FMS-Mutationen treten selten auf. Noch seltener sind die reziproken Translokationen t(3;5) und t(5;12), die jeweils zur Bildung von Fusionsgenen mit onkogenen Eigenschaften fhren. In einzelnen Fllen wurden auch Mutationen des G-CSF-Rezeptors (auf dem Y-Chromosom) beschrieben (Tabelle 11).
1.8
63
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
Tabelle 11. Molekulargenetische Vera¨nderungen bei MDS
1
Gen
Lokalisation
Mutationsfrequenz
Mutationsart
Funktion
N-Ras
11p11–13
10–40% (bei CMML)
Punktmutation
Onkogen (Signaltransduktion)
FMS
5q32
bis 10%
Deletion, Punktmutation
Suppressorgen (M-CSF-Rezeptor)
IRF-1
5q31
bis 10%
Deletion
Suppressorgen
P53
17p13
< 5%
Deletion
Suppressorgen (Zellzyklus-Regulation)
TEL/ PDGFB
5q33 12p13
< 5% (bei CMML)
Translokation (Fusionsgen)
Onkogen (Tyrosinkinase)
NPM/ MLF1
3q25.1 5q34
< 1%
Translokation (Fusionsgen)
Onkogen (?)
G-CSFR
Yp11.3
Unklar
Onkogen (G-CSF-Rezeptor)
BCL2
18q21
bis 40%
Deletion, Punktmutation U¨berexpression
Onkogen (Anti-Apoptose)
In den letzten Jahren wurden verschiedene Scoring-Systeme entwickelt, die neben der Zytogenetik Faktoren wie Hb-Wert, Thrombozytenzahl, Leukozytenzahl, Anzahl der Zytopenien, Blastenanteil im Knochenmark und LDH zur Prognoseabschtzung bercksichtigen. Konsensusbemhungen haben zur Etablierung eines internationalen Prognosescores (IPSS) gefhrt (Tabelle 12), mit dessen Hilfe individualisierte Prognoseabschtzungen und rationale Therapieentscheidungen ermglicht werden (Greenberg et al. 1997). Zytogenetische Befunde sind neben dem Blastenanteil und der Anzahl der Zytopenien ein wesentlicher Bestandteil des IPSS. Tabelle 12. IPSS-Score fu¨r MDS Prognostische Variable
Score 0
Score 0,5
Score 1,0
Score 1,5
Score 2,0
5–10
–
11–20
21–30
KM-Blasten (%)
>5
Karyotyp
Intermedia¨r Gu¨nstig (andere (normal, –Y,5q–,20q–) Anomalien)
Zytopenien
0/1
Ungu¨nstig (komplexe Anom., abnormes Chromosom 7)
2/3
Risikogruppen: niedrig = 0; intermedia¨r 1 = 0,5–1,0; intermedia¨r 2 = 1,5–2,0; hoch = u¨ber 2,5. Transformation in Leuka¨mie: niedrig = 19%; Int 1 = 30%, Int 2 = 33%; hoch = 45%.
64
1
Prinzipien der Tumorbiologie
7 Akute lymphatische Leuka¨mie (ALL) Klonale Chromosomenanomalien treten bei bis zu 70% der Patienten mit ALL auf (Tabelle 13). Viele Anomalien lassen sich auch bei anderen Erkrankungen, v.a. bei NHL, nachweisen. Neben einer Reihe von strukturellen Vernderungen, meist balancierten Translokationen, tritt bei 4…8% der Erwachsenen und 20…25% der Kinder ein hyperdiploider Karyotyp auf. Die Beziehungen zur Morphologie sind nicht so eng wie bei der AML, lediglich die Translokationen t(8;14) und deren Varianten finden sich fast ausschlielich bei L3-Morphologie, die Translokation t(1;19) vorwiegend bei der L1. Andererseits sind viele Anomalien eng mit dem Immunphnotyp assoziiert (Tabelle 13). Aberrationen bei der B-ALL betreffen hufig den Immunglobulin-Schwerketten-Lokus auf 14q34, den KappaLeichtketten-Lokus auf 2q12 oder den Lambda-Lokus auf 22q11. T-ALL zeigen gelegentlich Anomalien im Bereich der Loci fr T-Zell-Rezeptoren auf 7q34 (T-Zell-Rezeptor beta) und 14q11 (T-Zell-Rezeptor delta). Die Philadelphia-Translokation t(9;22) ist bei 20…30% der Erwachsenen und 5% der Kinder mit ALL nachweisbar. Zytogenetisch ist das Ph-Chromosom nicht von dem Befund bei einer CML zu unterscheiden. Molekulargenetisch liegen bei einem Teil der Patienten, v.a. bei den Erwachsenen, die gleichen Vernderungen wie bei der CML vor. In diesen Fllen handelt es sich vermutlich um lymphatische Blastenkrisen einer vorher nicht diagnostizierten CML. Bei anderen Patienten, v.a. Kindern, ist der Bruchpunkt in der BCRRegion unterschiedlich, es wird kein Protein mit einem Molekulargewicht von 210 kD, sondern ein Protein mit 190 kD gebildet. Die Translokation t(4;11) ist hufig bei kongenitaler ALL nachweisbar. Sie scheint ein sehr frhes Ereignis in der Leukmogenese darzustellen. Lichtmikroskopisch bzw. immunologisch handelt es sich dabei um eine ALL mit frhen B-Zell-Markern, es lassen sich aber auch myelomonozytre Marker nachweisen. Als prognostisch gnstig haben sich ein hyperdiploider Karyotyp (> 50 Chromosomen), die Translokationen t(12;21), t(1;19) und TALRearrangements so- wie in neueren intensivierten Therapiestudien die Translokation t(8;14)(q24;q32) und ihre Varianten erwiesen. Ein ungnstiger klinischer Verlauf ist nach wie vor bei Patienten mit t(9;22), t(4;11) und hypodiploidem Karyotyp zu erwarten (Pui 1995; Secker-Walker et al. 1997) (Tabelle 14). Die Heilung einer Ph-positiven oder einer t(4;11)-positiven ALL ohne Knochenmarktransplantation ist praktisch nicht mglich.
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
65
Tabelle 13. Ha¨ufige Chromosomenanomalien bei ALL. (Nach Pui 1995 u. Secker-Walker et al. 1997) Anomalie
Ha¨ufigkeit (%)
Typischer Immunpha¨notyp
Molekulares Korrelat
t(9;22)(q34;q11)
E: 20–30 K: 5
Fru¨he B-Zelle, C, pra¨-B
BCR-ABL-Fusionsgen (Tyrosinkinase)
t(4;11)(q21;q23) t(11;19)(q23;p13)
E: 6 K: 3 75 (Infanten)
Fru¨he B-Zell-Vorla¨ufer, bipha¨notypisch
MLL-AF4 (Juxtaposition) MLL-ENL (Juxtaposition) (Transkriptionsfaktor)
del(6q)
9
C-ALL
Suppressorgen-Verlust?
t(8;V)(q24;V) V: 14q32, 2p12 22q11
6
Burkitt-Type-ALL
MYC-V (Juxtaposition) V: IGH, IGK-, IGL-Leichtketten (Deregulation von MYC)
t(1;19)(q23;p13) t(17;19)(q22;p13)
E: 2 K: 5
Pra¨-B-ALL
PBX1-E2A-Fusionsgen HLF-E2A-Fusionsgen (Transkriptionsfaktor)
t(12;21)(p13;q22)
E: 3 K: 25
B-Zell-Vorla¨ufer
TEL-AML1-Fusionsgen (Transkriptionsfaktor)
del(12)(p11–12)
1–2
C-ALL
Suppressorgen-Verlust?
E: 1 K: 4
T-ALL
TAL1-TCRB (Juxtaposition) TAL1-TCRD (Juxtaposition) (Deregulation von TAL1)
2 t(14)(q11;V) V: 8q24, 10q24, 11p13, 11p15
T-ALL
TCRD-V (Juxtaposition) V: MYC, HOX1, RBTN2, RBTN1 (Deregulation durch TCRD)
2
T-ALL
TCRB-VLCK (Juxtaposition) V: LCK, TAN1, TAL2, HOX11, RBTN2, (Deregulation durch TCRB)
B-ALL
T-ALL t(1;7)(p32;q34) t(1;14)(p32;q11)
t(7;V)(q34;V) V: 1p34, 9q34, 9q32, 10q24, 11p13, 19p13 Unspezifisch del(9)(p) i(9)(q10)
6
B- und T-ALL
P16 (Suppressorgen-Verlust)
i(17)(q10)
1–2
B- und T-ALL
P53? (Suppressorgen-Verlust?)
+8
1–2
B- und T-ALL
?
–7
1–2
B- und T-ALL
?
V = variable Translokationspartner, K = Kinder, E = Erwachsene.
1
66
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 14. U¨berlebensdaten fu¨r zytogenetische Subgruppen bei ALL Anomalie
EFS (%) Erwachsene
t(12;21)
?
EFS (%) Kinder 85–90 nach 5 Jahren
Hyperdiploidie > 50
30–50 nach 3 Jahren
80–90 nach 5 Jahren
t(8q24;V)
50–60 nach 3 Jahren
70–85 nach 5 Jahren
t(1;19)
20–40 nach 3 Jahren
70–80 nach 5 Jahren
t1;14) und andere TAL1-Rekombinationen ?
60–70 nach 5 Jahren
t(4;11)
10–20 nach 3 Jahren
10–30 nach 5 Jahren
t(9;22)
< 10 nach 1 Jahr
20–35 nach 5 Jahren
Hypodiploidie < 45
10 nach 3 Jahren
25–35 nach 3 Jahren
EFS = event-free survival, V = variable Translokationspartner.
8 Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) Frhere Lymphomklassifikationen wie die Kiel-Klassifikation, die LukesCollins-Klassifikation oder die „Working Formulation“ basierten auf dem Prinzip, mglichst jede Lymphomentitt gem ihrem zellulren physiologischen Pendant zu klassifizieren. Die groe Variabilitt innerhalb der Klassifikationen und die Probleme, unterschiedliche Klassifikationen miteinander zu korrelieren, fhrten in den letzten Jahren zu einer Suche nach einer besseren und reproduzierbaren Klassifikation. Die REAL(revised European-American classification of lymphoid neoplasms)-Klassifikation versucht Lymphomentitten sowohl histologisch als auch immunologisch und genetisch zu definieren (Harris et al. 1994). Krzlich wurde von der WHO eine neue Klassifikation vorgeschlagen (Harris et al. 1999). Diese Entwicklung unterstreicht die groe Bedeutung (zyto)genetischer Anomalien bei NHL. Zirka 90% aller NHL weisen klonale Chromosomenanomalien auf. Hufig finden sich komplex vernderte Karyotypen. 8.1 B-NHL In der Gruppe der B-NHL wurden in den letzten Jahren besonders bei der BCLL, den Mantelzell-Lymphomen und den Plasmozytomen bedeutende Fortschritte bei der genetischen Charakterisierung gemacht. Weitere wichtige Entitten (nach REAL) mit gut definierten genetischen Vernderungen sind Follikelzentrum-Lymphome, diffuse grozellige Lymphome und Burkitt-Lymphome. In frheren Untersuchungen lagen die Aberrationsraten bei CLL und multiplem Myelom bei unter 40%. Ursache hierfr ist die niedrige Proliferationsrate. Mit der Verwendung spezieller Mitogene, der Verbesserung von
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
67
Kulturbedingungen und besonders der Durchfhrung von FISH-Analysen an nicht mehr teilungsfhigen Interphasekernen lassen sich inzwischen auch bei diesen Erkrankungen bei 60…80% der Patienten Chromosomenanomalien nachweisen (Tabelle 15) (Heim und Mitelman 1994; Dhner et al. 2000). Die hufigste Anomalie bei der B-CLL sind 13q-Deletionen (55%), gefolgt von 11q-Deletionen (18%), der Trisomie 12 (16%), 17p-Deletionen (7%), 6q-Deletionen (6%), 8q-Trisomien (5%), 14q32-Translokationen (4%) und 3q-Trisomien (3%) (Dhner et al. 2000). Der molekulare Hintergrund der oben genannten Chromosomenanomalien ist fr die 17p-Anomalien geklrt. Hier kommt es zu einem Allel- und damit Aktivittsverlust des Tumorsuppressorgens P53 in der Bande 17p13. Bei 11q-Deletionen konnte eine Inaktivierung des „Ataxia teleangiectasia mutated“ (ATM)-Gens in der Bande 11q23 nachgewiesen werden. Auch bei den Chromosom-13-Deletionen ist der Verlust eines Tumorsuppressorgens naheliegend. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um das Retinoblastomgen (RB) in der Bande 13q14, sondern um ein bisher nicht identifiziertes Gen in unmittelbarer Nachbarschaft von RB. Der kritische Bereich konnte allerdings auf eine genetisch instabile Region von 790 kB Gre eingegrenzt werden. Das bei den 6q-Deletionen zu vermutende involvierte Tumorsuppressorgen konnte bisher nicht identifiziert werden. Translokationen von 14q32 sind mit unterschiedlichen Translokationspartnern beobachtet worden. Es ist anzunehmen, da es hierbei zu einer Deregulation von Onkogenen auf den jeweiligen Translokations-Partnerchromosomen durch die Einwirkung des IgHGenlocus in 14q32 kommt. Der molekulare Hintergrund der Trisomien 12, 8q und 3q ist nach wie vor nicht bekannt. Auch bei der CLL haben sich bestimmte Chromosomenanomalien als unabhngige Prognoseindikatoren erwiesen. 17p- und 11q-Deletionen bedeuten eine ungnstige Prognose (mediane berlebenszeiten 32 bzw. 79 Monate), wobei Patienten mit 17p-Anomalien auf eine Therapie mit Purinanaloga in der Regel nicht ansprechen. Patienten mit Trisomie 12 (114 Monate), normalem Karyotyp (111 Monate) oder 13q-Deletionen (133 Monate) zeigten im Vergleich dazu relativ gnstige Erkrankungsverlufe. Die genannten Anomalien hatten auch auf das behandlungsfreie Intervall einen gleichgearteten signifikanten Einflu (Dhner et al. 2000). Als ein weiterer ungnstiger genetischer Prognoseparameter bei der CLL hat sich das Fehlen von somatischen Hypermutationen der Immunglobulin-VH-Genregion erwiesen. Bei Patienten mit einer Transformation ihrer CLL im Sinne eines Richter-Syndroms treten relativ hufig komplexe Anomalien auf. Das Mantelzell-Lymphom ist eine genetische Entitt. Hier ist berwiegend die Translokation t(11;14)(q13;q32) zu beobachten, die zu einer Deregulation des Onkogens Cyclin D1 in 11q13 fhrt, das Zellzyklus-regulierende Eigenschaften hat. Follikelzentrum-Lymphome, weitge-
1
68
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 15. Ha¨ufige Chromosomenanomalien bei B-NHL-Entita¨ten. (Nach Harris et al. 1994; Heim u. Mitelman 1994; Hallek et al. 1998) Diagnose
Anomalien
Ha¨ufigkeit Molekulares Korrelat (%)
B-CLL
del(13q)
55
Suppressorgen-Verlust? (Locus in der Na¨he des RB-Gens)
del(11q)
15–20
Suppressorgen-Verlust (ATM)
+12
15–20
Unklar
del(17)(p13)
7
Suppressorgen-Verlust (P53)
del(6q)
6
Suppressorgen-Verlust?
Trisomie 8q
5
Unklar
t(14;V)(q32;V)
5
Juxtaposition von IGH und V V: unklar, Cyclin D1, BCL2, BCL3 (U¨berexpression von Anti-Apoptose-Genen)
V: 2p13, 11q13, 18q21, 19q13 Trisomie 3q
3
Unklar
Richter-Syndrom
Komplexe Anomalien 25
Akkumulation genetischer Defekte?
MantelzellLymphom
t(11;14)(q13;q32)
70
FollikelzentrumLymphom
t(14;18)(q32;q21)
70–95
Juxtaposition von Cyclin D1 und IgH (U¨berexpression eines Zellzyklusregulators) Juxtaposition von IGH und BCL2 (U¨berexpression eines Anti-Apoptose-Gens)
Multiples Myelom der/t(1p/q) der/t/del(17)(p13)
50
Unklar
30–50
Inaktivierung von P53 (Inaktivierung eines Suppressorgens)
del(13)(q12–14)
20–50
Suppressorgen-Verlust?
t(14;V)(q32;V) V: 4p16, 6p21, 11q13, 16q23, 11q23, 18q21
20–40
Juxtaposition von IGH und V V: FGFR3, Cyclin D3, CMYC, Cyclin D1, CMAF (Aktivierung von Onkogenen)
t/del (22) Multiple Trisomien Diffus großzelliges t(3;V)(q27;V) Lymphom V: 2p12, 14q32, 22q11 MALT-Lymphom Burkitt-Lymphom
20
Unklar
40
Juxtaposition von BCL6 und V V: IGK-Leichtketten, IGH, IGL-Leichtketten (U¨berexpression eines Anti-Apoptose-Gens)
Trisomien 3, 7, 12, 18 ?
Unklar
t(11;18)(q21;q21)
API2, MALT1
t(8;V)(q24;V) V: 14q32, 2p12, 22q11
V = variable Translokationspartner.
bis 100
MYC-V (Juxtaposition) V: IGH, IGK-, IGL-Leichtketten (Deregulation von MYC)
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
69
hend identisch mit den follikulren Lymphomen, zeigen nahezu in jedem Fall eine Translokation t(14;18)(q32;q21). Molekular kommt es durch die Juxtaposition des Immunglobulin-Schwerketten-Locus in 14q32 und dem BCL2-Gen zu einer BCL2-berexpression und zu einer Hemmung des programmierten Zelltodes der Lymphomzellen. Bis vor einigen Jahren waren mittels klassischer Chromosomenbandenanalyse lediglich bei etwa 20…60% (median: 40%) der multiplen Myelome Karyotypvernderungen nachweisbar. Der Einsatz verschiedener FISHTechniken hat eine Reihe neuer spezifischer Chromosomenumlagerungen, vor allem die Chromosomenbande 14q32 betreffend, aufgedeckt und auch zur Identifizierung der in diese Translokationen involvierten Gene gefhrt. Bis zu 75% der Patienten mit multiplen Myelomen weisen 14q32/IgH-GenRearrangements auf, davon betreffen 50% Translokationen mit den Chromosomenbanden 4p16(FGFR3-Gen) und 11q13(CCND1-Gen). Etwa 45…54% der Patienten mit multiplem Myelom tragen in ihren Tumorzellen eine prognostisch ungnstige 13q-Deletion, 85% davon eine Monosomie 13. Es konnte gezeigt werden, da die Translokation t(4;14) (p16;q32) sehr hufig gemeinsam mit einer Deletion in 13q auftritt. Mit den spezifischen Chromosomenanomalien bzw. Genumlagerungen und -verlusten sind bestimmte immunologische und klinische Merkmale korreliert. Mittels vergleichender Genomhybridisierung (CGH) wurden Zugewinne von 15q (48% der Patienten), 11q (44%), 3q (40%), 9q (40%) und 1q (36%) sowie Verluste von Chromosom 16 (12%) festgestellt. Besondere prognostische Bedeutung kommt dem Ploidiegrad bei multiplen Myelomen zu: Whrend ein hyperdiploider Chromosomensatz (ber 46) mit einem medianen Gesamtberleben von 33,8 Monaten assoziiert ist, betrgt das mediane Gesamtberleben bei Patienten mit hypodiploidem Chromosomensatz (unter 46) lediglich 12,5 Monate. Hypodiploide Chromosomenstze finden sich bei 14…27% der Patienten. Ebenfalls mit einer ungnstigen Prognose vergesellschaftet sind Deletionen und Rearrangements des langen Arms von Chromosom 22. Allerdings mu noch geprft werden, ob 22q-Aberrationen allein eine prognostische Aussagekraft zukommt oder ob sie stets in Verbindung mit anderen ungnstigen Prognosefaktoren auftreten. Zusammenfassend ist zu sagen, da die Hufigkeit und das Ausma der Karyotypanomalien mit dem klinischen Stadium korrelieren und da Translokationen und Deletionen des langen Arms von Chromosom 11 sowie Rearrangements von 17p (p53-Verlust oder -Mutation) und 13q-Verluste mit einer ungnstigen Prognose assoziiert sind. Diffus großzellige Lymphome sind zytogenetisch charakterisiert durch Translokationen zwischen Chromosom 3 in der Bande q27 und unterschiedlichen Partnerchromosomen (meist 2, 14 oder 22). Es kommt stets zu einer berexpression
1
70
1
Prinzipien der Tumorbiologie
des Anti-Apoptose-Gens BCL6 auf 3q27. MALT-Lymphome zeichnen sich hufig durch eine Translokation t(11;18)(q21;q21) aus. Die in diese Translokation involvierten Gene wurden bereits identifiziert … in 11q21 ist das AP12-Gen lokalisiert, das einen Apoptose-Inhibitor kodiert, 18q21 beherbergt das MALT1-Gen, dessen Funktion noch unbekannt ist. Bei den Burkitt-Lymphomen treten stets 8q24-Anomalien auf (weiteres siehe unter Burkitt-Type ALL). 8.2 T-NHL Die großzellig-anaplastischen Ki-1-Lymphome sind charakterisiert durch die Translokation t(2;5)(p23;q35). Auf molekularem Niveau kommt es zur Bildung eines Fusionsgens aus NPM (2p23) und ALK (5q35). Das Genprodukt ist eine Tyrosinkinase mit onkogener Aktivitt. Die hufigsten Strukturanomalien bei T-Zell-Lymphomen betreffen Loci, in denen Gene fr T-Zell-Rezeptoren lokalisiert sind (7p15: TCR gamma, 7q34: TCR beta, 14q11: TCR alpha und delta). Durch Translokationen oder Inversionen werden TCR-Gene in direkte Nachbarschaft (Juxtaposition) von Onkogenen, z.B. TCL1 auf 14q11, gebracht und fhren zu einer Aktivierung der jeweiligen Partner(onko)gene. Ebenfalls hufig finden sich Deletionen des langen Armes von Chromosom 6. Hier mu als molekularer Mechanismus der Verlust von Tumorsuppressor-Genen vermutet werden, die bisher jedoch nicht identifiziert sind. Gleiches gilt fr Deletionen oder Monosomien von Chromosom 13, die ebenfalls bei T-NHL hufig auftreten. Die hufigsten numerischen Vernderungen sind Trisomien der Chromosomen 3, 5, 7 und X und partielle Trisomien (des langen Armes) der Chromosomen 7 und 8. Die molekularen Konsequenzen dieser Vernderungen sind unbekannt. Bei einem Teil der Patienten werden weiterhin unterschiedliche Strukturanomalien des kurzen Armes von Chromosom 1 beobachtet, deren molekulare Mechanismen nicht geklrt sind. Das gleiche gilt fr Duplikationen von 6q, die ebenfalls zu den charakteristischen Chromosomenvernderungen bei T-NHL zhlen. Die hufigste Anomalie bei angioimmunoblastischen Lymphomen (AILD) ist die Trisomie 3, die in 40% der Flle auftritt. Trisomien der Chromosomen 5, 7, und X sind ebenfalls typische Vernderungen bei AILD, sind allerdings etwas seltener zu beobachten (Schlegelberger et al. 1994) (Tabelle 16). Bei den NHL sind die wichtigsten prima¨ren Chromosomenvera¨nderungen die Translokationen t(14;18)(q32;q21), t(8;14)(q24;q32), t(11;14) (q13;q32) und die Inversion 14, inv(14)(q11q32). Viele Chromosomenvernderungen sind innerhalb der hufig sehr komplex vernderten Karyotypen bei NHL sekunda¨rer Natur. Eine Assoziation zwischen bestimmten primren und sekundren Anomalien ist zu beobachten. Hierzu zhlen
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
71
Tabelle 16. Ha¨ufige Chromosomenanomalien bei T-NHL. (Nach Harris et al. 1994 u. Schlegelberger et al. 1994) Diagnose
Anomalien
Ha¨ufigkeit (%)
Molekulares Korrelat
Ki-1-Lymphom
t(2;5)(p23;q35)
bis 100
NPM-ALK-Fusionsgen (Tyrosinkinase)
T-CLL/ T-PLL/
del(6)(q15–21)
35
Tumorsuppressorgen-Verlust?
periphere T-ZellLymphome
t/del(13q14)/–13
30
Tumorsuppressorgen-Verlust?
+8q
10–100
Unklar
+7/7q
10–35
Unklar
t/del(1p32)
5–20
Unklar
inv(14)(q11q32.1)/ t(14;14)(q11;q32.1)
0–20
Aktivierung des TCL1-Onkogens (14q32.1) durch T-Zell-Rezeptor alpha (14q11)
t(14;V)(q11;V) bis 15 V: (siehe unter T-ALL) dup(6q) Angioimmunoblastisches T-NHL
5–15
Unklar
Trisomien 3, 5, 7, X 20–40
Unklar
del(6q)
5
Tumorsuppressorgen-Verlust?
t/del(13q14)/–13
5
Tumorsuppressorgen-Verlust?
dup(6q) Unspezifisch
Aktivierung von Onkogenen durch Anlagerung an TCRD (Weiteres siehe unter T-ALL)
1000fachen) von 8p auf. In dieser Chromosomenregion drfte demnach ein fr die Mammakarzinomgenese wichtiges, bisher jedoch noch nicht identifiziertes Onkogen lokalisiert sein. Die Chromosomenbande 11q13 ist ebenfalls hufig rearrangiert, der molekulare Hintergrund ist unklar. Die Onkogene ERBB2 (17q11…12) und MYC (8q24) sind bei 20…30% bzw. bei 10% der Betroffenen berexprimiert bzw. aktiviert. Zum Teil sind diese Anomalien submikroskopisch und werden mit der Chromosomenanalyse nicht erfat. Trisomien der Chromosomen 7, 18 und 20 treten bei 10% der Mammakarzinome auf. Bei einer Reihe von Tumoren wurden auerdem LOH von 1p und q, 3p, 8p, 11p, 15q, 16q, 17p und q und 18q beobachtet (Tabelle 18a). Nierenzellkarzinom: Die hufigsten Chromosomenanomalien beim nicht-papilla¨ren Nierenzellkarzinom sind Deletionen des kurzen Armes von Chromosom 3. Hier kommt es u.a. zum Verlust des VHL-Suppressorgens in 3p25…26. Hufig finden sich Allelduplikationen am langen Arm von Chromosom 5 sowie mittels LOH-Analysen nachgewiesene Allelverluste an 6q, 8p, 9p und 14q. Allelverluste in diesen Chromosomenregionen korrelieren mit einer Progression der Tumoren bzw. der Entwicklung von Metastasen. Bei den selteneren papillren Nierenzelltumoren werden Trisomien oder Tetrasomien des Chromosoms 7 beobachtet, die zur Vervielfachung der Gene MET, HGF/SF bzw. EGFR und vermutlich zu deren erhhter Expression fhren. Selten wird eine hereditre Form des papillren Nierenzellkarzinoms beobachtet, die offenbar auf einer Keimbahnmutation des MET-Onkogens beruht. Ferner werden bei papillren Nierenzelltumoren Duplikationen in den Chromosomenarmen 3q, 8p, 12q, 16q und 20q gefunden. Sehr hufig kommt es zum Verlust des Y-Chromosoms (Tabelle 18a) (Kovacs et al. 1997). Nephroblastom (Wilms-Tumor): Sehr hufig treten somatische Mutationen im WT1-Gen, das in 11p13 lokalisiert wurde, auf. Daneben werden Zugewinne von 1q sowie der Chromosomen 6, 7, 8, 12 und 13, 17 und 20 und Verluste in 1p, 11q, 16q und 22q nachgewiesen. Als prognostisch ungnstiger Parameter hat sich bei LOH-Analysen der Verlust von 22q herausgestellt (Tabelle 18a).
1
76
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 18a. Genetische Anomalien bei epithelialen Tumoren I. (Nach Minna 1997; Heim u. Mitelman 1994; Le Beau 1997) Tumor
Anomalie
%
Molekulares Korrelat
Kleinzelliges Bronchialkarzinom
del/LOH: (3)(p14)
90–95
(3)(p21)
90–95
(3)(p25)
90–95
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung (VHL-Gen)
del/LOH: 17p13 5q21
80–90 80
13q14 9p21
–80 –30
Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom
Rea von 8q24
20–30
del(3)(p14p23)
40–80
40–100 Rea von 17q11–12 (zytogenet. ha¨ufig nicht sichtbar) Rea von 8q24 (zytoge- 40–60 net. ha¨ufig nicht sichtbar) LOH/Deletionen von: 17p 5q21
40–60 40
9p21
30–50
13q14 1q, 2q, 11p, 11q
20–30 ?
S-Verlust/Inaktivierung (P53) S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt, nicht APC oder MCC) S-Verlust/Inaktivierung (RB) S-Verlust/Inaktivierung (Gen unbekannt, nicht P16) Onkogenamplifikation (MYC) BCL2-U¨berexpression S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt) Onkogenamplifikation (ERBB2)
Onkogenamplifikation (CMYC)
S-Verlust/Inaktivierung (P53) S-Verlust/Inaktivierung (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung (RB) S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt)
S = Suppressorgen, RB = Retinoblastom-Suppressorgen, LOH = loss of heterozygosity (weist auf Suppressorgen-Inaktivierung hin), Rea = unterschiedliche zytogenetische Rearrangements, hsr = homogeneously staining region (entspricht einer Onkogenamplifikation), ERBB2 = Onkogen (auch mit NEU oder HER2 bezeichnet), VHL = von Hippel-Lindau-Suppressorgen, WT2 = Wilms-TumorSuppressorgen, ? = bisher keine reproduzierbaren Angaben zur Ha¨ufigkeit vorliegend.
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
77
Tabelle 18a. (Fortsetzung) Tumor
Anomalie
%
Molekulares Korrelat
Mammakarzinom
+1q del(1)(q11–12), del(3)(p12p14); del(6)(q21) Rea/hsr von 8p
80 20–60
Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt)
50
Rea von 11q13
10–40
Onkogenu¨berexpression? (Gen unbekannt) Onkogenaktivierung? (Gen unbekannt) Onkogenaktivierung/-u¨berexpression (ERBB2)
20–30 Rea von 17q11–12 (zytogenet. ha¨ufig nicht sichtbar) Rea von 8q24 10 +7, +18, +20 10 LOH von: 1p/q, 3p, 8p, 11p, 15q, 16q, 17p/q, 18q Nierenzellkarzinom nicht-papilla¨r
bis 97 del(3)(p13pter) t(3;5)(p13;q22) [unbalanciert mit Verlust von 3p und Hinzugewinn von 5q], +5q22.3 Isochromosom 5p del(6)(q21q23) del(8p), del(9p), del(14q) papilla¨r +7, papilla¨r – 7 +8p, +12q, +16q, +20q
Nephroblastom (Wilms-Tumor)
del(11)(p15) +1q +6, +7, +8, +12, +13, +17, +20 del(1p), del(11q), del(16q), del(22q)
25–30
Onkogenamplifikation (CMYC) Unbekannt S-Verluste? (Gene unbekannt)
S-Verlust/Inaktivierung (VHL-Gen)
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen auf 5q?) S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) Unbekannt bzw. Vervielfachung der Gene MET, HGF/SF, EGFR Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung (WT1-Gen) Unbekannt Unbekannt
1
78
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Ovarialkarzinom: CGH-Studien haben erbracht, da ein Zugewinn an Mate-
rial der Chromosomenarme 1q, 8q, 3q, 19p, 19q und 20q sowie Verluste an 4q, 13q und 18q sehr hufig beim Ovarialkarzinom auftreten. Eine Korrelation wurde zwischen dem Verlust von 11p- und 13q-Material sowie 8qund 7p-Materialzugewinn mit dem Grad der Entdifferenzierung der Tumoren gefunden. Ein schlechtes Ansprechen auf Chemotherapie ist meist (bei mehr als 80% der Patientinnen) auf eine Mutation im p53-Gen zurckzufhren. Alternativ zu den p53-Mutationen kann es zum Verlust der Expression des Tumorsuppressorgens p16 kommen (Tabelle 18b). Prostatakarzinom: Ebenfalls mittels CGH- und FISH-Analysen konnten beim
Prostatakarzinom in den letzten Jahren Chromosomenregionen identifiziert werden, die hufig von Verlusten oder Zugewinnen betroffen sind: unterreprsentiert sind Segmente in 8p, 10q, 13q, 17p, 6q, 7q, 16q und 18q, berreprsentiert der lange Arm von Chromosom 8 und das gesamte Chromosom 7. Offenbar stellen 8p-Verluste, die bei 80% der Tumoren nachweisbar sind, ein primres Ereignis dar. Auch 10q-Verluste werden in 50…80% der Tumoren, meist spter als 8p-Verluste, beobachtet. Welches der in 8p bzw. 10q lokalisierten Gene in der Prostatagenese eine Rolle spielt, ist noch unklar. Mit einer schlechten Prognose sind Zugewinne von 8q und Chromosom 7 vergesellschaftet. Mutationen der Gene p16 und p53 finden sich vor allem bei fortgeschrittenen Tumoren und in Metastasen. Eine verminderte p27-Expression (CDK4-Inhibitor) ist mit einer ungnstigen Prognose assoziiert. Kolonkarzinom: Kolonkarzinome zhlen zu den genetisch am besten charak-
terisierten soliden Tumoren. Fearon und Vogelstein entwickelten ein allgemein anerkanntes Mehrschritt-Modell fr die Pathogenese der Kolonkarzinome, das durch weiterfhrende molekulargenetische Analysen vertieft wurde: Ein Funktionsverlust des APC-Suppressorgens auf Chromosom 5q ist assoziiert mit der Bildung von hyperproliferativem Epithel mit bergang in ein Adenom Grad I mit geringer Dysplasie. Das Adenom Grad II mit bereits mittelgradiger Dysplasie ist charakterisiert durch zustzliche DNSHypomethylierung und Mutationen von KRAS (12p). Mutationen mit Funktionsverlust von DCC (18q) scheinen dann zum bergang in das Adenom Grad III mit hochgradiger Dysplasie zu fhren. Inaktivierung oder Deletionen von P53 (17p) schlielich sind eng korreliert mit dem Bild des voll ausgeprgten Kolonkarzinoms und einer ausgesprochenen genetischen Instabilitt, die zur Akkumulation weiterer genetischer Anomalien und zum Phnotyp des metastasierenden Kolonkarzinoms beitrgt (Fearon und Vogelstein 1990). Die hufigsten Chromosomenanomalien bei Kolonkarzinomen sind Strukturvernderungen von 17p, die mit zytogenetischen und/ oder molekulargenetischen Methoden bei ca. 70% der Tumoren nachweisbar sind und zum Funktionsverlust von P53 fhren. Bei ebenfalls 70% der Tumoren sind Deletionen bzw. LOH von Chromosom 18 oder 18q zu beob-
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
79
Tabelle 18b. Genetische Anomalien bei epithelialen Tumoren II. (Nach Heim u. Mitelman 1994; Le Beau 1997) Tumor
Anomalie
%
Molekulares Korrelat
Ovarialkarzinom
rea(19)p(13)
50
del(1p), del(11q), del(16q), del(22q), –X, –8, –13, –14, –17, –22 11p–
40
Onkogenaktivierung? (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt)
Prostatakarzinom
30
+1q, +2, +3q, +6, +7p, +8q, +9, +12, +19p, +19q, +20q
20–30
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) Unbekannt
–Y +7, +8q Rea 1p/q
20–50 20–50
Unbekannt Unbekannt
20
Unbekannt
20
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt)
15
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt)
Rea/LOH/del(17)(p13)
70
LOH von 18q/–18
70
LOH/Mut von 5q21 (zytogenet. meist nicht sichtbar) +1q, +8q, +13q, +17q 1p–, 8p–, 13p–
60–70
S-Verlust/Inaktivierung (P53) S-Verlust/Inaktivierung (DCC) S-Verlust/Inaktivierung (MCC/APC) Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt) Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt)
–8p, del(8p) del(10)(q24) del(6q) del(7)(q22) del(13q), del(16q), del(17p), del(18q) Kolonkarzinom
+X, +7 –Y, –4, –8, –14, –15, –21 Mut = mutiert (z.B. Punktmutationen, Mikrodeletionen).
achten, es kommt zum Funktionsverlust von DCC auf 18q. Anomalien des langen Armes von Chromosom 5, die zur Inaktivierung von MCC oder APC in der Bande q21 fhren, knnen bei 60…70% der sporadischen Kolonkarzinome nachgewiesen werden. Weitere hufige Chromosomenanomalien
1
80
1
Prinzipien der Tumorbiologie
mit noch nicht geklrtem Hintergrund sind Hinzugewinn von 1q, 8q, 13q und 17q, Deletionen von 1p, 8p und 13p, Trisomien der Chromosomen X und 7 und Verluste des Y-Chromosoms sowie Monosomien der Chromosomen 4, 8, 14, 15 und 21. Weitere Details sind der Tabelle 18b zu entnehmen. Wenngleich epitheliale Tumoren eine kaum berschaubare Vielfalt von genetischen Vernderungen aufweisen, sind einige gemeinsame Elemente auffllig. Deletionen im kurzen Arm von Chromosom 3 treten bei Karzinomen des Bronchialsystems, der Mamma und der Nieren auf. Unterschiedliche Bruchpunktverteilungen sprechen zwar gegen ein einziges relevantes Suppressorgen, sind aber vereinbar mit der Hypothese, da in 3p eine Genfamilie lokalisiert ist, die whrend der Ontogenese epithelialer Gewebe regulatorische Aufgaben erfllt. Die Trisomie 7 ist bei fast allen epithelialen Tumoren hufig (bis auf Bronchialkarzinome). Mehrere Arbeitsgruppen konnten jedoch zeigen, da zumindest in einigen Fllen diese Anomalien entweder in infiltrierenden Lymphozyten oder aber in nichttumorsem, mglicherweise prmalignem Gewebe auftraten. Letztendlich ist es bisher nicht geklrt, welche Rolle diese Vernderung bei der Pathogenese epithelialer Tumoren spielt. 11.2 Mesenchymale Tumoren Eine bersicht genetischer Anomalien bei mesenchymalen Tumoren ist Tabelle 19 zu entnehmen. Tabelle 19. Genetische Anomalien bei mesenchymalen Tumoren. (Nach Heim u. Mitelman 1994; Le Beau 1997) Tumor
Anomalie
%
Molekulares Korrelat
Lipom
t(12;V)(q14–15;V) V=3q27–28 (am ha¨ufigsten), 1p32–34, 2p22–24, 5q33, 21q21–22, 2q35, 11q13, 11q12–14, 1p36 (in abnehmender Ha¨ufigkeit) Rea 6p del(13q)
60–70 25
HMGA2; LPP
10–20 10–20
Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (RBGen)
Zusa¨tzliche Ringchromosomen
?
Unbekannt
50
Fusionsgen aus CHOP (12q) und TLS (16p) mit onkogener Aktivita¨t Unbekannt Unbekannt
Atypische Lipome
Myxoides Liposarkom t(12;16)(q13;p11)
+8 i(7)(q10)
? ?
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
81
Tabelle 19. (Fortsetzung) Tumor
Anomalie
Leimyom des Uterus t(12;14)(q15;q24) und andere 12q15-Rearrangements del(7q)
%
Molekulares Korrelat
15
HMGA2
> 10
S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) Unbekannt Unbekannt
+12 Rea 1p, 6p, –13/13q–, –22, Ring (1)
> 10 ?
Synovial-Sarkom
t(X;18)(p11;q11)
> 90
Fusionsgen aus SYT (Xp) und SSX (18q) mit onkogener Aktivita¨t
Osteosarkom
–13/del(13)(q14) del/LOH: 3q, 5q, 6p, 10q, 11p, 13q, 15q, 18q LOH/del(17)(p13) [auch inaktivierende submikroskopische Mutationen] Rea: 1q11, 1q21, 1q42, 6q15–21, 7q11, 8q24, 9q34, 12p13, 19q13 –3, –4, –5, –10, –15, –22
50 40
S-Verlust (RB-Gen) S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung (P53-Gen)
?
Unbekannt
?
S-Verlust/Inaktivierung? (Gene unbekannt)
t(2;13)(q35;q14)
70
t(1;13)(p36;q14)
Selten
Fusionsgen aus PAX3 (2q) und FKHR (13q) mit onkogener Aktivita¨t (Transkriptionsfaktor) Fusionsgen aus PAX7 (1p) und FKHR
Rhabdomyosarkom, embryonal
+2, +8, +11 Rea 12q, 13 LOH: 11p
? ? ?
Unbekannt Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt)
Malignes fibro¨ses Histiozytom
Rea 1q11–12 Rea 19p13 Rea 1p36, 1q21, 11p11, 17p11, 19q13
40 25 ?
Unbekannt Unbekannt Unbekannt
Rhabdomyosarkom, alveola¨r
30
1
82
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Lipom: Etwa 80% aller sporadischen Lipome weisen klonale Chromosomen-
anomalien auf. Bei zwei Drittel der Patienten wurden Rearrangements im Bereich 12q14…15 nachgewiesen. Meist handelt es sich um Translokationen mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Partnerchromosomen. Hierbei ist die Translokation t(3;12)(q27…28;q14…15), die in 25% der Flle nachweisbar ist, die konstanteste Anomalie. Dabei kommt es zur Fusion zwischen den Genen HMGA2 (high mobility group A2) und LPP (lipoma prefered partner). Vergleichbar der Bedeutung der Chromosomenbanden 12q14…15 ist die der Chromosomenbande 6p21, in der das HMGA1-Gen lokalisiert ist. Charakteristisch fr atypische Lymphome sind zustzliche Ringchromosomen. Myxoides Liposarkom: Bei myxoiden Liposarkomen findet sich in der Hlfte der Flle eine charakteristische Translokation t(12;16)(q13;p11). Molekular kommt es hierbei zur Bildung eines Fusionsgens mit Anteilen des CHOPOnkogens auf 12q und des FUS-Gens auf 16p. Das Fusionsprotein hat Zinkfinger-Konfiguration und DNS-bindende Aktivitt und beeinflut transkriptionelle Vorgnge. Als weitere, vermutlich sekundre Vernderungen treten bei vielen Tumoren eine Trisomie 8 und/oder ein Isochromosom 7q auf. Uterusleiomyom: Bei 15% der Uterusleiomyome sind 12q15-Anomalien, meist in Form einer Translokation t(12;14)(q15;q24) nachweisbar, von der wiederum das HMGA2-Gen betroffen ist. Die innerhalb der Vertebraten hochkonservierten HMGA-Proteine zhlen zu den Transkriptionsfaktoren, die vor allem whrend der Embryonal- und Fetalentwicklung exprimiert sind. Chromosom-7q-Deletionen und eine Trisomie 12 treten bei jeweils 10% der Leiomyome auf. Bei den 7q-Deletionen scheint es sich wie bei den 12q-Anomalien um primre Vernderungen zu handeln. Weiterhin wurden bei mehreren Patientinnen Strukturanomalien von 1p36 und 6p sowie Ringchromosomen 1 beobachtet. In einigen Fllen wurden partielle oder totale Monosomien 13 und 22 beschrieben. Generell berwiegen bei den Uterusleiomyomen nicht-komplex aberrante Flle. Tumoren mit komplexen Anomalien neigen zu einer hheren Mitoserate und Hyperzellularitt. Synovialsarkom: Synovialsarkome weisen eine spezifische genetische Ano-
malie, die Translokation t(X;18)(p11;q11), in ber 90% der Flle auf. Auf molekularer Ebene kommt es zur Bildung eines Fusionsgens mit Anteilen aus den Genen SYT (Xp) und SSX (28q). Osteosarkom: Osteosarkome sind durch uerst komplexe Chromosomenvernderungen gekennzeichnet. Spezifische Anomalien konnten bisher nicht identifiziert werden. Allerdings weisen 50% aller Tumoren eine Monosomie 13 bzw. 13q-Deletionen auf. Molekular findet sich eine Inaktivie-
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
83
rung bzw. ein Allelverlust des Retinoblastomgens (RB) in 13q14. Bei ca. 40% der Osteosarkome lassen sich mittels LOH-Analysen Allelverluste in unterschiedlichen Chromosomenregionen nachweisen. Am hufigsten betroffen waren 3q, 5q, 6p, 10q, 11p, 13q, 15q und 18q. Hier ist zu vermuten, da es zur Inaktivierung bzw. zum Allelverlust bei mehreren bisher nicht identifizierten Suppressorgenen gekommen ist. Bei etwa einem Drittel der Patienten lassen sich in den Tumoren mittels LOH oder klassischer Zytogenetik Allelverluste bzw. Deletionen in 17p13 nachweisen, molekulares Korrelat ist ein Funktionsverlust von P53. Weiterhin finden sich gehuft strukturelle Umbauten der Chromosomenbanden 1q11, 1q21, 1q42, 6q15…21, 7q11, 8q24, 9q34, 12p13 und 19q13, die alle molekulargenetisch noch nicht aufgearbeitet sind. Ebenfalls berzufllig hufig wurden Monosomien der Chromosomen 3, 4, 5, 10, 15 und 22 beobachtet. Rhabdomyosarkom: Anders als Osteosarkome sind alveola¨re Rhabdomyosar-
kome durch eine spezifische Anomalie, die Translokation t(2;13)(q35;q14), charakterisiert. Sie tritt in 70% der Tumoren auf. Im Rahmen der Translokation kommt es zur Bildung eines chimren Fusionsgens mit Anteilen der Gene PAX3 (2q35) und FKHR (13q14). Das Fusionsprotein wirkt wie ein Transkriptionsfaktor. Bei der Translokation t(1;13)(p36;q14) handelt es sich um eine seltene Variante der 2;13-Translokation. Hierbei entsteht ein PAX7-FKHR-Fusionsgen. Bei embryonalen Rhabdomyosarkomen konnten bisher keine spezifischen Anomalien nachgewiesen werden. berzufllig hufig wurden Trisomien der Chromosomen 2, 8 und 11, Rearrangements der Region 12q und von Chromosom 13 sowie LOH im Bereich von 11p beobachtet. Histiozytom: Maligne fibrse Histiozytome (MFH) zeigen in 40% der Flle Strukturanomalien der Chromosomenbanden 1q11…12. In jeweils 25% der Tumoren sind 19p13-Vernderungen bzw. zustzliche Ringchromosomen nachweisbar. Gehuft wurden auerdem Rearrangements im Bereich der Chromosomenbanden 1p36, 1q21, 11p11, 17p11 und 19q13 beobachtet. Die molekularen Konsequenzen der Chromosomenvernderungen der MFH sind bisher nicht geklrt. Das Auftreten von Ringchromosomen scheint ein frhes Ereignis in der MFH-Entstehung zu sein, whrend 19p13-Vernderungen hufig erst whrend einer Tumorprogression beobachtet wurden. Patienten mit 19p-Anomalien scheinen ein erhhtes Risiko fr Lokalrezidive und Fernmetastasen aufzuweisen.
11.3 Neurogene, neuroektodermale und Keimzelltumoren Eine bersicht genetischer Anomalien bei neurogenen, neuroektodermalen und Keimzelltumoren findet sich in den Tabellen 20 und 21.
1
84
1
Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 20. Genetische Anomalien bei neurogenen und neuroektodermalen Tumoren. (Nach Heim u. Mitelman 1994; Le Beau 1997) Tumor
Anomalie
%
Molekulares Korrelat
Ewing-Sarkom, Askin-Tumor, peripherer neuroepithelialer Tumor (PNET)
t(11;22)(q24;q12) und Varianten +8 der(16)t(1;16)(q21;q13)
90
Fusionsgen aus FLI1 (11q) und EWS (22q) mit onkogener Aktivita¨t Unbekannt Unbekannt
Meningiom
–22/del(22q)/idic(22) (q11) 70–90 [stets Verlust von 22q12–13] –Y 30 del(18)(p11.3) 1p–, –8, 11p–, –14, –X ?
Astrozytom
? ?
Zytogenetisch nicht sichtbar
50
+7 –Y LOH/del(9)(p22) –10 Rea/LOH/del(19)(p13) –22
40 40 30–40 30 25–30 20
dmin
15
Rea/LOH: 1p, 1q, 6p, 10p, 10q, ? 13q, 19q, 22q Neuroblastom
Retinoblastom
Rea/LOH/del(1) (p32-pter) [2 Loci: 1p36.1 und 1p32] hsr und dmin, +17q Rea/LOH/del(13)(q14) [20% zytogenetisch sichtbar] ip(6)(p10) +1q –16
70–80 50
S-Verlust (NF2-Gen in 22q12) Unbekannt DAL1-Verlust Unbekannt Onkogenamplifikation von ERBB (= EGFR) Unbekannt Unbekannt S-Verlust? (Gen unbekannt) S-Verlust? (Gen unbekannt) S-Verlust/Inaktivierung (P53) S-Verlust/Inaktivierung (Gen unbekannt) Onkogenamplifikation (außer ERBB noch MYC, RAS, FOS, ROS) Unbekannt S-Verluste/Inaktivierungen? (Gene unbekannt) Onkogenamplifikationen (davon 25–30% NMYC)
100
S-Verlust/Inaktivierung (RB-Gen)
30 ? ?
Unbekannt Unbekannt S-Verlust? (Gen unbekannt)
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
85
Tabelle 20. (Fortsetzung) Tumor
Anomalie
%
Melanom
LOH/del(6)(q12–27) 80 [ha¨ufig in Form von i(6)(p10)] Rea/LOH/dup/del(1) (p13–22) 60 und (1)(q11–21) Rea/LOH/del(9)(p21) 20–90 –7, i(7)(q10) +7
30
–10
30
Molekulares Korrelat S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung (P16 in 9p21, negativer Zellzyklusregulator) S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt) Unbekannt S-Verlust/Inaktivierung? (Gen unbekannt)
Ewing-Sarkom-Familie: Diese Tumoren sind genetisch spezifisch charakteri-
siert durch die Translokation t(11;22)(q24;q12). Es kommt zur Bildung eines Fusionsgens mit onkogener Aktivitt, das aus Anteilen von FLI1, einem DNS-bindenden Gen in 11q24, und von EWS, einem RNS-bindenden Gen in 22q12, besteht. Neben dem FLI1-Gen knnen vier weitere Mitglieder der ETS-Transkriptionsfaktor-Familie als Partner fr das EWS-Gen fungieren: ERG (21q22), FEV (Chromosom 2), ETV1 (7p22) und E1AF (17q12). Die Translokation ist bei ber 90% der Flle beschrieben worden. Als sekundre Vernderungen finden sich eine Trisomie 8 und ein zustzliches aus einer 1;16-Translokation resultierendes, deriviertes Chromosom 16. Meningiome: Meningiome weisen in 70…90% als spezifische Anomalie eine
Monosomie 22 bzw. Deletionen oder Strukturanomalien auf, die alle zum Verlust der Chromosomenbande 22q12 fhren. Auf molekulare Ebene lt sich ein Allelverlust bzw. eine Inaktivierung des Tumorsuppressorgens NF2 nachweisen. Hufig ist auch ein Verlust des DAL1-Proteins (Gen in 18p11.3 lokalisiert) als frhes Ereignis zu beobachten. In 30% der Tumoren wird der Verlust des Y-Chromosoms beobachtet. Weitere berzufllig hufige Anomalien sind 1p- und 11p-Deletionen und Monosomien bzw. Verlust der Chromosomen 8 und 14 sowie eines X-Chromosoms. Komplexe Chromosomenanomalien wurden gehuft bei invasiven und rezidivierten Meningiomen beobachtet. Gliome: Gliome sind klinisch und genetisch heterogen. Die hufigsten gene-
tischen Vernderungen sind Amplifikationen des Onkogens ERBB, die in bis zu 50% der Tumoren nachweisbar, zytogenetisch jedoch nicht detektierbar sind. Bei jeweils 40% der Gliome ist eine Trisomie 7 bzw. der Verlust des Y-Chromosoms nachweisbar. Der Verlust eines putativen Suppressorgens in 9p21 mu aufgrund von LOH- und zytogenetischen Analysen bei 30…40% der Patienten vermutet werden. Etwa 30% der Tumoren weisen eine Mono-
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Prinzipien der Tumorbiologie
somie 10 auf. Eine Inaktivierung des Suppressorgens P53 in 17p13 in Form unterschiedlichster Anomalien wird bei 25…30% der Gliome beobachtet. 20% der Patienten zeigen in ihren Tumoren eine Monosomie 22. Mglicherweise ist hier das gleiche Suppressorgen, NF2, wie bei Meningiomen betroffen. Onkogenamplifikationen in Form von hsr finden sich bei 15% der Patienten. In diese Anomalien knnen neben dem ERBB noch andere Onkogene aus der MYC- und RAS-Familie sowie FOS und ROS involviert sein. Eine Reihe weiterer Chromosomenregionen wie 1p, 1q, 6p, 10p, 10q, 13q, 19q, und 22q sind berzufllig hufig bei Gliomen in chromosomale Umbauten involviert oder von Allelverlusten betroffen. Die prognostische Wertigkeit von chromosomalen Aberrationen bei Gliomen ist in erster Linie quantitativ: Whrend ein Drittel der Grad-I- und -II-Gliome einen normalen Karyotyp haben, sind die hhergradigen Tumoren berwiegend aberrant und zeigen einen hohen Anteil von komplexen Chromosomenanomalien. Patienten mit normalem Karyotyp oder mit nicht-klonalen Anomalien hatten eine signifikante lngere berlebenszeit als Patienten mit klonalen Chromosomenvernderungen. Neuroblastome: Neuroblastome sind genetisch gut charakterisiert und zhlen
zu den hufigsten soliden Tumoren bei Kindern. Als hufigste Anomalie ist der Zugewinn von chromosomalem Material des langen Arms von Chromosom 17 zu beobachten, oftmals auf der Basis einer unbalancierten Translokation an den kurzen Arm eines Chromosoms 1. Deletionen des kurzen Arms von Chromosom 1 ohne Translokation werden bei Neuroblastomen ebenfalls hufig nachgewiesen. Ferner spielt die Amplifikation des MYCNOnkogens, offenbar als frhes Ereignis, eine Rolle. Das zytogenetische Korrelat knnen „double minutes“ oder „homogeneously staining regions“ sein. Whrend 1p-Verluste und die MYCN-Amplifikation eine schlechte Prognose signalisieren, ist ein nahezu triploider Chromosomensatz ohne 1p36-Deletion und MYCN-Amplifikation mit einem gnstigeren Krankheitsverlauf assoziiert (Ambros et al. 1996). Retinoblastome: Retinoblastome sind zu 90% sporadischen Ursprungs und nur zu 10% kongenital. Das Beispiel der kongenitalen Retinoblastome diente Knudson 1971 zur Formulierung der 2-Schritt-Tumorpathogenese. Individuen mit genetischer Prdisposition fr ein Retinoblastom tragen in jeder ihrer Krperzellen ein inaktiviertes RB-Allel. Kommt es durch somatische Mutationen innerhalb der Retina im Sinne eines zweiten Schrittes zur Inaktivierung des zweiten RB-Allels, entsteht ein Retinoblastom. Bei sporadischen Retinoblastomen sind beide Mutationsschritte erworben und finden nur in der Retina statt. Die hufigste zytogenetische Vernderung bei Retinoblastomen ist das Isochromosom i(6)(p10), das bei ber 30% der Patienten im Tumorgewebe nachweisbar ist. Die Konsequenz dieser Vernderung auf molekularer
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
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Ebene ist nicht bekannt. Die fr Retinoblastome charakteristische Anomalie in Form einer Deletion im langen Arm eines Chromosoms 13 unter Verlust der Bande q14, des Locus des Retinoblastom-Suppressorgens (RB), ist auf zytogenetischem Niveau nur bei etwa 20% der Tumoren nachweisbar. Mittels LOH-Analyse und anderer molekulargenetischer Methoden lt sich aber stets der Verlust bzw. die Inaktivierung beider RB-Allele nachweisen. Weiterhin finden sich bei einem Teil der Patienten Trisomien des langen Armes von Chromosom 1 und eine Monosomie 16 (Horsthemke et al. 1992). Melanome: Melanome sind typischerweise genetisch komplex verndert und weisen eine Vielzahl von numerischen und strukturellen Chromosomenanomalien auf. In 80% der Tumoren sind LOH oder Deletionen im langen Arm von Chromosom 6 nachweisbar, hufig auch in Form eines Isochromosoms fr den kurzen Arm, i(6)(p10). Ein potentielles Suppressorgen innerhalb des deletierten Bereiches wurde bisher noch nicht identifiziert. Unterschiedliche Strukturanomalien des Chromosoms 1 in den Regionen p13…22 und q11…21 treten bei 60% der Melanome auf. Deletionen, LOH und andere Strukturanomalien der Chromosomenbande 9p21 wurden bei 20…90% der Melanome beobachtet. Molekulare Konsequenz dieser Anomalien scheint die Inaktivierung des Zellzyklusvorgnge negativ regulierenden Suppressorgens P16 zu sein (Skolnick et al. 1994). Ein Drittel der Tumoren weist unterschiedliche Chromosom-7-Vernderungen in Form von Monosomien, Trisomien und Isochromosomen auf. Mit gleicher Frequenz ist eine Monosomie 10 zu beachten. Patienten mit Melanomen, die Strukturanomalien der Chromosomen 7 und 11 aufwiesen, hatten ein signifikant krzeres berleben als Patienten ohne diese Aberrationen. Keimzelltumoren: Die hufigste und sehr charakteristische Anomalie bei mnnlichen Keimzelltumoren ist das Isochromosom des kurzen Armes von Chromosom 12, i(12)(p10). Diese Anomalie hat zwei Konsequenzen: Erstens kommt es zum Verlust des langen Armes eines Chromosoms 12, zweitens liegen zwei Kopien des kurzen Chromosomenarmes zusammen mit dem normalen Chromosom 12, also drei 12p-Arme, vor. Das i(12)(p10) ist bei 80% aller Keimzelltumoren unabhngig davon, ob es sich um seminse oder nicht-seminse Tumoren handelt, zu beobachten. Stets finden sich zustzliche Chromosomenvernderungen. Der molekulare Hintergrund der Anomalie ist bisher nicht entschlsselt worden. Eine Involvierung von KRAS auf 12p wurde allerdings ausgeschlossen. Vielmehr wurden NRAS(1p)-Mutationen beschrieben. Hinweise darauf, da eher der Hinzugewinn von 12p als der Verlust von 12q eine kritische Rolle spielt, konnten durch klinische Korrelationen zwischen Anzahl der 12p-Kopien und erhhtem Risiko fr ein Therapieversagen erarbeitet werden. Andere Gruppen konnten diese Hypothese jedoch nicht sttzen und favorisieren das Konzept des Verlustes eines Tumorsuppressorgens in 12q.
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Prinzipien der Tumorbiologie
Ein weiterer wichtiger zytogenetischer Marker ist die Polyploidisierung, also die Vervielfachung des ganzen haploiden Chromosomensatzes. Seminome weisen generell eine hhergradige Polyploidisierung … sie sind meist tri- oder tetraploid … als andere mnnliche Keimzelltumoren, die eher hypotriploid sind, auf. In beiden Tumorgruppen lt sich eine Unterreprsentanz der Chromosomen 11, 13, 18 und Y nachweisen, whrend die Chromosomen 7, 8, 12 und X hufig berreprsentiert sind. Nicht-seminse Tumoren zeigen hufig eine hhere 12p-Kopienzahl als Seminome. Ob die Polyploidisierung ein frhes und die i(12p)-Akquisition ein sptes Stadium in der Entwicklung von Keimzelltumoren darstellt, ist derzeit noch umstritten. Neben der bereits erwhnten ungnstigen prognostischen Relevanz der Anzahl von 12p-Kopien ist ein weiteres ungnstiges zytogenetisches Kriterium der Nachweis von Onkogenamplifikationen in Form von „double minutes“ (dmin) und „homogeneously staining regions“ (hsr), die bei einem Viertel der Patienten mit extragonadalen Manifestationen beschrieben wurden, ohne da nachgewiesen werden konnte, welche Onkogene amplifiziert waren. Innerhalb der Gruppe der Nicht-Seminome sind Teratome durch die hufige Involvierung von 1p32…36 und 7q11 charakterisiert und Tumoren, die sich histologisch vom Dottersack ableiten, durch 1p22-Rearrangements (Tabelle 21).
Tabelle 21. Genetische Anomalien bei Keimzelltumoren und Melanomen. (Nach Heim u. Mitelman 1994; Le Beau 1997) Tumor
Anomalie
%
Testikula¨re Keimzelltumoren i(12)p(10) [und andere Rea, 80–100 mit Hinzugewinn von 12p] (Seminome und nichtsemino¨se Tumoren)
Molekulares Korrelat
Unterrepra¨sentation von: 11, 13, 18, Y U¨berrepra¨sentation von: 7, 8, 12, X
?
Onkogenaktivierung/u¨berexpression (Gen unbekannt, KRAS nicht involviert) Unbekannt
?
Unbekannt
Teratome
Rea 1p32, 7q11
?
Unbekannt
Dottersacktumoren
Rea 1p32, 7q11
?
Unbekannt
Extragonadale (metastatische) Keimzelltumoren
hsr und dmin
25
Onkogenamplifikation/u¨berexpression (Gene unbekannt)
dmin = „double minutes“, zytogenetische Korrelate einer Onkogenamplifikation in Form von doppelpunktartigen kleinen Markerchromosomen.
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
89
12 Perspektiven Der Anteil der soliden Tumoren an tumorzytogenetischen Analysen hat von 12% (von 3844 analysierten malignen Erkrankungen) 1983 auf 27% (von 22076) im Jahre 1994 zugenommen (Heim und Mitelman 1994). Diese Zahlen verdeutlichen den enormen Aufschwung, den die genetische Analyse von soliden Tumoren genommen hat. Zunehmend werden die zytogenetischen Daten durch molekulargenetische Befunde vertieft und ergnzt, so da in den nchsten Jahren zu erwarten ist, da die molekularen Mechanismen der Entstehung solider Tumoren zunehmend besser verstanden werden. Ein nchster Schritt, der bisher nur fr wenige Entitten vollzogen wurde und selbst bei den wesentlich besser genetisch aufgearbeiteten hmatologischen Neoplasien hufig noch aussteht, ist die systematische Erfassung genetischer Anomalien im Rahmen klinischer Therapiestudien und ihre Evaluation fr Prognoseabschtzung und Therapieansprechen. Ziel knnte es sein, auch solide Tumoren stratifiziert nach den zugrundeliegenden genetischen Vernderungen zu behandeln, so wie es sich z.B. bei der ALL und der AML zunehmend herauskristallisiert. Eine groe Bedeutung fr die genetische Charakterisierung sporadischer solider Tumoren haben die Erkenntnisse, die an hereditren Entitten gewonnen werden (Tabelle 22). Hufig lassen sich die bei familiren Krebserkrankungen gewonnenen Erkenntnisse zumindest partiell auf deren sporadische Entsprechungen bertragen, oder aber sie lenken das Augenmerk auf Genfamilien oder bestimmte molekulargenetische Mechanismen, wie beispielsweise die DNSReparatur, die sowohl fr familire als auch fr sporadische Krebserkrankungen relevant sind. Das prominenteste Beispiel hierfr ist sicherlich das Retinoblastom, aber auch neuere Erkenntnisse (Tabelle 22) z.B. bei den HNPCC, den Mammakarzinomen, Nierenzellkarzinomen und Melanomen geben zu der Hoffnung Anla, da die Erkenntnisse, die bei familiren Krebserkrankungen gewonnen wurden, als Kristallisationskerne fr weiterfhrende Forschungsanstze auch bei sporadischen soliden Tumoren dienen knnen. Bei den hmatologischen Neoplasien wird die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) zunehmend breiter eingesetzt und findet Eingang in die zentrale Diagnostik multizentrischer Therapiestudien. Es wird jetzt zu evaluieren sein, welchen Beitrag dieses Verfahren neben der klassischen Zytogenetik und der PCR-basierten molekulargenetischen Diagnostik leisten kann. Vor allem fr Verlaufsuntersuchungen und die Objektivierung und Quantifizierung der minimalen Resterkrankung (MRD) laufen derzeit systematische Untersuchungen, die uns in Zukunft die Frage beantworten werden, welche prognostische Relevanz der Nachweis von MRD auf molekularem Niveau, in der Interphasen- Zytogenetik (FISH) und in der klas-
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Prinzipien der Tumorbiologie
Tabelle 22. Genetische Anomalien bei familia¨ren Krebserkrankungen Familia¨rer Tumor/Syndrom
Involvierte Gene
Lokalisation
Involviert in sporadischen Tumoren
Retinoblastom
RB
13q14
Ja
HNPCC
Mismatch-repair-Gene MLH1 MSH2 PMS1 PMS2 MSH6
3p21 2p22–21 2q31–33 7p22 2p16
Familia¨re Polyposis coli
APC
5q22
Ja
Familia¨res Mammakarzinom
BRCA1 BRCA2
17q12 13q12
?
Von Hippel-Lindau-Syndrom (Nierenzell-Karzinom)
VHL
3p25
Ja
Familia¨re Melanome
P16
9p21
Ja
Neurofibromatose Typ I
NF1
17q11.2
Ja (z.B. JMML)
Neurofibromatose Typ II
NF2
22q12
Ja
Li-Fraumeni-Syndrom
P53
17p13
Ja
Ja
?
sischen Zytogenetik hat und welche therapeutischen Konsequenzen sich hieraus ergeben. Schon jetzt zeichnet sich ab, da die Bedeutung des Nachweises einer MRD auch abhngig ist von der jeweiligen untersuchten genetischen Anomalie. Nur durch eine Kombination der derzeit etablierten, einander ergnzenden genetischen Analysemethoden … klassische Zytogenetik, FISH und Molekulargenetik … ist eine umfassende genetische Charakterisierung maligner Erkrankungen mglich, wobei das Wissen ber die jeweiligen methodischen Strken, Schwchen und Interpretationsspielrume unabdingbar ist, um fr eine konkrete Fragestellung das optimale Verfahren auszuwhlen. Eine zunehmend wichtige Rolle bei der Durchfhrung von Expressionsanalysen bzw. zur Prfung der genomischen Variabilitt in Form von Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) spielt die Chip- bzw. die „Mikroarray“Technik. Die Expression von Tausenden von Genen kann mittels Chips in einem einzigen Experiment geprft werden, so da mit dieser Methode Subgruppen von Tumoren aufgrund ihres spezifischen Expressionsmusters identifiziert werden knnen. Die SNP-Analyse soll dazu dienen heraus-
1.8
Zyto- und molekulargenetische Anomalien bei malignen Erkrankungen
91
zufinden, welcher Genotyp mit dem Ansprechen auf Zytostatika bzw. mit der Resistenzentwicklung gegenber bestimmten Substanzen assoziiert ist. Literatur Ambros IM, Zellner A, Roald B et al (1996) Role of ploidy, chromosome 1p, and Schwann cells in die maturation of neuroblastoma [see comments]. N Engl J Med 334:1505…1511 Bennett J, Catovsky D, Daniel M-Tet al (1976) Proposals for the classification of acute leukemias. A report of the French-American-British Cooperative Group. Br J Haematol 33:451…458 Boultwood J, Fidler C (1995) Chromosomal deletions in myelodysplasia. Leuk Lymphoma 17:71…78 Chung GT, Sundaresan V, Hasleton P et al (1995) Sequential molecular genetic changes in lung cancer development. Oncogene 11:291…297 Cline MJ (1994) The molecular basis of leukemia. New Engl J Med 330:328…336 Dhner H, Stilgenbauer S, Benner A et al (2000) Genomic aberrations and survival in chronic lymphocytic leukemia. N Engl J Med 343:1910…1916 Fearon ER, Vogelstein B (1990) A genetic model of colorectal tumorigenesis. Cell 61:759…767 Greenberg P, Cox C, LeBeau MM et al (1997) International scoring system for evaluating prognosis in myelodysplastic syndromes. Blood 89:2079…2088 Haase D, Feuring-Buske M, Knemann S et al (1995) Evidence for malignant transformation in acute myeloid leukemia at the level of early hematopoietic stem cells by cytogenetic analysis of CD34+ subpopulations. Blood 86:2906…2912 Haase D, Schanz J, Wulich J et al (1997) Prognostic relevance of cytogenetic subgroups in 357 patients with myelodysplastic syndromes. Blood 90: Suppl 1, abstr. 2232 Harris NL, Jaffe ES, Diebold J et al (1999) World Health Organization classification of neoplastic diseases of the hematopoietic and lymphoid tissues: report of the Clinical Advisory Committee meeting … Airlie House, Virginia, November 1997. J Clin Oncol 17:3835…3849 Horsthemke B (1992) Genetics and cytogenetics of retinoblastoma. Cancer Genet Cytogenet 63:1…7 ISCN (1985) An International System for Human Cytogenetic Nomenclature. Birth Defects: Original Series No. 1, Vol. 21, National Foundation, March of Dimes, New York Jacobs (1991) Genetic abnormalities in myelodysplastic syndromes. Cancer Genet Cytogenet 56:1…6 Johannsson B, Mertens F, Heim S et al (1991) Cytogenetics of secondary myelodysplasia (sMDS) and acute nonlymphocytic leukemia (sANLL). Eur J Haematol 47:167…179 Kallioniemi A, Kallioniemi O-P, Sudar R et al (1992) Comparative genomic hybridization for molecular cytogenetic analysis of solid tumors. Science 258:818…821 Kovacs G, Akhtar M, Beckwith BJ et al (1997) The Heidelberg classification of renal cell tumors. J Pathol 183:131…133
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Prinzipien der Tumorbiologie
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1.9
Lokales Tumorwachstum R. Kath, A. Grothey
1 Benignes und malignes Wachstum Benignes Wachstum unterscheidet sich von malignem Wachstum dadurch, da es keine Kompetenz zur Metastasierung besitzt und blicherweise normales Gewebe nicht infiltriert. Das lokal infiltrative Wachstum ist im Gegensatz zur Metastasierung kein Beweis, sondern lediglich ein meist assoziiertes Phnomen von Malignitt. F Die (klinisch) aggressive Fibromatose des abdominellen und extraabdominellen Desmoids zum Beispiel zhlt definitionsgem zu den benignen Tumoren, da sie lediglich lokale Infiltrationseigenschaften aufweist, ohne zu metastasieren. F Andererseits zhlt das Basaliom, das lange lokal geringe Destruktionen aufweist, zu den malignen Erkrankungen, da es prinzipiell Metastasierungskompetenz besitzt, dies allerdings in weniger als 1 von 4000 Fllen (Preston u. Sern 1992). F Karzinoide wiederum, die lokal langsam infiltrativ wachsen, knnen zwar metastasieren, haben aber im Vergleich zu intestinalen Adenokarzinomen einen klinisch benigneren Verlauf. Frher wurden diese Tumoren als semimaligne bezeichnet. Der Begriff sollte jedoch aufgegeben werden, da er weder klinisch noch histomorphologisch scharf definiert werden kann. Die benigne Natur eines Tumors wird hufig, allerdings nicht regelhaft, durch das Suffix ,,om" ausgedrckt, wie z.B. beim Leiomyom, einer benignen Neoplasie der glatten Muskulatur. Gefhrlich werden kann ein benigner Tumor dann, wenn beim begrenzten Raumangebot eine Kompression von Normalgewebe oder Verlegung von Hohlorganen auftritt. Die Geschwindigkeit des Zellwachstums ist kein Unterscheidungskriterium zwischen benignem und malignem Gewebe. Vergleichende Zellproliferationsuntersuchungen an normalem, entzndetem und malignem Lungenund Zervixgewebe ergaben sogar, da benigne entzndete Lsionen bis zu 20mal schneller proliferieren knnen als maligne Lsionen. Das Wachstum von benignem und malignem Gewebe hngt von einer individuell unterschiedlichen Rate der Zellteilung, der Wachstumsfraktion und des Zellverlustes ab, was bei Tumoren am besten durch die Tumorverdopplungszeit ausgedrckt ist. Diese kann zwischen 2 und 600 Tagen betragen. Das initiale Tumorwachstum ist exponentiell. Mit zunehmender Tumorgre flacht die Wachstumskurve (Gompertzian-Kurve) ab. Hierfr wird unter anderem
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Prinzipien der Tumorbiologie
eine Abnahme des Nhrstoffangebotes bei vergleichsweise schlechter werdender Blutversorgung angeschuldigt. Unter ungnstigen Wachstumsbedingungen verlassen Tumorzellen den Proliferationszyklus und treten in eine ruhende G0- oder verlngerte G1-Phase ein. Diese Zellen knnen bei geeigneten Wachstums(faktor)stimuli jederzeit erneut in den Zellzyklus eintreten. Die Biologie der Zellteilung und Differenzierung ist in benignem und malignem Gewebe hnlich. Die maligne Zelle ist wie ihr benignes Gegenstck mit allen notwendigen Biomoleklen zur Zellerneuerung ausgestattet. Erst das Unvermgen, diese in einem Gleichgewicht zu regulieren, generiert den malignen Phnotyp. Man kann deshalb malignes Wachstum mit einer nicht abheilenden Wunde vergleichen.
2 Tumorheterogenita¨t Eine Vielzahl von biochemischen, immunologischen, zytogenetischen und molekularbiologischen Untersuchungen weist darauf hin, da die Mehrzahl aller Neoplasien ihren Ursprung von jeweils einer entarteten Zelle nimmt (Fialkow 1979, Arnold et al. 1983). Diese ,,klonale Evolution" (Nowell 1976) resultiert aus einer erhhten genetischen Instabilitt der Tumorzelle, die sequentiell eine zunehmende Heterogenitt der Tumorzellen erzeugt. Die erhhte genetische Instabilitt von Tumorzellen kann erworben oder im Sinne eines chromosomalen Fragilittssyndroms angeboren sein. Die biologische und klinische Progression eines Tumors ist im Sinne der klonalen Evolution durch die Entwicklung von heterogenen Tumorzellvarianten charakterisiert, die zunehmend aggressives Wachstumsverhalten aufweisen. Dieses aggressive Wachstumsverhalten kann sich in einem undifferenzierten Phnotyp, einem Verlust der Abhngigkeit von exogen zugefhrten oder endogenen Wachstumsfaktoren und einer Chemotherapieresistenz manifestieren. Am deutlichsten wird die Dynamik der Tumorprogression in ihrem letzten Stadium, der Metastasierung, ausgedrckt. Hier weisen nicht nur Primrtumor und Metastase, sondern auch die Metastasen untereinander eine Heterogenitt auf. Behandlungsergebnisse in der Therapie einer metastastischen Erkrankung sind deshalb nicht selten divergent oder diskordant. Diese Heterogenitt kann sich dabei auch auf die Zielstrukturen eines molekularen Therapieansatzes, wie z.B. Oberflchenproteine von Tumorzellen, beziehen, die unterschiedliche Expressionsmuster und -intensitten zwischen Primrtumor und Metastasen aufweisen knnen. Die Entwicklung einer Tumorzellheterogenitt mit zunehmend aggressiverem Wachstumsverhalten ist von manchen Autoren als Zufalls- (Weiss 1976), von anderen als Selektionsproze (Fidler 1973) betrachtet worden. Fr letztere Annahme lieen sich untersttzende Daten in Klonierungsversuchen in Zellkultur und im Tiermodell erbringen. Heterogene Tumorzell-
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Lokales Tumorwachstum
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populationen entwickeln sich in sehr unterschiedlichen Zeitrumen. In einigen Fllen ist die Tumorprogression mit Entwicklung heterogener Subpopulationen schon vor Erreichen eines makroskopisch nachweisbaren Primrtumors abgelaufen. In anderen Fllen kann jahrelang eine homogene, gut differenzierte Tumorzellpopulation vorherrschen.
3 Lokale Tumorausbreitung Bei der lokalen Tumorausbreitung wird seit langem zwischen expansivem Wachstum mit Verdra¨ngung und Druckatrophie der Umgebung und infiltrativem Wachstum mit zapfen- und strangfo¨rmiger Tumorzellausbreitung auf dem Wege der Gewebsspalten in die Umgebung unterschieden (Abb. 1). Die invasiven Zellen verteilen sich in das umgebende Gewebe entweder einzeln oder als Zellverband. Diese Zellen knnen u.U. weit von der Haupttumormasse entfernt sein. >
Das wichtigste einzelne histopathologische Charakteristikum eines malignen Tumors beruht deshalb darauf, da ihm eine klar markierte Grenze fehlt.
Bleiben die atypischen Zellen auf eine mukse Oberflche beschrnkt, ohne die darunter liegende Basalmembran zu tangieren, sprechen wir von einem Carcinoma in situ. Wird die Basalmembran, die aus einem dichten Netzwerk aus extrazellulren Matrixproteinen (Kollagene, Fibronektin, Glykoproteine, Proteoglykane u.a.) besteht, durchdrungen, liegt ein invasiver Tumor vor. >
Die Basalmembran weist keine Poren oder Kanle auf, die gro genug wren, um eine Zelle ohne Destruktionen passieren zu lassen. Die Invasion ist deshalb ein aktiver Proze, der nicht allein durch den Druck einer exzessiven zellulren Proliferation erklrt werden kann.
Die Tumorzelle mu vielmehr entweder Enzyme sezernieren oder aktivieren, die die Hauptbestandteile der extrazellulren Matrix degradieren (Liotta et al. 1983). Fr diese extrazellulren Matrixproteine lieen sich auf der Oberflche der Tumorzelle Rezeptoren nachweisen (Ruoshlati u. Pierschbacher 1987). Neben der Proteolyse ist fr die lokale Tumorausbreitung ein Ungleichgewicht von teilweise identifizierten Motilitts- und Angiogenesefaktoren verantwortlich. Fr ein Tumorwachstum > 2 mm Durchmesser ist dabei die Aktivierung einer Neoangiogenese erforderlich (Folkman 2001). Die durch die Neoangiogenese entstandenen Tumorgefe sind fragil und werden leicht von Tumorzellen infiltriert. Invasives Wachstum ist darber hinaus an eine gesteigerte Einzelzellmotilitt gebunden, die durch dynamische Modulation des zellulren Aktin-Zytoskeletts bewirkt wird und unter der Kontrolle eines Netzwerks aus verschiedenen Signalkaskaden
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Prinzipien der Tumorbiologie
Abb. 1. Dreischritthypothese zur Invasion von Tumorzellen in die extrazellula¨re Matrix. (Modifiziert nach Liotta et. al 1983)
steht (Feldner u. Brandt 2002). Ein differenziertes Lymphsystem liegt im Inneren eines Tumors nicht vor, so da die Kommunikation von Tumorzellen mit dem Lymphsystem ber die Peripherie des Tumors erfolgt. Viele Tumoren werden von einer groen Zahl von Makrophagen und Lymphozyten infiltriert. Diese knnen mehr als 50% der totalen Zellmasse ausmachen. In einigen Fllen wurde eine prognostische Bedeutung einer lymphoiden Reaktion diskutiert. Zum Beispiel haben das medullre Brustkarzinom mit starker lymphozytrer Infiltration und die lymphozyten-
1.9
Lokales Tumorwachstum
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reiche Lymphogranulomatose eine vergleichsweise bessere Prognose als die entsprechenden lymphozytenarmen Formen. Man hat versucht, die tumorinfiltrierenden Zellen zu therapeutischen Zwecken im Sinne einer spezifischen Immuntherapie zu nutzen. Der klinische Stellenwert ist hierfr bisher nicht abschtzbar.
4 Biologie und Molekularbiologie der Metastasierung Bevor eine maligne Zelle Ausgangspunkt einer Tochtergeschwulst wird, mu sie mehrere Stadien eines komplexen Metastasierungsprozesses durchlaufen. Die von Fidler u. Poste (1982) beschriebene metastatische Kaskade (s. Abb. 2) beginnt mit der unkontrollierten Proliferation im Primrtumor. Nach Loslsung aus dem epithelialen Zellverband, z.B. nach Verlust der Expression des Zell-Zell-Adhsionsmolekls E-Cadherin, ist eine Subpopulation von Zellen zur Invasion in vaskulre und lymphatische Strukturen befhigt. Zirkulierende Zellen knnen dann am Ort der Metastasierung in einem geringen Prozentsatz anhaften und die Basalmembran der Gefe degradieren, wofr die Produktion von Enzymen die extrazellulre Matrix-
Abb. 2. Sequentielle „metastatische Kaskade“ eingeteilt in 6 aufeinanderfolgende Schritte: 1 Proliferation des Prima¨rtumors, 2 Invasion von Prima¨rtumorzellen in ein lymphatisches oder kapilla¨res Gefa¨ß, 3 Ausbildung von Tumoremboli, 4 Adha¨sion von Tumorzellen an die Gefa¨ßwand, 5 erneute Invasion in subendotheliales Gewebe, 6 Proliferation der etablierten Metastase. (Modifiziert nach Fidler 1982)
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bestandteile spalten knnen, eine Grundvoraussetzung ist. In vivo findet die Invasion vornehmlich in den Kapillar- und Lymphgefa¨ßen statt, whrend Arterien und Arteriolen, die reich an elastischen Fasern sind, nur selten durchdrungen werden knnen. Die metastatische Kaskade ist angiogeneseabhngig. Der angiogenetische Proze wird durch stimulierende (z.B. basischer Fibroblasten-Wachstumsfaktor [bFGF], vaskulrer endothelialer Wachstumsfaktor [VEGF]) und inhibierende Faktoren (z.B. Endostatin, Angiostatin, Interferon-a und -b, Plttchenfaktor-4) reguliert. Aufgrund tierexperimenteller Studien (Schirrmacher 1985) konnte gezeigt werden, da der Metastasierungsproze quantitativ ineffektiv ist, denn weit weniger als 1% der malignen Zellen, die sich vom Primrtumor lsen und im Kreislauf zirkulieren, erfllen alle fr eine Metastasierung notwendigen Voraussetzungen. Ein Tumor kann bis zu 104 Zellen/g Gewebe in 24 h abstoßen. Die Inzidenz an klinisch nachweisbaren Metastasen ist jedoch weitaus geringer. Daraus ergibt sich, da der Primrtumor eine bestimmte Gre berschreiten mu, ehe gengend Zellen vorhanden sind, um alle Stufen der metastatischen Kaskade zu berwinden. Die meisten klinisch nachweisbaren Metastasen treten erst auf, wenn der Prima¨rtumor eine Gro¨ße von mindestens 1 cm3, entsprechend einer Zellzahl von 109, erreicht hat. Von dieser groben Grundregel gibt es jedoch Ausnahmen. Beim Melanom der Mukosa z.B. mu man auch bei geringer Gre von einer stattgefundenen Metastasierung ausgehen, da die Erkrankung trotz frher Diagnose des Primrtumors fast immer einen fatalen, d.h. metastatischen Verlauf nehmen wird. Anders ist das hingegen bei den kutanen Primrmelanomen, die bei horizontalem, nicht aber bei radialem Wachstumsmuster des Primrtumors in 100% der Flle definitiv chirurgisch geheilt werden knnen. Unter Zellkulturbedingungen lieen sich diese klinischen Beobachtungen nachvollziehen, wonach ein histologisch radial wachsendes Primrmelanom im Gegensatz zum vertikal wachsenden im Nacktmausmodell keine metastatische Kompetenz besitzt. Viele maligne Erkrankungen besitzen ihr eigenes Verteilungsmuster an metastatischen Absiedlungen (Gilbert et al. 1980). Obwohl bestimmte Organe einen relativ geringen Anteil an der Blutzufuhr haben (z.B. Knochen, Nebennieren, Gehirn), ist die relative Hufigkeit metastatischer Absiedlungen in ihnen auffllig. Andererseits werden Herz, Muskeln, Nieren, Darm und Milz, die zusammen den grten Teil des Herzminutenvolumens bentigen, nur selten von einer Metastasierung befallen (Nicholson 1988). Diese Verteilungsmuster knnen nur teilweise durch anatomische und hmodynamische Gegebenheiten erklrt werden. Schon 1889 hatte Paget mit der „Seed-and-soil-Theorie“, wonach die Tumorzelle („seed“) auf eine fruchtbare Umgebung („soil“) treffen mu, um proliferieren zu knnen, eine bis heute anhaltende Diskussion in Gang gesetzt. Fr diese organspezifische Metastasierung oder Organotropie gibt es ber experimentelle
1.9
Lokales Tumorwachstum
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Versuche hinaus viele klinische Beispiele. So weist das Aderhautmelanom im Gegensatz zu Melanomen, die eine andere Primrlokalisation haben, eine starke Bevorzugung der Leber als Metastasierungsort auf. Spezifische Tumorzelladha¨sionsprozesse scheinen bei der organotropen Metastasierung eine bedeutsame Rolle zu spielen. Die Formation grerer Tumoremboli oder Mischzellaggregationen aus Tumorzellen, Thrombozyten, Lymphozyten und Monozyten begnstigt hingegen eher die unspezifische (nicht organotrope) Metastasierung im ersten Kapillarbett. Dieses ist meist die Lunge. In den letzten Jahren konnten einige Gene und Proteine identifiziert werden, die in den kritischen Phasen der Aneignung eines invasiven und metastatischen Phnotyps involviert sind. Hierzu gehren Proteasen, die den notwendigen Raum fr die infiltrierenden Zellen schaffen, ferner Zelladha¨sionsmoleku¨le (z.B. CD 44, Integrine), die whrend der Migration der invasiven Zellen fr den Kontakt mit Matrix- und Zellstrukturen verantwortlich sind. Darber hinaus knnen Motilita¨ts- und Wachstumsfaktoren die Migration von malignen Zellen beeinflussen. Umgekehrt knnen „Metastasensuppressorgene“ (z.B. nm 23, EIA, KISS-1 oder WDNM1) eine Metastasierung unterdrcken. Weiterhin konnten Proteaseinhibitoren wie die TIMP („tissue inhibitors of metalloproteinase“) sowie extrazellulre Matrixkomponenten wie Thrombospondin oder Fibronectin als Antagonisten der Metastasierung demonstriert werden. Es ist hervorzuheben, da alle endogenen pro- und antimetastatischen Faktoren reguliert werden von komplexen, miteinander netzfrmig verflochtenen Signaltransduktionskaskaden, die als Angriffspunkte dienen knnen fr molekulare, antimetastatische Therapieanstze. Literatur Arnold A, Cossmann J, Bakshi A et al (1983) Immunoglobulin gene rearrangements as unique clonal markers in human lymphoid neoplasms. N Engl J Med 309:1593… 1599 Fialkow P (1979) Clonal origin of human tumors. Annu Rev Med 30:135…143 Fidler IJ (1973) Selection of successive tumour lines for metastasis. Nature New Biol 242:148…149 Fidler IJ, Poste G (1982) The biologic diversity of cancer metastases. Hosp Pract 17:57…64 Feldner JC, Brandt BH (2002) Cancer cell motility … on the road from c-erbB-2 receptor steered signaling to actin reorganisation. Exp Cell Res 272:93…108 Folkman J (2001) Angiogenesis-dependent diseases. Semin Oncol 28:536…542 Gilbert HA, Kagan AR, Rao A, Nussbaum H, Hintz B, Chan PYM (1980) Considerations in the evaluation of cancer metastases to visceral organs. In: Grundmann E (ed) Metastatic tumor growth. Fischer, Stuttgart New York, pp 223…243
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Abku¨rzungsverzeichnis
ADCC Antikrper-abhngige zellulre Zytotoxizitt APC antigenprsentierende Zellen APM Antigenprozessierungsmaschinerie BZR B-Zell-Rezeptor b2-Mikroglobulin b2-M CEA karzinoembryonales Antigen CFU „colony forming unit“, Kolonie-bildende Einheit CLIP „class II associated Ii peptide“ CSF Kolonie-stimulierender Faktor CTL zytotoxische T-Lymphozyten DC dendritische Zellen ER endoplasmatisches Retikulum gp Glykoprotein HLA humanes Leukozyten-Antigen IFN Interferon IL Interleukin Ig Immunglobuline ITAM Immunrezeptor-Tyrosin-basierendes Aktivierungsmotiv ITIM Immunrezeptor-Tyrosin-basierendes inhibitorisches Motiv KAR NK-Zell-Rezeptoren („killer cell activating receptors“) KIR NK-Zell-Rezeptoren („killer cell inhibitory receptors“) LAK Lymphokin-aktivierte Killerzellen LMP Proteasomenuntereinheiten („low molecular weight proteins“) Ii invariante Kette der MHC-Klasse-II-Molekle LT Lymphotoxin MHC Haupthistokompatibilittskomplex NK natrliche Killerzellen PA Proteasomenaktivator PBL periphere Blutlymphozyten SEREX serologische Identifizierung von Antigen durch rekombinante Expressionsklonierung TAA tumorassoziierte Antigene TAM tumorassoziierte Makrophagen
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TAP
Peptidtransporter („transporter associated with antigen processing“) T-Helferzellen tumorinfiltrierende Lymphozyten transformierender Wachstumsfaktor Tumornekrosefaktor Tumornekrosefaktor anti-Apoptose induzierender Ligand tumorspezifische Transplantationsantigene T-Zell-Rezeptor vaskulrer endothelialer Wachstumsfaktor
Th TIL TGF TNF TRAIL TSTA TZR V-EGF
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Die Entstehung von Tumoren stellt einen komplexen Proze dar, der durch sequentielle Akkumulation verschiedener genetischer und epigenetischer Ereignisse charakterisiert ist. Dies wurde insbesondere durch Studien von Vogelstein und Koautoren am Modell des Dickdarmkarzinoms illustriert. Mindestens sieben unabhngige genetische Alterationen sind mit der kolorektalen Tumorgenese assoziiert (Kinzler u. Vogelstein 1996). Zu diesen Vernderungen zhlen insbesondere die Aktivierung von Onkogenen und die Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen. Die Dysregulation und/oder der Funktionsverlust dieser Gene kann zu Vernderungen in Signaltransduktionswegen, zu aberranter Zellzykluskontrolle und zur Instabilitt der genomischen Integritt fhren und spielt somit eine wesentliche Rolle bei der neoplastischen Transformation (Grady u. Markowitz 2002). Hufig werden chemische, virale bzw. physikalische Karzinogene als Auslser dieser Mechanismen angesehen. Die moderne ˜ra der Tumorimmunologie begann mit der Beobachtung von Tumorregression nach Administration von bakteriellen Extrakten und Produkten. Diese antitumorale Antwort war unspezifisch, da kein tumorspezifisches Immunogen gegeben wurde. Im weiteren wurden in den spten fnfziger Jahren von Prehn und Main (1957) sowie vielen anderen Forschern Experimente durchgefhrt, die zeigten, da Muse gegen syngene Transplantate von chemisch induzierten Tumoren immunisiert werden knnen, wobei diese immunologisch mediierte Reaktion tumorspezifisch war. Diese und andere Entdeckungen fhrten zur Immunberwachungshypothese, die besagt, da das Immunsystem neue Tumoren auf der Basis von „Neoantigenen“, die whrend der malignen Transformation entstehen, erkennt und eliminiert (Burnet 1970, Thomas 1959). Unglcklicherweise wurde in den letzten Jahren kein signifikanter klinischer Fortschritt in der Behandlung von metastatischen Tumoren mit immunologischen Therapien erzielt. Auerdem wurde die „Immunosurveillance“-Hypothese durch vielfltige Studien in immunkomprimierten Musen und Menschen in Frage gestellt, da kein Frequenzanstieg von epithelialen Tumoren nachgewiesen wurde. Jedoch besitzen immundefiziente Wirte eine Suszepti-
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bilitt gegenber lymphoretikulren, durch virale Onkogene hervorgerufene Erkrankungen. Krzlich wurde der Begriff „Immunoediting“ von Tumoren geprgt, der die „Immunosurveillance“-Hypothese erweitert. „Immunoediting“ stellt einen dynamischen Proze dar, der sowohl fr die Eliminierung von Tumoren als auch fr die Modulation des immunogenen Phnotyps von Tumoren in immunokompetenten Wirten verantwortlich ist (Dunn et al. 2002). Intensive Untersuchungen der letzten 20 Jahre, vor allem in bezug auf die adaptive Immunantwort, zeigen komplexe Interaktionen zwischen Tumorzellen und den verschiedenen Komponenten des Immunsystems. Durch die wachsende, wenn auch noch immer unvollstndige Kenntnis ber die molekularen Vorgnge von Zelloberflchenvernderungen auf Tumor- und Immunzellen, der Definition von Struktur und Funktion einer Vielzahl von Oberflchenrezeptoren bzw. Liganden auf diesen Zellen, der Aufklrung und Entdeckung der Signaltransduktionswege von Lymphozyten, der Charakterisierung von murinen tumorspezifischen Transplantationsantigenen (TSTA) sowie menschlichen tumorassoziierten Antigenen hat sich der Wissensstand der zellulren Immunreaktionen gegenber Tumoren und der Vorgnge, wie Tumorzellen sich der Kontrolle des Immunsystems entziehen knnen, deutlich verbessert (Boon 1992, Dunn et al. 2002). Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse beschftigt sich die Tumorimmunologie heute mit den Fragen der antigenen Eigenschaften von transformierten Zellen, der Wirt-Tumor-Interaktion, den molekularen Mechanismen der zellabhngigen Zytotoxizitt, der Identifizierung von Komponenten, die eine effiziente Immunantwort generieren und kontrollieren, der Induktion von Toleranz bzw. T-Zell-Anergie, den immunologischen Konsequenzen des Wirts auf das neoplastische Wachstum von Tumorzellen und der Modulation des Immunsystems, um Tumorzellen zu erkennen und diese zu eliminieren (Seljelid 1997, Foss 2002). Jedoch sind heute in der Tumorimmunologie viele Fragen noch nicht gelst (Drake u. Pardoll 2002). Zu diesen zhlen, ob das Ziel der Immunisierung eine CD4+ oder CD8+ T-Zell-Antwort sein soll und welches die kritischen zellulren Elemente der Immunantwort sind. Sind es T-Zellen, lymphokinaktivierte Killer (LAK)-Zellen, dendritische Zellen (DC) oder natrliche Killer(NK)-Zellen? Was ist das ideale Adjuvans? Welche Rolle spielen endogene versus exogene Zytokine bei der Immunantwort? Ebenfalls ist die Rolle von tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) nicht geklrt. Die zellulre und molekularbiologische Forschung wird in naher Zukunft unser Verstndnis der Tumorimmunologie weiter verbessern, was langfristig zu innovativen und rationalen Therapiekonzepten fr die Behandlung von menschlichen Tumoren fhren wird.
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1 Prinzipien der Immunerkennung 1.1 Der Pha¨notyp und die Funktion von Zellen des Immunsystems Die ha¨matopoetische Stammzelle und das lymphoide ,,Commitment"
Aus den pluripotenten hmatopoetischen Stammzellen entwickeln sich linienspezifische lymphozytre Vorlufer, die verschiedene extra- und intrazellulre Marker exprimieren und darber hinaus einer strengen Selektion unterzogen werden, bevor sie ihre funktionelle Reifung erhalten. Drei Klassen von Lymphozyten, die T- und B-Lymphozyten sowie Lymphozyten, die weder als T- noch als B-Zellen einstufbar sind, gehen aus den hmatopoetischen Stammzellen hervor (Abb. 1). Fr ihre Differenzierung in die entsprechenden lymphozytren Linien ist die Aktivitt einer Serie von Transkriptionsfaktoren erforderlich, wobei eine streng hierarchische transkriptionelle Regulation das Entwicklungspotential von Stammzellen determiniert (Boehmer 1997). Die B- und T-Lymphozyten exprimieren spezifische Antigenrezeptoren, die alle denkbaren Antigene, mit Ausnahme der krpereigenen, erkennen sollen. Zudem trgt die berwiegende Mehrzahl an Lymphozyten, mit Sicherheit jedoch B-Zellen, ausschlielich Rezeptoren einer Spezifitt, whrend der allele Ausschlu bei T-Zellen weniger stringent eingehalten wird. Die Basis der Monospezifitt und die Diversitt des Rezeptorrepertoires beruhen in bezug auf die a-Ketten-Expression auf einer irreversiblen DNS-Rekombination distinkter Gensegmente (V = variable; D = diversity; J = joining), die fr die variablen und diversen Regionen des jeweiligen Rezeptors kodieren, fr die die rekombinaseaktivierenden Gene RAG-1 und RAG-2 verantwortlich sind (Boubnov et al. 1995). Auerdem enthalten die B-Zell-Rezeptoren (BZR) sogenannte N-Regionen, kurze, nicht in der Keimbahn vorkommende DNS-Insertionen an den Fusionsstellen der Segmente, die ber ein aktives Mutationssystem eingefgt werden (somatische Hypermutation). Die B-Zell- und T-Zell-Rezeptoren (TZR) besitzen hnliche Funktionen, was anhand von Rezeptorverlustmutanten nachgewiesen wurde. Die Signaltransduktion ber den BZR bzw. TZR stellt eine wesentliche Voraussetzung fr die Selektion und Entwicklung von Bund T-Lymphozyten an multiplen Kontrollpunkten dar, was abhngig von der Strke des Signals und verschiedener Korezeptoren ist (Niiro u. Clark 2002, Lanzavecchia u. Sallusto 2002). Dabei resultiert die Interaktion der BZR bzw. TZR mit den entsprechenden Liganden in einer Tyrosinphosphorylierung und der Aktivierung von Proteintyrosinkinasen, was eine Kaskade von intrazellulren Phosphorylierungsereignissen auslst und konsekutiv zur zellulren Aktivierung fhrt (Weiss u. Littman 1994). Intermediate, die nach antigener B- und T-Zell-Stimulation entstehen, bleiben als zentrale Gedchtniszellen erhalten, die dann Sekundrantworten gegen das Antigen induzieren knnen (Lanzavecchia u. Sallusto 2002).
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Abb. 1. Ha¨matopoetische Stammzelldifferenzierung: Schematische Darstellung der an der antitumoralen Antwort beteiligten Zellen des Immunsystems. Die ha¨matopoetischen (CFU-GEMM) und lymphozyta¨ren Vorla¨ufer stammen von der pluripotenten Stammzelle ab. Die an einer effektiven antitumoralen Immunantwort beteiligten Zellen sind dargestellt
Das B-Zell-System
Die B-Zellen sind fr die Ausbildung und Erhaltung der humoralen Immunitt verantwortlich. Die Differenzierung der Knochenmarksstammzelle in eine reife B-Zelle wird in unterschiedliche Phasen unterteilt, die anhand der Expression von spezifischen Markergenen charakterisiert werden. Zu diesen zhlen das Signaltransduktionsmolekl CD19, das mit Ausnahme von Plasmazellen whrend der gesamten B-Zell-Differenzierung exprimiert wird, sowie andere in frhen Stadien der B-Zell-Differenzierung detektierbare Oberflchenmolekle, wie CD34, CD22, CD10 und intrazytoplasmatische und membranstndige Immunoglobuline (Ig). In der ersten Phase der B-Zell-Differenzierung entwickeln sich aus den hmatopoetischen Stammzellen unter dem Einflu verschiedener Transkriptionsfaktoren B-Zell-Vorlufer, die zur Herstellung eines BZR mit einer einheitlichen Spezifitt ihre Ig-Gensegmente umordnen (Mackay u. Browning 2002). Dieser Proze luft gnzlich antigenunabhngig, setzt die Interaktion mit Stromazellen voraus und fhrt zunchst zur Koexpression von Ig-Moleklen der Klassen M und D auf der Zelloberflche und damit zur Entstehung noch unreifer B-Zellen. Im Anschlu daran werden diese unreifen Vorlufer auf deren Antigenspezifitt hin selektiert, wobei sie im
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Knochenmark gegenber Autoantigen tolerant sind bzw. eliminiert werden (Burrows u. Cooper 1997). Die positiv selektionierten und dazu ausgereiften B-Zellen wandern anschlieend in den Lymphozytenpool und knnen dann durch Antigenkontakt in einem lymphatischen Organ aktiviert werden. Dies hat eine starke Proliferation und anschlieende Differenzierung der klonal expandierten Nachkommen von naiven B-Zellen zu Ig-sezernierenden Plasmazellen oder zu B-Gedchtniszellen zur Folge (Neuberger 1997, MacLennan 1998). Somit involviert der B-Zell-Teilungsproze die VDJ-Rekombination, somatische Hypermutation und Isotyprekombination. Der Aktivierungsproze wird durch die Interaktion von B-Zellen mit T-Helfer-Zellen und durch die Sekretion von Zytokinen kontrolliert (Burrows u. Cooper 1997). Die B-Zell-Proliferation und Antikrpersekretion knnen jedoch durch Kreuzvernetzung des Antigenrezeptors mit dem Fcc-Rezeptor blockiert werden (Tridandapani et al. 1997). Fr viele Jahre wurde die Produktion von Antikrpern als wesentliche Funktion von B-Zellen angesehen. Jedoch stellen aktivierte B-Zellen auch potente antigenprsentierende Zellen (APC) fr CD4-T-Zellen dar und produzieren eine Vielzahl proinflammatorischer (IL-1, IL-6, IL-8, TNF, Lymphotoxin [LT]) und immunsuppressiver Zytokine (TGF-b, IL-10) sowie hmatopoetische Wachstumsfaktoren (G-CSF, GM-CSF, M-CSF) (Pistoia 1997). Die physiologische Rolle dieser von B-Zellen sezernierten Zytokine ist komplex und beeinflut unter anderem die Proliferation und Aktivierung von Stammzellen.
Das T-Zell-System
Der Name T-Zelle wird durch die Rolle des Thymus whrend der Differenzierung der Lymphozyten geprgt. Die T-Lymphozyten entwickeln sich, wie die B-Zellen, aus hmatopoetischen Stammzellen, und ihre multipotenten Vorlufer wandern in den Thymus. In dem Mikromilieu des Thymuskortex proliferieren die Vorlufer der T-Zellen und durchlaufen verschiedene Reifungsstadien, die durch Rekombination der TZR-Gene und Vernderungen des Expressionsmusters des TZR-Komplexes, seiner Korezeptoren CD4 und CD8 und anderer Oberflchenmolekle gekennzeichnet sind. Die T-ZellEntwicklung stellt einen komplexen, noch nicht vollstndig verstandenen Proze dar. Man differenziert zwischen F einer positiven Selektion auf der Basis der Selbst-MHC-Erkennung F und einer negativen Selektion durch die Erkennung von Selbst-PeptidSelbst-MHC-Komplexen. Der erste Vorgang wird ber Epithelzellen des Thymus vermittelt, der zweite dagegen hauptschlich ber Makrophagen und dendritische Zellen. Durch
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diesen Vorgang wird Selbsttoleranz sichergestellt und ein nicht-schdigendes Rezeptorrepertoire gestaltet. Der TZR besteht aus mehreren Untereinheiten und liegt in der Zellmembran als ab- bzw. cd-Heterodimer mit einem Molekulargewicht von ca. 90 kD vor. Beide Untereinheiten sind ber eine Disulfidbrcke miteinander verbunden. In Analogie zur B-Zell-Entwicklung erfolgt whrend der T-Zell-Ontogenese eine in der Abfolge genau festgelegte Umlagerung der beiden verschiedenen TZR-Gen-Stze. Die cd-TZR-Ketten werden als erstes rearrangiert, konsekutiv gefolgt von der Umlagerung der b- und a-TZR-Ketten. Neben der Rekombination einzelner Gensegmente, durch die ein variables TZR-Repertoire entsteht, wird durch Deletion, Inversion, Schwesterchromatidaustausch und das Einfgen von Nukleotiden die TZRDiversitt zustzlich erhht. Die ab- bzw. cd-TZR-Ketten sind an der Zelloberflche nicht-kovalent mit vier bzw. fnf anderen TZR-Untereinheiten, dem CD3-Komplex, bestehend aus CD3c,d,e-Ketten, und den f- bzw. g-Ketten in Form von Homo- oder Heterodimeren assoziiert. Die Molekle des CD3-Komplexes sind fr die Transduktion von Aktivierungssignalen fr die T-Zelle essentiell, whrend die klonotypischen ab- oder cd-TZR Antigen erkennen (Shores u. Love 1996, Abb. 2). Insbesondere spielt die Tyrosin-
Abb. 2. Struktur des T-Zell-Rezeptors. Die verschiedenen Komponenten des T-Zell-Rezeptor-Komplexes (Gensegmente: V, variable; c, constant; j, joining und die verschiedenen TZR-Ketten) sind schematisch dargestellt, und ihre Funktion ist im Text ausfu¨hrlich beschrieben
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kinase Lck bei der T-Zell-Entwicklung und TZR-vermittelten Signaltransduktion eine essentielle Rolle. Krzlich konnte gezeigt werden, da eine effiziente T-Zell-Aktivierung durch ein charakteristisches dynamisches Rearrangement der T-Zell-Membran gekennzeichnet ist. Dabei fhrt die Bildung von sogenannten „ lipid rafts“ zu einer Akkumulation von TZR und membranassoziierten Signalproteinen in der Kontaktzone mit dem Target, was zu einer Potenzierung der Proteinphosphorylierung und damit der Signaltransduktion fhrt (Magee et al. 2002). Dies wird auch als immunologische Synapse bezeichnet. Die Kristallstruktur des TZR-Peptid-MHC-Komplexes stellt die derzeitige Grundlage fr die Kenntnis der TZR-Peptid-MHC-Interaktion dar (Rudolph u. Wilson 2002). Auf der Basis der TZR-Struktur unterscheidet man zwei T-Zell-Populationen, die ab- und cd T-Zellen. Letztere dominieren bei der frhen Embryonalentwicklung, whrend nach der Geburt mehr als 90% der T-Zellen den ab-TZR exprimieren. Die beiden T-Zell-Populationen unterscheiden sich in ihrer Ontogenese, ihrem variablen (V) Genrepertoire und ihrer anatomischen Lokalisation. Im Gegensatz zu ab T-Zellen werden cd T-Zellen hufig in der Milz und in epithelialen Geweben, sogenannten intraepithelialen Lymphozyten, nachgewiesen (Hass et al. 1993). Sie besitzen zytotoxische Eigenschaften, knnen nach Aktivierung proliferieren und Lymphokine produzieren, aber ihre exakte Funktion ist bisher wenig verstanden. Es gibt sowohl in vivo als auch in vitro Hinweise, da cd T-Zellen eine wesentliche Rolle bei der Immunantwort gegen infektise Agenzien (Hitzeschockproteine, Superantigene) und bei der Reparatur von Gewebsdestruktionen spielen (Boismenu u. Havran 1997). So knnen zum Beispiel Zellwandlipide von intrazellulren Bakterien im Kontext von MHC-verwandten CD1-Moleklen den cd T-Zellen prsentiert werden. Die Rolle von CD1 bezglich der Prsentation von nicht peptidischen Antigenen, d.h. hydrophoben Lipiden und Carbohydratantigenen, und damit gekoppelt der T-Zell-Aktivierung ist inzwischen detailliert beschrieben (Coventry 1999). Aufgrund der Art der erkannten Antigene und der Unabhngigkeit von klassischen antigenprsentierenden Moleklen prsentieren cd T-Zellen ein fr die Anti-Tumorantwort nicht redundantes System (Ferrarini et al. 2002). Reife immmunkompetente ab T-Zellen unterteilt man … in Abhngigkeit von der Expression der Marker CD4 und CD8 sowie ihrer Funktion … in zwei Hauptgruppen, die CD4…/CD8+- und CD4+/CD8…-T-Lymphozyten. Durch die Bindung von CD8 bzw. CD4 an die Haupthistokompatibilittskomplex(MHC)-Klasse-I- bzw. -II-Molekle wird die Interaktion der MHC-Molekle mit dem TZR-CD3-Komplex stabilisiert und eine Kaskade von Signalen in die Zelle transduziert. In den letzten Jahren wurde die Koordination dieser Interaktionen auf molekularer Ebene durch Analysen der komplexen Kristallstruktur und Bindungsdynamik identifiziert (Gao et al. 2002).
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Die Funktion der MHC-Klasse-I-restringierten CD4…/CD8+-zytotoxischen T-Zellen (ZTL) ist die Erkennung und Eliminierung von virusinfizierten und transformierten Zellen durch Induktion von Zellyse. Im Gegensatz dazu erkennen CD4+-T-Helferzellen selten Tumorzellen direkt. Sie werden von antigenprsentierenden Zellen durch Antigene, die ber MHC-KlasseII-Molekle prsentiert werden, stimuliert. Nach Aktivierung sezernieren diese CD4+-T-Zellen Zytokine, die dann wiederum die ZTL, Makrophagen, B-Zellen und NK-Zellen stimulieren. Auf der Basis der Zytokinsekretion und Effektorfunktion unterscheidet man bei den CD4+/CD8…-MHC-Klasse-II-restringierten T-Helfer(Th)-Zellen zwei Subklassen: F Th1-Zellen, deren Differenzierung durch IL-12 (von Makrophagen) und IFN-c (von NK- bzw. T-Zellen) induziert wird, produzieren die Zytokine IL-2, Lymphotoxin und IFN-c und verbessern die zellulre Immunitt. F Im Gegensatz dazu sezernieren Th2-Zellen, deren Differenzierung von IL-4 abhngig ist, die Interleukine IL-4, IL-5, IL-6, IL-10 und IL-13 und untersttzen die B-Zellen bei der Antikrperproduktion. Die Induktion der Th1-Zellen durch Antigenstimulation bzw. Zytokine wird durch die Th2-Zytokine IL-4 und IL-10 antagonisiert. Die Differenzierung von naiven CD4+-Vorluferzellen zu einem Th1- bzw. Th2-Phnotyp wird transkriptionell kontrolliert, wobei das Zytokinmilieu whrend der Primrstimulation der Vorluferzellen die Differenzierung beeinflut (Swain 1995). Das Th1/Th2-Modell stellt somit nicht nur ein ntzliches Konzept fr die Differenzierung von Th-Zellen, sondern auch fr die Kontrolle zellulrer Immunitt dar. Regulatorische T-Zellen
Periphere Toleranzmechanismen kontrollieren die Immunantwort gegen Fremd- und gegen Selbstantigene, die nicht im Thymus exprimiert werden. Die Mechanismen, die die periphere T-Zell-Toleranz regulieren, sind Zelltod, Entwicklung von anergen T-Zellen sowie T-zell-mediierte Suppression, die vor mehr als 30 Jahren beschrieben wurde (Gershon u. Kondo 1971). Es gibt Beweise, da T-Zellen mit regulatorischen oder supprimierenden Funktionen in allen Subpopulationen existieren, wobei sich die Forschung bisher insbesondere auf die CD4+ regulatorischen T-Zellen (Tr) fokussierte. Die suppressive Aktivitt von CD4+ Tr-Zellen erfolgt durch die Expression von inhibitorischen Oberflchenmoleklen oder durch Produktion von immunregulatorischen Zytokinen, wie IL-10 und den transformierenden Wachstumsfaktor-b (TGF-b). Tr-Zellen vom Typ 1 werden durch Produktion von hohen Spiegeln an IL-10 und TGF-b definiert, was zur Inhibition der gegen Tumorantigene und/oder Pathogene gerichteten Immunantworten fhrt. In vivo wird die Differenzierung von Tr1-Zellen durch dendritische Zellen kontrolliert, die kostimulatorische Molekle exprimieren und
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IL-10 sezernieren. Eine weitere Subpopulation der CD4+ Tr-Zellen ist durch die konstitutive Expression von CD25 definiert, die die Immunantwort unabhngig von Zytokinen durch die Induktion der Tr1-Zell-Differenzierung supprimieren (Levings et al. 2002). Diese CD4+/CD25+ T-Zellen sind sowohl in vivo als auch in vitro Inhibitoren der T-Zell-Aktivierung. Dabei ist die Verstrkung ihrer Suppressorfunktion fr die Behandlung von immunmediierten Erkrankungen von Vorteil, whrend die Herunterregulation dieser Zellen fr die Induktion der Immunogenitt von tumorantigenspezifischen Vakzinen essentiell ist (Shevach 2002). Die Aktivierung der Suppressorfunktion ist unabhngig von der Kostimulation durch den CD28/B7-Signaltransduktionsweg. NKT-Zellen
Die erst krzlich definierten natrlichen Killer-T(NKT)-Zellen stellen eine neue unikale Population von Effektorzellen dar, die fr die angeborene antitumorale Immunantwort eine wichtige Rolle spielen. Diese T-Lymphozyten produzieren sowohl Th1- als auch Th2-Zytokine und erkennen Phosphound Glykolipide, die ber CD1-Molekle prsentiert werden (Hammond u. Godfrey 2002, Brutkiewicz u. Sriram 2002). Die NKT-Zellen besitzen einige Charakteristika von NK-Zellen, exprimieren aber den CD3/TZR-Komplex und Marker, die mit dem Phnotyp von aktivierten bzw. Gedchtnis-T-Zellen assoziiert sind (Tabelle 1, Abb. 3). NKT-Zellen bestehen aus einer CD4…CD8… oder einer CD4+ Subpopulation und besitzen ein sehr restringiertes TZR-Repertoire (Godfrey et al. 2000).
Abb. 3. Abb. 3. Gemeinsame Charakteristika von T-NKT- und NK-Zellen. Dieses Diagramm faßt die wesentlichen Eigenschaften der T-, NKT- und NK-Zellen zusammen. MHC: Haupthistokompatibilita¨tskomplex, TZR: T-Zell-Rezeptor, NK: natu¨rliche Killerzellen.
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Tabelle 1. Eigenschaften der NKT-Zellen Charakteristika
Human
Hauptsubpopulation T-Zell-Rezeptor a-Kette b-Kette Kostimulatorische Moleku¨le NK-assoziiert
CD4+, DN
* *
*
Restriktionselemente Antigen CD1/a-GalCer Tetramer-reaktiv Zytokinproduktion IL-4 IFN-c Frequenz PBL Leber * *
*
Va24J aQ Vb11 CD161 (NKR-P1a) CD122 CD1d Glykolipide + schnell, hoher Spiegel + 0.1–0.5% 4–5%
*
CD1/a-GalCer = a-Galactosylceramid; DN = doppelt negativ; IFN-c = Interferon-c; IL-4 = Interleukin-4; PBL = periphere Blutleukozyten; TZR = T-Zell-Rezeptor.
Lymphokinaktivierte Killerzellen
Lymphokinaktivierte Killer(LAK)-Zellen stellen zytotoxische Effektoren dar, die von peripheren Blutlymphozyten nach Stimulation mit hohen Konzentrationen von rekombinantem IL-2 gewonnen werden. LAK-Zellen sind eine heterogene Zellpopulation mit breiter Spezifitt und gehren sowohl zu den CD3… NK- als auch zu den CD3+ T-Zell-Subpopulationen. Natu¨rliche Killerzellen
Zu der Lymphozytenpopulation, die weder B- noch T-Zell-Marker exprimiert und wichtige Funktionen in der Regulation der Immunantwort besitzt, gehren die natu¨rlichen Killer(NK)-Zellen. Die NK-Zellen sind groe lymphatische Zellen mit deutlich erkennbaren Granula und tragen im Gegensatz zu B- und T-Zellen keine antigenspezifischen Rezeptoren, exprimieren CD56 (N-CAM) und CD16 (FcRIII). Abhngig von der Dichte an CD56 unterscheidet man zwei NK-Subpopulationen: F F
90% der humanen NK-Zellen sind CD56schwach und exprimieren hohe Spiegel an CD16, whrend die Minoritt (10%) CD56stark und CD16schwach/neg sind (Cooper et al. 2001).
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Diese beiden NK-Subtypen sind funktionell unterschiedlich, wobei die CD56stark-NK-Zellen abundante Zytokine produzieren, whrend die CD56schwach-NK-Zellen die Effektoren der natrlichen und antikrperabhngigen Targetzellyse darstellen (Cooper et al. 2001). Damit initiieren NK-Zellen ohne klonale Expansion sowohl direkt als auch indirekt Immunantworten. Jedoch erkennen und eliminieren NK-Zellen nur ein begrenztes Spektrum an virusinfizierten und Tumorzellen (Moretta et al. 2002a, b). NK-Zellen exprimieren eine unikale Klasse von Rezeptoren, die sog. NK-Zell-Rezeptoren (NKR). Dabei unterscheidet man zwei strukturell unterschiedliche Familien, die beide in der zytoplasmatischen Region die charakteristische ITIM-Sequenz (Immunrezeptor-Tyrosin-basierendes inhibitorisches Motiv) enthalten. Die erste beinhaltet Rezeptoren mit Immunglobulin(Ig)-hnlicher Domne (KIR, „killer cell inhibitory receptors“) sowie die Ig-hnlichen Transkripte (ILT)/Leukozyten-Ig-hnlichen Rezeptoren (LIR). Zur zweiten Gruppe zhlen Rezeptoren mit Eigenschaften von kalziumbindenden C-Typ-Lektinen, die Ly49-Homodimere und die CD94-Heterodimere, die mit den inhibitorischen NKG2A- oder aktivierenden NKG2C- oder NKGE-Isoformen kovalent assoziiert sind (Abb. 4). Daraus ergibt sich, da die Regulation der NK-Zell-Aktivitt durch diese inhibitorischen Rezeptoren komplex ist, was durch die Existenz von Isoformen mit aktivierenden Funktionen, den sog. KAR, denen die zytoplasmatische ITIM-Domne fehlt, zustzlich erhht wird (Moretta et al. 2001a). Die Rezeptortypen werden von Mitgliedern einer kleinen Genfamilie kodiert, die von verschiedenen NK-Subpopulationen exprimiert werden. Die Rezeptoren der KIR-Familie besitzen eine extensive genomische Diversifizierung mit mehr als 20 unterschiedlichen KIR-Haplotypen und mindestens 40…50 KIR-Genotypen. Genduplikationen, Rekombinationen und Inversionen knnen diese Haplotypen erklren, wobei die individuelle Variabilitt noch zustzlich durch allelischen Polymorphismus hervorgerufen wird (Hsu et al. 2002). Die Liganden fr die Ig-hnlichen inhibitorischen NKR und Ly49 sind die klassischen MHC-Klasse-I-Molekle (HLA-A/ p140, HLA-B/p70, HLA-C/CD158a und CD158b), whrend die inhibitorischen und aktivierenden CD94/NKG2-Rezeptoren nichtklassische MHCKlasse-Ib-Molekle (HLA-G, HLA-E) erkennen. In diesem Kontext ist zu erwhnen, da aktivierte CD8+ T-Zellen von gesunden Personen auch inhibitorische NKR (CD94/NKG2A) exprimieren, die durch die Zytokine IL15 und TGF-b hochreguliert werden. Dadurch wird die zytotoxische Aktivitt der CD8+ T-Zellen limitiert (McMahon u. Raulet 2001). Auerdem gibt es noch einen geringen Prozentsatz KIR+ T-Zellen, die CD28… und CD45RO+ (Gedchtniszellen) sind und ein restringiertes Repertoire besitzen (Mingari et al. 2000). Maligne Transformation kann auch MHC-Klasse-I-verwandte Liganden, die sog. MICA/B-Molekle, hochregulieren, die als Liganden von
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Abb. 4. Die wesentlichen NK-Zell-Rezeptoren und ihre Liganden. Man unterscheidet bei den humanen NK-Zell-Rezeptoren fu¨r MHC-Klasse-I-Moleku¨le die CD94-Rezeptoren, d.h. Typ-II-Proteine der C-Typ-Lektin-Superfamilie, und die KIR-Glykoproteine, die Mitglieder der Immunglobulin-Superfamilie darstellen. Dabei sind hier schematisch die inhibitorischen und aktivierenden NKR und ihre Liganden angegeben. C–C: Disulfidbru¨cke YxxL: Immunrezeptor-Tyrosin-basierende inhibitorische Motive (ITIM), wobei x jede beliebige Aminosa¨ure repra¨sentiert
den auf CD8+ T- und NK-Zellen exprimierten aktivierenden NKR, NKG2D, fungieren (Groh et al. 2001, Lukacher 2002). Jedoch kann die Signaltransduktion auch ber andere Rezeptoren auf den NK-Zellen, wie z.B. dem CD16-Molekl und b-Integrin, vermittelt werden. Die Migration von NK-Zellen wird durch Laminin und Fibronektin ber die a4- und a5-Integrine mediiert (King et al. 1997). Zellen des retikula¨ren Systems
Weitere fr eine antitumorale Antwort wichtige Immunzellen stellen Komponenten des sog. retikuloendothelialen Systems dar, welches sich aus mononuklea¨ren/phagoyzytierenden und dendritischen Zellen (DC) zusammen-
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setzt (s. Abb. 1). Interessanterweise entwickeln sich DC und Makrophagen aus einem gemeinsamen bipotentiellen Makrophagen-/Granulozytenvorlufer. Die Assoziation zwischen Makrophagen und DC ist somit komplexer als ursprnglich angenommen. Darber hinaus knnen Blutmonozyten zu DC differenzieren, wenn sie mit entsprechenden Zytokinen inkubiert werden (Peters et al. 1996). Beide APZ-Klassen exprimieren spezifische Oberflchenrezeptoren, die fremde Liganden whrend der frhen Phase von Immunantworten erkennen. Diese werden als „Toll-like“ Rezeptoren (TLR) bezeichnet. Bisher sind zehn TLR identifiziert worden, wobei ihre Zahl kontinuierlich ansteigt. Dabei scheinen fr jeden TLR multiple endogene und exogene Liganden zu existieren, was eine duale Rolle fr diese Molekle in physiologischen und pathophysiologischen Prozessen und der damit verbundenen Immunantwort postuliert (Gordon 2002). Ob die Liganden-Rezeptor-Interaktion die Genexpression beeinflut und damit zu Unterschieden in der (antitumoralen) Immunantwort fhrt, mu noch gezeigt werden (Barton u. Medzhitov 2002). Der Makrophage differenziert aus dieser gemeinsamen Vorluferzelle zum Monoblast und Promonozyt, gelangt dann als Monozyt ber das Blut ins Gewebe, wo er abhngig von Ort und Funktion eine unterschiedliche Morphologie annimmt. Die Makrophagen exprimieren linienspezifische Molekle, wie CD14, und tragen eine Vielzahl von Rezeptoren, z.B. den Makrophagenmannoserezeptor, die mikrobielle Bestandteile erkennen, und Mikroorganismen, die diese Komponenten tragen, aufnehmen. Diese werden im endosomalen und lysosomalen Kompartment der Zelle abgebaut. Jedoch sind die meisten Makrophagenrezeptoren bisher relativ wenig definiert. Makrophagen besitzen neben der Phagozytose vielfltige andere Funktionen, zu denen Migrationsfhigkeit, Zytotoxizitt, Kooperation mit Lymphozyten, die Produktion von hydrolytischen Enzymen und Komponenten des oxidativen Metabolismus und von Zytokinen zhlt. Die Sekretion dieser Faktoren ist fr die pro- und antiinflammatorischen Effekte der Makrophagen sowie fr die Regulation anderer Zelltypen verantwortlich. Neben den B-Lymphozyten und den Makrophagen stellen die hochspezialisierten DCs die wichtigsten professionellen APC und sind somit wesentliche Schlsselelemente fr die Etablierung von T-Zell-vermittelten Immunantworten. Stark simplifiziert unterscheidet man abhngig von ihrer Lokalisation vier DC-Subklassen: F F F F
DC-Vorlufer in Knochenmark und Blut, unreife DC in peripheren nicht-lymphoiden Organen, migratorische DC in afferenter Lymphe und Blut und reife DC in lymphoiden Geweben.
Allen DC-Subpopulationen fehlt die Expression der „Standardmarker“ fr Makrophagen, T-, B- und NK-Zellen, whrend sie CD11c, MHC Klasse II
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und CD40 exprimieren. Nach Kontakt mit Antigen entwickeln DC eine starke migratorische Kapazitt, die den Transport und die Prsentation von antigenen Peptiden von der Peripherie zu den Lymphknoten ermglicht. Diese Translokation ist mit ihrer Reifung assoziiert, wobei die Oberflchenexpression von MHC Klasse I und kostimulatorischen Moleklen hochreguliert wird. Die DC haben die Fhigkeit, eine Vielzahl von endogenen und exogenen Selbst- oder Nicht-Selbst-Antigenen zu endozytieren, zu prozessieren und diese spezifischen ZTL zu prsentieren. Darber hinaus besitzen DC ein effizientes kostimulatorisches Potential, was auf der konstitutiven Expression von B7-1-, B7-2- und CD40-Moleklen beruht. Auerdem produzieren DC IL-12 und sind die einzigen APC, die naive T-Zellen aktivieren knnen. Ferner knnen DC Antigene von apoptotischen Zellen prozessieren und prsentieren, die dann eine MHC-Klasse-I-restringierte ZTL-Antwort induzieren. Dieser Proze wird mit „cross priming“ bezeichnet (Bhardwaj 1997). Neben ihrer Rolle als Mediator von Immunreaktivitt spielen DC bei der Induktion von zentraler und peripherer Toleranz eine wesentliche Rolle, was vom Entwicklungs- bzw. Reifungsstadium der DC abhngig ist (Mellman u. Steinman 2001). Terminal differenzierte DC induzieren effizient T-Zell-Effektorzellen, whrend unreife DC fr die Aufrechterhaltung von peripherer Toleranz essentiell sind. Dabei ist ihre Funktion die Induktion von anergen T-Zellen, d.h. von T-Zellen mit regulatorischen Eigenschaften und von T-Zellen, die immunomodulatorische Zytokine sezernieren (Mahnke et al. 2002). 1.2 Aktivierung von T-Lymphozyten Die physiologische Stimulierung von naiven T-Zellen bentigt zwei Signale: F F
Das erste Signal entsteht durch die Assoziation des TZR mit dem MHCKlasse-I-Antigen-Komplex, das zweite Signal wird ber verschiedene Rezeptor-Liganden-Interaktionen, die kostimulatorische Signale komplementr zu den TZRvermittelten Prozessen transduzieren, vermittelt (Alegre et al. 2001; Abb. 5).
Durch die Interaktion des TZR mit dem MHC-Klasse-I-Peptid-Komplex wird eine Kaskade von Signalen in die T-Zelle transduziert, was zu einer Zellzyklusprogression, Zytokinsekretion, aber auch zur Apoptose von TZellen (T-Zell-Anergie) fhren kann. Der erste Schritt in der Signalbermittlung ist die Phosphorylierung von Tyrosinkinasen der zytoplasmatischen CD3-Region und der f- und g-Kette des TZR (Cantrell 1996), was die Aktivierung von ZAP-70 und, konsekutiv, von anderen Enzymen und Adaptoren zur Folge hat (Valitutti u. Lanzavecchia 1997). Die Effizienz der T-Zell-Antigen-Erkennung wird durch die geringe Affinitt des
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Abb. 5. Die „Zwei-Signal-Hypothese“ zur effizienten Aktivierung von naiven T-Zellen. Antigenpra¨sentierende Zellen exprimieren den MHC-Klasse-I-Peptid-Komplex und/oder kostimulatorische Faktoren. Fu¨r eine effektive T-Zell-mediierte Immunantwort sind zwei Signale wesentlich: Das erste wird u¨ber den MHC-Klasse-I-Komplex und den TZR, das zweite u¨ber sogenannte kostimulatorische Moleku¨le (z.B. B7/CD28) vermittelt. Sind beide Signale vorhanden, kommt es zu einer klonalen Expansion von T-Zellen. Das Fehlen des zweiten kostimulatorischen Signales resultiert in T-Zell-Anergie oder Apoptose. Die T-Zell-Aktivierung wird nicht induziert, wenn beide Signale nicht vorhanden sind. APC: antigenpra¨sentierende Zelle KoL: kostimulatorische Liganden KoR: kostimulatorische Rezeptoren
MHC-TZR-Komplexes und durch die niedrige Zahl von TZR-Liganden auf den APC limitiert. Ebenfalls wird sie von der Kinetik der TZR-Peptid-MHCInteraktion beeinflut, was ein serielles Triggering von multiplen TZR durch einige wenige MHC-Peptid-Komplexe ermglicht und damit eine Amplifikation des Signals zur Folge hat. Fr die effiziente T-Zell-Aktivierung ist zustzlich die Interaktion mit kostimulatorischen Faktoren und/oder Adhsionsmoleklen erforderlich (Bernard et al. 2002). Das bisher am besten charakterisierte kostimulatorische Signal wird durch die Interaktion von CD28/CTLA-4 auf der T-Zelle und seinen Liganden B7-1 und B7-2 auf den APC vermittelt (Alegre et al. 2001), wobei B7-1 und B7-2 unterschiedliche funktionelle Aktivitt besitzen. So ist die Regulation der Kostimulation ber das B7/CD28/CTLA4 System komplexer als ursprnglich angenommen: Im Gegensatz zu CD28 besitzt CTLA-4 keine kostimulatorische Funktion, sondern inhibiert die T-Zell-Proliferation und fungiert somit als physiologischer Antagonist von CD28 (Alegre et al. 2001, Bernard 2002). Diese Erkenntnisse haben ins-
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besondere im Hinblick auf die Entwicklung von immuntherapeutischen Strategien mit CD28/B7 und seinen Antagonisten eine Bedeutung. Krzlich wurden auch neue B7- und CD28-Familienmitglieder und Signaltransduktionswege identifiziert, die eine wesentliche Rolle bei der Regulation von T-Zell-Antworten aktivierter T-Zellen spielen. Diese B7-Homologe werden nicht nur auf professionellen, sondern auch auf anderen Zellen exprimiert, was bedeutet, da zustzliche Mechanismen fr die Regulation von T-Zell-Antworten in peripheren Geweben vorhanden sind. Obwohl die Signale ber CD28 fr die initiale Kostimulierung und die damit verbundene IL-2-Produktion wichtig sind, beeinflussen die Signale des B7-Homologs ICOS die T-Zell-Proliferation und Zytokinproduktion. Dabei reguliert ICOS sowohl die Th1- als auch die Th2-Effektor-Zytokinproduktion und spielt insbesondere eine bedeutende Rolle bei der Regulation der IL-10-Produktion (Hutloff et al. 1999). Das CD28-Familienmitglied PD1 wird induzierbar auf T-, B- und myeloiden Zellen exprimiert, und an PD1-knockout-Musen konnte gezeigt werden, da PD1 eine Bedeutung bei der Herunterregulation von Immunantworten hat. PD1 bindet zwei B7-Homologe, PDL1 und PDL2, aber nicht andere B7-Familienmitglieder. PD1-Liganden binden an PD1, aber nicht an andere CD28Familienmitglieder. Sowohl PDL1 als auch PDL2 werden in lymphoiden und nichtlymphoiden Geweben und auch auf einigen Tumoren exprimiert.
Abb. 6. Verschiedene Rezeptor-Liganden-Interaktionen, die an der Kostimulation beteiligt sind
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PDL1 und PDL2 inhibieren die Proliferation und Zytokinproduktion von praktivierten T-Zellen und knnen das B7-2-Signal antagonisieren, wenn die Stimulation gering oder limitierend ist. Wie CTLA4 fhrt die PD1-Interaktion zu einem Zellzyklusarrest (Alegre et al. 2001, Sharpe u. Freeman 2002). Auerdem knnen auch eine Vielzahl anderer Rezeptor-Liganden-Interaktionen, wie z.B. CD58/CD2, CD48/CD2, CD40/CD40L, CD72/CD5, LFA-1/ ICAM1, CD27/CD70, CD49d/CD29, kostimulatorische Signale transduzieren (Bernard 2002; Abb. 6). Die Kostimulation in Synergie mit der TZR-vermittelten Signaltransduktion erhht die Produktion von Lymphokinen, insbesondere von IL-2, verstrkt die T-Zell-Proliferation und verhindert die Induktion von alloantigenspezifischer Anergie. Diese Prozesse sind fr die Entstehung und Aufrechterhaltung einer effektiven T-Zell-Antwort wesentlich (Guinan et al. 1999, Bernard et al. 2002). Ebenfalls kann B7 die Antigenspezifitt von CTL modulieren. Die Qualitt und Quantitt der fr eine effiziente T-Zell-Antwort bentigten kostimulatorischen Signale sind von der Strke des antigenen Stimulus, dem Typ (Th1 bzw. Th 2) sowie dem Aktivierungsstadium der T-Zelle abhngig. 1.3 Zytokine und Immunregulation Zytokine sind eine heterogene Gruppe von lslichen Proteinen, die von den Immunzellen des Krpers, aber auch von einem begrenzten Spektrum anderer Zelltypen exprimiert und sezerniert werden knnen. Zytokine besitzen eine essentielle Bedeutung fr die Regulation des Zellwachstums und die Entwicklung sowie fr die Initiierung und Aufrechterhaltung zellulrer und humoraler Immunantwort, wobei sie die Art der Immunantwort und die verschiedenen Effektormechanismen diktieren (Arai et al. 1990, Burke et al. 1993). Die In-vivo-Funktion der Zytokine wurde mittels entsprechender Zytokin- bzw. Zytokinrezeptor-„knock out“-Muse ermittelt. Die biologische Aktivitt der Zytokine ist jedoch sehr heterogen, hufig zelltypspezifisch, aber redundant, d.h., verschiedene Zytokine besitzen hnliche Funktionen (Burke et al. 1993, Ishihara u. Hirano 2002). Nur wenige Funktionen von Zytokinen sind unikal und knnen durch kein anderes Zytokin substituiert werden. Man kategorisiert die Zytokine in drei Gruppen: F F F
Immunregulatorische Zytokine, die die Aktivierung, das Wachstum und die Differenzierung von Lymphozyten und Monozyten beeinflussen, Proinflammatorische Zytokine, die hauptschlich von Makrophagen nach Infektion produziert werden, Zytokine, die die Proliferation und Differenzierung von unreifen Leukozyten regulieren.
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Eine Vielzahl von Untersuchungen ergab, da einige Zytokine nach Bindung an ihren entsprechenden Rezeptor gemeinsame/berlappende Signaltransduktionswege verwenden und dieselben Transkriptionsfaktoren aktivieren. Die Expression der Zytokine ist meist streng reguliert, wobei sie auf Ebene der DNS-Methylierung, transkriptionell oder posttranskriptionell kontrolliert werden kann. Zytokine werden selten konstitutiv, hufig aber als Reaktion auf ein Induktionssignal in aktivierten Zellen exprimiert. Die In-vitro- und In-vivo-Antwort einer Zelle auf ein Zytokin kann durch unterschiedliche Faktoren, wie z.B. das Mikromilieu, beeinflut werden. Eine groe Zahl von Zytokinen ist bisher kloniert und charakterisiert worden, wobei ihre Zahl stndig wchst. Die Zytokinrezeptoren unterteilt man aufgrund von Gemeinsamkeiten ihrer extrazellulren Aminosuresequenz und konservierten strukturellen Domnen in fnf Familien: F
F
F
F
F
Die Ig-Superfamilie reprsentiert eine groe Zahl von zellmembrangebundenen und sezernierten Proteinen. Die IL-1-Rezeptoren (Typ 1 und Typ 2) sind Beispiele fr Zytokinrezeptoren mit extrazellulren Ig-Domnen. Die ha¨matopoetische Wachstumsfaktorrezeptorfamilie besitzt ein extrazellulres WSXWS-Motiv. Mitglieder dieser Familie haben hufig eine gemeinsame Rezeptoruntereinheit, die fr die Signaltransduktion essentiell ist. Als dritte Kategorie ist die IFN-Rezeptorfamilie zu nennen. Die IFN-a/bbzw. IFN-c-Rezeptoren bestehen aus mindestens zwei verschiedenen Untereinheiten. Die Mitglieder der TNF-R-Familie besitzen eine gemeinsame Bindungsdomne, die sich wiederholende cysteinreiche Regionen enthlt. Zu dieser Familie zhlen die p55- und p75-Untereinheiten des TNF-R, das CD40-, CD27- und CD30-Antigen, der Nervenwachstumsfaktorrezeptor sowie Fas. Das gemeinsame Motiv der transmembrana¨ren Helixfamilie wurde zuerst in Rezeptoren gefunden, die mit GTP-bindenden Proteinen assoziiert sind. Diese Familie umfat die Chemokin- und b-adrenergen Rezeptoren.
In Tabelle 2 sind die fr eine Immunantwort relevanten Zytokine, ihre Herkunft und ihre biologischen Aktivitten zusammengefat.
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Tabelle 2. Die Charakteristika und Funktion der fu¨r eine effektive Immunantwort essentiellen Zytokine Zytokine und ihre Rezeptoren Zytokin Gro¨ße (Anzahl (alternative d. Aminosa¨uren) Bez.)
Rezeptoren
produzierende Zellen
Wirkungen
IL-2
133, Monomer
CD25 (a), CD122(b), cc
T-Zellen
Proliferation der T-Zellen
IL-4
129, Monomer
CD124, cc
T-Zellen, Mastzellen B-Zell-Aktivierung, IgE-Wechsel
IL-6
184, Monomer
CD126, CDW 130
T-Zellen, Makrophagen
Wachstum und Differenzierung von T- und B-Zellen, Immunantwort der akuten Phase
IL-7
152, Monomer
CDW127, cc
Knochenmarksstroma, epitheliale Zellen
Wachstum von Pra¨-B- und Pra¨-T-Zellen
IL-9
125, Monomer
IL-9R, cc
T-Zellen
versta¨rkende Wirkung auf Mastzellen
IL-10
160, Homodimer
IL-10R
T-Zellen, Makrophagen
Inhibition von MHC I, TAP, LMP
IL-12
197 und 306 Homodimer
B-Zellen, Makrophagen
Aktivierung von NK-Zellen, Induktion der Differenzierung von CD4+ T-Zellen
IL-13
132, Monomer
IL-13R, cc
T-Zellen
B-Zell-Wachstum und Differenzierung hemmt die Produktion inflamm. Zytokine durch Makrophagen
IL-15R, cc
T-Zellen
IL-2-a¨hnlich
IL-18
157, Monomer
IL-18R (IL-1R/ Toll-a¨hnl. Rezeptor)
aktivierte Makrophagen
Stimulation von Th1-Antworten, Induktor von IFN-c
GM-CSF
127, Monomer
CDW116, bc
Makrophagen, T-Zellen
stimuliert Wachstum und Differenzierung der myelomonozytischen Linie
IFN-a
166, Monomer
CD118
Leukozyten
antiviral, erho¨hte MHC-Klasse-I-Expression
IFN-b
166, Monomer
CD118
Fibroblasten
antiviral, erho¨hte MHC-Klasse-I-Expression
IFN-c
143, Monomer
CD119
T-Zellen, natu¨rliche Aktivierung der Makrophagen, Killerzellen erho¨hte MHC-Expression
TNF-b
171, Trimer
p55, p75
T-Zellen, B-Zellen
IL-15
Zytotoxizita¨t, Endothelaktivierung
c: gemeinsame Rezeptoruntereinheit, GM-CSF: Granulozyten-Makrophagen-stimulierender Faktor.
Struktur und Funktion der Gene des Haupthistokompatibilita¨tskomplexes
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2 Struktur und Funktion der Gene des Haupthistokompatibilita¨tskomplexes (MHC) 2.1 Definition der MHC-Restriktion Die Entdeckung, da virusspezifische CTL-Antigene nur in Kontext mit dem zellgebundenen MHC erkannt werden, war der Schlssel fr das Verstndnis der Immunberwachung von Selbstantigen (Abb. 7), wobei die Spezifitt der CTL von dem allelen Polymorphismus der MHC-Molekle abhngt. Da der MHC-Genotyp die Antigenspezifitt von T-Zellen einschrnkt, nennt man diesen Effekt MHC-Abha¨ngigkeit bzw. MHC-Restriktion. Das Modell der MHC-Restriktion, welches zum ersten Mal von Zinkernagel und Doherty (1974) beschrieben wurde, erklrt die physiologische Aufgabe der MHC-Molekle und das Phnomen der Nicht-Selbst-MHC-Erkennung bei der Transplantatabstoung. Es stellt somit die Basis fr Effekte der Alloreaktivitt, des MHC-Polymorphismus und der T-Zell-vermittelten Immunantwort dar.
Abb. 7. Schematische Darstellung der Antigenerkennung durch MHC-Klasse-I-restringierte CTL. Antigene Peptide werden u¨ber die MHC- Klasse-I-Moleku¨le den CTL pra¨sentiert, wobei der MHCKlasse-I-Peptid-Komplex vom T-Zell-Rezeptor erkannt wird
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2.2 Der MHC-Komplex: Struktur und Expression Die Antigene des MHC sind hochpolymorphe Membranglykoproteine, die beim Menschen als HLA (humanes Leukozytenantigen) bezeichnet werden. Der humane HLA-Komplex sowie die meisten der fr die Antigenprozessierung essentiellen Gene sind auf dem kurzen Arm des Chromosoms 6 lokalisiert. Durch die Klonierung wurden zwei Klassen von MHC-Genen, die MHCKlasse-I- und MHC-Klasse-II-Molekle, definiert (Beck u. Trowsdale 2000): F
Die MHC-Klasse-I-Genfamilie kodiert fr Glykoproteine mit einem Molekulargewicht von 40…45 kD, die nicht kovalent mit der 12 kD b2-Mikroglobulin (b2-M) leichten Kette, welche auf Chromosom 15 lokalisiert ist, assoziiert sind. Man unterscheidet … die klassischen MHC-Klasse-I-Molekle HLA-A, -B und -C, die von allen sich teilenden Zellen exprimiert werden, … von den stark homologen nicht-klassischen MHC-Klasse-I-Antigenen HLA-E, -F, -G (Tabelle 3) (O’Callaghan u. Bellm 1998). HLA-E und -F werden in vielen fetalen und adulten Geweben exprimiert, whrend die HLA-G-Expression nur in fetaler Plazenta nachgewiesen wurde (Carosella et al. 2000). Auerdem wurde eine neue Familie stark
Tabelle 3. Charakteristika der nicht-klassischen MHC-Antigene nichtklassische Antigene
Molekulargewicht (kD)
assoziiert mit
b2-m
CD8
TAPa
Expression pra¨sentiertes Allele Antigen
Referenzen
O’Callaghan u. Bellm 1998
HLA-E
42
ja
wahrscheinlich
ja
ubiquita¨r
MHC-I5 Signalpeptid
HLA-F
40–41
ja
wahrscheinlich
ja
begrenzte, Peptid nicht lymphoide B-Zellen
HLA-G
40
ja
ja
ja
Trophobla- zytosolisches 14 sten der Peptid Plazenta
O’Callaghan u. Bellm 1998
MICA
60–70
nein
nein
nein
Epithel
nichtpeptidisch oder keines
52
Bahram 2000
MICB
43
nein
nein
nein
Epithel
nichtpeptidisch oder keines
16
O’Callaghan u. Bellm 1998
1
O’Callaghan u. Bellm 1998
b2-M = b2-Mikroglobulin; MIC = „MHC class I chain-related“; TAP = „transporter associated with antigen processing“
Struktur und Funktion der Gene des Haupthistokompatibilita¨tskomplexes
F
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glykosylierter MHC-Molekle, die MIC(„MHC class I chain-related“)Gene, identifiziert (Bahram 2000). Die MIC-Molekle besitzen eine geringe Homologie zu den anderen MHC-Klasse-I-Moleklen und interagieren sowohl mit T-Zell- als auch mit NK-Zell-Rezeptoren. Dabei sind Informationen ber ihre physiologische Rolle und ihre Bedeutung fr die Tumorimmunitt begrenzt (Tabelle 3). Die HLA-Klasse-I-Molekle setzen sich aus drei funktionellen Regionen zusammen: … einem extrazellulren Bereich, der sich in die a1-, a2- und a3-Domnen unterteilt, … einem transmembranren sowie … einem zytoplasmatischen Bereich. Die kristallographische Analyse des HLA-A2-Molekls von Bjorkman und Kollegen (1987) zeigte, da die a1- und a2-Domne eine Peptidbindungsgrube bilden, die als Bindungsstelle fr Peptide fungiert. Die MHC-Klasse-II-Molekle werden von den Abschnitten HLA-DP, -DQ und -DR kodiert und bestehen, wie die MHC-Klasse-I-Antigene, aus einer a- und b-Glykoproteinkette. Sie werden auf B-Zellen, aktivierten T-Zellen, Makrophagen, DC und einigen hmatopoetischen Vorluferzellen exprimiert und besitzen die Fhigkeit, Selbst- und NichtSelbst-Peptide zu binden (Gorga 1992). HLA-DM stellt ein in der MHC-Klasse-II-Region lokalisiertes nicht-klassisches MHC-Klasse-IIMolekl dar, welches mit den klassischen MHC-Klasse-II-IsotypenDR, -DQ und -DP in azidischen Kompartimenten assoziiert ist (Bryant et al. 2002). Im Gegensatz zu HLA-DR, -DQ und -DP wird HLA-DM nur geringfgig auf der Zelloberflche exprimiert (Sanderson et al. 1994).
2.3 Mechanismen der Antigengenerierung und -pra¨sentation Zytotoxische CD8+-T-Zellen knnen antigenes Peptid nur im Kontext mit dem MHC-Klasse-I-Komplex, bestehend aus der schweren Kette des MHC, b2-M, und Peptid, erkennen (Zinkernagel u. Doherty 1974), wobei diese Antwort von der Effizienz der Bildung und Prsentation von MHC-Klasse-I-Liganden abhngt (Kessler und Ploegh 2002, Engelhard et al. 2002). Durch Sureelution konnten Peptide von gereinigten MHC-Moleklen isoliert werden (Rtzschke et al. 1990). Die Analyse ihrer Struktur zeigte einfache Aminosuresequenzmotive, die fr bestimmte Allele der MHCKlasse-I-Molekle spezifisch sind (Rammensee et al. 1995). Die Lnge der Peptide ist stark konserviert, wobei Nonamere an MHC-Klasse-I-Molekle mit einer 100- bis 1000fachen Affinitt im Vergleich zu krzeren oder lngeren Peptiden binden. Bereits das Krzen eines natrlichen Peptids um eine Aminosure resultiert in einer verminderten Erkennung durch CTL. Inzwischen sind eine Vielzahl von MHC-Klasse-I-Liganden identifiziert worden, wobei die Mehrzahl von endogen synthetisierten Proteinen
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abstammt (Rammensee et al. 1995). Jedoch knnen Makrophagen und DC auch exogene Proteine nach endosomaler oder phagosomaler Prozessierung im Zytosol ber die MHC-Klasse-I-Molekle prsentieren (Kovacsovics-Bankowski u. Rock 1995, Norburg et al. 1995, Gromme u. Neefjes 2002). Im Gegensatz zu den MHC-Klasse-I-Moleklen erhalten MHC-Klasse-IIMoleku¨le ihre Peptide durch Endozytose von exogenen Proteinen, mit nachfolgendem Abbau in den azidischen Endosomen oder Lysosomen Die effektive Prozessierung von MHC-Klasse-II-Antigenen bentigt zustzlich zwei Komponenten (Robinson u. Delvig 2002, Bryant et al. 2002): F F
die invariante Kette (Ii) sowie das HLA-DM-Dimer.
In den letzten Jahren wurden verschiedene Elemente, die am lysomalen bzw. endosomalen Abbau von exogenen Antigenen sowie der Beladung der MHC-Klasse-II-Molekle beteiligt sind, isoliert und charakterisiert. Die Mechanismen und die fr die Peptidbeladung essentiellen intrazellulren
Abb. 8. Mechanismen der MHC-Klasse-I- und -II-Antigen-Prozessierung. Die verschiedenen Wege der MHC-Klasse-I- und -II-restringierten Prozessierung und Pra¨sentation von Antigenen ist schematisch dargestellt, wobei die Komponenten der Antigenprozessierungsmaschinerie und die zugrundeliegenden Mechanismen im Text ausfu¨hrlich beschrieben sind
Struktur und Funktion der Gene des Haupthistokompatibilita¨tskomplexes
125
Komponenten diktieren die Natur der T-Zell-Epitope, die von den MHCKlasse-II-Moleklen den CD4+ T-Zellen prsentiert werden. Die Prozessierung und Prsentation von Antigenen, die an MHC-Klasse-I- und -II-Molekle binden, ist in Abb. 8 schematisch dargestellt. 2.3.1 Zusammenbau und Transport von MHC-Klasse-I-Moleku¨len
Die schwere und leichte Kette der MHC-Klasse-I-Molekle werden im endoplasmatischen Retikulum (ER) synthetisiert, wo sie unter physiologischen Bedingungen instabile Heterodimere bilden. Whrend der Faltung und des Zusammenbaus sind die MHC-Klasse-I-Molekle im ER mit verschiedenen Kofaktoren, sog. Chaperonen, assoziiert, die damit Schlsselkomponenten der Reifung der MHC-Klasse-I-Molekle darstellen, was die Komplexizitt der MHC-Klasse-I-Antigenprozessierung unterstreicht (Bouvier 2003). Das 64,5 kD membranstndige Protein Calnexin bindet an die freien schweren HLA-Ketten, erleichtert ihre Faltung und ermglicht die Zusammenlagerung mit b2-M. Die Funktion von Calnexin kann durch das Chaperon BiP substituiert werden (Carreno et al. 1995). Nach Bildung des Heterodimers aus HLA schwerer Kette und b2-M dissoziiert Calnexin, und der Komplex wird durch ein ubiquitr exprimiertes 60-kD-Protein, das Calreticulin, stabilisiert. Calreticulin interagiert physikalisch mit der TAP1 („transporter associated with antigen processing“)-Untereinheit des Peptidtransporters. Ein weiteres 48-kD-Molekl, das sog. Tapasin, bindet an den MHC-TAPKomplex und erleichtert die Peptidbeladung von MHC-Klasse-I-Moleklen (Momburg u. Tan 2002). Die antigenen Peptide werden im Zytoplasma von einem multikatalytischen Degradationssystem, dem 20S-Proteasom, welches an beiden Enden seiner zylindrischen Struktur mit dem Proteasomenaktivator PA28 assoziieren kann, generiert. Die Struktur, Zusammensetzung der Proteasomenuntereinheiten in An- bzw. Abwesenheit von IFN-c sowie die In-vitro-Aktivitt und Spaltungsprferenzen des 20S-Proteasoms sind inzwischen relativ gut definiert (Goldberg et al. 2002): Die an der Peptidgenerierung beteiligten Proteasomenuntereinheiten zeigen einen geringen Grad an Polymorphismus, sind teilweise im MHC-Klasse-II-Locus lokalisiert (LMP2, -7) und spalten spezifisch Peptide nach hydrophoben oder basischen Aminosuren. Der Einsatz von Proteasomeninhibitoren sowie von denaturierten Modellproteinen (z.B. Ovalbumin) zeigte, da im wesentlichen das Proteasom quantitativ und qualitativ die Bildung von T-Zell-Epitopen kontrolliert (Rock et al. 2002). Jedoch sind auch verschiedene nicht-proteasomale zytosolische Proteasen sowie ER-stndige Proteasen an der Peptidgenerierung beteiligt (Vinitsky et al. 1997, Kessler et al. 2002, Serwold et al. 2002). Es wird postuliert, da fr viele Peptide der C-Terminus im Zytoplasma generiert wird, whrend das N-terminale Ein-
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2
Prinzipien der Tumorimmunologie
krzen der Peptide MHC-Klasse-I- unabhngig im ER erfolgt (Shastri et al. 2002). Die gebildeten Peptide werden ber die ER-Membran mittels des ATP-abhngigen Peptidtransporters („transporter-associated with antigen processing“), bestehend aus den beiden Untereinheiten TAP1 und TAP2, transloziert. TAP1 und TAP2 gehren wie die „Multidrug-resistance“ (MDR)-Gene zur groen Superfamilie der ABC-Transporter (Spies et al. 1990). Ein funktioneller TAP-Polymorphismus wurde in der Maus und beim Menschen bisher nicht nachgewiesen (Obst et al. 1995). Die Substratbindung und Transportspezifitten von TAP wurden mit verschiedenen In-vitro-Experimentalanstzen charakterisiert. TAP transportiert bevorzugt Peptide mit einer Lnge von 8…13 Aminosuren, jedoch mit unterschiedlicher Effizienz, die von der Peptidsequenz abhngt. Der zugrundeliegende molekulare Mechanismus des Peptidtransports ist bisher relativ ungeklrt. Die Funktion von TAP scheint die Prselektion des von den MHC-Klasse-I-Moleklen prsentierten Peptidpools zu sein. ber TAP translozierte zu lange Peptide knnen mit Hilfe von ER-residenten Proteasen eingekrzt werden, so da sie in die MHC-Klasse-I-Bindungsgrube passen. Darber hinaus knnen Peptide, die von HLA-A2-Moleklen prsentiert werden und sog. ER-Signalsequenzen reprsentieren, auch TAP-unabhngig in das ER-Lumen transloziert werden. Die Zusammenlagerung von HLA-Klasse-I-schwerer Kette mit b2-M und Peptid zu einem trimolekularen Komplex ist fr die effiziente Freisetzung aus dem ER essentiell. Dieser Komplex wird dann ber den Golgi-Apparat und das Trans-Golgi-Retikulum zur Zelloberflche transportiert. Die Effizienz des intrazellulren Transports von MHC-Klasse I-Moleklen zeigt allelspezifische Unterschiede und scheint mit der Syntheserate der HLAMolekle und ihrer Interaktion mit TAP assoziiert zu sein. Punktmutationen im HLA-A2-Molekl fhren zu einer fehlenden Komplexbildung mit TAP. Zustzlich gibt es einige Hinweise, da Defizienzen in der MHC-Klasse-I-restringierten Peptidgenerierung und -prsentation die Immuntoleranz von Tumoren kontrollieren kann (Seliger et al. 2000). Im Kontext der MHC-Klasse-I-Prozessierung wird den zytosolischen Hitzeschockproteinen Hsp70 und Hsp90 eine Rolle bei dem Transport der von Proteasomen generierten Peptide zum TAP-Heterodimer zugeschrieben (Srivastava et al. 1994). Eine vergleichbare Chaperonfunktion wird auch fr das Glykoprotein gp96 diskutiert. Die Beladung von gp96 mit antigenen Peptiden ist jedoch nicht exklusiv TAP-abhngig, da gp96 auch Peptide bindet, die im ER aufgrund TAP-unabhngiger Translokation prsent sind (Arnold et al. 1997). Obwohl die physiologische Rolle von Hitzeschockproteinen bisher nicht klar definiert ist, wird ihnen neben einer Funktion bei der endogenen Antigenprsentation ber MHC-Klasse-I-Molekle eine Schlsselrolle bei der Induktion der protektiven Immunantwort sowie beim Schutz von Antigenen vor Degradation zugeschrieben (Li et al.
Struktur und Funktion der Gene des Haupthistokompatibilita¨tskomplexes
127
2002). Ebenfalls scheint das Hitzeschockprotein gp96 als Th2-spezifisches kostimulatorisches Molekl zu agieren (Banerjee et al. 2002). 2.3.2 Zusammenbau und Transport von MHC-Klasse-II-Moleku¨len
Die wesentlichen zellbiologischen Unterschiede der MHC-Klasse-I- und -IIMolekle bestehen darin, da zum einen MHC-Klasse-I-Molekle ubiquitr exprimiert werden, whrend die Expression von MHC-Klasse-II-Moleklen auf professionelle APC restringiert ist, und zum anderen nach der Biosynthese die a- und b-Kette des MHC-Klasse-II-Komplexes mit einem dritten Molekl, der sog. invarianten Kette (Ii), im ER assoziiert ist (Robinson u. Delvig 2002). In humanen Zellen sind normalerweise vier unterschiedliche Isoformen der invarianten Kette koexprimiert. Der stabile MHC-Klasse-II-Ii-Komplex wird dann aus dem ER ber den Golgi-Apparat zum Trans- Golgi-Retikulum transportiert und in die endosomalen/lysosomalen Kompartimente dirigiert. Dort kommt es zu einer partiellen Proteolyse der Ii, welche in einer Komplexbildung der a/b-Kette mit dem CLIP(„class II-associated Ii peptide“)-Segment resultiert. CLIP dissoziiert bei endosomalem pH-Wert schnell von den MHC-Klasse-II-Allelen und wird durch Peptide, die von exogenen, internalisierten, lslichen Proteinen abstammen und in den Endosomen oder Lysosomen zu Peptiden degradiert werden, substituiert (Hiltbold u. Roche 2002). Dieser Proze wird durch das nicht-klassische HLA-DM-Molekl katalysiert. HLA-DM besitzt eine groe Substratspezifitt und erleichtert die Peptidbeladung von MHC-Klasse-IIMoleklen, d.h., HLA-DM agiert whrend der Peptidselektion als „Editor“ und endosomales/lysomales Chaperon. HLA-DO, ein weiteres nicht-klassisches MHC-Klasse-II-Molekl, reguliert die HLA-DM-Aktivitt, indem es die Assoziation von HLA-DM mit MHC Klasse II verstrkt (Robinson u. Delvig 2002). Die peptidbeladenen MHC-Klasse-II-Molekle werden dann weiter zur Zelloberflche transportiert, wo sie von den CD4+ T-Zellen erkannt werden (Neefjes 1999). Der MHC-Klasse-II-Antigen-Prozessierungsweg ist in bezug auf die Lokalisation und die Degradation des Antigens sehr variabel, was eine hohe Flexibilitt des auf der APC prsentierten Peptidrepertoires zur Folge hat. Diese Diversifizierung hat profunde Konsequenzen fr die Induktion der antitumoralen Immunantwort. Strukturanalysen der MHC-Klasse-I- und -II-Komplexe ergaben, da die a- und b-Domnen der MHC-Klasse-II-Molekle eine zu MHC-Klasse-IMoleklen vergleichbare Peptidbindungsstelle generieren, wobei jedoch auch einige Unterschiede vorhanden sind: F F
Die Lnge der MHC-Klasse-II-Liganden kann zwischen 12 und 25 Aminosuren variieren und die amino- und carboxyterminalen Enden des Peptids sind nicht in der Grube fixiert.
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128
2
Prinzipien der Tumorimmunologie
Welche Peptide an MHC-Klasse-II-Molekle binden, wird durch variable Bindungsaffinitten und strukturelle Unterschiede bestimmt. 2.3.3 Die intrazellula¨re CD1-Antigen-Pra¨sentation
Humane CD1-Proteine gelangen ber unterschiedliche Routen durch die sekretorischen und endozytischen Kompartimente an die Zelloberflche, wo sie den T-Zellen Glykolipide prsentieren. Dabei werden die CD1-Prozessierung und die Aktivierung von CD1-restringierten T-Zellen durch Adaptor-Protein-Komplexe und CD1-assoziierte Chaperone kontrolliert (Moody u. Porcelli 2002). Damit werden CD1-Proteine analog zu den MHC-KlasseI- und -Klasse-II-Moleklen selektiv in subzellulren Kompartimenten mit bestimmten Antigenen beladen und TAP-unabhngig prsentiert.
3 Tumorspezifische Transplantationsantigene Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigten Forscher, da Tumoren nach kurzer Zeit eliminiert werden, wenn man sie von einem in ein anderes Tier transplantiert. Diese Befunde fhrten zu der Hypothese, da Tumorzellen definierte Zelloberflchenantigene tragen, die sich von denen normaler Zellen unterscheiden und vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Da bei diesen Experimenten keine Inzuchtstmme verwendet wurden, beruht die beschriebene Tumorabstoung auf der Reaktion der Empfngertiere auf Alloantigene der Tumorspender und nicht auf einer spezifischen Immunantwort gegenber tumorspezifischen Antigenen. Diese Annahme wurde durch Experimente an genetisch einheitlichen Inzuchtmusen bewiesen: Syngene Muse, die man mit bestrahlten Tumorzellen immunisiert und denen man anschlieend lebende Tumorzellen injiziert, knnen in einigen Fllen diese eliminieren, whrend sie in einer normalen Maus ein aggressives Tumorwachstum verursachen. Durch Zerstrung der T-Zellen kann man diese Immunitt auer Kraft setzen. Die beschriebene Reaktion beruht somit auf einer T-Zell-vermittelten Immunantwort gegen tumorspezifische Transplantationsantigene (TSTA). Einige TSTA sind fr einen individuellen Tumor typisch, andere sog. gemeinsame TSTA knnen bei nah verwandten Tumoren, aber nicht bei nichtverwandten Tumoren vorkommen (De Plaen et al. 1988, Lurquin et al. 1989). Trotz intensiver Forschung erwies sich zunchst die molekulare oder biochemische Charakterisierung von TSTA als schwierig. Die biochemische Aufreinigung von spontanen, karzinogen und UV-induzierten murinen Tumoren fhrte zur Identifizierung des Hitzeschockproteins gp96 sowie verschiedener mutationsspezifischer Antigene, wie z.B. des immundominanten gp70env-MuLV-Antigens, der DEAD-Box-Helicasep68 und des ras-Onkogens (van den Eynde u. van der Bruggen 1997, Huang et al. 1996, Dubey et al. 1997). Die Etablierung von TSTA-spezifischen
Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren
129
T-Zell-Klonen ermglichte auerdem mittels molekularbiologischer Strategien die Identifizierung von weiteren TSTA in Maustumoren (van den Eynde u. van der Bruggen 1997).
4 Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren Der Nachweis der Existenz von TSTA bei murinen Tumoren war die Grundlage fr die Suche nach antigenen Strukturen auf menschlichen Tumoren, wobei man antikrperdefinierte und T-Zell-definierte tumorassoziierte Antigene (TAA) unterscheidet (van den Eynde u. van der Bruggen 1997, Treci et al. 1997, van der Bruggen et al. 2002, Old 2001). In der Tat wurde inzwischen eine Vielzahl von humanen Tumorantigenen charakterisiert, die von CD4+ oder CD8+ T-Zellen erkannt werden, wobei die Zahl solcher Antigene stndig ansteigt. Die meisten T-Zell-definierten Antigene wurden durch die molekulare Methode der Transfektion von rekombinanten DNSBibliotheken, die von Tumorlsionen abstammen, und anschlieender berprfung der Transfektanden mit den entsprechenden CTL (Boon 1992) bzw. mittels der sog. reversen Immunologie, die auf der Ableitung von Kandidatenpeptiden mit Konsensus-Ankermotiven fr bestimmte HLA-Molekle basiert (Celis et al. 1994). Einige wenige T-Zell-definierte Tumorantigene wurden durch Peptidelution und nachfolgende massenspektrometrische Analyse (Cox et al. 1994) identifiziert. Darber hinaus wurde von Pfreundschuh und Koautoren eine weitere Strategie entwickelt, die mit SEREX (serologische Identifizierung von Antigenen durch rekombinante Expressionsklonierung) bezeichnet wurde und sich zur Charakterisierung von Tumorantigenen des Antikrperrepertoires von Krebspatienten bedient (Treci et al. 1997). Die Applikation dieser Strategie ermglichte die Identifizierung einer Serie von bekannten und neuen Tumorantigenen, die eine spezifische Immunantwort im autologen Wirt induzieren. Auerdem wurden eine Reihe weiterer Methoden zur Antigenidentifizierung entwickelt. Zu diesen zhlt neben der reprsentativen Differenzanalyse, dem „in silico“-Screening von cDNS-Datenbanken, der Transkriptom- und Proteomanalyse auch eine Kombination von Proteomanalyse und SEREX, die mit PROTEOMEX bezeichnet wird (Weinschenk et al. 2002, Seliger u. Kellner 2002, Klade et al. 2001, Petricon et al. 2002). 4.1 Serologische Identifizierung von humanen tumorspezifischen Antigenen Erste Hinweise auf tumorspezifische Antigene in menschlichen Tumoren wurden mit Hilfe der von Old entwickelten Strategie der „autologen Typisierung“ erhalten (Neville 1991). Mittels dieser Methode, welche die Reaktivitt von Patientenseren gegen autologe Tumorzellen in Gewebekultur testet, konnten einige Antigene identifiziert und biochemisch charakteri-
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Prinzipien der Tumorimmunologie
siert werden (Pfreundschuh et al. 1978). In den 80er Jahren wurde die Tumorserologie durch die Definition von humanen Tumorantigenen mit Hilfe von murinen monoklonalen Antikrpern beherrscht. Jedoch erlaubten diese Untersuchungen keine Rckschlsse auf die Immunogenitt der Tumorantigene. Erst zu Beginn der 90er Jahre wurde die humorale Immunantwort gegen molekular definierte Strukturen, wie z.B. HER/neu, p53, myc, ras, E6 und E7, beschrieben (Treci et al. 1997). Durch den Einsatz der SEREX-Methode konnte unter Verwendung des Antikrperrepertoires von Krebspatienten eine Vielzahl von humanen Tumorantigenen identifiziert werden (Treci et al. 1997). Bei diesem Verfahren wird eine cDNS-Bibliothek von frisch isoliertem Tumormaterial hergestellt, in Lambda-Phagen-Vektoren verpackt und rekombinant in E. coli exprimiert. Die rekombinanten Proteine werden auf Zellulosefilter transferiert und durch ihre Reaktion mit in Patienten vorkommenden IgG-Antikrpern unter dem Einsatz von enzymkonjugierten, fr humanes IgG spezifischen Sekundrantikrpern identifiziert. Positive Klone werden subkloniert und die Nukleotidsequenz der inserierten cDNS bestimmt. Durch diese Analysen konnten bisher mehr als 200 humane Antigene erfat werden, wobei ein einzelner Tumor mindestens vier Tumorantigene exprimiert (Chen 2000). Auf der Basis der Sequenz und des Expressionsmusters wurden verschiedene Antigenspezifitten identifiziert. Zu diesen zhlen F F F
T-Zell-definierte Tumorantigene (MAGE, Tyrosinase), bekannte Gene, die bisher nicht mit Immunantworten in Verbindung gebracht wurden, und unbekannte Gene, die die grte Gruppe der serologisch definierten Antigene darstellen.
Das breite Spektrum der Tumorantigenspezifitten bestrkt die Hypothese, da die Immunogenitt eines gegebenen Molekls mehr von dem Kontext, in dem es prsentiert wird, als von seiner restriktiven Expression abhngt (Matzinger 1994). 4.2 Identifizierung von Tumorantigenen mittels T-Zell-Epitoklonierung Theoretisch kann jedes endogen synthetisierte oder exogen aufgenommene Tumorprotein nach entsprechender Prozessierung als Peptid den MHCrestringierten tumorspezifischen CTL ber die MHC-Klasse-I- bzw. -II-Molekle prsentiert werden. In der Tat konnte die Existenz von humanen T-Zell-definierten Tumorantigenen nachgewiesen werden, wobei fr ihre Identifizierung unterschiedliche Strategien verwendet wurden (van den Eynde u. van der Bruggen 1997, de Plaen et al. 1997, Renkvist et al. 2001):
Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren F
F
F
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Der genetische Zugang basiert auf der Herstellung genomischer bzw. cDNS-Bibliotheken von Tumorzellen, die dann transient zusammen mit dem entsprechenden MHC-Restriktionselement in Zellen transfiziert werden. Die Transfektanden werden auf ihre Fhigkeit, tumorspezifische MHC-restringierte T-Zell-Klone zu stimulieren, getestet. Zur Generierung tumorspezifischer CTL werden fr die gemischte Lymphozyten-Tumorzell-Kultur entweder autologe oder allogene periphere Blutlymphozyten verwendet. Nach wiederholter Subklonierung und Selektion knnen Klone, die spezifisch den Tumor erkennen, isoliert werden. Diese tumorspezifischen CTL werden dann fr die Identifizierung der Gensequenz, die fr das antigene Epitop kodiert, eingesetzt und mit der Datenbank verglichen werden (van den Eynde u. van der Bruggen 1997). Die zweite Strategie basiert auf der biochemischen Extraktion von tumorspezifischen Antigenen der MHC-Klasse-I-Molekle mittels Sureelution (Rammensee et al. 1995, Falk et al. 1991, Rtzschke et al. 1990). Die eluierten Peptide werden mit reverser HPLC-Analyse aufgetrennt und die verschiedenen Fraktionen auf ihre Fhigkeit, Targetzellen fr die CTL-vermittelte Lyse zu sensibilisieren, getestet. Die positiven Fraktionen werden weiter gereinigt und mit Hilfe massenspektrometrischer Methoden sequenziert. Die dritte Methode bedient sich der sog. reversen Immunologie: Peptide mit Konsensussequenzen fr HLA-Allele werden auf ihre HLABindungskapazitt sowie ihre Fhigkeit, T-Lymphozyten zu stimulieren, untersucht (Kurikohchi et al. 1996).
4.3 Identifizierte Tumorantigene Die ber SEREX oder CTL definierten TAA stimmen teilweise berein, obwohl sie ber unterschiedliche molekulare Mechanismen entstehen knnen (Tabelle 4).
Tabelle 4. Mo¨gliche zugrundeliegende molekulare Mechanismen der Tumorantigen-Entstehung * *
* * * * *
Biosynthese eines neuen Moleku¨ls Alteration der Struktur normaler zellula¨rer Gene durch alternative offene Leserahmen, Introns bzw. Glykosylierung durch chromosomale Translokation entstehende chima¨re Fusionsproteine aberrante Expression von Differenzierungsantigenen Pra¨sentation von normalerweise geschu¨tzten Determinanten fehlerhaftes „Assembly“ von multimeren Antigenen U¨berexpression von normalen Genen
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Prinzipien der Tumorimmunologie
Auf der Basis des Expressionsmusters unterscheidet man 5 verschiedene Klassen von Tumorantigenen (van den Eynde und van der Bruggen; web side; Tabelle 5). Tabelle 5. Unterschiedliche Klassen der definierten tumorassoziierten Antigene * * * * *
„Cancer testis“(CT)-Antigene Differenzierungsantigene Mutationsspezifische Antigene U¨berexprimierte/amplifizierte Gene Virale Antigene
CT-Gene
Die erste Gruppe von Tumorantigenen reprsentiert Gene, deren Expression in den meisten adulten Geweben, mit Ausnahme von Testis, Plazenta bzw. Retina, nicht nachgewiesen werden kann. Diese TAA werden auch als „cancer testis“(CT)-Gene bezeichnet (Tabelle 6) und umfassen inzwischen mindestens 15 Gene oder Genfamilien (Old 2001). Generell werden ein oder mehrere CT-Gene in vielen Tumoren unterschiedlicher Histologie exprimiert (Melanom, Osteosarkom, der T-Zell-Leukmie, Kolon- und Ovarialkarzinom, Sarkome), wobei das Expressionsmuster signifikant variiert. Diese Heterogenitt der CT-Expression kann teilweise durch eine Demethylierung in einigen Krebsarten hervorgerufen werden. Das X-Chromosom kodiert fr die Mehrzahl der CT- Antigene. So erfolgt z.B. die Aktivierung der MAGE-Gene, der Prototypen dieser Tumorantigenklasse, durch die Demethylierung ihrer Promotoren (De Plaen et al. 1994, De Smet et al. 1996, Serrano et al. 1996). Die Funktion der meisten CT-Gene ist unbekannt, obwohl einige an der Regulation der Genexpression beteiligt sind. Es gibt auerdem Hinweise, da die CT-Expression mit der Tumorprogression und einem verstrkten Metastasierungspotential gekoppelt ist. So findet man unter anderem eine Zunahme der MAGE-mRNS-Expression in metastasierten im Vergleich zu primren Melanomen. Aufgrund des Expressionsmusters sind die CT-Gene vielversprechende Zielstrukturen fr Immuntherapien. In der Tat werden zur Zeit die ersten klinischen Vakzinierungsstudien mit CT-spezifischen Peptiden durchgefhrt (Parmiani 2002). Ein weiteres Beispiel fr CT-Antigene stellt das epitheliale Zelloberflchenprotein Mucin dar, das sowohl Stimulator als auch Target fr CTL sein kann (Ding et al. 1993, Barrat-Boyes 1996). In normalen Zellen ist Mucinprotein stark glykosyliert, whrend es auf Tumoren in unterglykosylierter Form vorliegt. Diese wird CTL-unabhngig von der MHC-Restriktion erkannt. Die Mucinantigene sind sehr tumorspezifisch, und aufgrund der fehlenden MHC-Restriktion erleichtert dies ihren Einsatz in therapeutischen Vakzinierungsstudien (Ding et al. 1993). Jedoch konnte auch ge-
Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren
133
Tabelle 6. U¨ber SEREX und cDNS-Klonierung identifizierte CT-Antigene Name
Zahl der Gene
Chromosomale Lokalisation
Detektionssystem
MAGE
16
Xq28/Xp21
T, Ak
BAGE
2
unbekannt
T
GAGE
9
Xp11
T
SSX
>5
Xp 11
Ak
NY-ESO-1 LAGE-1
2
Xq28
Ab, T, RDA
SCP-1
3
1p12-p13
Ak
CT7/MAGE-C!
1
Xq26
Ak, RDA
CT8
1
unbekannt
Ak
CT-9
1p
Ak
CT 10/MAGE-C2
1
Xq27
RDA, Ak
CTp11
1
Xq26-Xq27
–
SAGE
1
Xq28
RDA
CTAGE-1
1
18p11
Ak
OY-TES-1
2
21p12-p13
Ak
RAGE
>4
14
T
HOM-Tes-85
1
unbekannt
Ak
T: Identifizierung u¨ber cDNS-Klonierung und CTL-Erkennung Ak: Identifizierung u¨ber Antiko¨rper (SEREX) RDA: Identifizierung u¨ber differentielle RNS-Analyse
zeigt werden, da Mucinmolekle die Apoptose von aktivierten T-Zellen induzieren, was eine ineffiziente antitumorale Antwort zur Folge hat (Gimmi et al. 1996). Tumorassoziierte Differenzierungsantigene
Die zweite Gruppe umfat Differenzierungsantigene (van den Eynde u. van der Bruggen 1997; Tabelle 7). Ein reprsentatives Beispiel fr diese Antigenklasse ist die Tyrosinase (Brichard et al. 1993), ein fr die Melaninproduktion essentielles Melanozytenprotein, das verschiedene antigene Peptide, die ber MHC-Klasse-I- und -II-Molekle prsentiert werden knnen, beinhaltet (Wlfel et al. 1994, Topalian et al. 1996, Brichard et al. 1996). Zu dieser Gruppe zhlen auch die Antigene MART-1/Melan-A, gp100, gp75 sowie TRP-2 (Bakker et al. 1995, Kawakami et al. 1995, Robbins et al. 1995). Die Antigene dieser Gruppe sind jedoch nicht tumorspezifisch exprimiert, so da ihr Einsatz als Erkennungsstrukturen fr die Immun-
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134
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Prinzipien der Tumorimmunologie
Tabelle 7. Tumorassoziierte Differenzierungsantigene Tumor
Gen/Genprodukt
MHC-Restriktion
Antigenes Peptid
Melanom
Tyrosinase
HLA-A2
MLLAVLYCL
HLA-A2
YMNGTMSQV YMDGTMSQV*
HLA-A24
AFLPWHRLF
HLA-B44
SEIWRDIDF
HLA-DR4
QNILLSNAPLGPQFP SYLQDSDPDSFQD
Pml17/gp100
Melan-A/MART-1 gp75/TRP-1 Andere Tumoren
* #
Pmel17/gp100
HLA-A2
KTWGQYWQV
HLA-A2
AMLGTHTMEV
HLA-A2
MLGTHTMEV
HLA-A2
ITDQVPFSV
HLA-A2
YLEPGPVTA*
HLA-A2
LLDGTATLRL
HLA-A2
VLYRYGSFSV
HLA-A2
SLADTNSLAV
HLA-A3
ALLAVGATK*
HLA-A2
(E)AAGIGILTV
HLA-A2
ILTVILGVL*
gp75/TRP-1
HLA-A31
MSLQRQFLR#
TRP-2
HLA-A31
LLGPGRPYR
CEA
HLA-A2
YLSGANLNL
PSA
HLA-A2
FLTPKKLQCV
HLA-A2
VISNDVCAQV
Melan-A/MART-1
Natu¨rliche, von MHC-Klasse-I-Moleku¨len eluierte Peptide. Das Peptid wird von einem alternativen offenen Leserahmen des gp75-Transkriptes translatiert.
therapie zu einer gegen das normale Gewebe gerichteten Autoimmunitt fhren knnte. Inzwischen wurde eine Assoziation von lokaler Depigmentierung durch Destruktion von Melanozyten mit einer verlngerten berlebensrate von Patienten und spontaner Regression des Melanoms beschrieben (Rosenberg u. White 1996). Da eine gegen diese Antigene gerichtete aktive Immunisierung auch normale Melanozyten, die sich in der Retina befinden, zerstren kann, macht ihren therapeutischen Einsatz fraglich. Noch kritischer ist die Applikation des karzinoembryonalen Antigens (CEA), ein
Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren
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onkofetales Protein, welches auf normalem Kolonepithel und in den meisten gastrointenstinalen Tumoren exprimiert wird (Hodge et al. 1996). B-Zell-Lymphome sind monoklonale, von B-Zellen abstammende Tumoren, die den Ig-Idiotyp von parentalen B-Zellen exprimieren. Es konnten T-Zell-Antworten gegen Epitope dieser eine groe Variabilitt aufweisenden idiotypischen Strukturen beschrieben werden (Wen u. Lim 1997). Somit Tabelle 8. Mutationsspezifische Tumorantigene Gene/Protein
Tumor
HLA-Restriktionen
BCR-ABL-Fusionsprotein
Chronisch-myeloische Leuka¨mie
A2 B8 DR4
CASP-8
Kopf-Hals-Tumoren
B35
b-Catenin
Melanom
A24
Cdc27
Melanom
DR4
CDK4
Melanom
A2
Elongationsfaktor 2
Lungenkarzinom CC
A68
ETV6-AML-1-Fusionsprotein
akute lymphoblastische Leuka¨mie
A2 DP5 DP17
LDLR-FucosyltransferaseAS-Fusionsprotein
Melanom
DR1 DR1
HLA-A2*
RCC
Hsp70-2
RCC
A2
KIAAO205
Blasentumor
B44
MART2
Melanom
A1
MUM-1
Melanom
B44
MUM-2
Melanom
B44 Cw6
Mum-3
Melanom
A68
Myosin-Klasse I
Melanom
A3
OS-9
Melanom
B44
PML-RARa-Fusionsprotein
promyelozytische Leuka¨mie
DR11
K-ras
Pankreas-Adenokarzinom
B35
N-ras
Melanom
A1
Triosephosphat-Isomerase
Melanom
DR1
* Mutation, die das HLA-A2-Gen affektiert
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Prinzipien der Tumorimmunologie
reprsentieren idiotypische Ig eine Art individueller Differenzierungsantigene. Mutationsspezifische Antigene
Zur dritten Kategorie zhlen Antigene, die von aberrant exprimierten Sequenzen normaler Gene (Introns; alternative offene Leserahmen; Fusion, induziert durch chromosomale Translokation) (Probst-Kepper et al. 2001, Renkvist et al. 2001) oder von Punktmutation abstammen. Die Mutationen befinden sich normalerweise in den kodierenden Regionen von ubiquitr exprimierten Genen und sind meist unikal fr diesen Tumor (Tabelle 8). Obwohl die Tumorspezifitt von mutierten Tumorantigenen optimal ist, knnen diese aufgrund ihrer Einzigartigkeit nicht als generelle Tumorvakzine eingesetzt werden. Produkte mutierter Onkogene und Suppressorgene
Produkte mutierter Onkogene und Tumorsuppressorgene, wie ras und p53, stellen ebenfalls tumorspezifische Antigene dar (Disis u. Cheever 1996, Melief u. Kast 1993, s. Tabelle 8). So konnte gezeigt werden, da mutierte Tabelle 9. In Tumoren u¨berexprimierte Antigene. (Nach Seliger et al. 2000) Gen
Normale Gewebsexpression
HLA-Restriktion
Peptid
CPSF
ubiquita¨r (niedrige Spiegel
A2 A2
KVHPVIWSL LMLQNALTTM
EphA3
ha¨ufig
DR11
DVTFNIICKKCG
G250/MN/CAIX
Magen, Leber, Pankreas
A2
HLSTAFARV
HER-2/neu*
ubiquita¨r (niedrige Spiegel)
A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A2 A3
KIFGSLAFL IISAVVGIL ALCRWGLLL ILHNGAYSL RLLQETELV VVLGVVFGI YMIMVKCWMI HLYQGCQVV YLVPQQGFFC PLQPEQLQV TLEEITGYL ALIHHNTHL PLTSIISAV VLRENTSPK
Immunologisch erkannte Antigene auf menschlichen Tumoren
137
Tabelle 9. (Fortsetzung) Gen
Normale Gewebsexpression
HLA-Restriktion
Peptid
Intestinale Carboxylesterase
Leber, Darm, Nieren
B7
SPRWWPTCL
a-Fetoprotein
Leber
A2
GVALQTMKQ
M-CSF
Leber, Nieren
B35
LPAVVGLSPGEQEY
hdm2
ubiquita¨r
A2
MUC1
Dru¨senepithel
A2 A2 DR3
STAPPVHNV LLLLTVLTV PGSTAPPAHGVT
p53
ubiquita¨r (niedrige Spiegel)
A2
LLGRNSFEV
A2
RMPEAAPPV
PRAME**
Hoden, Ovarien, Endometrium, Dru¨sen
A2
VLDGLDVLL
A2 A2 A2 A24
SLYSFPEPEA ALYVDSLFFL SLLQHLIGL LYVDSLFFLc
B7
LPRWPPPQL
HLA-A24, HLA-A6
EYRGFTPOTF KASGKMKTE
RU2AS SART1 Telomerase
Hoden, Nieren, Blase
Hoden, Thymus, Knochenmark, A2 Lymphknoten
ILAKFLHWL
* fu¨r detaillierte Informationen von T-Zell-Epitopen siehe Kiessling et al. (2002, Seliger et al. 2000) ** Das Antigen wird von CTL erkannt, die inhibitorische NK-Zell-Rezeptoren tragen.
Peptide von p21ras immunogen in Musen sind (Peace et al. 1994). Eine spezifische T-Zell-Antwort konnte gegen mutationsspezifische p53-Peptide und entsprechende mut-p53 exprimierende Zellen erhalten werden (Theobald et al. 1996, Noguchi et al. 1994). Eine Reihe von CTL konnte auch gegen autologe Tumorzellen etabliert werden, die nicht-mutierte berexprimierte und amplifizierte Gene erkennen. Diese werden auch in normalen Geweben exprimiert werden, wobei ihre Expression in Tumorzellen strker ist. Zu diesen zhlen u.a. PRAME, HER2/neu, mdm2 und Wildtyp p53 (Disis et al. 1993, Lustgarten et al. 1997, Stanislawski et al. 2001, Rpke et al. 1996) (Tabelle 9). Da bereits eine minimale Konzentration an Peptid fr eine CTL-Erkennung ausreicht, kann die niedrige TAA-Expression auf normalen Zellen im Rahmen einer Autoimmunreaktion auch zur Schdigung des Normalgewebes fhren.
2
138
2
Prinzipien der Tumorimmunologie
Virale Antigene
Als letzte Kategorie der Tumorantigene sind virale Antigene zu nennen. Die besten Beispiele fr diese Gruppe stellen die E6- und E7-Onkoproteine des humanen Papillomavirus, die nukleren Antigene (EBNA1-6) und die latenten Membranproteine (LMP1/2) des Epstein-Barr-Virus dar (Massucci et al. 1992, Borysiewicz et al. 1996, Nimako et al. 1997, Tabelle 10). Tabelle 10. Virale Antigene Gen/Genprodukt
Normale Gewebsexpression
MHC-Restriktion
Antigenes Peptid
HPV E6/E7
–
HLA-A2, HLA-A24, HLA-B7
YMLDLQPETT TLGIVCPI
EBV LMP 1/2
–
HLA-A2
–
EBNA-4
–
HLA-A11
–
5 Antitumorale Effektormechanismen, Immunu¨berwachung Obwohl die Immunberwachung von Tumorzellen hauptschlich den antigenspezifischen zytotoxischen und den natrlichen Killerzellen zugeschrieben wird, sind auch andere Komponenten des Immunsystems an der Induktion von antitumoraler Antwort gegen etablierte Tumoren beteiligt. In Tabelle 11 sind die immunologischen Effektormechanismen aufgelistet, die zur Erkennung und Zerstrung von Tumorzellen fhren knnen. Man unterscheidet generell die zellulre und die humorale Immunreaktion. F
Die humorale zellula¨re Immunreaktion stellt eine antikrperbedingte Reaktion des Immunsystems dar. Nach Phagozytose des Antigens kommt es zur Stimulierung der B-Lymphozyten, die sich durch Proliferations- und Differenzierungsvorgnge zu Antikrperproduzenten (Plasmazellen) entwickeln. Diese humorale Immunreaktion ist funktio-
Tabelle 11. Immuneffektor-Mechanismen, die zur Zellzersto¨rung fu¨hren * *
*
Antiko¨rpervermittelte komplementabha¨ngige Lyse Direkte zellvermittelte Lyse – antiko¨rperabha¨ngige zellula¨re Zytotoxizita¨t (ADCC) – lektinabha¨ngige zellula¨re Zytotoxizita¨t – makrophagenabha¨ngige Lyse – NK-Zell-vermittelte Zytotoxizita¨t – LAK-Zell-vermittelte Zelldestruktion – CTL-vermittelte Zytotoxizita¨t Freisetzung von toxischen Mediatoren
Antitumorale Effektormechanismen, Immunu¨berwachung
F
139
nell eng mit der zellulren Immunreaktion verknpft. In-vitro-Experimente haben gezeigt, da die Zerstrung von Tumorzellen in erster Linie durch die zellulre Abwehr erfolgt, wobei unterschiedliche Komponenten des Immunsystems die antitumorale Reaktivitt determinieren. Initial vorhandene primre Abwehrzellen, NK-Zellen, NKT-Zellen und Makrophagen erkennen und eliminieren Tumorzellen unspezifisch, d.h. in Abwesenheit eines spezifisch definierten Tumorantigens. Im Gegensatz dazu stehen die spezifischen Abwehrmechanismen, die T-Zell-vermittelte Zytotoxizita¨t, das „cross prisming“, die antikrpervermittelte komplementabhngige Tumorzellyse und die antikrperabhngige zellulre Zytotoxizitt. Diese knnen nur in Anwesenheit eines Tumorantigens aktiviert werden, wobei die T-Zell-Erkennungsmechanismen bei der Tumorabwehr vermutlich eine Rolle spielen.
5.1 Antiko¨rpervermittelte komplementabha¨ngige Tumorzellyse Einige Tumoren stimulieren die Produktion von antitumoralen Antikrpern, welche selten tumorspezifisch, jedoch gegen Zytoskelettproteine bzw. nuklere Antigene gerichtet sind. Nach Komplementbindung induzieren diese Antikrper die Komplementkaskade, die bei der Aktivierung und Rekrutierung von Phagozyten behilflich ist und Tumorzellen direkt zerstrt. Antikrper knnen zudem ber ihren Fc-Teil von den sog. Fcc-Rezeptoren auf Phagozyten oder anderen phagozytierenden Zellen gebunden werden. Sie opsonisieren die Zielzelle und ermglichen damit die Aufnahme und Zerstrung. Die antikrpervermittelte Zellyse erfolgt somit durch Bindung von Komplement oder durch Opsonisierung zur Steigerung der Phagozytose. 5.2 Antiko¨rperabha¨ngige zellula¨re Zytotoxizita¨t Die antikrperabhngige zellulre Zytotoxizitt (ADCC) ist eine durch natrliche Killerzellen vermittelte Form der Immunreaktion und stellt einen weiteren Mechanismus dar, durch den eine Effektorzelle, die keine Spezifitt fr ein Antigen besitzt, Tumorzellen eliminieren kann. Die ADCC basiert auf der Bindung einer opsonisierten, mit Antikrper beladenen Zielzelle an eine rezeptortragende Effektorzelle ber die Fc-Region des Antikrpers, was dann die Lyse der opsonisierten Zielzellen zur Folge hat. Die den FccRIII (CD16) exprimierenden NK-Zellen spielen als Effektoren die wichtigste Rolle in der ADCC-vermittelten Zerstrung von Tumorzellen. Dabei entsprechen die Mechanismen denen der zytotoxischen T-Lymphozyten, einschlielich der Freisetzung von Perforin und Granzym. Die Bedeutung der ADCC fr die antitumorale Antwort ist bisher noch umstritten. Die ADCC kann durch verschiedene Lymphokine, wie z.B. M-CSF, GM-CSF
2
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2
Prinzipien der Tumorimmunologie
und IFN-c, beeinflut werden (Qi et al. 1995, Ragnhammar 1996). Bei der lektinabhngigen zellulren Zytotoxizitt erfolgt die Assoziation einer lytischen Zelle mit seiner Targetzelle ber Lektine wie Concanavalin A. 5.3 NK-Zell-vermittelte Zytotoxizita¨t Eine wesentliche Rolle bei der zellvermittelten Zytotoxizitt wurde den NK-Zellen zugeschrieben. Sie lysieren in vitro eine Vielzahl von Tumorzellen ohne vorangegangene Immunisierung oder Aktivierung. Athymische Muse weisen eine hohe NK-Aktivitt auf und sind relativ resistent gegen die Induktion und Ausbreitung von NK-sensitiven Tumoren (Ljunggren u. Krre 1990). Diese Tumorabwehr kann jedoch durch gegen NK-Zellen gerichtete Antikrper ausgeschaltet werden. In den letzten Jahren wurden die molekularen Mechanismen, die die Funktion der NK-Zellen aktivieren bzw. inaktivieren, definiert (Klein u. Mantovani 1993, Chouaib et al. 2001). Die NK-Zellen sind mit verschiedenen zytolytischen Mechanismen ausgestattet. CD16+/CD56+ NK-Zellen interagieren mit Zielzellen, unabhngig von der MHC-Restriktion, ber eine Vielzahl von Membranoberflchenmoleklen, wie z.B. CD2/CD58 und CD11a/CD54: Die Aktivierung des NK-Zell-induzierten zytolytischen Programmes und dessen Blockierung wird durch entsprechende NK-Zell-Rezeptoren bzw. killerzellinhibitorische Rezeptoren kontrolliert (Burshtyn et al. 1996, Carbone et al. 1997). Frhere Experimente mit transplantierten hmatopoetischen Tumoren zeigten, da NK-Zellen HLA-negative transformierte Zellen eliminieren. Es wird angenommen, da die Evolution des NK-Zell-Rezeptorsystems, welches den Verlust von MHC-Klasse-I-Moleklen detektiert, durch die Immunantwort gegen virusinfizierte Zellen mit reduzierter MHC-KlasseI-Membranexpression erfolgte. Die Expression verschiedener HLA-A-, -B- oder -C-Allele auf Tumorzellen kann aber auch eine Resistenz gegenber speziellen NK-Subpopulationen hervorrufen, die durch variable inhibitorische NK-Zell-Rezeptoren (KIR) vermittelt wird (s. Abb. 4). Wie bereits in Abschnitt 1.1 beschrieben, werden KIRs auch auf T-Zell-Subpopulationen exprimiert. Diese KIR+ T-Zellen knnen nicht durch von Tumoren exprimierte Antigene stimuliert werden. Die KIRs kontrollieren nicht nur die lytische Aktivitt gegenber Tumorzellen, sondern regulieren die NK- und T-Zell-Antworten (Chouaib et al. 2002). Die Entdeckung, da die T-ZellAntwort durch stimulatorische und inhibitorische MHC-Rezeptoren reguliert wird, die MHC-Liganden binden, stellt ein inzwischen etabliertes Konzept fr das Verstndnis der Regulation der Immunantwort dar. Obwohl das lytische Potential von NK-Zellen keine Prsensibilisierung bentigt, kann die NK-Aktivitt in vitro und in vivo durch verschiedene Lymphokine, wie z.B. IL-2, IL-12 und IFN-c, stimuliert werden. So fhrt beispielsweise die IFN-Produktion von aktivierten Lymphozyten und
Antitumorale Effektormechanismen, Immunu¨berwachung
141
Makrophagen zu einer Stimulation von NK-Vorluferzellen und zur vollen Ausprgung ihres lytischen Potentials. Im Gegensatz dazu inhibieren Prostaglandine und TGF-b ihre Aktivitt. Die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen der NK-Zell-vermittelten Zytotoxizitt sind analog zur CTLinduzierten Lyse und werden in Abschnitt 5.7 detailliert beschrieben. 5.4 LAK-Zell-vermittelte Zelldestruktion Die lymphokinaktivierten Killer(LAK)-Zellen sind Lymphozyten, die nach Inkubation mit hohen Konzentrationen von IL-2 Tumorzellen lysieren knnen. Im Vergleich zu NK-Zellen knnen LAK-Zellen effizienter und ein breiteres Spektrum von neoplastischen, aber auch normalen Zellen lysieren. Die LAK-Zell-vermittelte Zelldestruktion ist unabhngig von der MHC-Membranexpression und Antigenstimulation. Es werden vor allem Zellen, deren Membran entweder durch maligne Transformation, durch Zellkultur oder andere Aktivierungsprozesse verndert ist, lysiert. Die Tumorzellyse tritt schnell, d.h. innerhalb von 3…4 Stunden, ein. Die Interaktion von LAK- und Tumorzellen wird partiell von Adhsionsmoleklen und ihren Liganden sowie dem Komplementfaktor 3 beeinflut (Hogg u. Landis 1993). 5.5 Makrophagenabha¨ngige Zytotoxizita¨t Analog zu den NK-Zellen mssen auch Makrophagen zunchst aktiviert werden, um Tumorzellen zu eliminieren. Dabei ist ihre lytische Aktivitt antigenunspezifisch und wird in Abwesenheit von Antikrpern vermittelt. Die Aktivierung von Makrophagen bentigt zwei Signale und resultiert in einer Verbesserung ihrer Motilitt, phagozytotischen Aktivitt und Zytotoxizitt gegenber Tumoren. Makrophagen knnen durch spezifische Lymphokine, wie z.B. den Makrophagen-zytotoxischen Faktor (MCF), der von sensibilisierten T-Lymphozyten freigesetzt wird, aktiviert werden. Eine direkte zytotoxische Aktivitt von Makrophagen auf Tumorzellen wird durch die Inhibition von NO-Synthetase hervorgerufen. Allerdings knnen Makrophagen auch tumorfrdernde Aufgaben bernehmen. Eine Vielzahl von Makrophagen infiltriert humane Tumoren, wobei ihre Anzahl in Abhngigkeit von der Tumorhistologie stark variiert. Die Rolle bzw. Funktion dieser tumorassoziierten Makrophagen (TAM) ist bisher relativ ungeklrt. Jedoch postulierten Mantovani und Koautoren (1992) das Konzept der sog. „Makrophagenbalance“, welches einen komplexen Zusammenhang in der Interaktion von Makrophagen mit neoplastischen Zellen diskutiert. Sowohl die Existenz als auch die Anzahl der TAM scheint partiell auf der Produktion chemotaktischer Faktoren (MCP) und/oder von GM-CSF durch Tumorzellen zu beruhen (Botazzi et al. 1983, Klein u. Montavani 1993). Isolierte TAM aus murinen und humanen Tumoren produzie-
2
142
2
Prinzipien der Tumorimmunologie
ren neben den Zytokinen IL-1, TNF und IL-6 auch angiogene Substanzen, Wachstumsfaktoren, zytotoxische Faktoren und Prostaglandine. Somit knnen die TAM das Mikromilieu eines Tumors, d.h. die Zellproliferation, die Vaskularisierung sowie die Stromabildung, frdern. Darber hinaus knnen einige Makrophagenprodukte, wie z.B. IL-1 und TNF, in Tumoren die Metastasierung erhhen, als Wachstumsfaktoren fungieren und Adhsionsmolekle in stromalen endothelialen Zellen induzieren (Seljehid et al. 1997). Die von Makrophagen sezernierten Zytokine IL-10 und TGF-b inhibieren auerdem eine effektive NK- bzw. T-Zell-vermittelte Immunantwort. In Kooperation mit Oberflchenmoleklen beeinflussen Zytokine die Aktivitt von Immunzellen. In diesem Kontext wird postuliert, da Zytokinsekretion immunologische Reaktionen in dem Tumormikromilieu widerspiegelt (Mocellin et al. 2002, 2003). 5.6 Zytokinvermittelte Zytotoxizita¨t Eine Reihe von Lymphokinen, die von den Th1-Zellen, Makrophagen und NK-Zellen sezerniert werden, partizipieren allein oder in Kombination an der antitumoralen Antwort. So produzieren NK-Zellen IFN-c, Th1-Zellen IFN-c, TNF-a und TNF-b sowie Makrophagen TNF-a. Diese Zytokine entfalten ihre zytotoxische Wirkung auf Tumorzellen hauptschlich indirekt, d.h. ber die Stimulation von Immunzellen, wie z.B. die IFN-c-abhngige Aktivierung von Makrophagen. Das Zytokinmikromilieu beeinflut somit eine effektive Immunantwort (Mocellin et al. 2002). Es konnte nachgewiesen werden, da nicht nur Zellen des Immunsystems, sondern auch Tumorzellen Zytokine exprimieren und sezernieren. Diese knnen unter anderem die Tumorzellproliferation stimulieren und das Tumormikromilieu modulieren (Lazar-Molnur et al. 2000), was konsekutiv die Aktivitt von Immunzellen beeinflut. So wird zum Beispiel IL-7, das die Immuneffektorfunktionen von CD4+ und CD8+ T-Zellen verbessert und die zytotoxische Aktivitt von Monozyten steigert, von Kolonkarzinomzellen produziert. Es wird spekuliert, da die IL-7-Sekretion von Kolonkarzinomzellen die Expansion und Entwicklung spezifischer B- und T-Zell-Populationen verbessert, was dann eine antikolonkarzinomgerichtete Immunantwort auslsen kann (Maeurer et al. 1997). Ferner konnte gezeigt werden, da IL-7 die Expression von Oberflchenmoleklen, wie z.B. die kostimulatorischen Molekle B7 und LFA3, die eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von T-Zell-Anworten spielt, induzieren (Costello et al. 1999). Auerdem besitzen einige Zytokine, insbesondere IFN-a und IFN-c, direkte Effekte auf die Tumorzellen, indem sie ihre Differenzierung beeinflussen, zytotoxische Aktivitt besitzen, Wachstum hemmen, die Prozessierung und Prsentation von MHC-Klasse-I- und -II-Antigenen induzieren. Letzteres fhrt zu einer verbesserten CTL-vermittelten Erkennung. Die
Antitumorale Effektormechanismen, Immunu¨berwachung
143
wesentlichen an der Regulation von zytotoxischen Reaktionen beteiligten Zytokine sind in Tabelle 2 dargestellt. 5.7 HLA-abha¨ngige T-Zell-vermittelte antitumorale Effektormechanismen Die Theorie, da T-Zellen die wesentlichen Mediatoren der antitumoralen Immunantwort darstellen, wurde durch die erhhte Zahl an leukmischen Rckfllen in Patienten, die T-Zell-depletierte Knochenmarktransplantationen erhielten, untersttzt (Horowitz et al. 1990). In bezug auf solide Tumoren, insbesondere beim Melanom und Nierenkarzinom, sind T-Zellen ebenfalls fr eine adaptive Immunantwort kritisch. Dies wird durch die relativ hohe spontane Regressionsrate, das Ansprechen auf Immuntherapien sowie die hufig auftretenden Lymphozyteninfiltrate (TIL) unterstrichen. Untersuchungen zur Variabilitt des TZR in TIL zeigten eine klonale T-Zell-Proliferation in situ (Mackensen et al. 1994). Interessanterweise ist das TZRRepertoire von peptidgepulsten TIL und peripheren Blutlymphozyten (PBL) identisch, was auf eine peptidspezifische Expansion von klonotypischen T-Zellen hinweist (Cole et al. 1997). Diese Befunde sind fr die konzeptionelle Entwicklung von Vakzinierungsstudien, die auf tumorantigenspezifische Stimulation von PBL abzielen, von Relevanz. Die MHC-Klasse-II-restringierten CD4+-T-Zellen besitzen verschiedene Funktionen: F F F
Die Regulation der Differenzierung und damit die Aktivierung von antigenspezifischen T- bzw. B-Lymphozyten, Die direkte Eliminierung von Antigenen, die ber den MHC-Klasse-IIKomplex auf der Zellmembran prsentiert werden, sowie Die Stimulation von Makrophagen oder Granulozyten, die dann zytotoxische Wirkungen entfalten.
Im Gegensatz dazu liegt die Funktion von MHC-Klasse-I-restringierten CD8+ CTL in der Elimination von Zielzellen, die hauptschlich von endogen synthetisierten Proteinen abstammende antigene Peptide ber den MHCKlasse-I-Komplex prsentieren. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Mechanismen der Induktion von tumorspezifischer T-Zell-Immunitt: F
F
Zum einen kann die Induktion der tumorspezifischen Immunitt Resultat eines direkten Erkennens von Tumorzellen durch naive CD8+ T-Zellen sein. Alternativ knnen tumorspezifische Immunantworten durch Kreuzprsentation von Tumorantigenen hervorgerufen werden. Dabei nehmen professionelle APC die von abgetteten Tumorzellen entstehenden immunogenen Zelltrmmer zunchst auf, was nachfolgend zur Prozessierung und Prsentation der darin enthaltenen Antigene fhrt (Heath u. Carbone 2001).
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Prinzipien der Tumorimmunologie
Die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen der CTL-vermittelten Zytotoxizitt sind analog zu denen von NK-Zellen und basieren auf ZellZell-Kontakt sowie der Regulation von Effektormechanismen ber extrazellulre, intrazellulre und granulre Proteine (Raychaudhuri et al. 1993). Einige Aspekte ihrer zellulren Zytotoxizitt knnen durch die kalziumabhngige Sekretion des porenbildenden Proteins Perforin und durch die lymphozytenspezifische Serumesterase Granzym B erklrt werden (Kagi et al. 1994, Lowin et al. 1994). Letztere aktiviert Mitglieder der KaspaseFamilie, was zur Induktion des Apoptoseprogrammes der Zelle fhrt (Moretta et al. 2002, Graubert u. Lei 1997). Man unterscheidet neben der granulren Exozytose weitere calcium- und perforinunabhngige nicht-sekretorische Mechanismen, die ber den Fas, TRAIL oder den TNF-R-Signaltransduktionsweg ablaufen (Abb. 9). Diese Proteine gehren der TNF-R-Superfamilie an, die in den letzten Jahren stndig gewachsen ist (Zhou et al. 2002). Nach Ligandenbindung aggregieren diese Todesrezeptoren und bilden mit Adaptermoleklen membrangebundene Signalmoleklkomplexe.
Abb. 9. Perforin/Granzym B und Fas-vermittelte Mechanismen der zellula¨ren Zytotoxizita¨t. Killerzellen sind mit vielfa¨ltigen zytolytischen Mechanismen ausgestattet, da sie sich gegen eine Reihe von Zielzellen, die eine unterschiedliche Suszeptibilita¨t gegenu¨ber den individuellen zytolytischen Prozessen besitzen, behaupten mu¨ssen. Dabei stellt die kalziumabha¨ngige, granula¨re Exozytose den einzigen Todessignaltransduktionsweg dar. Sowohl CTL als auch NK-Zellen ko¨nnen durch den Fas-, TRAIL- oder TNF-Signaltransduktionsweg, die weder Kalzium noch Perforin beno¨tigen, Zellen abto¨ten.
Antitumorale Effektormechanismen, Immunu¨berwachung
145
Fas (Apo-1/CD95) ist ein Typ-II-Oberflchenrezeptor, der strukturell mit der TNF-R/NGF-R-Genfamilie verwandt ist. CD95 wird ubiquitr in verschiedenen Geweben (Thymus, Leber, Herz, Niere) und neoplastischen Zellen exprimiert (Tabelle 12). Der FasL wird als Typ-II-membranstndiges Glykoprotein synthetisiert und besitzt groe Homologien zu Mitgliedern der TNF-Familie, wie TNF-a, CD30-Ligand, CD40-Ligand, Lymphotoxin und dem TNF-verwandten apoptoseinduzierenden Liganden TRAIL. Dieses Molekl wird hauptschlich von aktivierten T-Lymphozyten und NK-Zellen exprimiert, aber auch von immunprivilegierten Organen wie Testis und Auge (Tabelle 12). Das Fas/FasL-System besitzt eine zentrale Rolle bei der Homostase und Selbsttoleranz von Lymphozyten. Die physiologischen Funktionen von FasL sind die T-Zell-Selektion im Thymus, die T-Zell-vermittelte Zytotoxizitt, die Herunterregulation der Immunreaktion sowie die Regulation von aktivierten B-Zellen (Maher et al. 2002). Die pathophysiologische Bedeutung des Fas/FasL-Systems wurde in vitro anhand entsprechender Defektmutanten und in vivo mittels „knock out“-Musen beTabelle 12. Expressionsmuster von Fas und FasL in humanen Immunzellen und Tumoren Zelltyp/Organ
Funktionelle FasL(CD95L)- Expression
FAS(CD95)-Expression
T-Zellen
Nach Aktivierung
Nach Aktivierung
B-Zellen
Nach LPS-Aktivierung
Nach Aktivierung
NK-Zellen
Nach Aktivierung
Nach Aktivierung
Monozyten/Makrophagen
Nach Aktivierung, HIV-Infektion
Konstitutiv
Dendritische Zellen
Konstitutiv in einem CD8a+-Subset
Keine, mit Ausnahme von follikula¨ren Subklassen
Angiosarkome
Konstitutiv
n.d.
Konstitutiv
*
Konstitutiv
Kolonkarzinom
Konstitutiv
*
Supprimiert
Magenkarzinom
Konstitutiv
Hepatozellula¨res Karzinom O¨sophageale Karzinome
Konstitutiv
*
Downreguliert
Konstitutiv
Supprimiert
Melanom
Konstitutiv
Keine
Lymphoma
Konstitutiv
n.d.
Lungenkarzinom
Konstitutiv
n.d.
Astrozytom
*
*
n.d.
intra- und/oder intertumorale Heterogenita¨t. n.d. nicht determiniert.
2
146
2
Prinzipien der Tumorimmunologie
stimmt. Letztere exprimieren einen lymphoproliferativen Phnotyp bzw. entwickeln Autoimmunerkrankungen (Fisher et al. 1995, Nagata 1997, Peng et al. 1996). Fr eine effektive Aktivierung der intrazellulren Signaltransduktion stellt die Oligomerisierung bzw. Trimerisierung von FasL Voraussetzung dar. Die Ligation von Fas mit dem homotrimeren FasL resultiert in einer Anhufung von Fas. Der zytoplasmatische Teil von Fas enthlt die sog. Todesdomne, welche mit der korrespondierenden Todesdomne des Adaptermolekls FADD (Fas-assoziiertes todesdomnetragendes Protein) interagiert. FADD assoziiert mit der Kaspase FLICE (FADD-like ICE) ber die sog. Todesdomne. Dies hat die Aktivierung anderer Mitglieder der Kaspase-Familie, insbesondere der Kaspase-8, zur Folge, wobei die Induktion der Apoptose entweder ber die direkte Aktivierung von anderen Effektorkaspasen (Kaspase-3) oder durch indirekte Aktivierung der Effektorkaspasen ber die Freisetzung von mitochondrialem Cytochrom C erfolgt (Maher et al. 2002).
6 Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen – ,,immune escape" Das Tumorwachstum in immunkompetenten Wirten wird durch viele Faktoren reguliert, die zum einen abhngig und zum anderen unabhngig von der Wirtsimmunantwort sind. Normalerweise fhrt eine effektive Immunantwort zur Eliminierung von Tumorzellen. Dies bedeutet, da Tumoren, die sich in einem immunkompetenten Wirt entwickeln, der berwachung des Immunsystems entkommen sind. Jedoch gibt es Hinweise, da solche Tumoren zwar eine Immunantwort besitzen, diese aber nicht ausreicht, um das Tumorwachstum zu verhindern (Foss 2002). Ob eine Immunantwort gegen den Tumor entwickelt wird oder nicht, ist von verschiedenen Faktoren abhngig (Tabelle 13). Dabei knnen Tumorzellen durch unterschiedliche Mechanismen resistent gegenber zytotoxischen Moleklen wie Granzym B und Perforin sein. Ebenfalls wurde eine Resistenz gegenber alternativen zytotoxischen Signaltransduktionswegen beschrieben (Wajant et al. 2002). Zudem beeinflussen folgende Faktoren die Immunreaktivitt: F F F F F F F
Die Strke der MHC-Klasse-I-Oberflchenexpression, Die Expression von nicht-klassischen MHC-Antigenen, Die Expression von tumorassoziierten Antigenen, Die Prsenz von Adhsionsmoleklen und/oder kostimulatorischen Faktoren, Die Effizienz der Signalbertragung in die T-Zelle, Die Expression und Modulation der Funktion von KIR und Die Fhigkeit von Tumorzellen, lymphoide Organe zu erreichen (Walker et al. 1997, Chouib et al. 2002, Seliger et al. 2003).
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
147
Tabelle 13. Aktive und passive „Immune escape“-Mechanismen von Tumoren Aktive Mechanismen *
FasL-Expression
Passive Mechanismen *
Niedrige oder fehlende MHC-Expression durch totalen, allel- oder locusspezifischen Verlust
*
Immunsuppressive Zytokine (z.B. TGF-b2, IL-10)
*
Defiziente Antigenprozessierung durch Mutationen in TAP oder Dysregulation von Komponenten der Antigenprozessierungs-maschinerie
*
Prostaglandine
*
Wachstum von antigennegativen Mutanten, Antigen-/Epitopverlust (Immunselektion)
*
Inhibitorische Neuropeptide
*
Punktmutationen in T-Zell-Epitopen (alterierte Peptidliganden)
*
Expression von KIR
*
Expression von nicht-klassischen MHC-Klasse-I-Antigenen
*
Inada¨quate Expression von kostimulatorischen und Adha¨sionsmoleku¨len Inada¨quate Effektorantwort Suppression des endothelialen-vaskula¨ren Adha¨sionsmoleku¨ls V-CAM 1 Defiziente T-Zell-Signaltransduktion Abwesenheit von Fas-Expression oder Defizienzen in der Fas-Signaltransduktion Mutationen in Todesrezeptordoma¨nen
*
* *
*
Die Immunreaktionen werden zustzlich durch ein Repertoire an Substanzen (Prostaglandine, inhibitorische Neuropeptide) und Zytokinen reguliert, die von Tumorzellen produziert werden. Diese sezernierten Faktoren knnen die Aktivitt von potentiellen tumorreaktiven Immunzellen und von lokalen Endothel- und Stromazellen modulieren (Mantovani 1997, Mocellin et al. 2002). Die wesentlichen „Immune escape“-Mechanismen, auf die im weiteren eingegangen wird, sind F F F F F F F F F
Immunselektion, Alteration der MHC-Klasse-I-Expression, Antigene Modulation, Herunterregulation der TZR, Fehlende kostimulatorische oder akzessorische Molekle, Produktion von blockierenden Faktoren oder zytotoxischen Substanzen, Expression von inhibitorischen NKR, Neutralisierung von Immuneffektormechanismen durch FasL-Expression und Mutationen in TRAIL-R (Bergelson 1993, Murphy 1993, O’Mahony et al. 1993, Walker et al. 1997).
2
148
2
Prinzipien der Tumorimmunologie
Tabelle 14. Potentielle Defekte in Tumorzellen, die zum Entweichen der Immunkontrolle fu¨hren * * * * *
*
* * *
Antigen- oder Epitopverlust Punktmutation im MHC-pra¨sentierten T-Zell-Epitop totaler, allel- oder locusspezifischer Verlust von MHC-Klasse-I-schwerer-Kette Mutationen in den Peptidtransportern Dysregulation verschiedener Komponenten der MHC-Klasse-I-Antigenprozessierungs- und -pra¨sentationsmaschinerie Suppression der Expression von Adha¨sionsmoleku¨len und/oder kostimulatorischen Faktoren Suppression des endothelialen vaskula¨ren Adha¨sionsmoleku¨ls V-CAM1 Downregulation der TZR-Expression Mutationen in Todesrezeptoren
Aufgrund der substantiellen inter- und intratumoralen Heterogenitt und der unvollstndigen Kenntnis ber die synergistischen bzw. antagonistischen Wirkmechanismen in vivo ist die Signifikanz eines einzelnen Faktors fr die Entwicklung des „Immune escape“-Phnotyps von Tumorzellen sehr schwer zu definieren. Es wird angenommen, da eine Kombination verschiedener Mechanismen zum Tumorwachstum fhrt (Tabelle 14). 6.1 Immunoselektion Tumoren sind klonalen Ursprungs. Jedoch verndern sich die Zellen eines Klons im Lauf des Tumorwachstums, so da der Tumor in bezug auf Morphologie und Expression spezifischer Oberflchenmolekle aus einer heterogenen Population besteht. Viele dieser Vernderungen werden zellzyklusabhngig reguliert. Durch diese Alterationen knnen unter anderem Zellvarianten mit verminderter Antigenexpression entstehen, die unter dem Selektionsdruck der Wirtsimmunitt schneller wachsen und damit die generelle Immunresistenz eines Tumors erhhen. Solche Antigenverlustvarianten, die eine verminderte Immunogenitt, aber eine erhhte Tumorigenitt besitzen, wurden zuerst in MCA-induzierten murinen Tumoren beschrieben (DePlaen et al. 1988). Jedoch konnte eine heterogene Antigenexpression bzw. der Verlust der Expression eines definierten, immundominanten Antigens auch in humanen Melanomlsionen nachgewiesen werden. Dies war mit quantitativen Unterschieden in der CTL-vermittelten Erkennung assoziiert (Seliger et al. 2002). Zustzliche Mechanismen, die die spezifische CTL-Erkennung von Wildtyp-Peptiden beeinflussen, knnen Epitop-Verlustvarianten sein, die durch Punktmutationen innerhalb des antigenen Peptids induziert werden. Dadurch entstehen entweder Peptide, die nicht mehr von dem MHC-Restriktionselement gebunden werden, oder Peptide, die aufgrund ihrer Affinitt die Qualitt und Strke der T-Zell-Antwort ver-
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
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ndern (Wiedenfeld et al. 1994). Zum Beispiel prsentieren HLA-B7+Frauen mit Zervixkarzinom HPV-16-Peptide, die von einer onkogenen HPV-16-Variante abstammen, welche die HLA-B7-Peptidbindungsstruktur modifiziert (Garrido et al. 1997). 6.2 Verlust oder Alteration der Expression von Komponenten des MHC-Klasse-I-Antigenprozessierungsweges Eine stabile und effiziente MHC-Klasse-I-Antigenexpression ist essentiell fr die T-Zell-vermittelte Immunantwort. Aus diesem Grund knnen Vernderungen der MHC-Klasse-I-Oberflchenexpression in Tumorzellen fr die Klinik von bedeutender diagnostischer und prognostischer Signifikanz sein. In der Tat ist die Suppression der MHC-Klasse-I-Membranexpression ein hufiges Phnomen in Tumoren unterschiedlicher Histologie und stellt einen wesentlichen Mechanismus dar, wie Tumorzellen der T-Zell-Erkennung entweichen (Garrido u. Algarra 2001, Seliger et al. 2002). In diesem Kontext ist zu erwhnen, dass MHC-Klasse-I-negative Zellen jedoch sensitiv gegenber NK-Zell-mediierter Lyse sind. Immunhistochemische Untersuchungen mit anti-HLA-monoklonalen Antikrpern, die monomorphe, allel- oder locusspezifische antigene Determinanten erkennen, ergaben in 25…75% der analysierten Tumorzellen heterogene Alterationen der MHC-Klasse-I-Expression im Vergleich zu korrespondierenden nicht-malignen Zellen. In Tabelle 15 ist die Frequenz der vernderten MHC-Klasse-I-Phnotypen in verschiedenen Tumoren zusammengefat. Ein kompletter Verlust der MHC-Klasse-I-Expression wurde in 9…52% der analysierten Tumoren gefunden, whrend ein HLA-Haplotyp-Verlust nur in wenigen Tumorzellinien nachgewiesen werden konnte. Im Gegensatz dazu wurde Tabelle 15. Frequenz der vera¨nderten HLA-Pha¨notypen in Tumoren Tumortyp
Verlust der MHC-Klasse-I (HLA)-Expression (%) HLA-A+B+C
HLA-A
HLA-B
HLA-A+B
HLA-Allel
Brust
52
4
8
9
15
Zervix
18
3
19
2
21
Kolon
21
8
5
5
26
Larynx
9
19
16
9
26
Melanom
16
3
5
2
25
Pankreas
12
19
8
n.d.
n.d.
Prostata
34
n.d.
n.d.
nd.d
51
n.d.: nicht determiniert
2
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2
Prinzipien der Tumorimmunologie
abhngig von der Tumorentitt ein locusspezifischer HLA-Verlust in 3…19% der Tumoren bzw. ein allelspezifischer HLA-Verlust in 15…51% der untersuchten Gewebelsionen beschrieben. Diese vernderten HLA-Phnotypen waren hufig mit einer verminderten Differenzierung, ausgeprgten Metastasierung sowie klinischer Progression assoziiert (Bontkes et al. 1998). Anomalitten in der MHC-Klasse-I-Expression sind hufig mit der berexpression verschiedener Onkogene und viraler Gene assoziiert, was in Tumoren unterschiedlicher Histologie und in In-vitro-Modellen onkogener bzw. viraler Transformation nachgewiesen werden konnte (Tabelle 16). Die Expression der Onkogene src, ras, mos, neu, myc und des viralen E1A-Proteins in Fibroblasten und lymphoiden Zellen, von N-myc, c-myc, bcr-abl, HER2/neu, des EBV-Proteins LMP2 und der HPV-Proteine E6 und E7 im Neuroblastom, Melanom, Zervixkarzinom, Mammakarzinom, Burkitt-Lymphom bzw. bei der chronisch myeloischen Leukmie (CML) ist mit einer verminderten MHC-Klasse-I-Membranexpression gekoppelt (Garrido u. Algarra 2001, Seliger et al. 2003). Ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Aktivierung dieser Gene und Modulation der MHC-KlasseI-Expression besteht, wird zur Zeit diskutiert. Unterschiedliche molekulare Mechanismen knnen fr die Reduktion oder den Verlust der MHC-Klasse-I-Expression in humanen Tumoren verantwortlich sein. Die anomale MHC-Klasse-I-Oberflchenexpression beruht nur zu einem geringen Prozentsatz auf der Existenz von strukturellen Vernderungen, wie z.B. Mutationen, Deletionen oder Rearrangements, in der kodierenden Region der schweren MHC-Kette und b2-M (Garrido u. Tabelle 16. Effekte von immunsuppressiven Zytokinen auf die Immunantwort Zytokin Effekt auf die Immunantwort
TGF-b
IL-10
V-EGF
Blockierung der T-Zell-Proliferation
+
–
+
Blockierung der CTL-Differenzierung
+
+
+
Inhibierung der Zytokinproduktion
+
+
–
Induktion von T-Zell-Allergie
+
–
–
Inhibierung der Antigenpra¨sentation
+
+
–
Resistenz gegenu¨ber CTL-Lyse
–
+
–
Th1/Th2-Balance
+
+
–
Downregulation von Adha¨sions- und kostimulatorischen Moleku¨len
+
+
–
Induktion von NK-Zell-Aktivita¨t
n.d.
+
–
n.d.: nicht determiniert
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
151
Algarra 2001, Seliger et al. 2003). Es wurden hufig Vernderungen in der Expression dieser Molekle nachgewiesen, wobei diese entweder auf transkriptioneller oder posttranskriptioneller Dysregulation basieren (Garrido u. Algarra 2001, Seliger et al. 2003). Die Charakterisierung der MHC-KlasseI-Antigenprozessierung ermglichte auch die Analyse der Expression und Funktion der verschiedenen APM-Komponenten. Sowohl in vitro als auch in vivo konnte mit Hilfe von entsprechenden APM-Defektmutanten oder „knock out“-Musen gezeigt werden, da fr eine stabile und effektive MHC-Klasse-I-Expression die Expression verschiedener APM-Komponenten Voraussetzung ist. In der Tat konnte in einer groen Zahl von humanen Tumoren eine reduzierte Expression und defiziente Funktion der beiden Peptidtransportuntereinheiten TAP1 und TAP2 und der Proteasomenuntereinheiten LMP2 und LMP7, Tapasin sowie anderer APM-Molekle detektiert werden. Dies resultiert in einer inadquaten Peptidbeladung sowie einem defekten Zusammenbau bzw. Export von MHC-Klasse-I-Peptidkomplexen (Seliger et al. 2000). Der „Tumornekrosefaktor anti-Apoptose induzierender Ligand“ (TRAIL), der auch als APO2 bezeichnet wird, ist ein typisches Mitglied der TNFLigandenfamilie. Dabei ist TRAIL primr als membranstndiges Protein exprimiert, obwohl auch soluble Formen von TRAIL existieren (Wajant et al. 2002). TRAIL induziert Apoptose ber die Aktivierung der Todesrezeptoren TRAIL-R1 und TRAIL-R2, wobei analog zum FAS/FASL-System FADD und Kaspase-8 eine wesentliche Rolle spielen (Baetu und Hiscott, 2002). 6.3 Aberrante Expression von MHC-Klasse-II-Antigenen Es ist inzwischen generell akzeptiert, da CD4+ T-Zellen substantiell an der antitumoralen Immunitt ber verschiedene Mechanismen beteiligt sind. Daher erkennen CD4+ T-Zellen TAA, die ber MHC-Klasse-II-Molekle von APC oder MHC-Klasse-II+-Tumoren prsentiert werden. Jedoch stammen diese Tumoren hauptschlich von MHC-Klasse-II-Epithelien ab. Die MHC-Klasse-II-Expression kann durch spontane oder virusinduzierte Transformation von nicht lymphoiden Zellen, wie z.B. nasopharyngealen Karzinomen, thyroiden Karzinomen, Brustkarzinomen, kolorektalen Karzinomen und Nierenzellkarzinomen, induziert werden. Es wird postuliert, da Zytokine ebenfalls im Tumormikromilieu die MHC-Klasse-II-Expression induzieren knnen. Die Bedeutung der MHC-Klasse-II-Expression von malignen Zellen variiert sehr stark. Zum einen konnte gezeigt werden, da MHC-Klasse-I-Expression mit einer schlechten Prognose und Progression der Erkrankung in Melanomen und Osteosarkomen assoziiert ist, whrend bei Brustkarzinomen, kolorektaklen Karzinomen, Zervixkarzinomen und laryngealen Tumoren MHC-Klasse-II-Oberflchenexpression mit einer verbesserten Prognose assoziiert ist (Seliger et al. 2000).
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Prinzipien der Tumorimmunologie
Bisher sind Informationen bezglich Defizienzen der MHC-Klasse-II-Antigen-Prozessierungsmaschinerie in humanen Tumoren und ihre funktionelle Signifikanz limitiert. Jedoch sind bereits einige Anomalitten in diesem Signaltransduktionsweg beschrieben worden. Zu diesen zhlen strukturelle Alterationen oder Dysregulationen des MHC-Klasse-II-Transaktivators CIITA, was die TNF-a-vermittelte Induzierbarkeit der MHCKlasse-II-Antigene blockiert. Die in Hodgkin-Lymphomen beschriebene Modifikation des ber MHC-Klasse-II-Molekle prsentierten Peptidrepertoires wird durch die Beladung der meisten MHC-Klasse-II-Oberflchenmolekle durch CLIP hervorgerufen. Dies verhindert die Prsentation von MHC-Klasse-II-Moleklen mit antigenem Peptid (Seliger et al. 2000). 6.4 Blockierende Faktoren, tumorinduzierte Zytokine und Immunsuppression Im Serum von Tumortrgern wurden Faktoren nachgewiesen, die sowohl die zell- als auch die antikrpervermittelte Zytotoxizitt inhibieren knnen. Die Herkunft und Natur der blockierenden Faktoren ist bisher noch relativ unklar. Man vermutet jedoch, da es sich um lsliche Antigene bzw. Antikrper handelt, die von Suppressor-T-Zellen freigesetzt werden und spezifisch die Immunantwort hemmen. Die Wachstumsfrderung kann durch Inhibition des Antigens an der Zelloberflche, durch Hemmung der Antigenfreisetzung und damit auch der Inhibition der Aktivierung und durch Blockierung der Immunzellen erfolgen. Diese supprimierenden Faktoren knnen aber auch Apoptose von normalen und transformierten lymphoiden Zellen induzieren (O’Mahony et al. 1993). Wie bereits in Abschnitt 1.2 (Aktivierung von Lymphozyten) und 1.3 (Zytokine und Immunregulation) beschrieben, werden Funktion und Differenzierung von CTL und DC durch ein komplexes Zytokinnetzwerk kontrolliert. So knnen von Tumoren produzierte Zytokine entweder die Entwicklung von DC und die Generierung von CTL positiv beeinflussen oder die Differenzierung, Expansion und/oder die Aktivitt von Immuneffektorzellen (Makrophagen, CTL, DC) inhibieren. Es konnte gezeigt werden, da Tumorzellen hufig immunsuppressive Substanzen und Zytokine sezernieren, die die Immunantwort ber unterschiedliche Mechanismen entweder vollstndig oder partiell inhibieren (s. Tabelle 16). Zu ihnen zhlen IL-10, TGF-b und der vaskulre endotheliale Wachstumsfaktor (V-EGF). Diese Faktoren induzieren Toleranz von Tumoren gegenber tumorreaktiven CTL, solange ihre Freisetzung nicht blockiert wird. TGF-b ist der potenteste immunsuppressive Faktor und beeinflut die Proliferation, Aktivierung und Differenzierung von Zellen, die an der Immunitt beteiligt sind. Darber hinaus inhibiert TGF-b die Produktion sowie die Signaltransduktion von Zytokinen, wie z.B. IL-12. Jedoch kann TGF-b auch die
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
153
Proliferation von neoplastischen Zellen in vitro inhibieren, was auf eine duale Aktivitt von TGF-b schlieen lt. IL-10 besitzt einige immunsuppressive Aktivitten, zu denen die Blockierung der Zytokinexpression von Th1- sowie NK-Zellen, die Induktion von Toleranz gegenber CTL, die Inhibition der MHC-Klasse-I- und -II-Membranexpression sowie die Suppression der monozytenabhngigen T-ZellProliferation zhlen (Chonaib et al. 1997). Krzlich konnte gezeigt werden, da IL-10 die Funktion von NK-Zellen verbessert (Mocellin et al. 2003). 6.5 CD1-Expression als Mechanismus fu¨r den Tumorescape CD1-Molekle sind nichtpolymorphe, TAP-unabhngige antigenprsentierende Molekle, die nicht in der MHC-Region kodiert sind. Sie prsentieren insbesondere nichtpeptidische Antigene, z.B. Lipide oder Glykolipide, den DC- bzw. NK-Zellen und stellen damit eine dritte Klasse von antigenprsentierenden Moleklen dar. Komparative Sequenzanalysen zeigten eine Konservierung des CD1-Molekls whrend der Evolution. Die Prsentation von nichtpeptidischen Antigenen wird hauptschlich von einer spezifischen T-Zell-Subpopulation, den sog. NKT-Zellen, erkannt. Diese NKT-Zellen besitzen Charakteristika sowohl von NK- als auch T-Zellen und exprimieren die invariante a-Kette des T-Zell-Rezeptors zusammen mit der polyklonalen b-Kette. CD1-Oberflchenmolekle knnen entweder die NK-Zellmediierte Tumorzelldestruktion erleichtern oder alternativ diese NK-Zell-mediierte Lyse verhindern. Es konnte gezeigt werden, da CD1 in verschiedenen Tumorzellinien unterschiedlicher Histologie nach Induktion mit verschiedenen Zytokinen, wie IFN-c, IL-4, IL-10 oder GM-CSF, exprimiert wird. Verminderte CD1d-Expression fhrt zu einer reduzierten Immunerkennung von CD1+ Tumorzellen durch entsprechende NKT-Effektorzellen. Dies bedeutet, da die durch Zytokine modulierte CD1-Expression auf Tumorzellen die Antitumorantwort beeinflussen kann (Fiedler et al. 2002). 6.6 Expression von nicht-klassischen HLA-Moleku¨len Die nicht-klassischen HLA-G-Molekle wurden ursprnglich fast ausschlielich auf Trophoblasten nachgewiesen und spielen eine zentrale Rolle fr die Aufrechterhaltung einer immunprivilegierten Zone an der maternofetalen Grenzregion. HLA-G ist dabei in der Lage, durch Bindung an die KIR-Rezeptoren der NK-Zellen die NK-Zell-vermittelte Zytolyse zu verhindern. Eine hnliche Situation findet sich fr maligne entartete Zellen, die hufig eine verminderte oder gnzlich fehlende Expression klassischer MHC-Klasse-I-Molekle aufweisen. Dieses Expressionsmuster ist trotz des hufigen Nachweises tumorinfiltrierender T-Zellen oft mit einem besonders raschen Krankheitsverlauf sowie einer schlechten Prognose asso-
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Prinzipien der Tumorimmunologie
ziiert. HLA-G wurde inzwischen auf einer Vielzahl solider Tumoren, wie zum Beispiel Glioblastomen, Melanomen, Kolonkarzinomen und Nierenzellkarzinomen sowie leukmischen Zellen, nachgewiesen und scheint eine neue Abwehrstrategie gegen eine antitumorale Immunantwort darzustellen (Seliger et al. 2003, Carosella et al. 2000). Dabei konnte gezeigt werden, da HLA-G-exprimierende Tumorzellen weder von tumorspezifischen CTL noch von NK-Zellen erkannt und lysiert werden. 6.7 Antigenmodulation Das Phnomen der Antigenmodulation ist vergleichbar mit der spontanen Bildung von gering immunogenen Tumoren und wurde das erste Mal fr das Thymus-Leukmie-Antigen (TLA) beschrieben. Muse, die mit hohen Antikrpertitern gegen TLA-Antigene immunisiert wurden, sollten gegenber syngenen TLA-positiven Zellen resistent sein. Jedoch sterben diese Tiere, was auf Antigenverlust nach Exposition mit spezifischen Antikrpern zurckzufhren ist. Das Verschwinden der Antigene von der Zelloberflche scheint durch sog. Patching, Capping oder Endozytose zu erfolgen und ist nur transient, das heit, eine einzige Tumorpassage in einem unbehandelten syngenen Tier fhrt zur Reexpression des Antigens. 6.8 Inhibition der T-Zell-Antwort durch fehlende Kostimulation und Defekte in der T-Zell-Signaltransduktion Man unterscheidet unterschiedliche Mechanismen der Inhibition der TZell-Antwort gegen Tumoren. Neben dem bereits beschriebenen Verlust bzw. der Reduktion der MHC-Klasse-I-Expression auf Tumoren stellen die fehlende oder defiziente Expression von Adhsions- und/oder von kostimulatorischen Moleklen wesentliche Faktoren dar, die die Interaktion von T-Zellen und Tumorzellen und damit die antitumorale Immunantwort beeinflussen (s. Abb. 6). Whrend der frhen Phase der T-Zell-Aktivierung ist die Assoziation von LFA-1/ICAM1 und CD2/LFA-3 essentiell. Die Kooperation von kostimulatorischen Moleklen mit den entsprechenden Rezeptoren auf der T-Zelle ist hauptschlich fr die spten Stadien der T-Zell-Aktivierung kritisch (Sharp u. Freeman 2002). Wie bereits beschrieben, vermittelt die Interaktion von B7 mit dem CD28-Molekl auf den T-Zellen das bisher am besten charakterisierte kostimulatorische Signal und ist fr eine effektive T-Zell-Aktivierung essentiell. Eine defekte Expression von B7-1 und B7-2 wurde auf vielen humanen Tumorzellen gezeigt. Dies fhrt dann, unabhngig von der MHC-Klasse-I-Antigenprsentation, zu einer Antigendesensibilisierung, T-Zell-Anergie (periphere Toleranz) und schlielich zur Apoptose von T-Zellen (Sharp u. Freeman 2002). Transfektion von B7 in Tumorzellen verursacht eine direkte T-Zell-Aktivierung,
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
155
den Verlust der Tumorigenitt und Schutz gegen nicht-transfizierte Tumorzellen. Nicht nur strukturelle Alterationen oder Dysregulation von Moleklen auf Tumorzellen, sondern auch Defekte in den Signaltransduktionswegen von T-Zellen knnen eine effektive T-Zell-vermittelte Immunantwort verhindern. So konnte in TIL und peripheren Blutlymphozyten von Patienten mit kolorektalem Karzinom und Nierenkarzinom eine selektive Herunterregulation der Expression von p56lck sowie von CD3-Komponenten des TZR (f-Kette) in T-Zellen sowie von CD16f in NK-Zellen nachgewiesen werden (Cardi et al. 1997, Matsuda et al. 1995, Levey u. Srivastava 1996). Auerdem wurden in T-Zellen von Tumorpatienten Alterationen in der Tyrosinphosphorylierung von Proteinen gefunden, was eine reduzierte Signalbertragung, z.B. eine verminderte Lck-Kinase-Aktivitt, zur Folge hat (Levey u. Srivastava 1996, Nakagomi et al. 1993). Obwohl strukturelle Vernderungen des TCR und eine defiziente Signaltransduktion eine reduzierte oder fehlende zytolytische Aktivitt von TIL und PBL bei tumortragenden Patienten erklren kann, wird die funktionelle Signifikanz dieses Effekts kontrovers diskutiert: Einige Autoren behaupten, da dieses Phnomen auf einer partiellen, durch Makrophagen vermittelten Degradation von Signaltransduktionsmoleklen beruht (Cardi et al. 1997). 6.9 Modulation der Rezeptorfunktion in tumorspezifischen zytotoxischen T-Zellen T-Zell-Infiltration von Tumoren ist nicht notwendigerweise ein Indikator fr eine Antitumorantwort. Eine Akkumulation verschiedener Resultate zeigte, da das NK-Zell-System eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von T-Zell-mediierter Zytotoxizitt spielt und fr die Herunterregulation von Immunantworten durch aktivierungsinduzierten Zelltod und Induktion von Toleranz verantwortlich ist. In diesem Kontext waren Untersuchungen des funktionellen Stadiums von tumorreaktiven T-Zellen in Krebspatienten wichtig, um ihre Rolle bei der Tumorberwachung zu verstehen. Dabei bedient man sich der Methodik der MHC-Klasse-I-Tetramere, die durch Kombination mit spezifischen T-Zell-Markern die Isolation von antigenspezifischen T-Zellen direkt von frisch isolierten TILs oder peripheren Blutlymphozyten erlaubt. Es konnte gezeigt werden, da inhibitorische Rezeptoren (KIR) essentiell fr die CTL-Aktivierung in frhen Stadien sind. Dies verhindert die Bildung der immunologischen Synapse, einer Struktur, die die T-Zell-Aktivierung und direkte Sekretion von zytotoxischen Moleklen reguliert. Neben der Kontrolle der lytischen Aktivitt von Tumorzellen regulieren KIRs die Proliferation und/oder das berleben von spezifischen CTL. Es wird postuliert, da die KIR-Expression ein Zwischenschritt von Effektor- zu Gedchtnis-T-Zellen darstellt. Tumorzellen knnen ebenfalls
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Prinzipien der Tumorimmunologie
indirekt die KIR-Funktion durch die potentielle Inhibition des nukleren Transkriptionsfaktors NF-jB in CTL modulieren. Neben der Expression von FAS-Ligand auf Tumorzellen knnen Tumorzellen auch resistent gegenber zytotoxischen Moleklen wie Granzym B und Perforin sein. Tumorzellinien mit Defizienzen im Mannose-6-Phosphat-Rezeptor zeigen keine CTL-vermittelte DNS-Fragmentation, da dieser Rezeptor normalerweise Granzym B bindet. Dadurch fehlt die Aktivierung der zellulren apoptotischen Kaskade. Alterationen dieser Kaskade oder von mitochondrialen Signaltransduktionswegen knnen in einigen Tumorzellen zu Vernderungen des Granzym-B-induzierten Zelltods fhren. Ebenfalls ist die Expression des Serin-Proteinase-Inhibitors Serpin mit der Tumorresistenz gegenber Granzym-B-mediierter Apoptose assoziiert. 6.10 Dysfunktion der Apoptose Dysfunktion von Apoptose ist ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung sowie Metastasierung von Tumoren. Fr diesen Proze spielen die Signaltransduktionswege ber die TNF-R-Superfamilie eine wesentlich Rolle. Die fatale Konsequenz der Fas-FasL-Interaktion wurde inzwischen aufgeklrt: FasL wird nicht nur als zytotoxischer Mechanismus von T-Zellen zur Induktion von Apoptose in Fas-exprimierenden Zellen benutzt, sondern spielt auch eine wesentliche Rolle bei der klonalen Herunterregulation dieser Zellen (Maher et al. 2002). Eine wesentliche Rolle spielt FasL bei der Induktion von Toleranz durch FasL-mediierte Zytotoxizitt von infiltrierenden T-Zellen (Griffith et al. 1996). So exprimieren Tumoren unterschiedlicher Histologie, wie z.B. natrliche Killerzellymphome, granulre lymphatische Leukmien, multiples Myelom, akute lymphatische Leukmien, aber auch nicht-lymphoide Tumoren (Kolonkarzinome, Angiosarkome) den funktionellen FasL und induzieren Apoptose in Fas-exprimierenden T-Zellen (Villunger et al. 1997, Friesen et al. 1996, Griffith et al. 1996, Walker et al. 1997, Tabelle 12). Ebenfalls spielen Fas-Defizienzen bei der Tumorprogression eine Rolle: Ein partieller oder kompletter Verlust von Fas wurde in vielen Tumoren beschrieben. Dabei wurde ein allelischer Verlust in Tumoren des Gehirns, der Prostata, der Haut, des Endometriums sowie lymphoider Organe nachgewiesen, was mit einer reduzierten Sensitivitt von Tumorzellen gegenber T-Zell-mediierter Zytotoxizitt einhergeht. Es wurde auerdem gefunden, da die FasL-Expression in Tumorzellen, in deren direkter Nachbarschaft infiltrierende T-Lymphozyten nachgewiesen werden, hochreguliert ist. Dies deutet darauf hin, da FasL-Expression von Tumorzellen eine aktive immunsuppressive Strategie ist, um durch ZellZell-Interaktion die infiltrierenden T-Zellen zu eliminieren (Abb. 10). Der „Tumornekrosefaktor anti-Apoptose induzierende Ligand“ TRAIL, der auch als APO2 bezeichnet wird, ist ein typisches Mitglied der TNF-Li-
Potentielle Mechanismen der Tumorzellen, dem Immunsystem zu entweichen
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Abb. 10. Apoptose von CTL durch FasL exprimierende Tumorzellen
gandenfamilie. Dabei ist TRAIL primr als membranstndiges Protein exprimiert, obwohl auch soluble Formen von TRAIL existieren (Wajant et al. 2002). TRAIL induziert Apoptose ber die Aktivierung der Todesrezeptoren TRAIL-R1 und TRAIL R2, wobei analog zum FAS/FASL-System FADD und Kaspase-8 eine wesentliche Rolle spielen (Baetu und Hiscott 2002). Der TRAIL-Rezeptor ist auf dem Chromosom 8p21 lokalisiert, wo hufig allelische Verlust in Lungenkarzinomen und Kopf-Hals-Tumoren nachgewiesen werden knnen (Wajant et al. 2002). So konnten in verschiedenen Tumoren unterschiedlichen Ursprungs Mutationen im TRAIL-R nachgewiesen werden (Tabelle 17). Diese fhren meistens zu einer Dysfunktion des TRAIL-R. CD70 ist ein Membranglykoprotein und gehrt zu der TNF-Rezeptorfamilie. Es wird auf lymphoiden Zellen, insbesondere aktivierten B- und TZellen, aber nicht auf arretierten Lymphozyten exprimiert. CD27 wird konstitutiv von T-Zellen, B-Zellen und natrlichen Killerzellen exprimiert, wobei ein reziprokes Expressionsmuster von CD27 und CD70 beschrieben wurde. CD70/CD27-Interaktionen spielen eine wichtige Rolle bei der Reifung und Aktivierung von B-Zellen und natrlichen Killerzellen. CD8+ T-Zellen knnen via CD70 aktiviert werden, whrend T-Helferzellen nicht affektiert sind. Es konnte gezeigt werden, da CD27 Apoptose induzieren kann, und CD27-„knock out“-Muse besitzen ein defizientes T-Zell-Gedchtnis, aber keine Immunodefizienz. Es konnte krzlich gezeigt werden, da CD70 durch maligne Transformation in einigen Tumorpatienten induziert werden konnte. Aberrante Expression von CD70 in malignen Gliobla-
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Prinzipien der Tumorimmunologie
Table 17. Krebsassoziierte Mutationen in TRAIL-Todesrezeptoren Mutierter Rezeptor Tumortyp
TRAIL-R1
TRAIL-R2
Nicht-metastasierter Brustkrebs
0 (n = 34)
0 (n = 23)
Metastasierter Brustkrebs
3 (n = 23)
4 (n = 23)
NSCLC
2 (n = 21)
NSCLC
0 (n = 100)
NSCLC Non-Hodgkin-Lymphom
11 (n = 104) 2 (n = 117)
6 (n = 117)
n: Zahl der analysierten Tumorproben
stomen kann zur Induktion von B- und T-Zell-Apoptose fhren durch die Interaktion mit CD27, das auf T- und B-Zellen exprimiert wird, und kann somit zumindest fr maligne Glioblastome einen „Immun escape“-Mechanismus darstellen (Wischhusen et al. 2002). 6.11 Erho¨htes Tumorstromakollagen als Barriere fu¨r CD8+ T-Zell-Infiltration Wie bereits erwhnt, ist es bisher relativ wenig verstanden, weshalb groe Zahlen an tumorinfiltrierenden Lymphozyten in der Peripherie von Tumoren gefunden werden und dort nicht ihren antitumoralen Effekt auslsen. Krzlich prsentierten Lieubeau und Mitarbeiter (1999) eine unikale Hypothese. Sie postulierten, da tumoraktivierte Myofibroblasten und extrazellulre Komponenten den Kontakt zwischen Tumor- und Immunzellen in In-vitro- und Tiermodellen verhindern. Vielmehr wurden den extrazellulren Matrixproteinen wie Kollagenfibronektin und Proteoglykan eine Rolle bei der Stabilisierung der physikalischen Struktur von Geweben und bei der Regulation von Migration, Proliferation, Form und Funktion von Zellen zugeschrieben. Die stromale Reaktion, die in vielen invasiven Karzinomen beschrieben wurde, postuliert eine wichtige Rolle von Stromazellen und Matrix in der Pathogenese und Progression von Tumoren (Sieweke u. Bissell 1994). Dabei scheint die Rate der CD8+ T-Zell-Infiltration die Tumorzellen zu kontrollieren. Die extrazellulre Matrix bildet eine Barriere, die zustzlich Wachstumsfaktoren einlagert, welche die Tumorneovaskularisierung und damit das Tumorwachstum beeinflut. Somit ist fr eine erfolgreiche T-Zell-basierende Immuntherapie eine komplementre Behandlung gegen diese lokalen Barrieren ber das Tumorstroma notwendig (Ohno et al. 2002).
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Spontanremissionen H. Kappauf, W. M. Gallmeier
Portentum ergo fit non contra naturam, sed quam est nota natura. Wunder sind also nicht wider die Natur, sondern nur gegen die uns bekannte Natur. Augustinus (354…430 n. Chr.) De civitate Dei (Vom Gottesstaat)
1 Die Theorie bestimmt, was wir beobachten ko¨nnen (A. Einstein, 1926) Bis vor wenigen Jahren stand fast ausschlielich die unkontrollierte Proliferation von malignen Zellen im Brennpunkt der klinischen und experimentellen Onkologie. Das gngige Malignommodell mit exponentiellem klonalem Wachstum orientierte sich implizit an der mechanistischen Katastrophenanalogie eines losgelsten Schneeballs, der in einer entsprechenden Umgebung zu einer unhaltsam destruktiven Lawine anwchst. Eine Lawine ist nie reversibel, sondern kann allenfalls verhindert oder frhzeitig ausgebremst werden. Zweifelsfrei dokumentierte Spontanremissionen zeigen dagegen auf, da bis im fortgeschrittenen Stadium Malignomerkrankungen grundstzlich als potentiell reversibler Proze aufgefat werden knnen. Darber hinaus haben in den letzten Jahrzehnten wegweisende Erkenntnisse der onkologischen Grundlagenforschung das wissenschaftliche Malignommodell grundlegend gendert: Proliferationssignale allein fhren noch nicht zur manifesten Tumorerkrankung. Angesichts der tglich im Organismus notwendigen milliardenfachen Proliferationsablufe wird weniger die epidemiologische Hufigkeit als die Seltenheit von Malignomerkrankungen erstaunlich. Somit sind das komplexe Zusammenspiel von aktivierenden und inhibitorischen Regulationsmechanismen der Zellproliferation und ihre Abhngigkeit von Kontextbedingungen ganz in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerckt.
2 Definition von Spontanremission Angelehnt an die Definition von Everson und Cole (1966) wird unter Spontanremission einer Krebserkrankung eine vollstndige oder teilweise, vorbergehende oder dauerhafte Rckbildung smtlicher oder zumindest einiger relevanter Aktivittsmerkmale einer bsartigen Erkrankung verstanden, die entweder ohne jegliche medizinische Therapie eingetreten ist oder unter Manahmen, die erfahrungsgem nicht zu einer derartigen Rckbildung fhren. Im letzten Fall kann die Abgrenzung einer Spontan-
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Spontanremissionen
remission von einem seltenen Behandlungserfolg gelegentlich sehr schwierig sein. Denn die Einordnung einer Regression als „spontan“ weist auf noch nicht hinreichend verstandene physiologische oder pathophysiologische Wirkzusammenhnge hin und berhrt somit notwendigerweise epistemiologische Fragen von Therapiedefinition und kausalen Attributionen. Dahingehend bezeichnen Lowy und Erickson (1989) das Phnomen Spontanremission als „vitalen Faktor, der vielen unserisen Krebsbehandlungsmethoden andauernden Zulauf gibt“. Aber auch bei wissenschaftlich fundierten Therapieanstzen drfen objektive Tumorrckbildungen nicht bereits selbstverstndlich der tumorspezifischen Behandlung zugeschrieben werden, wie placebokontrollierte Therapiestudien bei Patienten mit metastasierendem Nierenzellkarzinom zeigen (Gleave et al. 1998, Printz 2001).
3 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie von Spontanremissionen Durch die ganze Medizingeschichte ziehen sich sporadische Berichte ber Patienten, die, bereits todkrank, wider allen Erwartens von ihren Krebsleiden genesen sind. Manche Diagnose in derartigen historischen Berichten mu sicher in Zweifel gezogen werden. Doch auch nachdem seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Krebsdiagnose nur nach histopathologischer Besttigung als gesichert gilt, haben mehrere tausend Artikel in anerkannten medizinischen Fachzeitschriften Spontanremissionen bei Krebserkrankungen berichtet oder thematisiert. Die Validitt dieses seltenen Phnomens wurde bereits auf dem 1. Internationalen Krebskongre 1906 in Heidelberg und Frankfurt auer Zweifel gestellt (Czerny 1907). Derzeit werden jhrlich weltweit in den serisen medizinischen Fachzeitschriften etwa 20…30 neue Fallberichte von Spontanremissionen verffentlicht (Challis und Stam 1990, Stoll 1992). Die Fallzahlen in den wenigen bersichtsarbeiten zum Thema Spontanremission unterscheiden sich teilweise betrchtlich, da sie nicht auf einheitlichen Definitionen und Dokumentationsanforderungen basieren und manchmal bestimmte Malignomentitten ausschlieen. Everson und Cole (1966) berichteten in ihrer wegweisenden Monographie fr den Zeitraum von 1900 bis 1964 ber 176 Patienten und fgten spter 6 weitere Fallberichte an. Challis und Stam (1990) aktualisierten diese bersicht bis 1987 und bercksichtigten auch Spontanremissionen bei Leukmien, malignen Lymphomen und Retinoblastomen. Sie fhrten jedoch die von ihnen in der Literatur gefundenen 489 Fallstudien nicht nher aus. O’Regan und Hirshberg (1993) durchsuchten ebenfalls weltweit die medizinische Fachliteratur und whlten schlielich 1051 Referenzen zu onkologischen Spontanremissionen und 216 dahingehende detaillierte Fallberichte fr ihr bibliographisches Standardwerk aus. Verschiedene Grnde erschweren eine systematische Erfassung
Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie von Spontanremissionen
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Tabelle 1. Gru¨nde fu¨r eine unvollsta¨ndige Erfassung von Spontanremissionen * * *
*
* *
* * *
Der Arzt kennt das Pha¨nomen Spontanremission nicht Der Arzt vermutet aufgrund des gu¨nstigen Verlaufes eine Fehldiagnose Der fru¨her behandelnde Arzt wird gemieden, weil er den Krebskranken auf einen baldigen Tod hingewiesen hatte Erstbehandelnde A¨rzte verlieren den Patienten aus den Augen und glauben, dieser sei bereits seiner Krankheit erlegen Remissionen werden als Erfolg einer unkonventionellen Therapie gewertet Tempora¨re Remissionen werden nicht erfaßt oder bei erneuter Progredienz nicht mehr berichtenswert betrachtet Die Remission ist ungenu¨gend dokumentiert, so daß ein Bericht unterbleibt Der Arzt scheut die Mu¨hen einer Vero¨ffentlichung Viele Fachzeitschriften haben fu¨r Fallberichte eine sehr restriktive Publikationspolitik
von Spontanremissionen (Tabelle 1), so da eine hohe Dunkelziffer nichtberichteter Flle anzunehmen ist (Kappauf 1998). >
Eine von Rae (1935) zitierte bloe Schtzung von Bashford, der zufolge Spontanremissionen bei 1 von 80 000 bis 100 000 Krebserkrankungen auftreten, findet sich seitdem in der Literatur meist unkritisch mit Variationen wiederholt. Eine verlliche allgemeine Hufigkeitsrate von Spontanremissionen bei onkologischen Erkrankungen ist aber bereits aus biometrischer Sicht prinzipiell kaum mglich (Abel 2001).
Sporadische Spontanremissionen kommen offensichtlich bei allen Malignomentitten vor. Weit mehr als die Hlfte aller publizierten Spontanremissionen bezieht sich aber auf sehr wenige Malignomarten: maligne Melanome, Nierenzellkarzinome, maligne Lymphome einschlielich CLL und kindliche Neuroblastome (O’Regan und Hirshberg 1993). Nur fr diese Malignomentitten existieren einige empirisch belegte Hufigkeitsangaben fr Spontanremissionen (Tabelle 2): F
F
Bei bereits metastasierenden malignen Melanomen wird die Inzidenz einer vollstndig rckgebildeten oder nicht mehr auffindbaren Primrmanifestation mit 3,7…15% angegeben, whrend sich Metastasen selbst nur in 0,22…0,27% spontan zurckbilden (Alvinoach und Aflalo 1992, Sproujieh 1988, Maurer und Klmel 1998). Die Spontanremissionshufigkeit von Metastasen eines operierten Nierenzellkarzinoms wird mit 0,3…7% angegeben, wobei sich die Spontanremissionen in 90% der Flle auf Lungenmetastasen beziehen (Fairlamb 1981, Mller et al. 1989, Oliver et al. 1989, Kavoussi et al. 1986, Sternberg 1997, Gleave et al. 1998).
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174
3
Spontanremissionen
Tabelle 2. Literaturangaben zur Ha¨ufigkeit von Spontanremissionen Alle Malignome
1:60000–100000 ?? (Scha¨tzung) 3,7–15% 0,22–0,27%
Maligne Melanome
Prima¨rtumor Metastasen
Neuroblastome
Stadium IVS Stadium I/II Pra¨klinisch
> 80% 2% 60–70% 0,3–7%
(niedrig maligne) CLL
Akute Leuka¨mien
5–23% 1% ??
Basalzellkarzinome
20%
Nierenzellkarzinome Maligne Lymphome
F
F
Bei malignen Lymphomen kommen Spontanremissionen vorwiegend bei niedrigmalignen NHL vor. Bei letzteren liegt die Inzidenz von … meist nur temporren und partiellen … Spontanremissionen in verschiedenen Untersuchungen bei 9…23% (Gattiker et al. 1980, Horning und Rosenberg 1984, Drobyski und Quazy 1989, Frick und Frick 1993, Thomas et al. 2002). Fr kindliche Neuroblastome wird bei klinisch aufgefallenen, noch lokal begrenzten Tumoren (Stadium I und II) eine Spontanremissionshufigkeit von 2% berichtet (Carlson 1990). Obduktionsbefunde bei Kleinstkindern und Daten von systemischen Neuroblastom-Frherkennungsprogrammen belegen jedoch eine weit hhere Spontanremissionsinzidenz im prklinischen Stadium (Yamamoto et al. 1998). Bei Neuroblastomen im Stadium IVs … knapp 10% der kindlichen Neuroblastome entsprechen diesem besonderen Manifestationstyp im ersten Lebensjahr … kommt es sogar nahezu regelhaft zur spontanen Tumorrckbildung, oft nach anfnglicher bedrohlicher Tumorprogredienz. Somit wird inzwischen sowohl fr Suglinge mit klinisch manifesten IVs-Neuroblastomen als auch fr Kleinstkinder, bei denen durch RoutineScreening ein Neuroblastom im Stadium I oder II entdeckt wurde, eine initiale „wait and see“-Strategie anstelle einer sofortigen operativen oder chemotherapeutischen Behandlung studienmig geprft.
Bei Basalzellkarzinomen der Haut wurden in randomisierten Therapiestudien bis etwa 20% spontane Regressionen beobachtet (Printz 2001). ˜ltere bersichten geben eine substantielle Zahl von Spontanremissionen bei Weichteilsarkomen, weiblichen Chorionkarzinomen und Blasenkarzinomen an (O’Regan und Hirshberg 1993). Besonders in der neueren Lite-
Mechanismen, die an Spontanremissionen beteiligt sind
175
ratur werden relativ hufig Spontanremissionen bei akuten Leukmien (Kumamoto et al. 1994, Mitterbauer et al. 1996, Tzankov et al. 2001, Weintraub et al. 2000) und hochmalignen Lymphomen berichtet. Akute myeloische Leukmien bei Suglingen mit Down-Syndrom (Creutzig und Baumann 1998) und primr kutane CD30-(Ki-1-)positive grozellig anaplastische Lymphome haben hier eine wissenschaftlich sehr interessante Sonderstellung (Beljaards et al. 1993, Kashiwabara et al. 1999). Wegweisend ist die elaborierte Analyse der Spontanremission einer Ph-Chromosom-positiven CML von Musashi et al. (1997). Zu den epidemiologisch und in der onkologischen Praxis wichtigen Malignomarten wie Bronchialkarzinomen (Kappauf et al. 1997), kolorektalen Karzinomen, Magenkarzinomen, invasiven Zervix- und Ovarialkarzinomen gibt es nur wenige Spontanremissionsberichte. Die auffllig inkongruente Epidemiologie der einzelnen Malignomarten und der jeweiligen Spontanremissionshufigkeiten kann wichtige Hinweise auf beteiligte biologische Vorgnge geben. Spontanremissionen manifestieren sich klinisch derart heterogen, da sehr verschiedene auslsende Mechanismen postuliert werden mssen.
4 Mechanismen, die an Spontanremissionen beteiligt sind Wenn Malignomzellen spontan verschwinden, so kann dies unabhngig vom auslsenden Vorgang letztlich ber zwei grundstzliche biologische Endstrecken geschehen (s.a. Tabelle 3): Tabelle 3. Mechanismen, die an Spontanremissionen beteiligt sind Differenzierung Apoptose Immunreaktive Vorga¨nge – Antiko¨rper gegen Tumorzellen – Antiidiotypische Antiko¨rper – Antiproliferative Zytokinwirkung – Zellula¨re zytotoxische Immunreaktionen (T-Zellen, dendritische Zellen, NK-Zellen) – Sistieren einer Immunsuppression – Lokale und systemische Immunaktivierung durch virale und bakterielle Infektionen oder Mutagene Aufhebung der U¨bersa¨uerung in der Mikroumgebung von Tumorzellen Telomerase-Inhibition Angiogenese-Inhibition Endokrine Mechanismen Psychoneuroimmunologische Mechanismen * * *
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Spontanremissionen
durch Ausreifung, indem die malignen Zellen zu einem normalen, nicht mehr proliferierenden Phnotyp differenzieren, oder durch Zelltod, indem sie mittels Apoptose („programmierter Zelltod“) oder Nekrose absterben.
Die biologischen Ablufe, die zur Zelldifferenzierung oder zum programmierten Zelltod fhren, sind ber komplexe „check points“ eng miteinander verknpft, um eine Genomstabilitt aufrechtzuerhalten (Hartwell und Kastan 1994). 4.1 Apoptose bei Spontanremissionen Der apoptotische Zelltod, den letztlich Proteasen durch eine irreversible DNS-Fragmentierung herbeifhren, wird gem seiner eminenten ontogenetischen Bedeutung durch viele Gene und Genprodukte komplex reguliert. Malignome wachsen weniger durch eine gesteigerte Zellproliferation als vielmehr aufgrund einer eingeschrnkten Apoptose (Holmgren et al. 1995). Wenn Malignome andererseits „ruhen“ (dormancy) und dadurch oft sogar subklinisch bleiben, so liegt dies offensichtlich weniger an einer Proliferationshemmung als an einer balancierten Apoptose (O’Reilley et al. 1996). Direkte Belege fr apoptotische Vorgnge bei Spontanremissionen fanden Kaufmann et al. (1995) bei einem Patienten mit leukmischem, biklonalem Mantelzell-NHL, das innerhalb von 50 Monaten durch 15 Perioden von akuter Exazerbation und anschlieender spontaner Remission auffiel. Nagel et al. (1996) berichteten einen hnlichen klinischen Verlauf bei einem Patienten mit B-Zell-NHL, das nach 10 Jahren schlielich in eine CLL berging. Hornstein und Mlke (1960) beschrieben sehr ausfhrlich die Spontanremission bei einem Sugling mit metastasierendem Neuroblastom … nach heutiger Klassifikation lag ein Stadium IVs vor: Nach initialer Metastasenprogression beobachteten sie eine langsame vollstndige spontane Rckbildung der multiplen Tumoren. Sie punktierten dabei wiederholt Hautmetastasen und fanden histologisch keine Zeichen einer Ausreifung, sondern zunehmend „regressive“ Vernderungen, wie sie bei der Apoptose auftreten … dieser Begriff war damals noch nicht geprgt. Auch andere Forschergruppen korrelierten Apoptose bei kindlichen Neuroblastomen mit einer gnstigen Prognose (Hoehner et al. 1995). Matsushita et al. (1999) belegten Apoptose bei der spontanen Remission einer T-Zell-Leukmie bei einem 76jhrigen Mann. Die Apoptose war mglicherweise durch eine bestehende schwere Hypoproteinmie induziert worden, denn nach deren Besserung kam es zur Progredienz der Leukmie.
Mechanismen, die an Spontanremissionen beteiligt sind
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4.2 Immunmechanismen In vielen Kasuistiken ist die Spontanremission von Tumorknoten oder Leukmien mit einer schweren lokalen oder systemischen Infektion assoziiert. Derartige immer wieder berichtete Beobachtungen fhrten besonders Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Tumorbehandlung mit Bakterientoxinen, meist Erysipeltoxinen. Beispielsweise sollen von ber 1200 Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen, die mit sogenannten Coley-Toxinen behandelt wurden, 22% eine vollstndige Remission erfahren haben. 30 dieser Verlaufsberichte beziehen sich sogar auf eine dauerhafte Heilung (Starnes 1992). Auch die Pionierarbeiten Steven Rosenbergs zur modernen onkologischen Immuntherapie wurden entscheidend angeregt durch seine Beobachtung einer infektassoziierten dauerhaften Spontanremission von bioptisch gesicherten Lebermetastasen bei einem Patienten mit reseziertem Magenkarzinom (Rosenberg et al. 1972). Derartige Spontanremissionen sind mit der entzndungsbedingten Freisetzung von antiproliferativen Zytokinen, dem bergreifen entzndlicher Nekrose auf Tumorgewebe und einer humoralen oder zellulren Immunaktivierung hypothetisch erklrbar. Eine lokale antitumorse Entzndungsreaktion wird auch durch die wiederholte Beobachtung unterstrichen, da Patienten, die wegen eines Bronchialkarzinoms operiert werden und als Komplikation ein Empyem entwickeln, eine bessere Langzeitprognose haben (Ruckdeschel et al. 1972). Bowles und Perkins (1999) berichteten vier Flle von Gehirnmalignomen, die nach einer intrakranialen Infektion eine Langzeitremission erfuhren. Auch bei viralen Infekten werden Zytokine freigesetzt, die mglicherweise eine urschliche Rolle bei zahlreichen Spontanremissionen spielten, die mit einer Infektion mit Masern-, Varicella-Zoster-, Zytomegalie- oder Hepatitisviren einhergingen (Drobyski und Quazy 1989, Beguin et al. 1996). Innsbrucker Kollegen (Tzankov et al. 2001) fhrten krzlich aus, wie sich bei einer 60jhrigen Frau eine sekundre AML fr mehrere Monate vllig zurckbildete, nachdem wegen initial septischen Zustands und Aspergillenpneumonie eine zytostatische Behandlung zunchst unterbleiben mute. Sporadische Tumorremissionen bei Patienten mit metastasierenden Melanomen unter einer BCG-Therapie oder Behandlung mit anderen biologischen Immunmodulatoren, aber auch mit Mutagenen legen ebenfalls nahe, da immunreaktive Mechanismen an Spontanremissionen beteiligt sind. Postuliert werden unmittelbar durch Mutagene oder virale Infektionen induzierte Tumorzellantigene oder eine Proliferationshemmung mittels antiidiotypischer Antikrper. Fr eine antitumorse Immunreaktivitt bei Spontanremissionen sprechen auch die Beobachtungen, da unter einer immunsuppressiven Be-
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Spontanremissionen
handlung entstandene lymphoproliferative Erkrankungen beim Absetzen dieser Therapie oft verschwinden (Salloum et al. 1996) und da Spender-buffy-coat-Transfusionen bei einem Leukmierezidiv nach allogener Knochenmarktransplantation erneut eine Remission induzieren knnen (Kolb et al. 1990). Der Graft-versus-Leukmie(GvL)-Effekt wird von CD4+-Lymphozyten vermittelt (Giralt et al. 1995). Eine Spontanremission bei akuter myeloischer Leukmie nach multiplen Leukozytentransfusionen wegen lebensbedrohlicher Infektion ist beschrieben (Ifrah et al. 1985). Bei Melanomen und Basalzellkarzinomen ist die wichtige Rolle von CD4+-T-Lymphozyten fr Remissionen inzwischen belegt (Printz 2001). Spontanremissionen sind aber auch bei schwerst T-Zell-kompromittierten Patienten mit AIDS-assoziierten Lymphomen bekannt (Diekman et al. 1992, Karnad et al. 1992). Somit ist das Phnomen „Spontanremission“ untauglich, unkonventionelle Krebstherapieanstze allgemein zu rechtfertigen, die auf eine pauschale „Strkung des Immunsystems“ abzielen. Im Gegensatz zu normalem Gewebe findet sich in der Mikroumgebung von Tumorzellen eine Verschiebung des pH-Wertes in Richtung saure Werte … bis unter 5. Dadurch wird lokal die zytotoxische Aktivitt von Immunzellen gehemmt (Severin et al. 1994, Kraus und Wolf 1998). Wird die Ansuerung der Mikroumgebung aufgehoben, so werden diese Tumorzellen dem Angriff zytotoxischer Zellen zugnglich. Spekulativ bleibt bisher, ob beispielsweise auch Ernhrungsfaktoren eine derartige ˜nderung der pH-Homostase und dann immunvermittelte spontane Tumorregression bewirken knnen. 4.3 Zelldifferenzierung und Elimination von exogenen Karzinogenen Eine spontane Regression und Ausreifung ist fr kindliche Neuroblastome, Retinoblastome, ein Nebennierenkarzinom, Teratokarzinome und Chorionkarzinome beschrieben (Haas et al. 1988, Stoll 1992). Wahrscheinlich sind Differenzierungsvorgnge auch von Bedeutung, wenn noch nichtinvasive Karzinome, beispielsweise der Cervix uteri oder der Bronchialschleimhaut, nach der Beendigung einer exogenen Karzinogeneinwirkung verschwinden. ˜hnliches gilt fr niedrigmaligne MALT-Lymphome des Magens, die sich in etwa 70% nach einer Eradikation von Helicobacter pylori zurckbilden. Spontanremissionen sind aber auch bei MALT-Lymphomen beschrieben, die nicht mit einer Helicobacter-Infektion assoziiert waren (Okamura et al. 2000). Bei 12 von 13 Spontanremissionen von Blasenkarzinomen, die Everson und Cole (1966) anfhren, kam es nach einer Ureterokolostomie zur Tumorregression, so da sie vermuteten, mit dem Urin sei auch eine die Karzinogenese stimulierende Substanz abgeleitet worden (Cole 1981). Lehrreich ist auch der Fallbericht von einem Kind mit angeborener schwerer
Mechanismen, die an Spontanremissionen beteiligt sind
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Neutropenie und mutiertem G-CSF-Rezeptor, das nach 9jhriger G-CSFTherapie eine AML entwickelte, die sich durch Absetzen dieser Behandlung vollstndig zurckbildete. Die AML rezidivierte nach Wiederaufnahme der G-CSF-Behandlung, das erneute Absetzen fhrte wieder zur Vollremission der Leukmie (Jeha et al. 2000). Differenzierungsmechanismen knnten auch erklren, warum sich bei Frauen im mittleren Lebensalter bei systematischen pathologischen Untersuchungen in einem viel hheren Prozentsatz Carzinoma-in-situ-Befunde der Mammae nachweisen lieen, als der Brustkrebsinzidenz im spteren Lebensalter entspricht. 4.4 Hormonelle Einflu¨sse 20 der von Everson und Cole (1966) erfaten 176 Spontanremissionen waren mit hormonellen ˜nderungen assoziiert. In lteren bersichten finden sich zahlreiche Berichte ber Spontanremission von Mammakarzinomen in zeitlichem Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, Entbindung, der Menopause und neuerdings dem Absetzen einer strogensubstitution. Derartige Verlufe sind mit dem heutigen Wissen von endokrinen Therapiemglichkeiten nicht mehr sehr rtselhaft. Endokrine Vernderungen spielen mglicherweise auch bei Spontanremission von Nierenzellkarzinomen eine Rolle, bei denen eine Hormontherapie durchaus Remissionen erzielen kann (Sternberg 1997). Die Rolle von Schilddrsenhormonen bei Tumorremissionen wird seit 100 Jahren kontrovers diskutiert (Atkins et al. 1988). 4.5 Angiogeneseinhibitionen Solide Tumoren knnen nur dann die Gre von feinnodulren Plaques berschreiten, wenn Blutgefe aus dem umgebenden Gewebe in das Tumorgewebe einsprossen und eine Nhrstoffversorgung gewhrleisten. Diese Tumorgefneubildung kann durch eine Vielzahl bisher erkannter angiogenetischer Proteine stimuliert und andererseits durch eine Reihe anderer endogener Proteine gehemmt werden, vor allem durch Thrombospodin, Angiostatin, Metalloproteinaseinhibitoren (TIMP), IL-6, Steroide, Endostatin und Plttchenfaktor-4 (Folkman 1997a). Zudem kann das Tumorwachstum bei einer Mutation des fr die Angiogenese wichtigen Endothelrezeptors gehemmt werden (Millauer et al. 1994). Einige der genannten endogenen Angiogeneseinhibitoren unterliegen der positiven Steuerung durch p53, Interferon oder IL-12. ber ihre unbestrittene proliferative Bedeutung bei soliden Tumoren hinaus knnten angiogenetische Faktoren aber auch bei akuten Leukmien eine Rolle spielen (Perez-Atayde et al. 1997). O’Reilly et al. (1996) zeigten, da sich durch Angiostatin (Spalt-
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produkt von Plasminogen) transplantierte menschliche Karzinome bis auf winzige ruhende Tumorkntchen zurckbilden, in denen ein Gleichgewicht von Zellproliferation und Apoptose vorliegt. In der Kombination mit Endostatin lt sich sogar eine Tumoreradikation erreichen (Folkman 1997b). Hypothetisch vorstellbar ist, da bei Spontanremissionen nach multiplen Transfusionen (Edwards et al. 1996, Mitterbauer et al. 1996) von Blutprodukten neben immunreaktiven Mechanismen exogen zugefhrte Angiogeneseinhibitoren eine Rolle spielen. Maligne Melanome knnen sich zum Zeitpunkt ihrer Vaskularisation vollstndig zurckbilden, wofr neben zellulren Immunmechanismen der parakrine antitumorse Effekt von IL-6 angefhrt wird, das in den neugebildeten Endothelzellen gebildet wird. Solide Tumoren sind hinsichtlich ihres angiogenetischen/antiangiogenetischen Phnotyps heterogen, so da mglicherweise nach inkompletter Tumorresektion in seltenen Fllen im residuellen Tumorgewebe angiogenese inhibitorische Eigenschaften berwiegen und eine weitere spontane Tumorrckbildung erfolgt. In der Tat gehen bei Spontanremission von soliden Tumoren am hufigsten chirurgische Eingriffe mit inkompletter Tumorresektion voraus (Smith 1971, Cole 1981). ˜hnlich knnten die in Tumorzellverbnden hufigen Mutationen gelegentlich das angiogenetische Tumorpotential hemmen und eine Remission einleiten. Offensichtlich knnen auch verbreitete, nicht tumorspezifische Medikamente, beispielsweise ACE-Hemmer, ber antiangiogenetische Wirkmechanismen, Spontanremissionen induzieren (Vogt und Frey 1997). 4.6 Telomeraseinhibition Das Enzym Telomerase kann Zellen immortalisieren und wird im Gegensatz zu Malignomzellen in den meisten benignen Krperzellen reprimiert. Bei Neuroblastomen geht eine niedrige oder fehlende Telomeraseaktivitt im Tumorgewebe mit einer gnstigen Prognose einher. Hiyama et al. (1995) diskutierten, da bei Neuroblastomen des Typs IVs und manchmal auch im Stadium I/II die Telomeraseaktivitt mglicherweise fr die Immortalisierung der Tumorzellen nicht ausreicht, diese somit aufhren zu proliferieren und der Apoptose zugnglich werden mit der Folge einer spontanen Tumorrckbildung. Vorstellbar sind Spontanremissionen auch mittels der Einwirkung oder Induktion von unbekannten Telomeraseinhibitoren. Im Tierversuch konnte gezeigt werden, wie die spontane Remission von kutanen Melanomen mit einer Strung der Telomeraseaktivitt assoziiert ist (Pathak et al. 2000). 4.7 Psychologische und psychoneuroimmunologische Mechanismen Verschiedene aktuelle Laienbcher ber Spontanremissionen und Medienberichte ber unerwartete Krebsheilungen propagieren die Bedeutung
Spontanremission ist nicht gleichbedeutend mit Heilung
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bestimmter Persnlichkeitsmerkmale, Verhaltensweisen oder psychospiritueller Faktoren fr die Genesung. Die Heterogenitt von Tumorerkrankungen und der Einflu von biologischen Prognosefaktoren und einer kompetenten onkologischen Therapie auf den gnstigen Krankheitsausgang werden dabei meist ignoriert (Berland 1995, Cunningham 1996). Nur wenige Flle von Spontanremission, die mit einem religisen Hintergrund oder starken Glaubensberzeugungen einhergingen, sind gut dokumentiert (Thei 1998). Unklar bleibt aber, ob hier eine kausale oder koinzidentelle Assoziation vorliegt. Subjektive Krankheitstheorien, Kontrollberzeugungen und andere psychosoziale Aspekte spielen fr das Krankheitsverhalten, die Krankheitsadaptation und somit die Lebensqualitt von Betroffenen whrend und nach einer Krebserkrankung eine wichtige Rolle. Menschen, die von einer Krebserkrankung geheilt werden, gewinnen durch die Auseinandersetzung mit ihrer existentiellen Bedrohung oft eine gelassenere und positivere Lebenssicht (Kennedy 1976). Dies gilt sowohl fr Menschen, die ihre Genesung einer kompetenten onkologischen Behandlung verdanken, als auch fr Patienten, die eine Spontanremission erfahren … manchmal selbst fr Menschen, deren Malignomerkrankung im Gegensatz zur subjektiven Einschtzung objektiv progredient ist (Kappauf et al. 1998, Kappauf 2003). Vorsicht ist somit gegenber Erklrungsmodellen geboten, die Spontanremissionen unkritisch auf bestimmte Persnlichkeitsmerkmale, willentliche Anstrengung oder andere spezifische Bewltigungsverhaltensweisen zurckfhren. Auch die substantielle Zahl von Spontanremissionen bei Suglingen und Kleinkindern sowie dokumentierte Flle von Spontanremissionen bei kognitiv erheblich eingeschrnkten Erwachsenen und die auffllige Epidemiologie von Spontanremissionen erlauben es bisher nicht, eine dominante kausale Rolle von psychischen, psychosozialen oder psychospirituellen Faktoren bei einer spontanen Krebsrckbildung zu postulieren. Aber selbst im gegenteiligen Fall interessieren die psychoneuroimmunologischen bersetzungskaskaden und biologischen Endstrecken, ber die in solchen Fllen psychosoziale Einflsse antitumors wirken.
5 Spontanremission ist nicht gleichbedeutend mit Heilung oder guter Gesundheit Wahrscheinlich werden Spontanremissionen und therapeutisch induzierte Malignomrckbildungen ber gleiche biologische Endstrecken vermittelt. Interferone wirken beispielsweise antiproliferativ, angiogenesehemmend, zelldifferenzierend und immunmodulatorisch. Chemotherapeutika entfalten ihren antitumorsen Effekt mehr ber eine Apoptoseinduktion als mittels zytotoxischer Nekrose. Auerdem weisen viele bewhrte Chemotherapeutika antiangiogenetische Wirkungen auf und knnen als Mutagen
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bisweilen auch eine antitumorse Immunreaktivitt auslsen (Coates und Segelov 1994, Folkman 1997a). Um ber biologische Mechanismen der Malignomkontrolle mehr zu lernen, sind somit neben den seltenen Spontanremissionen auch die hufigeren Tumorverlufe mit ungewhnlich spten Rezidiven interessant (TakÆts und Czapo 1966, Wiegel et al. 1996), die auf ein langes Ruhestadium, also eine langfristige endogene Kontrolle von Mikrometastasen, hinweisen. Darber hinaus sollten genauso unerwartet gnstige Therapieerfolge mehr Aufmerksamkeit erhalten. Denn von 431 Patienten, deren kleinzellige Bronchialkarzinome zum Diagnosezeitpunkt bereits sehr fortgeschritten waren (extended disease) und mit einer statistisch mittleren berlebenszeit von 8…11 Monaten einhergingen, berlebten 5 Patienten (1,2%) mehr als 10 Jahre (Lassen et al. 1995). Spontanremissionen sind keineswegs synonym zu Heilung oder Gesundheit zu verstehen und schtzen auch nicht vor einem Zweitmalignom (Horning und Rosenberg 1984, Kappauf et al. 1997, Thomas et al. 2002). Viele Kranke, die eine Spontanremission erfahren, versterben spter an einem Rezidiv ihres Malignoms. Trotz spektakulrer Langzeitheilungen bedeuten Spontanremissionen auch noch nicht selbstverstndlich eine lngere berlebenszeit im Vergleich zum natrlichen statistischen Krankheitsverlauf. Da Spontanremissionen aber einzigartige natrliche In-vivo-Modelle biologischer Malignomkontrolle darstellen (Gallmeier 1997, Kappauf 1997), verdienen sie systematisches wissenschaftliches Interesse. Literatur Abel U (2001) Spontanremissionen aus biometrischer Sicht. Dtsch Z Onkol 33:115… 126 Abubakr YA, Chou TH, Redman BD (1994) Spontaneous remission of renal cell carcinoma: a case report and immunological correlates. J Urol 152:156…157 Alvinoach I, Aflalo E (1992) Human melanoma cell lines established from metastases of a patient with a completely regressed primary site. Cancer 69:113…122 Atkins MB, Mier JW, Gould JA et al (1988) Hypothyroidism and tumor regression. N Engl J Med 319:1351 Beguin Y, Callignon J, Laurent C, Fillet G (1996) Spontaneous complete remission and recovery of donor haemopoiesis without GVHD after relapse and apparent marrow graft rejection in poor-prognosis myelodysplastic syndrome. Br J Haematol 94:507…509 Beljaards RC, Kaudewitz P, Berti E et al (1993) Primary cutaneous CD30-positive large cell lymphoma: definition of a new type of cutaneous lymphoma with a favorable prognosis. Cancer 71:2097…2104 Berland W (1995) Can the self affect the course of cancer? Unexpected cancer recovery: Why patients believe they survive. Adv Mind Body Med 11:5…19
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Epidemiologie von Tumoren N. Becker
1 Einleitung Lange Latenzzeiten, eine multifaktorielle Verursachung und eine bei den meisten Agenzien vergleichsweise geringe Risikoerhhung machen es bis auf wenige Ausnahmen unmglich, auf individueller Ebene die Ursachen von Krebserkrankungen zu identifizieren. Aus diesem Grund ist man darauf angewiesen, gruppentypische Unterschiede in gegenber bestimmten Agenzien verschieden stark exponierten Bevlkerungsgruppen aufzuspren und zu quantifizieren. Dies ist die Aufgabe der Epidemiologie, die definiert werden kann als die Wissenschaft vom Auftreten von Krankheiten in menschlichen Bevo¨lkerungen bzw. Bevo¨lkerungsgruppen und ihren mo¨glichen Ursachen. Aufgrund der bevlkerungsbezogenen Betrachtungsweise wird also der Blick gewissermaen aus der Vogelperspektive auf das Krankheitsgeschehen geworfen. Man erhlt damit kaum Einblick in die biologischen Ablufe der Karzinogenese. Das Ziel der Epidemiologie ist dementsprechend auch weniger, zu dem mechanistischen Verstndnis der Krebsentstehung beizutragen, als vielmehr, die Wissensgrundlagen dafr zu schaffen, Prvention zu betreiben und Strategien hierfr zu entwickeln. Die wesentlichen Ziele der Krebsepidemiologie lassen sich folgendermaen zusammenfassen: F
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Quantifizierung von Inzidenz und Sterblichkeit an den verschiedenen Krebskrankheiten sowie Beobachtung regionaler Unterschiede und zeitlicher Vernderungen in Inzidenz und Mortalitt; Erforschung der ˜tiologie der Krebskrankheiten: Identifizierung krebserregender Agenzien und Quantifizierung des Erkrankungsrisikos bei Exposition gegenber diesen Agenzien; Entwicklung von Strategien zur primren Prvention bsartiger Neubildungen sowie zur Frherkennung und Frhbehandlung bereits erkrankter Personen (sekundre Prvention) und Prfung deren Wirksamkeit; Nachverfolgung des Verlaufsschicksals an Krebs erkrankter Personen bzw. von unter einem erhhten Krebsrisiko stehenden Personen.
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Epidemiologie von Tumoren
2 Datenquellen und Methoden Die Berichterstattung ber die Hufigkeit von Krankheiten in menschlichen Bevlkerungen wird als deskriptive Epidemiologie bezeichnet. Sie gibt Auskunft ber das Krankheitsgeschehen in verschiedenen Lndern bzw. in verschiedenen Regionen eines Landes hinsichtlich des skularen zeitlichen Verlaufes sowie in Abhngigkeit vom Lebensalter. Krebsatlanten sind typische Beispiele fr Verffentlichungen aus diesem Bereich. Die a¨tiologische Epidemiologie hat demgegenber die Erforschung der Ursachen der Krankheiten zum Ziel. Sie bedient sich gnzlich anderer Methoden und unterscheidet sich insbesondere auch darin, welche Daten sie verwendet: Ein wesentlicher Unterschied zwischen deskriptiver und tiologischer Epidemiologie besteht nmlich darin, da erstere sich zumeist auf aggregierte Daten routinemig erhobener Sammelstatistiken (amtliche Todesursachenstatistik, Daten von Krebsregistern) mit wenig bzw. keinen Angaben zu individuellen Merkmalen sttzt. Die tiologische Epidemiologie erhebt demgegenber ihre Daten stets gezielt fragestellungsbezogen auf individueller Ebene. 2.1 Datenquellen 2.1.1 Amtliche Todesursachenstatistik
Die grundlegende Datenquelle zur Beschreibung der Sterblichkeit in einem Land ist die amtliche Todesursachenstatistik. Da es grundstzlich keinerlei Instanz gibt, die einen berblick darber gewinnen knnte, wie viele Menschen in einem Land an bestimmten Krankheiten jeweils neu erkranken, ist die Todesursachenstatistik darber hinaus hufig auch die einzige Datenquelle, um wenigstens bei den Krankheiten mit hoher Letalitt einen Anhaltspunkt auch ber die Erkrankungshufigkeit zu gewinnen. In Deutschland geht die bei jedem Todesfall auszustellende Todesbescheinigung vom den Tod feststellenden Arzt (jede Todesbescheinigung mu von einem Arzt ausgestellt werden) zum jeweils zustndigen Gesundheitsamt sowie Standesamt, von dort zum statistischen Landesamt des betreffenden Bundeslandes und anschlieend wieder zurck zum einsendenden Gesundheitsamt bzw. zum Gesundheitsamt des letzten Wohnortes des Verstorbenen, in dem sie, in den Bundeslndern unterschiedlich, mindestens 5 und bis zu 30 Jahre aufbewahrt wird. Das statistische Landesamt fhrt eine Verschlsselung nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (International Classification of Diseases, ICD) durch und ordnet die Meldung dem letzten Wohnort der betreffenden Person zu. Das „Internationale Todesursachenverzeichnis“ wurde erstmals im Jahre 1900 fr verbindlich erklrt und wird seitdem in ungefhr 10jhrigen Abstnden Revisionen unterzogen. Seit 1990 ist
Datenquellen und Methoden
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die 10. Revision des mittlerweile in „Internationale Klassifikation der Krankheiten“ umbenannten Schlssels in Kraft (ICD-10). Die auf diese Weise als Sammelstatistik in den statistischen Landesmtern gehaltenen Daten werden alljhrlich an das Statistische Bundesamt in Wiesbaden bermittelt, das eine Bundesstatistik erstellt. Auerdem leitet das Statistische Bundesamt seit dem Jahr 1952 die Bundesstatistik regelmig an die WHO in Genf weiter, die ihren gesamten weltweiten Datenbestand der medizinischen Forschung zur Verfgung stellt. Die Epidemiologie greift auf verschiedenen Ebenen auf diese Daten zu. Fr eine landesweite Bestandsaufnahme der Krebssterblichkeit in Deutschland knnen fr die Vergangenheit die Daten von der WHO erbeten werden. Fr die laufenden Jahre werden sie vom Statistischen Bundesamt zur Verfgung gestellt. Fr die Untersuchung der regionalen Verteilung der Krebssterblichkeit mssen die nach Regionen aufgefcherten Datenbestnde bei den statistischen Landesmtern der 16 Bundeslnder erbeten werden. Fr die Durchfhrung epidemiologischer Studien bedarf es schlielich der Angabe der Todesursache auf der amtlichen Todesbescheinigung. Diese mu an der lagernden Stelle, d.h. bei den jeweiligen Gesundheitsmtern, angefordert werden. >
Jeder einen Totenschein ausfllende Arzt sollte sich darber bewut sein, da seine Angabe mglicherweise irgendwann einmal in eine epidemiologische Studie Eingang finden knnte, deren Qualitt u.a. auch von der Qualitt seiner Angabe abhngt.
In jedem Fall aber geht jede Todesbescheinigung in die amtliche Todesursachenstatistik ein, die routinemig hinsichtlich der Vernderungen in der Krebssterblichkeit epidemiologisch ausgewertet wird. Auch die Qualitt dieser Auswertungen hngt von der Sorgfalt ab, mit der die Leichenschauscheine ausgestellt werden. Eine vor einigen Jahren unter deutschen ˜rzten durchgefhrte Untersuchung hat ergeben, da 25% der Befragten zum Zeitpunkt der Befragung nichts von der Existenz der amtlichen Todesursachenstatistik wuten. Einem Drittel der ˜rzte war nicht bekannt, da jede Todesbescheinigung in die Gesamttodesursachenstatistik eingeht. >
Eine einfache Manahme zur Hebung der Qualitt der amtlichen Todesursachenstatistik, die hufig in Frage gestellt wird, ist eine bessere Information unter den ˜rzten ber die Aufgaben und Funktionsweise dieser Statistik.
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Epidemiologie von Tumoren
2.1.2 Krebsregister
Angesichts der Bedeutung der Krebskrankheiten in unserer Zeit haben sich viele Lnder der Welt entschlossen, Krebsregister zu fhren. Diese knnen entweder flchendeckend oder fr definierte Landesteile eingerichtet sein. In Europa unterhalten beispielsweise alle skandinavischen Lnder und Polen flchendeckende Krebsregister. In Westdeutschland existierten in der Vergangenheit lediglich in Hamburg und im Saarland regionale Register. Die ehemalige DDR fhrte ebenfalls seit 1961 ein flchendeckendes Register, das sogar weltweit dasjenige mit der grten zugrundeliegenden Population darstellte. Seit Anfang 1995 existiert ein Bundeskrebsregistergesetz, das alle Bundeslnder verpflichtete, bis zum Jahr 1999 Krebsregister einzufhren, so da mittlerweile in allen Bundeslndern Krebsregister im Aufbau begriffen sind. Diese sind bis auf drei Bundeslnder flchendeckend (fr Einzelheiten s. ABKD 2002). Epidemiologische Krebsregister haben mehrere Aufgaben: F
F
F
Sie beschreiben im Rahmen einer jhrlichen Berichterstattung … die Hufigkeit der verschiedenen Krebskrankheiten, … die skulare Entwicklung, … die altersabhngige Verteilung der Inzidenz, … eventuell die regionalen Unterschiede innerhalb seines Einzugsbereiches. Sie stellen individuelle Daten fr tiologisch-epidemiologische Studien mit Krankheitsendpunkt „Erkrankung an einer Krebskrankheit“ zur Verfgung. Sie untersttzen die Qualittskontrolle von Screeningprogrammen, indem sie z.B. die im Zeitraum zwischen zwei Screeninguntersuchungen auftretenden Krebsflle (sog. Intervallkarzinome) identifizieren und den Screeningeinrichtungen zur Quantifizierung der Sensitivitt zur Verfgung stellen (s. fr Einzelheiten Kap. 6.2).
Datenquelle sind Krankenhuser, niedergelassene ˜rzte sowie Pathologische Institute. Es ist nicht zwingende Aufgabe eines epidemiologischen Krebsregisters, Daten ber vorausgegangene Expositionen, Rauchgewohnheiten oder berufliche Ttigkeiten zu sammeln, auch wenn Register z.T. gewisse Minimalinformationen, z.B. zur am lngsten ausgebten beruflichen Ttigkeit, aufnehmen. Auch Informationen ber Therapieablufe gehren nicht zu den in einem epidemiologischen Register zu speichernden Daten. Die Qualitt der Registerdaten ist insofern hher als diejenige der Todesursachenstatistik, als fr die registrierten Krebsflle stets angestrebt wird, die genaue histologische Diagnose zu erhalten. Man sollte sich indessen vor dem falschen Eindruck hten, Krebsregisterdaten seien grundstzlich
Datenquellen und Methoden
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„harte“ und Daten der Todesursachenstatistik „weiche“ Daten. Die Neuerkrankungsdaten der Krebsregister knnen dann noch viel „weicher“ sein als Daten ber den Tod an einer Krebskrankheit, wenn man keine Kriterien zur eindeutigen Beurteilung der Malignitt einer Neubildung hat. Mit Hilfe von PSA gefundene Prostatakrebsflle sind ein Beispiel dafr, da ein Krebs zwar diagnostiziert und an das Register gemeldet werden kann, man aber heute noch keine Mglichkeit hat zu beurteilen, ob der Tumor ohne diese gezielte Suche jemals klinisch manifest, d.h. „inzident“, geworden wre. Der Tod an einer Krebserkrankung ist demgegenber ein „hartes“ Faktum. Auch bei den Krebsregistern gilt, da die Qualitt dieser Datenquelle damit steht oder fllt, ob die ˜rzte sich der Wichtigkeit ihrer Meldung bewut und bereit sind, jeden ihnen bekannt gewordenen Krebsfall auch tatschlich an das jeweils zustndige Register zu berichten. Die Daten derjenigen Register, die bestimmten Qualitts-Mindeststandards gengen, werden vom Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) in Lyon in regelmigen Abstnden weltweit zusammengetragen und publiziert (Parkin et al. 1997 oder www.dkfz.de, Links unter „Krebsatlas“). 2.2 Methoden 2.2.1 Begriffe der deskriptiven Epidemiologie
Die deskriptive Epidemiologie beschreibt Krankheitshufigkeiten in der menschlichen Bevlkerung, ihren zeitlichen Verlauf, regionale Unterschiede sowie Unterschiede zwischen durch Alter, Geschlecht, Beruf usw. definierten Bevlkerungsgruppen. Die wesentlichen Gren zu deren Beschreibung sind Inzidenz, Prvalenz und Mortalitt. Inzidenz und Mortalita¨t
Die Inzidenz ist definiert als die Anzahl der Neuerkrankungsflle, die in einer bestimmten Population whrend eines festgelegten Zeitraums auftreten. Formal identisch ist auch die Mortalita¨t, definiert als die Anzahl der Sterbeflle, die in einer bestimmten Bevlkerung whrend eines festgelegten Zeitraumes auftreten. blicherweise wird bei nicht-infektisen Krankheiten als Beobachtungszeitraum ein Jahr gewhlt. Zu beachten ist, da diese Begriffe mitunter jeweils synonym gebraucht werden mit den Gren Inzidenzrate und Mortalittsrate. Inzidenz- und Mortalita¨tsrate
Als Inzidenzrate bezeichnet man die Anzahl der neu aufgetretenen Erkrankungsflle, dividiert durch das Produkt aus Beobachtungszeit und Gre
4
192
4
Epidemiologie von Tumoren
der Population, aus der die Erkrankungsflle stammen. Analog ist die Mortalita¨tsrate definiert. Um allzu kleine Zahlen zu vermeiden, werden Inzidenz- und Mortalittsraten hufig je 100 000 Einwohner angegeben. Inzidenz- bzw. Mortalittsraten, die die Gesamtzahl von Erkrankungsbzw. Sterbefllen auf die gesamte zugrundeliegende Population beziehen, werden hufig als rohe Inzidenz- bzw. Mortalittsraten bezeichnet. So ist z.B. in der letzten Zeile von Tabelle 1, Spalte 4, der Quotient aus der Gesamtzahl aller 1995 an Krebs gestorbenen Mnner (Spalte 2) und der gesamten mnnlichen Wohnbevlkerung (Spalte 3) die rohe Mortalittsrate fr Krebs unter Mnnern im Jahr 1995. Wegen der starken Abhngigkeit vom Altersaufbau der zugrundeliegenden Bevlkerung wird diese Gre allerdings selten verwendet. Gebruchlicher sind Inzidenz- und Mortalittsraten, die entweder altersspezifisch definiert oder nach einem der unten beschriebenen Verfahren „altersstandardisiert“ sind. Altersspezifische Raten
Fr die Berechnung altersspezifischer Inzidenz- bzw. Mortalittsraten wird der Altersbereich in kleine Intervalle aufgeteilt. In der amtlichen Todesursachenstatistik und in Krebsregistern ist es blich, eine Einteilung in Fnfjahres- Altersgruppen 0…4, 5…9,..., 80…84 und 85+ vorzunehmen (siehe Tabelle 1, Spalte 1). Auch hier wird als Beobachtungszeitraum (im Folgenden mit Dt bezeichnet) ein Kalenderjahr gewhlt. Die whrend des jeweiligen Kalenderjahres beobachteten inzidenten bzw. verstorbenen Flle (jeweils mit ci bezeichnet) werden der dem Alter bei Diagnose bzw. bei Tod entsprechenden Altersgruppe („i-te“ Altersgruppe) zugeordnet und auf die Gre der in dieser Altersgruppe zur Jahresmitte des betreffenden Kalenderjahres lebenden Wohnbevlkerung Ni bezogen, so da die altersspezifische Raten, in 100 000 ausgedrckt, sich fr die Inzidenz- (AIRi) oder Mortalittsrate (AMRi) darstellen lassen durch
Als Beispiel sind in Tabelle 1 fr die genannten Altersgruppen (Spalte 1) die Anzahl der Todesflle an Krebs (Spalte 2) und die durchschnittliche mnnliche Wohnbevlkerung in der jeweiligen Altersgruppe im Jahr 1995 in Deutschland angegeben (Spalte 3). In Spalte 4 findet man die daraus entstehenden altersspezifischen Mortalittsraten, bezogen auf 100 000 Einwohner.
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Datenquellen und Methoden
Tabelle 1. Todesfall- und Bevo¨lkerungszahlen fu¨r bo¨sartige Neubildungen bei Ma¨nnern im Jahr 1995 in Deutschland sowie Berechnungsverfahren fu¨r altersspezifische und altersstandardisierte Mortalita¨tsraten Altersgruppe
Anzahl Fa¨lle
Durchschnittliche Altersspezifische StandardBevo¨lkerung Mortalita¨tsrate bevo¨lkerung (Weltstandard) pro 100 000
0–< 1
12
401 200
3,0
1–4
74
1 737 900
4,3
9 600
0,4
5–9
79
2 404 200
3,3
10 000
0,3
10–14
60
2 319 900
2,6
9 000
0,2
15–19
94
2 235 500
4,2
9 000
0,4
20–24
158
2 544 800
6,2
8 000
0,5
25–29
291
3 570 000
8,2
8 000
0,7
30–34
439
3 768 800
11,6
6 000
0,7
35–39
795
3 300 500
24,1
6 000
1,4
40–44
1 692
2 930 800
57,7
6 000
3,5
45–49
2 964
2 503 500
118,4
6 000
7,1
50–54
6 230
2 699 000
230,8
5 000
11,5
55–59
11 344
2 939 200
386,0
4 000
15,4
60–64
13 496
2 148 200
628,2
4 000
25,1
65–69
17 413
1 789 400
973,1
3 000
29,2
70–74
16 738
1 225 400
1365,9
2 000
27,3
75–79
11 457
613 500
1867,5
1 000
18,7
80–84
13 754
549 200
2504,4
500
12,5
85+
11 244
338 100
3325,6
500
16,6
108 334
40 019 100
270,7
100 000
171,7
Gesamt
2 400
AMRixwi
0,1
Altersstandardisierte Raten
Die altersstandardisierte Inzidenz- (ASI) bzw. Mortalittsrate (ASM) geht aus den altersspezifischen Raten durch Bildung eines gewichteten Mittelwertes hervor. Der Grund fr die Gewichtung besteht darin, da, falls fr die verschiedenen Zeitrume oder Regionen, fr die solche altersbereinigten Raten berechnet werden, stets derselbe Satz von Gewichten verwendet wird, diese gewichteten Mittelwerte direkt miteinander vergleichbar sind. Hierzu hat man sich international auf sog. Standardbevo¨lkerungen geeinigt, die als Gewichte zur Berechnung der gewichteten Mittelwerte verwendet werden. Die als „Weltbevlkerung“ bezeichnete Standardbevlke-
4
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Epidemiologie von Tumoren
rung ist in Spalte 5 von Tabelle 1 wiedergegeben. Damit ergibt sich mathematisch:
Auch die ASM werden im allgemeinen bezogen auf eine zugrundeliegende Bevlkerung von 100 000 Personen. Sie haben die folgende Interpretation: Die altersstandardisierte Inzidenz- bzw. Mortalittsrate gibt diejenige Anzahl von Neuerkrankungs- bzw. Todesfllen an, die in dem betreffenden Zeitraum bzw. in der betreffenden Region auftreten wrde, wenn die dort jeweils lebende Bevlkerung gerade den Altersaufbau der gewhlten Standardbevlkerung htte. Tabelle 1 zeigt, wie aus den altersspezifischen Raten in den jeweiligen Altersgruppen (Spalte 4) durch Multiplikation mit den jeweiligen Gewichten aus der Standardbevlkerung (Spalte 5) die Werte wi AMRi (Spalte 6) entstehen und daraus durch Summation die ASM = 171,7 (letzte Zeile der Tabelle in Spalte 6). Standardisiertes Mortalita¨tsverha¨ltnis (Standardized Mortality Ratio, SMR)
Fr eine vergleichende Beurteilung wird im allgemeinen das sog. standardisierte Mortalittsverhltnis (SMR) verwendet. Hierbei wird berechnet, wie viele Todesflle an einer Todesursache oder Todesursachengruppe aufgrund der Gre und der Altersstruktur der Bevlkerung der betrachteten Region unter „normalen“ Bedingungen zu erwarten wren. Die unter „normalen“ Bedingungen erwartete Fallzahl erhlt man, indem man Referenzraten AMRi, fr die jeweiligen Todesursachen aus einer bergeordneten Region (meistens die gesamte Bundesrepublik) nach Geschlechtern und Altersgruppen aufgefchert (wie fr die altersspezifischen Mortalittsraten beschrieben), beschafft, altersgruppenweise mit den Bevlkerungszahlen Ni multipliziert und das Ganze summiert. Das SMR ist dann der zumeist in Prozent angegebene Quotient aus beobachteter Fallzahl O und erwarteter Fallzahl E:
Datenquellen und Methoden
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Das SMR setzt also die beobachtete Zahl der an der Zielkrankheit erkrankten bzw. verstorbenen Personen in Beziehung zu derjenigen Zahl von Fllen, die in der betreffenden Population zu erwarten wre, wenn dort die Inzidenz bzw. Mortalitt der Referenzpopulation herrschen wrde. Stimmt die Sterblichkeit in der jeweils betrachteten Bevlkerungsgruppe mit derjenigen in der Referenzpopulation berein, liegt das SMR bei 100, ist sie hher, liegt das SMR ber 100 und umgekehrt. Zur statistischen Beurteilung werden fr das SMR hufig Konfidenzintervalle angegeben. Statistisch gesichert ist eine Abweichung eines SMR von dem Wert 100 dann, wenn das gesamte Konfidenzintervall oberhalb oder unterhalb von 100 liegt, d.h. den Wert 100 nicht einschliet (s.a. Breslow u. Day 1987). Relative U¨berlebensraten
Als Ma fr einen Behandlungserfolg werden hufig 5- oder 10-Jahresberlebensraten berechnet. Sie geben die Wahrscheinlichkeit an, am Ende der betreffenden Periode noch am Leben zu sein. Eine Schwche dieser Gre besteht darin, da selbst bei einer vollstndigen Heilung der Krebskrankheit die berlebensrate nach 5 oder 10 Jahren niemals 100% betragen kann, weil man whrend dieser Zeit (auch als Nicht-Krebskranker) auch an einer anderen Krankheit versterben kann. Das Ma, das diesem ¨ berlebensrate. Sachverhalt angemessen Rechnung trgt, ist die relative U Die relative 5-Jahres-berlebensrate gibt die Wahrscheinlichkeit an, die einer Krebsdiagnose folgenden 5 Jahre zu berleben, bezogen auf die entsprechende berlebenswahrscheinlichkeit von gleichaltrigen, nicht an Krebs erkrankten Personen (fr Einzelheiten zu deskriptiven Methoden siehe EstŁve et al. 1994). 2.2.2 A¨tiologische Studien
Das wissenschaftliche Ziel tiologischer Studien ist die Identifizierung und Quantifizierung von Risikofaktoren fr die jeweils untersuchten Krankheiten. Das letztendliche prventivmedizinische Ziel ist darber hinaus die Eliminierung dieser Faktoren, soweit dies mglich ist, und damit die Verminderung der Krankheitshufigkeiten. Studientypen
Das Paradigma fr einen Kausalnachweis ist eigentlich das Experiment. Das Charakteristische eines Tierexperiments besteht darin, da dem Tier unter kontrollierten Laborbedingungen eine genau definierte Dosis eines Karzinogens verabreicht, der Verlauf vollstndig berwacht und die Langzeitwirkung beobachtet wird.
4
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4
Epidemiologie von Tumoren
Die Epidemiologie hat Beobachtungsverfahren entwickelt, die man als Simulation einer experimentellen Situation ansehen kann. Aus der Vielzahl von Expositionen gegenber Schadstoffen, denen der Mensch im tglichen Leben ausgesetzt ist und ber deren mgliche Schdlichkeit zum Zeitpunkt der Exposition oft keine hinreichenden Kenntnisse vorliegen, werden durch eine geeignete Definition der Studienteilnehmer diejenigen Beobachtungssituationen herausprpariert, die formal gesehen der kontrollierten Applikation eines mglichen Karzinogens und der Langzeitbeobachtung der eventuell daraus entstehenden Folgewirkungen entsprechen. Diesen Studientyp nennt man Follow-up-Studie. Wenn auch unmittelbar nicht so einsichtig, kann man dennoch mathematisch nachweisen, da bei Einhaltung bestimmter Regeln auch die umgekehrte Blickrichtung hnlich strenge Kriterien erfllt: Ausgehend von bereits eingetretenen Krebsfllen und geeignet ausgewhlten Kontrollpersonen wird retrospektiv die Expositionsvorgeschichte erhoben und hinsichtlich der zu untersuchenden Risikofaktoren ausgewertet. Dieser Studientyp heit Fall-Kontrollstudie. In beiden Fllen geht es darum, die mit einer Exposition gegenber einem bestimmten Agens verbundene Risikoerhhung relativ zu einem stets vorhandenen „Hintergrundrisiko“ zu identifizieren und zu quantifizieren. Der Begriff relatives Risiko nimmt daher einen zentralen Platz in der Epidemiologie ein. Seine genaue Definition erfolgt unten. Follow-up-Studien
Als Follow-up-Studie bezeichnet man eine epidemiologische Studie, in der eine Gruppe von Personen bzw. eine Bevlkerungsgruppe, die ber eine Exposition gegenber einem Risikofaktor oder eine Interventionsmanahme (Prvention, Frherkennung, Therapie) definiert sind, langzeitbeobachtet werden, um das Spektrum der auftretenden Krankheiten oder Todesursachen zu ermitteln. Als Synonym wird der Begriff der Kohortenstudie verwendet. Gelingt es, im nachhinein die Exposition ausreichend gut zu charakterisieren, kann man eine Follow-up-Studie mit zuru¨ckverlegtem Anfangspunkt (Synonym: historische Follow-up-Studie) durchfhren und mu dann nicht Jahre oder Jahrzehnte auf ein Ergebnis warten. Die whrend der Beobachtungszeit der Studiengruppe sowie der Kontrollgruppe identifizierten Krebsflle bzw. Todesflle knnen auf die Anzahl der Studienteilnehmer und die Beobachtungszeit bezogen und damit direkt Inzidenz- bzw. Mortalittsraten berechnet werden. Aus ihnen lt sich eine grundlegende Gre der Epidemiologie, das relative Risiko (RR) bzw. die ,,Rate Ratio", berechnen:
Datenquellen und Methoden
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Der Quotient aus der Inzidenzrate I1=a/N1 in der exponierten und der Inzidenzrate I0=b/N0 in der nichtexponierten Population heit „Inzidenzratenverhltnis“ (incidence rate ratio) bzw. abgekrzt „Ratenverhltnis“ (rate ratio, RR) oder „relatives Risiko“.
Hierbei sind a die exponierten, b die nichtexponierten Erkrankungsflle und N1 bzw. N0 die „Personenjahre“, whrend deren die Kohorten unter Beobachtung standen (fr Einzelheiten zu den statistischen Auswertungsverfahren siehe z.B. Breslow u. Day 1987). Attributables Risiko
Aus dem fr die betreffende Exposition errechneten relativen Risiko (RR) kann das sog. attributable Risiko (AR) bestimmt werden:
Das attributable Risiko quantifiziert denjenigen Anteil des Erkrankungsbzw. Sterberisikos fr die jeweilige Krebskrankheit, die der betreffenden Exposition zuzuschreiben ist und durch deren Eliminierung im Prinzip vermeidbar wre. Es wird daher mitunter auch „tiologischer Anteil“ (etiologic fraction) genannt und ist eine prventivmedizinisch wichtige Gre. Fall-Kontrollstudien
Die Untersuchung der ˜tiologie seltener Krebsarten (z.B. Hirntumoren) mit Hilfe von Follow-up-Studien fhrt zu der Schwierigkeit, da eine enorme Zahl von Teilnehmern in die Studie aufzunehmen sind, um whrend einer vernnftigen Studiendauer eine hinreichend groe Zahl von Tumorfllen zu beobachten. Das bedeutet, da man, um eine letztlich relativ kleine Zahl von Erkrankungsfllen zu erhalten, groe Datenmengen ber whrend der Studienlaufzeit niemals an der betreffenden Krebskrankheit erkrankenden Personen erheben mu. In diesem Fall ist es gnstiger, eine sog. Fall-Kontrollstudie durchzufhren, d.h. eine epidemiologische Studie, deren Ausgangspunkt Erkrankungsflle an der zu untersuchenden Krankheit sowie geeignet auszuwhlende, nicht an dieser Krankheit erkrankte Kontrollpersonen sind. Ziel ist die Identifizierung von Expositionen in deren Vorgeschichte, die mglicherweise mit dem Erkrankungsrisiko fr die betreffende Krankheit assoziiert sind.
4
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Epidemiologie von Tumoren
Der im Rahmen dieser Studien berechenbare, in Anlehnung an den englischen Begriff „odds ratio“ mit Quotenverha¨ltnis bezeichnete Quotient OR liefert einen approximativen Schtzer des relativen Risikos, wenn bestimmte Bedingungen an die Studienlage eingehalten sind und die Erkrankungswahrscheinlichkeit an der untersuchten Krankheit gering ist:
Dabei bezeichnen a und b die Anzahl der exponierten bzw. nichtexponierten Erkrankungsflle und c und d die Anzahl der exponierten bzw. nichtexponierten Kontrollpersonen. Eine Fall-Kontrollstudie lt die Schtzung des relativen Risikos zu, liefert jedoch keine Schtzungen fr die Inzidenzraten in Fall- und Kontrollgruppe. Formel 6 dient natrlich nur zur Definition der Odds Ratio und nicht zur tatschlichen Auswertung. Hierfr stehen moderne logistische Regressionsverfahren zur Verfgung (fr Einzelheiten siehe z.B. in Breslow u. Day 1980). Populationsbezogenes attributables Risiko
Aus der Kontrollgruppe einer Fall-Kontrollstudie erhlt man einen Schtzwert ber die Prvalenz p der betreffenden Exposition in der Allgemeinbevlkerung. Zusammen mit dem fr die betreffende Exposition errechneten relativen Risiko (RR) kann das sog. populationsbezogene attributable Risiko (PAR) bestimmt werden, das den Anteil der an der betreffenden Krebskrankheit erkrankten Personen beschreibt, der der betreffenden Exposition zuzuschreiben ist.
Auch diese Gre ist von hoher prventivmedizinischer Bedeutung, weil sie gestattet, die absoluten Zahlen anzugeben, wie viele Todesflle pro Jahr in einem Land durch eine bestimmte Prventionsmanahme vermeidbar wren. Beispiele fr diese Gre sind die in Tabelle 5 angegebenen Schtzwerte (s. Abschn. 4).
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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3 Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie 3.1 Mortalita¨t und Inzidenz in Deutschland 3.1.1 Mortalita¨t Sa¨kulare Entwicklung
Von den im Jahr 1999 in Deutschland verstorbenen 390 742 Mnnern und 455 588 Frauen starben 108 272 Mnner und 102 565 Frauen an Krebs. Das bedeutet, da hierzulande ungefhr jeder vierte Sterbefall ein Krebstodesfall ist. Damit sind bsartige Neubildungen nach den Herz-Kreislauf-Krankheiten die zweithufigste Todesursachengruppe in Deutschland (Abb. 1).
Abb. 1. Die ha¨ufigsten Todesursachen in Deutschland im Jahr 1999 (Fallzahlen, altersstandardisierte Mortalita¨tsraten pro 100 000 [Standard: Weltbevo¨lkerung], prozentualer Anteil)
4
200
4
Epidemiologie von Tumoren
Abb. 2. Entwicklung der Zahl der Krebstodesfa¨lle in West- und Ostdeutschland von 1952 bzw. 1968 bis zum Jahr 1990 (untere Kurven: Ostdeutschland) sowie seit 1991 in Gesamtdeutschland
Nach jahrzehntelangem starkem Anstieg steigt die absolute Anzahl der Krebstodesflle in den letzten Jahren kaum noch an (Mnner) bzw. nimmt ab (Frauen) (s. Abb. 2). Man mu bei absoluten Todesfallzahlen allerdings grundstzlich beachten, da sie mageblich beeinflut sind von F F
F
der Gre der zugrundeliegenden Bevlkerung, die zu- oder abnehmen kann, dem Altersaufbau der Bevlkerung, der sich aufgrund der steigenden Lebenserwartung zugunsten des hheren Altersbereiches verschoben hat, und tiologischen Faktoren und Therapie.
Um den Einflu der letzteren ungestrt von den ersten beiden Einflugren betrachten zu knnen, werden altersstandardisierte Mortalittsraten gebildet (s. Abschn. 2.1). An diesen Gren erkennt man, da eine Stabilisierung der Krebssterblichkeit unter Mnnern bereits seit etwa 1980 eingetreten und bei Frauen ein stetiger Rckgang ber den gesamten beobachteten Zeitraum zu verzeichnen ist. Seit Beginn der 90er Jahre geht auch bei Mnnern die altersbereinigte Krebssterblichkeit zurck (Abb. 3).
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
201
4
Abb. 3. Altersstandardisierte Mortalita¨tsraten (Weltstandart pro 100 000) fu¨r bo¨sartige Neubildungen in Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
Abbildung 4 zeigt, da die bei weitem hufigste Krebstodesursache der Lungenkrebs bei Mnnern ist, gefolgt vom Brustkrebs bei Frauen. Whrend die Lungenkrebsmortalitt unter Mnnern seit Beginn der 90er Jahre einen deutlichen Rckgang erkennen lt, steigt sie bei Frauen weiterhin unverndert an. Auch die Brustkrebssterblichkeit unter Frauen lt in den letzten Jahren nach einem langjhrigen Anstieg den Beginn eines Rckgangs erkennen (zu Einzelheiten und Ursachen siehe Becker 2001). ˜hnliches gilt fr die Mortalitt an Prostatakrebs bei Mnnern. Die Magenkrebssterblichkeit zeigt fr beide Geschlechter weiterhin einen deutlichen Rckgang. Aufgrund dieser Situation ist unter den fnf hufigsten Krebsarten, die zusammen mehr als 50% der gesamten Krebsmortalitt reprsentieren, Lungenkrebs bei Frauen die einzige Lokalisation, bei der die Mortalittsraten unverndert weiter ansteigen. Einen berblick ber die Rangordnung der 20 hufigsten Krebslokalisationen in Deutschland im Jahr 1999 gibt Abbildung 5.
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 4. Altersstandardisierte Mortalita¨tsraten (Weltstandard pro 100 000) fu¨r die fu¨nf ha¨ufigsten Krebsarten bei Ma¨nnern und Frauen in Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
Abbildung 6 liefert in Tableauform eine bersicht ber die skularen Trends, soweit Daten verfgbar sind. Gut erkennbar sind: F
F
F
F
der Anstieg und jngst bei Mnnern zu beobachtende Rckgang der Sterblichkeit bei den tabak- und alkoholbedingten bsartigen Neubildungen in Mundhhle und Rachen, Speiserhre, Kehlkopf sowie den vorwiegend tabakbedingten Tumoren der Lunge, Harnblase und z.T. auch Nieren; der Rckgang der Magenkrebssterblichkeit durch mit wachsendem Wohlstand einhergehende verbesserte hygienische Bedingungen (Helicobacter pylori) und Ernhrungsbedingungen (gesndere Konservierungsverfahren); der durch wirksame Frherkennung verursachte Rckgang der Mortalitt an Gebrmutterhalskrebs (der Anstieg in den 50er und 60er Jahren drfte ein klassifikationsbedingtes Artefakt sein); der bisher weitgehend unerklrte Anstieg der Mortalitt bei Hirntumoren sowie Non-Hodgkin-Lymphomen.
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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Abb. 5. Die 20 ha¨ufigsten Krebstodesursachen in Deutschland im Jahr 1999 (in Klammern: altersstandardisierte Raten [Weltstandard pro 100 000] und prozentualer Anteil an der gesamten Krebsmortalita¨t unter Ma¨nnern bzw. Frauen)
Der abrupte Anstieg der Sterblichkeit bei Leberkrebs ist z.T. auf Klassifikationsartefakte (mangelhafte Unterscheidung zwischen primren und sekundren Lebertumoren), z.T. aber auch auf eine ansteigende Prvalenz von Risikofaktoren (Alkoholkonsum, Hepatitisinfektionen) sowie einen Rckgang der Sterblichkeit an Leberzirrhose zurckzufhren. Der nun bei beiden Geschlechtern zu beobachtende Rckgang der Krebssterblichkeit gibt nicht Anla dazu, gewissermaen „Entwarnung“ zu geben. Ein Vergleich der Entwicklung bei den beiden hufigsten Todesursachengruppen in Deutschland, Krankheiten des Kreislaufsystems und bsartigen Neubildungen, offenbart, da die Sterblichkeit an der hufigsten Todesursachengruppe, den Krankheiten des Kreislaufsystems, stark, die Sterblichkeit an der zweithufigsten Todesursachengruppe, den bsartigen Neubildungen, dagegen nur vergleichsweise schwach zurckgeht (Abb. 7). Bleiben diese Trends in den nchsten Jahren in der jetzt erkennbaren Weise unverndert bestehen, dann knnte in 10…15 Jahren Krebs in Deutschland die hufigste Todesursache sein.
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 6. Entwicklung der Sterblichkeit an ausgewa¨hlten Krebsarten in Deutschland (bis 1990: West-Deutschland, ab 1990: Deutschland)
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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Abb. 6. (Fortsetzung)
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 6. (Fortsetzung) Entwicklung der Sterblichkeit an ausgewa¨hlten Krebsarten in Deutschland (bis 1990: West-Deutschland, ab 1990: Deutschland)
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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Abb. 6. (Fortsetzung)
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 6. (Fortsetzung) Entwicklung der Sterblichkeit an ausgewa¨hlten Krebsarten in Deutschland (bis 1990: West-Deutschland, ab 1990: Deutschland)
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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Abb. 7. Altersstandardisierte Mortalita¨tsraten (Weltstandard, pro 100 000) fu¨r die fu¨nf ha¨ufigsten Todesursachengruppen bei Ma¨nnern und Frauen in Deutschland (1952–1990 nur Westdeutschland)
Mortalita¨t in Abha¨ngigkeit vom Alter
Die meisten Tumorlokalisationen haben eine mit dem Alter stetig ansteigende Inzidenz und Sterblichkeit. Abbildung 8 zeigt fr ausgewhlte Krebsarten die Kurvenverlufe fr die Mortalitt. Es gibt jedoch einige wenige Lokalisationen, bei denen die Tumoren im jngeren Alter auftreten und zu „zweigipfligen“ Verteilungen fhren. Dazu gehren z.B. Hodentumoren (Abb. 8) und Hirntumoren. Eine detaillierte Wiedergabe der Sterblichkeit an den hufigeren Krebsarten hinsichtlich ihres zeitlichen Verlaufes, der Altersabhngigkeit, der regionalen Verteilung sowie der Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland finden sich im Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland (Becker u. Wahrendorf 1997) sowie in dessen Fortschreibung im Internet (www.dkfz.de, „Krebsatlas“).
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 8. Altersabha¨ngige Mortalita¨tsraten fu¨r verschiedene Krebsarten (Magen-, Lungen-, Hodenkrebs) im Jahr 1999
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
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3.1.2 Inzidenz
Aufgrund der erst im Jahr 1995 initiierten Grndung flchendeckender Krebsregister in Deutschland stehen fr lngerfristige Vergleiche nur die Daten derjenigen Register zur Verfgung, die schon frher eingerichtet worden waren und vollstndig registrieren. Das sind im wesentlichen das Krebsregister der ehemaligen DDR mit Daten allerdings nur bis zum Jahr 1989 und das Krebsregister des Saarlandes. Auf die Daten des letzteren wird im Folgenden Bezug genommen. Abbildung 9 deutet darauf hin, da die altersstandardisierten Inzidenzraten fr Krebs insgesamt im Saarland fr Mnner seit Anfang der 90er Jahre zurckgehen und fr Frauen seit Mitte der 90er Jahre zumindest nicht weiter ansteigen. Konsistent mit der Entwicklung bei der Sterblichkeit gehen auch die Neuerkrankungsraten fr Lungenkrebs unter Mnnern seit etwa Mitte der 80er Jahre zurck (was wesentlich zu dem genannten Rckgang der Neuerkrankungsraten fr Krebs insgesamt unter Mnnern beitrgt), whrend sie bei Frauen weiterhin deutlich ansteigen (Abb. 10). Hierzu trgt auch die Zunahme der Inzidenz bei Brustkrebs bei, die in einigen der verfgbaren Register erkennbar ist (darunter auch das Saarland, s. Abb. 10), whrend
Abb. 9. Altersstandardisierte Inzidenzraten (Weltstandard pro 100 000) fu¨r bo¨sartige Neubildungen in Deutschland
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Epidemiologie von Tumoren
Abb. 10. Altersstandardisierte Inzidenzraten (Weltstandard pro 100 000) fu¨r die sechs ha¨ufigsten Krebsarten bei Ma¨nnern und Frauen im Saarland
sich in anderen fr die letzten Jahre eine Stabilisierung andeutet (siehe ABKD 2002). Bei Darmkrebs lassen die Daten eine Stagnation seit Beginn der 90er Jahre bzw. vielleicht bereits einen leichten Rckgang (Mnner) sowie einen Rckgang seit den 80er Jahren (Frauen) erkennen. Auffallend ist der extreme Anstieg der Inzidenz bei Prostatakrebs, der trotz Warnungen von Experten auf eine zunehmende Verbreitung des PSA-Tests in der Frherkennung hindeutet (s. Kap. 6.2). Bei Mnnern setzt sich der Anstieg der Inzidenz bei Lymphomen und Leukmien weiterhin fort, whrend bei Frauen seit Beginn der 90er Jahre mglicherweise ein Rckgang eingesetzt hat (fr weitere Daten siehe ABKD 2002 sowie die Internetseiten der ABKD beim Robert-Koch-Institut www.rki.de/KREBS). Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat auf der Grundlage der verfgbaren Krebsregisterdaten fr das Jahr 1998 eine Schtzung durchgefhrt, mit wie vielen Neuerkrankungsfllen an den hufigeren Lokalisationen sowie an allen bsartigen Neubildungen zusammen ungefhr zu rechnen ist. Diese Werte sind zusammen mit den fr dasselbe Jahr bekannten Sterblichkeitsraten in Tabelle 2 wiedergegeben. Demnach stehen den ungefhr 210 000 Todesfllen etwa 350 000 Neuerkrankungsflle pro Jahr gegenber.
213
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
Tabelle 2. Todesfa¨lle und gescha¨tzte Zahl an Neuerkrankungen an Krebs in Deutschland im Jahr 1998 Lokalisation
ICD-9
Ma¨nner
Mundho¨hle und Rachen
140–149
7 881
3 827
2 965
1 138
Speisero¨hre
150
3 100
3 045
884
921
Magen
151
9 455
7 015
9 049
6 806
Dickdarm
153
15 131
9 185
19 215
11 579
Mastdarm
154
11 950
4 499
10 712
4 431
Leber
155
2 766
3 252
1 704
2 011
Inzidenz
Frauen
Mortalita¨t
Inzidenz
Mortalita¨t
Gallenblase
156
1 701
1 385
3 576
3 221
Bauchspeicheldru¨se
157
4 947
5 400
5 583
6 234
Kehlkopf
161
2 429
1 408
438
187
Lunge
162
27 892
28 675
8 935
9 296
Knochen
170
463
229
214
204
Bindegewebe und sonstige Weichteile
171
571
1078
361
987
Malignes Melanom der Haut 172
2 868
1 026
3 357
1 004
Brustdru¨se
174
–
–
46 295
17 692
Geba¨rmutterhals
180
–
–
7 017
1 960
Geba¨rmutterko¨rper
179–182
–
–
10 138
2 885
Eiersto¨cke
183
–
–
7 437
6 027
Prostata
185
31 561
11 417
–
–
Hoden
186
3 278
205
–
–
Harnblase
188
10 546
3 697
5 190
2 092
Nieren
189
8 257
3 800
5 714
2 602 2 596
Nervensystem
191–192
3 186
2 771
3 075
Schilddru¨se
193
1 199
303
1 974
646
Non-Hodgkin-Lymphome
200/202
4 482
2 465
4 933
2 715
Hodgkin-Lymphome
201
907
261
933
264
Multiples Myelom
203
1 096
1 726
1 075
1 962
Leuka¨mien
204–208
5 298
3 512
4 650
3 468
140–208
168 462
108 633
178 755
103 720
Bo¨sartige Neubildungen insgesamt ohne nichtmelanotischen Hautkrebs
ohne 173
4
214 >
4
Epidemiologie von Tumoren
Man mu davon ausgehen, da ungefhr jeder dritte Deutsche im Laufe seines Lebens an einer Krebskrankheit erkrankt.
3.1.3 U¨berlebenszeiten
Darber hinaus ist es mglich, anhand der Daten von Krebsregistern relative berlebensraten zu berechnen. Der Vergleich zwischen dem Saarland und der ehemaligen DDR ist in Tabelle 3 wiedergegeben, allerdings nur auf der Grundlage der in den Jahren 1980…84 diagnostizierten Neuerkrankungsflle. Neuere Zahlen liegen derzeit leider noch nicht vor. Tabelle 3. Relative 5-Jahres-U¨berlebensraten im Saarland und in der ehemaligen DDR fu¨r in den Jahren 1980–84 diagnostizierte Neuerkrankungsfa¨lle in Prozent Lokalisation
Ma¨nner
Frauen
Saarland
DDR
Saarland
DDR
36,0
41,3
53,2
53,9
7,5
1,6
0,0
2,3
Magen
24,4
12,4
22,4
13,3
Dickdarm
51,4
29,5
44,8
30,1
Mastdarm
42,1
27,5
41,6
30,3
Darm
46,9
28,4
43,4
30,1 2,8
Mundho¨hle und Rachen Speisero¨hre
Leber
7,3
2,6
6,2
16,4
5,2
14,2
5,6
Bauchspeicheldru¨se
5,4
2,7
3,1
3,0
Verdauungsorgane
32,3
17,3
31,6
19,7
Kehlkopf
65,4
55,5
75,8
66,4
9,8
8,0
10,8
11,8
Atmungsorgane
15,9
12,7
16,0
15,8
Knochen
59,7
44,3
59,8
47,1
Gallenblase
Lunge
Bindegewebe und sonstige Weichteile
56,7
50,3
53,8
50,4
Malignes Melanom
74,7
59,8
79,2
73,3
Brustdru¨se
–
–
69,2
64,3
Geba¨rmutterhals
–
–
61,1
66,6
Geba¨rmutterko¨rper
–
–
76,5
72,0
Eiersto¨cke
–
–
33,9
27,9
Weibliche Geschlechtsorgane
–
–
60,0
58,3
215
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie Tabelle 3. (Fortsetzung) Lokalisation
Ma¨nner
Frauen
Saarland
DDR
Saarland
DDR
Prostata
70,8
48,9
–
–
Hoden
79,5
71,4
–
–
Harnblase
72,8
38,9
69,2
34,8
Niere
54,7
34,7
61,2
39,8
Nervensystem
26,8
21,5
33,3
21,1
Schilddru¨se
54,5
63,9
73,0
71,7
Ungenau oder nicht na¨her bezeichnete Lokalisation
17,6
10,1
18,0
9,2
Non-Hodgkin-Lymphome
50,7
39,2
54,4
38,0
Hodgkin-Lymphome
67,6
56,5
72,5
62,3
Leuka¨mie
30,3
25,6
25,1
24,3
Lymphome und Leuka¨mie
45,5
34,6
43,8
33,2
Bo¨sartige Neubildungen insgesamt ohne nichtmelanotischen Hautkrebs
38,9
26,5
50,4
44,8
Quelle: Scho¨n D, Bertz J, Hoffmeister H (Hrsg) Bevo¨lkerungsbezogene Krebsregister in der Bundesrepublik Deutschland. Band 3, Schriftenreihe des Robert-Koch-Instituts, Mu¨nchen, MMV Medizin Verlag 1995.
3.2 Internationale Vergleiche Weltweite Vergleiche zeigen, da bei den meisten Krebslokalisationen zwischen den verschiedenen Lndern z.T. betrchtliche Unterschiede in der Inzidenz bestehen mit nicht selten zweistelligen Faktoren zwischen der niedrigsten und der hchsten weltweit beobachteten Rate (Abb. 11). Mit Hilfe von sog. ,,Migrantenstudien“ kann nachgewiesen werden, da es sich dabei nicht um ethnisch bzw. genetisch bedingte Invarianten handelt, sondern sich die Krebsinzidenz mit einer Vernderung der ueren Lebensverhltnisse ebenfalls verndert. In Tabelle 4 sind die Ergebnisse einer solchen Migrantenstudie wiedergegeben. In ihr wurde die Krebsinzidenz unter Japanern in Japan verglichen mit der Krebsinzidenz von Japanern, die ihr Heimatland verlassen haben und nach Hawaii emigriert sind, sowie mit den Inzidenzen der auf Hawaii heimischen weien Bevlkerung. Die Daten belegen, da sich die Neuerkrankungsraten an den verschiedenen Krebslokalisationen von denjenigen des Ursprungslandes Japan weg und hin zu denjenigen des Ziellandes verndern. So geht die Inzidenz fr Magenkrebs deutlich zurck, whrend fr viele andere Tumorlokalisationen die Inzidenz ansteigt (z.B. Mundho¨hle, Darm, Brust, Prostata).
4
216
4
Epidemiologie von Tumoren
Abb. 11. Die ho¨chsten und niedrigsten weltweit beobachteten Inzidenzraten fu¨r ausgewa¨hlte Krebsarten (Howe 1986)
Abb. 12. Entwicklung der Sterblichkeit an Dickdarm- und Magenkrebs bei japanischen Einwanderern in die USA (Hawaii) im Vergleich zur ortsansa¨ssigen amerikanischen Bevo¨lkerung (Canzler u. Brodersen 1991)
Ergebnisse der deskriptiven Epidemiologie
217
Tabelle 4. Krebsinzidenz in Japan, bei japanischen Immigranten in die USA sowie unter der ortsansa¨ssigen amerikanischen Bevo¨lkerung Krebsart
Geschlecht
Ja¨hrliche Inzidenz/Million Einwohner1 Japan2
1 2
Hawaii 1968–1972 Japaner
Kaukasier
Speisero¨hre
Ma¨nnlich
150 112
46
75
Magen
Ma¨nnlich
1331 1291
397
217
Dickdarm
Ma¨nnlich
78 87
371
368
Mastdarm
Ma¨nnlich
95 90
297
204
Lunge
Ma¨nnlich
237 299
379
962
Prostata
Ma¨nnlich
14 13
154
343
Brust
Weiblich
335 295
1221
1869
Geba¨rmutterhals
Weiblich
329 398
149
243
Geba¨rmutter
Weiblich
32 20
407
714
Eierstock
Weiblich
51 55
160
274
Alter 35–64 Jahre, altersstandardisiert. Oberer Wert: Pra¨fektur Miayagi 1968–1971, unterer Wert: Pra¨fektur Osaka 1970–1971.
Auffallend ist, da sich die Angleichung in der Generation der Kinder der japanischen Einwanderer nach Hawaii weiter fortsetzt (Abb. 12). Dieser Effekt lt sich schwerlich durch eine Exposition gegenber ueren Umweltschadstoffen erklren, whrend es plausibel ist, da persnliche Lebensgewohnheiten, zu denen z.B. Rauchen und Ernhrung gehren, in der emigrierten Elterngeneration noch denjenigen des Ursprungslandes hnlicher waren und sich in der Kinder- und Enkelgeneration mehr und mehr den Gewohnheiten des Ziellandes angenhert haben.
4
218 >
4
Epidemiologie von Tumoren
Aus solchen Studien und den oben erwhnten starken weltweiten Unterschieden in der Krebsinzidenz kann abgeleitet werden, da zwei Drittel bis 80% der Krebsinzidenz umweltbedingt im weitesten Sinne des Wortes sind und daher mglicherweise durch geeignete Prventionsmanahmen vermieden werden knnen.
Solche deskriptiv-epidemiologische Untersuchungen kommen allerdings aus grundstzlichen methodischen Grnden nicht ber die Ebene von Hinweisen hinaus. Man darf sie nicht als Nachweis fr solche Zusammenhnge werten.
4 A¨tiologische Epidemiologie: die maßgeblichen Risikofaktoren Das Wissen ber die wesentlichen Krebsrisikofaktoren, wie es sich in den letzten 20…25 Jahren herausgebildet hat, unterscheidet sich so wesentlich von den Auffassungen, die man in den 60er und auch noch in den 70er Jahren hatte, da man geradezu von einem Paradigmenwechsel sprechen kann. Noch im Jahr 1970, dem Grndungsjahr der einflureichen amerikanischen Umweltschutzbehrde EPA, ging man davon aus, da der umweltbedingte Anteil des Krebsgeschehens im wesentlichen mit einer anthropogenen Schadstoffbelastung der Umwelt (Boden, Wasser, Luft) bzw. der Nahrung zu tun habe. Breit angelegte Forschungsprogramme zur Identifizierung der Schadstoffe und daraus abgeleitete strenge Grenzwerte zur Reduktion der betreffenden Belastungen sollten zu einer substantiellen Senkung der Krebssterblichkeit fhren. Diese Untersuchungen lieen jedoch deutlich werden, da selbst bei weitestgehenden Annahmen eine Regulation der Schadstoffbelastung der Umwelt nicht im entferntesten zu einer mageblichen Verringerung der Krebssterblichkeit beitragen konnte. Statt dessen kristallisierte sich mehr und mehr heraus, da andere Risikobereiche offenbar weitaus grere Beitrge zum Krebsgeschehen lieferten als die Umweltbelastung (Albert 1994). Bereits Ende der 70er Jahre erschienen die ersten groben Risikoabschtzungen, die im Unterschied zu der bisherigen Sichtweise vieler Epidemiologen als die bei weitem wichtigsten Einflugren den Zigarettenkonsum und das Ernhrungsverhalten identifizierten (Tabelle 5). Im Jahr 1981 verfaten dann Doll u. Peto auf der Grundlage der amerikanischen Krebssterblichkeitsdaten eine umfassendere Risikoabschtzung. Die seither zusammengetragenen epidemiologischen Befunde haben zu einer weitgehenden Besttigung dieser Beurteilung gefhrt. Die letzte Spalte von Tabelle 5 gibt eine auf den neuesten Kenntnisstand gebrachte Abschtzung wieder, die im Jahr 1996 fr die Situation in den USA vorgenommen wurde (Harvard Report on Cancer Prevention 1996).
A¨tiologische Epidemiologie: die maßgeblichen Risikofaktoren
219
Tabelle 5. Die Ursachen der Krebskrankheiten in den USA: anteilige Zuordnung der Krebstodesfa¨lle zu den verschiedenen Risikofaktoren in Prozent Risikofaktor
Wynder und Gori (1977)
Higginson und Muir (1979)
Doll und Harvard RePeto (1981)** port (1996)
Rauchen
20
19
30 (25–40)
30
Erna¨hrung/U¨bergewicht
50
46*
35 (10–70)
30
Sitzender Lebensstil Berufliche Faktoren
5 3–4
Familia¨re Vorgeschichte
4
4 (2–8)
2
5
Viren und andere biologische Agenzien
5
Perinatale Faktoren
5
Reproduktionsvorgeschichte Alkohol
7 (1–13) 3
4
3 (2–4)
Sozioo¨konomischer Status
Medikamente/medizinische Behandlung Salz/Nahrungsmittelzusatzstoffe/-verunreinigungen * **
3 3 3
Schadstoffbelastung der Umwelt Ionisierende/ultraviolette Strahlung
5
2 (1–5) 9
11 1
2 2
1 (2–4)
1
< 1 (–5–2)
1
Definiert als „Lebensstil“. in Klammern: von den Autoren angenommener Unsicherheitsbereich der Scha¨tzung
Den jeweiligen Werten sind auch heute noch durchaus betrchtliche Unsicherheitsbereiche zuzuordnen, und die Prozentangaben sind auch nicht auf den Punkt genau auf andere Lnder bertragbar. Doch kann man sich aufgrund des heute vorliegenden Wissensstandes weitgehend sicher sein, da die angegebenen Gro¨ßenordnungen ein zutreffendes Bild des Anteiles der jeweiligen Risikofaktoren am gesamten Krebsgeschehen liefern. >
Die Zahlen besagen, da ein Groteil der Krebserkrankungen insbesondere durch ˜nderungen im Lebensstil, aber auch durch Prophylaxe gegen infektise Erreger sowie Manahmen gegen Schadstoffexpositionen am Arbeitsplatz und in der Umwelt vermeidbar wren (siehe fr Einzelheiten und quantitative Angaben Becker 2001).
4
220
4
Epidemiologie von Tumoren
4.1 Rauchen Der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebskrankheiten vielfltiger Lokalisationen ist durch eine ber Jahrzehnte hinweg angesammelte Flle epidemiologischen Studienmaterials fest etabliert und als kausal nachgewiesen (IARC 1986). Erwiesenermaen betroffene Krebslokalisationen sind F F F F F F F F
Lunge (75…90% bei Mnnern, 30…60% bei Frauen), Kehlkopf (80%), Mundhhle und Rachen (ungefhr 65% sind rauchbedingt), Harnblase (50% bei Mnnern, 25% bei Frauen), Speiserhre (30…50%), Bauchspeicheldrse (30…50% bei Mnnern, 15…20% bei Frauen); Magen (20…35%), Nieren (30%).
Fr Lungenkrebs wies bereits im Jahr 1939 der deutsche Arzt Mller auf eine mgliche Verursachung durch Zigarettenrauchen hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg belegten Wynder u. Graham in den USA und Doll u. Hill in Grobritannien diesen Zusammenhang durch epidemiologische Untersuchungen. 1951 wurde als erste einer Reihe gro angelegter epidemiologischer Studien die mittlerweile zum Klassiker epidemiologischer Forschung gewordene Langzeitbeobachtungsstudie unter britischen A¨rzten begonnen, die auch heute noch fortgefhrt wird. Die jngst verffentlichten neuesten Ergebnisse zeigen, da das Ausma der Schdigung der Bevlkerung durch das Rauchen in den vorangegangenen Auswertungen noch unterschtzt wurde. >
Die Daten deuten darauf hin, da wahrscheinlich jeder zweite Raucher an den Folgen seines Zigarettenkonsums vorzeitig stirbt (an Krebs und anderen Krankheiten). Weltweit sterben jhrlich 3 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens mit steigender Tendenz.
Frhere Auswertungen der britischen ˜rztestudie ergaben beispielsweise fr Lungenkrebs ein zunehmendes Risiko mit steigendem Zigarettenkonsum F F F
auf das knapp 8fache, verglichen mit Nichtrauchern bei einem tglichen Zigarettenkonsum von 1…14 Zigaretten, auf das knapp 13fache bei einem tglichen Konsum von 15…24 Zigaretten auf das 25fache bei einem Konsum von mehr als 25 Zigaretten pro Tag.
Andere Studien dieser Art kamen zu vergleichbaren Ergebnissen. Das Risiko nimmt ferner zu mit der lebenslangen Dauer des Rauchens, und es wird um so hher, je frher eine Person in ihrem Leben mit dem Rauchen
A¨tiologische Epidemiologie: die maßgeblichen Risikofaktoren
221
beginnt. Die Situation ist bei den anderen betroffenen Krebsarten vergleichbar (fr Einzelheiten siehe IARC 1986). Die Daten belegen aber auch, da mit der Aufgabe des Rauchens eine Risikoverminderung erreicht werden kann. >
Eine Reihe von Studien belegt, da 4…5 Jahre nach Beendigung des Rauchens der Rckgang erkennbar wird und nach 10 Jahren das Risiko von Nichtrauchern angenhert wird. Auch diese Befunde treffen fr die anderen betroffenen Krebsarten in vergleichbarer Weise zu.
Tabelle 5 zeigt, da fr die USA der Anteil zigarettenkonsumbedingter Krebstodesflle auf etwa 30% der gesamten Krebssterblichkeit geschtzt wird. Fr Deutschland durchgefhrte Berechnungen lieferten den etwas niedrigeren Wert von etwa 20…25% (Becker 2001). Er bedeutet, da von den jhrlich auftretenden ungefhr 210 000 Krebstodesfllen allein etwa 40 000…50 000 dem Rauchen zuzuschreiben sind und vermeidbar wren. Der Grund fr die Abweichung von dem fr die USA errechneten Wert ist darin zu suchen, da in den USA … wie brigens auch in einigen europischen Lndern (z.B. Grobritannien und Finnland) … in der Vergangenheit wesentlich mehr geraucht wurde und dementsprechend auch die Lungenkrebssterblichkeit deutlich hher lag als in Deutschland. Mittlerweile haben die in diesen Lndern aufgrund der beschriebenen Situation bereits in den 60er bzw. frhen 70er Jahren begonnenen Kampagnen dazu gefhrt, da der Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten unter bzw. auf das deutsche Niveau gefallen ist und auch die Lungenkrebssterblichkeit bereits niedriger liegt (Finnland) als in Deutschland bzw. vergleichbar ist (Grobritannien). Diese Entwicklung beweist, da wirksame Manahmen gegen das Rauchen durchgefhrt werden knnen und da solche Lnder, die in diesem Sinne ttig wurden, eine Senkung der rauchbedingten Krebssterblichkeit erreichen konnten. Demgegenber nimmt hierzulande aufgrund einer zgerlichen Gesundheitspolitik die Zahl der rauchbedingten Krebstodesflle auch heute noch Jahr fr Jahr zu (Heuer u. Becker 1998). >
Neuere Arbeiten liefern weiterhin eine Besttigung fr die schon seit langem bestehende Vermutung, da auch die Exposition von Nichtrauchern gegenber Tabakrauch („Passivrauchen“) mit einer Risikoerhhung verbunden ist. Die Daten belegen ein auf das 1,3- bis 1,4fache erhhtes Risiko.
Aus der wissenschaftlichen Beweislage mu gefolgert werden, da die Herstellung und Verarbeitung von Tabak bzw. Tabakprodukten zu verbieten ist. Alle weniger weit gehenden Forderungen sind Kompromisse unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten oder Aspekten der Verbrechensbekmpfung (Zigarettenschmuggel), deren Rechtfertigung regelmig politisch zu berprfen ist.
4
222
4
Epidemiologie von Tumoren
4.2 Erna¨hrung Es wird heute davon ausgegangen, da Ernhrungsfaktoren einen hnlich hohen Anteil an der Krebssterblichkeit haben wie der Zigarettenkonsum. Allerdings bestehen betrchtliche Unsicherheiten ber die Rolle und den quantitativen Anteil bestimmter Einzelfaktoren bzw. Nahrungsinhaltsstoffe. >
Als erwiesenermaen protektiver Faktor konnte ein hoher Konsum von Obst und Gemse gezeigt werden, whrend die Rolle eines hohen Fettund Fleischkonsums als mgliche Risikofaktoren immer noch nicht zweifelsfrei geklrt ist. Der innerhalb des Bereichs der Ernhrung bei weitem strkste und am berzeugendsten nachgewiesene Zusammenhang betrifft die protektive Rolle eines reichlichen Obst- und Gemseverzehrs fr fast alle Krebsarten.
Die Evidenz ist aufgrund des Vorliegens zahlreicher epidemiologischer Studien (ungefhr 200) als gesichert anzusehen. Die Anstrengungen konzentrieren sich jetzt darauf, aus den vorliegenden Resultaten quantifizierte Ernhrungsempfehlungen abzuleiten. Konsistent ist der Zusammenhang zwischen einem hohen Verzehr dieser Lebensmittel und einem verminderten Erkrankungsrisiko fr Tumoren der Organe F F F F F
Mundhhle und Rachen (10%), Speiserhre (10…20%), Lunge (5…10%), Magen (50…60%), Kolon und Rektum (30…40%).
Darber hinaus ist eine Risikoverminderung wahrscheinlich fr bsartige Neubildungen des Kehlkopfes, des Pankreas, der Brust und der Blase sowie mglicherweise auch fr eine Reihe weiterer Lokalisationen. Die obigen Prozentangaben stammen aus Tomatis et al. (1990) und sind nur als sehr vorlufige Orientierungswerte zu verstehen. Sie wurden hier angegeben, um einen Eindruck fr die mutmaliche Grenordnung des jeweiligen Prventionspotentials zu vermitteln. Die Strke und die Konsistenz der Befunde haben dazu gefhrt, einen reichlichen Obst- und Gemseverzehr zu einem wichtigen Bestandteil von Empfehlungen zur Krebsvorbeugung zu machen. >
Das in den USA im Jahr 1992 begonnene Five-a-day-Programm empfiehlt mindestens fnf ber den Tag verteilte Portionen, der Bericht des World Cancer Research Fund einen tglichen Verzehr von 400…800 g Obst und Gemse.
A¨tiologische Epidemiologie: die maßgeblichen Risikofaktoren
223
Ungeklrt ist allerdings die Rolle einzelner Nahrungsinhaltsstoffe. Einzelne Vitamine, Mineralstoffe oder Spurenelemente wurden in den verschiedenen Krebsarten in unterschiedlicher Strke als protektiv gefunden (z.B. Vitamin C bei Magenkrebs, Beta-Karotin bei Lungenkrebs). Der Versuch, sie und andere Stoffe gezielt zu supplementieren im Hinblick auf eine Verstrkung des protektiven Effektes der entsprechenden Nahrungsmittel, wurde wichtiger Teil eines eigenstndigen Forschungsgebietes „Chemoprvention“. Interventionsstudien, die untersuchen, ob bzw. in welchem Umfang sich damit tatschlich die Krebsinzidenz senken lt, wurden bereits durchgefhrt bzw. laufen derzeit. Nur in einer Studie zu Magenkrebs in einer Region Chinas mit hoher Speiserhren- und Magenkrebsinzidenz sowie einer Unterversorgung der Bevlkerung mit Vitaminen und Spurenelementen wurde eine leichte Senkung des Magenkrebsrisikos beobachtet (Li et al. 1993). In den anderen Studien trat entweder kein Effekt oder sogar eine Risikoerhhung auf (fr Einzelheiten siehe World Cancer Research Fund 1997). >
Es ist im Augenblick eindeutig davon abzuraten, die Wirkung eines regelmigen Obst- und Gemseverzehrs z.B. durch Vitamin- oder Mineralstoffsupplementierung ersetzen zu wollen.
Noch nicht zweifelsfrei erwiesen ist bisher ein Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum an „rotem“ Fleisch (Rind, Schwein, Lamm) und verschiedenen Krebsarten. Allerdings wird eine Risikoerhhung fr Kolonund Rektumkrebs als wahrscheinlich angesehen. Mglicherweise sind auch Tumoren des Pankreas, der Brust und der Prostata sowie der Nieren betroffen. >
Die bisherige Befundlage gibt zu der Ernhrungsempfehlung Anla, den Konsum roten Fleisches zu begrenzen und … wenn berhaupt … auf hchstens 80 g pro Tag zu begrenzen. Zu bevorzugen ist Fisch oder „weies“ Fleisch (Geflgel).
Eine selbstndige Rolle eines hohen Fettkonsums als Risikofaktor fr verschiedene Krebsarten (Kolon, Rektum, Brust, Prostata) erscheint neuerdings eher wieder fraglich. Die nach wie vor bestehende Mglichkeit einer Risikoerhhung sowie die Rolle eines hohen Fettkonsums bei anderen Krankheiten wird jedoch fr ausreichend angesehen, als krebsvorbeugende Empfehlung die Begrenzung des Fettkonsums insgesamt sowie die Substitution tierischen durch pflanzlichen Fettes aufrechtzuerhalten.
4
224
4
Epidemiologie von Tumoren
4.3 U¨bergewicht, ko¨rperliche Aktivita¨t Obwohl mangelnde krperliche Bewegung und bergewicht miteinander zu tun haben und ihrerseits wieder mit dem Ernhrungsfaktor Gesamtkalorienzufuhr zusammenhngen, scheinen diese beiden Faktoren dennoch offenbar eine eigenstndige Rolle bei der Krebsentstehung zu spielen, die mit bis zu 5% Anteil an der Gesamtkrebssterblichkeit angegeben wird und vermutlich ein entsprechendes Prventionspotential erffnet. Allein hinsichtlich des Risikofaktors bergewicht ergab eine jngst fr Europa durchgefhrte Abschtzung ein Prventionspotential von ungefhr 5%. Krebsarten, bei denen bergewicht nachgewiesenermaen zu einer Risikoerhhung fhrt, sind (IARC 2002): F F F F F
Kolon Brust (postmenopausal) Endometrium Nieren (Nierenzellkarzinome) Speiserhre.
Bei anderen Krebsarten wird die Evidenz derzeit als nicht schlssig angesehen. Bei dem Faktor „krperliche Bewegung“ geht man derzeit von einem nachgewiesenen protektiven Effekt aus fr bsartige Tumoren der Organe: F F
Kolon Brust.
Bei Krebs der Prostata und des Endometriums besteht mglicherweise ein protektiver Zusammenhang (IARC 2002). 4.4 Alkohol Fr Deutschland angestellte Rechnungen ber den Anteil der dem Alkoholkonsum zuzuschreibenden Krebstodesflle ergeben mit etwa 3% ebenfalls einen mit den amerikanischen Zahlen vergleichbaren Wert (Becker 2001). Betroffene Organe sind F F F F
Mundhhle und Rachen (alkoholbedingt sind ungefhr 50% bei Mnnern und 40% bei Frauen), Speiserhre (etwa 75%), Kehlkopf (50% bei Mnnern, 40% bei Frauen), Leber (30%).
Da bermiger Alkoholgenu zu einem erhhten Krebsrisiko fhrt, ist in der deutschen Bevlkerung allerdings nicht hinreichend bekannt. Insofern wird dieser Bereich zumindestens in der Praxis auch heute noch unterschtzt.
A¨tiologische Epidemiologie: die maßgeblichen Risikofaktoren
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Untersuchungen aus der Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Krankheiten haben zu dem vielfach zitierten Ergebnis gefhrt, da die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie, damit verbunden, die Gesamtsterblichkeit durch einen migen Alkoholkonsum verringert werden knnen. Ein solcher Zusammenhang trifft fr Krebskrankheiten eindeutig nicht zu. Das auch bei migem Alkoholkonsum zweifelsfrei erhhte Krebsrisiko wird lediglich wettgemacht durch ein im Vergleich hierzu strker erniedrigtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken, so da die Bilanz insgesamt gnstig erscheint. Personen, die auf jeden Fall nicht an Krebs erkranken oder sterben wollen, haben davon jedoch nichts. 4.5 Infektio¨se Agenzien Die Rolle infektiser Erreger bei der Krebsentstehung wurde in der Vergangenheit unterschtzt. >
Heute geht man in den Lndern Westeuropas und Nordamerikas von einem Anteil von etwa 5% aus, doch wird weltweit vermutet, da Krebskrankheiten in der Grenordnung von 15% durch infektise Agenzien (Bakterien, Viren sowie Parasiten in den Tropen) hervorgerufen und durch Prvention mglicherweise vermeidbar sind.
Vorlufige Berechnungen ergeben fr Deutschland einen Wert hnlicher Grenordnung wie in den USA oder etwas darber (6…8%, siehe Becker 2001). Erwiesenermaen betroffene Krebsarten sind F F F F F
Magen (Helicobacter pylori; 35…55%), Leber (HBV, HCV; 50…80%), Gebrmutterhals (HPV; 90…100%), Lymphome (EBV; 15%), anogenitale Tumoren (HPV; 90%).
Gegen einige der identifizierten Viren wurden bereits Impfstoffe entwickelt und befinden sich in der Erprobung bzw. im Einsatz. So wurde zur primren Prvention gegen Leberkrebs ein Impfstoff gegen Infektionen mit HepatitisB-Viren (HBV), die als eine Ursache von Leberkrebs identifiziert wurden, entwickelt und von der WHO seit 1986 in verschiedenen Lndern (z.B. Gambia und Taiwan) im Rahmen von Impfprogrammen unter Neugeborenen eingefhrt. Die bisher bekannt gewordenen Daten deuten darauf hin, da durch diese Intervention in der Tat die Leberkrebsinzidenz gesenkt werden kann. Auch gegen eine zweite Art von Tumorviren, die Papillomaviren (HPV), die in ber 90% aller Tumoren des Geba¨rmutterhalses und anderer Lokalisationen im Anogenitalbereich verantwortlich sind, wurde ein Impfstoff entwickelt, der in die Erprobungsphase eingetreten ist.
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4.6 Genetische Faktoren Den Anteil genetischer (erblicher) Faktoren hatte man in der Vergangenheit ebenfalls unterschtzt. Er wird heute mit etwa 5% angegeben (siehe Tabelle 5) und knnte eher noch hher liegen. Eine Beteiligung erblicher Faktoren fand man bisher zweifelsfrei bei bsartigen Neubildungen des Darmes (FAP, HNPCC), der Brust und der Eiersto¨cke sowie bei Melanomen und wird vermutet bei Tumoren der Bauchspeicheldru¨se, Prostata, des Hodens und der Schilddru¨se (fr Einzelheiten siehe Kapitel 5.2 „Genetische Prdisposition“). Bei FAP und HNPCC ist es durch „chirurgische Prvention“ mglich, im Sinne einer rechtzeitigen Entfernung der mit den prneoplastischen Polypen befallenen Darmsegmente die Inzidenz der zu befrchtenden Darmkrebserkrankung zu senken. 4.7 Berufliche Faktoren Der auf berufliche Expositionen gegenber krebserregenden Stoffen zurckzufhrende und durch entsprechende Schutzmanahmen vermeidbare Anteil der Gesamtkrebssterblichkeit wird auf etwa 4…5% geschtzt. Zielorgane knnen sein: Lunge, Mundhhle und Rachen, Kehlkopf, Magen, Darm, Pankreas, Leber, Haut, Prostata, Nieren, Blase, Gehirn und das hmatopoetische System. >
Den Anteil der beruflich verursachten Lungentumoren schtzen Vineis und Simonato (1991) auf 4…8%. Eine fr Deutschland von Jckel et al. (1995) durchgefhrte Schtzung ergab einen Anteil von 7…12% aller Lungenkrebserkrankungen.
Zu bercksichtigen ist, da es sich bei den genannten Werten um landesweite Durchschnitte handelt. In stark industrialisierten Gebieten mit einem hohen Bevlkerungsanteil der an industriellen Arbeitspltzen Beschftigten kann der beruflich bedingte Anteil der Krebserkrankungen durchaus hher liegen (Vineis u. Simonato 1991). Auerdem ist die berufsbedingte individuelle Risikoerhhung stark exponierter Personen mitunter betrchtlich. Dies hat dazu gefhrt, da Krebserkrankungen, die an bestimmten Arbeitspltzen auftreten, bei Vorliegen entsprechender Bedingungen als Berufskrankheiten anerkannt und dementsprechend entschdigt werden knnen. Fr ˜rzte und Zahnrzte besteht sogar eine gesetzliche Verpflichtung, bei einem begrndeten Verdacht auf Vorliegen einer Berufserkrankung dem zustndigen Unfallversicherungstrger Meldung zu erstatten. Es ist daher schon allein aus diesem Grund geboten, da praktisch ttige ˜rzte einen gewissen Einblick in die Berufskrebsproblematik haben (siehe fr Einzelheiten Kap. 5.3 „Beruflich verursachte Tumoren“).
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Fr die epidemiologische Gesamtbeurteilung mu allerdings beachtet werden, da die heute ermittelten Risikoerhhungen aufgrund der langen Latenzzeiten bei den Krebskrankheiten Ergebnis von Expositionen sind, die z.T. mehrere Jahrzehnte zurckliegen. Da bereits in den 60er, vor allem aber in den 70er und 80er Jahren im industriellen Bereich viele Manahmen zum Arbeitsschutz ergriffen wurden, sollte sich in den nchsten Jahrzehnten auch ein Rckgang der beruflich bedingten Krebserkrankungen einstellen. Fr einzelne Expositionen bzw. dadurch verursachte Risikoerhhungen lassen sich tatschlich derartige rcklufige Tendenzen erkennen. 4.8 Schadstoffbelastung der Umwelt Trotz der Tatsache, da sich bei einer toxikologischen Analyse der Schadstofffracht der Auenluft Dutzende (bis zu 100) anthropogener Stoffe finden, die als erwiesenermaen oder wahrscheinlich karzinogen bekannt sind, wird der Anteil der umweltbelastungsbedingten Krebssterblichkeit auf kaum hher als 2% geschtzt. Entscheidend fr die Relevanz von in der Umwelt nachgewiesenen Karzinogenen ist nmlich deren Quantita¨t: Zwar knnen mit hochentwickelten Nachweisverfahren eine Vielzahl krebserregender Stoffe in der Umwelt gefunden werden, doch verbleiben sie in der Regel bei Konzentrationen, die (auch in ihrer Summe) nicht zu einem nachweisbar erhhten Krebsrisiko fhren. Die einzige Lokalisation, bei der Zusammenhnge mit der Schadstoffbelastung der Auenluft zweifelsfrei gezeigt und quantifiziert werden konnten, ist der Lungenkrebs. Beispielsweise ergab eine in Krakau durchgefhrte Untersuchung nach rechnerischer Eliminierung der Effekte von Rauchen und beruflichen Expositionen eine Risikoerhhung durch Luftschadstoffbelastung auf das 1,5fache bei Mnnern und auf das 1,2fache bei Frauen. Die Grenordnung einer 50%igen Risikoerhhung durch Luftschadstoffbelastung in hochbelasteten Gebieten wird auch in einer neueren Bestandsaufnahme genannt (Hemminki u. Pershagen 1994). In dieser Arbeit wird darauf hingewiesen, da das Risiko insbesondere Raucher betrifft: Bei der Kombination von Schadstoffbelastung der Auenluft und Tabakkonsum ist von einer multiplikativen Wirkung auszugehen. Im Auftrag des Lnderausschusses fr Immissionsschutz (LAI) wurde eine quantitative Risikoabschtzung fr 7 relevante krebserregende Luftverunreinigungen vorgenommen (LAI 1992). Eine Abschtzung des auf diese Schadstoffe durchschnittlich zurckzufhrenden Anteils der Lungenkrebssterblichkeit kommt auf 2…3%. Innerhalb dieser Bandbreite ergeben sich erhebliche Risikounterschiede zwischen stdtischen und lndlichen Regionen (LAI 1992). Der grte Eintrag unter den 7 Stoffen wird dem Dieselruß zugeschrieben, dessen Quelle brigens zum berwiegenden Teil Nutzfahrzeuge darstellen.
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Inwieweit eine Exposition gegenber Radon in der Innenraumluft zu einem erhhten Krebsrisiko fhrt, ist derzeit umstritten. Der anteilige Wert an der gesamten Krebssterblichkeit von 2% fr die Schadstoffbelastung der Umwelt mag geringfgig erscheinen. Man mu sich jedoch vergegenwrtigen, da dies bei jhrlich etwa 210 000 Krebstodesfllen in Deutschland mehrere tausend Todesflle im Jahr sind, die durch geeignete Prventionsmanahmen vermieden werden knnten. Dieser Anteil besagt allerdings auch, da selbst mit grten Anstrengungen im Umweltbereich eben „nur“ einige tausend Krebstodesflle vermieden werden knnen und damit keine substantielle Verringerung der Gesamtzahl von 210 000 Todesfllen erreicht werden kann. 4.9 Zusammenfassung Die bisherigen Erkenntnisse ber die Ursachen der Krebskrankheiten und die Mglichkeiten ihrer Vermeidung haben zu einem Katalog von Verhaltensregeln gefhrt, die von Experten ausgearbeitet und von dem Programm Europa gegen den Krebs der Europischen Union verabschiedet wurden (Tabelle 6). ˜rzte sollten verstrkt diese Empfehlungen ihren Patienten nahebringen. Tabelle 6. Europa¨ischer Kodex zur Krebsbeka¨mpfung Bestimmte Krebskrankheiten ko¨nnen vermieden werden, und der allgemeine Gesundheitszustand la¨ßt sich verbessern, wenn Sie gesundheitsbewußter leben. 1.
Rauchen Sie nicht! Raucher sollten so schnell wie mo¨glich aufho¨ren und schon gar nicht in Anwesenheit anderer rauchen. Nichtraucher sollten das Rauchen nicht probieren.
2.
Verringern Sie Ihren Alkoholkonsum; dies gilt fu¨r Bier, Wein und Spirituosen.
3.
Erho¨hen Sie Ihren ta¨glichen Verzehr an frischem Obst und Gemu¨se sowie an ballaststoffreichen Getreideprodukten. Vermeiden Sie U¨bergewicht; sorgen Sie fu¨r mehr ko¨rperliche Bewegung, und begrenzen Sie die Aufnahme fettreicher Nahrungsmittel.
4. 5.
Vermeiden Sie u¨berma¨ßige Sonneneinstrahlung und Sonnenbra¨nde; dies gilt insbesondere fu¨r Kinder.
6.
Halten Sie genauestens Vorschriften ein, durch die Sie vor einem Kontakt mit krebserregenden Stoffen geschu¨tzt werden sollen. Folgen Sie genau den Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften u¨ber Substanzen, die Krebs verursachen ko¨nnen.
Es ließen sich mehr Krebskrankheiten heilen, wenn sie fru¨her erkannt wu¨rden. 7.
Gehen Sie zum Arzt, wenn Sie eine ungewo¨hnliche Schwellung bemerken, eine Wunde (auch im Mund), die nicht abheilt, eine Vera¨nderung der Form, Gro¨ße oder Farbe an einem Hautmal oder eine abnorme Blutung.
Schwerpunkte der aktuellen Forschung
8.
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Gehen Sie zum Arzt, wenn Sie andauernde Beschwerden haben wie chronischen Husten oder anhaltende Heiserkeit, dauerhafte Auffa¨lligkeiten bei der Verdauung oder wenn sie einen unerkla¨rlichen Gewichtsverlust bemerken.
Fu¨r Frauen 9.
Lassen Sie regelma¨ßig einen Abstrich des Geba¨rmutterhalses machen. Nutzen Sie die systematischen Vorsorgeuntersuchungen fu¨r Geba¨rmutterhalskrebs.
10. Untersuchen Sie regelma¨ßig Ihre Bru¨ste. Wenn Sie u¨ber 50 sind, nutzen Sie die regelma¨ßigen Mammographie-Vorsorgeuntersuchungen. ¨Uberarbeitet am Anschluß an die Tagung der EG-Krebssachversta¨ndigen vom 28./29. November 1994 in Bonn. In dieser Fassung wurden die Anmerkungen der Ausschußmitglieder, die den Europa¨ischen Kodex zur Krebsbeka¨mpfung ausgearbeitet haben, beru¨cksichtigt.
5 Schwerpunkte der aktuellen Forschung In der aktuellen epidemiologischen Forschung sind einige bedeutsame Vernderungen sowohl thematischer als auch, dadurch bedingt, methodischer Natur zu beobachten. Eine sehr wichtige Entwicklung ist die Hinwendung zu Fragestellungen der primren Prvention, die mit sog. Interventionsstudien angegangen werden. Interventionsstudien sind prospektive Studien mit einem zumeist randomisierten Design, bei denen ein Agens, dessen primr-prventive Wirksamkeit man berprfen und gegebenenfalls quantifizieren mchte, den Probanden des einen Studienarmes ber einen Zeitraum hinweg regelmig verabreicht wird, whrend in der Vergleichsgruppe keine Intervention statt findet oder ein Plazebo gegeben wird. Beispiele sind bestimmte Vitamine zur Senkung des Lungenkrebsrisikos (was mit einem Fehlschlag endete) oder Tamoxifen zur Senkung des Brustkrebsrisikos (was zu einem positiven Resultat fhrte). Einzelheiten hierzu finden sich im Kapitel 6.1 „Primre Prvention“. Eine andere hervorzuhebende Entwicklung ist die zunehmende Einbeziehung biologischer Proben (Blut-, Speichel-, Urin-, Gewebeproben) in epidemiologische Studien mit einer entsprechenden Erweiterung der dadurch zugnglichen Fragestellungen. Die Gren, die die Epidemiologie dadurch untersucht, werden auch Biomarker genannt (IARC 1997). Angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung und bestimmter methodischer Probleme sei hierauf im Folgenden kurz nher eingegangen. Biomarker
Als Biomarker bezeichnet man in der Epidemiologie allgemein jedwede(n) Substanz, Struktur oder Vorgang, die/der im menschlichen Krper oder
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seinen Produkten gemessen werden kann und Einflu auf das Auftreten einer Krankheit nimmt oder Hinweise auf das Auftreten einer Krankheit liefert. Sie knnen grob eingeteilt werden in Marker fr exogene oder endogene Exposition, die Wirkung einer Exposition sowie fr Suszeptibilitt. In dieser Allgemeinheit ist die Sache zunchst nicht neu. Biomarker fr Exposition gegenber chemischen Agenzien sind beispielsweise Bleikonzentration im Blut oder Arsen-, Nitrosamin- oder Kotininkonzentration im Urin. Studien, die sich solcher Messungen bedienten, wurden schon vor Jahrzehnten durchgefhrt. Beispiele finden sich in IARC (1997). Neu ist die Einbeziehung molekularbiologisch charakterisierter Marker fr Exposition oder die Wirkung von Exposition sowie insbesondere die jetzt gegebene Mglichkeit der Betrachtung von Suszeptibilitt direkt auf molekulargenetischer Ebene. Biomarker fu¨r Exposition und interne Wirkung. Ein Beispiel fr molekularbio-
logisch charakterisierte Marker sind sog. DNS-Addukte. Chemische Stoffe knnen kovalent an zellulre Makromolekle binden, neben DNS auch an RNS und Proteine, d.h. Addukte bilden. Diese Strukturen sind stoffspezifisch identifizierbar und quantifizierbar (z.B. Addukte aus heterozyklischen aromatischen Aminen, polyzyklischen Kohlenwasserstoffen, Aflatoxinen) und knnen als Ma fr das eingesetzt werden, was von einer exogenen Exposition als krperinterne Exposition tatschlich verfgbar ist. Diese Addukte knnen innerhalb von Stunden oder Tagen wieder abgebaut werden. Werden sie jedoch whrend eines Zellteilungszyklus nicht entfernt, sondern weitergegeben, knnen sie zu einer persistenten somatischen Mutation fhren. DNS-Addukte sind daher ein Beispiel fr die hufiger anzutreffende Tatsache, da ein Marker fr Exposition zugleich auch ein Marker fr eine biologische Wirkung einer Exposition sein kann. Die genannte Wirkung, eine genetische Mutation, kann nmlich ein Schritt auf dem Weg der Karzinogenese sein. Biomarker fu¨r Suszeptibilita¨t. Seit Mitte der 90er Jahre Varianten (unterschied-
liche Allele) in Genen gefunden wurden, die fr an der Verstoffwechslung karzinogener oder prokarzinogener Stoffe mageblich beteiligte Proteine kodieren, und auf die gesundheitspolitischen Implikationen dieser Beobachtungen hingewiesen wurde, gehrt die Suche nach solchen Polymorphismen (Keimbahnmutationen mit einer Hufigkeit von 1% und mehr) zu den heiesten Gebieten der biomedizinischen Forschung. Es wurde beobachtet, da die Trger der unterschiedlichen Allele bestimmte Stoffe unterschiedlich rasch metabolisieren und dadurch bei identischer Exposition gegenber Umwelteinflssen unterschiedliche individuelle Risiken resultieren knnen. Genpolymorphismen erfllen damit die obige Definition eines Biomarkers fr individuelle Suszeptibilitt. Diese
Schwerpunkte der aktuellen Forschung
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Beobachtungen implizieren die gesundheitspolitisch brisante Mglichkeit, da in der Bevlkerung bisher unerkannte Hochrisikogruppen existieren knnten, deren Krebsrisiko auf der Grundlage der gegenwrtigen Risikoabschtzungen mglicherweise deutlich unterschtzt wird. Genetische Polymorphismen knnen jedoch auch bei der Krankheitsprogression und der Wirksamkeit pharmazeutischer Wirkstoffe eine Rolle spielen. Sie sind keineswegs selten. Alleine bei einer speziellen Form, den sog. Single-Nucleotid-Polymorphismen (SNPs; im Vergleich zum „Wildtyp“ ist nur ein Nukleotid verndert), geht man davon aus, da mehr als eine Million solcher Varianten im menschlichen Genom existieren. Obwohl nicht alle in funktionell relevanten Bereichen der DNS liegen, ist gleichwohl zu vermuten, da ein nicht unerheblicher Teil Unterschiede in der betreffenden Genfunktion verursachen und am Krankheitsgeschehen beteiligt sein knnte. Methodische Probleme. Der rasche Fortschritt bei der Entwiclung biotechnologischer Verfahren hat den Nachweis genetischer Polymorphismen auch bei greren Zahlen von an einer bestimmten Krankheit erkrankten Personen und nicht erkrankten Vergleichspersonen (Genotypisierung, nicht zu verwechseln mit dem Nachweis der Genexpression) einfach, rasch und billig (zur Zeit etwa 1 Euro pro Person und Polymorphismus) werden lassen. Dies hat eine Flut von Untersuchungen und Verffentlichungen ausgelst, die einen oder einige wenige Polymorphismen in bestimmten Genen mit einer Krankheit in Beziehung setzen, fr die die betreffenden Gene als relevant oder vermutlich relevant angesehen werden. Nicht wenige dieser Arbeiten sind, selbst wenn sie in den hochrangigsten internationalen Fachzeitschriften der biomedizinischen Forschung erscheinen, von erstaunlicher methodischer Insuffizienz. Ein methodisch einwandfreier Nachweis einer Assoziation zwischen einem genetischen Polymorphismus und einer Krankheit erfordert jedoch die Einhaltung bestimmter Grundregeln epidemiologischer Forschung. Hufig werden die epidemiologischen Fallstricke bei solchen Untersuchungen aber berhaupt nicht erkannt. So kommt es vor, da in den betreffenden Arbeiten einer nicht nher beschriebenen Serie von Erkrankungsfllen eine nicht nher beschriebene Serie von Vergleichspersonen gegenbergestellt und mit einem einfachen statistischen Test geprft wird, ob ein „signifikanter“ Unterschied der Hufigkeit der jeweils untersuchten Polymorphismen vorliegt. Man mu allerdings hinzufgen, da in dem Internationalen Humangenomforschungsprojekt die Notwendigkeit der Verwendung epidemiologisch gut charakterisierter Personengruppen fr die weitere genetische Forschung mittlerweile klar erkannt wurde.
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Beispielsweise knnen durch die beschriebene Vorgehensweise folgende Quellen fr Fehler bzw. Verzerrungen der Ergebnisse unbercksichtigt bleiben: F
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Ethnische Zugeho¨rigkeit: Ein genetischer Polymorphismus kann in unterschiedlichen Ethnien unterschiedlich hufig sein und eine entdeckte Assoziation bei unterschiedlicher ethnischer Zusammensetzung von Fall- und Vergleichsgruppe daher ein Artefakt darstellen. Es mu daher sichergestellt und in der Verffentlichung dokumentiert werden, da in der Fall- und Vergleichsgruppe nicht bestimmte ethnische Gruppen unterschiedlich hufig vertreten sind (frage nicht nach Nationalitt, sondern nach Abstammung!). Alter: Wenn die betreffende Krankheit altersabhngig ist und Fall- und Vergleichsgruppe unterschiedliche Altersmittelwerte haben, kann eine mglicherweise vorhandene Assoziation verborgen bleiben, weil die Vergleichsgruppe sich im Extremfall hinsichtlich des Krankheitsstatus gar nicht von der Fallgruppe unterscheidet, sondern einfach im Augenblick der Untersuchung noch nicht erkrankt ist, aber bei gleichem Alter wie die Fallgruppe ebenso erkrankt sein wird. Selektionsverfahren: Eine Rekrutierung der beiden Gruppen ohne Beachtung mglicherweise relevanter Kofaktoren kann z.B. Artefakte bei der Betrachtung von Krankheitsprogression verursachen, wenn sich durch die mangelnde Beachtung eine ungleiche Verteilung der Kofaktoren in den beiden Gruppen ergibt. Stammen Fall- und Kontrollgruppe nicht aus der gleichen zugrundeliegenden Bevlkerung als Grundgesamtheit, knnen ber indirekte Assoziationen aufgrund unterschiedlicher Erkrankungsrisiken Artefakte auftreten.
Die Liste liee sich fortsetzen. Ein weiteres Problem, das zumindest erwhnt werden soll, ist dasjenige einer mglichen Vielzahl falsch positiver Assoziationen, wenn mit den mittlerweile verfgbaren Hochdurchsatzverfahren multiple Tests mit einer groen Zahl von Polymorphismen durchgefhrt werden. Um sowohl das Risiko zufllig statistisch signifikanter Assoziationen als auch das des bersehens tatschlich vorhandener (vielleicht schwacher) Assoziationen bei einer naheliegenden Erhhung des Signifikanzniveaus einzudmmen, wird weitere statistische Forschung erforderlich sein. Literatur Arbeitsgemeinschaft Bevlkerungsbezogener Krebsregister in Deutschland (2002). Krebs in Deutschland. Hufigkeiten und Trends. Gesamtprogramm zur Krebsbekmpfung. 3., erweiterte, aktualisierte Ausgabe. Saarbrcken.
Literatur
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Epidemiologie von Tumoren
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
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Mechanismen der Karzinogenese G. Khler, H. Herbst
1 Einfu¨hrung Die Kinetik von Zellproliferation und Zellverlust ist altersabhngig sowie organspezifisch und wird bestimmt durch die Proliferationskompetenz der individuellen Zelle, der inter- und intrazellulren Kommunikation, dem humoralen Mikromilieu und bergeordneten systemischen humoralen, hormonellen und zellulren Faktoren. Die Entstehung von malignen Erkrankungen wird durch verschiedene Agenzien betrieben, die die Transformation der Zellen stimulieren und somit eine genetische Lsion induzieren und die Karzinogenese frdern. Hierzu gehren als extrinsische Auslser F F F
chemische Karzinogene, physikalische Karzinogene und onkogene Viren.
Urschlich finden sich eher selten zufallsbedingte, intrinsische Fehlsteuerungen auf zellulrer Ebene (bersichten s. Bartsch 1996, Perera 1997, Doll 1998, Schwab et al. 1998). Krebszellen gewinnen mit der malignen Transformation eine relative, in der Regel fortschreitende Autonomie gegen homostatische Einflsse des Organismus bei gleichzeitigem Differenzierungsverlust. Als irreversibel im Genom fixiert wird eine zunchst monoklonal aufgetretene Strung der genetischen Information an die Tochterzellen weitergegeben und kann die Grundlage fr das atypische biologische Verhalten des entstehenden Zellklons darstellen. Die morphologische Manifestation der Tumorgenese stellt sich hufig in Form prneoplastischer Frhstadien mit hhergradigen Zellatypien ber Carcinomata in situ (z.B. intraepitheliale Neoplasie) bis zum invasiven und metastasierten Malignom dar.
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
2 Chemische Karzinogenese Yamagiwa und Ichikawa (1918) konnten experimentell mittels Kohlenteer Hautkarzinome in Musen induzieren. Der Mehrzahl chemischer karzinogener Substanzen ist gemeinsam, da sie erst nach Aufnahme in den Organismus metabolisch aktiviert, d.h. von einem Prokarzinogen in ein ultimales hochreagibles Karzinogen umgewandelt, werden (Bartsch 1996). Diese kurzlebigen, meist elektrophilen Agenzien reagieren am Ort ihrer Generierung mit nukleophilen Zentren anderer Molekle. Die so in den DNS-Basen entstandenen promutagenen Lsionen knnen … falls nicht durch entsprechende Reparaturmechanismen verhindert … bei der nachfolgenden DNS-Replikation zu Mutationen fhren. Dies gilt zum Beispiel fr die Gruppe der human-relevanten alkylierenden Karzinogene wie Cyclophosphamid, die im Experiment in Abhngigkeit vom Aktivierungs- bzw. Metabolisierungsort zu Tumoren fhren knnen. Auch andere Karzinogene wie aromatische Amine oder Kohlenwasserstoffe werden meist erst in Konkurrenz zu entgiftenden Enzymen von organspezifischen Enzymsystemen aktiviert und geben nach Bindung an die DNS zu deren Strukturvernderungen Anla. Zu den Tumoren, die durch aromatische Amine (z.B. Benzidin) induziert werden, zhlen insbesondere Karzinome der ableitenden Harnwege. Mehrere genetisch determinierte Polymorphismen aktivierender und entgiftender Enzyme sind bekannt, die das individualspezifische Krebsrisiko nach Exposition mit kanzerogenen Faktoren mitbestimmen knnen. Die Organotropie der karzinogenen Wirkung einer Substanz wird besonders durch ihre organspezifische Aktivierungsrate determiniert. Andererseits kann aus der Art der Genvernderung in transformierten Zellen in besonderen Fllen auf die Typklasse des verursachenden Karzinogens rckgeschlossen werden. Bei humanen Tumoren dient das Mutationsmuster des Tumorsuppressorgens p53 hufig als Indikator fr ein involviertes Karzinogen. So wird beim Leberzellkarzinom in chinesischen und sdafrikanischen Hochrisikoregionen der Nachweis von Guanin-Thymin-Transversionsmutationen im p53-Tumorsuppressorgen als Folge einer Deoxyguanosin-Adduktbildung nach Aflatoxin-B1-Exposition gewertet (Harris 1996). Viele chemische Substanzen agieren in der Kanzerogenese entweder als frdernde („Promotion“) oder auslsende Substanzen („Initiierung“). Bedeutende chemische Kanzerogene stellen auch Medikamente (z.B. Diethylstilbestrol als Ursache fr Genitalmalignome) und berufsbedingte Kanzerogene, wie z.B. Asbestfasern, dar. Asbest weist abhngig von der Faserlnge und -strke eine unterschiedliche Fibrogenitt auf und induziert bei einer chronischen entzndlichen Stimulation gehuft Pleuramesotheliome. Die normale Zelle verfgt ber DNS-Reparaturenzyme, die DNS-Addukte, Strukturvernderungen und Einzelstrangbrche in limitiertem Umfang aus
5.1
Mechanismen der Karzinogenese
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der DNS entfernen knnen und zu einer fehlerfreien Restitutio ad integrum fhren. Dagegen ist die Postreplikationsreparatur grerer Addukte oft irrtumsanfa¨llig, so da Mutationen auch durch den Reparaturvorgang selbst nicht ausgeschlossen werden knnen. Entscheidend fr den Erfolg einer DNS-Reparatur ist der Zeitpunkt des Auftretens einer DNS-Lsion in Relation zur aktuellen Zellzyklusposition, wobei als hochsensitive Phasen fr eine mutagene Wirkung die spa¨te G1-Phase und die fru¨he DNS-Synthesephase gelten (Baylin 1997). Hereditre Defekte von DNS-Mismatch-Repair-Genen knnen zum Auftreten charakteristischer Tumortypen beitragen, wie beim hereditren nicht-polypsen Kolonkarzinom (HNPCC) (Friedberg et al. 1995, Chaney und Sancar 1996).
3 Physikalische Karzinogenese Unter den physikalischen Karzinogenen haben ionisierende Strahlen einschlielich UV-Strahlen groe Bedeutung (IARC 1992). Neben ihrer direkten genotoxischen Wirkung durch Freisetzung energiereicher Elektronen an der DNS (Strangbrche, Strukturnderungen) erfolgt der berwiegende schdigende Effekt am Genom durch hochreaktive O2-Radikale, insbesondere Hydroxylradikale. ˜hnliche, bei Entzndungen oder auch im normalen Stoffwechsel in geringerem Mae auftretende O2-Radikale knnen in der Zelle in der Regel enzymatisch inaktiviert werden, fhren jedoch dosisabhngig nach Bestrahlung auch zur Bildung des promutagenen 8-Hydroxydesoxyguanosins und damit zur irreversiblen Strung der genetischen Information der Zelle. Strahleninduzierte Doppelstrangbrche knnen zu Chromosomeninversionen und Genrearrangements mit Bildung tumorspezifischer Fusionsproteine fhren, wie durch Nachweis einer hohen Prvalenz des Rearrangements der Rezeptortyrosinkinase RET bei papillren Schilddrsenkarzinomen von Kindern nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, Ukraine, 1986 (Rabes und Klugbauer 1998) belegt wurde. Eine UVBestrahlung induziert im Bereich < 310 nm DNS-Vernderungen, u. a. die Bildung von promutagenen Cyclobutan-Pyrimidin-Dimeren. Als molekulares Korrelat finden sich bei Plattenepithelkarzinomen der Haut und Basaliomen hufig Pyrimidin-Tandem-Mutationen im p53-Gen. Dimere knnen effektiv enzymatisch repariert werden, geben jedoch bei zellulren Reparaturdefekten (z.B. bei Xeroderma pigmentosum) Anla zur Entstehung von Hauttumoren. Neben der natrlichen Strahlung stammen ionisierende Strahlen bevorzugt von artefiziellen Strahlenquellen, z.B. im Rahmen einer Strahlentherapie eines malignen Tumors. Die Sekundrtumorrate steigt 10 Jahre nach Strahlentherapie um das 10fache an, insbesondere treten Tumoren des lympho- und hmatopoetischen Systems auf.
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
4 Virale Karzinogenese Obwohl fr den Menschen die Tumorinduktion durch onkogene Viren allein zu den Seltenheiten zhlen drfte, tragen Viren zweifellos zur Tumorentstehung auch beim Menschen bei. Mindestens 15% aller Tumoren beim Menschen sind virusassoziiert, 70% davon … insbesondere Zervixkarzinome … mit bestimmten Gruppen des humanen Papillomvirus (Abb. 1). Anscheinend bleibt nach der zellulren Infektion mit Papillomviren die virale Information zunchst unter Kontrolle spezifischer zellulrer Gene. Erst nach deren Modifikation kommt es zur Aktivierung bestimmter Virusgene, deren Produkte das biologische Verhalten der Zelle verndern. Darber hinaus kann allein der Integrationsort der Virus-DNS zu Strungen in der Steuerung proliferations- und differenzierungsregulierender Gene und damit zu einer Entgleisung der zellulren Wachstumskontrolle fhren. Ganz entscheidende Beitrge zum Verstndnis der molekularen Mechanismen der Karzinogenese wurden durch die Entdeckung der Homologie von onkogenen retroviralen Sequenzen mit wachstums- und differenzierungsregulierenden Genen, den zellulren Protoonkogenen, ermglicht. Die viralen Onkogene tumorinduzierender Retroviren stellen sich als geringfgig vernderte Varianten normaler zellulrer Gene dar. Einbringung dieser viralen Information in die Zelle oder Dysfunktion bzw. Strukturvernderungen zelleigener Protoonkogene knnen den Proze der malignen Transformation initiieren. Auf welche Weise auch immer Genomalterationen in der Zelle hervorgerufen werden, entscheidend fr den Proze der Karzinogenese ist die irreversible Vera¨nderung der Struktur oder der Expression von Genen, die das Gleichgewicht zwischen Zellproliferation, Differenzierung und Zellverlust auf den verschiedenen Ebenen steuern. Die hierzu gehrenden Protoonkogene kodieren fr Wachstumsfaktoren (z.B. sis), Wachstumsfaktorrezeptoren (erbB2), GTP-bindende Proteine (ras), Proteinkinasen
Abb. 1. Schwere plattenepitheliale Dysplasie der Portio uteri, bedingt durch mit Papillomviren (HPV) infizierte Zellen mit Koilozytose, dem pha¨notypischen Korrelat der Virusinfektion mit perinuklea¨rer Aufhellung. A. HE-Fa¨rbung, B. HPV-Nachweis mittels Chromogen-in-situ-Hybridisierung.
5.1
Mechanismen der Karzinogenese
239
(src, abl, raf, ret, mil) oder spezifische Kernproteine (myc, myb, fos, jun). Ihre Produkte sind damit an unterschiedlichen Positionen in den Signalbertragungsweg vom Liganden ber den Rezeptor bis zur Regulation der DNS-Replikation involviert. Den Onkogenen entgegengesetzt wirken Tumorsuppressorgene, die Zellzyklusablufe steuern, Interaktionen zwischen Zellen bzw. Zellen und extrazellulrer Matrix regulieren, wachstumsinhibierende Signale realisieren und intrazellulr bermitteln und an der Steuerung von DNS-Reparaturprozessen und des programmierten apoptotischen Zelltodes beteiligt sind. Aufgrund von Dosis-Wirkungs-Analysen von Karzinogenen und nach epidemiologischen Daten mu angenommen werden, da die Tumorentstehung als ein mehrstufiger Proze abluft. In der Regel gengt zur Ausbildung des malignen Phnotyps nicht die Alteration eines, sondern die Kooperation mehrerer vernderter Gene. Der dominant negative Inhibitionseffekt von Tumorsuppressorgenen bleibt auch durch ein intaktes Allel in der Zelle erhalten. Erst nach Verlust oder Mutation des zweiten Allels („loss of heterozygosity“) kommt es zum Fortfall der Suppressorwirkung, wie am klassischen Tumorsuppressorgen p53 gezeigt werden konnte. Der karzinogeninduzierten Initiationsphase folgt in der Regel eine jahrebis jahrzehntelange Latenzperiode bis zur klinischen Manifestierung des Tumors. In dieser prneoplastischen Latenzzeit kann der Karzinogeneseproze durch promovierende Faktoren abgekrzt werden. Derartige Faktoren sind nicht genotoxisch, ihre Wirkung ist im Gegensatz zu echten Karzinogenen reversibel. Tumorpromotoren haben neben einer proliferationsinduzierenden Wirkung, die allein jedoch fr eine Promotion nicht ausreicht, meist rezeptorvermittelten Einflu auf die intrazellulre Signalbertragung. Aus zahlreichen Experimenten ist bekannt, da unter der Wirkung von Tumorpromotoren die Realisation des malignen Phnotyps karzinogeninitiierter Zellen beschleunigt wird. Die Progressionsphase ist gekennzeichnet durch genetische Instabilitt der Tumorzellen. Als molekulares Korrelat dieser Instabilitt werden neben Defekten in DNS-Reparaturgenen und Ausfall von Tumorsuppressorgenen zunehmend fragile Chromosomenabschnitte (fragile chromosomal sites) mit hoher Bruchfrequenz diskutiert (Huebner 1997). Instabilitt fhrt zur Ausbildung heterogener Subpopulationen, die sich im Phnotyp, insbesondere in der Differenzierung und Proliferationsaktivitt, im Karyotyp mit progredienten strukturellen und numerischen Chromosomenaberrationen und im Genotyp mit divergenter klonaler Evolution von Populationen mit differentem biologischem Verhalten, z.B. Gewinn von Metastasierungskompetenz, unterscheiden. Fr bestimmte Tumortypen (z.B. humanes kolorektales Karzinom) sind multiple, in ihrer Sequenz jedoch nicht festgelegte Vernderungen von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen im Zuge der Tumorprogression als Grundlage subklonaler Entwicklungen charakterisiert worden.
5
240
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Der Ablauf der Karzinogenese kann damit als Folge einer primren, durch ein Karzinogen oder durch mehrere synergistisch oder sequentiell wirkende karzinogene Faktoren induzierten irreversiblen Genomvernderung gesehen werden. Sie fhrt zur Entwicklung eines gegen homostatische Regulationen partiell refraktren, promotorsensitiven Klons mit atypischem Wachstumsverhalten. Aus ihm geht der klinisch manifeste Tumor hervor. Die Dynamik der zugrundeliegenden molekularen Vorgnge ist abhngig von der Art und Lokalisation des spezifischen genetischen Primrschadens und luft organ- und zelltypspezifisch ab. Ein Endpunkt des Karzinogeneseprozesses wird nicht erreicht: Die genetische Instabilitt der Tumorzelle bedingt eine progrediente Entwicklung des Tumors zu einem heterogenen Komplex von Zellpopulationen mit unterschiedlichem biologischem Verhalten und unterschiedlicher therapeutischer Beeinflubarkeit. Literatur Bartsch H (1996) DNA adducts in human carcinogenesis: etiological relevance and structure-activity relationship. Mutat Res 340:67…79 Baylin SB (1997) Tying it all together: epigenetics, genetics, cell cycle, and cancer. Science 277:1948…1949 Chaney SG, Sancar A (1996) DNA repair: enzymatic mechanisms and relevance to drug response. J Natl Cancer Inst 88:1346…1360 Doll R (1998) Epidemiological evidence of the effects of behaviour and the environment on the risk of human cancer. In: Schwab B, Rabes H, Munk K, Hofschneider PH (eds) Genes and environment in cancer. Springer, Berlin, pp 3…21 Friedberg EC, Walker GC, Siede W (1995) DNA repair and mutagenesis. ASM, Washington DC Harris CC (1996) The 1995 Walter Hubert lecture … Molecular epidemiology of human cancer: insights from the mutational analysis of the p53 tumour suppressor gene. Br J Cancer 73:261…269 Huebner K, Hadaczek P, Siprashvili Z et al (1997) The FHIT gene, a multiple tumor suppressor gene encompassing the carcinogen sensitive chromosome fragile site, FRA3B. Biochim Biophys Acta 1332:M65…M70 International Agency for Research on Cancer (1992) Solar and ultraviolet radiation. IARC Monogr Eval Carcinog Risks Hum 55:1…316 Perera FP (1997) Environment and cancer: who are susceptible? Science 278:1068… 1073 Rabes HM, Klugbauer S (1998) Molecular genetics of childhood papillary thyroid carcinomas after irradiation: high prevalence of RET rearrangement. In: Schwab B, Rabes H, Munk K, Hofschneider PH (eds) Genes and environment in cancer. Springer, Berlin, pp 248…264 Schwab B, Rabes H, Munk K, Hofschneider PH (eds) (1998) Genes and environment in cancer. Springer, Berlin Yamagiwa K, Ichikawa K (1918) Experimental study of the pathogenesis of carcinoma. J Cancer Res 3:1…29
5.2
Genetische Pra¨disposition W. Henn, K. D. Zang
1 Tumorgenese Auf zellulrer Ebene sind Tumoren genetisch bedingte Krankheiten. Diese Erkenntnis resultiert wesentlich aus der Beobachtung, da gleiche Tumorentitten sowohl sporadisch als auch familir bzw. entsprechend einem dominanten Mendelschen Erbgang mit unterschiedlicher Penetranz und oft erheblich variabler Expressivitt auftreten knnen. Letzteres gilt besonders fr solche Entitten, bei denen innerhalb einer Familie Kombinationen histogenetisch oft nicht zusammenhngender Tumoren auftreten (z.B. Retinoblastom und Osteosarkom), aber auch zustzliche krperliche Aufflligkeiten (z.B. Aniridie beim Wilms-Tumor; marfanoider Habitus bei der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 B) vorliegen. Tumoren unterscheiden sich jedoch in zwei wesentlichen Kriterien von typischen Erbkrankheiten: F
F
Erbleiden sind grundstzlich auf eine Keimbahn- oder Keimzellmutation zurckzufhren; Tumoren entstehen dagegen in der Regel aufgrund somatischer Mutationen. Tumoren entstehen nicht als Folge einer einzelnen Mutation, sondern als Folge mehrerer aufeinanderfolgender Mutationen in derselben Zelle; bei familir gehuften oder hereditren Tumoren ist die erste dieser Mutationen ererbt (genetische Prdisposition).
Unser heutiges Verstndnis bezglich der einer hereditren Tumorentstehung zugrundeliegenden molekularen Mechanismen geht wesentlich auf die Theorie von Knudson (1971) zurck. Danach ist die via Keimbahn von einem Elternteil ererbte Tumordisposition in einer Mutation mit dem teilweisen (heterozygoten) Funktionsverlust eines dominant wirkenden Gens zu suchen, das direkt oder indirekt an der Proliferations- bzw. Differenzierungskontrolle beteiligt ist (Tumorsuppressorgen). Der Defekt liegt dann in allen Zellen des betreffenden Organismus vor. Ein Tumor entwickelt sich erst als Folge der somatischen Mutation oder Deletion des homologen Gens auf dem vom anderen Elternteil ererbten Chromosom in (einer) einzelnen Zelle(n) und des sich daraus ergebenden kompletten Verlustes der betreffenden Genfunktion in Organen bzw. Geweben, die dieses Genprodukt fr ihre Proliferationskontrolle bentigen. Beim familiren Retinoblastom reicht der homozygote Funktionsausfall eines solchen Gens, des RB-Gens, offenbar bereits zur Tumorbildung aus. Auch das
5
242
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
hufigere sporadische Retinoblastom ist insgesamt selten, weil 2 aufeinanderfolgende somatische Mutationen innerhalb des kritischen Zeitraums der ersten Lebensjahre beide elterlichen Allele in der gleichen Zelle treffen mssen, um dann einen monoklonalen Tumor auszulsen. Beim dominant erblichen familiren Retinoblastom ist infolge der in allen Zellen vorliegenden disponierenden Heterozygotie nur noch eine Mutation in einer beliebigen Zelle des Retinaepithels erforderlich, was in der Regel zum Auftreten mehrerer Tumoren in beiden Retinae fhrt.
2 Tumorsuppressorgene und Protoonkogene Die Entdeckung der Tumorsuppressorgene (TSG) hat das Konzept von Knudson auf molekularer Ebene besttigt und unser Verstndnis fr mgliche bergnge von benignen zu malignen Tumoren, fr Tumorprogression und Metastasierung erweitert (Knudson 1993). Es sind bereits ber 30 TSG bekannt und teilweise in ihrer molekularen Funktion aufgeklrt (Tabelle 1). Nach ihren grundlegenden Wirkmechanismen unterscheidet man hufig zwischen „Gatekeeper“-TSG, die den Zellzyklus kontrollieren, d. h. defekte Zellen an der Teilung hindern und in die Apoptose treiben (z.B. p53, RB1), und „Caretaker“-TSG, die als „Repair-Gene“ das Genom gegen tumorigene somatische Mutationen stabilisieren (z.B. MSH1, BRCA1/2) (Levitt und Hickson 2002). Protoonkogene sind ebenfalls Proliferations- bzw. Differenzierungskontrollgene, die jedoch in der differenzierten Zelle in der Regel inaktiv sind. Im Gegensatz zu Tumorsuppressorgenen (TSG) knnen sie durch eine Mutation unphysiologisch daueraktiviert und dadurch zu Onkogenen werden. Bemerkenswerterweise ist das auf Mutationen im RET-Onkogen zurckgehende dominant erbliche medullre Schilddrsenkarzinom bzw. MEN2 das bisher einzige Beispiel fr ein durch Mutation aktiviertes Protoonkogen, d.h. ein dominantes Onkogen, das die Prdisposition fr ein hereditres oder familir gehuftes Tumorleiden liefern wrde (Brown u. Solomon 1997). Offenbar sind Mutationen eines Proliferationsgens in der Regel nicht in der Lage, die Keimbahn zu passieren, oder sie sind bereits in der frhesten Embryonalentwicklung des Menschen letal. berhaupt scheinen nur wenige tumorbegnstigende Mutationen in der Lage zu sein, den hemizygoten Engpa der Keimbahn zu passieren, da in der haploiden Keimzelle nur noch jeweils eine Kopie jedes Gens vorhanden ist und deshalb der biologische Unterschied zwischen dominanter und rezessiver Genwirkung verschwindet. Die Mehrzahl der disponierenden Mutationen wirkt in der diploiden somatischen Zelle offenbar rezessiv, d.h., das aus der anderen Keimzelle stammende, nicht mutierte „Wildtypallel“ ist in der Lage, mit seinem normalen Genprodukt die Proliferationskontrolle aufrechtzuerhalten. Da es sich um Gene handelt, die im weitesten Sinne an der Zellteilung und/oder Differenzierung beteiligt sind, wird verstndlich, da bereits ihre
5.2
Genetische Pra¨disposition
243
via Keimbahn in allen Zellen vorliegende heterozygote Inaktivierung (Gendosiseffekt) neben der Tumordisposition auch zu Entwicklungsstrungen und phnotypischen Aufflligkeiten fhren kann. Tabelle 1. Familia¨r erbliche Tumoren und Tumorsyndrome Tumor bzw. Tumorsyndrome
Gen
Genlocus Bemerkungen
Retinoblastom
RB
13q14
Retinoblastom, meist bilateral, spa¨ter oft Osteosarkome
Familia¨re adenomato¨se Polyposis (FAP) = Polyposis coli
APC
5q21
Kolorektale Karzinome (Adenom-Karzinom-Sequenz), Desmoide, mit Osteomen: Gardner-Syndrom
Juvenile Polyposis/ Cowden-Syndrom
DPC4 PTEN
18q21 10q23
Polypen im gesamten Gastrointestinaltrakt, ggf. variable andere Tumoren
Heredita¨res Non-PolyposisKolonkarzinom (HNPCC; Lynch-Syndrom)
MSH2 MLH1 PMS1 PMS2
2p22 3p21 2q31 7p22
Kolorektale Karzinome, Endometriumkarzinome und Tumoren anderer Organe (genetische Instabilita¨t durch Mutationen in DNA-Reparaturgenen)
Wilms-Tumor
WT1 WT2
11p13 11p15
Kindliches Nephroblastom; bei Verlust von WT1 und benachbarter Gene WAGR (Wilms-Aniridie-GenitalanomalienRetardierungs)-Syndrom/Denys-DrashSyndrom („contiguous gene syndromes“)
Li-Fraumeni-Syndrom
TP53
17p13
Fru¨h manifestierende Mammakarzinome, Weichteilsarkome, Gliome und andere Tumoren
Basalzellna¨vus-Syndrom (Gorlin-Syndrom)
PTCH
9q22
Hautkarzinome, Medulloblastome, Skelettanomalien
Familia¨res Melanom
p16
9p21
Melanome, Pankreaskarzinome
Neurofibromatose 1 (M. Recklinghausen)
NF1
17q12
Periphere Neurofibrome, Neurofibrosarkome, Hautaffektionen, Hirn- und Knochenfehlbildungen
Neurofibromatose 2 (zentrale Neurofibromatose)
NF2
22q12
Bilaterales Akustikusneurinom, Meningeome, periphere Neurinome
von-Hippel-Lindau-Syndrom
VHL
3p25
Ha¨mangioblastome des Kleinhirns, klarzellige Nierenkarzinome, Pha¨ochromozytome
Tubero¨se Sklerose
TSC1 TSC2
9q34 16p13
Kutane Fibroadenome, Angiomyolipome, Astrozytome, Rhabdomyome
Multiple endokrine Neoplasie 1 (MEN 1)
MEN1
11q13
Insulinome, Prolaktinome, Karzinoide, Nebenschilddru¨senadenom
5
244
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 1. (Fortsetzung) Tumor bzw. Tumorsyndrome
Gen
Genlocus Bemerkungen
Multiple endokrine Neoplasie 2A RET (MEN2A)
10q11
Medulla¨re Schilddru¨senkarzinome, Pha¨ochromozytome, Nebenschilddru¨senadenome
Multiple endokrine Neoplasie 2B RET (MEN2B)
10q11
wie MEN2A, zusa¨tzlich Ganglioneurome und marfanoider Habitus
Mammakarzinom
BRCA1 17q21
Mamma- und Ovarialkarzinome, Prostatakarzinome
Mammakarzinom
BRCA2 13q12
Mammakarzinome, auch bei Ma¨nnern
Beckwith-Wiedemann-Syndrom
IGF2
Fanconi-Ana¨mie (AR)
FAA
16q24
Leuka¨mien, Ana¨mie, Skelett- und Nierenfehlbildungen, Herzfehler
Bloom-Syndrom (AR)
BLM
15q26
Leuka¨mien, Lymphome, variable Tumoren, Immundefekt
Ataxia teleangiectatica = Louis-Bar-Syndrom (AR)
ATM
11q23
Leuka¨mien, Lymphome, Ataxie, Teleangiektasien
Xeroderma pigmentosum (AR)
9q34 XPA (7 weitere Genloci?)
11p15 Hemihypertrophie, Nephroblastome, (weitere Genloci?) Hepatoblastome, Rhabdomyosarkome (Geninaktivierung durch Imprinting)
Basaliome, Melanome, geistige Retardierung, Mikrozephalie
AR autosomal-rezessiv erblich; alle anderen aufgefu¨hrten Syndrome sind autosomal-dominant erblich. * Eine Reihe weiterer chromosomal lokalisierter tumordisponierender Gene bzw. chromosomaler Strukturvera¨nderungen sind nicht aufgefu¨hrt, da sie nicht als Prima¨rvera¨nderungen, sondern nur als Folge somatischer Mutationen beschrieben sind, die an der weiteren Entwicklung der Tumoren beteiligt sind.
3 Erbliche und familia¨re Tumoren blicherweise wird zwischen erblichen und familia¨ren (eigentlich besser: familir gehuft auftretenden) Tumoren unterschieden. Eine hereditre Komponente ist um so leichter zu erkennen, je weniger Mutationsschritte bis zur Tumorbildung erforderlich sind und je seltener der Tumor ist. Wenn mehrere Schritte erforderlich sind, verschleiert sich die Erkennbarkeit der Hereditt infolge Sinkens der Penetranz; wenn darber hinaus unterschiedliche Folgeschritte wirksam werden knnen, treten u.U. bei den einzelnen Familienmitgliedern unterschiedliche Tumoren auf. Diese Schwierigkeiten
5.2
Genetische Pra¨disposition
245
lassen nur grobe Schtzungen bezglich der Strke hereditrer Einflsse auf die Tumorgesamtepidemiologie zu. Schtzungsweise 1% aller Tumoren sind erblich und 5…10% familir. Bei familia¨ren Tumoren findet man in der Regel ein mit Mendelschen Spaltungsziffern nicht erfabares 2- bis 3fach, bei einzelnen Entitten wie dem Seminom auch deutlich hher ber dem Bevlkerungsdurchschnitt liegendes Risiko fr Verwandte ersten Grades, an dem jeweiligen Tumor bzw. einer bekannten Kombination von Tumoren zu erkranken. Bei erblichen Tumoren findet man dagegen einen annhernd dominanten, seltener rezessiven Mendelschen Erbgang innerhalb betroffener Familien (Fearon 1997). Allerdings folgen nach unserem heutigen Kenntnisstand nicht alle erblichen Tumoren dem einfachen Retinoblastommodell mit heterozygotem Genverlust als prdisponierendem und homozygotem Genverlust als tumorauslsendem Schritt. Auerdem ergeben sich inzwischen Hinweise, da der disponierende Schritt nicht unbedingt eine Mutation sein mu, sondern auch eine durch einen anderen Mechanismus, z.B. sog. ,,imprinting“, d.h. durch Methylierung konstitutionell ausgelste Inaktivierung eines elterlichen Allels sein kann. Aufgrund molekulargenetischer und zytogenetischer Befunde werden z.Z. 4 Grundmechanismen bezglich der Art der somatischen Mutationen diskutiert, die der prdisponierenden Mutation folgen knnen: F F
F F
Homozygotierung der heterozygoten Defektmutation eines Tumorsuppressorgens (z.B. Retinoblastom), Inaktivierung der Restaktivitt eines nur hemizygot aktiven Tumorsuppressorgens durch epistatische Wirkung eines anderen mutierten Gens oder durch Virusproteine (z.B. Osteosarkom bei Retinoblastompatienten), heterozygote Deletion oder Mutation eines weiteren Tumorsuppressorgens (Gendosiseffekt) oder Mutation eines Onkogens (z.B. MEN2), genetische Destabilisierung mit erhhter somatischer Mutationsrate bei disponierenden Mutationen von Genen des DNS-Reparatursystems (z.B. HNPCC) (Al-Taie et al. 2001).
Bei einigen Tumorentitten ergeben die bisherigen Befunde Hinweise, da in Abweichung vom blichen Verstndnis von Dominanz bzw. Rezessivitt auch bereits der heterozygote Aktivittsverlust eines TSG zu einem phnotypischen Effekt im Sinne einer Hyperproliferation oder Dysplasie fhren kann. So gibt es bisher keinen sicheren Beweis dafr, da bei der familiren adenomatsen Polyposis coli (FAP) ein homozygoter Defekt des APC-Gens vorliegt. Vielmehr ist entsprechend dem Modell von Vogelstein (Fearon und Vogelstein 1990) fr die polyfokale Hyperplasie eine andere Zweitmutation zu diskutieren; ihr folgt dann eine Sequenz weiterer Mutationen, die in weit ber 90% der Patienten zu einem Kolonkarzinom fhrt. Vergleichbares gilt
5
246
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
fr die NF1-Mutation beim M. Recklinghausen. Denkbar sind mutationsbedingte Gendosiseffekte anderer TSG, die ggf. den gleichen Signal-Transduktionsweg in der Zelle benutzen. Interfamilire Variabilitt, z.B. von Anzahl und Lokalisation der Darmpolypen bei der FAP, oder unterschiedliche Hautsymptomatik beim M. Recklinghausen, lt sich mit nachgewiesenen unterschiedlichen Mutationen des gleichen Gens erklren. Bestimmte Gene, wie p53, knnen je nach Mutationstyp einerseits als Tumorsuppressorgen (vermindertes Genprodukt), andererseits als ,,dominant negatives“ Onkogen (pathologisches Genprodukt inaktiviert das Protein des Wildtypallels) wirken. Offenbar sind jedoch nur bestimmte Mutationsformen in der Lage, die Keimbahn zu passieren, wie beim extrem seltenen LiFraumeni-Syndrom. Interfamilire Variabilitt familirer Tumoren bzw. Tumorsyndrome wird heute weiterhin mit dem Nachweis eng gekoppelter sog. „Supergenkomplexe“ (contiguous genes) erklrt, wobei diese Gene gemeinsam deletiert sein knnen, so z.B. beim WAGR-Syndrom, einer Kombination von Wilms-Tumor und Aniridie mit weiteren Dysmorphien. Beim Bronchialkarzinom, einem der hufigsten Tumoren des Menschen berhaupt, hat sich bisher keine familire Hufung nachweisen lassen, was von der kausalen Wirkung exogener karzinogener Noxen zeugt.
4 Molekulargenetische Diagnostik Die Kenntnis von Lokalisation, Struktur und Mutationstypen der TSG erlaubt in zunehmendem Mae die prventiv-diagnostische Erkennung der Risikopatienten innerhalb betroffener Familien. Dies gilt heute bereits fr F F F F F F F F F
das RB1-Gen beim Retinoblastom, das APC-Gen bei der FAP, die Mismatch-Repair-Gene bei HNPCC, das RET-Gen bei der MEN2A, die BRCA1- und BRCA2-Gene beim Mamma- und Ovarialkarzinom, das NF1-Gen bei der Neurofibromatose Recklinghausen, das VHL-Gen bei der von Hippel-Lindau-Krankheit, das WT1-Gen beim Wilms-Tumor, das p53-Gen beim Li-Fraumeni-Syndrom.
Weitere Gene werden folgen. Eine prventive Bedeutung wird p53 wahrscheinlich nicht erlangen; es hat sich zwar bei rund der Hlfte aller daraufhin untersuchten Tumorentitten als mutiert und damit als frherer oder spterer Schritt der Tumorentwicklung erwiesen. Auer im Rahmen des Li-Fraumeni-Syndroms ist es jedoch bisher nicht als tumordisponierendes Gen bekannt geworden. Klinisch bedeutsam ist aber der Nachweis somati-
5.2
Genetische Pra¨disposition
247
scher p53-Mutationen in Tumorbiopsien fr die pathologische Typisierung, insbesondere die Progressionstendenz von Tumoren (Hernandez-Boussard et al. 1999). Es erscheint zum gegenwrtigen Zeitpunkt jedoch voreilig, berlegungen bezglich eines allgemeinen prventiv-onkologischen Screenings anzustellen, zumal dabei nicht nur medizinische, sondern auch ethische und gesundheitspolitische Probleme zu bedenken sind (Ponder 1999). Derartige Untersuchungen werden jedoch wahrscheinlich innerhalb weniger Jahre groe Bedeutung erlangen, abhngig davon, in welchem Mae es mglich werden wird, die Funktion der Tumorsuppressorgene auf molekularer Ebene aufzuklren und damit pra¨ventiv-therapeutische Konzepte fu¨r die Risikopatienten zu entwickeln. Literatur Al-Taie O, Mrk H, Seufert J et al (2001) Hereditres Non-Polyposis kolorektales Karzinom. Med Klin 96:529…538 Brown MA, Solomon E (1997) Studies on inherited cancers: outcomes and challenges of 25 years. Trends Genet 13:202…206 Fearon ER, Vogelstein B (1990) A genetic model for colorectal carcinogenesis. Cell 61:759…767 Fearon ER (1997) Human cancer syndromes: clues to the origin and nature of cancer. Science 278:1043…1047 Hernandez-Boussard T, Rodriguez-Tome P, Montesano R (1999) IARC p53 mutation database: a relational database to compile and analyze p53 mutations in human tumors and cell lines. Hum Mutat 14:1…8 Knudson AG Jr (1971) Mutation and cancer: Statistical study of retinoblastoma. Proc Natl Acad Sci USA 68:820…823 Knudson AG Jr (1993) Antioncogenes and human cancer. Review. Proc Natl Acad Sci USA 90:10914…10921 Levitt NC, Hickson ID (2002) Caretaker tumor suppressor genes that defend genome integrity. Trends Mol Med 8:179…186 Ponder BA (1999) Costs, benefits and limitations of genetic testing for cancer risk. Br J Cancer 80 (Suppl.):46…50
5
5.3
Beruflich verursachte Tumoren K. Norpoth, H.-J. Woitowitz
1 Einfu¨hrung Bei den in der Bundesrepublik jhrlich neu anerkannten Berufskrebserkrankungen ist ein Anstieg von 95 Fllen im Jahre 1978 auf 530 im Jahre 1988 und auf 1785 im Jahre 2000 zu verzeichnen, in der ehemaligen DDR stieg die Zahl von 137 im Jahre 1978 auf 327 (ohne Wismut AG) im Jahre 1988. Seit Mitte der 90er Jahre bewegen sich die Zahlen im vereinigten Deutschland auf annhernd gleichem Niveau, whrend die Zahl der insgesamt anerkannten Berufskrankheiten rcklufig wurde. Da zur Zeit etwa jede dritte anerkannte Berufskrankheit eine Krebserkrankung ist, drfte sowohl der noch in den 70er Jahren verbreiteten Verwendung krebserzeugender Arbeitsstoffe wie auch der zunehmenden Aufklrung beruflicher Krebsursachen, nicht zuletzt aber der wachsenden Aufmerksamkeit der ˜rzteschaft zuzuschreiben sein. Dennoch besteht kein Zweifel an einer erheblichen Dunkelziffer. Als Ursache gilt vor allem die Schwierigkeit, verwertbare Arbeitsanamnesen nach oft jahrzehntelangem Abstand zwischen beruflicher Einwirkung am Arbeitsplatz und Krankheitsbeginn zu erheben. Nicht wenige Arbeitnehmer erkranken erst im Rentenalter. Die Meldeverpflichtung, die die Berufskrankheitenverordnung nicht nur dem Unternehmer, sondern auch jedem Arzt und Zahnarzt auferlegt, verlangt die unverzgliche Anzeige einer Berufskrankheit bereits bei begrndetem Verdacht. Bei bsartigen Erkrankungen ist ein Urteil darber, ob der Verdacht beruflicher Verursachung als begrndet gelten kann, oft auch dadurch erschwert, da fr spezielle Manifestationen nur unzureichende Kenntnis valider Entscheidungskriterien besteht. Die Arbeitsgruppe „Krebsgefhrdung am Arbeitsplatz“ im ehemaligen Gesamtprogramm zur Krebsbekmpfung der Bundesregierung hat 1994 Gesichtspunkte herausgestellt, die in Zweifelsfllen die Beurteilung erleichtern knnen (Norpoth und Woitowitz 1994). Sie sollen zur vermehrten Prfung arbeitsanamnestischer Gegebenheiten ermutigen. Zur Erleichterung der Entscheidung im Einzelfall wurde dabei von der Lokalisation des Tumors ausgegangen. Die im Folgenden prsentierte bersicht fut auf der Mitteilung vom Jahre 1994, modifiziert und ergnzt sie jedoch nach dem gegenwrtigen Stand der um mehrere Krebskrankheiten erweiterten aktuellen Liste der Berufskrankheiten und nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Sie basiert auf dem im Literaturanhang angegebenen Schrifttum. Ein Abschnitt ber Kombinationswirkungen bei der beruflichen Krebsinduktion ist neu aufgenommen.
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
249
Die in den einzelnen Abschnitten angefhrten gefhrdenden Ttigkeiten sind zum Teil heute nicht mehr gegeben, mssen aber fr zurckliegende Zeitrume in Betracht gezogen werden. Ihre Kenntnis erlaubt darber hinaus im Einzelfall bisweilen den Analogieschlu bei neuen Gefhrdungen. Der berblick gliedert sich wie folgt: F F F F F F F
Tumoren des Atemtraktes, bsartige Tumoren und Prneoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems, Tumoren der ableitenden Harnwege, Hauttumoren, Tumoren des Gastrointestinaltraktes, sonstige Krebsformen, Kombinationswirkungen bei der Verursachung beruflich bedingter Krebserkrankungen (Synkanzerogenese).
2 Tumoren des Atemtraktes Tumoren des Atemtraktes, d.h. Karzinome der Nase und Nasennebenhhlen, des Kehlkopfes und der Lunge sowie das Pleuramesotheliom … fr jeden Mesotheliomfall ist eine rztliche Anzeige einer Berufskrankheit obligat …, sollten stets Anla sein, gezielte Fragen zur Arbeitsanamnese zu stellen, da der beruflich bedingte Anteil unter diesen Tumoren relativ hoch eingeschtzt wird. Tumoren des Atemtraktes stehen hinsichtlich ihrer Hufigkeit an der Spitze aller beruflich bedingten Krebserkrankungen. Nach Doll und Peto (1981) sind sie um ca. eine Zehnerpotenz hufiger als die beiden in der Rangfolge der Hufigkeiten nchstfolgenden Berufskrebse, die Leukmien und die Urotheltumoren. 2.1 Ta¨tigkeitsbereiche Der Verdacht, da eine Tumorerkrankung des Atemtraktes urschlich durch vorausgegangene Einwirkung karzinogener Noxen am Arbeitsplatz bedingt ist, kann aus der anamnestisch gesicherten Ttigkeit in einem der in Tabelle 1 aufgefhrten Bereiche bereits hinlnglich begrndet sein. In Anbetracht der oft langen Latenzzeiten sind dabei auch Bereiche zu bercksichtigen, in denen mglicherweise heute die ehemals gegebenen Risiken gemindert oder eliminiert worden sind. Lt sich eine entsprechend langjhrige Einwirkung am Arbeitsplatz eruieren, so sollte unverzglich die Verdachtsanzeige erstattet werden.
5
250
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 1. Ta¨tigkeiten in Branchen und Arbeitsbereichen, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung begru¨nden ko¨nnen Branche
Arbeitsbereich
Krebslokalisation
Krebserzeugender Stoff
Land- und ForstWeinbau, Anwendung arsenwirtschaft, Fischerei haltiger Insektizide
Lunge
Arsen(verbindungen)
Bergbau
Lunge Arsen(verbindungen) Lunge, Mesotheliom Asbestfaserstaub des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopf Lunge Radon(isotope)
Arsengewinnung Asbestgewinnung
Uran- und Ha¨matitbergbau Herstellung von AsbestAsbestproduktion und Herstellung von zementprodukten fu¨r den Hoch- und Tiefbau, IsolationsAsbestprodukten material, Filtermaterial, Asbesttextilien, -dichtungen und -pappen, Asbestbremsund Kupplungsbela¨gen
Lunge, Mesotheliom Asbestfaserstaub des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopf
Metallerzeugung und -bearbeitung
Lunge Lunge Lunge Lunge
Arsen(verbindungen) Chromate Chromate Chromate, Nickel
Kehlkopf, Lunge
Schwefelsa¨urehaltige Aerosole Beryllium Nickel
Kupferschmelze Chromatproduktion Verchromung Chromnickelstahlproduktion und Schweißen von Chromnickelstahl Stahloberfla¨chenbehandlung, Zinnmu¨hlen Luftfahrtindustrie Nickelraffination, Herstellung von Nickellegierungen, Katalysatoren
Lunge Nasopharynx, Lunge
Lunge, Mesotheliom Asbestfaserstaub des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopf
Schiffbau
Schiffbau- und Dockarbeiten
Kunststoffindustrie, keramische Industrie, Farbstoffproduktion, Papierherstellung
Lunge, Kehlkopf Verwendung von asbesthaltigem Talkum als Fu¨llstoff, Zuschlagstoff, Wirkstofftra¨ger (Kosmetika, Arzneimittel), Hilfsmittel bei der Produktion, Abbau talkhaltiger Minerale
Asbestfaserstaub (Talkum?)
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
251
Tabelle 1. (Fortsetzung) Branche
Arbeitsbereich
Krebslokalisation
Lunge Chemische Industrie Produktion von Farben und Farbpigmenten (Metallbeschichtung) Pigmentherstellung Lunge Herstellung von Benzoylchlorid Lunge
Herstellung und Anwendung von Bis(chlormetyl)ether (BCME) und Monochlordimethylether (MCDME) Herstellung von Isopropylalkohol („strong acid process“) Herstellung von Chromatpigmenten Vinylchloridherstellung
Lunge (Haferzellkarzinom)
Krebserzeugender Stoff Cadmium und seine Verbindungen Chromate Ruß Technische Gemische aus Chlortoluolen und Benzoylchlorid BCME, MCDME
Nasennebenho¨hlen
Nicht identifiziert
Lunge
Chromate
Leber, Lunge
Vinylchlorid
Herstellung von Pestiziden und Herbiziden
Herstellung und Verpackung Lunge von arsenhaltigen Insektiziden
Arsen(verbindungen)
Gasindustrie
Kokerei Gaswerk
Lunge, Kehlkopf Lunge, Kehlkopf
PAH Pyrolyseprodukte (PAH)
Lunge, Kehlkopf
PAH
Baustoffherstellung, Graphitelektrodenherstellung, Brennstoffherstellung Ledergewerbe
Lederbe- und -verarbeitung
Holzbe- und -verarbeitung (Buche, Eiche)
Werksta¨tten, Mo¨belproduktion, Nasennebenho¨hlen Schreiner, Zimmerer, Parkettverlegung, Kunstschreinerei
Nasennebenho¨hlen
Lederstaub Buchen- und Eichenholzstaub
Herstellung, Erprobung und Vernichtung von Kampfstoffen
Lunge, Pharynx
Lost (Senfgas), Blaukreuz (Arsenik)
Glasindustrie
Glasschmelzen
Lunge
Arsen(verbindungen), Asbestfaserstaub
Andere
Dachdecker, Asphaltarbeiter, Schwarzdeckenbau, Schornsteinfeger
Lunge, Kehlkopf
PAH
5
252
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
2.2 Arbeitsstoffe Der Verdacht kann durch anamnestische Hinweise auf Einwirkungen der in Tabelle 2 aufgelisteten Stoffe … unabhngig von der Beschftigung in bestimmten Gewerbezweigen … begrndet sein. Weiterhin sind auch Stoffe zu bercksichtigen, die unter Umstnden in lange zurckliegenden Zeitrumen an Arbeitspltzen inhaliert werden konnten (s. Abschn. 2.3). Die Ermittlung einzelner Stoffe kann sich in der rztlichen Praxis zeitaufwendig gestalten und an mangelnder Kenntnis der Beteiligten scheitern. Sie ist auch dadurch erschwert, da oft Synonyme gebraucht werden, deren Bedeutung nur dem Fachmann verstndlich ist. Daher empfiehlt es sich, im Zweifelsfall den technischen Aufsichtsbeamten der zustndigen Berufsgenossenschaft unter Hinweis auf Tabelle 2 im Rahmen der Amtsermittlung um Auskunft zu bitten. Es sei ausdrcklich betont, da die Nachforschungen sich nicht auf die Substanzen beschrnken sollten, die als erwiesene Humankarzinogene gelten oder fr die es eine entsprechende Nummer in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) gibt. Nach § 551 Abs. 2 RVO sind Anerkennungen von Bronchialkarzinomen als Berufskrankheit nach Exposition gegenber Nickel, Teerstaub und -dmpfen, Kokereirohgasen sowie bei Berufen wie Dampflokschlossern u.a. erfolgt, bevor es zu einer Aufnahme entsprechender Berufskrankheitennummern in die Berufskrankheitenliste kam. Entsprechende Mglichkeiten sieht derzeit die ffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII vor. 2.3 Einwirkungs- und Latenzzeiten Fr Humankarzinogene kann keine (noch) als unbedenklich anzusehende Konzentration angegeben werden. Plausiblerweise wird aber mit ansteigender Gesamtdosis (Strke der Einwirkung und Dauer) die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges grer. Wesentlich mit urschliche Einwirkungszeiten bei beruflich bedingten Tumoren scheinen darber hinaus in Verbindung mit der karzinogenen Potenz der Stoffe und ihrer Konzentration am Arbeitsplatz, mit dem Lebensalter, in dem die Einwirkung stattfand, mit individuellen und anderen intervenierenden Faktoren zu variieren. In Tabelle 3 sind die krzesten empirischen Einwirkungszeiten bei Krebskrankheiten des Atemtraktes angegeben. Hinzuweisen bleibt auf die Tatsache, da einer zentralen berufsgenossenschaftlichen Erfassungsstelle, genannt ODIN, detaillierte Mitteilung ber jeden Versicherten zu machen ist, der lnger als 6 Monate der Einwirkung krebserzeugender Arbeitsstoffe ausgesetzt war. Auch die minimalen Latenzzeiten (Tabelle 3) variieren mehr oder minder stark, und zwar in Abhngigkeit von den schon bei den Einwirkungszeiten genannten Variablen.
5.3
253
Beruflich verursachte Tumoren
Tabelle 2. Erga¨nzende Aufstellung krebserzeugender Noxen mit gesichertem oder vermutetem Kausalzusammenhang hinsichtlich beruflich bedinger Tumoren des Atemtraktes und des Peritoneums Gesicherter Kausalzusammenhang
Nase, Nasennebenho¨hlen
Kehlkopf Lunge
Arsentrioxid und Arsenpentoxid, arsenige Sa¨uren, Arsensa¨ure und ihre Salze
+
Asbestfaserstaub (Chrysotil, Krokydolith, Amosit, Anthophylit, Tremolit)
+
Beryllium und seine Verbindungen
+ +
Bis(chlormethyl)ether (Dichlordimethylether)
+
Bitumen (teer-, pech- oder teero¨lhaltig)
+
Cadmium und seine Verbindungen (Cadmiumoxid, Cadmiumsulfat, ferner Cadmiumsulfid)
+
Eichen- und Buchenholzstaub
+
Lederstaub
+
Monochlordimethylether (technisch mit bis zu 7% Dichlordimethylether) Nickel (in Form atembarer Sta¨ube/Aerosole von Nickelmetall, Nickelsulfid und sulfidischen Erzen, Nickeloxid und Nickelkarbonat, wie sie bei der Herstellung und Weiterverarbeitung auftreten ko¨nnen) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH), insbesondere in Pyrolyseprodukten (s. dort)
+ +
+
+
Quarzstaub bei Silikose 1/1 ILO
+
+
Radioaktive Stoffe: Radon, Uran, Thorium Schweißrauche (bei Schweißern mit ChromNickel-Elektroden, sog. Mantelelektroden)
+ +
+
Schwefelsa¨urehaltige Aerosole Senfgas (b,b’-Dichlordiethylsulfid)
+
Stickstofflost (b,b’-Dichlordiethylalkylamin)
+
Lostgruppe (b,b’-Dichlordiethylgruppe) Passivrauchen Pyrolyseprodukte, insb. in Braunkohlenteer, Steinkohlenteer, Steinkohlenteerpech, Steinkohlenteero¨len und Kokereirohgasen
Rippenfell, Bauchfell
+ +
+
+
5
254
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 2. (Fortsetzung) Gesicherter Kausalzusammenhang
Nase, Nasennebenho¨hlen
Kehlkopf Lunge
Technische Gemische aus Chlortoluolen und Benzoylchlorid Zinkchromat
Rippenfell, Bauchfell
+ +
+
Vermuteter Kausalzusammenhang aufgrund tierexperimenteller Befunde, die unter Bedingungen der menschlichen Exponierung erhoben wurden Acrylnitril Antimonverbindungen Cadmiumchlorid (in Form atembarer Sta¨ube oder Aerosole) Chrom(VI)-Verbindungen (in Form von Sta¨uben/Aerosolen, ausgenommen die in Wasser praktisch unlo¨slichen, wie z.B. Bleichromat, Bariumchromat) Chloropren (2-Chlorbutadien) Chromcarbonyl Chrom-III-Chromate Chromtrioxid Dieselmotoremissionen Dimethylcarbamidsa¨urechlorid Dimethylsulfat Epichlorhydrin (1 Chlor-2,3-epoxypropan) Hexachlorcyclohexan Holzstaub (außer Buchen- und Eichenholzstaub) Isopropylo¨l (Ru¨ckstand bei der iso-Propylalkohol-Herstellung) Kobaltverbindungen Ku¨hlschmierstoffe, die Nitrit oder nitritliefernde Verbindungen und Reaktionspartner fu¨r Nitrosaminbildung enthalten Nickeltetracarbonyl Strontiumchromat (als Ausgangsstoff bei technischen Prozessen) 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin 2,4,7-Trinitrofluorenon
Angaben ber minimale Einwirkungs- und Latenzzeiten und damit auch die der Tabelle 3 sind also immer Mitteilungen, bei denen im speziellen Einzelfall Abweichungen in Betracht zu ziehen sind.
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
255
Tabelle 3. Ku¨rzeste Expositions- und Latenzzeiten (in Jahren). (Nach Mertens et al. 1998, Versen 1979, Frumkin et al. 1983) Einwirkungszeiten
Latenzzeiten
Arsen
0,5
3
Asbestinduziertes Mesotheliom
1 Tag (wenn exzessiv)
> 11
Asbestinduzierter Lungenkrebs
0,25
8
Bis(chlormethyl)ether
2
8
Eichen- und Buchenholzstaub
5
7
Monochlordimethylether
3
10
Nickel
1
5
Radioaktive Stoffe, ionisierende Strahlen
10
Senfgas
10
Teere, Peche
3
4
Vinylchlorid
5
11
Chrom-VI-Verbindungen
2
4
2.4 Konkurrierende Risiken Auch bei anamnestischen Hinweisen auf krebsgefhrdende Ttigkeiten und Stoffe kann der Verdacht auf eine beruflich verursachte Krebserkrankung unbegrndet sein, wenn konkurrierende auerberufliche Ursachen sehr stark berwiegen. Bei Tumoren des Atemtraktes wird eine Gewichtung konkurrierender Ursachen oftmals insbesondere im Hinblick auf die Rauchgewohnheiten erforderlich. Dabei ist zu bercksichtigen, da Raucher nicht aufgrund ihrer Genugewohnheit bereits ihren Versicherungsschutz verlieren. In Fllen nachgewiesener Kombinationswirkungen (z.B. inhalatives Rauchen und Asbestexposition) ist eine berufliche Exposition, die zur Krebsinduktion ausreicht, als wesentliche Teilursache der Erkrankung anzusehen. Da ansonsten die Abwgung hufig zeitaufwendige Ermittlungen und schwierige Rekonstruktionen oder quantitative Abschtzungen der Risiken voraussetzt, sollte die Verdachtsmeldung im Zweifelsfall nicht zurckgehalten werden. 2.5 Synkanzerogene Kombinationseffekte Untersucht ist der Kombinationseffekt von Rauchen und beruflicher Exposition gegenber Radioisotopen, Asbestfaserstaub, Arsen(verbindungen) und Bischlordimethylether (BCME)/Monochlordimetylether (MCDME). Dabei ergeben sich teils additive, teils beradditive Effekte.
5
256
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
2.6 Histologische Subtypen der beruflich bedingten Lungenkarzinome Rauchen ist assoziiert mit allen histologischen Subtypen. Obwohl es vereinzelt Studien gibt, die die Dominanz bestimmter histologischer Subtypen mit bestimmten beruflichen Einwirkungen herausstellen, sind die Verhltnisse i. allg. noch unklar, zumal sowohl Mischexpositionen (Rauchen!) als auch histologische Mischtypen przise Abgrenzungen erschweren. 2.7 Neuere Erkenntnisse In jngerer Zeit wird ein Kausalzusammenhang zwischen folgenden beruflichen Einwirkungen und bestimmten Krebskrankheiten diskutiert bzw. bereits angenommen: F F
F F
Bronchialkarzinome bei Schuhmachern nach langjhriger Exposition gegenber Lederstuben, Bronchialkarzinome nach Einwirkung aromatischer Amine, wenn diese Urotheltumoren verursacht haben (Bronchialkarzinome als Zweittumoren bzw. als sog. sekundre Primrtumoren), Hufungen von Kehlkopfkarzinomen in bestimmten Arbeitsbereichen der Gummiindustrie, Atemwegskrebs durch Nitrosamine.
3 Bo¨sartige Tumoren und Pra¨neoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems Grundstzlich sollten alle bsartigen Erkrankungen des blutbildenden und lymphatischen Systems an eine berufliche Genese denken lassen. Insbesondere gilt dies fr Leukmien (AML, CML, ALL einschlielich aller Unterformen), Non-Hodgkin-Lymphome (einschlielich CLL, Plasmozytom) sowie auch kutane maligne Lymphome (z.B. Mycosis fungoides, SØzarySyndrom). Neben der CML knnen auch andere myeloproliferative Erkrankungen (Polycythaemia vera, Thrombozythmie und Osteomyelofibrose) beruflich bedingt sein. 3.1 Gesicherter Kausalzusammenhang 3.1.1 Benzol
Der Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Benzol am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Leukmien und Lymphomen, auch von Plasmozytomen, ist versicherungsrechtlich anerkannt. Ta¨tigkeitsbereiche. Benzol wird in grerem Umfang durch Destillation aus Rohl oder Petroleum in Raffinerien oder aus Steinkohlenteer in Kokereien und Gasanstalten gewonnen. In frheren Jahrzehnten erfolgte ubiquitre Anwendung als Extraktions-, Entfettungs-, Reinigungs- und Lsungsmittel
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
257
sowie beim Lackieren (meist enthalten in schnelltrocknenden Einkomponentenlacken der frheren Jahre), Lack- und Farbentferner, bei der Motorund Metallreinigung sowie beim Abbeizen. Auch bei der Herstellung von Gummi und Kunststoffen wurde Benzol eingesetzt, ferner als Lsungsmittel von Druckfarben, zum Vulkanisieren sowie zum Kleben von Gummi und Gummiprodukten. Benzol ist wichtiges Ausgangsmaterial fr chemische Synthesen. Hufig wird es in chemischen Laboratorien verwendet, auch in der Uhrenindustrie zum Lsen von Leuchtfarbe. Als Handelsprparat ist Benzol oft lediglich Teil eines Gemisches. Es ist auch in Zubereitungen enthalten, deren Handelsname nicht darauf schlieen lt. Lacke und Lsungsmittel enthielten bis ca. 1951 > 0,5%, bis ca. 1969 bis 0,5%, bis 1981 ca. 0,1%. Benzolanteile sind ferner in technischem Xylol und Toluol, aber auch in Benzin enthalten. Reintoluol, das der DIN16513 entsprach, enthielt in den Jahrzehnten vor 1980 0,3% Benzol, von 1980 bis 1988 mehr als 500 mg/kg, von 1989 bis 1993 50…200 mg/kg, nach 1993 nur noch 50 mg/kg. Ottokraftstoff enthielt in den 60er Jahren bis zu 20% Benzol. Der Anteil kann heute noch mehr als 1% betragen (Durchschnitt 1985 ca. 2,5%, 1996 ca. 1,8%). Die Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, da seit den 60er Jahren zunehmend stringentere Schutzmanahmen ergriffen wurden. Nach wie vor ist auf die Freisetzung von Benzol bei Pyrolyseprozessen zu achten. Dies gilt auch fr die krpernahe Handhabung von Kleinmotoren (z.B. Motorsgen) ohne Atemschutz. Eine Latenzzeit von mindestens 5 Jahren zwischen Erstexposition und Erkrankungsbeginn ist zu fordern. Manchmal lassen sich Bru¨ckensymptome wie Anmie, Leukopenie oder Thrombozytopenie im Intervall nachweisen. Weitere Hinweise knnen aus der Tatsache bzw. den Ergebnissen von entsprechenden arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen gewonnen werden. 3.1.2 Ionisierende Strahlen
Der Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung ionisierender Strahlen am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Prleukmien, Leukmien, Lymphomen und Plasmozytomen (mit Ausnahme der CLL) ist gesichert. Dies gilt insbesondere fr den Einsatz ionisierender Strahlen zu medizinischen, diagnostischen und therapeutischen Zwecken einschlielich der Applikation von festen (z.B. Radium, Iridium) und flssigen bzw. kolloidalen radioaktiven Stoffen (z.B. Radiogold, Radiojod). Ta¨tigkeitsbereiche. Bei der Herstellung, Prfung und Anwendung diagnostischer und therapeutischer Rntgengerte sollte mehr als nur eine gelegentliche Einwirkung von Rntgenstrahlen vorgelegen haben. Eine besondere Gefhrdung bestand bei Durchleuchtungsgerten frherer Jahre ohne Bild-
5
258
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
verstrker; spezielle unfallartige Strahleneinwirkungen sind zu bercksichtigen. Nach chronischen Lokalschden in Form von Hautatrophien, Haarverlust, Hodenschdigung oder Nagelwachstumsstrungen ist zu fahnden. Zu beachten sind der technische Einsatz von Rntgenstrahlen (Industrierntgen), z.B. zur berprfung von Schweinhten, bei Dichtemegerten, Prfstrahlern, Eichstrahlern etc., ebenso wie Ttigkeiten in der Kerntechnik, in kerntechnischen Laboratorien und an Teilchenbeschleunigern. Herausragende Risiken bestanden im schsisch-bhmischen Uranbergbau, d.h. im Bereich der Wismut AG und in den zugehrigen Aufbereitungsanlagen. Gleiches gilt fr die Herstellung und Anwendung radioaktiver Stoffe in Technik und Forschung (z.B. als Leuchtfarben fr Skalen und Zeiger von Uhren) oder fr den Umgang mit Thoriumlegierungen. 3.1.3 Zytostatika, Lost
Der Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Zytostatika und Lost am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Leukmien und Lymphomen ist gesichert. Ta¨tigkeitsbereiche. Es sollte mehr als nur eine gelegentliche uere Einwirkung von Zytostatika vorgelegen haben. Eine jahrelange Einwirkung ohne oder mit nur geringen Schutzmanahmen ist zu fordern. Dies gilt sowohl fr die Herstellung, Erprobung und Entsorgung von Zytostatika in pharmazeutischen oder chemischen Betrieben als auch fr die Behandlung von Erkrankten einschlielich der Entsorgung von Zytostatikaabfllen. Bei der Einwirkung von Lost am Arbeitsplatz sind sowohl Beschftigungen bei der Herstellung als auch die Erprobung und Vernichtung von Lost (z.B. in der Heeresmunitionsanstalt Munster) zu bercksichtigen.
3.2 Wahrscheinlicher Kausalzusammenhang Der Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz und dem Auftreten von lymphatischen Neoplasien einschlielich Plasmozytomen wird von einer Reihe von Autoren fr wahrscheinlich gehalten. Ta¨tigkeitsbereiche. Ttigkeiten im Asbestbergbau und in Mhlen im Ausland, z.B. in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Anlieferung erfolgte frher in loser Form bzw. in Jutescken, seit Anfang der 70er Jahre gepret in Kunststoffscken. Gefhrdungen bestanden sowohl bei Schiffsentladungen als auch beim Transport, bei der Weiterverarbeitung in Asbestbetrieben, beim Einsatz von Asbest als Feuerschutz- und Isolierstoff (insbesondere als Spritzasbest) z.B. in Schiffen und Kraftwerken, aber auch in Gebuden oder in Waggons der Bundesbahn. Besondere Gefhrdung besteht auch
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
259
beim Abri asbesthaltiger Isolationen sowie beim Einsatz von Asbesttextilien als Abdeckmatten beim Schweien oder als Handschuhe, Schrzen und Schutzanzge in Hitzebetrieben. Bei der Herstellung und Anwendung von Asbestzementprodukten bestand starke Staubeinwirkung, z.B. beim maschinellen Sgen, Bohren, Schleifen und Frsen. Bei der Herstellung und Bearbeitung von Brems- und Kupplungsbelgen sowie beim Ausblasen von Bremstrommeln war mit einer Gefhrdung zu rechnen. Weitere sehr zahlreiche (ca. 3000) Einzelanwendungen (z.B. als Dichtungen) knnen hier nicht katalogisiert werden, sind aber teilweise in Tabelle 1 aufgelistet. Zum Nachweis von Asbestfaserstaubeinwirkungen sollten ggf. Asbestinhalationsfolgen wie Pleuraplaques, typische beiderseitige diffuse Pleuraverdickungen oder auch eine Lungenfibrose (Lungenasbestose) mit bercksichtigt werden. Eine Latenzzeit von etwa 10 Jahren ist zu fordern. 3.3 Mo¨glicher Kausalzusammenhang Von einigen Autoren wird ein Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Herbiziden am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Hodgkinund Non-Hodgkin-Lymphomen diskutiert. Die Hinweise auf den Zusammenhang haben sich in jngster Zeit verdichtet. Ta¨tigkeitsbereiche. Chlorphenole und Phenoxysuren werden mit anderen Herbiziden ubiquitr in der Landwirtschaft eingesetzt, meistens zusammen mit zahlreichen anderen Agrochemikalien. Eine Abgrenzung ist im Einzelfall hufig nicht mglich. Mit einer Einwirkung ist insbesondere zu rechnen, wenn ber Jahre hinweg Herbizide ohne gengenden Atemschutz in greren Mengen versprht wurden. Chlorphenole wurden auch zum Holzschutz eingesetzt mit entsprechender Gefhrdung von Holzarbeitern und Beschftigten in holz- und papierverarbeitenden Betrieben. Eine Gefhrdung bestand fr Beschftigte auch bei der Herstellung von Herbiziden in chemischen Betrieben. Fr weitere Stoffe (z.B. Ethylenoxid, Butadien) wurde ber eine leukmogene bzw. lymphominduzierende Wirkung in Tierversuchen berichtet. Nach Einwirkung von Ethylenoxid kommt daher eine Leukoseerkrankung als Berufskrankheit in Betracht.
3.4 Konkurrierende Risiken Bei verschiedenen Erkrankungen und nach bestimmten therapeutischen Manahmen ist das Risiko fr Leukmie- und Lymphomerkrankungen teilweise erheblich erhht. Zu den Erkrankungen zhlen u.a. das Bloom-Syndrom, angeborene Immundefektsyndrome, Autoimmunerkrankungen (z.B. Kollagenosen), Thymussyndrome und HIV- und HTLV1-Infektionen. Auch nach Therapie mit Immunsuppressiva, Zytostatika, Radiophosphor
5
260
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
und Antirheumatika (mindestens 5…10 Jahre Therapie bei rheumatoider Arthritis) treten gehuft Leukmien und Lymphomerkrankungen auf, desgleichen nach vorangehender Therapie mit Rntgenstrahlen, Diagnostik mit Thorotrast und umfangreicher Rntgendiagnostik (weit mehr als 100 Aufnahmen oder Durchleuchtungen). Entsprechende Malignome werden ebenso nach jahrelanger Dialyse und nach Organtransplantationen beschrieben. Nach familiren Hufungen sollte ebenfalls gefragt werden. Die Verdachtsmeldung sollte im Zweifelsfall jedoch nicht zurckgehalten werden, da ein Zusammenwirken verschiedener beruflicher und auerberuflicher Ursachen fr jeden Einzelfall qualifiziert beurteilt werden mu.
4 Urotheltumoren Aufgrund einer ausfhrlich begrndeten Datenanalyse schtzen Doll und Peto (1981), da 10% der Harnblasentumoren bei Mnnern und 5% bei Frauen auf berufliche Exposition zurckzufhren sind. In der BRD wurden in einem Zeitraum von 10 Jahren (1969…1978) 230 Flle von Harnblasenkarzinomen als Berufskrankheit angezeigt. Bei 107 von ihnen wurde eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 BKV … Schleimhautvernderungen, Krebs oder andere Neubildungen der ableitenden Harnwege durch aromatische Amine … anerkannt. In demselben Zehnjahreszeitraum verstarben 43697 Personen an einer bsartigen Neubildung der ableitenden Harnwege. Im Zeitraum von 1978 bis 2000 wurden weitere 948 Krebserkrankungen nach Nr. 1301 BKV anerkannt, 53 davon zwischen 1991 und 2000 in den neuen Bundeslndern. 4.1 Ta¨tigkeitsbereiche Der Verdacht, da eine Tumorerkrankung der Harnblase oder der ableitenden Harnwege urschlich durch vorausgegangene Einwirkung kanzerogener Noxen am Arbeitsplatz verursacht ist, kann aus der anamnestisch gesicherten Ttigkeit in einem der in Tabelle 4 aufgefhrten Berufsfelder bereits hinlnglich begrndet sein. In Anbetracht der oft langen Latenzzeiten sind dabei auch Ttigkeitsbereiche zu bercksichtigen, in denen mglicherweise heute die ehemals gegebenen Risiken gemindert oder eliminiert wurden. Lt sich eine entsprechende langjhrige Berufsttigkeit eruieren, so sollte Anzeige erstattet werden.
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
261
Tabelle 4. Ta¨tigkeitsbereiche, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege begru¨nden ko¨nnen Chemische und pharmazeutische Industrie Synthese, Produktion, Lagerung und Verteilung von Farbstoffen oder Produkten, die krebserzeugende Farbstoffe (u.a. als Verunreinigung) enthalten (z.B. Herstellung von Fuchsin) Reparatur- und Wartungsarbeiten mit spezifischer Einwirkung Laborarbeiten mit spezifischer Einwirkung *
*
*
Lederverarbeitung Schuh- und Lederwarenherstellung Fa¨rbung Verarbeitung gefa¨rbten Leders Gerben und Zurichten * * * *
Sonstige Ta¨tigkeiten Schlosserhandwerk Druckereien Metallverbinder Mineralo¨lverarbeitung Kokereien Gaswerke Gasretortenha¨user Großfeuerungsanlagen Raffinerien Bauwirtschaft (Maurer, Betonbauer), insb. Straßenbau (Schwarzdeckenbau) Verwendung von Teer, Mischbitumen, Asphalt (auch durch Dachdecker) Schornsteinfeger Feinmechanik und Elektrotechnik Gas, Fernwa¨rme, Wasser Verkehr Maschinisten
* * *
Gummiindustrie Fra¨sen Latexproduktion Reifenvulkanisation Kalandern Regeneratherstellung Kabelproduktion
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*
*
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*
*
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*
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*
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Farbanwendung im Malerhandwerk Anstrich, insbesondere Spritzlackieren Anmischen von Farben, insbesondere vor 1960 Entfernen a¨lterer Farbschichten vor Neuanstrich
* *
*
*
* * * * *
Textilindustrie Fa¨rberei Druckerei Textilbehandlung und -zurichtung
* * *
4.2 Arbeitsstoffe Der Verdacht kann ferner durch anamnestische Hinweise auf Gefhrdungen durch bestimmte aromatische Amine sowie aromatische Nitro- und Azoverbindungen begrndet sein. Tabelle 5 kann als Hilfe zur Unterscheidung gesicherter oder potentieller Kanzerogene dieser Stoffklassen von bisher nicht als kanzerogen verdchtigten aromatischen Verbindungen dienen. Wiederum sind auch Stoffe zu bercksichtigen, die in zurckliegenden Zeitrumen an Arbeitspltzen ber die Atemwege oder Haut aufgenommen werden konnten (s. Abschn. 2.3). Die Ermittlung einzelner Stoffe kann in der rztlichen Praxis zeitaufwendig werden und an mangelnder Kenntnis des Patienten scheitern. Sie ist auch dadurch erschwert, da oft Synonyma
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 5. Arbeitsstoffe (und Arbeitsprozesse), die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege begru¨nden ko¨nnen, unterteilt nach dem Grad des bisher erforschten Kausalzusammenhanges Gesicherter Kausalzusammenhang 4-Aminodiphenyl Benzidin 2-Naphthylamin 4-Chlor-o-toluidin Auraminherstellung Fuchsinherstellung 4,4’-Methylen-bis-(2-chloranilin) (MOCA): Anerkennung ausgesprochen aufgrund toxikologischer Begru¨ndung Krebserzeugende Arzneistoffe (alkylierende Zytostatika)
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3,3’-Dimethylbenzidin 3,3’-Dimethoxybenzidin 3,3’-Dichlorbenzidin N,N’-Diacetylbenzidin 2,4-Diaminotoluol 3,3’-Dichlor-4,4’-oxydianilin 2,6-Diethoxy-2-naphthylamin 3,3’-Dimethyl-4,4’-diaminodiphenylmethan 4,4’-Methylen-bis (2-chloranilin) 4,4’-Methylen-bis (N,N’-di-methylanilin) 4-Nitrobiphenyl 2-Nitronaphthalin 4,4’-Oxydianilin m-Phenylendiamin o-Phenylendiamin N-Phenyl-2-naphthylamin 4,4’-Thiodianilin o-Toluidin 2,4-Toluylendiamin 2,4,5-Trimethylanilin und sein Hydrochlorid
Vermuteter Kausalzusammenhang aufgrund tierexperimenteller Befunde o-Aminoazotoluol 2-Amino-4-nitrotoluol Auramin Azofarbstoffe aus doppelt diazotiertem Benzidin 4-Chloranilin N,N-bis(2-chlorethyl)2naphthylamin Mo¨glicher Kausal4,4’-Carbonimidoyl-bis zusammenhang (N,N-dimethylanilin) und Aminobenzol sein Hydrochlorid 4-Amino-3-Nitrophenol 4-Chlor-o-phenylendiamin Anilin p-Cresidin Basic Violet 3 2,4-Diaminoanisol (Kristallviolett) * * *
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5-Chlor-o-toluidin 3,3’-Diaminobenzidin und sein Tetrahydrochlorid 4,4’-Diaminodiphenylmethan 4,4’-Diaminodiphenylsulfon 4-Dimethylaminoazobenzol N,N-Dimethylanilin Dinitrobenzole (alle Isomeren) Dinitronaphthaline (alle Isomeren) Direct Blue 218 Magenta (Fuchsin) 4,4’-Methylen-bis (N,N’-dimethylanilin) 4,4’-Methylen-bis (N,N’-dimethylbenzylamin) 2-Methyl-1-nitroanthrachinon 5-Nitro-o-toluidin und sein Hydrochlorid 2-Nitro-4-aminophenol 1-Nitronaphthalin 1-Nitro-p-phenylendiamin p-Phenylendiamin N-Phenyl-2-naphthylamin 2,2’–5,5’-Tetrachlorbenzidin 2,4,7-Trinitrofluorenon Trinitrotoluol 2,4-Xylidin N-Butyl-N(4-hydroxybutylnitrosamin)
gebraucht werden, deren Auflistung den Rahmen der Tabelle sprengen wrde. Wichtig erscheint, da 2-Naphthylamin auch als Komponente, Verunreinigung oder Metabolit aus anderen Arbeitsstoffen in den Organismus gelangen kann (Tabelle 6).
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
263
Tabelle 6. 2-Naphthylamin als Komponente, Verunreinigung bzw. Metabolit anderer Arbeitsstoffe *
* *
*
Nonox S (verwendet in der Kautschuk- und Reifenindustrie): enthielt bis zu 2500 ppm 2-Naphthylamin, wurde bis Mitte der 50er Jahre in der BRD verwendet. Danach noch Einwirkungen aus Gummiprodukten (Reifen), die unter Verwendung von Nonox S hergestellt worden waren 1-Naphthylamin: enthielt bis Ende der 60er Jahre 5% 2-Naphthylamin Phenyl-2-naphthylamin: bis zu 3ppm 2-Naphthylamin als Verunreinigung, geringe Freisetzung auch als Metabolit im Organismus Ausgangsprodukt bei der Herstellung eines Rattengifts (Naphthylthioharnstoff = ANTU), das beruflich (Kammerja¨ger) verwendet wurde
4.3 Einwirkungs- und Latenzzeiten Bei den berufsgenossenschaftlich als Berufskrebserkrankung anerkannten Fllen von Urotheltumoren in der BRD finden sich Einwirkungszeiten zwischen 0,3 und 33 Jahren. Als Mittelwert werden 12,2 Jahre angegeben. Die Angaben der mittleren Latenzzeiten liegen in der Literatur zwischen 12 und 50 Jahren. Die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie berblickt in ihrer Dokumentation Latenzzeiten zwischen 7 und 48 Jahren bei einem Mittelwert von 29 Jahren. Bereits 1954 wurde ber Flle mit Latenzzeiten von weniger als 5 Jahren berichtet. Dabei drfte es sich um hohe Einwirkungen gehandelt haben. 4.4 Bru¨ckensymptome und weitere Hinweise Im Hinblick auf Brckensymptome bzw. Hinweise auf Einwirkungen, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege weiter begrnden helfen knnen, haben sich die Fragen in Tabelle 7 als geeignet erwiesen: Tabelle 7. Fragen nach Bru¨ckensymptomen bzw. Hinweisen auf Einwirkungen am Arbeitsplatz. Bei Bejahung wird der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung besta¨rkt 1. Hatten Sie einmal (oft) u¨ber einige Tage (la¨ngere Zeit) Schmerzen beim Wasserlassen? 2. Hatten Sie einmal (des o¨fteren) Blut im Harn? 3. Wurden bei Ihnen im Zusammenhang mit Ihrer Berufsta¨tigkeit Zeichen der Zyanose (Blausucht) festgestellt? 4. Wurde bei Ihnen im Zusammenhang mit Ihrer Berufsta¨tigkeit eine Umwandlung des roten Blutfarbstoffs (Ha¨moglobin) in Metha¨moglobin festgestellt? 5. Sind solche Befunde oder Beschwerden (1.–4.) nach Ihrer Kenntnis bei Arbeitskollegen vorgekommen? 6. Wurde bei Ihnen bereits einmal eine harnzytologische Untersuchung durchgefu¨hrt? Wenn ja, aus welchem Anlaß?
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
4.5 Konkurrierende Risiken Auch bei anamnestischen Hinweisen auf gefhrdende Ttigkeiten und Stoffe kann der Verdacht auf eine beruflich verursachte Krebserkrankung ohne Besttigung bleiben, wenn konkurrierende auerberufliche Ursachen sehr stark berwiegen. Die Abwgung des Anteils auerberuflicher Einflsse ist Aufgabe eines qualifizierten Fachgutachters. In keinem Fall sollte bei Kenntnis derartiger Risiken, die zustzlich bestanden haben, die Verdachtsanzeige wegen einer Berufskrebserkrankung unterbleiben. 4.6 Synkanzerogene Kombinationseffekte Bereits 1976 wurde auf den Kombinationseffekt von beruflicher Exposition und Nikotinabusus hingewiesen. Aus der neueren Literatur liegen Hinweise vor, da es sich dabei um einen beradditiven Synergismus handelt. 4.7 Neuere Erkenntnisse Die Annahme einer beachtlichen Dunkelziffer wird u.a. dadurch gesttzt, da bis in die jngste Zeit Arbeitsstoffe neu als Urothelkanzerogene erkannt werden, die bisher nicht als solche galten. Das jngste Beispiel ist 4-Chloro-toluidin, dessen Kanzerogenitt aufgrund gehuft auftretender Erkrankungen an Urotheltumoren nachgewiesen wurde. Bei wasserlslichen Azofarbstoffen aus doppelt diazotiertem Benzidin und verschiedenen Benzidinabkmmlingen liegen berzeugende Daten fr die Annahme krebserzeugender Wirkungen beim Menschen vor. Diese Farbstoffe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Malerhandwerk z.T. als Pulver fr das Anrhren von streichfertigen Farben verwendet und sind bis heute noch in der Arbeitswelt als Textil-, Leder- oder Papierfarbstoffe anzutreffen. Eine Aufzhlung von Stoffen, aus denen humankanzerogene, tierexperimentell wirksame Kanzerogene und als Kanzerogen verdchtige Metaboliten gebildet werden knnen, wurde von Myslak 1990 verffentlicht. Neuere Literaturmitteilungen weisen auf ein erhhtes Risiko fr Krebserkrankungen der ableitenden Harnwege bei Bergarbeitern, Motorfahrzeugfhrern und bei Beschftigten in der Metallerzeugung und -bearbeitung hin. Das gehufte Vorkommen von Urotheltumoren nach Exposition gegenber Pyrolyseprodukten wurde bisher auf die im Pyrolyseproze regelmig gebildeten Arylamine zurckgefhrt. Neuere Befunde und tierexperimentelle Daten sprechen fr eine Kanzerisierung des Urothels auch durch polyzyklische Aromaten vom Typ des Benzo(a)pyrens. Neben Nitronaphthalin knnen auch einige Nitrosamine mglicherweise Urotheltumoren induzieren. Verbindungen dieser Stoffklasse sind als hoch-
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
265
wirksame Modellkanzerogene an der Blasenschleimhaut der Ratte bekannt wie N-Butyl-N-(4-hydroxybutyl)nitrosamin. An Arbeitspltzen der Gummiindustrie wurde bei Luftanalysen neben anderen Nitrosaminen N-Nitroso-n-butylamin (NDBA) nachgewiesen, das bei vier verschiedenen Tierspezies Harnblasenkrebs erzeugt hat.
5 Bo¨sartige Tumoren der Haut Die berufsbedingten bsartigen Tumoren der Haut lassen sich in solche mechanischen, thermischen und chemischen Ursprungs sowie in strahleninduzierte untergliedern; Kombinationen sind mglich. Voraussetzungen sind berufliche Ttigkeiten, die den Arbeitnehmer in fortgesetzten Kontakt mit einer schdigenden Einwirkung ber lngere Zeit bringen. 5.1 Ta¨tigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe Als Hautkanzerogene kommen beruflicherseits berwiegend in Frage: F F F F F
Arsen und bestimmte Arsenverbindungen, UV-Strahlen, ionisierende Strahlen, mechanische und thermische Irritationen sowie Pyrolyseprodukte wie Teer, Pech, Ru, Rohparaffin, Anthracen oder Teerle.
Eine bersicht der typischen Ttigkeitsfelder und entsprechenden Expositionen gegenber Hautkanzerogenen findet sich in Tabelle 8. Tabelle 9 enthlt Angaben zu typischen Pyrolyseprodukten und ihrem Vorkommen in der Arbeitswelt. 5.2 Einwirkungs- und Latenzzeiten Insbesondere bei chemisch induzierten und strahleninduzierten Hauttumoren sollte i. allg. eine Exposition ber lngere Zeit gefordert werden. Bezglich der krzesten Expositions- und Latenzzeiten lassen sich fr einige Stoffe hilfsweise die Angaben der Tabelle 3 heranziehen. Bsartige Tumoren knnen nach lngerer Latenzzeit im Falle von thermischen und mechanischen Reizen (z.B. akute Verbrennungen) auch nach einmaligen unfallartigen Expositionen auftreten. Hinweise auf frhere berufliche Einwirkungen lassen sich insbesondere durch Suchen nach objektiven Expositionszeichen finden (Tabelle 10).
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266
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 8. Ta¨tigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe mit mo¨glichem Bezug zum Auftreten von Hauttumoren Wirkprinzip
Ta¨tigkeitsfelder
Pyrolyseprodukte
* * *
*
* * * *
Arsen
* * * *
Mineralo¨le
* * *
Ionisierende Strahlen
* * *
Kohlevergasung, Kokereien, Stein- und Braunkohlenteerdestillation Teeren und Asphaltieren von Straßen, Da¨chern, Schiffswa¨nden etc. Herstellen von Bodenbela¨gen, Platten, Rohren und Kanistern aus Gemischen von Silikaten und heißem Pech Herstellen von Teer- und Bitumenpappe, von impra¨gnierten Textilien, von Kohleelektroden Impra¨gnierung von Holz mit Teer und Anthraceno¨l (z.B. Carbolineum) Herstellen von Briketts aus Kohlestaub mit 8–10% Pech Wartung von Kaminen und Rauchabzu¨gen Petroleumindustrie Landwirtschaft, Forstwirtschaft Fischfang („Antifoulingfarben“ fu¨r Schiffe) Bergbau Metallerzeugung (Kupferschmelze) Metallverarbeitung Textilindustrie, Spinnerei Juteverarbeitung Medizinische Berufe, Materialpru¨fung Bergbau (Uran) Nuklearmedizin
Tabelle 9. Pyrolyseprodukte und ihr Vorkommen am Arbeitsplatz Ruße
Rohparaffin
Herstellung von Tusche, Wachsen, Farben, Kunststoffen. Verwendung in der Gummiindustrie. Technische Ruße wie Carbon black sind heute nicht mehr kanzerogen, teilweise aber vor 1982 Gewonnen aus bitumino¨ser Braunkohle, O¨lschiefer (Schiefero¨le!), Erdo¨l und Erdwachs Umgang in Zu¨ndholz-, Papier-, Faserplatten-, Spanplatten- und Sprengstoffindustrie
Teer (Teero¨le, Teerprodukte)
Teer ist Destillationsprodukt aus Stein- und Braunkohle, Torf, Holz, in Kokereien und Gasfabriken gewonnen. Teero¨le eingesetzt z.B. in Holzschutzmitteln (Carbolineum)
Anthracen
wird aus Teer gewonnen. Rohstoff fu¨r Farbsynthesen. Nicht kanzerogen. In Anthraceno¨len kanzerogene Komponenten!
Pech
Ru¨ckstand der Steinkohlenteerdestillation. Wird hauptsa¨chlich verwendet zur Herstellung von Kohlenstoff- und Graphitelektroden („A¨hnlich“ bezieht sich auf die Wirkung!) Verschiedene Erdwachse, Asphalt, Masut, Mineral-, Schmier-, Zylinder-, Bohro¨le, die bei ca. 300 C sieden (Ku¨hlschmiermittel)
A¨hnliche Stoffe
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
267
Tabelle 10. Expositionshinweise bei Hauttumoren * * * * * * * * * * *
Ekzeme Ro¨ntgenoderm (ionisierende Strahlen) Ulzerationen (ionisierende Strahlen) Atrophien (ionisierende Strahlen) Staubta¨towierungen Tumoren anderer Organlokalisation Melanosen (Arsen) Keratosen (Pyrolyseprodukte, UV-Strahlen) Dyspigmentierungen (UV-Strahlen) „Landmannshaut“ (UV-Strahlen) Schwielen, Narben (thermische und mechanische Irritationen)
5.3 Konkurrierende Risiken Auch bei anamnestischen Hinweisen auf gefhrdende Ttigkeiten und Stoffe kann der Verdacht auf eine berufliche verursachte Hautkrebserkrankung unbegrndet sein, wenn konkurrierende auerberufliche Ursachen sehr stark berwiegen. Hierzu zhlen z.B. individuelle Dispositionen wie chronische vense Insuffizienz, Pigmentmler, angeborene Immundefekte, Autoimmunerkrankungen und chronische Infektionen. Auch regelmiges Freizeit- und Urlaubsverhalten mit bermiger Exposition gegenber UV-Strahlen (z.B. Gartenarbeit, Sport, Sonnenstudio u..) kommt hierfr in Frage. Jedoch sollte die Risikoabwgung einem qualifizierten medizinischen Fachgutachter berlassen bleiben, so da die Verdachtsmeldung im Zweifelsfall nicht zurckzuhalten ist. 5.4 Kombinationseffekte Insbesondere fr das Zusammentreffen von Pyrolyseproduktexposition und dem Einwirken von UV-Strahlen ist ein Kombinationseffekt bezglich der Hautkanzerogenese bekannt. 5.5 Histologische Typen und Lokalisationen der beruflichen Hauttumoren In Tabelle 11 finden sich hufige histologische Typen beruflicher Hauttumoren fr den Fall einer Einwirkung von Pyrolyseprodukten, Arsen(verbindungen) sowie UV-Strahlen; andere Hauttumoren sprechen jedoch nicht unbedingt gegen eine berufliche Genese durch die genannten Stoffe. Es erscheint besonders wichtig, Prkanzerosen in bezug auf den Zusammenhang mit beruflichen Expositionen zu untersuchen. Tumoren treten meist nicht ohne Prodromalerscheinungen wie Keratosen oder chronische entzndliche Vernderungen auf. Zu bercksichtigen ist, da im Falle der Hauttumoren der Ort
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 11. Histologische Typen beruflicher Hauttumoren Wirkprinzip
Tumorart
Pyrolyseprodukte
Bowenoide Tumoren, Basaliome, Karzinome (M. Bowen), Keratome, spinozellula¨re Karzinome
Arsen(verbindungen)
Keratome, Basaliome, M. Bowen, Bowen-Karzinome, Spinaliome
UV-Strahlen
Melanome
der Kontamination bzw. Exposition meist mit dem Ort des Tumors bereinstimmt. Bei generalisiert einwirkenden Stuben sind u.U. Hautfalten, Hautvertiefungen, Narben etc. mit dem Ort der Kontamination gleichzusetzen. Bei Arsen scheinen hmatogene oder andersartig generalisierte Auswirkungen mglich (z.B. disseminierte Basaliome bei oraler Aufnahme). Bezglich der Genese maligner Lymphome der Haut sei auf beruflich bedingte Leukmien und Lymphome verwiesen.
6 Tumoren des Gastrointestinaltraktes Zwischen 1978 und 2000 wurden in Deutschland 47 Flle von Leberkrebs nach Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen sowie 19 Magen-/Darmkrebserkrankungen, davon 15mal nach Einwirkung von halogenierten Alkyl-, Aryl- oder Alkyl-Aryloiden, als Berufskrankheiten anerkannt. Es handelt sich hier um die einzigen Anerkennungen von Tumoren des Gastrointestinaltraktes als Berufskrankheiten. Dies liegt auch daran, da Zusammenhnge zwischen Tumorerkrankungen des Gastrointestinaltraktes und beruflicher Exposition i.allg. wesentlich weniger gut belegt sind, als dies fr Tumoren des Respirationstraktes, der ableitenden Harnwege sowie des lymphatischen und hmatopoetischen Systems der Fall ist. 6.1 Ta¨tigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe In verschiedenen Ttigkeitsbereichen sowie bei verschiedenen Arbeitsstoffexpositionen wurde, unterschiedlich gut belegt, ber ein gehuftes Auftreten von Tumoren des Magen-Darm-Traktes sowie der Leber berichtet. Eine ungewichtete bersicht hierzu findet sich in Tabelle 12. 6.2 Einwirkungs- und Latenzzeiten Generell sollte eine langjhrige und massive Exposition gegenber den in Tabelle 12 genannten Arbeitsstoffen gefordert werden, um eine Meldung als Berufskrankheit zu rechtfertigen. Hilfsweise kann zur Abschtzung der minimal erforderlichen Einwirkungs- und Latenzzeiten auf die Angaben der Tabelle 3 im Fall einiger der genannten Stoffe zurckgegriffen werden.
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
269
Tabelle 12. Ta¨tigkeitsbereiche, Arbeitsstoffe und mo¨gliche Tumorlokalisationen im Gastrointestinaltrakt Arbeitsstoff
Tumorlokalisation
Ta¨tigkeitsbereiche
Nitrosamine
Magen/Darm, O¨sophagus, Leber
Gummiindustrie Metallverarbeitung
Ionisierende Strahlen
Magen/Darm, O¨sophagus, Leber
Medizinische Berufe
Asbest
Magen/Darm
Dachdecker, Isolierer, Asbestproduktherstellung, Schiffbau, Werften
Pyrolyseprodukte
Magen/Darm
Metallverarbeitende Industrie (Ku¨hlschmiermittel), Petroleumindustrie, Kokereien, Schwarzdeckeneinbau, Schornsteinfeger
Kohlegrubenstaub
Magen
Bergarbeiter
Holzsta¨ube
Magen/Darm
Zellstoff-, Papierindustrie, Schreiner
Chrom(ate)
Magen/Darm
Verchromung, Eisenchromproduktion, Chromatherstellung, Schweißer, Zementindustrie
Arsen
Magen/Darm, Leber
Kupferschmelze, Land-, Forstwirtschaft (Pestizide), Fischfang, Bergbau (Arsenabbau), Pestizid-/ Herbizidproduktion
Vinylchlorid
Leber (besonders Angiosarkome)
Chemische Industrie, PVC-Herstellung
Zustand nach Hepatitis B oder C
Leber
Medizinische Berufe
Tetrachlorkohlenstoff
Leber
Metallindustrie, Reinigungungsarbeiten
Tetrachlorethylen
Nieren,
Chemische Reinigung,
Leber
Metallbearbeitung,
Trichlorethylen
Nieren, Leber
Metallbearbeitung, Chemische Reinigung
Aflatoxine
Leber
Futtermittelherstellung, Verarbeitung von tropischen Nu¨ssen
Nitrosamine
O¨sophagus
Gummiindustrie u.a.
6.3 Konkurrierende Risiken Im Fall von Magen-Darm-Tumoren sind medizinische Rntgenbestrahlungen der betroffenen Region, Raucheranamnese (sophagus, Magen), Alkoholabusus (sophagus, Darm), Nahrungsfehler (Plummer-Vinson-
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270
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Syndrom … sophagus; pernizise Anmie, wenig frisches Obst, Gemse, Salate … Magen; faserarme und an tierischem Fett reiche Kost, Laxanzienabusus … Darm) als konkurrierende auerberufliche Ursachen anzusehen, die u.U. das Aufrechterhalten des Verdachtes auf eine berufliche Genese nicht weiter rechtfertigen. Im Fall von Kolontumoren sprechen insbesondere Vorerkrankungen an M. Crohn, Colitis ulcerosa sowie Polyposis coli gegen eine berufliche Genese. Im Fall von Lebertumoren sprechen medizinische Rntgenbestrahlungen der betroffenen Region, Alkoholabusus, Vorbehandlungen mit Anabolika, Immunsuppressiva und evtl. langjhriger Kontrazeptivagebrauch gegen eine berufliche Verursachung des Tumors. Im Falle einer umfangreichen und langjhrigen Exposition gegenber Arsen, Vinylchlorid und Aflatoxinen (vgl. Tabelle 12) sowie im Falle einer chronischen Hepatitis B bei medizinischem Personal sollte jedoch eine Berufskrankheitenmeldung nicht zurckgehalten werden und die Beurteilung einem qualifizierten Fachgutachter berlassen sein. 6.4 Neue Erkenntnisse Ein gehuftes Auftreten von Magen-Darm-Tumoren nach Exposition gegenber Nitrosaminen in der Gummiindustrie konnte in neueren Untersuchungen nicht besttigt werden. Dagegen erscheint die Verursachung von Magentumoren durch quarzhaltigen Kohlegrubenstaub und von sophaguskarzinomen durch Nitrosamine in der Gummiindustrie inzwischen gesichert.
7 Sonstige Tumorformen Tumorlokalisationen im Bereich weiterer Organe oder Organsysteme wurden bisher in Deutschland nicht als Berufskrankheiten anerkannt. Entsprechende Verdachtsmeldungen sollten sich daher auf Flle mit besonders massiver und langjhriger Exposition beschrnken, da derzeit aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Zusammenhangsbeurteilung sehr selten die nach der ffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII im Berufskrankheitenrecht erforderliche hinreichende Sicherheit fr einen Zusammenhang mit der beruflichen Ttigkeit vorliegen drfte. ber folgende Zusammenhnge wurde in der Literatur berichtet: F F F F
Tumoren des ZNS: Vinylchlorid, Ethylenoxid, Lsungsmittel, Pestizide Knochentumoren: Ionisierende Strahlen Mammatumoren: Ionisierende Strahlen, fraglich aromatische Amine und Azofarbstoffe Prostatatumoren: Cadmium(oxid), ionisierende Strahlen
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
271
8 Kombinationswirkungen bei der Verursachung beruflich bedingter Krebserkrankungen (Synkanzerogenese) Grundstzlich knnen bei gleichzeitigem Einwirken mehrerer Gefahrstoffe eine unabhngige Wirkung der Einzelstoffe ohne gegenseitige Beeinflussung von Antagonismen (Abschwchung der Wirkung einer Substanz durch eine zweite) und Synergismen (Verstrkung der Wirkung einer Substanz durch eine zweite) unterschieden werden. Bei synergistischen Wirkungen sind additive von beradditiven Effekten abzugrenzen. Die fr Berufskrebs vorliegenden Erfahrungen betreffen im wesentlichen Kombinationswirkungen zweier Kanzerogene, whrend in der Praxis Krebserkrankungen oft nach Einwirken komplexer Gemische gehuft auftreten, die Kanzerogene enthalten. Unter diesem Vorbehalt knnen aus den publizierten Daten Belege fr regelhaft vorkommende Verstrkungen und Hemmungen der Krebserzeugung durch einzelne Kanzerogene abgeleitet werden, die weiteren Expositionen, insbesondere gegenber gleichfalls krebserzeugenden Prinzipien, zuzuschreiben sind. Kombinationswirkungen sind aber auch zwischen krebserzeugenden und nicht krebserzeugenden Einflssen mglich und vielfach zu erwarten. Dies gilt insbesondere bei Einflssen auf: F F F F F F
Zellproliferation und Mitogenese Toxikokinetik eines Kanzerogens DNS-Reparatur-Prozesse Interzellulre Kommunikation Immunabwehr Hormonelle Steuerung der Zielgewebe
Fr die Beurteilung der kombinierten Einwirkung gentoxischer chemischer Kanzerogene ist von Bedeutung, da deren gentoxischer Angriff nicht nur in der Eingangsstufe der Krebsinduktion („Initiation“), sondern auch auf jeder der folgenden Stufe … „Promotion“ und „Progression“ … bis zur Endmanifestation des malignen Tumors erfolgen kann. Initiations- und Progressionsphase gelten als irreversible Prozesse. Dagegen beobachtet man bei der Promotionsphase auch reversible Phnomene; dies in strenger Dosisabhngigkeit: Je geringer die Dosis und je begrenzter die zeitliche Einwirkung ist, um so grer ist die Wahrscheinlichkeit, da nach Ende der Einwirkung eine Wiederherstellung des Ausgangszustandes (Reversibilitt) eintritt (Henschler 2000). Ob promovierende Faktoren immer auch als potentiell komplette Kanzerogene anzusehen sind, ist umstritten. Wesentlich erscheint ihre Bercksichtigung im Rahmen der Krebsinduktion durch kombinierte Einwirkungen auch dann, wenn eigenstndige krebserzeugende Wirkungen nicht gesichert sind.
5
272
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Tabelle 13. Synopse zur Bedeutung synkanzerogener Kombinationseffekte im Tierversuch, unterteilt nach den Stoffklassen der krebserzeugenden Arbeitsstoffe und den hauptsa¨chlich betroffenen Organen. (Nach Henschler 2000) Stoffklasse
Hauptzielorgane
Verteilung der Kombinationseffekte
PAH
Haut, Milchdru¨sen, Leber, Atemtrakt
1,6mal ha¨ufiger sub- als u¨beradditive Effekte. Subadditiv bei PAH, Azofarbstoffen
Arylamine
Leber, ableitende Harn- Sub- und u¨beradditive Effekte anna¨hernd gleich ha¨ufig. U¨beradditive 1,22mal ha¨ufiger wege, Milchdru¨sen, bei N-Nitrosoverbindungen Verdauungstrakt
Azofarbstoffe
Leber
N-Nitrosamine
Leber, ableitende Harn- 3,6mal ha¨ufiger u¨ber- als subadditive Effekte. wege, Atemtrakt u.a. U¨beradditive u.a. bei Halogenverbindungen
Halogenverbindungen
Leber, Haut
1,7mal ha¨ufiger u¨ber- als subadditive Effekte. Leber: 3,8mal ha¨ufiger u¨beradditiv. U¨beradditiv 1,37mal ha¨ufiger bei N-Nitrosoverbindungen
Anorganische Kanzerogene
Atemtrakt, ableitende Harnwege
4,5mal ha¨ufiger u¨ber- als subadditive Effekte. U¨beradditive bei PAH und N-Nitrosoverbindungen
Sub- und u¨beradditive Effekte anna¨hernd gleich ha¨ufig. Subadditive tendenziell geha¨uft bei PAH
Diese grundlegenden Aussagen sttzen sich auf eine beachtliche Zahl experimenteller Daten. Paradigmatisch fr die arbeitsmedizinische Zusammenhangsbegutachtung ist derzeit die besonders wichtige Synkanzerogenese durch Asbestfaserstaub und N-Nitrosoverbindungen, aber auch durch Abgase mit einem hohen Gehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, die tierexperimentell eindrucksvoll nachgewiesen wurde (Heinrich et al. 1986, Yoshimura und Takemoto 1991). Aus weiteren, in Tabelle 13 aufgelisteten Experimentalbefunden und aus dem Kenntnisstand zu Mechanismen bei der kombinierten Einwirkung gentoxischer Kanzerogene auf dasselbe Zielgewebe lt sich ableiten, da es zu einer mindestens additiv synergistischen Synkanzerogenese kommt (Henschler 2000). Die Versuche, auf denen die Auflistung basiert, wurden teilweise mit Verbindungen der gleichen Stoffklasse, aber auch mit solchen unterschiedlicher Stoffklassen durchgefhrt.
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
273
Neben den tierexperimentell gewonnenen Erkenntnissen existieren besttigende epidemiologische Beobachtungen fr folgende berufliche und auerberufliche Konstellationen (Popp und Norpoth 1996, Woitowitz 2002): F F F F F F
Krebs des oberen Aerodigestivtraktes nach chronischem Nikotin- und Alkoholabusus, sophaguskrebs nach chronischem Nikotin- und Alkoholabusus, sophaguskrebs nach chronischem Nikotinabusus und Exposition gegenber N-Nitrosoverbindungen, Lungenkrebs nach Exposition gegenber Asbestfaserstuben und chronischem Nikotinabusus, Lungenkrebs nach Exposition gegenber Radon (s. Uranbergarbeiter) und chronischem Nikotinabusus, Krebs der ableitenden Harnwege nach Exposition gegenber Arylaminen und chronischem Nikotinabusus.
Die kanzerogene Wirkung des Zigarettenrauchens wird in der Literatur bis zu 90% auf PAH zurckgefhrt. Nach Streffer (2000) ist bei der Krebsinduktion durch ionisierende Strahlen i. allg. mit additiven Effekten zu rechnen, wenn zustzlich gentoxische Substanzen einwirken. beradditive Effekte sind zu erwarten bei gleichzeitiger Einwirkung von Substanzen, welche die Reparatur strahleninduzierter DNS-Schden hemmen (z.B. Schwermetalle), und von Substanzen, die zur Verkrzung der Reparaturzeit fr strahlenbedingte DNS-Schden fhren. Die Bedeutung knftiger berufskrankheitenrechtlicher Regelungen, mit denen zu rechnen ist, liegt nicht zuletzt in der Beachtung solcher Kanzerogene, die berhaupt erst in Kombination mit anderen Gefahrstoffen zu einem wesentlich erhhten Krebsrisiko fhren (Harrington et al. 2000). Zur Zeit sollten Verdachtsanzeigen nicht deshalb unterbleiben, weil anzunehmen ist, da bei kombinierten Einwirkungen die Voraussetzungen der Anerkennung einer Berufskrankheit wegen quantitativ nicht ausreichender Gefhrdung durch jeweils einen der Einzelstoffe nicht erfllt sind. In diesem Zusammenhang ist das Beispiel der Verursachung von Lungenkrebs durch Asbest in Kombination mit ionisierenden Strahlen oder PAH hervorzuheben.
9 Anhang Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (Liste der Berufskrankheiten, Stand 05. 09. 2002 mit Kennzeichnung (x) der Berufskrankheiten-Nummern, in deren Rahmen Krebserkrankungen anerkannt werden ko¨nnen.
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Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Nr.
Krankheiten
1
Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten
11 1101 1102 x 1103 x 1104 1105
Metalle und Metalloide Erkrankungen durch Blei und seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom und seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen
1106 1107 x 1108 1109 x 1110
Erkrankungen Erkrankungen Erkrankungen Erkrankungen Erkrankungen
12 1201 1202
Erstickungsgase Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff
13
Lo¨semittel, Scha¨dlingsbeka¨mpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe Schleimhautvera¨nderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abko¨mmlinge Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol) Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Salpetersa¨ureester Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide Erkrankungen der Za¨hne durch Sa¨uren Hornhautscha¨digungen des Auges durch Benzochinon Erkrankungen durch para-tertia¨r-Butylphenol Erkrankungen durch Isozyanate, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lo¨sungsmittel oder deren Gemische
x 1301 x 1302 x 1303 x 1304 1305 1306 x 1307 1308 1309 x 1310 x 1311 1312 1313 1314 1315
1316 1317
durch durch durch durch durch
Thallium oder seine Verbindungen Vanadium oder seine Verbindungen Arsen oder seine Verbindungen Phosphor und seine anorganischen Verbindungen Beryllium oder seine Verbindungen
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
275
Nr.
Krankheiten
2
Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten
21 2101
Mechanische Einwirkungen Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen oder Muskelansa¨tze, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Meniskusscha¨den nach mehrja¨hrigen andauernden oder ha¨ufig wiederkehrenden, die Kniegelenke u¨berdurchschnittlich belastenden Ta¨tigkeiten Erkrankungen durch Erschu¨tterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen
2102 2103 2104
2105 2106 2107 2108
2109
2110
Vibrationsbedingte Durchblutungssto¨rungen an den Ha¨nden, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch sta¨ndigen Druck Druckscha¨digung der Nerven Abrißbru¨che der Wirbelfortsa¨tze Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsa¨ule durch langja¨hriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langja¨hrige Ta¨tigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsa¨ule durch langja¨hriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen
2111
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsa¨ule durch langja¨hrige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzko¨rperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Erho¨hte Zahnabrasionen durch mehrja¨hrige quarzstaubbelastende Ta¨tigkeit
22 2201
Druckluft Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft
23 2301
La¨rm La¨rmschwerho¨rigkeit
24 2401 x 2402
Strahlen Grauer Star durch Wa¨rmestrahlung Erkrankungen durch ionisierende Strahlen
5
276
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
Nr.
Krankheiten
3
3104
Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium ta¨tig oder durch eine andere Ta¨tigkeit der Infektionsgefahr in a¨hnlichem Maße besonders ausgesetzt war Von Tieren auf Menschen u¨bertragbare Krankheiten Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis Tropenkrankheiten, Fleckfieber
4
Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells
41 4101 4102
Erkrankungen durch anorganische Sta¨ube Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Silikotuberkulose) Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 106 [Fasern/m3 Jahren]) Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallsta¨ube bei der Herstellung und Verarbeitung von Hartmetallen Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat) Bo¨sartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen Bo¨sartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase
x 3101
3102 3103
4103 x 4104
x 4105 4106 4107 4108 x 4109 x 4110 42 4201 4202 x 4203
Erkrankungen durch organische Sta¨ube Exogen-allergische Alveolitis Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachsoder Rohhanfstaub (Byssinose) Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenho¨hlen durch Sta¨ube von Eichenoder Buchenholz
5.3
Beruflich verursachte Tumoren
277
Nr.
Krankheiten
43 4301
Obstruktive Atemwegserkrankungen Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen
4302
5
Hautkrankheiten
x 5101
Schwere oder wiederholt ru¨ckfa¨llige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Ta¨tigkeiten gezwungen haben, die fu¨r die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursa¨chlich waren oder sein ko¨nnen
x 5102
Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautvera¨nderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthracen, Pech oder a¨hnliche Stoffe
6
Krankheiten sonstiger Ursache
6101 Augenzittern der Bergleute § 9 Abs. 2 SGB VII. Als Erkrankungen, die z.Z. noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, die aber aufgrund neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft als Berufskrebserkrankungen anerkannt werden sollten, da alle Voraussetzungen einer Aufnahme in die Liste erfu¨llt sind, und die fu¨r die Aufnahme in die Liste wissenschaftlich begru¨ndet wurden: – Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(lg/m3) Jahre] u. a.
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5
278
5
Herkunft und Entstehung von Tumoren (A¨tiologie)
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6
Pra¨vention
6.1
Prima¨re Pra¨vention K. S. Znker, N. Becker
1 Epidemiologisch begru¨ndetes Rationale Im allgemeinen versteht man unter „Prvention“ die Vorbeugung von Krankheiten, d.h. Manahmen, die das Auftreten der betreffenden Krankheiten a priori verhindern. Die Krebsentstehung und -entwicklung mu man jedoch als einen progredienten Proze mit dem Tod als mglichem Endpunkt auffassen. Unter dieser Sichtweise ergeben sich drei Ebenen, auf denen Prvention ansetzen kann. Sie knnen folgendermaen definiert werden: F F
F
Prima¨re Pra¨vention verfolgt das Ziel, das Auftreten der betreffenden Krankheit zu vermeiden. Sekunda¨re Pra¨vention hat zum Ziel, falls sich die Entstehung der betreffenden Krankheit nicht verhindern lt, sie wenigstens in einer Vorstufe oder einem frhen Stadium zu erkennen und durch geeignete Manahmen, z.B. einen operativen Eingriff, die Krankheitsentwicklung zu unterbrechen und dadurch den Tod als mglichen Endpunkt zu vermeiden. Tertia¨re Pra¨vention verfolgt das Ziel, bei bereits aufgetretener und therapierter Krankheit deren Wiederkehr oder das Auftreten von Zweittumoren und den dadurch bedingten Tod zu vermeiden.
In epidemiologischen Begriffen zielt primre Prvention demnach auf die Reduktion der Inzidenz, sekundre Prvention auf die Verkrzung der Dauer und Senkung der Mortalitt an der betreffenden Krankheit sowie tertire Prvention auf die Verlngerung der berlebenszeit und die Senkung der Inzidenz von Zweittumoren. Die Mglichkeit einer primren Prvention von Krebserkrankungen ist an die Voraussetzung geknpft, da die Ursachen der Krebskrankheiten berwiegend nichtgenetischer Natur sind und damit wenigstens theoretisch
6
280
6
Pra¨vention
vernderbar erscheinen. Die Befunde, die in diese Richtung weisen, lassen sich folgendermaen zusammenfassen (siehe fr Einzelheiten Abschn. 3.2 in Kap. 4): F
F
F
Internationale Vergleiche lassen erkennen, da die Krebsinzidenz in den Lndern der Welt z.T. auerordentlich unterschiedlich ist. So kann in Hochrisikogebieten die Inzidenz durchaus mehr als zehnmal so hoch sein wie in den Regionen mit einem niedrigen Erkrankungsrisiko. Migrantenstudien belegen, da diese Unterschiede keine ethnischen bzw. genetischen Invarianten sind. Unter Personen, die aus ihrem Heimatland in ein Land ihrer Wahl auswandern, beobachtet man eine allmhliche Vernderung der Krebsinzidenz, die wegfhrt von derjenigen des Ursprungslandes und sich dem Inzidenzprofil des Ziellandes annhert. In diesen Studien kann auch die weitere Entwicklung der Inzidenzmuster in den Kinder- und Kindeskindergenerationen der Migranten beobachtet werden. Dabei lt sich erkennen, da sich fr die Kinder der Migranten das Inzidenzprofil noch nicht vollstndig an dasjenige des neuen Heimatlandes angeglichen hat, obwohl sie dort geboren und aufgewachsen sind. Erst deren Kinder weisen ein weitgehend angeglichenes Inzidenzmuster auf. Diese nur allmhliche Vernderung der Krebsrisiken, die sich offensichtlich ber mehrere Generationen erstreckt, weist darauf hin, da in erster Linie individuell beeinflubare Faktoren, z.B. Faktoren des Lebensstils, an der Verursachung der Krebskrankheiten beteiligt sind.
Auf der Grundlage der starken internationalen Unterschiede der Krebsinzidenz und des in den Migrantenstudien erkennbaren Ausmaes an Vernderlichkeit lt sich fr die verschiedenen Lnder abschtzen, in welchem Umfang zumindest theoretisch das Auftreten von Krebskrankheiten durch geeignete Manahmen der primren Prvention vermieden werden knnte. Eine in diesem Sinne fr die USA durchgefhrte Berechnung, die in der Grenordnung auch fr die westeuropischen Lnder zutreffen drfte, kommt auf ungefhr 60%. Fr Deutschland findet man hnliche Ergebnisse (Becker 2001). Da die Hauptrisikofaktoren bzw. Faktorbereiche fr die Entstehung von Krebskrankheiten mittlerweile mehr oder weniger genau bekannt sind, ist es mglich, diejenigen Bereiche anzugeben, in denen Manahmen der primren Prvention den grten Effekt im Hinblick auf eine Senkung der Krebsinzidenz bzw. Mortalitt erwarten lassen (s. Abschn. 4 in Kap. 4). Sie zeigen, da das Rauchen mit einem geschtzten Anteil von ungefhr 30% an der gesamten Krebsmortalitt den bei weitem bedeutendsten Einzelrisikofaktor darstellt, gefolgt von der Gruppe der ernhrungsbedingten Faktoren mit zusammengenommen ebenfalls einem Anteil von etwa 30%.
6.1
Prima¨re Pra¨vention
281
Der Beitrag aller brigen Faktoren ist jeweils betrchtlich kleiner. Grundstzlich ist bei solchen Angaben allerdings zu betonen, da sie nicht als punktgenaue Berechnungen zu verstehen sind, sondern die Gro¨ßenordnungen angeben sollen, in denen sich die betreffenden Risikofaktoren nach dem gegenwrtigen Kenntnisstand bewegen. In einem weiteren Schritt kann man schlielich berlegen, welche ˜nderungen in den Risikofaktoren realistischerweise durchfhrbar erscheinen und welche Vernderungen sich daraus fr die Krebsinzidenz bzw. Sterblichkeit ergeben. Dies sind entsprechend dem Gewicht der betreffenden Faktoren bei der Verursachung von Krebskrankheiten in erster Linie Manahmen zur Senkung des Zigarettenkonsums und der ˜nderung bestimmter Ernhrungsgewohnheiten, in begrenztem Umfang aber auch Manahmen zur Vermeidung von Schadstoffexpositionen in Beruf und Umwelt oder zur Prophylaxe gegen Virusinfektionen. Oben wurde bereits erwhnt, da die sich aus der epidemiologischen Ursachenforschung ergebenden allgemeinen Verursachungszusammenhnge zwischen bestimmten Risikofaktoren und bestimmten Krebskrankheiten fr sich allein nicht ausreichen, um evident werden zu lassen, wie nun genau eine effektive Prvention aussehen knnte. Hierfr sind beispielsweise Antworten auf die folgenden Fragen erforderlich: F F F
F
Innerhalb welcher Fristen ist nach einer durchgefhrten Prventionsmanahme mit einem Rckgang des Krebsrisikos zu rechnen? Wie stark ist der zu erwartende Rckgang? Ist die Effektivitt altersabhngig, d.h., kann ein 40-, 50- oder 60jhriger durch Teilnahme an Prventionsmanahmen noch in relevantem Mae sein persnliches Krebsrisiko senken? Gibt es allgemein Lebensabschnitte, in denen die Exposition gegenber den betreffenden krebserregenden Agenzien zu einer besonders starken Risikoerhhung fhrt und auf die Prventionsmanahmen daher in besonderer Weise zu fokussieren sind?
2 Biologische Grundlagen der Karzinogenese als Rationale zur (Chemo-)Pra¨vention Die berlebensraten fr Patienten mit epithelialen Tumoren, wie die der oberen Luftwege, des Verdauungstraktes oder des harnproduzierenden und -ableitenden Systems, haben sich whrend der letzten zwei Dekaden kaum verndert. Diese Tatsache hat die experimentelle und klinische Onkologie dazu stimuliert, neue Anstze zur mglichen Kontrolle von Krebserkrankungen zu untersuchen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Chemoprvention.
6
282
6
Pra¨vention
M.B. Sporn prgte 1976 den Begriff „Chemoprvention“ und fhrte ihn in die Literatur ein. Der Begriff meint die Verwendung von spezifischen natrlichen und/oder synthetischen Stoffen, um den karzinogenen Proze bis hin zum invasiven Krebswachstum reversibel oder unterdrckend beeinflussen und, im Idealfall, ihn sogar urschlich verhindern zu knnen. Diese Definition beinhaltet nicht die Aufnahme protektiv wirkender Inhaltsstoffe mit der Nahrung; diese sind dem Forschungsfeld Ernhrung und Krebs zugeordnet. Werden jedoch definierte Extrakte und/oder Monosubstanzen hergestellt und in galenischer Form verabreicht, so fallen sie wieder unter den Begriff der „Chemoprvention“. Diese Unterscheidung ist deshalb sinnvoll, da die Menge aufgenommener chemoprventiver Stoffe aus Nahrungsmitteln sehr verschieden sein kann und von Lagerung und Zubereitung sowie soziokulturellen und soziokonomischen Verhltnissen bestimmt wird. Somit lassen sich fr Nahrungsinhaltsstoffe unter solchen komplexen Bedingungen selbst in kontrollierten Studien kaum verbindliche Rckschlsse ziehen; fr Monosubstanzen jedoch kann deren antikarzinogenes Potential in klinischen Studien verbindlich berprft werden. >
Die Chemoprvention des Krebses soll nicht etablierte und erfolgreiche Strategien der aktuellen Krebsbehandlung ersetzen, sondern sie soll das Risiko, an Krebs zu erkranken, durch geeignete und berprfte Manahmen vermindern. Die Chemoprvention ist der Versuch, zustzlich zum fortschreitenden Repertoire der Tumorbekmpfung, durch eine Risikoverminderung die Morbiditt zu senken.
Aus vielen Tierexperimenten lt sich ableiten, da manche Natur- und/ oder chemische Stoffe Krebs auslsen, Krebs aber auch verhindern knnen. Substanzen, die dieses biologische Potential haben, knnen aus einem chemisch-synthetischen Design stammen oder aus biologischem Material (vornehmlich Pflanzeninhaltsstoffe) isoliert werden; beide Wege ergnzen sich, da natrliche Substanzen nach ihrer Reindarstellung chemisch so moduliert werden knnen, da sich ihr biologisch-prventives Potential noch erhht. Chemoprvention ist ein multidisziplinrer Ansatz in der Onkologie, der sich aus den Modellvorstellungen der Karzinogenese ergibt.
3 Die Biologie pra¨maligner epithelialer Karzinogenese Die Biologie epithelialer Karzinogenese ist ein komplexer Proze, der sich in verschiedenen Schritten oder Phasen vollzieht. Es ist deshalb so schwierig, diesen Proze zu verstehen, da es lange Latenzzeiten zwischen der Initiation und dem Manifestwerden der Erkrankung und viele exogene und endogene Faktoren, einschlielich psychogener Faktoren, die sich mit Verhalten und Emotionen beschreiben lassen, gibt, die sowohl frdernd als auch inhibierend wirken, und darber hinaus die Regelkreise auf zellulrer, gene-
6.1
Prima¨re Pra¨vention
283
tischer oder biochemischer Ebene nur ungengend fr eine praktische klinische Umsetzung verstanden sind. Das akzeptierte biologische Konzept zur Karzinogenese ist ein ,,Multischrittmodell" mit der Aussage, da der jeweils folgende Schritt reversibel sein oder unterdrckt werden kann. Die sinnvolle und planbare biologisch-chemische Intervention in diese Schritte ist das wesentliche Element einer Chemoprvention.
4 Die Phasen der Karzinogenese Das Verstndnis zum „Multischrittmodell“ der Karzinogenese kam v.a. aus kontrollierten Tierversuchen an der Musehaut. Die Erkenntnisse aus solchen Versuchen erlauben die Karzinogenese in drei bzw. vier Phasen einzuteilen: F Phase I – Initiation: Die Initiation ist der erste Schritt im Proze der Karzinogenese. Eine karzinogene Substanz interagiert mit dem genetischen Material der Zelle so, da sich mutagene Lsionen, Gendeletionen und Amplifikationen sowie Translokationen und mitotische Rekombinationen ausbilden knnen, die mittels DNS-Replikation und Zellteilung auf Tochterzellen bertragen werden. Dieser Proze ist schnell, meist irreversibel und treibt die Zelle als initiierte Zelle in die Phase der Promotion. F Phase II – Promotion: Die Promotion ist ein langsamer und reversibler Proze und beinhaltet den Zeitraum zwischen der Initiation und dem prmalignen Zustand einer Zelle. Hier spielen sich vornehmlich epigenetische Phnomene ab. Durch sog. Promotoren, auch Kokarzinogene genannt, wird eine initiierte Zelle stimuliert, in eine stabil transformierte Zelle berzugehen. Die Zelle antwortet auf Promotoren, die nicht notwendigerweise selbst karzinogen sein mssen, mit lokal begrenztem, aber autonom reguliertem Zellwachstum. Ihre DNS-Synthese und Mitose folgt nicht mehr einem bergeordneten, geregelten Programm. Zellen in der Promotionsphase zeigen im Vergleich zu benachbarten, nichtinitiierten (sog. normalen) Zellen eine „unscheduled“ DNS-Synthese und Mitoserate. F Phase III – Progression: An die Phase der Promotion schliet sich die Phase der Progression, das autonome, meist invasive Zellwachstum an, wobei die Zellen sich von Generation zu Generation zunehmend entdifferenzieren und, wenn auch nicht ausschlielich, krpereigene Abwehrmechanismen unterlaufen („immune escape phenomenon“). Die Progression, die Periode zwischen prmaligner und maligner Erkrankung, ist wieder als irreversibel anzusehen; dabei spielen genetische Ablufe die fhrende Rolle. Inwieweit somatische oder Keimbahngentherapien hier neue Therapiewege erffnen werden, mu zuknftigen Forschungsergebnissen vorbehalten bleiben.
6
284
F
6
Pra¨vention
Es ist evident, da die Expression und Funktion von bestimmten Genen die kritischen Ereignisse in der Karzinogenese sind. Die Klasse der Protoonkogene und Tumorsuppressorgene sowie mgliche Metastasierungsgene kodieren fr Proteine, die sowohl im Zellzyklus als auch in der Zellmigration Kontrollfunktion haben. Karzinogene knnen die Karzinogenese dadurch frdern, da sie diese Klassen von Genen mutieren. Innerhalb einer malignen Lsion lassen sich oft mehrerer Genalterationen nachweisen. Phase IV – Metastasierung: Nach dem lokal autonomen Zellwachstum folgt als letzte Phase im Proze der malignen Transformation einer Zelle die Metastasierung. Eine Zelle, die zur Metastasierung befhigt ist, hat whrend des malignen Transformationsprozesses biologische Eigenschaften, z.B. ber einen „cross-talk“ von Onkogenexpressionen, neu bzw. wieder erworben: Sie mu die Fhigkeit besitzen, sich aus einem Zellverband lsen zu knnen, im Gewebe zu wandern und/oder Anschlu zu Lymph- und Blutgefen zu finden. Dabei mu sie wichtige biologische Barrieren durchbrechen, so z.B. Endothelschichten und Basalmembranen. Die Zelle mu weiter die Eigenschaften (wieder) erwerben, sich in anderen Organen ansiedeln und vermehren zu knnen.
Promotion, Progre und Metastasierung bewegen sich in Zeitspannen von Jahren oder Jahrzehnten. Nicht jede initiale (exogene oder endogene) Vernderung an der Erbsubstanz einer Zelle fhrt zu einer transformierten Zelle, die dann die Eigenschaften der Transformation auch auf Tochterzellen vererbt. Zellen besitzen ein spezifisches Reparatursystem in Form von Enzymen („DNS repair system“), das durch Ausschneiden von entstandenen Fehlinformationen auf einzelnen Erbabschnitten der DNS und Neueinfgen und Verknpfung chemisch richtiger Bausteine die Integritt der Erbinformation aufrechtzuerhalten versucht (Plastizitt des genetischen Materials). Die wirkungsvollste Strategie zur Krebsprvention ist die Identifizierung und Charakterisierung von Karzinogenen und Kokarzinogenen und, daraus folgend, die Vermeidung und/oder Eliminierung aus der Um- oder Innenwelt des Menschen (z.B. Rauchen und/oder hoch fettreiche Nahrung). Da dieses aber nie hinreichend mglich sein wird, haben die Anstrengungen zur Frherkennung maligner Lsionen einen gleichberechtigten Stellenwert. >
Die Chemoprvention erweitert den Ansatz der sekundren Prvention dahingehend, da sie Stoffe erforscht und beschreibt, die v.a. die Phase der Initiation einer Zelle verhindern und die Wirkung von Promotoren (Kokarzinogenen) in der Promotionsphase aufheben ko¨nnen.
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Prima¨re Pra¨vention
285
5 Pra¨vention durch Vermeidung identifizierter Risikofaktoren In Kapitel 4, Tab. 5, wurde eine bersicht ber die mageblichen Risikofaktoren bzw. -faktorgruppen gegeben. Demnach liefern Rauchen und Ernhrungsgewohnheiten die bei weitem strksten Beitrge zur Krebsentstehung. Im Folgenden wird dargestellt, welche Konsequenzen sich aus diesen Daten fr die Krebsprvention ergeben. Zigarettenkonsum
ber die Risikoentwicklung bei Beendigung des Rauchens stehen umfangreiche epidemiologische Daten zur Verfgung. Man wei, da bereits innerhalb der ersten Jahre nach Aufgabe des Rauchens das Krebsrisiko im Vergleich zu Rauchern zumindest nicht weiter ansteigt. Danach beginnt es, wiederum relativ zu den Rauchern, zu sinken. Nach 10 Jahren (bei leichten Rauchern) bis 20 Jahren (bei starken Rauchern) liegt es etwa in der Grenordnung von Nichtrauchern, offenbar jedoch ohne sich jemals vllig anzugleichen (s. Tabelle 1). Eine in den ersten Jahren nach Aufgabe des Rauchens mitunter erkennbare weitere Risikoerhhung ist damit zu erklren, da unter den Exrauchern auch Personen sind, die wegen erster Beschwerden mit dem Rauchen aufgehrt haben und bei denen kurz darauf eine Krebskrankheit diagnostiziert wurde. Je lnger bzw. je strker geraucht wurde, um so langwieriger ist die Rckfhrung des Risikos. Die Risikoverminderung tritt jedoch nach Aufgabe des Rauchens in jedem Altersbereich auf. Je frher im Leben mit dem Rauchen begonnen wurde, um so hher wird allerdings das resultierende Krebsrisiko, das spter wieder abzubauen ist. Man geht gegenber einem z.B. 25jhrigen von einem verdoppelten Risiko aus, wenn ein Jugendlicher vor dem Alter von 15 Jahren mit dem Rauchen beginnt. Tabelle 1 zeigt die Entwicklung fr Lungenkrebs. Analoge Zahlen liegen auch fr andere Krebsarten vor (z.B. bsartige Neubildungen der Lippe, Mundhhle und des Rachen sowie des Kehlkopfes). Diese Erkenntnisse belegen, da es aussichtsreich ist, die Aufgabe des Rauchens in jedem Altersbereich zu frdern. Insbesondere ist jedoch anzustreben, da mit dem Rauchen in der Jugend gar nicht erst begonnen wird. Sozialwissenschaftliche Daten belegen allerdings, da es gerade die Jugendlichen sind, die mit dem Rauchen experimentieren und z.T. dabei zu gewohnheitsmigen Rauchern werden. Mit dem Alter von 20 Jahren ist die Entscheidung Raucher/Nichtraucher in aller Regel bereits gefallen. Voraussetzung fr eine effektive Primrprvention im Bereich des Rauchens ist eine Vernderung des Sozialethos unserer Gesellschaft. Ein Sozialethos, in dem Rauchen chic ist, macht es dem Raucher schwer, das Rauchen aufzugeben, und grenzt tendenziell Jugendliche aus, die „nicht mitmachen“. Die Erfahrungen aus Grobritannien, wo die oben erwhnte groe epide-
6
286
6
Pra¨vention
Tabelle 1. Vera¨nderung des relativen Risikos fu¨r Lungenkrebs bei Aufgabe des Rauchens im Vergleich zu Rauchern (Wu-Williams u. Samet 1994) Jahre seit Aufgabe des Rauchens 1–4 5–9 10–14 15–19 20–24 25 und mehr Raucher
Relatives Risiko Ma¨nner
Frauen
1,1 0,7 0,6 0,4 0,4 0,3 1,0
0,9 0,7 0,4 0,5 0,5 0,3 1,0
miologische Studie zu Rauchen und Lungenkrebs unter ˜rzten durchgefhrt wurde, belegen ferner, da bestimmte Berufsgruppen (˜rzte, Lehrer, Journalisten) in besonderer Weise eine Leitbildfunktion haben. In diesem Sinne sollte es selbstverstndlich sein, da in Krankenhusern und anderen medizinischen Einrichtungen nicht geraucht wird, weder von den Patienten noch vom medizinischen Personal. Im medizinischen Bereich Ttige sollten sich generell ihrer Vorbildfunktion bewut sein und nicht rauchen. Tabakwerbung schafft Leitbilder, gerade fr Jugendliche. Ein Verbot durch die EU ist zu begren und konsequent in nationale Regelungen umzusetzen. Der Verkauf eines suchtbildenden und zu Krankheit und vorzeitigem Tod fhrenden Produktes durch Automaten auf der Strae, durch die das Produkt unkontrolliert auch Jugendlichen zugnglich ist, ist ebenfalls zu verbieten. Die Erfahrungen aus anderen Lndern belegen, da drastische Tabaksteuererhhungen einen nachhaltigen Einflu auf das Rauchverhalten haben. Umfassender Nichtraucherschutz und die extensive Schaffung rauchfreier Zonen sind weitere flankierende Manahmen. Als wenig erfolgreich haben sich dagegen jugendzentrierte oder Schulprojekte erwiesen. Kinder und Jugendliche orientieren sich an der Welt der Erwachsenen und lassen sich nicht von deren Verhaltensweisen abhalten, solange sie dort nicht ebenfalls in Mikredit geraten (DKFZ 2002). Bereits in der „,Heidelberger Erklrung zur Tabakprvention fr Kinder und Jugendliche in Deutschland“ aus dem Jahr 1997 wurde die Einrichtung eines bundesweiten Informationsdienstes gefordert, bei dem sich zur Tabakentwhnung bereite Brger beraten oder Adressen von Beratungsstellen in ihrer Nhe nennen lassen knnen. Mittlerweile wurde als erster Schritt in diese Richtung das „Rauchertelefon des DKFZ“ eingerichtet, das von Montag bis Freitag von 15…19 Uhr Beratung anbietet (Tel: 0 62 21/42-42 00). Auf dessen Internetseite (www.dkfz.de, „Das Rauchertelefon“) kann darber hinaus weiteres Informationsmaterial eingesehen bzw. ausgedruckt
6.1
Prima¨re Pra¨vention
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werden. Hervorzuheben ist, da diese Einrichtung nicht nur ausstiegsbereite Raucher, sondern auch Berater aus dem Bereich der Gesundheitsberufe untersttzt (hier ist z. B. auch die oben zitierte Broschre „Raucherentwhnung leichter gemacht … Empfehlungen fr Gesundheitsberufe“ z.B. ber die genannten Internetseiten als pdf.-Datei erhltlich). Erna¨hrung
Mit einem geschtzten Anteil von 30% am Gesamtkrebsgeschehen gehrt der Bereich der Ernhrung zusammen mit dem Rauchen zu den beiden bedeutendsten Risikofaktorbereichen, aus denen sich das grte Prventionspotential ergibt. Im Unterschied zum Rauchen handelt es sich im Bereich der Ernhrung aber nicht um Faktoren, die durch „Abschaffen“ beseitigt werden knnten. ber die in Abschnitt 4 des Kapitels 4 genannten Assoziationen hinaus sind bisher noch sehr viel weniger Einzelheiten bekannt, als dies beim Rauchen der Fall ist. Beispielsweise wei man z.Zt. noch nicht, in welchem Ausma das Krebsrisiko sinkt, wenn bestimmte Vernderungen im Ernhrungsverhalten eingeleitet werden, ob sie bereits in der Jugend stattfinden mssen oder auch noch im Erwachsenenalter wirksam sind und innerhalb welcher Zeitrume sich dadurch Krebsrisiken verringern lassen. Die oben erwhnten Migrantenstudien deuten jedoch darauf hin, da auch Ernhrungsvernderungen im Erwachsenenalter zu einer nicht geringen Vernderung des Krebsrisikos fhren knnen. Auf jeden Fall ist es sinnvoll, noch vor der endgltigen Klrung dieser Fragen bereits Ernhrungsempfehlungen auszusprechen. Es gilt als erwiesen, da ein niedriger Konsum an Obst und Gemse sowie ein hoher Fettkonsum an der Verursachung auch anderer Krankheiten (z.B. Herz-Kreislauf-Krankheiten) beteiligt sind und daher eine entsprechende Verhaltensanpassung auf jeden Fall gesundheitsfrdernd wirkt. Epidemiologische Studien, die untersuchen, inwieweit die Befolgung derartiger Ernhrungsempfehlungen zu einer Senkung des Krebsrisikos fhrt, d.h. die oben angesprochenen noch offenen Fragen beantworten sollen, sind derzeit in den USA im Gange und lassen in den nchsten Jahren auch hierauf genauere Antworten erwarten. Das Programm „Europa gegen den Krebs“ der Europischen Union hat daher Ernhrungsempfehlungen in ihren Leitlinien zur Krebsbekmpfung aufgenommen (s. Abschn. 5.3). In den USA wurden schon viel frher quantitative Ernhrungsempfehlungen gegeben. So rt z.B. das sog. „Five a day“Programm, mindestens fnf Portionen Obst oder Gemse tglich ber den Tag verteilt zu sich zu nehmen (siehe unten). Fr die hollndische Bevlkerung berechnete Empfehlungen schlagen einen tglichen Konsum von 400 g Gemse vor. Auch in der bisher ausfhrlichsten Bestandsaufnahme
6
288
6
Pra¨vention
Tabelle 2. Erna¨hrungsempfehlungen des World Cancer Research Fund (1997) Bereich
Empfehlung
Nahrungsmittel und Verzehrsgewohnheiten
Bevorzugung pflanzlicher Kost unter Wahrung einer großen Vielfalt an Obst und Gemu¨se
Ko¨rpergewicht
Einhaltung eines Ko¨rpermassenindex (BMI) von 18,5–25
Ko¨rperliche Bewegung
Bei geringer ko¨rperlicher Bewegung im Beruf ein einstu¨ndiger Spaziergang ta¨glich und eine anstrengende Aktivita¨t wenigstens 1 Stunde wo¨chentlich
Obst und Gemu¨se
Genuß von 400–800 g bzw. mindestens 5 Portionen ta¨glich an Obst und Gemu¨se in variantenreicher Zusammenstellung (mindestens 7% der aufgenommenen Gesamtenergie)
Andere pflanzliche Nahrungsmittel
Variantenreicher Verzehr sta¨rkehaltiger oder proteinreicher Produkte pflanzlichen Ursprungs (45–60% der aufgenommenen Gesamtenergie): 600–800 g bzw. mehr als 7 Portionen ta¨glich an Getreideprodukten, Hu¨lsenfru¨chten, Kartoffeln und Bananen Bevorzugung wenig verarbeiteter Produkte; Begrenzung von raffiniertem Zucker und Weißmehlprodukten
Alkohol
Vermeidung von Alkoholkonsum bzw. Beschra¨nkung auf weniger als 2 alkoholische Getra¨nke ta¨glich fu¨r Ma¨nner oder 1 fu¨r Frauen
Fleisch
Falls u¨berhaupt Fleisch konsumiert wird, Beschra¨nkung von Rind-, Schweine- und Lammfleisch auf 80 g ta¨glich oder weniger; Bevorzugung von Fisch und Geflu¨gel oder Wild
Fette und O¨le
Beschra¨nkung des Verzehrs fettreicher Kost, insbesondere tierischen Ursprungs, Bevorzugung ma¨ßiger Mengen pflanzlicher O¨le
Salz
Beschra¨nkung des Verzehrs eingesalzener Speisen und der Verwendung von Salz beim Kochen und Essen (insgesamt 6 g ta¨glich oder weniger) bei Erwachsenen
Aufbewahrung von Nahrungsmitteln
Geeignete Aufbewahrung zur Vermeidung von Schimmel und Mykotoxinen, Verwendung von Ku¨hlung und Einfrieren zur Haltbarmachung
Zusatzstoffe
Bei Einhaltung geeigneter Grenzwerte keine gesundheitsscha¨dlichen Folgen bekannt
Zubereitung
Bevorzugung niedriger Gartemperaturen; Begrenzung des Verzehrs in direkter Flamme gegrillten Fleisches und Fisches, gepo¨kelten und gera¨ucherten Fleisches; keine verkohlten Lebensmittel
Supplemente
Bei Einhaltung der Erna¨hrungsempfehlungen in aller Regel unno¨tig, fu¨r eine Senkung des Krebsrisikos nicht nutzbringend und mo¨glicherweise sogar scha¨dlich
6.1
Prima¨re Pra¨vention
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ber den Zusammenhang zwischen Krebs und Ernhrung werden Ernhrungs- bzw. Verhaltensempfehlungen gegeben (Tabelle 2). Ungeklrt ist die Rolle einzelner Nahrungsinhaltsstoffe. Einzelne Vitamine, Mineralstoffe oder Spurenelemente wurden bei den verschiedenen Krebsarten in unterschiedlicher Strke als protektiv gefunden (z.B. Vitamin C bei Magenkrebs, b-Carotin bei Lungenkrebs). Der Versuch, sie und andere Stoffe gezielt zu supplementieren im Hinblick auf eine Verstrkung des protektiven Effektes der entsprechenden Nahrungsmittel, wurde wichtiger Teil des Forschungsgebietes Chemoprvention (siehe oben). Erste Interventionsstudien, die untersuchen, ob bzw. in welchem Umfang sich damit tatschlich die Krebsinzidenz senken lt, wurden bereits durchgefhrt bzw. laufen derzeit. Nur in einer Studie zu Magenkrebs in einer Region Chinas mit hoher Speiserhren- und Magenkrebsinzidenz sowie einer Unterversorgung der Bevlkerung mit Vitaminen und Spurenelementen wurde eine leichte Senkung des Magenkrebsrisikos beobachtet. In den anderen Studien trat entweder kein Effekt oder sogar eine Risikoerhhung auf. Es ist daher im Augenblick unbedingt davon abzuraten, die Wirkung eines regelmigen Obst- und Gemseverzehrs z.B. durch Supplementierung von Vitaminen oder Mineralstoffen erzielen zu wollen. Der prventive Effekt von Obst und Gemse kann nur durch dessen regelmigen und variantenreichen Verzehr genutzt werden. Die Ernhrungs-Prventionsprogramme „Five a day“ in den USA oder „5 am Tag“ in Deutschland beruhen auf der Beobachtung, da Bevlkerungsgruppen, die 5…10 Portionen Obst und Gemse tglich zu sich nehmen, ein substantiell niedrigeres Krebsrisiko aufweisen als Personen, die diese Nahrungsmittel berhaupt nicht oder kaum (1…2 Portionen tglich) verzehren. Da der durchschnittliche Verzehr von Obst und Gemse in vielen westlichen Lndern, darunter auch in Deutschland, gering ist (etwa zwei Portionen tglich), liegt in der angestrebten Steigerung auf wenigstens fnf Portionen bereits ein betrchtliches Prventionspotential. Das Konzept ist denkbar einfach und sollte ohne allzu groen Aufwand von jedermann realisierbar sein. Ein Glas Fruchtsaft zum Frhstck, eine Portion Gemse sowie eine Portion Salat zur Mittagszeit, eine Frucht am Nachmittag sowie noch einmal ein Salat oder eine Frucht am Abend erfllen bereits das Programm. Anhaltspunkte fr die Mengen, die unter dem Begriff „Portion“ zu verstehen sind, gibt die nachfolgende Liste: F F F F F F
Eine mittelgroe Frucht (z.B. Apfel, Birne, Apfelsine) Ein Glas (0,2 l) reiner (100%) Frucht- oder Gemsesaft 1/2 Tasse gekochte Frchte oder Gemse Eine Tasse rohes Blattgemse 1/2 Tasse gekochte Trockenerbsen oder -bohnen 1/2 Tasse Trockenobst
6
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6
Pra¨vention
Auch im Hinblick auf den unterschiedlichen Nahrungsbedarf bei unterschiedlicher Krpergre oder bei Kindern gibt es die noch „handfestere“ Charakterisierung der Portionsgre als die Menge Frchte oder Gemse, die in eine Hand pat. Diese ist bei Kindern und Erwachsenen bzw. unterschiedlich groen Menschen ebenfalls unterschiedlich gro. Allerdings ist bei derartigen Prventionsempfehlungen nicht nur der einzelne angesprochen, sondern das gesamte soziokulturelle Umfeld, das sich in eine entsprechende Richtung verndern mu und z.B. in Kantinen am Arbeitsplatz, in Gaststtten, bei der Patientenversorgung in Krankenhusern usw. ein entsprechendes Angebot bereithalten sollte. ˜rzte sollten ber Sinn und Zweck des Programms informiert sein, ihre Patienten darauf aufmerksam machen und zur Teilnahme motivieren. Informationen sind z.B. erhltlich bei der Deutschen Krebsgesellschaft, Frankfurt, bzw. deren Internetseiten (www.krebsgesellschaft.de). Alle diese berlegungen beziehen sich wohlgemerkt auf Ernhrungsfaktoren, die die Entstehung von Krebskrankheiten begnstigen knnen bzw. zur Vermeidung eingesetzt werden knnen. Die Epidemiologie hat keine Erkenntnisse zur Hand, ob bzw. wie die Ernhrung die Heilungsaussichten bei einer bereits eingetretenen Krebskrankheit beeinflut. Es ist pauschal formuliert sicherlich jedoch nicht falsch anzunehmen, da diejenigen Ernhrungsempfehlungen, die zur Krebsvorbeugung gegeben werden auch im Rahmen der Krebsbehandlung ihre Gltigkeit behalten. Dies ist allerdings mit einem Zusatz zu versehen: mit einer Krebserkrankung geht hufig ein mitunter betrchtlicher Krpergewichtsverlust einher. Es ist aber bekannt, da deutliches Untergewicht bei Krebspatienten sich negativ auf die berlebenszeit auswirkt (DeWys 1980, DeWys et al. 1980). Der Kontrolle von Untergewicht kann dabei zumindest in bestimmten Phasen der Behandlung die Prioritt zukommen. Alkohol
Fr Alkohol lt sich leichter als fr andere Faktoren aus dem Bereich der Ernhrung der Risikoverlauf bei Aufgabe des Konsums angeben. Mehrere Studien belegen, hnlich dem Rauchen, einen zgigen Rckgang des Risikos fr die betroffenen Krebsarten innerhalb einiger Jahre (Tabelle 3). Untersuchungen aus der Epidemiologie der Herz-Kreislauf-Krankheiten haben zu dem vielfach zitierten Ergebnis gefhrt, da die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Krankheiten und, damit verbunden, die Gesamtsterblichkeit durch einen migen Alkoholkonsum verringert werden kann. Ein solcher Zusammenhang trifft fr Krebskrankheiten eindeutig nicht zu. Das auch bei migem Alkolholkonsum erhhte Krebsrisiko wird lediglich wettgemacht durch ein strker erniedrigtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken, so da die Bilanz insgesamt gnstig erscheint. Wer aber auf jeden Fall nicht an Krebs erkranken oder sterben will, hat davon nichts.
6.1
Prima¨re Pra¨vention
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Tabelle 3. Vera¨nderung des relativen Risikos fu¨r Speisero¨hrenkrebs bei Aufgabe des Alkoholkonsums im Vergleich zu fortdauerndem Alkoholkonsum (Cheng et al. 1995) Jahre seit Aufgabe des Alkoholkonsums
Relatives Risiko
Konfidenzintervall
0–1
2,5
1,4–4,4
1–4
1,5
0,9–2,6
5–9
0,5
0,3–0,9
10–14
0,8
0,4–1,5
15 und mehr
0,2
0,1–0,6
Fortdauer des Alkoholkonsums
1,0
–
Niemals Alkoholkonsum
0,6
0,4–1,0
U¨bergewicht, ko¨rperliche Bewegung
Obwohl mangelnde krperliche Bewegung und bergewicht miteinander zu tun haben und ihrerseits wieder mit dem Ernhrungsfaktor Gesamtkalorienzufuhr zusammenhngen, scheinen diese beiden Faktoren eine eigenstndige Rolle bei der Krebsentstehung zu spielen, die in der Vergangenheit mglicherweise unterschtzt wurde. In einer gerade erschienenen Evaluation geht das Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) davon aus, da eine gesicherte Evidenz dafr vorliegt, da bergewicht ein Risikofaktor fr eine Reihe von Krebsarten darstellt (Kolon, Brust [postmenopausal], Endometrium, Niere und Speiserhre). Empfohlen wird ein Krpermassenindex („Body mass index“, BMI) von 18,5…25,0 kg/m2 und die Vermeidung einer Gewichtszunahme darber hinaus. Der BMI setzt das Krpergewicht in Beziehung zur Krpergre und wird berechnet aus Gewicht in Kilogramm dividiert durch Krpergre in Meter zum Quadrat. Ein BMI von 25,0 kg/m2 und mehr signalisiert demnach bergewicht. Bei bergewichtigen wird empfohlen, als erstrangiges Ziel zunchst eine Gewichtsabnahme um 5…10% anzustreben. Es wird aber auch betont, da angesichts der starken Verbreitung dieses Risikofaktors in den entwickelten Lndern und dessen tiefer Verankerung im westlichen Lebensstil breite Anstrengungen zu dessen Kontrolle erforderlich sind, die nicht nur das Individuum fordern, sondern die Nahrungsmittelindustrie, Medien und staatliche Stellen mit einbeziehen mssen. Auch bei krperlicher Bewegung (physical activity) geht das IARC davon aus, da eine gesicherte Evidenz fr einen in diesem Fall protektiven Zusammenhang mit bestimmten Krebsarten (Kolon und Brust) vorliegt sowie deutliche Hinweise (limited evidence) auf einen Zusammenhang mit Tumoren des Endometriums und der Prostata bestehen. Empfohlen
6
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6
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wird mglichst tglich krperliche Bewegung von mindestens einstndiger Dauer, z.B. Spazierengehen oder hnliches. Auch hier wird darauf hingewiesen, da dies durch eine geeignete soziale Umgebung, am Arbeitsplatz oder durch Frderung von ffentlichen Verkehrssystemen, die Gehen oder Fahrradfahren begnstigen, begleitet sein sollte. Es sei darauf aufmerksam gemacht, da der empfohlene erste Schritt in Richtung Prvention, einstndiges Gehen tglich, das Bestandteil des blichen Tagesablaufs sein kann, keine drastische Lebensumstellung erfordert. Fr diejenigen, die keinen Sport treiben knnen (z.B. aus zeitlichen Grnden) oder wollen, ist wichtig festzuhalten, da krperliche Bewegung nicht identisch ist mit sportlicher Bettigung. Auch wer keinen Sport treibt, kann durch Bewegung im Alltag, wie das erwhnte Spazierengehen oder Laufen, Fahrradfahren zum Arbeitsplatz oder zum Vergngen, oder durch die Bewegung am Arbeitsplatz bei manuellen Ttigkeiten das hiermit gegebene Prventionspotential nutzen. Infektio¨se Agenzien
Gegen einige der als karzinogen erkannten Viren wurden bereits Impfstoffe entwickelt, sie befinden sich in der Erprobung. So wurde zur primren Prvention gegen Leberkrebs ein Impfstoff gegen Infektionen mit Hepatitis-BViren, die als eine Ursache von Leberkrebs identifiziert wurden, entwickelt und von der WHO seit 1986 in verschiedenen Lndern (z.B. Gambia, China und Taiwan) im Rahmen von Impfprogrammen unter Neugeborenen eingefhrt. Die mittlerweile vorgelegten Daten zeigen, da durch diese Interventionen in der Tat die Leberkrebsinzidenz gesenkt werden kann. Auch gegen eine zweite Art von Tumorviren, die sogenannten Papillomaviren, die fr Tumoren des Gebrmutterhalses und anderer Lokalisationen im Anogenitalbereich verantwortlich sind, wurde ein Impfstoff entwickelt, der gerade in die Erprobungsphase eingetreten ist. Berufliche Faktoren
Infolge der institutionellen Verankerung des Arbeitsschutzes und der Unfall- bzw. Berufskrankheitenprvention in der Industrie (in Deutschland z.B. durch die Berufsgenossenschaften) ist die Umsetzung von Erkenntnissen ber beruflich bedingte Krebserkrankungen in Vorbeugungsmanahmen zumindest im Prinzip der am besten geregelte Bereich der Krebsprvention. Fest institutionalisierte Gremien (in Deutschland ist es beispielsweise die Senatskommission zur Prfung gesundheitsschdlicher Arbeitsstoffe bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft) berfhren Ergebnisse der Krebsforschung in Vorschriften oder Empfehlungen zur Handhabung der betreffenden Agenzien an industriellen Arbeitspltzen (z.B. technische Richtkonzentrationen, maximale Arbeitsplatzkonzentration usw.).
6.1
Prima¨re Pra¨vention
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Behrden und Selbstverwaltungsgremien veranlassen Arbeitsschutzmanahmen an den jeweiligen Arbeitspltzen und fhren regelmige berwachungen durch. Durch derartige Systeme ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, industrielle Arbeitspltze wesentlich „sauberer“ zu machen (z.B. das weitgehende Verbot der Herstellung, Verarbeitung oder Verwendung von Asbest und asbesthaltigen Produkten). In epidemiologischen Studien konnte verschiedentlich gezeigt werden, da Krebsrisiken in lnger zurckliegenden Dekaden (z.B. in der 40er und 50er Jahren) erhht waren und in den darauffolgenden Dekaden sukzessive kleiner wurden. Der Anteil der beruflichen Expositionen zuzuschreibenden Krebstodesflle sollte demnach als Folge der bereits eingefhrten Prventionsmanahmen in den nchsten 10…20 Jahren zurckgehen. Voraussetzungen hierfr sind allerdings, da die vorgeschriebenen oder empfohlenen Schutzmanahmen auch durchgefhrt werden sowie eine ungebrochene Wachsamkeit und Aufrechterhaltung einer gewissenhaften Kontrolle hinsichtlich einer eventuellen Karzinogenitt bei der Verwendung bzw. Herstellung neuartiger Materialien. Schadstoffbelastung der Umwelt
Auch in diesem Bereich haben bereits zahlreiche gesetzgeberische Manahmen dazu gefhrt, da bestimmte Belastungen ber die Jahrzehnte deutlich verringert werden konnten (z.B. Ru- und Staubemissionen in der Schwerindustrie, Emissionen aus Verbrennung zur Energiegewinnung in Kraftwerken und in privaten Haushalten durch Einfhrung verbesserter Brennertechniken). Auf der anderen Seite sind bei den Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs zwar schon erhebliche Verbesserungen auf der Ebene des einzelnen Fahrzeuges erreicht worden, doch wird die dadurch angestrebte Rckfhrung der Umweltbelastung mehr als kompensiert durch die rasche Zunahme des Gesamtverkehrsaufkommens. Dadurch sind die Verkehrsemissionen zum bei weitem wichtigsten Problem innerhalb des Bereichs der Schadstoffbelastung der Umwelt geworden. Weitere technische Entwicklungen, die entweder jetzt bereits zur Verfgung stehen (z.B. schwefelfreier Kraftstoff oder Rufilter zur Senkung der Partikelemissionen bei Dieselmotoren) oder fr die Zukunft zu erwarten sind (z.B. Brennstoffzellentechnik), lassen auch fr den Umweltbereich insgesamt eine weitere Verminderung der Krebsrisiken erwarten. UV-Strahlung
Auf ionisierende und UV-Strahlung werden etwa 2% aller Krebstodesflle zurckgefhrt. Exzessives Sonnenbaden ist zusammen mit konstitutionellen Faktoren ein Hauptrisikofaktor fr Hautkrebs sowie das bsartige
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und nicht selten tdlich verlaufende Melanom der Haut. Sonnenbrnde und mglicherweise bereits wiederholt auftretende starke Rtungen der Haut im frhen kindlichen Alter erhhen das Risiko stark. Ihre Vermeidung durch Kleidung oder Sonnenschutz ist eine wirksame Prvention, die bereits im Kindesalter einzusetzen hat. Besonders prdisponiert sind Personen, die von ihrer Konstitution hellhutig sind. Die Nutzung von Sonnenbnken bzw. Solarien fhrt zu den entsprechenden Expositionen und damit verbundenen Krebsrisiken und sollte vermieden werden (s.a. IARC 2001).
6 Die Entwicklung chemopra¨ventiver Studien Bei der Entwicklung chemoprventiver Studien war das National Cancer Institute in den Vereinigten Staaten Vorreiter hinsichtlich der Forderung einer stringenten Durchfhrung und der Wahrung der ntigen Qualittskontrolle. Ein Studiendesign mu sich aus den Erkenntnissen des prklinischen Grundlagenwissens zu zellbiologischen Mechanismen und daraus folgend aus einer klaren Hypothesenbildung aufbauen. Die ntigen Methoden der Zellbiologie, der Genetik, der Epidemiologie, der Soziologie und der Psychologie (z.B. Festlegung von Compliancekriterien, z.B. Plasmaanalysen in Kalziumstudien, da die unkontrollierte Einnahme von Kalzium wie auch anderer chemoprventiver Komponenten die Aussagekraft einer Studie erheblich schmlern kann) sowie der Statistik mssen in einem klinischen Studienprotokoll niedergelegt werden. Die Entwicklung und Einfhrung einer chemoprventiven Substanz erfolgt in einzelnen Schritten, wie sie auch fr die Prfung von Antitumorsubstanzen bekannt sind: F
F
F
Identifizierung von Substanzen im Tiermodell (z.B. in transgenen Musepopulationen), die das Auftreten von spontanen oder exogen induzierten Tumoren verhindern oder verzgern knnen. In-vitro-Testung der Effizienz und des Sicherheitsprofils (im Tiermodell) einer Substanz, inwieweit sie z.B. antimitogen, antimutagen oder als O2Radikalfnger wirkt (Erarbeitung von Vorschlgen zu Wirkmechanismen). Die Auswertung solcher prklinischer Daten ergibt die Entscheidung zur Implementation einer Substanz in die erste klinische Studienphase. Die Phase I einer klinischen Studie hat das Ziel, in einer gesunden, aber als Risikogruppe definierten Population Pharmakologie, Pharmakodynamik und Toxikologie zu berprfen. Element einer solchen Studie ist eine standardisierte Fibonacci-Dosiseskalation, um die maximal tolerable und die optimale wirksame Dosis zu finden. Schon diese Studien knnen placebokontrolliert durchgefhrt werden. Daran schliet sich eine Kurzzeitstudie der Phase IIa/IIb an.
6.1 F
F
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Die Phase II einer klinischen Studie hat das Ziel, an einer Risikopopulation mit geeigneten intermediren Biomarkern die Modulationsbreite dieser Biomarker in der Interventionsgruppe studieren zu knnen, um Aussagen zu einer mglichen Wirksamkeit in der Verhinderung einer Krebserkrankung zu treffen. Die gewhlten Intermedirmarker mssen urschlich mit dem Proze der Tumorgenese verknpft sein. Die Phase IIa kann als Pilotstudie angesehen werden, um die Machbarkeit fr einzelne Biomarker logistisch zu evaluieren (randomisiert oder nichtrandomisiert), whrend die Phase IIb mit den in Phase IIa erarbeiteten Biomarkern in einem randomisierten Design auf die Vernderung(en) eines intermediren Endpunkts abheben mu. In Tabelle 4 sind chemoprventive Strategien und ihre mglichen korrelativen Biomarker aufgefhrt. Die anschlieende Phase-III-Studie ist eine randomisierte, doppelblinde placebokontrollierte Langzeitstudie mit dem Endpunkt, das Auftreten/ Nichtauftreten einer Krebserkrankung in Hochrisikopopulationen zu vergleichen. Phase-III-Studien bedrfen Tausender von Probanden und knnen einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren umfassen. Es ist notwendig, da solche kostenintensiven Langzeitstudien ein unabhngiges Gutachter- und Monitoringkomitee haben, um die Reliabilitt der Studie und ihrer Ergebnisse zu sichern.
Das National Cancer Institute der Vereinigten Staaten baut derzeit eine zugngliche Datenbasis (public domain) auf, um intermedire Biomarker zu definieren und ihre standardisierte Anwendung zu propagieren, damit Ergebnisse vergleichbar werden. Die „down-titration“ akzeptierter Biomarker ist ein adquates Ma zum Wirksamkeitsnachweis einer chemoprventiven Substanz beim Menschen. So untersuchten Zhang und Kollegen am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, New York, die Autofluoreszenz von Gewebe als mglichen intermediren Biomarker, da Krebs- und normales Gewebe spezifische Spektren der Autofluoreszenz abgeben, durch die sie unterscheidbar werden. Mikronuklei, extrachromosomale DNS-Fragmente, wurden von Wargovich, Hong und Kollegen am M.D. Anderson Cancer Center in Houston mit Erfolg als intermedire Biomarker bei prmalignen oralen Lsionen untersucht. Chemoprventive Substanzen fhrten zu einer Verringerung der Zahl der Mikronuklei in der Mundschleimhaut. Moderne Methoden der Molekularbiologie, wie Polymerasekettenreaktion oder Einzelstrang-Konformationspolymorphismus-Analysen, werden ebenfalls mit Erfolg als Methodenwerkzeuge fr intermedire Biomarker am Substrat der Punktmutation/Deletion von Allelen bei Onkogenen (Ha-ras; K-ras) eingesetzt. Die Messung von TGF-a kann ebenfalls als Surrogatendpunktmarker bei Leukoplakien und der Behandlung mit 13-cis-Vitamin-A-Sure dienen.
6
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6
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Tabelle 4. Chemopra¨ventive Strategien und ihre mo¨glichen, korrelativen Biomarker Chemopra¨ventive Maßnahmen
Biomarker
Vermeiden von Tabakgenuß, heterozyklischen Aromaten, Aflatoxinen; Vermeiden einer fett- und kalorienreichen Nahrung
Verminderung von DNS-Addukten sowie oxidativen und alkylierten Metaboliten im Urin und Blut; Vera¨nderungen des Zelldetritus im Stuhl; normalisierte Darmflora auf Leitkeime standardisiert
Gabe von Antioxidanzien
Verminderung oxidativer DNS-Produkte im Urin und Blut
Hemmung der Arachidonsa¨ureproduktion und Oxidation Modulation der O¨strogenaktivita¨t (Indol-3-carbinol)
Verminderung der Lipoxygenase- und Cyclooxygenaseaktivita¨t Anstieg des 2-OH/16-OH-Ratio fu¨r O¨stradiol im Urin
Gabe von Kalzium und Vitamin D
Vera¨nderung der Genexpression und Hyperproliferation im Zielgewebe; Anstieg des Serum-25-OHVitamins D
Gabe von Difluoromethylornithin
Verminderte Ornithindecarboxylaseaktivita¨t und Zellproliferation
Gabe von Retinoiden
Redifferenzierung metaplastischen Gewebes; Modulation von Differenzierungsmarkern; Leukoplakien
Gabe von Terpenen
Modulation des 3-Hydroxy-3-methylglutarylCoenzymA-Stoffwechselweges Modulation des O¨strogenmetabolismus und Rezeptorexpression; Hemmung der Zellproliferation im o¨strogensensitiven Gewebe
Antio¨strogene (Tamoxifen und Derivate)
Die erfolgreiche Entwicklung chemoprventiver Studiendesigns wird in zunehmendem Ma von der exakten und klinisch anwendbaren Beschreibung solcher Detektionsverfahren hinsichtlich Erfolg/Mierfolg abhngig sein.
7 Chemopra¨ventive Substanzen in pra¨klinischen und klinischen Studien In der Prfung solcher Substanzen hat das „Chemoprevention Program“ des National Cancer Institute, USA, derzeit eine fhrende Rolle. Schtzungsweise haben bisher 2000 natrliche und chemische Substanzen chemoprventive Aktivitt gezeigt. Es mu jedoch auch erwhnt werden, da manche dieser Substanzen unter genderten Testbedingungen eine prklinische und klinische Karzinogenese frdern knnen, wie dieses fr bestimmte Flavonoide und Carotin (b-Carotin bei Rauchern) gezeigt werden konnte.
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Bereits 22 Substanzen und 3 Kombinationen von Substanzen haben ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium in verschiedenen klinischen Studien erreicht (Greenwood u. McDonalds 1997): F
F
F
Die erste Generation von Substanzen ist bereits in Phase-II- und Phase-III-Studien in der Klinik. Hier handelt es sich um Substanzen wie Vitamin A, 13-cis-Vitamin-A-Sure, N-Hydroxyphenylretinamid, Fenretinide, Kalzium, a- und b-Carotin, Tamoxifen und Finasteride. Eine zweite Generation von Substanzen befindet sich in Phase-I-Studien, wie Difluormethylornithin (DFMO), Sulindac, Piroxicam, Oltripaz (Vorkommen in Kreuzbltlern), Sallyl-l-Cystein (Vorkommen im Knoblauch), N-Acetylcystein, Acetylsalicylsure, Ibuprofen, Carbenoxolone (Succinatsureester), b-Glycerrhetinsure und die Kombination von DFMO und Piroxicam. Eine dritte Generation von Substanzen befindet sich in prklinischen Prfungen und wurde bisher in Tiermodellen erfolgreich eingesetzt. Diese sind Phenylhexylisothiocyanat, Curcumin, Fumarsure.
Gegenwrtig werden vom National Cancer Institute fr eine groe Kohorte sechs Chemoprventivstudien gefrdert, die b-Carotin, b-Carotin und Retinol, b-Carotin und verschiedene Kombinationen der Vitamine A, C, und E sowie Zink, Riboflavin, Niacin, Molybdn und Selen in einem gemeinsamen „Multi-drug-Protokoll“ prfen; als pharmazeutische Substanzen kommen Tamoxifen und Finasteride, ein 5-a-Reduktasehemmer, hinzu.
8 Klassifikation von chemopra¨ventiven Substanzen nach ihrem Wirkmechanismus Es gibt derzeit keine einheitlich akzeptierte Klassifikation zur Einordnung der oft strukturell und funktionell so unterschiedlichen chemoprventiven Substanzen. Es hat sich jedoch als sinnvoll erwiesen, drei Klassen zu whlen: F F F
1. Klasse: die Substanzen blockieren die Initiation und knnen eine Initiation wieder umkehren; 2. Klasse: die Substanzen haben denselben Effekt in der Promotionsphase und 3. Klasse: die Substanzen greifen in die Progressionsphase ein.
Vereinfacht kann man die Substanzen als Antimutagene und Inhibitoren einer Hyperproliferation charakterisieren. Da die Initiation einer Zelle in der Karzinogenese der derzeit am besten verstandene Proze ist, ist es auch nicht verwunderlich, da dafr profunde Aussagen vorliegen. Initiationinhibierende Substanzen knnen die Absorption von Karzinogenen vermindern (z.B. Ballaststoffe), Enzyme hemmen,
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die reaktive Karzinogene erzeugen (z.B. Hydroxyanisol), sie knnen weiterhin oxidative Enzyme induzieren, die Karzinogene detoxifizieren (z.B. Isothiozyanate), Phase-II- oder glucuronidierende Enzyme induzieren, die ebenfalls Karzinogene detoxifizieren (z.B. Oltipraz, Organoschwefelkomponenten); oder sie knnen reaktive Sauerstoffspezies vernichten (Antioxidanzien) und die Zellproliferation sowie DNS-Synthese (z.B. Kalzium und Selen, Terpene und Polyphenole aus Pflanzen) hemmen. Gegenwrtig versucht das National Cancer Institute der USA ein Netzwerk fr Chemoprventivstudien zu entwickeln, um neue Substanzen im internationalen Wissenschaftsverbund effektiver und kostengnstiger in die klinische Anwendung bringen zu knnen.
9 Chemopra¨ventive Substanzen mit erfolgversprechendem Wirkprofil fu¨r die Klinik Die Chemoprvention ist noch nicht allgemeine klinische Praxis geworden; zuverlssige klinische Ergebnisse sind abzuwarten. Es werden derzeit weltweit mehr als 35 randomisierte klinische Studien durchgefhrt. Die Ergebnisse aus Phase-II- und Phase-III-Studien, die in den nchsten Jahren fr die Krebse der Lunge, Haut, Brust, Speiserhre, Blase und des Kolons zu erwarten sind, weisen in ihren vorlufigen Mitteilungen darauf hin, da die endgltigen Daten klinischer Standard sein und groe Aufmerksamkeit fr das Design weiterer Studien erhalten werden. In Tabelle 5 sind einige Mechanismen chemoprventiver Substanzen aufgefhrt. Tamoxifen
Seit 1987 fhrt das Milan Cancer Institute in Italien eine groe, randomisierte Studie mit Tamoxifen und dem synthetisierten Retinoid Fenretinide (4-HPR) an 2966 Brustkrebspatientinnen durch. Das Ziel dieser Studie ist, die Inzidenz an kontralateralem Brustkrebs nach einer Ersterkrankung mit Tamoxifen und einer tglichen Dosis von 200 mg 4-HPR zu senken. Eine Metaanalyse der Daten weist darauf hin, das gesteckte Ziel zu erreichen. Weiter wurde vom gleichen Institut im April 1993 eine Studie initiiert, um die biologische Wertigkeit von Tamoxifen zur Prvention von Brustkrebs zu studieren. Die Studie soll 5 Jahre (ohne Rekrutierungszeit) laufen und rekrutiert gesunde Frauen, die allerdings hysterektomiert sind, da das Risiko eines endometrialen Tumors durch Tamoxifen noch nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Die Dosis ist 20 mg Tamoxifen tglich. Das mittlere Alter von bereits 801 in die Studie aufgenommenen Frauen betrgt 51 Jahre. Beide Studien sind placebokontrolliert und deshalb in ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft besonders wertvoll.
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Tabelle 5. Mechanismen chemopra¨ventiver Substanzen Wirkmechanismen
Substanzen
Hemmung der Karzinogenaufnahme
Kalzium
Hemmung der Karzinogenaktivierung
Isothiozyanate, DHEA, NSAID, Polyphenole
Deaktivierung/Detoxifikation von Karzinogenen
Oltipraz und andere GSH-steigernde Stoffe
Inhibition der Bindung von Karzinogenen an die DNS
Polyphenole, Oltipraz
Steigerung des DNS-Reparaturmechanismus („fidelity of DNS-repair“)
Proteinaseinhibitoren, NAC
Stabilita¨t der DNS
Acetylsalicylsa¨ure
Hemmung elektrophiler DNS-Substitute
GSH-steigernde Stoffe
Hemmung von Sauerstoffradikalen
Vitamin E, Polyphenole
Signalmodulation (outside/inside signalling)
Glycyrrhetinsa¨ure, NSAID, Polyphenole, Retinoide, Tamoxifen und Derivate
Modulation von Hormonen und Wachstumsfaktoren
NSAID, Retinoide, Tamoxifen
Hemmung der Onkogenexpression
Genistein, NSAID, Monoterpene
Hemmung des Polyaminstoffwechsels
Difluoromethylornithin
Induzierung einer terminalen Differenzierung
Kalzium, Retinoide, Vitamin D, cAMP
Induzierung von Apoptose
Genistein, Tamoxifen, Retinoide, Buttersa¨ure
Ausgleich einer Imbalance in der DNS-Methylierung
Folsa¨ure
Hemmung der Angiogenese
Genistein, Retinoide, Tamoxifen
Hemmung des Abbaus der Basalmembran
(Metallo-)Proteinaseinhibitoren
Steigerung der Ansprechraten von Chemotherapieprotokollen
Levamisol, Trypsin, Chymotrypsin und Papain
Hemmung der Zellmigration
Kumarin, Genistein, b-Blocker
Abku¨rzungen: cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat; DHEA = Dihydroxyepiandosteron, GSH = Glutathion; NAC = N-Acetyl-I-cystein; NSAID = nonsteroid anti-inflammatory drugs.
b-Carotin
Das National Cancer Institute von Japan entwickelt ein Protokoll, das zur Prvention von Sekundrtumoren nach primrer Behandlung von KopfHals-Tumoren eingesetzt werden soll. Die klinische Daten zeigten, da 15% dieser Patienten, zwischen 1962 und 1990 behandelt, einen Zweittumor
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entwickelten. Die Wissenschaftler versuchen nun, durch eine placebokontrollierte Studie mit b-Carotin (30 mg tglich) diese Zweittumorrate zu senken, um die Gesamtheilungsquote fr Kopf-Hals-Tumoren heben zu knnen. Ein hnliches Problem stellt sich mit der Induktion von Zweittumoren nach chemotherapeutischer Behandlung von Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs dar. Langzeitberlebende sollen durch eine chemoprventive Intervention ein geringeres Risiko haben, an einem durch intensive Chemotherapie induzierten Zweittumor zu versterben. Die ATBC- (a-Tocopherol, b-Carotin) und die CARET-Studien (b-Carotin, Retinylpalmitat) wurden mit Studienkollektiven durchgefhrt, die ein hohes Lungenkrebsrisiko … vor allem durch Rauchen … trugen. Beide Studien muten abgebrochen werden, da eine Metaanalyse in der b-Carotingruppe jeweils eine Erhhung des Lungenkrebsrisikos zeigte. Vitamin-A-Sa¨ure-Derivate
Verschiedene inkonkludente Berichte zum Einflu auf die Metaplasierate von Zellen im Sputum bei Patienten unter Etretinat- und Isotretinoinbehandlung auf die Prvention von Lungenkrebs ergaben, da zwar die Metaplasie von Bronchialzellen eine der ersten Vernderungen in Richtung Karzinogenese ist, da aber das Einstellen des Rauchens eine grere positive Wirkung auf eine Verringerung der Metaplasierate habe, als dies fr die beiden Substanzen nachzuweisen war. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, da die Eingangskriterien fr Probanden in Chemoprventivstudien stringenter festgelegt werden mssen; dies betrifft vor allem Variablen wie Lebensgewohnheiten und Prferenzen der Lebensqualitt, also auch soziale und soziokonomische Faktoren. Vor allem ist bei Studien mit Vitamin A und dessen Derivaten darauf zu achten, da diese galenisch in solchen Emulsionen zubereitet werden, damit auch bei eingeschrnkter Resorption eine optimale Aufnahme erfolgt. Eine Messung der jeweiligen Blutspiegel sollte in klinischen Protokollen obligat sein. Flavonoide
Natrliche Carotinoide und Flavonoide scheinen ein hohes protektives Potential in der Inhibition einer malignen Transformation von Epithelzellen zu haben. Dies zeigen erste Berichte aus der afrikanischen Bevlkerung, die bei einer hohen ditetischen Aufnahme von verschiedenen Carotinoiden (a, b, c) durch den Verzehr der Palmfrucht weniger hufig an Tumoren erkranken.
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Terpene
Terpene, hier besonders Monoterpene, die sich aus der Kondensation von zwei Isoprenmoleklen formen und im Pflanzenreich weit verbreitet sind (Zitrusfrchte, Grnblattgemse), haben eine vielversprechende chemoprventive Aktivitt. Das einfachste monozyklische Monoterpen ist d-Limenon. Dieses hat in verschiedenen Tiermodellen die Regression von Tumoren bewirkt, ohne selbst eine groe Toxizitt zu zeigen. Der zellulre Wirkmechanismus solcher Terpene lt sich zweiphasisch beschreiben: Zum einen erhhen sie die Konzentration bestimmter Genprodukte, z.B. TGF-b, zum anderen inhibieren sie Enzymaktivitten, die mit dem Mevalonat/Lipid-Stoffwechselweg und Prenyltransferasen verknpft sind; letztere sind fr bestimmte Onkogene (z.B. Ha-ras) notwendig, damit das Proteinprodukt in der Zelle aktiv sein kann. Sarcophytol A
Sarcophytol A ist ein Diterpen, das aus Sarcophytum glaucum isoliert wurde. Ein synthetisches Analogon zu Sarcophytol A, Canventol, zeigt ebenfalls chemoprventive Wirkung. Beide Substanzen inhibieren die Proteinisoprenylierung z.B. in NIH3T3-Zellen und dadurch deren Wachstum. Canventol hat weiter die biologische Eigenschaft, die TNF-a-Ausscheidung bei BALB/3T3-Zellen zu inhibieren. Organische Schwefelverbindungen
Interessante Anstze zur Chemoprvention kommen von organischen Schwefelverbindungen, isoliert aus Knoblauch oder Zwiebeln. Die Arbeitsgruppe um Wargovich in Houston hat den sog. „aberrant crypt bioassay“ fr Chemoprventivstudien im Tiermodell entwickelt. Definierte Karzinogene, als Initiatoren appliziert, bewirken innerhalb von 4…8 Wochen am Darmepithel eine fokale Kryptendysplasie, und die Anzahl der Foci kann als Ma der Transformation ausgezhlt werden. In einem solchen Modell wurden organische Schwefelverbindungen auf ihr Potential, durch 1,2-Dimethylhydrazin gebildete abnorme Foci entweder wieder rckzubilden oder die Anzahl zu dezimieren, erfolgreich geprft. NSAIDs
Das gleiche Modell wurde als Screeningmodell zur Chemoprvention von gastrointestinalen Tumoren verwendet, und sog. NSAID („non-steroidal anti-inflammatory drugs“) wie Ibuprofen, Ketoprofen, Piroxicam und Indometacin wurden erfolgreich eingesetzt. Acetylsalicylsa¨ure als Hemmstoff des Arachidonsurestoffwechsels und der Lipoxygenaseaktivitt hat besondere Aufmerksamkeit in der mglichen Hemmung des Kolonkarzi-
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Pra¨vention
noms erlangt. Studien mit einer sog. Minipille (10…20 mg/Tag) ASS werden derzeit durchgefhrt, um darber hinaus nhere Evidenzen zu erhalten. Gru¨ner Tee – Polyphenole
Eine epidemiologische Studie in Japan konnte zeigen, da Menschen, die grere Mengen grnen Tees trinken, ein geringeres Risiko aufweisen, an Magenkrebs zu erkranken. Grner und schwarzer Tee enthalten in unterschiedlichen Konzentrationen polyphenolische Komponenten, die einen chemoprventiven Effekt haben. In verschiedenen experimentellen Tumormodellen an der Muse- bzw. Rattenhaut konnte gezeigt werden, da vor allem der Wirkstoff (-)Epigallocatechingallat, ein Hauptbestandteil der Polyphenolfraktion aus grnem Tee, ein deutlich prventives Potential besitzt. In den Vereinigten Staaten wurden die japanischen Ergebnisse mit grnem Tee reproduziert. Es konnte gezeigt werden, da Polyphenole die Initiation und Promotion der Karzinogenese an der Haut der Maus inhibieren. Papillome, durch UV-Licht oder Dimethylbenz(a)anthrazen induziert, zeigten nach oraler Zufuhr von wrigen Polyphenolextrakt aus grnem Tee spontane Regression. Einige Effekte von Polyphenolen sind in ihrem Wirkmechanismus der Inhibition von Phase-I-Enzymen sowie der Aktivierung von Phase-II-Enzymen (Glutathion-S-Transferase und Chinonreduktase) und von antioxidativen Enzymen (Glutathionperoxidase, Superoxiddismutase und Katalase) zuzuordnen. Antioxidanzien und Antiradikale
Freie, besonders O2-spezifische Radikale (z.B. Superoxidradikal, Hydrogenperoxide, Hydroxyradikale, Singuletsauerstoff, Hydroxyperoxide, Alkoxyradikale, Alkylradikale und Hydroperoxyradikale) haben sowohl endogenen als auch exogenen Ursprung und treten im Stoffwechsel der Zellen auf. Es gibt klare Hinweise, da diese hoch reaktiven Verbindungen am Transformationsproze einer Zelle (Initiation) urschlich beteiligt sind. Die Zelle besitzt jedoch eine, wenn auch begrenzte Mglichkeit, solche Verbindung auf enzymatischem (antioxidative Enzyme) oder nichtenzymatischem Weg (Vitamin A, C, E, Bilirubin, Carnosin) unschdlich zu machen. Antioxidanzien haben zahlreiche Funktionen. Ihre Hauptfunktion ist, Peroxidradikale in der Form als Wasserstoff oder Elektronendonator abzufangen. Polyphenole enthalten in ihrer molekularen Struktur mindestens eine phenolische Hydroxygruppe und knnen deshalb in unterschiedlichem Mae als Antioxidans dienen. Phenolische Antioxidanzien sind im Pflanzenreich weit verbreitet. Sesamsamen z.B. enthalten eine Vielzahl von antioxidativen Lignanverbindungen; es wurden 2 Typen von phenolischen Antioxidanzien chemisch dargestellt, wasserlsliche und fettlsliche Lignane, so Sesamolinol und Sesaminol. Quellen natrlicher Antioxidanzien sind pflanz-
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liche le, Bohnen und Nsse, Gemse und Frchte, Bltter und Blatthllen von Gemse, Wurzeln und Gewrze sowie Algenprodukte; Antioxidanzien mikrobiellen Ursprungs sind in fermentierten Sojabohnenprodukten enthalten.
10 Beispiele von großen Chemopra¨ventionsstudien Das National Cancer Institute der USA untersttzt derzeit mehr als 13 groangelegte Krebsprventionsstudien, wobei entweder eine Intervention ber die Nahrungszusammensetzung (geringer Fettgehalt/hoher Faseranteil, ergnzt durch Obst und Gemse) beim Brust- und kolorektalen Karzinom versucht wird. Mit sog. Mikronhrstoffen, wie b-Carotin, Vitamine A, C und E sowie Kalzium, werden ebenfalls Interventionsstudien gegen Lungen-, Brust- und Darmkrebs durchgefhrt. Finasteride, Acetylsalicylsure und Tamoxifen sind pharmazeutisch-chemische Substanzen, die ebenfalls in Interventionsstudien beim Prostatakarzinom, beim Brust- und Darmkrebs eingesetzt werden. Die Linxianstudie
Die Linxianstudie wurde als randomisierte Doppelblindstudie durchgefhrt mit der Fragestellung, ob die tgliche supplementre Aufnahme von Vitaminen und Spurenelemente die Inzidenz und Mortalitt des Speiserhrenund Magenkrebses (Cardia) in der stark gefhrdeten Population von Linxian reduzieren kann. Etwa 30000 Menschen wurden in Gruppen eingeteilt, die Retinol und Zink, Riboflavin und Niacin, Vitamin C und Molybdn tglich nach der RDA (recommended daily allowances, USA) ber fnf Jahre erhielten. In einer „nested-in“-Studie wurde berprft, ob durch eine Multigabe an Vitaminen (14) und Mineralien (12) weniger sophagusdysplasien auftreten. Die Studien liefen ber 5 bzw. 6 Jahre. Die b-Carotin/Vitamin E/Selen-Gruppe zeigte das beste Ergebnis in einer 13% igen Reduzierung der Krebsmortalitt. Die Inzidenz des sophaguskrebses war erniedrigt, die Inzidenz des Magenkrebses (Cardia) war erhht, beides erreichte aber keine statistische Signifikanz. Die Linxianpopulation war sicher mangelernhrt, was Vitamine und Spurenelemente betrifft. Dies kann so nicht von einer westlichen Ernhrung angenommen werden, so da es fraglich ist, inwieweit diese Ergebnisse auf die westliche Kultur bertragen werden knnen. Die ATBC-Studie
Die ATBC-Studie wurde in Finnland durchgefhrt mit der Fragestellung, ob eine tgliche orale Supplementation mit a-Tocopherol (AT, 50 mg) und/oder b-Carotin (BC, 20 mg) die Inzidenz des Lungenkrebses bei Rauchern senken
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kann. Die Studie (29 133 mnnliche Raucher) war plazebokontrolliert und lief ber 8 Jahre. Das Ergebnis war eine nichtsignifikante Reduktion von 2% der Lungenkrebsinzidenz bei a-Tocopherol-Supplementation. Das Prostatakarzinom war in seiner Inzidenz um 34% in der Vitamin-E-Gruppe reduziert. Es wurde jedoch auch eine signifikante, 18% ige Erhhung der Lungenkrebsinzidenz in der b-Carotin-Gruppe gefunden. Interessant dabei war aber, da Probanden (Kontrollgruppe), die hohe Vitamin-E- und b-CarotinBlutspiegel hatten, die vor Beginn der Studie gemessen wurden, ebenfalls weniger Lungenkrebs entwickelten. Dies zeigt einerseits, da b-Carotin bei Rauchern einen karzinogenen Effekt ausben kann, da aber andererseits Nahrungsmittel mit hohem Vitamin-E- und b-Carotin-Gehalt noch andere chemoprventive Stoffe haben mssen, sollen andere epidemiologische Studien zur Prvention in diesem Kontext valide sein.
11 Schlußfolgerungen Der Brger bzw. Patient soll ta¨glich aus dem Frischangebot von Fru¨chten und Gemu¨sen zusammen fu¨nf einzelne Produkte, z.B. drei Gemsesorten und zwei Frchte, oder vier verschiedene Frchte und eine Gemsesorte, abwechselnd auswhlen und roh oder in schonender Zubereitung (Aufschlieen von Pflanzenzellen durch kurzfristiges Erhitzen) verzehren. Damit ist gewhrleistet, da er ein breites Spektrum chemoprventiver pflanzlicher Substanzen aufnimmt. Das Trinken wa¨ßriger Auszu¨ge von gru¨nem Tee scheint nach den vorliegenden epidemiologischen Studienergebnissen und experimentellen Resultaten in Ergnzung angeraten zu sein. Erst wenn die Ergebnisse laufender Studien vorliegen, kann eine Empfehlung ber weitere chemoprventive Substanzen ausgesprochen werden. Die wissenschaftliche Erforschung von Pflanzeninhaltsstoffen und chemischen Substanzen im Hinblick darauf, das relative Krebsrisiko individuell und/ oder in einer Population zu senken, ist noch eine junge, aber schnell wachsende Wissenschaftsdisziplin, die sich multimodaler Methoden aus Epidemiologie, Pharmazie, Ethnopharmakologie, organischer Chemie und Biochemie sowie moderner molekularbiologischer Methoden bedienen mu. Die Chemoprvention hat positive klinische Ergebnisse erzielt, die sie an die Schwelle zur standardisierten klinischen Einfhrung gebracht hat; bevor jedoch diese Schwelle definiert zum Wohle der Gemeinschaft und der einzelnen Brger, Probanden bzw. Patienten berschritten wird, mu die Effizienz dieser Strategie gegen den Krebs noch intensiver erforscht und weiterentwickelt werden. Besonders sind jene Substanzen von Interesse, die bei geringem Risiko der Nebenwirkung in der Klinik schon Antitumoraktivitt gezeigt haben. Die Weiterentwicklung dieser Wissenschaft und die Charakterisierung neuer chemoprventiver Stoffe ist eine gesundheitspolitische Notwendigkeit.
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Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung) N. Becker, L.v. Karsa
1 Einleitung Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 350 000 Personen an Krebs; ungefhr 210 000 sterben an dieser Todesursachengruppe. Aufgrund epidemiologischer Schtzungen kann man davon ausgehen, da von diesen Erkrankungs- bzw. Sterbefllen mindestens 60% umweltbedingt in einem weiten Sinne des Wortes und damit im Prinzip vermeidbar sind. Das bei realistischen Annahmen innerhalb mittelfristiger Zeitrume praktisch ausschpfbare Prventionspotential drfte bei 20…30% liegen (Willett et al. 1996, Becker 2001). Aus diesen Zahlen ergibt sich zweierlei: Erstens liegt in der primren Prvention ein bedeutendes, noch weitgehend ungenutztes Potential, durch das Zehntausende Krebsneuerkrankungs- und Todesflle jhrlich vermieden werden knnen. Zweitens lt sich selbst bei optimaler Umsetzung dieser Erkenntnis die berwiegende Zahl der Krebserkrankungen nicht vermeiden. Dies erklrt den hohen Stellenwert, der auch der „sekundren Prvention“ beizumessen ist. Frherkennung, die zur sekundren Prvention gerechnet wird, gilt als „zweite Auffanglinie“, wenn Ansatzpunkte fr primre Prvention nicht zur Verfgung stehen oder nicht erfolgreich waren. Die Strategie besteht darin, die bsartigen Neubildungen in einer Vorstufe oder in einem frhen Stadium zu entdecken und zu behandeln mit dem Ziel, die Inzidenz (bei Intervention gegen eine Vorstufe) oder die Mortalitt an der betreffenden Tumorart zu senken. Die Auffassung, da es fr eine wirksame Krebsbehandlung um so besser ist, je frher der Tumor erkannt wird, erscheint in sich derartig evident, da sich das Problem der Frherkennung in erster Linie darauf zu konzentrieren scheint, immer bessere bildgebende Verfahren oder Tumormarker zu entwickeln und diese mglichst rasch in das Gesundheitsversorgungssystem einzuspeisen. Dieser Schein trgt: F
F
Bei genauerem Hinsehen ist der Nutzen einer bevlkerungsweiten Frherkennung an eine Reihe wichtiger Randbedingungen geknpft und von Krebsart zu Krebsart verschieden. Das klinisch aufflligste Parameterpaar berlebenszeit und Stadienverteilung ist zur Effektivittsbeurteilung unbrauchbar.
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Der durch Frherkennung angerichtete Schaden ist unter Umstnden signifikant hher als der Nutzen. Die ohne zweifelsfreie Evidenz eines eindeutig positiven Nutzen-Schadens-Verhltnisses erfolgende Einspeisung eines neuen Frherkennungsverfahrens in die medizinische Versorgung ist daher ethisch nicht vertretbar. Selbst die breite Einfhrung eines als effektiv nachgewiesenen Frherkennungsverfahrens ist mglicherweise wertlos, wenn nicht die beim Effektivittsnachweis gewahrte Qualitt auch bei der berfhrung in die Routine sichergestellt und fortlaufend kontrolliert wird.
In diesem Kapitel soll erlutert werden, warum man mit der oben zitierten Auffassung ber Frherkennung zu falschen Schlufolgerungen gelangt. Es soll ein Einblick in die Methoden gegeben werden, die in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen groer Studien entwickelt wurden, um eine unverflschte Evaluation von Screeningmanahmen zu ermglichen. Laufende Diskussionen ber angemessene Verfahren zur Qualittskontrolle legen es nahe, auch auf diesen Themenbereich kurz einzugehen. Schlielich werden die derzeit als effektiv nachgewiesenen Krebsfrherkennungsverfahren sowie das deutsche Krebsfrherkennungsprogramm angesprochen.
2 Methodische Aspekte 2.1 Definition von Screening Die UICC (1982) definiert Screening als „routinemige, periodische Untersuchung breiter symptomloser Bevlkerungsschichten“ und hebt damit auf die Gesichtspunkte ab, da Screening F F
F
systematisch betrieben wird, auf große Bevo¨lkerungsgruppen … z.B. alle ber 45jhrigen bei kolorektalem Screening oder alle 50- bis 70jhrigen Frauen bei Mammographie-Screening …, also auf hierzulande in Millionen zu zhlende Zielgruppen und auf asymptomatische, d.h. auf „gesunde“ Personen zielt.
Es handelt sich also nicht um die frhe Diagnose von Krankheit aufgrund erster Anzeichen von Symptomen. Dies gilt es zu beachten, wenn der Begriff „Frherkennung“ synonym mit Screening gebraucht wird. Eine Definition von Morrison (1992) lautet: „Screening kann definiert werden als die Untersuchung asymptomatischer Personen mit dem Ziel, sie als an der betreffenden Krankheit wahrscheinlich oder wahrscheinlich nicht erkrankt zu sein einzustufen.“ Diese auf den ersten Blick seltsam anmutende Charakterisierung hebt einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt des Screenings hervor: Der auf breite Bevlkerungsgruppen ange-
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Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
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wendete Test vermittelt keine absolute Sicherheit, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Ein positiver Test kann infolge der praktisch nie 100%igen Spezifitt „falsch-positiv“ sein und erfordert weitergehende Abklrungen, deren Zumutbarkeit und Risiken in die Beurteilung einer Screeningmanahme stets einzuschlieen sind. Entsprechend knnen negative Tests infolge der ebenfalls niemals 100%igen Sensitivitt „falsch-negativ“ sein und drfen die Teilnehmer am Screening nicht in falscher Sicherheit wiegen (zu Sensitivitt und Spezifitt s. unten). Neuerdings ist im deutschsprachigen Raum eine Unterscheidung zwischen Screening und Frherkennung dahingehend zu beobachten, da Screening als Angebot verstanden wird, das vom Untersucher ausgeht, und Frherkennung als eine individuelle Untersuchung auf Initiative des Untersuchten selbst. Die genannte Unterscheidung ist im internationalen Schrifttum nicht gelufig und aus mehreren Grnden problematisch: F
Erstens ist nicht davon auszugehen, da aus der Bevlkerung der Wunsch nach einer Frherkennungsuntersuchung laut wird, wenn nicht zuvor von der ˜rzteschaft Signale ausgehen, da entsprechende Untersuchungsverfahren existieren und auf Wunsch durchgefhrt werden. F Zweitens knnte der falsche Eindruck entstehen, da der Teilnehmer aufgrund seiner Initiative einen hheren Eigenanteil an der Verantwortung fr die Folgen der Manahme trgt. F Drittens knnte sich bei einer von Teilnehmern angeblich selbstinitiierten Frherkennung eine wirksame Qualittskontrolle als besonders schwierig erweisen. Sowohl im internationalen wie auch im deutschen Schrifttum wird Screening, das unorganisiert bzw. auerhalb eines organisierten Programms betrieben wird, als opportunistisches Screening bezeichnet. Es umfat Frherkennung auf Initiative des Untersuchten. 2.2 Ethische Aspekte Aus den Definitionen ergibt sich, da die Adressaten des Screenings nicht Kranke beim ersten Auftreten von Beschwerden sind, sondern beschwerdefreie Personen, von denen die meisten auch tatschlich nie an der betreffenden Krankheit erkranken werden und daher auch keinen individuellen gesundheitlichen Nutzen aus der Teilnahme ziehen. Fr den gesamten Screeningablauf unter Einschlu aller mglicherweise anzuwendenden diagnostischen Folgemanahmen mu daher sichergestellt sein, da die Risiken mglichst gering sind. Vor Einfhrung eines Screeningverfahrens mu der Nachweis eines berlegenen Nutzen-Schadens-Verhltnisses erbracht sein (s. hierzu unten). Auerdem ist zu fordern, da Teilnehmer sorgfltig ber die mglichen Folgen einer Teilnahme an Screeninguntersuchungen aufzuklren sind. Dies
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trifft insbesondere bei opportunistischem Screening mit nicht nachgewiesener Effektivitt zu, bei dem die Teilnehmer vielleicht mit vllig falschen Vorstellungen ber die Leistungsfhigkeit einer Frherkennungsuntersuchung zum Arzt kommen. Die wenigsten potentiellen Teilnehmer werden z.B. durchschauen, da durch eine harmlos erscheinende Blutabnahme mglicherweise eine Kettenreaktion von Folgemanahmen in Gang gesetzt wird, die jede fr sich eine gewisse innere Zwangslufigkeit in sich trgt, deren Ergebnis (z.B. eine Therapie oder Operation, zu der es bei Nichtteilnahme an der Frherkennung vielleicht nie gekommen wre) der Teilnehmer jedoch als nicht wnschenswert ansieht, so da er bei Aufklrung ber die Mglichkeit eines solchen Verlaufs einer Teilnahme nicht zugestimmt htte. 2.3 Voraussetzungen Um fr eine bestimmte Krebsart ein Frherkennungsprogramm aufzulegen, mssen eine Reihe von Voraussetzungen erfllt sein (siehe z.B. Wilson u. Jungner 1968), die im Folgenden skizziert werden. F
F
Die betreffende Krankheit sollte ha¨ufig sein und zu einer hohen Morbidita¨t bzw. Mortalita¨t fu¨hren. Bei selteneren Krankheiten ist die Wahrscheinlichkeit gering, im Rahmen von Massenscreening Krankheitsvorstufen zu entdecken. Umgekehrt ist jedoch das Risiko gro, in groer Zahl Abklrungsflle, die sich im weiteren als unauffllig herausstellen („falsch-positive“ Flle), zu generieren. Dies hngt mit der Spezifitt des verwendeten Tests zusammen und wird unten noch einmal aufgegriffen. In diesem Fall kann die ethisch bedenkliche Situation auftreten, da die Nutzen-Risiko-Bilanz negativ wird. Auch die mit einem solchen Szenario verbundenen Kosten sind dann nicht zu rechtfertigen. Die Krankheit sollte eine ausreichend lange pra¨klinische Phase haben, in der die Neubildung bzw. eine Vorstufe bereits durch einen Test erkannt werden kann. Bei einer sehr kurzen prklinischen Phase ist die Wahrscheinlichkeit, im Rahmen vernnftiger Screeningintervalle (z.B. jhrlich oder zweijhrlich) eine Krankheitsvorstufe in genau diesem Stadium zu entdecken, auch bei einer hinsichtlich der Inzidenz hufigen Krankheit gering. Man ist dann in derselben Situation wie bei einer seltenen Krankheit. Aus diesem Grund kann Screening bei einer relativ selteneren Krankheit mit einer langen prklinischen Phase im Prinzip eher gerechtfertigt sein als bei einer hufigeren mit einer kurzen prklinischen Phase. Auch die Existenz einer ausreichend langen prklinischen Phase entscheidet demnach darber, ob ein effektives Screening mglich ist.
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Die biologische Entwicklung der Krankheit sollte bekannt sein. Bereits das Wissen um die Existenz einer hinreichend langen prklinischen Phase setzt einen gewissen Einblick in die biologische Genese der betreffenden Tumorart voraus. Darber hinaus ist jedoch zu bercksichtigen, da im Screening eine Vielzahl von Vernderungen entdeckt werden knnen, die auch interpretiert werden mssen: Welche im Rahmen der Frherkennung zu Gebrmutterhalskrebs gefundenen Zelloder Gewebevernderungen sind Krebsvorstufen und damit behandlungsbedrftig, welche nicht? Welche im Rahmen einer mit PSA durchgefhrten Frherkennung gefundenen Prostatavernderungen sind behandlungsbedrftig? Das Thema wird im Abschnitt 2.6 zur berdiagnose noch einmal aufzugreifen sein. Die Krankheit sollte behandelbar sein, und insbesondere sollte fu¨r das durch Screening-Maßnahmen entdeckte Stadium ein etabliertes und erfolgversprechendes Behandlungsverfahren verfu¨gbar sein. Es wre fraglos ethisch bedenklich, Frherkennung fr eine Krankheit zu betreiben, fr die berhaupt kein als wirksam nachgewiesenes Behandlungsverfahren bekannt ist. Dem verlngerten Krankenstatus des Patienten wrde keinerlei Vorteil gegenberstehen. Kernpunkt dieses Kriteriums ist jedoch die verschrfte Anforderung, da darber hinaus die im Fru¨hstadium ansetzende Behandlung einen Vorteil gegenber einer erst im klinischen Stadium ansetzenden Behandlung bringt. Nur dann ist Screening sinnvoll. Der zu verwendende Test sollte akzeptabel und sicher sein. Eine definitionsgem beschwerdefreie Zielbevlkerung des Screenings wird sicherlich kaum Tests akzeptieren, die sehr unangenehm, schmerzhaft oder riskant sind. Das jeweilige Gesundheitssystem wird darber hinaus kaum Tests akzeptieren, die mit enormen Kosten verbunden sind. Ein Screeningtest mu daher sicher und sowohl fr Teilnehmer wie Anbieter unter ihren jeweiligen Gesichtspunkten zumutbar sein.
2.4 Effektivita¨tsnachweis Zur Quantifizierung des Nutzens von Krebsfrherkennung werden hufig ebenso eindrucksvolle wie unbrauchbare Zahlen genannt. ¨ berlebenszeit: Die berlebenszeit ist immer und zwangslufig Beispiel U verlngert, weil eine frhere Entdeckung der Krankheit selbst bei Ausbleiben eines therapeutischen Vorteils eine lngere Beobachtung bis zum Tod nach sich zieht. Entscheidend ist ausschlielich eine Verlngerung der berlebenszeit durch Lebensverlngerung (s. Abb. 1). Da der durch das Screening zwangslufig immer verlngerten berlebenszeit nicht anzusehen ist, ob sie ausschlielich durch Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes (englisch „lead time“) oder durch Verzgerung oder Vermeidung
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Abb. 1. Die Abbildung zeigt schematisch den biologischen Ablauf einer Krebskrankheit, das begrenzte Zeitfenster eines asymptomatischen Stadiums, in dem noch keine Beschwerden auftreten, aber der Fru¨herkennungstest bereits den Tumor detektiert, sowie die Varianten „effektives“ und „ineffektives“ Screening, in denen in beiden Fa¨llen die klinisch beobachtete U¨berlebenszeit verla¨ngert ist. Der Patient hat nur von dem effektiven Screening einen Vorteil. Ineffektives Screening ist zu vermeiden, weil der Screeningteilnehmer fru¨her zum Kranken erkla¨rt wird und durch die unnu¨tze Therapie vielleicht sogar Schaden nehmen kann
des Todes an der betreffenden Krankheit zustande kommt, kann daher nur der Nachweis einer Senkung der Mortalita¨t in der gescreenten Bevlkerung ein schlssiges Effektivittskriterium sein. Eine lngere berlebenszeit ist ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium fr Wirksamkeit. Beispiel gu¨nstigere Stadienverteilung: Diese ist bei im Screening gefundenen Krebsfllen ebenfalls zwangslufig gnstiger, weil sie durch eine unvermeidliche Selektion verzerrt ist (englisch „length bias“). Im Screening werden bevorzugt langsamer wachsende Tumoren in einem frhen Stadium gefunden; dem Screening entgehen bevorzugt rasch wachsende, die mit grerer Wahrscheinlichkeit auerhalb des Screenings, etwa bei ersten Beschwerden, d.h. in einem spten Stadium, entdeckt werden (s. Abb. 2). Entscheidend ist also eine gnstigere Stadienverteilung in der gesamten Bevo¨lkerung, der Screening angeboten wird, nicht allein bei den gescreenten Personen. Die bevorzugte Identifizierung langsam wachsender Tumoren
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Abb. 2. Schematische Darstellung der Tumordetektion durch ein Screeningprogramm mit Fu¨nfjahresintervallen anhand von 10 Krebsfa¨llen mit unterschiedlich raschem Wachstum und damit unterschiedlich langen Zeitfenstern fu¨r die Fru¨herkennung. Die senkrechten Linien markieren die Zeitpunkte der Screeninguntersuchungen. Die La¨nge der waagrechten Balken symbolisiert das Zeitfenster fu¨r die fru¨he Detektierbarkeit des Tumors. Balken, die von den senkrechten Linien geschnitten oder beru¨hrt werden, bedeuten fru¨h erkannte Tumoren. Die vollsta¨ndig in den Zwischenintervallen liegenden Balken kennzeichnen Tumoren, die außerhalb des Screenings erst durch auftretende Symptome (d.h. in einem spa¨ten Stadium) erkannt werden. Die waagrechten Balken wurden zufa¨llig u¨ber die gesamte Zeitperiode verteilt. Im Screening werden 4 von den 5 langsam wachsenden (lange Balken, oben) und 2 von den 5 rasch wachsenden (kurze Balken, unten) Tumoren erkannt; außerhalb ein langsam wachsender und 3 rasch wachsende Tumoren. Unter den im Screening gefundenen Tumoren sind daher 80% langsam wachsende Tumoren (mit der in der Regel besseren Prognose) und 20% rasch wachsende Tumoren (mit der eher schlechteren Prognose); unter den außerhalb des Screenings aufgetretenen Tumoren sind 25% langsam und 75% rasch wachsend. Es ergibt sich somit ein U¨berlebensvorteil fu¨r die im Screening gefundenen Tumoren; dieser beruht aber auf einer Selektionsverzerrung und ist daher kein Nachweis fu¨r die Wirksamkeit des Screenings
verweist auf ein weiteres Problem des Screenings, dasjenige der berdiagnose (s. unten). Beide Beurteilungskriterien, Mortalitt und Stadienverteilung in der Bevo¨lkerung, sind epidemiologische Gro¨ßen, d.h., der Effektivittsnachweis fr Screeningprogramme mu durch epidemiologische Studien erfolgen. Er ist nicht mglich anhand klinischer Parameter. Wenn lngere berlebenszeit und gnstigere Stadienverteilung erkennbar sind, knnte schlielich argumentiert werden, da offensichtlich zumindest notwendige Kriterien fr eine Effektivitt erfllt sind, d.h. das Screening wenigstens vielleicht effektiv ist, so da man es der Bevlkerung
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Tabelle 1. Zahlen zu kolorektalem Screening mit FOBT unter Beru¨cksichtigung mo¨glicher Komplikationen Maßnahme oder Komplikation
Anzahl betroffener Personen
Anspruchsberechtigte Bevo¨lkerung (alle Einwohner 50 Jahre) bzw. angestrebte Anzahl ja¨hrlicher FOBT
24 000 000
Durchschnittliche Anzahl positiver Tests (etwa 1% aller durchgefu¨hrten Tests)
240 000
Anzahl erforderlicher Koloskopien (bei positivem FOBT empfohlen)
240 000
Durchschnittliche Anzahl zu erwartender Darmperforationen (angenommene Rate: 0,04% aller Koloskopien)*
96
Durchschnittliche Anzahl zu erwartender Todesfa¨lle aufgrund von Komplikationen (angenommene Rate: 0,006% aller Koloskopien)*
14
FOBT = fa¨kaler Okkult-Bluttest * Fru¨hmorgen P. (Hrsg.). Gastroenterologische Endoskopie. Springer, Heidelberg 1999; Kapitel 1.7.
nicht vorenthalten sollte, bis ein langwieriger Effektivittsnachweis erbracht ist; wenigstens schaden knne Frherkennung ja nicht. Auch dieses Argument ist unzutreffend. Das systematische Suchen nach asymptomatischen frhen Erkrankungsfllen zieht zwangslufig eine groe Menge Ausschludiagnostik nach sich. Screening auf kolorektale Tumoren mit dem fkalen Okkultbluttest (FOBT) in der gesamten deutschen Bevlkerung ber 50 Jahre wrde etwa 240 000 positive Tests mit sich bringen. Wrde bei allen betroffenen Personen eine Koloskopie durchgefhrt werden, wrden bei den niedrigsten in der Literatur genannten Hufigkeiten von Komplikationen im Durchschnitt einige Dutzend Darmperforationen und mglicherweise sogar mehrere Todesflle auftreten (Tabelle 1). Screening bringt folglich auch Risiken mit sich. Ein einwandfreier wissenschaftlicher Nachweis der Effektivitt eines Screeningverfahrens vor deren Einfu¨hrung ist daher zwingend. Er mu zeigen, da der Nutzen die Risiken zweifelsfrei und bei weitem bersteigt (fr das Beispiel FOBT s. unten). Ist dieser Nachweis erbracht, ist auch bei der Implementierung als regulre Leistung des Gesundheitssystems hchste Qualitt zu fordern, um diese Effektivitt auch in der Routine sicherzustellen. 2.5 Sensitivita¨t, Spezifita¨t, pra¨diktiver Wert Die oben ausgefhrten hohen ethischen Anforderungen schlagen sich unter anderem in der quantifizierbaren Anforderung nieder, da die Zahl der falsch-positiven Testresultate mglichst niedrig zu halten ist (Screeningtests, die zwar „positiv“ ausfallen, aber in weitergehenden Untersuchungen
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kein Tumor gefunden wird). Falsch-positive Befunde klassifizieren „gesunde“ Personen zumindest vorbergehend zu Unrecht zu Krebskranken, bis der Verdacht wieder ausgerumt ist, mit allen psychischen Belastungen fr die betreffende Person und u.U. auch ihre Angehrigen. Auerdem sind die nachfolgend erforderlichen klinischen Untersuchungen nicht immer risikolos (s. Tabelle 1) und verursachen mitunter nicht unbetrchtliche Kosten. Eine niedrige Zahl falsch-positiver Befunde wird durch eine hohe Spezifita¨t des eingesetzten Tests erreicht (Wahrscheinlichkeit, da der Test „Gesunde“ zutreffend als „gesund“ einstuft). In der Praxis erreicht sie fast nie einen Wert von 100%, so da sich falsch-positiv eingestufte Teilnehmer nie ganz vermeiden lassen. Von fr Screeningprogramme geeigneten Tests wird aber zumindest eine besonders hohe Spezifitt verlangt (hufig 95…99%). Dem gegenteiligen Problem, da erkrankte Personen flschlicherweise als gesund eingestuft werden (falsch-negatives Testresultat), wird durch eine hohe Sensitivitt begegnet (Wahrscheinlichkeit, da der Test die erkrankten Personen zutreffend als an der betreffenden Krankheit erkrankt identifiziert). Auch dieser Fehler soll so klein wie mglich gehalten werden. Die Sensitivitt von Screeningtests liegt meist bei 60…90%. Der prdiktive Wert gibt schlielich den Anteil der tatschlich an der betreffenden Krankheit erkrankten Personen unter den Testpositiven an. Er hngt auer von Sensitivitt und Spezifitt des Tests auch von der Pra¨valenz des durch den Test detektierbaren prklinischen Stadiums der betreffenden Krankheit in der Bevo¨lkerung ab. Ist die Krankheit selten oder die detektierbare Phase kurz, ist der prdiktive Wert auch bei hoher Spezifitt niedrig. Dies ist die Erklrung dafr, weswegen oben die Hufigkeit der betreffenden Krankheit und eine ausreichend lange prklinische Phase als Voraussetzungen fr eine Einfhrung eines wirksamen Screenings genannt wurden. Die Abhngigkeit des prdiktiven Wertes auch von der Prvalenz der prklinischen Phase der betreffenden Krankheit in der Bevlkerung ist ein Schlsselelement zum Verstndnis der Grenzen des Screenings. Nicht selten werden Spezifittswerte von 97…99% als „praktisch 100%“ interpretiert und als Qualittsbeweis fr die Tauglichkeit eines Tests fr den Einsatz beim Screening gesehen. Vor diesem Fehlschlu mu eindringlich gewarnt werden. Beispielsweise wurden in einer Studie ber transvaginale Sonographie (TVS) zur Frherkennung von Ovarialtumoren hohe Werte fr Sensitivitt (81%) und Spezifitt (98,9%) gefunden. Der prdiktive Wert war jedoch lediglich 9,4%. Dieser niedrige Wert bedeutet in der Praxis, da, da die Abklrung des Tumorverdachts operativ erfolgen mu, im Durchschnitt 11 chirurgische Eingriffe vorgenommen werden mssen, um einen Tumorverdacht zu besttigen; 10 Operationen sind also eigentlich „unntig“. Fr Massenscreening ist TVS daher trotz gnstiger Werte fr Sensitivitt und Spezifitt vllig inakzeptabel (Paley 2001).
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Tabelle 2. Abha¨ngigkeit des pra¨diktiven Wertes von der Sensitivita¨t und Spezifita¨t des Tests und der Pra¨valenz der betreffenden Krankheit Sensitivita¨t
Spezifita¨t
0,5 0,5 0,5 0,75 0,75 0,75 0,9 0,9 0,9
0,95 0,975 0,99 0,95 0,975 0,99 0,95 0,975 0,99
Pra¨diktiver Wert in% Pra¨valenz 0,1% Pra¨valenz 1% 1,0 2,0 9,2 16,8 4,8 33,6 1,5 13,2 2,9 23,3 7,0 43,1 1,8 15,4 3,5 26,7 8,3 41,6
Ein weiteres, nichtonkologisches Beispiel: Die Spezifitt des HIV-Tests betrgt 99,99%, d.h., einer von 10 000 Tests ist falsch-positiv. Da die Prvalenz von HIV in der mnnlichen heterosexuellen deutschen Bevlkerung ebenfalls etwa 1 zu 10 000 betrgt, wren bei einem Screening von 10 000 Personen 2 testpositiv, davon einer falsch-positiv. Der prdiktive Wert selbst des HIV-Tests ist damit lediglich 50% (Hoffrage et al. 2000). Bei einer Krankheit mit einer derartigen Brisanz wre Massenscreening mit diesem Test ebenfalls kaum zu vertreten. Zur Abhngigkeit des prdiktiven Wertes von Sensitivitt und Spezifitt des Tests sowie Prvalenz der betreffenden Krankheit siehe Tabelle 2. Miverstndnisse gibt es auch hinsichtlich einer geeigneten Vorgehensweise zur Messung der Sensitivitt eines Screeningtests. Ein Screeningtest darf nicht mit einem diagnostischen Test verwechselt werden. Ein Design, in dem anhand einer Serie klinisch gesicherter Erkrankungsflle berprft wird, wie viele Flle der Test zu detektieren in der Lage ist, ist zur Bestimmung der Sensitivitt eines Screeningtests ungeeignet, weil die klinisch manifeste Erkrankung nicht Gegenstand des Screenings ist. Screening heit, anhand eines Tests an symptomfreien Personen ein pra¨klinisches Stadium einer Krankheit zu erkennen. Ein Test, der fr klinische Stadien sensitiv ist, mu es nicht fr prklinische Stadien sein. Da er es ist, kann nicht an erkrankten Patienten, sondern nur an unselektierten (d.h. Personen ohne Vorverdacht) symptomfreien Personen ermittelt werden, bei denen durch hinreichend langes Follow-up die falsch-negativen Flle identifiziert und bei der Quantifizierung der Sensitivitt bercksichtigt werden. Dies geschieht am besten im Rahmen der prospektiven Designs unter den unten erluterten Studientypen (fr weitere methodische Einzelheiten siehe z.B. Day 1985).
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Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
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2.6 U¨berdiagnose und U¨bertherapie Der Begriff der berdiagnose beschreibt die Identifizierung von Erkrankungsfllen im Rahmen des Screenings, die nur durch das Screening bekannt werden und ansonsten niemals in Erscheinung getreten wren (Morrison 1992). Dabei kann es sich um bsartige Neubildungen handeln, die F F
sich nie bis zu einem symptomatischen Stadium weiterentwickelt bzw. sogar zurckgebildet htten oder zwar progredient sind, aber zu Lebzeiten des betreffenden Patienten klinisch nicht in Erscheinung getreten wren.
Die Identifizierung der letzteren durch Screening ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich. Die Identifizierung der ersteren mu hingegen als eine ernste, die Teilnehmer dauerhaft belastende unerwnschte Nebenwirkung von Screening angesehen werden, da sie die betreffende Person mit einer Krebsdiagnose und den damit verbundenen weiteren diagnostischen und therapeutischen Manahmen belastet, ohne ihr wirklich zu helfen. Man betreibt in diesen Fllen bertherapie. berdiagnose lt die klinischen Parameter eines Screeningprogramms (Detektionsrate, Stadienverteilung, berlebenszeit) in einem gnstigen Licht erscheinen, trgt jedoch zur Senkung der Mortalitt nicht bei. Auch dieser Gesichtspunkt unterstreicht die Notwendigkeit, die Senkung der Mortalitt als das entscheidende Zielkriterium zur Evaluation von Screeningprogrammen anzusehen (Black 2000). Moderne Techniken der Radiologie und der Molekularbiologie erlauben die Identifizierung immer kleinerer Tumoren. Was fr die klinische Diagnostik von Vorteil ist, mu aber fr Screening nicht unbedingt hilfreich sein. Im ungnstigsten Fall wird durch ein verfeinertes Detektionsinstrument ausschlielich berdiagnose und bertherapie betrieben, ohne die Mortalitt an der betreffenden Krankheit weiter zu senken, dann nmlich, wenn gerade die lebensbedrohenden Tumoren nicht besser erkannt werden. Verfeinerung der Detektionsinstrumente fr Screening bedeutet, da diejenigen bsartigen Neubildungen, die progredient sind und ohne Frherkennung tdlich verlaufen wren, vermehrt erkannt werden. Ob dies gelingt, knnen nicht die im Screening entdeckten Erkrankungsflle zeigen, sondern bedarf entsprechend geplanter epidemiologischer Studien. Beispiele fr das Auftreten von berdiagnose durch Screening finden sich bei Gebrmutterhalskrebs (Holowaty et al. 1999), Brustkrebs (Ernster u. Barclay 1997), Lungenkrebs (mit Zitaten diskutiert in Black 2000) und Prostatakrebs (Zappa et al. 1998). Es handelt sich keineswegs um ein marginales Problem.
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2.7 Studientypen Wie mehrfach erlutert, lt sich die Effektivitt einer Screeningmanahme nur durch epidemiologische Untersuchungen nachweisen. Die hierzu mglichen Vorgehensweisen kann man hinsichtlich der Schlssigkeit ihrer Ergebnisse klassifizieren. Das einzige Verfahren, das unverzerrte Ergebnisse zu liefern vermag, ist die einer klinischen Studie hnelnde randomisierte prospektive Studie. Hier werden Freiwillige zufllig einem der Studienarme zugeteilt und die jeweiligen Screeningtests durchgefhrt. Dies kann ein bestimmter Test (z.B. Test auf okkultes Blut im Stuhl, FOBT) versus das zum Zeitpunkt der Studie bliche Angebot der allgemeinen medizinischen Versorgung (z.B. digitale rektale Untersuchung) sein. Es knnen aber auch kompliziertere Studienschemata sein, bei denen mehrere Screeningmanahmen zu verschiedenen Tumorarten gleichzeitig untersucht werden (siehe PCLO-Studie, Gohagen et al. 1995). Die Studienteilnehmer werden sodann viele Jahre lang beobachtet, die auftretenden Todesursachen ermittelt und die Mortalittsraten der beiden Gruppen miteinander verglichen. Wann immer es mglich ist, sollte der randomisierten Studie gegenber anderen Verfahren der Vorzug gegeben werden. An zweiter Stelle sind epidemiologische Beobachtungsstudien, d.h. Follow-up- und Fallkontrollstudien, zu nennen. Sie sind grundstzlich mit dem Risiko von Selektionsverzerrungen behaftet und hufig nicht schlssig interpretierbar. Im Sinne einer Follow-up-Studie kann beispielsweise die Entwicklung von Inzidenz und Mortalitt im zeitlichen Verlauf in einer Region vor und nach Einfhrung eines Screeningprogramms beobachtet werden. Oder es knnen verschiedene in der Mortalitt an der betreffenden Krebsart mglichst gleichartige Regionen, in denen in einem Teil ein Screeningprogramm eingefhrt wird und in dem anderen Teil nicht, miteinander verglichen werden („quasi-experimentelle Studie“). Oder es kann beides miteinander kombiniert werden. Die Beobachtung der involvierten Personen erfolgt hierbei ebenso individuell wie bei randomisierten Studien, so da die Durchfhrung auch vergleichbar aufwendig ist. Infolge einer selektiven Bereitschaft zur Teilnahme am Screening kann bei diesen Studien im allgemeinen nicht die Effektivitt des Screeningtests selbst (engl. „efficacy“), sondern nur seine Wirksamkeit in Anwendung auf eine Bevlkerungsgruppe (engl. „effectiveness“) beurteilt werden. Tritt mit der Einfhrung des Screenings in bestimmten Regionen gleichzeitig eine Hebung der Qualitt auch der Therapie an der betreffenden Krebsart ein, kann darber hinaus nicht ohne weiteres festgestellt werden, ob eine niedrigere Mortalitt in den betreffenden Regionen Folge des Screenings
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oder der besseren Behandlung ist. Immerhin wurde jedoch mit diesem Verfahren die Effektivitt des Gebrmutterhalskrebs-Screenings nachgewiesen. Mit retrospektivem Design kann im Rahmen von Fallkontrollstudien festgestellt werden, ob bzw. wie regelmig die an der betreffenden Krebsart erkrankten bzw. verstorbenen Personen und die nicht an der betreffenden Krebsart erkrankten Kontrollpersonen an dem jeweiligen Screeningprogramm teilgenommen haben. Kompliziert wird diese Vorgehensweise durch die Tatsache, da, sofern eine Senkung der Mortalitt durch Screening nachzuweisen ist, die Fallgruppe aus an der betreffenden Krebsart verstorbenen Personen bestehen und deren Screeninganamnese rekonstruiert werden mu. Dies ist mit hinreichender Przision nur vorstellbar, wenn die Krankendaten bei den behandelnden ˜rzten lckenlos auffindbar und zugnglich sind, oder im Rahmen organisierter Screeningprogramme mit umfassender individueller Datenhaltung, wie es in skandinavischen Lndern der Fall ist. Ferner ist bei dieser Vorgehensweise der Effekt der Selbstselektion, die durch die Entscheidung der betreffenden Personen eintritt, ob sie am Screening teilnehmen oder nicht, kaum bei der Auswertung statistisch kontrollierbar. Screeningteilnahme und Erkrankungs- bzw. Sterberisiko sind jedoch bei manchen Krebskrankheiten deutlich miteinander korreliert. Auch wenn Beobachtungsstudien weniger schlssig sind als randomisierte Studien, werden sie als zweitrangiges Mittel der Wahl eingesetzt, wenn randomisierte Studien undurchfhrbar erscheinen. Diese Situation kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn ein Screeningverfahren ohne vorherigen Effektivittsnachweis eingefhrt wurde und man die Effektivitt wenigstens im nachhinein berprfen bzw. quantifizieren mchte oder wenn die gnstigste Screeningfrequenz unklar ist. An dritter Stelle sind mit der geringsten Schlssigkeit Vergleichsstudien zu nennen, die deskriptiv die Mortalitt in verschiedenen Zeitrumen oder Regionen oder auch Stadienverteilungen miteinander vergleichen. Im Unterschied zu einem Follow-up-Design wird keine individuelle Beobachtung durchgefhrt, sondern es werden die Daten der Routinestatistiken (amtliche Todesursachenstatistik, Daten von Krebsregistern) verwendet. Bei dieser Vorgehensweise ist kaum nachweisbar, ob beobachtete Effekte nun gerade mit dem Screening oder nicht doch mit irgendwelchen anderen Faktoren in Zusammenhang stehen. 2.8 Implementierung von Screeningprogrammen und Qualita¨tskontrolle Bei der Durchfhrung randomisierter Studien zum Nachweis der Effektivitt bestimmter Screeningmanahmen wird im Hinblick auf die zu erwartende kritische Prfung der Stringenz der Vorgehensweise sowie der Schlssigkeit der Ergebnisse durch die wissenschaftliche Fachwelt groer Wert auf die Qualitt des Vorhabens gelegt (Vergleichbarkeit der Gruppen,
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hohe Teilnahmeraten, hochwertige Durchfhrung des Screeningtests, Qualittskontrolle etc.). Die alleinige „Freigabe“ eines Screeningtests, der im Rahmen einer derartigen Studie als effektiv erkannt wurde, zur breiten Anwendung ohne Herstellung auch der jeweiligen die Qualitt bestimmenden sonstigen Rahmenbedingungen wird kaum zu der in den Studien beobachteten Effektivitt fhren. Die Erfahrung lehrt, da das auf diese Weise entstehende opportunistische Screening F F F
zu einem zu hufigen Screening fhrt, in das nicht selten die falschen Altersgruppen eingeschlossen sind und hinsichtlich seiner Qualitt kaum zu evaluieren ist.
Im ungnstigsten Fall finanziert man also ein teueres Programm mit einem marginalen Nutzen. So werden internationale Unterschiede in der Effektivitt z.B. des Gebrmutterhalskrebs-Screenings auf Qualittsunterschiede der Programme zurckgefhrt (Hakama et al. 1986). Die Diskussion um die Qualitt der Mammographie bei der Brustkrebsfrherkennung in Deutschland drfte hinlnglich bekannt sein. Vor diesem Hintergrund wurde bereits Mitte der 80er Jahre auf die hohe Bedeutung einer angemessenen organisatorischen Struktur von Screeningprogrammen hingewiesen und im Rahmen eines Arbeitstreffens der UICC ein entsprechender Kriterienkatalog mit den folgenden Kernpunkten entwickelt (Hakama et al. 1985): F
F
F F
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Die Zielbevlkerung ist im Hinblick auf eine systematische Erfassung und regelmige Teilnahme przise zu definieren, und Ausschlukriterien (z.B. Vorerkrankung an der betreffenden Krankheit oder schlechter Gesundheitszustand, der mglicherweise erforderliche therapeutische Folgeschritte ausschliet) sind festzulegen; persnliche schriftliche Einladung der teilnahmeberechtigten Personen, Schaffung der erforderlichen technischen und rechtlichen Voraussetzungen; gute Erreichbarkeit der Screeningeinrichtungen und hohe Teilnahmeraten; Verfgbarkeit angemessener Voraussetzungen zur Durchfhrung und Auswertung der jeweiligen Screeningtests sowie der eventuell erforderlichen weitergehenden Diagnostik bei Testpositiven und therapeutischen Behandlung bei den entdeckten Erkrankungsfllen; organisierte Qualittskontrolle; Monitoring und Evaluation des gesamten Programms hinsichtlich der Entwicklung der Inzidenz- und Mortalittsraten.
Fr Gebrmutterhalskrebs konnte empirisch nachgewiesen werden, da ein in diesem Sinne organisiertes Screeningprogramm einem opportunisti-
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schen Screening hinsichtlich der Senkung von Inzidenz und Mortalitt berlegen ist (Nieminen et al. 1999). Der zytologische Abstrich gilt zwar als Routineprozedur, doch sind die erforderlichen Einzelschritte (Abstrichentnahme, Fixierung, Laborbearbeitung, Interpretation) fehleranfllig und somit die Wirksamkeit der Frherkennung von einer Kette qualifiziert durchzufhrender Einzelschritte abhngig (Koss 1989). Empfehlungen fr eine angemessene Durchfhrung dieser Schritte und zur Qualittskontrolle wurden im Rahmen des Programms „Europa gegen den Krebs“ als „Europische Leitlinien zur Qualittssicherung beim Gebrmutterhalskrebs-Screening“ zusammengestellt (Coleman et al. 1993). Deren Umsetzung ist in Deutschland bisher erst zum Teil erfolgt. Insbesondere die organisatorischen Voraussetzungen fr die erforderliche epidemiologische Qualittskontrolle wurden bisher nicht realisiert (Schenk u. von Karsa 2000; s.a. Miller 2002). Fr Brustkrebsscreening wurden ebenfalls im Rahmen Europischer Richtlinien Qualittsparameter festgelegt, die am ehesten im Rahmen organisierten Screenings erreicht werden knnen. Versuche, den Qualittsanforderungen auch im Rahmen opportunistischen Screenings gerecht zu werden, beschrnken sich zur Zeit unzulssigerweise auf die technischen Aspekte. Dabei wird bersehen, da die klinisch-epidemiologischen Qualittsparameter (Minimierung der Zahl falsch-positiver Befunde, hohe Detektionsrate und Minimierung der Zahl falsch-negativer Befunde) die Schlsselparameter sind, die Auskunft darber geben, ob die angestrebte Qualitt auch wirklich erreicht wird. Der Vergleich der im Programm beobachteten Parameter mit den vorgegebenen Zielgren im Rahmen statistischer Tests erfordert aber im Hinblick auf ein frhzeitiges Erkennen von Fehlentwicklungen und raschem Gegensteuern recht groe Fallzahlen im Rahmen mglichst einheitlicher Screeningstrukturen (Rittgen u. Becker 2001). Auch hier ergeben sich also aus der Perspektive einer wirksamen Qualittskontrolle Vorgaben an die organisatorischen Strukturen des Screenings.
3 Screeningverfahren mit nachgewiesener Effektivita¨t In ihrer Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1991 nennt die UICC lediglich zwei Krebsarten, bei denen der wissenschaftliche Nachweis fr die Effektivitt von Screening durch randomisierte epidemiologische Studien zweifelsfrei erbracht wurde: Gebrmutterhalskrebs und Brustkrebs (Miller et al. 1991). Darber hinaus wurde die Untersuchung der Haut trotz des Fehlens einer schlssigen Studie aufgrund des einfachen und risikolosen Tests fr sinnvoll erachtet. In der Zwischenzeit kann der Liste Screening nach kolorektalen Tumoren hinzugefgt werden.
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Tabelle 3. Sensitivita¨t und Spezifita¨t der Tests bei den empfohlenen Screeningverfahren Krebsart Screeningtest
Sensitivita¨t
Spezifita¨t
Geba¨rmutterhals Abstrich nach Papanicolaou
60–90%1
98%2
Brust Mammographie bei 50- bis 69ja¨hrigen
60–80%3
944–99%5
Kolon und Rektum FOBT
536–80%7
98%7
1 5
Hakama et al. (1986), 2Sigurdsson (1995), 3Peeters et al (1987), 4Christiansen et al. (2000) USA, Peeters et al. (1987) Niederlande, 6Hardcastle et al. (1996), 7Mandel et al. (1993)
Fr kolorektales Screening wurde anhand dreier randomisierter Studien der Effektivittsnachweis des Tests auf okkultes Blut im Stuhl (FOBT) erbracht (Mandel et al. 1993, Hardcastle et al. 1996, Kronborg et al. 1996). Sensitivitt und Spezifitt der jeweiligen Tests sind in Tabelle 3 zusammengestellt. Fr das Mammographiescreening wurde bei der Evaluation durch das Internationale Krebsforschungszentrum (IARC) in Lyon im Jahr 2002 eine „hinreichende Evidenz“ fr eine Wirksamkeit im Altersbereich 50…69 Jahre attestiert (IARC 2002). Einzelheiten zu diesen Verfahren sind in den jeweiligen organbezogenen Kapiteln dieses Kompendiums zu finden. Bei Lungenkrebs stellt die Niedrigdosis-Spiral-Computertomographie einen vielversprechenden Ansatz dar, fr den zur Zeit mehrere randomisierte Studien in Europa und Nordamerika vorbereitet werden mit dem Ziel schlssiger Ergebnisse in etwa fnf Jahren (siehe z.B. van Klaveren et al. 2001). Bei Prostatakrebs ist prostataspezifisches Antigen (PSA) ein aussichtsreicher Biomarker, zu dessen Einsatz als Screeningtest zwei groe randomisierte Studien in Nordamerika und Europa im Gange sind, deren Ergebnisse bei gemeinsamer Auswertung ab dem Jahr 2005 erwartet werden (de Koning et al. 2002). Vor einer Einfhrung des Tests vor der Verfgbarkeit der anhand der Studien mglichen Nutzen-Risiko-Analyse wird von Experten eindringlich gewarnt (Auvinen et al. 2002).
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323
4 Das deutsche Fru¨herkennungsprogramm 4.1 U¨bersicht u¨ber das Programm Das sog. „Gesetzliche Frherkennungsprogramm“ ist im Sozialgesetzbuch V verankert und existiert seit 1971. Es definiert einen Anspruch auf regelmige, jhrliche Frherkennungsuntersuchungen fr alle gesetzlich krankenversicherten Personen in einem bestimmten, je nach Geschlecht und Krebsart unterschiedlichen Altersbereich (Tabelle 4). Da etwa 90% der Bevlkerung von den gesetzlichen Krankenversicherungen erfat sind und Tabelle 4. Zielgruppe, Zielorgane und Untersuchungsmethoden im deutschen gesetzlichen Krebsfru¨herkennungsprogramm Zielgruppe
Zielorgane
Untersuchungsmethoden
Inneres und a¨ußeres Genitale
*
Frauen 20 Jahre und a¨lter
* *
30 Jahre und a¨lter
Brust
* * *
Haut
* *
45 Jahre und a¨lter
Kolon und Rektum
* *
Anamnese: gyn. Blutungen, z.B. zwischen den normalen Regeln Ko¨rperliche Untersuchung Papanicolaou-Abstrich Tastuntersuchung Anleitung zur Selbstuntersuchung Risikogruppen: Mammographie Anamnese: Hautvera¨nderungen Ko¨rperliche Untersuchung Anamnese: Blut oder Schleim im Stuhl Test auf okkultes Blut im Stuhl
50–69 Jahre
Brust
*
Zweija¨hrliches organisiertes Mammographiescreening
55 Jahre und a¨lter
Kolon und Rektum
*
Einmalige vollsta¨ndige Koloskopie mit Zweituntersuchung 10 Jahre spa¨ter
Ma¨nner 45 Jahre und a¨lter
55 Jahre und a¨lter
*
Anamnese: Blutungen, Hautvera¨nderungen, Blut oder Schleim im Stuhl
A¨ußeres Genitale
*
Ko¨rperliche Untersuchung
Prostata
*
Digitale rektale Untersuchung
Haut
*
Ko¨rperliche Untersuchung
Kolon, Rektum
*
Test auf okkultes Blut im Stuhl
Kolon, Rektum
*
Einmalige vollsta¨ndige Koloskopie mit Zweituntersuchung 10 Jahre spa¨ter
6
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sich die privaten Krankenkassen dem Programm angeschlossen haben, erfat das Programm faktisch die gesamte deutsche Bevlkerung. Der gesetzliche Rahmen erlaubt eine regelmige Anpassung des Programms an den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand durch den Bundesausschu der ˜rzte und Krankenkassen (Herwig 1975). Whrend in den ersten Jahren das Programm lediglich die gynkologischen und rektalen Untersuchungen bei Frauen ab dem Alter von 30 Jahren und die digitale rektale und Prostatauntersuchung bei Mnnern ab dem Alter von 45 Jahren umfat hatte, wurde das Programm in den darauffolgenden Jahren auf jngere Frauen und weitere Krebsarten ausgeweitet, so z.B. auf Brustkrebs und kolorektale Tumoren (Hmokkulttest) ab dem Jahr 1977. Im Jahr 2002 wurde ein Anspruch auf eine vollstndige Koloskopie ab dem Alter von 55 Jahren mit einer Folgeuntersuchung zehn Jahre spter integriert. Im Jahr 2004 erfolgte die Einfhrung des zweijhrlichen Mammographiescreenings im Altersbereich 50…69 Jahre (s. unten). Das Programm wurde im Vergleich zu anderen Lndern relativ frh eingefhrt, da die Entscheidungstrger offenbar von der Wirksamkeit der vorgesehenen Manahmen berzeugt waren und nicht die Resultate der laufenden randomisierten Studien abwarten wollten. Die oben bereits erwhnten Prinzipien von Wilson und Jungner (1968) wurden gleichwohl als Richtlinien zugrunde gelegt, die Abwgungen ber Praktikabilitt und Qualitt (Sensitivitt und Spezifitt) offenbar jedoch pragmatisch gehandhabt (s. Flatten 1988). Der Mglichkeit, da bei prinzipieller Ineffektivitt des Screeningverfahrens oder bei schlechter Qualitt des Programms ein Nutzen gnzlich ausbleiben kann, war man sich offenbar nicht bewut. Da das Programm lediglich einen Anspruch definiert, jedoch keinerlei Aspekte eines organisierten Screenings im oben beschriebenen Sinne umfat, konstituiert es faktisch ein opportunistisches Screeningprogramm mit den am opportunistischen Screening hufig anzutreffenden Schwchen einer geringen Teilnahme und eines Fehlens einer geeigneten Qualittskontrolle. Abbildung 3 zeigt, da in den ersten Jahren nur etwa 13% der anspruchsberechtigten Mnner und 22% der anspruchsberechtigten Frauen das Frherkennungsangebot wahrgenommen haben. Die Beteiligungsraten stiegen langsam auf etwa 50% bei den Frauen und 30% bei den Mnnern Ende der 90er Jahre an. Jenseits dieser Probleme kommen noch verdeckte Screeningaktivitten im Bereich des Mammographiescreenings hinzu, die als „kurativ“ bezeichnet, jedoch als Screeningmammographien angesehen werden mssen. Sie entziehen sich erst recht jeglicher Qualittskontrolle (s. unten). Das Zentralinstitut fr die kassenrztliche Versorgung gibt seit den 70er Jahren Jahresberichte ber Beteiligung und Resultate des Frherkennungsprogramms heraus (Herwig 1975ff.). Die auf diese Weise erhobenen Daten sind jedoch zu unspezifisch, um eine Qualittssicherung darauf aufzubauen.
6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
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Abb. 3. Teilnahme der Anspruchsberechtigten am gesetzlichen Krebsfru¨herkennungsprogramm in Prozent
4.2 Aktueller Entwicklungsstand in der Brustkrebsfru¨herkennung Von besonderer Aktualitt ist die Entscheidung des Bundesausschusses der ˜rzte und Krankenkassen vom Mrz 2003 zur flchendeckenden Einfhrung eines bevlkerungsbezogenen Mammographiescreenings in das gesetzliche Krebsfrherkennungprogramm (Khler et al. 2003). Mit diesem Grundsatzbeschlu wird erstmals in Deutschland die Einfhrung eines gesamten Versorgungsprogramms anstatt einer oder mehrerer neuer Frherkennungsleistungen beschlossen. Dies ist erforderlich, um eine umfassende Qualittssicherung der gesamten Screeningkette nach den Europischen Leitlinien zur Qualittssicherung des Mammographie-Screenings (Perry et al. 2001) zu gewhrleisten. Die Qualittsoptimierung erstreckt sich hierbei auf alle Schritte entlang der sog. Screeningkette, d.h. von der Information und Einladung der Teilnehmer und der Durchfhrung der eigentlichen Screeninguntersuchung bis hin zur Folgediagnostik bei Personen mit aufflligen Screeningergebnissen und zur Therapie und Nachsorge bei Personen mit aufgefundenen Krebserkrankungen (von Karsa 1995, Perry et al. 2001). Angesichts dieser fr Deutschland neuartigen Entwicklung erscheint es angemessen, auf diese Thematik ausfhrlicher einzugehen.
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4.2.1 Bevo¨lkerungsbezogene Mammographie-Screening-Modellprojekte
Eine wichtige Entscheidungsgrundlage fr die flchendeckende Einfhrung des Mammographiescreenings in Deutschland lieferten die frhen Ergebnisse aus mehreren Modellprojekten, die in 2001 und 2002 im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (frher: Bundesausschuss der ˜rzte und Krankenkassen) gestartet wurden (Junkermann et al. 2001). In den gegenwrtig noch laufenden Modellprojekten werden die Europischen Leitlinien zur Qualittssicherung des Mammographiescreenings (Perry et al. 2001) umgesetzt und dabei notwendige neue Formen der multidisziplinren und interinstitutionellen Zusammenarbeit bei der Frherkennung von Brustkrebs erprobt. Die Modellprojekte werden von der Kooperationsgemeinschaft Mammographie in der ambulanten vertragsa¨rztlichen Versorgung (frher: Planungsstelle Mammographie-Screening) koordiniert und durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert. Die meisten privaten Krankenversicherungen bernehmen auch die Kosten der Screeningteilnahme fr die von ihnen versicherten teilnahmeberechtigten Frauen. Screeningverfahren
Die Einladung zur Screeningteilnahme erfolgt schriftlich anhand von Daten der jeweiligen Melderegister. Teilnahmeberechtigt sind alle 50- bis 69jhrigen Frauen, die ihren Erstwohnsitz im Einzugsgebiet der jeweiligen Modellprojekte haben. Zusammen mit der schriftlichen Einladung wird eine Informationsbroschre verschickt, die ber die Screeningablufe und ber Vorund Nachteile des Mammographiescreeningverfahrens in verstndlicher Sprache informiert. Die Screeninguntersuchung (beidseitige CC- und MLO-Aufnahmen) wird in festen ambulanten oder mobilen Einrichtungen getrennt von der kurativen Versorgung von speziell geschulten radiologischen Fachkrften durchgefhrt. Ein Arzt ist whrend der Erstellung der Mammographieaufnahmen nicht anwesend. Die Screeningaufnahmen werden von zwei speziell fortgebildeten Fachrzten (Radiologie oder Gynkologie) getrennt befundet. Bei unaufflliger Mammographie wird die Klientin in zwei Jahren erneut zum Screening eingeladen. Bei allen aufflligen Mammographien erfolgt eine Drittbefundung; die abschlieende Beurteilung bei drittbefundeten Mammographien erfolgt im Rahmen einer Konsensuskonferenz, an der alle drei Befunder teilnehmen. Ergibt die Konsensuskonferenz, da ein Fall abklrungsbedftig ist, wird die betreffende Frau wieder einbestellt. Besteht nach zustzlicher bildgebender Diagnostik und klinischer Untersuchung der Verdacht auf Brustkrebs, erfolgt eine bioptische properative Abklrung. Das Ergebnis der perkutanen Stanzbiopsie und der sonstigen Abklrungsdiagnostik (in wenigen Fllen auch Vakuumbiopsie) wird in einer interdisziplinren properativen Fallkonferenz besprochen, an der die
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Tabelle 5. Kernelemente der Qualita¨tssicherung beim Mammographiescreening * * * *
* * *
* * *
*
Anspruchsberechtigung fu¨r alle 50- bis 69ja¨hrigen Frauen unabha¨ngig vom Versichertenstatus Trennung der Screeningabla¨ufe von der kurativen Diagnostik Bevo¨lkerungsbezug bei der Durchfu¨hrung, Dokumentation und Evaluation des Screenings Schriftliche Einladung der teilnahmeberechtigen Bevo¨lkerung anhand von Meldedaten mit Nennung eines festen Termins und Orts Qualita¨tssicherung der gesamten Screeningkette gema¨ß den Europa¨ischen Leitlinien Teamarbeit und interdisziplina¨re Kooperation Spezielle Fortbildung von A¨rzten und anderen im Screening ta¨tigen Personen vor Aufnahme ihrer Ta¨tigkeit Doppelbefundung der Screeningmammographien (Minimum: 5000 Frauen/Befunder/Jahr) Doppelbefundung der pra¨operativen histologischen Proben und Pra¨parate Einbeziehung der Folgediagnostik einschließlich der interdisziplina¨ren pra¨- und postoperativen Konferenz in die Screeningkette U¨berwachung der Qualita¨t der gesamten Screeningkette durch Kooperationsgemeinschaft
˜rzte, die die Screeningmammographien befundet haben, der Pathologe, der das Biopsiematerial beurteilt hat, und der voraussichtliche Operateur ebenso wie eine speziell geschulte Pflegekraft und eine im Screening ttige radiologische Fachkraft teilnehmen. Wird bei der Konferenz Brustkrebs diagnostiziert, erfolgt sogleich die interdisziplinre Operationsplanung durch die anwesenden ˜rzte. Anschlieend bespricht das multidisziplinre Team das Ergebnis der Konferenz mit der jeweils betroffenen Frau. Im Einvernehmen mit der Teilnehmerin werden dann die notwendigen Manahmen, z.B. Krankenhausaufnahme und Information des betreuenden Frauen- oder Hausarztes, vom rztlichen Projektleiter veranlat. Qualita¨tssicherung
Hauptaufgabe der Modellprojekte war es, eine umfassende Qualittssicherung der gesamten Screeningkette nach den Europischen Leitlinien zu erproben. Die wesentlichen Elemente dieser Qualittssicherung, die hierbei in den Modellprojekten umgesetzt wurden, sind in Tabelle 5 aufgefhrt. Datenbestand
Seit 2001 luft das Routinescreening in den von der Kooperationsgemeinschaft betreuten Mammographiescreening-Modellprojekten in der Stadt Bremen und dem gemischt stdtisch/lndlichen Gebiet Wiesbaden/Rheingau-Taunus-Kreis. In 2002 begann das Screening in einer dritten Modellregion: Weser-Ems in Niedersachsen. Die Besonderheit des letztgenannten Modellprojekts sind lndlich geprgte Gemeinden, so da dort eine mobile Mammographieeinheit, das sog. Mammobil, zum Einsatz kommt. Das
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Pra¨vention
Mammobil weilt jeweils fr eine bis wenige Wochen an verschiedenen Standorten in der dnn besiedelten Studienregion. Die Proze- und Ergebnisdaten werden in allen Modellprojekten nach einheitlichen Vorgaben erfat und aufgearbeitet. Die Ergebnisse der einzelnen Projekte werden von der Kooperationsgemeinschaft geprft, zusammengefhrt und verffentlicht. Die nachfolgend dargestellten ersten Ergebnisse beziehen sich auf die Frauen, die im Zeitraum Juli 2001 bis Juni 2003 in Bremen und Wiesbaden/Rheingau-Taunus-Kreis und zwischen Mai 2002 und Juni 2003 in Weser-Ems zum Screening eingeladen wurden. Anteil der eingeladenen Zielbevo¨lkerung
Bis Juni 2003 konnten von insgesamt etwa 149 700 teilnahmeberechtigten Frauen (50…69 Jahre) in allen Modellregionen knapp 64% (95 617) anhand der amtlichen Meldedaten eingeladen werden (Tabelle 6). Den hchsten Anteil eingeladener Frauen erreichte Bremen mit 67,0%, gefolgt von WeserEms (61,8%) und Wiesbaden (60,7%). Ho¨chste Akzeptanz beim Einsatz eines Mammobils
Da die erste Einladungsrunde, die sog. Pra¨valenzrunde, noch nicht abgeschlossen ist, kann zum gegenwrtigen Zeitpunkt keine genaue Teilnahmerate ermittelt werden. Die vorliegenden Daten weisen jedoch darauf hin, da die Akzeptanz der Einladung anhand der Meldedaten in der lndlich geprgten Region Weser-Ems, in der die Screeninguntersuchungen in einer mobilen Mammographieeinheit durchgefhrt werden, am hchsten war. Dort haben 70,7% der Frauen die Einladung angenommen: 62,5% der eingeladenen Frauen haben den angebotenen Untersuchungstermin kurzfristig wahrgenommen, langfristig verschoben haben den Termin nur 8,1% der Tabelle 6. Bisherige Einladungsquote in den Mammographiescreening-Modellprojekten (Erstscreening) Einladungsstatus
Bremen
Wiesbaden/RheingauTaunus-Kreis
Weser-Ems
Gesamt
Teilnahmeberechtigte Frauen
71.200
56.000
22.500
149.700
Eingeladen anh. v. Meldedaten
47.693
34.009
13.915
95.617
Einladungsquote
67,0%
60,7%
61,8%
63,8%
Datenbasis: Anspruchsberechtigte Frauen zwischen 50 und 69 Jahren mit Hauptwohnsitz in den jeweiligen Modellregionen Bremen, Wiesbaden/Rheingau-Taunus-Kreis und ausgewa¨hlten Gebieten in Weser-Ems (gerundet). Erhebungszeitpunkt 31.07.03.
6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
329
Frauen. Die Akzeptanz der schriftlichen Einladung war in Bremen mit 50,7% (45,6% teilgenommen zzgl. 5,1% Terminverschiebungen) geringer, gefolgt von 39,0% in Wiesbaden (37,6% zzgl. 1,4%; s. Tabelle 7). Vergleichsweise hoher Anteil Selbsteinladerinnen in Wiesbaden
Die scheinbar niedrigere Akzeptanz der Einladung in Wiesbaden drfte auf den vergleichsweise hohen Anteil an Frauen zurckzufhren sein, die in der ersten Runde einen Termin mit der Screeningeinheit selbst vereinbaren, ohne auf die schriftliche Einladung anhand der Einwohnermeldeamtsdaten zu warten. In Wiesbaden waren dies bis Juni 2003 35,9% aller untersuchten Frauen, in Bremen waren es 10,9% und in Weser-Ems 1,8%. Nicht selten handelt es sich hierbei um Frauen, die bislang gewohnt waren, am „grauen“ Screening teilzunehmen. Diese Frauen knnen einen Screening-Termin selbst vereinbaren, sofern sie teilnahmeberechtigt sind, zur jeweiligen Modellregion gehren und keine Kontraindikation vorliegt (z. B. Mammographie in den letzten zwlf Monaten). Erst am Ende der Prvalenzrunde knnen die Selbsteinladerinnen bei der Berechnung der Teinahmerate bercksichtigt werden. Vorher kann allenfalls ein Teilnahmetrend ermittelt werden. Deutliche Akzeptanz in der Zielgruppe des Screenings
Betrachtet man den Anteil der eingeladenen Frauen aller Modellregionen, die den angebotenen Termin kurzfristig wahrnehmen oder langfristig verschieben (49,5%), und bercksichtigt den Anteil der Selbsteinladerinnen unter allen bisherigen Teilnehmerinnen (18,7%), dann weisen die gegenwrtigen Daten auf einen Teilnahmetrend hin, der am Ende der Prvalenzrunde voraussichtlich ber 50% liegen wird. Dieser Wert erreicht zwar nicht das akzeptable Niveau einer 70%-Teilnahmerate nach den Europischen Leitlinien, doch Erfahrungen in anderen europischen Lndern mit dezentralen Versorgungssystemen weisen darauf hin, da die Akzeptanz in den Folgerunden des Screenings ansteigen kann. Abha¨ngigkeit von Akzeptanz und Entfernung zum Mammobil
Die vorliegenden Daten aus Weser-Ems weisen darauf hin, da eine deutlich hhere Teilnahmerate erzielt werden kann, wenn die Entfernung zwischen Wohnort und Untersuchungsort gering ist. Die Abbildung 4 zeigt: Bereits ab einer Entfernung von etwa 5 km zum Mammobil sinkt die durchschnittliche Teilnahmerate unter 50%. Um eine Teilnahmerate von ber 70% zu erreichen, wren in Weser-Ems krzere Standzeiten fr das Mammobil erforderlich, so da auch kleinere Ortschaften vom Mammobil angefahren werden knnen.
6
2.455
24.194
2.652
24.391
spa¨terer Termin vereinbart
bisherige Akzeptanz der Einladung
Teiln. bis 06/2003 ohne vorher. Einladung
Teilnehmerinnen insgesamt
50,7
5,1
45,6
100,0
10,9
89,1
19.973
7.170
13.274
471
12.803
34.009
39,0
1,4
37,6
100,0
100,0
35,9
64,1
8.859
156
9.835
1.132
8.703
13.915
[7]
Anzahl
70,7
8,1
62,5
100,0
[8]
in %
Weser-Emsb)
100,0
1,8
98,2
[9]
53.223
9.978
47.303
4.058
43.245
95.617
[10]
Anzahl
Gesamt in %
49,5
4,2
45,2
100,00
[11]
100,0
18,7
81,3
[12]
a)
Datenbasis: Anspruchsberechtigte bei den Mammographiescreening-Modellprojekten Bremen und Wiesbaden, die anhand von Meldedaten zur Teilnahme im Zeitraum 7/2001–6/2003 eingeladen wurden bzw. zur Zielgruppe geho¨rten und auf eigene Initiative einen Termin im Zeitraum 7/2001–6/2003 vereinbart und wahrgenommen haben. Erhebungszeitraum bis 31.07.2003. b) Anspruchsberechtigte beim Mammographiescreening Weser-Ems, die anhand von Meldedaten zur Teilnahme im Zeitraum 5/2002–6/2003 eingeladen wurden bzw. zur Zielgruppe geho¨rten und auf eigene Initiative einen Termin im Zeitraum 5/2002–6/2003 vereinbart und wahrgenommen haben. Erhebungszeitraum bis 31.10.2003.
21.739
bis 07/2003 teilgenommen
davon:
100,0
[6]
47.693
[5]
in %
Anzahl
[2]
[1] [4]
in %
Anzahl [3]
Wiesbaden/RheingauTaunus-Kreisa)
Bremena)
6
Eingeladen anh. v. Meldedaten bis 06/2003
Teilnahmestatus
Tabelle 7. Teilnahmeverhalten in den Mammographiescreening-Modellprojekten (Erstscreening)
330 Pra¨vention
6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
331
6
Abb. 4. Teilnahmerate nach Entfernung des Mammobils zum Wohnort: Ergebnisse der Ersteinladung in Weser-Ems (Erst-Screening) (Datenbasis: Teilnahmestatistik Modellprojekt WeserEms 5/2002–6/2003)
Hohe Sensitivita¨t
Die aktualisierten Zwischenergebnisse weisen auf eine hohe Sensitivitt und gleichzeitig hohe Spezifitt der Screeningkette in den Modellregionen hin. Insgesamt wurden bei 9,3 Frauen pro 1000 Teilnehmerinnen Mammakarzinome entdeckt; in Bremen waren es 8,9 pro 1000 Teilnehmerinnen, in Wiesbaden 9,1 und in Weser-Ems 10,9 Karzinome pro 1000 Teilnehmerinnen (s. auch Tabelle 8). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Projekten sind nicht signifikant (a > 0,05). Bei der berechneten Entdeckungsrate fr die Teilnehmerinnen in Weser-Ems ohne vorherige Einladung anhand von Meldedaten handelt es sich um eine Ausnahme, die durch die kleine Anzahl von Frauen in dieser Teilgruppe bedingt ist. Die vorliegenden Gesamtentdeckungsraten der jeweiligen Modellregionen erfllen den nach den Europischen Leitlinien empfohlenen Standard (> 3fache der Neuerkrankungsrate ohne Screening). Hohe Spezifita¨t
Der Anteil der untersuchten Frauen mit aufflligen Screeningmammographien betrug 6,0% (Bremen: 5,7%, Wiesbaden: 6,2%, Weser-Ems: 6,2%). Somit wurden nicht mehr Frauen zur Abklrungsdiagnostik wieder
(95%-KI)
8.623
42.538
Weser-Emsc)
Gesamt
402
93
121
9,5
10,8
9,6
8,8
[3] [5]
156
[8,5–10,4] 9.930
[8,5–13,0]
[7,9–11,4] 7.132
[7,5–10,1] 2.642
[4]
87
3
58
26
[6]
8,8
19,2
8,1
9,8
[7]
[9]
8.779
[6,9–10,6] 52.468
[6,4–57,7]
[6,0–10,3] 19.707
[6,0–13,7] 23.982
[8]
(95%-KI)
489
96
179
214
[10]
Karzinome
9,3
10,9
9,1
8,9
[11]
(‰)
[8,5–10,2]
[8,7–13,2]
[7,7–10,4]
[7,7–10,1]
[12]
(95%-KI)
Teilnehmerinnen mit bzw. ohne vorher. Einlad. anh. v. Meldedaten
Datenbasis: a) Teilnehmerinnen am Screening im Bremer Mammographie-Screening Modellprojekt im Zeitraum 7/2001–6/2003 (N = 23.982, davon 21.340 nach Meldedaten schriftlich eingeladene Frauen und 2.642 zur Zielgruppe geho¨rende, auf eigene Initiative teilnehmende Frauen; Erhebungszeitraum bis 31.07.2003). b) Teilnehmerinnen am Mammographie-Screening Modellprojekt in Wiesbaden/Rheingau-Taunus-Kreis im Zeitraum 7/2001–6/2003 (N = 19.707, davon 12.575 nach Meldedaten schriftlich eingeladene Teilnehmerinnen und 7.132 zur Zielgruppe geho¨rende, auf eigene Initiative teilnehmende Frauen; Erhebungszeitraum bis 31.07.2003). c) Teilnehmerinnen am Mammographie-Screening Modellprojekt in Weser-Ems, im Zeitraum 5/2002–6/2003 (N = 8.779, davon 8.623 nach Meldedaten schriftlich eingeladene Teilnehmerinnen und 156 zur Zielgruppe geho¨rende, auf eigene Initiative teilnehmende Frauen; Erhebungszeitraum bis 31.07.2003).
12.575
Wiesbadenb)
188
[2]
21.340
[1]
(‰)
Karzinome
(‰)
Karzinome
Anz.
Anzahl
Teilnehmerinnen ohne vorher. Einladung anh. v. Meldedaten
Teilnehmerinnen mit vorher. Einladung anh v. Meldedaten
6
Bremena)
Region
Tabelle 8. Durch Screening entdeckte Karzinome (Erstscreening), getrennt nach Modellregion und Teilnehmerinnen aus den jeweiligen Zielpopulationen mit bzw. ohne vorherige Einladung anhand von Meldedaten
332 Pra¨vention
6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
333
einbestellt als nach dem akzepablen Standard der Europischen Leitlinien (< 7%). Der Anteil der Teilnehmerinnen, bei denen sich der Verdacht auf Brustkrebs bei der Wiedereinbestellung zur Abklrungsdiagnostik erhrtet hatte und deswegen eine Punktionsbiopsie veranlat wurde, betrug 1,8% (Bremen: 1,7%, Wiesbaden: 1,8%, Weser-Ems 2,1%; s. Tabelle 9); die Europischen Leitlinien geben hierzu keinen Vergleichswert an. Eine primr offene Biopsie wurde nur selten zur Abklrung des Brustkrebsverdachts empfohlen bzw. durchgefhrt (< 0,1%). Von insgesamt 567 aufgrund des Screenings empfohlenen Operationen ergaben 489 (86%) einen malignen Befund (Bremen: 85%, Wiesbaden: 84% und Weser-Ems: 93%; Tabelle 10). Dies bedeutet, da nur etwa jede siebte Frau (14%), die aufgrund des Screenings operiert wurde, einen gutartigen Befund aufwies. Somit konnte die Anzahl von Brustkrebsoperationen in den Modellprojekten auf ein Minimum reduziert und der nach den Europischen Leitlinien empfohlene Anteil an Operationen mit benignem Ergebnis (33%, d. h. ein benign to malignant open surgical biopsy ratio i. H. v. 0,5 zu 1) deutlich unterschritten werden. Verbesserte Prognose
Bei insgesamt 404 invasiven Tumoren, die im Screening entdeckt wurden, maen 321 (79,5%) einen Durchmesser 2 cm (Bremen: 77,8%, Wiesbaden: 81,2% und Weser-Ems: 79,7%). Der entsprechende Anteil Tumoren, die
Abb. 5. Gro¨ßenverteilung entdeckter invasiver Tumoren und Lymphknotenstatus entdeckter invasiver und nicht invasiver Karzinome im Erstscreening in den Mammographiescreening-Modellprojekten. (Datenbasis Modellprojekte Bremen, Wiesbaden/Rheingau-Taunus-Kreis und Weser-Ems; Erhebungszeitraum bis 31.07.2003)
6
20
Empfohlene Biopsie
Datenbasis: siehe Tabelle 8
407 351 17
< 0,1
1.206
18.479
1.228
19.707
1,7
5,6
94,3
1.353
neg. 22.621
Punktionsbiopsie
Abkla¨rungsdiagnostik
5,7
100,0
1.361
pos.
23.982
[2]
[1]
1,8 0,1
6,1
93,8
6,2
100,0
[4]
(%)
Anzahl
(%)
Anzahl [3]
Wiesbaden/RheingauTaunus-Kreisb)
Bremena)
8
187
539
8.232
547
8.779
[5]
Anzahl
Weser-Emsc) (%)
945 45
< 0,1
3.098
49.332
3.136
52.468
[7]
Anzahl
2,1
6,1
93,8
6,2
100,0
[6]
Gesamt
< 0,1
1,8
5,9
94,0
6,0
100,0
[8]
(%)
6
Screening-Mammographie
Intervention
Tabelle 9. Abkla¨rungsdiagnostik bei Erstscreening-Teilnehmerinnen: Anteile einzelner Maßnahmen
334 Pra¨vention
13
37
als prim. offene Biopsie
Gesamtd)
214
5
209
0,17:1
2,6:1
0,11:1
34
11
23
maligne
179
6
173
[5]
0,19:1
1,8:1
0,13:1
[6]
b/m
7
1
6
[7]
96
7
89
[8]
benigne maligne
Hist. Beurteilung OP-Pra¨parat
Weser-Emsc)
Gesamt-Werte in Spalten [3], [6], [9] und [12] geben sog. benign-to-malignant biopsy ratio wieder. Datenbasis: siehe Tabelle 8
24
benigne [4]
[3]
[1]
[2]
benigne maligne
Hist. Beurteilung OP-Pra¨parat
Hist. Beurteilung OP-Pra¨parat
b/m
Wiesbaden/RheingauTaunus-Kreisb)
Bremena)
nach Punktionsbiopsie
Operationen veranlaßt
[10] 53 25 78
0,07:1 0,14:1 0,07:1
489
18
471
[11]
benigne maligne
Hist. Beurteilung OP-Pra¨parat
Gesamt
[9]
b/m
Tabelle 10. Histologische Beurteilung operativ entfernter, durch Screening entdeckter La¨sionen (Erstscreening)
0,16:1
1,4:1
0,11:1
[12]
b/m
6.2 Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
335
6
336
6
Pra¨vention
1 cm im Durchmesser aufwiesen, lag bei 35,1% (Bremen: 35,8%, Wiesbaden: 39,0% und Weser-Ems: 25,7%). Bei allen Projekten wurde der nach den Europischen Leitlinien empfohlene Wert bertroffen (25%). Der entsprechende Anteil invasiver Tumoren 1,5 cm Durchmesser betrug 63,6% (Bremen: 61,9%, Wiesbaden: 67,5% und Weser-Ems: 59,5%). Der empfohlene Standard nach den Europischen Leitlinien wurde ebenfalls berschritten (> 50%; s. Abb. 5). Bei 477 von 489 Frauen mit im Screening entdeckten Brustkrebserkrankungen (97,5%) konnte der Lymphknotenstatus ermittelt werden. Von diesen Frauen zeigten 84,1% keinen Lymphknotenbefall (Bremen: 79,8%, Wiesbaden: 87,4%, Weser-Ems: 87,4%). Vorgegeben nach den Europischen Leitlinien ist ein Anteil von mehr als 70%. Nicht zuletzt aufgrund der Einhaltung der vorgenannten empfohlenen europischen Standards kann davon ausgegangen werden, da einem bedeutenden Anteil an Frauen, deren Karzinome im Screening entdeckt wurden, die Mglichkeit erffnet wurde, ihre Prognose durch eine frhere und zugleich weniger radikale Therapie zu verbessern.
5 Schlußbemerkung Bevlkerungsbezogene Frherkennung ist eine der Sulen, auf denen eine erfolgreiche Krebsbekmpfung ruht. Sie ist allerdings mit Kautelen verbunden, die bei der Einfhrung (vorheriger Effektivittsnachweis) und bei der Durchfhrung (Qualittskontrolle) von Screeningprogrammen zu beachten sind. Mit dem im Jahr 1971 aufgelegten Programm gehrte Deutschland zu den ersten Lndern, in denen Krebsfrherkennung als Angebot des Gesundheitsversorgungssystems offiziell eingefhrt wurde. Kriterien, die bei Implementierung und Durchfhrung zu beachten sind, waren damals noch wenig entwickelt und wurden kaum bercksichtigt. In den seitdem vergangenen 30 Jahren ist einiges Wissen sowohl methodischer Art als auch hinsichtlich effektiver Screeningverfahren hinzugekommen. Auerdem wurden in Deutschland und anderen Lndern vielfltige Erfahrungen mit der Anwendung solcher Programme gesammelt und publiziert. Diese Erkenntnisse knnten fr eine Erhhung der Effektivitt des deutschen Frherkennungsprogrammes genutzt werden. Die beschlossene bundesweite Einfhrung eines bevlkerungsbezogenen Mammographiescreenings ist ein aussichtsreicher Schritt in diese Richtung, mit dem erstmals in Deutschland organisatorische Strukturen geschaffen werden, die es ermglichen, ein bevlkerungsbezogenes Screeningprogramm einer umfassenden Qualittskontrolle zu unterziehen.
6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
337
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6
338
6
Pra¨vention
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6.2
Sekunda¨re Pra¨vention (Krebsfru¨herkennung)
339
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6
6.3
Tertia¨re Pra¨vention H. Delbrck
1 Einleitung Kern der prima¨ren Pra¨vention sind die vorbeugenden Manahmen, die Krankheiten verhindern sollen. In der Krebsmedizin sollen durch die primre Prvention Risikofaktoren ausgeschaltet oder reduziert werden, die ursachlich an der Krebsentstehung beteiligt sind. Ziel ist, durch sie die Krebsentstehung zu verhindern. Unter sekunda¨rer Pra¨vention versteht man Manahmen der Frherkennung. Dank dieser Manahmen soll eine Krebserkrankung mglichst frh diagnostiziert und therapiert werden, um so die Chancen einer Heilung zu erhhen und durch sie eine Lebensverlngerung zu erreichen. Ziel der tertia¨ren Pra¨vention ist, sowohl eine Verschlimmerung einer bestehenden Erkrankung zu verhindern (Tumornachsorgemanahmen im engeren Sinne) als auch die Lebensqualitt zu verbessern. Letzteres geschieht durch Rehabilitationsmanahmen, die dazu verhelfen sollen, trotz der Erkrankungsfolgen und therapiebedingten Behinderungen ein mglichst optimales Leben zu fhren. Bei den Tumornachsorgemanahmen stehen die Rezidivdiagnostik und adjuvante/additive Therapien im Vordergrund. Die Hoffnung, durch eine systematische Rezidivdiagnostik die Lebenszeit der Betroffenen zu verbessern, hat sich jedoch nur bei wenigen Tumorerkrankungen erfllt. Im Gegensatz hierzu gewinnen adjuvante und additive Therapien zunehmend an Bedeutung. Auf diese wichtigen tertir prventiven Manahmen wird an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen, da sie in den einzelnen Organkapiteln ausfhrlich kommentiert werden. Auch werden von den notwendigen Rehabilitationsmanahmen nur einige wichtige organbergreifende kommentiert, nmlich Manahmen zur Reduzierung somatischer, psychischer, sozialer und beruflicher Handicaps sowie die Selbsthilfe. Die einzelnen je nach Tumorerkrankung und Therapie unterschiedlichen rehabilitationsbedrftigen Behinderungen, Funktionseinschrnkungen und Handicaps sowie die hierfr notwendigen Therapien werden ausfhrlich an anderer Stelle kommentiert (siehe Kap. 29.1 bis 29.12).
2 Konsultative Rehabilitationsmaßnahmen Zu den Zielen der tertiren Prvention in der Rehabilitation gehrt neben der Reduzierung funktioneller Einschrnkungen und sozialer Beeintrchtigungen auch die Ausschaltung krankmachender Faktoren. Letzteres ver-
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sucht man durch Beratungen, Informationen und Schulungen zu erreichen. Diese tertirprventiven Manahmen werden unter den Begriffen „Gesundheitserziehung“, „Gesundheitsbildung“, „Gesundheitsfrderung“, vor allem jedoch „Gesundheitstraining“ zusammengefat. Das Gesundheitstraining zielt auf Wissensvermittlung, eine Vernderung des Lebensstils und Hilfe zur Selbsthilfe ab. Es findet in kleinen Gruppen statt und wird vom Arzt, Psychologen, Sozialarbeiter oder von einem Selbsthilfegruppenleiter moderiert. Die Leitung solcher Gruppen setzt ein hohes Ma an Fachkompetenz und Flexibilitt in der Diskussionsleitung voraus. Erwnscht ist der Austausch von Informationen, Vorstellungen und Erfahrungen unter den Betroffenen selbst. „Der Patient soll vom Behandelten zum Handelnden gemacht werden.“ Gesundheitstraining ist somit Anleitung und Hilfe zur Selbsthilfe (Kijanski und Haupt 1998). Da die Aufklrung und Informationen je nach Tumorerkrankung und durchgefhrter Therapie unterschiedliche Inhalte und Wertigkeiten haben knnen, empfiehlt es sich, neben dem allen Patienten offenstehenden Gesundheitstraining (Tabelle 1) jeweils ein zustzliches Gesundheitstraining mit spezifischen Beratungsinhalten fr Patienten mit gleicher Erkrankung und hnlicher Therapie anzubieten. In letzteren knnen die Besonderheiten der einzelnen Erkrankungen besser bercksichtigt werden.
Tabelle 1. Themen des Gesundheitstrainings (Delbru¨ck 2003) * * * * *
* * * * * * * * * * * *
Mo¨glichkeiten der Schulmedizin in Diagnostik und Therapie Ursachen einer Krebserkrankung Vererbung und Krebs Aufgaben der Nachsorge Was kann der Patient selber tun, damit die Erkrankung/Behinderung nicht fortschreitet? Was kann die Medizin tun, damit die Erkrankung/Behinderung nicht fortschreitet? Symptome eines Rezidivs Verhaltensweisen im Falle eines Krankheitsprozesses Mo¨glichkeiten der Angstbewa¨ltigung Mo¨glichkeiten der Schmerzlinderung Therapienebenwirkungen Gesunde Erna¨hrung Auswirkungen der Erkrankung/Therapie auf den Beruf Auswirkungen der Erkrankung/Therapie auf die Freizeit Bedeutung von Alternativtherapien Soziale Rechte und Hilfen Mo¨glichkeiten der Rehabilitation
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Wichtig ist, den Patienten die Mglichkeiten und Grenzen der Schulmedizin zu erlutern, sie vor schdigenden Alternativtherapien zu schtzen und ihnen den Sinn und die Notwendigkeit von Nachsorgeuntersuchungen zu vermitteln. Verschiedene Therapiemglichkeiten, die Rezidivprophylaxe, Notwendigkeiten und Inhalt der Nachsorgeuntersuchungen, Mglichkeiten der Angstbewltigung, Verhaltensweisen bei Schmerzen, sozialrechtliche Themen sowie berufliche Konsequenzen werden erklrt. Die im Gesundheitstraining vermittelten Informationen ber die Krankheit und die verschiedenen Therapien gehen mit Motivation, berzeugungen und Selbstverantwortung fr die Gesundheit einher und sollten so frh wie mglich erfolgen, sptestens jedoch whrend der ambulanten und/oder stationren Rehabilitation. Denn ohne Aufklrung ist nicht mit der fr die onkologische Therapie notwendigen Motivaton und Compliance des Patienten zu rechnen. Schlielich mu der Patient verstehen, was in seinem Krper passiert und warum eine bestimmte Therapie vorgeschlagen wird. Die Mehrzahl der Patienten mchte zwar nicht selbst ber die Tumortherapie entscheiden, mchte aber doch wissen, warum eine bestimmte Behandlungsstrategie verfolgt wird. Es ist sinnvoll, Angehrige mit in das Gesundheitstraining und die Gruppengesprche zu integrieren und die den Patienten und ihren Angehrigen im Gesundheitstraining vermittelten Informationen und Ratschlge in schriftlicher Form zur Verfgung zu stellen. Hierfr bieten sich zahlreiche Ratgeberbcher an (Delbrck 1993…2004). Natrlich sollen diese Ratgeber immer nur die Grundlage fr nutzbringende Gesprche mit dem behandelnden Arzt darstellen, sie drfen niemals das rztliche Gesprch ersetzen. Hilfen zur Krankheitsbewa¨ltigung sind wichtiger Bestandteil der tertiren Prvention. Das Gesundheitstraining soll mit zur Krankheitsbewltigung beitragen. Je mehr der Patient in die Lage versetzt wird, durch neugewonnene Kenntnisse und neuerlernte Fhigkeiten mit seiner Krankheit umzugehen, desto grer ist auch die Wahrscheinlichkeit der emotionalen Anpassung an die neue Situation und um so eher gelingt es, soziale und berufliche Handicaps zu reduzieren. In der Auseinandersetzung mit der Krebserkrankung gibt es verschiedene Formen der Bewltigung (Coping). Untersttzt werden sollten hierbei diejenigen Verhaltensweisen, die zu einer Belastungsminderung fhren und damit die Lebensqualitt der Patienten erhhen. Letztendlich ist nach wie vor ungeklrt, welche Formen der Krankheitsbewltigung als effektiv anzusehen sind und bei welchem Bewltigungsverhalten psychologische Interventionen indiziert sind (Muthny 1996). Wichtig ist, da die Patienten mglichst ber ein Repertoire verschiedener Bewltigungsstrategien verfgen. Dies kann u. a. durch den Austausch in Gruppengesprchen und den Einbezug von Selbsthilfegruppen untersttzt werden.
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Eine wichtige Aufgabe in der tertiren Prvention stellt die Sexualberatung dar. Strungen des sexuellen Erlebens und Verhaltens treten als Begleit- oder Folgeerkrankung vieler Krebserkrankungen auf und bedeuten fr die Betroffenen oft eine erhebliche Einbue an Lebensqualitt, Selbstwertgefhl und Zufriedenheit in der Partnerbeziehung. Dies trifft in besonderem Ma auf Patienten mit Unterleibstumoren, Mammakarzinom, Rektumkarzinom, Hodenkrebs und Prostatakarzinom zu. Es ist davon auszugehen, da nur ein kleiner Prozentsatz der Patienten von sich aus sexuelle Probleme anspricht. Die meisten Patienten warten auf Fragen des Arztes oder des Psychologen. Mit dem Thema Sexualitt und insbesondere mit dem „sexuellen Versagen“ sind erhebliche Hemmungen verbunden. ˜ngste und Schuldgefhle spielen eine zentrale Rolle. Sie knnen im Gesprch abgebaut werden. Es ist je nach Einzelfall ratsam, den Partner zu diesem Gesprch hinzuziehen oder aber getrennt zu beraten. Fr den Krebspatienten bedeutet das Erkennen des bevorstehenden Todes eine Verstrkung seiner Einsamkeit und Ohnmacht. Gedanken ber den Sinn des Lebens und die bevorstehende Trennung erhalten eine besondere Bedeutung. Viele Sterbende wnschen und bentigen den seelisch-religisen Beistand angesichts ihres bevorstehenden Todes. Auch die seelsorgerische Betreuung kann somit als Bestandteil der tertiren Prvention angesehen werden. Fr viele Menschen ist ihr Glaube beim Sterben eine groe Hilfe. Fr glubige Menschen bedeutet der Tod nicht das Ende, sondern eher einen bergang. In der Vorbereitung auf den Tod knnen das gemeinsame Gebet, die seelsorgerische Begleitung, das gemeinsame Abendmahl, der Segen und vieles mehr eine Hilfe dabei sein, die letzten Tage und Stunden wertvoll zu erleben. Die Kirchen sind sich, zumindest in Deutschland, ihrer Verpflichtungen und Mglichkeiten bewut, in diesen Situationen seelsorgerisch zu helfen. Zumindest in den Tumorzentren und den meisten Krebsrehabilitationskliniken bieten Krankenhausseelsorger ihre Hilfen an. ˜rzte tun gut daran, sich dieser Angebote zu bedienen und die Seelsorger mit in das Behandlungsteam zu integrieren. Seelsorgerische Gesprche sind in einigen Situationen hilfreicher als rztliche Autoritt, psychologischer Beistand, Antidepressiva und/oder Tranquilizer und Anxiolytika. Die Vorurteile, da die Klinikseelsorge ihre Aufgabe darin sehe, „noch in letzter Minute eine Bekehrung zu erzwingen“, sind heute nicht mehr berechtigt.
3 Praktische Rehabilitationsmaßnahmen Schon allein wegen des hufig fortgeschrittenen Alters ist bei vielen Krebspatienten mit einer vermehrten sozialen Hilfsbedrftigkeit zu rechnen. Kommen die krankheits- und therapiebedingten Handicaps hinzu, knnen
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die Planung und Organisation der weiteren sozialen Versorgung wesentliche Bedeutung in der Nachbetreuung und tertiren Prvention gewinnen. Fragen der Pflegebedrftigkeit, ob die Pflegebedrftigkeit durch Rehabilitationsmanahmen verhindert bzw. zumindest reduziert werden kann, wer und wo ambulante und stationre Hilfen leisten kann, mssen geklrt werden. Die Sozialdienste der meisten Tumorzentren, Tumornachsorge und -rehakliniken verfgen ber Adressenlisten, die sie dem Patienten, den Angehrigen bzw. dem betreuenden Arzt fr die weitergehende ambulante Versorgung vor Ort in die Hand geben knnen. Individuelle Beratungsmglichkeiten werden in den Krebsberatungsstellen geboten, die je nach Bundesland in unterschiedlicher Dichte und unterschiedlicher Ausstattung den Krebsbetroffenen und ihren Angehrigen ihre Dienste anbieten. Trger der Krebsberatungsstellen sind freie und sonstige Trger (22%), Landkreise (21%), Krebsgesellschaften (20%), Kommunen (11%), Rotes Kreuz (8%), Kirchliche Organisationen (7%) (Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation 2003). Eine aktualisierte Liste der Krebsberatungsstellen kann bei der Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation, Walter-Kolb-Str. 9…11, 60594 Frankfurt (Internet: www.bar-frankfurt.de/Arbeit/krebsadressen.htm) abgerufen werden. Einige Krankenkassen haben fr ihre Versicherten einen hauseigenen Sozialdienst eingerichtet, der ebenfalls Beratung, Einzelfallhilfe oder auch Gruppenangebote anbietet. Grundstzlich besteht auch die Mglichkeit einer individuellen Beratung durch Hausbesuche; Einzelheiten sind bei den jeweiligen Krankenkassen zu erfragen. Informationen und trgerbergreifende Hilfen sollen auch die Servicestellen geben, die seit Einfhrung des Sozialgesetzbuches IX im Jahre 2001 flchendeckend eingerichtet werden. Voraussetzung fr die Nutzung von Rehabilitationsangeboten ist ein Versicherungsverhltnis der Betroffenen bei einem Trger der Rehabilitation. Je nach Versicherungsverhltnis kommen unterschiedliche Kostentra¨ger in Betracht. Am hufigsten sind es die Landesversicherungsanstalten (LVA) und die Bundesversicherungsanstalt fr Angestellte (BfA). Zunehmend bernehmen jedoch auch die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen sowie die Sozialhilfe und die Beihilfe nachrangig zur Rentenversicherung hierfr die Kosten. Abweichend von anderen medizinischen Indikationen ist bei Krebspatienten die Gefhrdung der Erwerbsfhigkeit kein ausschlieliches Bewilligungskriterium fr Leistungen durch die Rentenversicherungen. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI werden auch fr Krebsbetroffene auerhalb des Erwerbslebens Rehamanahmen von den Rentenversicherungen bezahlt. Patienten sowohl mit als auch ohne Tumoraktivitt haben einen gesetzlichen Anspruch auf Rehaleistungen.
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Vor Einleitung einer Rehabilitation mssen Basisuntersuchungen zur Feststellung der Interventionsbedrftigkeit (Rehabilitationsbedrftigkeit) erfolgen (Assessment). Sie dienen vorwiegend der Feststellung von Fhigkeitsstrungen (disabilities); sie bilden die Grundlage der Rehabilitationsplanung und sind wichtig fr die Verlaufsbeurteilung sowie Evaluation der durchgefhrten Manahmen. Fr den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) spielt das Assessment eine wichtige Rolle bei der Entscheidung ber Zuweisungen, und nicht zuletzt erwarten auch die Kostentrger auf dem Boden des Assessments einen Leistungs- bzw. Erfolgsnachweis. Die in der Onkologie bekanntesten und in der Praxis am hufigsten angewandten Parameter fr den funktionellen Status des Patienten sind der Karnofsky-Index (ECOG-Status) und der WHO Performance Status, die den Allgemeinzustand und die Leistungsfhigkeit des Patienten beschreiben sollen. Sie dienen zur Prognosebestimmung und zur Therapieplanung, gengen jedoch kaum den biopsychosozialen Anforderungen in der tertiren Prvention. Wesentlich konkreter und wichtiger fr die sozialen Rehabilitationsziele sind Funktionstests, die den Grad der sozialen Versorgungsdefizite beschreiben. Zu ihnen gehren der Test fr Aktivitten des tglichen Lebens (Barthel-Index), der Funktionale Selbstndigkeitsindex (FIM) und der Test fr instrumentelle Aktivitten des tglichen Lebens (iADL-Test). Der erweiterte Barthel-Index (EBI) wird vorrangig von Frhrehabilitationskliniken genutzt (Wedding und Hffken 2002). Diese Tests berprfen und dokumentieren im wesentlichen die Fhigkeiten des Betroffenen zur selbstndigen Lebensfhrung (Delbrck 2003). Den Rehabilitationskliniken kommt in der tertiren Prvention eine wichtige Aufgabe zu. Ist das Rehabilitationsziel vorrangig auf die soziale Reintegration (Reha vor Pflege) oder auf den Erhalt der Arbeitsfhigkeit (Reha vor Rente) ausgerichtet, so sind Rehabilitationskliniken in Wohnortnhe zu bevorzugen. Erholung und allgemein roborierende Manahmen hingegen knnen mit der gleichen Effektivitt wohnortnah wie wohnortfern durchgefhrt werden. Aus mehreren Grnden konzentrierte sich die Rehabilitation in der Vergangenheit vorwiegend auf stationre Aufenthalte in Rehabilitationskliniken. Dieses hat sich insofern gendert, als seit Inkrafttreten des SGB IX 2001 auch teilstationre und ambulante Rehabilitationsmanahmen durchgefhrt werden sollen. Nach dem SGB IX sollen ambulante und stationre Rehabilitation gleichwertig sein. Der Patient hat die Wahl zwischen beiden Behandlungsformen. Das Angebot der ambulanten Rehabilitation soll ein flexibleres Eingehen auf die Bedrfnisse der Behinderten besonders in bezug auf soziale Probleme … wie Belastungen im Beruf und im Alltag … ermglichen (Teichmann 2002). Die Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation … die Dachgesellschaft fr alle Rehabilitationstrger in Deutschland … hat gemeinsam mit den
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Pra¨vention
Spitzenverbnden der Krankenkassen und Rentenversicherungen Leitlinien fr die ambulante onkologische Rehabilitation erarbeitet, die den Qualittsanforderungen einer ganzheitlichen und modernen onkologischen Rehabilitation im ambulanten Bereich Genge tun sollen (Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation 2004). Eine wichtige Aufgabe in der Nachbetreuung ist die Vorsorge fu¨r die berufliche Reintegration. Welche arbeitsplatzerhaltenden Manahmen einschlielich Eingliederungshilfen, Arbeitsfrderung und Berufsfrderung sowie Arbeitsplatzumsetzung in Frage kommen, wer diese finanziert, ab wann eine berufliche Neuorientierung sinnvoll und durchfhrbar ist, wo detaillierte Informationen erhltlich sind, kann der Krebspatient am besten whrend der onkologischen Rehabilitation und beim Rehabilitationsberater der jeweiligen Rentenversicherung erfahren. Bei erwerbsttigen Patienten mu zu Beginn der Rehabilitation ein berufsorientiertes Assessment und bei Abschlu eine sozialmedizinische Beurteilung erfolgen. Letztere hat gutachterliche Bedeutung. In ihr wird Stellung zur Arbeitsfhigkeit und zur beruflichen Leistungsfhigkeit des krebserkrankten Patienten bezogen und eine Weichenstellung hinsichtlich beruflicher Alternativen aus rehamedizinischer Sicht gegeben. Die sozialmedizinische Stellungnahme mu Angaben sowohl zum negativen als auch zum positiven Leistungsbild enthalten, wobei auch die Selbsteinschtzung des Patienten mit zu bercksichtigen ist (Teichmann 1997). Die zuletzt ausgebte berufliche Ttigkeit mu bzgl. ihres zeitlichen Umfangs (6 Stunden und mehr oder 3 bis unter 6 Stunden oder unter 3 Stunden) beurteilt werden; besondere Belastungen mssen erwhnt werden. Es mu Stellung bezogen werden, ob und gegebenenfalls welche krperlichen Einschrnkungen vorliegen. Es gibt zahlreiche Hilfen sowohl fr den Arbeitnehmer als auch fr den Arbeitgeber, die eine berufliche Reintegration des Krebserkrankten erleichtern sollen. Welche Hilfen gewhrt werden, hngt von der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung und anderen Kriterien ab. Neben der Qualitt der durchgefhrten rehabilitativen Manahmen beeinflussen viele andere Faktoren den Erfolg beruflicher Hilfen. Hierzu gehren Alter, Art der beruflichen Ttigkeit, Prognose, Therapiefolgestrungen, Motivation und viele andere mehr oder minder schwer abgrenzbare Faktoren. Nicht zuletzt haben auch humanitre Grnde einen Einflu darauf, ob ein Arbeitgeber einen krebskranken Patienten einstellt oder nicht. Ein wesentliches Ziel der Patientenschulung ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Seit der Einfhrung des Sozialgesetzbuches IX wird dem Patienten nicht nur das Recht auf „Teilhabe“ zugebilligt, sondern den Kostentrgern auch die Pflicht der Hilfe zur Selbsthilfe auferlegt. Dies bezieht sich nicht nur auf die Pflicht zur Aufklrung, auf die Informationsvermittlung und Beratung, sondern auch auf die Integration des Betroffenen bzw. der Betroffenenverbn-
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de. So hat der Krebspatient heute die freie Wahl zwischen ambulanter und stationrer Rehabilitation. Betroffenenverbnde haben ein nicht unbetrchtliches Mitspracherecht bei der Entscheidung und Ausfhrung rehabilitativer und palliativer Leistungen. Bei der Erstellung von „Leitlinien“ mssen die Betroffenenverbnde mit gehrt und ihre Vorstellungen mit bercksichtigt werden. Selbsthilfegruppen erfllen eine wesentliche Aufgabe bei der Motivation zur Selbsthilfe. Neben psychologischen Hilfen vermitteln sie ihren Mitgliedern hufig spezielle Sachkenntnisse bei Heil- und Hilfsmitteln sowie ihr sozialrechtliches Wissen. Darber hinaus ben sie auf die Betroffenen einen aktivierenden Einflu aus. Das Konzept der Selbsthilfegruppen geht von der Vorstellung aus, da Gemeinsamkeit das Selbstwertgefhl strkt und den Umgang mit der sie alle verbindenden Krankheit erleichtert. Die Mitglieder der Selbsthilfegruppen kennen die Krebserkrankung bzw. die sich hieraus ergebenden medizinischen, psychischen, sozialen und auch beruflichen Probleme aus eigenem Erleben. Sie sind „Experten in eigener Sache“. Es gelingt ihnen daher hufig besser als den professionellen Helfern, das Vertrauen der Mitbetroffenen zu erlangen und ihnen bei krperlichen, seelischen und sozialen Problemen beizustehen. Selbsthilfegruppen helfen mit, psychische Belastungen aufzufangen. Selbst nahe Angehrige, Verwandte oder Bekannte … und natrlich auch ˜rzte und Psychologen … stoen hier hufig an Grenzen. Durch Aktivitten verschiedener Art zeigen Selbsthilfegruppen, da auch nach einer Krebserkrankung ein sinnvolles und erflltes Leben mglich ist. Die krankheitsbedingte Isolation der Krebspatienten kann durch die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe leichter berwunden werden. Allerdings kommt nicht fr jeden Krebspatienten die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe in Frage. Auch kann nicht jede Selbsthilfegruppe empfohlen werden. Manche Gruppen haben eine sehr individuelle Ausrichtung, die … wenn auch ungewollt … den Gesundungsproze einschrnkt. Abzulehnen sind Selbsthilfegruppen, die das Vertrauen zum behandelnden Arzt und zur Schulmedizin erschttern und die zu alternativen oder komplementren Therapieformen auch dann raten, wenn wissenschaftliche Untersuchungen eine Unwirksamkeit, ja mglicherweise sogar schdigende Folgen solcher Behandlungsmethoden nachgewiesen haben. Grundstzlich sollten Selbsthilfegruppen von dem betreuenden Arzt als Partner und nicht als Konkurrent in der medizinischen und psychosozialen Rehabilitation angesehen werden. Erfahrungsgem wenden sich die in diesen Gruppen organisierten Patienten erst dann paramedizinischen Disziplinen zu, wenn sie von schulmedizinisch orientierten ˜rzten nicht gengend ernst genommen und beraten werden. Regionale Selbsthilfegruppen sind hufig kurzlebig, zumal ihre Aktivitten hufig von der Initiative und der Einsatzfhigkeit bzw. Einsatzbereit-
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Pra¨vention
schaft einzelner Betroffener abhngig sind. Manchmal wechselt auch das Interesse von Sponsoren und deren Bereitschaft zur Untersttzung. Insofern mssen die Adressenlisten stndig aktualisiert werden. Die Deutsche Krebsgesellschaft (Hanauer Landstr. 194, 60314 Frankfurt/Main, Tel. 0 69/6 30 09 60, E-Mail:
[email protected]) aktualisiert halbjhrlich ihr Adressenmaterial. Welche Selbsthilfegruppe fr den jeweiligen Betroffenen in Frage kommen knnte sowie Adressen von Selbsthilfegruppen bzw. regionalen Verbnden sind auch zu erfahren ber den Krebsinformationsdienst (KID), Postfach 10 19 49, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, Tel.: 0 62 21-41 01 21 oder ber die Deutsche Krebshilfe e.V., Thomas-Mann-Str. 40, 53111 Bonn, Tel.: 02 28-7 29 90 72. Tabelle 2. Bu¨cher zur „Gesundheitserziehung“ fu¨r Krebspatienten aus der Reihe „Rat und Hilfe fu¨r Betroffene und Angeho¨rige“ (Kohlhammer, Stuttgart) gibt es zu folgenden Themen: *
Brustkrebs
(20045*)
*
Magenkrebs
(19972)
*
Krebsschmerz
(2004)
*
Ku¨nstlicher Darmausgang nach Krebs
(19972)
*
Lungenkrebs
(20043)
*
Prostatakrebs
(20043)
*
Darmkrebs
(20042)
*
Plasmozytom/multiples Myelom
(20022)
*
Erna¨hrung nach Krebs
(1999)
*
Knochenmark- und Stammzelltransplantation nach Krebs
(2004)
*
Non-Hodgkin-Lymphome
(20032)
*
Chronische Leuka¨mien
(2004)
*Angabe der Auflage
6.3
Tertia¨re Pra¨vention
349
Literatur Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation (2004) Rahmenempfehlungen zur ambulanten onkologischen Rehabilitation. Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation Delbrck H (Hrsg.) (1993…2003) Ratgeberreihe fr Krebspatienten und deren Angehrige … (Brustkrebs (2004), Magenkrebs (1997), Knstlicher Darmausgang nach Krebs (1997), Lungenkrebs (2004), Prostatakrebs (2004), Krebsschmerzen (2004), Darmkrebs (2004), Multiples Myelom/Plasmozytom (2004) Maligne Non-Hodgkin-Lymphome (2003), Ernhrung bei und nach Krebs (1999), Knochenmarkund Stammzelltransplantationen nach Krebs (2004), Chronische Leukmien (2004), Bauchspeicheldrsenkrebs (2004). Kohlhammer, Stuttgart Delbrck H, Haupt E (Hrsg) (1998) Rehabilitationsmedizin. Ambulant … teilstationr … stationr. 2. Auflage Urban-Schwarzenberg, Mnchen Delbrck H (2003) Krebsnachbetreuung. Nachsorge, Rehabilitation und Palliation. Springer, Heidelberg Kijanski HD, Haupt E (1998) Gesundheitstraining: Information, Motivation und Schulung des Patienten in der Rehabilitation. In: Delbrck H, Haupt E (Hrsg) Rehabilitationsmedizin. Ambulant … teilstationr … stationr. 2. Auflage Urban & Schwarzenberg, Mnchen Maier-Riehle B, Schliehe F (2002) Neue Entwicklungen in der ambulanten Rehabilitation. Deutsche Rentenversicherung 1, 42 Muthny F (1996) Wege der Krankheitsverarbeitung von Krebspatienten und Mglichkeiten von Hilfen. Hefte zur Krebsnachsorge. Hartmann Bund, Bad Neuenahr Teichmann J (2002): Onkologische Rehabilitation: Evaluation der Effektivitt stationrer onkologischer Rehabilitationsmanahmen. Rehabilitation (in Druck) Teichmann J (1997) Standards und Qualittssicherung des Entlassungsberichtes einer onkologischen Rehabilitationsklinik. In: Delbrck H (Hrsg) Standards und Qualittskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen, S 193 Wedding U, Hffken K (2002) Funktioneller Status. In: Hffken K, Kolb G, Wedding U: Geriatrische Onkologie. Springer, Heidelberg
6
7
Tumorpathologie
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie C. Wittekind, A. Tannapfel
7 1 Pathologische Diagnostik 1.1 Biopsie, Pra¨parateherstellung und histopathologische Bewertung Die histomorphologische Diagnose maligner Tumoren ist auch beim heutigen Stand der bildgebenden Verfahren und biochemischen Methoden immer noch die zuverlssigste und sicherste Diagnose und zudem vergleichsweise preisgnstig. Die pathohistologische Diagnostik bei bsartigen Tumoren ist nicht nur fr die Erstdiagnose unabdingbar, sondern auch im Rahmen der Nachsorge bei Auftreten von Rezidiven oder Metastasen. Die Histomorphologie dient der histologischen Klassifikation (Typing) und der Bestimmung des histologischen Malignittsgrades (Grading) eines Tumors. Auerdem spielt sie eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Tumorausbreitung und bildet die Grundlage des Stagings. Die histologische Diagnose wird anhand von Gewebeproben gestellt, die durch Punktion, Exzision, Resektion bzw. Exstirpation gewonnen werden. >
Im Hinblick auf die diagnostische Aussagekraft ist die ideale Biopsie die totale Biopsie (Exzisionsbiopsie). Hierbei erfolgt die komplette Entfernung der Lsion, beispielsweise mit einer Polypektomieschlinge oder durch die totale Exzision eines Hauttumors.
Suspekte Lymphknoten sollten total exzidiert werden, ebenso frhe Tumorstadien (Carcinoma in situ, T1 und T2) der Mamma, Mundhhle und des Gastrointestinaltraktes. Feinnadeln dienen der Gewinnung von „partiellen Biopsien“. Hierbei liegt naturgem die Rate des „sampling error“ recht hoch, besonders bei fokalen Lsionen. So liegt die feinnadelbioptische Fehlerquote bei umschriebenen Lsionen der Leber bei etwa 40%, diffuse Gewebsprozesse werden demgegenber in mehr als 80% richtig erfat. Blinde Biopsien sollten
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7
Tumorpathologie
deshalb nur bei Verdacht auf diffuse Prozesse (wie Hepatitis oder Colitis ulcerosa) durchgefhrt werden. Herdfrmige Lsionen machen gezielte Biopsieverfahren unter radiologischer Kontrolle (Ultraschall, Bildwandler, CT, NMR) erforderlich, um die Rate der „falsch-negativen“ Diagnosen zu reduzieren. Eine Sonderform der Punktionsverfahren ist die Feinnadelaspirationsbiopsie, bei der entweder perkutan oder nach Thorako- oder Laparotomie mit Feinnadeln Material gewonnen wird, welches dann auf Objekttrgern wie Blut ausgestrichen wird (Aspirationszytologie, s. Abschn. 1.2, „Zytologie“). Fr eine Untersuchung durch den Pathologen ist es wichtig, da das zu untersuchende Gewebe in mglichst ausreichender Menge aus einer reprsentativen Stelle gewonnen wird. Eine genaue Beschreibung des Entnahmeortes sollte neben einer kurzen Anamnese nicht fehlen. Eine przise Fragestellung ist selbstverstndlich. Die mglichen Fehlerquellen, die u.U. Fehlbefundungen zur Folge haben knnen, bestehen in einer zu geringen Gewebemenge, die entnommen wurde. Auerdem kann die Biopsie aus nekrotischen Herden eine Gewebszuordnung unmglich machen. Auch unzureichende Weiterverarbeitung oder Zerstrung im Sinne von Quetschung sind weitere Mglichkeiten, die die histopathologische Diagnostik erschweren knnen (Tabelle 1). Die Weiterverarbeitung des Gewebes beginnt mit der Fixierung, die der Konservierung dient und das Gewebe besser prparierbar macht. Am gebruchlichsten ist (4ges) Formalin, im Einzelfall knnen Speziallsungen zur optimalen Gewebsfixierung erforderlich sein. Unfixiertes Gewebe ist fr intraoperative Schnellschnitte, bestimmte enzymtechnische, biochemische und manchmal (Absprache vor der Entnahme) immunhistochemische Untersuchungen erforderlich. Zu beachten ist, da Formalin bei der Fixierung chemisch verbraucht wird, deshalb wird ein Verhltnis von 10 Teilen der Lsung auf 1 Teil Gewebe empfohlen. Ist das Gewebsmaterial beim Pathologen angekommen, erfolgt zunchst die makroskopische Begutachtung. Reprsentative Gewebsproben werden fr die histologische Untersuchung entnommen. Danach erfolgen die Einbettung und Frbung des Biopsats, wobei auch heute noch der Paraffinschnitt in 90…95% zur Diagnose fhrt. Die Wahl der Frbung richtet sich nach Fragestellung und Materialart. Die Hmatoxylin-Eosin(HE)-Frbung gilt als Standard und wird gelegentlich durch Spezialfrbungen ergnzt (z.B. EvG, PAS, Versilberung, Immunhistochemie). Ein weiteres Verfahren der histopathologischen Diagnostik stellen die intraoperativen Schnellschnittuntersuchungen dar. Sie knnen fr 2 unterschiedliche Fragestellungen eingesetzt werden:
7.1
Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
353
Tabelle 1. Vorgehen bei Biopsien und mo¨gliche Ursachen von Fehlbefunden Vorgehen 1. Schritt: Gewebsentnahme
2. Schritt: Gewebsfixierung
Zweck
Fehlermo¨glichkeiten
Punktion, Exzision, Resektion, Exstirpation: Gewinnung einer ausreichenden Menge repra¨sentativen Gewebes in gutem Erhaltungszustand
*
Gewebsentnahme nicht aus dem Krankheitsherd selbst, sondern aus seiner Umgebung
Gewebskonservierung (Unterbrechung von Autolyse und Fa¨ulnis), Vorbereitung zur weiteren Bearbeitung; zumeist Formalin (4%ige wa¨ßrige Lo¨sung von Formaldehyd)
*
Unterlassen der Fixierung oder ungeeignete Fixierungslo¨sung Zu lange oder zu kurze Fixierung Zu hohe oder zu niedrige Formalinkonzentration Zuwenig Fixierungsflu¨ssigkeit (empfohlen wird 1 Teil Gewebe in 10 Teilen Flu¨ssigkeit) Diffusionshindernisse (Organe mit dicker Bindegewebskapsel, muskelstarke Hohlorgane)
* *
*
*
3. Schritt: Versand zum Pathologen
4. Schritt: Makroskopische Beurteilung durch den Pathologen Makropra¨paration
5. Schritt: Mikroskopische Begutachtung, Erstellen eines Befundes
Jedes operativ entfernte Gewebe muß in seiner Gesamtheit der pathologischen Untersuchung zugefu¨hrt werden
*
Verzo¨gerter Versand
Ordnungsgema¨ßer Versand
*
Versandbeha¨lter und Untersuchungsantrag nicht sorgfa¨ltig beschriftet
Beurteilung von Gro¨ße, Form, Konsistenz, Beschaffenheit und Gewicht des eingesandten Gewebes
*
Entnahme ungeeigneter, nichtrepra¨sentativer Gewebsproben
Entnahme repra¨sentativer Gewebsproben fu¨r die histologische Untersuchung
*
Unvollsta¨ndige Pra¨paration und/ oder Gewebeentnahme
In Zusammenschau mit der Makroskopie und dem klinischen Befund: Typing, Grading, Staging, R-Klassifikation
*
Sorgfalt und Erfahrung des Pathologen nicht gegeben
7
354 F F
7
Tumorpathologie
zur histologischen Diagnostik eines bisher nicht verifizierten Tumors, zur Abklrung der Tumorausbreitung im Sinne eines „intraoperativen Stagings“.
Whrend die „frozen sections“ zur Verifizierung eines bestimmten Tumors heute nur noch bei bestimmten Organtumoren wie denen der Mamma und Schilddrse oder bei berraschenden bzw. vorher nicht abklrbaren Tumoren angewandt werden, bietet das intraoperative Staging die Mglichkeit, Resektabilitt und damit Kurabilitt schon whrend der Operation zu beurteilen. Die Schnellschnittuntersuchung beruht auf einem Gefrierschnittverfahren; in wenigen Minuten werden mittels eines Kryostatmikrotoms 5…10 lm dicke Schnitte angefertigt und gefrbt. Selbst bei groer Erfahrung ist die Fehlerquote der Schnellschnittuntersuchung grer als bei der herkmmlichen Paraffinschnittdiagnostik. Die Nachteile des Schnellschnittes engen seine prinzipielle Bedeutung jedoch nicht ein, beachtet man insbesondere drei wichtige Kriterien: F F F
Dem Pathologen sollten Anamnese, Lokalisation und alle klinischen Befunde bekannt sein. Er sollte ausreichende Erfahrung auf dem Gebiet der Schnellschnittdiagnostik haben. Er sollte die Diagnose „bsartig“ nur dann stellen, wenn er sich dessen nach Abwgung aller Mglichkeiten absolut sicher ist.
Der Einsatz von Schnellschnitten in der Tumorchirurgie erfordert deshalb eine enge Kooperation des Pathologen mit dem Kliniker. Dieser Dialog kann beispielsweise in properativen Besprechungen bestehen, in denen das chirurgische Vorgehen unter Einbeziehung aller klinischer Befunde errtert wird. Dem Pathologen ist dann die Anamnese oder die besondere Problematik eines Patienten bekannt, eine Tatsache, die die hohe Treffsicherheit von ber 95% der intraoperativen Schnellschnittdiagnostik mitbegrndet. Fehlerquellen sind zumeist der Methode selbst nicht anzulastende Faktoren, wie z.B. eine zu geringe Gewebemenge oder Schwierigkeiten bei Problembefunden, besonders im Bereich der Knochen- und Weichteiltumoren und bei lymphoretikulren Neoplasien. Bei allen Schnellschnittuntersuchungen gilt im Zweifelsfall die Devise: Lieber keine schnelle Diagnose als eine falsche. Gelegentlich soll mit einer Schnellschnittuntersuchung auch die Frage beantwortet werden, ob fr eine spter durchzufhrende Diagnose am Paraffinmaterial ausreichend Gewebe gewonnen wurde, sowohl was die Vitalitt als auch was die Menge betrifft.
7.1
Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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1.2 Zytologie Wird bei der pathohistologischen Untersuchung der Gewebsverband in seiner Gesamtheit beurteilt, dient die zytodiagnostische Untersuchung dem Nachweis von Tumorzellen, die mit verschiedenen Methoden gewonnen werden knnen: F
F
F
Bei der Aspirationszytologie werden Ausstriche von Feinnadelpunktionen aus Mamma-, Pankreas-, Leber-, Schilddrsen- oder Lymphknotengewebe untersucht. Die Ausstriche der Exfoliativzytologie stammen aus Sekreten, Krperbzw. Splflssigkeiten (Sedimentausstriche nach Zentrifugation) oder der Brstung von Schleimhuten. Material fr die Imprintzytologie wird durch Abklatschen oder Ausstreichen von frischem, endoskopisch oder chirurgisch entnommenem Gewebe gewonnen, welches primr histologisch … also im Gewebsverband … untersucht werden sollte.
Die Prparate werden durch Lufttrocknung (Blut- und Knochenmarkausstriche) oder durch Behandlung mit bestimmten Fixierungslsungen aufgearbeitet. Flssigkeiten (Ergsse, Urin, Sekrete, Splflssigkeiten) werden zentrifugiert und danach ausgestrichen. Die wichtigsten zytologischen Standardfrbungen sind die Giemsa-Frbung oder die Methode nach Pappenheim (kombinierte May-GrnwaldGiemsa- Frbung). Die Papanicolaou-Frbung hat sich bei Prparaten mit Schleimbeimengungen bewhrt und findet heute fast nur noch in der gynkologischen Zytologie Verwendung. Sputumproben oder Knochenmarkbrckel knnen wie Gewebe fr die histologische Untersuchung eingebettet werden. Der Nachweis von malignen Zellen stellt die wichtigste Aufgabe der Zytodiagnostik dar. Die bei der Beurteilung von bsartigen Vernderungen wichtigsten allgemeinen Kriterien werden deshalb im Folgenden kurz skizziert. An erster Stelle stehen hierbei die Kernvernderungen: F F
F
F
Maligne Zellen besitzen in der Regel einen vergrerten Kern, der strker angefrbt ist (Hyperchromasie). Starke Grenunterschiede der einzelnen Kerne (Anisokaryose) und eine Verdickung der Kernmembran sind ebenfalls Kennzeichen von Malignitt. Die Nukleolen innerhalb der deformierten Zellkerne sind vermehrt und weichen hinsichtlich ihres Aussehens und ihrer Anfrbbarkeit (starke Basophilie) vom Normalen ab. Atypische Mitosen knnen zur Mehrkernigkeit fhren.
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F
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Tumorpathologie
Da die Zellkerne im Gegensatz zum Zytoplasma strker an Gre zunehmen, ist die Kern-Plasma-Relation in malignen Zellen zugunsten des Kerns verschoben. Bei starken Grenunterschieden (Anisozytose) zeigt das Zytoplasma von Tumorzellen eine starke Basophilie und u.U. atypische Plasmastrukturen.
Lassen sich die oben beschriebenen Vernderungen in kleineren Zellverbnden (Clustern) beobachten und findet sich zustzlich eine irregulre Zellanordnung mit nicht voneinander abgrenzbaren Zellgrenzen und berlappenden Zellen, dann gelten diese Befunde in ihrer Zusammenschau als sehr stark hinweisend auf Malignitt. Zytodiagnostische Untersuchungen werden am hufigsten an der Portio vaginalis im Rahmen der sog. Vorsorgezytologie durchgefhrt und dienen als Screening zur Selektion bei Patientinnen mit verdchtigen Befunden. Die Bewertung der zytologischen Befunde erfolgt nach dem Schema von Papanicolaou. Im Gegensatz hierzu steht die diagnostische Zytologie, die bei manifesten klinischen Erscheinungen der Diagnose maligner Erkrankungen oder deren Klassifikation dient. Bei dieser nichtgynkologischen (diagnostischen) Zytologie ist die Papanicolaou-Klassifikation obsolet. Es sollte im Zytologiebericht dazu Stellung genommen werden, ob benigne Zellen vorhanden oder ob maligne Zellen nachweisbar sind. Mglichst selten sollte die Beurteilung „verdchtig, aber nicht beweisend fr Malignitt“ verwendet werden. In diesem Zusammenhang sind besonders die Feinnadelpunktion von Mamma, Prostata, Schilddru¨se, Pankreas und die Bronchialzytologie zu nennen. Die Punktion von sog. kalten Knoten der Schilddru¨se dient der Abgrenzung von entzndlichen zu tumorsen Vernderungen und ist ein relativ komplikationsarmes Verfahren mit einer hohen diagnostischen Ausbeute. Allerdings gilt es hierbei zu beachten, da nur der Befund „maligne Zellen im Punktat“ als diagnostisch beweisend gilt. Falls diese Diagnose nicht erbracht werden kann, mu eine weitere Abklrung erfolgen, um Fehlerquellen hinsichtlich Punktionsverfahren oder der Beurteilung sicher auszuschlieen. Insgesamt gilt fr die Zytologie der gleiche Grundsatz wie bei der histologischen Untersuchung; eine enge Zusammenarbeit zwischen Kliniker und Pathologen ist unerllich, um eine przise diagnostische Aussage machen zu knnen. >
Die Zytologie ist keine „Ersatzhistologie“, eine parallele Anwendung beider Verfahren bildet die Basis einer sinnvollen Diagnostik. Statt der Frage „Histologie oder Zytologie?“ sollte es deshalb lauten „Zytologie und Histologie!“, da die zytologische Untersuchung in der Regel eine geringere Zuverlssigkeit aufweist.
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
357
So kann beispielsweise allein zytologisch meist nicht zwischen In-situoder fortgeschrittenen Karzinomen unterschieden werden; eine sinnvolle Therapieplanung wrde deshalb die histologische Untersuchung erfordern.
2 Typing, Grading und Staging 2.1 Klassifikation (Typing) Wie einleitend erwhnt, ist es die Hauptaufgabe des Pathologen, den Tumor hinsichtlich des histologischen Tumortyps (Typing) und des Malignittsgrades (Grading) zu charakterisieren. Der Tumortyp und sein Malignittsgrad geben dem Kliniker nicht nur Hinweise auf die zu whlende Therapie, sondern ermglichen Aussagen ber die Prognose. Die histologische Artdiagnose liefert die erste Unterteilung der verschiedenen mglichen Tumorarten eines Organs. Dabei wird das Aussehen des Tumors mit dem Normalgewebe verglichen, um ˜hnlichkeiten oder Unterschiede im Zelltyp und in der Struktur zu erkennen. Nach dem Ausgangsgewebe kann man zwischen Karzinomen (epitheliale maligne Tumoren), Sarkomen (mesenchymale maligne Tumoren), malignen Lymphomen (maligne Geschwlste des lymphoretikulren Systems) sowie Leukmien differenzieren. Hinzu kommen seltene Tumorarten wie die dysontogenetischen Tumoren (Teratome, Hamartome, Choristome, embryonale Restgewebstumoren und die embryonalen Tumoren [Nephroblastome, Neuroblastome, Medulloblastome, Retinoblastome], embryonale Rhabdomyosarkome, Hepatoblastome]). Der Vergleich des Tumors mit dem Normalgewebe fhrt zur Bezeichnung Plattenepithel-, Adeno- oder bergangszellkarzinom bei den malignen epithelialen Tumoren, die mehr als 90% aller Malignome ausmachen. Bei den Sarkomen spricht man … ebenfalls vom Ausgangsgewebe ausgehend … von Osteo-, Chondro- und Fibrosarkomen. Es knnen sich gewisse Schwierigkeiten ergeben, wenn ein Tumor mehrere verschiedene Strukturen aufweist oder sein histogenetischer Ursprung nicht erkennbar ist; in diesen Fllen erfolgt die Klassifikation nach unterschiedlichen Regeln: F F F
1. nach den berwiegend vorherrschenden Strukturen, 2. unbeschadet der Quantitt nach den am hchsten differenzierten Strukturen, 3. unbeachtet der Quantitt nach den am wenigsten differenzierten (bsartigsten) Strukturen.
Eine generelle Regel kann jedoch nicht angegeben werden. Die WHO hat fr jeden Organtumor eine relevante histologische Klassifikation festgelegt, die in einer Reihe von sog. „blue books“ klare und eindeutige Definitionen
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Tumorpathologie
fr jede Tumorart gibt und detaillierte Klassifikationsprinzipien auch mit Abbildungen illustriert. Zwischenzeitlich sind die „blue books“ fr einzelne Organsysteme mit Informationen zu ˜tiologie und Genetik wesentlich erweitert worden. >
Es wird allgemein empfohlen, im Interesse der internationalen Zusammenarbeit und Vergleichbarkeit, in jedem Fall einen Tumor nach der WHO-Klassifikation zu diagnostizieren.
Werden die dort angegebenen Klassifikationsprinzipien streng befolgt, ergibt sich ein hohes Ma an Reproduzierbarkeit der … auch von mehreren Pathologen gestellten … Diagnose. Diskrepanzen ergeben sich zumeist aus der Tumorheterogenitt; da der Tumor rtlich wechselnde histologische Bilder zeigen kann, besteht die Gefahr, da in einer einzelnen kleineren Gewebeprobe nicht alle vorkommenden Strukturen vorhanden sind. 2.2 Grading Da sich Tumoren der gleichen histologischen Klassifikation biologisch sehr unterschiedlich verhalten knnen, mssen histologische Parameter, die auf eine geringe Differenzierung und damit erhhte Aggressivitt hinweisen, erfat werden. Das Grading als Festlegung des Tumordifferenzierungsgrades gibt dem Kliniker weitere Hinweise auf die einzuschlagende Therapie und die Prognose des Patienten. Das Grading wird aufgrund bestimmter histologischer und zytologischer Kriterien durchgefhrt. Dabei bedient man sich neben dem Vergleich des Tumors mit dem Ausgangsgewebe bestimmter semiquantitativer Methoden. So gehen die Zahl der Mitosen pro Gesichtsfeld, die Ausprgung der Drsenbildung (Mamma-, kolorektales Karzinom) und die Zellkerngre und -anfrbbarkeit mit in die Bestimmung des Differenzierungsgrades ein: F
Ist beispielsweise bei einem Adenokarzinom des Kolorektums die ˜hnlichkeit mit der normalen Schleimhaut sehr augenfllig, so spricht man von einem hohen Differenzierungsgrad (G1-Tumor); F erinnert aber das Tumorgewebe nur noch entfernt an das Ausgangsgewebe, wird von einem schlechten Differenzierungsgrad (G3) gesprochen. F Bei dazwischenliegenden Tumoren diagnostiziert man ma ¨ ßige oder mittlere Differenzierung (G2). F Mit G4 werden Tumoren ohne erkennbare Differenzierung bezeichnet (Abb. 1). Bei manchen Organtumoren, besonders bei solchen des Gastrointestinaltraktes, werden G1 und G2 (hhere und mittlere Differenzierung) als niedriger Malignittsgrad („low grade“) und G3 und G4 (schlechte bis keine Differenzierung) als hoher Malignittsgrad („high grade“) zusammengefat (Tabelle 2).
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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7
Abb. 1. Prinzipien des Gradings: „Wie a¨hnlich sieht der Tumor dem Ausgangsgewebe“ am Beispiel eines Adenokarzinoms
Fr viele Organtumoren gilt deshalb, da G3- und G4-Tumoren zum Zeitpunkt der Diagnose durchschnittlich weiter fortgeschritten sind als G1- und G2-Tumoren. Wie bei der histologischen Klassifizierung (Typing) gibt es auch fr das Grading organspezifische Unterschiede, die einer allgemeingltigen und vergleichbaren Anwendung bedrfen. Die UICC (Union Internationale Contre le Cancer) hat hierfr auf der Basis der oben genannten Gradingstufen (G1 bis G4) fr jeden Organtumor Vorschlge herausgegeben, denen unbedingt gefolgt werden sollte. Selten sind Tumoren jedoch vllig uniform strukturiert. Es ist vielmehr ein Merkmal bestimmter Tumorentitten (z.B. hepatozellulre Karzinome u.a.m.), da eine gewisse histologische Heterogenitt besteht. Nur bei Tumoren, die vllig uniform strukturiert sind, besteht … zumindest theoTabelle 2. Tumordifferenzierungs- und Malignita¨tsgrad Differenzierungsgrad
Malignita¨tsgrad
Gut differenziert
G1 ! low grade
niedrig
Ma¨ßig differenziert
G2 ! low grade
mittel
Schlecht differenziert
G3 ! high grade
hoch
Undifferenziert
G4 ! high grade
hoch
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Tumorpathologie
retisch … die Mglichkeit einer definitiven Diagnose auch an einer kleinen Inzisionsbiopsie. Bei Tumoren, die histologisch heterogen aufgebaut sind, kann das Ergebnis des Typings an einer properativen Biopsie durchaus von dem am Tumorresektat abweichen. Aus diesem Grund ist die histologische Klassifikation an Biopsien nur mit gewissen Einschrnkungen mglich. Die Erfahrung zeigt aber, da zwischen Pathologen, die mit kleinen Biopsien erfahren sind, kaum therapeutisch relevante Diskrepanzen auftreten. 2.3 TNM-Klassifikation Um die individuelle Situation eines Tumorpatienten zum Zeitpunkt der Erstdiagnose oder des Therapiebeginns exakt zu beschreiben, ist neben der Tumorart und -differenzierung v.a. das Ausma der anatomischen Ausbreitung von entscheidender Bedeutung. Die anatomische Tumorausbreitung wird mit dem sogenannten Staging angegeben; in Kombination mit Typing und Grading bildet es die Grundlage einer histologie- und stadiengerechten Krebstherapie (Abb. 2). Man unterscheidet je nach dem Zeitpunkt, an dem das Staging durchgefhrt wird, das pra¨operative Staging, das Indikation und Wahl einer Therapie entscheidend mitbestimmt, vom intraoperativen Staging, das durchgefhrt wird, wenn es zu einem chirurgischen Eingriff kommt, wobei mit Schnellschnitten die Tumorausdehnung abgeklrt wird. Schlielich wird ein postoperatives Staging durchgefhrt, das die pathohistologische Aufarbeitung des resezierten Tumorgewebes umfat. Das postoperative Staging bestimmt die Indikation zu weiteren therapeutischen Manahmen (adjuvante Therapieformen bei kurativer Resektion oder additive Therapie bei R1- oder R2-Resektion) und beeinflut die durchzufhrende Tumornachsorge. Des weiteren kann die Prognose des einzelnen Patienten durch die Bestimmung der anatomischen Ausbreitung
Abb. 2. Grundelemente der heutigen Tumorklassifikationen
7.1
Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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abgeschtzt werden. Der Vergleich der Behandlungsergebnisse eines greren Patientengutes, bei dem ein exaktes Tumortyping, -grading und -staging durchgefhrt wurde, bildet darber hinaus die wichtigste Grundlage prognostischer Studien. In internationaler bereinkunft, die besonders auf die Bemhungen der UICC zurckgeht, wird die anatomische Ausbreitung einer Tumorerkrankung mittels folgender 3 Kriterien bestimmt: F
F
F
Lokale Tumorausbreitung im Entstehungsort: T (Tumor): Gre und Ausdehnung (welche Organteile sind betroffen, Organgrenzen berschritten, angrenzende Strukturen infiltriert?). Regiona¨re lymphogene Metastasierung: N (Nodes): Erfassung von Metastasen in regionren Lymphknoten, d.h. in denjenigen Lymphknoten, die in der TNM-Klassifikation (UICC 2002) fr die verschiedenen Organtumoren als regionr definiert worden sind. Metastasen in nicht regionren Lymphknoten werden als Fernmetastasen klassifiziert. Metastasen: M (Metastases): Hierzu zhlen Metastasen jenseits der regionalen Lymphknoten, Metastasen in sersen Hhlen (Peritonealund Pleurametastase) und hmatogene Metastasen.
2.4 Stadiengruppierung Erfolgte fr einen resezierten Tumor ein Staging nach dem TNM/pTNMSystem, kann versucht werden, TNM/pTNM-Kategorien mit hnlicher Prognose zusammenzufassen und bestimmte wenige Tumorstadien zu definieren, die hinsichtlich der Prognose homogen sind. Diese Stadien, die aus den zahlreichen TNM/pTNM-Kombinationsmglichkeiten entstehen, werden mit rmischen Ziffern bezeichnet und teilweise mit den Zusatzbezeichnungen A und B in Unterstadien eingeteilt. Bei einigen Organtumoren werden zustzliche Parameter zur Stadieneinteilung herangezogen, so der Differenzierungsgrad bei Knochen- und Weichteiltumoren sowie Prostatakarzinomen. Alter und histologischer Tumortyp werden bei der Stadieneinteilung des Schilddrsenkarzinoms bercksichtigt. Maligne Lymphome wie der M. Hodgkin werden nach Organbefall eingeteilt, das Vorhandensein bestimmter klinischer Symptome zustzlich bewertet. Allgemein wird das Carcinoma in situ als Stadium 0 bezeichnet. Werden (Fern-)Metastasen gefunden, spricht man in der Regel vom Tumorstadium IV. Eine Stadieneinteilung ohne Angaben zur pT- und/oder pN-Kategorie ist mglich, gilt aber nur fr nicht resezierte Tumoren. Zur Kennzeichnung von speziellen Fllen in der TNM-/(pTNM-) Klassifikation sollten zustzliche Symbole benutzt werden, diese werden der Klassifikation als Prfix vorangestellt:
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362 F F F
F
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Tumorpathologie
,,a" wird dann dem TNM vorangestellt, wenn die Befunde erstmalig anhand einer Autopsie erhoben wurden. ,,(m)TNM" bedeutet, da multiple Prima¨rtumoren in einem anatomischen Bezirk gefunden wurden. Das ,,y" wird gewhlt, um anzuzeigen, da die Klassifikation whrend oder nach einer initialen multimodalen Therapie (Radio- und/oder Chemotherapie) erfolgt ist. Schlielich wird die TNM-Klassifikation durch ein ,,r" ergnzt, wenn nach einem krankheitsfreien Intervall (2 Monate) ein Rezidivtumor auftritt.
Die Tumorausbreitung kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Methoden bestimmt werden. So unterscheidet man eine klinische Klassifikation (cTNM), die auf den Befunden beruht, die vor einer Behandlung erhoben wurden aufgrund der krperlichen Untersuchung, bildgebender Verfahren, Biopsien oder endoskopischer Untersuchungen. Die pathologische Klassifikation (pTNM) ergnzt die vor der Behandlung erhobenen Befunde durch die exakte Bestimmung von Tumorausbreitung am Tumorresektat. Besondere Bedeutung kommt hierbei der genauen Untersuchung von Lymphknoten zu. Alle Lymphknoten … nicht nur die makroskopisch aufflligen … sollten histologisch untersucht werden. BeTabelle 3. Diagnosesicherheit (Certainty) Wie zuverla¨ssig sind die verwendeten diagnostischen Methoden? Sicherheit (C-Faktor) der Diagnosen/Befunde C1
Aussage aufgrund von diagnostischen Standardmethoden, z.B. Inspektion, Palpation und Standard-Ro¨ntgenaufnahmen, intraluminale Endoskopie bei bestimmten Organen
C2
Aussage aufgrund spezieller diagnostischer Maßnahmen, z.B. bildgebender Verfahren: Ro¨ntgenaufnahmen in speziellen Projektionen, Schichtaufnahmen, Computertomographie (CT), Sonographie, Lymphographie, Angiographie, nuklearmedizinische Untersuchungen, Kernspintomographie (NMR), Endoskopie, Biopsie und Zytologie
C3
Aussage aufgrund chirurgischer Exploration einschließlich Biopsie und zytologischer Untersuchung
C4
Aussage nach definitiver chirurgischer Behandlung und pathologischer Untersuchung des Tumorresektats
C5
Aussage aufgrund einer Autopsie
Beispiel: Der C-Faktor wird jeweils hinter die Kategorien T, N und M gesetzt. Ein Fall kann z.B. beschrieben werden als T3C2, N2C1, M0 C2
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stimmte standardisierte Vorgehensweisen bei der Aufsuche und Begutachtung von Lymphknoten finden besondere Beachtung; so sollten bei Kolonkarzinomresektaten mindestens 12, bei Magenkarzinomen mindestens 15 Lymphknoten entfernt und histologisch untersucht werden, bevor pN0 diagnostiziert wird. Werden weniger Lymphknoten untersucht, sollte trotzdem pNO klassifiziert und sollten diese Flle gesondert ausgewertet werden. Zur Kennzeichnung der verwendeten diagnostischen Methode und damit der Diagnosesicherheit bzw. Zuverlssigkeit kann man den TNM-Kategorien den C-Faktor hinzusetzen („certainty“) (Tabelle 3). 2.5 R-Klassifikation Das Fehlen oder Vorhandensein von Residualtumor (Resttumor) nach Behandlung wird durch die R-Klassifikation beschrieben. Entscheidend ist die Begutachtung der Resektionsrnder und -flchen. Fr die Prognose ist es von grter Wichtigkeit, ob der Tumor komplett entfernt wurde. Die Kombination der histologischen Aufarbeitung der Resektionsrnder mit dem makroskopischen Operationsbefund erlaubt die Aussage, ob Resttumorgewebe im Organismus zurckgelassen werden mute. Zustzlich mu der Kliniker dem Pathologen mitteilen, ob weitere Metastasen in entfernteren Organen vorliegen (Abb. 3).
Abb. 3. Schematische Darstellung der R-Klassifikation
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Tumorpathologie
Die Beurteilung erfolgt dann in Zusammenschau der Befunde mit der sog. R-Klassifikation (Residualtumor): F
F F
R0 bedeutet hierbei, da kein Residualtumor im Organismus belassen wurde. Eine exaktere Bezeichnung wre: kein Resttumorgewebe diagnostizierbar unter Zuhilfenahme aller diagnostisch verfgbaren Methoden. Die Therapie ist somit als kurativ zu bezeichnen. R1 wird dann angegeben, wenn sich mikroskopisch Resttumorgewebe, beispielsweise an den Resektionsrndern, nachweisen lt. Konnte schon makroskopisch Resttumorgewebe gesehen werden oder berichtet der Kliniker beispielsweise von (nicht resezierbaren) Lebermetastasen, erfolgt die Einordnung als R2.
Bei Leuka¨mien und Lymphomen ist die Bezeichnung R0 gleichzusetzen mit „kompletter Remission“. R1 bedeutet hier, da zwar klinisch eine komplette Remission vorliegt, aber bioptische Befunde einen unerwarteten Resttumor zeigen. R2 umfat alle anderen Situationen wie partielle Remission, unvernderter Status oder Progression. Somit basiert die R-Klassifikation sowohl auf klinischen als auch auf pathohistologischen Daten, ihre Validitt spiegelt demzufolge die Sorgfltigkeit der klinischen und histologischen Untersuchungen wider (Abb. 3). Letztendlich kann der Pathologe eine Einordnung der Tumorlokalisation vornehmen und dem pathohistologischen Befund zufgen. Fr die Tumorlokalisation ist der Topographieteil der ICD-O-3 (International Classification of Diseases for Oncology; 2000) magebend, der in deutscher bersetzung (und teilweiser Erweiterung) als Tumorlokalisationsschlssel vorliegt. Er beschreibt die anatomischen Bezirke und Unterbezirke mit einem 3-, z.T. auch 4stelligen Schlssel. Als Beispiel sei die Unterteilung des Rektums angegeben, bei dem drei Drittel unterschieden werden.
3 Immunhistochemie Neben der lichtmikroskopischen Diagnose an Gewebsschnitten, die mit den sog. Standardfrbungen bearbeitet wurden, stehen dem Pathologen weitere Hilfsmittel zur Verfgung, die sich in den letzten 20 Jahren nahezu explosionsartig weiterentwickelt haben. Insbesondere die Immunhistochemie, die im Gegensatz zu vielen neuen molekularbiologischen Untersuchungsmethoden ein morphologisches Verfahren ist, hilft durch ihre standardisierte Anwendung dem Pathologen bei Aussagen ber Histogenese, Differenzierung (z.B. T- oder B-Lymphozyten) und ber mgliche endokrine Funktion eines Tumors. Das Wesen der Immunhistologie liegt in der Mglichkeit, bestimmte Antigene (zumeist Proteine) sensitiv in situ, d.h. innerhalb des Gewebsverbandes, sichtbar zu machen. Damit ist nicht nur eine direkte intrazellulre
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Tabelle 4. Tumoren und ihre „Marker“-Antiko¨rper Tumortyp
Antiko¨rper
Epitheliale Tumoren
Zytokeratine (Keratin), EMA (epitheliales Membranantigen), CEA (karzinoembryonales Antigen), Desmoplakine
Lymphoretikula¨re und ha¨matopoetische Neoplasien
LCA („leukocyte common antigen“, CD45), B-Zell-Differenzierungsantigene, Immunglobuline, Histiozyten-/Granulozyten-Differenzierungsantigene (z.B. Lysozym), Vimentin
Melanome
Vimentin, S-100, melanomspezifisches Antigen (MSA)
Sarkome
Vimentin, Desmin, Kreatinkinasen, Aktin, Myoglobin, S-100
Keimzelltumoren
Keratine (Ausnahme: Seminome, Dysgerminome), b-HCG, a-Fetoprotein, CEA, alkalische Plazentaphosphatase
Tumoren neuroendokrinen Ursprungs NSE (neuronspezifische Enolase), Chromogranin Tumoren des Gliagewebes
GFAP („glial fibrillary acidic protein“), S-100
Lokalisation bestimmter Proteine lichtmikroskopisch mglich, sondern auch … zumindest bei einigen Antikrpern … eine semiquantitative Abschtzung der Konzentration des nachgewiesenen Antigens. Zell- und Gewebsproteine mit antigenem Charakter knnen durch die Bindung des fr sie spezifischen Antikrpers unter Ausbildung eines Antigen-Antikrper-Komplexes sichtbar gemacht werden. Dessen Visualisierung erfolgt durch die Hinzugabe einer Markersubstanz, bei der es sich um fluoreszierende Stoffe (beispielsweise Fluoreszeinisothiozyanat [FITC]), um Enzyme (Meerrettichperoxidase, alkalische Phosphatase) oder auch um radioaktive Substanzen handeln kann. Verwendet man Enzyme, werden zustzlich verschiedene Substrate bentigt, die durch die Reaktion mit dem Enzym eine Farbnderung erfahren (sog. Chromogene, als Beispiel: Diaminobenzidin [DAB]). Heute stehen eine Vielzahl kommerzieller poly- und monoklonaler Antikrper zur Verfgung. Unter ihnen findet sich jedoch kein Marker, der sicher zwischen einer benignen und einer malignen Zelle zu differenzieren vermag. Es gibt jedoch Antikrper, die dem Pathologen Entscheidungshilfen geben, beispielsweise, ob der vorliegende Tumor epithelialen oder mesenchymalen Ursprungs ist, da sie jeweils nur in der einen oder anderen Tumorgruppe nachweisbar sind, was in Tabelle 4 veranschaulicht werden soll. Wiewohl durch die Immunhistochemie wertvolle Entscheidungshilfen gegeben werden knnen, mu doch betont werden, da ihr sinnvoller Einsatz in der tglichen Diagnostik und Differentialdiagnostik hchstens in 5% aller Flle notwendig ist.
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Zudem sollte die Immunhistologie diagnostisch nur von Morphologen angewandt werden, die sehr versiert in der konventionellen Diagnostik sind. Sonst besteht die Gefahr, da Fehldiagnosen aufgrund falsch-positiver oder falsch- negativer immunhistologischer Befunde gestellt werden. Ein guter Pathologe macht viele immunhistologische Untersuchungen berflssig, whrend eine gute Immunhistologie keinen schlechten Pathologen ersetzt. In jedem Labor, das diese Methode verwendet, mssen regelmige laborinterne Untersuchungen mit positiven und negativen Kontrollen durchgefhrt werden. Es gibt erste Anstze, das Verfahren und die verwendeten Antikrper im Sinne einer Qualittskontrolle zu standardisieren, eine verpflichtende Anwendung ist allerdings noch nicht zu erwarten. Im Folgenden sollen die verschiedenen Gewebe und ihre wichtigsten Markerantigene kurz beschrieben werden (s. auch Tabelle 4). 3.1 Spezifische Marker des Epithelgewebes Epitheliale Differenzierungsmerkmale (Ausbildung eines kontinuierlichen Zellverbandes, Desmosomen) sind in gering differenzierten Tumoren nur noch sporadisch vorhanden und fehlen in undifferenzierten (anaplastischen) vllig. Bestimmte Strukturproteine werden parallel zu epithelialen Differenzierungsvorgngen exprimiert und knnen, wenn sie durch die Immunhistochemie nachgewiesen werden, die epitheliale Abkunft des Gewebes sichern. Als epitheliale Tumormarker gelten F Zytokeratine, F epitheliales Membranantigen (EMA), F karzinoembryonales Antigen (CEA). 3.1.1 Zytokeratine
Diese zum Zytoskelett gehrenden Intermedirfilamente kommen praktisch ubiquitr vor und werden in 19 verschiedene Proteine eingeteilt, die sich hinsichtlich ihrer gelelektrophoretischen Eigenschaften unterscheiden. Obwohl nur gering strukturell unterschiedlich, knnen 2 getrennte Untergruppen gefunden werden: Die Zytokeratine (CK) 1…8 gehren der basischen Subgruppe an, Zytokeratine 9…19 der sauren. In jeder Zelle werden ein saures und ein basisches Zytokeratin als „Prchen“ exprimiert. Die strukturelle Verschiedenheit innerhalb der Zytokeratinfamilie ist relativ gering; es gibt deshalb Antikrper, die alle Zytokeratinspezies erkennen, weshalb im Folgenden von Gesamtzytokeratin gesprochen wird. Gesamtzytokeratine werden in nahezu allen Epithelien exprimiert, ob verhornend oder unverhornt, auch in Epithelgewebe mesenchymaler Herkunft.
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Alle Zellen nichtepithelialen Ursprungs sind zytokeratinnegativ, dieses Expressionsmuster lt die Zytokeratine zu idealen Epithelmarkern werden. Transformieren Epithelzellen zu Tumorzellen, bleiben die Zytokeratine erhalten und beweisen ihre Stabilitt und Konservativitt dadurch, da selbst in undifferenzierten Karzinomen oder in deren Lymphknotenmetastasen ein (Gesamt-)Zytokeratinnachweis gelingt. Maligne Mesotheliome sind ebenso wie Thymome mit Gesamtzytokeratin anfrbbar, was als Hinweis der bidirektionalen Differenzierung der Thymus- bzw. Mesothelzellen gewertet werden kann. Die Koexpression von Zytokeratin und Vimentin (dem mesenchymalen Intermedirfilamenttyp) ist bei Schilddrsentumoren und auch mischdifferenzierten Tumoren wie Nierenzellkarzinomen, Endometriumkarzinomen und einigen Sarkomen beschrieben worden. Eine mgliche Erklrung hierfr bietet die Beobachtung, da whrend der Organogenese ebenfalls beide Intermedirfilamentarten exprimiert werden. Neuroendokrine Tumoren koexprimieren neben Zytokeratinen auch Neurofilamente, am bekanntesten sind hier die Merkel-Zell-Karzinome der Haut. Merkel-Zellen exprimieren ein erst krzlich nher beschriebenes Zytokeratin, das die Nummer 20 trgt und ein eingeschrnktes Expressionsspektrum in Normalepithelien zeigt. Es ist das vorherrschende Zytokeratin im Dnn- und Dickdarmepithel. Da die Expression von CK 20 nicht nur in Tumoren, sondern auch in Metastasen und bei Tumoren schlechter Differenzierung und untypischen histologischen Musters erhalten bleibt, kommt ihm eine gewisse differentialdiagnostische Bedeutung zu. 3.1.2 Epitheliales Membranantigen (EMA)
Die Antigene, an die der Antikrper EMA bindet, sind bis heute noch nicht sicher identifiziert, vermutet werden Glykoproteine der apikalen Plasmamembran des sezernierenden Epithels der weiblichen Brustdrse. EMA-Antikrper reagieren mit einer Vielzahl von Epithelzelltypen, besonders mit Zylinderepithelien. Dementsprechend zeigen Mamma- und andere Adenokarzinome die strkste Anfrbbarkeit. Nichtepitheliale Tumoren sind EMA-negativ, eine Ausnahme bilden Plasmozytome und verschiedene maligne Lymphome. 3.1.3 Karzinoembryonales Antigen (CEA)
Das karzinoembryonale Antigen (CEA) wurde als erstes onkofetales Antigen 1965 in kolorektalen Karzinomen und im fetalen Darm entdeckt. Es handelt sich um ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 160…200 kD und ausgesprochen variablen Kohlenhydratketten, die es zu einem heterogenen Molekl werden lassen. Molekularbiologische Metho-
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den haben krzlich 5 Untergruppen der „CEA-like proteins“ definiert, die sich hinsichtlich ihres Molekulargewichtes und ihres Glykolysierungsgrades unterscheiden. Diese Heterogenitt der Epitope hat zu einer Vielzahl kommerzieller Antikrper gefhrt, die aufgrund von Prabsorptionsverfahren mit den unterschiedlichen CEA-Subklassen reagieren. Immunoreaktives Gewebe ist im Bronchus (Bronchialepithelien, Alveolarepithelien), den Speicheldrsen, im gesamten Magen-Darm-Trakt, dem Pankreas- und Gallengang, der Prostata, der Endozervix, im Urothel und in den C-Zellen der Schilddrse gefunden worden. In Adenokarzinomen des Gastrointestinaltraktes, der Mamma, der Lunge, des Ovars und der Endozervix kann CEA in 50…90% der Flle nachgewiesen werden. Die intrazellulre CEA-Immunoreaktivitt findet sich in hochdifferenzierten Magen-, Kolon- und Pankreaskarzinomen an der apikalen, luminalen Zelloberflche. Inhomogene, von Zelle zu Zelle unterschiedliche CEAAnfrbbarkeit wurde bei geringer differenzierten Karzinomen des Verdauungstraktes gefunden, wobei die quantitative Immunoreaktivitt parallel zur Differenzierung abnimmt. Zusammen mit anderen epithelialen Markern wie dem EMA und den Zytokeratinen hat CEA differentialdiagnostische Bedeutung nicht nur fr die Identifikation von Karzinomen, sondern auch z.B. in der Abgrenzung von Bronchialkarzinomen gegenber Mesotheliomen. Beide Tumorarten zeigen Keratinpositivitt, Mesotheliomen fehlt aber das epitheliale Membranantigen (EMA), und zu einem hohen Prozentsatz sind sie CEA-negativ. Besondere Bedeutung kommt den epithelialen Markern in der Diagnostik von Metastasen in Lymphknoten und anderen Organen zu, um den Kreis der mglicherweise in Frage kommenden Primrtumoren einzuengen. 3.2 Spezifische Marker des mesenchymalen Gewebes In der sehr heterogenen Gruppe der mesenchymalen Tumoren spielen die intrazellulren Filamente ebenfalls eine wertvolle diagnostische Rolle. In Anlehnung an normales, mesenchymales Gewebe unterscheidet man 2 groe Gruppen der Vimentin und Desmin exprimierenden Tumoren. Nichtmuskulre mesenchymale Zellen sind vimentinpositiv und leiten sich vom Mesoderm ab (Fibroblasten, Fibrozyten, Osteoblasten, Osteozyten). Schwann-Zellen sollen hier als Ausnahme genannt werden, da sie Vimentin exprimieren, sich aber vom Neuroektoderm ableiten. Myogene Zellen sind desminpositiv. Mit Ausnahme der Gefmuskulatur sind Skelett-, Herz- und Eingeweidemuskulatur desminpositiv. Desminpositive Tumoren umfassen Rhabdomyome und Rhabdomyosarkome sowie Leiomyome und Leiomyosarkome, wobei eine differentialdiagnostische Abgrenzung der beiden genannten malignen Formen durch
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Desmin nicht mglich ist. Bei undifferenzierten Rhabdomyosarkomen kann allerdings der Desmingehalt so gering sein, da er nach Formalinfixierung nicht mehr nachweisbar ist. Auerdem ist bei dieser Tumorentitt eine Koexpression von Desmin und Vimentin beschrieben worden, was auch in der normalen Muskelembryogenese beobachtet wurde. Vimentinpositive Tumoren sind in der Regel mesodermalen Ursprungs und umfassen die Gruppe der nichtmuskulren Weichteilsarkome und Liposarkome. Ausnahmen bilden hier das synoviale und epitheloide Sarkom. Knochentumoren zeigen ebenfalls eine Vimentinanfrbbarkeit. Heterogene Expression wurde bei Lymphomen und Non-Hodgkin-Lymphomen sowie Leukmien gesehen. Vimentinpositiv sind darber hinaus maligne Melanome und Ewing-Sarkome. Die Gruppe der vimentinpositiven Tumoren ist also relativ gro. Um sie weiter zu unterteilen, mssen zustzliche Marker angewendet werden, wobei hier das S-100-Protein erwhnt werden soll. Neurinome, maligne Schwannome, Liposarkome und Granulosazelltumoren sind dann homogen S-100-positiv, wenn es sich um gutartige Lsionen oder hoch differenzierte Tumoren handelt. Der Vollstndigkeit halber sei hier auf diejenigen Tumoren hingewiesen, die mesenchymalen Ursprungs sind und Keratinpositivita¨t aufweisen. Es handelt sich um synoviale und epitheloide Sarkome sowie um Chordome. Bei letzteren wurde zustzlich die Koexpression von Vimentin und Keratin beschrieben. Dieses Verhalten findet seine entwicklungsgeschichtliche Erklrung durch die (reversible) Transdifferenzierung von mesenchymalen Zellen in epitheliale Zellen. 3.3 Spezifische Marker von Keimzelltumoren (a-Fetoprotein) Das a-Fetoprotein (AFP) ist ein sialinsurehaltiges, aus 590 Aminosuren bestehendes Protein der a1-Globulinfraktion des Serums. Seine Funktion ist weitgehend ungeklrt, die Strukturhnlichkeit mit Albumin macht eine Transportfunktion im Blut wahrscheinlich, Bindung an Bilirubine und strogene untermauert diese Hypothese. Es wurde erstmalig im Serum von Feten entdeckt, wo seine Konzentration bis zum Geburtstermin kontinuierlich abnimmt und normalerweise im weiteren Leben unterhalb der Nachweisgrenze liegt. Erhhte Serumkonzentrationen finden sich bei Patienten mit hepatozellulren Karzinomen (HCC) (> 400ng/ml) und zu einem geringeren Teil bei solchen mit Keimzelltumoren. Ebenfalls … wenn auch in geringerem Ausma … finden sich erhhte Werte bei hepatischen Regenerationsvorgngen, beispielsweise nach Leberteilresektionen oder nach Exposition mit Hepatotoxinen. Molekulargenetisch konnte nachgewiesen werden, da die Transkription des AFP-Gens durch Leberzellschaden positiv reguliert wird.
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Tumorpathologie
Unter den Keimzelltumoren, die AFP synthetisieren und sezernieren, sind … neben Dottersacktumoren … Keimzelltumoren mit Dottersacktumoranteilen und Teratome positiv. Die Erhhung der AFP-Konzentration im Serum hat differentialdiagnostische Bedeutung, sie schliet ein reines Seminom aus. Obwohl die AFP-Konzentration im Serum bei ber 90% der HCC-Patienten erhht ist, findet sich bei nur ca. 30…50% aller Tumoren eine Gewebspositivitt, dabei v.a. bei hepatozellulren Karzinomen der Differenzierung Edmondson 2 und 3. Da aber fast alle anderen gastrointestinalen Tumoren AFP-negativ sind, besitzt dieses Antigen eine differentialdiagnostische Markerfunktion. 3.4 Spezifische Marker neuroendokriner Differenzierung Spezifische, von der Neuralleiste abstammende Zellen werden unter dem Begriff des diffusen neuroendokrinen Systems (frher APUD-System [„amine precursor uptake and decarboxylation“]) zusammengefat. Sie sind am Aufbau klassischer endokriner Organe wie Adenohypophyse, Nebennierenmark, C-Zellen der Schilddrse sowie der Pankreasinseln beteiligt. Man findet sie aber auch verstreut in den Schleimhuten des Gastrointestinaltraktes, des Bronchialsystems und auch in der Haut als sog. Merkel-Zellen. Die wichtigsten Tumoren, die von den neuroendokrinen Zellen ausgehen, sind neben den kleinzelligen Lungenkarzinomen die sog. Karzinoide (hoch differenzierte neuroendokrine Tumoren), die am hufigsten im Verdauungstrakt lokalisiert sind, und zwar in der Appendix, wo sie einen benignen Verlauf zeigen, und im Ileum als maligne Verlaufsform. 3.4.1 Neuronspezifische Enolase (NSE)
Als nahezu universaler neuroendokriner Marker gilt die neuronspezifische Enolase (NSE). Es handelt sich um eine Moleklfamilie, die aus mindestens 4 verschiedenen Isoenzymen besteht, die jeweils Dimere mit 3 mglichen, teilweise homologen Untereinheiten (a, b und c) bilden. Die monomeren Kombinationen sind spezifisch fr die Gewebe, in denen sie vorkommen. Ultrastrukturelle Untersuchungen haben gezeigt, da NSE diffus im Zytoplasma verteilt ist und keinem spezifischen Organellsystem zugeordnet werden kann. Ihre Funktion besteht in der Interkonversion von 2-Phosphoglycerat und Phosphoenolpyruvat innerhalb der Glykolyse des Zuckerstoffwechsels. Die NSE lt sich in fast allen neuroendokrinen Tumoren nachweisen und ist deshalb ein weitverbreitetes Markerenzym, beispielsweise zur differentialdiagnostischen Abklrung von Karzinoiden vs. schlecht differenzierten Karzinomen. Ein weiteres Anwendungsgebiet liegt in der Abgrenzung von kleinzelligen Lungenkarzinomen gegen nichtkleinzellige Karzinome.
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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3.4.2 Chromogranin
Ein weiterer Marker fr die neuroendokrine Differenzierung ist das Chromogranin, ein saures Glykoprotein aus den neurosekretorischen Granula mit ber 40 verschiedenen Varianten. Am hufigsten wird das Chromogranin A gefunden, bestehend aus einer 65…75kD Polypeptidkette. Sequenzhomologien mit Bombesin wurden beschrieben, was zu Kreuzreaktivitten fhren kann. Funktionell sind die Chromogranine an der „Verpackung“ der neurosekretorischen Granula beteiligt, auerdem regulieren sie die granulre Kalziumkonzentration. Die meisten endokrinen Zellen enthalten Chromogranin, ebenso … aus ungeklrter Ursache … Zellen des lobulren Mammaepithels, Speicheldrsengangzellen und auch Thymusepithelzellen. Chromograninpositiv sind Karzinoide, Inselzelltumoren, Phochromozytome und C-Zell-Karzinome der Schilddrse. Ebenso wie NSE bietet Chromogranin dem Pathologen die differentialdiagnostische Mglichkeit der Abgrenzung neuroendokriner Tumoren von undifferenzierten Karzinomen. Auch Chromogranin ist als Antigen relativ labil, was es anfllig fr Fixierung macht. Es sollte zudem auf die Spezifitt des verwendeten Antikrpers geachtet werden, da Chromogranin A, B und C nur partielle Strukturhomologien aufweisen. 3.5 Marker lymphoretikula¨rer/ha¨matopoetischer Neoplasien (Monoklonale) Antikrper gegen monozytre und granulozytre Zellen sowie gegen Lymphozytensubpopulationen knnen nicht nur am Blutausstrich, sondern auch zur Diagnostik an Gewebeschnitten verwendet werden (Tabelle 5). Eine internationale Terminologie fr (durch Antikrper erkennTabelle 5. Immunotypisierung maligner Lymphome Differentialdiagnose
Antiko¨rperauswahl
1. Lymphoproliferative Prozesse: reaktiv vs. neoplastisch?
Antiko¨rper gegen diverse Immunglobuline Antiko¨rper gegen schwere und leichte Ketten
2. Falls neoplastisch: Lymphom vs. nichtlymphoide Neoplasie?
LCA („leucocyte common antigen“, CD45) Schwer- und Leichtkettennachweis von Immunglobulinen Pan-B- oder Pan-T-Zell-Antiko¨rper Lysozym (fu¨r myeloische Leuka¨mien)
3. Falls Lymphom: Welche Subklassifizierung?
Immunglobulinnachweis Pan-B-Zell-Antiko¨rper (CD19, CD20, CD22) Pan-T-Zell-Antiko¨rper (CD2, CD3, CD7) LCA (CD45): Mehrzahl der NHL UCHL-1 (CD45R0): T-Zell-NHL CD20A: B-NHL
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bare) Membranantigene von Zellen des hmatolymphatischen Systems wurde fr die sog. Leukozytendifferenzierungsantigene etabliert. Die Standardisierungsbemhungen fhrten dazu, da bestimmte monoklonale Antikrper, die mit einer nahezu identischen serologischen Aktivitt gegen ein spezifisches Membranantigen reagieren, durch eine CD(Cluster-of-Differentiation)-Nummer belegt wurden. Auf internationalen, von der WHO veranstalteten Workshops ber Leukozytendifferenzierungsantigene werden diese CD-Listen stndig modifiziert und aktualisiert. Das Leukozytenantigen (LCA, „leucocyte common antigen“, CD45) mit einem Molekulargewicht von 200 kD befindet sich in der Plasmamembran von hmatopoetischen Zellen. Der immunhistochemische Nachweis von LCA gelingt in ber 90% von Non-Hodgkin-Lymphomen, in nahezu allen Fllen von chronischen lymphozytren Leukmien, Haarzelleukmien und prolymphozytren Leukmien. Im Gegensatz hierzu ist LCA nur in etwa der Hlfte aller akuten lymphozytren Leukmien nachweisbar. Leukmien der myeloischen Reihe sind zumeist LCA-negativ, Plasmozytome zeigen allenfalls eine geringe Anfrbbarkeit. Eine weitere Unterteilung von Neoplasien der blutbildenden Organe nach ihrem histogenetischen Ursprung erfolgt mit zahlreichen spezifischen Bund T-Zell-Markern, histiozytren Differenzierungsantigenen und dem Nachweis anderer Oberflchenantigene (Tabelle 5).
Abb. 4. Algorithmus zur Differentialdiagnostik von Lebermetastasen
7.1
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
Tabelle 6. Antiko¨rper bei Fragestellung „wenig differenzierter maligner Tumor“ und Immunoreaktivita¨tsmuster Tumor
Keratin
LCA
S-100
Vimentin
Desmin
Karzinom
+
–
–/+
–/+
–
Lymphom
–
+
–
–/+
–
Sarkom
–/+
–
–/+
+
–/+
Melanom
–
–
+
+
–
Die Diagnose eines schlecht differenzierten oder undifferenzierten Tumors in Abgrenzung zu einer lymphoretikulren Neoplasie ist eine hufige, nicht immer einfache Aufgabe. Zustzlich zur Histologie knnen immunhistochemische Ergebnisse hierbei Entscheidungshilfen leisten (Tabelle 6). Die Anwendung immunhistochemischer Zusatzuntersuchungen ist auch indiziert, wenn es bei der Biopsie von (Leber-)Metastasen um die Abgrenzung der mglichen Primrtumorlokalisationen geht. Ein Algorithmus ist in Abbildung 4 dargestellt.
4 Hormonrezeptoranalyse Das Wachstum von Tumorzellen ist bei bestimmten Organtumoren hormonabhngig. Eine Vernderung des hormonalen Milieus kann zu einer Wachstumsverzgerung oder einem Wachstumsstop fhren, morphologisch zum Teil einhergehend mit regressiven Vernderungen der Tumorzellen. Die antineoplastische Wirkung von Hormonen ist an das Vorhandensein bestimmter Rezeptoren gebunden. Nachgewiesen wurden solche Rezeptoren fr strogene, Progesteron, Testosteron, Prolaktin und Kortison. Das Spektrum der Tumoren, die auf eine Hormontherapie ansprechen, umfat Mamma-, Endometrium-, Prostata- und Schilddrsenkarzinome. Ein Reihe von Tumoren wie kolorektale Karzinome oder Leberzellkarzinome u.a. haben Rezeptoren fr strogen oder Progesteron, sprechen aber auf eine Hormontherapie nicht an. Die jeweiligen Hormone binden an den Rezeptor, der Hormon-Rezeptor-Komplex wird in die Zelle aufgenommen und lst dort die jeweiligen Effekte aus. Die entscheidende Rolle der Rezeptoren fr die Hormonwirkung fhrte zur Bestimmung dieser Rezeptoren am Tumorgewebe selbst mittels Radioimmunoassaymethoden. Es werden ca. 0,5…1,0 g frisches reprsentatives Tumorgewebe fr die Analyse bentigt, welches gekhlt und ohne weitere Bearbeitung einem biochemischen Labor zugesandt wird. In den letzten Jahren wurde von Pathologen auch ein Rezeptornachweis durch immunhistochemische Verfahren durchgefhrt. Diese Verfahren haben den Vorteil, da eine positive Immunoreaktivitt in situ lokalisierbar ist.
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Tumorpathologie
Der antihormonellen Therapie steht die additive Therapie gegenber, wobei hohe Dosen gegen- oder gleichgeschlechtlicher Hormone zugefhrt werden. So ist die Androgensuppression die Standardtherapie des metastasierenden Prostatakarzinoms mit Ansprechraten von etwa 80%. Hier erfolgt allerdings keine standardmige Bestimmung etwaiger Rezeptoren am Resektionsmaterial.
5 Proliferationsmarker, Tumorzellkinetik In einem normalen, ausdifferenzierten Gewebe teilen sich immer nur wenige Zellen; sie werden als die sog. Wachstumsfraktion bezeichnet. Im Gegensatz hierzu ist die Proliferationskinetik maligner Zellen tiefgreifend gestrt. Im allgemeinen besitzen Tumoren eine hohe Wachstumsfraktion bei einer geringen Zellabsterberate … was zur Tumorvergrerung fhrt. Der normale DNS-Gehalt einer menschlichen Zelle entspricht dem doppelten Chromosomensatz, man bezeichnet sie als diploid. Aufgrund der gestrten Zellteilungs- und somit Wachstumskinetik besitzen Tumorzellen demgegenber einen DNS-Gehalt, der mehr oder weniger weit ber dem von normalen Zellen liegt, man bezeichnet sie deshalb als aneuploid. Hinzu kommt, da die DNS-Werte bei malignen Zellen strker streuen, als dies bei nichtmalignen Zellen der Fall ist. Das morphologische Korrelat dieser Aneuploidie ist als Hyperchromasie oder Polychromasie und Polymorphie der Tumorzellkerne lichtmikroskopisch erfabar. Neben den herkmmlichen morphologischen Methoden der Untersuchung gibt es die Mglichkeit, den Grad der Aneuploidie mittels zytophotometrischer Methoden zu bestimmen und so zwischen euploiden und aneuploiden Lsionen zu differenzieren. Hierfr stehen die Bild-(Image-) Zytophotometrie und die Durchfluzytophotometrie zur Verfgung. Die DNS-Durchfluzytometrie bietet den Vorteil, da innerhalb einer relativ kurzen Zeit verschiedene weitere Zellparameter gemessen werden knnen, beispielsweise der zellulre DNS-, RNS- und Proteingehalt. Im Prinzip beruht diese Technik auf der Fluoreszenzmarkierung von DNS-(bzw. RNS-) Abschnitten, wobei die Bindungsaffinitt bestimmter Farbstoffe an die zu untersuchende Struktur ausgenutzt wird (z.B. bindet Propidiumjodid an die DNS). Die Fluoreszenzintensitt der markierten Abschnitte wird gemessen, wenn sie einen Laserlichtstrahl passieren. Von der jeweilig gemessenen Intensitt kann dann auf den DNS-Gehalt rckgeschlossen werden. Anhand von Histogrammen knnen zustzlich Berechnungen durchgefhrt werden, die den Anteil der Zellen ergeben, die sich in der S-Phase (DNSSynthesephase) des Zellzyklus befinden. Die S-Phase eines Tumors korreliert mit seiner Proliferationsaktivitt: in Karzinomen mit hoher Proliferationsrate befinden sich viele Zellen in der S-Phase des Zellzyklus.
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Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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Durchfluzytometrische Methoden knnen bei vielen Gewebsarten angewandt werden, das Material sollte kryokonserviert sein, die Einbettung in Paraffin erschwert die Durchfhrung. Fr eine Reihe von Tumoren ist ein Zusammenhang zwischen DNS-Gehalt und Prognose gefunden worden. So ist ein hoher Grad an Aneuploidie bei Urothel- und Lungenkarzinomen mit einer schlechteren Prognose vergesellschaftet. Die Methode der Durchfluzytometrie ist jedoch noch kein Verfahren, das als Standard zu gelten hat, was mit ihrem hohen apparativen und prparativen Aufwand zusammenhngt. Die Einzelwerte, aus denen sich die Histogramme ergeben, knnen teilweise recht betrchtliche Streuungen aufweisen, da sie sich aus einer Vielzahl von Parametern zusammensetzen, in die auch methodische Fehler eingehen knnen (Ausstrichtechnik, Inhomogenitt des Zellmaterials von verschiedenen Stellen des Tumors, benigne Zellpopulationen usw.). Zudem mu fr jede der verwendeten Methoden und auch fr jede untersuchte Tumorart ein individueller Kontrollwert gefunden werden, der die Diploidie bzw. den DNS-Gehalt von Zellen (zumeist Lymphozyten und Fibroblasten) in der Ruhephase als „internen Standard“ verwendet. Unbestritten ist, da bei allen Tumoren sowohl diploide als auch aneuploide Flle bekannt sind. Der hchste Prozentsatz der Aneuploidie wird bei Lungenkarzinomen gefunden, dort sind 96% aller Tumoren aneuploid. Der niedrigste Wert liegt bei chronischen Leukmien vor, hier sind alle „Tumorzellen“ diploid. Bei akuten Leukmien oder Blastenkrisen werden demgegenber 25% bzw. 50% aneuploide Zellen gefunden. Im Gegensatz hierzu knnen aneuploide Werte auch bei nach blichen Kriterien benignen Lsionen gefunden werden, so beispielsweise bei Fibroadenomen der Mamma oder Mastopathien dieses Organs, ebenso bei Schilddrsenadenomen, chronischen Dickdarmentzndungen und Riesenzelltumoren des Knochens. Zur weiteren Untersuchung der Proliferationskinetik maligner Tumoren sind bestimmte Antikrper entwickelt worden, die Antigene nachweisen, die nur in der Replikationsphase der Zelle auftreten. Ein Beispiel hierfr ist das Proliferating-cell-nuclear-Antigen (PCNA), welches im Zellkern lokalisiert ist und als Hilfsenzym der DNS-Polymerase agiert. Seine Expression ist streng an den Zellzyklus gekoppelt, wobei es im Verlauf der G1- und zu Beginn der S-Phase zu einem sprunghaften Konzentrationsanstieg kommt. In der G0-(Ruhe-)Phase der Zelle wird dieses Protein nicht exprimiert. Somit knnen Zellen, die sich in der DNS-Synthesephase befinden, selektiv kenntlich gemacht werden. Es zeigte sich fr bestimmte Organtumoren (Magen- und Urothelkarzinom), da die Zahl der PCNA exprimierenden Zellen negativ zur Prognose korreliert, d.h., ein hoher Prozentsatz PCNA-positiver Zellen kann auf ein hohes Rezidivrisiko und einen aggressiven biologischen Tumortyp hinweisen.
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Tumorpathologie
Ein weiteres nukleres Matrixantigen, welches nur in bestimmten replikativen Phasen des Zellzyklus (G1-, S-, G2-Phase) auftritt, ist das Ki-67-Antigen. Die immunhistochemische Darstellung der proliferierenden Zellen mit einem Antikrper gegen Ki-67 ergibt ein gutes Bild der Wachstumsfraktion eines Tumors. In neueren Studien wird von einem prognostischen Wert dieses Antigens bei Lymphomen, Lungen- und Mammakarzinomen berichtet. Wie bei PCNA ist auch fr Ki-67 ein hohes Ma an Anfrbbarkeit tendenziell mit einer schlechteren Tumorprognose assoziiert. Die Methoden zur Bestimmung der Tumorproliferationskinetik haben noch keinen Eingang in die pathohistologische Routinediagnostik gefunden. In den Studien, in denen von prognostischer Signifikanz der proliferationskinetischen Marker gesprochen wird, konnte meist kein unabha¨ngiger Einflu dieser neuen Methoden auf die Prognose nachgewiesen werden. Es besteht Einigkeit darber, da ein Faktor nur dann als unabhngiger Prognosefaktor anerkannt wird, wenn sein prognostischer Einflu in 2 unterschiedlichen Studien in multivarianter Analyse nachgewiesen wurde. Dies ist jedoch bis heute bei keinem dieser neuen Methoden gelungen. Nach wie vor sind die pTNM- und die R-Klassifikation die entscheidenden prognostischen Parameter bei Patienten mit malignen Tumoren.
6 Molekularpathologie inklusive Mikrochiptechnologien Durch verschiedene molekularpathologische Untersuchungsmethoden ist man heute in der Lage, die genetischen Vernderungen, die zur malignen Entartung gefhrt haben, zu untersuchen und sie in der Tumordiagnostik einzusetzen. Durch die Einfhrung der Polymeraseketten-(„Chain“-)Reaktion (PCR) knnen diejenigen Regionen der DNS, die Onkogene oder Tumorsuppressorgene enthalten, in beliebig groer Menge amplifiziert und hinsichtlich mglicher Mutationen untersucht werden. So konnten Vernderungen einzelner Basenpaarungen im ras-Onkogen bei ca. 50% aller kolorektalen Karzinome und bei fast 90% aller Pankreaskarzinome gefunden werden. Untersucht man das Tumorsuppressorgen p53, so findet man Mutationen in nahezu allen Lungenkarzinomen und in einem Groteil von kolorektalen Karzinomen. Derartige Vernderungen sind zwar derzeit nicht von diagnostischer Relevanz, tragen aber dazu bei, Einsichten in regulative Vorgnge der Tumorentstehung zu gewinnen. Eine klinische Bedeutung knnen die molekularpathologischen Methoden in der mglichen Etablierung neuer prognostischer Faktoren haben. Beim Mammakarzinom hat eine genetische Vernderung auf Chromosom 17q21 besondere Bedeutung in therapeutischer und prognostischer Hinsicht erlangt. Auf diesem Genabschnitt wird fr das HER2-Protein (Synonyme: c-erbB-2, neu, p185HER2) kodiert, eine Membranrezeptor-Tyrosinkinase, die strukturell einer trunkierten Form des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors (EGFR, HER1)
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entspricht. Etwa 25…30% der invasiven duktalen Mammakarzinome sowie bis zu 60% der intraduktalen Karzinome (duktales Carcinoma in situ; DCIS) berexprimieren den Rezeptor. Die berexpression in humanen Tumoren beruht berwiegend auf einer Amplifikation des c-erbB2-Gens (HER2) als Folge genomischer Instabilitt. Die klinische Relevanz des c-erbB-2-Status beim Mammakarzinom besteht darin, da es eine inverse Korrelation zwischen c-erbB-2-berexpression/Genamplifikation und der Prognose der Tumorpatienten gibt. Darber hinaus erwiesen sich c-erbB-2-berexprimierende Tumoren als weniger sensitiv gegenber Standardchemo- und Hormontherapien. Die Detektion des c-erbB-2 kann ber die Bestimmung der Genkopienzahl, den Nachweis der mRNS oder des Proteins erfolgen. Erst krzlich erhielt HERCEPTIN, ein „humanisierter“ monoklonaler Antikrper, der gegen das HER2-Protein gerichtet ist und die Proliferation HER2-berexprimierender Tumorzellen hemmt, gemeinsam mit einem immunhistochemischen Diagnostikum (Dako Hercep TestTM) durch die USGesundheitsbehrde FDA die Zulassung. Voraussetzung fr die HERCEPTIN-Therapie ist die eindeutige (immunhistochemische) Diagnose der berexpression des HER2-Proteins, die als 2+ oder 3+ nach einem vorgegebenen semiquantitativen Score bezeichnet wird. Erstmalig ist damit eine auf die individuelle Tumorbiologie adaptierte Chemotherapie mglich. Die Auswertung der momentan initiierten Studien lt allerdings noch keine definitive Aussage ber die tatschliche Relevanz der „adaptierten Tumortherapie“ mit HERCEPTIN zu. Bis heute konnten jedoch auch mit genetischen Analysen keine neuen, stadiumunabhngigen Prognosefaktoren etabliert werden. Studien ber eine Vielzahl von genetischen Vernderungen zeigen widersprchliche Ergebnisse. Durch die relativ aufwendige Methodik ist das untersuchte Patientengut zumeist recht klein, auch statistische Methoden sind deshalb schwierig anwendbar. Um Prognosekriterien zu definieren, mu aber nicht nur ein ausreichend groes Kollektiv vorhanden sein; ein Nachteil vieler Untersuchungen ist immer noch die unzureichende Klassifizierung und Stadieneinteilung der untersuchten Malignome, was die Vergleichbarkeit und v.a. die Reproduzierbarkeit der gefundenen Parameter erschwert. Eine diagnostische Anwendung der PCR liegt in der Untersuchung von Chromosomenrearrangements. So findet man bei follikulren Lymphomen hufig die Translokation t(14;18); durch die Anwendung der PCR kann diese Translokation schnell und sicher diagnostiziert werden. Die Gre des amplifizierten DNS-Stckes, individuell unterschiedlich fr jeden Tumor, erlaubt zustzlich die Aussage, ob es sich bei diesem Patienten um den Primrtumor oder um ein Rezidiv handelt. Die Spezifitt und die hohe Sensitivitt der PCR ermglichen ihren Einsatz auch in der Diagnostik von kompletten Remissionen leukmischer Erkrankungen; durch spezielle, tumorspezifische Primer, die hochspezifisch
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Tumorpathologie
nur mit einem bestimmten (mutierten oder rearrangierten) Genabschnitt reagieren, kann eine einzige Tumorzelle innerhalb von 107 normalen Zellen diagnostiziert werden. Die Standardtechnik der letzten Jahre in der Detektion „isolierter Tumorzellen“ oder „minimaler residueller Erkrankung“ solider Tumoren war die Immunzytochemie unter Verwendung monoklonaler Antikrper gegen epitheliale Zellbestandteile. Dabei wurden spezifische Antikrper, tumorspezifische Membranantigene oder Zytokeratine verwandt. Die Spezifitt dieser Antikrper ist allerdings fr diagnostische Tests relativ gering, da in Knochenmarksproben von Patienten ohne Tumorerkrankung bis zu 5% zytokeratinpositive Zellen gefunden werden knnen. Doppelmarkierungsverfahren knnen hierbei die Gefahr einer falsch-positiven Diagnose verringern. Die Sensitivitt immunzytologischer Verfahren liegt ber der der konventionellen Histologie. Modellexperimente an peripheren Blutoder Knochenmarksproben, die mit Tumorzellen kontaminiert wurden, lassen auf eine hohe Wiederfindungsrate von 2…4 Tumorzellen in 10 106 mononukleren Zellen schlieen. Verfahren der Zellanreicherung, wie Zytozentrifugation oder die Verwendung von Image-Analyse-Gerten zur Durchmusterung groer Probenvolumina, knnen zuknftig zu einer weiteren Erhhung der Wiederfindungsrate immunzytologisch positiver Tumorzellen fhren. Eine weitaus sensitivere Technik zum Nachweis spezifischer DNS-(oder RNS-)Sequenzen gelingt durch die Polymerase-Kettenreaktion. Die hohe Sensitivitt der PCR resultiert aus der exponentiellen Zunahme der spezifischen DNS- bzw. RNS-Molekle. Die Frequenz isolierter Tumorzellen im Knochenmark liegt zwischen 1:105 und 1:106 Knochenmarkzellen. Die Nachweisgrenze der PCR reicht, wie bereits oben beschrieben, bis zu 1 Tumorzelle auf 106 Normalzellen. Die Sensitivitt der PCR-Amplifikation von DNS bzw. mRNS isolierter Tumorzellen wird auch durch den Stichprobenumfang beeinflut. Hierbei ist die Frage entscheidend, ob berhaupt eine Tumorzelle in der zu untersuchenden Probe vorhanden ist. Die Wahrscheinlichkeit, da sich bei einer bestimmten Konzentration p von Tumorzellen in einer Stichprobe des Umfangs N mindestens eine Tumorzelle befindet, wird mit der Poisson-Gleichung berechnet (P [mindestens 1 Tumorzelle] = 1…e…pxN). Wenn die Frequenz der Tumorzellen 1:10…6 betrgt und 106 Zellen untersucht werden, ist die Wahrscheinlichkeit, mindestens 1 Tumorzelle in der Stichprobe zu haben, lediglich 63%. Auch wenn die PCR-Reaktion per se in der Lage ist, diese Zelle zu amplifizieren, kann die Sensitivitt in dieser Probe nicht ber 63% steigen! Zuknftig bleibt abzuwarten, inwieweit neue Verfahren der Multiparameteranalyse mglicherweise diagnostische oder prognostische Zusatzinformationen erbringen. Durch die simultane Untersuchung von bis zu 10 000 Parametern in einem Versuchsansatz, wie sie durch die Mikroar-
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ray-Technologie mglich wurden, knnten „Expressions-Sets“ fr Tumoren etabliert werden, die Rckschlsse auf ihre biologische Aggressivitt zulieen. Fr Non-Hodgkin-Lymphome und Nierenzell- bzw. Prostatakarzinome sind bereits erste Studien publiziert, die ein „gene expression profiling“ zur Prognoseabschtzung empfehlen. Auch hier fehlt allerdings die methodische Standardisierung, auch wird die Problematik der Tumorheterogenitt bzw. des Stichprobenfehlers nicht bercksichtigt. Darber hinaus besitzt die Methode noch einen weiteren Nachteil: Neben der sehr umfangreichen Laborausstattung, die zur Durchfhrung bentigt wird, kostet eine einzige Analyse zur Zeit noch etwa 700 Q, was den Einsatz im klinischen Alltag unmglich macht. Daher wird die faszinierende Methode der mikrochipsbasierten Gen- oder Proteinexpressionsanalyse sicherlich zunchst dem biologischen Erkenntnisgewinn der individuellen Tumorerkrankung oder -disposition dienen und weniger ein Hochdurchsatzverfahren des klinischen Alltags sein. Denkbar wre zuknftig die Kombination von „gene expression profiling“ mit den Verfahren der Einzelzellanalytik (Mikrodissektion), um die genetische Ausstattung einer einzelnen Tumorzelle zu identifizieren. Dabei knnte erstmalig das Problem der Tumorheterogenitt adressiert und die Bedeutung des Mikroenvironments fr die einzelne Tumorzelle untersucht werden.
7 Zytogenetik Mehr als 14000 karyotypisch abnormale Neoplasien sind beschrieben worden, 80% davon in hmatologischen Systemerkrankungen. Die Tumorzytogenetik nahm ihren Anfang mit der Entdeckung des sog. Philadelphia-Chromosoms bei der chronischen myeloischen Leukmie (CML). Hierbei ist ein Segment des langen Arms von Chromosom Nr. 22 (Philadelphia-Chromosom, bcr-Gen) abgebrochen und auf Chromosom Nr. 9 transloziert. An dieser Stelle von Chromosom 9 sitzt das wachstumsregulierende c-abl-Onkogen, welches nun mit dem bcr-Gen von Chromosom 22 in unmittelbarer Nachbarschaft zu liegen kommt. Dieses neu zusammengesetzte „Fusionsgen“ wird gemeinsam transkribiert, und ein neues Protein entsteht: das bcr-abl-Onkoprotein. Es konnte gezeigt werden, da dieses Protein die Entstehung von Leukosen begnstigt. Die in Tumorzellen vorkommenden Chromosomenaberrationen werden in 3 Gruppen eingeteilt: F
F
Prima¨re Aberrationen: Bei ihnen wird eine enge Vergesellschaftung mit der Tumorentstehung postuliert. Sie knnen Protoonkogene oder Antionkogene (Tumorsuppressorgene) in ihrer Funktion beeintrchtigen. Sekunda¨re Aberrationen: Bei der Progression eines Tumorleidens treten durch vermehrte Zellteilungen zustzliche Chromosomenaberrationen auf.
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Tumorpathologie
Tertia¨re Aberrationen: Diese ereignen sich erst im Endstadium einer rasch proliferierenden Tumorerkrankung. Man stellt sich vor, da Antimetastasierungsgene verlorengehen.
Die Schwierigkeiten konventioneller zytogenetischer Studien liegen in der Art des hierfr bentigten Materials. Um den Chromosomensatz zu untersuchen, wird eine lebende, sich in Teilung befindliche Zelle bentigt, was die direkte Untersuchung von frisch reseziertem Gewebe notwendig macht. Eine andere Mglichkeit ist das Anlegen einer Zellkultur, in der die Teilungsfhigkeit der Tumorzellen aufrechterhalten werden soll. Aus diesen praktischen Grnden sind die Neoplasien von Blut und Knochenmark zytogenetischen Untersuchungen leicht zugnglich und dementsprechend gut dokumentiert. Demgegenber sind die meisten epithelialen Tumoren schlecht untersucht: Mamma-, kolorektale, Lungen- und Prostatakarzinome zeigen eine geringe Rate von Mitosen, auch ist die notwendige Einzelzellprparation sehr schwierig. Zellen aus Tumoren des Nervensystems und Tabelle 7. Die ha¨ufigsten Chromosomenaberrationen maligner Tumoren (nach Literaturangaben) Myeloische Neoplasien t(9;22)a
*
Chronische myeloische Leuka¨mie
*
Akute nichtlymphozyta¨re Leuka¨mie (M2)
t(8;21)
*
Akute promyelozyta¨re Leuka¨mie
t(15;17)
Lymphoretikula¨re Tumorenb *
Burkitt-Lymphom
t(8;14) [t(2;8), t(8;22)]
*
Folikula¨res Lymphom
t(14;18)
*
Diffuses Lymphom (ebenso CLL, Myelom)
t(11;14)
Solide Tumoren
a b
*
Nierenzellkarzinom
del(3p)
*
Kleinzelliges Lungenkarzinom
del(3p)
*
Retinoblastom
del(13)(q14)
*
Nephroblastom (Wilms-Tumor)
del(11)(p13)
*
Neuroblastom
1p–
*
Rhabdomyosarkom
t(2;13)
*
Synoviales Sarkom
t(X;18)
*
Ewing-Sarkom
t(11;22)
*
Myxoides Liposarkom
t(12;16)
Sog. Philadelphia-Chromosom. Kiel-Klassifikation.
7.1
Prinzipien der Pathologie in der Onkologie
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von Sarkomen sind relativ einfach in Zellkulturen zu halten und deshalb gut zu analysieren. Einige der bereits bekannten chromosomalen Aberrationen sind in Tabelle 7 zusammengestellt, wobei insbesondere bei den soliden Tumoren hufig unterschiedliche, sich teilweise widersprechende Ergebnisse gefunden werden. Deshalb haben zytogenetische Untersuchungsmethoden bei den Organtumoren eine untergeordnete diagnostische Bedeutung, finden aber zunehmenden Eingang in die Routineuntersuchung hmatologischer oder lymphoretikulrer Systemerkrankungen. Die zytogenetische Untersuchung findet nicht nur bei der Erstdiagnose von hmatologischen Systemerkrankungen Anwendung, sondern auch zur Bestimmung von (Voll-)Remissionen oder Krankheitsrezidiven. Erreicht man mit einer Therapie die komplette Remission, normalisiert sich der Karyotyp. Sollten zustzliche chromosomale Aberrationen des Karyotyps eines Patienten auftreten, ist eine Progression der Erkrankung anzunehmen. Literatur Fletcher CDM, Unni KK, Mertens F (2002) Pathology and Genetics: Tumours of Soft Tissue and Bone. IARC Press, Lyon Fritz A, Percy C, Jack A et al (ed) (2000) International Classification of Diseases for Oncology. 3rd ed. WHO, Geneva Gospodarowicz M, Mackillop W, O’Sullivan B et al (2001) Prognostic factors in clinical decision making: the future. Cancer 91(8 Suppl):1688…1695 Hamilton SR, Aaltonen LA (eds) (2000) WHO: Pathology and Genetics: Tumours of the Digestive System. IARC Press, Lyon Hermanek P, Hutter RV, Sobin LH, Wittekind Ch (1999) International Union Against Cancer. Classification of isolated tumor cells and micrometastasis. Cancer 86:2668…2673 Herrington CS, McGee JOD (1992) Diagnostic molecular pathology. IRL Press, Oxford Jaffe ES, Harris NL, Stein H, Vardiman JW (eds) (2001) WHO: Pathology and Genetics: Tumours of Haematopoetic and Lymphoid Tissues. IARC Press, Lyon Kleihues P, Cavenee WK (ed) (2000) WHO: Pathology and Genetics: Tumours of the Nervous System. IARC Press, Lyon Lakhani SR (2001) Molecular genetics of solid tumours: translating research into clinical practice. What we could do now: breast cancer. Mol Pathol 54:281…284 Remmele W (1999) Pathologie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Roylance R (2002) Methods of molecular analysis: assessing losses and gains in tumours. Mol Pathol 55:25…28 Tomlinson IP, Ilyas M (2001) Molecular pathology of solid tumours: some practical suggestions for translating research into clinical practice. Mol Pathol 54:203…205 Underwood JCE (1981) Introduction to Biopsy Interpretation and Surgical Pathology. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
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Tumorpathologie
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung bei Leuka¨mien, Lymphomen und soliden Tumoren M. Kneba, M. Brggemann, U. Keilholz, T. Lion, G. Dlken, K. Pantel, A. Zoubek
1 Grundlagen und Problemstellung In den letzten Jahren wurden wesentliche Fortschritte im Verstndnis der Biologie und Pathogenese der akuten und chronischen Leukmien, NonHodgkin-Lymphome und soliden Tumoren erzielt. Diese Fortschritte wurden vor allem durch die Anwendung moderner Methoden der Zytogenetik und Molekularbiologie beim Studium der physiologischen und pathologischen Zellentwicklung erreicht. So konnte fr viele Leukmie- und Lymphomentitten, aber auch fr solide Tumoren gezeigt werden, da ihnen spezifische genetische und molekulare Vernderungen zugrunde liegen, denen eine Schlsselrolle in der Entwicklung dieser Erkrankungen zukommt. Die im Rahmen dieser Untersuchungen entwickelten experimentellen Methoden und gewonnenen Einblicke in die Entwicklung maligner Zellen sind Grundlage neuartiger diagnostischer Methoden geworden, die die Detektion von Tumorzellen mit einer zuvor ungeahnten Empfindlichkeit und Spezifitt erlauben. Der Einsatz dieser empfindlichen Nachweismethoden hat den Nachweis klinisch okkulter, residueller Tumorzellen (Minimal-Residual-Disease, MRD) in der Phase der kompletten klinischen und morphologischen Remission bei einem Groteil der Patienten mit malignen Erkrankungen erbracht. Diese Untersuchungen haben nicht nur neue Einblicke in das Remissionsverhalten maligner Erkrankungen ermglicht und wesentlich zum Verstndnis der Biologie der Tumoren beigetragen, sondern auch zu einer neuen Definition des Begriffes Remission gefhrt. 1.1 Klinische Bedeutung von residuellen Tumorzellen Bei Diagnosestellung tragen Patienten mit Leukmien, Lymphomen oder soliden Tumoren eine Gesamtzahl maligner Zellen von etwa 1010 bis 1012, was einer Tumorzellmasse von 10 g bis 1 kg entspricht (Campana u. Pui 1995). Durch die hochentwickelte moderne Tumorchirurgie und die fr einige Tumorerkrankungen verfgbaren effektiven Chemotherapieverfahren wird heute das Schicksal der Patienten nach makroskopisch und mikroskopisch vollstndiger Tumorentfernung in zunehmendem Mae allein von der Anwesenheit residueller Tumorzellen (MRD) nach Therapie-
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Tumorpathologie
ende bestimmt. Die Qualitt der erreichten Remission wird in der Praxis durch die klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und morphologisch-zytologische Untersuchung von Gewebebiopsaten, Knochenmarkbiopsaten oder peripherem Blut dokumentiert. Die dabei erzielte untere Nachweisgrenze fr Restpopulationen von Tumorzellen in diesen Materialien liegt mit konventionellen Verfahren bei 1…5% Tumorzellen, bezogen auf die Gesamtzahl der analysierten Zellen. Bei erfolgreicher Therapie wird eine komplette klinische Remission, z.B. bei Leukmien, attestiert, wenn der Anteil der morphologisch identifizierbaren Blasten im Knochenmark weniger als 5% betrgt. Bei Lymphomen oder soliden Tumoren wird eine Rckbildung ehemaliger Raumforderungen unter die Nachweisgrenze der Bildgebung, oder im Falle von Lymphknoten unterhalb 1 cm Gre, als komplette Remission gewertet. Wie grob diese Definition der kompletten Remission ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, da immerhin eine Gesamtzahl von bis zu etwa 108 bis 1010 in den Patienten verbliebenen residuellen Tumorzellen dem diagnostischen Nachweis mit konventionellen Methoden entgehen. >
Die mit den verfgbaren konventionellen Untersuchungsmethoden nicht erfaten und durch Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie nicht eliminierten okkulten Tumorzellen werden als Ausgangspunkt fr die Entstehung der Rezidive bei Leukmien, Lymphomen und soliden Tumoren angesehen. Ihre Erfassung hat daher Bedeutung fr die Prognose und z.T. auch das klinische Management von Patienten mit malignen Erkrankungen (Bader et al. 2002; Biondi et al. 2000; Braun et al. 2000; Campana et al. 2001; Campana u. Pui 1995; Cheung et al. 1997; Gkbuget et al. 2003; Gribben 2002; Gribben u. Nadler 1994; Lion 1994; Lopez-Guillermo et al. 1998 u. 2000; Merx et al. 2002; Mortuza et al. 2002; Munoz et al. 2003; Nyvold et al. 2002; Pantel et al. 2001; Rambaldi et al. 2002; Ross 1998; Sarris et al. 2002; Schnittger et al. 2002; Schoch et al. 2002; Szcepanski et al. 2001; van der Reijden et al. 2002).
Zum gegenwrtigen Zeitpunkt hngen Intensitt und Dauer der als optimal fr individuelle Patienten gewhlten Therapie hauptschlich von den initialen prognostischen Faktoren bei Diagnosestellung ab. Vom Zeitpunkt des Erreichens einer klinisch kompletten Remission an und whrend der Dauer der Remission bis zu dem Zeitpunkt eines eventuellen klinischen Rezidivs sind Vorhandensein und Ausma der residuellen Tumorlast bei individuellen Patienten weitgehend unbekannt. Aus dieser diagnostischen „Blindheit“ resultieren klinische Behandlungsstrategien wie reine Nachbeobachtung, adjuvante Chemotherapie, konsolidierende Behandlung, Erhaltungstherapie, Hochdosistherapie und Immuntherapie, die nicht zwischen den einzelnen Patienten in Abhngigkeit von Anwesenheit oder quantita-
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
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tivem Ausma ihrer residuellen Erkrankung unterscheiden. So wird z.B. zur Behandlung der MRD bei AML- und ALL-Patienten eine langfristige Chemotherapie in Form verschiedener Therapieblcke nach Standardtherapieprotokollen verabreicht (s. Kapitel 47 „Akute myeloische Leukmie“ u. 48 „Akute lymphatische Leukmie“). Daher werden Patienten mit einer hohen residuellen Leukmiezellzahl nach identischen Therapieprotokollen behandelt wie solche, die eine viel niedrigere Anzahl leukmischer Zellen oder gar keine Leukmiezelle mehr tragen. Analoge Vorgehensweisen zur Therapie der MRD und Senkung des Rezidivrisikos werden bei Patienten mit CML, Lymphomen oder soliden Tumoren praktiziert (siehe entsprechende Kapitel in diesem Buch). Dabei wren gerade fr die Effektivittskontrolle der eingesetzten Behandlungsverfahren quantitative MRD-Bestimmungen hilfreich. Die hier geschilderte Situation soll anhand der Abbildung 1 verdeutlicht werden.
Abb. 1. Remissionsmuster und MRD-Verhalten bei Leuka¨mien, Lymphomen und soliden Tumoren. Bei Diagnosestellung und zu Beginn der Behandlung liegt eine makroskopisch erfaßbare Tumorlast (100% ˆ = 102) vor. Diese ist mit konventionellen diagnostischen Methoden bei einer therapiebedingten Tumorreduktion unter ca. 1% (100) des Ausgangswertes nicht mehr erfaßbar (klinisch komplette Remission, CR). Unterhalb dieses klinisch „blinden“ Bereiches ist die residuelle Tumorlast (MRD) nur durch die modernen immunologisch-molekulargenetischen Methoden meßbar bis zu einer unteren Nachweisgrenze, die bei ca. 0,0001% (10–4) – das entspricht 1 Tumorzelle vor einem Hintergrund von 100 000 bis zu 1 000 000 normalen Zellen – liegt. Unterhalb dieser Nachweisgrenze liegt der Bereich der „molekularen“ Remission
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Bei Diagnosestellung tragen die Patienten eine durch klinische Diagnostik bestimmte Gesamttumorlast, die in Abbildung 1 als 100% gesetzt wird. Bei einer Tumormasse von 100 g entspricht dies einer Tumorzellzahl von etwa 100 Milliarden. Durch die Primrbehandlung (Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie) wird eine komplette Remission dann erreicht, wenn die Erkrankung makroskopisch und mikroskopisch nicht mehr nachweisbar ist. Dies ist mit den konventionellen Methoden bereits bei Reduktion der Tumorzellmasse auf unter 1…5% des Ausgangswertes der Fall. Ist danach noch ein signifikanter Anteil residueller Tumorzellen (MRD) verblieben und werden diese durch weitere Therapiemanahmen wie Konsolidierungstherapie, Erhaltungstherapie, Hochdosistherapie oder Immuntherapie in der Phase der klinisch kompletten Remission nicht weiter eliminiert, so kommt es nach einem Zeitraum, der abhngig ist von der Proliferationskinetik der Tumorzellen und dem Ausma der MRD, zu einem Rezidiv (Kurve A, obere Kurve B). Weit tiefere Einblicke in diese „Black box der klinischen Remission“ ermglichen die modernen immunzytologischen Methoden und die Polymerasekettenreaktion (PCR) aufgrund ihrer um bis zu vier Zehnerpotenzen greren Empfindlichkeit, die es gestattet, einzelne Tumorzellen vor einem Hintergrund von bis zu 1 000 000 (0,0001%) normalen Zellen nachzuweisen. Die MRD kann jedoch auch ber lange Zeitrume persistieren und danach entweder stabil bleiben, ganz verschwinden („molekulare Remission“) oder zu einem klinischen Rezidiv fhren (B und C). Daher dient als Grundlage fr die Notwendigkeit von MRD-Untersuchungen die Annahme, da eine bessere Abschtzung der Gesamttumorlast und deren Proliferationskinetik die Intensitt und Dauer der einzuschlagenden Therapie und die Heilungschancen fr individuelle Patienten … unabhngig von den prtherapeutischen Risikofaktoren … verbessern kann. Die enge Beziehung zwischen der Hhe der Gesamttumorlast bei Beginn der Behandlung und der Aussicht auf Heilung ist bei praktisch allen malignen Erkrankungen eindeutig belegt. 1.2 Methoden zum Nachweis von MRD Leukmie-, Lymphom- und Tumorzellen lassen sich von normalen hmatopoetischen Progenitorzellen und anderem Gewebe anhand morphologischer und zytochemischer Eigenschaften, Immunphnotyp, karyotypischer oder genetischer Aberrationen und im Falle von lymphatischen Neoplasien anhand von Immungenumlagerungen unterscheiden. Einzelne oder Kombinationen dieser Eigenschaften neoplastischer Zellen sind in den vergangenen Jahren zum Nachweis residueller Tumorzellen ausgenutzt worden (Bartram 1995; Braun et al. 2000; Campana u. Pui 1995; Evans et al. 1997; Gribben u. Nadler 1994; Lion 1996; Maurer et al. 1991; Moss et al.
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1994; Perez-Simeon 2002; Ross 1998; Shimoni et al. 2002; Szczepanski et al. 2001; Zetterquist et al. 2000; Zoubek et al. 1996; Zoubek et al. 1998). Die grte Empfindlichkeit und breiteste Anwendbarkeit haben bei diesen Untersuchungen im Rahmen hmatologischer Neoplasien Methoden erlangt, die auf der enzymatischen DNS-Amplifikation beruhen. Als die fr den PCR-Nachweis von MRD bei Patienten mit AML, ALL und Non-Hodgkin-Lymphomen am besten geeigneten Zielstrukturen haben sich die junktionalen Regionen rearrangierter Immunglobulin- und T-Zell-Rezeptorgene sowie die Bruchpunktregionen chromosomaler Translokationen erwiesen (Brggemann et al. 2000; Burmeister et al. 2000; Campana u. Pui 1995; Cheung et al. 1997; Evans et al. 1997; Gribben u. Nadler 1994; Guerassio et al. 2002; Kneba et al. 1991; Kneba et al. 1995a; Krauter et al. 2001b; Linke et al. 1995; Linke et al. 1997; Maurer et al. 1991; Schoch et al. 2002; Szczepanski et al. 2001). Bei den soliden Tumoren sind immunzytochemische Verfahren der PCR wegen der hheren Spezifitt bei vergleichbarer Sensitivitt mglicherweise berlegen (Cheung et al. 1997; Izbicki et al. 1997; Moss et al. 1994; Pantel et al. 1996; Pantel et al. 2001; Ross 1998; West et al. 1997). Im Rahmen der allogenen Stammzelltransplantation beginnt sich die Methode der PCR-Amplifikation von Mikrosatellitenmarkern (sog. Chimrismusanalyse) als relativ neuartige und interessante Methode zum Nachweis von MRD zu etablieren (Lion 2003). 1.3 Probleme von PCR-Methoden zum Nachweis von MRD Bei Verwendung von DNS als Ausgangsmaterial fr die PCR werden in der Regel nicht mehr als 0,1…1 lg DNS pro Reaktionsgef in die PCR eingesetzt. Dies entspricht dem DNS-Gehalt von 75 000 …150 000 Zellen. Dementsprechend liegt die theoretische Nachweisgrenze fr eine Einzelzelle mit einem spezifischen PCR-Target in derartigen Anstzen ebenfalls bei 1 : 75 000 … 1 : 150 000 Zellen, sofern nicht multiple PCR-Reaktionen pro Verdnnungsstufe gefahren werden. Bei Verwendung von RNS als Ausgangsmaterial ist die theoretische Nachweisempfindlichkeit um den Faktor 10 …100 hher, da individuelle mRNS-Molekle in etwa 10 …100 (und mehr) Kopien pro Zelle vorkommen. Der Hauptvorteil … die extreme Empfindlichkeit … stellt gleichzeitig auch das Hauptproblem der PCR dar: die Gefahr falsch positiver Befunde durch Kontamination mit DNS aus anderen Proben oder frheren, im selben Labor durchgefhrten PCR-Reaktionen. Die fehlende Standardisierung der PCR-Methoden und die dadurch bedingte fehlende Vergleichbarkeit der erhaltenen Resultate stellen ebenfalls ein nicht zu vernachlssigendes Problem der bisher publizierten Methoden zur Analyse von MRD dar (Campana u. Pui 1995; Burmeister et al. 2000; Sczcepanski et al. 2001). In den bisher verffentlichten Studien wurden nicht nur unterschiedliche
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Nachweismethoden wie Hybridisierung mit klonspezifischen Oligonukleotiden, Amplifikation mit klonspezifischen Primern, radioaktive und nichtradioaktive Verfahren, sondern auch unterschiedliche Gene fr die PCR-Amplifikation benutzt. Zudem waren die bis ca. 2000 eingesetzten Verfahren sehr arbeits- und zeitaufwendig, stranfllig und nur eingeschrnkt fr die Analyse einer greren Zahl von Proben in einer prospektiven Studie geeignet (Campana u. Pui 1995). Dagegen zeichnen sich die in den vergangenen Jahren entwickelten bzw. erheblich verbesserten und vereinfachten PCR-Verfahren zur quantitativen MRD-Bestimmung, z.B. mittels Genescanning (Applied Biosystems) oder REAL-TIME-PCR (Taq ManJ, Applied Biosystems oder Light CyclerJ, Roche) durch gleichermaen hohe Spezifitt und Sensitivitt, Schnelligkeit und weitgehende Automatisierbarkeit aus (Linke et al. 1995 u. 1999; Dlken et al. 1997; Brggemann et al. 2000; Sarris et al. 2002; Schoch et al. 2002; Krauter et al. 2001; Sczepanski et al. 2001).
2 Leuka¨mien 2.1 Chronische myeloische Leuka¨mie (CML) Das im Jahr 1960 bei der chronischen myeloischen Leukmie entdeckte Philadelphia(Ph)-Chromosom, das aus der reziproken Translokation t(9;22) (q34;q11) hervorgeht, ist die am lngsten bekannte zytogenetische Anomalie bei einer malignen Erkrankung (Nowell u. Hungerford 1960; Rowley 1973). Die molekulare Charakterisierung der von dieser Translokation betroffenen Chromosomenabschnitte und die Beschreibung des BCR/ABLGenrearrangements fhrten bereits vor 18 Jahren zur Identifizierung eines fr die CML pathognomonischen molekularen Markers (Stam et al. 1985). Damit wurde die Grundlage fr den spezifischen und empfindlichen Nachweis residueller Leukmiezellen geschaffen. Die Detektion des Ph-Chromosoms mit Hilfe zytogenetischer Methoden (Kantarjian et al. 1993) hat neben der relativ geringen Sensitivitt den Nachteil der Abhngigkeit von mitotischen Leukmiezellen in den untersuchten Proben. Dennoch spielt die prozentuelle Auswertung Ph-positiver Mitosen eine klinisch wichtige Rolle fr die Beurteilung des Therapieansprechens und die Bewertung des Remissionsstatus im Verlauf der Therapie (Kantarjian et al. 1993). Fr eine relevante zytogenetische Erfassung quantitativer Vernderungen innerhalb des leukmischen Klons sollte eine ausreichende Anzahl (> 20…30) auswertbarer Mitosen vorliegen (Lion 1996; Schoch et al. 2002), eine Forderung, die unter Therapie mit Interferon nicht immer erfllbar ist. In solchen Fllen sowie bei Patienten, die unter Chemotherapie oder nach Knochenmarktransplantation (KMT) eine komplette zytogenetische Remission erreichen, mssen zur Erfassung der Residualerkrankung molekulare Methoden eingesetzt werden. Die Southern-Blot-Analyse (Westbrook 1992)
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
389
ermglicht eine semiquantitative Auswertung leukmischer Zellen, sofern ihr prozentualer Anteil mindestens 1% der nukleren Zellen betrgt, so da gegenber der Routinezytogenetik keine Steigerung der Sensitivitt erreicht wird. Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) auf Interphasekerne ermglicht eine relativ genaue Quantifizierung BCR/ABL-positiver Zellen auf Blut- bzw. Knochenmarkausstrichen, allerdings ohne wesentliche Verbesserung der Nachweisempfindlichkeit. Diese kann durch bessere Ausntzung der Mglichkeiten der Methodik, etwa durch die sogenannte Hypermetaphasen-FISH, und durch die Verwendung automatischer Auswertungssysteme, die die Auszhlung einer sehr groen Anzahl von Kernen ermglichen, erheblich gesteigert werden. Die Einfhrung der sogenannten ZweiStufen-PCR (Pignon et al. 1990; Lion et al. 1991) hat zu einer Verbesserung der Nachweissensitivitt von Zellen mit BCR/ABL-Rearrangement um einige Grenordnungen gefhrt. >
Die PCR und andere, weniger verbreitete Nukleinsure-Amplifikationsverfahren (z.B. NASBA) stellen die zur Zeit empfindlichsten Methoden zum Nachweis minimaler Residualerkrankung bei der CML dar.
Sie ermglichen unter Routinebedingungen die Detektion einer Leukmiezelle bis unter 1 Mio. normaler Leukozyten. Unter speziellen experimentellen Bedingungen gelang es, die Sensitivitt um noch etwa zwei Grenordnungen zu steigern (Biernaux et al. 1995), und es konnte gezeigt werden, da sehr geringe, nur mit einem derartigen Verfahren nachweisbare Mengen BCR/ABL-positiver Zellen auch im peripheren Blut gesunder Menschen nachweisbar sind. Die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens zirkulierender BCR/ABL-positiver Zellen steigt mit zunehmendem Alter, aber die Detektion dieser Anomalie scheint mit keinem erhhten Risiko einherzugehen, an einer CML zu erkranken. Diese Beobachtung, die mittlerweile auch bei einigen anderen tumorassoziierten Genrearrangements gemacht wurde, wirft im Hinblick auf den Nachweis der minimalen Resterkrankung die Frage nach der notwendigen und klinisch sinnvollen Sensitivitt der verwendeten Methoden auf. Bei CML-Patienten unter Therapie mit IFN bleiben auch bei Erreichen einer zytogenetischen Remission oder einer mit Hilfe des Southern-Blot ermittelten molekularen Remission praktisch immer BCR/ABL-positive Zellen mittels PCR auf einem Niveau von 1:104…106 nachweisbar, so da diesem Befund bei nur qualitativer, nicht quantitativer Bestimmung der MRD keine prognostische Bedeutung zukommt. Die in den vergangenen Jahren entwickelte Methode der „real time“ quantitativen PCR (RQ-PCR) hat in jngster Zeit durch die Entwicklung des hocheffektiven Inhibitors der BCR/ABL-Tyrosinkinase (STI571, GlivecJ) einen interessanten und fr das zuknftige klinische Management von CML-Patienten neuen Stellenwert erfahren (Paschka et al. 2003). Paschka
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und Co-Autoren untersuchten die Korrelation des molekularen Ansprechens von mit Interferon-a vorbehandelten CML-Patienten bei Behandlung mit Imatinib (GlivecJ). Von 48 IFNa-vorbehandelten CML-Patienten erreichten 41 nach einer 3- bis 20monatigen Therapie mit Imatinib eine komplette und 7 eine partielle zytogenetische Remission. Bei diesen Patienten war MRD mit der Interphase-FISH-Technik in 18% der Flle, mit der empfindlicheren Hypermetaphasen-FISH-Technik in 31% und mit Hilfe der RTPCR in 100% der Flle nachweisbar. Bei quantitativer MRD-Bestimmung zeigten 16 Patienten mit einem BCR-ABL/ABL-Quotienten 0,1% ein sehr gutes molekulares Therapieansprechen. Diese Patienten waren zum Zeitpunkt der Analyse alle in einer kontinuierlichen Vollremission, whrend 6 der 13 Patienten mit einem BCL-ABL/ABL-Quotienten 0,1% rezidivierten (Paschka et al. 2003). Die Reduktion von Leukmiezellen unter die Nachweisgrenze der zweistufigen PCR konnte von den derzeit verfgbaren Therapiemglichkeiten mit Hilfe der allogenen Knochenmarktransplantation (Hughes et al. 1991) oder einer Donor-Lymphozyten-Transfusion (Kolb et al. 1990) bei einem hohen Prozentsatz von Patienten erreicht werden, und eine kontinuierliche PCR-Negativitt gilt als ein prognostisch gnstiger Befund. Umgekehrt zeigte sich jedoch, da die Persistenz leukmischer Zellen auf dem Detektionsniveau der PCR keine verllichen Informationen ber das sptere Auftreten eines Rezidivs liefert. Patienten, die mehr als 6…12 Monate nach allogener KMT mit Hilfe der PCR detektierbare Leukmiezellen aufweisen, haben zwar statistisch ein deutlich erhhtes Rezidivrisiko (Radich et al. 1995), aber in vielen Fllen ist selbst jahrelange Nachweisbarkeit BCR/ ABL-positiver Zellen offenbar mit einer kontinuierlichen hmatologischen Remission vereinbar (Pignon et al. 1990). Dieses Phnomen knnte beispielsweise dadurch erklrt werden, da Zellen mit BCR/ABL-Rearrangement, die kein malignes Potential besitzen, etwa Memory-Zellen, ber lange Zeitrume detektiert werden knnen (Miyamura et al. 1994). Bei CML-Patienten ist daher die prognostische Bedeutung qualitativer Nachweismethoden fr residuelle Leukmiezellen begrenzt. Dies gilt jedoch nicht nur fr alle anderen Leukmieformen, sondern auch fr Lymphome. Um eine klinische relevante berwachung minimaler Restleukmie zu ermglichen, wurden bei der CML quantitative PCR(Q-PCR-)Verfahren etabliert, welche anhand der Expression der chimren BCR/ABL-mRNS in Proben aus dem peripheren Blut oder dem Knochenmark ein Monitoring der Proliferationskinetik der malignen Restpopulation ermglichen (Lion et al. 1992; Cross et al. 1993). >
Es konnte gezeigt werden, da mit Hilfe quantitativer PCR-Verfahren eine hochempfindliche berwachung des Therapieansprechens und eine frhzeitige Vorhersage eines drohenden Rezidivs mglich ist
7.2
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(Lion et al. 1993; Lion et al. 1995). Es gelang bei CML-Patienten nach allogener Knochenmarktransplantation oder unter Therapie mit Interferon, ein hmatologisches Rezidiv durchschnittlich sechs Monate vor seinem Auftreten vorherzusagen (Hochhaus et al. 1996; Lion et al. 1993; Lion et al. 1995; Lion 1996). Fr den Nachweis eines inzipienten Rezidivs mit Hilfe quantitativer PCRAnalysen wurde der Begriff PCR-Rezidiv geprgt und fr den Einsatz in der klinischen Diagnostik definiert (Lion et al. 1993). Die Detektion eines PCRRezidivs erffnet die Mglichkeit, einen zu diesem Zeitpunkt noch kleinen residuellen Leukmiezellklon frhzeitig einer Therapie zuzufhren. Die biologisch naheliegende berlegung, da ein frher Therapiebeginn bei Nachweis eines PCR-Rezidivs auch einen klinischen Vorteil gegenber einem spteren Behandlungsbeginn erwarten lt, hat zu einer Empfehlung der westeuropischen CML-Studienleiter (E.I.C.M.L.-Gruppe) gefhrt, die quantitative PCR-berwachung bei allen Studienpatienten einzusetzen. Entsprechende Richtlinien fr den klinischen Einsatz des quantitativen PCR-Monitorings liegen vor (Lion 1994) und werden zum Teil bereits im Rahmen nationaler und internationaler CML-Studien verwirklicht. Die bei der CML gewonnenen Erfahrungen haben den Weg zum Monitoring minimaler Resterkrankung bei anderen Leukmieformen in methodischer Hinsicht, insbesondere bei der Adaptierung qualitativer und quantitativer PCR-Analysen erleichtert. In Hinblick auf die klinische Bedeutung dieser hochempfindlichen Verfahren lt allerdings das unterschiedliche biologische Verhalten verschiedener hmatologischer Neoplasien keine bertragung der Erfahrungen bei CML-Patienten auf andere Leukmieformen zu. Bei der CML scheint die komplette Eradizierung des leukmischen Klons oder zumindest dessen Reduktion unter die Nachweisgrenze der PCR (1:106) keine absolute Voraussetzung fr eine Langzeitremission oder sogar Heilung zu sein (Pignon et al. 1990; Hughes et al. 1991), so da quantitative Verlaufsuntersuchungen notwendig sind, um die Proliferationskinetik der Tumorzellen berwachen und ein drohendes Rezidiv frhzeitig erkennen zu knnen. Diese klare Dissoziation zwischen der klinischen Relevanz qualitativer und quantitativer Analysen fr die Rezidivfrherkennung war bei aggressiven, rasch proliferierenden Formen akuter Leukmien zunchst nicht erwartet worden. Zwischenzeitlich wurde jedoch gezeigt, da auch bei den aggressiven Leukmieformen extrem sensitive PCR-Methoden zur quantitativen MRD-Bestimmung eine weit grere klinische Relevanz haben als rein qualitative Verfahren. Darber hinaus konnte fr die CML gezeigt werden, da die Sensitivitt des Nachweises residueller Leukmiezellen in Proben aus dem Knochenmark und dem peripheren Blut etwa auf gleichem Niveau liegt (Lin 1994). Das ermglicht Untersuchungsintervalle, die fr die PCR-berwachung minimaler Resterkrankung erforderlich er-
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scheinen (Lion 1994), ohne fr den Patienten eine Belastung darzustellen. Bei akuten Leukmieformen knnten jedoch Untersuchungen von Knochenmarkproben notwendig sein, um eine adquate Sensitivitt beim Nachweis residueller Leukmiezellen zu erreichen (van Rhee et al. 1995; Huang et al. 1993; Summers et al. 2002; van der Velden 2002). 2.2 Akute myeloische Leuka¨mie (AML) Fr die Detektion und berwachung minimaler Resterkrankung bei akuten myeloischen Leukmien stehen derzeit folgende methodische Anstze im Vordergrund: F
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Die Zytogenetik, mit deren Hilfe eine Reihe charakteristischer chromosomaler Anomalien als Leukmiezellmarker (Tabelle 1) bzw. als klonale Progressionsmarker erfat werden kann. Im Hinblick auf das Monitoring residueller Leukmie sind aber die niedrige Sensitivitt (ca. 1:102) und die Abhngigkeit von der Prsenz mitotischer Zellen von Nachteil. Die FISH-Technik ermglicht bei mehr als 40% der AML-Patienten den Nachweis eines spezifischen Leukmiemarkers (Tabelle 1) in Interphasezellen (i.e. unabhngig von Mitosen im untersuchten Prparat). Die Sensitivitt ist aber in der Regel nicht hher als 1:102. ˜hnlich wie bei der CML knnte durch Optimierung der Methodik und vor allem durch die knftig zu erwartende, automatische Auswertung der Hybridisierungssignale im Zellkern die FISH als quantitatives Verfahren eine klinisch zunehmend wichtige Rolle spielen. Die Multiparameter-Flow-Zytometrie, die durch die Analyse von zellulren Antigenen den Nachweis aberranter Phnotypen bei leukmischen Zellen ermglicht, stellt eine relativ sensitive und quantitative Methode dar, mit der zur Zeit bei mehr als 50% der AML-Patienten ein charakteristisches Oberflchenmarkerprofil auf den leukmischen Blasten festgestellt werden kann (Sievers et al. 1996; San Miguel et al. 1997; Munoz et al. 2003). Die berwachung des leukmischen Klons mit Hilfe dieses Verfahrens ist derzeit auf einem Sensitivittsniveau zwischen 1:102 und 104 durchfhrbar. Allerdings stellt die mgliche ˜nderung des Oberflchenmarkerprofils whrend der Krankheitsprogression als Zeichen einer klonalen Evolution ein potentielles Problem dieser Methodik mit der Gefahr von falsch negativen Resultaten dar. Durch die Analyse multipler Antigene in jeder Patientenprobe kann diese Gefahr aber weitgehend reduziert werden. Methoden der Nukleinsa¨ure-Amplifikation, unter denen die PCR die meistverbreitete ist, sind unter allen derzeit verfgbaren Verfahren die sensitivste Mglichkeit der Detektion residueller Leukmiezellen. Die bisher molekular charakterisierten genetischen Vernderungen bei Patienten mit AML, die als spezifische Leukmiezellmarker heran-
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
393
Tabelle 1. Ha¨ufige translokationsassoziierte Genanomalien bei myeloischen Neoplasien. (Jaeger u. Kainz 2003) Erkrankung
Chromosomale Anomalie
GenRearrangement
Ha¨ufigkeit (%)* unselektiert*
selektiert
> 95
CML
t(9;22)(q34;q11)
BCR/ABL
AML
t(8;21)(q22;q22)
AML1/ETO
7–14
25 (M2)
t(15;17)(q22;q11–22)
PML/RARa
5–10
> 95 (M3)
inv(16)(p13q22)
GBFb/MYH11
3–10
> 95 (M4Eo)
MLL/Partnergen
10–20
> 30 (t-AML)
t(16;16) 11q23 und Partnergen * Bezogen auf alle AML.
gezogen werden knnen, ermglichen bei mehr als 40% der Flle die berwachung minimaler Residualerkrankung. Die verwendeten genetischen Marker sind groteils chromosomale Translokationen, die mit bestimmten FAB-Subtypen der AML assoziiert sind (Tabelle 1) und die, hnlich wie das BCR/ABL-Rearrangement bei der CML, ber die Expression von Fusions-mRNS-Transkripten mittels RT-PCR detektiert werden knnen. Die mit Hilfe einer zweistufigen PCR routinemig erreichbare Sensitivitt liegt zwischen 1:104 und 1:106, wobei relativ schlechte Empfindlichkeitswerte bei Genrearrangements erreicht werden, die auf einem niedrigen Niveau exprimiert werden. So wurde etwa bei Patienten mit einer t(15;17) (Tabelle 1), die mit der Expression von 3 verschiedenen Formen einer chimren PML/RARa-mRNS einhergeht (Kane et al. 1996), nur selten eine Sensitivitt von mehr als 1:104 erreicht, da die leukmischen Blasten sehr wenige Fusionstranskripte enthalten (Seale et al. 1996). Solange die Sensitivitt der Assays auf dieser Stufe lag, galt nur die Eradikation des leukmischen Klons, dokumentiert durch kontinuierliche PCR-Negativitt im Knochenmark, als prognostisch gnstiges Zeichen (Diverio et al. 1994). Die Verbesserung der Sensitivitt um 1…2 Grenordnungen, die durch den Nachweis des reziproken RARa/PML-Transkripts gelang, zeigte, da praktisch alle Patienten in Remission persistierende leukmische Zellen aufweisen (Seale et al. 1996; Tobal et al. 1995). Damit wird einerseits die klinische Relevanz hochempfindlicher PCR-Analysen in Frage gestellt und andererseits die mgliche Bedeutung quantitativer Analysen unterstrichen, mit deren Hilfe das Niveau und die Dynamik der Residualerkrankung berwacht werden knnen (Lo Coco et al. 1999).
7
394
7
Tumorpathologie
Im Unterschied zu AML-Patienten mit der t(15;17) weisen Patienten mit einer t(8;21) und dem AML1/ETO-Genrearrangement (Tabelle 1) die Expression einer einheitlichen Form chimrer mRNS auf. Diese genetische Anomalie charakterisiert einen AML-Typ mit relativ langsamer Proliferationskinetik. Die bisher vorliegenden Daten aus der berwachung residueller Leukmie zeigen eine Reihe von Parallelen zu den Beobachtungen bei CML-Patienten (Nucifora et al. 1993; Miyamoto et al. 1996; Marcucci et al. 2001): Leukmiezellen, die das Fusionsgen exprimieren, bleiben unter Therapie im Knochenmark und im peripheren Blut mit Hilfe der PCR praktisch immer nachweisbar, ohne da daraus Hinweise auf ein spteres Rezidiv abgeleitet werden knnen. Daher haben qualitative PCR-Analysen bei diesem Leukmietyp, hnlich wie bei der CML, offenbar keine prognostische Aussagekraft. Hingegen zeigen die bisher durchgefhrten Studien, da durch die berwachung der Patienten mit Hilfe quantitativer PCR eine frhzeitige Detektion eines expandierenden leukmischen Klons und somit der Nachweis eines inzipienten Rezidivs mglich ist (Tobal et al. 1996; Krauter et al. 1999; Krauter et al. 2001a; Lo Coco et al. 1999). Daten ber qualitative und quantitative PCR-Verlaufsanalysen liegen auch von AML-Patienten mit inv(16) und dem CBFb/MYH11-Genrearrangement vor, einem AML-Subtyp, der mit relativ gnstiger Prognose einhergeht. Die Fusionstranskripte sind sehr heterogen (Liu et al. 1995). Es existieren zumindest 8 Typen (A…H) von CBFb/MYH11-Fusionstranskripten, wobei der Typ A mit mehr als 80% die hufigste Form darstellt (Liu et al. 1995). Die hochgradige Heterogenitt der Fusionstranskripte stellt eine Herausforderung an die molekulare Diagnostik dar, und es ist derzeit noch unklar, ob die unterschiedlichen Transkriptformen eine biologische und klinische Bedeutung haben. Die bisher publizierten Daten ber das Monitoring residueller Leukmiezellen mit inv(16) beruhen auf Analysen kleiner Patientengruppen (Tobal et al. 1996; Hebert et al. 1994; Evans et al. 1997; van der Reijden et al. 2002; Guerassio et al. 2002; Krauter et al. 2001), aber es gibt Hinweise dafr, da quantitative PCR-Analysen auch bei dieser AML-Form von prognostischer Bedeutung sind. Whrend die PCR-Positivitt whrend der ersten 4 Monate nach Therapiebeginn mglicherweise keinen Einflu auf die Prognose hat, scheinen die Kinetik der Tumorzellreduktion und das Niveau der Residualerkrankung, die durch quantitative Analysen ermittelt werden knnen, mit der Rezidivgefahr zu korrelieren (Krauter et al. 2001; Buonamici et al. 2002; Marcucci et al. 2001). Darber hinaus konnten durch quantitative PCR-Untersuchungen im Verlauf der Erkrankung frhzeitige Hinweise auf ein drohendes Rezidiv gewonnen werden. Diese Beobachtungen sind immer noch als prliminr zu betrachten und mten im Rahmen grerer, prospektiver Studien verifiziert werden, um die Mglichkeit einer Therapiesteuerung mit Hilfe quantitativer diagnostischer Methoden einer kritischen Prfung zu unterziehen.
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
395
7
Abb. 2. Quantitativer Nachweis t(14;18)-positiver Zellen durch sogenannte „real-time-quantitative PCR“ (RTQ-PCR) an hochmolekularer genomischer DNS, pra¨pariert von t(14;18)-positiven Karpas-422Zellen und einem klonierten t(14;18)-DNS-Fragment, amplifiziert von dieser Zellinie. a Darstellung der Amplifikation (Fluoreszenzintensita¨t = RN/ [Zyklusnummer]), basierend auf einer Messung der Fluoreszenzintensita¨t (RN) in „real time“ aufgrund der Fluoreszenz freier Reportermoleku¨le. Zwischen 2 und 16 000 Kopienzahlen einer t(14;18)-Translokation wurden pro Test eingesetzt. Diese computergesteuerte Evaluation der Daten stammt von einem „ABI Prismj 7700 Sequence Detection“-System. b Diese Standardregressionsgeraden beruhen auf Experimenten mit genomischer Karpas-422-DNS und einem klonierten t(14;18)-DNS-Fragment. Die Darstellung zeigt die initialen Kopienzahlen, aufgetragen gegen den sogenannten ,threshold cycle (CT)“, das ist ein Zeitpunkt oder eine fraktionale Zykluszahl, bei der zum ersten Mal eine signifikante Fluoreszenzintensita¨t oberhalb des Backgrounds beobachtet wird. Hochmolekulare genomische DNS, quantifiziert u¨ber eine Bestimmung der optischen Dichte bei 260 nm, ergab eine vo¨llig identische Kurve mit der eines klonierten DNS-Fragmentes, dessen Konzentration u¨ber statistische Methoden und PCR-Analysen abgesichert wurde
396
7
Tumorpathologie
Neue Entwicklungen der PCR-Technologie haben einen ganz entscheidenden Fortschritt in der quantitativen PCR-Methodik gebracht. Zweifach Fluoreszenz-markierte DNS-Sonden, komplementr der Zielsequenz, machen es aufgrund der 3’,5’-Exonukleaseaktivitt der Taq-DNS-Polymerase mglich, die Generierung positiver Fluoreszenzsignale in stchiometrischer Beziehung zu amplifizierten DNS-Sequenzen whrend der PCR-Amplifikation zu verfolgen (sog. TaqManJ-Chemistry, Fa. ABI-Perkin-Elmer, Abb. 2). So ist eine exakte Quantifizierung von Ziel- und Referenzgenen, ausgehend von einer RNS- oder DNS-Prparation, mglich. Erfahrungen liegen fr die RT-PCR-Nachweise der BCR/ABL-Translokation bei CML und ALL, der t(8;21)-, t(15;17)-Translokation und der inv(16) bei der AML und verschiedener Referenzgene (z.B. GAPDH, PBGD) vor, auf dem DNS-Niveau sind Testprotokolle fr t(14;18) und mutierte K-ras-Allele im Vergleich zu den Referenzgenen b-Actin und Wildtyp K-ras etabliert (Dlken et al. 1998). Diese Methodik gestattet eine Quantifizierung eines Gens ber 5…6 log-Einheiten in einem einzigen Ansatz mit extremer Genauigkeit, so da jetzt die „Vorgeschichte“ der zu untersuchenden Probe, sei es Blut, Knochenmark und die schon prparierten DNS oder RNS, die wichtigste, hufig nur schwer kontrollierbare Variable ist. Neue molekulare Marker fr die MRD-Diagnostik zytogenetisch normaler AML-Flle stellen die Lngenmutationen des FLT3-Gens und die Rearrangements des MLL-Gens (partielle MLL-Tandem-Duplikationen) dar. Diese Vernderungen werden in etwa 25% aller AML-Flle gefunden, in denen keine der blichen PCR-fhigen Translokationen vorliegen. Die Sensitivitt der MLL-PTT-PCR ist jedoch mit 1:103 bis 1:104 nur relativ gering (Schnittger et al. 2002; Munoz et al. 2003). 2.3 Akute lymphatische Leuka¨mie (ALL) Die molekulargenetischen Nachweismethoden fr residuelle ALL-Zellen beruhen auf dem Nachweis ALL-assoziierter Chromosomenaberrationen [t(9;22); t(4;11)] und dem Nachweis klonaler Immunrezeptorgene (Ig; TCR) der malignen B- und T-Zellen (Tabelle 2). Die wesentlichste Bedeutung der genetischen Aberrationen bei der ALL als prtherapeutischer Risikofaktor besitzt die Translokation t(9;22), bei der bei erwachsenen ALL-Patienten nur eine Remissionsrate von etwa 60% und eine mediane Remissionsdauer von weniger als 10 Monaten erreicht werden knnen. Das leukmiefreie berleben in den meisten ALL-Studien des Erwachsenen liegt in dieser Patientengruppe bei 5…10%. >
Die Ph+-ALL weist eine stark steigende Inzidenz mit zunehmendem Alter auf und nimmt von weniger als 5% bei Kindern bis zu einem Anteil von etwa 50% bei Patienten ber 50 Jahre zu (Bartram 1995).
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
397
Tabelle 2. Hauptzielstrukturen fu¨r PCR-MRD-Analysen bei der ALL. (Campana et al. 1995; Breit et al. 1993; Bru¨ggemann et al. 2003) Junktionale IgH- und TcR-Regionena Gen
Precursor-B-ALL IgH VH-DH-JH TcR-c TcR-d
Vc-Jc ) Vd2-Dd3
Aberration
95
t(9;22)(q34;q11) BCR-ABL (mRNS)
Erwachsene: 30–50 Kinder: 5–8
t(1;19)(q23;p13) E2A-PBX1 (mRNS) t(4;11)(q21;q23) MLL-AF4 (mRNS)
3–8
55 50
Vb-Db-Jb Db-Jb
5 15
VH-DH-JH
15
TcR-c TcR-b
Vc-Jc Vb-Db-Jb Db-Jb
90 80 50
TcR-d
Vd1-Jd1 Vd2-Jd1 Vd3-Jd1 Dd2-Jd1 Vd2-Dd3 Dd2-Dd3
b c
TAL-1Deletionen
SIL-TAL-1 (DNS)
3–5
Erwachsene: 5–10 Kinder: 10–25
70
8 > > > >
> > > :
T-ALL IgH
Target (mRNS oder DNS)
Einsetzbar in (% der Fa¨lle)c
Einsetzbar in (% der Fa¨lle)c
Dd2-Dd3 TcR-b
Chromosomenaberrationenb
Die untere Nachweisgrenze beim Einsatz der PCR zum Nachweis von junktionalen Regionen rearrangierter Ig und TcR-Gene ist variabel und liegt bei 10–3 bis 10–6 und ist stark abha¨ngig vom „normalen polyklonalen Hintergrund“ sowie von Gro¨ße und Struktur der beteiligten N-D-N-JRegion. Die untere Nachweisgrenze bei der PCR-Analyse von Chromosomenaberrationen betra¨gt 10–5 bis 10–6 (Campana et al. 1995). Die angegebenen Prozentsa¨tze gelten nur fu¨r Fa¨lle von Precursor B-ALL und T-ALL.
Diese hohe Inzidenz von erwachsenen ALL-Patienten mit ungnstiger Prognose wird als Hauptgrund fr die schlechteren Therapieergebnisse im Vergleich zur kindlichen ALL angesehen. Bei der ALL werden zwei verschiedene, aus der t(9;22) resultierende BCR/ ABL-Fusionstranskripte gefunden, die sich durch RT-PCR nachweisen lassen:
7
398
7
Tumorpathologie
F
Das ALL-typische Transkript, das fr ein 190 kD groes Fusionsprotein kodiert (p190), F und ein CML-typisches Transkript, das fr das CML-typische p210 kodiert (Bartram et al. 1995). Whrend jedoch der Nachweis eines Philadelphia-Chromosoms bzw. des korrespondierenden BCR/ABL-Transkripts vor Therapiebeginn fr die Prognoseabschtzung von herausragender Bedeutung ist, ist der PCR-Nachweis des BCR/ABL-Fusionsgens in der Verlaufskontrolle bei konventioneller Therapie nur von eingeschrnktem klinischem Wert (Campana u. Pui 1995). Daher wird die BCR/ABL-PCR praktisch nur im Rahmen der autologen und allogenen Stammzelltransplantation und neuerdings auch zur Beurteilung des Effektes einer Therapie mit dem Tyrosinkinasehemmer STI571 (Imatinib; GlivecJ) eingesetzt (Campana u. Pui 1995; Stockschlader et al. 1995; Radich et al. 1997; Scheuring et al. 2003). Interessanterweise ist im Zeitraum von 100 Tagen nach allogener KMT bei qualitativer PCR-Bestimmung die Persistenz des CML-typischen Transkripts, verglichen mit positiven PCR-Befunden fr das ALL-typische p190-Transkript, mit einer hochsignifikant gnstigeren Prognose verknpft (Radich et al. 1997). Die beiden anderen mit 5…8% bzw. ca. 3% nchsthufigen Chromosomentranslokationen bei der ALL, die t(1;19)(q23;p13.3) (Campana u. Pui 1995; Borowitz et al. 1993) und die t(4;11)(q21;q23) (Campana u. Pui 1995), lassen sich ebenfalls durch RT-PCR nachweisen. Alle Flle von Ig-positiven B-ALL und Burkitt-Lymphomen weisen Translokationen unter Beteiligung des myc-Protoonkogens auf der Chromosomenregion 8q24 und den Immunglobulingenen, am hufigsten dem Schwerketten-Ig-Gen auf der Chromosomenbande 14q32, auf (Campana u. Pui 1995). Der PCR-Nachweis der t(8;14);t(2;14) oder t(22;14) bei der B-ALL ist jedoch schwierig, da die Bruchpunkte bei diesen Translokationen nicht in einem engen DNS-Bereich lokalisiert sind. Bei der T-Linien-ALL sind PCR-Techniken zum Nachweis der SIL-TAL-Rearrangements in 10…25% der Flle und der Translokationen t(11;14), t(1;14) und t(10;14) in 5…10% der Flle beschrieben worden (Campana u. Pui 1995). Die brigen bei der ALL des Erwachsenen gefundenen und mit der PCR amplifizierbaren Translokationen sind wesentlich seltener (Campana u. Pui 1995). Detaillierte Untersuchungen unter Einschlu einer gengend groen Patientenzahl sind lediglich fr die Translokation t(4;11) bekannt, allerdings wurde diese Translokation bisher selten zur MRD-Analyse eingesetzt (Campana u. Pui 1995). >
Mit Hilfe der PCR lassen sich in etwa 95% der ALL-Patienten fr MRDUntersuchungen geeignete klonale IgH- bzw. TCR-Rearrangements identifizieren (s. Tab. 2; Szczpanski et al. 2001).
Auf diesen Verfahren beruhende MRD-Untersuchungen wurden bisher jedoch fast ausschlielich bei der kindlichen ALL vorgenommen, die im Ver-
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
399
gleich zur ALL des Erwachsenen eine deutlich bessere Prognose und unterschiedliches biologisches Verhalten aufweist. Zustzlich unterscheiden sich die bei Kindern angewandten Chemotherapieprotokolle und prognostischen Untergruppen zum Teil erheblich von denen der ErwachsenenALL. Nur eine prospektive PCR-Studie an erwachsenen Patienten mit t(9;22)-negativer B-Vorlufer-ALL hat bisher an einer greren Patientenzahl die klinische Bedeutung der MRD untersucht (Mortuza et al. 2002). Die Resultate retrospektiver Untersuchungen von MRD bei der ALL zeigen folgende grundlegende Ergebnisse: F
F
F
Longitudinale Analysen zeigen deutliche intraindividuelle Unterschiede in dem Intervall zwischen dem Zeitpunkt des Erreichens einer klinisch kompletten Remission und der Eradikation der Leukmiezellen unter das Niveau der Nachweisgrenze der PCR. Diese Unterschiede in der Dynamik der Reduktion der malignen Zellen korrelieren nicht immer mit bekannten prtherapeutischen Risikofaktoren. Bei der Mehrzahl der Patienten ( 70%) sind residuelle Leukmiezellen in der Phase unmittelbar nach der Induktionstherapie (1 bis 6 Monate) nachweisbar. blicherweise werden mehrere Monate im Rahmen der Konsolidierungs- oder sogar bis zum Ende der Erhaltungstherapie bis zum Erreichen von PCR-Negativitt bentigt (Campana u. Pui 1995; Mortuza et al. 2002; Brggemann et al. 2000). Diese Untersuchungen belegen die Empfindlichkeit der PCR-Techniken und lassen auerdem vermuten, da eine Fortfhrung der Chemotherapie bei der ALL zumindest ber einen Zeitraum von etwa einem Jahr einen wichtigen antileukmischen, zytoreduktiven Effekt besitzt. Die Daten aus den frhen retrospektiven Untersuchungen bei Kindern belegen, da eine dauerhafte komplette Remission oder Heilung die Reduktion der relativen Zahl der Leukmiezellen unter ein Niveau von etwa 1:104 bis 105 gegen Ende der Chemotherapie voraussetzt (Campana u. Pui 1995). Die signifikanteste Anwendung der MRD-Messung ist jedoch die Evaluation des frhen Therapieansprechens. Ein Abfall des MRD-Niveaus unter 10…4 bzw. unter die PCR-Nachweisgrenze bis zum Ende der Induktionstherapie ist verbunden mit einer exzellenten Prognose. In verschiedenen Studien wiesen diese Patienten … je nach Untersuchungszeitpunkt und Therapieprotokoll … eine Rezidivrate von lediglich 2…10% auf (CoustanSmith et al. 2000, Cave et al. 1998; Nyvold et al. 2002, van Dongen et al. 1998). Rezidive whrend der Behandlungsphase lassen sich durch persistierende PCR-Positivitt auf relativ hohem Niveau (1:102 bis 103) bzw. durch einen Anstieg des klonspezifischen PCR-Produktes bis 12 Monate vor klinischer Manifestation vorhersagen (Campana u. Pui 1995; Brggemann et al. 2000; Campana et al. 2001).
7
400 F
F
7
Tumorpathologie
Wegen der Gefahr der Vernderung der klonalen Marker (sog. klonale Evolution) ist die Anwendung von mindestens 2 unabhngigen molekularen PCR-Markern pro Patient erforderlich, um zu verllichen Resultaten zu gelangen (van Dongen et al. 1998; Szczpanski et al. 2001). Bei Patienten mit „isoliertem ZNS-Rezidiv“ lassen sich mit der PCR regelmig okkulte Blasten im Knochenmark und/oder peripheren Blut finden als Hinweis auf frhe systemische Beteiligung. Diese Befunde belegen die Notwendigkeit fr systemische Therapien in dieser klinischen Situation (Goulden et al. 1994; Neale et al. 1994).
Diese retrospektiven Untersuchungen sind jedoch aus Grnden wie Patientenselektion, Einschlu unterschiedlicher Altersgruppen, biologisch unterschiedlicher ALL-Entitten und Therapiekontrollen usw. nur eingeschrnkt verwertbar. Krzlich wurden die Ergebnisse von prospektiven PCR-MRDStudien bei der kindlichen ALL publiziert. Die Untersuchungen (van Dongen et al. 1998; Campana et al. 2001) zeigten, da es bei den meisten Kindern zu einem raschen und kontinuierlichen Abfall der residuellen Tumorzellen unter das Nachweisniveau der PCR innerhalb der ersten 6…12 Monate nach Diagnose kam. Diese Kinder hatten eine exzellente Prognose. Dagegen wiesen Patienten, bei denen es zu einem verzgerten initialen Abfall oder zu einem Plateau auf hohem Niveau (etwa 1:103) der molekulargenetisch nachweisbaren Tumorzellen kam, ein extrem hohes Rezidivrisiko auf. Besondere Beachtung haben die seit 1998 von der europischen BFM-Studiengruppe verffentlichten Untersuchungen gefunden. Durch quantitative Bestimmung der MRD bei Kindern mit ALL konnten van Dongen et al. (1998) in diesen Analysen eine enge Korrelation zwischen dem quantitativen Niveau der MRD unmittelbar nach Ende der Induktionstherapie und der Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs bzw. Rezidivfreiheit aufzeigen. Fr erwachsene Patienten mit ALL liegen derzeit noch kaum vergleichbare Ergebnisse vor. Jedoch weisen die retrospektiven Untersuchungen der Arbeitsgruppen Morley/Australien, Foroni/England und derjenigen im Rahmen der GMALL-Studiengruppe/Deutschland (s. Kapitel 48) auf eine vergleichbare klinische Signifikanz der MRD-Bestimmungen bei der ALL der Erwachsenen hin (Mortuza et al. 2002; s. Kapitel 48). Die prognostische Bedeutung der MRD-Diagnostik bei der ALL behlt ihren Stellenwert offensichtlich nicht nur im Rahmen konventioneller Chemotherapie, sondern auch im Kontext der allogenen Stammzelltransplantation. So wurde krzlich gezeigt, da der MRD-Status unmittelbar vor der Konditionierungstherapie im Rahmen einer allogenen Stammzelltransplantation ein sehr starker Prdiktor fr das Ergebnis der Transplantation bei Kindern mit ALL ist (Bader et al. 2000).
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
401
3 Non-Hodgkin-Lymphome Die molekulargenetischen Nachweismethoden fr residuelle Lymphomzellen beruhen F
F
auf dem Nachweis NHL-assoziierter Chromosomenaberrationen [t(8;14)(c-myc); t(11;14)(bcl-1); t(14;18)(bcl-2) und t(3;14)(bcl-6)] und ihrer Varianten bei den B-Zell-Lymphomen sowie der t(2;5) bei den CD30-positiven Lymphomen und auf dem Nachweis klonal rearrangierter Immunrezeptorgene (Ig; TCR) der malignen B- und T-Zellen.
Die meisten bei den Non-Hodgkin-Lymphomen gefundenen Translokationen lassen sich mit der PCR nachweisen und werden bereits vielfach als empfindliche Tumormarker bei Lymphompatienten klinisch eingesetzt (Czuczman et al. 2001; Gribben u. Nadler 1994; Gribben et al. 1994; Harris et al.; Johnson et al. 1994; Kneba et al. 1991; Kneba 1994; Kneba et al. 1995a; Linke et al. 1995a u. 1995b; Lopez-Guillermo 1998; 2000; Pott et al. 1998; Price et al. 1991; Sarris et al. 2002; Rimokh et al. 1994). Neben den bei einem Teil der Lymphome gefundenen charakteristischen Chromosomenaberrationen weisen die Non-Hodgkin-Lymphome … wie die ALL … als Tumoren der B- und T-Zellen in nahezu allen Fllen charakteristische Umlagerungen (Rearrangements) der Immunglobulin(Ig)und der T-Zell-Antigenrezeptor(TCR)-Gene auf. Die Immungenrearrangements und Chromosomentranslokationen lassen sich wie bei der ALL auch bei den NHL mit Hilfe der PCR zum Nachweis von MRD verwenden. 3.1 Chromosomentranslokationen als molekulargenetische Tumormarker bei Lymphomen t(14;18)-Translokation
Die t(14;18)(q32;q21)-Translokation (bcl-2-Rearrangement) wurde 1984 unabhngig von den Arbeitsgruppen um Croce und Tsujimoto sowie Sklar und Weiss kloniert und ihre molekulare Struktur aufgeschlsselt. In der Folgezeit fanden amerikanische Arbeitsgruppen eine Assoziation dieser Translokation mit dem follikulren Keimzentrumslymphom (ca. 85% der Flle) und den diffus large cell-Lymphomen der Working Formulation (20…30% der Flle; bersicht in Harris et al. 1994). In Untersuchungen an einer groen Serie von Lymphomen wurden mittels Southern-Blot-Analyse und PCR (Eick et al. 1990; Kneba et al. 1991) die Lymphom-Entitten der Kiel-Klassifikation definiert, in denen sich eine t(14;18)-Translokation finden lt. Dabei hat sich die PCR als eindeutig empfindlichste Methode erwiesen. Jedoch lassen sich andererseits mit der PCR auch nicht alle Flle mit durch Zytogenetik oder Southern-Analyse nachgewiesener t(14;18)-
7
402
7
Tumorpathologie
Translokation identifizieren, da nicht alle Bruchpunktregionen von den eingesetzten PCR-Primern erfat werden (Kneba et al. 1991). Das klassische Lymphom mit einer t(14;18)-Translokation ist das CB-CC-Lymphom der Kiel-Klassifikation („follikulres Keimzentrumslymphom“ der REAL-Klassifikation (Kneba et al. 1991). Bei Kombination von PCR und Southern-BlotAnalyse zum Nachweis von Chromosom-18-Rearrangements mit Lage der Bruchpunkte im Bereich der sogenannten MBR (major breakpoint region) des bcl-2-Gens wird diese Translokation in 65% der Flle gefunden (Kneba et al. 1991). Das zweithufigste Cluster von Bruchpunkten (ca. 10…20% der Flle) liegt etwa 20 Kilobasenpaare von der MBR entfernt in der mcr (minor cluster region). Die breiteste Anwendung als sensitiver molekularer Tumormarker zur Bestimmung der MRD bei Lymphompatienten hat die t(14;18)PCR erlangt. So konnten Gribben et al. in wegweisenden Untersuchungen an Patienten mit fortgeschrittenen follikulren Lymphomen, welche eine mit der PCR nachweisbare t(14;18)-Translokation aufwiesen, die klinisch-prognostische Bedeutung dieses lymphomspezifischen molekulargenetischen Tumormarkers eindrucksvoll unter Beweis stellen (Freedman et al. 1996; Gribben et al. 1991; Gribben u. Nadler 1994; Gribben 2002). Bei 99,5% der Patienten mit t(14;18)-positiven Lymphomen war die t(14;18)-PCR in den Knochenmarkstammzellprparaten positiv. Bei der Hlfte dieser Patienten gelang es, durch In-vitro-Purging mit B-Zellantikrpern und Komplement PCR-negative Stammzellprparate zu erhalten. Diese Patientengruppe hatte ein signifikant lngeres rezidivfreies berleben als die Patienten, die ein PCR-positives Stammzellprodukt zurckerhalten hatten. Diese eindrucksvollen Daten der Bostoner Gruppe haben auch bei einer krzlich publizierten Langzeitanalyse Bestand (Gribben 2002). Bemerkenswerterweise konnte mittels PCR eine Zunahme zirkulierender t(14;18)-Zellen unmittelbar nach Reinfusion der PCR-positiven Stammzellprodukte beobachtet werden. ˜hnliche Befunde wurden von anderen Arbeitsgruppen gefunden, jedoch zeichnet es sich ab, da bei Verwendung noch sensitiverer Methoden fr die t(14;18)-PCR von anderen Arbeitsgruppen ein PCR-negativer Status auch nach Purging nur selten erreicht wird (Johnson et al. 1994; Leonard et al. 1998). Besonders bemerkenswert sind die Befunde einer kanadischen Arbeitsgruppe, die bei Patienten mit follikulren Lymphomen mit quantitativer t(14;18)-PCR erhalten wurden. Danach unterscheiden sich die aus peripherem Blut oder Knochenmark gewonnenen Blutstammzellprparate bei Mobilisation mit Cyclophosphamid und G-CSF nur unwesentlich in der Zahl ihrer residuellen Lymphomzellen (Leonard et al. 1998). ˜hnlich wie bei dem BCR/ABL-Fusionsgen und anderen leukmieassoziierten Translokationen (Biernaux et al. 1995; Tobal et al. 1995) wurden mit hochsensitiven PCR-Methoden t(14;18)-positive Zellen nicht nur bei Patienten mit follikulren Lymphomen in langfristiger kompletter Remission, sondern auch bei etwa 50% der untersuchten gesunden Kontrollper-
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
403
sonen gefunden (Dlken et al. 1996; Kneba et al. 1991; Finke et al. 1993; Ladetto et al. 2003; Price et al. 1991). Diese Beobachtung wirft im Hinblick auf den Nachweis der minimalen Resterkrankung die Frage nach der notwendigen und klinisch sinnvollen Sensitivitt der verwendeten Methoden auf. Das Niveau der t(14;18)-positiven Zellen bei gesunden Normalpersonen ist jedoch sehr niedrig, und diese Zellen sind nur mit speziell empfindlichen PCR-Verfahren nachweisbar. Auerdem weisen die PCR-Produkte bei der t(14;18) eine klon- und damit patientenspezifische DNS-Sequenz auf, die leicht bestimmt werden kann und sich zum lymphomspezifischen Nachweis eignet. Darber hinaus sind nichtneoplastische B-Zellen mit t(14;18) bei z.B. Karzinompatienten nach Chemotherapie nur selten nachweisbar (Ladetto et al. 2003). Daher ist die Gefahr falsch positiver t(14;18)-PCR-Befunde in der Diagnostik von Lymphompatienten bei korrekter Durchfhrung der PCR nicht relevant. t(11;14)-Translokation
Die Bruchpunktregionen der t(11;14)(q13;q32)-Translokation wurden ebenfalls 1984 von Tsujimoto und Croce kloniert. In der Folgezeit fanden amerikanische Arbeitsgruppen eine Assoziation dieser Translokation mit dem zentrozytischen Lymphom, welches spter als Mantelzell-Lymphom bezeichnet wurde, in zunchst 50%, spter in nahezu 100% der Flle (Harris et al. 1994; Ott et al. 1994 u. 1996; Pott et al. 1998; Rimokh et al. 1994). In eigenen Untersuchungen an einer Serie von Mantelzell-Lymphomen wurde mittels PCR eine t(11;14)-Translokation in ca. 40% der Flle gefunden (Pott et al. 1998). MRD-Bestimmungen bei Patienten mit Mantelzell-Lymphomen mittels t(11;14)-PCR erbrachten den Nachweis residueller Lymphomzellen in kompletter Remission und in Blut- oder Knochenmarkstammzellprparaten in praktisch allen Fllen. Im Gegensatz zu den follikulren Lymphomen mit t(14;18) war es nicht mglich, durch In-vitro-Purging PCR-negative Stammzellprparate zu erhalten (Corradini et al. 1997; Freedman et al. 1998; Pott et al. 1998). Dagegen konnte in einer eigenen kleinen Serie vom Mantelzell-Lymphompatienten in 6 von 17 Fllen durch Hochdosistherapie ein PCR-negativer Status erreicht werden. Diese Patienten hatten eine sehr gnstige Prognose (Pott et al. 2002). t(3;14)-Translokation und ihre Varianten t(2;3) und t(3;22)
Diese Translokationen mit Beteiligung der Chromosomenbande 3q27 (bcl6-Rearrangement) wurden erst krzlich detailliert untersucht. Bcl-6-Rearrangements sind mit etwa 40% die am hufigsten bei diffusen grozelligen B-Zell-Lymphomen gefundenen genetischen Aberrationen. Lymphome, die diesen Marker tragen, zeichnen sich offensichtlich durch eine exzellente Prognose aus (Offit et al. 1994). Generelle und breit einsetzbare Methoden
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Tumorpathologie
zum PCR-Nachweis der bcl-6-Umlagerungen und deren Einsatz in der MRD-Bestimmung sind wegen der breiten Streuung der chromosomalen Bruchpunkte bisher nicht beschrieben worden. t(2;5)-Translokation
Diese Translokation ist typisch fr die sogenannten klassischen grozellig anaplastischen T- und Null-Zell-Lymphome (Weissenburger et al. 1996). Der PCR-Nachweis des resultierenden AKL-PRM-Fusionsgens ist mglich. MRD-Untersuchungen liegen hiermit jedoch nicht vor. 3.2 IgH- und TCR-Rearrangements als molekulargenetische Tumormarker bei Lymphomen Bei den Lymphomen, die keine mit der PCR amplifizierbare Chromosomentranslokationen tragen, lassen sich mit der PCR in ca. 60…95% der Flle IgHund/oder TCR-Rearrangements nachweisen (Kneba et al. 1994; Kneba et al. 1995; Linke et al. 1997). Diese wurden bereits vielfach zum Nachweis von MRD in Blut, Knochenmark und Blutstammzellprparaten bei niedrigmalignen B-Zell-Lymphomen (Freedman et al. 1998; Corradini et al. 1997), bei der B-CLL (Freedman et al. 1996; Dreger et al. 1998), beim multiplen Myelom (Bird et al. 1994; Corradini et al. 1995) und seltener auch bei T-Zell-Lymphomen eingesetzt. Untersuchungen bei hochmalignen Lymphomen liegen bisher kaum vor.
4 Nachweis und Bedeutung der minimalen Resterkrankung beim Plasmozytom Der Nachweis minimaler Resterkrankung beruht beim multiplen Myelom (MM) v.a. auf folgenden Techniken: F
der Multiparameter-Durchfluzytometrie, die durch die Analyse verschiedener zellulrer Antigene den Nachweis aberranter Phnotypen ermglicht und eine sensitive Methode mit einer Nachweisgrenze von bis zu 1:105 zur quantitativen MRD-Bestimmung darstellt (Almeida et al. 1999; San Miguel et al. 2002). Ein charakteristisches Oberflchenmarkerprofil existiert fr ca. 90% der MM-Patienten, die wichtigsten aberranten Kriterien sind: berexpression von CD56 (62%), CD28 (16%) und CD33 (6%) sowie die asynchrone Expression von CD117 (28%), sIg (21%) und CD20 (10%) (Almeida et al. 1999). Die durchfluzytometrische Analyse des DNS-Gehaltes ist ein zustzlicher Ansatz zum MRD-Nachweis, die Inzidenz der Aneuploidie als spezifischem Tumormarker liegt beim Plasmozytom bei ca. 60% (Almeida et al. 1999; Nowak et al. 1999).
7.2
Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
405
F
Methoden der Nukleinsureamplifikation, bei denen als Marker der PCR, wie schon bei den Lymphomen beschrieben, die klonale Umlagerung der Immunglobulin-Schwere-Ketten-Gene (IgH) dient. Billadeau et al. (1992), Bird et al. (1994) und Corradini et al. (1995) detektierten molekulargenetisch Plasmozytomzellen in 70…100% der Flle bei Diagnosestellung mit einer Nachweisgrenze von 10…3 bis 10…6 je nach verwendeter Methode. Neben qualitativen Analysen ermglicht das relativ neue Verfahren der „real time“-PCR eine sensitive, spezifische und reproduzierbare quantitative MRD-Detektion bei MM-Patienten (Rasmussen et al. 2000) Die klinische Bedeutung als Therapiekontrolle bei Anwendung klassischer Therapieschemata ist jedoch gering, da auch nach Ansprechen auf die Therapie in der Regel eine Tumorzellmasse von 1010 bis 1011 MM-Zellen persistiert (Almeida et al. 1999) und die residuelle Erkrankung in 90…99% der Flle auch ber konventionelle Parameter wie Knochenmarkmorphologie und den Nachweis des M-Gradienten in der Serum- und/oder Urinelektrophorese erfat werden kann (Tricot et al. 1996). Erst durch den Einsatz von Hochdosistherapien mit autologer Stammzelltransplantation konnte in 30…50% der Patienten eine komplette Remission (vlliges Verschwinden der Serum-M- und/oder Harn-M-Komponente … auch in der Immunfixationselektrophorese) erreicht werden (Bataille et al. 1997). Molekulargenetisch wird jedoch auch in diesen Fllen in einem Groteil der Patienten weiterhin der maligne Zellklon nachgewiesen (Billadeau et al. 1997; Corradini et al. 1995, 1999; Martinelli et al. 2000). In Untersuchungen von Martinelli et al. (2000) wiesen die wenigen Patienten in molekularer Remission (PCR-Negativitt zu mindestens zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten bei 5 von 30 untersuchten Patienten) ein verlngertes rezidivfreies berleben auf. In anderen Studien mit qualitativer MRDDetektion konnte die MRD bisher jedoch nicht als prognostisch signifikanter Marker identifiziert werden (Davies 2001). Quantitative Analysen von Bjrkstrand et al. (1995) deuten darauf hin, da die Zunahme des spezifischen PCR-Produkts prdiktiv fr ein klinischen Rezidiv ist, was Bedeutung fr evtl. Erhaltungstherapien haben knnte. In vergleichenden Untersuchungen von peripherem Blut und Knochenmark (KM) zeigt sich, da auch bei deutlicher Reduktion der Tumorlast im KM um bis zu vier Zehnerpotenzen die Menge zirkulierender MM-Zellen relativ konstant bleibt, so da das periphere Blut mglicherweise ein Kompartiment darstellt, das auch durch intensive Therapien wenig beeinflut wird (Billadeau et al. 1992, 1997; Bird et al. 1994; Corradini et al. 1995). Neben der Persistenz von chemotherapieresistenten Myelomzellen wird als Ursache fr die hohe Rezidivrate nach autologer Stammzelltransplantation eine Tumorzellkontamination des Stammzellprparats diskutiert (Tricot et a. 1996; Almeida et al. 1999; Nowak et al. 1999). Molekular-
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Tumorpathologie
genetisch und durchfluzytometrisch werden im Aphereseprodukt in 40 bis ber 90% der Flle kontaminierende klonale Zellen nachgewiesen (Dreyfus et al. 1995; Corradini et al. 1999; Nowak et al. 1999), in einer Studie von Martinelli et al. (2000) in 100% der ungereinigten, aber auch in 80% der gepurgten Prparate. Ihr Anteil wird im Mittel mit 0,1…1% angegeben (Tricot et al. 1996). Die allogene Knochenmark- oder Stammzelltransplantation bietet u.a. den Vorteil der Applikation von tumorfreien hmatopoietischen Vorluferzellen. Unmittelbar nach Transplantation ist MRD noch hufig nachweisbar und scheint nicht prdiktiv fr ein spteres Rezidiv zu sein (Bird et al. 1993, Martinelli et al. 2000). Die Zeit bis zur PCR-Konversion liegt im Median bei 12 Monaten und wird von ca. 50…70% der Patienten in CR erreicht (Corradini et al. 1999; Martinelli et al. 2000; Cavo et al. 2000). Daten von Martinelli et al. (2000) deuten auf ein verlngertes rezidivfreies berleben von Patienten in molekularer Remission hin. Bisherige retrospektive Analysen weisen jedoch nur geringe Fallzahlen und relativ kurze Nachbeobachtungszeiten auf, so da prospektive Untersuchungen auch mit quantitativer MRD-Bestimmung zur Definition evtl. prognostisch relevanter Schwellenwerte zunehmende Bedeutung erhalten.
5 Solide Tumoren der Erwachsenen 5.1 Grundlagen Maligne Tumoren epithelialer Gewebe stellen die Mehrzahl aller Krebsneuerkrankungen dar und verursachen auch das Gros aller krebsbezogenen Todesflle in den westlichen Industrielndern. Aufgrund der Fortschritte in der Chirurgie dieser Tumoren wird die Mortalittsrate zunehmend durch die frhzeitige und zum Zeitpunkt der Primrdiagnose meist okkulten Tumorzelldisseminierung bestimmt. Detektionstechniken
Whrend sich mit der konventionellen histopathologischen Methodik bereits mikrometastatische Tumorzellaggregate nachweisen lassen, entziehen sich einzelne disseminierte Karzinomzellen im Knochenmark jedoch weitgehend einer zytologisch eindeutigen Identifizierung. In den letzten Jahren gelang es, sensitivere immunzytochemische und molekulare Nachweisverfahren zu entwickeln, mit denen die Identifikation einzelner disseminierter Tumorzellen aufgrund qualitativer Merkmale in Organen fern vom Primrtumor mglich wurde. Da einige epitheliale Tumoren bevorzugt Skelettmetastasen entwickeln, bietet es sich an, dieses relativ leicht zugngliche Kompartiment durch Beckenkammaspirationen direkt zu explorieren. Darber hinaus ist der Markraum als ein Ort eines besonders intensiven
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
407
Zellaustausches zwischen zirkulierendem Blut und mesenchymalem Interstitium anzusehen. Immunzytochemie: Die immunzytochemische Analyse ist in den letzten
Jahren von verschiedenen Arbeitsgruppen entwickelt und in bezug auf ihre klinische Relevanz validiert worden. Die Wahl des Markerproteins bestimmt entscheidend die Qualitt der immunzytochemischen Analyse. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, da Zytokeratine als integrierte Bestandteile des Zytoskeletts epithelialer Zellen stabil exprimierte Merkmale in Tumorzellen sind, die mit spezifischen monoklonalen Antikrpern in einzelnen Karzinomzellen eindeutig nachweisbar sind. Muzinhnliche, sogenannte tumorassoziierte Zellmembranproteine sind wegen ihrer Expression durch hmatopoetische Zellen fr die Analyse dagegen weniger gut geeignet. Die zahlreichen negativen Befunde an Patienten ohne nachweisbare maligne Erkrankung zeigen, da in Knochenmarkzellen eine ektope Expression von Zytokeratinen nur sehr selten nachweisbar ist (Pantel et al. 1996; Pantel et al. 2001). Bei Patienten mit verschiedenen Primrkarzinomen im Stadium M0 finden sich einzelne epitheliale Zellen im Knochenmark in etwa 20…40% (Tabelle 3). Hierbei weist die Mehrzahl der analysierten Karzinompatienten weniger als 10 CK18+-Tumorzellen pro 106 Knochenmarkzellen auf. Polymerasekettenreaktion: In den letzten Jahren kamen molekulare Nachweis-
verfahren vermehrt zum Einsatz, um disseminierte Tumorzellen in Organen fern vom Primrtumor zu identifizieren. Prinzipiell kann die (c)DNS disseminierter Tumorzellen mittels der Polymerasekettenreaktion (PCR) millionenfach vermehrt werden, so da auch geringste Mengen solcher Tumorzellen fr ihren Nachweis ausreichen. Voraussetzung hierfr ist jedoch, da die Tumorzelle spezifische Vernderungen in ihrem Genom oder ihrem mRNS-Expressionsmuster aufweist, die sie von den umgebenden hmato-
Tabelle 3. Prognostische Relevanz von Karzinomzellen im Knochenmark Tumorart
Marker
Detektionsrate (%)
Prognostischer Wert (n Studien)
Mammakarzinom
Mucin, Zytokeratin
25–43
DFS, OS (4)
Kolorektalkarzinom
Zytokeratin
31–32
DFS (2)
Magenkarzinom O¨sophaguskarzinom
Zytokeratin
35–60
DFS (3)
Zytokeratin
41
DFS, OS (1)
40–60
DFS (3)
Bronchialkarzinom Zytokeratin ¨ DFS rezidivfreie Uberlebenszeit; OS Gesamtu¨berlebenszeit.
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Tumorpathologie
poetischen Zellen unterscheidet. Neben Mutationen im p53-Tumorsuppressorgen oder im Ki-ras-Onkogen erfhrt besonders der weniger aufwendige Nachweis tumorspezifisch exprimierter mRNS-Spezies eine breitere Anwendung. Hierbei wird die mRNS der Zellen mittels der reversen Transkriptase (RT) in cDNS umgeschrieben und die cDNS in der anschlieenden PCR vervielfacht. Als Marker wurden u.a. eingesetzt: F F F F F F
Zytokeratine, Muzine, karzinoembryonales Antigen, epidermaler Wachstumsfaktorrezeptor, prostataspezifisches Antigen, prostataspezifisches Membranantigen.
Obwohl der RT-PCR-Ansatz sicherlich ein groes Potential fr eine zuknftige klinische Anwendung besitzt, scheint momentan die Spezifitt des Tumorzellnachweises die grte Hrde darzustellen (Zippelius et al. 1997). Neben diesem methodischen Aspekt mte in zuknftigen klinischen Studien die prognostische Bedeutung dieser RT-PCR-Assays berprft werden; erste Ergebnisse beim Kolonkarzinom mit einem RT-PCR-Assay fr Zytokeratin-20-mRNS weisen auf eine solche Bedeutung hin (Soeth et al. 1997). Als Marker wurden eine Reihe von Genen eingesetzt (Tabelle 4), wobei bercksichtigt werden mu, da nur fr das Melanom, das Prostatakarzinom und das Neuroblastom ausreichende Studien vorliegen, die zeigen, da die benutzten Gene so tumorspezifisch exprimiert werden, da sie die Anforderungen fr PCR-Diagnostik erfllen. Fr den Nachweis von Sarkomen sind ebenfalls geeignete Marker vorhanden, nmlich tumorspezifische Fusionstranskripte, allerdings sehr spezifisch nur fr einige Sarkomsubtypen. Fr viele andere Tumoren sind noch keine universell geeigneten Gene gefunden, so da der PCR-Ansatz, der ein groes Potential fr zuknftig klinische Anwendung besitzt, momentan hier keine ausreichende Spezifitt besitzt (Zippelius et al. 1997). Auf die Tumoren mit klar definierten tumorspezifisch exprimierten Genen wird am Schlu dieses Kapitels detaillierter eingegangen. Durch Kombination von Immunzytologie mit molekulargenetischen Techniken konnte krzlich eindrucksvoll die ausgeprgte genetische Heterogenitt einzelner mikrometastatischer Tumorzellen bei individuellen Patienten demonstriert werden (Klein et al. 2002). Die Untersuchungen geben erstmals schlssige Hinweise darauf, da die Selektion klonal expandierender Zellen, die zur Entstehung von Makrometastasen fhren, erst nach der Dissemination mikrometastatischer Tumorzellen stattfindet. Die Untersuchungen weisen auch darauf hin, da adjuvante Therapieverfahren mit einem extrem groen Reservoir heterogener mikrometastatischer Zellen
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
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Tabelle 4. Markergene, die fu¨r den RT-PCR-Nachweis minimaler Resterkrankung solider Tumoren benutzt bzw. erprobt werden Tumorart
Markergen
Melanom
Tyrosinase, MelanA/MART1, TRP, MUC18, MAGE-3
Prostatakarzinom
OSA, PSM
Neuroblastom
Tyrosin-hydroxylase, N-CAM, PGP 9.5, MAGE
Sarkome Ewing-Sarkom Aleveola¨res Rhabdomyosarkom Myxoides Liposarkom *
EWSFLI-1 PAX3/FKHR oder PAX7/FKHR FUS/CHOP
Gastrointestinale Karzinome Magen Pankreas Kolon/Rektum
*
CEA Mutiertes K-ras CEA, CK20, GCC, CD44 Varianten, mutiertes K-ras
Hepatozellula¨res Karzinom
AFP, Albumin
Mammakarzinom
CK19, CK20, CEA, EGF-R, maspin
* *
* *
Kopf-Hals-Tumoren
Mutiertes p53
Bronchialkarzinom
NSE, Bombesin, mutiertes ras oder p53
konfrontiert werden, von denen resistente Tumorzellen selektioniert werden knnen. Mikrometastatische Zellen epithelialer Tumoren im Knochenmark haben zudem ein sehr heterogenes proliferatives Potential (Solakoglu et al. 2002). Klinische Relevanz der ha¨matogenen Disseminierung
Obwohl verschiedene Arbeitsgruppen die prognostische Relevanz des immunzytochemischen Nachweisverfahrens durch prospektive klinische Studien besttigen konnten (Tabelle 3), wurden von einigen Autoren Zweifel an der Aussagekraft der Methode geuert. Eine genauere Analyse dieser Berichte zeigt jedoch, da die angewandten Techniken sich in ihrer Reproduzierbarkeit erheblich unterscheiden. Dies mag auch die unterschiedlichen Detektionsraten von 4…45% erklren, die z.B. fr das Mammakarzinom publiziert worden sind. Es ist also notwendig, die kritischen Variablen der immunzytochemischen Methode zu definieren und eine Standardisierung einzufhren, um eine genauere und reproduzierbare Bestimmung der residualen Tumorzellzahl zu ermglichen. Eine aktuelle bersicht ber den gegenwrtigen Stand des MRD-Nachweises bei Patienten mit soliden Tumoren unter besonderer Bercksichtigung der Kontamination von Blutstammzellprparaten mit Tumorzellen und technischen Aspekten der Detektionstechniken findet sich bei Ross (1998).
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Tumorpathologie
In mehreren Studien wurde das Ergebnis von immunzytochemischen Knochenmarkassays als ein von konventionellen Risikofaktoren unabhngiger prognostischer Faktor durch multivariate Analysen erhrtet (Tabelle 3). Besonders interessant ist die beobachtete Korrelation zur Gesamtrezidivrate, da beim Kolonkarzinom klinisch manifeste Skelettmetastasen sehr selten sind. Die Prsenz epithelialer Zellen im Knochenmark scheint somit eher ein Indikator fr eine frhe systemische Tumorzelldisseminierung zu sein, wobei das Wachstum im Knochenmark oder in anderen Organen vom jeweiligen Milieu determiniert wird. Quantitative Analysen beim Mamma- und Magenkarzinom weisen auf die Bedeutung der minimalen residualen Tumorzellmasse hin. Zudem wurde beim Magenkarzinom auf den hohen prognostischen Wert von Knochenmark-Nachuntersuchungen hingewiesen (Heiss et al. 1995). Die groe prognostische Bedeutung Zytokeratin-positiver Zellen im Knochenmark bei Patientinnen mit Mammakarzinom in den Stadien I, II und III wurde krzlich eindrucksvoll besttigt (Braun et al. 2000). Der ber einen Zeitraum von 2 Jahren wiederholte Nachweis von Tumorzellen im Knochenmark von Patienten mit operablem Magenkarzinom hatte hierbei sogar eine grere prognostische Aussagekraft als der primre Nachweis disseminierter Zellen am Tage der operativen Entfernung des Primrtumors. Auch im peripheren Blut lassen sich zirkulierende Tumorzellen nachweisen. Als Monitorverfahren ist die wiederholte Abnahme von Blutproben der sequentiellen Aspiration von Knochenmark berlegen. Die klinische Bedeutung von zirkulierenden Karzinomzellen ist jedoch unklar. Eine vergleichende Analyse von Knochenmark- und Blutproben von Patienten mit Kolonkarzinomen zeigte, da lediglich der Knochenmarkbefund prognostisch relevant war (Soeth et al. 1997). Klinische Relevanz der lymphogenen Disseminierung
Die frhe hmatogene Tumorzellaussaat stellt zwar einen bevorzugten Metastasierungsweg dar, doch hat auch der zweite Ausbreitungsmodus, die lymphogene Disseminierung, eine groe klinische Bedeutung. Neuere Studien bei Patienten mit Kolon-, Bronchial- und sophaguskarzinom haben die Unabhngigkeit des prognostischen Wertes immunzytochemischer Lymphknotenassays besttigt (Passlick et al. 1994; Izbickie et al. 1997). Diese Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit der zustzlichen Erfassung einer Lymphknotendisseminierung. Die Etablierung der immunhistochemischen oder molekularen Analyse von histopathologisch tumorfreien Lymphknoten knnte somit zur Verbesserung des Tumorstagings beitragen und mglicherweise zur Etablierung neuer Medikationskriterien fr eine adjuvante Therapie fhren.
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
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Schlußfolgerung und Ausblick
Die ermutigenden Ergebnisse der bisherigen Studien zur prognostischen Relevanz von disseminierten Tumorzellen im Knochenmark haben schon Einzug in die Nomenklatur des UICC-Stagings erhalten. Das pathohistologische Gutachten sieht derzeit optional im Sinne eines erweiterten Tumorstagings die Erfassung von Mikrometastasen (Zusatz: mi) und isolierte Tumorzellen (Zusatz: i) in der pTNM-Klassifikation vor. Fr die adjuvante Therapiesituation gilt, da sich ein Erfolg oder Mierfolg erst nach einer mehrjhrigen Beobachtungszeit abschtzen lt. Die Frage erhebt sich, ob Kontrolluntersuchungen des Knochenmarks und des peripheren Blutes unter einer Therapie Hinweise auf die Wirksamkeit des jeweiligen therapeutischen Ansatzes geben knnen. Derartige Monitoring-Verfahren stehen fr klinische Therapiestudien bei soliden Tumoren noch nicht zur Verfgung, wrden jedoch ein besonders wertvolles Instrument darstellen. Im Gegensatz zu soliden Metastasen stellen isolierte mikrometastatische Tumorzellen aufgrund ihrer Zugnglichkeit fr Makromolekle und immunkompetente Effektorzellen geeignete Ziele fr intravens applizierte Therapeutika dar. Der berwiegend nicht mitotisch aktive Zustand (G0-Phase) dieser Tumorzellen korrespondiert mit der z.T. ausgedehnten Latenzphase („dormancy“) bis zur fernmetastatischen Rezidivierung und knnte eine Ursache fr das Versagen einer adjuvanten Chemotherapie sein. Daher rcken adjuvante Therapiestrategien, die auch gegen ruhende Zellen wirksam sind … wie z.B. Antikrpertherapien … zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. 5.2 Melanom 1991 beschrieben Smith et al. einen RT-PCR-Assay zum Nachweis zirkulierender Melanomzellen durch Amplifikation von Tyrosine-mRNS, einem gewebsspezifischen normalen Gen. Auf diese Arbeit folgte eine rasch ansteigende Zahl von Publikationen, die die Amplifikation gewebsspezifischer Genexpression fr den Nachweis okkulter Tumorzellen beim Melanom und auch bei anderen soliden Tumoren benutzten. In Melanozyten und Melanomzellen wird eine Reihe von Genen spezifisch exprimiert, die fr melanosomale Proteine kodieren. Tyrosinase ist das erste Enzym der Melaninbiosynthese und katalysiert die Konversion von Tyrosin zu Dopa und Dopaquinon. Die Expression von Tyrosinase-RNS nimmt whrend der Tumorprogression zu (De Vries et al. 1997), so da dieses Markergen von den meisten Arbeitsgruppen zum Nachweis zirkulierender Melanomzellen benutzt wird. Da Melanozyten im peripheren Blut nicht zirkulieren, sind melanozyten-/melanomspezifisch exprimierte Gene ideale Markergene fr den Nachweis im Blut zirkulierender Melanomzellen. Neben der Tyrosinase werden die Gene MelanA/MART1, Tyrosine related protein (TRP), MUC 18 und MAGE untersucht oder in Multiplex-PCR-Anstzen mehrere
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Tumorpathologie
dieser Markergene gleichzeitig. Es konnte jedoch bislang nicht gezeigt werden, da eines der anderen Gene einen Vorteil gegenber der Tyrosinase als Markergen hat. Bei Patienten mit regional begrenzten Tumorstadien ist der Nachweis zirkulierender Tumorzellen besonders interessant, um das Risiko fr die Entwicklungen von Fernmetastasen einschtzen zu knnen. Hierzu liegen eine Reihe von Studien vor (Smith et al. 1991; Hoon et al. 1995; Reinhold et al. 1997). Der Prozentsatz von Patienten mit Nachweis zirkulierender Tumorzellen korrelierte in den meisten Untersuchungen klar mit dem Erkrankungsstadium. Alle Untersuchungen weisen jedoch nur eine begrenzte Patientenzahl auf, und wegen unterschiedlicher Patientenselektion ist ein Vergleich der Resultate schwierig. Von zwei Gruppen wurde bereinstimmend gezeigt, da der Nachweis zirkulierender Tumorzellen in frhen Tumorstadien des Melanoms von prognostischer Bedeutung ist. Battyani et al. (1995) zeigte, da Patienten mit positiven PCR-Befunden eine hhere Rezidivrate innerhalb von vier Monaten nach Resektion regionaler Lymphknotenmetastasen hatten, und Mellado et al. (1996) zeigte in einer prospektiven Untersuchung, da der Nachweis von Tyrosinasetranskripten im peripheren Blut bei Patienten mit Stadium UICC II und III ein unabhngiger schlechter prognostischer Faktor war. Grere prospektive Untersuchungen sind jetzt notwendig und werden, z.B. im Rahmen einer EORTC-Studie, derzeit durchgefhrt, F F
um den prognostischen Wert der PCR-Assays an groen Kollektiven zu besttigen und um zu untersuchen, ob der molekulare Nachweis minimaler Tumordissemination eine therapeutische Implikation hat.
Auerhalb von klinischen Studien kann, trotz der durch mehrere Studien nachgewiesenen prognostischen Relevanz des PCR-Nachweises zirkulierender Tumorzellen, noch nicht empfohlen werden, das „molecular staging“ als Grundlage fr therapeutische Entscheidungen heranzuziehen. Bei Patienten mit systemisch metastasiertem Melanom haben mehrere Arbeitsgruppen erwartungsgem bei einem hohen Prozentsatz der unbehandelten Patienten mit RT-PCR zirkulierende Melanomzellen im peripheren Blut nachweisen knnen, entweder durch Amplifikation der TyrosinasemRNS (Smith et al. 1991; Brossart et al. 1993; Mellado et al. 1996) oder durch kombinierten Nachweis mehrerer Markergene (Hoon et al. 1995). Andere Gruppen haben allerdings ber viel niedrigere Frequenzen okkulter Tumorzellen im Stadium IV berichtet (Battyani et al. 1995; Foss et al. 1995; Reinhold et al. 1997; Kunter et al. 1996; Pittmann et al. 1996; Brossart et al. 1995). Der Grund fr diesen Unterschied ist nicht klar. In allen Untersuchungen wurde gezeigt, da der PCR-Assay selbst eine einzelne Melanomzelle in 10 ml Blut nachweisen kann, allerdings gab es groe methodische Unter-
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schiede bei den Pr-PCR-Analyseschritten (Probenvorbereitung und cDNSSynthese). Unabhngig von der Heterogenitt zeigen mehrere Studien interessante Ergebnisse: F
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F
F
In einer Untersuchung konnte durch semiquantitative PCR eine Assoziation zwischen Intensitt des PCR-Signals und der Tumormasse der Patienten gezeigt werden (Brossart et al. 1995). Zwei weitere Studien haben bereinstimmend gezeigt, da Patienten mit positivem PCR-Ergebnis eine besonders rasche Progression der Erkrankung zeigten (Battyani et al. 1995; Kunter et al. 1996). Bei einer kleinen Gruppe von Melanompatienten, die nach einer Behandlung mit Interferon-a und Interleukin-2 in langanhaltender kompletter Remission waren, waren ber einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren zirkulierende Tumorzellen in der Regel ohne klinisch erkennbares Rezidiv nachweisbar (Brossart et al. 1995). Semiquantitative Untersuchungen zeigten eine sehr niedrige Konzentration von Tyrosinasetranskripten im peripheren Blut dieser Patienten.
Es ist bislang nicht klar, ob beim Melanom, wie bei Hmoblastosen, ein Anstieg der Signalintensitt ein frher Indikator fr ein Erkrankungsrezidiv sein knnte. Der molekularbiologische Nachweis zirkulierender Tumorzellen ist bei soliden Tumoren insgesamt unzureichend standardisiert, was zum Teil zu sehr heterogenen Ergebnissen in der Literatur fhrt. Vor einer Anwendung dieser Assays auerhalb klinischer Studien ist daher zustzlich notwendig, zur Qualittskontrolle regelmige Ringversuche durchzufhren. Ein erster Ringversuch wurde bereits durch die EORTC-Melanomgruppe berichtet und hat gezeigt, F F
da prinzipiell bereinstimmende Ergebnisse in unterschiedlichen Laboratorien erzielt werden knnen und da die grten Unterschiede nicht durch unterschiedliche PCR-Verfahren, sondern durch unterschiedliche Probenaufarbeitung fr die PCR entstehen (Keilholz et al. 1998).
Durch die Entwicklung interner Standards, die auch die Pr-PCR-Prozeduren kontrollieren, sind hier wesentliche Fortschritte zu erwarten. 5.3 Prostatakarzinom Bei Patienten mit Prostatakarzinom wre es sehr interessant, das Metastasierungspotential des Tumors frhzeitig zu erkennen. Fr serologische Untersuchungen zur Verlaufskontrolle werden sowohl das prostataspezifische Antigen (PSA) als auch das prostataspezifische Membranantigen (PSM) be-
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nutzt. Whrend PSA whrend der Tumorprogression herunterreguliert werden kann, steigt der Expressionslevel von PSM whrend der Progression eher an. Androgene fhren zu einer verstrkten Expression von PSA und regulieren die Expression von PSM herunter. Daher fhrt die bliche therapeutische antiandrogene Therapie zu einer vermehrten Expression von PSM-RNS in Prostatakarzinomzellen, im Gegensatz zur verminderten Expression von PSA-RNS. Aus diesen berlegungen sollte PSM ein exzellentes Kandidatengen zum Nachweis von okkulten Prostatakarzinomzellen sein, whrend PSA ebenso spezifisch, aber weniger sensitiv sein sollte. Mehrere Gruppen haben RT-PCR-Assays zum Nachweis von PSA und PSM-mRNS etabliert (Moreno et al. 1992; Deguchi et al. 1993; Israeli et al. 1994; Katz et al. 1994; Seiden et al. 1994). Es hat sich in einer Studie besttigt, da der RT-PCR-Nachweis von PSM-Expression sensitiver fr den Nachweis von Tumorzellen ist als der Nachweis von PSA-Expression (Katz et al. 1994). Die Hufigkeit positiver PCR-Ergebnisse korreliert fr beide Markergene mit dem Stadium der lokalen Invasion des Tumors. Darber hinaus gibt es Anhalt fr systemisches Tumorzellschedding … von bislang unklarer klinischer Signifikanz … whrend operativer Prostatektomie (Moreno et al. 1996). Der Nachweis positiver PCR-Ergebnisse bei Patienten mit Fernmetastasen, aber normalen Serumspiegeln von PSA- oder PSM-Protein (Jaakkola et al. 1995) zeigt, da die RT-PCR-Assays erwartungsgem sensitiver sind als serologische Assays. Wenn diese frhen Ergebnisse durch prospektive Studien besttigt werden knnen, knnte in Zukunft der molekulare Nachweis von zirkulierenden Prostatakarzinomzellen im peripheren Blut die Entscheidungen fr Operationen erheblich beeinflussen, da die derzeit blichen bildgebenden Verfahren bei ungefhr 50% der Patienten properativ ein lokal fortgeschrittenes Tumorstadium, das operativ nicht kurativ angegangen werden kann, nicht erkennen. 5.4 Sarkome Fr mehrere hufigere Sarkomentitten wurden spezifische chromosomale Translokationen beschrieben (siehe Tabelle 4). Die Fusionstranskripte stellen spezifische Markergene fr diese Sarkomentitten dar. Eine Voraussetzung fr den PCR-Nachweis von Sarkomzellen ist allerdings, da entweder die spezifische Translokation des Primrtumors bekannt ist oder eine Reihe bekannter Translokationen durch eine Vielzahl von PCR-Anstzen untersucht werden mu. Aufgrund dieser genetischen Heterogenitt sind bislang nur Studien mit relativ kleinen Patientenzahlen publiziert, vor allem zum Ewing-Sarkom (Pfeiderer et al. 1996; Delattre et al. 1994; Peter et al. 1995; Zoubek et al. 1995; West et al. 1997), zum alveolren Rhabdomyosarkom und zum myxoiden Liposarkom (Panagopoulos et al. 1996).
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Eine rasche Entwicklung wre hier besonders interessant, da molekulare Monitoringmethoden sowohl fr die Indikationsstellung zu chirurgischen Eingriffen sehr hilfreich sein knnen als auch wertvolle Aussagen zur Tumorzellkontamination von Stammzellprparationen im Rahmen von Hochdosis-Chemotherapieprotokollen machen knnten.
6 Kindliche Tumoren Auch bei den kindlichen soliden Tumoren kommt dem Nachweis von geringsten Mengen von Tumorzellen im Knochenmark und in peripheren Blutstammzellen (PBSC) zunehmend Bedeutung zu. Der Nachweis von minimaler Resterkrankung bei soliden Tumoren wird entweder immunzytologisch oder mittels RT-PCR durchgefhrt, wobei eine Sensitivitt von 1 Tumorzelle unter 105 bis 106 hmatopoietischen Zellen erreicht werden kann. Die klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Resterkrankung bei Kindern mit soliden Tumoren ist weiterhin ungewi, es gibt jedoch Hinweise, da Patienten eine geringere Chance auf krankheitsfreies berleben haben, wenn bei Diagnose Tumorzellen im Knochenmark oder eine Persistenz unter der Behandlung entdeckt werden. 6.1 Neuroblastom Beim Neuroblastom ist der Nachweis von minimalen Mengen von Tumorzellen mittels immunzytologischen Nachweises des Sialogangliosides GD2 bereits Standard (Moss et al. 1991; Cheung et al. 1997). Seit kurzem wird auch der Nachweis von mRNS der Tyrosinhydroxylase, dem ersten Enzym im Proze der Katecholaminsynthese, mittels PCR-Technik angewendet (Miyajima et al. 1996). Beim Neuroblastom konnte schon frh gezeigt werden, da der Nachweis von minimalen Mengen von Tumorzellen im Knochenmark bei sonst lokalisierter Erkrankung eine ungnstige Prognose fr den Patienten bedeutet (Moss et al. 1991). 6.2 Ewing-Tumor Ewing-Tumoren (Ewing-Sarkome und periphere primitive neuroektodermale Tumoren) sind durch Rearrangements des EWS-Gens auf Chromosom 22 mit fnf verschiedenen ets-Onkogenen charakterisiert (vor allem Fli-1 und Erg) (Zoubek et al. 1996). Der Nachweis von minimaler Resterkrankung gelingt mittels RT-PCR-Technik. Bisher konnte jedoch an kleinen Serien fr Patienten mit positivem Tumorzellnachweis keine ungnstigere Prognose verbunden werden (West et al. 1997; Zoubek et al. 1998).
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6.3 Rhabdomyosarkom Alveolre Rhabdomyosarkome sind durch PAX3/FKHR- (75%) und PAX7/ FKHR-Genrearrangements (10%) gekennzeichnet. Auch bei dieser Erkrankung lassen sich Tumorzellen im Knochenmark mittels RT-PCR-Technik mit hoher Sensitivitt nachweisen (Kelly et al. 1996). Die prognostische Bedeutung ist noch nicht bewiesen.
7 Zusammenfassung und Perspektiven Die derzeit verfgbaren hochsensitiven Marker der Leukmie-, Lymphomund Tumordiagnostik haben die Mglichkeit erffnet, Einblicke in die „Blackbox“ der klinischen Remission zu gewinnen und Informationen ber die Biologie, das Ausma und den zeitlichen Verlauf der sogenannten minimalen Resterkrankung als Reservoir fr die Entstehung von Rezidiven zu erhalten. Weitere Einsatzmglichkeiten der hochempfindlichen molekularen Techniken bieten sich im Rahmen von Therapiestudien (Eingangsdiagnostik und Verlaufskontrolle) sowie Hochdosistherapiekonzepten zum Nachweis von Kontaminationen der Stammzellprparate mit Tumorzellen, zur berprfung von Methoden zur Aufreinigung („Purging“) von Stammzellprparaten und zur Effektivittsbeurteilung neuer Therapiestrategien wie z.B. dem therapeutischen Einsatz monoklonaler Antikrper oder anderer immunologischer Strategien zur Kontrolle der MRD an. Ziel zuknftiger Untersuchungen wird es sein, bei Patienten, die im Rahmen von prospektiven Therapiestudien behandelt werden, bei Diagnosestellung und im Verlauf der Therapie zu prfen, ob die molekulargenetischen und immunologischen Marker unabhngig von den gegenwrtigen klinischen Kriterien zur Prognoseabschtzung und Therapiekontrolle brauchbar sind. Insbesondere sollte der Frage nachgegangen werden, inwieweit der Nachweis von residueller Erkrankung (MRD) bei spezifischen Tumorerkrankungen ein gegenber den bisherigen Verfahren frhzeitigeres Erkennen eines Rezidives bzw. Aussicht auf dauerhafte Heilung erlaubt. Diese notwendigen Untersuchungen zur Bestimmung der klinischen Bedeutung der molekularbiologischen Tumormarker sind derzeit als wissenschaftliches Begleitprogramm im Rahmen der multizentrischen deutschen Studien zur Therapie der ALL und maligner Lymphome sowie bei CMLund Mammakarzinom-Therapiestudien im Gang. Es ist zu erwarten, da die dabei erhaltenen Ergebnisse zu einer weiteren Verbesserung der derzeitigen Therapiekonzepte bei Lymphomen, Leukmien und soliden Tumoren beitragen werden. Die Verbesserung der quantitativen PCR-Technik durch die Einfhrung fluoreszenzmarkierter Sonden, die unter Verwendung geeigneter Gertekombinationen … Lumineszenzphotometer/Thermo cycler/Computer … eine quantitative Bestimmung der Amplifikationsprodukte
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whrend der PCR-Amplifikation (real-time-quantitative PCR) erlauben, wird viele noch offene Fragen sicherlich in wenigen Jahren lsen helfen. Der unkritische Einsatz dieser neuen Diagnosemethoden auerhalb von Therapiestudien ist zur Zeit jedoch wegen der Gefahr falscher therapeutischer Rckschlsse bei Ergebnissen, deren klinische Relevanz noch nicht abgesichert ist, abzulehnen. Derzeit sollten auerhalb von klinischen Studien keine Therapieentscheidungen allein auf der Basis von MRD-Untersuchungen gefllt werden. Literatur Almeida J et al (1999) High-sensitive immunophenotyping and DNA ploidy studies for the investigation of minimal residual disease in multiple myeloma. Br J Haematol 107: 121…131 Bader P et al (2002) Minimal residual disease (MRD) status prior to allogeneic stem cell transplantation is a powerful predictor for post-transplant outcome in children with ALL. Leukemia 16:1668…1672 Bartram CR (1995) Einsatz der Molekulargenetik fr Diagnose und Verlaufskontrolle. In: Zeller, zur Hausen (Hrsg). Onkologie. Ecomed Verlagsgesellschaft Bataille R et al (1997) Multiple myeloma. N Engl J Med 326:1657…1664 Battyani Z, Grob JJ, Xerri L et al (1995) PCR detection of circulating melanocytes as a prognostic marker in patients with melanoma. Arch Dermatol 131:443…447 Biernaux C et al (1995) Detection of major bcr-abl gene expression at a very low level in blood cells of some healthy individuals. Blood 86:3118…3122 Billadeau D et al (1992) Detection and quantitation of malignant cells in the peripheral blood of multiple myeloma patients. Blood 80:1818…1824 Billadeau D et al (1997) Sequential analysis of bone marrow and peripheral blood after stem cell transplant for myeloma shows disparate tumor involvement. Leukemia 11:1565…1570 Biondi et al (2000) Molecular detection of minimal residual disease is a strong predictive factor of relapse in childhood B-lineage acute lymphoblastic leukemia with medium risk features. A case control study of the International BFM study group. Leukemia 14:1939…1943 Bird JM et al (1993) Minimal residual disease after bone marrow transplantation for multiple myeloma: evidence for cure in long-term survivors. Bone Marrow Transplant 12:651…654 Bird JM et al (1994) Molecular detection of clonally rearranged cells in peripheral blood progenitor cell harvests from multiple myeloma patients. Br J Haematol 88:110…116 Bjrkstrand B et al (1995) Double high dose chemotherapy with autologous stem cell transplantation can induce molecular remissions in multiple myeloma. Bone Marrow Transplant 15:367…371 Borowitz MJ et al (1993) Predictability of the t(1;19)(q23;p13). From surface antigen phenotype: implications for screening cases of childhood acute lymphoblastic leukemia for molecular analysis. A pediatric oncology group study. Blood 82:1086…1091
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
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Tumorpathologie
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Klinische Bedeutung des Nachweises minimaler Residualerkrankung
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Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie M. Galanski, K. Lackner
1 Einleitung Im Zentrum der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie stehen infolge der technischen Errungenschaften mehr denn je die Schnittbildverfahren, allen voran die Computertomographie und die Kernspintomographie. Beide Verfahren sind vielfach quivalent. In der onkologischen Diagnostik des ZNS und des muskuloskeletalen Systems ist die Kernspintomographie (MRT) der Computertomographie (CT) allerdings eindeutig berlegen. Die Lungendiagnostik andererseits ist eine Domne der Computertomographie. Die Fluor-Desoxy-Glukose-Positronenemissionstomographie (FDGPET) ist zwar ein sensitives, vielfach jedoch wenig spezifisches Verfahren. Die klinischen Erfahrungen erlauben derzeit noch keine abschlieende Bewertung der PET-Indikationen. Die FDG-PET weist in der Regel zuverlssig Steigerungen des Glukosestoffwechsels nach, die jedoch nicht in jedem Fall verllicher Indikator fr Malignitt sind. Am ehesten werden PET-Indikationen bei resektablen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen zwecks Sicherung eines normalen mediastinalen Lymphknotenstatus, beim CUPSyndrom im HNO-Bereich nach Ausschpfung aller brigen endoskopischen und Schnittbildverfahren sowie in der Vitalittsbeurteilung residualer Lymphknotentumoren nach Chemotherapie gesehen (Reske und Kotzerke 2001).
2 Tumoren des ZNS >
Methode der Wahl fr Diagnose, Staging, Therapieplanung (stereotaktische Operation, Radiatio), Therapiekontrolle und Nachsorge ist die MRT.
Sie ist der CT durch die bessere Gewebedifferenzierung und Gefdarstellung sowie durch das Fehlen von Knochenartefakten in mehrfacher Hinsicht berlegen. Durch die intravense Kontrastmittelgabe (Gadolinium) gelingt in der Regel auch die Differenzierung zwischen Tumor und Begleitdem. Bei hochmalignen Tumoren (Glioblastom) ist allerdings erfahrungsgem auch die demzone pathomorphologisch oft nicht tumorfrei. Die Computertomographie liefert nur in wenigen Fllen diagnostisch relevante Zusatzinformationen (z.B. beim Oligodendrogliom durch den Nachweis von
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Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie
Verkalkungen). Subakute Infarkte, fokale Entzndungen oder Demyelinisierungen knnen einen Tumor vortuschen. In der postoperativen Phase gelingt der Nachweis eines etwaigen Tumorrestes nur binnen der ersten 72 Stunden durch das Nativ- und KontrastMRT. Spter ist fr einen Zeitraum von 6…8 Wochen aufgrund der Schrankenstrungen keine Differenzierung mglich.
3 Tumoren der Kopf-Hals-Region Der Einsatz bildgebender Verfahren beim T-Staging von Tumoren der KopfHals-Region hngt von der Primrlokalisation ab. Wenngleich diese Tumoren aufgrund ihrer Lokalisation und Ausdehnung der Inspektion, Palpation, Endoskopie oder Sonographie zugnglich sind, ist insbesondere bei fortgeschrittenen Tumoren der Einsatz bildgebender Verfahren zur Klrung der Resektabilitt und zur Festlegung der Resektionsgrenzen bzw. der Bestrahlungsfelder angezeigt (Mukherji et al. 1997). Dabei nimmt die MRT eine fhrende Rolle ein. Sie ist der CT durch die bessere Differenzierung zwischen tumorsem und normalem Gewebe, die kontrastmittelfreie Gefdarstellung und durch die Vermeidung von Knochenartefakten berlegen. Die Tumorausbreitung lt sich mit der MRT besser als mit jedem anderen Verfahren bestimmen. Die CT kommt als komplementres Verfahren zur Beurteilung von Knochendestruktionen in Betracht (Bragg et al. 2002). PET-Indikationen sind klinisch und rntgenologisch okkulte Tumoren. Fr das N-Staging wird zweckmigerweise dasselbe Verfahren eingesetzt wie fr das T-Staging. Andernfalls bietet sich als einfachstes und kostengnstigstes Verfahren die Sonographie an, die bei fraglichen Befunden ggf. mit einer FNP kombiniert werden kann.
4 Bronchialkarzinom Beim T-Staging nicht-kleinzelliger Bronchialkarzinome kommt es auf die Abgrenzung von T3/T4-Tumoren gegenber niedrigeren T-Stadien an. CT und MRT sind in der Beurteilung der lokalen Resektabilitt in etwa gleichwertig (Sens. ca. 60%, Spez. ca. 80%, Acc. ca. 75%). Die MRT ist der CT durch die bessere Tumor-Fett-Differenzierung, die einfachere Gefdarstellung und die multiplanare Darstellungsmglichkeit in der Beurteilung der Mediastinalinvasion berlegen (Webb et al. 1991). Sie hat auch Vorteile in der Beurteilung von Pancoast-Tumoren. Die Differenzierung zwischen Tumor und Begleitatelektase ist in der Regel durch das unterschiedliche Enhancement nach Kontrastmittelgabe zuverlssig mglich, diejenige zwischen Tumor und poststenotischer Pneumonie schwierig. Der Nachweis und die Abschtzung der endobronchialen, muksen/submuksen Tumorausbreitung bei zentral sitzenden Tumoren ist mit bildgebenden Verfahren
Mammakarzinom
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problematisch und erfordert die endoskopische Abklrung (Armstrong et al. 1995). Fr die Frherkennung des Bronchialkarzinoms in Risikogruppen spielt zuknftig mglicherweise die „Low-dose“-Spiral-CT eine Rolle; die vorlufigen Ergebnisse laufender Studien sind vielversprechend (Henschke et al. 1999, Diederich et al. 2002). Wirksamkeit und Effizienz sind bisher allerdings nicht endgltig validiert (Mahadevia et al. 2003). Beim N-Staging kommt es auf den Nachweis kontralateraler, supraklavikulrer und skalenischer Lymphknotenmetastasen an (Differenzierung zwischen N2- und N3-Stadium). Fr die Dignittsabschtzung vergrerter Lymphknoten ist in der CT wie in der MRT die Lymphknotengre das wichtigste Kriterium. Im angloamerikanischen Schrifttum werden auf der Basis einer Lymphknotengre von 1 cm im Querdurchmesser fr die Sensitivitt Werte von 50%, fr die Spezifitt von 70% und fr die Accuracy von 65% angegeben (Webb et al. 1991, McLoud et al. 1992). In europischen Kollektiven sind die Ergebnisse aufgrund der niedrigeren Prvalenz nicht-tumorser Lymphknotenerkrankungen (Histoplasmose, Mykose) besser (Buy et al. 1988). In unklaren Situationen mit therapeutischer Konsequenz kann die PET aufgrund ihres hohen negativen Vorhersagewertes weiterhelfen. Im Rahmen des M-Stagings sind zum Nachweis oder Ausschlu zerebraler Metastasen die Kontrast-CT oder MRT, von Skelettmetastasen die Szintigraphie Methoden der Wahl. Wegen der hufigen Nebennierenmetastasen sollte das fr das Staging des Primrtumors eingesetzte Schnittbildverfahren die Nebennierenregion mit erfassen.
5 Mammakarzinom Methode der Wahl zum Tumornachweis ist neben der klinischen Untersuchung die Rastermammographie, die eine Sensitivitt von 90% aufweist (ca. 10% falsch negative Befunde). Die Sonographie stellt lediglich ein Komplementrverfahren dar. Die MR-Mammographie gewinnt zunehmend an Bedeutung. Akzeptierte, von den gesetzlichen Krankenversicherungen noch nicht vollstndig renumerierte Indikationen sind das properative lokale Staging (Nachweis bzw. Ausschlu multifokaler, multizentrischer oder kontralateraler Tumoren), die postoperative MR-Mammographie (einschl. Prothesenimplantation) und die Suche nach einem Mikrokarzinom bei axillren Lymphknotenmetastasen unbekannter Herkunft. Die Sensitivitt beim invasiven Karzinom ist hher als die der Mammographie (> 95%/< 90%), die Accuracy beim DCIS allerdings unbefriedigend ( 50%) (Fischer et al. 1999, van Ongeval 2000). Fr das N-Staging ist wegen der obligaten operativen Revision der Axilla trotz der geringen Sensitivitt der Palpation (< 50%) keine Schnitt-
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Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie
bilddiagnostik erforderlich, zumal bis zu 30% der nicht vergrerten Lymphknoten metastatisch befallen sind. Zur Beurteilung der supraklavikulren und retrosternalen (= M+) Lymphknotenregionen eignet sich am besten die CT.
6 Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes 6.1 O¨sophagus Die primrdiagnostischen Verfahren zur Diagnosesicherung und zum Staging sind die Endoskopie (sophago- und Bronchoskopie), die Endosonographie (EUS) und die CT. Die Kombination der Methoden ist erforderlich, da die EUS beim lokalen Staging, die CT beim Nachweis von Fernmetastasen berlegen ist (Vilgrain et al. 1990). Zusammen erreichen sie im TNM-Staging eine Accuracy von > 85% (Bragg et al. 2002). Beim T-Staging kommt es im Hinblick auf die Resektabilitt auf die Abgrenzung von T3Tumoren mit Infiltration mediastinaler Strukturen, insbesondere der Trachea, an. Fr die Abschtzung der Invasionstiefe bei niedrigeren T-Stadien ist ausschlielich die Endosonographie geeignet. Das N-Staging ist durch die fehlende Korrelation zwischen Primrtumorsitz und Metastasierungsweg erschwert. Deswegen ist neben dem Thorax die Oberbauchregion in das Staging einzubeziehen. 6.2 Magen Diagnostik und Staging des Magenkarzinoms sind eine Domne der Endoskopie und Endosonographie. Die CT ist diesen Verfahren hinsichtlich der Beurteilung der Tiefeninvasion des Tumors und der Lymphknotenbeteiligung im Kompartiment I unterlegen (Sensitivitt und Accuracy < 50%) (Halverson et al. 1996, Miller et al. 1997). Sie ist deswegen zum Staging des Magenfrhkarzinoms nicht geeignet und besitzt allenfalls Vorteile bei hochsitzenden Tumoren durch die bessere Beurteilungsmglichkeit des Mediastinums. Eindeutige CT-Indikationen beim lokoregionren Tumorstaging sind die Klrung der Resektabilitt fortgeschrittener Magenkarzinome (organberschreitendes Tumorwachstum? T4?) und die Beurteilung der Sekundrresektabilitt eines lokal fortgeschrittenen Karzinoms nach Chemotherapie (Accuracy beim Downstaging 75%; Gossios et al. 1996). Methode der Wahl fr das N-Staging ist die Laparotomie. Nur 20% der Magenkarzinome sind N0. Die Schnittbildverfahren weisen eine hohe Rate falsch-negativer Befunde auf. Die Genauigkeit der CT beim T-Staging liegt zwischen 66 und 77%, beim N-Staging (Kompartiment I+II) zwischen 63 und 77% (Rossi et al. 1997). Die Sensitivitt ist dabei gering (< 50%), die Spezifitt hoch (> 90%) (Adachi et al. 1997). Adquate Untersuchungstechnik beim Staging des Magenkarzinoms ist die Spiral-CT des gesamten
Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes
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Abdomens nach Fllung des Magens mit Wasser (Hydro-CT) unter gleichzeitiger Buscopan -Applikation (Rossi et al. 1997). Beim Kardiakarzinom und bei Beteiligung des distalen sophagus mu das Mediastinum in die Untersuchung einbezogen werden. Die Kontrastmittelapplikation ist zum Nachweis von Lebermetastasen zwingend erforderlich. J
6.3 Leber/Galle/Pankreas Prima¨rdiagnostisches Verfahren bei Verdacht auf einen Tumor der Leber, des Gallensystems oder des Pankreas ist blicherweise die Sonographie. Je nach Befund und Dringlichkeit des Malignomverdachts mu sie durch eine weiterfhrende Schnittbilddiagnostik (CT/MRT) ergnzt werden. Der Wert der bildgebenden Verfahren fr das klinische Staging ist jedoch insgesamt begrenzt, da erfahrungsgem erst fortgeschrittene Tumorstadien zu eindeutigen Befunden fhren. Hauptaufgabe der Bildgebung ist einerseits die Klrung der Resektabilitt, andererseits der Metastasennachweis. Fr das T-Staging von Lebertumoren mssen insbesondere bei zugrundeliegender Zirrhose u.U. mehrere Verfahren kombiniert werden, da eine einzelne Modalitt nicht immer alle Fragen zu klren vermag. Das T-Staging von Tumoren der Gallenblase und Gallenwege ist mit allen Schnittbildverfahren beraus problematisch, da nur T4-Stadien als solche korrekt erkannt werden. Die direkte Gangdarstellung (perkutane transhepatische Cholegraphie [PTC], endoskopische retrograde Cholangiographie [ERC], endoskop. retrogr. Cholangiopankreatikographie [ERCP]) ist nach wie vor oftmals unverzichtbar, nicht zuletzt wegen der palliativen Option. Methode der Wahl fr das lokoregionale Tumorstaging des Pankreaskarzinoms ist die Spiral-CT in Dnnschnittechnik unter intravenser Kontrastmittelgabe bei gleichzeitiger peroraler Flssigkeitszufuhr zwecks Distension von Magen und Duodenum (Hydro-CT). Entscheidende Kriterien fr die Resektabilittsabschtzung sind die Beteiligung von Gefen, von hepatoduodenalen Lymphknoten, der Leber (Metastasen) und des Peritoneums (Karzinose). Sehr zuverlssig ist die CT in der Aussage der Irresektabilitt infolge einer Gefbeteiligung (Sens. 84%, Spez. 98%, pos. Vorhersagewert 95%, neg. Vorhersagewert 93%; Lu et al. 1997). Das N-Staging ist mit allen bildgebenden Verfahren einschlielich der Endosonographie problematisch, da die Lymphknotengre fr die Dignittsabschtzung irrelevant ist (Schulte et al. 1991, Lytkens et al. 1990). Makroskopisch vergrerte Lymphknoten bedeuten prognostisch meist Irresektabilitt. Limitiert ist die Aussage bildgebender Verfahren einschlielich der CT bei Lebermetastasen (Mikrometastasen) und Peritonealkarzinose (Bluemke et al. 1995, Megibow et al. 1995).
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Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie
7 Tumoren des unteren Gastrointestinaltraktes Die Diagnosesicherung bei kolorektalem Karzinom erfolgt endoskopisch und bioptisch. Der Doppelkontrasteinlauf kommt fakultativ bei eingeschrnkter endoskopischer Diagnostik zum Einsatz (Hagenthau et al. 1995). Das properative/prtherapeutische Staging beinhaltet Thoraxaufnahmen und CT oder MRT des Abdomens. Der transrektale Ultraschall spielt … obgleich er in frhen Tumorstadien eine exakte Beurteilung der Wandinfiltrationstiefe zult … fr das Staging keine entscheidende Rolle, da ber 90% der kolorektalen Karzinome auch im Falle einer Metastasierung reseziert werden und das T-Staging nur bei lokal fortgeschrittenen Tumoren (T3/T4) zur Operations- bzw. Bestrahlungsplanung indiziert ist (Zagoria 1997). Die Schnittbilddiagnostik dient F F F
der Abklrung von Lebermetastasen (M-Staging), der Erhebung des retroperitonealen Lymphknotenstatus (N-Staging) und der Beurteilung der lokoregionren Tumorausbreitung (T-Staging).
CT und MRT sind hinsichtlich der Treffsicherheit beim lokoregionren Tund N-Staging in etwa vergleichbar und erreichen bei der Beurteilung der Tumorinfiltration ins pararektale Fettgewebe Werte von 70 bzw. 80% und der Metastasierung in die regionalen Lymphknoten Werte zwischen 50 und 70% (Scharling et al. 1996, Thoeni 1997, Zerhouni et al. 1996). Die MRT ist der CT bei fortgeschrittenen Tumoren hinsichtlich der Beurteilung der Tumorinvasion in Muskulatur, Nerven oder Knochen durch den hheren Gewebekontrast berlegen (Thoeni 1997, Vogl et al. 1997). Alle Schnittbildverfahren neigen hinsichtlich der Tumorinfiltration zu einem Overstaging aufgrund der hufigen entzndlichen und desmoplastischen Begleitreaktionen (Bragg et al. 2002). Methoden der Wahl zum Nachweis oder Ausschlu von Lebermetastasen sind die biphasische Spiral-CT-Untersuchung der Leber mit flugesteuerter intravenser Kontrastmittelapplikation oder die MRT ggf. mit spezifischem Kontrastmittel. Die Indikation zu diesen Untersuchungen hngt allerdings von der Ausgangssituation ab; bei sonographisch bereits nachgewiesener multilokulrer oder bilobrer Lebermetastasierung ist die weiterfhrende Diagnostik nicht erforderlich. Als Basisuntersuchung fu¨r das Restaging und fr die Rezidivdiagnostik ist eine MRT-(oder CT-)Untersuchung 3…4 Monate postoperativ sinnvoll, da ein progredienter Weichteilbefund verllichster Hinweis auf ein lokales Tumorrezidiv ist. In der Tumornachsorge ist die MRT der CT bei der Differenzierung zwischen Narbe und Tumorrezidiv berlegen. In Zweifelsfllen ist zur Klrung
Tumoren der Nieren und ableitenden Harnwege
435
dieser Frage die Feinnadelpunktion indiziert. Hierbei ist nur der positive Befund beweisend.
8 Tumoren der Nieren und ableitenden Harnwege 8.1 Nieren-/Urothelkarzinom Die Prima¨rdiagnose von Nierenzell- und Urothelkarzinomen erfolgt heute in der Regel mittels Ultraschall, bei den Urothelkarzinomen ergnzt durch die retrograde Darstellung und die Urinzytologie. Stagingmethoden der Wahl sind CT und MRT, die eine vergleichbare Treffsicherheit von etwa 90% aufweisen (Kabala 1991). Beim T-Staging des Nierenzellkarzinoms kommt es auf die Beurteilung der lokalen Invasivitt an: Die therapierelevante Frage der Faszienberschreitung kann zuverlssig beantwortet werden. Weniger verllich ist die Aussage ber eine Infiltration des perirenalen Fettgewebes (Kapselberschreitung); die daran gebundene Differenzierung zwischen einem T1- und einem T2-Tumor ist in der CT mit einer Sensitivitt von 46% bei einer Spezifitt von 98% mglich. Diese Frage ist jedoch bei der standardisierten radikalen Nephrektomie von untergeordneter Bedeutung. Bei adquater Untersuchungstechnik mit modernen bildgebenden Verfahren (mehrphasiges Spiral-CT, MRT) sind heute praktisch keine Einschrnkungen mehr bei der Beurteilung des Venenstatus und der Infiltration von Nachbarorganen gegeben (Wefer et al. 2002). Beim Urothelkarzinom knnen CT und MRT die intrarenale und hilre Tumorausbreitung darstellen und damit das fortgeschrittene Tumorstadium anzeigen, sie vermgen jedoch nicht zwischen T1- und T2-Tumoren zu differenzieren. Bei Nierentumoren, die fr eine organerhaltende Resektion in Betracht kommen, sollte die Schnittbilddiagnostik neben der arteriellen und parenchymatsen Phase immer auch die pyelographische Phase beinhalten. Das N-Staging mit Schnittbildverfahren ist bei radikaler Operationstechnik mit Lymphadenektomie von untergeordneter Bedeutung (CT/MRT: Acc. ca. 85%). 8.2 Blasenkarzinom Methode der Wahl zur Diagnosesicherung ist die Zystoskopie mit Biopsie. 70% der Tumoren sind zum Zeitpunkt der Diagnostik oberflchlich (T1) und erfordern keine Schnittbilddiagnostik. Das IVP dient der berprfung der Harnabfluverhltnisse und dem Auffinden weiterer Pathologie. Therapierelevante Fragen beim T-Staging sind die Beurteilung der Wandinfiltrationstiefe, die Infiltration des perivesikalen Fettgewebes (T3a/T3b) und die Infiltration von Nachbarorganen (Prostata, Samenblasen, Zervix). Die Infiltrationstiefe (berschreiten der Lamina propria, T1…T3a) ist mit keinem Schnittbildverfahren abzuschtzen. Der Nachweis des wandber-
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schreitenden Tumorwachstums gelingt in der CT mit einer Treffsicherheit von 60…80% (Koss et al. 1981), in der MRT in nahezu 90% (Buy et al. 1988). CT und MRT sollten vor oder frhestens zwei Wochen nach der Zystoskopie durchgefhrt werden, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. ˜hnlich problematisch ist das N-Staging, da Mikrometastasen nicht ausgeschlossen werden knnen und reaktive entzndliche Vernderungen Lymphknotenmetastasen vortuschen knnen. Zur definitiven Klrung der Resektabilitt ist das operative Staging erforderlich. 8.3 Prostatakarzinom Die Vorsorgeuntersuchung beinhaltet die rektale Palpation, die Sonographie und die Labordiagnostik (prostataspezifisches Antigen). Die Diagnosesicherung erfolgt durch Stanzbiopsien. Fr das T-Staging ist die MRTaufgrund der guten Darstellung der zonalen Anatomie der Drse, der Kapsel und des neurovaskulren Bndels am besten geeignet. Die therapierelevante Differenzierung zwischen einem T2und einem T3-Tumor ist am sichersten mit der MRT mglich (korrektes Staging in ca. 85%). Der transrektale Ultraschall ist zum Nachweis des organberschreitenden Tumorwachstums nicht akkurater als die rektale Palpation (Smith 1997, Yu und Hricak 2000). Die CT kommt fr das T-Staging nicht in Betracht. Beim N-Staging knnen die Schnittbildverfahren bei einer Sensitivitt von teilweise deutlich unter 50% derzeit die Staginglymphadenektomie nicht ersetzen. 8.4 Hodentumoren Das Abdomen-CT ist fester Bestandteil des N- und M-Stagings. Therapierelevant bei T1-Tumoren ist die Abgrenzung zwischen negativem und positivem Lymphknotenbefund. Die CT weist diesbezglich eine Sensitivitt von < 80% bei einer Spezifitt von < 90% und einer Accuracy von etwa 80% auf (Bragg et al. 2002). In die Bewertung mu neben dem Lymphknotendurchmesser (empfohlener Grenzwert 7mm) der retroperinoneale Lymphknotenbesatz hinsichtlich Zahl und Lokalisation eingehen (Hilton et al. 1997). Das Problem falsch negativer Befunde durch Metastasen in nicht vergrerten Lymphknoten stellt sich insbesondere beim embryonalen Hodenkarzinom. Auch andere Diagnoseverfahren sind nicht zuverlssiger (Hricak et al. 1995). Das lokale T-Staging ist bei der obligaten Tumororchiektomie ohne Bedeutung, wenngleich der Ultraschall und die MRT eine Differenzierung zwischen intra- und extrakapsulrer Tumorausbreitung erlauben. In der Therapiekontrolle und Tumornachsorge stellen Residualbefunde von pulmonalen und Lymphknotenmetastasen ein besonderes Problem
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dar. Die traditionellen bildgebenden Verfahren sind nicht in der Lage, zwischen vitalen Tumorresten und narbigen Residuen zu unterscheiden (Toner et al. 1990).
9 Gyna¨kologische Tumoren 9.1 Ovarialtumoren Primrdiagnostisches Verfahren bei der Abklrung von Adnextumoren ist der transvaginale Ultraschall, bei unklarem Befund ggf. ergnzt durch die MRT. Dabei ist zu bercksichtigen, da bildgebende Verfahren generell weder eine sichere Dignittsbeurteilung von Ovarialtumoren (die Malignomwahrscheinlichkeit ist um so grer, je hher der solide Tumoranteil ist) noch ein hinreichend exaktes Staging erlauben. Das operative Staging ist weiterhin unverzichtbar. Schnittbildverfahren gewinnen dennoch zunehmend an Bedeutung, da sie durch Darstellung der Tumorausdehnung eine Entscheidungshilfe bei der Therapieplanung hinsichtlich der notwendigen chirurgischen Expertise und einer neoadjuvanten Chemotherapie bei primrer Irresektabilitt leisten knnen (Forstner et al. 1995). 9.2 Zervixkarzinom Primrdiagnostisches Verfahren der Wahl ist der transvaginale Ultraschall. Bei Tumoren ber 2cm sind ergnzende Schnittbildverfahren sinnvoll. Die Treffsicherheit beim T-Staging einschlielich der Parametriuminfiltration liegt fr die klinische Untersuchung (Inspektion, Palpation, Krettage, Sonographie) bei ca. 70%, fr die CT bei ca. 60% und fr die MRT bei ber 80%. Die MRT ist der CT im T-Staging hinsichtlich der Stroma- und der Parametriuminfiltration deutlich berlegen (Hricak, Lacey et al. 1988, Hricak, Powell et al. 1996, Kim et al. 1993). In T2-gewichteten Sequenzen lt sich der Tumor gut vom brigen Zervixstroma abgrenzen. Fr das N-Staging liegt die Treffsicherheit von CT und MRT zwischen 75 und 85%. Wichtigste Beurteilungskriterien sind dabei ein Querdurchmesser von > 1 cm und zentrale Nekrosen (Scheidler et al. 1997, Yang et al. 2000). 9.3 Endometriumkarzinom Da praktisch alle Patientinnen der Operation zugefhrt werden, spielt das properative Staging mittels bildgebender Verfahren eine nachgeordnete Rolle. Die Indikation beschrnkt sich auf fortgeschrittene Tumorstadien (Bestrahlungsplanung), unklare Situationen und das N-Staging in Hinblick auf die adjuvante Strahlentherapie. Dabei ist die MRTaufgrund der besseren Gewebedifferenzierung bildgebende Methode der Wahl. Sie erlaubt die Beurteilung der Zervixbeteiligung und der Infiltration ins Myometrium, was
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durch eine Unterbrechung der „junctional zone“ erkennbar wird (Hricak et al. 1991, Yamashita et al. 1993). Der Kontrastscan erleichtert die Abgrenzung des Tumors vom myometralen Gewebe (Hamm 1999). Die Treffsicherheit des Tumorstagings einschlielich der Beurteilung der myometralen Infiltrationstiefe mittels kontrastmittelgesttzter MRT liegt zwischen 85 und 95% (Hricak et al. 1987, Kinkel et al. 1999, Seki et al. 2000). Die Bewertung des N-Status ist wie beim Zervixkarzinom nur eingeschrnkt mglich. 9.4 Vaginal- und Vulvakarzinom Das klinische Staging einschlielich der Sonographie steht ganz im Vordergrund. Der CT oder MRT kommt nur fr das N-Staging und als Basisuntersuchung fr die Rezidivdiagnostik Bedeutung zu.
10 Knochen- und Weichteiltumoren Die Rntgennegativaufnahmen sind zusammen mit der Histologie entscheidend fr die Diagnose. Methode der Wahl fr das regionale T-Staging ist die MRT, wobei die Untersuchung das ganze muskuloskeletale Kompartiment beinhalten mu und mglichst vor der Biopsie durchgefhrt werden sollte. Die MRT-Untersuchung muprotonengewichtete, T1- und T2-gewichtete Sequenzen und Gradienten-Echo-Sequenzen zur Knochenund Fettbeurteilung, zur Tumor-Muskel-Differenzierung und zur Beurteilung der neurovaskulren Strukturen beinhalten. Die CT ist Methode der Wahl fr das M-Staging (Lungenmetastasen). Postoperative MRT-Kontrollen (nach 6…8 Wochen) als Basisdokumentation fr sptere Kontrollen sind empfehlenswert.
11 Lymphoproliferative Erkrankungen Auch beim hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) erfolgt die radiochemotherapeutische Behandlung heutzutage in der Mehrzahl der Flle unter kurativem Ansatz. Daher ist ein normiertes Staging und Restaging mittels CT indiziert (Hals, Thorax, Abdomen). Zum Nachweis eines Milz-, Leber- oder ZNS-Befalls sind die Ergebnisse der Schnittbilddiagnostik unbefriedigend (Sensitivitt < 50%). Methode der Wahl bei der Frage des ZNS-Befalls ist die Liquorzytologie, die bei positivem Liquorbefund oder neurologischem Herdbefund durch eine MRT ergnzt wird. Fr den Nachweis oder Ausschlu einer Knochenmarksbeteiligung sollte heute die Beckenkammbiopsie durch die MRT ergnzt werden (ca. 30% pos. Befunde bei neg. Beckenstanze) (Hoane et al. 1991). Im Gegensatz zum NHL hat das Staging beim Morbus Hodgkin differentialtherapeutisch weitaus grere Bedeutung, wobei hohe Anforderungen an das Lymphknotenstaging gestellt werden. Zur radiologischen Basis-
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diagnostik zhlen Thorax-Rntgenaufnahmen, CT-Thorax (liefert in bis zu 30% relevante Zusatzinformationen), CT-Abdomen, CT der Halsregion. Therapierelevant ist die Differenzierung zwischen einem Stadium I, II auf der einen und einem Stadium III (Ann-Arbor-Klassifikation) auf der anderen Seite. Dabei sind alle Schnittbildverfahren mit einer gewissen Unsicherheit behaftet; in 25% der radiologisch als unauffllig eingestuften Flle deckt die diagnostische Laparotomie einen infradiaphragmalen Befall auf (88% Milzbefall, 30% Lymphknotenbefall). Dieses Problem ist auch mit der Lymphographie nicht zu lsen (Mauch et al. 1990, Stomper 1993). Die Sensitivitt von CT/US beim Nachweis eines Milzbefalls ist mit < 50% unbefriedigend.
12 Metastasennachweis 12.1 Lungenmetastasen Die Rntgenbersichtsaufnahmen des Thorax stellen nach wie vor das primre diagnostische Verfahren bei der Frage nach Lungenmetastasen dar. Allerdings werden dabei bis zu 20% der Metastasen bersehen. Bei positivem Befund ist eine weiterfhrende Diagnostik nur dann notwendig, wenn in Hinblick auf eine operative Resektion die Zahl und die Lage der Metastasen genau bekannt sein mssen. Methode der Wahl zum Nachweis und zur Lokalisation auch sehr kleiner Metastasen ist die CT, idealerweise in Form des Volumenscannings (Spiral-CT), bei dem das gesamte Lungenvolumen in einer Atemphase erfat wird (dadurch wird das Phnomen sog. „missed lesions“ vermieden). Der routinemige Einsatz der CT zum Nachweis von Lungenmetastasen ist allerdings nur bei Tumoren mit hoher Wahrscheinlichkeit einer pulmonalen Metastasierung gerechtfertigt, insbesondere in Situationen, in denen eine Therapieentscheidung von dieser Frage abhngt (Davis 1991). Problematisch ist weiterhin die Spezifitt (Kauczor et al. 1994). Bei metastasentypischem Befund (mehrere oder zahlreiche scharf begrenzte Rundherde in subpleuraler und bevorzugt basaler Lokalisation mit Beziehung zum Gefsystem) ist die Metastasierung als sicher anzusehen. Schwieriger ist die Bewertung solitrer oder vereinzelter Herde ohne typische Morphologie. Liegen keine Vergleichsaufnahmen vor, ist keine sichere Differenzierung zwischen einem benignen granulomatsen Proze und einer Metastasierung mglich. Fr die Diagnostik der Lymphangiosis carcinomatosa ist die High-Resolution-CT Methode der Wahl. Mit ihr gelingt nicht nur frhzeitig der Nachweis eines pathologischen interstitiellen Prozesses, sondern vielfach im Kontext mit der Klinik auch die tiologische Zuordnung. Kennzeichnend ist der bevorzugte Befall der grberen interstitiellen Strukturen mit unregelmiger, knotiger Verdickung derselben.
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12.2 Lebermetastasen Bei der Suche nach Lebermetastasen kommt es in erster Linie auf die Sensitivitt des Verfahrens an. Die Sonographie ist das Verfahren mit der geringsten Sensitivitt (60…70%) (Wernicke 1991). Die biphasische Spiral-CT (Darstellung der arteriellen und portalvensen Phase) und die MRT mit leberspezifischem Kontrastmittel sind die berlegenen Methoden und hinsichtlich Sensitivitt und Spezifitt in etwa gleichwertig (80…95%) (Bree et al. 2000, Helmberger et al. 1999, Siga et al. 2000). Welches der Verfahren im Einzelfall eingesetzt wird, hngt nicht zuletzt von Rahmenbedingungen wie Verfgbarkeit, Untersucherkompetenz, Tumorart und Stadium ab. 12.3 Nebennierenmetastasen Die hchste Sensitivitt im Nachweis kleiner Lsionen besitzt die CT, mit der Tumoren bis zu einer Gre von 5 mm zuverlssig nachgewiesen werden knnen. Da benigne Adenome hufige Zufallsbefunde sind, berechtigt der Nachweis eines Nebennierentumors bei einem onkologischen Patienten nicht ohne weiteres zur Annahme einer Metastase. Von den morphologischen Differenzierungskriterien haben die Gre und die Dichte bzw. Signalintensitt der Lsion in der CT/MRT die grte Bedeutung. Kleine, homogene Tumorbildungen unter 15 mm mit geringer Dichte und fehlendem Kontrast-Enhancement sind mit hoher Wahrscheinlichkeit benigne, inhomogene Raumforderungen ber 3 cm mit pathologischem Enhancement malignomverdchtig. In Einzelfllen, in denen die Differenzierung zwischen einer Metastase und einem stummen Adenom zweifelhaft ist, empfiehlt sich zur definitiven Abklrung die MRT-Untersuchung in „Inphase/Out-of-phase“-Technik (Dunnick et al. 1996). Eine Feinnadelbiopsie ist nur noch ausnahmsweise erforderlich. 12.4 Hirnmetastasen Primrdiagnostisches Verfahren bei der Frage nach Hirnmetastasen ist heute bei Verfgbarkeit zweifelsfrei die kontrastmittelgesttzte MRT mit hoher Dosis, wenngleich auch die CT unter Einsatz von Kontrastmittel (Hochdosis-CT) im Nachweis zerebraler Metastasen sensitiv ist (Akeson et al. 1995). Die MRT sollte immer dann eingesetzt werden, F F F
wenn der Befund in der CT widersprchlich ist, wenn eine Kontrastmittelunvertrglichkeit vorliegt oder wenn bei negativem CT-Befund aufgrund der Erfahrungswerte oder des klinischen Bildes eine intrakranielle Metastasierung vermutet werden mu (Davis 1991).
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Zerebrale Metastasen stellen sich in der MRT (T2-gewichtet) als signalreiche, in der CT als rundliche, kontrastmittelanreichernde Lsionen dar, die bevorzugt an der Rinden-Mark-Grenze gelegen sind. Kleine Metastasen sind meist solide, grere fter ringfrmig. Ein perifokales dem ist die Regel, lediglich kleinste Filiae in der Grenordnung von 1 mm lassen ein dem vermissen. Leptomeningeale Metastasen manifestieren sich durch ein Enhancement der Sulci, Zisternen oder ependymaler Strukturen. Bei unbekanntem Primrtumor ist aus dem Erscheinungsbild der Metastasen in der Regel kein Rckschlu auf den Primrtumor mglich. Unbehandelte Metastasen mit Verkalkungen lassen an einen osteogenen Tumor denken, solide, nichtnekrotische Metastasen mit signalarmen Zonen in T2-gewichteten Sequenzen deuten auf ein Adenokarzinom hin. 12.5 Skelettmetastasen Methode der Wahl zum Nachweis von Skelettmetastasen ist die Skelettszintigraphie aufgrund ihrer hohen Sensitivitt und der bersichtsdarstellung des Gesamtskeletts (Gold et al. 1990). Rntgenaufnahmen des Skeletts kommen nur gezielt und komplementr zur nuklearmedizinischen Diagnostik zum Einsatz, zum einen mit dem Ziel der Ursachenabklrung (benigner/maligner Proze), zum anderen zur Klrung der Frakturgefhrdung. Korreliert der szintigraphische Befund im Rntgenbild mit einer benignen Lsion, ist eine Metastase zuverlssig ausgeschlossen. Bei negativem oder verdchtigem Rntgenbefund ist eine weitere Abklrung mittels eines Schnittbildverfahrens indiziert (Jacobson et al. 1990). Die MRT hat sich als beraus sensitives Verfahren zur Detektion von Knochenmarklsionen erwiesen. Da es sich bei der Mehrzahl der „Skelettmetastasen“ primr um hmatogene Knochenmarkmetastasen handelt, ist die MRT prinzipiell auch fr die Metastasensuche zumindest am Stammskelett geeignet und zeichnet sich durch eine hohe Sensitivitt bei im Vergleich zur Szintigraphie hherer Spezifitt aus (Eustace 1997, Imamura 2000, Rosenthal 1997). 12.6 Lymphknotenmetastasen Die Diagnose einer Lymphknotenmetastasierung mittels Schnittbildverfahren sttzt sich in erster Linie auf den Nachweis vergrerter Lymphknoten. Ein zustzliches Kriterium ist die Konfiguration der Lymphknoten, insbesondere die Relation zwischen kurzem und langem Durchmesser. Bei der Sonographie kann die Binnenstruktur der Lymphknoten, die allerdings nur bei oberflchennahem Sitz mit hochfrequenten Schallkpfen hinreichend zu beurteilen ist, zustzliche Dignittsparameter liefern, beim CT das Kontrast-Enhancement (Fukuya et al. 1995). Dennoch bleibt das N-Staging mit Schnittbildverfahren problematisch, da Mikrometastasen in nor-
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mal groen Lymphknoten einerseits nicht ausgeschlossen werden knnen, die Morphologie andererseits kein spezifisches Differenzierungskriterium ist. Ganz generell gilt, da die Sensitivitt im Nachweis von Metastasen um so hher ist, je niedriger der Schwellenwert fr den Lymphknotendurchmesser angesetzt wird, und umgekehrt um so niedriger, je grer der gewhlte Schwellenwert ist. Genau entgegengesetzt dazu verhlt sich die Spezifitt der Befunde (Ikezoe et al. 1990, McLoud et al. 1992, Steinkamp et al. 2002, van den Brekel et al. 1996, 1998). Sensitivitt und Spezifitt hngen darber hinaus auch von der Untersuchungsregion und vom Primrtumor ab (Hilton et al. 1997). Als metastasenverdchtig gelten in Abhngigkeit von der Untersuchungsregion folgende Lymphknotenquerdurchmesser (Dorfman et al. 1991, Forsberg et al. 1986, Peters und Beyer 1985) (Tabelle 1):
Tabelle 1. Grenzwerte fu¨r den Lymphknoten(Lnn)-Querdurchmesser in Abha¨ngigkeit von der Lymphknotenstation Lnn-Region
Lnn-Gruppe
Normale Gro¨ße
Kopf-Hals-Region
Parotis-Lnn Submandibula¨re Lnn Submentale Lnn Retropharyngeale Lnn Tiefe zervikale Lnn
< 6 mm < 10 mm < 10 mm < 6 mm 10–15 mm
Axillarregion
Axilla¨re Lnn
< 10 mm
Supraklavikularregion
Supraklavikula¨re Lnn
< 10 mm
Mediastinum
Subkarinale Lnn Andere Lokalisationen
< 15 mm < 10 mm
Hilusregion
Tracheobronchiale Lnn
< 10 mm
Abdomen
Retrokrurale Lnn Hepatoduodenale Lnn Leberpforten-Lnn Zo¨liakal Mesenterial
< < < <
5 mm, thorakal > 10…15 mm, retrokrural > 5 mm, retroperitoneal > 10 mm, iliakal > 12 mm.
Bildgebende Verfahren der Wahl sind der Ultraschall und die MRT in der Kopf-Hals-Region. Im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes ist es die Endosonographie (Schulte et al. 1991, Lytkens et al. 1990). Die brigen Regionen werden von der CT und MRT dominiert, wobei die MRT durch die leichtere Abgrenzung vaskulrer Strukturen Vorteile im Mediastinum und Becken, die CT wegen der geringeren Artefaktanflligkeit Vorteile im Abdomen hat. Fr die MRT ist eine hhere Sensitivitt und Spezifitt bei der Lymphknotendiagnostik durch spezifische Kontrastmittel zu erwarten, die kurz vor der Einfhrung stehen (Mack et al. 2002). Der Wert der FDGPET kann derzeit noch nicht abschlieend beurteilt werden. Sensitivitt und negativer Vorhersagewert der FDG-PET sind hoch, die Spezifitt ist jedoch begrenzt (Adler et al. 1997). Fr die klassische Lymphographie gibt es keine Standardindikationen mehr (Moskovic et al. 1991). 12.7 Peritonealmetastasen Der Nachweis einer Peritonealkarzinose ist mit keinem der Schnittbildverfahren frhzeitig und zuverlssig mglich. Erst in fortgeschrittenen Stadien finden sich in der CT oder MRT direkte oder indirekte Zeichen. Hinweiszeichen in der CT und MRT sind ein peritoneales Enhancement nach i.v. Kontrastmittelapplikation, der vermehrte Lymphknotenbesatz, die Zeichnungsvermehrung und Verdichtung des mesenterialen Fettgewebes, die Tumorbildung und Verltung von Darmschlingen im Bereich der vorderen Bauchwand („peritoneal cake“) und die Aszitesbildung als indirekte Zeichen (Bragg et al. 2002). Die Untersuchung mit zustzlicher intraperitonealer Kontrastmittelgabe ist speziellen Indikationen vorbehalten (Giunta et al. 1990). Literatur Adam A, Benjamin IS (1992) The staging of cholangiocarcinoma. Clin Radiol 46:299… 303 Adler LP, Faulhaber PF, Schnur KC et al (1997) Axillary lymph node metastases: Screening with (FDG)PET. Radiology 203:323…327 Akeson P, Larsson EM, Kristoffersen DT et al (1995) Brain metastases … comparison of gadodiamide injection-enhanced MR imaging and standard and high-dose, contrast-enhanced CT and non-contrast-enhanced MR imaging. Acta Radiol 36:300…306
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8
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Prinzipien der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie
Zerhouni EA, Rutter C, Hamilton SR et al (1996) CT and MR imaging in the staging of colorectal carcinoma: report of the Radiology Diagnostic Oncology Group II. Radiology 200:443…451
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik V. Ivanc‹evic·, D. L. Munz
Die onkologische Nuklearmedizin verfgt auf dem Gebiet der Diagnostik ber In-vivo- und In-vitro-Verfahren. In diesem Kapitel werden ausschlielich die ersteren behandelt. Mglichkeiten zur Nukleartherapie werden nur kurz angesprochen.
1 Allgemeines Trotz der berwiegend bildlichen Darstellung von Organen und Organsystemen ist die diagnostische Nuklearmedizin primr eine Funktionsdiagnostik („functional imaging“). Sie zieht Schlsse aus der Biodistribution und Biokinetik von verabreichten Radionukliden oder krperfremden und -eigenen Trgersubstanzen (auch vitale Zellen), die mit Radionukliden markiert sind (Radiopharmaka), in physiologisch oder pathologisch funktionierendem Gewebe. Der gngigste Weg zur Applikation der Radiopharmaka ist der vense Weg. Unterschiede zwischen tumorsem und umgebendem nichttumorsem Gewebe in der Blut(gef)versorgung, Kapillarpermeabilitt, AntiTabelle 1. Intraindividueller Vergleich zwischen Skelettszintigraphie und Knochenmarkszintigraphie. (Aus Munz 1992) Diagnose
n
Skelettszintigramm Knochenmarkszintigramm pathologisch pathologisch [%] [%]
Differenz [%-Punkte]
Non-Hodgkin-Lymphome
73
67
88
21
Plasmozytom
22
36
68
32
Morbus Hodgkin
27
67
85
18
Mammakarzinom
56
71
86
15
Bronchialkarzinom
24
42
79
37
Prostatakarzinom
19
42
53
11
Nierenzellkarzinom
19
26
32
6
Blasenkarzinom
20
20
25
5
Andere Malignome
31
61
81
20
Gesamt
291
55
74
19
9
450
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
gen- und Rezeptorexpression sowie bei metabolischen Vorgngen bilden die wesentlichen Grundlagen der Tumorszintigraphie. Generell ist zu differenzieren zwischen Szintigraphie mit positivem (z.B. Tabelle 1, Spalte 3) und negativem Tumorkontrast (z.B. Tabelle 1, Spalte 4). Verfahren, die Tumorgewebe im positiven Kontrast abbilden („heie Herde“, „hot spots“), d. h. direkt zur Darstellung bringen, werden gewhnlich bevorzugt, da Positivkontraste szintigraphisch leichter fabar sind als Negativkontraste („kalte Herde“, „cold lesions“). Der Beitrag der Nuklearmedizin zur Frhdiagnose einer Tumorerkrankung ist relativ bescheiden. Dies liegt letztlich darin begrndet, da bisher nur wenige Radiopharmaka mit weitgehend exklusiver und individueller Tumorselektivitt, wie z.B. 131Jod bei differenzierten Schilddrsenkarzinomen, gefunden wurden. Zu den Domnen der onkologischen Nuklearmedizin gehren die Metastasensuche bei bekanntem oder vermutetem Primrtumor, die Suche nach Organbeteiligungen bei malignen Systemerkrankungen, insbesondere im Rahmen des Stagings oder Restagings, und die Differenzierung vitalen Tumorgewebes von Nekrosen/Narben nach erfolgter Therapie. Die Primrtumorsuche bei endokrin aktiven Tumoren ist eine der wichtigsten Indikationen fr die Szintigraphie des neuroektodermalen Systems. Weitere wichtige allgemeine Indikationen sind die Verlaufs- und Interventions-/Therapiekontrolle, die berwachung von Therapiefolgen (z.B. Radionuklidventrikulographie bei Therapie mit kardiotoxischen Anthrazyklinen) und therapievorbereitende Manahmen (z.B. Nierenfunktionsszintigraphie oder Bestimmung der seitengetrennten Clearance vor geplanter Nephrektomie zur Ermittlung von ipsi- und kontralateralen Organleistungen bzw. Leistungsreserven).
2 Skelettszintigraphie Die Skelettszintigraphie ist bis heute die am hufigsten angewandte Methode in der onkologischen Nuklearmedizin. Sie dient in erster Linie der Knochenmetastasensuche und erfllt als einfaches, praktikables und kostengnstiges Verfahren wichtige Forderungen, die an eine Ganzkrper-Suchmethode gerichtet werden. Die biokinetische Grundlage bildet die Adsorption von Phosphonatverbindungen am Knochen, abhngig von Durchblutung und regionaler Knochenstoffwechselaktivitt. Bei der Metastasensuche betrgt die Gesamtsensitivitt der Methode 95 %. Liegen dem Nuklearmediziner von klinischer Seite relevante Zusatzinformationen vor, so steigt auch die methodologisch bedingt eher niedrige Spezifitt auf etwa 95 %. Skelettmetastasen erscheinen meist als mehrspeichernde Herde, da der Knochenumbau in den Randgebieten erhht ist. Minderspeichernde Herde liegen bei 1…2 % aller Skelettmetastasen vor. Sinnvolle Anwendung findet
Skelettszintigraphie
451
die Skelettszintigraphie im ersten Staging bei Tumoren mit hoher Inzidenz ossrer Metastasen wie Mamma-, Prostata- und Bronchialkarzinom. Beim Mammakarzinom im Stadium 0/I(II) kann die Skelettszintigraphie wegen einer niedrigen Apriori-Wahrscheinlichkeit ossrer Metastasen (0…6 %) nicht empfohlen werden, insbesondere bei Beschwerdefreiheit und unaufflligen Laborwerten (z.B. alkalische Phosphatase, Kalzium). Die Nachweiswahrscheinlichkeit betrgt im Stadium III/IV jedoch schon 31 %. Abbildungen 1 und 2 zeigen eine ausgedehnte Skelettmetastasierung. Routinemig sollte die Skelettszintigraphie hingegen beim Prostatakarzinom eingesetzt werden, da die Nachweishufigkeit dort schon im Stadium 0…II 23 % betrgt und im Stadium III/IV auf 51 % ansteigt. Neueren Untersuchungen zufolge soll die routinemige Skelettszintigraphie bei neu diagnostizierten Tumoren mit PSA-Serumspiegeln unter 10 lg/l entbehrlich
9
Abb. 1. Ganzko¨rper-Skelettszintigramm (ventrale und dorsale Sicht) bei Prostatakarzinom. Multifokale Skelettmetastasierung
452
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Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
Abb. 2. Ganzko¨rper-Knochenmarkszintigramm (dorsale und ventrale Sicht) bei kleinzelligem Bronchialkarzinom. Knochenmarkmetastasen („Negativkontrast“) im rechten Humerus, Sternum, in der 5. Rippe links ventral und im linken Femur sowie Milzbefall im oberen Pool
sein. Beim Bronchialkarzinom ist das Verfahren nur in ansonsten operablen Fllen indiziert, da ein pathologisches Szintigramm dann die weitere Therapie beeinflut. Bei symptomatischen Patienten und schlechtem Differenzierungsgrad des Primrtumors („grading“) sowie bei Lymphknotenbefall steigt die Prvalenz ossrer Metastasen bei den meisten Tumoren an. Eine weitere Indikation ist gegeben bei Patienten mit Knochenbeschwerden ohne Rcksicht auf den Tumortyp und Patienten mit klinischen, radiologischen (z.B. Solitrherd) oder laborchemischen Anzeichen einer Knochenbeteiligung, bei denen das Ausma der ossren Metastasierung beur-
Knochenmarkszintigraphie
453
teilt werden soll. Als Funktionsuntersuchung kann das Skelettszintigramm bis zu 18 Monate (im Median 4 Monate) vor dem konventionellen Skelettrntgenbild einen metastatischen Herd lokalisieren. Die Frage nach dem Therapieerfolg von Bestrahlung und/oder Chemotherapie bzw. der Progression der Erkrankung bei bekannten Skelettmetastasen stellt die dritte Indikation dar. Dabei mu beachtet werden, da in der ersten Zeit nach der Therapie zugrunde gehende Metastasen durch gesteigerten Knochenumbau eine intensivere Anreicherung des Radiopharmakons bewirken knnen, das sog. „Flare“-Phnomen, was nicht als Therapieversagen bzw. als Progression gewertet werden darf. Erst nach 6 Monaten ist eine zuverlssige Beurteilung des Therapieerfolges mglich. In sehr seltenen Fllen kann ein Fortschreiten der Erkrankung mit aggressiver Tumorbiologie und fehlender Osteoblastenreaktion ein falsch-negatives Skelettszintigramm bedingen. Bei prima¨ren Knochentumoren wird die Skelettszintigraphie sehr gezielt und meist in Form der Dreiphasenszintigraphie (Perfusions-, Blutpool-, Knochenstoffwechselphase) eingesetzt. Der Verdacht auf einen Knochentumor grndet sich meist auf ein pathologisches Rntgenbild oder eine Biopsie. Die Skelettszintigraphie soll v. a. die Frage nach weiteren Skelettherden und/oder … besonders in Mehrphasentechnik … das Ansprechen auf eine Therapie beantworten. Durch quantitative Auswertung der Dreiphasenskelettszintigraphie (z.B. seitenvergleichende Quotienten: Tumor/kontralaterale, gesunde Seite) ist es beim Osteosarkom mglich, den Erfolg einer der Operation vorausgehenden Chemotherapie zu erfassen. Als Erfolg wird hier ein Abfall des Quotienten um mehr als 20 % drei Monate nach Chemotherapie gewertet, wobei der Blutpoolphase die grte Bedeutung zukommt.
3 Knochenmarkszintigraphie Die Knochenmarkszintigraphie ermglicht die Darstellung des roten, hmopoetisch aktiven Knochenmarks. Bei onkologischen Fragestellungen ist das Radiopharmakon der Wahl gegenwrtig ein mit 99mTc markierter monoklonaler IgG1-Antikrper gegen das „nonspecific cross-reacting antigen“(NCA)-95, ein Differenzierungsantigen der Granulopoese, das von den reiferen Zellen im Knochenmark exprimiert wird. Alternativ knnen kleinste, mit 99mTc markierte kolloidale Eiweipartikel, das sog. Nanokolloid, injiziert werden, die dann zu etwa 20 % von den retikuloendothelialen Gewebsanteilen des Knochenmarks aufgenommen werden. Bewertet werden Verteilungsmuster des Radiopharmakons im roten Knochenmark (z.B. periphere Expansion oder Verdrngung des zentralen Knochenmarks) und Vorliegen fokaler Speicherdefekte („Negativkontrast“) (siehe Abb. 2).
9
454
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
Daraus ergeben sich die folgenden onkologischen/hmatologischen Indikationen: F
F F
F F F
Nachweis fokaler Speicherdefekte infolge nodulr proliferierender Systemerkrankungen (maligne Lymphome einschlielich Plasmozytom) oder myelotroper Metastasen (v. a. Mamma-, Bronchial-, Prostataund Nierenzellkarzinom), Auswahl der Orte fr eine gezielte Knochenmarkpunktion/-biopsie, Nachweis einer diffusen Knochenmarkerkrankung, wenn andere Tests nicht aufschlureich sind (z.B. akute Leukmie und idiopathische Myelofibrose), Typisierung des Stadiums einer Osteomyelosklerose, Erfassung der Fibrosierung des Knochenmarks bei Polycythaemia vera und chronischer myeloischer Leukmie, Abgrenzung einer Strepolyzythmie von einer Polycythaemia vera oder Polyglobulie.
Die Knochenmarkszintigraphie weist beim Staging vieler Tumoren Berhrungspunkte mit der Skelettszintigraphie auf und ergnzt diese hufig. Einer Knochenmetastasierung geht gewhnlich der Befall, d. h. die Verdrngung bzw. Zerstrung des im Knocheninneren lokalisierten funktionstchtigen Knochenmarks, voraus. Es ist daher einsehbar, da die Knochenmarkszintigraphie potentiell sensitiver als die Skelettszintigraphie ist, zumindest im Achsenskelett. Bislang haben kontrollierte prospektive Studien die klinische Wertigkeit der Knochenmarkszintigraphie v. a. beim Staging und Restaging maligner Lymphome und des Plasmozytoms sowie beim Mamma- und Bronchialkarzinom aufgezeigt. Einen intraindividuellen Vergleich zwischen Skelett- und Knochenmarkszintigraphie zeigt Tabelle 1. Die Knochenmarkszintigraphie kann sinnvoll als Suchmethode mit anschlieender gezielter Kernspintomographie kombiniert werden. Insbesondere bei szintigraphisch diskreten oder solitren Befunden kann die Kernspintomographie zur Abgrenzung von degenerativen Prozessen und zur zuverlssigeren Grenbestimmung von Herden beitragen, da die Tumorausdehnung im Kernspintomogramm hufig grer ist als im Knochenmarkoder Skelettszintigramm. Dies ist von groer Bedeutung zur exakten Festlegung des Bestrahlungsfeldes vor geplanter Strahlentherapie.
4 Unspezifische Szintigraphie vitalen Tumorgewebes 201
Thallium reichert sich ber das Na-K-ATPase-System in stoffwechselaktiven Tumorzellen unspezifisch an. Die Szintigraphie mit 201Tl wird in seltenen Fllen zur Tumorsuche bei differenziertem Schilddrsenkarzinom mit vorwiegend onkozytrem Anteil eingesetzt, wenn bei erhhtem Thyreoglobulinserumspiegel mit dem 131Jod-Ganzkrperszintigramm
Transferrinrezeptorszintigraphie mit
67
Gallium
455
kein Metastasennachweis gelingt. Weitere mgliche Indikationen sind Hirntumoren (Malignittsgrad), niedrigmaligne Non-Hodgkin-Lymphome (Staging) und das Bronchialkarzinom (v. a. Differenzierung einer hilren bzw. mediastinalen Adenopathie). ber ein hnliches Indikationsspektrum verfgt auch die Szintigraphie mit 99mTc-Methoxyisobutylisonitril (99mTc-MIBI), das intrazellulr in den Mitochondrien akkumuliert wird.
5 Szintigraphie mit
131
Jod
Die 131J-Ganzkrperszintigraphie ist das wichtigste bildgebende Verfahren in der postoperativen Nachsorge von Patienten mit differenziertem, jodspeicherndem papillrem oder follikulrem Schilddrsenkarzinom. Sie bildet die Grundlage fr die Entscheidung zu einer Radiojodablationstherapie oder ggf. Reoperation wegen Schilddrsenrestes, Karzinomrezidivs, lokoregionrer oder distanter Metastasen. 67
6 Transferrinrezeptorszintigraphie mit Gallium 67 Gallium komplexiert im Plasma mit Transferrin, wonach es ber den Transferrinrezeptor in die Zelle gelangt und schlielich in den Lysosomen gespeichert wird. Die Anreicherung erfolgt nur in proliferierenden, nicht jedoch in nekrotisierenden Tumorzellen. Die besten Ergebnisse werden unter Anwendung der SPECT erzielt. Hauptindikationen sind maligne Lymphome, insbesondere Morbus Hodgkin, histiozyta¨re Lymphome und das Burkitt-Lymphom sowie das Bronchialkarzinom. Zu beachten ist, da 67 Ga nicht tumorspezifisch ist, sondern sich auch in entzndlichen/granulomatsen Herden anreichert. Bei den Lymphomen sind prtherapeutische und sequentielle 67Ga-Szintigraphien ntzlich zur Beurteilung des Therapieerfolges, da zwischen Resttumor und Fibrose differenziert werden kann, und zur Frherkennung von Rezidiven. Sensitivitt und Spezifitt liegen bei 90 % mit einer Genauigkeit von 96 %. Beim Bronchialkarzinom geht es v. a. um die Frage einer hilren/mediastinalen Beteiligung, da davon das weitere therapeutische Vorgehen abhngt. Die Sensitivitt betrgt 55 % und die Spezifitt bei peripher gelegenem Primrtumor 96 % (Genauigkeit 84 %). Liegt der Primrtumor paramediastinal, betragen Spezifitt und Genauigkeit 84 % bzw. 61 %. Die 67Ga-Szintigraphie wird gelegentlich auch bei einigen Sarkomen wie dem malignen Schwannom, Ewing-Sarkom und Rhabdomyosarkom eingesetzt. Bei Rezidiven soll sie eine Sensitivitt von 93 % aufweisen, insbesondere im Bereich der Knochen, Thoraxwand und Pleura.
9
456
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Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
7 Szintigraphie des neuroektodermalen Systems 7.1 Szintigraphie mit Metaiodobenzylguanidin Zellen des APUD-Systems reichern Guanethidin an. Mit Hilfe eines mit 131J oder 123J markierten Analogons des Metaiodobenzylguanidins (MIBG) gelingt die szintigraphische Darstellung neuroektodermaler Tumoren. Die MIBG-Szintigraphie hat einen festen Platz in der Diagnostik und Verlaufskontrolle des Neuroblastoms und dient zur Lokalisierung befallenen Knochenmarks vor geplanter Punktion. Bei Pha¨ochromozytomen und Paragangliomen hat sich die MIBG-Ganzkrperszintigraphie u.a. zum Nachweis extraadrenaler Tumoren und Metastasen dem CTals berlegen erwiesen. Sie wird auch in der Nachsorge des medulla¨ren Schilddru¨senkarzinoms eingesetzt, z.B. bei Verdacht auf das Vorliegen einer multiplen endokrinen Neoplasie (MEN). Bei szintigraphisch nachgewiesener Speicherung kann 131J-MIBG mit palliativem Ansatz therapeutisch angewendet werden. Ein hnliches Indikationsspektrum wie die MIBG-Szintigraphie hat die im Folgenden beschriebene Somatostatinrezeptorszintigraphie. Tabelle 2 zeigt einen Vergleich beider Verfahren bei einigen Tumoren neuroektodermalen Ursprungs. Tabelle 2. Vergleich zwischen Somatostatinrezeptorszintigraphie (SRS) und MIBG-Szintigraphie (MIBG) bei einigen neuroendokrinen Tumoren. (Aus Krenning et al. 1993) Tumor
Positive Szintigramme SRS [%] (n)
MIBG [%]
(n)
Pha¨ochromozytom
86
(14)
88
(> 1000)
Neuroblastom
89
(9)
91
(841)
Paragangliom
100
(34)
52
(25)
Medulla¨res Schilddru¨senkarzinom
71
(28)
35
(178)
Karzinoid
96
(72)
70
(237)
Endokrine pankreatische Tumoren
80
(56)
25
(4)
7.2 Somatostatinrezeptorszintigraphie Die Somatostatinrezeptorszintigraphie (SRS) mit 111In-Pentetreotide, einem Analogon des Somatostatins, dient dem szintigraphischen Nachweis somatostatinrezeptorexprimierender Tumoren. Diese sind vorwiegend neuroendokriner Abstammung. Die SRS ist als Ganzkrperuntersuchung im Staging und Restaging der gastroenteropankreatischen Tumoren, insbeson-
Szintigraphie des neuroektodermalen Systems
457
9
Abb. 3. Somatostatinrezeptorszintigraphie bei Karzinoidrezidiv und Z.n. Lebertransplantation wegen Metastasen. Zwei benachbarte Herde im linken Hemiabdomen und eine Lymphknotenmetastase paraortal. Links planares Ganzko¨rperszintigramm in ventraler Sicht und rechts vier transversale SPECTSchnitte in Ho¨he der Metastasen
dere des Karzinoids, etabliert. Abbildung 3 zeigt ein Restaging bei Karzinoid. In vielen Fllen kann die Methode ein Ansprechen auf eine Somatostatinbehandlung vorhersagen, allerdings sagt ein negatives Szintigramm ein Therapieversagen nicht zwingend voraus. Derzeit sind Untersuchungen zur Therapie mit 90Yttrium-markiertem Pentetreotide im Gange. Weitere Tumoren mit hufiger Somatostatinrezeptorexpression sind Hypophysentumoren, das medulla¨re Schilddru¨senkarzinom, Meningeom und Astrozytom. In der Diagnostik des Neuroblastoms und des Pha¨ochromozytoms scheint die SRS der MIBG-Szintigraphie vergleichbare Ergebnisse
458
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
zu liefern, whrend sie bei anderen neuroendokrinen Tumoren sensitiver zu sein scheint (vgl. Tabelle 2). Die Spezifitt der Methode ist insgesamt gering, zumal auch eine Reihe granulomatser und autoimmuner Erkrankungen szintigraphische Anreicherungen aufweisen.
8 Lymphabstromszintigraphie Die Lymphszintigraphie ist ein einfaches und risikofreies Verfahren zur properativen Darstellung regionaler Lymphabflubahnen und Lymphknotengruppen sowie insbesondere des erstdrainierenden sog. Wchterlymphknotens, des „sentinel node“. Es werden 99mTc-markierte kolloidale Teilchen von unter 100nm Gre interstitiell injiziert, die in die Lymphkapillaren gelangen, von den (afferenten) Lymphgefen in der Lymphe abtransportiert und in den regionren Lymphknoten, v. a. dem oder den jeweiligen Wchterlymphknoten, phagozytiert werden. Aufnahmen erfolgen sofort nach Injektion (zur Darstellung der afferenten Lymphgefe und Markierung auf der Haut) und, je nach Teilchengre und Applikationsart, nach etwa 5 min bis 24 h (zur Lokalisierung des/der Wchterlymphknoten; ebenfalls Markierung auf der Haut). Der Szintigraphie folgt die intraoperative Detektion der Wchterlymphknoten mittels kollimierter Handsonden. Das Wchterlymphknotenkonzept verringert in der chirurgischen Onkologie die postoperative Morbiditt (Lymphdem), da es die Anzahl der zu entnehmenden Lymphknoten drastisch reduziert und bei nicht befallenem Wchterlymphknoten nicht die ganze betreffende Lymphknotenregion ausgerumt werden mu. Das Wchterlymphknotenkonzept wird in der klinischen Routine beim malignen Melanom der Haut und zunehmend beim Mammakarzinom eingesetzt. Die Sensitivitt des Verfahrens liegt bei etwa 95 %. Untersucht wird die Wertigkeit der Methode beim Prostata-, Vulva- und Peniskarzinom sowie bei Tumoren des Verdauungstrakts und beim differenzierten Schilddrsenkarzinom. Bei Tumoren im Kopf-/Halsbereich, ausgehend von der Haut oder den Schleimhuten, dient die Lymphszintigraphie zur Identifizierung der regionren afferenten Lymphbahnen und -knotenstationen, im besonderen zum Nachweis eines ipsi- und/oder kontralateralen Lymphabflusses.
9 Selektive Leberperfusionsszintigraphie Das Einsatzgebiet der selektiven Leberperfusionsszintigraphie sind die Vorbereitung und berwachung einer regionalen Chemotherapie von Lebermetastasen durch einen arteriellen intrahepatischen Katheter. In diesen Katheter wird 99mTc-makroaggregiertes Albumin (MAA) infundiert. Kombiniert mit einer systemischen Leberkolloidszintigraphie liefert das Ver-
Szintigraphische Differenzierung von Lebertumoren
459
fahren zuverlssige Aussagen ber den Sitz des Katheters und die Tumorperfusion und erfat bei periodischer Anwendung die hufigsten Komplikationen wie Dislokation und Verschlu des Katheters oder Thrombose der perfundierten Arterie. Der therapeutische Ansatz der Methode durch Verwendung von mit Betastrahlern wie 90Yttrium markiertem MAA hat die Erwartungen bisher nicht erfllt.
10 Szintigraphische Differenzierung von Lebertumoren Zur nichtinvasiven Dignittsbeurteilung von Raumforderungen in der Leber knnen auer den in den entsprechenden Kapiteln dargestellten Methoden die Leberblutpoolszintigraphie und die hepatobilire Funktionsszintigraphie herangezogen werden. Mit diesen beiden Verfahren (einzeln oder kombiniert) ist es mglich, insbesondere die relativ hufigen Leberhmangiome und die fokal-nodulre Hyperplasie (FNH) von anderen Tumoren abzugrenzen. Neuere Untersuchungsverfahren wie die Somatostatinrezeptorszintigraphie, die Immunszintigraphie mit monoklonalen Antiko¨rpern und die 18F-FDG-Untersuchungen (in SPECT- und PET-Technik) sind speziellen Fragestellungen vorbehalten und werden in den entsprechenden Abschnitten dargestellt. Bei der Leberblutpoolszintigraphie werden mit Hilfe von 99mTc-markierten Eigenerythrozyten Durchblutung und Blutreichtum (Blutpool) von Leberherden beurteilt. Leberhmangiome ab einer Gre von 1,5cm knnen so mit ber 90 ger Sensitivitt und Spezifitt erfat werden. Zur Leberfunktionsszintigraphie werden gallepflichtige 99mTc-markierte Lidocainderivate verwendet. Beurteilt werden die Perfusionsphase, die Anreicherungsphase in den Hepatozyten und die Ausscheidungsphase in das Gallengangsystem. Charakteristisch fr die FNH ist die schnelle und ausgeprgte Anreicherung Tabelle 3. Leberblutpoolszintigraphie und hepatobilia¨re Funktionsszintigraphie zur Differenzierung von Lebertumoren (+ Mehranreicherung, 0 normale Anreicherung, – Minderanreicherung) Methode
Ha¨mangiom
FNH
Adenom/hepatozellula¨res Karzinom/Metastase
Perfusion
–/0/+
0/+
–/0/(+)
Blutpool
+
0
–/0
Perfusion
–/0/+
0/+
–/0/(+)
Akkumulation
0
+
–
Elimination
–
+
–/0/+
Blutpoolszintigraphie
Funktionsszintigraphie
9
460
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
des Radiopharmakons mit einer verzgerten biliren Ausscheidung. Diese Kinetik schliet einen malignen Tumor aus. Tabelle 3 verdeutlicht die angesprochenen Zusammenhnge.
11 Immunszintigraphie Die Immunszintigraphie mit monoklonalen Antikrpern (MAk) oder deren Fragmenten basiert auf dem biologischen Prinzip der Antigen-AntikrperReaktion in vivo. Die verwendeten MAk sind fast ausschlielich murinen Ursprungs und gegen verschiedene tumorassoziierte Antigene gerichtet. Sie werden meist in eine Vene injiziert oder infundiert, knnen aber auch regional (z.B. intraperitoneal) oder selektiv (z.B. via Katheter in die A. hepatica) verabreicht werden. Die Aufnahme erfolgt in planarer und SPECT-Technik; auch die intraoperative Anwendung mit Hilfe kollimierter Handdetektoren wurde beschrieben. Die bisher nicht oder unvollstndig gelsten Probleme der Methode sind: F F F F
Fehlen eines wirklich tumorspezifischen Antigens, niedriges Anreicherungsverhltnis Tumor-/Nichttumorgewebe (< 0,01 % der applizierten Aktivitt/Gramm Tumorgewebe), Immunogenitt der murinen MAk, v. a. Bildung von Antiantikrpern, „HAMA“ (humane Anti-Maus-Antikrper) in 5…40 %, Heterogenitt der Antigenexpression zwischen Primrtumor und Metastasen.
Erfahrung im Umgang mit MAk und bei der Interpretation der Immunszintigramme ist eine wichtige Voraussetzung fr ein optimales Verhltnis der Charakteristika nach dem Bayes-Theorem. Die allgemeinen Empfehlungen zum Einsatz der Immunszintigraphie knnen wie folgt zusammengefat werden: F F F
Differenzierung maligner und benigner Raumforderungen, Rezidivsuche bei Erhhung der Tumormarker, Nachweis vitalen Tumorgewebes nach Therapie bzw. Differenzierung von nekrotischen/narbigen Vernderungen.
Die grten Erfahrungen liegen mit dem kolorektalen Karzinom, Ovarialkarzinom und malignen Melanom vor. Beim kolorektalen Karzinom betragen die Sensitivitt und Spezifitt der Anti-CEA-Immunszintigraphie 70…75 % bzw. 64…90 %. Hervorzuheben ist der positive prdiktive Wert von 85…97 %. Wie bei den meisten anderen MAk ist die Sensitivitt fr Lebermetastasen aufgrund der relativ hohen physiologischen Leberanreicherung des MAk und/oder dessen Metaboliten eingeschrnkt.
Positronenemissionstomographie
461
Die Anti-CA-125-Immunszintigraphie beim sersen Ovarialkarzinom weist fr Rezidive > 1,5 cm eine Sensitivitt und Spezifitt > 75 % auf. Die hchste Sensitivitt findet man mit 85 % im kleinen Becken. Beim malignen Melanom wird eine Sensitivitt von 76 % angegeben, davon fr Herde < 2 cm von 59 % und > 2 cm von 82 %. Nur etwa 25 % der Herde < 1 cm lieen sich lokalisieren. Die Spezifitt und der positive prdiktive Wert sollen nahezu 100 % betragen. Die weitere Entwicklung der Immunszintigraphie zielt auf Verbesserungen des Anreicherungsverhltnisses von Tumor- zu Nichttumorgewebe durch sog. „Pre-Targeting“-Techniken mit bispezifischen oder biotinylierten MAk und auf Reduktion der Immunogenitt durch Verwendung chimrer oder humaner MAk, kleinerer MAk-Fragmente (Fab oder Fv bzw. MRU [„molecular recognition units“]) sowie synthetischer Peptide („intelligente Molekle“). Ferner sind Bestrebungen im Gange, die MAk durch Markierung mit Betastrahlen emittierenden Radionukliden wie 90Yttrium, 131Jod, 153Samarium oder 186Rhenium therapeutisch anzuwenden („Radioimmuntherapie“). Erste klinische Studien liegen bereits vor.
12 Positronenemissionstomographie Die Positronenemissionstomographie (PET) ist ein bildgebendes Verfahren, bei dem die sog. „Vernichtungsstrahlung“ visualisiert wird. Sie entsteht durch Rekombination eines Positrons und eines Elektrons, wobei beide vernichtet werden. Durch diesen Vorgang werden pro Paar Positron/Elektron 2 Gammastrahlen von je 0,511 MeV in nahezu exakt entgegengesetzten Richtungen freigesetzt, die von in Koinzidenz geschalteten Detektoren registriert werden. Die derzeit gebruchlichsten Radionuklide sind 11C, 13N, 15 O und 18F. Mit ihnen knnen z.B. verschiedene Blutflumarker, Aminosuren, Nukleinsuren, Glukosemetaboliten und Zytostatika markiert werden. In der Onkologie hat 18F-Fluordesoxyglukose (18F-FDG) eine herausragende Bedeutung, da man vereinfachend betrachtet die Aggressivitt eines Tumors an der Intensitt seines Glukosestoffwechsels messen kann. Die PET ermglicht eine bildliche Darstellung mit hoher rumlicher Auflsung und eine Quantifizierung. Die derzeit akzeptierten onkologischen Indikationen fr PET sind in der Tabelle 4 zusammengestellt. Abbildung 4 zeigt ein metastasierendes nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom. Im chemotherapeutischen Management von Tumorpatienten haben radioaktiv markierte Zytostatika einen groen potentiellen Wert. So wurden die Anreicherung von 18F-FU in Tumorrezidiven des Beckens nach regionaler Applikation sowie die Konzentration in Lebermetastasen nach intravenser und intraarterieller Applikation gemessen. Dabei zeigte sich allgemein eine gute Korrelation zwischen Tumorwachstumsrate und der Konzentration von 18F-FU-Metaboliten im Tumorgewebe (r = 0,86 2 h
9
462
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
Tabelle 4. Onkologisches Indikationsspektrum fu¨r FDG-PET (nach der 3. interdisziplina¨ren Konsensuskonferenz „Onko-PET III“, 2000) Klinischer Nutzen erwiesen
Klinischer Nutzen wahrscheinlich Mo¨glicherweise hilfreich, Nutzen noch nicht belegt Blasenkarzinom: *
Lymphknotenstaging
*
Therapiekontrolle
Bronchialkarzinom: *
* * *
Dignita¨tskla¨rung/Differentialdiagnose pulmonaler Raumforderungen bei erho¨htem operativem Risiko Rezidivdiagnostik Lymphknotenstaging (NSCLC) Fernmetastasenstaging (mit Ausnahme des Gehirns)
*
Dignita¨tskla¨rung/Differentialdiagnose pulmonaler Raumforderungen ohne erho¨htes operatives Risiko
*
Bekanntes jodspeicherndes Rezidiv/Metastasen, wenn Nachweis weiterer Herde therapieentscheidend
*
Tumorgrading (biologische Aggressivita¨t) von Gliomen Bestimmung des vitalen Resttumors nach Operation Differentialdiagnose zerebrales Lymphom vs. Toxoplasmose
Diff. Schilddru¨senkarzinome: *
Rezidiv/Metastasenverdacht (hTG oder pathologische Bildgebung, negative Jodszintigraphie)
Hirntumoren: *
*
*
Rezidivdiagnostik bei high-grade Gliomen maligne Entdifferenzierung eines Gliomrezidivs Bestimmung des Biopsieortes bei V.a. Gliom
*
*
Knochen- und Weichteiltumoren: *
Dignita¨tskla¨rung/Differentialdiagnose (benigne/maligne des Prima¨rtumors oder des biologisch aggressivsten Herdes fu¨r die Planung des operativen Vorgehens
*
Therapiekontrolle
Kolorektale Karzinome: *
Restaging bei V.a. Lokalrezidiv, Lymphknoten- und Fernmetastasen (Tumormarkeransteig und/oder unklarer Rundherd in morphologischer Bildgebung)
Positronenemissionstomographie
463
Tabelle 4. (Fortsetzung) Klinischer Nutzen erwiesen
Klinischer Nutzen wahrscheinlich Mo¨glicherweise hilfreich, Nutzen noch nicht belegt
Kopf-Hals-Tumoren: *
* *
Suche nach unbekanntem Prima¨rtumor bei vorliegender Histologie und unauffa¨lliger morphologischer Bildgebung (CUP) Lymphknotenstaging Rezidivdiagnostik (> 3 Monate nach Radiatio)
*
Verdacht auf Zweittumor
Maligne Lymphome: M. Hodgkin: *
Staging Therapiekontrolle
*
Staging
*
9
Non-Hodgkin-Lymphome (high-grade): *
Therapiekontrolle
Malignes Melanom: * *
*
Rezidivdiagnostik Verlaufskontrolle bei pT3 und pT4 Verlaufskontrolle bei < pT3 mit Metastasen
*
Lymphknotenstaging und Fernmetastasensuche bei Breslow > 1,5 mm oder bekannter Lymphknotenmetastasierung
Mammakarzinom: *
Lymphknotenstaging (ohne Nutzen bei kleineren Tumoren)
*
*
Dignita¨tskla¨rung/ Differentialdiagnose Mammakarzinom vs. benigne La¨sionen Fernmetastasensuche
Nicht-seminomato¨se Keimzelltumoren des Mannes: *
Therapiekontrolle, außer bei differenziertem Teratom
* *
Lymphknotenstaging Verlaufskontrolle
O¨sophaguskarzinom: * *
Lymphknotenstaging Fernmetastasensuche Ovarialkarzinom: *
Rezidivdiagnostik
464
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
Tabelle 4. (Fortsetzung) Klinischer Nutzen erwiesen
Klinischer Nutzen wahrscheinlich Mo¨glicherweise hilfreich, Nutzen noch nicht belegt
Pankreaskarzinom: *
Dignita¨tskla¨rung/Differentialdiagnose Pankreaskarzinom vs. Pankreatitis
*
Rezidivdiagnostik
Abb. 4. 18F-FDG-PET bei metastasierendem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom mit Hirnmetastasen. Zwei Lungenherde im jeweils koronalen, sagittalen und transversalen Schnitt (obere und mittlere Reihe, v.l.n.r.) und zwei Hirnmetastasen im transversalen Schnitt (untere Reihe)
Magnetresonanzspektroskopie
465
nach Applikation). Eine erfolgreiche Chemotherapie mit FU setzt eine gute Perfusion des Tumors, hohen FU-Antransport zu den Tumorzellen und hohe Metabolisierung von FU in den Tumorzellen voraus. Nach den bisherigen Ergebnissen bedeutet eine niedrige Konzentration von 18F-FU-Metaboliten im Tumor eine niedrige Ansprechwahrscheinlichkeit auf die Chemotherapie. Bei Lebermetastasen wurde eine Tumorregression nur bei SUV-Werten > 3,5 beobachtet. 18 F-Fluoromisonidazol (18F-FMISO) reichert sich aktiv in vitalen, hypoxischen Zellen mit Nitroreduktaseenzymen an. Da die Hypoxie einen der diskutierten Mechanismen der Strahlenresistenz einiger Tumoren reprsentiert, knnte die Bestimmung der 18F-FMISO-Konzentration in Tumoren in strahlenbiologischen Studien sowie in der Planung und berwachung von Therapieprotokollen ntzlich sein.
13 Magnetresonanzspektroskopie Die Magnetresonanzspektroskopie (MRS) macht insbesondere in Verbindung mit der Magnetresonanztomographie Fortschritte in der Differenzierung von malignem Tumorgewebe und nicht-tumorsen Lsionen. Unter Therapie kommt es zu einer Vernderung des 31Phosphor-Spektrums im Tumorgewebe, bevor dieser Therapieeffekt morphologisch fabar wird. Die 31P- und 1H-Magnetresonanzspektroskopie in vivo ist fr den klinischen Einsatz noch nicht ausreichend validiert. 19F-MRS knnte zur Erfassung der intratumoralen Pharmakokinetik von Fluorouracil Bedeutung erlangen. Literatur Bangerter M, Griesshammer M, Bergmann L (1999) Progress in medical imaging of lymphoma and Hodgkin’s disease. Curr Opin Oncol 11:339…342 Bombardieri E, Crippa F, Baio SM et al (2001) Nuclear medicine advances in breast cancer imaging. Tumori 87:227…287 Bll U, Schicha H, Biersack H-J et al (Hrsg) (1999) Nuklearmedizin. 3. Aufl. Thieme, Stuttgart Cremerius U, Bll U (1999) The present role of bone marrow scintigraphy. Eur J Nucl Med 26:191…193 Ferrand SK, Chen CC, Dilsizian V, Neumann RD (1999) What is new in nuclear medicine imaging? Surg Oncol Clin N Am 8:185…204 Kalofonos HP, Karamouzis MV, Epenetos AA (2001) Radioimmunoscintigraphy in patients with ovarian cancer. Acta Oncol 40:549…557 Krausz Y (2001) Nuclear endocrinology as a monitoring tool. Semin Nucl Med 31:238…250 Krenning EP, Kwekkeboom DJ, Bakker WH et al (1993) Somatostatin receptor scintigraphy with [111In-DTPA-D-Phe1]- and [123I-Tyr3]-octreotide: the Rotterdam experience with more than 1000 patients. Eur J Nucl Med 20:716…731
9
466
9
Prinzipien der nuklearmedizinischen Diagnostik
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10 Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
10.1 Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren T. Rsch, M. Classen
1 O¨sophaguskarzinom 1.1 Histologie Plattenepithelkarzinom (Inzidenz abnehmend); Adenokarzinom des distalen sophagus und des sophagogastralen bergangs (Inzidenz zunehmend; wahres Ausma umstritten, da in einigen Untersuchungen auch die Endoskopiefrequenz stark zugenommen hat). 1.2 Diagnose Endoskopie und Biopsie verdchtiger Lsionen. Jeder Patient mit neu aufgetretenen sophagealen Symptomen (v.a. Dysphagie) mu endoskopiert werden. Bei stenosierenden Karzinomen vorsichtige Bougierung mit dem Ziel der Endoskoppassage (Stenosenlnge). Alternativ: Radiologie. 1.3 Screening Reihenuntersuchungen asymptomatischer Personen in Europa wegen relativ niedriger Inzidenz nicht Kosten-Nutzen-effektiv (Screeninguntersuchungen in China mittels Endoskopie und blind eingefhrter Zytologiesonden erfolgreich). Screening von Risikogruppen: mit Endoskopie und Biopsie. Zustzlich: F
F F
Frbemethoden (z.B. 0,8%ige Lugol-Lsung im Plattenepithel) machen Areale von Dysplasie und oberflchlichem Karzinom sichtbar; Sensitivitt 80…90%, Spezifitt schlechter. Brstenzytologie. Die weitere Analyse des gewonnenen Gewebematerials ist derzeit ohne eindeutige klinische Relevanz (Durchfluzytometrie, Bestimmung von Onkogenen, Tumorsuppressorgenen etc.).
10
468
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
1.3.1 Screening fu¨r Plattenepithelkarzinom
1) Patienten mit Karzinomen im HNO-, Mund-Kiefer-Gesichtsbereich und Patienten mit Bronchialkarzinomen (10…30%). 2) Patienten mit Achalasie (bis zu 5% nach 10…20 Jahren). 3) Kaustische sophagusstrikturen. 4) Plummer-Vinson-Syndrom. Empfehlungen: GD bei Diagnosestellung bei 1); Rolle der Endoskopie in der Tumornachsorge bei 1) sowie im Follow-up von 2) und 3) nicht belegt (jhrlich?). 1.3.2 Screening fu¨r Adenokarzinom des distalen O¨sophagus: Barrett-O¨sophagus (Endobrachyo¨sophagus) F
F
F
Definition: Ersatz (Umdifferenzierung) des Plattenepithels im distalen sophagus durch einschichtiges Zylinderepithel mehr als 3 cm („long Barrett“). Endoskopische Lngenmessung vom angenommenen unteren Sphinkter (Einengung beim bertritt in den Magen bzw. die Hiatushernie, evtl. auch erkennbar durch unterschiedliche Gefzeichnung) bis zur Z-Linie. Unter 3 cm spricht man vom „short“ oder „short segment“-Barrett. Folge eines Refluxschadens. Nahezu ausschlielich der intestinale Typ entwickelt Dysplasien/Karzinome, so da die Barrett-Definition heutzutage auf den intestinalen Typ beschrnkt ist. Das in Routinebiopsien von der normalen Z-Linie in 10…20% nachweisbare intestinale Epithel wurde frher miverstndlich als „ultrashort“ oder „mikroskopischer Barrett“ bezeichnet. Angesichts der unklaren Signifikanz dieser Vernderungen und ihrer wahrscheinlichen Zugehrigkeit zur intestinalen Metaplasie des Magens sollte eher von „spezialisierter intestinaler Metaplasie“ (SIM) der Kardia gesprochen werden. Nach bisher vorliegenden Daten sind Dysplasien hier auerordentlich selten, so da derzeit eine generelle Empfehlung zur Routinebiopsie der normalen Z-Linie nicht ausgesprochen werden kann. Eine genaue Inspektion der Z-Linie und Biopsie von Zunge und von fokalen Aufflligkeiten ist allerdings anzuraten. Diagnose durch Endoskopie (Verlagerung des sophagogastralen Schleimhautbergangs proximal des unteren sophagussphinkters) und Biopsie (Nachweis des Zylinderepithels bei spezialisiertem intestinalem Epithel mit Alcianblau-positiven Becherzellen). Karzinominzidenz: 1:46…1:441 Patientenjahre; allerdings scheint die Inzidenz durch einen Publikationsbias (Studien mit kleineren Fallzahlen haben eine hhere Inzidenz) bisher als zu hoch eingeschtzt worden zu sein.
10.1 F
F
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren
469
Lnge des Barrett-sophagus korreliert vage mit dem Karzinomrisiko; Karzinome sind aber auch im „short Barrett“ (< 3 cm) und sogar in Zungen beschrieben. Rolle weiterer endoskopischer Verfahren (Vergrerung, Frben, Fluoreszenzmethoden) derzeit nicht klar, evtl. gezielte Biopsie. Endoskopisches Screening: Bei Erstdiagnose Stufenbiopsie (alle 4 Quadranten alle 1…2 cm von distal nach proximal) sowie Biopsie aller verdchtiger Lsionen (Ulkus, Erosion, Schleimhautirregularitt). Eine solche ausgedehnte und sorgfltige Untersuchung erfordert Zeit, ist zur korrekten Einschtzung des Barrett-sophagus aber unbedingt erforderlich. 3-Minuten-Endoskopien mit vereinzelten Biopsien in ein Gef entsprechen nicht den Qualittsanforderungen. … Kein Dysplasienachweis (von manchen Autoren wird zur Absicherung eine zustzliche Brstenzytologie empfohlen): Kontrollen in 3 Jahren; hier haben sich die Richtlinien gendert; zu diskutieren ist die erste Follow-up-Untersuchung nach 1 Jahr und danach (bei Abwesenheit von fokalen Lsionen und Dysplasien aus den Stufenbiopsien) in 3Jahres-Abstnden. Voraussetzung ist aber immer die sorgfltige Endoskopie und sachgerechte Stufenbiopsie (s.o.). … Dysplasienachweis: Niedriggradig (niedriggradige intraepitheliale Neoplasie): Biopsiewiederholung (s.oben), wenn Besttigung, Kontrolle in 3…6 Monaten. Hochgradig (hochgradige intraepitheliale Neoplasie): Biopsiewiederholung und Besttigung durch zweiten Pathologen wnschenswert; wenn Besttigung: Operation erwgen (in Abhngigkeit von Alter, Operationsrisiko etc.); bei fokalen Lsionen und vor allem bei eingeschrnktem Operationsrisiko ist die endoskopische Mukosektomie in einem Zentrum mit entsprechender Erfahrung eine ernst zu nehmende Alternative. Amerikanische Autoren behaupten allerdings, da extensive Biopsiekontrollen treffsicher zwischen alleiniger hochgradiger Dysplasie und Karzinom unterscheiden knnten, somit die Karzinomentwicklung frh erkannt werden knnte.
Ein solches engmaschiges berwachungskonzept ist bezglich KostenNutzen-Relation (Entdeckung von therapierbaren Frhkarzinomen, berlebensvorteil von Patienten im Screening-Programm) umstritten. Vergleichende Langzeitstudien liegen hierzu noch nicht vor. Zumeist retrospektive Langzeitstudien haben ergeben, da die berwiegende Mehrzahl der Barrett-Patienten nicht an ihrem Barrett-Karzinom sterben. Deswegen ist das berwachungsvorgehen immer individuell (Alter, Operabilitt) abzustimmen.
10
470
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
1.4 Staging 1.4.1 TNM-Klassifikation (1997)
T-Kategorie T1 Mukosa/Submukosa (T1m/T1sm), T2 Muscularis propria, T3 Adventitia, T4 Nachbarstrukturen. N-Kategorie N0/N1: keine/regionre Lymphknotenmetastasen; zur Beurteilung der N-Kategorie sind Lymphadenektomie und die histologische Untersuchung von mindestens 6 Lymphknoten erforderlich.
Abb. 1. Schematische Darstellung der Wuchsformen des O¨sophaguskarzinoms. Die Fru¨hformen (linke Seite; „superficial types“) entsprechen i.a. dem Stadium T1 (Sensitivita¨t und Spezifita¨t der endoskopisch-makroskopischen Diagnostik: 80–90%). Typ 1 und 2 der fortgeschrittenen Formen (rechte Seite) entsprechen mit einer nur 50%igen Sensitivita¨t dem Stadium T2, wa¨hrend Typ 3 und 4 den Stadien T3 und T4 mit einer ca. 80ı¨gen Sensitivita¨t und Spezifita¨t entsprechen. (Nach Dittler et al., Gastrointest Endosc 1992, 38:662)
10.1
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren
471
Weiterhin bedeutet Kategorie M1a Metastasen in zliakalen Lymphknoten fr Tumoren des unteren und Metastasen in zervikalen Lymphknoten fr Tumoren des oberen thorakalen sophagus. 1.4.2 Endoskopie
Der endoskopische Aspekt (Abb.1) kann beim Erfahrenen mit 70…80% Treffsicherheit die Tumoreindringtiefe voraussagen, v.a. beim Frhkarzinom und bei fortgeschrittenen Tumoren. Die Unterscheidung zwischen den Stadien T2 und T3 gelingt schlechter. Mit dem Endoskop nicht passierbare Tumorstenosen sind fast immer (85…95%) und vor allem beim Plattenepithelkarzinom (nahezu 100%) im Stadium T3 oder T4. 1.4.3 Endosonographie (Abb.2)
Bestimmung des lokoregionren Tumorstadiums mit 75…90% (T-Kategorie) und 60…80% (N-Kategorie) Treffsicherheit. Probleme durch peritumorse Entzndung („Overstaging“) und in der Unterscheidung zwischen benignen und malignen Lymphknoten, was vor allem im Stadium M1a relevant ist (mgliche Lsung: EUS-gezielte Feinnadelpunktion). 1.4.4 Ultraschall (US) und Computertomographie (CT)
Suche nach Fernmetastasen, v.a. in der Leber. Anmerkung: Nach neueren Studien vorwiegend bei Patienten mit kolorektalem Karzinom sind US und konventionelle Kontrast-CT in der Lebermetastasendiagnostik nur zu 50…60% sensitiv; erfolgversprechender scheinen Angio-CT-Verfahren oder die Mehrzeiten-Spiral-CT zu sein (sensitiver, aber weniger spezifisch). Die Kernspintomographie, v.a. mit lebergngigen Kontrastmitteln, hat in
Abb. 2. Schematische Darstellung des endosonographischen Stagings gastrointestinaler Karzinome. Treffsicherheit 80–90% fu¨r T1, T3 und T4, im Stadium T2 etwas niedriger (70%)
10
472
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
einigen Studien hnlich gute oder sogar bessere Ergebnisse geliefert; sichere vergleichende Daten zu den verschiedenen CT- und MR-Techniken liegen aber nicht vor. 1.4.5 Laparoskopie F F F
Lokoregionres Staging bei kardianahen Tumoren, Suche nach Fernmetastasen (Lebermetastasen in 5…25%), Diagnose von limitierenden Begleiterkrankungen (z.B. Leberzirrhose).
1.4.6 Vorgeschlagenes generelles Procedere beim Tumorstaging F F F
Klrung der Operabilitt des Patienten, Ausschlu von Fernmetastasen, Lokoregionres Staging zur Klrung der Resektabilitt (sinnvoll, wenn verschiedene Tumorstadien verschiedene Therapieformen bedingen).
2 Magenkarzinom 2.1 Histologie Adenokarzinom (Klassifikation nach Lauren: intestinaler/diffuser Typ, letzterer mit schlechterer Prognose); seltene Karzinomformen (adenosquamses Karzinom, Parietalzellkarzinom, Chorionkarzinom). Inzidenz des distalen Karzinoms abnehmend, des proximalen Karzinoms zunehmend. 2.2 Diagnose Endoskopie mit Biopsie verdchtiger Lsionen; zustzliche Methoden: Frbemethoden (z.B. Indigokarmin) machen dysplastische und karzinomatse Areale besser sichtbar. Inwieweit eine routinemige Anwendung von Frbemethoden die Diagnoserate von Frhkarzinomen erhhen wrde, ist nicht untersucht. 2.3 Screening Reihenuntersuchungen asymptomatischer Personen haben sich in Europa anders als in Japan (hhere Inzidenz des Magenkarzinoms) nicht durchgesetzt. Sinnvoll kann das Screening von Risikoerkrankungen sein. 1) Magenulkus. Kein Entartungsrisiko eines primr benignen Ulkus, aber immer Biopsien (mindestens 6 aus Ulkusrand und Ulkusgrund) zur Differenzierung eines ulzerierenden Karzinoms notwendig (cave: auch maligne Ulzera knnen unter Therapie zumindest teilweise „abheilen“). Ob ein endoskopisches Follow-up eines makroskopisch „unverdchtigen“ und initial bioptisch negativen Ulkus bis zur Abheilung ntig ist …
10.1
2)
3)
4)
5)
6) 7)
8)
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren
473
wie vielfach gefordert …, ist umstritten (in solchen Fllen wird im Verlauf in maximal 1…2% der Flle ein Karzinom diagnostiziert). Zustand nach Magenteilresektion (v.a. nach Billroth II). Erhhtes Risiko nach 15…25 Jahren; Ausma umstritten, maximale Angaben liegen bei 4- bis 5facher Risikoerhhung. Ob ein regelmiges endoskopisches Screening (z.B. jhrlich) die Frherkennungsrate an Magenstumpfkarzinomen und somit das berleben erhht, ist unklar. Magenpolypen. Adenom: Entartungsrisiko; endoskopische oder chirurgische Entfernung empfohlen; … Hyperplastische Polypen: sehr geringes Entartungsrisiko; deswegen v.a. bei solitrem und/oder grerem Polypen Polypektomie empfohlen. … Drsenkrperzysten (multiple Korpus- und Funduspolypen): Kein Entartungsrisiko; aber Assoziation mit familirer adenomatser Polypose in bis zu ein Drittel der Flle. M. Me´ne´trier (Riesenfaltengastritis). Karzinomrisiko bis zu 10% angegeben; keine verbindlichen berwachungsempfehlungen (jhrlich?). Aber: Assoziation mit Helicobacter pylori und Rckbildung nach Eradikation beschrieben. Intestinale Metaplasie (Typ I…III nach Zelldifferenzierung und Becherzellgehalt). Assoziation v.a. von Typ III mit Adenokarzinom vom intestinalen Typ, aber langer und unvorhersagbarer Zusammenhang der Karzinomentwicklung; keine verbindlichen berwachungsempfehlungen. Chronisch atrophische Gastritis. Vor allem bei der Typ-A-Gastritis, in Assoziation mit perniziser Anmie; Karzinomrate um 1%. Keine verbindlichen berwachungsempfehlungen. Dysplasie. Die histologische Diagnose Dysplasie stammt meist aus Biopsien makroskopischer Lsionen (Ulkus, Polyp) und sollte durch einen erfahrenen gastrointestinalen Pathologen besttigt werden. Hochgradige Dysplasie bedeutet meist das Vorliegen eines Karzinoms, auch die niedriggradige Dysplasie trgt ein erhhtes Karzinomrisiko und bedarf endoskopisch-bioptischer Kontrollen (zunchst 3, dann 6 Monate, dann 1 Jahr). Helicobacter pylori und Magenkarzinom. Die Helicobacter-pylori-Infektion ist von der WHO als Risikofaktor 2. Ordnung fr die Entstehung eines Magenkarzinoms anerkannt. Eine Assoziation besteht mit Risikoerkrankungen wie der chronisch atrophischen Gastritis und intestinalen Metaplasie. Derzeit besteht jedoch keine generelle Indikation zur Helicobacterdiagnostik mit dem Ziel der Eradikation zur Prophylaxe des Magenkarzinoms. Die Ergebnisse laufender Studien werden erst in einigen Jahren vorliegen. Allerdings ist im Einzelfall eine Eradikationstherapie bei jungen Patienten (v.a. bei positiver Familienanamnese) mit Nachweis von Helicobacter pylori in Korpus und Antrum zu erwgen.
10
474
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
2.4 Staging 2.4.1 TNM-Klassifikationen (1997)
T1 T2 T3 T4
Mukosa/Submukosa (T1m/T1sm), Muscularis propria/Subserosa, Penetration der Serosa, keine Infiltration benachbarter Strukturen, benachbarte Strukturen.
N-Kategorie: N1 Metastasen in 1…6 regionren Lymphknoten, N2 7…15 LK, N3 mehr als 15 LK. Zur Beurteilung der N-Kategorie ist daher eine Lymphadenektomie und histologische Untersuchung von 15 oder mehr Lymphknoten erforderlich. Als nicht-regionre Lymphknoten gelten retropankreatische, mesenteriale oder paraaortale Lymphknoten. 2.4.2 Endoskopie
Endoskopische Klassifikation von Frhkarzinomen aus Japan (Abb. 3) und von fortgeschrittenen Karzinomen nach Borrmann (Abb. 4). Treffsicherheit der Endoskopie in der Unterscheidung zwischen Frhkarzinom und fortgeschrittenem Karzinom ca. 60…80% beim Erfahrenen. 2.4.3 Endosonographie (EUS) (s. Abb. 2)
Nur lokoregionres Staging; Treffsicherheit 70…85% (T-Kategorie) bzw. 60…80% (N-Kategorie; schlechtere Ergebnisse bei N2 als bei N1 nach der alten TNM-Klassifikation). Probleme: Unterscheidung zwischen mukosaler und submukosaler Infiltration im Stadium T1 (mgliche Lsung: hhere Ultraschallfrequenzen), Overstaging durch peritumorse Entzndung (v.a. bei ulzerierenden Frhkarzinomen), Differenzierung individueller Lymphknoten (mgliche Lsung: EUS-gezielte Feinnadelpunktion). Der EUS spielt nahezu keine Rolle in der Primrdiagnose, z.B. in der Differenzierung zwischen benignen und malignen Ulzera; evtl. zustzliche Bedeutung in der Diagnose der biopsienegativen Linitis plastica. 2.4.4 Laparoskopie
Zur Suche nach Fernmetastasen in Leber und Peritoneum zusammen mit US und CT, zustzlich auch lokoregionre Ausbreitung beurteilbar. Hat sich bei verbesserter Bildgebung nicht generell durchgesetzt.
10.1
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren
Abb. 3
475
Abb. 4
10
Abb. 3. Japanische Klassifikation des Magenfru¨hkarzinoms: I „polypoid“; II a „elevated“, II b „flat“; II c „depressed“; III „excavated“ Abb. 4. Klassifikation des fortgeschrittenen Magenkarzinoms nach Borrmann: I polypoide Wuchsform; II polypoid mit oberfla¨chlicher Ulzeration; III vorwiegend ulzero¨s mit wenig intraluminaler Prominenz; IV infiltrativ, „Linitis plastica“
3 Magenlymphom Fast immer Non-Hodgkin-Lymphome; der Magen ist der hufigste Befallsort des lokalisierten Lymphoms im Gastrointestinaltrakt. Ausgangspunkt vermutlich aller primren Magenlymphome ist wahrscheinlich das sog. „mucosa-associated lymphoid tissue“ (MALT). 3.1 Diagnose Endoskopie mit Biopsie; vielfltiges endoskopisches Bild: lokalisiert (Ulkus, karzinomhnlich, submukser Tumor) oder diffus (Faltenverdickung, z.T. wie bei Linitis plastica, multiple Erosionen/Ulzera), allein oder in Kombination. Oft sind wiederholte Biopsien und/oder Makropartikelbiopsien (v.a.
476
10
Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
bei diffuser Form) notwendig. Bei wiederholt negativer Biopsie kann ein eindeutiger endosonographischer Befund (deutliche echoarme Wandverdickung mit zumindest teilweiser Aufhebung der Schichtstruktur) die Diagnose untermauern. Eine histologische Sicherung ist jedoch schon wegen der Therapieplanung (Differenzierungs- und Malignittsgrad) notwendig. Nicht selten befinden sich Areale verschiedenen Differenzierungsgrades im selben Tumor nebeneinander. Bestimmung des Helicobacter-pylori-Status: Bei „low-grade“ Non-Hodgkin-Lymphomen mit oberflchlichem Wandbefall (Mukosa/Submukosa EI1, s.u.) kommt es in 60…80% nach Eradikationstherapie zu einer meist vollstndigen Lymphomrckbildung; Langzeitstudien fehlen derzeit noch. Offenbar sprechen in gut dokumentierten und zu berwachenden Einzelfllen auch hochmaligne Lymphome auf eine Eradikation an; generelle Empfehlungen knnen hier aber nicht gegeben werden. 3.2 Staging Vorgeschlagenes Stagingsystem fr Magenlymphome („Lugano“-Klassifikation, modifizierte Musshoff-Klassifikation). Stadium EI1 Uni- oder multilokulrer Magenbefall (oder sonstige Lokalisationen im Gastrointestinaltrakt) mit Beschrnkung auf Mukosa und Submukosa, EI2 Infiltration von Muscularis propria oder Serosa, aber nicht eines Nachbarorgans, EII1 Zustzlich Organinfiltration oder Befall regionrer Lymphknoten, EII2 Befall infradiaphragmaler Lymphknoten jenseits der regionren Lymphknoten, EIII Lymphknotenbefall ober- und unterhalb des Zwerchfells, EIV Diskontinuierlicher oder disseminierter Befall eines oder mehrerer extraintestinaler Organe. F F F
Histologie zur Bestimmung des Lymphomtyps. Ausschlu eines generalisierten Lymphoms (z.B. Ultraschall, Thoraxund Abdomen-CT, Knochenmarks-Punktion etc.) Lokoregionres Staging: Tiefenausdehnung, lokoregionre Lymphknoten per Endosonographie; longitudinale Ausdehnung per Endoskopie mit Stufenbiopsien und Endosonographie.
10.1
Endoskopische Diagnostik gastroenterologischer Tumoren
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4 Kolorektales Karzinom 4.1 Diagnose Endoskopie mit Biopsie oder Polypektomie (bei Polypen, fokales Karzinom oft als Zufallsbefund). Bei stenosierenden Tumoren: Stenosekoloskop oder, wenn auch mit diesem Gert nicht passierbar, Kolonkontrasteinlauf zum Ausschlu von Zweittumoren. Untersuchung von symptomatischen Personen (Blut im Stuhl, neu aufgetretene ˜nderungen der Stuhlgewohnheiten). 4.2 Screening Bekannte Risikogruppen (NB: asymptomatische Personen/Patienten); unbedingt Familienanamnese erheben. 4.2.1 Vorgehen Ha¨moccult-Screening
Niedrige Sensitivitt (10% fr grere Adenome, 25…50% fr Karzinome) und prdiktiver Wert. Aber: Senkung der Mortalitt des Kolonkarzinoms durch Hmoccult-Screening in der Grenordnung von 10…20% inzwischen durch mehrere groe Studien belegt. Flexible Sigmoidoskopie
Als Screening senkt die flexible Sigmoidoskopie ebenfalls die Mortalitt des kolorektalen Karzinoms, und zwar um ca. 20…40%. Personen mit distalen Polypen (sigmoidoskopisch gesehen) haben ein erhhtes Risiko eines proximalen Adenoms/Karzinoms, wenn der distale Polyp ein Adenom ist; vermutlich nicht im Falle eines hyperplastischen Polypen (fr beide Behauptungen gibt es auch einige gegenteilige Studien). Nach neueren Erhebungen scheinen proximale Polypen und Karzinome (auch bei negativem distalem Befall) zuzunehmen. Screeningkoloskopie
Machbarkeit und Kosten-Nutzen-Effekt im Vergleich zu Hmoccult und/ oder flexibler Sigmoidoskopie unklar. Im Vergleich zur zu erwartenden Krebsprvalenz fhrt eine Screening-Koloskopie mit Abtragung aller gefundenen Polypen („clean colon“) allerdings zu einer Reduktion von Kolonkarzinomen um 70…80%. Rechenmodelle weisen der Screening-Koloskopie eine hnlich gute Kosten-Nutzen-Relation zu wie anderen etablierten VorsorgeProgrammen. Deswegen wird in Deutschland von den Kassen auch die
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Screening-Koloskopie (zum 55. und wiederholt zum 65. Lebensjahr) bernommen. Probleme der Qualittssicherung mssen aber gelst werden. Nachuntersuchung von Personen mit Kolonpolypen
Nach Polypektomie („clean colon“) sind Nachuntersuchungen im allgemeinen nach 3 Jahren ausreichend. Ausnahme: „Risiko“-Adenome (groe, villse Adenome, Dysplasie), fraglich vollstndige Abtragung. Positive Familienanamnese (Kolonkarzinom)
V.a. bei erstgradigen Verwandten in jngerem Alter und bei mehr als einem Verwandten; neuere Studien belegen auch bei lteren erstgradigen Verwandten ein erhhtes Tumorrisiko. Verwandte mit familirer adenomatser Polypose (FAP). Hereditre Non-Polyposis-Krebs-Syndrome (Lynch-Syndrom) betreffen ca. 5% aller kolorektalen Karzinome; hier ist das Auftreten von metachronen Karzinomen drastisch erhht. Kolonpolyp/Karzinom nach Operation oder Polypektomie Patienten mit la¨ngerdauernder Colitis ulcerosa
Die Berechnung der Karzinominzidenz (nach 15…25 Jahren 2…35% je nach Studie) ist stark von der Patientenselektion der jeweiligen Studie abhngig; Risiko ist erhht v.a. bei frhem Krankheitsbeginn (< 25 Jahre), bei lngerer Krankheitsdauer (> 10 Jahre?; sicher > 25 Jahre) und bei Pankolitis. Auch Patienten mit Crohn-Kolitis haben ein bis zu 2,5fach erhhtes Kolonkarzinomrisiko. Diese Karzinome treten oft multizentrisch und als flache, infiltrative Lsionen auf; sie sind deshalb endoskopisch nicht immer sicher zu identifizieren. Histologisch oft undifferenzierte Karzinome mit Lymphknotenmetastasierung bei Diagnosestellung. Zu achten ist insbesondere auf Areale mit erhabenen Lsionen („dysplasia-associated lesion of the mucosa“ = DALM). Screening mit Endoskopie und Biopsie: a) aller verdchtigen, insbesondere erhabenen Areale; b) Stufenbiopsie alle 10cm: Suche nach Dysplasie; Klassifikation in negativ/positiv: niedrig und hochgradig/unklar („indefinite“). Aber: Nicht bei akuter Entzndung beurteilen. Die Interobservervariabilitt ist allgemein hoch (30…70%)! Verbesserungen der Detektionsrate durch Frbemethoden wahrscheinlich. Der Wert des Screenings bzw. die Bewertung der Bedeutung der Dysplasie ist daher umstritten. Probleme: Karzinome, die nach Kolektomie nur wegen Dysplasie entdeckt wurden, sind selten (2…5%). Karzinome werden auch ohne vorherige Dysplasie diagnostiziert. Die Compliance der Patienten ist sehr unterschiedlich. Deswegen ist der Einflu eines berwachungs-
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programms auf die Frherkennungsrate und insbesondere auf das berleben unklar. Empfehlungen: Bei Colitis ulcerosa und Crohn-Pankolitis > 10 Jahre Koloskopie mit Stufenbiopsie: F F
Keine Dysplasie: Koloskopie alle 3 Jahre. Dysplasie: Besttigung durch zweiten Pathologen mit ausreichender Erfahrung in GI-Pathologie wnschenswert. Hufigere Kontrolle oder (hochgradige, besttigte Dysplasie, makroskopisch verdchtige Areale): Kolektomie erwgen. Wenn vom Patienten abgelehnt: engmaschige Kontrollen mit Stufenbiopsien bis zur Sicherung eines Karzinoms.
Kein signifikant erho¨htes Risiko nach Cholezystektomie
Mglicherweise gering erhhtes Risiko fr Frauen nach Cholezystektomie fr rechtsseitiges Kolonkarzinom (gemeinsame ˜tiologie?, da erhhtes Risiko ebenso fr Gallensteintrger). 4.3 Staging TNM-Klassifikationen (1997): T1 bis Submukosa, T2 bis Muscularis propria, T3 Subserosa oder nicht peritonealisiertes Umgebungsgewebe, T4 direkte Organinfiltration oder Perforation des viszeralen Peritoneums. N-Kategorie: N0 keine regionren Lymphknotenmetastasen, N1 Metastasen in 1…3 regionren Lymphknoten, N2 Metastasen in 4 oder mehr regionren Lymphknoten. Zur Beurteilung der N-Kategorie ist eine regionre Lymphadenektomie und histologische Untersuchung von mindestens 12 Lymphknoten erforderlich. F
F
Kla¨rung der allgemeinen Operabilita¨t und Ausschlu von Fernmetastasen (siehe sophaguskarzinom). Aber: Bei stenosierendem Kolonkarzinom ist die Operation auch palliativ indiziert (Ausnahme evtl. Rektumkarzinom; s. endoskopische Therapie); auerdem ist auch die Resektion einzelner Lebermetastasen sinnvoll. Lokoregionres Staging: Sinnvoll bislang beim Rektumkarzinom (lokale Exzision vs. radikale Exstirpation vs. Vorbestrahlung); beim suprarektalen Kolonkarzinom derzeit nicht ntig, da kaum therapeutische Konsequenzen. Endosonographie: Treffsicherheit in der T-Kategorie 80…85%, in der N-Kategorie 70…80% beim Rektumkarzinom, 50% beim Kolonkarzinom (lange Lymphabfluwege!)
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5 Pankreas- und Papillenkarzinom 5.1 Diagnose F
F
F
Ultraschall und CT (direkte Darstellung des Tumors) ggf. mit gezielter Feinnadelpunktion (Zytologie, Histologie). Die behauptete Gefahr der intraabdominellen Tumorzellverschleppung durch perkutane Punktion ist nicht bewiesen, aber bislang auch durch keine Studien widerlegt. Punktionen sollen aber nur bei klinischen Konsequenzen durchgefhrt werden (z.B. Chemotherapie bei irresektablen Tumoren). Eine perkutane Punktion resektabler Tumoren wird wegen fehlender Konsequenzen im allgemeinen nicht empfohlen. ERCP (indirekte Zeichen an Pankreas- und evtl. Gallengang: Stenose oder Abbruch) mit Biopsie (Papille/Duodenalinfiltration) oder intraduktale Brstenzytologie oder Biopsie (unter radiologischer oder cholangio-/pankreatoskopischer Kontrolle). Mehr als 90% aller Pankreaskarzinome haben Mutationen im Kodon 12 des ki-ras-Onkogens. Die ki-ras-PCR aus Pankreassekretproben und Feinnadelbiopsien hat sich wegen niedriger Spezifitt klinisch nicht bewhrt. Grundstzlich ist die ERCP beim anderweitig morphologisch (Ultraschall, CT) eindeutigen oder hochwahrscheinlichen Pankreastumor primr nicht ntig, auer es bestehen ein ausgeprgter Ikterus (der Wert einer properativen Drainage ist allerdings nicht belegt) und/oder Zeichen einer Cholangitis oder andere interventionsbedrftige Komplikationen. Nur in unklaren Fllen kann die ERCP diagnostisch weiterfhrend sein. Sie sollte generell bei Entscheidung gegen eine Operation zur Palliation des Ikterus eingesetzt werden (siehe Kap. 10.2). Auch das Pankreatitisrisiko der ERCP sollte bedacht werden (i.a. 3…10%), auch wenn dieses gerade bei Pankreastumoren niedriger zu liegen scheint. Endosonographie bei kleinen Tumoren (wenn in US/CT negativ oder fraglich); EUS-gezielte Feinnadelpunktion (Zytologie) ist 70…85% treffsicher.
Die Treffsicherheit der jeweiligen Verfahren ist abhngig von der Tumorgre. In der Literatur ist bei Tumoren jeder Gre die Treffsicherheit aller Verfahren > 80…90%, bei Tumoren > 2cm ERCP und EUS um 90%, US und CT 40…90% (abhngig von der CT-Technik). CT-Standard ist die Spiral-/Doppelspiraltechnik mit ausreichendem p.o. und i.v. (80…120 ml) Kontrastmittel. Die NMR scheint mit bisherigen Techniken der CT nicht berlegen; das neuste Verfahren, die Magnetresonanz-ERCP („MRCP“) verwendet spezielle T2-gewichtete Sequenzen zur Gallen- und Pankreasgangdarstellung (nicht invasiv, kein Kontrastmittel ntig). Die MRCP zur Primrdiagnostik des Pankreaskarzinoms unterliegt allerdings denselben Einschrnkungen wie die ERCP (s.o.), auch wenn sie kein eingriffsbedingtes Risiko birgt.
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Probleme: 1) Diagnose eines periampullren Tumors bei normaler Papille (Differenzierung von benigner Papillenstenose). 2) Differentialdiagnose von Papillenadenom und Adenom mit fokalem Karzinom bzw. T1-Karzinom. 3) Differentialdiagnose zwischen Pankreaskarzinom und entzndlichem Tumor = fokale chronische Pankreatitis (v.a. bei Kopftumoren); zustzlich oft entzndlicher Saum um Karzinom. Vor allem bei 2) und 3): Endgltige Diagnose oft erst am Resektat zu stellen. Mit bildgebenden Verfahren und bei negativer Histologie/Zytologie ist ein Malignom nie sicher auszuschlieen. 5.2 Screening Ein sinnvolles Screening asymptomatischer Personen zur Erkennung von „Pankreasfrhkarzinomen“ (T1-Tumoren haben eine 5-Jahres-berlebenszeit von 20…30%) gibt es nicht. Mit Ausnahme der chronischen Pankreatitis (s.u.) gibt es keine Risikoerkrankungen. Selbst bei familirem Auftreten von Pankreaskarzinomen im Rahmen eines Lynch-Syndroms gibt es keine Screeningempfehlungen (ERCP? EUS? CT?). Zwar gilt die chronische Pankreatitis als Risikoerkrankung, doch fllt sie bei der Gesamtzahl der Pankreaskarzinome kaum ins Gewicht. Auerdem gibt es kein zuverlssiges bildgebendes Verfahren, das kleine Tumoren in einem entzndlich vernderten Pankreas erkennen kann. Auch die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) scheint anfngliche Erwartungen nicht erfllt zu haben. 5.3 Staging TNM-Klassifikation (1997): T1 Tumor begrenzt auf Pankreas, Gre 2cm, T2 Tumor begrenzt auf Pankreas, > 2 cm, T3 Direkte Tumorausbreitung in Duodenum, Ductus choledochus und peripankreatisches Gewebe T4 Direkte Tumorausbreitung in Magen, Milz, Kolon und/oder benachbarte Gefe, N0 Keine regionren Lymphknotenmetastasen, N1 Regionre Lymphknotenmetastasen, N1a Metastasen in einem einzelnen regionren Lymphknoten. N1b Metastasen in mehreren regionren Lymphknoten. Zur Beurteilung der N-Kategorie ist eine regionre Lymphadenektomie und histologische Untersuchung von mindestens 10 Lymphknoten erforderlich.
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Klrung der Operabilitt. Ausschlu von Fernmetastasen: US und konventionelles CT nur bedingt treffsicher; Spiral-CT und MR mit lebergngigem Kontrastmittel erscheinen besser; welchem Verfahren jedoch der Vorzug zu geben ist, ist derzeit aus der Literatur unklar (s.u.). Abhngig von der Qualitt der vorangegangenen Bildgebung (insbes. CT und MR), zeigt die Laparoskopie in 8…40% der Flle zustzliche Informationen ber Fernmetastasen in Leber und Peritoneum (neuere Daten < 10%). Da auch die Daten zum zustzlichen Stellenwert des laparoskopischen Ultraschalls uneinheitlich sind, hngt der Einsatz der Laparoskopie nach CT (oder MR) auch weiterhin von lokalen Gegebenheiten und Expertise ab, ohne da sich eindeutige evidenzbasierte Empfehlungen ableiten lieen. Lokoregionres Staging: Bestimmung von Tumorgre, Gefbefall, Lymphknotenmetastasen. CT, v.a. Angio-CT, Spiral-CT (offenbar besser als konventionelles Kontrastmittel-CT). Endosonographie (gute Ergebnisse bei der Evaluierung der Tumorgre und beim Pfortaderbefall, bis zu 80%, weniger treffsicher bei V.mesenterica superior und Arterien). Angiographie (positiver prdiktiver Wert v.a. bei vensem Befall hoch, 95%, negativer prdiktiver Wert schlechter). Neuere Literatur weist wiederum die Kernspintomographie mit der zustzlichen Mglichkeit von MRCP und MR-Angio („one-stop-shopping“) als berlegene Stagingmethode aus. Ob Gangdarstellung und MR-Angio wirklich essentiell zum Staging sind, bleibt dahingestellt; die konventionelle Angiographie jedenfalls wurde von vielen Zentren als berflssig erachtet. Da hier die Literatur seit Jahren dem jeweils neuesten Verfahren eine ber 90%ige Treffsicherheit zuweist und die lteren gleichzeitig abqualifiziert, ist eine allgemeinverbindliche Empfehlung (Spiral-CT oder MR) nur schwer abzugeben und wiederum von lokaler Expertise abhngig zu machen. Ob zustzlich eine Endosonographie ntig ist (schwankende Literaturergebnisse), ist derzeit umstritten. Die Grenzen der klinisch sinnvollen lokalen Resektabilitt werden unterschiedlich diskutiert (nur T1-Tumoren operieren? Keine Resektion von Tumoren mit Gefbefall? Mitresektion von groen Gefen bei T4-Tumoren?).
6 Gallengangskarzinom Gallenblasenkarzinome werden v.a. durch US und CT diagnostiziert und gestagt; bei Gallengangsbeteiligung ist die ERCP zur Diagnose und palliativen Therapie (s.dort) indiziert. Berichte ber ein treffsicheres Staging mittels EUS bedrfen weiterer Besttigung. Beim hepatozellulren Karzinom spielt von den endoskopischen Verfahren allenfalls die Laparoskopie eine Rolle.
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Bei Gallengangskarzinomen handelt es sich um Adenokarzinome, oft mit hohem Stromaanteil (geringere Treffsicherheit der Biopsie). Einteilung von proximalen Gallengangstumoren (Klatskin-Tumoren) nach Bismuth und Corlette (Surg Gynecol Obstet 1975): I: proximaler D. hepatocholedochus ohne Hepatikusgabel, Kommunikation zwischen rechts und links erhalten, II: Befall der Gabel, Kommunikation unterbrochen; III: Hepatikusgabel und Befall eines oder beider D. hepatici (a: rechts, b: links); IV: Segmentbefall intrahepatisch. 6.1 Diagnose F
F
F
MRCP: In der Bildgebung erscheint eine qualitativ hochwertige MRCP einer ERCP als gleichwertig; Mglichkeiten der Gewebegewinnung gibt es natrlich mit dieser Methode nicht. ERCP (oder PTC): Darstellung der Gangstenose. Gewebesicherung durch Brstenzytologie (Treffsicherheit: 20…50%), intraduktale Biopsie unter radiologischer (Treffsicherheit: 30…60%) oder cholangioskopischer (peroral mit „Mother-baby“-System oder ber perkutanen Zugang; Treffsicherheit 70…90%) Kontrolle. Wert der Endosonographie sowie intraduktal eingefhrter „Minisonden“ in der Primrdiagnose/Differentialdiagnose zwischen maligner und entzndlicher Stenose nicht gesichert; mglicherweise Verbesserung durch 3D-Darstellung (noch keine Daten).
6.2 Screening Kein sinnvolles Screening mglich. Die primr sklerosierende Cholangitis ist als Risikoerkrankung bekannt, doch sind keine wirksamen berwachungsstrategien bekannt, um Karzinome frhzeitig zu erkennen. 6.3 Staging F
F
Genaue Darstellung des Gangbefalls, v.a. bei Tumoren der Bifurkation und Befall von Segmentsten, mittels direkter Cholangiographie, ggf. untersttzt durch (perkutane) Cholangioskopie mit selektiver endoskopischer und radiologischer Darstellung aller Segmente. Ein solches Vorgehen erhht (zumindest in der japanischen Literatur) offenbar Resektabilitt und Prognose. Rolle des EUS bzw. intraduktaler Minisonden wird derzeit evaluiert; bei distalen Tumoren s. Pankreaskarzinom; bei Klatskin-Tumoren ist die Rolle des konventionellen EUS vermutlich limitiert.
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Prinzipien der endoskopischen Diagnostik und Therapie
CT/US: Tumor oft nicht darstellbar; bei Darstellung einer Raumforderung in US/CT ist bei Hilustumoren die Resektabilitt fraglich. MR/MRCP: Die Rolle der MR als Schnittbildgebung ist im Vergleich zur CT bei Gallengangskarzinomen nicht ausreichend evaluiert. Einzelne Studien behaupten, da mittels MRCP die longitudinale Tumorausdehnung nahezu wie mit der direkten Cholangiographie dargestellt werde.
Oft ist die Tumorausdehnung weiter fortgeschritten als mit der Bildgebung erfabar.
10.2 Endoskopische Therapie gastrointestinaler Tumoren T. Rsch, M. Classen
1 Kurative Ansa¨tze ber die endoskopische Entfernung von Fru¨hkarzinomen (Mukosakarzinomen), v. a. im Magen, zunehmend auch in sophagus und Kolon („flat carcinoma“), berichtet vorwiegend die japanische Literatur, einzelne westliche Studien haben hnliche Ergebnisse. Methoden
Schlingenabtragung nach Kochsalzunterspritzung „strip biopsy“) mit oder ohne Aufsatz („cap-fitted endoscope“ … hnlich wie bei der Varizenligatur); Gewebedestruktion mit Laser oder photodynamischer Therapie (PDT) … Nachteil: Kein Gewebe zur histologischen Beurteilung vorhanden. Voraussetzungen F
F
F F F
Tumorinvasion nur bis zur Mukosa (nach japanischer Literatur ist eine minimale Invasion der Submukosa u. U. tolerabel), da bei Infiltration in die Submukosa die Inzidenz von Lymphknotenmetastasen auf bis zu 20…40% steigt. Beurteilung am Resektat und/oder durch EUS (endoskopischer Ultraschall) vor dem Eingriff (v. a. mit hheren Frequenzen [20 bis 30 MHz] bessere Ergebnisse), Tumorgre bis 2 cm, Histologie: gut differenziertes Karzinom, Grading: G1 oder G2, keine Invasion in Venen oder Lymphgefe, Ausschlu von Lymphknotenmetastasen durch EUS problematisch; evtl. Feinnadelpunktion sichtbarer Lymphknoten unter EUS-Kontrolle.
Bei Erfllung der o.g. Kriterien (T1m, Tumorgre 2cm, G1/2, keine Gefinvasion) wird nach einer vollstndigen endoskopischen Abtragung (R0-Resektion) von einer Low-risk-Situation gesprochen; hier hufen sich die Daten, da solche Tumoren mit endoskopischer Mukosektomie wohl ausreichend behandelt sind (inkl. sorgfltiger endoskopischer Nachkontrollen), und zwar in Zentren mit ausreichender Erfahrung mit der Methodik. Vergleichende Daten mit der Operation im Sinne einer randomisierten Studie liegen allerdings nicht vor. Sind die Kriterien nicht erfllt, liegt eine High-risk-Situation vor, bei der die alleinige endoskopische Therapie nach gngigen Erfolgskriterien nicht ausreichend sicher ist; hier ist
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je nach Allgemeinzustand entweder eine Operation oder zumindest eine additive Therapie zu diskutieren. Ergebnisse
Aus Japan sind bei auf die Mukosa beschrnkten Magenfrhkarzinomen (Strip-biopsy-Methode) hnlich gute 5-Jahres-berlebensraten wie nach chirurgischer Magenresektion berichtet worden. Voraussetzung sind regelmige endoskopische Nachkontrollen. In Europa und den USA werden solche Methoden, vielleicht auch aufgrund mangelnder Erfahrung, bislang nur bei Patienten mit erhhtem Operationsrisiko empfohlen; die Mukosektomie sammelt allerdings auch in westlichen Lndern zunehmend positive Daten (s. a. Kommentar oben). Eine Alternative ist die laparoskopische Entfernung. ber sophagus und Kolon gibt es noch zuwenig Langzeiterfahrungen. Die endoskopische Abtragung maligner Kolonpolypen (Adenom mit fokalem invasivem Karzinom) gilt als sicher, wenn folgende Kriterien erfllt sind: F F F
gestielter Polyp, vollstndig entfernt, Abtragungsrand frei (mindestens 2mm), Histologie: mig bis gut differenziertes Karzinom, keine Invasion von endothelialen Kanlen (Lymphgefe, Venen).
Unter diesen Voraussetzungen erscheint die Rezidiv- bzw. Metastasierungsrate auerordentlich gering. Zustzliche Empfehlung: endoskopische Nachuntersuchung nach 2…6 Monaten, danach jhrlich. Zwar erscheint die Rezidiv- bzw. Metastasierungsrate auch bei Patienten sehr niedrig zu sein, bei denen nicht alle Kriterien erfllt sind (z.B. grere Polypen, Abtragungsrand nicht sicher beurteilbar (z.B. wegen stckweiser [„piecemeal“] Abtragung), doch wird in diesen Fllen bei Patienten im operationsfhigen Zustand eine Darmresektion (u.U. laparoskopisch) empfohlen. Die endoskopische Therapie von Karzinomrisikoerkrankungen (z.B. Laserung, Argonplasmakoagulation oder photodynamische Therapie [PDT] von Barrett-Epithel mit oder ohne Dysplasie) ist derzeit noch als experimentell zu betrachten. Unklar ist die Vollstndigkeit der Ablation; so knnen auch Reste von intestinalem Epithel unterhalb des sich restorierenden Plattenepithels bei bis zu 30% der Patienten persistieren. Auch wurden bereits in Langzeitstudien nach Ablationstherapie des Barrett-sophagus einzelne submukse Karzinome beschrieben. Eine Ablationstherapie der BarrettSchleimhaut wird derzeit nur bei Vorliegen von Dysplasien (sicher: hochgradig, fraglich: niedriggradig) in Betracht gezogen. Ein Barrett-sophagus ohne Dysplasie (s. a. Kap. 10.1) ist derzeit auerhalb von streng kontrollierten Studien keine Indikation zur prophylaktischen Mukosaablation.
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2 Endoskopische Palliation gastroenterologischer Tumoren 2.1 O¨sophaguskarzinom (Palliation der Dysphagie) F Die Bougierung von Tumorstenosen (diverse Bougies, Dilatationsballons; Rntgenkontrolle anzuraten!) hat nur einen kurzfristigen Effekt und sollte nur als Vorbereitung fr andere Therapieformen durchgefhrt werden. F Laserpalliation (Neodym-YAG oder Argonlaser, neuerdings Argonbeamer mit begrenzter Eindringtiefe) in 2…5 Sitzungen, Erfolgsrate initial 80%, Komplikationen 3…11%, wiederholte Sitzungen etwa alle 4 Wochen ntig. Die aufwendigere photodynamische Therapie (PDT) hat sich bei der Palliation des sophaguskarzinoms nicht als berlegen erwiesen. Aufgrund der geringen Eindringtiefe ist die (wesentlich) billigere Argonplasmakoagulation („Argonbeamer“) theoretisch weniger risikoreich; vergleichende Studien zur palliativen Effektivitt liegen derzeit nicht vor. F Elektrokoagulation (z.B. BICAP-Sonde), meist in einer Sitzung, Erfolgsrate 80…90%, Komplikationen 0…25%, Wiederholung alle 3 bis 5 Wochen ntig; wird nur selten angewandt. F Injektion von Sklerosierungsmitteln (z.B. absoluter Alkohol), Anwendung ebenfalls selten, Erfahrungen noch begrenzt, Erfolgsrate 80%, 1…3 Sitzungen, Komplikationsrate um 5…10%. Wiederholung alle 4 Wochen ntig; endoskopische Injektion von Zytostatika derzeit noch experimentell. F Lokale Bestrahlung („Afterloadingtherapie“): Mittels eingelegter Sonde wird nur die unmittelbare Umgebung bestrahlt, 2…3cm von der Strahlenquelle fllt die Aktivitt steil ab. Im allgemeinen sind 2…3 Sitzungen ntig. Komplikation: Fistelbildung. Erfahrungen insgesamt begrenzt. In Kombination vermutlich nur geringer Vorteil gegenber alleiniger Laserbehandlung. F Endoskopische Intubation: … Plastiktubus: Voraussetzung: Dilatation des Lumens auf 50…54 Ch. (schrittweise Dilatation vermindert Komplikationsrate). Tubuseinlage wird von manchen Untersuchern in Narkose durchgefhrt. Nachteil: Fremdkrpergefhl. Technischer Erfolg > 90%, klinischer Erfolg (signifikante Besserung der Dysphagie) niedriger. Komplikationsrate: 3…20%, Mortalitt 1…12%. Deutlich schwieriger bei proximalen Stenosen (modifizierte Plastiktuben). … Metallstents: Vorteil: deutlich geringerer Insertionsdurchmesser (Vordilatation deshalb nicht ntig oder nur auf 30…36 Ch.), danach Selbstexpansion des Stents nach Freisetzen auf ca. 2 cm Lumendurchmesser. Geringere initiale Komplikationsrate in mehreren Studien belegt. Der ideale Metallstent ist angesichts des hohen Preises noch nicht
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gefunden: Ummantelte Metallstents stellen heutzutage wohl die Standardtherapie der Dysphagiepalliation dar, wobei weit proximale Lokalisation und Tumoren der Kardia spezielle Anforderungen an die Stents stellen. Ausreichend groe randomisierte Studien zur vergleichenden Wertigkeit der diversen sophagealen Metallstents liegen nicht vor. Die Entfernbarkeit lnger liegender Metallstents ist mglich, aber vom Stenttyp und von der Liegedauer abhngig. Auer bei extrinsischen Kompressionen sollten nur noch ummantelte Metallstents verwendet werden. Anlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) zur Ernhrung. Nachteil: Bei vollstndigem Tumorverschlu kann der Patient nicht einmal mehr seinen Speichel schlucken; deswegen wird die PEG oft in Kombination mit anderen palliativen Verfahren (z.B. bei neoadjuvanter oder definierter) Radiochemotherapie bis zum Erreichen des palliativen Effekts dieser Therapie eingesetzt.
Kommentar
Die ideale Palliation des sophaguskarzinoms ist ein kurzdauerndes (nur 1 Sitzung), wirkungsvolles (> 90%), komplikationsarmes (< 5%) und bis ans Lebensende des Patienten anhaltendes Verfahren. Wahrscheinlich gengen die ummantelten Metallstents diesen Ansprchen noch am ehesten. Thermale (Laser, BICAP) und Injektionsverfahren scheinen komplikationsarm, aber von kurz anhaltender Wirkung zu sein, eine Kombination mit externer Bestrahlung kann die Wirkung verbessern. Bei langen Stenosen sind diese Verfahren jedoch weniger wirksam. Bei Kontakt des Tumors mit anderen Organen (z.B. Bronchialsystem) besteht bei diesen Verfahren sowie bei externer Bestrahlung die Gefahr der Fistelbildung. Die Intubation ist demgegenber in meist einer Sitzung zu erreichen, die Komplikationsrate ist aber zumindest bei den Plastiktuben deutlich hher. Letztlich entscheiden Patientencharakteristika (Alter, Allgemeinzustand), Tumor (Lnge, Stenosegrad, Lokalisation) und Verfgbarkeit der Methoden sowie Erfahrung des Untersuchers ber die angewandten Methoden der Palliation. Sonderfall: sophagorespiratorische Fistel (spontan oder nach Therapie). Hier kommen nur spezielle Plastiktuben (mit Cuff) oder heutzutage vor allem ummantelte Metallstents in Frage. Eventuell mssen auch Stents in der Trachea eingelegt werden, v. a. bei Atemwegsinfiltration, Kompression der Atemwege durch den sophagusstent (evtl. vorherige Bronchoskopie). sophagobronchiale Fisteln sind im allgemeinen Kontraindikationen fr andere Palliativverfahren.
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2.2 Magenkarzinom Eine sinnvolle Palliation eines obstruierenden Magenkarzinoms ist auf endoskopischem Wege meist nicht gut mglich; eine Laserbehandlung kann versucht werden. Metallstents sind meist nicht ausreichend gut zu plazieren (Ausnahme evtl. Magenausgang und Anastomosen). Als Ausweg bleibt eine palliative Gastrektomie oder Gastroenterostomie (bei Antrumkarzinom), alternativ: tiefe Ernhrungsfistel (PEJ). Blutende sophagus- und Magenkarzinome knnen versuchsweise mit Laserung, Beamer oder Injektionstherapie blutstillender Substanzen behandelt werden. Meist handelt es sich jedoch um eine diffuse Tumorblutung, die endoskopisch schwer zu therapieren ist. 2.3 Kolonkarzinom Die Palliation eines obstruierenden Rektumkarzinoms mit Laser (alternativ: BICAP-Beamer oder Injektion, s. sophaguskarzinom, im Rektum kaum Erfahrungen) erfordert im allgemeinen wiederholte Sitzungen. ber Metallstents im Rektum gibt es bislang Erfahrungen aus zahlreichen kleineren bis mittleren Fallserien, die eine 80- bis 90%ige initiale Effektivitt und im weiteren Verlauf Reobstruktionen und andere Probleme in 10…40% zeigten. Der Einsatz von Metallstents bei hochgradig obstruierenden Tumoren mit Ileus/Subileus („bridge to surgery“) erscheint vielversprechend, vergleichende Daten zur Operation (zweizeitig) fehlen jedoch weitgehend. In laserrefraktren Fllen eines Rektumkarzinoms und beim obstruierenden Kolonkarzinom ist die Palliation meist chirurgisch (Anus praeter, palliative Resektion, Bypass). Im allgemeinen macht eine aggressivere Kolonkarzinomchirurgie (inklusive Resektion einzelner Lebermetastasen) mehr Sinn als beim sophagus- und Magenkarzinom. 2.4 Pankreatobilia¨re Karzinome Hauptproblem: Verschlußikterus
Standardverfahren: endoskopische Implantation von Endoprothesen, evtl. auch auf perkutan-transhepatischem Weg. Der endoskopische (oder ggf. perkutane) Weg ist gleich effektiv, aber schonender als ein chirurgischer biliodigestiver Bypass. Laparoskopische Verfahren bedienen sich einer Zystojejunostomie, die generell nur bei 10…30% aller Patienten mit malignem Verschluikterus in Frage kommt. F
Plastikstents (11,5 oder 10 French) sind dnneren Prothesen (7 oder 8 French) berlegen. Im allgemeinen verstopfen 20…60% der Stents innerhalb von 3…6 Monaten. Verschiedene Stentmodifikationen (Be-
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schichtungen z.B. mit Silber oder Antibiotika, andere Materialien wie Teflon oder Polyurethan, Weglassen von Seitenlchern) haben sich bislang klinisch nicht als effektiver erwiesen. Selbstexpandierende Metallstents (7,5…9 French Insertionsdurchmesser, Expansion auf bis zu 1cm). Eine berlegenheit ist v. a. bei distalem Tumorverschlu und Patienten mit einer Lebenserwartung von > 6 Monaten bewiesen (signifikant niedrigere Verschlurate). In diesen Fllen sind die Metallstents trotz ihres hohen Preises kosteneffektiv. Derzeit steht eine Reihe selbstexpandierender Metallstents zur Verfgung (auch ummantelte Stents), ber deren relativen Wert noch zuwenig bekannt ist. Alle bisherigen randomisierten Studien im Vergleich mit Plastikstents wurden aber mit dem sog. Wallstent (nicht ummantelt) durchgefhrt.
Bemerkung: Proximale Gallengangstumoren (hilre Tumoren) knnen (transpapillr oder perkutan) einseitig drainiert werden, sofern es dadurch zu einem suffizienten Abfall des Bilirubins und keiner Cholangitis kommt. Andernfalls sind beidseitige Drainagen indiziert. Manche Zentren legen primr aber auch nur Metallstents auf eine Seite. Die Einlage von nicht zu entfernenden Metallstents bei Hilustumoren ist nur bei gesicherter Histologie zu empfehlen. Nach neuerer Literatur kann es sich bei bis zu 30% von „Hiluskarzinomen“ um sklerosierende Cholangitiden handeln. Problem: Duodenalstenose bei Tumorinfiltration
Bei primr bestehender oder beginnender Duodenalstenose sind bilire Endoprothesen … sofern technisch noch implantierbar … nur bedingt sinnvoll. Bewhrt hat sich eine Kombination aus perkutan-transhepatischer Gallengangsdrainage mit einer (laparoskopischen) Gastroenterostomie. Eine berlegenheit dieses Vorgehens gegenber einer alleinigen chirurgischen Palliation (biliodigestive Anastomose und Gastroenterostomie) ist allerdings nicht bewiesen. ber selbstexpandierende Metallprothesen in Duodenum und Gallenwegen gibt es zunehmend Literatur mit guten Ergebnissen (zumindest kurz- bis mittelfristig Erfolgsraten von 70…90%), vergleichende Studien mit der Gastroenterostomie (konventionell oder laparoskopisch) sind in Vorbereitung. Vor kurzem wurde ber eine Schmerzlinderung durch Einlage einer Pankreasendoprothese bei ausgewhlten Patienten mit Pankreaskopfkarzinom und deutlich dilatiertem Pankreasgang berichtet; diese Ergebnisse bedrfen weiterer Besttigung. Meist haben die Schmerzen beim Pankreaskarzinom jedoch andere Ursachen. Zu erwhnen bleibt auch noch die Mglichkeit der endosonographisch gezielten Plexusblockade, die in einzelnen Fallserien der konventionellen Technik (CT-gesteuert) vergleichbare Ergebnisse geliefert hat.
10.3 Kontrollierte Feinnadeldiagnostik M. Gebel
1 Definition Die Feinnadelbiopsie ist definiert als Biopsie mit einer Nadel von einem Durchmesser von 1 mm oder weniger. Durch ihren kleinen Durchmesser erlaubt sie eine risikoarme Aspiration von Gewebe zur zytologischen und histologischen Untersuchung aus Organen und Tumoren. Zur sicheren und erfolgreichen Biopsie bedarf es eines Ziel- und berwachungsmodus. Eine Kontrolle der Feinnadelbiopsie kann durch Palpation bei oberflchlich gelegenen Lsionen oder sonst durch Verwendung bildgebender Verfahren wie Sonographie, Endosonographie (EUS), CT und MRT erreicht werden.
2 Indikationen und Kontraindikationen 2.1 Indikationen Die Indikation zur Feinnadelbiopsie ist gegeben, wenn die Histogenese eines Tumors durch bildgebende Verfahren nicht hinreichend sicher diagnostiziert werden kann. Ziel der Punktion ist der Nachweis der Dignitt und Histogenese des Tumors. Bei pathologischen Flssigkeitsansammlungen wird die morphologische Untersuchung um hmatologische, biochemische, mikrobiologische und gegebenenfalls durch molekularbiologische Untersuchungen ergnzt (z.B. bei Absze, Hmatom, Biliom, Urinom, Tuberkulose, Peritonitis). Besondere Bedeutung kommt der Feinnadelbiopsie beim Nachweis von Zweit- oder Drittumoren, Malignittswechsel von NonHodgkin-Lymphomen und Nachweis vitaler Tumorzellen nach potentiell kurativen Therapiekonzepten zu. 2.2 Kontraindikationen Als Kontraindikationen gelten in Hinblick auf mgliche Komplikationen angeborene oder erworbene Blutgerinnungs- und Thrombozytenfunktionsstrungen, fehlende Kooperation des Patienten und fehlende therapeutische Konsequenz bei Patienten in Terminalstadien. Vermieden werden sollte die Punktion von Aneurysmen viszeraler Arterien wegen des Risikos der spontanen Ruptur. Dieses Risiko kann durch die Farbdopplersonographie ausgeschlossen werden. Subkapsulr gelegene Hmangiome und vor allem Hmangioendotheliome weisen ein erhhtes Blutungsrisiko auf. Die Punktion von Echinokokkuszysten scheint weit weniger gefhrlich zu sein als
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bisher angenommen. Die gezielte Punktion der Wand erlaubt eine eindeutige morphologische Diagnose. Der gefrchtete anaphylaktische Schock, Aussaat von Skolizes und Zystenruptur wurden bei transkutanen therapeutischen Eingriffen bisher selten beschrieben. Allerdings knnen anaphylaktoide Reaktionen auch bei negativem Titer in den spezifischen serologischen Tests auftreten (Ockenga 1998). Von der Punktion von Phochromozytomen wird abgeraten. In eigenen Kollektiven traten Blutdruckkrisen nach Punktion bisher nicht auf. 2.3 Patientenseitige Voraussetzungen Voraussetzung fr die Feinnadelpunktion ist das Vorliegen eines aktuellen Blutbildes und des Gerinnungsstatus. Fr die Punktion sind ein Quick-Wert bis 40%, eine PTT bis 50 s und bei normaler Funktion Thrombozyten bis 40 000/ml akzeptabel. Im Zweifelsfall, vor allem wenn Acetylsalicylate nicht mehr als 5 Tage vor der Untersuchung abgesetzt wurden, sollte zustzlich die subaquale Blutungszeit (< < 4 min) bestimmt werden. Bei niedrigeren Gerinnungswerten kann im Einzelfall unter Faktorensubstitution und Operationsbereitschaft punktiert werden. Vor der Punktion ist sicherzustellen, da der Patient ber Sinn, Durchfhrung und Risiken der Manahmen hinreichend aufgeklrt wurde und die Aufklrung auch verstanden hat, gengend Bedenkzeit zur Verfgung stand und dies vor Zeugen besttigt wurde. Geeignete Aufklrungsbgen sind beim Perimed-Verlag erhltlich. Aber auch professionelle Aufklrungsbgen mssen an die individuellen Risiken des Patienten, gegebenenfalls durch schriftliche Ergnzungen, angepat werden.
3 Verfahren zur kontrollierten Biopsie 3.1 Sonographie Die sonographisch gesteuerte Punktion kann auf 2 verschiedenen Wegen erfolgen: F
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Bei der indirekt sonographisch gezielten Punktion wird die Lsion sonographisch dargestellt, ihre Projektion auf der Haut und die Tiefe an der Nadel markiert. Die Punktion selbst erfolgt freihndig. Dieses Verfahren ist nur fr sehr groe Tumoren oder grere Flssigkeitsansammlungen geeignet. Die direkt geleitete Punktion kann durch paralleles Einstechen der Nadel zum Schallfeld einer konventionellen Ultraschallsonde oder durch Verwendung einer aufsteckbaren Zieleinrichtung oder durch Einsatz einer speziellen Biopsiesonde ausgefhrt werden. Letztere hat den Vorteil der einfachen Handhabung, der guten Nadelfhrung und des geringeren Platzbedarfs fr den Punktionsvorgang. Eine Sonde, die mit handels-
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blichen Aldehydgemischen (z.B. Cidex) viruzid und bakteriozid desinfiziert werden kann und damit stndig fr Eingriffe zur Verfgung steht, wird nur von sehr wenigen Herstellern (z.B. Fa. Siemens, Toshiba, Hitachi) angeboten. Fr die Feinnadelpunktion haben sich spezielle Nadeltypen mit facettiertem Nadelschliff bewhrt, deren Spitzen im Ultraschallbild sehr gut sichtbar sind (z.B. MS-Nadeln, Fa. Bard). Fr zytologische Punktionen werden Nadeln mit einem Auendurchmesser von 0,7…0,8mm verwendet. In der Regel kann mit diesen Nadeln auch ausreichendes Material fr die histologische Untersuchung gewonnen werden. Fr die histologische Materialgewinnung sind auch spezielle Nadeln von 0,8…0,95 mm (z.B. Schneidbiopsie nach Otto) in Gebrauch. Von den automatisierten Biopsiegerten haben Biopsiepistolen mit Nadeln vom Core-Typ zur Gewinnung von Vollzylindern qualitative Vorzge. 3.2 Endosonographie Mittels einer an der Spitze eines Endoskops eingearbeiteten Convex-Sonde lassen sich ber den oberen und unteren Gastrointestinaltrakt mukse und submukse Tumoren, paraintestinale oder mediastinale Lymphknoten und dem Gastrointestinaltrakt anliegende Organe darstellen. ber den Instrumentierkanal des Ultraschallendoskops kann eine spezielle, in einem Teflonkatheter geschtzte Nadel (typischer Durchmesser 0,7…0,8 mm) mit einem Stilett in das durch die Convex-Sonde vorgegebene Schallfeld vorgeschoben werden. Bei modernen Instrumenten kann der Stichwinkel durch Verwendung eines Alberanhebels modifiziert werden. Durch Einstechen in die anvisierte Lsion, Entfernung des Stiletts und Aspiration kann qualitativ gutes Material fr zytologische und histologische Untersuchung gewonnen werden. 3.3 CT und MRT Im Gegensatz zu sonographischen Verfahren sind CT und MRT statische Verfahren. Fr die Punktion mu die jeweilige gnstigste, in der Regel transversale Schnittebene eingestellt werden. Die Punktionsnadel wird entsprechend der rumlichen Lage der Lsion vorgeschoben. Die Nadellage wird mit wiederholten Scans der Schnittebene kontrolliert und korrigiert. Fr diese Art der Punktion sind relativ starre Nadeln oder Sttznadeln, die keine Abweichung durch Biegung erleiden, erforderlich. Daher kommen bei diesen Biopsien Nadeln im oberen Grenzbereich der Feinnadelbiopsie, hufiger auch grere Dimensionen zur Anwendung. Dies gilt vor allem fr die Knochenbiopsie. Fr Biopsie mittels MRTsind spezielle nichtmagnetische Instrumente erforderlich. Die Enge der Gerte, die Kosten und der Zeitaufwand sprechen gegen die MRT. Ein Vorteil beider Verfahren ist
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bei wenig beweglichen oder frei zugnglichen Organen die Mglichkeit einer stereotaktischen Punktion. Die CT eignet sich besonders fr die Bereiche, die fr die Sonographie schlecht zugnglich sind, wie Knochen-, Lungen- und transgluteale Biopsien. 3.4 Verwertung des aspirierten Materials Das aspirierte Material sollte zunchst auf einem Objekttrger ausgespritzt werden. Grobe Gewebebrckel sollten vorsichtig ber den Objekttrger gewlzt und dann fr die histologische Untersuchung, z.B. mit Hilfe einer Nadel, in ein formalinhaltiges Gef eingebracht werden. Die kleinen Gewebebrckel bedrfen einer speziellen Aufbereitung durch das Pathologielabor. Fr die zytologische Beurteilung sollten wenigstens sechs dnne tumorzellhaltige Ausstriche angefertigt werden, damit gegebenenfalls Spezialuntersuchungen (z.B. immunologische oder genetische Marker) ausgefhrt werden knnen. Fr die zytologische Diagnose der Dignitt, Histogenese, des Malignittsgrads und … wenn mglich … Angabe des Primrtumors bei Metastasen werden luftgetrocknete Ausstriche, die nach Pappenheim gefrbt werden, bevorzugt. Die Ausstriche mssen nach dem Trocknen sofort verschickt werden, da bei zu langer Lagerung oder Transport das Material durch bakterielle berwucherung zerstrt werden kann. Sowohl fr die zytologische wie fr die histologische Diagnostik sind spezielle Erfahrungen in der Anreicherung und Aufarbeitung wie der Beurteilung von Feinnadelaspiraten notwendig.
4 Ergebnisse Die Sensitivitt der Feinnadelpunktion bezglich der Diagnose der Malignitt schwankt je nach Punktionsort, Vorerkrankung des Organs und Kombination von Zytologie und Histologie zwischen 65 und 98% (z.B. Leber 90%, Pankreas 54…89%, Lymphknoten 77…98%, Niere 73%, Pleura und Peritoneum 65%) bei einer Spezifitt von 99…100%. Die Ergebnisse der Feinnadelbiopsie von Brust-, Lungen- und muskuloskelettalen Tumoren liegen in hnlichen Grenordnungen wie bei anderen Organen. Fr die Nachsorge und Vorsorge von Brusttumoren sollten keine bioptischen Manahmen durchgefhrt werden, die zu einer Narbenbildung und damit Einschrnkungen der zur berwachung eingesetzten bildgebenden diagnostischen Methode fhrt. Falsch-positive Zytologien wurden nur sehr vereinzelt berichtet und betrafen berwiegend das Pankreas. Durch Kombination mit der Feinnadelhistologie lassen sich bis zu 97% der malignen Tumoren sichern (Caselitz et al. 2003). Die Sensitivitt und der positive Vorhersagewert bezglich der Histogenese der malignen Tumoren erreichen 92% bei einer Spezifitt und negativem Vorhersagewert von 99% in einem spezialisierten zytologischen Labor. Die Feinnadelhistologie erbringt vergleichbare Ergebnisse, die
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jedoch nicht ganz deckungsgleich mit der Zytologie sind. Benigne Tumoren werden eindeutig besser histologisch diagnostiziert. Hochdifferenzierte Lebertumoren werden tendenziell leichter von der Histologie, maligne Lymphome besser von der Zytologie erkannt. Bei etwa 7% der Zytologien maligner Tumoren ist aufgrund der morphologischen Kriterien allein eine Diagnose der Histogenese nicht mglich. Speziell in diesen Fllen haben sich immunologische Zusatzfrbungen als wertvolle Bereicherung erwiesen. Besteht eine chronische Pankreatitis, reduziert sich die Sensitivitt auch der EUS-Feinnadelpunktion zur Klrung eines malignen Pankreastumors von 89 auf 54% (Fritscher-Ravens et al. 2002). Dies ist ein Hinweis darauf, da auch gleichzeitig bestehende Organerkrankungen einen Einflu auf das zu erwartende Ergebnis haben.
5 Risiken Die Feinnadelbiopsie ist eine risikoarme, aber nicht risikofreie Methode. In einer Umfrage wurden in Deutschland (95 070 berwiegend abdominelle Punktionen) Komplikationen bei 0,81%, ernsthafte Komplikationen bei 0,095% der Patienten ermittelt (Weiss 1996). Die Liste der Komplikationen wird angefhrt von Blutungen (Leber, Milz), Sepsis (Lymphknoten, Abszesse) und Pankreatitis. Stichkanalmetastasen wurden in dieser retrospektiven Analyse bei 0,003% der Punktionen berichtet. In prospektiven Studien werden Stichkanalmetastasen bei genauer Nachbeobachtung in bis zu 2,66% zwischen 4 und 24 Monaten nach Biopsie beobachtet. Nach stereotaktischen Brustbiopsien wurden neuerdings postoperative Stichkanalmetastasen berichtet, da bei diesem Verfahren der Stichkanal im Gegensatz zu konventionellem Vorgehen nicht mit reseziert wird (Chao et al. 2001). Da das Risiko der Tumorzellverschleppung von der Nadelgre abhngt, sollten Nadeln deutlich unter 1 mm Durchmesser verwendet werden. Das Blutungsrisiko lt sich durch konsequenten Einsatz der Farbdopplersonographie zur Vermeidung aberrierender und pathologischer Gefe deutlich senken. Eine Besonderheit stellen CT-gezielte Lungenbiopsien dar. Auch in Feinnadeltechnik werden in Abhngigkeit von der Stichtiefe und der Zahl der Punktionen in bis zu 28% der Flle Pneumothoraces mit einer Pleurasaugdrainagerate bis 2,5% berichtet (Ohno et al. 2003).
6 Bewertung Zusammenfassend ist festzustellen, da die Feinnadelbiopsie eine sichere und risikoarme morphologische Diagnose eines malignen Tumors erlaubt. ber die Dignitt hinaus kann sehr zuverlssig die Histogenese und hufig
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auch der Primrtumor angegeben werden (Abb. 1 u. 2). Der geringe Aufwand und das geringe Risiko erlauben die morphologische Sicherung jedes Tumors vor einer Therapie, sofern er technisch erreichbar ist. Die morphologische Sicherung ist schon deshalb erforderlich, da zunehmend Zweitund Drittumoren, Malignittswechsel des Primrtumors oder atypische Organmetastasen gesichert werden. Darber hinaus mssen wegen der mglichen Konsequenzen Fehlbewertungen durch bildgebende Methoden ausgeschlossen werden. Sowohl die Feinnadelzytologie wie auch die -histologie erfordern spezielle Ausbildung und groe Erfahrung. Dies mu bei der Interpretation von Befunden jeweils bedacht werden. Die Entscheidung fr die Feinnadelhistologie oder -zytologie als primre Methode der morphologischen Sicherung mu daher auch von den rtlichen Mglichkeiten abhngig gemacht werden. Von den bildgebenden Verfahren, die zur kontrollierten Feinnadelbiopsie verwendet werden, steht die Sonographie aus Kostengrnden, wegen des geringen Aufwands und der Schnelligkeit an erster Stelle. Im Gegensatz zur computertomographisch gesteuerten Punktion wird der Eingriff konti-
Abb. 1. Ultraschallgezielte Feinnadelbiopsie mit spezieller Biopsiesonde (a). Mit Feinnadelbiopsie (0,7-mm-Nadel) gewonnenes Material ist sehr gut fu¨r histologische (b: HCC) und zytologische Untersuchungen (C: Metastase Kolonkarzinom, d: HCC), ha¨ufig sogar aus demselben Punktat, geeignet. Fu¨r die Histologie ist fu¨r exzellente Resultate eine spezielle Aufbereitung erforderlich.
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Abb. 2. Die endosonographisch gezielte Feinnadelbiopsie (a: Instrument mit Nadel, b: Punktion eines submuko¨sen Tumors) hat die Mo¨glichkeiten der morphologischen Sicherung von bisher nicht oder schlecht zuga¨nglichen Tumoren enorm erweitert.
nuierlich berwacht, ist die Stichrichtung nicht an eine starre Bildebene geknpft, die Strahlenbelastung und die Applikation von Kontrastmitteln entfallen bei erheblich geringerem Zeitaufwand. Da die computertomographisch gesteuerte Feinnadelpunktion bei nahezu gleichen Resultaten neunbis zehnmal teurer als eine ultraschallgezielte Feinnadelpunktion ist, sollte die computertomographisch gesteuerte Punktion nur bei sonographisch nicht darstellbaren Tumoren eingesetzt werden (Sanchez et al. 1997). Im Vergleich zur CT ist die MRT wegen des speziellen Materials und des Zeitaufwands etwa zweieinhalbmal teurer als die CT-gezielte Biopsie (Alanen 2003). Die Verwendung dieser Verfahren bedarf daher einer individuellen Indikationsstellung. Literatur Alanen J, Keski-Nisula L, Blanco-Sequeiros R, Tervonen O (2003) Cost comparison analysis of low-field (0.23 T) MRI- und CT-guided bone biopsies. Eur Radiol 14(1):123…128 Andersson R, Andren-Sandberg A, Lundstedt C, Tranberg KG (1996) Implantation metastasis from gastrointestinal cancer after percutaneous puncture or biliary drainage. Eur J Surg 162:551…554 Atay Z (1991) Mglichkeiten und Grenzen der Zytologie bei der Auswertung der abdominellen Feinnadelaspirationspunktion. In: Simanowski JH, Mendel V (Hrsg) Ultraschall in der Chirurgie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 135…146 Buscarini L, Fornari F, Bolondi L et al (1990) Ultrasound-guided fine needle biopsy of focal liver lesions: techniques, diagnostic accuracy and complications. A retrospective study on 2091 biopsies. J Hepatol 11:344…348 Caselitz M, Masche N, Bleck JS, Gebel M et al (2003) Increasing sensitivity of morphological diagnosis in hepatocellular carcinoma (HCC) by combination of cyto-
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11 Tumormarker P. Nollau, K. Mann, C. Wagener
1 Definition Unter Tumormarkern versteht man Substanzen, die bei Patienten mit malignen Tumoren im Blut oder in anderen Krperflssigkeiten in erhhten Konzentrationen nachweisbar sind. Prinzipiell kann die Synthese der Tumormarker im Tumorgewebe selbst erfolgen, oder Tumorzellen induzieren die Synthese in Nicht-Tumorzellen. Nur die vom Tumorgewebe selbst gebildeten Marker besitzen eine ausreichende Spezifitt fr die Tumordiagnostik. Im peripheren Blut nachweisbare Tumormarker sind in der Regel Proteine oder Glykoproteine. Bei manchen Tumormarkern handelt es sich um Hormone (z.B. hCG, Calcitonin), andere Tumormarker besitzen enzymatische Aktivitt (z.B. NSE, PSA). Auf Tumormarkern vom Mucintyp knnen Glykostrukturen vorkommen, die entweder mit Blutgruppensubstanzen identisch (Lewisa, CA 195) oder diesen verwandt sind (z.B. Sialyl-Lewisa, CA 19-9). Die biologische Funktion einiger Tumormarker, wie z.B. von CEA und AFP, ist unbekannt.
2 Bestimmung von Tumormarkern Die Konzentration von Tumormarkern wird in der Regel mittels immunchemischer Methoden bestimmt. Die Richtigkeit der immunchemischen Bestimmungsmethoden hngt von verschiedenen Faktoren ab, so z.B. der Standardprparation, der im Testansatz verwendeten Antikrper sowie der Beschaffenheit des Lsungsmittels fr Standardproben und der Zusammensetzung der Probe („Matrix“). Falls internationale Referenzprparationen als Standards zur Verfgung stehen, sollte die Konzentration der Tumormarker auf diese Prparation bezogen werden. Viele Analyte werden primr durch die Spezifitt eines monoklonalen Antikrpers definiert (z.B. CA 19-9, CA 15-3, CA 125). Die in den Tests verwendeten monoklonalen Antikrper knnen an Haptene binden, die auf verschiedenen Glykoproteinen vorkommen. Hierdurch wird eine Standardisierung ber eine definierte Standardprparation erschwert. Es kommt vor, da monoklonale Antikrper an antigene Epitope des Standards und des Analyten in der Probe mit unterschiedlicher Affinitt binden. In diesen Fllen ist eine korrekte Angabe der Konzentration nicht mglich, da die Dosis-Wirkungs-Kurven
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Tumormarker
von Standard und Analyt nicht parallel verlaufen. Die Richtigkeit der Bestimmung von Tumormarkern wird weiterhin von der Zusammensetzung („Matrix“) von Standardprparation und Probe beeinflut. In der Regel sind Immunoassays auf eine bestimmte Matrix der Probe (z.B. Serum) abgestimmt. Dies mu beachtet werden, wenn anders zusammengesetzte Proben analysiert werden. Im Rahmen mancher diagnostischer und therapeutischer Manahmen (z.B. Immunszintigraphie, Immuntherapie) werden murine Antikrper appliziert. Die Patienten knnen in der Folge Antikrper gegen Mausimmunglobuline (humane Anti-Maus-Antikrper, HAMA) entwickeln, die mit den in Immunoassays verwendeten monoklonalen Antikrpern interferieren und so den Assay stren knnen. In Einzelfllen findet sich im Serum von Personen auch eine Immunreaktivitt (heterophile Antikrper) gegen die im Assay verwendeten Immunglobuline, ohne da Antikrper appliziert wurden. Zur Bestimmung von Tumormarkern drfen nur solche Tests verwendet werden, in denen HAMA nicht stren. Die in einer Probe bestimmte Tumormarkerkonzentration hngt von der verwendeten Methode ab. Dies trifft auch auf Testkits zu, in denen identische monoklonale Antikrper verwendet werden. Prominentes Beispiel hierfr sind CA-19-9-Assays. >
Mit Testkits verschiedener Hersteller knnen im gleichen Serum deutlich verschiedene Werte gemessen werden. Bei einem Wechsel der Nachweismethode knnen Konzentrationsvernderungen vorgetuscht und in der Folge fehlerhafte therapeutische und/oder diagnostische Konsequenzen gezogen werden.
3 Einflußgro¨ßen Die aktuelle Konzentration eines Tumormarkers im peripheren Blut wird durch die Eigenschaften des Tumors und den Metabolismus des Tumormarkers bestimmt. Manche Tumormarker werden sezerniert (z.B. hCG, AFP), bei anderen Tumormarkern handelt es sich um Bestandteile der Zellmembran (z.B. CEA). Der Nachweis von Sekretionsprodukten ist im allgemeinen sensitiver als der Nachweis von Bestandteilen der Zellmembran. Tumormarker knnen von allen oder der Mehrzahl der Tumorzellen gebildet werden, oder es finden sich markerpositive neben markernegativen Tumorarealen. Im letzteren Fall erlaubt die Konzentration eines Tumormarkers im peripheren Blut nur Rckschlsse auf die markerpositiven Tumorzellen. Der Metabolismus von Tumormarkern kann bei Leber- und Nierenerkrankungen verndert sein.
Indikationen zur Bestimmung von Tumormarkern
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4 Indikationen zur Bestimmung von Tumormarkern In der Diagnostik maligner Tumoren lassen sich verschiedene Anwendungsbereiche der Tumormarkerbestimmung unterscheiden: F F F F F
Frherkennung bei symptomfreien Patienten (Screening), Diagnose nach Auftreten von Symptomen, Stadieneinteilung und Prognose, Therapieberwachung und Beurteilung des Therapieerfolges sowie frhzeitige Erfassung einer Tumorprogredienz.
4.1 Diagnostische Validita¨t Als Kriterien fr die diagnostische Validitt eines Tumormarkers werden im allgemeinen diagnostische Empfindlichkeit (Sensitivitt), diagnostische Spezifitt sowie positive und negative prdiktive Werte herangezogen. Zur Ermittlung von diagnostischer Empfindlichkeit und Spezifita¨t werden Personengruppen untersucht, bei denen die Anwesenheit oder Abwesenheit einer malignen Erkrankung bereits durch andere Verfahren gesichert wurde. Die Angaben zur diagnostischen Validitt eines Tumormarkertests hngen in diesem Fall von der Validitt der fr Diagnose und Klassifikation angewandten Verfahren ab. Diagnostische Fehler der klassifizierenden Verfahren beeinflussen somit auch die Werte von Empfindlichkeit und Spezifitt des geprften Verfahrens. Angaben zur diagnostischen Empfindlichkeit eines Tests hngen entscheidend vom Tumorstadium ab. Fehler bei der Bestimmung des Tumorstadiums beeintrchtigen Angaben zur diagnostischen Sensitivitt, fehlende Angaben zum Tumorstadium machen Zahlenwerte zur diagnostischen Sensitivitt praktisch wertlos. Die diagnostische Spezifitt sollte in differentialdiagnostisch relevanten Gruppen ermittelt werden. Normalpersonen sind bei den meisten diagnostischen Fragestellungen fr eine Ermittlung der diagnostischen Spezifitt ungeeignet. Whrend diagnostische Empfindlichkeit und Spezifitt der Charakterisierung eines diagnostischen Tests anhand von Personen mit bekannter Diagnose bzw. Status dienen, reflektieren die pra¨diktiven Werte eines diagnostischen Tests den Stellenwert des Tests in der Diagnosefindung. Die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Krankheit bei positivem Test vorhanden (positiver prdiktiver Wert) bzw. bei negativem Test nicht vorhanden ist (negativer prdiktiver Wert), hngt neben der Sensitivitt und Spezifitt von der Prvalenz der Erkrankung ab. In nicht-selektierten Personengruppen (z.B. in der Normalbevlkerung) ist selbst bei sehr guter Sensitivitt und Spezifitt der prdiktive Wert eines Tumormarkertests gering, da aufgrund der relativ geringen Prvalenz von Tumorerkrankungen falsche positive Ergebnisse stark ins Gewicht fallen. Der negative prdiktive Wert ist bei Tests mit guter Sensitivitt und Spezifitt bei geringer Prvalenz der
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Tumormarker
Erkrankung generell hoch. Durch Erhhung der Prvalenz von Tumorpatienten in der untersuchten Population erhht sich bei gleichbleibender Sensitivitt und Spezifitt der positive prdiktive Wert. In einer Personengruppe mit erhhter Prvalenz von Tumorerkrankungen (z.B. bei Personen, die aufgrund entsprechender Symptome erstmals den Arzt aufsuchen) kann jedoch auch die Prvalenz differentialdiagnostisch in Frage kommender nichtmaligner Erkrankungen erhht sein. Dies geht mit einer Verminderung des positiven prdiktiven Werts einher. Die Angaben zu Sensitivitt, Spezifitt und prdiktiven Werten gelten fr einen qualitativen diagnostischen Test. Zur berfhrung eines quantitativen in einen qualitativen Test mu durch Einfhrung einer Entscheidungsgrenze das positive und negative Testergebnis definiert werden. Bei Erhhung der Obergrenze des Referenzbereichs sinkt die Sensitivitt und steigt die Spezifitt, bei Erniedrigung der Obergrenze des Referenzbereichs steigt umgekehrt die Sensitivitt und sinkt die Spezifitt (Wagener u. Hossfeld 1996). 4.2 Medizinischer Nutzen Stellenwert des Tumormarkers im diagnostischen Prozeß: Als gering invasive Me-
thode steht die Tumormarkerbestimmung im allgemeinen am Beginn der im Rahmen der Diagnosesicherung eingesetzten Verfahren. Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines Tumormarkers ist die Frage, ob das Ergebnis der Tumormarkerbestimmung allein oder in Kombination mit anderen diagnostischen Verfahren die weitere Diagnosefindung beeinflut, d.h., ob bei negativem Testergebnis aufwendigere oder invasivere diagnostische Verfahren ausgeschlossen bzw. nur bei positivem Testergebnis durchgefhrt werden. Werden weitere diagnostische Manahmen unabhngig vom Ergebnis der Tumormarkerbestimmung durchgefhrt, ist sie berflssig. Therapeutische Konsequenzen: Fr die initiale Tumortherapie spielen Tumormarker in der Regel nur dann eine Rolle, wenn sie unabhngig von etablierten Verfahren die Stadieneinteilung beeinflussen und wenn von der Stadieneinteilung die Therapiewahl abhngig gemacht wird. Im Rahmen der Verlaufskontrolle ist die Bestimmung von Tumormarkern nur dann sinnvoll, wenn therapeutische Optionen vorhanden sind. Lebensqualita¨t: Die Kenntnis ber einen Anstieg der Tumormarkerkonzentrationen im Serum stellt fr den Patienten eine nicht zu unterschtzende psychische Belastung dar, die gegen die verfgbaren therapeutischen Optionen abzuwgen ist.
Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker
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4.3 Teststrategien Sequentielle Teststrategie: Aufgrund der vergleichsweise geringen Kosten und
Invasivitt gilt die Tumormarkerbestimmung als Eingangstest. Die Testparameter sollten in derjenigen Gruppe von Personen ermittelt werden, bei denen der Verdacht auf eine Tumorerkrankung besteht. Werden weitere diagnostische Manahmen vom Ergebnis des Tumormarkertests abhngig gemacht, sind maximale diagnostische Sensitivitten zu fordern, da bei negativem Ausfall des Tumormarkertests auf eine weitere diagnostische Abklrung verzichtet wrde. Die Forderungen an Spezifitt und positiven prdiktiven Wert hngen von der Invasivitt und den Kosten des (der) nachfolgenden Diagnoseverfahren ab. Soll z.B. bei positivem Ergebnis einer Tumormarkerbestimmung eine Probelaparotomie durchgefhrt werden, mu der positive prdiktive Wert nahe 100% liegen. Parallele Teststrategie: Bei der parallelen Anwendung von Tests ist die Definition des Testergebnisses zu beachten. Wird das Ergebnis als positiv bewertet, wenn alle Tests positiv sind, sinkt die Sensitivitt und steigt die Spezifitt. Wird das Ergebnis positiv gewertet, wenn mindestens ein Test positiv ist, steigt die Sensitivitt und sinkt die Spezifitt. Auch bei paralleler Testdurchfhrung kann davon ausgegangen werden, da eine Testkombination mit einem Tumormarker am Beginn des diagnostischen Prozesses steht. Grundlage fr die Bewertung von Tumormarkern in einer Testkombination ist wiederum die Frage, ob das Ergebnis zur Wahl weiterer diagnostischer oder therapeutischer Manahmen beitragen kann. Beispiel fr den positiven Beitrag einer Tumormarkerbestimmung in Kombination mit einem anderen diagnostischen Verfahren ist die Kombination der digitalen rektalen Untersuchung mit der PSA-Bestimmung in der Diagnose des Prostatakarzinoms. Fllt eines der diagnostischen Verfahren positiv aus, wird die Durchfhrung einer transrektalen Ultraschalluntersuchung empfohlen.
5 Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker 5.1 a-Fetoprotein (AFP) a-Fetoprotein (AFP) ist ein Glykoprotein mit einer Molmasse von 65 kD und wird in der Fetalzeit im Dottersack, Gastrointestinum und in der Leber gebildet. Der Median der AFP-Konzentration liegt im Serum Neugeborener etwa bei 70 lg/l. In den ersten Lebensmonaten werden erhebliche individuelle Schwankungen beobachtet, ab dem 2. Lebensjahr liegt die Obergrenze des Referenzbereichs methodenabhngig zwischen 10 und 15 lg/l. Im Verlauf der Schwangerschaft steigen die AFP-Serumkonzentrationen ab der 10. SSW an, erreichen maximale Werte von 400 bis 500 lg/l zwischen der 32. und 36. SSW und sinken dann wieder ab. Die AFP-Bestimmung
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Tumormarker
im Serum ist bei Verdacht auf hepatozellula¨re Karzinome und zur Verlaufskontrolle von nicht-seminomato¨sen Keimzelltumoren indiziert. Bei Diagnose eines hepatozellulren Karzinoms sind die AFP-Konzentrationen wie folgt: F F F
80%> 10 lg/l, 60%> 100 lg/l, 50%> 1000 lg/l.
Falsch positive Konzentrationserhhungen finden sich bei Leberzirrhose (10…60%) und bei Hepatitis in ca. 30% der Flle. Wird eine Obergrenze des Entscheidungsbereichs von 1000 lg/l gewhlt, betrgt die diagnostische Spezifitt der AFP-Bestimmung fr Leberzellkarzinome bei Ausschlu von Keimzelltumoren annhernd 100%. Die diagnostische Empfindlichkeit liegt dann noch bei etwa 50%. In Konzentrationsbereichen unter 1000 lg/l kann durch Bercksichtigung des Konzentrationsverlaufs die diagnostische Empfindlichkeit weiter gesteigert werden. Whrend die AFP-Konzentrationserhhungen bei benignen Lebererkrankungen transienter Natur sind, steigen die Serumwerte in der exponentiellen Wachstumsphase hepatozellulrer Karzinome weiter an. Die Bestimmung von AFP zusammen mit hCG ist zur Diagnostik und Verlaufskontrolle von Patienten mit Keimzelltumoren des Hodens indiziert, da effektive Behandlungsmglichkeiten bestehen. Erhhte AFP-Serumkonzentrationen finden sich beim embryonalen Karzinom, bei Tumoren mit Dottersackanteilen und Kombinationstumoren, nicht jedoch beim reinen Seminom oder differenzierten Teratom (Dermoidzyste). Zu Zeitpunkten bzw. Zeitabstnden der Bestimmungen siehe Abschnitt 5.2. 5.2 Humanes Choriongonadotropin (hCG) Das hCG besteht wie die anderen Glykoproteinhormone LH, FSH und TSH aus 2 Untereinheiten, der a- und b-Kette. Die a-Untereinheiten sind strukturell annhernd gleich, die b-Ketten haben Strukturhomologien, sind jedoch hormonspezifisch und bestimmen die immunologische und biologische Spezifitt. Beim hCG betrgt der Kohlenhydratanteil ca. 30%. Physiologischerweise werden hCG und die freie b-Kette in der Schwangerschaft sezerniert und erreichen im 1. Trimenon die hchsten Serumspiegel. Eine minimale Freisetzung aus der Hypophyse ist belegt, schrnkt aber die Spezifitt als Tumormarker nicht ein (Mann et al. 1993). Spezifische Bestimmungsmethoden fr das intakte dimere hCG, die freie b-Kette und fr hCG und hCG-b stehen heute zur Verfgung. Da Tumoren in unterschiedlicher Weise hCG und die freie b-Kette freisetzen, haben sich fr die Tumordiagnostik Assays durchgesetzt, die beide Anteile sensitiv erfassen und am 1. IRP hCG standardisiert sind (Berger et al. 2002).
Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker >
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Die Referenzbereiche von hCG+hCG-b liegen fr Mnner und prmenopausale Frauen < 5 IU/l, fr postmenopausale Frauen < 10 IU/l.
Eine absolute Indikation zur Bestimmung von hCG+hCG-b besteht bei Keimzelltumoren, insbesondere Hodentumoren des Mannes, sowie Blasenmolen und Chorionkarzinomen der Frau, ferner bei extragonadalen Keimzelltumoren. Eine relative Indikation besteht bei Patienten mit erho¨htem Risiko eines Keimzelltumors wie Maldescensus testis, bei einem gesunden eineiigen Zwilling eines Patienten mit Hodentumor und bei Patienten in Vollremission nach Therapie eines Hodentumors im Verlauf. >
hCG und AFP sollen zur Diagnose und Verlaufskontrolle von Keimzelltumoren grundstzlich gleichzeitig und immer mit der gleichen Methode bestimmt werden.
Ist eine Schwangerschaft ausgeschlossen, sprechen erhhte hCG+hCG-bWerte mit groer Sicherheit fr das Vorliegen eines malignen Tumors. Auch nicht-trophoblastische Tumoren sind zur hCG-Bildung befhigt, sezernieren jedoch berwiegend die freie b-Kette. Bei den Keimzelltumoren des Hodens handelt es sich in 40% um Seminome und in 60% um NichtSeminome oder Kombinationstumoren. Der Nachweis von hCG und AFP korreliert mit dem histologischen Befund. Erhhte hCG-Konzentrationen finden sich bei Patienten mit Tumoren, die chorionkarzinomato¨se Anteile oder synzytiotrophoblastische Riesenzellen enthalten, die auch in ansonsten reinen Seminomen gefunden werden knnen. Infolgedessen finden sich properativ in ca. 30% auch bei Seminomen leicht erhhte hCG+hCG-b-Spiegel. >
Trophoblastisch differenzierte Teratome (Chorionkarzinom und Teratom) bilden immer hCG, Dottersacktumoren oder -anteile in Teratomen oder Kombinationstumoren (embryonales Karzinom) bilden AFP, aber niemals hCG.
Reine Teratome (reif, unreif) wie Dermoidzysten (entwickeln sich auch unter Chemotherapie) bilden keine Marker. Beim Chorionkarzinom korreliert die Tumormasse mit der Hhe der Serumwerte, die bis zu einigen Millionen IU/l ansteigen knnen. Nach der vollstndigen Entfernung eines hCG-/AFPbildenden Tumors fllt die Serumkonzentration mit einer der „physiologischen“ Abklingzeit angenherten Halbwertszeit fr hCG von 1…3 Tagen und AFP von 4…7 Tagen ab (Bosl u. Head 1994). Bei Nicht-Seminomen sind hCG+hCG-b in etwa 60% (Serumspiegel 5…1000 IU/l in 90%), bei Seminomen in 20…30% (Serumspiegel 5…2000 IU/l) positiv. HCG+hCG-b-Spiegel > 5000 IU/l sind fr das Vorliegen eines Kombinationstumors verdchtig.
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Tumormarker
Im Verlauf persistierend erhhte oder ansteigende Markerspiegel weisen auf eine nicht kurative Therapie und/oder unerkannte Metastasierung hin.
Verlaufskontrollen sind von entscheidender Bedeutung, da heute durch die multimodale Behandlung einschlielich zytostatischer Therapie Heilungsraten bei Nicht-Seminomen von ber 90% und bei Seminomen um 98% erreichbar sind. hCG+hCG-b und AFP sollen vor der Orchiektomie, 1- bis 3mal in der ersten Woche nach Orchiektomie (Bestimmung von T1/2) sowie wchentlich unter Chemo- und Strahlentherapie bis zur Normalisierung erfolgen. Ferner sind Markerbestimmungen fester Bestandteil des Tumornachsorgeprogramms. Bei Nicht-Seminomen signalisieren sehr hohe Marker vor der Ersttherapie eine eingeschrnkte Prognose. hCG-positive Seminome sind dagegen prognostisch nicht schlechter zu bewerten. Bei plazentaren Trophoblastentumoren (Blasenmole, Chorionkarzinom) finden sich stark erhhte hCGKonzentrationen bis ber 1 Mio. IU/l. Im Verlauf der Schwangerschaft kommt es nicht zum physiologischen hCG-Abfall nach dem 1. Trimenon. Nach Krettage einer Blasenmole tritt eine Normalisierung der hCG+hCG-b-Werte sptestens nach 12 Wochen ein. Persistierende oder ansteigende Werte signalisieren proliferierendes Restgewebe oder eine maligne Degeneration, und zwar bereits Wochen vor der klinischen Manifestation. Postoperativ soll hCG wchentlich bis 3 Wochen nach der Normalisierung, im weiteren Verlauf 6 Monate lang monatlich bestimmt werden. Bei Vollremission 3- bis 6monatliche Kontrollen, insbesondere nach Strahlen-/Chemotherapie eines Chorionkarzinoms (Bagshawe 1992). 5.3 Karzinoembryonales Antigen (CEA) Das karzinoembryonale Antigen (CEA) ist ein Glykoprotein mit einer Molmasse von ca. 180 kD und einem Kohlenhydratanteil von ca. 50%. Die Obergrenze des Referenzbereichs der CEA-Konzentration in Serum oder Plasma liegt methodenabhngig zwischen 1,5 und 5,0 lg/l. Der Median der CEAKonzentrationen steigt mit zunehmendem Alter und ist bei Rauchern geringfgig hher als bei Nichtrauchern. Erhhte CEA-Konzentrationen im peripheren Blut findet man u. a. bei kolorektalen, Pankreas-, Bronchial- und Mammakarzinomen. Die Konzentrationen sind in der Regel erst in fortgeschrittenen Tumorstadien erhht. Unter den nichtmalignen Erkrankungen finden sich erhhte CEA-Konzentrationen u. a. bei alkoholischer Leberzirrhose (70%), entzndlichen Lungenerkrankungen (30…50%) und Colitis ulcerosa (ca. 30%). Aufgrund der eingeschrnkten Sensitivitt und Spezifitt ist CEA als Screeningtest ungeeignet. Beim kolorektalen Karzinom werden signifikante
Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker
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Konzentrationserhhungen in der Regel erst in fortgeschrittenen Tumorstadien beobachtet (Dukes A: 3%, Dukes B: 25%, Dukes C: 45% und Dukes D: 65%). Die derzeit einzige potentielle Indikation zur CEA-Bestimmung ist die Verlaufskontrolle von Patienten nach Resektion eines kolorektalen Karzinoms, insbesondere bei der frhzeitigen Erkennung von Lebermetastasen, die bei ca. 60% der Patienten auftreten und in einem Viertel der Patienten operabel sind. Durch verbesserte chirurgische Resektion von Lebermetastasen wird bei diesem Patientenkollektiv eine 5-Jahresberlebensrate von 21…48% erzielt; ein Wiederauftreten von Lebermetastasen wird bei 50…80% der Patienten beobachtet. Dagegen ist die Sensitivitt bei CEA-Bestimmung zum Nachweis eines lokoregionalen Tumorrezidivs mit ca. 60% relativ gering, zudem sind die therapeutischen Optionen begrenzt. Retrospektive Untersuchungen verdeutlichen, da die CEA-Bestimmung in dieser Patientengruppe, wenn berhaupt, nur geringfgig zur Erhhung der Lebenserwartung beitrgt. Die Kosten-Nutzen-Relation der CEA-Bestimmung ist daher hoch (Duffy 2001). Unklare CEA-Erhhungen knnen ein Hinweis auf ein medullres Schilddrsenkarzinom sein. Hierbei kann CEA neben Calcitonin (hCT) als sinnvoller Marker fr die Therapieberwachung des medullren Schilddrsenkarzinoms eingesetzt werden. Obwohl umstritten und mit einer Steigerung der diagnostischen Sensitivitt von ca. 30 auf 50% verbunden, kann CEA zustzlich zu CA 15-3 als Marker bei der Verlaufskontrolle des Mammakarzinoms eingesetzt werden. 5.4 Blutgruppenantigene auf epithelialen Mucinen des Gastrointestinaltrakts (CA 19-9, CA 50, CA 195, DU-PAN-2) Monoklonale Antikrper, die gegen Zellen oder Membranfraktionen gastrointestinaler Tumoren induziert werden, sind hufig gegen Blutgruppenantigene auf Glykoproteinen vom Mucintyp gerichtet. Mucine sind als hochmolekulare Glykoproteine Hauptkomponenten seroviskser, von Epithelien sezernierten Flssigkeiten: F
F
F F
Das CA-19-9-Hapten wird durch den monoklonalen Antikrper 19-9 definiert, der gegen ein Neuraminsurenderivat des Lewisa-(Si-Lea-) Blutgruppenantigens gerichtet ist. CA 50 wird durch den monoklonalen Antikrper CA 50 definiert, der mit dem Si-Lea-Hapten und zustzlich einem sialylierten Lewisa-Blutgruppenvorlufer reagiert. Das CA-195-Antigen umfat Lea- und Si-Lea-Haptene. Bei dem DU-PAN-2-Hapten handelt es sich um einen sialylierten Vorlufer von Lewisa-Haptenen (Wagener 1995).
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Tumormarker
Die diagnostischen Anwendungsbereiche der verschiedenen Tumormarker sind hnlich, es wird daher im Folgenden nur auf die Indikation zur Bestimmung des CA-19-9-Haptens eingegangen. In allen kommerziell erhltlichen CA-19-9-Immunoassays wird ein identischer monoklonaler Antikrper verwendet. Die Obergrenze des Referenzbereichs wird mit 37…40 kU/l angegeben. Da 5% der Bevlkerung genotypisch Lewisa…,b… sind und daher das CA-19-9-Hapten nicht synthetisieren knnen, betrgt die maximal erreichbare diagnostische Empfindlichkeit 95%. Das Antigen wurde zwar zuerst auf Kolonkarzinomzellen identifiziert, der Serumnachweis des CA-19-9-Antigens weist jedoch unter allen Tumoren beim Pankreaskarzinom die hchste Sensitivitt auf. >
Die diagnostische Empfindlichkeit der CA-19-9-Bestimmung liegt bei Pankreaskarzinomen mit einem Tumordurchmesser von < 3 cm bei ca. 50%, bei einem Tumordurchmesser von > 3 cm bei 85…90%.
Die hohe diagnostische Empfindlichkeit beruht zum Teil auf der Tatsache, da Pankreaskarzinome in der Regel erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert werden. Die Hhe der Serumkonzentration von CA 19-9 korreliert beim Pankreaskarzinom positiv mit der Tumorgre. Da bei Tumoren mit einem Durchmesser von < 3 cm die Konzentrationen nur in ca. der Hlfte der Patienten erhht sind, werden potentiell kurable Stadien durch CA 19-9 nur unzureichend erfat. Bei Personen mit Verdacht auf Pankreaskarzinom betrug bei einer Entscheidungsgrenze, die der Obergrenze des Referenzbereichs entspricht (37 kU/l), der positive prdiktive Wert 77%, d. h., bei 23% der Patienten war eine Erhhung der CA-19-9-Konzentrationen nicht auf ein Pankreaskarzinom zurckzufhren. Der negative prdiktive Wert lag bei 96%. Dies bedeutet, da bei 4% der Patienten mit negativem CA-19-9-Wert im weiteren Verlauf ein Pankreaskarzinom diagnostiziert wurde. Da es sich hier um relativ frhe Stadien handelt, wrden gerade potentiell kurable Tumoren der Diagnostik entgehen. Die CA-19-9-Bestimmung wird daher nicht als Eingangstest empfohlen, von dem weitere Untersuchungen abhngig gemacht werden. Bei einer Erhhung der Entscheidungsgrenze auf 300 kU/l liegt der positive prdiktive Wert ber 90%. Bei Gallengangskarzinomen betrgt die diagnostische Empfindlichkeit knapp 70%, bei Magenkarzinomen ca. 40% und bei kolorektalen Karzinomen ca. 35%. Unter den nichtmalignen Erkrankungen gehen Pankreatitis, Erkrankungen der Gallenwege und Lebererkrankungen mit CA-19-9-Erhhungen einher, die mit wenigen Ausnahmen 100 kU/l nicht berschreiten und in weniger als 20% der Erkrankungen auftreten.
Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker
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5.5 CA 72-4 Bei dem CA-72-4-Hapten handelt es sich um die Glykostruktur eines Mucins, die durch einen monoklonalen Antikrper definiert wird. >
Erhhte Ca-72-4-Konzentrationen (Referenzbereich 6 U/l) werden beim Magenkarzinom, aber auch mit geringerer Hufigkeit (5…50%) bei anderen gastrointestinalen Karzinomen, gynkologischen Tumoren sowie bei ca. 10…20% benigner Erkrankungen der Lunge, des Gastrointestinums und des weiblichen Genitaltrakts beobachtet.
Die diagnostische Empfindlichkeit der CA-72-4-Bestimmung liegt beim Magenkarzinom zwischen 30 und 80%, ist abhngig vom Tumorstadium und ist fr das Magenkarzinom hher als diejenige anderer Tumormarker (z.B. CEA und CA 19-9). Die klinische Bedeutung der CA-72-4-Bestimmung beim Magenkarzinom liegt in der Verlaufs- bzw. Rezidivkontrolle, ist aber aufgrund der begrenzten Sensitivitt und Spezifitt eingeschrnkt (Filella et al. 1994). Mit diagnostischen Sensitivitten zwischen 50 und 80% kann CA-72-4 nach CA-125 ggf. als Marker beim Ovarialkarzinom, insbesondere zur Verlaufskontrolle muzinser Ovarialkarzinome, eingesetzt werden. 5.6 Mucinantigene des Mammakarzinoms (CA 15-3, CA 549, MCA u. a.) Mammakarzinome bilden in vivo und in vitro groe Mengen an hoch-immunogenen Mucinen. Monoklonale Antikrper, die gegen Mammakarzinomgewebe oder -zellen induziert wurden, binden daher hufig an mucinassoziierte Epitope. Viele Antikrper, die tumorassoziierte Antigene erkennen und deren Antigenbindungseigenschaften nher charakterisiert wurden, binden an ein Mucin, welches vom sog. Mucin-1-Gen (MUC1Gen) kodiert wird. Mucine lassen sich mit Hilfe monoklonaler Antikrper im Blut von Patientinnen mit Mammakarzinomen nachweisen. In den verfgbaren Immunoassays zum Mucinnachweis werden hufig verschiedene monoklonale Antikrper eingesetzt, so da die Spezifitt der Assays nicht vergleichbar ist. Die nachgewiesenen Antigene werden zudem unterschiedlich bezeichnet. Aufgrund der relativ guten Korrelation zwischen verschiedenen Mucinassays ist jedoch anzunehmen, da die Antikrper mit verschiedenen Epitopen auf demselben Mucin (wahrscheinlich dem MUC1Genprodukt) reagieren. Aufgrund der vergleichbaren diagnostischen Sensitivitt und Spezifitt wird nur auf das CA-15-3-Hapten nher eingegangen. Im Rahmen der Diagnostik von Mammakarzinomen ist die Sensitivitt des Tumormarkers relativ gering und liegt im Stadium I bei 5…30%, im Stadium II bei 15…50%, im Stadium III bei 60…70% und im Stadium IV zwischen 65 und 95%. Lokoregionale Rezidive werden mit einer Sensitivitt von ca. 20% erfat, whrend bei Tumorprogression und Metastasierung (abhngig vom Ort der Metastasenabsiedlung) Erhhungen der CA-15-3-
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Tumormarker
Konzentration relativ hufig beobachtet werden (40…80%). Hierbei kann aber bei fehlendem Anstieg der Tumormarkerkonzentration ein Fortschreiten der Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden (Bast et al. 2001). Falsch-positive Erhhungen finden sich mit Hufigkeiten bis zu 25% u. a. bei benigner Mastopathie, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, Lungenerkrankungen und vereinzelt bei Erkrankungen anderer Organsysteme (Safi et al. 1991). Aufgrund der geringen Sensitivitt spielt CA 15-3 in der Differentialdiagnose keine Rolle. Die Expression des CA-15-3-Haptens in Mammakarzinomen ist uneinheitlich und heterogen. Dies ist der Grund dafr, da Sensitivitt und Spezifitt, mit der der CA-15-3-Assay eine Tumorprogression oder -regression im Rahmen der Chemotherapie von Mammakarzinomen anzeigt, unbefriedigend sind. Zur Therapiekontrolle ist der Marker nur dann geeignet, wenn aus der Longitudinalbeurteilung der Konzentrationen therapeutische Konsequenzen gezogen werden. Eine Steigerung der diagnostischen Sensitivitt kann ggf. durch die zustzliche Bestimmung von CEA erreicht werden. 5.7 CA 125 Das CA-125-Hapten wird durch einen monoklonalen Antikrper definiert. Die Obergrenze des Referenzbereichs liegt methodenabhngig zwischen 35 und 65 U/ml. Der hchste Anteil an CA-125-Erhhungen findet sich bei Ovarialkarzinomen. Die Sensitivitt liegt im FIGO-Stadium I bei 50% und steigt auf 94% im Stadium IV an. CA-125-Konzentrationserhhungen werden auch bei anderen malignen Erkrankungen, z.B. des Gastrointestinaltrakts, mit Hufigkeiten zwischen 10 und 70% beobachtet. Unter den nichtmalignen Erkrankungen werden CA-125-Konzentrationserhhungen bei akuter Salpingitis, benignen Tumoren des Ovars und Leberzirrhose sowie bei Nierenversagen beobachtet (Safi et al. 1991). Bei Frauen mit hereditrem Ovarialkrebssyndrom ist die Prvalenz von Ovarialkarzinomen auerordentlich hoch. Bei familirer Disposition zu Ovarialkarzinomen (2 oder mehr Verwandte ersten Grades mit Ovarialkarzinom) besteht ein Risiko von etwa 40%, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken. In dieser Hochrisikogruppe sollte CA 125 im Rahmen von Screeninguntersuchungen in regelmigen Abstnden bestimmt werden (NIH Consensus Development Panel 1995). Bei Frauen ohne genetische Disposition fr Ovarialkarzinome ist CA 125 hingegen aufgrund der relativ geringen Prvalenz des Ovarialkarzinoms fr Screeninguntersuchungen ungeeignet. Da Spezifitt und prdiktive Werte der CA-125-Bestimmung nicht ausreichen, um eine chirurgische Intervention von der Bestimmung abhngig zu machen, ist der Wert der Bestimmung in der Differentialdiagnose von Ovarialtumoren fraglich. Rezidive oder Tumorprogression im posttherapeutischen Verlauf von Ovarialkarzinomen werden bei etwa 50% der Patien-
Indikationen zur Anwendung einzelner Tumormarker
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tinnen durch einen Anstieg der CA-125-Konzentrationen angezeigt. In Kombination mit einer allgemeinen krperlichen Untersuchung und einer Inspektion des Beckens kann eine Tumorprogression in ca. 90% der Flle diagnostiziert werden. Die Bestimmung von CA 125 wurde daher zur Therapie- und Verlaufskontrolle von Ovarialkarzinomen empfohlen (NIH Consensus Development Panel 1995). 5.8 Neuronspezifische Enolase (NSE) Die neuronspezifische Enolase (NSE) ist ein Isoenzym der Enolase (EC 4.2.1.11), welches in differenzierten Neuronen und neuroendokrinen Zellen gebildet wird. NSE wird als Serummarker kleinzelliger Lungenkarzinome (small cell lung cancer, SCLC) diskutiert. Bei SCLC liegt die Sensitivitt im Bereich von 60…80%, whrend NSE-Erhhungen bei ca. 10…30% nicht-kleinzelliger Lungenkarzinome auftreten. Erhhte Serumwerte finden sich auch bei anderen Tumoren neuroektodermalen Ursprungs wie Neuroblastomen und endokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts, insbesondere Inselzelltumoren des Pankreas. Bei SCLC liegt die Sensitivitt im Bereich von 70%. Deutliche Erhhungen der NSE finden sich in der Regel erst in fortgeschrittenen Tumorstadien mit entsprechend eingeschrnkten therapeutischen Optionen. Falsch positive NSE-Erhhungen werden bei Niereninsuffizienz, gutartigen Lungenerkrankungen, zerebralen Erkrankungen und bei Schwangeren mit fetalen Neuralrohrdefekten beobachtet. Die Pranalytik ist problematisch, da immunreaktive NSE in Thrombozyten und Erythrozyten nachweisbar ist, was bereits bei leichter Hmolyse der Blutprobe zu falsch positiven Konzentrationserhhungen fhrt. Insgesamt erscheint die Bestimmung der NSE nicht geeignet, Tumoren in einem frhen, potentiell kurablen Stadium zu erfassen (Ebert et al. 1996). 5.9 CYFRA-21-1 Mit CYFRA-21-1 wird ein Immunoassay bezeichnet, der Fragmente des Cytokeratins 19 im Serum mit. Cytokeratin 19 wird in Epithelien, so z.B. dem Bronchialepithel, exprimiert. Die im CYFRA-21-1-Assay bestimmten Cytokeratinfragmente werden im Folgenden unter CYFRA-21-1 zusammengefat. Im Rahmen der Diagnose und Verlaufskontrolle von Lungenkarzinomen werden relativ hohe diagnostische Sensitivitten zwischen 40 und 80% bei NSCLC (non-small cell lung cancer) beobachtet, whrend CYFRA-21-1 bei nur 10…50% der kleinzelligen Bronchialkarzinome (SCLC) erhht ist und damit beim SCLC die NSE-Bestimmung der CYFRA-21-1-Bestimmung berlegen ist. Darber hinaus finden sich erhhte CYFRA-21-1Konzentrationen mit Hufigkeiten zwischen 20 und 35% beispielsweise bei Mamma-, Magen-, Kolon- oder Ovarialkarzinomen sowie in ber 50% der
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Tumormarker
Flle beim invasiven Blasenkarzinom. Eher geringfgig ber den Referenzbereich (2 lg/l) erhhte Werte werden bei Niereninsuffizienz und gutartigen Erkrankungen (z.B. Gastrointestinaltrakt, Lunge) mit Hufigkeiten zwischen 10 und 20% beobachtet. Aufgrund der eingeschrnkten Therapiemglichkeiten des NSCLC ist die klinisch-diagnostische Bedeutung von CYFRA-21-1 jedoch gering. Aus einer umfangreichen und detaillierten Studie zur diagnostischen Bedeutung von CYFRA-21-1 und anderen Markern zogen die Autoren den Schlu, da die Marker allenfalls dazu beitragen knnen, eine ineffektive Therapie vorzeitig zu beenden (Ebert et al. 1996). 5.10 Squamous cell carcinoma antigen (SCC) SCC stellt ein Antigen (42kD) mit Homologie zu Serinproteasen dar, das ursprnglich aus einem Plattenepithelkarzinom der Zervix isoliert wurde. ber den Referenzbereich (2…3 lg/l) erhhte Konzentrationen finden sich bei Plattenepithelkarzinomen mit unterschiedlichen diagnostischen Sensitivitten hauptschlich beim Zervix- (45…80%), Bronchial- (40…80%), sophagus- (30…50%) und Analkanalkarzinom (ca. 75%) sowie bei Plattenepithelkarzinomen des Kopf- und Halsbereichs (35…80%) in Abhngigkeit vom Tumorstadium. Falsch positive Werte mit eher geringer bzw. transitorischer Erhhung werden bei Niereninsuffizienz (20…70%), bei 10…40% benigner Erkrankungen der Lunge, der Leber, des Pankreas und des weiblichen Genitaltrakts sowie mit Hufigkeiten bis zu 80% bei Hautkrankheiten (z.B. Psoriasis, Ekzem) beobachtet. Aufgrund der eingeschrnkten Sensitivitt und Spezifitt ist SCC zum Screening ungeeignet, kann aber bei unterschiedlichen Plattenepithelkarzinomen ggf. in Kombination mit anderen Tumormarkern zur Therapie-, Verlaufs- und Rezidivkontrolle werden (Molina et al. 1990). 5.11 Prostataspezifisches Antigen (PSA) Das prostataspezifische Antigen (PSA) ist eine kallikreinhnliche Serinproteinase, die ausschlielich im Prostatagewebe vorkommt. Im Serum gesunder Mnner ist PSA in geringen Konzentrationen nachweisbar (4 lg/l), im Serum von Frauen ist keine PSA-Aktivitt vorhanden. Im Serum ist PSA berwiegend an a1-Antichymotrypsin und zu einem geringen Anteil an a2-Makroglobulin gebunden, whrend der Rest in freier Form vorliegt. Die PSA-Bestimmung dient der Diagnose und Verlaufskontrolle von Prostatakarzinomen. Aufgrund der hheren diagnostischen Empfindlichkeit und Spezifitt hat die PSA-Bestimmung den Nachweis der sauren Prostataphosphatase berflssig gemacht. Die exklusive Gewebsspezifitt bedeutet, da die diagnostische Spezifitt ausschlielich durch benigne Erkrankungen der Prostata beeinflut wird. Hierbei liegt das Hauptproblem in der
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Differenzierung zwischen benigner Prostatahyperplasie (BPH) und frhen Stadien des Prostatakarzinoms. Bei benigner Prostatahyperplasie liegen die PSA-Serumkonzentrationen in Abhngigkeit vom Alter bei 21…86% der Patienten unter 10 lg/l. Beim Prostatakarzinom korreliert die PSA-Konzentration mit der Tumorgre. Entsprechend steigt der positive prdiktive Wert mit der Serumkonzentration (4…10 lg/l: ca. 25%; > 10 lg/l: ca. 50%; > 20 lg/l: ca. 85%). Bei Personen mit aufflligem rektalem digitalem Tastbefund liegen die positiven prdiktiven Werte hher (4…10 lg/l: ca. 40%; > 10 lg/l: ca. 70%). >
Es wird empfohlen, bei Mnnern ber 50 Jahre im Rahmen von Screeninguntersuchungen auf Prostatakarzinom jhrlich eine PSA-Bestimmung in Kombination mit einer digitalen rektalen Untersuchung durchzufhren. Falls ein Verwandter ersten Grades an Prostatakarzinom erkrankt ist, sollte das Screeningprogramm ab dem 40. Lebensjahr erfolgen (Smith et al. 2002). Da PSA durch digitale rektale Untersuchung der Prostata in geringen Mengen freigesetzt werden kann, ist es empfehlenswert, die Blutentnahme fr die PSA-Bestimmung vor der Untersuchung durchzufhren.
Falls die digitale Untersuchung und/oder der PSA-Test positiv ausfallen, sollte eine transrektale Ultraschalluntersuchung angeschlossen werden. Bei aufflligem Befund wird die Diagnose bioptisch gesichert. In umfangreichen Screeningprogrammen, die in den USA durchgefhrt wurden, lag die Detektionsrate von Prostatakarzinomen, die auf der Bestimmung von PSA basierte, zwischen 4 und 5%. Ca. 70% der Tumoren waren auf die Prostata begrenzt. Histologische Untersuchungen ergaben, da 84% der durch PSA-Bestimmung entdeckten, nichtpalpablen Prostatakarzinome therapiebedrftig waren. Das Argument, da durch PSA-Bestimmung zu hufig klinisch unbedeutende Prostatakarzinome entdeckt wrden, trifft somit nicht zu (Barry 2001). PSA kommt im Serum in freier und gebundener Form vor. Der Anteil des freien PSA am Gesamt-PSA liegt bei Patienten mit Prostatakarzinom niedriger als bei Patienten mit benigner Prostatahyperplasie. Insbesondere im Konzentrationsbereich zwischen 4 und 10 lg/l lt sich durch Bestimmung von freiem PSA zustzlich zum Gesamt-PSA die Spezifitt der Bestimmung im Vergleich zur alleinigen Bestimmung von Gesamt-PSA ohne Verlust an Sensitivitt erhhen (Catalona et al. 1998). Der Prozentsatz an freiem PSA, der der Diagnose eines Prostatakarzinoms zugrunde gelegt wird, hngt von der jeweiligen Bestimmungsmethode ab. Der Stellenwert weiterer Verfahren zur Erhhung der Screeningeffizienz, wie z.B. die Bestimmung der PSA-Dichte (Quotient aus PSA-Konzentration und Prostatavolumen), die Rate der PSA-Konzentrationszunahme ber einen Zeitraum sowie die Verwendung altersspezifischer Referenzbereiche, wird kontrovers diskutiert (Barry 2001).
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Tumormarker
Nach radikaler Prostatektomie wird eine Bestimmung von PSA in regelmigen Zeitabstnden empfohlen. Die PSA-Bestimmung ist ferner fr die Beurteilung des Erfolgs einer Bestrahlungs- und Testosteronablationstherapie geeignet.
Obwohl das bisherige Screening unter Einsatz von PSA zu einer verbesserten Frhdiagnostik gefhrt hat, fehlen bisher umfangreiche randomisierte Studien, die eindeutig belegen, da die Frherkennung und nachfolgende Behandlung tatschlich zu einer Senkung der Mortalitt beim Prostatakarzinom fhrt. Zuverlssige Ergebnisse aus entsprechenden Studien, die derzeit in den USA und Europa durchgefhrt werden, sind in den nchsten Jahren zu erwarten. Aus diesem Grund wird empfohlen, Patienten vor einer Screeninguntersuchung ber die Vorteile, Grenzen und therapeutischen sowie psychologischen Konsequenzen einer PSA-Bestimmung aufzuklren (Barry 2001).
5.12 Calcitonin (hCT) Humanes Calcitonin (hCT) ist ein Polypeptidhormon (MW 3,5 kD), das von den parafollikulren C-Zellen der Schilddrse sezerniert, durch einen akuten Anstieg des Serumkalziums sowie durch gastrointestinale Hormone wie Gastrin, aber auch Katecholamine akut stimuliert wird. Die Bedeutung von hCT als Tumormarker fr das medullre Schilddrsenkarzinom ist unbestritten. Die verfgbaren immunometrischen Assays mit monoklonalen Antikrpern sind hochspezifisch und sensitiv. Die Referenzbereiche sind methodenabhngig (s. Tabelle 1). Die Indikation zur Bestimmung ist das klinisch manifeste medulla¨re Schilddru¨senkarzinom, insbesondere bei szintigraphisch kalten, sonographisch echoarmen und zytologisch suspekten Schilddrsenknoten, bei unklarer CEA-Erhhung und unklaren Durchfllen (Symptom des fortgeschrittenen Tumors), beim Schilddrsenkarzinom unklarer Histologie und zur postoperativen Verlaufskontrolle eines gesicherten C-Zell-Karzinoms. Durch eine selektive Halsvenenkatheterisierung und Blutentnahmen im Mediastinal- und Leberbereich zur hCT-Bestimmung ist eine Lokalisation auch sehr kleiner Metastasen mglich. Die diagnostische Sensitivitt des Screenings kann durch den Pentagastrintest (0,5 lg Pentagastrin/kg KG als Bolusinjektion i.v., Blutabnahmen 0-2-5 min) gesteigert werden. Die Bedeutung des Pentagastrintests zum Screening von Familienangehrigen von Patienten mit multipler endokriner Neoplasie Typ 2 (MEN 2) hat deutlich abgenommen, seitdem der molekulargenetische Nachweis von Mutationen im RET-Protoonkogen zur obligaten Routinediagnostik gehrt.
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Patienten mit manifestem medullrem Schilddrsenkarzinom haben properativ 10- bis 10000fach erhhte hCT-Konzentrationen, die bei kurativem Erfolg innerhalb von Stunden in den Referenzbereich abfallen. Bleibt auch der Pentagastrintest negativ, gilt der Patient als geheilt, halbjhrliche Kontrollen des basalen hCT-Spiegels sind dann ausreichend.
Persistierend erhhte hCT-Spiegel sprechen fr eine Tumorpersistenz oder Metastasen. Sie sind Anla zu weiteren Lokalisationsverfahren und einer weiteren Therapie. Eine relative Indikation zur hCT-Bestimmung ist bei neuroendokrinen Tumoren, Karzinoiden, endokrin aktiven Pankreastumoren und dem kleinzelligen Bronchialkarzinom in Kombination mit anderen Markern gegeben. Die Notwendigkeit eines Screenings auf ein medullres Schilddrsenkarzinom bei kalten Schilddrsenknoten (Malignomrisiko um 5%) wird kontrovers diskutiert, da die diagnostische Sensitivitt bei nur 0,1…0,5% liegt. Bei sonographischem Nachweis von Verkalkungen in kalten Knoten wird ein Calcitoninscreening empfohlen (Mann 2002). 5.13 Thyreoglobulin (Tg) Thyreoglobulin (Tg) ist ein komplettes, dimeres Glykoprotein (MW 660 kD), das ausschlielich im Kolloid des Schilddrsenfollikels vorkommt. Seine Freisetzung wird physiologischerweise durch TSH stimuliert. Normalerweise und bei verschiedenen Schilddrsenerkrankungen werden sehr unterschiedliche Serumkonzentrationen mebar. Tg-Messungen sind daher nicht zur Diagnostik differenzierter Schilddrsenkarzinome geeignet und wertlos. Der Referenzbereich liegt zwischen 1 und 50 lg/l. >
Die Indikation zur Tg-Bestimmung liegt in der Therapieberwachung und Nachsorge papillrer und follikulrer Schilddrsenkarzinome.
Anaplastische und medullre Karzinome sind Tg-negativ. Tg-bildende Metastasen werden besonders sensitiv nach kurzfristigem Absetzen der TSH-suppressiven Levothyroxintherapie und damit endogener TSH-Stimulation erkannt. In Zukunft wird sich die noch in der Prfung befindliche exogene Stimulation mit rekombinantem humanem TSH voraussichtlich durchsetzen (Schlumberger u. Baudin 1998). Tg-Werte > 3 lg/l unter Substitutionstherapie sind bereits auf ein Rezidiv oder Metastasen verdchtigt. Ergnzend sind dann ein 131I-Ganzkrperszintigramm und eine Tg-Bestimmung unter TSHStimulation erforderlich. Durch konsequente Tg-Bestimmungen bei der Nachsorge kann auf die Szintigraphie bei den meisten Patienten verzichtet werden. Mgliche Strfaktoren … insbesondere Thyreoglobulinantikrper (TgAb) … sind zu beachten (Vorkommen in 15% der Patienten mit differenziertem Karzinom) und ein Tg-Wiederfindungstest obligat (Mann 2002).
11
516
11
Tumormarker
5.14 5-Hydroxyindolessigsa¨ure (5-HIES), Serotonin, ACTH, Insulin, Gastrin, Glucagon, vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP), pankreatisches Polypeptid (PP), Somatostatin Etablierte Marker endokrin aktiver Tumoren sind 5-Hydroxyindolessigsure (5-HIES) und Serotonin beim Karzinoid, ACTH beim kleinzelligen Bronchialkarzinom und … je nach Tumorspezifitt … Gastrin, Insulin sowie C-Peptid, Glucagon, VIP, PP und Somatostatin bei endokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts. Ergnzend kann die Bestimmung von Chromogranin A hilfreich sein.
Tabelle 1. Tumormarker Indikation
AFP
*
*
hepatozellula¨res Karzinom Keimzelltumoren (Hoden, Ovar, extragonal)
klinische Anwendung
*
*
*
hCG + hCG-b
*
Keimzelltumoren (Blasenmole, Chorionkarzinom, Hodentumoren, extragonadale Keimzelltumoren)
*
*
*
CEA
*
kolorektales Karzinom
*
*
a) b)
Referenzbereicha)
7–9 IU/mlb) Diagnostik von Keimzelltumoren in Kombination mit hCG (AFP-negativ: (10–15 lg/l) reine Seminome, Dysgerminome, differenzierte Teratome) Kontrolle von Risikogruppen (z.B. Leberzirrhose, Maldescensus testis) Therapie- und Verlaufskontrolle 5 IU/lc) Diagnostik von Keimzelltumoren in Kombination mit AFP (hCG-negativ: 10 IU/ld) Dermoidzyste und Dottersacktumoren) Kontrolle von Risikogruppen (z.B. Maldescensus testis, kontralaterale Zweittumoren) Therapie und Verlaufskontrolle 1,5–5,0 lg/l Therapie- und Verlaufskontrolle (fru¨he Erkennung von Lebermetastasen) zusa¨tzlicher Marker beim medulla¨ren Schilddru¨senkarzinom (neben hCT)
Referenzbereiche sind methodenabha¨ngig (Angaben fu¨r Serum und/oder Plasma); Referenzbereich fu¨r Kinder ab dem 2. Lebensjahr und nicht-schwangere Erwachsene (nach Geburt: 70 mg/ml, in der 2.–3. Lebenswoche: 0,5–4 mg/ml);
Synopsis relevanter Tumormarker
517
6 Synopsis relevanter Tumormarker In Zeiten begrenzter finanzieller Ressourcen im Gesundheitswesen sollte der diagnostische Einsatz von Tumormarkern kritisch bewertet werden. Vor der Anwendung eines Tumormarkers mu die Frage beantwortet werden, ob vom Ergebnis der Bestimmung diagnostische und/oder therapeutische Entscheidungen abhngig gemacht werden. Ist dies nicht der Fall, sollte man auf die Bestimmung verzichten. Der Einsatz von Tumormarkern, die in dieser bersicht nicht aufgefhrt sind, wird nicht empfohlen. In Tabelle 1 sind neben den wesentlichen klinischen Anwendungsgebieten von Tumormarkern, Referenzbereiche und Halbwertszeiten im Serum sowie Ursachen fr falsch positive Tumormarkererhhungen zusammengefat.
Halbwertszeit
physiologische Bildungsorte
Erho¨hungen mit variabler Ha¨ufigkeit bei benignen und/oder anderen malignen Erkrankungen
4–7 Tage
wa¨hrend der Fetalzeit in Leber, Gastrointestinaltrakt und Dottersack; erho¨hte Serumspiegel in der Schwangerschaft
Leberzirrhose, akute und chronische Hepatitis, toxische Lebererkrankungen, entzu¨ndliche Darmerkrankungen, Ataxia teleangiectasia, Wiscott-Aldrich-Syndrom; Bronchial-, Gallenwegs-, Kolon-, Magen-, und Pankreaskarzinom
1–3 Tage
Plazenta (Synzytiotrophoblast), geringe Produktion in Hoden, Hypophyse, Kolon und Leber: erho¨hte Serumspiegel in der Schwangerschaft
Hepatom, Niereninsuffizienz, Marihuana-Abusus, Trisomie 21; Bronchial-, Kolon-, Mamma-, Magen-, Nieren-, Ovarial- und Pankreaskarzinom
2–8 Tage
Du¨nndarm, Harnblase, Magen, Kolon, O¨sophagus, Pankreas, Prostata, Zervix
Leberzirrhose, Hepatitis, entzu¨ndliche Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (z.B. Pankreatitis, Divertikulitis, Colitis ulcerosa), entzu¨ndliche Lungenerkrankungen, Nikotinabusus; Blasen-, Bronchial-, Leber-, Mamma-, Magen-, Nieren-, Ovarial-, Pankreas- und Zervixkarzinom sowie bei Melanomem und Lymphomen
c) d)
Referenzbereich fu¨r Ma¨nner und pra¨menopausale Frauen; Referenzbereich fu¨r postmenopausale Frauen
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518
11
Tumormarker
Tabelle 1. Tumormarker (Fortsetzung) Indikation
klinische Anwendung
Referenzbereicha)
Pankreaskarzinom hepatobilia¨res Karzinom
*
Therapie- und Verlaufskontrolle
< 37–40 U/ml
*
CA 72-4
*
Magenkarzinom
*
Therapie- und Verlaufskontrolle
6 U/l
CA 15-3
*
Mammakarzinom
*
Therapie- und Verlaufskontrolle
40 U/ml
CA 125
*
Ovarialkarzinom
*
Therapie- und Verlaufskontrolle Kontrolle von Risikogruppen (Familienscreening bei heredita¨ren Formen)
35–65 U/ml
Therapie- und Verlaufskontrolle
im Serum: 10–20 ng/ml (Liquor: 0–20 ng/ml)
CA 19-9
*
*
NSE
*
*
kleinzelliges Bronchialkarzinom Neuroblastom
*
Synopsis relevanter Tumormarker
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Halbwertszeit
physiologische Bildungsorte
Erho¨hungen mit variabler Ha¨ufigkeit bei benignen und/oder anderen malignen Erkrankungen
4–8 Tage
normaler Bestandteil des Lewisa-Blutgruppenantigens, Expression auf Schleimhautzellen, hohe Konzentrationen in Sekreten; erho¨hte Serumspiegel in der Schwagerschaft
Leberzirrhose, Leberzellnekrose, Hepatitis, Pankreatitis, Cholelithiasis, Cholezystitis, Mukoviszidose, entzu¨ndliche Darmerkrankungen, Menstruation; Bronchial-, Endometrium-, Kolon-, Magen-, Mamma- und Ovarialkarzinom; keine Expression bei Blutgruppenkonstellation Lewisa–, b–
3–7 Tage
fetales Kolon, Magen und O¨sophagus
Leberzirrhose, Pankreatitis, Lungenerkrankungen, rheumatische Erkrankungen, benigne gyna¨kologische (z.B. Ovarialzyste) und gastrointestinale Erkrankungen; Endometrium-, Gallenwegs-, Kolon-, Mamma-, O¨sophagus-, Ovarial-, Pankreasund Zervixkarzinom
5–7 Tage
Epithelzellen in Geweben mit duktaler oder alveola¨rer Struktur
Niereninsuffizienz, benigne Leber-, Lungen-, Mamma- (z.B. Mastopathie) und Pankreaserkrankungen, Tuberkulose, HIV-Infektion, rheumatische Erkrankungen; Endometrium-, Leber-, Lungen-, Magen-, Ovarial-, Pankreas- und Zervixkarzinom
5–6 Tage
Epithelien des weiblichen Genitaltrakts, fetale Gewebe, Mesothelien (Peritoneum, Pleura, Perikard); erho¨hte Serumspiegel in der Schwangerschaft
Herz-, Niereninsuffizienz, Leberzirrhose, Hepatitis, Pankreatitis, Pleuritis, Peritonitis, Cholelithiasis, Cholezystitis, entzu¨ndliche Darmerkrankungen, benigne gyna¨kologische Erkrankungen (z.B. Adnexitis, Endometriose), Autoimmunerkrankungen, Menstruation; Bronchial-, Endometrium-, Kolon-, Leber-, Magen-, Mamma-, Pankreas- und Zervixkarzinom
1 Tag
neuronale und neuroendokrine Zellen (APUD-Zellen), Erythrozyten, Thrombozyten (cave: Ha¨molyse)
benigne Lungenerkrankungen, Niereninsuffizienz, Neuralrohrdefekte in der Schwangerschaft, zerebrale Erkrankungen (vorwiegend im Liquor erho¨ht); ha¨molytisches Probenmaterial; nicht-kleinzellige Lungenkarzinome, Mamma-, Nieren-, Pankreas- und Schilddru¨senkarzinom, Seminom, APUDom, Wilms-Tumor, Melanom, Leuka¨mien und Lymphomen
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Tumormarker
Tabelle 1. Tumormarker (Fortsetzung) Indikation
klinische Anwendung
Referenzbereicha)
CYFRA21
*
Bronchialkarzinom
*
Therapie- und Verlaufskontrolle (Differentialdiagnostik unklarer Lungenrundherde in Kombination mit NSE)
2 lg/l (bei benignen Erkrankungen selten > 10 ng/ml)
SCC
*
Plattenepithelkarzinome (Kopf- und Halsbereich, Lunge, O¨sophagus, Analkanal, Zervix)
*
Therapie- und Verlaufskontrolle
2–3 lg/l
PSA
*
Prostatakarzinom
*
Fru¨hdiagnostik (ab dem 50. Lebensjahr in Kombination mit der digitalen rektalen Untersuchung; bei Risikogruppen ab dem 40. Lebensjahr) Staging, Therapie- und Verlaufskontrolle
4 lg/l
*
Diagnostik (ggf. in Kombination mit dem Pentagastrin-Stimulationstest) Kontrolle von Risikogruppen (Familienscreening beim heredita¨ren medulla¨ren Schilddru¨senkarzinom, Pha¨ochromozytom oder bei MEN2) Therapie- und Verlaufskontrolle
*
Therapie- und Verlaufskontrolle
basal (ng/ml): f: 2–10 F: 2–48 nach Pentagastringabe: f 50 F 79 50 lg/l
*
Calcitonin (hCT)
*
Thyreoglobulin
*
medulla¨res Schilddru¨senkarzinom
differenziertes Schilddru¨senkarzinom
*
*
Synopsis relevanter Tumormarker
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Halbwertszeit
physiologische Bildungsorte
Erho¨hungen mit variabler Ha¨ufigkeit bei benignen und/oder anderen malignen Erkrankungen
2–5 h
ubiquita¨res Vorkommen als normale Komponente des Zytoskeletts (Cytokeratin 19); keine Organspezifita¨t
benigne Lungenerkrankungen (z.B. Pneumonie, Sarkoidose, Tuberkulose), gastrointestinale (z.B. Hepatitis, Gastritis, Pankreatitis) und gyna¨kologische Erkrankungen (z.B. Adnexitis, Ovarialzyste, Endometriose), Niereninsuffizienz; Blasen-, Leber-, Kolon-, Magen-, Mamma-, Ovarial-, Prostata- und Zervixkarzinom sowie Karzinome des Kopf-Halsbereiches
1 Tag
Plattenepithelien
Leberzirrhose, Pankreatitis, benigne Lungen-, Haut- und gyna¨kologische Erkrankungen, Niereninsuffizienz; Endometrium-, Kolon-, Mamma-, Ovarialund Pankreaskarzinom
2–3 Tage
Epithel der Prostata, Seminalflu¨ssigkeit; ( 86% des im Blut zirkulierenden PSA sind an a1-Antichymotrypsin gebunden)
benigne Prostatahyperplasie, Prostatitis, Prostatainfarkt, akuter Harnverhalt, Prostatabiopsie, transurethrale Prostatektomie; geringer Anstieg ( 0,5–1 lg/l) nach Ejakulation und digitaler rektaler Untersuchung
wenige Stunden
C-Zellen der Schilddru¨se
Niereninsuffizienz, C-Zell-Hyperplasie (z.B. bei Hashimoto-Thyreoiditis); paraneoplastisch beim Karzinoid, Insulinom und bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen
1 Tag
Schilddru¨se (Thyreozyt; abha¨ngig von TSH)
Struma, M. Basedow, Thyreoiditis de Quervain, autonomes Adenom
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522
11
Tumormarker
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12 Prinzipien der onkologischen Chirurgie
12.1 Standards in der interdisziplina¨ren Diagnostik und Therapie J. R. Siewert, F. Lordick
1 Einleitung Interdisziplinaritt entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer unverzichtbaren Vorgehensweise in der Behandlung von Tumorpatienten. Dieser Proze ergibt sich aus der Tatsache, da bei zahlreichen Tumorerkrankungen eine Chance auf Heilung nur dann besteht oder zumindest nachweislich verbessert wird, wenn multimodale Therapieprinzipien zur Anwendung kommen. Um optimale multimodale Therapie festlegen zu knnen, bedarf es organisatorischer Strukturen, die sicherstellen, da jeder Patient mglichst frhzeitig von einem interdisziplinren „Tumorboard“ gesehen wird. Dies gilt in der Regel natrlich auch fr die angemessene Auswahl palliativer Therapieoptionen. ber den individuellen Erkrankungsfall hinaus wird Interdisziplinaritt zu Recht als ein allgemeines Qualittsmerkmal eines Behandlungszentrums aufgefat. Dazu zhlt die Aktivitt erkrankungsbezogener interdisziplinrer Projektgruppen, sog. „disease management teams“, die zum einen evidenzbasierte Behandlungsrichtlinien und geeignete klinische Studien implementieren, zum anderen die Behandlungsergebnisse dokumentieren und kritisch berprfen.
2 Tumorboard Die Einrichtung eines interdisziplinren Tumorboards verfolgt das Ziel der Optimierung der Therapie. Dem Tumorboard gehren Vertreter diagnostischer Disziplinen (Radiologie, Endoskopie, Nuklearmedizin, Pathologie), konservativ therapeutischer Fachrichtungen (Internistische Onkologie, Strahlentherapie) sowie der chirurgischen bzw. interventionell ttigen Disziplinen (Chirurgie und andere operative Fcher, interventionelle Radio-
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524
12
Prinzipien der onkologischen Chirurgie
logie, interventionelle Endoskopie) an. Der Besprechung eines Patienten im Tumorboard geht die gewissenhafte Vorbereitung des Falles durch den behandlungsfhrenden Arzt voraus. Dies umfat: F F F F
die die die die
detaillierte Kenntnis der Anamnese und des klinischen Befundes, radiologische Evaluation, histopathologische Evaluation, funktionelle Evaluation.
Das Tumorboard versteht sich in allererster Linie als Entscheidungstrger einer therapeutischen Strategie. Dies schliet natrlich nicht aus, da ein Patient bereits whrend der Evaluationsphase dem Tumorboard vorgestellt wird, insbesondere dann, wenn berflssige Diagnostik durch frhzeitige Diskussion der therapeutischen Optionen vermieden werden kann. Es ist notwendig, da der behandlungsfhrende Arzt persnlich die Vorstellung im Tumorboard vornimmt, da er die klinische und psychosoziale Situation des Patienten kennt. Im Rahmen der berregionalen Zentrumsbildung sollte aus fachlichen Grnden peripheren Einrichtungen der Zugang zu einem interdisziplinren Tumorboard mglich sein. Es kommt hinzu, da im Sozialgesetzbuch V die Bestimmung festgeschrieben ist, dem Patienten vor allen erheblichen Eingriffen eine Zweitmeinung zugnglich zu machen. In der Praxis wird diese Forderung bislang eher zgerlich umgesetzt. Es ist jedoch aus forensischen Grnden damit zu rechnen, da diesem Anspruch in nchster Zeit vermehrt nachgekommen werden mu. Die Telekonsultation sollte durch die bereits bestehenden Mglichkeiten der Telematik technisch kein Problem mehr darstellen. Die Fragen der Honorierung sind jedoch bislang nicht gelst (Schlag 2002). Als zeitgeme Organisationsform eines Tumorboards ist eine Intranetbasierte Eingabe der Patientendaten mit zeitnaher Falldiskussion, OnlineVerfgbarkeit aller relevanten Befunde und Online-Eingabe der Besprechungsergebnisse wnschenswert. In einem Frderprojekt der deutschen Krebshilfe wurde an einer deutschen Universittsklinik die Machbarkeit einer solchen Vorgehensweise anhand 2218 interdisziplinr besprochener Patienten in einem Zeitraum von 2 Jahren gezeigt (Bumm et al. 2002). Bei allen unbestreitbar vorhandenen Vorteilen mu jedoch kritisch angemerkt werden, da bislang der wissenschaftlich gefhrte Beweis nicht erbracht wurde, da die Besprechung von Patienten im interdisziplinren Tumorboard auch zu einer mebaren Verbesserung der Behandlungsergebnisse fhrt. Relativ einfach zu erfassen sind die folgenden Merkmale: F
Wie hufig fhrt eine Entscheidung des Tumorboards zu einer ˜nderung der ursprnglich vom behandlungsfhrenden Arzt geplanten Behandlungsstrategie?
12.1 F
Standards in der interdisziplina¨ren Diagnostik und Therapie
525
Wie hoch ist der Anteil von besprochenen Patienten, die innerhalb klinischer Studien beziehungsweise evidenzbasierter Behandlungsrichtlinien therapiert werden?
Anhand dieser Kriterien liee sich der Nutzen eines interdisziplinren Tumorboards als ein Element medizinischer Qualittssicherung in der Onkologie charakterisieren.
3 Diagnostische Evaluation Die moderne Onkologie strebt ein individuelles Therapiekonzept fr den einzelnen Patienten an. Voraussetzung ist eine exakte Diagnostik, die mglichst viele Informationen ber das Tumorstadium und den Patienten selbst erbringt (Sendler et al. 1995). 3.1 Radiologische Evaluation Das Ausma der bildgebenden Diagnostik in der Onkologie hat sich an den therapeutischen Optionen zu bemessen. Bei epithelialen Tumorerkrankungen bedeutet dies in der Regel, da bei lokaler Erkrankung zur Klrung der Resektabilitt eine sehr genaue Darstellung der anatomischen Gegebenheiten und topographischen Bezge des Tumors zu umgebenden Strukturen zu erfolgen hat, unter Umstnden unter Einsatz sich ergnzender bildgebender Verfahren (z.B. Endoskopie und endoskopischer Ultraschall und CT). Auerdem mu bei mutmalich lokaler Erkrankung eine bereits vorhandene Fernmetastasierung ausgeschlossen werden. Bei bereits bekannter disseminierter Erkrankung ist in der Regel die Diagnostik so weit zu beschrnken, da bekannte Befunde bzw. Melsionen unter palliativer Therapie zur Bewertung des Erkrankungsverlaufs reproduziert werden knnen. Weiterfhrende Diagnostik erfolgt in der Regel symptomorientiert. Es ist aus vielen Grnden zu empfehlen, da fr wiederkehrende Erkrankungssituationen ein Zentrum seine diagnostische Standardvorgehensweise (SOP: „standard operating procedure“) festlegt. Dies fllt unter den Aufgabenbereich der „disease management teams“. Um unntige Untersuchungen zu vermeiden, sollte darber hinausfhrende Diagnostik nicht ohne vorausgehende Beratung im interdisziplinren Tumorboard eingeleitet werden. In Hinblick auf die steigende Bedeutung neoadjuvanter Therapieprinzipien wird ein exaktes properatives Tumorstaging immer wichtiger. Whrend bei Tumorerkrankungen der Hohlorgane die T-Kategorie von luminal her relativ zuverlssig bestimmbar ist (endoluminale Ultraschalluntersuchung, soweit das Organ endoskopisch erreichbar ist), wird die intraluminale Diagnostik bei der N-Kategorie bereits unzuverlssiger. Insgesamt ist
12
526
12
Prinzipien der onkologischen Chirurgie
die diagnostische Treffsicherheit bei Lymphknotenmetastasen zu gering, um daraus therapeutische Konsequenzen ziehen zu knnen. Somit erscheint es sinnvoll, z.B. beim Vorliegen von organfernen Lymphknoten eine extraluminale Diagnostik anzustreben (Dittler 2002). Bezglich der M-Kategorie (Organmetastasen, Peritonealkarzinose, lymphogene Fernmetastasen) ist der Wert der extraluminalen Diagnostik unbestritten. Fr die extraluminale Diagnostik bietet sich bei den gastrointestinalen Tumoren neben dem CT auch die Videolaparoskopie an, da sie die gewnschten Fragestellungen mit hoher Zuverlssigkeit beantworten kann. Die diagnostische Laparoskopie im Rahmen der Onkologie hat allerdings nur dann wirkliche Bedeutung, wenn aus ihren Ergebnissen therapeutische Konsequenzen gezogen werden. Solche Konsequenzen sind derzeit beim Magenkarzinom am ehesten belegt, so da die properative Festlegung des Tumorstadiums die Indikation zur neoadjuvanten Therapie sichert, zum anderen z.B. der Nachweis einer Peritonealkarzinose eine Chemotherapie in neoadjuvanter Intention ausschliet. Beim Pankreaskarzinom dient die properative laparoskopische Diagnostik mangels eines belegten neoadjuvanten Therapieprinzips der Vermeidung unntiger oder nur palliativer Operationen. Schlielich hilft die diagnostische Laparoskopie bei Lebertumoren die richtige Indikation zur Lebertransplantation bzw. zu palliativen Therapiemanahmen zu finden. Um die gestellten Aufgaben zu erfllen, mu die Videolaparoskopie mit chirurgischer Aktivitt durchgefhrt werden (Erffnung der Bursa omentalis, laparoskopischer Ultraschall etc.). Offen ist derzeit allerdings noch, ob diese Aggressivitt onkologisch inert ist, d.h., ob Biopsien nicht zu einer Tumorzellfreisetzung fhren knnen. Exakte prospektive Studien werden hier Klarheit schaffen mssen. 3.2 Histopathologische Evaluation Ohne vorausgehende histologische oder zumindest zytologische Sicherung einer Tumorerkrankung ist eine endgltige Festlegung der Therapiestrategie nur ausnahmsweise sachgerecht. Eine Zweitmeinung durch einen Referenzpathologen kann in klinisch unklaren oder widersprchlichen Situationen wesentlich zur Entscheidungsfindung beitragen. Durch Beschreibung des Gradings, Hinweise auf prognostische Faktoren wie Residualtumorfreiheit, Lymphgefeinbrche, histologische Regression nach neoadjuvanter Therapien etc. nimmt der Pathologe Einflu auf Therapieentscheidungen in der multimodalen Konzeption. Dieser Einflu wird in dem Mae zunehmen, in dem die Charakterisierung prdiktiver molekularpathologischer Tumoreigenschaften gelingt. Im Falle epithelialer Tumoren sind allerdings solche Eigenschaften wie beispielsweise die Expression der Thymidylatsynthase als prdiktives Merkmal fr den Benefit einer 5-FU-ba-
12.1
Standards in der interdisziplina¨ren Diagnostik und Therapie
527
sierten adjuvanten Chemotherapie beim kolorektalen Karzinom bislang noch nicht mit ausreichender Konsistenz erforscht (Allegra 2002). 3.3 Funktionelle Evaluation Ohne die Kenntnis funktioneller Einschrnkungen des tumorkranken Patienten ist eine rational begrndete Therapieentscheidung nicht mglich. Um die Morbiditt und Letalitt invasiver Manahmen zu begrenzen, mu neben der Festlegung der TNM-Klassifikation ein „physiologisches Staging“ zum Ausschlu wesentlicher Organdysfunktionen erfolgen. Dies setzt die frhzeitige Konsultation nichtonkologischer Disziplinen voraus (z.B. Pneumologie, Kardiologie). Optimal ist die Entwicklung quantitativer Scores, anhand deren eine objektive Risikoabschtzung einer geplanten Behandlung erfolgen kann (Bartels et al. 1998). Bei Vorliegen erhhter Risiken mssen prtherapeutisch entweder funktionelle Verbesserungen erzielt (z.B. medikamentse Behandlung einer obstruktiven Lungenerkrankung, Koronarstenting etc.) oder risikormere Behandlungsalternativen angeboten werden. Dies knnte im Fall einer zu risikoreichen Tumorresektion beispielsweise eine kombinierte Radiochemotherapie sein. Diese Entscheidung sollte vom interdisziplinren Tumorboard getragen werden. Neben der somatisch-funktionellen Evaluation haben auch die psychische Dimension des Erkrankten und seine medizinische Compliance eine prognostische Bedeutung (Bartels et al. 1998). Ob in der Zukunft flankierende interdisziplinre Schulungsmanahmen tumorkranker Patienten eine Strkung der psychischen Ressourcen bewirken knnen, ist Gegenstand der klinischen Forschung (Lordick et al. 2002).
4 Onkologische Chirurgie 4.1 Definition des Residualtumors Ziel der chirurgischen Intervention, die zu einer Prognoseverbesserung fr den Patienten fhren soll, mu die sog. kurative Resektion sein. Dieser Begriff war bislang in der Literatur nur unzureichend definiert, sollte aber heute auf dem Boden der R-Kategorie (UICC), d.h. dem Ausma postoperativ zurckgebliebenen Residualtumors, definiert werden. In diesem Sinne kann als eine kurative Resektion nur eine sog. R0-Resektion gelten, d.h., es ist am Ende der Operation kein mikroskopischer oder makroskopischer Residualtumor mehr nachweisbar. Nur fr eine derartige Resektion ist eine Prognoseverbesserung fr den Patienten zu erwarten. Die „Residualtumorfreiheit“ am Ende der Operation ist der wichtigste eigenstndige therapiebezogene Prognosefaktor (Tabelle 1).
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12
Prinzipien der onkologischen Chirurgie
Tabelle 1. Aus multivariaten Analysen zusammengestellte Prognosefaktoren gastrointestinaler Tumoren * * * * * * *
R-Kategorie (Residualtumorfreiheit), nodula¨rer Status, Lymphknoten-Quotient (Anzahl entfernter LK/Anzahl tumorbefallener LK), Grading, (Gefa¨ßeinbru¨che), (DNS-Ploidie), postoperative Komplikationen.
Demgegenber mssen R1- (mikroskopischer Tumorrest) bzw. R2-Resektionen (makroskopischer Tumorrest) als palliative Resektionen bezeichnet werden (Siewert u. Fink 1992). Der Begriff ,,Residualtumorfreiheit" (R0) sollte sich sowohl auf den Prima¨rtumor als auch auf sein regionales Lymphabflußgebiet beziehen. Nur im Ausnahmefall werden auch Fernmetastasen in diesen Begriff mit einbezogen. Eine Residualtumorfreiheit in Hinblick auf den Primrtumor hat sich bei Hohlorganen nicht nur in tumorfreien oralen und aboralen Resektionsrndern inklusive eines adquaten Sicherheitsabstandes zu dokumentieren, sondern mu auch im Bereich der sog. 3. Dimension, d. h. im Bereich des Tumorbettes, gewhrleistet sein. Dieser 3. Dimension der lokalen Residualtumorfreiheit wurde bislang zuwenig Aufmerksamkeit beigemessen. Die Tumorfreiheit der Resektionsrnder mu von sog. Sicherheitsabsta¨nden begleitet sein, d. h., die Tumorfreiheit mu je nach mikroskopischem Wachstumstyp des Tumors ber wenigstens 2 cm bis maximal 10 cm gewhrleistet sein, um sicherzustellen, da nicht doch ein Tumorwachstum entfernt vom Tumor selbst, d. h. im Restorgan, vorliegt. In dieser erweiterten Definition kme dem Lymphabflu der Stellenwert einer 4. Dimension zu. Sie gehrt aber verbindlich zur Residualtumorfreiheit. Auch hier ist ein Sicherheitsabstand … definiert durch den sog. Lymphknoten-Quotienten … zur Prognoseverbesserung notwendig. 4.2 Sicherung der Tumorfreiheit Die intraoperative Sicherung der Tumorfreiheit der Resektionsra¨nder sollte immer dann durch Schnellschnittuntersuchung erfolgen, wenn daraus therapeutische Konsequenzen erwachsen, d. h. gegebenenfalls eine Nachresektion mglich ist, oder in begrndeten Zweifelsfllen (z.B. oraler sophagusstumpf, aboraler Rektumstumpf). Ist eine weitere Ausdehnung des Resektionsmaes nicht mehr mglich, fhrt eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung auch nicht zu therapeutischen Konsequenzen, d. h.,
12.1
Standards in der interdisziplina¨ren Diagnostik und Therapie
529
sie kann unterbleiben. Die gleiche Aussage gilt hinsichtlich der 3. Dimension. berall da, wo eine Resektionsausweitung theoretisch denkbar und praktisch durchfhrbar ist, sollte die Residualtumorfreiheit intraoperativ histologisch gesichert werden. 4.3 Lymphabflußwege Die Residualtumorfreiheit sollte sich auch auf die Lymphabfluwege beziehen (s.o.). Die chirurgische Sanierung der Lymphabflußwege (sog. Lymphadenektomie; besser Lymphknotendissektion) mu unter 2 Gesichtspunkten erfolgen: F
F
Einmal mssen die anatomisch richtigen Lymphknoten entfernt werden, d. h., orientiert an der topographischen Anatomie des erkrankten Organs und seiner Embryogenese, aber auch der Tumorlokalisation innerhalb des Organs, mssen die richtigen Lymphabfluwege chirurgisch exstirpiert werden (qualitativer Aspekt). ber eine lange Phase des Tumorwachstums darf mit einer anatomieorientierten schrittweisen Lymphknotenmetastasierung gerechnet werden; Lymphknotensprnge sind selten. Der zweite Gesichtspunkt betrifft das Ausmaß der Lymphknotendissektion (quantitativer Aspekt). Nur wenn es gelingt, deutlich mehr Lymphknoten, als tumorbefallen sind, zu entfernen, kann eine Verbesserung der Prognose erwartet werden. Dieses adquate Ausma der Lymphknotendissektion wird heute am besten durch Zhlen der Lymphknoten gesichert. Das Verha¨ltnis zwischen der Anzahl der entfernten und der tumorbefallenen Lymphknoten wird als sog. ,,Lymphknoten-Quotient" bei gastrointestinalen Tumoren angegeben. Dieser Lymphknoten-Quotient ist ein entscheidender Prognosefaktor (Siewert et al. 1998). Er sollte wenn immer mglich unter 0,2 liegen, d. h., es sollten 80% mehr Lymphknoten entfernt werden, als tumorbefallen sind. Auch hier gilt also das Prinzip der Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes.
Wichtigstes Argument fr dieses Ausma der Lymphknotendissektion ist der hufige Nachweis von Mikrometastasen und eines sog. Mikroinvolvements in entfernten Lymphknoten bei sorgfltiger immunhistologischer Aufarbeitung. Im Rahmen einer systematischen Lymphknotendissektion ergeben sich praktisch nie Indikationen fr eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung, da therapeutische Erweiterungen in der Regel nicht mglich sind. Die sog. Grenzlymphknoten, d. h. die anatomisch periphersten Lymphknoten, sollten am Prparat gekennzeichnet werden, um eine zuverlssige histologische Aufarbeitung zu ermglichen.
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Prinzipien der onkologischen Chirurgie
4.4 En-bloc-Resektion Der Begriff „En-bloc-Resektion“ beschreibt das ,,Wie" einer onkologischen Operation. „En bloc“ meint, da Primrtumor und regionales Lymphabflugebiet im Zusammenhang von peripher nach zentral hin prpariert und entfernt werden (Hermanek u. Wittekind 1994). Dieses Prinzip der „En-blocResektion“ ist in der westlichen Hemisphere (Europa und USA) als ein Grundprinzip onkologischer Chirurgie anerkannt, wird aber z.B. in Japan nicht verfolgt. Hier erfolgt vielmehr die Entfernung der Lymphknoten isoliert und schrittweise, d. h. nicht im Zusammenhang mit dem Primrtumor. Ein wichtiges Argument fr die En-bloc-Resektion ist, da die Prparation von peripher (gesund) nach zentral (krank) ohne artifizielle Erffnung des Prparates erfolgt und somit eine intraoperative Zellverschleppung unwahrscheinlicher macht (keine Tumorinzision oder -perforation!). Darber hinaus hat diese Form der Resektion den groen Vorteil, ein intaktes Operationsprparat zu liefern, das fr den Pathologen eine nachvollziehbare Anatomie ergibt und eine optimale Befundung erlaubt. 4.5 Pathologisch-anatomische Pra¨paratbefundung Entsprechend den Gepflogenheiten der westlichen Hemisphre geht das „en bloc“ entfernte Operationsprparat unmittelbar in die Verantwortung des Pathologen ber, d. h., der Pathologe stellt in diesem Verstndnis einen wesentlichen Faktor der Qualittssicherheit dar (Hermanek u. Wittekind 1994). Er erhlt ein Prparat, an dem die Vollstndigkeit und anatomische Richtigkeit einer onkologischen Resektion berprfbar ist. Diese Prmisse wird in asiatischen Lndern nicht in dieser Strenge akzeptiert. Hier erfolgt die Zuordnung einzelner, isoliert entfernter Lymphknoten zu bestimmten Positionen und Kompartimenten durch den Chirurgen am Ende der Operation. Der Chirurg selbst ist fr die Qualittssicherung verantwortlich, der Pathologe kann aufgrund des verlorengegangenen anatomischen Zusammenhangs nur noch die Frage „tumorbefallen oder nicht?“ beantworten. Es besteht bereinstimmung darber, da die Befundung der Operationsprparate standardisiert erfolgen soll und zumindest Basisinformationen besser weitergehende Informationen enthalten sollen (Hermanek u. Wittekind 1994). Als Basisinformation mssen die pTNM-Klassifikationen, die R-Klassifikation, der histologische Tumortyp und das Grading angesehen werden. Dabei mssen auch fr die Lymphknoten-Befundung heute minimale Qualittsmastbe gelten, d. h., es mu eine definierte Mindestanzahl von Lymphknoten am Resektat prparierbar sein, um die N-Kategorie verllich festlegen zu knnen. Als Richtzahlen gelten z.B. fr das Mammakarzinom 12 axillre Lymphknoten, fr das Kolon- und Rektumkarzinom ebenfalls 12 Lymphknoten, fr das Magenkarzinom 15 Lymphknoten (Tabelle 2).
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Tabelle 2. Verlangte Mindestanzahl zu untersuchender Lymphknoten fu¨r die pN-Klassifikation abdominaler Tumoren (UICC 1997). (Nach Hermanek u. Wittekind 1994) Tumorlokalisation
Mindestzahl entfernter LK
Magen
15
Kolon, Rektum
12
Pankreas, Ampulla Vateri
10
Leber, Gallenblase, extrahepatische Gallenwege
3
Im Rahmen einer ,,erweiterten Befundung" sind die Angabe der Zahl der entfernten Lymphknoten in Relation zur Anzahl der befallenen Lymphknoten (sog. Lymphknoten-Quotient) und die Tumorsituation der Grenzlymphknoten von besonderer Bedeutung. Spezielle Aufmerksamheit hat den Sicherheitsabstnden zu gelten. Hier mssen Angaben zu allen drei Dimensionen … also auch zum Tumorbett … gemacht werden. Die auf der Basis einer derartigen erweiterten Prparatbefundung erhaltenen Daten sind die Basis fr jedwede postoperative Therapieentscheidung und fr die Einschtzung der weiteren Prognose des Patienten (Siewert u. Fink 1992). Eine solche Tumorklassifikation ist darber hinaus selbstverstndliche Basis jeder Therapiestudie. 4.6 Rekonstruktion im Rahmen der onkologischen Chirurgie Die moderne onkologische Chirurgie hat ihren Schwerpunkt im resektiven Teil der Operation, d. h. in der Erfllung der oben genannten Radikalittsansprche, weil nur sie prognoserelevant sind. Die Rekonstruktion der Intestinalpassage sollte deshalb komplikationsarm und einfach sein. Das Postulat der postoperativen Sicherheit findet eine besondere Sttzung dadurch, da in multivariaten Analysen postoperative Komplikationen als eigenstndiger Prognosefaktor gesichert sind (Siewert et al. 1998). Mit anderen Worten, eine postoperative Komplikation, z.B. Anastomoseninsuffizienz, belastet nicht nur den unmittelbaren postoperativen Verlauf, sondern fhrt auch zu einer Verschlechterung der Langzeitprognose des Patienten. Besonders aufwendige Rekonstruktionen, die die Wiederherstellung von Organfunktionen zum Ziele haben, sollten nur dann ausgefu¨hrt werden, wenn die Prognose des Patienten gut ist, d. h., wenn der hhere Aufwand einer anspruchsvollen Rekonstruktion (z.B. Pouchbildung etc.) und ihr Gewinn fr die Lebensqualita¨t des Patienten auch langfristig zum Tragen kommen.
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Prinzipien der onkologischen Chirurgie
4.7 Therapierelevante Prognosefaktoren In jngerer Vergangenheit sind Studien vorgelegt worden [Deutsche Coloncarcinom-Studie (Hermanek et al. 1994); Deutsche Magenkarzinom-Studie (Siewert et al. 1998)], die eindeutig erkennen lassen, wie sehr die Prognose des Patienten durch therapiebezogene Faktoren beeinflut wird. Ganz im Vordergrund steht die Residualtumorfreiheit am Ende der Operation (s. Tabelle 1). Operative Eingriffe, die dieses Therapieziel nicht erreichen, sind nicht in der Lage, die Prognose des Patienten zu verbessern. Die Chance, eine R0-Resektion zu erreichen und den modernen Ansprchen der onkologischen Chirurgie gerecht zu werden, geht parallel mit der Erfahrung des Chirurgen in der onkologischen Chirurgie. Immer mehr wird deshalb klar, da die Erfahrung der behandelnden Klinik, insbesondere aber auch des Chirurgen selbst ein ganz wesentlicher Prognosefaktor ist. In den beiden genannten Studien konnte dieses Faktum berzeugend belegt werden (Abb. 1). Dieses Faktum wirkt sich nicht nur auf die Rate an lokoregionren Rezidiven, sondern natrlich auch auf die Hufigkeit postoperativer Komplikationen aus (Abb. 2). Fr die Entwicklung postoperativer Komplikationen ist aber auch der Allgemeinzustand des Patienten, z.B. definiert in Form des Karnofsky-Status, von prgender Bedeutung.
Abb. 1. Beobachtete U¨berlebenszeiten aller Patienten bei den 7 teilnehmenden Kliniken. 5-JahresU¨berlebensraten 27, 33, 44, 46, 47, 48 und 53% (SGKRK 94). (Nach Hermanek et al. 1994)
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Abb. 2. Signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der Resektionen pro Monat und der Komplikationsrate nach resezierenden Mageneingriffen (r = 0,45; p = 0,03). Die teilnehmenden Kliniken sind durch Punkte gekennzeichnet (GGCS ’92). (Nach Siewert et al. 1998)
In konsequenter Schlufolgerung bedeutet dies fr die tgliche Praxis, da onkologische Patienten dann eine bessere Prognose erwarten drfen, wenn sie in erfahrenen Zentren behandelt werden (Birkmeyer et al. 2002). Neben der hheren Qualitt der chirurgischen Therapie besteht in derartigen onkologischen Zentren auch eine enge horizontale Kooperation zwischen der onkologischen Chirurgie und anderen onkologischen Disziplinen, so da allseits abgestimmte Therapiekonzepte, z.B. in Form multimodaler Therapieprinzipien, zur Anwendung kommen knnen. Es wre wnschenswert, wenn diesen Erkenntnissen knftig mehr Rechnung getragen werden wrde. 4.8 Palliative Chirurgie Definitionsgem hat ein operativer Eingriff dann in seiner Zielsetzung als palliativ zu gelten, wenn er nicht zur Residualtumorfreiheit fhrt. Aufgrund der deutlich verbesserten properativen Diagnostik (Tabelle 3) ist heute mit einer etwa 80- bis 85%igen Zuverlssigkeit ein Tumorstaging mglich und die Wahrscheinlichkeit einer R0-Resektion vorauszusagen. Erscheint dieses primre Therapieziel nicht erreichbar, mu in jedem Individualfall abgewogen werden, ob eine palliative Resektion oder eine pra¨operative Therapie mit dem Ziel einer Tumorverkleinerung geeigneter erscheinen. Eine palliative Chirurgie mu zu einer mglichst raschen Verbesserung der Lebensqualita¨t fhren; sie mu komplikationsarm sein, da das Auftreten
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Tabelle 3. Pra¨operatives Staging. (Nach Siewert u. Fink 1992) Tumorart
Endoskopie (makroskopischer Wachstumstyp)
EUS
CT/US
Laparoskopie
O¨sophaguskarzinom
++
+++
+
+ (T3/4 infrabifukal)
Magenkarzinom
++
+++
+
+ (T3/4)
Pankreaskarzinom
0
++
++
+ (+Angiographie)
Kolonkarzinom
+
0
+
0
Rektumkarzinom
+
+++
+
0
postoperativer Komplikationen die Lebensqualitt fr den Rest des berlebens deutlich beeintrchtigt. Aus diesem Grunde ist eine palliative Chirurgie nur dann angezeigt, wenn mechanische oder lokale Komplikationen der Tumorkrankheit eingetreten sind (Stenose, Blutung etc.). Hier ist palliative Chirurgie in der Lage, die lokalen Komplikationen effektiv zu therapieren. Die Indikation zur palliativen Chirurgie ist zweifelhaft, wenn sie an einem derzeit noch von seinem Tumorleiden kaum beeintrchtigten Patienten ausgefhrt wird. Ein wesentlicher Gesichtspunkt fr die Entscheidung pro oder kontra palliative Chirurgie ist die sorgfltige Risikoabklrung des Patienten. Im Prinzip spricht ein nichterhhtes Operationsrisiko zugunsten einer palliativen Chirurgie, ein erhhtes Operationsrisiko dagegen zugunsten nichtchirurgischer Therapieprinzipien. 4.9 Debulkingoperation In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann und unter welchen Bedingungen eine chirurgische Tumorreduktion (sog. Debulking) noch indiziert ist. Grundstzlich scheint eine Indikation zur Debulkingoperation bei gastrointestinalen Karzinomen nicht mehr gegeben. Derartige Operationen gehen mit einem hohen postoperativen Komplikationsrisiko einher; nichtchirurgische Therapieprinzipien sind in ihrer Effektivitt nach derartigen Debulkingoperationen unbelegt. Die einzige derzeit belegte Ausnahme ist das Ovarialkarzinom, bei dem eine Debulkingoperation mit nachfolgender Chemotherapie durchaus zu einer Prognoseverbesserung fhren kann (Siewert u. Fink 1992). ˜hnliche Debulkingoperationen knnen ausnahmsweise auch einmal bei Sarkomen niedrigen Gradings indiziert sein.
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4.10 Stellenwert der laparoskopischen Chirurgie Die Mglichkeit des minimal-invasiven Zugangs zur Bauch- und Thoraxhhle durch laparoskopische oder thorakoskopische chirurgische Techniken hat zur Diskussion des Stellenwertes derartiger Operationsprinzipien auch im Rahmen der onkologischen Chirurgie gefhrt. Man darf den derzeitigen Stand der Diskussion wie folgt zusammenfassen: F
F
Endoskopische oder laparoskopische Eingriffe haben mglicherweise knftig bei sog. Mukosakarzinomen eine Indikation. Die laparoskopische Vollwandexzision beim Magenfrhkarzinom (Mukosatyp) unter endoskopischer Assistenz wird z.B. derzeit in Japan erprobt. Voraussetzung ist eine gnstige Lokalisation des Frhkarzinoms, d. h. im Bereich der Magenvorderwand bzw. der groen Kurvatur, um bei laparoskopischem Zugang bersichtlich resezieren zu knnen. Beim Kolonkarzinom erscheint eine tubula¨re laparoskopische Resektion, v.a. im linken Hemikolon (leichte Anastomosierung mit dem EEA), erprobenswert.
Derartige limitierte Therapieverfahren haben immer nur dann einen Sinn, wenn sie ein zuverlssiges pathologisch-anatomisch befundbares Prparat liefern, d. h., wenn postoperativ die Situation des Frhkarzinoms definitiv gesichert werden kann. Eine Laservaporisierung derartiger Mukosakarzinome ist deshalb nur unter palliativen Gesichtspunkten vertretbar. Das derzeit grte Problem bei der limitierten chirurgischen Therapie der Frhkarzinome ist, da Mukosakarzinome properativ nicht sicher als solche diagnostiziert werden knnen, so da Reoperationen nach postoperativer Prparatbefundung ntig werden knnen. Natrlich mssen sich all diese Bemhungen mit dem derzeitigen Goldstandard der offenen Therapie derartiger Frhkarzinome messen. Die Bewertung derartiger Therapieprinzipien mu anhand anderer Parameter als postoperativen Schmerzes, Hospitalisationsdauer oder kosmetischer Ergebnisse erfolgen. Im Rahmen der onkologischen Chirurgie haben die Parameter Prognoseverbesserung und Lebensqualita¨t fu¨r die Zeit des ¨ berlebens zu gelten. Derzeit liegen noch keinerlei vergleichende Studien U vor, die die berlebensraten ber wenigstens 5 Jahre zwischen laparoskopischer und offener Chirurgie vergleichen. Eine Einschrnkung der Prognose nur um eines kurzfristigen Vorteils des Zuganges wegen erscheint grundstzlich nicht akzeptabel. In der palliativen onkologischen Chirurgie ist die laparoskopische Chirurgie dagegen bereits von gesicherter Bedeutung. Die Anlage einer Gastroenterostomie und anderer Umgehungsanastomosen bzw. eines Anus praeter bei irresektablen Tumorbefunden ist erprobt und darf als akzeptiert gelten. Hier kommen alle Vorteile des schonenden Zugangs zum Tragen und sind
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fr den Patienten von Vorteil. Eine kurze Hospitalisationszeit gewinnt bei kurzen berlebenszeiten an besonderer Bedeutung. Somit mu zusammenfassend der Wert der laparoskopischen Chirurgie im Rahmen der Onkologie derzeit noch mit groer Zurckhaltung gesehen werden. Unbestritten ist die diagnostische Laparoskopie, mit deren Hilfe die neoadjuvante Therapie berhaupt erst sinnvoll mglich geworden ist. Ebenso berzeugend sind die vorliegenden Daten und Argumente hinsichtlich der palliativen Chirurgie. Vllig offen bzw. vllig unbelegt sind dagegen laparoskopische Therapiemanahmen bei den durch offene Chirurgie kurativ therapierbaren Tumorstadien. Hier darf keineswegs zugunsten eines vorbergehenden Vorteils das Langzeitziel der onkologischen Chirurgie, nmlich die Verbesserung der Prognose, aus den Augen verloren werden. Derzeit sind laparoskopische Eingriffe bei diesen Tumorstadien, wenn berhaupt, nur in streng kontrollierten Studien mit hoher Kompetenz vertretbar. Eine Klrung der Frage, ob die laparoskopische Chirurgie zuknftig in der Therapie der Frhkarzinome einen gesicherten Platz erhlt, bleibt derzeit laufenden kontrollierten Untersuchungen vorbehalten.
5 Stellenwert multimodaler Therapiekonzepte 5.1 Definitionen Mit dem Begriff multimodale Therapie werden typischerweise Konzeptionen beschrieben, in denen die Operation durch nichtchirurgische Therapieprinzipien flankiert wird. Unter adjuvanter Therapie versteht man dabei die Durchfhrung einer medikamentsen oder strahlentherapeutischen Behandlung nach einer Tumorresektion ohne Residualtumor (R0). Neoadjuvant bezeichnet eine medikamentse oder strahlentherapeutische Behandlung vor einer potentiell kurativen Resektion. Wird im Rahmen einer Operation keine makroskopische oder mikroskopische Tumorfreiheit erreicht, sollte die Bezeichnung additiv anstelle des Betriffs adjuvant gewhlt werden. 5.2 Grundlage multimodaler Konzepte Multimodale Therapie verfolgt das Ziel, durch Intensivierung des therapeutischen Zugriffs die Chancen auf Heilung zu erhhen. Dem steht als mglicher Nachteil entgegen, da lebensverkrzende akute und chronische Therapiekomplikationen eintreten knnen. Auch Aspekte der Lebensqualitt knnen therapiebedingt beeintrchtigt werden. Jedes multimodale Behandlungskonzept impliziert die Gefahr einer bertherapie im individuellen Erkrankungsfall. Deshalb sind Ergebnisse prospektiver klinischer Studien mit den Endpunkten berleben, Toxizitt und Lebensqualitt absolut erforder-
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lich, bevor ein multimodales Konzept zum Behandlungsstandard einer jeweiligen Tumorentitt erklrt werden kann. Die Planung multizentrischer multimodaler Therapiestudien erfordert ganz besonders groe Sorgfalt und auch Kompromifhigkeit, da einzelne Therapiemodalitten in unterschiedlichen Zentren oder Regionen zum Teil sehr unterschiedlich gehandhabt werden und dies zu einer relevanten Vernderung des Gesamtergebnisses fhren kann. 5.3 Ergebnisse und zuku¨nftige Fragestellungen Wesentlichstes Ergebnis der Bemhungen der letzten Jahre ist, da es gelungen ist, den Platz der onkologischen Chirurgie in der Behandlung solider Tumoren klarer als frher zu beschreiben. Onkologische Chirurgie hat danach immer dann einen unumstrittenen Platz, wenn es gelingt, eine Residualtumorfreiheit durch die Operation zu erzielen. Ob die Ergebnisse in diesen Tumorstadien durch knftige neoadjuvante Therapieprinzipien weiter verbessert werden knnen, ist derzeit Gegenstand prospektiver Studien. Die Indikation zur palliativen Chirurgie ist in den letzten Jahren deutlich zurckgenommen worden. Tumorreduktion oder Debulking haben ihren Stellenwert verloren. Fr diese fortgeschrittenen Tumorstadien sind neoadjuvante Therapieprinzipien z.T. erfolgreich erprobt worden bzw. befinden sich noch in der Erprobung. Die onkologische Chirurgie sieht sich mit einem neuen Problem, nmlich der Operation vorbehandelter Patienten, konfrontiert. Dabei darf als erstes Resmee aus der noch vorlufigen Erfahrung gezogen werden, da Operationen nach properativer Chemotherapie in der Regel keine erhhten technischen Schwierigkeiten bieten und auch bezglich der postoperativen Verlufe der primren Chirurgie durchaus vergleichbar sind. Ein erhhtes Operationsmorbidittsrisiko wird nach kombinierter properativer Radio-/ Chemotherapie im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes beobachtet. Die Art der Komplikationen und ihre Hufigkeit sind zwar gleich geblieben, die Verlufe nach derartigen Komplikationen sind jedoch hufig deletr, so da insgesamt ein deutlich erhhtes postoperatives Risiko resultiert. Adjuvante Therapie hat den Nachteil, da sie oftmals durch postoperative Verzgerungen nicht zeitgerecht begonnen werden kann. Neoadjuvante Therapie bietet gegenber adjuvanter Therapie darber hinaus den Vorteil, da die Wirksamkeit der Therapie in vivo berprft werden kann. Somit bietet sich theoretisch die Mglichkeit, eine ineffektive Therapie abzubrechen oder zu modifizieren. Wichtig ist, da eine diagnostische Methode zur Verfgung steht, die frhzeitig anzeigt, in welchen Fllen eine Therapie nicht zum gewnschten Erfolg (Response) und nicht zur Verbesserung der Prognose beitragen wird. Dieser Ansatz scheint anhand der frhen Responseevaluation mittels 18FDG-Positronen-Emissions-Tomographie nach
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Prinzipien der onkologischen Chirurgie
zwei Wochen einer neoadjuvanten Chemotherapie bei Patienten mit Adenokarzinom des sophagogastralen bergangs erstmals verwirklicht zu sein (Weber et al. 2001, Lordick et al. 2004b). Ob eine solche Vorgehensweise sich auf andere Krankheitsentitten bertragen lt, mssen Studien zeigen. Unterschiedliche operative Standards bringen mit sich, da Ergebnisse neo-/adjuvanter Therapien nicht ohne weiteres von einem Kontinent auf den anderen bertragen werden knnen. Die im deutschsprachigen Raum an spezialisierten Zentren mit guten Ergebnissen praktizierte erweiterte D2-Lymphknotendissektion beim Magenkarzinom ist in Nordamerika kein chirurgischer Standard. Insofern knnen leider die in Nordamerika nachgewiesenen berlebensvorteile einer adjuvanten Radiochemotherapie beim Magenkarzinom (Macdonald et al. 2001) nicht kritiklos auf die zentraleuropischen Verhltnisse bertragen werden. Der Stellenwert einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Gastrektomie nimmt vor dem Hintergrund jngerer Studienergebnisse zu (Lordick et al. 2004a). Die in Nordamerika als Standard anerkannte adjuvante Radiochemotherapie nach Resektion eines Pankreaskarzinoms war in einer europischen Multicenterstudie sogar mit berlebensnachteilen verbunden (Neoptolemos et al. 2001). Dies knnte auf die oben diskutierte Gefahr einer bertherapie hinweisen. Adjuvante Chemotherapie hingegen fhrt offenbar zu einem berlebensvorteil (Neoptomelos et al. 2004). Beim Kolonkarzinom im Stadium III (UICC) ist der Stellenwert adjuvanter Therapie auf der Basis von 5-Fluorourac vergleichsweise gut belegt. Aktuelle Analysen zeigen jedoch leider, da dieser Behandlungsansatz nur sehr zgerlich praktisch umgesetzt wird (Grothey et al. 2002). Beim Kolonkarzinom interessiert in den kommenden Jahren vor allem die Frage, ob neben dem adjuvanten Einsatz der effektiveren, aber auch toxischeren Substanz Oxaliplatin (Andre et al. 2004) nicht zytotoxisch definierte Therapieprinzipien wie die Ausschaltung des EGF-Rezeptors bzw. der nachgeschalteten Signaltransduktionswege eine statistische Verbesserung der Heilungsraten bewirken knnen. Beim Rektumkarzinom ist mittlerweile zugunsten der neoadjuvanten Therapie geklrt (Sauer et al. 2003), ob im Hinblick auf lokale Rezidivfreiheit einer pr- oder einer postoperativen Radio-/Radiochemotherapie der Vorzug zu geben ist. Die Frage der Verbesserung des Gesamtberlebens ist weder fr die neoadjuvante noch fr die adjuvante Therapie zufriedenstellend beantwortet. Zumindest mit Blick auf die lokale Tumorkontrolle darf auch nach Durchfhrung einer totalen mesorektalen Exzision (TME) eine properative Strahlentherapie als effektiv erachtet werden (Kapitejn et al. 2001). Eine Verbesserung multimodaler therapeutischer Strategien und damit einer Verbesserung der Heilungschancen bei Tumorpatienten kann in der Zukunft nur erreicht werden wenn:
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mehr Patienten innerhalb multizentrischer Therapiestudien behandelt werden, klinische Forschung von Grundlagenforschung begleitet wird.
Nur bei unaufhrlicher klinischer berprfung der vorhandenen Strategien und bei genauerer Kenntnis biologischer und molekularer Tumoreigenschaften wird es mglich sein, die Patienten zu identifizieren, die von multimodalen Konzeptionen profitieren, und die Therapie der individuellen Biologie der Erkrankung anzupassen. Es ist zu wnschen, da dieser Verpflichtung unseren Patienten gegenber nicht allein von seiten der ˜rzte, sondern ebenfalls vom Gesetzgeber und von den Kostentrgern des Gesundheitssystems zunehmend Rechnung getragen wird. Literatur Allegra C (2002) Thymidylate synthase levels: prognostic, predictive, or both? J Clin Oncol 20:1711…1713 Andre T, Boni C, Mounodji-Boudiaf L et al (2004) Oxaliplatin, fluorouracil and leucovorin as adjuvant treatment for colon cancer. N Engl J Med 350:2343…2351 Bartels H, Stein HJ, Siewert JR (1998) Preoperative risk analysis und postoperative mortality of oesophagectomy for resectable oesophageal cancer. Br J Surg 85:840… 844 Birkmeyer JD, Siewers AE, Finlayson EVA et al (2002) Hospital volume and surgical mortality in the United States. N Engl J Med 346:1128…1137 Bumm R, Siess M, Molls M, Peschel Chr, Siewert JR (2002) First clinical results from an interdisciplinary, daily tumor board organized by intranet techniques. Canc Res Clin Oncol 128 (Suppl):S129 Dittler HJ (2002) Chirurgische Endoskopie fr Staging und Verfahrenswahl. Chirurg 73:2…8 Grothey A, Kellermann I, Schmoll HJ (2002) Defizite in der Behandlung von Patienten mit kolorektalem Karzinom in Deutschland. Med Klin 97:270…277 Hermanek P, Wittekind CH (1994) Inwieweit sind laparoskopische Verfahren in der onkologischen Chirurgie vertretbar? Chirurg 65:23…28 Hermanek P jr, Wiebelt H, Riedl S und die Studiengruppe Kolorektales Karzinom (SGKRK) (1994) Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie des Coloncarcinoms. Chirurg 65:287…297 Kapitejn E, Marijnen CAM, Nagtegaal ID et al for the Dutch Colorectal Cancer Group (2001) Preoperative radiotherapy combined with total mesorectal excision for resectable rectal cancer. N Engl J Med 345:638…646 Lordick F, Gndel H, Schilling C von et al (2002) Strukturierte Patientenschulung in der Onkologie. Eine prospektive Studie zur Implementierung und Wirksamkeit einer interdisziplinren psychoedukativen Gruppenintervention an einer deutschen Universittsklinik. Med Klin 97 8:449…454 Lordick F, Stein HJ, Peschel C et al (2004a) Neoadjuvant therapy for oesophagogastric cancer. Br J Surg 91:540…551
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Prinzipien der onkologischen Chirurgie
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13 Prinzipien der Strahlentherapie
13.1 Strahlenbiologische Grundlagen der Strahlentherapie M. Molls, B. Rper
1 Zelltod und Strahlenempfindlichkeit von Tumoren Die Strahlenforschung geht davon aus, da beim radiogenen Zelltod neben der Apoptose auch andere Mechanismen eine wichtige Rolle spielen. Strukturelle Schden der Chromosomenstruktur sind ebenfalls von Bedeutung. Aus DNS-Doppelstrangbrchen resultieren azentrische Chromosomenfragmente (Mikronuklei). Diese werden bei der Zellteilung nicht mehr in die Zellkerne der „Tochterzellen“ integriert. Die neu entstandene Zelle verliert nach Durchlaufen von einem oder mehreren Zellzyklen die Teilungsfhigkeit. Sie stirbt am reproduktiven Zelltod. Der Zelltod nach ionisierender Strahlung kann jedoch auch vor Eintritt in die Mitose erfolgen. Bei diesem sogenannten Interphasetod dominiert der Mechanismus der Apoptose. Der quantitative Anteil der verschiedenen Formen des Zelltods am Gesamtumfang der Zellvernichtung unter Strahlenbehandlung variiert unter den Tumorgeweben. Generell scheint bei den hmatologischen Tumorerkrankungen die Apoptose im Vordergrund zu stehen, in soliden Tumoren scheint sie von vergleichsweise geringerer Bedeutung zu sein. Nach wie vor gilt als Faustregel, da hohe Zellteilungsaktivitt gutartiger oder bsartiger Gewebe mit einer ausgeprgteren Strahlenempfindlichkeit, d. h. mit einer hheren Rate der Zellvernichtung, korreliert. Die Abhngigkeit der Strahlenempfindlichkeit vom Zellzyklus spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Zellen der Ruhephase bzw. der G1-Phase sind relativ resistent. Gegen Ende der G1-Phase nimmt die Strahlenempfindlichkeit zu, im Verlauf der S-Phase wieder ab. Am empfindlichsten reagiert die Zelle in der G2-Phase und Mitose. In rasch proliferierenden Geweben befinden sich vergleichsweise mehr Zellen in sensiblen Abschnitten des Zellzyklus. Bislang besteht keine Mglichkeit, Zellen gezielt in der Progression durch den Zellzyklus zu synchronisieren, um durch Bestrahlung in einer empfindlichen Phase eine hohe Zellvernichtung zu erreichen.
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Prinzipien der Strahlentherapie
Klinisch zeigt die Strahlenempfindlichkeit unter den Tumorentitten eine groe Heterogenitt. Seminome und ein Teil der Lymphome lassen sich mit relativ niedrigen Gesamtdosen (ca. 25…45 Gy) dauerhaft kontrollieren. Glioblastome hingegen werden selbst nach Dosen von deutlich mehr als 60 Gy nicht beherrscht. Neben der Heterogenitt der Entitten beobachtet man auch innerhalb einer definierten Tumorart, und hier selbst innerhalb definierter T-Kategorien (z.B. Plattenepithelkarzinom des Oropharynx, T3-Kategorie), unterschiedlich ausgeprgte Strahlenempfindlichkeiten. Zuverlssige und schnell durchfhrbare Tests, die die individuelle Biologie und Strahlenempfindlichkeit eines Tumors vor Beginn der Behandlung ausreichend przise einschtzen lassen, sind nicht etabliert.
2 Wirksamkeit von Strahlen in der Behandlung solider Tumoren – ein Vergleich zwischen den Therapieverfahren Alle Therapieverfahren mssen sich der Frage nach ihrer Effizienz in der Vernichtung von Tumorzellen stellen. Abbildung 1 vergleicht die Wirksamkeit der verschiedenen Therapieformen. Angenommen wird, da der zu behandelnde Tumor eine makroskopische Gre hat und aus 100 Millionen Tumorzellen besteht. Durch eine Operation lt sich die Zahl der Zellen auf 0 reduzieren. Hat der Tumor noch keine Metastasen gebildet, bedeutet diese vollstndige Entfernung aller Tumorzellen die Heilung des Patienten. Vergleichbar der Chirurgie kann auch die Strahlentherapie, die im allgemeinen mehrere Wochen dauert, alle Tumorzellen vernichten. Eine ausschlieliche Strahlentherapie bietet die Chance, nichtmetastasierte solide Tumoren des Erwachsenen, vor allem der T1- und T2-Kategorie, definitiv zu heilen. Als Beispiele seien genannt: Hautkarzinome, Gebrmutterhalskrebs, Plattenepithelkarzinome im Kopf-Hals-Bereich inklusive des Kehlkopfkarzinoms, Prostatakarzinom, Analkarzinom, auch Krebserkrankungen des Enddarms, der Lunge und der Brustdrse, wie serise Verffentlichungen belegen. Durch medikamentse Therapie allein wird bei Erwachsenen … mit Ausnahme der Hodentumoren … kein makroskopischer, solider Tumor dauerhaft kontrolliert. Zwar knnen die chemotherapeutischen Zyklen den primren Tumor oder die einzelne Metastase auf eine mikroskopische Gre reduzieren (s. Abb. 1); der Tumor unterschreitet dann die Zahl von 10 Millionen Zellen und ist mit den Instrumenten der apparativen Diagnostik nicht mehr nachweisbar. Er wchst jedoch nach Beendigung der Chemotherapie wieder auf eine makroskopische Gre heran. Die Entwicklung von Resistenzen gegen Substanzen spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Grundstzlich kann die Strahlenbehandlung die Zellzahl um viele logarithmische Stufen reduzieren. Das Potential der Chemotherapie, auch der Hochdosischemotherapie, liegt bei nicht mehr als ca. 3 Stufen, trgt man
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Abb. 1. Zu Beginn der Therapie besteht der solide Tumor (prima¨rer Tumor oder Metastase) aus 108 Zellen. Er hat eine makroskopische Gro¨ße und ist damit klinisch nachweisbar. Durch Behandlung fa¨llt die Zellzahl unter 107 Zellen. Das Tumorvolumen reduziert sich auf eine mikroskopische Gro¨ße (die Horizontale auf dem Niveau von 107 Zellen unterscheidet zwischen makroskopischem und mikroskopischem Tumor). Die Strahlentherapie kann alle Tumorzellen vernichten, die Remission ist von Dauer (klinische Beispiele: Plattenepithelkarzinome der Haut, des Anus und der Zervix; Adenokarzinome der Prostata und andere, vgl. Text). Aufgrund unu¨berwindbarer Resistenzmechanismen und anderer Einflu¨sse ha¨lt beim makroskopisch soliden Tumor die Remission nach Chemotherapie nicht dauerhaft an (Ausnahme: Malignome des Hodens). In der simultanen Radiochemotherapie besteht der Vorteil der Chemotherapie (ChT) jedoch darin, daß die Kurve, die die Zahl der lebenden Tumorzellen repra¨sentiert, steiler abfa¨llt als bei alleiniger Radiotherapie (RT). Die Chemotherapie erho¨ht somit die Chance, alle Tumorzellen zu vernichten (s. Insert).
die Zahl der Zellen im Zehnerlogarithmus auf der Ordinate auf (vgl. Ordinate der Abb. 1). Auch wenn sich im quantitativen Vergleich die Zellvernichtung bei medikamentser Therapie ungnstig darstellt, der zellttende Effekt von Substanzen kann dennoch in der simultanen Radiochemotherapie von entscheidender Bedeutung sein. Man nehme an, da eine alleinige Strahlentherapie ihr Ziel, alle Tumorzellen zu tten, nicht erreicht. Die zustzliche chemotherapeutische Zellvernichtung kann in der Kombinationsbehandlung zu einer steileren Abnahme der Zahl vitaler Tumorzellen fhren (vgl. Abb. 1). Hieraus resultiert eine vergleichsweise hhere Wahrscheinlichkeit, mit Beendigung der Radiochemotherapie alle Zellen „inaktiviert“ zu haben.
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3 Determinanten der Strahlenempfindlichkeit Molekularbiologische Methoden spielen in den Untersuchungen zur Charakterisierung der Faktoren, die die Strahlenempfindlichkeit von Normalgeweben und Tumoren determinieren, eine wichtige Rolle. Die Strahlenforschung versteht den Tumor jedoch nicht als eine vorrangig molekulare Struktur. Der solide Tumor entspricht einem biologischen Gesamtsystem, das sich auf unterschiedlichen Ebenen strukturiert: den Ebenen der Molekle, der Zellen, des Zell- und Gewebeverbandes, des physiologischen Milieus. Zwischen diesen Ebenen bestehen Interdependenzen, die von Bedeutung sind fr Phnomene wie Zelltod, DNS-Reparatur, Verteilung der Zellen im Zellzyklus, Repopulierung, Gefneubildung und Milieufaktoren inklusive pH und pO2. Aus strahlentherapeutischer Sicht ist somit das System Tumor ein hochkomplexes „Target“, das auf unterschiedlichen biologischen Ebenen Angriffspunkte fr therapeutische Interventionen bietet. Strategien, die sich an diesem Konzept des Tumors orientieren, erscheinen fr die nhere Zukunft als die aussichtsreichsten, um weitere Verbesserungen bei der lokalen Tumorvernichtung zu erzielen. Fr die Kombination von Strahlentherapie mit Zytostatika oder anderen Medikamenten ist es in diesem Kontext wichtig, Forschungsanstze zu entwickeln, die das Verstndnis zur intratumoralen Distribution und Bioverfu¨gbarkeit von Substanzen vertiefen. Studien zur zelleigenen, d.h. intrinsischen Strahlenempfindlichkeit wurden mit dem sog. SF2-Test („surviving fraction“ nach 2 Gy = Koloniebildungstest) durchgefhrt. Der In-vitro-Test bestimmt die berlebende Fraktion klonogener Zellen nach einer Strahlendosis von 2Gy. 100% berlebende Zellen entsprechen einem SF2-Wert von 1. Da eine Strahlentherapie beispielsweise als eine 6wchige Serie von 30 Fraktionen mit 2 Gy gegeben wird, haben selbst kleine Unterschiede des SF2-Wertes eine betrchtliche Wirkung. Man nehme fr drei Tumoren mit je 1010 klonogenen Zellen SF2-Werte an von 0,2, 0,5 und 0,6 und setze voraus, da nur die Zahl der klonogenen Zellen und deren Strahlenempfindlichkeit das Behandlungsergebnis bestimmen, da der SF2-Wert unter Strahlentherapie konstant bleibt und da jede berlebende klonogene Zelle proliferiert und einen Rezidivtumor bildet. Unter dieser Prmisse betragen die Gesamtdosen, die 50% der Tumoren kontrollieren, 29, 68 und 92 Gy. Die Ergebnisse des SF2-Tests zeigen, da die „intrinsische Strahlenempfindlichkeit“ ein wichtiger, das Behandlungsergebnis beeinflussender Parameter ist. Unterschiedliche SF2-Werte verschiedener Tumorarten entsprachen teilweise der klinisch beobachteten Strahlenempfindlichkeit. Zu konstatieren ist jedoch, da sich solche Korrelationen nicht durchgngig beobachten lieen. Das mag daran liegen, da die intrinsische Strahlenempfindlichkeit nur eine Determinante in der komplexen Reaktion des Tumors
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ist und der In-vitro-Test an Zellreihen nicht die vielfltigen biologischen Interaktionen im bestrahlten Tumorgewebe widerspiegelt. Im Experiment werden Erholungs- bzw. Reparaturvorga¨nge untersucht. Wird nach Bestrahlung von Zellkulturen die Proliferation der Zellen durch uere Manipulation verzgert, resultiert eine vergleichsweise hhere Zahl berlebender Zellen. Man bezeichnet dieses Phnomen als Erholung vom potentiell letalen Strahlenschaden. Auch die Erholung vom sog. subletalen Strahlenschaden wird mit dem „Koloniebildungstest“ nachgewiesen. Nach einer einmaligen Bestrahlung mit definierter Dosis ist die Zahl berlebender Zellen geringer als nach Applikation derselben Dosis in mehreren kleinen Fraktionen. Die Reparatur der subletalen Schden vollzieht sich in einem Zeitintervall von mehreren Stunden zwischen den Fraktionen. Vieles spricht dafr, da die Erholung aus der Reparatur von strahleninduzierten DNS-Lsionen resultiert. Auf molekularem Level fhren ionisierende Strahlen innerhalb von Nanosekunden zur Bildung von freien Radikalen. Freie Radikale interagieren mit der DNS und anderen Biomoleklen und fhren hierdurch zu Schden. Die Zelle verfgt ber ein Set kooperierender Enzyme, die die La¨sionen der DNS wie Einzel- und Doppelstrangbrche reparieren. Aus Fraktionierungsexperimenten lt sich schlieen, da es eine schnelle Komponente der Reparatur von DNS-La¨sionen gibt, die einen Zeitraum von ca. 30 Minuten einnimmt. Klinisch ist jedoch zu beobachten, da die Erholung von Normalgeweben ein wesentlich komplexerer Vorgang ist und erst ca. 6 bis ber 8 Stunden nach einer Strahlenfraktion zu ber 99% abgeschlossen ist. Deshalb sollte zur Schonung gesunder Gewebe der Zeitraum zwischen zwei Fraktionen zumindest 6 Stunden nicht unterschreiten. Die Unterdrckung der DNS-Reparatur und damit die Steigerung der Strahlenempfindlichkeit wird experimentell getestet und klinisch erprobt in der kombinierten Anwendung von Strahlen mit bestimmten Zytostatika oder Hyperthermie. Die Behandlung mit dicht ionisierenden Strahlen wie Neutronen oder schweren Ionen fhrt im Vergleich zu locker ionisierenden Ro¨ntgenstrahlen bzw. Photonen (konventionelle Strahlentherapie am Linearbeschleuniger) zu erheblich mehr Doppelstrangbrchen. Diese sind schwieriger zu reparieren als Einzelstrangbrche, woraus sich die hhere biologische Wirksamkeit dicht ionisierender Strahlen ergibt. Die Repopulierung wird als eine gegenregulatorische, vermehrte Zellproliferation nach exogen induziertem Zelluntergang in gutartigen und bsartigen Geweben verstanden. Eine hohe Repopulierung unter Strahlentherapie, wie sie in den gesunden Strukturen (z.B. Mukosa) erwnscht ist, kann im Tumor zu seiner Resistenz beitragen. Klinische Beobachtungen fhren zur Annahme, da in Kopf-Hals-Tumoren, Bronchialkarzinomen und anderen Tumoren die Repopulierung eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
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Eine akzelerierte Strahlenbehandlung wirkt der Repopulierung entgegen, indem sie die Zellneubildung durch eine relativ rasche Abfolge von Bestrahlungen verringert. Bei rasch repopulierenden Tumoren soll die Akzelerierung die Chance der lokalen Tumorkontrolle und damit die Aussicht auf Heilung verbessern. Die Gesamtdosis wird in einem verkrzten Zeitraum appliziert, und zwar durch 2 oder 3 Bestrahlungen pro Tag. Eine randomisierte Studie (CHART-Protokoll: Continuous Hyperfractionated Accelerated Radiation Therapy; d.h. 3 Bestrahlungen pro Tag an 12 aufeinanderfolgenden Tagen) zeigte, da die Akzelerierung zu einer verbesserten berlebensrate bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen fhrt. In den Anfngen der CHART-Behandlung wurde bei einer kleinen Zahl von Patienten als Sptfolge eine Myelitis berichtet. Die Limitierung der Gesamtdosis am Rckenmark scheint bei der Akzelerierung von hchster Bedeutung zu sein. Der sog. ,,concomitant boost" stellt einen Spezialmodus der akzelerierten Strahlentherapie dar. Der Boost wird als zweite tgliche Dosis auf ein reduziertes Zielvolumen, die Region des makroskopisch erkennbaren Tumors, gegeben. So wird nur ein relativ kleines Volumen akzeleriert bestrahlt, wodurch das Risiko ausgeprgter akuter Nebenwirkungen akzeptabel bleibt. In manchen Therapiekonzepten fr solide Tumoren geht der Radiotherapie oder Radiochemotherapie eine alleinige Chemotherapie von zwei oder mehreren Zyklen voraus. Es gibt gut begrndete berlegungen, die hierin einen Nachteil sehen. Die vorgeschaltete Chemotherapie kann eine vermehrte Repopulierung induzieren, die in der Folge mit einer intensiveren Strahlentherapie „kompensiert“ werden mte. In der Bilanz wrde bei insgesamt aggressiver Kombinationsbehandlung im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie am Tumor kein wesentlicher Vorteil, am Normalgewebe (z.B. Mukosa) sogar eine hhere Schdigung resultieren. Der ,,therapeutische Quotient", d.h. die Ratio aus Nutzen und Nebenwirkungen, wre in dieser sequentiellen Chemo-Radiotherapie vergleichsweise schlechter. In Hinblick auf die Repopulierung wre es von klinisch praktischer Bedeutung, wenn die Zellvermehrung individueller Tumoren nher bestimmt werden knnte. Die vorhandenen Methoden zur Erfassung der Zellkinetik von Tumoren sind jedoch kritisch zu betrachten und bei weitem nicht perfekt. Dennoch haben Studien zum Einflu der Zellproliferation auf die Strahlensensibilitt eines Tumors Bedeutung. Als prtherapeutische Kenngre der Zellvermehrung wurde die sog. T-pot (potentielle Verdoppelungszeit) untersucht und zur Tumorkontrollrate korreliert. Der definitive Beweis, da Tumoren mit hoher T-pot durch eine akzelerierte Strahlenbehandlung vergleichsweise besser zu kontrollieren sind, steht jedoch aus. Aus Experimenten war bekannt, da hypoxische Zellen relativ unempfindlich auf Strahlen reagieren. Seit einiger Zeit kann der Sauerstoffpartialdruck
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(pO2) in menschlichen Tumoren direkt gemessen werden. Bei Mammakarzinomen und anderen Tumoren fand sich Hypoxie nicht nur in groen, sondern auch in kleinen Tumoren. Eine Reihe von Publikationen der letzten Jahre belegt, da der prtherapeutische Oxygenierungsstatus positiv zur Rate der lokalen Tumorkontrolle, zum berleben und zur Metastasierungsfreiheit korreliert. Die Untersuchungen wurden an Patientinnen/Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Cervix uteri und des Kopf-Hals-Bereichs sowie Weichteilsarkomen durchgefhrt. Zu konstatieren ist, da die Tumoroxygenierung nicht nur das Ansprechen auf Strahlenbehandlung und auf bestimmte Zytostatika beeinflut. Die Hypoxie scheint darber hinaus durch eine Aktivierung entsprechender Gene die Invasion und Metastasierung maligner Tumoren zu frdern. Mit den Bemhungen, die Bedeutung der Hypoxie in der Radioonkologie detaillierter zu klren, gehen Forschungen mit dem Ziel einher, die Hypoxie zu berwinden. Hypoxische Zellen werden beispielsweise durch elektronenaffine Substanzen (Derivate des Misonidazols und andere) gegenber Strahlen sensibilisiert. Die zustzliche Applikation von Zytostatika, die unter Hypoxie besonders wirksam sind (z.B. Mitomycin, Tirapazamin), kann das Ausma der Zellabttung unter Strahlentherapie verstrken. Besonders empfindlich reagieren hypoxische Zellen auf Behandlung mit Neutronen oder auf die zur konventionellen Strahlenbehandlung (Photonen) addierte Hyperthermie. Auch in bestimmten gentherapeutischen Anstzen spielt die Hypoxie eine Rolle, was der Radioonkologie ebenfalls Perspektiven erffnet. Ferner knnten sich knftig durch medikamentse und physikalische Beeinflussung des Blutflusses bzw. des Sauerstoffpartialdruckes im Tumor Verbesserungen der Therapieergebnisse ergeben. Die Korrektur der Anmie, die zu einer reduzierten Sauerstoffversorgung des Tumors fhren kann, stellt eine weitere Option dar, die zur Zeit in klinischen Studien detaillierter geprft wird. Im Zusammenhang mit DNS-Lsionen wurde darauf hingewiesen, da diese aus der Interaktion von freien Radikalen mit der DNS entstehen. Darber hinaus reagieren freie Radikale auch mit Makromoleklen des Zytoplasmas und der Zellmembranen, wodurch sie eine Transduktion von Signalen und Expression von Genen initiieren. Vernderungen an „Stellgliedern“ der Signaltransduktion wurden schon nach relativ niedrigen Strahlendosen (bei ca. 2 Gy) gefunden. Das Bild der klassischen Strahlenbiologie, das die DNS als empfindlichstes und einziges Target der Strahlen sieht, wandelt sich. Ein fundiertes Verstndnis der spezifischen molekularen Vernderungen nach Bestrahlung und der entsprechenden Auswirkungen auf die Genexpression, den Zellzyklus, die Apoptose und andere zellulre Prozesse zeichnet sich ab. In Zukunft werden neben den „klassischen“ Modifikatoren der Strahlenwirkung (Zytostatika, hypoxische Radiosensi-
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bilisatoren, Hyperthermie) neue, „molekulare Taktiken“ zur Verstrkung des Strahleneffekts am Tumor oder zur Protektion des gesunden Gewebes zur Anwendung kommen.
4 Reaktion des Normalgewebes – Nebenwirkungen Die Gesamtdosis und die Hhe der Einzeldosis bestimmen den Schweregrad akuter und spa¨ter Nebenwirkungen einer Strahlentherapie. Die meisten Erfahrungen liegen mit einer „konventionellen“ Fraktionierung von 5 1,8…2 Gy/Woche vor. Ist die Geschwindigkeit der Dosisakkumulation hoch (hohe Wochendosis bei akzelerierter Strahlenbehandlung), steigt die Intensitt akuter Reaktionen des Normalgewebes in den ersten Wochen whrend oder nach Strahlentherapie (z.B. Mukositis). Die Balance zwischen strahlenbedingtem Zelluntergang (Zelltod) und Repopulierung bzw. regenerativer Vermehrung der klonogenen Zellen in epithelialen oder anderen Geweben wie dem Knochenmark neigt sich zur Seite des Zelluntergangs. Durch Reduktion der Einzeldosis lt sich dem Ungleichgewicht entgegenwirken und der Grad akuter Nebenwirkungen mindern. Akutreaktionen stellen eine vorbergehende Beeintrchtigung dar. Sie heilen im allgemeinen nach Beendigung der Behandlung ab. Kleine Einzeldosen (< 1,8 Gy) sind speziell dann von Vorteil, wenn hohe Gesamtdosen appliziert und dennoch spa¨t reagierendes Gewebe geschont und schwere spte Schden nach Monaten oder Jahren (z.B. Myelitis, Pneumonitis und Lungenfibrose, allgemein Fibrosen etc.) vermieden werden sollen. Klinische und experimentelle Studien zeigen, da hohe Dosen pro Fraktion bei gleicher Gesamtdosis zu einem deutlichen Anstieg unerwnschter Spa¨treaktionen fhren. Bei einer Strahlenbehandlung mit hohen Einzeldosen ( 2 Gy), d.h. bei Hypofraktionierung, kann das Ausma akuter Schden mit demjenigen nach konventioneller Fraktionierung (1,8 oder 2 Gy pro Tag) vergleichbar sein, whrend unerwnschte und dauerhafte Spteffekte an Zahl und Schweregrad zunehmen. Die Anwendung niedriger Einzeldosen (< 1,8 Gy) wird als hyperfraktionierte Strahlentherapie bezeichnet. Bei Strahlentherapie mit niedrigen Einzeldosen ist u.U. eine vergleichsweise hhere Gesamtdosis erforderlich, um die Wahrscheinlichkeit der Tumorkontrolle nicht zu mindern. Wird von der konventionellen Fraktionierung abgewichen, ist es sinnvoll, vorab die Wirkung auf den Tumor und das Risiko von Schden des Normalgewebes abzuschtzen. Hierzu dient das a/b-Modell bzw. die sogenannte linear-quadratische Gleichung (Dref = Dneu [a/b + dneu] [a/b + dref ]…1 mit Dref = Referenzgesamtdosis, Dneu = neue Gesamtdosis, dref = Referenzeinzeldosis, dneu = neue Einzeldosis, a/b = gewebespezifische Gre). Das Modell ermglicht die Berechnung biologisch quivalenter Gesamtdosen fr unterschiedliche Einzeldosen. So kann beispielsweise eine geplante
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hyperfraktionierte Strahlentherapie mit konventionellen, normal fraktionierten Schemata bezglich der Toxizitt verglichen werden. Grundstzlich gilt, da spa¨t reagierende Normalgewebe (Myelon, Lunge, Nieren, Haut etc.) durch niedrige a/b-Werte charakterisiert sind, Tumoren und akut reagierende Normalgewebe hingegen durch hhere. Ein niedriges a/b-Verhltnis bedeutet eine hohe Erholungsfhigkeit des Gewebes bei fraktionierter Bestrahlung mit kleinen Dosen, whrend ein hoher a/b-Quotient einen vergleichsweise geringeren Einflu der Fraktionierung signalisiert. In der Klinik kann das a/b-Modell als Orientierungshilfe dienen. Es ist aber zu beachten, da das Modell nur fr die alleinige Strahlentherapie, nicht aber fr die kombinierte Radiochemotherapie angewendet werden darf. Literatur Bamberg M, Molls M, Sack H (eds.) (2003) Radioonkologie. Zuckschwerdt, Mnchen Baumann M, Tahian A, Budach W (1993) Radiosensitivity of tumor cells: The predictive value of SF2. In: Beck-Bornholdt H-P (ed) Current topics of radiobiology of tumors. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 87…98 Hall EJ (2000) Radiobiology for the Radiologist. 5th ed. Lippincott, Philadelphia Hallahan DE (1996) Molecular biology and its clinical implications. Tepper JE (ed) Seminars in Radiation Oncology. W.B. Saunders Company, Philadelphia Herrmann T, Baumann M (1997) Klinische Strahlenbiologie … kurz und bndig, Fischer, Jena Hoeckel M, Knoop C, Schlenger K et al (1993) Intratumoral pO2 predicts survival in advanced cancer of the uterine cervix. Radiother Oncol 26:45…50 Molls M, Vaupel P (2000) Blood Perfusion and Microenvironment of Human Tumors. 2nd ed. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Saunders M, Dische S, Barrett A et al (1997) Continuous hyperfractionated accelerated radiotherapy (CHART) versus conventional radiotherapy in non-small-cell lung cancer: a randomised multicentre trial. Lancet 350:161…165 Stadler P, Becker A, Feldmann HJ, Hnsgen G, Dunst J, Wrschmidt F, Molls M (1999) Influences of the hypoxic subvolume on the survival of patients with head and neck cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 22(4):749…754 Tannock IF (1992) The Potential for Therapeutic Gain from Combined-Modality Treatment. In: Meyer JL, Vaeth JM (eds) Radiotherapy/Chemotherapie Interactions in Cancer Therapy. Front Radiat Ther Oncol Vol 26, Karger, Basel, pp 1…15 Tannock IF (1998) Conventional cancer therapy: promise broken or promise delayed? Lancet 351 (Suppl 2):9…16 Withers HR, McBride WH (1998) Biologic basis for radiation therapy. In: Perez CA, Brady LW (eds) Principles and practice of radiation oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 79…118
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13.2 Perkutane Radiotherapie M. Schiebe, W. Hoffmann, M. Bamberg
1 Einleitung Seit der Entdeckung der Rntgenstrahlung durch C.W. Rntgen sowie der Radioaktivitt durch H. Becquerel und M. Curie vor ber 100 Jahren hat sich die Strahlentherapie zu einem integralen Bestandteil der modernen Onkologie entwickelt. Grundstzlich versteht man unter einer Strahlentherapie die therapeutische Anwendung ionisierender Strahlung zur Behandlung von malignen oder auch gutartigen Erkrankungen. Bei der perkutanen Strahlentherapie handelt es sich um die am weitesten verbreitete Technik der Strahlentherapie, bei der ionisierende Strahlung aus einer in einer definierten Entfernung vom Patienten befindlichen Strahlenquelle (z.B. Kobalt 60 oder Linearbeschleuniger) zur Therapie von meist bsartigen Erkrankungen verwendet wird.
2 Ziele der Strahlentherapie Die maximale Vernichtung der Tumorzellen bei gleichzeitiger optimaler Schonung des gesunden Gewebes bilden die Maxime der Strahlentherapie. Durch eine genaue Bestrahlungsplanung mit Einsatz differenzierter Bestrahlungstechniken lassen sich die zur Tumorvernichtung erforderlichen Strahlendosen (zeitlich aufgeteilt) applizieren, deren Gesamtdosis von der intrinsischen Radiosensitivitt des Tumor- und Normalgewebes (bestimmt z.B. durch Histologie, Grading, Erholungsfhigkeit usw.) und dem Tumorvolumen bestimmt wird: F
F F
Bei einer R0-Situation, d.h. ohne mikroskopisch nachweisbare Tumorzellen im Operationsgebiet, aber mit hohem lokalem Rezidivrisiko, sind Gesamtdosen von 50 Gy notwendig, um 90…95% der noch vorhandenen Tumorzellen abzutten. Vorhandener mikroskopischer Befall (R1-Situation) erfordert eine Zielvolumendosis bis zu 60 Gy. Um eine lokale Tumorkontrolle zu erzielen, wird makroskopischer (Rest-)Tumor mit mindestens 70 Gy bestrahlt.
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Perkutane Radiotherapie
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3 Strahlentherapie Innerhalb der ionisierenden Strahlung mu zwischen direkt ionisierender Strahlung (Elektronen, Deuteronen, Alphateilchen) und indirekt ionisierender Strahlung (Neutronen, Rntgen- und Gammastrahlung) oder Korpuskular- und Photonenstrahlung unterschieden werden. Die Photonen besitzen als Teilchen der elektromagnetischen Strahlung weder Masse noch Ladung; bei der Korpuskularstrahlung unterscheidet man eine Strahlung mit geladenen und eine Strahlung mit ungeladenen Teilchen.
4 Gera¨te Die in der Klinik am hufigsten verwendeten Gerte zur Erzeugung von ionisierender Strahlung sind Beschleuniger und Telegammagerte. Telekobaltgerte verwenden die Gammastrahlung, die beim Zerfall des radioaktiven Isotops 60Co entsteht (mittlere Energie 1,25 MeV). Heutzutage kommen in der Regel moderne Linearbeschleuniger zum Einsatz, in denen Elektronen in einem elektrischen Feld nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Durch das Auftreffen der Elektronen auf einen kleinen Metallblock (Target) entsteht eine hochenergetische Bremsstrahlung, die als gebndelte Photonenstrahlung therapeutisch genutzt wird. Die Elektronen knnen aber auch direkt nach Aufstreuung des Strahls z.B. durch eine Metallfolie als 2. Strahlenart zur Therapie genutzt werden. Neben der Strahlenart wird die Eindringtiefe in das Gewebe hauptschlich durch die Energie der Strahlung (Kilo- oder Megaelektronenvolt) bestimmt. Der Tiefendosisverlauf ist fr Photonen- und Elektronenstrahlung unterschiedlich. Photonenstrahlung ermglicht die Bestrahlung tiefliegender Zielvolumina mit kurativen Dosen, wobei der Aufbaueffekt der Strahlung mit einem Dosismaximum in 1…2 cm Tiefe eine gute Hautschonung ermglicht. Die Eindringtiefe von Elektronen lt sich ber deren Energie steuern, wobei der Dosisabfall im Gewebe hinter der mittleren Reichweite steil ist und tiefer liegende Gewebe geschont werden knnen.
5 Dosierung und Fraktionierung Die Einheit Gray (Gy) hat die frher gebruchliche Einheit rd („radiation absorbed dose“) zur Quantifizierung der Strahlendosis abgelst (1 Gy = 1 J Strahlenenergie/kg strahlenabsorbierender Masse). Man unterscheidet die tgliche Einzeldosis von der Gesamtdosis. Aufgrund von strahlenbiologischen Untersuchungen und langjhrigen klinischen Erfahrungen wird die geplante Gesamtdosis in einzelne Teildosen (Fraktionen) aufgeteilt:
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F
F
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Prinzipien der Strahlentherapie
Eine konventionell fraktionierte Bestrahlung besteht aus 5 tglichen Fraktionen von 2,0 Gy pro Woche bis zu einer Gesamtdosis von z.B. 60 Gy in einem Zeitraum von 6 Wochen. Durch eine solche Fraktionierung wird dem gesunden Gewebe eine mglichst lange Erholungszeit gewhrt. Unter einer hyperfraktionierten Bestrahlung versteht man die Gabe von Dosen < 2 Gy mehrmals tglich in der gleichen Gesamtbehandlungszeit, um somit die Gesamtdosis um 5…20% zu erhhen, z.B. die Gabe von 1,2 Gy/Tag an 5 Tagen der Woche bis zu einer Gesamtdosis von 72 Gy in 6 Wochen. Bei der akzelerierten Bestrahlung werden zur Verkrzung der Gesamtbehandlungszeit z.B. 1,5 Gy/Tag an 5 Tagen pro Woche bis zu einer Gesamtdosis von z.B. 60 Gy in 4 Wochen appliziert.
Hyperfraktionierte bzw. akzelerierte Fraktionierungen bilden die Rationale bei der Behandlung von schnell proliferierenden Tumorgeweben mit einer Tumorverdoppelungszeit von wenigen Tagen (z.B. Plattenepithelkarzinome der Kopf-Hals-Region). Zur verbesserten Nutzung von Unterschieden in der Erholungskapazitt von Tumor- und Normalgewebe sollte auf eine mindestens 6stndige Bestrahlungspause zwischen den Einzeldosen geachtet werden, um das Risiko fr chronische Nebenwirkungen zu senken. Die Gesamtdosis hngt einerseits vom Therapieziel (kurativ oder palliativ) und andererseits von dem speziellen Tumortyp ab. In der Regel liegen bei soliden Tumoren die kurativen Dosen zwischen 55 und 70 Gy, die in 5…7 Wochen eingestrahlt werden. Bei malignen Lymphomen oder Hodentumoren reichen auch niedrigere Dosen zur lokalen Kontrolle aus.
6 Durchfu¨hrung der perkutanen Strahlentherapie Vor Durchfhrung einer Strahlentherapie mu der verantwortliche Arzt das Behandlungsziel, das Zielvolumen, die Strahlenart und Energie, die Gesamt- und Einzeldosis, den Fraktionierungsmodus und die Behandlungszeit definieren. Im aktuellen ICRU-Report Nr. 50 (International Commission for Radiation Units) werden die fr die Planung, Durchfhrung und Dokumentation einer Strahlentherapie relevanten Volumina definiert (makroskopisches Tumorvolumen, klinisches Zielvolumen, Planungszielvolumen, Behandlungsvolumen und Bestrahlungsvolumen). Diese Definitionen ermglichen unterschiedliche Dosisangaben, z.B. im makroskopischen Tumor, im Bereich des vermuteten mikroskopischen Befalls, im Bereich des Sicherheitsabstandes und in benachbarten kritischen Organen. Verschiedene klinische Zielsetzungen (z.B. kurative Behandlung eines Primrtumors oder adjuvante Therapie von Lymphabfluwegen) lassen sich ebenfalls so festlegen.
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Perkutane Radiotherapie
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Durch eine standardisierte Dosisspezifikation werden eine Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Bestrahlungstechniken und Behandlungsergebnissen verschiedener Patientengruppen ebenso wie die Angaben von Rezidivlokalisationen und Therapiefolgen ermglicht. Die Einstellung des Bestrahlungsfeldes erfolgt am Therapiesimulator. Hierbei handelt es sich um eine Durchleuchtungseinrichtung, mit der smtliche Einstell- und Bewegungsmglichkeiten des Bestrahlungsgertes nachvollzogen (simuliert) werden knnen. Nach Definition von Lage, Gre und Konfiguration des Bestrahlungsfeldes sowie des Einstrahlwinkels erfolgt die Dokumentation mit einer Rntgenaufnahme (Lokalisationsaufnahme). Bei der ersten Einstellung am Bestrahlungsgert und whrend der Bestrahlungsserie werden Rntgenkontrollaufnahmen zur berprfung des definierten Zielvolumens (Verifikationsaufnahmen) erstellt. Das Bestrahlungsplanungssystem dient zur Berechnung einer optimalen Dosisverteilung im Zielvolumen bei Schonung der benachbarten Risikoorgane durch Auswahl geeigneter Bestrahlungstechniken. Die installierte Software enthlt die Basisdaten der Bestrahlungsgerte mit entsprechenden Berechnungsalgorithmen. Das System erlaubt die dreidimensionale Darstellung der Patientenkontur in Verbindung mit der Dosisverteilung (Isodosenverlauf). Die dreidimensionale Bestrahlungsplanung, basierend auf der Zielvolumendefinition mittels Schnittbildgebung (CT oder MRT), ermglicht die konformale Anpassung der Bestrahlungsfelder an das Tumorvolumen und die exakte Beurteilung der Dosisvolumenbelastung von Tumor und Risikoorganen. Moderne, CT-gesttzte Simulationssysteme (virtuelle Simulation) knnen, basierend auf dem 3D-CT-Datensatz fr ausgewhlte Lokalisationen, inzwischen die konventionelle Simulation ersetzen. Mittels digital rekonstruierter Radiogramme werden hierbei in Strahlerperspektive die projizierten Bestrahlungsfelder angefertigt. Bei der stereotaktischen Konformationsbestrahlung wird unter Ausnutzung eines externen Koordinaten- und Fixationssystems eine mehrsegmentale Bestrahlung durchgefhrt. Bei dieser Mehrfeldbestrahlung in rascher Abfolge werden die RT-Felder konformal dem Tumorvolumen angepat und ermglichen die Applikation hoher Einzeldosen mit steilem Dosisabfall. Durch die Fixierung in einem stereotaktischen Grundring kann nach rumlicher Fokussierung mit einer hohen Przision (Genauigkeit 0,3 mm) das Tumorvolumen einmalig oder fraktioniert bestrahlt werden. Eine weitere Optimierung der Bestrahlungsplanung ermglicht die intensittsmodulierte Strahlentherapie (IMRT) mit einer verbesserten Schonung von Risikostrukturen. Hierbei erfolgt nach inverser RT-Planung die Applikation der Strahlenfelder „intensittsmoduliert“ ber eine automatische Abfolge einer Serie von Einzelfeldern unterschiedlicher Blenden und Feldkonfiguration.
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Prinzipien der Strahlentherapie
Die rechteckigen bzw. quadratischen Felder der Bestrahlungsgerte werden an die individuellen, irregulren Zielvolumina durch speziell angefertigte Bleisatelliten angepat, die zwischen Strahlenquelle und Patient im Strahlengang plaziert werden knnen. Zur Behandlung von Zielvolumina im Oberflchen- bzw. Halbtiefenbereich finden einzelne Stehfelder Anwendung. Fr tiefer gelegene Bereiche werden Mehrfelder- und Kreuzfeuertechniken verwendet. Vierfeldertechniken („Box“-Techniken) fhren durch Aufteilung der Bestrahlungsdosis auf 4 Eintrittspforten zu einer Schonung des gesunden Gewebes, ermglichen aber gleichzeitig eine Konzentrierung und homogene Dosisverteilung im Zielvolumen. Fr kleinere, rundliche Zielvolumina (z.B. Prostata oder Hypophyse) eignen sich Rotationsbestrahlungen, bei denen sich die Strahlenquelle whrend der Bestrahlung auf einem Kreisbogen bzw. Kugelschalensegment um den Patienten herum bewegt. Bei oberflchlicher Lage des Zielvolumens im Hautniveau wird durch Auflage eines gewebequivalenten Bolusmaterials auf die Patientenoberflche das Dosismaximum zur Oberflche hin verlagert. Dosisinhomogenitten bei Gegenfeldbestrahlungen durch unterschiedliche Krperdurchmesser im Bestrahlungsfeld lassen sich durch Kompensatoren aus Wachs oder Bolusmaterial am Patienten ausgleichen. Zu demselben Zweck finden Keilfilter aus Blei Verwendung, die gerteseitig in den Strahlengang geschoben werden und eine gleichmige Dosisverteilung im Zielvolumen ermglichen. Moderne Computersoftware ermglicht heute auch den Gebrauch bereits gerteseitig in das Blendensystem des Beschleunigers eingebauter Lamellenkollimatoren aus Blei (Multileafkollimatoren), die motorisch gesteuert die Umrisse des zu bestrahlenden Zielvolumens exakt nachmodellieren knnen. Um eine reproduzierbare Lagerung des Patienten zu gewhrleisten, werden spezielle Lagerungshilfen wie z.B. Vakuumkissen und -matratzen eingesetzt. Bei der Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich hat sich die Anwendung von Gesichtsmasken aus thermoplastischem Material bewhrt, die den Kopf immobilisieren und die Einzeichnung der Feldmarkierungen auf der Maske erlauben, so da auffllige und psychisch belastende Markierungen auf der Haut entfallen. Mit Hilfe dieser Lagerungshilfen lassen sich Lagerungsunsicherheiten auf wenige Millimeter begrenzen.
7 Nebenwirkungen der perkutanen Therapie Bezglich evtl. auftretender Nebenwirkungen mssen akute Reaktionen von chronischen Sptfolgen unterschieden werden. Die zu beobachtenden Reaktionen sind organ- bzw. gewebespezifisch. Akute Reaktionen treten besonders in schnell proliferierenden Geweben, wie z.B. der Haut, der
13.2
Perkutane Radiotherapie
555
Schleimhute und des Darms, auf (sog. schnell reagierende Gewebe). Die eigentlichen dosislimitierenden Gewebetoleranzen werden durch Gewebe mit niedrigem Zellumsatz (sog. spt reagierende Gewebe) bestimmt (z.B. Rckenmark). Die Toleranzdosen fr die einzelnen Organe und das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen sind durch jahrzehntelange Erfahrung bekannt. Bei einer qualitativ hochwertigen Strahlentherapie mit einer sorgfltigen Bestrahlungsplanung und exakten Durchfhrung lt sich das Risiko schwerer Nebenwirkungen jedoch auf Werte von ca. 1…5% senken. Bei vorausgegangenen Operationen mit nachfolgender Narbenbildung und Einschrnkung der Durchblutung bzw. des Lymphabflusses oder bei berlappenden Toxizitten durch eine begleitende Chemotherapie mu mit besonderer Sorgfalt auf das Auftreten von Unvertrglichkeiten und Nebenwirkungen geachtet werden. Literatur Feldmann HJ, Kneschaurek P, Molls M (2000) Three-dimensional radiation treatment. Technological innovations and clinical results. Karger Basel, Freiburg, Paris, London, New York, pp 40…49 ICRU Report 50 (1994) Prescribing, recording and reporting photon beam therapy. Washington/DC Illidge TM, Hamilton CR (1994) Principles of radiation oncology. In: Sherman CD, Calman KC, Eckhardt S et al (eds) Manual of clinical oncology. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 171…202 Sack H, Quast U, Stuschke M (1996) Bestrahlungsplanung. In: Scherer E, Syck H: Strahlentherapie, Radiologische Onkologie. Springer Berlin Heidelberg New York, pp 219…264
13
13.3 Interstitielle Strahlentherapie M. Wannenmacher, P. Fritz Die interstitielle Strahlentherapie ist eine Sonderform der Brachytherapie.
1 Definitionen F F F
Brachytherapie: Heranbringen eines umschlossenen radioaktiven Strahlertrgers an einen Tumor (Kontaktbestrahlung). Intrakavitre Brachytherapie: Einbringen von Strahlertrger in eine natrliche Krperhhle. Interstitielle Brachytherapie: invasives Einbringen von Strahlertrger in das Gewebe („Spickung“).
2 Methode Aus Strahlenschutzgrnden wird berwiegend das Nachladeverfahren (Afterloading) angewendet: F
F
F
F
Spickung eines Tumors mit zunchst inaktiven Strahlerfhrungen (Applikatoren: Plastikschluche oder Edelstahlhohlnadeln) in quidistanter, dreiecksfrmiger oder quadratischer Anordnung mit 1…2 cm Sicherheitsabstand. Definition aktiver Lngen innerhalb der Strahlerfhrungen und Beladung mit Strahlenquellen, nachdem mittels Rntgenverfahren die richtige Lage des Implantates berprft und eine Bestrahlungsplanung erstellt wurde. Langzeitbestrahlung („low dose rate“, LDR) oder fraktionierte Kurzzeitbestrahlung („high dose rate“, HDR) in einem abgeschirmten Krankenzimmer. Entfernung des Implantates nach Erreichen der Referenzdosis.
Nachladegerte, die ber Ausfahrschluche mit dem Patienten verbunden sind, ermglichen die Beladung eines Implantates mittels sortierter Linienquellen (LDR-Afterloading) oder mit einer einzelnen schrittbewegten Quelle (HDR- oder PDR-Afterloading; PDR: „pulsed dose rate“), die computergesteuert definierte Strecken des Implantates „abfhrt“ (vollstndiger Strahlenschutz des Personals). Eine weitere Mglichkeit ist die Direktimplantation, die Spickung mit Strahlertrgern, ohne da zuvor Applikatoren implantiert wurden (Permanentimplantat, kein Afterloadingverfahren).
13.3
Interstitielle Strahlentherapie
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3 Strahlenbiologie und Dosisleistung F
F
F
F
LDR-Brachytherapie: kontinuierliche Bestrahlung mit niedriger Dosisleistung ber Stunden und Tage. Vorteile: groe therapeutische Breite, einzeitige Bestrahlung. Nachteile: pflegerischer Aufwand, Compliance des Patienten ntig. HDR-Brachytherapie: Kurzzeitbestrahlung mit hoher Dosisleistung in mehreren Fraktionen. Vorteile: geringer pflegerischer Aufwand, bei geringer Compliance durchfhrbar. Nachteile: wiederholte „Spickungen“ in Abstnden von Wochen; geringere therapeutische Breite. PDR-Brachytherapie: vereinigt die technischen Vorteile einer schrittbewegten Quelle (Optimierung der Dosisverteilung) mit den strahlenbiologischen Vorteilen einer LDR-Bestrahlung (grere therapeutische Breite). Durch Hyperfraktionierung mit Aufteilung der Strahlendosis in stndliche Fraktionen wird ein potentiell LDR-quivalenter Effekt erreicht (Brenner und Hall 1991). Besonderheiten der Dosisverteilungen in der interstitiellen Brachytherapie: sehr hohe Strahlendosen innerhalb eines Implantates (Verbesserung der Tumorsterilisation); steiler Dosisabfall auerhalb (Schonung des gesunden Gewebes), kleinvolumige Bestrahlung.
4 Radionuklide F F
Afterloading: 192Ir-Drhte/-Kapseln, 137Cs-Ribbons; die hohe spezifische Aktivitt des 192Ir ermglicht Miniaturquellen. Direktimplantation: 125J-Seeds, 103Pd-Seeds, 192Ir-Ribbons.
5 Indikationen F
F
F
Primre Brachytherapie: in erster Linie T1…2 N0 Lippen-, Mundhhlenund Oropharynxkarzinome und „low risk“-Prostatakarzinome (T1…T2a, Gleason 2…6, PSA < 10 ng/ml). Adjuvante Brachytherapie: brusterhaltende Therapie des Mammakarzinoms; funktionserhaltende Therapie der Weichteilsarkome; konservative funktionserhaltenen Therapie des Analkarzinoms, Prostatakarzinoms und Blasenkarzinoms. Palliative Brachytherapie: Salvagebestrahlung bei rezidivierenden HNOTumoren, Palliativbestrahlung diverser lokaler Tumorrezidive.
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558
13
Prinzipien der Strahlentherapie
6 Ergebnisse am Beispiel großer Serien 6.1 Lippenkarzinom (Mazeron 1984, 1870 Pat.) Klassische Indikation zur primren interstitiellen Bestrahlung, da ca. 90% aller Lippenkarzinome im Stadium T1…2 N0 M0. Im Vergleich zur Chirurgie gleiche Heilungsziffern mit funktionell besseren Ergebnissen. Lokale Kontrolle: T1: 97,5%, T2 95%, T3 89%. Kosmetik/Funktionserhaltung: nach 5 Jahren 55% ohne sichtbare Vernderungen; 96% ohne funktionelle Beeintrchtigungen. LDR-Brachytherapiedosen: 80…85 Gy. 6.2 Zungenkarzinom (bewegliche Zunge; Decroix 1981, 602 Pat.) Klassische Indikation, jedoch Sanierung der Lymphabfluwege obligat, da bei 35% der Patienten apparente Lymphome und bei ca. 35% okkulte Lymphknotenmetastasen. Im Vergleich zur Chirurgie gleiche Heilungsziffern bei geringeren funktionellen Defekten. Vorgehen: Neck dissection!interstitielle Bestrahlung des Primrtumors ! perkutane Bestrahlung bei N+ und/oder groem T2-/T3-Tumor. Lokale Kontrolle: T1 90%, T2 86%, T3 83%. N-Rezidive: 10…11%. Strahlendosen: Primrtumor 70 Gy, Lymphabflsse 55…60 Gy. 6.3 Zungengrundkarzinom Meist fortgeschrittene Stadien, hohe Inzidenz von Lymphknotenmetastasen. Brachytherapieboost verringert im Vergleich zur alleinigen perkutanen Bestrahlung die Lokalrezidivrate um ca. 50% (Housset 1987, Hofstetter 1986, Pernot 1990, Benk 1990) (Abb. 1). 6.4 Komplikationen der interstitiellen Bestrahlung im Mundho¨hlen-/Oropharynxbereich Ca. 20…25% Weichteilnekrosen (meist konservativ ausheilend), 10…20% Osteoradionekrosen. 6.5 Prostatakarzinom (Galalae 2002, 144 Pat.; Blasko 2000, 403 Pat.; Hilaris 1991, 165 Pat.) Die primre Strahlenbehandlung erzielt bei geringeren akuten Komplikationsraten und weitaus geringeren Therapiefolgen hinsichtlich Konsistenz und Potenz keine wesentlich schlechteren Heilungsziffern als die Chirurgie. Alleinige Brachytherapie im Stadium T1…T2a und Gleason 2…6
13.3
Interstitielle Strahlentherapie
559
Abb. 1. Brachytherapieboost eines Zungen-/Mundbodenkarzinoms mittels flexibler Implantate in 2 Ebenen
und PSA < 10 ng/ml („low risk“ sowie im Stadium T2b…T2c und Gleason 7 und PSA 10…20 ng/ml („intermediate risk“) mglich (Ash 2000). Bei „high risk“ (T2c…T3) oder Gleason 8…10 oder PSA > 20 ng/ml Kombination von Brachytherapie und perkutaner Bestrahlung (Nag et al. 1999). Implantation von 125J- oder 103Pd-Seeds ber meist perinealen Zugang. Durch technische Innovationen und zunehmende Expertise wurden signifikante Verbesserungen der Behandlungsergebnisse erreicht (vgl. Hilaris et al. 1991 vs. Blasko et al. 2000). Pelvine Staginglymphadenektomie bei „low“ und „intermediate risk“ nicht mehr obligat, da in diesen Stadien nur geringe Inzidenz von Lymphknotenmetastasen. Als Alternative perkutane konformale dreidimensional geplante fraktionierte Strahlenbehandlung mit HDR-Brachytherapieboost, insbesondere mit besseren Ergebnissen bei „high risk“-Fllen (KovÆcs et al. 2001). ¨ berlebensraten nach alleiniger Brachytherapie mit Rezidivfreie 10-Jahres-U 125 J-Seeds: klinische Rezidivfreiheit T2: 60…64%; T3: 26…35%. Potenzerhaltung 90%. Blasen-/Rektumkomplikationen < 6% (Hilaris et al. 1991). ¨ berlebensraten nach alleiniger Biochemische (PSA) rezidivfreie 10-Jahres-U Brachytherapie mit 125J-Seeds: „low risk“ 94%, „intermediate risk“ 84%, „high risk“ 54% (Blasko et al. 2000).
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Prinzipien der Strahlentherapie
¨ berlebensraten nach perkutaner Bestrahlung und Rezidivfreie 8-Jahres-U HDR-Brachytherapie von T1b…2a- (20%) und T2b…3-Tumoren (80% des Kollektivs): Gesamtberleben 71,5%, tumorfreies berleben 82,6%, biochemische Rezidivfreiheit 72,9%. Lokale Rezidivfreiheit fr T3 91,3%, fr G3 88,2% (Galalae et al. 2002). Strahlendosen: signifikanter Anstieg der lokalen Tumorkontrolle 70 Gy. Durch Dosiseskalation 20…30% mehr negative posttherapeutische Prostatabiopsien (Freiha und Bagshaw 1984, Scardino und Wheeler 1988). Erforderliche Dosen bei LDR-Brachytherapie mit 125-J-Seeds 145 Gy (Ash et al. 2000, Nag et al. 1999). Bei kombinierter Strahlenbehandlung perkutan fraktioniert 50 Gy plus 2 15 Gy HDR-Afterloadingboost der Marginalzone der Prostata (Galalae et al. 2002). 6.6 Analkarzinom (Papillion 1989, 221 Pat.) Primre Operation nur in Ausnahmefllen, da mittels Strahlenbehandlung gleiche Heilungsziffern mit Sphinktererhaltung bei ca. 80…90% der Geheilten erzielt wird. Sehr gute Ergebnisse durch kombinierte perkutane und interstitielle Strahlenbehandlung. ¨ berleben nach 5 Jahren: 82% (bei Tumoren < 4 cm 92%). Tumorfreies U Alternative: simultane Radiochemotherapie (inzwischen Behandlung der ersten Wahl). Strahlendosen: Analkanal 55…65 Gy, Lymphabflsse (Becken) 45 Gy. 6.7 Mammakarzinom Die adjuvante Strahlenbehandlung der Restbrust nach brusterhaltener Operation reduziert das lokale Rezidivrisiko von 30…40% (ohne Nachbestrahlung) auf < 10%. Perkutane homogene Bestrahlung der Restbrust und kleinvolumige Dosisaufsttigung (Boost) des Exzisionsbereiches mit Elektronen oder mit interstitiellem Implantat. Die Boostbestrahlung ist obligat und senkt zustzlich das lokale Rezidivrisiko (Bartelink et al. 2001). Der interstitielle Boost ermglicht hhere Strahlendosen im Tumorbett und kann bei Situationen mit hohem lokalem Rezidivrisiko angewendet werden. ,,High risk"-Indikationen: R1/R2-Resektion, tumornahe Absetzungsrnder, groer Primrtumor (T3), ausgedehnte intraduktale Tumorkomponente, Carcinoma lobulare in situ, umschriebene Lymphangiosis carcinomatosa, ungnstiges Grading (G3). Strahlendosen: ganze Restbrust 50 Gy, Brachytherapieboost 15…20 Gy.
13.3
Interstitielle Strahlentherapie
561
6.8 Blasenkarzinom (Van der Werf-Messing 1981/89, 345/90 Pat.) Bei ca. 75…85% der Patienten liegen superfizielle (Tis, Ta, T1) Karzinome vor (ca. 75% unilokulr, ca. 25% multilokulr). In diesen Stadien verbessert die interstitielle Bestrahlung nach diagnostischer TUR die Tumorkontrolle entscheidend. Lokale Kontrolle nach 5 Jahren: 20% (TUR) vs. 83% (TUR + Implantat). Positive Beeinflussung auch der Fernmetastasierungsrate. Brachytherapiedosis 60 Gy, LDR. Durch kombinierte perkutane und interstitielle Bestrahlung bei T2,3 Nx M0 ca. 70% 5-Jahres-Heilungen. 6.9 Weichteilsarkom (Harrison 1993, 126 Pat.) Randomisation: extremittenerhaltende Operation +/… interstitielle Bestrahlung. Lokale Kontrolle nach 4 Jahren: 69% (Op.) vs. 90% (Op. + Brachytherapie) bei High-grade-Sarkomen. Nicht signifikant bei Low-gradeSarkomen. Brachytherapiedosis 42…45 Gy, LDR. Bei perkutaner Strahlenbehandlung hhere Referenzdosen erforderlich. Literatur Ash D, Flynn A, Battermann J et al (2000) ESTRO/EORTC recommendations on permanent seed implantation for localized prostate cancer. Radiother Oncol 57:315…321 Bartelink H, Horiot JC, Poortmans P et al (2001) Recurrence rates after treatment of breast cancer with standard radiotherapy with or without additional radiation. N Engl Med 345:1378…1386 Benk V, Mazeron JJ, Grimard L (1990) Comparison of curietherapy versus external irradiation combined with curietherapy in stage II squamous cell carcinomas of the mobile tongue. Radiother Oncol 18:339…347 Blasko JC, Grimm PD, Sylsvester JE, Cavanagh W (2000) The role of external beam radiotherapy with I-125/Pd-103 brachytherapy for prostate carcinoma Radiother Oncol 57:273…278 Brenner DJ, Hall EJ (1991) Conditions for the equivalence of continuous to pulsed low dose rate brachytherapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 20:181…190 Freiha FS, Bagshaw MA (1984) Carcinoma of the prostate: results of post-irradiation biopsy. Prostate 5:19 Galalae R, KovÆcs G, Schultze J et al (2002) Long-term outcome after elective irradiation of the pelvic lymphatics and local escalation using high-dose-rate brachytherapy for locally prostate cancer. Int Radiat Oncol Biol Phys 52:81…90 Harrison LB, Zelefsky MJ, Armstrong G et al (1993) Brachytherapy and function preservation in the localized management of soft tissue sarcomas of the extremity. Sem Radiat Oncol 3:260…269
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Prinzipien der Strahlentherapie
Hilaris BS, Fuks Z, Nori D et al (1991) Interstitial irradiation in prostatic cancer: report of 10-year results. In: Sauer R (ed) Interventional radiation therapy. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, pp 235…240 Hoffstetter S, Mailssard L, Forcard JJ, Pernot M (1986) A propos de 108 cas traitØs au Centre Alexis Vautrin. J Eur Radiother 7:101…110 Housset M, Baillet F, Dessard-Diana B et al (1987) A retrospective study of three treatment techniques for T1…T2 base of tongue lesions: surgery plus postoperative radiation, external radiation plus interstitial implantation and external radiation alone. Int J Radiat Oncol Biol Phys 13:511…516 Mazeron JJ, Richaud P (1984) Compte rendu de la XVIII rØunion du groupe EuropØen de Curietherapie. Session consacrØe aux cancers de la lŁvre. J Eur Radiother 5:50… 56 Mazeron JJ, Langlois D, Glaubiger D et al (1987) Salvage irradiation of oropharyngeal cancers using iridium 192 wire implants: 5-year results of 70 cases. Int J Radiat Oncol Biol Phys 13:957…962 Nag S, Beyer D, Friedland J et al (1999) American brachytherapy society (ABS) recommendations for transperineal permanent brachytherapy of prostate cancer. Int Radiat Oncol Biol Phys 44:789…799 Papillon J, Montbarbon JF, Gerard JP et al (1989) Interstitial curietherapy in the conservative treatment of anal and rectal cancers. Int Radiat Oncol Biol Phys 17:1161… 1168 Pernot M, Hoffstetter S, Forcard JJ (1991) Interstitial LDR curietherapy for head and neck cancers in 1991. Activity 5(3):122…130 Pernot M, Malissard L, Aletti P et al (1990) Iridium-192 brachytherapy in the management of 147 stage T2 N0 oral tongue carcinoma treated with irradiation alone. Int J Radiat Oncol Biol Phys [Suppl II]:798 Scardino PT, Wheeler TM (1988) Local control of prostate cancer with radiotherapy: frequency and prognostic significance of positive results of postirradiation prostate biopsy. NCI Monogr 7:95 Sommerkamp H, Knfermann H, Wannenmacher M (1987) Grenzen der Strahlentherapie beim undifferenzierten Prostatakarzinom. II. Interstitielle Strahlentherapie. Tumor Diagnostik Therapie 8:22…27 Van der Werf-Messing BHP, Stap WCJ (1981) Carcinoma of the urinary bladder (category T1 Nx M0) treated either by radium implant or by transurethral resection only. Int J Radiat Oncol Biol Phys 7:299 Van der Werf-Messing BHP, Facr PD, van Putten WLJ (1989) Carcinoma of the urinary bladder category T2,3 Nx M0 treated by 40 Gy external irradiation followed by cesium 137 implant at reduced dose (50%). Int J Radiat Oncol Biol Phys 16:369…371
13.4 Intrakavita¨re Strahlentherapie W. Sauerwein
1 Prinzipien der intrakavita¨ren Strahlentherapie Bei dieser klassischen Form der Brachytherapie (griech. brachys: kurz) werden umschlossene Radionuklide unter Benutzung anatomischer Hohlrume in unmittelbare Nhe eines Tumors gebracht. Die kurze Distanz zwischen Strahler und Tumor bewirkt, da, unabhngig von der Energie der applizierten Gammastrahlung, die Dosisverteilung durch das Quadratabstandsgesetz bestimmt wird. Dies bedeutet einerseits immer einen steilen Dosisgradienten im Tumor selbst, andererseits aber die Mo¨glichkeit, umliegendes gesundes Gewebe zu schonen. Da auf dem ersten Zentimeter neben dem Strahler die Dosis steiler abfllt als auf dem zweiten Zentimeter und dort wieder steiler als auf dem dritten Zentimeter usw., kann die Dosisverteilung durch verschiedene Distanzierung des Gewebes vom Strahler variiert werden. Dies wird mit Applikatoren unterschiedlichster Form erreicht, wobei folgende Grundstze gelten (Busch u. Sauerwein 1996): F
F
Die Brachytherapie ist eine kleinvolumige Therapie. Wegen des steilen Abfalls der Dosisleistung mit zunehmendem Abstand ist eine Tumorkontrolle nur bis maximal 1,5 cm (bei der Cervix uteri bis 2 cm) Entfernung vom Applikator zu erreichen. Die Brachytherapie ist eine lokale Maßnahme. Wird sie mit einer perkutanen Bestrahlung kombiniert, ergnzt sie diese als Boost.
In der Vergangenheit wurde die intrakavitre Therapie mit 226Ra durchgefhrt, das heute durch knstliche Isotope ersetzt ist, die einen besseren Strahlenschutz und gnstigere Applikationsformen erlauben. Hier sind vor allem 137Cs (T1/2 = 10 958 Tage, E = 614 keV) und 192Ir (T1/2 = 74 Tage, E = 371 keV) zu nennen. Iridium lt sich gut bearbeiten; es ist mglich, sehr kleine, hochaktive Strahler herzustellen, mit denen die modernen ferngesteuerten Nachladeverfahren (Afterloading) auch an unzugnglichen Stellen eingesetzt werden knnen. Weitere Vorteile von 192Ir sind seine kurze Halbwertszeit (T1/2) und seine relativ geringe mittlere Photonenenergie (E), was Entsorgung und Strahlenschutz vereinfacht. Es gibt zwei Mglichkeiten, eine Brachytherapie durchzufhren: F F
die Langzeittherapie mit niederer Dosisleistung (0,25…1 Gy/h) oder die Kurzzeittherapie mit hoher Dosisleistung (> 12 Gy/h).
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13
Prinzipien der Strahlentherapie
Fr die intrakavitre Therapie ist die letztere in Deutschland als Standardverfahren etabliert. In anderen Lndern, insbesondere in Frankreich, werden Langzeitapplikationen bevorzugt (Pierquin u. Marinello 1997). Bei einer lngeren Bestrahlungszeit werden whrend der Bestrahlung zellulre Reparaturvorgnge v.a. am gesunden, langsam proliferierenden Gewebe mglich. Daraus resultiert eine groe therapeutische Breite, die bei der Bestrahlung mit hoher Dosisleistung so nicht existiert. Andererseits sind die Vorteile der Behandlung mit hoher Dosisleistung neben wirtschaftlichen Erwgungen Strahlenschutzaspekte (keine Pflege von radioaktiven Patienten), keine Immobilisierung des Patienten und hhere Przision, da eine Verlagerung der Applikatoren wegen der Krze der Liegezeit vermieden werden kann. Weiterhin ist zu bercksichtigen, da eine intrakavitre Therapie mancher Lokalisationen nur bei sehr kurzen Liegezeiten mglich ist. In der Hand von erfahrenen Therapeuten erbringen beide Methoden gleichartige Ergebnisse (Glaser et al. 1985; Patel et al. 1993). Die exakte Einhaltung der verordneten physikalischen Dosis einschlielich ihrer rumlichen und zeitlichen Verteilung ist dabei von entscheidender Bedeutung. Dies wird mit Afterloadingverfahren erreicht, die ber eine computeroptimierte und -gesteuerte Bewegung der Strahlenquelle verfgen. >
Es soll an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hingewiesen werden: Beide Methoden unterscheiden sich trotz hnlicher technischer Aspekte klinisch grundlegend. Es handelt sich um zwei verschiedene Verfahren. Es wre falsch und eine Gefahr fr den Patienten, wrde man versuchen, die gleiche Dosis und/oder die gleiche Dosisverteilung, die sich bei der Langzeittherapie bewhrt hat, auf die Kurzzeittherapie zu bertragen (Scalliet et al. 1993; Busch u. Sauerwein 1996; Perez et al. 1997).
Aus dem hier nur kurz Dargestellten ergeben sich vielfltige Variationen, eine intrakavitre Therapie korrekt durchzufhren. Es ist jedoch problematisch, einzelne Aspekte eines „Systems“ in ein anderes zu bertragen. Applikatoren, Dosisleistung, Einzel- und Gesamtdosis, Dosierungspunkte, Dosisverteilung in Raum und Zeit usw. sind immer im Zusammenhang zu sehen.
2 Klinische Anwendung Die intrakavitre Brachytherapie war schon immer integraler Bestandteil der kurativen prima¨ren Strahlentherapie gyna¨kologischer Tumoren. Sie ermglicht, eine hohe lokale Dosis am Tumor in Krpermitte zu erreichen und gleichzeitig die strahlenempfindlichen Organe Blase und Rektum zu schonen. Die Brachytherapie ergnzt hierbei die perkutane Bestrahlung von Lymphabflu und Parametrien. Beim Einsatz der Kurzzeittherapie ist bei 3 Einzelapplikationen eine wchentliche Belastung von etwa 5 ml
13.4
Intrakavita¨re Strahlentherapie
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Rektummukosa mit maximal 7 Gy erlaubt, wenn von auen am Rektum nicht mehr als 36 Gy (Fraktionierung 1,8…2 Gy/Tag) appliziert wurden. F
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F
F
Beim Zervixkarzinom ist es mglich, durch den Einsatz von „Zervixhlsen“ (Smit et al. 1989), die bei der ersten Applikation in Narkose eingelegt werden und ber den gesamten Behandlungszeitraum verbleiben, auf weitere Narkosen zu verzichten, dadurch die Zahl der Fraktionen zu erhhen und die Hhe der Einzeldosis zu erniedrigen. So wird die therapeutische Breite vergrert; es besteht die Mglichkeit, die Dosis am Tumor zu erhhen und damit die Heilungsergebnisse weiter zu verbessern. Beim inoperablen Endometriumkarzinom ist die Bedeutung der Brachytherapie rcklufig, da in den meist groen Tumoren perkutan mit Hilfe moderner Bestrahlungstechniken eine homogenere Dosisverteilung bei gleichzeitiger Schonung der Risikoorgane erzielt werden kann. Im HNO-Bereich wird die Methode mit Erfolg bei Naso- und Hypopharynxkarzinomen als Boost im Rahmen einer kurativen Behandlung, v.a. aber bei Rezidiven nach einer Strahlentherapie, eingesetzt. Neben Standardapplikatoren kommen hier individuell gefertigte Moulagen zur Anwendung. Als spezielles Komplikationsrisiko ist bei diesen Lokalisationen die Osteoradionekrose anzusehen. Bei Larynxkarzinomen kann die intrakavitre Therapie eingesetzt werden, meist ist jedoch eine perkutane Bestrahlung vorteilhafter (Abb. 1). Besonders interessant ist die Kurzzeittherapie bei Karzinomen der Trachea und der Bronchien, wobei bei endoluminalen Tumoren eindrucksvolle palliative Erfolge zu verzeichnen sind. ¨ sophaguskarzinomen kann im Rahmen einer primren StrahlenBei O therapie bei gutem Ansprechen des Tumors eine lokale Dosiserhhung erreicht werden; eine sinnvolle Indikation besteht jedoch nur, wenn der zu behandelnde Tumor 1 cm Tiefenausdehnung nicht berschreitet. Um „hot spots“ mit der Gefahr der Ulkusbildung und Perforation zu vermeiden, ist durch die Wahl des Applikators sicherzustellen, da der Strahler in der Mitte des Hohlorgans zu liegen kommt.
Wenige Zentren setzen die Methode zur palliativen Therapie bei intrahepatischen Gallengangskarzinomen ein. Ebenfalls kaum verbreitet ist sie bei der Therapie von Harnblasenkarzinomen. Bei Rektumkarzinomen ist wegen der Ausdehnung dieser Tumoren und ihrer unregelmigen Oberflche eine intrakavitre Therapie nicht sinnvoll. Bei Analkarzinomen ist ein lokaler Boost meist gnstiger mit der interstitiellen Therapie zu erreichen (Perez et al. 1997; Pierquin u. Marinello 1997; Busch u. Sauerwein 1996).
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Prinzipien der Strahlentherapie
Abb. 1. Intrakavita¨re Bestrahlung eines kleinen Plattenepithelkarzinoms der Tuba Eustachii. Die eingezeichneten Isodosenkurven zeigen den steilen Dosisabfall von 28 Gy auf 3,5 Gy
3 Intrakavita¨re Therapie mit offenen Radionukliden Die Nuklearmedizin bietet als besondere Form einer intrakavitren Strahlentherapie die Mglichkeit, offene Radionuklide in palliativer Absicht bei malignen Pleuraergssen, Perikardergssen und Aszites anzuwenden (Schicha u. Scheidhauer 1996). Ein potentiell kurativer Ansatz besteht beim zystischen Kraniopharyngeom. Es kommen 32P oder 90Y in kolloidaler Form zur Anwendung. Da alternative Methoden ohne Verwendung radioaktiver Substanzen zur Verfgung stehen, werden trotz guter Ergebnisse diese Mglichkeiten in der klinischen Routine wenig genutzt. Literatur Busch M, Sauerwein W (1996) Klinisch-methodische Grundlagen der Brachytherapie. In: Scherer E, Sack H (Hrsg) Strahlentherapie … Radiologische Onkologie, 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 81…108 Glaser FH, Grimm D, Haensgen G et al (1985) Klinische Erfahrungen bei der Afterloading-Kurzzeittherapie im Vergleich zur konventionellen Brachytherapie bei der Behandlung gynkologischer Tumoren. Strahlentherapie 161:459…475
13.4
Intrakavita¨re Strahlentherapie
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Patel FD, Sharma SC, Negi P et al (1993) Low dose rate vs. high dose rate brachytherapy in the treatment of carcinoma of the uterine cervix: a clinical trial. Int J Radiol Oncol Biol Phys 28:335…341 Perez CA, Brady LW (eds) (1997) Principles and practice of radiation oncology, 3rd ed. Lippincott, Philadelphia, pp 405…582 Pierquin B, Marinello G (1997) Practical manual of brachytherapy. Medical Physics Publishing. Madison, Wisconsin Scalliet P, Gerbaulet A, Dubray B (1993) HDR versus LDR gynecological brachytherapy revisited. Radiother Oncol 28:118…126 Schlicha H, Scheidhauer K (1996) Therapie mit offenen radioaktiven Stoffen. In: Bhl U, Schicha H, Biersack H-J et al (Hrsg) Nuklearmedizin, 2. Auflage. Thieme, Stuttgart, pp 460…486 Smit BJ, Du Toit JP, Groenewald WA (1989) An indwelling intra-uterine tube to facilitate high dose rate intracavitary therapy for carcinoma of the cervix. Br J Radiol 22:68…69
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13.5 Stereotaktische Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie): Methodik, Indikationen und Ergebnisse J. Debus
1 Einleitung und Begriffsbestimmung Unter dem Begriff Radiochirurgie werden Behandlungsmethoden und -techniken zusammengefat, bei denen mit Submillimeterprzision eine Strahlendosis im Zielvolumen appliziert wird unter gleichzeitiger Schonung angrenzender Strukturen. Die notwendige Przision wird durch reproduzierbare Patientenpositionierung und durch die Verwendung sog. stereotaktischer Koordinatensysteme erreicht. Diese beiden Methoden erlauben es, einen Punkt im Krper des Patienten mit einer Genauigkeit < 1 mm aufzufinden. Der Begriff stereotaktische Bestrahlung wird in diesem Zusammenhang fr alle Bestrahlungsverfahren benutzt, bei denen przise Koordinatensysteme zur Zielpunktdefinition verwendet werden. Wird die gesamte Dosis der Bestrahlung in einer Sitzung appliziert mit dem Ziel der Strung des gesamten Gewebes im Zielvolumen und der Schonung des umgebenden Gewebes, spricht man nach Leksell (1951) von Radiochirurgie. Man unterscheidet hierbei interstitielle und perkutane stereotaktische Bestrahlungsverfahren. Die vorliegende Arbeit befat sich ausschlielich mit den perkutanen Methoden. In der Vergangenheit wurden perkutane stereotaktische Bestrahlungen auf verschiedene Weise durchgefhrt: F F
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Bragg-Peak-Radiochirurgie mit Protonenstrahlung, Radiochirurgie mit dem Gamma-Knife, einer dedizierten radiochirurgischen Einheit mit schalenfrmig angeordneten Kobalt-60-Quellen, und Radiochirurgie mit speziell ausgersteten Linearbeschleunigern.
Die stereotaktische Bestrahlung am Linearbeschleuniger wird stereotaktische Konvergenzbestrahlung genannt. Hierbei wird durch Rotationsoder Stehfeldbestrahlungen aus verschiedenen Raumrichtungen eine Dosiskonzentration im Zielvolumen erreicht. Diese Technik hat aufgrund der weiten Verfgbarkeit der Linearbeschleuniger und der guten klinischen Erfahrungen in den letzten Jahren eine weite Verbreitung gefunden. Ein wesentlicher Vorteil der stereotaktischen Bestrahlung ist die dreidimensionale Anpassung der Dosis an das Zielvolumen. Die rumliche Anpassung des Behandlungsvolumens an das Zielvolumen nennt man Kon-
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Stereotaktische Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie)
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formationsbestrahlung. Die Verbesserung reproduzierbarer Lagerungstechniken fr Patienten ermglichte die Entwicklung der fraktionierten stereotaktischen Strahlentherapie. Hierbei wird der Vorteil der Przision der Stereotaxie kombiniert mit dem biologischen Vorteil einer fraktionierten Behandlung.
2 Bestrahlungstechnik Unter der klassischen Konvergenzbestrahlung versteht man eine Bogenbestrahlung ber mehrere nicht-koplanare Ebenen. In der Heidelberger Technik wird nach jeder Bogenbestrahlung von 140 der Bestrahlungstisch jeweils isozentrisch gedreht und in eine neue Position gebracht. Die individuelle Feldformung erfolgt durch zylindrische Wolfram-Kollimatoren. Es werden hierzu Feldgren ab 7 mm bis zu 50 mm in Abstufungen von 2 mm im Isozentrum eingesetzt. Durch eine dreidimensionale Bestrahlungsplanung wird sichergestellt, da die resultierende Dosisverteilung das Zielvolumen sicher umfat und durch einen steilen Dosisgradienten das angrenzende Normalgewebe geschont werden kann. Die Dosisgradienten liegen typischerweise bei 7…15% pro mm. Die Dosisverteilung einer Konvergenzbestrahlung ist derjenigen einer Gamma-Knife-Einheit quivalent. Eine neuere Entwicklung ist der Einsatz von Mikromultileaf-Kollimatoren zur Feldformung, die eine ideale Anpassung von kleinsten Bestrahlungsfeldern an die Geometrie des Zielvolumens aus jeder Strahlrichtung erlauben. Dadurch wird die homogene Bestrahlung irregulr geformter Zielvolumina nach dreidimensionaler Bestrahlungsplanung ermglicht. Entsprechend den Anforderungen mu die Genauigkeit des Gesamtsystems nach sorgfltiger Justierung < 1 mm liegen und durch Qualittssicherungsprogramme berwacht werden.
3 Zielvolumenbestimmung und Bestrahlungsplanung Ziele der stereotaktischen Bestrahlung sind die genaue Lokalisation des Zielvolumens in der Bildgebung und die anschlieende exakte bertragung der berechneten Koordinaten auf den Patienten. Stereotaktische Lokalisationssysteme definieren bei der Bestrahlungsplanung ein eng mit der Patientenanatomie verbundenes Koordinatensystem. Die Planung der stereotaktischen Bestrahlung erfolgt auf der Grundlage von CT, MRT oder Angiographie. Magnetresonanztomographische Bilder erfordern eine eingehende Qualittskontrolle und gegebenenfalls eine Korrektur systemimmanenter geometrischer Verzeichnungen.
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4 Therapiebedingte Morbidita¨t und Radionekrosen Es wurde schon frh erkannt, da Radionekrosen die wichtigste und schwerwiegendste Komplikation radiochirurgischer Verfahren darstellen. ber die Definition der Radionekrose nach Radiochirurgie herrscht keine eindeutige Meinung. Die Induktion einer Tumornekrose ist das therapeutische Ziel entsprechend der Definition von Leksell. Daher kann nicht jede Nekrose als Komplikation aufgefat werden, sondern stellt eine absehbare Therapiefolge dar. Entscheidend ist die Frage, ob in den Gewebeuntergang Hirngewebe auerhalb des Zielvolumens einbezogen ist. Der Zusammenhang zwischen bestrahltem Volumen und dem Nekroserisiko wurde bereits sehr frh von Kjellberg et al. (1983) erkannt und von ihm in Form einer doppelt logarithmischen Auftragung beschrieben. Von Voges und Mitarbeitern (1996) wurde das Volumen des Normalgewebes, das mit mehr als 10 Gy Einzeldosis bestrahlt wird, als Prdiktor der Nekrosebildung herausgearbeitet. Eine mehr analytische Beschreibung des Nekroserisikos wurde von Flickinger und Mitarbeitern (1997), basierend auf einer logistischen Formel, aufgestellt. Die radiologische Differenzierung zwischen Strahlennekrosen und dem Rezidiv maligner Tumoren ist auerordentlich schwierig. Strahlennekrosen induzieren ein perifokales dem und zeigen hufig ein zunchst homogenes, spter girlandenfrmiges Anreicherungsverhalten. Neuere bildgebende Verfahren wie PET mit Tracern fr Proliferation oder Aminosurestoffwechsel zeigen vielversprechende Ergebnisse. Auch Verfahren der MRT mit MR-Spektroskopie scheinen in einigen Fllen in der Lage zu sein, eine Radionekrose von einem Tumorrezidiv zu diskriminieren. Hufig kann allerdings erst aus dem zeitlichen Verlauf der Klinik in Zusammenschau mit der Dosisverteilung und dem Verlauf in den bildgebenden Verfahren die Diagnose einer Radionekrose gestellt werden. Da berwiegend Patienten mit Lsionen in inoperablen Lokalisationen behandelt werden, ist in der Regel die Ausbildung einer solchen Radionekrose mit einer substantiellen Morbiditt assoziiert. Es ist daher von besonderer Wichtigkeit, das Risiko der Ausbildung einer klinisch signifikanten Radionekrose zu minimieren. Deshalb sollte sowohl bei der Indikationsstellung als auch bei der Behandlung ein Team mit entsprechend weitlufiger Erfahrung ttig werden. Wichtig ist festzustellen, da das Risiko klinisch signifikanter Nekrosen stark von der Art der behandelten Lsion und der Lokalisation innerhalb des Hirngewebes abhngt.
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5 Indikationen Die Indikation zur radiochirurgischen Behandlung sollte in interdisziplinrer Absprache mit Radiotherapeuten, Neurologen, Neuroradiologen und Neurochirurgen erfolgen. 5.1 Zerebrale arterioveno¨se Malformationen Unbehandelte zerebrale arteriovense Malformationen (AVM) stellen eine potentiell lebensbedrohliche Erkrankung der Hirngefe dar. Ursache ist eine Persistenz embryonaler arteriovenser Shunts, die zu einer gestrten Hmodynamik mit resultierender venser Dilatation fhren. Die Behandlungsindikation ergibt sich aus dem Risiko einer intrazerebralen Blutung, das bei etwa 4% pro Jahr liegt. Patienten mit AVM knnen durch einen kompletten Verschlu des Angioms oder durch eine totale mikrochirurgische Exstirpation geheilt werden. Therapieziele sind die Ausschaltung des Blutungsrisikos und die Verbesserung der neurologischen Symptomatik. Die Indikation fr die Radiochirurgie besteht bei kleinen inoperablen, nicht komplett embolisierbaren Angiomen sowie bei allen Restangiomen, sofern ein arteriovenser Kurzschlu nach anderweitiger Therapie besteht. Die radiogene Obliteration von Angiomen kann typischerweise zwischen 6 Monaten und 3 Jahren nach Bestrahlung bei 80…90% der behandelten Patienten beobachtet werden. Die Obliterationsrate hngt sehr stark von der Selektion des Patientenkollektivs ab, da groe Angiome eine kleinere Obliterationswahrscheinlichkeit haben. Wir konnten anhand der Analyse unseres Patientenkollektivs zeigen, da das angiographische Ansprechen der Angiome mit einer Verbesserung der neurologischen Symptomatik assoziiert war. Diese Verbesserung betrifft insbesondere auch die signifikante Reduktion von Anfallshufigkeit und -frequenz. Nebenwirkungen der Radiochirurgie von AVM
Typischerweise werden nach der Radiochirurgie von arteriovensen Angiomen nur geringe Nebenwirkungen beobachtet. Fast regelmig klagen die Patienten whrend und direkt nach der Behandlung ber Kopfschmerzen aufgrund der invasiven Fixierung. Das Risiko radiogener Spteffekte mit permanentem neurologischem Defizit liegt in der Literatur je nach Patientenkollektiv bei 2,8…5%. Eine eingehende Abwgung zum neurologischen Verlauf radiochirurgisch behandelter AVM findet sich bei Pollock et al. (1998). Die Autoren kommen zu dem Schlu, da eine komplette Obliteration der AVM in 80% erreicht werden kann, ohne da ein weiteres neurologisches Defizit auftritt.
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5.2 Hirnmetastasen Eine weitere gesicherte Indikation ist die Radiochirurgie von Hirnmetastasen. Der Stellenwert der Strahlentherapie bei der Behandlung von Hirnmetastasen ist durch zahlreiche Studien belegt (Engelbert et al. 1993). Insbesondere ist durch randomisierte Studien belegt, da die lokale Kontrolle und das berleben der Patienten nach neurochirurgischer Resektion durch eine anschlieende adjuvante Ganzhirnbestrahlung verbessert werden (Patchell et al. 1990). Die Hirnmetastasen stellen durch ihre biologischen und physikalischen Eigenschaften (radiologisch gut abgrenzbar, hufig kugelfrmig und klein) ein ideales Zielvolumen fr die Radiochirurgie dar. Die mglichen Vorteile der stereotaktischen Radiochirurgie gegenber der konventionellen Radiotherapie sind besonders die bessere lokale Tumorkontrolle bei gleichzeitiger Reduktion der Morbiditt und eine etwaige Kostenreduktion. Diese mgliche Kostenreduktion hngt allerdings stark von der jeweiligen Struktur ab, in der die Radiochirurgie durchgefhrt wird. 5.2.1 Applizierte Dosis
Die lokale Kontrollrate nach Radiochirurgie liegt zwischen 73 und 98% bei einem mittleren Follow-up von 5…26 Monaten. Engenhart et al. (1993) berichten ber 69% Patienten mit Langzeit-Follow-up und fanden eine lokale Kontrollrate von 95%. Flickinger und Mitarbeiter (1996) berichten ber eine multiinstitutionelle Studie mit 116 Patienten, bei denen eine lokale Tumorkontrolle von 85% erreicht worden war, und besttigten diese Zahlen in einer neuerlichen Analyse. Die applizierte Dosis lag bei 17,5 Gy. Die aktuarisch berechnete 2 Jahres-Tumorkontrolle lag fr die gesamte Patientengruppe allerdings nur bei 67%. In einer multivariaten retrospektiven Analyse konnte gezeigt werden, da eine bessere lokale Kontrolle bei Patienten erzielt worden war, die zustzlich Ganzhirnbestrahlung erhielten (Pirzkall et al. 1998). Der Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung in Kombination mit der stereotaktischen Bestrahlung wird derzeit prospektiv im Rahmen von Studien untersucht. Des weiteren wurde eine bessere Tumorkontrolle bei Patienten mit wenig strahlenempfindlichen histologischen Charakteristika wie bei Melanom- und Hypernephrommetastasen nachgewiesen. In einer multivariaten Analyse wurden folgende prognostisch gnstige Faktoren benannt: die Abwesenheit weiterer metastatischer Lsionen (p = 0.001) und ein Alter < 60 Jahren (p = 0.002). Wir konnten in unserem Patientenkollektiv von 307 Patienten mit 406 Hirnmetastasen einen Vorteil der zustzlichen Ganzhirnbestrahlung nur bei jenen Patienten finden, bei denen keine weiteren extrazerebralen Tumormanifestationen zum Zeitpunkt der Therapie nachgewiesen werden konnten. Diese Patienten entwickelten nach Ganzhirnbestrahlung signifikant weniger weitere Hirnmetastasen,
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Stereotaktische Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie)
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wobei allerdings die lokale Tumorkontrolle zwischen den beiden Kollektiven nicht signifikant unterschiedlich war. Insofern mu diskutiert werden, ob in der Arbeit von Flickinger et al. (1996) die Ursache der schlechteren Tumorkontrollrate ohne zustzliche Ganzhirnbestrahlung auf eine zu geringe Dosis oder auf Feldrandrezidive zurckgefhrt werden kann. Die Nebenwirkungen nach radiochirurgischer Behandlung sind als gering einzustufen. Bei 18% der therapierten Patienten konnte ein perifokales dem 2…4 Monate nach Radiochirurgie mit Steroiden gut therapiert werden. In 5 Fllen mu eine Radionekrose entsprechend der bildgebenden Kontrolle und klinischen Symptomatik diskutiert werden. Bei 2 Patienten erfolgte die histologische Sicherung nach operativer Exstirpation. 5.2.2 Anzahl der Hirnmetastasen
Bislang durchgefhrte prospektive Untersuchungen zur Radiochirurgie hatten hauptschlich Patienten mit 1…3 Hirnmetastasen eingeschlossen. Es gibt Kasuistiken zur Radiochirurgie bei Patienten mit multiplen Hirnmetastasen. Da hierzu jedoch keine evidenzbasierten Daten vorliegen, mu bei Patienten mit multiplen Hirnmetastasen die Ganzhirnbestrahlung weiterhin als Standard gelten. 5.2.3 Alternative Verfahren
Der Stellenwert der Radiochirurgie gegenber der chirurgischen Exstirpation wurde immer wieder gegenstzlich diskutiert. Insgesamt werden nach neurochirurgischer Resektion und postoperativer Bestrahlung dieselben Tumorkontrollraten berichtet wie nach radiochirurgischer Behandlung. Prospektiv randomisierte Studien zum Vergleich der Ergebnisse nach Resektion gegenber Radiochirurgie muten wegen mangelnder Rekrutierung abgebrochen werden. Die Untersuchung von Bindal et al. (1996) zeigt in einer retrospektiv vergleichenden Studie einen Vorteil der neurochirurgischen Resektion, was die lokale Kontrolle anbelangt. Hierzu mu jedoch kritisch angemerkt werden, da in dieser Untersuchung die radiochirurgisch behandelten Patienten eine wesentlich geringere Tumorkontrolle aufweisen, als dies in der Literatur beschrieben ist. 5.3 Vestibularisschwannome (Akustikusneurinome) Vestibularisschwannome sind die hufigsten Tumoren des Kleinhirnbrckenwinkels. Aufgrund der besseren Kenntnis der zellulren Pathogenese fand eine Umbenennung der frheren „Akustikusneurinome“ statt. Charakteristisch klagen die Patienten ber eine Hrverschlechterung und Schwindel. Mehr als die Hlfte aller Patienten klagt ber eine zustzliche Einschrnkung der Funktion weiterer Hirnnerven wie Fazialisparese,
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Strung des Geschmackempfindens und Trigeminusdyssthesien bzw. -neuralgien. Die Tumoren werden hufig nicht biopsiert, so da differentialdiagnostisch Meningeome, Cholesteatome und Metastasen des Kleinhirnbrckenwinkels in Erwgung gezogen werden mssen. Bei jngeren Patienten sollte zur Komplettierung eine Diagnostik auf Neurofibromatose erfolgen, unter Umstnden inklusive Genanalyse. Die mikrochirurgische Exstirpation galt vor der radiochirurgischen ˜ra als Therapie der Wahl. Indikationen fr eine primre Strahlentherapie sind hohes Alter, bilateraler Befall oder ein Akustikusneurinom bei Anakusis auf der Gegenseite. Die Wirksamkeit der Strahlentherapie konnte von Wallner et al. (1987) anhand der signifikanten Verminderung der Lokalrezidive von 46 auf 6% nach postoperativer Bestrahlung nachgewiesen werden. Das wesentliche Ziel der Radiochirurgie ist die Wachstumskontrolle des Tumors unter mglichst optimalem Erhalt des Hrvermgens und ohne Beeintrchtigung der angrenzenden Hirnnerven. Die Wirksamkeit der Einzeitbestrahlung konnten Noren und Mitarbeiter (1993) an 325 Patienten belegen. Whrend der mittleren Nachbeobachtungszeit von 54 Monaten zeigten 70% der Patienten ein radiologisches Ansprechen. Als radiologisches Ansprechen wird hufig eine Verminderung der zentralen Kontrastmittelaufnahme bezeichnet. Dabei mu allerdings beachtet werden, da dies nicht der Tumorkontrolle gleichgesetzt werden kann, sondern vielmehr als ein allgemeines Kriterium des Ansprechens gewertet werden mu. Besonders interessant ist ein Vergleich der Behandlungsergebnisse von Mikrochirurgie und Radiochirurgie der Universitt Pittsburgh (Kondziolka et al. 1998). Hier wurden fr Patienten mit Tumoren < 3 cm Durchmesser eine signifikant geringere Neuropathie und ein besserer Hrerhalt nach Radiochirurgie gefunden. Die in der Literatur berichteten Langzeit-Tumorkontrollraten liegen bei 85…90%. Insgesamt zeigten 16% der Patienten eine Fazialisschwche. Die bei dieser Studie berichteten Dosen lagen bei 20…30 Gy. Die Autoren berichten, da bei einer Reduktion der Dosis auf 15…20 Gy die Wahrscheinlichkeit der radiogenen Fazialisschwche auf unter 5% sank. Eine neuerliche Analyse ergab jedoch, da zum Zeitpunkt dieser Analyse eine systematische Abweichung bei der Dosimetrie der kleinen Felder vorlag. Linksey und Mitarbeiter (1993) konnten zeigen, da die Lnge des Nervs, der in das Behandlungsvolumen eingeschlossen ist, der wichtigste Prdiktor fr das Auftreten der radiogenen Neuropathie ist. Linksey et al. haben aus diesen Daten eine Dosis-Wirkungs-Beziehung fr verschiedene bestrahlte Lngen der Hirnnerven bestimmt. Diese Daten unterstreichen die Bedeutung der konformierenden Bestrahlungstechniken bei dieser Erkrankung. Bei diesem Patientenkollektiv wird eine lokale Tumorkontrollrate nach 4 Jahren von 89% berichtet. Einige Daten deuten darauf hin,
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Stereotaktische Einzeitbestrahlung (Radiochirurgie)
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da die lokale Kontrollrate bei Patienten mit Neurofibromatose Typ II schlechter ist als bei Patienten mit sporadischen unilateralen Akustikusneurinomen (Fuss et al. 2000). Die Frage der optimalen Dosis fr die Radiochirurgie von Akustikusneurinomen wird weiterhin diskutiert. Aufgrund der zunehmenden Inzidenz der radiogenen Neuropathien im Rahmen lngerer Nachbeobachtung mute im Laufe der letzten Jahre die Dosisempfehlung sukzessive reduziert werden. Die heutige Empfehlung liegt bei einer Dosis von 9…15 Gy. Aufgrund des Risikos der kranialen Neuropathie und der zum Teil unbefriedigenden Daten bezglich des Hrerhalts werden derzeit viele Studien durchgefhrt zur fraktionierten stereotaktischen Strahlentherapie. Deren Vorteil liegt in einer besseren Schonung der angrenzenden und im Zielvolumen befindlichen Normalgewebe, so da auch eine hhere Wahrscheinlichkeit fr einen Hrerhalt bestehen drfte. Die fraktionierte Behandlung erscheint besonders bei groen Akustikusneurinomen geeignet, die hufig mit einer Hirnstammkompression einhergehen. Erste Langzeitdaten liegen vor, die dieses Konzept untersttzen (Fuss et al. 2000). 5.4 Meningeome Die ersten Berichte der Radiochirurgie von Meningeomen waren sehr vielversprechend. Engenhart et al. (1989) verwiesen als erste auf die hohe Tumorkontrollrate dieses Verfahrens bei einem Patientenkollektiv mit Tumoren mittlerer Gre. Im Langzeitverlauf zeigten diese Patienten eine unakzeptabel hohe Inzidenz von Sptkomplikationen mit 42%. Hakim et al. (1998) kommen zu einem hnlichen Ergebnis an 113 Patienten mit Meningeomen. Das progressionsfreie berleben nach 2 Jahren betrug 96%. Dabei erlitten allerdings 14 Patienten schwere Komplikationen mit Neuropathien, Ausbildung von unbeherrschbaren demen und Nekrosebildung. Beide Arbeiten kommen zu dem Schlu, da die Radiochirurgie allenfalls fr kleine Meningeome ein geeignetes Verfahren darstellt. Valentino et al. (1993) analysierten den Verlauf von 72 Patienten. Diese Arbeitsgruppe fand keine signifikante Toxizitt mit Dosen zwischen 15 und 45 Gy und empfiehlt daher die Radiochirurgie als Alternative zur mikrochirurgischen Exstirpation bzw. bei Patienten mit unakzeptabel hohem Risiko fr einen chirurgischen Eingriff. Die fraktionierte stereotaktische Bestrahlung kommt insbesondere bei Meningomen zum Einsatz, bei denen strahlenempfindliche Strukturen wie Chiasma opticum oder andere Hirnnerven in direkter Nachbarschaft zum oder mitten im Zielvolumen liegen. Mit diesem Verfahren kann eine lokale Tumorkontrolle von 96% nach 5 Jahren erreicht werden bei einer geringen Rate von behandlungsbedingten Nebenwirkungen (< 1%).
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Prinzipien der Strahlentherapie
5.5 Hypophysenadenome Die neurochirurgische Resektion ist das Standardverfahren bei der Behandlung von Hypophysenadenomen. Die konventionell fraktionierte Strahlenbehandlung ist ein wohletabliertes Verfahren bei der Behandlung von Makroadenomen. Es konnte von Zierhut et al. (1995) eine Dosis-Wirkungs-Beziehung gefunden werden, die die Effizienz der faktionierten Strahlenbehandlung dokumentiert. Es lassen sich damit radiologische Tumorkontrollraten von 90% nach 5 Jahren bei hormonell inaktiven Adenomen erreichen. Bei hormonaktiven Tumoren erreicht man eine Verringerung der pathologischen Hormonlevel von 10…30% pro Jahr. Dadurch dauert es im Mittel mehrere Jahre, bis die Effizienz der fraktionierten Strahlentherapie beurteilt werden kann. Kleine streng intra- oder parasellr gelegene hormonproduzierende Hypophysenadenome wurden als klassische Targets fr die Radiochirurgie erachtet. Durch moderne dynamische Techniken lassen sich diese Adenome sehr gut in der Magnetresonanztomographie abgrenzen. Darber hinaus knnen auch die kritischen Normalgewebestrukturen, wie das Chiasma opticum, in den bildgebenden Verfahren sehr gut dargestellt werden. Der Stellenwert der Einzeittherapie von Hypophysenadenomen wird in der Literatur kontrovers diskutiert, da aufgrund der rumlichen Nhe zu wichtigen Strukturen des Sehapparats eine Gefahr der radiogenen Schdigung besteht. Die Toleranzdosis des Chiasma opticum liegt bei 8 Gy. Es finden sich verschiedentlich Berichte, die eine schnellere Normalisierung der Hormonspiegel bei aktiven Adenomen nach Radiochirurgie im Vergleich zu einer lngeren Latenzzeit nach konventioneller Strahlentherapie beschreiben. Bei operablen hormonaktiven Tumoren stellt die Einzeitbestrahlung keine Alternative zur mikrochirurgischen Resektion dar, da diese mit geringerem Risiko und gleichzeitig schnellerer Normalisierung der Hormonspiegel einhergeht. Ein weiteres Problem der Einzeitbestrahlung von Hypophysenadenomen ist die hufig eintretende Hypophysenvorderlappeninsuffizienz; diese tritt in den retrospektiven Analysen signifikant hufiger auf als bei der konventionell fraktionierten Strahlenbehandlung. Witt et al. (1996) berichten ber einen Erhalt der Hypophysenfunktion in einer Serie von 58 Patienten nach sorgfltiger MR-gesttzter Bestrahlungsplanung. Hierbei mu jedoch auch der Langzeitverlauf noch abgewartet werden. 5.6 Gliome Es gibt derzeit keine gesicherten Daten, die die Rolle der Radiochirurgie bei der Primrtherapie maligner Gliome zweifelsfrei belegen. Mehrere Rezidivanalysen haben gezeigt, da 80% der Rezidive in der nheren Umgebung des Primrtumors wachsen. Von Albert et al. (1994) konnte gezeigt werden,
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da kernspintomographisch nachgewiesene Kontrastmittelanreicherungen, die in den ersten postoperativen Tagen nachzuweisen sind, der Ausgangsort fr das weitere Rezidivwachstum sind. Die Behandlung von Patienten mit rezidivierten malignen Gliomen kann aus einer ausschlielichen symptomatisch supportiven Therapie bestehen oder aus Reoperation, Chemotherapie oder fokaler Re-Bestrahlung. Die Entscheidung zu einer weiteren Therapie eines Patienten hngt blicherweise von dessen Willen, dem neurologischen Status und dem Allgemeinzustand ab und darber hinaus von tumorspezifischen Faktoren wie Gre und Lokalisation im Hirn, Ausbreitungsmuster und Multifokalitt. Aufgrund dieser groen Zahl von Einflugren entsteht ein sehr starker Selektionsbias in retrospektiven Analysen. Es konnte gezeigt werden, da eine Reoperation unter akzeptabler Morbiditt das berleben signifikant verlngert. Black et al. fanden, da das mittlere berleben unter hoher Lebensqualitt (Karnofsky-Performance > 70) fr Patienten mit rezidivierten anaplastischen Astrozytomen 10 Wochen, fr Glioblastome 36 Wochen betrug. Fokale Re-Bestrahlung von malignen Gliomen mittels interstitieller Brachytherapie wurde in zahlreichen Studien untersucht. Die Rolle der Radiochirurgie bei der Behandlung rezidivierter maligner Gliome wurde ebenfalls in mehreren Studien untersucht. Shrieve et al. berichten ber ein mittleres berleben von 10,2 Monaten bei 86 Patienten. Allen Studien der Re-Bestrahlung gemeinsam ist eine relativ hohe Reoperationsrate von 22…50%. Die Wahrscheinlichkeit fr eine Reoperation fr Radionekrosen oder Tumorprogre ist tendenziell in den radiochirurgischen Serien geringer als in brachytherapeutischen Serien. Allerdings konnte sogar ein leicht besseres berleben bei den Patienten, die eine Reoperation zur Behandlung einer Radionekrose erhielten, im Vergleich zu den Patienten gefunden werden, bei denen eine solche Operation nicht notwendig war. Das Rezidivmuster nach Radiochirurgie von malignen Gliomen ist sehr hnlich zur Primrsituation. Lokales Rezidivwachstum findet sich im Bereich von 1 cm um den Primrtumor herum in 83,5% aller Patienten, whrend 16,4% der Patienten distante Rezidive entwickeln. Zusammenfassend bietet die Radiochirurgie eine Therapieoption fr rezidivierende Gliome, die vergleichbare Ergebnisse mit den anderen Lokaltherapieverfahren erreicht. Der Vorteil der Methode, die geringe Invasivitt, ist insbesondere vor dem Hintergrund der schlechten Prognose von Wichtigkeit. 5.7 Medulloblastom Bei etwa einem Drittel aller Rezidive von Medulloblastomen finden sich ausschlielich lokal Metastasen ohne weitere kraniospinale Aussaat. In neurochirurgischen Serien konnte gezeigt werden, da bei diesen Patienten eine
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kurative Chance besteht. Deshalb wurde die hochdosierte stereotaktische Bestrahlung von makroskopischen Tumorresten bei Kindern mit Medulloblastom in das nationale Studienprotokoll zur Behandlung von Kindern mit Hirntumoren aufgenommen (Kortmann et al.). Von Milker et al. (2002) konnte gezeigt werden, da eine stereotaktische Bestrahlung von lokalisierten Rezidiven ebenfalls dauerhafte Tumorkontrollen erreichen kann; dies wird auch von unseren Daten untersttzt. 5.8 Extrazerebrale Stereotaxie In jngster Zeit finden sich zunehmend Berichte zur extrakraniellen Anwendung stereotaktischer Bestrahlungsverfahren. Hierzu zhlt insbesondere der Bereich der Schdelbasis. Von Kocher et al. (1998) konnte der Stellenwert einer extrakraniellen stereotaktischen Bestrahlung von rezidivierten HNO-Tumoren aufgezeigt werden. Dabei wurden rezidivierte Nasopharynxkarzinome und Nasennebenhhlenmalignome behandelt. Darber hinaus gibt es erste Berichte aus Phase-II-Studien zur extrakraniellen stereotaktischen Strahlenbehandlung bei Lungen- und Lebermetastasen (Herfarth et al. 2001). Die Konzeption ist dabei hnlich wie bei der Therapie von Hirnmetastasen. Allerdings mu der klinische Stellenwert dieser Therapieverfahren noch erarbeitet werden.
6 Zusammenfassung Die stereotaktische Methode bezeichnet ein Verfahren, bei dem ein Punkt mit Hilfe eines Koordinatensystems beschrieben werden kann. Bei der Radiochirurgie wird diese Methode benutzt, um sehr przise eine hohe Einzeldosis zu applizieren. Ziel der Radiochirurgie ist die Zerstrung des Gewebes im Zielvolumen und die Schonung des umliegenden Hirngewebes durch einen steilen Dosisgradienten. Es gibt drei verschiedene Techniken der perkutanen Radiochirurgie: F F F
mit Teilchenstrahlen an einem Zyklotron, mit einer schalenfrmigen Anordnung von Kobalt-60-Quellen, dem sog. Gamma-Knife, und unter Verwendung eines modifizierten Linearbeschleunigers.
Eine darauf aufbauende Weiterentwicklung ist die fraktionierte stereotaktische Przisionsbestrahlung, bei der der Vorteil der physikalischen Przision mit dem biologischen Vorteil der Fraktionierung verknpft wird. Es sind nur wenige Indikationen fr die stereotaktische Einzeitbestrahlung durch statistisch valide Studien gesichert. Zu diesen zhlen die arteriovensen Malformationen, bei denen ber Obliterationsraten von 80…100% bei nur geringer Toxizitt berichtet wurden. Bei sehr groen
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Angiomen sinkt allerdings die Obliterationswahrscheinlichkeit deutlich ab. Die Ergebnisse der Radiochirurgie bei der Behandlung von Hirnmetastasen sind bezglich der lokalen Kontrolle von etwa 90% der mikrochirurgischen Exstirpation, gefolgt von einer adjuvanten Bestrahlung, gleichwertig. Inwieweit Patienten von einer adjuvanten Ganzhirnbestrahlung nach Radiochirurgie profitieren, wird derzeit in einer laufenden EORTC-Studie untersucht. Das berleben der Patienten ist im wesentlichen durch eine extrazerebrale Tumorprogression limitiert. Der Stellenwert der stereotaktischen Einzeitbestrahlung von benignen tumorsen Raumforderungen wird derzeit in wissenschaftlichen Studien bei Patienten mit vestibulren Schwannomen, Meningeomen, Chordomen und Chondrosarkomen sowie Hypophysenadenomen untersucht. Fr diese Anwendungen kommen in der Regel allerdings nur kleine Tumoren in Betracht. Die Grenzen der radiochirurgischen Technik werden bei diesen Tumoren durch das Nekroserisiko der angrenzenden Hirnstrukturen bestimmt, das durch eine steile DosisVolumen-Wirkungs-Beziehung gekennzeichnet ist. Neuere Entwicklungen der stereotaktischen Bestrahlung zielen auf die Anwendung von Multileaf-Kollimatoren, den Einsatz intensittsmodulierter Bestrahlungstechniken auf Basis inverser BPL-Programme sowie klinische Studien zur extrakraniellen Anwendung stereotaktischer Techniken.
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13.6 Stellenwert der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen im Vergleich zu Photonen*) J. Debus
1 Einleitung: Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen Weltweit wurden bislang mehr als 35 000 Patienten mit Protonen behandelt. Der konzeptionelle Vorteil der Protonenbestrahlung ist auf eine geringere Dosisbelastung der Normalgewebe und somit bessere Mglichkeiten der Vermeidung von Nebenwirkungen zurckzufhren. Protonenbestrahlungen erfordern allerdings einen wesentlich hheren technischen Aufwand in Form von Grogerten. Daher erfolgte die berwiegende Zahl der Protonenbestrahlungen an Einrichtungen der physikalischen Grundlagenforschung mit den gegebenen Limitationen bezglich der (mangelhaften) Verfgbarkeit des Strahls. Derzeit verfgen nur zwei Institutionen in den USA, die Loma Linda Medical University in Kalifornien und das Massachusetts General Hospital, ber klinisch dedizierte Anlagen zur Protonenstrahlentherapie. Eine klinisch dedizierte Schwerionentherapieanlage findet sich in Chiba und Hyogo, Japan. In Europa befinden sich derzeit einige klinisch dedizierte Protonenbestrahlungsanlagen im Aufbau, z.B. in Mnchen, Heidelberg, Zrich. Historisch wurden zunchst kleine Tumoren, wie zum Beispiel Augentumoren oder kleine intrazerebrale Tumoren, mit der Protonentherapie behandelt. Mit hherer Verfgbarkeit wurde diese Strahlenart auch auf grere Volumina appliziert und schliet heute eine sehr groe Anzahl verschiedener Indikationen ein.
2 Klinische Ergebnisse der Protonen- und Schwerionenbestrahlung 2.1 Okula¨re La¨sionen 2.1.1 Tumoren des Auges
Aderhautmelanome sind die hufigsten primren malignen Augentumoren. Bislang wurden weltweit ber 6000 Patienten mit Aderhautmelanomen mit Protonenstrahlung behandelt. Es gibt zahlreiche klinische Studien, in der die Wirksamkeit einer Protonenbestrahlung bei der Behandlung von Aderhautmelanomen belegt ist. Es wird dabei deutlich, da die Protonenbestrahlung im Hinblick auf die lokale Kontrollrate und die Heilungswahr*) Bewertung auf Basis klinischer Daten
13.6
Stellenwert der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen
581
Tabelle 1. Protonenbestrahlung von Patienten mit Aderhautmelanomen Studienort
Anzahl bestrahlter Patienten
lokale Kontrollraten
U¨berlebensrate
Massachusetts General Hospital/Harvard, USA (Gragoudas et al. 2000)
2511 (bis 12/97)
nach 5 Jahren:
nach 5 Jahren:
96% 2%
80%
Paul-Scherrer-Institut, Schweiz (Eggerer et al. 1998)
2435
5 Jahre;
10 Jahre:
97%
72,6%
Orsay, Frankreich (Meyer er al. 2000)
662
nach 3 Jahren: 95%
nach 3 Jahren: 88%
Nizza, Frankreich (Courdi et al. 1999)
538
nach 5 Jahren: 89%
nach 5 Jahren: 73,8%
scheinlichkeit keinen Unterschied zur Enukleation darstellt, dagegen aber den Vorteil bietet, da das Auge erhalten bleibt (Egger et al. 1997; Gragoudas et al. 1992; Bercher et al. 1992; Seddon et al. 1990; Zografos et al. 1992, 1990; Egan et al. 1989; Alberti u. Halama 1987). Es findet sich eine randomisierte Studie, in der Bestrahlung mit HeliumIonen (86 Patienten) versus Brachytherapie mit Jod 125 (98 Patienten) bei Aderhautmelanomen untersucht wird (Char et al. 1993). Die lokale Tumorkontrolle und auch die Rate der Patienten, bei denen es gelang, das Auge zu erhalten, lagen nach Teilchenbestrahlung signifikant hher als bei der Brachytherapie. Die Rate der Therapiefolgen war in der Gruppe der Teilchentherapie etwas hher. Die klinischen Ergebnisse einiger Zentren sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Weitere Indikationen, die mit Protonen behandelt wurden, sind: Aderhauthmangiome, retinale Angiome, Retinoblastome, altersbedingte makulare Degenerationen und intraokulare Metastasen. Die guten Ergebnisse der Protonenbehandlung konnten ebenfalls auf die Radiotherapie von Retinoblastomen bertragen werden. Hier war der Nachteil der Bestrahlung mit Photonen, da das Risiko von Sekundrmalignomen achtfach erhht ist. Der Vorteil der Teilchentherapie liegt neben der Reduktion dieses Risikos besonders darin, da die Dosis in den Knochenwachstumszentren des Gesichtsschdels unterhalb der Toleranzdosis bleibt, so da strahlenbedingte Vernderungen des wachsenden Gesichtsschdels vermieden werden knnen. Die ersten 16 Patienten mit Retinoblastomen wurden am Massachussetts General Hospital/Harvard Cyclotron Laboratory (MGH/HCL) mit Protonen bestrahlt (40…46 CGE [Cobalt Gray Equivalent]). Die Ergebnisse sind ermutigend: In allen 16 Augen kam es zur lokalen Kontrolle. Nach einer mittleren
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Nachbeobachtungszeit von 3,5 Monaten war keine Enukleation erforderlich (Suit et al. 1997). ber die Protonentherapie von Aderhauthmangiomen liegen nur Berichte mit geringen Patientenzahlen aus Phase-II-Studien vor. Hierbei wird die Effizienz der Protonentherapie beschrieben. 2.1.2 Altersbedingte Makuladegeneration
Die altersabhngige Makuladegeneration ist die Hauptursache fr die Erblindung lterer Menschen. Zur Zeit gibt es keine etablierte Therapie, die in Phase-III-Studien einen Wirksamkeitsnachweis gegenber einer unbehandelten Kontrolle erbringen konnte. Aus groen Phase-II-Studien mit der Protonentherapie werden sehr gute Behandlungsergebnisse berichtet. Die Therapie ist schmerzlos und dauert 1 Minute, die Vorbereitung 15 Minuten. Am Loma Linda University Medical Center (LLUMC) wurden 70 Patienten mit altersbedingten makularen Degenerationen mit Protonen bestrahlt und Langzeitergebnisse berichtet. Bei 90% der Patienten konnte eine Verschlechterung des Visus aufgehalten werden. Hervorzuheben ist, da es bei 65% aller Patienten zu einer verbesserten Sehleistung kam (Yonemoto 1997; Krengli et al. 1998; LLUMC im Internet 1998; Flaxel et al. 2000; Moyers et al. 2000). Auch am Massachusetts General Hospital wird die Makuladegeneration mit Protonen behandelt (Adams et al. 1999). Die Langzeitergebnisse liegen allerdings noch nicht vor, und auch ein prospektiver Vergleich steht noch aus. 2.2 Scha¨delbasistumoren 2.2.1 Meningeome
Miralbell et al. (1992) berichten nach Protonen-Boost-Bestrahlung (54,0 bis 64,48 Gy) von Patienten mit subtotal resezierten Meningeomen von besseren Ergebnissen als nach alleiniger Photonenbestrahlung. Nach 57 Monaten war es in der konkurrierenden Kontrollgruppe, die mit Photonen bestrahlt worden war (25 Patienten), zu 6 Rezidiven gekommen (24%), 3 Patienten (12%) zeigten Komplikationen (Einschrnkung des Gehrsinns, Gedchtnisstrungen, Hypergonadismus). In der Protonengruppe (11 Patienten) war nach 53 Monaten noch kein Rezidiv aufgetreten. Am Massachussetts General Hospital/Harvard Cyclotron Laboratory (MGH/HCL) zeichnen sich bei Patienten mit berwiegend teilresezierten Meningeomen nach kombinierter Photonen-/Protonenbestrahlung (46 Patienten) sehr gute lokale Kontrollraten ab (Wenkel et al. 2000). DeVries et al. (1999) berichten bei 16 Patienten von signifikant verbesserten Langzeitraten von lokaler Kontrolle und berleben im Vergleich zur konventionellen Bestrahlung.
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Stellenwert der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen
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Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 59 Monaten lag die lokale Kontrollrate nach 5 bzw. 8 Jahren bei 52 bzw. 17%. Die berlebenszeit nach 5 Jahren lag bei Dosen 60 Gy/CGE mit 87% signifikant hher als bei Dosen < 60 Gy/CGE, wo sie nur 17% betrug. Gudjonssen et al. (1999) berichten von der stereotaktischen Protonenbestrahlung (24 Gy) von 19 Patienten mit Meningeomen der Schdelbasis. 36 Monate nach Therapie war es bei keinem Patienten zu einer Tumorprogression gekommen; zum gleichen Ergebnis kommt eine sdafrikanische Gruppe (Vernimmen et al. 2001). Neuere Verfahren der Photonentherapie konnten ber hnliche Tumorkontrollraten berichten (Debus et al. 2001). Hierbei wird allerdings die konformierende Dosisverteilung durch mehrere Felder erzeugt, so da sich daraus eine hhere Dosisbelastung von Normalgewebestrukturen ergibt. Insgesamt findet sich somit durch die Protonenbehandlung von Patienten eine hohe Tumorkontrollrate mit minimaler behandlungsassoziierter Morbiditt. 2.2.2 Chordome und Chondrosarkome
Die Resultate nach einer Mixed-Beam-Bestrahlung (Protonen und Photonen) oder einer alleinigen Protonenbestrahlung von Patienten mit Chordomen oder Chondrosarkomen sind deutlich besser als nach einer Photonenbestrahlung (Abb. 1). Fat man die publizierten Resultate zusammen, findet man, da die berlebensraten von Patienten mit Chordomen und Chondrosarkomen nach einer Photonentherapie bei 30% und nach einer Protonentherapie bei 75% liegen. Munzenrider und Liebsch (1999) vom MGH fassen zusammen: Fr Tumoren der Schdelbasis knnen mit der Proton-Photon-Therapie nach 10 Jahren lokale Kontrollraten von 94% fr
Abb. 1. Gegenu¨berstellung von mittlerer Dosis im Zielvolumen und 5-Jahres-Tumorkontrollraten bei Patienten mit Chordomen. Man erkennt deutlich die steile Dosis-Wirkungs-Beziehung, die zu einer deutlichen Verbesserung der Heilungsraten durch die Protonentherapie beitra¨gt.
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Chondrosarkome, von 65% fr Chordome mnnlicher Patienten und von 42% fr Chordome weiblicher Patienten erzielt werden. Fr Tumoren der Halswirbelsule ergeben sich entsprechend 54% fr Chordome und 48% fr Chondrosarkome. Die Nebenwirkungsrate wurde mit 8% als akzeptabel eingestuft. Bei dieser Gruppe von Patienten mit Chordomen und Chondrosarkomen fand sich bei nur 17 von 367 Patienten Komplikationen (Hirnstamm), die auf die Behandlung zurckzufhren waren (Debus et al. 1997). Hug et al. (1999) fassen die Ergebnisse fr das Loma Linda University Medical Center zusammen: Bei 58 Patienten (33 Chordome, 25 Chondrosarkome) lag die lokale Kontrolle nach einem mittleren Follow-up von 33 Monaten bei 92% fr Chondrosarkome und 76% fr Chordome. Die berlebenszeit nach 5 Jahren lag bei 79 bzw. 100%. 7% der Patienten zeigten Komplikationen der Grade 3 und 4. Damit bietet die hochdosierte Strahlentherapie mit Protonen exzellente Chancen fr lange lokale Kontrollraten und berlebenszeiten. In einer jngeren Studie zum Einsatz von Kohlenstoffionenstrahlen fr die Therapie von Chordomen und Chondrosarkomen konnten exzellente Tumorkontrollraten nachgewiesen werden (Schulz-Ertner et al. 2003). 2.3 Prostatakarzinome Ob durch eine Strahlentherapie ein Prostatakarzinom lokal kontrolliert werden kann, hngt von der verabreichten totalen Dosis ab. Neuere Analysen konnten eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehungen fr die Tumorkontrolle nachweisen. Dies gilt im besonderen fr die Strahlenbehandlung lokal fortgeschrittener Prostatakarzinome, die nach hohen Dosen wesentlich zuverlssiger kontrolliert werden knnen. Da eine Radiotherapie mit einer Strahlenbelastung empfindlicher Nachbarorgane wie Darm und Blase vergesellschaftet ist, muten in der Vergangenheit mit Photonenstrahlung hufig therapeutisch suboptimale Dosen verabreicht werden. Shipley et al. (1995) bestrahlten in einer randomisierten Studie 103 Patienten nach einer konventionellen Photonenbestrahlung mit einem zustzlichen Photonen-Boost, 99 Patienten mit einem zustzlichen ProtonenBoost. Nach der Protonen-Boost-Bestrahlung zeigte sich eine erhhte lokale Kontrollrate bei Karzinomen mit niedrigem Differenzierungsgrad. Es fand sich allerdings eine hhere Rate an Komplikationen der Grade 1 und 2. Yonemoto et al. (1997) bestrahlten 104 Patienten (Stadien T2 und T3) mit Photonen und anschlieendem Protonen-Boost. Die krankheitsfreie berlebensrate nach 30 Monaten lag bei 90%. Das prostataspezifische Antigen (PSA) normalisierte sich in bis zu 97% der Patienten. Am Loma Linda University Medical Center wurden mittlerweile ber 2000 Patienten mit Prostatakarzinom bestrahlt. In einer retrospektiven
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Stellenwert der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen
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Analyse erhielten zwischen 1991 und 1995 645 Patienten mit Prostatakarzinomen (T1…T4, N0, M0 PSA 50 ng/ml) eine definitive Protonenbestrahlung, davon 319 kombiniert mit Photonen. Die Dosis lag bei 74…75 CGE. Das krankheitsfreie berleben nach einer mittleren Beobachtungszeit von 31 Monaten war 90%. Die biochemische Kontrolle lag fr Patienten mit T1- und T2-Tumoren in Abhngigkeit von der PSA-Konzentration vor Therapie bei: 100% (PSA 4 ng/ml), 83% (4,1…10 ng/ml), 67% (10,1…20 ng/ml) bzw. 65% (> 20 ng/ml). Es gab keine ernsten Komplikationen. Fr Patienten mit Tumoren der Stadien T1 und T2 ist die Tumorkontrolle mit Studien vergleichbar, bei denen eine radikale Prostatektomie erfolgte (Partin et al. 1993). Im retrospektiven Vergleich sind diese Daten allen bislang verffentlichten Photonendaten berlegen, wenn man entsprechend den Stadien und den Tumorprognosefaktoren stratifiziert und gleichzeitig die geringe Toxizitt vergleicht. Eine Phase-III-Studie wird derzeit durchgefhrt, in der die kombinierte Bestrahlung mit Protonen und Photonen bei Dosen von 79,2 und 70,2 Gy vergleichend untersucht wird (Rossi et al. 1998).
2.4 Nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome Nach einer Photonenbestrahlung kommt es stadienabhngig bei 35…58% der Patienten zum lokalen Therapieversagen (Perez et al. 1987). Die berlebensrate nach 5 Jahren liegt bei alleinig bestrahlten Patienten in den Stadien I und II bei 12…32%. Die Rate der Langzeitberlebenden im inoperablen Stadium III liegt mit alleiniger Strahlentherapie zwischen 3 und 9%. Die schlechten Ergebnisse der Photonenbestrahlung resultieren aus der hohen Strahlenempfindlichkeit der Lunge, die es allgemein nicht ermglicht, die fr eine sichere Tumorkontrolle bentigten Strahlendosen zu verabreichen. Aufgrund dieser Problematik sucht man nach neuen strahlentherapeutischen Konzepten in Form von genderter Fraktionierung, Konformationstechniken und der Kombinationsbehandlung mit Chemotherapie. Gerade Protonenstrahlen sind besonders vielversprechend, weil sie idealerweise eine effiziente Lungenschonung erreichen knnen. Die klinische Erfahrung ist allerdings bislang limitiert. 18 Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom der Stadien I (10 Patienten), II (4 Patienten) und III (4 Patienten) wurden in den Jahren 1983 bis 1993 am Proton Medical Research Center der Universitt von Tsukuba, Japan, mit Protonen (mittlere Dosis: 83,5 Gy) oder Protonen/Photonen-Mixed-Beam bestrahlt (mittlere Dosis: 39 Gy). Lokale Kontrollrate und berlebensrate nach 5 Jahren lagen fr die 10 Patienten im Stadium I bei 37,5% bzw. 56%. Yonemoto et al. (1998) berichten bei Patienten mit Lungenkarzinom im Stadium I von deutlich besseren Ergebnissen nach Mixed-Beam-Bestrahlung (Photonen und Protonen, 74 Gy). Die
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berlebensrate lag nach 2 Jahren bei 79%, die Komplikationsrate bei 14% und damit deutlich besser als nach Photonenbestrahlung. Aufgrund der sehr positiven Ergebnisse werden die Untersuchungen zur Protonenstrahlentherapie in Loma Linda fortgefhrt. Dort wird zur Zeit untersucht, inwieweit durch eine Hypofraktionierung eine weitere Verbesserung der Ergebnisse erreicht werden kann. Bush et al. (1999) berichten von 37 Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (27mal Stadium I, 2mal Stadium 2, 8mal Stadium IIIa), die entweder eine kombinierte Protonen-/Photonen-Bestrahlung (18 Pt.) oder aber eine alleinige Protonenbestrahlung (19 Pt.) erhalten haben. Das krankheitsfreie berleben nach 2 Jahren war 86% und ist damit mit den Ergebnissen nach operativer Therapie vergleichbar. Zu einem hnlichen Ergebnis kommen Tsujii et al. bei der Behandlung von Patienten im Stadium I des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms mit Kohlenstoffionen. Interessant ist dabei, da die Behandlungszeit kurz ist und nur mit 1…3 Fraktionen behandelt wurde. Es wurden damit eine lokale Kontrollrate von 83% nach 5 Jahren und ein krankheitsspezifisches berleben von 63% bzw. ein Gesamtberleben von 45% nach 5 Jahren erreicht. Auch diese Daten sind durchaus mit chirurgischen Serien vergleichbar. 2.5 Pa¨diatrische Malignome Nach Gademann und Wannenmacher (1991) kommen die folgenden pdiatrischen Tumoren fr eine Protonenbestrahlung in Frage: F F F F F F
Tumoren des Gehirns und Nervensystems, Maligne Neubildungen des Bauchfells und des Retroperitonealraums, Nephroblastom (Wilms-Tumor), Neuroblastom, Weichteilsarkome (insbesondere Rhabdomyosarkom), Hodgkin-Lymphome, Non-Hodgkin-Lymphome.
Belastbare klinische Daten wurden hierzu allerdings nicht publiziert. Auch bei diesen Indikationen liegt der Vorteil bezglich der Strahlenbelastung der Normalgewebe auf der Hand. Am Centre de ProtonthØrapie d’Orsay wurden 9 Kinder mit intrakranialen Tumoren behandelt, und es wurden hervorragende Ergebnisse berichtet. In Loma Linda wurden 28 Kinder mit Hirntumoren (davon 12 bsartige) mit Protonen behandelt. 20 davon sind 7…49 Monate nach der Behandlung in guter Verfassung (Hug et al. 1999). Am MGH wurden 18 Kinder mit Chordomen der Schdelbasis bestrahlt. Nach 5 Jahren liegt die gesamte bzw. krankheitsfreie berlebensrate bei 68 bzw. 63% (Habrand et al. 1999).
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Ein Vergleich der Bestrahlungsplne fr Protonen, dreidimensional geplante Photonen und des Standard-Photonenplans bei 7 Kindern mit Gliomen der Sehnerven zeigte die berlegenheit der Protonentechnik, die hervorragende Langzeitergebnisse mit sich bringt (Fuss et al. 1999). Auch Hug und Slater (1999) berichten in ihrem zusammenfassenden Statusreport von sehr guten Ergebnissen bei pdiatrischen Malignomen. In zahlreichen Planvergleichsstudien konnte gezeigt werden, da mit der Protonenbestrahlung im Normalgewebe grundstzlich eine geringere Dosis als bei der Photonenbestrahlung appliziert wird. Aufgrund der damit verbundenen niedrigeren Integraldosis ergibt sich somit ein geringeres Risiko fr strahleninduzierte Sptmalignome.
3 Bewertung und Diskussion 3.1 Technische Gesichtspunkte 3.1.1 Physikalische Vorteile
Die biologische Wirkung von Protonen ist bis auf einen Bewertungsfaktor (RBE) von 1,1 im wesentlichen dieselbe wie die der Photonen oder Gammastrahlung. Das heit, da die Erfahrung der Photonenstrahlung voll auf die Protonenstrahlung bezglich Toleranzdosen und notwendiger Tumorkontrolldosen bertragen werden kann. Demgegenber haben Protonenstrahlen im Gegensatz zu Photonenstrahlen eine wohldefinierte endliche Reichweite im Gewebe. Der daraus resultierende Vorteil der Protonenstrahlung liegt darin, da fr eine bestimmte Dosis in der Tiefe eine deutlich geringere Dosis im Normalgewebe verabreicht werden mu. Das Volumen des Normalgewebes, das auerhalb des eigentlichen Zielvolumens akzidentell bestrahlt werden mu, ist somit in jeder Behandlungssituation hochsignifikant geringer. Vergleichende Dosisberechnungen zeigen, da aufgrund dieser geringeren Dosisbelastung eine wesentlich geringere Inzidenz von Nebenwirkungen erwartet werden kann. Darber hinaus kann dadurch das Risiko von Sptmalignomen deutlich (etwa um den Faktor 2) reduziert werden. Daher wird mittlerweile die Protonenstrahlentherapie als ideal fr die Radiotherapie bei Kindern und jungen Erwachsenen angesehen. Zusammenfassend erscheinen aufgrund der physikalischen Charakteristika Protonen als die ideale Strahlenart fr die Radiotherapie. Dem steht ein deutlich hherer technischer und investiver Aufwand gegenber. Schwerionen bieten darber hinaus neben physikalischen Vorteilen die besondere Eigenschaft, da dieselbe physikalische Dosis eine deutlich erhhte biologische Wirksamkeit aufweist. Diesen Effekt nutzt man bei der Behandlung sehr strahlenunempfindlicher Tumorarten aus.
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3.1.2 Weitere medizintechnische Entwicklungen
Im Laufe der letzten Jahrzehnte konnten in der Strahlentherapie deutliche Fortschritte bezglich der Dosisanpassung an den Tumor bzw. das Zielvolumen erreicht werden. Dies gelang durch die Integration von Methoden zur besseren Visualisierung des Zielgebiets mit modernen Schnittbildverfahren wie zum Beispiel der Kernspintomographie. Alle diese Entwicklungen, die in den 90er Jahren in die klinische Anwendung der Strahlentherapie gebracht wurden, haben auch das Potential der Strahlentherapie mit Protonen und Schwerionen wesentlich erweitert. Erst mit den Methoden der dreidimensionalen Bestrahlungsplanung konnte die Dosierung der Protonenstrahlung przise berechnet werden. Fr die klinische Anwendung wurden lange Zeit die Protonenstrahlen nur seitlich durch Blenden und in der Tiefe durch Kompensatoren angepat. Eine echte Dosiskonformierung mit einem Bestrahlungsfeld gelang damit noch nicht. Einen wesentlichen Fortschritt erreichte die dreidimensionale Anpassung der Protonenstrahlfelder an die Geometrie des Zielvolumens durch das sog. Scanning-Verfahren in der Mitte der 90er Jahre. Erst durch diese Manahme gelangen eine echte dreidimensionale Dosisanpassung und eine optimale Ausnutzung der einzigartigen Eigenschaften der Protonen. 3.2 Okula¨re La¨sionen Fr die Behandlung des groen Aderhautmelanoms ergibt sich aufgrund der groen Zahl von Patienten in kontrollierten prospektiven Studien nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin ein Evidenzlevel Ia. Die konventionelle Strahlenbehandlung mit Rntgenstrahlung stellt keine erwiesene Alternative dar. Aderhautmelanome mit einer Dicke > 3 mm sind daher eine klare Indikation fr die Protonentherapie. Untersuchungen bei Patienten mit Tumoren < 3 mm Dicke zeigen, da die Ergebnisse aber auch bezglich Tumorkontrolle und berlebenszeit quivalent zur Brachytherapie mit radioaktiven Plaques sind. Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung ist, ob eine Subgruppe von Patienten mit kleinen Tumoren in kritischer Lokalisation an der Papille oder der Makula hinsichtlich des Erhalts der Sehleistung von der zustzlichen Przision der Protonenstrahlung profitiert. Sollten sich die Ergebnisse der Protonenbestrahlung bei altersbedingter Makuladegeneration weiter konsolidieren, ergbe sich daraus eine besonders groe Gruppe von Patienten, bei der die Protonentherapie das Standardbehandlungsverfahren wre.
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3.3 Scha¨delbasistumoren 3.3.1 Meningeome
Die Protonentherapie ist ein effektives und schonendes Verfahren zur Behandlung von Meningeomen der Schdelbasis. Durch moderne Verfahren der Photonenbehandlung knnen zumindest bei den differenzierten Meningeomen hnliche Tumorkontrolldaten erreicht werden. Da hier die Langzeitprognose sehr gut ist, ist es wichtig, langfristig das Risiko von Sekundrmalignomen und die akzidentelle Bestrahlung von Hirnabschnitten mglichst gering zu halten. Prospektive Daten werden allerdings auch in Zukunft nicht erwartet, da ein randomisierter Vergleich wegen des Vorteils der Protonen bezglich der niedrigen Integraldosis ethisch schwierig vertretbar ist. 3.3.2 Chordome und Chondrosarkome
Entsprechend den oben zitierten Daten ist der Grad der Evidenz fr die Chordome sehr hoch, da in der Literatur wesentlich mehr Patienten mit Chordomen bestrahlt wurden und die Ergebnisse wesentlich besser sind als fr die Photonen. Aus dieser Sicht mu die Photonentherapie als experimentell erachtet werden. Die maximale Dosis, die bei Chordomen mit der konventionellen Photonentherapie verabreicht werden konnte, lag bei etwa 55 Gy. Abbildung 1 macht deutlich, da die Verbesserung mit der Protonentherapie darauf zurckzufhren ist, da mit Protonen eine hhere Dosis im Zielvolumen erreicht werden kann. Die guten Daten der Protonentherapie werden auch nicht durch die Ergebnisse der fraktionierten stereotaktischen Radiotherapie erreicht (Debus et al. 2000). Die klinischen Ergebnisse der Kohlenstoffionentherapie sind bislang sehr vielversprechend und scheinen denen der Protonentherapie mindestens ebenbrtig zu sein. Chordome und Chondrosarkome der Schdelbasis knnen als Modell fr viele andere sog. strahlenresistente Tumorarten fr die Anwendung der Protonen- und Schwerionentherapie dienen. Die mit Protonen und Schwerionen erzielten hohen Tumordosen und die gleichzeitig geringe Belastung des umgebenden Normalgewebes sind mit Photonen nicht erreichbar, so da der Einsatz von Photonen nicht in Frage kommt, wenn eine Protonentherapie-Anlage verfgbar ist. Eine Randomisation gegen Photonen mu somit von vornherein aus ethischen Grnden ausgeschlossen werden. Wenn man bercksichtigt, da aus logistischen Grnden zwischen 30 und 50% der Dosis in den unterschiedlichen Studien mit Photonen appliziert wurden, kann man davon ausgeben, da an einer dedizierten Anlage mit ausreichender Protonenstrahlverfgbarkeit eine weitere Verbesserung zu erwarten ist. Im Analogieschlu gelten diese Aussagen
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ebenfalls fr Chordome und Chondrosarkome der Wirbelsule und des Beckenbereichs. Randomisierte Phase-III-Studien, die eine reine Photonentherapie mit einer Protonentherapie vergleichen, liegen nicht vor, da die Vorteile der Dosisverteilung der Protonen so evident sind, da eine zufallsmige Einteilung in den konventionellen Therapiearm nicht mit den ethischen Prinzipien vereinbar wre. 3.4 Prostatakarzinome Entsprechend den Kriterien der evidenzbasierten Medizin gibt es eine prospektiv randomisierte Studie, die den Vorteil einer Protonenbestrahlung gegenber einer Photonenbestrahlung bei lokal fortgeschrittenen und undifferenzierten Karzinomen belegt (Shipley et al. 1995). Diese Studie konnte schon zu einem sehr frhen Zeitpunkt den Stellenwert der Dosiseskalation aufzeigen. Damit hat sich ein Standard etabliert. Verschiedene wissenschaftliche Projekte beschftigen sich mit der Frage, ob durch moderne Techniken wie inverse Planung und intensittsmodulierte Bestrahlung eine weitere Verbesserung der Ergebnisse erreicht werden kann. Der Stellenwert der Strahlentherapie zu den operativen oder auch brachytherapeutischen Verfahren in den Frhstadien wurde bislang noch nicht nach den Regeln der Kunst prospektiv verglichen. Retrospektive Vergleiche leiden unter dem Nachteil einer erheblichen Patientenselektion, da typischerweise die Gruppe der strahlentherapierten Patienten primr eine hhere Komorbiditt aufweist. Ein Vergleich der bislang publizierten Daten legt den Schlu nahe, da die Radiotherapie in den Frhstadien des Prostatakarzinoms bezglich der Tumorkontrolle mindestens gleichwertig ist, wobei allerdings die behandlungsbedingte Morbiditt durch die Operation hher erscheint. In den lokal fortgeschrittenen Stadien ist durch Studien belegt, da die Protonentherapie als ein Standardverfahren angesehen werden kann (Rossi et al. 1998). 3.5 Nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome Es liegen zwar noch sehr wenige Daten vor, allerdings mu man bercksichtigen, da im Vergleich der Dosisverteilungen die Vorteile der Protonentherapie gegenber der Photonentherapie substantiell sind. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung sowohl fr die Tumorkontrolle als auch fr die Nebenwirkungswahrscheinlichkeiten ist sehr gut bekannt. Man darf daher folgern, da auch fr die klinische Anwendung die Vorteile der Protonentherapie entsprechend erwartet werden knnen.
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3.6 Pa¨diatrische Malignome Die Protonentherapie wurde bislang bei seltenen Indikationen kindlicher Tumoren eingesetzt, bei denen mit konventionellen Therapieanstzen sehr schlechte Aussichten bestehen. Es liegen einige positive Fallberichte vor, die allerdings aufgrund der naturgem geringen Patientenzahlen keine statistische Signifikanz erlangen knnen. Im Falle pdiatrischer Malignome wird nur bei strenger Indikationsstellung bestrahlt. Der Vorteil der Protonentherapie gegenber Photonentherapie ist insbesondere bei Kindern die geringere Wahrscheinlichkeit von strahleninduzierten Nebenwirkungen und von Sekundrmalignomen. Aufgrund der besonderen Relevanz von Sekundrmalignomen im Kindesalter wird in der internationalen Literatur eine deutliche Empfehlung fr die Protonenstrahlentherapie ausgesprochen.
4 Zusammenfassung Der Vorteil von Protonenbestrahlung gegenber Photonenbestrahlung resultiert aus der berlegenen physikalischen Dosisverteilung von Protonen, wobei die biologische Wirksamkeit beider Strahlungsarten nahezu identisch ist. Schwerionen besitzen darber hinaus eine erhhte biologische Wirkung und sind daher fr „strahlenunempfindliche“ Tumorarten in klinischen Studien zu bevorzugen. Der fr zahlreiche Tumorarten bereits klinisch nachgewiesene und fr viele Tumorarten erwartete Vorteil in den Heilungsraten erklrt sich aus der berlegenen Dosisverteilung. Mit Protonen und Schwerionen ergibt sich die Mglichkeit, eine hhere Dosis im Zielvolumen zu applizieren und gleichzeitig strahlenempfindliche Normalgewebestrukturen zu schonen. Je bessere Heilungsraten erzielt werden, desto wichtiger wird die Vermeidung von strahlenbedingten Sptfolgen. Dies ist durch klinische Ergebnisse belegt. Bei der Interpretation der klinischen Daten der Protonen- und Schwerionenbestrahlung ist zu bercksichtigen, da viele Behandlungen in der Vergangenheit noch unter suboptimalen Bedingungen durchgefhrt worden waren. In der Vergangenheit wurde die Protonentherapie hauptschlich fr die Bestrahlung kleiner Zielvolumina eingesetzt, die in der Nhe kritischer Strukturen liegen, um die Przision der Protonen auszunutzen. Aber nicht nur kleine Volumina bentigen eine przise Therapie, sondern auch und gerade groe Zielvolumina. Im allgemeinen nimmt die sog. Integraldosis, also die Energie, die dem Patienten zugefhrt wird, proportional mit der Gre des Zielvolumens zu. Die deutliche Reduktion der Integraldosis auerhalb des Zielvolumens ist der wesentliche Vorteil von Protonen-
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gegenber Photonenstrahlung. Diese Reduktion der Dosis im Normalgewebe fhrt nicht nur zu weniger Nebenwirkung, sondern vermindert deutlich das Risiko von strahleninduzierten Zweitmalignomen. Die Verminderung der Inzidenz von Zweitmalignomen ist um so relevanter, je besser die Prognose einer Patientenpopulation ist. Dies ist natrlich bei der Radiotherapie von Kindern evident, allerdings kann man bei der entsprechenden Verfgbarkeit der Protonenstrahlung aus ethischen Grnden auch Erwachsenen nicht einem erhhten Malignomrisiko aussetzen. Zusammenfassend konnte also auf der Basis der bisherigen klinischen Erfahrungen das „proof of principle“ anhand zahlreicher Indikationen klar aufgezeigt werden.
13.7 Neue Strahlenarten – Strahlentherapie mit schweren Teilchen M. Stuschke In der konventionellen Strahlentherapie werden harte Rntgenstrahlen oder Elektronen aus einem Linearbeschleuniger eingesetzt. Diese locker ionisierenden Strahlungsarten erzeugen pro Dosiseinheit (1 Gy) etwa 30…40 Doppelstrangbrche statistisch ber einen Zellkern verteilt (Nikjoo et al. 1999). Diese kritischen Primrereignisse fhren dann eventuell zum Zelltod. In diesem Kapitel wird die Strahlentherapie mit schweren Teilchen, den Hadronen (Protonen oder Neutronen) und einigen daraus zusammengesetzten Atomkernen, vorgestellt. Diese Teilchen haben grere Massen als die Elektronen und sind dadurch charakterisiert, da sie von der starken Kernkraft beeinflut werden. Zu den ungeladenen Hadronen gehren die Neutronen, zu den geladenen schweren Teilchen die Protonen, a-Teilchen und schwerere Ionen, wie Kohlenstoffionen.
1 Physikalische und strahlenbiologische Eigenschaften der schweren Teilchen Geladene schwere Teilchen zeichnen sich durch eine fr die Strahlentherapie besonders gnstige Tiefendosisverteilung im Gewebe aus. Bestimmt durch ihre Primrenergie aus dem Kreisbeschleuniger, haben sie eine definierte maximale Reichweite im Gewebe. So haben Protonen mit einer Primrenergie von 170 MeV eine Reichweite von etwa 20 cm im Krper. Mit zunehmender Eindringtiefe nimmt einerseits die Geschwindigkeit der geladenen Teilchen ab, andererseits die Zeit fr Wechselwirkungen und damit die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit mit Elektronen des Gewebes zu. Am Ende der Reichweite findet die maximale Energiebertragung auf das Gewebe im sog. „bragg peak“ statt (invertierte Tiefendosiskurve). Durch Variation der Anfangsenergie der geladenen Teilchen und magnetische Lateralablenkung des Protonenstrahls kann der Bragg Peak an jede Stelle des Zielvolumens gebracht werden. Dies gilt fr verschiedene mgliche Einstrahlrichtungen. Insgesamt werden sehr konformale Dosisverteilungen mit einem steilen Dosisabfall auerhalb des Zielvolumens erreicht. Abbildung 1 zeigt den Vergleich der Energiedeposition von Photonenund Protonenfeldern in einem Zielvolumen, das in 10…15 cm Gewebetiefe gelegen ist. Bestrahlt wird von links. Aus der Tiefendosiskurve der 15-MeVPhotonen des Rntgenstrahlenfeldes mit quasi exponentiellem Dosisabfall
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Abb. 1. Tiefendosiskurven (1) eines Strahlenfeldes mit 15-MeV-Photonen, (3) eines Protonenfeldes mit 170-MeV-Protonen und einer Reichweite von 15 cm im Gewebe, (4) eines 155-MeV-Protonenfeldes mit einer Reichweite von 12,5 cm und (2) und eines energiemodulierten Protonenfeldes. Das letztere besteht aus einer gewichteten U¨berlagerung von Protonenfeldern variabler Energien von 147–170 MeV zur homogenen Bestrahlung des Zielvolumens in 10–15 cm Gewebetiefe mit einer Dosis von 1 Gy. Die Protonen u¨bertragen ihre Energie bevorzugt am Ende ihrer Reichweite im Gewebe. Bei den Photonen wird eine Dosisu¨berho¨hung vor und eine betra¨chtliche Dosis hinter dem Zielvolumen im Gewebe deponiert, bestrahlt man u¨ber ein Feld von links kommend
jenseits eines Maximums in 2,4 cm Gewebetiefe folgt, da eine betrchtliche Dosisberhhung vor dem Zielvolumen und eine deutliche Dosis im gesamten durchstrahlten Krper hinter dem Zielvolumen appliziert werden. Auerdem ist die Tiefendosiskurve eines monoenergetischen Protonenstrahls dargestellt, dessen maximale Reichweite der Lage des hinteren Zielvolumenrandes entspricht. Die maximale Dosis wird am Ende der Reichweite der Protonen im Bragg Peak bertragen. Durch eine Energiemodulation des Protonenstrahls kann man eine homogene Dosisverteilung im Zielvolumen erreichen. Die so erzielte Dosisverteilung mit Protonen zeigt deutliche Vorteile gegenber der mit Photonen: deutlich niedrigere Dosis im Normalgewebe in Einstrahlrichtung vor dem Tumor und praktisch keine Dosis hinter dem Zielvolumen. Die Tiefendosisverteilungen von geladenen Teilchen mit grerer Masse als die der Protonen haben einen qualitativ hnlichen Verlauf. Unterschiede bestehen in der Lateralaufstreuung, die bei den schwereren Teilchen geringer ist und somit zu schrfer begrenzten Dosisverteilungen in grerer Tiefe fhrt, was ein Vorteil ist. Bei der Strahlentherapie mit schwereren geladenen Teilchen kann man hinter dem Bragg Peak kleinere Dosisbeitrge durch Kernfragmente finden, die beim Durchlauf der Teilchen durch den
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Krper entstehen, was einen Nachteil darstellen kann. Der Hauptunterschied von Protonen und schwereren Ionen liegt in der unterschiedlichen relativen biologischen Wirksamkeit (RBW). Diese ist als das Verhltnis der Rntgenstrahlen- und Teilchendosis definiert, die fr einen bestimmten biologischen Effekt bentigt wird. Unterschiede in der RBW beruhen auf einer unterschiedlichen Mikrostruktur der Dosisdeposition entlang der Teilchenspur im Gewebe. Die meiste Energie der geladenen Teilchen wird auf Elektronen des getroffenen Gewebes bertragen. Diese Delta-Elektronen sind fr den Groteil der biologischen Effekte verantwortlich. Schwerere Ionen einer bestimmten Energie bertragen mehr Energie pro lm Weglnge auf DeltaElektronen als entsprechende Protonen. Dieser hhere lineare Energietransfer (LET) der schwereren geladenen Teilchen fhrt zu einer hheren RBW. Dies gilt bis zu einem Maximalwert der RBW. Hier ist die Wahrscheinlichkeit eines letalen Treffers bei nur einem Teilchendurchgang pro Zellkern nahe bei 1. Bei einer weiteren Erhhung der LET entsteht eine berproduktion von Schden entlang der Teilchenspur, ohne da die Zellabttung deutlich weiter erhht werden kann. Bei Kohlenstoffionen variiert die RBW vom Eintritt ins Gewebe bis zur maximalen Reichweite mit abnehmender kinetischer Energie von etwa 1 bis 4 (Kraft 2002, Suzuki et al. 2000), bei Protonen von etwa 0,9 bis 1,4 (Gerweck u. Kozin 1999; Paganetti et al. 1997). Hierbei wurden klinisch relevante modulierte Strahlenfelder betrachtet. Protonen haben somit eine niedrige RBW, Kohlenstoffionen mit geringer kinetischer Energie eine hohe RBW. Die jeweils hchsten RBW-Werte finden sich am Ende des Bragg Peak. Die RBW hngt neben der Energie der geladenen Teilchen jedoch auch von dem jeweiligen Gewebe, dem gewhlten Schadensniveau und der gewhlten Dosis pro Fraktion ab. Unsicherheiten in der RBW knnen bei der Strahlentherapie mit geladenen Teilchen mit hoher RBW zu Unsicherheiten in der Vorhersage von biologischen Effekten fhren. Resistenzfaktoren wie eine Hypoxie haben bei der Therapie mit geladenen Teilchen mit hoher RBW nur noch einen geringen Einflu. Dies ist ein potentieller klinischer Vorteil bei der Therapie von hypoxischen Tumoren. Bei der Therapie mit geladenen Teilchen mit hoher RBW spielen auerdem Reparaturwege von DNS-Doppelstrangbrchen nur eine geringere Rolle, da die induzierten DNS-Schden komplex sind und kaum repariert werden knnen. Dies fhrt bei der Therapie mit geladenen Teilchen mit hoher RBW zu einer anderen Abhngigkeit der Strahlenempfindlichkeit von der Zellzyklusphase als bei Strahlung mit niedriger RBW, bei der Reparaturwege von DNS-Doppelstrangbrchen einen groen Einflu auf das Therapieergebnis haben. Die Abhngigkeit des biologischen Effekts einer Gesamtdosis von der gewhlten Fraktionierung ist bei Strahlung mit hoher RBW geringer als
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bei Strahlung mit niedriger RBW. Bei Strahlung mit niedriger RBW fhrt ein Anstieg der Einzeldosis zu einem berproportionalen Effekt, da zunehmend DNS-Lsionen nicht mehr sinnvoll repariert werden knnen. Aus dieser nichtlinearen Charakteristik kann man Vorteile der NiedrigRBW-Strahlung konstruieren. Die Strahlentherapie ber mehrere Felder fhrt zu einem steilen Dosisabfall auerhalb des Zielvolumens. Im Zielvolumen wird mit hohen Einzeldosen bestrahlt, auerhalb des Zielvolumens fhren die kleinen Einzeldosen zu einer berproportionalen Schonung des umgebenden Normalgewebes. Ein aussagekrftiger klinischer Vergleich von Protonen und schwereren geladenen Ionen mit hoher RBW steht noch aus. Der Unterschied der mit Protonen und Photonen erzielbaren Dosisverteilungen ist bereits sehr gro. Inwieweit mit schwereren Ionen andere Ergebnisse als mit Protonen erzielt werden knnen, sollte in der Zukunft indikationsabhngig berprft werden. Neutronen sind ungeladene Hadronen. Sie weisen nicht die gnstige invertierte Tiefendosiskurve wie geladene Teilchen auf, sondern zeigen einen nahezu exponentiellen Dosisabfall mit zunehmender Gewebetiefe, wie auch die Photonenstrahlung. Die Neutronen entfalten ihre Wirkung durch Interaktion mit Atomkernen im bestrahlten Gewebe. Sie bertragen kinetische Energie auf Rckstokerne oder Reaktionskerne, die in weiteren Schritten zu Ionisationen fhren. Die Neutronen gehren zu den Strahlungsarten mit einer hohen RBW von etwa 3…8 in Abhngigkeit vom Tumor- oder Normalgewebetyp sowie dem untersuchten Effektniveau und der Fraktionierung (Battermann et al. 1981).
2 Klinische Ergebnisse der Strahlentherapie mit schweren Teilchen 2.1 Strahlentherapie mit Neutronen Von der Strahlentherapie mit Neutronen liegen ausgiebige klinische Erfahrungen vor. Die besten klinischen Ergebnisse wurden bei Speicheldrsenkarzinomen, insbesondere bei adenoidzystischen Karzinomen, erzielt. Diese Tumoren liegen in nicht zu groer Krpertiefe, was eine adquate Dosisverteilung meist mglich macht. Adenoidzystische Karzinome sind langsam wachsende Tumoren, bei denen Neutronen eine besonders hohe RBW erzielen (Battermann et al. 1981). Die nordamerikanische Radiation Therapy Oncology Group und der Medical Research Council aus Grobritannien fhrten eine randomisierte Studie zur Strahlentherapie von nicht resektablen Speicheldrsenkarzinomen durch (Laramore et al. 1993). Diese Studie wurde vorzeitig geschlossen, da sich frh ein Vorteil der Strahlentherapie mit Neutronen zeigte. Die lokale Tumorkontrolle nach 10 Jahren betrug mit Neutronen 56% und mit Photonen 17%, ein signifikanter Unterschied. Wegen des konkurrierenden Risikos von Fernmetastasen fiel der
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mediane berlebensgewinn kleiner aus und wurde mit 8 Monaten nicht signifikant. Andere monozentrische Daten besttigen die guten Langzeitergebnisse der Neutronentherapie von Speicheldrsentumoren (Douglas et al. 1999). In der bersicht der Therapieoptionen bei Speicheldrsentumoren des National Cancer Institute vom Dezember 2003 (www.nci.nih. gov/cancer_information) wird die Strahlentherapie mit Neutronen bei inoperablen oder rezidivierenden hochmalignen Speicheldrsenkarzinomen empfohlen. Auch bei inoperablen nicht zu tief gelegenen Weichteilsarkomen wurden mit Neutronen gute Kontrollraten beobachtet (bersicht der Therapieoptionen bei Weichteilsarkomen des National Cancer Institute vom April 2004 www.nci.nih.gov/cancer_information). 2.2 Strahlentherapie mit Protonen Aderhautmelanome
Mit der perkutanen Protonentherapie von Aderhautmelanomen (s.a. Kap. 76) werden in den groen Behandlungsserien allseits sehr gute Resultate erzielt. Die Arbeitsgruppe in Boston berichtete ber die Ergebnisse der Protonentherapie bei ber 2000 Patienten mit Aderhautmelanomen, die zwischen 1975 und 1997 behandelt wurden. Die lokale Tumorkontrolle nach 15 Jahren betrug 95% mit der Protonentherapie bis zu einer Gesamtdosis von 50…70 Kobalt-Gy-˜quivalent in 5 Fraktionen (Gragoudas et al. 2002). Ein Befall des Ziliarkrpers und eine zunehmende Tumorgre waren unabhngige Risikofaktoren fr ein gering erhhtes Lokalrezidivrisiko in dieser Serie. Etwa 50% der Patienten behielten einen ntzlichen Visus (> 20/200) nach Strahlentherapie (Gragoudas et al. 2000; Courdi et al. 1999). Risikofaktoren fr einen Abfall des Visus unter 20/200 sind eine Tumorlokalisation nahe an der Makula oder der Papille, die Tumorgre, eingeschrnkter Visus vor der Therapie, Retinaablsungen in mehr als einem Quadranten und Diabetes mellitus (Gragoudas et al. 2002). In der niedrigsten Risikogruppe dieser Serie betrug die Chance des Visuserhalts 80%. Patienten mit Tumoren, die nher als ein 1 Diskusdurchmesser an der Papille lagen, hatten ein hheres Risiko eines Visusverlusts in einer Latenz nach Therapie. ˜hnliche Ergebnisse wurden von der Arbeitsgruppe am Paul-ScherrerInstitut in Villingen erzielt (Egger et al. 2001, 2003). Die Chance des Augenerhalts nach 5 Jahren betrug 100% bei kleineren Tumoren und 89,5% bei groen Tumoren bei optimierter Technik (Egger et al. 2003). Die meisten Augen wurden wegen eines Sekundrglaukoms oder bei Funktionsverlust enukleiert. Ein Tumorrezidiv war als Enukleationsgrund seltener. Insbesondere bei Problemtumoren, die nahe an der Papille gelegen sind oder die eine Hhe > 10 mm haben, hat die Protonentherapie Vorteile gegenber
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einer Brachytherapie, bei der temporr radioaktive Strahler auf die Sklera ber dem Tumor aufgenht werden. Die berlebensraten nach Protonentherapie entsprechen denen nach Enukleation. Die Strahlentherapie von Aderhaut- und Irismelanomen mit Protonen ist ein etabliertes Verfahren. Chordome der Scha¨delbasis
Eine mikroskopisch komplette Tumorresektion von Chordomen der Schdelbasis ist nur selten mglich, und selbst dann bleibt das Risiko von Lokalrezidiven hoch. Eine optimale Tumorchirurgie, gefolgt von einer Strahlentherapie mit Hadronen, ist hier die Therapieoption der Wahl. Bei der Strahlentherapie von Chordomen besteht eine Dosis-Effekt-Beziehung. Danach mssen Gesamtdosen < 60 Gy in konventioneller Fraktionierung als unzureichend angesehen werden. Mit Protonen alleine oder einer ProtonenPhotonen-Kombinationstechnik knnen Gesamtdosen von bis etwa 80 Kobalt-Gy-˜quivalent unter Annahme einer RBW der Protonen von 1,1 sicher appliziert werden (Terahara et al. 1999; Munzenrider u. Liebsch 1999; Hug et al. 1999). Die Langzeittumorkontrollraten nach 10 Jahren betragen nach Dosen von 65…80 Kobalt-Gy-˜quivalent mit Protonen etwa 50%, wobei Frauen mehr Lokalrezidive als Mnner erleiden (Terahara et al. 1999). Ein wichtiger prognostischer Faktor ist die Minimaldosis im Zielvolumen (Terahara et 1999), was die Existenz einer Dosisabhngigkeit der Tumorkontrolle unterstreicht. Die Strahlentherapie mit geladenen Teilchen nimmt aufgrund der Langzeitdaten aus mehreren Zentren den Stellenwert einer Standardstrahlentherapie bei den Chordomen der Schdelbasis ein. Chondrosarkome der Schdelbasis sind strahlenempfindlicher als Chordome. Die lokalen Tumorkontrollwahrscheinlichkeiten nach hochdosierter Strahlentherapie mit Protonen betragen hier 92…94% nach 10 Jahren (Munzenrider u. Liebsch 1999; Hug et al. 1999). Mit diesen sehr guten Daten besitzt die Strahlentherapie mit Protonen einen hohen Stellenwert bei Chondrosarkomen der Schdelbasis. Nebenwirkungen der Strahlentherapie von Chondrosarkomen und Chordomen der Schdelbasis waren in der Behandlungsserie aus Boston bei Mnnern hher als bei Frauen (Santoni et al. 1998). Das Risiko einer Temporallappenschdigung betrug 13% nach 5 Jahren. Bei den Sarkomen der zervikalen Wirbelsule lagen die Kontrollraten nach Protonentherapie bei etwa 50% nach 10 Jahren (Munzenrider u. Liebsch 1999). Auch hier hat die Strahlentherapie mit Protonen einen hohen Stellenwert. Mit Protonen kann die Integraldosis im Krper im Vergleich zur Bestrahlung mit Photonen deutlich reduziert werden. Hier hat die aktive Strahlfhrung ohne Streukrper im Behandlungsraum eindeutige Vorteile zu passiven Aufstreuverfahren (Schneider et al. 2002). Bei der Strahlentherapie von Medulloblastomkindern kann das Risiko der Induktion von
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Zweittumoren durch die Strahlentherapie mit Protonen nach physikalischen Abschtzungen deutlich gesenkt (Mirabell et al. 2002) und knnen Organbelastungen von Herz, Kochlea und anderen Organen deutlich reduziert werden (Clair et al. 2004). Durch den Einsatz von Protonen bei der Strahlentherapie von Suglingen mit Retinoblastomen kann die applizierte Dosis in den empfindlichen umgebenden Normalgeweben im Vergleich zu Photonen weiter deutlich reduziert werden, was bei dieser Erkrankung mit einem hohen Zweittumorrisiko Bedeutung hat (Kirsch u. Tarbell 2004). Bei groen Tumorvolumina innerhalb oder in der Nhe empfindlicher Organe ermglicht die Protonentherapie eine Dosiserhhung am Tumor innerhalb der Toleranz der umgebenden Normalgewebe im Vergleich zur Strahlentherapie mit Photonen. Vergleichsplanungen zeigen exemplarisch die Vorteile der Strahlentherapie mit Protonen im Vergleich zur Strahlentherapie mit Photonen bei Pankreas- und Gallenwegstumoren (Zurlo et al. 2000). Reife klinische Daten fehlen bei diesen Indikationen jedoch bisher. Bei 163 Patienten mit hepatozellulren Karzinomen applizierte die Gruppe in Tsukuba, Japan, eine Gesamtdosis von 72 Gy in 16 Fraktionen mit Protonen auf die Tumoren innerhalb der Toleranzen der meist zirrhotischen Lebern. Die erzielten Tumorkontrollraten nach 5 Jahren sind mit > 60% sehr gut (Tokuuye et al. 2000). Insgesamt wird an dieser Stelle nur ein Teil der Ergebnisse der klinischen Anwendungen der Protonentherapie wiedergegeben. Weltweit steigt die Zahl der geplanten und gebauten klinischen Protonentherapiezentren zur Behandlung oberflchlich und tiefgelegener Tumoren, und die Darlegung klinischer Vorteile dieser Therapie ist in vollem Gange. 2.3 Strahlentherapie mit Kohlenstoffionen Daten zur Strahlentherapie mit Kohlenstoffionen sind aus Chiba in Japan und aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg verfgbar. Die vorhandenen Phase-I/II-Daten zeigen, da die Nebenwirkungen dieser Therapie bei Behandlung von Tumoren unterschiedlicher Regionen moderat sind. Insbesondere die initialen Ergebnissse bei Chordomen der Schdelbasis sind vielversprechend (Schulz-Ertner et al. 2004; Miyamoto et al. 2003). Literatur Battermann JJ, Breur K, Hart GAM et al (1981) Observations on pulmonary metastases on patients after single dose and multiple fractions of fast neutrons and cobalt 60 gamma rays. Eur J Cancer 17:539…548 St. Clair WH, Adams JA, Bues M et al (2004) Advantage of protons compared to conventional X-ray or IMRT in the treatment of a pediatric patient with medulloblastoma. Int J Radiat Oncol Biol Phys 58:727…734
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13.8 Intraoperative Strahlentherapie (IORT) N. Willich
1 Rationale und Methoden Die Methode der intraoperativen Radiotherapie (IORT) ermglicht eine hochdosierte Einzeitbestrahlung eines Tumors oder Tumorbettes dadurch, da umliegende normale Organe durch chirurgische Freilegung mechanisch aus dem Strahlengang herausgehalten werden. Mit Hilfe spezieller Applikatoren unterschiedlicher Form kann das Strahlenbndel seitlich scharf begrenzt werden; fr die Bestrahlung einer unterschiedlich dicken Schicht (Tumor bzw. Tumorbett) ist die Verwendung von Elektronenstrahlen aufgrund deren begrenzter und vorwhlbarer Reichweite vorteilhaft. Da die Elektronenstrahlung aus Elektronenbeschleunigern gewonnen wird, ist der logistische Aufwand des Verfahrens erheblich. Die Applikation der Strahlung kann optimal erfolgen, wenn ein Beschleuniger in einem Operationssaal eingebaut ist. Die weniger aufwendige, aber gewisse Einschrnkungen in der klinischen Applikation bedingende Anordnung ist die, da in einem Operationsraum ein Applikator implantiert wird und der Patient mit provisorisch verschlossenem Krper dann in die Strahlentherapie gefahren wird, wo die Bestrahlung vorgenommen wird. Nach Rcktransport des Patienten in den Operationsraum wird der Applikator entfernt und die Operation abgeschlossen. In den letzten Jahren wurden auch mobile Linearbeschleuniger verfgbar, die in jedem Operationsraum geeigneter Gre verwendet werden knnen. Aus Strahlenschutzgrnden ist die zur Verfgung stehende therapeutische Reichweite der Elektronenstrahlung auf etwa 2,5 cm begrenzt, so da die Gerte ausschlielich zur Tumorbettbestrahlung genutzt werden knnen. Die Gerte werden von den Firmen auch fr einen turnusmigen Leihgebrauch zur Verfgung gestellt. Eine andere technische Mglichkeit der IORT besteht in der Einlage eines mattenartigen Kunststoffmaterials (Flab) in die Operationshhle und dessen Beschickung mit einem Radionuklid ber eingelassene Kanle unter Verwendung eines Afterloadinggertes. Wird mit dieser Technik eine Einzeitbestrahlung whrend der Operation durchgefhrt, handelt es sich um eine IORT; der Flab wird dann vor Beendigung der Operation wieder entfernt. Wird mit dieser Technik eine fraktionierte Bestrahlung ber mehrere Tage durchgefhrt, so handelt es sich um eine perioperative Bestrahlung; der Flab wird dann nach der letzten Fraktion in einem Zweiteingriff wieder entfernt. Mit dieser Technik kann eine suffiziente Dosierung nur in unmittelbarer Nhe der Flaboberflche erzielt werden, so da das Verfahren aus-
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schlielich zur Bestrahlung eines Tumorbettes, nicht aber eines Tumors oder Tumorrestes geeignet ist. Hohe Einzeitdosen haben im Vergleich zu fraktionierter Bestrahlung eine um den Faktor 2…2,5 erhhte Wirkung. Da die hohe Wirksamkeit auch an den Normalgeweben besteht und hier unerwnscht ist, knnen hohe Einzeitdosen nur in kleinen Volumina appliziert werden, so da das Verfahren an eine hohe technische Przision gebunden ist. Dem Vorteil der hohen Gesamtwirksamkeit stehen die Nachteile gegenber, da die unterschiedliche Empfindlichkeit von Tumorzellen in verschiedenen Zellzyklusphasen sowie eine Reoxygenierung im Tumor nach vorangegangener Bestrahlung nicht wie bei einer fraktionierten Bestrahlung ausgenutzt werden knnen. Aus diesen Grnden wird gelegentlich bestritten, da mit intraoperativer Bestrahlung allein ein Tumor makroskopischer Gre eliminiert werden knne. Jedoch zeigt die klinische Erfahrung, da solide Tumoren bis 3 cm Gre mit Einzeldosen von 30…35 Gy dauerhaft beherrscht werden knnen. Intraoperative Bestrahlungen knnen als alleinige Behandlungsmodalitt oder kombiniert mit pr- oder postoperativer perkutaner Bestrahlung sowie in Kombination mit Zytostatika bei nichtresektablen Tumoren oder bei resezierten Tumoren im Bereiche des Tumorbetts verwendet werden. Die Dosishhe variiert daher in Abhngigkeit von der verwendeten Therapiekombination. Bei alleiniger IORTwerden Dosen von etwa 20…35 Gy Tabelle 1. Toleranzdosen bei der intraoperativen Radiotherapie (IORT) Organ
Tier
Maximale tolerable Dosis (Gy)
Organvera¨nderungen
Aorta
Hund
50
Aortenanastomose
Hund
20
V. cava
Hund
50
Subintima- und Mediafibrose bei 30 Gy Fibrose und Stenose bei 20 Gy Keine Gefa¨ßinsuffizienz oder Ruptur bis 45 Gy Fibrose bei 30 Gy
Du¨nndarm
Hund
< 20
Kolon
Hund
< 20
Leber
Hund
30
Gallengang
Hund
20
Niere
Hund
< 20
Schleimhautatrophie, Ulzerationen, Fibrose der Tunica muscularis, Stenose bei 20 Gy, Perforation bei 30 Gy Perforation bei 40 Gy, sonst wie Du¨nndarm Atrophie, Fibrose, Nekrose bei 30 Gy Fibrose, Stenose bei 20 Gy
Ureter
Hund
30
Atrophie bei 20 Gy Fibrose, Stenose bei 30 Gy
Harnblase
Hund
30
Kontraktur, Ureterobstruktion bei 30 Gy
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appliziert; wird die IORT als Boost zu einer perkutanen Bestrahlung verwendet, so werden Dosen von 10…15 Gy verwendet. Die Effekte hoher Einzeldosen mit Elektronen an Normalgeweben wurden in Tierversuchen modellhaft fr die klinische Situation an Patienten untersucht. Es ergaben sich dosisabhngige Organvernderungen (Tabelle 1). Klinische Studien haben gezeigt, da diese Dosen an bestimmten kritischen Organen eher niedriger anzusetzen sind (z.B. Darm, Nieren). Die Einzeldosistoleranz verschiedener Organe (z.B. Gehirn) ist vielfach bisher nur unzureichend untersucht und erfordert weitere wissenschaftliche Untersuchungen. In der klinischen Patientenbehandlung stellt die intraoperative Radiotherapie eine Therapiemodalitt dar, deren Stellenwert in multimodalen Therapieanstzen vielfach noch nher bestimmt werden mu. Fr die wichtigsten mit IORT behandelbaren Tumoren liegen folgende Erfahrungen vor:
2 Mo¨gliche Indikationen 2.1 Hochmaligne Hirntumoren (Astrozytom Grad III, Glioblastom) Bei positiver Selektionierung (periphere Tumorlage, Gre bis 5 cm, vollstndige Resektion, Karnofsky-Index > 60) liegt die Gesamtberlebensrate nach 2 Jahren bei etwa 60%. Randomisierte Studien liegen nicht vor. Rezidivtumoren knnen bei gnstiger Tumorlage auch nach im Rahmen der Primrtherapie erfolgter perkutaner Bestrahlung mit IORT behandelt werden. Die berlebenszeiten nach einer solchen Rezidivtherapie entsprechen denen der blichen Primrtherapie mit Operation und postoperativer Bestrahlung. 2.2 Pankreaskarzinom Bei inoperablen Tumoren fhrt die IORT zu einer sehr effizienten Schmerzlinderung innerhalb weniger Tage, von der etwa 90% der Patienten fr die Dauer von etwa 5 Monaten profitieren. Die medianen berlebenszeiten sind im Vergleich zu perkutaner Bestrahlung nicht verbessert aufgrund der hohen Metastasierungstendenz des Tumors. Die lokale Tumorkontrolle nach IORT liegt bei etwa 75%. Der Wert einer zustzlichen perkutanen Bestrahlung ist umstritten. Bei der Kombination von hochdosierter IORT und hochdosierter perkutaner Bestrahlung knnen vermehrt Blutungskomplikationen auftreten. Eine IORT nach Whipple-Radikaloperation fhrt wahrscheinlich nur bei R0-Resektionen zu einer Verbesserung der Lokalrezidivfreiheit und mglicherweise auch zu einer Verbesserung der berlebensraten.
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2.3 Magenkarzinom Eine quasirandomisierte Studie aus Japan ergab einen Vorteil von Operation und IORT gegenber einer alleinigen Operation fr Patienten mit Lymphknotenbefall und Serosainfiltration. Diese Ergebnisse konnten in mehreren prospektiven Studien bisher nicht verifiziert werden. Verwertbare Ergebnisse aus randomisierten Studien liegen nicht vor. 2.4 Rektumkarzinom Nach radikaler Operation, IORT und perkutaner Bestrahlung ist die Lokalrezidivrate im IORT-Feld bei fortgeschrittenen Rektumkarzinomen sehr gering. Eine Verlngerung der berlebenszeiten konnte bisher nicht gesichert werden. Bei Rektumkarzinomrezidiven bietet die IORT gewisse Einsatzmglichkeiten, ist jedoch in dieser Situation mit einer hheren Komplikationsrate behaftet. 2.5 Weichteilsarkome, Knochentumoren Auch nach inkompletter Tumorresektion zeigen sich im IORT-Bereich kaum Rezidive, so da die lokale Effektivitt der IORT in Kombination mit einer zustzlichen perkutanen Bestrahlung gesichert erscheint. Randomisierte Therapievergleiche existieren nicht. 2.6 Mammakarzinom In der brusterhaltenden Behandlung des Mammakarzinoms wurde die IORT als vorgezogene Boostbestrahlung in Kombination mit postoperativer Bestrahlung eingesetzt. Die berichteten Tumorkontrollen sind gnstig, kosmetische Komplikationen kamen nicht vor. In einer prospektiven Studie prft das European Institute of Oncology (Mailand) den Einsatz der IORT als ausschlieliche Bestrahlungsmodalitt bei brusterhaltender Operation des Mammakarzinoms.
3 Andere Karzinome Geringere Erfahrungen bei der intraoperativen Bestrahlung von Karzinomen der Harnblase, gynkologischen Malignomen, Gallengangskarzinomen sowie bei Bronchialkarzinom zeigen die Durchfhrbarkeit der Methode bei diesen Tumorlokalisationen, ohne da ein therapeutischer Benefit bisher gesichert werden konnte. Im Kopf-Hals-Bereich erscheinen die Einsatzmglichkeiten eher gering.
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4 Komplikationen Bei sachgerechter Technik bezglich der Operation sowie der intraoperativen Bestrahlung und bei ausgefeilter perkutaner Bestrahlungstechnik sind die Komplikationen der IORT gering. Sie berschreiten das Ausma der Komplikationen der Standardtherapieverfahren nicht oder nur unwesentlich. Literatur Abe M, Takahashi M (eds) (1991) Intraoperative radiation therapy. Pergamon Press, New York Gatzemeier W, Orecchia R, Gatti G et al (2001) Intraoperative Strahlentherapie (IORT) in der Behandlung des Mammakarzinoms … eine neue therapeutische Alternative im Rahmen der brusterhaltenden Therapie? Strahlenther Onkol 7:330…337 Gunderson LL, Willet C, Harrison LB, Calvo FA (eds) (1999) Intraoperative Irradiation. Humana Press, Totowa, New Jersey Schildberg FW, Willich N, Krmling HJ (eds) (1993) Intraoperative radiation therapy. Blaue Eule, Essen Vaeth JM (ed) (1997) Intraoperative Radiation Therapy in the Treatment of Cancer. Karger, Basel
13.9 Hyperthermie in Kombination mit Radiotherapie oder Chemotherapie P. Wust, M. Molls, R. Issels
1 Technische Grundlagen Ziel der Hyperthermie ist eine Temperaturerhhung auf 40…44 C in den tumortragenden Krperregionen. Sie ist nicht mit thermoablativen Verfahren (z.B. laserinduzierte Therapie, hochfokussierter Ultraschall) zu verwechseln, bei denen Temperaturen > 60 C zu irreversiblen Koagulationsnekrosen im Tumor fhren. Bei der regionalen Hyperthermie (RHT) werden mit ringfrmig angeordneten phasengesteuerten Antennen im Radiowellenbereich (70…100 MHz) grere tumortragende Krperregionen, wie Becken/Abdomen und untere Extremitten, erwrmt. Fr diese Methode wurden in den letzten Jahren die Planbarkeit und Kontrollierbarkeit verbessert (Lagendijk et al. 1998). Die Schwerpunkte der technologischen Entwicklung liegen an der Dukes-Universittsklinik (Durham), bei niederlndischen Arbeitsgruppen (Utrecht, Amsterdam und Rotterdam), in Berlin (Klinikum CharitØ) sowie in Mnchen (Klinikum Grohadern). Das fr die regionale Hyperthermie eingesetzte Standardsystem ist seit 1985 das BDS-2000 (Wust et al. 1998). Damit wurden an den Zentren mehr als 10 000 Behandlungen durchgefhrt und die heterogene Temperaturverteilung (40…44 C) in Tumoren unter klinischen Bedingungen besttigt. Der Ringapplikator SIGMA-60 mit vier phasengesteuerten Dipol-Antennenpaaren wurde inzwischen zu dem elliptischen Multi-Antennenapplikator SIGMA-Eye weiterentwickelt (Wust et al. 2001), der aus drei Ringen mit je vier Antennenpaaren aufgebaut ist. Durch die dreidimensionale Anordnung mit einer hheren Antennenzahl wird eine verbesserte Steuerbarkeit der Leistungsdichteverteilung erreicht (Seebass et al. 2001). Dies setzt eine vorherige patientenspezifische Computerplanung in Verbindung mit einer adquaten Kontrolle der Phasen in den Antennenfupunkten und der Patientenlagerung voraus. Neben dieser aufwendigen Vorgehensweise werden an den meisten Hyperthermiezentren Standardeinstellungen und klinisch orientierte Adaptationen bei der Durchfhrung einer Tiefenhyperthermie eingesetzt. Die erfolgreiche Integration von SIGMA-Applikatoren in magnetische Resonanztomographen fhrt zu den sogenannten Hybridsystemen (BSD 2000-MR), in denen die regionale Hyperthermie unter MR-Monitoring durchgefhrt werden kann. Solche Hybridsysteme wurden erfolgreich in
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Mnchen mit einem offenen 0,2-T-MRT (Peller et al. 1999) und in Berlin in einem 1,5-T-MRT (Wust et al. 2004) installiert. Die mit einer Vielzahl von MR-Sequenzen (T1-betont, T2-betont, diffusionsgewichtet, Phasen, Kontrastmittelserien, spektroskopische Bildgebung) gewonnene Information bezieht sich nicht nur auf die physiologisch relevanten Zielgren Temperatur und Perfusion, sondern auch auf Gewebealterationen wie dembildung und Nekrose (Peller et al. 2002). Zur Zeit werden verschiedene MR-Verfahren bzw. deren Kombination fr die klinisch relevante Datenerfassung eingesetzt, um die Effektivitt der Hyperthermie zu beschreiben und im Idealfall mit dem klinischen Verlauf zu korrelieren. Auf diese Weise werden gleichzeitig verschiedene anatomische Regionen (Becken, Abdomen, Oberbauch und evtl. unterer Thorax) einer MR-kontrollierten, grorumigen Wrmebehandlung zugnglich (bei entsprechender Steuerung der dreidimensionalen Applikatoren) … dieses Verfahren wird in Abgrenzung gegen die oben beschriebene regionale Hyperthermie Teilko¨rperhyperthermie (PBHT: Part Body Hyperthermia) genannt. Die lokale Hyperthermie (LHT) wird bei oberflchlichen Lsionen eingesetzt. Dafr gibt es eine ganze Reihe von Systemen auf dem Markt mit unterschiedlichen Applikatoren (Antennen). Die Mehrzahl der Antennen arbeiten bei der zugelassenen ISM-Frequenz 434 MHz (I: Industry, S: Science, M: Medizin). Die interstitielle Hyperthermie (IHT) wird unter den gleichen Bedingungen wie die Afterloading-Therapie mit Mikrowellen- und Radiowellenantennen durchgefhrt. Die Ganzko¨rperhyperthermie wird mit zwei radiativen Systemen durchgefhrt: Iratherm (Von-Ardenne-Institut, Dresden) und Aquatherm (entwickelt von der Gruppe um Robins und Mitarbeiter). Systemische Temperaturen von 41,0…42,0 C sind mit vertretbarer Toxizitt unter intensivmedizinischer berwachung erreichbar. Entscheidend fr die Vertrglichkeit ist die Hemmung der Energieabgabe durch Evaporation (z.B. mittels Wasserdampfbersttigung in der Wrmekabine) oder jegliche Form der Wrmeleitung (durch konsequente thermische Isolation).
2 Biologische Grundlagen Das prklinische Rationale fr eine Anwendung der Hyperthermie wurde schon in den 70er Jahren gelegt. Aus Untersuchungen an Zellkulturen und Experimentaltumoren folgt, da sowohl die Radiotherapie als auch die Chemotherapie (alkylierende Substanzen, Anthrazykline, Cisplatin u.a.) durch Temperaturerhhung in ihrer Wirksamkeit erheblich verstrkt werden. So liegt der thermische Verstrkungsfaktor bei klinischer konsekutiver Anwendung von Radiotherapie und Hyperthermie (2…3 Stunden Abstand) bei ca. 1,5. Dieser kann erheblich ansteigen bei simultaner Anwendung von Radiotherapie und Hyperthermie (bis zum Faktor 4…5).
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Hyperthermie in Kombination mit Radiotherapie oder Chemotherapie
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Die Wirkung der Temperaturerhhung besteht in einem direkten zytotoxischen Effekt bei hheren Temperaturen (42 C), der bevorzugt gegen radio/chemoresistente Zellpopulationen gerichtet ist (vor allem hypoxische Zellareale). Bei zeitlicher Kooperation kommt ein sensibilisierender Effekt hinzu, der bereits bei geringeren Temperaturen (40 C) einsetzt. Obwohl die prklinischen Ergebnisse wertvolle Hinweise liefern, lassen sie sich nicht ohne weiteres auf die klinische Anwendung bertragen. Insbesondere sind die Tumorphysiologie und ihre Reagibilitt auf Temperaturerhhung bei humanen Tumoren deutlich anders als bei den meisten Experimentaltumoren. Daraus resultiert, da ber die Sequenz von Hyperthermie und Radiotherapie keine einheitlichen Empfehlungen vorliegen. In den klinischen Protokollen zur Radiotherapie bzw. Radiochemotherapie wird die kontinuierliche Durchfhrung der Strahlentherapie (Gesamtdosis ber 4…5 Wochen mit tglicher Einzeldosis 2 Gy) mit jeweils einer Hyperthermiebehandlung pro Woche kombiniert, wobei eine zeitlich enge Kopplung von Bestrahlung/ Chemotherapie und Hyperthermie sequentiell angestrebt wird. Neuere Untersuchungen in Verbindung mit den Ergebnissen der klinischen Studien (s. Abschnitt 3) haben zu zustzlichen Wirkungsmechanismen in vivo gefhrt. So werden bei Patienten deutliche Erhhungen der basalen Tumorperfusion beobachtet, die lngerfristig anhalten und in Tierexperimenten zu einer verbesserten Oxygenierung fhrten. Fr zytotoxische und sensibilisierende Wirkungen werden die aus den In-vitro-Untersuchungen abgeleiteten Temperaturen in den humanen Tumoren nur in Teilarealen des Tumors aufgrund der heterogenen Temperaturverteilung erreicht. Daher knnte der Einflu einer Hyperthermie mit Temperaturen < 42 C auf das Tumormikromilieu, speziell den Oxygenierungsstatus, ausschlaggebend fr die nachgewiesene Wirkungsverstrkung der Radio- oder Chemotherapie sein. Da sich diese Vernderungen lngerfristig einstellen, wrde dies eine weitgehende Unabhngigkeit von der zeitlichen Abfolge bzw. Sequenz implizieren. Temperaturinduzierte Vera¨nderungen des Immunstatus im Tumor knnten ein weiterer Beitrag zur lokalen und systemischen Wirkung sein. Der Zusammenhang mit den hochkonservierten Hitzeschockproteinen (HSP), die durch einen Hitzeschock verstrkt induziert werden (z.B. HSP70), ist aufgeschlsselt worden (Wells und Malkovsky 2000). Offenbar sind HSPPeptid-Komplexe zur Cross-Prsentation von humanen Tumorantigenen befhigt und fhren zur T-Zell-Stimulation (Srivastava 2002). Die Aktivierung von NK-Zellen im Hinblick auf die HSP70-Membranexpression wurde ebenso beschrieben (Multhoff et al. 1997). Die komplexen Zusammenhnge erffnen ein interessantes neues Anwendungsfeld fr die klinische Hyperthermie (Milani et al. 2002). Temperaturabhngigkeiten auf molekularbiologischer Ebene haben zu weiteren Entwicklungslinien gefhrt, die vielleicht in den nchsten Jahren
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Prinzipien der Strahlentherapie
zu praktischen Anwendungen fhren knnen. Die Temperaturabhngigkeit bei der Expression bestimmter Gene kann fr eine wa¨rmegesteuerte Gentherapie („gene targeting“) ausgenutzt werden (Huang et al. 2000, Walter et al. 1999). Thermolabile liposomale Strukturen knnen eine wa¨rmegesteuerte Freisetzung von in Liposomen verkapselten zytotoxischen Substanzen bedingen (z.B. Doxorubicin). Mehrere Arbeitsgruppen haben solche Liposomen entwickelt, deren Schwellentemperatur (fr ein „Drug targeting“) weitgehend adjustierbar ist und damit den klinischen Gegebenheiten angepat werden kann.
3 Klinische Studien und Indikationen Besonders bemerkenswert sind die in den letzten Jahren erarbeiteten klinischen Resultate zur regionalen Hyperthermie (Temperaturbereich 40…44 C), die bei tiefgelegenen (i.d.R. lokal fortgeschrittenen oder rezidivierten) Tumoren im Bereich Becken/Abdomen und der Extremitten eingesetzt wird. Die regionale Tiefenhyperthermie ist demnach als onkologisches Behandlungsverfahren in seiner Durchfhrbarkeit als etabliert zu betrachten und kann zur Therapieoptimierung in der First-line-Therapie eingesetzt werden (Phase III). Mit der neu entwickelten Technologie (MR-kontrolliert im Hybridansatz) der Teilko¨rperhyperthermie (Temperaturbereich 40…42 C) wird eine Indikationserweiterung auf regional ausgebreitete Tumorerkrankungen des gesamten Abdomens ermglicht. Hier kommen zur technisch-physikalischen Machbarkeit zustzlich neuere Erkenntnisse zum Tragen. Dabei stellen die Flu- und Perfusionserhhungen neben immunologischen Vernderungen vermutlich die entscheidenden Komponenten der Wirksamkeitsverstrkung dar. Die dafr erforderlichen moderaten Temperaturen (> 40 C) sind bei der Teilkrperhyperthermie mit der angegebenen Technologie erreichbar. Hinweisgebend ist eine randomisierte Studie zur regionalen Hyperthermie (kombiniert mit einer definitiven Radiotherapie), die von niederlndischen Arbeitsgruppen durchgefhrt wurde (van der Zee et al. 2000). Hier konnte bei fortgeschrittenen Zervixkarzinomen im Stadium FIGO IIB…IV mit hohen Risikofaktoren eine Verbesserung der kompletten Remissionen bei 114 Patientinnen erreicht werden (83 vs. 57%) sowie insbesondere auch ein verbessertes 3-Jahres-berleben (51 vs. 27%). Aufgrund der Risikofaktoren (Tumorgre) schneidet der Kontrollarm (alleinige Radiotherapie) schlechter ab als von der Literatur her erwartet. Die Ergebnisse wurden (hinsichtlich des Ansprechens) von einer japanischen Arbeitsgruppe besttigt (Harima et al. 2001). Auch bei fortgeschrittenen Blasenkarzinomen wurde eine Verlngerung der Zeit bis zum Auftreten von Lokalrezidiven beobachtet, jedoch kein berlebensvorteil. Die Ergebnisse dieser Studie fhr-
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ten dazu, da in den Niederlanden die hypertherme Radiotherapie als Standardtherapie beim lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom anerkannt ist. Allerdings hat sich in den meisten Lndern (vor allem in den USA) aufgrund jngster Studienergebnisse die Radiochemotherapie beim (fortgeschrittenen) Zervixkarzinom als Standardtherapie etabliert. Der Vergleich einer hyperthermen Radiochemotherapie mit dem neuen Standard ist daher notwendig. In der Berliner Arbeitsgruppe wurde eine randomisierte Studie zum lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom durchgefhrt, in der eine properative Radiochemotherapie regionaler Hyperthermie geprft wird. In einer Interimsanalyse an 113 Patienten wurden ein verbessertes Ansprechen im Hyperthermiearm (66% partielle und komplette Remissionen im Hyperthermiearm gegenber 49%, dagegen 6% Progression unter Therapie im Kontrollarm gegenber 0% im Hyperthermiearm) und eine verlngerte Zeit bis zum Auftreten eines Lokalrezidivs (28 Monate gegenber 20 Monaten) beobachtet. Ob die hhere lokale Wirksamkeit entsprechend der Interimsanalyse zu einem statistisch verbesserten berleben oder zu einer verbesserten lokalen Tumorkontrolle im Hyperthermiearm fhrt, mu abgewartet werden. Die Beobachtungszeit ist hier fr eine abschlieende Bewertung noch zu kurz, zumindest kann in dieser Studie der Hinweis auf eine Wirkungsverstrkung der Radiochemotherapie durch regionale Hyperthermie konstatiert werden. Eine Korrelation von Ansprechen und erreichter Temperaturverteilung unterstreicht die Bedeutung der Hyperthermie in dem kombinierten Verfahren (Rau et al. 2000). In der Mnchner Arbeitsgruppe wurde die regionale Hyperthermie bei lokalisierten Hochrisiko-Weichteilsarkomen in einem neoadjuvanten Konzept zusammen mit Chemotherapie (EIA: Etoposid, Ifosfamid, Adriamycin) eingesetzt. In konsekutiven Phase-II-Studien (RHT-86, RHT-91, RHT-95) wurden unter Bercksichtigung verschiedener Risikogruppen insgesamt sehr ermutigende Langzeitergebnisse erzielt mit jeweils krankheitsfreien 5-Jahres-berlebensraten von etwa 50%. Es zeigten sich bei der Parameteranalyse Abhngigkeiten des Ansprechens von der Qualitt der Temperaturverteilung (Issels et al. 1990), deutliche Abhngigkeiten der Gesamtprognose vom initialen Ansprechen (Issels et al. 2001, Wendtner et al. 2002) sowie Hinweise, da die lokale Kontrolle durch eine Fortfhrung der postoperativen Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie verbessert werden kann (Wendtner et al. 2001). Auf diesen Ergebnissen basiert eine multizentrische Phase-III-Studie seit 1998 im Rahmen der EORTC und ESHO (European Society of Hyperthermic Oncology): EORTC 62961/ ESHO RHT-95. Zuvor war das Prinzip der hyperthermen Radiotherapie bei oberfla¨chlich#gelegenen Malignomen in randomisierten Studien verifiziert worden. Diese Studien hatten gezeigt, da die lokale Hyperthermie mit verfgbaren
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Tabelle 1. Zusammenfassung der wichtigsten randomisierten Studien fu¨r die Hyperthermie (RT: Radiotherapie, IRT: interstitielle Radiotherapie, RCT: Radiochemotherapie, ChT: Chemotherapie, LHT: lokale Hyperthermie, IHT: interstitielle Hyperthermie, RHT: regionale Hyperthermie) Literaturangabe
Tumorentita¨t
Studie
Patientenzahl
Endpunkt (p 0.05)
Datta 1990
HNO-Karzinome
RT LHT
65
Ansprechen
Overgaard 1995
Maligne Melanome (Rezidiv, In-Transit)
RT LHT
68 (128 La¨sionen)
Ansprechen Lokale Kontrolle
Perez 1991
Oberfla¨chliche Tumoren
RT LHT
245
Ansprechen (La¨sionen 3 cm)
Valdagni 1993
N2/3-Lymphknoten RT LHT von HNO-Karzinomen
44
Ansprechen U¨berleben
Vernon 1996
MammakarzinomRezidive
RT LHT
307 (317 La¨sionen)
Ansprechen
Sneed 1998
Glioblastome
IRT IHT
79
U¨berleben
Berdov 1990
Rektumkarzinome
RT IHT
115
Resektabilita¨t U¨berleben
Kitamura 1995
66
pCR
Sugimachi 1994
O¨sophaguskarzinome RCT IHT O¨sophaguskarzinome ChT IHT
40
Ansprechen
Harima 2001
Zervixkarzinome
RT RHT
40
Ansprechen
v. d. Zee 2000
Zervixkarzinome
RT RHT
114
Ansprechen U¨berleben
v. d. Zee 2000
Blasenkarzinome
RT RHT
102
Ansprechen
Rektumkarzinome
RCT RHT
offen
Mu¨nchner Protokoll Weichteilsarkome EQRTC 62961
ChT RHT
offen
Laufende Studien: Berliner Protokoll
kommerziellen Systemen die Effektivitt einer Strahlentherapie bei einigen Tumorentitten deutlich erhhen kann, was zu einer Verbesserung des Ansprechens fhrt, in gnstigen Fllen sogar zu einer Verbesserung der lokalen Kontrolle oder der berlebenszeit. Die randomisierten Studien sind in Tabelle 1 zusammengefat. Die fr die europischen Zentren besonders aussagekrftigen Studien wurden mit verfgbaren Systemen durchgefhrt und werden im Folgenden kurz dargestellt. Bei oberflchlich lokalisierten Rezidiven des malignen Melanoms (InTransit/Metastasen, Lokalrezidive) wurde nachgewiesen, da die Thermoradiotherapie eine gnstige Wirkung hat. Daher fhrte die ESHO bei 70 Patienten mit 134 Tumormanifestationen eine randomisierte Studie zur
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Prfung der Wirksamkeit der lokalen Hypertherme durch (Overgaard et al. 1995). Es ergaben sich Verbesserungen sowohl der Rate an kompletten Remissionen (62 vs. 35% bei alleiniger Strahlentherape) als auch der lokalen 5-Jahres-Kontrollrate (46 vs. 28%). Mammakarzinomrezidive sind insbesondere bei vorangegangener Strahlentherapie sehr therapieresistent. In einer randomisierten Studie der ESHO (Vernon et al. 1996) konnte eine Steigerung der Rate an kompletten Remissionen durch zustzliche Hyperthermie nachgewiesen werden (59 gegenber 41%). Auch die lokale 2-Jahres-Tumorkontrollrate wurde erhht (50 gegenber 20%). Eine Subgruppenanalyse zeigte, da besonders die kleineren Tumoren und Tumoren nach vorangegangener Strahlenbehandlung von der Hyperthermie profitierten (mglicherweise aufgrund der besseren Erwrmbarkeit). Der therapeutische Benefit der Thermoradiotherapie konnte auch fr Thoraxwandrezidive mit Hautinfiltration nachgewiesen werden, wohingegen exulzerierte Tumoren nicht langfristig beherrscht wurden (Hehr et al. 2001). Auch die fortgeschrittenen Lymphknotenmetastasen von Kopf-Hals-Karzinomen sind relativ strahlenunempfindlich (oberhalb einer Ausdehnung von 4…5 cm). In einer kleineren italienischen Phase-III-Studie (Valdagni u. Amichetti 1993) konnte ein auerordentlich hoher Benefit der Patienten nachgewiesen werden, die eine kombinierte Therapie aus Radiotherapie (60 Gy) und Hyperthermie erhielten. Auch Wust et al. 1996 konnten in einer PhaseII-Studie hohe Ansprechraten und eine Korrelation von thermischen Parametern mit dem Ansprechen beobachten. Feyerabend et al. fhrten bei Rezidiven trimodale Schemata (Radiotherapie-Restdosis, Ifosfamid, Carboplatin plus Hyperthermie) mit hohen Ansprechraten ein (Feyerabend et al. 1997). Andere randomisierte Studien (Tabelle 1) besttigen die lokale Wirksamkeitsverstrkung der Strahlentherapie durch Hyperthermie. Sie wurden jedoch mit Systemen durchgefhrt, die in Europa und speziell in Deutschland nicht verbreitet sind. So wurden beim lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinom und bei Kopf-Hals-Karzinomen mit kapazitiven Systemen positive Resultate von asiatischen Arbeitsgruppen erarbeitet (Harima et al. 2001, ¨ sophaguskarzinom wurden von japanischen ArDatta et al. 1990). Beim O beitsgruppen mehrere positive Studien durchgefhrt, bei denen in der Umgebung des sophagus eine hohe Leistungsdichte durch Stromflu von einer Endosonde in eine neutrale Gegenelektrode erzeugt wird (Kitamura et al. 1995; Sugimachi et al. 1994). Auch hier handelt es sich um ein kapazitives System mit spezieller Elektrodenformung. In Europa konnten die Ergebnisse dieser Studien nicht in vollem Umfang nachvollzogen werden. Interessant ist die Studie von Berdov et al. (1990) an Patienten mit Rektumkarzinomen. Diese zeigte ein deutlich verbessertes berleben im Hyperthermiearm, das durch eine verbesserte Resektabilitt erklrt wurde.
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Die interstitielle Hyperthermie beim Glioblastom wurde in den USA in einer randomisierten Studie untersucht. Es zeigte sich eine Verlngerung des progressionsfreien Intervalls und des 2-Jahres-Gesamtberlebens von knapp 10% im Hyperthermiearm gegenber 0% im Kontrollarm (Sneed et al. 1998). Es gibt darber hinaus eine Flle von weiteren Phase-II-Studien, in denen verschiedene Anwendungsgebiete der lokalen interstitiellen und regionalen Hyperthermie untersucht wurden. Die guten Ergebnisse zeigten weitere Indikationsbereiche auf. In mehreren Studien wurden sehr gute palliative Ergebnisse bei vorbestrahlten Rektumkarzinomrezidiven durch zustzlichen Einsatz der regionalen Hyperthermie erzielt. Dabei wird die regionale Hyperthermie mit der Radiotherapie (Rotterdamer Arbeitsgruppe) oder mit Chemotherapie (Oxaliplatin, 5-FU, Berliner Arbeitsgruppe) kombiniert. Andere ermutigende Ergebnisse wurden mit der hyperthermen Chemotherapie bei Keimzelltumoren (Wessalowski et al. 1998, Schneider et al. 2001) erzielt. Ein interessantes Einsatzgebiet fr die regionale Hyperthermie in Verbindung mit definitiver Radiotherapie ist auch das lokal fortgeschrittene Prostatakarzinom (Stadium C), fr das ebenfalls Phase-II-Daten vorliegen (Anscher et al. 1997, Daten der Berliner Arbeitsgruppe). Die Ganzko¨rperhyperthermie in Kombination mit Chemotherapie wurde in den letzten Jahren an mehreren universitren Zentren in Deutschland aufgebaut (Lbeck, Hamburg, Berlin, Mnchen) und in Phase-I/II-Studien geprft. Dabei kamen Studienkonzepte zu Mesotheliomen, cholangiozellulren Karzinomen, Pankreaskarzinomen sowie zu metastasierenden kolorektalen Karzinomen, Weichteilsarkomen, Ovarialkarzinomen und Keimzelltumoren zur Anwendung. Insgesamt gab es Hinweise auf eine Wirksamkeitsverstrkung der Ganzkrperhyperthermie nach einer alleinigen vorangegangenen Chemotherapie. Die auf diese Weise erzielten Remissionen waren allerdings von kurzer Dauer. Da die Ganzkrperhyperthermie (im Vergleich zur lokoregionalen Hyperthermie) belastender ist und pro Patient in der Zahl der Anwendungen limitiert ist (i.d.R. 3- bis 6mal), ist aufgrund der gegenwrtigen Datenlage ein Benefit hinsichtlich des berlebens noch nicht abzuleiten. Dazu mssen die begonnenen Phase-III-Studien abgeschlossen werden. Weitere geeignete Anwendungsgebiete sollten in der Zukunft in weiteren Phase-I/II-Studien erarbeitet und ggf. in Phase-III-Studien validiert werden. Mithin ist der onkologische Stellenwert der Ganzkrperhyperthermie derzeit noch offen. Eine Zusammenfassung der vorliegenden Daten ergibt daher folgende Indikationen fr die lokoregionale Hyperthermie: F
Die lokal fortgeschrittenen und/oder rezidivierten (und damit nicht oder schlecht resektablen) Tumoren des Beckens und der unteren Extremitten stellen fr die regionale Hyperthermie teils denkbare, teils
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F
F
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klare Indikationen dar (Rektumkarzinome ab T3/4, Zervixkarzinome ab Stadium IIB, Blasenkarzinome ab T3/4, Prostatakarzinome ab T3/4 und Weichteilsarkome mit Risikofaktoren, z.B. ab Gre 5 cm und tiefer Lage). Bei einigen dieser Entitten (s.o.) erfolgt die Behandlung in randomisierten Studien. Vorbestrahlte Rezidive (Rektum- und Zervixkarzinome) knnen mitunter nur unter Einsatz der Hyperthermie in Kombination mit Chemotherapie und einer Restdosis Radiotherapie noch mit ausreichender Palliation behandelt werden. Diese Empfehlungen basieren zur Zeit noch auf Phase-II-Daten und klinischen Erfahrungen. Auch die bereits genannten lokal fortgeschrittenen/rezidivierten oberfla¨chlichen Tumoren knnen einer zustzlichen lokalen Hyperthermie zugefhrt werden, sofern die Hyperthermietechnik effizient und geeignet ist. Hyperthermien, die nur einen Teil des Zielvolumens behandeln, sind mglich, wenn das in den folgenden Sitzungen bercksichtigt wird. Zu den Indikationen gehren Mammakarzinomrezidive, Lymphknotenmetastasen von Kopf-Hals-Karzinomen und Manifestationen des malignen Melanoms. ber diese Entitten liegen Validierungen in Phase-IIIStudien vor.
4 Ausblick Eine Wirksamkeitsverstrkung der Radio- und/oder Chemotherapie durch Hyperthermie wurde fr lokale, interstitielle und regionale Verfahren fr bereits existierende Systeme gezeigt. Jetzt mssen erweiterte Technologien und neue molekularbiologische Erkenntnisse in ihrem onkologischen Stellenwert evaluiert werden. In der regionalen Hyperthermie oder in der weiterentwickelten Teilko¨rperhyperthermie in Hybridsystemen (simultaner Einsatz von Hyperthermieapplikator unter MR-Echtzeitkontrolle) kann in Verbindung mit dreidimensional steuerbaren Applikatoren eine bessere Kontrolle der Wrmetherapie und eine Indikationserweiterung antizipiert werden. Die Online-Kontrolle der Leistungs- und Temperaturverteilung wird auch eine On-line-Optimierung ermglichen und somit zu einer verbesserten Hyperthermie fhren. Die nichtinvasive Erfassung temperaturinduzierter Gewebsvernderungen mit MR wird im Oberbauch und Abdomen neue Indikationen fr onkologische Therapien erffnen. Dazu gehren die Peritonealkarzinose, ausgedehntere Lebermetastasierungen sowie lokal fortgeschrittene und/oder rezidivierende Pankreas-, Magen- und Kardiakarzinome. Vor allem wird hier die Kombination mit Chemotherapie in Studien berprft werden.
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Prinzipien der Strahlentherapie
Aufgrund neuer Erkenntnisse knnten sich in Zukunft auch Kombinationen der Hyperthermie mit Immuntherapie, Gentherapie und perfusionsabha¨ngigen Therapieverfahren ergeben. Mit den genannten technischen Mglichkeiten mssen in den universitren Zentren und akademischen Einrichtungen neue Phase-III-Studien zu geeigneten Indikationen begonnen werden. Dieses gilt sowohl fr kurative wie auch fr palliative Therapiekonzepte. Fr die Ganzko¨rperhyperthermie sollten die laufenden Phase-III-Studien dringend durchgefhrt werden. Es kommt aber auch darauf an, im Rahmen von Phase-I/II-Studien neue (mglicherweise besonders aussichtsreiche) Anwendungen zu finden. Literatur Anscher MS, Samulski TV, Dodge R et al (1997) Combined external beam irradiation and external regional hyperthermia for locally advanced adenocarcinoma of the prostate. Int J Radiat Oncol Biol Phys 37:1059…1065 Berdov BA, Menteshashvili GZ (1990) Thermoradiotherapy of patients with locally advanced carcinoma of the rectum. Int J Hyperthermia 6(5):881…890 Datta NR, Bose AK, Kapoor HK et al (1990) Head and neck cancers: results of thermoradiotherapy versus radiotherapy. Int J Hyperthermia 6(3): 479…486 Feyerabend T, Steeves R, Jger B et al (1997) Local hyperthermia, hyperfractionated radiation, and cisplatin in preirradiated recurrent lymph node metastases of recurrent head and neck cancer. Int J Oncol 10:591…595 Harima Y, Nagata K, Harinma K et al (2001) A randomized clinical trial of radiation therapy versus thermoradiotherapy in stage III cervical carcinoma. Int J Hyperthermia 17(2):97…105 Hehr T, Lamprecht U, Glocker S et al (2001) Thermoradiotherapy for locally recurrent breast cancer with skin involvement. Int J Hyperthermia 17:291…301 Huang Q, Hu JK, Lohr F et al (2000) Heat-induced gene expression as a novel targeted cancer therapy strategy. Cancer Res 60:3435…3439 Issels RD, Prenninger SW, Nagele A et al (1990) Ifosfamide plus etoposide combined with regional hyperthermia in patients with locally advanced sarcomas: a phase II study. J Clin Oncol 8:1818…1829 Issels R, Abdel-Rahman S, Wendtner CM et al (2001) Neoadjuvant chemotherapy combined with regional hyperthermia (RHT) for locally advanced primary or recurrent high-risk adult soft-tissue sarcomas (STS) of adults: long-term results of a phase II study. Eur J Cancer 37:1599…1608 Kitamura K, Kuwano H, Watanabe M et al (1995) Prospective randomized study of hyperthermia combined with chemoradiotherapy for esophageal carcinoma. J Surg Oncol 60(1):55…58 Lagendijk J, van Rhoon G, Hornsleth S, Wust P et al (1998) ESHO quality assurance guidelines for regional hyperthermia. Int J Hyperthermia 14:125…133 Milani V, Noessner E, Ghose S, Kuppner M, Ahrens B, Scharner A, Gastpar R, Issels RD (2002) Heat shock protein 70 … role in antigen presentation and immune stimulation. Int J Hyperthermia; in press
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Prinzipien der Strahlentherapie
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13.10 Radiosensitizer W. Rhomberg, J. Dunst
1 Allgemeine Aspekte Bereits 1921 wurde von Holthusen die Beobachtung gemacht, da Sauerstoff die Strahlenempfindlichkeit von Zellen erhht. Gut oxygenierte Zellen sind … zumindest in vitro … um einen Faktor 2…3 strahlenempfindlicher als hypoxische Zellen, die z.B. in Stickstoffmilieu gehalten wurden. Analog zum O2Verstrkungsfaktor (OER) wird eine Wirkungsnderung durch Radiosensitizer im englischen Schrifttum mit der „sensitizer enhancement ratio“ (SER) angegeben. Die SER bezeichnet das Verhltnis der Strahlendosen, die ohne einen Sensitizer bzw. in Kombination mit einem Sensitizer zum gleichen In-vitro-Effekt oder zur gleichen Remissionsquote in vivo fhren. Bis etwa 1960 wurden potentielle Radiosensitizer vorwiegend an Pflanzen (keimen) oder Bakterien geprft. Dabei erwiesen sich zahlreiche Stoffe als radiopotenzierend. Anspruchsvollere Testsysteme (Sugerzellen, Tierversuch) waren dann deutlich selektiver. Die experimentelle Radiosensitizerforschung hat sich in den letzten 20 Jahren rasch weiterentwickelt, doch es besteht hufig eine Diskrepanz zwischen den experimentellen Resultaten und der klinischen Relevanz einzelner Prparate.
2 Zum Begriff der Radiomodulatoren Wahrscheinlich hat jede medikamentse, anti-neoplastische Therapie in unabhngiger, additiver, synergistischer oder auch antagonistischer Form einen Einflu auf eine gleichzeitig durchgefhrte Strahlenbehandlung. Es gibt inzwischen eine lange Liste von Substanzen, die im anglo-amerikanischen Schrifttum „chemical modifiers of radiation response“ genannt werden. Die „echten“ Radiosensitizer sind nur eine Gruppe davon. Tabelle 1 zeigt eine bersicht zu den hier in Frage kommenden Substanzgruppen, wobei bewut auf die Erwhnung einer Vielzahl von Codenamen verzichtet wird, da auf diesem Gebiet vieles im Flu ist und rasche ˜nderungstendenzen bestehen.
3 Definition und Klassifikation der Radiosensitizer Radiosensitizer sind chemische Verbindungen, welche die Wirkung einer Standardradiotherapie potenzieren, ohne selbst zytotoxisch auf einen Tumor zu wirken (Tabelle 2). Es handelt sich dabei um eine Untergruppe von Substanzen, die radiomodulierend wirken.
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Tabelle 1. Radiomodulatoren („chemical modifiers of radiation response“) Zytotoxische Substanzen (Zytostatika mit radiosensibilisierender Wirkung) klassische Zytostatika bioreduktive Substanzen (wirken zytotoxisch im hypoxischen Milieu; z.B. Mitomycin C, Porfiromycin, Tirapazamin) * *
„Echte“ Radiosensitizer (s. Tabelle 2) Antiproliferative Substanzen mit Einfluß auf Signaltransduktion, Farnesyltransferasehemmung etc. (z.B. Moleku¨le gegen EGF-Rezeptoren oder Tyrosinkinasehemmer) Biologische (ko¨rpereigene) Substanzen, z.B. Interferone, Interleukin 2, Gestagene Antiangiogene Substanzen mit Hemmung angiogener Faktoren Blockade des Vascular endothelial growth factor (VEGF) Blockade des Matrix- und Basalmembranabbaus, z.B. Matrixmetalloproteinasehemmer (MMPI)
* * *
Andere Verfahren mit spezifischen Angriffspunkten Immuntherapien; Oligonukleotide; Gentherapie; Apoptoseinduktion; Medikamente, welche die Blutzirkulation a¨ndern (z.B. Nicotinamid, Combretastatin A 4 u.a.) Radioprotektoren der Normalgewebe
Von den Radiosensitizern im engeren Sinne sollten vor allem „Zytostatika mit synergistischer Wirkung zur Strahlentherapie“ abgegrenzt werden, z.B. Actinomycin D, Adriblastin, 5-Fluorouracil, Hydroxyurea, Platinol, Vindesin u.a. Sie stehen hier nicht zur Diskussion. Desgleichen werden an dieser Stelle andere Radiomodulatoren nicht abgehandelt. Die definitionsgeme Abgrenzung eines Sensitizers wird zunehmend schwieriger, da sich zeigt, da viele Substanzen mehrere Wirkungsmechanismen haben knnen. Dies erschwert eine ideale Klassifikation.
4 Klinisch relevante Sensitizer 4.1 Halogenierte Pyrimidine Thymidinanaloge (z.B. 5-Bromdesoxyuridin, BUdR) gehren zu den am lngsten bekannten Sensitizern. Sie werden in die DNS eingebaut. Die Erhhung der Strahlensensibilitt resultiert aus vermehrten DNS-Einzelstrangbrchen und einer mutmalichen Beeintrchtigung der intrazellulren Repairmechanismen. Brom- und Joddesoxyuridin wurden vorwiegend in den USA bei Hirntumoren, Neoplasien im HNO-Bereich und Sarkomen geprft. Bei massiven, inoperablen Weichteilsarkomen wurde eine lokale Kontrollrate von 60% mit Joddesoxyuridin und hyperfraktionierter Bestrahlung beschrieben. Die mitgeteilten Ergebnisse bei den Gliomen vom Grad III und IV gehren
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Radiosensitizer
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Tabelle 2. Klassifikation der Radiosensitizer A. Thiolmodulatoren (Stoffe, die SH-Gruppen blockieren) N-A¨thylmaleimid (NEM)a p-Chlormercuribenzoat u.a.a Buthioninsulfoximin (BSO; hemmt Glutathionsynthese)b * * *
B. DNS-Sensitizer (prima¨re Interaktion mit DNS-Moleku¨len) Halogenierte Pyrimidine (BUdR, IUdR)c Benzotriazindioxid (SR 4233; wirkt an hypoxischen Zellen)b Lucanthone (Miracil D)b * * *
C. Imitatoren des O2-Effektes Hyperbarer Sauerstoff (hoher technischer Aufwand)c Nitroxylea Elektronenaffine Substanzen – p-Nitroacetophenon (PNAP) und Nitrofuranea – Chinone (Synkavit, Menadion; MTDQ)c – Nitroimidazole (Metro-, Misonidazol und Derivate)c Perfluorverbindungen (Fluosol-DA)b * * *
*
D. Multifunktionale Radiosensitizer Razoxan (ICRF 159)c Komplexe Nitroimidazole (RSU-1069 + Analoge; Nitroimidazole mit Schwermetallkomplexen oder Halogenen, z.B. KU-22085)b N-Methylformamid (NMF)b * *
*
a b c
In vivo zu toxisch. Im pra¨klinischen oder Phase-I-Test. Klinische Ergebnisse aus Phase-II- und -III-Studien verfu¨gbar.
zu den gnstigsten in der Literatur, doch ist die Applikation dieser Substanzen aufgrund ihrer raschen Metabolisierung aufwendig und der praktische Nutzen … auch wegen der Mitreaktion der rasch proliferierenden Normalgewebe … beschrnkt (Beard et al. 1993). 4.2 Elektronenaffine Substanzen Chinone und Chinoline
Sie wurden v.a. in den 60er Jahren geprft. Chinone sind auf der einen Seite O2-Spender, auf der anderen Seite neigen sie zur Komplexbildung mit DNS (Adams 1973). Mit Synkavit (synthetisches Vitamin K1) zeigte sich in einer indischen Studie bei 131 Patienten mit Wangenschleimhautkarzinomen eine signifikant hhere symptomfreie 3-Jahres-berlebenszeit gegenber einer alleinigen Bestrahlung. Beim Bronchialkarzinom wurden keine Verbesserungen gesehen. Limitierende Toxizitt: Leber, GI.
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MTDQ (Methylen-bis-2,2,4-trimethyl-1,2-dihydrochinolin) … ein in Ungarn synthetisierter Sensitizer … fhrte bei HNO-Tumoren zu einer Verbesserung der lokalen Kontrolle. Dem MTDQ wird, in einer Dosierung von 3 200 mg p.o. tglich, 8 Tage vor und whrend der gesamten Strahlenbehandlung gegeben, eine gute Vertrglichkeit bescheinigt. Insgesamt mu die Gruppe der Chinone und Chinoline zu den ungengend geprften und klinisch noch nicht endgltig beurteilbaren Stoffen gerechnet werden. Nitroimidazole
Chemische Struktur (z.B. Misonidazol; nach Bamberg u. Scherer 1986):
Die 2-Nitroimidazole haben eine hhere Elektronenaffinitt als die 5-Nitroimidazole. Die lipophilen Eigenschaften und damit die limitierende Neurotoxizitt werden von der Seitenkette bestimmt. Nitroimidazole haben Redoxeigenschaften und knnen so den O2-Effekt im Gewebe imitieren. Sie beeinflussen hauptschlich hypoxische Zellen und reichern sich auch dort an. Den Nitroimidazolen wurde in den letzten 2 Jahrzehnten grte Aufmerksamkeit zuteil. Die SER-Werte betragen im Tierversuch 1,3 bis 2,7. Im Gegensatz dazu haben die Nitroimidazole in der Klinik enttuscht. Misonidazol erwies sich in randomisierten Studien bei malignen Gliomen, Bronchial- und Zervixkarzinomen sowie in Phase-II-Studien beim Rektumkarzinom als unwirksam. Bei HNO-Tumoren gibt es widersprchliche Resultate. In einer dnischen Arbeit wurde jedoch mit Nimorazol, einem 5-Nitroimidazol, bei 421 Patienten mit Larynx- und Pharynxkarzinomen eine signifikant verbesserte lokoregionale Kontrolle (52% vs. 33% nach 4 Jahren) gesehen. Etanidazol (SR 2508) zeigte bei fortgeschrittenen HNO-Tumoren in groen kontrollierten Studien keine Verbesserung der lokalen Kontrolle und des berlebens, und bei Pimonidazol (Ro 03…8799) wurde beim Zervixkarzinom gar eine Verminderung der lokalen Kontrolle und der berlebenszeiten gegenber nur bestrahlten Patienten gesehen. Die Grnde da-
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fr sind derzeit unklar, mglicherweise fhren einzelne Nitroimidazole zu einer drastischen Reduktion der Tumordurchblutung. Es bleibt auch zu beachten, da im Tierexperiment beim Einsatz dieser Substanzen ein hufigeres Auftreten von Fernmetastasen festgestellt wurde (Kanclerz et al. 1988). Bis auf die erwhnte Studie mit Nimorazol haben die meisten randomisierten Studien keinen nennenswerten Vorteil fr einen Zusatz von Nitroimidazolen zur Bestrahlung erkennen lassen. Mehr als 7000 Patienten sind in 50 randomisierten Studien untersucht worden. Overgaard (1994) kommt jedoch in einer Meta-Analyse dieser Studien zum Schlu, da der Einsatz von Nitroimidazolen bei soliden Tumoren zu einer signifikanten Verbesserung der lokalen Kontrolle um den Faktor 1,17 (95%-Vertrauensgrenzen 1,06 bis 1,28) und auch der Gesamtberlebenszeit („odds ratio“ 1,13) fhrt. Ein Vorteil wurde hauptschlich bei HNO-Tumoren und in geringerem Mae beim Blasenkarzinom gesehen, whrend bei den Tumorlokalisationen an Zervix, Lunge, Gehirn und sophagus kein signifikanter Effekt zu beobachten war. Das Interesse fr diese Stoffgruppe ist weiterhin vorhanden. Dies mag daran liegen, da die neuen Derivate weniger neurotoxisch sind, viel investiert wurde und nicht zuletzt auch chemosensibilisierende Effekte der Nitroimidazole beschrieben wurden. Ein unausgeschpftes Forschungspotential drfte insbesondere bei den 5-Nitroimidazolen liegen. 4.3 Razoxan (ICRF 159) Strukturformel [1,2…(3,5-Dioxopiperazin-1-yl)propan]:
Razoxan blockiert den Zellzyklus in der frhen G2/M-Phase (hchste Strahlensensibilitt). Spezifisch ist ein angiometamorpher Effekt: In Tiermodellen wird das pathologische Tumorgefnetz normalisiert und so wahrscheinlich die O2-Versorgung eines Tumors erhht. Mit dieser gefverndernden Potenz des Razoxans wird auch die im Tierversuch beobachtete antimetastatische Wirkung erklrt (Hellmann et al. 1992). Zudem wurden bei dem Prparat ein antiinvasiver Effekt und eine Hemmung der Topoisomerase II beschrieben. Die rechtsdrehende Form des Razoxans erwies sich als kardioprotektiv bei der Gabe von Anthrazyklinen. In einer randomisierten Studie an 144 Patienten mit Weichteilsarkomen wurde mit dem Zusatz von Razoxan per os bei den mebaren, inoperablen
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Tumoren die lokale Kontrollrate signifikant von 30 auf 65% gegenber einer alleinigen Bestrahlung angehoben (Rhomberg et al. 1996). Auch die Rate der objektiven Remissionen wurde verbessert. Bei inoperablen Sarkomen gibt es zur Zeit keine bessere Therapie. Unter den mesenchymalen Tumoren fllt speziell eine gute Wirkung bei Angiosarkomen der Schilddrse und den seltenen Chordomen auf. Fnf mit Razoxan behandelte inoperable Chordome blieben alle ber 5 Jahre lokal kontrolliert (Rhomberg et al. 2003). Die Abbildungen 1a und 1b zeigen den ungewhnlich guten Effekt der Sensitizerbehandlung bei einem Klivuschordom der Schdelbasis. Bei inoperablen rezidivierten Rektumkarzinomen wurden sowohl in einer Phase-II- als auch in einer kleinen Phase-III-Studie die lokale Kontrolle und die durchschnittliche berlebenszeit gegenber einer alleinigen Bestrahlung signifikant erhht. Auch bei der postoperativen Bestrahlung des invasiven Blasenkarzinoms mit Razoxan scheinen Verbesserungen der Prognose mglich zu sein. Keine Vorteile dieser Therapie wurden in kontrollierten Studien beim Zervix- und Bronchialkarzinom sowie bei HNO-Tumoren gesehen (Hellmann et al. 1992). Das klinische Wirkungsspektrum ist noch nicht vollstndig erforscht. Empfohlene Dosierung: 21 Tablette 125 mg tglich per os, beginnend 5 Tage vor der ersten Bestrahlung mit weiterer Gabe whrend der Bestrahlungstage. Limitierende Toxizitt ist die Leukopenie. Razoxan bietet sich aufgrund des interessanten Wirkungsmechanismus, der bisherigen Ergebnisse und der geringen Toxizitt fr weitere Studien an. (Das Prparat ist kommerziell bei der Fa. Torrex-Pharma, Wien, erhltlich.)
Abb. 1a. Inoperables Chordom der Scha¨delbasis bei einem 12ja¨hrigen Ma¨dchen. T1-gewichtetes MRT mit Kontrastversta¨rkung. Bild vor der Behandlung. b. Komplette Regression mit Wiederherstellung der Klivusregion nach Bestrahlung mit 63 Gy und Razoxan per os. Bild 10 Jahre nach Behandlung.
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5 Schlußbemerkungen Es existiert eine deutliche Diskrepanz zwischen den theoretischen Erwartungen und den positiven experimentellen Resultaten auf der einen und den bisherigen klinischen Ergebnissen auf der anderen Seite. Der klinischen Sensitizerforschung wren mehr Intensitt und Konsequenz zu wnschen, denn zur Zeit gibt es noch keine Empfehlung zum Einsatz eines Radiosensitizers, die von einem breiten internationalen Konsens getragen wre. Dies, obwohl mehrere interessante Ergebnisse vorliegen, z.B. mit halogenierten Pyrimidinen, Razoxan oder Nimorazol. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden bei bestimmten Tumoren rein empirisch konkomitante Radiochemotherapien entwickelt, wobei sich unmerklich gewisse Kombinationen als Therapie der Wahl entwickelt haben, beispielsweise beim sophagus-, Rektum- und Blasenkarzinom sowie beim Anal-, Zervixkarzinom und anderen Tumoren. Dies erhht natrlich die Anforderungen an die Sensitizerforschung, da neue Substanzen in der Regel gegen eine etablierte Radiochemotherapie getestet werden mssen. Literatur Adams GE (1973) Chemical radiosensitization of hypoxic cells. Br Med Bull 29:48…53 Bamberg M, Scherer E (1986) Verbesserung der Effektivitt der radiologischen Tumortherapie durch elektronenaffine Substanzen. In: Heuck F, Scherer E (Hrsg) Handbuch der Medizinischen Radiologie, Bd XX. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo, S 687…706 Beard CJ, Coleman CN, Kinsella T (1993) Radiation sensitizers. In: DeVita VT Jr, Hellman S, Rosenberg SA (eds) Cancer. Principles & practice of oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 2701…2713 Hellmann K, Rhomberg W (1992) Radiotherapeutic enhancement by razoxane. Cancer Treat Rev 18:225…240 Kanclerz A, Chapman JD (1988) Influence of Misonidazole, SR 2508, RSU 1069 and WR-2721 on spontaneous metastases in C57 BL mice. Int J Radiat Oncol Biol Phys 14:309…316 Overgaard J (1994) Clinical evaluation of nitroimidazoles as modifiers of hypoxia in solid tumors. Oncol Res 6:509…518 Rhomberg W, Hassenstein EO, Gefeller D (1996) Radiotherapy vs. radiotherapy and razoxane in the treatment of soft tissue sarcomas: Final results of a randomized study. Int J Radiation Oncology Biol Phys 36:1077…1084 Rhomberg W, Bhlen FK, Novak HJ et al (2003) A small prospective study of chordomas treated with radiotherapy and razoxane. Strahlenther Onkol 179:249…253
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13.11 Kombination von Strahlen- und Chemotherapie J. Dunst, V. Budach, H. J. Schmoll
1 Einfu¨hrung Die Kombination von Chemo- und Strahlentherapie hat in den letzten Jahren in multimodalen Protokollen erheblich an Bedeutung gewonnen. Die verschiedenen Interaktionsmglichkeiten sind komplex. Aus strahlenbiologischer Sicht mssen zwei grundstzlich verschiedene Konzepte voneinander differenziert werden, nmlich das Prinzip der ra¨umlichen Kooperation (beide Modalitten wirken unabhngig voneinander an verschiedenen Zielorten, also lokal bzw. systemisch) und das Konzept der lokalen Wirkungsversta¨rkung (Radiosensibilisierung). Diese Unterscheidung ist konzeptionell ntig, um die optimale Auswahl der Medikamente und Dosierungen sowie die zeitliche Abfolge von Bestrahlung und Chemotherapie festzulegen.
2 Wirkungsprinzipien: ,,Ra¨umliche Kooperation" versus Radiosensibilisierung Ra¨umliche Kooperation
In vielen Situationen, in denen Chemo- und Strahlentherapie kombiniert werden, zielt die Chemotherapie in erster Linie auf eine Bekmpfung der vorhandenen oder okkulten Metastasierung, und die zustzliche Strahlentherapie wird zur besseren lokalen Kontrolle des Tumors eingesetzt. Beide Modalitten agieren dabei weitgehend unabhngig voneinander. Trotzdem kann in der Summe ein besonders starker Effekt resultieren. Ein Beispiel hierfr stellen die Knochen- und Weichteilsarkome im Kindesalter dar. Zum Beispiel kann beim lokalisierten Ewing-Sarkom die lokale Strahlentherapie allein bzw. die systemische Chemotherapie allein jeweils weniger als 10…20% der Patienten heilen, whrend die Kombination beider Modalitten zu Heilungsraten von 60% fhrt. Die Kombination von Strahlen- und Chemotherapie ist in diesem Fall ntig, um einerseits den lokalen Tumor zu kontrollieren (was die Chemotherapie nur im geringen Mae schafft) und andererseits die gleichzeitig in 80…90% vorhandene Mikrometastasierung effektiv zu behandeln (was nur die Chemotherapie schafft). Das Konzept der rumlichen Kooperation steht also immer dann im Vordergrund, wenn neben dem lokalen Tumor eine manifeste oder okkulte Metastasierung (im Sinne einer „Systemerkrankung“) vorliegt und die Chemotherapie diese effektiv behandeln kann.
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Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
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In diesen Situationen sind Chemotherapie und Strahlentherapie gleichwertig oder die Chemotherapie ist das fhrende Therapieelement. Deshalb mu das Schwergewicht auf die Chemotherapie gelegt werden, und die Strahlentherapie mu sich im Zweifelsfall der Chemotherapie anpassen. Beispiele fr derartige Situationen sind: F F F F
Hochmaligne Lymphome, Morbus Hodgkin mit Risikofaktoren Pdiatrische Knochen- und Weichteilsarkome mit hohem Metastasierungsrisiko (z.B. Ewing-Tumoren, Rhabdomyosarkome) Kleinzelliges Bronchialkarzinom im nicht metastasierten Stadium Adjuvante Therapie des Mammakarzinom (Whelan et al. 2000)
Um die Chemotherapie (und Strahlentherapie) in diesen Regimen optimal dosieren zu knnen, ist im Regelfall eine Trennung von Chemo- und Strahlentherapie sinnvoll (sequentielle Chemo-Radiotherapie), da sonst wegen erhhter Akuttoxizitt Dosiskompromisse bei einer oder beiden Modalitten notwendig sind (Tabelle 1).
Tabelle 1. Wirkprinzipien bei der Kombination von Chemo- und Strahlentherapie
Hauptprinzip
Ra¨umliche Kooperation
Lokale Wirkungsversta¨rkung
Chemotherapie und Radiotheraple agieren unabha¨ngig voneinander mit dem Ziel der systemischen Kontrolle (durch Chemotherapie) und der lokalen Kontrolle (durch Radiotherapie)
Chemotherapie dient vorrangig zur Verbesserung der lokalen Strahlenwirkung
Systemerkrankungen Solide Tumoren mit heilbarer (manifester oder okkulter) Metastasierung
Lokoregiona¨r begrenzte solide Tumoren mit Radio- und Chemosensibilita¨t, lokale Kontrolle ist Hauptproblem
Anwendungsgebiete
*
Zeitabfolge/ Sequenz
Chemo- und Radiotherapie getrennt, um optimale Dosierung beider Modalita¨ten zu gewa¨hrleisten, z.B. erst Chemotherapie, gefolgt von Radiotherapie
*
Simultane Radiochemotherapie, um Radiosensibilisierung auszunutzen
Indikationen * * * * *
Maligne Lymphome Ewing-Tumoren Rhabdomyosarkome im Kindesalter Kleinzelliges Bronchialkarzinom Adjuvante Therapie des Mammakarzinoms
* *
* * *
Analkarzinom Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich Zervixkarzinom Harnblasenkarzinom Gastrointestinaltumoren
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Prinzipien der Strahlentherapie
Lokale Strahlenversta¨rkung (Radiosensibilisierung)
In den letzten Jahren spielt neben dem Konzept der rumlichen Kooperation zunehmend das Prinzip der lokalen Wirkungsverstrkung eine Rolle (Dunst u. Sauer 1993). Diese Strategie ist vor allem bei lokoregionr begrenzten soliden Tumoren von Bedeutung, die durch Bestrahlung mit mehr oder minder hoher Wahrscheinlichkeit kontrolliert werden knnen und gleichzeitig eine gewisse Chemosensibilitt aufweisen. Unter bestimmten Bedingungen kann die Chemotherapie den lokalen Effekt der Strahlentherapie wesentlich verstrken. Strahlenbiologisch werden dafr verschiedene Mechanismen diskutiert (unterschiedlich effektives Wirkungsspektrum bei verschiedenen Zellpopulationen, beradditive Effekte durch Angriff an identischen zellulren Strukturen, Hemmung von DNS-Reparaturenzymen). Der Einfachheit halber wird empfohlen, diese Mechanismen als Radiosensibilisierung zu bezeichnen (genaue Definition s. unten). Die Chemotherapie wird in entsprechenden Protokollen also vorwiegend genutzt, um eine rtliche Wirkungsverstrkung zu erzielen; ein systemischer Effekt ist erwnscht, aber nicht das vorrangige bzw. nicht das alleinige Ziel. Solche Konzepte kommen aus strahlenbiologischen berlegungen deshalb vor allem immer dann in Betracht, wenn es sich um eine primr lokalisierte Erkrankung mit vorwiegend lokalem Rckfallrisiko handelt und die lokale Tumorbeherrschung fr das Gesamtberleben von entscheidender Bedeutung ist. Klinische Situationen, in denen entsprechende Effekte belegt sind, betreffen vor allem folgende Entitten: F F F F F F
Analkarzinom (Bartelink et al. 1997) Plattenepithelkarzinome im Kopf-Hals-Bereich (Pignon et al. 2000) Zervixkarzinom (Kays et al. 1999, Thomas 1999, Peters et al. 2000, Green et al. 2001) Harnblasenkarzinom (Dunst et al. 2001) Gastrointestinale Tumoren, insbesondere sophaguskarzinom, Rektumkarzinom, Magenkarzinom (Dunst u. Sauer 1993, Rdel et al. 2001) Wahrscheinlich auch andere radiokurable Erkrankungen, wie z.B. Weichteilsarkome, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom (Eberhardt et al. 2000), inoperable Mammakarzinome oder lokoregionre Mammakarzinomrezidive.
In diesen Konzepten ist die Strahlentherapie die fhrende Therapiemodalitt, und deshalb mu die Chemotherapie der Strahlentherapie angepat werden. Ferner mssen die Zytostatika so ausgewhlt und appliziert werden, da ein Maximum des strahlenverstrkenden Effekts in Tumorzellen erreicht wird. Dies erfordert eine gleichzeitige Applikation beider Modalitten (simultane Radiochemotherapie, s. Tabelle 1). Abhngig vom spezifischen Wirkmechanismus ergeben sich auf der Basis von experimentellen
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Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
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Befunden und klinischen Studien deshalb zum Teil unterschiedliche, von den blichen Chemotherapieregimen abweichende Behandlungsprotokolle (s. unten).
3 Interaktionen auf zellula¨rer und subzellula¨rer Ebene Die zytotoxische Wirkung der Bestrahlung beruht auf der Induktion von (im wesentlichen indirekten) DNS-Schden, und die Dosis-Wirkungs-Beziehung stellt sich im halblogarithmischen Diagramm blicherweise als „Schulterkurve“ dar. Werden Zellen in vitro zustzlich mit Zytostatika (oder anderen die Strahlenwirkung modifizierenden Substanzen) exponiert, kann man anhand der ˜nderung der Dosis-Effekt-Kurve der Strahlentherapie verschiedene Interaktionstypen differenzieren: F
F F
Supraadditive Wirkung (die Summationswirkung ist grer, als die einfache Addition der Einzeleffekte erwarten lt): Dabei wird entweder die Schulter der Dosis-Effekt-Kurve verkrzt (Synergismus, Zytostatikum entspricht einer Erhhung der Strahlendosis), oder die intrinsische Strahlenempfindlichkeit nimmt zu (charakterisiert durch eine Verringerung der zur Inaktivierung einer bestimmten Zellzahl ntigen Dosis D0). Im zweiten Fall (Abnahme von D0) liegt eine Radiosensibilisierung vor. Supraadditive Effekte sind fr die Interaktion von zahlreichen Zytostatika mit Bestrahlung beschrieben, setzen aber fast immer die gleichzeitige Applikation beider Modalitten voraus. Grere Zeitabstnde zwischen Bestrahlung und Zytostatikum vermindern die Wirkung, so da dann oft nur eine einfache Addition erreicht wird. Als Ursache supraadditiver Wirkungen sind zahlreiche Mechanismen beschrieben, die vor allem die Verringerung der Reparatur subletaler und potentiell letaler Strahlenschden bedingen. Additive Wirkung (die Summationswirkung entspricht der Addition der Einzeleffekte). Subadditive Wirkung (Radioprotektion durch das Zytostatikum).
Eine exakte strahlenbiologische Differenzierung der zellulren Interaktionstypen kann nur mittels Isobologramm-Analyse erfolgen, wenn komplette Dosis-Effekt-Kurven vorliegen (Dunst u. Sauer 1993). Fr den klinischen Effekt (Tumorkontrolle durch Strahlentherapie) spielen neben der intrinsischen Strahlenempfindlichkeit andere Mechanismen ebenfalls eine Rolle, vor allem F F
Tumorhypoxie mit sekundrer Radioresistenz und Reoxygenierung unter fraktionierter Strahlentherapie sowie Beschleunigte Repopulierung klonogener Tumorzellen whrend einer mehrwchigen Strahlentherapie.
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Prinzipien der Strahlentherapie
Bei Kombination von Strahlentherapie und Zytostatika werden auch diese Phnomene beeinflut. Dadurch scheinen sich allerdings eher Probleme als Vorteile zu ergeben. Fr die Ineffektivitt der „neoadjuvanten“ Chemotherapie vor Strahlentherapie (keine Verbesserung der lokalen Kontrolle und des berlebens bei Kopf-Hals-Tumoren, Zervixkarzinomen und Harnblasenkarzinom trotz guter Remissionsraten nach Chemotherapie) werden als Ursachen diskutiert: F F
Frhzeitig einsetzende beschleunigte Repopulierung im Residualtumor nach Chemotherapie, Induktion von sekundrer Strahlenresistenz (z.B. durch chemotherapieinduzierte Anmie mit daraus resultierender verstrkter Tumorhypoxie).
Die Kombination von Bestrahlung und Chemotherapie ist also nicht automatisch mit einer verstrkten Wirkung am Tumor verbunden. Daraus folgt, da Kombinationsbehandlungen im klinischen Alltag detailliert interdisziplinr besprochen werden sollten.
4 Toxizita¨ten Zytostatika knnen die Strahlenwirkung verstrken, und zwar sowohl im Tumor als auch im Normalgewebe. Bei der Kombination beider Modalitten mu man deshalb darauf achten, da verstrkte Toxizitten vermieden werden. Da Strahlen- und Chemotherapie oft unterschiedliche Toxizittsmuster aufweisen, kann man bei geeigneter Auswahl und Dosierung der Medikamente eine Verstrkung der Antitumorwirkung bei Verteilung der Toxizitten (hnlich dem Prinzip der Polychemotherapie) erwarten. Akute Toxizita¨t
Bei Bestrahlung resultiert in erster Linie (abhngig von der Dosisverteilung, Fraktionierung und Gesamtdosis) eine akute Haut- und Schleimhauttoxizitt an den schnell proliferierenden gesunden Geweben im Strahlenfeld. Die hmatologische Toxizitt der Strahlentherapie ist gering (auer bei grovolumigen Bestrahlungen mit hohem Anteil von Knochenmark im Strahlenfeld). Zytostatika mit vorwiegend hmatologischer Toxizitt oder Nausea und Erbrechen als Nebenwirkungen (Platinderivate, Mitomycin C, Taxane) lassen sich relativ einfach mit einer Strahlentherapie kombinieren. Schleimhauttoxisehe Zytostatika (z.B. 5-FU) knnen nur in bestimmten Dosierungen mit Bestrahlung kombiniert werden. Bei Kombination von Strahlen- und Chemotherapie sind also grundstzlich mehr Nebenwirkungen (nmlich die der Strahlentherapie plus die der Chemotherapie) zu erwarten. Relevant ist die Frage, ob auch der Schweregrad der Toxizitten zunimmt, das heit, ob die Frequenz von Grad-3/4-Ne-
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Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
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benwirkungen zunimmt. In klinischen Studien ist eine verstrkte akute Schleimhauttoxizitt bei Kombination von Strahlen- und Chemotherapie belegt. Bei aggressiven Protokollen mit simultaner Radiochemotherapie ist die Mukositis (z.B. im Kopf-Hals-Bereich) die dosislimitierende Toxizitt. Auerdem kann das Gefhrdungspotential auch niedrigerer Toxizitten bei Kombinationsbehandlungen zunehmen (z.B. superinfizierte Mukositis durch Strahlentherapie mit gleichzeitiger Knochenmarkdepression durch simultane Chemotherapie). Kombinationsbehandlungen erfordern deshalb eine besonders engmaschige klinische Kontrolle und die Betreuung durch ein erfahrenes interdisziplinres Team (Dunst 2002). Chronische Toxizita¨ten
Nach Strahlentherapie knnen an Organen im Bestrahlungsgebiet Sptfolgen auftreten. Das Risiko hngt im wesentlichen von der Gesamt- und Einzeldosis (zum Teil auch vom bestrahlten Teilvolumen des Organs) ab. Diese Vernderungen sind meistens irreversibel und verlaufen oft chronisch progredient. Sptfolgen nach Behandlung mit Zytostatika sind seltener. Fr die klinische Praxis spielen sie im Verhltnis zur akuten Toxizitt eine geringere Rolle. Allerdings knnen die Risiken von Sptfolgen bei der Kombinationsbehandlung verstrkt sein (z.B. Kardiotoxizitt von Mediastinalbestrahlung und anthrazyklinhaltiger Chemotherapie). Toleranzdosen kritischer Organe knnen bei zustzlicher (sequentieller oder simultaner) Chemotherapie vermindert sein (z.B. Nierentoleranz bei Ifosfamidtherapie).
5 Ha¨ufig in Kombination mit Strahlentherapie eingesetzte Zytostatika Folgende Medikamente und Dosierungen finden in der klinischen Praxis hufig Anwendung bei der simultanen Radiochemotherapie: Cisplatin
Cisplatin ist ein besonders potenter Radiosensibilisator. Die hchste Radiosensibilisierung wird erreicht, wenn das Medikament kurz vor der Bestrahlungsfraktion appliziert wird. In klinischen Protokollen wird deshalb eine Applikation einmal wchentlich whrend einer mehrwchigen Bestrahlungsserie (z.B. wchentlich 40 mg/m2, vor allem bei Zervixkarzinomen) oder die Gabe an fnf aufeinanderfolgenden Tagen in der ersten und letzten Bestrahlungswoche (jeweils 25 mg/m2 an den Tagen 1…5 und 29…33, vor allem bei Harnblasenkarzinomen und Kopf-Hals-Tumoren) angewandt. Cisplatin wird vor allem bei Plattenepithelkarzinomen (Kopf-Hals-Tumoren, Zervixkarzinomen, sophaguskarzinomen) und Urothelkarzinomen eingesetzt, der signifikante Effekt auf lokale Kontrolle und berleben ist fr diese Entitten in groen Studien belegt.
13
632
13
Prinzipien der Strahlentherapie
5-Fluorouracil (5-FU)
5-FU wirkt in experimentellen Systemen vor allem dann radiosensibilisierend, wenn die Substanz ber einen relativ langen Zeitraum (mindestens 24 Stunden) nach der Strahlenexposition appliziert wird. Fr die klinische Praxis werden deshalb Dauerinfusionen von 5-FU bevorzugt (z.B. tglich 600…1000 mg/m2 als kontinuierliche Infusion ber insgesamt 120 Stunden in der ersten und letzten Bestrahlungswoche oder tglich 225…300 mg/m2 als Dauerinfusion ber den gesamten Zeitraum einer 6wchigen Bestrahlungsserie). 5-FU wird vor allem bei Adenokarzinomen des Gastrointestinaltraktes (kolorektale Karzinome, Magenkarzinom, sophaguskarzinom) und bei Plattenepithelkarzinomen (Kopf-Hals-Region, sophagus, Analkarzinom) eingesetzt (Al-Sarraf et al. 1997, Rdel et al. 2001). Das oral applizierbare 5-FU-Prodrug Capecitabin kann bei oraler Dauermedikation eine kontinuierliche 5-FU-Infusion pharmakologisch imitieren. Wegen der sich daraus ergebenden theoretischen Vorteile und der mglichen Hochregulierung der Thymidin-Phosphorylase durch Bestrahlung durch die das Prodrug enzymatisch aktiviert wird, wirkt diese Substanz mglicherweise besonders gut in Kombination mit Strahlentherapie. Dies ist zur Zeit Gegenstand klinischer Studien. Mitomycin C
Mitomycin C wirkt nicht spezifisch strahlensensibilisierend, scheint jedoch vor allem im hypoxischen Milieu (Hypoxie bedeutet Strahlenresistenz, sog. Sauerstoffeffekt) wirksam zu sein. Die Kombination von Strahlentherapie und Mitomycin C ist deshalb theoretisch sinnvoll, um potentiell strahlenresistente, hypoxische Zellklone durch das Zytostatikum zu eliminieren. Die Wirksamkeit von Mitomycin C ist als Monotherapeutikum oder in der Kombination mit 5-FU fr Analkarzinom, sophaguskarzinom, Kopf-Hals-Tumoren und das Zervixkarzinom belegt (Flam et al. 1996). Typische Dosierungen sind 10…12 mg/m2 als Einmalgabe in der ersten und letzten Bestrahlungswoche. Taxane
Fr die Taxane, insbesondere fr Paclitaxel, sind in vitro strahlensensibilisierende bzw. beradditive Effekte in Kombination mit Strahlentherapie gut belegt. Zahlreiche Daten aus klinischen Phase-II-Studien zeigen eine gute Vertrglichkeit von Strahlentherapie und Taxanen. Taxane knnen mglicherweise Cisplatin bei Risikopatienten ersetzen (z.B. bei Kontraindikationen gegen Cisplatin wegen eingeschrnkter Nierenfunktion) oder ergnzen.
13.11
Kombination von Strahlen- und Chemotherapie
633
Andere strahlensensibilisierende Zytostatika
Fr zahlreiche andere etablierte Zytostatika (z.B. Anthrazykline) oder auch neuere Substanzen (z.B. Gemcitabin, Temozolamid, Topotecan, Oxaliplatin, Irinotecan) sind strahlensensibilisierende Effekte in vitro beschrieben. Aus Phase-I/II-Studien sind positive Effekte belegt. Diese Substanzen haben bisher allerdings noch keinen Eingang in etablierte, in Leitlinien verankerte Behandlungskonzepte in der Primrtherapie gefunden und werden zur Zeit in Studien untersucht. Bei einigen dieser Substanzen (z.B. Actinomycin D, Adriamycin, Gemcitabin) kann eine berproportional starke Verstrkung der Strahlenwirkung im gesunden Gewebe (z.B. verstrkte Hautreaktion bei Adriamycin) resultieren, auerdem sind Recall-Phnomene (erneutes Auftreten der akuten Strahlenreaktion im Strahlenfeld nach Abschlu der Strahlentherapie bei Gabe des Zytostatikums) vereinzelt beschrieben (vor allem nach Actinomycin D).
6 Indikationen fu¨r die simultane Radiochemotherapie Die simultane Radiochemotherapie ist auf der Basis klinischer Studien fr verschiedene Entitten mit kurativer Intention indiziert (Tabelle 2). Tabelle 2. Aktuelle Indikationen zur simultanen Radiochemotherapie entsprechend Leitlinien Tumorentita¨t
Indikationen zur simultanen Radiochemotherapie (RCT)
Analkarzinome
* *
Plattenepithelkarzinome im Kopf-Hals-Bereich
*
Zervixkarzinom
*
*
*
Harnblasenkarzinom
*
*
Rektumkarzinom
* *
Medikamente/Regime
Alle Analkanalkarzinome Analrandkarzinome T3–4
5-FU + MMC
Inoperable Tumoren Lokal fortgeschrittene Tumoren
Cisplatin (Carboplatin) 5-FU + MMC Cisplatin + 5-FU (Carboplatin/5-FU)
Definitive RCT ab Stadium FIGO IIB Cisplatin/Stadium IIIB: MMC Adjuvante RCT bei High-risk-Tumoren Cisplatin/Cisplatin + 5-FU Transurethrale Resektion + RCT als Cisplatin Alternative zur radikalen Zystektomie Inoperable Tumoren (cT3–4) Adjuvante/neoadjuvante RCT ab cT3 Lokalrezidiv
5-FU
Magenkarzinom
*
Adjuvante Therapie nach OP bei pT3–4 oder pN+
5-FU
O¨sophaguskarzinom
*
Inoperable Tumoren
Cisplatin + 5-FU 5-FU + MMC
Pankreaskarzinom
*
Inoperable Tumoren
5-FU
13
634
13
Prinzipien der Strahlentherapie
Mglicherweise spielt diese Kombination in Zukunft auch fr die palliative Therapie eine grere Rolle, da Zytostatika durch ihre strahlenverstrkende Wirkung in Kombination auch mit niedrigen Strahlendosen gute Remissionsraten erzeugen. Dies ist zur Zeit Gegenstand klinischer Studien. Literatur Al-Sarraf M, Martz K, Herskovic A et al (1997) Progress report of combined chemotherapy versus radiotherapy alone in patients with esophageal cancer. An intergr study. J Clin Oncol 15 (1):277…284 Bartelink H, Roelofsen F, Eschwege F et al (1997) Concomitant radiotherapy and chemotherapy is superior to radiotherapy alone in the treatment of locally advanced anal cancer: results of a phase III randomized trial of the European Organization for Research and Treatment of Cancer Radiotherapy and Gastrointestinal Cooperative Groups. J Clin Oncol 15:2040…2049 Dunst J (2002) Normal tissue reactions during and after radiochemotherapy Front Radiat Ther Oncol 37:69…77 Dunst J, Sauer R (1993) Simultane Radiochemotherapie. Strahlenther Onkol. 169:205…212 Dunst J, Rdel C, Zietman A et al (2001) Bladder preservation in muscle-invasive bladder cancer by conservative surgery and radiochemotherapy. Semin Surg Oncol 20:24…32 Eberhardt W, Bildat S, Korfee S (2000) Combined modality therapy in NSCLC. Ann Oncol 11 (S3):85…95 Flam M, John M, Pajak TF et al (1996) Role of mitomycin in combination with fluorouracil and radiotherapy and of salvage chemoradiation in the definitive nonsurgical treatment of epidermoid carcinoma of the anal canal: results of a phase III randomized intergr study. J Clin Onocl 14 (9):2527…2539 Green JA, Kirwan JM, Tierney JF et al (2001) Survival and recurrence after concomitant chemotherapy and radiotherapy for cancer of the uterine cervix: a systematic review and meta-analysis. Lancet 358:781…786 Keys HM, Bundy BN, Stehman FB et al (1999) Cisplatin, radiation, and adjuvant hysterectomy compared with radiation and adjuvant hysterectomy for bulky stage IB cervical carcinoma. N Engl J Med 340 (15):1154…1161 Peters WA, Liu PY, Barrett RJ et al (2000) Concurrent chemotherapy and pelvic radiation therapy compared with pelvic radiation therapy alone as adjuvant therapy after radical surgery in high-risk early-stage cancer of the cervix. J Clin Oncol 18 (8):1606…1613 Pignon JP, Bourhis J, Domenge C, Designe L (2000) Chemotherapy added to locoregional treatment for head and neck squamous-cell carcinoma: three meta-analyses of updated individual data. Lancet 2355 (18):949…955 Rdel C, Sauer R (2001) Perioperative radiotherapy and concurrent radiochemotherapy in rectal cancer. Semin Surg Oncol 20 (1):2…12 Thomas G (1999) Improved treatment for cervical cancer…concurrent chemotherapy and radiotherapy. N Engl J Med. 340:1198…1200 Whelan TJ, Julia J, Writght J.: Jadad AR, Levine ML (2000) Does locoregional radiation therapy improve survival in breast cancer? A meta-analysis. J Clin Oncol 18(6):1220…1229
13.12 Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie R. Sauer, L. Keilholz
1 Grundsa¨tzliches Durch Vernderung der zellulren Strukturen, insbesondere der DNS und der Zellkernmembranen, knnen ionisierende Strahlen die Zellfunktion beeintrchtigen. Es kommt zu letalen, subletalen oder potentiell letalen Strahlenscha¨den an Tumor- und Normalgeweben. Subletale und potentiell letale Ereignisse werden u.U. repariert, im Tumor seltener und langsamer als im Normalgewebe. Bei einem letalen Schaden sterben die Zellen ab, entweder im betreffenden Zellzyklus oder erst im Verlauf weiterer Zellteilungen (Interphase- oder reproduktiver Zelltod, ausfhrlichere Darstellung bei Sauer 2003 oder Fritz-Niggli 1997). Grundstzlich steigt die Strahlenempfindlichkeit mit abnehmender Zelldifferenzierung und zunehmender Proliferationsaktivita¨t. Am empfindlichsten sind Gewebe, deren Stammzellen bzw. unreife Vorstufen ebenso wie die reifen Endzellen strahlensensibel sind (lymphatisches System), ferner Organe mit sensiblen Stammzellen und relativ resistenten Endzellen (Hoden, Knochenmarkzellen mit Ausnahme der Lymphozyten); auch Zellsysteme mit kurzlebigen Endzellen, wie Dnndarmepithel, brechen rasch zusammen. Gefhrdet sind schlielich Systeme, die sich nicht erneuern knnen, z.B. die Oozyten im reifen Ovar.
Tabelle 1. Wachstums- und Entwicklungssto¨rungen des Embryos bzw. Fetus durch ionisierende Strahlung Entwicklungsstadium
Zeitraum
Effekt
Blastogenese (Pra¨implantationsperiode)
Bis 9. Tag
Intrauteriner Fruchttod (Resorption) oder scheinbar ungescha¨digte Embryonen
Organogenese (Organdifferenzierung)
10.–60. Tag
Anomalien: Kleinwuchs, Skelettanomalien, geistige Retardierung, Mikro- und Anenzephalie, Hydrozephalus, Mikro- und Anophthalmus, Karzinogenese, pra¨nataler Fruchttod
Fetalperiode (Wachstumsperiode)
Ab 8. Woche
Minderwuchs, Mikroenzephalie, Intelligenzeinbuße, Gleichgewichtssto¨rung, Sterilita¨t, neonataler Fruchttod
Postnatalperiode
Postnatal
Wachstumsverzo¨gerung, Fehlbildungen von Augen, Za¨hnen, weiblicher Brust und ZNS
13
636
13
Prinzipien der Strahlentherapie
Wir unterscheiden zwischen akuten und chronischen Folgen der Strahlentherapie. In der Strahlenbiologie ist der Begriff Strahlenschaden gelufig, nicht aber in der Klinik, weil er hier mit einem Schaden durch unsachgeme Therapie assoziiert wird. Was der Onkologe sieht, sind nichtstochastische (auch: deterministische) somatische Effekte. Sie treten nach berwindung einer Schwellendosis auf. Zu den nichtstochastischen Schden gehren auch Schden an der ungeborenen Leibesfrucht, die teratogenen Strahlenschden (Tabelle 1). Im Gegensatz dazu sind genetische Schden und die Kanzerogenese Zufallsereignisse, also stochastische Effekte. Sie knnen nach Strahleneinwirkung immer auftreten, wenn auch die Wahrscheinlichkeit nach medizinischer Strahlenanwendung sehr gering ist (bersicht bei Sauer 2003). 1.1 Akute Strahleneffekte Akute Strahleneffekte laufen an rasch proliferierenden, akut reagierenden Geweben als Stammzell- und Gefschaden ab. Da ein Stammzellverlust nach einer Erholungsphase von einigen Tagen durch die gesteigerte Proliferation von berlebenden Stammzellen wieder ausgeglichen werden kann, bilden sich akute Strahlenvernderungen in der Regel nach Abschlu der Behandlung restlos zurck. Ihr Ausma lt sich durch Bestrahlungspausen („split course“), durch eine Protrahierung der Strahlentherapie, durch Kortikoide und Antiphlogistika, auch durch andere lokale Anwendungen reduzieren. Das hat aber keine Auswirkung auf das Risiko oder den Schweregrad einer Strahlensptvernderung. Akute Strahlenreaktionen brauchen nicht auf das bestrahlte Volumen beschrnkt zu sein, sondern knnen auch in der Umgebung (z.B. Strahlenpneumopathie) oder systemisch auftreten (z.B. Leukopenie durch Interaktion mit Chemotherapie, Aktivierung oder Hemmung von immunkompetenten Zellen). 1.2 Chronische Strahleneffekte Chronische Strahleneffekte (Sptfolgen) treten erst Monate spter, manchmal erst nach Jahren in Erscheinung. Sie betreffen die Stammzellen der langsam proliferierenden Gewebe, v.a. des Bindegewebes, der Knochen und der Muskulatur. Die Folge sind Fibrose, Atrophie und Gefvernderungen, wie Intimafibrose, Lipidablagerungen, Wandsklerose und Lumeneinengung, und Nekrose. Zellersatz durch Stammzellproliferation spielt praktisch keine Rolle. Trotzdem ist die zellulre Repairkapazitt hher als bei rasch proliferierenden Geweben. Neben der Gesamtdosis ist deshalb die Hhe der Einzeldosis pro Fraktion ausschlaggebend fr die Erholung des Gewebes oder umgekehrt: fr das Ausma des Sptschadens. 2 Gy am Referenzpunkt sollten in der kurativen Situation nicht berschritten werden. Schlielich sind Strahlensptfolgen irreversibel und kaum zu behandeln. Das gleiche gilt fr palliative
13.12
Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
637
Situationen, wenn der Behandelte mit relativ gnstiger Prognose Sptfolgen noch erleben kann. 1.3 Recallpha¨nomen Ein interessantes Ereignis bei der Interaktion von Strahlen- und Chemotherapie ist das sogenannte Recallphnomen. Darunter versteht man das Wiederauftreten einer zuvor abgeklungenen Strahlenreaktion, z.B. eines Hauterythems whrend oder nach Chemotherapie. Beschrieben wurden derartige Hautreaktionen insbesondere nach Anthrazyklinen (Donaldson et al. 1974), Actinomycin D (Redpath u. Colman 1979) und Paclitaxel (McCarty et al. 1996), aber auch nach Cisplatin oder 5-Fluorouracil. Auch an der Lunge oder den Schleimhuten wurde es beobachtet (Eifel u. McClure 1989; Vegesna et al. 1992) nach Adriamycin, Actinomycin D sowie Cyclophosphamid (Travis et al. 1990). Tierexperimentell lie sich ein Recallphnomen an der Lunge auch 12 Wochen nach Strahlenexposition noch nachweisen. In Einzelfllen trat eine Recallmukositis noch Monate nach Bestrahlung auf. Rubin (1984, 1993) diskutierte pathogenetisch additive Effekte. Dabei knnten akkumulierte, nicht reparierte subletale Schden die Grundlage fr zustzliche Schdigungen durch Zytostatika sein (Hill et al. 1986; Steel u. Peckham 1979). Auch radiogene Spteffekte am Gefbindegewebe knnten die Toxizitt der Chemotherapie verstrken (Rubin 1993).
13
Tabelle 2. Klinik und Verlauf des unbehandelten akuten Strahlensyndroms Charakteristisches Krankheitsbild
Todeszeitpunkt nach Exposition
2–3 Wochen Hypoplasie des Knochenmarks
Erbrechen, U¨belkeit, Blutungen, Purpura, Infektionen
20–60 Tage
5
3–5 Tage
Scha¨den des Darmepithels mit Ulzera
Fieber, Durchfall, Erbrechen, Elektrolytverlust, Infektionen
10–14 Tage
20
15 min–3 h
Krampfanfa¨lle, 14–36 h Gefa¨ßvera¨nderungen, Nekrosen der Neurone, Somnolenz, Tremor, Koma O¨dem
Typ
Schwellen- Latenzdosis (Gy) periode
Ha¨matopoetisches Syndrom
1
Gastrointestinales Syndrom
Zentralnervo¨ses Syndrom
Morphologische Ursache
638
13
Prinzipien der Strahlentherapie
1.4 Akutes Strahlensyndrom (Strahlenkrankheit) Schwellendosis und Ausma der Strahlenreaktion richten sich nach dem Krpervolumen, das durchstrahlt wird. Entsprechend niedrig ist die Schwellendosis (TD 5/5 = 5% Vernderungen in 5 Jahren) bei der Ganzkrperbestrahlung mit 1 Gy. Eine Ganzkrperbestrahlung ist heute bei onkologischen Therapiekonzepten durchaus blich, sie ist aber auch bei Strahlenunfllen zu bedenken. Abhngig von der Ganzkrperdosis treten charakteristische Effekte auf (Tabelle 2). Nach 4 Gy sterben unbehandelt 50% der Exponierten innerhalb von 30 Tagen am hmatopoetischen Syndrom (LD 50/30 = mittlere Letaldosis). Die Letaldosis (LD 100/30) betrgt 6 Gy. Tabelle 3. Zusammenfassung der Strahlentoleranz von Normalgeweben. Die Dosisangaben beziehen sich auf die Eintrittswahrscheinlichkeiten 5% und 50% innerhalb von 5 Jahren Kritisches Organ
TD 5/5 in Gy (Volumen)
Haut O¨sophagus
70 (10 cm2)
60 (30 cm2)
55 (100 cm2)
60 (1/3)
58 (2/3)
55 (3/3) 50 (3/3)
Magen
60 (1/3)
55 (2/3)
Du¨nndarm
50 (1/3)
40 (> 50%)
Kolon
55 (1/3)
45 (> 50%)
Rektum
60 (3/3)
Lunge
45 (1/3)
30 (2/3)
17,5 (3/3)
Herz
60 (1/3)
45 (2/3)
40 (3/3)
Gehirn
60 (1/3)
50 (2/3)
45 (3/3)
Ru¨ckenmark
50 (5–10 cm)
47 (> 10 cm)
Plexus brachialis
62 (1/3)
N. opticus + Chiasma optici
50 (3/3) 60 (3/3)
Linse
10 (3/3)
Retina
45 (3/3)
Parotis Niere
32 (3/3) 50 (1/3)
Blase
30 (2/3)
23 (3/3)
80 (2/3)
65 (3/3)
Hu¨ftkopf
52 (3/3)
Rippe
50 (1/3)
Larynx
79 (1/3)
70 (> 2/3)
13.12
Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
639
2 Spezielle Toxizita¨t Die Toleranz der Normalgewebe fr deterministische Effekte unterscheidet sich stark. Tabelle 3 gibt Anhaltswerte fr die TD 5/5 (5% Effekte innerhalb 5 Jahren = Schwellendosis) und die TD 50/5 (50% Effekte in 5 Jahren). 2.1 Ha¨matopoetisches System Die Lymphozyten aus Thymus, Knochenmark, Milz und Lymphknoten weisen eine hohe, allerdings uneinheitliche Strahlenempfindlichkeit auf. Bereits nach 0,05 Gy gibt es Zelluntergnge. Die Proliferation immunkompetenter Lymphozyten wird durch 0,7…0,8 Gy gehemmt. Im Knochenmark (Endpunkte TD 5/5 bzw. 50/5) und beru¨cksichtigen die Volumenabha¨ngigkeit (in Klammern). (Nach Emami et al. 1991) TD 50/5 in Gy (Volumen)
Endpunkt 2
70 (100 cm )
Nekrose, Ulzeration
72 (1/3)
70 (2/3)
68 (3/3)
Perforation, Striktur
70 (1/3)
67 (2/3)
65 (3/3)
60 (1/3)
55 (> 50%)
65 (1/3)
55 (> 50%)
Perforation, Ulzeration Obstruktion, Perforation, Fistel Obstruktion, Perforation, Fistel
80 (3/3)
Nekrose, Fistel, Stenose, schwere Proktitis
65 (1/3)
40 (2/3)
24,5 (3/3)
Pneumonitis
70 (1/3)
55 (2/3)
50 (3/3)
Perikarditis
75 (1/3)
65 (2/3)
60 (3/3)
Nekrose, Infarkt
65 (3/3) 70 (5–10 cm) 77 (1/3)
85 (2/3)
75 (3/3)
La¨hmung
18 (3/3)
Katarakt
65 (3/3)
Blindheit
46 (3/3)
Xerostomie
28 (3/3)
Nephritis
80 (3/3)
Dauerhafte Volumenverminderung
65 (3/3) 65 (1/3) 90 (1/3)
Blindheit Radiomyelitis
Nekrose Pathologische Fraktur
80 (> 2/3)
Knorpelnekrose
13
640
13
Prinzipien der Strahlentherapie
sind alle unreifen Vorstufen sehr empfindlich. Eine einmalige Exposition mit 3…4 Gy reduziert den Stammzellspeicher auf etwa 10%. Die Zellen des peripheren Blutes erweisen sich als weitgehend strahlenunempfindlich. Nach Ganzkrperexposition fallen die Granulozyten und Thrombozyten u.U. erst nach 2…3 Wochen ab und erreichen den Nadir nach 27 Tagen. Ausgesprochen selten ist die strahlenbedingte Anmie. Eine Wiederbesiedlung des bestrahlten Knochenmarks aus unbestrahlten Regionen ist innerhalb von 3…4 Wochen mglich, vorausgesetzt, die Knochenmatrix wurde mit nicht mehr als 45 Gy bestrahlt. Kleinere Volumina repopulieren rascher als groe. 2.2 Haut und Hautanhangsgebilde Die akute Radiodermatitis uert sich in Erythem, Desquamation, dem, Haarausfall, exfoliativer Dermatitis, feuchter Epitheliolyse und schlielich in umschriebenen Blutungen. Ursache ist die Schdigung der Stammzellschicht des Stratum basale und dadurch ein verminderter Zellnachschub in das Stratum spinosum. Als Sptfolge knnen Pigmentverschiebungen, Dauerepilation, Hautatrophie, Teleangiektasien, Hyperkeratose und Ulzera auftreten. Nach hohen Einzeldosen kommt es hufiger zu chronischen Vernderungen. Geeignete Hautpflege kann die akuten Effekte lindern. Versta¨rkend wirken folgende Chemotherapeutika: Anthrazyklinderivate, Alkylanzien, Antibiotika, Antimetaboliten, Carboplatin, Vindesin und Vinblastin. 2.3 Mundschleimhaut, Speicheldru¨sen und Zahnapparat Die akute Mukositis uert sich schon ab der 2. Bestrahlungswoche in Geschmacksverlust, Enanthem (Grad I), dematser Schwellung (Grad II), schlielich in fibrinser Mukositis (Grad III) und Ulzerationen (Grad IV). Schlechte Mundhygiene und fortgesetzter Nikotin- und Alkoholabusus verstrken die Reaktion. Superinfektionen mit Soor sind hufig. Die bestrahlten Speicheldrsen reagieren in der 3. Bestrahlungswoche. Der Speichel wird visks, sauer und schumt stark. Die konsekutive Mundtrockenheit gehrt zu den gefrchtesten Sptfolgen der Strahlentherapie. Sie bessert sich … wenn berhaupt … erst im Verlaufe von Monaten. Neben den direkten Strahlenfolgen an den Zhnen, wie Pulpaatrophie und Schden an den Odontoblasten des Dentins, fhren gestrte Speichelsekretion und vernderte Mundflora leider meist zu sekundrer Strahlenkaries. Die vorbeugende Schleimhautpflege und Mundhygiene kann man nicht ernst genug nehmen. Versta¨rkend wirken folgende Chemotherapeutika: Anthrazyklinderivate, Antibiotika, Antimetaboliten und Taxane, v.a. aber 5-Fluorouracil und Dacarbazin.
13.12
Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
641
2.4 Gastrointestinaltrakt Duodenum und Dnndarm weisen die hchste Strahlenempfindlichkeit auf. Dickdarm, Magen- und sophagusschleimhaut folgen in der genannten Reihenfolge. Die Strahlenenteritis uert sich in belkeit, Erbrechen, Meteorismus, Tenesmen, Blut- und Schleimabgngen. Sie tritt besonders frhzeitig bei grovolumigen Abdominalbestrahlungen auf. Flssigkeits- und Elektrolytverlust sowie Resorptionsstrungen fr Fette und Kohlenhydrate erzwingen die stationre Behandlung. Durch Reduktion der Einzeldosis und Hyperfraktionierung (2mal 1,15 Gy/Tag) lassen sich die Nebenwirkungen von grovolumigen Abdominalbestrahlungen betrchtlich vermindern. Die Strahlenproktitis wird symptomatisch durch hufige, schleimige Stuhlentleerungen, Schmerzen und Blutungen. Geschwre und Strikturen sind die Sptfolge. Sie treten bei gynkologischen Kombinationsbehandlungen, hochdosierter (auch interstitieller) Bestrahlung des Prostatakarzinoms und bei Bestrahlungen des Rektumkarzinoms auf. Versta¨rkend wirken Antibiotika, 5-Fluorouracil, Anthrazyklinderivate und Kalziumfolinat. 2.5 Leber Nach 30 Gy kommt es 1…6 Monate spter zur Strahlenhepatitis. Alkalische Phosphatase, LDH und GOT sind erhht, die Cholinesterase ist erniedrigt. Ursache sind nach anfnglicher Hypermie Vernderungen der Leberlppchen nahe der Zentralvene: Stauung in den Lebersinus, Hmorrhagie, dem, Thrombosierung der Venen, Atrophie der zentral gelegenen Hepatozyten. In der chronischen Phase zeigen sich portale Fibrose, Fibrose der Gallengnge und weitgehende Parenchymatrophie. Das Ausma der Schden hngt nicht nur von der Gesamtdosis, sondern stark von der gewhlten Fraktionierung ab. Eine Einzeldosis von 1,5 Gy sollte nicht berschritten werden, wenn die Leber (mit) bestrahlt werden mu. Versta¨rkend wirken 5-Fluorouracil, v.a. in Kombination mit Kalziumfolinat, Methotrexat, Asparaginase, Mithramycin und Doxorubicin. 2.6 Lunge Die Lunge ist ein strahlenkritisches Organ mit akut reagierenden und spt, stark abhngig von der Fraktionierung, reagierenden Komponenten. Die akute Strahlenpneumopathie gleicht der atypischen viralen Pneumonie: unproduktiver Husten, subfebrile Temperaturen, Kurzatmigkeit. Ursache ist eine interstitielle Entzndung mit Hypermie, Schdigung der Endothelzellen, v.a. der Pneumozyten Typ II ber einen Verlust an Surfactant, mit Kapillarschdigung, dem und Verlust der lymphatischen Follikel. Ab 20 Gy
13
642
13
Prinzipien der Strahlentherapie
nimmt nach 3 Monaten die Zahl der elastischen und kollagenen Fasern zu: Dies verdickt die Alveolarsepten, fibrosiert die Kapillaren und fhrt zu Atelektasen. Diese Vernderungen werden ber Mediatoren auch in nicht bestrahlten Lungenabschnitten ausgelst. Deshalb bleiben die akute und spter die chronische Strahlenpneumopathie (Lungenfibrose) nicht auf das Bestrahlungsgebiet begrenzt. Als kritische Dosis gelten 20 Gy, stark abhngig von der gewhlten Fraktionierung (bei grovolumigen Lungenbestrahlungen Fraktionsdosis < 1,5 Gy anstreben!). 20% der autoptisch diagnostizierbaren Lungenfibrosen lassen sich radiologisch nachweisen, nur 1% rufen klinische Symptome hervor. Versta¨rkend wirken BCNU, Bleomycin, Busulfan, Mitomycin C, 5-FU, Cisplatin, Paclitaxel. 2.7 Herz Akute Strahlenreaktionen, wie tachykarde Herzrhythmusstrungen, Perikarditis und Perikardergu, sind bei grovolumiger Herzbestrahlung und bei der Kombination mit Anthrazyklinen zu befrchten. Eine verzgerte Perikarditis wird nach 35 Gy (TD 50/560 Gy), eine Koronarfibrose nach > 25 Gy beobachtet. Die konstriktive Perikarditis tritt erst nach 40 Gy auf oder bei gleichzeitiger Verabreichung von Adriamycin. Weitere Sptreaktionen: Myokardfibrose, Schenkelblock oder AV-Block, Verminderung der linksventrikulren Ejektionsfraktion. Versta¨rkend wirken Anthrazykline, wie Daunorubicin und Doxorubicin, 5-Fluorouracil und mglicherweise auch Mitoxantron. 2.8 Nieren Die Strahlenschden an den Nieren sind initial klinisch stumm, insbesondere bei Befall nur einer Niere. Laborchemisch zeigen sich die typischen Zeichen der Niereninsuffizienz. Die Ursachen sind ein Schaden der arterioglomerulren Region mit nachfolgender Glomerulosklerose und eine Zerstrung des distalen und intermediren Tubulusapparates. Als kritische Dosis gelten 20 Gy. Teilweise Erholung ber Monate ist mglich. Teilbestrahlungen, z.B. im Rahmen einer Milzbestrahlung, sind klinisch bedeutungslos. Versta¨rkend wirken Alkylanzien, Cisplatin, Methotrexat, Mitomycin C und Streptozotocin. 2.9 Nervensystem Akute Strahlenreaktionen treten 3…4 h nach Strahleneinwirkung wegen radiogenen dems auf, welches tumorbedingte Symptome verstrken
13.12
Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
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kann. Subakute Reaktionen („frhe Sptphase“) uern sich in nicht sicher zuzuordnenden neurologischen Symptomen, wie z.B. dem Lhermitte-Zeichen (Elektrisieren im Schulter- oder Beckengrtel bei Dehnung des Rckenmarks) nach Rckenmarkbestrahlungen und dem Somnolenzsyndrom nach Ganzhirnbestrahlung. Chronische Folgen sind ber Jahre progredient. Endpunkt ist die Nekrose. Sie uert sich im Gehirn und im Rckenmark als raumfordernder Proze, im Rckenmark auch als Atrophie. Die Strahlenfolgen am peripheren Nerv sind kaum untersucht. Hier wird eine kritische Dosis von ebenfalls 55 Gy angenommen. Versta¨rkend wirken Asparaginase, Cisplatin (Hrstrungen), Cytarabin (Ara-C), Methotrexat und Vincaalkaloide. 2.10 Skelett Reifer Knorpel und ausgewachsener Knochen sind praktisch strahlenresistent. Die Osteoradionekrose ist Folge eines Gefschadens und in schlecht durchbluteten Abschnitten hufiger, z.B. in Mandibula und Hftkopf. 2.11 Keimdru¨sen Im Hoden sind die Gonozyten im Interphasestadium kurz vor ihrer Teilung zu Spermatogonien am empfindlichsten: Ersteffekte nach 0,2 Gy, Unterbrechung der Spermienproduktion ab 0,3 Gy (0,03 Gy/Tag whrend einer Bestrahlung ber 4 Wochen). Nach 0,5…1,0 Gy Gesamtdosis erfolgt die Erholung inkomplett (Oligozoospermie), nach > 2 Gy ist bereits eine permanente Infertilitt zu erwarten. Erholungsvorgnge laufen innerhalb von 3…48 Monaten ab. Bemerkenswerterweise schdigt eine fraktionierte oder protrahierte Bestrahlung die Spermatogenese strker als eine Einzeitbestrahlung. Spermatiden und reife Spermien sind dagegen relativ strahlenresistent und berleben bis 500 Gy. Darauf ist zurckzufhren, da nach einem Strahleninsult die Zeugungsfhigkeit noch so lange erhalten bleibt, bis sich der Nachschub aus den geschdigten Spermatogonien und Spermatozyten erschpft hat. Die hormonproduzierenden Leydig-Zellen werden bei Dosen 20 Gy vermutlich irreversibel beeintrchtigt. Die Hormonproduktion kann also im Dosisbereich bis 20 Gy erhalten bleiben trotz eventueller Impotentia generandi. In den Ovarien sind die reifen Oozyten in den frhen Tertirfollikeln die sensibelsten Zellen. Die Vorstufen gelten im Gegensatz dazu als resistent. Die Schwellendosis betrgt abhngig vom Lebensalter 2 bis 18 Gy. Sie sinkt mit dem Alter und abnehmendem Oozytenvorrat. Im Gegensatz dazu sind die Ovarien der jungen Frau resistenter. Nach 6…8 Gy, in Einzelfllen sogar
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Prinzipien der Strahlentherapie
Tabelle 4. Unterschiedliche Reaktionen erwachsener ma¨nnlicher und weiblicher Keimdru¨sen auf ionisierende Strahlung. (Nach Fritz-Niggli 1997) Hoden
Eiersto¨cke
Schwellendosis der sensibelsten Zellen
0,2 Gy
2–18 Gy
Einfluß der Fraktionierung/ Protrahierung
Fo¨rderung der Strahleneffekte Schutzwirkung
Empfindlichstes Fertilita¨tsstadium
Interphase-Gonozyten (vor Spermatogonienbildung), Fetus und Sa¨ugling
Prima¨re Oozyen, Fetus ab 5. Monat, Beginn der Puperta¨t
Zusammenhang von Sensibilita¨t und Lebensalter
Unbekannt
Anstieg mit dem Alter
Repopulation aus fru¨hen Entwicklungsstadien
Mo¨glich
Nicht mo¨glich
Hormonelle Funktionen
Resistent bis 20 Gy, unabha¨ngig von Keimzellscha¨digung
Hoch sensibel, abha¨ngig von Keimzellscha¨digung
noch nach 20 Gy, kann durchaus noch mit einer Konzeption gerechnet werden. Bei der Frau hngt die Hormonbildung von der Intaktheit der Keimzellen ab. Sie ist also ebenso stranfllig wie diese. Eine zusammenfassende bersicht ber die Strahleneffekte an Hoden und Ovar zeigt Tabelle 4.
3 Toxizita¨t der Strahlentherapie in Kombination mit ha¨ufig verwendeten Chemotherapeutika 3.1 Anthrazykline Eine simultane Radiochemotherapie mit Anthrazyklinen wird nur bei wenigen Indikationen empfohlen. Insbesondere bei der Therapie von Lymphomen oder Mammakarzinomen lt die verstrkte Toxizitt an Herz, Haut oder Schleimhuten bzw. die Myelotoxizitt meist nur eine sequenzielle Anwendung zu. Aber auch dann ist mit einer erhhten Toxizitt zu rechnen: So beschreiben Ryberg et al. (1998) beim Einsatz von Epirubicin bei metastasiertem Mammakarzinom ein erhhtes Herzinsuffizienzrisiko fr Patientinnen, die im Bereich des Mediastinums zuvor bestrahlt worden waren. Bei einer kumulativen Dosis von 600 mg/m2 Krperoberflche (KOF) betrug das Risiko, meist einer dilatativen Kardiomyopathie, 20%.
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Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
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3.2 Cisplatin In der Radiochemotherapie ist Cisplatin allein oder in Kombination mit anderen Zytostatika eine der am hufigsten eingesetzten Substanzen, z.B. bei der Behandlung fortgeschrittener Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, der Bronchien, des sophagus, der Harnblase oder der Cervix uteri. Bekannte Nebenwirkungen sind die ausgeprgte belkeit; sie ist in Kombination mit Radiotherapie noch verstrkt. Durch den Einsatz der 5-HT3-Antagonisten in Kombination mit einem Glukokortikoid ist die belkeit meist ausreichend beherrschbar, zumal in der Radiochemotherapie typischerweise niedrigdosierte, mehrtgige Chemotherapiegaben zwischen 6 und 25 mg/ m2 KOF bzw. einmal wchentlich 40 mg/m2 KOF Anwendung finden. Des weiteren sind eine meist gut kalkulierbare Hmatotoxizitt und die Nephrotoxizitt zu nennen. Dabei kann eine tgliche Dosis von 10 mg/m2 KOF/Tag nach einer Gesamtbehandlungsdauer von 5…6 Wochen zu intolerabler Hmatotoxizitt und Niereninsuffizienz fhren, die einen Therapieabbruch erzwingt (Bartelink et al. 2002). Die bekannte Nephrotoxizitt von Cisplatin setzt auch die Strahlentoleranz der Nieren auf 12…14 Gy herab. Die cisplatininduzierte Ototoxizitt kann durch Mitbestrahlung des Innenohrs verstrkt werden; eine moderne 3-d-Planung vor Beginn der Radiotherapie ist auch in diesem Falle die beste Lsung. 3.3 5-Fluorouracil Die Kombination von Radiotherapie und 5-Fluorouracil (5-FU) fhrt abhngig vom Applikationsmodus zu verstrkter Schleimhauttoxizitt, Hautreaktion und Myelosuppression. Insbesondere bei simultaner Radiochemotherapie eines greren Dnndarmvolumens ist mit ausgeprgten Diarrhen zu rechnen. So gilt bei der funktionserhaltenden Radiochemotherapie des Harnblasenkarzinoms der Einsatz von 5-FU als obsolet, wenn die paraaortalen Lymphabflugebiete mitbehandelt werden mssen (Rdel et al. 2002). Dabei hngt auch die Spttoxizitt stark vom Darmvolumen ab, das mit einer Strahlendosis von mehr als 15 Gy bestrahlt wird (Baglan et al. 2002). Frauen und ltere Patienten zeigen aufgrund der niedrigeren Aktivitt des abbauenden Enzyms Dihydropyrimidin-Dehydrogenase eine hhere Nebenwirkungsrate; die Dosierung von 5-FU mu entsprechend angepat werden. Zudem mu auch bei Hochdosis-5-FU-Schemata und Leucovorinmodulation mit ausgeprgten Diarrhen durch die Radiotherapie gerechnet werden (Dencausse et al. 2001). 5-FU-Dauerinfusionen mit mehr als 1800 mg Absolutdosis/24 h sind simultan zur Radiotherapie nicht zu empfehlen.
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3.4 Gemcitabin Von allen bekannten Zytostatika sensibilisiert Gemcitabin die Wirkung und die Nebenwirkungen der Strahlentherapie am deutlichsten. Die Toxizitt ist dabei stark abhngig vom verwendeten Schema. Das in der internistischen Onkologie meist verwendete und gut tolerable Schema mit 1000 mg/m2 KOF als 30-Minuten-Infusion an den Tagen 1, 8 und 15 fhrt in Kombination mit Radiotherapie von Bronchialkarzinomen zu lebensbedrohender Akuttoxizitt an Lunge, sophagus und Haut, zu starker Myelotoxizitt sowie zu ausgeprgter Spttoxizitt an Herz und Lunge (Scalliet et al. 1998). In Kombination mit der Radiotherapie ist deshalb … abhngig von der Bestrahlungsdosis, der bestrahlten Region und dem bestrahlten Volumen … eine deutliche Absenkung der Dosis auf 400 mg/m2 Gemcitabin und darunter bei einmal wchentlicher Gabe notwendig. Auch die zeitliche Abstimmung der Gemcitabinapplikation mit der Radiotherapie ist von Bedeutung. So entsteht bei der Radiochemotherapie des Pankreaskarzinoms eine deutlich geringere Myelosuppression, wenn Gemcitabin am Freitagabend oder Samstag nach der letzten Wochenfraktion der Radiotherapie gegeben wird, statt am Montag bis Freitag vormittags. Hingegen fhrte eine Induktionschemotherapie mit Gemcitabin vor einer Radiotherapie zu keiner verstrkten Nebenwirkungsrate (Vokes et al. 1999). Die publizierten Nebenwirkungen an Lunge, Haut oder Schleimhuten knnen zur Zeit noch nicht endgltig beurteilt werden. Die simultane Radiochemotherapie mit Gemcitabin sollte daher nur unter Studienbedingungen durchgefhrt werden. 3.5 Mitomycin C Mitomycin C in Kombination mit Radiotherapie wird hufig eingesetzt. Schon nach alleiniger Anwendung von Mitomycin sind die Myelo- und Lungentoxizitt oder das ANE-Syndrom bekannte Nebenwirkungen, die unter der Bestrahlung verstrkt werden knnen. Aufgrund der deutlichen hmatologischen Toxizitt von Mitomycin sollten in der Radiochemotherapie 10…15 mg/m2 KOF nicht berschritten werden. Bei der Radiochemotherapie von Bronchialkarzinomen wird eine verstrkte pulmonale Toxizitt beschrieben, insbesondere in Kombination mit Cisplatin (Ohe et al. 2001). Bei der Bestrahlung im Abdominalbereich treten verstrkte Akut- und Sptnebenwirkungen am Dnndarm auf. So beschrieben Rakovitch et al. (1997) nach Radiochemotherapie von Zervixkarzinomen eine Inzidenz fr Sptreaktionen (Grad 3) am Dnndarm von 26% mit Mitomycin und von 10% ohne Mitomycin. Bei aller Sorgfalt, die in der simultanen Anwendung von Mitomycin gefordert werden mu, ist die Kombination relativ sicher und hocheffektiv, wie die Ergebnisse der simultanen Radiochemotherapie beim Analkarzinom beweisen (Grabenbauer et al. 1998).
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Akute und chronische Toxizita¨t der Strahlentherapie
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3.6 Taxane Die simultane Kombination von Taxanen und Radiotherapie ist am besten bekannt fr die Behandlung von Bronchial- und HNO-Karzinomen und fhrt zu verstrkter Hmato- und Schleimhauttoxizitt. Zur Behandlung von Bronchialkarzinomen sind als maximal tolerierbare Dosis 60 mg/m2 KOF Paclitaxel einmal wchentlich angegeben worden, bei zweimal wchentlicher Gabe 35 mg/m2 KOF, bei der Kombination mit Radiotherapie nur noch 20 mg/m2 KOF wchentlich (Mauer et al. 1998). Als dosislimitierend gelten die schwere sophagitis und Neutropenie. Die optimale Kombination von Radiotherapie und Taxanen ist sicherlich noch nicht hinreichend untersucht.
4 Kanzerogenese Das wichtigste Strahlenrisiko des Menschen ist die Kanzerogenese. Nach wie vor entzieht sich der Mechanismus, wie aus der durch Strahlung transformierten Krperzelle schlielich der manifeste Krebs wird, unserer Kenntnis. Auch bleibt die Frage unbeantwortet, ob im unteren Dosisbereich von < 0,01 Sv (< 1 rem) eine Schwelle besteht oder nicht. Einen typischen Strahlenkrebs gibt es nicht. Ionisierende Strahlung vermehrt lediglich die Inzidenz der natrlicherweise schon vorkommenden Malignome. Die einzelnen Organe zeigen sich diesbezglich unterschiedlich empfindlich (Tabelle 5). Die International Commission on Radiological Protection (ICRP 1990) gibt fr die Krebsinzidenz folgende WichtungsfakTabelle 5. Gescha¨tztes zusa¨tzliches Lebensrisiko, nach einer Ganzko¨rperexposition von 0,1 Sv pro 100 000 Personen an einem strahleninduzierten Malignom zu sterben, gemittelt u¨ber die deutsche und amerikanische Bevo¨lkerung. Bei Lunge, Gastrointestinaltrakt und Schilddru¨se geringfu¨gig abweichende Risikoscha¨tzung (linearer Ansatz, ICRP 1990) Organ Rotes Knochenmark Knochenhaut Brust Lunge
Deutsche Bevo¨lkerung 52
Risikokoeffizient (% Sv–1) 0,52
Amerikanische Bevo¨lkerung 48
1
0,01
2
80
0,80
87
90
0,90
138
224
2,24
189
Schilddru¨se
17
0,17
7
Andere
38
0,38
96
Summe
502
5,02
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Gastrointestinaltrakt
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toren an: Dickdarm 0,18, Magen 0,16, Lunge 0,13, Knochenmark 0,12, Brustdrse 0,05 und Schilddrse 0,02 (bezogen auf einen Summenwert von 1 bei gleichmiger Strahlenexposition aller Organe). Der Gastrointestinaltrakt ist also gefhrdeter als Schilddrse, Speiserhre, Leber und Nieren. Durch relativ kleine Strahlendosen, z.B. im Streustrahlenbereich einer Strahlentherapie oder nach Rntgenuntersuchungen, knnen entstehen: F
F F F F
Leuka¨mien: vorwiegend vom myeloischen Typ. Hchstempfindlichkeit bei unter 15jhrigen. Latenzzeit 2…25 Jahre. Bisher kein Nachweis einer strahleninduzierten chronischen lymphatischen Leukmie. Brustkrebs: hchstes Risiko bei 10- bis 19jhrigen. Latenzzeit 15 bis 40 Jahre. Schilddru¨senkrebs: nach externer Bestrahlung. Nach Radiojodtherapie bisher nicht beobachtet. Latenzzeit 10…40 Jahre. Lungenkrebs: vor allem durch Radoninhalation. Verstrkende Interaktion mit Tabakrauch gesichert. Nach hochdosierter lokaler Strahlenanwendung wurden Osteosarkome, Fibromyo- und Chondrosarkome beschrieben. Ihre Inzidenz betrgt bei den mit 30…70 Gy bestrahlten Personen allerdings deutlich weniger als 1%.
5 Abschluß Strahlenfolgen am gesunden Gewebe lassen sich nicht vollstndig vermeiden, aber durch geeignete Dosiswahl, Dosisverteilung, Fraktionierung bzw. Protrahierung und durch eine wirksame Abdeckung von Risikoorganen (Individualkollimation!) wesentlich reduzieren. Die meisten Organe erholen sich nicht von einer chronischen Strahlenfolge, auch nicht von einer klinisch unbemerkten. Das ist bei einer spteren Chemotherapie oder bei einer Zweitbestrahlung zu bedenken und behandlungsmodifizierend ins Kalkl zu ziehen. Literatur Baglan KL, Frazier RC, Yan D et al (2002) The dose-volume relationship of acute small bowel toxicity from concurrent 5-FU-based chemotherapy and radiation therapy for rectal cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 52:176…183 Bartelink H. Van den Bogaert W, Horiot JC et al (2002) Concomitant cisplatin and radiotherapy in a conventional and modified fractionation schedule in locally advanced head and neck cancer: a randomised phase II EORTC trial. Eur J Cancer 38:667…673 Dencausse Y, Sturm J, Hartung G et al (2001) Adjuvant radio-chemotherapy in stage II…III rectal cancer with 24-hour infusion of high-dose 5-fluorouracil and folinic acid: evaluation of feasibility. Onkologie 24:476…480
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Prinzipien der Strahlentherapie
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14 Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie M. Pfreundschuh
Einleitung und U¨bersicht Zur medikamentsen Tumortherapie zhlen die Chemotherapie, die Hormontherapie, die Immuntherapie einschlielich der Gentherapie sowie die differenzierungsinduzierende Therapie. Unter Chemotherapie versteht man in der Onkologie eine Tumortherapie mit zytotoxischen Substanzen („Zytostatika“). Paul Ehrlich prgte den Begriff „Chemotherapie“ um die Jahrhundertwende, als er beobachtete, da manche Farbstoffe spezifisch und selektiv bestimmte Mikroorganismen anfrben. Er postulierte, da diese chemische Selektivitt therapeutisch auszunutzen sei. In der Infektiologie blieb die Suche nach der chemischen Wunderwaffe („magic bullet“) bis zur Entdeckung des Penicillins wenig erfolgreich, in der Tumortherapie wurde trotz intensiver Forschung nach spezifischen Stoffwechselwegen maligner Zellen ein den Antibiotika vergleichbares „magic bullet“ bis heute nicht gefunden. Dies ist vor allem darauf zurckzufhren, da der Metabolismus maligner Zellen sich … von bestimmten Ausnahmen abgesehen … nur quantitativ von denen normaler Zellen unterscheidet; da die meisten krebshemmenden Substanzen (Zytostatika) aber ber Mechanismen wirken, die benignen und malignen Zellen gemeinsam sind, kann sich ihre Wirkung auf bsartige Zellen nur quantitativ von ihrer Wirkung auf Normalgewebe unterscheiden. Der wesentliche Unterschied zwischen malignen und benignen Zellen ist die hohe Zellteilungsrate der Tumorzellen, die den Zytostatika ein therapeutisches Fenster ffnet. Dieses therapeutische Fenster, das auf dem quantitativen Unterschied zwischen Tumorzellen und Normalgewebe beruht, ermglicht es einer systemischen medikamentsen Therapie, auch fortgeschrittene Tumoren zu heilen, und zwar mit akzeptablen und meist nur passageren Effekten auf das Normalgewebe (Nebenwirkungen). Voraussetzung fr das Verstndnis der Prinzipien der Chemotherapie ist die Kenntnis grundlegender pharmakologischer und zellkinetischer Phnomene, die daher im Folgenden besprochen werden sollen.
1 Pharmakologische Faktoren Der wichtigste pharmakologische Parameter ist das Produkt aus Zytostatikakonzentration und Zeit (ct), das in einer gegen die Zeit aufgetragenen Konzentrationskurve der Flche unter der Kurve (AUC = „area under the
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
curve“) entspricht. Das Produkt aus einer bestimmten Zytostatikakonzentration und der Applikationsdauer fhrt bei Zellpopulationen mit gleicher Wachstumscharakteristik und Zytostatikaempfindlichkeit zu demselben Zellkill. Allerdings gibt es eine Hierarchie von Zytostatikakonzentrationen in vivo, die von einfachen Plasmaspiegeln ber die Konzentration an freiem und aktivem Zytostatikum bis zur Konzentration des aktiven Zytostatikums in der Tumorzelle, die fr die Wirkung des Zytostatikums entscheidend ist, fhrt. Die Zytostatikakonzentrationen in diesen unterschiedlichen Kompartimenten werden von vielen Faktoren beeinflut, zu denen u.a. Resorption, Metabolisierung, Verteilungsrume des aktivierten Zytostatikums und seine Exkretion zhlen. Auch die Wirksamkeit einer antineoplastischen Therapie ist direkt proportional dem Produkt aus Wirkstoffkonzentration (c) und der Verweildauer (t) am Ort der Wirkung (T); oder anders ausgedrckt: Tumoriziditt T=ct. Wesentlichen Einflu auf die Konzentration des aktiven Zytostatikums am Wirkort, d.h. in der Tumorzelle, hat v.a. die Dosierung; daneben sind aber auch noch folgende Faktoren von Bedeutung: F F F F F F F
F F
F
Dosisintensitt, d.h. Dosis pro Zeiteinheit, Applikationsform, Blutvolumen, Absorption, Metabolisierung (Aktivierung/Inaktivierung), Exkretion und ggf. Reabsorption, Vorhandensein von Rezeptoren fr das Zytostatikum auf der Tumorzelle, intrazellulrer Transport, Aktivierung und Inaktivierung in der Zelle, Zeitliche Sequenz in der Abfolge der einzelnen Zytostatika („scheduling“), Interaktionen mit anderen Zytostatika; diese knnen allein schon wirksam werden durch direkte chemische oder physikalische Interaktionen (deshalb mssen auch bestimmte Zytostatika ber getrennte Zugnge appliziert werden) sowie durch wechselseitige Beeinflussung aller anderen der vorgenannten pharmakologischen Faktoren, Wirksamkeit von Metaboliten.
2 Wachstumskinetik von Tumorzellen Da Zytostatika nicht an tumorspezifischen Mechanismen angreifen, kommt der therapeutischen Ausbeutung des augenflligsten Unterschiedes zwischen Tumorzellen und Normalgewebe, nmlich der unterschiedlichen Wachstumskinetik, groe Bedeutung zu. Aufgrund von Beobachtungen an experimentellen Tumorsystemen wurden mehrere Modelle entwickelt, die viel zu unserem Verstndnis der Wachstumskinetik von Tumoren bei-
Wachstumskinetik von Tumorzellen
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getragen haben und deren Hypothesen bei der Entwicklung von Chemotherapieschemata sowie bei der kritischen Analyse des Therapieergebnisses wichtige Aspekte liefern. Grundlegende Kenntnis der Regeln, denen die Wachstumskinetik von Tumoren folgt, ist daher eine wichtige Voraussetzung fr das Verstndnis chemotherapeutischer Strategien. 2.1 Zellzyklus Klassischerweise werden bestimmte Phasen des Zellzyklus unterschieden (Abb. 1). Unmittelbar nachdem eine Zelle aus einer Zellteilung hervorgegangen ist, kommt sie in die G1-Phase (G fr „gap“). Ihre Zuordnung zu G1 impliziert, da diese Zelle zum mitotischen Pool gehrt, das heit, da sie auf bestimmte Stimuli hin in absehbarer Zeit mit der DNS-Synthese beginnt, also in die S-Phase bergeht. Die hierzu ntigen Stimuli werden von den Cyclinen ausgebt, die ihre Wirkung dadurch entfalten, da sie mit dem wichtigsten zellulren Oszillator, dem p34cdc2, assoziieren. Zellen, die nicht in die S-Phase bergehen, werden als G0-Zellen bezeichnet. Das G1/G0-Verhltnis beschreibt den Anteil der Zellen, die in die nchste Phase
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Abb. 1. Der Zellzyklus. Proliferierende Zellen durchlaufen in einem Zellzyklus nach der Mitose die G1-Phase, bevor sie in der S-Phase die DNS synthetisieren und den Chromosomensatz verdoppeln, um dann nach der G2-Phase erneut in die Mitose einzutreten. Manche Zellen verlassen den Zellzyklus und treten in G0 ein; ein Teil der G0-Zellen kann jedoch auf entsprechende mitogene Stimulation wieder in den Zellzyklus eintreten
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
des Zellzyklus, die S-Phase, eintreten. Die S-Phase ist wesentlich weniger variabel als die G1- und die G0-Phase und dauert ca. 12…24 h. Whrend der S-Phase werden der DNS-Gehalt und der Chromosomensatz verdoppelt, die Zelle wird also tetraploid. Der S-Phase schliet sich eine zweite Ruhephase an, die G2-Phase, auf die die ca. einstndige M-Phase, die Mitose, folgt. Der gesamte Zyklus dauert durchschnittlich 2…4 Tage. 2.2 Tumorwachstum Zwei Drittel der Tumorentwicklung verlaufen in einer prklinischen Phase, in der ein Tumornachweis nicht mglich ist. Bevor ein Tumor klinisch nachgewiesen werden kann, durchlaufen seine Zellen (Abb. 2) ca. 30 Teilungen, bis der Tumor eine Gre von etwa 1 cm erreicht (entspricht ca. 109 Zellen
Abb. 2. Zeitlicher Verlauf des Tumorwachstums
Wachstumskinetik von Tumorzellen
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mit einem Gewicht von 1 g). Die klinische Phase, in der der Tumor ein Gewicht von ca. 1000 g und einen Durchmesser von etwa 16cm erreichen kann, also eine Gre, die hufig den Tod des Patienten bedeutet, resultiert aus nur 10 weiteren Teilungsschritten. Das Wachstum der meisten menschlichen Tumoren zeigt ein Verhalten, das einer Gompertz-Wachstumskurve entspricht (Abb. 3). Geschwlste wachsen demnach in Abhngigkeit von ihrem Volumen zunchst in einer pseudoexponentiellen Phase; nach Erreichen von etwa 70% der maximalen Tumormasse verzgert sich das Wachstum und geht in eine stabile Gleichgewichtsphase („steady state“) ber (Norton 1982). Bei diesem gompertzianischen Wachstum wird also die Verdopplungszeit mit zunehmender Tumorgre immer lnger, bis die Tumorgre praktisch ein Plateau erreicht. Die progressive Verlangsamung des Tumorwachstums ist v.a. durch ein Absinken des Anteils proliferierender Zellen (Wachstumsfraktion) bedingt, d.h. jener Zellen, die sich im Teilungszyklus befinden. Die biologische Wachstumsrate korreliert ungefhr mit der klinisch-physikalisch mebaren Volumenverdoppelungszeit. Verlngerung der Generationszeit (Zeit von einer Zellteilung zur nchsten) und zunehmender Zellverlust durch Ab-
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Abb. 3. Gompertzsche Wachstumskurve von Tumorzellen im Vergleich zum Wachstum eines menschlichen Fetus. Zu Beginn sind bei beiden die Verdoppelungszeiten kurz und die Wachstumsfraktionen hoch. Mit zunehmender Gro¨ße und Zellzahl flacht die Wachstumskurve ab
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
sterben alternder Tumorzellen (z.B. durch schlechtere Gefversorgung in greren Tumoren) sind weitere Faktoren fr das Nachlassen der Wachstumspotenz groer Geschwlste, in denen der grte Anteil der Zellen in der Ruhephase (G0) des Teilungszyklus liegt. 2.3 Zellkinetische Tumorzellkompartimente Die Generationszeit einer Tumorzelle, d.h. die Zeit von einer Mitose (M) bis zur nchsten, ist von endogenen und exogenen Faktoren abhngig und mu nicht immer krzer sein als die der normalen Zellen desselben Ursprungsorgans. Bei bsartigen Tumoren befinden sich nur zwischen 5 und 20% aller
Abb. 4. Zellkinetisch unterschiedliche Kompartimente von Tumorzellen. Sowohl chemotherapiesensible T/O-Zellen als auch prima¨r resistente T/R-Zellen ko¨nnen sich im Zyklus befinden (A), tempora¨r ruhen (B) oder die Fa¨higkeit verlieren, sich zu teilen, also als Tumorstammzellen zu fungieren (C). Lediglich sich teilende, sensible Tumorzellen (T/O-Zellen in A) sprechen auf eine Chemotherapie an. Der Anteil der prima¨r resistenten Zellen (T/R-Zellen) steigt mit der Gro¨ße des Tumors, ebenso der Anteil der ruhenden gegenu¨ber den proliferierenden Zellen. Mehrfachresistente Zellen (T/Rn-Zellen) entwickeln sich aus einfachresistenten Zellen u¨ber doppeltresistente Zellen. Kommt es im Verlauf einer Chemotherapie zu einer Vernichtung der T/O-Zellen bei gleichzeitiger Resistenz der zuna¨chst nur als Minderheit vorkommenden T/R-Zellen, so fu¨hrt dies klinisch zu einer voru¨bergehenden Remission, bis die Zunahme der T/R-Zellen einen klinisch nachweisbaren Progreß trotz Fortsetzung der Chemotherapie mit denselben Zytostatika bedingt. Im Gegensatz zu den permanent resistenten T/RZellen fu¨hren die tempora¨r resistenten, sich nicht teilenden T/O-Zellen nicht zu einem Progreß unter Therapie, da sie bei ihrem Wiedereintreten in den Zellzyklus („recruitment“) chemotherapiesensibel werden und unter Chemotherapie absterben
Wachstumskinetik von Tumorzellen
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Zellen in der S-Phase; unter Bercksichtigung des zeitlichen Anteils der einzelnen Zyklusphasen entspricht dies einer Wachstumsfraktion von 20…30%. Von daher unterscheiden sich Tumorzellen also weder in der Wachstumsfraktion noch in der Zyklusdauer wesentlich von manchen Normalgeweben, wie z.B. dem Knochenmark und der Schleimhaut. Der wesentliche Unterschied zwischen Tumorzellen und (stark proliferierendem) Normalgewebe liegt jedoch in der gestrten Regulation des Wachstums, bedingt durch erhhte Proliferation und verminderte Apoptose (Suizidprogramm der Zelle), dem Verlust der Differenzierungsfhigkeit und der Fhigkeit der unkontrollierten Zellmigration (Metastasierung). Viele Zellen verlassen nach einer Zellteilung den Zyklus und treten in die G0-Phase ein; sie gehren also zur ruhenden, nichtproliferierenden Fraktion. Diese Zellen teilen sich nicht, knnen jedoch durch entsprechende Stimuli (z.B. strogene bei hormonsensitiven Mammakarzinomzellen) in den Zyklus gebracht werden. Neben der proliferierenden und ruhenden Fraktion besteht ein Tumor auch noch aus toten Zellen, der Zellverlustfraktion. Das manifeste Tumorwachstum ergibt sich aus der Differenz zwischen Zellproliferation und Zellverlust. Tumoren mit einem hohen Zellumsatz, d.h. hoher Proliferations- und Absterberate, knnen daher nur geringes Tumorwachstum zeigen, obwohl sie im Vergleich zu gleich groen Tumoren mit geringem Zellumsatz schon wesentlich mehr Zellteilungen hinter sich haben, was insbesondere im Hinblick auf die von der Zahl der Zellteilungen abhngigen Mutationen von Bedeutung ist. Im Hinblick auf ihre klinische Relevanz und ihr unterschiedliches Ansprechen auf eine Chemotherapie unterscheidet man in jedem Tumor (Abb. 4) drei zellkinetische Kompartimente von Stammzellen: A: proliferierende (sich teilende) Zellen, die empfindlich gegen Zytostatika sind (T/O-Zellen). Die proliferierenden Zellen sind entscheidend fr das Wachstum des Tumors und sprechen (soweit keine primre Resistenz besteht) am besten auf eine antineoplastische Therapie an; B: temporr ruhende, sich nicht im Zyklus befindende, temporr fr antineoplastische Therapie resistente Zellen (T/O-Zellen), die jedoch jederzeit wieder in den Zellzyklus eingeschleust werden knnen („Recruitment“); C: differenzierte, sich nicht mehr teilende und sterbende Zellen, die keine Tumorstammzellkapazitt mehr besitzen (Endzellen) und klinisch von geringer Bedeutung sind. Neben den gegen antineoplastische Therapie sensiblen T/O-Zellen gibt es in jedem Tumor auch resistente T/R-Zellen; diese Zellen knnen ebenso wie die T/O-Zellen proliferieren (A), sich temporr nicht im Zyklus befinden (B) oder absterben.
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2.4 Beurteilung der Wachstumskinetik eines Tumors Mehrere Untersuchungsmethoden erlauben eine Beurteilung des Wachstumsverhalten eines Tumors. Unter Mitoseindex versteht man den (histomorphologisch) bestimmten Anteil von mitotischen Zellen im Gesamttumorzellverband. Immunhistologisch knnen proliferierende Zellen mit dem Ki-67-Antikrper nachgewiesen werden. Der Labeling-Index bestimmt den autoradiographisch nachgewiesenen Anteil der Zellen, die 3H-Thymidin einbauen, sich also in S-Phase befinden. Zellen in S-Phase lassen sich auch immunzytologisch durch ihren Einbau von Bromdesoxyuridin darstellen, das durch Anti-BrdU-Antikrper nachgewiesen werden kann. Auerdem kann man Zellen mit der Durchfluzytometrie mit bestimmten Reagenzien im Hinblick auf Gre und Gehalt an DNS (Ploidie) und RNS analysieren. Aneuploidie ist ein prognostisch ungnstiges Zeichen fr kolorektale Karzinome, Blasenkarzinome und Mammakarzinome. Bei letzteren korreliert sie eng mit fehlenden Hormonrezeptoren, prmenopausalem Status, Beteiligung axillrer Lymphknoten und entdifferenziertem histologischem Grading. Bei fehlendem axillrem Lymphknotenbefall ist Aneuploidie mit einem erhhten Rezidivrisiko behaftet.
3 Skipper-Schabel-Modell Skipper, Schabel und Wilcox (1964) haben als erste am Modell einer Museleukmie Gesetzmigkeiten fr die Krebstherapie mit Zytostatika herausgearbeitet. Diese „Zelltodhypothese“ lt sich modifiziert auch auf die Chemotherapie humaner Tumoren anwenden: F
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Eine einzige Tumorzelle ist fhig, sich zu teilen und nach Erreichen der kritischen Zellmasse ihren Wirt zu tten. Heilung ist daher nur nach Eliminierung der letzten Tumorzelle mglich. Fr die meisten Zytostatika besteht eine feste Beziehung zwischen applizierter Dosis und dem Tumorzelltod innerhalb der Grenzen der toxischen Nebenwirkungen. Eine definierte Dosis eines Zytostatikums ttet eine konstante Fraktion von Tumorzellen, unabhngig von der jeweils vorhandenen Tumorzellmasse; d.h., die gleiche Zytostatikamenge, die einen Tumor von 1 000 000 000 (109) Zellen auf 1 000 000 (106 Zellen) reduziert, wird eine Zellmenge von 10 000 (104) auf 10 Zellen (101) reduzieren („first order log kill“).
Das Log-kill-Modell von Skipper und Schabel gilt nur fr Tumoren in der exponentiellen Wachstumsphase; d.h., wenn es z.B. 12 h braucht, bis aus 100 Zellen 200 geworden sind, dann dauert es auch 12 h, bis aus 1 Mio. Zellen 2 Mio. Zellen geworden sind. Der Anteil der durch eine bestimmte
Skipper-Schabel-Modell
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Zytostatikadosis getteten Zellen bleibt aber nur dann konstant, wenn der Tumor ber den gesamten Behandlungsverlauf konstant exponentiell wchst. Bei den meisten Zytostatika fhrt eine Erhhung der Dosis zu einem erhhten Zellkill. Eine Kombination von mehreren Zytostatika fhrt zu einer Vervielfachung des Zellkills: Bewirkt das Zytostatikum A einen Zellkill von 1 log (90%) und Zytostatikum B ebenfalls einen Zellkill von 1 log, so sollte die Kombination der beiden 90%+90% der verbliebenen 10%, insgesamt also 99%, der Zellen abtten, was einem Zellkill von 2 log entspricht. Ein Tumor mit 108 Zellen wrde durch eine einmalige kombinierte Therapie mit den Zytostatika A und B auf 106 Zellen reduziert, durch eine zweimalige (vorausgesetzt, da zwischen den Zyklen keine erneutes Tumorwachstum auftritt) auf 104 etc. Die Behandlung eines ausreichend kleinen Tumors mit einer Zytostatikakombination, die in diesem Tumor einen ausreichenden Log-Zellkill induziert, wird nach dem Modell von Skipper und Schabel
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Abb. 5. Modell zur Tumorzellreduktion unter zytostatischer Therapie a Remissionsinduktion durch 3 Therapiezyklen, b Progression nach Therapieabbruch, c Progression unter Therapie (durch fortgesetztes Wachstum resistenter Subklone), d theroretisches Modell der Remissionserhaltung und Heilung, e adjuvante Chemotherapie. (Nach Skipper et al. 1964)
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also dazu fhren, da weniger als 10 Zellen brigbleiben, was praktisch einer Heilung entspricht. Aus dem Skipper-Schabel-Modell folgt, da Tumoren mglichst schnell behandelt werden sollen, weil dann weniger Therapiezyklen zur Reduktion der Tumorzellzahl auf unter 1 verbleibende Zelle notwendig sind. Diese Hypothese wird auch durch die Heilbarkeit vieler experimenteller Tumoren in frhen Stadien im Gegensatz zur wesentlich geringeren Heilbarkeit derselben Tumoren in fortgeschrittenen Stadien untersttzt. Bercksichtigt man zudem noch, da kleine Tumoren eine hhere Wachstumsfraktion haben (Watson 1976), also mehr Zellen in Mitose, d.h. in einer zytostatikaempfindlichen Phase, sind, wrde daraus folgen, da der Log-Zellkill kleiner Tumoren eher noch grer als der fortgeschrittener Tumoren ist. Entsprechend dem Skipper-Schabel-Modell mte es mglich sein, auch bei einem migen Zellkill (z.B. 2 log) durch wiederholte Applikation eine Heilung zu erreichen (Abb. 5); dies gelingt jedoch bei vielen experimentellen und menschlichen Tumoren nicht. Nach anfnglichem Ansprechen auf die Therapie kommt es vielmehr in vielen Fllen zu einem erneuten Tumorwachstum trotz zeitgerecht fortgesetzter Therapie. Nach Skipper und Schabel (die Norton-Simon-Hypothese liefert eine andere Begrndung) ist dies am ehesten darauf zurckzufhren, da einige Tumorzellen resistent gegen die Wirkung der eingesetzten Zytostatika sind: Ein Tumor bildet sich unter Chemotherapie nicht weiter zurck, sondern fngt wieder an zu wachsen, wenn das Verhltnis der resistenten gegenber den empfindlichen Zellen 1 bersteigt (Skipper 1986). Eine Heilung ist demnach nur mglich, wenn keine resistenten Zellen im Tumor vorhanden sind. Umgekehrt folgt aus dem Skipper-Schabel-Modell, da bei ausreichendem Log-Zellkill (Gabe wirksamer Zytostatika in ausreichender Dosierung) und zeitgerechter Wiederholung der Chemotherapie jeder Tumor heilbar ist, solange keine Resistenz gegen die eingesetzten Zytostatika vorhanden ist.
4 Zytostatikaresistenz 4.1 Definition Unter Zytostatikaresistenz versteht man die verminderte Empfindlichkeit einer Zelle gegenber einem Zytostatikum im Vergleich zu einer anderen Zelle; Resistenz wird daher zunchst als relative Resistenz definiert. Man unterscheidet eine permanente Resistenz einer Zelle von einer tempora¨ren Resistenz, die unter entsprechenden Bedingungen und Stimuli wieder aufgehoben werden kann. Unter prima¨rer oder intrinsischer Resistenz versteht man die Resistenz einer Zelle vor einer Zytostatikaexposition, whrend unter erworbener Resistenz der Empfindlichkeitsverlust einer Zelle gegen-
Zytostatikaresistenz
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ber einem Zytostatikum verstanden wird, den eine Zelle nach Exposition mit dem jeweiligen Zytostatikum zeigt. In der Klinik wird der Begriff „Resistenz eines Tumors“ operational verwendet, d.h., man spricht von der Resistenz eines Tumors dann, wenn er auf Chemotherapie nicht mit einer Grenabnahme reagiert oder gar an Gre zunimmt. Das mu nicht bedeuten, da alle Zellen des Tumors gegen die eingesetzte Chemotherapie resistent sind; Resistenz eines Tumors heit in diesem Falle vielmehr, da das Nettotumorwachstum den Zellverlust bersteigt. Strenggenommen spricht aber jede Verminderung des Wachstums eines Tumors unter Chemotherapie im Vergleich zu einem nicht therapierten Kontrolltumor fr eine verbliebene Empfindlichkeit des Tumors auf diese Chemotherapie. 4.2 Bedeutung der Tumorprogression Mit zunehmender Gre der Tumoren nimmt die Zahl zytostatikaresistenter Subklone zu. Dabei sind Zytostatikaresistenz und andere ungnstige Prognosefaktoren bsartiger Tumoren hufig mit einer hohen S-PhaseFraktion (SPF), dem Thymidinlabelingindex (TLI) und Aneuploidie korreliert. Insbesondere die Aneuploidie bedeutet immer eine gewaltige Vernderung des genetischen Materials; durch den Verlust von Tumorsuppressorgenen oder die Aktivierung von Onkogenen knnen solche Aneuploidien ihrerseits wieder die Mitoserate erhhen. Die hohe genetische Instabilitt ist ein wesentliches Kennzeichen der Tumorprogression (Nowell 1986). In dieser Beziehung sind der Nachweis einer hohen SPF oder eines hohen TLI von besonderer Bedeutung bei Tumoren mit einer hohen Zellverlustrate, die histopathologisch hufig mit dem Korrelat von Nekrose und Verkalkung einhergeht, da solche Tumoren eine besonders hohe Mitoserate haben mssen, um den Zellverlust zu kompensieren. Da hohe Mitoseraten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zustzlicher Mutationen assoziiert sind, haben solche Zellen gute Voraussetzungen, durch entsprechende Mutationen einen weiteren Wachstumsvorteil zu gewinnen, z.B. durch Zunahme der metastatischen Kapazitt, der Entwicklung von einfacher oder mehrfacher Zytostatikaresistenz u.. 4.3 Genetisch bedingte Resistenz Die primre Zytostatikaresistenz ist vorwiegend genetisch determiniert (Goldie und Coldman 1983). Dies schliet allerdings nicht aus, da der resistente Phnotyp erst durch Zytostatikumexposition exprimiert wird und das Zytostatikum nicht nur ber Selektionsdruck wirkt. In Normalgewebe (Lymphozyten) rechnet man mit einer Mutationsrate von 10…6. Vieles spricht dafr, da die Mutationsrate in Tumorzellen aufgrund ihrer genetischen Instabilitt hher und eher bei 10…5 anzusetzen ist. Daraus folgt,
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da bei einem Tumor von 109 Zellen 104 Klone gegen ein bestimmtes Zytostatikum resistent sind. Resistenz gegen zwei verschiedene Zytostatika ist in weniger als einer von 105105=1010 Zellen zu erwarten. 4.4 Kinetisch bedingte Resistenz Im Gegensatz zur genetisch determinierten Resistenz knnen Zellen aufgrund ihrer jeweiligen Zyklusphase eine verminderte Zytostatikaempfindlichkeit besitzen. Fr Zytostatika, die z.B. nur an der DNS-Synthese, also in der S-Phase, ansetzen, sind dies alle Zellen, die sich nicht in der S-Phase befinden. Auerdem sind Zellen in G0-Phase, die sich also nicht im Zellzyklus befinden, weitgehend resistent gegen antineoplastische Substanzen, ohne eine spezifische oder andauernde Resistenz zu haben. Solche Zellen knnen als sich teilende Tumorstammzellen wieder in den Zellzyklus zurckkehren in Abhngigkeit von vielen Faktoren, wie z.B. der Tumorgre. Die kinetisch bedingte Resistenz ist also im allgemeinen nur vorbergehend, d.h. temporr; zellkinetisch spricht man auch von „dormancy“. Die zellkinetische Resistenz von Tumorzellen gegenber Chemotherapie erklrt die relative Chemotherapieresistenz langsam wachsender groer Tumoren, da bei diesen Tumoren der Anteil der sich nicht teilenden T/O-Zellen recht hoch ist und ruhende T/O-Zellen hochgradig resistent gegen Antimetaboliten und Mitoseinhibitoren sind. Die Bedeutung der temporr resistenten T/O-Zellen fr den Erfolg einer Chemotherapie wird als nur gering eingestuft im Vergleich zur Bedeutung der primren Resistenz, zum einen, weil bestimmte Zytostatika wie Cisplatin und Bleomycin auch fr nichtproliferierende Zellen recht toxisch sind, zum anderen, weil es letztendlich immer zur Rekrutierung der kinetisch resistenten Zelle in eine zytostatikaempfindliche Phase kommt, wenn die Exposition des Zytostatikums nur lange genug anhlt. Im Gegensatz dazu bleibt eine Zelle mit genetisch determinierter Resistenz, auch wenn sie in eine proliferative Phase bergeht, permanent unempfindlich. 4.5 Pharmakologisch bedingte Resistenz Unter bestimmten Bedingungen kann es aus pharmakologischen Grnden zu einem verminderten Ansprechen von Tumorzellen auf ein Zytostatikum kommen, obwohl diese Tumorzellen konstitutiv empfindlich gegen das Zytostatikum sind. Beispiel hierfr ist die Lage des Tumors in einem Bereich, in dem nur geringe Zytostatikadosen erreicht werden (z.B. im ZNS), oder wenn es durch Enzyminduktion in der Leber (z.B. durch Barbiturate) zu einer verstrkten Metabolisierung des Zytostatikums kommt.
Zytostatikaresistenz
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4.6 Mechanismen der Zytostatikaresistenz Experimentell lt sich eine Resistenz dadurch erzeugen, da eine Tumorzelle in vitro unter steigenden Konzentrationen eines Zytostatikums kultiviert wird. Die Resistenzentwicklung von Tumorzellen nach Exposition gegen antineoplastische Substanzen beruht auf unterschiedlichen Mechanismen, die bei einer ausgeprgten Resistenz hufig gemeinsam wirksam werden: F
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Unzureichende Aufnahme durch die Zelle: Dies betrifft v.a. Zytostatika, die durch aktive Transportmechanismen nach Bindung an einen Rezeptor in die Zelle aufgenommen werden (Methotrexat, Mustargen). Ungenu¨gende Aktivierung: Dies gilt v.a. fr Purin- und Pyrimidinanaloga, die erst in die jeweiligen Nukleoside bzw. Nukleotide umgewandelt werden mssen, bevor sie als Antimetaboliten wirken knnen (Cytosin-Arabinosid, 6-Mercaptopurin, 5-Fluorouracil; die funktionellen Antimetaboliten knnen nicht verabreicht werden, da sie nicht membrangngig sind). Hufig ist die ungengende Aktivierung durch den Verlust von Enzymen bedingt, die fr die Aktivierung der Vorstufen gebraucht werden. Eine solche Resistenz kann folglich auch nicht durch Erhhung der Zytostatikumdosis kompensiert werden. Quantitative Vera¨nderung der intrazellula¨ren Zielstruktur eines Zytostatikums: Methotrexatresistente Zellen zeigen oft eine quantitative Vermehrung der Dihydrofolsurereduktase, die meist auf einer Genamplifikation beruht. Solche Genamplifikationen sind oft zytogenetisch durch HSR-Chromosomen („homogeneously staining region“) und Satellitenchromosomen („double minutes“) nachzuweisen. Qualitative Vera¨nderung der intrazellula¨ren Zielstruktur eines Zytostatikums: Methotrexatresistente Zellen knnen eine vernderte Form der Dihydrofolsurereduktase bilden, an die Methotrexat nur mit geringer Affinitt bindet; ein hnlicher Mechanismus betrifft die verminderte Bindung von Vincristin an Tubulin. Vermehrte Inaktivierung: Cytosin-Arabinosid wird durch Cytosindesaminase, alle Alkylanzien werden durch freie Radikale (bereitgestellt durch Glutathion, Metallothionine) inaktiviert. Umschaltung auf ,,Salvagepathway", wenn der primre Stoffwechselweg durch das Zytostatikum blockiert wird: Beipiele sind insbesondere die Antimetaboliten 5-Fluorouracil, 6-Mercaptopurin, Methotrexat. Vermehrte Reparation von Zellscha¨den durch die Zelle: Sie wird bei Topoisomerase-II-Inhibitoren, Cisplatin und Alkylanzien beobachtet. So kann z.B. ein durch alkylierende Substanzen alkylierter DNS-Abschnitt durch das Enzym Methyltransferase effektiv inaktiviert werden. Vera¨nderung des Nucleotidpools: z.B. durch Cytosin-Arabinosid.
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Pleiotrope (Mehrfach-)Zytostatikaresistenz durch erho¨hten Zytostatikaefflux aus der Zelle: Eine erhhte Resistenz gegen eine heterogene Gruppe von Zytostatika, zu denen u.a. die Anthrazykline, Vincaalkaloide und Epidiphyllotoxine gehren, ist mit der Expression und Produktion von P 170, einem membranassoziierten Glykoprotein von 170 kD Gre, assoziiert. Dieses an der Membraninnenseite lokalisierte Glykoprotein, das auch als P-Glykoprotein bezeichnet wird, kommt physiologischerweise in einer Reihe von Normalgeweben vor und fungiert als Pumpe fr die Ausscheidung natrlich vorkommender toxischer Substanzen. Es wird vom sog. MDR-1-Gen (fr „multi-drug-resistance“) kodiert. Eine weitere pleiotrope Zytostatikaresistenz betrifft qualitative Vera¨nderungen der Topoisomerase-II, die zu einer Resistenz gegen alle Topoisomerase-II-Inibitoren fhren (Doxorubicin, Podophyllotoxine, Amsacrin). Diese pleiotrope Zytostatikaresistenz entwickelt sich hufig kurz nach der P 170-vermittelten Resistenz.
4.7 Modulation der Zytostatikaresistenz Verschiedene Anstze versuchen, die beschriebenen Mechanismen der Zytostatikaresistenz zu umgehen. Dazu gehren Versuche, den Zytostatikumtransport in die Zelle zu erhhen oder die DNS-Reparaturmechanismen zu supprimieren. In der Klinik waren solche Anstze bisher jedoch wenig erfolgreich; wahrscheinlich weil die klinische Zytostatikaresistenz in vielen Fllen multifaktoriell bedingt ist. Ein Beispiel einer biochemischen Modulation der Zytostatikaresistenz ist der Einsatz von Folinsure bei einer Chemotherapie mit 5-Fluorouracil, was die Bindung von 5-FU an das Enzym Thymidylatsynthetase erhht. Andere Modulatoren der 5-FU-Wirkung, die derzeit klinisch geprft werden, sind Methotrexat, Thymidin, PALA (Phosphon-acetyl-L-aspartat), Allopurinol und Uridin. Schlielich sollten auch Manahmen, die zur Reduktion der Toxizitt von Zytostatika auf Normalgewebe fhren, z.B. der Einsatz von Wachstumsfaktoren der Hmatopoese oder von in Liposomen verpackten Zytostatika, die Zahl letztendlich chemotherapieresistenter Tumoren verringern und den Anteil der durch Chemotherapie heilbaren Tumoren erhhen.
5 Goldie-Coldman-Hypothese Aus der zunehmenden genetischen Instabilitt fortgeschrittener Tumoren folgt, da eine zytostatische Therapie beginnen sollte, solange ein Tumor klein ist und noch keine resistenten Zellen enthlt (De Vita 1983). Goldie und Coldman haben ein mathematisches Modell entwickelt, mit dem wichtige, fr die Chemotherapie relevante Aspekte der Zytostatikaresistenz von Tumoren erklrt werden knnen.
Goldie-Coldman-Hypothese
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Das Goldie-Coldman-Modell lt sich zurckfhren auf Beobachtungen, die Luria und Delbrck 1943 am Beispiel der Resistenz von Bakterien gegen Viren gemacht hatten. Sie hatten gezeigt, da es in den Bakterien bereits vor Exposition mit einem bestimmten Virus zur Resistenzentwicklung gegen dieses Virus kommen kann. Da die Reistenz von Tumorzellen gegen Zytostatika ebenso spontan auftritt, wies einige Jahre spter Law nach, dessen Beobachtungen die wesentliche Grundlage fr die 1976 erstmals von Goldie und Coldman formulierte Hypothese darstellen. Nach dem mathematischen Modell von Goldie und Coldman (1983) besteht eine enge Beziehung zwischen der Mutationsrate eines Tumors und seiner Resistenz gegenber Zytostatika auch ohne vorherige Exposition des Tumors mit einem Zytostatikum. Eine Zelle mutiert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Die Mutationsrate hngt (innerhalb einer groen Variationsbreite zwischen den einzelnen Tumoren) wiederum direkt mit der Tumormasse zusammen. Das Modell von Goldie und Coldman liefert eine Erklrung dafr, da (unabhngig von zellkinetischen Faktoren) die Wahrscheinlichkeit, da ein Tumor durch ein Zytostatikum eliminiert werden kann, in umgekehrtem Verhltnis zu seiner Gre steht. Geht man von einer durchschnittlichen Mutationsrate von 10…6 aus, dann betrgt die Wahrscheinlichkeit, da in einem Tumor mit 105 Zellen keine resistenten Zellen sind, 0,905; dagegen betrgt die Wahrscheinlichkeit in einem Tumor mit 107 Zellen (0,01 g) nur 0,000045. Das heit, da ein solcher Tumor mit einem Zytostatikum allein kaum geheilt werden kann. Bei Tumoren mit einer hohen Zellverlustrate (fortgeschrittene Kolonkarzinome verlieren bis zu 90% ihrer Zellen ber den Darm) mu mit einer wesentlich hheren Frequenz resistenter Klone gerechnet werden, denn wenn ein solcher Tumor die klinisch nachweisbare Gre von 1 g (109 Zellen) erreicht, haben seine Zellen anstatt der 32 Zellverdoppelungen bereits 1200 Verdoppelungen durchgemacht. 1982 erweiterten Goldie und Coldman ihr mathematisches Modell fr die Anwendung von Tumoren mit zwei und mehr resistenten Subklonen, wobei aber fr jeden Subklon exponentielles Wachstum und Regression des Tumors zugrunde gelegt wurden. Weitere Bedingungen sind, da die Resistenz gegen ein Zytostatikum A Sensitivitt gegen Zytostatikum B beinhaltet und vice versa und da die Mutationsrate in allen Subklonen gleich ist. Fr das zellkinetische Kompartimentmodell eines Tumors ergibt sich aus dem Goldie-Coldman-Modell folgendes Bild: Differenzierte Tumorstammzellen und/oder relativ hohe Absterberaten der Tumorstammzellen bedingen ein langsameres Tumorwachstum und (aufgrund der … die hhere Absterberate kompensierenden … erhhten Gesamtproliferation des Tumors) eine Erhhung des Anteils der primr resistenten, „natrlich selektionierten“ T/R-Zellen. Daher ist das schlechte Ansprechen langsam wachsender Tumoren (auch schon bevor sie klinisch mebare Gren erreichen) ein
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Ausdruck des im Vergleich zu schnell wachsenden Tumoren erhhten Anteils der resistenten T/R-Zellen gegenber den sensiblen T/O-Zellen. Aus dem Goldie-Coldman-Modell ergeben sich folgende Konsequenzen fr eine chemotherapeutische Strategie: F F F
Mglichst frher Beginn einer Chemotherapie, um mglichst wenig resistente Tumorzellen zu haben; Mglichst schnelle Reduktion der Tumorzellzahl, um die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung weiterer Resistenzen gering zu halten; Unmittelbarer Einsatz mglichst vieler Zytostatika, um alle bereits in einem kleinen Tumor zu erwartenden resistenten Zellen zu eliminieren und die Entwicklung von Doppelresistenzen zu vermeiden.
Insbesondere der letzte Punkt geht ber die therapeutischen Konsequenzen, die sich aus dem Skipper-Schabel-Modell ergeben, hinaus. Er impliziert, da Zytostatika in einem rasch alternierenden Schema einzusetzen sind, wenn ihr simultaner Einsatz aufgrund zu hoher Toxizitten nicht mglich ist. Das Goldie-Coldman-Modell liegt vielen Chemotherapieschemata der 80er Jahre zugrunde. Allerdings hat sich keines der rasch alternierenden Schemata, die bei Hodgkin-Lymphomen, bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen oder Brustkrebs eingesetzt wurden, im randomisierten Vergleich mit konventionellen Schemata als berlegen erwiesen. Auerdem fllt auf, da v.a. spt auftretende Rezidive hufig wieder auf die ursprngliche Chemotherapie ansprechen; dies drfte nicht der Fall sein, wenn nur auf die jeweiligen Zytostatika resistente Zellen fr das Scheitern der Chemotherapie verantwortlich wren. Daraus folgt, da das Goldie-Coldman-Modell trotz seiner grundstzlichen Bedeutung offenbar nicht in der Lage ist, das Verhalten vieler menschlicher Tumoren unter Chemotherapie vorherzusagen.
6 Norton-Simon-Modell Das erneute Ansprechen rezidivierender Tumoren auf die ursprngliche Chemotherapie deutet darauf hin, da auch nicht-resistente Zellen fr das Versagen einer Chemotherapie verantwortlich sein knnen, z.B. weil die sensitiven Tumorzellen bei der Primrtherapie entweder das Zytostatikum in nicht ausreichender Dosierung, nicht ausreichend hufig oder in zu groen Intervallen erhalten haben oder aber sich in einem vorbergehenden Zustand verminderter Empfindlichkeit (temporrer Resistenz) befunden hatten. Neben der genetischen Resistenz der Tumorzellen spielt also auch die kinetische Resistenz fr den Erfolg einer Chemotherapie eine wesentliche Rolle. Das von Norton und Simon entwickelte Modell bercksichtigt nicht nur die genetische, sondern auch die kinetische Resistenz bei der Tumor-
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therapie. Es geht dabei von einem gompertzianischen Wachstumsverhalten menschlicher Tumoren aus (s. oben). Der entscheidende Unterschied zwischen dem Skipper-Schabel-Modell und dem Norton-Simon-Modell beruht also darin, da das Skipper-Schabel-Modell nur fr Tumoren in exponentieller Wachstumsphase anwendbar ist, whrend Norton und Simon die jeweilige prtherapeutische Lokalisation des Tumors auf der GompertzWachstumskurve bercksichtigen und sowohl Tumorwachstum als auch therapieinduzierte Regression auf der Grundlage eines Gompertz-Wachstumverhaltens berechnen. Norton und Simon kommen zu dem Schlu, da die therapiebedingte Tumorrckbildung wesentlich von der Dosis der Chemotherapie und der aktuellen Wachstumsrate des Tumors unmittelbar vor Therapie beeinflut wird. Whrend nach dem Skipper-Schabel-Modell das Versagen einer systemischen Tumortherapie ausschlielich auf resistente Tumorzellen zurckzufhren ist, kann die Norton-Simon-Hypothese Therapieversagen auer durch die Existenz resistenter Tumorzellen auch damit erklren, da sensitive Tumorzellen nicht eradiziert werden, und zwar aus Grnden der Zellkinetik, nicht ausreichender Dosierung, nicht ausreichender Dauer einer wirksamen Therapie oder zu schnellen Tumorwachstums nach Therapie. Nach Norton und Simon ist bei gleicher Dosis, Resistenzlage und Pharmakokinetik der anteilige Zellkill eines langsam wachsenden Tumors geringer als bei einem schnell wachsenden Tumor; andererseits wird die Tumorregression um so grer sein, je schneller ein Tumor wchst. Aus der Norton-Simon-Hypothese folgt auerdem, da Tumorstammzellen mit einem langsamen Zellzyklus schwieriger zu eliminieren sind als andere Zellen der Wachstumsfraktion mit einem schnelleren Zellzyklus. Andererseits wird das Wachstum des Tumors nach der Therapie auch wieder um so schneller sein, je grer die Tumorreduktion war. Schlielich kann mit der Norton-Simon-Hypothese auch erklrt werden, weshalb es durch die zyklische Anwendung der Chemotherapie zu einer nur geringen Verminderung der hmatopoetischen Stammzellen kommt: Der Zellzyklus der hmatopoetischen Stammzellen ist so langsam, da sie sich zum Zeitpunkt des Wiederbeginns der Chemotherapie noch nicht wieder in einer chemotherapiesensiblen Phase des Wachstums befinden. In seiner letzten Konsequenz folgt aus dem Norton-Simon-Modell, da das letztendliche Therapieergebnis, das mit einer bestimmten Chemotherapie zu erzielen ist, unabhngig davon ist, ob mit der Therapie spt begonnen wird oder bereits zu einem Zeitpunkt, an dem der Tumor noch klein ist. Mit dem Norton-Simon-Modell lt sich auch gut erklren, da jede nichtkurative Chemotherapie, also auch eine nicht erfolgreiche adjuvante Chemotherapie, zwar klinische Remissionen erzielen bzw. das rezidivfreie berleben verlngern kann, jedoch kaum einen Einflu auf das Gesamtberleben hat. Ebenso liefert das Modell eine Erklrung dafr, da die Intensivierun-
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gen der Chemotherapieschemata bei fortgeschrittenem Mammakarzinom keine Verbesserung der berlebenszeit erbracht haben, eben weil sie trotz der Intensivierung nicht zu langfristigen Heilungen gefhrt haben. Wichtigste Konsequenz des Norton-Simon-Modells fr den klinischen Onkologen im Hinblick auf die Planung von Chemotherapiestrategien ist, da es eine rationale Begrndung fr eine spte Intensivierung einer Chemotherapie bei kleinen verbleibenden Resttumoren nach einer Induktionstherapie liefert. Werden in dem (klinisch nachweisbaren oder nur vermuteten) Resttumor nach einer Induktionstherapie resistente Klone vermutet, so sollte dementsprechend nach der Induktionstherapie eine intensivierte Therapie, bestehend aus nichtkreuzresistenten Zytostatika, durchgefhrt werden. Vom raschen Alternieren nichtkreuzresistenter Schemata, wie es aus dem Goldie-Coldman-Modell folgt, unterscheidet sich dieser Induktionsintensivierungsansatz dadurch, da er das eine Schema in der Induktion bis zum kritischen Zeitpunkt, d.h. dem maximalen Ansprechen, einsetzt und dann erst auf das alternative Schema wechselt. Zu hnlichen Empfehlungen fhren auch neuere Modellberechnungen von Day (1986). Seine modellhaft belegte „Regel des schlechtesten Schemas“ („worst drug rule“) besagt, da eine Chemotherapiestrategie erfolgreicher ist, wenn sie unterschiedliche Schemata nicht alternierend, sondern sequentiell einsetzt, und zwar derart, da die weniger effektive Therapie (mit dem niedrigeren Zellkill) der wirksameren Therapie (mit einem hohen Zellkill) vorangeht (Day 1986).
7 Hryniuk-Hypothese: Dosisintensita¨t Hryniuk et al. analysierten retrospektiv adjuvante Therapiestudien bei Mamma-, Ovarial- und Kolonkarzinomen und fanden, da auch geringe Reduktionen der Dosis einen starken Einflu auf die Rezidivrate hatten; ebenso wie Dosisreduktionen fhrten aber auch Verlngerungen der Therapieintervalle zu vermehrten Rezidiven (Hryniuk et al. 1987). Dosis und Applikationszeitraum bestimmen die Dosisintensitt. Auch die Analyse unterschiedlicher Polychemotherapieschemata bei Lymphomen schien die Bedeutung der Dosisintensitt fr den Erfolg einer Chemotherapie zu unterstreichen (DeVita et al. 1987). Beide Faktoren, Dosis und Zeitraum, innerhalb dessen eine bestimmte Dosis appliziert wird, sind demnach von Bedeutung fr den Erfolg einer Chemotherapie. Als Dosisintensitt definierten Hryniuk et al. (1987) die Zytostatikadosis, die innerhalb eines definierten Zeitraums verabreicht wird. Wie bei vielen anderen biologischen Systemen ist auch die Dosisintensitt-Wirkungs-Kurve von Zytostatika S-frmig mit einem Schwellenwert, einer Schulter, einer linearen Phase und einem Plateau (Abb. 6). Ziel einer chemotherapeutischen Strategie sollte es daher sein, eine Chemotherapie
Hryniuk-Hypothese: Dosisintensita¨t
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Abb. 6. Korrelation zwischen Dosisintensita¨t und Therapieerfolg nach der Hryniuk-Hypothese. Ob eine Erho¨hung der Dosisintensita¨t eine wesentliche Verbesserung der Therapieergebnisse erbringt, ha¨ngt vorwiegend von der relativen Lage der Standardtherapie und der intensivierten Therapie auf dieser Kurve sowie von der Steilheit der jeweiligen Dosis-Wirkungs-Kurve ab (RDI = relative Dosisintensita¨t)
mit hoher Dosisintensitt zu applizieren. Allerdings lassen die geringen Unterschiede zwischen benignen und malignen Zellen wegen der zu erwartenden Nebenwirkungen nur ein relativ enges Fenster fr eine optimale Dosisintensitt. Ob eine klinisch mgliche Erhhung der Dosisintensitt die Erfolgsrate einer Chemotherapie wesentlich steigern kann, hngt v.a. davon ab, in welchem Bereich der S-frmigen Dosisintensitt-Wirkungs-Kurve sich Ausgangs- und intensivierte Dosis befinden. Da die in der Klinik eingesetzten Dosierungen einer Chemotherapie sich tatschlich im steilen Bereich der Dosis-Wirkungs-Kurve befinden knnten, darauf weisen randomisierte Studien bei kindlichen Leukmien, Hodenkarzinomen und fortgeschrittenen Mammakarzinomen sowie retrospektive Untersuchungen bei der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms mit CMF (Bonadonna u. Valagussa 1981) und bei Lymphomen (DeVita et al. 1987) hin. 7.1 Bestimmung der Dosisintensita¨t und relativen Dosisintensita¨t (RDI) Die Dosisintensitt wird blicherweise in mg/m2/Woche angegeben. Die Dosisintensitt bercksichtigt also weder die zeitliche Abfolge noch die Applikationsform der Zytostatika. Als relative Dosisintensita¨t (RDI) wird
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die Dosisintensitt eines Zytostatikums oder eines Polychemotherapieschemas im Vergleich zu einem Referenzzytostatikum oder Referenzschema bezeichnet. Zur Bestimmung der RDI einer Zytostatikakombination, bei der ein Zytostatikum des Referenzschemas fehlt, wird fr das fehlende Zytostatikum eine Dosisintensitt von 0 angenommen und die durchschnittliche Dosisintensitt der Zytostatikakombination durch die Anzahl der Zytostatika im Referenzschema dividiert. Zeitliche Verzgerungen der Zytostatikaapplikation fhren ebenso wie Dosisreduktionen zu Verlusten an Dosisintensitt. Die Bestimmung der RDI geht zunchst davon aus, da jedes Zytostatikum in einem Polychemotherapieschema eine gleiche tumorizide Wirkung hat. Aus retrospektiven Analysen der RDI konnte jedoch gezeigt werden, da Reduktionen der Dosisintensitt bestimmter Zytostatika einen wesentlich greren Einflu auf den Therapieerfolg ausben als die anderer Zytostatika (z.B. Cisplatin bei Ovarialkarzinomen im Vergleich zu Alkylanzien und Anthrazyklinen). Insofern knnen Analysen von Dosisreduktionen und ihren Auswirkungen auf den Therapieerfolg wichtige Hinweise fr die relative Bedeutung bestimmter Zytostatika innerhalb eines Schemas und somit fr die Entwicklung effektiverer Kombinationen geben. Zum Teil aufgrund mit solchen Analysen gewonnener Daten, z.T. recht arbitrr setzten manche Autoren fr bestimmte Tumoren geltende ˜quivalenzdosen bestimmter Zytostatika ein, um somit auch die Dosisintensitt von Polychemotherapien vergleichen zu knnen, die unterschiedliche Zytostatika enthalten (DeVita et al. 1987). Durch ein solches Vorgehen lassen sich zwar die Dosisintensitten recht unterschiedlicher Polychemotherapieschemata vergleichend berechnen, inwiefern solche Vereinfachungen jedoch der komplizierten Realitt gerecht werden, ist fraglich. 7.2 Klinischer Stellenwert der Dosisintensita¨t Viele Chemotherapieprotokolle der spten 80er und frhen 90er Jahre wurden unter dem Eindruck der Bedeutung der Dosisintensitt entworfen. ˜hnlich wie bei den aufgrund der Goldie-Coldman-Hypothese entwickelten rasch alternierenden Schemata konnten solche Schemata in randomisierten Studien bisher nicht zeigen, da eine Steigerung der Dosisintensitt im herkmmlichen Rahmen, gegebenenfalls mit Untersttzung von Wachstumsfaktoren der Hmatopoese, tatschlich in der Lage ist, die Ergebnisse im Vergleich zu Standardschemata zu verbessern. Hufig werden die Erfolge der autologen Knochenmarktransplantation als einer bis zur Myeloablation hin intensivierten Chemotherapie bei rezidivierten Leukmien, Lymphomen und Keimzelltumoren als bester klinischer Beweis fr die Gltigkeit der Hryniuk-Hypothese angefhrt. Dabei gilt es aber zu bedenken, da myeloablative Induktionstherapien vor einer
Zeitliche Abfolge der Chemotherapie (,,Scheduling‘‘)
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Stammzelltransplantation nicht nur eine hohe Dosisintensitt, sondern auch eine hohe Gesamtdosis aufweisen. Auerdem sind sie v.a. als Konsolidierungstherapie wirksam, d.h. bei solchen Patienten, die vorher durch eine konventionelle Chemotherapie in Remission gekommen sind. Insofern untersttzen auch die Ergebnisse der Stammzelltransplantation eher die Norton-Simon-Hypothese und Days „Regel des schlechtesten Schemas“. Insgesamt mu das Konzept der Dosisintensitt heute kritisch betrachtet werden. Auch wenn die oben zitierten Beispiele retrospektiver Analysen dahingehend interpretiert werden knnen, da viele Standardchemotherapieschemata im linearen Bereich der Dosis-Wirkungs-Kurve liegen, haben die bisher vorliegenden Ergebnisse von Studien das Konzept der Dosisintensitt nicht untermauern knnen. Dies mag u.a. daran liegen, da die Standardschemata auf der Dosisintensitt-Wirkungs-Kurve bereits im Bereich des Plateaus liegen, wo die klinisch mglichen Dosisintensivierungen nicht mehr zu einer wesentlichen Verbesserung der Ergebnisse fhren knnen. Sollte dies zutreffen, wrde dies aber gleichzeitig bedeuten, da es nur wenig wahrscheinlich ist, da auch betrchtliche Intensivierungen der Dosisintensitt (z.B. durch wiederholt eingesetzte myeloablative Therapien) zu einer wesentlichen Erhhung der Heilungsrate fhren.
8 Zeitliche Abfolge der Chemotherapie (,,Scheduling‘‘) Da die Dosisintensitt wesentliche Aspekte einer wirksamen Chemotherapie offenbar nicht erfat, geht auch aus einer Studie bei hochmalignen Lymphomen hervor: Whrend die retrospektive Analyse der Therapieergebnisse, die mit den zunehmend dosisintensiveren Schemata der 1., 2. und 3. Generation erzielt worden waren, lange Zeit als starkes Argument fr die Bedeutung der Dosisintensitt angefhrt worden waren, ergab ein randomisierter Vergleich der Schemata CHOP, m-BACOD und MACOP-B, die sich in ihrer Dosisintensitt um fast 100% unterscheiden, da sowohl Remissions- als auch berlebensrate nach adquater Durchfhrung (die tatschlich erreichte Dosisintensitt in den jeweiligen Schemata betrug in der zitierten Studie jeweils 95% der in den nichtrandomisierten Studien erzielten Dosisintensitt) der jeweiligen Schemata nicht unterschiedlich waren (Fisher et al. 1993). Mglicherweise sind bisher nicht identifizierte Faktoren im CHOP-Schema dafr verantwortlich, da dieses Schema trotz seiner vergleichsweise geringen Dosisintensitt so wirksam ist. Ein solcher Faktor knnten bestimmte Synergismen zwischen den einzelnen Zytostatika sein, die nur bei der vorgegebenen zeitlichen Abfolge der Applikation („Scheduling“) wirksam werden und die beim andersartigen „Scheduling“ der spteren Generationen von Polychemotherapieschemata fr hochmaligne Lymphome verlorengegangen sind.
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Da das „Scheduling“ einer Chemotherapie, das im Konzept der Dosisintensitt von Hryniuk vllig unbercksichtigt bleibt, eine Bedeutung fr den Erfolg einer Chemotherapie haben kann, darauf weisen auch eine Reihe pharmakologischer berlegungen und experimentelle Befunde hin. So kann aufgrund ihrer Wirkmechanismen erwartet werden, da die Gabe von Methotrexat vor 5-Fluorouracil zu einem synergistischen Effekt fhrt, whrend bei der umgekehrten Reihenfolge eine geringere Tumorantwort als durch Methotrexat allein erwartet werden mu. Der synergistische Effekt kommt dadurch zustande, da Methotrexat die Purinsynthese blockt und dadurch den intrazellulren Pool von Phosphoribosyltriphosphat vergrert. Phosphoribosyltriphosphat begnstigt die Aktivierung von 5-Fluorouracil zu 5-Fluorodesoxyuridylat. ˜hnliches gilt fr die Kombination von Vincristin und L-Asparaginase: Ein synergistischer Effekt kann erwartet werden, wenn Vincristin zunchst zu einem Wachstumsstopp in der Mitose fhrt und der anschlieende Einsatz von L-Asparaginase seine letalen Effekte auf die vorwiegend sich in S-Phase und Mitose befindenden Tumorzellen ausben kann. Die meisten Chemotherapieschemata werden intermittierend gegeben, um dem Normalgewebe in der therapiefreien Zeit Gelegenheit zu geben, sich von den Nebenwirkungen der Chemotherapie zu erholen. Dadurch entsteht v.a. bei schnell wachsenden Tumoren die Gefahr, da es im therapiefreien Intervall erneut zu Tumorwachstum kommt. Insbesondere fr die Lymphome wurden daher Therapieschemata entwickelt, die eine kontinuierliche, zumindest aber wchentliche Applikation von Zytostatika vorsehen (z.B. MACOP-B-Schema). Durch eine kontinuierliche Applikation (z.B. durch eine intravense Dauerinfusion) lt sich in vielen Fllen der Faktor ct und damit die AUC erhhen. Neuere Erfahrungen mit Schemata fr die Behandlung von rezidivierten Lymphomen, die dieselben Zytostatika in derselben Dosierung wie in der Primrtherapie einsetzen und zu einer hohen Rate von kompletten Zweitremissionen fhren, deuten darauf hin, da auf diese Weise Resistenzen durchbrochen werden knnen (Wilson et al. 1993). Der kontinuierliche Einsatz von Zytostatika ist bisher aber ebenso wie die tageszeitspezifische Applikation von Zytostatika weitgehend empirisch. Es fehlen bis heute berzeugende mathematische Modelle, mit denen der Wirkmechanismus dieser Applikationsformen begrndet, und prospektive randomisierte Studien, mit denen ihre berlegenheit gegenber konventionellen Applikationsformen nachgewiesen werden knnte.
9 Konzept der Summendosis und effektiven Dosis Eine berarbeitete Version der Konzeptes der Dosisintensitt (Hryniuk et al. 1998) bercksichtigt aufgrund der Analyse randomisierter Studien
Konzept der Summendosis und effektiven Dosis
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die relative Wirksamkeit eines Zytostatikums fr einen gegebenen Tumor, unterstellt also im Gegensatz zum frheren Modell nicht mehr jedem Zytostatikum eines Polychemotherapieschemas die gleiche Potenz, sondern vergibt „Wirkkoeffizienten“. Die Summe aller Zytostatikadosen, multipliziert mit ihren Wirkkoeffizienten, ergibt die Summendosis, und Dosisintensitt errechnet sich aus dem Quotienten aus Summendosis und Therapiedauer. Aber auch das Konzept der Summendosisintensitt bercksichtigt nicht die Gesamtdosis, da die Summendosisintensitt eines Zyklus der von z.B. acht Zyklen gleich ist. Um diesen Mangel zu berwinden, haben Hasenclever et al. (2001) das Konzept der effektiven Dosis (ED) entwickelt. Das ED-Konzept zeichnet sich durch drei wesentliche Punkte aus: F
F
F
Es beruht auf einem generalisierten Skipper-Schaber-Modell, das die interindividuelle Heterogenitt einer Tumorentitt hinsichtlich ihrer Wachstumsgeschwindigkeit bercksichtigt; diese Wachstumsgeschwindigkeit wird aus der „Latenz“ abgeleitet, die sich aus dem Verlauf des rezidivfreien berlebens nach dem Erreichen einer kompletten Remission ergibt. Ebenso wie das Konzept der Summendosis ordnet das ED-Konzept jedem einzelnen Zytostatikum einen bestimmten (relativen) Wirkkoeffizienten zu, der aus der Metaanalyse randomisierter Studien errechnet wird, und bildet daraus die Totaldosis. Das ED-Konzept bercksichtigt nicht nur die Dosisintensitt, sondern auch die Gesamtdosis und die Gesamtdauer der Therapie.
Die Formel zur Errechnung der effektiven Dosis lautet wie folgt: ED ¼
Totaldosis Therapiedauer 1þ Tumorlatenzzeit
Das ED-Konzept wird damit der Biologie einer gegebenen Tumorentitt wesentlich gerechter als die anderen Modelle, denn im Gegensatz zu diesen flieen Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors, die zeitliche Abfolge und Gesamtdauer der Chemotherapie ebenso in die Berechnungen ein wie die Gesamtdosis eines Chemotherapieregimes. Tatschlich gelang es, mit diesem Modell die Ergebnisse der randomisierten HD-12-Studie der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe vorherzusagen (Hasenclever et al. 2001). Allerdings bleiben aber auch in diesem Modell andere fr die Tumoriziditt eines Chemotherapieschemas wichtige Faktoren, wie die Bedeutung von Dosisspitzen, pharmakologische Interaktionen der Zytostatika untereinander und zellkinetische Aspekte (die Tumorlatenzzeit wird nicht nur durch die Proliferation verbliebener Tumorzellen bestimmt, sondern auch aus der Differenz des Wachstums dieser Zellen und ihrer Absterberate), unbercksichtigt.
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10 Zellbiologische Effekte der Chemotherapie Alle vorbeschriebenen Wachstumsmodelle beruhen auf Beobachtungen des spontanen Wachstumsverhaltens von Tumoren und lassen die Effekte der systemischen Therapie auf das Mikromilieu des Tumors, das durch die Freisetzung biologisch aktiver Substanzen aus untergehenden Tumorzellen erheblich verndert wird, unbercksichtigt. Da aber auch das Zellwachstum fortgeschrittener Tumoren nicht vllig unkontrolliert ist, sondern zumindest teilweise auto- und parakrinen Wachstumsstimuli einerseits und noch weitgehend unbekannten wachstumssupprimierenden Faktoren andererseits unterliegt, mu man davon ausgehen, da durch zugrundegehende Zellen weitreichende Sekundrund Tertireffekte erzielt werden, z.B. durch die Initiierung neuer oder die Unterbrechung vorbestehender Zytokinkaskaden. Auerdem wirkt eine systemische Tumortherapie nicht nur auf die neoplastischen Tumorzellen und die Stromazellen, sondern auch lokal auf die zellulren Infiltrate des Immunsystems im Tumor (tumorinfiltrierende Lymphozyten, Makrophagen) sowie systemisch auf die brigen Zellen des Immunsystems und andere zytokin- und wachstumsfaktorproduzierende Zellen. Da diese Effekte extrem komplex und mit unseren derzeitigen Methoden auch nicht annhernd berechenbar sind, bleiben alle bisher entwickelten Wachstumsmodelle, die diese Faktoren nicht bercksichtigen, nur grobe Werkzeuge, die uns helfen, lediglich vereinfachte Grundprizipien der Wachstumskinetik maligner Zellen zu verstehen. Verbesserte Modelle werden die molekularbiologischen und genetischen Effekte der systemischen Therapie auf die Tumorzellen bercksichtigen mssen, wenn sie dem Anspruch des Klinikers an solche Modelle, nmlich die vorhandenen Ressourcen (Zytostatika) mglichst effektiv einzusetzen, gerecht werden wollen.
11 Wachstumsfaktoren der Ha¨matopoese Durch den Einsatz von rekombinanten Wachstumsfaktoren der Hmatopoese kann der Chemotherapeut therapeutisch in die Produktion von Erythrozyten, Neutrophilen, Eosinophilen und Monozyten eingreifen; allerdings lt sich die Thrombozytopoese durch die derzeit zur Verfgung stehenden Wachstumsfaktoren kaum beeinflussen. Da auf die Biologie und genauen Wirkungsmechanismen der hmatopoetischen Faktoren an anderer Stelle genauer eingegangen wird, soll hier nur diskutiert werden, inwiefern sie eine effektivere Chemotherapie ermglichen. Grundstzlich erlauben die Wachstumsfaktoren der Hmatopoese eine Erhhung der Dosisintensitt, und zwar durch: F
Erhhung der Zytostatikadosis unter Beibehaltung des Therapieintervalls;
Wachstumsfaktoren der Ha¨matopoese F F
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Verkrzung der Therapieintervalle unter Beibehaltung der Zytostatikadosen; die Kombination beider Anstze.
Gem der Hryniuk-Formel entspricht die Verkrzung eines Therapieintervalls von 21 auf 14 Tage im Hinblick auf den Gewinn an Dosisintensitt einer Steigerung der Zytostatikadosis um 50%. Whrend Erythropoietin, das die tumorassoziierte und chemotherapieinduzierte Anmie mildern kann, keine Rolle bei der Intensivierung der Chemotherapie spielt, werden die Wachstumsfaktoren G-CSF und GMCSF, die eigentlich zur Behandlung der chemotherapieinduzierten Neutropenie zugelassen sind, in vielen Studien auch unter dem Aspekt einer durch sie mglichen Intensivierung der Chemotherapie eingesetzt. Hinsichtlich ihrer konstanten Wirkung auf die Regeneration der Neutrophilen nach Chemotherapie sind beide Faktoren gleichwertig, wobei allerdings nach G-CSF wesentlich seltener und weniger Nebenwirkungen beobachtet werden (Knochenschmerzen, Fieber, zellulre Infiltrate an der Einstichstelle, allergische Reaktionen). Bei beiden Faktoren konnte gezeigt werden, da sie die konsequentere zeitliche und dosisgerechte Durchfhrung von Standardchemotherapien ermglichen und da sie die Zahl und Dauer von infektisen Komplikationen und teilweise auch die notwendige Hospitalisierungszeit verkrzen. Offen ist jedoch noch, ob der Gewinn an Dosisintensitt, der durch die konsequente Einhaltung von Therapieprotokollen hinsichtlich Dosis und Zeitplan mglich geworden ist, tatschlich so signifikant ist, da er in hheren Remissions- und Heilungsraten zum Ausdruck kommt. In einer placebokontrollierten Dosiseskalationsstudie wurde zwar mit GM-CSF eine hhere Dosisintensitt erreicht, dieser Unterschied war jedoch nur fr ein Zytostatikum signifikant (Pfreundschuh et al. 2001). Bei der Therapie lterer Patienten mit aggressiven Lymphomen erlaubte der Einsatz von G-CSF die Verkrzung der Zyklusintervalle des CHOP-Schemas von 3 auf 2 Wochen, ohne die Nebenwirkungen signifikant zu erhhen. Die durch G-CSF ermglichte Intervallverkrzung fhrte zu einer signifikanten Verbesserung der kompletten Remissionen, der progrefreien und der Gesamtberlebensraten (Pfreundschuh et al. 2002). Umstritten bleibt allerdings, ob der Einsatz von G-CSF und GM-CSF nach myeloablativer Therapie, wodurch die Granulozytenerholungszeit nach autologer Knochenmarktransplantation um ca. 4, nach peripherer Stammzelltransplantation um ca. 2 Tage verkrzt wird, angesichts der hohen Kosten gerechtfertigt ist. Einen unbestrittenen Wert haben G-CSF und GM-CSF aber bei der dosisintensiven myeloablativen Therapie im Rahmen einer peripheren Stammzelltransplantation. Erst durch eine Therapie mit diesen beiden Wachstumsfaktoren ist es mglich geworden, ggf. untersttzt durch eine vorausgehende Chemotherapie, die Zahl der ins periphere Blut mobili-
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sierten hmatopoetischen Stammzellen so zu erhhen, da durch wenige Leukapheresen ausreichend Stammzellen fr die sptere Transplantation gewonnen und gegebenenfalls eingefroren werden knnen.
12 Besondere Applikationsformen der Chemotherapie Im Gegensatz zur peroralen und intravensen Gabe stellen die intrathekale, intrapleurale, intraperikardiale und intraperitoneale Instillation regionre Applikationsformen der Chemotherapie dar. Weitere Beispiele sind Zytostatikainfusionen in die Leberarterie bei Lebermetastasen oder in die Karotiden bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich und im Gehirn. Allen diesen Therapien liegt die berlegung zugrunde, durch die regionre Applikation ein hheres Produkt aus Konzentration und Expositionsdauer (c t) am Tumor unter gleichzeitiger Schonung des Normalgewebes zu erreichen. Dadurch kommt es zu einer Erhhung der Dosisintensitt. Der Stellenwert der intrathekalen Therapie (ber eine Lumbalpunktion oder ein Ommaya-Reservoir mit einem direkten Katheterzugang zum Ventrikelsystem) bzw. zur Prophylaxe und Therapie der Meningiosis leucaemica und carcinomatosa sowie der intrapleuralen Therapie bei einer Pleurakarzinose ist unumstritten. Eine intraarterielle Chemotherapie der Leber fhrt bei Lebermetastasen von kolorektalen Karzinomen zu hheren Ansprechraten als eine vergleichbare systemische Therapie; auerdem wird ein Ansprechen der Lebermetastasen auf eine lokoregionre Therapie auch nach Versagen der systemischen Therapie beobachtet; eine berlegenheit hinsichtlich des Gesamtberlebens ist jedoch nicht gesichert. Mit der intraperitonealen Applikation von Cisplatin lassen sich in vielen Fllen von Peritonealkarzinose, insbesondere bei Ovarialkarzinomen, gute Palliationen erzielen. Eine neue Mglichkeit, das Produkt ct am Tumor zu erhhen, erffnet die Verpackung von Zytostatika in hitzelabile Liposomen. Die Liposomen geben dann das Zytostatikum in der Tumorregion ab, wenn dort durch eine lokale Hyperthermie eine Temperatur von 41 C erreicht wird. Eine weitere Mglichkeit der lokalen Zytostatikaaktivierung besteht in der Instillation photoaffiner Substanzen mit nachfolgender Laserexposition.
13 Chemotherapieversta¨rkende Medikamente Eine Reihe per se nicht zytotoxischer Substanzen kann die Wirkung von Zytostatika verstrken. Solche Verstrker knnen darber wirken, da sie Tumorzellen in die zytostatikaempfindlichen Phasen des Zellzyklus bringen, DNS-Reparaturmechanismen supprimieren, den Zytostatikainflux erhhen (Amphotericin B) oder den Efflux durch P 170 vermindern (Kalziumblocker, Calmodulininhibitoren), die Wirkung von freien Radikalen
Nebenwirkungen der Chemotherapie
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verbessern (Misonidazol) und zu einer Glutathiondepletion fhren (das freie Radikale bindet). Obwohl die Wirkung einiger dieser Zytostatikaverstrker in vitro und im Tiermodell ermutigend ist, wird ihre klinische Wertigkeit durch entsprechende Studien bisher nicht belegt.
14 Nebenwirkungen der Chemotherapie Da eine systemische Tumortherapie nur relativ selektiv bzw. nur quantitativ unterschiedlich auf benigne und maligne Zellen wirkt, hat praktisch jede effektive Chemotherapie Nebenwirkungen auf das Normalgewebe. Dabei hngen die Nebenwirkungen einer Chemotherapie von den eingesetzten Zytostatika, ihrer Dosis sowie der zeitlichen Abfolge ihrer Applikation ab. Auerdem spielen auch Patientenparameter (Allgemeinzustand, Begleiterkrankungen, vorausgegangene Tumortherapien) eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Nebenwirkungen. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie betreffen praktisch alle Organsysteme; sie werden im speziellen Teil nochmals eingehend beschrieben. Im Folgenden sollen sie lediglich organorientiert aufgezhlt werden: ¨ belkeit und Erbrechen: Diese Nebenwirkungen beeintrchtigen den F U Patienten subjektiv mit am meisten. Zu den physischen Sequelae gehren akut das Risiko eines Mallory-Weiss-Syndroms, bei lngerem Fortbestehen das der Exsikkose und Elektrolytimbalance und des Gewichtsverlustes; auerdem kann sich ein schwer therapierbares antizipatorisches Erbrechen entwickeln. belkeit und Erbrechen stellen mit die hufigste Ursache fr einen Therapieabbruch durch den Patienten dar. F Myelosuppression: Fast alle Zytostatika sind myelosuppressiv. Im Gegensatz zu malignen Zellen entwickeln hmatopoetische Stammzellen jedoch keine Resistenz gegen die myelosuppressiven Effekte der Chemotherapie; vielmehr kommt es in vielen Fllen zu einer kumulativen Knochenmarkschdigung nach wiederholter Chemotherapie. Die akute Myelosuppression kann durch die Gabe hmatopoetischer Wachstumsfaktoren verkrzt und gemildert werden. F Immunsuppression: Die meisten Zytostatika wirken supprimierend auf die Zellen des Immunsystems, und zwar sowohl auf das zellulre, das humorale und das unspezifische (phagozytre) Immunsystem. Allerdings dauert der ber die quantitativen Wirkungen (Myelosuppression) hinausgehende immunsuppressive Effekt einer Chemotherapie nur wenige Tage an; der klinische Impakt der Immunsuppression wird also weitgehend von der Myelosuppression bestimmt, auch wenn bestimmte In-vitro-Parameter (Lymphozytensubpopulationen, Mitogenstimulation von Lymphozyten) oft noch lange nach Absetzen der Chemotherapie keine Normalwerte erreichen.
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Alopezie: Sie ist fr viele Patienten ein groes emotionelles Problem. Prophylaktische Manahmen wie Khlhauben haben sich nicht bewhrt. Paravasate: Zu unterscheiden sind Vesikanzien (Doxorubicin, Vincristin, Vinblastin, Actinomycin D), die zu Nekrosen fhren, und Irritanzien, die lediglich Phlebitiden und Entzndungen der Weichteilgewebe hervorrufen (s.a. Kap. 33.4). Photosensibilisierung: Sie wird insbesondere bei Dacarbazin beobachtet, seltener bei 5-Fluorouracil, Methotrexat, Procarbazin und Vinblastin. ¨ berempfindlichkeitsreaktionen: Sie kommen am hufigsten bei AspaU raginase, Procarbazin und Etoposid sowie Paclitaxel vor und knnen bis zum anaphylaktischen Schock fhren. Medikamentenfieber: Bleomycin ist der hufigste Auslser, seltener Cytarabin. Hepatotoxizita¨t: Passagere Erhhungen der Transaminasen knnen durch Cytarabin und Nitrosoharnstoffe verursacht werden; zur Entwicklung einer Zirrhose kann es nach langdauernder Methotrexatgabe kommen, whrend Cholestase und hepatische Nekrosen am ehesten nach 6-Mercaptopurin und Mithramycin, Cholezystitis und Cholangitis insbesondere nach intraarterieller Infusion von 5-Fluorouracil und FUDR beobachtet werden. Die vense Verschlukrankheit der Leber (VOD=„veno-occlusive disease“) ist eine gefrchtete Komplikation nach hochdosierter Gabe von Busulfan, Nitrosoharnstoffen und Mitomycin C. Fast alle Zytostatika knnen zum sonographischen Bild einer Fettleber fhren. Pulmonale Toxizita¨t: Ein Risiko fr eine Zytostatikapneumonitis mit nachfolgendem bergang in eine Fibrose besteht v.a. nach Bleomycingesamtdosen > 400 mg. Daneben werden pulmonale Toxizitten insbesondere nach vorausgehender Bestrahlung und Gemcitabin, Methotrexat, Cytarabin, Mitomycin, Procarbazin und alkylierenden Substanzen (Chlorambucil) beobachtet. Pankreatikotoxizita¨t: Sie ist beschrieben fr Asparaginase, Kortikosteroide und Cytosin-Arabinosid. Kardiotoxizita¨t: Eine Kardiomyopathie wird v.a. nach kumulativen Dosen von Doxorubicin (450mg/m2) und Daunorubicin beobachtet. Nephrotoxizita¨t: Sie ist dosislimitierend fr Cisplatin und Streptozotocin, ist aber auch bei Mithramycin, Mitomycin C und L-Asparaginase zu beachten. Nach hochdosiertem Methotrexat kann es zu Ausfllen von Methotrexatkristallen, zur Verstopfung der Tubuli und zu einer im Mechanismus der Uratschdigung hnlichen Nephropathie kommen. Blasentoxizita¨t: Die Metaboliten von Cyclophosphamid und Ifosfamid knnen eine hmorrhagische Zystitis induzieren, die ihrerseits zu sekundren Blasenkarzinomen fhren kann. Mit Mesna steht ein wirksames Prophylaktikum zur Verfgung.
Hormontherapie F
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Neurotoxizita¨t: Periphere Polyneuropathien werden besonders durch Vincristin, weniger durch andere Vincaalkaloide verursacht, ebenso Paresen einzelner Hirnnerven. Auch bei der Therapie mit Oxaliplatin knnen Polyneuropathien dosislimitierend sein. Die intrathekale Applikation von Methotrexat und Cytarabin kann zu einer Enzephalomyelopathie fhren, ebenso die systemische Gabe von hochdosiertem Methotrexat, Ifosfamid und Cytarabin. Gonadotoxizita¨t: Vor allem die Alkylanzien und Procarbazin fhren zu einer Azoospermie und Ovarialinsuffizienz. Junge Patienten mit Kinderwunsch sollten daher auf die Mglichkeit einer prtherapeutischen Kryoprservation von Sperma aufmerksam gemacht werden. Teratogenita¨t: Diese besteht vor allem, wenn Zytostatika im 1. Trimenon einer Schwangerschaft gegeben werden, whrend eine Chemotherapie im 2. und 3. Trimenon nicht mit einer erhhten Fehlbildungsrate assoziiert ist. Zweitneoplasien: Hufigste Zweitneoplasie ist eine sekundre akute nichtlymphatische Leukmie (meist FAB-M4), die ca. 3…7 Jahre nach Chemotherapie auftritt. Leukmogen sind insbesondere Alkylanzien, in letzter Zeit mehren sich allerdings auch Hinweise auf Etoposid als Verursacher. Auffallend ist, da Zweitneoplasien bei bestimmten Primrdiagnosen gehuft auftreten; hierzu zhlen insbesondere der M. Hodgkin und das Plasmozytom.
15 Modulation von Nebenwirkungen Durch eine effiziente Prophylaxe von Nebenwirkungen knnen die Toxizitt von Polychemotherapieschemata verringert und ihre Dosierungen erhht werden. Die ultimative Rescuemanahme stellt der Ersatz hmatopoetischer Stammzellen im Rahmen einer autologen Knochenmark- oder peripheren Stammzelltransplantation dar. Auch der biochemische Rescue durch Gabe von Folinsure nach hochdosierter Methotrexatgabe ist ein Beispiel fr eine Rescuemanahme, mit der die Dosisintensitt erhht werden kann. ˜hnliches gilt fr die Prophylaxe der hmorrhagischen Zystitis nach Cyclophosphamid und Ifosfamid durch die Gabe von Mesna. Andere medikamentse Modulationen von Nebenwirkungen, die derzeit in Studien geprft werden, sind die tageszeitspezifische Applikation von Zytostatika (Chronotherapie), die Reduktion der Nephrotoxizitt von Cisplatin durch Thiosulfate u.v.m.
16 Hormontherapie Die Hormontherapie ist eine der ltesten Formen der medikamentsen Krebstherapie. Im Gegensatz zur konventionellen Chemotherapie wird die
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Hormontherapie v.a. dadurch wirksam, da sie in Regelkreise der Wachstumskontrolle eines Tumors eingreift. Die Hormontherapie von Tumoren basiert auf dem Konzept, da Tumorzellen noch Wachstumskontrollmechanismen unterliegen, die auch im entsprechenden Normalgewebe wirksam sind. Hormontherapien sind daher insbesondere bei Tumoren wirksam, die sich aus hormonsensiblen Normalgeweben entwickelt und einen Grad der Differenzierung beibehalten haben, der die Tumorzellen weiterhin unter einer zumindest partiellen Wachstumskontrolle durch Hormone belt. Das Wachstum der normalen Mamma kann z.B. durch strogene stimuliert werden, das gleiche gilt fr Mammakarzinome. Es berrascht daher nicht, da ein Entzug der Wachstumsstimulation durch strogene zu einer Wachstumshemmung hormonsensitiver Mammakarzinome fhrt. Auf hnliche Weise kann ein Entzug der testosteronabhngigen Wachstumsstimulation eines Prostatakarzinoms zu seiner Regression fhren. 16.1 Mechanismen der Wirkung und Resistenz Der Mechanismus der Wachstumsstimulation durch Steroidhormone beruht darauf, da die Liganden durch ihre Bindung eine Konformationsnderung des Rezeptors bewirken. Die Hormon-Rezeptor-Komplexe regulieren als Transkriptionsfaktoren die Expression von Genen, die Wachstum und Differenzierung kontrollieren, indem sie durch Bindung an die DNS die Transkription dieser Gene stimulieren. Neben der direkten Wirkung auf Proliferation und Differenzierung durch die Aktivierung von entsprechenden Genen ist auch eine indirekte Wirkung mglich, z.B. durch Interferenz mit auto- und parakrinen Wachstumsstimulationen. So fhrt z.B. die Behandlung von strogenempfindlichen Tumorzellinien mit Antistrogenen zur Sekretion von TGF-b, das das Wachstum von Mammakarzinomzellen supprimiert, whrend strogenbehandlung die Produktion des wachstumsstimulierenden TGF-a induziert. Wie bei der Chemotherapie mit Zytostatika wird auch bei der Hormontherapie das Phnomen der Resistenz beobachtet, fr das unterschiedliche Mechanismen verantwortlich sind. Primr hormonresistente Tumoren haben hufig keine Hormonrezeptoren. Verantwortlich fr die unter Hormontherapie entstehende sekundre Hormonresistenz ist wahrscheinlich der Selektionsdruck, den eine Hormontherapie auf eine Population von Tumorzellen mit unterschiedlichem Rezeptorgehalt ausbt. Rezeptorarme oder -negative Subklone haben unter Hormontherapie einen Wachstumsvorteil und knnen zur beherrschenden Population des Tumors heranwachsen. Auerdem gibt es Hinweise darauf, da Tumorzellen die Expression von Steroidrezeptoren unter Hormontherapie vermindern knnen. Mutationen knnen sowohl zum Verlust der Steroidproduktion fhren als auch dazu,
Differenzierungsinduktoren
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da es zu einer Strung der durch den Hormon-Rezeptor-Komplex induzierten Aktivierung der Transkription kommt. 16.2 Formen der Hormontherapie Man unterscheidet formal zwischen ablativen und additiven Hormontherapien. Ablative Hormontherapien unterbinden die hormonelle Stimulation von Tumorzellen durch Ansatz auf unterschiedlichen Ebenen: F
F F
Entfernung des hormonproduzierenden Organs (Orchiektomie bei Prostatakarzinom; Ovarektomie, Adrenalektomie und Hypophysektomie beim Mammakarzinom); Suppression der Hormonproduktion (Steroidsynthesehemmer); Blockade der hormonellen Effekte auf zellulrer Ebene (Antiandrogene und Antistrogene binden an und blockieren die entsprechenden Hormonrezeptoren in den Tumorzellen).
Zu den Formen der additiven Hormontherapien zhlen die Therapie mit Sexualhormonen bei hormonabhngigen Tumoren (strogene, Gestagene, Androgene bei Prostatakarzinom, Mammakarzinom und Uteruskarzinom) und die Therapie mit Nebennierenrindenhormonen (Kortikosteroide bei Lymphomen). Die Wirkungsmechanismen der additiven Therapie sind unterschiedlich. Die strogentherapie beim Prostatakarzinom wirkt v.a. dadurch, da sie zu einer Suppression der Sekretion von LH und FSH fhrt. Die kontinuierliche Gabe von LHRH-Agonisten fhrt zwar zunchst zu einer verbergehenden Stimulation, dann aber zur Hemmung der LHund FSH-Sekretion.
17 Differenzierungsinduktoren Tumorprogression manifestiert sich u.a. in der zunehmenden zytologischen Entdifferenzierung der Tumorzellen, die meist mit der klinischen Aggressivitt des Tumors korreliert. Die Entdifferenzierung kann aber reversibel sein und dann mit einem Verlust der Proliferationsfhigkeit einhergehen. Klinische Beipiele sind insbesondere die hochdifferenzierten Resttumoren, die nach einer Chemotherapie v.a. bei Neuroblastomen und Keimzelltumoren beobachtet werden. Der augenflligste klinische Erfolg einer Differenzierungsinduktionstherapie ist die Behandlung der mit der t(15;17)-Translokation und der daraus hervorgehenden Fusion des Retinolsurerezeptorgens mit dem sog. PMLGen (fr Promyelozytenleukmie) assoziierten Promyelozytenleukmie. Durch eine Behandlung mit all-trans-Retinolsure (ATRA) kommt es zu einer Ausreifung der entdifferenzierten Zellpopulation, wodurch die mei-
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sten Patienten mit dieser Form der akuten nichtlymphatischen Leukmie in eine Remission kommen. Da es aber in fast allen Fllen sekundr zu einer Resistenzentwicklung gegen ATRA kommt, wird eine Konsolidierungsbehandlung mit einer intensiven Chemotherapie empfohlen. Weitere Indikationen fr Retinoide sind die Rckbildungen von Leukoplakien im Kopf-Hals-Bereich durch 13-cis-Retinolsure (Isotretinoin) sowie die berichtete Wirksamkeit dieser Substanz in Kombination mit Interferon-a in einer Studie mit Zervixkarzinomen, die allerdings noch der Besttigung bedrfen. Zu zahlreichen anderen Differenzierungsinduktoren, die in der prklinischen oder frhen klinischen Prfung sind, gehren 1,25-Dihydroxyvitamin D3 (akute myeloische Leukmien), Tiazofurin (CML) und Planar-Polar-Induktoren, wie z.B. Hexamethylbisacetamid (Blasenkarzinom). Dagegen wirkt niedrigdosiertes Cytarabin bei Myelodysplasien und sekundren akuten Leukmien offenbar nicht ber die Induktion einer Differenzierung, sondern ber seinen zytotoxischen Effekt.
18 Spezifische Inhibitoren molekularer Mechanismen: ,,Molecular Targeting‘‘ und Angiogenesehemmer Imatimib (STI 571; Glivec), spezifisch entworfen, um in die Substratbindungstasche der aktivierten BCR-abl-Tyrosinkinase zu passen, hemmt die Aktivitt dieses fr das Wachstum von CML-Zellen wichtigen Signaltransduktionsmolekls. Es stellt einen groen Fortschritt in der Behandlung der CML dar. Seine Nebenwirkungen sind vergleichsweise gering, da seine Bindungsaffinitt an andere Tyrosinkinasen sehr niedrig ist. Allerdings knnen sich in kurzer Zeit Resistenzen gegen Imatimib entwickeln, u.a. durch Mutationen im BCR-abl-Molekl, die die Bindungsfhigkeit von Imatimib an seine Zielstruktur aufheben. Neben Imatimib stehen derzeit verschiedene Kinaseinhibitoren in der klinischen Prfung. Andere molekulare Zielstrukturen, die durch entsprechend entworfene Molekle angegangen werden, sind die ras-Onkoproteine und die Rezeptoren fr PDGF (platelet derived growth factor), EGF (epithelial growth factor) und VEGF (vascular endothelial growth factor). ZD1839 (Iressa) ist ein EGF-Rezeptor-Inhibitor, der sich derzeit in der klinischen Prfung befindet. Ebenfalls in der klinischen Prfung sind mehrere VEGF-Rezeptoren-targeting-Molekle, die die Tumorangiogenese hemmen. Thalidomid, das bei der Behandlung des Plasmozytoms wirksam ist, wirkt wahrscheinlich auch ber diesen Mechanismus.
Biologische Tumortherapie
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19 Biologische Tumortherapie Mit biologischer Tumortherapie werden Therapieanstze bezeichnet, die Antitumoreffekte durch die Aktivierung natrlicher Abwehrmechanismen oder die Applikation natrlicher bzw. rekombinanter (menschlicher) Substanzen erzielen. Insbesondere der Entwicklung der Gentechnologie ist es zu verdanken, da sich die biologische Therapie nach der Chemo- und Hormontherapie als dritte wichtige Systemtherapie bei der Behandlung bsartiger Erkrankungen etabliert hat. Der Begriff „biologische Therapie“ wird hufig synonym mit dem Begriff Immuntherapie gebraucht; da aber nicht fr alle biologischen Tumortherapien gesichert ist, da sie ber immunologische Mechanismen wirksam werden, sollte der Begriff „Immuntherapie“ fr solche biologische Therapien reserviert bleiben, die ihre Wirkung eindeutig ber immunologische Mechanismen entfalten. 19.1 Formen der Immuntherapie Die Immuntherapie kann spezifisch oder unspezifisch erfolgen, und zwar ber eine Stimulierung des Immunsystems (aktive Immuntherapie) oder durch die Gabe von Antikrpern oder zellulren Effektorzellen (passive Immuntherapie). Effektoren der spezifischen zellulren Tumorimmunitt sind die zytotoxischen T-Lymphozyten, jene der spezifischen humoralen Immunitt die von B-Lymphozyten gebildeten Antikrper, die nach Komplementaktivierung oder durch die Bindung von Zellen mit Fc-Rezeptoren (NK-Zellen, Monozyten, Neutrophile) ber ihren Fc-Teil (antikrperabhngige zellulre Zytotoxizitt=ADCC) Tumorzellen lysieren knnen. Effektorzellen der unspezifischen Tumorimmunitt sind Makrophagen, Neutrophile und die sog. natrlichen Killerzellen (NK-Zellen). Spezifische Immuntherapie
Die spezifische Immuntherapie menschlicher Tumoren mit monoklonalen Antikrpern gewinnt zunehmend an Bedeutung. Der monoklonale AntiCD20-Antikrper Rituximab ist fr die Therapie von Rezidiven indolenter Lymphome und zur Primrtherapie aggressiver Lymphome vom B-Zell-Typ in Kombination mit einer CHOP-Chemotherapie zugelassen, CAMPATH-H1 (anti-CD52) zur Therapie der T-CLL und von Rezidiven der B-CLL, Herceptin zur Therapie von Mammakarzinomen, die den Rezeptor Her-2/ neu berexprimieren. Als erster an ein Zytostatikum gekoppelter Antikrper steht das Anti-CD33-Konstrukt Meylotarg zur Verfgung. Experimentell ist die Gabe von spezifischen zytotoxischen T-Lymphozyten, die aus dem Tumorbiopsat (daher tumorinfiltrierende Lymphozyten=TIL) gewonnen, in vitro mit Interleukin-2 aktiviert und nach Expansion dem Patienten zu-
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
rckgegeben werden. Erfolgversprechend erscheint auch der Einsatz bispezifischer monoklonaler Antikrper, die ber ihren einen Arm an Oberflchenstrukturen von Tumorzellen binden und ber ihren zweiten Arm Effektorzellen des Immunsystems (zytotoxische T-Zellen, NK-Zellen) aktivieren (Hartmann et al. 2001). Schlielich deuten einzelne Studien darauf hin, da die Reinigung von autologen Stammzelltransplantaten von kontaminierenden Tumorzellen durch monoklonale Antikrper („immunologisches Purging“ in vitro oder auch in vivo) mglich und klinisch von Vorteil ist. Unspezifische Immuntherapie
Einen festen Platz in der internistischen Tumortherapie hat sich die Immuntherapie zuerst durch den Einsatz von rekombinanten menschlichen Zytokinen, insbesondere den Interferonen und Interleukinen, gesichert. Mit Interferon-a erreichen ca. 80% der Patienten mit Haarzellenleukmie eine Remission, und bei Patienten mit einer CML in der chronischen Phase kann Interferon-a zytogenetische und molekulare (BCR-abl-negative) Remissionen induzieren. Bei fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen und Melanomen erreicht eine Therapie mit Interleukin-2 (mit oder ohne Gabe von lymphokinaktivierten Killerzellen [LAK-Zellen]) in 20% eine partielle und in ca. 5% eine komplette Remission. Bezeichnend ist, da auch bei dieser bislang erfolgreichsten Immuntherapie menschlicher Tumoren die genauen immunologischen Wirkmechanismen immer noch ungeklrt sind. Im Vergleich zur Chemotherapie, bei der praktisch alle Wirkmechanismen auf molekularer Ebene aufgeklrt sind und zahlreiche Modelle zur Verfgung stehen, die bei der Entwicklung neuer Schemata wichtige Entscheidungshilfen sind, steckt die Immuntherapie noch weitgehend in der Phase der Empirie. Klar ist, da die Prinzipien der Chemotherapie hinsichtlich Dosierung, zeitlicher Abfolge und Kombination nicht gltig sind. Geradezu kennzeichnend fr biologische Therapien ist, da keine direkte Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, sondern da fr viele biologische Therapien ein Dosisoptimum besteht, dessen berschreiten zu einem Wirkungsverlust fhrt (Abb. 7). Wegen der Komplexitt der Immuntherapie sollten therapeutische Anstze nur innerhalb von kontrollierten Studien und nur an Zentren mit den Mglichkeiten der Kontrolle von spezifischen Immunparametern durchgefhrt werden.
20 Gentherapie Krebstherapie mit gentherapeutischen Methoden bedeutet eine Tumortherapie, die sich der Methoden des Gentransfers bedient. Dabei beinhaltet der Begriff Gentherapie in der derzeitigen Interpretation ausschlielich die
Gentherapie
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Abb. 7. Dosis-Wirkungs-Kurve einer biologischen Therapie. Anders als bei der Zytostatikatherapie besteht keine S-fo¨rmige Dosis-Wirkungs-Beziehung; vielmehr gilt fu¨r viele biologische Therapien ein Dosisoptimum, bei dessen Unter- wie auch U¨berschreitung die Wirkung rasch abnimmt. Dabei ko¨nnen die Dosisoptima eines Zytokins unterschiedlich sein je nachdem, welche seiner pleiotropen Wirkungen entscheidend klinisch relevant ist (A, B, C). Die Nebenwirkungen (D) zeigen dagegen einen mit der Dosis direkt korrelierten kontinuierlichen Anstieg
somatische Gentherapie, schliet also den Gentransfer in Keimzellen aus. Bei der Tumortherapie kann der Transfer genetischen Materials sowohl in Tumorzellen als auch in andere Zellen, z.B. Effektorzellen des Immunsystems oder antigenprsentierende Zellen, erfolgen. Folgende gentherapeutische Anstze zur Behandlung menschlicher Tumoren befinden sich zur Zeit in der frhen Phase der klinischen Prfung: F
F
F
Anti-sense-Oligonukleotide, z.B. gegen die mRNS des bcr-abl-Gens bei chronischer myeloischer Leukmie oder gegen das bcl-2-Gen bei follikulren Lymphomen; Transfektion von Tumorzellen mit sog. „Suizidgenen“, z.B. mit Thymidinkinase bei Glioblastomen, um die Tumorzellen sensibel fr eine Therapie mit dem Anti-Herpesvirus-Medikament Ganciclovir zu machen; oder Transfektion von Zytokingenen in Tumorzellen, z.B. von Interleukin-2 in Melanomzellen, um eine Immunantwort gegen die Tumorzellen zu stimulieren; Transfektion von Effektorzellen, z.B. mit Tumornekrosefaktor in tumorinfiltrierende Lymphozyten, um deren tumorizide Aktivitt zu erhhen.
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
21 Monotherapie und Kombinationstherapie Aus den Berechnungen zur Resistenzentstehung geht hervor, da eine Monotherapie wegen der bereits bei kleinen, klinisch gerade nachweisbaren Tumoren zu erwartenden Zytostatikaresistenzen kaum Aussicht hat, den Tumor heilen zu knnen. Tatschlich kann eine Therapie mit nur einem Zytostatikum (Monotherapie) lediglich beim Burkitt-Lymphom und beim Chorionkarzinom Remissionen erzielen. Eine Monotherapie kommt deshalb heute nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen (z.B. als Palliativtherapie bei CML, Mammakarzinom, Kolonkarzinom innerhalb einer Phase-I- oder Phase-II-Studie) zum Einsatz. 21.1 Prinzipien der Kombinationstherapie (Behandlung mit Zytostatikakombinationen) Ein kombinierter Einsatz mehrerer Zytostatika gleichzeitig oder in enger Abfolge (Polychemotherapie oder Kombinationstherapie) hat folgende Vorteile: F Erhhter Zellkill bei tolerabler (mglichst nichtberlappender) Toxizitt, F Breitere Abdeckung primr resistenter Klone, F Verhinderung oder Verzgerung der Entwicklung sekundr resistenter Klone. Bereits vor 30 Jahren definierten DeVita u. Schein (1973) die rationalen Grundlagen fr eine Polychemotherapie. Diese Prinzipien erhielten durch die oben beschriebenen Modelle ihre theoretische Untermauerung. In der Praxis fhrte die Entwicklung der ersten Polychemotherapieschemata fr kindliche akute lymphatische Leukmien, Hodgkin- und Non-HodgkinLymphome vor 40 Jahren tatschlich zu den ersten Heilungen bislang durch eine systemische Therapie im fortgeschrittenen Stadium nicht heilbarer Neoplasien. Tabelle 1 zeigt eine Auflistung der auf eine Polychemotherapie ansprechenden Tumoren. Bei der Entwicklung einer Kombinationstherapie sind folgende Punkte zu beachten: F
F
Wirksame Zytostatika: Alle Zytostatika einer Polychemotherapie mssen auch als Monosubstanzen fr den jeweils zu behandelnden Tumor wirksam sein. Der Einsatz von Zytostatika ohne nachgewiesene Wirksamkeit auf den jeweiligen Tumor birgt das Risiko in sich, da dadurch lediglich die Toxizitt der Kombination, nicht jedoch ihre Wirksamkeit erhht wird. Dosierung: Alle Zytostatika sollen in mglichst hoher Dosierung („first order kill“), zumindest jedoch in ihrer minimal wirksamen Dosierung eingesetzt werden. Bei der Erwgung von Dosisreduktionen ist zu bedenken, da solche Reduktionen einen enormen Einflu auf den
Monotherapie und Kombinationstherapie
F
F
F
F
F
F
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Therapieerfolg haben knnen, da die Verminderung an Toxizitt aber hufig enttuschend ist. Grundstzlich sollten die Dosisreduktionen nicht die Empfehlungen des jeweiligen Protokolls bersteigen. Zytostatikakombinationen: Es sind bevorzugt Kombinationen von Zytostatika mit unterschiedlichem Wirkmechanismus einzusetzen, weil solche Kombinationen nicht nur additive, sondern auch synergistische Effekte auf die Inhibition des Tumorwachstums erwarten lassen. Nebenwirkungsspektrum: Stehen mehrere Zytostatika zur Auswahl, so sollte eine Kombination von Zytostatika mit mglichst unterschiedlichen, sich nicht berlappenden Nebenwirkungsspektren gewhlt werden. Starke Kreuztoxizitten knnen zu einer nichtakzeptablen Toxizitt fhren und eine Dosisreduktion ntig machen. Resistenzmechanismen: Die Resistenzmechanismen gegen die einzelnen Zytostatika der Polychemotherapiekombination sollten mglichst unterschiedlich sein. Kommt es z.B. zur Resistenz gegen ein Zytostatikum ber den P170-Mechanismus, so wre dadurch die Wirkung aller Zytostatika (z.B. Vincristin, Doxorubicin, Etoposid), die ber diese Form der pleiotropen Zytostatikaresistenz inaktiviert werden, beeintrchtigt. Zeitpunkt des Therapiebeginns: Die Therapie sollte mglichst bald begonnen werden, da mit einem Tumorwachstum von 2 log mit der Entwicklung neuer Zytostatikaresistenzen zu rechnen ist. Scheduling: Bei der zeitlichen Abfolge der einzelnen Zytostatika sind mgliche synergistische oder antagonistische Effekte bestimmter Zytostatika zu beachten (s. oben). Einhaltung des Protokolls: Optimale Dosis und Zeitplan sind einzuhalten: Ein Therapiezyklus sollte mglichst rasch nach Abklingen der Nebenwirkungen wiederholt werden.
Tabelle 1. Gruppen von metastasierten, inoperablen, disseminierten Tumoren, aufgeteilt nach der Beeinflußbarkeit durch Chemotherapie Tumor
Komplette Remissionen [%]
U¨berleben nach 5 Jahren [%]
80–90 80–90 80–90 80–90 80–90 70–90 70–90 60–90
80–90 75–90 70–80 50–90 50–70 40–70 10–20 < 10
Potentiell heilbare Tumoren (10–12% aller Neoplasien) Chorionkarzinom (Frau) Hodentumoren M. Hodgkin III–IV Akute lymphatische Leuka¨mie (< 20 Jahre) Burkitt-Lymphom III–IV Aggressive Non-Hodgkin-Lymphome II–IV Akute myeloische Leuka¨mie Kleinzelliges Bronchialkarzinom
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
Tabelle 1. (Fortsetzung) Tumor
Ansprechrate [%]
Mittlere U¨berlebenszeit bei Remission (Jahre)
Palliative Therapie mit Verla¨ngerung der U¨berlebenszeit; ganz selten „Heilungen“ mo¨glich (ca. 40% aller Neoplasien) Chronische Leuka¨mien (CML, CLL) Prostatakarzinom Multiples Myelom Mammakarzinom Embryonale Tumoren des Kindesalters, ohne Wilms-Tumor Ovarialkarzinom FIGO III–IV Endometriumkarzinom Sarkome des Stu¨tzgewebes Plattenepithelkarzinom des HNO-Bereiches Medulloblastom Tumor
90–100 70–80 60–70 60–70 60–70
3–5 2–3 2–3 2 1–2
60–70 50 40 50 40–50
1–2 1–2 1(–2) 1–2 1–2
Remissionsrate [%]
Mittlere U¨berlebenszeit bei Remission (Monate)
Palliative Chemotherapie ohne Verla¨ngerung der U¨berlebenszeit, aber mit subjektiver und objektiver Verbesserung der U¨berlebensqualita¨t (ca. 30% aller Tumoren) Adenokarzinom des Magens Urothelkarzinom Nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom Nebennierenrindenkarzinom U¨brige Adenokarzinome des Gastrointestinaltrakts Malignes Melanom Plattenepithelkarzinom im gyna¨kologischen Bereich Tumor (inoperabel, metastasierend)
40(–50) 40(–50) 30(–40) 30–40 20(–30)
10–12 8–10 8–12 8–12 6–8
20–40 (10–)20
6–8 5–6 Teilremissionsrate [%]
Durch Chemotherapie nicht deutlich beeinflußbare Tumoren (20% aller Tumoren) Nierenkarzinom Prima¨re ZNS-Tumoren (außer Medulloblastom) Leberkarzinom Langsam wachsende Sarkome (z.B. Chondrosarkom) Anaplastisches Schilddru¨senkarzinom
10–25 10–20 10–20 10 10–20
Praktische Durchfu¨hrung der medikamento¨sen Tumor- bzw. Chemotherapie
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22 Praktische Durchfu¨hrung der medikamento¨sen Tumorbzw. Chemotherapie 22.1 Voraussetzungen fu¨r die Durchfu¨hrung einer Chemotherapie Eine systemische Tumortherapie sollte nur von einem in der Onkologie speziell ausgebildeten Arzt durchgefhrt werden. Eine weitere Voraussetzung ist, da die Institution (Klinik, Praxis) ber die fr die Durchfhrung der jeweiligen Chemotherapie notwendige Infrastruktur verfgt. In einer niedergelassenen Praxis gehrt hierzu entsprechendes Fachpersonal, das ausreichende Erfahrungen mit der systemischen Therapie maligner Erkrankungen besitzt. Je nach Intensitt der Chemotherapie, der dazu notwendigen supportiven Manahmen und der zu erwartenden Komplikationen, die das gesamte Spektrum der Medizin betreffen knnen, sollten bestimmte Formen der Chemotherapie (z.B. die allogene Knochenmarktransplantation) nur in groen Zentren durchgefhrt werden, die ber smtliche medizinischen Fachabteilungen verfgen. Neben diesen logistischen Voraussetzungen sollte der Beginn einer Chemotherapie von der Erfllung folgender Bedingungen abhngig gemacht werden: F
F
F
F
Eine Chemotherapie darf erst nach histologischer Sicherung der Diagnose und der genauen Kenntnis des differentialtherapeutisch wichtigen Ausbreitungsstadiums der Erkrankung begonnen werden. Eine zytologische Diagnose ist lediglich bei bestimmten Erkrankungen ausreichend (Leukmien, Plasmozytom). Eine Chemotherapie darf erst nach Aufklrung des Patienten ber die Natur seiner Erkrankungen, ber Ziele, Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie durchgefhrt werden. Die Aufklrung und die Zustimmung des Patienten sollten schriftlich dokumentiert werden. Von einer Therapie ist aber auch abzusehen, wenn der Patient trotz seiner schriftlichen Zustimmung nicht kooperativ ist. Eine Chemotherapie sollte nur dann durchgefhrt werden, wenn ein Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie erwartet werden kann und unter kritischer Abwgung aller Faktoren zu erwarten ist, da der Patient auch in Anbetracht zu erwartender Nebenwirkungen von der Therapie profitiert. Das Ansprechen der malignen Erkrankung auf die Chemotherapie ist regelmig anhand mebarer Parameter zu kontrollieren und zu dokumentieren. Kommt es zu weiterem Tumorwachstum unter Chemotherapie, ist die Chemotherapie abzubrechen.
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
22.2 Indikationen zur Chemotherapie Grundstzlich lassen sich folgende Indikationen einer Chemotherapie unterscheiden: primre Chemotherapie, adjuvante Chemotherapie, neoadjuvante Chemotherapie und Chemotherapie innerhalb eines kombinierten Therapieansatzes. Prima¨re Chemotherapie
Die primre Chemotherapie (im internationalen Sprachgebrauch auch als „induction chemotherapy“ bezeichnet) ist indiziert zur Behandlung von fortgeschrittenen chemotherapiesensiblen Tumoren. Ziel einer primren Chemotherapie ist das Erreichen einer kompletten Remission als Voraussetzung fr eine mgliche Heilung (kurative Therapieintention). Eine primre Chemotherapie kann aber auch indiziert sein, wenn das Erreichen einer (kompletten) Remission oder gar Heilung unwahrscheinlich, die Chemotherapie aber doch so effektiv ist, da zumindest eine passagere Linderung von Beschwerden erwartet werden kann (palliative Therapieintention). Eine wirksame Palliation setzt grundstzlich immer ein deutliches Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie voraus; bei chemotherapieresistenten Tumoren ist durch Chemotherapie keine Palliation zu erzielen. Gemessen wird der Therapieerfolg einer primren Chemotherapie an der Rate der kompletten Remissionen, an der Zeit bis zum Therapieversagen („freedom from treatment failure“, s. unten), am rezidivfreien berleben (s. unten) sowie am (Gesamt-)berleben. Salvagetherapie
Die Salvagetherapie ist eine besondere Form der Induktionschemotherapie. Man versteht unter Salvagetherapie eine Chemotherapie, die nach Versagen der Standardinduktionstherapie eingesetzt wird. Der Therapeut nimmt bei dieser Form der Therapie auch grere Nebenwirkungen als bei der Standardtherapie in Kauf und/oder setzt Substanzen oder Kombinationen von Substanzen ein, fr die erst beschrnkte Erfahrungen vorliegen. Adjuvante Chemotherapie
Eine adjuvante Chemotherapie soll nach einer potentiell kurativen lokalen Tumortherapie (Operation und/oder Strahlentherapie) ein Rezidiv vermeiden. Definitionsgem ist die adjuvante Therapiesituation nur gegeben, wenn klinisch kein Tumor mehr nachweisbar ist. Das Konzept der adjuvanten Therapie basiert auf theoretischen Modellen und der experimentellen Beobachtung, da kleine Tumoren besser auf eine Chemotherapie ansprechen als groe. Allerdings sprechen viele experimentelle und klinische Daten dafr, da Mikrometastasen zur Eradikation die-
Praktische Durchfu¨hrung der medikamento¨sen Tumor- bzw. Chemotherapie
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selbe Dosisintensitt wie mebare Tumoren bentigen. Dies ist unter dem Aspekt der Entwicklung der genetisch determinierten Resistenz nicht verwunderlich; da metastasierte Zellen wahrscheinlich eine selektionierte Tumorzellpopulation darstellen, kann man sogar eine hhere genetische Instabilitt mit entsprechend hherem Anteil multipel mutierter und deshalb auch multipel resistenter Klone erwarten. Ob darber hinaus noch zustzliche kinetische Resistenzen bei Mikrometastasen eine Rolle spielen, ist offen. Voraussetzung fr eine adjuvante Chemotherapie ist, da fr den jeweiligen Tumor Zytostatikakombinationen zur Verfgung stehen, deren Wirksamkeit in der therapeutischen Situation nachgewiesen ist. Indiziert ist die adjuvante Chemotherapie nur, wenn sie das Rezidivrisiko nach einer lokalen Therapie zu senken vermag und es nicht gerechtfertigt ist, das Auftreten eines Rezidivs oder einer Metastase abzuwarten, weil dann eine Heilung entweder nicht mehr mglich ist (z.B. Kolon- und Mammakarzinom) oder nur durch eine wesentlich toxischere Therapie (bestimmte Stadien des Hodenkarzinoms) erreicht werden kann. Dies gilt bisher beim Erwachsenen nur fr bestimmte Stadien des Mamma-, Kolon-, Rektum- und Hodenkarzinoms, mglicherweise auch fr das Magenkarzinom (Tabelle 2). Weitere Indikationen fr eine adjuvante Chemotherapie sind kindliche solide Tumoren, bei Tabelle 2. Gesicherte und mo¨gliche Indikationen fu¨r eine adjuvante Chemotherapie Tumor
Verla¨ngerung der Rezidivfreiheit
Verla¨ngerung der U¨berlebenszeit
++ ++ ++ ++ ++ +++ ++ +++ +++ +++ ++
++ ++ ++ ++ + ++ + ? +++ +++ ++
+ + ++
(+?) (+?) +?
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Gesicherte Indikationen Wilms-Tumor Ewing-Sarkom Rhabdomyosarkom Osteogenes Sarkom Medulloblastom Mammakarzinom (N, 1–3 Lkn.) Mammakarzinom (N0) Nicht seminomato¨se Hodentumoren Stadium IIa/b Kolonkarzinome Stadium III Rektumkarzinome Stadium II + III (+ Radiotherapie) Magenkarzinom (+ Radiotherapie) Mo¨gliche Indikationen Kleinzelliges Bronchuskarzinom (T1–2N1) Plattenepithelkarzinom (HNO) Ovarialkarzinom Ic–II
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
denen aber viele Arbeitsgruppen heute multimodale Therapiekonzepte durchfhren, die eine neoadjuvante Chemotherapie vorsehen (s. unten). Das Therapieziel einer adjuvanten Chemotherapie ist immer die Vermeidung eines Rezidivs als Voraussetzung fr eine Heilung (kurative Therapieintention). Der Therapieerfolg einer adjuvanten Chemotherapie wird gemessen am rezidivfreien berleben und Gesamtberleben. Neoadjuvante Chemotherapie
Eine neoadjuvante oder protoadjuvante Chemotherapie (im internationalen Sprachgebrauch neuerdings auch als „primary chemotherapy“ bezeichnet) ist indiziert, wenn vor einer potentiell kurativen lokalen Therapiemanahme (Operation, Strahlentherapie) eine Tumorreduktion erzielt oder eine frhzeitige Metastasierung des Primrtumors verhindert werden kann. Bei einer nachfolgenden Operation bietet die neoadjuvante Chemotherapie zustzlich den Vorteil, da ihr Erfolg auf mikroskopischer Ebene (Anteil verbleibender vitaler Tumorzellen) evaluiert werden kann. Die prinzipiellen onkologischen Voraussetzungen fr eine neoadjuvante Therapie entsprechen weitgehend denen fr die adjuvante Chemotherapie. Die Intention einer neoadjuvanten Therapie ist meist kurativ; die primre Verkleinerung des Tumors durch eine Chemotherapie kann aber auch aus funktionellen (Organerhaltung, z.B. bei Larynxtumoren) oder kosmetischen Grnden (v.a. bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich) indiziert sein. Die neoadjuvante Chemotherapie hat sich insbesondere bei Osteosarkomen und anderen soliden Tumoren des Kindesalters durchgesetzt, obwohl die wenigen randomisierten Vergleiche zur adjuvanten Chemotherapie bei diesen Entitten keine grere Wirksamkeit der neoadjuvanten Therapie erbrachten. Ihr Einsatz wird derzeit beim Blasenkarzinom, bei KopfHals-Tumoren unterschiedlicher Lokalisation und gastrointestinalen Tumoren (sophagus, Magen, Rektum) in Studien geprft. Der Therapieerfolg einer neodajuvanten Therapie wird gemessen an der Rate sekundrer Operabilitt, der Remissionsrate, an Freiheit von Therapieversagen, rezidivfreier berlebenszeit und Gesamtberleben. 22.3 Phasen der Chemotherapie Grundstzlich unterscheidet man Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie. F F
Induktionstherapie: Hierunter versteht man die Phase intensiver Therapie bis zum Erreichen einer Remission. Konsolidierungstherapie: Diese dient zur Stabilisierung der durch eine Induktionstherapie erreichten Remissionen. Oft beinhaltet sie hnliche Medikamente wie die Induktionstherapie, jedoch meist in reduzierter Dosis.
Entwicklung neuer Zytostatika/Phasen klinischer Studien F
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Erhaltungstherapie: Diese Therapiephase besteht meist aus einer relativ wenig aggressiven Therapie, die oft ber einen lngeren Zeitraum gegeben wird. Anstelle einer gleichmig starken Erhaltungstherapie werden z.B. zur Remissionserhaltung bei der akuten Leukmie zu bestimmten Zeitpunkten einzelne Therapiezyklen mit relativ aggressiver Dosierung gegeben („early“ und „late intensification“).
23 Entwicklung neuer Zytostatika/Phasen klinischer Studien Die Entwicklung neuer Zytostatika durchluft mehrere Phasen. Die Suche nach neuen Substanzen beginnt hufig mit der Synthese von Analoga wirksamer Substanzen mit dem Ziel, pharmakologische Eigenschaften der Muttersubstanz zu verbessern und/oder ihre Nebenwirkungen zu verringern. Pra¨klinische Phase: In der prklinischen Phase der Erprobung einer neuen Substanz erfolgt zunchst ein Screening ihrer zytotoxischen Wirkung. Hierzu werden in vitro Zytotoxizittsassays mit bestimmten Tumorzellinien (die Mausleukmiezellinien P 388 und L 1210 sowie mehrere Zellinien von menschlichen soliden Tumoren) durchgefhrt. Substanzen, die in diesen Assays Wirkung zeigen, werden dann in vivo an transplantierbaren murinen Tumoren sowie Heterotransplantaten menschlicher Zellinien von Mamma-, Kolon- und Bronchialkarzinomen geprft. Vielversprechende Substanzen werden dann einer pra¨klinischen toxikologischen Studie unterzogen, wobei die maximale tolerable Dosis bei minimaler Mortalitt (10%: LD10) sowie der zeitliche Verlauf der Zytostatikumdosis bei der LD10 in Musen, Hunden und Primaten, auerdem die Hufigkeit und Schwere bestimmter Organtoxizitten bestimmt werden. Phase-I-Studie: Ziele dieser ersten klinischen Prfung sind die Evaluation des
Nebenwirkungsprofils, die Bestimmung der maximalen tolerablen Dosis sowie der ct-Kurve. Auerdem sollen sich aus den Ergebnissen der Phase I Empfehlungen fr die Dosierung der Substanz in spteren Phase-II-Studien ableiten lassen. Initiale Dosis ist dabei meistens eine Dosis von 10% der LD10-Dosis von Musen. Diese Dosis wird dann nach einem vorher anhand der gemessenen c t-Kurve festgelegten Schema sukzessive eskaliert, bis die maximale tolerable Dosis erreicht wird, wobei diese vorher genau definiert werden mu. Dabei ist fr jede Applikationsart (einmalige Applikation, mehrtgig wiederholte Applikation, Dauerinfusion etc.) eine gesonderte Phase-I-Studie erforderlich. So kann auch fr bereits etablierte Zytostatika eine erneute Phase-I-Studie notwendig werden, wenn sie in anderer zeitlicher Abfolge oder Applikationsart eingesetzt werden sollen. Ebenso mssen neue Zytostatikakombinationen zunchst in einer PhaseI-Studie geprft werden.
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Phase-II-Studie: In einer Phase-II-Studie sollen das Wirkungsspektrum und die Effektivitt des neuen Zytostatikums geprft werden. Dazu werden Patienten mit einer bestimmten Tumorentitt mit der neuen Substanz behandelt und das Ansprechen der Tumoren mit den Kategorien komplette Remission, partielle Remission, „minor response“, „no change“ und Progression (s. unten) belegt. Voraussetzung ist selbstverstndlich, da ein mebarer Tumor vorliegt. Fr jede zeitliche Abfolge, Applikationsart und Tumorentitt mu eine eigene Phase-II-Studie durchgefhrt werden. Dabei gelten Substanzen, die eine Rate von partiellen und kompletten Remissionen von > 20% erzielen, als klinisch wertvoll und werden weiter klinisch geprft. Phase-III-Studie: Erfolgreiche neue Substanzen werden dann in einer weiteren Phase der klinischen Prfung mit der Standardtherapie verglichen. Als Kontrollgruppe fr eine Therapiegruppe dient hufig eine historische Vergleichsgruppe. Solche Vergleichsgruppen sind problematisch, da nicht ausgeschlossen werden kann, da unbekannte prognostische Faktoren in Therapie- und Kontrollgruppe ungleichmig verteilt sind. Anzustreben ist deshalb eine durch Randomisierung erhaltene, prospektiv zu untersuchende Kontrollgruppe. Eine Randomisierung garantiert zwar nicht, da Therapie- und Kontrollgruppe medizinisch quivalent sind, fhrt aber zu einer gleichmigen Verteilung von unbekannten prognostischen Faktoren. Sind wichtige prognostische Faktoren bekannt, so sollte eine Stratifizierung erfolgen, indem fr jede Untergruppe von Patienten eine separate Randomisierungsliste erstellt wird.
Erfolgreiche Substanzen knnen dann in Phase-IV-Studien im Hinblick auf ihren Stellenwert in Polychemotherapieschemata und als Teil von multimodalen Therapiestrategien geprft werden.
24 Dokumentation der systemischen Tumortherapie Sowohl fr die Beurteilung des individuellen Therapieerfolges als auch zur Bewertung eines Therapieschemas ist eine Basisdokumentation der wichtigsten Daten ntig. Hierzu gehren die genaue Tumorausbreitung vor und nach Abschlu der Therapie sowie die Dokumentation von Zeitpunkt, Art und Dosierung der Therapie sowie der Nebenwirkungen. 24.1 Dokumentation vor Therapiebeginn Patient: Name, Geschlecht, Alter, Gre, Gewicht, Anamnese (insbes. Tu-
moranamnese und Therapie), ECOG-Status; Tabellen 3 u. 4).
Allgemeinzustand
(Karnofsky-Index,
Dokumentation der systemischen Tumortherapie
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Tabelle 3. Die AJCC (American Joint Committee of Cancer) Performance Status Scale und der Karnofsky-Index zur Quantifizierung des Allgemeinzustandes AJCC
Performance Status Scale
Karnofsky-Index
HO
Normale Aktivita¨t
100% – normal, keine Beschwerden, keine Krankheitszeichen sichtbar 90% – fa¨hig zu normaler Aktivita¨t, keine Symptome oder Zeichen der Krankheit
H1
Ambulant, mit Beschwerden; kann sich selbst versorgen
80% – normale Aktivita¨t unter Anstrengung, einige Krankheitszeichen oder Symptome 70% – sorgt fu¨r sich selbst, unfa¨hig zu normaler Aktivita¨t oder zu aktiver Arbeit
H2
H3
H4
Nicht bettla¨gerig in mehr als der Ha¨lfte der Zeit; bisweilen fremder Hilfe bedu¨rftig
60% – braucht gelegentlich Hilfe, ist aber fa¨hig, fu¨r die meisten seiner Angelegenheiten selbst zu sorgen
Zur Ha¨lfte der Zeit oder mehr bettla¨gerig; pflegebedu¨rftig
40% – braucht besondere Pflege und Hilfe
Bettla¨gerig; stationa¨re Behandlung no¨tig
20% – Krankenhausaufnahme notwendig, sehr krank, aktive unterstu¨tzende Therapie notwendig
50% – braucht betra¨chtliche Hilfe und oft medizinische Pflege 30% – stark behindert! Krankenhausaufnahme ist indiziert, noch keine Lebensgefahr
10% – sterbend
Tumor: Lokalisation, Tumorausdehnung (eindimensional, zweidimensional; mebar/nicht mebar; Angabe in cm); Histologie (einschlielich Grading), Stadium. Von besonderer Bedeutung ist eine mglichst objektive Beschreibung der Tumorgre. Hierbei unterscheidet man: F
Meßbarer Tumor: Die Tumorausdehnung wird in cm angegeben; Vergleiche aus der Pflanzenwelt sind obsolet! Bei einem zweidimensional meßbaren Tumor erfolgt eine ungefhre Grenbestimmung durch Multiplikation des grten Lngsdurchmessers mit dem darauf senkrecht stehenden Durchmesser; bei multiplen Tumorausbreitungen werden die Einzelberechnungen addiert. Bei einem eindimensional meßbaren Tumor in der Leber werden die Entfernungen des unteren Leberrandes vom Rippenbogen in der rechten und linken mittleren Klavikularlinie sowie in der Medianlinie (d.h. Leberrand bis zum Xiphoid) addiert. Bei anderen Tumorausdehnungen wird nur die Ausbreitung in einer Dimension in cm angegeben.
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
Tabelle 4. ECOG*-Skala/Karnofsky-Index zur Beurteilung des Allgemeinzustandes ECOG
Karnofsky
0
Vo¨llige Leistungsfa¨higkeit, keine Symptome
1
Ambulanter Patient, symptomatisch, fa¨hig zu leichter Arbeit
100% 80–90%
2
Patient mit Symptomen, tagsu¨ber weniger als 50% im Bett, versorgt sich selbst
60–70%
3
Patient mit Symptomen, tagsu¨ber mehr als 50% im Bett; bedarf teilweise fremder Hilfe
40–50%
4
Vo¨llig bettla¨gerig und auf fremde Hilfe angewiesen
20–30%
* Eastern Cooperative Oncology Group F
F
Nichtmeßbarer evaluabler Tumor: Hierzu gehren z.B. die Lymphangiosis bei pulmonalen Metastasen oder auch Hautinfiltrationen beim Mammakarzinom. Nichtmeßbarer und nichtevaluabler Tumor: Hierzu gehren z.B. Schmerzen, Lebensqualitt.
Laborwerte: Groes Blutbild, Leberwerte, Retentionswerte, evtl. Tumor-
marker. Spezialuntersuchungen: Rntgen, Sonogramm, CT, Szintigramm.
24.2 Dokumentation der Therapie Chirurgie: Beschreibung der Operation (lokale Exzision, radikale Exzision,
Organentfernung, Entfernung benachbarter Organe; partielle Exzision; Entfernung regionrer/ weiterer Lymphknoten; Vollstndigkeit der Resektion: R0 = vollstndige Resektion des Tumors; R1 = mikroskopische Tumorreste nach Resektion; R2 = makroskopische Tumorreste; Exzision von Metastasen; explorative Operation; palliative Operation); Komplikationen. Strahlentherapie: Strahlenquelle, Strahlenart (Photonen, Neutronen), Ener-
gie, Applikationsart, Feldgren, Dosis-Zeit-Dokumentation mit Gesamtdosis, Einzeldosis, Fraktionierungsschema, Gesamtbehandlungsdauer; evtl. Radiosensitizer; Beschreibung der Therapieindikation (kurativ, palliativ), Komplikationen. Chemotherapie und Hormontherapie: Beschreibung des Chemotherapieprotokolls einschlielich Beschreibung der Zytostatika (Name, Dosis, Applikationsart, Zeitplan und Dauer), Zahl der geplanten Kurse, Grnde fr Verzgerung oder Dosismodifizierung; Komplikationen. Kombinierte Therapie: Die o.g. Therapiemodalitten werden entsprechend do-
kumentiert.
Dokumentation der systemischen Tumortherapie
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24.3 Dokumentation der Nebenwirkungen Die Nebenwirkungen sollten entsprechend den Empfehlungen der WHO graduiert dokumentiert werden. Fr mebare Nebenwirkungen (z.B. auf das Blutbild) sind die genauen Definitionen im „WHO-Handbook for Reporting Results of Cancer Treatment“ nachzulesen (s. Band II, Bewertungskap.); im brigen gilt folgende Graduierung (nach ECOG): 0 1 2 3 4
= = = = =
keine Toxizitt, milde Toxizitt, mige Toxizitt, schwere Toxizitt, irreversible, nichtbehandelbare Toxizitt.
24.4 Beurteilung des Therapieerfolgs Zur Beurteilung des Therapieerfolgs erfolgt nach Abschlu einer Therapie eine Kontrolle der Tumorausdehnung mit allen Untersuchungsmethoden, mit denen vor der Therapie eine Tumorausdehnung nachweisbar war. Meßbarer Tumor Komplette Remission (CR): Verschwinden aller nachweisbaren Tumorparame-
ter, dokumentiert durch 2 Kontrolluntersuchungen, die mindestens 4 Wochen auseinanderliegen. No evidence of disease (NED): Tumorfreiheit durch zustzliche Chirurgie nach
Chemotherapie. Partielle Remission (PR): Rckgang der Tumorausdehnung um mindestens
50% ber eine Dauer von mindestens 4 Wochen. No change (NC): Keine signifikante ˜nderung der Tumorausdehnung ber
mindestens 4 Wochen, d.h. keine mebare Grennderung, Abnahme um weniger als 50% oder Zunahme um weniger als 25%. Progreß (,,progressive disease" = PD): Erscheinen neuer Tumormanifestationen
oder Zunahme bestehender Lsionen um mehr als 25%. Nichtmeßbarer, aber evaluierbarer Tumor
CR bedeutet hier das Verschwinden aller Tumorzeichen; fr PR, NC und PD werden statt der gemessenen Werte geschtzte%-Zahlen angegeben. Beurteilung des Therapieerfolgs bei Knochenmetastasen
CR bedeutet das Verschwinden aller Knochenmetastasen auf den Rntgenbildern fr mindestens 4 Wochen; PR bedeutet Abnahme der Gre von
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
Osteolysen, Abnahme der Dichte von osteoplastischen Lsionen fr mindestens 4 Wochen; NC bedeutet keine Vernderung ber mindestens 8 Wochen; PD bedeutet Grenzunahme bestehender oder Auftreten neuer Lsionen. Eine Fraktur oder deren Abheilung sollten nicht allein als Parameter zur Beurteilung des Therapieerfolges herangezogen werden. Beurteilung des Gesamterfolgs
Mebarer und nichtmebarer Tumor: Der Therapieerfolg soll hier fr beide Parameter getrennt angegeben werden. Das schlechteste Ansprechen eines Parameters bei mehreren mebaren Parametern entscheidet. NC bei nichtmebaren Tumorparametern macht aus einer CR der mebaren Parameter eine PR, belt aber eine PR bei PR. Wenn bei multipel mebaren Parametern insgesamt mehr CR und PR als NC zu beobachten sind, gilt der Gesamterfolg als PR. 24.5 Dauer des Therapieerfolges Remissionsdauer: Die Dauer einer Remission wird vom Tag des Nachweises der CR bis zum Nachweis eines Rezidivs angegeben. Die mittlere Remis¨ berleben besionsdauer einer Patientenpopulation wird als rezidivfreies U zeichnet. Bercksichtigt werden dabei nur solche Patienten, die eine Remission erreicht haben. Patienten, die aus anderen Ursachen in Remission versterben, werden meist zum Zeitpunkt des nicht tumorbedingten Todes zensiert. Krankheitsfreies U¨berleben: Es wird meist hnlich definiert wie das rezidivfreie berleben, mit dem Unterschied, da das krankheitsfreie berleben auf alle Patienten bezogen wird, also auch solche, die keine Remission erreichen. Das krankheitsfreie berleben ist daher krzer als das rezidivfreie. Progressionsfreies U¨berleben: Hiermit wird das Zeitintervall von Therapiebeginn bis zum Auftreten eines Progresses bzw. eines Rezidivs nach zwischenzeitlich eingetretener Remission bezeichnet. Ereignisfreies U¨berleben, Freiheit von Therapieversagen: Intervall vom Beginn der Therapie bis zum Auftreten eines definierten Ereignisses bzw. definierter Arten von Therapieversagen. Hierzu gehren meistens: ausbleibende Remission, Progre, Tod durch Tumor, Tod durch jede andere Ursache, Beginn einer neuen Therapie. Gesamtu¨berleben: Intervall von Beginn der Therapie bis zum Eintritt des
Todes, unabhngig von dessen Ursache.
Onkologische Kooperation
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24.6 Bewertung des subjektiven Therapieerfolges Die Bewertung des subjektiven Therapieerfolges ist schwierig. Hierfr sollten der Allgemeinzustand (Karnofsky-Index, ECOG-Status) und das Gewicht des Patienten dokumentiert werden. Daneben knnen Angaben ber die tgliche Arbeitsfhigkeit in Stunden, die Zeit ohne Therapie und Symptome (TWIST) sowie vom Patienten selbst zu fhrende Analogskalen hilfreich bei der Beurteilung des subjektiven Therapieerfolges sein. Zur Beurteilung des Allgemeinzustandes werden hufig Skalen eingesetzt; der Karnofsky-Index unterscheidet einen Leistungszustand von 0 bis 100%, whrend nach der ECOG-Skala die Leistungszustnde 0 bis 4 unterschieden werden. 24.7 Nachweis eines Rezidivs Zum Nachweis eines Rezidivs mssen eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfllt sein: F F F
Histologischer und zytologischer Nachweis, Auftreten alter und neuer Lsionen, Autoptischer Nachweis eines Tumorrezidivs.
25 Onkologische Kooperation Eine optimale Betreuung der Tumorpatienten ist nur mglich bei reibungsloser Zusammenarbeit aller mit der Diagnostik und Therapie von Tumorkrankheiten befaten Institutionen: das heit in praxi zwischen dem Hausarzt, dem niedergelassenen Fachkollegen und dem onkologischen Zentrum. Dabei wird sich die Aufgabenteilung nach der Erfahrung und den technischen Voraussetzungen aller beteiligten Institutionen richten und v.a. aber von der Art der zu behandelnden Tumorkrankheit abhngen. So sollten akute Leukmien nur in hochspezialisierten Zentren behandelt werden, whrend weniger aggressive Chemotherapien auch von niedergelassenen Onkologen durchgefhrt werden knnen. Die Hauptaufgabe des Hausarztes besteht im stndigen engen Kontakt mit dem Patienten. Whrend einer Therapie sollte der Hausarzt in Zusammenarbeit mit dem Zentrum die Wirkung der Therapie prfen und Nebenwirkungen erkennen lernen. Nach Abschlu einer Therapie mu der Hausarzt dafr Sorge tragen, da die Nachsorge konsequent eingehalten und durchgefhrt wird. Auch wenn bei vielen Tumorarten grundstzlich eine berweisung in ein Tumorzentrum stattfinden sollte, so bleibt dem Hausarzt dennoch eine zentrale Rolle bei der Betreuung des Tumorpatienten. Durch den engen Kontakt mit dem Patienten hat v.a. der Hausarzt die Verantwortung und
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
die Mglichkeit, die notwendige psychologische Untersttzung von Patient und Familie zu leisten. Die physischen und psychischen Aspekte der Tumorkrankheit sowohl fr den Patienten als auch fr seine Familie sind wichtige Faktoren der medizinischen Betreuung und ebenso wichtig und befriedigend wie die Durchfhrung der eigentlichen Therapie.
26 Perspektiven der medikamento¨sen Tumortherapie Zuknftige Strategien werden versuchen, unser zunehmendes Wissen um molekularbiologische Mechanismen neoplastischen Wachstums therapeutisch auszunutzen. Als Zielstrukturen solcher molekularbiologischer Therapiestrategien bieten sich synthetische Peptide zur Blockade von Wachstumsrezeptoren, interzellulre Signalbermittler sowie Anti-sense-Oligonukleotide an. Der Erfolg all dieser Strategien wird jedoch im wesentlichen von ihrer selektiven und spezifischen Wirkung auf die neoplastischen Zellen abhngen. Zu den grten Problemen, die im Hinblick auf die Entwicklung einer effektiveren Chemotherapie zu lsen sind, gehren F
F
F
F
Unsere begrenzte diagnostische Sicherheit bei den Staginguntersuchungen (Nachweis von Mikrometastasen) und bei der Beurteilung des Therapieerfolgs (Nachweis von „minimal residual disease“); die Beherrschung der hohen (extramedullren) Toxizitt, die in vielen Fllen eine Steigerung der Zytostatikadosis auch beim Einsatz von Stammzellen verbietet; die bisher fehlenden Parameter, die es erlauben wrden, den Einflu der Therapie auf das Mikromilieu des Tumors, dem eine wesentliche biologische Rolle beim Tumorwachstum zukommt, genauer zu analysieren; die berwindung der Zytostatikaresistenz.
Die Entdeckung molekularer Marker fr eine ganze Reihe von Tumoren und ihr Nachweis durch sensitive molekularbiologische Verfahren (z.B. durch Polymerasekettenreaktion) sollte sowohl die Genauigkeit unserer Staginguntersuchungen als auch Restaginguntersuchungen erhhen. Differential Displays und Mikroarrays der Genexpression der Tumoren werden biologische Subtypisierungen von Tumorentitten erlauben, wie sich das jetzt schon bei Lymphomen andeutet; damit wird es besser mglich sein, Patienten zu identifizieren, die von einer (weiteren) Chemotherapie profitieren oder bei denen auf eine solche Therapie verzichtet werden kann. Die rapide Zunahme der Aufklrung molekularbiologischer Mechanismen gibt Anla zu der Hoffnung, da die systemische Tumortherapie der Zukunft immer mehr zur Entwicklung von Substanzen fhren wird, die eine tumorspezifische therapeutische Intervention erlauben; vielversprechende Anstze sind Anti-sense-Oligonukleotide, die die Translation spezifischer mRNS-
Perspektiven der medikamento¨sen Tumortherapie
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Sequenzen blockieren knnen, synthetische Peptide, die an Wachstumsfaktorrezeptoren binden, aber deren Signalbertragung blockieren (wie die weiter oben beschriebenen Tyrosinkinase- und Rezeptorkinase-Inhibitoren), sowie die gezielte Aktivierung des Immunsystems gegen tumorspezifische Strukturen, gegebenenfalls unter dem Einsatz gentherapeutischer Verfahren. Mit dem Einsatz autologer Stammzelltransplantationen und hmatopoetischer Wachstumsfaktoren ist es uns gelungen, einen bisher wesentlichen limitierenden Toxizittsfaktor unter Kontrolle zu bringen; was wir bentigen, sind Substanzen und/oder Techniken mit vergleichbarer Wirksamkeit, mit denen wir auch die jetzt limitierenden extramedullren Toxizitten prophylaktisch oder therapeutisch angehen knnen. Vielleicht werden einfachere Methoden des Drugmonitorings dazu fhren, da wir, wie bereits jetzt bei der Behandlung mit hochdosiertem Methotrexat, unter laufender Chemotherapie, individuelle Dosismodifikationen durchfhren; auch darf erwartet werden, da die bessere Kenntnis der Pharmakogenetik eines Patienten in Zukunft die Auswahl von Zytostatika und deren Dosierung fr den individuellen Patienten optimieren werden, und mglicherweise werden verfeinerte Methoden der Positronenemissionstomographie (PET) es uns erlauben, die Wirksamkeit einer Chemotherapie bereits zu einem Zeitpunkt zu bestimmen, wo ein Therapiewechsel noch sinnvoll ist. Literatur Bonadonna G, Valagussa P (1981) Dose-response effect of adjuvant chemotherapy in breast cancer. N Engl J Med 304:10…15 Day RS (1986) Treatment sequencing, asymmetry, and uncertainty: protocol strategies for combination chemotherapy. Cancer Res 46:3878…3885 DeVita VT, Schein PS (1973) The use of drugs in combination for the treatment of cancer. Rationale and results. N Engl J Med 288:998…1006 DeVita VT (1983) The relationship between tumor mass and resistance to treatment of cancer. Cancer 51: 1209…1220 DeVita VT, Hubbard JM, Longo DL (1987) The chemotherapy of the lymphomas: looking back, moving forward … the Richard and Hinda Rosenthal Foundation Award Lecture. Cancer Res 47:5819…5824 Fisher RI, Gaynor ER, Dahlberg S et al (1993) Comparison of a standard regimen (CHOP) with three intensive chemotherapy regimens for advanced non-Hodgkin’s lymphoma. N Engl J Med 328:1002…1006 Goldie JH, Coldman AJ (1983) Quantitative model for multiple levels of drug resistance in clinical tumors. Cancer Treat Rep 67:923…931 Hartmann F, Renner C, Jung W, Pfreundschuh M et al (2001) Anti-CD16/CD30 bispecific antibody treatment for Hodgkin˙s disease: Role of infusion schedule and costimulation with cytokines. Clin Cancer Res 7:1873…1881
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Prinzipien der medikamento¨sen Tumortherapie
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15 Immuntherapie
15.1 Prinzipien der Immuntherapie G. Schlimok, G. Riethmller
1 Einleitung Immuntherapeutische Verfahren bei Patienten mit malignen Tumoren knnen in aktive und passive Anstze unterteilt werden. Da Tumorpatienten hufig unter einer Immunsuppression leiden, die zu einer Beeintrchtigung der aktiven Immunantwort fhren kann, wurden auch passive immuntherapeutische Prinzipien in der Therapie maligner Erkrankungen eingesetzt. Passive Immuntherapie beinhaltet den Transfer von Antikrpern oder spezifischen Immunzellen, die in der Lage sind, direkt oder indirekt eine Antitumorwirkung hervorzurufen. Unter aktiver Immuntherapie versteht man den Versuch, das Immunsystem des Patienten unspezifisch oder spezifisch so zu modulieren, da die zytotoxischen Effektormechanismen sich gegen den eigenen Tumor richten. Tumorassoziierte Antigene knnen reexprimierte fetale/embryonale Antigene, proliferationsassoziierte Proteine oder auch Neoantigene, die z.B. durch Mutation von Protoonkogenen entstanden sind, darstellen. Als tumorassoziierte Antigene knnen neben Zellmembranantigenen auch zytoplasmatische und nuklere Proteine dienen, da diese zusammen mit den HLA-Klasse-I-Antigenen auf der Zelloberflche exprimiert und von T-Lymphozyten erkannt werden knnen. Das Immunsystem ist in der Lage, gegen derartige tumorassoziierte Antigene sowohl eine humorale als auch eine zellulre Reaktivitt zu entwickeln. Bei der Mehrzahl der Patienten lassen sich Antikrper, zytotoxische T-Zellen (CTL), natrliche Killer(NK)-Zellen oder lymphokinaktivierte Killerzellen (LAK) nachweisen, die mit den eigenen Tumorzellen reagieren. Trotz der Fhigkeit, immunologisch gegen Tumorzellen reagieren zu knnen, scheint das Immunsystem in der klinischen Situation hufig zu
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Immuntherapie
versagen. Hierfr gibt es verschiedene Erklrungsversuche. Neben dem Vorhandensein von Suppressorzellen, blockierenden Faktoren und tumorzellinduzierter Apoptose von Effektorzellen wird auch der Verlust von HLAKlasse-I- und -II-Antigenen, der diese Tumorzellen fr zytotoxische T-Lymphozyten unangreifbar macht, diskutiert. Auch das Fehlen eines „zweiten Signals“ fr die effektive klonale Expansion immunreaktiver T-Zellen knnte eine Erklrung sein. So ist fr eine Immunantwort nicht nur das Erkennen eines Antigens, sondern darber hinaus ein zweites Signal, das ber verschiedene andere Ligandensysteme bewerkstelligt werden kann (z.B. Adhsionsmolekle/B7-CD 28), notwendig. Der Begriff „adoptive Immuntherapie“ bezeichnet in diesem Zusammenhang blicherweise die bertragung von immunologischen Effektorzellen (Lymphozyten, Makrophagen).
2 Aktive immuntherapeutische Ansa¨tze 2.1 Aktive unspezifische Immuntherapie Unter aktiver unspezifischer Immuntherapie versteht man die lokale oder systemische Verabreichung von unspezifischen Immunstimulatoren mit dem Ziel, eine Abwehrreaktion gegen den Tumor zu aktivieren und auf diese Weise eine Tumorrckbildung zu erzielen. Mit bakteriellen Extrakten oder Bakterien selbst, z.B. Tuberkelbakterien des Bacillus-Calmette-GuØrin(BCG)-Stammes wurde versucht, lokale Entzndungsreaktionen zu induzieren. Whrend nach lokalen Anwendungen Remissionen von Melanomen, Hautmetastasen oder oberflchlichen Blasentumoren beobachtet wurden, erwies sich die systemische Applikation als nicht erfolgreich. Bei der Verabreichung unspezifischer Immunstimulanzien werden eine ganze Reihe von Mediatoren freigesetzt, die heute, mit Hilfe gentechnischer Verfahren isoliert, in greren Mengen produziert und in Therapiestudien eingesetzt werden knnen. Durch die systemische Gabe von Interferonen und Interleukin-2 gelang es in begrenztem Mae, sowohl bei hmatologischen Neoplasien als auch bei soliden Tumoren Antitumoreffekte zu erzielen. 2.2 Aktive spezifische Immuntherapie Die Erfolge der aktiven spezifischen Immunisierung bei der Vorbeugung bakterieller und viraler Infektionserkrankungen gaben zu der Hoffnung Anla, da eine aktive Immunisierung gegen Tumorzellen eine Immunreaktion mit Antitumorwirkung zur Folge haben knnte. Als Tumorvakzine kamen autologe oder allogene Tumorzellen zum Einsatz. Durch Kombination mit Adjuvanzien, wie BCG, oder durch In-vitro-
15.1
Prinzipien der Immuntherapie
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Vernderung dieser Zellen (chemische Modifikation, Infektion mit Viren) wurde versucht, neue zellmembranassoziierte Molekle zu induzieren und auf diese Weise die immunogene Wirkung in vivo zu verstrken. Klinisch wurde dieses Konzept v.a. bei Patienten mit malignen Melanomen und kolorektalen Karzinomen eingesetzt. Eine neue Mglichkeit der aktiven spezifischen Immuntherapie bietet der Einsatz genetisch modifizierter Tumorzellen. Die Insertion von Zytokingenen in die Tumorzellen ermglicht eine verbesserte Erkennung dieser modifizierten Zellen durch das Immunsystem, gefolgt von einer verstrkten zellulren Immunantwort. Unter hnlichen Gesichtspunkten werden auch Hybridfusionen aus Tumorzellen und antigenprsentierenden Zellen eingesetzt. Die Identifizierung individueller tumorassoziierter Antigene erffnet in Zukunft die Mglichkeit, Patienten mit definierten gereinigten Vakzinen auf der Basis von Peptiden/Proteinen hochspezifisch zu immunisieren. Dabei werden die Vakzine entweder in vivo direkt appliziert oder nach Exvivo-Beladung von dendritischen antigenprsentierenden Zellen verabreicht (s. auch Kapitel 15.3 „Tumorvakzine“).
3 Passive immuntherapeutische Ansa¨tze 3.1 Adoptive Immuntherapie mit immunreaktiven Zellen Ziel dieser Therapieform ist die Identifikation, Isolierung, Expansion und Rckbertragung von Immunzellen mit spezifischer Antitumoraktivitt. Die Entdeckung von Interleukin-2 (IL-2) erlaubte es, groe Mengen von T-Lymphozyten und natrlichen Killerzellen in vitro zu generieren und so den klinischen Einsatz dieser Zellen zu ermglichen. Die grten Erfahrungen liegen bisher mit den sogenannten lymphokinaktivierten Killerzellen (LAK-Zellen) vor, die nach IL-2-Stimulation aus dem peripheren Blut gewonnen werden und in der Lage sind, sowohl autologe als auch allogene Tumorzellen abzutten. LAK-Zellen stellen eine heterogene Population von T-Zellen und NK-Zellen dar. Eine spezifische Anreicherung dieser Zellen im Tumorgewebe konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Aus diesen Erkenntnissen wurde das Konzept der tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) abgeleitet. Unter der Vorstellung, da im Kompartiment des Tumorstromas eine Anreicherung von tumorreaktiven T-Lymphozyten vorhanden ist, wurden diese Zellen aus dem Tumor isoliert, in vitro mit IL-2 stimuliert, expandiert und anschlieend reinfundiert. Experimentelle Daten zeigten, da durch dieses sehr aufwendige Verfahren eine Zunahme der Tumorspezifitt und eine Verstrkung der Antitumorwirkung erreicht werden kann. Durch Transfektion von TIL-Zellen mit Zytokingenen wird versucht, die Effektivitt dieser Therapieform weiter
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Immuntherapie
zu steigern. Klare und berzeugende klinische Ergebnisse dieser Therapieform stehen jedoch noch aus. 3.2 Passive Immuntherapie mit Antiko¨rpern Mit Hilfe der Hybridomtechnik wurde es mglich, monoklonale Antikrper gegen tumorassoziierte Antigene nicht nur in der Diagnostik, sondern auch in der Therapie maligner Erkrankungen einzusetzen. Unkonjugierte monoklonale Antikrper knnen im Rahmen der antikrperabhngigen zellulren Zytotoxizitt (ADCC), durch Komplement vermittelt oder durch Induktion von Apoptose, eine Tumorzellzerstrung hervorrufen. Antikrperkonjugate mit Toxinen, radioaktiven Isotopen oder Chemotherapeutika dienen dazu, diese zytotoxischen Substanzen selektiver an die Tumorzelle heranzufhren. ber die Induktion einer Idiotypenkaskade sind passiv applizierte Antikrper in der Lage, die humorale und zellulre Immunantwort spezifisch zu aktivieren. Chimre und humanisierte monoklonale Antikrper werden gegenwrtig beraus erfolgreich sowohl bei hmatologischen Neoplasien als auch bei soliden Tumoren eingesetzt. Humane, bispezifische und „Single-chain-Antikrper“, die heute mit Methoden der Gentechnik und Molekularbiologie herstellbar sind, werden die Ergebnisse der passiven Immuntherapie weiter verbessern.
15.2 Zellula¨re Immuntherapie U. Keilholz, L. Bergmann, M. Schmitt, C. Scheibenbogen
1 Immunologische Grundlagen Im Gegensatz zu frheren Annahmen konnte inzwischen klar belegt werden, da sich das Immunsystem bereits spontan mit Tumoren auseinandersetzt. Beim Melanom, aber auch bei anderen soliden Tumoren und Leukmien knnen teilweise hochfrequente zytotoxische Effektor-T-Zellen im peripheren Blut nachgewiesen werden. Warum Tumoren dennoch hufig nicht vom Immunsystem zerstrt werden, ist bislang unvollstndig geklrt. T-Lymphozyten erkennen mit Hilfe eines spezifischen T-Zell-Rezeptors Antigene in Form von Peptiden, die an HLA-Molekle gebunden auf der Zelloberflche gezeigt werden. Spezifische T-Zellen knnen durch antigenprsentierende Zellen und Zytokine zur Zytotoxizitt stimuliert werden und vermgen dann spezifisch erkannte Zellen zu lysieren. In den 80er und 90er Jahren wurde zunchst versucht, zytotoxische T-Zellen (CTL), die unspezifisch durch hohe Zytokindosen oder durch Tumorzellen aktiviert wurden, therapeutisch zu nutzen. In den vergangenen 10 Jahren gelang es jedoch, eine Vielzahl tumorassoziierter und auch tumorspezifischer Antigene, die von T-Zellen erkannt werden, zu charakterisieren, die inzwischen fr die Entwicklung antigenspezifischer Immuntherapien zur Verfgung stehen. Die Identifikation HLA-Klasse-I- und -II-bindender T-Zell-Epitopsequenzen aus diesen Tumorantigenen vereinfacht ihre klinische Anwendung (bersicht unter www.cancerimmunity.org/peptidedatabase/Tcellepitopes.htm). HLA-Klasse-I-bindende Peptide bestehen meist aus 9…10 Aminosuren und lassen sich relativ einfach synthetisch herstellen. Peptide knnen ohne Antigenprozessierung direkt an HLA-Klasse-I-Molekle antigenprsentierender Zellen binden und so CTL aktivieren. Bei der zellulren Immuntherapie werden zwei unterschiedliche Anstze verfolgt: Die adoptive T-Zell-Therapie beinhaltet den passiven Transfer tumorreaktiver autologer oder allogener T-Zellen. Ziel der aktiven Immuntherapie ist, durch Immunisierung mit Tumorantigenen zytotoxische tumorreaktive T-Zellen zu erzeugen. Ein adoptiver T-Zell-Therapieansatz hat gegenber einer Immunisierung den Vorteil, da antigenspezifische CTL in groer Zahl in vitro expandiert werden knnen. Hinzu kommt die Mglichkeit der gentechnologischen Modifikation der CTL in vitro (z.B. vernderte Z-Zell-Rezeptoren, Expression von bestimmten Adhsionsmoleklen oder Chemokinrezeptoren). Bei der Immunisierung mit Tumorantigenen werden diese entweder in Form von Peptiden, Proteinen oder
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Immuntherapie
genetischen Vektoren eingesetzt. Die Tumorimpfstoffe werden meist in Kombination mit immunologischen Hilfsstoffen, sog. Adjuvanzien, die T-Zellen oder dendritische Zellen aktivieren, injiziert. Dendritische Zellen spielen eine zentrale Rolle bei der T-Zell-Aktivierung, indem sie das Antigen prsentieren und T-Zellen aktivieren. Daher werden ex vivo generierte und tumorantigenbeladene dendritische Zellen auch zur Immunisierung verwendet. In diesem Kapitel sollen die immuntherapeutischen Anstze, die bereits in klinischen Studien angewendet werden, zusammengefat und die Perspektiven diskutiert werden.
2 Lymphokinaktivierte Killerzellen (LAK-Zellen) und tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL) Interleukin-2 (IL-2) ist ein Zytokin, das die Proliferation und Zytotoxizitt von T-Zellen stimuliert. Durch hochdosierte IL-2-Therapie knnen bei 5…10% aller Patienten mit metastasiertem Melanom langanhaltende komplette Tumorremissionen erzielt werden. In den 80er Jahren wurde zunchst sog. lymphokinaktivierte Killerzellen, kurz LAK-Zellen, zur adoptiven Therapie eingesetzt. LAK-Zellen sind mononuklre Zellen, die in vitro mit hohen IL-2-Konzentrationen aktiviert werden und eine MHC-unabhngige zytotoxische Aktivitt gegen Tumorzellen besitzen. In prospektiv randomisierten Studien wurden durch eine Therapie mit LAK-Zellen in Kombination mit IL-2 beim Melanom und Nierenzellkarzinom in 10…30% Tumorremissionen erzielt, jedoch konnte nicht nachgewiesen werden, da die Remissionsrate gegenber einer Immuntherapie mit IL-2 alleine signifikant erhht wird. Die Effizienz systemischer adoptiver Immuntherapie mit LAK-Zellen ist dadurch limitiert, da peripheres Tumorgewebe schlecht durch intravens applizierte LAK-Zellen erreicht wird. Durch die regionale Applikation in Form einer Perfusion der Leber mit LAK-Zellen zeigte dieser Ansatz eine hohe lokale Effizienz. Im Tumorgewebe finden sich hufig T-Lymphozyten (tumorinfiltrierende Lymphozyten = TIL) mit Spezifitt gegen autologe Tumorzellen. Diese Lymphozyten lassen sich in vitro mit IL-2 und Restimulation durch autologe Tumorzellen expandieren und aktivieren. Die in den 90er Jahren durchgefhrten Studien zeigten beim malignen Melanom nach adoptivem Transfer von TIL in Kombination mit IL-2 objektive Remissionen von etwa 35%, wobei nur bei etwa jedem dritten Patienten die TIL-Kultur gelingt. Diese Ansprechraten sind etwa doppelt so hoch wie die mit IL-2 alleine und konnten auch bei Patienten erzielt werden, die auf eine alleinige IL-2-Therapie nicht ansprachen. Die Remissionsdauern sind meist aber nur relativ kurz. Beide Anstze (TIL- und LAK-Zellen) haben heute keine klinische Bedeutung mehr, da sie sehr aufwendig und in ihrer Wirksamkeit begrenzt sind.
15.2
Zellula¨re Immuntherapie
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3 Antigenspezifische T-Zell-Therapie 3.1 Adoptive T-Zell-Therapie In Tiermodellen besitzen tumorspezifische T-Zellen ein greres therapeutisches Potential als unspezifische Effektor-T-Zellen, und sowohl tumorspezifische CD8+- wie CD4+-T-Zellen sind in der Lage, nach adoptivem Transfer Tumoren zu zerstren. Inzwischen gibt es verschiedene Anstze, zytotoxische T-Zellen mit Spezifitt fr definierte Tumorantigene direkt aus dem peripheren Blut von Tumorpatienten in groer Zahl zu expandieren. Die Verwendung definierter Tumorantigene erffnet auch die Mglichkeit, im Rahmen der Stammzelltransplantation allogene T-Zellen fr diesen Therapieansatz zu verwenden, da tumorspezifische T-Zell-Klone in der Regel keine Alloreaktivitt besitzen. Erste klinische Phase-I-Studien bei Patienten mit metastasiertem Melanom zeigen, da der adoptive Transfer spezifischer T-Zell-Klone mglich und nebenwirkungsarm ist; Tumorremissionen wurden bei einzelnen Patienten beobachtet. Zuknftige Entwicklungen beinhalten die selektive Isolierung und Expansion von zytotoxischen T-Zell-Subpopulationen mit definierten Eigenschaften, wie hohem Proliferationspotential, Tumormigration, sowie die Verwendung molekularer Techniken, um effektivere zytotoxische Effektorzellen zu generieren. Besonders vielversprechend erscheint der Ansatz, fr den adoptiven Transfer potentiell tolerogene oder regulatorische Mechanismen durch passagere Lymphodepletion im Patienten auszuschalten. In einer Studie wurden Patienten vor der Gabe melanomantigenspezifischer T-Zellen mit einem nichtmyeloablativen Konditionierungsschema behandelt. Von 13 Patienten mit metastasiertem Melanom hatten 6 eine partielle Remission, bei weiteren 4 Patienten bildeten sich einzelne Metastasen zurck. 3.2 Immunisierung mit Peptiden Die Ergebnisse erster Studien zur Immunisierung mit Tumorpeptiden bei Patienten mit metastasiertem Melanom sind vielversprechend, denn es gelang die Induktion tumorspezifischer CTL, und bei einzelnen Patienten wurden Tumorremissionen beobachtet, ohne da wesentliche Nebenwirkungen auftraten. Welche Bedeutung immunologische Adjuvanzien bei der Immunisierung mit Peptiden haben, wurde bislang kaum systematisch untersucht. Erste klinische Studien sprechen dafr, da die Immunogenitt von MHC-Klasse-I-bindenden Peptiden durch IL-2, IL-12 und T-Helferproteine gesteigert werden kann. Die Wirksamkeit einer Immunisierung mit Peptiden ist bei Patienten mit metastasierten Tumoren aufgrund der groen Tumorzellzahl und durch eine tumorbedingte Suppression der TZell-Antwort mglicherweise limitiert. Erste publizierte adjuvante Studien
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Immuntherapie
zur Immuniserung mit Peptiden bei Hochrisikopatienten weisen auf einen lngeren krankheitsfreien Verlauf nach Peptidvakzination hin. Allerdings mssen diese Beobachtungen mit groer Vorsicht interpretiert werden, da solche Ergebnisse natrlich durch Patientenselektion beeinflut werden knnen und vor einer breiten Anwendung zunchst in randomisierten Studien besttigt werden mssen. Patienten sollten zur Zeit nur im Rahmen von klinischen Studien, wie sie gegenwrtig an einigen Zentren (u.a. im Rahmen der EORTC-Melanomgruppe [European Organization for Research and Treatment] und der ADO [Arbeitsgemeinschaft Dermato-Onkologie]) durchgefhrt werden, behandelt werden. Bei Patienten mit myeloischer Leukmie gibt es erste Berichte, da die Vakzinierung mit Peptiden der Antigene Proteinase 3 oder WT1 zu Leukmieremission fhren kann. Auch diese Beobachtungen mssen natrlich zunchst in klinischen Phase-IIStudien geprft werden. 3.3 Immunisierung mit tumorantigenbeladenen dendritischen Zellen Bei der Generierung einer spezifischen zellulren Immunantwort gegen Tumorzellen spielt die Antigenprsentation durch dendritische Zellen eine zentrale Rolle. Mitte der 90er Jahre begann man daher in verschiedenen Zentren zur Immunisierung ex vivo generierte tumorpeptidbeladene dendritische Zellen einzusetzen. Dabei stellte die GMP-gerechte Herstellung ausreichender Mengen an dendritischen Zellen (106 bis 107 pro Immunisierung) eine technische Herausforderung dar. Dendritische Zellen werden durch Ex-vivo-Expansion aus Monozyten oder CD34+-Stammzellen in zytokinhaltigen Medien hergestellt. Beim malignen Melanom, bei B-NonHodgkin-Lymphomen und beim Plasmozytom konnten durch Immunisierung mit tumorantigenbeladenen dendritischen Zellen bei bis zu 25% der Patienten eine partielle oder komplette Remission erreicht werden. Der Stellenwert der Immunisierung mit tumorpeptidbeladenen dendritischen Zellen in der Therapie des metastasierten Melanoms wird zur Zeit in einer groen randomisierten Phase-III-Studie in Deutschland von der Arbeitsgemeinschaft Dermato-Onkologie geprft. Auch die Bedeutung der Immunisierung mit dendritischen Zellen in der adjuvanten Situation mu in Studien geklrt werden.
4 Spender-Lymphozytentransfusion Die Assoziation einer Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) mit einer reduzierten Rezidivrate nach allogener Stammzelltransplantation (alloSCT) und somit mit einer antileukmischen oder antitumoralen Wirkung ist unbestritten und zeigt die Fhigkeit und potentielle Effizienz des Immunsystems fr die Eradikation hmatologischer maligner Zellpopulationen.
15.2
Zellula¨re Immuntherapie
711
Die zustzliche Applikation von Spenderlymphozyten („donor lymphocyte infusion“, DLI) in speziellen Situationen nach alloSCT kann diesen antileukmischen/antitumoralen Effekt verstrken. Spenderlymphozyten (DLI) kamen bisher vor allem nach alloSCT mit T-Zell-depletierten Stammzellen, nach nicht-myeloablativer SCT, gemischtem Chimrismus oder Rezidiven nach alloSCT zum Einsatz. Die diesbezglich publizierten Therapieprotokolle und Strategien sind sehr heterogen. Wegen der Assoziation der DLI mit der GvHD ist eine vorsichtige Eskalation der Menge an Spenderlymphozyten notwendig, um eine starke Alloreaktion zu vermeiden. Diese wird hierbei vor allem auf alloreaktive CD8+-Lymphozyten zurckgefhrt. In einigen Studien wird versucht, den antileukmischen/antitumoralen Effekt von der GvHD zu dissoziieren und nicht unselektierte DLI oder CD3+-Lymphozyten zu applizieren, sondern durch Selektion bzw. Depletion von Lymphozytensubpopulationen, vor allem der CD8+-Lymphozyten, die Immunrekonstitution und den antileukmischen/antitumoralen Effekt ohne Erhhung des GvHD-Risikos zu ermglichen. Indikationsgebiete hinsichtlich der Krankheitsentitten sind vor allem Patienten mit chronischer myeloischer Leukmie (CML), akuter Leukmie, aber auch Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) und Plasmozytom. Die Hauptindikation fr eine DLI stellt das Rezidiv nach alloSCT bei der CML dar. DLI induziert bei den meisten Patienten mit CML mit frhem Rezidiv nach alloSCT komplette und langanhaltende Remissionen (70…80%), whrend der Anteil an Remissionen bei Patienten mit akuter myeloischer Leukmie (AML), Myelodysplasie (MDS) und Plasmozytom weniger als 30% betrgt und ca. 50% dieser Patienten ein erneutes Rezidiv erleiden. Sehr gering ist der antileukmische Effekt von DLI bei Patienten mit rezidivierten akuten lymphatischen Leukmien (ALL) nach alloSCT. Im Gegensatz zur CML oder nach T-Zell-depletierter SCT ist die Wertigkeit einer DLI nach nicht-myeloablativer SCT noch nicht gesichert. Bei soliden Tumoren (Nierenzell-, Mammakarzinom) liegen nur marginale Daten zur DLI nach alloSCT vor. Aktuelle Strategien beschftigen sich mit der Reduzierung schwerer GvHD nach DLI, Verminderung des Aplasierisikos und Erhhung der Rate an kompletten Remissionen (z.B. Zytokine und DLI, leukmiereaktive zytotoxische Lymphozyten, Tyrosinkinasehemmer, genmanipulierte Lymphozyten).
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712
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Immuntherapie
5 Ausblick Zusammenfassend lt sich feststellen, da sich mit der Identifikation von Tumorantigenen, die von zytotoxischen T-Zellen erkannt werden, neue und vielversprechende Mglichkeiten fr die Immuntherapie erffnet haben. Allerdings steht die Umsetzung sowohl der adoptiven T-Zell-Therapie mit tumorantigenspezifischen T-Zellen als auch der Immunisierung mit Tumorantigenen in die klinische Anwendung noch ganz am Anfang. Die Weiterentwicklung dieser Behandlungsanstze im Rahmen von Phase-I… III-Studien ist dringend notwendig, denn es gilt effiziente Immunisierungsstrategien zu entwickeln und deren Rolle in der adjuvanten und therapeutischen Behandlung zu definieren. Daher sollten Patienten zur Zeit nur im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden, wie sie gegenwrtig an verschiedenen Zentren, u.a. im Rahmen der EORTC und der ADO, durchgefhrt werden. Weitere Voraussetzung fr die konsequente klinische Weiterentwicklung und Optimierung immunologischer Therapiestrategien sind sensitive und standardisierte Mesysteme, mit denen die Induktion einer T-Zell-Antwort quantitativ und qualitativ bestimmt werden kann und die gegenwrtig nur an wenigen Zentren zur Verfgung stehen. Literatur Badros A, Barlogie B, Morris Ch (2001) High response rate in refractory and poorrisk multiple myeloma after allotransplantation using a nonmyeloablative conditioning regimen and donor lymphocyte infusions. Blood 97:2574…2579 Dudley ME, Wunderlich JR, Robbins PF et al (2002) Cancer regression and autoimmunity in patients after clonal repopulation with antitumor lymphocytes. Science 298:850…854 Fong L, Engleman EG (2000) Dendritic cells in cancer immunotherapy. Annu Rev Immunol 18:245…273 Hsu FJ, Zheng X, Thompson CB et al (1996) Vaccination of patients with B-cell lymphoma using autologous antigen-pulsed dendritic cells. Nat Med 2:52…58 Keilholz U, Conradt C, Legha SS et al (1998) Results of interleukin-2-based treatment in advanced melanoma: a case record-based analysis of 631 patients. J Clin Oncol 9:2921…2929 Keilholz U, Weber J, Finke JH et al (2002) Immunologic monitoring of cancer vaccine therapy: Results of a workshop sponsored by the Society for Biological Therapy. J Immunother 25:97…138 Marchand M, van Baren N, Weynants P et al (1999) Tumor regressions observed in patients with metastatic melanoma treated with an antigenic peptide encoded by gene MAGE-3 and presented by HLA-A1. Int J Cancer 80:219…230 Mitchell MS, Darrah D, Yeung D et al (2002) Phase I trial of adoptive immunotherapy with cytolytic T lymphocytes immunized against a tyrosinase epitope. J Clin Oncol 20:1075…1086
15.2
Zellula¨re Immuntherapie
713
Molldrem JJ, Kant S, Lu S et al (2002) Peptide vaccination with PR1 elicits active T cell immunity that induces cytogenetic remission in acute myelogenous leukemia. ASH Abstract Book 100:abstract 8 Parmiani G, Castelli C, Dalerba P et al (2002) Cancer immunotherapy with peptidebased vaccines: what have we achieved? Where are we going? Review. J Natl Cancer Inst 94:805…818 Peggs KS, Mackinnon S (2001) Cellular therapy: donor lymphocyte infusion. Curr Opin Hematol 8:349…354 Rosenberg SA (2001) Progress in human tumour immunology and immunotherapy. Review. Nature 411:380…384 Slavin S (2001) Immunotherapy of cancer with alloreactive lymphocytes. Lancet Oncol 2:491…498 Valmori D, Scheibenbogen C, Dutoit Vet al (2002) Circulating tumor-reactive CD8+ T cells in melanoma patients contain a CD45RA+CCR7… effector subset exerting exvivo tumor-specific cytolytic activity. Cancer Res 62:1743…1750
15
15.3 Tumorvakzine W. Herr, C. Huber
1 Grundlagen und Rationale Verschiedene klinische Beobachtungen untersttzen die Vermutung, da das Immunsystem bei der Bekmpfung von Tumorzellen eine wichtige Rolle spielt. Hierzu zhlen F F F F
das sporadische Auftreten von spontanen Tumorremissionen im natrlichen Verlauf einer Tumorerkrankung, die erhhte Inzidenz von Malignomen unter intensiver immunsuppressiver Therapie, die Wirksamkeit einer immunmodulatorischen Therapie mit IFN-a und IL-2 bei Patienten mit Melanom oder Nierenzellkarzinom sowie der Graft-versus-Leukemia-Effekt durch Spenderlymphozyten-Infusionen nach allogener hmatopoietischer Stammzelltransplantation.
Als Mediatoren einer Tumorabwehr kommen prinzipiell smtliche Effektoren des angeborenen und erworbenen Immunsystems in Frage. Die wesentlichen Effektoren des erworbenen Immunsystems sind antigenspezifische B- und T-Lymphozyten. Eine spezifische Interaktion von T-Lymphozyten mit Tumorzellen wurde erstmals in vitro in sogenannten „mixed lymphocyte tumor cell cultures“ (MLTC) beobachtet. Hier gelang es, durch mehrwchige Kokultur von Blutlymphozyten und letal bestrahlten autologen Tumorzellen in Anwesenheit des T-Zell-Wachstumsfaktors IL-2 CD8+ T-Lymphozyten zu expandieren, die autologe Tumorzellen spezifisch lysierten. Als Zielstrukturen dieser lytischen Reaktivitt wurden Peptidantigene von 9…14 Aminosuren Lnge identifiziert, die in Assoziation mit HLAKlasse-I-Moleklen auf der Tumorzelloberflche exprimiert werden. Durch Verfeinerung der Kulturbedingungen gelang in jngster Zeit auch die Anzchtung tumorreaktiver CD4+ T-Lymphozyten, die Tumorzellen ber 12…25 Aminosuren lange Peptidantigene in Assoziation mit HLA-Klasse-II-Moleklen erkennen. Mit Hilfe der molekularen Immunologie wurden in der letzten Dekade eine stetig wachsende Anzahl dieser tumorassoziierten Antigene (TAA) identifiziert (van den Eynde et al. 1997). Es zeigte sich dabei, da die Peptidantigene der TAA („Epitope“) aus intrazellulren Proteinen entsprechend dem individuellen Muster der vom Tumorpatienten exprimierten HLA-Molekle generiert werden.
15.3
Tumorvakzine
715
2 Tumorassoziierte Antigene Aufgrund ihrer Entstehungsursache und ihres Gewebeexpressionsmusters teilt man die von CD4+ oder CD8+ T-Zellen erkannten TAA in unterschiedliche Kategorien ein (Auflistung in Renkvist et al. 2001): F
F
F
F
F
Die Cancer-Testis(CT)-Antigene werden in verschiedenen soliden Tumoren (Melanom, Bronchialkarzinom, Kopf-Hals-Tumor u.a.) sowie Hmatoblastosen (Non-Hodgkin-Lymphom, Plasmozytom) exprimiert, nicht aber in Normalgeweben mit Ausnahme des immunologisch privilegierten Hodengewebes. Neben dieser weitgehend tumorrestringierten Expression zeigen CT-Antigene eine Zunahme ihrer Expression im Rahmen der Metastasenbildung. Beispiele fr CT-Antigene sind MAGE, BAGE, GAGE und NY-ESO-1. Gewebespezifische Differenzierungsantigene werden sowohl in Tumorzellen als auch in normalem Krpergewebe exprimiert und weisen in der Regel keine Mutationen auf. Beispiele sind die Melanozytendifferenzierungsantigene gp100, MelanA/MART-1 und Tyrosinase sowie das prostataspezifische Antigen (PSA). Es existieren des weiteren strukturell nicht alterierte TAA, die in Tumoren gegenber Normalgeweben berexprimiert werden und zum Teil eine wichtige Rolle im Rahmen der Onkogenese spielen, wie beispielsweise HER-2/neu, p53 oder CEA (u¨berexprimierte Selbstantigene). Eine weitere Gruppe von TAA wird zwar durch strukturell normale Gene kodiert, jedoch entstehen in Tumoren antigene Peptide durch Vernderungen in der Transkription und Translation, so durch alternative Leserahmen oder alternatives RNS-Spleißen. Beispiele hierfr sind TRP-1 beim Melanom und die intestinale Carboxylesterase beim Nierenzellkarzinom. Als tumorspezifische Antigene wurden Punktmutationen normaler Gene identifiziert, die im individuellen Patienten eine T-Zell-vermittelte Reaktivitt gegen das mutierte Genprodukt hervorrufen, so beispielsweise CDK4-R24C, b-Catenin und MUM-1 beim Melanom sowie der Immunglobulin-Idiotyp bei Non-Hodgkin-Lymphomen. Daneben wurde gezeigt, da auch Genprodukte aus rekombinierten Antigenen, wie z.B. BCR-ABL bei der chronischen myeloischen Leukmie, durch tumorreaktive T-Zellen erkannt werden. Auch aus onkogenen Viren (Humanes Papillomavirus [HPV], EpsteinBarr-Virus [EBV]) wurden Genprodukte identifiziert, die Zielstrukturen tumorreaktiver T-Zellen darstellen. Exemplarisch hierfr sind die Antigene HPV-E6, HPV-E7 und EBV-LMP2.
Es wurde am Beispiel von Tumorzellinien, die aus operativ entfernten Metastasen etabliert wurden, gezeigt, da TAA unterschiedlicher Kategorien
15
716
15
Immuntherapie
auf Tumoren simultan exprimiert und von autologen CD4+ und CD8+ TLymphozyten erkannt werden knnen.
3 Vakzination mit tumorassoziierten Antigenen Neben tierexperimentellen Evidenzen ist die Entdeckung humaner TAA als Zielstrukturen der spezifischen antitumoralen Immunitt Rationale und Motivation zugleich, Tumorpatienten mit TAA zu vakzinieren. Eine solche aktive Immunisierung zielt auf die berwindung der Ignoranz des Immunsystems gegenber dem im Patienten vorhandenen Tumor und stellt damit konzeptionell eine therapeutische Impfung dar. Erreicht werden soll dies durch Einbringen des Impfantigens in die Umgebung von professionellen antigenprsentierenden Zellen (APZ), z.B. dendritischen Zellen (DC) der Haut, die das Antigen in die Lymphknoten tragen, wo sie antigenspezifische T-Lymphozyten stimulieren. Durch diesen Kontakt differenzieren antigenspezifischen T-Zellen in Effektorlymphozyten, die im Rahmen einer systemisch wirksamen Immunantwort Tumorgewebe in der Peripherie infiltrieren, zerstren und dabei Protektion vermitteln sollen. Die molekulare Identifizierung der TAA fhrte zu ersten klinischen Phase-I/II-Studien, in denen Tumorpatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit einzelnen TAA vakziniert wurden. Die Ergebnisse einer Auswahl dieser Pilotprojekte sind in Tabelle 1 wiedergegeben. Die Mehrzahl der Impfstudien wurde bei Patienten mit metastasiertem Melanom durchgefhrt. Zur Vakzination wurden vor allem die CT-Antigene MAGE-3 und NY-ESO-1 sowie die Melanozytendifferenzierungsantigene gp100, MelanA/MART-1 und Tyrosinase verwendet. Es kamen hierbei unterschiedliche Antigenformate (Peptid, Protein, Antigen im viralen Vektor u.a.), unterschiedliche Adjuvanzien (Freund, GM-CSF, ex vivo DC u.a.) sowie unterschiedliche Applikationsrouten (intradermal, subkutan, intravens, intranodal) zur Anwendung. Generell war die Vertrglichkeit der Impfungen gut, und es wurden keine ernsthaften Nebenwirkungen beobachtet. Unter Vakzination mit Melanozytendifferenzierungsantigenen kam es in vereinzelten Fllen zum Auftreten einer Vitiligo, was mit der Induktion oder Verstrkung einer antimelanozytren Immunantwort erklrt wird. Auch wenn konzeptionell die Rckbildung von Tumormanifestationen nicht das primre Ziel dieser Pilotstudien sein konnte, wurden unter Vakzination mit einzelnen TAA bei einem signifikanten Anteil der Patienten geringe, partielle und auch komplette Tumorremissionen beobachtet (s. Tabelle 1). Diese Rckbildungen traten vorwiegend bei Haut- und Lungenmetastasen und seltener bei Leber- und Knochenmetastasen auf. In begleitenden In-vitro-Untersuchungen der vakzineinduzierten Immunantwort konnte allgemein keine berzeugende Korrelation von gnstigem klinischem Verlauf mit objektiv mebaren immunologischen Parametern gefunden werden.
15.3
Tumorvakzine
717
Die ersten Impfstudien mit CEA beim kolorektalen Karzinom und mit PSA beim Prostatakarzinom lieferten hnliche Ergebnisse. Werden Differenzierungsantigene oder berexprimierte Selbstantigene zur Vakzination eingesetzt, so mssen wesentliche Einschrnkungen bercksichtigt werden. Zum einen ist damit zu rechnen, da auf peripherer oder zentraler Ebene eine immunologische Toleranz gegen diese Autoantigene besteht. Werden T-Zellen mit diesen Autoantigenen stimuliert, sind sie voraussichtlich von niedriger Affinitt und Aviditt, d.h. hinsichtlich ihrer tumordestruierenden Wirkung von eingeschrnkter Potenz. Mgliche Ansatzpunkte, die Toleranz gegen Autoantigene zu brechen, sind die Verfremdung der Autoantigene durch Sequenzalteration oder die Kopplung an immunogene „Helfer“-Epitope. Ernsthafte Bedenken gegen eine Vakzination mit einem Autoantigen bestehen in der Gefahr, da es prinzipiell zu einer klinisch relevanten Induktion von Autoimmunitt gegen Normalgewebe kommen kann. Mutierte oder durch genetische Rekombination entstandene Tumor„Neo“-Antigene stellen theoretisch ideale Zielstrukturen fr eine Vakzination dar. Wird eine Immunantwort gegen diese Antigene generiert, sollte sie nicht durch Mechanismen immunologischer „Selbst“-Toleranz eingeschrnkt sein. Dabei erscheint es unwahrscheinlich, da wegen der ausschlielichen Expression dieser Antigene im Tumorgewebe Autoreaktivitt gegen Normalgewebe induziert wird. Ein Beispiel fr eine Vakzination mit einem tumorspezifischen Antigen ist die Impfung mit dem Idiotyp-Immunglobulin bei Patienten mit B-Zell-Lymphomen, die in einigen Fllen zu zum Teil deutlichen Tumorremissionen fhrte (s. Tabelle 1). Vereinzelt wurde dabei ber das Auftreten Idiotyp-spezifischer CD4+ und CD8+ T-Zellen sowie Antikrper berichtet, ohne da bisher eine klare Korrelation zwischen vakzineinduzierter Immunantwort und klinischem Erfolg hergestellt werden konnte. Ein Nachteil einer Vakzination mit Tumorneoantigenen ist, da ihr Auftreten zumeist individualspezifisch ist und damit in der Regel aufwendige Vorarbeiten zur Antigencharakterisierung oder Vakzineherstellung notwendig macht. Solange diese Vorarbeiten nicht vereinfacht oder beschleunigt werden knnen, schrnkt dieser Nachteil die Praktikabilitt einer prinzipiell wnschenswerten Impftherapie mit individualspezifischen Tumorantigenen ein. Das HPV-positive Zervixkarzinom ist ein Beispiel eines Tumors mit viraler ˜tiopathogenese, bei dem Patientinnen mit TAA aus den von HPV kodierten Onkoproteinen E6 und E7 geimpft wurden. In vereinzelten Fllen wurde eine vakzineinduzierte Immunitt beobachtet, ohne da berzeugende klinische Remissionen erreicht wurden. Werden Tumorpatienten mit einem einzelnen Tumorantigen vakziniert, mu bedacht werden, da sich in vivo die Antigenitt eines Tumors im zeitlichen Verlauf einer Erkrankung verndern kann, beispielsweise indem
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15
Immuntherapie
Tabelle 1. Ergebnisse von Phase-I/II-Studien zur therapeutischen Impfung mit tumorassoziierten Antigenen
1
Erkrankung
Fallzahl
Vakzine/Impfplan
Adjuvans
Melanom St. III/IV
39
MAGE-3/HLA-A1-Peptid 3x s.c. und i.d., alle 28 d
ohne
Melanom St. IV
11
MAGE-3/HLA-A1-Peptid 3x s.c. u. i.d., dann 2x i.v., alle 14 d
DC3
Melanom St. IV
3
HLA-A2-Peptide v. MelanA, gp100, Tyrosinase; 4x i.d.
GM-CSF
Melanom St. IV
31
gp100/HLA-A2-Peptidagonist 2–6x s.c., alle 21 d
FA4, IL-2
Melanom St. II
19
humane Tyrosinase im MVA-Vektor, 3x s.c. und i.d., alle 28 d
ohne
Metast. Melanom, Ovarial-, Mammakarzinom
12
HLA-A2-Peptide v. NY-ESO-1 4–12x i.d., alle 7 d
ab d50 GM-CSF
Prostatakarzinom St. IV
13
PSA-mRNA 3x i.v. und i.d., alle 14 d
DC
Metast. kolorektales oder Bronchialkarzinom
12
CEA/HLA-A2-Peptidagonist 2x i.v., Abstand 28 d
DC
Metast. Mamma- oder Ovarialkarzinom
10
HLA-A2-Peptide von HER-2/neu oder MUC1; 3–9x s.c., alle 14–28 d
DC
Metast. Urogenital- und Bronchialkarzinom
5
humanes p53 im adenoviralen Vektor, 2x i.d. und s.c., Abstand 21 d
DC
Multiples Myelom St. II–III
11
Idiotyp-Ig; 4x s.c., alle 14 d
DC, GM-CSF
Follikula¨res NHL St. III–IV
35
Idiotyp-Ig; 3x i.v. (mit DC) und 3x s.c. (ohne DC) alternierend, alle 14 d
DC
: : 3 : 4 : 5 : 2
gemischt, minor, partiell oder komplett; zytotoxische T-Lymphozyten; dendritische Zellen; inkomplettes Freund-Adjuvans; Manuskript in Vorbereitung
15.3
Tumorvakzine
719
spez. Immunantwort
Tumorremissionen1
Autoren
0/4 CTL2
7/25
Marchand et al. 1999
8/11 CTL
6/11
Thurner et al. 1999
3/3 CTL
3/3
Ja¨ger et al. 1996
3/19 CD8 T-Zellen
17/31
Rosenberg et al. 1998
0/19 CD4/CD8 T-Zellen
nicht adressiert
Meyer und Wo¨lfel, unvero¨ffentlichte Daten5
4/7 CD8 T-Zellen
4/12
Ja¨ger et al. 2000
9/9 T-Zellen
6/7 PSA-Anstieg abgeschwa¨cht
Heiser et al. 2002
7/12 CTL
3/12
Fong et al. 2001
5/10 CTL
1/10
Brossart et al. 2000
0/5 CD4/CD8 T-Zellen
0/5
Kuball et al. 2002
15 3/10 anti-Idiotyp-Antiko¨rper 4/10 CD4 o. CD8 T-Zellen
1/11
Titzer et al. 2000
23/33 T-Zellen oder anti-Idiotyp-Antiko¨rper
8/28
Timmerman et al. 2002
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Immuntherapie
Tumoren einzelne oder mehrere Antigene oder HLA-Molekle verlieren. Das Auftreten und der selektive Progre von Antigenverlustvarianten in Tumoren wurde insbesondere bei der Impfung mit Differenzierungsantigenen beobachtet und als „immune escape“-Phnomen gedeutet. In diesem Sinne wre fr ein ideales Tumorantigen zu fordern, da seine Expression im Verlauf der Tumorprogression oder Metastasierung zunimmt (z.B. CTAntigene) oder zumindest stabil bleibt. Letzteres lge dann vor, wenn die Expression des Antigens fr den Fortbestand der Tumorzellen essentiell ist, wie beispielsweise Rezeptorkinasen oder Onkoproteine. Vorteilhaft erscheint ebenfalls eine Strategie, die auf eine simultane Immunisierung mit mehreren Tumorantigenen setzt (Multi-Epitop-Vakzine).
4 Vakzination mit autologen oder allogenen Tumorzellen/Tumorzellderivaten Der wesentliche Vorteil einer Vakzination mit autologen Tumorzellen besteht darin, da prinzipiell alle relevanten TAA in einer solchen Vakzine enthalten sein sollten. Damit entfllt die Notwendigkeit, diese Antigene a priori zu identifizieren. Vergleicht man allerdings Tumorzellen mit professionellen APZ, so sind Tumorzellen trotz ihrer Antigenitt aufgrund fehlender kostimulatorischer Molekle schlecht fr die Induktion einer Immunantwort ausgerstet. Damit bestehen Zweifel, ob eine Tumorzellvakzine eine wirksame Immunantwort auslsen kann. Es wurde daher versucht, die immunogenen Eigenschaften der Tumorzellen durch Transfektion immunstimulierender Zytokine oder kostimulatorischer Molekle zu verstrken. Alternativ hierzu wurden apoptotische und nekrotische (lysierte) Tumorzellen hergestellt, um sie nach Beladung autologer DC als Tumorvakzine einzusetzen. Vakzinationen mit Tumorzellen (autolog oder allogen, modifiziert oder nicht modifiziert) oder ihren Derivaten (apoptotisch oder nekrotisch, Hydride mit professionellen APZ) fhrten in klinischen Studien in bis zu 30% der Patienten zu partiellen oder kompletten Tumorremissionen (Renner et al. 2001). Aus der fehlenden Kenntnis ber die Antigenitt dieser Vakzinen resultieren eine nicht standardisierbare Variabilitt und die Unmglichkeit, die gewonnenen Ergebnisse interindividuell zu vergleichen. Damit erscheint es schwierig, aus Tumorzellen hergestellte Vakzinen durch empirischen Erkenntnisgewinn schrittweise zu optimieren. Daneben bestehen methodische Probleme bei der Gewinnung und Transfektion einer ausreichenden Anzahl autologer Tumorzellen. Im Prinzip sollte es daher erfolgversprechender sein, eine wirksame Tumorimpfung durch die Verwendung definierter TAA zu entwickeln.
15.3
Tumorvakzine
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5 Tumorvakzination – Aufgaben an zuku¨nftige klinische Studien Die Ergebnisse der ersten Phase-I/II-Studien zur Tumorvakzination sind ermutigend. Neben einer allgemein guten Vertrglichkeit berichteten die Autoren, da es in einem signifikanten Anteil der geimpften Patienten zur Rckbildung zumindest eines Teils der Metastasen kam. Dies konnte insofern nicht a priori erwartet werden, da die berwiegende Anzahl dieser Studien bei Patienten mit weit fortgeschrittener Tumorerkrankung durchgefhrt wurde. Entgegen den zur Prvention viraler oder bakterieller Infektionen erfolgreich durchgefhrten prophylaktischen Impfungen besteht die ungleich schwierigere Aufgabe einer therapeutischen Tumorvakzination darin, eine wirksame Immunreaktion gegen eine etablierte Erkrankung zu induzieren. Es mu dabei mit Phnomenen der Toleranz, Anergisierung und Ignoranz des Immunsystems gegenber Tumorgewebe sowie der im Vergleich zu viralen Antigenen schwcheren Immunogenitt der meisten TAA gerechnet werden. Bisher lassen die bezglich Vakzinedesign sehr heterogenen und bezglich Patientenzahl sehr kleinen Pilotstudien keine klare Aussage zu, welche Tumorvakzine hinsichtlich ihrer immunologischen und klinischen Effekte am wirkungsvollsten ist. Zwar waren in den meisten Studien vakzineinduzierte Immunantworten im Blut der Patienten nachweisbar, es fehlte jedoch die Korrelation ihres Auftretens mit den klinisch fabaren Tumorremissionen, so da ihre Bedeutung fr eine Tumordestruktion unklar bleiben mu. Offene Fragen bestehen demnach unverndert hinsichtlich Antigenkategorie, Format, Dosis, Verweildauer, Adjuvans, Applikationsroute und Zeitplan zur Verabreichung eines Tumorimpfantigens. Zur Beantwortung dieser Fragen wre bei der Gestaltung und Durchfhrung neuer Studienprotokolle eine enge Kooperation der Vakzinationszentren wnschenswert. Basierend auf den Erfahrungen bei der Erforschung der antiviralen Immunitt drfte die Generierung einer koordinierten und durch CD4+ sowie CD8+ T-Zellen vermittelten Tumorimmunitt eine wichtige Voraussetzung fr eine effektive tumordestruierende Immunantwort sein. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, in klinischen Impfstudien neben den Epitopen CD8+ T-Zellen auch die der CD4+ T-Helfer-Zellen zu integrieren. Sollten die einzelnen Epitope eines Tumorantigens nicht in ausreichendem Umfang charakterisiert sein, erscheint eine Vakzination mit dem kompletten Tumorantigen sinnvoll. Allerdings mu dabei bedacht werden, da professionelle APZ den T-Lymphozyten mglicherweise nicht die von Tumorzellen exprimierten Epitope prsentieren, da sie fr die Antigenprozessierung das Immunproteasom und nicht das in Tumorzellen vorhandene konstitutive Proteasom verwenden. Allgemein ist akzeptiert, da eine sorgfltige Analyse der vakzineinduzierten Immunantwort fr eine Optimierung von Tumorimpfungen hilf-
15
722
15
Immuntherapie
reich sein wird. Dabei interessiert zunehmend nicht nur die Frequenz antigenspezifischer T-Lymphozyten im peripheren Blut, sondern es mssen Kenntnisse ber deren Reifungsgrad anhand von Oberflchenmarkern und deren Funktionalitt, wie z.B. Zytokinsekretion, lytische Aktivitt und regulatorische Aufgaben, gewonnen werden. In den Blickpunkt der Untersuchungen rckt auch die Frage, ob die durch Impfung induzierten T-Zellen die Fhigkeit zur Infiltration und Destruktion des Tumors im peripheren Gewebe besitzen. In den letzten Jahren wurden neue Bioassays etabliert, die niedrigfrequente, antigenspezifische T-Zellen in Ex-vivo-Lymphozyten aus Blut oder Geweben im Sensitivittsbereich zwischen 0,01 und 0,1% nachweisen knnen (Yee et al. 2001). Neben der Tetramertechnologie, der intrazellulren Detektion von Zytokinen und dem Zytokin-SekretionsAssay ist die ELISPOT-Methode zu nennen, deren Objektivitt durch die Kopplung der Testauswertung an ein automatisiertes Bildanalysesystem verbessert wurde (Herr et al. 1997). Bei der Flle der eine Immunantwort charakterisierenden Parameter scheint die Anwendung eines einzelnen Testsystems unzureichend, so da zunehmend die gewonnenen Blut- und Gewebeproben mit unterschiedlichen und zum Teil noch zu etablierenden Bioassays analysiert werden mssen. Ziel dieser Untersuchungen mu sein, die Voraussetzungen fr die Induktion und Aufrechterhaltung einer protektiven, tumordestruierenden Immunantwort zu verstehen. Dabei darf nicht auer acht gelassen werden, da fr eine wirksame Immunantwort gegen Tumorgewebe neben spezifischen B- und T-Lymphozyten mglicherweise auch die Effektoren des angeborenen Immunsystems wie NK-Zellen, Makrophagen und Granulozyten notwendig sind. In diesem Sinne mssen die Schnittstellen von angeborener und erworbener Immunitt besser charakterisiert werden, damit beide Effektorarme des Immunsystems in koordinierter Weise in ein immuntherapeutisches Konzept zur Tumorbekmpfung integriert werden knnen. Tumorzellen besitzen vielseitige Mglichkeiten, sich der Zerstrung durch immunologische Effektorzellen zu entziehen. Hierzu zhlen der Verlust von HLA-Moleklen oder Tumorantigenen sowie die Sekretion immunsuppressiver Zytokine wie IL-10 und TGF-b. Auch hier bedarf es der Entwicklung wirksamer Strategien, die einem „immune escape“-Mechanismus der Tumoren entgegenwirken. Insgesamt wird es nur der umfassende, beiderseitige Blick auf Immunsystem und Tumor ermglichen, die komplex regulierte Immunantwort eines Tumorpatienten zu verstehen, um sie anschlieend zu seinem Vorteil beeinflussen zu knnen. Die bisher in Pilotstudien gemachten Erfahrungen deuten darauf hin, da am ehesten Patienten mit niedriger Tumorlast von einer aktiven Immunisierung mit TAA profitieren werden. Daher wird es auch die Aufgabe zuknftiger Studien sein, den Stellenwert der Tumorvakzination in der adjuvanten Therapiesituation zu evaluieren. Erst wenn Klarheit besteht, welche Antigenkategorien und
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Tumorvakzine
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Impfstrategien zuverlssig nachweisbare Effektor-T-Zell-Antworten induzieren, erscheinen randomisierte Phase-III-Studien bei Tumorpatienten sinnvoll. Dann wird sich herausstellen, ob aktive Immunisierungen gegen TAA im Vergleich zu konventionellen Therapieverfahren hinsichtlich der berlebenszeit und der Lebensqualitt der betroffenen Patienten einen Vorteil erbringen. Literatur Brossart P, Wirths S, Stuhler G et al (2000) Induction of cytotoxic T-lymphocyte responses in vivo after vaccination with peptide-pulsed dendritic cells. Blood 96:3102…3108 Fong L, Hou Y, Rivas A et al (2001) Altered peptide ligand vaccination with Flt3 ligand expanded dendritic cells for tumor immunotherapy. Proc Natl Acad Sci USA 98:8809…8814 Heiser A, Coleman D, Dannull J et al (2002) Autologous dendritic cells transfected with prostate-specific antigen RNA stimulate CTL responses against metastatic prostate tumors. J Clin Invest 109:409…417 Herr W, Linn B, Leister N et al (1997) The use of computer-assisted video image analysis for the quantification of CD8+ T lymphocytes producing TNF-a spots in response to peptide antigens. J Immunol Methods 203:141…152 Jger E, Ringhoffer M, Dienes HP et al (1996) GM-CSF enhances immune responses to melanoma-associated peptides in vivo. Int J Cancer 67:54…62 Jger E, Gnjatic S, Nagata Y et al (2000) Induction of primary NY-ESO-1 immunity: CD8+ T lymphocyte and antibody responses in peptide-vaccinated patients with NY-ESO-1+ cancers. Proc Natl Acad Sci USA 97:12198…12203 Kuball J, Schuler M, Antunes Ferreira E et al (2002) Generating p53-specific cytotoxic T lymphocytes by recombinant adenoviral vector-based vaccination in mice, but not man. Gene Ther 9:833…843 Marchand M, van Baren N, Weynants P et al (1999) Tumor regressions observed in patients with metastatic melanoma treated with an antigenic peptide encoded by gene MAGE-3 and presented by HLA-A1. Int J Cancer 80:219…230 Meyer RG, Wlfel T. A phase I vaccination study with Tyrosinase in patients with stage II melanoma using recombinant modified vaccinia Ankara (MVA-hTyr) administered by three subcutaneous and intradermal injections. Manuskript in Vorbereitung Renkvist N, Castelli C, Robbins PF et al (2001) A listing of human tumor antigens recognized by T cells. Cancer Immunol Immunother 50:3…15 Renner C, Kubuschok B, Trmper L et al (2001) Clinical approaches to vaccination in oncology. Ann Hematol 80:255…266 Rosenberg SA, Yang JC, Schwartzentruber DJ et al (1998) Immunologic and therapeutic evaluation of a synthetic peptide vaccine for the treatment of patients with metastatic melanoma. Nature Med 4:321…327 Thurner B, Haendle I, Rder C et al (1999) Vaccination with Mage-3A1 peptidepulsed mature, monocyte-derived dendritic cells expands specific cytotoxic T cells and induces regression of some metastases in advanced stage IV melanoma. J Exp Med 190:1669…1678
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15.4 Humorale Immuntherapie G. Schlimok, A. Engert
1 Antiko¨rpervermittelte Mechanismen der Tumorzelleliminierung Die Entwicklung der Hybridomtechnik durch Khler und Milstein im Jahre 1975 ermglichte es, groe Mengen muriner monoklonaler Antikrper zu produzieren, die als homogene Eiweimolekle mit hoher Spezifitt tumorassoziierte Antigene auf oder in Tumorzellen definieren lieen. Tumorassoziierte Antigene sind in der Regel nicht tumorspezifisch, hufig stellen sie proliferations- bzw. differenzierungsassoziierte oder reexprimierte fetale/ embryonale Proteine dar. Mit Antikrper beladene Tumorzellen knnen von zytotoxischen Effektorzellen (Lymphozyten, Monozyten), die einen Rezeptor fr den Fc-Teil von IgG besitzen, lysiert werden (antikrperabhngige zellulre Zytotoxizitt). Im Rahmen der komplementabhngigen Zytotoxizitt kommt es nach Bindung des Antikrpers an ein Membranantigen der Tumorzelle zu einer Aktivierung der ersten Komponente des Komplementsystems ber den Fc-Teil des Antikrpermolekls. Am Ende der klassischen Komplementaktivierung steht ebenfalls die Zellyse. Neben der Aktivierung des Idiotypnetzwerkes nach Jerne kann eine Blockade von Signaltransduktionswegen durch therapeutisch applizierte monoklonale Antikrper ebenfalls zu vermindertem Zellwachstum und Apoptose (programmierter Zelltod) fhren.
2 Unkonjugierte murine monoklonale Antiko¨rper in der Therapie von Leuka¨mien und Lymphomen Murine monoklonale Antikrper gegen leukozytre Differenzierungsantigene (CD-Antigene) wurden in der Therapie fortgeschrittener und refraktrer hmatologischer Neoplasien eingesetzt. Akute (ALL, AML) und chronische Leukmien (CLL), Non-Hodgkin-Lymphome vom B- und T-Zell-Typ sprachen in unterschiedlichem Ausma auf diese Antikrper an, der therapeutische Effekt beschrnkte sich meist auf eine passagere Verkleinerung der befallenen Lymphknoten, bei Leukmien konnten in der Regel nur die zirkulierenden Blasten passager eliminiert werden. Komplette Remissionen waren in weniger als 5% nachweisbar. Andauernde Remissionen wurden mit murinen monoklonalen Antikrpern in der Regel nicht erzielt. Eine bemerkenswerte Ausnahme war ein Patient mit einem B-Zell-Lymphom, der, nach einer Therapie mit einem monoklonalen Antiidiotypantikrper gegen den fr den malignen Zellklon charakteristischen Immunglobulinrezeptor, eine ber 6 Jahre anhaltende komplette Remission ent-
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wickelte. Die Produktion dieser antiidiotypischen Antikrper, die fr jeden Patienten individuell hergestellt werden mssen, ist jedoch sehr zeitintensiv und teuer.
3 Unkonjugierte murine monoklonale Antiko¨rper in der Therapie solider Malignome Im Rahmen klinischer Studien wurden monoklonale Antikrper in der Therapie maligner Melanome eingesetzt. Die grten Erfahrungen liegen mit Antikrpern gegen die Ganglioside GD2 und GD3 vor. Nach Antikrpergabe konnten am Tumorort Entzndungsreaktionen mit Ablagerung von Komplementfaktoren und Anreicherung von Effektorzellen nachgewiesen werden, bei einigen Patienten wurden auch Tumorrckbildungen beobachtet. Die grten Erfahrungen in der Therapie gastrointestinaler Tumoren liegen mit dem monoklonalen Antikrper 17-1A vor. Dieser Antikrper vom IgG2a-Isotyp erfat ein Glykoprotein (Ep-CAM) vom Molekulargewicht 30 000…40 000 auf der Oberflche einer Reihe von epithelialen Tumoren, u.a. auf Pankreas-, Magen- und kolorektalen Karzinomen. Seit Jahren wurde der monoklonale Antikrper 17-1A in unterschiedlichen Dosen bei ber 500 Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Karzinomen, v.a. kolorektalen und Pankreaskarzinomen, im Rahmen von klinischen Studien eingesetzt. Die erzielten Remissionsraten lagen deutlich unter 10% (komplette Remissionen 2%), auch die Vorinkubation peripherer Effektorzellen mit Antikrpern fhrte zu keiner eindeutigen Verbesserung der Ergebnisse. Murine monoklonale Antikrper wurden auerdem bei Patienten mit Neuroblastomen, Osteosarkomen, Lungen-, Mamma-, Prostata- und Ovarialkarzinomen eingesetzt. Auch hier waren die Remissionsraten niedrig. Die Nebenwirkungen einer Therapie mit murinen monoklonalen Antikrpern sind relativ gering und reversibel. Bei bis zu 20% der Patienten treten Erbrechen, belkeit, Fieber oder geringgradige allergische Reaktionen auf, schwerwiegende Symptome wie Bronchospasmus, Hypertonie und Anaphylaxie werden sehr viel seltener beobachtet.
4 Bispezifische murine monoklonale Antiko¨rper Bispezifische monoklonale Antikrper bestehen aus 2 Antigenbindungsregionen mit unterschiedlichen Spezifitten und knnen entweder chemischenzymatisch oder mit Hilfe der Hybridomtechnologie hergestellt werden. Mit bispezifischen Antikrpern ist u.a. ein „effector cell retargeting“ mglich. Dabei ist eine Antigenbindungsregion gegen ein tumorassoziiertes Antigen der Tumorzelle, die andere gegen ein Antigen auf einer immunologischen Effektorzelle, z.B. gegen das CD3-Molekl des T-Zell-Rezeptorkomplexes oder das CD16-Molekl auf NK-Zellen, gerichtet. Auf diese Weise
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knnen zytotoxische Effektorzellen aktiviert und die angekoppelten Tumorzellen eliminiert werden. Da bisher nur sehr wenige klinische Studienergebnisse vorliegen, kann der therapeutische Nutzen dieser Anstze noch nicht eingeschtzt werden.
5 Probleme der Therapie mit murinen monoklonalen Antiko¨rpern Die Ergebnisse der Therapie mit murinen monoklonalen Antikrpern bei fortgeschrittenen Malignomen sind unbefriedigend. Einer der Hauptgrnde hierfr ist die unzureichende Fhigkeit der groen Antikrpermolekle, in solide Tumoren einzudringen, bedingt durch unzureichende Vaskularisierung des Tumorgewebes, interstitielle Proteoglykane und den nach auen gerichteten onkotischen Druck im Tumorinterstitium. Da nur 0,005…0,01% der applizierten Antikrpermenge den Tumor erreichen, sind zur Antigensttigung auch kleinerer Tumorkntchen relativ hohe Dosen erforderlich. Verbesserungen sind hier durch die Anwendung von Antikrperbruchstkken oder monovalenten Antikrpern, bei denen die Antigenbindung nur ber einen Fab-Arm erfolgt, mglich. Das Problem der Antikrperpenetration kann auch durch den Einsatz monoklonaler Antikrper bei Patienten mit minimaler residualer Tumorbeladung umgangen werden. Da erste Studien gezeigt haben, da disseminierte Tumorzellen und Mikrometastasen von infundierten monoklonalen Antikrpern in vivo markiert und ihre Anzahl reduziert werden kann, erscheinen adjuvante Therapieeinstze dieser Substanzen mglich. In einer prospektiven randomisierten adjuvanten Studie mit dem monoklonalen Antikrper 17-1A bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen im Stadium Dukes C zeigte sich nach einer medianen Beobachtungszeit von 7 Jahren, da die Antikrpertherapie zu einer Verlngerung sowohl der rezidivfreien als auch der Gesamtberlebenszeit fhrt. Eine Nachfolgestudie zeigte jedoch, da die alleinige Antikrpertherapie der Chemotherapie mit 5-Fluorouracil unterlegen ist und die Kombination aus Chemotherapie und Antikrpertherapie keinen Vorteil gegenber der alleinigen Chemotherapie erbringt (Mller u. Schlimok 2001). Der Antitumoreffekt muriner monoklonaler Antikrper ist auch limitiert, da die berwiegende Mehrzahl der therapierten Patienten humane Antimausantikrper (HAMA) entwickeln, die wiederum die zytotoxische Aktivitt eines erneut applizierten murinen monoklonalen Antikrpers zu neutralisieren vermgen. Auerdem ist die Halbwertszeit muriner monoklonaler Antikrper mit 20…24 Stunden sehr kurz. Mit murinen monoklonalen Antikrpern und den entsprechenden Fc-Rezeptoren ist hufig nur eine unzureichende Aktivierung humaner immunologischer Effektormechanismen zu erzielen. Durch gleichzeitige Gabe von Zytokinen lt sich in vitro und im Tiermodell die therapeutische Wirksam-
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keit monoklonaler Antikrper steigern. Die vorliegenden klinischen Studien mit einer Kombination aus murinen monoklonalen Antikrpern und Zytokinen (Interferon-c, Interleukin-2, GM-CSF) erbrachten keinen Durchbruch.
6 Gentechnisch modifizierte Antiko¨rperkonstrukte 6.1 Chima¨re und humanisierte monoklonale Antiko¨rper Aus obengenannten Grnden sind unterschiedliche Strategien entwickelt worden, Antikrper zu humanisieren. Mit rekombinanten gentechnischen Methoden lassen sich die konstanten murinen Domnen durch humane ersetzen, das Konstrukt wird als „chimrer“ Antikrper bezeichnet. In einem weiteren Schritt knnen zustzlich noch Teile der variablen Domne durch humane Sequenzen ersetzt werden. Es verbleiben dann nur noch die antigenbindenden CDR-Segmente, die hypervariable Region eines murinen Antikrpers, wodurch ein „humanisierter“ Antikrper entsteht. Diese Konstrukte sind kaum noch immunogen (Vaughan et al. 1998). Schlielich knnen vollstndig humane Antikrper durch transgene oder sog. transchromosomale Muse oder mit Hilfe der „phage libraries“-Technologie produziert werden. Die ersten vollstndig humanen Antikrper befinden sich bereits in Phase-I-Studien. Die Chimrisierung und Humanisierung muriner monoklonaler Antikrper hatte deutlich verbesserte Therapieergebnisse zur Folge. Der erfolgreiche Einsatz des chimren CD20-Antikrpers Rituximab bei Patienten mit niedrig- und hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen und des humanisierten CD52-Antikrpers Campath-1H bei niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen fhrte zur Zulassung beider Antikrper (Lundin et al. 1998). Ebenfalls zugelassen ist der humanisierte HER2/neu-Antikrper Trastuzumab, der bei Patientinnen mit metastasierten Mammakarzinomen und berexpression des HER2/neu-Membranrezeptors bzw. Amplifikation des HER2/neu-Gens zu signifikanten Tumorrckbildungen fhrte (Slamon et al. 2001). Sowohl mit dem Antikrper Rituximab als auch durch Gabe von Trastuzumab konnte der Effekt einer parallel verabreichten Chemotherapie gesteigert werden (Coiffier et al. 2002). Durch chimre und humanisierte monoklonale Antikrper, die gegen den Rezeptor des epithelialen Wachstumsfaktors (EGF) oder gegen den vaskulren endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) gerichtet sind, konnten, ebenfalls in Kombination mit Chemotherapien, die Therapieergebnisse bei kolorektalen Karzinomen signifikant verbessert werden (Baselga 2001, Hurwitz et al. 2004). 6.2 Rekombinante bispezifische Antiko¨rper Die Produktion bispezifischer Antikrper mit konventionellen Techniken ist sehr aufwendig, die Ausbeute ist auerdem relativ gering. Weitere Nach-
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teile sind die relative Gre dieser Konstrukte, die nur eine ungengende Tumorpenetration erlauben, und die Tatsache, da zur effektiven Rekrutierung und Aktivierung immunologischer Effektorzellen hufig weitere kostimulierende Signale eingesetzt werden mssen. Diese Probleme knnten in Zukunft durch rekombinant hergestellte Single-chain-bispezifische Antikrper umgangen werden. Derartig kleine kompakte Molekle bentigen, wie ein gegen B-Zell-Lymphome gerichteter rekombinanter bispezifischer „Single-chain-Antikrper“ CD19 CD3 zeigte, mglicherweise keine T-Zell-Vorstimulierung und keine zustzlichen kostimulatorischen Molekle (Loffler et al. 2000).
7 Konjugierte Antiko¨rper Antikrper eignen sich hervorragend dazu, selektiv bestimmte Zellen mit zytotoxischen Agenzien anzugreifen. Dieser Ansatz ist insbesondere in der Onkologie interessant, da er die Mglichkeit bietet, konventionelle Therapien unter Reduktion der toxischen Nebenwirkungen effektiv zu applizieren. Mehrere Konstrukte mit unterschiedlicher zytotoxischer Beladung der Antikrper sind in klinischen Studien bereits getestet worden. Hierzu zhlen Radioimmunkonjugate, Immuntoxine und Zytostatika-Immunkonjugate. Das Konzept, ber Prodrug-Immunkonjugate („antibody-directed enzyme prodrug therapy“, ADEPT) spezifische Medikamentenwirkung an der Tumorzelle zu generieren, befindet sich noch in frheren Stadien der Entwicklung. 7.1 Radioimmunkonjugate Radioimmunkonjugate haben gegenber den anderen Immunkonjugaten den Vorteil, da sie nicht von der Zielzelle internalisiert werden mssen, um ihre Wirkung zu entfalten. Auerdem bentigen sie kein intaktes Immunsystem, das bei Tumorpatienten hufig massiv gestrt ist. Schlielich werden durch die Strahlen auch Tumorzellen in der Nachbarschaft erreicht, so da die mglicherweise schlechte Penetration in solide Tumoren hierdurch teilweise kompensiert werden kann. In der Regel werden die Antikrper mit 131Jod oder 90Yttrium gekoppelt. 90Yttrium bietet gegenber 131 Jod den Vorteil, da es einfach und sicher an Antikrper gekoppelt und ambulant verabreicht werden kann. Zudem hat es verglichen mit 131 Jod eine 5fach energiereichere b-Strahlung, nahezu keine c-Emission, eine gnstige Halbwertszeit (2,5 Tage) und verbleibt auch nach Endozytose dauerhaft in der Zielzelle. Weit fortgeschritten sind die klinischen Erfahrungen derzeit mit Anti-CD20-Radioimmunkonjugaten bei der Therapie indolenter Non-Hodgkin-Lymphome. Hier gibt es sowohl ein 131Jod- (Tositumomab-Tiuxetan) (Kaminski et al. 2000) als auch ein 90Yttrium-gekoppeltes (Ibritumomab) Radioimmunkonjugat. Beide Konstrukte erreichen
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bei Rezidiven intensiv vorbehandelter Patienten mit etwa 30% kompletten und 40% partiellen Remissionen vergleichbare Ansprechraten (Witzig et al. 1999). 90Yttrium-Ibritumomab (ZevalinJ) wurde 2002 von der FDA zur Behandlung indolenter Lymphome zugelassen. Dosislimitierende Nebenwirkung ist jeweils die hmatologische Toxizitt. Auch wenn sich aufgrund der hohen Strahlensensitivitt hmatologische Neoplasien besonders fr die Radioimmuntherapie eignen und einige Konstrukte gegen andere Antigene zur Zeit klinisch erprobt werden, wird dieses Konzept auch mit Erfolg in Phase-I/II-Studien bei soliden Tumoren angewendet. 7.2 Immuntoxine Immuntoxine wurden initial durch chemische Konjugation von Pflanzenoder Bakterientoxinen an Antikrper produziert. Mittlerweile knnen sie auch als wesentlich kleinere Konstrukte gentechnisch hergestellt werden (scFv-Fusionstoxine). Zu den am hufigsten verwendeten Toxinen zhlen Ricin, Diphtherietoxin und Pseudomonas-Exotoxin. Immuntoxine knne bereits ab einem intrazellulren Molekl pro Zielzelle irreversibel deren Proteinbiosynthese hemmen und damit den Zelltod induzieren. Da dieser Vorgang unabhngig vom Teilungszyklus der Zelle ist, scheint dieses Konzept besonders geeignet, um nach konventioneller zytostatischer Therapie ruhende Zellen zu eliminieren. Voraussetzung ist allerdings die Internalisation des Antikrpers. Nachteilig ist die Entwicklung von Antitoxin-Antikrpern, die gemeinsam mit den Anti-Antikrpern das Immuntoxin bei wiederholter Applikation neutralisieren knnen. Es sind bisher in der Onkologie viele verschiedene Konstrukte getestet worden, die sich gegen B-ZellMarker (CD19, CD22, CD38) und gegen die a-Kette des Interleukin-2-Rezeptors (CD25) richten (Kreitman et al. 2001). Bei den ber einen Disulfidlinker chemisch gekoppelten Immuntoxinen ist die klinische Anwendung durch die Nebenwirkungen deutlich beeintrchtigt, wobei neben Neuround Kardiotoxizitt insbesondere das „vasculary leak syndrome“ (VLS) mit der Entwicklung von generalisierten demen eine therapeutisch erwnschte weitere Dosissteigerung verhindert. Vielversprechender scheint hier die gentechnische Produktion rekombinanter Fusionstoxine. Ein derartiges Konstrukt, der Anti-CD25-Antikrper (anti-Tac[Fv]-PE38 [LMB2]), wurde bereits klinisch getestet und zeigt bei guter Vertrglichkeit Wirksamkeit bei CD25-positiven Lymphomen. 7.3 Zytostatika-Immunkonjugate Neben den genannten Toxinen lassen sich auch bekannte zytotoxische Medikamente, die ihre Wirkung whrend der Teilungsphase der Zelle entfalten, zur Kopplung an Antikrper verwenden. Die Konstrukte werden Zytostatika-Immunkonjugate („drug-immunoconjugates“) genannt. Hierzu zhlt
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der Calicheamycin-gekoppelte Anti-CD33-Antikrper Gemtuzumab Zogamicin (CMA-676), der von der FDA zur Therapie der rezidivierten akuten myeloischen Leukmie bei Patienten ber 60 Jahren zugelassen wurde (Bernstein 2000). Literatur Baselga J (2001) Targeting the epidermal growth factor receptor: a clinical reality. J Clin Oncol 19 (suppl): 41s…44s Bernstein ID (2000) Monoclonal antibodies to the myeloid stem cells: therapeutic implications of CMA-676, a humanized anti-CD33 antibody calicheamicin conjugate. Leukemia 14:474…475 Coiffier B, Lepage E, Briere J et al (2002) CHOP chemotherapy plus rituximab compared with CHOP alone in elderly patients with diffuse large B-cell lymphoma N Engl J Med 346:280…282 Hurwitz H, Fehrenbacher L, Novotny W et al (2004) Bevacizumab plus irinotecan, fluorouracil and lencovorin for metastatic colorectal cancer. N Engl J Med 350:2335…2342 Kaminski MS, Estes J, Zasadny KR et al (2000) Radioimmunotherapy with iodine (131) I tositumomab for relapsed or refractory B-cell non-Hodgkin lymphoma: updated results and long-term follow-up of the University of Michigan experience. Blood 96:1259…1266 Kreitman RJ, Wilson WH, Bergeron K et al (2001) Efficacy of the anti-CD22 recombinant immunotoxin BL22 in chemotherapy-resistant hairy-cell leukemia. N Engl J Med 345:241…247 Loffler A, Kufer P, Lutterbuse R et al (2000) A recombinant bispecific single-chain antibody, CD19 CD3, induces rapid and high lymphoma-directed cytotoxicity by unstimulated T lymphocytes. Blood 95:2098…2103 Lundin J, Osterborg A, Brittinger G et al (1998) CAMPATH-1H monoclonal antibody in therapy for previously treated low-grade non-Hodgkin’s lymphomas: a phase II multicenter study: European study group of CAMPATH-1H treatment in low-grade non-Hodgkin’s lymphoma. J Clin Oncol 16:3257…3263 Mller P, Schlimok G (2001) Entwicklung und Einsatz antiepithelialer Antikrper bei soliden Tumoren. Internist 42:827…834 Slamon DJ, Leyland-Jones B, Shak S et al (2001) Use of chemotherapy plus a monoclonal antibody against HER2 for metastatic breast cancer that overexpresses HER2. N Engl J Med 344:783…792 Vaughan TJ, Osbourn JK, Tempest PR (1998). Human antibodies by design. Nat Biotechnol 16:535…539 Witzig TE, White CA, Wiseman CA et al (1999). Phase I/II trial of IDEC-Y2B8 radioimmunotherapy for treatment of relapsed or refractory CD20 (+) B-cell nonHodgkin’s lymphoma. J Clin Oncol 17:3793…3803
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15.5 Radioimmuntherapie B. Wittig, A. Rieth, E. Enghofer
1 Das Prinzip der Immunkonjugate Die Verwendung von monoklonalen Antikrpern als Trger fr zytotoxische Reagenzien ist ein Konzept zur Verbesserung der Tumorbehandlung, das bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts fr Antiseren benutzt wurde. Fr die Kopplung radioaktiver Isotope an Antikrper liegen bereits langjhrige Erfahrungen vor. Die radioaktiven Isotope werden entweder direkt oder ber Chelate an den Antikrper gekoppelt (Abb. 1). Ein Vorteil dieses Immunkonjugats fr die Tumortherapie ist, da durch die Radioaktivitt nicht nur antigenpositive Zellen erreicht werden, sondern auch Zellschichten im Umkreis von einigen Millimetern (sog. Kreuzfeuereffekt) (Abb. 2). Auerdem mssen radioaktiv markierte Antikrper nicht internalisiert werden, um die DNS der Tumorzelle zu zerstren. Die Applikation der gekoppelten Antikrper erfolgt je nach Fragestellung intravaskulr, intratumoral oder intrakavitr. Bei geeigneter Auswahl des Isotops knnen durch einmalige Gabe des radioaktiv markierten Antikrpers Tumorlsionen diagnostisch und, wie fr Therapiestudien notwendig, dosimetrisch erfat werden.
Abb. 1. Aufbau eines Radioimmunkonjugats am Beispiel von 90Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan
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Abb. 2. Kreuzfeuereffekt radiomarkierter Antiko¨rper
Die wichtigsten Determinanten fr eine effektive Radioimmuntherapie sind F F F F
der Antikrper mit seiner Spezifitt, Affinitt und Immunreaktivitt, das Radionuklid mit seiner Strahlenqualitt und Stabilitt als Immunkonjugat, die homogene Expression des Zielantigens im Tumorgewebe und die Radiosensibilitt, Gre und Durchblutung des Tumors.
2 Radionuklide Fr die radioaktive Markierung monoklonaler Antikrper stehen Alpha-, Beta- und Gammastrahler zur Verfgung. Bei der Auswahl therapeutischer Radionuklide spielen die physikalischen und chemischen Eigenschaften, die Metabolisierung und die Strahlenart eine entscheidende Rolle. Besonders wichtig sind die Verfgbarkeit des Isotops, die reproduzierbare Radiomarkierung und eine geringe intratumorale Dehalogenation bei Radiojodkonjugaten. Hufig eingesetzte Nuklide in Immunkonjugaten bei der Radioimmuntherapie sind die Betastrahler 131J und 90Y, aber auch 67Cu. Essentiell ist es, stabile Konjugate zu erzielen, damit es nicht zur Anreicherung von freier Radioaktivitt in Schilddrse (131J) oder Knochenmark (90Y) kommt. Die radiotoxische Schdigung des Knochenmarks ist in allen Studien der limitierende Faktor bei der Auswahl der Behandlungsdosis, sie wird vor allem dem Anteil der Gammastrahlung der Isotope zugeschrieben. Dieser fr die Therapie ungnstige Strahlenanteil fhrt auerdem zu einer hohen
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Strahlenbelastung des medizinischen Personals und macht, bedingt durch die lange physikalische Halbwertszeit (193 Stunden bei 131J), eine stationre Behandlung im Kontrollbereich bis zu vier Wochen erforderlich. Hingegen ist 90Y ein reiner Betastrahler mit krzerer Halbwertszeit (64 Stunden), hoher Energie und groer Reichweite, stabiler Bindung an die verwendeten Chelatoren wie z.B. MX-DTPA und einfacher Radiomarkierung. Weitere mgliche, aber eingeschrnkt verfgbare Betastrahler sind 177Lu sowie die Rheniumisotope 186Re und 188Re, die vereinzelt in klinischen Studien geprft wurden. Alphastrahler wie z.B. 212Bi, 213Bi oder 211At geben zwar eine hohe Energie von 6…9 MeV ab … doch nur ber eine Distanz von 40…80 lm. Sie scheinen deshalb insbesondere fr den Einsatz bei zirkulierenden Tumorzellen oder Mikrometastasen geeignet. Allerdings besitzen sie sehr kurze Halbwertszeiten, was die Konjugation und Anwendung erschwert. Die zytotoxische Wirkung von 125J hingegen tritt erst nach Internalisierung der sog. AugerElektronen in den Zellkern ein, so da die Toxizitt fr das umliegende Gewebe deutlich reduziert ist.
3 Radioimmuntherapie ha¨matogener Tumoren Bisher wurden die grten Erfolge der Radioimmuntherapie bei malignen hmatologischen Erkrankungen beschrieben. Lymphome sind radiosensitive Tumoren, und es gibt mehrere monoklonale Antikrper mit hoher Spezifitt gegen Lymphomzellen. Mit radioaktiv markierten Antikrpern gegen CD20, CD21, CD22, CD37 und gegen HLA-DR-Antigene wurden sowohl bei indolenten als auch (in neueren Studien) bei aggressiven Non-HodgkinLymphomen vielversprechende Ergebnisse erzielt. Insbesondere Antikrper gegen das CD20-Antigen eignen sich fr eine Radioimmuntherapie bei Lymphomen, da dieses Differenzierungsantigen auf der Oberflche fast aller B-Zell-Reihen, nicht aber auf Plasmazellen und hmatopoetischen Stammzellen exprimiert, nicht internalisiert, moduliert und auch nicht als lsliches Antigen von der Zellmembran abgespalten wird („Shedding“). Zudem existiert eine breite klinische Erfahrung mit dem „kalten“ Antikrper Rituximab. Folgende gegen das CD20-Antigen gerichtete Radioimmunkonjugate werden am hufigsten in Studien eingesetzt: F F
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Y-2B8 (Ibritumomab-Tiuxetan, Zevalin), J-B1 (Tositumomab, Bexxar).
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Die berlegene Aktivitt der Radioimmuntherapie im Vergleich zur konventionellen Immuntherapie mit Rituximab konnte fr 90Y-IbritumomabTiuxetan in einer prospektiven, randomisierten Studie an 143 Patienten mit chemotherapierefraktren oder rezidivierten follikulren und transformierten Lymphomen gezeigt werden. Die Remissionsrate war mit 80 vs.
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56%, die Remissionsqualitt mit 30 vs. 16% kompletten Remissionen signifikant verbessert. Zudem hielten die Remissionen lnger an, und die Zeit bis zur Notwendigkeit einer erneuten Behandlung konnte deutlich verlngert werden. Unter Zevalin wurden vorwiegend transitorische und reversible hmatologische Nebenwirkungen (Neutropenie und Thrombozytopenie) beobachtet (Witzig et al. 2003a); die gute Vertrglichkeit spiegelte sich in der signifikanten Verbesserung der Lebensqualitt (FACT-G-Gesamtscore) wider (Witzig et al. 2002a). In einer weiteren Studie sprachen auch nach Vorbehandlung mit Rituximab noch 74% der Patienten auf Zevalin an; die Remissionsrate war mit 11,5 Monaten deutlich lnger als nach der vorangegangenen Rituximabtherapie (Witzig et al. 2002b). Auch bei Patienten mit milder Thombozytopenie (100 000…149 000/ll) konnte Zevalin in einer reduzierten Dosis erfolgreich bei moderater Hmatotoxizitt eingesetzt werden; die Remissionsrate bei den vorwiegend therapierefraktren Patienten betrug 83% (Wiseman et al. 2002). Die erreichten Remissionen waren insbesondere bei Patienten mit kompletten Remissionen lang anhaltend; die mediane Dauer betrug in 3 Studien 23 Monate (Witzig et al. 2003b). Im Gegensatz zu 131J-Tositumomab ist bei diesem Radiokonjugat bei nichtmyeloablativem Einsatz keine aufwendige prtherapeutische Dosimetrie erforderlich; die Behandlungszeit betrgt lediglich zwei Tage. Vielversprechende Ergebnisse wurden auch fr 131J-Tositumomab berichtet: Von 59 chemotherapierefraktren oder Rezidivpatienten sprachen 71% an (Kaminski et al. 2000), bei 76 nicht vorbehandelten Patienten betrug die Ansprechrate sogar 97% … allerdings kam es bei 64% der Patienten zur Bildung von humanen Antimausantikrpern (Wahl et al. 2000). Eine myeloablative Dosierung dieses Radioimmunkonjugats scheint mit einer Verbesserung der CR-Rate (79%) und des progressionsfreien berlebens verbunden zu sein (Liu et al. 1998), mglicherweise noch gesteigert in Kombination mit hochdosierter Chemotherapie und autologer Stammzelltransplantation, fr die erste Ergebnisse aus einer Phase-I/II-Studie bei rezidivierten B-Zell-Lymphomen (Press et al. 2000) und aus einer Studie bei MantelzellLymphomen (Gopal et al. 2002) vorliegen. In der Studie von Press et al. konnten bei 52 Patienten nach zwei Jahren ein Gesamtberleben von 83% und ein progressionsfreies berleben von 68% erreicht werden. Diese Ergebnisse sehen im nicht randomisierten Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die mit Ganzkrperbestrahlung und Hochdosischemotherapie behandelt wurde, vorteilhaft aus (Gopal et al. 2003: 5-Jahres-berlebensrate 67 vs. 53%, progressionsfreies berleben 48 vs. 29%). In der Studie bei 16 intensiv vorbehandelten Patienten mit prognostisch ungnstigen Mantelzell-Lymphomen wurde ein progressionsfreies berleben von 61% nach drei Jahren beschrieben. ˜hnliche Ergebnisse wurden auch in Anstzen mit Hochdosis-Zevalin als Bestandteil der Konditionierung bei rezidivierten Non-Hodgkin-Lymphomen beschrieben: Die 2-Jahres-berlebensrate
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betrug 93%, das krankheitsfreie berleben 80% (Nademanee et al. 2004). Ein interessantes Entwicklungsgebiet fr die Radioimmunotherapie stellt auch die Konsolidierung nach Primrtherapie dar. Sowohl fr 131J-Tositumomab als auch fr Zevalin konnte gezeigt werden, da der Remissionsstatus bei Patienten mit follikulren Lymphomen nach initialer Chemo- (Press et al. 2003; Leonard et al. 2004; Link et al. 2004) bzw. Chemoimmuntherapie (Shipley et al. 2004) deutlich verbessert werden kann (Erhhung der CRRate, dauerhafte Remissionen), was mglicherweise zu einer Verlngerung des progressionsfreien berlebens fhrt. Neben den Anti-CD20-Antikrpern wird der gegen das CD22-Antigen gerichtete Antikrper hLL2, der ebenfalls mit 90Y markiert wird, derzeit in Phase-I/II-Studien bei Non-Hodgkin-Lymphomen geprft (Hajjar et al. 2001). Ein weiterer in der Entwicklung befindlicher radioaktiv markierter Antikrper ist Lym-1, der sich gegen die HLA-DR10b-Untereinheit richtet. In einer Studie mit 131J-markiertem Lym-1 konnten bei 21 Patienten 52% Remissionen erreicht werden (De Nardo et al. 1998). Bei anderen hmatologischen Tumoren sind bislang nur wenige klinische Studien zur Radioimmuntherapie beschrieben. Wirksamkeit konnte bei Morbus Hodgkin mit radioaktiv markierten Antikrpern gegen Ferritin (Vriesendorp et al. 1995), und CD30 (Schnell et al. 2002), bei kutanen TZell-Lymphomen mit 90Y-T101 (Foss et al. 1998) und bei Leukmien gezeigt werden. Bei letzteren wurden 131J-Anti-CD33-Antikrper (Jurcic et al. 1995), 131 J-Anti-CD45-Antikrper (Matthews et al. 1999) und 188Re-Anti-CD66Antikrper (Bunjes et al. 2001) eingesetzt.
4 Radioimmuntherapie solider Tumoren Eigenschaften von soliden Tumoren wie fehlende Strahlensensibilitt, Antigenheterogenitt, Tumormasse und erhhter interstitieller Druck, der einer intratumoralen Anreicherung von Makroglobulinen entgegenwirkt, sind wesentliche Nachteile fr einen radioimmuntherapeutischen Ansatz. Neben den ersten enttuschenden Ergebnissen der Radioimmuntherapie bei Patienten mit ausgedehntem Tumorbefall haben jedoch gerade in jngster Zeit klinische Studien erste Erfolge bei der Behandlung minimaler Resterkrankung oder von Mikrometastasen, vor allem des kolorektalen Karzinoms oder des Ovarialkarzinoms, erbracht. Das karzinoembryonale Antigen (CEA) ist weiterhin eines der bestcharakterisierten Tumorantigene. Vor etwa zwanzig Jahren wurden in den ersten klinischen Studien radioaktiv markierte Antikrper gegen CEA fr die immunszintigraphische Darstellung kolorektaler Karzinome eingesetzt. In neueren Studien wurden vor allem modifizierte Therapiestrategien mit neuen Antikrperkonstrukten verwandt. Der humanisierte Anti-CEA-Antikrper hMN-14 weist bei fehlender Immunogenitt zustzlich eine 100fach erhhte Affinitt auf. In einer
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Radioimmuntherapie
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Phase-II-Studie mit 131J-markiertem hMN-14 ergab sich bei 21 Patienten mit kleinvolumigen metastasierten kolorektalen Karzinomen eine objektive Remissionsrate von 16%. Weitere 7 von 9 nach Metastasenresektion adjuvant behandelte Patienten waren bis zu 36 Monate krankheitsfrei (Behr et al. 2002). Der Einsatz anderer Radioimmunkonjugate verlief bisher wenig erfolgreich. Keine der Studien mit monoklonalen Antikrpern gegen das hochmolekulare Muzin TAG-72 (Antikrper B72.3) oder mit dem chimren Antikrper 17-1A (ch17-1A) zeigte eine objektive Remission. Keine objektive Remission wurde auch mit dem 125J-markierten A33-Antikrper erzielt, dagegen konnte durch 125J-Markierung die Knochenmarkszytotoxizitt gesenkt und bei 5 von 21 Patienten eine Tumorregression erzielt werden (Welt et al. 1996). Beim sog. Pretargeting zur Verringerung der Toxizitt wird im ersten Schritt ein Streptavidin-konjugierter Antikrper appliziert, ehe das biotingekoppelte radioaktive Nuklid verabreicht wird. In einer Phase-IIStudie bei Patienten mit metastasierendem Kolonkarzinom wurde jedoch mit dem Pankarzinomantikrper NR-LU-10 lediglich ein geringes Ansprechen bei hoher Toxizitt beobachtet (Knox et al. 2000). Ychou und Mitarbeiter (1998) kombinierten die Radioimmuntherapie von 131J-F6 [F(ab’)2Fragment eines CEA-Antikrpers] mit einer Stammzelltransplantation und konnten dadurch die Strahlendosis auf 300 mCi steigern. Die Kombination radioaktiv markierter monoklonaler Antikrper erscheint erfolgversprechend und verringert die Bildung humaner antichimrer Antikrper (Wong et al. 2003). Die intraperitoneale Applikation von markierten Antikrpern spielt insbesondere in der adjuvanten Situation oder im Falle minimaler Resterkrankung bei Ovarialtumoren eine Rolle. So konnte in einer Studie mit 90Y-HMFG1 im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Verlngerung des krankheitsfreien berlebens nach operativem Debulking und Chemotherapie erreicht werden (Nicholson et al. 1998). Besonders Patienten mit kompletter Remission und kleinen Tumorknoten profitierten von dieser Behandlung. Die Kombination von Taxol, Interferon und dem AntiTAG72-Antikrper 177Lu-CC49 intraperitoneal zeigte in einer Phase-I-Studie ein Ansprechen bei relativ geringer Knochenmarkstoxizitt (Meredith et al. 2001). Die Deletion der CH2-Domne des monoklonalen Antikrpers CC49 scheint die Anreicherung im Tumor zu verbessern (Forero-Torres et al. 2003). Aber auch bei intravenser Gabe von 131J-hMN-14 konnte die Anreicherung im Tumor beobachtet und konnten Remissionen festgestellt werden (Juweid et al. 1997). Beim Mammakarzinom weisen vorlufige Untersuchungen auf einen therapeutischen Nutzen des radioaktiv markierten Anti-HER-2-Antikrpers Trastuzumab hin, der unkonjugiert seit August 2000 in der Behandlung des chemotherapieresistenten metastasierenden Mammakarzinoms zugelassen ist.
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Die Ergebnisse der Radioimmuntherapie beim medullren Schilddrsenkarzinom, dessen Tumorzellen stark CEA-positiv sind, zeigen insgesamt einen Antitumoreffekt bei etwa der Hlfte der Patienten; objektive Remissionen sind jedoch nicht beschrieben. Neuere Phase-I-Studien mit myeloablativer Dosierung des Radioimmunkonjugats und autologer Stammzelltransplantation lassen hhere Ansprechraten erwarten. Die intratumorale Injektion von 131J- oder 90Y-markierten Antitenascinantikrpern wurde von Riva et al. (1997) bei Glioblastomen und Astrozytomen untersucht und fhrte zu einer hochsignifikanten Verlngerung des medianen Patientenberlebens (23 Monate) und des rezidivfreien berlebens (12 Monate) sowie bei 52% der Patienten zu einer objektiven Remission. Erfolgversprechende Ergebnisse zeigt eine Pilotstudie mittlerweile auch im adjuvanten Therapieansatz (Grana et al. 2002). Die intraarterielle Applikation des 131J-markierten leberzellkarzinomspezifischen Antikrpers H-gamma-1 in der Leber fhrte zu einem Anstieg der 5-Jahres-berlebensrate auf 28,1% gegenber 9,1% bei Chemotherapie. 53% vs. 9% der Tumoren konnten auerdem daraufhin reseziert werden (Zeng et al. 1998). Insgesamt scheinen bei soliden Tumoren die therapeutischen Effekte um so besser, je kleiner die Tumorlsionen sind, z.B. bei Mikrometastasen oder im adjuvanten Therapieansatz. Knftige Studien werden zeigen, inwieweit myeloablative Strahlendosen auch bei soliden Tumoren Verbesserungen in Ansprech- und berlebensrate bringen knnen.
5 Perspektiven des Immunotargetings In den letzten Jahren hat die Entwicklung neuer Antikrper mit verstrkter spezifischer Anreicherung im Tumorgewebe den klinischen Einsatz der Radioimmuntherapie vor allem in der Hmatologie bereichert. Hier konnten insbesondere bei rezidivierten B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen beeindruckende Remissionsraten bei guter Vertrglichkeit erzielt werden. Die Kombination von radioaktiv markierten Antikrpern mit Stammzellrescue ermglichte es, sowohl bei hmatologischen als auch … in ersten Studien … bei soliden Tumoren die limitierende Knochenmarkstoxizitt der Radioimmuntherapie zu umgehen. Dennoch ist der klinische Stellenwert der Radioimmuntherapie im Vergleich zu den konventionellen Therapieanstzen derzeit noch nicht endgltig definiert und bedarf der Evaluierung in prospektiv randomisierten Studien. Auch gibt es bisher nur unzureichende Daten ber mgliche Langzeitwirkungen der Radioimmuntherapie wie Myelodysplasie, Schilddrsenunterfunktion (131J) oder Entstehung von Zweittumoren. Zwanzig Jahre nach dem ersten klinischen Einsatz von Radioimmunkonjugaten wird noch immer nach optimalen Antikrperkonstrukten und Therapiestrategien gesucht.
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Ergebnisse von Antikrpermarkierungen mit Alphastrahlern lassen auf eine bessere lokale Tumorwirkung bei geringer systemischer Strahlenbelastung hoffen. Die Entwicklung von humanisierten Anitkrpern mit erhaltener Immunreaktivitt ermglicht die wiederholte Applikation ohne Ausbildung einer Immunantwort mit HAMA oder HACA (humane Antimausbzw. Antichimrantikrper) (Huston und George 2001). Die Fhigkeit des Antikrpers, das Tumorgewebe zu penetrieren, kann durch die Verwendung von Antikrperfragmenten, den Fv-Fragmenten, verbessert werden. Multivalente Fragmente, sog. Dia- oder Triabodies, kombinieren kleine Gre mit hoher Affinitt (Storto et al. 2001) (Tabelle 1). Eine wichtige Aufgabe wird es sein, durch Auswahl des Tumorstadiums und geeigneter Tumorgewebe die Patienten zu identifizieren, die eine hohe Ansprechrate erwarten lassen. Ob eine genderte Applikationsform oder hochaffine Antikrper als Monotherapie bzw. in Kombination mit adjuvanter Chemotherapie zu einem verlngerten Gesamt- oder rezidivfreien berleben fhren, sollte in weiteren prospektiven und multizentrischen Studien, bei denen Hmatoonkologen und Nuklearmediziner eng zusammenarbeiten, untersucht werden. Die Kombination von radioaktiv markierten Antikrpern mit StammzellRescue erlaubt es, sowohl bei hmatologischen als auch bei soliden Tumoren die limitierende Knochenmarkstoxizitt der Radioimmuntherapie zu umgehen. Neue Regimes, die die Radioimmuntherapie mit konventionellen Tabelle 1. Neue Strategien in der Radioimmuntherapie. (Mod. nach Buchsbaum et al. 1997) Tumoraffinita¨t des Immunkonjugates MAK gegen neue Tumorantigene/-rezeptoren Gentechnische Herstellung von mAK-Konstrukten, hochaffine mAK Biochemische Modifikation von mAK (vera¨nderte Glykosylierung) Neue Techniken der radioaktiven Markierung Cocktails von mAK Fraktionierte/kontinuierliche mAK-Gabe * * * * * *
Spezifische Anreicherung der Radioaktivita¨t Reduktion der mAK-Gro¨ße (Fragmente, Peptide) oder multimere fragmentierte AK mit vera¨nderter renaler Clearance Verhinderung der unspezifischen Anreicherung von Radioaktivita¨t (biotinylierte mAK, Plasmapherese, sekunda¨re Gabe von unmarkierten Zweitantiko¨rpern)
*
*
Spezifische Lokalisation des Radioimmunkonjugates im Tumor Lokale Applikation der mAK Modifikation der Antigenexpression (Zytokine oder Gentransfer) Beeinflussung von Gefa¨ßpermeabilita¨t oder Durchblutung im Tumor (Hyperthermie, Bestrahlung, vasoaktive Substanzen) * * *
mAK: monoklonale Antiko¨rper
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Behandlungsstrategien verbinden, werden die Effektivitt dieser Therapie weiter verbessern. Literatur Behr TM, Liersch T, Greiner-Bechert L et al (2002) Radioimmunotherapy of smallvolume disease of metastatic colorectal cancer. Cancer 94:1373…1381 Buchsbaum DJ (1997) Experimental tumor targeting with radiolabeled ligands. Cancer 80:2371…2377 Bunjes D, Buchmann I, Duncker C et al (2001) Rhenium 188-labeled anti-CD66 (a, b, c, e) monoclonal antibody to intensify the conditioning regimen prior to stem cell transplantation for patients with high-risk acute myeloid leukemia or myelodysplastic syndrome: results of a phase I…II study. Blood 98(3):565…572 DeNardo G, DeNardo SJ, Goldstein DS et al (1998) Maximum-tolerated dose, toxicity, and efficacy of 131-I-Lym-1 antibody for fractionated radioimmunotherapy of non-Hodgkin’s lymphoma. J Clin Oncol 16:3246…3256 Forero-Torres A, Khazaeli MB, Carpenter M et al (2003) Phase I trial of intravenous 131I-HuCC49-CH2 in patients with metastatic colorectal carcinoma. Proc Am Soc Clin Oncol 22:182 Foss FM, Raubitscheck A, Mulshine JL et al (1998) Phase I study of the pharmacokinetics of an radioimmunoconjugate, 90Y-T101, in patients with CD5-expressing leukemia and lymphoma. Clin Cancer Res 4:2691…2700 Gopal AK, Gooley TA, Maloney DG et al (2003) High-dose radioimmunotherapy versus conventional high-dose therapy and autologous hematopoietic stem cell transplantation for relapsed follicular non-Hodgkin lymphoma: a multivariable cohort analysis. Blood 102:2351…2357 Gopul AK, Rajendran JG, Petersdorf SH et al (2002) High-dose chemoradioimmunotherapy with autologous stem cell support for relapsed mantle cell lymphoma. Blood 99(9):3158…3162 Grana C, Chinol M, Robertson C et al (2002) Pretargeted adjuvant radioimmunotherapy with yttrium-90-biotin in malignant glioma patients: a pilot study. Br J Cancer 86:207…212 Hajjar G, Sharkey RM, Burton J et al (2002) Phase I radioimmunotherapy trial with iodine-131-labeled humanized MN-14-anti-carcinoembryonic antigen monoclonal antibody in patients with metastatic gastrointestinal and colorectal cancer. Clin Colorectal Cancer 2(1):21…42 Huston JS, George AJ (2001) Engineered antibodies take center stage. Hum Antibodies 10:127…142 Juweid MB, Swayne LC, Sharkey RM et al (1997) Prospects of radioimmunotherapy in epithelial ovarian cancer: results with iodine-131-labeled murine and humanized MN-14 anti-carcinoembryonic antigen monoclonal antibodies. Gynecol Oncol 67(3):259…271 Kaminski MS, Estes J, Zasadny KR et al (2000) Radioimmunotherapy with iodine 131I tositumomab for relapsed or refractory B-cell non-Hodgkin lymphoma: updated results and long-term follow-up of the University of Michigan experience. Blood 96:1259…1266
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1 Definition der Biomodulation in der Krebsbehandlung In der letzten Dekade dieses Jahrhunderts ist das Wissen ber biologische Prinzipien zur Krebsbehandlung explosionsartig angestiegen. Neben den Strategien der Chirurgie, der Chemotherapie und der Strahlentherapie zur Krebsbekmpfung hat sich als weitere Strategie die Biomodulation oder auch die Applikation von Substanzen, die die Interaktion von Tumorzellen und Abwehrzellen zugunsten der Vernichtung von Tumorzellen durch Abwehrzellen in einem Wirt frdern, wissenschaftlich etabliert. Erste Kandidaten fr eine solche Stoffklasse sind jene Molekle, die von kompetenten Abwehrzellen gebildet, sezerniert und zur zellulren Kommunikation verwendet werden. Sie fhren zu biologischen Effekten, z.B. der Vermehrung bestimmter Subpopulationen von Lymphozyten. Solche lslichen Molekle der Zell-Zell-Kommunikation werden allgemein als Zytokine und, auf die Fraktion der weien Blutzellen bezogen, als Interleukine bezeichnet. Zu diesen Mediatoren gehren die Interferone, die koloniestimulierenden Faktoren, die Wachstums- und Transformationsfaktoren sowie die Interleukine 1…16 und antiidiotypische Antikrper. Diese Molekle sollen hier nicht Gegenstand der Errtung sein, da sie an anderer Stelle des Buches ausfhrlich beschrieben sind. Dennoch gehren auch sie zu den Substanzen, die unter dem Namen Biomodulatoren oder „biological response modifiers“ (BRM) zusammengefat werden. Eine BRM-Substanz mu zumindest eine der folgenden Kriterien hinsichtlich ihrer biologischen Aktivitt erfllen: >
Grundregel: Die Substanz mu die Anwort eines Wirts innerhalb eines Tumorgeschehens mit therapeutischem Erfolg erhhen; es kann dadurch erfolgen, da die Zahl oder die Aktivitt spezifischer Effektorzellen (z.B. T-Zellen, natrliche Killerzellen) ansteigt oder die Produktion zellulrer Kommunikationsmolekle (z.B. Interleukin-2, Interferone) zunimmt.
Mgliche weitere, sekundre Mechanismen: F
Die Substanz ist fhig, Suppressormechanismen, die von Tumorzellen ausgehen knnen („escape phenomenon“), zu demaskieren, und steigert so indirekt die Immunantwort des Wirts.
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Die Substanz kann das Abwehrsystem intrinsisch modulieren, weil sie ein molekulares Abbild eines natrlichen Mediators oder ein molekulares Mimikry einer Effektoraktivitt darstellt. Die Substanz ist fhig, die Toleranz auf therapeutische Zellschden hin zu modulieren, weil sie die Teilungsaktivitt von Vorluferzellen reversibel steuern kann. Die Substanz ist fhig, chemoresistente Zellen in eine Chemosensibilitt zurckzufhren, die Antigenitt/Immunogenitt von Tumorzellen zu erhhen und/oder Zellen aus arretierten Differenzierungsstadien wieder zur Ausdifferenzierung zu bringen. Die Substanz ist befhigt, entdifferenzierte maligne Tumorzellen wieder in einen Differenzierungsgrad zu fhren, der die Dignitt des Gesamttumors zu einem benignen zytologischen und klinischen Bild zurckbildet. Die Substanz ist befhigt, eine Tumorzelle fr immunologische oder zytoreduktive Attacken sensitiver zu machen. Die Substanz ist befhigt, in die Architektur (Blut- und Lymphgefe) eines Tumorwachstums so einzugreifen, da die Versorgung mit Nhrstoffen nicht mehr gewhrleistet ist und damit eine Tumorregression eintritt. Die Substanz ist befhigt, jeweils in einen der Schritte der Karzinogenese, wie Initiation, Promotion oder Metastasenverhalten, einzugreifen, um so eine Tumorentitt zu verhindern/verzgern oder die Metastasenbildung zu verzgern/unterdrcken.
Vereinzelt knnen diese Kriterien auch auf tumortherapeutische Verfahren oder neuerdings auch auf psychologische Interventionsstrategien zutreffen. So macht z.B. eine Hyperthermiebehandlung Tumorzellen fr bestimmte Zytostatika vulnerabler. Der Begriff „Biomodulation mit BRM-Substanzen“ geht weit ber das bliche Verstndnis einer „Immuntherapie“ hinaus. Er bezieht alle chemischen und biologischen Substanzen mit ein, die einen Effekt hinsichtlich der Wirt-Tumor-Wechselwirkung mit therapeutischem Effekt haben knnen. Eine biologische Therapie mu sich also nicht notwendigerweise auf Substanzen beschrnken, die biologischen Ursprungs sind, z.B. Lymphokine, sondern sie bercksichtigt auch chemische Substanzen, wie z.B. Cyclophosphamid, das in nichtzytoreduktiven Dosen die Aktivitt von T-Suppressorzellen oder humoralen Suppressorfaktoren inhibiert. Es ist ebenfalls ein Irrglaube, da die Therapie mit BRM-Substanzen einer „sanften biologischen Therapie“ zuzuordnen sei; dies mag, betrachtet man die Nebenwirkungsprofile einzelner BRM, durchaus so sein, doch viele der biologischen oder chemischen BRM, die in klinischen Prfungen waren und noch sind, haben ein breites Spektrum therapiebedrftiger Nebenwirkungen gezeigt.
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Chemo-Immuno-Pra¨vention
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2 Pharmakodynamik und ,,mode of action’’ der Kommunikation von Biomodulatoren Viele Substanzen, die eine oder mehrere der vorstehenden Kriterien erfllen, greifen in komplexe und komplizierte biologische Netzwerke ein. Besonders deutlich wird dies fr Substanzen, die ein offensichtlich immunmodulierendes Potential besitzen. Sie knnen als lsliche Mediatoren sowohl auf zellulre und auf humorale Komponenten als auch auf weitere Vermittler einer adquaten Immunantwort, wie Opsonine, Properdine und Komplementprotein, einwirken. Allein die Aufzhlung lt schon eine komplizierte interaktive Regelung innerhalb und zwischen diesen Systemen vermuten. Somit ist es nicht verwunderlich, wenn BRM-Substanzen im DosisAntwort-Diagramm keine Linearitt zeigen, sondern sich als Charakteristikum eine glockenfrmige Kurve („bell-shaped“) ergibt. Eine Dosiserhhung mu nicht notwendigerweise in einem noch besseren biologischen Effekt enden, sondern dieser kann sich bei hheren Dosen abschwchen und, bei weiterer Steigerung der Dosis, sogar die ausgewhlte und gemessene Aktivitt (z.B. Zytotoxizitt der natrliche Killerzellen am K562-Targetzell-System) inhibieren. Das Auffinden der geeigneten Dosis zur Therapie mit einer BRM-Substanz im Hinblick auf die Verbesserung (Augmentierung) einer gewnschten biologischen Antwort (z.B. Vermehrung von IL-2-Rezeptoren auf einer bestimmten Subpopulation von Lymphozyten als Aktivierungsparameter) ist derzeit nur global oder marginal gelst. Die optimal modulierende Dosis (OMD) zu finden bedeutet, auf individueller Patientenbasis fr jeden zu modulierenden Parameter, soweit mebar, eine Dosis-Antwort-Kurve zu etablieren, was in der praktischen Durchfhrung zur Therapie nicht mglich ist. Ein Hilfskonstrukt besteht darin, da man die maximal tolerable Dosis (MTD) zu finden versucht, ein Dosisbereich, der vom Nebenwirkungsprofil her zum erwarteten klinischen Nutzen noch tolerabel ist. Von diesem Dosisbereich bewegt man sich, unter vorheriger Definition eines Endpunktparameters, nach unten so lange, bis eine Dosis den optimalen Effekt hinsichtlich des Endpunktparameters ergeben hat; dann befindet man sich auf dem Scheitelpunkt einer glockenfrmigen Dosis-Antwort-Kurve. Man kann umgekehrt mit minimalen Dosen einer BRM-Substanz beginnen und die biologische Antwort bei steigender Dosierung verfolgen. Beginnt die ausgewhlte und gemessene biologische Antwort bei weiter ansteigender Dosierung wieder abzufallen, so mu man vorher die optimal modulierende Dosis (OMD) durchschritten haben. Dies sind notwendige berlegungen zur Dosisfindung und Toxikologie von BRM, ohne aber noch eine hinreichend befriedigende Lsung zu bieten. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, da die immunologische Antwort auf eine BRM-Substanz, z.B. die Induktion von Kommunikations-
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moleklen (z.B. IL-1, IL-2, Interferon, Tumornekrosefaktor), im peripheren Blut wegen der geringen biologischen Halbwertszeit oft nur schwer nachweisbar ist. Unter physiologischen Bedingungen gibt es keinen sog. „spill over“ vom Entstehungsort eines Lymphokins im Gewebe bis in das periphere Blut, was die Natur aus Grnden der unspezifischen hohen Toxizitt auch sinnvoll angelegt hat. Unphysiologisch hohe Dosen, z.B. aus therapeutischen Verabreichungen oder bei extremer immunologischer Antwort auf Antigene (Endotoxine), lassen zwar dann im peripheren Blut kurzfristig Aktivittsspiegel messen, die Relevanz solcher Messungen nach Gabe von Lymphokinen/Zytokinen mu aber noch deutlicher in Korrelationsanalysen zum abnehmenden Tumorwachstum klinisch gesichert werden; hohe, protrahierte periphere Blutspiegel bestimmter Lymphokine (Interferone, Tumornekrosefaktor) sind normalerweise mit dem Leben nicht vereinbar. Das Problem der Dosisfindung und Toxikologie verschrft sich, wenn der geeignete Weg der Verabreichung (i.m., i.v., s.c., i.c. oder intrathekal) gefunden werden soll. Um in einer ersten Nherung dieses Problem zu lsen, mssen gesicherte Modellvorstellungen zur interzellulren Kommunikation lslicher oder unlslicher Faktoren zu Rate gezogen werden. Zellen knnen sich ber Oberflchenrezeptoren Informationen fr ihr biologisches „So-Sein“ schaffen. Die Oberflchenrezeptoren binden einen extrazellulren Liganden, und dieser Ligand-Rezeptor-Komplex lst ein transmembranales Signal aus, das eine oder mehrere Funktion(en) der Zelle an-/abstellt oder moduliert. Das externe Signal wird ber sekundre Signalkettenmolekle in der Zellmembran verstrkt und bewirkt letztendlich eine ˜nderung in der Genexpression ber die Herstellung von neuen oder spezifisch vermehrten Genprodukten; diese steuern augenblicklich wieder das biologische „So-Sein“ der Zelle, eben so und nicht anders. BRM knnen solche Liganden sein. Welche Formen der Kommunikation kann man charakterisieren? F
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Juxtakrine Kommunikation: Rezeptoren sind in der Zellmembran verankert. Nun kann ein zellstndiger Rezeptor einer Zellspezies als Ligand fr einen zellstndigen Rezeptor einer anderen, differenten Zellspezies dienen. Es agiert also dabei kein lslicher Mediator mit einem zellstndigen Rezeptor, sondern 2 zellstndige Molekle. Fr den proTGF-a („transforming growth factor“) wurde diese Form der interzellulren Kommunikation aufgezeigt. Parakrine/neurokrine Kommunikation: Ein lslicher Faktor wird von einer stimulierten Zelle sezerniert, und dieser diffundiert aufgrund seiner Diffusionseigenschaften in der unmittelbaren Umgebung der sezernierenden Zelle; er trifft dabei auf einen passenden Rezeptor einer benachbarten Zelle. Interleukin-2 ist ein parakrines Kommunikations-
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molekl zur Lymphozytenaktivierung. Gleiches gilt fr Molekle, die die neuronale Kommunikation steuern (Acetylcholin). Bei Neuronen spricht man speziell von einer neurokrinen Kommunikation. Autokrine Kommunikation: Ein lslicher Faktor wird von einer stimulierten Zelle abgegeben, und dieser bindet unmittelbar an zelleigene Rezeptoren, bevor er benachbarte Zellen erreichen kann. PDGF-a und PDGF-b („platelet-derived growth factor“) formen bei der Wachstumsstimulation von Glioblastomzellen eine solche autokrine Schleife (die Anzahl der Rezeptoren auf der Zelloberflche wird durch die Bindungsaviditt der autokrinen Molekle positiv/negativ beeinflut). Endokrine Kommunikation: Ein lslicher Faktor wird von einer stimulierten Zelle abgegeben, erreicht bevorzugt Anschlu an die Blutbahn und wird dadurch im Krper verteilt, um die geeigneten Rezeptoren auf Targetzellen zu erreichen. Das ist der klassische Weg der Wirkungsweise von Hormonen (ACTH und Kortisolausschttung).
Betrachtet man diese Kommunikationswege, so ist es einsichtig, aber auch notwendig zu wissen, welchen dieser Kommunikationswege die Evolution der Kommunikationsmolekle fr einen bestimmten Biomodulator vorgesehen hat, um die natrliche oder naturgeme Darreichungsform zu finden und nachvollziehen zu knnen. Es ist naiv zu glauben, eine biologische Substanz, die einen parakrinen Kommunikationsweg zeigt, sinnvoll intravens verabreichen zu knnen in der Hoffnung, da sie ihre Targetzellen schon erreichen wird. Sie wird, wenn die biologische Halbwertszeit nicht extrem kurz ist, auch Zellen erreichen, doch der biologische Effekt (therapeutische Nutzen) ist dann oft im Verhltnis zu den Nebenwirkungen unverhltnismig gering. Die Substanz, als BRM und unter dieser Applikationsweise, ist damit klinisch wertlos oder ethisch nicht vertretbar. Die Historie der Dosisfindung und Routeapplikation von Interleukin-2 in der Onkologie, als vornehmlich parakrine Substanz, ist dafr ein kritisches Beispiel. Die Einfhrung von BRM in klinische Studien oder die Anwendung in Therapieschemata erfordert die sorgfltige Evaluation von mindestens 2 Dosisangaben, der MTD und der OMD fr den individuellen Patienten, oder, wenn mglich, fr ein Patientenkollektiv. Der Weg („routing“) der Verabreichung mu der naturgemen Bestimmung folgen, wenn nicht intolerable Nebenwirkungen oder vorzeitiger Wirkungsverlust z.B. durch Protease-/Nukleaseabbau mit eingekauft werden sollen. Es mu vor der klinischen Anwendung eine experimentell gesicherte Aussage zu mebaren Parametern vorliegen, die durch die Anwendung zugunsten eines therapeutischen Benefits fr den Patienten gendert werden soll. Verlaufsmessungen fr diese Parameter mssen unter Beachtung von Wirtschaftlichkeit, Reliabilitt und Therapiesteuerung durchfhrbar sein.
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Die Dauer der Anwendung von BRM sollte durch einen oder mehrere gewichtete Endpunktparameter begrenzt sein (z.B. Tumorprogression, Verlngerung der metastasenfreien berlebenszeit, Verbesserung der Lebensqualitt). Ein bedeutendes Charakteristikum immunkompetenter Zellen ist deren Fhigkeit zur Migration in den verschiedenen Kompartimenten des Krpers. BRM knnen dabei entscheidende Modulatoren sein (Abb. 1) und Wanderungsparameter wie Anzahl wandernder Zellen, Geschwindigkeit oder Wanderungsrichtung erheblich beeinflussen.
Abb. 1. Durchlicht (A, C) und konfokale Mikroskopie (B, D) eines humanen T-Lymphozyten in einer Kollagenmatrix. Der ruhende Lymphozyt zeigt eine globula¨re Form (A) und haftet an Kollagenfaser (B). Der wandernde Lymphozyt zeigt eine polarisierte Morphe, bildet ein Uropod (Handspiegelform) (C) aus und benu¨tzt Kollagenfasern als Migrationsschienen (D). Den U¨bergang von der Darstellung in A, B nach C, D ko¨nnen BRM modulieren
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Die verschiedenen BRM knnen hinsichtlich ihrer Herkunft in Gruppen eingeteilt werden.
3 BRM aus Mikroorganismen Bacillus Calmette-Gue´rin (BCG)
Mehrere Studien haben gezeigt, da BCG, intravesikal verabreicht, erstaunliche Responseraten (bis zu 80%) bei multiplen Blasenkarzinomen erreichen kann. Es ist aber noch nicht hinlnglich geklrt, welche Therapiemodalitten eingehalten werden mssen, um eine hohe Remissionsrate aufrechterhalten zu knnen. Der vermutete Wirkmechanismus ber die Induktion einer lokalen Entzndung durch die Einwanderung immunkompetenter Zellen, das Ausschtten von immunmodulierenden Faktoren und die Aktivierung von Makrophagen ist plausibel, wobei die Bindung von BCG an Komponenten der extrazellulren Matrix (Fibronektin) fr die Wirkung von Bedeutung ist. Zellmigrationsversuche der eigenen Arbeitsgruppe (Znker u. Friedl) besttigen, da die Zusammensetzung der extrazellulren Matrix das Wanderungsverhalten und Trapping am Ort von immunkompetenten Zellen erheblich beeinflut. Als Nebenwirkungen knnen in seltenen Fllen eine Exazerbation einer Tbc oder schmerzhafte Retraktionen der Blase durch sklerosierende Prozesse in der Blasenwand auftreten. Die BCGTherapie ist eine Modalitt einer Behandlung des oberflchlichen Blasenkarzinoms. Die vesikale Instillation von Mitomycin C zusammen mit Hyaluronidase ist eine Alternative zu dieser Behandlung, und die Kombination aus Chemo- und Immuntherapie wird in einigen Protokollen mit vorlufig ermutigenden Erfolgen berprft. Nocardia-rubra-Zellwandextrakt
Ein Zellwandextrakt von Nocardia rubra ist seit einigen Jahren als Immunmodulator sowohl in prklinischen als auch in klinischen Studien getestet worden. Die experimentellen Ergebnisse weisen darauf hin, da dieses mikrobielle Produkt Monozyten/Makrophagen stimulieren kann, den Tumornekrosefaktor (TNF) auszuschtten. Weiter konnte gezeigt werden, da Zellen des lymphoretikulren Systems nach Stimulation Interferon-a, -b und -c produzieren knnen. Klinische Ergebnisse, die ernsthaft gewertet werden sollen, liegen nicht vor. Streptococcus-pyogenes-Extrakt (OK-432/Picibanil)
OK-432 ist ein mit Penicillin gefllter Extrakt aus Streptococcus pyogenes, der vor allem in Japan in die Tumortherapie Eingang gefunden hat. Die Mitteilungen ber experimentelle Ergebnisse zur Modulation des Immun-
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systems sind vielfltig, und es wird ein positiver Effekt auf die Aktivierung von T- und B-Zellen, auf Makrophagen und natrliche Killerzellen sowie auf die Induktion von Zytokinen postuliert. Die In-vitro-Studien sind berzeugend; in der Klinik konnte gezeigt werden, da Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom von OK-432 insoweit profitieren, da die Aktivitt der natrlichen Killerzellen unter Therapie ansteigt. OK-432 hat in Kombinationsprotokollen mit Chemotherapie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSLC) seine klinische Wirksamkeit im Hinblick auf eine verlngerte berlebenszeit bewiesen. Eine lngere Therapie mit OK-432 ber 3 Jahre (0,01…0,2mg einmal in der Woche i.m. verabreicht) scheint auch bei gynkologischen Tumoren (Zervix- und Brustkrebs) einen positiven Einflu auf die berlebenszeit zu haben, wenn die Modalitten Bestrahlung und Chemotherapie als Grundtherapien angesetzt wurden. Nebenwirkungen sind auch bei anhaltender Therapie mit OK-432 nicht als gravierend beschrieben worden, obwohl auf das Auftreten einer immunologisch bedingten hmolytischen Anmie geachtet werden mu. Propionibakterien
Propionibakterienspezies [Propionibacterium avidum (KP-40), Propionibacterium granulosum (KP-45), Propionibacterium acnes] haben ebenfalls immunmodulatorische Eigenschaften gezeigt. Propionibacterium acnes (Corynebacterium parvum) zeigt in vielen Tiermodellen eine Aktivierung von immunkompetenten Zellen. Der Schwerpunkt der Anwendung hat sich v.a. darauf konzentriert, die immunmodulierenden Eigenschaften zusammen mit anderen Modalitten (Chemotherapie, Hyperthermie) im Sinne eines additiven oder sogar synergistischen Effekts auszuntzen. Eine klinische Studie beim lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom verweist auf ein besseres Ergebnis hinsichtlich berlebenszeit, wenn Hyperthermie und Propionibacterium granulosum intratumoral in einem gemeinsamen Protokoll verabreicht wurden. ber ein hnliches Ergebnis wird zur Zweijahresberlebensrate fr Brustkrebs im lokal fortgeschrittenen Stadium berichtet. Die Kombination FAC, Hyperthermie und KP-45 war einem Zweierregime aus FAC und Hyperthermie signifikant berlegen. Die experimentellen und klinischen Ergebnisse, v.a. in Kombinationsprotokollen, lassen die weitere klinische Prfung von Propionibakterienspezies als sinnvoll und wnschenswert erscheinen. Pseudomonas
Wie OK-432, KP-40 und KP-45 wurden Pseudomonasextrakte ebenfalls auf eine mgliche Biomodulation hin untersucht. Die Ergebnisse verliefen bisher enttuschend, und ein klinisch adjuvantes Setting bei Brustkrebs-
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patientinnen mit Chemotherapie, Tamoxifen und Pseudomonas ergab keine berlegenheit gegenber Chemotherapie und/oder Chemotherapie und Tamoxifen. Lactobacillus casei und Salmonella minnesota
Mit Hitze behandelte oder mit Sure gefllte Spezies haben in In-vitro-Experimenten und in Musemodellen Aktivitt sowohl auf die natrlichen Killerzellen, die Zytotoxizitt von Makrophagen als auch auf das Metastasenverhalten von transplantierten Tumoren gezeigt. Antitumoreffekte beim Menschen konnten noch nicht dargestellt werden.
4 Chemisch identifizierbare Komponenten aus natu¨rlichen Quellen Biostim
Biostim ist eine Prparation aus Klebsiella pneumonia, Serotyp O1 K2; die Fraktion der freien Fettsuren wurde entfernt, und 2 Fraktionen (P1 und F1) wurden dabei erhalten, wobei F1 ein Molekulargewicht von 350 000 aufweist und hauptschlich fr die biologische Aktivitt (Phagozytosesteigerung, antibakteriell, antiviral) verantwortlich zu sein scheint. Klinische Daten in der Tumorimmunologie liegen noch nicht vor. Bryostatine
Bryostatine sind eine Gruppe von makrozyklischen Laktonen aus Bugula neritina mit einem initialen Effekt der Aktivierung der Proteinkinase C mit anschlieender Aktivittshemmung des Enzyms aufgrund induzierter intrazellulrer Translokation, hnlich dem Effekt von Phorbolestern. Viele Proteinkinasen sind Onkogenprodukte, und somit ist die Suche nach spezifischen und selektiven Hemmstoffen zu einem besonders attraktiven Forschungsgebiet in der Onkologie geworden. Weitere Versuche mit Bryostatinen werden Auskunft geben, inwieweit sie als molekulare Werkzeuge dienen, mit deren Hilfe in die PKC-Aktivierung oder Hemmung eingegriffen werden kann, um so eine weitere therapeutische Option zu bekommen. Lipide
Bestimmte freie Fettsuren sind toxisch fr maligne Zellen, entweder ber einen direkten zytotoxischen Mechanismus, oder sie modifizieren die Zellmembran, so da die Zellen dann auf immunologische, chemische, hypertherme oder radiotherapeutische Verfahren besser ansprechen. Es konnte gezeigt werden, da das Wachstum maligner Zellen von synthetischen ˜therlipidanaloga und natrlichen Phospholipiden gehemmt
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wird. Thiotherphospholipide und Alkyllysophospholipide haben bereits mehrere Stadien der klinischen Prfung erfolgreich durchlaufen. Lipopolysaccharide
Lipopolysaccharide (LPS; Endotoxine) haben sich in vitro als die derzeit besten Immunmodulatoren, v.a. zur Induktion von TNF in Verbindung mit BCG, erwiesen. Ihrem klinischen Einsatz steht jedoch die extreme Toxizitt entgegen. Spurenelemente und Aminosa¨uren
Lithium, Zink und Selen haben auf ausgewhlte Immunparameter eine aktivierende Kofunktion. So haben z.B. Tiere und Menschen mit einem Zinkmangel eingeschrnkte Immunfunktionen, die durch die Gabe von Zink wieder restauriert werden knnen. Glutamin ist die bedeutende Aminosure, die Lymphozyten in ihrem Stoffwechsel als Brennstoff zur chemischen Energiegewinnung nutzen. Flavone, Flavonoide, Retinol und Retinolderivate
Sekundre Naturstoffe (Flavonoide, Carotinoide) rcken immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung, da sie inhrent ein breites Spektrum biomodulatorischer Aktivitten zeigen (s. Kapitel 6.1 „Primre Prvention“). Retinoide (Vitamin A und seine natrlichen sowie synthetischen Derivate) sind in unterschiedlichem Mae fr die Ausdifferenzierung (Reifung) von Epithelzellen notwendig. Der Mensch hngt total von exogenen Quellen, die den Vitamin-A-Bedarf decken, ab. Die experimentellen Evidenzen zur Wirkung von Retinoiden sind vielfltig, aber nur marginal verstanden. Das Wissen ber molekulare Mechanismen schliet Interaktionen mit der Zellmembran und spezifischen intrazytoplasmatischen und nukleren Rezeptoren sowie Modulation von Schlsselenzymen und Onkogenexpression zum Zellwachstum ein. Die Vielfalt der Wirkmechanismen lt auch auf eine Vielfalt des Ansprechens bzw. Nichtansprechens in klinischen Studien schlieen, da experimentell noch nicht die bevorzugte(n) Retinoidtargetzelle(n) und damit die am besten zu therapierenden Krankheitsbilder charakterisiert werden konnten. Die Nebenwirkungen (teratogene Effekte) bei der topischen Applikation zur Therapie intraepithelialer Zervixneoplasien schrnken hier schon eine klinische Anwendung erheblich ein. Wie fr viele BRM-Substanzen gilt auch fr Retinoide, da bei ihrer Anwendung in Kombination mit DNS-Synthesehemmstoffen sie nicht so hoch dosiert werden mssen und sie damit auch vertrglicher werden.
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Es ist von Interesse zu erwhnen, da eine Studie bei 92 Patienten mit Mycosis fungoides, einem kutanen T-Zell-Lymphom, ergab, da bei 21% der Patienten eine komplette und bei 41% eine partielle Remission erzielt werden konnte und damit einer konventionellen Therapie berlegen war. Mistellektine
Lektine sind zuckerbindende Proteine oder Glykoproteine, die in der Natur weit verbreitet sind. Sie stellen fr die Pflanze gewissermaen eine Form von „Antikrper“ dar. Lektine ermglichen das Erkennen von Zuckerstrukturen auf Zelloberflchen oder von lslichen Glykokonjugaten; der Erkennungsproze einzelner Lektine ist hochspezifisch. Es gibt klare experimentelle Aussagen darber, da Lektine, isoliert aus verschiedenen Mistelgewchsen, immunmodulatorische (Aktivittssteigerung der „large granula lymphocytes“) und zytotoxische Aktivitten an Tumorzellkulturen wie auch an transplantablen Tumoren aufweisen. Zahlreiche anekdotische Berichte in der klinischen Onkologie bei einem breiten Spektrum von Tumoren machen eine Antitumorwirkung sehr plausibel. Bisher fehlen allerdings klinische Studien mit klar definierten Fragestellun-
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Abb. 2. Spenderabha¨ngige Variation der Rekrutierung und Induktion einer lokomotorischen Aktivita¨t von CD4- und CD8-positiven T-Lymphozyten durch Mistellektine. Die migratorische Aktivita¨t ist als „Displacement“ in Prozent der wandernden Zellen dargestellt
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gen und biochemisch definierten Mistelprparaten, so da sich in der Vergangenheit mehr Emotionen als Fakten im wissenschaftlichen Streit gegenberstanden. In den letzten Jahren wurden jedoch, dem Stand des Wissens angepat, einige klinische Studien in der Onkologie (z.B. adjuvante Therapie des Melanoms) mit Mistelprparaten initiiert. Man kann aus der langen medizinischen Erfahrung zur Misteltherapie in der Onkologie und den ermutigenden experimentellen Ergebnissen erhoffen, da die Misteltherapie oder die Therapie mit isolierten Wirkstoffen aus der Mistel (Lektine) bei klarer Indikationsstellung einen wissenschaftlich fundierten Platz erhalten wird. Ein interessantes Ergebnis zeigt Abbildung 2 zur In-vitro-Wirkung von einem Mistelextrakt, Iscador QuFrF. Verschiedene Mistelextraktdosen rekrutieren vermehrt CD4- und CD8-positive T-Lymphozyten von verschiedenen gesunden Spendern zur Migrationsaktivitt (Nikolai et al. 1997). Je mehr T-Lymphozyten im Krper migrieren, um so grer wird die statistische Wahrscheinlichkeit, da diese auf professionell antigenprsentierende Zellen (dendritische Zellen) treffen und so eine klonale und spezifische Immunantwort ausgelst werden kann. Kumarine
Kumarine sind ebenfalls sekundre Naturstoffe und im Pflanzenreich weit verbreitet. Die einfachste Kumarinstruktur stellt das 1,2-Benzopyron (Kumarin) dar. Kumarin und sein 7-Hydroxyderivat (beide ohne Einflu auf die Blutgerinnung im Gegensatz zu Warfarin) haben eine zytostatische Aktivitt gegenber vielen hmatologischen und soliden Tumoren in der Zellkultur und in Tumortiermodellen gezeigt. Kumarin hat partielle Antitumoraktivitt beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom und Melanom in klinischen Verlaufsbeobachtungen und Studien bewiesen. Wie bei vielen BRM-Substanzen, die im klinischen Einsatz getestet wurden, mu auch bei Kumarin angemerkt werden, da nur dann ein Response wahrscheinlich ist, wenn die Tumormasse („tumor load“) gering und der Primrtumor (Nierenzellkarzinom) entfernt wurde. Es gibt allerdings noch keine Prdiktoren, mit deren Hilfe Subgruppen von Patienten hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Ansprechens ausgewhlt werden knnen. Kumarin selbst zeigt kein nennenswertes Nebenwirkungsprofil, so da der klinische Einsatz auch auf adjuvante Therapiestrategien ausgedehnt werden knnte.
5 Polysaccharide Polysaccharide wurden v.a. in Japan auf ihre Eigenschaften hin, „BRM-like activity“ zu haben, untersucht. PSK (Krestin) ist ein proteingebundenes Polysaccharid aus dem Myzel eines Basidiomyzeten mit immunrestaura-
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tivem Potential. Es kann oral verabreicht werden und scheint Zellen des darmassoziierten Immunsystems zu stimulieren. Ein weiteres Polysaccharid, Glukan, hat sich in vitro als ein wirkungsvoller Makrophagenaktivator erwiesen.
6 Oligopeptide/Polypeptide Bestatin
Bestatin ist ein Dipeptid, das in Japan schon ber viele Jahre als Biomodulator benutzt wird und von Umezawa, einem der Pioniere der Antitumorantibiotikaforschung (Bleomycin), erstmals beschrieben wurde. Die experimentelle und klinische Forschung wurde v.a. mit Bestatin vorangetrieben, obwohl einige andere Substanzen wie Forphenicin, Forphenicinol, Amastatin, Esterastin, Arphamenin und verschieden substituierte Ebelaktone auch interessante BRM-Aktivitt zeigen (z.B. Inhibition der Generierung von T-Suppressorzellen). Klinische Studien mit Bestatin wurden seit 1977 an Melanom-, Blasenkarzinom-, Kopf-Hals-Tumor-, Speiserhrentumor- und Magentumorpatienten durchgefhrt. Die dazu verffentlichten Ergebnisse weisen darauf hin, da die Rekurrensrate gesenkt und die berlebenszeit verlngert werden konnte, wenn die Tumormasse weitgehend reduziert war und 30 mg Bestatin tglich oral verabreicht wurden. Es mu jedoch angemerkt werden, da manche der Studiendesigns einer derzeitigen Evaluation nicht gengen wrden. Bestatin hat deshalb auch eine bestimmte Aufmerksamkeit erhalten, da es, bei geringer Nebenwirkung, besonders (selektiv) auf die Aktivitt von T-Suppressorzellen wirkt, hnlich wie Cyclophosphamid, 6-Mercaptopurin oder Aclacinomycin. Ciclosporin A
Ciclosporin A ist ein potentes Immunsuppressivum. Es zeigt jedoch auch Antitumoraktivitt beim malignen kutanen T-Zell-Lymphom, verstrkt die Wirkung von Chemotherapeutika und moduliert in vitro die „Multidrugresistance“ (MDR). Der klinische Einsatz als Immunsuppressivum ist allerdings die derzeit einzige und akzeptierte Indikation. FK-565
FK-565 ist ein synthetisches Acyltripeptid, homolog zu einem Immunpotentiator aus Streptomyces. Experimentelle Ergebnisse zur Stimulation der Aktivitt der natrlichen Killerzellen stammen aus Japan; Ergebnisse klinischer Studien sind jedoch nicht bereinstimmend.
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MTP-PE
MTP-PE ist ein synthetisches Analog des Muramyldipeptids, welches die aktive Komponente von BCG und komplettem Freund-Adjuvans darstellt. Die Substanz zeigt ein breites Aktivittsspektrum zur Immunpotenzierung, aktiviert auch die Proteinkinase C und scheint darber auch auf Zellwachstum und Differenzierung Einflu zu nehmen. Die klinische Wirksamkeit mu noch prziser evaluiert werden. Tuftsin
Tuftsin ist ein Tetrapeptid und wurde erstmals in den USA auf der Suche nach Biomodulatoren synthetisiert. Es induziert in Tierexperimenten die Produktion von Tumornekrosefaktor. Die Ergebnisse in klinischen Studien mssen noch abgewartet werden. Neuropeptide
Das von Ader (1981) eingefhrte Konzept der Psychoneuroimmunologie (Ader 1991) fr chronische Erkrankungen, einschlielich Krebs, hat v.a. in der experimentellen Onkologie fr viel Aufregung gesorgt, denn es wurden Substanzen identifiziert, die entlang z.B. der Achse Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere zellulre und humorale Entitten des Immunsystems und in der Folge Tumorwachstum, zumindest in Tiermodellen gezeigt, entscheidend modulieren knnen. So sind, um einige zu nennen, Regulationsoder Effektormolekle innerhalb komplexer immunologischer FeedbackMechanismen: Kortikotropin-releasing-Faktor, Adrenokortikotropin, Proopiomelanokortin und die davon abgeleiteten Spaltprodukte sowie Prproenkephalin A (263 Aminosuren) und daraus entstehende Spaltprodukte wie Met-Enkephalin-Arg-Arg bis zu Met-Enkephalin und Leu-Enkephalin. Die Neuropeptide Physalaemin, Substanz P und Neurotensin hemmen in vitro das Wachstum von Zellkulturen aus kleinzelligen Lungentumoren, die selbst das Neuropeptid Bombesin als Tumormarker produzieren und sezernieren. Der Einsatz von Neuropeptiden im Hinblick auf die Wachstumsregulation von malignen Zellen und die Aktivierung immunkompetenter Zellen wird zuknftig einen hohen Stellenwert in der Onkologie auf der Suche nach neuen Wirkmechanismen und Wirkstoffen haben.
7 Psychoneuroimmunologie Naturwissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Wahrnehmung einer Tumorerkrankung, zum Verhalten bei einer Tumorerkrankung und zu mglichen psychosomatischen Einflssen ber komplexe und komplizierte
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neuronale, neuroendokrine und immunologische Netzwerke molekular fabarer Entitten legen den Schlu nahe, da psychologische Interventionsstrategien ebenfalls eine Tumor-Wirt-Beziehung beeinflussen knnen. Es wird in zunehmendem Ma an psychologischen Interventionsstrategien (virtuelle Visualisierung des Tumorabwehrkampfgeschehens, Angstabbau, Erhhung der Freiheitsgrade eines Patienten, selbstregulative Autonomie) gearbeitet, die einem Tumorpatienten hilfestellend in die Hand gegeben werden in der Hoffnung, da er damit seine Copingmechanismen strken und so die Lebensqualitt verbessern und sogar die berlebenszeit verlngern kann.
8 Schlußfolgerungen Die Entstehung und der Verlauf einer Krebserkrankung wird im interdisziplinren Ansatz immer besser auf genetischer, zellulrer, immunologischer und psychomedizinischer Ebene sowohl aus Zellkulturexperimenten, aus Tiermodellen als auch aus klinischen Verlaufsstudien verstanden. Dieser Erkenntnisgewinn zum Verstndnis der biologischen Prinzipien einer Zellentartung und deren Folgen wird die Krebstherapie von der unspezifischen zytoreduktiven Therapie weg- und hinfhren zu allgemein prventiven und individuell spezifischen, biologischen oder chemischen (gleichbedeutend mit einem spezifischen molekularen, computeruntersttzten Drugdesign) Therapieformen. Dabei mu nochmals deutlich gemacht werden, da das Wort „biologische Therapie“ nicht eine „sanfte“, meist marginal berprfte oder berprfbare Therapie meint, sondern die Ableitung einer Rationale zur Entwicklung von neuen Antitumorstrategien aus dem biologischen Erkenntnisgewinn zur Karzinogenese voraussetzt. Biomodulatoren („biological response modifiers“) werden dazu ihren Beitrag in der Tumortherapie leisten. Literatur Ader R, Felten DL, Cohen N (eds) (1991) Psychoneuroimmunology. Academic Press, New York London Lewis CO, Sullivan A (eds) (1994) The psychoimmunology of cancer; mind and body in the fight for survival. Oxford University Press, Oxford McCubbin JA, Kaufmann PG, Nemeroff CB (eds) (1991) Stress, neuropeptides and systemic disease. Academic Press, New York London McMichel AJ, Bodmer WR (eds) (1992) A new look at tumour immunology. Cancer Surveys, vol 13. Cold Spring Harbor Laboratory Press, New York Mitchell MS (ed) (1993) Biological approaches to cancer treatment. Biomodulation. McGraw-Hill, New York
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Nikolai G, Friedl P Werner M et al (1997) Effect of mistletoe extract (Iscador QuFrF) on viability and migratory behaviour of human peripheral CD4 and CD8 positive T lymphocytes in three-dimensional collagen lattices. In Vitro Cell Dev Biol Anim 33:710…716 Pinedo HM, Longo DL, Chabner BA (eds) (1988) Cancer chemotherapy and biological response modifiers, Annual 10. Elsevier, Amsterdam New York Oxford Znker KS (1999) Chemoprevention of cancer for the next millennium … quo vadis? Cancer Lett 143:7…11 Znker KS (2001) Guest editorial: International Symposium on Biology of Cancer Prevention and Treatment, Beijing, China. Meeting report. Cancer Lett 162:1…4 Znker KS, Anand M, Majumdar M, Daftary GV (2001) Meeting report: The Mumbai Conference on Molecular Targets in Cancer Cells: New Paradigms in Research and Treatment. J Cancer Res Clin Oncol 127:636…641 Znker KS, Tominaga S, Mihich E, Gao YT (2002) International Symposium on Molecular Basis for Cancer Chemo- und Immuno-Prevention. Shanghai, China. Meeting report. J Cancer Res Clin Oncol 128:288…293
15.7 Psychoneuroimmunologie M. Schedlowski, M. U. Goebel, U. Tewes, H.-J. Schmoll
1 Einleitung: Kommunikation zwischen Nerven- und Immunsystem Die streng dualistische Betrachtungsweise von Psyche und Krper hat in den letzten Jahren eine grundlegende Wende erfahren. Nicht nur die Alltagserfahrung, sondern auch kontrollierte Untersuchungen sprechen mittlerweile dafr, da sich psychische Funktionen unmittelbar auf krperliche Prozesse auswirken knnen. Psychische Stressoren erhhen die Infektanflligkeit, verzgern die Wundheilung oder begnstigen die Entstehung und Ausbreitung von Tumoren. Verantwortlich dafr ist die intensive Kommunikation und enge funktionelle Beziehung zwischen dem Nervensystem, dem Hormonsystem und dem Immunsystem. Mit der Erforschung der morphologischen und molekularen Grundlagen dieser bidirektionalen Interaktion beschftigt sich die Psychoneuroimmunologie, eine interdisziplinre Forschungsrichtung, die Immunologie, Psychologie, Endokrinologie, Physiologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften integriert (Ader et al. 2001). Derzeit sind zwei verschiedene Kommunikationswege zwischen Nervensystem und Immunsystem bekannt. Zum einen werden Informationen vom zentralen Nervensystem ber Nervenbahnen des Sympathikus an primre (Knochenmark, Thymus) und sekundre lymphatische Organe (Milz, Lymphknoten) vermittelt. Zum anderen erfolgt der Informationsaustausch ber das Blut mit Hilfe von Botenstoffen des neuroendokrinen Systems (Neurotransmitter, Peptide, Hormone). Neuroendokrine Transmittersubstanzen knnen immunologische Funktionen ber spezifische Membranrezeptoren fr Glukokortikoide, Insulin, Katecholamine, fr Hypophysenhormone wie Prolaktin, Wachstumshormone oder Testosteron, strogen und Acetycholin auf immunkompetenten Zellen beeinflussen (Elenkov et al. 2000) (Tabelle 1). Neben den schon lnger bekannten immunsuppressiven Eigenschaften der von der Nebennierenrinde sezernierten Glukokortikoide wird das funktionelle Zusammenspiel zwischen Hormonen der Hypophyse, insbesondere Prolaktin und Wachstumshormon (GH), und dem Immunsystem in immer mehr Einzelheiten bekannt. So beeinflut Prolaktin die T- und B-Zell-Proliferation und wirkt als Antagonist auf eine glukokortikoidinduzierte Immunsuppression. Ferner ist belegt, da die HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse durch die periphere Gabe von Zytokinen wie Interleukin(IL)-1, IL-6 oder Interferon(IFN)-a aktiviert und zur Hormonsekretion angeregt werden kann.
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Tabelle 1. Neuroendokrine Faktoren mit immunoregulatorischen Eigenschaften Endokrine Faktoren
Rezeptoren auf Zielzellen
Effekte auf Immunfunktionen Inhibiert Zytokinsezernierung
Prolaktin
Alle Lymphozytensubpopulationen Lymphozyten
Wachstumshormon (GH)
Lymphozyten, Thymozyten
Stimuliert T- und B-LymphozytenProliferation Stimuliert T- und NK-Zell-Reaktivita¨t
b-adrenerge Rezeptoren auf T-, B- und NK-Lymphozyten
Stimuliert Lymphozytenmigration und NK-Aktivita¨t, inhibiert T-Lymphozyten-Proliferation
Hormone Kortisol
Katecholamine Adrenalin/Noradrenalin
Neuropeptide b-Endorphin Vasointestinales Peptid (VIP)
T-, B- und NK-Lymphozyten Stimuliert Lymphozytenmigration, T-Zell-Proliferation und NK-Aktivita¨t T-, B- und NK-Lymphozyten Inhibiert T-Zell-Proliferation
Methionin-Enkephalin
Lymphozyten
Stimuliert T-Zell-Proliferation und NK-Aktivita¨t
Substanz P
Lymphozyten
Stimuliert Zytokinproduktion und T-Zell-Proliferation
˜hnlich wie Hormone im klassischen Sinne knnen Neurotransmitter und Neuropeptide humorale und zellulre Immunfunktionen beeinflussen. Beim vom Nebennierenmark sezernierten Adrenalin und beim hauptschlich von postsynaptischen Neuronen des vegetativen Nervensystems freigesetzten Noradrenalin konnte gezeigt werden, da diese Katecholamine rezeptorvermittelt die B- und T-Zell-Reaktivitt, aber auch NK-Zell-Zahlen und -Funktionen innerhalb krzester Zeit modulieren knnen. Vernderungen im sympathischen Nervensystem oder b2-Rezeptor-Stimulation fhren kurzfristig zu einem Anstieg in der Zahl und Aktivitt der natrlichen Killerzellen in der Peripherie (Schedlowski et al. 1996). Parallel dazu konnte gerade in den letzten Jahren fr eine Reihe von Neuropeptiden wie Substanz P, vasoaktives Intestinalpolypeptid (VIP) und Enkephaline deren Einflu auf Funktionen des Immunsystems nachgewiesen werden. Lymphozyten exprimieren Rezeptoren fr endogene Opioide. Insbesondere fr das von der Hypophyse sezernierte Neuropeptid b-Endorphin konnten sowohl inhibitorische als auch stimulierende Effekte auf die T-Zell-Reaktivitt und NK-Zell-Aktivitt nachgewiesen werden. Da b-Endorphin auch von aktivierten Lymphozyten sezerniert wird und im Immunsystem autokrin und parakrin wirken kann, wird diesem Neuropeptid eine zytokinhnliche
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Wirkung zugeschrieben. Hormone, Neurotransmitter und Neuropeptide knnen direkt rezeptorvermittelt und/oder indirekt ber die Einflunahme auf die Zytokinsynthese die Immunantwort bei Infektionen oder Stre modulieren und weisen insgesamt auf die Rolle neuroendokriner Faktoren bei der Aufrechterhaltung der Homostase des Immunsystems hin. Der afferente Informationsweg wird im wesentlichen ber Zytokine und Zytokinrezeptoren gesteuert. Nach Antigenkontakt wird beispielsweise die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse aktiviert, und die peripheren Kortikosteronkonzentrationen steigen an. Insbesondere proinflammatorische Zytokine wie IL-1, IL-6, TNF(Tumornekrosefaktor)-a, aber auch IL-2 und IFN-c beeinflussen zentralnervse Prozesse (Abb. 1). IL-1 stimuliert im Gehirn wiederum die Produktion anderer Zytokine wie TNF-a durch Gliazellen und Astrozyten. Seit einigen Jahren ist bekannt, da Zytokine und Zytokinrezeptoren im Gehirn, insbesondere im Hippocampus und Hypothalamus, exprimiert werden.
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Abb. 1. Vereinfachte schematische Darstellung funktioneller Zusammenha¨nge zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem. ACTH adrenokortikotropes Hormon, GH Wachstumshormon, TSH Thyreotropin
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2 Klinische Implikationen Vor dem Hintergrund der intensiven Kommunikation zwischen Nervensystem und Immunsystem mten Vernderungen im Neurotransmitterhaushalt, ob genetisch, pharmakologisch oder durch psychische Stressoren induziert, den Verlauf von immunologischen Erkrankungen modulieren knnen. Neuere tierexperimentelle Studien zeigen, da eine berreaktivitt des zentralen dopaminergen Systems die Tumorentwicklung in der Peripherie verzgert. Nach Implantation von Tumorzellen bei Ratten mit einer genetisch bedingten dopaminergen Hyperreaktivitt fanden sich neben einem deutlich geringeren Tumorgewicht wesentlich mehr nekrotische Zellen, weniger Endothelzellen und ein geringerer Hmoglobingehalt im Tumorgewebe im Vergleich zu hyporeaktiven Tieren (Teunis et al. 2002). Auch Substanzen des sympathischen Nervensystems scheinen die Tumorentwicklung zu beeinflussen. Die Gabe von Metaproterenol, einem b-Agonisten, fhrte bei Ratten zu einer signifikanten Suppression der lytischen Aktivitt der NKZellen und begnstigte zudem das Wachstum experimentell induzierter Lungentumoren (Shakbar und Ben-Eliyahu 1998). Aber auch experimentell induzierter Stre fhrte im gleichen Krankheitsmodell zu einer signifikant verminderten Aktivitt der NK-Zellen und parallel dazu zu einer Verdoppelung der Lungenmetastasen. Heute ist gut dokumentiert, da unterschiedliche Belastungssituationen, wie das Handling der Tiere, soziale Separation oder elektrische Schocks bei Musen und Ratten, das Tumorwachstum und die Metastasierung begnstigen. Allerdings lassen sich diese Befunde nicht einfach generalisieren, da die strebedingte Tumorentstehung und Ausbreitung sowohl von der Art des Tumors als auch von der Qualitt, Quantitt, Dauer des applizierten Strestimulus und von der Zeitspanne zwischen Streexposition und pathogener Stimulation abhngig ist. Beim Menschen ist mittlerweile durch eine Vielzahl von Untersuchungen belegt, da Stre immunologische Funktionen verndert (Ader et al. 2001). Emotionale Belastungen erhhen die Infektionsanflligkeit der oberen Luftwege, und Erkltungskrankheiten nehmen in Abhngigkeit vom Ausma des berichteten psychischen Belastungsgrades zu (Cohen et al. 1991). Von besonderer Relevanz ist die Beobachtung, da die Wundheilung durch Stre signifikant verzgert ist (Kiecolt-Glaser et al. 1995). Auch ein Zusammenhang zwischen psychosozialen Faktoren und dem Verlauf von Krebserkrankungen scheint zu bestehen. Watson und Mitarbeiter (1999) verfolgten Brustkrebspatientinnen ber einen Zeitraum von fnf Jahren und fanden eine positive Korrelation fr Depression und Morbiditt und Hinweise dafr, da auch Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit mit Morbiditt assoziiert waren. Allerdings lassen sich durch korrelative Studien nur Zusammenhnge und gewisse Risikofaktoren darstellen, Schlsse ber UrsacheWirkungs-Relationen lassen sich daraus nicht ableiten.
15.7
Psychoneuroimmunologie
763
3 Interventionsstudien Im Rahmen von Interventionsstudien wird die Frage gestellt, ob sich immunologische Funktionen und somit Krankheitsverlufe durch psychologische oder soziale Interventionen positiv beeinflussen lassen. Dabei sollen psychische und soziale Belastungsfaktoren durch die Vermittlung von Stremanagementstrategien und den Aufbau sozialer Untersttzung reduziert werden. Ergnzend dazu kommen in der Regel auch Entspannungsverfahren, Meditation oder sportliche Aktivitten zum Einsatz. Eine Reihe von Untersuchungen konnte die positiven Effekte von gruppentherapeutischen Kombinationsbehandlungen aus Stremanagement und Entspannungsbungen auf Immunparameter demonstrieren. Beispielsweise lie sich bei HIV-infizierten Mnnern durch die Teilnahme an einem kognitiv-behavioralen Stremanagementprogramm das psychische und krperliche Wohlbefinden verbessern, gleichzeitig wurden die Herpes-Antikrpertiter und Kortisolkonzentrationen im Blut signifikant reduziert. Dabei waren die positiven Effekte der zehnwchigen Intervention bis zu zwlf Monate wirksam und frderten die Neubildung der naiven T-Zellen (Antoni et al. 2002). Bei Brustkrebspatientinnen milderte eine dreimonatige Gruppentherapie den Anstieg der NK-Zell-Zahlen im peripheren Blut nach einem experimentellen Stressor (hier: freie Rede) (van der Pompe et al. 2001). Leider lassen diese Befunde ber kurzfristige immunologische Effekte keine Schlsse auf die klinische Bedeutsamkeit und Prognose zu. Es ist anzumerken, da die direkten Effekte in Immunparametern nach behavioralen Interventionen eher schwach ausgeprgt sind und weiterer Forschungsbedarf bezglich der klinischen Relevanz dieser Effekte besteht. Werden ausschlielich die berlebensraten betrachtet, so fllt auf, da, obwohl psychosoziale Interventionen das emotionale Wohlbefinden wesentlich verbessern, sich dies nicht zwingend auf die berlebensrate auswirkt. Zudem ist die Zahl der Studien zu den langfristigen Effekten psychosozialer Interventionen auf den Krankheitsverlauf gering. Nach einer bersichtarbeit von Newell und Mitarbeitern (2002) gengten von 329 der publizierten Studien nur 34 den methodischen Anforderungen, und nur zehn analysierten berlebensraten und Immunparameter. Von diesen zehn zeigte die Hlfte keine Effekte nach psychosozialen Interventionen auf die berlebensrate. Bei 158 Brustkrebspatientinnen brachte eine einjhrige Gruppentherapie zwar eine Verbesserung der subjektiven Befindlichkeit und der Schmerzwahrnehmung, jedoch fanden sich keine signifkanten Unterschiede in der 6-Jahres-Katamnese bezglich der berlebensrate im Vergleich zur Kontrollgruppe (N = 77) (Goodwin et al. 2001). Dagegen ergab eine Interventionsstudie mit Mammakarzinompatientinnen, bei der einmal wchentlich ber einen Zeitraum von zehn Wochen autogenes Training und Stre-
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Immuntherapie
bzw. Krankheitsbewltigungstraining durchgefhrt wurden, sowohl einen kurz- als auch einen lngerfristigen Anstieg der absoluten Lymphozytenzahlen im Blut (Schedlowski et al. 1994). Hinweise auf lngerfristige Auswirkungen von psychosozialen Interventionen auf den klinischen onkologischen Status, Krankheitsverlauf und die berlebenszeit kommen von einer prospektiven Studie mit Brustkrebspatientinnen (Spiegel et al. 1989). Die Patientinnen der Therapiegruppe trafen sich fr ein Jahr einmal wchentlich. Nach zehn Jahren fand sich eine doppelt so hohe berlebensrate in der Gruppe der psychosozial betreuten Patientinnen im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe. Da keiner der vor der Untersuchung erhobenen psychologischen Parameter eine signifikante Prdiktorvariable fr die berlebenszeit darstellte, wurden die Effekte auf die Intervention zurckgefhrt (psychosoziale Untersttzung, Gefhle und ˜ngste ausdrkken, bewuteres Umgehen mit der Krankheit). Die Arbeitsgruppe um Fawzy beobachtete ebenfalls eine signifikant verlngerte berlebenszeit bei Melanompatienten 5…6 Jahre nach einer psychiatrischen Intervention im Vergleich zur Kontrollgruppe (Fawzy et al. 1993).
4 Perspektiven Psychoneuroimmunologische Forschung demonstriert das enge Zusammenspiel zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Humorale und zellulre Immunfunktionen knnen beim Menschen und im Tiermodell durch pharmakologische Behandlung oder behaviorale Methoden beeinflut werden, und eine Reihe von Untersuchungen liefern Hinweise fr eine Modulation immunologischer Funktionen durch psychosoziale Interventionen. In diesem Zusammenhang sind psychosoziale Interventionen als palliative Behandlungsform bei onkologischen oder anderen schweren krperlichen Erkrankungen als Teil eines Gesamttreatments zur Verbesserung von psychologischen Funktionen und der Lebensqualitt zu betrachten, die jedoch als eigenstndige alternative Behandlungsform nicht in Frage kommen. In Zukunft wird die psychoneuroimmunologische Forschung behaviorale Methoden und Techniken weiterentwickeln und sie dahingehend analysieren mssen, ob und inwieweit sie Erkrankungen mit immunologischen Bezug beeinflussen knnen. Literatur Ader R, Felten DL, Cohen N (Hrsg.) (2001) Psychoneuroimmunology. (3rd ed). Academic Press, San Diego Antoni MH, Cruess DG, Klimas N et al (2002) Stress management and immune system reconstitution in symptomatic HIV-infected gay men over time: effects on transitional naive T cells [CD4(+)CD45RA(+)CD29(+)]. Am J Psychiatry 159:143…145
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Psychoneuroimmunologie
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16.1 Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese N. Schleucher, U. Vanhoefer Der Proze der Tumorneoangiogenese beschreibt die Neubildung von Gefen, die zur Homostase eines neoplastischen Zellverbandes notwendig sind.
1 Molekulare Grundlagen Tumorzellverbnde unterhalb einer Gre von 0,5 cm werden durch Diffusion aus der Umgebungsstruktur ernhrt und bentigen keine eigenen Gefe zur Sicherstellung des tumoralen Stoffwechsels. Bei proliferativer Aktivitt des Tumorzellverbandes kommt es jedoch zu zunehmender Hypoxie, Hypoglykmie und Azidose. Es kommt durch Einsprossung von Blutgefen zum sogenannten „angiogenic switch“, d.h zur Aktivierung eines prmalignen Zellverbandes zum malignen Tumor. Dazu wird von den neoplastischen Zellen VEGF (Vascular Epidermal Growth Factor) gebildet. Aktuell sind mindestens fnf Isoformen des VEGF-Molekls bekannt, die als VEGF-A, VEGF-B, VEGF-C, VEGF-D und VEGF-E bezeichnet werden. Dabei ist VEGF-A das fr die endotheliale Proliferation und Angiogenese wichtigste Molekl mit der hchsten Bindungsaffinitt zu den VEGF-Rezeptoren (VEGFR-1 und VEGFR-2). Ebenso ist VEGF-A verantwortlich fr eine erhhte vaskulre Permeabilitt. Seine Freisetzung wird vor allem durch tumorale Hypoxie bewirkt. VEGF-B ist strukturell VEGF-A sehr hnlich, weist aber eine stabile Expression auf und ist vor allem fr die kardiale Angiogenese von Bedeutung. Die biologische Bedeutung von VEGF-C und -D ist nur zum Teil bekannt. Beide Faktoren werden bei der Neubildung von Lymphgefen bentigt. Die VEGF-Isotypen knnen verschiedene Homo- und Heterodimere bilden (z.B. VEGF-A-Homodimere oder Heterodimere mit VEGF-B oder PIGF [Placenta Growth Factor]). Die VEGF-Rezeptoren (VEGFR-1, VEGFR-2 und VEGFR-3) stellen transmembranse Molekle dar, an die VEGF-Homodimere oder -Heterodimere
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Tabelle 1. VEGF-Familie und VEGF-Rezeptoren Rezeptor
VEGF
Funktion
VEGFR-1 (Flt-1)
VEGF-A VEGF-B PIGF
Angiogenese
VEGFR-2 (Flk-1, KDR)
VEGF-A VEGF-C VEGF-D VEGF-E
Angiogenese (Lymphangiogenese)
VEGFR-3 (Flt-4)
VEGF-C VEGF-D
Lymphangiogenese
PIGF: Placenta Growth Factor
via extramembranse Rezeptordomnen binden und eine sterische Konformationsnderung induzieren. Durch diesen Proze wird an der intramembransen Domne eine Bindungsstelle fr energiereiches Phosphat freigesetzt, und es erfolgt die Aktivierung der Signaltransduktionskaskade. Diese mndet in die Aktivierung des tumorumgebenden Gefendothels, die Basalmembran der Gefzellen wird degradiert und der Proliferationsindex der Endothelzellen steigt. Es kommt zur Invasion und Migration in die Gefumgebung in Richtung des Tumorzellverbandes, bis dieser von neugebildeten Gefen erreicht wird. Die Stabilisation des Gefes wird durch einsprossende Fibroblasten gewhrleistet, die durch den Fibroblast Growth Factor (FGF) induziert wird. Weitere Bedeutung kommt dem Platelet Derived Growth Factor (PDGF) zu, der die VEGF-Rezeptor-Dichte am aussprossenden Gef erhht. Whrend der VEGFR-1 (Flt-1) vor allem VEGF-A, VEGF-B und PIGF bindet und fr die Modulation von Gefen verantwortlich ist, bindet der VEGFR-2 (Flk-1 oder KDR) VEGF-A, aber auch VEGF-C, VEGF-D und VEGF-E und ist wahrscheinlich der wesentliche Mediator fr die pathologische Neoangiogenese. Der VEGFR-3 (Flt-4) bindet VEGF-C und VEGF-D und ist, obwohl er in allen Blutgefen ursprnglich gebildet wird, vor allem fr die Lymphangiogenese von Bedeutung (Tabelle 1). Die Unterbindung der VEGF-assoziierten Signaltransduktionskaskade kann prinzipiell erfolgen durch (Scappaticci 2002): F F F
neutralisierende Antikrper, die gegen VEGF im Serum gerichtet sind (Neutralisation von VEGF durch Antigen-Antikrper-Reaktion), VEGF-Trap, kompetitive Blockade des VEGF-Rezeptors,
16.1 F
Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese
769
„kleine Molekle“, die als Inhibitoren der Phosphatbindung (Tyrosinkinaseinhibitoren) an der intramembransen VEGF-Rezeptordomne wirken; hierbei werden verschieden hohe Bindungsaffinitten der Substanzen zu den verschiedenen VEGF-Rezeptoren nachgewiesen.
2 Klinische Bedeutung Die VEGF-abhngige Signaltransduktionskaskade spielt wahrscheinlich bei vielen Tumorentitten eine wesentliche Rolle (z.B. gastrointestinale Tumoren, Nierenzellkarzinom, Bronchialkarzinome). Bei Patienten mit sophaguskarzinomen konnte gezeigt werden, da hohe VEGF-Spiegel mit Tabelle 2. Angiogeneseinhibitoren (Auswahl) Substanz
Angriffspunkt
Klinischer Entwicklungsstatus
Bevacizumab
VEGF-A
In den USA zugelassen (CRC)
IMC-II2Ib
VEGFR-2
Phase I
VEGF-A
In Phase I und II
PTK787/ZK22854
VEGFR-1 VEGFR-2, VEGFR-3, PDGFR, c-Kit
Phase III abgeschlossen (CRC)
ZD6474
VEGFR-2, EpidermalGrowth Factor[EGF]-Rezeptor
Phase I
SU11248
VEGFR-1 VEGFR-2, PDGFR, c-Kit, Flt-3, c-Fms
Phase III
AZP2171
VEGFR-1 VEGFR-2, VEGFR-3
Phase I
Monoklonale Antiko¨rper
Fusionsprotein VEGF-Trap (chima¨res Fusionsprotein) Rezeptortyrosinkinaseinhibitoren
Direkte Inhibitoren der endothelialen Proliferation Thalidomid
Reduktion der TNF-aBildung
In den USA zugelassen (MM)
Angiostatin
Mechanismus nicht gekla¨rt
Phase I
Combretastatin
Degradierung der Mikrotubulinstuktur von Endothelzellen
Phase II
ZD6126
Degradierung der Mikrotubulinstuktur von Endothelzellen
Phase I
CRC: kolorektales Karzinom, MM: multiples Myelom
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
einem fortgeschrittenen Erkrankungsstadium bei Diagnosestellung korrelieren und mit einer schlechteren Prognose assoziiert sind (Shimada et al. 2001). Derzeit werden verschiedene klinische Anstze der Angiogenese-Blockade verfolgt (Tabelle 2). 2.1 Anti-VEGF-Antiko¨rper Bevacizumab (AvastinTM) ist ein rekombinanter, humanisierter monoklonaler Antikrper gegen das im Serum zirkulierende VEGF-A-Molekl (nicht gegen die VEGF-Rezeptoren). Als Wirkmechanismus gilt die Neutralisation von VEGF-A im Serum durch Antigen-Antikrper-Komplexbildung. Seine Plasmahalbwertszeit betrgt ca. 17…21 Tage. Prklinisch erstreckt sich die antitumorale Wirksamkeit auf eine Reihe von Zellmodellen und Xenografts (z.B. Kolon-, Bronchial-, Mamma- und Pankreaskarzinom). Dabei zeigte sich ein Synergismus mit verschiedenen zytotoxischen Substanzen (z.B. Taxane, Vincaalkaloide). Erste positive klinische Daten wurden von Kabbinavar et al. (2003) fr Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom publiziert. Im Rahmen einer randomisierten Phase-II-Studie wurde ein 5-Fluorouracil/Folinsure-haltiger Referenzarm (Roswell-Park-Protokoll) durch zwei Dosierungen Bevacizumab (5 bzw. und 10 mg/kg) ergnzt. In beiden Therapiearmen mit dem Antikrper Bevacizumab waren die Remissionsraten, das progressionsfreie und auch das Gesamtberleben besser als im Referenzarm. Auf die positiven Ergebnisse der randomisierte Phase-IIIStudie zur Erstlinientherapie bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom, bei der Bevacizumab zum sog. IFL-Regime (Bolus mit 5-Fluorouracil/Folinsure/Irinotecan) hinzugegeben wurde, wird im Detail spter eingegangen. 2.2 Anti-VEGF-Rezeptor-Antiko¨rper Im Gegensatz zu den o.g. Substanzen sind Anti-VEGF-Rezeptor-Antikrper erst in der frhen klinischen Entwicklung. So zeigten sich fr die Substanz DC101, bei der es sich um einen monoklonalen Anti-VEGF-2-Rezeptor-Antikrper handelt, synergistische Interaktionen gegenber humanen Pankreas- und Weichteilsarkom-Xenografts in Kombination mit einer konventionellen Chemotherapie (Bruns et al. 2002; Zhang et al. 2002). Auch fr die Substanz IMC-1C11 sind erste positive Daten an humanen Leukmiexenografts beschrieben. 2.3 Fusionsproteine (VEGF-Trap) Eine Verbesserung bedeutet mglicherweise die Substanz VEGF-Trap, bei der es sich um ein Fusionsprotein von Schlsseldomnen der VEGF-Rezep-
16.1
Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese
771
tor-Familie handelt. Bei VEGF-Trap sind die Bindungsdomnen des VEGF1-Rezeptors und des VEGF-2-Rezeptors mit der Fc-Region des humanen Immunglobulins IgG fusioniert, so da ein lslicher Rezeptor vorliegt. Die resultierende Bindungsaffinitt zum VEGF-A-Molekl ist etwa 100fach hher als die Bindungsaffinitt von Bevacizumab. Zudem werden neben VEGF-A und -B auch VEGF-C und -D gebunden. VEGF-Trap befindet sich zur Zeit in der Phase-I/II-Evaluation (Dupont et al. 2003) 2.4 Rezeptortyrosinkinaseinhibitoren Rezeptortyrosinkinaseinhibitoren sind kleine Molekle, die nach Permeation der Zellmembran via kompetitive Anbindung an die Phosphatbindungsstelle der intramembransen Tyrosinkinasedomne den VEGF-Rezeptor hemmen. Dadurch wird die proangiogenetische Signaltranduktionskaskade unterdrckt. Semaxanib wurde als erster Angiogeneseinhibitor im Rahmen einer randomisierten Phase-III-Studie bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom eingesetzt. In dieser Studie wurde als Referenztherapie das wchentliche Roswell-Park-Regime mit 5-Fluorouracil-Bolus eingesetzt und durch Semaxanib ergnzt. Dabei wurde Semaxanib in einer Dosis von 145 mg/m2 zweimal wchentlich i.v. appliziert. Insgesamt wurden ber 800 Patienten randomisiert. Nach der Interimsanalyse von 355 Patienten zeigten sich jedoch vergleichbare Remissionsraten (14% fr 5-FU/Folinsure vs. 12% fr 5-FU/Folinsure/Semaxanib), die mediane berlebenszeit war jedoch in der Semaxanib-Gruppe schlechter (73 Wochen fr 5-FU/Folinsure vs. 54 Wochen fr 5-FU/Folinsure/Semaxanib). Auch die Rate an unerwnschten Ereignissen war fr Semaxanib-behandelte Patienten mit 72% hher als im Referenzarm mit 48%. Aufgrund dieser Daten hat Semaxanib heute keine klinische Bedeutung mehr. Auch der orale VEGF-, PDGF- und FGF-Tyrosinkinaseinhibitor SUGEN 6668 zeigte in verschiedenen Studien keine klinische Aktivitt. Bei der Substanz PTK787/ZK222584 handelt es sich um ein oral applizierbares Aminophthalazinderivat, das bereits 2 Stunden nach Einnahme vollstndig resorbiert wird. Neben den VEGFR-Tyrosinkinasen (VEGF-Rezeptoren 1 bis 3) werden auch die PDGF- und c-kit-abhngigen Tyrosinkinasen inhibiert. In Phase-I-Studien wurde eine tgliche Dosis von 1250 mg ermittelt. Derzeit wird die Substanz in Kombination mit dem FOLFOX-Protokoll sowohl in der Erstlinienbehandlung von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (CONFIRM-1-Studie) als auch in der Zweitlinientherapie nach einer 5-FU/Folinsure/Irinotecan-Vorbehandlung (CONFIRM-2-Studie) klinisch in Phase-III-Studien evaluiert.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
2.5 Combretastatin, Endostatin, Matrix-Metalloproteinaseinhibitoren u.a. Als weiteres antiangiogenetisches Therapieprinzip gilt neben der Inhibition der VEGF-assoziierten Signaltransduktionskaskade die Destruktion bereits existierender Tumorgefe. Combretastatin und Derivate degradieren die Mikrotubulinstuktur proliferierender Tumorendothelzellen und reduzieren hierbei die Tumorperfusion. Dabei nimmt bereits 24 Stunden nach Gabe von Combretastatin die Tumorperfusion um mehr als 90% ab. Da gleichzeitig auch der tumorale Blutefflux reduziert wird, kommt es zur intrazellulren Akkumulation (Trapping) von zeitgleich verabreichten Zytostatika oder Radiopharmaka (auch bei hoher Tumorlast). Combretastatin und dessen Derivate werden derzeit klinisch entwickelt (Pedley et al. 2001). Die Polypeptide Angiostatin und Endostatin sind Inhibitoren der endothelialen Proliferation und induzieren Apoptose in Endothelzellen. Angiostatin ist ein 38-kD-Plasminogenfragment aus etwa 200 Aminosuren, das an die membrangebundene ATP-Synthase der Endothelzellen bindet. Das Molekl wurde erstmals aus Serum und Urin von Nacktmusen mit transplantierten Lewis-Lungenkarzinomzellen isoliert (O‘Reilly et al. 1994). Endostatin besteht aus 184 Aminosuren und ist ein 20-kD-Fragment des C-terminalen Endes des Kollagen-XVIII-Molekls. Beide Substanzen wirken angiostatisch auf Tumorgefe und sind gleichzeitig nicht angiotoxisch fr Wirtsgefe. In prklinischen Modellen reduzieren beide Substanzen die Tumorgefdichte um ca. 85% bereits 12 Stunden nach Applikation und induzierten Tumorregressionen in verschiedenen Xenografts (Cao 1999). Eine vergleichbare klinische Aktivitt konnte jedoch bislang nicht nachgewiesen werden (Eder et al. 2002). Matrix-Metalloproteinase(MMP)-Inhibitoren: Bei der neoplastischen Angiogenese degradieren Matrix-Metalloproteinasen die extrazellulre Matrix und begnstigen so die Aussprossung von Gefen. Dabei korreliert die Expression der MMPs mit der Invasivitt des Tumorzellverbandes und mit der Prognose der Patienten. Als MMP-Inhibitoren sind Marimastat, Prinomastat (AG3340) klinisch entwickelt worden. Neovastat (AE941) ist ein Haifischknorpelextrakt, der neben MMPs auch den VEGF-2-Rezeptor inhibiert und die endotheliale Apoptose induziert. In Subgruppenanalysen bei Patienten mit Nierenzellkarzinomen und nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomen konnten erste positive Daten in Phase-II-Studien erhoben werden. So ermittelten Batist et al. (2002) bei Patienten mit zytokinrefraktren Nierenzellkarzinomen Ansprechraten von 14,3%, ein medianes berleben von 16,3 Monaten und ein 2-Jahres-berleben von 36%. Die Ergebnisse der entsprechenden Phase III stehen aktuell noch aus (Escudier et al. 2003). Die Wirkmechanismen von Thalidomid als Angiogeneseinhibitor sind in ihrer gesamten Komplexitt noch nicht vollstndig bekannt. Neben der
16.1
Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese
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Tabelle 3. Toxizita¨tsspektren der Angiogeneseinhibitoren Substanz
Symptome
Semaxanib
Kopfschmerzen, Thrombosen, Nausea, Emesis
PTK787/ZK222584
Hypertension, Fatigue, ZNS-Symptome (Schwindel, Konzentrationssto¨rungen)
Bevacizumab
Hypertonie, Proteinurie, Fatigue, Blutungen
VEGF Trap
Hypertonie, Proteinurie, Fatigue
Combretastatin
Hypertonie
Angiostatin
Hautro¨tung, Sepsis
Endostatin
Hautro¨tung, Sepsis
Marimastat
Muskelschmerzen, Knochenschmerzen, Thrombosen, Nausea
Prinomastat
Muskelschmerzen, Knochenschmerzen, Thrombosen, Nausea
Neovastat
Nausea, Emesis, Anorexie, Dyspepsie
Thalidomid
Polyneuropathie, Obstipation, Fatigue, Thrombosen, Hypothyreose, Sedierung
Inhibition der Angiogenese und der Induktion eines G1-Zellzyklusarrestes werden der Substanz DNS-schdigende Eigenschaften und Alterationen bei der Expression von Adhsionsmoleklen zugerechnet. Letzteres scheint einer der Hauptwirkmechanismen bei der Behandlung des refraktren oder rezidivierten multiplen Myeloms zu sein. Einen detaillierten berblick ber die Toxizitten verschiedener Angiogeneseinhibitoren gibt Tabelle 3. Literatur Barlogi B (2000) Thalidomide in the management of multiple myeloma: the Arkansas experience in > 300 patients with single agent and combination chemotherapy. Proc Am Soc Clin Oncol 19: abstr. 28 Batist G, Champagne P, Hariton C et al (2002) Dose-survival relationship in a phase II study of Neovastat in refractory renal cell carcinoma patients. Proc Am Soc Clin Oncol 21: abstr. Bramhall SR, Rosemurgy A, Brown PD et al (2001) Marimastat as first-line therapy for patients with unresectable pancreatic cancer: a randomized trial. J Clin Oncol 19:3447…3455 Bruns CJ, Shrader M, Harbison MT et al (2002) Effect of the vascular endothelial growth factor receptor-2 antibody DC101 plus gemcitabine on growth, metastases and angiogenesis of human pancreatic cancer growing orthotopically in nude mice. Int J Cancer 102:101…108
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
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Inhibition der Tumorangiogenese und Neoangiogenese
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16
16.2 Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz U. Keilholz, U. Vanhoefer Die Zytostatikaresistenz maligner Zellen ist ein Hauptproblem der zytostatischen Chemotherapie maligner Tumoren und hmatologischer Systemerkrankungen. Dabei werden die zellkinetische Resistenz, die auf dem Proliferationsverhalten beruht, und die zellula¨re Resistenz, die durch pharmakologische und biochemische Besonderheiten charakterisiert ist, voneinander unterschieden. Die zellkinetische Resistenz hat ihre Ursache darin, da maligne Zellen bestimmter Tumorentitten zu rasch proliferieren knnen, so da sie in dem Intervall zwischen zwei Chemotherapieanwendungen eine ausreichende Erholung von der zytostatischen Wirkung zeigen und erneut proliferieren. Da die malignen Zellen hufig genetisch instabil sind, kann in dieser Situation eine sekunda¨re zellula¨re Resistenz entstehen. Subpopulationen der Tumorzellen, die besonders wenig auf die zytostatische Behandlung reagieren, machen nach mehreren Therapiezyklen den prdominanten Anteil der malignen Zellen des Tumors aus. Die zellula¨re Resistenz kommt primr oder sekundr vor. Bei der prima¨ren zellula¨ren Resistenz sind Tumorzellen bereits vor jeder Vorbehandlung resistent, bei der sekunda¨ren Zytostatikaresistenz wird die Resistenz erst durch chemotherapeutische Vorbehandlung (oder auch strahlentherapeutische Vorbehandlung) induziert. Die wichtigsten allgemeinen Mechanismen der zellulren Zytostatikaresistenz sind in Tabelle 1 zusammengefat. Ausgangspunkt fr die Identifizierung und Charakterisierung der fr die einzelnen Zytostatika spezifischen Formen der Resistenz sind In-vitro-Untersuchungen an Zellkulturen, in denen durch langsam steigende Konzentrationen der Zytostatikaexposition eine spezifische Resistenz induziert worden ist. Die Folge dieser schrittweisen Resistenzinduktion kann eine spezifische Zytostatikaresistenz sein, die sich nur gegen eine Substanz oder Substanzgruppe richtet, oder auch eine breite Zytostatikaresistenz, die sog. Multidrugresistenz (MDR). Im Folgenden sind die Multidrugresistenz (MDR) in ihrer klassischen und atypischen, durch Alteration der Topoisomerasen vermittelten Form (at-MDR) und die verschiedenen Mechanismen der Resistenz gegen Alkylanzien und Antimetaboliten als gegenwrtig am besten charakterisierte Formen der Zytostatikaresistenzen bezglich Wirkungsmechanismus, mglicher klinischer Bedeutung und Ansatzpunkten fr eine Modulation beschrieben. Auf spezifische Resistenzmechanismen gegen einzelne Molekle in Kapitel 30.1 wird verwiesen.
16.2
Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz
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Tabelle 1. Wichtigste Mechanismen zellula¨rer Zytostatikaresistenzen *
Verminderte zellula¨re Aufnahme:
multiple Mechanismen
*
Erho¨hter Efflux:
Membranpumpen, z.B. P-Glykoprotein und MRP
*
Verminderte Aktivierung:
von Bedeutung bei Zytostatika, die als Prodrug gegeben werden
*
Erho¨hte Inaktivierung:
Metabolismus oder Bindung an intrazellula¨re Moleku¨le, Sequestrierung
*
Reparatur gescha¨digter Zielmoleku¨le: z.B. DNS-Reparatur
*
Erho¨hte Bildung gescha¨digter zellula¨rer Moleku¨le:
multiple Mechanismen, Genamplifizierung, gesteigerte Genexpression
*
Hemmung Apoptose-assoziierter Signalwege:
multiple Mechanismen (z.B. gea¨nderte Expression oder Aktivierung von BCL-2, p53, AKT)
*
Vera¨nderung der Zielmoleku¨le:
Punktmutationen, trunkierte Rezeptoren, Fusionsmoleku¨le
1 Transportassoziierte Multidrugresistenz 1.1 Definition und Wirkungsmechanismus Als klassische Multidrugresistenz wird die Resistenz maligner Zellen gegen strukturell vllig unterschiedliche Zytostatika bezeichnet, die auf ihrem energieabhngigen Export aus den Zellen beruht. Das Molekl, dessen Bedeutung fr diesen Mechanismus als erstes entdeckt wurde, ist das P-Glykoprotein. Dieses Membranprotein mit einem Molekulargewicht von 170 000 wird durch das MDR1-Gen kodiert, das auf dem Chromosom 7q21.1 lokalisiert ist. Es formt als Homodimer einen Kanal, durch den Xenobiotika aus der Zelle exportiert werden knnen. Der durch diesen Homodimer gebildete Kanal verfgt ber zwlf in der Zellmembran gelegene hydrophobe Domnen und zwei am hydrophilen Carboxylende intrazellulr lokalisierte ATPBindungsstellen. Entsprechend der hohen Homologie mit Transportproteinen bei Bakterien ist der durch P-Glykoprotein vermittelte Detoxifikationsmechanismus phylogenetisch alt. Dementsprechend ist seine Substratspezifitt gering, und es wird in normalen Geweben exprimiert, die entweder einen hohen Fremdstoffwechsel haben oder denen eine besondere Schutzfunktion zukommt, wie z.B. Nebennierenrinde, proximaler Nierentubulus, Gallengangsepithel, Darmschleimhaut und in den Blutgefen der BlutHirn-Schranke. Die Korrelation der Expression des Oberflchenmarkers CD34 und des P-Glykoproteins in normalen Knochenmarkstammzellen hat auerdem zu der Hypothese gefhrt, da das Transportprotein in Stammzellen eine Schutzfunktion hat, die im Zuge der weiteren Differenzierung verlorengehen kann.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Die Zytostatika, die Substrate fr P-Glykoprotein sind, gehren verschiedenen Klassen an, wie die Anthrazykline, die Vincaalkaloide, die Epipodophyllotoxine, die Taxane, Mitoxantron und Actinomycin D. Ihr gemeinsames Strukturmerkmal besteht in einem aromatischen oder heteroaromatischen Ringsystem. Auerdem sind die meisten dieser Substanzen bei physiologischem pH-Wert positiv geladen und haben hydrophobe Gruppen. Ein dem P-Glykoprotein verwandtes Molekl ist das Multidrug-RelatedProtein (MRP), das durch das MRP1-Gen kodiert wird, welches auf dem Chromosom 16/16p13.1 liegt. MRP bildet ebenfalls einen transmembransen Kanal, der ATP-abhngig Substanzen aus der Zelle exportiert. Ebenso wie das P-Glykoprotein ist das MRP (oder andere Familienmitglieder der ABC-Membrantransporter) an physiologischen Funktionen beteiligt (z.B. Blut-Liquor-Schranke, cholangiozellulre Expression von cMOAT). Die Substratspezifitt von MRP ist der des P-Glykoproteins hnlich (z.B. Etoposid, Vincristin), aber nicht komplett kongruent. Fr einzelne Zytostatika bestehen vor allem quantitative Unterschiede in der Effizienz des Membrantransportes (z.B. Taxane).
Abb. 1. Mechanismen der zellula¨ren Resistenz maligner Zellen (C Zytostatikum, C* aktivierter Metabolit, Cinaktiv inaktiver Metabolit, T zellula¨res Zielmoleku¨l, T* gescha¨digtes zellula¨res Zielmoleku¨l, Tresistent resistentes zellula¨res Zielmoleku¨l)
16.2
Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz
779
Der dritte Transportmechanismus, der in diesem Zusammenhang genannt werden mu, sind kleine submikroskopische Zellorganellen, sog. „vaults“. Diese fahnlichen Strukturen bestehen aus drei Proteinen und enthalten eine Funktions-RNS. Das grte Protein ist das sog. Lung-Resistance-Protein (LRP), das auch als „major vault protein“ bezeichnet wird und erstmals in zytostatikaresistenten Bronchialkarzinomzellen entdeckt wurde. Die „vaults“ wurden erst Anfang der 90er Jahre elektronenmikroskopisch entdeckt und sind in ihrer Funktion noch sehr ungengend charakterisiert. Auffllig ist jedoch, da Vaults in Nervenzellen hoch exprimiert sind und hier wahrscheinlich fr den Transport von Neurotransmittern von nukleusnahen Strukturen zu den teilweise weit entfernten Synapsen verantwortlich sind. Auch sonst sprechen viele Hinweise dafr, da Vaults nukleozytoplasmatischen Transport bewerkstelligen. Zellen mit einer hohen Expression von LRP zeichnen sich durch eine breite Zytostatikaresistenz aus, die im Gegensatz zu den Membrantransportproteinen P-Glykoprotein und MRP auch eine Resistenz gegen Platinderivate umfat. Als bersicht sind in Abbildung 1 die drei Transportmechanismen zusammengefat. 1.2 Klinische Bedeutung Zustzliche Arbeiten weisen auf eine mgliche Abhngigkeit der Multidrugresistenz von Mutationen des Tumorsuppressorgen p53 hin. Whrend der Wildtyp p53 die MDR1-Expression von P-Glykoprotein anscheinend unterdrckt, gibt es Hinweise darauf, da der MDR1-Promoter durch die p53-Mutante stimuliert wird, so da MDR1 whrend der Tumorprogression assoziiert mit p53 und dem ras-Onkogen aktiviert werden kann. Insgesamt mu in weiteren Untersuchungen geklrt werden, bei welchen Neoplasien diese Transportmechanismen eine eigenstndige prognostische Bedeutung haben oder ob sie als Begleitphnomen im Zusammenhang mit oder bedingt durch andere grundlegende genotypische Vernderungen bei der Progression maligner Zellen zu hherer Aggressivitt auftritt. In pra¨klinischen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen der MRPvermittelten Transportfunktion fr bestimmte Zytostatika und den zellulren Glutathionkonzentrationen nachgewiesen werden. In vitro und in vivo fhrt die Hemmung der De-novo-Biosynthese von Glutathion (GSH) durch l-Buthionin-Sulfoximin (l-BSO) zu einer selektiven Hemmung der MRP-assoziierten Resistenz gegenber Anthrazyklinen, Etoposid und Vincaalkaloiden, whrend der Transport von Calcein nicht beeinflut wird. Ebenso konnte der ATP-abhngige Transport bestimmter endogener GSH-Konjugate (Leukotrien C4 [LTC4]) sowie von Xenobiotika-GSH-Konjugaten (z.B. Glutathionyl-Melphalan) ber MRP nachgewiesen werden.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
1.3 Nachweis der Transportproteine in malignen Zellen Der Nachweis von P-Glykoprotein und die Assoziation mit Multidrugresistenz ist am besten etabliert. Prinzipiell knnen nachgewiesen werden: F F F
die Expression des MDR1-Gens mittels rtPCR, die Proteinexpression auf der Zellmembran mittels mononuklearer Antikrper in der Durchfluzytometrie, der Efflux von Anthrazyklinen, die fluoreszierende Eigenschaften haben, ebenfalls in der Durchfluzytometrie.
Der Nachweis des Effluxes von Anthrazyklinen scheint am besten mit der tatschlichen Zytostatikaresistenz zu korrelieren. Dies kann daran liegen, da P-Glykoprotein als Membrantransporter teilweise trotz Nachweises des Proteins mittels Antikrpernachweis in der Funktion gestrt ist. Es kann aber auch daran liegen, da die Effluxmessungen nicht P-Glykoprotein-spezifisch sind, da auch der MRP-Kanal Anthrazykline aus der Zelle transportiert. Der Nachweis von MRP wird entweder mittels rtPCR (Genexpression) oder mittels Antikrperfrbung des membranstndigen MRP (Durchfluzytometrie oder Immunhistologie) gefhrt. Vaults lassen sich bislang nur elektronenmikroskopisch gut nachweisen. In jngster Zeit wurden Antikrper gegen LRP, das „major vault protein“, entwickelt, die immunhistologisch oder durch intrazytoplasmatische Frbung auch zytometrisch die Proteinbestimmung erlauben. Ebenso wurden rtPCR-Systeme zur Genexpressionsanalyse entwickelt. Fr alle drei transportabhngigen Prozesse gibt es Beispiele, in denen bei bestimmten Tumorentitten die Expression der Molekle mit Multidrugresistenz assoziiert ist, jedoch ist entgegen der frheren Hoffnung die Bedeutung dieser Resistenzmechanismen nicht alleine entscheidend fr eine Zytostatikaresistenz, sondern es kommen in der Regel die anderen in Tabelle 1 genannten Mechanismen zustzlich zum Tragen. Wahrscheinlich sind aus diesem Grund die bisher entwickelten Anstze zur Blockade der Transportvorgnge bislang klinisch nicht relevant geworden. 1.4 U¨berwindung der Multidrugresistenz Seit Anfang der 80er Jahre ist aus In-vitro-Untersuchungen bekannt, da der durch P-Glykoprotein vermittelte Efflux der Zytostatika durch Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp gehemmt werden kann. Inzwischen sind eine Reihe dieser Substanzen z.T. in ihrer kardiovaskulr deutlich nebenwirkungsrmeren Form der entsprechenden reinen Enantiomere, wie z.B. Dexverapamil oder Dexniguldipin, entwickelt und klinisch untersucht worden. Zustzlich wurden weitere Modulatoren der P-Glykoprotein-Resistenz aus ganz unterschiedlichen Medikamentengruppen entdeckt und in der Klinik erprobt (Tabelle 2).
16.2
Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz
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Tabelle 2. Korrelation zwischen In-vitro- und Plasmakonzentrationen von Modulatoren der Multidrugresistenz Modulator
Optimale In-vitro-Konzentration [lmol/l]
Klinisch erreichbare Plasmakonzentration [lmol/l]
1. Generation Verapamil Chinidin Ciclosporin A Tamoxifen
6–10 4–6 5 10
1–2 3–10 2–7 6
2. Generation Dexverapamil Dexniguldipin PSC-833
6–10 0,5–1 0,5–1
7 0,5 2–4
3. Generation GG918
0,1
?
Die bisherigen Ergebnisse der klinischen Studien sind enttuschend. Zudem ist fr den Fall, da sich je eine wirksame Modulation der Multidrugresistenz in der Klinik etablieren liee, aus In-vitro-Untersuchungen zu erwarten, da die Entwicklungen einer tertiren Resistenz gegen die Kombination von Zytostatikum und Modulator zu einer nchsten Herausforderung werden kann. Daher ist es derzeit vllig offen, ob die Inhibition eines spezifischen Transportmolekls jemals zu einem klinisch signifikant besseren Ansprechen einer Tumorentitt auf Chemotherapie fhren wird.
2 Resistenz gegen Topoisomeraseinhibitoren (atypische Multidrugresistenz) 2.1 Definition und Wirkungsmechanismus DNS-Topoisomerasen sind Enzyme der Zellkernmatrix mit essentieller Bedeutung fr die Zellteilung. Sie fhren zur prmitotischen ˜nderung des topologischen Zustands der DNS durch Induktion von DNS-Strangbrchen und sind beteiligt an der Trennung der Schwesterchromatide und der Neuordnung chromosomaler Strukturen nach der Mitose. Ferner scheinen sie in die Transkription und die DNS-Reparatur involviert zu sein. Bisher sind bei Eukaryonten 2 Formen der Topoisomerase bekannt: F
Topoisomerase I (Topo I): ein Monomer mit einem Molekulargewicht von 100 000. Die kodierenden Gene liegen auf Chromosom 20q. Das Enzym induziert Einzelstrangbrche. Es arbeitet unabhngig von ATP. Eine Abhngigkeit der Enzymaktivitt vom Zellzyklus ist nicht gesichert.
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Topoisomerase II (Topo II): ein Homodimer mit den Isoformen a (MG 170 000, Chromosom 17q) und b (MG 180 000, Chromosom 3p). Das Enzym induziert Doppelstrangbrche. Bivalente Ionen und ATP sind fr seine Aktivitt notwendig. Die Enzymaktivitt ist abhngig von der Phase im Zellzyklus (Maximum in der S-Phase).
Als Topoisomeraseinhibitoren (in Zukunft besser als „Topisomerase-inaktive Substanzen“ zu bezeichnen) wird eine Reihe strukturell unterschiedlicher Zytostatika zusammengefat, deren Zielmolekl eine der Topoisomerasen ist. Die Bedeutung dieser Substanzen liegt in ihrer breiten Anwendung bei soliden Tumoren und malignen Systemerkrankungen. Als Topo-I-Inhibitoren sind derzeit die Camptothecine im klinischen Einsatz bekannt (CPT-11, Topotecan). Zu den Topo-II-Inhibitoren zhlen die Anthrazykline und Anthracendione (z.B. Doxorubicin bzw. Mitoxantron), die Epipodophyllotoxine (Etoposid und Teniposid) sowie m-AMSA und Actinomycin D. Der Wirkungsmechanismus der Topoisomeraseinhibitoren besteht zum einen in einer Verstrkung der physiologischerweise durch Topoisomerase induzierten DNS-Strangbrche durch Stabilisierung der Enzym-DNS-Bindung, zum anderen in einer Blockade der Wiederverknpfung (Religation) erfolgter Strangbrche. Aus diesen, ber die Proteinbindung stabilisierten DNS-Brchen entstehen irreversible DNS-Doppelstrangbrche, wenn eine aktive Replikationsgabel auf den DNS-Proteinkomplex trifft. Die Bindung der einzelnen Topoisomeraseinhibitoren an das Zielenzym bzw. den Enzym-DNS-Komplex erfolgt im Bereich spezifischer DNS-Basensequenzen. Fr die Wirkung der Topo-II-Inhibitoren kommt offenbar dem Isoenzym b die grere Bedeutung zu. Die genaue Funktion der Isoenzyme a und b ist derzeit Gegenstand weiterer Forschung. 2.2 Resistenzmechanismen Das Phnomen der topoisomeraseabhngigen Zytostatikaresistenz wurde von Beck als ,,atypical multidrug resistance" (at-MDR) bezeichnet. Sie ist definiert durch eine Resistenz gegen strukturell unterschiedliche Zytostatika, den fehlenden Nachweis des MDR1-Gens bzw. des P-Glykoproteins und folglich fehlender Kreuzresistenz mit Vincaalkaloiden und fehlender Modulierbarkeit der Zytostatikaresistenz durch Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp. Als zellulre Mechanismen der Resistenzentwicklung gegenber Camptothecinderivaten wurden in prklinischen Modellen eine verminderte Expression der Topoisomerase I auf Transkriptions- und Translationsebene sowie Alterationen in der Enzymstruktur und Funktion identifiziert. In Camptothecin-selektionierten resistenten Zellinien konnte eine erhhte Expression der Topoisomerase II nachgewiesen werden … Ergebnisse,
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Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz
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Abb. 2. Reversible Hydrolyse von 7-Ethyl-10-hydroxycamptothecin (SN-38, Lactonform) zur inaktiven Sa¨ureform
die auf eine kompensatorische Funktion der Topoisomerase II fr die Topoisomerase I hinweisen. Neben diesem Resistenzmechanismus konnte an humanen Karzinomzellen gezeigt werden, da eine verminderte enzymatische Aktivitt der Carboxylesterase gegenber Irinotecan eine zellulre Resistenz vermitteln kann. Hierbei erfolgt eine verminderte Metabolisierung des Bipiperidinocamptothecinderivats zum zytotoxischen Metaboliten 7-Ethyl-10-hydroxycamptothecin (SN-38) (Abb. 2). Bei humanen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomzellen wurde ber eine kontinuierliche Irinotecan(CPT-11)-Exposition eine Resistenz erzeugt (A549/CTP-11), die mit einer Verminderung der Carboxylesteraseaktivitt assoziiert war. Wurden A549/CTP-11-Zellen mit humaner Carboxylesterase-cDNS mittels adenoviralen Vektors transduziert, resultierte dies wieder in einer signifikanten In-vitro-Wachstumshemmung der Tumorzellen. Auch bei der Nacktmaus fhrte die intratumorale Applikation des adenoviralen Vektors mit Carboxylesterase-cDNS zu einer signifikanten Zunahme der antitumoralen Wirksamkeit von Irinotecan gegenber den etablierten heterotransplantierten A549/CPT-11-Xenografts.
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Als weiterer Resistenzmechanismus gegenber 7-Ethyl-10-hydroxycamptothecin wird eine erhhte katalytische Inaktivierung mittels einer alterierten sequentiellen Biotransformation diskutiert. Hierbei fhrt eine erhhte Aktivitt der UDP-Glukuronosyltransferase zu einer vorzeitigen Inaktivierung des aktiven zytotoxischen Metaboliten 7-Ethyl-10-hydroxycamptothecin. Ob diese in vitro und in vivo charakterisierten Resistenzmechanismen in der primren und sekundren klinischen Resistenzentwicklung gegenber Camptothecinderivaten eine Rolle spielen, ist bisher nicht bekannt. Bei Resistenz gegen Topo-II-Inhibitoren wurden neben einer verminderten Enzymkonzentration bzw. -aktivitt auch eine Verminderung der Komplexbildungskapazitt des Enzyms mit der DNS („cleavage activity“) und eine reduzierte Affinitt zu ATP festgestellt. Urschlich sind offenbar einerseits Mutationen in einem Allel des Topo-I- bzw. Topo-II-Gens z.B. an der jeweiligen aktiven DNS-Bindungsstelle oder an der ATP-Bindungsstelle der Topo II. Darber hinaus kann eine verminderte Phosphorylierung des Topo-II-Gens zu einer geringeren Aktivitt der Topo II fhren, was in einem Wirkungsverlust von Topo-II-Inhibitoren resultiert. Schlielich ist bei Tumorzellinien zu beobachten, da eine Behandlung mit Topo-I-Inhibitoren eine reflektorische Erhhung der Topo-II-Expression bewirken kann. Diese bernimmt offenbar die Funktion der inhibierten Topo I, wodurch eine Resistenz gegen den Inhibitor verursacht wird.
3 Reparatur von DNS-Scha¨den Die Fhigkeit, Schden im Genom zu reparieren, ist fr alle Zellen von entscheidender Bedeutung. Daher verfgen alle Zellen ber sehr effiziente und komplexe DNS-Reparaturmechanismen, die ihrerseits zur zellulren Resistenz gegen Zytostatika, insbesondere Alkylanzien, beitragen knnen. Es werden zwei grundstzliche Formen der DNS-Reparatur unterschieden: F
F
Direkte Reparatur durch Entfernung einer Alkylgruppe von der DNS (in der Regel von O6 des Guanins): Diese Reaktion wird durch das Enzym O6-Alkyltransferase katalysiert und ist vor allem fr die Resistenz gegen Nitrosoharnstoffe verantwortlich. Exzisionsreparatur: Komplexe DNS-Schden wie alkylanzieninduzierte Intra- und Interstrangverknpfungen knnen nicht direkt repariert werden, sondern erfordern die Neusynthese eines ganzen DNS-Abschnitts. Hierbei kommt es zunchst zu einer Inzision am alterierten DNS-Strang durch Endonukleasen, gefolgt von der Neusynthese durch DNS-Polymerasen (berwiegend DNS-Polymerase b). Der letzte Schritt ist die Verknpfung des neu synthetisierten DNS-Abschnitts mit der ¨ berexpression erhalten gebliebenen DNS durch DNS-Ligasen. Eine U der am Exzisionsreparaturprozeß beteiligten Enzyme oder Enzymkom-
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plexe wie DNS-Polymerase b, ERCC1 oder ERCC2 scheint in In-vitroModellen, aber auch im Tumormaterial von Patienten mit natu¨rlicher oder erworbener Alkylanzienresistenz assoziiert zu sein.
4 Resistenz gegen Antimetaboliten Unter dem Sammelbegriff Antimetaboliten werden einige der am hufigsten in der klinischen Onkologie verwendeten Substanzen wie Methotrexat, 5Fluorouracil (5-FU) und Cytosin-Arabinosid sowie Substanzen mit eng begrenzten Indikationen wie 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin, Fludarabin und Desoxycoformycin zusammengefat. Ihr gemeinsames Charakteristikum ist ihre chemische ˜hnlichkeit mit physiologischen Nukleinsuren oder Koenzymen des Nukleinsurestoffwechsels. Aufgrund dieser chemischen Analogie zu natrlichen Substraten werden die Antimetaboliten von den Enzymen des Nukleotidstoffwechsels metabolisiert und entfalten ihre zytotoxische Wirkung entweder ber die Hemmung von Schlsselenzymen der Purin- und Pyrimidinbiosynthese oder durch ihren direkten Einbau in die DNS oder RNS mit nachfolgender Induktion von DNS- bzw. RNS-Brchen oder Alterationen der Matrixfunktion. Der intrazellulre Metabolismus der meisten Antimetaboliten ist ausgesprochen komplex, und die zellulren Resistenzmechanismen sind in der Regel multifaktoriell und knnen auf jeder Stufe der Metabolisierung auftreten. 4.1 Methotrexat Methotrexat ist strukturchemisch eng mit den physiologischen Folaten verwandt und unterliegt denselben Metabolisierungsschritten. Die Aufnahme in die Zelle erfolgt ber 2 Carriersysteme, den niedrigaffinen Dihydrofolatcarrier und den hochaffinen Folsurecarrier. Intrazellulr wird Methotrexat durch das Enzym Folylpolyglutamatsynthase (FPGS) polyglutamyliert. Methotrexatpolyglutamate knnen die Zellmembran nicht mehr penetrieren und werden intrazellulr akkumuliert. Methotrexat und in hherem Mae Methotrexatpolyglutamate sind sehr potente Inhibitoren der Dihydrofolatreduktase, die durch die Reduktion von Dihydrofolat zu Tetrahydrofolat fr die Aufrechterhaltung von ausreichenden intrazellulren Spiegeln an reduzierten Folaten verantwortlich ist. Reduzierte Folate spielen als C1-Donatoren eine entscheidende Rolle bei der Neusynthese von Thymidin [Umwandlung von Uridin in Thymidin durch Thymidylatsynthase (TS)] und in der Purinbiosynthese fr die Enzyme Glycinamid-RibonukleotidTransformylase (GARFT) und Aminoimidazol-Carboxamid-Ribonukleotid-Transformylase (AICAR). Neben der indirekten Hemmung der Pyrimidin- und Purinbiosynthese durch Entzug von reduzierten Folaten knnen Methotrexatpolyglutamate die TS und AICAR direkt hemmen. Zellen in der S-Phase, die einen besonders hohen Bedarf an Nukleinsurebausteinen
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haben, sind am sensibelsten gegen kurzzeitige Einwirkung von Methotrexat. Bei protrahierter Exposition werden auch Zellen, die sich nicht in der SPhase befinden, durch Hemmung der physiologischen DNS-Reparaturvorgnge abgettet. Eine zellulre Resistenz gegen Methotrexat kann auf jeder Stufe der Metabolisierung entstehen. Die wichtigsten Resistenzmechanismen sind F F F F F
eine verminderte zellula¨re Aufnahme aufgrund von Alterationen der Carriersysteme, eine ungenu¨gende Polyglutamylierung durch Reduktion der FPGS, eine reduzierte Bindungsaffinita¨t der Dihydrofolatreduktase fr Methotrexat, eine Amplifizierung des Dihydrofolatreduktasegens mit konsekutiver berproduktion dieses Enzyms, sowie mglicherweise ein versta¨rkter Abbau von Methotrexatpolyglutamaten ber eine erhhte Aktivitt der c-Glutamyl-Hydrolase.
Die amplifizierten Dihydrofolatreduktasegenabschnitte knnen entweder als „homogenously staining regions“ (HSR) fest in das Genom inkorporiert werden und so eine dauerhafte Resistenz bedingen oder als extrachromosomales Material als sog. „double minutes“ vorliegen. Der Nachweis dieser einzelnen Resistenzmechanismen ist vor allem in Blasten bei Patienten mit ALL etabliert und korreliert hier mit der Prognose. Eine genaue Charakterisierung der bei den einzelnen Patienten vorliegenden Resistenzmechanismen knnte gezielte Modulationen erlauben und die Grundlage fr eine patientenindividualisierte Therapie bilden. ¨ berwindung der Methotrexatresistenz wird v.a. durch die EntwickEine U lung neuer Methotrexatanaloga versucht. Die beiden am weitesten entwickelten Substanzen sind 10-EDAM (10-Ethyl-10-deazaaminopterin) und Trimethrexat. Beide Substanzen werden durch passive Diffusion ohne Vermittlung der Folatcarriersysteme in die Zelle aufgenommen. Trimethrexat mu darber hinaus nicht polyglutamyliert werden. Diese neuen Antifolate sind in experimentellen Modellen wirksam, bei denen die Methotrexatresistenz auf einer Beeintrchtigung der carriervermittelten Aufnahme und/oder unzureichenden Polyglutamylierung beruht. Sie sind unwirksam in Zellen mit struktureller Alteration oder vermehrter Expression der Dihydrofolatreduktase. Die exakte klinische Bewertung beider Substanzen steht noch aus. 4.2 5-Fluorouracil 5-Fluorouracil (5-FU) ist ein Analogon der Pyrimidinbase Uracil. Nachzellulrer Aufnahme wird 5-FU zum kleineren Teil (ca. 20%) zu den zytotoxischen Metaboliten 5-Fluorodesoxyuridinmonophosphat (FdUMP) und
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5-Fluorouraciltriphosphat (FUTP) anabolisiert. Der grere Teil wird ber die Dihydropyrimidindehydrogenase in nichtzytotoxische Intermedirverbindungen (Dihydrofluorouracil; Fluoro-b-alanin) abgebaut. Die zytotoxische Wirkung von 5-FU beruht zum einen auf der Hemmung der Thymidilatsynthase, des Schlsselenzyms der Thymidin-de-novo-Synthese durch FdUMP, und zum anderen auf der Inkorporation von FUTP in die zellulre RNS. Die Verteilung auf die unterschiedlichen Metabolisierungswege ist abhngig von der jeweiligen enzymatischen Ausstattung der Tumorzelle und vom Applikationsmodus von 5-FU (Abb. 3). Es sind multiple Resistenzmechanismen gegen 5-FU beschrieben worden: F
F F F
F
F F
Erhhte zellulre Spiegel von dUMP, das ber „Feedback-Regulation“ zu einer verminderten Metabolisierung von 5-FU fhrt und mit FdUMP um die Bindung an die Thymidylatsynthase konkurriert. Verminderte Bindung von FdUMP an die Thymidylatsynthase aufgrund struktureller Alterationen des Enzyms. Verminderte Bindung von FdUMP an die Thymidylatsynthase aufgrund unzureichender zellulrer Folatspiegel. Umgehung der Blockade der Thymidin-de-novo-Synthese durch vermehrte Nutzung von exogenem Thymidin ber den „Thymidin-salvage-Pathway“. Neusynthese von freier Thymidylatsynthase ber eine Entkoppelung der auf der Translationsebene erfolgenden Feedback-Hemmung der TS-mRNS. Verminderter Einbau von FUTP in die RNS. Verstrkte Katabolisierung von 5-FU durch erhhte Expression der Dihydropyrimidindehydrogenase.
In groen klinischen Untersuchungen bei Patienten mit kolorektalen, Mamma- und Magenkarzinomen konnte gezeigt werden, da der Nachweis der berexpression von Thymidylatsynthase oder DHPD im Tumormaterial mit der Resistenz gegen eine 5-FU-Therapie und mit der Gesamtprognose korreliert. Der komplizierte intrazellulre Stoffwechsel von 5-FU erffnet zahlreiche Mglichkeiten fr gezielte biochemische Modulationen, von denen einige Eingang in die Klinik gefunden haben: F
F
Kalziumfolinat: Durch Zugabe von Kalziumfolinat knnen die intrazellulren Folatspiegel expandiert und so die Bindung von FdUMP an die Thymidilatsynthase stabilisiert werden. Methotrexat: Durch Hemmung der Purinbiosynthese steht mehr Phosphoribosylpyrophosphat fr die Anabolisierung von 5-FU zu FUTP zur Verfgung. Entscheidend fr eine optimale Modulation ist ein zeitliches Intervall zwischen Methotrexat und 5-FU von mehr als 12 h.
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Abb. 3. Intrazellula¨re Aktivierung von 5-Fluorouracil (5-FU) (FUrd 5-Fluorouridin, FUMP 5-Fluorouridinmonophosphat, FUDP 5-Fluorouridindiphosphat, FUTP 5-Fluorouridintriphosphat, FdUrd 5Fluorodesoxyuridin, FdUMP 5-Fluorodesoxyuridinmonophosphat, FdUDP 5-Fluorodesoxyuridindiphosphat, FdUTP 5-Fluorodesoxyuridintriphosphat, R-1-P Ribose-1-phosphat, dR-1-P Desoxyribose-1-phosphat, PRPP Phosphoribosepyrophosphat) F
F
PALA: N-Phosphoacetyl-L-aspartat (PALA) ist ein Inhibitor der Pyrimidinbiosynthese und fhrt zu reduzierten Spiegeln von Desoxyuridinmonophosphat, das mit FdUMP um die Bindung an die Thymidylatsynthase konkurriert. Auch hier ist ein zeitlicher Mindestabstand von ca. 24 h zwischen PALA und 5-FU notwendig. Interferon: Die biochemischen Grundlagen der Interaktionen zwischen Interferon und 5-FU sind nicht mit letzter Sicherheit geklrt. Interferon verhindert die kompensatorische Neusynthese von freier Thymidylatsynthase nach 5-FU-Exposition, interferiert mit dem „Thymidin-salvage-Pathway“ ber die Thymidinkinase und scheint darber hinaus die Pharmakokinetik von 5-FU in vivo zu beeinflussen. Obwohl die prklinischen Daten fr die Kombination von 5-FU und Interferon viel-
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F
F
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versprechend waren, haben die klinischen Protokolle bislang enttuschende Resultate erbracht. In allen Studien erwies sich die Kombination von 5-FU + Interferon als toxischer, aber nicht wirksamer als die 5-FU-Gabe. Ethinyluracil: Ethinyluracil ist ein spezifischer, ausgesprochen aktiver Inhibitor der DHPD, des ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Enzyms des 5-FU-Abbaus. Phase-I-Studien mit der Kombination von 5-FU und Ethinyluracil sind abgeschlossen; eine Einschtzung der Aktivitt der Kombination bei 5-FU-resistenten Tumoren ist z.Zt. noch nicht mglich. Hydroxyharnstoff: Hydroxyharnstoff inhibiert die Ribonukleotidreduktase und kann so sowohl zu der Wirkverstrkung (Reduktion des zellulren dUMP-Spiegels) als auch zu einer Wirkabschwchung (verminderte Konversion von FUDP zu FdUDP) fhren. Entscheidend fr den Nettoeffekt ist ein geeignetes zeitliches Applikationsschema. In klinischen Studien ist die Kombination v.a. in Verbindung mit Strahlentherapie bei Patienten mit HNO-Tumoren untersucht worden; die ersten vorlufigen Ergebnisse sind ermutigend.
4.3 Cytosin-Arabinosid Cytosin-Arabinosid (1-b-D-Arabinofuranosyl-cytosin) unterscheidet sich von Cytidin durch die Substitution der Desoxyribose durch den Zucker Arabinose. Cytosin-Arabinosid gelangt durch erleichterte Diffusion ber das Nukleotidtransportsystem in die Zelle und wird dort in konsekutiven Schritten zum Triphosphat phosphoryliert. Geschwindigkeitslimitierend ist hierbei die Cytosinkinase, das erste Enzym in der Phosphorylierungskette. Cytosin-Arabinosidtriphosphat (ara-CTP) ist ein kompetitiver Inhibitor der DNS-Polymerase a und fhrt darber hinaus nach Einbau in die DNS zu DNS-Strangbrchen und zum Abbruch der DNS-Neusynthese. Die wichtigsten zellulren Resistenzmechanismen gegen Cytosin-Arabinosid bestehen in einer verminderten zellula¨ren Aufnahme aufgrund einer reduzierten Aktivitt der membransen Nukleotidtransporter, verminderter Anabolisierung zu ara-CTP aufgrund von Alterationen der Cytidinkinase und vermehrtem Abbau zum untoxischen Uracilarabinosid durch eine vermehrte Expression der Cytidindesaminase. Spezifische Resistenzmodulatoren haben fr die Klinik bislang keine Relevanz. Mglicherweise ist die Kombination von Fludarabin und CytosinArabinosid, die zu einer vermehrten Bildung von ara-CTP fhrt, ein erfolgversprechender Ansatz fr die Therapie von refraktren akuten myeloischen Leukmien.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
4.4 6-Thioguanin und 6-Mercaptopurin Diese beiden Purinanaloga unterscheiden sich von den physiologischen Nukleotiden Guanin bzw. Hypoxanthin durch die Substitution der Hydroxylgruppe in der Sechserposition des Purinrings durch eine Thiolgruppe. Beide Substanzen penetrieren leicht in die Zelle und werden dort durch das Enzym Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) zu den jeweiligen Triphosphatnukleotiden anabolisiert. Die Triphosphate von 6-Mercaptopurin und 6-Thioguanin werden als Bausteine in die DNS inkorporiert und fhren dort zu Strangbrchen und Abbrchen der DNS-Neusynthese. ber die klinisch relevanten Resistenzmechanismen ist wenig bekannt. In experimentellen Modellen ist die Resistenz gegen diese Purinanaloga durch eine Reduktion der aktivierenden HGPRT und in eini¨ berexpression einer membrangebundenen alkaligen Fllen durch eine U schen Phosphatase bedingt, die zu einer Inaktivierung der Purinanaloga fhrt. Klinisch relevante Wege der Resistenzmodulation sind nicht bekannt. Literatur Allegra CJ (1990) Antifolates. In: Chabner BA, Collins JM (eds) Cancer chemotherapy: Principles and practice. Lippincott, Philadelphia, pp 110…153 Arceci RJ (1993) Clinical significance of P-glycoprotein in multidrug resistant malignancies. Blood 81:2215…2222 Arts HJ, Katsaros D, de Vries EG et al (1999) Drug resistance-associated markers Pglycoprotein, multidrug resistance-associated protein 1, multidrug resistance-associated protein 2, and lung-resistance protein as prognostic factors in ovarian carcinoma. Clin Cancer Res 5:2798…2805 Aschele C, Sobrero A, Faderan MA, Bertino JR (1992) Novel mechanism(s) of resistance to 5-fluorouracil in human colon cancer (HCT-8) sublines following exposure to two different clinically relevant dose schedules. Cancer Res 52: 1855…1864 Barranco SC, Townsend CM Jr, Weintraub B et al (1990) Changes in glutathione content and resistance to anticancer agents in human stomach cancer cells induced by treatments with melphalan in vitro. Cancer Res 50:3614…3618 Beck WT (1989) Unknotting the complexities of multidrug resistance: the involvement of DNA topoisomerases in drug action and resistance. J Natl Cancer Inst 81:1683…1685 Beck WT, Danks MK (1991) Mechanisms of resistance to drugs that inhibit topoisomerases. Semin Cancer Biol 2:235…244 Berger W, Elbling L, Micksche M (2000) Expression of the major vault protein LRP in human non-small-cell lung cancer cells: activation by short-term exposure to antineoplastic drugs. Int J Cancer 88:293…300 Berger SH, Jenh CH, Johnson LF, Berger FG (1985) Thymidylate synthase overproduction and gene amplification in fluorodeoxyuridine-resistant human cells. Mol Pharmacol 28:461…467 Biedler JL (1992) Genetic aspects of multidrug resistance. Cancer 70:1799…1809
16.2
Modulation der Zytostatikawirkung und -resistenz
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
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16.3 Proapoptotische Substanzen A. Grothey, W. Voigt, H. Mller-Huesmann, L. P. Mller
1 Definition und Gliederung Die rasante Entwicklung der Molekular- und Zellbiologie hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von molekularen Charakteristika maligner Tumoren identifiziert, die wiederum als Angriffspunkte fr neue antineoplastische Substanzen dienen knnen. Mehrere hundert dieser Substanzen befinden sich zur Zeit in der prklinischen und klinischen Entwicklung, so da eine zusammenfassende Darstellung dieser innovativen Therapeutika schwerfllt. Es ist offensichtlich, da nur einige der aufgefhrten Substanzen und Therapieanstze Eingang in die klinische Praxis haben werden. Es ist allerdings auch sicher, da die Tumortherapie der Zukunft in zunehmendem Mae molekulare Therapeutika beinhalten wird. Fr eine Reihe dieser Therapieprinzipien existieren bereits Wirksamkeitsnachweise bei soliden Tumoren, so z.B. fr den Anti-VEGF-Antikrper Bevacizumab (Avastin) beim kolorektalen Karzinom und Nierenzellkarzinom, den c-kit-Inhibitor Imatinib (Glivec) beim gastrointestinalen Stromazelltumor (GIST; s. Kap. 96) und bei der CML (s. Kap. 49), den monoklonalen Antikrper Trastuzumab (Herceptin) beim Mammakarzinom (s. Kap. 105). Diese Substanzen sind bereits oder werden in Krze in Therapiestandards integriert. Im Folgenden wird versucht, die Komplexitt und Vielzahl der molekularen Therapieanstze tabellarisch zusammenzufassen. Diese Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollstndigkeit, sie will vielmehr Einblick in die Vielfalt zuknftiger molekularer Therapien geben. Dabei werden unterschieden: F F F F F
Differenzierungsinduzierende Substanzen (s. Abschn. 2) Antisense-Substanzen (s. Abschn. 3) Farnesyl-Transferase-Inhibitoren (FTIs) (s. Abschn. 4) Zellzyklusinhibitoren (s. Abschn. 5) Antiangiogenese-Substanzen (s. Abschn. 6)
2 Differenzierungsinduzierende Substanzen Das Wachstum vieler Tumoren ist gekennzeichnet durch die Proliferation undifferenzierter oder nicht ausdifferenzierter, maligne transformierter Zellen. Zahlreiche Untersuchungen zur Genexpression belegen, da bei nicht maligne transformierten Zellen mit zunehmender Differenzierung die Fhigkeit zur Proliferation abnimmt oder aber restriktiveren Kontroll-
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
mechanismen der Signaltransduktion unterliegt. Es ist daher naheliegend, Substanzen, die eine zellulre Differenzierung initiieren, zur Therapie von malignen Tumoren einzusetzen. Dieser Therapieansatz wird zumeist als „differenzierungsinduzierende Tumortherapie“ (differentiation therapy) bezeichnet. Trotz einer Vielzahl von Substanzen, fr die eine differenzierungsinduzierende Wirkung auf Tumorzellen in vitro beschrieben ist, befinden sich derzeit nur wenige in der klinischen Prfung. Nach ihrer chemischen Struktur und ihrem Wirkmechanismus lassen sich derzeit vier Hauptgruppen abgrenzen (Tabelle 1): F F F F
Retinoide, demethylierende Substanzen, Histon-Deazetylase-Inhibitoren und anorganische Substanzen mit ungeklrtem Wirkmechanismus.
Das einzige Beispiel einer auf diesem Ansatz basierenden Standardtherapie ist die Behandlung der akuten Promyelozytenleuka¨mie (AML M3) mit Alltrans-Retinsa¨ure (ATRA). Die Kombination dieser Substanz mit konventioneller Chemotherapie resultiert in einer deutlichen Verbesserung der Ansprechraten und des Gesamtberlebens gegenber der alleinigen Chemotherapie. Im Gegensatz zu anderen Beispielen einer differenzierungsinduzierenden Therapie existiert fr die Wirksamkeit von ATRA bei der AML M3 ein gut definiertes molekularpathologisches Korrelat. In nahezu allen Fllen der AML M3 findet sich eine chromosomale Translokation unter Beteiligung des Retinsa¨urerezeptors a (RARa; s. Kap. 47). Pathognomonisch ist die Translokation t(15:17)(q22;q11-21). Dabei entsteht ein Fusionsprotein aus RARa und dem Promyelozytenleuka¨mieprotein (PML). RARa ist ein nuklerer Steroidhormonrezeptor. Nach Aktivierung durch die Bindung eines Retinoids heterodimerisiert RARa mit einem weiteren Retinoidrezeptor (RXR) und bindet als Heterodimer an „retinoid acid response elements“ (RARE) im Bereich der Promotersequenzen zahlreicher Gene. RARa vermittelt als ligandeninduzierter Transkriptionsfaktor in myeloiden Zellen eine Wachstumshemmung und eine Differenzierungsinduktion. Bei PML handelt es sich vermutlich um einen Transkriptionsfaktor, der mit dem AP-1-Transkriptionskomplex assoziiert ist und die AP-1-abhngige Gentranskription aktiviert. Die berexpression von PML induziert sowohl eine Caspase-abhngige als auch eine Caspase-unabhngige Apoptose, whrend eine fehlende Expression von PML in PML-null-Musen mit einer erhhten Sensitivitt fr Karzinogene einhergeht. Das PML-RARa-Fusionsprotein scheint als dominant negativer Repressor fr die RARa-induzierte Differenzierung und die PML-vermittelte Apoptose zu wirken. Zugrunde liegt dem sowohl eine Homo- oder Heterodimerisierung mit PML oder RXR als auch eine Vernderung der subzellulren Verteilung von PML und RARa. Diese Vernderungen resultieren in einer Suppression der in
16.3
Proapoptotische Substanzen
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Tabelle 1. Differenzierungsinduzierende Substanzen und deren Wirkmechanismen Substanz
Chemische Grundstruktur
Wirkmechanismus
All-trans-Retinsa¨ure
Retinoid
RARa-spezifisch, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung
Arsentrioxid
Anorganisches Oxid
Apoptoseinduktion (Anstieg des intrazellula¨ren H2O2, bax-Induktion), Differenzierungsinduktion (STAT3-Inhibition, G1-Arrest), Inhibition der Angiogenese (VEGF-Inhibition)
5-Azacytidin
Nukleosid
Einbau in DNS und RNS, Hemmung der Nukleinsa¨uremethylierung, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung, Zytotoxizita¨t durch DNS-Replikationshemmung
5-Aza-2’desoxycytidine
Nukleosid
Einbau in DNS, Hemmung der DNS-Methylierung, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung, Zytotoxizita¨t durch DNS-Replikationshemmung
Bexarotene (Targretinj, LGD1069)
Retinoid
RXR-spezifisch, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung
Bryostatin
Laktonderivat
Proteinkinase-C-Modulation
Perillyl-Alkohol
Monoterpen
Wachstumshemmung, Differenzierungsinduktion und Apoptose (Hemmung der ProteinIsoprenylierung? Hemmung der Farnesyltransferase? Aktivierung TGF-b-Signaltransduktion?)
Phenylbutyrat
Buttersa¨urederivat
Histondeazetylase-Hemmung, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung
Tributyrin
Buttersa¨urederivat
Histondeazetylase-Hemmung, Differenzierungsinduktion, Wachstumshemmung
nicht-transformierten Zellen durch Retinoide induzierten Genexpression. ATRA induziert eine Ausreifung der malignen Promyelozyten durch eine kompetitive Antagonisierung von PML-RARa. Verantwortlich hierfr scheint die Verdrngung von PML-RARa aus transkriptionsregulierenden Bindungen zu sein. Eine Wirkung von ATRA ist jedoch an das Vorliegen von PML-RARa gebunden. In den wenigen Fllen der AML M3, bei denen andere Translokationen unter Beteiligung des RARa-Gens vorliegen, wird eine geringere bzw. keine Differenzierung der malignen Zellen und somit auch keine Remission unter ATRA beobachtet. Jedoch sind die mit ATRA erzielten Remissionen meist von kurzer Dauer. Die zugrundeliegende Resistenz scheint durch einen vermehrten Metabolismus von ATRA oder die Selektion
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
PML-RARa-negativer Klone zu entstehen. Die derzeitige Standardtherapie beruht daher auf einer Induktionstherapie mit ATRA, kombiniert mit einer anthrazyklinhaltigen Chemotherapie, gefolgt von mehreren Zyklen konsolidierender Chemotherapie und einer Erhaltungstherapie mit ATRA und 6MP. Die wesentlichste Nebenwirkung einer Therapie mit ATRA ist das „Retinoic Acid Syndrome“ (RAS), das durch Fieber, Gewichtszunahme, Dyspnoe bei pulmonalen Infiltrationen, Pleura- und Perikardergu, Hypotension und akutes Nierenversagen gekennzeichnet ist. Aktuell befinden sich weitere Retinoide in der klinischen Erprobung. Dazu zhlt Bexarotene (TargretinJ; LGD1069). Diese Substanz bindet vornehmlich an RXR und zeigt in vitro eine Wachstumshemmung bei zahlreichen Entitten. Eine Phase-I/II-Studie bei Kopf-Hals-Tumoren zeigt keine Wirksamkeit, bei fortgeschrittenem NSCLC (Stadium III/IV) in Kombination mit Cisplatin und Vinorelbin zeigte sich ein Ansprechen in 25% mit einem berlebensmedian von 14 Monaten. Die wesentlichen Toxizitten sind Hypertriglyzeridmie und Pankreatitis. Ausgehend von den Erfolgen einer differenzierungsinduzierenden Therapie bei der AML M3 wurden in den letzten Jahren bei dieser Erkrankung andere Substanzen getestet. Vielversprechend ist dabei Arsentrioxid. So konnten komplette Remissionen bei Patienten mit Rezidiven einer AML M3 nach ATRA- und Chemotherapie erzielt werden. Einer der zugrundeliegenden Wirkmechanismen ist vermutlich eine Umverteilung von PML mit nachfolgendem Abbau von PML-RARa. Im Gegensatz zu ATRA scheint dieser Effekt spezifisch fr den PML-Anteil des Fusionsproteins. Eine Exposition von Zellen mit Arsentrioxid resultiert daher auch nicht in einer eigentlichen Differenzierung, sondern in einer verstrkten Apoptose. Arsentrioxid ist jedoch auch in PML-RARa-negativen Leukmiezellen aktiv. Die verantwortlichen Mechanismen sind weitgehend unklar. Als mgliche Erklrung kommen sowohl eine Alteration von Protein-Kinase C- und NFjB-abhngigen Signaltransduktionswegen, eine Apoptoseinduktion durch Strung von Redoxvorgngen und Hemmung der Glutathion-Peroxidase als auch durch eine direkt Aktivierung von Caspase 1 und 2 in Betracht. Eine Therapie mit Arsentrioxid als Monotherapie in neu diagnostizierten AML-M3-Patienten resultierte in einer Rate der klinischen Komplettremissionen von 73%, bei Patienten mit rezidivierter AML M3 von 85%. Darber hinaus sind zahlreiche Studien mit Arsentrioxid fr die Behandlung anderer Malignome begonnen wurden (Tabelle 2). Die Genexpression in eukaryontischen Zellen wird u.a. durch den Azetylierungsgrad der Histone bestimmt. Histone bilden die Kernstruktur des Nukleosoms, um die ein Abschnitt von ca. 150 Basenpaaren der DNS-Doppelhelix in 1,75 Umdrehungen gewunden ist. Eine Deazetylierung der zahlreichen Lysinreste in den Histonen geht mit einer reduzierten Genexpression einher, whrend Gene mit hoher Transkriptionsrate sich
Arsentrioxid
13-cis-RA
NA
+ ATRA + ATRA/Gemtuxumab
AML M3, Prima¨rtherapie
AML M3, Rezidiv
NA NA
AML M3, molekulares Rezidiv NA
NA
Phase II
NA NA
Phase II
Phase II
Prima¨r 70–90% CR Rezidiv: 85% CR
Phase III
Gastrointestinal, 0,06–0,2 mg/kg Cytarabin/Daunorubicin/ grippea¨hnlich, RAS ATRA Arsentrioxid
AML M3, Konsolidierung in Prima¨rtherapie
33% Stabilisierung (N = 12)
Phase II
Thrombozytopenie, Neutropenie, Verstopfung
1 mg/kg p.o., d1–14 + Gemcitabin
NA
NA NA (N = 5)
Phase III
Phase II
NA
NA
CR + PR 31% (N = 42)
Ergebnisse
Phase II
Pankreaskarzinom, Cholangiokarzinom
NA
NA Erythem, Cheilosis, Myopathie
NA
NA 60 mg/m /d, d1–21, W d28
Gliome
MDS 2
Phase I
NA
Kombination mit Phenylbutyrat
Fortgeschrittene, refrakta¨re solide Tumoren
5-Aza-2’desoxycytidine Imatinib-refrakta¨re CML
Phase I
NA
Kombination mit Phenylbutyrat
MDS, AML
Phase II
Nausea, Erbrechen
Klinische Pru¨fung
Haupttoxizita¨t
75 mg/m2/d, d1–7, W d28
MDS
5-Azacytidin
Dosierung
Malignome
Substanz
Tabelle 2. Daten ausgewa¨hlter klinischer Studien zu differenzierungsinduzierenden Substanzen
16.3 Proapoptotische Substanzen
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Dosierung
Erhaltung: Placebo vs. 300 vs. 600 mg/m2/d
NSCLC IIB–IV nach CTx
Fortgeschrittene NSCLC, chemo-naiv
Monotherapie
CTx- und hormonrefrakta¨res 200/500 mg/m2/d Mammakarzinom
NA
Hypertriglyzerida¨mie, Asthenie, Kopfschmerzen
NA
Asthenie, Nausea, Erbrechen, Hyperlipida¨mie, exfoliative Dermatitis
150–600 mg/m2/d + Cisplatin/Vinorelbin
NSCLC IIIB/IV, chemo-naiv
PR 18%, 1-JahresU¨berleben 63% (N = 43)
Kein Ansprechen (N = 26)
CR 77–93%
NA
Ergebnisse
Phase I
Phase II
NA
3–6% Ansprechen (N = 146)
Phase II, placeboVerbessertes kontrolliert, doppelblind U¨berleben (N = 54)
Phase I/II
Phase I
Pankreatitis, Hypertriglyzerida¨mie
Bexarotene
10–300 mg/m2 2 x/d
AML M3
Kopf-Hals-Tumoren
Phase II
Klinische Pru¨fung
Standard bei AML M3
NA
Haupttoxizita¨t
Induktion: 45 mg/m2 RAS + Anthrazyklin Erhaltung: 45 mg/m2/d 1–15, W d84 + 6 MP/MTX
NA CRC-Rezidiv; fortgeschrittenes Hoden-/Zervixkarzinom; Neuroblastom/solide Tumoren bei Kindern; multipes Myelom, NHL, HCC; CML; ALL; AML
Malignome
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ATRA
Substanz
Tabelle 2. (Fortsetzung)
798 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Nausea
150–200 mg p.o. 3x/d
Fortgeschrittene solide Tumoren
Keine Remissionen 20% Stabilisierungen (N = 20)
13-cis RA 13-cis Retinsa¨ure, ALL akute lymphatische Leuka¨mie, AML akute myeloische Leuka¨mie, ATRA all-trans-Retinsa¨ure, CML chronisch myeloische Leuka¨mie, CR Komplettremission, CRC kolorektales Karzinom, d Tag, HCC hepatozellula¨res Karzinom, NA nicht verfu¨gbar, NHL Non-Hodgkin-Lymphom, PR Partialremission, W Wiederholung, RAS retinoic acid syndrom (Erkla¨rung s. Text)
Phase I
Phase I
NA
Kombination mit Fluorouracil, Indometacin, IFN-c
Fortgeschrittenes CRC
Tributyrin
NA
Phase I
NA
Kombination mit Tretinoin
AML, CML, MDS
Phenylbutyrat
NA
Kein Ansprechen (N = 17)
Hypokalia¨mie, Nausea, Phase I Erbrechen, Diarrho¨, Abgeschlagenheit, Stomatitis, Anorexie
Kein Ansprechen
Kein Ansprechen
1600–2800 mg/m2 3x/d d1–14, W d28
Phase II
Phase II
Fortgeschrittene solide Tumoren
Myalgien
Perillylalkohol
50 lg/m2 d2, 9, 16, W d28 + Paclitaxel 90 mg/m2 d1, 8, 15 25 lg/m2 wo¨chentlich Myalgien, Lethargie
NSCLC IIIB/IV
Platinrefrakta¨res Ovarialkarzinom
Bryostatin
16.3 Proapoptotische Substanzen
799
16
800
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
in DNS-Abschnitten mit hohem Azetylierungsgrad finden. Die Deazetylierung wird durch Histondeazetylasen (HDAC) vermittelt und resultiert in positiv geladenen Lysinresten, die vermutlich eine engere sterische Bindung mit den Phosphatresten der DNS eingehen und somit den Zugang der fr die Transkription relevanten Proteine behindern. Frhe Arbeiten zeigten, da eine Hemmung der HDAC mit einem Proliferationsstopp und einer Differenzierungsinduktion in transformierten Zellen einhergehen. Klassische HDAC-Inhibitoren sind kurzkettige Fettsuren wie z.B. Buttersure. Zahlreiche aktuelle Studien untersuchen die Wirkung von Phenylbutyrat bei hmatologischen und soliden Malignomen. Neben der Substanzgruppe der Butyrate zeigen bestimmte Hydroxamide (z.B. Trichostatin, Oxamflatin), zyklische Tetrapeptide (Trapoxin A) und Benzamide ebenfalls eine HDAC-inhibitorische Wirkung. Diese Substanzen sind vorrangig noch in der Phase der Prfung im Tiermodell. Ein weiterer Mechanismus der epigenetischen Kontrolle der Gentranskription ist die Methylierung von DNS-Abschnitten, insbesondere an den CpG-Oligonukleotiden (CpG islands) im Bereich der Promoterregionen. Auch wenn hier kein derart klarer Zusammenhang wie bei der Histondeazetylierung postuliert werden kann, geht eine Methylierung zumeist mit einer Repression der Transkription einher. Die Methylierung erfolgt durch DNS-Methyltransferasen (DNMT), von denen derzeit in humanen Zellen vier Enzyme beschrieben sind. Nukleoside wie z.B. 5-Azazytidin und 5-Aza-2-desoxyzytidin werden in die DNS integriert und bewirken eine Inhibition der DNMT durch eine irreversible Bindung. Dies resultiert einerseits in einer Differenzierungsinduktion und einem Proliferationsstopp. Andererseits behindert das DNMT-Nukleosid-Addukt die DNS-Synthese und ist damit direkt zytotoxisch. 5-Azazytidin inkorporiert darber hinaus auch in die RNS und behindert die Methylierung und damit die Funktion der tRNS. Tumorgewebe zeigen ein aberrantes Methylierungsmuster mit Hypomethylierung von Protoonkogenen und Hypermethylierung von Tumorsupressorgenen. Ein wesentlicher Aspekt der therapeutischen Nutzung von hypomethylierenden Substanzen ist daher die Tatsache, da unter bestimmten Bedingungen die therapeutisch induzierte Hypomethylierung auch das Tumorwachstum frdern kann. Neben Studien, die eine alleinige Therapie mit demethylierenden Substanzen oder deren Kombination mit klassischen zytotoxischen Medikamenten testen, existieren einige aktuelle Studien, die eine Kombination von demethylierenden Substanzen mit Histondeazetylase-Inhibitoren untersuchen. Fr Bryostatin, eine weitere differenzierungsinduzierende Substanz, die vermutlich die Aktivitt der Proteinkinase C moduliert, existieren zahlreiche Untersuchungen, die allerdings bisher keine klinische Wirksamkeit belegen konnten.
16.3
Proapoptotische Substanzen
801
3 Antisense-Substanzen In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von Proteinen identifiziert worden, die mit verschiedenen tumorbiologischen Merkmalen wie gesteigerter Proliferation, Invasivitt, Metastasierung und Anti-Apoptose assoziiert sind. Im Zeitalter der klinischen Umsetzung molekularbiologischer Erkenntnisse sind diese Proteine naturgem Targets fr therapeutische Anstze in der Onkologie. Eine potentiell uerst spezifische Methode, die Expression von bestimmten Proteinen zu verhindern oder zu vermindern, stellt die Antisense-Technologie zur Verfgung. Schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das theoretische Konzept der Antisense-Strategie als antineoplastische Therapie beschrieben (Paterson 1977). Ein Jahr spter konnte in ersten Antisense-Experimenten die Replikation und RNS-Translation des Rous Sarcoma Virus inhibiert werden (Zamecnik u. Stephenson 1978). Antisense-Oligonukleotide (AS-ON) sind kurze, zumeist 18- bis 20mere, synthetische, einstrngige DNS- oder RNS-Molekle, die selektiv mit der mRNS oder pre-RNS bestimmter Gene hybridisieren mittels Watson-Crick-Basenpaarung. Dadurch werden der Transport der proteinkodierenden RNS sowie ihre Translation inhibiert. Zudem stellen heteroduplexe Doppelstrang-RNSKomplexe eine Zielstruktur fr RNasen, insbesondere fr die Endonuklease RNase H, dar, die die Nukleinsurestrnge der Hybride spaltet und somit die mRNS des Zielproteins zerstrt. Dieser letztgenannte Mechanismus wird heute als Hauptwirkung der Antisense-Substanzen angenommen. Whrend die Synthese komplementrer Oligonukleotide gegen bekannte Gene einfach ist, so mu ein AS-ON als in vivo therapeutisch wirksame Substanz weitere pharmakodynamische und -kinetische Charakteristika ausweisen, die z.T. eine deutlich grere Herausforderung darstellen: F F F F F
Stabilitt gegenber zellulrer Nuklease, Aufnahme des AS-ON durch die Zielzelle, Aktivierung der RNase H, Spezifitt und Affinitt fr die Ziel-RNS, geringe oder keine unspezifischen Nebenwirkungen.
Um diese Forderungen zu erfllen, wurden verschiedene molekulare Modifikationen der AS-ON entwickelt. Durch Ersatz der Phosphodiester-Kette durch Phosphorothioate (PS) wird eine gewisse Stabilitt gegenber Nukleasen erreicht. PS-AS-Konstrukte stellen die sog. erste Generation von AS-ON dar. Die zweite Generation von AS-ON stellen verschiedene Modifikationen der Moleklstruktur dar, wie z.B. die Einbringung einer Methylgruppe (Methylphosphonate), einer Aminogruppe (Phosphoramidate) oder einer O-Gruppe (Phosphotriester). Durch diese Modifikationen werden bestimmte pharmakologische Merkmale der AS-ON verndert, was sich in erhhter Stabilitt, besserer Zellakkumulation und geringeren unspezifischen
16
20-mer/PS
20-mer/PS
Liposomales 15-mer/PS
ISIS 3521 (Affinitakj)
G3139, Oblimersen (Genasensej)
ISIS 5132
LErafAON
PKC-a
BCl-2
c-Raf-1
Allerg. Reaktion Dyspnoe Kreatininerho¨hung Thrombopenie
Thrombopenie Fieber
Fatigue
Thrombopenie Ana¨mie U¨belkeit Erbrechen
Haupttoxizita¨t
Zulassung fu¨r ha¨matologische Malignome und Melanom erwartet
Noch kein Aktivita¨tsnachweis als Monotherapie
III III III III III III I/II I/II I/II I/II I/II I/II II I/II I
NSCLC/SCLC Andere solide Tumoren Solide Tumoren
NHL CLL Mylom AML Melanom NSCLC SCLC Mamma CRC Magen Niere Andere solide Tumoren
NSCLC Mamma Astrozytom Andere solide Tumoren
Phase-III-Studie bei NSCLC negativ (ASCO 2003)
Kommentar Klinische Entwicklungsphase III II II I/II
Malignome
16
18-mer/PS
Gro¨ße/chemischer Aufbau
Substanz
Target
Tabelle 3. Antisense-Oligonukleotide in klinischer Pru¨fung
802 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
PTT-Verla¨ngerung Fieber ? ? ? ? ?
18-mer/AC
21-mer/AC
24-mer/PS
21-mer/PS
20-mer/AC
26-mer/PS
GEM 231
OGX-011
LR/INX-3001
GTI-2040
MG98
BCR-ABL AS
PKA-R1-a
Clusterin/TRPM-2
c-Myb
RibonukleotidReduktase
DNS-Methyltransferase
Bcr-Abl
I
I/II II I/II
CML Niere Solide Tumoren
CML
II I/II
Prostata NSCLC
II
I/II
Solide Tumoren
Lunge, CRC, Mamma
II II II I
Pankreas NSCLC
PS Phosphorothioat-Oligonukleotid, AC „advanced chemistry“-Oligonukleotid; DLT dosislimitierende Toxizita¨t
Keine DLT beschrieben
20-mer/PS
ISIS 2503
Ha-ras
Noch kein Aktivita¨tsnachweis als Monotherapie
Noch kein Aktivita¨tsnachweis als Monotherapie
16.3 Proapoptotische Substanzen
803
16
804
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Nebenwirkungen uern kann. Whrend PS-ON zur Zeit noch die am hufigsten eingesetzte Variante in klinischen und prklinischen Untersuchungen darstellt, so ist doch absehbar, da pharmakologisch berlegene Formulierungen PS-ON in Zukunft zumindest im klinischen Einsatz verdrngen werden. AS-ON werden nicht nur im Bereich der Onkologie untersucht; so wurden auch immunmodulatorische und antiinfektise Substanzen entwickelt, die z.T. schon fr die klinische Anwendung zur Verfgung stehen. Dazu gehrt Fomivirsen (Vitravene), ein AS-ON zur Behandlung der Zytomegalieretinitis bei AIDS-Patienten. Eine detaillierte bersicht ber die im Moment in klinischer Prfung befindlichen AS-ON in der Onkologie findet sich in Tabelle 3.
4 Farnesyltransferase-Inhibitoren Zellproliferation, Differenzierung und Apoptose werden durch verschiedene extrazellulre Faktoren wie Hormone, Wachstumsfaktoren und Zytokine reguliert. Diese Molekle dienen als Liganden fr zellulre Rezeptoren, die wiederum mit dem Zellkern durch ein Netzwerk von Signalkaskaden kommunizieren. In Tumorzellen sind diese Signalwege in der Regel dereguliert, so da eine Zelle durch berexpression oder Mutation von Protoonkogenen maligne Zellcharakteristika entwickelt. Ein solches Protoonkogen ist ras, das als wichtiger Integrator und Initiator von verschiedenen Signaltransduktionskaskaden fungiert. Ras kodiert ein 21 kD groes membranstndiges GDP-GTP-bindendes Protein (G-Protein), das als molekularer Umschalter zwischen GTP-bindender aktiver und GDP-bindender inaktiver Form
Abb. 1. Aktivierung und Inaktivierung von Ras, Isoformen und konstitutionell aktivierende Mutationen
16.3
Proapoptotische Substanzen
805
Abb. 2. Schematische Darstellung Ras-initiierter Signalkaskaden
wirkt. Die ras-Gen-Familie umfat verschiedene nichtonkogene und vier onkogene Isoformen (Abb. 1). Verschiedene Mutationen des ras-Gens sind identifiziert worden, die zu einer konstitutionellen Aktivierung des Ras-Proteins fhren, das heit, Ras verliert seine Umschaltfunktion und verbleibt konstant in der GTP-bindenden Form, wodurch nachgeschaltete Signalwege (Abb. 2) dauerhaft aktiviert werden. Die transformierende Aktivitt von Ras wurde schon 1982 von Parada et al. erstmals beschrieben. In verschiedenen prklinischen Modellen wurde nachfolgend belegt, da Ras ein wesentlicher Faktor fr Zelltransformation, Zellproliferation und Zellberleben (Antiapoptose) darstellt. Darber hinaus wurden in einer Vielzahl hmatologischer und nichthmatologischer Malignome ras-Mutationen identifiziert, wobei verschiedene Tumorentitten vorzugsweise mit bestimmten ras-Isoformen assoziiert sind (Tabelle 4). Diese Tatsachen machen Ras zu einem interessanten Zielmolekl fr eine antineoplastische Therapie. Nur ein mittels Prenylrest an der inneren Zellmembran verankertes RasMolekl ist signalaktiv. Die Aktivierung von Ras vollzieht sich dabei im Sinne einer posttranslationellen Modifikation, wobei der wesentliche Schritt die Anheftung und Prozessierung des Prenylrestes ist, der im Normalfall eine Farnesylkette, ggfs. aber bei verschiedenen Isoformen auch ein Geranyl-Geranyl-Rest sein kann (Abb. 3). In den letzten Jahren sind verschiedene
16
806
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Tabelle 4. Ha¨ufigkeit von ras-Mutationen und ras-Isoformen in verschiedenen Malignomen (mod. nach Adjej 2001) Malignom
Ha¨ufigkeit ras-Mutation (%)
Dominante Isoform
Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom
33
K
Kolorektales Karzinom
44
K
Pankreaskarzinom
90
K
Schilddru¨se
– follikula¨r
53
H, K, N
– papilla¨r
0
–
– undiff.
60
H, K, N
43
K, N
Melanom
13
N
Urothelkarzinom
10
H
Seminom
Hepatozellula¨res Karzinom
30
N
Nierenzellkarzinom
10
H
Multiples Myelom
30–40
N, K
Plasmazell-Leuka¨mie
60–70
N, K
AML
20–30
N, K
ALL
20
N, K
CML
50–70
N, K
Myelodysplastisches Syndrom
40
N, K
kompetitive Inhibitoren der Farnesyltransferase (FTI) entwickelt worden, die in vitro eine Ras-Aktivierung erfolgreich blockieren knnen. In Xenograft-Modellen verschiedener Tumorentitten konnte die antineoplastische Potenz der FTI dokumentiert werden mit einem akzeptablen Nebenwirkungsprofil, so da einige FTI Eingang in klinische Studien gefunden haben, wobei heute noch drei Substanzen aktiv weiterentwickelt werden. Tabelle 5 fat die wesentlichen Ergebnisse der verfgbaren klinischen Studien zusammen. R115777 (Tipifarnib) ist die zur Zeit klinisch am besten untersuchte Substanz, mit der nach Definition der maximal tolerablen Dosis in PhaseI-Studien sofort anschlieend zwei Phase-III-Studien beim kolorektalen Karzinom (als Salvage-Monotherapie) und beim Pankreaskarzinom (als Erstlinien-Kombinationstherapie mit Gemcitabin), jeweils geprft gegen Placebo, initiiert wurden. Obwohl diese beiden Tumoren nachweislich in einem hohen Prozentsatz ras-Mutationen aufweisen, zeigte sich keinerlei klinische Aktivitt von R115777 in diesen klinischen Studien. Auch der
16.3
Proapoptotische Substanzen
807
Abb. 3. Posttranslationelle Modifikationen von Ras mit Angriffspunkten fu¨r verschiedene Inhibitoren (FTIs: Farnesyltransferase [Ftase]-Inhibitoren, GGTIs: Inhibitoren der Geranyl-Geranyl-Transferase [GGTase])
andere breit untersuchte FTI SCH66336 zeigte sich in den meisten Studien in soliden Tumoren als wenig oder gar nicht wirksam (vgl. Tabelle 5). Zur Erklrung der offensichtlichen Diskrepanz zwischen nachgewiesener RasDeregulation und fehlender klinischer Wirksamkeit von in vitro effektiven Ras-Inhibitoren sind verschiedene Hypothesen herangezogen worden: Zum einen kann insbesondere K-Ras nicht nur durch Farnesylierung, sondern auch durch Geranyl-Geranylierung aktiviert werden, also die Blockade durch FTI umgehen. Dabei ist wichtig festzustellen, da gerade K-Ras die dominierende Isoform in Pankreas-, Bronchial- und kolorektalen Karzinomen darstellt (vgl. Tabelle 1). Zum anderen ist vorstellbar, da FTI ihre klinische Wirkung ber die Inhibition der Farnesylierung ganz anderer Zellproteine als Ras entfalten. In Sugetierzellen werden etwa 100 Proteine funktionell farnesyliert, u.a. auch Effektoren und Inhibitoren der apoptotischen Kaskade sowie Zellzyklusregulatoren und strukturelle Proteine. Whrend so in den klassischen Ras-abhngigen Tumoren bislang keine berzeugenden Wirksamkeitsnachweise fr FTI gefhrt werden konnten, zeigen sie doch eine interessante Aktivitt bei anderen Erkrankungen wie dem Mammakarzinom und hmatologischen Malignomen. Fr die Zukunft ist eine Weiterentwicklung der FTI in diesen Indikationen zu erwarten.
16
Applikation
Oral
Oral
FTI
R115777, Tipifarnib (Zarnestraj)
SCH66336, Lonafarnib (Sarasarj)
Diarrho¨ U¨belkeit, Erbrechen Neuropathie
Neuropathie U¨belkeit, Erbrechen Diarrho¨
*
Pankreas Mamma Kopf-Hals NSCLC Urothel AML CML MDS
U.a. Pankreas Kolorektale Mamma Prostata SCLC NSCLC AML CML Multiples Myelom
Untersuchte Malignome
II II II II II II II II
III III II II II II II II II
Klinische Entwicklung (Phase)
Keine Aktivita¨t bei Pankreas- und Urothelkarzinom, interessante Aktivita¨t bei Mammakarzinom und bei ha¨matologischen Malignomen
Phase-III-Studien beim Pankreas- und beim kolorektalen Karzinom negativ, interessante Aktivita¨t beim Mammakarzinom und bei ha¨matologischen Malignomen
Kommentar 16
*
Gruppeneffekt: Fatigue (durch Inhibition der Phosphorylase-Kinase a + b?) Ha¨matotoxizita¨t (durch Inhibition zytokinvermittelter Signalwege, z.B. via c-kit)
Haupttoxizita¨t
Tabelle 5. Farnesyltransferase-Inhibitoren (FTI) in klinischer Pru¨fung
808 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Oral, i.v.
I.v.
BMS-214662
L-778, 123
QT-Verla¨ngerung
Diarrho¨ U¨belkeit, Erbrechen
Verschiedene I/II Klinische Entwicklung abgebrochen aufgrund kardialer Toxizita¨t
In fru¨her klinischer Entwicklung
16.3 Proapoptotische Substanzen
809
16
810
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
5 Inhibitoren des Zellzyklus Der Zellzyklus als Motor der Zellproliferation unterliegt in nichttransformierten, nichtmalignen Zellen einer straffen Steuerung durch eine Vielzahl molekularer Faktoren. In fast allen malignen Zellen finden sich hingegen Aberrationen des Zellzyklus, vor allem im Sinne einer aufgehobenen Inhibition des G1/S-bergangs. Zentral beteiligt an der Regulation des Zellzyklus sind die cyclinabhngigen Serin/Threonin-Kinasen (cyclin-dependent kinases, CDKs). CDKs bertragen Phosphatgruppen auf Akzeptormolekle, die dadurch ihrerseits aktiviert oder deaktiviert werden. Die Aktivitt der CDKs schwankt synchron mit dem Fortschritt des Zellzyklus, also der Abfolge der Zellteilungsphasen. Ursache fr diese rhythmische Aktivittsmodulation ist, da CDKs durch die Bindung an bestimmte Proteine aktiviert werden, deren Konzentration zyklisch schwankt und die deshalb Cycline genannt werden. Bisher sind neun CDKs (CDK1-9) und fnfzehn Cycline identifiziert worden. Whrend Cycline CDKs aktivieren und so den Zellzyklus antreiben, fungieren andere Proteine, die „cyclin-dependent kinase inhibiting proteins“ (CKIs), als Bremser und verhindern eine zu schnelle Zellteilung. Es sind zwei CKI-Familien bekannt: F
Die erste Gruppe beinhaltet unter anderem p21CIP1, p27 und p57, die eine hohe Spezifitt fr CDKs zeigen.
Abb. 4. Schematische Darstellung des Zellzyklus und Angriffspunkte von molekularen Regulationsfaktoren
16.3 F
Proapoptotische Substanzen
811
Die zweite Gruppe besteht aus p16, p15, p18 und p19 und besitzt eine eingeschrnkte Spezifitt fr CDKs.
Die hufigste Mutation, die bei Faktoren des Zellzyklus in malignen Tumoren gefunden wird, betrifft das Retinoblastomgen. Das Retinoblastomgen (Rb) fungiert als Tumorsuppressorgen, indem es E2F-Transkriptionsfaktoren sequestriert. Nach Rb-Phosphorylierung durch CDK4 und/oder CDK6 in der G1-Phase und CDK2 in der G1/S-Interphase werden E2F-Proteine freigesetzt, die dann wiederum die Transkription von Genen initiieren, die essentiell sind fr den bergang des Zellzyklus in die S-Phase (Abb. 4). Medikamente, die CDKs inhibieren, zielen darauf ab, die Progression des Zellzyklus zu stoppen und Apoptose zu ermglichen. Darber hinaus zeigen experimentelle Untersuchungen, da durch die Inhibition von CDKs eine Chemo- oder Strahlenresistenz durchbrochen werden kann. Das p21-Protein inhibiert den Zellzyklus auf zwei unabhngige Wege: Inhibition von Cyklin-CDK-Komplexen und Inhibition von PCNA (proliferation cell nuclear antigen). Demgegenber bindet sich p16 an das Genprodukt des Tumorsuppressorgens Rb. Tabelle 6 zeigt eine Auswahl der Zellzyklusinhibitoren in klinischer Prfung. Indirubin, eine aktive Substanz der traditionellen chinesischen Medizin, war das erste Beispiel eines CDKs-Hemmstoffs in der Krebstherapie. Flavopiridol, der erste in die klinische Prfung eingefhrte CDK-Hemmstoff, wurde bei einem Screening-Programm des Nationalen Cancer Institute entdeckt. Flavopiridol ist ein semisynthetisches Flavon, das aus einer indigohaltigen Pflanze aus Indien (Dysoxylum binectarieferum) gewonnen wird. Es ist ein unselektiver „Pan-Cyclin-Inhibitor“; es bindet nicht nur an CDK1 und sorgt somit fr eine G2-Arretierung, sondern hemmt auch CDK2, CDK4 und CDK6 (G1-Arrest) und induziert somit Apoptose. Weiterhin hemmt es auch die Proteinkinase A, Proteinkinase C und EGFR-TK. In Phase-I/II-Studien zeigte Flavopiridol bisher Aktivitt bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen, Nieren-, Prostata-, Kolon- und gastrointestinalen Tumoren. Die empfohlene Phase-II-Dosis liegt bei 37,5 mg/m2/d als 1-Stunden-Infusion ber fnf Tage alle 3 Wochen. Zur Zeit wird Flavopiridol in klinischen Studien sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit Paclitaxel, Cisplatin oder CPT-11 u.a. bei CLL, Mammakarzinom, NSCLC, Non-Hodgkin-Lymphomen, kolorektalem Karzinom, Prostatakarzinom und anderen soliden Tumoren untersucht. UCN-01 (7-Hydoxystauroporin). Das Staurosporinmolekl wurde bei der Suche nach Inhibitoren der Proteinkinase C aus Extrakten des Bakteriums Streptomyces sp. isoliert. Folgende Effekte von UCN-01 sind bekannt: Inhibition der PKC-Isoformen a, b und c, Akkumulation der Zellen in der G1-Phase des Zellzyklus
16
Target
CDK1, CDK2, CDK4, CDK6, PKC, PKA, EGFR-ZK
CDK1, CDK2, CDK4, PKC Isoenzyme
CDK1 > CDK2
CDK1 > CDK5 > CDK2 > CDK4
PKC
Substanz
Flavopiridol
UCN-01/7-Hydroxystaurosporin
Butyrolacton
Indigoide (Indirubin)
Bryostatin
Diarrho¨e Thrombose, U¨belkeit, Erbrechen, Fieber
Hyperglyka¨mie U¨belkeit Erbrechen, pulmonale Dysfunktion
Flavonoid
Alkaloid
Makrozyklisches Lakton
Myalgie Fatigue
NHL CLL
CML, Prostata
Indirubin
I/II I/II
IV
I
Kombination mit ARA-C, Fludarabin,
Chinesisches Heilmittel
Metabolit von Tegafur
Kombination mit Radiatio oder Chemotherapeutika I I I I I/II II II II
Melanom NHL Sarkome Solide Tumoren CLL Pankreas Niere Niere
Monotherapie oder in Kombination mit Paclitaxel, Cisplatin, Imatinib, CPT-11
II II II II I I I II I/II
NHL Niere Prostata Kolon CLL Mamma NSCLC Kopf/Hals Solide Tumoren
Naturprodukt
Kommentar
Klinische Entwicklungsphase
Malignom
16
Gastrointestinale Beschwerden
Haupttoxizita¨t
Familie
Tabelle 6. Zellzyklusinhibitoren in klinischer Pru¨fung
812 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
CDK1, CDK2
CDK5 > > CDK4, PKC
CDK1, CDK2, CDK5, PKC
Roscovitine
(CYC202)
Purvalanol
Purin Myelosuppression Hauttoxizita¨t
I/II
Solide Tumoren
Purin
B-CLL Prostata Mamma NSCLC Glioblastom Melanom Niere NHL Sarkome
Xenograft I/II II II II I/II II I II
Glomerulonephritis I
I
Melanom
Purin
II II II
Magen AML Prostata Solide Tumoren bei Kindern
Auch Kombinationen mit 5-FU und Gemcitabin, Immunosuppressivum
Vincristin, Paclitaxel, Cisplatin, Gemcitabin
Proapoptotische Substanzen
PK Proteinkinase, CDK cyclin dependent kinase, m-TOR mammalian target of rapamycin
Rapamycin-Analog m-TOR-Cyclin D (CCI-779) (RAD001) und A
CDK1, CDK2, CDK5 > > CDK4, PKC
Olomoucine
I/II I/II keine Aktivita¨t I/II
Ovarialkarzinom Kolorektal Melanom Niere Sarkome Kopf/Hals
16.3
813
16
814
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
und Inhibition von CDK2, CDK4 und CDK6. Durch die Hemmung von CDK2 wird die Phosphorylierung des Retinoblastomproteins pRB verhindert, wodurch ein G1-Zellzyklusstopp ausgelst wird. Die Erhhung der Menge an hypophosphoryliertem pRB fhrt zu einer vermehrten Bindung des Transkriptionsfaktor E2F-1 zur Bildung eines pRB-E2F-l-Komplexes, was den bergang in die S-Phase hemmt. UCN-01 wurde bisher in Phase-I/II-Studien bei Melanom, NHL und Sarkomen, Pankreas- und Nierenzellkarzinom sowie anderen soliden Tumoren getestet. CCI-779, ein Rapamycin-Ester, ist ein mTOR(„mammalian target of rapamycin“)-Kinase-Inhibitor. mTOR aktiviert sowohl die 40S-ribosomale Proteinkinase S6 (p70s6k) und den eukaryoten Initiationsfaktor „4E-binding protein-1“. Rapamycin-Analoge inhibieren somit die RNS-Translation. Darber hinaus blockieren sie die Aktivierung von CDKs, inhibieren die Rb-Phosphorylierung und frdern die Degradierung von Cyclin D1. All diese Effekte fhren in der Summe zu einem Zellarrest in der G1-Phase des Zellzyklus. Klinisch zeigt CCI-779 antineoplastische und immunsuppressive Wirkungen. Erste therapeutische Wirksamkeitsnachweise existieren bereits bei Patienten mit Glioblastom, NSCLC, Prostata- und Mammakarzinom. CCI-779 befindet sich zur Zeit in klinischer Phase-II/III-Prfung. Weitere spezifische mTOR-Inhibitoren wie RAD 001 und AP23573 sind in einer frheren Phase der Entwicklung.
6 Antiangiogenetische Substanzen Voraussetzung fr ein ungestrtes Tumorwachstum und die Ausbildung von Metastasen ist eine ausreichende Versorgung des Tumors mit Sauerstoff und Nhrstoffen. Ab einer Tumorgre von wenigen Millimetern ist die Versorgung durch alleinige Diffusion nicht mehr ausreichend, so da ein Anschlu an das nutritive System des Wirtsorganismus durch eine begleitende Neoangiogenese erforderlich ist. Die Grundlage der Angiogenese sind Endothelzellen, die unter anderem die Fhigkeit zur Proliferation und Migration besitzen. Die Neoangiogenese verluft in sequentiellen Schritten ber die Aktivierung von Endothelzellen prexistenter Blutgefe, wie z.B. Kapillaren, Sekretion von Enzymen zur Degradierung der extrazellulren Matrix, Invasion der Matrix und schlielich Beginn der Zellteilung. Insgesamt ist die Angiogenese ein physiologischer, durch negativ und positiv angiogen wirkende Faktoren strikt kontrollierter Vorgang. Im Rahmen der Tumorigenese kommt es zu genetischen Vernderungen und Aktivierung von Onkogenen bzw. Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen, was unter anderem zu einer vermehrten Sekretion von proangiogenen Zytokinen, wie z.B. VEGF oder bFGF, fhrt. Dadurch stimuliert der Tumor die fr sein Wachstum notwendige Neoangiogenese in seiner Umgebung. Dieser Proze spielt neben dem lokalen Tumorwachstum auch eine wesentliche Rolle in
16.3
Proapoptotische Substanzen
815
der Tumormetastasierung. Aus der Notwendigkeit der Angiogenese fr das Tumorwachstum resultiert der insgesamt sehr vielversprechende therapeutische Ansatz der antiangiogenetischen Therapie. Im Gegensatz zur konventionellen zytostatischen Therapie zielt diese Therapieform nicht auf die direkte Zerstrung der Tumorzellen ab, sondern soll die Tumorzellen durch Unterbindung der Nhrstoffversorgung und des Abtransports von Stoffwechselprodukten am Wachstum hindern. Anhand ihres Wirkmechanismus knnen die antiangiogenetischen Substanzen folgendermaen untergliedert werden: F F F F F F
Inhibitoren der Matrixmetalloproteinasen, Endogene Angiogenese-Inhibitoren, Inhibitoren Angiogenese-stimulierender Faktoren, Gezielt antivaskulr aktive Substanzen, Hemmung der Funktion teilungsaktiver Endothelzellen, Unspezifische Inhibitoren der Angiogenese.
Die einzelnen Substanzklassen mit ausgewhlten Vertretern sind in Tabelle 7 aufgefhrt und werden im Folgenden detaillierter beschrieben. Inhibitoren der Matrixmetalloproteinasen (MMPs)
Charakteristisch fr maligne Tumoren ist ihre Fhigkeit, in umliegendes Gewebe zu infiltrieren oder zu metastasieren. Voraussetzung fr die Proliferation von Tumorzellen sowie fr die einhergehende Neovaskularisierung ist die Degradierung von extrazellulrer Matrix. Dieser Proze wird u.a. durch Matrixmetalloproteinasen vermittelt. Die Familie der Matrixmetalloproteinasen besteht aus einer Gruppe von mindestens 20 zinkabhngigen Endopeptidasen mit der Fhigkeit, nahezu smtliche Komponenten der extrazellulren Matrix zu degradieren. Im Vergleich zum Normalgewebe werden in Tumorzellen sowie in Tumorstromazellen MMPs berexprimiert, und es besteht eine positive Korrelation zwischen der Expression von Proteinasen und der Tumoraggressivitt. In prklinischen Untersuchungen wirkten Inhibitoren der MMPs antiproliferativ auf Tumor- und Endothelzellen. Man unterscheidet unspezifisch wirkende (z.B. Batimastat, Marimastat, Neovastat oder AG3340) sowie besonders auf MMP 2, 3 und 9 wirkende MMP-Inhibitoren (z.B. BMS-275291 oder COL-3; s. a. Tabelle 7). Eine Schwierigkeit in der klinischen Entwicklung der MMP-Inhibitoren liegt in ihrer vorwiegend zytostatischen Wirkungsweise. Somit lassen sich die klassischen Prfparameter klinischer Phase-I…III-Studien nicht immer anwenden, und es mssen fr zuknftige klinische Studien andere Meparameter definiert werden. So erscheint aufgrund ihrer Wirkungsweise die Definition einer MTD-Dosis fr MMP-Inhibitoren im Rahmen einer PhaseI-Studie nicht sinnvoll. Statt dessen sollte die Dosis definiert werden, die
16
Wirkmechanismus/Target
Breitspektruminhibitor der Metalloproteinasen
Breitspektruminhibitor der Metalloproteinasen
Inhibitor der Metalloproteinasen 2 und 9
Unspezifischer Metalloproteinasen-Inhibitor
Inhibitor der Metalloproteinasen 2 und 3
Metastat (COL-3)
AG3340
Batimastat
BMS-275291
Neovastat
BAY12-9566
Inhibierung von Endothelzellen, mo¨glicherweise Hemmung der Aktivierung von Matrixmetalloproteinasen
Zytotoxisch fu¨r Endothelzellen
Inhibierung von Endothelzellen
Endostatin
Combrestatin-A4
Angiostatin
III
Phase
I
Gestoppt
III
I–II
Gestoppt
III
Solide Tumoren, NSCLC
I–II
Solide Tumoren, anaplastisches I–II Schilddru¨senkarzinom
Solide Tumoren
Pankreaskarzinom
Nierenzellkarzinom, NSCLC, multiples Myelom
Solide Tumoren, Prostatakarzinom
Solide Tumoren
Prostatakarzinom, NSCLC
I–II Anaplastische Astrozytome Einige Studien und Oligodendrogliome, beendet Glioblastoma multiforme, fortgeschrittene solide Tumoren
Mammakarzinom, SCLC
Tumorart
Unwirksam
Unwirksam
Unwirksam
Kommentar 16
Endogene Angiogenese-Inhibitoren
Breitspektruminhibitor der Metalloproteinasen
Inhibitor der Metalloproteinasen 2 und 9
Marimastat
Metalloproteinase-Inhibitoren
Substanz
Tabelle 7. Auswahl antiangiogenetisch wirksamer Substanzen
816 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Kolonkarzinom, Mammakarzinom, Mesotheliom, Ha¨mangioblastom Solide Tumoren Solide Tumoren, NSCLC, multiples Myelom Nierenzellkarzinom, rezidivierende/progrediente solide Tumoren Solide Tumoren, Nierenzell-, Prostata-, Kolon-, Mamma-, Pankreaskarzinom, Non Hodgkin-Lymphome, NSCLC, Weichteilsarkome, Karzinoid, Mesotheliom, Kopf-HalsTumoren, Melanom, MDS
Spezifische Inhibierung des VEGF-Rezeptors KDR
Inhibierung des VEGF-Rezeptors KDR, der Rezeptoren von FGF und PDGF
Inhibierung des VEGF-Rezeptors KDR und des EGF-Rezeptors
Monoklonaler VEGF-Antiko¨rper
Neutralisierung von VEGF, monoklonaler VEGF-Antiko¨rper
PTK787
SU6668
ZD6474
HuMV833
Bevacizumab (Avastinj)
I–III
II–III
Wirksamkeitsnachweis beim kolorektalen und beim Nierenzellkarzinom, NSCLC
Unwirksam beim kolorektalen Karzinom
Proapoptotische Substanzen
I–II
gestoppt
II–III
I–III einige Solide Tumoren, WeichteilStudien beendet! sarkom, malignes Melanom, multiples Myelom, Mesotheliom, Kopf-Hals-Tumoren (Plattenepithel), Kolon-, Ovarialkarzinom, Gliom, Kaposi-Sarkom
Spezifische Inhibierung des VEGF-Rezeptors flt-1
SU5416
Inhibitoren Angiogenese-stimulierender Faktoren
16.3
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16
Kaposi-Sarkom, Ha¨mangiom, neuroendokrine Tumoren, Melanom, Nierenzell-, Kolonkarzinom
Ribozym mit Aktivita¨t gegen mRNS des VEGF-R1
Hemmung der Freisetzung von VEGF, bFGF, Interleukin 8 und MMP-9
Angiozyme
Interferon-a
Nierenzell-, Ovarialkarzinom, solide Tumoren Solide Tumoren, NSCLC, Ovarial-Karzinom
Modulierung von Zytokinen, u.a. VEGF und bFGF; Suppression der Oberfla¨chenexpression von b-Integrinen
Kalziumkanalinhibitor
Inbibiert Na+/H+-Austauscher
Thalidomid
CAI
Squalamine
II
II–III
I–II
I–III
I/II
I–II
Multiples Myelom, Glioblastom, I–III Prostata-, Ovarial-, Nierenzell-, Kolon-, Schilddru¨senkarzinom, HCC, Weichteilsarkome, Hirnmetastasen solider Tumoren, Melanom, Osteosarkom, neuroendokrine Tumoren
Inhibierung der FGF-induzierten Angiogenese
TNP-40
Prostata-, Zervix-, Pankreaskarzinom, Kaposi-Sarkom
Prostata-, Nierenzellkarzinom, Gliom
Wirksamkeitsnachweis beim multiplen Myelom!
Entwicklung eingestellt
Kommentar 16
Unspezifische Inhibitoren der Angiogenese
NSCLC
Endothelin-A-Rezeptor-Antagonist
I
Atrasentan
Phase
Tumorart NHL, solide Tumoren
Wirkmechanismus/Target
Extrazellula¨re Doma¨nen von VEGF-R1 u. -R2, Neutralisierung von VEGF
Substanz
VEGF-Trop
Tabelle 7. (Fortsetzung)
818 Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Wirksamkeitsnachweis beim NSCLC und Glioblastom Wirksamkeitsnachweis beim kolorektalen Karzinom, KopfHals-Tumoren Wirksamkeitsnachweis beim Mammakarzinom
I–III NSCLC, NHL, Kolon-, O¨sophagus-, Prostata-, Mamma-, Zervix-, Blasen-, differenziertes Schilddru¨senkarzinom, HCC, solide Tumoren I–III
I–III
I–III
NCSLC, Kolon-, Mamma-, Ovarialkarzinom, Kopf-HalsTumoren, Weichteilsarkome, Glioblastom Pankreas-, Kolonkarzinom, NSCLC, Kopf-Hals-Tumoren, andere solide Tumoren
Mamma-, Magen-, Ovarialkarzinom, solide Tumoren, Osteosarkom
Selektive Hemmung der Cyclooxygenase-2
Inhibiert die EGF-1-Rezeptor-Tyrosinkinase, indirekte Hemmung der VEGF-, bFGF- und TGF-a-Sekretion
Blockierender monoklonaler Antiko¨rper gegen EGF-1-Rezeptor, indirekte Hemmung der VEGG-, bFGF- und TGF-a-Sekretion
Blockierender monoklonaler Antiko¨rper gegen ERB-2-Rezeptor, indirekte Hemmung der VEGF-, Angiopoetin-1-, TGF-a-Sekretion und PAI. Induziert Thrombospondin-1-Sekretion
Gefitinib (Iressaj), Erlotinib (Tarcevaj)
Cetuximab (C225), EMD72000, ABX-EGFR
Trastuzumab (Herceptinj)
EGF-Rezeptor-Inhibitoren (Auswahl)
Celecoxib
COX-2-Inhibitor
I–II
Anaplastische Gliome, solide Tumoren
I
Solide Tumoren
Anti-avb5-Antiko¨rper
avb3-Integrin-Inhibitor
I–III
Kaposi-Sarkom, Kolon-, Ovarialkarzinom
EMD 121974
Modulierung verschiedener Zytokine
Vitaxin
Integrin-Antiko¨rper
IM862
16.3 Proapoptotische Substanzen
819
16
820
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
dauerhaft oral appliziert werden kann. Zur Prfung der Wirksamkeit knnen die klassischen radiologischen Remissionsparameter nicht verwandt werden. Hier knnten alternativ der Blutflu und die Angiogenese sowie die Glukosemetabolisierung durch Methoden wie MRT oder PET zur Beurteilung eines Ansprechens gemessen werden. Eine Hemmung der MMPs verhindert durch spezifische oder unspezifische MMP-Inhibitoren eine Endothelzellmigration in die extrazellulre Matrix. Die bisherigen klinischen Ergebnisse mit verschiedenen MMP-Inhibitoren sind insgesamt enttuschend. Nach den konventionellen Remissionskriterien lieen sich zusammenfassend bestenfalls Erkrankungsstabilisierungen erzielen, objektive Remissionen waren die Ausnahme. Grnde fr dieses Ergebnis sind die mglicherweise fr MMP-Inhibitoren ungeeignete Art des Ansprechmonitorings und der Applikationsmodus. Wesentliche Nebenwirkungen waren „Fatigue“-Syndrom, Thrombozytopenie, Photosensibilitt und die Entwicklung einer inflammatorischen Polyarthritis. Zuknftige Anstze sind zum einen die Entwicklung spezifischerer MMPInhibitoren, die Anpassung des Studiendesigns an die Besonderheiten der MMP-Inhibitoren und die Kombination von MMP-Inhibitoren mit konventionellen Zytostatika oder weiteren Anstzen der biologischen Tumortherapie. Endogene Angiogenese-Inhibitoren
Endogene Angiogenese-Inhibitoren hemmen selektiv die Endothelzellproliferation. Zu ihnen gehren das Angiostatin (Fragment des Plasminogens) und das Endostatin (Fragment des Kollagens XVIII). Ein spezifischer Rezeptor oder Signaltransduktionsweg konnte bislang nicht identifiziert werden. Allerdings werden als mgliche Wirkmechanismen eine Inhibierung der Aktivierung von proMMPs und eine Hemmung von Integrinen diskutiert. Thrombospondin-1 wird u.a. von Thrombozyten sezerniert und hat neben anderen auch eine antiangiogenetische Wirkung. Diese wird vorwiegend durch den auf mikrovaskulren Endothelzellen exprimierten CD36Rezeptor vermittelt. Fr weitere Einzelheiten siehe Tabelle 7. Inhibitoren Angiogenese-stimulierender Faktoren
Aufgrund der zentralen Rolle des „vascular endothelial growth factors“ (VEGF) in der Neoangiogenese erscheinen Anstze zur Inhibierung seiner Funktion besonders vielversprechend. VEGF wird durch Tumorzellen sezerniert und induziert neben der Neoangiogenese auch die Expression von Kollagenasen und fhrt zu einer Vasodilatation und erhhter Gefpermeabilitt. Zudem verlngert VEGF in seiner Funktion als Wachstumsfaktor die
16.3
Proapoptotische Substanzen
821
berlebenszeit von Endothelzellen z.T. durch berexpression von Bcl-2. Zur Ausbung seiner Funktion bindet VEGF an die TyrosinkinaseVEGF-Rezeptoren 1…3 (Flt-1, KDR und Flt4). Als therapeutische Strategie wurde zum einen versucht, die VEGF-Wirkung durch monoklonale Antikrper zu blockieren, zum anderen, eine Hemmung der Signaltransduktion durch Inhibitoren der VEGF-Rezeptor-Tyrosinkinase zu erreichen. Einen berblick ber die wesentlichen VEGF-blockierenden Antikrper und Tyrosinkinase-Inhibitoren gibt Tabelle 7. Bevacizumab ist der herausragende Vertreter der antiangiogenetischen Substanzen. Bevacizumab ist ein hochspezifischer humanisierter monoklonaler Antikrper gegen VEGF. In einer randomisierten Phase-II-Studie konnte mit einer Bevacizumab-Monotherapie eine signifikante Verlngerung des progressionsfreien berlebens bei Patienten mit Nierenzellkarzinom gegenber einer Kontrollgruppe erzielt werden. Darber hinaus wurde es in einer groen placebokontrollierten Phase-III-Studie bei Patienten mit fortgeschrittenem kolorektalem Karzinom in Kombination mit einer konventionellen Chemotherapie geprft. Die Gruppe der Patienten, die mit der Kombination Bevacizumab plus Chemotherapie (Irinotecan, Bolus 5Fluorouracil/Folinsure) behandelt wurden, wiesen eine signifikant hhere Remissionsrate, lngeres progressionsfreies berleben und Gesamtberleben auf. Als einzige therapieassoziierte Nebenwirkung von Bevacizumab demaskierte sich eine Hypertonie, die allerdings leicht medikaments kontrolliert werden konnte. Aufgrund dieses berzeugenden klinischen Wirksamkeitsnachweises ist bald mit der Zulassung von Bevacizumab unter dem Handelsnamen AvastinJ zu rechnen. Eine ausfhrlichere Darstellung des tumorspezifischen Einsatzes von Bevacizumab findet sich bei den Kapiteln zum kolorektalen Karzinom und Nierenzellkarzinom (s. Kap. 93 u. 130). Eine ganze Reihe von Inhibitoren der Tyrosinkinaseaktivitt des VEGFRezeptors als sog. „small molecules“ befinden sich zur Zeit in klinischer Prfung. Die anfngliche Euphorie fr diesen hochspezifischen Therapieansatz wurde durch negative Resultate in einer Reihe von klinischen Studien abgekhlt. So wurde in einer Phase-III-Studie mit SU5416, einem spezifischen VEGF-R-Inhibitor, beim kolorektalen Karzinom eine tendenzielle Prognoseverschlechterung der behandelten Patienten beobachtet. Auch die Entwicklung des Breitspektrum-Tyrosinkinase-Inhibitors der zweiten Generation SU 6668 wurde gestoppt. Diese Substanz besitzt antiangiogenetische und antiproliferative Eigenschaften durch Hemmung der Autophosphorylierung des c-Kit-, VEGF-, FGF- und PDFG-Rezeptors. Wesentliche Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Mdigkeit, belkeit, Durchfall und abdominelle Beschwerden. Aufgrund unbefriedigender pharmakokinetischer Eigenschaften wird derzeit die klinische Testung nicht fortgesetzt.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Interessant hingegen erscheint der VEGF-R-Inhibitor PTK787, der sich in fortgeschrittener klinischer Prfung befindet. In Phase-II-Studien konnte bei einer Reihe von soliden Tumoren in Kombination mit konventioneller Chemotherapie eine hohe antineoplastische Aktivitt dieses kombinierten Therapieansatzes beobachtet werden, der zur Zeit in Phase-III-Studien berprft wird. Neben der Hemmung der VEGF-Wirkung durch Antikrper und VEGFRezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitoren (VEGF-RI) stellt die ribozymvermittelte Spaltung der VEGF-RI-mRNS einen weiteren interessanten Ansatz dar. In Phase-I/II-Studien war die Vertrglichkeit des Angiozyms insgesamt gut, weitere Phase-II-Studien werden derzeit durchgefhrt (Tabelle 7). Literatur Adjei AA (2001) Blocking oncogenic Ras signaling for cancer therapy. J Natl Cancer Inst 93:1062…1074 Baker AH, Edwards DR, Murphy G (2002) Metalloproteinase inhibitors: biological actions and therapeutic opportunities. J Cell Sci 115:3719…3727 Baselga J (2002) Why the epidermal growth factor receptor? The rationale for cancer therapy. Oncologist 7 Suppl 4:2…8 Brunner TB, Hahn SM, Gupta AK et al (2003) Farnesyltransferase inhibitors: an overview of the results of preclinical and clinical investigations. Cancer Res 63:5656… 5668 Chi K, Murray R, Gleave M et al (2003) A phase II study of oblimersen sodium (G3139) and docetaxel (D) in patients (pts) with metastatic hormone-refractory prostate cancer (HRPC). Proc Am Soc Clin Oncol 22:abstr. 1580 De Bono JS, Tolcher AW, Rowinsky EK (2003) Farnesyltransferase inhibitors and their potential in the treatment of breast carcinoma. Semin Oncol 30:79…92 Egeblad M, Werb Z (2002) New functions for the matrix metalloproteinases in cancer progression. Nat Rev Cancer 2:161…174 Ehrlich M (2002) DNA methylation in cancer: too much, but also too little. Oncogene 21:5400…5413 Fischer PM, Gianella-Borradori A (2003) CDK inhibitors in clinical development for the treatment of cancer. Expert Opin Investig Drugs 12:955…970 Folkman J (1971) Tumor angiogenesis: therapeutic implications. N Engl J Med 285:1182…1186 Folkman J (2003) Angiogenesis and apoptosis. Semin Cancer Biol 13:159…167 Glade-Bender J, Kandel JJ, Yamashiro DJ (2003) VEGF blocking therapy in the treatment of cancer. Expert Opin Biol Ther 3:263…276 Hayashi T, Hideshima T, Anderson KC (2003) Novel therapies for multiple myeloma. Br J Haematol 120:10…17 Huang S, Houghton PJ (2003) Targeting mTOR signaling for cancer therapy. Curr Opin Pharmacol 3:371…377 Hurwitz H, Fahrenbacher L, Novotny W et al (2004) Bevacizumab plus irinotecan, fluorouracil, and leucovorin for metastatic colorectal cancer. N Engl J Med 350:2335…2342
16.3
Proapoptotische Substanzen
823
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16
16.4 Chronomodulierte Chemotherapie K.-O. Kliche, R.W. von Roemeling
1 Definition Krperfunktion unterliegen rhythmischen Vernderungen. Die Frequenz dieser physiologischen Schwankungen ist unterschiedlich: hohe Frequenzen wie z.B. elektrische Impulse des zentralen Nervensystems und des Herzens oder bestimmte hormonale Impulse (ACTH, Prolaktin, Wachstumshormon), mittlere Frequenzen wie z.B. Tages- und Nachtrhythmen (Hormone wie Kortikosteroide und Melatonin) und lange Frequenzen wie z.B. Menstruationszyklen und Jahreszyklen. Die Erforschung dieser biologischen Rhythmen ist Anliegen der Chronobiologie. Chronotherapie ist die zeitspezifische Verabfolgung von Medikamenten, basierend auf der Erkenntnis biologischer Rhythmen, die zu einer Steigerung der Medikamentenwirkungen und/oder zur Verminderung der Nebenwirkungen fhren kann. Besondere Bedeutung hat die Chronotherapie in den letzten Jahren als sog. chronomodulierte Chemotherapie in der Onkologie erfahren. Ebenso gibt es zahlreiche Therapieanstze in der Kardiologie. Von besonders praktischer Bedeutung ist die Behandlung der arteriellen Hypertonie (Lemmer 2000).
2 Hypothese Die Wirksamkeit einer Therapie wird von der Phase des biologischen Rhythmus zum Zeitpunkt des Eingriffes mitbestimmt. Das schliet periodische ˜nderungen der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Medikamenten ein. Normalgewebe und Tumorgewebe haben unterschiedliche Empfindlichkeitsrhythmen gegenber zytotoxischen Substanzen, was eine Selektivittssteigerung der zytotoxischen Wirkung ermglicht.
3 Signifikanz Die Kenntnis periodischer Vernderungen erlaubt die Mglichkeit einer Verbesserung des therapeutischen Index; bei gleicher Nebenwirkungsrate kann die Wirksamkeit mittels hherer Zytostatikadosen gesteigert werden. Das kann in speziellen Fllen anhaltende komplette Remission im Vergleich zu lediglich zeitlich begrenzter Hemmung des Tumorwachstums bedeuten. Andernfalls kann bei gleichbleibender Wirkung die Nebenwirkungsrate gesenkt werden.
16.4
Chronomodulierte Chemotherapie
825
4 Experimenteller Hintergrund Chronobiologische Erkenntnisse sind insbesondere in der Krebsforschung und Krebstherapie erzielt worden. Am besten sind tageszeitliche (= zirkadiane) Rhythmen beschrieben worden: Pharmakokinetik von zytotoxischen Substanzen, Empfindlichkeit von normalen und malignen Geweben und Therapieerfolge in bezug auf Tumorremissionen und Heilungsraten. Die Forschung mu am intakten Organismus unter definierten Versuchsbedingungen erfolgen. Diese betreffen den gesteuerten Wechsel von Tageslicht und Dunkelheit (z.B. alle 12 Stunden), die Nahrungsmittelaufnahme, die Aktivitt der Versuchstiere und den Ausschlu von Strfaktoren. Zirkadiane Rhythmen sind bei Versuchstieren nach 1…2 Wochen Gewhnungszeit weitgehend synchronisiert. Als physiologischer Marker wird oft der Tagesrhythmus der Krpertemperatur bestimmt. Der gleiche therapeutische Eingriff (z.B. eine Zytostatikadosis) resultiert dann in unterschiedlichen Auswirkungen in Abhngigkeit vom Tageszeitpunkt der Verabfolgung. Eine klassische Serie von Tierexperimenten ist von E. Haus et al. bereits 1972 beschrieben worden. Zunchst wurde die Vertrglichkeit des gewnschten Zytostatikums zu 6 verschiedenen Tageszeiten bestimmt. Danach erhielten Muse mit L1210-Leukmie 4 Behandlungskurse mit Cytarabin (Ara-C) im Abstand von jeweils 4 Tagen. Jeder Kurs bestand aus 8 intraperitonealen Injektionen im Abstand von je 3 h. In der Kontrollgruppe betrug jede Einzeldosis 30 mg/kg KG (Gesamtdosis pro Kurs: 240 mg/kg KG). In der Chronotherapiegruppe wurden bei gleicher Gesamtdosis die Einzeldosen von 7,5 bis 67,5 mg/kg KG variiert. Die hchsten Dosen wurden whrend der Ruhephase der Tiere gegeben, was dem Tageszeitpunkt der besten Vertrglichkeit entsprach, und die niedrigsten Dosen wurden whrend der Aktivittsphase injiziert. Heilung wurde nur mit Chronotherapie erzielt; die mittlere berlebenszeit wurde im Vergleich zur Kontrollgruppe verdoppelt (p = 0,005). ˜hnliche Untersuchungen sind mit vielen der heute gebruchlichen zytotoxischen Medikamenten durchgefhrt worden. Diese Tierversuche belegen, da der therapeutische Index der meisten Medikamente sich signifikant mit dem Tageszeitpunkt ihrer Verabfolgung ndert. Ausfhrliche bersichten sind von Bjarnason u. Hrushesky (1994), Focan (1995) und LØvi (1997) verffentlicht worden. Die optimale Tageszeit ist von der jeweiligen Substanz und der Struktur des Behandlungszyklus abhngig. Selbst nach wiederholten Zytostatikagaben ndert sich das chronopharmakologische Ergebnis nicht wesentlich (Boughattas 1990). Auch biologische Responsemodifier (z.B. Interferon, Interleukin-2, Tumornekrosefaktor) lassen sich chronotherapeutisch anwenden (LØvi 1990; Wood 1994).
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16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
5 Klinische Studien Eine der ersten randomisierten Studien wurde von Hrushesky (1985) an Patientinnen mit metastasiertem Ovarialkarzinom (FIGO-Stadium III bis IV) durchgefhrt. Diese erhielten 8monatige Kurse mit Doxorubicin (60 mg/m2), gefolgt von Cisplatin (60 mg/m2) im 12-h-Abstand. Sie wurden fr einen Therapiebeginn um 6 Uhr morgens (A) oder 6 Uhr abends (B) randomisiert. Gruppe B hatte doppelt so viele Dosisreduktionen, eine 4fache Rate an Therapieverzgerungen wie A, und trotzdem war die Komplikationsrate doppelt so hoch. Die Beobachtung, da die o.g. Chronotherapie die Toleranz der Anthrazyklin/Platin-Kombination ohne Einbue an Effektivitt wesentlich verbessert, wurde durch weitere randomisierte Studien mit Blasenkarzinompatienten an der gleichen Institution und in einer unabhngigen Studie besttigt (Hrushesky 1987; LØvi 1990). Langzeitinfusionen bestimmter Zytostatika (z.B. Antimetaboliten mit kurzer Plasmahalbwertszeit) haben sich fr manche Indikationen als vorteilhaft erwiesen. Die Infusionsrate wird meistens konstant gehalten. Jedoch lassen sich auch hier wesentliche Therapieverbesserungen durch zirkadiane Modulation des Infusionsmusters erzielen. Floxuridin (5-FUDR) ist als konstante Infusion am Gastrointestinaltrakt hochgradig toxisch. Ein Infusionsmuster mit hherer Infusionsrate am Abend (dem Zeitpunkt der besten Vertrglichkeit) und niedrigerer morgendlicher Rate vermeidet Komplikationen weitgehend ohne Einbue an Effektivitt (von Roemeling 1989). Eine internationale Phase-III-Studie versucht derzeit, diese Befunde an Patienten mit metastasiertem Nierenkarzinom zu besttigen. LØvi et al. (1997) haben in einer zwischenzeitlich als klassisch zu bezeichnenden Studie eine wesentliche Verbesserung des therapeutischen Index durch Chronotherapie anhand einer randomisierten Studie von 186 nicht vorbehandelten Patienten mit metastasiertem Kolonkarzinom berichtet. 1301 Therapiekurse wurden an 10 europischen Tumorzentren durchgefhrt. Die Patienten wurden fr konventionelle Behandlung mit konstanter Infusionsrate (A) oder Chronotherapie mit zeitlich modifizierter Infusionsrate (B) randomisiert. Sie erhielten Therapiekurse mit 5tgiger Dauerinfusion von Oxaliplatin (L-OHP: 20 mg/m2/Tag), 5-Fluorouracil (5-FU: 600 mg/ m2/Tag) und Folsure (FA: 300 mg/m2/Tag). Sofern vertrglich, wurde die tgliche Dosis fr OHP auf 25 mg/m2 und fr FU auf 700 mg/m2 erhht. Die Behandlung wurde mit Hilfe einer tragbaren, computergesteuerten Infusionspumpe mit mehreren Infusionsreservoiren (IntellijectJ, Fa. Aguettant, Frankreich) ambulant alle 3 Wochen durchgefhrt. Fr die Chronotherapie wurden Infusionraten in Form von Sinuskurven (Zyklusdauer jeweils 24 h) programmiert: Die Kurvengipfel (maximale Infusionsgeschwindigkeit) wurden fr 5-FU und FA auf 4 Uhr morgens und fr L-OHP auf 16 Uhr festgelegt. Diese Chronotherapie basierte auf vorhergehenden vorklinischen
16.4
Chronomodulierte Chemotherapie
827
und klinischen Erfahrungen (Caussanel 1990; LØvi 1992), welche die jeweiligen Tageszeiten der besten Vertrglichkeit bestimmt hatten. Folgende klinische Ergebnisse wurden berichtet (Tabelle 1): Tabelle 1 N
ResponseRate (%)
Progr.freie Zeit
Stomatitis (%)
Neuropathie (%)
Kontrolle (A)
93
29 (95%-CI: 19–39)
4,9 Monate
76
16
Chronother. (B)
93
51 (40–61; p < 0,003)
6,4 Monate (p < 0,06)
14 (p < 0,0001)
31 (p < 0,01)
N = Patientenzahl; Stomatitis (WHO-Gr. 3–4); dosislimitierende kumulative per. Neuropathie (Gr. 2)
Schwere Leukopenie, Diarrh und Hand-foot-Syndrom traten hufiger in der Kontrollgruppe auf (p < 0,05). Die Dosisintensitt ber 6 Behandlungskurse war in Gruppe B fr L-OHP 12% (p < 0,11) und fr FU 25% (p < 0,0001) hher. Trotzdem wurde die Chronotherapie nicht nur wesentlich besser vertragen, sondern war auch effektiver gegen Kolonkarzinome. Bei einigen Patienten mit partieller Remission wurde durch anschlieende Metastasenresektion eine komplette Remission erreicht (A = 14%, B = 22%). Da die Studie einen Wechsel zum anderen Therapiearm gestattete, konnte eine berlebensdifferenz nicht gezeigt werden. Immerhin betrug die 3-Jahres-berlebensrate der Gesamtpatientenzahl > 20%. Verschiedene klinische Studien haben tierexperimentelle Ergebnisse hinsichtlich der zugrundeliegenden Mechanismen besttigt, welche zur Verbesserung des therapeutischen Index mittels Chronotherapie fhrten. Normale Gewebe, deren Empfindlichkeit die maximale Dosis einer zytotoxischen Substanz bestimmt, unterliegen nachgewiesenen rhythmischen Proliferations- und Stoffwechselprozessen (Focan 1995; Smaaland 1992; Buchi 1991; Potten 1992). Der Zeitgeber ist das Tageslicht (Czeisler 1986). Zirkadiane Rhythmen sind sehr stabil und sind nur im Tumorendstadium geringer ausgeprgt oder nicht mehr vorhanden (im Verhltnis zu reduziertem Allgemeinbefinden, Aktivittsverlust/Schlafstrungen und berwltigender Tumormasse) (Focan 1995; Mormont u. LØvi 1997; Raida et al. 2002). Der Nachweis von Markerrhythmen ist wichtig (Focan 1995; Mormont u. LØvi 1997; Abrahamsen 1993). Im allgemeinen ist bei Patienten mit regulrem Tag-und-Nacht-Rhythmus die Vertrglichkeit knochenmarktoxischer Medikamente wesentlich besser, wenn diese in den frhen Morgenstunden verabreicht werden. Die intestinale und renale Toleranz ist besser in den Abendstunden. Auch Tumorgewebe (z.B. maligne Lympho-
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
me, Ovarialkarzinom) unterliegen rhythmischen Empfindlichkeitsschwankungen, die von denen der dosislimitierenden Normalgewebe abweichen (Focan 1995; Klevecz 1987; Smaaland 1991). Hier ist die klinische Erfahrung allerdings gering, was sich aus praktischen und ethischen Limitierungen hinsichtlich serienmiger Biopsien erklrt. Zirkadiane Rhythmen sind fr die Pharmakokinetik vieler Medikamente nachgewiesen worden (Absorption, Verteilungsvolumen und -muster, Metabolismus und Exkretion; Labrecque 1991). Viele Enzyme, welche im Aktivierungsproze wie in der Entgiftung von zytotoxischen Substanzen, wie z.B. 5-Fluorouracil, wichtig sind (Dihydropyrimidindihydrogenase), wechseln von minimaler zu maximaler Aktivitt bis zu einem Faktor 10 whrend des Tagesablaufes. Konstante Langzeitinfusionen dieser Substanz fhren zu rhythmischen Schwankungen der Plasmaspiegel mit 5fachem Unterschied zwischen minimalem und maximalem Spiegel (Harris et al. 1990). Bei begrenzter Enzymkapazitt knnen zeitweilig unterschiedliche metabolische Prozesse ablaufen (Zhang et al. 1994). Selbst bei konstanten Plasmaspiegeln kann die Aufnahme von Medikamenten ins Gewebe zirkadian variieren; zustzlich knnen Schwankungen der Rezeptoranzahl und -empfindlichkeit sowie der Funktionszustand der Zellen in Normal- und Tumorgeweben den Therapieeffekt beeinflussen (Labrecque 1991). Hormonale Einflsse (z.B. Kortikosteroide) knnen hier eine wichtige Rolle spielen (Zhang u. Diasio 1994). Auch die Kapazitt von Entgiftungsprozessen (z.B. Verfgbarkeit von reduziertem Glutathion) unterliegt rhythmischen Schwankungen (Smaaland 1992).
6 Ausblick Biologische Rhythmen und ihre Bedeutung fr physiologische Leistungsfhigkeit, maligne und nichtmaligne Krankheiten und deren Therapien werden in zunehmendem Ausma verstanden. In der Krebsforschung haben vorklinische Untersuchungen die Hypothese einer mglichen Verbesserung der Therapieergebnisse mittels Chronotherapie bewiesen. Die bertragbarkeit von Tierexperimenten auf die klinische Praxis ist schwierig. Im klinischen Alltag lassen sich die Untersuchungsbedingungen nur schwer standardisieren. Der technologische Fortschritt hat jedoch automatisierte Langzeitbeobachtungen (z.B. von physiologischen und pathologischen Markerrhythmen) und zeitspezifische Medikamentenapplikation (z.B. computergesteuerte Infusionspumpen) ermglicht. Ein wachsendes Verstndnis von Tumorbiologie und klinischer Pharmakologie erlaubt die Formulierung klinisch relevanter Fragestellungen, die in kontrollierten Studien beantwortet werden mssen. Die Chronotherapie ist derzeit im Bereich klinischer Studien angesiedelt und bezieht sich im wesentlichen auf zirkadiane Rhythmen. Andere biologische Rhythmen knnen ebenfalls klinische Bedeutung
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Chronomodulierte Chemotherapie
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haben (z.B. Menstruationszyklus oder Jahresrhythmen mit Auswirkung auf die Funktion des Immunsystems) (Wood u. Hrushesky 1996). Wesentliche Verbesserungen von Medikamentenvertrglichkeit und Tumorremission sind berichtet worden. Der Nachweis einer Lebensverlngerung oder gesteigerten Heilungsrate steht noch aus. In dem Ausmae, in dem sich o.g. Ergebnisse besttigen und verbessern lassen, wird sich die Chronotherapie in der klinischen Praxis etablieren. Hierzu trgt wesentlich auch die Etablierung einer Arbeitsgruppe fr Chronotherapie (CTSG) innerhalb der EORTC bei, die im Jahre 1997 gegrndet wurde. Derzeit laufen vier multizentrische Studien bei Kolon-, Gallengangs-, Pankreas- und Mammakarzinom. Diese Gruppe hat inzwischen eine bemerkenswerte Zahl gut publizierter Studien vorgelegt. Literatur Abrahamsen JF, Smaaland R, Sandberg S et al (1993) Circadian variation in serum cortisol and circulating neutrophils are markers for circadian variation of bone marrow proliferation in cancer patients. Eur J Haematol 50:206…212 Bjarnason GA, Hrushesky WJM (1994) Cancer chronotherapy. In: Hrushesky WJM (ed.) Circadian Cancer Therapy. CRC Press, London, pp 241…263 Bjarnason GA, Hrushesky WJM, Diasio R et al (1994) Flat versus circadian modified 14 day infusion of FUDR for advanced renal cell cancer (RCC). Proc Amer Soc Clin Oncol 13:223 Boughattas NA, LØvi F, Fournier C et al (1990) Stable circadian mechanisms of toxicity of two platinum analogs (cisplatin and carboplatin) despite repeated dosages in mice. J Pharmacol Exp Ther 255:672…679 Buchi KN, Moore JG, Hrushesky WJM et al (1991) Circadian rhythm of cellular proliferation in the human rectal mucosa. Gastroenterology 101:410…415 Caussanel JP, LØvi F, Breinza S et al (1990) Phase I trial of a 5-day continuous venous infusion of oxaliplatin at circadian rhythm-modulated rate compared with constant rate. J Natl Cancer Inst 82:1046…1050 Czeisler CA, Allan JS, Strogatz SH et al (1986) Bright light resets the human circadian pacemaker independent of the timing of the sleep-wake-cycle. Science 233:667… 671 Focan C (1995) Circadian rhythms and cancer chemotherapy. Pharmacol Ther 67:1…52 Harris BE, Song R, Soong S-J, Diasio RB (1990) Relationship between dihydropyrimidine dehydrogenase activity and plasma 5-fluorouracil levels with evidence for circadian variation of enzyme activity and plasma drug levels in cancer patients receiving 5-fluorouracil by protacted continuous infusion. Cancer Res 550:197… 201 Haus E, Halberg F, Scheving LE et al (1972) Increased tolerance of leukemic mice to arabinosyl cytosine with schedule adjusted to circadian system. Science 177:80…82 Hrushesky WJM (1985) Circadian timing of cancer chemotherapy. Science 228:73…75 Hrushesky WJM, Roemeling Rv, Wood PA et al (1987) High dose intensity systemic therapy for metastatic bladder cancer. J Clin Oncol 5:450…455
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
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16.4
Chronomodulierte Chemotherapie
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16.5 Photodynamische Therapie P. M. Schlag, M. Hnerbein, K. T. Moesta
1 Definition und Wirkmechanismus Die photodynamische Therapie (PDT) basiert auf der Aktivierung eines Photosensibilisators durch Laserlicht einer geeigneten Wellenlnge. Als Photosensibilisatoren haben sich in der klinischen Anwendung Porphyrinderivate, insbesondere Na-Polyporphimer (PhotophrinJ), durchgesetzt. Diese Substanzen akkumulieren mit einer gewissen Selektivita¨t in malignem Gewebe und induzieren nach Anregung mit Laserlicht (630 nm) ber eine photochemische Reaktionskette die Bildung von zytotoxischen Radikalen, die eine Tumordestruktion herbeifhren (Dougherty et al. 1998). Neben den therapeutischen Optionen lassen sich die photochemischen Eigenschaften der Photosensibilisatoren auch zur Lokalisationsdiagnostik oberflchlicher Tumoren einsetzen. Nach Anregung mit Laserlicht kann der im Tumor angereicherte Photosensibilisator durch die Emission einer rtlichen Fluoreszenz sichtbar gemacht werden. So wird eine przise Bestrahlung des gesamten Tumorareals ermglicht (Abb. 1).
Abb. 1. Schematischer Ablauf der photodynamischen Therapie (PDT) und der laserinduzierten Fluoreszenzdiagnostik (LIFD)
16.5
Photodynamische Therapie
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Die Wirkung der photodynamischen Therapie beruht insbesondere auf vaskula¨ren Effekten, die durch die Freisetzung von vasoaktiven Substanzen (Thromboxan, Prostacyclin), Entzndungsmediatoren und Zytokinen vermittelt werden und zu einer Tumorhypoxie fhren (Finger et al. 2000). Darber hinaus konnte an Patienten mit urogenitalen Tumoren eine lokale Immunstimulation durch Freisetzung von Interleukinen und Tumornekrosefaktor (TNF) als mglicher Wirkungsmechanismus identifiziert werden (Ochsner et al. 1997). Im Gegensatz zur Lasertherapie mit dem Nd-YAG-Laser beruht die Wirkung der PDT nicht auf thermischen Effekten. >
Durch die photodynamische Therapie kann eine effektive Tumorzerstrung bei weitgehender Schonung der normalen Gewebe erzielt werden, da Photosensibilisatoren eine gewisse Affinitt fr maligne Tumoren aufweisen (Hnerbein et al. 1990).
Darber hinaus wird eine selektive Tumortherapie durch die gezielte Bestrahlung der Tumorareale gewhrleistet.
2 Klinische Anwendung Prinzipiell eignet sich PDT insbesondere fr superfizielle Tumoren, die einer Bestrahlung leicht zugnglich sind. Die photodynamische Therapie kann mehrfach an einem Patienten durchgefhrt werden, ohne da eine Maximaldosis, wie z.B. bei der Radiatio, erreicht wird. Trotz Vorbehandlung mit herkmmlichen Verfahren knnen resistente oder rezidivierende Tumoren effektiv durch die photodynamische Therapie behandelt werden. Inwiefern eine intraoperative photodynamische Therapie zur Sterilisation des Tumorbettes oder der Resektionsgrenzen vorteilhaft ist, mu noch untersucht werden. Als einzige systemische Nebenwirkung der Therapie tritt eine Photosensibilisierung der Haut gegenber Sonnenlicht auf, wobei eine Schdigung der Kutis durch entsprechende Schutzmanahmen vermieden werden kann. Nachdem in den ersten klinischen Studien die photodynamische Therapie bevorzugt an Patienten mit Bronchialkarzinomen und Hauttumoren angewandt wurde, existieren inzwischen eine Vielzahl von Phase-III-Studien zur Therapie verschiedener solider Tumoren mit der PDT (Kato 1998, Schlag et al. 1991, Webber et al. 1999). In den USA ist die PDT inzwischen von der FDA fr die Behandlung von Frhkarzinomen des Bronchialsystems und des sophagus zugelassen (McCaughan 1999). Gute Ergebnisse werden auch fr die Behandlung von Blasenkarzinomen berichtet, die hufig ein superfizielles, aber multifokales Wachstum aufweisen und damit optimale Voraussetzungen fr eine photodynamische Therapie bieten (Jocham et al. 1990).
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Ein weiteres Anwendungsgebiet fr die Phototherapie ist das lokal rezidivierte Mammakarzinom. Diese Tumoren weisen eine relativ hohe Inzidenz auf und sind mit konventionellen Therapieverfahren oft nur schwer zu beherrschen. Aufgrund der superfiziellen und flchigen Ausbreitung als Lymphangiosis carcinomatosa eignen sich diese Tumoren gut fr eine photodynamische Therapie (Schlag et al. 1992). Obwohl die ersten Resultate im Hinblick auf die lokale Tumorkontrolle ermutigend sind, mssen fr die endgltige Bewertung der photodynamischen Therapie die Langzeitergebnisse einschlielich der berlebensraten abgewartet werden. Vielversprechende Ergebnisse wurden auch bei der Therapie von kutanen Malignomen und Gehirntumoren beobachtet (DeRosa et al. 2000). Bei kleineren Tumoren knnen durch die photodynamische Therapie kurative Ergebnisse bzw. komplette lokale Remissionen induziert werden. Eine komplette Destruktion von greren Tumoren wird durch die geringe Penetrationstiefe (5…10 mm) des anregenden Lichts (630 nm Wellenlnge) limitiert. Teilweise kann jedoch ein guter palliativer Effekt durch Verkleinerung des Tumors und Wiederherstellung der Passage erzielt werden. Bei inoperablen Rektumkarzinomen wurde eine deutliche Reduktion der tumorbedingten Schmerzen nach PDT beschrieben.
3 Entwicklung Weitere Verbesserungen der photodynamischen Therapie sind v.a. durch die Synthese von Photosensibilisatoren mit verbesserten photochemischen Eigenschaften (z.B. Phthalozyanine, Chlorine) und die Entwicklung leistungsfhigerer Lasersysteme (v.a. Diodenlaser) zu erwarten. Von besonderer Bedeutung ist die Herstellung von Photosensibilisatoren mit guten Absorptionseigenschaften im hheren Wellenlngenbereich (> 700 nm). Durch die grere Eindringtiefe von Licht in diesem Wellenlngenbereich knnte die Behandlung von greren Tumoren mglich werden. Vielversprechend erscheint der Ansatz, die Bildung endogener Porphyrine nach Applikation der Porphyrinvorstufe 5-Aminolvulinsure (5-ALA) fr die PDT zu nutzen (Peng et al. 1997). Diese Substanz kann oral appliziert werden und induziert insbesondere in Tumorzellen die Bildung des phototoxischen Protoporphyrins IX. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, da im Vergleich zu anderen Photosensibilisatoren bei 5-ALA eine deutlich geringere Photosensibilisierung der Haut auftritt. Darber hinaus knnen technische Fortschritte auf dem Gebiet der Dosimetrie und Lichtapplikatoren zur Optimierung der Sicherheit und Effektivitt der Behandlung beitragen.
16.5
Photodynamische Therapie
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4 Zusammenfassung Zusammenfassend stellt die photodynamische Therapie eine neue Therapieform fr die Behandlung verschiedener Geschwlste dar, die insbesondere bei kleineren, therapieresistenten oder rezidivierenden Tumoren angewandt werden kann. Eine repetitive Applikation ist ebenso wie eine Kombinationsbehandlung mit konventionellen Therapieverfahren mglich. Zur Zeit sollte eine photodynamische Therapie nur an spezialisierten Zentren unter Studienbedingungen durchgefhrt werden. Literatur DeRosa FS, Bentley MV (2000) Photodynamic therapy of skin cancers: sensitizers, clinical studies and future directives. Pharm Res 17(12): 1447…1455 Dougherty TJ, Gomer CJ, Henderson BW et al (1998) Photodynamic therapy. J Natl Cancer Inst 90(12):8899…8905 Fingar VH, Taber SW, Haydon PS et al (2000) Vascular damage after photodynamic therapy of solid tumors: a view and comparison of effect in preclinical and clinical models at the University of Louisville. In Vivo 14(1):93…100 Hnerbein M, Stern J, Friedrich EA et al. (1990) Optimization of tumor diagnostics and photodynamic therapy with 111-Indium porphyrins. Laser Med Surg 6/ 3:131…135 Jocham D, Baumgartner R, Stepp H, Unsld E (1990) Clinical experience with the integral photodynamic therapy of bladder carcinoma. J Photochem Photobiol 6 (1…2):183 Kato H (1998) Photodynamic therapy for lung cancer … review of 19 years’ experience. J Photochem Photobiol B 42(2):96…109 McCaughan JS (1999) Photodynamic therapy: a review. Drugs Aging 15(1):49…68 Ochsner M (1997) Photophysical and photobiological processes in the photodynamic therapy of tumours. J Photochem Photobiol B 39(1):1…18 Peng O, Warloe T, Berg K et al (1997) 5-Aminolevulinic acid-based photodynamic therapy. Clinical research and future challenges. Cancer 79(12):2282…2308 Schlag P, Hnerbein M, Stern J et al (1991) Photodynamische Therapie gastrointestinaler Karzinome. Dtsch Med Wochenschr 116:619…624 Schlag P, Hnerbein M, Stern J et al (1992) Photodynamische Therapie: Behandlungsalternative des lokal rezidivierten Mammakarzinomes. Dtsch ˜rzteblatt 9:674…678 Webber J, Herman M, Kessel D, Fromm D (1999) Current concepts in gastrointestinal photodynamic therapy. Ann Surg 230(1):12…23
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16.6 Gen- und ,,Anti’’-Gentherapie I. Schmidt-Wolf, C. Rochlitz In den letzten Jahren hat sich die somatische Gentherapie rasant entwickelt. Whrend dieser Zeit wurden onkologische Erkrankungen die Hauptindikation fr Gentherapiestudien. Etwa 60% aller Gentherapiestudien beziehen sich auf onkologische Erkrankungen, und weltweit wurden zwischenzeitlich ber 2500 Patienten mit Krebs innerhalb solcher Studien behandelt. Das Ziel derartiger Studien ist es, durch Beeinflussung der genetischen Grundlage der Karzinogenese die selektive Zerstrung von Tumorzellen zu induzieren. Die Haupthindernisse eines solchen Therapieansatzes liegen nach wie vor in der unzureichenden Effizienz der zur Verfgung stehenden Vektorsysteme, der unzureichenden Entwicklung von Tiermodellen, die die entsprechende Erkrankung beim Menschen nachahmen, und im Fehlen guter klinischer Studien zur Erfassung von Sicherheit und biologischer Wirksamkeit des Gentransfers beim Menschen.
1 Techniken des Gentransfers Bei der Gentherapie im weitesten Sinne werden Gene in Zellen eingefhrt, die zur Expression von therapeutischen Proteinen fhren. Das stabile Einfhren von Genen in Eukaryontenzellen wird durch physikalische, chemische und biologische Methoden erreicht (Tabelle 1). In den meisten Fllen Tabelle 1. Methoden des Gentransfers Physikalisch Ballistischer Transfer Direkte Injektion Elektroporation * * *
Chemisch Calciumphosphat Liposomen Polylysinkonjugate
* * *
Biologisch Adenoviren Adenoassoziierte Viren Herpes-simplex-Virus Ku¨nstliche Chromosomen Pockenviren Retroviren Rezeptorvermittelt
* * * * * * *
16.6
Gen- und ,,Anti’’-Gentherapie
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werden ex vivo Zellen transfiziert und dem Patienten transfiziert zurckgegeben. Zu bevorzugen wre jedoch eine direkte In-vivo-Gabe des Vektorsystems zur direkten Therapie des Patienten. Bei den meisten Gentransferanstzen wird das natrliche Regulatorelement nicht mit transferiert. Statt dessen werden virale Promoter/Enhancer-Sequenzen mit der gewnschten cDNS gekoppelt. Dies fhrt zu einer gewollt unphysiologisch hohen Expression des transfizierten Gens. Aufgrund ihrer relativ hohen Effizienz werden retrovirale Vektoren am hufigsten als Vektorsystem eingesetzt. Fr eine erfolgreiche Transfektion mssen sich die Zielzellen teilen. Adenovirale Vektoren werden zunehmend hufiger eingesetzt, weil sie eine hohe Transfektionseffizienz besitzen, auch nicht-teilende Zellen befallen knnen und einen Tropismus fr epitheliales Gewebe besitzen. Adenoassoziierte Vektoren (AAV) integrieren an einer spezifischen Region im Chromosom 19 und bleiben episomal bis zur ersten Zellteilung. Fr weitergehende Informationen zu Techniken des Gentransfers verweisen wir auf Curiel et al. (2000).
2 Genmarkierungsstrategien Der 1989 von der Gruppe um S. Rosenberg durchgefhrte weltweit erste Transfer eines fremden Gens beim Menschen bestand aus der Ex-vivoTransfektion des Neomycin-Resistenzgens in tumorinfiltrierende Lymphozyten und der anschlieenden Reinfusion bei Patienten mit Melanomen. Das Verfahren erwies sich als atoxisch, und eine Expression des Transgens in vivo konnte bis zu 2 Monate lang nachgewiesen werden. Seitdem wurden mehr als 40 solcher Genmarkierungsstudien durchgefhrt, die meisten, um nach Hochdosischemotherapien (HDCT) mit autologer Stammzellrckgabe Informationen ber die Ursache eines spteren Rezidivs zu erfahren. So konnten M. Brenner und Mitarbeiter beim Neuroblastom und bei der kindlichen AML sowie A. Deisseroth et al. bei der CML des Erwachsenen in wegweisenden Untersuchungen zeigen, da mit den Stammzellen reinfundierte Tumorzellen, die entsprechende Markergene exprimierten, an einem Rckfall bei zumindest einigen der behandelten Patienten beteiligt waren. Fr weitergehende Informationen zu Genmarkierungsstudien verweisen wir auf Bollard et al. (2001).
3 Gentherapiestrategien Die derzeitigen Gentherapiestrategien sind in Tabelle 2 dargestellt. Sie werden im Folgenden diskutiert. Dabei werden u.a. die in Tabelle 3 aufgefhrten Gene und Genprodukte transfiziert. Die Strategien des Gentransfers knnen in Methoden des Tumorzelltransfers und des Transfers in NichtTumorzellen unterteilt werden. Eine andere Einteilung besteht in der Unterscheidung von In-vivo- und Ex-vivo-Transfektion.
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Tabelle 2. Gentherapiestrategien Immunologischer Ansatz Erho¨hung der Immunogenita¨t der Tumorzellen Blockade des Immunescape-Mechanismus Erho¨hung der antitumoralen Aktivita¨t von immunologischen Effektorzellen Erho¨hung der Aktivita¨t von antigenpra¨sentierenden Zellen * * * *
Schutz von normalem Gewebe Schutz von normalem Gewebe vor Nebenwirkungen der Chemotherapie *
Suizidgenansatz Einfu¨gen eines Sensitivita¨ts- oder Suizidgens in Tumorzellen
*
Zellzyklusreparatur Blockade der Aktivita¨t von Onkogenen Antisensestrategien Einfu¨gen eines Wildtyp-Tumorsuppressorgens in Tumorzellen * * *
Antiangiogeneseansatz Beeinflussung der Tumorangiogenese *
Behandlung von Kachexie Gabe eines Wachstumshormon-Gens
*
Beeinflussung der Telomerase Suppression der Telomeraseaktivita¨t
*
3.1 Erho¨hung der Tumorzellimmunogenita¨t Studien zur Tumorvakzination zielen darauf ab, die antitumorale Immunantwort v.a. durch Erhhung der Tumorimmunogenitt zu verbessern (Roth et al. 1994). Auf der Basis von Tiermodellen wurde mit einer Reihe von klinischen Phase-I- und -II-Studien begonnen. Zur Erhhung der Tumorzellimmunogenitt knnen z.B. Tumorzellen mit Genen, die fr ein Fremdoberflchenantigen kodieren, transfiziert werden. Es wird erwartet, da es zu einer Immunantwort sowohl gegen fremde als auch gegen spezifische Tumoroberflchenantigene kommt. Als Fremdoberflchengen wird z.B. HLA-B7 verwendet. Dabei kam es bei einzelnen Patienten zu einem klinischen Ansprechen. Ein anderer Ansatz besteht im Transfer von Genen von CD80 und CD86, die fr die Kostimulation der T-Lymphozyten eine entscheidende Rolle spielen. In der Regel werden dem Patienten zur Vakzination autologe Tumorzellen entnommen, die Zellen in vitro propagiert, die Tumorzellen transfiziert und dem Patienten zurckgegeben.
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Gen- und ,,Anti’’-Gentherapie
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Tabelle 3. Verwendete Gene und Genprodukte im Rahmen von onkologischer Gentherapie * * * * * * * * * * * *
Adha¨sionsmoleku¨le Angiogenese supprimierende Gene Antisense-Onkogene MHC-Klasse-I-Gene Rezeptoren Suizidgene Toxingene Tumorspezifische Antigene Tumorsuppressorgene Virale Antigene Zytokingene Zytostatikaresistenzgene
3.2 Blockade des Immunescape-Mechanismus Es ist bekannt, da Tumorzellen der Immunberwachung durch die Produktion von immunsuppressiven Zytokinen entkommen. Gentherapie knnte daher zur Verhinderung eines solchen Mechanismus eingesetzt werden. Zum Beispiel produzieren viele Tumoren groe Mengen an Insulin-like growth factor-1 (IGF-1). Die Transfektion von Antisense-IGF-1 fhrt zu einer Verminderung der IGF-Produktion und zu einer immunologischen Abstoung des Tumors im Tiermodell. In-vitro-IGF-AntisenseBehandlung von Gliomzellen fhrte zur Apoptose und war in vivo gut vertrglich (Andrews et al. 2001). 3.3 Erho¨hung der antitumoralen Aktivita¨t von immunologischen Effektorzellen Eine krftige antitumorale Aktivitt ist entscheidend fr eine komplette Elimination des Tumors. T-Lymphozyten von Tumorpatienten besitzen eine Reihe von Defekten an der Zelloberflche bzw. in der Signaltransduktion. Dadurch gibt es auch nach Stimulation keine adquate T-Zell-Antwort. Durch Zytokingabe kann es offensichtlich zu einem Sensibilisieren von T-Lymphozyten auch ohne adquate Signaltransduktion kommen. Wie oben unter „Erhhung der Tumorzellimmunogenitt“ ausgefhrt, werden beim Zytokingentransfer v.a. autologe oder allogene Tumorzellen, autologe, allogene oder xenogene Fibroblasten mit verschiedenen Zytokingenen wie IL-2, IL-4, TNF-a, IFN-c oder GM-CSF transfiziert (Schmidt-Wolf et al. 2002). Klinische Studien auf diesem Gebiet wurden v.a. bei Patienten mit malignem Melanom und Nierenzellkarzinom durchgefhrt, da diese Tumoren bei Immuntherapien eine gewisse Reaktion zeigen (SchmidtWolf et al. 1995).
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Alternativ werden auch immunologische Effektorzellen direkt mit Zytokingenen transfiziert. So wurden z.B. tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL) oder zytokininduzierte zytotoxische Zellen als immunologische Effektorzellen eingesetzt. Klinische Versuche wurden durch eine geringe Gentransfereffizienz bei TIL und eine Herunterregulierung der Zytokinexpression behindert. 3.4 Erho¨hung der antitumoralen Aktivita¨t von antigenpra¨sentierenden Zellen Antigenprsentierende Zellen wie die dendritischen Zellen (DC) spielen eine entscheidende Rolle bei der Immunantwort gegen Tumorzellen. Durch Zytokingentransfer wird versucht, die Aktivitt dieser Zellen zu erhhen bzw. immunologische Effektorzellen an die DC heranzufhren. Alternativ wird versucht, fr tumorspezifische Antigene (TSA) kodierende Gene in patienteneigene DC zu transfizieren, um so eine verbesserte zytotoxische Aktivitt in vivo zu erzeugen. 3.5 Schutz von normalem Gewebe vor toxischen Effekten der Chemotherapie Ein Schutz hmatopoetischer Stammzellen vor den toxischen Effekten einer Chemotherapie wrde eine hhere Dosierung von Zytostatika ermglichen und somit mglicherweise von therapeutischem Vorteil sein. Auerdem knnte Zytostatikaresistenz als Selektionsmarker zur Gewinnung von genmodifizierten Zellen dienen. So lt sich ein Chemotherapieresistenzgen mit einem therapeutischen Gen koppeln. Beispiele eines derartigen Therapieansatzes bestehen in der Transfektion des DHFR-Gens zur Erhhung der tolerablen Methotrexatdosis und vom Multi-drug-resistance-Gen (MDR 1). Eine stabile Expression von MDR 1 fhrt zu einer Verminderung der durch Paclitaxel verursachten Myelosuppression. Fr die entsprechenden klinischen Protokolle sind effiziente Purgingverfahren erforderlich, um zu gewhrleisten, da nichtkontaminierende Tumorzellen ebenfalls mit dem MDR 1-Gen transfiziert werden. Fr weitergehende Informationen zu Gentherapiestrategien verweisen wir auf Brenner (2001) und SchmidtWolf et al. (2002).
4 Anti-Gentherapiestrategien Im Gegensatz zu dem in Abschnitt 3 dargestellten Ansatz einer Intensivierung einer Immunanwort gegenber Tumorzellen kann alternativ versucht werden, in die Steuerung der fr die Kanzerogenese verantwortlichen Gene einzugreifen. Eingreifen heit hier, da versucht wird, Gene und deren Substrate herunterzuregulieren, die bei der Tumorentstehung involviert sind. Die negative Beeinflussung der Funktion der in diesem Zusammenhang unerwnschten Gene kann auf verschiedenen Ebenen geschehen.
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Gen- und ,,Anti’’-Gentherapie
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4.1 Blockade der Aktivita¨t von Onkogenen und Antisensestrategien Die Identifizierung von spezifischen Genen, die zur Entwicklung von Krebszellen bedeutsam sind, bietet die Mglichkeit, diese Gene und deren Produkte zum Ziel eines therapeutischen Ansatzes zu machen. Eine Verminderung einer gesteigerten Onkogenexpression fhrt bei einer Reihe von Zellinien zu einer Normalisierung der Tumorzelle. Inaktivierung von Onkogenen kann u.a. durch den Einsatz von Antisense-Oligonukleotiden und Ribozymen zur Inhibition onkogener Expression erreicht werden. Ribozyme erkennen ihre Zielstruktur durch komplementre Antisense-Nukleotidsequenzen, binden und schneiden die RNSMolekle. Antisense-mRNS schaltet die Produktion des abnormalen Proteins spezifisch ab, meist durch Translationsinitiations- oder Splicingsite-Beeinflussung. Als Wirkmechanismus wird vermutet, da AntisensemRNS im berschu mit der mRNS des Onkogens komplexiert und so die Translation verhindert. Antisense-Therapien wurden u.a. zur Therapie bei Brustkrebs, niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen, Ovarialkarzinom und Lungenkrebs vorgeschlagen. So ist bei Brustkrebs der Einsatz von brustgewebespezifischen Vektoren mit den Genen fr c-fos- und c-myc-Antisense-Oligonukleotiden geplant. Bei Patienten mit K-ras- oder p53-Mutation wurde direkt retroviraler berstand in verbliebenen Lungentumor injiziert. Diese Studie basiert auf einem orthotopen menschlichen Lungenkarzinommodell in nu/nu-Musen unter Verwendung eines retroviralen Antisense-K-rasKonstruktes. Erste Ergebnisse zeigen die Wirksamkeit der Antisense-Technologie und die Mglichkeit, das gesteigerte Wachstum der Tumorzellen zu manipulieren. So wurden in einer Phase-I-Studie bei neun Patienten mit niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen nach tglicher Injektion mit einem Antisense-Molekl gegen das bcl-2-Onkogen mehrere Remissionen gesehen. Es erscheint dabei wichtig, fr eine spezifische lokale Expression der Antisense-Vektoren zu sorgen, da Onkogene in manchen Fllen fr die normale Funktion von Zellen erforderlich sind. Limitierend fr eine Anwendung von Antisense-Technologien in der Klinik sind u.a. die derzeit noch extrem hohen Kosten fr die Erzeugung ausreichender Mengen der therapeutischen Molekle. 4.2 Ribozyme Eine weitere Mglichkeit, aktivierte Onkogene oder mutierte Tumorsuppressorgene auszuschalten, besteht in der Verwendung von sog. Ribozymen. Ribozyme sind RNS-Enzyme, die eine endoribonukleolytische Spaltung von RNS katalysieren. Es wurden verschiedene katalytische Sequenzen beschrieben, die alle eine nicht-hydrolytische Esterifizierung be-
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stimmter RNS-Zielregionen bewirken. Eine Modifizierung der katalytischen Sequenzen durch Einfgung von Antisense-Regionen macht aus diesen Moleklen dann fr definierbare RNS-Sequenzen spezifische Enzyme. Der Vorteil der Ribozyme gegenber konventionellen Antisense-Moleklen besteht darin, da sie nach enzymatischer Spaltung einer Sequenz sofort wieder fr eine weitere solche Reaktion an anderen, identischen RNS-Moleklen zur Verfgung stehen. ˜hnlich wie Antisense-Oligonukleotide knnen Ribozyme so spezifisch gestaltet werden, da sie z.B. die mutierte RNS-Sequenz eines ras-Onkogens oder des p53-Tumorsuppressorgens erkennen und spalten, die Wildtyp-Sequenzen der Gene aber zugleich nicht angreifen. Die hufigste prklinische Verwendung von Ribozymen besteht bisher in der Ausschaltung von bcr-abl-Onkogensequenzen bei der chronischen myeloischen Leukmie (CML). Ein anderer Ansatz ist der Versuch, Tumorzellen, die durch berexpression des Multiple-drug-resistance(mdr 1)-Gens gegen Zytostatika resistent geworden sind, mittels MDR1-spezifischer Ribozyme wieder chemotherapiesensibel zu machen. Aus Kostengrnden und weil Ribozyme erheblicher chemischer Modifikationen bedrfen, um in vivo wenigstens eine gewisse Stabilitt zu erlangen, drfte eine klinische Anwendung bis auf weiteres am ehesten beim Purging von hmopoetischen Stammzellretransfusionen nach HDCT liegen. In einer frhen klinischen Studie wurde untersucht, inwiefern bcr-abl-spezifische Ribozyme die Zahl von kontaminierenden malignen Zellen nach HDCT und autologer Stammzellrckgabe bei der CML reduzieren knnen. 4.3 Einfu¨gen eines Wildtyp-Tumorsuppressorgens Tumorsuppressorgene kodieren fr Proteine, die wie Bremsen des Zellwachstums wirken. Wenn diese Gene deletiert oder herunterreguliert werden oder mutieren, kann ein abnormales Wachstumsverhalten der Zellen resultieren. Hier ist also das Ziel, die Funktion des Wildtypgens wiederherzustellen. Das p53-Tumorsuppressorgen ist bei vielen angeborenen und erworbenen Tumorerkrankungen verndert, insbesondere beim Kolon-, kleinzelligen Lungen-, Ovarial- und Blasenkarzinom sowie bei der B-ALL. In Tierversuchen hat sich der p53-Wildtyp-Gentransfer als sehr potent erwiesen. In klinischen Studien wurde p53 u.a. bronchoskopisch bei Patienten mit Lungenkarzinom, intravesikal bei Patienten mit Blasenkarzinom sowie intratumoral bei Patienten mit Tumoren im Kopf-Hals-Bereich eingesetzt. Nachdem die Publikation einer ersten klinischen Studie beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom ermutigende Ergebnisse berichtete, wurden weltweit zwischenzeitlich ber 500 Patienten mit p53-Vektoren behandelt. In der Monotherapie liegt die berichtete WHO-Response-Rate bei allen Studien zusammengenommen bei nur ca. 5%, wobei allerdings eine separate
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Evaluation aller injizierten Einzellsionen ein Ansprechen bei fast 30% ergab. Aufgrund dieser Ergebnisse wird derzeit in randomisierten Studien u.a. geprft, inwiefern eine Kombination von Standardchemotherapie mit Adenovirus p53 einer alleinigen Chemotherapie bei HNO-Tumoren berlegen ist. Im Falle eines positiven Resultats ist damit zu rechnen, da der p53-Vektor das erste zugelassene gentherapeutische Medikament in der Onkologie werden wird (Schuler et al. 1998). Ein hochinteressanter neuer Ansatz besteht in der Verwendung replikationskompetenter Adenoviren, die aufgrund eines Verlustes des E1B-Gens nicht in gesundem Gewebe, sondern ausschlielich in Tumorzellen replizieren knnen, die einen Verlust der p53-Funktion aufweisen. 4.4 Einfu¨gen eines Sensitivita¨ts- oder Suizidgens in Tumorzellen Unter Sensitivittsgenen versteht man Gene, die aus einer relativ unschdlichen Substanz einen hochtoxischen Stoff werden lassen. Derartige Gene werden in Tumorzellen eingeschleust und knnen so innerhalb der Tumorzelle ihre Wirkung entfalten. Zu dieser Art Genen gehrt das Gen der Herpes-simplex-Thymidinkinase (HSVtk), die Ganciclovir zu einer toxischeren Substanz phosphoryliert. Ein anderes System stellt das Gen fr Cytosindeaminase dar, welches 5-Fluorcytosin in das toxische 5-Fluorouracil umwandelt. Die Ergebnisse mit Sensitivittsgenen im Tiermodell waren auerordentlich erfolgversprechend. Culver et al. (1992) berichteten von kompletten Remissionen bei Ratten mit zerebralen Gliomen nach Therapie mit HSVtk-produzierenden Fibroblasten. Dabei spielt der Bystander-Effekt offensichtlich eine groe Rolle. In einigen Fllen reichen bereits 10…20% mit HSVtk-Gen transfizierte Zellen aus, um zu einer kompletten Remission des Tumors zu fhren. Die Ursache liegt vermutlich darin, da toxische Metaboliten Nachbarzellen abtten. Erste Ergebnisse von Gentherapiestudien sprechen von nur geringem Ansprechen bei Patienten mit Glioblastom oder Hirnmetastasen. Wie bei den Tierversuchen gab es keinen Hinweis auf Toxizitt in bezug auf das Gentransferprotokoll. Die Produktion des fr die Behandlung von Glioblastomen vorgesehenen Vektors, dessen Name (Glioblastoma Vector = Glivec) bereits von der Herstellerfirma patentiert wurde, ist in der Zwischenzeit eingestellt worden. Der Name des Vektors gelangte anderweitig zur Berhmtheit. Ein weiterer interessanter Ansatz besteht in der Transfektion von Donorlymphozyten mit dem HSVtk-Gen, um eine selektive Elimination von Lymphozyten bei schwerer GVHD nach allogener Knochenmarktransplantation zu ermglichen.
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4.5 Beeinflussung der Tumorangiogenese Tumoren sind auf eine ausreichende Blutversorgung angewiesen. Daher erscheint eine Gentherapie mittels Angiostatin zur Behinderung der Tumorneovaskularisation aussichtsreich. Fr weitergehende Informationen zu Anti-Gentherapiestrategien verweisen wir auf Dilber et al. (2001).
5 Ethische U¨berlegungen Die ethischen und sozialen Auswirkungen einer somatischen Gentherapie wurden und werden ausfhrlich diskutiert. Es besteht derzeit ein allgemeiner Konsens, da somatische Gentherapie fr den Zweck der Behandlung einer schweren Erkrankung eine therapeutische Option darstellen knnte. In einer Reihe von Studien wurde die Unbedenklichkeit eines solchen Therapieansatzes auch an Primaten nachgewiesen. Diese Studien erschienen notwendig aufgrund der Mglichkeit eines Gefhrdungsrisikos einer neuen und bis dahin unbekannten Therapieform. Potentielle Probleme der Gentherapie wie Toxizitt und Gefhrdung der Umwelt erfordern, da gentherapeutische Studien mit grtmglicher Sorgfalt durchgefhrt werden. Insofern sind Bemhungen zu untersttzen, auch in Deutschland ein zentrales Register ber klinische Gentherapiestudien aufzubauen (website: http://www.zks.uni-freiburg.de/dereg.html). Bei onkologischen Erkrankungen stellen die Prozeduren, die mit bestrahlten genmodifizierten Tumorzellen verbunden sind, vermutlich kein hohes Risiko fr den Patienten dar. Aus Sicherheitsaspekten sind derzeit die meisten Gentherapieprotokolle fr Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen konzipiert, obwohl dies wahrscheinlich nicht die ideale Zielgruppe eines derartigen Therapieansatzes ist. Sinnvoller erscheint ein Einsatz bei minimaler Resterkrankung. Durch die breite Anwendungsmglichkeit bedingt, mu auch weiterhin dafr gesorgt werden, da es nicht zu einem Mibrauch bei dem Engineering menschlicher Gene kommt.
6 Perspektiven der Gentherapie Im Jahr 1996 hatte die amerikanische Gesundheitsbehrde, NIH, einen wissenschaftlichen Expertenausschu einberufen, um die Ergebnisse der ersten 7 Jahre Gentherapie zu evaluieren. Das Gremium kam zu dem Schlu, da Gentherapie sich als durchfhrbar und bisher beraus sicher erwiesen hat, da der Nachweis einer klinischen Wirksamkeit dieser Therapie jedoch bis dahin in keinem einzigen der ber 100 laufenden Protokolle zweifelsfrei gelungen sei. Als wichtigste Konsequenz wurden ein „Zurck an die Laborbank“ sowie die Entwicklung besserer viraler und nicht-viraler Genthera-
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Gen- und ,,Anti’’-Gentherapie
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pie-Vektoren gefordert. In der Zwischenzeit laufen weltweit mehr als 600 klinische Protokolle, ber 4000 Patienten wurden therapiert (http://www. wiley.co.uk/wileychi/genmed), aber die Einschtzung der Situation hat sich nicht wesentlich gendert. Hauptprobleme sind u.a. noch immer das Fehlen von Vektoren mit hoher Transduktionseffizienz in vivo, der Mangel an Tumorspezifitt der verfgbaren Applikationssysteme, die progrediente Abschaltung von Transkriptionselementen in vivo, selbst nach erfolgreichem Transfer des Transgens, mgliche Toxizitt und unser inkomplettes Verstndnis der der Tumorentstehung zugrundeliegenden molekularen Pathologie. Das groe Potential der Gentherapie konnte durch franzsische Wissenschaftler nachgewiesen werden, die ber die Heilung von mehreren Kindern mit schwerer kombinierter Immundefizienz (SCID) berichteten (Cavazzano-Calvo et al. 2000). Ein klinischer Nutzen fr den Patienten konnte auch fr Hmophilie, kardiovaskulre Erkrankungen und HNO-Tumoren nachgewiesen werden (Anderson 2000). Andererseits ist die Gentherapie durch den tragischen Tod eines Patienten in negative Schlagzeilen geraten, obwohl dieser Tod natrlich auch vor dem Hintergrund gesehen werden mu, da bereits ber 4000 Patienten ohne grere Probleme gentherapeutisch behandelt wurden (Verma 2000). Als weitere schwere Nebenwirkung kam es in zwei Fllen zu einer leukmiehnlichen Erkrankung bei Patienten, die im Rahmen einer franzsischen Studie von Dr. Alain Fischer mittels einer retroviralen Gentherapie behandelt wurden. Die menschliche Genomsequenz, die im Jahr 2001 von der Firma „Celera Genomics“ (Science 291, 2001) und im Rahmen des „Human Genome Project“ (Nature 409, 2001) publiziert wurde, wird entscheidende Konsequenzen fr die Medizin haben, und zwar fr die Aufklrung von zugrundeliegenden molekularen Mechanismen von Erkrankungen und eine Hilfestellung bei der Konstruktion von zielgerichteten therapeutischen Vehikeln. Die ersten intravens applizierbaren Vektoren sind in klinischem Einsatz, und effiziente Expression eines Transgens ist in einem ausreichenden Teil der Tumorzellen in Einzelfllen erreichbar. Zu welchem Zeitpunkt dieser Entwicklung Tumorremissionen durch Gentherapie induzierbar sein werden, bleibt letztlich Spekulation. Das wahrscheinlichste Szenario ist, da Gentherapie allenfalls als Teil einer multimodalen Strategie, bestehend aus chirurgischen, radiotherapeutischen, zytostatischen und anderen Anstzen, seinen Platz im onkologischen Therapiearsenal finden wird.
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16.7 Pra¨klinische Testung und Pharmakogenomik W. Voigt
1 Definition und Zielsetzung Die prklinische Testung versucht mit Hilfe verschiedener In-vitro- und In-vivo-Systeme das pharmakologische und molekulare Wirkprofil sowie die potentielle klinische Wirksamkeit von neuen Substanzen zu beschreiben bzw. vorherzusagen. Zur Individualisierung der antineoplastischen Therapie wird neuerdings auch der Aspekt des genetischen Profils des Patienten und des Tumors mit berexpression oder Verlust verschiedener Gene bercksichtigt, was unter dem Begriff „Pharmakogenomik“ bzw. „genetic profiling“ zusammengefat wird. Im wesentlichen werden dabei folgende Ziele verfolgt: F
F F F F
F
Identifizierung von neuen, zytostatisch wirksamen Verbindungen fr die weitere klinische Erprobung und Evaluierung mglicher Kreuzresistenzen mit etablierten Substanzen (s. Abschn. 3), Charakterisierung von Wirkmechanismen und „Targets“ („targeted therapy“) (s. Abschn. 4), Charakterisierung von Resistenzmechanismen und Entwicklung von Strategien zu deren berwindung (s. Abschn. 5), Testung von Substanzkombinationen (s. Abschn. 6), Erstellung von individuellen Resistogrammen an Tumorprimrkulturen zur „in vitro“ gesteuerten individualisierten Chemotherapie (s. Abschn. 7). Analyse des Genexpressionsmusters an Tumorzellinien oder dem Primrtumor zur Beurteilung des biologischen Verhaltens (Aggressivitt, Resistenz) eines Tumors und seines Ansprechens auf bestimmte Therapieanstze (zielgerichtete Therapie) mit dem langfristigen Ziel der Identifizierung genetischer Marker zur Individualisierung der Tumortherapie („genetic profiling“) (s. Abschn. 8).
2 Testsysteme und Teststrategie Durch die Entwicklung und Standardisierung neuer molekularbiologischer Techniken stehen neben den „klassischen“ In-vitro-Zytotoxizittstests (Tabelle 1) eine groe Zahl neuer Testsysteme, wie z.B. Microarrays zur Beantwortung der oben genannten Fragestellungen, zur Verfgung. Hierdurch kann die prklinische Testung eine ganz neue Bedeutung erlangen. In frheren Anstzen wurde insbesondere versucht, neue potentiell wirk-
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
Tabelle 1. Klassische In-vitro-Zytotoxizita¨ts-Testmethoden Test
Testdauer (Tage)
Colony-forming-Test
14–21
Literatur (Hamburger & Salmon, 1977)
Thymidine-incorporations-Test
3 Stunden
(Sanfilippo et al., 1981)
DiSC-Test
4–6
(Kirkpatrick et al., 1992)
MTT-Test
3–4
(Mosmann, 1983)
ATP-Test
3–4
(Andreotti et al., 1995)
SRB-Test
3–4
(Skehan et al., 1990)
same zytostatische Substanzen durch Testung an einzelnen Tumorzellinien oder an „disease-orientated cell line panels“ (z.B. NCI-60 panel) zu identifizieren. Die Endpunkte der eingesetzten In-vitro-Systeme sind dabei sehr heterogen. Je nach Testsystem werden Zellmorphologie, ˜nderung des Zellmetabolismus, Klonogenitt, DNS-Syntheserate, Zellmembranintegritt oder Zellmasse zur Beurteilung der Effekte eines Zytostatikums auf die zu untersuchende Zellpopulation herangezogen. Aus den gemessenen Effekten im Modellsystem resultieren typische Dosis-Wirkungs-Kurven fr die untersuchte Substanz (Abb. 1). Auf die unterschiedlichen testinhrenten methodologischen Probleme soll hier nicht weiter eingegangen werden. Prinzipielle Nachteile aller In-vitro-Systeme sind:
Abb. 1. Graphische Ermittlung der IC50 aus einer Dosis-Wirkungs-Kurve. Darstellung von drei typischen Dosis-Wirkungs-Kurven nach Durchfu¨hrung des Sulforhodamin-B-Assays. Zur Ermittlung der Konzentration, die das Wachstum um 50% inhibiert (IC50-Wert), wird eine Parallele (P) zur Abszisse durch den Punkt 50% der Ordinate gelegt. Fa¨llt man nun das Lot in den Schnittpunkten der DosisWirkungs-Kurven mit P, so lassen sich die IC50-Werte direkt an der Abszisse ablesen.
16.7
Pra¨klinische Testung und Pharmakogenomik
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F
die Selektion von nur ganz speziellen, mit einem In-vitro-Wachstumsvorteil ausgestatteten Zellpopulationen, F die z.T. fehlende oder reduzierte Metabolisierung (Aktivierung) sog. „prodrugs“ und F die Unmglichkeit, die fr einen bestimmten zytostatischen Effekt notwendigen Konzentrationen einer Substanz zu mglichen Toxizitten fr den Gesamtorganismus in Beziehung setzen zu knnen. Um diese Nachteile teilweise zu berwinden, wurden u.a. sog. dreidimensionale Kulturmethoden (Spheroide) und das ,,hollow fibre"-Modellsystem entwickelt, mit denen man die Heterogenitt von Tumoren bzw. pharmakokinetische und toxikologische Aspekte zumindest teilweise imitieren kann (Durand 1990; Hollingshead et al. 1995; Padron et al. 2000). Sind fr eine zu testende Substanz bereits durch erste Phase-I-Studien klinisch erreichbare Konzentrationen bekannt, so kann durch die Kalkulation der sog. relativen antitumoralen Aktivitt ein Bezug zwischen In-vitro-Zytotoxizittsdaten und der Klinik hergestellt werden (Voigt et al. 2000). Aufgrund des dramatischen Erkenntniszuwachses in der Biotechnologie und Bioanalytik wurde zunehmend ein Wechsel der Strategie in der prklinischen Testung vollzogen. Bei den heute z.T. durch „computer modeling“ kreierten Substanzen mit fester Substanz-Wirkort-Beziehung ergnzt man zunehmend den bisherigen empirischen, gro angelegten Screeningansatz des NCI durch gezielte Testung einer Substanz entsprechend dem definierten Target. Zudem beginnt man mit Hilfe der „high throughput“-Genanalysetechniken wie Gene-Array das NCI-60-Zellinien-Panel genetisch zu charakterisieren und Korrelationen zu bestehenden Zytotoxizittsdaten zu bilden (Staunton et al. 2001). Auf diese Weise erhofft man sich unter anderem die Identifizierung neuer Resistenzgene sowie molekularer Targets. Neben der alleinigen Bestimmung der zytotoxischen Potenz einer Substanz kommt deshalb heute ihrer In-vitro-Charakterisierung hinsichtlich Wirkmechanismus (Apoptoseinduktion, Zellzyklusperturbation, Geninduktion, spezifisches „Drug-Target“ u.a.) und Resistenzmechanismen (mdr-I, Defekte in der Apoptose-Signaltransduktion, berexpression von „Resistenzgenen“ u.a.) eine zunehmende Bedeutung zu. Hier finden u.a. Techniken wie Durchfluzytometrie, DNS-Gelelektrophorese, Westernund Northern-Blot, ELISA und PCR sowie Gene-Array und Proteomic Anwendung. Eine zustzliche Erweiterung des Spektrums erfhrt die prklinische Testung durch die Entwicklung neuer Substanzen wie z.B. Angiogenese-Inhibitoren. Hier werden semiquantitative und quantitative Angiogenesetests wie das ,,In-vitro-Endothelzell-System" verwendet (Kruger et al. 2001). Durch diese detaillierte Charakterisierung des Wirk- und Resistenzprofils von zytotoxischen Substanzen sowie von molekularen Therapieanstzen (u.a. Wachstumsfaktor-Rezeptor-Antagonisten, Angiogenese-Inhibitoren, „small molecules“ als Therapie mit definiertem Target, z.B. Ty-
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rosinkinase-Inhibitoren) kann in Zukunft eine individuelle, an das genetische Profil des Patienten und des Tumors angepate Therapie geplant werden (siehe auch Abschn. 8). Bei den In-vivo-Systemen stehen transplantierbare Maustumoren und -leukmien, autochthone, zumeist durch Karzinogene induzierte Tiertumoren sowie humane Tumoren (primre Tumoren oder Zellinien), die
Abb. 2. Maximal tolerable Dosis (a) und Tumorwachstumshemmung (b) im In-vivo-Modell (Nacktmaus). a) Ermittlung der maximal tolerablen Dosis (MTD) in der Nacktmaus. Die MTD wird u¨blicherweise als Gewichtsverlust kleiner 20% oder nicht mehr als ein therapiebedingter Todesfall in einer Gruppe von fu¨nf Ma¨usen definiert. Zur Ermittlung der Dosis werden Fu¨nfergruppen von Ma¨usen mit verschiedenen Dosen einer Substanz (hier Cisplatin) behandelt und die Gewichtsentwicklung u¨ber einen Zeitraum von 30 Tagen dokumentiert. b) Tumorwachstumshemmung in der Nacktmaus (Xenograft). Zur Ermittlung der Tumorwachstumshemmung durch eine Substanz wird einer Gruppe von Tieren eine definierte Menge an Substanz u¨ber einen bestimmten Zeitraum (hier 5 Tage) injiziert und im Verlauf die Gro¨ße des Tumors zur Ermittlung des Wirkeffektes gemessen. Die Vera¨nderung des Tumorvolumens wurde hier relativ zum Ausgangsvolumen aufgetragen.
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Pra¨klinische Testung und Pharmakogenomik
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auf immuninkompetente Wirtstiere (in der Mehrzahl sog. „Nacktmuse“) transplantiert wurden (Xenografts), zur Verfgung. Die Vorteile der Invivo-Systeme sind F F
F
der Erhalt der Zell-Zell-Interaktion, mgliche Metabolisierung von sog. „prodrugs“ (mit der Einschrnkung, da zahlreiche Stoffwechselwege sich bei Maus und Mensch zum Teil ganz erheblich unterscheiden), und die Mglichkeit, neben der Wirksamkeit einer Substanz auch in gewissem Mae deren Toxizitt abschtzen zu knnen.
Typische Resultate der Bestimmung einer maximal tolerierten Dosis (MTD) sowie eines In-vivo-Zytotoxizittsversuchs sind in Abbildung 2 graphisch dargestellt. Bereits frher hat man versucht, ber pharmakokinetische Modelle Plasmakonzentrationen neuer Substanzen in der Maus oder Ratte auf den Menschen zu extrapolieren. Nachteilig auch in diesem Testsystem ist die mgliche Selektion einer eventuell nicht reprsentativen Tumorzellpopulation, wobei autochthone Maustumoren und heterotransplantierte Xenografts der klinischen Situation noch am besten zu entsprechen scheinen. Erweiterte Einsatzbereiche des In-vivo-Screenings beinhalten den Einsatz u.a. von ,,Knock out"-/transgenen Ma¨usen zur Testung der therapeutischen Relevanz bestimmter genetischer Faktoren/Varianten, Neovaskularisationsmodell (z.B. Testung von Angiogenese-Inhibitoren), Intravitalmikroskopie der Leber (Testung von lokoregionren Therapiemethoden wie Embolisation) oder auch Darmperfusionsassays und histologische Aufarbeitung von Darmschnitten zur Evaluierung von Schleimhautschdigung.
3 Identifizierung von neuen, zytostatisch wirksamen Verbindungen In der Entwicklung der Substanzforschung vollzieht sich prinzipiell ein Wechsel von einem ausschlielich empirischen Screeningansatz, basierend auf der Testung zufllig ausgewhlter Substanzen an Tumorzellinien, hin zu einem „Molekular-Target“-orientierten Screeningansatz natrlicher und synthetisch hergestellter Substanzen. Seit ber 40 Jahren wurden im Rahmen des „Developmental therapeutics program (DTP)“ des National Cancer Institute jhrlich ber 10 000 neue Verbindungen mit potentiell zytostatischer Wirkung getestet. Dabei zeigten etwa 5% der Substanzen vielversprechende Aktivitt im initialen Screening, so da eine weiterreichende Testung erfolgte. Die zu testenden Agenzien waren zum groen Teil aufgereinigte natrliche Substanzen (z.B. Taxane), aber auch primr synthetisierte Stoffe sowie chemisch modifizierte Derivate bekannter Substanzen. Anfnglich wurde zur Testung die murine P388-Leukmie-Zellinie verwendet. Mit diesem Testsystem konnten u.a. einige bei Leukmien wirksame Chemotherapeutika wie z.B. Mitoxantron,
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Hydroxyharnstoff oder Nitrosoharnstoffe identifiziert werden. Da sich das verwandte Screeningmodell jedoch als ungeeignet fr die Identifizierung von Substanzen mit Wirksamkeit in soliden Tumoren erwies, wurde ein neues, erkrankungsorientiertes Screeningverfahren mit insgesamt 60 humanen Tumorzellinien (NCI 60 Panel) etabliert. Dieses Zellinienpanel reprsentiert acht klinisch wichtige Tumorentitten (Leukmie, Kolonkar-
Abb. 3. Typischer „mean graph“ Der „mean graph“ stellt eine logarithmische Darstellung der differentiellen Sensitivita¨t eines Zelllinienpanels (hier NCI-60-Panel) gegenu¨ber verschiedenen Substanzen (hier A–D) dar. Zur Konstruktion der einzelnen Balken wird der mittlere („mean“) log IC50 vom jeweils individuellen log IC50 subtrahiert. Jeder Balken repra¨sentiert dabei eine Zellinie des NCI-60-Panels. Seine La¨nge und Richtung werden durch die relative Sensitivita¨t der korrespondierenden Zellinie im Vergleich zur mittleren Sensitivita¨t bestimmt.
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zinom, ZNS-Tumoren, kleinzellige und nicht kleinzellige Bronchialkarzinome, Ovarialkarzinome, Melanom und Nierenzellkarzinom). Mit Hilfe sog. „mean graphs“ (Abb. 3), die Abweichungen vom Mittelwert bei bestimmten Zellinien darstellen, wurde versucht, Substanzen mit selektiver Aktivitt gegen einen besonderen Tumortyp zu identifizieren. Substanzen mit Aktivitt im In-vitro-Test wurden dann durch Testung im In-vivo-System weiter evaluiert. Im Gegensatz zu diesem z.T. durch mathematische Algorithmen gesteuerten breiten Screeningansatz steht das heutzutage zunehmend verwendete Testen von klar definierten Substanzen mit fester „Drug-Target“-Beziehung (z.B. Antikrpertherapie, definierte Tyrosinkinase-Inhibitoren) (s. Abschn. 4). Eine wesentliche Ergnzung der prklinischen Charakterisierung neuer Substanzen stellt die Analyse von Kreuzresistenzen zu etablierten Zytostatika dar. Die verwendeten Zellinien besitzen dabei z.T. eine primre Resistenz gegenber bestimmten Substanzen oder stellen durch sequentielle Exposition mit subletalen Zytostatikadosen und anschlieender Klonierung gewonnene resistente Sublinien dar. Wichtige Zytostatikaresistenzmechanismen sind u.a. die berexpression von Membrantransportermoleklen aus der ABC-Transporter-Familie sowie Enzymmutationen und Detoxifikationsmechanismen. Neue Derivate bereits bekannter Substanzklassen ohne Kreuzresistenz zu den Standardsubstanzen erscheinen dabei besonders vielversprechend fr eine potentielle klinische Weiterentwicklung.
4 Charakterisierung von Wirkmechanismen und ,,Targets" Im Rahmen des gro angelegten Screeningprogramms des NCI konnten durch den Vergleich des Ansprechprofils von Standardsubstanzen und neuen Substanzen in verschiedenen Tumortypen auf der Basis der sog. „mean graphs“ sowie durch den Einsatz der Analyse-Software COMPARE Rckschlsse auf Wirkmechanismen erfolgen. In den letzten Jahren gelang durch den Einsatz moderner molekularbiologischer Techniken bereits teilweise die Identifizierung kausaler molekularer Mechanismen fr die Tumorentstehung sowie die detaillierte Entschlsselung von z.B. Apoptoseregulationswegen. Hierdurch ergeben sich potentielle Ansatzpunkte fr die moderne zielgerichtete Therapie („Targets“). Durch die hohe Affinitt einer z.T. durch „computer modeling“ entwickelten Substanz fr ihr z.B. Zielprotein erhofft man sich eine deutlich hhere Selektivitt. So konnte krzlich ber diesen Ansatz, nach Identifizierung des 210-kDBcr-Abl-Proteins mit Tyrosinkinaseaktivitt als urschliches genetisches Rearrangement fr die Entwicklung einer CML, durch Screening von Tyrosinkinase-Inhibitoren das Derivat CGP 57148 identifiziert werden (Druker
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et al. 1996). Bekannt auch als STI 571 (Imatinib = Glivec ) stellt es heute einen grundlegenden Bestandteil der CML-Therapie dar. Nach Analyse des exakten Wirkmechanismus einer neuen Substanz ist auch die rationale Entwicklung von Kombinationen mit anderen Zytostatika mglich. Zudem kann im Rahmen eines prtherapeutischen Screenings am Tumormaterial ber den individuellen Einsatz bestimmter Medikamente anhand der Expression von Drug-Target-Proteinen (z.B. HER-2-Status „Score“) vor Einsatz von Trastuzumab (Herceptin ) oder Expression von CD117 vor Einsatz von Imatinib entschieden werden. Hierbei spielt die Wahl des geeigneten Testsystems fr die Routineapplikation in der Klinik eine entscheidende Rolle. Der geeignete Test mu eine ausreichend hohe Sensitivitt und Spezifitt besitzen, aber auch allgemein verfgbar und fr die Routine einsetzbar sein. Die Identifizierung der Aktivierungswege sog. „prodrugs“ und der Abbauwege von Zytostatika bildet zudem die Grundlage zur Abschtzung der Therapietoxizitt durch prtherapeutisches Screening auf z.B. enzymatische Defekte wie im Fall der Dehydropyrimidindehydrogenase als wesentliches Enzym im Abbau des 5-Fluorouracils. J
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5 Charakterisierung von Resistenzmechanismen und Entwicklung von Strategien zu deren U¨berwindung Primre oder sekundre Resistenz gegenber einzelnen Zytostatika bzw. Zytostatikaklassen ist nach heutiger Erkenntnis in der Regel multifaktoriell. Mittlerweile konnten verschiedene Resistenzmechanismen identifiziert werden, auf die im Folgenden nur exemplarisch eingegangen werden kann. Einige der Resistenzmechanismen haben dabei einen eher substanzklassenunabhngigen Charakter (z.B. Inhibitoren der Apoptoseinduktion) oder sind eher fr bestimmte Substanzklassen relevant (z.B. Substanzefflux ber Membranproteine der ABC-Transporter-Familie) (Mueller et al. 2003; Sparreboom et al. 2003). Bisher identifizierte ABC-Transporter-Gene sind ABCB1, ABCC1-5 und ABCG2, wobei ABCB1 das P-Glykoprotein, ABCC1 das MRP1 und ABCG2 das BCRP kodiert (Sparreboom et al. 2003). Diese Membranpumpen sind u.a. relevant fr die Resistenz gegenber der Gruppe der Anthrazykline, der Taxane und Vinca-Alkaloide. Nach Identifizierung des Mechanismus begann man spezifische Inhibitoren dieser Pumpen, u.a. vom Verapamil- oder Ciclosporin-Typ, zu entwickeln. Durch Modulation der P-Glykoprotein-vermittelten Anthrazyklinresistenz mittels verschiedener Verapamilderivate konnte eine dramatische Senkung der Resistenz im Invitro-Modell erzielt werden. Die Induktion von Apoptose durch Zytostatika gilt im allgemeinen als Endpunkt der zytotoxischen Wirkung, so da umgekehrt die fehlende In-
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duzierbarkeit von Apoptose mit Chemotherapieresistenz korreliert. Als wichtige Regulatorproteine der Apoptose konnten u.a. die mitochondralen Proteine der Bcl-2-Familie identifiziert werden. Krzlich gelang durch den Einsatz von Antisense- Oligonukleotiden die Suppression der Bcl-2-ProteinExpression mit einhergehender Zunahme der Chemosensibilitt. Insgesamt knnen in vitro mit zunehmender Kenntnis der physiologischen Apoptoseinduktionswege diese auch auf ihre Bedeutung als mgliche Resistenzfaktoren im Zelllinienmodell hin berprft werden. So konnte vor kurzem die Bedeutung der Caspase-9-Aktivierung als Faktor fr die Resistenz gegenber Cisplatin beschrieben werden (Mueller et al. 2003). Aufgrund der Vielzahl der bereits identifizierten Resistenzmechanismen wird allerdings klar, da es keinen monokausalen Zusammenhang fr Chemotherapieresistenz gibt. Aktuelle Bestrebungen gehen deshalb in die Richtung, ein „differential display“ von z.B. sensiblen und resistenten Subzellinien auf Gen- oder Proteinebenen mittels Gene-Array oder Proteomic durchzufhren. Man erhofft sich dadurch die Identifizierung von Markerkonstellationen, die fr Resistenz/Empfindlichkeit gegenber verschiedenen Substanzklassen sprechen, aber auch neue Erkenntnisse ber Resistenzmechanismen. Auf der Basis dieser Ergebnisse knnte dann langfristig auch klinisch eine individualisierte Therapieplanung (siehe auch Abschn. 8) durchgefhrt und knnten neue Anstze zur berwindung von Therapieresistenz entwickelt werden.
6 Testung von Substanzkombinationen Klinisch werden Substanzkombinationen hufig eingesetzt, um die therapeutische Effizienz einer Behandlung zu erhhen. Hierbei wurden die Kombinationen bisher oftmals empirisch zusammengestellt. Als Basis dienten dazu die Variablen: F F F
unterschiedlicher Wirkmechanismus, unterschiedliches Toxizittsspektrum, unterschiedliche Resistenzmechanismen.
Der Stellenwert der prklinischen Testung von Substanzkombinationen liegt in der Charakterisierung von biochemischen und molekularen Interaktionsmechanismen auf zellulrer Ebene. Auf der Basis dieser Ergebnisse lassen sich neue Protokolle entwerfen bzw. optimieren. Als Testsysteme kommen die klassischen In-vitro-Testmodelle sowie In-vivo-Modelle (s.o.) wie bei der Testung von Einzelsubstanzen zur Anwendung. Das Testdesign, auf das hier nicht nher eingegangen werden soll, hngt wesentlich neben den verwendeten Substanzen von dem verwendeten mathematischen Testmodell ab. Hierbei finden u.a.
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Abb. 4. Modell der Isobologramm-Analyse (a) und „response surface-model“ (b) a) Schematische Darstellung typischer Isobologramme. Nach der klassischen Isobologramm-Analyse wird die Interaktion aller Substanzkonzentrationen auf der „Additivita¨tslinie“ von BE nach AE als additiv klassifiziert (z.B. Datenpunkt Pc). Datenpunkte oberhalb der Linie sind als antagonistisch (Pd, Pe und Pf), Datenpunkte unterhalb (Pa, Pb) als synergistisch einzustufen. Entsprechend dem Modell von Steel und Peckham wird ein Datenpunkt außerhalb des „Additivita¨tsbereichs“ als synergistisch (Pa) bzw. antagonistisch (Pf) eingestuft. Punkte innerhalb des Additivita¨tsbereichs (Pb, Pc, Pd und Pe) sind additiv. Entsprechend dem Modell der „fractional product“-Analyse werden die Datenpunkte Pa, Pb, Pc und Pd als synergistisch, Pe als additiv und Pf als antagonistisch eingestuft. b) Dreidimensionale Analyse der Interaktion zwischen Substanz A und B. Durch mathematische Analyse oder durch graphische Darstellung werden die zwei Variablen „Konzentration Substanz A“ und „B“ mit der dritten Variablen „Wirkeffekt“ verbunden. Die dargestellte Analyse zeigt eine synergistische Interaktion. Fu¨r weitere Erla¨uterung siehe Greco et al. (1995)
16.7 F F F F
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die „fractional product“-Analyse, die klassische und modifizierte Isobologramm-Analyse, die „median effect“-Analyse und das „response surface model“
Anwendung (Abb. 4). Beurteilt wird grundstzlich die Qualitt der Interaktion hinsichtlich Synergismus, Additivitt oder Antagonismus. Zu bercksichtigen ist, da nicht jedes mathematische Modell zur Beschreibung der jeweiligen Interaktion geeignet ist und somit widersprchliche Ergebnisse bei Anwendung unterschiedlicher Modelle auftreten knnen (Greco et al. 1995; Zoli et al. 2001). Neben der reinen Interaktionsanalyse von Substanzen wird im Rahmen der Testung von Substanzinteraktionen auch die Sequenzabhngigkeit („scheduling“) berprft. Basierend auf den biochemischen und molekularpharmakologischen Eigenschaften der Einzelsubstanzen bestehen z.B. deutliche Unterschiede in der Interaktion zwischen Cisplatin und Gemcitabin je nach Sequenz der Gabe (von Antagonismus zu Synergismus) (Voigt et al. 2000). Hier spielen u.a. Aspekte wie Zellzyklus-Arrest-Punkte, DNS-Repair und DNS-Synthese, aber auch Expression von Onkoproteinen, wie p53, p21, bax und bcl-2, eine entscheidende Rolle.
7 Erstellung von individuellen Resistogrammen an Tumorprima¨rkulturen Zur Optimierung und Individualisierung chemotherapeutischer Anstze sind in den vergangenen drei Dekaden groe Anstrengungen unternommen worden, Testsysteme zu entwickeln, welche die individuelle Chemotherapieempfindlichkeit beim einzelnen Patienten exakt voraussagen knnen. Hierzu wurden aus Tumorbiopsien Primrzellkulturen angelegt und auf ihre individuelle Empfindlichkeit gegenber verschiedenen Testsubstanzen mittels verschiedener Test-Assays wie Colony-forming-Assay, 3H-Thymidin-Inkorporations-Assay oder verschiedene kolorimetrische Assays hin beurteilt. Trotz der methodischen Heterogenitt gelangten fast alle diesbezglichen Untersuchungen zu weitgehend einheitlichen Ergebnissen (Cortazar u. Johnson 1999; Von Hoff et al. 1991): F
F F
Die Asservierung von Tumormaterial war bei lokalisierter Erkrankung nur bei etwa 30% der Patienten mglich und verbesserte sich mit steigendem Tumorstadium. Durch Verbesserung der In-vitro-Kultivierungsmethoden gelang eine Anlage von Primrkulturen aus Tumormaterial im Mittel bei etwa 64%. Bei den evaluierbaren Patienten, die eine im prklinischen Testsystem identifizierte Substanz auch wirklich erhalten haben, lagen der prdiktive Wert hinsichtlich Chemotherapieresistenz bei ca. 90% und der prdiktive Wert hinsichtlich Chemotherapiesensibilitt bei ca. 40…50%.
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858 F
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
In einem Review von insgesamt zwlf teilweise randomisierten prospektiven Studien zeigte sich eine hhere Ansprechrate fr Patienten, die, basierend auf prklinischer Testung, individuell therapiert wurden (Cortazar u. Johnson 1999). Ein signifikanter Vorteil hinsichtlich Remissionsdauer oder Gesamtberleben konnte allerdings nicht gezeigt werden.
Insgesamt kann die individuelle Chemotherapie, basierend auf prklinischer Sensitivittstestung an Tumorprimrkulturen, derzeit nicht fr die Routine empfohlen werden. Ein wesentliches Problem der individuellen Sensitivittstestung an Tumorprimrkulturen stellt sicherlich die Asservierung und Kultivierung von reprsentativem Tumormaterial dar. Diese ist in der Regel zudem nur bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung gut mglich. Dadurch kam es oftmals im Rahmen des bisherigen Studiendesigns zu einer Selektion von Patienten mit schlechter Prognose und kurzem berleben, so da eine Abschtzung des Einflusses der individuellen Sensitivittstestung nicht immer mglich war. Eine Alternative zur Anlage von Tumorprimrkulturen zur Testung der individuellen Chemotherapiesensitivitt scheinen patientenspezifische Xenografttumoren zu sein. Hier konnten bei etwa 50%iger Erfolgsrate hinsichtlich Anlage eines Xenografts eine Chemotherapieresistenz mit etwa 96% iger und eine Chemotherapiesensitivitt mit etwa 90% iger Sicherheit vorausgesagt werden. Prinzipielle Nachteile dieser Methode sind die hohen Kosten und die lange Zeitdauer bis zum Vorliegen der Testergebnisse. Aufgrund der zahlreichen, einem breiten klinischen Einsatz entgegenstehenden praktischen Schwierigkeiten mit den zuvor dargestellten Testsystemen wird derzeit versucht, zunehmend Surrogatparameter fr das Ansprechen einer Tumorerkrankung auf bestimmte Substanzen fr eine Therapieplanung heranzuziehen. Hierzu sind die genaue Charakterisierung molekularpharmakologischer Wirkmechanismen und die Charakterisierung von Resistenzmechanismen im In-vitro-Modell erforderlich (siehe dort). Langfristiges Ziel ist es, aufgrund genetischer Merkmale des Patienten und seines Tumors eine individuelle Therapie zu ermglichen. Hier stellt u.a. die Pharmakogenomik einen modernen Therapieansatz dar, der perspektivisch die bisherigen Versuche zur Erstellung von Resistogrammen an Tumorprimrkulturen als Basis einer individuellen Tumortherapie ablsen wird.
8 Pharmakogenomik und ,,genetic profiling" Durch die Entschlsselung des menschlichen Genoms und durch die Fortschritte in der Biotechnologie, insbesondere die Entwicklung der Mikroarrays, wurde die Basis fr eine neue therapeutische Strategie zur individualisierten Tumortherapie, basierend auf der Pharmakogenomik, geschaffen.
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Pra¨klinische Testung und Pharmakogenomik
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Der Begriff „Pharmakogenomik“ wird oftmals synonym mit dem Begriff „Pharmakogenetik“ verwendet. Dabei bercksichtigt allerdings der Ansatz der Pharmakogenomik im Gegensatz zur Pharmakogenetik das komplette genetische Profil des Patienten, um Unterschiede im Ansprechen auf Substanzen zu erklren (Evans u. McLeod 2003). Die prklinische Testung hat durch die Charakterisierung von Wirkungsweisen, Resistenzmechanismen und Metabolisierungswegen einzelner Zytostatika eine wesentliche Grundlage fr die Pharmakogenomik geschaffen. Entsprechend dem Wirkmechanismus sowie der Verstoffwechselung (Aktivierung und Abbau) des individuellen Zytostatikums mu im Wirtsorganismus zwischen toxizitts- und aktivittsbestimmenden Genmutationen bzw. -expressionsmustern unterschieden werden. Fr weitere Details siehe Kapitel 16.8 „Pharmakogenetik“. Erwhnenswert ist die Arbeit von McLeod, in der krzlich der Einflu der TYMS-1494-Insertion auf das Ansprechen und die Toxizitt einer 5-FU-haltigen Therapie mit einem pharmakogenetischen Ansatz gezeigt werden konnte. Hierzu wurde DNS aus Patientenlymphozyten nach Entnahme einer Blutprobe analysiert. Dieser Ansatz bietet insbesondere auch den Vorteil seiner leichten Durchfhrbarkeit aufgrund der Methode der Materialasservierung (McLeod 2003). Auf seiten des Tumors ist das genetische Screening („genetic profiling“) von Bedeutung hinsichtlich resistenzvermittelnder Faktoren, aber auch hinsichtlich Faktoren der potentiellen Tumoraggressivitt, der Invasivitt sowie der Expression potentieller therapeutischer Targets. Hier sind u.a. die Thymidylat-Synthase (TS), die Thymidylat-Phosphorylase (TP), die Dihydropyrimidindehydrogenase sowie die ERCC-Gen-Familie und die ABCGen-Familie zu nennen (Innocenti u. Ratain 2002; Iqbal u. Lenz 2003; Sparreboom et al. 2003). Aufgrund seiner bergeordneten Stellung als Transkriptionsfaktor kommt Mutationen im p53-Gen eine besondere Bedeutung insbesondere als resistenzvermittelnde Einzelfaktoren zu. In einer krzlich verffentlichten Arbeit konnten Staunton et al. (2001) durch „genetic profiling“ am NCI-60-Panel zeigen, da zumindest fr eine Untergruppe von Substanzen der Genomikansatz in der Lage war, Chemosensitivitt vorherzusagen. Hierzu wurden nach Analyse mit einem 6800Gene-Array sog. „gene expression-based classifiers“ verwendet. Mit zunehmender Charakterisierung von Resistenzmechanismen bzw. prdiktiven Faktoren wird es wahrscheinlich in Zukunft mglich sein, Gene-Arrays fr diese Fragestellung, ggf. sogar substanzspezifisch, zu entwickeln und damit mglicherweise den prdiktiven Wert dieses Ansatzes noch weiter zu verbessern. Durch den rapide zunehmenden Erkenntnisgewinn ber die Wirk- und Resistenzmechanismen sowie ggf. Aktivierung und Inaktivierung moderner antineoplastischer Substanzen und die parallel zunehmenden bio-
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Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
technologischen Mglichkeiten auf dem Gebiet des genetischen Screenings kommt dem Ansatz des „genetic profiling“ in Zukunft sicherlich eine wachsende Bedeutung zur individualisierten Therapieplanung zu. So knnen durch prtherapeutisches genetisches Screening auf der Basis bekannter Zytostatikastoffwechselwege Rckschlsse sowohl auf das Risiko schwerer Nebenwirkungen als auch auf die mglichen Therapiechancen gezogen werden. (Fr weitere Erluterungen siehe auch Kapitel 16.8 „Pharmakogenetik“). Der hohe prognostische Wert des „gene profiling“ fr den Verlauf einer Tumorerkrankung konnte krzlich in einer Arbeit von van de Vijver et al. (2002) am Beispiel des Mammakarzinoms belegt werden. Hier war das Genexpressionsmuster prognostisch von hherer Bedeutung als die klassischen prognostischen Marker beim Mammakarzinom. Zusammenfassend wird sich langfristig mit fortschreitender Standardisierung der Pharmakogenomik bzw. des Gene-Profiling, ggf. auch unter zustzlicher Nutzung der Proteomik ein Paradigmenwechsel von der empirischen Therapie zur molekulargesteuerten individualisierten Therapie vollziehen.
9 Zusammenfassung Fr die prklinische Testung neuer Zytostatika stehen zahlreiche In-vitround In-vivo-Testsysteme zur Verfgung. Der Haupteinsatzbereich lag bisher im Screening neuer, in ihrer Wirkung oft unbekannter Substanzen sowie in der Charakterisierung von Resistenzmechanismen. Zur Analyse von Substanzinteraktionen stehen verschiedene biomathematische Modelle zur Verfgung. Der Ansatz der Charakterisierung der individuellen Chemotherapiesensitivitt fr einen einzelnen Patienten als Basis einer individualisierten Therapiegestaltung ist weiterhin ein attraktiver und vielversprechender Ansatz. Die bisherigen Versuche, dies auf dem Weg der Testung von Substanzen an Tumorprimrkulturen in vitro oder in vivo zu realisieren, waren zwar teilweise prinzipiell erfolgreich, aber dennoch oft von groen methodischen Problemen oder von groem materiellem und finanziellem Aufwand begleitet. Ein neuer und sehr vielversprechender Ansatz auf diesem Weg stellt die Pharmakogenomik dar. Durch ihren „total genome“-Screeningansatz mit Hilfe von „high throughput“-Technologien wie dem Gene-Array wird es wahrscheinlich in Zukunft mglich sein, auf der Basis eines individuellen Genexpressionsmusters eine Therapiestrategie festzulegen.
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Pra¨klinische Testung und Pharmakogenomik
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Staunton JE, Slonim DK, Coller HA et al (2001) Chemosensitivity prediction by transcriptional profiling. Proc Natl Acad Sci USA 98:10787…10792 van de Vijver MJ, He YD, van’t Veer LJ et al (2002) A gene-expression signature as a predictor of survival in breast cancer. N Engl J Med 347:1999…2009 Voigt W, Bulankin A, Muller T et al (2000) Schedule-dependent antagonism of gemcitabine and cisplatin in human anaplastic thyroid cancer cell lines. Clin Cancer Res 6:2087…2093 Von Hoff DD, Kronmal R, Salmon SE et al (1991) A Southwest Oncology Group study on the use of a human tumor cloning assay for predicting response in patients with ovarian cancer. Cancer 67:20…27 Zoli W, Ricotti L, Tesei A et al (2001) In vitro preclinical models for a rational design of chemotherapy combinations in human tumors. Crit Rev Oncol Hematol 37:69… 82
16.8 Pharmakogenetik J. Sthlmacher, H.-J. Lenz
1 Definition und Grundlagen Die Lehre der Pharmakogenetik beschreibt, in welcher Form und in welchem Umfang Variationen der Erbinformation die individuelle Wirkung von Medikamenten beeinflussen. Der Begriff „Pharmakogenetik“ stammt bereits aus dem Jahre 1958 und wurde unabhngig voneinander von Vogel und Motulsky geprgt. Die Beobachtung, da die Nebenwirkungsprofile und die Ansprechraten pharmazeutischer Produkte in verschiedenen ethnischen Gruppen unterschiedlich sind, fhrte zu der Vermutung, da die Determinanten von Therapieerfolg und Toxizitt vererbt sein knnten. Gesttzt wurde diese Hypothese durch Untersuchungen, die zeigten, da Unterschiede in der Reaktionsweise und Ansprechbarkeit auf Arzneimittel nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind (Goedde et al. 1965). Spannbrucker et al. (1978) beschrieben einen genetischen Defekt als Ursache fr individuell unterschiedliches Ansprechen eines Medikaments, in diesem Fall Debrisoquin, und legten damit den Grundstein fr die pharmakogenetische Forschung. Es folgte die Entdeckung genetischer Varianten (sog. Polymorphismen) in einer Vielzahl von Genen, die z. T. mit der Beeintrchtigung der Proteinfunktion verbunden sind. Diese Variationen der DNS-Sequenz des Wirtsgenoms knnen von einem oder beiden Elternteilen an die nchste Generation weitergegeben werden, mit dem Ergebnis einer heterozygoten bzw. homozygoten Anlage fr den Defekt bei der nachfolgenden Generation. Die Frequenz dieser Polymorphismen variiert stark zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Die molekulare Grundlage vieler pharmakogenetischer Polymorphismen ist heute bekannt. Die hufigste Form ist der „single nucleotide polymorphism“ (SNP), die Substitution eines einzelnen Nukleotids, die ca. alle 1000…3000 Basenpaare im menschlichen Genom auftritt (Sachidanandam et al. 2001). Mikrosatelliten-, Deletions- und Wiederholungspolymorphismen reprsentieren weitere Arten einer polymorphen DNS-Sequenz. Funktionelle genomische Polymorphismen, die die Expression und Funktion des verschlsselten Proteins beeinflussen, sind sowohl in kodierenden als auch in nicht-kodierenden DNS-Abschnitten entdeckt worden. Die wichtigste Herausforderung besteht darin, diejenigen Varianten zu identifizieren, die die Aktivitt und Effizienz eines Medikamentes signifikant beeinflussen knnen.
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2 Genetische Polymorphismen und Chemotherapie Genetische Polymorphismen knnen den Effekt eines Chemotherapeutikums auf unterschiedliche Weise modifizieren. F
F
F
Polymorphe Gene, die Proteine des Transports, der Retention sowie der Aufnahme und der Ausscheidung eines Chemotherapeutikums aus der Zelle kodieren, bestimmen die Menge des Medikaments, die direkt zum Tumor gelangt. Polymorphismen im Wirtsgenom sind hierbei ebenso bedeutsam wie polymorphe DNS-Abschnitte im Tumor. Beispiel: das Multidrug-Resistenz(MDR)-Gen. Das MDR-Gen kodiert das integrale Membranprotein P-Glukoprotein, eine energieabhngige Pumpe, die die intrazellulre Konzentration zahlreicher Chemotherapeutika mitbestimmt (Borst et al. 2000). Polymorphismen, insbesondere in der Erbsubstanz des Wirtes, die Inaktivierung und Abbau des verabreichten Wirkstoffs regulieren, tragen wesentlich zur Auspra¨gung toxischer Effekte bei. Beispiel: das Dihydropyrimidin-Dehydrogenase(DPD)-Gen. Eine Punktmutation in Exon 14 des DPD-Gens fhrt zu einem massiven Aktivittsverlust des Proteins. Die Konsequenz sind schwere toxische Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Fluoropyrimidinen (van Kuilenburg et al. 1997). Genetische Polymorphismen, die das Invasionsverhalten des Tumors und seine Sensitivita¨t gegenu¨ber Chemotherapeutika beeinflussen, sind vor allem dann relevant, wenn sie im Tumorgewebe vorkommen. Beispiel: das Dihydrofolat-Reduktase(DHFR)-Gen. Ein Polymorphismus, der eine Verringerung des DHFR-Spiegels in der Zelle bewirkt, beeintrchtigt die Sensitivitt des Tumors gegenber dem Folsureantagonisten Methotrexat (MTX) (Goto et al. 2001).
Die Wege, auf denen genetische Polymorphismen in die Funktionalitt der kodierten Proteine eingreifen knnen, sind vielfltig. Sie umfassen beispielsweise Vernderungen der Proteinexpression, die Zerstrung von katalytischen oder Interaktionsdomnen oder die Herabsetzung der Eiweistabilitt.
3 Assoziationen zwischen genetischen Polymorphismen und Ansprechen auf Chemotherapie/Toxizita¨t Relevante Polymorphismen, die das Therapieansprechen modifizieren, sind fr zahlreiche Substanzklassen von Chemotherapeutika und unterschiedliche Tumorerkrankungen identifiziert worden. Die folgenden Beispiele beschreiben die klinische Signifikanz dieser genetischen Vernderungen und skizzieren ihr Potential fr die Entwicklung einer individualisierten Chemotherapie, die auf den genetischen Profilen des Wirts und des Tumors
16.8
Pharmakogenetik
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Tabelle 1. Wichtige genetische Polymorphismen und ihre Assoziation mit klinischen Parametern unter Chemotherapie Protein
Polymorphismus
Funktion
Therapie
Klinische Konsequenzen
Thymidalatsynthetase (TS)
28-bp-Wiederholungssequenz (Promotor)
" TS-Aktivita¨t
5-FU
# Ansprechen und # Toxizita¨t
Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD)
Exon-14-SkippingMutation
# # # DPDAktivita¨t
5-FU
" " " Toxizita¨t
Thiopurinmethyl- G238C-Transversion, " TPMTAbbau transferase (TPMT) G460A- und A719G-Transition
Thiopurine
" " " Toxizita¨t, " Ansprechen, " Zweittumoren
C677T-Transition 5,10-MethylentetrahydrofolatReduktase (MTHFR)
Folatimbalance
MTX, CMF Raltitrexed
" " Toxizita¨t
Uridindiphosphat- 2-bp-Insertion Glukosyltransferase (Promotor) 1A1 (UGT1A1)
# # UGT1A1Aktivita¨t
CPT-11
" " Toxizita¨t
Glutathion-S-Trans- A313G-Substitution # GSTP1ferase P1 (GSTP1) Aktivita¨t
Oxaliplatin
" U¨berleben
C751A-Substitution # DNSReparatur
Oxaliplatin
" U¨berleben, " Ansprechen
Alkylierende Substanzen
" Ansprechen, " Toxizita¨t
XerodermapigmentosumGruppe D (XPD)
DeletionspolyGlutathion-STransferase T1, M1 morphismus (GSTT1, GSTM1)
Aktivita¨tsverlust
16 basieren. Die Darstellung wurde dabei auf klinisch signifikante Polymorphismen beschrnkt (Tabelle 1). 3.1 Antimetaboliten 3.1.1 Pyrimidinanaloga
5-Fluorouracil (5-FU) zhlt zu den Standardtherapeutika in der Behandlung solider Tumoren (z.B. kolorektale Karzinome, Mammakarzinome). Der aktive 5-FU-Metabolit, 5-FdUMP, inhibiert das Enzym Thymidylatsynthetase (TS), die einzige Quelle fr die De-novo-Pyrimidinsynthese in der Zelle. In-vitro- und In-vivo-Analysen zeigen eine signifikante Korrelation zwischen einem Wiederholungspolymorphismus in der Promotorregion des
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Gens und der Enzymaktivitt. Die zweifache Wiederholung eines 28 bp langen DNS-Abschnitts (2R) ist dabei mit einer geringen TS-Expression verbunden, im Gegensatz zu einer Tripelsequenz (3R), die mit erhhten TSSpiegeln im Gewebe korreliert. Patienten mit kolorektalen Tumoren, deren Genom die Tripelsequenz aufweist, zeigen eine grere Resistenz gegenber 5-FU und ein krzeres berleben unter adjuvanter und palliativer Chemotherapie mit 5-FU. Der erhhte TS-Spiegel bei Patienten mit Tripelsequenz fhrt zu einem Inhibitionsverlust des 5-FU, weil die applizierte 5-FU-Menge relativ weniger TS-Molekle blockiert als bei Individuen mit 2R/2R- und 2R/ 3R-TS-Genotypen. Der verbleibende erhhte TS-Gehalt in 3R/3R-Patienten ermglicht die Fortsetzung der DNS-Replikation in den Tumorzellen mit dem Ergebnis einer Resistenzentwicklung gegenber Fluoropyrimidinen. 5-FU wird in der Leber zu mehr als 80% durch das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) abgebaut. Bisher wurden 17 verschiedene Polymorphismen des DPD-Gens entdeckt, die mit einem Aktivittsverlust des Enzyms verbunden sind. Es wird davon ausgegangen, da ca. 3% der Population heterozygot und 0,1% homozygot fr eine DPD-Variante mit eingeschrnkter Aktivitt sind (Etienne et al. 1994). Eine Punktmutation in Exon 14 wird in ca. 50% der funktionsbeeintrchtigten DPD-Allele beschrieben. Diese Exon-14-Skipping-Mutation fhrt zu einem annhernd funktionslosen Protein. Die verminderte DPD-Aktivitt resultiert in einer dramatischen Akkumulation von aktiven 5-FU-Metaboliten. Insbesondere homozygote Anlagetrger sind dem Risiko schwerer, u.U. tdlicher toxischer Nebenwirkungen unter einer 5-FU-Therapie ausgesetzt. Die Testung fr diese DPD-Mutation vor geplanter 5-FU-Gabe wird deshalb vielfach substituiert, aber routinemig noch nicht empfohlen. 3.1.2 Purinanaloga
Thiopurine werden in der Behandlung lympho- und myeloblastischer Leukmien hufig verwendet. Der Antitumoreffekt der Thiopurine beruht auf dem Einbau ihrer aktiven Metaboliten, der Thioguaninnukleotide (TGN), in die DNS. Die Formierung der TGN ist abhngig vom Aktivittsgrad des Enzyms Thiopurinmethyltransferase (TPMT). TPMT methyliert Thiopurine (z.B. 6-Mercaptopurin) und verhindert dadurch deren Aktivierung zu TGN. 3 SNPs innerhalb des TPMT-Gens, die fr mehr als 90% der klinisch relevanten TPMT-Mutationen verantwortlich sind, fhren zu einer ˜nderung in der Aminosuresequenz des Proteins, woraus sein beschleunigter Abbau resultiert. Klinische Studien haben gezeigt, da bei Patienten mit zwei funktionslosen TPMT-Allelen eine Reduktion der Thiopurindosis um bis zu 90% ntig ist, um ausgeprgte hmatologische Nebenwirkungen zu vermeiden. Andererseits zahlt sich die erhhte Effektivitt der Thiopurine beim Vorliegen eines mutierten TPMT-Gens insbesondere fr hetero-
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Pharmakogenetik
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zygote Anlagetrger aus. Diese zeigen gegenber Patienten mit zwei Wildtyp-TPMT-Allelen ein besseres Ansprechen auf 6-Mercaptopurin und eine verbesserte Heilungschance. Die Analyse des TPMT-Genotyps vermittelt aber noch eine weitere, entscheidende Konsequenz fr die Krankheitsfhrung unter Thiopurintherapie. Die erhhten TGN-Spiegel in TPMT-defizienten Patienten vergrern die Wahrscheinlichkeit, einen malignen Zweittumor zu entwickeln. Leukmien sind hufige maligne Erkrankungen des Kindesalters. Indikatoren schwerwiegender Langzeitkonsequenzen mu in dieser Patientengruppe besondere Aufmerksamkeit eingerumt werden. Die Analyse des TPMT-Genotyps sollte fester Bestandteil klinischer Studien sein, in denen Thiopurine eingesetzt werden, und bei der Gestaltung des Therapieschemas (z.B. Dosierung und Dauer) und der Nachsorgeuntersuchungen (z.B. Hufigkeit) Bercksichtigung finden. 3.1.3 Folinsa¨ureantagonisten
Methotrexat (MTX) wird erfolgreich in der Therapie von Lymphomen, Leukmien und Mammakarzinomen eingesetzt. Der Effekt von MTX beruht auf der Inhibition von Schlsselenzymen des Folatstoffwechsels (z.B. Dihydrofolatreduktase [DHFR] und 5,10-Methylentetrahydrofolat-Reduktase [MTHFR]). Eine C ! T-Substitution in Position 677 des MTHFR-Gens fhrt zu einem thermolabilen und funktionseingeschrnkten Protein. Heterozygote Anlagetrger (ca. 40% der Population) und fr das T-Allel homozygote Individuen (ca. 10% der Population) zeigen signifikant reduzierte zellulre Folatspiegel. Die Applikation von MTX bei diesen Patienten verstrkt das zellulre Folsuredefizit entscheidend. Die Folge ist die Zunahme der MTX-Toxizitt. Der Folatmangel schrnkt dabei die Nukleotidbiosynthese ein, wodurch die Kapazitt des DNS-Reparatursystems gemindert wird. Geschdigte Zellen rasch proliferierender Gewebe (z.B. Schleimhautepithel) knnen nicht erhalten werden und sterben ab. Eine Studie unter Patienten, die sich einer Knochenmarktransplantation unterzogen und MTX erhielten, belegt diese Hypothese. Die Untersuchung zeigte, da Patienten mit homozygotem T/T-MTHFR-Genotyp im Vergleich zu Patienten mit C/T- oder C/C-MTHFR-Genotyp signifikant hufiger eine schwere Mukositis entwickeln (Ulrich et al. 2001). Die Analyse dieses genetisch determinierten Ungleichgewichtes im Folsurestoffwechsel erffnet die Mglichkeit, einer Zunahme der Schleimhauttoxizitt unter Therapie mit Folsureantagonisten durch zustzliche Gabe von Folsure entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite sollte bercksichtigt werden, da die Akkumulation von 5,10-Methylentetrahydrofolat in
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Patienten mit MTHFR-T-Allel zu einer kompetitiven Hemmung der Thymidylatsynthetase fhren und die Wirkung und Toxizitt von Fluoropyrimidinen reduzieren kann. 3.2 Topoisomerase-Inhibitoren – Irinotecan Irinotecan (CPT-11), ein Camptothecin-Derivat, ist essentieller Bestandteil der Chemotherapie in kolorektalen Karzinomen. Irinotecan wirkt durch Hemmung der Topoisomerase I, einem essentiellen Enzym des DNS-Replikationsprozesses. Gastrointestinale und hmotologische Toxizitt sind die wichtigsten Ursachen fr eine Reduktion der CPT-11-Dosis oder den Abbruch der Therapie. CPT-11 wird durch Carboxylesterasen in seine aktive Form, SN-38, umgewandelt. Funktionelle genetische Polymorphismen der an der Aktivierung von CPT-11 beteiligten hepatischen und gastrointestinalen Isoformen des Enzyms sind derzeit noch nicht bekannt. Das Leberenzym Uridindiphosphat-Glukosyltransferase (UGT) 1A1 inaktiviert SN-38 durch Glukuronidierung. Ein 2-bp-(TA)-Insertionspolymorphismus im Promotorbereich des UGT1A1-Gens transformiert die Wildtypform (TA)6TAA in die Variante (TA)7TAA (UGT1A1*28). Die Frequenz der UGT1A1*28-Variante in der kaukasischen Bevlkerung betrgt 30-40%. In-vitro- und In-vivo-Studien belegen, da diese TA-Insertion zu einer ca. 70gen Reduktion der UGT1A1-mRNA-Expression fhrt. Die Verringerung der hepatischen UGT1A1-Kapazitt, die auch die molekulare Grundlage des Gilbert-Syndroms bildet, bewirkt eine berproportionale Akkumulation aktiver SN-38-Formen. Patienten, deren Wirtsgenom das UGT1A1*28-Allel aufweist, glukuronidieren aktive CPT-11-Metaboliten langsamer, mit der Gefahr massiver Diarrhen und Leukopenien whrend einer CPT-11-Therapie. Mehrere klinische Studien belegen, da eine schwergradige Toxizitt nach CPT-11-Gabe hufiger in Patienten beobachtet wird, die eine UGT1A1-Variante mit eingeschrnkter Funktion aufweisen. Trger der UGT1A1*28-Variante besitzen ein mehr als 7fach erhhtes Risiko, schwerwiegende gastrointestinale und hmatologische Nebenwirkungen zu entwickeln (Ando et al. 2000). 3.3 Verschiedene Chemotherapeutika – Platinumkomplexe und alkylierende Substanzen Die durch platinhaltige Verbindungen verursachten DNS-Schden werden vorwiegend vom Nukleotidreparatursystem (NER) beseitigt, das vernderte DNS-Abschnitte erkennt, entfernt und durch neue Nukleotide ersetzt. Platinverbindungen (z.B. Cisplatin, Oxaliplatin) werden erfolgreich in der Behandlung gastrointestinaler und gynkologischer Tumoren sowie bei Karzinomen im Kopf-Hals-Bereich eingesetzt.
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Pharmakogenetik
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Das Xeroderma-pigmentosum-Gruppe-D(XPD)-Gen spielt eine zentrale Rolle in der Erkennung und Beseitigung platinbedingter DNS-Schden. Eine C751A-Substitution im XPD-Gen bedingt eine ˜nderung in der Aminosuresequenz des Eiweies (Glutamin ! Lysin) und eine mgliche Einschrnkung der DNS-Reparaturfunktion. Patienten mit kolorektalen Tumoren, die eine palliative Kombinationstherapie aus 5-Fluorouracil und Oxaliplatin erhielten, zeigten ein verbessertes Ansprechen und ein lngeres berleben, wenn eine Lysinvariante des XPD-Proteins vorlag. Die Unfhigkeit der Zelle, einen durch Chemotherapie induzierten DNS-Schaden effektiv zu reparieren, fhrt zum Signalisieren eines permanenten Schadens, und die Zelle wird einem apoptotischen Abbau zugefhrt. Dieser Zusammenhang zwischen eingeschrnkter DNS-Reparaturfhigkeit und Potenzierung des chemotherapeutischen Effekts wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Wie bereits eingangs beschrieben, besteht ein wichtiger Mechanismus, die Wirkung einer applizierten Substanz zu beeinflussen, darin, ihren Zustrom zum Tumorgebiet zu verndern. Glutathion-S-Transferasen (GST) bilden eine Klasse von metabolischen Phase-II-Enzymen, die die Konjugation elektrophiler Molekle mit Glutathion katalysieren. Zahlreiche Chemotherapetika werden durch die Aktion der Glutathion-S-Transferasen ebenfalls inaktiviert. Die P1-Klasse der GST-Gene wird in kolorektalen Geweben stark berexprimiert und weist eine Punktmutation in Kodon 105 auf, die zu einer Substitution von Isoleucin durch Valin in der Aminosurekette fhrt. Der Polymorphismus liegt in der katalytischen Domne des Eiweies und korreliert mit einer geringeren Enzymaktivitt (Valinvariante). Patienten mit kolorektalen Tumoren, die zwei funktionseingeschrnkte Valinallele besitzen, sprechen besser auf eine Chemotherapie mit Oxaliplatin an. Die reduzierte „Entgiftung“ des Platinumprparats in Patienten mit Valingenotyp begnstigt dessen Akkumulation, mit der Folge eines verlngerten und verstrkten Therapieeffekts in diesen Patienten (Stoehlmacher et al. 2002). Ein hnlicher berlebensvorteil ist auch fr Patienten mit Mammakarzinom beschrieben worden, deren Genom die GSTP1-Valin-Variante aufweist. Die eingeschrnkte Entgiftungsfunktion des GSTP1-Valin-Allels wurde ebenfalls als Ursache fr das gehufte Auftreten von therapieassoziierter AML in chemotherapiebehandelten Tumorpatienten angesehen. ˜hnlich dem TPMT-Polymorphismus stellt sich die Mutation im GSTP1-Gen als ein zweischneidiges Schwert dar. Genotypbedingte Vorteile im aktuellen Therapieansprechen kann fr einige Patienten zustzliche Komplikationen in der Remissionsphase bedeuten. Eine wesentliche Konsequenz dieser Genotypanalyse sollte deshalb ein engmaschigeres Nachsorgeprogramm fr Patienten mit ausgewhlten GSTP1- und TPMT-Genotypen sein. Deletionspolymorphismen in GSTT1- und GSTM1-Genen sind mit einem kompletten Funktionsverlust des jeweiligen Gens assoziiert und werden in
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870
16
Neue Entwicklungen in der Tumortherapie
25 bzw. 50% der meisten Populationen beobachtet. Die funktionslosen Nullallele korrelieren mit einer reduzierten Rezidivrate verschiedener Tumorerkrankungen (z.B. Mammakarzinom, ALL im Kindesalter) und erhhter Toxizitt gegenber bestimmten Chemotherapien (z.B. gesteigerte Toxizitt in der Behandlung von AML im Kindesalter mit Kombinationen aus Etoposid, Daunorubicin, 6-Thioguanin und Cytarabin).
4 Ausblick – individualisierte Chemotherapie Die zwei entscheidenden Ziele einer Chemotherapie sind maximales Ansprechen des Tumors und minimale Wirtstoxizitt. Die Amplitude toxischer Nebenwirkungen zwingt den behandelnden Onkologen hufig zu Kompromissen im Therapieschema. Die Pharmakogenetik zeigt einen mglichen Weg, den Einsatz vorhandener Chemotherapeutika zu optimieren: F
F
F
Die prtherapeutische Analyse funktioneller Polymorphismen, die die Toxizitt der zu verabreichenden Chemotherapie mitbestimmt, ermglicht, diejenigen Patienten zu identifizieren, die einem erho¨hten Risiko von Nebenwirkungen ausgesetzt sind. In dieser Weise identifizierte Risikopatienten knnen … einer alternativen Chemotherapie zugefhrt werden, falls intolerable Nebenwirkungen zu erwarten sind, … eine initiale Dosisreduktion erfahren und … einem engmaschigeren Nachsorgeplan unterliegen. Die prtherapeutische Analyse von prdiktiven Polymorphismen fr das Therapieansprechen und Gesamtberleben ermglicht eine bessere Einschtzung, inwieweit ein Patient von der beabsichtigten Chemotherapie profitieren wird. Patienten, deren Chancen auf ein Ansprechen auf die Therapie sehr limitiert erscheinen, knnen bereits zu Behandlungsbeginn … alternative Therapien oder … erweiterte Kombinationstherapien erhalten. Die Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen und die Auswahl des individuell wirksamsten Chemotherapeutikums wird neben den offensichtlichen Vorteilen fr den Patienten auch eine Reduzierung der Gesundheitskosten in der Gruppe der Tumorpatienten ermglichen.
Die Bercksichtigung funktioneller Polymorphismen in Genen, die in den Metabolismus der Chemotherapeutika involviert sind, bei Auswahl, Dosierung und Dauer der Chemotherapie wird die Entwicklung einer individualisierten Therapie untersttzen. Die Analyse bekannter genetischer Variationen sollte in Studienprotokolle Eingang finden, um Patienten eine nebenwirkungsarme, aber wirksame Therapie anzubieten und um das bestehende Wissen auf dem Gebiet der pharmakogenetischen Onkologie erfolgreich weiterzuentwickeln.
16.8
Pharmakogenetik
871
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17 Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
17.1 Prinzipien der lokoregiona¨ren Chemotherapie K. H. Link, J. Prei
1 Einleitung Die regionale Chemotherapie hat das Ziel, die Wirksamkeit tumortoxischer Substanzen (Zytostatika, Toxine, Zytokine) gegenber der systemischen (oralen, intravensen) Therapie zu verstrken. Unter der Voraussetzung, da eine direkte Korrelation zwischen Expositionskonzentration und -zeit auf der einen Seite und Tumorzellzerstrung auf der anderen Seite besteht, kann durch eine regionale Applikation eine effektivere Therapie im lokalen Gebiet durchgefhrt werden durch: F F F
Steigerung der Konzentration des Zytostatikums im Tumorgebiet, Steigerung der Expositionszeit im Tumorgebiet, Verminderung der systemischen Nebenwirkungen.
Bei Anwendung der regionalen Therapie sind definierte Voraussetzungen zu erfllen: F F F F F
Es mu eine wirksame, dosisabhngige Therapie vorhanden sein. Die systemische Therapie hat nur eine begrenzte Wirksamkeit mit dosislimitierenden Nebenwirkungen. Die Tumormanifestation ist auf ein anatomisch lokalisiertes Gebiet begrenzt. Der Zugang zu diesem Gebiet mu technisch einfach zu erreichen sein. Das verwendete Zytostatikum mu in aktiver Form vorliegen, oder die Aktivierung findet in der Tumorzelle statt.
2 Mo¨glichkeiten der regionalen Therapie In den vergangenen 50 Jahren (erste regionale Chemotherapie der Leber im Jahre 1954) sind durch die Fortentwicklung der Kathetertechnik, der bildgebenden Diagnostik und durch Entwicklung neuer Therapeutika die
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Mo¨glichkeiten der regionalen Chemo-/Immunotherapie * *
*
*
*
*
Intratumorale Therapie Intrakavita¨re Therapie – Liquorraum – Pleuraraum – Perikardho¨hle – Peritonealho¨hle – Harnblase Intraarterielle Infusion – A. hepatica (prima¨re und sekunda¨re Lebertumoren) – A. mammaria interna (Mammakarzinom) – A. carotis interna (ZNS-Tumoren) – A. carotis externa (Kopf-Hals-Tumoren) – A. iliaca interna (Beckentumoren, Weichteilsarkome) – Aa. bronchiales (Bronchialkarzinome) – A. femoralis, A. axillaris (Sarkome der Extremita¨ten) – Truncus coeliacus (Pankreastumoren) Intraportale Infusion – V. portae (sekunda¨re Lebertumoren) Regionale Perfusion – Extremita¨tenperfusion (Weichteilsarkome, malignes Melanom) – Leberperfusion (prima¨re und sekunda¨re Lebertumoren) – Peritonealperfusion Chemoembolisation – Leber, Niere
Mglichkeiten der regionalen Therapie erweitert worden. Zahlreiche Zytostatika sind aufgrund ihres Konzentrations-Wirkungs-Verhaltens prinzipiell fr die regionale Chemotherapie geeignet (Link et al. 1998). In Tabelle 1 sind die Hauptanwendungsarten aufgefhrt, wobei bei der intraarteriellen Infusion prinzipiell alle arteriellen Stromgebiete fr die Therapie genutzt werden knnen. Whrend die intrakavitre Chemotherapie leicht durchzufhren ist und eine weite Verbreitung gefunden hat, ist die regionale intraarterielle Chemotherapie unverndert auch heute kein Standardverfahren, birgt in der Hand des Ungebten deutlich hhere Risiken (Campbell et al. 1993) und wird weiterhin kontrovers diskutiert (Kemeny 1992; O˙onnell 1992; Patt 1993). Mittlerweile konnte aus Metaanalysen der Studien zum randomisierten Vergleich intraarterieller vs. systemischer Therapie bzw. „best supportive care“ ein berlebensvorteil der regionalen Chemotherapie bei isolierten, nicht resektablen Lebermetastasen kolorektaler Karzinome aufgezeigt werden (Buyse 1996). Diese Metaanalyse bezieht in beiden Therapierarmen die hepatotoxische 5-FUDR-Dauerinfusionstherapie ein; der systemische Standardarm entspricht nicht heutigem Standard der op-
17.1
Prinzipien der lokoregiona¨ren Chemotherapie
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timalen Chemotherapie, so da die positive Aussage wahrscheinlich nicht mehr gilt. Moderne Protokolle zur systemischen und regionalen Chemotherapie nichtresektabler kolorektaler Lebermetastasen erzielen mittlerweile vergleichbare Resultate im Ansprechen, in der Induktion sekundrer Resektabilitt und im Langzeitberleben (Link et al. 1999, Link et al. 2001). Mit der Kombination Peritonektomie, hypertherme Abdominalperfusion und nachfolgende systemische Chemotherapie wurden bei Sonderformen der Peritonealkarzinose und beim Mesotheliom sowie Pseudomyxom z.T. hochsignifikante berlebensverbesserungen erzielt (Zoetmolder et al. 2002).
3 Grundlagen der regionalen Therapie 3.1 Intrakavita¨re Therapie Pharmakologie und Pharmakokinetik der intrakavitren Therapie entsprechen einem Dreikompartmentmodell: tumorbefallene Ko¨rperho¨hle – Blutpool – Ko¨rperorgane. Whrend bei systemischer Applikation das Medikament die Tumorzelle durch den kapillren Blutstrom erreicht, geschieht dies bei intrakavitrer Anwendung durch direkte Penetration. Eine wesentliche Rolle fr die Wirksamkeit der intraperitonealen Hochkonzentrationsbehandlung spielt die Gre der Peritonealkarzinoseknoten, d.h. die Diffusionsstrecke. Der pharmakokinetische Vorteil der intraperitonealen Chemotherapie wird vornehmlich durch drei Faktoren bedingt: die Diffusionsgeschwindigkeit aus der Ho¨hle (cavity clearance), die Plasmaclearance und in sehr geringem Umfang die intrakavita¨re Metabolisierung. Die Gesamtexposition des Medikamentes wird definiert als „Flche unter der Kurve“ … „area under the curve“ = AUC. Der relative Vorteil der intrakavitren Therapie ergibt sich aus dem Verhltnis der AUC in der Hhle zu der AUC im Plasma (Tabelle 2), wobei eine geringe ,,cavity clearance" und eine hohe Plasmaclearance die idealen Voraussetzungen fr ein optimales Medikament darstellen (z.B. Mitoxantron). Ein weiterer Faktor ist die Eiweibindung des Zytostatikums. Maligne Ergsse haben hufig eine hohe Eiweikonzentration, so da ein Restergu eine negative Auswirkung auf die freie Verfgbarkeit eines Zytostatikums mit hoher Eiweibindung hat (Cisplatin, Mitoxantron). Der anatomische Weg des vensen Abstromgebietes hat Einflu auf die Plasmaclearance. Bei der Peritonealhhle ist das Hauptabstromgebiet die Pfortader, so da Zytostatika mit hohem First-pass-Metabolismus in der Leber (5-Fluorouracil, Fluordeoxyuridin, Cytarabin) eine hohe Plasmaclearance haben gegenber anderen mit geringer hepatischer Metabolisierung (Cisplatin, Bleomycin).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 2. Verha¨ltnis der AUC in der Peritonealho¨hle gegenu¨ber der des Plasmas. (Mod. nach Markman 1991, 1992) Zytostatikum
AUC Perit./ Plasma
Lokale Toxizita¨t
Karzinome
5-Fluorouracil
400–2500
Peritonitis
Kolorektale Karzinome
Mitoxantron
1400
Peritonitis
Ovarialkarzinom, Mammakarzinom
Doxorubicin
400
Peritonitis
Magenkarzinom, Endometriumkarzinom
Cytarabin
300–1000
Mesotheliome
Methotrexat
92
Mammakarzinom, Endometriumkarzinom
Mitomycin
32
Cisplatin
12
Ovarialkarzinom, Magenkarzinom
Carboplatin
6–10
Ovarialkarzinom
Paclitaxel
1000
Bleomycin
4
Peritonitis
Ovarialkarzinom, Magenkarzinom
Ovarialkarzinom Peritonitis
Plattenepithelkarzinom
Tumorpenetration und Tumorgro¨ße haben entscheidenden Anteil an der Wirksamkeit. Da die direkte Penetration der Zytostatika in den Tumor sehr limitiert ist und hufig nur wenige Zellschichten umfat, kann eine intrakavitre Therapie neben den frei schwimmenden Tumorzellen nur kleine Tumorkntchen wirksam erreichen, whrend Tumorknoten > 2 cm durch eine systemische Therapie besser erfat werden knnen (Kemeny 1992; Ozols 1992). Umgekehrt ist bei guter Penetration ein verstrkter Abstrom ins Plasma durch die pathologisch vernderten Tumorgefe nachweisbar. Die intraperitoneale Instillationschemotherapie mit Mitoxantron kann bei ovarialkarzinombedingtem malignem Aszites und malignem Aszites bei metastasiertem Mammakarzinom als Standardtherapie nach unwirksamer diuretischer Behandlung angesehen werden, bei anderen Tumorentitten sind die Erfolge eingeschrnkt, beim Kolonkarzinom geringer (Link et al. 1996a, 1996b). Bei malignem Aszites des Mammakarzinoms ist die Instillationstherapie mit Mitoxantron hoch wirksam (Link et al. 2003) und zugelassen. 3.2 Intraarterielle Therapie Voraussetzung fr eine intraarterielle Zytostatikatherapie ist ein lokal begrenzter Tumor, der mglichst ausschlielich durch das infundierte arterielle Gef versorgt wird. Der Blutstrom soll homogen das gesamte Tumorgebiet erreichen, und die Durchblutung (Flurate) des Tumors sollte grer sein als die des umgebenden gesunden Gewebes (Eksborg 1991).
17.1
Prinzipien der lokoregiona¨ren Chemotherapie
877
Tabelle 3. Angiographische vs. operative Katheterplazierung. (Mod. nach Ensminger 1992) Angiographisch
Operativ
Plazierung Trauma Patientenbelastung Lagekontrolle Gefa¨ßkorrektur Kosten
Gering Gering Weniger gut Nicht mo¨glich Gering
Hoch Hoch Gut Mo¨glich Hoch
Haltbarkeit Lagestabilita¨t Liegedauer Gefa¨ßscha¨digung Arterielle Thrombose Infektionen
Geringer Tage bis Wochen Ha¨ufiger Ha¨ufig Ha¨ufiger
Hoch Monate (Jahre) Selten Zeitabha¨ngig, weniger ha¨ufig Weniger ha¨ufig
Akzeptanz Komfort Therapie
Gering Stationa¨r
Groß Ambulant
Diese Voraussetzungen sind in der Regel nicht alle gegeben. Hufig ist die Durchblutung von Lebermetastasen (insbesondere kolorektaler Karzinome) deutlich geringer als die des gesunden Lebergewebes … mit entsprechendem Verlust an Wirksamkeit einer regionalen, aber auch systemischen Therapie. Bei Weichteilsarkomen im Abdomen- und Beckenbereich ist ein Gefanschlu an mehrere arterielle Gefsysteme die Regel, so da entweder sehr zentrale Gefe mit hoher Flurate infundiert werden mssen oder mehrere kleinere Gefe mit entsprechend hherem technischem Aufwand. Die arterielle Infusion erfolgt entweder mit angiographisch perkutan plazierten Kathetern, die nach der Therapie wieder entfernt werden, oder langfristig operativ mit Freilegung und Revision der arteriellen Strombahn. Die operative Plazierung ist fr den Patienten belastender, hat aber Vorteile fr die Therapie (Tabelle 3). Bei der Freilegung des Gefsystems knnen unerwnschte Seitenste ligiert werden, der Katheter kann exakt positioniert werden, und mit Hilfe von Farbinfusionen (Patentblau, Methylenblau) kann das perfundierte Gebiet exakt kontrolliert werden. Die implantierten arteriellen Katheter werden an subkutan implantierte Port- oder Pumpensysteme angeschlossen und gestatten daher im Gegensatz zu den perkutan plazierten passageren Kathetern eine ambulante Tumortherapie ber einen lngeren Zeitraum, die die Belastung durch die Operation in der Regel aufwiegt. Etabliert ist dieses Verfahren nur fr die Leber, die regionale Infusion anderer Organsysteme ist als experimentell zu betrachten.
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4 Pharmakologie und Pharmakokinetik Pharmakologie und Pharmakokinetik bei der intraarteriellen Applikation verlaufen hnlich einem Dreikompartmentmodell: infundierter anatomischer Bezirk – Blutpool – Ko¨rperorgane. Variable Gren sind Flurate und Extraktion des Zytostatikums im infundierten anatomischen Bezirk sowie die Restkrperclearance. Die ideale Therapie wird bei einer geringen Flurate durchgefhrt mit einem Zytostatikum mit maximaler Restkrperclearance und hoher lokaler Extraktionsrate. Wie von Collins (1984) erarbeitet, kann der Vorteil der regionalen Gabe gegenber der systemischen Applikation nach folgender Formel berechnet werden: ½Zytostatikum Zielregion CLTB ¼ Rd ¼ 1 þ ½Zytostatikum systemisch Q ð1 EÞ wobei CLTB die Gesamtkrperclearance, E den Anteil, der in der ersten Passage in der Zielregion extrahiert wird, und Q die Flurate in dem infundierten Gef bedeuten. Hieraus ergeben sich je nach Flurate sehr unterschiedliche Faktoren (Tabelle 4), und es zeigt sich, da die arterielle Flußrate ein wichtiger Faktor ist. Bei der HAI mit FUDR ist bei einer Durchflurate in der Leber zwischen 100 und 1000 ml/min der Vorteilsfaktor zwischen 150 (Q = 100 ml/min) und 25 (1000 ml/min). Eine therapeutische Reduktion der Flurate auf 10 ml/ min wrde den Faktor auf 2500 erhhen! Der pharmakologische Vorteil kann reeller errechnet werden, indem die Flchen der Plasmakonzentrationen in den Tumorgefen bei optimaler Tabelle 4. Vorteile der regionalen Therapie (intraarterielle Infusion). (Mod. nach Collins 1984 u. O’Connell 1992) Zytostatikum
CLTB
Vorteile bei Q = 100 ml/min
ELeber
Vorteile bei HAI a (Q = 250 ml/min)
FUDR
15000
150
0,9
600
5-Fluorouracil
4000
40
0,8
80
BCNU
2500
25
Doxorubicin
900
9
0,3
4
Mitomycin
600
6
0,25
3
Cisplatin
400
4
0,25
2
Cytarabin
3000
Methotrexat a
200
HAI: „hepatic arterial infusion“.
1,9 3
10
17.1
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879
intraarterieller und optimaler systemischer Chemotherapie verglichen werden. Bei Leberarterieninfusion ergeben sich damit folgende theoretische Vorteile unter der Annahme eines mittleren Blutflusses in der A. hepatica von 250 ml/min: ADM 5,8…6, cDDP: 8, Epi 6,3, 5-FU 22…58; MMC 4,6, MITX 6,3 (Link et al. 1998). Derzeit kann die regionale intraarterielle Infusionschemotherapie ber Portsysteme (z.B. mit 5-FU und Folinsure oder Mitoxantron, 5-FU + Folinsure und Mitomycin C [MFFM]) nur bei nichtresektablen isolierten Lebermetastasen kolorektaler Karzinome empfohlen werden, sofern die operative Katheterimplantation fr den Patienten keine wesentliche Zusatzbelastung darstellt. Die Leberarterieninfusion ber Ports sollte nur von Onkologen mit Expertise durchgefhrt werden und kommt nicht nur als First-line-Therapie, sondern auch als Second/Third-line-Behandlung nach vorausgegangener systemischer Behandlung in Frage. Eine Verbesserung mit oxaliplatinhaltigen Protokollen und Protokollzusammensetzung nach individueller Chemosensitivitt erscheint mglich (Link et al. 2000). Die Reduktion der Flurate ist wie oben erwhnt eine Mglichkeit, die Effektivitt einer intraarteriellen Therapie zu steigern (Starkhammar 1991). Ungewollt tritt dies bei einer Teilthrombosierung des Gefes auf, der Vorteil wird aber durch die sptere vollstndige Thrombosierung zunichte gemacht, da damit die Therapie zwangsweise beendet wird. Experimentell kann die Reduktion der Flurate durch Ballonkatheter (Bengmark 1989), pharmakologisch mit Angiotensin (Goldberg et al. 1991a) oder durch eine passagere Embolisierung mit Mikrospha¨ren (Lindell et al. 1978), EthiblockJ (Schultheis et al. 1989) oder Gelfoampulver (Struk et al. 1993) erreicht werden. Die Chemoembolisation ist die Fortfhrung dieser Technik, wobei entweder primr eine Embolisierung und anschlieend … bei reduzierter Flurate … die Chemotherapie appliziert wird oder mikroenkapsulierte Zytostatika direkt intraarteriell appliziert werden (Goldberg et al. 1991b; Leyland-Jones et al. 1993). Die Chemoembolisation ist zwar ein bei primren Lebertumoren wirksames und weit praktiziertes Verfahren, kann jedoch aufgrund fehlender Daten aus randomisierten Studien nicht als Standardbehandlung empfohlen werden. Eine weitere Variante ist die arterielle Perfusion im isolierten Kreislauf. Das Verfahren wurde auch bei der Leber eingesetzt, hat sich aber derzeit nur bei den Extremitten meist in Verbindung mit Hyperthermie durchgesetzt, da ein erheblicher technischer Aufwand ntig ist (Henneking et al. 1993; Scott et al. 1992; Link et al. 2000). Standardindikationen sind derzeit die auf die Extremitten beschrnkten Melanom-Intransitmetastasen oder inoperable Weichteilsarkome oder ihre Rezidive. Die Kombination von Melphalan mit TNF-a scheint hhere Komplettremissionsraten zu erbringen als die Perfusion mit Melphalan allein (Eggermont 1996). Die isolierte Leberperfusion ist 20 Jahre nach ihrer Etablierung aufgrund des noch nicht
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nachgewiesenen berlebensbenefits als experimentell anzusehen (Christoforidis et al. 2002). Einen mglichen Benefit bringt die Leberarterieninfusion bei Aderhautmelanom-Lebermetastasen (Fotemustin), als Second-line-Behandlung bei isolierten Mammakarzinom-Lebermetastasen und, in Kombination mit systemischer Begleittherapie, als adjuvante Behandlung nach Resektion kolorektaler Lebermetastasen. Literatur Bengmark S (1989) Regional chemotherapy of liver and hepatic artery occlusion. In: Beger HG, Bchler M, Reisfeld RA, Schulz G (eds) Cancer therapy monoclonal antibodies, lymphokines, new development in surgical oncology and chemoand hormonal therapy. Springer, Berlin Heidelberg New York, pp 201…215 Buyse M (1996) Reappraisal of hepatic arterial infusion in the treatment of nonresectable liver metastases from colorectal cancer. J Natl Cancer Inst 88:252…258 Campbell KA, Burns RC, Sitzmann J et al (1993) Regional chemotherapy devices: Effect of experience and anatomy on complications. J Clin Oncol 11:822…826 Christoforidis D, Martinet O, Lejeune FJ, Mosimann F (2002) Isolated liver perfusion for non-resectable liver tumours: a review. Eur J Surg Oncol 28:875…890 Collins JM (1984) Pharmacological rationale for regional drug delivery. J Clin Oncol 2:498…505 Eggermont AMM (1996) The success of TNF-a in isolated limb perfusion for irresectable extremity soft tissue sarcomas, melanomas and carcinomas. Observation in patients and preclinical perfusion models. Jpn J Cancer Chemother 23:1357… 1370 Eksborg S (1991) Pharmacokinetic rationale for regional chemotherapy. Eur J Surg [Suppl 561]:27…30 Ensminger WD (1992) Intraarterial therapy. In: Perry MC (ed) The chemotherapy sourcebook. Williams 271 Goldberg JA, Murray T, Kerr DJ et al (1991a) The use of angiotensin II as a potential method of targeting cytotoxic microspheres in patients with intrahepatic tumors. Br J Cancer 63:308…310 Goldberg JA, Kerr DJ, Blackie R et al (1991b) Mitomycin-C-loaded microcapsules in the treatment of colorectal liver metastases. Pharmacokinetics of regionally administered particulate chemotherapy. Cancer 67:952…955 Henneking K, Binder J, Weyers W, Schwemmle K (1993) Chirurgische Behandlung und regionale Chemotherapie bei Extremittenmelanom. Chirurg 64:134…138 Kemeny NE (1992) Is hepatic infusion of chemotherapy effective treatment for liver metastases? Yes. In: DeVita VT Jr, Hellman S, Rosenberg SA (eds) Important advances in oncology. Lippincott, Philadelphia, pp 207…227 Leyland-Jones B (1993) Targeted drug delivery. Semin Oncol 20:12…17 Lindell B, Aronson KF, Nosslin B et al (1978) Studies in pharmacokinetic and tolerance of substance temporarily retained in the liver by microspheres embolization. Ann Surg 187:95…99
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17
17.2 Lokal ablative Therapieverfahren W. Dempke, K. Alimi, M. Gebel
1 Einleitung Fernmetastasen stellen neben den lokoregionren Rezidiven ein wesentliches Problem bei der Behandlung maligner Tumoren dar, wobei Leber, Lunge und das Skelettsystem am hufigsten befallen sind. Die mediane berlebenszeit betrgt im Spontanverlauf oftmals weniger als 15 Monate. Eine solche systemische Manifestation des Tumorleidens wurde frher prinzipiell als inkurabel angesehen, whrend die Mglichkeit einer dauerhaften Heilung durch eine lokale Therapiemanahme nur in Ausnahmefllen fr mglich gehalten wurde. Erst mit dem besseren Verstndnis der Tumorbiologie, den Mechanismen der Metastasierung und der Kenntnis der prognostischen Faktoren hat sich der Stellenwert der Lokaltherapie der Metastasen innerhalb des letzten Jahrzehnts grundlegend gewandelt. Insbesondere durch die Verfgbarkeit multimodaler Therapieverfahren konnten zwischenzeitlich differenzierte Behandlungskonzepte entwickelt werden, wodurch die Prognose der betroffenen Patienten deutlich verbessert wird. In Sektionsstatistiken finden sich bei 60% aller Patienten mit malignen Tumoren Fernmetastasen; davon haben allerdings 20% dieser Patienten nur eine Metastasenlokalisation. Gerade diese Patienten scheinen von einer Lokaltherapie der Metastasen zu profitieren, fr die grundstzlich folgende Verfahren zum Einsatz kommen knnen: F F F F F F
Chirurgische Resektion, Lokale Bestrahlung („Radiochirurgie“, z.B. „gamma knife“), Regionale Chemotherapie, Intralsionale Applikation von Zytostatika oder BRM-Substanzen, Intralsionale Applikation von radioaktiven Nukliden, Lokal ablative Verfahren.
Bei technischer Irresektabilitt oder Kontraindikationen fr eine Operation oder eine regionale Chemotherapie knnen neben der intratumoralen Applikation von antineoplastischen Substanzen (z.B. Bleomycin, Cisplatin, Interferone, Alkohole etc.) oder radioaktiven Nukliden (z.B. Yttrium-90, Phosphor-32) auch lokal ablative physikalische Therapieoptionen zum Einsatz kommen. Dazu gehren berwiegend: F F F
Kryotherapie, Interstitielle laserinduzierte Thermotherapie (LITT), Interstitielle hochfrequenzinduzierte Thermotherapie (HITT).
17.2
Lokal ablative Therapieverfahren
883
Tabelle 1. Verfahren zur lokal ablativen Therapie maligner Tumoren Verfahren
Technik
Nekrosezone
Vorteile
Frierung
Kryotherapie
4–6 cm
Große Nekrosezone, Laparotomie oftmals notwendig, techgute Ultraschallnisch aufwendig kontrolle
Hyperthermie
HITT, LITT
2–4 cm
Perkutane Technik, gute Ultraschallkontrolle
Relativ kleine Nekrosezone
Lokale Injektion A¨thanol, Essigsa¨ure, Chemotherapie
3 cm
Perkutane Technik, gute Ultraschallkontrolle, kostengu¨nstig
Inhomogene Substanzverteilung, systemische Wirkung nicht ausgeschlossen
Experimentell
Variabel
Variabel
Unklare Effizienz
Gentransfer, P-32
Nachteile
Die meiste klinische Erfahrung mit diesen Therapieverfahren wurde bei der Behandlung von Lebermetastasen unterschiedlicher Tumoren gesammelt, jedoch knnen damit auch prinzipiell alle anderen zugnglichen Metastasierungsorte lokal behandelt werden. Ein berblick verschiedener lokal ablativer Therapieverfahren ist in Tabelle 1 dargestellt.
2 Kryotherapie Bei der Kryotherapie, die erstmals im Jahre 1845 in England fr die Behandlung von Mamma- und Zervixkarzinomen eingesetzt wurde, erfolgt die lokale Tumordestruktion durch lokale Hypothermie auf …160 bis …180 C. Dies wird erreicht, indem bei einer Laparotomie (oder seltener auch perkutan ultraschallgesteuert) 6…12 mm dicke Sonden in die Mitte der Metastasen plaziert werden. Durch Khlung der Sondenspitze mit flssigem Stickstoff wird ein bis zu 5 cm groer Eisball erzeugt, dessen Entwicklung gut mit Ultraschall verfolgt werden kann und der 1…2 cm ber den Metastasenrand hinausreichen mu. Da mehrmaliges Frieren effektiver zu sein scheint, wird nach teilweisem Auftauen mindestens ein weiterer Durchgang empfohlen. Die mit den momentan verfgbaren Gerten erforderliche Anwendungszeit von 20…40 Minuten pro Metastase schrnkt das Verfahren auch bezglich der Anzahl der vorhandenen Lsionen relativ ein. Hinzu kommt, da bei nahe an greren Gefen lokalisierten Metastasen durch die Perfusion mit warmem Blut die Frierung der Herde vermindert wird. Ferner ist die Anwendung der Kryotherapie bei Herden kontraindiziert, die in der Nhe groer Gallengnge liegen, da es hier leicht zur Entwicklung von Gallengangsnekrosen und Gallenfisteln kommen kann.
17
884
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 2. U¨berlebensraten nach Kryotherapie von prima¨ren Lebertumoren und Lebermetastasen Autoren
Patientenzahl La¨sion
U¨berlebensrate
Ravikumar et al. 1991
32
Prima¨res HCC
62% (2 Jahre)
Onik et al. 1993
59
Lebermetastasen
52,5% (21 Monate)
Zhou et al. 1993
113
Prima¨res HCC
15% (5 Jahre)
Preketes et al. 1995
38
Lebermetastasen
12,5% (2 Jahre)
Weaver et al. 1998
136
Lebermetastasen
34 Monate (Median)
Seifert u. Morris 1999
85
Lebermetastasen
60% (3 Jahre)
HCC = hepatozellula¨res Karzinom
Langzeitergebnisse der Kryotherapie stehen nur sprlich zur Verfgung. In den wenigen greren Untersuchungen (bei allerdings kurzem Beobachtungszeitraum) wird der Anteil an berlebenden Patienten mit bis zu 62% angegeben (Tabelle 2). Lediglich in einer bisher publizierten randomisierten Studie (Korpan 1997) wurde bei Patienten mit Lebermetastasen unterschiedlicher Histologie die chirurgische Metastasenresektion mit der Kryotherapie verglichen. Dabei fand sich in beiden Gruppen kein Unterschied fr die Gesamtberlebens- und die Lokalrezidivrate. Allerdings machen das sehr heterogene Patientengut sowie die nicht standardisierte postoperative Nachbehandlung die Interpretation der Daten nahezu unmglich.
3 Laserinduzierte interstitielle Thermotherapie (LITT) Bei der interstitiellen laserinduzierten Hyperthermie (entwickelt 1983) wird mit Glasfaserkabeln die Energie eines Neodym-YAG-Lasers bertragen. Dabei wird die Spitze einer Sonde in Seldinger-Technik unter Ultraschall- oder CT-/MRT-Kontrolle in der Mitte der Metastase plaziert. Die bertragene Energie verwandelt sich an der Sondenspitze in Hitze, was dann zur Entwicklung einer Koagulationsnekrose fhrt. Die Nekroseentwicklung kann unter Real-time-Bedingungen durch Ultraschall verfolgt werden. Da jede Faser des Lasers nur zu einer Nekrose von etwa 1,5 cm fhrt, mssen pro Lsion meist mehrere Sonden plaziert werden; aus diesem Grund drfen die Metastasen nicht grer als 4 cm sein und sollte die Zahl von 5 nicht berschreiten. Im Vergleich zur Kryotherapie ist allerdings ein perkutaner Zugang mglich, was das Verfahren technisch einfach und sicher macht. In den wenigen klinischen Studien zur LITT wurde in einigen Fllen lediglich ber die Entwicklung von Kapselhmatomen sowie die passagere Ausbildung eines Pleuraergusses bei der Ablation von Lebermetastasen berichtet. In einer greren Untersuchung von Amin et al. (1993) wurden insgesamt
17.2
Lokal ablative Therapieverfahren
885
55 Patienten mit Lebermetastasen einer LITT-Therapie unterzogen. Bei 82% der Patienten konnte eine partielle Remission erreicht werden, bei 38% der Patienten fand sich histologisch eine komplette Nekrose. In einer weitergehenden Studie dieser Arbeitsgruppe konnte ferner auch ein signifikant besseres Ansprechen der LITT-behandelten Lebermetastasen im Vergleich zu Metastasen, die einer perkutanen Alkoholinjektion zugefhrt wurden, nachgewiesen werden.
4 Hochfrequenzinduzierte Thermotherapie (HITT) Dieses Verfahren erlaubt ebenfalls mit relativ geringem technischem Aufwand die perkutane Destruktion von Metastasen bis zu einer maximalen Gre von 5…6 cm. Dabei wird wiederum unter Ultraschall- oder MRT-/ CT-Kontrolle eine Sonde in der Mitte der Metastase plaziert. Die Sondenspitze sendet dann Mikrowellen aus (Frequenz ca. 2450 MHz), die im umgebenden Gewebe in Hitze umgewandet werden. Im Vergleich zum LITTVerfahren ist die induzierte Nekrosezone grer bei krzerer Behandlungszeit. Einige Studien zeigen bei der Behandlung von Lebermetastasen im Vergleich zum Spontanverlauf ein besseres medianes berleben, sofern eine komplette Nekrose der Metastasen erreicht werden konnte (Tabelle 3). Da bisher noch keine Langzeitergebnisse zur HITT-Therapie vorliegen, sollten diesem Verfahren ausschlielich Patienten mit nichtresektablen Lebermetastasen zugefhrt werden. Allerdings deuten berlebensdaten von krzlich publizierten Studien darauf hin, da auch andere solide Tumoren eine Indikation fr diese Therapieform darstellen knnten (Tabelle 4). Im Rahmen der technischen Weiterentwicklung der Hyperthermieverfahren stehen seit einiger Zeit auch neuartige Sonden zur Verfgung, deren Spitze mit physiologischer Kochsalzlsung umsplt ist. Nach Plazierung der Sonde in der Mitte der Metastase wird die austretende Kochsalzlsung verdampft, was zur Bildung einer Koagulationsnekrose fhrt. Der besondere Vorteil dieser Form der HITT-Therapie liegt darin, da an der Spitze der
17 Tabelle 3. Lokalrezidivrate nach Hochfrequenzablation von Lebermetastasen Autoren
Patientenzahl
Lokalrezidivrate
Rossi et al. 1995
24
54% (nach 2 Jahren)
Solbiati et al. 1997
29
34% (nach 1 Jahr)
Nagata et al. 1997
45
29% (keine Angabe)
Allgaier et al. 1999
10
0% (nach 145 Tagen)
Cuschieri et al. 1999
10
0% (nach 26 Monaten)
Curley et al. 1999
123
1,8% (nach 15 Monaten)
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17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 4. Ansprechraten von soliden Tumoren nach Hochfrequenzablation Autoren
Tumorlokalisation
Patientenzahl
Ansprechrate
Herrera et al. 2003
Lunge
18
66% (nach 9 Monaten, median)
Farwell et al. 2003
Niere
20
100% (nach 9 Monaten, median)
Singletary 2003
Mamma
20
50% (nach 5 Jahren)
Sonde nur Temperaturen bis maximal 100 C (Siedepunkt des Wassers) entstehen und somit eine unkontrollierte Temperaturentwicklung (mit konsekutiver Schdigung des umgebenden Gewebes) weitgehend vermieden wird. Langzeitergebnisse dieses Verfahrens liegen bisher noch nicht vor.
5 Nichtoperable perkutane A¨thanolinjektion Die Rationale fr die perkutane Tumorablation beim hepatozellulren Karzinom (HCC) grndet sich auf folgende berlegungen: F F F
F
Das HCC wchst regional und metastasiert erst spt, 84% der HCC werden in einem frhen Stadium diagnostiziert, ˜thanol diffundiert bevorzugt in den Tumor; Aktion ber osmotische Effekte, Proteindenaturierung, Sklerosierung zu- und abfhrender Gefe, dosisabhngige Induktion der Apoptose (Galle 1997), keine Systemtoxizitt, keine Toleranzentwicklung, Kein Verlust von funktionellem Parenchym, bedeutsam bei Patienten mit eingeschrnkter Lebersynthese- und Entgiftungsleistung (bei 60…90% der Patienten besteht bereits eine Leberzirrhose).
Die perkutane ˜thanolinjektion (PEI) kann als „Mehrschritt-Therapie“ oder als Einzeltherapie (Meloni et al. 2001; Giorgio et al. 1996) durchgefhrt werden, die publizierten Ergebnisse zur PEI beziehen sich fast ausschlielich auf die „Mehrschritt-Therapie“. Entsprechend den Leitlinien der DGVS gehren zum berwachungsprogramm zur frhzeitigen Entdeckung des HCC die halbjhrliche Bestimmung des a-Fetoproteins (AFP), das bei 60…75% der Patienten mit HCC erhht ist, und die Durchfhrung der Lebersonographie bei Patienten mit chronischer Hepatitis. Gehuft findet sich das HCC auch bei Patienten mit Hmochromatose, Glykogenosen, seltener bei der nichthepatitischen Leberzirrhose und sehr selten bei der Leberzirrhose durch eine autoimmune Hepatitis und der primren biliren Zirrhose (PBC). Bei 84% der Patienten ist der Tumor bei der Erstdiagnose < 5 cm. Die natrliche berle-
17.2
Lokal ablative Therapieverfahren
887
benszeit des sehr kleinen HCC („minute HCC“, < 3 cm) betrgt im ersten Jahr 90,7%, im zweiten 55% und im dritten 12,8% (Ebara et al. 1998). PEI versus PAI
Die Ablation von Lebertumoren mittels Injektion von 95%igem ˜thanol (PEI) oder neuerdings durch 50%ige Essigsure (PAI) wird fast ausschlielich beim hepatozellulren Karzinom durchgefhrt. Die ursprngliche behauptete berlegenheit der PAI (Ohnishi et al. 1998) ber die PEI wurde krzlich durch eine berzeugende prospektive, randomisierte Studie (Huo et al. 2003) widerlegt. Bei der Essigsureinjektion sind aber offensichtlich weniger Injektionen bei geringerer Injektionsmenge ntig als bei der klassischen Mehrschritt-PEI, die einen alternativen Einsatz der PAI berlegenswert macht. PEI versus Radiofrequenztherapie
Der Wert der PEI wird auch durch die Radiofrequenztherapie (RF) nicht eingeschrnkt, da bezglich der berlebenszeit keine berlegenheit gegenber der PEI in einer prospektiven, randomisierten Studie belegt werden konnte (Lencioni et al. 2003) und bei der RF hufig zutreffende Ausschlukriterien (Abstand von 1 cm bezglich kritischer Strukturen) beachtet werden mssen, die fr die PEI nicht gelten. Darber hinaus sind der Zeitaufwand fr die RF um mindestens den Faktor 10 und die Behandlungskosten der RF gegenber der PEI je nach verwendetem System mindestens um den Faktor 3…20 hher anzusetzen. ber die erfolgreiche Injektionsbehandlung von Lebermetastasen liegen im Gegensatz zum HCC nur wenige Mitteilungen vor (Giorgio et al. 1998). Gnstige Langzeitergebnisse wurden in zahlreichen Studien nur fr das HCC berichtet. Indikationen
Die Hauptindikationen stellen das inoperable, histologisch gesicherte hepatozellulre Karzinom oder der Lebertumor in der Leberzirrhose mit AFP > 100 ng/ml oder der Patient mit HCC auf der Lebertransplantationswarteliste dar. Bei Patienten ohne Leberzirrhose sollte ein embryonaler Tumor ausgeschlossen werden. Gesicherte Indikation fr die PEI sind Patienten mit bis zu drei solitren, gut abgrenzbaren Herden 3 cm oder ein solitrer Herd 5 cm bei Leberzirrhose im Child-A- oder -B-Stadium. Es gibt Hinweise, da auch ChildC-Patienten profitieren knnen (Ueno et al. 2002). Bei diesen Patienten ist die Therapieentscheidung individuell zu treffen. Ein Pfortadereinbruch bzw. Tumorthrombus in den portalen Nebensten stellen keine Kontraindikation dar.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Kontraindikationen
Als allgemeine Kontraindikationen gelten in Hinblick auf mgliche Komplikationen angeborene oder erworbene Blutgerinnungs- und Thrombozytenfunktionsstrungen, fehlende Kooperation des Patienten und fehlende therapeutische Konsequenz bei Patienten in Terminalstadien (Lebenserwartung < 3 Monate). Aszites ber der Leber stellt eine Kontraindikation dar, da die Leber beim Nadeleinstich ausweichen kann, eine Blutstillung durch Eigenkompression fehlt und Tumorzellen in die Bauchhhle leichter eingeschwemmt werden knnen. Das Vorliegen eines Aszites unter diuretischer Therapie ist ein Prdiktor fr einen ungnstigen Verlauf (Huo et al. 2003). Acetylsalicylate sollten mehr als 7 Tage vor der Untersuchung abgesetzt werden. Im Zweifelsfall sollte zustzlich die subaquale Blutungszeit (< 3 min) bestimmt werden. Fr die „single shot“-PEI stellt die pulmonale Hypertonie eine Kontraindikation dar, da infolge der Nekrolyse und ˜thanolanflutung eine akute, potentiell letale akute pulmonale Druckerhhung eintreten kann. Die symptomatische koronare Herzerkrankung ist ebenfalls als Kontraindikation zu betrachten. Vor Single-shot-PEI sollte daher eine Echokardiographie durchgefhrt werden. Vorbereitung
Abklrung der Indikation: F F F F F
Patient ist nicht operabel, Tumor ist morphologisch gesichert (Ausnahme AFP > 100 ng/ml, Leberzirrhose), Kein Aszites, Technische Machbarkeit (sonographische Untersuchung), Indikation, fr die der Wirkungsnachweis der Therapie erbracht wurde (Tumor scharf abgegrenzt, bis 3 Tumoren 3 cm, 1 Tumor 5 cm Durchmesser).
Bei greren Tumoren oder bis 5 Tumoren 3 cm erfolgt eine individuelle Entscheidung unter Abwgung der Risiken. Voraussetzungen fr die PEI sind das Vorliegen von aktuellem Blutbild und Gerinnungsstatus. Fr die Punktion sind ein Quick-Wert 40%, PTT < 50 sec und bei normaler Funktion Thrombozyten > 40 000/ll akzeptabel. Bei der Aufklrung des Patienten fr eine Single-shot-PEI ist neben den blichen Risiken auf geringe, aber potentiell tdliche Komplikationen (1…2%) durch Allgemeinansthesie und hohe ˜thanoldosis hinzuweisen.
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Lokal ablative Therapieverfahren
889
Der Patient sollte mehr als 8 Stunden nchtern sein. Ein peripherer venser Zugang ber eine Verweilkanle sollte fr die prophylaktische Schmerztherapie vorliegen. Single-shot-PEI
Bei der Single-shot-PEI erhlt der Patient eine Allgemeinansthesie, in der Regel eine Intubationsnarkose. Durch die Intubation lt sich der Tumor durch geeignete Atemlage und Atemstillstand ideal einstellen. Ziel ist hier, whrend der Therapie eine komplette Tumorzerstrung zu erreichen. Der Tumor sollte am Ende der Untersuchung idealerweise komplett mit ˜thanol gefllt sein (weie Blschen) und sich nicht innerhalb von 2…3 Minuten entfrben. Typischerweise werden ˜thanolmengen von insgesamt 10…100 ml in die Tumoren unter Echtzeitkontrolle injiziert. Die applizierte ˜thanolmenge richtet sich in erster Linie nach dem erzielten Effekt auf die Tumordurchblutung und erst in zweiter Linie nach dem Tumorvolumen. Probleme und Komplikationen Mehrschritt-PEI: Schwere Komplikationen sind sehr selten (ca. 1%). Blutun-
gen treten nur auf, wenn eine Kollaterale auf der Leberkapsel oder ein Tumorgef im Kapselbereich getroffen wurde, was durch eine geeignete Voruntersuchung vermeidbar ist. Komplikationen wie subdiaphragmale Lage des Tumors oder berdeckung durch Lunge bereiten groe Probleme, weil der Untersucher auf die Kooperation des Patienten angewiesen ist. Da die PEI sehr schmerzhaft sein kann, wenn ˜thanol an der Nadel zurckfliet, sind hier Grenzen der Kooperationsfhigkeit des Patienten und damit der Methode erreicht. Die hufigsten Komplikationen betreffen vorbergehende Asziteszunahme, Thrombose des lokalen Portalasts, Schmerz durch peripheren Infarkt und Fieber (30%). Sehr selten ist das Needle-Tract-Seeding (Metastasen des Stichkanals). Patienten mit Alkohol-DehydrogenaseMangel (vorzugsweise Asiaten) bekommen nach Injektion vorbergehend einen als unangenehm empfundenen starken Flush. Single-shot-PEI: Wegen der hohen Alkoholmenge knnen die obengenannten
Komplikationen graduell strker auftreten (Needle-Tract-Seeding 0,9%, klinisch relevanter Aszites 5,9%, lokaler Infarkt 1,9%, Cholezystitis 1,9%, Pfortaderthrombose 0,9%, Blutung 0,9%, Pleuraergu 1,9%). Die applizierte ˜thanolmenge sollte auf 100 ml begrenzt werden, um die Hmolyse durch ˜thanol und toxische Effekte, die die berwachung beeintrchtigen knnten, unter Kontrolle behalten zu knnen. Bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie (relative Kontraindikation) kann eine akute Zunahme des pulmonalen Widerstands zu starkem Abfall der Sauerstoffsttigung und des linksventrikulren Drucks fhren. Die PEI
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
ist dann sofort zu beenden. Eine sofortige echokardiographische Untersuchung ist geeignet, die Situation sofort zu klren. Ergebnisse
Die 5-Jahres-berlebenszeit des HCC unter PEI-Therapie (3 Herde < 2 cm oder 1 Herd < 5 cm, Child-A-Zirrhose) liegt zwischen 40 und 60% (Lencioni et al. 1997; Ebara et al. 1990). Die Ergebnisse der Single-shot-PEI zeigten bisher keine Unterschiede zu den Ergebnissen mit der Mehrschritt-PEI. Es gibt Hinweise, da unter Beachtung der Kontraindikationen eine einmalige transarterielle Chemoembolisation (TACE) vor Beginn einer PEI-Behandlung oder die Kombination der Single-shot-PEI mit einer einmaligen TACE-Behandlung zu besseren berlebensraten vor allem in den ersten zwei Jahren fhren. Die Patienten mssen auch nach Beendigung eines Therapiezyklus wegen des Risikos eines Rezidivs oder des Neuauftretens eines HCC in einem anderen Segment oder Lappen („Multizentrizitt“) in 3-Monats-Intervallen berwacht werden. Das Rezidiv bzw. de novo entstandene Tumoren knnen mit erneuter PEI behandelt werden.
6 Abschließende Bewertung Ohne Zweifel kann mit den physikalischen Methoden der Frierung oder der Hyperthermie eine Zerstrung von Tumorgewebe erreicht werden, allerdings ist die Vollstndigkeit der Manahme im Einzelfall unsicher und damit auch die Frage der Kuration. Hinzu kommt, da allen lokal ablativen Therapieverfahren eine Einschrnkung durch die Zahl und Gre der behandelbaren Metastasen gemeinsam ist. Insbesondere bei Lebermetastasen (ggf. auch Lungenmetastasen) sollte daher immer vor der Anwendung lokal ablativer Therapiemanahmen sorgfltig geprft werden, ob die Chance einer Heilung durch eine mgliche Resektion gegeben ist. Zwar erlauben die lokalen Methoden im Vergleich zur formalen Resektion eine Schonung des umgebenden gesunden Gewebes, jedoch ist dies eher bei der Behandlung des hepatozellulren Karzinoms in der Zirrhoseleber von Bedeutung. Die Evaluierung einer lokalen Tumordestruktion durch Kryotherapie oder interstitielle Hyperthermie als konkurrierende Therapieverfahren mit kurativem Ziel sollte nur im Rahmen von klinischen Studien durchgefhrt werden. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund, da okkulte Metastasen durch lokal ablative Therapieverfahren nicht erfat werden knnen.
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Lokal ablative Therapieverfahren
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.3 Regionale Chemotherapie von Lebermetastasen A. Schalhorn, K. H. Link, W. Voigt
1 Einleitung Die regionale Chemotherapie mit Infusion der Zytostatika direkt in die A. hepatica („hepatic artery infusion“, HAI) fhrt zu Konzentrationsvorteilen. Der Vorteil der regionalen im Vergleich zur systemischen Chemotherapie wird wesentlich bestimmt durch die Gesamt-Clearance einer Substanz, durch den regionalen Blutflu und die Extraktionsrate im Zielorgan (Collins 1984; Hakansson et al. 1997). Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 1 dargestellt. Dabei ist der Konzentrationsvorteil der betreffenden Substanz der Gesamt-Clearance proportional und dem arteriellen Blutflu umgekehrt proportional. Wegen ihrer kurzen Halbwertszeit und der hohen Clearance von > 1 l/min sind die fluorierten Pyrimidine FUDR (Fluordesoxyuridin), 5-Fluorouracil (5-FU) und Gemcitabin fr eine regionale Chemotherapie besonders geeignet (Schalhorn 2002).
17
Abb. 1. Ermittlung des regionalen Vorteils einer lokoregiona¨ren Chemotherapie. Der regionale Vorteil bzw. die Selektivita¨t (Rd) ist der Quotient aus Rtarget und Rsystemic, wobei Rtarget als der Quotient der Konzentration in der Zielregion unter der regionalen und der systemischen Gabe definiert ist. Entsprechend wird Rsystemic als das Verha¨ltnis der systemischen Konzentration unter regionaler und systemischer Gabe definiert ist. Rd wird durch die Parameter Extraktionsrate (Er), regionaler Blutfluß (Q) und Gesamt-Clearance einer Substanz definiert (Collins 1984; Hakansson et al. 1997)
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Bei einer arteriellen Leberdurchblutung von z.B. 200 ml/min kann unter einer HAI mit FUDR, 5-FU oder Gemcitabin mit einem Konzentrationsvorteil von > 50 (FUDR), 6…21 (5-FU) bzw. um den Faktor 11 (Gemcitabin) gerechnet werden (Schalhorn 2002). Bei den in der Behandlung gastrointestinaler Tumoren so wichtigen Substanzen wie ADM, MMC, Cisplatin, CPT-11 oder Oxaliplatin ist der Vorteil unter der regionalen Therapie deutlich geringer (Schalhorn 2002). Die regionale Chemotherapie gewinnt besonders bei isolierten Lebermetastasen kolorektaler Karzinome an Interesse. Bei isolierten Lebermetastasen anderer solider Tumoren ist im allgemeinen keine Indikation fr eine regionale Chemotherapie gegeben. Beim lokal fortgeschrittenen hepatozellulren Karzinom ist die Bedeutung der HAI noch unklar. Hier hat sich die Chemoembolisation mit z.B. Lipiodol und Adriamycin/Epirubicin Cisplatin Mitomycin C durchgesetzt. Nach einer Metaanalyse ist die regionale Chemotherapie der Embolisation und Chemoembolisation unterlegen (Camm et al. 2002). Extrahepatische Tumormanifestationen, auch Lymphknotenbefall im Hilusbereich, schlieen eine regionale Chemotherapie im allgemeinen aus. Im Folgenden wird nur auf die regionale Chemotherapie von isolierten kolorektalen Lebermetastasen eingegangen.
2 Ergebnisse der regionalen Chemotherapie 2.1 Intraarterielle FUDR-Infusion Besonders durch Berichte von Balch und Urist (1984) wurde das Interesse auf die regionale Chemotherapie mit Infusion von FUDR ber die A. hepatica gelenkt. Unter Verwendung total implantierbarer Pumpen wird FUDR kontinuierlich ber einen Zeitraum von 14 Tagen infundiert. Nach einer 2wchigen therapiefreien Pause, in der der Katheter nur mit Heparin-Kochsalz gesplt wird, wird die Therapie wieder aufgenommen. Die in den frhen Arbeiten angegebene FUDR-Tagesdosis von 0,3 mg/kg/Tag (Balch u. Urist 1984) fhrt mit zunehmender Therapiedauer zu einer ausgeprgten hepatobillren Toxizitt (Hohn et al. 1989, Kemeny et al. 1987). Besonders problematisch ist eine bilire Sklerose, die sich meist auch nach Beendigung der regionalen FUDR-Therapie nicht ausreichend zurckbildet (Kemeny et al. 1987; Hohn et al. 1989). Durch Reduktion der FUDR-Tagesdosis auf 0,2 mg/kg kann das Risiko der hepatobiliren Toxizitt gesenkt werden (Chang et al. 1987; Lorenz et al. 1992). Mglicherweise fhrt die begleitende i.a. Infusion von 20 mg Dexamethason zustzlich zum FUDR zu einer leichten Reduktion des Bilirubin-, AP- und SGPT-Anstiegs (Kemeny et al. 1992). Auch unter Dexamethason wurde aber immer noch in 57% der Patienten ein Anstieg der AP um > 100% des Ausgangwertes beobachtet (Kemeny et al.
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1992). Jede i.a. FUDR-Therapie bedarf einer engmaschigen Kontrolle der Transaminasen und insbesondere der Cholestasewerte und gegebenenfalls einer Dosisreduktion bzw. einer Therapieunterbrechung. Selbst unter Dexamethason konnten whrend des 6. Zyklus im Mittel nur 28% der Solldosis infundiert werden (Kemeny et al. 1992). Bei Patienten mit isolierten Lebermetastasen kolorektaler Karzinome wurde in fnf greren randomisierten Studien die 14tgige regionale FUDR-Therapie mit einer systemischen Chemotherapie mit FUDR oder 5-FU verglichen (Meta-Analysis Group in Cancer 1996). Zwei weitere, allerdings weniger berzeugende Studien berlieen es dem behandelnden Arzt, ob und wann im Kontrollarm berhaupt eine Chemotherapie gegeben wurde (Rougier et al. 1992; Allen-Mersh et al. 1994). Die Metaanalyse dieser Studien mit insgesamt 654 Patienten bewies die berlegenheit der regionalen FUDR-Chemotherapie mit einer Remissionsrate von 41% gegenber einer systemischen FUDR- oder 5-FU-Therapie mit nur 14% Remissionen (p < 10…10) (Meta-Analysis Group in Cancer 1996). Bezglich der berlebenszeit sind wegen der geringen Fallzahlen die Ergebnisse der Einzelstudien und auch der Metaanalyse immer noch nicht ausreichend konsistent. Vergleicht man die Ergebnisse der regionalen FUDR-Therapie mit der gesamten Kontrollgruppe, die auch Patienten enthielt, die nicht von vornherein mit einer systemischen Chemotherapie behandelt wurden (Rougier et al. 1992; Allen-Mersh et al. 1994) erwies sich die Arteria-hepatica-Infusion als signifikant effektiver. Bercksichtigt man aber nur die Studien mit zeitgleichem Therapiebeginn in beiden Studienarmen, von denen zudem nur vier vollstndig ausgewertet werden konnten, findet sich zwar ebenfalls ein Trend zu besserem berleben (Risiko-Ratio 0,81), der Unterschied ist aber noch nicht signifikant (Meta-Analysis Group in Cancer 1996). Im Vergleich zur primren systemischen Chemotherapie berleben zwei und drei Jahre nach Therapiebeginn mehr Patienten der regionalen Therapiegruppe. Bei Wertung der Ergebnisse ist auch zu bercksichtigen, da in einem Teil der Studien Patienten bei hepatischem Progre aus der systemischen in die regionale Therapie berwechseln konnten, wodurch die Ergebnisse der systemischen Therapie zumindest teilweise positiv beeinflut werden konnten. Der Befall der Lymphknoten im Leberhilus verschlechtert die Prognose entscheidend. Whrend bei den lymphknotennegativen Patienten die mediane berlebenszeit unter der regionalen Chemotherapie 27 Monate betrgt, sinkt sie bei Befall der hilren Lymphknoten auf nur 17 Monate ab (Chang et al. 1987) und unterscheidet sich damit kaum mehr vom Spontanverlauf.
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2.2 Intraarterielle 5-Fluorouracil-Therapie mit/ohne Folinsa¨ure Whrend die FUDR-Dauerinfusion aus Grnden der Lebensqualitt die Implantation teurer Pumpen erforderlich macht, kann 5-Fluorouracil (5-FU) ber wesentlich preiswertere und leicht implantierbare Portsysteme und externe Pumpen infundiert werden. Mit einer alleinigen i.a. 5-FU-Infusion ber 1…2 Stunden sahen wir nur in Einzelfllen CT und/oder sonographiegesicherte Remissionen. Etwas besser sind die Ergebnisse, wenn 5-FU ber 5 Tage kontinuierlich infundiert wird. Bei ambulanter Durchfhrung dieser Therapie berichteten Schlag et al. (1988) ber Remissionsraten von 25%. Die in der systemischen Therapie vielfach untersuchte Modulation der 5-FU-Wirkung durch Folinsure scheint sich auch in der regionalen Chemotherapie zu besttigen. Im Rahmen einer Studie der ART (Arbeitsgemeinschaft Regionale Tumortherapie) wurde regional ber die A. hepatica mit Folinsure und 5-FU behandelt. An 5 Tagen wird Folinsure jeweils als Kurzinfusion, gefolgt von einer anschlieenden 2-Stunden-Infusion mit 5-FU, gegeben (Tabelle 1). Bei sehr guter Vertrglichkeit wurde in 48% mittels CT eine Remission gesichert. Nimmt man auch den CEA-Abfall hinzu, sprachen 68% der Patienten an (Link et al. 1993). Mit 19 Monaten war die mediane berlebenszeit aller Patienten relativ hoch, Patienten mit Remission berlebten median 25 Monate. Im Rahmen der Studien der Arbeitsgemeinschaft Lebermetastasen erwies sich auch eine 5tgige Dauerinfusion mit 5-FU (1000 mg/m2/Tag) in Kombination mit einer Kurzinfusion von Folinsure (200 mg/m2/Tag) als effektiv: Mit Remissionsraten von 56% und einer medianen berlebenszeit von 24 Monaten wurden vergleichsweise gnstige Ergebnisse erzielt (Lorenz et al. 1992). Um den Stellenwert der beiden regionalen Therapieanstze mit FUDR bzw. Folinsure/5-FU weiter abzusichern, verglich die Arbeitsgruppe Lebermetastasen (ALM) im Rahmen einer randomisierten multizentrischen Studie diese beiden Therapien untereinander und mit einer systemischen Folinsure/5-FU-Therapie (Lorenz et al. 2000). In dieser Studie mit zusammen 168 Patienten war die Remissionsrate unter der regionalen FA/FU-Therapie mit 45% genauso hoch wie unter der regionalen FUDR-Therapie (43,2%). Damit wurde erneut besttigt, da die HAI mit FUDR oder Folinsure/5-FU zu signifikant hheren Remissionsraten fhrt (p = 0,0195 bzw. 0,0099) als eine folinsuremodulierte systemische 5-FU-Therapie mit nur 18,3% Remissionen. Bezglich der medianen berlebenszeit schnitten beide FA/FUProtokolle mit 18,7 (HAI) bzw. 17,6 Monaten (iv.) wesentlich besser ab als die HAI mit FUDR mit nur 12,7 Monaten (Lorenz et al. 2000). Unter der regionalen FUDR-Therapie kam es besonders frh zum Auftreten extrahepatischer Metastasen, was durch die hohe hepatische Extraktion und daraus resultierend die niedrigen systemischen Spiegel von FUDR bzw. 5-FU
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Regionale Chemotherapie von Lebermetastasen
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Tabelle 1. Therapieprotokolle zur regionalen Chemotherapie (Arteria-hepatica-Infusion) isolierter kolorektaler Lebermetastasen (Einzelheiten zur Indikation und Durchfu¨hrung siehe Text!) Folinsa¨ure/5-FU ART-Protokoll Folinsa¨ure
170 mg/m2
i.a.
15-min-Infusion
Tag 1–5
600 mg/m2
i.a.
2-h-Infusion
Tag 1–5
direkt anschließend 5-Fluorouracil
Wiederholung alle 3–4 Wochen Dosisanpassung von 5-Fluarouracil 5-FU-Dosisanpassung nach der im Intervall beobachteten Toxizita¨t nach WHO bei jedem Folgezyklus erforderlich! In der Mehrzahl der Fa¨lle ist eine Steigerung der 5-FU-Tagesdosis mo¨glich. Infusionsdauer darf nicht verku¨rzt werden! WHO-Toxizita¨t 0
Steigerung der 5-FU-Tagesdosis um 100 mg/m2
WHO-Toxizita¨t 1 5-FU-Tagesdosis unvera¨ndert WHO-Toxizita¨t 2 Reduktion der 5-FU-Tagesdosis um 100 mg/m2 Folinsa¨ure/5-FU Protokoll der Arbeitsgemeinschaft Lebermetastasen Folinsa¨ure
200 mg/m2
i.a.
15-min-Infusion
Tag 1–5
1000 mg/m2
i.a.
24-h-Infusion
Tag 1–5
anschließend 5-Fluorouracil
Wiederholung alle 4 Wochen FUDR-Dauerinfusion (nur u¨ber Pumpen) Fluordesoxyuridin (FUDR), 0,3 (0,2) mg/kg/Tag u¨ber 14 Tage 20 mg Dexamethason zusa¨tzlich zu jeder FUDR-Pumpenfu¨llung 14 Tage Spu¨lung mit physiologischer Kochsalzlo¨sung Wiederholung der Therapie ab Tag 29 Zugabe von 10 000 E Heparin zu jeder Pumpenfu¨llung Reduktion der FUDR-Dosis bei hepatotoxischen Nebenwirkungen
erklrt ist (Schalhorn u. Khl 1995). Die mediane berlebenszeit unter den beiden FA/FU-Protokollen unterschied sich nicht. In der Subgruppenanalyse fiel auf, da besonders Patienten mit einem Leberbefall < 25% von der regionalen FA/FU-Therapie profitierten, die mediane berlebenszeit stieg in dieser Subgruppe auf 23,3 Monate an, whrend die FUDR-behandelten Patienten nur 13,4 Monate berlebten. Obwohl es sich bei der Studie von Lorenz et al. um die grte je durchgefhrte randomisierte
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Studie zur regionalen Chemotherapie kolorektaler Karzinome handelt, konnten trotz der hheren Remissionsraten keine signifikanten berlebensvorteile fr eine regionale FA/FU-Therapie bewiesen werden. Dies ist nicht verwunderlich, da die Zahl der Patienten in den drei Therapiegruppen jeweils nur bei 54 bis 57 lag und nur ca. zwei Drittel der randomisierten Patienten (36 bzw. 37) berhaupt eine regionale Therapie erhielten! Im Gegensatz zur intraarteriellen FUDR-Therapie fhrt die Folinsure/ 5-FU-Kombination praktisch nicht zur hepatobiliaren Toxizitt. Wegen der im Vergleich zu FUDR geringeren hepatischen Extraktion von 5-FU (Schalhorn u. Khl 1995) kommt es immer auch zu einem bertritt von 5-FU in den systemischen Kreislauf, ein Befund der im Rahmen des Gesamttherapiekonzepts durchaus erwnscht ist. Wichtig ist, da die im Protokoll vorgesehenen Infusionszeiten eingehalten werden, da bei zu rascher Infusion hherer 5-FU-Dosen auch unter der regionalen Therapie so hohe systemische Spiegel auftreten knnen, da im Einzelfall mit toxischen Nebenwirkungen gerechnet werden mu (Schalhorn u. Khl, 1995). Bei Vorgehen wie im Therapieprotokoll (Tabelle 1) angegeben, sind systemische Nebenwirkungen auf Knochenmark und Schleimhute im allgemeinen selten. Ein Problem der regionalen Folinsure/5-FU-Therapie liegt darin, da auer mglichen technischen Problemen mit dem Port bzw. Katheter auch Gefvernderungen in der Leber auftreten knnen. Diese fhren im Einzelfall dazu, da 5-FU nicht mehr die Leber perfundiert, sondern ber Kollateralen z.B. zum Magen abstrmt. Eine weitere Fortfhrung der regionalen Chemotherapie ist dann nicht mehr mglich. Bei technischen Problemen mit dem Katheter/Portsystem und/oder bei Oberbauchschmerzen mssen entweder nuklearmedizinisch oder angiographisch die Funktion des Ports und der regelrechte Abstrom des Kontrastmittels und die gleichmige Verteilung in der Leber geprft werden. Auch ohne offensichtliche Probleme fhren wir eine Port-/Katheterdarstellung vor jedem Therapiezyklus durch. 2.3 Leberchemookklusion/Leberchemoembolisation Durch eine Reduktion des arteriellen Blutflusses lt sich der regionale Vorteil einer Therapie weiter erhhen (s.a. Abb. 1). Hier spielen die Techniken der Okklusion bzw. Embolisation eine wichtige Rolle. Bei der Okklusion induziert man durch z.B. Strkemikrosphren wie Amilomer DSM 45/25 (SpherexJ) eine temporre Stase des arteriellen Blutflusses. Die Halbwertszeit von SpherexJ liegt dabei bei etwa 25 min. Im Gegensatz dazu fhrt die Chemoembolisation mit z.B. Gelschaum oder Lipidiol zu einem eher dauerhaften arteriellen Verschlu. Der Vorteil der temporren Stase in der arteriellen Strombahn liegt in der wiederholten Applizierbarkeit und den geringeren Nebenwirkungen, insbesondere hinsichtlich des Postembolisationssyndroms. Ne-
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ben der Erhhung des regionalen Vorteils fhrt die Okklusion/Embolisation teilweise zu einer Umverteilung des regionalen Blutflusses in hypovaskularisierte Tumorareale, welche insbesondere der systemischen Chemotherapie bisher nicht zugnglich waren (Hakansson et al. 1997). Aufgrund der erhhten lokalen Extraktionsrate des Zytostatikums bei der Kombination mit Okklusions- oder Embolisationsverfahren sinkt zudem die Rate der systemischen Nebenwirkungen. Die theoretischen Vorteile der Chemookklusion bzw. Embolisation spiegeln sich bei der Therapie des hepatozellulren Karzinoms wider. Hier konnte durch die zustzliche Okklusion mit SpherexJ eine signifikant hhere Ansprechrate mit geringerer Hmatotoxizitt erzielt werden. Eine krzlich verffentliche Metaanalyse randomisierter Studien zur Chemoembolisation beim hepatozellulren Karzinom weist zustzlich auf einen kleinen, allerdings signifikanten berlebensvorteil durch die Chemoembolisation hin (Camm et al. 2002). In der Therapie des hepatisch metastasierten Kolonkarzinoms ist der Einsatz der Chemookklusion bzw. -embolisation bisher nicht etabliert. In einer krzlich verffentlichten Pilotstudie konnten durch ein Chemookklusionsverfahren bei chemotherapierefraktren (inklusive Oxaliplatin und CPT-11 systemisch) Patienten mit hepatisch metastasiertem Kolonkarzinom teilweise partielle Remissionen erzielt werden. ber einen temporren A.-femoralis-Katheter wurde ein Chemookklusionsgemisch aus Mitomycin C, Interferon-a, Dexamethason und SpherexJ als Bolus intraarteriell appliziert. Dies war gefolgt von Oxaliplatin und 5-FU i.a. sowie Folinsure i.v. Bei insgesamt guter Vertrglichkeit betrug die mediane berlebenszeit bei diesen mehrfach vorbehandelten Patienten immerhin 7 und mehr Monate (Voigt et al. 2002). Dieses Protokoll wird demnchst im Rahmen einer Phase-II-Studie bei refraktren Patienten mit hepatisch metastasiertem Kolonkarzinom geprft werden (nhere Auskunft ber Dr. W. Voigt). 2.4 Arteria-hepatica-Infusion als Zweittherapie Kommt es unter einer systemischen Chemotherapie zu einem alleinigen hepatischen Progre, stellt sich die Frage der regionalen Chemotherapie. Nach einer neueren randomisierten Studie von Kemeny et al. (1993a) konnten bei diesen Patienten mit FUDR oder FUDR plus Mitomycin-C und BCNU immerhin noch in 33…47% eine Remission und eine mediane berlebenszeit von 14…19,1 Monaten erzielt werden. Nach diesen Ergebnissen wird man zumindest in Einzelfllen eine regionale Chemotherapie in Betracht ziehen knnen, wenn isolierte Lebermetastasen kolorektaler Karzinome unter einer systemischen Chemotherapie progredient sind. Mglicherweise kann hier eine regionale Chemotherapie mit Folinsure/
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5-FU in Kombination mit Oxaliplatin Fortschritte bringen (Kern et al. 2001). Im Rahmen einer Phase-I-Studie mit 21 Patienten, von denen die Hlfte bereits systemisch vorbehandelt worden war, konnten wir eine Remissionsrate von 59% erzielen. Diese regionale Therapie wird derzeit bei uns im Rahmen einer Phase-II-Studie weiter untersucht. Kommt es nach einer vorherigen Remission nach einer Therapiepause erneut zu einem alleinigen hepatischen Progre, kann die primr erfolgreiche regionale Therapie wieder aufgenommen werden. Bei Progre unter einer laufenden regionalen Chemotherapie wird man durch einen Wechsel auf ein anderes regionales Therapieprotokoll nur noch in einem Teil der Flle eine Remission erzielen. Allgemein akzeptierte Standardprotokolle existieren derzeit noch nicht. In Einzelfllen scheint auch der Versuch einer regionalen Hochdosis-5FU-Infusion in Kombination mit Folinsaure in Anlehnung an das von Ardalan et al. (1991) fr die systemische Therapie angegebene Protokoll gerechtfertigt zu sein. Lorenz und Mitarbeiter (1998a) haben ber erste Ergebnisse mit diesem Therapieansatz an einer zunchst kleinen Zahl von Patienten, die bereits regional vorbehandelt waren, berichtet. Nach vorheriger Progression kam es immerhin in 45% zu einem erneuten Krankheitsstillstand oder zu einer erneuten Remission. Im Einzelfall kann auch Mitomycin C (10 mg/m2 ber 2 Stunden jeweils an einem Tag des in Tabelle 1 aufgefhrten Folinsure/5-FU-Protokolls) unter Bercksichtigung mglicherweise systemischer MMC-Nebenwirkungen versucht werden, aussagekrftige Studien liegen aber nicht vor.
3 Stellung der regionalen Chemotherapie im Therapiekonzept Nach den o.g. randomisierten Studien mit FUDR bestehen an der hheren Effektivitt der regionalen FUDR-Chemotherapie im Sinne der Remissionsraten im Vergleich zu konventionellen systemischen FUDR- oder FU-Protokollen keine Zweifel. Gerade die Studie von Lorenz et al. (2000) hat gezeigt, da eine regionale Folinsure/5-FU-Therapie zu gleich hohen Remissionsraten wie FUDR fhrt und bezglich der berlebenszeit sogar berlegen ist. Bedenkt man zudem die hohen Kosten der HAI mit FUDR und die mgliche hepatobilire Toxizitt, sehen wir heute in Europa keine Indikation fr eine regionale FUDR-Therapie. Bedingt durch immer noch unbefriedigend aufgebaute Studien mit viel zu niedrigen Patientenzahlen kann bezglich einer berlebensverlngerung immer noch keine verbindliche Schlufolgerung gezogen werden. Nach den randomisierten Studien kann aber festgestellt werden, da eine regionale Chemotherapie nicht indiziert ist bei F F F
Befall der Leber 25%, Befall von Hiluslymphknoten und insbesondere extrahepatischen Tumormanifestationen.
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Auch wenn wir immer wieder Patienten mit sehr lang anhaltendem Ansprechen unter der Arteria-hepatica-Infusion sehen und in unserer Klinik die mediane berlebenszeit der sicher selektionierten Patienten mit regional behandelten isolierten kolorektalen Lebermetastasen mit 23 Monaten um 6 Monate lnger ist als bei den systemisch Therapierten, ist die regionale Chemotherapie isolierter kolorektaler Lebermetastasen immer noch kein Standard. Neben der immer noch fehlenden statistischen Signifikanz einer berlebensverlngerung im Vergleich zu den klassischen 5-FU-Bolusprotokollen zwingen die aktuellen Fortschritte in der systemischen Chemotherapie, die hohen Remissions- und die berlebensraten der HAI mit den Ergebnissen der modernen Kombinationstherapien zu Vergleichen. Besonders durch die neuen effektiven Zytostatika Irinotecan (CPT-11) und Oxaliplatin als Zusatz zu Folinsure/5-FU stiegen die Remissionsraten der systemischen Therapie auf ber 40% und die berlebenszeiten auf ber 14 Monate und teilweise auf ber 16 Monate an (de Gramont 2000, Douillard et al. 2000, Giacchetti 2000, Saltz et al. 2000, Grothey et al. 2002; s. a. Kap. Chemotherapie kolorektaler Karzinome). Die regionale Chemotherapie von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome sollte heute weiterhin in Studien durchgefhrt werden. Auerhalb von Studien kann im Einzelfall eine regionale Chemotherapie indiziert sein, F F F
wenn z.B. Verlaufsformen mit lnger anhaltendem isoliertem Leberbefall vorliegen, wenn bei isolierten Lebermetastasen eine systemische Chemotherapie nicht (mehr) gengend effektiv ist und/oder rein palliativ, wenn klinisch Probleme durch die Lebermetastasen (Schmerzen) Verdrngung) besonders stark im Vordergrund stehen.
Technische Probleme knnen nach wie vor den Einsatz einer regionalen Chemotherapie erschweren oder unmglich machen. Bisher wurde zumeist im Rahmen einer Laparotomie ein Katheter in die A. gastroduodenalis eingebracht und so fixiert, da die Spitze gerade bis zu deren Abgang aus der A. hepatica reicht, und das distale Ende wird mit einer subkutan plazierten Portkammer konnektiert. Nach eigenen Erfahrungen kommt es im Laufe der Zeit in ca. zwei Drittel der Flle zu Komplikationen vorwiegend als Port-/Katheterthrombosen, gelegentlich Defekten in der Portmembran oder im Katheter und in Einzelfllen auch zu Thrombosen im Bereich der A. hepatica. Die Fehlfunktionen im Port-/Kathetersystem knnen zumindest teilweise durch chirurgische Intervention behoben werden (Jakob et al. 1996). Nach Campbell et al. (1993) und nach eigenen Erfahrungen ist eine groe operative Erfahrung des Chirurgen eine ganz entscheidende Voraussetzung fr eine gute und langdauernde Funktionsfhigkeit der Pumpen- bzw. der Portsysteme. Wegen der technischen Probleme und/ oder weiteren Progressen der Metastasen kann die regionale Folinsure/
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5-FU-Therapie median nur fr 161 Tage, also fr ca. 5…6 Zyklen, durchgefhrt werden. Dabei schwankt die Funktionszeit mit 10 bis 734 und mehr Tagen ganz erheblich (Jakob et al. 1996). In den letzten Jahren haben wir zunehmend positive Erfahrungen mit angiographisch gelegten Katheter-/Portsystemen gemacht (Herrmann et al. 2000). Da der technische Aufwand und die Belastung fr den Patienten gering sind, ist fr uns heute ein operativer Eingriff alleine fr die Implantation eines Katheters in die A. gastroduodenalis nicht mehr gerechtfertigt. Nach Abbruch der regionalen Chemotherapie tritt leider in der berwiegenden Mehrzahl der Patienten nach 3 bis 12 Monaten ein Progre auf. Regionale adjuvante Chemotherapie?
Bei bis zu maximal 3…4 isolierten Lebermetastasen kolorektaler Karzinome ist heute deren Resektion anzustreben. Auch wenn mit diesem Vorgehen 5-Jahres berlebensraten von 20…30% erzielt werden knnen, erleidet die Mehrzahl der Patienten nach 10…12 Monaten (median) ein Rezidiv, das hufig auf die Leber beschrnkt ist. Versuche, die Prognose durch eine postoperative regionale Chemotherapie zu verbessern, verliefen bisher leider negativ. In einer von Lorenz et al. (1998b) durchgefhrten randomisierten Studie konnte die regionale Chemotherapie das berleben der Patienten leider nicht verlngern. Auch neuere randomisierte Studien von Kemeny et al. (1999) sowie M. Kemeny et al. (2002) weisen zwar eindeutig eine regionale Effektivitt mit lngerer hepatischer Rckfallfreiheit nach, knnen aber nicht belegen, da diese positiven Effekte auch das berleben verlngern. Nach R0-Resektion isolierter kolorektaler Lebermetastasen ist daher weiterhin eine adjuvante regionale Nachbehandlung nicht indiziert.
4 Durchfu¨hrung der regionalen Chemotherapie 4.1 Wahl der Therapie Entscheidet man sich fr eine regionale Chemotherapie, ist fr uns Folinsure/5-FU entsprechend dem ART-Protokoll oder dem Protokoll der Frankfurter Arbeitsgemeinschaft Lebermetastasen (siehe Tabelle 1) ein Standard, an dem sich andere Therapien messen mssen. Wegen der Toxizitt sehen wir auerhalb von Studien derzeit keine Indikation fr die ebenfalls in Tabelle 1 dargestellte FUDR-Therapie. Eine alleinige regionale 5-FUTherapie ist wegen deren geringen Effektivitt nicht indiziert. Kommt es unter einer regionalen Chemotherapie zu einem alleinigen hepatischen Progre, kann im Einzelfall ein neues Studienprotokoll der ART unter Verwendung von Folinsure/5-FU plus Interferon-a und Spherex (abbaubare
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Strkepartikel) diskutiert werden (Kamphorst et al. 1992). Ein interessantes Protokoll ist sicher die Kombination aus Folinsure/5-FU (entsprechend dem ART-Protokoll) und Oxaliplatin (Kern et al. 2001), die wir derzeit im Rahmen einer Phase-II-Studie untersuchen. 4.2 Applikation der Zytostatika Die folgenden Durchfhrungsbestimmungen sind grundlegende Voraussetzung fr jede Form einer regionalen Chemotherapie von Lebermetastasen: F Angiographische oder nuklearmedizinische berprfung der Portbzw. Pumpenfunktion und der Durchgngigkeit des Katheters sowie der A. hepatica vor jedem Zyklus, bei neu aufgetretenen Schmerzen auch unter der bereits laufenden Therapie; F Sorgfltige Lokalisation und Markierung der Port oder Pumpenmembran. Bei der Pumpe mit zentraler Membran ggf. Benutzung einer Schablone oder Bestimmung des Schnittpunkts von zwei aufeinanderstehenden Pumpendurchmessern; F Verwendung von Huber-Nadeln, um Beschdigungen der Portmembran zu vermeiden; F Nachfu ¨ llen einer Pumpe: Hautdesinfektion, sterile Handschuhe, steriles Lochtuch! Niemals den Restinhalt zu aspirieren versuchen. ber Dreiwegehahn und Verbindungsschlauch tritt der Restinhalt der Pumpe in eine leere Perfusorspritze ohne Stempel ber. Anschlieend Fllen der Pumpe mittels Perfusorspritze, berleitungsschlauch und Dreiwegehahn. Spritze und Schlauchsystem mssen luftleer sein. Zugabe von Heparin zu jeder Pumpenfllung! F Therapie u ¨ ber Port: gute Fixierung der Huber-Nadel Voraussetzung. Verwendung luftleerer Spritzen und berleitungssysteme; F Entfernung der Nadel: Port- oder Sideport immer erst mit 3…5 ml Heparin/Kochsalz durchsplen. Niemals aspirieren! Ziehen der Nadel mit leichtem berdruck oder mit geschlossenem Dreiwegehahn. 4.3 Nebenwirkungen der regionalen Chemotherapie Wie bereits aus den oben erwhnten Arbeiten ersichtlich, unterscheiden sich die Toxizitten von FUDR und 5-FU erheblich. F
FUDR: Systemische Nebenwirkungen sind bei 0,3 mg/kg/d ber 14 Tage weitgehend zu vernachlssigen. Die hepatobilire Toxizitt mit chemischer Hepatitis und bilirer Sklerose kann aber erheblich sein und zwingt oft zur Therapieunterbrechung und anschlieender Dosisreduktion und u.U. sogar zum vlligen Abruch der regionalen FUDRTherapie. Einzelheiten bei Hohn et al. (1989), Kemeny et al. (1987, 1992) und Lorenz et al. (1992).
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5-Fluorouracil: Die hepatobilire Toxizitt spielt bei der regionalen 5-FU-Therapie keine Rolle. Im Gegensatz zu FUDR ist im Einzelfall auch unter der regionalen Applikation mit typischen systemischen 5-FU-Wirkungen (Stomatitis und Diarrh, seltener auch Knochenmarkschdigung) zu rechnen, besonders wenn 5-FU-Gesamtdosen von > 1000 mg/m2 mit einer hohen Flurate (15 mg/min) ber kurze Zeitrume (2 Stunden) infundiert werden. Angaben zur Dosisanpassung in Tabelle 1! Bei Stenose oder Verschlu der A. hepatica unter 5-FU-Einwirkung ist die Entwicklung von Kollateralen, z.B. zum Magen mit daraus resultierenden Oberbauchschmerzen und Gastritis, mglich. Probleme durch Port, Pumpen und Katheter: Katheterverschlu im Einzelfall durch Urokinase lysierbar. Defekte an den Membranen und/oder dem Katheter zwingen im allgemeinen zu einer operativen Revision. Lokale Entzndungen durch Paravasate knnen als Folge von Nadeldiskonnektion und oder Membran- oder Katheterdefekten auftreten. Besondere Vorsicht bei Infusion von Anthrazyklinen und MMC, da deren Paravasate zu schweren Gewebenekrosen fhren wrden.
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Regionale Chemotherapie von Lebermetastasen
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906
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.4 Chirurgische Resektion von Lebermetastasen M. Golling, T. Lehnert, W. O. Bechstein
1 Einleitung Resezierende Eingriffe an der Leber wurden erstmals durch von Langenbuch 1888 beschrieben (operative Entfernung eines „Schnrlappens“). Bis in die 60er Jahre blieben resezierende Eingriffe an der Leber jedoch die Ausnahme. Zum einen erforderte das hohe operative Risiko eine enge Indikationsstellung, zum anderen lie das Verstndnis der Tumorbiologie lokale Manahmen bei systemisch metastasierter Erkrankung als nicht sinnvoll erscheinen. Im wesentlichen haben vier z.T. parallele Entwicklungen die Indikationsstellung zur Leberresektion grundlegend verndert: Die Verbesserung des perioperativen Managements fhrte zu einer deutlichen Reduktion der postoperativen Mortalitt (fr Standardresektionen < 3%). Die bildgebende Diagnostik (Mehrspiral-CT, SPIO-MRT, FDGPET) wurde wesentlich verbessert und erlaubt jetzt bereits den Nachweis von Herden < 1cm Gre (Jarnagin et al. 1999; Robinson 2000). Strukturierte Nachsorgeprogramme ermglichen die Diagnose von Lebermetastasen in einem asymptomatischen und damit hufiger resezierbaren Anfangsstadium (Pietra et al. 1998; Schoemaker et al. 1998). Letztlich entscheidend fr den Paradigmenwechsel in der Behandlungsweise von Lebermetastasen waren aber die Langzeitbeobachtungen grerer Patientenkollektive, die bei vollstndiger Resektion diverser solider Tumoren 5-Jahres-berlebensraten von 30% und mehr erreichten.
2 Indikation Bei der Indikation zur Resektion ist neben der biologischen Operabilitt auch die technische bzw. funktionelle Resektabilitt zu beurteilen. Fr die Indikation zur Leberresektion galt bisher, da ein extrahepatisches Rezidiv oder ein Zweittumor ausgeschlossen sein mu (Bismuth et al. 1996; Fong et al. 1999; Lehnert et al. 1995). Die Resektabilitt wird dabei im wesentlichen durch die Menge und Funktion des verbleibenden Lebergewebes und nicht so sehr durch die Ausdehnung des Tumors bestimmt. Hohes Alter sowie pulmonale und kardiale Risikofaktoren oder Leberfunktionseinschrnkungen stehen heute wegen der Verbesserung des chirurgisch-ansthesiologischen Managements nur noch bedingt einer Resektion entgegen (Fong et al. 1999; Lehnert et al. 1998; Nordlinger et al. 1996). Auch die
17
908
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
simultane Resektion von Primrtumor und Lebermetastasen kann inzwischen ohne erhhtes Risiko durchgefhrt werden (Martin et al. 2003; Weber et al. 2003). Eine Leberresektion zur Entfernung von Metastasen erscheint deswegen prinzipiell immer dann indiziert, wenn eine vollstndige Tumorentfernung (R0-Resektion) bei Erhalt von ausreichendem funktionellem Lebergewebe mglich erscheint. Dies schliet heute auch die Entfernung extrahepatischer Metastasen ein. Fr diese Beurteilung ist die properative Bildgebung entscheidend.
3 Bildgebende Diagnostik Ein zuverlssiges Staging ist fr die Patientenauswahl und die Eingriffsplanung von grundlegender Bedeutung. Neben dem Ultraschall (US) (Bismuth et al. 1996), dem CT mit arterieller Portographie (CTAP) und dem MRT kommt in zunehmendem Mae auch die Fluor-Deoxyglucose-Positronenemissionstomographie (FDG-PET) zum Nachweis extrahepatischer Rezidive zum Einsatz (Fong et al. 1999). In lteren Untersuchungen ergab der intraoperative Ultraschall noch in 35…89% zustzliche Befunde mit dann auch ˜nderung des operativen Vorgehens in ca. 20% (Tabelle 1). Durch die Verbesserung der properativen Bildgebung hat die intraoperative Ultraschalluntersuchung heute an Bedeutung abgenommen. Ihr Einsatzbereich ist auf die Abklrung properativ nicht sicher beurteilbarer Befunde und zur Bestimmung der parenchymatsen Resektionslinien begrenzt. Die stetige Verbesserung der bildgebenden Verfahren zeigt sich am eindrucksvollsten in einer Steigerung der effektiven Resektablitt bei Rehepatektomien von 30% (1984) auf > 90% (2001) (Tabelle 2). Tabelle 1. Einfluß des intraoperativen Ultraschalls bzw. der chirurgischen Exploration auf die Gro¨ßen, zusa¨tzliche Information und A¨nderung des Behandlungsvorgehens Autoren
n
CRC
Pra¨op. Diagnostik
Zusa¨tzliche Information
A¨nderung der Behandlung
Castaing et al. 1986
56
50%
US/CT-A
–
36%*
Bismuth et al. 1987
233
56%
US/CT-A
35%*
15%*
Boutkan et al. 1992
25
84%
US/CT/MRI
Machi 1993
82
46%
–
Kane et al. 1994
45
82%
US/CT/MRI
Hagspiel et al. 1995
13
100%
US/CT/MRI
Gesamt/Durchschnitt
454
70%
24% 89%
10%* 42% 15%* 15–42%
US: pra¨operativer Ultraschall, CT: Computertomographie, CT-A: CT + Arteriographie, MRI: Kernspintomogramm, CRC: kolorektale Metastasen *: betrifft nur die CRC
17.4
909
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
Tabelle 2. Fortschritte in der effektiven Resektabilita¨t von Rehepatektomien bei Lebermetastasen kolorektaler Karzinome Autoren
n
ER (%)
Foster 1984
265
30
Steele et al. 1991
150
46
Gibbs et al. 1998
159
61
Jarnagin et al. 1999
543
78
Figueras et al. 2001
259
91
Gesamt
1376
30–91
ER: Verha¨ltnis pra¨operativ als resektabel angesehene Befunde/tatsa¨chlich durchgefu¨hrte Resektionen
Galt bis vor kurzem noch die CTAP als Goldstandard, so kann mittlerweile mit dem Dual-phase-CT und dem kontrastmittelverstrkten MRT eine vergleichbare Sensitivitt, aber vermutlich eine noch bessere Spezifitt erreicht werden. Neuere Daten zur Sensitivitt und Spezifitt diagnostischer Schnittbildverfahren lassen einen Vorteil der SPIO-MRT gegenber dem CT vermuten (Tabelle 3). Beide Schnittbildverfahren werden zustzlich im Rahmen der Operationsplanung zur Volumetriebestimmung eingesetzt (s. Abschn. 4.1). Die erhhte Sensitivitt geht in der Regel mit einer Verminderung der Spezifitt einher. Die Bedeutung der FDG-PET ergibt sich aus einer mglichen Therapienderung in bis zu einem Drittel der Patienten durch weitere Detektion intra-, aber vor allem extrahepatischer Metastasen (Lai et al. 1996). Dennoch weist auch diese funktionelle Bildgebung je Tabelle 3. Vergleich von Sensitivita¨t und Spezifita¨t der kontrastmittelversta¨rkten MRT und dem Spiral-CT in der Bildgebung von Leberla¨sionen Studie
Pat. (n)
Kontrastmittel
MRT
CT
17
Sens. (%)
Spez. (%) Sens. (%) Spez. (%)
Helmberger et al. 1999 46
SPIO
97
88
96
Ward et al. 1999
51
SPIO
81
–
74
48 –
Bluemke et al. 2000
32
SPIO
68,2
81,6
60,4
89,2
Reimer et al. 2000
35
SPIO
95,4
89,4
74,3
86,2
Semelka et al. 2001
22
GD-DTPA
100
98,4
84
61,9
Braga et al. 2002
25
Mn-DPDP
71
–
82,9
–
Gesamt/Durchschnitt
211
85
89
79
71
910
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
ca. 10% falsch positive und falsch negative (Peritonealkarzinose) auf (Fong et al. 1999). So bleibt bei unklaren Befunden als invasive Stagingmethode die explorative Laparoskopie mit IOUS der Leber (Clarke et al. 1998; Jarnagin et al. 2000). Dieses Vorgehen bietet sich bei diffus intrahepatisch metastasierenden Primrtumoren wie malignen Melanomen, Mammakarzinomen und Pankreastumoren an, da die Sensitivitt bei kleinknotigen Herden (< 1cm) auch fr die SPIO-MRT weiterhin < 50% liegt (Robinson 2000). Die bisherigen Ergebnisse mit einer ˜nderung des Stagings in bis zu 60% und einer Vermeidung der explorativen Laparotomie in bis zu 13% sind vielversprechend (Fusai u. Davidson 2003; Wallace et al. 2001). Aus konomischer Sicht bleibt anzumerken, da unter Bercksichtigung dieser Daten in zuknftigen Untersuchungen eine inkrementelle KostenNutzen-Beziehung einzelner diagnostischer Verfahren wnschenswert wre.
4 Operatives und interventionelles Management 4.1 Chirurgische Technik Die Leberresektion setzt eine gute Kenntnis der Leberanatomie voraus. Die Couinaud-Einteilung der Leber (Abb.1) basiert auf einer horizontalen (Pfortaderbifurkation in rechte und linke Pfortaderste) und drei vertikalen Schichtebenen (rechte, mittlere und linke Lebervene) und resultiert in 8 Segmenten. Zustzlich findet sich pr-/parakaval das in Versorgung und
Abb. 1. Lebersegmenteinteilung nach Couinaud (1954)
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
911
Abb. 2. Bipolare Pinzette mit Wasserzulauf („Kyoto-Pinzette“). (Nach Yamamoto et al. 1999)
Drainage atypische Segment I (Lobus caudatus) (Couinaud 1954). Seine isolierte Resektion ist trotz des Gefbezugs zur V. cava meist unproblematisch. Diese Einteilung erlaubt eine segmentale Zuordnung des Lebertumors und damit eine geforientierte Planung der Resektionsebenen und eine abschtzungsweise Quantifizierung des Leberrestvolumens. Wenngleich diese sehr schematisch wirkende Einteilung der Lebersegmente individuell Schwankungen unterliegt (Lamade et al. 2000), hat sie sich doch in der klinischen Praxis durch eine hohe „Alltagstauglichkeit“ gut bewhrt. Eine Verbesserung der Operationsplanung wird durch eine computergesttzte Bestimmung der Resektionsebenen und des resultierenden Restlebergewebes angestrebt (Lamade et al. 2000; Lang et al. 2003). Diese dreidimensionale Darstellung erlaubt eine Rotation und … in bestimmten … bereits Resektion der virtuellen Leber mit separater Darstellung von Tumor, Arterien, Pfortader, Gallengngen und Lebervenen. Bei der Resektion kommen eine Vielzahl von Blutstillungs- (Argon Beamer, bipolare Pinzette mit Wasserzulauf; Abb. 2) und speziellen Dissektionsinstrumenten (CUSA [Abb. 3], Hydro Jet Dissektor etc.) zum Einsatz. Diese
17
912
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Abb. 3. CUSA (Cavitron Ultrasonographic Aspirator) zur Leberdissektion
technischen Verbesserungen haben einen wesentlichen Anteil an der deutlichen Reduktion des Blutverlusts (ca. 50% der Hemihepatektomien werden ohne Blutsubstitution durchgefhrt) und damit der Morbiditt und Mortalitt gefhrt. Unter anderem drfte diese Entwicklung dazu gefhrt haben, da man sich jetzt erneut erweiterten Eingriffen an der Leber zuwendet. Dazu zhlen Gefrekonstruktionen bei Tumorinfiltration der Pfortader oder Lebervene sowie Veneninterponate zur Rekonstruktion des hepatovensen Abstroms nichttumorbefallener, aber normalerweise zu resezierender abhngiger Lebersegmente. Whrend diese z.T. komplexen Eingriffe bereits mit einer deutlich erhhten Mortalitt um 10% noch als vertretbar erscheinen, hat man den Einsatz von sog. Ex-situ- bzw. Ante-situ-Resektionen mit extraanatomischem Bypass (Adam et al. 1997; Miyazaki et al. 1997; Oldhofer et al. 2000) bei einer Mortalitt um 25% wieder verlassen. Infolge der Gefinfiltration und der oft exzessiven Tumorlast besteht darber hinaus in aller Regel auch eine schlechte Langzeitprognose. Der Stellenwert der Laparoskopie mag in der onkologischen Diagnostik sinnvoll sein (Clarke et al. 1989; Jarnagin et al. 1999), fr die Resektion von Lebermetastasen mit kurativem Ansatz sind minimal invasive Verfahren bisher ohne Bedeutung. 4.2 Kombinierte Verfahren Da bisher alleinige adjuvante bzw. neoadjuvante Therapien zu keiner Verbesserung der Prognose gefhrt haben, werden intensiv Wege gesucht, die Resektabilitt von Lebermetastasen zu verbessern. Analog den Empfehlungen der franzsischen gastroenterologischen Krebsgesellschaft scheint eine prinzipielle Einteilung in
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
913
Tabelle 4. Empfehlung der franzo¨sischen Fe´derations franc¸aise de Cance´rologic Digestive (FFCD) zur Indikation der prima¨ren Resektion (Chiche 2003) Technischer Anspruch *
Resektionsklasse: Klasse I:
4 Segmente, Standard-Hepatektomie (uniloba¨re Resektion)
Klasse II:
> 4 Segmente, komplexe Hepatektomie (biloba¨re Resektion)
Onkologisches Staging *
Lymphknotenbefall: NH+: –
NH : *
M1:
isolierte hepatische Metastasen
M2:
hepatische + intraabdominelle Metastasen
M4:
F
keine Beteiligung der hila¨ren Lymphknoten
Metastasen
M3:
F
Beteiligung der hila¨ren Lymphknoten
a)
resektable hepatische + intraabdominelle Metastasen
b)
nicht-resektable hepatische + intraabdominelle Metastasen
hepatische + extraabdominelle (pulmonale) Metastasen a)
resektable extraabdoinelle (pulmonale) Metastasen
b)
nicht-resektable extraabdominelle Metastasen
M2 + M3
Standardresektionen (4 Segmenten, > 40% funktionelles Leberrestgewebe, Klasse-I-Resektabilitt) und erweiterte Resektionen (> 4 Segmente, < 40% funktionelles Leberrestgewebe, Klasse-II-Resektabilitt)
zur Einschtzung des operativen Risikos sinnvoll (Tabellen 4 und 5 [Chiche 2003]). Bei prima¨r nicht durch eine Standard- oder erweiterte Resektion angehbaren Metastasen bieten sich heute mehrere Anstze zur Erreichung einer sekunda¨ren Resektabilita¨t an, die entweder den Tumor oder das Restparenchym in das Zentrum des Interesses stellen: F F
Die Induktionschemotherapie zielt auf eine Grenreduktion der Metastasen, whrend die Pfortaderembolisation mit konsekutiver Hypertrophie des kontralateralen Lebergewebes eine Vergrerung des funktionellen Restlebergewebes anstrebt.
Das gleiche Prinzip liegt der sequentiellen Leberresektion zugrunde, allerdings mu in der Regenerationsphase wegen der erhhten Produktion von
17
914
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 5. Empfehlungen der Fe´deration franc¸aise de Cance´rologie Digestive (FFCD) zur prima¨ren Resektion in Abha¨ngigkeit vom hila¨ren Lymphknotenstatus und vorhandenen Metastasierungsgrad Resektion
M1
M2
M3
M2a Nh+
M2b
M3a
Nh–/+
Nh–
M4 M3b
Nh–
Nh+
Nh–
Nh+
Nh–/+
Nh–/+
Klasse I
Ja
Disk.
Ja
Disk.
Nein
Ja
Disk.
Nein
Nein
Klasse II
Ja
Nein
Disk.
Nein
Nein
Disk.
Nein
Nein
Nein
Ja: Resektion empfohlen, Disk: prima¨re Resektion zu diskutieren (fallabha¨ngig, Erfahrung), Nein: prima¨re Resektion nicht empfohlen
Wachstumsfaktoren auch mit einem verstrkten Metastasenwachstum gerechnet werden. F
Als weitere Option kommt die Ergnzung der Leberresektion durch eine lokale thermoablative Behandlung weiterer Metastasen mit Erhalt von funktionell notwendigem Lebergewebe in Betracht.
4.2.1 Induktionschemotherapie
Das Konzept des chemotherapeutischen „downsizing“ kann auf primr nichtresektable Metastasen angewendet werden. Die bisher publizierten retrospektiven Daten … meist zu Metastasen kolorektaler Karzinome … lassen erwarten, da ca. 10…20% initial nicht resektabler Metastasen nach einer Induktionstherapie potentiell kurativ resektabel werden. Postoperative Komplikationen und die Langzeitprognose sind denen bei primrer Resektion vergleichbar (Bismuth et al. 1996; Gayral et al. 1987; Wadler et al. 1989). Da die Induktionstherapie mglicherweise die Leberfunktion einschrnkt, empfehlen einzelne Arbeitsgruppen ein hheres Restvolumen (> 40%) gegenber den sonst mglichen 20…25% anzustreben (Adam et al. 1997; Bismuth et al. 1996; Chiche 2003). 4.2.2 Portalveno¨se Embolisation (PVE)
Droht bei einer potentiell kurativen Leberresektion ein zu geringes Restvolumen, besteht die Mglichkeit zur Induktion der Atrophie der tumortragenden Lebersegmente mit konsekutiver Hypertrophie des Restgewebes durch Unterbrechung der regionren portalvensen Versorgung. Wir bevorzugen dabei die interventionelle Embolisation gegenber der operativen Ligatur des Pfortaderastes aus zwei Grnden: F
Zum einen erlaubt die Pfortaderembolisation eine vollstndigere portalvense Exklusion der Segmente mit reduzierter Kollateralisation,
17.4 F
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
915
zum anderen erspart man sich die Erweiterung der Voroperation mit Prparation der Pfortader und dem Patienten die Reoperation in einem dann unbersichtlichen Leberhilus.
Whrend ltere Arbeiten noch eine Volumenzunahme der verbleibenden Restleber von 32…127% (Elias et al. 1999; Nagino et al. 1995) bei gleichzeitiger Volumenzunahme der Metastasen von 60…97% (Elias et al. 1999) beschrieben, gilt in neueren Untersuchungen eine Volumenvergrerung von 13…44% (Elias et al. 2002; Farges et al. 2003) als realistisch. Das Ausma und die Geschwindigkeit der Hypertrophie sind bei normaler Leberfunktion ausgeprgter als bei chronischer Lebererkrankung (Farges et al. 2003). Der optimale Zeitpunkt fr die Operation ergibt sich aus der Relation des Wachstumsprogresses der Restleber im Vergleich zum Metastasenwachstum. Da ca. 70…80% der Volumenzunahme nach der 4. Woche erreicht sind, drfte dies der optimale Zeitpunkt sein (Chiche 2003; Nagino et al. 1995). Inwiefern die Steigerung der Resektabilitt mit einer Erhhung der berlebensrate einhergeht, ist noch unklar. Bei vergleichbarer Morbiditt und Mortalitt gegenber der primren Operation fanden sich in einer Studie mit 62 vs. 17% vermehrt Fernmetastasen nach PVE (Lunge, Knochen) (Wakabayashi et al. 2001). Wegen der erheblichen Variationsbreite zwischen Leberparenchymregeneration und Metastasenwachstum einerseits und der mglicherweise erhhten Fernmetastasierungsrate andererseits kann die PVE noch nicht abschlieend und fr alle Entitten empfohlen werden. Inwiefern durch eine kombinierte arterielle und portalvense Embolisation oder durch eine Chemoembolisation eine weitere Verbesserung der Resektabilitt erreichbar ist, mu ebenso geprft werden, wie die Frage, ob die Langzeitprognose bei diesen kombinierten Verfahren mit der Prognose bei primrer Resektabilitt vergleichbar ist. 4.2.3 Sequentielle Resektion
Ein besonderes Problem bei der Planung der Leberresektion ergibt sich durch kleinste, der properativen Bildgebung entgangener Herde. Die Bewertung der Dignitt ist properativ nicht, intraoperativ bei tiefer Lage z.T. sehr schwer mglich und nur im positiven Fall entscheidend. Sie erschweren die Indikationsstellung und die Planung der Leberresektion, wenn bei angenommener Malignitt und damit notwendiger Erweiterung der Resektion nicht gengend funktionierendes Restparenchym erhalten werden knnte. In dieser Situation bietet sich an … alternativ zum lokal thermoablativen Verfahren …, zunchst nur den Hauptbefund unter Erhalt von ausreichend Restparenchym zu resezieren und solche kleinen Herde zunchst zu belassen, um ihre Wachstumsdynamik zu verfolgen. Bei Grenzunahme kann eine Resektion nach Abschlu der reaktiven Hypertrophie der Restleber zweizeitig erfolgen.
17
916
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
4.2.4 Lokal ablative Verfahren
Die heute verwendeten lokal ablativen Verfahren beruhen im wesentlichen auf dem einfachen Prinzip, die Metastase und angerenzendes Leberparenchym durch Hitze zu zerstren. Zur Thermoablation werden perkutan oder intraoperativ Sonden in das zu zerstrende Gewebe eingebracht. Hierzu werden bevorzugt die Radiofrequenzablation (RFA) und … in geringerem Umfang … die laserinduzierte Thermotherapie (LITT) eingesetzt. Sie haben sich, nicht zuletzt infolge der besseren Praktikabilitt gegenber der Kryotherapie und der perkutanen Ethanolinjektion, durchsetzen knnen. Die Problematik des Einsatzes dieser minimal invasiven Verfahren liegt einerseits in der zunchst relativ einfachen Handhabung und damit verbundenen z.T. unkritischen raschen Verbreitung einerseits, andererseits den nicht immer offensichtlichen technischen Aspekten. So variiert die Tumorkontrolle in Abhngigkeit von Tumor- bzw. Sondengre, Tumorlokalisation und Qualitt des bildgebenden Verfahrens. Darber hinaus fehlt meist die histologische Sicherung, die Plazierung der Sondensysteme und die Verifizierung des abladierten Nekroseareals erfolgen uneinheitlich ber Ultraschall- oder Schnittbildverfahren unterschiedlicher Qualitt und erlauben auch bei optimaler Technik keine eindeutige Beurteilung. Bei einer gefnahen Tumorlokalisation kann der beschleunigte Wrmetransport (blutfluabhngig) die vollstndige Tumorzerstrung beeintrchtigen („heat sink“-Effekt). Dies gilt auch fr die gemeinsame Darstellung von Ergebnissen offener, laparoskopisch assistierter und perkutaner Therapien (Elias et al. 2002; Helmberger et al. 1999; Llovet et al. 2001; Pawlik et al. 2003; Rossi et al. 1996; Wood et al. 2000), da sie nicht nur Zugangsweg, Applikationsform und Frequenz, sondern auch Sensitivitt und Spezifitt diagnostischer Verfahren miteinander vermischen. Erste vorsichtige Einschtzungen suggerieren eine bessere lokale Kontrolle durch offene im Vergleich zu perkutanen Verfahren (Pawlik et al. 2003). Radiofrequenzablation (RFA)
Bei der RFA handelt es sich um das derzeit gngigste thermoablative Verfahren. Bei entsprechender Limitierung auf Herde < 3 cm lassen bisherige Daten eine geringe Morbiditt (5…14%) und Mortalitt (< 2%) bei einer lokalen Tumorkontrolle von 93…97% (Gutt et al. 2001; Pawlik et al. 2003; Stippel et al. 2002; Wood et al. 2000) vermuten. Bei greren Herden fllt diese auf 40…50% (Stippel et al. 2002). Eine Ergebnisverbesserung lt sich mglicherweise durch die Przisierung der Sondenplazierung (3D-Navigation) bewirken. Nur die besten bisher bekannten Ergebnisse zeigen eine mediane berlebensrate von bis zu 37 Monaten und wren damit der Resektion mit 3- und 5-Jahres-berlebensraten bei kolorektalen Karzinomen von 53…62% und 18…40% vergleichbar (Elias et al. 2002; Morita
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
917
et al. 2003; Oshowo et al. 2003). Experimentelle Daten untermauern die z.T. berraschend guten Ergebnisse. Da die Leberregeneration das Wachstum von Tumorresiduen im nicht resezierten Anteil begnstigt (de Jong et al. 1995), knnte die verzgerte intrahepatische Tumorprogression nach RFA (Isbert et al. 2002) u.a. auf die Aktivierung tumorspezifischer Antikrper zurckzufhren sein (Wissniowski et al. 2003). Trotz technischer Modifikationen werden die Gefahr der intrahepatischen (Llovet et al. 2001) und kutanen (Bonatti et al. 2003) Tumoraussaat in bis zu 12,5% oder die mgliche Entdifferenzierung von Tumoren (Koda et al. 2003) nach RFA problematisch gesehen. Da Angaben zur histologischen Sicherung und zur begleitenden Chemotherapie in der Regel fehlen, sind diese Angaben zunchst mit Vorsicht zu bewerten. Laserinduzierte Thermotherapie (LITT)
Sie hat sich infolge der aufwendigeren und deutlich teureren Technik nicht vergleichbar durchsetzen knnen. Die Ergebnisse bei Metastasen kolorektaler Karzinome sind mit einer lokalen Tumorkontrolle von ca. 97% (6 Mo.) bei einer medianen berlebenszeit von 41,8 Monaten und einer 3- bzw. 5-Jahres-berlebensrate von 50 bzw. 30% (Vogl et al. 2001, 1999) der RFA vergleichbar. Wie fr die RFA gilt die fehlende histologische Sicherung der behandelten Befunde als wesentliches Problem bei der Beurteilung der laserinduzierten Thermotherapie (LITT). 4.2.5 Transplantation
Die Lebermetastase wird heute als Indikation zur Transplantation wegen der schlechten Prognose und des Mangels an Spenderorganen in der Regel abgelehnt. Lediglich 1…2% der Transplantationen wurden zur Behandlung von Lebermetastasen durchgefhrt (European Liver Transplant Registry, Penn 1991). So liegen die Ergebnisse der Lebertransplantation bei primr kurativ behandeltem extrahepatischem Malignom mit Rezidivraten um 60…70% und 2- bzw. 5-Jahres-berlebensraten von 38 bzw. 21% (Penn 1991) deutlich unter denen bei primren Lebertumoren (57% [2-JR], 43% [5-JR]; European Liver Transplant Registry). Allenfalls bei Metastasen neuroendokriner Tumoren kann in Ausnahmefllen eine Indikation zur Lebertransplantation sinnvoll erscheinen (Lehnert 1998).
5 Ergebnisse nach Leberresektion 5.1 Kolorektales Karzinom Bei einem kolorektalen Karzinom ist in ber 40% der Flle mit einer Lebermetastasierung zu rechnen, von denen die Hlfte synchron (0…6 Monate
17
918
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
nach Primrtumortherapie) und die andere Hlfte metachron (> 6 Mo. nach Resektion) auftreten (Cady et al. 1992; Herfarth et al. 1995; Hughes et al. 1986; Lehnert et al. 1998; Jaeck et al. 1997). Ohne Therapie liegt die mediane berlebenszeit bei 7,5 Monaten mit einer 5-Jahres-berlebensrate (LR) < 3%; nach R0-Resektion der Lebermetastasen steigt diese auf 24…37% (Pestana et al. 1964). Die Mortalitt sank bei kurativer Resektion der Lebermetastasen kolorektaler Karzinome von 30% auf deutlich < 3% (Tabelle 6). Eine Reresektion wegen Rezidivmetastasen ist dann erneut bei bis zu 27% der Patienten mglich (Tabelle 7). Prognostisch scheint es dabei unerheblich, ob es sich um das Erst- oder Zweitrezidiv handelt, da sowohl die mediane berlebenszeit (20…42 Monate) als auch die 5-Jahres-berlebensraten (26…30%) vergleichbar sind. Eine Reihe von randomisierten Studien haben den Wert einer systemischen adjuvanten Chemotherapie nach Lebermetastasenresektion geprft. Eine signifikante Tabelle 6. Studien (mit > 100 Patienten) zur Lebermetastasenreaktion kolorektaler Karzinome 1984–1992 bzw. 1994–2003 Autor
Anzahl Pat. (n)
Mortalita¨t
5-JahresU¨berleben
Foster 1984
367
7%
24%
Hughes et al. 1988
377
k.A.
24%
Ringe et al. 1991
119
4,5%
27%
Doci et al. 1991
100
5%
30%
Scheele et al. 1991
207
5,5%
37%*
Rosen et al. 1992
280
4%
25%
Gesamt/Durchschnitt 1984–1992
1450
5%
28%
Gayowski et al. 1994
301
0%
32%
Lehnert et al. 1995
182
2,8%
24%
Jaeck et al. 1997
1818
2%
26%
Rees et al. 1997
107
1%
37%
Bakalakos et al. 1998
301
1,1%
29%
Fong et al. 1999
1001
2,8%
37%
Mala et al. 2001
137
3%
29%
Lindner et al. 2003
147
2,7%
33%
Kato et al. 2003
585
–
33%
Gesamt/Durchschnitt 1994–2003
4766
2%
31%
* alterskorrigierte Daten
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
919
Tabelle 7. Resektion bei Lebermetastasen kolorektaler Karzinome (prozentualer Anteil der Reresektionen in bezug zur Vorresektion) Autoren
n
n (2. Hepat.)
n (3. Hepat.)
n (4. Hepat.)
AFC [aus 15] 1992
1955
146 (7,5%)
14 (10%)
–
Fernandez-Trigo et al. 1994
–
170
8 (5%)
–
Adam et al. 1997
243
64 (26%)
15 (23%)
4 (30%)
Tuttle et al. 1997
202
23 (11%)
–
–
Yamamoto et al. 1999
362
75 (20%)
12 (16%)
3 (25%)
Muratore et al. 2001
152
29 (19%)
–
–
Suzuki et al. 2001
96
26 (27%)
–
–
Gesamt:
3180
7,5–27%
5–23%
20–30%
Prognoseverbesserung, verglichen mit nicht behandelten Patienten, konnte dabei nicht festgestellt werden. Dies gilt auch fr die intraarterielle Chemotherapie (Nitti et al. 1994). Eine prospektive, randomisierte Studie zu dieser Fragestellung mute bei erhhter Morbiditt und Mortalitt der behandelten Gruppe eingestellt werden (Lorenz et al. 1998). Zusammenfassend kann eine adjuvante Chemotherapie nach potentiell kurativer Leberresektion derzeit auerhalb von Studien nicht empfohlen werden. Prognostisch ist zwischen dem unmittelbaren operativen Risiko und dem Langzeitverlauf zu unterscheiden. Das Operationsrisiko liegt fr die berwiegende Mehrzahl der Patienten < 3% und wird kaum weiter zu senken sein. Bei sehr ausgedehnten Leberresektionen, wie z.B. den Mesohepatektomien (Segmente 4a/b, 5/8) oder erweiterten Links- oder Rechtsresektionen (Trisegmentektomien), mu allerdings mit einer hheren Mortalitt bis z.T. > 10% gerechnet werden (Fong et al. 1999; Oldhafer et al. 2000). Fr diese Patientengruppe ist eine sorgfltige properative Selektion und operationsspezifische Risikominimierung anzustreben. Fr die Abschtzung der Langzeitprognose wurden in univariaten Analysen diverse Merkmale wie Alter (Gayowski et al. 1994, Nordlinger et al. 1996), Primrtumorstadium (Doci et al. 1995; Hughes et al. 1986; Jaeck et al. 1997; Nordlinger et al. 1996; Scheele et al. 1995), CEA-Spiegel (Fong et al. 1999; Hughes et al. 1986), Anzahl (Fong et al. 1999; Hughes et al. 1986; Nordlinger et al. 1996), Gre (Fong et al. 1999; Foster 1984; Hughes et al. 1986; Nordlinger et al. 1996; Scheele et al. 1995) und Lokation der Metastasen (Fong et al. 1999; Gayowski et al. 1994; Hughes et al. 1986), Satellitenmetastasen (Rosen et al. 1992; Scheele et al. 1995) synchrone oder metachrone Metastasenbildung sowie Zeitintervall bis zur Metastasierung (Alves et al. 2003; Fong et al. 1999; Hughes et al. 1986; Iwatsuki et al. 1999; Nordlinger et al. 1996; Scheele et al. 1995), Sicherheitsabstand (Nordlinger
17
920
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 8. Prognosescores mit den jeweiligen Risikomerkmalen fu¨r die Resektion kolorektaler Lebermetastasen Merkmale
Prognosescore Nordlinger et al. 1996
Fong et al. 1999 Iwatsuki et al. 1999
(N = 1568)
(N = 1001)
Alter
> 60 J
–
(N = 305) –
CRC-T-Stadium
>T 3
–
–
CRC-N-Stadium
N+
N+
–
Zeitintervall CRC-LM
< 2 Jahre
< 1 Jahr
< 30 Mo.
Leberbefallsmuster
–
–
biloba¨r
n (Lebermetastasen)
>1
>2
Gro¨ße (Lebermetastasen)
>3 5 cm
> 5 cm
> 8 cm
CEA-Wert (ng/ml)
–
> 200
–
Resektionsrand
< 1 cm
–
–
et al. 1996; Scheele et al. 1995), Blutverlust (Herfarth et al. 1995; Lehnert et al. 1995; Rosen et al. 1992) und Durchfhrung einer anatomischen oder „limited“ Resektion (Yamamoto et al. 1999; Yasui et al. 1997) als signifikant fr die Langzeitprognose angesehen. Allerdings konnten nur wenige prognostische Variablen multivariat (Fong et al. 1999; Nordlinger et al. 1996) gesichert werden (Tabelle 8). Nicht berraschend erweist dabei sich die vollstndige (R0) Resektion als wichtigster Prognosefaktor, whrend alle anderen Parameter die Prognose nur vergleichsweise schwach beeinflussen. Damit steht der Chirurg als „Risikofaktor“ im Mittelpunkt, da er sowohl die biologische und funktionelle Resektabilitt beurteilt als auch die Radikalitt (R0 vs. R1/R2) und den Blutverlust (Lehnert et al. 1995; Ohlsson et al. 1998; Rosen et al. 1992) entscheidend beeinflut. Darber hinaus ist er diagnostisch gefordert, die entsprechenden bildgebenden Verfahren zum Ausschlu des extrahepatischen Befalls durchzufhren. Ob bei der Lebermetastasenresektion auch eine Dissektion hilrer Lymphknoten erfolgen soll, ist noch nicht entschieden. So wurde in einer systematischen Literaturbersicht der hilre Lymphknotenbefall zwar als prognostisch ungnstig besttigt, die prognostische Relevanz einer systematischen Dissektion war allerdings nicht nachzuweisen (Rodgers et al. 2000). Die klinische und laborchemische Dynamik scheint als prognostischer Aspekt (s. Tabelle 9) zunehmend an Bedeutung zu gewinnen und wird zunehmend in neoadjuvanten Behandlungsverfahren Eingang finden. Diese Aspekte fin-
17.4
921
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
Tabelle 9. Mortalita¨t und U¨berlebensraten nach Reresektion von Lebermetastasen bei kolorektalen Karzinomen U¨berleben
Autoren
Anzahl Pat. (n)
Mortalita¨t
medianes U¨berleben
3 Jahre
5 Jahre
Nordlinger et al. 1996
130
1%
22
33%
16%
Tuttle et al. 1997
23
0%
–
55%
32%
Adam et al. 1997
64
0%
–
60%
41%
Lehnert et al. 1995
18
0%
24
45%
37%
Sugarbaker 1999
170
–
–
45%
32%
Yamamoto et al. 1999
90
0%
24
48%
31%
Petrowsky et al. 2002
126
1,6%
37
51%
34%
Gesamt
621
1–2%
27
48%
32%
den u.a. in den derzeitigen Empfehlungen der franzsischen gastroenterologischen Krebsgesellschaft (FFCD) ihren Ausdruck (Chiche 2003), die sowohl dem chirurgisch-technischen Aspekt als auch der Tumorprognose Rechnung trgt (s. Tabelle 4 u. 5). Auch in der Frage nach der erforderlichen Radikalitt hat sich ein Wandel vollzogen. Ein Sicherheitsabstand > 1 cm wird zwar weiterhin angestrebt, seine Bedeutung als Risikofaktor aber nicht mehr so hoch eingeschtzt (Adam et al. 1997; Elias et al. 1998; Ohlsson et al. 1998; Yamamoto et al. 1999; Yasui et al. 1997). Ein Verzicht auf die Resektion infolge Unterschreitung des Sicherheitsabstandes erscheint aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht gerechtfertigt. In der konzeptionellen Diskussion um die Ausdehnung der Leberresektion auf anatomische Grenzen stehen dem theoretischen Vorteil der Entfernung okkulter Satellitenmetastasen bei parenchymsparender Leberresektion ein geringeres operatives Risiko und eine mglicherweise vorteilhafte geringere Produktion von Wachstumsfaktoren gegenber, die neben der Leberregeneration auch proliferativ auf Tumorzellen wirken knnen (de Jong et al. 1995). Eine perioperative, intravasale Tumorzelldissemination bei Leberresektion ist zwar beschrieben (Weitz et al. 2000), ihre Abhngigkeit von der Ausdehnung der Resektion und ihre mgliche Bedeutung als unabhngiger Prognoseparameter sind aber noch zu klren. Ob prognostische Faktoren fr die Indikationsstellung berhaupt eine wesentliche Rolle spielen sollen, wenn Aussicht auf eine vollstndige Metastasenresektion besteht, ist im Hinblick auf das relativ geringe operative Risiko und das Fehlen von Behandlungsalternativen mit kurativem Ansatz sehr fraglich. Entsprechend wird die Indikation zur Resektion von Lebermetastasen … gerade in hepatobilir spezialisierten Zentren … heutzutage
17
922
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
eher weit gestellt (Bismuth et al. 1996; Fong et al. 1999; Lehnert et al. 1998; Nordlinger et al. 1996; Yamamoto et al. 1999). Selbst intrahepatische Rezidive (Tabellen 7 u. 9) oder das Vorhandensein von extrahepatischen Metastasen werden bei kolorektalen Karzinomen heute nicht mehr als absolute Kontraindikation angesehen, solange diese ebenfalls vollstndig reseziert werden knnen (Chiche 2003; Lehnert et al. 1999). 5.2 Nicht-kolorektale Karzinome Leberresektionen unter kurativer Zielsetzung wurden bei nicht-kolorektalen Primrtumoren in der Vergangenheit vergleichsweise selten durchgefhrt. Dementsprechend sind differenzierte Analysen wegen der geringen Fallzahl nicht mglich. Eine sorgfltige Literaturanalyse erlaubt jedoch eine umfangreiche Fallsammlung, die die Frage nach der Langzeitprognose zumindest ansatzweise beantworten kann. Mammakarzinom
Beim Mammakarzinom treten isolierte Lebermetastasen lediglich in 3…5% der Flle auf (Lehnert et al. 1998). Die Resektabilitt ist nur in knapp 20% Tabelle 10. Mediane U¨berlebenszeit und U¨berlebensraten nach Lebermetastasenresektion beim Mammakarzinom Autoren
Anzahl Pat.
Medianes U¨berleben
U¨berleben
(n)
(Mo.)
Stehlin et al. 1988
9
28
1 Jahr
2 Jahre
3 Jahre
5 Jahre 11%
Lorenz et al. 1995
8
15
12%
Scheuerlein et al. 1998
21
Seifert et al. 1999
15
57
Lang et al. 1999
30
19
Pocard et al. 2000
52
42
Yoshimoto et al. 2000
25
Maksan et al. 2000
9
60% 100%
71%
54%
86%
79%
49%
10% 71%
27%
n.r.
51%
Selzner et al. 2000
17
35%
Pocard et al. 2001
69
71%
Carlini et al. 2002
17
Elias et al. 2003
54
34
Gesamt
326
33
22% 46%
70%
50%
34%
52%
31%
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
923
(Lorenz et al. 1995; Maksan et al. 2000; Seifert et al. 1999), ein kurativer Ansatz nur in ca. 10% der Flle mglich (Maksan et al. 2000). In neueren Serien betrgt die 5-Jahres-berlebensrate nach potentiell kurativer Leberresektion 20…50% (Tabelle 10). Als weitere Vorteile der Lebermetastasenresektion wurden das Absetzen der Chemotherapie in bis zu 50% der Flle sowie eine Steigerung der Lebensqualitt genannt (Pocard et al. 2001). Weichteilsarkome
Weichteilsarkome sind seltene Tumoren des Gastrointestinaltrakts, die ca. 2% der soliden Malignome ausmachen (Blanchard et al. 2000). Sie treten als Leiomyosarkome bevorzugt des Dnndarms, seltener des Magens und Dickdarms (Meijer et al. 1990) in Erscheinung. Eine Metastasierung erfolgt grenabhngig (> 5 cm) in 24…50%, davon … besonders bei gastrointestinalen Primrtumoren … bei ca. 65…80% primr in die Leber(Blanchard et al. 2000; Jaques et al. 1995; Meijer et al. 1990). Eine unterschiedliche Metastasenhufigkeit wird aber auch in Abhngigkeit von der Lokalisation beschrieben (17…41%; Meckel-Divertikel/Jejunum [Blanchard et al. 2000]). Da diese Tumoren auf eine systemische Chemotherapie kaum ansprechen, ist die Resektion der Metastasen die bevorzugte Therapie. Bei kurativer Resektion der Lebermetastasen betrgt die mediane berlebenszeit 30…40 Monate und die 5-Jahres-berlebensrate in der grten bisher publizierten Serie ca. 30% (s. Tabelle 11). Neuroendokrine Tumoren
Unter den soliden Tumoren des Gastrointestinaltrakts nehmen die malignen Tumoren des neuroendokrinen Systems eine Sonderstellung ein. Sie zeigen teilweise eine nur sehr langsame Grenprogression, andererseits Tabelle 11. Mediane U¨berlebenszeit und 5-Jahres-U¨berlebensrate nach Lebermetastasenresektion bei Weichteilsarkomen Autoren
Anzahl Pat.
Medianes U¨berleben
U¨berleben
(n)
(Mo.)
5 Jahre
Jacques et al. 1995
13
30
0%
Hafner et al. 1995
4
40
25%
Elias et al. 1999
13
–
18%
Lang et al. 1999
15
32
17%
De Matteo et al. 2001
56
39
30%
Gesamt
101
35
18%
17
924
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 12. Mediane U¨berlebenszeit und U¨berlebensraten nach Lebermetastasenresektion bei neuroendokrinen Tumoren Autoren
Anzahl Pat.
Medianes U¨berleben
U¨berleben
(n)
(Mo.)
5 Jahre
Que et al. 1995
46
Lehnert et al. 1995
46
39%
Hemming et al. 2000
37
45%
Pascher et al. 2000
26
Sarmiento et al. 2003 Gesamt
183
10 Jahre
65%
54
76% 61%
35%
56%
35%
kann die hormonell bedingte Symptomatik klinisch fhrend sein und sogar lebensbedrohliche Formen annehmen (Lehnert 1998). Die Prognose variiert z.T. erheblich und reicht von einer spontanen 5-Jahres-berlebensrate von 30% nach Diagnose von Lebermetastasen bis hin zu Langzeitverlufen von 10…40 Jahren. Bei kurativer Leberresektion wurde unabhngig vom Tumorgrading eine 5-Jahres-berlebensrate von 65% (Que et al. 1995) bei einem rezidivfreien berleben von 45% beobachtet (Lehnert 1998). Auch die Ergebnisse nach palliativer Resektion liegen mit einer 5-Jahres-berlebensrate zwischen 39 und 65% kaum schlechter (Tabelle 12). Als Alternative wurde bei nicht mehr resektablen Tumoren auch eine Lebertransplantation durchgefhrt, die jedoch mit einem Gesamtberleben von 47% und einem rezidivfreien berleben von 24% nach jeweils 5 Jahren keineswegs als berlegen anzusehen ist (Lehnert 1998; Pascher et al. 2000). Unter Bercksichtigung dieser Ergebnisse erscheint die Transplantation nur bei ausgeprgter, therapieresistenter Klinik und gleichzeitiger Irresektabilitt bzw. eingeschrnkten Mglichkeiten anderer ablativer Verfahren gerechtfertigt. Andere gastrointestinale Tumoren
Die brigen Karzinome des oberen Gastrointestinaltrakts (sophagus, Magen, Pankreas und Dnndarm) weisen mit ca. 30…70% eine hohe Wahrscheinlichkeit fr das Auftreten von Lebermetastasen auf. Prinzipiell kann bei allen isolierten Lebermetastasen solider Tumoren die Indikation zur Leberresektion geprft werden, die Angaben in der Literatur sind jedoch sprlich. Etwas umfangreichere Erfahrungen liegen lediglich beim Magenkarzinom vor. Lebermetastasen knnen hier nur selten reseziert werden. Ist dies jedoch mglich, so kann eine 5-Jahres-berlebensrate von > 20% erwartet werden (Lehnert et al. 2002). Bei anderen Primrtumoren variiert die Prognose erheblich und liegt nach kurativer Lebermetastasenresektion im
17.4
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
925
Tabelle 13. Mediane U¨berlebenszeit und 5-Jahres-U¨berlebensrate nach Lebermetastasenresektion bei gyna¨kologischen Tumoren Autoren
Anzahl Pat.
Medianes U¨berleben
U¨berleben
(n)
(Mo.)
5 Jahre
Kaseki et al. 1992
1
(22)
Savage u. Maltz 1992
3
6
Elias et al. 1999
6
Lang et al. 1999
1
(48)
Merideth et al. 2003
26
26
Gesamt
37
26
21% –
Median bei 15,8…35 Monaten, die 5-Jahres-berlebensrate schwankt zwischen < 10% (Pankreaskarzinom) und > 50% (neuroendokrine Tumoren) (Tabellen 13…17). Beim Pankreas-, sophagus- und Bronchialkarzinom erscheint wegen der besonders schlechten Prognose auch bei resektablen Lebermetastasen ein primrer operativer Eingriff kaum gerechtfertigt. Hier wre gegebenenfalls eine Chemotherapie mit dem Ziel, die Dynamik der Tumorprogression zu beurteilen, zu erwgen. Bei Ansprechen oder Befundkonstanz ber einen lngeren Zeitraum kann dann auch bei diesen Tumoren die Lebermetastasenresektion gerechtfertigt sein.
6 Ausblick und zuku¨nftige Strategien Die postoperative Mortalitt erscheint mit < 3% bei Standard- und < 10% bei erweiterten Resektionen und komplexen Eingriffen akzeptabel. Die Resektabilitt um 25% sowie die Langzeitergebnisse mit 5-Jahres-berlebensraten um 30% sind dagegen verbesserungsfhig. In diesem Sinne ergeben sich drei plausible Anstze: Diagnostik: Trotz erheblicher Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik ist eine weitere Verbesserung der Schnittbildverfahren zu fordern, die infolge einer parallelen Verschiebung durch Patientenselektion („selection drift“) und verbessertem Referenzstandard („reference shift“) nicht immer in einer Erhhung von Sensitivitt und Spezifitt Ausdruck finden wird. Die intraoperative Ultraschalluntersuchung hat in der Vergangenheit bei 15…45% der Patienten weitere Metastasen in der Leber nachweisen knnen (Smith et al. 1999; Wallace et al. 2001). Sie wird trotz stetiger Verbesserung der nicht invasiven Schnittbilddiagnostik mittelfristig noch zur Abklrung unklarer intraoperativer Befunde herangezogen werden mssen. Bei unklaren kleinen Lsionen (< 1cm) wird die FDG-PET ihre Sensitivitt und Spezifitt in prospektiven Studien zeigen mssen.
17
926
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 14. Mediane U¨berlebenszeit und 5-Jahres-U¨berlebensrate nach Lebermetastasenresektion beim Magenkarzinom Autoren
Anzahl Pat. (n)
Medianes U¨berleben
U¨berleben
(Mo.)
5 Jahre
Bines et al. 1993
4
8
30%
Ochiai et al. 1994
21
18
19%
Saito et al. 1996
14
22
Miyazaki et al. 1996
21
11
Elias et al. 1999
11
–
20%
Lang et al. 1999
4
16
33%
Fujii et al. 2001
10
16
10%
Okano et al. 2002
19
–
34%
Zacherl et al. 2002
15
9
–
Sakamoto et al. 2003
22
21
38%
Gesamt
141
15
25,6%
21%
Zum gegenwrtigen Zeitpunkt erscheinen zwei Anstze sinnvoll: F F
Entweder die Lsion mittels thermoablativer Verfahren (auch ohne histologische Sicherung) direkt anzugehen oder alternativ. den/die Herd/e bewut zu belassen und engmaschig zu kontrollieren (bei erheblicher Erweiterung des Eingriffs oder zu geringem Restparenchym). Bei einer Grenzunahme knnen sie dann … besonders wenn es schon zur Regeneration der Restleber gekommen ist … durch eine Reresektion entfernt werden.
Darber hinaus kann die PET auch zum Nachweis extrahepatischer Metastasen wertvolle Hinweise geben. Da neuere chirurgische Konzepte beim kolorektalen Karzinom darauf zielen, neben den Lebermetastasen auch extrahepatische Rezidive vollstndig zu resezieren, knnte die PET knftig hufiger zum Einsatz kommen. Inwiefern eine intensivierte Nachsorge die Rezidiverkennung im kurablen Stadium ermglicht, bleibt abzuwarten (Pietra et al. 1998; Schoemaker et al. 1998). Operabilita¨t: Die Grenzen der biologischen und funktionellen Operabilitt wurden in den letzten Jahren konstant erweitert. Dies kann nicht ohne Einflu auf Morbiditt und Mortalitt bleiben. Beiden Aspekten wird durch die Konzentration dieser Eingriffe auf Zentren mit besonderer Erfahrung Rechnung getragen (technische Operabilitt). Diese Entwicklung erfhrt jetzt durch die Anforderungen an die Qualittssicherung und Mindestzahlendis-
17.4
927
Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
Tabelle 15. Mediane U¨berlebenszeit und U¨berlebensraten nach Lebermetastasenresektion beim Pankreaskarzinom Autoren
Medianes U¨berleben
n
U¨berleben
(Mo.)
1 Jahr 40%
Klempnauer et al. 1996
23
7
Takada et al. 1997
11
6
Howard 1997
11
11
Lang et al. 1999
11
19
Gesamt
45
15,8
5 Jahre
10%
kussion bei Hochrisikoeingriffen eine weitere Akzentuierung. Nachdem fr zahlreiche onkologische Eingriffe sowohl das Zentrum als auch der Chirurg als potentieller Risikofaktor identifiziert wurden, ist mit einer Konzentration auch in der komplexeren Behandlung von Lebermetastasen zu rechnen. Kombinationsverfahren: Wenngleich die adjuvante Chemotherapie die Pro-
gnose nach Lebermetastasenresektion bisher nicht verbessert hat, mssen multimodale Therapiekonzepte weiter evaluiert werden. Voraussetzung fr eine verlliche Beurteilung innovativer Verfahren ist ihre berprfung in prospektiven, randomisierten Studien. Hier sind vor allem die thermoablativen Verfahren zu nennen. So erscheint eine Kombination resezierender und lokal ablativer Verfahren zur Behandlung von Patienten vielversprechend, bei denen die vollstndige Metastasenresektion nicht gengend Restleberparenchym erhalten wrde. Bei der Interpretation und Wertung aktueller Ergebnisberichte mu der kritische Betrachter allerdings einen Selektionsbias, die fehlenden Langzeitergebnisse und die verbesserte mediane berlebensrate unter einer Chemotherapie mit Irinotecan oder Oxaliplatin (bei CRC im Stadium IV im Median um 20 Monate) bercksichtigen.
17 Tabelle 16. Mediane U¨berlebenszeit nach Lebermetastasenresektion beim Nierenzellkarzinom medianes U¨berleben
Autor
n
Stief et al. 1997
11
(16)
Fujisaki et al. 1997
3
12
Lang et al. 1999
12
27
Alves et al. 2003
14
26
Gesamt
40
20
(Mo.)
928
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 17. Mediane U¨berlebenszeit und U¨berlebensraten nach Lebermetastasenresektion bei nichtkolorektalen, nicht-neuroendokrinen Tumoren Autor
Anzahl Pat.
medianes U¨berleben
(n)
(Mo.)
Elias et al. 1998
147
Harrison et al. 1997
96
Lang et al. 1999
82
28
Hemming et al. 2000
37
36
Laurent et al. 2001
39
Yamada et al. 2001
33
Gesamt
434
U¨berleben 1 Jahr
3 Jahre
80%
45%
5 Jahre 36% 37% 24% 45%
81%
40%
35% 12%
32
31
Nur randomisierte Studien werden den tatschlichen Stellenwert lokal ablativer Verfahren und anderer innovativer Therapiekonzepte objektivieren knnen. So werden unabhngig von ihrem Ergebnis auch die jetzt vor dem Abschlu stehenden (EPOC-trial) oder auf den Weg gebrachten Studien (CLOCC-trial) die Beweislage in der Behandlung von Lebermetastasen weiter verbessern. Literatur Adam R, Bismuth H, Castaing D et al (1997) Repeat hepatectomy for colorectal liver metastases. Ann Surg 225:51…60 Alves A, Adam R, Majno P et al (2003) Ann Surg Oncol 10:705…710 Bakalakos EA, Kim JA, Young DC, Martin Jr EW (1998) Determinants of survival following hepatic resection for metastatic colorectal cancer. World J Surg 22:399…404 Bines SD, England G, Deziel DJ et al (1993) Synchronous, metachronous, and multiple hepatic resections of liver tumors originating from primary gastric tumors. Surgery 114:799…805 Bismuth H, Adam R, Levi F et al (1996) Resection of nonresectable liver metastases from colorectal cancer after neo-adjuvant chemotherapy. Ann Surg 224:509…522 Bismuth H, Castaing D, Garden OJ (1987) The use of operative ultrasound in surgery of primary liver tumors. World J Surg 11:610…614 Blanchard DK, Budde JM, Hatch GF et al (2000) Tumors of the small intestine. World J Surg 24:421…429 Bluemke DA, Paulson EK, Choti MA et al (2000) Detection of hepatic lesions in candidates for surgery: comparison of ferumoxides-enhanced MR imaging and dualphase helical CT. AJR Am J Roentgenol 175:1653…1658
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Chirurgische Resektion von Lebermetastasen
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17.5 Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren M. Golling, A. Schaudt, W. O. Bechstein
1 Einleitung Bei der lokoregionren Behandlung primrer Lebertumoren spielt das hepatozellulre Karzinom (HCC) eine alles berragende Rolle. Das HCC ist gegenwrtig das fnfthufigste Karzinom und … infolge der zunehmenden Verbreitung von Hepatitis C … in der Bedeutung tendenziell steigend. Die berwiegende Anzahl der HCC befindet sich bei Diagnosestellung bereits in einem inkurablen Stadium, abhngig von der Leberfunktion und dem Ausma der Tumorerkrankung. Die Resektabilitt weist mit 5…37% (ca. 30% der Child-A-Flle), die perioperative Mortalitt mit 3…7% Bandbreiten auf, die u.a. mit der regionalen Verteilung (West vs. Ost), der Art und Schwere der Grunderkrankung (HBV/HCV vs. alkoholinduziert) sowie der Frequenz und Erfahrung bei Vorsorgeuntersuchungen zusammenhngen (Okuda, Colella). Tabelle 1. U¨berlebensraten nach Resektion in Abha¨ngigkeit vom Tumorstadium Tumorstadium
Patienten (n)
1-J.-U¨LR (%)
5-J.-U¨LR (%)
–
Very early HCC
15
100
93
–
overt HCC
52
92
54
–
keine port. Hypertension, norm. Bilirubin
35
91
74
–
portale Hypertension, norm. Bilirubin
15
93
50
–
portale Hypertension, erho¨htes Bilirubin
25
74
25
–
Stadium 1, HCC < 2 cm
1318
96
72
–
Stadium 1, HCC 2–5 cm
2722
95
58
–
Stadium 2, HCC < 2 cm
502
92
55
–
Stadium 2, HCC 2–5 cm
1548
95
58
Autor Takayama et al.
Llovet et al.
Arii et al.
17
938
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 2. U¨berlebensraten nach Lebertransplantation bei hepatozellula¨rem Karzinom und Zirrhose Autor
Patienten (n)
1-J.-U¨LR (%)
5-J.-U¨LR (%)
Bismuth et al.
45
82
74
Llovet et al.
79
86
75
Jonas et al.
120
90
71
Die Behandlungsmglichkeiten werden in potentiell kurativ, palliativ und symptomatisch oder alternativ in chirurgisch (Transplantation/Resektion), interventionell (lokoregionr ablative Verfahren) oder konservativ-supportiv („best supportive care“ [BSC]) eingeteilt. Zum gegenwrtigen Zeitpunkt liegen keine Ergebnisse prospektiv randomisierter Studien vor, die die verschiedenen Behandlungsmodalitten vergleichen. Die 1- und 5-Jahres-berlebensraten liegen derzeit stadienabhngig zwischen 74 und 100% bzw. 25 und 93% bei der Resektion und zwischen 82 und 90% bzw. 71 und 75% bei der Transplantation (Tabellen 1 und 2). Die 5-Jahres-Rezidivrate nach Resektion von 75…100% reflektiert zum einen die Multizentrizitt der Karzinogenese (Miyagawa) und lt andererseits die Lebertransplantation als alleinigen Ansatz zur Kuration erscheinen (Llovet; Bismuth 1993; Iwatsuki 1991). Sie erlaubt eine valide Stadienund damit Prognosebestimmung, exstirpiert den Tumor und kuriert die Grunderkrankung. Infolge limitierter Ressourcen (Transplantationsorgane) und eingeschrnkter primrer sowie sekundrer (< 10%, Matsuda 2001) Resektabilitt (Leberfunktion) haben sich lokal ablative Behandlungsverfahren in der Behandlung primrer Lebertumoren etabliert und den therapeutischen Spielraum erheblich erweitert. Wenngleich vereinzelt vergleichbare Ergebnisse lokal ablativer Verfahren zur Resektion beschrieben wurden (Livraghi) sind sie im allgemeinen mit einer 5-Jahres-berlebensrate um 40…50% etwas schlechter einzuschtzen (siehe Tabellen 3…5). Bei der Auswahl des Verfahrens spielen zwei Faktoren eine bergeordnete Rolle: F F
Leberfunktion und Tumorgre.
Beide Merkmal selektionieren die Patienten in resektable, interventionell zu behandelnde und zu transplantierende Patienten. Die Richtschnur zur Resektabilitt hngt in Relation zur prinzipiell nur geringgradig verbesserten berlebensrate im Vergleich zu interventionell behandelten Patienten … in Anbetracht der zentrumsabhngigen Morbiditt und Mortalitt … relativ hoch. Derzeit gngige klinische (Child-
17.5
939
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
Tabelle 3. Parameter (Merkmale) des CLIP-Scores und Punkteverteilung in Abha¨nigkeit vom Schweregrad des Merkmals Parameter
0 Punkte
1 Punkte
2 Punkte
Morphologie/Ausmaß des Befalls
solita¨r < 50%
multipel < 50%
massiv oder > 50%
Child-Stadium
A < 400
B 400
C
AFP in ng/ml Thrombose der Vena portae
Nein
ja
Tabelle 4. CLIP-Score mit Prognosezeitraum CLIP-Score
Todesfa¨lle (%)
Mittl. U¨LZ (Mo.)
1-J.-U¨LR (%)
2-J.-U¨LR (%)
0
47
36
84
65
1
59
22
66
45
2
88
9
45
17
3
92
7
36
12
4–6
100
3
9
0
Tabelle 5. Ein- und 5-J.-U¨berlebensrate nach perkutaner Alkoholbehandlung (PEI) bei HCC in Abha¨ngigkeit vom Tumorstadium Tumorstadium
Patienten (n)
1-J.-U¨LR (%)
5-J.-U¨LR (%)
–
Child A, HCC < 5 cm
293
98
47
–
Child B, HCC < 5 cm
149
98
29
–
Child A, 1 HCC oder 3 Herde < 3 cm
127
98
53
–
Child B, 1 HCC oder 3 Herde < 3 cm
57
88
28
–
Stadium 1, HCC < 2 cm
767
96
54
–
Stadium 1, HCC 2–5 cm
587
95
38
–
Stadium 2, HCC < 2 cm
426
92
33
–
Stadium 2, HCC 2–5 cm
483
87
28
Autor Livraghi et al.
Lenconi et al.
Arii et al.
17
940
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Pugh-A-Stadium), technische (perioperative Mortalitt < 3%) und tumormorphologische (keine Veneninfiltration, Einzelherd) Aspekte gelten als gemeinhin akzeptierte Einschlukriterien fr die Resektion. Die lokale Behandlung von Lebertumoren hat ihren Stellenwert bei Patienten, die aufgrund des Alters, des Allgemeinzustands, der Tumorgre und -zahl sowie Gefinfiltration weder einer Resektion noch einer Transplantation zugnglich sind.
2 Prognose Zur Prognosebeurteilung des HCC wurden eine Vielzahl von Scores entwickelt (z.B. TNM, Okuda, BCLC, AJCC etc.), von denen sich in der Konsensus-Konferenz 2003 der AHBPA/AJCC der italienische CLIP-Score (Cancer of the Liver, Italien Program) durchsetzen konnte. Der Vorteil dieser Klassifikation ist eine angemessene Bercksichtigung sowohl der zugrundeliegenden Lebererkrankung als auch der Tumorlast (Tabelle 3). Die Prognose des HCC liegt ber alle Stadien hinweg ohne Therapie bei 3 bis 6, bei Einsatz aller Verfahren im Median bei 11 Monaten, wobei die Bandbreite von 3 bis 36 Monate reicht (Tabelle 4). Die meisten Rezidive treten lokoregionr, darber hinaus aber auch ossr und pulmonal auf. Als prognostisch gnstige Faktoren gelten unifokales Wachstum, kleine Herde < 3 bzw. < 5 cm, das Vorhandensein einer Tumorkapsel und ein hoher Differenzierungsgrad (CLIP; Livraghi; Di Stasi). Das spontane 3-Jahres-berleben beim HCC liegt im Frhstadium (HCC < 5cm) und kompensierter Leberfunktion (Child A) lediglich bei 20 bis 25%. Die Prognose betrgt bei kleinen Herden < 3 cm („minute“ HCC) nach 1, 2 und 5 Jahren bei 90,7%, 55% bzw. 12,8% (Ebara 1986). Die Prognoseverbesserung durch die Resektion zeigte sich in den 80er Jahren in einer verbesserten 2-Jahres-berlebensrate von 6% (ohne Therapie) auf 43…75% (Okuda). Abhngig vom Tumorstadium liegt die mittlere 3- bis 4-Jahres-berlebensrate bei 47…85% (Otto 1999; Iwatsuki 1991; Bismuth 1993). In Frhstadien (Erfllung der Milan-Kriterien) zeigt sich eine Prognoseverbesserung fr die Transplantation mit einem 5-Jahresberleben von 10…30% (Mazzaferro 1996; Bismuth 1993; Otto 1999). Unterstellt man jedoch eine eingeschrnkte Bildgebung vor Resektion … vor allem bei kleinen, oligozentrischen Tumoren …, knnte die damit verbundene Stadienverschiebung („stage migration“) zuungunsten der Resektion diesen Effekt erklren. Insgesamt gesehen ist die prognostische Verbesserung durch den Einsatz interventioneller Verfahren … auch mit historischen Kontrollgruppen … minimal und knnte zumindest partiell auch durch die verbesserten Screeningmethoden erklrt werden.
17.5
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
941
3 Diagnostik Bei 50…80% der Patienten mit hepatozellulrem Karzinom ist das a-Fetoprotein (AFP) erhht, eine Konzentration von > 400 lg/l ist in 95% mit einem HCC vergesellschaftet (Jones u. Koorey 1987). Die verwendete Bildgebung kann sich im Einzelfall sehr unterschiedlich gestalten. Dies reicht von einer sonographischen (perkutane Alkoholinstillation [PEI]) bis zur CT-gesteuerten Nadelplazierung (Radiofrequenzablation [RFA], laserinduzierte Thermotherapie [LITT]) mit anschlieendem MRT-Monitoring (Vogl 2002). Die Diagnose des HCC kann … analog der EASL-Barcelona-Konferenz … auf der Basis von zwei radiologisch bildgebenden Verfahren oder alternativ erhhtem AFP-Wert und einem bildgebenden Verfahren gestellt werden (Bruix 2001). Die Biopsie beschrnkt sich auf unsichere Flle der Bildgebung sowie des Tumormarkerspiegels. Zur Festlegung des weiteren Procederes sind Grunderkrankung, Leberfunktion (Child-Pugh-Score) und die Prognose (CLIP-Score) zu bestimmen. Die Bildgebung beim Einsatz interventioneller Techniken hat im wesentlichen drei Aufgaben: F F F
Sie bestimmt die Indikationsfrequenz des Verfahrens, ist fr die korrekte Plazierung der Katheter bzw. der Sonden sowie das Monitoring des Nekroseausmaßes verantwortlich.
In der Nachsorge bestimmen Sensitivitt und Spezifitt des bildgebenden Verfahrens einerseits die Lokation des Tumorrezidivs, andererseits … durch die entsprechenden Zeitintervalle … auch die Reinterventionsfrequenz. Die Diagnostik nach Therapieintervention wird mittels CT oder MRT zunchst 4…6 Wochen nach der Behandlung und im Anschlu zunchst 3monatlich bis zum Ende des 1. Jahres, danach in 6monatigen Intervallen angesetzt. Das Lokalrezidiv (Tumorpersistenz) ist vom lokoregionren Rezidiv infolge der Multizentrizitt abzugrenzen und wird als partielles Kontrastmittelenhancement im unmittelbaren Nekroseareal oder im peripheren Randsaum definiert. Die publizierten lokalen Rezidivraten um 3…10% (in Abhngigkeit von Tumorgre und Verfahren) berraschen u.a. auch deshalb, weil … trotz deutlich verbesserter Diagnostik … die Laparotomie oder Laparoskopie mit intraoperativem Ultraschall in 10…38% (Tait 2002; Wood 2000) zur Detektion neuer Herde fhrt. Darber hinaus finden sich in bis zu 12% ein vorher nicht bekannter extrahepatischer Befall (Wood 2000).
4 Lokoregiona¨re Therapieverfahren Bei der in ca. 80% zugrundeliegenden Zirrhose ist die eingeschrnkte funktionelle hepatische Reserve der limitierende Faktor fr die Resektion. Der
17
942
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Einsatz minimal-invasiver interventioneller Therapieverfahren stellt hier einen vielversprechenden Ansatz dar. Dabei berwiegen die Vorteile der geringen Morbiditt bzw. Mortalitt, die nahezu beliebige Reproduzierbarkeit auch bei deutlich eingeschrnkter Leberfunktion und die insgesamt deutlich geringeren Kosten. Als Nachteile bestehen eine meist fehlenden Mikround Makromorphologie sowie die vergleichsweise hohe lokale Tumorrezidivrate. Eher selten genannte zentrumsspezifische, aber nicht unwesentliche Faktoren stellen institutionelle Erfahrung, Verfgbarkeit der Verfahren und aus dem Kreis der Zuweiser deren Vorlieben sowie nicht zuletzt die Patientenakzeptanz dar. Neben der gngigen perkutanen Alkoholinstillation (PEI) und der transarteriellen Chemoembolisation (TACE) haben sich in den letzten Jahren vornehmlich thermoablative Verfahren wie Radiofrequenzablation (RFA) und laserinduzierte Thermotherapie (LITT) etabliert. Dies fhrte u.a. zur Ausweitung dieser Therapieoption auch in vormals klassisch kurativ chirurgische Indikationsbereiche (kleine, uni-/oligozentrische HCC) (Livraghi; Lencioni). Relative Indikation zu palliativen, lokaltherapeutischen Manahmen besteht bei Patienten mit inoperablem Primrtumor ohne Fernmetastasen, insgesamt reduziertem, aber noch ausreichendem Allgemeinzustand (Karnofsky-Index > 70) und ausreichender Leberfunktion ( Child B, Thrombozyten > 40 000). Die vergleichsweise hohe Lokalrezidivrate kann durch wiederholte Therapiesitzungen kompensiert werden. 4.1 Chemische Ablation Die perkutane Instillation von 90%igem Alkohol (PEI) ist das weltweit am hufigsten eingesetzte lokal ablative Verfahren bei malignen Lebertumoren (Livraghi; di Stasi 2001). Von der meist in Japan propagierten Injektion von 50% iger Essigsure (Huo) ist man in Europa … u.a. wegen der etwas hheren Komplikationsrate und der strkeren Schmerzen … abgekommen. Der Einsatz der PEI grndet sich auf folgenden berlegungen: F F
F F
80% der HCC werden in einem durch PEI angehbarem Stadium entdeckt. Es wchst regional und metastasiert relativ spt. Alkohol diffundiert ber Osmose in den Tumor und bewirkt dort eine Proteindenaturierung und Sklerosierung zu- und abfhrender Gefe. Darber hinaus ist eine dosisabhngige Induktion der Apoptose beschrieben (Galle 1997). Die Systemtoxizitt ist vernachlssigbar, eine Toleranzwirkung ist nicht bekannt. Alkohol diffundiert bevorzugt in den Tumor ohne relevanten Verlust funktionellen Lebergewebes.
17.5
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
943
Die Applikation erfolgt sonographiegesteuert in 90…96% (Livraghi). Die Gerinnungsparameter des Patienten sollten akzeptabel (Quick < 40%, Thrombozyten > 30 000 und PTT < 60 sec) sein. Nach der Punktion des Tumors mit einer Chiba- oder Spinalnadel werden 1…10 ml (z.T. auch bis zu 50 ml) Alkohol, je nach Tumorgre und Verteilung, injiziert. Die Injektion kann in Allgemeinnarkose als „single shot“ (bis zu 100 ml; Livraghi 1997), in der Regel aber in Lokalansthesie in 2- bis 3tgigen Abstnden bis zur vollstndigen Lyse des Tumors wiederholt werden. Hier sind im Mittel sechs bis sieben Sitzungen, u.U. aber auch bis zu 15 Behandlungen erforderlich (di Stasi 1997; Livraghi 2003). Bei Auftreten weiterer Tumoren knnen diese in derselben Weise behandelt werden. Erfolgskriterien sind Tumornekrolyse, Grenabnahme, Kapselbildung, Abfall der bzw. Normalisierung des AFP und zytologisch fehlender Nachweis von Tumorzellen. Schwere Komplikationen mit Todesflle nach Injektion von Alkohol sind eine Raritt. Berichtet werden regelmig lokale Schmerzen whrend der Injektion (< 20%) und Fieber (< 30%) sowie im Einzelfall Cholangitiden, Blutungen, Tumorruptur und Pfortaderthrombose (di Stasi; Livraghi). Die Erfolgsrate der PEI ist abhngig von der Tumorgre. Sie liegt bei Tumoren < 2 cm bei 90…100%, fllt aber ber 70% ( 3 cm) auf lediglich 50% bei 5 cm Tumorgre (Livraghi; Lencioni). Die PEI ist das weltweit am hufigsten eingesetzte Verfahren bei Tumoren < 3 cm und kann hier 5-Jahres-berlebensraten bis 54% vorweisen (Tabelle 5). Im Vergleich zu unbehandelten Patienten erreichen die PEI und Leberteilresektion bei Patienten vergleichbarer Tumor- und Child-Stadien eine signifikant hhere berlebensrate (Livraghi 1995). Die Langzeitergebnisse der PEI hngen vom Child- und Tumorstadium ab, bei PEI des kleinen HCC (< 3 cm) nhert sich mittlerweile die berlebenszeit derjenigen der Zirrhosepatienten ohne HCC an. Die 1-, 2-, 3-, 4- und 5-Jahres-berlebensraten erreichen 93%, 81%, 65%, 52% bzw. 28% in einer Studie, in der auch 20% Child-C-Patienten eingeschlossen waren (Ebara 1990). Die besten Ergebnisse werden bei Child-A-Patienten mit solitrem HCC < 3 cm (7-J.-LR 42%), mehreren HCC < 2 cm (10-J.-LR 42%) und solitrem HCC < 2 cm erreicht (10-J.-LR 66%) (Lencioni 1997; Shiina 1996). Aus Untersuchungen von Leberresektaten nach Vorbehandlung mit der PEI wei man, da in der histologischen Aufarbeitung nur in ca. 75% der behandelten Tumoren keine vitalen Tumorzellen mehr nachweisbar waren (Shiina 1991). Unter Bercksichtigung dieser Angaben fllt die Lokalrezidivrate mit 4…15% (Ebara; Shiina; Livraghi) eher gering aus. Demgegenber liegt die lokoregionre Rezidivrate nach 5 Jahren bei 64…100% (Shiina; Lencioni; Livraghi; Tanikawa) vergleichsweise hoch und spiegelt die Karzinogenese der vorgeschdigten Leber wider.
17
944
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
4.2 Transarterielle Embolisation (TAE, TACE) Die transarteriellen Embolisationsverfahren mit (TACE) und ohne Chemotherapie (TAE) leiten ihre Bedeutung aus der berwiegend (ca. 80…90%) arteriellen Versorgung der Lebertumoren ab. Als Embolisationsmaterial werden meist Mikrosphren oder LipiodolJ (iodierte lemulsion) verwendet. Geringgradige Nebenwirkungen wie Fieber (95%) und abdominelle Schmerzen (ca. 60%) sind deutlich hufiger als nach PEI anzutreffen. Als Kontraindikationen gelten Pfortaderthrombose und eingeschrnkte Leberfunktion (> Child B), wenngleich auch Applikationen bei bekannter Pfortaderthrombose ohne erhhte periinterventionelle Komplikationsrate durchgefhrt wurden (Yamada). Eine krzlich publizierte Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien konnte jetzt erstmalig fr die transarterielle Embolisation einen Vorteil gegenber dem konservativen Management bei irresektablen HCC zeigen (Llovet). Trotz bekannter Vorbehalte im Studiendesign und unterschiedlicher Effekte auf die Tumorprogression kann die TACE (gegenber TAE) jetzt als primre Therapie maligner Lebertumoren im palliativen Stadium angesehen werden. Der Erfolg dieser Therapie hngt vermutlich auch eng mit der Aufnahme des LipiodolJ in den Tumor zusammen (Maki 1985). Europische Ergebnisse suggerieren eine 2-Jahres-berlebensrate um 24…63% (Tabelle 6), kumulative 1- bis 5-Jahres-berlebensraten bei 1310 japanischen Patienten (1977…89) nach TACE liegen bei 51%, 28%, 13%, 8% und 6% (Yamada). Darber hinaus zeigte sich die mgliche Bedeutung einer adjuvanten TACE durch ein verbessertes berleben zwischen 1 und 4 Jahren nach Resektion (Yamada). Vielversprechender erscheinen aber neoadjuvante Anstze im Rahmen der Lebertransplantation, da die TACE hier eine lebensverlngernde Manahme darstellt und neben der Palliation auch zur Kandidatenselektion fr die potentiell kurative Transplantation dienen kann (Graziadei 2003). Tabelle 6. Ein-, 3- und 5 J. U¨berlebensrate nach Radiofrequenzablation (RFA) bei HCC Autor
Jahr
n
1-J-U¨LR (%)
Rossi et al.
2000
39
94
Choi et al.
2004
45
82
Giovanni et al.
2003
53
Fontana et al.
2002
33
Guglielmi et al.
2003
53
87
Buscarini et al.
2001
88
89
3-J.-U¨LR (%)
5-J.-U¨LR (%) 40
54 57 58 45 33
17.5
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
945
4.3 Lokale thermoablative Verfahren Allen Verfahren liegt die Proteindenaturation infolge Gewebskoagulation bei Temperaturen zwischen 60 und 140 C zugrunde. Damit einhergehend sind physikalische Reaktionen mit Vaporisation bei 100…300 C sowie Karbonisation bei 300…1000 C. Dabei entscheiden im wesentlichen die Leberperfusion (Konvektion) und die Bindegewebskonsistenz (Konduktion) ber das Ausma der Gewebezerstrung. Mit einem Temperaturabfall ist besonders in der Nhe groer Gefe („heat sink effect“) zu rechnen und ist u.a. fr die Rezidivrate mit verantwortlich. Dieser Effekt ist im normalen Lebergewebe ausgeprgter als im tumorsen Gewebe. Umgekehrt kann durch Okklusion groer Gefe (Ballonblockade der Pfortader oder Pringle-Manver) das Nekroseausma betrchtlich (max. 11 cm) vergrert werden (Rossi 2000). Derzeit werden u.a. auch immunologische Aspekte (Expression von Tumorantigenen, Antikrperreaktion) diskutiert, die im Tiermodell einen Vorteil thermoablativer gegenber operativ resezierenden Verfahren implizieren (Isbert 2002). Nahezu alle Verfahren knnen sowohl perkutan als auch offen oder ber den laparoskopischen Zugang zum Einsatz gebracht werden. Problematisch bei der Einschtzung der Ergebnisse lokal thermoablativer Verfahren sind ihre Heterogenitt bezglich Indikationsstellung, Tumorgre und Leberfunktion, Unvollstndigkeit der Nachuntersuchungen und des Nachbeobachtungszeitraums, der Einsatz von Therapiekombinationen sowie Modifikationen der Chemotherapie. In der Konsensus-Konferenz der EASL wurden minimal-invasive Verfahren (PEI, indirekt auch RFA und LITT) als potentiell kurative Verfahren bei HCC in einer Gre < 3 cm anerkannt (Bruix 2001). 4.3.1 Radiofrequenzablation (RFA)
Die Radiofrequenzablation ist das am zweithufigsten eingesetzte lokal ablative Verfahren an der Leber. Hier existieren mittlerweile eine Vielzahl von Nadelsystemen unterschiedlicher Lnge (3…7 cm) und Form (gerade [Einzel-, multiple Nadelsysteme] oder schirmfrmig [J-frmig, U-frmig aufgespreizte Nadeln]), mit und ohne Wasserkhlung. Neben der einfachen Handhabung hat die RFA gegenber der PEI den Vorteil, auch Herde > 3 cm erfolgreich therapieren zu knnen. Die RFA erreicht durch Radiofrequenzwellen (480…500 kHz) eine molekulare Reibung und damit Erwrmung des Gewebes auf Temperaturen um 80…115 C. Zur Erzielung eines ausreichend groen Nekrosevolumens (2…6 cm) mu eine Verkohlung verhindert werden. Dies gelingt durch interne/externe Khlung der Elektrode oder Ausfahren von einzelnen Sonden sowie Impedanzmessung des Gewebes.
17
946
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 7. Ein- und 5-J.-U¨berlebensrate nach transarterieller Chemoembolisation/Embolisation (TAE/TACE) Behandlung
Patienten (n)
1-J.-U¨LR (%)
2-J.-U¨LR (%)
TACE mit Cisplatin
37
51
24
–
Embolisation
37
75
50
–
TACE mit Adriamycin
40
82
63
Autor Pelletier et al. – Llovet et al.
Die Mikrowellenkoagulation basiert auf einem hnlichen Prinzip bei einer krzeren Wellenlnge um 2,450 MHz und einer Nekrosezone von 1,5…2,5 cm (Shibata 2002). Die Komplikationsrate des Verfahrens liegt bei einer Mortalitt < 0,5% (Livraghi 2003) und einer Morbiditt um 9…12,7% (Llovet, Curley 2000). Vor allem bei subkapsulren Lsionen und bei entdifferenzierten Tumoren ist mit einer hheren Wahrscheinlichkeit von Tumorrupturen und Darmlsionen mit sekundrer Peritionitis (Letalitt bis 30%, Livraghi), aber auch mit Stichkanalmetastasen (0,2…12%) und beschleunigter Progression des Tumors zu rechnen (Llovet, Goldberg 2001, De Sio 2001). Das Ziel einer kompletten Nekrose des Tumors gelingt tumorgrenabhngig bei < 3 cm in 91…100% der Flle, bei 3…5 cm in 75…88% und bei > 5 cm in nur 36…57% (Ruzzente; Guglielmi 2003). Demzufolge schwanken die primren Lokalrezidivraten (d.h. Tumorpersistenz) erwartungsgem … je nach Analyseverfahren … zwischen 1,8 und 28% (Curley; Rossi; Wood 2000; Choi 2004) und liegen damit etwas unter den Rezidivraten bei Lebermetastasen (bis 55%) (Solbiati 2001). Die 1-, 3- und 5-Jahres-berlebensraten bei Tumoren > 3 cm liegen derzeit bei 89…94%, 45…54% sowie 33…40% (Tabelle 7). Im Vergleich der populrsten lokal ablativen Verfahren hat sich die RFA gegenber der PEI in bezug auf die Behandlungsfrequenz (1,2 [RFA] vs. 4,8 [PEI]), die lokale Tumorkontrolle (100% [RFA] vs. 94% [PEI]) und die rezidivfreie 2-Jahres-berlebensrate (96% [RFA] vs. 62% [PEI]) als signifikant berlegen erwiesen (Lencioni). Auch mehren sich die Anzeichen, da die lokale Tumorkontrolle und damit die Rezidivrate nicht nur von der Tumorgre, sondern auch vom Zugangsweg (offen/laparoskopisch > > perkutan) bestimmt wird (Kushinoff u. Ota 2002; Curley 2000).
17.5
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
947
4.3.2 Laserinduzierte Thermotherapie (LITT)
Der erste Lasereinsatz wurde 1983 von Bown beschrieben. Das Ausma der Gewebszerstrung richtet sich nach der Leistung der Laserquelle, dem Leitungsfasertyp und dem Durchmesser des Leiters. Verwendung findet in der Regel ein Neodym-Yttrium-Aluminium-Laser mit einer Wellenlnge um 850…1064 nm, dessen Licht durch fiberoptische Leiter zum Ziel gebracht wird. Moderne Applikatoren besitzen ein H2OKhlsystem, das die unmittelbare Oberflchentemperatur reduziert und dadurch hhere Leistungsspitzen bis 35 Watt erlauben, die unmittelbare Karbonisation an der Laseroberflche verhindern und damit das Temperaturmaximum tiefer in das Lebergewebe hinein verlagern. Wie auch bei der RFA knnen gleichzeitig mehrere (bis zu 5) Systeme eingebracht werden. Die Katheter werden in der Regel CT-gesteuert plaziert, das Monitoring erfolgt anschlieend durch den Signalintensittsverlust einer thermosensitiven „gradient-echo“-MR-Bildgebung. In einer Untersuchung von Vogl et al. (2002) lag bei 899 Patienten und 2132 LITT-Applikationen die Major-Komplikationsrate bei 2% (u.a. Exitus letalis [n = 3] und hepatische Abszesse [n = 15]), die Minor-Komplikationen mit Schmerzen und Fieber bei 12…27%. In der grten Studie wurden 74 Patienten mit einem histologisch gesicherten HCC eingeschlossen (Pacella). Bei einem mittleren Tumordurchmesser von 2,4 cm und einer Tumorresponserate von 97% zeigt sich eine der PEI und RFA vergleichbare 3- bzw. 5-Jahres-berlebensrate von 68 und 15% (Child A: 73% [3 J.], 31% [5 J.], Child B: 68% [3 J.], 0% [5 J.]). 4.3.3 Kryotherapie
Das Prinzip der Kryotherapie beruht auf der Zelldestruktion durch abgekhlten Flssigstickstoff. Innerhalb des Tumors werden dabei Temperaturen bis zu …190 C erreicht. Das Verfahren ist jetzt auch perkutan durchfhrbar und das Resultat in der MR als gut abgrenzbarer „Eisball“ leicht zu erkennen. Der klinische Stellenwert als Einzeltherapie oder in der Kombination mit der TACE ist noch unklar (Clavien 2002; Tacke u. Adam 1990). Im Vergleich zur PEI, RFA oder LITT hat sich die Kryotherapie zahlenmig bisher nicht vergleichbar durchsetzen knnen. Zwar gestattet sie im Vergleich deutlich grere Ablationsvolumina, die sich sonographisch intraoperativ auch besser darstellen lassen, doch wurde in der grten publizierten Serie im Vergleich zur RFA eine mehrfach hhere Tumorrezidiv- (13,6 vs. 2,2%) und Komplikationsrate (40,7 vs. 3,3%) beschrieben (Zhou u. Tang).
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
4.4 Strahlentherapie Der Einsatz der externen Strahlentherapie hat derzeit infolge der relativen Strahlenresistenz bei malignen Lebertumoren auerhalb von Studien keinen Platz. Whrend die Bestrahlung der gesamten Leber und die Induktion einer Strahlenhepatitis bei 25…35 Gy ber 3…4 Wochen eine sinnvolle Schmerztherapie darstellen kann, lt sich mit hheren Dosen um (50 bis 60 Gy) lokalisiert ein Hepatom ber 5…6 Wochen kontrollieren (Nagashima 1989 ). Die Strahlentherapie wird gelegentlich auch in Kombination mit der TACE eingesetzt. Eine Kombinationsbehandlung der TACE mit einer externen Strahlenbehandlung (48 Gy) zeigte in 78% der Patienten eine partielle Remission mit einem 1-, 3- und 5-Jahres-berleben von 87%, 43% und 35% bei Child-A- und -B-Patienten und damit ein signifikant besseres berleben als nach alleiniger TAE (Ohto 1995). Darber hinaus existieren auch anekdotische Berichte bzw. Angaben zur neoadjuvanten kombinierten externen Bestrahlung (21…28 Gy), internen Bestrahlung (131J-markiertes anti-polyklonales Ferritin-Immunoglobulin) und Chemotherapie (5-FU/Adriamycin) mit anschlieender Chirurgie (Sitzmann u. Abrams 1993). Die Ergebnisse berraschen mit einer 5-Jahres-berlebensrate von 48% und damit der alleinigen Chirurgie vergleichbaren Ergebnissen. 4.5 Kombinierte Behandlungsverfahren Zur Reduktion der hohen lokalen Rezidivrate bestand schon frh die Idee, durch Kombination komplementrer lokaler Therapieverfahren einen Wirksynergismus herbeizufhren. Im Mittelpunkt standen dabei meist die Embolisationsverfahren (TAE/TACE), die neben einer Ischmieinduktion auch eine lokale Tumordestruktion bewirken und damit als additive Verfahren die lokale Toxizitt und Destruktionsfhigkeit verstrken. Wenngleich bereits nahezu alle Verfahren bereits in Kombination untersucht wurden (Qian), soll hier auf die gngigen Verfahren (TACE + Chirurgie/ PEI/RFA/LITT) eingegangen werden. TACE und Chirurgie: Die Kombinationsbehandlung von TACE und Chirurgie lt einen additiven Effekt, bezogen auf Leberregeneration und Tumorrezidivrate, annehmen. Dennoch konnten die bisherigen Ergebnisse zur Resektion (Zhang) und Transplantation (Veltri 1998) dies nicht besttigen. Als nachteilig gilt die Verzgerung zur definitiven chirurgischen Behandlung und das Leberversagen (Huang 2000; Wu 1995). Ist jedoch eine Wartephase unausweichlich … wie bei der Planung zur Transplantation …, knnte sich die TACE als prognostisch relevanter „Selektionsmarker“ fr oder gegen eine Transplantation erweisen (Graziadei 2003).
17.5
Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
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TACE und PEI: Sinn des kombinierten Einsatzes ist die Induktion einer par-
tiellen Ischmie mit bereits zerstrten tumoralen Septen und einer durch TACE hufig induzierten fibrsen Wandbildung (Lencioni 2001). Dies verbessert die Alkoholdiffusion und -retention und erlaubt damit erstmals auch eine Indikationserweiterung auch auf Tumoren > 3 cm. In einer vergleichenden Studie bei fortgeschrittenen Tumoren (multiple Lsionen, Gefeinbruch) konnte die 5-Jahres-berlebensrate von 22% [TACE] auf 50% [TACE/PEI] gesteigert werden (Kamada 2002; Yamamoto 1997). Vorteile knnen darber hinaus bei solitren und enkapsulierten HCC (Okuda I/II, AFP < 100ng/ml), kompensierter Zirrhose und fehlender Pfortaderthrombose vermutet werden (Livraghi 2001; Lencioni 1998). TACE und RFA: Die Ischmieinduktion durch die TACE hat eine substantielle Vergrerung des Nekroseareals bei RFA zur Folge (Buscarini 1999; Bloomston 2002; Kurokochi 2002). Unter der Vorstellung einer verbesserten Tumorkontrolle resultierte dies in einer signifikant verbesserten 1-Jahres-berlebensrate (100% [TACE/RFA] vs. 67% [TACE], p < 0.05) und Gesamtberlebenszeit (25,3 15,9 Mo. [TACE/RFA] vs. 11,4 7,3 Mo. [TACE], p < 0.05). Auerdem ist die RFA prinzipiell als ergnzendes Verfahren nach TACE bei nicht vollstndig kontrolliertem oder erneut progredientem Tumor denkbar (Nicoli 2001). TACE und LITT: TACE und LITT sind komplementre Verfahren bei der Behandlung des HCC. LITT bietet sich Therapieergnzung an, um das durch TACE geschdigte Areal zu limitieren (Pacella 2001). Bei kombinierter Anwendung (Qian 2003) lag das kumulative berleben nach 1, 2 und 3 Jahren bei 92%, 68% und 40%.
Die publizierten Ergebnisse beziehen sich ausnahmslos auf retrospektive Daten und erlauben keine abschlieende Wertung kombinierter Therapieverfahren. So ist zwar ein additiver Effekt auf die lokale Tumorkontrolle zu vermuten, inwiefern dies jedoch zu einer Verbesserung des berlebens fhrt, ist fraglich. Unter Umstnden ist sogar mit einer Erhhung der Komplikationsrate (Tumorprogression, Tumorruptur, Leberversagen) zu rechnen.
5 Zusammenfassung Bei den lokal ablativen Manahmen handelt es sich um Paradebeispiele vorzeitig eingefhrter Therapieverfahren infolge fehlender Behandlungsalternativen bei gleichzeitig forcierter industrieller Vermarktung. Die derzeitigen retrospektiven Angaben erscheinen nur bedingt geeignet fr Schlufolgerungen in bezug auf eine Verbesserung der berlebenszeit (Llovet).
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Eine sorgfltige Analyse und Wertung der Daten ist infolge von heterogener Patientenpopulation, Abhngigkeit von Tumorstadien mit und ohne Leberfunktionsstrung, differierender Bildgebung sowie Vermischung von Einfach-, Mehrfach-, sequentieller und Kombinationsbehandlung nicht mglich und durch hufig zu kurze Nachbeobachtungszeitrume in der Aussage noch weiter reduziert. Versucht man ein Resmee zum Einsatz lokoregionrer Therapieverfahren, kann man folgende Ergebnisse subsumieren: F
F
F
F
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F
Die optimale Behandlung des HCC stellt eine anspruchsvolle, interdisziplinre Aufgabe dar, die im Rahmen eines Tumorboards, unter Beteiligung von Hepatologen, interventionell ttigen Gastroenterologen/ Radiologen sowie Chirurgen durchgefhrt werden soll. Ziel ist es, die Komplexitt des Krankheitsbildes mit der gebotenen Przision darzustellen und einer suffizienten Behandlung zuzufhren, die die derzeit beste externe Evidenz mit der individuellen patientenspezifischen Situation in Einklang bringt. Die Prognose wird im Stadium Child A in erster Linie durch die Tumorlast, in hheren Stadien durch die Leberfunktion bestimmt. Der CLIPScore wird von der Konsensuskonferenz der AHBPS/AJCC als Referenzscore angesehen. Die chirurgische Resektion ist weiterhin das Verfahren der Wahl bei resektablen Tumoren und ausreichender Leberfunktion. Es knnen 5-Jahres-berlebensraten von z.T. > 50% erzielt werden. Bei einer Leberfunktionsstrung (> Child A) bieten sich … in Abhngigkeit vom Tumorstadium … lokoregionre Therapieverfahren oder alternativ die Transplantation an. Derzeitige Daten suggerieren eine Vergleichbarkeit interventioneller mit chirurgischen Verfahren. Bei Einsatz lokoregionrer Manahmen erfolgt regelhaft weder eine konsequente histolologische Sicherung, noch wird die Mglichkeit einer falsch negativen Bildgebung fr eine Stadienmigration bercksichtigt. Neuere experimentelle Daten betonen nach thermoablativen Verfahren ein verzgertes Tumorwachstum (Isbert) und postulieren ein verbessertes berleben aufgrund einer Produktion spezifischer Antikrper. Die lokoregionren Therapieverfahren knnen in Embolisationsverfahren, chemische und thermische Ablationsverfahren unterteilt werden. … Sie liegen mit einer Mortalitt < 1% sowie einer Morbiditt < 35% deutlich unter den Werten operativer Verfahren. … Die lokoregionren Therapieverfahren erreichen … in Abhngigkeit von der Tumorgre und der Leberfunktion … ein 5-Jahres-berleben bis 50%.
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Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
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… Von den lokoregionren Verfahren wurde lediglich fr die Embolisationsverfahren (TACE/TAE) in einer Metaanalyse einen berlebensvorteil gegenber der alleinigen Beobachtung nachgewiesen. Das Verfahren kann komplementr mit PEI, RFA oder der LITT eingesetzt werden und eignet sich darber hinaus als Selektionsmarker fr die berbrckung von Patienten mit HCC auf der Warteliste zur Transplantation. … Die Rezidivrate weist signifikante Unterschiede in Abhngigkeit von dem gewhlten Verfahren (PEI, LITT, RFA), dem gewhlten Zugang (perkutan > laparoskopisch > offen) und der Tumorgre (> und < 4 cm) sowie der Tumorart (Lebermetastasen > HCC) auf. … Die PEI ist nur fr Tumoren < 3 cm einsetzbar, die RFA und die LITT knnen bei groen Sondensystemen oder Mehrfachapplikatoren auch fr Herde um 5 cm zum Einsatz gebracht werden. … Die Kombinationsverfahren (d.h. TACET) vergrern die Nekrosezone und erhhen u.U. die Komplikationsrate. … Die Wiederholbarkeit aller interventionellen Verfahren kompensiert fr die eingeschrnkte Tumorkontrolle (lokale und lokoregionre Rezidivrate). … Es ist zu diskutieren, inwiefern das Auftreten neuer Lsionen den natrlichen Verlauf der Erkrankung (Tumorprogression) reflektieren.
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Abb. 1. Therapiealgorithmus zur Behandlung des hepatozellula¨ren Karzinoms (nach Llovet et al., Hepatology)
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… Auch die Kosten der Leberresektion mit (ca. Q 4200…7700) oder Transplantation (Q 19 000…62 000) werden der interventionellen Behandlung mit TACE, RFA (ca. Q 3400) oder PEI (ca. Q 1000 [italienische Angaben]) gegenbergestellt und mssen bercksichtigt werden. … Ein mglicher Therapiealgorithmus zum Einsatz von lokoregionren Therapieverfahren wurde von Llovet et al. (1999) vorgestellt und kann als Leitlinie in der Behandlung des HCC dienen (Abb. 1).
6 Ausblick Erste Schritte zur begrifflichen Klarstellung von Lokalrezidivrate, lokoregionrem Rezidiv und der Analyse von Rezidivrate/behandelte Lsion vs. Rezidiv/Patient wurden gemacht, andere, wie Tumorkontrolle und die Abgrenzung von Tumorpersistenz und Lokalrezidiv, stehen aus. Fr eine przisere Beurteilung der verwirrenden Vielfalt interventioneller Therapieverfahren an der Leber, die sich z.T. mit Chemotherapien und anderen experimentellen Therapieverfahren (z.B. Immuntherapien/Gentherapien) berlappen, ist aber gerade diese Begriffsdefinition wichtig. Dies ist um so mehr von Bedeutung, da bei stetiger Entwicklung der Verfahren weiter eine Verschiebung des Gewichts traditioneller Endpunkte wie Gesamtberlebensrate hin zum Surrogatmarker „lokalrezidivfreies berleben“ zu fordern ist. Um zu einer vernnftigen Therapierationale fr Patienten mit hepatozellulrem Karzinom zu gelangen, erscheint eine weitere Zentrierung oder zumindest Anbindung an Kliniken, die die gesamte Breite der therapeutischen Manahmen anbieten, sinnvoll. Mittelfristig ist zu hoffen, da sich das Augenmerk von Studien weniger auf Verfahrenserweiterungen, sondern vielmehr auf die Reduktion ineffizienter Behandlungsverfahren richten wird. Literatur American Joint Committee on Cancer (2002). Liver 14:131…138 Arii S, Yamaoka Y, Futagawa S et al (2000) Results of surgical and nonsurgical treatment for small-sized hepatocellular carcinomas: a retrospective and nationwide survey in Japan. Hepatology 32:1224…1229 Bismuth H, Chiche L, Adam R et al (1993) Liver resection versus transplantation for hepatocellular carcinoma in cirrhotic patients. Ann Surg 218:145…151 Bloomston M, Binitie O, Fraiji E et al (2002) Transcatheter arterial chemoembolization with or without radiofrequency ablation in the management of patients with advanced hepatic malignancy. Am Surg 69:827…831 Bruix J, Sherman M, Llovet JM et al (2001) EASL Panel of Experts on HCC. Clinical management of hepatocellular carcinoma. Conclusions of the Barcelona-2000 EASL conference. European Association for the Study of the Liver. J Hepatol 35:421…430
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Lokoregiona¨re Therapie von prima¨ren Lebertumoren
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17.6 Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen J. Schirren, T. Muley, S. Trainer, C. Trainer, O. Rick, I. Vogt-Moykopf
1 Einleitung Im Sektionsgut der an malignen Tumoren verstorbenen Patienten findet sich bei bis zu 30% eine Metastasierung in die Lunge (Willis 1967). Gilbert und Kagan (1976) fanden bei mehr als 20% der Patienten eine Metastasierung, die auf dieses Organ beschrnkt war. Nierenzellkarzinome, Hodentumoren und Mammakarzinome haben eine besondere Tendenz der Metastasierung in die Lunge. Fr Osteo- und Weichteilsarkome ist sie hufig das einzige Organ (Roth 1985). Die Resektion von Lungenmetastasen ist heute ein standardisiertes Therapiekonzept und bereits in vielen thoraxchirurgischen Zentren etabliert. In der Regel sind die Metastasen mit einer niedrigen Morbiditt und Letalitt technisch gut resezierbar. Allerdings sind lediglich 30% der Patienten mit einer Lungenmetastasierung fr eine Resektionsbehandlung geeignet. Selektionskriterien fr dieses Therapiekonzept lassen sich nur in einer engen interdisziplinren Zusammenarbeit zwischen Thoraxchirurgen, Onkologen und Strahlentherapeuten entwickeln. Das Hauptproblem der Metastasenchirurgie besteht darin, da mit lokalen chirurgischen Manahmen eine generalisierte Erkrankung therapiert werden soll.
2 Historie Die Anfnge der Metastasenchirurgie am Thorax reichen weiter zurck als diejenigen der Resektion von Bronchialkarzinomen. 1855 fhrte Sedillot die erste Metastasektomie durch, gefolgt von Weinlechner (1882) und Krhnlein (1884), die eine Sarkommetastase an der Brustwand resezierten. Rpke (1937) nahm 1921 die ersten Resektionen einer Metastase eines Mammakarzinoms ber Lobektomie vor. Divis (1927) resezierte eine Solitrmetastase eines Weichteilsarkoms. Barney und Churchill publizierten 1939 das erste Langzeitberleben nach Resektion einer Solitrmetastase eines Nierenzellkarzinoms. Der Patient verstarb 23 Jahre spter, tumorunabhngig. Alexander und Haight (1947) stellten spter grere Patientenkollektive vor. Kelly und Langston (1956) berichten ber mehr als 100 Patienten mit resezierten Lungenmetastasen in einer weltweiten Sammelstatistik. Parallel zur Entwicklung der Resektion von Bronchialkarzinomen wurden die Lungenmetastasen im Operationsprogramm der Thoraxchirurgie aufgenommen. Thomfold (1965) berichtet ber 205 operierte Patienten an der Mayo-Klinik.
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
959
Von Merkle et al. (1987) wird die Zahl der weltweit vorgenommenen Resektionen auf ber 10000 geschtzt. Pastorino et al. (1997) berichten von den Ergebnissen des 1991 gegrndeten International Registry of Lung Metastasis. Dieses Register hatte sich zur Aufgabe gemacht, multizentrisch prognostische Faktoren und Leitlinien zur Lungenmetastasenchirurgie zu erstellen. Whrend nmlich die technischen Probleme der Metastasenchirurgie weitgehend gelst erscheinen, besteht hinsichtlich der Indikation und der Grenzen der operativen Eingriffe weiterhin Unsicherheit. Dies resultiert aus unvollstndigen Kenntnissen der Metastasierungswege und Muster und birgt immer die Gefahr der ber- und Unterbehandlung (Vogt-Moykopf et al. 1986a, b).
3 Therapiestrategie 3.1 Prinzipien der Metastasenchirurgie In der Tumorpathologie bedeutet Metastasierung (griechisch: metastasis = Wanderung) ein komplexes Geschehen, das zu sekundren (vom Primrtumor ausgehenden) oder tertiren (von sekundren Absiedlungen ausgehenden) Absiedlungen von Tumorzellen in benachbarte oder entfernte Organe fhrt. Am weitaus hufigsten erfolgt die Metastasierung ber die Lymphund Blutbahnen (Mller u. Respondek 1990). Die Metastasenbildung vollzieht sich dabei ber vier Stadien: Mit der Invasionsphase, der Embolisationsphase, der Tumorimplantation und der Entwicklung der Tumormetastase im Stadium IV ist damit insgesamt ein Durchdringen von Endothel-/ Basalmembranstrukturen und ueren Gefwandschichten notwendig. Das Angehen und die Entwicklung von Metastasen ist weiter abhngig von der Ausbildung neuer Blutgefe (Neoangiogenese, Tumorangiogenesefaktor) und der allgemeinen Stoffwechselsituation im jeweiligen Organ (Mller u. Respondek 1990). Entsprechend der Metastasierungstheorie von Walter (1948) und der Kaskadentheorie von Bross und Blumenson (1976) vollzieht sich die Metastasierung schrittweise je nach venser Drainage und Lymphdrainage in Abhngigkeit vom Primrtumorsitz und von seiner Beziehung zum Filterorgan. Fr die chirurgische Resektionsbehandlung kann die Unterscheidung zwischen kavalem und portalem Metastasierungsweg mit Metastasenbefall von Lunge bzw. Leber als erstem Filterorgan von entscheidender therapeutischer Bedeutung sein. Die generalisierte, periphere Metastasenaussaat vollzieht sich im zweiten Schritt nach erfolgter Absiedlung in die vorgeschalteten Filter. Leber und Lunge sind Schlsselorgane. Hier findet die Selektion von Tumorzellen statt, die dann zur weiteren Metastasierung befhigt sind (Fidler u. Hart 1981). Eder (1984) konnte dieses theoretische Konzept anhand von Autopsiestudien belegen. Die Metastasenchirurgie unter potentiell kurativer Ziel-
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960
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Prozentualer Anteil einer zusa¨tzlichen lymphogenen Metastasierung bei operierten Patienten mit Lungenmetastasen (Schirren et al. 1998) Anzahl (n)
n
%
Hodenkarzinom
115
9
7,8
Mammakarzinom
96
16
23,2
Kolorektales Karzinom
105
20
19
Nierenzellkarzinom
119
31
26,1
Knochensarkom
83
3
3,6
Weichteilsarkom
88
9
10,2
Melanom
25
3
12
Karzinome (gesamt)
529
91
17,2
Sarkome (gesamt)
171
12
7
Gesamt
706
103
14,6
richtung sollte daher mit lokalen chirurgischen Manahmen am Filterorgan Lunge erfolgen. Mit einer kompletten Metastasenresektion soll einer weiteren Metastasierung in andere Organe vorgebeugt werden. Die Metastasierung vollzieht sich nicht nur hmatogen, sondern auch lymphogen. In Tabelle 1 ist die Hufigkeit der lymphogenen Metastasierung in Abhngigkeit vom Primrtumor dargestellt. Der Entstehungsmechanismus von intrathorakalen Lymphknotenmetastasen kann folgendermaen erklrt werden: Es findet ein direkter Einbruch der Lungenmetastase in die verschiedenen Lymphbahnen der Lunge statt. Dies knnen potentiell alle hmatogen entstandenen Lungenmetastasen. Mammakarzinome, HNO-Tumoren knnen ber direkte Lymphbahnen des Primrtumors in Brustwand, Pleura und Mediastinum metastasieren. Fr die Tumoren unterhalb des Zwerchfells kann durch Reflux aus dem Ductus thoracicus die Metastasierung eingeleitet werden. Dies zeigt, da sich die Metastasierung nicht nur auf hmatogenem, sondern sehr wohl auch auf lymphogenem Weg vollzieht. Das Behandlungskonzept der Metastasenchirurgie am Ort des ersten Generalisationsorgans (Lunge, Leber) sollte derzeit nach denselben chirurgischen Strategien vorgenommen werden, wie sie auch fr die Resektion des Primrtumors gelten, und zwar die komplette Resektion der Metastasen, ergnzt durch eine systematische Lymphknotendissektion.
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
961
3.2 Interdisziplina¨re Zusammenarbeit Die Operationsfrequenz von Lungenmetastasen einiger Primrtumoren ist merklich angestiegen. Die Optimierung der Chemotherapie hat zu einer Erweiterung der Indikationsstellung der zu operierenden Metastasen gefhrt. Nicht nur Solitrmetastasen, sondern auch Mehrfachmetastasen, uni- und bilateral lokalisiert, sowie rezidivierende Metastasen lassen sich kombiniert onkologisch-thoraxchirurgisch sinnvoll behandeln. Die Resektion multipler und auch zentral gelegener Metastasen lt sich parenchymsparend durch die neuen laserchirurgischen Manahmen vornehmen (Branscheid et al. 1992). Die 5-Jahresberlebensraten nach Resektion solitrer und multipler Metastasen unterscheiden sich nicht signifikant voneinander (Martini et al. 1974; Morton et al. 1973; Vogt-Moykopf et al. 1994). Neue Erkenntnisse fhren zu stetig sich ndernden Lehrmeinungen zur optimalen Behandlung fr die Lungenmetastasen. Die meisten Patienten sind durch eine Chemotherapie allein nicht heilbar. Die komplette chirurgische Resektion ist hufig die einzig potentiell kurative Behandlung (Roth 1985). Radiotherapie und Chemotherapie kommen als adjuvante Therapieverfahren in Betracht. Eine Ausnahme bilden die Hodenkarzinome und die Osteosarkome, bei denen eine hochpotente Chemotherapie zur Verfgung steht. In diesen Fllen kommt nach der vorgenommenen Chemotherapie die Chirurgie als adjuvante Therapieform zur Anwendung, da die Residuen aus dem Lungenparenchym reseziert werden sollen. Bei pulmonalen Metastasen von Nierenzellkarzinomen und Melanomen stehen derzeit keine Chemotherapieplne mit adquater Ansprechrate zur Verfgung. In diesen Fllen kann jedoch eine kurative Behandlung mit einer kompletten Resektion der Metastasen mglich sein. Bei kolorektalen Karzinomen sollte berprft werden, inwieweit properativ Chemotherapie mit 5-Fluorouracil, Leucovorin oder Oxaliplatin appliziert wird. Bei der Resektion von Lebermetastasen hat sich nach den Erfahrungen von Giacchetti et al. (1999) die Kombination von Chemotherapie und Chirurgie als sehr effektiv dargestellt. Bei Weichteilsarkomen mu die Zweckmigkeit einer properativen Chemotherapie am Einzelfall entsprechend der individuellen Histologie diskutiert und entschieden werden. Demgegenber wird beim pulmonal metastasierenden Mammakarzinom immer zuerst eine Chemotherapie eingeleitet. Das grundstzliche Problem und der limitierende Faktor der Metastasenchirurgie ist das Vorhandensein properativ nicht nachweisbarer Mikrometastasen. Die Wahrscheinlichkeit einer zustzlichen Mikrometastasierung mu insbesondere bei Vorliegen multipler Metastasen als hoch eingeschtzt werden. Trotzdem kann eine Resektionsbehandlung sinnvoll sein, wenn sie mit einer effizienten Chemotherapie kombinierbar ist.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 2. Rationale zur Resektion von Lungenmetastasen bei verschiedenen Prima¨rtumoren Ziel der Resektion
Vorbehandlung mit Chemotherapie
Keimzelltumoren
Komplette Residualtumorund Teratomresektion – kurativ
+++
Osteosarkome
Komplette Residualtumorresektion
++
Weichteilsarkom
Kurativ
(+)
Kolon-/Rektumkarzinom
„Kurativ“ + Lebermetastasenresektion
+
Nierenzellkarzinom
Kurativ
– (+)
Mammakarzinom
Komplette Residualtumorresektion Ausschluß Zweittumor
++
Melanom
Fraglich kurativ Ausschluß Zweittumor
–
Fr die nicht chemotherapiesensiblen Tumoren hingegen ist die Resektion die einzige Therapiemglichkeit und bietet bei einer umschriebenen Metastasenanzahl auch Aussicht auf Kuration. Die Resektion multipler Herde mu allerdings meist als Palliativmanahme angesehen werden. Trotz des Vorhandenseins von Leitlinien in der Metastasenchirurgie der Lunge sollte der individuelle Fall in einem interdisziplinren Tumorkolloquium diskutiert werden. Nur so lt sich fr den einzelnen Patienten ein optimales Therapiekonzept erzielen (Tabelle 2).
4 Differentialdiagnose Lungenmetastase – prima¨res Lungenkarzinom Die Diagnose Lungenmetastase kann bei entsprechender Tumoranamnese meist anhand der radiologischen Kriterien gestellt werden. Diese Diagnose ist um so wahrscheinlicher, je grer die Anzahl der Rundherde in beiden Lungen ist. Ein singulrer Rundherd hingegen kann sowohl einer Lungenmetastase, einem primren Lungentumor als auch einem gutartigen Proze entsprechen. Literaturangaben zufolge liegt bei einem solitren Rundherd die Wahrscheinlichkeit fr das Vorliegen einer Lungenmetastase zwischen 1 und 80%, je nachdem, ob eine (extrathorakale) Tumoranamnese vorliegt oder nicht (Weiss u. Gilbert 1978). Cahan (1974) kam nach Auswertung einer retrospektiven Datenerhebung vereinfacht zu folgenden Schlufolgerungen: F
Bei Patienten mit einem extrapulmonalen Plattenepithelkarzinom als Primrtumor in der Anamnese entspricht ein singulrer Rundherd in der Regel einem unabhngigen Zweittumor der Lunge (primres Lungenkarzinom).
17.6 F
F F
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
963
Lag beim Primrtumor ein Adenokarzinom vor, so ist die Wahrscheinlichkeit einer Lungenmetastase gleichzusetzen mit der eines primren Lungenkarzinoms. War/ist der Primrtumor ein Sarkom oder Melanom, dann entspricht ein Lungenrundherd mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Metastase. Bei Patienten mit Lymphomanamnese und abgeschlossener, 10…20 Jahre zurckliegender Therapie handelt es sich bei Vorliegen eines Lungenrundherdes meist um ein primres Lungenkarzinom.
5 Symptome In der Lungenperipherie gelegene metastatische Herde sind meist asymptomatisch. Bei Verlegung zentraler Abschnitte des Tracheobronchialsystems oder bei ausgedehnter Metastasierung des Lungenparenchyms kann es zu Dyspnoe kommen. Bei endobronchial wachsenden Metastasen knnen die Patienten von Hustenattacken, Hmoptysen, und auch Fieber durch Retentionspneumonie geqult sein. Klinische Symptome treten auerdem bei Tumoreinbruch in das Bronchialsystem auf, z.B. Einbluten einer groen Metastase in das Lungenparenchym oder Durchbruch der Blutung in die Pleurahhle mit konsekutivem Hmatopneumothorax. Pltzlich auftretende thorakale Schmerzen sind ein Indiz fr einen Tumorbefall der Pleura parietalis oder tiefer gelegener Schichten der Thoraxwand. 6 Diagnostik Metastasenverdchtige Rundherde mit einem Durchmesser ber 1 cm lassen sich in der Regel radiologisch (Thoraxbersichtsaufnahme in zwei Ebenen) erfassen. Als nicht-invasive diagnostische Methode hat die Computertomographie (CT) die hchste Sensitivitt. Sie deckt noch kleinere und selbst pleuranah gelegene Herde auf. Die properative CT-Diagnostik ist von entscheidender Bedeutung fr die Ermittlung der Metastasenanzahl sowie deren spteres intraoperatives Auffinden. CT-Diagnostik sollte heutzutage in Spiraltechnik vorgenommen werden. Mittels Spiraltechnik lassen sich noch Herde mit einem Durchmesser von weniger als 4 mm mit hoher Sensitivitt und Spezifitt darstellen (RemyJardin 1993). Andererseits erschweren gerade diese kleinsten Herde, die in ihrer Bedeutung allerdings vielschichtig sein knnen, die Beurteilung der Rundherde und beeinflussen dadurch die Qualitt des properativen Stagings. Zum einen kann es sich um eine Metastase, zum anderen auch um ein Granulom, einen subpleural gelegenen Lymphknoten oder um ein kleinstes Gef handeln. Aus diesen Grnden ist die Durchpalpation der Lunge in belftetem und unbelftetem Zustand („intraoperatives Staging“) die zuverlssigste Methode, um diese Herde aufzufinden und sie anschlieend zu entfernen und zu beurteilen.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tatschlich entspricht nur bei 39% aller unserer Patienten die properativ ermittelte der tatschlich postoperativ besttigten Metastasenanzahl. Bei 38% wurden intraoperativ mehr, bei 23% weniger Metastasen gefunden, als properativ diagnostiziert wurden. Die intraoperative Palpation beider Lungen durch den Chirurgen ist zweifellos die sensitivste Methode der Metastasensuche (Schirren et al. 1994). Das properative Kernspintomogramm bringt fr diese Fragestellung zur Zeit keine Vorteile gegenber der SpiralCT-Technik. Allerdings ist die Kernspintomographie bei der Beantwortung operationstechnisch relevanter Fragestellungen, wie Infiltration zentraler Gefe, Vorhofinfiltration oder fraglicher Wirbelsulenbefall, der CT-Technik berlegen. Kavographie und Pulmonalisangiographie knnen in Ausnahmefllen weitere wichtige properative Aufschlsse bringen. Ein exaktes properatives Staging, welches insbesondere die Prdilektionsstellen der Metastasierung der verschiedenen Primrtumoren bercksichtigt, ist vor jeder Metastasenresektion obligat. Eine Abdomensonographie mit besonderer Bercksichtigung der Leber und der Nebennieren sowie ein Knochenszintigramm sind unverzichtbar.
7 Voraussetzung zur Metastasenresektion – Indikationen Heutzutage ist die frhere Forderung der radikalen Resektion des Primrtumors nicht mehr zwingend. Das Primrtumorgeschehen sollte unter Kontrolle sein. Gelegentlich kann eine symptomatische pulmonale Metastase (endobronchialer Tumorsitz, Brustwandinfiltration) eine dringlichere Operationsindikation darstellen als ein synchrones, aber asymptomatisches Primrtumorrezidiv. Dennoch gelten allgemein folgende Voraussetzungen zur Metastasenresektion: F F
Die Metastasen mssen lokal resektabel erscheinen. Das allgemeine und funktionelle Operationsrisiko mu vertretbar sein, der Primrtumor sollte behandelt bzw. behandelbar sein.
Das Vorhandensein weiterer extrapulmonaler Metastasen bedeutet nicht von vornherein eine Kontraindikation zum operativen Eingriff. Fr manche Tumoren ist die Resektionsbehandlung auch bei zustzlicher extrapulmonaler Metastasierung durchaus eine anerkannte Therapiemodalitt, insbesondere da durch Simultan- oder Konsekutiveingriffe dies nicht nur technisch durchfhrbar, sondern auch onkologisch vertretbar ist. Beispiele hierfr sind metastasierende Kolonkarzinome mit resektablen Lungen- und Lebermetastasen, metastasierende Hodentumoren mit ausgedehnter pulmonaler und retroperitonealer Metastasierung oder Metastasektomie der Lunge nach Resektion einer symptomatischen Hirnmetastase. Zum gegenwrtigen Zeitpunkt stellen diese sogenannten Mehrho¨hleneingriffe in der Metastasenchirurgie jedoch eher eine Ausnahme dar und sollten, bis
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
965
zum Erlangen sicherer Erkenntnisse ber ihre Wertigkeit, auch individualen Entscheidungscharakter behalten. Eine komplette Resektion der Metastase(n) kann potentiell kurativen Charakter haben. Die lokale Operabilitt mu demzufolge properativ feststehen. Selbstverstndlich mu das allgemeine individuelle Operationsrisiko im Verhltnis zum Krankheitsrisiko stehen. Den optimalen Zeitpunkt fr die Operation zu finden ist daher hufig schwierig. Eine sichtbare Metastasierung kann der Beginn einer diffusen Generalisation sein. Aus diesem Grund halten wir nach Erstdiagnose einer Lungenmetastasierung eine Beobachtungszeit von 2 Monaten prinzipiell fr notwendig und gerechtfertigt. Haben sich beim Restaging die Metastasen in ihrer Anzahl nicht und ihrer Gre nur unwesentlich gendert, ist die Operationsindikation gegeben. Mit diesem Vorgehen wird die Anzahl der Patienten, bei denen eine berbehandlung vorgenommen wird, gering gehalten. Es werden insgesamt folgende Indikationen unterschieden: F
F
F
F
Solita¨re Metastasen: Solitre Metastasen sind die klassische Indikation zur Operation, insbesondere dann, wenn keine sonstigen Therapiemglichkeiten bestehen (z.B. Nierenzellkarzinome). Bei Solitrherden besteht die Operationsindikation schon allein aus diagnostischen Grnden, um zwischen Metastase, benigner Vernderung und primren Bronchialkarzinom differenzieren zu knnen. Multiple Metastasen: Multiple Metastasen stellen prinzipiell keine Kontraindikation zur Resektion dar, limitierender Faktor ist die verbleibende Parenchymreserve. Bezglich der Langzeitergebnisse mu derzeit noch offenbleiben, bis zu welcher Metastasenzahl ein chirurgisches Vorgehen noch sinnvoll ist. Eine gute Prognose auch bei multipler Metastasierung zeigen insbesondere die chemotherapiesensiblen Tumoren (z.B. Osteosarkome, Hodenkarzinome). Rezidivmetastasen nach Lungenmetastasenresektion: Metastasen knnen rezidivieren und auch wiederholt erfolgreich mit potentiell kurativer Intention operiert werden, sofern eine zustzliche Metastasierung in andere Organe unterbleibt. Resttumorentfernung nach Chemotherapie: Die Resttumorentfernung nach Chemotherapie ist eine wichtige Operationsindikation. Verbliebene Tumorzellpopulationen, die nicht oder kaum angesprochen haben, werden operativ entfernt. Diese Herde zeigen meist eine Transformation im histologischen Bild in hochdifferenzierte Zelleinheiten und sind deswegen wenig chemotherapiesensibel. Vorrangig findet diese Vorgehensweise bei Hodenkarzinomen und Osteosarkomen Anwendung. Anhand des histopathologischen Ergebnisses lt sich dann ber das ggf. weitere chemotherapeutische Vorgehen entscheiden.
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966 F
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Palliativeingriff: Palliativeingriffe zur Vermeidung oder Behebung von Komplikationen durch Metastasen sind insbesondere dann indiziert, wenn eine Brustwandinfiltration mit Schmerzen oder Tumorexulzeration vorliegt. Weitere OP-Indikationen stellen in diesem Rahmen Blutungen und Retentionspneumonien dar, ausgelst durch endobronchialen Tumoreinbruch. Im Falle einer Pleuritis carcinomatosa, gefesselter Lunge und eines nachlaufenden Ergusses, kann eine Tumordekortikation und Pleurektomie eine sinnvolle Manahme zur Beherrschung dieser Komplikationen und zur Verbesserung der Beschwerdesymptomatik sein.
8 Operationsstrategie Mit der Zunahme der Operationsfrequenz von Lungenmetastasen und den erweiterten Operationsindikationen haben sich auch die Vorstellungen ber den Zugang zur Metastasektomie gewandelt. F
F
F
Mediane Sternotomie: Whrend zunchst fast ausschlielich die laterale Thorakotomie durchgefhrt wurde, kam spter die mediane Sternotomie mit Simultanresektion an beiden Lungen zum Einsatz (Johnston 1983; Vogt-Moykopf et al. 1986; Vogt-Moykopf und Meyer 1986). Die mediane Sternotomie hat den Vorteil, da in einer operativen Sitzung beide Lungen exploriert und die Metastasen reseziert werden knnen. Dies bedeutet fr den Patienten einen wesentlichen Komfort, zumal die mediane Sternotomie postoperativ auch weniger schmerzhaft ist. Als Nachteile gelten bei diesem Zugangsweg der schwierige Zugang zu den dorsalen und den hilusnahen Regionen. Besonders schwierig ist der Zugang zum linken Unterlappen, da es bei Luxation desselben zur Auswurfeinschrnkung des linken Ventrikels kommen kann. Ein Vorteil des medianen Zugangsweges ist, da dieser zur Laparotomie erweitert werden kann und unklare Befunde im Oberbauch auf diese Weise gut abgeklrt werden knnen. ber mediane Sternotomie ist eine Lymphknotendissektion im oberen Mediastinum problemlos vorzunehmen. Der Zugang zu den dorsalen Lymphknotenkompartimenten wie Bifurkation, parasophageal und Ligamentum pulmonale dagegen ist erheblich erschwert. Zusammengefat eignet sich der mediane Zugangsweg nach den derzeitigen Erkenntnissen fr peripher im Lungenparenchym gelegene Herde. Eine vollstndige Lymphknotendissektion ist ber diesen alleinigen Zugangsweg erschwert. Fr Rezidiveingriffe, bei denen die Lunge mit der lateralen Brustwand verklebt ist, eignet sich dieser Zugangsweg nicht, da die extrapleurale Lsung der verwachsenen Lunge erheblich behindert ist. Transversale Thorakotomie: Ein Zugangsweg, bei dem simultan beide Lungen exploriert werden knnen, bei dem aber auch guter Zugang zu den dorsalen Abschnitten gegeben ist, ist die transversale Thorako-
17.6
F
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tomie. Sie ist fr jngere Patienten geeignet, erfordert vom Operateur eine lngere Prparation, aber der Zugang zu den zentralen Strukturen am Hilus, zu den dorsalen Abschnitten der Lunge, die Mglichkeit der beidseitigen broncho- und angioplastischen Resektionsverfahren und auch eine vollstndige Lymphknotendissektion im oberen und unteren Mediastinum sind ber diesen Weg beidseits problemlos vorzunehmen. Aufgrund der zu erwartenden, postoperativ strkeren Schmerzen wird der Patient routinemig mit einem Periduralkatheter versorgt. Weitere Vorteile sind die guten kosmetischen Resultate bei Frauen, da die Schnittfhrung von der Mammafalte berdeckt wird. Zentral gelegene oder multiple Metastasen lassen sich mit dem Laser ber diesen Zugangsweg gut erreichen (Branscheid et al. 1992). Laterale Thorakotomie: Die zweizeitige laterale Thorakotomie hat sich in neuerer Zeit bewhrt und findet insbesondere bei multipler pulmonaler Metastasierung Anwendung. Dieser Zugangsweg, der eine fr den Patienten schonende Resektion multipler Metastasen erlaubt, ermglicht auerdem eine vollstndige Lymphknotendissektion im oberen und unteren Mediastinum, zum Teil unter Einschlu des kontralateralen Kompartiments. Dieser Zugang ist weiterhin geeignet, um ggf. zustzliche dorsale Brustwandresektionen durchzufhren. Linksseitige Metastasenresektionen, die eine Broncho- und/oder Angioplastik erfordern, sind gut mglich. Rezidiveingriffe, die eine extrapleurale Lsung der Lunge notwendig machen, sind erleichtert. Postoperative pulmonale Komplikationen sind bei einseitigem Vorgehen weniger hufig als bei simultanem beidseitigem Verfahren. Nicht zuletzt deshalb stellt die laterale Thorakotomie fr Hochrisikopatienten den Zugang der Wahl dar. Besonders nach belastender Polychemotherapie und aufwendiger Resektion von Lungenmetastasen sollte dieses Vorgehen bercksichtigt werden. Der Nachteil fr den Patienten liegt darin, da immer nur ein Hemithorax exploriert werden kann und eine zweite Operation fr die kontralaterale Seite notwendig wird. Auerdem kann die laterale Thorakotomie postoperativ schmerzhafter sein als die mediane Sternotomie.
Bezglich der Zugangswege zur Metastasenresektion bestehen divergierende Ansichten. Auf der einen Seite werden die Weiterentwicklung des Spiral-CT und die verbesserte Sensitivitt der properativen Diagnostik mit der Vorstellung verbunden, da dadurch die Exploration der Lunge durch den Chirurgen berflssig wre. Margaritora et al. (2002) besttigt, da auch mit hochaufliegendem Spiral-CT die Sensitivitt bei Herden < 6 mm lediglich 48% betrgt. Damit bleibt die Hand des Chirurgen das sensitivste Instrument. Deshalb wird der berlebensvorteil einer beidseitigen Exploration bei unaufflligem CT der Gegenseite der Lunge angezweifelt (Dienemann et al. 1995).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Die komplette Resektion aller suspekten Herde ist ein wesentliches prognostisches Kriterium (Vogt-Moykopf et al. 1994). Margaritora et al. (2002) besttigen, da auch mit hochaufliegendem Spiral-CT die Sensitivitt bei Herden < 6 mm lediglich 48% betrgt. Damit bleibt die Hand des Chirurgen das sensitivste Instrument. Deshalb mu in Abwgung des Gesamtzustandes des Patienten und des onkologischen Stellenwertes der Resektionsbehandlung, die Wahl des Zugangsweges mit der Mglichkeit der Exploration beider Lungen individuell gestaltet werden. Videoassistierte thorakoskopische Chirurgie (VATS)
Seit 1992 hat die videoassistierte thorakoskopische Chirurgie sich als Alternative zur offenen Thorakotomie angeboten. Die Vorteile lagen hier am kleinen Zugangsweg und geringer Schmerzbelastung fr den Patienten (Landerenau et al. 1992). Kann diese thorakoskopische Resektionstechnik eine sichere Alternative zur offenen Thorakotomie bei der Metastasenresektion sein? Die Metastasen mssen hierzu im peripheren Lungenparenchym pleuranahe liegen. Kleinere Herde, die tiefer im Lungenparenchym liegen, werden hufig bersehen. Mc Cormack et al. (1996) untersuchten dies, indem sie nach VATS unmittelbar ber konventionelle Thorakotomie die Lunge explorierten. Beim Durchpalpieren der Lungen fanden sie zustzliche Metastasen in 56% der Resektionen. Ein erklrtes Ziel der Lungenmetastasenchirurgie ist die komplette Resektion aller Herde, auch derer, die sich in der primren bildgebenden Diagnostik nicht darstellen. Die komplette Resektion aller Metastasen ist ein wichtiges prognostisches Kriterium fr die Patienten. Welchen Stellenwert in diesem Therapiekonzept die VATS haben kann, wird erst durch randomisierte prospektive Studien zu klren sein.
9 Prinzip der Metastasenresektion Nach erfolgter Thorakotomie wird der Metastasenstatus in der Lunge sowohl im belfteten als auch im unbelfteten Zustand genau erhoben. Hiernach richtet sich die Operationsstrategie. Um die Lungen vollstndig inspizieren und durchpalpieren zu knnen, mu das Ligamentum pulmonale gelst werden. Die Resektion der Lungenmetastasen erfolgt nicht nach den gleichen Regeln wie die Resektion von Bronchialkarzinomen. Im allgemeinen mssen bei Metastaseneingriffen keine anatomischen Resektionen vorgenommen werden, es gengen zumeist atypische Keilresektionen. Die resezierten Metastasen sollen vollstndig von gesundem Lungengewebe umgeben sein.
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Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
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Wie gro der Mindestabstand zwischen Resektionsgrenze und Tumorgewebe sein soll, ist heute noch nicht einheitlich festgelegt. Enukleationen sind allerdings wegen der hohen lokoregionren Rezidivwahrscheinlichkeit obsolet. Liegt eine Metastase zentral im Lungenparenchym oder handelt es sich um multiple Metastasen, so hat sich die Laserresektion bewhrt (Branscheid et al. 1992; Kodama et al. 1991; Landreneau et al. 1991). Andere zentral gelegene Metastasen knnen ber anatomische Segmentresektionen, Lobektomien, ggf. unter Zuhilfenahme von broncho- und angioplastischen Verfahren, komplett entfernt werden. Diese Eingriffe knnen auch ber mediane Sternotomie (Urschel 1986) sowie transversale Thorakotomie durchgefhrt werden. In jedem Fall sollte die Pneumonektomie in der Metastasenchirurgie vermieden werden, da die Ergebnisse unbefriedigend sind (Koong et al. 1999). Abschlieend erfolgt die komplette Lymphknotendissektion an beiden Lungenhili und im Interlobrbereich sowie des Mediastinums. In unserem Operationsgut fanden sich bei potentiell kurativen Resektionen von Lungenmetastasen in 14,6% auch Lymphknotenmetastasen. Die Hufigkeit ist wie in der Tabelle 1 dargestellt, abhngig von der Tumorentitt. berwiegend hufig trat dies bei Nierenzell-, Mamma- und kolorektalen Karzinomen auf. Von Putnam et al. (1984), Udelsman et al. (1986) und Pastorino et al. (1997) wird ein hnliches Metastasierungsmuster mit Vorliegen mediastinaler Lymphknotenmetastasen beschrieben. Karzinome weisen gegenber Sarkomen eine ca. 3fach hhere Inzidenz der lymphogenen Metastasierung auf (s. Tabelle 1). Insgesamt ist die Prognose bei Patienten mit Lymphknotenbefall im Mediastinum ungnstig. Allerdings wird nach Dissektion der zentral gelegenen Lymphknotenmetastasen das Risiko des Auftretens von Komplikationen durch einbrechende Lymphknotenmetastasen in die zentralen Atemwege oder den sophagus gemindert. Die Bedeutung einer systematischen Lymphknotendissektion im Rahmen der Metastasenchirurgie kann im Augenblick fr die Prognoseabschtzung noch nicht ermittelt werden. Unserer Auffassung nach ist die systematische Lymphknotendissektion ein wichtiger Bestandteil der Metastasenchirurgie. Im unterschiedlichen Ausma je nach Primrtumorentitt findet eine hmatogene und/oder lymphogene Metastasierung statt. Wird Metastasenchirurgie unter kurativem Ansatz vorgenommen, sollten nach den derzeitig vorliegenden Erkenntnissen auch die Lymphknoten im Mediastinum disseziert werden. Je nach Tumorentitt und dem Vorhandensein einer effektiven Chemotherapie kann ber adjuvante Therapieverfahren individuell entschieden werden. Die Dissektion der Lymphknoten mit histologischer Aufarbeitung stellt den goldenen Standard zur Beurteilung der mediastinalen Lymphknoten dar. Die alleinige Beurteilung anhand bildgebender Verfahren ist mit derselben Unsicherheit behaftet wie beim Bronchialkarzinom.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 3. Ha¨ufigkeit der verschiedenen Eingriffsarten bei Metastasenresektionen und deren perioperative Letalita¨t (Sonstige = Keilresektionen mit zusa¨tzlicher Brustwand- oder Mediastinaltumorresektion) (Schirren et al. 1998) Eingriffsart n
Ha¨ufigkeit (%)
30-Tage-Letalita¨t (%)
Atypische Keilresektion
448
52,8
1,1
Anatomische Segmentresektion
157
18,5
0,6
Lobektomie
183
21,6
2,7
Bilobektomie
25
2,9
12,0
Pneumonektomie
27
3,2
18,5
Sonstige (Keil+BW./Mediastinaltumor)
9
1
0
Gesamt
849
100
2,2
10 Postoperative Phase Die Resektion von Lungenmetastasen kann mit postoperativen Komplikationen behaftet sein. Diese hngen einerseits mit der Lage der Metastasen und den ausgiebigen Manipulationen an beiden Lungen, andererseits mit den Besonderheiten des speziellen Krankengutes zusammen. Die Patienten leiden an einem metastasierenden Tumor, zustzlich liegen oft schwer zu objektivierende Risiken durch vorausgegangene Chemo- oder Radiotherapie vor. Die hufigste Komplikation ist durch die Strung der Bronchialtoilette bedingt. Es knnen Sekretretentionen, Atelektasen und Pneumonien auftreten. Diese Komplikationen lassen sich durch eine konsequente prund postoperative krankengymnastische bungsbehandlung sowie rechtzeitige endoskopische Absaugung des Bronchialsekrets mittels flexibler oder starrer Bronchoskopie vermeiden. Bei hartnckiger rezidivierender Sekretretention sollte die frhzeitige Indikation zur Tracheotomie gestellt werden. Auftretende Herzrhythmusstrungen lassen sich in der Regel unter entsprechender medikamentser Therapie gut beherrschen. Die Komplikationshufigkeit und die 30-Tage-Letalitt sind in Abhngigkeit vom Resektionsverfahren in der Tabelle 3 zusammengestellt. Sie kann je nach Patientenkollektiv zwischen 1 und 4% betragen (Pastorino et al. 1997).
11 Spezielle Aspekte fu¨r verschiedene Prima¨rtumoren Prognostisch relevante Faktoren mssen im Zusammenhang mit der Histologie des Primrtumors gesehen werden. In Tabelle 4 ist ein Literaturauszug ber wichtige prognostische Faktoren zusammengestellt. In der Tabelle 5 sind die prognostischen Faktoren fr 849 Lungenmetastasenpatienten gegenbergestellt.
Jahr
1992
1992
Staren
Lanza
1992
1992
1988
1979
McCormack
McAfee
Brister
McCormack
1987
Meyer
39
102
206
35
66
139
144
86
44
33
467
Anzahl der Patienten (n)
+
n.s.
+
+ 24 Mo
+
+
+
38
58
34
22
38
30,5
44 25 (10)
60 5(*)
50
36
47 Mo
58 Mo > 12 Mo
38 22 (10) 20 (15)
> 36 Mo
5-JU¨R (10-, 15-JU¨R) [%]
+
Medianes U¨berleben [Monate]
KFI
Komplette Resektion
n.s.
+
TDZ
1
1
12 Mo 47 (3 Jahre) 28 ¨ ¨ TDZ Tumorverdopplungszeit; N Anzahl; KFI krankheitsfreies Intervall, Mo Monate; 5-JUR 5-Jahres-Uberleben; n.s. nicht signifikant; + prognostischer Einfluß; * CEA-Level 5 mg/ml.
1999
1992
Briccoli
Pastorino
Osteosarkom
1996
Girad
Kolorektales Karzinom
2002
Friedel
Mammakarzinom
Autor
Tabelle 4. Literaturu¨bersicht u¨ber prognostische Faktoren in der Lungenmetastasenchirurgie (vera¨ndert nach Putnam u. Roth 1994)
17.6 Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
971
17
Jahr
1992
Progrebniak
1990
29
+
+
+
+
+
Komplette Resektion
+
n.s.
+
+
+ n.s.
+
n.s.
> 20 Tage +
TDZ
1
< 16
n.s.
2
n.s.
< 4 cm
Anzahl der Metastasen
18 11
n.s.
22
18
60
> 49
4,5
25
20
22 16 (10)
10
43
40
38
40 33 (10)
5-JU¨R (10-, 15-JU¨R) [%]
43
Medianes U¨berleben [Monate]
n.s.
+
> 36 Mo
> 12 Mo
n.s.
> 18 Mo
> 30 Mo
n.s.
KFI
TDZ Tumorverdopplungszeit; N Anzahl; KFI krankheitsfreies Intervall, Mo Monate; 5-JU¨R 5-Jahres-U¨berleben; n.s. nicht signifikant; + prognostischer Einfluß; * CEA-Level 5 mg/ml.
Karp
56
98
1992
1991
Harpole
Gorenstein
Leo
282
67
1984
Melanom
2000
214
45
1995
1992
Choong
Levenback
Putnam
255
23
105
1996
van Geel
Weichteilsarkom
2002
Piltz
Anzahl der Patienten (n)
17
Nierenzellkarzinom
Autor
Tabelle 4. (Fortsetzung)
972 Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
17.6
973
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
Tabelle 5. Prognostische Faktoren im Kollektiv von 849 an Lungenmetastasen operierten Patienten (Schirren et al. 1998) Geschlecht Alter
Anzahl KFI Metastasen
LK-Befall
Komplette Resektion
Hodenkarzinom
–
–
–
–
–
u
Mammakarzinom
–
–
–
–
–
u
Kolorektales Karzinom –
–
u
–
–
u
Nierenzellkarzinom
–
u
m
u
– m
–
Osteosarkom
–
–
–
m
–
Weichteilsarkom
–
–
–
–
u
m – kein signifikanter Einfluß; u univariater Einfluß; m multivariater Einfluß auf das U¨berleben
11.1 Osteosarkome Pulmonale Metastasen von Osteosarkomen treten bei 80% der Patienten auf. Hierbei spielt es keine Rolle, ob sie eine adjuvante Chemotherapie nach Behandlung des Primrtumors erhalten haben oder nicht (Goorin 1991; Hutz u. Eilber 1989). Bei synchronem oder metachronem Auftreten von Lungenmetastasen nach Osteosarkom ist im interdisziplinren Konzept zunchst eine Chemotherapie indiziert. Die Chirurgie kommt dann im Sinne eines adjuvanten Therapieverfahrens zum Einsatz. Da diese Metastasen hufig nur isoliert in der Lunge auftreten, ist die chirurgische Resektion ein wichtiger adjuvanter Therapieschritt, und es werden hierbei 5-Jahres-berlebensraten bis zu 40% beschrieben (Meyer et al. 1987; Snyder 1991; Briccoli et al. 1999). Verschiedene prognostische Faktoren wurden analysiert. Hierbei spielen die Anzahl der Metastasen, das krankheitsfreie Intervall und die Resektabilitt der Metastasen eine wichtige Rolle. Eine multivariate Analyse von Beattie et al. (1991) konnte als wichtigsten multivariaten prognostischen Faktor die komplette Resektion der Metastasen nachweisen. Die Chemotherapie hat keinen Effekt auf das berleben nach der Thorakotomie, wenn alle Metastasen komplett entfernt sind. Die Hauptaufgabe der Chemotherapie besteht im wesentlichen darin, das metastasenfreie Intervall zwischen der chirurgischen Therapie des Primrtumors und dem Auftreten von pulmonalen Metastasen mglichst lange hinauszuziehen. Die 5-Jahresberlebenswahrscheinlichkeit nach Chemotherapie und Chirurgie liegt bei 30%. 11.2 Weichteilsarkome Die Weichteilsarkome gehren zur Gruppe der nicht ossifizierenden malignen Tumoren, die sich aus dem mesenchymalen Gewebe entwickeln. Bis zu
17
974
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
20% der Patienten neigen zu Lokalrezidiven. Eine Metastasierung findet hauptschlich in die Lungen statt (Potter et al. 1985). Weichteilsarkome sprechen nur eingeschrnkt auf Chemotherapie an. Das mediane berleben lag hier zwischen 13 und 16 Monaten (Weh et al. 1990; Elias 1989). Casson et al. (1991) konnten ein 5-Jahres-berleben von 25% aufzeigen. In seiner Metaanalyse von der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC-Studie) fr die Weichteilsarkome an 255 Patienten zeigten van Geel et al. (1996) eine 5-Jahres-berlebensrate von 30%. Als prognostisch gnstige Faktoren wurden die Tumorverdoppelungszeit, der nur einseitige Befall der Lunge, weniger als 3 Metastasen sowie die Tumorhistologie herausgearbeitet. Die multivariate Analyse ergab die Anzahl der Metastasen als den wichtigsten Faktor. Im eigenen Patientengut sind die komplette Resektion sowie der Lymphknotenbefall (Abb. 1) signifikante Prognosefaktoren. Rizzoni et al. (1986) fanden, da ihre Patienten auch von wiederholten Metastasenresektionen profitierten. Pogrebniak et al. (1991) erzielten in einem Kollektiv von Patienten mit Rezidivmetastasen nach Resektion ein medianes berleben von 25 Monaten. Welche Rolle die Metastasenresektion im multimodalen Therapiekonzept besitzt, zeigten Choong et al. (1995) an 214 Patienten. Die 5-Jahresberlebensrate betrgt 40% fr die operierten und 20% fr die nicht operierten Patienten.
Abb. 1. U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Weichteilsarkom in Abha¨ngigkeit vom Lymphknotenbefall. Das mediane U¨berleben betra¨gt bei Patienten mit zusa¨tzlichem Lymphknotenbefall 10,1 Monate, bei Patienten ohne Lymphknotenbefall 28,1 Monate (p < 0,05) (Schirren et al. 1998)
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
975
Die Arbeitsgruppe am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center um Billingstey (1999) besttigt fr die nicht metastasenresezierten Patienten ein medianes berleben von 11 Monaten. Dies verdeutlicht, welchen Einflu die Metastasenchirurgie im interdisziplinren Konzept beim pulmonal metastasierten Weichteilsarkom hat. 11.3 Kolorektale Karzinome Etwa 15% aller Patienten entwickeln Lungenmetastasen im Anschlu an die Primrtumortherapie. Rektumkarzinome tun dies hufiger als Kolonkarzinome. Die linksseitigen Kolonkarzinome tun dies bevorzugter als die rechtsseitig gelegenen. Neben der hmatogenen Aussaat kann auch eine direkte lymphogene Metastasierung vorliegen (Schulten et al. 1976). Brister (1988) und McAffee et al. (1992) konnten in ihren Kollektiven jeweils 5-Jahresberlebensquoten von 38 bzw. 30,5% verzeichnen. Bei gleichzeitigem Vorhandensein von Lebermetastasen ist die Indikation zur Metastasenresektion an der Lunge nur noch in Ausnahmefllen gegeben. Voraussetzung ist ein guter Allgemeinzustand der Patienten. Auf der anderen Seite sollten die Metastasen in beiden Organen parenchymsparend resektabel sein und dabei nur eine geringe Morbiditt erwarten lassen. Sauter et al. (1990) beschreiben fr isolierte Resektion von Lungenmetastasen eine 5-Jahresberlebensquote von 47% und im Vergleich hierzu mit zustzlicher Resektion von Lebermetastasen eine 5-Jahresberlebensquote von 19%. In der Folgezeit wird die Wirksamkeit von Resektionen an Leber und Lunge bei metastasierten kolorektalen Karzinomen berprft. Kobayashi et al. (1999) erreichten bei 47 Patienten eine 5-Jahres-berlebenszeit in 31% und eine 8-Jahres-berlebenszeit in 23%, Headrich et al. (2001) bei 88 Patienten mit kombinierten sequentiellen Leber- und Lungenmetastasenresektionen 30% (5-Jahres-berlebenszeit) und 16% (10-Jahres-berlebenszeit). Prognostisch ungnstig waren in diesem Kollektiv der mediastinale Lymphknotenbefall und erhhte CEA-Werte vor der Lungenmetastasenresektion. Die kombinierte Therapie von effektiver Chemotherapie (5-Fluorouracil, Leucovorin, Oxaliplatin) zusammen mit konsequenter Lebermetastasenchirurgie konnte den natrlichen Verlauf von nicht resektablen Lebermetastasen signifikant verbessern auf die 5-Jahres-berlebensrate von 50% (Giacchetti et al. 1999). Es liegt nahe zu berprfen, wie ein solches Therapiekonzept sich bei der Behandlung von Lungenmetastasen auswirken wrde. Erste Ergebnisse von Adam et al. (2003) zeigen, da nach chemotherapeutischer Vorbehandlung ausgedehnte komplette Leber- und Lungenmetastasenresektionen von Vorteil sein knnen. Die Eignung des Patienten mu jedoch nach starker Selektion am Einzelfall entschieden werden.
17
976
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
11.4 Mammakarzinom Patientinnen mit metastasierenden Mammakarzinomen haben insgesamt eine schlechte Prognose, da die Metastasen an vielen Organen auftreten knnen. Patanaphan et al. (1988) beschrieben beim metastasierenden Mammakarzinom eine Metastasierung zu 51% in den Knochen, zu 17% in der Lunge, zu 16% im Gehirn und zu 6% in der Leber. Dieser Befund verdeutlicht, da die Indikation zur Metastasenresektion an der Lunge nach Mammakarzinom interdisziplinr sehr ausfhrlich diskutiert sein sollte. In der Regel werden Patienten mit einer Lungenmetastasierung zunchst einer Chemotherapie zugefhrt. Der isolierte unklare Rundherd, bei dem zwischen gutartiger Erkrankung, Metastasenwachstum oder primrem Bronchialkarzinom nicht differenziert werden kann, ist die klassische Operationsindikation. Hierbei kann es fr den Pathologen intraoperativ auerordentlich schwierig sein, in der Schnellschnittuntersuchung zwischen der Metastase eines Mammakarzinoms und einem primren Adenokarzinom der Lunge zu differenzieren. Lanza et al. (1992) berichten bei 44 Patientinnen mit resezierten Lungenmetastasen eines Mammakarzinoms eine 5-Jahresberlebensquote von 50%. Langes, krankheitsfreies Intervall sowie ein positiver Hormonrezeptorstatus der Tumorzellen fr strogen waren die wichtigsten prognostischen Faktoren. Staren et al. (1992) beschreiben fr 33 Patientinnen und Resektionen von Lungenmetastasen eine 5-Jahresberlebensquote von 36%. Hierbei waren die Patientinnen sowohl mit systemischer Chemotherapie als auch mit Hormontherapie behandelt worden. Die Kombination von Chemotherapie und Operation wies eine 5-Jahresberlebensquote von 36% gegenber 11% bei alleiniger Chemotherapie auf. Friedel et al. (2002) analysierten 467 Patientinnen mit operierten Lungenmetastasen bei Mammakarzinom. Die 5-Jahres-berlebensrate fr alle betrgt 38%, 22% nach 10 Jahren und 20% nach 15 Jahren. Prognostisch gnstige Faktoren sind ein krankheitsfreies Intervall von > 36 Monaten (5-Jahresberlebensrate 45%) und die komplette Resektion (10-Jahres-berlebensrate 26%, 15-Jahresberlebensrate 21%). Bei solitrer Lungenmetastase (5-Jahres-berlebensrate 44%, 10-/15-Jahres-berlebensrate 23%) aber fand sich kein signifikanter Unterschied bei multiplen Metastasen, wenn sie komplett reseziert sind. Es wird Ziel zuknftiger Therapiestudien sein, bei selektionierten Patientinnen den Wert einer neoadjuvanten Therapie zu berprfen. 11.5 Ovarialkarzinom, Zervix- und Endometriumkarzinom Von allen gynkologischen Tumoren setzt das Ovarialkarzinom am hufigsten intrathorakale Metastasen. Hufig findet man neben dem pulmonalen Befall auch einen malignen Pleuraergu. Unter diesen Voraussetzungen ist eine lokale Kuration auf chirurgischem Weg nicht mehr zu erreichen. Im
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
977
Vordergrund steht dann eine palliative Therapie im Sinne einer Ergubehandlung mit Pleurodese oder eventueller Pleurektomie und Tumordekortikation. Typisch fr diese Tumoren ist ein zunchst regionrer Tumorbefall im kleinen Becken, und erst sekundr kommt es zu einer hmatogenen Metastasierung in die Lunge. Aus diesem Grund sollte bei den Patientinnen vor Metastasenresektion an der Lunge ein Tumorbefall im kleinen Becken und im Abdominalraum ausgeschlossen sein. 11.6 Nierenzellkarzinom Diese metastasieren bevorzugt in die Lunge. Der Metastasierungsweg ist sowohl hmatogen als auch lymphogen. Das berichtete 5-Jahresberleben reicht von 21% (Dernevik et al. 1985) bis auf 60% (Progreniak et al. 1992). Bei Progreniak et al. (1992) ist das berleben nach der Resektion unabhngig von der Anzahl der Metastasen und dem krankheitsfreien Intervall. Im eigenen Krankengut sind die Anzahl der Metastasen (Abb. 2), das metastasenfreie Intervall und der Lymphknotenbefall jeweils ein signifikanter Faktor. Da es fr diesen Tumor keine suffiziente Alternativtherapiemodalitt gibt, ist die komplette Resektion der Lungenmetastasen und eine systematische hilre und mediastinale Lymphknotendissektion jeweils ein
17
Abb. 2. U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Nierenzellkarzinom in Abha¨ngigkeit vom Prognosefaktor Metastasenanzahl. Ab einer kritischen Schwelle von 7 resezierten Metastasen findet man ein signifikant schlechteres U¨berleben der betroffenen Patienten. Das mediane U¨berleben betra¨gt 54,1 Monate bei 1–6 Metastasen, ab einer Metastasenzahl von 7 jedoch nur noch 22,1 Monate (Schirren et al. 1998)
978
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
wichtiger Faktor fr eine potentielle Kuration, die allerdings nur in wenigen Ausnahmefllen mglich ist. Langzeitergebnisse von 10 Jahren zeigen Piltz et al. (2002) an 105 Patienten mit 33% berleben (5-Jahres-berlebensrate 40%). In der multivariaten Analyse sind signifikante Faktoren einer gnstigen Prognose die Gre der Metastasen (< 4 cm), die komplette Resektion und der Lymphknotenstatus der Primrtumoroperation. Dies zeigt u.a. deutlich, da in die Bewertung der prognostischen Faktoren der Status des Primrtumors mit einbezogen werden sollte. Im Gegensatz hierzu berichtet van der Poel (1999) in einer retrospektiven Multicenter-Studie an 101 Patienten (Kombination mit unterschiedlicher Metastasenlokalisation) mit Lungen- (n = 54), Knochen- (n = 42), Lymphknoten- (n = 18), Hirnmetastasen (n = 12) und der Rest mit Metastasen an Wirbelsule, Schilddrse, Intestinum und Hoden ber ein Gesamtberleben 28 Monaten im Median. Die prognostisch gnstigste Patientengruppe stellt die mit Lungenmetastasen dar. Ohne Einflu waren das Stadium des Primrtumors, Grading und Gre. Resezierte Lungenmetastasen, auch mehrfach, hatten einen signifikant besseren Verlauf als Metastasenresektionen an anderen Organen. 11.7 Melanome Die Melanome haben eine besondere biologische Potenz auf ihren Metastasierungswegen. Neben einer pulmonalen Metastasierung zeigen sie auch eine ausgeprgte Metastasierung in andere Organsysteme. Aus diesem Grund ist die Prognose insgesamt schlecht. Bei den wenigen Patienten, bei denen sich nur isolierte pulmonale Metastasen zeigen, kann die Prognose gnstiger ausfallen. Im Augenblick werden 5-Jahresberlebensquoten zwischen 4,5 und 25% beschrieben (Progredniak et al. 1988; Gorenstein et al. 1991; Harpole et al. 1992). Das Auftreten von multiplen Lungenmetastasen ist mit einer ungnstigen Prognose behaftet (Progredniak et al. 1988). Gorenstein et al. (1991) fanden heraus, da die 5-Jahresberlebensquote fr alle Patienten bei 25% liegt. Bei 282 Patienten erzielten Leo et al. (2000) 5- und 10-Jahres-berlebensquoten von 22 und 16%. Von prognostischer Bedeutung sind die komplette Resektion, metastasenfreies Intervall von > 36 Monaten und die singulre Metastase. Es zeigt sich in seinem Kollektiv kein Unterschied, ob es sich um Patienten mit einem frhen Stadium des Melanoms handelt oder ob bei den Patienten zustzlich Lungenmetastasen aufgetreten sind. Weder die Lokalisation des Primrtumors noch die Histologie, noch der Clark-Level, noch das Lymphknotenmetastasierungsmuster sind von prognostischer Bedeutung. Diese Ergebnisse stehen im Kontrast zu unseren Erfahrungen mit der Resektion von Lungenmetastasen bei Melanom.
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
979
11.8 Keimzelltumoren Diese metastasieren bevorzugt in die Lungen. Seminomatse Hodentumoren weisen eine spte pulmonale Metastasierung auf. Bei den nichtseminomatsen, die auch noch Elemente von Chorionkarzinomen, embryonalen Karzinomen, Teratokarzinomen und reifen Teratomen enthalten knnen, tritt dagegen eine frhe (sog. synchrone) Metastasierung auf. Bei Frauen leiten sich die Keimzelltumoren vom Chorionepithel ab. Seminome metastasieren bevorzugt ber die Lymphknoten, Chorionkarzinome vor allem hmatogen und die brigen nichtseminomatsen Tumoren auf beiden Wegen. Durch initiale cisplatinhaltige Kombinationschemotherapie erzielt man bei ber 70% der Patienten eine komplette Remission. Bei den brigen 30% der Patienten sollen nach interdisziplinrer Absprache die verbliebenen Residuen in der Lunge operativ beseitigt werden. In den Resektaten dieser Residuen knnen Nekrosen, Narben, reifes Teratom oder malignes Gewebe dicht nebeneinander liegen. Deshalb ist es wichtig, da alle sichtbaren und tastbaren Residuen komplett entfernt werden. Weinknecht et al. (1998) stellen fr die retroperitoneale Residualtumorresektion bei negativen Tumormarkern eine berlebensrate von 72% fest. Bei properativ erhhten Markern berleben 39%. Gelingt keine Markernormalisierung durch intensive Chemotherapie, so bleibt die retroperitoneale Residualtumorresektion die einzige Mglichkeit, um den schicksalhaften Krankheitsverlauf zu beeinflussen. Anschlieend mu dann die Entscheidung ber eine Fortsetzung der Chemotherapie gefllt werden. Bei den meisten dieser Patienten (69%) ist eine zustzliche Dissektion retroperitonealer Lymphknoten notwendig (van Schil et al. 1989). Testikula¨re Tumoren weisen meist eine multiple Metastasierung der Lungen mit zustzlichem mediastinalem Lymphknotenbefall auf. Da fr diesen Tumortyp eine hochpotente Chemotherapie zur Verfgung steht, trgt die Resektionsbehandlung der Residuen additiven Charakter. Anhand der bildgebenden Verfahren kann im Vorfeld der Resektionsbehandlung nicht immer eindeutig entschieden werden, ob eine vollstndige Resektion der pulmonalen und mediastinalen Residuen mglich ist. Deshalb hat das intraoperative Staging mit konsekutiver Festlegung der Operationstaktik hier eine besondere Bedeutung. In analoger Weise wird die Dissektion am Retroperitoneum vorbereitet. Das wichtigste Prognosekriterium fr die multipel und synchron metastasierenden Hodentumoren ist die komplette Resektion der Residuen im Mediastinum und in der Lunge (Schirren et al. 1998) (Abb. 3). Das Memorial Sloan Kettering berichtet ber 28 Jahre von den Ergebnissen der Lungenmetastasenresektion bei Keimzelltumoren (Lin et al. 1998). Signifikante prognostische Faktoren sind die komplette Resektion aller Residualtumoren und ein Chemotherapieschema nach 1985 (82% 5-Jahres-
17
980
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Abb. 3. U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Hodenkarzinom. Die komplette Resektion aller Metastasen ist der einzige prognoserelevante Faktor (Schirren et al. 1998)
berlebensrate). Diesen stehen 67% 5-Jahres-berlebensrate nach einem Chemotherapieschema vor 1985 gegenber. Bedeutend bei der Residualtumorresektion ist die Differenzierung zwischen Nekrose, reifem Teratom und vitalem undifferenziertem Karzinom. Rick et al. (2003) zeigten an 216 Patienten, da in 81% im Residualtumor Nekrose, in 30% reifes Teratom und in 32% vitales undifferenziertes Karzinom gefunden wurde. Letztere Gruppe hat eine signifikant schlechtere Prognose. Die retroperitoneale, mediastinale und pulmonale Residualtumorresektion ist ein wichtiger, signifikanter Bestandteil der interdisziplinren Therapie mit kurativem Ansatz. 11.9 Tumoren des Kindesalters Primre Tumoren des Kindesalters, wie Hepatome, Hepatoblastome, Neuroblastome, Ewing-Sarkome und Rhabdomyosarkome, metastasieren hufig in die Lungen. Es kann aber auch eine Metastasierung in andere Organe stattfinden. Lediglich die Ewing-Sarkome metastasieren ausschlielich in die Lunge. Bei Metastasierung in die verschiedenen Organsysteme ist die Chemotherapie die Therapie der Wahl. Bei der Resektionsbehandlung von Lungenmetastasen mu abgewogen werden zwischen adjuvanter Resektion von Residuen nach initialer Chemotherapie einerseits und andererseits dem Versuch, die Lungenmetastasen durch primr chirurgische Therapie
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
981
komplett zu entfernen. Beim Wilms-Tumor beschreiben Green et al. (1991), da sich fr die Patienten kein Vorteil zeigt bei der Resektion von Lungenmetastasen im Vergleich zu einer Behandlung mit Chemotherapie und Ganzlungenbestrahlungen. In diesen Fllen wird es insgesamt notwendig sein, die jeweilige Indikation interdisziplinr festzulegen. 11.10 Rezidivierende pulmonale Metastasen Rezidivierende Lungenmetastasen stellen nicht prinzipiell eine Kontraindikation fr eine erneute Resektionsbehandlung dar. Allerdings ist am Einzelfall zu prfen, ob bei rezidivierenden Metastasen eine (erneute) systemische Chemotherapie indiziert ist oder aber die Metastasenresektion als alleinige Therapieoption in Frage kommt.
12 Prospektive Datenerhebung fu¨r das eigene Patientenkollektiv In einer prospektiven Studie wurden das berleben und mgliche prognostische Faktoren der wegen Lungenmetastasen in den Jahren von 1985 bis 1994 operierten Patienten analysiert. An 706 Patienten wurden 849 Operationen vorgenommen. 64% der Patienten waren mnnlich, 36% weiblich. Das Durchschnittsalter lag bei 45,7 Jahren, wobei der lteste Patient 81 und der jngste 2 Jahre alt war. In 529 (74,9%) der Flle war der Primrtumor ein Karzinom, in 171 (24,2%) ein Sarkom, bei 6 (0,9%) blieb der Primrtumor unbekannt. Die grten Primrtumorgruppen bei Karzinomen waren Hodentumoren. Mammakarzinome, Nierenzellkarzinome und kolorektale Karzinome. Innerhalb der Sarkommetastasen waren die verschiedenen Weichteilsarkome, die an einer Gruppe zusammengefat und mit den Osteosarkomen verglichen wurden, am strksten vertreten. Um die Ergebnisse der Metastasenchirurgie beurteilen zu knnen, ist eine Unterscheidung in komplette (R0-) und nicht komplette Resektion (R1/R2-Resektion) vorgenommen worden (Tabellen 6 und 7). Es mu jedoch bedacht werden, da der Begriff der „radikalen Resektion“ in der Metastasenchirurgie nicht mit dem in der Primrtumortherapie vergleichbar ist. Stichtag der Auswertung war der 31.5.1996. Die Nachbeobachtungszeit betrug im Mittel 29 Monate und im Maximum 127 Monate. Bis zum Zeitpunkt der Auswertung waren 321 (45,5%) der 706 Patienten verstorben. Als Startzeitpunkt der Berechnung der berlebenszeiten wurde das Datum der 1. Resektion von Metastasen gewhlt. Den Endzeitpunkt bildete das Datum des Todes bzw. der letzten Nachbeobachtung. Die Berechnung der berlebenswahrscheinlichkeiten unter Bercksichtigung der Informationen aus zensierten Beobachtungen erfolgten nach der Methode von Kaplan und Meier. Signifikanzprfung zwischen den jeweiligen Teilkollektiven wurden mit dem log-rank-Test durchgefhrt. Zur multivariaten Analyse prognostischer Faktoren wurde das Cox-Modell mit einer mehrphasigen Auswer-
17
982
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 6. Medianes und 5-Jahres-U¨berleben aller an Lungenmetastasen operierten Patienten (Schirren et al. 1998) Prima¨rtumor
n
Med. [Mo]
5-Jahres-U¨berlebenszeit [%]
Hodenkarzinom
115
n. def.
69,0
Mammakarzinom
69
41
37,8
Kolorektales Karzinom
105
42
39,1
Nierenzellkarzinom
119
39
37,8
Osteosarkom
83
24
35,1
Weichteilsarkom
88
21
26,2
Melanom
25
17
8,3*
Karzinome kaval
421
50
46,6
Karzinome portal
108
42
38,1
Karzinome
529
49
45,0
Sarkome
171
23,6
30,3
Gesamt
706
49
46,9
* 3-Jahres-U¨berleben. Tabelle 7. Medianes und 5-Jahres-U¨berleben derjenigen Patienten mit komplett resezierten Lungenmetastasen der (Schirren et al. 1998) Prima¨rtumor
n
Med. [Mo]
5-Jahres-U¨berlebenszeit [%]
Hodenkarzinom
88
n. def.
78,3**
Mammakarzinom
50
52,6
46,2
Kolorektales Karzinom
91
50,2
42,1
Nierenzellkarzinom
95
44,0
43,2
Osteosarkom
60
25,7
43,7
Weichteilsarkom
59
45,8
35,0
Melanom
18
21,4
13,0*
Karzinome kaval
326
62,7
51,4
Karzinome portal
93
46,4
41,6
Karzinome
419
54,5
49,3
Sarkome
119
40,4
39,6
Gesamt
542
51,2
47,0
* 3-Jahres-U¨berleben. ** 4-Jahres-U¨berleben.
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
983
tungsstrategie als Kombination einer Step-down- mit einer mit Step-up-Methode eingesetzt. Die Prfung auf proportionale Hazard-Funktionen erfolgte durch empirische Log (Log-Plots) sowie durch den Akzelerationstest von Breslow.
13 Prognostische Faktoren Die aktuelle Datenanalyse der Resektionsergebnisse in unserem prospektiv erhobenen Kollektiv von Lungenmetastasenpatienten fhrt zu prognostischen Faktoren, die von frher publizierten Ergebnissen abweichen (Probst et al. 1991; Vogt-Moykopf et al. 1992; Schirren et al. 1998 (s. Tabelle 5). Wie auch bei Pastorino et al. (1997) besteht ein signifikanter Unterschied zwischen den Primrtumorhistologien Karzinom und Sarkom (Abb. 4). Dagegen spielt bei Karzinomen eine weitere Differenzierung in portale und kavale Metastasierung eine untergeordnete Rolle (Abb. 5). Weitere wichtige prognostische Faktoren sind das krankheitsfreie Intervall (Abb. 6), eine ggf. lymphogene Metastasierung, die Anzahl der Metastasen sowie die vollstndige Resektion der Metastasen. Der Einflu der unterschiedlichen prognostischen Faktoren variiert mit der Primrtumorhistologie (s. Tabelle 5). Eine Literaturbersicht (verndert nach Putnam u. Roth 1994) ist in Tabelle 4 dargestellt.
17
Abb. 4. U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Karzinom (Median 48,8 Monate) im Vergleich zu Patienten mit Prima¨rtumor Sarkom (Median 23,6 Monate) (Schirren et al. 1998)
984
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Abb. 5. Einfluß des Metastasierungsweges (portal versus kaval) auf das U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Karzinom. Das mediane U¨berleben betra¨gt 42,2 Monate bei portaler und 49,6 Monate bei kavaler Metastasierung (Schirren et al. 1998)
Abb. 6. Einfluß des krankheitsfreien Intervalls (KFI) auf das U¨berleben von Patienten nach Resektion von Lungenmetastasen bei Prima¨rtumor Osteosarkom. Das mediane U¨berleben betra¨gt 17,4 Monate bei einem KFI zwischen 0 und 27 Monaten und 39,3 Monate bei einem KFI gro¨ßer 27 Monate (Schirren et al. 1998)
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
985
Tabelle 8. Zusammenhang zwischen Anzahl der resezierten Metastasen und Vollsta¨ndigkeit der Resektion (Schirren et al. 1998)) Metastasenzahl
1
2–8
>8
Gesamt
Komplett
82,6%
82,1%
56,5%
76,8%
Inkomplett
17,4%
17,9%
43,4%
23,3%
1 vs. 2–8 nicht signifikant; > 8 vs. 1 bzw. 2–8 p < 0,0001.
Die Untersuchung der Prognosefaktoren am Gesamtkollektiv, wie z.B. von Pastorino et al. (1997) vorgenommen, mu deshalb als weniger sinnvoll erachtet werden. Jede einzelne Tumorentitt hat ihre spezifische Kombination von Prognosefaktoren. In den Abbildungen 1…7 ist der Einflu der wichtigsten Faktoren fr das berleben exemplarisch fr einzelne Primrtumorkollektive dargestellt. Die komplette Resektion hat sich insgesamt als der wichtigste prognoserelevante Faktor bei der Resektion von Lungenmetastasen herauskristallisiert (Abb. 7). Bei den synchron und multipel in die Lunge metastasierenden Hodentumoren sowie den Mammakarzinomen ist die komplette Resektion sogar der einzige signifikant prognostische Faktor (s. Abb. 3).
17
Abb. 7. U¨berlebenswahrscheinlichkeit von Patienten nach kompletter Resektion von Lungenmetastasen im Vergleich zu Patienten nach inkompletter Resektion (medianes U¨berleben: 51,2 Monate versus 21,0 Monate) im Gesamtkollektiv (Schirren et al. 1998)
986
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Die komplette Resektion zeigt eine gewisse Abhngigkeit von der Metastasenanzahl. Beim Gesamtkollektiv liegt die kritische Grenze bei 8 resezierten Metastasen (Tabelle 8). Erst ab einer Anzahl von 9 und mehr resezierten Metastasen finden wir eine signifikant schlechtere Prognose der Patienten (Tabelle 9), die einhergeht mit einem geringeren Anteil kompletter Metastasektomien. Im Einzelfall, wie beispielsweise beim Nierenzellkarzinom, knnen allerdings Abweichungen auftreten (s. Abb. 2). Mit der Anzahl der Metastasen steigt mglicherweise das Risiko einer Mikrometastasierung. Prognostische Faktoren mssen in ihrer Wertigkeit/Bedeutung noch sehr vorsichtig interpretiert werden. Zum einen sind die bislang vorgestellten Patientenkollektive oft sehr klein. Zum anderen kann es zwischen den einzelnen Behandlungszentren groe Unterschiede hinsichtlich des onkologischen Patientengutes, der Operationsindikation sowie der Resektionstechnik geben, was die Wertigkeit von multizentrischen Sammelstatistiken einschrnkt. Deshalb lassen sich daraus derzeit keine international gltigen Prognosen oder daraus abgeleitete allgemeingltige Behandlungsempfehlungen erstellen. Der Krankheitsverlauf bei einem metastatischen Leiden wird durch eine Vielzahl von Variablen beeinflut. Sicherlich existieren … neben den bereits erwhnten … weitere prognostische Faktoren, deren Stellenwert zur Zeit noch nicht ausreichend beurteilt werden kann. Zu nennen wre in diesem Zusammenhang z.B. der Tumormarkerstatus beim Hodentumor, der Hormonrezeptorstatus beim Mammakarzinom, das Tumorgrading bei Weichteilsarkomen, eine zustzliche extrapulmonale Metastasierung, der intrathorakale Lymphknotenstatus, die Durchfhrung einer systematischen Lymphknotendissektion und der Stellenwert einer weiteren, zustzlichen tumorspezifischen Therapie. Die Analyse und Kenntnis dieser Faktoren sollte zuknftig eine exaktere Auswahl derjenigen Patienten ermglichen, die von einer Resektionsbehandlung profitieren knnten.
Tabelle 9. Zusammenhang zwischen Anzahl der resezierten Lungenmetastasen und dem Langzeitu¨berleben (Schirren et al. 1998) Metastasenzahl
1
2–8
> 8*
n
242
312
152
1 Jahr
80,5%
79,8%
70,0%
3 Jahre
59,3%
56,5%
42,4%
5 Jahre
46,7%
42,6%
31,5%
Median
48,8 Mo
45,3 Mo
26,2 Mo
* > 8 vs. 1 bzw. 2–8 p = 0,0013; 1 vs. 2–8 nicht signifikant.
17.6
987
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
14 Zusammenfassung Die chirurgische Behandlung von Lungenmetastasen im interdisziplinren onkologischen Konzept zusammen mit internistischen Onkologen, Pneumologen und Strahlentherapeuten stellt heute ein anerkanntes Therapiekonzept dar. Die Suche nach prognoserelevanten Faktoren ist der Versuch, aus dem Gesamtkollektiv der an Lungenmetastasen erkrankten Patienten diejenigen herauszufinden, die einen maximalen Gewinn durch die Operation erzielen knnen. Der Vergleich primrtumorabhngiger Prognosefaktoren mit Angaben aus der Literatur ist derzeit noch sehr schwierig, da diese zum Teil nur vereinzelt und in nicht vergleichbaren Analysen vorliegt. Da eine Therapie nur durch den Vergleich mit dem Spontanverlauf der Erkrankung beurteilt werden kann, fehlen bislang prospektive Studien ber den natrlichen Verlauf von Patienten mit Lungenmetastasen. Die gnstigen Ergebnisse nach Resektionsbehandlung lassen eine prospektive kontrollierte Studie, aber auch nicht mehr zu. Kritisch betrachtet ist jedoch zu bedenken, da die Patienten, die die Kriterien zu einem operativen Eingriff erfllen, bereits eine prospektiv selektionierte Gruppe darstellen. Ein berleben von 5 Jahren bedeutet keineswegs immer Heilung. Tatschlich verbringt eine Vielzahl von Patienten den Rest ihres Lebens unter rezidivierenden Therapiemanahmen. Die Ergebnisse der Lungenmetastasenchirurgie sind insgesamt nur schwer miteinander vergleichbar. Die verschiedenen Primrtumorarten, deren unterschiedliche Therapien, Histologie und Grading sowie prund postoperative Therapieschemata sind uneinheitliche Parameter und erTabelle 10. Internationales Register von Lungenmetastasen: U¨berlebensrate in Abha¨ngigkeit vom Prima¨rtumor (Pastorino et al. 1997)
Epithelkarzinom
Sarkom
Anzahl der Patienten (n)
Medianes 10-Jahres5-JahresU¨berlebensrate U¨berlebensrate U¨berleben [Monate] [%] [%]
Gesamt
1894
37
21
40
Kolon
653
37
22
41
Brust
411
37
21
37
Niere
402
41
24
41
Gesamt
1917
31
33
27
33
27
40
Osteosarkom 734 938
30
22
27
Melanom
Weichteil
282
21
14
27
Keimzelltumor
318
68
63
17
988
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 11. Internationales Register von Lungenmetastasen: Analyse der U¨berlebensrate nach kompletter Resektion in Abha¨ngigkeit von krankheitsfreiem Intervall (DFI) und Anzahl der Metastasen (Pastorino et al. 1997) Anzahl der Patienten (n)
5-JahresU¨berlebensrate [%]
10-JahresU¨berlebensrate [%]
Medianes U¨berleben [Monate]
4572
36
26
35
0–11
1384
33
27
29
12–35 36
1662
31
22
30
1416
45
29
49
2169
43
31
43
2–3
1226
34
24
31
4+
1123
27
19
27
10+
342
26
17
26
Insgesamt DFI (Monate)
Metastasenanzahl 1
Tabelle 12. Internationales Register von Lungenmetastasen: Definition von prognostischen Risikogruppen und medianes U¨berleben (Pastorino et al. 1997) Medianes U¨berleben [Monate]
Gruppe
Charakteristik
I
Resektabel, keine Risikofaktoren: DFI 36 Mo- 61 nate und singula¨re Metastasen
II
Resektabel, 1 Risikofaktor: DFI < 36 Monate oder 34 multiple Metastasen
III
Resektabel, 2 Risikofaktoren: DFI < 36 Monate 24 und multiple Metastasen
IV
Nicht resektabel
14
DFI = krankheitsfreies Intervall
schweren daher eine vergleichbare Betrachtung. Trotzdem knnen die Ergebnisse des International Registry of Lung Metastasis besttigen, da die Metastasenchirurgie an der Lunge ein sicheres und potentiell kuratives Verfahren ist. Dies konnte an 5206 Fllen in 18 europischen thoraxchirurgischen Abteilungen und 4 Abteilungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada herausgearbeitet werden (Pastorino et al. 1997). Die Ergebnisse dieses Registers und ihre wichtigsten prognostischen Faktoren sind in den Tabellen 10, 11 und 12 dargestellt. Die individuelle Therapieentscheidung mu, unter Bercksichtigung prognoserelevanter Faktoren sowie der speziellen Problematik jedes einzelnen Patienten, in enger interdisziplinrer Zusammenarbeit getroffen werden.
17.6
Chirurgische Therapie von Lungenmetastasen
989
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17
990
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17
17.7 Therapie von Skelettmetastasen I. J. Diel, H. Seegenschmiedt
1 Epidemiologie und Pathophysiologie ossa¨rer Metastasen 1.1 Epidemiologie Knochenmetastasen im Verlauf von Tumorerkrankungen sind sehr hufig. Die Prvalenz ossrer Metastasen im Vergleich zu primren Sarkomen des Knochens liegt etwa 25mal hher. Prinzipiell ist jeder bsartige Tumor dazu befhigt, in das Skelett zu metastasieren. Es sind aber nur wenige, die das gehuft tun. An erster Stelle steht das Mammakarzinom, gefolgt vom Prostata- und Bronchial-, Schilddrsen- und Nierenzellkarzinom. Diese fnf Tumorentitten sind fr mehr als 80% aller Skelettmetastasen verantwortlich. Etwa 70…80% aller Patienten, die am Mamma- oder Prostatakarzinom versterben, und 50…60% der Patienten, die am Bronchial- oder Schilddrsenkarzinom versterben, weisen autoptisch Knochenmetastasen auf (Tabelle 1). Die durchschnittliche berlebenszeit nach Beginn einer Skelettmetastasierung betrgt … bei groer Variationsbreite … bei KarziTabelle 1. Ha¨ufigkeit von Knochenmetastasen nach Prima¨rtumor und Metastasierungstyp aufgefu¨hrt Prima¨rtumor
Ha¨ufigkeit
Osteoblastische Metastasen
Osteolytische Metastasen
Gemischte Metastasen
Mamma
70–85%
40,4
46,1
13,5
Prostata
60–80%
65,1
18,2
16,7
Lunge
40–60%
37,3
58,4
6,9
Niere
40–60%
26,2
69,5
4,3
Schilddru¨se
40–50%
–
–
–
Leber
5–10%
10,0
90,0
–
Pankreas
5–10%
47,1
47,1
5,8
Gallenblase
–
29,4
58,8
11,8
Magen
5–10%
44,9
46,4
8,7
Uterus
5–10%
–
–
–
Blase
5–10%
–
–
–
Ovar
5%
25,0
75,0
–
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
995
nomen der Brustdrse und der Prostata etwa 2,5 Jahre, beim Bronchialkarzinom deutlich weniger. Interessanterweise ist es nicht nur eine kleine Zahl von Tumoren, die gehuft in den Knochen metastasiert, auch die Verteilung im Skelett ist nicht gleichfrmig. Whrend man ossre Absiedlungen in Regionen mit hohem Anteil an trabekulrem Knochen gehuft vorfindet (Achsenskelett), sind Metastasen in den langen Rhrenknochen eher selten. Die Grnde hierfr liegen in der erhhten Knochenumbaurate im spongisen Anteil des Achsenskeletts, den weiten Sinusoiden des trabekulren Knochens, in denen der Blutfluss verlangsamt ist, und in anatomischen Besonderheiten, wie dem klappenlosen vensen Plexus vertebralis. Dieser erlaubt eine retrograde Tumorzellaussaat, unter Umgehung des groen Kreislaufs, aus genau den fnf Organenlokalisationen, die gehuft osteotrop metastasieren (s.o.). 1.2 Pathophysiologie Prinzipiell entstehen Knochenmetastasen nach den gleichen Kriterien wie andere Metastasen auch. Das heit, vom Tumor werden Zellen abgegeben, die nach Durchwanderung der extrazellulren Matrix die Basalmembran durchbrechen und mit dem Kreislauf in distante Organe transportiert werden. Im Zielorgan verluft der Proze umgekehrt: Die metastatischen Zellen verlassen das Gefsystem und lagern sich an der endostalen Oberflche an. Adhsionsmolekle und Chemokine erleichtern diesen Vorgang. Der grte Teil der disseminierten Zellen geht zugrunde oder wird eliminiert. Einige wenige Zellen aber besitzen die Fhigkeit zu metastatischem Wachstum oder verbleiben zunchst im Status der „dormancy“, um spter zu proliferieren (Chambers et al. 2002). Diese oft jahrelange Latenzzeit ist typisch fr das Mammakarzinom, aber auch fr das Prostatakarzinom und das maligne Melanom. Die molekularen und biologischen Voraussetzungen fr diese spte Metastasierung sind bis heute kaum bekannt. Man vermutet, da die Tumorzellen im Knochenmark in einer Art „steady state“ Zellzyklen durchlaufen, aber in ihrer weiteren Proliferation von T-Zellen (CD8+) kontrolliert und eingeschrnkt werden. Whrend die oben beschriebenen Vorgnge erst ansatzweise verstanden sind, wei man ber die Wechselwirkung zwischen metastatischen Zellen und dem Knochen und seinen Zellsystemen recht gut Bescheid (Mundy 2002). So sind es keineswegs die Tumorzellen selbst, die den Knochen zerstren, sondern die Osteoblasten und Osteoklasten, die, durch parakrin sezernierte Faktoren der Tumorzellen aktiviert, die ossre Struktur degradieren. Insbesondere PTHrP (parathyroid hormone-related peptide) spielt bei Tumoren mit prdominanter osteolytischer Metastasierung eine Schlsselrolle bei der Aktivierung der Klasten (ebenso Prostaglandine und Inter-
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
leukin-8). Bei prdominanter osteoblastischer Metastasierung findet man in Tumorgewebe und Serum vermehrt Endothelin-1 und Bone-morphogenic-Protein (BMP), potente Aktivatoren der osteoblastren Reaktion.
Abb. 1. Wechselwirkung zwischen Tumorzelle, Osteoklast und Knochen bei der Proliferation von Knochenmetastasen. (Modifiziert nach Mundy 2002)
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
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Abbau und gesteigerter Umbau der Skelettstruktur fhrt wiederum zur Freisetzung von Wachstumsfaktoren aus der Knochenmatrix, die auf metastatische Zellen in der Umgebung einen proliferativen Effekt haben. Transforming Growth Factor-b (TGF-b) und Insuline-like Growth Factor 1 (IGF 1) sind die wichtigsten Substanzen, die bisher entdeckt wurden. Die wechselseitigen Akzelerationen von Tumorzellen und Knochenzellen sind, einem Circulus vitiosus vergleichbar, der pathogenetische Stimulus der Knochenmetastasierung (Abb. 1). Radiologe und klinisch ttiger Arzt unterscheiden zwischen osteolytischen, osteoblastischen und gemischtfrmigen Knochenmetastasen und erwarten unterschiedliche Krankheitsbilder. Tatschlich findet man radiologisch bei Patienten mit Prostatakarzinomen hufiger osteoblastische Metastasen, bei Patienten mit Bronchial- und Mammakarzinomen vermehrt osteolytische Metastasen, allerdings mit einem weiten Spektrum gemischtfrmiger Lsionen dazwischen (s. Tab. 1). Im Tiermodell beginnt jede Metastasierung mit einer osteolytischen Aktivierung, gefolgt von einer osteoblastischen Reaktion. Warum individuell welches Muster entsteht ist unklar und kann sowohl vom Tumor als auch vom „Wirtsorgan“ Knochen oder von den Kommunikationswegen zwischen Blasten und Klasten (OPG-RANKLSystem) beeinflut sein. Therapeutisch spielt das Metastasierungsmuster eine untergeordnete Rolle; es gibt keine unterschiedliche systemische Therapie fr lytische oder blastische Metastasen (Mundy 2002).
2 Klinik der ossa¨ren Metastasierung Knochenmetastasen verweisen nicht nur … wie andere Metastasen auch … auf die Inkurabilitt der Erkrankung, sie gehen auch mit typischen Komplikationen einher (Tabelle 2). Im Vordergrund steht der Knochenschmerz, der hufig den ersten diagnostischen Hinweis gibt und der fast alle Patienten im Verlauf der Erkrankung affektiert. Zweithufigste Komplikationen sind paTabelle 2. Typische skelettale Komplikationen beim ossa¨r metastasierten Mammakarzinom (Solomayer et al. 2000) Frauenklinik Heidelberg
Ergebnisse aus internat. Publikationen
Knochenschmerzen
80%
50–90%
Pathologische Frakturen
25%
10–40%
Hyperkalza¨mie
9%
10–20%
Spinale Kompressionen
8%
< 10%
Knochenmarksuppression
7%
< 10%
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998
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
thologische Frakturen und spinale Kompressionssyndrome, die nicht nur bei Patienten mit Tumorosteolysen auftreten (Tabelle 2). Da der Knochen bei osteoblastischen Metastasen keineswegs fester ist, sondern nur dichter, dabei aber vllig unstrukturiert, sind pathologische Frakturen auch beim Prostatakarzinom nicht selten. Etwa ein Drittel aller Patienten mit Skelettmetastasen sind von dieser Komplikation betroffen (Solomayer et al. 2000). Die Hyperkalzmie tritt in zwei unterschiedlichen Formen auf. Die tumorinduzierte Hyperkalzmie (humoral hypercalcemia of malignancy, HHM) ist das Ergebnis einer paraneoplastischen Produktion von Mediatoren, die den Knochenstoffwechsel aktivieren. Das beste Beispiel dafr ist die ektope Produktion von PTHrP bei Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich, beim Bronchial- und Nierenzellkarzinom. Diese seltenere Form der Hyperkalzmie ist nicht ans Stadium gebunden und wird primr durch die Entfernung des Tumors behandelt. Weitaus hufiger sind Hyperkalzmiesyndrome bei fortgeschrittener Skelettmetastasierung. Die Inzidenz ist allerdings in den letzten Jahren weltweit durch den frhzeitigen Einsatz antiosteolytischer Substanzen gesunken (Therapie siehe Kap. 18.1). Eine letzte Komplikation ist die Verdrngungsmyelopathie als Folge einer Knochenmarkkarzinose. Die Symptome der Myelosuppression ergeben sich aus der Einschrnkung der einzelnen Zellreihen. Die Therapie ist rein palliativer Natur.
3 Diagnostik von Skelettmetastasen Der klinischen Verdachtsdiagnose einer Knochenmetastasierung bei entsprechender Symptomatik (die jhrliche apparative Frherkennung ist wegen mangelnder Effektivitt aus den meisten Nachsorgeprogrammen verschwunden) folgt die diagnostische Sicherung. Leituntersuchung ist die Skelettszintigraphie. Die hohe Sensitivitt wird von kaum einem anderen Verfahren erreicht. Rntgenaufnahmen lassen eine Destruktion im bereits fortgeschrittenen Stadium erkennen. In Zweifelsfllen und im Frhstadium ergnzen und erweitern CT, NMR und PET die Diagnostik. Knochenstoffwechselmarker haben in der Frhdiagnostik enttuscht und spielen eine untergeordnete Rolle.
4 Therapie von Skelettmetastasen Weitaus hufiger als bei viszeraler Metastasierung erfordert die Behandlung skelettaler Lsionen die Zusammenarbeit vieler klinischer Disziplinen. Neben Onkologen, Strahlentherapeuten und Nuklearmedizinern sind auch Chirurgen, Orthopden und Schmerztherapeuten gefordert und eingebunden (Diel et al. 1999).
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
999
Zwei Therapieoptionen werden unterschieden: F F
Lokale Maßnahmen: Strahlentherapie, Operationen, Systemische Behandlungsformen: Hormon- und Chemotherapie, Anwendung von Bisphosphonaten und Radionukliden.
Da es keine prinzipiellen Unterschiede in der systemischen Therapie von ossren und nichtossren Metastasen (Hormon-Chemo-Antikrpertherapie) gibt, sind die gngigen und empfohlenen Schemata unter den einzelnen Organlokalisationen in diesem Buch aufgefhrt (s. dort). Gleiches gilt fr die Schmerztherapie von Metastasen (s. dort). Im Folgenden wird daher nur ber lokale Therapieformen und die Behandlung mit Bisphosphonaten und Radionukliden berichtet. 4.1 Chirurgisch-orthopa¨dische Maßnahmen bei Skelettmetastasen Die Mglichkeiten operativer Manahmen bei Frakturen und spinalen Kompressionssyndromen im Rahmen einer Knochenmetastasierung werden noch immer viel zuwenig genutzt. Dabei gibt es auch bei geschtzten berlebenszeiten von weniger als 6 Monaten keinen Grund zu therapeutischer Resignation. Gerade bei solchen Patienten gilt es, die verbliebene Lebenszeit durch Vermeidung von Immobilisierung und Schmerz in ihrer Qualitt zu verbessern. Ziele der operativen Behandlung von Knochenmetastasen sind: Schmerzfreiheit, primre Belastungs- und bungsstabilitt, Wiederherstellung der Geh- oder Gebrauchsfhigkeit, Verbesserung der psychischen Situation und der Lebensqualitt im allgemeinen (Ewerbeck u. Friedl 1992). Absolute Operationsindikationen sind: F F F
pathologische Frakturen der langen Rhrenknochen und des Beckens, Wirbelmetastasen mit Zusammenbruch des Wirbelkrpers und progredienter spinaler oder radikulrer Kompression, periphere Nervenkompressionssyndrome.
Alle Operationen sollten so ausgefhrt werden, da ein Zweiteingriff nicht notwendig wird. Die Fortschritte der operativen Frakturbehandlung, in der Rekonstruktion von Knochen- und Weichteildefekten und in der Gelenkprothetik sind mittlerweile auf die Metastasenchirurgie des Skeletts bertragen worden. Dazu zhlen die intramedullre Schienung bei langen Rhrenknochen, die Verbundosteosynthese und Verblockung bei Frakturen der Wirbelsule und der Einsatz von Endoprothesen bei gelenknah gelegenen Osteolysen.
17
1000
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
4.2 Radiotherapie von Knochenmetastasen Die Strahlentherapie ist Teil der interdisziplinren palliativen Strategie; sie kann mit allen systemischen und supportiven Manahmen abgestimmt und kombiniert werden. Wesentliche Ziele sind die Verhinderung und Linderung von Symptomen und eine Lebensverlngerung mit besserer Lebensqualitt. Die Indikation zur Radiotherapie besteht immer bei F F F
lokalisiertem Tumorschmerz, (drohender) pathologischer Fraktur oder (drohendem) Querschnittsyndrom (Schnabel et al. 1998).
Bei kurzer Lebenserwartung und belastenden Symptomen erfolgt die Bestrahlung in einem kurzen Zeitintervall. Die Dosierung und Fraktionierung richten sich nach der Grunderkrankung und dem Therapieziel. Kurze Schemata mit hoher Einzeldosis (4…8 Gy) sind schnell wirksam, lsen aber evtl. mehr Nebenwirkungen und supportive Interventionen aus; niedrige Einzeldosen (2…3 Gy) wirken langsamer und mssen ber einen lngeren Zeitraum appliziert werden, erzielen evtl. aber langfristig eine bessere lokale Kontrolle. In der Regel wird daher bei schlechter Prognose eine hohe Einzeldosis und kurze Therapiedauer gewhlt, bei guter Lebenserwartung und radiosensiblen Strukturen in der Nachbarschaft niedrige Einzeldosen und eine lngere Therapiedauer (Tabelle 3). Lokale Schmerzen sprechen in bis zu 50% komplett und in 80…90% partiell an. Die Ergebnisse sind besonders gut beim Mamma- und Prostatakarzinom, zufriedenstellend bei gastrointestinalen Tumoren und ausreichend bei Nierenzell- und Bronchialkarzinomen. Die Linderung tritt hufig schon innerhalb weniger Tage nach Therapiebeginn ein (Rieden et al. 1989). Oft kommt es auch zur Restabilisierung bzw. Rekalzifizierung des Knochens. Tabelle 3. Bestrahlungskonzepte bei Knochenmetastasen Konzept
Einzeldosis/ Fraktionierung
Gesamtdosis
Notizen zur Anwendung
Einzeitbestrahlung
6–8 Gy in 1 Fraktion
6–8 Gy
Obere oder untere Halbko¨rperbestrahlung
Hypofraktionierung
3–5 Gy in 4–6 Fraktionen
12–20 Gy
Kurzzeitkonzept bei schlechter Prognose
2–3 Gy in 10–20 Fraktionen
30–40 Gy
Langzeitkonzept bei guter Gesamtprognose: evtl. Rekalzifikation und Reossifikation mo¨glich
30–40 Gy
Evtl. Operation zuerst
Konventionelle Fraktionierung Ru¨ckenmarkkompression
2–3 Gy
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Therapie von Skelettmetastasen
1001
Umliegende gesunde Knochenstrukturen erfahren durch die Bestrahlung keine nachteilige ˜nderung der Knochendichte. Bei osteolytischen Metastasen sinkt im Erfolgsfall die Knochendichte zunchst um etwa 30% ab, gefolgt von einer starken Anhebung der Dichte drei Monate nach Beendigung der Therapie als Ausdruck der Rekalzifizierung. Die metastatische Myelokompression ist ein bedrohliches Ereignis, da das Risiko fr eine schwere Beeintrchtigung der Lebensqualitt sehr hoch und die berlebenszeit oft nur noch kurz ist. Gehfhige Patienten berleben median 10 Monate, nicht gehfhige aber nur 2 Monate. Die Myelokompression tritt bei ca. 5% aller Tumorerkrankungen mit Knochenmetastasen auf. Die Strahlentherapie mu ohne Verzgerung beginnen: Zwischen den ersten neurologischen Symptomen und Therapiebeginn sollten weniger als 24 Stunden liegen. Das meistgenutzte Dosiskonzept betrgt 10 3 Gy bei 5 Bestrahlungen pro Woche. Die Dosis bezieht sich auf einen Referenzpunkt im Rckenmark. Disseminierte Knochenmetastasen eignen sich nicht fr die typische perkutane Bestrahlung. In solchen Fllen kann eine Halbkrperbestrahlung der oberen (1 6 Gy) oder unteren Krperhlfte (1 8 Gy) erfolgen. Wegen hoher Toxizitt sollte die Indikation zu alternativen systemischen Therapiemanahmen sorgfltig abgewogen werden (Schnabel et al. 1998). 4.3 Radionuklidtherapie bei schmerzhaften Knochenmetastasen Zur palliativen Schmerztherapie bei disseminierter gemischtfrmiger und osteoblastischer Metastasierung stellt die Radionuklidtherapie ein bewhrtes Verfahren dar. Therapieprinzip ist die Anlagerung des Kalziumanalogs Strontium 89 oder der radioaktiv markierten Bisphosphonate Samarium153-EDTPM und Rhenium-186-HEDP an den Hydroxylapatit des metastatisch aktivierten Knochens. Die Beta-Strahlung fhrt zu einer Reduktion benachbarter Tumorzellen. Fr alle drei erwhnten Radionuklide wird eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik bis zu 70…80% bei osteoblastischen Metastasen beim Prostata- und Mammakarzinom beschrieben. Ein Wirkungseintritt ist nach 1…2 Wochen zu erwarten, die Wirkdauer liegt bei 4…6 Monaten, die Applikation kann wiederholt werden. Nebenwirkungen sind durch die Beta-Strahlung auf die Hmatopoese zu befrchten, wobei Leuko- und Thrombopenie dominieren (Fischer 1999). 4.4 Therapie mit Bisphosphonaten Vereinfacht gesagt haben Bisphosphonate zwei Wirkungen: F
Sie schtzen das verbliebene Skelett vor weiterer Zerstrung (Osteoprotektion),
17
1002 F
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Sie wirken schmerzlindernd und haben damit einen enormen Einflu auf die Lebensqualitt.
In der Onkologie kommen derzeit vier Bisphosphonate zum Einsatz: Clodronat, Pamidronat, Ibandronat und Zoledronat. In dieser Reihenfolge wchst die Affinitt zum Knochen (Potenz), ohne da damit eine klinisch bessere Effektivitt verbunden ist. Diese hngt vielmehr mit der entsprechenden Dosierung und Applikation zusammen (Diel 2002). Inzwischen ist der Wirkmechanismus der Bisphosphonate aufgeklrt. Die Substanzen lagern sich an den Kalziumatomen der Knochenoberflche an, insbesondere in Regionen mit erhhtem Knochenumsatz. Osteoklasten phagozytieren mit abgelsten Knochenfragmenten auch die Bisphosphonate. Diese entfalten im Osteoklasten ihre zytotoxische Wirksamkeit. Bisphosphonate unterbrechen den Mevalonatstoffwechsel, der unter anderem auch zur Cholesterinsynthese gebraucht wird. Aminobisphosphonate hemmen kompetitiv (wegen der ˜hnlichkeit der Seitenketten) die Prenylierung, die zur Bindung von GTPasen (Rho, Ras, Rab u.a.) an die Zellmembran notwendig ist (Abb. 2). Letztendlich fhrt dieser Proze zum apoptotischen Zelltod des Osteoklasten (Rogers et al. 1999). Derselbe Mechanismus ist auch fr die einzig schwere Nebenwirkung der Bisphosphonate verantwortlich: die Schdigung des Nierenparenchyms (proximale Tubulusepithelien). Fr oral verabreichte Bisphosphonate in der Onkologie ist keine Nephrotoxizitt nachgewiesen. An weiteren Nebenwirkungen kennt man gastrointestinale Strungen (Durchflle und selten Gastritis und sophagitis) und die Akute-Phase-Reaktion, eine interleukinvermittelte Pyrexie mit grippehnlichen Symptomen wie Gelenkschmerzen und Abgeschlagenheit. Diese Nebenwirkung der Aminobisphosphonate (10…30%) tritt typischerweise nach der ersten Infusion auf und hlt 1…2 Tage an (Bartl u. Frisch 2001). Therapieziel der antiosteolytischen Behandlung ist die Vermeidung skelettaler Komplikationen. Dazu zhlen die Reduktion pathologischer Frakturen und hyperkalzmischer Episoden, die Verringerung der Notwendigkeit operativer und strahlentherapeutischer Interventionen und insbesondere die Unterdrckung des Knochenschmerzes. Bisphosphonate tragen durch die Wirksamkeit bei der Bekmpfung dieser Komplikationen erheblich zur Verbesserung der Lebensqualitt und Erhaltung der Leistungsfhigkeit der Patientinnen bei. Die osteoprotektive Wirkung beinhaltet auch einen nachweislichen Effekt auf die Ausprgung einer tumortherapieinduzierten Osteoporose, die allerdings einen adjuvanten Einsatz weitaus wichtiger erscheinen lt. Auch wenn die meisten Daten zur Therapie mit Bisphosphonaten aus Studien zum ossr metastasierten Mammakarzinom stammen (beim Zoledronat auch zum Prostata- und Bronchialkarzinom), gibt es keine Hinweise,
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1003
da die Dosierungen bei verschiedenen Primrtumoren unterschiedlich zu whlen sind. Die im Folgenden aufgezeigten Dosierungen gelten prinzipiell fr alle Arten von Knochenmetastasen (Diel u. Possinger 1999; Bartl u. Frisch 2001; Diel 2002). Tabelle 4 zeigt die Wirksamkeit der einzelnen Bisphosphonate beim metastasierten Mammakarzinom im Vergleich.
17
Abb. 2. Wirkweise der Bisphosphonate – Apoptoseinduktion durch Unterbrechung des MevalonatStoffwechsels. (Mit freundlicher Genehmigung aus Bartl u. Frisch 2001)
p = 0.001
signifikant wie PAM
p = 0.001
n.s.
n.s.
p = 0.023
n.s.
p = 0.025
n.s.
signifikant wie PAM
n.s.
p = 0.01
n.s.
* Studie wurde nicht gegen Placebo, sondern gegen Pamidronat durchgefu¨hrt PAM = Pamidronat
Body et al. 2004
Ibandronat 50 mg/d p.o.
Rosen et al. 2001–2004
Zoledronat* 4 mg i.v./3–4 Wo.
Body et al. 2003
Ibandronat 6 mg/i.v./3–4 Wo.
Hortobagyi et al. 1996
Pamidronat 90 mg i.v./3–4 Wo.
p = 0.05
n.s.
Clodronat 1600 mg/d p.o.
p = 0.001
signifikant > PAM
p = 0.012
p = 0.001
p = 0.05
Patholog. Frakturen Patholog. Frakturen Vermeidung einer (nichtvertebral) Strahlentherapie (vertebral)
p = 0.037
signifikant > PAM
n.s.
p = 0.01
Nicht getestet
Vermeidung einer Operation
p = 0.004
p = 0.058 > PAM
p = 0.004
p = 0.001
p = 0.001
Summe aller oss. Komplikationen 17
Paterson et al. 1993
Knochenschmerz
Pra¨parat Literatur
Tabelle 4. Reduktion skelettaler Komplikationen durch Bisphosphonat-Standardtherapien beim metastasierten Mammakarzinom
1004 Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1005
4.4.1 Behandlung von Metastasen mit Clodronat
Clodronat zhlt zu den Bisphosphonaten der ersten Generation und kann intravens (1500 mg ber 4 h alle 3…4 Wochen) oder oral (1600 mg/Tag) verabreicht werden. Die i.v. Applikation ist zur Normalisierung einer Hyperkalzmie und zur Reduktion skelettaler Komplikationen geeignet, wird aber wegen der langen Infusionszeit und der groen Moleklmenge nicht hufig eingesetzt. Orales Clodronat senkt ebenfalls die Rate der skelettalen Komplikationen, hat aber bei Hyperkalzmien und beim akuten Knochenschmerz keine gute Effektivitt (Paterson et al. 1993). Der Einsatzbereich liegt hauptschlich in der Verhinderung dieser Komplikationen (asymptomatische Metastasen) und in der adjuvanten Therapie zur Vermeidung von subsequenten Metastasen (s.d.). Es ist keineswegs richtig, da orale Bisphosphonate eine schlechte Effektivitt besitzen, nur weil sie enteral schlecht resorbiert werden (Clodronat 3%, Aminobisphosphonate < 1%) … entscheidend ist die quipotente Dosierung. Da es in der Effektivitt keine gravierenden Unterschiede gibt, zeigt die Metaanalyse der Cochrane Society (Pavlakis u. Stockler 2002). Sowohl orale als auch i.v. Bisphosphonate haben sich bei der Reduktion skelettaler Ereignisse als gleich gut erwiesen. 4.4.2 Behandlung von Knochenmetastasen mit Pamidronat
Seit vielen Jahren zhlt Pamidronat zur Standardtherapie ossr metastasierter Karzinome. Da sich die orale Therapie als zu toxisch erwiesen hatte, wurde es nur in intravenser Form genutzt (90 mg ber 2 h, alle 3…4 Wochen). Pamidronat senkt alle skelettalen Komplikationen, auer der Inzidenz vertebraler Frakturen (Hortobagyi et al. 1996). Bei der Therapie der Hyperkalzmie und des akuten Knochenschmerzes ist es dem oralen Clodronat berlegen. Pamidronat war das erste fr die Behandlung von Tumorosteolysen zugelassene Aminobisphosphonat. Die Wirkstrke von Pamidronat liegt ber der von Clodronat, was auf die strkere Affinitt der Substanz zum Hydroxylapatit der Knochenoberflche zurckzufhren ist. Pamidronat ist in oraler Formulierung getestet, aber nicht zur Zulassung weiterentwickelt worden. Ein Grund dafr waren hufige und teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen im oberen Gastrointestinaltrakt bei einer Dosis von 600 mg. Auerdem liegt die intestinale Resorptionsquote noch weit unter der von Clodronat. Die breiteste Anwendung hat Pamidronat als Intervalltherapie in einer Dosierung von 90 mg alle 4 Wochen gefunden. Intravens applizierte Bisphosphonate sind 100%ig bioverfgbar und nicht von der individuellen intestinalen Resorptionsquote abhngig, die wiederum von den Mahlzeiten und deren kalziumhaltigen Bestandteilen beeinflut werden kann.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Die Referenzstudie zur Anwendung von i.v. Pamidronat wurde von Hortabagyi et al. (1996) publiziert. In dieser multizentrischen, doppelblinden und placebokontrollierten Studie wurde bei Patientinnen mit osteolytischen Destruktionen (n = 382) Pamidronat in einer Dosierung von 90 mg i.v. alle 4 Wochen oder Placebo zustzlich zu einer Chemotherapie verabreicht (fr 1 Jahr = 12 Zyklen). In der Pamidronat-Gruppe wurde das Auftreten extravertebraler Frakturen signifikant reduziert, ebenso der Knochenschmerz und die Notwendigkeit einer Strahlentherapie. Allerdings konnte keine Reduktion der vertebralen Frakturen nachgewiesen werden. In einer Followup-Studie mit deutlich verlngerter Nachbeobachtungszeit konnten die Pamidronat-Effekte weiterhin besttigt werden (Hortobagyi et al. 1998). Interessanterweise zeigen die Zulassungsstudien fr Pamidronat gegenber der Placebogruppe einen lebensverlngernden Effekt in der Subgruppe der prmenopausalen Patientinnen (24,6 vs. 15,7 Monate). ˜hnliche Beobachtungen konnten auch beim muliplen Myelom gemacht werden (Lipton et al. 2000). 4.4.3 Behandlung von Knochenmetastasen mit Ibandronat
Ibandronat ist ein hochpotentes Bisphosphonat der dritten Generation, das in intravenser Form seit November 2003 zur Behandlung von Knochenmetastasen beim Mammakarzinom zugelassen ist. In oraler Form ist es seit April 2004 zur Therapie von Osteolysen verfgbar. Die Studien zur parenteralen Anwendung wurden mit 2 und 6 mg i.v. versus Placebo bei 462 Patientinnen mit ossr metastasiertem Mammakarzinom ber 2 Jahre durchgefhrt. Whrend 6 mg Ibandronat gegenber Placebo signifikant skelettale Komplikationen reduzierte, konnte das fr 2 mg nicht gezeigt werden. Fr 6 mg konnte eine signifikante Reduktion von vertebralen, nicht aber von extravertebralen Frakturen gezeigt werden. Wiederum konnte die beste Effektivitt in der Vermeidung von Strahlentherapien konstatiert werden. Des weiteren fhrten 6 mg zu einer signifikanten Verlngerung des Zeitraums bis zum Auftreten der ersten skelettalen Komplikation und zu einer dauerhaften Reduktion des Knochenschmerzes ber 24 Monate (Abb. 3 und 4) (Body et al. 2003). Herausragende Ergebnisse zeigte die Studie fr die Verbesserung der Lebensqualitt der betroffenen Patientinnen in allen gemessenen Bereichen (erhoben mit dem EORTC-QLQ-C30-Fragebogen) und fr die Reduktion des Gebrauchs von Schmerzmitteln (Diel et al. 2004). Die renale Toxizitt von Ibandronat (6 mg) lag bei 1 Stunde Infusionszeit im Bereich der Placebogruppe. Einzig die sog. Akute-Phase-Reaktion mit subfebrilen Temperaturen, Leukozytose, Arthralgien und grippalen Symptomen war in der Behandlungsgruppe hufiger, verschwand aber rasch im Verlauf der weiteren Therapie.
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1007
Abb. 3. Ibandronat (6 mg) vs. Placebo (Zeitraum bis zur ersten skelettalen Komplikation) (Body et al. 2003)
Drei groe Vergleichsstudien wurden fr die Zulassung von Ibandronat oral durchgefhrt. In allen drei Studien wurden jeweils 50 mg vs. 20 mg vs. Placebo getestet. Insgesamt wurden 999 Patientinnen mit ossr metastasiertem Mammakarzinom eingeschlossen. Die Ergebnisse der Studien waren in etwa vergleichbar (Body et al. 2004; Tripathy et al. 2004). Mit der (zugelassenen) Dosis von 50 mg konnte eine signifikante Reduktion des Knochen-
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Abb. 4. Reduktion des Knochenschmerzes durch Ibandronat (6 mg) (Body et al. 2003)
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
schmerzes und aller skelettaler Ereignisse erreicht werden. Die Reduktion vertebraler Frakturen war … im Gegensatz zur Studie mit 6 mg intravens … nicht signifikant. Die Sicherheit fr orales Ibandronat war sehr gut. Zwar waren gastrointestinale Symptome (belkeit, Bauchschmerzen, Oesophagitis u..) signifikant vermehrt im Vergleich zur Placebogruppe, aber doch nur in einer Hufigkeit zwischen 2 und 7%. 4.4.4 Behandlung von Knochenmetastasen mit Zoledronat
Zoledronat ist eines der potentesten Bisphosphonate in der Onkologie und wurde aus ethischen Grnden in allen Phase-III-Studien nicht mehr gegen Placebo getestet, sondern gegen 90 mg Pamidronat i.v. Bei der Therapie der Hyperkalzmie konnte gezeigt werden, da Zoledronat um 10% hhere Ansprechraten zeigte und die Zeit bis zum Wiederauftreten der Hyperkalzmie verlngert werden konnte (Major et al. 2001) (Abb. 5). Keine andere Substanz wurde vor der Zulassung zur Behandlung von Metastasen (2002) an einer so groen Zahl von Patientinnen mit Mammakarzinom getestet (n = 1130). Zoledronat wurde in einer ˜quivalenzstudie gegen 90 mg Pamidronat in Dosierungen von 4 mg und 8 mg bei Patientinnen mit ossren Metastasen ber 12 Monate getestet (Rosen et al. 2001). Die Ergebnisse der Vergleichsstudie zeigten in der Kurzzeitanalyse keine Effektivittsunterschiede zwischen Pamidronat und Zoledronat. Beide Substanzen zeigten eine gute Schmerzreduktion. Da insbesondere die Dosis von 8 mg bei einigen Patientinnen zu Serumkreatininerhhungen und Niereninsuffizienz fhrte, wurde im weiteren Studienverlauf die Gruppe mit 8 mg ebenfalls auf 4 mg umgestellt und die Infusionsdauer auf 15 Minuten heraufgesetzt.
Abb. 5. Ansprechrate von Zoledronat bei der tumorinduzierten Hyperkalza¨mie (Major et al. 2001)
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1009
Abb. 6. Reduktion skelettaler Ereignisse durch Zoledronat (vs. Pamidronat) in der Langzeitanalyse (Rosen et al. 2003a)
Die renale Toxizitt von 4 mg, ber 15 min appliziert, war bei der abschlieenden Auswertung im Bereich von 90 mg Pamidronat. In einer Langzeitanalyse der Zulassungsstudie ber 25 Monate bei Patientinnen mit Mammakarzinom konnte eine Reduktion der skelettalen Komplikationen mit 4 mg Zoledronat gegenber 90 mg Pamidronat in einer Grenordung von 20% nachgewiesen werden (Rosen et al. 2003). Ganz hnlich wie bei anderen Bisphosphonaten konnte dieser Effekt hauptschlich durch die Reduktion notwendiger Strahlentherapien erreicht werden (Abb. 6). Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, da die potentere Substanz (im Vergleich zu Pamidronat) bei akuten Ereignissen, wie Knochenschmerz und Hyperkalzmie, wirksamer ist. Bei der Prophylaxe von pathologischen Frakturen scheint dies nicht der Fall zu sein. In einer weiteren Analyse, in die nur die Subgruppe von Patientinnen eingeschlossen war, die ausschlielich von osteolytischen Metastasen betroffen war, konnte eine weitere Risikoreduktion fr skelettale Komplikationen nachgewiesen werden (Rosen et al. 2004). Damit konnte gezeigt werden, da es insbesondere Frauen mit Tumorosteolysen, nicht aber Patientinnen mit osteoblastischen und gemischtfrmigen Lsionen waren, die von einer Zoledronattherapie profitierten. Zoledronat ist auer zur Behandlung von Knochenmetastasen beim Mammakarzinom auch zur Therapie bei anderen Tumorentitten zugelassen. Sowohl beim Prostatakarzinom als auch bei anderen soliden Tumoren wurden umfangreiche placebokontrollierte Studien durchgefhrt, die die Effektivitt bei der Reduktion skelettaler Ereignisse nachgewiesen haben (Saad et al. 2002; Rosen et al. 2003b). Damit ist Zoledronat das Bisphosphonat mit dem breitesten Zulassungsspektrum. Nur orales Clodronat besitzt
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
ebenfalls eine Zulassung fr die Therapie von Tumorosteolysen jeglichen Ursprungs. 4.4.5 Erste klinische Untersuchungen zur Pra¨vention von ossa¨ren Metastasen
Auch wenn in Tierversuchen hin und wieder eine prventive Anwendung von Bisphosphonaten zur Metastasenprophylaxe gezeigt werden konnte, waren die klinischen Studien beim metastasierten Mammakarzinom enttuschend. Allerdings konnte Elomaa mit Clodronat in einer kleinen Studie mit bereits ossr metastasiertem Mammakarzinom eine Reduktion neuer Knochenmetastasen nachweisen. Eine weitere Arbeit, von Kanis et al. publiziert, beschrieb, da Patientinnen mit distant oder lokal fortgeschrittenem Mammakarzinom (ohne Skelettmetastasen) durch eine prventive Clodronatbehandlung weniger ossre Metastasen entwickelten (bersicht in Diel u. Mundy 2000; Mundy 2003). Der adjuvante Einsatz von Clodronat wurde in zwei kleineren und in einer groen Studie getestet. Werfen wir einen kurzen Blick auf alle drei Studien. Die erste Verffentlichung erfolgte von Diel und Kollegen (1998). In dieser Studie wurden 302 Patientinnen mit primrem Mammakarzinom und disseminierten Tumoreinzelzellen im Knochenmark randomisiert und mit 1600 mg Clodronat oral behandelt oder nur nachkontrolliert. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von ca. 3 Jahren war im behandelten Kollektiv die Inzidenz von ossren und viszeralen Metastasen gesenkt und das Gesamtberleben verlngert. Der positive Effekt auf die berlebenszeit konnte auch in einer Nachuntersuchung mit einer medianen berlebenszeit von ca. 5 Jahren nachgewiesen werden, obwohl die Behandlungszeit nur 2 Jahre betrug (Tab. 5; Abb. 7). Zu vllig kontrren Ergebnissen kam die Studie von Tina Saarto et al. (2001). Dort konnte fr ossre Metastasen keine ˜nderung der Inzidenz gefunden werden, hingegen eine Steigerung der Hufigkeit viszeraler Metastasen und eine gesteigerte Mortalitt. Experten vermuten, da der Grund Tabelle 5. Ergebnisse nach adjuvanter Chemotherapie beim Mammakarzinom (Diel et al. 1998) Follow-up (Median 36 Monate)
Clodronat (n = 157)
Kontrollen (n = 145)
p-Wert
Fernmetastasen
21
42
< 0.001
Knochenmetastasen
12
25
0.003
Viszerale Metastasen
13
27
0.003
Mortalita¨t
6
22
0.001
Metastasen pro Patientin
3,1
6,3
0.004
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1011
Abb. 7. Reduktion der Mortalita¨t durch orales Clodronat beim prima¨ren Mammakarzinom (Diel et al. 1998)
fr das negative Resultat in der ungleichen Verteilung der Patientinnen mit negativem Rezeptorstatus liegen knnte. Auch wenn beide Studien durch eine kleine Zahl von Patientinnen gekennzeichnet sind, was zufllige Ergebnisse begnstigt, erstaunt die toxische Wirkung von Clodronat in der finnischen Studie, die noch nie zuvor, weder beim metastasierten Mammakarzinom noch beim multiplen Myelom und schon gar nicht bei der Osteoporose (und bei dieser Erkrankung werden Bisphosphonate ber sehr viele Jahre eingenommen), gezeigt werden konnte. Hochinteressant ist die dritte Studie, die nicht nur multizentrisch durchgefhrt wurde, sondern auch doppelblind und placebokontrolliert. Ausgewertet wurden schlielich 1076 Patientinnen mit primrem Mammakarzinom ohne besondere Risikokonstellation. Auch hier wurden 1600 mg Clodronat ber 2 Jahre eingesetzt. Bereits auf dem ASCO-Meeting 1998 wurden die ersten Ergebnisse von Powles vorgestellt. In dieser frhen Analyse zeigte sich eine signifikante Senkung der Hufigkeit subsequenter Knochenmetastasen. Fr viszerale Metastasen und das berleben war nur ein schwacher Trend erkennbar. In der endgltigen Publikation (Powles et al. 2002) mit wesentlich erweitertem Follow-up (Median 5,5 Jahre) wurde auch eine signifikante Verlngerung des Gesamtberlebens errechnet (Clodronat n = 98; Placebo n = 129; p = 0.047) (Abb. 8). Das heit, da diese methodologisch sehr korrekte und aufwendige Studie letztendlich die Ergebnisse von Diel et al. besttigte. Eine auf dem ASCO-Meeting 2004 in New Orleans durchgefhrte Paneldiskussion zur Empfehlung von adjuvantem Clodronat wurde eindeutig positiv entschieden (neue Follow-up-Untersuchungen unter: Proc. ASCO 2004; Abstracts 527…529). Die nordamerikanische Studienorganisation NSABP hat 2001 mit dem Protokoll
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1012
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Abb. 8. Reduktion der Mortalita¨t durch orales Clodronat bei Mammakarzinompatientinnen (n = 1076) (Powles et al. 2002)
B-34 eine vierte Clodronat-Studie aufgelegt (http://www.nsabp.pitt.edu), bei der Patientinnen mit primrem Mammakarzinom (ohne Risikofaktoren) randomisiert werden und entweder 1600 mg Clodronat oral oder Placebo fr 3 Jahre, zustzlich zur adjuvanten Systemtherapie, erhalten. Diese Studie hat die Rekrutierung bereits abgeschlossen (n = 3200). Erste Ergebnisse sind aufgrund der noch geringen Zahl an Ereignissen nicht verfgbar und frhestens 2007 zu erwarten. Weitere Studien mit Clodronat, Ibandronat und Zoledronat (z.B. AZURE-Trial, SWOG: SO 307) sind geplant und sollen in den nchsten Monaten anlaufen. 4.4.6 Empfehlungen zum Einsatz von Bisphosphonaten
Bei akuten Komplikationen, wie starkem Knochenschmerz und Hyperkalzmie, zeigen intravense Bisphosphonate eine schnellere und bessere Effektivitt (z.B. Zoledronat 4 mg oder Ibandronat 6 mg, alternativ auch Pamidronat 90 mg oder Clodronat 1500 mg, jeweils alle 3…4 Wochen). Bei asymptomatischen und oligosymptomatischen Knochenmetastasen kann neben der zuvor aufgezhlten Intervalltherapie gleichberechtigt eine orale Dauertherapie durchgefhrt werden (Clodronat 1600 mg oder Ibandronat 50 mg). Zur Prophylaxe von Knochenmetastasen gibt es nur Daten zur oralen Clodronattherapie. Eine Empfehlung zur Intervallprophylaxe kann nicht gegeben werden. Studien zur i.v. Prvention laufen derzeit. Zur Prophylaxe der tumortherapieinduzierten (TTI) Osteoporose (insbesondere bei Aromatasehemmstoffen und GnRH-Analoga) knnen prin-
17.7
Therapie von Skelettmetastasen
1013
zipiell alle Bisphosphonate genutzt werden. Aber nur Etidronat, Alendronat und Risedronat haben die Zulassung zur Behandlung der Osteoporose, sind allerdings nicht fr onkologische Indikationen zugelassen. Literatur Bartl R, Frisch B (2001) Das Bisphosphonat-Manual. Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin Wien Body JJ, Diel IJ, Lichinitser MR et al (2003) Intravenous Ibandronate reduces the incidence of skeletal complications in patients with breast cancer and bone metastases. Ann Oncol 14:1399…1405 Body JJ, Diel IJ, Lichinitser M et al (2004) Oral ibandronate reduces the risk of skeletal complications in breast cancer patients with metastatic bone disease; results from two randomized, placebo-controlled phase III studies. Br J Cancer 90:1133…1137 Chambers AF, Groom AC, MacDonald IC (2002) Dissemination and growth of cancer cells in metastatic sites. Nature Rev 2:563…572 Diel IJ, Solomayer EF, Costa SD et al (1998) Reduction in new metastases in breast cancer with adjuvant clodronate treatment. N Engl J Med 339:357…363 Diel IJ, Possinger K (Hrsg.) (1999) Bisphosphonate in der Onkologie, UNI-MED Verlag, Bremen Diel IJ, Solomayer EF, Gollan C (1999) Behandlung ossrer Metastasen beim Mammakarzinom. Der Gynkologe 32:675…682 Diel IJ, Mundy GR (2000) Bisphosphonates in the adjuvant treatment of cancer: experimental evidence and first clinical results. Br J Cancer 82:1381…1386 Diel IJ, Solomayer EF, Bastert G (2000) Bisphosphonates and the prevention of metastasis. First evidences from preclinical and clinical studies. Cancer 88:3080…3088 Diel IJ (2002) Bisphosphonate in der Supportivtherapie des Mammakarzinoms. In: Minckwitz G von, fr die AGO-Organkommission „Mammae“ (Hrsg.): Aktuelle Empfehlungen zur Therapie primrer und fortgeschrittener Mammakarzinome. Zuckschwerdt, Mnchen, Wien, New York Diel IJ, Body JJ, Lichinitser MR et al (2004) Improved quality of life after long-term treatment with the bisphosphonate ibandronate in patients with metastatic bone disease due to breast cancer. Eur J Cancer 40:1704…1712 Ewerbeck V, Friedl W (1992) Chirurgische Therapie von Skelettmetastasen. Springer, Berlin, Heidelberg, New York Fischer M (1999) Leitlinie fr die Radionuklidtherapie bei schmerzhaften Knochenmetastasen. Nuklearmedizin 38:270…272 Hortobagyi GN, Theriault RL, Porter L et al (1996) Efficacy of pamidronate in reducing skeletal complications in patients with breast cancer and lytic bone metastases. N Engl J Med 335:1785…1791 Hortobagyi GN, Theriault RL, Lipton A et al (1998) Long-term prevention of skeletal complications of metastatic breast cancer with pamidronate. J Clin Oncol 16: 2038…2044 Lipton A, Theriault RL, Hortobagyi GN (2000) Pamidronate prevents skeletal complications and is effective palliative treatment in woman with breast carcinoma and osteolytic bone metastases: long-term follow-up of two randomized, placebo-controlled trials. Cancer 34:2021…2026
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.8 Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen L. Lindemann-Sperfeld, A. Held
1 Epidemiologie Ha¨ufigkeit und Inzidenz: Wirbelkrpermetastasen entwickeln sich bei mehr
als einem Drittel aller Patienten mit systemischen Malignomen (Wong et al. 1990). Sie machen einen Anteil von mehr als 60% aller knchernen Metastasierungen aus (Aebi 2003). Dabei werden diese zu Lebzeiten nur bei 5…10% aller Patienten diagnostiziert, postmortal lassen sie sich jedoch bei mehr als 90% aller an Karzinomen verstorbenen Patienten nachweisen (Hirabayashi et al. 2003). Wie bei anderen Knochenmetastasen stammen Wirbelkrperfiliae in 80% der Flle von Mamma-, Lungen-, Prostata- oder Nierenkarzinomen (Aebi 2003). Die einzelnen Wirbelsulenabschnitte sind in unterschiedlicher Hufigkeit von einer spinalen Metastasierung betroffen: HWS: 10%, BWS: 70%, LWS: 20%. Altersverteilung: Bevorzugt betroffen sind Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter. 60% aller Patienten mit Wirbelkrpermetastasen sind lter als 60 Jahre. Die Chance, da ein lterer Patient (60…79 Jahre) von einer Wirbelkrpermetastasierung betroffen wird, ist beim mnnlichen viermal und beim weiblichen Geschlecht dreimal hher als bei Patienten im mittleren Lebensalter (40…59 Jahre) (Aebi 2003).
2 Pathogenese und Histologie Wirbelkrpermetastasen entstehen fast ausschlielich hmatogen ber Tumorzellemboli, die den paravertebralen Plexus (Batson-Plexus) erreichen. Dieser ist durch einen Mangel an Venenklappen charakterisiert, und dadurch soll eine Umverteilung des vensen Rckflusses in den Batson-Plexus ber basis- und intravertebrale Venen durch eine Erhhung des intraabdominellen bzw. intrathorakalen Drucks erfolgen. Im Gefolge dessen kommt es initial zu charakteristischen Tumorabsiedlungen im Kapillarnetz des Wirbelkrpers. Das hat zur Folge, da in mehr als 80% der Flle der Wirbelkrper von einer Metastasierung betroffen ist. Nur sehr selten sind die Pedikel bzw. die dorsalen Strukturen befallen (Aebi 2003). Diese Konstellation erklrt auch die Tatsache, da die berwiegende Mehrzahl der Wirbelkrpermetastasen extradural in den ventralen Abschnitten der Wirbelsule liegen und da eine eventuelle Spinalkanaleinengung nahezu
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
immer von ventral erfolgt (Aebi 2003). ber 90% der Wirbelkrpermetastasen sind extradural lokalisiert, nur etwa 5% intradural und weniger als 1% intramedullr (Schick et al. 2001). In seltenen Fllen kommt es zur Tumorzelleinschwemmung in den Wirbelkrper ber Segmentarterien der Aorta, wie z.B. beim Lungenkarzinom (Schick et al. 2001; Sundaresan et al. 2002). Nur ausnahmsweise infiltrieren z.B. Nierenzellkarzinome, und hier wiederum insbesondere Lokalrezidive, oder auch Pancoast-Tumoren der Lunge die Wirbelkrper per continuitatem (Aebi 2003). Die Histologie einer Wirbelkrpermetastase entspricht in den meisten Fllen der des Muttertumors, lediglich nach chemotherapeutischer Vorbehandlung kann es zu Vernderungen des feingeweblichen Bildes kommen. Wie bei Knochenmetastasen allgemein infiltrieren die Tumorzellen initial die Sinusoide des Knochenmarks. Erst danach wird die Kortikalis befallen, wobei hier vier Typen zu unterscheiden sind: F F F F
osteolytische Metastasierung (Osteoklasie), osteoblastische Metastasierung (Osteosklerose), gemischte osteolytisch-osteoblastische Infiltration, indifferente Herde mit diffuser Infiltration und geringem Knochenumbau (s. Kap. 17.7).
2.1 Besondere Problematik der Wirbelko¨rpermetastasierung Aufgrund der anatomischen Lagebeziehungen kann es frhzeitig zu einer Spinalkanaleinengung durch die Wirbelkrpermetastase kommen. In 10…20% der Flle fhrt diese zu neurologischen Symptomen bis hin zu manifesten Lhmungserscheinungen (Hirabayashi et al. 2002; Whyne et al. 2003). Die Spinalkanaleinengung kann dabei durch den mechanischen Druck des Tumorgewebes eine langsam zunehmende neurologische Symptomatik verursachen oder aber durch den tumorbedingten Kollaps des Wirbelkrpers zu einer akuten Querschnittssymptomatik fhren (Whyne et al. 2003). In diesen Fllen ist dann eine absolute Indikation fr einen operativen Notfalleingriff gegeben (Harrington 1986). In der berwiegenden Mehrzahl der Flle tritt eine Kompression des Myelons erst bei fortgeschrittener Tumorerkrankung auf, in ca. 10% der Flle ist diese jedoch das Erstsymptom eines bis dahin unbekannten Primrtumors.
3 Klinik 3.1 Schmerzsymptomatik Die lokale Schmerzsymptomatik ist das Hauptsymptom einer Wirbelkrpermetastasierung und hufig das erste Anzeichen fr die Tumorerkran-
17.8
Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
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kung berhaupt. Neben eher uncharakteristischen Rckenbeschwerden, die bei allen Patienten mit stattgehabter Wirbelkrpermetastasierung vorhanden sind, leiden auch etwa die Hlfte der Patienten unter radikulren Schmerzen (Chataigner u. Onimus 2000). Neben den mechanischen Ursachen des lokalen Schmerzes, wie Periostreiz, gesteigertem intraossrem Druck durch die Tumorzellinfiltration des spongisen Knochens, Reizung enostaler Schmerzrezeptoren, Ischmie, Nekrose etc., spielen humorale Faktoren, vor allem der prostaglandinvermittelte Knochenschmerz, eine wichtige Rolle. Heftige Schmerzattacken werden durch Kompression nervaler Strukturen, insbesondere der Nervenwurzeln, ausgelst. Spezifisch an der Wirbelsule kann es nach Kollaps eines oder mehrerer Wirbelkrper zum Verlust der statischen Funktion und damit zu ausgeprgten Instabilittsbeschwerden kommen, die sich insbesondere beim Lagewechsel Liegen-Stehen-Sitzen, bei axialer Stauchung sowie bei abrupten Drehbewegungen manifestieren. Neben der speziellen Schmerzsymptomatik besteht nahezu immer eine allgemeine Tumorsymptomatik entsprechend dem Grundleiden. 3.2 Diagnostik 3.2.1 Anamnese und klinische Untersuchung
Nach Angaben zur allgemeinen Krankheits- und speziellen Tumorvorgeschichte sollten im Fokus der Anamneseerhebung Fragen zu Schmerzlokalisation, -qualitt und -intensitt stehen. Wichtig ist, da neben der Eingrenzung der Schmerzlokalisation durch gezielte Befragung Aussagen hinsichtlich einer Verstrkung der Schmerzintensitt durch Lagewechsel und statische Belastung sowie beim Husten und bei Erschtterungen Hinweise auf eine bereits vorliegende Instabilitt bzw. eine Wurzelreizsymptomatik geben knnen. Zu achten ist auch auf Berichte ber Parsthesien und Sensibilittsstrungen. Weiterhin erfragt werden sollten mgliche Strungen der Blasen- und Mastdarmfunktion, vermeintliche muskulre Schwchezustnde oder gar motorische Ausflle, wobei letztere jedoch in den meisten Fllen als Sptsymptom zu werten sind und eine sofortige chirurgische Behandlungskonsequenz nach sich ziehen sollten. Bei der klinischen Untersuchung ist zunchst bei der Inspektion auf ggf. vorhandene kyphotische Fehlhaltungen zu achten, die Hinweise auf einen stattgehabten Kollaps eines oder mehrerer Wirbelkrper liefern knnen. Das klinische Kardinalsymptom einer spinalen Metastasierung ist der lokale Druck, Klopf- und/oder Stauchungsschmerz, dessen Nachweis in aller Regel bereits eine erste Hhenlokalisation zult. Ein Instabilitts-
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schmerz lt sich durch Dreh- bzw. Inklinations- und Reklinationsbewegungen provozieren. Hierbei verbieten sich forcierte Untersuchungsmanver. Bei entsprechendem Verdacht sollte eine frhzeitige Rntgendiagnostik eingeleitet und die weitere klinisch-manuelle Diagnostik zunchst zurckgestellt werden. Der Palpation zugnglich sind lediglich die dorsalen Strukturen, wie Dornfortstze, paravertebrale Muskulatur und mit Einschrnkungen die Region der kleinen Wirbelgelenke. Essentieller Bestandteil jeder klinischen Diagnostik an der Wirbelsule ist eine subtile neurologische Befunderhebung mit Dokumentation des Untersuchungesergebnisses. Diese ist insbesondere zur Verlaufsbeobachtung wichtig. Die weitere klinische Exploration folgt den Regeln der allgemeinen internistischen Befunderhebung. 3.2.2 Bildgebende Diagnostik Projektionsradiographie
Konventionelle Rntgenaufnahmen in zwei Ebenen sind die Grundlage jeder bildgebenden Diagnostik an der Wirbelsule. Sie dienen eingangs dazu, die anatomische Lokalisation einer tumorsen Vernderung mglichst exakt einzugrenzen, und es kann dadurch bereits in ca. 70% der Flle eine kncherne Destruktion nachgewiesen werden (Harstrick 1999). Dabei sind Lsionen des spongisen Knochens erst erkennbar, wenn etwa 50% der Knochenmasse verlorengegangen sind. Arrosionen des kortikalen Knochens, z.B. der Bogenwurzel, werden dagegen frher sichtbar (Wippermann et al. 1998). Weiterhin lassen sich Unterbrechungen der vorderen oder hinteren Wirbelkrperlinie, eine akute segmentale Kyphose durch Kollaps eines Wirbelkrpers sowie eine kncherne Spinalkanaleinengung durch eventuelle Fragmentverschiebung nach dorsal detektieren. Bei Nachweis einer spinalen Metastasierung sollten immer auch die brigen Wirbelsulenabschnitte gerntgt werden. Knochenszintigraphie
Zum Nachweis einer spinalen Metastasierung ist die Knochenszintigraphie im Vergleich zur konventionellen Rntgenaufnahme wesentlich sensitiver, und radioaktive Anreicherungen knnen frhzeitig erkannt werden. Das Verfahren dient auch einem Staging beim CUP-Syndrom (Carcinoma of unknown primary) und beantwortet berdies folgende Fragen (Wippermann et al. 1998): F
Finden sich weitere Herde, die einer Biopsie leichter zugnglich sind als jene in der Wirbelsule?
17.8 F F
Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
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Liegen Knochenvernderungen in der Nhe eines Herdes vor, die eine stabilisierende Operation erschweren knnen? Wie war im Verlauf die Reaktion auf eine Radio- und/oder Chemotherapie, und ist ein Rckgang der Aktivitt festzustellen?
Computertomographie
Bei positiver Projektionsradiographie bzw. Knochenszintigraphie ist die computertomographische Untersuchung der Lsionshhe zu fordern. Das ist die sicherste Methode, eine Destruktion des Wirbelkrpers und den dadurch bedingten Instabilittsgrad zu bestimmen sowie eine kncherne Kompression des Spinalkanals und der Wurzelforamina auszuschlieen bzw. deren Ausma zu bestimmen. Dreidimensionale Rekonstruktionen knnen fallweise ein wertvolles Hilfsmittel beim Verstndnis komplexer Lsionen sein. Eine Computertomographie sollte heute gefordert werden, wenn F
F
F F
eine Wirbelkrpermetastasierung projektionsradiographisch nachgewiesen wurde, um die kncherne Stabilitt bzw. Instabilitt beurteilen zu knnen, ein suspekter Abschnitt der Wirbelsule anders nicht sicher dargestellt werden kann (z.B. kranio-zervikaler oder zerviko-thorakaler bergang), eine exakte Abgrenzung einer szintigraphisch nachgewiesenen, radiologisch aber nicht sicher darstellbaren Lsion erforderlich ist, ein anhaltender lokaler Schmerz und/oder ein segmentales neurologisches Defizit bei negativem Rntgenbefund bestehen (Wippermann et al. 1998).
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie hat die diagnostischen Mglichkeiten an der Wirbelsule wesentlich erweitert, da hiermit auch das Ausma einer Weichteilinfiltrationen sowie vaskulre und teilweise nervale Strukturen dargestellt werden knnen. Da bei einer Wirbelkrpermetastasierung hufig eine multifokale Lsion vorliegt, sollte eine komplette Darstellung der gesamten Wirbelsule angestrebt werden, um spteren Komplikationen an anderen Lokalisationen vorzubeugen, die zum Zeitpunkt der initialen Bildgebung klinisch asymptomatisch waren. Auerdem ist es mit der MRT mglich, durch Kontrastmitteluntersuchung sensitiv zwischen epiduraler Tumorinfiltration und Diskusherniation zu unterscheiden (Harstrick 1999). Daneben ist die MRT-Untersuchung fr folgende Fragestellungen besonders hilfreich (Wippermann et al. 1998):
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1020 F F F F F F F F F
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Pelottierung des Duralsacks durch Tumormassen und/oder Infiltration des Myelons, Breite des Bereichs zwischen Liquor und extraduralem Raum, Ausrichtung und Krmmung eines greren Wirbelsulenabschnitts, Verhltnis zwischen knchernem Wirbelkanal und Rckenmark, speziell bei Kompression, Ausma der Destruktion des Knochens durch den Tumor, Bestimmung des extraossren Tumoranteils, einschlielich dessen Vaskularitt (Angio.MRT), zur Rezidivdiagnostik, zur Differenzierung zwischen tumorsen und entzndlichen Prozessen, Myelonvernderungen als Zeichen einer lnger dauernden Schdigung (z.B. Infarkte des Myelons bei vaskulrer Beteiligung.
Bei einer Querschnittssymptomatik, insbesondere bei Verschlechterung des initial erhobenen neurologischen Befunds, sollte in jedem Fall eine MRT-Untersuchung durchgefhrt werden. Myelographie
Eine Myelographie (auch Myelo-CT) liefert als einzige Untersuchungsmanahme die funktionelle Darstellung instabilittsbedingter Kompressionen. Sie ist damit eine wichtige Ergnzung zur MRT-Untersuchung. Angiographie
Die angiographische Diagnostik hat durch die deutlich berlegene Bildgebung der modernen Schnittbildverfahren zunehmend an Bedeutung verloren und findet heute meist nur noch bei gleichzeitiger Embolisation eines stark vaskularisierten Tumors (Nierenzellkarzinom, Hmangiosarkom) Anwendung. 3.2.3 Labor
Bei bekanntem Primrtumor und bekannter Metastasierung besitzt die Labordiagnostik fr die Diagnosesicherung und Planung der operativen Strategie untergeordnete Prioritt. Bei Wirbelkrpermetastasierung und unbekanntem Primrtumor werden umfangreiche diagnostische Empfehlungen im Kap. 144 gegeben. 3.2.4 Biopsie
Die Gewebeprobenentnahme fr die feingewebliche Untersuchung steht am Ende des diagnostischen Algorithmus einer spinalen Metastasierung.
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Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
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Die entnommenen Bioptate sollten immer histologisch, immunhistochemisch und auch bakteriologisch untersucht werden. Bei Verdacht auf Metastasierung eines Mammakarzinoms sollten zustzlich Hormonrezeptoren an Frischgewebe beurteilt werden (Wippermann et al. 1998). Die Probenentnahme ist auf verschiedene Art mglich: F F F
An der LWS kann eine transpedikulre Nadelpunktion unter Rntgenbildverstrkerkontrolle durchgefhrt werden. An HWS und BWS ist bei geplantem Vorgehen von dorsal wegen der geringen Pedikelweite eine CT-gesttzte Punktion empfehlenswert. Insbesondere an der oberen Brustwirbelsule ist in ausgewhlten Fllen die Probengewinnung auf endoskopisch-thorakoskopischem Wege zu erwgen.
Der Wert der Biopsie ist an kritischen Lokalisationen zu relativieren, da ggf. mit gleichem Risiko eine Befundsanierung mglich ist.
4 Behandlungsziele Die Zielvorgabe der therapeutischen Bemhungen ist in der Mehrzahl der Flle palliativer Natur, dient jedoch vordergrndig der Verbesserung bzw. dem Erhalt der Lebensqualitt (Aebi 2003, Chataigner u. Ominus 2000) und kann folgendermaen zusammengefat werden: F F F F
Bekmpfung eines therapieresistenten Schmerzsyndroms, Verhinderung pathologischer Frakturen, Erhalt bzw. Wiederherstellung des Wirbelsulenprofils, der Statik und Funktion, Verhinderung oder Verbesserung neurologischer Defizite.
Tabelle 1. Stufenschema der Behandlungsziele nach Askin und Webb (1991) Gruppe
Hauptsymptome
Therapie
Gruppe I
Schmerzen, kein neurologisches Defizit, keine Instabilita¨t
Schmerztherapie, Biopsie, Bestrahlung, Hormonbehandlung, Chemotherapie
Gruppe II
Schmerzen, neurologisches Defizit mit Korrelat, keine Instabilita¨t
Schmerztherapie, Biopsie, Bestrahlung, Hormonbehandlung, Chemotherapie
Gruppe III
Schmerzen, kein neurologisches Defizit, Instabilita¨t
Schmerztherapie, Stabilisierung, Strahlentherapie, Hormonbehandlung, Chemotherapie
Gruppe IV
Schmerzen, neurologisches, Defizit, Instabilita¨t
Schmerztherapie, Dekompression, Stabilisierung, Strahlentherapie, Hormonbehandlung, Chemotherapie
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Ein Stufenschema der Behandlungsziele bei Wirbelkrpermetastasierung in Abhngigkeit von Instabilitt und neurologischem Defizit durch verschiedene Behandlungsmodalitten wurde von Askin und Webb (1991) formuliert (Tabelle 1):
5 Operationsindikation >
Die tumorbedingte Einengung des Spinalkanals mit Kompression des Myelons und beginnendem oder manifestem Querschnittssyndrom stellt immer einen chirurgischen Notfall mit der Notwendigkeit der sofortigen operativen Intervention durch Dekompression und Stabilisierung dar!
Der Hauptgrund fr ein elektives operatives Vorgehen ist der unertrgliche, medikaments nicht zu beherrschende Schmerz, der sowohl durch eine tumorbedingte Instabilitt als auch durch eine Kompression nervaler Strukturen hervorgerufen werden kann. Weiterhin besteht eine OP-Indikation bei tumorbedingter Fraktur- und damit Instabilittsgefahr sowie bei geringer Sensibilitt fr eine Radiound/oder Chemotherapie (Aebi 2003, Chataigner u. Ominus 2000).
6 Intention des Eingriffs und chirurgische Strategie Ein kurativer Therapieansatz ist bei der operativen Behandlung von Wirbelkrpermetastasen die Ausnahme (Wippermann et al. 1998, Tomita et al. 2001). Dennoch ist auch unter palliativer Zielsetzung eine Metastasenresektion sinnvoll, um die berlebenszeit zu verlngern und die Lebensqualitt zu verbessern. In einer prospektiven Studie sahen Sundaresan et al. (1991) nach Metastasenresektion deutlich bessere Ergebnisse als nach alleiniger Strahlentherapie. Hier ist aus eigener Erfahrung das Konzept einer Tumorresektion und Stabilisierung bei Patienten mit guter Prognose und somit lngerer Lebenserwartung zu untersttzen. Bei der Planung des Eingriffs mssen der Allgemeinzustand des Patienten und die weitere Prognose Beachtung finden. Bei einer geschtzten Lebenserwartung von mehr als 3 Monaten sollte die Indikation zur operativen Intervention grozgig und zgig gestellt werden, gilt es doch vordergrndig, das Leiden des Patienten rasch und mglichst anhaltend zu lindern. Zu beachten sind die biomechanischen Besonderheiten des Achsenorganes als dreiachsiges Bewegungssystem, das Kompressions-, Rotationsund Scherkrfte auffangen kann. Dabei verteilen sich nach dem „load-sharing“-Prinzip die einwirkenden Krfte auf 80% ventral wirksame Kompressionskrfte und 20% dorsal einwirkende Scherkrfte. Als Zuggurtungs-
17.8
Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
1023
system verleihen die dorsalen Muskel- und Bandstrukturen zustzliche Stabilitt (Tension-Band-System). Langfristig stabile Verhltnisse garantiert aufgrund dieser biomechanischen Gegebenheiten nur ein dorsoventraler Eingriff mit dorsalem Einbringen eines langstreckigen (mindestens je zwei Segmente kranial und kaudal der Lsion) Fixateur interne sowie ventraler Korporektomie und Interposition eines Titancages via Thorakotomie, vornehmlich an den BWS, bzw. das Einbringen eines Titancages von dorsal (sog. PLIF-Technik) an der LWS. Derartig invasive Eingriffe sind jedoch nur unter Respektierung des Allgemeinzustands und der Prognose zumutbar und sinnvoll. Das operative Behandlungsspektrum in Abhngigkeit vom Gesamtzustand des Patienten reicht vom dorso-ventralen Vorgehen ber rein ventrale Operationsverfahren mit Wirbelkrperersatz bis hin zur alleinigen dorsalen Stabilisierung mit und ohne Dekompression des Spinalkanals. Generell ist eine individuelle Wahl der therapeutischen Option erforderlich. Hinsichtlich der chirurgischen Strategie kann man also generell unterscheiden: F
F F
Stabilisierung ohne Dekompression des Spinalkanals (z.B. an der oberen HWS oder generell beim Fehlen neurologischer Symptome, jedoch gegebener Instabilitt), Dekompression und Stabilisierung von einem Zugang aus (z.B. untere HWS), Dekompression und Stabilisierung von zwei Zugngen aus (z.B. dorsoventrales Vorgehen an BWS und LWS).
Die Zugangswahl ist abhngig vom Hauptsitz der Lsion. Grundstzlich sollte ein dorsaler Zugang am okzipito-zervikalen bergang, an der oberen HWS sowie der BWS und LWS, ein ventraler Zugang an der unteren HWS bzw. beim geplanten dorso-ventralen Vorgehen an BWS und LWS zur Anwendung kommen. Durch den operativen Eingriff sollte in jedem Falle eine sofortige belastungsfhige Situation ohne Notwendigkeit einer zustzlichen externen Stabilisierung (Korsett) geschaffen werden. In jngster Zeit gewinnt der minimalinvasive thorakoskopische Wirbelkrperersatz durch in situ expandierbare Titancages zunehmend an Bedeutung. Im eigenen Vorgehen wird bei kurativem Therapieansatz in der onkologischen Chirurgie diese Technik gegenwrtig noch nicht angewendet, da die Radikalitt der Tumorentfernung bei zweidimensionaler endoskopischer Sicht nicht sicher genug beurteilbar scheint. Hier gilt es die weitere technische Entwicklung abzuwarten. Unter palliativer Zielstellung ist diese minimalinvasive und den Patienten wenig belastende Operationstechnik des Wirbelkrperersatzes und damit ventraler Stabilisierung sehr empfehlenswert, da die Rehabilitationszeit drastisch verkrzt wird.
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
6.1 Scoringsysteme zur Prognosebeurteilung Als Entscheidungshilfe bezglich Art und Umfang des operativen Eingriffs haben Tokuhashi et al. (1990) ein einfaches und leicht anwendbares Scoringsystem vorgeschlagen, wobei der Allgemeinzustand, die Anzahl der extraspinalen Knochenmetastasen, die Zahl der Metastasen in den Wirbelkrpern und den groen inneren Organen, die Lokalisation des Primrtumors und der neurologische Befund Bercksichtigung finden (Tabelle 2). Bei mehr als 9 Punkten wird ein kombiniertes dorsoventrales oder ventrales Tabelle 2. Scoringsystem fu¨r die Prognose bei Patienten mit Wirbelsa¨ulenmetastasen (nach Tokuhashi et al. 1990) Allgemeinzustand
Anzahl kno¨cherner La¨sionen außerhalb der Wirbelsa¨ule
Anzahl kno¨cherner La¨sionen in der Wirbelsa¨ule
Organmetastasen
Sitz des Prima¨rtumors
Neurologische Sto¨rung
Schlecht
0
Ma¨ßig
1
Gut
2
3
0
1–2
1
0
2
3
0
1–2
1
0
2
Nicht entfernbar
0
Entfernbar
1
Keine
2
Lunge, Magen
0
Niere, Leber, Uterus, andere, unbekanntes Primum
1
Schilddru¨se, Prostata, Mamma, Rektum
2
Komplett (Frankel A oder B)
0
Inkomplett (Frankel C oder D)
1
Keine
2
Maximum
12
17.8
Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
1025
Vorgehen mit kurativem Therapieansatz vorgeschlagen, bei weniger als 5 Punkten empfehlen die Autoren ein rein dorsales Vorgehen mit Dekompression und Stabilisierung unter palliativer Zielsetzung. Zwischen 5 und 9 Punkten kommen nach streng individueller Entscheidung beide Mglichkeiten in Betracht. Zur Planung des Eingriffs unter operationstaktischen Gesichtspunkten (Art und Umfang des Vorgehens) wurde unter Bercksichtigung der anatomischen Tumorausbreitung ebenfalls von Tokuhashi et al. eine Einteilung in 7 Typen der spinalen Metastasierung vorgeschlagen, wobei hier zwischen intra- und extrakompartimenteller Tumorausbreitung sowie multipler Metastasierung unterschieden wird (Abb. 1). Dieses Klassifikationssystem fand in den letzten Jahren in der Literatur rege Verbreitung, gestattet es doch eine valide Vergleichsmglichkeit der Behandlungsergebnisse (Aebi 2003). Ein weiterer Score zur Prognoseeinschtzung bei der chirurgischen Behandlungsstrategie wurde von Tomita et al. (2001) angegeben (Tabelle 3). Hier finden der Malignittsgrad des Primrtumors sowie das Vorhandensein und die Behandlungsmglichkeit von Viszeral- und Knochenmetastasen Beachtung. Je nach ermitteltem Punktewert wird dann eine individualisierte Therapie festgelegt.
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Abb. 1. Schematische Einteilung unter chirurgischen Gesichtspunkten. (Nach Tokuhashi et al. 1990)
Langsames Wachstum (Mamma, Schilddru¨se)
Mittleres Wachstum (Nieren, Uterus)
Schnelles Wachstum (Lunge, Magen)
1
2
4
Unheilbar
Heilbar
Abdominalmetastasen*
* keine Abdominalmetastasen = 0 Punkte ** Knochenmetastasen inklusive Wirbelmetastasen
multipel
solita¨r oder isoliert
Knochenmetastasen**
10
9
8
7
6
5
4
3
2
Prognosebewertung
Terminale Behandlung
Kurzfristige Schmerzlinderung
Mittelfristige lokale Kontrolle
Langfristige lokale Kontrolle
Ziel der Behandlung
Flankierende Behandlung
Palliative Chirurgie
Grenzresektion oder intrala¨sionelle Resektion
Ausgedehnte oder Grenzresektion
Chirurgische Strategie
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Zur Erkla¨rung: Fu¨r jeden Prognosefaktor wird der zutreffende Punktwert ermittelt und diese summiert (Rangl. 2–10).
Primum
Punkte
Prognosefaktoren
Bewertungssystem
Tabelle 3. Score fu¨r chirurgische Strategien bei Wirbelsa¨ulenmetastasen. (Nach Tomita et al. 2001)
1026 Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
17.8
Operative Therapie von Wirbelko¨rpermetastasen
1027
7 Zusammenfassung Die Behandlungsziele der operativen Therapie der Wirbelkrpermetastasierung sind in der Regel palliativer Natur. In erster Linie kommt es darauf an, durch eine wirksame Schmerzreduktion und Verhinderung pathologischer Frakturen und Lhmungen die Lebensqualitt der Patienten zu verbessern oder zu erhalten. Die chirurgische Therapie mu in ein onkologisches Gesamtkonzept eingeordnet werden, das neben einer symptomatischen medikamentsen Schmerztherapie alle modernen Therapiemodalitten einschlielich Strahlen- und/oder Chemotherapie beinhaltet, eine enge und vertrauensvolle kollegiale Zusammenarbeit der einzelnen Fachdisziplinen erfordert und am sinnvollsten durch eine interdisziplinre Tumorkonferenz koordiniert wird. Literatur Aebi M (2003) Spinal metastasis in the elderly. Eur Spine J 12 (Suppl. 2):202…213 Akamaru T, Kawahara N, Tsuchiya H et al (2002) Healing of autologous bone in a titanium mesh cage used in anterior column reconstruction after total spondylectomy. Spine 27:E329…E333 Askin GN, Webb JK (1991) The management of spinal neoplasia. In: Torrens MJ, Dickson RA (eds) Operative Spinal Surgery. Churchill Livingston, Edinburgh, pp 242…267 Batson OV (1995) The function of the vertebral veins and their role in the spread of metastases. Am Surg 112:138…145 Bilsky MH, Lis E, Raiuer J et al (1999) The diagnosis and treatment of metastatic spinal tumor. Oncologist 4:459…469 Chataigner H, Onimus M (2000) Surgery in spinal metastasis without spinal cord compression: indications and strategy related to the risk of recurrence. Eur Spine J 9:523…527 Frankel HL (1969) Ascending cord lesion in the early stages following spinal injury. Paraplegia. 7:111…118 Ghogawala Z, Mansfield FL, Borges LF (2001) Spinal radiation before surgical decompression adversely affects outcomes of surgery for symptomatic metastatic spinal cord compression. Spine 26:818…824 Greenlee RT, Murray T, Bolden S, Wingo PA (2000) Cancer Statistics. CA Cancer J Clin 50:7…33 Harrington KD (1986) Current concepts review: Metastatic diseases of the spine. J Bone Joint Surg [Am] 68:1110…1115 Harstrick (1999) Hirabayashi H, Ebara S, Kinoshita T et al (2003) Clinical outcome and survival after palliative surgery for spinal metastases. Cancer 97:476…483 Katsuro T, Kawahara N, Kobayashi T et al (2001) Surgical strategy for spinal metastases. Spine 26:298…306 *
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.9 Hirnmetastasen bei soliden Tumoren S. Hofer, R. Herrmann
1 Einleitung Hirnmetastasen treten schtzungsweise bei 20…40% aller Patienten mit Krebs auf. Am hufigsten findet man parenchymatse Hirnmetastasen beim Bronchialkarzinom (50%), beim Mammakarzinom (15%), beim malignen Melanom (10%) und beim Nierenzellkarzinom. Eine unkontrollierte Systemerkrankung ist hauptverantwortlich fr die schlechte Prognose dieser Patienten. Die Anzahl der Metastasen spielt prognostisch keine Rolle (Gaspar et al. 1997). Gnstiger fr den Krankheitsverlauf sind ein guter Karnofsky-Performance-Status (> 70%), jngeres Alter (< 65 Jahre) und die Kontrolle der extrakraniellen Erkrankung (Tabelle 1). Nur etwa 20% der Patienten gehren zur RPA Klasse I und haben v.a. wegen der kontrollierten systemischen Erkrankung eine bessere Prognose. Sie knnen von einem aggressiveren therapeutischen Vorgehen profitieren. Das primre Ziel ist die lokale Tumorkontrolle. Etwa die Hlfte der Patienten mit Hirnmetastasen sterben an ihrer extrakraniellen Tumorkrankheit. Tabelle 1. Kriterien fu¨r RPA-Klassen I–III (recursive partitioning analysis) und medianes U¨berleben von Patienten (N = 1176) mit Hirnmetastasen, die mit Radiotherapie therapiert wurde. (Gaspar et al. 1997) RPA-Klasse
Medianes U¨berleben
I
Alle folgenden Kriterien: Karnofsky-Index 70%, Alter < 65 Jahre Prima¨rtumor kontrolliert Keine extrakraniellen Metastasen Karnofsky-Index 70% und mind. 1 der folgenden Kriterien: – Alter > 65 Jahre – Unkontrollierter oder synchron aufgetretener Prima¨rtumor – extrakranielle Metastasen
7,1 Monate
* * * *
II
*
4,2 Monate
*
III
*
Karnofsky-Index < 70
2,3 Monate
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
2 Biologie der Hirnmetastasen Hirnmetastasen entstehen am hufigsten hmatogen. 80% finden sich in den zerebralen Hemisphren, 15% im Kleinhirn und 5% im Hirnstamm. Die klinische Symptomatik ist eine Folge des Drucks auf gesundes Hirngewebe durch die Metastase(n) selbst oder durch das peritumorale dem. Im Gegensatz zu den Gliomen infiltrieren Hirnmetastasen nicht diffus in das Hirngewebe und sind deshalb einer lokalen Kontrolle besser zugnglich.
3 Klinik Die durch Hirnmetastasen verursachten Symptome sind unspezifisch, oft nur diskret vorhanden und von der Lokalisation abhngig. Kopfschmerzen sind sehr hufig, auerdem treten fokale neurologische Ausflle, epileptische Anflle, Gangstrungen und mentale Vernderungen auf. Differentialdiagnostisch mssen andere neoplastische Raumforderungen, Infekte, vaskulre Lsionen, metabolische Strungen oder auch paraneoplastische Syndrome abgegrenzt werden.
4 Diagnostik Mit der Computertomographie unter Verwendung von Kontrastmittel wird die Mehrzahl von symptomatischen Hirnmetastasen erfat. Allerdings ist die Magnetresonanztomographie (MRT) sensitiver fr den Nachweis multipler Metastasen (in > 60% sind Hirnmetastasen multipel). Wenn kein Primrtumor bekannt ist (ca.15%), ist eine stereotaktische Biopsie fr die weitere Diagnostik erforderlich.
5 Therapiestrategien Das mediane berleben beim unbehandelten Patienten betrgt ca. 1 Monat. Die Gabe von Steroiden kann diese Zeit verdoppeln. Das therapeutische Vorgehen bei Hirnmetastasen ist abhngig von verschiedenen Faktoren (Abb. 1) F F F F
Anzahl der Hirnmetastasen (singulr vs. multipel), Zustand des Patienten (RPA-Klasse I…III), Ausma und Kontrolle der extrakraniellen Tumormanifestation (RPAKlasse I…III), Art der Vorbehandlung.
Unter der sofortigen Therapie mit Glukokortikoiden (bevorzugt Dexamethason wegen geringer Mineralokortikoideffekte) und/oder Osmotherapie (z.B. Mannitol 20%) bessert sich die neurologische Symptomatik bei ca.70% der Patienten innerhalb von Stunden.
Hirnmetastasen bei soliden Tumoren
Abb. 1. Algorithmus zur Behandlung von Hirnmetastasen bei soliden Tumoren
17.9
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
5.1 Stellenwert der Chirurgie Die Chirurgie spielt eine Rolle bei singulren oder sehr groen symptomatischen Hirnmetastasen. Die Operation allein verlngert das berleben auf 3…6 Monate. Zwei von drei randomisierten Studien mit kleinen Patientenzahlen und selektioniertem Patientengut haben gezeigt, da die Resektion einer singula¨ren Metastase, gefolgt von einer Ganzhirnbestrahlung (G-RT), der alleinigen Bestrahlung berlegen ist bezglich rckfallfreien berleben und Lebensqualitt (Patchell et al. 1990; Vecht et al. 1993; Mintz et al. 1996). Die zwei positiven Studien stammen aus der Zeit, bevor die MRT routinemig durchgefhrt wurde, so da sicher einige multiple Hirnmetastasen verpat wurden. In einer spteren, randomisierten Studie (Patchell et al. 1998) konnte die postoperative G-RT zwar die lokale Tumorkontrolle verbessern, ohne jedoch das Gesamtberleben zu beeinflussen. Somit bleibt die Frage offen, ob der Operation eine „adjuvante“ G-RT folgen soll oder ob sie ohne Nachteil fr den Patienten bis zur Progression aufgeschoben werden darf. Es ist zu beachten, da eine nicht kontrollierte zerebrale Tumorsituation (Rezidive) fr den kognitiven Zustand des Patienten gravierendere Folgen hat als allfllige Langzeitnebenwirkungen einer G-RT. Auch bei zwei bis drei Hirnmetastasen kann in Einzelfllen eine Resektion indiziert sein, wenn die Lsionen gut zugnglich sind und der Patient zu einer gnstigen RPA-Klasse (I, u.U. II) gehrt. Jede Resektion birgt jedoch die latente Gefahr einer leptomeningealen Aussaat von Tumorzellen (besonders bei zerebellrer Lokalisation). 5.2 Stellenwert der Strahlentherapie Bezglich der Wirksamkeit der Strahlentherapie spielt die Histologie des Primrtumors eine Rolle (Metastasen von Nierenzellkarzinomen und Melanomen sprechen deutlich schlechter an als z.B. Mammakarzinommetastasen). Bei der Ganzhirnbestrahlung (G-RT) werden blicherweise 20…30 Gy appliziert. Bisherige Versuche, den Effekt der Radiotherapie durch radiosensibilisierende Substanzen zu verbessern, waren nicht erfolgreich. Erste Hinweise, da Motexafin-Gadolinium (primr als Radiosensitizer eingesetzt) die Zeit bis zur neurologischen Progression verlngern kann, sind krzlich publiziert worden (Meyers et al. 2004). Die prophylaktische Ganzhirnbestrahlung (PCI = prophylactic cranial irradiation) ist beim kleinzelligen Bronchuskarzinom im Stadium „limited disease“ indiziert, da Mikrometastasen von der Chemotherapie nicht erreicht werden knnen. Die Progression zu manifesten Hirnmetastasen kann damit vermindert und das Gesamtberleben leicht verbessert werden (Metaanalyse s. Auperin et al. 1999). Zur Vermeidung radiogener Sptneurotoxizitt vermeidet man Einzeldosen > 2 Gy und Gesamtdosen > 30 Gy.
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Hirnmetastasen bei soliden Tumoren
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Langzeitberlebende nach G-RT entwickeln gelegentlich radiologische Vernderungen im MRT (Leukenzephalopathie, kortikale Atrophie, Erweiterung der Ventrikel), verbunden mit klinischen Symptomen (Gedchtnisstrungen bis Demenz, Gangstrungen, Urininkontinenz). ˜ltere retrospektive Untersuchungen zur Langzeittoxizitt nach G-RT bei Patienten, die lnger als ein Jahr lebten, zeigten bei 11% die Entwicklung einer Demenz (DeAngelis et al. 1989). Die stereotaktische Radiochirurgie (SRS) mittels Linearbeschleuniger (LINAC) oder Gamma-Knife (multiple Kobalt-60-Quellen) wird bei Hirnmetastasen als Alternative zur konventionellen chirurgischen Resektion angewendet. Sie wird als primre Behandlung einzelner Lsionen mit einem Durchmesser bis zu 3 cm bzw. Volumina bis zu 25 cm3 eingesetzt. Die lokale Kontrollrate ist gut (50…80%) und besser in Kombination mit einer G-RT (Shehata et al. 2004; Andrews et al. 2004). Frhkomplikationen nach SRS treten in etwa 10% auf und bestehen in dembedingten Kopfschmerzen, neurologischen Ausfllen und epileptischen Anfllen. Sptkomplikationen in Form einer Radionekrose treten in Abhngigkeit vom Bestrahlungsvolumen in 5% auf. In der Rezidivtherapie (auch nach vorhergehender konventioneller Bestrahlung) hat sich die SRS etabliert. 5.3 Stellenwert der Chemotherapie Die Chemotherapie (CT) wurde bisher im Konzept der Hirnmetastasenbehandlung eher vernachlssigt, da die intakte Blut-Hirn-Schranke fr die meisten Zytostatika undurchlssig ist. Bei Mikrometastasen kann die Blut-Hirn-Schranke bzw. die Blut-Tumor-Schranke funktionell noch intakt sein. Sobald der Tumor jedoch Kontrastmittel aufnimmt, wird sie teilweise durchlssig oder ist gar nicht mehr vorhanden, besonders im Bereich der neugebildeten Tumorgefe. Es gibt zunehmende Evidenz, da die Responseraten von Hirnmetastasen auf eine CT vergleichbar sind mit denjenigen der entsprechenden extrakraniellen Metastasen. Die Wahl der therapeutischen Substanz richtet sich daher nach der Chemosensitivitt des Primrtumors und nicht nach dem Kriterium, ob ein Chemotherapeutikum die Blut-Hirn-Schranke passieren kann. Chemosensible Tumoren wie das kleinzellige Bronchialkarzinom, Lymphome und Keimzelltumoren werden bei Befall des Gehirns primr chemotherapiert (Kristenesen et al. 1992; Schmoll et al. 2004). Whrend Patienten mit einem Keimzelltumor, die bereits bei der Primrdiagnose Hirnmetastasen aufweisen, ein Langzeitberleben von 30…40% haben, reduziert sich dieses auf 2…5% bei Patienten, die unter der primren Chemotherapie Hirnmetastasen entwickeln, oder bei einem systemischen Rckfall. Es gibt Hinweise, da eine Ganzhirnbestrahlung zustzlich zur Chemotherapie einen
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weiteren prognostischen Vorteil bringt. Ob die Resektion eines Restbefundes nach Chemotherapie notwendig ist, ist unklar und abhngig von der Kontrolle der systemischen Erkrankung, von der Lokalisation der Lsion und deren Histologie. Bei sehr groen Hirnmetastasen wird gelegentlich eine Operation der alleinigen Chemotherapie vorgezogen, um einer intrakraniellen Blutung vorzubeugen (v.a. Choriokarzinome) (Schmoll et al. 2004). Wenig symptomatische Hirnmetastasen beim Mammakarzinom knnen ebenfalls primr chemotherapiert werden (Boogert et al. 1992; Cocconi et al. 1990). Beim nicht kleinzelligen Bronchuskarzinom sind die Responseraten der Hirnmetastasen auf eine Chemotherapie hnlich niedrig wie beim Primrtumor. Die in der Neuroonkologie hufig verwendete alkylierende Substanz Temozolomid hat zwar eine vergleichsweise gute Penetration durch die intakte Blut-Hirn-Schranke, hhere Responseraten bei Hirnmetastasen als beim Primrtumor sind aber nicht zu erwarten. Dies besttigt sich in bisher publizierten Studien mit einer Temozolomid-Monotherapie, die bei Hirnmetastasen verschiedener Primrtumoren Remissionsraten zwischen 5 und 10% beschreiben (Abrey et al. 2001). Die Kombination von Radiotherapie und Temozolomide konnte trotz besserer Remissionsraten (gegenber alleiniger G-RT) bisher keine berlebensvorteile belegen (Phase-III-Resultate noch ausstehend) (Antonadou et al. 2002). Cytochrom-P450-induzierende Antiepileptika (z.B. Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Oxcarbazepin) knnen den Metabolismus einiger Chemotherapeutika und neuerer biologischer Substanzen (z.B. Tyrosinkinasehemmer) sowie von Dexamethason verndern. Auf solche Interaktionen mu beim Verschreiben von Antiepileptika geachtet werden. Antiepileptika, die nicht enzyminduzierend wirken, sind Valproinsure, Gabapentin, Topiramat, Levetiracetam und Lamotrigin. Literatur Abrey LE, Oslon JD, Raizer JJ et al (2001) A phase II trial of temozolomide for patients with recurrent or progressive brain metastases. J Neurooncol 53:259…265 Andrews DW, Scott CB, Sperduto PWet al (2004) Whole brain radiation therapy with or without stereotactic radiosurgery boost for patients with one to three brain metastases: phase III results of the RTOG 9508 randomised trial. Lancet 363:1665…1672 Antonadou D, Paraskevaidis M, Sarris G et al (2002) Phase II randomized trial of temozolomide and concurrent radiotherapy in patients with brain metastases. J Clin Oncol 20:3644…3650 Auperin A, Arriagada R, Pignon J-P et al (1999) Prophylactic cranial irradiation for patients with small-cell lung cancer in complete remission. N Engl J Med 341:476… 484
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Hirnmetastasen bei soliden Tumoren
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17.10 Epidurale spinale Metastasen und leptomeningeale Karzinose S. Hofer, R. Herrmann
1 Einleitung Etwa 10% der Patienten mit einem metastasierenden soliden Tumor entwickeln im Krankheitsverlauf epidurale Metastasen im Wirbelsulenbereich mit oder ohne Myelokompression (Grant et al. 1991). Der Primrtumor befindet sich in 60% entweder in der Brust, der Lunge oder der Prostata. Andere seltenere Tumoren, die hufig in die Wirbelsule metastasieren, sind das Nierenzellkarzinom, das Schilddrsenkarzinom, Tumoren aus dem Gastrointestinaltrakt und Melanome. 90% der Metastasen liegen primr extradural. Sehr selten finden sich Metastasen intramedullr. Brust- und Lungenkrebs (besonders das kleinzellige Lungenkarzinom) sowie Melanome sind auch die hufigsten Verursacher einer leptomeningealen Karzinose (LMK), die in 5% aller Karzinompatienten auftritt. Zunehmend wird ber Tumoren berichtet, die aufgrund lngerer berlebenszeiten der Patienten in die Leptomeningen metastasieren (Magenkarzinome, Sarkome, Blasentumoren u.a.). Brustkrebspatientinnen, die mit dem HER-2-Antikrper Trastuzumab behandelt werden, entwickeln gelegentlich leptomeningeale Metastasen. Ob es sich um eine Prdilektion der HER-2-positiven Tumorzellen zum ZNS-Gewebe oder um ein Versagen der nicht liquorgngigen Therapie mit dem Antikrper handelt, ist unklar (Bendell et al. 2003). Wie bei den meisten lteren Zytostatika kann auch unter erfolgreicher Behandlung mit Taxanen ein isolierter leptomeningealer Tumorbefall auftreten (Kosmas et al. 2002).
2 Biologie der epiduralen spinalen Metastasen und der leptomeningealen Karzinose Knochenmetastasen knnen aus den Wirbelkrpern per continuitatem gegen das Myelon vorwachsen. Andere hufige Ausbreitungsmuster verlaufen via den epiduralen vensen Plexus (der klappenlos ist) oder via das lymphatische System. Etwa 70% der symptomatischen Metastasen befinden sich thorakal, 20% lumbosakral und 10% in der zervikalen Wirbelsule. In 50…70% sind mehrere Hhen gleichzeitig betroffen. In 60% ist der ventrale Wirbelkrper metastatisch befallen, in 30% nur dorsale Anteile und in 10% beide.
17.10
Epidurale spinale Metastasen und leptomeningeale Karzinose
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Bei der leptomeningealen Karzinose ist die Ausbreitung entweder hmatogen (via arachnoidale Gefe oder Plexus chorioideus), durch direkte Invasion aus dem Gehirn, aus den Wirbelkrpern oder via periphere Nerven.
3 Klinik der epiduralen spinalen Metastasen Radikulre oder Rckenschmerzen treten in 90% als Frhsymptome auf und gehen neurologischen Ausfllen voraus. Hufig fhren leider erst Paresen oder Sensibilittsstrungen zu weiteren Abklrungen. Die Progression einer Schwche bis zur voll ausgebildeten Paraplegie verluft meist schnell. Sphinkterstrungen treten hufig spt auf. Differentialdiagnostisch sind folgende Konditionen abzugrenzen: degenerative Wirbelsulenvernderungen, Diskushernien, strahlenbedingte Myelopathien, Arachnoiditis nach intrathekaler Therapie, infektise Ursachen, Blutungen, paraneoplastische Syndrome und vaskulre Malformationen.
4 Klinik der leptomeningealen Karzinose Durch Nerveninfiltration treten Hirnnervenlhmungen oder Radikulopathien (typischerweise multifokal) auf. Apoplexiehnliche Zustnde sind Ausdruck verschlossener pialer Gefe, epileptische Anflle und fokale Ausflle Folge direkter Infiltration des ZNS. Symptome einer Enzephalopathie (Konfusion) entstehen durch metabolische Vernderungen im Gehirn infolge Liquorzirkulationsstrungen. Letztere sind hufig, oft verbunden mit erhhtem intrathekalem Druck, jedoch nicht immer mit Zeichen eines Hydrozephalus.
5 Diagnostik von spinalen Metastasen Konventionelle Rntgenbilder der Wirbelsule zeigen in ber 80% pathologische Befunde; das Computertomogramm (CT) kann das Ausma der knchernen Destruktion und die Stabilitt gut erfassen. Die MRT ist die Methode der Wahl, um komprimierende spinale Metastasen der ganzen Achse aufzuzeigen (Lsionen sind in 50% gleichzeitig auf verschiedenen Hhen), und ist somit zu bevorzugen.
6 Diagnostik einer leptomeningealen Karzinose Neuroradiologische Untersuchungen (CT/MRT mit Kontrastmittel) am Ort der Beschwerden und eine Lumbalpunktion sind die diagnostischen Methoden der Wahl. Charakteristische Befunde und deren Hufigkeit sind in Tabelle 1 dargestellt.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Pathologische Befunde (in Prozent des Auftretens) in der Lumbalpunktion und der Neuroradiologie bei meningealer Karzinose solider Tumoren (nach Grossman et al. 1999) LP
Neuro-Radiologie
erho¨hter Proteingehalt
75%
erho¨hter Druck
50%
tiefer Zucker
40%
Pleozytose
50%
positive Zytologie bei 1. Punktion
50%
positive Zytologie nach 3 Punktionen
85%*
meningeale Verdickung (v.a. basale Bereiche)
bis 50%
erweiterte Ventrikel
< 25%
Masse im Subarachnoidalraum
< 25%
CEA, CA 15-3, a-Fetoprotein und b-HCG im Liquor ko¨nnen diagnostisch und im Therapieverlauf hilfreich sein, besonders wenn die Liquorwerte proportional ho¨her sind als die entsprechenden Serumwerte * Zytogenetik (FISH-Technik) ist sensitiver als konventionelle Zytologie im Erfassen von malignen Zellen (van Oostenbrugge et al. 2000)
7 Therapiestrategien bei epiduralen spinalen Metastasen solider Tumoren Bei drohender Myelokompression ist die Gabe von hochdosierten Steroiden (z.B. 100 mg Dexamethason initial, gefolgt von 24 mg alle 6 h) die erste therapeutische Manahme. Eine sofortige (innerhalb 24 h) operative Dekompression, Tumorreduktion und Wirbelsulenstabilisation, gefolgt von einer konsolidierenden Bestrahlung, ist einer alleinigen Bestrahlung berlegen bezglich gehfhigem berleben, wie eine krzlich verffentlichte randomisierte Studie zeigt (Patchell et al. 2003) (s.a. Kap. 17.9).
8 Therapiestrategien bei leptomeningealer Karzinose solider Tumoren Das mediane berleben beim unbehandelten Patienten betrgt 4…6 Wochen. Diese Zeit kann durch Radiotherapie, intrathekale oder Systemtherapie median auf 3-6 Monate verlngert werden. Eine Shuntoperation ist bei Hirndruckzeichen (mit oder ohne nachweisbaren Hydrozephalus) rasch symptomlindernd. Nur Shunts mit einem Ventil erlauben nachfolgend eine intrathekale Therapie. Eine lokale Radiotherapie fhrt bei schmerzhaften Lsionen und bei greren Tumormassen zu rascher Schmerzfreiheit und gelegentlich zu einer lngeren Palliation. blicherweise werden 30 Gy in 10 Fraktionen appliziert. Die Wirksamkeit einer intrathekalen Therapie ist durch folgende Probleme limitiert: sie kann nur mikroskopischen Tumorbefall wirksam behan-
17.10
Epidurale spinale Metastasen und leptomeningeale Karzinose
1039
Tabelle 2. Intrathekal verabreichbare Substanzen *
*
*
Methotrexat: konservierungsmittelfreies Methotrexat kann initial bis 2 wo¨chentlich verabreicht werden (spa¨ter auch als Erhaltungstherapie in gro¨ßeren Absta¨nden). Die Dosis wird nicht der Ko¨rperoberfla¨che angepaßt, da das Liquorvolumen bei Erwachsenen als konstant angesehen wird. Eine u¨bliche Dosis betra¨gt 10–15 mg. Therapeutische Dosen bleiben u¨ber 48 h im Liquor. Zu beachten ist, daß i.th. appliziertes Methotrexat in peripherem Gewebe akkumulieren kann (Bleyer et al. 1997). Eine Leucovorin-Rescue mit 15 mg p.o. alle 6 h am Tag 2 und 3 empfiehlt sich zur Prophylaxe von Myelotoxizita¨t und Mukositis. Leucovorin ist nicht liquorga¨ngig. Radiotherapie gleichzeitig oder vor i.th. Methotrexat-Therapie kann zu Leukenzephalopathie und progressiver Demenz fu¨hren. Thiotepa: gilt als ebenso wirksam wie i.th. Methotrexat mit weniger neurologischen Nebenwirkungen. Allerdings kann die Myelotoxizita¨t weniger gut beeinflußt werden. Cytarabin: ist wenig wirksam bei soliden Tumoren. Dies gilt auch fu¨r die Slow-release-Form, das liposomale AraC (DepoCyt;TM) mit einer la¨ngerer Halbwertszeit (zytotoxische Konzentrationen bis 2 Wochen). Prophylaktische Steroide ko¨nnen eine chemische Arachnoiditis gu¨nstig beeinflussen (Jaeckle et al. 2002).
deln. Fixierte neurologische Defizite lassen sich selten durch eine intrathekale Therapie verbessern. Es gibt nur wenig intrathekal verabreichbare Medikamente, davon sind einige bei hmatologischen Tumoren besser wirksam als bei soliden (Tabelle 2). Die behinderte Liquorzirkulation bei meningealer Karzinose (in mehr als 50% der Flle) erlaubt keine optimale Verteilung der Substanzen. Die intraventrikulre Applikation via Ommaya-Reservoir ist theoretisch wegen des physiologischen Liquorflusses der intraspinalen Verabreichung vorzuziehen. Allen Substanzen gemeinsam ist eine mehr oder weniger ausgeprgte chemische Arachnoiditis, die sich mit Kopfschmerzen, belkeit, Fieber, Rckenschmerzen und einer aseptischen Pleozytose im Liquor bemerkbar macht. Sie ist spontan reversibel und lt sich mit Steroiden prophylaktisch oder therapeutisch beeinflussen. Eine systemische Chemotherapie, die therapeutische Liquorspiegel erreicht, ist mglich mit hochdosiertem Methotrexat und hochdosiertem Cytarabin. Der groe Vorteil einer systemischen Therapie ist die Umgehung der Liquorpassagestrung. Es gibt keine randomisierte Studie, die die beiden Applikationsformen (systemisch vs. i.th.) bezglich Wirksamkeit vergleicht (Glantz et al. 1998). Dauerhafte Kontrollen einer leptomeningealen Metastasierung mit Hormontherapie bei hormonrezeptorpositiven Mammakarzinomen wurden mehrfach beschrieben (Boogerd et al. 2000).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Literatur Bendell JC, Domchek SM, Burstein HJ et al (2003) Central nervous system metastases in women who receive trastuzumab-based therapy for metastatic breast carcinom. Cancer 97(12):2972…2977 Bleyer WA, Nelson JA, Kamen BA (1997) Accumulation of methotrexat in systemic tissue after intrathecal administration. J Pediatr Hematol Oncol 19 (6):530…532 Boogerd W, Dorresteijn LD, van der Sande JJ et al (2000) Response of leptomeningeal metastases from breast cancer to hormonal therapy. Neurology 55:117…119 DeAngelis LM (2002) Diagnosis and treatment of leptomeningeal metastasis. ASCO Educational Book 369…374 Glantz MJ, Cole BF, Recht L (1998) Highdose intravenous methotrexate for patients with nonleukemic leptomeningeal cancer. Is intrathecal chemotherapy necessary? J Clin Oncol 16:1561…1567 Grant R, Papadopoulos SM, Greeberg HS (1991) Metastatic epidural spinal cord compression. Neurol Clin 9:825…841 Grossman SA, Krabak MJ (1999) Leptomeningeal carcinomatosis. Cancer Treat Rev 25:103…119 Jaeckle KA, Batchelor T, O‘Day SJ et al (2002) An open label trial of sustained-release cytarabine (DepoCytTM) for the intrathecal treatment of solid tumor neoplastic meningitis. J Neurooncol 57(3):231…239 Kosmas C, Malamos NA, Tsavaris NB et al (2002) Isolated leptomeningeal carcinomatosis (carcinomatous meningitis) after taxane-induced major remission in patients with advanced breast cancer. Oncology 63(1): 6…15 Patchell RA, Tibbs PA, Regine WF (2003) A randomized trial of direct decompressive surgical resection in the treatment of spinal cord compression caused by metastasis. Proceedings of ASCO, Vol 22, abstract 2 Van Oostenbrugge RJ, Hopmann AH, Arends JW et al (2000) Treatment of leptomeningeal metastases evaluated by interphase cytogenetics. J Clin Oncol 18: 2053…2058
17.11 Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser
1 A¨tiologie und Symptomatik 40 % aller Pleuraergsse werden durch maligne Tumoren hervorgerufen. Die drei hufigsten Tumoren mit malignen Ergubildungen sind in absteigender Reihenfolge das Bronchialkarzinom, das Mammakarzinom und die malignen Lymphome. Diese drei Tumorentitten machen drei Viertel aller malignen Ergsse aus (Antony et al. 2001). Whrend maligne Pleuraergsse bei Mnnern am hufigsten durch Bronchialkarzinome (49 %) und maligne Lymphome (21 %) verursacht werden (Johnston 1985), treten sie bei Frauen am hufigsten bei Mammakarzinomen (37 %) und gynkologischen Tumoren (20 %) auf (Tabelle 1). 15 % der Patienten mit Bronchialkarzinomen weisen bereits bei der Diagnosestellung einen Pleuraergu auf. Bei anderen Primrtumoren tritt dieser meist erst im Rahmen der Dissemination auf. Maligne Ergsse werden durch eine gestrte Lymphdrainage verursacht. Grnde hierfr sind zum Beispiel tumorbedingt verlegte Lymphffnungen auf der parietalen Pleura, eine Beteiligung mediastinaler Lymphknoten oder aber eine vermehrte Gefpermeabilitt durch lymphangitisches Tumorwachstum. Die klinische Symptomatik wird durch die Geschwindigkeit der Erguentstehung, lokale Entzndungsreaktionen sowie durch das Ausma des Ergusses verursacht. Die hufigsten Symptome sind Luftnot, Husten und pleuritische Beschwerden, bedingt durch pulmonale Kompression, Irritationen der Pleurabltter und Entzndungsreaktionen an der parietalen Pleura. ber 20 % aller Patienten mit malignen Ergssen sind asymptomatisch (Hausheer u. Yarbro 1985). Tabelle 1. A¨tiologie maligner Pleuraergu¨sse hinsichtlich des Prima¨rtumors und des Geschlechts (% Patienten gesamt in Klammern). (Mod. nach Johnston 1985) Ma¨nner [%] Bronchialkarzinome Lymphome Unbekannte Prima¨rtumoren Gastrointestinale Tumoren Urogenitale Tumoren Melanome Mesotheliome
Frauen [%] 49,1 21,1 10,9 7,0 6,0 1,4 1,0
(35,6) (15,9) (10,2) (5,9) (2,1)
Mammakarzinome Gyna¨kologische Tumoren Bronchialkarzinome Unbekannte Prima¨rtumoren Lymphome Gastrointestinale Tumoren Melanome
37,4 20,3 15,3 9,1 8,0 4,3 3,2
(14,8) (8,1) (35,6) (10,2) (15,9) (5,9) (2,1)
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
2 Diagnostik Neben der klinischen Symptomatik ergeben sich weitere Hinweise auf einen Pleuraergu durch die krperliche Untersuchung und die Thorax-Rntgenaufnahme als radiologische Standarddiagnostik. Die weiterfhrende Diagnostik besteht in der Sonographie und der Computertomographie des Thorax. Das diagnostische Vorgehen bei einem Pleuraergu unklarer Genese umfat zunchst F F
F F F
die Pleurapunktion mit biochemischer, zytologischer und mikrobiologischer Untersuchung sowie der Zelldifferenzierung des Pleurapunktats. Bei der Differenzierung in Exsudat und Transsudat sind neben der Bestimmung des Gesamtproteins im Pleuraergu die Bestimmung von LDH, spezifischem Gewicht, Cholesterin und Bilirubin hilfreich (Tabelle 2). Ein Chylothorax kann durch die Bestimmung der Triglyzeride diagnostiziert werden. Bei jeder diagnostischen Punktion eines Pleuraergusses unklarer Genese sollte ein Differentialzellbild angefertigt werden. Bei Lymphomen und Leukmien sollte zustzlich eine Phnotypisierung mittels Durchfluzytometrie erfolgen.
Ein diagnostisches Fludiagramm definiert das Procedere in der Differentialdiagnose von Pleuraergssen (Abb. 1). Die Diagnose eines malignen Pleuraergusses wird erst durch den Nachweis von malignen Zellen in der Zytologie oder Histologie gesichert.
Tabelle 2. Differenzierung des Pleuraergusses in Transsudate und Exsudate. (Mod. nach Loddenkemper 1992) Parameter
Transsudat
Exsudat
Gesamteiweiß (GE)
< 30 g
> 30 g
GE-Pleura/GE-Serum
< 0,5
> 0,5
Spezifisches Gewicht
< 1016
> 1016
Laktatdehydrogenase
< 200 U/l
> 200 U/l
LDH-Pl/LDH-Serum
< 0,6
> 0,6
Leukozytenzahl
< 1000/ml
> 1000/ml
Erythrozytenzahl
< 10000/ml
> 10000/ml
Cholesterin
< 60 mg/dl
> 60 mg/dl
Bili-Pl/Bili-Serum
< 0,6
> 0,6
17.11
Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
1043
17 Abb. 1. Diagnostisches und therapeutisches Flußdiagramm bei der Differentialdiagnose von Pleuraergu¨ssen
Es stehen drei diagnostische Verfahren zur Verfgung: F F F
die blinde Biopsie der parietalen Pleura, die Pleuraergupunktion (hufigste Methode) und die Thorakoskopie.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Abb. 2. Sensitivita¨t verschiedener Methoden beim malignen Pleuraerguß (prospektiv randomisierter Vergleich, n = 208. (Nach Antony et al. 2001)
Die Pleurabiopsie hat die geringste Sensitivitt mit 44 %, gefolgt von der Pleuraergupunktion mit 62 %. Die hchste Erfolgsrate hat die Thorakoskopie mit 95 %. Bei der Thorakoskopie kann die Pleura inspiziert werden und knnen gezielte Gewebeentnahmen vorgenommen werden. Darber hinaus knnen die Voraussetzungen fr eine optimale Pleurodesebehandlung durch gezieltes und vollstndiges Absaugen der Erguflssigkeit und genaue Plazierung der Thoraxdrainage verbessert werden. Durch die Kombination der einzelnen Verfahren kann die Sensitivitt weiter gesteigert werden (Abb. 2).
3 Therapeutisches Management Maligne Pleuraergsse werden in der Regel unter palliativen Gesichtspunkten therapiert, weshalb Invasivitt des Verfahrens, Effektivitt, Nebenwirkungen und Kosten ausgewogen sein sollten. Bevor eine Pleurodese durchgefhrt wird, sollten eine Reihe von Fragen beantwortet weden (Rodriguez-Panadero et al. 1997). 1. Ko¨nnen die klinischen Symptome (in erster Linie Dyspnoe) auf den Pleuraerguß zuru¨ckgefu¨hrt werden? Eine Pleurodese erscheint nur dann sinnvoll, wenn die Symptomatik des Patienten urschlich auf den Pleuraergu zurckgefhrt werden kann. Sollte die klinische Symptomatik hingegen durch eine parenchymatse Infiltration der Lunge oder andere Vernderungen bedingt sein, so ist zunchst die Behandlung dieser Lsionen zu erwgen. 2. Handelt es sich um rezidivierende Ergußbildungen? Bei malignen Ergssen solider Tumoren bietet sich die sofortige Pleurodese an. Es ist davon auszugehen, da bei weiterem Voranschreiten der Tumorerkrankung die Durchfhrung der Pleurodese zu einem spteren Zeitpunkt erschwert sein knnte. Vor diesem Hintergrund mu die Frage des Rezidivverhaltens zum Zeitpunkt der Pleurodese nicht unbedingt mit
17.11
Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
1045
„ja“ beantwortet werden. Handelt es sich um maligne Ergubildungen im Rahmen maligner Lymphomerkrankungen, ist zunchst der Effekt der systemischen Chemotherapie abzuwarten. Dies gilt auch fr kleine Ergubildungen von kleinzelligen Bronchialkarzinomen. Hier spielt das Verhalten des Ergusses als ein bedeutender Parameter auf das Ansprechen einer Chemotherapie eine wichtige Rolle. 3. Kann sich die Lunge nach vollsta¨ndiger Ergußdrainage wieder komplett entfalten? Eine wesentliche Voraussetzung fr eine erfolgreiche Pleurodese ist die vollstndige Entfaltung der Lunge nach kompletter Entfernung des Ergusses. Ein wichtiger Hinweis auf eine sog. „gefesselte Lunge“ ist ein geringer pleuraler Druck bei der Thorakozentese. Liegt der pleurale Druck niedriger als 20 cmH2O, knnte die Durchfhrung einer Pleurodese aufgrund schneller intrathorakaler Druckschwankungen sogar klinische Probleme bereiten. Differentialdiagnostisch ist in einem solchen Fall zunchst an fibrin- oder tumorbedingte Fesselungen der Lunge zu denken. Auch ein zentraler Tumor mit nachfolgender Atelektase ist als Ursache mglich. Die Messung des pleuralen pH scheint ein recht guter Parameter zu sein, der auf eine solche Situation hinweist. In einer groen prospektiven Untersuchung fand sich eine gefesselte Lunge bei 36 % der Patienten mit pleuralem pH< 7,2, whrend nur bei 9 % der Patienten mit hheren pH-Werten ein solcher Zustand vorlag (Segalo et al. 1994). Darber hinaus scheint der pH in der Pleura insgesamt ein guter Prdiktor einer erfolgreichen Pleurodese zu sein. In einer anderen Untersuchung wurde eine erfolgreiche Pleurodese bei 90 % der Patienten mit pleuralen pHWerten > 7,3 und nur bei 33 % der Patienten mit pH-Werten < 7,2 erreicht (Rodriguez-Panadero et al. 1994). 4. Wie ist die Gesamtprognose des Patienten? Aggressive Pleurodeseverfahren sollten nur bei Patienten in gutem Allgemeinzustand durchgefhrt werden. Als Prdiktor der berlebenszeit scheinen sich neben dem klinischen Zustand der Patienten 2 Parameter anzubieten. In einer groen Studie an 125 Patienten hatten Patienten mit pleuralen pH-Werten < 7,2 und pleuralen Glukosewerten < 60 mg/dl eine besonders kurze berlebenszeit (im Mittel 1,9 Monate) (Sanchez-Amengol et al. 1993). Grundstzlich gilt, da aufgrund der schlechten Gesamtprognose die Behandlung effektiv und in kurzer Zeit durchzufhren ist. Die stationren Aufenthalte sollten gering gehalten werden, die Mobilitt des Patienten sollte mglichst erhalten bleiben.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
3.1 Systemische Therapie Eine systemische Chemotherapie ist bei allen kleineren malignen Pleuraergssen, insbesondere bei chemotherapiesensitiven Primrtumoren wie kleinzelligen Bronchialkarzinomen, Mammakarzinomen und malignen Lymphomen, indiziert. Die Zytostatikatherapie wird am Primrtumor orientiert. 3.2 Lokale Maßnahmen 3.2.1 Drainage
Die Anlage einer Drainage sollte bei allen malignen Pleuraergssen, bei denen eine systemische Chemotherapie nicht wirksam ist, erfolgen. Die kontinuierliche Drainage des Pleuraraumes mit Hilfe einer Saugdrainage ist der erste Schritt der Pleurodesebehandlung. Der Pleuraraum sollte mglichst vollstndig entleert werden. Die Ergumengen sollten weniger als 100…200 ml/24 h betragen, um optimale Voraussetzungen fr einen Pleurodeseerfolg zu schaffen. Die alleinige Drainageanlage fhrt bereits in 45 % der Flle zum Sistieren des Ergusses, die Kombination mit einer fibroseinduzierenden Substanz erhht jedoch den Therapieerfolg auf 60…80 %. In einer Metaanalyse wurden drei randomisierte Studien ausgewertet, die verschiedene chemische Pleurodesesubstanzen mit der alleinigen Drainage verglichen haben. Dabei zeigte sich fr alle drei Studien ein Vorteil zugunsten der chemischen Pleurodese (Zaloznik et al. 1983, Groth et al. 1991; Leverenz et al. 2000; Shaw u. Agraval 2004). 3.2.2 Pleurodeseverfahren
Die Pleurodese hat zum Ziel, eine Fibrosierung der Pleurabltter zu induzieren, um eine weitere Ergubildung zu verhindern. Die meisten intrapleural applizierten Substanzen fhren ber eine Fibroblastenproliferation zur Sklerosierung der Pleurabltter. Eine Pleurodese sollte bei allen Patienten mit ausgeprgten Pleuraergssen, vor allem bei chemotherapierefraktren Tumoren, durchgefhrt werden. Eine wesentliche Voraussetzung fr den Therapieerfolg ist die Ausdehnung der Lunge nach Drainierung der Erguflssigkeit. Historische Substanzen
In der Vergangenheit wurden eine Vielzahl verschiedener Substanzen untersucht (Tabelle 3), die aufgrund geringer Effektivitt oder aber erheblicher Nebenwirkungen heute verlassen worden sind.
17.11
Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
1047
Tabelle 3. Pleurodeseverfahren und Substanzen Substanzen
Effektivita¨t (%)
Bemerkungen
Allgemeine Verfahren Pleurapunktion Pleuradrainage Radioisotope Strahlentherapie Pleurektomie
0–4 22–67 30–59 70–80 98
Akutmaßnahme Voraussetzung fu¨r effektive Pleurodese Strahlenschutzbedingungen Bei Mediastinaltumoren Bei Versagen konventioneller Verfahren und gutem Allgemeinzustand des Patienten
67–90 44–52 37–66
Aufgrund ha¨ufiger und starker Nebenwirkungen heute nicht mehr verwendet
Historische Substanzen Quinacrin Stickstofflost 5-Fluorouracil NaOH Thiotepa
56 37–60
Etablierte Substanzen Tetracyclin Bleomycin Fibrin Mitoxantron Talkumaufschwemmung
54–86 64–87 77 75–90 91
Talkum (via Thorakoskopie)
91–98
Experimentelle Ansa¨tze Interferon-a Interferon-b Interferon-c Markiertes 131I Interleukin-2 Gentherapie
20 28 –
Lokale Schmerzen Temperaturen Keine Nebenwirkungen Myelotoxizita¨t zum jetzigen Zeitpunkt erst an geringen Patientenzahlen u¨berpru¨ft Technische Voraussetzungen notwendig, starke lokale Schmerzen Bisher nur in kleinen Studien u¨berpru¨ft
70 22
Etablierte Substanzen
Bleomycin, Tetracyclin, Mitoxantron, Fibrin und Talkum gehren zu den etablierten, eine Pleurodese induzierenden Substanzen mit Erfolgsraten zwischen 54 und 98 % (Tabelle 3). Diese Substanzen sind am hufigsten untersucht worden, und ihre Wirksamkeit ist durch randomisierte Studien belegt (Fentiman et al. 1986; Gust u. Fabel 1989; Groth et al. 1991; Ruckdeschel et al. 1991; Kreuser 1992; Walker-Renard et al. 1994).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tetracyclin: Die Instillation von Tetracyclin-Hydrochlorid gilt als etabliertes Verfahren in der chemischen Pleurodese maligner Pleuraergsse. Die Remissionsraten liegen zwischen 54 und 86 %. An Nebenwirkungen treten bei etwa 50 % der Patienten zum Teil heftige Pleuraschmerzen auf, weshalb eine vorherige lokale und evtl. systemische Schmerztherapie zu empfehlen ist. Tetracyclin-Hydrochlorid wird in einer Dosierung von 10…20 mg/kg KG in 50ml Volumen appliziert. Es ist im Vergleich zu allen anderen Skerosierungssubstanzen am preisgnstigsten. Andere Tetracyclinderivate wie z.B. Doxycyclin oder Minocyclin wiesen hnliche Remissions- und Nebenwirkungsraten auf, wobei der pH-Wert nicht entscheidend zu sein scheint (Mansson 1988; Hatta et al. 1990). Minocyclin wurde in einer Dosis von 300mg appliziert und erreichte eine Erfolgsrate von 86 %, wobei allerdings nur ein sehr kleines Patientenkollektiv behandelt wurde. Die Erfolgsrate von Doxycyclin lag bei 72 %. Die Dosierung betrug 500 mg, mute aber hufiger wiederholt appliziert werden. Beide Tetracyclinderivate unterschieden sich hinsichtlich der Nebenwirkungen nicht wesentlich von Tetracyclin-Hydrochlorid. In insgesamt 18 Studien bei 682 Patienten wurde Tetracyclin mit anderen Sklerosierungssubstanzen verglichen. Die Metaanalyse dieser Studien zeigt keinen wesentlichen Vorteil fr Tetracyclin im Vergleich zu den anderen Sklerosierungssubstanzen. Im Vergleich zu Talkum jedoch ist Tetracyclin in der Wirksamkeit unterlegen. Bleomycin: Bei einer Pleurodesebehandlung mit Bleomycin treten seltener und weniger starke pleurale Schmerzen, dafr aber hufiger Temperaturen auf als bei Tetracyclinen. Die Erfolgsraten bei Bleomycin und Tetracyclinen sind vergleichbar. Die Instillationsdosis fr Bleomycin betrgt 60 mg. Eine hhere Dosis ist aufgrund der beobachteten Kumulation der Substanz nicht zu empfehlen. Tetracycline sind im Vergleich zum Bleomycin erheblich kostengnstiger. Vergleiche von Bleomycin mit anderen Sklerosierungssubstanzen wurden in 18 randomisierten Studien bei insgesamt 718 Patienten durchgefhrt. Im Vergleich zu den anderen Substanzen ergab sich kein Vorteil fr Bleomycin; im direkten Vergleich im Tetracyclin (8 Studien, 351 Patienten) waren beide Substanzen gleichwertig hinsichtlich der Effektivitt. Mitoxantron: Mitoxantron wird in einer Dosis von 30mg appliziert. Lokale
Nebenwirkungen sind selten, dagegen knnen aufgrund der systemischen Wirkung Neutropenien auftreten. Die Remissionsraten werden zwischen 75 und 90 % angegeben. Krzlich wurde jedoch in einer Vergleichsstudie zwischen Mitoxantron und alleiniger Thoraxdrainage kein signifikanter Unterschied in der Erfolgsrate gefunden (Groth et al. 1991).
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Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
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Fibrin: Der Fibrinkleber wirkt ebenfalls sklerosierend. Die Wirksamkeit des Fibrinklebers ist vergleichbar mit der von Tetracyclin und Bleomycin. Die Instillation von Fibrin verursacht kaum Nebenwirkungen, ist aber erheblich teurer als Tetracyclin und Bleomycin (Gust u. Fabel 1989). Talkum: Mit Talkum sind sehr hohe Remissionsraten um 90 % berichtet worden. Die Talkumpleurodese kann starke lokale Schmerzen verusachen. Auch wurde vereinzelt ber die Entwicklung eines „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) und Pneumonien nach Talkuminstillation berichtet. Whrend frher aufgrund von Asbestverunreinigungen potentiell die Gefahr von Pleuramesotheliomen bestand, sind inzwischen asbestfreie Formen des Talkums im Handel. In sechs Studien bei 186 Patienten wurde die relative Mortalitt von Talkum im Vergleich zu anderen Sklerosierungssubstanzen berprft. Es ergab sich kein signifikanter Unterschied. Talkum kann in zwei unterschiedlichen Verfahren als Sklerosierungssubstanz eingesetzt werden: F
F
Aufbringen mit einem Sprhgert auf die Pleuraoberflche whrend einer Thorakoskopie, hierzu sind die entsprechende technische Ausstattung und ein erfahrener Untersucher Voraussetzungen, Instillation als in Kochsalz aufgeschwemmte Lsung ber eine Drainage; mit dieser Methode sind Erfolgsraten bis zu 91 % berichtet worden, wobei allerdings die Patientenzahlen der einzelnen Studien recht gering waren (Kennedy et al. 1994a; 1994b; Zimmer et al. 1997).
In fnf Studien wurde die thorakoskopische Pleurodese mit Talkum mit der chemischen Pleurodese verschiedener Sklerosierungssubstanzen (Tetracyclin, Bleomycin, Talkumlsung) verglichen: Dabei zeigte sich ein signifikanter Vorteil zugunsten der thorakoskopischen Pleurodese. Zwei wesentliche Aspekte sind fr den Erfolg der thorakoskopischen Pleurodese verantwortlich: F F
Komplette Entleerung des Ergusses vor Einbringen der Sklerosierungssubstanz, Gleichmige Verteilung.
Neue Substanzen
Bezglich der neuen Substanzen (Taxane, Gemcitabin, Vinorelbin und Topotecan) liegen bisher wenig Erfahrungen vor. Lediglich Paclitaxel ist in einer Phase-II-Studie kontrolliert untersucht worden. Bei 15 Patienten wurden 125 mg in Kochsalz gelstes Paclitaxel intrapleural instilliert. Bei den auswertbaren Patienten (n=14) lag die Ansprechrate bei 92,9 %. CR fand sich bei 28,6 %. Um den genauen Stellenwert von Paclitaxel beurteilen zu knnen, sind vergleichende Untersuchungen mit etablierten Substanzen
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
notwendig. In der nchsten Zeit werden sicherlich auch vermehrt Berichte ber die anderen neuen Substanzen zu erwarten sein. Zusammenfassend kann festgestellt werden: F
F
F F
1. Wahl bei der Pleurodese ist bei Patienten in ausreichend gutem klinischem Zustand und vorhandenen technischen Voraussetzungen die thorakoskopische Einsprhpleurodese mit Talkum. Als Therapie der 2. Wahl steht die Einschwemmung von Talkumlsung durch eine liegende Thoraxdrainage oder die Instillation von Tetracyclinderivaten (Tetracyclin-Hydrochlorid, Doxycyclin, Minocyclin) zur Verfgung. Als Therapie der 3. Wahl kommt Bleomycin, und als Therapie der 4. Wahl kommen Fibrin und Thrombin oder Mitoxantron in Betracht.
Ist der Ergu weiter therapierefraktr oder liegen gekammerte Ergsse vor, sind chirurgische Verfahren wie pleuroperitonealer Shunt oder die Pleurektomie zu erwgen. Experimentelle Therapieansa¨tze
Als experimentelle Therapieanstze bei der Pleurodese wurde in den letzten Jahren die intrapleurale Applikation von Zytokinen untersucht (Tabelle 3). Dabei fhrte die Instillation von Interferon-a, -b oder -c nur zu einem geringen Therapieerfolg. Die Instillation von Interferon-b mit ansteigenden Dosen (5…20 Mio. Einheiten) bis zu maximal 3 Applikationen fhrte in 27 % der Flle zu kompletten, in 10 % zu partiellen Remissionen. Ob eine synergistische Wirkung von 5-Fluorouracil und Interferon bei der Pleurodese maligner Ergsse vorliegt, mssen weitere Studien zeigen. Eine intrapleurale Immunotherapie mit Interleukin-2 zeigte ebenfalls nur eine geringe Erfolgsrate von 22 % (Astoul et al. 1991, Viallat et al. 1993, Yasumoto et al. 1987). Etwas hher (42 %) lag die Ansprechrate mit der intrapleuralen Applikation von Mitomycin C, welches auf aktivierten Kohlepartikeln adsorbiert war (Hagiwara et al. 1987). Ein weiterer experimenteller Ansatz ist die Gabe von tumorassoziierten Antikrpern mit radioaktivem 131I (Pectasides et al. 1986). 3.2.3 Technische Durchfu¨hrung der Pleurodese
Das therapeutische Fludiagramm (Abb. 3) zeigt die einzelnen Phasen der Pleurodese: Der 1. Schritt besteht in der Anlage der Thoraxdrainage. Diese sollte im 3.…5. ICR der mittleren bis hinteren Axillarlinie unter ausreichender lokaler Ansthesie in sitzender Position erfolgen. Der Ergu und die an-
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Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
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Abb. 3. Technik der Pleurodese
grenzenden anatomischen Strukturen (Lunge, Pleuraparietalis, Zwerchfell) sollten sonographisch dargestellt werden. Die Wahl der Kathetergre sollte von der Beschaffenheit des Ergusses abhngig gemacht werden. Bei Ergubildungen mit hohem Eiweianteil oder bei hmorrhagischen Ergssen sollten grerlumige Katheter verwendet werden, so da das Risiko einer schnellen Obstruktion des Katheters vermindert werden kann. Die Drainage sollte in den dorsobasalen Pleuraraum plaziert werden. Als 2. Schritt erfolgt die kontinuierliche Saugung mit 20…40 cm H2O des Pleuraraums. Die Ergumenge/24 h wird in einem Verlaufsprotokoll do-
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
kumentiert. Betrgt die Ergumenge weniger als 100…200 ml in 24 h, so erfolgt die Instillation der Pleurodesesubstanz. Zuvor sollte ausreichend Lokalansthetikum, z.B. 20 ml Lidocain 1 %, in den Pleuraraum eingegeben werden. Die Saugung wird ber 2…4 h abgeklemmt. Der Patient sollte mglichst unter krankengymnastischer Anleitung in verschiedene Krperpositionen gebracht werden, um eine gleichmige Verteilung des Sklerosierungsmittels zu gewhrleisten. Der 3. Schritt besteht wiederum in der kontinuierlichen Saugung ber 24 h. Betrgt die Ergumenge weniger als 200ml, so wird die Drainage entfernt. Andernfalls wird eine zweite Pleurodese vorgenommen. 3.2.4 Pflege der Drainage
Eine hufige Ursache im Versagen einer Pleurodesetherapie liegt in der ungengenden Pflege der Pleuradrainage. Diese sollte bei kleinlumigen Kathetern (z.B. Pleuracath nach Matthys) 2mal tglich mit 10 ml physiologischer Kochsalzlsung gesplt werden. Tglich sollten alle Konnektionsstellen und die Punktionsstelle inspiziert werden und ein Verbandswechsel erfolgen. 3.3 Strahlentherapie Durch mediastinale Tumoren, insbesondere maligne Lymphome, knnen maligne Pleuraergsse und Chylothoraces auftreten. Die Verlegung des Ductus thoracicus oder aber andere mediastinale, lymphatische Abflustrungen knnen mit externer Bestrahlung hufig effektiv behandelt werden. 3.4 Chirurgische Verfahren Pleuroperitonealer Shunt
Kommt es nicht zu einer kompletten Ausdehnung der Lunge, ist die Anlage eines pleuroperitonealen Shunts zu erwgen. In die Verbindung zwischen Pleuraraum und Peritoneum ist eine manuelle Pumpe geschaltet. In der Regel mu die Shuntanlage in Vollnarkose erfolgen, so da nur Patienten mit gutem Allgemeinzustand und gnstiger Prognose fr diese Behandlung in Frage kommen. Ein Vorteil ist die kurze Hospitalisierungsdauer der Patienten. Ein Nachteil drfte die potentielle Gefahr der Implantationen von Metastasen im Abdomen sein (Little et al. 1988; Keller 1993). Pleurektomie
Sollten alle konventionellen Pleurodeseverfahren versagen und eine pleuroperitoneale Shuntanlage nicht mglich sein, so ist bei ausgewhlten Patienten in gutem Allgemeinzustand die operative Pleurektomie zu erwgen.
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Intrakavita¨re Therapie bei Pleuraerguß
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Der Therapieerfolg liegt ber 90 %. Jedoch ist bei diesem Verfahren mit einer hohen perioperativen Mortalitt und potentiell schwerwiegenden Komplikationen wie pulmonalen Lecks, Blutungen und Empyemen in 20…30 % der Flle zu rechnen. 3.5 Beurteilung des Therapieerfolgs Als kompletter Therapieerfolg gilt, wenn innerhalb von 30 Tagen ein Ergurezidiv nicht aufgetreten ist. Ein partieller Therapieerfolg liegt vor, wenn innerhalb von 30 Tagen weniger als 50 % des Ausgangsvolumens nachgelaufen ist, aber keine Ergupunktion notwendig wird. Ein Therapieversagen liegt vor, wenn mehr als 50 % des Ausgangsvolumens nachgelaufen ist oder eine symptomatische Entlastungspunktion notwendig wird. Literatur Antony VB, Loddenkemper R, Astoul P (2001) Management of malignant pleural effusions. Eur Respir J 18:402…419 Astoul P, Viallat JR, Laurent JC et al (1991) Intrapleural recombinant IL-2 in passive immunotherapy for malignant pleural effusion. Chest 103:209…213 Fentiman IS, Rubens RD, Hayward IL (1986) A comparison of intracavitary talc and tetracyclin for the control of pleural effusions secondary to breast cancer. Eur J Cancer Clin Oncol 22:1079…1081 Groth TR, Gatzemeier V, Hussinger K et al (1991) Intrapleural palliative treatment of malignant pleural effusions with mitoxantrone versus placebo (pleural tube alone). Ann Oncol 23:213…215 Gust R, Fabel H (1989) Fibrinkleber-Pleurodese bei rezidivierendem malignen Pleuraergu. Pneumologie 43:85…87 Hagiwara A, Takahashi T, Lee R et al (1987) Chemotherapy for carcinomatous peritonitis and pleuritis with MMC-CH, mitomycin C adsorbed on activated carbon particles. Cancer 59:245…251 Hatta T, Tsubota N, Yoshimura M, Yanagawa M (1990) Effect of intrapleural administration of minocycline on postoperative air leakage and malignant pleural effussion. Kyobu Geka 43(4):283…6 Hausheer FH, Yarbro JW (1985) Diagnosis and treatment for malignant pleural effusion. Semin Oncol Johnston WW (1985) The malignant pleural effusion. A review of cytopathologic diagnoses of 584 specimens from 472 consecutive patients. Cancer 56:905…909 Keller SM (1993) Current and future therapy for malignant pleural effusion. Chest 103:63…67 Kennedy L, Rusch VW, Strange C et al (1994a) Pleurodesis using talc slurry. Chest 106:342…346 Kennedy L, Sahn SA (1994b) Talc pleurodesis for the treatment of pneumothorax and pleural effusion. Chest 106:1215…1222
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17.12 Intrakavita¨re Therapie bei malignem Perikarderguß K.-M. Deppermann, E.-D. Kreuser
1 Ha¨ufigkeit und Symptomatik Eine Infiltration des Myokards oder Perikards mit Entwicklung eines Perikardergusses wird bei 5% aller malignen Tumoren beobachtet (Skhvatsabaja 1986). Dabei schwanken die Angaben von 0,1% in klinischen Studien bis 21% in autoptischen Serien (Theologides 1978). 20% aller Perikardergsse werden durch maligne Grunderkrankungen hervorgerufen. Am hufigsten finden sich maligne Perikardergsse bei Bronchialkarzinomen, Mammakarzinomen, akuten Leukmien, malignen Lymphomen, aber auch bei malignem Melanom, gastrointestinalen Tumoren und Sarkomen (Kralstein u. Frihman 1987; Hancock 1990). Eine myokardiale oder perikardiale Beteiligung bei Autopsien fand sich in 35% der Flle beim Bronchialkarzinom und in 25% beim Mammakarzinom (Buck et al. 1987). Der maligne Ergu entsteht durch eine Metastasierung oder durch eine Infiltration per continuitatem mit Obstruktion lymphatischer Gefe oder Behinderung des vensen Abflusses. Primre Tumoren des Herzens mit malignem Perikardergu wie Mesotheliome, Fibrosarkome oder Hmangiosarkome sind sehr selten. Die wichtigsten Differentialdiagnosen von Perikardergssen umfassen Ergubildungen durch Infektionen oder als Folge einer Strahlenbehandlung (Missri u. Schechter 1988) (Tabelle 1). Husten, Palpitationen, periphere deme, thorakale Schmerzen und Belastungsdyspnoe gehren zu den initialen Symptomen. Die zunehmende Tabelle 1. Differentialdiagnose von Perikardergu¨ssen unklarer Genese. (Mod. nach Celermajer et al. 1991) Grunderkrankung
Ha¨ufigkeit [%]
Maligne Tumoren
23
Bestrahlung
14
Virusinfektionen
14
Ura¨mie
12
Kollagenosen
12
Idiopathisch
7
Tuberkulose
5
Andere
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Einschrnkung des Herzminutenvolumens kennzeichnet die weiteren Beschwerden und Symptome wie Orthopnoe, Zyanose und Synkopen. Die gravierendste Symptomatik ist die Herzbeuteltamponade. Die klinische Symptomatik scheint von der Gre der perikardialen Metastasen abhngig zu sein. Bei greren Metastasen haben etwa 70% der Patienten klinische Symptome, bei kleineren nur 27%.
2 Diagnostik Die klinische Untersuchung zeigt eine Stauung der Jugularvenen, eine Tachykardie sowie einen paradoxen Puls. Hufig ist ein Perikardreiben zu hren. Bei einer Perikardtamponade stehen Hypotonie und Zyanose im Vordergrund. Die 2-D-Echokardiographie ist das diagnostische Verfahren der Wahl. Radiologischer Hinweis ist die Verbreiterung der Herzsilhouette und elektrokardiographisch die Niedervoltage. Eine invasive Diagnostik mit Punktion sowie mikrobiologische und zytologische Untersuchungen sind abhngig von der Grunderkrankung, der Gre des Ergusses, den hmodynamischen Auswirkungen und dem klinischen Verlauf der Erguentwicklung. Die biochemischen Analysen umfassen die Bestimmung von Glukose, Gesamteiwei, Cholesterin und Triglyzeriden. Bei der mikrobiologischen Untersuchung sollten Anaerobier, Aerobier, Mykoplasmen, Chlamydien, Pilze, Mykobakterien eingeschlossen werden. Ein Differentialzellbild und die zytologische Untersuchung auf maligne Zellen mssen bei jeder Perikardpunktion erfolgen. Bei akuten Leukmien und malignen Lymphomen sollte auch eine Phnotypisierung der Tumorzellen mittels Durchfluzytometrie durchgefhrt werden. Sollte durch diese Manahmen die ˜tiologie des Ergusses noch nicht geklrt sein, so kann in einzelnen Fllen die Durchfhrung einer Perikardioskopie mit gezielter Biopsie erwogen werden (Pass 1992).
3 Therapie 3.1 Systemische Therapie Die Prognose von Patienten mit malignen Perikardergssen ist vom Allgemeinzustand, von der Art des Primrtumors und der Mglichkeit einer systemischen Chemotherapie abhngig. Bei chemotherapiesensitiven Tumoren wie Mammakarzinom, kleinzelligem Bronchialkarzinom oder akuten Leukmien sollte rasch eine am Primrtumor orientierte Chemotherapie erfolgen. Aufgrund der drohenden Gefahr einer Perikardtamponade bei progredienter Ergubildung sollte die systemische Chemotherapie aber immer mit lokalen Therapiemanahmen kombiniert durchgefhrt werden.
17.12
Intrakavita¨re Therapie bei malignem Perikarderguß
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3.2 Perikardiozentese Prinzip
Die Therapie der Wahl ist die Perikardiozentese mit Anlage eines Katheters und konsekutiver Ergudrainierung. Die alleinige Perikardiozentese kann schon ein Nachlaufen des Ergusses verhindern (Celermajer et al. 1991; Gatenby et al. 1991). Eine Perikardese mit fibroseinduzierenden Substanzen scheint jedoch die Remissionsraten zu erhhen. Mehrere Substanzen sind intraperikardial zur Anwendung gekommen (Tabelle 2). Allerdings fehlen randomisierte Studien, so da die Effektivitt und Toxizitt verschiedener Verfahren nicht exakt definiert werden knnen. Die frher eingesetzten Substanzen wie Nitrogen Mustard, Thiotepa oder Quinacrin werden aufgrund der hufigen und schweren Nebenwirkungen heute nicht mehr verwendet. Die grten Erfahrungen liegen mit der Instillation von Tetracyclin (500 mg) und Bleomycin (30 mg) vor (Maher et al. 1996; Shepherd et al. 1985; van der Gaast et al. 1989). Beide Substanzen scheinen gleich wirksam zu sein. Eine Sklerosierungsbehandlung fhrte zu Remissionsraten von 70…80%, im Median von 120 Tagen. Der Vorteil von Bleomycin liegt in der geringeren lokalen Schmerzentwicklung. Bleomycininduziertes Tabelle 2. Fibroseinduzierende Substanzen fu¨r die Perikardese Medikamente
Bemerkungen
Historische Substanzen Nitrogen Mustard Thiotepa Quinacrin
Aufgrund von ha¨ufigen und starken Nebenwirkungen heute nicht mehr empfohlen
Radioisotope Gold Phosphor Yttrium
Hohe Erfolgsraten, jedoch aufgrund der Strahlenschutzbedingungen heute nicht mehr empfohlen
Zytostatika Carboplatin Cisplatin Vinblastin 5-Fluorouracil Mitoxantron
Sehr wirksam in Einzelfa¨llen; Studien mit ho¨heren Fallzahlen liegen fu¨r diese Substanzen nicht vor
Etablierte Substanzen Bleomycin Tetracyclin
Dosierung: 30 mg in 20–30 ml Dosierung: 500 mg in 20–30 ml
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Fieber lt sich mit nichtsteroidalen Antiphlogistika kontrollieren, z.B. Paracetamol 500 mg vor Perikardiozentese. Ebenfalls wirksam scheint die Applikation von Cisplatin (20mg/Tag ber 5 Tage) zu sein. Mit dieser Substanz liegen jedoch nur begrenzte Erfahrungen vor (Koester u. Winkelmann 1994). Thiotepa ist eine alkylierende Substanz, die sowohl in der Therapie solider Tumoren als auch in der Therapie von Pleuraergssen eingesetzt wurde. Bei 60 Patienten, die Thiotepa erhielten, wurden keine wesentlichen Komplikationen oder Nebenwirkungen beobachtet. Die Rezidivrate 30 Tage nach Behandlung betrug 83% (Girardi et al. 1997; Colleoni et al. 1998). Praktische Durchfu¨hrung der Perikardiozentese
Der Patient wird in eine halbaufrechte Position gelagert und der Ergu ber eine subxiphoidale, seltener interkostale Anlotung mittels 2-D-Echokardiographie dargestellt. Es erfolgen die subxiphoidale Punktion im Winkel von 45 in Richtung auf die linke Schulter des Patienten und Einlage des Pigtailkatheters mit Hilfe der Seldinger-Technik. Die korrekte Lage der Punktionskanle und auch des Pigtailkatheters wird durch Einspritzen von Kontrastmittel unter Durchleuchtung kontrolliert. Die Erguflssigkeit wird nun fraktioniert ber 24 h abgelassen, wobei nicht mehr als 500 ml in 6 h abgesaugt werden sollten. Nach echokardiographischer Kontrolle der vollstndigen Erguentleerung sollte zur Reduktion der Schmerzen, insbesondere bei der Applikation von Tetracyclin, die Instillation von 10 ml 1,5%iger Lidocainlsung durchgefhrt werden. Danach erfolgt die Gabe von entweder Bleomycin in einer Dosierung von 30 mg in 20…30 ml oder 500 mg Tetracyclin in 20…30 ml Volumen. Der Katheter wird ber 2…4 h abgeklemmt. Anschlieend erfolgt die Erguabsaugung ber 24 h. Betrgt die Ergumenge in 24 h weniger als 25 ml, kann der Katheter entfernt werden. Bei Nachlaufen des Ergusses erfolgt am 3. Tag eine erneute Instillation der Sklerosierungssubstanz. Die Katheterentfernung wird unter echokardiographischer Kontrolle durchgefhrt. 3.3 Strahlentherapie Vor allem bei malignen Lymphomen kann durch eine externe Strahlentherapie ein Perikardergu erfolgreich behandelt werden. Die empfohlene Strahlendosis betrgt 30 Gy fraktioniert ber 2…3 Wochen. Die lokale Instillation von 32P- oder 90Y-Kolloid kann ebenfalls zu Remissionen fhren, wird aber wegen der notwendigen Strahlenschutzbedingungen nicht mehr empfohlen (Tabelle 2).
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Intrakavita¨re Therapie bei malignem Perikarderguß
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3.4 Chirurgische Verfahren Chirurgische Optionen sind vom Allgemeinzustand des Patienten, vom Ausma der Grunderkrankung sowie von der Prognose des Patienten abhngig. Die chirurgischen Mglichkeiten umfassen die pleuroperikardiale Fensterung und die komplette Perikardektomie. Das Vorgehen sollte das geringste perioperative Risiko und die grten Erfolgsaussichten beinhalten. Die chirurgischen Verfahren kommen bei therapierefraktren Perikardergssen oder konstriktiven, hmodynamisch wirksamen Vernderungen zur Anwendung. Da die perioperative Mortalitt und Komplikationsrate nicht vom Ausma der Perikardektomie abhngig ist, sollte soviel Perikard wie mglich reseziert werden, um postoperative Rezidive zu vermeiden und ein besseres funktionelles Resultat zu erzielen (Krause et al. 1991; Ready et al. 1992; Okamoto et al. 1993). In jngster Zeit ist auch vereinzelt ber die Anlage eines perikardio-peritonealen Shunts berichtet worden (Wang et al. 1994). Literatur Buck M, Ingle JN, Guiliani ER et al (1987) Pericardial effusion in women with breast cancer. Cancer 60:263 Celermajer DS, Boyer MJ, Bailey BP, Tattersall MH (1991) Pericardiocentesis for symptomatic malignant pericardial effusion: a study of 36 patients. Med J Aust 154(1):19…22 Colleoni M, Cipolla C, Goldhirsh A et al (1998) Intracavitary chemotherapy with thiotepa in malignant pericardial effusions: an active and well tolerated regimen. J Clin Oncol 16:2371…2376 Gatenby RA, Hartz WH, Kessler HB (1991) Percutaneous catheter drainage for malignant pericardial effusion. J Vasc Interv Radiol 2(1):151…155 Girardi LN, Ginsberg RJ, Burt ME (1997) Pericardiocentesis and intrapericardial sclerosis: effective therapy for malignant pericardial effusions. Ann Thorac Surg 64:1422…1428 Hancock EW (1990) Neoplastic pericardial disease. Cardiol Clin 8:673…682 Koester WM, Winkelmann M (1994) Intrapericardial cisplatin therapy of malignant pericardial effusions. Eur J Cancer 30 A(1):131…132 Kralstein J, Frihman W (1987) Malignant pericardial disease: diagnosis and treatment. Am Heart J 113:785…790 Krause TJ, Margiotta M, Chandler JJ (1991) Pericardio-peritoneal window for malignant pericardial effusion. SurgGynecol Obstet 172(6):487…488 Maher EA, Shepherd FA, Todd TJR (1996) Pericardial sclerosis as the primary management of malignant pericardial effusion and cardiac tamponade. J Thorac Card Surg 112(3):637…643 Missri J, Schechter D (1988) When pericardial effusion complicates cancer. Hosp Prac 23:277…281
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17.13 Aszites und intraperitoneale Chemotherapie D. Arnold, H.-J. Schmoll
1 Indikation Aszites bei malignen Erkrankungen ist ein hufiges Phnomen. Starke Aszitesbildung in der terminalen Phase kann die Lebensqualitt deutlich herabsetzen; in dieser Situation ist die tgliche Bildung von bis zu mehreren Litern nicht ungewhnlich. In frhen Stadien ist die Aszitesbildung der erste Hinweis und hufig ber einen lngeren Zeitraum auch der einzige klinische Ausdruck fr das Vorliegen einer Peritonealkarzinose. Ursache fr Aszites bei malignen Erkrankungen kann neben der Peritonealkarzinose aber auch ein Albumin- bzw. Proteinmangel, z.B. durch die einschrnkte Syntheseleistung der Leber aufgrund Metastasierung oder ein renales Eiweiverlustsyndrom, sein. Weitere differentialdiagnostische Ursachen sind vense oder lymphatische Stauungen infolge Kompression der Abfluwege durch den Tumor oder eine portale Hypertension bei massiver Leberinfiltration, hufig liegt zudem eine erhhte Permeabilitt der Gefe vor. Eine Besonderheit ist die direkte Arrosion der Cisterna chyli oder der zu- oder abflieenden groen Lymphgefe.
2 Klinische Diagnostik Hufigste Symptome sind Zunahme des Bauchumfangs mit relevanter Erhhung des Krpergewichts, abdominelles Spannungsgefhl, Dyspnoe durch die eingeschrnkte Bauchatmung mit Zwerchfellhochstand, Kncheldeme sowie intestinale Motilittsstrungen, hufig mit Reflux von Magensure und -inhalt. Die Diagnose des Aszites wird klinisch und sonographisch gestellt. Zur differentialdiagnostischen Abklrung ist eine Parazentese erforderlich. Die Probe sollte laborchemisch, mikrobiologisch (Differentialdiagnose: spontane bakterielle Peritonitis) und zytologisch aufgearbeitet werden. Sensitive Parameter fr Malignitt sind: F F F F F
Aszites-Gesamtproteingehalt > 2,5 g/dl, Gradient Aszites-/Serumalbumin > 1,1, Cholesteringehalt im Aszites > 45 mg/dl, Fibronektin > 10 mg/dl, hoher Tumormarkergehalt (Aszitesspiegel > Serumspiegel).
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Fast beweisend fr das Vorliegen einer Peritonealkarzinose ist der zytologische Nachweis maligner Zellen, allerdings ist diese Methode nur mig sensitiv (50…70%). Die hufigsten Tumoren, bei denen Aszites durch eine Peritonealkarzinose entsteht, sind F F F F
Ovarial- und Endometriumkarzinom, Magenkarzinom, Pankreaskarzinom, kolorektales Karzinom.
3 Therapie des malignen Aszites Ein medikamentser Versuch mit einer diuretischen Therapie, vorwiegend durch Aldosteronantagonisten und Schleifendiuretika, ist in jedem Fall gerechtfertigt, hufig jedoch nicht dauerhaft erfolgreich. Bei massiver Peritonealkarzinose oder chylsem Aszites ist diese Therapie im Regelfall wirkungslos. Die therapeutische Parazentese fhrt zu rascher und guter Beschwerdelinderung und sollte als Standardverfahren angesehen werden, ist jedoch mit Infektions- und Blutungsgefahr sowie Eiweiverlust verbunden. Seltenere Komplikationen sind Lungenembolien und schwere Kreislaufreaktionen. Die Substitution von Humanalbumin wird hufig empfohlen, ist jedoch nicht gesichert. Bei Patienten mit einer lngerfristigen Lebenserwartung und therapierefraktrem Aszites ist die Anlage eines peritoneo-veno¨sen Shunts mglich. Hierbei wird eine Katheterverbindung zwischen der V. jugularis und … nach subkutaner Tunnelung … dem Bauchraum geschaffen. Nachteile sind das invasive Verfahren und eine relativ hufige Verschlurate der unidirektionalen Ventile. Die Disseminierung der intraabdominellen Metastasen in den Kreislauf bleibt zumeist ohne Einflu auf die Lebenserwartung. Whrend der letzten Jahre sind zahlreiche Immuntherapeutika wie rekombinantes TNF-a, Interferon-a, zuletzt auch IL-2 geprft worden. Die Ergebnisse mit Interferon-a und IL-2, teilweise auch kombiniert mit Chemotherapie, sind nicht berzeugend. TNF-a fhrte teils zu guter Asziteskontrolle, war aber mit erheblicher Toxizitt verbunden. Auch nuklearmedizinische Verfahren mit radioaktiven Isotopen, insbesondere dem Y-90Kolloid, haben sich aufgrund der Probleme mit dem Verteilungsproze im Bauchraum, teils betrchtlicher Toxizitt sowie schwieriger Praktikabilitt (Strahlenschutz) nicht durchsetzen knnen. Einen experimentellen Ansatz stellt die Verabreichung von radioaktiv markierten Antikrpern dar.
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Aszites und intraperitoneale Chemotherapie
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4 Intraperitoneale zytostatische Therapie – Indikation und Technik Die intraperitoneale Instillation von antineoplastischen Substanzen wird seit fast 50 Jahren verfolgt (Weisberger et al. 1955). Die Rationale der lokalen Gabe liegt in der hohen lokalen Verfgbarkeit bei mglichst geringen (systemischen) Nebenwirkungen. Experimentelle und klinische Untersuchungen zeigen die Limitierung durch die nur geringe Eindringtiefe der Zytostatika; diese umfat nur wenige Zellschichten (bis zu 5 mm), so da grere Tumorknoten nicht effektiv erreicht werden (Los et al. 1989, Markman et al. 1998). 4.1 Instillation Die Verabreichung kann ber eine (wiederholte) Punktion des Peritoneums, zumeist (und am sichersten) am „linken“ McBurney-Punkt, unter sonographischer Kontrolle erfolgen; zuvor sollte zur Reduktion des Verteilungsvolumens ggf. der Aszites drainiert werden. Alternativen sind, insbesondere bei wiederholten Punktionen, die Anlage eines Portsystems oder eines Tenckhoff-Katheters. Die Applikation sollte in 1…2 l einer 0,9%igen NaCl-Lsung erfolgen; die Verweildauer des Zytostatikums ist abhngig von den pharmakodynamischen Parametern und betrgt zwischen 2 und 24 Stunden (s.u.). 4.2 Limitierung und Komplikationen Mgliche Komplikationen bestehen bei der Punktion der Peritonealhhle (Darmverletzung, Blutung) und der infektisen (Katheter-, Port-, Punktionsinfektion) oder chemischen Peritonitis (bersicht bei Sarnaik et al. 2003). Eine weitere Limitierung besteht in der ungleichen Verteilung im Peritonealraum, besonders bei Verwachsungen oder postoperativen Adhsionen. Ein Monitoring des Verteilungsraums ist ber szintigraphische Verfahren (z.B. mit 99mTc-Albumin) mglich. 4.3 Wahl des Zytostatikums Die Auswahl des Zytostatikums richtet sich nach tumorspezifischen und pharmakokinetischen Parametern (Tabelle 1): F
F
Die verwendete Substanz sollte nachgewiesene Aktivitt in der (systemischen) Behandlung und keine eigene Toxizitt auf das Peritoneum haben. Ein dosisabhngiger zytotoxischer Effekt auf den Tumor soll nachgewiesen sein. Die Aufnahme aus dem Peritonealraum sollte mglichst langsam erfolgen, die intraperitoneale Konzentration mu deutlich hher als der systemische Wirkspiegel sein.
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Tabelle 1. Auswahl von Substanzen und Dosierungen bei intraperitonealer Chemotherapie Zytostatikum
Entita¨t
Dosis (mg/m†)
Konzentration Zeit (h) Peritoneum/ system. Kompartiment
Referenz
Cisplatin
Ovar, Magen
100 (–120)
12:1
2–12
Howell 1991
Carboplatin
Ovar, Magen
300–600
18:1
6–12
Speyer 1990
Oxaliplatin
Kolon/Rektum 460
18:1
0,5
Elias 2004
Paclitaxel
Ovar
1000:1
24
Markman 1998
5-FU
Kolon/Rektum bis 3000
130–150 (–180)
2–4, ggf. Sugarbaker 1985; Wdh. Elias 2001
Doxorubicin
Ovar
400:1
Cytarabin
Ovar, Mesotheliom
100–300:1
Bleomycin
Plattenepithel
30–60
Mitomycin C
Magen
10
Mitoxantron
Ovar, Mamma 5–25
F
Ozols 1982 2–4 6–4
70–90:1
Markman 1991 Piver 1988 Hagiwara 1992
2–24
Dufour 1994
Eine „ideale“ Substanz ist aufgrund ihres hohen Molekulargewichts und ihrer schlechten peritonealen Clearance Paclitaxel, aber auch 5-FU und Platinanaloga eignen sich.
Indikationen sind die F F F
palliative Therapie einer feinknotigen Peritonealkarzinose (Erstlinienund Salvagetherapie, s.u.), kausal-supportive Therapie des hierdurch bedingten Aszites. Fr Ovarialkarzinome und Malignome des Gastrointestinaltrakts wurden zahlreiche, z.T. erfolgreiche Untersuchungen zur adjuvanten oder additiven Therapie nach Resektion des Primrtumors und/oder peritonealer Manifestationen berichtet.
5 Palliativ orientierte Therapie 5.1 Ovarialkarzinom Fr die Primrtherapie des Ovarialkarzinoms liegen drei groe randomisierte Studien vor, die eine systemische Therapie mit einer Kombination aus systemischer mit intraperitonealer Therapie prospektiv untersucht haben (kleinknotige Peritonealkarzinose oder postoperative Resttumoren
17.13
Aszites und intraperitoneale Chemotherapie
1065
< 2 cm). Alle zeigten einen geringen, jedoch statistisch signifikanten Einflu auf die Verbesserung des progressionsfreien Intervalls oder des Gesamtberlebens (i.p. vs. i.v. Cisplatin 100 mg/m2, jeweils plus i.v. Cyclophosphamid: 49 vs. 41 Monate; Alberts et al. 1996. Gleiches Design fr i.p. Cisplatin, jeweils plus systemisch Paclitaxel: 63 vs. 52 Monate; Markman et 4al. 2001). Fr die dritte randomisierte Studie mit einer intraperitonealen Kombinationstherapie (i.p. Cisplatin plus i.v/i.p. Paclitaxel vs. system. Kombination) liegen die berlebensresultate noch nicht vor (Armstrong et al. 2002). Im Unterschied dazu liegen fr fortgeschrittene Therapielinien keine randomisierten Studien vor. Die am meisten untersuchten Substanzen waren bislang Cisplatin, Carboplatin und Mitoxantron, wobei die hchsten Ansprechraten bei Patientinnen erzielt wurden, die eine geringe postoperative Resttumorgre von < 2 cm hatten und bei denen eine initiale platinhaltige Systemtherapie erfolgreich war; bei platinresistenten Tumoren ist eine intraperitoneale Gabe nicht sinnvoll. Paclitaxel zeigt in hheren Dosierungen eine lokale peritoneale Reizung (Bauchschmerzen), wahrscheinlich ist hier die Kombination aus systemischer und intraperitonealer Therapie sinnvoll. Obwohl mit allen Substanzen chirurgisch besttigte Komplettremissionen beobachtet wurden (bis zu 61% mit Paclitaxel; CR/ PR-Raten mit Platinderivaten 33…70%), ist letztendlich nicht geklrt, ob dies zu einer Verlngerung des berlebens fhrt oder die berichteten berlebenszeiten auf die Patientenselektion zurckzufhren sind. Ein gnstiger Einflu auf die Aszitesbildung kann ebenfalls nur vermutet, jedoch nicht belegt werden (bersicht bei Markman et al. 2003). Eine weitere aktive Substanz bei gynkologischen und Mammakarzinom ist nach einer deutschen Phase-II-Studie mit 143 Patientinnen Mitoxantron mit 30 mg absolut (Link et al. 2003). 5.2 Gastrointestinale Tumoren Fr die ausschlielich symptomorientierte palliative Therapie liegen deutlich weniger Ergebnisse als fr aggressive multimodale Anstze mit der Kombination aus Resektion des Primrtumors und/oder Peritonektomie und perioperativer (hyperthermer) Chemotherapie vor. Im Unterschied zum Ovarialkarzinom, bei dem die peritoneale Metastasierung oft lange Zeit die ausschlieliche Tumormanifestation darstellt, zeigen diese Entitten zumeist auch eine viszerale Beteiligung, die den Nutzen der peritonealen Therapie limitiert; das mediane berleben ab dem Nachweis einer peritonealen Beteiligung liegt bei 3…5 Monaten. Die intraperitoneale Gabe von 5-FU und Mitomycin C zur Reduktion der Aszitesbildung wird hufig berichtet, jedoch ist nicht belegt, ob und ggf. welche Verbesserung hierdurch erzielt werden kann. Zumeist verwendete
17
1066
17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Substanzen sind beim Magen- und Kolonkarzinom 5-FU (1000…3000 mg/ m2) und Mitomycin C (10 mg/m2). Unlngst wurde ber die Verabreichung von Oxaliplatin (460 mg/m2) in Kombination mit systemischer Gabe von 5-FU bei guter Vertrglichkeit berichtet (Elias et al. 2004).
6 Multimodaler Therapieansatz 6.1 Kombinierte Resektion und intraperitoneale Chemotherapie Seit mehr als 15 Jahren werden multimodale chirurgisch-lokaltherapeutische Anstze in Phase-II-Studien mit teils sehr aggressiven Schemata untersucht. Insbesondere die Gruppe um Sugarbaker et al. (2003, 2004) konnte bei selektierten Patienten mit ausgedehnten Magen- und kolorektalen Karzinomen berlebenszeiten von bis zu 36 Monaten erzielen. Die verschiedenen Verfahren beinhalten die Gabe von 5-FU und Cisplatin intraoperativ als peritoneale Lavage („open wall“) und unmittelbar postoperativ, bleiben aber einer ausgewhlten Gruppe vorbehalten. Insbesondere profitieren Patienten mit limitierter peritonealer Metastasierung und einem postoperativen Tumor < 2 cm; bei diesen Patienten ist auch Langzeitberleben mglich. 6.2 Hypertherme perioperative Chemotherapie Die lokale Hyperthermie von 41…42,5 C, „open wall“ oder unmittelbar postoperativ nach palliativer Debulking-OP, scheint den Effekt der topischen Verabreichung von 5-FU und/oder Mitomycin C zu potenzieren. Fr gastrointestinale Karzinome liegen insgesamt 15 Studien zur Kombination von Peritonektomie mit hyperthermer i.p. Chemotherapie vor. 5-Jahres-berlebensraten von bis zu 30% steht die therapiebedingte Mortalitt von bis zu 9% gegenber (bersicht bei Glehen et al. 2004). Eine randomisierte Studie mit 105 Patienten mit kolorektalem Karzinom konnte einen berlebensvorteil von 22,3 gegenber 12,6 Monaten zeigen; die therapiebedingte Mortalitt betrug 8% (Verwaal et al. 2003). Dies verdeutlicht, warum diese Verfahren Studienbedingungen vorbehalten sein sollten (s.a. Kap. Neu 97). Fr andere Entitten liegen nur kleinere Fallberichte vor. Eine Phase-IIStudie konnte fr die hypertherme perioperative Therapie nach Tumordebulking mit Doxorubicin und Cisplatin ein medianes berleben von 34 Monaten bei Patienten mit abdomineller Sarkomatose zeigen (Rossi et al. 2004). Fr peritoneale Manifestationen von Mesotheliomen wurden Fallberichte mit Instillation von Methotrexat berichtet. Fr gynkologische Tumoren und Magenkarzinome wurde jeweils ein kombinierter Ansatz mit Tumordebulking und hyperthermer Gabe von Docetaxel bzw. Cisplatin berichtet (de Bree et al. 2003; Kern et al. 2002).
17.13
Aszites und intraperitoneale Chemotherapie
1067
6.3 Adjuvante Therapie Bei einzelnen Tumorentitten wurden adjuvante intraperitoneale (hypertherme) Chemotherapien geprft. Beim Magenkarzinom liegen fnf randomisierte Studie gegenber einem ausschlielich chirurgischen Arm vor. Trotz der Heterogenitt der Designs lt sich eine tendentielle, statistisch allerdings nicht signifikante berlegenheit im progressionsfreien berleben aus der Mehrzahl der Untersuchungen ableiten. In bereinstimmung mit den Komplikationsraten der palliativen Therapie lassen die hohen Mortalittsraten (bis zu 6,4%) allerdings keinen Einsatz auerhalb kontrollierter Studien zu (bersicht bei Averbach u. Jaquet 1996; Penna u. Nordlinger 1996). Literatur Alberts DS, Liu Py, Hannigan EV et al (1996) Intraperitoneal cisplatin plus intravenous cyclophosphamide versus intravenous cisplatin and cyclophosphamide for stage III ovarian cancer. N Engl J Med 335:1950…1955 Armstrong DK, Bundy BN, Baergen R et al (2002) Randomized phase III trial of intravenous cisplatin and paclitaxel versus IV paclitaxel and IP cisplatin in optimal stage III epithel ovarian cancer. Proc Am Soc Clin Oncol 21:201a Averbach AM, Jaquet P (1996) Strategies to decrease the incidence of intraperitoneal recurrence in resectable gastric cancer. Br J Surg 83:726…783 De Bree E, Romanos J, Michalakis J et al (2003) Intraoperative hyperthermic intraperitoneal chemotherapy with docetaxel as second line treatment for peritoneal cancer of gynaecological origin. Anticancer Res 23:3019…3027 Dufour P, Bergerat JP, Barats JC et al (1994) Intraperitoneal mitoxantrone as consolidation treatment for patients with ovarian carcinoma in pathologic complete remission. Cancer 73:1865…1869 Elias D, Pocard M, Sideris L (2004) Preliminary results of intraperitoneal chemohyperthermia with oxaliplatin in peritoneal carcinomatosis of colorectal origin. Br J Surg 91:455…456 Elias DM, Quellet JF (2001) Intraperitoneal chemohyperthermia: rational, technique indications, and results. Surg Oncol Clin N Am 10:915…933 Glehen O, Mohamed F, Gilly FN (2004) Peritoneal carcinomatosis from digestive tract cancer: new management by cytoreductive surgery and intraperitoneal chemohyperthermia. Lancet Oncology 5:219…228 Hagiwara A, Takahashi T, Kojima O et al (1992) Prophylaxis with carbon-adsorbed mitomycin against peritoneal recurrence of gastric cancer. Lancet 339:629…631 Howell SB, Kirmani S, Mc Clay EF et al (1991) Intraperitoneal cisplatin-based chemotherapy for ovarian carcinoma. Semin Oncol 18 [Suppl 3]:5…10 Kern W, Braess J, Kotschofsky M et al (2002) Application of cisplatin as intraperitoneal hyperthermic peritoneal lavage in patients with locally advanced gastric cancer. Anticancer Res 22:3099…3102 Link KH (2003) Intraperitoneal chemotherapy with mitoxantrone in malignant ascites. Surg Oncol Clin N Am 12:865…872
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.14 Intravesikale Therapie S. Krege
1 Indikation Die Indikation zur intravesikalen Therapie nach transurethraler Resektion (TUR) oberfla¨chlicher Harnblasenkarzinome ergibt sich aus der hohen Rezidivrate von 60…70%. Die entscheidenden prognostischen Faktoren dieser Tumoren sind Tumorstadium (Ta, T1, Tis) und Grading. Tumormultiplizitt, Tumorwachstum, Tumorgre und Alter des Patienten haben keine selbstndige prognostische Bedeutung (Rbben 2001). Die intravesikale Therapie erfolgt zur Prophylaxe nach kompletter Resektion oder bei Nachweis eines Carcinoma in situ. Eingesetzt werden verschiedene Chemotherapeutika oder BCG (Bacillus Calmette-GuØrin), ein abgeschwchter Stamm von Mycobacterium bovis. Die Therapie erfolgt in der Regel ber mehrere Wochen bis Monate. Auf Grund der vorliegenden Studien wird die Therapie empfohlen bei F F F
Carcinoma in situ und T1G3-Tumoren, multiplen Tumoren, hufig rezidivierenden Tumoren.
Bei T1G3-Tumoren und einem Carcinoma in situ stellt die primre Zystektomie eine Alternative dar und ist zwingend erforderlich bei mangelndem Erfolg der intravesikalen Therapie. Bei solitren Tumoren mit guter bis miger Differenzierung (G1…2) sind dem Nutzen der Therapie die Nebenwirkungen, der Aufwand fr den Patienten und die Kosten gegenberzustellen. Vielversprechend sind aktuelle Daten der EORTC zur einmaligen Instillation eines Chemotherapeutikums unmittelbar nach TUR des Tumors. In einer Metaanalyse von 7 randomisierten Studien mit 1476 Patienten, in der die alleinige TUR mit einer TUR und anschlieender einmaliger Instillation verglichen wurde, ergab sich eine Rezidivrate von 48 vs. 37% (p = < 0.0001) zugunsten der Instillationsbehandlung. Dies traf primr fr Patienten mit solitren wie mit multiplen Tumoren zu. Allerdings zeigte sich im weiteren Verlauf bei Patienten mit multiplen Tumoren dann doch eine mit 65% deutlich hhere Rezidivrate als bei Patienten mit solitren Befunden mit 36% (Sylvester et al. 2004). Daher stellt die einmalige Instillation bei multiplen Tumoren keine Alternative dar.
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17
Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Prophylaktische intravesikale Instillationstherapie beim Harnblasenkarzinom nach TUR (Lamm et al. 1995) Medikament
Patienten (n)
Rezidive (%) Kontrolle Therapie
Gewinn (%-Punkte)
Doxorubicin
1389
53
38
15
Thiotepa
1130
61
49
12
Mitomycin
1157
53
44
9
BCG
496
73
31
42
2 Therapie Viele Substanzen wurden in Studien berprft; bewhrt haben sich die Zytostatika Adriamycin/Epirubicin, Mitomycin sowie als Immuntherapie BCG (abgeschwchter Stamm von Mycobacterium bovis). Die Ergebnisse randomisierter Studien sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Therapie mit Zytostatika senkt die Rezidivrate um durchschnittlich 18%. Erste Phase-I- und Phase-II-Studien zur intravesikalen Gabe von Gemcitabin deuten auf eine potente Wirkung dieser Substanz, da sogar BCGrefraktre Tumoren ein Ansprechen zeigten (Serretta et al. 2004; Dalbagni et al. 2004). Fr BCG ist neben einer Senkung der Rezidivrate auch eine Senkung der Progressionsrate nachgewiesen (Herr et al. 1995). Die Wirksamkeit von BCG ist besonders bei aggressiven T1G3-Tumoren und CIS belegt (Tabellen 2 und 3). All diesen Studien ist gemeinsam, da die mittlere Nachsorge 5 Jahre nicht berschritt. Betrachtet man Langzeitverlufe ber 10…15 Jahre, gleicht sich die Progressionsrate an die der nicht instillierten Patienten an, ebenso besteht kein Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien berlebens (Cookson et al. 1997). Alternativen zur BCG-Instillation oder zum Versagen von BCG bei diesen aggressiven Tumorentitten sind die Zystektomie und Tabelle 2. Prophylaktische Instillationstherapie mit BCG bei pT1G3-Tumoren Patienten (n)
Rezidive (%)
Progreß (%)
Autor
50
32
12
Serretta et al. 1996
109
39
13
Kla¨n et al. 1998
25
40
4
Gohji et al. 1999
44
27
16
Brake et al. 2000
228
34
11
17.14
Intravesikale Therapie
1071
Tabelle 3. Instillationstherapie mit BCG bei CIS Patienten (n)
CR (%)
Follow-up (Mo.)
Autor
153
70
18
Reitsma et al. 1989
64
70
39
Lamm et al. 1991
150
76
48
Lamm et al. 1992
in individuellen Fllen die Radiochemotherapie (Amling et al. 1994; Rdel et al. 2000). Whrend der Wirkmechanismus der zytostatischen Therapie geklrt ist und ihre Limitierung nur in der geringen Penetration in die Blasenschleimhaut und den Tumor liegt, die aber auch fr die nahezu fehlende systemische Toxizitt verantwortlich ist, ist das Verstndnis der BCG-Wirkung noch unvollstndig. Gesichert ist, da nach Instillation im Urin rasch Anti-BCGAntikrper vom IgG- und IgA-Typ auftreten, im Serum vorwiegend vom IgG-Typ. Weiterhin kommt es zu einer Infiltration von BCG in die Blasenschleimhaut mit Granulombildung und Infiltration von Granulozyten und T-Lymphozyten. Postuliert wird, da im Rahmen dieser „Entzndung“ neben den Mykobakterien auch Tumorzellen in den Granulomen abgebaut und da dabei Tumorzellepitope freigesetzt werden, die als „fremd“ erkannt werden und zur Autoimmunisierung gegen Tumorzellen fhren (van der Sloot et al. 1992). In einer In-vitro-Studie zeigten Bhle et al. (1998) weitere Mechanismen des selektiven Erkennens und Ttens durch BCG-aktivierte Killerzellen auf. Poppas et al. (1998) postulierten, da BCG die Antiangiogenese aktiviert. Gem den Daten der Literatur ist die Therapie mit BCG der zytostatischen Therapie berlegen. Lediglich die deutlich erhhte Toxizita¨t unter BCG spricht fr den primren Einsatz der intravesikalen Chemotherapie und die Gabe von BCG erst bei Versagen der zytostatischen Therapie. Toxizita¨t
Unter BCG-Instillation kommt es zu einer heftigen entzndlichen Blasenreaktion mit den entsprechenden Nebenwirkungen (Schmerzen, Dysurie, Pollakisurie, Hmaturie) 6…24 h nach der Instillation sowie bei einem Teil der Patienten zu Allgemeinsymptomen. Seltener sind systemische Komplikationen wie eine granulomatse Prostatitis (1,3%), Epididymoorchitis (0,2%), Pneumonie oder Hepatitis (0,9%), Arthritis (0,5%) oder kutane Abszesse (0,4%). Lokal kann es zur Ausbildung von Ureterobstruktionen (0,3%) oder einer Schrumpfblase (0,2%) kommen (Lamm et al. 1986). Kontraindiziert ist die Instillation mit BCG bei Vorliegen eines akuten Harnwegsinfekts oder einer Harnrhrenstriktur mit erschwertem
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Katheterismus. Nicht gegeben werden sollte die BCG-Therapie bei aktiver Tuberkulose und bei immunsupprimierten Patienten (HIV-Infektion). Bei Auftreten systemischer Nebenwirkungen sollte die Instillationstherapie gestoppt werden. Bei Persistenz der Symptome, insbesondere Hinweisen auf eine Pneumonitis oder Hepatitis, sollte eine tuberkulostatische Therapie eingeleitet werden. Nebenwirkung der Zytostatikainstillation ist eine chemische Zystitis (15…20%); systemische Nebenwirkungen mit Myelodepression treten selten auf.
3 Durchfu¨hrung der Therapie Die gebruchlichsten Chemotherapeutika sind Mitomycin (20…40 mg; 1 mg/ml) und Epirubicin (40…80 mg; 1 mg/ml). Die Instillationsdauer sollte 1…2 Stunden betragen. In den meisten Protokollen erfolgte die Therapie ber 6…8 Wochen einmal wchentlich, oftmals fortgefhrt einmal monatlich ber 1 Jahr. In zwei Protokollen der EORTC konnte gezeigt werden, da die frhzeitige Instillation (am Tage der Operation) und bei verzgertem Beginn eine Erhaltungstherapie (ber 12 Monate) vorteilhaft im Hinblick auf die Rezidivrate waren (Bouffioux et al. 1995; Kurth et al. 1997). Das 1976 von Morales vorgestellte Therapiekonzept mit BCG umfate einmal wchentliche Instillationen ber 6 Wochen. In einer Studie der SWOG beim Carcinoma in situ konnte eine Steigerung der CR-Rate von 54 auf 82% durch eine Erhaltungstherapie mit einmal wchentlicher Instillation ber 3 Wochen nach jeweils 3 Monaten bis zum Zeitpunkt 36 Monate erzielt werden. Die optimale Dosis betrgt 5 108 bis 5 109 CFU (colony-forming units). Die wichtigsten BCG-Stmme sind RIVM, Pasteur und Tics. Fr die Instillation sowohl mit Chemotherapeutika wie auch mit BCG stehen heute Fertigprodukte zur Verfgung (Tabelle 4). Tabelle 4. Mo¨gliche Therapieregime der Instillationstherapie mit Mitomycin und BCG Substanz
Dosis
Instillationsdauer
Instillationsintervall
Mitomycin
40 mg
2h
8 wo¨chentl., 10 monatl.
BCG
5 108–109 CFU
2h
6 wo¨chentl., dann 3 wo¨chentl. nach 3, 6, 12, 18, 24, 30 und 36 Mo.
CFU = colony-forming units
17.14
Intravesikale Therapie
1073
4 Experimentelle Therapie Eine Minderung der Toxizitt von BCG unter Beibehaltung der Effektivitt konnte durch den Einsatz von Zellwand-DNS-Extrakt von Mycobacterium phlei erzielt werden (Morales et al. 2001). Eine Steigerung der Effektivitt von BCG und Mitomycin versucht man zudem durch eine zustzliche elektrische Stimulation der Harnblase oder eine Kombination von Hyperthermie und Instillationstherapie zu erreichen (Di Stasi et al. 2004; Gofrit et al. 2004). Auch die photodynamische Therapie, die durch die Kombination eines Photosensitizers und Laserlicht Tumorzellen zerstrt, wird beim oberflchlichen Harnblasenkarzinom erforscht (Nseyo et al. 1998). Untersuchungen zur Instillation mit Immuntherapeutika wie Interferonen und Interleukinen waren enttuschend (Portilla et al. 1997). Auch eine orale Therapie mit dem Immunmodulator Bropirimine konnte sich nicht etablieren (Sarosdy et al. 1998). Literatur Amling CHL, Thrasher JB, Frazier HA et al (1994) Radical cystectomy for stages TA, Tis and T1 transitional cell carcinoma of the bladder. J Urol 151:31…36 Bhle A, Durek C, Schfer I et al (1998) Die BCG-aktivierte Killerzelle: Untersuchung spezifischer Erkennungs- und Ttungsmechanismen zur Charakterisierung des Wirkprinzips der intravesikalen Immuntherapie mit Bacillus Calmette GuØrin. Akt Urol 29:175…187 Bouffioux CH, Kurth KH, Bono A et al (1995) Intravesical adjuvant chemotherapy in superficial transitional cell bladder carcinoma; results of 2 European Organization for Research and Treatment of Cancer randomized trials with Mitomycin C and Doxorubicin comparing early versus delayed instillations and short-term versus long-term treatment. J Urol 153:934…941 Brake M, Loertzer H, Horsch R et al (2000) Recurrence and progression of stage T1 grade 3 transitional cell carcinoma of the bladder following intravesical immunotherapy with Bacillus Calmette GuØrin. J Urol 163:1697…1701 Cookson MS, Herr HW, Zhang Z-F et al (1997) The treated natural history of high risk superficial bladder cancer: 15-year outcome. J Urol 158:62…67 Di Stasi SM, Giannatoni A, Stephen RL et al (2004) Sequential intravesical Bacillus Calmette GuØrin and electromotive mitomycin C for high risk superficial bladder cancer: a prospective controlles study. J Urol 171 (suppl) abstract 280 Gofrit ON, Shapiro A, Pode D et al (2004) Combined local bladder hyperthermia and intravesical chemotherapy for the treatment of high grade superficial bladder cancer. J Urol 171 (suppl) abstract 292 Gohji K, Nomi M, Okamoto M et al (1999) Conservative therapy for stage T1b, grade 3 transitional cell carcinoma of the bladder. Urology 53:308…313 Herr HW, Schwalb DM, Zhang Z-F et al (1995) Intravesical bacillus Calmette-GuØrin therapy prevents tumor progression and death from bladder cancer: Ten-years follow-up of a prospective randomized trial. J Clin Oncol 13:1404…1408
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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Intravesikale Therapie
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17.15 Extremita¨tenperfusion beim Weichgewebssarkom und malignen Melanom P. Hohenberger, W. Hohenberger
1 Einleitung Die isolierte Extremittenperfusion (isolated limb perfusion, ILP) wird in der Therapie des malignen Melanoms und von Weichgewebssarkomen der Extremitten eingesetzt. Sie ist in erster Linie eine regionale Therapiemanahme, wenngleich systemische Wirkungen induziert werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, da ber den regionalen Therapieeffekt hinaus auch systemische Mechanismen zur tumortoxischen Wirkung beitragen. Das Prinzip der ILP besteht darin, da ein vom Krperkreislauf separierter Perfusionskreislauf etabliert wird, in dem die tumortragende Extremitt spezifisch therapiert werden kann. Es kommen dabei Zytostatika in hoher Konzentration zur Anwendung, die den Tumor ohne systemische Auswaschung perfundieren. Die Applikation von rekombinantem humanem Tumornekrosefaktor-a (rhTNF-a) in Kombination mit Zytostatika ermglicht Dosierungen, die etwa dem Hundertfachen der sonst maximal systemisch tolerablen Dosis (MTD) entsprechen. Die Kombination von Zytostatika bzw. Zytokinen mit einer Hyperthermie (Gewebetemperatur bis ber 40 C) bietet die Mglichkeit, den zytotoxischen Effekt der Medikamente zu verbessern. Letztendlich wird durch die Auswaschung von Stoffwechselprodukten vor Wiederanschlu der Extremitt an den systemischen Kreislauf dieser vor Toxineinschwemmung geschtzt.
2 Technischer Ablauf Die Extremittenperfusion beinhaltet (Darstellung unter www.sarkome.de/ Spezielle Therapieverfahren/Extremittenperfusion oder www.chirurgie. med.uni-erlangen.de/frames/f_i_aerzte.htm): F
F
Die Isolierung der Extremitt vom zentralen Kreislauf durch operative Freilegung der zentralen Gefe (A. und V. iliaca externa bzw. A. und V. axillaris), passagere Okklusion potentieller Kollateralgefe und Kompression des Haut- und Muskelmantels durch Anlegen eines Tourniquets in Hhe des Kanlierungsniveaus. Die Unterhaltung einer extrakorporalen Zirkulation, Herstellen der Verbindung zu einer Herz-Lungen-Maschine mit Gasaustausch ber einen Oxygenator und Erwrmung von Perfusat und Extremitt durch ein Wrmeaustauschverfahren.
17.15 F F
F
Extremita¨tenperfusion beim Weichgewebssarkom
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Das Monitoring von Temperatur im Perfusat und in der Extremitt sowie anderer Parameter, z.B. O2-Sttigung, Hmatokrit und pH-Wert. Zur Erkennung eines Shunts vom Perfusionskreislauf in die systemische Zirkulation werden durch Radionuklide markierte Eiweie bzw. Erythrozyten (z.B. 99mTc-Albumin oder 111Indium-markierte Erythrozyten) dem Perfusat zugesetzt und intraoperativ die Aktivitt mittels Gammakamera ber dem Herzen gemessen. Die Perfusionsdauer betrgt je nach Therapieprotokoll meist ca. 90 min, im Anschlu daran wird mit Albumin oder Hydroxythyl-Strke die Perfusionslsung aus der Extremitt ausgewaschen. Nach Dekanlieren und Gefnaht erfolgt die Reperfusion.
Da die Hyperthermie den Effekt vor allem alkylierender Substanzen verstrkt, wird fast stets hypertherm (sog. milde Hyperthermie > 38 bis 39,5 C) perfundiert. Maximale Gewebetemperaturen von 42 C wurden beschrieben. Beim Einsatz von Platinsalzen oder Actinomycin D ist bei Temperaturen > 40 C mit stark erhhter Toxizitt zu rechnen, so da bei der Verwendung dieser Zytostatika Gewebetemperaturen von 39 bis 40 C nicht berschritten werden. Neben Gewebetemperatur und Perfusionsdauer beeinflussen Faktoren wie Flurate, Zusammensetzung des Perfusats, Kombination von Zytostatika sowie deren Applikationsmodus das Perfusionsergebnis. Die Untersuchungen zum Einflu der verschiedenen Parameter auf die Remission von Melanommetastasen oder Weichgewebssarkomen sind derzeit noch rudimentr. Belegt wurde tierexperimentell, da der Zusatz von rhTNF-a (Tasonermin, BeromunJ) die intratumorale Konzentration von Doxorubicin und Melphalan erhht. Eine optimale Gewebeakkumulation von Melphalan wurde bei einem physiologischen pH und einer Temperatur von 40…41,5 C des Perfusats beschrieben. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von z.B. Melphalan empfiehlt sich eine kombinierte Applikation im arteriellen Schenkel der ILP durch initiale Bolusgabe, gefolgt von kontinuierlicher Infusion. Der Zugang zu den die Extremitt versorgenden Gefen erfolgt meist im Bereich von Lymphabflustationen. Eine Lymphdissektion bei Weichgewebesarkomen ist nur in Ausnahmefllen (z.B. Synovialsarkom, Rhabdomyosarkom) indiziert. Auch beim malignen Melanom ist die Lymphdissektion nicht obligater Bestandteil der ILP. Eine Biopsie der Lymphknoten sollte jedoch erfolgen, um Klarheit ber den Ausbreitungsstatus der Erkrankung zu erlangen. Eindeutig tumorbefallene Lymphknoten knnen jedoch in gleicher Sitzung durch Dissektion ausgerumt werden. >
Das besondere Nebenwirkungsspektrum der ILP mit rhTNF-a macht eine Leckkontrolle zwingend erforderlich!
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Die eingesetzte Dosis rhTNF-a (3…4 mg) liegt weit ber der MTD, so da eine Leckrate von 5% akzeptiert werden kann. Dies steht im Gegensatz zur Perfusion mit Zytostatika, z.B. Melphalan, wo von einem systemischen bertritt keine schwerwiegende Toxizitt zu erwarten ist.
3 Medikamente 3.1 Zytostatika Melphalan (AlkeranJ) ist das am hufigsten eingesetzte Zytostatikum und wird als Mono- oder Kombinationstherapie angewendet. Die Dosierung hngt vom Volumen der zu perfundierenden Gliedmae ab, welche durch Immersion in einem Wasserbad bestimmt wird (10 mg/l Gewebevolumen bei Perfusion des Beines, 13 mg/l am Arm). Als weitere Zytostatika kommen in Frage bzw. wurden bisher verwendet: F F F F F F
Actinomycin D Adriamycin Carboplatin Cisplatin Dacarbazin (DTIC) Etoposid
F F F F F F
Fotemustin Liposomales Doxorubicin Mitomycin C Mitoxantron Stickstofflost (N-Lost) Thiotepa
Cisplatin kann als gut dokumentierte Substanz angesehen werden, wobei die maximal tolerierte Dosis zwischen 3 und 6 mg/kg KG oder ca. 250 mg/m2 KO betrgt. Hhere Dosierungen resultieren in einer verstrkten Neurotoxizitt. Die Kombination von Cisplatin und Melphalan wird vorwiegend fr die Behandlung beim Melanom eingesetzt. Adriamycin wurde oft fr die Perfusion bei Weichgewebesarkomen eingesetzt, gilt die Substanz doch als die effektivste Einzelsubstanz bei systemischer Applikation; die Effektivitt von rhTNF-a und Melphalan ist jedoch ungleich hher. Demgegenber sind Actinomycin D und Mitoxantron durch hohe regionale Toxizitt charakterisiert. Der Einsatz von DTIC erscheint unlogisch, da die Substanz primr hepatisch aktiviert werden mu. 3.2 Zytokine Seit der Erstpublikation durch Linard und Lejeune 1992 werden Extremittenperfusionen mit der Kombination von rhTNF-a und Melphalan vorgenommen. Ursprnglich wurde zustzlich properativ ber zwei Tage c-Interferon subkutan verabreicht, um intratumorale TNF-Rezeptoren hochzuregulieren. Die hohen Raten kompletter Remissionen sowohl beim Melanom als auch bei Weichgewebssarkomen haben zu einer intensiven Erprobung dieser Therapie an einzelnen Zentren gefhrt. Nach Be-
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herrschung der systemischen Toxizitt kann die TNF-Perfusion bei Einhaltung entsprechender Vorsichtsmanahmen derzeit als etabliert gelten. Nach Markteinfhrung von Tasonermin (BeromunJ) wurde sinnvollerweise vom Hersteller (Boehringer Ingelheim) ein Zertifizierungsverfahren etabliert, das sicherstellen soll, da nur geschulte Zentren mit der ILP von rhTNF-a und Melphalan beginnen. Voraussetzung ist die Zertifizierung des Zentrums und der an der Perfusion beteiligten Disziplinen (Chirurgie, Nuklearmedizin, Intensivmedizin etc.). Die Durchfhrung wird zustzlich initial nur unter externem Monitoring durch Experten erfahrener Zentren erlaubt. Im Gegensatz zur direkt zytotoxischen Wirkung der Perfusion mit Zytostatika gilt ein Mechanismus ber eine Zerstrung der Tumormikrozirkulation ber Endothelaktivierung und konsekutiver hmorrhagischer Nekrose als wahrscheinlich. Die hohe Dosis an rhTNF-a und die damit verbundene Aktivierung des Zytokinnetzwerks mit Induktion einer systemischen inflammatorischen Reaktion (SIRS) erfordern fr die Durchfhrung dieser Behandlung jedoch eine spezifische Erfahrung (s.u.). Die exzellenten initialen Behandlungsergebnisse der Perfusion mit rhTNF-a und Melphalan wurden fr die Anwendung beim Weichgewebssarkom zwischenzeitlich besttigt und fhrten zur Zulassung von Tasonermin 1999.
4 Postoperative Komplikationen 4.1 Toxizita¨ten Bei einem Leck von Zytostatika aus dem Perfusionskreislauf in den zentralen Kreislauf treten die spezifischen systemischen Nebenwirkungen der verwendeten Zytostatika auf, hierbei am hufigsten Brechreiz. Daneben ist in diesen Fllen auch mit einer Knochenmarkdepression zu rechnen, die klinisch jedoch meist nicht relevant ist. Als lokale Nebenwirkung an der perfundierten Extremitt treten Rtung und ein dem, gelegentlich Blasenbildung auf. Ausgedehnte Epidermolysen oder die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms sind in seltenen Fllen mglich. Letale Komplikationen treten bei ca. 1% der Patienten auf, meist handelt es sich um pulmonale Embolien (Tabelle 1). 4.2 Spezifische Probleme der Perfusion mit rhTNF-a und Melphalan Alle Patienten, die einer Extremittenperfusion mit rhTNF-a und Melphalan unterzogen werden, entwickeln Tachykardie, Hypotension und eine gesteigerte Herzauswurfleistung. Dies ist auf ein Absinken des systemischen Gefwiderstandes in Analogie zu Patienten mit einer Sepsis zurckzufhren. Konsekutiv werden hufig Dobutamin und Norepinephrin zur Auf-
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Komplikationen der Extremita¨tenperfusion (nach Vrouenraets 1995) Akutkomplikationen *
Nachblutung
0,3%
*
Arterielle Thrombose
0,9%
*
Neurologische Sto¨rungen
1,5%
*
Ausgedehnte Muskelnekrosen (Amputation)
0,3%
*
Venenthrombosen
bis 9%
Spa¨tmorbidita¨t der Extremita¨tenperfusion, die zu Funktionseinbußen fu¨hren kann *
Lympho¨dem
bis 28%
*
Muskelatrophie
12–24%
*
Neuropathie
bis 8%
*
Rezidivierendes Erysipel
3%
*
Beweglichkeitseinschra¨nkung der Gelenke
bis 40%
rechterhaltung der kardiopulmonalen Funktion (hyperdyname Kreislaufsituation) erforderlich, da eine Gegensteuerung durch Flssigkeitsinfusion nicht erfolgreich ist. Todesflle infolge eines hyperdynamen Schockgeschehens wurden beschrieben und machen ein kardiopulmonales Monitoring ber 48 h postoperativ notwendig. Die Verwendung eines Swan-Ganz-Katheters wird deshalb empfohlen. Vermittelnder Mechanismus ist die Anregung der Zytokinkaskade mit extrem hohen systemischen Spiegeln an IL-1, IL-6 und Procalcitonin. Beim Auftreten eines Lecks aus dem Perfusionskreislauf korrelieren die systemischen TNF-Plasmaspiegel mit dem Ausma des Lecks; Konzentrationen bis 300 ng/ml wurden gemessen. Eine Mglichkeit, die Nebenwirkungen zu mindern, wurde jngst durch die Applikation von Pentoxiphyllin im systemischen Kreislauf parallel zur ILP berichtet (Hohenberger et al. 2003). Eine jngst begonnene randomisierte Studie soll die Frage klren, ob nicht auch mit niedrigeren Dosierungen von rh-TNF-a als der fr die ILP zugelassene (3…4 mg) ein identischer Effekt erzielt werden kann (Bonvalot Proc. ASCO, 2003). Neben dem Monitoring systemischer Zytokinspiegel ist insbesondere eine Kontrolle der Nierenfunktion wegen des zu erwartenden Abbaus von Muskelproteinen (Myoglobin, Rhabdomyolyse) erforderlich. ber eine Myoglobinmie kann es zu einer Myoglobinurie (Crush-Niere) kommen. Die Nierenfunktion mu durch forcierte Diurese und Harnalkalisierung (Urin-pH > 8) untersttzt werden, wodurch der Zerfall des Myoglobins in den Eiweianteil und das tubulustoxische Hm verhindert wird. Die
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Extremita¨tenperfusion beim Weichgewebssarkom
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Toxizitt der ILP rhTNF-a und Melphalan ist generell hher als die der Perfusion mit Melphalan alleine. Eine Besonderheit der TNF-Perfusion stellt die Tatsache dar, da meist keine Tumorrckbildung nachzuweisen ist, die die WHO- oder RECISTKriterien der partiellen Remission erfllt. Es mssen deshalb indirekte Methoden der Erkennung der Tumordevitalisierung (z.B. Angiographie) oder ein funktionelles Imaging angewendet werden. Hierzu bieten sich die Positronenemissionstomographie (PET) mit 18F-Desoxyglucose (18FDG) oder 11C-Tyrosin an. Alternativ lt sich die Nekrotisierung des Tumors auch durch 31P-MR-Spektroskopie erkennen.
5 Indikationen 5.1 Malignes Melanom Die Extremittenperfusion kann adjuvant oder therapeutisch eingesetzt werden. Die adjuvante Perfusion nach Resektion von Hochrisiko-Melanomen erfolgte frher unter der Vorstellung, da mit zunehmender Tumordicke auch die Hufigkeit von In-transit-Metastasen steigt. Bei Melanomen mit einer Dicke > 1,5 mm betrgt das Risiko bis 20%, die zum Zeitpunkt der Ersttherapie klinisch noch nicht fabar sind. Bei Melanomen < 1 mm Dicke werden faktisch nie In-transit-Metastasen beobachtet. Deshalb wurde in der Vergangenheit ab einer Tumordicke ab 1,5 mm (pT3) prophylaktisch perfundiert. Die bisher vorliegenden Daten randomisierter Studien konnten jedoch den Vorteil der adjuvanten Extremittenperfusion nicht sichern, so da aus dieser Indikation heraus eine Perfusion nur im Rahmen von Studien durchgefhrt werden soll. Die therapeutische Perfusion ist klar indiziert zur Behandlung manifester In-transit-Metastasen, beim Lokalrezidiv und beim Auftreten einer Satellitosis. Bei Beschrnkung der Metastasierung auf eine Extremitt bietet die Perfusion einen kurativen Behandlungsansatz. Da bisher eine berlegenheit der TNF-Perfusion nicht erwiesen ist, kann zunchst eine ILP mit Melphalan alleine oder mit der Kombination aus Melphalan und Cisplatin erfolgen und die TNF-Perfusion bei Nichtansprechen oder beim Rezidiv zur Anwendung kommen. Bei Melanomen mit Fernmetastasen kann aus palliativen Gesichtspunkten eine Perfusion indiziert sein, um so einen Extremittenerhalt zu ermglichen. 5.2 Weichgewebssarkom Die Indikation fr eine ILP bei Weichgewebssarkomen ist akzeptiert bei lokal fortgeschrittenen Tumoren, die nur durch Amputation zu behandeln
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sind oder bei denen eine funktionserhaltende Resektion nach Perfusion leichter zu erreichen scheint. Dabei ist die Extremittenperfusion eine properative (neoadjuvante) Manahme, um durch Tumordevitalisierung bzw. -verkleinerung eine Resektion zu ermglichen. Dies gilt insbesondere fr lokal rezidivierte Tumoren und fr solche mit hohem Malignittsgrad. Die Extremittenperfusion allein bietet nach derzeitigem Kenntnisstand keine kurative Behandlungsmanahme. Die Resektion des Residualtumors ist stets anzustreben. Demgegenber kann in palliativer Intention beim metastasierten Sarkom ohne kurative Behandlungsoption die Extremittenperfusion auch indiziert sein, um einen Beinerhalt ggfs. auch ohne nachfolge Operation zu ermglichen.
6 Behandlungsergebnisse 6.1 Malignes Melanom Patienten mit lokoregionr metastasierenden Melanomen der Extremitt stellen ein heterogenes Krankengut dar. Dies beruht auf den unterschiedlichsten Befallsmustern und der Kombination von Satellitosis, In-transitund regionren Lymphknotenmetastasen. Es empfiehlt sich deshalb, entsprechend der M.D.-Anderson-Klassifikation eine Unterteilung in Gruppen F F F
Isolierte Satelliten- oder In-transit-Metastasen, Isolierte Lymphknotenmetastasen und Fortgeschrittener regionaler Befall, wobei sowohl In-transit- als auch Lymphknotenmetastasen vorliegen.
Das Behandlungsziel der therapeutischen Perfusion ist das Erreichen einer kompletten Remission, deren Rate bei Verwendung von Melphalan in der ILP zwischen 7 und 81% liegt (Tabelle 2). Allerdings liegen nur einzelne Publikationen vor, bei denen die Dauer der Remission und die berlebenszeit der Patienten berichtet werden. Die 5-Jahres-berlebensrate wird zwischen 29 und 61% berichtet. Das mittlere erkrankungsfreie Intervall nach kompletter Remission betrgt ca. 12…18 Monate. Ein Unterschied in den Ansprechraten bzw. der rezidivfreien Zeit bei lteren Patienten (> 75 Jahre) konnte nicht beobachtet werden (Noorda et al. 2002). Die initial berichteten Ansprechraten von 100% bei Anwendung von TNF-a konnten zwischenzeitlich von anderen Untersuchern nicht besttigt werden. Allerdings erscheint die Rate kompletter Remissionen generell hher als nach alleiniger Perfusion mit Melphalan. Eine europische Multicenterstudie zum Vergleich der Behandlungsergebnisse TNF/Melphalan vs Melphalan alleine wurde mangels Rekrutierung abgebrochen. In einer US-amerikanischen Studie mit 103 Patienten zeigten sich die Rate kom-
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Tabelle 2. Ansprechraten nach hyperthermer Extremita¨tenperfusion mit Melphalan bzw. TNF und Melphalan bei Patienten mit malignem Melanom (nach Kroon et al. 1988; Hohenberger et al. 1994 und 1998) Autor
Anzahl der Patienten gesamt
CR
Hansson (1977)
14
3
(21%)
Rosin (1980)
80
21
(26%)
Storm (1985)
26
21
(81%)
Melphalan ( Cisplatin)
Cavaliere (1987)
72
26
(36%)
Hohenberger (1994)
72
35
(49%)
Klaase (1994)
120
65
(54%)
Fraker (2002)
51
29
(58%)
*Noorda (2002)
218
124
(57%)
19
16
(84%)
TNF plus Melphalan Linard (1992) Vaglini (1994)
21
14
(67%)
Fraker (1996)
36
23
(64%)
Kettelhack (1997)
20
13
(65%)
Fraker (2002)
52
35
(72%)
CR = komplette Remission. * ein Teil der Pat. wurde mit TNF/Melphalan perfundiert
pletter Remissionen mit 72% gegenber 58% und die Gesamtresponserate mit 88% vs. 92% im Arm TNF/Melphalan/IFN-c nicht signifikant verschieden. Ebenfalls kein signifikanter Unterschied (p = .06) fand sich im erkrankungsfreien berleben (DFS) mit median 26 Monaten im Melphalan-Arm, whrend im Arm mit Kombinationstherapie der Median noch nicht erreicht worden war. Das 3-Jahres-berleben war mit 54 Monate vs. 56 Monate hnlich. Bei Patienten, die eine komplette Tumorrckbildung erreicht haben, betrug die rezidivfreie Zeit 1,4 Jahre, die Rezidivwahrscheinlichkeit nach 4 Jahren lag jedoch bei 60…70% (Zogakis et al. 2001; Noorda et al. 2002). 6.2 Behandlungsergebnis bei Weichgewebssarkomen Die Ansprechraten fr die Extremittenperfusion beim Weichgewebssarkom mit der Verwendung von Zytostatika liegen zwischen 25 und 67%, je nachdem, ob eine komplette Tumorrckbildung oder eine Tumorver-
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Tabelle 3. Ergebnisse der Extremita¨tenperfusion bei Weichgewebesarkomen Patienten (n) Hoekstra 1987
M+
4
69% 10-Jhr.-U¨berleben*
Lejeune 1988
M+ActD
15
24 Monate mRFZ*
Pommier 1988
C
17
3/17 PR
Klaase 1989
A
17
4/17 pCR
Schlag 1993
A+C+M
18
18 Monate mRFZ
Eroglu 2000
A+C
37
Beinerhalt 95%, 5-Jhr.-DFS 54%
Eggermont 1996
55
20 (36%)
Eggermont 1996
186
54 (29%) pCR !
Lev-Chelouche 1999
53
pCR 38%, Rezidivrate 38%
Lejeune 2000
22
pCR 18%, Beinerhalt 86%, Rezidivrate 37%
Hohenberger 2003
96
RR: 61%, 19% pCR MRFZ: > 54 Monate
rhTNF-a+Melphalan
* = Perfusion nach Tumorresektion, A = Adriamycin, ActD = Actinomycin D, C = Cisplatin, DFS = erkrankungsfreies U¨berleben, M = Melphalan, mRFZ = mediane rezidivfreie Zeit, pCR = pathologisch besta¨tigte komplette Remission, RR = Responserate
kleinerung mit ausgedehnter Nekrotisierung im Resektat als Zielkriterium angesehen wird (Tabelle 3). Nach Tumorresektion wird die Hufigkeit von Lokalreziven zwischen 11 und 30% angegeben. Die berlebenszeit der Patienten wird vorwiegend durch das zugrundeliegende Grading des Primrtumors und die damit verbundene Hufigkeit des Auftretens von Lungenmetastasen bestimmt. Generell kann die Effizienz der ILP nur unter dem Aspekt des Funktionsbzw. Beinerhalts in Kombination mit der nachfolgenden Operation und deren Ausmaen bewertet werden. Dabei spielt die Radikalitt des operativen Vorgehens (z.B. Resektion motorischer Nerven) eine entscheidende Rolle, ebenso die Applikation einer zustzlichen Strahlentherapie. Chirurgischonkologische Expertise sowie ein extensives rehabilitatives Training sind absolut unerllich. Im Gegensatz zur Perfusion mit Zytostatika kann bei der Verwendung von TNF nur in Ausnahmefllen eine makroskopisch sichtbare und durch bildgebende Verfahren dokumentierbare Tumorrckbildung erwartet werden. Die Responsekriterien der WHO mit Verminderung der Tumordurchmesser werden nur selten erreicht. Alternative Beurteilungsverfahren wie Angiographie, Positronenemissionstomographie oder MR-Spektroskopie
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mssen fr die Responsebeurteilung herangezogen werden. Entscheidendes Kriterium allerdings ist das Vorhandensein eines vitalen Tumorrestes im Resektat. Die im Rahmen einer multizentrischen Studie erhobenen Behandlungsergebnisse weisen in etwa 35% der Tumoren eine histopathologisch besttigte komplette Remission nach. Somit kann fr Weichgewebssarkome derzeit die TNF-Perfusion als das effektivste Behandlungsverfahren angesehen werden. 6.3 Extremita¨tenperfusion bei anderen Tumorentita¨ten Die hohe Effektivitt insbesondere der ILP mit TNF/Melphalan hat zur Anwendung bei anderen histologischen Entitten gefhrt. Positive Behandlungsresultate wurden bei Desmoiden, Angio-, Kaposi- und Lymphangiosarkomen berichtet, wobei allerdings die Fallzahlen stets weniger als 10 betrugen. Einzelfallberichte gibt es fr die ILP bei Merkel-Zell-Tumoren, Plattenepithelkarzinomen und Knochenmetastasen.
7 Alternativverfahren zur Extremita¨tenperfusion Die ILP ist wegen der mittlerweile gut kalkulierbaren Resultate als ein Standardverfahren in der Therapie des Melanoms und der Weichgewebesarkome der Extremitten anzusehen. In der Applikation von TNF/Melphalan ist die ILP jedoch nur an speziellen Zentren verfgbar (s. unten). In der neoadjuvanten Therapie von Sarkomen wre ein Vergleich mit einer Radio-(Chemo-)therapie wnschenswert mit Analyse von Behandlungskosten und funktionellem Ergebnis. Alternativverfahren zur regionalen Therapie fr Extremittenmelanome bzw. Weichgewebssarkome sind: F
F
F
Die intraarterielle regionale Chemotherapie mit lokaler, externer Hyperthermie, auch in Kombination mit einer Hmofiltration (Muchmore et al. 1991). Die Hmofiltration soll die Toxizitt als Folge der in das System rezirkulierten Zytostatika minimieren. Intraarterielle regionale Chemotherapie mit Tourniquetokklusion oder Low-flow-Bedingungen (Karakousis et al. 1997; Lindner 2002). Fr eine Zeitdauer von 15 min wird durch das an der Basis der Extremitt angelegte Tourniquet die arterielle Perfusion auf unter 50% gesenkt und der vense Flow komplett geblockt. Systemische Chemotherapie in Kombination mit regionaler Radiofrequenzhyperthermie (siehe Kap. 17.16 „Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie“). Dieses Verfahren kommt fr stammnahe lokalisierte Extremittensarkome in Betracht oder bei Patienten, bei denen eine Extremittenperfusion technisch oder aus allgemeinmedizinischen Grnden nicht durchfhrbar ist.
17
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Fr nichtresektable Sarkome kann als properative Therapiemodalitt auch eine Strahlentherapie in Kombination mit Chemotherapie in Betracht gezogen werden (Pfisters et al. 2002; Sauer et al. 1999).
Die genannten Methoden zeichnen sich dadurch aus, da sie im Vergleich zur hyperthermen, isolierten Extremittenperfusion z.T. technisch weniger aufwendig und damit weniger kostspielig sind. Allerdings ist mit den genannten Verfahren aufgrund noch geringer oder nur unizentrischer Erfahrung eine Wertung nicht abschlieend mglich.
8 Kliniken und Einrichtungen, an denen Extremita¨tenperfusionen durchgefu¨hrt werden (TNF = Perfusion mit Tumornekrosefaktor a) F
F
F
F
F
F
F
Kantonsspital Basel (zertifiziert fr TNF) Klinik fr Chirurgie PD Dr. C. Kettelhack CH-4031 Basel CharitØ, Campus Buch (zertifiziert fr TNF) Klinik fr Chirurgie und Chirurgische Onkologie Prof. Dr. P. M. Schlag 13125 Berlin Universittsklinik Erlangen-Nrnberg (zertifiziert fr TNF) Chirurgische Klinik Prof. Dr. W. Hohenberger 91054 Erlangen Universittsklinikum Essen (zertifiziert fr TNF) Zentrum II, Abteilung fr Chirurgie Prof. Dr. C. Brlsch 45147 Essen Universittsklinik Freiburg Chirurgische Klinik Prof. Dr. U. Hopt 79106 Freiburg Justus-Liebig-Universitt Gieen Klinik fr Allgemein- und Thoraxchirurgie Prof. Dr. W. Padberg 35385 Gieen Universittskliniken des Saarlandes (zertifiziert fr TNF) Abt. fr Allgemein-, Abdominal- und Gefchirurgie Prof. Dr. M. Schilling 66424 Homburg/Saar
17.15 F
F
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Universitt zu Kln Klinik und Poliklinik fr Chirurgie Prof. Dr. A. H. Hlscher 50931 Kln Chirurgische Univ.-Klinik Mannheim (zertifiziert fr TNF) Sektion Chirurgische Onkologie und Thoraxchirurgie Univ. Prof. Dr. med. Peter Hohenberger Theodor-Kutzer-Ufer D-68135 Mannheim Tel.+49-621-383-2609/2357 Fax +49-621-383-2166 E-Mail:
[email protected] Literatur Bonvalot S, Lejeune F, Laplanche A et al (2003) Limb salvage by isolated limb perfusion (ILP) in patients with locally advanced soft tissue sarcoma (ASTS): A randomized phase II study comparing 4 doses of TNFa. Proc Am Coc Clin Oncol 22:823 (abstr3307) Eggermont AM, Schraffordt-Koops H, Klausner JM et al (1996) Isolated limb perfusion with tumor necrosis factor and melphalan for limb salvage in 186 patients with locally advanced soft tissue extremity sarcomas. Ann Surg 224: 756…764 Eggermont AM, Schraffordt Koops H, LiØnard D et al (1996) Isolated limb perfusion with high-dose tumor necrosis factor-a in combination with interferon-c and melphalan for nonresectable extremity soft tissue sarcomas: a multicenter trial. J Clin Oncol. 14:2653…2665 Fraker DL, Alexander HR, Andrich M, Rosenberg SA (1996) Treatment of patients with melanoma of the extremity using hyperthermic isolated limb perfusion with melphalan, tumor necrosis factor, and interferon c: results of a tumor necrosis factor dose-escalation study. J Clin Oncol 14:479…489 Fraker DL, Alexander HR, Ross M et al (2002) A phase III trial of isolated limb perfusion for extremity melanoma comparing melphalan alone versus melphalan plus TNF plus interferon-gamma Ann Surg Oncol 9 (Suppl):A1 Ghl J, Hohenberger W (1992) Regionale hypertherme Perfusion … Therapiekonzept und Langzeitergebnisse. Langenbecks Arch Chir Suppl Kongressbd 494…501 Hoekstra HJ, Schraffordt-Koops H, Molenaar WM, Oldhoff J (1987) Results of isolated regional perfusion in the treatment of malignant soft tissue tumors of the extremities. Cancer 60:1703…1707 Hohenberger P (1998) Chirurgische Technik und chirurgisch-onkologische Taktik bei Tumoren der Weichgewebe mit Gefbeteiligung. Chirurg 69:19…27 Hohenberger P, Haier J, Schlag PM (1997) Rhabdomyolysis and renal function impairment after isolated limb perfusion … comparison between the effects of perfusion with rhTNF-a and a ’triple-drug’ regimen. Eur J Cancer 33: 596…601 Hohenberger P, Kettelhack C (1998) Clinical management and current research in isolated limb perfusion for sarcoma and melanoma. Oncology 55:89…102
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
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17.15
Extremita¨tenperfusion beim Weichgewebssarkom
1089
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17.16 Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie R. D. Issels, S. Hegewisch-Becker
1 Einfu¨hrung Der klinische Einsatz der Hyperthermie mit einer kontrollierten Temperaturerhhung (40…44 C) im Zielgebiet hat zunehmend Eingang in interdisziplinre onkologische Behandlungskonzepte (Phase-II- und -III-Studien) gefunden. Neben einer direkten zytotoxischen Wirkung der Hyperthermie besteht im hyperthermierten Tumorgewebe zustzlich ein strahlenund chemosensibilisierender Effekt. Neuere experimentelle Ergebnisse deuten darauf hin, da durch Hyperthermie ˜nderungen der antigenen Eigenschaften von Tumorzellen induziert und reaktive Immunantworten ausgelst werden knnen. In entsprechend ausgestatteten onkologischen Zentren wird die Hyperthermie in Kombination mit Chemotherapie und/oder Strahlentherapie zur Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle und zur Verlngerung des rezidiv- bzw. metastasenfreien berlebens in Therapieoptimierungsstudien sowie speziellen Modellvorhaben eingesetzt.
2 Grundlagen 2.1 Temperatureffekt auf Zellen Ergebnisse der thermobiologischen Grundlagenforschung zeigen, da eine Temperaturerhhung auf > 42,5…45 C per se einen direkten zytotoxischen Effekt zur Folge hat. Dieser Effekt folgt in Abhngigkeit von der jeweiligen Temperatur und der Einwirkungsdauer einem Dosis-Wirkungs-Prinzip und ist bei allen Zellinien einheitlich nachweisbar. Aus den Dosis-WirkungsKurven ergibt sich, da der zytotoxische Effekt … gemessen an dem klonogenen Wachstum von Zellen … unterhalb dieses Temperaturbereichs („break-point temperature“) deutlich abnimmt. >
Die mit Temperaturen von < 42,5 C behandelten Zellen verhalten sich gegenber einer kontinuierlichen Temperatureinwirkung (ca. 2…4 Std.) zunehmend resistent, d.h., sie entwickeln eine reversible Thermotoleranz, die nach 24…48 Stunden wieder abklingt.
Dieses Phnomen ist reversibel, und der Thermotoleranzstatus der Zellen klingt nach Absetzen der Wrmeexposition nach 48…72 h wieder ab (Hahn 1982).
17.16
Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
1091
Fr humane Tumorzellinien besteht eine unterschiedliche Hitzeempfindlichkeit, wobei neben dem Tumorzelltyp insbesondere der jeweilige Temperaturbereich bzw. die Dauer der Einwirkung beim Vergleich mit tierischen Zellen den Ausschlag geben (Hahn et al. 1989, Armour et al. 1993). Das thermische Isoeffekt-Dosis(TID)-Konzept ermglicht mit Hilfe der in vitro beobachteten Abttungsraten von Zellen bei verschiedenen Temperaturen die Berechnung von thermischen ˜quivalenzdosen (Dewey 1994). Damit ist eine thermische Dosisberechnung fr den zytotoxischen Gesamteffekt fraktionierter Hyperthermieeinwirkungen grundstzlich mglich. >
Die Thermoempfindlichkeit der Zellen ist in hohem Mae von externen Milieufaktoren wie pH-Wert, O2- und Nhrstoffversorgung abhngig.
So weisen Zellen mit niedrigem pH-Wert eine grere Empfindlichkeit gegenber einer Wrmebehandlung auf. Gleiches gilt auch fr hypoxische Zellen und Zellen mit Nhrstoffverarmung. Da sich solche Milieufaktoren bei soliden Tumoren in Abhngigkeit von ihrer Gre, Durchblutung und Wachstumsgeschwindigkeit ndern, ist das Tumorgewebe fr die Effektivitt der Hyperthermie … in hnlicher Weise wie fr die Strahlen- und Chemotherapie … ein heterogenes Gewebe. 2.2 Thermische Streßantwort Die molekularen Mechanismen der thermischen Streantwort in Zellen sind teilweise aufgeklrt (Streffer 1995). Hyperthermie bewirkt bereits ab 40 C eine Zunahme der Proteindenaturierung in verschiedenen Zellkompartimenten. Konformationsnderungen beeinflussen die Stabilitt, Fluiditt und Transporteigenschaften von intrazellulren Membransystemen und fhren zu Beeintrchtigungen des Spindelapparates und des Zytoskeletts. Im Rahmen des Zellzyklus bestehen eine erhhte Wrmeempfindlichkeit und Hemmung der Zellproliferation whrend Mitose und in der S-Phase. Fr den hyperthermiebedingten Zelluntergang ist neben direkter zytotoxischer Wirkung mit Nekrose auch die Induktion von Apoptose (programmierter Zelltod) verantwortlich. Unter Hyperthermiebedingungen wird in der Zelle die Proteinsynthese zunchst gehemmt und nach einer Erholungsphase auf ein bevorzugtes Proteinmuster, die sog. „Heat-shock-Proteine“ (HSP), umgestellt (Hendrick u. Hartl 1993). Das Auftreten von atypischen (denaturierten) Proteinen und deren Aggregation im Zellkern wird derzeit als „Triggersignal“ fr die HSP-Induktion durch Aktivierung von Hitze-Schock-Faktoren gesehen. Von besonderer Bedeutung fr das Tumorgewebe ist die Induktion der Synthese von HSP 70 (Molekulargewicht 70 kD) und HSP 27 (Molekulargewicht 27 kD) (Fuller et al. 1994).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Obwohl die Steigerung der zellulren Syntheserate von HSP zeitlich mit der Thermotoleranzexpression zusammentrifft, wird ihre funktionelle Bedeutung fr das Phnomen der Thermotoleranz und deren Spezifitt kontrovers diskutiert, da auch nichtthermische Strefaktoren (z.B. Zytostatika) die Synthese von HSP beeinflussen knnen und Thermotoleranz von Zellen auch ohne HSP-Expression beobachtet wird. Unabhngig von „Screeningmethoden“ zur Thermoempfindlichkeit bzw. Thermotoleranz im Tumorgewebe wird die Hyperthermie derzeit klinisch bei fraktionierter Anwendung in einem zeitlichen Intervall von 2…3 Tagen (z.B. 2mal pro Woche) in den Chemotherapiezyklus integriert, um einen potentiellen Thermotoleranzeffekt in Teilbereichen des Tumors mglichst gering zu halten. 2.3 Immunologische Aspekte Die klinische Bedeutung der HSP-Expression und deren Neuinduktion nach einer Hyperthermiebehandlung fr die Steigerung der Immunogenitt stehen im Brennpunkt der aktuellen Forschung. Grundstzlich mu zwischen einer bereits vorhandenen konstitutiven HSP-Expression (z.B. HSC 70) und der spezifischen Funktion hitzeinduzierter HSP im Tumorgewebe (z.B. HSP 70) unterschieden werden. Nach Ergebnissen verschiedener Arbeitsgruppen ist die Expression von verschiedenen HSP in Tumorgeweben mit einer spezifischen T-Zell-Antwort korreliert (Wells u. Malkowsky 2000). Der Nachweis einer hitzeinduzierten Synthesesteigerung und Oberflchenexpression von HSP 70 auf Tumorzellen (Multhoff et al. 1995, 1997) sowie Immunogenittsnderungen von hyperthermierten Zielzellen stehen im Einklang mit dem Konzept einer Modulation der Antigenprsentierung. Es konnte gezeigt werden, da Hitzeschockproteine in ihrer Eigenschaft als molekulare Chaperone intrazellulre Antigene binden. Die HSP-gebundenen Antigene knnen an dendritische Zellen (DC) vermittelt werden. Nach Aufnahme werden die ber HSP vermittelten Antigene in den Cross-Prsentationsweg der dendritischen Zellen eingeschleust und ber MHC-Klasse-I-Molekle an CD8-T-Zellen prsentiert. In diesem Zusammenhang sind auch die beschriebenen ˜nderungen des „Zytokinmilieus“ durch Hyperthermie von zunehmender Bedeutung. So fhrt eine fieberhnliche Hyperthermie zur L-Selektin-abhngigen Adhsion von Lymphozyten an das Gefendothel sowie deren Einwanderung ins Tumorgewebe (Wang et al. 1998; Burd et al. 1998). Die Mglichkeit, ber HSP-Isolate aus Tumoren antitumorale Immunantwort zu stimulieren, wurde erstmals von der Arbeitsgruppe Srivastava (2002) erkannt. In Maus-Tumormodellen zeigte sich, da Muse, die mit HSP-Isolaten aus Tumoren immunisiert worden waren, bei Herausforderung mit demselben Tumor gegen diesen resistent waren. Die Spezifitt
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Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
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der Immunantwort ist durch die an HSP gebundenen Peptide bedingt. Die Untersuchungen zum Mechanismus der Cross-Prsentation und antigenspezifischen T-Zell-Stimulation wurden bisher fast ausschlielich an murinen Tumormodellen und an Zellen mit transfizierten Modellantigenen durchgefhrt. Dabei war das untersuchte Antigen entweder stark immunogen (viraler Ursprung) oder aufgrund der Expression ber einen viralen Promotor (Transfektionssystem) stark berexprimiert. Peptide von natrlich exprimierten humanen Tumorantigenen, die in ihrer Eigenschaft als Selbstantigene wenig immunogen sind, knnen nach neueren Ergebnissen (Castelli et al. 2001) durch HSP effizient ber Cross-Prsentation an CD8-T-Zellen prsentiert werden. Die durch Hitzeschockproteine induzierte antitumorale Immunantwort wird bislang als „tumorindividuell“ beschrieben, weil in murinen Tumormodellen eine protektive Immunantwort nur gegen den Tumor, aus dem die HSP/PeptidKomplexe isoliert wurden, erreicht wurde. Der Nachweis der MHC-Klasse-I-restringierten Cross-Prsentation und T-Zell-Stimulation fr ein sog. „shared“ Tumorantigen erffnet die neue Perspektive, HSP70-Isolate aus humanen Zellinien mit einem definierten Antigenspektrum herzustellen (Noessner et al. 2002). Als patientenbergreifende „allogene“ Vakzine knnte die Anwendung fr Patienten, deren Tumoren ein vergleichbares Antigenspektrum zeigen, in Zukunft Bedeutung gewinnen (Milani et al. 2002).
3 Interaktion mit Chemotherapie Thermobiologische Phnomene und deren Interaktion mit der Strahlenwirkung wurden im In- und Ausland bevorzugt in Forschungssttten der Radiobiologie bearbeitet. In den Strahlenkliniken wurden das biologische Verstndnis und das technologische Wissen frhzeitig in klinische Anwendungen umgesetzt. Die synergistische Wirkung von Hyperthermie und Zytostatika stellt im Bereich der internistischen Onkologie die Basis fr entsprechende kombinierte Therapiestrategien. Fr die Wirkungspotenzierung von Zytostatika bei ihrer Interaktion mit Hyperthermie sind die Mechanismen vielgestaltig (Dahl 1994). Neben beschleunigtem Transport und gesteigerter metabolischer Aktivierung kommt es zu einer verstrkten Reaktivitt bei der Interaktion mit zellulren Zielstrukturen (z.B. DNS-Alkylierung). Dosis-Wirkungs-Untersuchungen in Zellkulturen oder in Tiermodellen erlauben, mit Hilfe der Isobologramm-Analyse die Art der Interaktion (unabhngig, additiv oder synergistisch) fr verschiedene Zytostatika mit Hyperthermie phnomenologisch zu beschreiben (Tabelle 1). Auffallend ist, da fr antimetabolisch wirksame Zytostatika (z.B. 5-Fluorouracil, Methotrexat) meist keine oder nur eine geringe Wirkungssteigerung unter hyperthermen Bedingungen
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
Tabelle 1. Interaktion zwischen Hyperthermie und Zytostatika Unabha¨ngig * * * * * * *
Vincristin 5-Fluorouracil Methotrexat Actinomycin D Cytarabin VP-16 Taxane
Additiv * * * * * * *
Doxorubicin Mitoxantron Cyclophosphamid Ifosfamid Melphalan BCNU Gemcitabin
Synergistisch * * * * *
Cisplatin Carboplatin Oxaliplatin Mitomycin C Bleomycin
zu beobachten ist. Auch Taxane (Paclitaxel, Docetaxel) zeigen keine Wirkungsverstrkung (unabhngige Wirkung). Fr alkylierende Substanzen (Cyclophosphamid, Ifosfamid) und Nitrosoharnstoffverbindungen (BCNU) sowie DNS-quervernetzende Zytostatika (Cisplatin) tritt ein weitgehend linearer Anstieg (additiver Effekt) der Wirkung mit Erhhung der Temperatur auf. Wichtig ist fr einige Zytostatika, da die Wirkungsverstrkung in Abhngigkeit von der sequentiellen Gabe (z.B. Gemcitabin) der Hyperthermie erfolgt (Havemann et al. 1995; van Bree et al. 1999). Fr andere Zytostatika (z.B. Cisplatin) lt sich auch eine exponentielle Zunahme der zytostatischen Effektivitt (synergistische Wirkung) nachweisen (Hettinga et al 1997; Rietbroek et al. 1997). Die zytostatikainduzierte Aktivierung von O2-Radikalen und eine ˜nderung im zellulren Redoxstatus (Glutathionsystem) sind zustzliche biochemische Mechanismen, aufgrund deren die Zellen auf eine Hyperthermie empfindlicher reagieren.
4 Hyperthermieverfahren Seit Mitte der 90er Jahre werden Hyperthermiesysteme in der Klinik eingesetzt, die stndig verbessert wurden. Bei der Perfusion von regionalen Krperabschnitten (z.B. Extremitten) oder der Ganzkrperperfusion wird berwrmtes Blut dem Krper zugefhrt und die Wrme ber das Blut als Energietrger in das Tumor- bzw. Normalgewebe abgegeben. Im Gegensatz zu diesen invasiven Perfusionsmethoden ist es mglich, die Wrme von auen gezielt auf den Tumor bzw. die tumortragende Region zu applizieren (Hand et al. 1986). Die Erzeugung der Hyperthermie mit elektromagnetischen Wellen findet derzeit eine zunehmende Anwendung in der Klinik fr eine Hyperthermie von oberflchlich gelegenen („lokale Oberflchenhyperthermie“) oder tiefliegenden Tumoren („regionale Tiefenhyperthermie“) und („regionale Teilkrperhyperthermie“).
17.16
Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
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Bei dieser Methodik erfolgt die berwrmung durch eine Energieabsorption im Feldbereich des Hyperthermieapplikators, whrend die Blutperfusion im Tumor und Normalgewebe durch Abtransport von Wrme der Hyperthermie entgegenwirkt (Wrmekonvektion). Aufgrund der unterschiedlichen Perfusionsverhltnisse kommt es zu einem heterogenen Temperaturprofil (40…44 C), das fr das jeweilige Tumorgewebe mit seiner individuellen Gefversorgung charakteristisch ist. Die Tiefenhyperthermie wird durch die Verwendung kapazitiver (RF-8 Thermotron, Japan) und radiativer (BSD 2000, USA) Antennen erzielt. Bei dem BSD-System werden meist mehrere Antennen verwendet, wobei die Antennen kreisfrmig um den Krper des Patienten angeordnet sind („annular phased array system“). Damit lt sich eine Fokussierung der Wellen auf die Mitte der Antennenffnung erreichen. Der Durchmesser des Fokus ist frequenzabhngig und betrgt bei 60 MHz ca. 10…15 cm, bei 100 MHz ca. 5…8 cm. Durch Phasen- und Amplitudenverschiebung wird eine Fokussierung der Welleneinstrahlung auf exzentrisch gelegene, d.h. auerhalb der Krperachse liegende, Tumoren erreicht (Turner 1984). Seit 1988 wurden an verschiedenen deutschen Universittszentren (Berlin, Dsseldorf, Erlangen, Essen, Hamburg, Lbeck, Mnchen, Tbingen) Therapieeinrichtungen zur lokalen und Tiefenhyperthermie aufgebaut und in deutlich mehr als 10 000 Behandlungen (bei ber 2000 Patienten) eingesetzt. Europaweit gibt es sieben weitere Zentren in den Niederlanden (Rotterdam, Amsterdam, Utrecht), sterreich (Graz), der Schweiz (Aarau), Norwegen (Bergen) sowie Italien (Verona). Es gibt publizierte Leitlinien zur Durchfhrung sowohl der oberflchlichen Hyperthermie als auch der Tiefenhyperthermie sowie Ganzkrperhyperthermie, die von der Europischen Gesellschaft fr Hyperthermie (ESHO = European Society of Hyperthermic Oncology) formuliert und publiziert werden. Diese Vorgaben sind zusammengefat in Leitlinien, die von der Deutschen Krebsgesellschaft herausgegeben werden. Seit einigen Jahren wurden Systeme entwickelt, die eine relativ komplikationsarme Ganzkrperhyperthermie bei systemischen Temperaturen von 40…42 C ermglichen und diesen potentiell effektiven Temperaturbereich im gesamten Zielgebiet gewhrleisten. Von der US-amerikanischen Arbeitsgruppe am University of Wisconsin Comprehensive Cancer Center wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem in einer Kammer ber beheizte Kupferrohre eine Ganzkrperhyperthermie des Patienten gewhrleistet ist. Die Fortentwickung dieses Verfahrens (sog. Aquatherm-System) beruht auf einem heiwasserdurchsplten Rhrensystem in der Wrmekammer (Robins et al. 1994).
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
5 Thermometrie Ein wichtiger Bestandteil der Hyperthermie ist die Messung der Temperaturverteilung im Tumor und in umliegenden Normalgeweben, um eine effektive Feldeinstellung berprfen zu knnen. Neben einer nichtinvasiven Temperaturmessung in tiefliegenden Geweben scheint die Erfassung behandlungsinduzierter Vernderungen mittels Magnetresonanzbildgebung zur Kontrolle konsekutiver Hyperthermiebehandlungen realisierbar (Carter et al. 1998). Fr die invasive Temperaturmessung werden 1…2 dnne Kunststoffkatheter in den Tumor implantiert, in die Thermistoren fr die Temperaturmessung eingefhrt werden. Diese Temperaturfhler lassen sich entlang dem Katheter automatisch verschieben, und auf diese Weise wird ein „Temperaturprofil“ entlang der Verlaufsstrecke des Katheters erhalten („thermal mapping“). Die Hohlkatheter (Durchmesser 0,9…1,3 mm) werden nach Mglichkeit entweder unter CT-Kontrolle perkutan oder whrend einer Inzisionsbiopsie (bei der Histologiegewinnung) bzw. intraoperativ implantiert und nach auen geleitet. Neben der direkten Thermometrie im Tumorgewebe wird hufig bei soliden Tumormanifestationen, die topographisch-anatomisch eine Beziehung zu Hohlrumen aufweisen (z.B. Blase, Rektum, Zervix, sophagus, Magen), ein endoluminaler Thermistor gelegt. Die Temperaturmessung in dem paratumoralen Hohlraum dient dabei als indirekte Referenzmessung whrend der Hyperthermiebehandlung fr das Tumorgewebe. Bei der Ganzkrperhyperthermie kann auf eine Temperaturmessung im Tumor verzichtet werden. Erforderlich ist jedoch eine kontinuierliche Messung der Kerntemperatur des Patienten ber rektale, sophageale und axillre Temperatursonden. Alternativ kann auch eine zentralvense (A. cava) oder arterielle (A. pulmonalis) Temperatursonde verwendet werden. Die Temperaturmesysteme mssen mit einer Genauigkeit von 0,01 C messen, um Trends (Erwrmung/Abkhlung) rechtzeitig erkennen und eine berwrmung vermeiden zu knnen.
6 Klinische Behandlungsmo¨glichkeiten und Ergebnisse 6.1 Regionale Verfahren 6.1.1 Hyperthermie in Kombination mit Chemotherapie
Seit dem Beginn der 90er Jahre wurden zahlreiche Phase-I/II-Studien zur Chemotherapie in Kombination mit lokaler bzw. regionaler Hyperthermie durchgefhrt, wobei durch die technische Entwicklung im Bereich der regionalen Tiefenhyperthermie (RF-8 Thermotron, Japan; BSD 2000, USA) auch zunehmend Patienten mit Tumoren im Bereich des Abdomens
17.16
Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
1097
und Beckens sowie mit tiefliegenden Stamm- oder Extremittentumoren in diesen Studien behandelt werden konnten (Falk u. Issels 2001). Schwerpunktmig lassen sich die klinischen Ergebnisse fr lokal fortgeschrittene, solide Tumoren, die im Rahmen eines multimodalen Konzepts in kontrollierten Phase-II-Studien gewonnen wurden oder in Phase-III-Studien derzeit wie folgt berprft werden, zusammenfassen: Magenkarzinom und Pankreastumoren
Die bereits 1990 verffentlichte Phase-II-Studie aus Japan (Kakehi et al. 1990) zeigt, da mit dem Thermotron-RF-8-Gert durch kapazitive Energieankopplung bei fortgeschrittenen Magen- (33 Patienten) und Pankreaskarzinomen (22 Patienten) Temperaturen im Bereich von 40,5…43 C im Tumor erreicht werden. Bei Kombination mit systemischer Chemotherapie (Mitomycin + 5-Fluorouracil) lag die objektive Remissionsrate bei 39% bzw. 36%, wobei die Hufigkeit der tumorbedingten Symptomatik (abdomineller Schmerz, Aszites, gastrointestinale Blutung, Passagehindernis, belkeit und Erbrechen) bei zwei Drittel der Patienten deutlich gebessert wurde. Unter Bercksichtigung der positiven Ergebnisse bei inoperablen Pankreaskarzinomen mit Thermoradiotherapie (Shibamoto et al. 1996) erscheint gerade diese Tumorentitt mit schlechter Gesamtprognose fr multimodale Konzepte (z.B. properative Chemotherapie oder Radiochemotherapie) unter Einbeziehung der RHT geeignet zu sein, wobei auch neuere Wirkstoffkombinationen (Gemcitabin, Cisplatin) bercksichtigt werden sollten (Burris et al. 1997). Durch die neuen technischen Entwicklungen der regionalen (RHT) und Teilkrper(PBH)-Tiefenhyperthermie mit Hybridsystem, bei denen whrend der Radiowellen-Hyperthermie eine bildgebende Therapieberwachung mittels Magnetresonanztomographie (MRT) durchgefhrt wird (BSD 2000 [Sigma Eye]/MRT-Hybridsystem), erscheint auch beim Magenkarzinom und bei Pankreastumoren der knftige Einsatz aussichtsreich. Der Stellenwert der Hyperthermie fr die chirurgische Onkologie unter Bercksichtigung neuerer Ergebnisse wurde in bezug auf das Magenkarzinom zusammengefat (Rau et al. 2002). Beim peritoneal metastasierten Magenkarzinom gibt es bereits Hinweise, da ein mit Hyperthermie kombiniertes Therapiekonzept ein gutes Therapieansprechen zur Folge hat. Die Hyperthermie wird im Rahmen einer intraperitonealen hyperthermen Chemoperfusion durchgefhrt. Nach Bauchdeckenverschlu wird ber ein geschlossenes System mit einem variablen Flow von 500 bis 3000 ml/min ein Perfusat mit einer Temperatur zwischen 38 und 48 C in der Bauchhhle verteilt. Die Temperaturerhhung wird durch die Flow-Vernderung des Perfusats geregelt. Mit dieser Methode wurde insbesondere in der Behandlung des peritoneal metastasierten Ma-
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genkarzinoms im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine Verbesserung der Tumorreduktion bewirkt. Signifikante Ergebnisse wurden hinsichtlich der Reduktion der peritonealen Tumorredizivrate um ca. 50% nach zwei Jahren und des verbesserten berlebens berichtet (4-Jahres-berlebensrate 62 vs. 49%) (Fujimoto et al. 1999). Sarkome
In einer Phase-II-Studie (RHT-86) bei 38 auswertbaren erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenen Weichteil- und Knochensarkomen, die sich gegenber einer vorausgegangenen Operation, Bestrahlung und/ oder Chemotherapie refraktr verhielten, konnte mit RHT und simultaner Chemotherapie (Ifosfamid/Etoposid-Kombination) eine lokale Ansprechrate von 37% erzielt werden. In bezug auf die erreichten Temperaturparameter im Tumor zeigten die Responder und Non-Responder einen signifikanten (p < 0,001) Unterschied (Issels et al. 1990). Diese Interimsanalyse der RHT-86-Studie konnte spter an insgesamt 65 Patienten mit WeichteilsarTabelle 2. Ergebnisse einer kombinierten Chemotherapie plus Hyperthermie bei Patienten mit „Hochrisiko“-Weichteilsarkomen Issels et al. (2001) RHT-91 (n = 59)
Wendtner et al. (2001) Wendtner et al. (2002) RHT-95 (n = 54) Retroperit/visz. (n = 58)
Radiologisches Therapieansprechen
n = 52
n = 32
n = 40
CR + PR (%)
17
16
13
CR+PR+MR (%)
42
28
33
NC
33
31
n.a.
PD (%)
25
41
n.a.
Histopathologisches Therapieansprechen
n = 43
n = 23
n = 26
pCR (%)
14
13
n.a.
pCR + > 75% Nekrose (%) 42
30
42
Prognose
5 Jahre
4 Jahre
5 Jahre
EFS (%) U¨LR (%)
9
26
20
49
40
32
Mittlere U¨LZ (Monate) U¨berlebensvergleich: Responder vs. NonResponder
52
33
31
p < 0,01
p = 0,073
p = 0,0014
n.a.: nicht angegeben
17.16
Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
1099
komen (STS) besttigt werden, wobei bei Responder-Patienten auch eine langfristige Tumorkontrolle erzielt wurde (Issels et al. 1991). Das Konzept einer kombinierten neoadjuvanten Chemotherapie und regionalen Hyperthermie wurde anschlieend in zwei sequenziellen Phase-IIStudien bei 59 (RHT-91) bzw. 54 Patienten (RHT-95) geprft (Tabelle 2). Behandelt wurden Hochrisikopatienten mit lokal fortgeschrittenen (Tumorgre 8 cm) primren oder rezidivierten Grad-II/III-Extremitten-STS oder STS des Krperstamms bzw. Abdomens/Beckens (Stadium III/IV). Nach neoadjuvanter Chemotherapie mit Adriamycin, Ifosfamid und Etopo-
17
Abb. 1. Multimodaler Therapieansatz bei Hochrisikoweichteilsarkomen im Erwachsenenalter (EORTC 62961/ESHO RHT-95)
1100
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
sid sowie simultaner regionaler Hyperthermie erfolgten die Tumorresektion und eine postoperative Chemotherapie ( Bestrahlung), die im RHT-91-Protokoll ebenfalls mit einer regionalen Hyperthermie kombiniert wurde. Im Vergleich der beiden Therapieprotokolle zeigte sich ein signifikanter Vorteil hinsichtlich der lokalen Tumorkontrolle (p = 0,027) zugunsten des RHT-91-Protokolls. Aufgrund der gnstig erscheinenden Ergebnisse dieser Studien wird der Stellenwert einer kombinierten prund postoperativen Thermochemotherapie gegenber alleiniger Chemotherapie derzeit (Stand April 2003: > 190 randomisierte Patienten) im Rahmen einer prospektiven randomisierten europischen Phase-III-Studie (EORTC 62961/ESHO RHT-95) geprft (Abb. 1). Pa¨diatrische Tumoren
Im Bereich der pdiatrischen Onkologie wurde an einigen Zentren das Konzept der Thermochemotherapie fr therapierefraktre Knochentumoren (Weichteilsarkome, Ewing-Sarkome) zur Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle aufgenommen, nachdem erstmals erfolgreich die RHT bei Kindern am Hyperthermiezentrum in Mnchen durchgefhrt werden konnte (Romanowski et al. 1993). Am Hyperthermiezentrum fr Pdiatrische Onkologie in Dsseldorf wurden die Behandlungsergebnisse bei Kindern und Jugendlichen mit lokoregionren Rckfllen von abdominellen Keimzelltumoren analysiert. Im Rahmen einer Pilotstudie erfolgte bei 9 Patienten eine Rezidivbehandlung mit Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid (PEI) Bestrahlung zusammen mit regionaler Tiefenhyperthermie (RHT). Die RHT-Behandlungen (Sigma-40 und Sigma-60, BSD Medical Cooperation, Utah, USA) wurden nach Sedierung der Patienten durchgefhrt. Insgesamt konnte mit diesem Protokoll bei 7 von diesen Patienten mit Rckfllen eines Keimzelltumors ein Ansprechen festgestellt werden (5 CR, 2 PR, 1 SD, 1 PD). Bei 2 von diesen Patienten (1 PR, 1 SD) wurde nachfolgend eine vollstndige Tumorresektion mglich. Nach einer Beobachtungszeit zwischen 8 und 40 Monaten (Median = 15 Monate) leben 5 von diesen 9 Patienten ohne Zeichen der Erkrankung (Wessalowski et al. 1997). Die Behandlungsergebnisse dieser Patientengruppe mit RHT wurde verglichen mit einer Patientengruppe, die aufgrund eines Keimzelltumorrezidivs eine konventionelle Therapie (Chemotherapie/ Operation Bestrahlung) erhalten hat. In dieser Kontrollgruppe leben 5 von 23 Patienten nach einer Beobachtungszeit zwischen 1 und 120 Monaten (Median = 8 Monate). Die Wahrscheinlichkeit des ereignisfreien berlebens (EFS) nach Kaplan-Maier betrgt fr die Patientengruppe mit zustzlicher RHT 0,41 0,33 und unterscheidet sich im Wilcoxon-Test signifikant (p = 0,03) von der Patientengruppe ohne RHT mit einer Wahrscheinlichkeit des EFS von 0,16 0,25.
17.16
Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
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Zusammenfassend konnte in dieser Studie gezeigt werden, da Patienten mit Rckfllen von abdominellen Keimzelltumoren eine ungnstige Prognose haben, wenn eine lokoregionale Tumorkontrolle nicht erzielt werden kann. Durch den kombinierten Einsatz von konventionellen Therapiemanahmen (PEI-Chemotherapie Bestrahlung), kombiniert mit RHT, lassen sich die lokale Tumorkontrolle und das rezidivfreie berleben bei diesen Patienten verbessern (Wessalowski et al. 1998). >
Aufgrund dieser gnstigen Behandlungsergebnisse ist bei malignen Keimzelltumoren bei Kindern und Jugendlichen mit unzureichendem lokalem Tumoransprechen auf neoadjuvante Chemotherapie eine zustzliche RHT im Rahmen der Erstbehandlung knftig vorgesehen.
Zervixkarzinom/Ovarialkarzinom
Im Bereich gynkologischer Tumoren wurde von der Amsterdamer Gruppe bei Rezidiven von Zervixkarzinomen eine Phase-II-Studie durchgefhrt. Die wchentliche Cisplatin-Therapie (CDDP 50 mg/m2) in Kombination mit RHT ber 8 Wochen zeigte bei 52% (12/23 Patientinnen) ein objektives Tumoransprechen, das im Beobachtungszeitraum fr 4…35 Monate anhielt (Rietbroek et al. 1997). Der Stellenwert der Hyperthermie bei lokal fortgeschrittenen Zervixkarzinomen wird derzeit im randomisierten Vergleich einer Radio-/Chemotherapie mit Hyperthermie untersucht. In chemotherapeutisch vorbehandelten oder primr therapieresistenten Patientinnen (n=13) mit Ovarialkarzinom wurde in einer Phase-I/II-Studie die intraperitoneale Chemotherapie (Carboplatin) mit einer regionalen Hyperthermie (BSD-System) kombiniert. Der intraperitoneale Temperaturbereich lag bei 40 C und fhrte zu keiner Steigerung der hmatologischen Toxizitt. 2/13 Patientinnen sind krankheitsfrei 40 und 43 Monate nach Therapiebeginn (Formenti et al. 1996). 6.1.2 Hyperthermie in Kombination mit Radio-/Chemotherapie
Eine Erweiterung des multimodalen Therapiekonzepts stellt die Kombination der Hyperthermie mit Radio-/Chemotherapie bei soliden Tumoren dar. In mehreren Phase-I/II-Studien wurde ein derartiger trimodaler Therapieansatz fr sophaguskarzinome, HNO-Tumoren und Lokalrezidive des Mammakarzinoms untersucht. O¨sophaguskarzinom
Eine kontrollierte Phase-II/III-Studie (40 Patienten) wurde von der japanischen Arbeitsgruppe um Sugimachi bei Patienten mit sophaguskarzinomen durchgefhrt, in der zunchst die properative Chemotherapie (Bleomycin + CDDP) mit einer lokoregionalen Hyperthermie mittels endosko-
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
pisch plazierter Thermosonde kombiniert wurde. Objektive Tumorregression, histopathologisches Ansprechen und palliative Effekte waren signifikant besser im Vergleich zur Gruppe von Patienten nach alleiniger Chemotherapie (Sugimachi 1994). Mit der zustzlichen Strahlensensibilisierung durch Bleomycin im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Hyperthermie wurde eine hhere Anzahl an histopathologisch kompletten Remissionen erreicht (Sugimachi et al. 1992; Matsuda et al. 1993). Aus diesen Grnden wurde von der japanischen Arbeitsgruppe die properative Radio-/Chemotherapie in Kombination mit lokoregionaler Hyperthermie bei resektablem Tumorstadium an 66 Patienten vergleichend untersucht (Kitamura et al. 1995). Die Anzahl von histopathologisch kompletten Remissionen (25 vs. 6%) und die 3-Jahres-berlebensrate (50 vs. 24%) waren in der Behandlungsgruppe von Patienten mit Hyperthermie (n = 32) signifikant hher als in der Vergleichsgruppe (n = 34). Radiographische Kriterien der initialen Befundung, ein hoher Differenzierungsgrad und die lymphozytre Infiltration nach der Kombinationstherapie sind prognostische Faktoren fr das Ansprechen (Kitamura et al. 1997; Marita et al. 2001). HNO-Tumoren und Mammakarzinom
In einer italienischen Studie mit lokal fortgeschrittenen HNO-Tumoren wurde 1wchentlich Cisplatin (20 mg/m2) als Kurzinfusion unmittelbar vor der Strahlentherapie (Gesamtdosis 70 Gy) ber 7 Wochen appliziert, wobei die Hyperthermie jeweils in der 1. und 2. Woche nach der Bestrahlung durchgefhrt wurde. In 13 von 18 nichtvorbehandelten Patienten wurden komplette Remissionen erreicht, wobei bei einer mittleren Beobachtungszeit von 18 Monaten zwei dieser Patienten ein Rezidiv erlitten (Amichetti et al. 1993). Die Kombination von systemischer Chemotherapie (CDDP + 5-FU) mit simultaner interstitieller Hyperthermie und interstitieller Brachytherapie wurde in der Erlanger Arbeitsgruppe an 15 Patienten mit HNO-Rezidivtumoren nach vorausgegangener Strahlentherapie berprft (Geiger et al. 2002). Die lokale Kontrollrate (12/15) und die 2-Jahres-berlebensrate (10/15) mit 80% und 67% sind vielversprechend, um den Stellenwert dieses Kombinationsverfahren im randomisierten Vergleich weiter zu definieren. Eine Studie der Bostoner Arbeitsgruppe ergab bei 29 Patientinnen mit Lokalrezidiv eines Mammakarzinoms in 53% komplette Remissionen (CR), wobei Cisplatin (40 mg/m2) oder Bleomycin (15 mg/m2) in 1 wchentlicher Gabe mit einer lokalen Hyperthermie und anschlieender Strahlentherapie (30…45 Gy Gesamtdosis) kombiniert wurde (Bornstein et al. 1992).
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Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
Tabelle 3. Hyperthermie in Kombination mit Radiochemotherapie bei Rektumkarzinomen (Rau et al. 1998) Studie
Tumorart
Patienten (n)
RHT
Radiochemotherapie
Ergebnis
Phase II
Rektumkarzinom (pra¨operativ)
37
BSD 2000 90 MHz
45 Gy (HD) + 5-FU/Lv (4 Wochen)
5 pCR (14%) + 17 PR (46%)
Phase III
Rektumkarzinom (postoperativ)
140
BSD 2000 90 MHz
45 Gy (HD) + 5-FU/Lv (4 Wochen) RHT (randomisiert)
offen
Abk: RHT = Hyperthermie; HD = Herddosis; p = pathohistologisch; CR = komplette Remission; PR = partielle Remission; 5 FU = Fluorouracil; Lv = Leucovorin
Kolon-Rektum-Karzinom
Aufbauend auf den Phase-II-Ergebnissen der Berliner Arbeitsgruppen mit regionaler Tiefenhyperthermie und Strahlentherapie bei kolorektalen Rezidivtumoren (Rau et al. 1998; 2000) und besttigt durch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe an der Duke University/USA (Anscher et al. 2000) wird derzeit eine randomisierte multizentrische Studie zur Wirksamkeit einer properativen Radio-/Chemotherapie + RHT vs. alleiniger Radio-/Chemotherapie bei primren, lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen (T3/ T4) sowie Rezidiven durchgefhrt. Dabei wird eine systemische Chemotherapie (350 mg/m2 5-Fluorouracil + 50 mg/m2 Leucovorin, Tag 1…5 bzw. Tag 22…26) mit einer Strahlentherapie ber 5 Wochen (Gesamtdosis 45 Gy) RHT vor der chirurgischen Resektion appliziert und in Abhngigkeit von dem Resektionsergebnis eine systemische Chemotherapie mit lokaler Aufsttigung der Strahlendosis fortgefhrt (Tabelle 3). Zusammenfassung
Die technische Durchfhrung und Nebenwirkungsrate im Rahmen der regionalen Tiefenhyperthermie + Chemotherapie scheint demnach in den verschiedenen Anwendungsbereichen vertretbar. Hohe Remissionsraten werden bei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Tumoren und bei vorbehandelten Patienten beobachtet. Der Einsatz der RHT in Kombination mit Chemotherapie bzw. Radio-/Chemotherapie im Rahmen von multimodalen Therapieprotokollen erscheint durch die Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle und des rezidivfreien berlebens gerechtfertigt.
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
6.2 Ganzko¨rperhyperthermie in Kombination mit systemischer Chemotherapie bei therapierefrakta¨ren metastasierten Tumoren Die Ganzkrperhyperthermie (GKH) sollte vor allem bei Patienten mit metastasierten Erkrankungen eingesetzt werden oder dann, wenn aufgrund der Lokalisation des Primrtumors eine regionale Hyperthermie nicht durchfhrbar ist. Die meisten Erfahrungen liegen fr die „extreme“ GKH vor, bei der eine Anhebung der Krperkerntemperatur auf 41,8 C fr die Dauer von 60 Minuten angestrebt wird, wobei die Zytostatika so zu verabreichen sind, da die wirksamen Metaboliten zum Zeitpunkt des Erreichens der Plateautemperatur in hchster Konzentration vorliegen. Fr die sogenannte fieberhnliche Hyperthermie, bei der die Krperkerntemperatur lngerfristig (mindestens 6 Stunden) auf Temperaturen um 39 C angehoben wird, liegen bisher nur Erfahrungen aus Phase-I-Studien vor (Kraybil et al. 2002). Whrend die extreme GKH vorrangig auf eine Wirkungspotenzierung der Zytostatika zielt, steht bei der fieberhnlichen Hyperthermie die Modulation des Immunsystems im Vordergrund. Jedoch konnte auch fr die extreme GKH eine gewisse Immunmodulation nachgewiesen werden. So kommt es zur Induktion verschiedener Zytokine und zu einer T-Zell-Aktivierung (Robins et al. 1995; Atanachovic et al. 2002). Bei der GKH handelt es sich fr den Patienten um ein relativ aufwendiges Verfahren. Sie ist mit einem stationren Aufenthalt verbunden und kann nur bei gutem Allgemeinzustand und ausreichender kardiopulmonaler Belastbarkeit durchgefhrt werden. Die Behandlung kann prinzipiell in Vollnarkose oder tiefer Analgosedierung erfolgen. ˜ltere Verfahren, bei denen die Wrmeapplikation z.B. mittels extrakorporaler Erwrmung des Blutes erfolgt ist, wurden mittlerweile aufgrund der hohen Nebenwirkungsrate verlassen. In den laufenden Sudien erfolgt die Wrmeapplikation durch strahlende Wrme. Direkt vergleichende Untersuchungen der verschiedenen Gerte, die derzeit verfgbar sind (z.B. Aquatherm-System, Enthermics, IRATHERM 2000-Applikator), stehen aus. Ein wichtiges Kriterium sollte jedoch sein, da die Aufwrmzeiten bis zum Erreichen der Zieltemperatur in etwa vergleichbar sind. Im Gegensatz zur regionalen Hyperthermie, bei der durchaus eine Temperaturerhhung im Tumor auf > 42,5 C angestrebt wird, mu bei der GKH streng darauf geachtet werden, eine lngerfristige Erwrmung > 42 C zu vermeiden, da es sonst zur Schdigung des Normalgewebes kommen kann. Zur GKH liegen bisher nur Ergebnisse aus Phase-I/II-Studien vor. Diese haben wesentlich zur Optimierung des Behandlungsverfahrens beigetragen und wichtige Erkenntnisse zur Toxizitt und Effektivitt verschiedener Behandlungsprotokolle ermglicht. So verursachen weder eine Monotherapie mit Carboplatin (480 mg/m2) noch die Kombinationstherapien Ifosfamid
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Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
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(5 g/m2) + Carboplatin (300 mg/m2) oder Oxaliplatin (85 mg/m2) + Leukovorin (200 mg/m2) + 5-Fluorouracil (3 g/m2 ber 48 Stunden) unter additiver GKH-Applikation eine wesentliche Zunahme der Knochenmarktoxizitt oder anderer Toxizitten (Robins et al. 1993, Wiedemann et al. 1994, Hegewisch-Becker et al. 2002). Diese Beobachtung ist mglicherweise unter anderem auf die Induktion von G-CSF unter GKH zurckzufhren (Katschinski et al. 1999). Prinzipiell mu bedacht werden, da es in Abhngigkeit von der eingesetzten Zytostatikakombination unter GKH sicherlich zur Zunahme einiger Nebenwirkungen kommen kann, wobei hier auch hyperthermiespezifische Nebenwirkungen wie thermische Lsionen, Neuropathie und kardiale Ereignisse genannt werden mssen. Vergleichweise ausgedehnte Erfahrungen liegen aktuell fr das ICE-Schema in Kombination mit GKH vor (Ifosfamid 5 g/m2 + Carboplatin AUC 5, Tag 1, Etoposid 100 mg/m2, Tag 1…3). Wiedemann et al. (2000) berprften die Wirksamkeit des ICE-Schemas bei insgesamt 92 Patienten mit Weichteilsarkomen. Bei 55 Patienten mit berwiegend stark vorbehandelten, rezidivierten oder refraktren Weichteilsarkomen wurde unter ICE + GKH eine PR-Rate von 25% beschrieben. Von 37 nicht vorbehandelten Patienten sprachen 33% an (Wiedemann et al. 2000). Ebenfalls mit dem ICE-Schema konnte bei 25 Patienten mit Pleuromesotheliomen eine Wachstumskontrolle in 74% aller Flle erreicht werden (5 PR, 3 MR, 11 SD). Das mediane berleben seit Beginn der Therapie betrug 77 Wochen (Bakhshandeh et al. 2001). Die gravierendsten Toxizitten, die unter dem ICE-Schema aufgetreten sind, waren Myelosuppression und Nephrotoxizitt. Unter einer Monotherapie mit Carboplatin (AUC 8) wurden bei 12 berwiegend stark vorbehandelten platinresistenten Patientinnen mit Ovarialkarzinomen eine komplette und 4 partielle Remissionen sowie 4 Krankheitsstabilisierungen beschrieben. Diese Daten untersttzen die Annahme, da durch den additiven Effekt der GKH eine Platinresistenz berwunden werden kann (Westermann et al. 2001). Derzeit laufende Studien berprfen nun den Stellenwert einer Kombination von Carboplatin + Ifosfamid und GKH bei primr platinrefraktren oder nach Platinvorbehandlung rezidivierten Ovarialkarzinomen (Sptrezidiv). In Einzelfllen konnte auch bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen, bei denen zunchst nach 3 Zyklen einer alleinigen Therapie mit 5-Fluorouracil + Leukovorin + Mitomycin C kein Regre erreicht werden konnte, unter identischer Chemotherapie in Kombination mit GKH ein PR dokumentiert werden (Hildebrandt et al. 2000). Diese Beobachtung unterstreicht das mgliche Potential der additiven Hyperthermie zur berwindung von Resistenzmechanismen. 44 Patienten mit fortgeschrittenen kolorektalen Karzinomen, die whrend oder nach einer Irinotecan/Leukovorin/5-Fluorouracil-haltigen Therapie progredient waren, erhielten im Rahmen einer weiteren Phase-II-Studie das bereits erwhnte Therapieschema Oxaliplatin
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Prinzipien der lokoregiona¨ren Therapie
+ Leukovorin + 5-Fluorouracil ber 48 h. Die Chemotherapie wurde in dieser Studie nur bei jeder zweiten Gabe mit GKH kombiniert, wodurch ein direkter Vergleich der Toxizitten mit und ohne GKH ermglicht wurde. In diesem prognostisch ungnstigen Kollektiv wurden eine Ansprechrate von 20% (2 CR, 6 PR) und eine Krankheitsstabilisierung bei 56% der Patienten beobachtet. Das mediane berleben von 50 Wochen seit Therapiestart war ermutigend (Hegewisch-Becker et al. 2002). Zusammenfassung
Insgesamt gibt es fr die GKH in Kombination mit zytostatischer Chemotherapie noch keine ausreichend gesicherte Indikation. Basierend auf den Ergebnissen der Phase-II-Studien wurden mehrere randomisierte PhaseIII-Studien initiiert oder befinden sich in Planung (kolorektale Karzinome, Ovarialkarzinome, Pleuramesotheliome). Die Notwendigkeit einer Klrung des Stellenwertes der GKH ist evident. Bis dahin sollten geeignete Patienten ausschlielich innerhalb von Therapiestudien behandelt werden. Eine bersicht zu derzeit laufenden klinischen Studien ist ber die Internetseite der Interdisziplinren Arbeitsgruppe Hyperthermie (www.hyperthermie.org) abfragbar.
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Chemotherapie in Kombination mit Hyperthermie
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18 Notfallmaßnahmen in der Onkologie
18.1 Hyperkalza¨mie K. Possinger, P. Schmid
1 Vorkommen Tumorassoziierte Hyperkalzmien treten im Verlauf von Tumorerkrankungen bei bis zu 30% der Patienten auf. Bei Plasmozytompatienten finden sich hyperkalzmische Episoden in etwa 50% der Flle. Patienten mit metastasierten Bronchial-, Nierenzell-, Prostata- oder Mammakarzinomen entwickeln in etwa 10% Hyperkalzmien (Warrell 1990). Durch den konsequenten Einsatz von Bisphosphonaten zur Behandlung tumorinduzierter Knochenvernderungen konnte jedoch die Inzidenz der tumorinduzierten Hyperkalzmie in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden. Ein Zusammenhang zwischen dem Ausma einer Knochenmetastasierung und der Hufigkeit und Ausprgung einer Hyperkalzmie besteht nicht. Ihr Auftreten ist nicht an Skelettmetastasen gebunden.
2 Pathophysiologie Tumorzellen bedingen die Freisetzung von Zytokinen, die an der Niere eine vermehrte Kalziumrckresorption und im Skelettsystem eine gesteigerte Kalziummobilisierung bedingen. Whrend Osteolysen vorwiegend durch die tumorzellbedingte Freisetzung von TGF-a, Interleukin-1 und -6, Prostaglandinen, Interferon-a und anderen Zytokinen hervorgerufen werden, beruht die tumorassoziierte Hyperkalzmie sowohl auf der vermehrten Inkretion von Zytokinen als auch auf der gesteigerten Sekretion des mit dem Parathormon verwandten Peptids PTH-rP. PTH-rP zeigt lediglich fr die ersten 13 Aminosuren eine Homologie mit dem Parathormon. Die brige Peptidsequenz differiert gnzlich. PTH-rP bindet an Parathormonrezeptoren von Osteoblasten und tubulren Nierenzellen. Die Osteoblasten stimulieren durch die Ausschttung von Zytokinen, insbesondere TGF-a, die Osteoklasten und induzieren so die Knochenresorption
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
und die Kalziummobilisierung. Die Osteoklasten besitzen selbst keine Rezeptoren fr PTH-rP. Durch Ankoppelung von PTH-rP an Nierenzellparathormonrezeptoren kommt es zu einer Steigerung der renalen tubulren Kalziumrckresorption und Vermehrung der Phosphatausscheidung. Bis zu 40% der Patienten mit tumorassoziierter Hyperkalzmie weisen einen erhhten PTH-rP-Spiegel auf. Er kann nur durch eine tumorzellvernichtende Therapie gesenkt werden. Symptomatische Manahmen zur Senkung erhhter Kalziumspiegel beeinflussen den PTH-rP-Spiegel nicht (Blind et al. 1993). Eine lngerfristige Hyperkalzmiebeherrschung ist deshalb nur durch eine gezielte Antitumortherapie mglich (Ralston 1992).
3 Symptomatik Der Schweregrad einer Hyperkalzmie ist abhngig vom Serumkalziumgehalt. Da der grte Teil des Serumkalziums allerdings proteingebunden vorliegt und Patienten mit tumorassoziierten Hyperkalzmien hufig auch eine Hypalbuminmie aufweisen, kann die tatschliche Schwere der Hyperkalzmie durch die alleinige Messung des Serumkalziums unterschtzt werden. Im Idealfall sollte deshalb das ionisierte Kalzium gemessen werden. Ist dies nicht mglich, so sind Normogramme zu verwenden, die zur Bestimmung des sog. „korrigierten“ Kalziumspiegels den Protein- bzw. Albuminspiegel bercksichtigen. Erste klinische Zeichen einer Hyperkalzmie sind Polyurie, Polydipsie und Mdigkeit. Bei weiterem Kalziumanstieg knnen folgende Symptome hinzutreten: F F F F
Gastrointestinale Symptomatik: belkeit, Erbrechen, Obstipation, abdominelle Schmerzen durch peptische Ulzera oder Pankreatitis. Kardiale Symptomatik: Arrhythmien, verkrzte QT-Dauer im EKG, Digitalisberempfindlichkeit. Renale Symptomatik: Polyurie, Polydipsie, Nykturie, Exsikkose. Neurologische Symptomatik: Mdigkeit, Muskelschwche, Hyporeflexie, Verwirrtheit, Bewutseinstrbung, Depression, Verhaltensstrungen, Koma.
4 Therapie Prinzip F F F
Steigerung der Urinkalziumausscheidung, Hemmung der Knochenresorption bzw. Kalziummobilisierung, Reduktion der enteralen Kalziumresorption.
18.1
Hyperkalza¨mie
1111
Methoden F F F F F F F F
Rehydratation, forcierte Diurese mit NaCl 0,9% und sog. Schleifendiuretika, Bisphosphonate, Kalzitonin, Mithramycin (Plicamycin) und Phosphatinfusionen nur in Ausnahmefllen, Kortikosteroide, Vermeidung kalziumhaltiger Nahrung, bei Nierenversagen: Dialyse.
Wirkmechanismus Rehydratation: Die Rehydratation ist die wichtigste primre Therapiemanahme, um das insbesondere intravasal fehlende Flssigkeitsvolumen zu ersetzen. Des weiteren mu die Urinkalziumausscheidung durch Ingangbringen und Forcieren der Diurese und Hemmung der Kalziumrckresorption im proximalen Tubulus maximal gesteigert werden. Physiologische Kochsalzlo¨sung erfllt beide Bedingungen. Zur Steigerung der Urinkalziumausscheidung kann Furosemid verabreicht werden. Dabei sind Kontrollen des Serumkaliumspiegels dringend erforderlich. Bisphosphonate: Die Wirkung der Bisphosphonate beruht auf der ausge-
prgten Hemmung der Osteoklastenttigkeit und damit der Knochenresorption. Bisphosphonate sind Pyrophosphatanaloga, die ein C-Atom anstelle des O-Atoms aufweisen. Diese P-C-P-Bindung ist resistent gegenber enzymatischer Hydrolyse (Fleisch 1991). Bisphosphonate weisen eine hohe Affinitt zu Metallionen wie z.B. zu Kalzium und Magnesium auf. Sie hemmen das Wachstum und die Aggregation von Kalziumkristallen und verhindern gleichzeitig die Auflsung von Hydroxyapatitkristallen. Sie wirken toxisch auf Osteoklasten, hemmen die Entwicklung der Osteoklastenvorluferzellen und beeintrchtigen die Chemotaxis der Osteoklasten auf ihrem Weg zu den Orten aktiver Knochenresorption. Bisphosphonate sollten bei hyperkalzmischen Zustnden prinzipiell parenteral verabreicht werden, da die Resorption nach oraler Gabe bei 1…3% liegt (Dodwell et al. 1992). Die Bisphosphonatdosis mu dem Schweregrad der Hyperkalzmie angepat werden. Pamidronat und auch Ibandronat erwiesen sich in randomisierten Studien sowohl dem Etidronat als auch dem Clodronat berlegen (Rosen et al. 2001). Das Bisphosphonat Zoledronat wiederum hat sich gegenber Pamidronat als signifikant berlegen erwiesen hinsichtlich der Wirksamkeit, der Geschwindigkeit des Wirkungseintritts und der Dauer des Therapieeffekts. Die Bisphosphonate zeigten sich auch signifikant wirksamer als Mithramycin (Thuerlimann et al. 1992).
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
Kalzitonin: Kalzitonin hemmt sehr rasch die tubulre Kalziumrckresorp-
tion und bedingt zustzlich eine Hemmung der Osteoklastenttigkeit. Durch den konsequenten Einsatz von Bisphosphonaten ist eine Behandlung mit Kalzitonin jedoch nur noch in Ausnahmefllen erforderlich. Mithramycin: Mithramycin hemmt die Knochenresorption. Aufgrund der ausgeprgten Nebenwirkungen (hmorrhagische Diathese, Thrombozytopenie, Hepatotoxizitt) sollte die Substanz nur als letzte Behandlungsmglichkeit eingesetzt werden. Phosphatinfusion: Eine Phosphatinfusion ist zwar effektiv, sollte allerdings
wegen der erheblichen Nebenwirkungen (Hypotension, Nierenversagen, Gewebskalzifizierung) nicht mehr angewandt werden. Glukokortikoide: Glukokortikoide mindern die Resorption von Kalzium aus
dem Darm. Eingesetzt werden sollten sie wegen ihrer antineoplastischen Aktivitt lediglich bei malignen Lymphomen und Plasmozytomen. Dia¨tetische Maßnahmen: Ditetische Manahmen beinhalten die Restriktion von Milch und Milchprodukten. Dialyse: Bei Aussicht auf erfolgreiche Behandlung der Grunderkrankung
kann bei Nierenversagen eine Dialyse in Betracht gezogen werden. Therapeutisches Vorgehen
Bei Serumkalziumwerten von 2,6–3,0 mmol/l: F F F F F
ditetische Kalziumrestriktion, vermehrte orale Flssigkeitszufuhr (3…4 l), Furosemid 80 mg/Tag p.o., Kaliumsubstitution (20…60 mmol/l Kaliumchlorid p.o.), Einzelgabe von Ibandronat 2 mg (ber 2 Stunden) oder 15…30 mg Pamidronat (15 mg/h) in 500 ml isotoner Kochsalzlsung oder 5%iger Glukoselsung oder Infusion von 4 mg Zoledronat in 100 ml isotoner Kochsalzlsung oder 5%iger Glukoselsung ber 15 Minuten.
Bei Serumkalziumwerten von 3,0–3,5 mmol/l: F F F F
Infusion von 4000 ml NaCl 0,9%, Substitution von Kaliumchlorid (80 mmol/l/Tag), Furosemid i.v. bis zu 80 mg alle 2…4 h, Infusion von Pamidronat 30…60 mg (15 mg/h) oder Ibandronat 4 mg (als Einzeldosis) in 500 ml NaCl 0,9% oder 5%iger Glukoselsung oder Infusion von 4 mg Zoledronat ber 15 Minuten in 100 ml isotoner Kochsalzlsung oder 5%iger Glukoselsung. Nach Gabe von Bisphosphonaten, physiologischer Kochsalzlsung und Schleifendiuretika dauert es ca. 3…7 Tage, bis erhhte Kalziumspiegel wieder in den Norm-
18.1
Hyperkalza¨mie
1113
bereich zurckkehren. Die Dauer der Zeitspanne hngt von der initialen Hhe des Kalziumwertes ab. Bei Serumkalziumwerten > 3,5 mmol/l: F F F F
F
NaCl 0,9% 4…5 l i.v./24 h, Substitution von Kaliumchlorid 100 mmol/l/Tag, Furosemid i.v. bis zu 80 mg alle 2…4 h, Infusion von Pamidronat 60…90 mg (15 mg/h) oder Ibrandonat 4…6 mg (als Einzeldosis) in 500 ml NaCl 0,9% oder 5%iger Glukoselsung oder Infusion von 4 mg Zoledronat in 100 ml isotoner Kochsalzlsung oder 5%iger Glukoselsung ber 15 Minuten, Gegebenenfalls Kalzitonin 1…2 lg/kg KG s.c. alle 4 h.
Bei zunehmendem Nierenversagen evtl. Dialyse. Literatur Blind E, Raue F, Meinel T, Wuster C, Ziegler R (1993) Levels of parathyroid hormonerelated protein (PTHrP) in hypercalcemia of malignancy are not lowered by treatment with the bisphosphonate BM 21.0955. Horm Metab Res 25:40…44 Bonjour JP, Rizzoli R (1992) Antiosteolytic agents in the management of hypercalcemia. Ann Oncol 3:589…590 Dodwell DJ, Howell A, Daley M et al (1992) Infusion rate and pharmacokinetics of intravenous pamidronate in the treatment of tumour-induced hypercalcaemia. Postgrad Med J 68:434…439 Fleisch H (1991) Bisphosphonates. Pharmacology and use in the treatment of tumour-induced hypercalcaemic and metastatic bone disease. Drugs 42:919…944 Rosen LS, Gordon D, Antonio BS et al (2001) Zoledronic acid versus pamidronate in the treatment of skeletal metastases in patients with breast cancer or osteolytic lesions of multiple myeloma: a phase III, double-blind, comparative trial. Cancer J 7(5):377…387 Thuerlimann B, Waldburger R, Senn HJ, Thiebaud D (1992) Plicamycin and pamidronate in symptomatic tumor-related hypercalcemia: a prospective randomized crossover trial. Ann Oncol 3:619…623 Ralston SH (1992) Medical management of hypercalcaemia. Br J Pharmacol 34:11…20 Warrell RP Jr (1990) Hypercalcemia and bone metastases in breast cancer. Current Opin Oncol 2:1097…1103
18
18.2 Tumorlysesyndrom N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
1 Definition und Pathogenese Unter einem Tumorlysesyndrom versteht man metabolische Vernderungen als Folge eines ausgedehnten Tumorzerfalls. Pathophysiologisch liegt eine rasche und massive Freisetzung intrazellulren Materials in die Blutbahn zugrunde. Das Tumorlysesyndrom stellt keine einheitliche Krankheitsentitt dar, sondern ist ein Sammelbegriff fr einige charakteristische metabolische Entgleisungen, die einzeln oder in Kombination auftreten knnen. >
Unbehandelt knnen die metabolischen Vernderungen rasch zur vitalen Gefhrdung des Patienten fhren, so da eine unverzgliche Therapie immer notwendig ist.
Das Tumorlysesyndrom ist durch die folgenden metabolischen Strungen charakterisiert: F F F F F F F F
Hyperurikmie, Nierenfunktionseinschrnkung (v.a. Uratnephropathie), Hyperphosphatmie, Hyperkalimie, Hypokalzmie, Metabolische Azidose, Hypoglykmie (bis zum hypoglykmischen Koma), Disseminierte intravasale Gerinnung (selten).
Die gefhrlichsten Komplikationen sind akutes Nierenversagen infolge einer Hyperphosphatmie (Boles et al. 1984) und Hyperurikmie (Uratnephropathie) und Herzrhythmusstrungen bis zum pltzlichen Herztod infolge einer Hyperkalimie und Hypokalzmie (cave: Digitalis!). Am hufigsten wird ein Tumorlysesyndrom bei Leukmien und Lymphomen beobachtet; bei soliden Tumoren ist es relativ selten, kommt aber vor allem bei rasch proliferierenden Tumoren (kleinzelliges Bronchialkarzinom, Merkel-Zell-Tumor, Mammakarzinom) vor. Trotz eines hohen Proliferationsindex und schnellen Ansprechens unter Chemotherapie ist ein Tumorlysesyndrom bei Keimzelltumoren eine Raritt! Ein Tumorlysesyndrom kann bei groer Tumorlast respektive bei Leukmien mit hohen Zellzahlen spontan, d.h. vor Therapiebeginn, auftreten.
18.2
Tumorlysesyndrom
1115
In der Initialphase einer antineoplastischen Therapie (in den ersten 3…5 Tagen) ist die Entwicklung eines Tumorlysesyndroms jedoch besonders hufig (vor allem bei intensiver Therapie mit initial ausgedehnter Tumorzellzerstrung). Flle von Tumorlysesyndrom sind auch unter Hormontherapie, Zytokintherapie oder intrathekaler Methotrexatgabe beschrieben worden. Die wichtigsten Risikofaktoren fr die Entwicklung eines Tumorlysesyndroms sind: F F F F
Hohe LDH, Einschrnkung der Nierenfunktion (Kreatininerhhung), Hyperurikmie, Ausgedehnte Tumoren bzw. hohe Zellzahl (bei Leukmien).
2 Symptomatik Die klinischen Symptome des Tumorlysesyndroms sind variabel und uncharakteristisch und knnen nur dann richtig interpretiert werden, wenn bei gefhrdeten Patienten an die Mglichkeit eines Tumorlysesyndroms gedacht wird. Im Vordergrund stehen belkeit, Tachykardie, Oligurie, Herzrhythmusstrungen, Lethargie, abdominelle Schmerzen, Muskelkrmpfe und Flssigkeitsretention.
3 Diagnostik Gefhrdete Patienten mssen in der Initialphase einer antineoplastischen Therapie engmaschig laborchemisch berwacht werden. Ta¨glich, bei besonders kritischen Patienten auch noch engmaschiger sollten folgende Werte kontrolliert werden: F F F F F F F F
Harnsure, Kalium, Kalzium, Kreatinin, Phosphat, Glukose, Quick und PTT, Blutgasanalyse.
Zur besseren Steuerung der Flssigkeitszufuhr sind eine Ein/-Ausfuhrbilanz sowie mindestens eine ta¨gliche Gewichtskontrolle notwendig. Bei Oligo-/ Anurie sollte ein Sonogramm zum Ausschlu eines postrenalen Exkretionshindernisses durchgefhrt werden; ein Ausscheidungsurogramm oder ein CT mit Kontrastmittel ist wegen der Gefahr der zustzlichen Nierenschdigung in dieser Situation kontraindiziert.
18
1116
18
Notfallmaßnahmen in der Onkologie
4 Therapie 4.1 Prophylaxe Patienten, die aufgrund ihrer Allgemeinsituation (Alter, Exsikkose, Nierenfunktionsstrung) und ihrer Tumorerkrankung (groe Tumormasse, therapiesensible Tumoren) ein erhhtes Risiko fr die Ausbildung eines Tumorlysesyndroms haben, sollten bereits vor Beginn einer antineoplastischen Therapie eine prophylaktische Behandlung erhalten: F
F
F
Allopurinol: 300…900 mg/Tag p.o. (vermindert die Bildung von Harnsure durch Hemmung der Xanthinoxidase; Beginn 24…48 h vor Einleitung der Chemotherapie. Cave: Dosisreduktion von 6-Mercaptopurin). Dosisreduktion bei Nierenfunktionsstrung (Kumulation des nephrotoxischen Metaboliten Oxypurinol)! Bei ausgeprgter Hyperurikmie kann Allopurinol i.v. verabreicht werden: ApurinTM 500…1000 mg i.v. als Perfusor ber 24 Stunden fr 3 Tage; danach Umstellung auf orale Applikation. ApurinTM ist ber die internationale Apotheke erhltlich (zugelassen in den Niederlanden). Rasburicase (FasturtecJ) ist eine rekombinante Urat-Oxidase, die Harnsure in Allantoin umwandelt. Damit wird im Gegensatz zu Allopurinol nicht die Bildung von Harnsure gehemmt, sondern Harnsure enzymatisch abgebaut. Rasburicase zeichnet sich durch eine schnelle Senkung der Harnsurekonzentration aus (> > 50% in 4 Std.) und verhindert bei prophylaktischer Gabe zu 99% eine Hyperurikmie bei Risikopatienten (Goldman et al. 2001). Dosis: 0,2 mg/kg i.v. 1 tglich als 30mintige Infusion in NaCl 0,9%. Behandlungsdauer 5…7 Tage. Nebenwirkungen: Fieber, belkeit, Erbrechen, selten sind Kopfschmerzen, allergische Reaktionen und Antikrperbildungen gegen Rasburicase (Pui 2002). Forcierte alkalische Diurese: Gabe von Halbelektrolytlsung + 50 bis 100 mmol Natriumbikarbonat pro Liter Infusionslsung (beste Lslichkeit von Harnsure bei Urin-pH-Werten von 7,0…7,5). Cave: berwsserung. Angestrebte Urinausscheidung > 3000 ml/Tag. Natriumbikarbonat kann die Symptome einer Hypokalzmie verstrken. Bei ausgeprgter Hypokalzmie und/oder Hypernatrimie kann die Alkalisierung mit dem Carboanhydrasehemmstoff Acetazolamid erfolgen. Dosis: 500 mg i.v. oder p.o. alle 6 Stunden mit Beginn der Chemotherapie.
4.2 Therapie des manifesten Tumorlysesyndroms Bei einem manifesten Tumorlysesyndrom erfolgt neben den oben genannten, allgemeinen Manahmen eine gezielte Therapie, die sich an den im Vordergrund stehenden metabolischen Entgleisungen orientiert:
18.2 F
F
F
F
Tumorlysesyndrom
1117
Kaliumsenkung: Zufuhr stoppen, Gabe von Kationenaustauschkomplexen (z.B. ResoniumJ); falls erfolglose, Glukose-Insulin-Infusion (200 ml Glukose 20% + 20 I.E. Insulin ber 2 Std. intravens; Kaliumabfall ca. 1 mmol/l). Bei Erfordernis einer schnelleren Kaliumsenkung: Gabe von b2-Sympathomimetika i.v. oder als Dosieraerosol (cave: Arrhythmien) und/oder Infusion von Natriumbikarbonat. Ultima ratio: Dialyse (s. unten). Kalziumsubstitution: intravens in Form von Kalziumgluconat, v.a. bei schweren Muskelkrmpfen und/oder Herzrhythmusstrungen. Die Behandlung einer persistierenden Hypokalzmie erfolgt mit Calcitriol (RocaltrolJ) (Dunlay et al. 1989). Intermittierende Ha¨modialyse: frhzeitiger Beginn der Dialyse bei klinischen Zeichen der berwsserung oder konservativ nicht zu beherrschenden Elektrolytentgleisungen. Die Prognose der uratbedingten Nierenfunktionsstrung ist bei frhzeitiger Einleitung der intermittierenden Hmodialyse gut (Garnick u. Mayer 1978). Vermeidung zusa¨tzlicher renaler Scha¨digungen: Verzicht auf nephrotoxische Substanzen (Aminoglykoside, Salicylate, Kontrastmittel); Dosisreduktion von renal eliminierten Zytostatika beachten.
Literatur Arrambide K, Toto RD (1993) Tumor lysis syndrome. Sem Nephrol 13:273…280 Boles JM, Dutel JL, Briere J et al (1984) Acute renal failure caused by extreme hyperphosphatemia after chemotherapy of an acute lymphblastic leukemia. Cancer 53:2425…2429 Dunlay RW, Camp MA, Allon M et al (1989) Calcitriol in prolonged hypocalcemia due to the tumor lysis syndrome. Ann Intern Med 110:162 Garnick MB, Mayer RJ (1978) Acute renal failure associated with neoplastic disease and its treatment. Semin Oncol 5:155…165 Goldman SC, Holcenberg JS, Finklestein JZ et al (2001) A randomized comparison between rasburicase and allopurinol in children with lymphoma or leukemia at high risk for tumor lysis. Blood 97(10):2998…3003 Kalemkenian GP, Darwisch B, Varteriasan ML (1997) Tumor lysis syndrome in small cell lung carcinoma and other solid tumors. Am J Med 103:363…367 Pui CH (2002) Rasburicase: a potent uricolytic agent. Expert Opin. Pharmacother 3(4):433…442 Simmonds HA, Cameron JS, Morris GS, Davies PM (1986) Allopurinol in renal failure and the tumour lysis syndrome. Clin Chim Acta 160:189…195 Vachranichsanong P, Maipang M, Dissaneewate P et al (1995) Severe hyperphosphatemia following acute tumor lysis syndrome. Med Pediatr Oncol 24:63
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18.3 Intrakranielle Drucksteigerung/Hirno¨dem N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
1 Vorkommen Die intrakranielle Drucksteigerung aufgrund von Hirnmetastasen ist die ha¨ufigste neurologische Komplikation bei Tumorpatienten. >
Eine symptomatische intrakranielle Drucksteigerung ist eine potentiell lebensbedrohliche Situation und erfordert immer unverzgliche Diagnostik und Therapie.
Die hufigste Ursache sind Hirnmetastasen, v.a. bei Bronchialkarzinomen, Mammakarzinomen, Nierenzellkarzinomen und malignen Melanomen, gefolgt von einer diffusen Infiltration der Meningen durch Leukmieoder Lymphomzellen. Primre Hirntumoren liegen bei weniger als 10% der Patienten mit intrakranieller Drucksteigerung vor. Das Risiko, im Verlauf einer Tumorerkrankung Hirnmetastasen zu entwickeln, steigt mit der Erkrankungsdauer. Da immer wirksamere palliative Therapieverfahren fr auerhalb des ZNS gelegene Tumormanifestationen zur Verfgung stehen, ist in der Zukunft mit einem weiteren Anstieg der Hufigkeit von Hirnmetastasen zu rechnen.
2 Pathophysiologie Unter physiologischen Bedingungen betrgt der intrakranielle Druck maximal 15…20 mmHg. Da die kncherne Schdelkalotte bei einer intrakraniellen Volumenzunahme nicht nachgeben kann, kommt es zur Steigerung des intrakraniellen Druckes. Ab Druckerhhungen auf 30 mmHg verringert sich die arteriovense Blutdruckdifferenz (physiologischerweise etwa 100 mmHg), so da Hirndurchblutung und Sauerstoffversorgung abnehmen. Weitere Folge des erhhten Druckes ist eine Behinderung des vensen Blutabstroms mit der Folge einer Akkumulation toxischer Stoffwechselprodukte. Dadurch entsteht ein zunchst fokales, spter generalisiertes Hirndem. Dieses fhrt zur Kompression von Liquorzisternen. Bei weiterer Volumenzunahme treten Verschiebungen der Hirnmasse in horizontaler und axialer Richtung ein. Die Kleinhirntonsillen werden in das Foramen magnum hinabgedrckt, es kommt zur Einklemmung in Bereich der Medulla oblongata mit Strung der Regulationszentren fr Kreislauf und Atmung. Durch Kompression des Aqudukts kommt es zum Hydrocephalus occlusus. Wenn letztendlich der intrakranielle Druck den arteriellen Mitteldruck berschreitet, tritt der Hirntod ein (Poeck 1992).
18.3
Intrakranielle Drucksteigerung/Hirno¨dem
1119
3 Symptomatik Die Symptomatik kann in Abhngigkeit von der Lokalisation, der Ausprgung des perifokalen dems und der Geschwindigkeit des intrakraniellen Druckanstiegs sehr unterschiedlich sein. Die wichtigsten Symptome sind: F F F F
F F
Kopfschmerzen (bei ca. 50% Erstsymptom!), belkeit/Erbrechen mit oder ohne vorausgehende belkeit (Ursache: Druck auf die Vestibulariskerne) Periphere muskulre Schwche oder fokale Krampfanflle, Psychische Vernderungen, Gereiztheit, Vergelichkeit, Antriebsstrung, Affektivittsstrungen, Desorientierung, Somnolenz, Hemiparesen, Nackensteifigkeit (v.a. bei Infiltration der Meningen), Generalisierter Krampfanfall.
Care: Ein Singultus und Miempfindungen an beiden Armen knnen auf eine Hirnstammschdigung mit drohender Einklemmung hinweisen!
4 Diagnostik Bei klinischem Verdacht auf eine intrakranielle Drucksteigerung sind folgende Notfalluntersuchungen unverzglich einzuleiten: F
F
F
Eingehende neurologische Untersuchung (einschlielich Spiegelung des Augenhintergrunds ! Stauungspapille?) und Dokumentation eventueller neurologischer Defizite als Ausgangsbefund fr eine Verlaufsbeobachtung, CT oder NMR des Scha¨dels; das NMR ist dem CT beim Nachweis von diffusen Infiltrationen in den Meningen und bei der Beurteilung der Schdelbasis berlegen (Peretti-Viton et al. 1998), ebenso bei der differentialdiagnostischen Abgrenzung intrazerebraler opportunistischer Infektionen (Toxoplasmose etc.) (Schaefer et al. 1996), ¨ berwachung der Vitalparameter, insbesondere Atmung, Puls, BlutU druck (Bradykardie oder Blutdruckanstieg knnen erste Zeichen einer beginnenden Hirnstammeinklemmung sein).
Da nur zwei Drittel der Patienten mit Hirndruck eine Stauungspapille zeigen, kann der fehlende Nachweis einer Stauungspapille einen erhhten intrakraniellen Druck nicht ausschlieen. Bei Erfordernis einer Liquorpunktion mu vorher mittels CT sichergestellt werden, da es nicht durch das Ablassen des Liquors zu Einklemmungen kommen kann.
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
5 Therapie 5.1 Allgemeine Maßnahmen F F
Hochlagerung des Oberko¨rpers, Flu¨ssigkeitsrestriktion.
5.1.1 Antio¨demato¨se Maßnahmen F
F
F
F F
Eine Hyperventilation mittels maschineller Beatmung ist fr einen metastasierten Tumorpatienten in der Regel keine sinnvolle Option. Sie kann jedoch genutzt werden, wenn z.B. aufgrund eines geplanten neurochirurgischen Eingriffes eine Intubationsnarkose erforderlich wird. Dexamethason: Standarddosis: 3 8 mg i.v. oder p.o. tglich. Initial kann eine Ladungsdosis von 8…12 mg i.v. erfolgen, bei unzureichendem Ansprechen kann die Dexamethasondosis auf bis zu 100 mg tgl. gesteigert werden. Im Verlauf ist dann eine langsame Dosisreduktion bis zur minimalen wirksamen Dosis anzustreben (Vecht et al. 1994; Vecht u. Verbiest 1995). Mannitolinfusion: z.B. Osmosteril 20% 1…2 ml/kg KG 3mal tglich (zentraler Venenkatheter indiziert, da stark venenreizend), Maximaldosis 7,5 ml/kg/d, Infusionsgeschwindigkeit 1,5 ml/kg/h. Harnstoffinfusion (nur indiziert, falls Mannitol unwirksam): Dosierung 1 g/kg KG ber 1 h (z.B. Harnstofflsung 30%). Glycerolinfusion: z.B. Glycerosteril 10% 1,75 ml/kg/h, maximal 7,1 ml/ kg/d (¼ ^ 500 ml/70 kg), nicht lnger als 14 Tage.
Kontraindikationen fr Mannitol, Glycerol und Harnstoffinfusionen sind Herzinsuffizienz, Lungendem, intrakranielle Blutung und Niereninsuffizienz. 5.1.2 Antikonvulsive Therapie
Eine antikonvulsive Behandlung bei Patienten mit erhhtem Hirndruck und intrakraniellen Raumforderungen ist stets nach einem Krampfanfall indiziert. Eine prophylaktische Therapie mit Antikonvulsiva ohne stattgehabten Krampfanfall ist nicht erforderlich, da es nur bei 10…20% der Patienten zu Krampfanfllen kommt (Weaver et al. 1997; Cohen et al. 1988). Akuttherapie bei Grand-Mal-Anfall: F F
Clonazepam (RivotrilJ 2 mg i.v. als Bolus), oder Diazepam 10…20 mg langsam i.v. (ber ca. 5 Minuten, cave Atemdepression), kann bei fehlender i.v. Zugangsmglichkeit auch rektal verabreicht werden.
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Intrakranielle Drucksteigerung/Hirno¨dem
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Bei anhaltendem Anfall trotz Benzodiazepinapplikation eignet sich Phenytoin, z.B. PhenhydanJ Injektionslsung 250…500 mg i.v. ber ca. 10 Minuten unter kardialem Monitoring. Bei weiterer Persistenz knnen Phenobarbital (LuminalJ, auch i.m. Gabe mglich; cave Ateminsuffizienz bei i.v. Gabe), Clomethiazol (DistraneurinJ Infusionslsung) oder Thiopental (TrapanalJ, cave Intubationsbereitschaft) angewendet werden. Dabei tragen die drei letztgenannten Substanzen zur Senkung eines erhhten Hirndrucks bei. Dauertherapie zur Prophylaxe weiterer Anfa¨lle: F F
Phenytoin (PhenhydanJ Tabletten, EpanutinJ) 3…5 100 mg p.o. tgl., Spiegelkontrollen, Carbamazepin (TegretalJ retard) 2 200…400 mg p.o. tgl., Spiegelkontrollen.
Die Erhaltungstherapie beginnt einschleichend unter Spiegelkontrollen und sollte in Absprache mit einem Neurologen erfolgen. Bei der Therapie mit Antikonvulsiva mssen die Interaktionen mit Cytochrom-P450-metabolisierten Substanzen beachtet und u.U. Dosiskorrekturen vorgenommen werden. Beispielsweise vermindern Dexamethason und Phenytoin gegenseitig ihre Serumspiegel! 5.2 Strahlentherapie Die Strahlentherapie ist die wichtigste Behandlungsoption bei Patienten mit symptomatischer Hirnmetastasierung. Die meisten Hirnmetastasen sprechen auf die Strahlentherapie an. Auch bei Metastasen von an sich wenig strahlensensiblen Tumoren (z.B. Nierenzellkarzinom) fhrt sie ber eine Reduktion des perifokalen dems hufig zur symptomatischen Besserung. Eine Ganzschdelbestrahlung ist technisch einfach durchzufhren und kann notfalls ohne Planung erfolgen mit einem Cobaltgert. Indikationen fr die Behandlung sind: F F
F
multiple Hirnfiliae, singulre Hirnmetastase, wenn diese neurochirurgisch nicht zugnglich ist oder wenn die extrakranielle Erkrankung des Patienten nicht kontrolliert werden kann, postoperative adjuvante Bestrahlung nach Resektion einer singulren Metastase.
Beginn der Bestrahlung mit hohen Einzeldosen (3…5 Gy/Tag); Gesamtstrahlendosis 30 Gy. Hhere Strahlendosen bis 50 Gy sind zwar technisch mglich, fhren in der palliativen Situation jedoch nicht zu einer Verbesserung der Gesamtprognose. Eine Prophylaxe des evtl. strahleninduzierten dems mit Dexamethason (Beginn mit z.B. 38 mg p.o. tglich) ist sinnvoll.
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
Die Mglichkeiten der stereotaktischen Bestrahlung sollten mit eingeplant werden. 5.2.1 Stereotaktische Bestrahlung
Zunehmende Bedeutung bei isolierten, nicht resektablen und bei polytopen, jedoch nicht diffusen Hirnmetastasen hat die stereotaktische Bestrahlung erlangt. Dabei erfolgt nach kernspintomographischer Einstellung die Applikation der vorgesehenen Strahlendosis exakt auf die Metastase. Dadurch kann eine deutlich hhere Strahlendosis als bei einer Ganzschdelbestrahlung verabreicht werden. Die stereotaktische Bestrahlung kann in Kombination mit einer Ganzschdelbestrahlung angewandt werden und verbessert die lokale intrazerebrale Tumorkontrolle im Hinblick auf Symptomatik und progressionsfreies berleben. Bei limitierter extrazerebraler Malignomerkrankung wird auch das berleben im Vergleich zur alleinigen Ganzschdelbestrahlung verbessert. Darber hinaus kann die stereotaktische Bestrahlung auch bei intrazerebraler Progression oder Rezidiven nach einer Ganzschdelbestrahlung eingesetzt werden. Als ideale Patienten fr eine stereotaktische Bestrahlung gelten junge Patienten in gutem Allgemeinzustand (Karnofski-Index 70%) mit limitierter und kontrollierter „peripherer“ Tumorerkrankung und mit ein oder zwei, maximal vier intrazerebralen Lsionen. Zu Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, belkeit oder Verschlechterung eines vorbestehenden neurologischen Defizits kommt es bei etwa 10% der Patienten (Boyd u. Mehta 1999; Kondziolka et al. 1999). 5.3 Chirurgie Bei einzelnen Patienten besteht die Indikation zur Resektion von Hirnmetastasen. In die Entscheidung zur Chirurgie mssen die Gesamtprognose des Patienten sowie die zu erwartenden neurologischen Defizite einbezogen werden. Im einzelnen ist ein neurochirurgisches Vorgehen indiziert F F
F
F
bei unbekanntem Prima¨rtumor und isolierter intrazerebraler Lokalisation (histologische Sicherung der Diagnose), bei Patienten mit singula¨rer Hirnmetastase und kontrollierter extrakranieller Erkrankung (hier konnte die berlegenheit der Operation, gefolgt von Strahlentherapie, im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie in zwei randomisierten Studien nachgewiesen werden), bei drohender oder manifester Verlegung der Ventrikeldrainage mit ausgeprgtem Hydrozephalus; hier entweder Resektion der obliterierenden Metastase oder Drainage, bis eine Strahlentherapie wirksam werden kann, bei isoliert zerebralem Rezidiv nach Metastasenresektion oder Bestrahlung (Einzelfallentscheidung).
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Intrakranielle Drucksteigerung/Hirno¨dem
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5.4 Chemotherapie Die Rolle der zytostatischen Chemotherapie bei Behandlung von Hirnmetastasen ist nicht klar definiert, und obwohl die Blut-Hirn-Schranke im Bereich der Metastasen gestrt ist und die Zytostatika nach zerebral penetrieren knnen, sind die Behandlungsergebnisse einer alleinigen Chemotherapie im allgemeinen schlecht (Lesser 1996). Bei bestimmten chemosensiblen Malignomen wie Mammakarzinom, kleinzelligem Bronchialkarzinom, Keimzelltumoren und Lymphomen knnen jedoch durch eine alleinige Chemotherapie Remissionsraten von 50% (Mammakarzinom) bis 75% (kleinzelliges Bronchialkarzinom) mit medianen berlebenszeiten von zehn Monaten erzielt werden (Franciosi et al. 1999). Ob moderne liquorgngige Zytostatika wie Temozolomid oder Topotecan die Ergebnisse der Chemotherapie weiter verbessern knnen, ist Gegenstand von Studien. Insgesamt hat die Chemotherapie zumindest bei Hirnmetastasen chemosensibler Tumoren eine nachgewiesene Aktivitt (Kristensen et al. 1992; Rosner et al. 1993) und sollte in das Gesamtbehandlungskonzept integriert werden, zumal eine Chemotherapie in der Regel zur Kontrolle der extrazerebralen Manifestationen erforderlich ist. Bei Rezidiven nach Radiatio stellt die Chemotherapie eine akzeptierte palliative Behandlungsmodalitt dar.
6 Prognose Das mittlere berleben eines Patienten diffuser zerebraler Metastasierung liegt unbehandelt bei etwa einem Monat und wird durch eine alleinige Glukokortikoidgabe auf zwei Monate verlngert. Durch eine Ganzschdelbestrahlung werden berlebenszeiten von 3…6 Monaten erzielt. Patienten mit einer isolierten intrakraniellen Metastase und limitierter extrakranialer Erkrankung knnen neurochirurgisch metastasektomiert werden und haben in Kombination mit einer Ganzschdelbestrahlung eine bessere Prognose mit medianen berlebenszeiten von 10…16 Monaten. ˜hnliches gilt fr die Option der stereotaktischen Bestrahlung. Darber hinaus hat die histologische Entitt Einflu auf die Prognose. So haben Patientinnen mit einem zerebral metastasierten Mammakarzinom eine bessere Prognose als Patienten mit kolorektalem Karzinom; bei Keimzelltumoren oder Lymphomen besteht im Rahmen des Gesamtbehandlungskonzeptes sogar ein kurativer Ansatz (Wen et al. 2001).
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
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18.3
Intrakranielle Drucksteigerung/Hirno¨dem
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18.4 Kompression des Spinalkanals N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
1 Epidemiologie und A¨tiologie Die metastatisch bedingte Rckenmarkskompression tritt bei etwa 5% aller Tumorpatienten auf und ist damit die zweithufigste neurologische Komplikation eines metastasierenden Tumorleidens. Die am hufigsten zu einer Kompression des Spinalkanals fhrenden Tumorentitten sind das Bronchialkarzinom, das Mammakarzinom und das Prostatakarzinom (zusammen fr ca. 60% aller Flle von Spinalkanalkompression verantwortlich). In den meisten Fllen tritt eine Kompression des Spinalkanals erst bei fortgeschrittener Tumorerkrankung auf; in ca. 10% ist die Kompression des Spinalkanals allerdings das Erstsymptom eines bis dahin unbekannten Tumorleidens! >
Die Kompression des Spinalkanals mit drohendem oder beginnendem Querschnittssyndrom stellt immer einen Notfall dar, der sofortige Diagnostik und unverzgliche Therapie erfordert.
Auch bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung sollte mit allen Mitteln versucht werden, eine manifeste Querschnittslhmung zu verhindern, da sie eine schwerwiegende Beeintra¨chtigung der Lebensqualita¨t darstellt. Ein diagnostischer oder therapeutischer Nihilismus ist hier auch bei Patienten mit nur begrenzter Lebenserwartung keinesfalls gerechtfertigt. In den meisten Fllen wird die Kompression des Spinalkanals durch einen von ventral auf das Knochenmark drckenden Tumor, ausgehend von einer Wirbelkrpermetastase oder von Tumor- und Knochenfragmenten nach Wirbelkrpersinterung, hervorgerufen. Bei einigen Tumorentitten mit ausgedehnten paraspinalen Lymphknotenmetastasen (Lymphome, Neuroblastome, Hodentumoren) kann es zum direkten Einwachsen des Tumors durch die Foramina intervertebralia ohne begleitende ossre Destruktion kommen. Intraspinale Metastasen sind relativ selten und kommen v.a. beim Bronchialkarzinom und beim Mammakarzinom vor. Die verschiedenen Bereiche der Wirbelsule werden mit unterschiedlicher Hufigkeit betroffen … in 10% die HWS, in 70% die BWS und in ca. 20% die LWS.
2 Pathophysiologie Die Kompression des Spinalkanals kann durch Tumorinfiltration per continuitatem, pathologische Frakturen von Wirbelkrpern, Tumorinvasion
18.4
Kompression des Spinalkanals
1127
durch die Neuroforamina oder durch eine intraspinale respektive leptomeningeale Metastasierung ausgelst werden. Dabei kommt es durch diese Prozesse zu einer intraspinalen Druckerhhung mit der Folge einer Kompression venser Gefe mit Herabsetzung des vensen Blutflusses bis zur Stase. Die Zirkulationsstrung bedingt eine relative Hypoxie und eine Steigerung der vaskulren Permeabilitt. Letztendliche Konsequenz ist ein intramedullres dem, wobei die dembildung bevorzugt in der weien Rckenmarkssubstanz abluft und erst wesentlich spter die graue Substanz betrifft (Siegel 1998). Durch weitere Erhhung des intraspinalen Drucks und Zunahme des dems kommt es zur Kompression der Rckenmarksarteriolen bis hin zum arteriellen Perfusionsausfall. Es entsteht ein Infarkt in der weien Rckenmarkssubstanz. Darber hinaus werden die vaskulren Prozesse durch verschiedene Zytokine, Mediatoren und Neurotransmitter getriggert, deren Gesamtbedeutung aktuell nicht vollstndig geklrt ist. Von besonderer Bedeutung sind jedoch das Prostaglandin E2, Glutamat und der vaskulre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF = vascular endothelial growth factor) (Steinbrech et al. 2000, Vaquero et al. 1999).
3 Symptomatik Fr eine erfolgreiche Therapie, d.h. eine Verhinderung von manifesten neurologischen Ausfllen, ist eine fru¨hzeitige Diagnose notwendig. Die Erfolgsaussichten der Therapiemanahmen werden ganz entscheidend von der Schwere und Dauer der bei Therapiebeginn vorliegenden neurologischen Ausflle bzw. Alterationen bestimmt. So erreichten z.B. in einer retrospektiven Analyse 67% der Patienten, die lediglich Schmerzen bei Therapiebeginn als einziges Symptom aufwiesen, aber nur 29%, bei denen bereits muskulre Schwchen oder Alterationen der Sphinkterfunktion aufgetreten waren, eine gute Symptomkontrolle. Der frhzeitigen Diagnostik kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu. Die wichtigsten Symptome sind: F
F F F F F
Schmerzen, oft in einem Wirbelkrper lokalisiert, die durch statische Belastung, Husten, Defkation (Bauchpresse) oder Drehbewegungen verstrkt werden, Radikulre Schmerzen (kontinuierlich oder einschieend), muskula¨re Schwa¨che und schnelle Ermdbarkeit, symmetrische, seltener einseitige Para¨sthesien und Sensibilittsstrungen, Sto¨rungen der Sphinkterfunktion von Blase und Rektum, motorische Ausfa¨lle (Sptsymptom!), die hufig rasch zur Paraplegie fortschreiten.
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
4 Diagnostik Bei Verdacht auf eine beginnende Kompression des Spinalkanals sind die ersten diagnostischen Manahmen eine ausfhrliche neurologische Untersuchung mit genauer Dokumentation des neurologischen Status (wichtiger Ausgangsbefund zur Verlaufsbeobachtung) sowie eine Rntgenaufnahme der Wirbelsule (ca. 70% der Flle gehen mit ossren Destruktionen einher). Fr eine adquate Therapieplanung ist eine genaue Darstellung der lokalen Verhltnisse einschlielich eventueller paraspinaler Tumormanifestationen notwendig. Hierbei ist zu bercksichtigen, da es sich beim metastatischen Befall der Wirbelsa¨ule ha¨ufig um ein multifokales Geschehen handelt. Es sollte daher eine Darstellung der gesamten Wirbelsule angestrebt werden, um Komplikationen an anderen, derzeit klinisch asymptomatischen Stellen vorbeugen zu knnen. >
Die sensibelste Methode ist derzeit die Kernspintomographie, die eine Darstellung der gesamten Wirbelsule ermglicht und nach Gadoliniumkontrastmitteldarstellung sensitiv zwischen epiduralen Tumormassen und Diskusherniation unterscheidet. Sensitivitt und Spezifitt liegen bei > 95% (St. Amour et al. 1994).
Nur bei negativer Kernspintomographie und persistierender neurologischer Symptomatik sind weitere Untersuchungen, in erster Linie CT Myelographie, indiziert. Die Rolle der Positronen-Emissions-Tomographie zur Detektion von Wirbelkrper- oder intraspinalen Metastasen ist aktuell Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.
5 Therapie Wichtig: Entgegen der bei Neurologen und Neurochirurgen herrschenden Meinung ist auch nach lnger dauernder Kompression des Spinalkanals eine neurologisch funktionelle Restitutio mglich, wenn die dekomprimierende Therapie erfolgreich war. Es entscheidet die Dynamik des klinischen Verlaufs. Bei akut einsetzender Kompression mu die Therapie innerhalb von 6…9 Stunden erfolgen, bei protrahierter Entwicklung ber mehrere Stunden bis Tage knnen selbst 7…14 Tage nach Beginn der Symptomatik einsetzende Manahmen erfolgreich sein (Husband 1998). 5.1 Allgemeines Der neurologische Status vor Einleitung der Therapie ist der entscheidende prognostische Faktor fr den spteren Therapieerfolg (nur ca. 10% der Patienten mit bereits manifester Paraplegie werden nach Therapie wieder ambulant fhrbar sein, gegenber 80% bei noch nicht eingetretener Para-
18.4
Kompression des Spinalkanals
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plegie). Patienten mit bereits manifester Strung der Sphinkterfunktion von Blase und Rektum haben ebenfalls eine schlechtere Prognose. Nach erfolgter Diagnostik mssen die erforderlichen therapeutischen Manahmen unverzglich eingeleitet werden, um eine weitere neurologische Schdigung zu verhindern. Im Prinzip stehen vier Therapieoptionen zur Verfgung, die je nach lokalem Befund, Tumorentitt, Vorbehandlung und Gesamtprognose des Patienten differenziert eingesetzt werden: F F F F
Chirurgie, als Laminektomie zur dorsalen Druckentlastung oder als Resektion des befallenen Wirbelkrpers mit gleichzeitiger Stabilisierung, Strahlentherapie, Chemotherapie bei ausgewhlten, hoch chemotherapiesensiblen Tumoren, v.a. bei Kindern, Kombination von Chirurgie, Strahlen- und/oder Chemotherapie.
Glukokortikosteroide
Mit Ausnahme von Patienten, bei denen lediglich ein radiologischer Nachweis einer Rckenmarkskompression ohne motorische und ohne sensorische Defizite besteht, ist eine Kortikosteroidbehandlung bei jeder metastatisch bedingten Kompression des Spinalkanals obligat! Insbesondere Dexamethason reduziert das intramedullre dem und inhibiert die Prostaglandin-E2-Synthese, wodurch die neurologische Symptomatik positiv beeinflut und das Auftreten einer prognostisch ungnstigen Paraplegie verzgert wird. Dabei ist initial hochdosiertes Dexamethason (100 mg Dexamethason i.v. sofort bei Diagnose bzw. Verdacht, dann 100 mg i.v. tglich fr 3 Tage, dann Reduktion auf eine konventionelle Dosis von 4 4 mg oder 3 8 mg tglich) nicht effektiver als konventionell dosiertes Dexamethason (10 mg i.v. initial, gefolgt von 4 4 mg oder 3 8 mg tglich). Beide Dexamethasonprotokolle verbessern jedoch die Prognose im Vergleich zu einer Behandlung ohne Kortikoid. Auch konnte durch randomisierte Studien belegt werden, da Patienten, die zu Beginn einer Bestrahlung hohe Dosen von Dexamethason erhielten (gefolgt von schrittweiser Reduktion), eine signifikant bessere neurologische Funktion zeigten als Patienten, die nur bestrahlt wurden (Vecht et al. 1989, Sorenson et al. 1994). 5.2 Chirurgie Die Chirurgie ist die effektivste Modalitt, wenn es um eine rasche Druckentlastung des Myelons geht. Sie sollte immer als primre Therapiemanahme einer metastatisch bedingten Rckenmarkskompression angesehen werden. Eine chirurgische Intervention ist primr indiziert bei:
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F F F F
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
Patienten mit rasch progredienter neurologischer Symptomatik, Patienten mit Wirbelkrperfraktur, bei denen die Kompression des Rckenmarks durch in den Spinalkanal verschobene Knochenfragmente bedingt ist, Patienten mit neurologischer Verschlechterung unter Strahlentherapie oder Rezidiv nach vorangegangener Strahlentherapie, Patienten mit ausgeprgter Instabilitt der Wirbelsule, Patienten mit epiduralen Metastasen, Patienten, bei denen die Spinalkompression die Erstmanifestation eines bislang unbekannten Tumorleidens ist (Sicherung der histologischen Diagnose).
Die berlegenheit einer dekomprimierenden Tumorresektion (Tumorresektion respektive Wirbelkrperresektion mit Stabilisierung), gefolgt von einer Bestrahlung mit 30 Gy, im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie wurde von Patchell et al. (2003) durch eine randomisierte Studie belegt. Dabei war die Zeit, in der die Patienten ambulant gefhrt werden konnten, signifikant lnger im chirurgischen Behandlungsarm (Median 126 vs. 35 Tage). Von den bereits paretischen Patienten waren nach chirurgischer Intervention 56% wieder ambulant behandelbar im Vergleich zu 19% bei alleiniger Radiotherapie. Bezglich des Gesamtberlebens war der Vorteil nach primrer chirurgischer Intervention nicht signifikant (Median 129 vs. 100 Tage). Verschiedene Operationsverfahren stehen zur Verfgung. Wirbelko¨rperresektion mit Stabilisierung
Bei Kompression des Spinalkanals durch einen metastatisch befallenen Wirbelkrper (ber 80% aller Flle) ist die Resektion des betroffenen Wirbelkrpers mit nachfolgender Stabilisierung der Wirbelsule die einzige kausale Therapie. Neuere Studien von Sundaresan und Siegal (Sundaresan 1991; Siegal u. Siegal 1985, 1989) belegen, da die Resektion des befallenen Wirbelkrpers einer Laminektomie berlegen ist, wenn die lokalen Voraussetzungen fr eine Stabilisierung gegeben sind (nicht mglich bei Destruktion mehrerer benachbarter Wirbelkrper). >
Daher sollte die Wirbelkrperresektion bei allen geeigneten Patienten vor einer Laminektomie angestrebt werden.
Laminektomie
Bei der Laminektomie wird eine Dekompression des Ru¨ckenmarks durch Entfernung der Wirbelbogen in Hhe des befallenen Wirbels sowie der angrenzenden Wirbel angestrebt. Die Laminektomie ist eine adquate Manahme bei Tumoren, die von den Wirbelbogen oder den Dornfortstzen
18.4
Kompression des Spinalkanals
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ausgehen. Bei der Mehrzahl der Flle liegt jedoch eine von ventral wirkende Kompression vor. Hier fhrt die dorsale Druckentlastung nur in ca. 20% der Flle zu einer neurologischen Besserung. Bei einigen Patienten kann es aufgrund einer Verstrkung der Wirbelsuleninstabilitt sogar zu einer Verschlechterung der neurologischen Funktionen nach Laminektomie kommen. Da in der Regel keine komplette Ausrumung des Tumors durch die Chirurgie erfolgt, mu bei allen operierten Patienten eine Nachbestrahlung der betroffenen Regionen durchgefhrt werden. Perkutane Vertebroplastie
Bei einer perkutanen Vertebroplastie handelt es sieh um ein Verfahren zur Stabilisierung und „Wiederaufrichtung“ kollabierter Wirbelkrper mittels „Zementinjektion“. Dabei erfolgen unter computertomographischer Kontrolle die Punktion des gesinterten Wirbelkrpers und die Injektion von Methyl-Methacrylat (acrylischer Zement). Dieses Verfahren wird als Elektiveingriff zur Stabilisation und Schmerztherapie bei Wirbelkrperfrakturen oder zur Prvention einer Wirbelkrperfraktur bei massiver metastatischer Destruktion durchgefhrt und fhrt in etwa 85% der Tumorpatienten zu guten Ergebnissen. In der Akutsituation mit neurologischer Symptomatik kommt diesem Verfahren aktuell jedoch keine Bedeutung zu (Gangi et al. 2003). 5.3 Strahlentherapie Die Strahlentherapie ist ebenfalls eine effektive Therapie bei Metastasierung in der Wirbelsule, v.a. wenn sie vor der Manifestation von neurologischen Ausfllen eingesetzt wird (Maranzano et al. 1995). Die Ziele der Strahlentherapie sind die Dekompression des Spinalkanals, Tumormassenreduktion, Schmerzreduktion und die Prvention neurologischer Symptomatik. Eine Indikation fr eine primre Strahlentherapie besteht bei: F F
F
metastatischem Befall von Wirbelkrpern ohne wesentliche neurologische Ausflle oder Instabilitt, bei sehr strahlensensiblen Tumoren (Lymphome, Myelom, Seminom) auch bei neurologischen Ausfllen (erst bei Verschlechterung der neurologischen Befunde unter Bestrahlung sollte bei diesen Entitten die Chirurgie eingesetzt werden), als konsolidierende Manahme nach inkompletter Resektion oder Laminektomie.
Bestrahlungstechnik: Ausdehnung des Strahlenfeldes auf je 1…2 Wirbelkrper
ober- und unterhalb der Lsion. Beginn in der Regel mit hohen Einzeldosen (3 Gy/Tag fr 3…4 Tage); dann konventionelle Fraktionierung.
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Effizienz: Die Strahlentherapie bewirkt in ca. 70% eine Besserung der Schmerzsymptomatik und in bis zu 60% die Verbesserung motorischer Funktionen. Eine manifeste Paraplegie ist jedoch nur in 10…20% der Flle reversibel, aber es besteht zumindest immer die grundstzliche Mglichkeit der Reversibilitt auch noch nach lngerer Zeit!
5.4 Chemotherapie Nur in Ausnahmefllen besteht die Indikation fr eine alleinige primre Chemotherapie. Sie kann vor allem bei Kindern, bei denen eine Bestrahlung zu schwerwiegenden Beeintrchtigungen des Wachstums fhren wrde, und bei sehr chemotherapiesensiblen Tumoren (Ewing-Sarkom, Rhabdomyosarkom, Lymphom) unter engmaschiger neurologischer Kontrolle eingesetzt werden. Bei Erwachsenen wird die Chemotherapie hufig parallel oder nach der Bestrahlung eingesetzt sowie alleinig bei vorbestrahlten, nicht operablen Patienten mit chemosensiblen Tumoren (z.B. Hodgkin-, Non-Hodgkin-Lymphome, kleinzelliges Bronchialkarzinom, Keimzelltumoren, Mammakarzinom, Myelom). Literatur Arbit E, Galicich JH (1995) Vertebral body reconstruction with a modified Harrington rod distraction system for stabilization of the spine affected with metastatic disease. J Neurosurg 83:617 Avrahami E, Tadmor R, Dally O, Hadar H (1989) Early MR demonstration of spinal metastases in patients with normal radiographs and CT and radionuclide bone scans. J Comput Assist Tomogr 13:598 Bach F, Agerlin N, Sorensen JB et al (1992) Metastatic spinal cord compression secondary to lung cancer. J Clin Oncol 10:1781 Boogerd W, van der Sande JJ (1993) Treatment of complications: diagnosis and treatment of spinal cord compression in malignant disease. Cancer Treat Rep 19:129 Gangi A, Guth S, Imbert JP et al (2003) Percutaneous vertebroplasty: indication, techniques and results. Radiographics 23(2):E10 Grant R, Papadopoulos SM, Sandler HM, Greenberg HS (1994) Metastatic epidural spinal cord compression: current concepts and treatment. J Neurooncol 19:79 Husband DJ (1998) Malignant spinal cord compression: prospective study of delays in referral and treatment. Br Med J 317:18 Jordan JE, Donaldson SS, Enzmann DR (1995) Cost effectiveness and outcome assessment of magnetic resonance imaging in diagnosing cord compression. Cancer 75:2579 Kato A, Ushio Y, Hayakawa T et al (1985) Circulatory disturbance of the spinal cord with epidural neoplasm in rats. J Neurosurg 63:260 Loblaw DA, Laperriere NJ (1998) Emergency treatment of malignant extradural spinal cord compression: An evidence based guideline. J Clin Oncol 16:1613…1624
18.4
Kompression des Spinalkanals
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18.5 Obere Einflußstauung – Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS) N. Schleucher, H.-J. Schmoll, A. Harstrick
1 Definition und Epidemiologie Das Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS) wird durch eine Abflubehinderung in der Vena cava superior hervorgerufen. Pathophysiologisch liegt dieser Abflubehinderung entweder eine Thrombose der V. cava (intraluminale Obstruktion) oder eine Kompression von auen zugrunde. Komplizierend kann die Kompression eine Kavathrombose induzieren. ber 80% der Flle von VCSS werden durch einen malignen Proze im Mediastinum hervorgerufen. An der Spitze steht hier mit 70% das Bronchialkarzinom (4% aller Bronchialkarzinome fhren im Verlauf der Erkrankung zu einem VCSS), gefolgt von hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen (1…2% aller NHL fhren zum VCSS), Thymomen, mediastinalen Keimzelltumoren sowie Metastasen in den mediastinalen Lymphknoten (v.a. bei Mammakarzinom). In 50…60% der Flle ist das Vena-cava-superior-Syndrom das erste Symptom eines bis dahin unbekannten Tumorleidens (v.a. beim kleinzelligen Bronchialkarzinom). Die wichtigste nichtonkologische Ursache fr ein VCSS sind durch zentrale Venenkatheter oder Schrittmacherkabel induzierte Thrombosen. Eine katheterinduzierte Thrombose mu daher bei allen onkologischen Patienten, bei denen ein zentraler Venenkatheter gelegt wurde, differentialdiagnostisch in Betracht gezogen werden.
2 Symptomatik Die Symptomatik des VCSS entwickelt sich in der Regel langsam und progredient, sehr selten akut. Die Verlegung der Strombahn der V. cava superior durch Thrombose oder Kompression fhrt zu einer Drucksteigerung in den Venen des Kopfes, der oberen Extremitten und der Thoraxapertur mit charakteristischer Symptomatik: F F F F
dilatierte Venen im Kopf-, Hals- und Thoraxbereich (50%), Plethora, zervikofasziales dem (56%), ¨ dem der oberen Extremitt (8%), O selten ZNS-Symptomatik infolge intrakranieller Drucksteigerung (Kopfschmerzen, Schwindel, Stupor, Krampfanfall etc.). Hufig treten zustzlich Symptome durch den progredienten mediastinalen Tumor auf:
18.5 F F F F
Obere Einflußstauung – Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS)
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Dyspnoe/Tachypnoe (65%), Reizhusten (24%), thorakale Schmerzen (20%), Dysphagie (9%).
3 Diagnostik Nur in wenigen Ausnahmefllen mu bei bedrohlicher Obstruktion der Atemwege mit beginnender respiratorischer Insuffizienz beim Vena-cavasuperior-Syndrom unverzu¨glich eine Therapie eingeleitet werden. Bei allen Patienten, bei denen das VCSS das Erstsymptom einer bisher nicht diagnostizierten malignen Erkrankung ist, sollte vor Beginn einer jeglichen Therapie (auch Steroidtherapie!) wegen der weitreichenden therapeutischen Konsequenzen eine histologische Diagnosesicherung erfolgen. Wenig invasive diagnostische Manahmen sind Sputumzytologie, Bronchoskopie mit Biopsie, Probeexzision von palpablen supraklavikulren oder zervikalen Lymphknoten sowie CT-gesteuerte Punktion. Erst wenn diese Manahmen nicht zur Klrung der Histologie fhren, sollten invasive Manahmen wie Mediastinoskopie oder in Ausnahmefllen eine Probethorakotomie erwogen werden. Entgegen lteren Befrchtungen sind auch diese invasiven diagnostischen Eingriffe bei Vena-cava-superior-Syndrom nicht mit einer erhhten Komplikationsrate assoziiert. Insgesamt sollten jedoch nicht mehr als 3 bis maximal 5 Tage bis zur Einleitung der Therapie vergehen. An bildgebenden Verfahren ist neben der konventionellen Rntgenaufnahme des Thorax ein hochauflsendes Computertomogramm mit Kontrastmittelbolus zur Beurteilung der lokalen Verhltnisse notwendig (Yedlicka et al. 1989). Bei dieser Untersuchung mu besonders auf eine Infiltration der Nachbarorgane, insbesondere der Trachea, Bronchien und des Spinalkanals, geachtet werden, um drohenden lokalen Komplikationen gezielt vorbeugen zu knnen. Eine Kernspintomographie mit dreidimensionaler Gefrekonstruktion ist in der Regel nicht erforderlich. Das MRT bietet jedoch Vorteile bei gleichzeitiger Infiltration des Tumors in den Spinalkanal (Bigsby et al. 1993).
18 4 Therapie 4.1 Chirurgie Fr die primre Chirurgie besteht beim Vena-cava-superior-Syndrom mit Ausnahme der Histologiegewinnung keine Indikation. >
Nie sollte der Versuch unternommen werden, einen mediastinalen, mit Vena-cava-superior-Syndrom einhergehenden Tumor komplett zu resezieren.
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
Diese Eingriffe fhren praktisch niemals zu einer kompletten Entfernung des Tumors, gehen aber hufig mit einer hohen Rate an schweren Komplikationen einher. Nach Versagen einer Chemo- und Strahlentherapie knnen jedoch chirurgische Manahmen wie die Anlage eines Bypasses oder eine Vena-cavaTeilresektion mit entsprechender Prothetik im Rahmen von Individualentscheidungen diskutiert werden. Ziel solcher Manahmen ist jedoch lediglich eine palliative Symptomreduktion und keine onkologiegerechte Resektion. 4.2 Strahlentherapie Die Strahlentherapie mit initial hohen Strahlendosen (3…4 Gy/Tag fr die ersten 3…4 Tage), gefolgt von einer konventionellen Fraktionierung (1,5 bis 2 Gy/Tag) bis zu einer Gesamtdosis von 50…70 Gy … je nach Histologie … ist eine hocheffektive Manahme beim Vena-cava-superior-Syndrom (Armstrong et al. 1987). Sie ist indiziert: F
F F F
F
F
als sofortige Notfalltherapie bei allen Patienten mit VCSS und vital bedrohlicher Obstruktion der Atemwege (auch vor einer histologischen Diagnose), bei Patienten, bei denen trotz intensiver Bemhungen eine histologische Diagnose nicht herbeigefhrt werden kann, als Therapie der Wahl bei Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom, als initiale Therapie bei allen Patienten mit mediastinalen Lymphknotenmetastasen, die von wenig chemotherapiesensiblen Primrtumoren ausgehen (z.B. Nierenzellkarzinom), als konsolidierende Manahme bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom und hochmalignem Non-Hodgkin-Lymphom nach Abschlu der Chemotherapie, bei Progression oder unzureichendem Ansprechen auf eine initiale Chemotherapie.
4.3 Chemotherapie Eine initiale Chemotherapie bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom, hochmalignem Non-Hodgkin-Lymphom oder Keimzelltumoren ist der primren Strahlentherapie zumindest ebenbrtig oder sogar berlegen. Bei ber 70% der Patienten fhrt eine aggressive Chemotherapie bei diesen Entitten zu einem raschen (innerhalb von 7…14 Tagen) Rckgang des VCSS (Dombernowsky u. Hanssen 1978). Bei mnnlichen, unter 50 Jahre alten Patienten mit undifferenziertem Karzinom und nicht nachweis-
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Obere Einflußstauung – Vena-cava-superior-Syndrom (VCSS)
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barem Primrtumor (UCUP, „undifferentiated carcinoma of unknown primary“), bei denen das Vorliegen eines primren Keimzelltumors nicht auszuschlieen ist, ist eine primre cisplatinhaltige Chemotherapie (z.B. PEI) indiziert. Gegenber einer sofortigen Strahlentherapie liegt der Vorteil der initialen Chemotherapie darin, da nach Ansprechen auf die Chemotherapie das Strahlenfeld bei der konsolidierenden Bestrahlung deutlich verkleinert werden kann und so weniger Lungengewebe bestrahlt werden mu. Sollte eine initiale Chemotherapie bei den oben genannten Tumorentitten nicht nach sptestens 14 Tagen zu einer Besserung des VCSS fhren, besteht auch hier die Indikation zur Einleitung einer Strahlentherapie. 4.4 Stent-Implantation Die perkutane Implantation von expandierenden Metallstents ist eine neue, sehr effektive symptomatische Manahme, deren Platz im Gesamtkonzept der Behandlung der VCSS noch zu definieren ist. Nach vorliegenden Daten fhrt die Insertion eines expandierenden Stents bei 65…95% der Patienten zu einer vollstndigen oder guten partiellen Rckbildung der Symptome bei relativ niedriger Rate an Komplikationen. Daher sollte v.a. bei Patienten mit deutlicher klinischer Symptomatik oder nur ungengendem Ansprechen auf Chemo- bzw. Strahlentherapie frhzeitig eine Stentimplantation erwogen werden. Eine zeitlich limitierte Antikoagulation nach Stentimplantation scheint notwendig zu sein (Courtheoux et al. 2003; Hochrein et al. 1998). 4.5 Allgemeine Maßnahmen Neben den spezifischen Therapiemanahmen knnen einige flankierende Manahmen bei allen Fllen von VCSS eingesetzt werden: F F F F
O2-Zufuhr, Lagerung des Patienten mit erhhtem Oberkrper, vorsichtige Gabe von Diuretika (eine zu forcierte Diurese ist wegen der steigenden Thrombosegefahr zu vermeiden), Glukokortikoide (z.B. Prednison 100 mg p.o. oder Dexamethason 3mal 8mg p.o.) fhren zu einer Reduktion der entzndlichen Schwellung und vermindern die inflammatorische Reaktion nach Strahlentherapie.
Der Wert einer prophylaktischen Antikoagulation mit Heparin ist bislang nicht eindeutig gesichert, allerdings kann eine Heparintherapie zumindest bei Patienten mit im Vordergrund stehender Thrombose erwogen werden (Adelstein et al. 1988). ber eine thrombolytische Therapie beim tumorbedingten Vena-cava-superior-Syndrom liegen nur limitierte Erfahrungen vor; angesichts des in der Regel ausgedehnten Tumorleidens mu die Indi-
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
kation zur thrombolytischen Therapie unter Abwgung von Effektivitt und Risiko individuell gestellt werden (Kee et al. 1998).
5 Prognose Die Prognose von Patienten mit VCSS wird durch die zugrundeliegende Malignomerkrankung bestimmt. Patienten mit Lymphomerkrankungen oder Metastasen eines Keimzelltumors haben eine bessere Prognose als Patienten mit einem Bronchialkarzinom. Bei Lymphomen wird die Prognose durch die zugrundeliegende Histologie und das Stadium bestimmt, whrend Patienten mit einem Bronchialkarzinom als Ursache des VCSS im Median 3…5 Monate berleben. Literatur Adelstein DJ, Hines JD, Carter SG, Sacco D (1988) Thrombembolic events in patients with malignant superior vena cava syndrome and the role of anticoagulation. Cancer 62:2258…2262 Armstrong BA, Perez CA, Simpson JR, Hederman MA (1987) Role of irradiation in the management of superior vena cava syndrome. Int J Radiat Oncol Biol Phys 13:531ff. Bigsby R, Greengrass R, Unruh H (1993) Diagnostic algorithm for acute superior vena cava obstruction. J Cardiovasc Surg 34:347…350 Courtheoux P, Alkofer B, Al-Refai M (2003) Stent placement in superior vena cava syndrome. Ann Thorac Surg 75:158…161 Dombernowsky P, Hanssen HH (1978) Combination chemotherapy in the management of superior vena caval obstruction in small-cell anaplastic carcinoma of the lung. Acta Med Scand 204:513…516 Hochrein J, Bashove TM, O’Laughlin MP, Harrison JK (1998) Percutaneous stenting of superior vena cava syndrome. Am J Med 104:78…84 Kee ST, Kinoshita L, Razavi MK (1998) Superior vena cava syndrome: Treatment with catheter-directed thrombolysis and endovascular stent placement. Radiology 206:187…193 Nieto AF, Doty DB (1986) Superior vena cava obstruction: Clinical syndrome, etiology and treatment. Curr Probl Cancer 10:442ff. Sculier JP, Evans WK, Feld R et al (1986) Superior vena cava obstruction in small cell lung cancer. Cancer 57:847ff. Tanigawa N, Sawada S, Mishimi K (1998) Clinical outcome of stenting in superior vena cava syndrome associated with malignant tumors: comparison with conventional treatment. Acta Radiol 39:669…674 Yedlicka JW, Schultz K, Moncada R, Flisak M (1989) CT findings in superior vena cava obstruction. Sem Roentgenol 24:84…90
18.6 Intensivmedizinische Versorgung von Tumorkranken F. Kroschinsky, U. Schuler
1 Einleitung Die Einfhrung neuer und intensivierter Behandlungsverfahren sowie die Optimierung von Supportivmanahmen haben die Prognose von Tumorkranken in den zurckliegenden Jahren merklich verbessert. Beeintrchtigt werden diese Behandlungserfolge durch eine Zunahme krankheits- bzw. therapieassoziierter Komplikationen, die nicht selten eine intensivmedizinische Betreuung erfordern. Bei Eintreten einer lebensbedrohlichen Organfunktionsstrung wird oft davon ausgegangen, da sich eine maligne Grunderkrankung per se prognostisch ungnstig auf die kritische Situation auswirke. Die Betreuung von Tumorpatienten auf einer Intensivstation bindet erhebliche technologische, personelle und finanzielle Ressourcen, weswegen sich die Entscheidungsfindung ber die Verlegung dorthin oft im Spannungsfeld zwischen medizinischen, ethischen und juristischen Aspekten einerseits und Kosten-Nutzen-Erwgungen andererseits abspielt. Insbesondere die Indikation zur Beatmung wird zwischen Intensivmedizinern und den die Grunderkrankung behandelnden Onkologen oft kontrovers diskutiert. Zur Erhebung objektiver Daten hinsichtlich Akutmortalitt, Langzeitberleben und Prognosefaktoren wurden in den 80er und 90er Jahren mehrere, ganz berwiegend retrospektive Studien durchgefhrt, wobei der Fokus besonders auf dem Outcome von Patienten lag, die nach einer hmatopoetischen Stammzelltransplantation (HSZT) beatmet werden muten. Die Angaben zur Inzidenz intensivtherapiepflichtiger Komplikationen nach HSZT wird mit 24…40% angegeben, bei 18…36% der Transplantierten ist eine invasive Beatmung erforderlich (Rubenfeld u. Crawford 1996). Aufgrund der dezentralisierten und teils ambulanten Betreuung von konventionell behandelten Tumorpatienten gibt es in der Literatur keine verllichen Angaben zur Hufigkeit einer Intensivtherapie in dieser Gruppe.
2 Ursachen einer kritischen Organdysfunktion bei Tumorpatienten Die Ursachen einer intensivpflichtigen Organdysfunktion bei Tumorpatienten sind vielfltig. In einer retrospektiven Auswertung von 414 Patienten mit soliden und hmatologischen Malignomen (Staudinger et al. 2000; s. Abb. 1) zeigten sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der ITS-Aufnahmediagnosen. Bei Patienten mit soliden Tumoren war die Aufnahme
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
zum postoperativen Monitoring hufigster Aufnahmegrund, wohingegen Patienten mit Leukmien oder malignen Lymphomen bzw. nach Stammzelltransplantation berwiegend wegen einer pulmonalen Funktionsstrung bzw. bedrohlicher Blutungskomplikationen verlegt werden muten. Sieht man von einer meist routinemig veranlaten postoperativen berwachung ab, ist der hufigste Grund einer Verlegung zur Intensivtherapiestation die respiratorische Insuffizienz. Poletti et al. (2000) fhrten als Ursache hierfr spezifische anatomische und funktionelle Charakteristika der Lungen an (Tabelle 1).
Abb. 1. Aufnahmediagnosen auf Intensivstationen (in%) bei 414 Tumorpatienten mit soliden Tumoren, Leuka¨mien, malignen Lymphomen bzw. nach Stammzelltransplantation (nach Staudinger et al. 2000)
18.6
Intensivmedizinische Versorgung von Tumorkranken
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Tabelle 1. Organspezifische Faktoren, welche die Entwicklung pulmonaler Komplikationen bei Patienten mit ha¨matologischen Neoplasien begu¨nstigen (nach Poletti et al. 2000) *
Anwesenheit einer Vielzahl von ruhenden oder proliferierenden Entzu¨ndungszellen in Lungenstrombahn und Lungenparenchym, die mikrobizide und gewebetoxische Substanzen freisetzen
*
ausgepra¨gte Retention und Adha¨sion von polymorphkernigen Leukozyten (PMNs) in den Lungenkapillaren sowie spa¨tere Migration in Parenchym und Alveolen infolge Einwirkung von Selektinen (P- und L-Selektine), Adha¨sionsmoleku¨len (ICAM-1, VCAM-1) und Integrinrezeptoren (LFA-1, Mac-1)
*
gute Erreichbarkeit der Lungen fu¨r pathogene Agenzien u¨ber die Luftwege und das Gefa¨ßsystem
*
Modifikation (Versta¨rkung oder Abschwa¨chung) der Auspra¨gung entzu¨ndlicher bzw. immunologischer Reaktionen im Lungenparenchym infolge Medikamenten- oder Strahlentoxizita¨t, Immundefizienz oder Anwesenheit immunmodulierender Viren wie Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV) oder humanes Immundefizienzvirus (HIV)
*
distinkte anatomische Struktur und Funktion des Lungenparenchyms (Interaktionen zwischen belu¨fteten Geweben und Lungenstrombahn)
*
u¨berschießende Alloreaktivita¨t immunkompetenter Zellen nach allogener Stammzelltransplantation
In einer Analyse von 89 Patienten mit pulmonalen Komplikationen unter Therapie einer Hmoblastose, darunter 52 Patienten nach HSZT, war die pulmonale Dysfunktion in 42% der Flle Folge einer Infektion, zu 27% nichtinfektiser Genese, und bei 31% der betroffenen Patienten blieb die ˜tiologie unklar (Ewig et al. 1998). Die Infektionen wurden in 30% durch bakterielle Erreger und zu je 20% durch Pilze oder Zytomegalieviren (CMV) verursacht; weitere 27% waren Mischinfektionen. Als nichtinfektise Schdigungsmechanismen spielen zytotoxische Einflsse einer durchgefhrten Chemotherapie bzw. Bestrahlung mit der Folge eines diffusen Alveolarschadens eine bedeutende Rolle. Bei Patienten nach einer allogenen HSZT ist differentialdiagnostisch an eine pulmonale Schdigung durch alloreaktive T-Lymphozyten zu denken, insbesondere wenn gleichzeitig Zeichen einer kutanen oder viszeralen Graft-versus-Host-Disease (GvHD) bestehen. Die Bedeutung der ˜tiologie fr die Mortalitt infolge einer pulmonalen Dysfunktion wird unterschiedlich bewertet. Whrend in der bereits erwhnten Untersuchung von 89 Patienten mit pulmonalen Komplikationen im Rahmen hmatologischer Neoplasien die Sterblichkeit bei mikrobiologisch gesicherter Infektion mit 87 gegen 63% erhht war (Ewig et al. 1998), belegte eine andere Studie mit 38 Transplantationspatienten eine reduzierte Sterblichkeit bei nachgewiesenem Erreger (Gruson et al. 1999). Letzteres erscheint aufgrund der optimierbaren Auswahl antimikrobieller
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Substanzen auch durchaus plausibel, jedoch blieben in einer krzlich mitgeteilten Arbeit Keimnachweis und Therapieumstellung bei 25 immunsupprimierten Patienten ohne Einflu auf das berleben (Murray et al. 2001). Gegenber den obengenannten Ursachen ist die Aufnahme von Patienten mit onkologischen Notfllen im engeren Sinne (Vena-cava-superior-Syndrom, Tumorlyse u.a.) auf Intensivstationen eher selten.
3 Akutmortalita¨t und Prognosefaktoren Die durchschnittliche Hospitalmortalitt intensivpflichtiger Tumorpatienten wird in der jngeren Literatur mit 32 bis 65% (Groeger et al. 1998; Kress et al. 1999; Staudinger et al. 2000; Maschmeyer et al. 2003) angegeben. Gegenber Berichten ber vergleichbare Patientenkollektive aus den 80er Jahren ist damit ein Trend zur Verbesserung festzustellen. Als Ursachen hierfr werden neben Patientenselektion u.a. eine effektivere Infektionsprophylaxe, der Einsatz hmatopoetischer Wachstumsfaktoren und optimierte Supportiv- und Intensivtherapiemanahmen, insbesondere vernderte Beatmungsstrategien, diskutiert. Die Behandlungsergebnisse sind erheblich von der Zusammensetzung der untersuchten Patientengruppe abhngig. So finden sich in Arbeiten mit einem hohen Anteil postoperativ berwachter Patienten sehr niedrige Mortalittsraten, wohingegen die Sterblichkeit bei beatmeten HSZT-Patienten mit Multiorgandysfunktion nahezu 100% erreicht. Zum Vergleich: Die Hospitalmortalitt von kardiochirurgischen Patienten, die aufgrund eines hheren Risikoprofils einer prolongierten Intensivtherapie bedrfen, wird in einer krzlich erschienenen Studie mit 35% angegeben; die Sterblichkeit von Patienten auf Intensivstationen, die im Rahmen nichtmaligner Erkrankungen > 12 Stunden maschinell beatmet werden mssen, liegt bei ca. 30%. In mehreren Studien wurde versucht, den Einflu verschiedener krankheits- und therapieassoziierter Faktoren auf die Prognose zu bestimmen. Wie bereits erwhnt, fhrt die Notwendigkeit einer invasiven maschinellen Beatmung zu einer dramatischen Erhhung der Mortalittsraten auf 70 bis 95%, demgegenber gibt es zum Einflu der Beatmungsdauer auf die Mortalitt unterschiedliche Ergebnisse. Gesichert ist auch der negative prognostische Einflu einer Kreislaufdepression sowie weiterer Organfunktionsstrungen. In der Studie von Rubenfeld und Crawford (1996) fanden sich keine berlebenden unter 398 HSZT-Patienten mit respiratorischer Insuffizienz, Katecholaminbedarf fr mehr als 4 Stunden sowie zustzlicher Leber- und/oder Nierenfunktionsstrung. Demgegenber lag in dieser Arbeit die Mortalitt der Patienten mit ausschlielicher Respiratortherapie lediglich bei 67%.
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Intensivmedizinische Versorgung von Tumorkranken
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Whrend die Aussicht von allogen transplantierten Patienten, eine Intensivtherapie zu berstehen, einheitlich als ungnstig bewertet wird, gibt es zum Einflu einer autologen Transplantation unterschiedliche Aussagen. Zum einen wurden fr diese Patientengruppe Behandlungsergebnisse hnlich denen nach konventioneller Chemotherapie erzielt, andere Studien zeigten eine Mortalitt vergleichbar der nach einer allogenen HSZT (Groeger et al. 1998; Kress et al. 1999; Ewig et al. 1998). Auch Art und Ausbreitung der malignen Grunderkrankungen beeinflussen den Ausgang einer erforderlichen Intensivtherapie. Mehrere Arbeiten zeigten ein schlechteres Outcome von Patienten mit hmatologischen Neoplasien im Vergleich zu soliden Tumoren, innerhalb der letztgenannten Gruppe schnitten wiederum die Patienten mit metastasierten Erkrankungen schlechter ab. Darber hinaus ist das Vorliegen einer rezidivierten oder progredienten Erkrankung als prognostisch ungnstig anzusehen, verglichen mit neu diagnostizierten oder in Remission befindlichen Tumoren (Groeger et al. 1998; Staudinger et al. 2000). Demographische Faktoren wie Lebensalter und Geschlecht hatten in der Mehrzahl der vorliegenden Studien keinen oder nur marginalen Einflu auf den Ausgang einer Intensivtherapie. Seitens labordiagnostischer Parameter wurde v.a. die Bedeutung einer Neutropenie untersucht, auch hier sind die Ergebnisse uneinheitlich. Auf die Bedeutung der Dauer einer Neutropenie weist eine Analyse von 157 beatmeten Leukmie- bzw. HSZT-Patienten hin (Epner et al. 1996), in der alle Patienten, die lnger als 30 Tage neutropen waren, verstorben sind. Haire et al. (1998) konnten zeigen, da erniedrigte Konzentrationen von AT III bzw. Protein C bei Patienten nach HSZT Prdiktoren einer Organdysfunktion sind und eine frhe Substitution von AT III die Schwere einer Multiorgandysfunktion reduziert. Auch zwischen der maximalen Erhhung des C-reaktiven Proteins und der Inzidenz von schweren Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation wie der venookklusiven Erkrankung (VOD), endothelialem Leck-Syndrom, Pneumonitis und GvHD wurde ein Zusammenhang nachgewiesen (Schots et al. 1998). Die prognostische Bedeutung von AT III und CRP konnte von uns auch fr intensivpflichtige Patienten mit Hmoblastosen nach konventioneller Chemotherapie und nach autologer Stammzelltransplantation besttigt werden (Kroschinsky et al. 2002).
4 Langzeitergebnisse Neben der Akutmortalitt ist zur Beurteilung des Nutzens einer Intensivtherapie die Betrachtung des langfristigen berlebens ein wichtiger Parameter. Daten hierzu existieren wiederum vor allem fr die prognostisch besonders ungnstige Gruppe beatmungspflichtiger Patienten nach Stammzelltransplantation. In sechs Studien mit insgesamt 1788 Patienten ber-
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lebten im Median 4,5% der Patienten 6 Monate, mit einer Spannbreite von 2,9 bis 15,2% (Bach et al. 2001). Fr die Gruppe der nicht beatmungspflichtigen HSZT-Patienten und fr konventionell behandelte Tumorpatienten sind die Angaben zum langfristigen berleben weniger valide. Im gemischten onkologischen Patientenkollektiv der bereits mehrfach zitierten Studie von Staudinger et al. lag das 1-Jahres-berleben mit 23% deutlich unter dem von Intensivpatienten ohne Malignom (61%) wie auch unter dem von Tumorpatienten ohne Episode auf einer Intensivstation (55%). Zu einem hnlichen Ergebnis kam eine Analyse eigener Patienten nach konventioneller oder stammzelluntersttzter Chemotherapie, hier betrug das 1-Jahresberleben 29% (Kroschinsky et al. 2002). Demgegenber berichtete eine ltere Arbeit mit 92 Hmoblastosepatienten … der Anteil beatmungspflichtiger Patienten bleibt leider offen … ein mit 62% erstaunlich hohes berleben nach einem Jahr, wobei sich als hauptschliche Determinanten der Langzeitprognose Art und Remissionsstatus der malignen Grunderkrankung erwiesen (Yau et al. 1991). Diese Untersuchung analysierte insbesondere auch die Lebensqualitt der langfristig berlebenden hinsichtlich des gesundheitlichen und sozialen Befindens einschlielich der Wiedereingliederung ins Berufsleben. Anhand verschiedener Scoresysteme und Fragebogen lies sich dabei bei sieben Patienten eine gute oder zumindest akzeptable Lebensqualitt nachweisen.
5 Kardiopulmonale Reanimation von Tumorpatienten Die Sinnhaftigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation bei Patienten mit malignen Grunderkrankungen wird im klinischen Alltag oft kontrovers diskutiert. Mehrere Studien belegen eine eingeschrnkte Prognose von reanimationspflichtigen Tumorpatienten: In 11 von 22 Arbeiten, die sich mit dieser Frage beschftigten, publiziert zwischen 1967 bis 2002, erlebte kein Patient die Krankenhausentlassung, in den restlichen Arbeiten lag der Anteil der die Entlassung erlebenden Patienten im Median bei 8,2% (Wallace et al. 2002). Gezeigt wurde andererseits, da eine Wiederbelebungsbehandlung bei Tumorpatienten eine hohe Aussicht hat, primr erfolgreich zu verlaufen. In einer Untersuchung von 85 Reanimationen bei Herz-Kreislauf-Stillstand konnte in 66,3% der Flle wieder eine spontane Zirkulation erreicht werden (Varon et al. 1998), im allgemeinen Patientengut wird die Hufigkeit erfolgreicher Reanimationen demgegenber nur mit ca. 30% angegeben. Die Autoren fhren das Ergebnis v.a. auf einen hohen Anteil jngerer Malignompatienten ohne kardiopulmonale Komorbiditten zurck. Trotz der hohen Erfolgsquote der Wiederbelebung in dieser Arbeit wurden nur 9,6% der Patienten aus der Klinik entlassen, und 3,6% lebten nach einem Jahr.
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6 Prognoseabscha¨tzung und Scoresysteme Scoresysteme in der Intensivmedizin sind statistische Modelle, die der Schweregradklassifikation der zugrundeliegenden kritischen Organfunktionsstrung und Abschtzung der Letalittswahrscheinlichkeit dienen. Basierend auf rasch verfgbaren klinischen und Laborbefunden sowie anamnestischen Daten, werden Punktwertzuordnungen getroffen, deren Summe den Gesamtscore ergibt. Punktwertsysteme wie der Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score (APACHE) oder der Simplified Acute Physiology Score (SAPS) wurden in gemischten intensivmedizinischen Kollektiven mit unterschiedlichen Grundleiden evaluiert und sind bei Tumorpatienten oder Patienten nach Stammzelltransplantation nur eingeschrnkt aussagefhig, da sie spezifische Risikofaktoren dieser Patientengruppen unbercksichtigt lassen. Fr die Anwendung bei Patienten mit kritischer Organfunktionsstrung bei malignen Grunderkrankungen entwickelten Groeger et al. (1998) einen spezifischen Score. In einer Gruppe von 1483 intensivpflichtigen Tumorpatienten wurde insgesamt 21 kontinuierliche bzw. kategorische prognoserelevante Faktoren identifiziert. Jeder Variablen wurde ein Multiplikator zugeordnet, wobei die Summe der Produkte den Exponenten g(x) einer e-Funktion ergibt, nach der sich die wahrscheinliche Hospitalmortalitt errechnet (Tabelle 2). Dieses neue Modell wurde an 230 weiteren Patienten validiert mit einer Flche unter der ROC(Receiver-Operating-Characteristic)-Kurve von 0.80. Der Groeger-Score kann derzeit als das genaueste Punktwertesystem mit prognostischer Relevanz fr kritisch kranke Tumorpatienten angesehen werden. Allerdings scheint das mathematisch sehr komplexe System fr eine breite Anwendung in der Praxis wenig geeignet.
7 Zusammenfassung und Perspektiven Zahlreiche Studien belegen die ungnstige Prognose von Tumorpatienten mit kritischer Organfunktionsstrung, sowohl was die Akutmortalitt betrifft wie auch hinsichtlich des langfristigen berlebens. Gleichwohl lassen sich verschiedene Risikofaktoren identifizieren, die bei der Abwgung des Beginns einer Intensivtherapie hilfreich sein knnen. Die hchste Mortalitt haben beatmungspflichtige Patienten und Patienten nach Stammzelltransplantation. Zwei jngere Studien (Kress et al. 1999; Azoulay et al. 2001) deuten jedoch auf eine Verbesserung der Prognose in diesen Patientengruppen hin, insbesondere erscheint der Einsatz modernerer, nichtinvasiver Beatmungstechniken hoffnungsvoll (Meert et al. 2002). Inwiefern sich eine Reduktion der Toxizitt einer allogenen HSZT durch die Etablierung dosismodifizierter Konditionierungprotokolle („Minitransplantation“) in einen Rckgang der Hufigkeit intensivpflichtiger Kompli-
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Tabelle 2. Spezifischer Score zur Ermittlung der Hospitalmortalita¨t von intensivpflichtigen Tumorpatienten (nach Groeger et al. 1998)
Variable
Kodierung
Multiplikator
CPR vor Aufnahme
1 – falls CPR innerhalb 24 Std. vor Aufnahme 0 – andernfalls
0,83718
Intubiert bei Aufnahme
0 – nicht intubiert oder unmittelbar postoperativ 1,17430 1 – andernfalls
Intrakranielle Raumforderung
1 – intrakranielle Raumforderung im CT 0 – keine intrakranielle Raumforderung
0,94427
HSZT
1 – allogene HSZT 0 – andernfalls
0,59239
Nachweisbare Krankheitsprogression
1 – progrediente oder rezidivierte Erkrankung 0 – andernfalls
0,34794
Allgemeinzustand: normal/symptomatisch Unterstu¨tzung/Pflege Bettla¨gerigkeit/Hospitalisierung
Unterstu¨tzung 0 1 0
Bettla¨gerigkeit 0 0 1
0,43009 0,82296
Atemfrequenz (min–1)
kontinuierlich; 16, wenn Befund fehlend
0,03033
systolischer Blutdruck (mmHg) kontinuierlich; 120, wenn Befund fehlend Glasgow Coma Scale 1 – wenn 5 0 – andernfalls
– 0,00688 1,29508
PaO2/FiO2-Ratio
kontinuierlich; 380, wenn Befund fehlend
– 0,00275
Thrombozyten (Gpt/l)
kontinuierlich; 250, wenn Befund fehlend
– 0,00236
Prothrombinzeit (sec)
1 – wenn > 15 0 – andernfalls
0,58686
Albumin (g/dl)
1 – wenn < 2,5 0 – andernfalls 1 – wenn 2 0 – andernfalls
0,63454
Harnstoff (mg/dl)
1 – wenn > 50 0 – andernfalls
0,70206
Krankenhaustage vor ITS-Aufnahme
ln (Anzahl Tage + 0,5)
0,21935
Bilirubin (mg/dl)
Konstante
0,61836
– 0,43417
CPR kardiopulmonale Reanimation; HSZT ha¨matopoetische Stammzelltransplantation; ITS Intensivtherapiestation
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kationen oder zumindest eine Senkung der damit assoziierten Mortalitt bersetzt, bleibt abzuwarten. Insgesamt bleibt die Indikationsstellung zur Intensivtherapie beim kritisch kranken Tumorpatienten eine schwierige Entscheidung. Keinesfalls sollten Patienten jedoch wegen eines einzelnen Risikofaktors und der maligen Grunderkrankung grundstzlich von einer Intensivtherapie ausgeschlossen werden. Eine frhzeitige aktive Diskussion der Problematik mit potentiell gefhrdeten Patienten und deren Angehrigen kann einerseits zu einer medizinisch sinnvollen und ethisch fundierten Entscheidungsfindung beitragen, andererseits inadquaten Therapiemanahmen vorbeugen und damit Kosten reduzieren. Literatur Azoulay E, Alberti C, Bornstain C et al. (2001) Improved survival in cancer patients requiring mechanical ventilatory support: impact of noninvasive mechanical ventilatory support. Crit Care Med 29(3): 519…25 Bach PB, Schrag D, Nierman DM et al. (2001) Identification of poor prognostic features among patients requiring mechanical ventilation after hematopoietic stem cell transplantation. Blood 98: 3234…3240 Epner DE, White P, Krasnoff M et al (1996) Outcome of mechanical ventilation for adults with hematologic malignancy. J Investig Med 44: 254…260 Ewig S, Torres A, Riquelme R et al. (1998) Pulmonary complications in patients with haematological malignancies treated at a respiratory ICU. Eur Respir J 12: 116…122 Groeger JS, Lemeshow S, Price K et al. (1998) Multicenter outcome study of cancer patients admitted to the intensive care unit: a probability of mortality model. J Clin Oncol 16: 761…770 Gruson D, Hilbert G, Portel L et al (1999) Severe respiratory failure requiring ICU admission in bone marrow transplant recipients. Eur Respir J 13(4):883…887 Haire WD, Ruby EI, Stephens LC et al. (1998) A prospective randomized double-blind trial of antithrombin III concentrate in the treatment of multiple-organ dysfunction syndrome during hematopoietic stem cell transplantation. Biol Blood Marrow Transplant 4: 142…150 Kress JP, Christenson J, Pohlmann AS et al (1999) Outcomes of critically ill cancer patients in a university hospital setting. Am J Respir Crit Care Med 160: 1957…1961 Kroschinsky F, Weise M, Illmer T et al (2002) Outcome and prognostic features of intensive care unit treatment in patients with hematological malignancies. Intensive Care Med 28:1294…1300 Meert AP, Close L, Hardy M et al (2003) Noninvasive ventilation; application to the cancer patient admitted in the intensive care unit. Support Care Cancer 11(1):56…59 Moschmeyer G, Bertschat FL, Moesta KT et al (2003) Outcome analysis of 189 consecutive cancer patients referred to the intensive care unit as emergencies during a 2-year period. Eur J Cancer 39:783…792
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Notfallmaßnahmen in der Onkologie
Murray PV, O‘Brien ME, Padhani AR et al. (2001) Use of first line bronchoalveolar lavage in the immunosuppressed oncology patient. Bone Marrow Transplant 27(9): 967…971 Poletti V, Salvucci M, Zanchini R et al. (2000) The lung as a target organ in patients with hematologic disorders. Haematologica 85: 855…864 Rubenfeld GD, Crawford SW (1996) Withdrawing life support from mechanically ventilated recipients of bone marrow transplants: a case for evidence-based guidelines. Ann Intern Med 125: 625…633 Schots R, Kaufman L, Van Riet I et al. (1998) Monitoring of C-reactive protein after allogeneic bone marrow transplantation identifies patients at risk of severe transplant-related complications and mortality. Bone Marrow Transplant 22: 79…85 Staudinger T, Stoiser B, Mullner M et al. (2000) Outcome and prognostic factors in critically ill cancer patients admitted to the intensive care unit. Crit Care Med 28: 1322…1328 Varon J, Walsh GL, Marik PE, Fromm RE (1998) Should a cancer patient be resuscitated following an in-hospital cardiac arrest? Resuscitation 36: 165…168 Wallace SK, Ewer MS, Price KJ, Feeley TW (2002) Outcome and cost implications of cardiopulmonary resuscitation in the medical intensive care unit of a comprehensive cancer center. Support Care Cancer online only published Yau E, Rohatiner AZ, Lister TA, Hinds CJ (1991) Long-term prognosis and quality of life following intensive care for life-threatening complications of haematological malignancy. Br J Cancer 64, 938.
19 Zentralveno¨se Zuga¨nge fu¨r die Tumortherapie
19.1 Zentralveno¨se Katheter O. Kellner, H.-J. Schmoll
1 Einleitung Mit der Erstanwendung eines Plastik-Katheters 1945 durch Meyer sowie der Einfu¨hrung der perkutanen Katheterisierung der V. subclavia 1956 durch Kerri-Szantu konnte erstmalig die Versorgung von Risikopatienten mit zentralvensen Zugngen gesichert werden. Die Entwicklung von besser vertra¨glichen Kathetermaterialien (Silicon-Elastomer, Polyurethan) fr die passager implantierbaren zentralvensen Kathetersysteme sowie die Einfu¨hrung von neuen implantierbaren Kathetersystemen durch Broviac, Hickmann und Raaf in den 70er und 80er Jahren verbesserten die diagnostischen und therapeutischen Mglichkeiten erheblich. Damit wurde in zunehmendem Umfang auch die sichere Infusion von Zytostatika, Blutersatzprodukten und Nhrlsungen mglich. Eine weitere Optimierung der Behandlungsbedingungen gelang mit der Entwicklung der zentralveno¨sen Port-Kathetersysteme durch Niederhuber. Neben einer Verminderung der Komplikationsrate wurde eine wesentliche Verbesserung in kosmetischer Hinsicht bewirkt und damit die Akzeptanz von vensen Tabelle 1. Vorteile von zentralveno¨sen Kathetersystemen * * * * * * * *
Einfache Implantation und Entfernung bei geringem Infektionsrisiko Gute Voraussetzung fu¨r ambulante Behandlung Jederzeit benutzbarer zentralveno¨ser Zugang Vermeidbarkeit ta¨glich wiederholter schmerzhafter Punktionen Langzeitgebrauch Sichere Applikation gefa¨ßtoxischer und hyperosmolarer Lo¨sungen Minimiertes Risiko einer Paravasation Geringe Komplikationsrate bei regelrechtem Handling
19
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Zentralveno¨se Zuga¨nge fu¨r die Tumortherapie
Dauerzugangssystemen weiter gesteigert (Tabelle 1). Prinzipiell stehen heutzutage fr jede klinische Fragestellung geeignete Kathetersysteme zur Verfgung.
2 Indikationen zentralveno¨ser Katheter- und Port-Kathetersysteme Die Indikationen fr ein permanentes venses Zugangssystem sind fortgeschrittene onkologische und hmatologische Erkrankungen oder solche, die einer intensiven Therapie bedrfen, schlechthin (Tabelle 2). Aber auch bei angrenzenden Krankheitsbildern wie bei Hmophilie, AIDS und Immundefekten sind in vielen Fllen dauerhafte vense Zugnge indiziert. In der tglichen Praxis stehen verschiedene Typen zentralvenser Kathetersysteme zur Auswahl: F F F
Passagere peripher oder zentral eingebrachte Katheter Permanente zentralvense Katheter Portkathetersysteme
Grundstzlich sollte jeder Patient mit unsicheren Venenverhltnissen, der mehrfach einer Chemotherapie unterzogen werden mu, mit einem sicheren Venenzugang versorgt werden. Bei ambulanter Behandlung sollte diese durch Implantation eines zentralveno¨sen Portsystems vorbereitet werden. Auch bei geplanten grovolumigen Zytostatika- bzw. Infusionsmengen oder absehbarer Notwendigkeit einer vollstndig parenteralen Ernhrung ist ein permanentes zentralveno¨ses Kathetersystem von Vorteil. Die Entscheidung fr ein bestimmtes Kathetersystem resultiert letztlich aus bestimmten Erfahrungswerten der jeweilig betreuenden Onkologen und den individuellen Vorstellungen des Patienten. Insbesondere die Anwendung von Therapieschemata mit gewebetoxischen Substanzen (Anthrazykline, Alkylanzien, Mitomycin C, Vincaalkaloide) sollten durch Anlage eines sicheren zentralvensen Zugangs geschaffen werden. Bei einer stationren Behandlung kann ein passageres zentralveno¨ses Kathetersystem Tabelle 2. Indikationen fu¨r dauerhaft implantierbare zentralveno¨se Zugangssysteme Krankheitsbild
Indikation
Onkologische und ha¨matologische Erkrankungen
Knochenmarktransplantation, Chemotherapie, parenterale Erna¨hrung, Substitution mit Blutprodukten, Palliativbehandlung
Immundefekte
Substitution von intraveno¨sen Immunglobulinen, intensivierte Antibiotikatherapie
AIDS
Parenterale Erna¨hrung, intensivierte Antibiotikatherapie
Ha¨mophilie
Akute Substitution von Gerinnungspra¨paraten
19.1
Zentralveno¨se Katheter
1151
verwendet werden. Bei Patienten, die wiederholt geftoxische Zytostatika erhalten werden, ist ein zentralvenses Port-System vorzuziehen. Auch in Situationen, in denen die Dauer und der Erfolg der geplanten Chemotherapie unklar sind, sollte den implantierbaren Port-Kathetersystemen der Vorzug gegeben werden. Fr eine Behandlung, die erfahrungsgem grovolumige Infusionen erfordert, sind die grolumigen perkutanen Kathetersysteme (Hickmann, Raaf, Broviac) vorzuziehen, da bei einlumigen Kathetersystemen mit kleinem und mittlerem Innendurchmesser schnell die obere Grenze der Flurate erreicht wird bzw. miteinander nicht kompatible Substanzen nicht gleichzeitig ber einen Zugang gegeben werden knnen. Alternativ stehen die Zweikammer-Portsysteme zur Verfgung, die zwar das Problem der Flurate nur begrenzt lsen, sich allerdings zur gleichzeitigen Infusion inkompatibler Lsungen hervorragend eignen. Somit kommen im tglichen Gebrauch meist die passageren zentralvensen Kathetersysteme (Zentralvenenkatheter, ZVK), in zunehmendem Mae die zentralvensen Port-Kathetersysteme (Ports), in Zukunft immer seltener die permanenten bzw. perkutanen zentralvensen Katheter (Broviac, Groshong, Hickman, Quinton, Raaf) zum Einsatz und in selteneren Fllen, insbesondere bei speziellen Fragestellungen, Sheldon-Katheter und zentralvense Mini-Port-Kathetersysteme (Miniports, Kinderports, Armports).
3 Passagere zentralveno¨se Kathetersysteme 3.1 Indikationen Indikationen fr passagere Kathetersysteme sind: F F F F F
Stationre Behandlung Applikation von gef- bzw. gewebetoxischen Substanzen Hochvolumige oder hyperosmolare Infusionen Parenterale Ernhrung Langwierige Aplasie mit Folgekomplikationen
Aus Grnden der technisch einfachen und risikormeren Punktion (geringe Gefahr fr Thoraxorgane) wird bei guten Venenverhltnissen und kurzer Verweildauer des Katheters (< 1 Woche) die Punktion der Kubitalvenen bevorzugt. 3.2 Systeme Die passageren zentralvensen Kathetersysteme bestehen aus Polyurethan, Silikon oder Teflon und stehen als einlumige Ausfhrung fr die periphere Punktion von z.B. V. cubitalis oder als ein- bis dreilumige Ausfhrung fr
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die Punktion der V. jugularis oder V. subclavia zur Verfgung. Insbesondere bei groen Infusionsmengen oder bei Applikation von miteinander nicht kompatiblen Substanzen werden wenigstens zwei Lumen bentigt. 3.3 Zugangswege Hinsichtlich Infektionsrisiko ist die Insertion dieser Katheter in die V. jugularis oder V. subclavia anderen Zugangswegen, z.B. der V. cubitalis oder V. femoralis, deutlich berlegen, so da bei lngerer Verweildauer aufgrund der geringeren Infektionsgefahr die Punktion dieser Venen zu bevorzugen ist. F F F F F
V. jugularis interna rechts V. jugularis interna links (Gefahr der Punktion des Ductus thoracicus) V. subclavia V. jugularis V. femoralis, nur bei kurzzeitiger Nutzung mglich, da hheres Thromboserisiko
>
Die Komplikationsrate der Punktion der V. jugularis lt sich durch ein ultraschalluntersttztes Vorgehen reduzieren und ist daher insbesondere dem weniger Gebten unbedingt zu empfehlen.
3.4 Pflege Als Empfehlungen fr die Pflege von zentralvensen Zugngen gelten: F F F F F F F
F
F
Mehrmals wchentlich Verbandswechsel, mindestens zweimalig/Woche, Antiseptische Pflege der Punktionsstelle (z.B. Betaisodona), Strikte Wahrung antiseptischer Kautelen in der Handhabung, Ta¨glicher Wechsel der angeschlossenen Systeme bzw. entsprechend Herstellerangabe, Benutzung eines Bakterienfilters ( ˘ 0,22 lm), Anwendungsdauer ebenfalls entsprechend der Empfehlung des Herstellers, Desinfektion der Ventile und Dreiwegehhne bei jeder Benutzung, tglicher Wechsel konnektierter Funktionsteile, Spu¨lung der Katheter nach jeder Benutzung, auch bei Wechsel der Infusionslsung oder des Medikamentes mit isotonischer Kochsalzlsung (mindestens 10 ml), Tglich Splung, blicherweise mit verdnnter Heparinlo¨sung 100…200 IE/ml, z.B. 5 ml; zwischen zwei direkt aufeinanderfolgenden Infusionen oder zwei verschiedenen Medikamenten, insbesondere Zytostatika, Splung mit 10 ml isotoner Kochsalzlsung, Nach Benutzung Blockung des Katheters mit einem Heparinbolus, z.B. 3000 IE/3 ml (Empfehlung des Katheterherstellers bercksichtigen),
19.1 F
Zentralveno¨se Katheter
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Bei Zeichen der Infektion Katheter grozgig entfernen, mikrobiologische Diagnostik durchfhren (Katheterspitze einschicken, ggf. zuvor Blutkulturen aus peripherem Venenblut und Katheter) und lokal antiseptisch behandeln sowie systemische Antibiose abwgen.
4 Permanente zentralveno¨se Kathetersysteme 4.1 Indikationen Indikationen fr permanent implantierte Kathetersysteme sind: F F F F
Absehbare Intensivbehandlung (z. B. Knochenmarkstransplantation), Lange Behandlungsdauer, Lngerfristige Applikation von gef- bzw. gewebetoxischen Substanzen, Parenterale Ernhrung.
4.2 Systeme Die permanenten zentralvensen Kathetersysteme bestehen aus Silikon oder Polyurethan und sind zum Teil teflonbeschichtet. Angeboten werden diese Kathetersysteme als ein- bis dreilumige Ausfhrung. Ist die Applikation groer Infusionsmengen oder miteinander nicht kompatibler Substanzen im Behandlungsplan vorgesehen, sollte mindestens ein zweilumiger Katheter ausgewhlt werden. Im Bereich des zu erwartenden Katheteraustritts aus der Haut ist eine etwa 5 mm breite Dacronmanschette (z.T. antibiotisch imprgniert oder mit Silber behandelt) angebracht, die einerseits eine mechanische Funktion durch Verwachsung mit dem Unterhautgewebe hat, andererseits einen Infektionsschutz bewirken soll. Der bei der Implantation des Katheters, gleichfalls bei Port-Kathetersystemen, mittels Trokar angelegte Tunnel ist infektiologisch bedeutsam, da sich schwerwiegende Infektionen entlang diesem Kanal ausbreiten knnen (sog. Tunnelinfektion), die eine Explantation des Katheters erfordert. 4.3 Zugangswege Praktikable und deshalb bevorzugte Zugangswege sind: F F
V. subclavia, V. jugularis interna.
Aufgrund der Fixierung eines permanenten Kathetersystems unterhalb der Clavicula wird als venser Zugangsweg die nahe gelegene V. subclavia bevorzugt. Die gleichseitige V. jugularis interna bietet bei problematischer Punktierbarkeit der V. subclavia eine attraktive Alternative.
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4.4 Pflege Die Empfehlungen fr die Pflege von permanenten Kathetersystemen entsprechen den im Abschnitt 3.4 dargelegten.
5 Veno¨se Port-Kathetersysteme 5.1 Indikationen Als Indikationen fr eine Portimplantation gelten: F F F F
Ambulante Behandlung, Lange Behandlungsdauer, Gef- bzw. gewebetoxische Substanzen, Parenterale Ernhrung.
5.2 Systeme Die Kammer des Port-Systems besteht heute prinzipiell aus nichtmagnetischem Metall (Titan-Legierung), Kunststoff oder Keramik. Der Port-Katheter wird aus Silikon oder Polyurethan hergestellt und z.T. mit Teflon beschichtet. Neben dem kosmetischen Vorteil bietet ein Port-System eine hohe Sicherheit bei stets gewhrleistetem schnellem Zugriff und eine uerst geringe Infektionsrate und trifft deshalb auf eine hohe Akzeptanz bei den Patienten. Die bei perkutanen Kathetersystemen nicht ausgeschlossene Gefahr einer spontanen ffnung des Katheters besteht nicht. 5.3 Zugangswege Bevorzugte Zugangswege sind: F F
V. subclavia, V. jugularis interna.
Aufgrund der Fixierung des Port-Kathetersystems auf der Pektoralisfaszie unterhalb der Clavicula wird als venser Zugangsweg die nahe gelegene V. subclavia bevorzugt. Die gleichseitige V. jugularis externa bietet bei problematischer Punktierbarkeit der V. subclavia eine attraktive Alternative. Punktiert wird mittels Seldinger-Technik. Bei der Benutzung des Port-Systems ist der prinzipielle Einsatz spezieller stanzfreier Nadeln (Huber-Nadeln) unbedingt zu beachten, da mit gewhnlichen Injektionsnadeln Mikrodefekte in der Membran der Port-Kammer gesetzt werden.
19.1
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5.4 Pflege Durch ein korrektes Handling und die strikte Einhaltung der Pflegerichtlinien lassen sich Infektionen und andere Komplikationen weitestgehend vermeiden (s. Abschn. 3.4).
6 Ausgewa¨hlte Kathetersysteme Eine zustzliche Erweiterung des therapeutischen Spektrums gelang durch die Einfhrung der Doppellumenports (Doppelkammer-Portsystem). Damit wurde eine hhervolumige Infusion unterschiedlicher Infusionslsungen oder die gleichzeitige Applikation von parenteraler Ernhrung und Blutersatzprodukten oder Antibiotika mglich. Aufgrund dieses weitreichenden Spektrums finden diese Portsysteme insbesondere in der Transplantationsmedizin u.a. zur Stammzellapherese Eingang, zumal die Patienten im Vergleich zu den perkutanen Kathetersystemen einen deutlich besseren Lebenskomfort bei mehr Therapiesicherheit haben und ihnen nach Abschlu der Transplantation die Explantation erspart bleibt. Der Einsatz der selten benutzten Miniports ist auf bestimmte Fragestellungen in der Pdiatrie und bei Erwachsenen (z.B. Tumorkachexie, groflchige Narbengebiete im Thoraxbereich) begrenzt. Die aus der Hmodialyse bekannten grolumigen Sheldon-Katheter knnen im Rahmen der peripheren Stammzellapherese, insbesondere der Hochvolumenapherese, passager eingesetzt werden.
7 Komplikationen zentralveno¨ser Kathetersysteme Neben den vielen Vorteilen, die moderne zentralvense Kathetersysteme mit sich bringen, mssen in unterschiedlicher Hufigkeit Komplikationsmglichkeiten registriert werden. Prinzipiell sind Frh- von Sptkomplikationen zu unterscheiden: F
F
Die zeitliche Einordnung der Fru¨hkomplikationen wird in der Literatur unterschiedlich gehandhabt, berwiegend bis 4 Wochen nach Implantation. Frhkomplikationen werden zumeist durch die Punktion bzw. Implantation von Kathetersystemen bedingt. Spa¨tkomplikationen sind berwiegend gebrauchsbedingte Probleme oder werden z.B. durch tumorassoziierte Strungen der Immunitt oder der Gerinnung ausgelst (Tabelle 3).
Bei den verschiedenen Kathetersystemen sind Unterschiede in der Hufigkeit des Auftretens von Komplikationen beschrieben. Trotz eines relativ heterogenen Patientengutes ist bei Port-Kathetersystemen die geringste Hufigkeit beschrieben (7,2…26,3%). Ebenfalls eine geringe Komplikationsrate
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Tabelle 3. Ha¨ufige Komplikationen bei zentralveno¨sen Kathetersystemen Fru¨hkomplikationen * * * * * * * * * *
Verletzung benachbarter Organe Arterielle Punktion Herzrhythmussto¨rungen Blutungen/Ha¨matome Erschwerte Portlokalisation Porttascheninfektion Wunddehiszenz der Porttasche Hautnekrose Erschwerte Blutaspiration Katheterokklusion
Spa¨tkomplikationen * * * * * * * * * * * * * *
Katheteraustrittsinfektion Katheterassoziierte Bakteria¨mie Tunnelinfektion Kathetersepsis Katheterspitzenthrombose Katheterassoziierte Thrombose Katheterokklusion Medikamentenextravasation Portnadeldiskonnektion Katheterknickung Katheterla¨sion Katheterfraktur Port-Katheter-Dekonnektion Katheterruptur
wurde bei den perkutanen zentralvensen Kathetersystemen beobachtet (6,1…32,3%), whrend die Komplikationsrate bei passageren zentralvensen Kathetern zumeist hher liegt. Die generell hufigsten Komplikationen bei zentralvensen Kathetern und vensen Port-Kathetersystemen sind katheterassoziierte Infektionen, thrombembolische Ereignisse und die Katheterdysfunktion durch Knikkung, Fraktur, Ruptur, Umschlagen, Dekonnektion oder Dislokation des Katheters (Tabelle 4). Neben spontan auftretenden Komplikationen ist ein Teil direkte Folge eines falschen Umgangs mit den Kathetersystemen oder unzureichender hygienischer Bedingungen. Tabelle 4. Ha¨ufigkeiten von Komplikationen bei Port-Kathetersystemen Komplikationen
Ha¨ufigkeit (%)
Verletzung benachbarter Organe Blutungen/Ha¨matome Infektion Kathetersepsis Katheterassoziierte Thrombose Katheterokklusion Medikamentenextravasation Katheterfraktur Port-Katheter-Dekonnektion Komplikationsbedingte Explantation
0–3,6 0–2,3 2,0–8,3 1,2–11,2 0–7,7 0,6–11,8 0,7–4,7 0–4,4 0–1,8 5–15,6
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7.1 Katheterinfektionen Die hufigste katheter- oder portsystemassoziierte Komplikation ist die zumeist von der Katheteroberflche ausgehende Infektion. Diese ist dadurch bedingt, da nahezu alle Katheter mikrobiell besiedelt sind und es u.a. in Abhngigkeit vom Immunstatus mit zunehmender Liegedauer zur Vermehrung und Ausschwemmung in die Blutbahn kommt. Ha¨ufige Erreger sind Staphylokokken, Streptokokken, gramnegative Keime, insbesondere Pseudomonas und verschiedene Candida-Spezies. Die Kenntnis der am hufigsten in Frage kommenden Erreger ist wichtig, da bei hmatologischen und onkologischen Patienten bei Verdacht auf eine katheter- oder portassoziierte Infektion noch vor einem Nachweis des urschlichen Erregers empirisch unter Bercksichtigung des potentiellen Keimspektrums die Antibiose festgelegt werden mu (Tabelle 5). Eintrittspforte fu¨r Keime sind die Punktionsstelle sowie die Konnektionsbereiche zwischen Katheterende und Infusionssystem bzw. Dreiwegehahn oder zwischengeschaltetem Filtersystem. Mehrere Mglichkeiten einer Kontamination sind im Umgang zu beachten: F
F
Das beim Legen des Kathetersystems verursachte Hmatom im Punktionsbereich und Thromben im Bereich der Katheterspitze sind ein Nhrboden fr die Keimbesiedlung. Ebenfalls von Bedeutung sind die Keimbesiedlung im Bereich der Katheteraustrittspforte durch die Haut sowie die durch unzureichende hygienische Modalitten verursachte Einschleppung von pathologischen Keimen durch pflegerisches und rztliches Personal.
Tabelle 5. Ha¨ufige Infektionen und ha¨ufige Erreger von katheterassoziierten Infektionen Infektion
Typische Erreger
Sepsis
Grampositive Kokken
Infektion der Austrittspforte
Koagulasenegative Kokken
Tunnelinfektion
Staphylokokken
Septische thrombembolische Prozesse
Streptokokken Gramnegative Keime Klebsiellen E. coli Enterobakter Pseudomonas Pilze Candida spp. * * * * * *
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Behandlung der katheterassoziierten Infektion
Im klinischen Alltag steht man immer wieder vor der Entscheidung zwischen Entfernung oder Erhalt des Katheter- bzw. Port-Kathetersystems und der systemischen antibiotischen Behandlung. Die Entscheidung fr eine Entfernung eines Kathetersystems oder die Explantation des Port-Kathetersystems sollte dann grozgig gestellt werden: F F F
bei Nachweis von Problemkeimen (gramnegative, z.B. Pseudomonas aeruginosa, MRSA, Candida), wenn voraussichtlich mit einer lngeren Neutropenie zu rechnen ist, wenn die Infektionszeichen progredient sind oder trotz angepater Antibiose fortbestehen.
Als antibiotische Standards bei Infektionen von Patienten in der Neutropenie sind verschiedene Prparate mit Breitspektrumwirkung etabliert. Im Fall einer Katheterinfektion (ohne Erregernachweis) sind diese Standardtherapiekombinationen, die auf die Behandlung von Fieber unklarer Genese ausgerichtet sind, noch um ein Glycopeptid-Antibiotikum zu ergnzen (z.B. Teicoplanin, Vancomycin), das eine besondere Wirkung auf grampositive Kokken besitzt, und sollten auch nach Entfernung des Katheters oder Port-Kathetersystems bis zum Ende der Neutropenie fortgesetzt werden. Bezglich der detaillierten Therapiekonzepte von Katheterinfektionen mit nachgewiesenem Erreger wird auf die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Hmatologie und Onkologie (Ftkenheuer et al. 2001) verwiesen. 7.2 Thrombose, Okklusion Katheterassoziierte Thromben knnen in verschiedenen Abschnitten von Kathetersystemen bzw. anliegenden Gefen entstehen. Dementsprechend wird zwischen kleinen Thromben im Bereich der Katheterspitze, Thromben im katheterfhrenden Gef und Thromben im Katheterlumen unterschieden: F
F
F
Zumeist sind kleine Thromben im Bereich der Katheterspitze asymptomatisch und werden durch ein Dysfunktion im Kathetergebrauch bemerkt. Aber selbst diese kleinen Thromben knnen abgeschwemmt werden oder Ausgangspunkt von Infektionen sein. Ein Lyseversuch ist daher berechtigt. Bei gro¨ßeren Thromben, die zur Thrombosierung der groen Gefe fhren knnen und oftmals asymptomatisch sind, ist ein Behandlungsversuch mit Heparindauerinfusion indiziert. Mikrothromben, die den Katheter okkludieren, knnen mittels Kochsalz freigesplt werden (Aspirationsversuch mit isotoner NaCl-Lsung) oder
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nach vorheriger Instillation von Heparin, z.B. 3000 IE/3 ml, aspiriert werden. Bei ausbleibendem Erfolg ist meist ein Thrombolyseversuch mit z.B. 5000 IE Urokinase fr 10 min bis 1 h erfolgreich. Bei ausbleibendem Erfolg kann ein weiterer Lyseversuch ber 12 h versucht werden. Bei ebenfalls ausbleibendem Erfolg sollte der Katheter entfernt werden. Das gleiche gilt, wenn der dringende Verdacht besteht, da der Katheter durch ein Medikamentenprzipitat okkludiert ist. Prophylaktische Splungen von zentralvensen Kathetern mit unfraktioniertem Heparin oder isotonischer Kochsalzlsung (s. Abschn. 3.4) sind der Standard, verhindern aber nicht effektiv vense Thromben. Der Vorteil einer systemischen Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin bzw. Warfarin ist nicht abschlieend gesichert. Kuter (2004) bewertet die neuen Substanzgruppen wie Faktor-Xa-I (z.B. Pentasaccharide) oder die direkten Thrombininhibitoren (z.B. Xinelegatran) in dieser Indikation als sehr erfolgversprechend, allerdings bedarf es noch entsprechender Studien. 7.3 Vorgehensweise bei gesto¨rter Funktion Zur Klrung einer Funktionsstrung sind je nach vorliegender Strung entsprechende diagnostische und therapeutische Schritte sinnvoll (Abb. 1).
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Abb. 1. Vorgehen bei Verdacht auf eine Katheterfunktionssto¨rung
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Zentralveno¨se Zuga¨nge fu¨r die Tumortherapie
7.4 Rekanalisation zentralveno¨ser Port-Kathetersysteme Trotz Einfhrung der modernen Kathetermaterialien (u.a. Teflon) knnen Port-Kathetersysteme spontan, mechanisch oder durch unsachgeme Bedienung (irregulre Applikation, unzureichende Heparinpflege) okkludieren. Bei gesicherter Okklusion kann ein Thrombolyseversuch mit reiner Heparinlsung (5000 IE/ml, 2 ml in das Kathetersystem applizieren und anschlieend aspirieren) vorgenommen werden. Nach einer erfolglosen Heparinapplikation ist ein lokaler Thrombolyseversuch z.B. mit Urokinase berechtigt. Dazu werden 5000 IE auf 2 ml Lsungsmittel in den Katheter gegeben und nach 60 min aspiriert. Dieses Vorgehen ist hufig erfolgreich und kann auch bei ausbleibendem Erfolg in gleicher Weise wiederholt oder modifiziert werden, wobei man die applizierte Urokinase fr 12 (hchstens 24 h) im Katheter belt, anschlieend aspiriert und die Funktion des Katheters prft. 7.5 Indikationen zum Entfernen eines zentralveno¨sen Katheter- oder Port-Kathetersystems Die hufigste Indikation zur Entfernung eines passageren Kathetersystems ist die Beendigung der Therapiephase. Ebenfalls sollten permanente perkutane Kathetersysteme nach Abschlu der Behandlung entfernt werden. Dagegen kann ein Port-Kathetersystem auch nach erfolgreichem Abschlu der Behandlung belassen werden. Je nach Remissionsverhalten der Grunderkrankung kann die Explantation z.B. zwei Jahre nach Abschlu der Chemotherapie vorgenommen werden. Literatur Alegre A (1996) Quinton-Mahurkar catheter as short-term central venous access for PBSC collection: single-center experience of 370 aphereses in 110 patients. Bone Marrow Transplant 18:865…869 Biffi R, de Braud F, Orsi F et al (2001) A randomized, prospective trial of central venous ports connected to standard open-ended or Groshong catheters in adult oncology patients. Cancer 92(5):1204…1212 Crnich CJ, Maki DG (2002) The promise of novel technology for the prevention of intravascular device-related bloodstream infection. II. Long-term devices. Clin Infect Dis 34(10):1362…1368 Deitcher SR, Tesen MR, Kiproff PM et al (2002) Safety and efficacy of alteplase for restoring function in occluded central venous catheters: result of the cardiovascular thrombolytic to open occluded lines trial. J Clin Oncol 20(1):317…324 Ftkenheuer G, Buchheidt D, Fuhr H-G et al fr die Arbeitsgemeinschaft Infektiologie in der Deutschen Gesellschaft fr Hmatologie und Onkologie (DGHO) (2001) Venenkatheter-assoziierte Infektionen bei Patienten mit Neutropenie. Dtsch Med Wochenschr 126:89…95
19.1
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Kerri-Szantu M (1965) The subclavian vein, a constant and convenient injection site. Arch Surg 72:179…181 Kock HJ, Pietsch M, Krause U et al (1998) Implantable vascular access systems: expierence in 1500 patients with totally implanted central venous port systems. World J Surg 22:12…16 Kuter DJ (2004) Thrombotic complications of central venous catheters in cancer patients. Oncologist 9:207…216 Minassian VA, Sood AK, Lowe P et al (2000) Long-term central venous access in gynecologic cancer patients. J Am Coll Surg 191(4):403…409 Niederhuber JE, Ensminger W, Gyves JW et al (1982) Totally implanted venous and arteriell access system to replace external catheters in cancer treatment. Surgery 92:706…712 Nightingale CE, Norman A, Cunningham D et al (1997) A prospective analysis of 949 long-term central venous access catheters for ambulantory chemotherapy in patients with gastrointestinal malignancy. Eur J Cancer 33:398…403 Pector JC (1998) Vascular access problems. Support Care Cancer 6:20…22 Platzbecker U, Illmer T, Schaich M et al (2001) Double lumen port access in patients receiving allogenic blood stem cell transplantation. Bone Marrow Transplant 28(11):1067…1072 Raad I (1998) Intravascular catheter-related infections. Lancet 351:893…898 Suojanen JN, Brophy DP, Nasser I (2000) Thrombus on indwelling central venous catheters: The histopathology of „fibrin sheaths“. Cardiovasc Intervent Radiol 23:194…197
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20 Paraneoplasien K. Possinger, P. Schmid, U. Rther, H. G. Mergenthaler, C. Nunnensiek
1 Definition Tumoren knnen fernab vom Primrtumor oder auch von seinen Metastasen Krankheitserscheinungen hervorrufen, die nicht unmittelbar mit der malignen Erkrankung in Verbindung zu stehen scheinen, aber mit ihr assoziiert sind. Dabei handelt es sich um metabolische, dystrophische und/oder degenerative Strungen, welche auf einer humoralen oder hormonellen Fernwirkung beruhen und nach Entfernung des Tumors und seiner Metastasen oder erfolgreicher Chemo- und Radiotherapie spontan abklingen. Fr diese Krankheitserscheinungen wurde der Begriff „paraneoplastische Syndrome“ geprgt. Die klinischen Symptome knnen vielfltiger Natur sein; sie reichen von diskreten Vernderungen bis hin zum Vollbild der betreffenden Organstrung. Paraneoplastische Syndrome knnen sich organbezogen, z.B. mit als endokrinologische, hmatologische, neurologische oder dermatologische Krankheitsbilder, manifestieren oder aber als systemische Paraneoplasien, wie z.B. mit Fieber, Schmerz, Anorexie oder Kachexie, imponieren. Verursacht werden die paraneoplastischen Syndrome durch ektope Bildung von (Peptid-)Hormonen und hormonartig wirkenden Polypeptiden sowie hormonhnlichen Wachstumsfaktoren unter Mitwirkung von viralen Stoffwechselprodukten, mutierten Onkogenen und Suppressorgenen. Darber hinaus knnen auch immunologische Phnomene fr die Entstehung von paraneoplastischen Syndromen verantwortlich sein. Dies ist insbesondere bei neurologischen und dermatologischen Syndromen der Fall. Die Inzidenz paraneoplastischer Syndrome ist weit grer, als frher vermutet wurde. Es mu dabei bercksichtigt werden, da subklinische Symptome, wie z.B. Elektrolytstrungen, hufiger beobachtet werden als das Vollbild eines paraneoplastischen Syndroms, wie das des SIADH. Erklrt wird dieses Phnomen dadurch, da einige dieser Hormone biologisch aktiv, dagegen andere nicht biologisch aktiv sind oder da die Hormonproduktion fr die Ausbildung der klinischen Symptome selbst nicht ausreicht. Ein paraneoplastisches Syndrom kann als Symptom einer Tumorerkrankung lange Zeit vorausgehen. Somit kann es einen Indikator zur Frherkennung des malignen Grundleidens darstellen, insbesondere im Hinblick auf die mglicherweise noch kurative Behandlung dieses Karzinoms. Paraneo-
20
Vasoaktives intestinales Peptid
Somatostatin
Somatostatinom
Serotonin, Tachykinine, Bradykinine, Prostaglandine
Karzinoid
VIPom/Verner-MorrisonSyndrom
Testosteron, DHEAS
Androblastom
Glucagon
THR, TSH
Hyperthyreose
Glukagonom
Hypoglyka¨mie
PTHrP, IL-1, IL-6, TGFab, TNF, Prostaglandine
Hyperkalza¨mie
Insulin
Diarrho¨, Flush, Asthma, Endokardfibrose
IGF1 und 2
Tumorhypoglyka¨mie (nicht Insulinom)
Gastrin
Polyurie, Polydipsie, Exsikkose, Erbrechen, Schwa¨che
hCG
Gyna¨komastie
Insulinom
Plasmozytom, NSCLC, Mamma-, Nierenkarzinom, Kopf-Hals-Tumoren u.a.
Hypoglyka¨mie
GHRH, GH
Akromegalie
Diarrho¨, Steatorrho¨, Diabetes mellitus, Cholelithiasis
Wa¨ßrige Diarrho¨, Hypokalia¨mie, Achlorhydrie (WDHA)
Diabetes mellitus, nekrolytisches migratorisches Erythem
Peptische Ulzera, Diarrho¨
Virilisierung, Hirsutismus, Akne, Amenorrho¨
Hyperthyreose
Akromegalie, Diabetes mellitus, Schwa¨che, Amenorrho¨, Impotenz
Hypokala¨mische Alkalose, Schwa¨che, Hypertonie, Hyperglyka¨mie
Neuroendokrine Tumoren
Neuroendokrine Tumoren
Neuroendokrine Tumoren
Neuroendokrine Tumoren
Endokrine Pankreastumoren
Neuroendokrine Tumoren
Ovarial-, Nebennierenrindentumoren
Blasenmole, Chorionkarzinom
Keimzell-, neuroendokrine Tumoren, SCLC, NSCLC
Karzinoide, SCLC, endokrine Pankreastumoren, Ovarialkarzinom
SCLC, Karzinoide, Thymome
20
Gastrinom/ZollingerEllison-Syndrom
Sarkome, Hepatome, Mesotheliome
Gyna¨komastie; Oligomenorrho¨, Hyperthyreose
ACTH, CRH (selten)
SCLC, Kopf-/Hals-Tumoren, NSCLC
Cushing-Syndrom
Hyponatria¨mie, renaler Salzverlust, Hypervola¨mie
Vasopressin, ANP (< 15%)
Assoziierte Tumoren
SIADH
Hauptsymptome
Sezernierte Hormone
Syndrom/Tumor
Tabelle 1. Auflistung endokriner paraneoplastischer Syndrome und paraneoplastischer Syndrome in Zusammenhang mit neuroendokrinen Tumoren
1164 Paraneoplasien
Endokrinologische paraneoplastische Syndrome
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plastische Syndrome knnen aber auch das Krankheitsbild beherrschen und die zugrundeliegende Tumorerkrankung des Patienten zunchst verdecken. Es sollte daran gedacht werden, da anamnestische Angaben und klinische Symptome auch als Ausdruck einer Tumorfernwirkung richtungweisend fr die Entdeckung eines malignen Tumors sein knnen! Schlielich kann das Wiederauftreten der paraneoplastischen Symptomatik nach erfolgreicher Therapie auf ein Rezidiv oder ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung hinweisen. Somit kommt der Erkennung der paraneoplastischen Syndrome in der Onkologie eine groe Bedeutung zu. In den nachfolgenden Abschnitten werden die verschiedenen Paraneoplasieformen beschrieben.
2 Endokrinologische paraneoplastische Syndrome (Tabelle 1) Liddle prgte im Jahre 1969 erstmals den Begriff der ektopen Hormonproduktion in Verbindung mit der Hormonproduktion durch Tumoren, welche blicherweise in ihren Ursprungsgeweben keine Hormone bilden. Dieser Begriff wird zwar heute noch verwendet, doch haben neuere Untersuchungsmethoden zeigen knnen, da weitaus mehr Zellen im menschlichen Krper Hormone bilden knnen, als ursprnglich vermutet wurde. So sollten nach Rees folgende Kriterien fr den Nachweis einer ektopen Hormonproduktion erfllt sein: F F F F
Abfall des Hormonspiegels und Rckbildung des paraneoplastischen Syndroms nach Exstirpation des Tumors, Persistenz des Hormonspiegels nach Entfernung des normalerweise das Hormon bildenden Organs, Nachweis einer arteriovensen Differenz der Hormonkonzentration im Gefsystem des Tumors und Nachweis von Hormonen im Tumorgewebe und eine Produktion des Hormons durch den in vitro kultivierten Tumor.
Als Ursache der paraneoplastischen Hormonproduktion werden die genetische Derepression und die genetische Mutation im Rahmen der Tumorentstehung diskutiert (Mller 1996; Nunnensiek et al. 1998). 2.1 Hypothalamische Releasing-Hormone F Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) F Growth-Hormone-Releasing-Hormon (GHRH) F Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH)
20
1166
20
Paraneoplasien
2.1.1 Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH)
Sehr selten knnen Prostata-, Bronchial-, C-Zell-Karzinome, Gangliozytome, Paragangliome sowie Karzinoide verschiedener Lokalisation ektop CRH bilden und damit ber eine Stimulierung der hypophysren ACTHSekretion zu einem Cushing-Syndrom fhren. Klinische Symptome: Die klinischen Symptome unterscheiden sich nicht von denen eines hypophysren M. Cushings oder einer ektopen ACTH-Bildung. Diagnostik: Gesichert wird die Diagnose durch den Nachweis erhhter peri-
pherer CRH-Spiegel im Serum; diese sind bei anderen Formen des CushingSyndroms nicht nachweisbar. Erschwert wird die Diagnose jedoch vielfach dadurch, da diese Tumoren nicht nur CRH allein, sondern auch ACTH bilden. Therapie: Die kausale Therapie besteht in der Exstirpation des CRH-produ-
zierenden Tumors. Da jedoch in den meisten Fllen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ein fortgeschrittenes Tumorwachstum vorliegt, kommt eine Polychemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. Wenn die klinischen Manifestationen ausgeprgt sind, kann es wie bei der ektopen ACTH-Bildung empfehlenswert sein, die Steroidproduktion mit Aminogluthetimid (2 250 mg/d) oder Ketoconazol (400…1200 mg/d) zu blockieren. Bei schweren metabolischen Entgleisungen knnen zudem die Nebennierenrindeninhibitoren Metopiron (4 250 mg/d) oder o.p.’DDD (Mitotane, 4 500 mg/d unter Substitution von 20 mg/d Kortisol) zum Einsatz kommen. 2.1.2 Growth-Hormon-Releasing-Hormon (GHRH) und Growth-Hormon (GH)
Das Krankheitsbild der Akromegalie ist bedingt durch chronisch erhhte Wachstumshormon(GH)-Spiegel und durch eine sekundre berproduktion von IGF, dem Insulin-like Growth Factor I. In ber 99% der Flle ist ein GH-produzierendes Hypophysenadenom fr die Erkrankung verantwortlich. Bei einer kleinen Anzahl von Patienten tritt eine Akromegalie jedoch in Verbindung mit einem Bronchialkarzinoid auf. Bei Lungentumoren, primren und auch metastasierten Ovarialkarzinomen, in Hautmetastasen bei Mammakarzinomen, bei Karzinoiden, Pankreasinselzelltumoren, Phochromozytomen, Neuroblastomen, medullren Schilddrsenkarzinomen sowie kleinzelligen Bronchialkarzinomen knnen erhhte Wachstumshormonspiegel auftreten. In sehr seltenen Fllen wurde ein hypothalamisches oder intrahypophysres GHRH produzierendes Gangliozytom oder eine ektope GHRH-Sekretion als Ursache von erhhten Wachstumshormonspiegeln diagnostiziert.
Endokrinologische paraneoplastische Syndrome
1167
Klinische Symptome: Das klinische Bild unterscheidet sich nicht von dem der Akromegalie: Vergrberungen des Gesichtsausdruckes, vor allem Grenwachstum von Hnden und Fen. Mnner klagen ber Libido- und Potenzstrungen, Frauen ber Zyklusstrungen oder Amenorrh. Das klinische Bild wird in der Regel nach einer gewissen Zeit von der zugrundeliegenden Tumorerkrankung bestimmt. Diagnostik: Bestimmung der GHRH, GH- und Somatomedin-C(= IGF1)-
Spiegel im Serum. Therapie: Therapie der Wahl ist die operative Entfernung des Primrtumors
und/oder seiner Metastasen. Bei bereits vorhandener nicht operativ kurativer Behandlung der Metastasen kommt eine gezielte Polychemotherapie und/oder Radiotherapie in Betracht. Handelt es sich um Karzinoide, die nicht vllig exstirpiert werden knnen, so ist die Behandlung mit dem Somatostatinanalogon Octreotid angezeigt. Die Wirkung besteht in der Hemmung der hypophysren GH- und GHRH-Freisetzung aus dem Tumor und hat somit auch eine hemmende Wirkung auf das Tumorwachstum. 2.1.3 Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) und Thyroid-Stimulating-Hormon (TSH)
Eine paraneoplastische Hyperthyreose wurde gelegentlich bei Patienten mit Blasenmole oder einem Chorionkarzinom beobachtet und ist sehr selten. Es wird vermutet, da sie durch den hohen Gonadotropinspiegel hervorgerufen wird, die diese Tumoren bilden. Klinische Symptomatik: Das erhhte Hormonangebot fhrt zu einer Steigerung des Stoffwechsels: Tachykardie, Gewichtsabnahme bei gutem Appetit, weite Lidspalten, Glanzaugen, vermehrte Schweineigung, Hitzegefhl und Wrmeintoleranz, hufig Schlagvolumenhochdruck und Durchfallneigung. ˜ltere Patienten geraten nicht selten auf dem Boden einer absoluten Arrhythmie in eine Herzinsuffizienz. Zu den Zeichen der thyreotoxischen Krise gehren Arrhythmia absoluta mit Blutdruckabfall und Kreislaufversagen. Diagnostik: Sicherung durch die Bestimmung von T3, T4 und TSH basal im
Serum (evtl. TRH-Test). Therapie: Die Symptome der Hyperthyreose bilden sich nach Exstirpation des Primrtumors vollstndig zurck. Gelegentlich sind die Symptome durch die Hyperthyreose jedoch so schwer, da vorbergehend eine Behandlung mit Thyreostatika erforderlich wird.
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2.2 Neurohypophysa¨re Hormone: Neurophysin, Oxytocin und Vasopressin – Syndrom der inada¨quaten ADH-Sekretion (Schwartz-Bartter-Syndrom [SIADH]) Schwartz und Bartter beschrieben im Jahre 1957 den Krankheitsverlauf zweier Patienten mit einem Karzinom, welches mit Hyponatrimie, renalem Salzverlust, Hypervolmie und inadquater hoher Urinosmolalitt einherging. Diese Strung wurde auf erhhte Vasopressinspiegel (antidiuretisches Hormon oder ADH) zurckgefhrt. Neben der vermehrten ADH-Bildung kann in seltenen Fllen aber auch eine vermehrte Produktion des atrialen natriuretischen Peptids (ANP) zugrunde liegen. Eine Erhhung der Vasopressinausschttung geht nicht zwangslufig mit einer klinischen Symptomatik einher, sondern scheint nur bei einem Teil der Patienten zu dem Vollbild eines SIADH zu fhren. Am hufigsten sind das Bronchialkarzinom, insbesondere das Oatcell-Karzinom, das Plattenepithelkarzinom der Lunge und das anaplastische Karzinom mit diesem Syndrom vergesellschaftet; seltener wurde es bei Patienten mit Prostata- und Nebennierenrindenkarzinomen, Morbus Hodgkin und Kolonkarzinomen beobachtet. Es scheint eine erhhte Vasopressinausschttung bei Patienten mit einem Karzinom hufiger vorzukommen als das voll ausgebildete klinische Syndrom der inadquaten ADH-Sekretion. Klinische Symptome: Die Entwicklung der klinischen Symptomatik hngt im
wesentlichen vom Ausma der Wasserbelastung ab. Sie ist gekennzeichnet durch F F F F F F
Kopfschmerzen, Schwindel, belkeit, Erbrechen, Zunehmende Desorientierung, Auftreten bulbrparalytischer Syndrome und Krmpfe.
Auslsend ist eine ADH-bedingte Wasserintoxikation mit Hyponatria¨mie, Hypoosmolalita¨t des Serums (unter 270 mosmol/l), Hyperosmolalita¨t des Urins (ber 700 mosmol/l) und vermehrter Natriurie bei normaler Nierenund Nebennierenfunktion. Die trotz Hyponatrimie verstrkte Natriurie wird durch eine vermehrte Filtration und verminderte Aldosteronsekretion bei erhhtem Plasmavolumen hervorgerufen. Differentialdiagnose: Differentialdiagnostisch sollte die SIADH gegenber allen anderen Erkrankungen mit Hyponatrimie abgegrenzt werden, insbesondere gegenber den tubulren Nephropathien und der Addison-Erkrankung, aber auch gegenber der Hypotonie und der Azotmie.
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Ursachen der inadquaten ADH-Sekretion: F
F F
F
Maligne Tumoren: Oatcell- und Plattenepithelkarzinome der Lunge, Prostatakarzinome, Nebennierenrindenkarzinome, Karzinoide verschiedener Lokalisation, Pankreas- und Duodenalkarzinome, Urothelkarzinome der Harnblase, Lymphosarkome, Retikulosarkome, M. Hodgkin und Thymome. Nicht maligne Erkrankungen der Lunge: Tuberkulose, Lungenabsze, Pneumonie, Empyem, chronisch obstruktive Erkrankungen. Erkrankungen des Zentralnervensystems: Schdelfraktur, subdurales Hmatom, Subarachnoidalblutung, Hirnatrophie, Hirnvenenthrombose, akute Enzephalitis, tuberkulse und eitrige Meningitis, Guillain-BarrØ-Syndrom, Lupus erythematodes, akute intermittierende Porphyrie. Medikamente: Chlorpropamid, Vincristin, Vinblastin, Cyclophosphamid, Melphalan, selten Cisplatin, trizyklische Antidepressiva, Thiazide, Ansthetika, Narkotika, Oxytocin, Carbamazepine.
Therapie: Ist die klinische Symptomatik durch die operative Entfernung des
Tumors nicht zu beeinflussen, so ist ein Behandlungsversuch mit Lithium sinnvoll. In Ausnahmefllen kann auch der Einsatz von Demeclocyclin (900…1200 mg/d) hilfreich sein. Allerdings sollte Demeclocyclin insbesondere bei Patienten mit Leberfunktionsstrungen nur mit uerster Vorsicht eingesetzt werden, da es zum Auftreten eines akuten Nierenversagens fhren kann. Eine Flssigkeitsrestriktion auf 25…50% der Erhaltungsmenge fhrt bei der Mehrzahl der Patienten innerhalb weniger Tage zu einer deutlichen Besserung, ist aber den Patienten nur in bedingtem Ausma zumutbar. In seltenen Fllen ist die Verabreichung von hypertoner Kochsalzlsung indiziert. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, da die Korrektur der Natriumwerte langsam erfolgt (max. 10 mmol/l/24 h), da es ansonsten zum Auftreten einer zentralen pontinen Myelinolyse kommen kann. 2.3 Hypophysenvorderlappenhormone F F F F
Adenocorticotropes Hormon (ACTH), b-Lipotropin, Enkephaline, Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) Prolaktin Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) s.u. Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) Wachstumshormone (GH) s.u. Growth-Hormone-Releasing-Hormon (GHRH).
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2.3.1 Paraneoplastisches Cushing-Syndrom
Das paraneoplastisch bedingte Cushing-Syndrom, eines der hufigsten ektopen Hormonsyndrome, wird durch ektope Produktion von adrenokortikotropen Hormonen (ACTH) oder Prohormonen wie Proopiokortin, Proopiomelanokortin oder big-ACTH hervorgerufen. Das Promolekl kann in verschiedene biologisch aktive Fragmente gespalten werden, deren Aktivitt der Wirksamkeit von ACTH, MSH, b-LPH, b-Endorphin und/oder Met-Enkephalin entsprechen kann. Das ektopisch produzierte ACTH fhrt zu einer exzessiven adrenalen Freisetzung von Gluko- und Mineralokortikoiden. Whrend das klinische Bild des M. Cushing durch Vollmondgesicht, Stammfettsucht, Stiernacken, Diabetes mellitus, Hypertonus, Osteoporose, Striae rubrae und Hirsutismus gekennzeichnet ist, fehlen diese Symptome bei ber der Hlfte der paraneoplastisch bedingten Cushing-Syndrome. Grnde hierfr sind der rasche tumorbedingte Krankheitsverlauf und eine gegenber dem normalen ACTH vernderte biologische Aktivitt der auslsenden Wirkstoffe. Leitsymptome des paraneoplastischen Cushing-Syndroms sind F F F F F F F
hypokalimische Alkalose, Hyperglykmie, verminderte Glukosetoleranz, deme, Hochdruck, Hyperpigmentierung, Muskelschwche bzw. -atrophie.
Der Befund einer hypokalimischen Alkalose bei gleichzeitiger Muskelschwche sollte als wichtiges Signalsymptom gewertet werden. Die Freisetzung der Opioidpeptide b-LPH, b-Endorphin und Met-Enkephalin erklrt die beim paraneoplastischen Cushing-Syndrom hufig beobachtete morphinhnliche Symptomatik wie inadquate Analgesie, Katatonie, Kachexie und Anorexie. Die Abgrenzung vom hypothalamisch bedingten Cushing-Syndrom ist durch Nachweis eines erhhten Plasmacortisolspiegels ohne Tagesrhythmik, durch einen negativen Dexamethasonsuppressionstest und einen fehlenden Gradienten der ACTH-Spiegel zwischen hypophysealem und peripherem vensem Blut mglich. Als zugrundeliegende Tumoren finden sich berwiegend Bronchialkarzinome (insbesondere kleinzellige), seltener Thymome, Pankreaskarzinome, medullre Schilddrsenkarzinome, Phochromozytome, Karzinoide sowie bsartige Neubildungen des Knochenmarks.
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2.3.2 Prolaktin
Die ektope paraneoplastische Prolaktinproduktion ist selten. Dagegen ist das Prolaktinom und damit die Hyperprolaktinmie bei Hypophysentumoren relativ hufig anzutreffen. Prolaktin ist vor allem beim Mammakarzinom von Bedeutung. Welche Rolle es jedoch in der Promotion des Tumorwachstums spielt, ist letztlich noch nicht geklrt. Aus neueren Untersuchungen wurde jedoch bekannt, da eine properative Hyperprolaktinmie die Wahrscheinlichkeit einer schlechten Prognose erhht. Bei der Frau fhrt die ektope Produktion von Prolaktin zu Galaktorrh und Amenorrh. Therapie: Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Ist dies nicht mglich, so ist eine gezielte Chemo- und/oder Radiotherapie erforderlich. Eine antagonisierende Medikation mit Bromocriptin oder Quinagolid zur Behandlung der Hyperprolaktinmie wird empfohlen.
2.4 Hormone bei Tumoren im gastroenteropankreatischen Bereich (GEP-Tumoren) Verschiedene klinische Syndrome werden durch tumorbedingte oder ektope Produktion von Peptiden hervorgerufen, die normalerweise im Gastrointestinaltrakt gebildet werden. 2.4.1 Bombesin (Gastrin-Releasing-Hormon, GRP)
Es wurde in neuroendokrinen Zellen des Magens, der fetalen und erwachsenen Lunge sowie in kleinzelligen Bronchialkarzinomen gefunden. Versuche zeigten, da GRP als autokriner Wachstumsfaktor fr menschliche kleinzellige Bronchialkarzinome wirken kann. Bisher wurden keine typischen klinischen Symptome beschrieben. Die Therapie der Wahl besteht in der kompletten Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Sollte zum Zeitpunkt der Diagnose bereits eine Metastasierung vorliegen, so kommt eine gezielte Polychemound/oder Radiotherapie in Betracht. 2.4.2 Gastrin
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.4.3 Glicentin
Glicentin (frher: Enteroglucagon) wird von den L-Zellen im Intestinum produziert. Bisher wurden 3 Flle eines Enteroglukagonoms beschrieben, bei denen hohe Gewebe- und Plasmaspiegel von Enteroglukagon mit einer Hyperplasie der Darmschleimhaut und der Bildung von Riesenfalten asso-
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ziiert waren. In einem Fall war das Enteroglukagonom in der Niere lokalisiert; nach Nephrektomie bildete sich die Anomalie der Darmwand spontan zurck. Bei den beiden anderen Patienten waren die Enteroglukagonome im Pankreas lokalisiert. Die Therapie der Wahl ist die vollstndige operative Entfernung des funktionell aktiven Tumorgewebes. Liegt zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine Metastasierung vor, so kommt eine Polychemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. Zur Hemmung von Hormonsekretion bietet sich Octreotid, mglicherweise aber auch eine Therapie mit a-Interferon an. 2.4.4 Glucagon
Siehe auch Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.4.5 Insulin
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.4.6 Neurotensin
Neurotensin, ein Neuropeptidhormon, kann hufig in endokrin aktiven Pankreastumoren angetroffen werden. Bislang ist noch kein einheitliches Syndrom beschrieben, das auf einen hohen Plasmaspiegel von Neurotensin zurckzufhren wre. Es gibt eine Fallbeschreibung ber einen Patienten, bei dem 80% der endokrinen Zellen eines Pankreastumors neurotensinsezernierend waren. Die klinische Symptomatik ging mit einer schweren Refluxsophagitis einher, und man konnte vermuten, da eine neurotensininduzierte Erhhung des Darmtonus die Ursache hierfr war. Wenn sowohl VIP als auch Neurotensin von Pankreastumoren produziert werden, entsprechen die klinischen Symptome derjenigen der pankreatischen Cholera. Liegt gleichzeitig eine Sekretion von Gastrin und Neurotensin vor, so imponieren die klinischen Symptome wie beim Zollinger-Ellison-Syndrom. 2.4.7 Serotonin
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.4.8 Somatostatin
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.4.9 Pankreatisches Polypeptid (PP)
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“.
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2.4.10 Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP)
Siehe Kapitel 102 „Neuroendokrine Tumoren (NET)“. 2.5 Sonstige paraneoplastische Endokrinopathien 2.5.1 Androgene
Androblastome im Ovar und Tumoren der Nebennierenrinde knnen Testosteron bzw. Androgene produzieren. Zu den typischen klinischen Symptomen gehren bei der Frau eine vermehrte Behaarung vom maskulinen Typ (Hirsutismus), Virilisierung, Akne sowie eine sekundre Amenorrh. Die Ausbildung der genannten klinischen Symptome, besonders der Virilisierung, braucht in der Regel Monate. Zur Differenzierung der Herkunft der Androgene und zum Ausschlu eines androgenproduzierenden Tumors sollten Testosteron und Dehydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) bestimmt werden. Liegen nicht nur die Testosteronwerte, sondern auch die DHEAS-Konzentrationen weit ber dem Normbereich, besteht Tumorverdacht. Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und seiner Metastasen. Liegt bereits eine Metastasierung vor, so kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Strahlentherapie in Betracht. Eine zustzliche Therapie mit Antiandrogenen, insbesondere wenn die Symptomatik bei weit fortgeschrittenem Tumorleiden allein durch die Poly- und/oder Strahlentherapie nicht mglich ist, sollte in Erwgung gezogen werden. 2.5.2 Atrialer natriuretischer Faktor (ANF)
ANF induziert eine starke Natriurese sowie eine vermehrte Chlorid- und Kaliumausscheidung und hemmt das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System auf verschiedenen Ebenen (s. Abschnitt 2.2). Neuroendokrine Bronchialtumoren knnen ANF synthetisieren. Die Sicherung der Diagnose erfolgt ber die Bestimmung eines erhhten ANF-Spiegels im Serum und ber eine vermehrte Natriumchlorid- und Kaliumausscheidung im Urin. Die Therapie der Wahl ist die Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Sind bereits bei Diagnosestellung Metastasen vorhanden und knnen diese nicht exstirpiert werden, kommt eine Chemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. 2.5.3 Calcitonin
Calcitonin ist ein Polypeptid aus 32 Aminosuren. Sein Gen ist auf dem langen Arm von Chromosom 11 lokalisiert. Es wird normalerweise von den parafollikulren Zellen der Schilddrse gebildet und kann als Marker
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fr das medullre Schilddrsenkarzinom, welches sich aus diesen Zellen entwickeln kann, verwendet werden. Eine ektope Calcitoninproduktion kann assoziiert sein mit einem Oatcell-Karzinom der Lunge oder mit Mamma-, Kolon-, Pankreas- und Magentumoren. Die Hufigkeit erhhter Calcitoninspiegel bei Patienten mit Malignomen liegt bei bis zu 35…60%. Differentialdiagnostisch mssen jedoch auch andere Faktoren wie Stre oder Vernderungen im Vitamin-D-Stoffwechsel, die die Calcitoninproduktion ebenfalls erhhen knnen, in Betracht gezogen werden. Ektop gebildete Calcitonine fhren zu keiner typischen klinischen Symptomatik. Der Nachweis erhhter Calcitoninspiegel ist fr die Diagnose entscheidend. Differentialdiagnostisch ist der Pentagastrintest richtungweisend, denn nur bei Patienten mit einem C-Zell-Karzinom der Schilddrse wird durch die Gabe von Pentagastrin die Calcitoninausschttung stark stimuliert. Therapeutisch kommt der Tumorentfernung eine entscheidende Bedeutung zu. Ist die Totalexstirpation des Primrtumors nicht mglich und sind Metastasen vorhanden, so ist eine gezielte Polychemo- und/oder Radiotherapie in Erwgung zu ziehen. 2.5.4 Humanes Choriongonadotropin (hCG)
Die Inzidenz erhhter hCG-Serumspiegel in Abhngigkeit von der Spezifitt und Sensitivitt des angewendeten Tests liegt bei nichtseminomatsen Keimzelltumoren des Hodens zwischen 50 und 85%, bei Seminomen zwischen 8 und 50% und beim testikulren und plazentaren Chorionkarzinom sowie bei der Blasenmole zwischen 95 und 100%. Assoziiert mit einer erhhten Gonadotropinproduktion sind auch andere maligne Tumoren, wie z.B. maligne Melanome, Karzinome der Nebenniere, undifferenzierte Karzinome, Mammatumoren, Hypernephrome und Lungenkarzinome unterschiedlicher Histologie. Durch die exzessive Gonadotropinproduktion kann es bei Kindern zu einer Pubertas praecox, bei Mnnern zu einer Gynkomastie und bei Frauen zu einer Oligomenorrh in der Prmenopause fhren. Exzessiv hohe Gonadotropinspiegel knnen zu einer Stimulation der Schilddrse mit nachfolgender Hyperthyreose fhren. Die Therapie der Wahl besteht in vollstndiger Entfernung des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Bei einem ausgedehnten Tumorwachstum kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. 2.5.5 Hyperkalza¨mie
Die paraneoplastische Hyperkalzmie stellt die hufigste tumorassoziierte, durch endokrine Faktoren ausgelste Stoffwechselstrung dar (Walls et al. 1995). Sie ist hufig assoziiert mit Mammakarzinomen, squamsen Karzi-
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nomen im Bereich von Kopf und Hals, nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen, Hypernephromen und multiplem Myelom. Andere hufige Karzinomarten wie Adenokarzinome des Kolons, des Magens und der Prostata sowie kleinzellige Bronchialkarzinome sind dagegen selten mit einer Hyperkalzmie assoziiert. Mit einer Hyperkalzmie im Laufe ihrer Erkrankung mssen 10…20% aller Tumorpatienten rechnen. Als Ursache der paraneoplastischen Hyperkalzmie werden diskutiert F F F F F
Ektope Sekretion von parathormonhnlichen Substanzen und Zytokinen, Sekretion von Transforming growth factor (TGF-a), Sekretion von Prostaglandinen, Erhhung von Cholecalciferol-Hydroxylase-Aktivitt und Sekretion von Osteoklasten-aktivierendem Faktor, Interleukin-I.
Zu den klinischen Symptomen zhlen renale, gastrointestinale, kardiale, neurologische und psychische Vernderungen. So finden sich als wesentliche Symptome Polyurie, Polydipsie, Exsikkose, Erbrechen, Darmatonie, QT-Zeit-Verkrzung im EKG, Adynamie, Hyporeflexie und in ausgeprgteren Fllen schlielich Gedchtnisstrungen, Verwirrtheit und Koma. Zur Genese, Diagnostik und Therapie der tumorassoziierten Hyperkalzmie verweisen wir auf das Kapitel 18.1 „Hyperkalzmie“. 2.5.6 Hypokalza¨mie
Gelegentlich findet sich eine Assoziation einer Hypokalzmie und Hypophosphatmie bei Patienten mit Knochenmetastasen bei Lungen-, Prostataund Mammakarzinomen sowie bei chronischen Leukmien. Die Ursache der Hypokalzmie beruht auf einer erhhten Kalziumresorption aus dem Skelettsystem. Klinisch klagen die Patienten ber Muskelkrmpfe, leichte Ermdbarkeit, verminderte Vigilanz und z.T. auch ber Angst und Depression. Diagnostisch sollten im Serum oder Plasma Calcium, Phosphat, Calcitonin, Magnesium, PTH und Vitamin D bestimmt werden sowie im 24-h-Urin die Ausscheidung von Calcium, Phosphat und Magnesium. Die Kausaltherapie besteht in der Exstirpation des Primrtumors. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. Zustzlich sollten im Akutstadium bei den Symptomen einer Tetanie Infusionen mit 20 ml einer 10%igen CalciumgluconatLsung in 15…20 min appliziert werden. Danach folgt die Gabe von Calcium 15 mg/kg KG ber 6 h kontinuierlich zum Ausgleich der Hypokalzmie. Nachfolgend knnen oral Calcium und Vitamin D verabreicht werden.
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2.5.7 Hypophosphata¨mie
Eine Hypophosphatmie ist bei verschiedenen Tumoren, wie bleomorphen Sarkomen, mesenchymalen Tumoren oder Riesenzelltumoren des Knochens sowie auch bei Prostatakarzinomen, beschrieben worden. Zu den klinischen Symptomen gehren Anorexie, Polyurie, Leistungsschwche, Muskelkrmpfe und Knochenschmerzen. Gelegentlich kann es auch zu pathologischen Faktoren kommen. Diagnostisch gehren zur Bestimmung von Calcium, Phosphat, 25(OH)-D3, 1,25(OH)2-D3, PTH im Serum oder Plasma sowie im 24-h-Urin die Calciumund Phosphatausscheidung. Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors. Es ist darauf hinzuweisen, da die Tumoren klein und auch versteckt liegen knnen, so da eine sehr sorgfltige Suche nach dem Primrtumor erfolgen sollte. Ist eine Entfernung des Primrtumors und/oder seiner Metastasen nicht mglich, so sollte eine Behandlung mit Phosphat und 1,25-Dihydroxy-Vitamin D zur Besserung der klinischen Symptomatik eingesetzt werden. 2.5.8 Hypomagnesia¨mie
Strungen, die durch Magnesiummangel verursacht werden, sind komplex. Die klinischen Symptome, die durch die Hypomagnesimie verursacht werden, sind nicht typisch. Sie knnen jedoch mit einer neuromuskulren bererregbarkeit einhergehen, z.B. einem positiven Trousseau- oder Chvostek-Zeichen oder spontanen Karpopedalspasmen, Tremor und muskulren Zuckungen. Charakteristisch sind ein niedriger Magnesiumspiegel im Serum sowie eine Verminderung des Serumkalziums und/oder eine Hypokalziurie. Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Bei einem ausgedehnten Tumorleiden sollte eine Polychemotherapie oder Radiotherapie erfolgen. Eine zustzliche Behandlung mit Magnesiumsulfat oder Magnesiumchlorid und die Behandlung der Hypokalzmie lindern rasch die Symptomatik der Hypomagnesimie. 2.5.9 Insulin-like Growth Factors I und II (Somatomedine – Tumorhypoglyka¨mie)
Groe mesenchymale, hufig retroperitoneal gelegene Tumoren wie Sarkome oder Hmangioblastome knnen mit einer ektopen Produktion und Sekretion von IgF-II assoziiert sein. Die Genese der paraneoplastischen Hypoglykmien ist letztendlich noch unklar, mglicherweise kommt es zu einer verstrkten Glukoseutilisation in groen Tumoren oder einer vermehrten Freisetzung von IgF („Insulin-like growth factor“). Die klinischen
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Symptome der Tumorhypoglykmie hneln der der Hypoglykmie des Insulinoms, wobei laborchemisch typischerweise neben erniedrigten Blutzuckerwerten erhhte IgF-I- (Somatomedin C) und IgF-II-Spiegel im Serum neben erniedrigten Insulinspiegeln gefunden werden. Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Ist dies nicht mglich, so ist eine Polychemound/oder Radiotherapie vonnten, und zustzlich sind Behandlungsmanahmen mit Glukokortikoiden, Glucagon und Diazoxid erforderlich. 2.5.10 O¨strogene und Gestagene
Bei ca. 50% aller Mammakarzinome ist eine Abhngigkeit von Steroidhormonen, in erster Linie strogenen und Gestagenen, anzunehmen. Eine analoge hormonelle Abhngigkeit ist auch im Endometrium und bei Prostatakarzinomen festzustellen. Andererseits gibt es Tumoren, die strogene in erhhtem Mae produzieren, wie z.B. Leydig- und SertoliZell-Tumoren, Tumoren der Nebennierenrinde, Granulosazelltumoren und das benigne pulmonal metastasierende Leiomyom. Die letztgenannten Tumoren sezernieren hufig strogene, wohingegen es bei Chorionkarzinomen, bronchogenen Tumoren und Tumoren des Gastrointestinaltraktes, die hCG oder b-hCG sezernieren, durch die bermige Stimulation der Leydig-Zellen zu einer Erhhung der strogene im Serum kommt. Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Sollte dies nicht mglich sein, so kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Strahlentherapie in Betracht. Gegebenenfalls ist auch eine Antistrogentherapie in Erwgung zu ziehen. 2.5.11 Renin
Eine Hypertonie, verursacht durch eine erhhte Reninproduktion, wurde am hufigsten bei juxtaglomerulren Tumoren der Niere, aber auch bei Pankreas-, Ovarial-, Lungenkarzinomen und Leiomyosarkomen beobachtet. An eine ektope oder paraneoplastische Reninproduktion sollte gedacht werden, wenn ein Patient mit einem Karzinom eine Hypertonie mit Hypokalimie entwickelt. Erhhte Blutdruckwerte und erhhte Reninspiegel bei gleichzeitig erniedrigtem Kaliumspiegel weisen auf die Diagnose hin. Eine erfolgreiche Behandlung besteht in der Therapie der zugrundeliegenden malignen Erkrankung. Sollte eine Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen nicht mglich sein, so ist eine gezielte Polychemo- und/oder Radiotherapie erforderlich. Gleichzeitig haben sich die Gaben von Captopril zur symptomatischen Behandlung des Hochdrucks bewhrt.
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2.5.12 Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)
Trotz der Bezeichnung „Tumor-Nekrose-Faktor“ oder Kachektin handelt es sich um typisch pleiotrope Zytokine. Ihre Aktivitt wird einerseits weitgehend von dem Zelltyp, an den sie gebunden sind, bestimmt und andererseits vom Vorhandensein anderer Regulationsproteine. Wir unterscheiden zwei Gruppen: TNF-a, das Kachektin, und TNF-b, das Lymphotoxin. Beide binden an denselben Rezeptor. TNF-a: TNF-a ist normalerweise fr die Immunantwort notwendig. Eine berexpression fhrt bei Tumorpatienten zur Kachexie und kann berdies zu einer schweren Hypotension fhren. Die Therapie der Wahl besteht zum einen in der vollstndigen Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen. Liegt bereits eine ausgedehnte Metastasierung vor, so kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Radiotherapie in Betracht. TNF-b: Erhhte TNF-b-Werte im Serum knnen bei Patienten zu einer
metabolischen Azidose und zu einer Erniedrigung des CO2-Partialdruckes fhren. Auerdem wird die Synthese von Strehormonen, wie Epinephrin, Norepinephrin und Glucagon, induziert und der Glukose-Metabolismus verndert. Sollte bereits zum Zeitpunkt der Diagnose eine ausgedehnte Metastasierung vorliegen, so kommt eine gezielte Polychemo- und/oder Strahlentherapie in Betracht. 2.5.13 Multiple endokrine Neoplasie (MEN)
Bei den multiplen endokrinen Neoplasien handelt sich um genetisch bedingte Erkrankungen, die familir auftreten und deren Erbgang autosomal-dominant ist. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch das unabhngige Auftreten von benignen oder malignen Vernderungen an verschiedenen endokrinen Organen wie Hypophyse, Schild- und Nebenschilddrse, Pankreas, Nebenniere, Nebennierenmark sowie Vernderungen an Nerven-, Muskel- und Bindegewebe. Drei Formen knnen unterschieden werden: F
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MEN Typ I (Wermer-Syndrom): Nebenschilddrsenhyperplasie in Kombination mit Inselzelltumoren des Pankreas und einem Hypophysenadenom, MEN Typ II (MEN IIa, Sipple-Syndrom): Medullres Schilddrsenkarzinom in Kombination mit einem Phochromozytom und einer Nebenschilddrsenhyperplasie, MEN Typ IIb oder III: Medullres Schilddrsenkarzinom in Kombination mit einem Phochromozytom und multiplen Schleimhautneurinomen.
Ha¨matologische paraneoplastische Syndrome
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Die Einzelheiten der drei Formen werden in den verschiedenen Kapiteln (siehe auch unter Stichworten) aufgefhrt.
3 Ha¨matologische paraneoplastische Syndrome Strungen aller Zellinien des hmatopoetischen Zellsystems und der Blutgerinnung knnen bei Karzinompatienten hufig beobachtet werden. Die hufigsten Ursachen liegen hierfr in einer Infiltration des Knochenmarks durch den Tumor selbst und/oder seiner Metastasen, in Infektionen oder in toxischen Schdigungen nach Chemo- und/oder Radiotherapie. Die Hufigkeit der paraneoplastischen Syndrome des hmatopoetischen Systems im eigentlichen Sinne werden mit ca. 5% angenommen. Die Ursache, insbesondere fr die Vermehrung der Zellen, ist die aberrierende Produktion von hmatopoetischen Wachstumsfaktoren (Rther et al. 1998; Silling-Engelhardt u. Hiddemann 1990). 3.1 Paraneoplastische Vera¨nderungen der Erythropoese 3.1.1 Polyglobulie Erythropoetininduzierte Erythrozytose
Die paraneoplastisch bedingte Polyglobulie (Erythrozytose) findet sich am hufigsten bei Nierenzellkarzinomen (35%), Hepatomen (19%) und zerebralen Hmangioblastomen (15%). Weiterhin kann sie bei Tumoren der Nebennierenrinde (aldosteronsezernierende Adenome) und Phochromozytomen, Mischtumoren der Ovarien, der Lunge und des Thymus sowie bei Fibromen des Uterus (hufig aldosteronsezernierende Adenome) vorkommen. Als auslsende Faktoren werden diskutiert: F F F F
Die direkte Produktion von Erythropoetin im Tumor, Eine durch den Tumor bedingte lokale Hypoxmie, Die Sekretion eines Mediators, der zur ektopischen Erythropoetinbildung fhrt, Die Vernderung des Metabolismus von Erythropoetin durch den Tumor.
Nicht-erythropoetinbedingte Erythrozytose
Da nicht alle Patienten mit Polyglobulie erhhte Erythropoetinspiegel aufweisen, mssen noch andere Mechanismen existieren. So wurden bei Nebennieren- und virilisierenden Ovarialtumoren Androgene und ACTH mit erythropoetischem Effekt nachgewiesen. Im Gegensatz dazu konnten die Mechanismen, die zu einer Polyglobulie bei Phochromozytomen und aldosteronproduzierenden Nebennierenadenomen fhren, letztendlich
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noch nicht hinreichend erklrt werden. Mglicherweise knnte dieser Mechanismus auch ber tumorassoziierte Prostaglandine laufen. Inzwischen ist bekannt, da diese die Wirkung von Erythropoetin auf die Differenzierung der Vorlufer der roten Blutzellen hemmen. Dies ist wahrscheinlich, weil erhhte Prostaglandinspiegel assoziiert mit einer Hyperkalzmie blicherweise bei Patienten mit Hypernephromen angetroffen werden. In der Regel bedarf die Polyglobulie keiner Therapie, und nur in seltenen Fllen ist ein Aderla erforderlich. In 97% der Flle ist die Entfernung des Primrtumors ausreichend, um die Erythrozytose zu beherrschen. 3.1.2 Ana¨mien
Bei Karzinompatienten kann eine Anmie durch verschiedene Ursachen bedingt sein, u.a. durch eine Tumorinfiltration des Knochenmarks, Blutverlust, Suppression des Knochenmarks nach Chemo- und/oder Radiotherapie, Hypersplenismus, Hmolyse durch Wrme- und Klteagglutinine, megaloblastre Strungen der Erythropoese, Vitamin- und Eisenmangel, Eisenverwertungsstrungen, eine Aplasie der roten Blutzellen oder durch eine mikroangiopathische hmolytische Anmie. In den meisten Fllen kann jedoch die Ursache der Anmie bei tumorerkrankten Patienten nicht eruiert werden, und es wird die Diagnose einer ,,chronischen Ana¨mie" gestellt. Eine denkbare Ursache wre zum einen die Wirkung des Tumors auf die Knochenmarkfunktion und zum anderen die Wirkung auf den Stoffwechsel oder die Kinetik der Erythrozyten. Die Anmie bei der chronischen Malignomerkrankung ist nicht mit einer bestimmten Karzinomart assoziiert. Sie ist in der Regel normozytr, normochrom oder hypochrom, weist normale Eisenspeicher auf (niedrige Serumeisenspiegel, niedrige totale Eisenbindungskapazitt), normale Retikulozytenzahlen, normale Ausreifung der roten Blutzellen bei mig gesteigerter Erythropoese und leicht verkrzter berlebenszeit der roten Blutzellen. Aplastische Ana¨mie (,,pure red cell aplasia")
Eine aplastische Anmie kommt vor bei Thymomen, aber auch bei Magenund Mammakarzinomen, Adenokarzinomen unklaren Ursprungs, Plattenepithelkarzinomen der Lunge und Haut, anaplastischen Bronchialkarzinomen und lymphoproliferativen Erkrankungen vom T-Zell-Typ. Charakteristisch ist eine Hypoplasie des Knochenmarks mit berwiegender Verminderung aller roten Vorluferzellen und eine normochrome Anmie mit Retikulozytopenie. Als auslsende Faktoren bei lymphoproliferativen Erkrankungen vom T-Zell-Typ konnten eine T-Zell-bedingte Suppression der Erythropoese sowie ein Fehlen von Knochenmarkerythropoetin nachgewiesen werden.
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Bei Thymomen oder anderen soliden Karzinomen wurden Antikrper der Klasse IgG gefunden, welche gegen Erythropoetin gerichtet waren, woraus eine Erniedrigung des Serumerythropoetinspiegels resultierte. In anderen Fllen konnten Antikrper gegen erythropoetische Vorluferzellen gefunden werden mit daraus resultierender reaktiver Erhhung der Serumerythropoetinkonzentration und fehlenden roten Vorstufen im Knochenmark. Die wirksame Therapie besteht nur in einer effektiven Behandlung der urschlichen Tumorerkrankung. Bei Patienten mit lymphoproliferativen Erkrankungen vom T-Zell-Typ wurde Cyclophosphamid mit Erfolg eingesetzt. Autoimmunha¨molytische Ana¨mien (AIH)
Autoimmunhmolytische Anmien vom Wrme- oder Klteantikrpertyp treten mit einer Inzidenz von 10…20% bei B-Zell-lymphoproliferativen Erkrankungen auf. Diese Symptome knnen der Primrerkrankung Monate, ja sogar Jahre vorausgehen. In wenigen Fllen findet man eine AIH auch bei Karzinomen der Lunge aller histologischer Typen, Hypernephromen, Ovarial-, Mamma-, Magen-, Zervix- und Kolonkarzinomen sowie Seminomen, Dermoidzysten der Ovarien und Mikrozysten in Pankreasadenomen. Pathogenetisch wird u.a. eine Anlagerung von Antigen-Antikrper-Komplexen, gebildet im Rahmen der immunologischen Antitumorreaktionen, an die Erythrozytenmembran mit nachfolgender Hmolyse diskutiert. Bei jeder Form der AIH sollten Antikrper vom Wrme- und Kltetyp bestimmt werden. Leitsymptom ist eine schwere Anmie mit einer Hmoglobinkonzentration um 7 g/dl. Meist ist diese von einer Retikulozytose und einer Splenomegalie begleitet. Im Gegensatz zur idiopathischen AIH zeigt sich im Regelfall bei der tumorassoziierten Form kein Ansprechen auf Kortikosteroide, doch knnen die Resektion des Primrtumors oder eine Strahlenund/oder Chemotherapie zu einer Besserung oder gar Heilung der AIH fhren. Evans-Syndrom
Das Syndrom ist charakterisiert durch das gleichzeitige Vorkommen von AIH und einer idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (ITP). Es kommt seltener vor als die AIH oder die ITP allein und wird bei verschiedenen Karzinomen und auch bei Lymphomen beobachtet. Diskutiert wird die Ursache in kreuzreagierenden Antikrpern, durch Bildung von Autoantikrpern im Rahmen der Tumorerkrankung oder durch die Expression einer Substanz vom Tumor, die sowohl die Erythrozyten als auch die Thrombozyten alteriert und beide Systeme auf diese Weise fr das Immunsystem angreifbar macht.
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Paraneoplasien
Klinisch stehen im Vordergrund die Symptome entweder der immunhmolytischen Anmie oder der thrombozytopenischen Purpura. Letztere kann der Anmie vorausgehen oder sich auch spter entwickeln. Der Verlauf der Erkrankung kann ein akuter oder chronisch-intermittierender sein. Die Laborbefunde entsprechen denen der idiopathischen Thrombozytopenie, charakteristisch ist der positive Coombs-Test. Therapeutisch steht die Behandlung der malignen Grunderkrankung im Vordergrund. Mikroangiopathisch-ha¨molytische Ana¨mie (MAHA)
Die mikroangiopathisch-hmolytische Anmie ist charakterisiert durch das Auftreten von fragmentierten roten Blutzellen. In etwa der Hlfte der Flle geht eine mikroangiopathische hmolytische Anmie mit einer disseminierten intravasalen Koagulation (DIC) einher. Zugrunde liegen hufig muzinproduzierende Adenokarzinome des Gastrointestinaltraktes (Magenkarzinome). Eine MAHA kann jedoch auch bei Mammatumoren, Bronchialkarzinomen, bei Karzinomen der Prostata, der Ovarien, des Pankreas, des Kolons, der Leber, der Gallenwege sowie der Samenblschen gefunden werden. Pathogenetisch geht man davon aus, da die Invasion von Tumorzellen zu Endothellsionen fhrt, die nachfolgend Ablagerungen von Thrombozyten und Fibrin induzieren. Die hieraus resultierende Beeintrchtigung der Mikrostrombahn fhrt zu Scherkrften mit Fragmentation der Erythrozyten. Gleichzeitig kommt es zur Aktivierung von Thrombozyten und Kontaktfaktoren der plasmatischen Gerinnung. Klinisch kann es bis zum Vollbild der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (M. Moschcowitz) wie auch zu Bildern eines hmolytisch-urmischen Syndroms kommen. Laborchemisch charakteristisch sind stets eine Coombs-Test-negative, schwere mikroangiopathisch-hmolytische Anmie mit thrombozytopenischer Blutungsneigung sowie eine disseminierte, mikrothrombotische Gefalteration und dadurch bedingte Organstrungen. In 50…60% der Verlaufsformen treten eine disseminierte intravasale Gerinnungsstrungen auf. In der Regel sterben die Patienten bereits 21 (2…90) Tage nach der Diagnosestellung. Eine wirksame Therapie ist nur durch eine erfolgreiche Behandlung des malignen Grundleidens mglich. Ist eine MAHA mit einer disseminierten intravasalen Gerinnung assoziiert, scheint es sinnvoll zu sein, Heparin bei gleichzeitiger Behandlung des Grundleidens einzusetzen, um die intravasale Gerinnung beherrschen zu knnen.
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3.2 Paraneoplastische Vera¨nderungen der Leukozytopoese 3.2.1 Leukozytose
Eine paraneoplastisch bedingte Leukozytose findet man bevorzugt bei unbehandelten oder rezidivierenden Hodgkin- oder Non-Hodgkin-Lymphomen und Karzinomen der Lunge, des Magens, des Pankreas sowie auch bei Weichteilsarkomen. Pathogenetisch sind sie auf zytokinvermittelte Mechanismen zurckzufhren, da erhhte Konzentrationen hmatopoetischer Wachstumsfaktoren (G-CSF, GM-CSF) in berstnden von Tumorzellinien betroffener Patienten nachgewiesen werden konnten. In der Regel verluft die Leukozytose asymptomatisch, und eine spezifische Behandlung ist nicht erforderlich. Sweet-Syndrom
Die Leitsymptome dieser Erkrankung bestehen in einer akuten febrilen Dermatose mit dichter Infiltration der Haut durch neutrophile Granulozyten und gleichzeitig bestehender Leukozytose im peripheren Blut, Myalgien, Arthralgien, Glomerulonephritiden, Konjunktivitis, Iritis und pulmonalen Infiltraten. Das Sweet-Syndrom ist in 10…20% der Flle mit einer malignen Erkrankung, meist akuten Leukmien oder myelodysplastischen Syndromen, Morbus Hodgkin, Bronchial-, Pankreas- und Magentumoren, assoziiert. Die Therapie der Wahl besteht in der Behandlung der malignen Grunderkrankung; gleichzeitig kann eine Therapie mit Kortikosteroiden erfolgversprechend sein. Eosinophilie
Eine Eosinophilie kann relativ hufig (bis zu 20%) mit nicht-leukmischen Neoplasmen, insbesondere mit Morbus Hodgkin und der Mycosis fungoides, assoziiert sein. Sie wurde aber auch bei Lymphomen anderer Histologie, Melanomen, Hirntumoren und soliden Tumoren wie Bronchial-, Magen- und Pankreaskarzinomen gefunden. Klinisch kann sie symptomatisch werden, wenn die Zellzahl ausreichend hoch ist und ein allergisches Geschehen oder ein eosinophiles Lungeninfiltrat (Loeffler-hnliches Syndrom) mit flchtigen nodulren pulmonalen Infiltraten, leichtem Husten, Schlappheit und geringgradigem Fieber bei Karzinompatienten auftritt. Charakteristisch zeigt das periphere Blutbild eine Vermehrung der reifen Eosinophilen auf Werte ber 0,4109/l. Die Therapie richtet sich gegen das zugrundeliegende maligne Leiden. Sollte es trotz dieser Manahmen nicht zu einer raschen Besserung der Symptome kommen, so kann ein Versuch mit Kortikosteroiden gemacht werden.
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Paraneoplasien
Basophilie
Diese ist hufig assoziiert mit chronisch-myeloischen Leukmien und der Polycythaemia vera. Bei anderen Malignomen wurde sie bislang noch nicht gesehen. Ein basophiles paraneoplastisches Syndrom wurde bisher noch nicht beschrieben. 3.2.2 Leukozytopenie
Leukozytopenie bzw. Granulozytopenie als paraneoplastisches Syndrom ist sehr selten und nur kasuistisch bei lymphoproliferativen Erkrankungen des T-Zell-Systems beschrieben. Urschlich wird vermutet, da abnormale T-Zellen direkt mit der Granulozytenproduktion interferieren. In der Regel ist der Verlauf asymptomatisch, es kann gelegentlich aber zum Auftreten von Infektionen kommen. Eine wirksame Behandlung liegt in der Therapie der zugrundeliegenden Malignomerkrankung; in manchen Fllen haben Kortikosteroide und alkylierende Substanzen zu einer Besserung der Neutropenie gefhrt. 3.3 Paraneoplasien mit Vera¨nderungen der Megakaryopoese 3.3.1 Thrombozytose
Plttchenzahlen ber 400 000/ll sollen bei ca. 30…50% aller Karzinompatienten vorkommen. Differentialdiagnostisch sollten myeloproliferative Syndrome, die ein paraneoplastisches Syndrom vortuschen knnen, sowie akute und chronisch entzndliche Erkrankungen, akute Blutverluste, Eisenmangel, hmolytische Anmien, Postsplenektomiesyndrome und Thrombozytosen nach Gabe von Vincristin und Epinephrin ausgeschlossen werden. Eine Thrombozytose bei Karzinomerkrankungen wird v.a. bei nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomen, Tumoren des Gastrointestinaltraktes, Mammakarzinomen, Pleuramesotheliomen, Leukmien, Morbus Hodgkin und Non-Hodgkin-Lymphomen beobachtet. Die Thrombozytose scheint auf einer vermehrten Inkretion von Thrombopoetin zu beruhen. Auch eine vermehrte Proliferation von Megakaryozyten unter dem indirekten Einflu von bergeordneten Wachstumsfaktoren wie Interleukin-1 und -3 wird diskutiert. Selten kommt es zu Thrombosen oder zu Hmorrhagien. Aus diesem Grund ist eine spezifische Behandlung der Thrombozytose nicht indiziert, sondern nur die Therapie der zugrundeliegenden Malignomerkrankung.
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3.3.2 Thrombozytopenie
Bei Morbus Hodgkin, immunoblastischen Lymphomen sowie Karzinomen der Lunge, der Mamma, des Rektums, der Gallenblase und des Hodens wurde ein „ITP-hnliches“ Syndrom beschrieben. Beim Morbus Hodgkin, bei Lymphomen, der chronischen lymphatischen Leukmie und der akuten lymphatischen Leukmie tritt dieses Syndrom mit einer Hufigkeit bis zu 30% auf. Eine Thrombozytopenie, die der Granulozytopenie nicht proportional ist und mit normaler oder erhhter Megakaryozytenzahl im Knochenmark und einem raschen Abfall der Plttchen-nach-PlttchenTransfusionen einhergeht, ist am ehesten als „ITP-hnliches“ Syndrom anzusehen. Autoimmunvorgnge kommen als mgliche Ursachen fr diese Phnomene in Frage, die im Rahmen der vernderten Immunabwehr denkbar sind. So konnten Autoantikrper gegen Plttchenfaktor 3 und auch weitere thrombozytre Antigene nachgewiesen werden, die eine Sequestration der Plttchen im retikuloendothelialen System zur Folge haben. Anomalitten der Plttchenfunktion wurden auch bei Plasmazelldyskrasien gefunden. In diesen Fllen wurde eine Interferenz zwischen dem monoklonalen Protein und der Plttchenfunktion diskutiert. Bei ber 80% der Patienten kommt es charakteristischerweise zum Auftreten von Petechien bzw. einer Purpura mit gleichzeitig bestehenden groflchigen Hautblutungen … Sugillationen und Suffusionen. Die Plttchenzahl liegt meistens unter 30 000/ll. Die Therapie der Wahl besteht in der Behandlung der zugrundeliegenden malignen Erkrankung; hufig kommt es nach hochdosierter Kortikoidgabe (60…100 mg/Tag) nur zu einem vorbergehenden Anstieg der Plttchenzahlen. In der Literatur wird ber erfolgreiche Splenektomien berichtet. 3.4 Ha¨mophagozytotische Syndrome Hmophagozytotische Syndrome sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die sich durch eine ungeregelte Aktivierung von Makrophagen auszeichnen. Klinisch werden zwei Gruppen unterschieden: die familire erythrophagozytotische lymphohistiozytotische Form und die infekt- oder auch malignomassoziierten hmophagozytotischen Syndrome. Klinisch sind sie charakterisiert durch eine akut bis subakut auftretende Panzytopenie mit oder auch ohne Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, einer Makrophagenvermehrung sowie Nachweis einer Leukozyten-, Thrombozyten- und Erythrozytenphagozytose. Einige Patienten haben hohes Fieber, leiden an Gewichtsverlust, haben auch erhhte Leberenzyme und knnen letztendlich an einer Infektion versterben. Das malignomassoziierte hmophagozytotische Syndrom ist selten. Es wurde bei Magenkarzinomen, Lymphomen, akuten Leukmien, Keimzelltumoren und myelodysplastischen Syndromen beobachtet. Diskutiert wird als Ursache eine
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Paraneoplasien
Freisetzung hoher Konzentrationen von Zytokinen aus neoplastischen Zellen oder aus aktivierten T-Lymphozyten und Monozyten, die ihrerseits wiederum eine berschieende Reaktion des Monozyten-MakrophagenSystems zur Folge hat. Die Therapie der Wahl besteht in der zugrundeliegenden malignen Erkrankung. 3.5 Hyperkoagulabilita¨t als paraneoplastisches Syndrom Bei Patienten mit Lungen- (28%), Pankreas- (18%), Magen- (17%), Kolon(16%), Ovar- (7%), Uterus- (7%) und Prostatatumoren (7%) finden sich vermehrt paraneoplastisch bedingte Hyperkoagulationszustnde mit tiefen Beinvenenthrombosen, Thrombophlebitis migrans und nichtbakteriellen thrombotischen Endokarditiden. Schwere disseminierte intravaskulre Koagulopathien mit generalisierter Blutungsneigung treten berwiegend bei der akuten Promyelozytenleukmie auf. Pathogenetisch ist von besonderer Bedeutung, da die Aktivitt von Gewebsthromboplastin im Tumorgewebe grer als in normalem, analogem Gewebe ist. Weiterhin kann unabhngig vom Faktor VII direkt Faktor X durch eine als „cancer procoagulant A“ (CPA) bezeichnete Serinprotease aktiviert werden. Wir verweisen zudem auf das Kapitel 25 „Gerinnungsstrungen bei Tumorpatienten“. In diesem Kapitel werden ausfhrlich die Ursachen und auch die Therapie der Gerinnungsstrung abgehandelt.
4 Neurologische paraneoplastische Syndrome Paraneoplastische neurologische Syndrome sind eine heterogene Gruppe von seltenen neurologischen Erkrankungen, die berwiegend auf immunologische Phnomene zurckzufhren sind. Dabei scheinen Autoantikrper eine zentrale Rolle zu spielen. Die Autoantikrper knnen entweder gegen auf der Zelloberflche oder gegen intrazellulr exprimierte Tumorantigene gerichtet sein oder aber im Rahmen von monoklonalen Gammopathien von den neoplastischen Zellen selbst sezerniert werden. Entsprechend lassen sich die paraneoplastischen neurologischen Syndrome in ihren klinischen, pathologischen und immunologischen Eigenschaften in Abhngigkeit von der Art der Autoantikrper unterscheiden (Tabelle 2). Das klinische Erscheinungsbild der neurologischen Syndrome ist zum Teil uerst charakteristisch, kann aber auch nicht-paraneoplastischen Erkrankungen sehr hnlich sein (Tabelle 3). Die einzelnen Syndrome sind mit bestimmten malignen Erkrankungen assoziiert. Dabei knnen durchaus mehrere Syndrome bei einer Tumorerkrankung auftreten (Hennerici u. Toyka 1990; Sutton u. Winer 2002).
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Tabelle 2. Antiko¨rperassoziierte neurologische paraneoplastische Syndrome: grundlegende Eigenschaften Tumor als Antigenziel
Antiko¨rperproduktion durch Neoplasie
Intrazellula¨res Antigen
Membrangebundenes Antigen
Klinische Manifestation
ZNS (gelegentlich PNS)
PNS (nur selten ZNS)
Pathomechanismus
Untergang von Neuronen
Membrandysfunktion, fo- Axon- oder Myelinkaler Zellschaden scha¨digung
Antiko¨rper
Polyklonales IgG (Serum, Liquor)
Polyklonales IgG (Serum, selten Liquor)
Verlauf
Subakut, Plateauphase Subakut, Plateauphase
Chronisch progressiv
Therapie
Selten effektiv
Immunmodulation
Immunmodulation, zytotoxisch
Grunderkrankung
SCLC, gyna¨kol. Tumoren, Keimzelltumoren
SCLC, Lymphome, Thymome
MGUS, MM, Lymphome
PNS
Monoklonal (Serum)
ZNS = zentrales Nervensystem, PNS = peripheres Nervensystem.
Der Verlauf der paraneoplastischen Syndrome kann akut und dramatisch sein, sich aber auch ber Monate bis Jahre erstrecken. Ein fester zeitlicher Zusammenhang zu der assoziierten malignen Erkrankung besteht nicht. Die therapeutische Beeinflubarkeit ist hufig gering. Im Vordergrund steht die Behandlung der malignen Grunderkrankung. Die wichtigsten neurologischen Symptome werden nach dem Manifestationsort sortiert im Folgenden kurz dargestellt. 4.1 Zerebrale Syndrome Subakute zerebella¨re Degeneration
Ein subakutes, progressives bilaterales Kleinhirnversagen mit Ataxie von Armen und Beinen, Dysarthrie und Hypotonie kann bei Patienten mit Bronchialkarzinomen auftreten, wurde aber auch in Assoziation mit anderen Tumorarten beschrieben. Histologisch findet man in diesen Fllen eine Destruktion der Purkinje-Zellen sowie spinozerebellrer Strukturen. Auslsend drfte eine antizerebella¨re Antiko¨rperproduktion sein. Eine spezifische Therapie gibt es bislang nicht.
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Hu, Ma1, 2, 3
Hu, Ma2
Ri (NOVA), Hu, Neurofilament
Recoverin, retinale Enolase, TULp1
Amphiphysin
Unbekannt
Hirnstammenzephalitis
Limbische Enzephalitis
Opsoklonus-Myoklonus
Tumorassoziierte Retinopathie/ optische Neuritis
Stiff-Person-Syndrom
Subakute, nekrotisierende Myelopathie
Unbekannt
Motorisch
*
Keine
Unbekannt
Sensomotorische N.
Mononeuritis multiplex
*
*
Axonale Neuropathie
Hu
Subakut sensorisch
*
Neuronopathien
Dysarthie, Ataxie
Yo, Tr, Glutamat-Rc
Subakute zerebella¨re Degeneration
Asymmetrisch senso.-mot.
Distal symmetrisch
Asymmetr. Schwa¨che
Asymmetr. Sens.-Verlust
Para-/Tetraplegie, Sensibilita¨tssto¨rungen
Schmerzhafte Spasmen
Nachtblindheit, Visusverlust
Lymphom, Leuka¨mie, SCLC Magen, Niere
Ha¨ufigste Neuropathie, zahlreiche Neoplasien
Lymphom
SCLC, Mamma, Ovar
SCLC, Lymphome
SCLC, Thymom, M. Hodgkin, Kolon
SCLC, Melanom, gyna¨kologische Tumoren
Unkontrollierte Augenbewegungen, SCLC, NSCLC, Neurolaston, Mamma Ataxie, Enzephalopathie
Subakut Verwirrung, Geda¨chtnisver- SCLC, Keimzelltumoren, Mamma, lust Kolon. Lymphome, Blase
SCLC
Ovar, Uterus, SCLC, M. Hodgkin
Assoziierte Tumoren 20
Schwindel, Ataxie, Nystagmus, Diplopie, Blickparesen
Hauptsymptome
Antigen
Syndrom
Tabelle 3. Auflistung neurologischer paraneoplastischer Syndrome
1188 Paraneoplasien
Myasthenie, zunehmend mit Repetition
PN = Polyneuropathie, Rc = Rezeptor.
Myasthenia gravis
Lambert-Eaton-Syndrom
Acetylcholin-Rc
Distal, symmetrisch, sens., mot. und autonom
Unbekannt
Amyloidose
*
Myasthenie, abnehmend mit Repetition
PN, Organomegalie, Endokrinopathie, O¨deme, M.-Protein, Hautsymptome
POEMS
*
VGCC (voltage-gated calcium channel)
MGUS, MM (IgM 20%)
Mot., distal > prox.
GM1-Gangliosid
Unbekannt
Multifokale mot. PN
*
Thymom
SCLC, Lymphome
MM
MM (IgA oder IgG 90%)
MGUS, MM (IgM 15%), Lymphom
Chronisch, mot. > sens., distal und prox.
(MAG) b-Tubulin (20%)
Chronisch inflamm. demyelin. PN
*
*
MGUS, MM (IgM 85%)
Thymom, SCLC
Symmetrisch, distal, sens. > mot.
Gastroparese, Achalasie, Dysphagie
Myelinassoziiertes Glykoprotein
Hu
Anti-MAG
Demyelinisierende PN
Autonome enterale Neuropathie
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Paraneoplasien
Demenz
Die paraneoplastisch bedingte Demenz tritt ebenfalls vorwiegend bei Bronchialkarzinomen auf und ist durch eine vermehrte Freisetzung angiogener Peptide (Fibroblastenwachstumsfaktor, Tumornekrosefaktor, transformierende Wachstumsfaktoren a und b, Interleukin-1-b) aus dem Tumorgewebe sowie durch eine Proliferation von Endothelzellen (Angioendotheliomatose) bedingt. Ein Ansprechen auf hochdosierte Steroide, Chemotherapie und Strahlentherapie ist mglich. Limbische Enzephalitis
Die limbische Enzephalitis prsentiert sich meist als agitierter Verwirrtheitszustand bei Bronchialkarzinomen und M. Hodgkin. Weitere Merkmale sind eine rasch fortschreitende Demenz, ein Nachlassen der Merkfhigkeit und Verhaltensstrungen wie Angst, Aggressivitt, paranoid-halluzinatorische Psychosen, Enthemmung und depressive Verstimmung. In der Regel ist das EEG im Sinne einer Allgemeinvernderung gestrt. Temporale Herdbefunde sind mglich. Das Syndrom bessert sich nach einer erfolgreichen Chemotherapie. Optische Neuritis
Bei Patienten mit Lungen- und Zervixkarzinomen kann es zum Auftreten einer uni- oder bilateralen optischen Neuritis mit Skotomen, Abnahme der Sehkraft und einem Papillendem kommen. Antiretinale Antikrper konnten als auslsende Faktoren nachgewiesen werden. 4.2 Spinale Syndrome Subakute, nekrotisierende Myelopathie
Die subakute, nekrotisierende Myelopathie beginnt unter dem Bild einer akuten oder subakuten Querschnittsla¨hmung meist in Hhe des Thorakalmarks und schreitet nach kranial und kaudal fort. Die Nekrotisierung betrifft sowohl die graue als auch die weie Substanz des Rckenmarks. Sie fhrt zum Bild der Para- und Tetraplegie und zum Tod innerhalb von Wochen bis Monaten. Zellzahl und Eiwei im Liquor knnen erhht sein. Betroffen sind vorwiegend Patienten mit Lymphomen und Lungentumoren. Subakute Vorderhorndegeneration
Die beim M. Hodgkin und bei Non-Hodgkin-Lymphomen auftretende subakute Vorderhorndegeneration verluft etwas gnstiger. Klinisch kommt es
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zu einer langsam zunehmenden motorischen Schwa¨che der Extremitten, die bis zur schlaffen Para- bzw. Tetraplegie gehen kann. Histologisch findet man einen Schwund der Vorderhornzellen. 4.3 Polyneuropathie Paraneoplastische Polyneuropathien sind die hufigsten tumorassoziierten neurologischen Erkrankungen. Sie werden bei einer Vielzahl von Karzinomen beobachtet, am hufigsten beim kleinzelligen Bronchialkarzinom und beim Ovarialkarzinom. Neben dem oft schmerzhaften sensomotorischen Neuropathietyp lassen sich eine sensorische und gelegentlich auch eine berwiegend motorische Form abgrenzen. Die sensomotorische Polyneuropathie ist die hufigste Form paraneoplastischer Polyneuropathien. Die klinische Symptomatik ist sehr uncharakteristisch und kann auch bei Polyneuropathien anderer Genese beobachtet werden. Im Vordergrund stehen Muskelatrophien, distal betonte, handschuh- bzw. strumpffrmige Hypsthesie sowie Schmerzen. Demgegenber stehen bei der sensiblen paraneoplastischen Polyneuropathie neben Parsthesien und Sensibilittsstrungen lanzierende Schmerzen an Rumpf und Extremitten, Ataxie und vegetative Strungen im Vordergrund. Eine Therapie der paraneoplastischen Polyneuropathien ist bislang nicht bekannt. Vereinzelt zeigt sich eine Remission nach Tumorexstirpation. 4.4 Neuromuskula¨re Paraneoplasien Dermatomyositis, Polymyositis
Bis zu 30% der Patienten mit Dermatomyositis oder Polymyositis weisen eine maligne Systemerkrankung auf. Klinisch kommt es im Verlauf von Wochen bis Monaten zu einer zunehmenden Schwa¨che der proximalen Muskulatur. Die Muskelenzyme und die Blutsenkungsgeschwindigkeit sind erhht. In der Muskelbiopsie sieht man Muskelfasernekrosen und geringgradige entzndliche Vernderungen. Das EMG ist pathologisch. Meist wird das Karzinom innerhalb eines Jahres nach Auftreten der Myopathie manifest. Myasthenia gravis
Eine paraneoplastisch bedingte Myasthenia gravis kann bei malignen Thymomen, in selteneren Fllen auch bei Karzinomen des Pankreas, der Mamma, der Prostata, der Ovarien und der Zervix auftreten. Die cholinerge Reizbertragung wird an den neuromuskulren Synapsen durch Antikrper gegen Acetylcholinrezeptoren blockiert. Hierdurch kommt es klinisch zu an Intensitt langsam zunehmenden Ermdungslhmungen, die mit Mestinon und Immunsuppressiva behandelt werden knnen.
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Paraneoplasien
Pseudomyasthenie (Lambert-Eaton-Syndrom)
Die Pseudomyasthenie (Lambert-Eaton-Syndrom) manifestiert sich als belastungsabhngige muskula¨re Schwa¨che: Bei wiederholter Muskelinnervation nimmt die Kraft zunchst zu, bevor es dann zum Leistungsabfall kommt. Diese Erscheinung ist elektromyographisch bei repetitiver Reizung gut zu erkennen. Weitere Charakteristika sind durch eine Beteiligung des autonomen Nervensystems bedingt, nmlich Mundtrockenheit, verminderte Schweisekretion und Obstipation. Therapeutisch erzielt man bei Lambert-Eaton-Syndrom mit Guanidin, das die Acetylcholinfreisetzung frdert, eine Besserung dieser Symptomatik. Im Gegensatz zur Myasthenia gravis, die auf einer immunologisch bedingten postsynaptischen Schdigung beruht, wird das Lambert-EatonSyndrom durch eine pra¨synaptische, wahrscheinlich toxisch bedingte Lsion hervorgerufen. Es findet sich bei etwa 1% aller Patienten mit Lungenkarzinom und lymphoproliferativen Erkrankungen.
5 Dermatologische paraneoplastische Syndrome Kutane paraneoplastische Syndrome knnen zum Teil der erste Hinweis fr eine Tumorerkrankung sein. Zu den Diagnosekriterien gehren ein weitgehend paralleler Verlauf von Tumor und Paraneoplasie. Hufig sind die dermatologischen Syndrome durch eine ausgesprochene Therapieresistenz gekennzeichnet. Tabelle 4 gibt einen berblick ber verschiedene kutane paraneoplastische Syndrome. Auf einige wird im Folgenden nher eingegangen (Wolff 2001). 5.1 Acanthosis nigricans maligna Die Acanthosis nigricans maligna ist charakterisiert durch Hyperpigmentierung, Hyperkeratose und Papillarhypertrophie. Betroffen sind insbesondere Hautareale im Bereich der Achseln, des Nackens, des Nabels, der Genitalien, der Lippen und die Mundschleimhaut. Mnner und Frauen werden gleich hufig betroffen. Wichtig ist die Abgrenzung zur Acanthosis nigricans benigna. Hinweise hierfr liefern Anamnese und krperliche Untersuchung: Akanthotische Hautvernderungen, die schon seit der Geburt bestehen oder in der Folgezeit bis zur Pubertt entstanden sind, sind in der Regel benigne; ebensowenig weisen entsprechende Hautvernderungen bei Cushing-Syndrom, Akromegalie, Stein-Leventhal-Syndrom oder in intertriginsen Hautabschnitten bei adipsen Patienten auf das Vorliegen eines bsartigen Tumors hin.
Dermatologische paraneoplastische Syndrome
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Tabelle 4. Auflistung obligater und fakultativer kutaner paraneoplastischer Syndrome Syndrom
Assoziierte Tumoren
Assoziationsgrad
Acanthosis nigricans Hyperpigmentierung an maligna (mit Lippen- Nacken und Akren, papillomato¨se Hautbeteiligung) vera¨nderungen an Lippen
Klinik
v.a. Magenkarzinome
Obligat
Tripe Palms
Gyrierte Hyperkeratose der Ha¨nde
v.a. Bronchialkarzinome Obligat
Akrokeratosis Bazex
Hyperkeratosen an den Ohrhelices, psoriasiforme Paronychien, Nageldystrophien
Karzinome der oberen Obligat Atem- und Speisewege
Erythema gyratum repens
Parallele, randbetonte, schuppende Erytheme
v.a. Bronchialkarzinome Obligat
Akrale oder periorifizielle, Erythema necroerythematosquamo¨se und lyticum migrans (Glukagonom-Syndrom) erosive Hautla¨sionen. Evtl. Stomatitis, Glossitis, Vulvitis
Glukagonom
Obligat
Hypertrichosis Dichtes Wachstum lanuginosa acquisita lanugoartiger Haare im Gesicht
Bronchialkarzinome, Kolonkarzinome
Obligat
Paraneoplastischer Pemphigus
Ha¨morrhagische Cheilitis und Stomatitis, therapieresistent gg. Immunsuppressiva, u.U. letal
Lymphome (v.a. M. Castleman), Leuka¨mien
Obligat
Leser-Tre´lat-Zeichen
Eruptives Aufschießen seborrhoischer Warzen
Adenokarzinome, v.a. Magen
Fakultativ
Dermatomyositis
Muskelschwa¨che im Schultergu¨rtelbereich, heliotropes Exanthem Gesicht/Dekollete´
Gyna¨kol. Tumoren, Mamma-, Kolon-, Pankreas-, Bronchialkarzinom
Fakultativ (15–30% der Fa¨lle)
Pyoderma gangraenosum
Oberfla¨chliches bullo¨ses Erscheinungsbild
Ha¨matologische Neoplasien
Fakultativ
Sweet-Syndrom
Akute febrile neutrophile Dermatose
Myeloische Leuka¨mien, Fakultativ MDS
Bullo¨ses Pemphigoid Pralle Blasen auf erythemato¨sem Grund ha¨ufig vernarbend
Keine spezielle Assoziation
Fakultativ
Assoziationsgrad: Ha¨ufigkeit des Zusammentreffens des beschriebenen Syndroms mit einer malignen Erkrankung.
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Paraneoplasien
Tritt die Acanthosis nigricans allerdings im Erwachsenenalter auf, so ist sie in nahezu 100% der Flle mit einem malignen Tumor vergesellschaftet. Besonders hufig finden sich Adenokarzinome des Magens (64%). Der Verlauf der Acanthosis migrans maligna ist in zwei Drittel der Flle parallel zum Tumorwachstum, allerdings sind auch mehrjhrige Intervalle zwischen dem Auftreten der Hautlsionen und dem Nachweis des zugrundeliegenden Malignoms beschrieben. Deshalb ist eine engmaschige Kontrolle bei fehlendem Tumornachweis erforderlich. 5.2 Akrokeratose Bazex Diese psoriasiforme Dermatose tritt berwiegend symmetrisch am Nasenru¨cken, an den Ohrmuscheln und den Fingerspitzen auf und zeigt zentropetales Fortschreiten. Betroffen werden Mnner mit Karzinomen der oberen Luft- und Verdauungswege oder mit Karzinommetastasen im Bereich der zervikalen oder mediastinalen Lymphknoten. Eine Abgrenzung gegenber der Psoriasis ist aufgrund der unscharfen Begrenzung der erythematosquamsen und keratotisch vernderten Hautbezirke mglich. Differentialdiagnostisch mssen weiterhin ein Ekzem sowie der Lupus erythematodes chronicus discoides ausgeschlossen werden. 5.3 Hypertrichosis lanuginosa et terminalis acquisita Die Hypertrichosis lanuginosa et terminalis acquisita ist eine seltene paraneoplastische Erkrankung, bei der im Gesicht, an den Ohren, an Rcken und Beinen seidige, flauma¨hnliche Lanugohaare auftreten. Frauen sind etwa 3mal hufiger betroffen als Mnner, was aber auch dadurch bedingt sein kann, da die Hypertrichosis bei Mnnern durch das Rasieren nicht wahrgenommen wird. Differentialdiagnostisch mssen nichtlanuginse Hypertrichosen, die z.B. bei der Porphyria cutanea tarda oder als Nebenwirkungen verschiedener Medikamente (Kortikosteroide, Diphenylhydantoin, Diazoxid) auftreten knnen, abgegrenzt werden. 5.4 Erythema gyratum repens Charakteristisch fr das Erythema gyratum repens sind bandfo¨rmige, gero¨tete Hautbezirke am Stamm und an den proximalen Extremitten, die an eine „Zebrahaut“ oder eine Holzmaserung erinnern. Das Erythema gyratum weist ebenfalls wie die Akrokeratose Bazex eine Tumorinzidenz von nahezu 100% auf.
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5.5 Nekrolytisches migrierendes Erythem Das nekrolytische migrierende Erythem tritt bei a2-Zell-Karzinomen des Pankreas auf. Im Bereich der Achselhhlen, des Geses und der Leisten finden sich zentrifugal ausbreitende Erytheme, die rasch nekrolytisch werden, sich grau verfrben, um dann krustig unter Abschuppung und Hyperpigmentierung abzuheilen. Das kutane Geschehen verluft schubfrmig in etwa 2wchigen Abstnden. Diese Vernderungen sind assoziiert mit glukagonproduzierenden APUDomen, die aromatische Amine synthetisieren, deren Vorstufen (Prkursoren) aufnehmen (uptake) und diese decarboxylieren. Infolgedessen findet sich laborchemisch eine deutliche Erhhung des Glukagonspiegels im Blut, eine diabetische Stoffwechsellage sowie eine ausgeprgte Hypalbuminmie.
6 Andere organbezogene Paraneoplasien 6.1 Manifestationen im Bereich der Niere 6.1.1 Paraneoplastische nephrotische Syndrome
Die Manifestation eines nephrotischen Syndroms kann Symptom einer malignen Grunderkrankung sein. Die hierfr am hufigsten zugrundeliegenden Mechanismen sind die Entwicklung einer Glomerulonephritis, einer Amyloidose der Niere oder einer Nierenvenenthrombose als Folge der Tumorerkrankung (Sessler et al. 1998). Das nephrotische Syndrom kann im Verlauf einer bereits bekannten Tumorerkrankung auftreten oder aber dieser vorausgehen, d.h. Erstsymptom eines bisher unentdeckten Malignoms sein. 6.1.2 Tumorassoziierte Glomerulonephritiden
Die Inzidenz tumorassoziierter Glomerulonephritiden steigt mit dem Alter der untersuchten Population und hngt vom Typ der Glomerulonephritis ab. Bei Patienten jenseits des 60. Lebensjahres steigt die Inzidenz auf ber 20%. Tabelle 5 gibt einen berblick ber die Typen der Glomerulopathie und die hiermit am hufigsten assoziierten Tumorerkrankungen. Insbesondere die Entwicklung einer membransen Glomerulonephritis bei einem lteren Patienten (> 60 Jahre) sollte an eine Paraneoplasie denken lassen und die Suche bzw. den Ausschlu eines Malignoms der Lunge, des Magens und des Kolons veranlassen. Als Pathogenese der tumorassoziierten Glomerulopathie wird die Ablagerung von Immunkomplexen, bestehend aus Tumorantigen und dessen Antikrper, angesehen.
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Paraneoplasien
Tabelle 5. Glomerulopathietypen und assoziierte Tumorerkrankungen Art des Malignoms
Ha¨ufigste glomerula¨re La¨sion
Epitheliale Karzinome
Membrano¨se GN
Nierenzellkarzinome
AA-Amyloidose
Lymphome Morbus Hodgkin
Minimal-change-GN
Non-Hodgkin-Lymphome
Minimal-change-GN, membrano¨se GN, membranoproliferative GN und andere
Chronische lymphatische Leuka¨mie
Membranproliferative GN (mit oder ohne Kryoglobulina¨mie)
6.1.3 Amyloidosen der Niere
Bei Plasmazelldyskrasien, insbesondere bei Plasmozytom, kann es zur Ablagerung freier Leichtketten (Lambda hufiger als Kappa) in Form von Fibrillen kommen, der sog. AL-Amyloidose. Beim Nierenzellkarzinom und beim Morbus Hodgkin wird gelegentlich die Ablagerung des AkutePhase-Proteins Serumamyloid A beobachtet, die zur AA-Amyloidose fhrt. Die renalen Amyloidablagerungen werden vorwiegend in den Glomeruli, seltener in der tubulren Basalmembran, im Interstitium und in den Gefen beobachtet, sind mit Kongorot anfrbbar und erscheinen im Elektronenmikroskop als nichtverzweigende Fibrillen. Klinisch besteht eine Proteinurie, nicht selten in nephrotischem Ausma. Sonographisch finden sich die Nieren oft vergrert. 6.1.4 Nierenvenenthrombose
Ein nephrotisches Syndrom ist selten Folge einer tumorassoziierten Nierenvenenthrombose. Es kann in diesem Fall von Flankenschmerzen, Hmaturie und linksseitiger Varikozele begleitet sein. Sonographisch finden sich auffallend groe, eventuell seitendifferente Nieren. Die Diagnosesicherung der Gefthrombose erfolgt mittels Duplexsonographie, Angiographie bzw. Kernspinangiographie. Ursache der Nierenvenenthrombose kann ein mechanisches Abfluhindernis durch Tumorwachstum im Bereich der Vena cava inferior sein oder eine Hyperkoagulabilitt, wie sie hufig bei Tumorerkrankungen und vor allem bei membranser Glomerulonephritis gefunden wird. Schwere Lungenembolien aus Nierenvenenthrombosen sind beschrieben. Die Therapie tumorassoziierter nephrotischer Syndrome besteht in der Behandlung der zugrundeliegenden malignen Erkrankung sowie der Gabe
Andere organbezogene Paraneoplasien
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von Diuretika zum Ausschwemmen der deme und eines ACE-Hemmers zur Reduktion der Proteinurie. Bei Nierenvenenthrombosen ist eine Antikoagulation zu erwgen. 6.2 Manifestationen im Bereich des Darms (Malabsorption, Diarrho¨) Klassische paraneoplastische Malabsorptionssyndrome, die eine endokrinologische Ursache haben, sind z.B. die Gastrinproduktion beim Zollinger-Ellison-Syndrom oder die Serotoninproduktion beim Karzinoid. Hufig handelt es sich jedoch nicht um ein paraneoplastisches Syndrom, sondern um eine lokale Folge der Infiltration des Dnndarms oder der verminderten Sekretion von Gallensure, so wie wir es bei den Malabsorptionssyndromen bei Gallengangs-, Magen- oder Pankreaskarzinom oder auch malignen Lymphomen des Gastrointestinaltraktes beobachten knnen. Die Malabsorption ist einer der Faktoren des Gewichtsverlustes von Tumorpatienten. Die erfolgreiche Behandlung der malignen Grunderkrankung beseitigt die Symptome der Malabsorption und der Diarrh. 6.3 Manifestationen im Bereich der Leber (Stauffer-Syndrom) Hepatosplenomegalie, erhhte alkalische Phosphatase, GOT, GPT und Erhhung der a2-Globulinfraktion, Hypalbuminmie und verlngerte Prothrombinzeit werden als Stauffer-Syndrom bezeichnet. Dieses ist typischerweise assoziiert mit Hypernephromen und reversibel nach Tumornephrektomie. Die Ursache dieser Paraneoplasie ist nicht geklrt, und differentialdiagnostisch mu eine Lebermetastasierung ausgeschlossen werden. 6.4 Manifestationen im Bereich des Skeletts (hypertrophe Osteoarthropathie; Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom) Es tritt auer bei chronisch entzndlichen Lungenaffektionen insbesondere bei peripheren Lungentumoren und Pleuramesotheliomen, pulmonal metastasierten Nierenkarzinomen, Thymomen, Osteosarkomen, Fibrosarkomen oder Nasopharynxkarzinomen sowie mit gutartigen Tumoren des Diaphragmas wie Neurolemmonen oder Mesotheliomen auf. Die Genese ist weitgehend ungeklrt. Diskutiert wird die Freisetzung vasoaktiver Gewebshormone. Die klinischen Zeichen wie Trommelschlegelfinger, schmerzhafte Gelenkschwellungen, Weichteilverdickung der Akren, Knochenschmerzen und periphere, therapieresistente deme knnen der klinischen Tumormanifestation um Jahre vorausgehen! Die Therapie der Wahl besteht in der Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen und fhrt in der Regel zur vlligen Rckbildung der osteoarthropathischen Vernderungen. Ist eine Exstirpation
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chirurgisch nicht mglich, so ist eine Polychemo- und/oder Strahlentherapie angezeigt. 6.5 Manifestationen im Bereich der Haut (Pruritus) Pruritus ist nicht nur bekannt im Rahmen einer Vielzahl internistisch-endokrinologischer Krankheitsbilder, sondern kann auch Frh- bzw. einziges Symptom einer malignen Erkrankung sein. Eine Assoziation besteht besonders hufig mit Morbus Hodgkin (25 bis 35% der Patienten) und Polycythaemia vera (bei Kontakt mit Wasser oder Temperaturwechsel), jedoch auch mit Non-Hodgkin-Lymphomen, Plasmozytomen, Leukmien (besonders CLL) und Karzinomen des Gastrointestinaltraktes, der Lunge, des Ovars und der Prostata. Die fr die Pathogenese des Pruritus verantwortlichen Mechanismen werden kontrovers beurteilt. Zahlreiche Substanzen, wie z.B. Opiate, Serotonin, Histamin, Prostaglandine, endogene Peptide, Neurokinin A, Substanz P oder auch noch nicht nher differenzierte Zytokine werden als Auslser bzw. Mediatoren diskutiert. Andere mgliche Ursachen sind u.a. die Hautinfiltrate durch maligne Zellen oder eine kutane lymphozytre Vaskulopathie durch nichtmaligne T-Zellen. Behandlung des Pruritus bedeutet primr Behandlung der Grunderkrankung. Die frher hufig verwendeten Antihistaminika wirken mglicherweise nur durch ihre sedierende Komponente und werden durch erfolgreichere Konzepte, wie z.B. Interferon-a bei Polycythaemia vera oder NHL/ CLL, bzw. Serotonin- und Opiatantagonisten verdrngt.
7 Systemische Paraneoplasien 7.1 Fieber Bei 5…10% aller Tumorpatienten kann Fieber ein Primrsymptom sein. Gehuft assoziiert tritt es bei Lymphomen und Leukmien auf. Bei Morbus Hodgkin und bei den Non-Hodgkin-Lymphomen stellt die Temperaturerhhung ber 38 C einen Teil der B-Symptomatik und somit einen ungnstigen prognostischen Faktor dar. Hufig finden sich Temperaturerhhungen bei Hypernephromen, Osteosarkomen oder Vorhofmyxomen. Malignen Erkrankungen ist kein spezieller Fiebertyp zuzuordnen. Es wird jedoch bei malignen Lymphomen gelegentlich undulierendes Fieber mit Temperaturspitzen am Abend oder in der Nacht, kombiniert mit ausgeprgtem Nachtschwei, beobachtet. Als Ursache dieses Fiebers wurde Interleukin-1 (IL-1) erkannt. Somit ist die Fieberentstehung als Folge einer Zytokinsekretion der Tumorzellen zu verstehen. Andererseits kann die Temperatursteigerung bei Tumorpatienten
Systemische Paraneoplasien
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aber auch Folge einer Immunreaktion auf den Tumor selbst sein, indem Monozyten in der Akute-Phase-Reaktion IL-1 sezernieren. Bevor man Fieber als paraneoplastisch einstuft, muß unbedingt eine Infektion als Ursache ausgeschlossen sein. 7.2 Gewichtsverlust, Kachexie Gewichtsverlust bzw. Kachexie sind Leitsymptome maligner Tumoren. Neben einer verminderten Nahrungsaufnahme kann auch ein vermehrter Kalorienverbrauch Ursache der Gewichtsabnahme sein. Am hufigsten werden sie bei Magen- und Pankreaskarzinomen (80…90%), bei Bronchial- und Kolonkarzinomen (50…60%) und seltener bei Mammakarzinomen und Sarkomen (30…40%) beobachtet. Vom Tumortyp, von der Tumorgre, seiner Lokalisation und vom Grad der Metastasierung hngt das Ausma des Gewichtsverlustes ab. Die Therapie der Anorexie und Kachexie richtet sich nach den individuellen Ursachen. Als ernhrungstherapeutische Manahme kommen hochkalorische Flssignahrung, enterale Ernhrung ber eine nasoenterale Sonde oder durch perkutane endoskopisch kontrollierte Gastrostomie (PEG) und parenterale Ernhrung ber vense Kathetersysteme oder Portsysteme in Betracht. Medikaments knnen Kortikosteroide oder Gestagene (Megestrolacetat, Medroxyprogesteronacetat) und beim berwiegen psychischer Grnde die Gabe von Antidepressiva, Anxiolytika oder Antiemetika eingesetzt werden. Eine erfolgreiche Behandlung der malignen Grunderkrankung fhrt in jedem Fall zu einem verbesserten Allgemeinbefinden. 7.3 Laktatazidose Diese wird hufig bei Patienten mit akuten Leukmien und malignen Lymphomen beobachtet, seltener bei Bronchial-, Mamma- und Kolonkarzinomen. Differentialdiagnostisch muß die paraneoplastische Laktazidose von der sekunda¨ren Form bei septischem Schock abgegrenzt werden. Klinisch steht bei der paraneoplastischen Laktatazidose die kompensatorische Tachypnoe im Vordergrund. Nach erfolgreicher Therapie der malignen Grunderkrankung und alkalysierender Therapie bildet sich diese rasch zurck. 7.4 Sto¨rung des Lipidstoffwechsels Erniedrigte Serumcholesterinspiegel wurden bei Patienten mit metastasierten Prostatakarzinomen gefunden, die mit einer erhhten Mortalitt dieser Patienten assoziiert waren. Diskutiert werden als Ursache ein beschleunigter Katabolismus fr die Low-density-Lipoproteine (LDL) oder eine erhhte Zahl von LDL-bindenden Rezeptoren auf der Zelloberflche der Tumor-
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zellen. So wurden bei akuten Leukmien FAB M4 und M5 und bei Mammakarzinomen eine erhhte Expression dieser Rezeptoren beobachtet. Sie korrelierten mit einer signifikant niedrigeren berlebenszeit. Die Therapie der Wahl ist die Exstirpation des Primrtumors und/oder seiner Metastasen; ist dieses wegen des weit fortgeschrittenen Tumorleidens nicht mglich, so kommt eine spezifische Polychemo- und/oder Strahlentherapie in Betracht. 7.5 Arthritis Am hufigsten ist sie assoziiert mit pulmonal metastasierten Lungen- und Mammakarzinomen, Leukmien, Bronchial-, sophagus-, Magen-, Kolon-, Ovarialkarzinomen, Castleman-Tumoren oder Morbus Hodgkin. Die rheumatoide Arthritis ist gekennzeichnet durch akuten Beginn, asymmetrische Gelenkbeteiligung, Aussparen der kleinen Handgelenke, Fehlen von subkutanen Knoten und Seronegativitt. Bei ca. 50% der Patienten ist eine erfolgreiche Behandlung der zugrundeliegenden malignen Tumorerkrankung gleichbedeutend mit einer Remission der Arthritis. 7.6 Digitale Nekrose Diese wird gehuft bei Bronchialkarzinomen, aber auch bei anderen soliden Tumoren und Lymphomen beobachtet. Es handelt sich um rasch progrediente Nekrosen der Fingerendglieder innerhalb weniger Tage. Histologisch handelt es sich um eine leukozytoklastische Immunvaskulitis. Whrend bei der Mehrzahl der Patienten die direkte Ursache ungeklrt blieb, konnte bei einigen der Patienten eine Kryoglobulinmie als Auslser nachgewiesen werden. Die Therapie der Wahl liegt in der Exstirpation des Primrtumors bzw. in der erfolgreichen Therapie der malignen Grunderkrankung. Zustzlich kommt eine Behandlung mit Plasmapheresen, Kortikosteroiden, Kalziumantagonisten und Prostavasin in Betracht.
8 Schmerzverursachende Paraneoplasien Elektrolytsto¨rungen F F F
Hyperkalzmie (Muskelkrmpfe, Knochenschmerzen, Polyurie, Schwche; gelegentlich pathologische Frakturen) Hypokalzmie (Muskelkrmpfe, Erschpfbarkeit, verringerte Vigilanz, Angst und Depression) Hypophosphatmie (Muskelkrmpfe, Knochenschmerzen, Appetitlosigkeit, Polyurie und Schwche).
Schmerzverursachende Paraneoplasien
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Manifestationen an Haut, Muskel und Bindegewebe F F
F
F F F
Dermatomyositis („Charley-horse“-Myalgien mit proximaler Muskelschwche und Hautbeteiligung) Neutrophile Dermatose (Sweet-Krankheit: akute febrile Dermatose mit Myalgien, Arthralgien, Glomerulonephritiden, Konjunktividen, Iritiden und pulmonalen Infiltraten) Akute nekrotisierende Myopathie (Myopathie bei Vorhandensein einer ektopen ACTH-Produktion): ein seltenes Krankheitsbild mit Muskelschmerzen, zunehmender proximaler Muskelschwche, arterieller Hypertonie, Hyperpigmentation und peripheren demen. Herpes zoster generalisatus Skleromyxdem Arndt-Gottron (Pruritus, Raynaud-Phnomen, Polymyositis, Arthritis) Hypertrophe Osteoarthropathie.
Sto¨rungen im Gerinnungssystem F F
Kryoproteinmie (Livedo reticularis, Klteurtikaria, Raynaud-Phnomen, nekrotische Purpura) Thrombophlebitis migrans (Trousseau-Zeichen: wiederkehrende Thrombophlebitiden wechselnder Lokalisation).
Autoimmunologische Manifestationen F F F F
Purpura Schoenlein-Henoch (Polyarthralgien, Leibschmerzen) Rheumatoide Arthritis Asymmetrische Polyarthritis Lupus erythematodes (Raynaud-Phnomen mit Nekrosen der Fingerspitzen).
Neuropathologische Manifestationen F F F
F
Nekrotisierende Myelopathie (radikulre Schmerzen oder Rckenschmerzen vor voller Krankheitsmanifestation) Polyradikulitis Sensomotorische Polyneuropathie (Denny-Brown, akut-subakute Form mit distalen Parsthesien, vernderter Empfindung, Schmerz und Paresen) Ganglioradikulitis (abnorme Empfindung und Taubheitsgefhl, unsicherer Gang: neuropathologische Symptome wie Brennen und lanzierende Schmerzen).
Wie die entsprechenden Schmerzprobleme angegangen werden sollten, kann Kapitel 32.9 „Schmerztherapie“ entnommen werden.
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Paraneoplasien
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21 Tumortherapie bei Schwangerschaft F. S. Oduncu, R. Kimmig, B. Emmerich
1 Einfu¨hrung Krebserkrankungen in der Schwangerschaft sind selten und fhren Arzt und Patientin in eine schwere Konfliktsituation, da mtterliches und kindliches Leben oft gleichermaen bedroht sind. In diesem rztlich-ethischen Dilemma begrndete Entscheidungen zu fllen ist nur eingeschrnkt mglich, da sich die bisherigen Kenntnisse ber die Folgen der Tumortherapie nur auf Einzelfallberichte und kleine Fallserien sttzen. Das Fr und Wider der therapeutischen Verfahren und insbesondere die Frage, ob ein Schwangerschaftsabbruch erforderlich ist, mu daher mit der Patientin und ihren Angehrigen eingehend besprochen werden, wobei die Prognose der Tumorerkrankung, die Schwangerschaftswoche und der Kinderwunsch das Vorgehen im Einzelfall bestimmen. Insgesamt ist eine intensive interdisziplinre Betreuung durch Gynkologen, Onkologen, Chirurgen, Perinatologen, Neonatologen und Psychologen geboten.
2 Ha¨ufigkeit von Tumorerkrankungen in der Schwangerschaft Die Hufigkeit pro 1000 Schwangerschaften ist bei Zervixkarzinom 0,45, Mammakarzinom 0,33, malignem Melanom 0,14, Ovarialkarzinom 0,1, kolorektalem Karzinom 0,02, Leukmien 0,01 und Lymphomen 0,01.
3 Beurteilung der therapeutischen und diagnostischen Verfahren 3.1 Chirurgische Therapie Krebserkrankungen der Brust, des Ovars, des Dickdarms und der Schilddrse sowie das maligne Melanom sind durch Operation potentiell heilbar. Eine Operation in Lokalansthesie ist ohne jegliches Risiko fr den Fetus, und auch eine Allgemeinansthesie ist kaum teratogen. Bei Operationen ist zu beachten, da die uteroplazentare Einheit extrem empfindlich gegenber Hypotension, Hypoxie, Hypervolmie und bei fortgeschrittener Schwangerschaft einer Rckenlagerung der Schwangeren ist. Infolge der verminderten fibrinolytischen Plasmaaktivitt, einer Zunahme aller Gerinnungsfaktoren mit Ausnahme der Faktoren 11 und 13 und der vensen Strmungsverlangsamung in den unteren Extremitten ist das Thromboembolierisiko
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Tumortherapie bei Schwangerschaft
in der Schwangerschaft auf das 5- bis 6fache erhht. Perioperativ ist daher eine niedrigdosierte Heparinbehandlung zu empfehlen. 3.2 Chemotherapie Bei Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, den akuten Leukmien, beim M. Hodgkin und bei den hochmalignen Lymphomen ist die Chemotherapie potentiell kurativ, so da sie bei diesen Erkrankungen auch in der Schwangerschaft indiziert sein kann. Die Toxizitt der Chemotherapie fr das Kind ist abhngig vom Schwangerschaftszeitpunkt und von der Art der eingesetzten Zytostatika. Im 1. Trimenon sind Fehlbildungen bei Einsatz der Chemotherapie zu erwarten, wobei Folsureantagonisten und Antimetaboliten besonders teratogen wirken. Die Spontanfehlbildungsrate von 3% steigt bei Einsatz einer Monotherapie auf 17% (ohne Folsureantagonisten auf 6%) und bei einer Kombinationschemotherapie auf 25% an. Deshalb sollten Folsureantagonisten und Antimetaboliten im 1. Trimenon vermieden werden. Im 2. und 3. Trimenon ist nicht mit einer erhhten Inzidenz von fetalen Fehlbildungen zu rechnen. An nichtteratogenen Nebenwirkungen knnen aber auftreten: eine fetale Wachstumsverzgerung, Strung der mentalen und somatischen Entwicklung, Myelosuppression, Infertilitt, Abort und Entwicklung von Zweittumoren und bei Anwendung von Anthrazyklinen Kardiomyopathien. 3.3 Strahlentherapie und Ro¨ntgendiagnostik Durch eine Strahlentherapie sind das Zervixkarzinom und die Hodgkinund Non-Hodgkin-Lymphome potentiell heilbar. Die fetale Schdigung ist abhngig von der Strahlendosis, Fraktionierung, Feldgre und Energie sowie vom Schwangerschaftszeitpunkt. Eine Bestrahlung kurz vor oder nach der Implantation ist letal. Die teratogene Wirkung der Bestrahlung ist whrend der Zeit der Organogenese verstndlicherweise am grten. Sie manifestiert sich als Wachstumsverzgerung, Mikrozephalie und Ohrabnormalitten. Bei einer diagnostischen Strahlenexposition mit weniger als 5 cGy sind keine Schden fr das Kind zu erwarten. Dagegen fhrt eine direkte Strahlenexposition des Uterus mit mehr als 50 cGy in allen Phasen der Schwangerschaft zu einem erhhten Risiko fr Fehlbildungen, Abort oder ZNS-Schden, so da hier bei fehlender Akzeptanz durch die Patientin ein Schwangerschaftsabbruch zu diskutieren ist. In solchen Fllen, in denen eine Strahlentherapie nur im Bereich des Kopfes, des Halses, der Brust oder der Extremitten durchgefhrt werden mu, kann das Kind durch Abdeckung geschtzt werden, so da kein erhhtes Fehlbildungsrisiko besteht. In Tabelle 1 sind die zu erwartenden fetalen Dosen bei diagnostischen Rntgenuntersuchungen aufgefhrt.
Vorgehen bei den einzelnen Tumorentita¨ten
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Tabelle 1. Gescha¨tzte fetale Strahlendosis bei radiologischer Diagnostik
a
Art der Ro¨ntgenuntersuchung
Fetale Dosis (cGy)
Thorax
0,008
Becken
0,04
LWS
0,275
Abdomen
0,29
i.v. Pyelogramm
0,4
CT-Abdomen
1,0–5,0a
Wenn der Fetus im Feld liegt.
4 Vorgehen bei den einzelnen Tumorentita¨ten 4.1 Zervixkarzinom >
Das Zervixkarzinom ist das hufigste Karzinom in der Schwangerschaft, wobei frhe Stadien dominieren. Die Schwangerschaft hat keinen Einflu auf die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung.
Bei allen Frauen sollte zu Beginn der Schwangerschaft ein zytologischer Zervixabstrich vorgenommen werden. Im Falle einer Dysplasie erfolgt eine Kolposkopie, gegebenenfalls mit gezielter Biopsie. Wenn sich dabei kein invasives Karzinom zeigt, sollte diese Diagnostik alle acht Wochen bis zum Ende der Schwangerschaft wiederholt werden, um sicher zu sein, da sich kein invasives Karzinom entwickelt. Bei Patientinnen mit Verdacht auf ein invasives Karzinom erfolgt eine Biopsie oder eine Konisation. Letztere sollte nach Mglichkeit whrend des 2. Trimenons durchgefhrt werden, da sie mit einer erhhten Blutungsrate und Risiken fr das Kind verbunden ist. Wenn ein invasives Karzinom diagnostiziert wird, sollte im Hinblick auf die bestmgliche Prognose der Mutter die erforderliche Standardtherapie, die in der Regel mit Verlust der Schwangerschaft einhergeht, durchgefhrt werden. Nach der 20. Schwangerschaftswoche sollte individuell diskutiert werden, inwieweit die Lebensfhigkeit des Kindes, idealerweise 32 Schwangerschaftswochen, erreicht werden kann. Das Kind sollte dann per Sectio caesarea, gefolgt von der stadiengerechten Therapie, entwickelt werden. Der Austragungsmodus (vaginale Geburt versus Kaiserschnitt) scheint keinen Einflu auf die Prognose zu haben.
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Tumortherapie bei Schwangerschaft
4.2 Mammakarzinom >
Wenn gleiche Stadien und Altersgruppen miteinander verglichen werden, haben Mammakarzinompatientinnen in der Schwangerschaft keine schlechtere Prognose als solche ohne Schwangerschaft.
Hufig kommt es allerdings durch die Schwangerschaft zur Verzgerung in der Diagnosestellung, weshalb die regelmige Selbstuntersuchung zur Frherkennung des Mammakarzinoms unverzichtbar ist. In der Schwangerschaft sollte jeder suspekte Mammabefund ebenso konsequent und ohne Zeitverzgerung abgeklrt werden wie auerhalb der Schwangerschaft, auch wenn die Mammographie durch eine hohe Rate falscher negativer Befunde belastet ist. Jeder suspekte Mammabefund sollte grozgig operativ abgeklrt und histologisch gesichert werden. Die Bestimmung der Hormonrezeptoren in der Schwangerschaft sollte in jedem Fall immunhistochemisch erfolgen. >
Ein Mammakarzinom, das whrend der Schwangerschaft diagnostiziert wird, sollte nach den gleichen Prinzipien wie bei nichtschwangeren Patientinnen behandelt werden. Ein Abbruch der Schwangerschaft hat nach heutigen Kenntnissen keinen Einflu auf die berlebensrate der Mutter und ist daher medizinisch nicht indiziert.
Ob eine adjuvante Chemotherapie bei nodal positiven Patientinnen im 2. und 3. Trimenon eingesetzt wird, mu im Einzelfall entschieden werden. Statt CMF sollte das AC-, FAC- oder EC-Schema eingesetzt werden. Das Vorgehen bei einem inflammatorischen Mammakarzinom oder bei Fernmetastasen wird kontrovers beurteilt, doch ist eine anthrazyklinhaltige Polychemotherapie ab dem 2. Trimenon bei zwingender mtterlicher Indikation zu vertreten. Die Nachbestrahlung bei brusterhaltendem Vorgehen bzw. der Thoraxwand, wenn indiziert, kann in der Regel bis zum Ende der Schwangerschaft postponiert werden. 4.3 Malignes Melanom Ca. 35% aller Patientinnen mit malignem Melanom befinden sich im gebrfhigen Alter. >
Frhere Vermutungen, da die Schwangerschaft den Verlauf des malignen Melanoms beeinflussen knnte, konnten in neueren, groen, risikostratifizierten Vergleichsuntersuchungen nicht besttigt werden.
Die primre Therapie des malignen Melanoms ist die grozgige Resektion, die auch whrend der Schwangerschaft schnell angestrebt werden sollte. Im Stadium mit kurativer Tumorentfernung ist keine Metastasierung fr das Kind zu befrchten, und es besteht somit keine Indikation zur Abruptio.
Vorgehen bei den einzelnen Tumorentita¨ten
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Steht bei einem Stadium II oder III die Schwangerschaft einer kurativen chirurgischen Therapie entgegen, so sollte in der 1. Schwangerschaftshlfte eine Interruptio durchgefhrt werden. Eine Strahlen- oder Chemotherapie ist wegen ihrer geringen Effektivitt in der Regel nicht indiziert. Eine plazentare Metastasierung in den Fetus ist sehr selten. 4.4 Lymphome >
Die Schwangerschaft per se hat keinen Einflu auf das Ausbrechen oder den Verlauf der Erkrankung.
Beim Hodgkin-Lymphom (HD) betrgt das mittlere Alter bei Diagnosestellung 27 Jahre. Ab dem 2. Trimenon sollten Patientinnen mit HD und hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) eine Standardtherapie erhalten. Ein sicherer Nachweis von Schden fr das Kind wird nicht erwartet. Bei den niedrigmalignen NHL ist ein Zuwarten bis zur Geburt in der Regel mglich. Bei einem supradiaphragmalen Befall kann eine Involved-field- Bestrahlung durchgefhrt werden. Im letzten Trimenon ist dies aber wegen der Gre des Kindes nicht mehr im thorakalen Bereich mglich. Die Frage der Abruptio im 1. Trimenon mu individuell von der Krankheitsaktivitt und der Einstellung der Mutter abhngig gemacht werden. 4.5 Leuka¨mien Bei 90% aller Leukmien in der Schwangerschaft handelt es sich um akute, bei 10% um chronische Leukmien. Nur bei den akuten Leukmien besteht eine dringende Behandlungsindikation. >
Beim Einsatz der Standardpolychemotherapie ist die Rate an kompletten Remissionen vergleichbar mit der von nichtschwangeren Frauen.
Das gilt auch fr die chronischen Leukmien. Methotrexat sollte aber wegen seiner hohen teratogenen Wirkung unbedingt vermieden werden. Bei der Promyelozytenleukmie kann auch All-trans-Retinolsure eingesetzt werden. Nach Erreichen einer kompletten Remission ist eine Therapie, solange die Schwangerschaft noch besteht, individuell zu gestalten. Die Entwicklung der Kinder leukmischer Mtter scheint durch die Behandlung nicht wesentlich beeintrchtigt zu werden. In einer neueren Studie (Aviles und Neri 2001) wurden in einer Langzeitbeobachtung akute und spte Nebenwirkungen bei 84 Kindern analysiert, deren Mtter whrend der Schwangerschaft diverse Chemotherapien bei verschiedenen hmatologischen Malignomen (akute Leukmien n = 29, Non-Hodgkin-Lymphome n = 29, Hodgkin-Lymphome n = 26) erhalten
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Tumortherapie bei Schwangerschaft
hatten. Bei 38 Kindern wurde die Chemotherapie whrend des 1. Trimenons appliziert. Bei einem medianen Langzeitbeobachtungszeitraum von 18,7 Jahren (Spanne 6…29 Jahre) wurden bei den Kindern und spter auch bei deren Kindern (n = 12) keine hmatologischen oder anderen Malignome festgestellt. Alle untersuchten Parameter wie Geburtsgewicht, somatische und psychische Entwicklung sowie Lernverhalten waren normal, kongenitale oder neurologische Aufflligkeiten wurden nicht beobachtet. 4.6 Ovarialkarzinom Da das Ovarialkarzinom vorwiegend bei Patientinnen zwischen 40 und 70 Jahren auftritt, ist es in der Schwangerschaft sehr selten. >
Die Schwangerschaft per se hat entgegen frherer Vermutungen keinen protektiven Effekt auf das Ovarialkarzinom. Ca. 2…5% der operierten Ovarialtumoren in der Schwangerschaft sind maligne.
Vor allem durch den hufigen Einsatz des Ultraschalls in der Schwangerschaft knnen Tumoren des Ovars leichter identifiziert werden. Bei bilateralem Sitz, einer Tumorgre > 6 cm, Grenzunahme und/oder Resistenz bis zur 18. SSW (eine Corpus-luteum-Zyste sollte sich in dieser Zeit zurckbilden) sollte eine chirurgische Exploration erfolgen. Ergibt sich dabei, da der Tumor benigne ist, wird ein organerhaltendes Vorgehen gewhlt. Bei malignen Tumoren erfolgt ein komplettes Staging. Zeigt sich dabei kein Hinweis fr eine Metastasierung auerhalb des Ovars, ist eine unilaterale Ovarektomie zum Zeitpunkt des ersten Stagings ausreichend. Bei einem schlecht differenzierten und disseminierten Ovarialkarzinom erfolgt in der ersten Sitzung die stadiengerechte radikale Therapie. Alternativ kann bei dringendem Wunsch nach Erhalt der Schwangerschaft eine primre platinhaltige Chemotherapie nach der 13./14. Schwangerschaftswoche mit dem Ziel des Erreichens der 32. Schwangerschaftswoche durchgefhrt werden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt dann die Sectio caesarea mit der Komplettierung der radikalen operativen Therapie und konsekutiver Fortfhrung der Chemotherapie. Keimzelltumoren des Ovars werden chirurgisch entfernt und abhngig vom Tumorstadium postoperativ chemotherapiert. Bei Vorliegen eines Chorionkarzinoms sollte unverzglich eine Standardchemotherapie eingeleitet werden, die abhngig vom Schwangerschaftsstadium zur Abruptio fhrt. Bei Lebensfhigkeit des Kindes Entbindung.
Tumorerkrankung und Antikonzeption
1209
5 Tumorerkrankung und Antikonzeption Bei einer Tumorerkrankung, die chemo- oder strahlentherapeutisch behandelt wird, sollte in jedem Fall nach ausreichender Aufklrung der Patientin und des Partners ein wirksamer Konzeptionsschutz vorgenommen werden. >
strogenhaltige Antikonzeptiva sind aber bei hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom kontraindiziert.
Die Kontrazeptionsdauer nach kurativ behandelter Tumorerkrankung sollte sich nach der Prognose der Grunderkrankung und dem Kinderwunsch der Patientin richten. Dabei ist zu bercksichtigen, da Langzeitberlebende nach Krebserkrankung je nach Therapiemodalitt eine mehr oder weniger ausgeprgte Strung der Fertilitt haben. Literatur Adami HO, Tsaih S, Lambe M et al (1997) Pregnancy and risk of non-Hodgkin’s lymphoma: a prospective study. Int J Cancer 70:155…158 Antonelli NM, Dotters DJ, Katz VL et al (1996) Cancer in pregnancy: a review of the literature. Part I and II. Obstet Gynecol Surv 51:125…142 Aviles A, Neri N (2001) Hematological malignancies and pregnancy: a final report of 84 children who received chemotherapy in utero. Clin Lymphoma 2(3):173…177 Berry DL, Theriault RL, Holmes FA et al (1999) Management of breast cancer during pregnancy using a standardized protocol. J Clin Oncol 17:855…861 Coppola A, Sorosky J, Caspar R et al (1997) The clinical course of cervical carcinoma in situ diagnosed during pregnancy. Gynecol Oncol 67:162…165 Gelb AB, van de Rijn M, Warnke RA et al (1996) Pregnancy-associated lymphomas. A clinicopathologic study. Cancer 78:304…310 Grin CM, Driscoll MS, Grant-Kels JM (1996) Pregnancy and the prognosis of malignant melanoma. Semin Oncol 23:734…736 Incerpi MH, Miller DA, Posen R et al (1997) All-trans retinoic acid for the treatment of acute promyelocytic leukemia in pregnancy. Obstet Gynecol 89:826…828 Katz VL, Watson WJ, Hanson WF et al (1993) Massive ovarian tumor complicating pregnancy: A case report. J Reprod Med 38:907…910 Keleher AJ, Theriault RL, Gwyn KM et al (2002) Multidisciplinary management of breast cancer concurrent with pregnancy. J Am Coll Surg 194(1):54…64 Koren G, Lishner M, Farine D (eds) (1996) Cancer in pregnancy. Cambridge University Press 1996 Mubarak AA, Kakil IR, Awidi A et al (2002) Normal outcome of pregnancy in chronic myeloid leukemia treated with interferon-alpha in 1st trimester: report of 3 cases and review of the literature. Am J Hematol 69(2):115…118 Oduncu FS, Hepp H, Emmerich B (2002) Krebs und Schwangerschaft: Ethik der Entscheidung. Onkologe 8(12):1281…1293 Oduncu FS, Kimmig R, Emmerich B (2002) Krebs und Graviditt. Onkologe 8 (Suppl 1):59…62
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Tumortherapie bei Schwangerschaft
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22 Tumortherapie bei HIV-Infektion M. Ruhnke, C. Lke, M. Schrappe, H.-D. Peters
1 Einfu¨hrung Seit der ersten gesicherten HIV-Infektion in Zaire 1959 ist AIDS (nach infektisen Durchfallerkrankungen, Pneumonie, Tuberkulose, Malaria) zur fnfthufigsten infektionsbedingten Todesursache in der Dritten Welt geworden. Weltweit waren Ende 2002 ca. 42 Mio. Menschen mit HIV infiziert. 71% davon leben in Afrika, 2,3% in Amerika und 1,4% in Europa. Signifikant unterschiedlich ist die Geschlechterverteilung. Whrend in der nrdlichen Hemisphre der Anteil der mnnlichen Infizierten noch deutlich hher als derjenige der weiblichen war, ist das Verhltnis in Afrika nahezu 1:1. Insgesamt wird die Anzahl der infizierten Frauen mit 15,7 Mio. angegeben. Weltweit wurde die Zahl der Neuinfektionen im Jahr 2002 auf 5 Mio. (1,4% in den Industriestaaten) geschtzt. Bisher sind weltweit ca. 25 Mio. Menschen an AIDS gestorben, allein drei Millionen im Jahre 2002. Nur 4% aller HIV-Infizierten werden zur Zeit mit HAART (highly active antiretroviral therapy) behandelt (AIDS epidemic update, Dez. 2002, UN AIDS). In Deutschland waren Ende 2001 ca. 38 000 Menschen mit HIV infiziert (29 550 davon waren Mnner), 5000 an AIDS erkrankt, 2000 Menschen haben sich im selben Jahr neu infiziert (1500 Mnner, 500 Frauen, weniger als 20 Kinder). Hier waren homosexuelle Mnner mit 50% die grte Gruppe, 14% sind i.v. Drogenkonsumenten, 10% stammen aus Hochprvalenzlndern. Der Anteil der Personen, die die Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben haben und nicht aus Hochprvalenzlndern stammen, betrug 5%. Im Rahmen der Immunsuppression kommt es zu einem ansteigenden Risiko, an verschiedenen Malignomen zu erkranken (20…40%) (Tam et al. 1998). Die AIDS definierenden malignen Erkrankungen sind das KaposiSyndrom, das systemische Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) und das Zervixkarzinom. Diese Erkrankungen sind in unterschiedlichem Grade mit anderen spezifischen Viren assoziiert, wie dem Epstein-Barr-Virus (EBV), dem Humanen-Herpes-Virus 8 (HHV-8) und dem Humanen-Papilloma-Virus (HPV) (Tabelle 1). Die hufigsten Malignome sind das Kaposi-Sarkom und das Non-Hodgkin-Lymphom. Der tiologische Zusammenhang zwischen der Immunsuppression und der jeweiligen malignen Erkrankung ist letztlich nicht geklrt.
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Tabelle 1. HIV-assoziierte Malignome mit deren relativem Risiko und die mit der Erkrankung assoziierten Viren Malignom
Relatives Risiko
Virusassoziation
Kaposi-Sarkom
> 10 000
HHV8 (100%)
NHL
> 200
EBV (38–66%)
Prima¨res ZNS-Lymphom
1000–2900
EBV (100%)
Zervixkarzinom
2,9–4
HPV (100%)
Die Gesamtinzidenz von HIV-assoziierten Non-Hodgkin-Lymphomen wird zwischen 5 und 10% geschtzt. Die Lymphome sind relativ spte Manifestationen der HIV-Infektion. Bei 3% der Erkrankten tritt das Lymphom als Erstmanifestation der AIDS-Erkrankung auf. Zustzlich zu den genannten Erkrankungen wird eine enge Assoziation mit dem Morbus Hodgkin (Hesselson et al. 1992), dem Hodenkarzinom (Crosato et al. 1993), dem Analkarzinom (Palefsky 1991, Palefsky et al. 1992), den Leukmien und dem Bronchialkarzinom (Fraire u. Awe 1992) diskutiert. In den frhen 80er Jahren bis in die Mitte der 90er Jahre (sog. PreHAART-˜ra) betrug die Wahrscheinlichkeit fr einen homosexuellen HIV-positiven Mann, ein Kaposi-Sarkom zu entwickeln, 40…50%. Daten zum relativen Risiko bei Frauen gibt es kaum. Pathogenetisch ist fr das Auftreten eines HIV-assoziierten Kaposi-Sarkoms das Zusammenspiel zwischen HHV-8, Immunsuppression und HIV notwendig. HHV-8 wird sexuell bertragen, unabhngig von den sexuellen Praktiken. In einer Multicenter-AIDS-Kohortenstudie (MACS) entwickelten 80% der Mnner, die Sex mit Mnnern hatten und seropositiv fr HHV-8 waren, ein Kaposi-Sarkom; hingegen nur 18% der homosexuellen Vergleichsgruppe ohne HHV-8-Positivitt (Levine et al. 1997a).
2 Prognose 2.1 U¨berlebenszeiten nach der Diagnose einer HIV-Infektion In greren Studien, die Anfang der 90er Jahre erstellt wurden, betrug der mediane Zeitraum von der Serokonversion bis zum Auftreten von AIDS 124 Monate (10,3 Jahre) (Van Griensven et al. 1992). Eine im Mai 2002 verffentlichte Studie zeigte jedoch eine deutliche Verlngerung des AIDS-freien Intervalls mit Beginn der HAART-˜ra (Tabelle 2) (Tassie et al. 2002). Unter der optimistischen Annahme einer weiteren Verlngerung der berlebenszeit (LZ) durch optimierte antiretrovirale Therapien und Pro-
Prognose
1213
Tabelle 2. U¨bersicht u¨ber die Verla¨ngerung der AIDS-freien Intervalle Zeitpunkt der Erstdiagnose
Therapie
Zentrum von der Serokonversion bis AIDS
Periode 1
Jan 1992–Jun 1995
Monotherapie
8,0 Jahre
Periode 2
Jul 1995–Jun 1996
Dualtherapie
9,8 Jahre
Periode 3
Jul 1996–Jun 1999
Tripeltherapie
20 Jahre
phylaxe bzw. Therapie opportunistischer Infektionen ist in Zukunft mit einer Zunahme einiger Malignome bei HIV-Infizierten mit persistierendem Immundefekt zu rechnen. Auf Grundlage einer Datenbasis von 61000 im Jahre 1996 dokumentierten franzsischen HIV-Patienten besttigt sich der Eindruck, da Lymphome mit ZNS-Manifestationen (aber auch Enzephalopathien und PML) in der ˜ra der sehr wirksamen antiretroviralen Kombinationsstrategien den geringsten Rckgang bei den AIDS-Manifestationen aufweisen und damit ihr Anteil an den Todesursachen deutlich steigen wird (Costagliola 1998) (Tabelle 3). Insgesamt hat sich die Prognose der HIV-assoziierten Tumoren im Gegensatz zu den Therapiefortschritten bei den opportunistischen Infektionen nicht verbessert, sondern ist auf niedrigem Niveau stabil geblieben bzw. hat sich fr einige Entitten eher verschlechtert (Lemp et al. 1991; Tulpule et al. 1998). Tabelle 3. U¨bersicht u¨ber die Prognose von Patienten mit AIDS-KS oder AIDS-NHL 1981–1985
1986–1987
1988–1990
Mediane U¨LZ bei KS
18,7 Monate
22,7 Monate
22,1 Monate
Mediane U¨LZ bei NHL
10,5 Monate
6,1 Monate
7,1 Monate
1991-1998 U¨ber 22 Monate bei CR Keine Daten verfu¨gbar
2.2 Prognosefaktoren fu¨r das U¨berleben bei HIV-assoziierten Kaposi-Sarkomen HAART hat auf den Verlauf der HIV-assoziierten Kaposi-Sarkome (KS) einen erheblichen Einflu; sowohl die Inzidenzen als auch der Anteil der Patienten, bei denen das KS als AIDS definierende Erkrankung aufgetreten ist, haben sich erheblich verringert (30% auf 10…15% am Ende der 90er Jahre) (bersicht verschiedener Studien in Tabelle 4). 2.3 Prognosefaktoren fu¨r das U¨berleben bei HIV-assoziierten Lymphomen HIV-assoziierte NHLs sind die zweithufigste maligne HIV-assoziierte Erkrankung; 5…10% aller HIV-Infizierten erkranken im Verlaufe ihrer Infek-
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Tabelle 4. Studienu¨bersicht u¨ber Inzidenz des KS in der Vor-HAART- bzw. HAART-A¨ra Studie
Anzahl der Patienten
Inzidenz in der Vor-HAART-A¨ra
Inzidenz in der HAART-A¨ra
MACS* (Jacobson et al. 1999)
1813
25,6 Erkr./1000 Patientenjahre fru¨he 90er Jahre
7,5 Erkr./1000 Patientenjahre 1996/97
San Francisco City Clinic Cohort Clinical Cours (Buchbinder et al. 1999)
622
35 Erkr./1000 Patientenjahre 1993–95
0,6 Erkr./1000 Patientenjahre 1996
ASD Projekt ** (Jones et al. 1999)
19 684
49,9 Erkr./1000 Patientenjahre Jan–Jun 1994
25,7 Erkr./1000 Patientenjahre Jan–Jun 1997
Meta-Analyse (Appleby et al. 2000)
47 936
15,2 Erkr./1000 Patientenjahre
4,9 Erkr./1000 Patientenjahre
* Multicenter AIDS Cohort study ** The Adult/Adolescent Spectrum of HIV Disease Group
tion an einem NHL, und 16% der Todesflle mssen dem NHL zugerechnet werden. Ob es eine Vernderung in der Inzidenz oder der berlebenszeit der malignen Erkrankung gibt, ist noch unklar. Einen berblick ber verschiedene Studien zeigt Tabelle 5.
Tabelle 5. U¨berblick u¨ber einige Studien, die den Einfluß der HAART auf das U¨berleben bei Auftritt eines HIV-NHL dokumentieren Studie
Anzahl der Patienten
Chemotherapie U¨LZ/Chemotherapie U¨LZ/HAART + Chemotherapie
Matthews (2000)
7840
Variabel
29% u¨berlebten 2 Jahre
41,2% u¨berlebten 2 Jahre
Romeu (2000)
58
CHOP
7 Monate
Studie noch nicht abgeschlossen
Little (1999)
33
EPOCH
Vaccher (2000)
92
CHOP
ECOG (2000)
107
CDE
73% u¨berlebten 33 Monate 7 Monate
Studie noch nicht abgeschlossen
CHOP: Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison, EPOCH: Etoposid, Vincristin, Doxorubicin, Cyclophosphamid; CDE: Cyclophosphamid, Doxorubicin, Etoposid; ECOG: Eastern Cooperativ Oncology Group
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Prognose
Bei ca. 40…70% der HIV-assoziierten NHLs handelt es sich um Lymphome mit hoher Malignitt (High-grade-Lymphome) und ungnstigem klinischem Verlauf. Histologisch handelt es sich meist um grozellig diffuse B-Zell-Lymphome mit polyklonaler B-Zell-Proliferation. Eine Assoziation mit dem Epstein-Barr-Virus liegt in 38…66% der Flle vor. HIV-NHLs zeigen oft bereits bei Diagnosestellung ein fortgeschrittenes Ausbreitungsstadium mit Organbefall. Hufig sind intrazerebrale Lymphome, multifokaler Befall des Gastrointestinaltrakts sowie Befall der Haut, im HNO-Bereich und der Lunge (7% der Flle). Es wurden in der Vergangenheit mehrere Modelle entwickelt, die eine Aussage ber die Prognose bzw. die Ansprechrate unter der Therapie bei den HIV-assoziierten Lymphomen machen knnen. Im Folgenden wird auf drei davon nher eingegangen. Nach einer multivariaten Analyse von Kaplan et al. (1989) ist jeder der nachfolgend genannten Parameter mit einem verkrzten berleben assoziiert: F F F
CD4+-Lymphozyten von < 100/ll, Nachweis einer AIDS-Erkrankung vor Auftreten der NHL, ein Karnofsky-Performance-Status (KPS) von 70% oder weniger und Vorliegen einer extranodalen Lymphomerkrankung.
Levine (1988) und Levine et al. (1991a) definierten auf der Basis von multivariaten Analysen drei Indikatoren fr eine schlechte Prognose: F F F
KPS unter 70%; AIDS-Diagnose vor Auftreten (Entwicklung) des NHL; Befall des Knochenmarks.
Der 1993 entwickelte International Prognostic Index (IPI) bercksichtigt fnf Parameter und wurde ursprnglich fr High-grade-Lymphome ohne HIV-Infektion zur Therapieplanung, Risikoabschtzung und zur Definition untersuchter Patientenkollektive entwickelt (Tabelle 6). Tabelle 6.
International Prognostic Index fu¨r NHL-Patienten (N Engl J M 1993; 329:987–994)
Risikokategorie
Zahl der Risikofaktoren
Komplette Remission
Rezidivfreies U¨berleben (5 Jahre)
U¨berleben (5 Jahre)
Niedrig
0,1
73%
87%
70%
Niedrigintermedia¨r 2
67%
51%
50%
Hochintermedia¨r
3
55%
49%
43%
Hoch
4,5
44%
42%
26%
Risikofaktoren: Alter > 60 Jahre, Karnofsky < 80%, Stadium > II, LDH erho¨ht, > 1 extranodaler Befall
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Tabelle 7. Altersbereinigter International Prognostic Index Risikokategorie
Zahl der Risikofaktoren
Komplette Remission
Rezidivfreies U¨berleben (5 Jahre)
U¨berleben (5 Jahre)
Niedrig
0
97%
78%
83%
Niedrigintermedia¨r
1
78%
51%
69%
Hochintermedia¨r
2
57%
30%
46%
Hoch
3
46%
27%
32%
Risikofaktoren: Karnofsky < 80%, Stadium > II, LDH erho¨ht
Fr HIV-infizierte Patienten kann der IPI modifiziert werden, da dieses Kollektiv meist unter 60 Jahre alt ist (Tabelle 7). In einer Studie von Rossi et al. (1999) konnte kein weiterer Parameter gefunden werden, der prognostische Relevanz gehabt htte. Die Immunlage, dokumentiert durch CD4+-positive Lymphozyten, korreliert sehr gut mit dem IPI, so da eine zustzliche Bercksichtigung der Immunparameter nicht notwendig erscheint. 2.4 Prognosefaktoren fu¨r das U¨berleben bei HIV-assoziiertem M. Hodgkin HIV-infizierte Menschen haben ein 5- bis 9fach hheres Risiko, an einem Hodgkin-Lymphom zu erkranken, als nicht HIV-Infizierte. Die mittlere berlebenszeit von HIV-Infizierten mit Morbus Hodgkin betrgt 12…15 Monate, im Gegensatz zu HIV-negativen Patienten, deren mittleres berleben bei 12 Jahren liegt. In Anlehnung an die Einteilung fr HIV-negative Patienten fallen mehr als 90% der Patienten mit HIV-assoziiertem Morbus Hodgkin in die intermedire bzw. ungnstige Prognosegruppe (siehe Kap. 52). Bei Diagnosestellung besteht meist eine fortgeschrittene Erkrankung. 80…90% der Patienten werden in den Stadien III und IV diagnostiziert (in der HIV-negativen Bevlkerung lediglich 30%). Auffllig sind auch die atypischen Manifestationen: Histologisch liegen sehr viel hufiger ein zellulrer Mischtyp (40…45% vs. 15…30%) oder ein lymphozytenarmer Typ (20…25% vs. 1%) vor. Ein Nachweis von Epstein-Barr-Virus gelingt in 80…100% der HIV-assoziierten Hodgkin-Lymphome (vs. 25…50%). Die Ansprechraten unter Therapie liegen lediglich bei 50 vs. 80% bei Patienten ohne HIV-Infektion. Es zeigt sich also, da die Prognose fr den HIV-assoziierten Morbus Hodgkin im Vergleich zur HIV-negativen Patientengruppe schlechter ist.
Pathogenese und (klinische) Charakterisierung
1217
3 Pathogenese und (klinische) Charakterisierung In Tabelle 8 wurden potentielle Faktoren aufgelistet, die pathogenetisch bei AIDS-assoziierten Tumoren eine Rolle spielen bzw. deren pathogenetische Rolle dort diskutiert wird (Karp 1994; Tulpule et al. 1998). Dabei handelt es sich um mehrere interaktiv wirkende Faktoren (z.B. Viren mit multiplen Mechanismen zur malignen Transformation; Verlust des normalen Tumorsuppressorgens und der Genproduktfunktion, die zu aberranter Tumorsuppression fhren, sowie interaktive Glykoproteine aus der Familie der Zytokine). Die Onkogenitt des HI-Virus selbst ist danach nicht bei der Entstehung der Malignome bedeutsam, jedoch spielen zustzliche Infektionen durch Viren mit onkogener Potenz eine groe Rolle (s. auch Tabelle 1). Frhere Untersuchungen zur Pathogenese des KS demonstrierten, da die kultivierten Spindelzellen aus KS-Lsionen abnormal empfindlich auf eine Vielzahl von Zytokinen reagieren. Daher wird angenommen, da das KS eine durch Zytokine gesteuerte proliferative Erkrankung ist. In mehreren Studien wurde demonstriert, da Zytokine wie IL-1b, IL-6 und Oncostatin M (Nair et al. 1992) autokrine Wachstumsfaktoren fr das AIDS-KS sind. Sowohl IL-1b als auch IL-6 werden von KS-Zellen gebildet (Miles et al. 1990; Louie et al. 1995). Die Hemmung ihrer Wirkung (durch IL-1-Rezeptor-Antagonisten oder Hemmung der Genexpression durch Antisense-Oligonukleotide fr IL-6) kann das Wachstum von KS-Zellen aufhalten (s. weitere Hinweise zur Pathogenese von AIDS-KS bei Tulpule et al. 1998). Tabelle 8. Ausgewa¨hlte potentielle pathogenetische Faktoren von AIDS-assoziierten Malignomen. (Adaptiert nach Karp 1994) Pathogenetischer Faktor
Kaposi-Sarkom
Lymphome
Zervixkarzinome
Virus
Humanes Herpesvirus 8 (HHV-8)
Epstein-Barr-Virus (EBV)
Humanes Papillomavirus (HPV) 16, 18, 31
„Host gene“Aktivierung
K-fgf*/hast
c-myc Multi-Drug-Resistance
c-myc Multi-Drug-Resistance
Tumorsuppressor- p53 und Retinoblastom Inaktivierung (Rb) Zytokine
p53 und Retinoblastom p53 und Retinoblastom (Rb) (Rb)
Interleukin-1 (IL-1), IL-6, Interleukin-6 (IL-6), IL-10 Oncostatin M „Fibroblast growth factor“ Platelet-derived growth factor Extracellular tat
*K-fgf: Kaposi-assoziierter Fibroblastenwachstumsfaktor
?
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Die diskutierten pathogenetischen Faktoren fr die Entstehung der anderen AIDS-definierenden Tumoren (Lymphome und anogenitale Karzinome) sind ebenfalls Tabelle 8 zu entnehmen. HIV-assoziierte Tumoren lassen sich durch folgende klinische Charakteristika beschreiben: F F
F
F F
F
Klinisch aggressivere Verlaufsformen bei HIV als bei den „klassischen“ Verlaufsformen der Erkrankungen (ohne Immunsuppression); Auch nach histologischen Kriterien ha¨ufigeres Auftreten hochmaligner Tumoren; z.B. sind 40…70% der HIV-assoziierten NHLs hochmaligne Lymphome (bei nicht HIV-assoziierten NHLs lediglich 28…38%). Gleichzeitig sind klinisch maligne Prozesse mit unvollstndigen Malignittskriterien zu beobachten (bei KS mit fraglicher Monoklonalitt, bei den NHL mit atypischer polyklonaler Proliferation); Disseminierte Prima¨rmanifestationen mit atypischem Befallsmuster (bei KS viszeraler Befall und bei NHL extranodaler Befall); z.B. besteht bei Patienten mit einem HIV-assoziierten NHL bei Diagnosestellung hufiger ein ausgedehnter und untypischer Organbefall (z.B. mit intrazerebralem und pulmonalem Befall) (Adachi et al. 1993); Schlechtes Therapieansprechen und nur kurze Dauer der kompletten Remissionen (CR); Korrelation zwischen Inzidenz, Malignitt und Disseminierungsgrad auf der einen Seite und dem Grad des Immundefektes auf der anderen Seite (KS: Gill et al. 1991; Miles 1996; u.a. NHL: Kaplan et al. 1989; Zervixkarzinom: Maiman et al. 1993; Smith et al. 1993); Atypische, seltene Erkrankungen wie die Castleman-Erkrankung oder das „Body-cavity“-Lymphom treten auf.
4 Stadieneinteilung und Risikoabscha¨tzung F
F
F
Die Stadieneinteilung entspricht bei den HIV-assoziierten Lymphomerkrankungen (NHL und Morbus Hodgkin) der Einteilung nach Ann Arbor (Tabelle 9). Fr das Kaposi-Sarkom empfiehlt sich die Stadieneinteilung nach Krown et al. (1989, 1997), zu beachten sind jedoch folgende HIV-Infektion-bedingte Besonderheiten: Der Lymphknotenstatus steht stets unter dem Vorbehalt einer falsch-hohen Stadienzuordnung durch vergrerte Lymphknoten im Rahmen der HIV-bedingten Lymphadenopathie. Der histologischen Klrung ist Vorrang zu geben. Dies gilt auch fr einen Lymphknotenbefall durch ein Kaposi-Sarkom. Differentialdiagnostisch kommt ein Befall im Rahmen opportunistischer Infektionen, v.a. Mykobakteriosen, in Betracht.
Stadieneinteilung und Risikoabscha¨tzung
1219
Tabelle 9. Ann-Arbor-Klassifikation von NHL und Morbus Hodgkin Die vorliegende Einteilung weicht im Stadium IV und bezu¨glich des Extranodalbefalls von der Standard-Ann-Arbor-Klassifikation ab. Stadium I:
Befall einer einzigen Lymphknotenregion oder Vorliegen eines einzigen lokalisierten extranodalen Herdes (I, E)
Stadium II:
Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells oder Vorliegen eines oder mehrerer lokalisierter extranodaler Herde mit oder ohne Befall einer oder mehrerer Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells (II, E)
Stadium III:
Befall von 2 oder mehr Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerchfells oder Befall von einem oder mehreren lokalisierten extranodalen Herden mit oder ohne Befall einer oder mehrerer Lymphknotenregionen, so daß ein Befall auf beiden Seiten des Zwerchfells vorliegt (III, E)
Stadium III 1: Subphrenische Lokalisation, beschra¨nkt auf Milz, zo¨liakale und/oder portale Lymphknoten allein oder gemeinsam Stadium III 2: Subphrenische Lokalisation mit Beteiligung paraaortaler, mesenterialer, iliakaler und/oder inguinaler Lymphknoten allein oder gemeinsam Stadium IV:
Disseminierter Befall eines oder mehrerer extralymphatischer Organe mit oder ohne Beteiligung von Lymphknoten (anders als beim E-Befall ist eine Strahlentherapie in dieser Situation nicht sinnvoll)
CS:
Klinische und apparative Stadieneinteilung (ohne explorative Laparotomie mit Splenektomie)
PS:
Pathologische Stadieneinteilung mit Einbeziehung einer diagnostischen Laparotomie. Heute nur selten angewandt
Extranodalbefall (E-Befall): Umschriebene Hodgkin-Beteiligung von extralymphatischem Gewebe (entweder durch direktes Einwachsen aus einem benachbarten Lymphknoten oder in engem anatomischem Bezug zu befallenen Lymphknoten), sofern eine strahlentherapeutische Behandlung kurativ mo¨glich wa¨re. Auch 2 oder mehr E-Befa¨lle sind mit einem Stadium II bzw. III vereinbar. Die Kennzeichnung erfolgt in der Tumorformel mit einem zusa¨tzlichen E. Allgemeinsymptome: Die Stadien I bis IV erhalten den Zusatz B, wenn eins oder mehrere der folgenden Allgemeinsymptome vorliegen, und den Zusatz A, falls diese fehlen: Nicht anderweitig erkla¨rbares Fieber u¨ber 38 C Nicht anderweitig erkla¨rbarer Nachtschweiß (Wechsel der Nachtwa¨sche) Nicht anderweitig erkla¨rbarer Gewichtsverlust von mehr als 10% des Ko¨rpergewichts innerhalb von 6 Monaten Bulky disease: Lymphknotenkonglomerat 5 cm * * *
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F
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Allgemeinsymptome („B-Symptome“) und ein reduzierter Allgemeinzustand sind bei HIV-Infizierten schwer zu beurteilen bzw. nur auf den Tumor zurckzufhren, da die HIV-Infektion und ihre Komplikationen (oft opportunistische Infektionen) selbst zugrunde liegen knnen. Mehrere Arbeiten weisen auf die Bedeutung der HIV-Infektion als Risikofaktor hin (KS: Gill et al. 1991; NHL: Kaplan et al. 1989; s.a. bersichten: Knowles u. Dalla-Favera 1994; Tulpule et al. 1998). Entscheidend fr Therapieplanung und Prognose sind nach dem bisherigen Kenntnisstand die patientenbezogenen immunologischen Parameter: 1) CD4+-T-Lymphozytenzahl: < 200 Zellen/ll: Auftreten der ersten opportunistischen Infektionen, Ansprechen des KS auf Interferon-a nimmt ab (z.B. Fishl et al. 1996; s. bersicht: Tulpule et al. 1998); < 100 Zellen/ll: Prognose des KS (Gill et al. 1991) und von NHL nimmt ab (Kaplan et al. 1989; Gisselbrecht et al. 1993, s. bersicht: Tulpule et al. 1998) 2) Vorbestehende AIDS-Manifestationen: Bedeutsam sind v.a. chronische und kurativ nicht beherrschbare Infektionen wie z.B. die CMV-Retinitis, die atypischen Mykobakteriosen (MAI-Infektionen), die Kryptosporidienenteritis und die Kryptokokkose (KS: Gill et al. 1991; NHL: Kaplan et al. 1989; Gisselbrecht et al. 1993). Bei den HIV-NHL mu auch ein gleichzeitig bestehendes KS bercksichtigt werden, da dieses nach zytostatischer Therapie des NHL bzw. unter Gabe von Glukokortikoiden einen raschen Progre des HIV-KS auslsen kann (Cai et al. 1997).
Als Resultat all dieser berlegungen kann eine Risikoabschtzung vorgenommen werden, z.B. fr das Kaposi-Sarkom entsprechend den Richtlinien der AIDS Clinical Trials Group (ACTG) in den USA (Krown et al. 1989, 1992). Die Patienten wurden danach auf Grundlage der Tumordisseminierung, des Immunstatus (gemessen ber die Zahl der CD4+-Lymphozyten) und der HIV-assoziierten systemischen Symptome in Risikogruppen mit guter und schlechter Prognose eingeteilt. Nach einer Studie von Krown et al. (1997), in der das ACTG-Staging-System validiert wurde, ist das Vorliegen oder Fehlen von systemischen Erkrankungen kein wichtiger Faktor fr den Krankheitsverlauf. Nur bei Patienten mit CD4+-Lymphozytenzahlen von 200 Zellen/ll waren die Tumorcharakteristika von signifikanter prdiktiver Bedeutung. Nach der Validierung durch die ACTG-Gruppe gilt nunmehr die in Tabelle 10 dargestellte Risikoabschtzung.
Stadieneinteilung und Risikoabscha¨tzung
1221
Tabelle 10. Stadieneinteilung des epidemischen Kaposi-Sarkoms. (Krown et al. 1989, 1997) Kriterien
Gu¨nstige Prognose (alle Kriterien werden erfu¨llt)
Tumor
*
Hautinfiltrate und/oder Lymphknotenbefall und/oder geringe Mundschleimhautinfiltration (= flache, nicht nodula¨re Infiltrate am Gaumen
Ungu¨nstige Prognose (ein Kriterium wird erfu¨llt Durch den Tumor bedingtes O¨dem oder Tumorulzeration Extensive Mundschleimhautinfiltration Befall des GI-Traktes Befall viszeraler Organe CD4-Zellen 150 ll *
*
* *
Immunstatus Systemische Krankheit (HIV-Infektion)
CD4-Zellen 150/ll *
*
*
Keine vorangegange Ol oder Candidiasis Keine Allgemeinsymptome („B-Symptome“) Karnofsky-Index 70%
*
*
* *
Vorangegangene Ol oder Candidiasis B-Symptome Karnofsky-Index < 70% Andere HIV-assoziierte Krankheiten (neurologische Krankheiten, maligne Lymphome etc.)
B-Symptome = Fieber unklarer A¨tiologie; Nachtschweiß; Gewichtsabnahme > 10%; Diarrho¨, La¨nger als zwei Wochen anhaltend.
Whrend das ursprngliche ACTG-Staging-System ein verllicher Prdiktor fr die LZ ist, leistet das alternative Staging-System mit dem Grenzwert der CD4+-Lymphozyten bei 150 Zellen/ll eine bessere Differenzierung zwischen den prognostischen Gruppen. Drei prognostische Gruppen wurden identifiziert: (1) In der Gruppe der Patienten mit einem geringen Tumorrisiko und einer CD4+-Lymphozytenzahl von 150 Zellen/ll wurde die mediane LZ bisher noch nicht erreicht; (2) bei Patienten mit einem hohen Tumorrisiko und einer CD4+-Zahl von 150 Zellen/ll betrug die mediane berlebenszeit (LZ) 35 Monate und (3) bei Patienten mit einer CD4+-Zahl von 150 Zellen/ll betrug die mediane LZ, unabhngig vom Ausma der Tumorlokalisation, durchschnittlich 12 Monate. Ferner ist erstaunlich, da ein pulmonales KS nicht zu einer signifikant schlechteren Prognose fhrte. Beim Non-Hodgkin-Lymphom kann die Risikoabschtzung entsprechend den Richtlinien der deutschen Studiengruppe zu den HIV-assoziierten NHLs vorgenommen werden, die fr die Zuordnung zu den Risikogruppen drei Prognosekriterien vorschlgt: F F F
CD4-Lymphozyten < 50/ll, Opportunistische Infektion in der Vorgeschichte, WHO-Aktivittsindex > 2.
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1222
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Normalrisiko: nur ein Risikokriterium; kein zerebraler Befall. Hochrisiko: mehr als ein Risikokriterium. Etabliert hat sich hier auch der bereits in Abschnitt 2.3 beschriebene International Prognostic Index (IPI).
5 Diagnostische Maßnahmen Da die HIV-Infektion und die AIDS-assoziierten Tumoren (besonders KS und NHL) zu „Multiorgan-Problemen“ fhren, ist vor den therapeutischen Interventionen eine komplexe Diagnostik erforderlich, die das Knochenmark, die Leber und Niere, den Gastrointestinaltrakt, die Atemwegsorgane, das ZNS und die Herzfunktion zu bewerten hat. Die gngigen Untersuchungen zum Tumorstaging sind beim KS und beim NHL z.T. anders zu gewichten als bei nicht-HIV-infizierten Patienten. F
F
Knochenmarkbefall: Beim NHL hufig (25%) und prognostisch ungnstig (Gisselbrecht et al. 1993; Tulpule et al. 1998), fr die Therapieplanung aber nicht entscheidend, da auch bei niedrigen Stadien keine Alternative zur zytostatischen Chemotherapie besteht. Beim KS ist ein Knochenmarkbefall methodisch schwer nachzuweisen, und er spielt klinisch keine Rolle. Allerdings ist die Knochenmarkdiagnostik zur Diagnose einer gleichzeitig bestehenden opportunistischen Infektion sinnvoll (z.B. Mykobakteriose). Beim M. Hodgkin (mit extranodaler Lokalisation) kann neben der Leber und der Lunge auch das Knochenmark betroffen sein (Schoppel et al. 1985). Gastrointestinaler Befall: Beim NHL hufig (Magen-Darm-Trakt: 26% [einschlielich Appendix und Rektum]; Leber 12%) und wegen der Perforations- und Blutungsgefahr sowie der prognostischen Wertigkeit (Gisselbrecht et al. 1993, Tulpule et al. 1998) klinisch sehr wichtig, daher gehrt die komplette gastrointestinale Endoskopie zu den wichtigsten Staginguntersuchungen. Der gastrointestinale Befall ist beim KS ebenfalls hufig und in nahezu 50% der Flle nachweisbar (Mundhhle, sophagus, Magen, Duodenum, Kolon und Rektum). Eine fortgeschrittene gastrointestinale Beteiligung fhrt zu abdominellen Schmerzen und sogar zu Blutungen (Tulpule et al. 1998). Ein asymptomatischer gastrointestinaler Befall beeinflut das berleben der KS-Patienten nicht, eine Routineuntersuchung des Magen-Darm-Trakts ist dann nicht angezeigt. Bei gastrointestinaler Symptomatik sollte eine endoskopische Evaluation erfolgen, da Kontrastmitteluntersuchungen mit Barium zu falsch-negativen Ergebnissen fhren knnen. Beim M. Hodgkin wurden fr die Erkrankung unbliche Manifestationen (z.B. Rektum) beschrieben (Tulpule et al. 1998).
Diagnostische Maßnahmen F
F
1223
Befall der Atemwege: Beim NHL etwa in 7% der Flle Lungenbefall. KS der Lunge im finalen Stadium bei 30…40% der Patienten, wobei die Symptome denen einer Pneumocystis-carinii-Pneumonitis hneln knnen (Dyspnoe, Husten und Hypoxmie). Bei fortschreitender Erkrankung konfluieren die Vernderungen zu groflchigen Infiltraten. Charakteristisch fr das pulmonale KS sind frh auftretende Kerley-A- und -BLinien sowie beidseitige Pleuraergsse (Huang et al. 1995). ZNS-Befall: Groe Bedeutung beim HIV-NHL als primres ZNS-NHL (sehr schlechte Prognose [Levine et al. 1991a]) und als sekundrer meningealer Befall. Beim HIV-assoziierten KS wird kein zentraler Befall beobachtet. Bereits bei der diagnostischen Liquorpunktion wird eine intrathekale Gabe von Methotrexat (15 mg) empfohlen, evtl. zustzlich 50 mg Cytosin-Arabinosid. Die ZNS-Beteiligung beim AIDS-NHL ist prognostisch mit intensiver Chemotherapie etwas gnstiger als der primre ZNS-Befall (Gisselbrecht et al. 1993; Levine et al. 1991b).
Zustzlich sind HIV-spezifische Parameter, die den immunologischen und klinischen Status der Infektion beschreiben, als Bestandteil des Stagings anzusehen und bei der Therapieplanung zu bercksichtigen. Die diagnostischen Manahmen bei HIV-infizierten Patienten werden im Folgenden nach Organsystemen skizziert, sind aber hufig nur bei Symptomen sinnvoll: F
F
F
F
Blutbild und immunologischer Status: Blutbild mit CD4+- und CD8+Lymphozyten; Blutkulturen: „Varia“ und Tuberkulose; Toxoplasmoseserologie (IgG [ELISA], Toxoplasmoseantikrper); CMV-IgM/KBR und CMV-pp65-Antigen und ggfs. CMV-PCR; Hepatitisserologie (A, B, C). Prognosemarker, Viruslast und Therapiesteuerung: Die Hhe der Virmie wird durch molekularbiologische Methoden bestimmt, die quantitativ die HIV-RNA im Plasma messen. Maeinheit sind die quantitative Polymerasekettenreaktion (Q-PCR), die „branced-chain“-DNAMethode (bDNA) und die Amplifikation, basierend auf der Nukleinsuresequenz (NASBA). Mundho¨hle: fakultativ Mundsplwasser auf Candida untersuchen; Abstriche evtl. vom Ulkusgrund (HSV); Kulturen des Abstrichmaterials: Bakterien, Pilze, Viren (HSV); Biopsien aus aufflligen Zonen (Infiltrationen, Ulkusgrund). Gastrointestinaltrakt: Bei Symptomen Untersuchung auf Blut, Mykobakterien und Kryptosporidien; sophagogastroskopie mit Biopsien zu histologischen Untersuchungen; ERCP (bei Fieber) mit Biopsie (CMV); Galleflssigkeit auf Bakterien und Protozoen (Kryptosporidien) untersuchen; Stuhlgang bewerten (Frequenz, Konsistenz, Blut); Stuhlmikroskopie mit Spezialfrbungen (Ziehl-Neelsen, Auramin, Kinyoun);
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F
F
F
F F
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Kultur auf darmpathogene Bakterien, auch Mykobakterien; Sonographie von Leber, Gallengangsystem, Pankreas, Milzgre, Lymphknoten und von Tumoren; Rntgen: Abdomen-bersicht, Ausschlu von Ileus und Perforation; ggf. Aszitespunktion; CT-Abdomen (Tumordiagnostik), Koloskopie. Anal/Genital: Lues-Serologie; bei Ulzera oder Lsionen Untersuchung des Abstrichs auf HSV, Candida, Mykobakterien, sonstige Bakterien; PE aus Infiltraten und Knoten, Proktoskopie, evtl. Rektoskopie; Ausflu mikroskopisch untersuchen: Gonorrh, surefeste Stbchen; Kultur: „Varia“ und Mykobakterien; Sonographie des kleinen Beckens; bei Hodentumor: Sonographie, CT, offene Biopsie. Lunge: Rntgen-Thorax; bei Ergu: Punktat mikroskopisch und bakteriell untersuchen, ferner Zytologie; Untersuchung des Sputums, Frbungen: Gram, Grocott, Auramin und Kulturen auf Pneumonieerreger, Mykobakterien, Pilze, Viren (CMV, Herpes); Bronchoskopie bei Verdacht auf Kaposi-Lsionen und NHL: Biopsie, ansonsten Lavage und Aufarbeitung wie des Sputums; Kryptokokkenantigen im Serum, Toxoplasmoseantikrper, evtl. CT der Lunge; Blutgasanalyse. Nervensystem: Toxoplasmoseantikrper, Kryptokokkenantigen im Serum, kraniale CT (mit Kontrastmittel), evtl. MRT; Liquorpunktion mit Routineuntersuchung; Zellzahl, Eiwei, Glukose und Zytologie (Gram, Tusche-Prparat, Ziehl-Neelsen); Kultur auf Mykobakterien, andere Bakterien und Pilze; Serologie: Kryptokokkenantigen, Lues, Antikrper gegen CMV, HSV und HIV, Papovavirus, auch im Serum; EEG; kraniale CT (ZNS-Lymphome). Auge: Augenhintergrund bewerten (CMV); neurologische Untersuchung; kraniale CT (ZNS-Lymphome). Haut: Medikamentenanamnese; Hautbiopsie, Direktprparate (Erregernachweis); Bakterien-, Pilz- und Viruskulturen; Suche nach KS-Lsionen; Bewertung der Lymphknoten an den Prdilektionsstellen.
Die Bestimmung der Viruslast ist heute fr die Indikation und Kontrolle der Therapie essentiell, insbesondere im Hinblick auf die Frherkennung von Resistenzentwicklungen. Ziel einer antiviralen Therapie sollte es sein, die Viruslast unter die Nachweisgrenzen abzusenken (in derzeitigen Systemen sind das 50 Kopien/ml). Die Plasma-HIV-RNA-Level sind entscheidende Parameter, um die Wirkung der Therapie im Verlauf zu beurteilen. Jeder wesentliche berprfte Anstieg der Viruslast, der nicht begrndet ist durch einen akuten Infekt oder eine Impfung, kann Hinweis auf ein Versagen der Therapie sein. Neben der klinischen Unvertrglichkeit gelten nach dem CDC Morbidity and Mortality Weekly Report (Mai 2000) als sichere Kriterien, die einen Wechsel der Therapie bedingen, folgende Punkte:
Diagnostische Maßnahmen F
F
F
F F
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Reduktion des Ausgangswertes um weniger als 0,5…0,75 log10-Stufen innerhalb von vier Wochen oder weniger als 1 log10-Stufe nach acht Wochen. Grundstzlich sollte die Viruslast nach 4…6 Monaten unter die Nachweisgrenze abgesunken sein, jedoch sollte hier individuell entschieden werden; bei einem Patienten, bei dem die Viruslast innerhalb von sechs Monaten von 106 auf Werte unter 105 Kopien/ml abfllt, mu nicht sofort ein Umsetzen der Therapie veranlat werden. Ein mehrfach nachgewiesener Anstieg der Viruslast nach anfnglicher „Nichtnachweisbarkeit“ ist ein Hinweis auf eine Resistenzentwicklung. Es sollte eine engmaschige Kontrolle erfolgen, auch bei geringem Anstieg (50…50 000 Kopien/ml); der Groteil dieser Patienten entwickelt einen progressiven Anstieg der Virmie. Jeder Anstieg ber das 3fache des Nadirs der Viruskonzentration. Ein kontinuierlicher, mehr als 2mal gemessener Abfall der CD4+-Lymphozyten.
Nach einer Studie von Mellors lt sich anhand der Viruslast eine Aussage ber die Prognose bzw. den Verlauf der HIV-Erkrankung machen (Tabelle 11). Indikationen fr eine HAART sind nach DHHS-Guidelines: F
F
F
Akute HIV-Erkrankung bzw. weniger als sechs Monate nach Serokonversion: Es sollte unabhngig von der CD4-Zell-Zahl eine Therapie erfolgen. Symptomatische HIV-Erkrankung (AIDS, AIDS-assoziierte Erkrankungen): Es sollte unabhngig von der CD4-Zell-Zahl und der Viruslast eine Therapie erfolgen. Bei asymptomatischer HIV-Infektion soll nach dem Schema in Abbildung 1 verfahren werden.
Die Therapieempfehlungen ndern sich regelmig und knnen unter http://AIDSinfo. nih.gov auf dem jeweils aktuellen Stand nachgelesen werden. Tabelle 11. Aussage u¨ber die Prognose bzw. den Verlauf der HIV-Erkrankung anhand der Viruslast (Mellors et al. 1997) Viruslast [Kopien/ml]
Zeit bis zur Diagnose AIDS
Zeit bis zum Tod
501–3000
> 10
> 10
3001–10 000
8,8
> 10
10 001–30 000
5,5
7,5
> 30 000
2,8
n.k.
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1226
22
Tumortherapie bei HIV-Infektion
Abb. 1. Therapieempfehlung bei HIV-Infektion (Nach DHHS Guidelines 2003)
6 Therapieplanung Die schlechte Prognose der HIV-assoziierten Tumoren ist durch das Vorliegen zweier potentiell lebensbedrohlicher Erkrankungen bedingt (Tumor und HIV-Infektion). Von Patienten mit einem HIV-assoziierten NHL starben in der Vor-HAART-˜ra 50…70% an einer opportunistischen Infektion und nur 30…50% am Tumor (Levine 1990). Die Bedeutung der kompletten Remission (CR) bzw. der Dosisintensitt ist neu zu definieren, wenn die HIV-bedingten Therapiekomplikationen zu einer Verkrzung des berlebens und der Lebensqualitt fhren. In einer randomisierten Studie wurde bei AIDS-KS-Patienten durch eine niedrig dosierte Monotherapie mit Doxorubicin (Adriamycin) eine CR bzw. PR nur bei 48% der Patienten erreicht gegenber 88% durch eine Kombinationstherapie. Das mediane berleben war mit 9 Monaten in beiden Gruppen gleich (Gill et al. 1991). Fr die HIV-NHL gibt es einige Hinweise, die eine lngere berlebenszeit von Patienten mit CR belegen im Vergleich zu Patienten, die keine CR erreichen konnten. Jedoch ist dieses Problem noch nicht abschlieend geklrt (Bermudez et al. 1989; Roithmann et al. 1991; Gisselbrecht et al. 1993), da die Tabelle 12. Verbesserung der Therapieerfolge durch HAART Vor HAART Mediane U¨berlebenszeit
5–8 Monate
Ansprechrate
50–70%
HAART 33 Monate 79%
50% der Patienten mit einer CD4-Zell-Zahl < 100/ll waren zum Zeitpunkt der Publikation der Studie am Leben, bei der Gruppe mit einer Helferzahl > 100/ll lebten noch 80%
Therapieplanung
1227
Zahl der dafr notwendigen Studien noch nicht ausreichend ist. In einer Studie von Levine et al. (1997) an refraktren oder rckflligen AIDSNHL-Patienten berlebten mit Mitoguazon (MBGB) behandelte Patienten mit CR lnger (21,5 Monate, Bereich: 3,8…39,1 Monate) als diejenigen mit PR (5,6 Monaten, Bereich: 3,8…34,8 Monate). Eine kleine Studie aus dem Jahre 1999 konnte einen dramatischen Unterschied in der berlebenszeit von mit HAART behandelten Patienten im Gegensatz zu nichtbehandelten Patienten aufzeigen (Little et al. 1999). Diese Studie mit nur 24 Patienten kann lediglich eine Richtung anzeigen und nicht als Standard gewertet werden (siehe Tabelle 12) (weitere Studien siehe auch Abschn. 6.2.2). Folgende Interaktionen zwischen antineoplastischer Therapie und HIVInfektion sind zu bercksichtigen: F F F
Immunsuppression durch Zytostatika (und Strahlentherapie), Immunsuppression durch Glukokortikoide (z.B. Cai et al. 1997), Neutro- und Thrombozytopenie bei vorbestehender HIV-assoziierter Knochenmarkscha¨digung (hnlich einer sekundren Myelodysplasie), Verstrkung durch die antiretrovirale Therapie und die Behandlung opportunistischer Infektionen mglich.
Als Folge kann es zu folgenden Komplikationen kommen: F F F
F
Opportunistische Infektionen, neu auftretend oder Reaktivierung, Progression eines zustzlich bestehenden KS oder NHL, Abfall der CD4+- und CD8+-Zellen, Zunahme der Viruslast. Dabei handelt es sich jedoch um ein vorbergehendes Phnomen, dessen klinische Auswirkung nicht geklrt ist; die CD4-Zell-Zahlen steigen nach 12 Monaten auf den Ausgangswert an, die Viruslast kehrt nach ca. drei Monaten auf den Ausgangswert zurck, Neutropeniespezifische Infektionen, Blutungen und andere Komplikationen.
(Auf die pharmakologischen Interaktionen zwischen zytostatischer Therapie der Tumoren und antiretroviraler Therapie der HIV-Infektion, deren Umfang durch die gleichzeitig notwendige Behandlung opportunistischer Infektionen noch unu¨bersichtlicher wird, wird am Ende dieses Kapitels kurz eingegangen.) 6.1 Maßnahmen bei HIV-assoziierten Tumoren Folgende Maßnahmen sind bei der Chemotherapie HIV-assoziierter Tumoren zu beachten: F
Die Einleitung der HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie), wenn noch nicht geschehen.
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1228 F
F
F
F
F F
F
F
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Bercksichtigung der individuellen Risikofaktoren (siehe oben); Durchfhrung am ehesten im Rahmen von kontrollierten Studien; Anpassung von Dosisintensitt mit bergang zur palliativen Therapie bei Patienten mit hohem Risiko, jedoch kurativ intendierte Therapie bei Patienten mit geringem Risiko. Lokale Therapieverfahren, z.B. eine Radiotherapie, sind bei schlechtem Immunstatus und fraglicher kurativer Intention in Betracht zu ziehen, andererseits wegen der primren Disseminierung der Tumoren nur im Einzelfall bei lokalisierten Stadien zu erwgen. Antimikrobielle Prophylaxe gegen eine Pneumocystis-carinii-Pneumonie ist obligat, unabhngig vom Status der CD4+-Zellen: Pentamidininhalation (PentacarinatJ) 300 mg monatlich, besser aber Co-trimoxazol (Cotrim 1 1 Tbl. [80 mg Trimethoprim, 400 mg Sulfamethoxazol] tgl.). Sekundrprophylaxe wichtig bei: … vorbestehender Tuberkulose (300 mg Isoniazid [INH] plus Vitamin B6 tgl. fr mindestens 3 Monate), … „atypischer“ Mykobakteriose (MAI-Infektionen) 2 500 mg/Tag Clarithromycin plus Ethambutol 15 mg/kg/Tag mit/ohne Rifabutin 300 mg/Tag). … vorbestehender CMV-Erkrankung … Die sekundre Prophylaxe fr CMV-Erkrankungen beinhaltet Ganciclovir, 5…6 mg/kg KG i.v. oder 3mal am Tag 1000 mg oral. ˜quivalent kann Foscarnet, 90…120 mg/kg KG/Tag i.v., gegeben werden. Alternativ kommt Cidofovir in Frage, jedoch kann die nephrotoxische Substanz nur alle 2 Wochen gegeben werden. Oral kann ebenfalls Valganciclovir 900 mg/Tag gegeben werden. Bei Knochenmarkaplasie ist der frhzeitige Einsatz von hmatopoetischen Wachstumsfaktoren zu erwgen. Eine HIV-assoziierte Thrombozytopenie, die multifaktoriell sowohl auf immunologische Mechanismen als auch auf eine Schdigung der Megakaryozyten (Infektion durch HIV) zurckgeht, sollte nicht als Kontraindikation bzw. als Grund fr eine Dosisreduktion gelten; sie bessert sich meist unter Zytostatikatherapie. ber die Bedeutung einer zytostatischen Erhaltungstherapie ist bislang keine sichere Aussage mglich. Derzeit ist sie nicht als Standard einzustufen, da nicht bekannt ist, ob durch eine potentielle immunsuppressive Wirkung der Zytostatika die Grunderkrankung (HIV) negativ beeinflut wird. Die Fortfhrung einer antiretroviralen Therapie, die in den letzten Jahren immer komplexer geworden ist (Drei- bis Fnffachkombinationen [und hher] unter Einschlu neuer Substanzklassen wie Proteasehemmstoffen [z.B. Amprenavir, Indinavir: CrixivanJ, Ritonavir: NorvirJ, Saquinavir: FortovaseJ u.a.], nichtnukleosidische Virustatika
Therapieplanung
1229
[NNRTIs] z.B. Efavirenz: SustivaJ, Nevirapin: ViramuneJ, u.a.] und gleichzeitiger zytostatischer Chemotherapie), ist anzustreben. Der Abfall der CD4+-Lymphozyten bzw. der Anstieg der Viruslast ist (wie bereits in Abschn. 5 beschrieben) ein vorbergehendes Phnomen, dessen klinische Relevanz nicht geklrt ist. Das Toxizittsprofil der in Frage kommenden Medikamente ist zu beachten: F F F F F F
AZT (Zidovudin, RetrovirJ): Myelotoxizitt; gastrointestinale Intoleranz; Didanosin (DDI, VidexJ): Pankreatitis, Neurotoxizitt (peripher), Erbrechen und Durchfall; Zalcitabin (DDC, HividJ): Polyneuropathie; Pankreatitis; Lamivudin (3TC, EpivirJ): Hautausschlge, Myelosuppression, bei Kindern Pankreatitis und periphere Neuropathie; Stavudin (D4T, ZeritJ): Periphere Neuropathie, Pankreatitis sehr selten; Proteasehemmstoffe: hufige Interaktionen mit anderen Pharmaka durch Beeinflussung der verschiedenen Cytochrom-P450-„Enzymfamilien“, die in der Leber den Metabolismus zahlreicher Medikamente steuern.
Natrlich sind auch die spezifischen Toxizitten der NNRTI zu beachten, die hier aus Platzgrnden nicht skizziert werden (Peters u. Staszewski 1998). 6.2 Therapiestrategien fu¨r die einzelnen Tumoren in Kurzform (Synopsis) 6.2.1 Kaposi-Sarkom (ICD-9: 042.2/173.–)
Die Erkrankung ist AIDS-definierend. An erster Stelle steht die Einleitung einer antiretroviralen Kombinationstherapie. Mit der Einfhrung der Proteasehemmstoffe (Indinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir: eingetragene Warenzeichen s. oben) in die antiretrovirale Kombinationstherapie haben sich positive Therapieperspektiven erffnet (Murphy et al. 1997). Die schon gelegentlich demonstrierte Stabilisierung, vereinzelt auch Rckbildung des AIDS-KS durch eine Zidovudin-Mono- (RetrovirJ) oder Kombinationstherapie mit Didanosin (VidexJ) oder Zalcitabin (HividJ) wird heute relativ oft bei Patienten nachgewiesen, die eine antiretrovirale Dreifachtherapie erhalten hatten (Parra et al. 1998). Mit steigender CD4+Zellzahl und Abnahme der Viruslast unter die Nachweisgrenze (< 50 Viruskopien/ml) bildet sich das AIDS-KS zurck. Ob die antiretrovirale Therapie ber eine verbesserte Immunfunktion, eine reduzierte Viruslast, eine Beeinflussung des HHV-8 oder andere Mechanismen das KS reduziert, ist noch offen (Wit et al. 1998). Als nur kurz wirksame Therapieformen werden lokale Manahmen (Exzision, Bestrahlung, Kryotherapie, intralsionale Injektionen von Zytostatika) angewendet. Weitere gngige Therapieoptionen sind in Tabelle 13a + b aufgezeigt.
22
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
Tabelle 13. a) Optionen zur zytostatischen Therapie bei Kaposi-Sarkom Chemotherapeutikum Dosierung
Ansprech- Durchschnitt- Toxizita¨t Anzahl liche U¨LZ rate in der in Wochen Patienten Prozent
Liposomales Doxorubicin (Caelyxj 20 mg/m2, Wdh Tag 14–21 (Stewart et al. 1998)
258
45,9–58,7 22,8
Palmare-plantare Erythrodysa¨sthesien (PPE), Knochenmark, Cor
Paclitaxel 100 mg/m2, Wdh Tag 14 (Gill et al. 1999)
56
59
61,6
Alopezie, Neuropathie, Knochenmark Myalgesie
Vinorelbin 30 mg/m2, Wdh Tag 14 (Nasti et al. 2000)
36
43
30,9
Neuropathie, Knochenmark
Liposomales Daunorubicin (DaunoXomej) 40 mg/m2, Wdh Tag 14 (Gill et al. 1996)
232
25
52,7
Kardiotoxizita¨t
24,8
22,8
ABV Doxorubicin, 20 mg/m2, 258 Bleomycin 10 mg/m2, Vincristin 1 mg/m2, Wdh Tag 14 (Stewart et al. 1998) Bleomycin 5 mg i.m. Tag 1–3, Wdh Tag 14 (Caumes et al. 1992)
70
74
Anaphylaxie/anaphylaktiode Reaktion, Hyperpyrexie, Lunge, Haut
Doxorubicin 20 mg/m2 (Gill et al. 1991)
61
48
Neutropenie, Kardiotoxizita¨t
b) Experimentelle Optionen zur Behandlung von Kaposi-Sarkomen Medikament Dosierung
Ansprech- Durchschnitt- Toxizita¨t Anzahl liche U¨LZ rate in der in Wochen Patienten Prozent
Thalidomid 200–1000 mg/d p.o. (Little et al. 2000a)
20
40
Interferon-a 10 Mio E (Krown et al. 2000)
33
55
IL-12 (Little et al. 2000b)
10
80
28
Knochenmark Hypersensitivita¨tssyndrom, periphere Neuropathie Grippegefu¨hl, Leber, Ha¨matotoxizita¨t
46
1231
Therapieplanung
Bei CD4+-Zellzahl > 200/ll ist die Kombinationsbehandlung von HAART mit Interferon-a (INF-a) 1…3 Mio. I.E./Tag s.c. wirksam und sollte zuerst eingesetzt werden. 6.2.2 Non-Hodgkin-Lymphome (ICD-9: 200.–)
Die NHL sind AIDS-definierend. In den 80er Jahren wurden Regime mit hoher Dosisintensitt mit dem Versuch angewendet, die optimale Therapie fr Patienten mit AIDS-NHL zu definieren. Diese Regime haben sich dem weniger aggressiven CHOP-Regime (Cyclophosphamid/Doxorubicin/Vincristin/Prednison) nicht als berlegen erwiesen (Fisher et al. 1993). Hochdosis-Cytosinarabinosid, Methotrexat und Cyclophosphamid wurden zusammen mit anderen konventionellen Substanzen angewendet, um auch mglichst frh den NHL-Befall des ZNS zu verhindern. Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit dieser Zytostatika in anderen „Settings“ waren diese Regime bei AIDS-NHL-Patienten im wesentlichen unwirksam mit CR-Raten von nur 33% und deutlicher ZNS-Progression von 66%. Ferner waren diese aggressiven Regime einfach zu toxisch. Die komplizierenden opportunistischen Infektionen entwickelten sich in einer Grenordnung von bis zu 78% (Gill et al. 1987). Wie bereits vorab beschrieben, gibt es relativ wenig Daten, die eine Verbesserung der berlebenszeit bzw. der Ansprechraten der Tumorerkrankungen belegen. Eine Auswahl verschiedener Studien ist bereits in Tabelle 5 dargestellt. Trotzdem deutet sich eine Verbesserung an, besonders in Kombination mit der antiretroviralen Therapie und der dadurch bedingten Reduktion der opportunistischen Infektionen. Standardtherapie in der Bundesrepublik ist nach wie vor das CHOP-Schema. Es gewhrleistet eine ambulante Durchfhrbarkeit und, gemessen an anderen Schemata, eine gute Lebensqualitt. Eine Studie, in der ein CD20-Antikrper mit dem CHOPTabelle 14. Therapieschema des Standard-CHOP-Protokolls (CHOP-21 = Wiederholung Tag 21), Reduktion bei Hochrisikopatienten auf 75% Medikament
Normal Dosis
Reduziert (75%) Dosis
Applikation
Cyclophosphamid
750 mg/m2
562,5 mg/m2
i.v. in 0,9% NaCl
1
Doxorubicin
50 mg/m2
37,5 mg/m2
i.v. Bolus
1
Vincristin
1,4 mg/m2*
1,4 mg/m2*
i.v. Bolus
1
2
100 mg/m2
p.o.
1–5
Prednison
100 mg/m
Normalrisiko: nur ein Risikokriterium, kein zerebraler Befall Hochrisiko: mehr als ein Risikokriterium * max. Einzeldosis 2 mg absolut
Tag
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Schema kombiniert wurde, hat bisher nicht den erhofften Vorteil gebracht. Siehe dazu auch Kapitel 9. Nach dem risikoadaptierten CHOP-Schema (Tabelle 14) der deutschen Studiengruppe werden die Patienten nach folgenden 3 Kriterien unterteilt und entsprechend behandelt. F F F
T-Lymphozyten < 50/ll Opportunistische Infektion in der Vorgeschichte WHO-Aktivittsindex > 2
Bei initial fortgeschrittenen Stadien (Ann Arbor III…IV) und bei Lokalisationen im HNO-Bereich sollte bei ausgeschlossenem meningealem Befall eine prophylaktische Gabe von 15 mg Methotrexat intrathekal erfolgen. Auch wenn das CHOP-Schema bei AIDS-NHL-Patienten die etablierte Therapie ist, bleiben zahlreiche Fragen bezglich der Optimierung dieser Zytostatikatherapie noch offen: F F F F
Optimale Dosisanpassung bei fortschreitender HIV-Infektion; Definition der Kontraindikationen der bereits oft myelosupprimierten, schwer erkrankten Patienten; Umfang der gleichzeitigen antiretroviralen Basistherapie, Bercksichtigung der neuen antiretroviralen Pharmaka; Definition der remissionserhaltenden Anschlutherapie.
Anmerkung: Etwa 20% der Patienten mit AIDS-NHL weisen eine leptomeningeale Beteiligung auf (ohne spezifische Anzeichen oder Symptome (Levine et al. 1991). Daher sollte die Staginguntersuchung neben der routinemig durchgefhrten Lumbalpunktion auch die CT-/MRI-Untersuchungen des Kopfes umfassen. Details zur NHL-Therapie sind Kapitel 71 ,,HIV-assoziierte Non-HodgkinLymphome‘‘ zu entnehmen. 6.2.3 Zervixkarzinom (ICD-9: 180.–)
Die Erkrankung ist AIDS-definierend. Die Zunahme des Zervixkarzinoms bei immunsupprimierten Patientinnen, so auch bei HIV-Infektion, wurde mehrfach besttigt. In mehreren Studien wurde eine erhhte Prvalenz von zervikalen Dysplasien unter HIV-infizierten Frauen belegt (10mal so hufig wie in nicht-infizierten Vergleichskollektiven) (Schfer et al. 1991). Zur Therapie des Zervixkarzinoms siehe Kapitel 121 sowie die Arbeit von Levine (1993). Bei der Therapie ist zu bercksichtigen, da das humane Papillomavirus (HPV) mit der Entwicklung der zervikalen intraepithelialen Neoplasie (CIN) bei Frauen und der analen intraepithelialen Neoplasie (AIN) bei homosexuellen Mnnern assoziiert ist (Koutsky et al. 1992; Palefsky et al. 1992). Bestimmte HPV-Serotypen, wie 16, 18 und 31, scheinen
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eine signifikant hhere Assoziation fr eine nachfolgende Neoplasie zu besitzen als andere (Tulpule et al. 1998). Fraglich ist jedoch, ob die erhhte Anzahl der Zervixkarzinome bei HIVpositiven Frauen kausal mit der HIV-Infektion zusammenhngt oder ob es eher durch das hufigere Vorliegen von Risikofaktoren zu einer Kumulation in dieser Gruppe kommt. Risikofaktoren fr die Erkrankung sind: F F F F
Erhhte Anzahl von Sexualpartnern, Geschlechtskrankheiten in der Anamnese, Alter, Zugehrigkeit zu einer ethnischen Gruppe.
Dafr spricht, da es nicht zu einem Anstieg der Zervixkarzinome in der Gesamtpopulation seit der AIDS-Epidemie kam (Biggar et al. 1996). Weiter spricht dafr, da es keine Hinweise darauf gibt, da das Risiko, an einem Zervixkarzinom zu erkranken, im Verlauf der Immunsuppression ansteigt. Es konnte gezeigt werden, da das Risiko 5 Jahre vor und 2 Jahre nach der Diagnose AIDS stabil bleibt. Auffllig ist, da das invasive Zervixkarzinom bei HIV-infizierten Frauen nach Standardtherapien (Konisation/Laserablatio/Kryotherapie) eine Rckfallrate von 40…57% hat. Die mediane berlebenszeit betrgt lediglich 10 Monate. Insgesamt scheint der Verlauf der Erkrankung also aggressiver und refraktrer zu sein. Die oben erwhnten HPV-Subtypen 16, 18, 31 sind potentielle Onkogene, resultierend aus ihrer Affinitt zu den Epitopen E6 und E7 der Tumorsuppressorgene p53 und Rb. Diese Interaktionen fhren zu einer Strung des
Abb. 2. Empfohlene Screeninguntersuchungen bei HIV-positiven Frauen (angelehnt an die CDCRichtlinien) bei Erstvorstellung.
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Zellzyklus, gestrter DNA-Reparatur und gesteigerter Zellteilung (Pulefsky et al. 1998). Aus diesen Grnden ist der frhe Nachweis einer Infektion durch die HPV-Typen 16 und 18 fr HIV-infizierte Frauen sehr wichtig. HIV-infizierte Frauen mssen gezielt auf ein Zervixkarzinom hin untersucht werden. Bei nachgewiesener HPV-Infektion ist eine frhe Untersuchung mittels Kolposkopie angezeigt (siehe Abb. 2). Details zur Therapie des Zervixkarzinoms sind Kapitel 121 ,,Zervixkarzinom‘‘ zu entnehmen. 6.2.4 M. Hodgkin (ICD-9: 201.–)
Der Morbus Hodgkin gehrt nicht zu den AIDS definierenden Erkrankungen. Neuere Studien haben jedoch gezeigt, da HIV-Positive ein 5- bis 9fach erhhtes Risiko haben, an diesem Malignom zu erkranken. Vergleiche von Biggar et al. (2000) der „Vor-AIDS-Periode“ mit der „AIDS-Periode“ zeigen einen signifikanten Anstieg der Fallzahlen insgesamt, so da hier auf einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der HIV-Infektion bzw. dem Immunstatus und der Gesamtzunahme des Morbus Hodgkin geschlossen werden kann. Der Krankheitsverlauf bei einem HIVinfizierten Patienten unterscheidet sich von dem HIV-negativer Personen: Histologische Typen mit schlechterer Prognose (in zwei Drittel der Flle „mixed cellularity“ oder „lymphocyte depletion“) sind hufiger, und zum Zeitpunkt der Diagnose ist die Erkrankung fortgeschrittener (disseminierte Stadien und atypische Manifestationen) (Schoppel et al. 1985; Monfardini et al. 1988; Tirelli et al. 1995). Die Patienten weisen oft eine B-Symptomatik mit Fieber, Nachtschwei und/oder unerklrlichem Gewichtsverlust auf. Ferner ist im Vergleich zu HIV-negativen Patienten die Rate der kompletten Remissionen niedriger (50% im Vergleich zu 80% bei Patienten ohne HIV) und die Rate der Rezidive hher nach der Therapie des M. Hodgkin bei diesen Patienten. Die durchschnittliche berlebenszeit betrgt bei HIV-Patienten zwischen 12 und 15 Monaten, bei seronegativen Patienten 12 Jahre. Die Therapie dieser Patienten kann wegen der durch HIV induzierten Dysfunktion des Knochenmarks (eingeschrnkte Knochenmarkreserve) schwierig sein, jedoch auch durch die M.-Hodgkin-Erkrankung selbst. Eine kombinierte zytostatische Therapie kann die hmatologischen Parameter des Patienten weiter verschlechtern, so da das Risiko fr Neutropenien und daraus resultierende bakterielle und/oder opportunistische Infektionen (die auch auftreten knnen, wenn der Patient keine zugrundeliegende HIV-Infektion aufweist) erhht ist. Trotz aller potentiellen Schwierigkeiten einer zytostatischen Chemotherapie bei AIDS-Patienten und der hohen Wahrscheinlichkeit einer sympto-
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matischen, disseminierten Erkrankung erfolgt bei den meisten AIDS-M.Hodgkin-Patienten eine therapeutische Intervention. Ungefhr 50% der Patienten erreichen eine CR. Unter Anwendung von M[C]OPP (Mustargen [Cyclophosphamid]/Vincristin/Prednison/Procarbazin) +/…ABVD (Adriamycin/Bleomycin/Vinblastin/Dacarbazin) entwickelten jedoch ca. 50% der Patienten z.T. schwere opportunistische Infektionen (Tirelli et al. 1992a). Bei vielen Patienten konnten die vorgesehenen Therapiezyklen nicht durchgefhrt werden. Unter EBVP (Epirubicin/Bleomycin/Vinblastin/Prednison) bei gleichzeitiger Therapie mit Zidovudin und Didanosin (DDI) traten solche Komplikationen nur selten auf (Carde et al. 1993; Tirelli et al. 1992a). Dieses Schema ist daher Gegenstand einer Studie der EORTC AIDS Tumor Study Group (s. auch Tirelli et al. 1995): Folgende Medikamente werden in diesem Regime angewendet: F F F F F F
Epirubicin (FarmorubicinJ): 70 mg/m2 i.v. Tag 1; Bleomycin (Bleomycinum MackJ): 10 mg/m2 i.v. Tag 1; Vinblastin (VelbeJ u.a. J-Namen) 6 mg/m2 i.v. Tag 1; Prednison 49 mg/m2 oral, Tag 1…5; AZT (RetrovirJ) 2250 mg oral tgl., oder Didanosin (DDI, VidexJ) 2200 mg oral tgl.
Sehr aggressive zytostatische Regime sind vermutlich … wie bei HIV-assoziierten NHL … bei HIV-Patienten mit M. Hodgkin nicht von hherem Nutzen als weniger aggressive Therapien. Da sich die HIV-Therapie in den letzten Jahren sehr gendert hat (komplexe Kombinationen mit neuen Dideoxynukleosiden, Proteasehemmstoffen und nichtnukleosidischen antiretroviralen Hemmstoffen [NNRT]), sind diese Pharmaka in zuknftige Behandlungskonzepte zu integrieren und zu validieren. Bei Patienten mit lokalisiertem Befall ist zu erwgen, eine Bestrahlung des betreffenden Areals durchzufhren, entsprechend dem Regime bei nicht HIV-infizierten Personen. Details zur Therapie des Morbus Hodgkin sind Kapitel 52 ,,Hodgkin Lymphom‘‘ zu entnehmen. 6.2.5 Hodenkarzinom (ICD-9: 186.–)
Diese Erkrankung ist nicht AIDS-definierend. Solange keine AIDS- Manifestationen vorliegen, wird die Therapie entsprechend dem Standardvorgehen gewhlt, anderenfalls Beachtung der Vorgaben durch die antiretrovirale Therapie und die Therapie opportunistischer Infektionen (Monfardini et al. 1992). Details zur Therapie von Hodenkarzinomen sind Kapitel 124 ,,Maligner Keimzelltumor des Mannes‘‘ zu entnehmen.
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7 Zuku¨nftige Entwicklungen (neue Therapieansa¨tze) Eine bersicht gibt Tabelle 15. 7.1 Kaposi-Sarkom (auf der Pathogenese basierende Therapieansa¨tze; Auswahl) Die kritische Rolle der Angiogenese und der Zytokine (sowohl im Wirt als auch viral) hat zur Identifizierung von einigen potentiellen therapeutischen Angriffspunkten gefhrt, die vielleicht zuknftig genutzt werden knnen. Die auf der Pathogenese basierenden Therapieanstze umfassen die Hemmung der angiogenen und inflammatorischen Zytokine und ferner die Hemmstoffe der endothelialen Zellproliferation. Auch die Interaktion mit extrazellulren Matrix-Basalmembran und die optimierte antivirale Therapie gegen HHV-8 und HIV-1 sind sicher von Bedeutung.
Tabelle 15. Neue Therapieansa¨tze fu¨r AIDS-Patienten mit Malignomen in der U¨bersicht. (Adaptiert nach Karp 1994, erweitert durch Schrappe et al. 1998) Zytostatische Pharmaka
*
*
Neue Substanzen aus verschiedenen Taxane (Docetaxel, Paclitaxel) Klassen (derzeit 200–300 Substanzen Antimetaboliten, Camptothecine zu bewerten) U¨berlaufen der Multi-Drug-Resistenz z.B. durch Topoisomerase I/II-Hemmer
Andere Pharmaka
*
Stimulatoren der Ha¨mopoese antiangiogenetische Substanzen Retinoide
„Immune-based“ Therapien
*
Monoklonale Antiko¨rper Immuntoxine
Therapien auf Zytokin-Basis
*
*
* *
Immunrestorative Modalita¨ten
Interleukin-4 Anti-Wachstumsfaktoren Anti-Interleukin-6 oder -10
*
Interleukin-6 (KS-Pathogenese) Knochenmarktransplantation Stammzell-Rekonstitution („gene-altered“) Adoptiver Immuntransfer
*
Immunpotenzierende Hormone
* * *
CSFs, Erythropoietin TNP-470, Marimastat u.a.; IL-12, All-trans-Retinoinsa¨ure Diphtherietoxin-Interleukin-2 (DAB-IL-2) B4-blockiertes Ricin Interleukin-6-PseudomonasExotoxin (IL-6-PE4E) z.B. Suramin
Humanes Wachstumshormon „Insulin-like“ Wachstumsfaktoren Thymosin
Zuku¨nftige Entwicklungen (neue Therapieansa¨tze)
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Die komplexe Natur der Pathogenese des KS lt vermuten, da eine Kombination von synergistisch wirkenden Pharmaka, die die vielfltigen Faktoren fr die KS-Entwicklung beeinflussen kann, wirksamer als eine Monotherapie sein kann (Karp et al. 1996). In einer Reihe von Phase-I- und -II-Studien werden derzeit monotherapeutisch Hemmstoffe der Angiogenese und Zytokinmodulatoren geprft. Zum Beispiel ist Thalidomid eine Substanz mit antiangiogenetischer Aktivitt, die ihre Wirksamkeit ber mehrere Wirkungsmechanismen entfaltet. So wird die durch b-FGF-induzierte Gefproliferation gehemmt und werden die interzellulre Adhsion, die Bildung der Basalmembranen sowie alles in allem die Gefreifung „kontrolliert“ (D’Amato et al. 1994). Ein anderer bei AIDS-KS untersuchter angiogenetischer Hemmstoff ist TNP-470, ein Fumagillinanalogon, welcher die b-FGF-induzierte Spindelzellproliferation hemmt. In einer Phase-I-Studie wurde bei einigen AIDS-KS-Patienten eine Regression bei geringer Toxizitt dokumentiert (Dezube et al. 1997). Der antiangiogenetische Effekt des multifunktionalen Zytokins Interleukin-12 (IL-12) erfolgt indirekt ber eine Induktion von Interferon-a und ultimativ durch die Bildung von IL-10 (Voest et al. 1995). Erste klinische Studien mit IL-12 sind aktiviert. Aufgrund der zentralen Bedeutung des die Immunitt stimulierenden Zytokins IL-6 in der KS-Pathogenese wurden neue therapeutische Anstze entwickelt, die spezifisch die Aktivitt von IL-6 zum Ziel haben. Die Invitro-Suppression der IL-6-Bildung durch Monozyten (nach IL-4-Induktion) fhrte dementsprechend zu einer Phase-I/II-Studie mit IL-4, die jedoch keine Anti-KS-Aktivitt demonstrierte (Velde et al. 1995). Ein anderer Ansatz fr die IL-6-Suppression ist die „Downregulation“ der IL-6-Rezeptor-Expression mit der Retinoinsure (bereits in vitro nachgewiesen [Corbeil et al. 1994]). Weitere therapeutische Konzepte zu AIDS-KS sind der bersicht von Von Roenn (1998) zu entnehmen. 7.2 Non-Hodgkin-Lymphome, auch M. Hodgkin Wegen der nicht vollstndigen pathogenetischen Kenntnisse der NHL sind neue therapeutische Anstze schwierig zu formulieren. An erster Stelle steht die Definition von weniger toxischen und wirksameren Zytostatikatherapien, die die neuen Konzepte der antiretroviralen Therapie integrieren. Es ist ntig, die Optionen von antiretroviralen Interventionen zu untersuchen (gegen HIV, EBV, vielleicht auch hier gegen HHV-8), ferner Anstze mit Zytokinen und die Anwendung von Antikrpern oder Antisense-Oligonukleotiden (z.B. anti-CD20; Cd 20; RituximabJ).
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7.3 Zervixkarzinom Zu den neuen interdisziplinren Therapiekonzepten des Zervixkarzinoms sind die properative zytostatische Therapie, die kombinierte zytostatische Chemo- und Strahlentherapie, die Strahlentherapie in Kombination mit Isoretinoin/Interferon-a-2a und die photodynamische Lasertherapie zu rechnen. Weitere Anstze sind die Anwendung eines genetisch modifizierten Vaccinia-Virus (Papillomavirus) und mglicherweise in fernerer Zukunft antiangiogenetische Pharmaka. Inwieweit sich diese Konzepte auch bei AIDSPatienten umsetzen lassen, ist durch eine umfassende Studienarbeit zu berprfen (s. auch Abschn. 6).
8 Studien Wegen der vielen angesprochenen Probleme der Behandlung maligner Lymphome HIV-infizierter bzw. HIV-erkrankter Patienten wird jedem Arzt empfohlen, der sich mit ihrer Behandlung erfat, Patienten mit diesen Erkrankungen in Studien einzubringen. Dies ist auch deshalb so wichtig, da die Therapie bei Patienten in guter immunologischer Ausgangslage erfolgversprechend sein kann. Studienzentrale HIV-assoziierte NHL CharitØ Berlin PD M. Ruhnke, C. Lke Studienzentrale Frankfurt a. Main Prof. Mitron Literatur Adachi A, Fleming I, Burk RD et al (1993) Women with human immunodeficiency virus infection and abnormal Papanicolaou smears: a prospective study of coloscopy and clinical outcome. Obstet Gynecol 81:372…377 Appleby P, Beral V, Newton R et al (2000) Highly active antiretroviral therapy and incidence of cancer in human immunodeficiency virus-infected adults. J Natl Cancer Inst 92:1823…1830 Bartlett JG, Gullant JE (2002) Medical management of HIV infection. MPH for John Hopkins AIDS Service, www.hopkins-aids.edu/publications/book/book_toc.html Bermudez MA, Grant KM, Rovien R, Mendes F (1989) Non-Hodgkin’s lymphoma in a population with or at risk for acquired immunodeficiency syndrome: indications for intensive chemotherapy. Am J Med 86:71…76 Berry J, Palefsky et al (1998) Pathogenesis and clinical manifestations of HIV-associated anogenital neoplasia. AIDS Knowledge Base. November 1998, http:// hivinsite.ucsf.edu
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Tumortherapie bei HIV-Infektion
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23 Impfungen bei immunsupprimierten Patienten M. Graubner, A. J. Ullmann
1 Grundlagen Impfungen haben einen hohen Stellenwert bei der Prvention von Infektionskrankheiten. Bisher konnten jedoch nur wenige Infektionskrankheiten wirksam verhindert werden; so wurden z.B. die Pocken weltweit ausgerottet. Dennoch wchst die Gefahr von Infektionskrankheiten und Epidemien infolge der Impfmdigkeit in Deutschland. Zustzlich steigt die Anzahl abwehrgeschwchter Menschen (Alte, chronisch Kranke und HIV-Patienten) und somit auch ihr Risiko, an Infektionen zu erkranken. Mit den Erfolgen moderner hmatoonkologischer Therapie nimmt die Zahl immunsupprimierter Patienten und damit die Gefahrenquelle neuer Krankheiten berdies weiter zu. Gerade bei diesen Patienten hat die Impfung im Rahmen der Prophylaxe besondere Bedeutung. >
Impfschutz und Impfrisiko hngen von der Grunderkrankung sowie Art und Ausma der immunsuppressiven Therapie ab und mssen gegen die Erfolgswahrscheinlichkeit der Impfung und Sicherheit des Patienten abgewogen werden.
Mit einzubeziehen ist das ffentliche Interesse, Infektionen und Epidemien ber die Quelle unzureichend geimpfter immunsupprimierter Patienten vorbeugend auszuschalten. Deshalb gelten zum Schutz der Patienten wie der Allgemeinheit besondere Impfempfehlungen fr Kontaktpersonen, also Haushaltsmitglieder und im Gesundheitsdienst arbeitende Menschen. Impfempfehlungen sind zum Teil uneinheitlich, da Effektivittsdaten fr definierte Patientenkollektive fehlen. Die Hhe der Antikrperkonzentrationen im Serum sind ein guter Beleg fr den Schutz vor Infektionskrankheiten; dieses gilt jedoch nicht sicher fr Pertussis. Fehlender oder niedriger Nachweis von Antikrperkonzentrationen im Serum bedeutet aber nicht automatisch, da kein Impfschutz besteht. Studien beschreiben hufig lediglich Antikrperkonzentrationen oder -titer als Surrogatmarker fr den Erfolg einer Impfung. Insbesondere fehlen Daten zur Inzidenzsenkung von Infektionen durch eine Impfung. Auf diesem Hintergrund basieren Impfempfehlungen deutscher, europischer und amerikanischer Publikationen (STIKO 2003, Ljungman et al. 1995, CDC 2000, Gardner et al. 2002, Red Book 2003). Die hier vorgestellten Empfehlungen beruhen auf wenigen Studiendaten, die von Patienten mit verschiedenen Krankheitsentitten bertragen wurden.
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1246
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
Attenuierte Lebendimpfstoffe gelten bei immunsupprimierten Patienten in Abhngigkeit von der Intensitt der Immunsuppression als kontraindiziert.
2 Infektionen und Impfstoffe Pneumokokken
Nach der WHO sind Pneumokokken der weltweit bedeutendste bakterielle Krankheitserreger des Menschen. In Deutschland sterben jhrlich etwa 12 000 Menschen an Pneumokokken-Krankheiten. Die Altersgruppen der unter 2- und der ber 65jhrigen Personen sind besonders gefhrdet, wobei eine Immunsuppression das Risiko deutlich erhht. Verfgbar sind seit Jahren eine 23valente Vakzine (Polysaccharid) sowie eine in den letzten Jahren neu entwickelte 7valente Vakzine (Konjugatimpfstoff), die inzwischen fr die unter 2jhrigen Kinder mit erhhter gesundheitlicher Gefhrdung empfohlen wird (STIKO 2003). Die humorale Immunantwort bei der Pneumokokkenimpfung ist bei Patienten mit Lymphomen und Leukmien eingeschrnkt; so wurde bei Myelompatienten mit der 23valenten Vakzine eine Serokonversionsrate von etwa 40% beobachtet (Robertson et al. 2000). Bei Organtransplantierten ist die Impfung auch unter Immunsuppression effektiv. Die Impfantwort korreliert mit grerem Abstand zur Transplantation, gegebenenfalls ist eine Zweitimpfung in 6…12 Monaten notwendig, Der bliche Abstand der Auffrischungsimpfung betrgt 5…6 Jahre. Splenektomierte sind durch bekapselte Bakterien, in erster Linie Pneumokokken, gefolgt von Haemophilus influenza Typ b und seltener Meningokokken, gefhrdet. Totimpfstoff: 23valente Vakzine: PneumopurJ oder PneumovaxJ; 7valente Vakzine: Prevenar Influenza
Die Influenza ist eine sehr kontagise Krankheit und verursacht Epidemien in der Bevlkerung; sie kann durch eine rechtzeitige Impfung eingedmmt werden. Besonders die Population der Immunsupprimierten ist mit hoher Morbiditt und Letalitt belastet. Der rasche Wechsel der relevanten Antigenepitope macht u.a. jhrliche Impfungen empfehlenswert. Die durch eine Impfung gebildeten Influenzaantikrper schtzen vor einer Infektion. Die Rolle der T-Zell-vermittelten Immunantwort ist noch unklar. Die Impfantworten der immunsupprimierten Patienten sind niedriger im Vergleich zu Kontrollgruppen; sie betragen bei hmatologischen System-
2
Infektionen und Impfstoffe
1247
krankheiten zwischen 20 und 70% und hngen nach Ergebnissen von Studien bei Organtransplantierten von der Intensitt der Immunsuppression ab (Ltkes et al. 2000). Besonders hufig wird die Influenza durch Haushaltsmitglieder immunsupprimierter Patienten bertragen, so da auch diese zu impfen sind (Bio-Schutzschild). Da die Vakzine Hhnereiwei enthlt, sollte die Gabe bei Patienten mit Hhnereiweiallergie nicht erfolgen. Totimpfstoff: BegrivacJ, FluadJ, Grippe-Impfstoff STADA, InfectovacJ Flu, Influsplit SSWJ, InfluvacJ, MUTAGRiPJ Diphtherie und Tetanus [Td]
Corynebacterium diphtheriae wird als Aerosol oder durch direkten Hautkontakt bertragen. Der Impfschutz ist in Mitteleuropa unzureichend; beispielsweise kommt die Diphtherie in der ehemaligen Sowjetunion gehuft vor. Bei 25% der nicht geimpften Patienten kann die Krankheit lebensbedrohlich werden. An Tetanus erkranken weltweit ber eine Million Menschen pro Jahr, bevorzugt in den Entwicklungslndern, hier liegt die Letalittsrate bei 28 pro 100 000. In Deutschland erkranken jhrlich 7…20 Menschen an Tetanus, 25% davon sterben. Beide Impfstoffe lsen eine T-Zell-abhngige Immunantwort aus und frdern eine lnger dauernde Antikrperbildung. Dennoch ist die Immunantwort bei immunsupprimierten Patienten eingeschrnkt, so da fr Tetanus ein auf 5 Jahre verkrztes Impfintervall empfohlen wird. Eine passive Immunprophylaxe steht zur Verfgung. Die Impfnotwendigkeit bzw. der Impferfolg kann anhand des Antikrpertiters bestimmt werden (Einschrnkung: siehe Kap. 1). Totimpfstoff: Einzelimpfstoff Tetanus: TetanolJ pur, Tetanus-Impfstoff MØrieuxJ, Einzelimpfstoff Diphtherie: Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring, Kombinationsimpfstoff: Td-Impfstoff MØrieuxJ, Td-Pur; TdRix, zustzliche Kombination mit Polio: REVAXiSJ , Td-VirelonJ Haemophilus influenzae Typ b [Hib]
Die Krankheit tritt bevorzugt im Nasenrachenraum bei Kindern auf. Kinder mit Leukmie haben ein 6fach erhhtes Risiko im Vergleich zu gesunden Kindern zu erkranken. Bei bis zu 35% der Patienten wurde bei Knochenmarktransplantation(KMT)-Langzeitberlebenden Hib als Ursache von pulmonalen Erkrankungen beschrieben. Alle Konjugatimpfstoffe induzieren eine gute Immunitt bei Erwachsenen und lteren Kindern. Die Immun-
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1248
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
antwort bei Erwachsenen mit multiplem Myelom unterschied sich kaum von der Kontrollgruppe (Robertson et al. 2000). Die Immunantwort nimmt mit lnger dauernder und intensiverer Chemotherapie ab (Feldman et al. 1990). Totimpfstoff: HibTITERJ, Pedvax-HIBJ Liquid Meningokokken
Meningokokken sind endemisch in Europa und zum Teil epidemisch in sdlichen Lndern wie Teilen Afrikas, dem Nahen Osten, Indien, Nepal und Brasilien. Kinder sind besonders betroffen. Von den mehr als 13 Serogruppen ist in Deutschland das Gruppe-B-Polysaccharid am hufigsten vertreTabelle 1. Allgemeine Empfehlungen Impfstoff gegen
Empfehlung
Kommentar
Pneumokokken
Ja
Splenektomie, Lymphom, multiples Myelom u.a. ha¨matol. Systemerkrankungen; solide Tumoren mit Chemo- und/oder Radiotherapie, vor Organtransplantationen, Alter > 60 J., chronische Krankheiten
Ja
Saisonal, breite Empfehlung; vor Organtransplantation (etwa 1 Monat vorher), Angeho¨rige! Medizinisches Personal, Alter > 60 Jahre
Ja
Bei fehlender Boosterimpfung: alle
Influenza Tetanus*/ Diphtherie*
Hib/Meningokokken Ja
Kinder, Splenektomie, Kinder mit Sichelzellana¨mie, Lymphom, multiples Myelom, vor Organtransplantation (> 4–6 Wo.)
Poliomyelitis
Ja
Bei fehlender Immunisierung; nur IPV verwenden (Totimpfstoff)
Masern*/Mumps*/ Ro¨teln*
Seronegativ
CAVE! Lebendimpfstoff; vor Organtransplantation (> 4 Wo.), Angeho¨rige, medizinisches Personal ko¨nnen jederzeit geimpft werden, von U¨bertragungen ist bisher nicht berichtet worden
HBV*
Seronegativ
3 Dosierungen; lokale Endemie bzw. berufliche Exposition, vor Organtransplantation (auch Hepatitis-A-Impfung*), medizinisches Personal
VZV*
Seronegativ
CAVE! Lebendimpfstoff! Vor Organtransplantation (> 4 Wochen). Angeho¨rige, medizinisches Personal. (CAVE: Vira¨mie mo¨glich), U¨bertragung auf immunsupprimierte Patienten mo¨glich
*: Bei diesen Patienten ko¨nnen Antiko¨rperbestimmungen vor und nach den Impfungen zur Erfolgskontrolle veranlaßt werden
2
Infektionen und Impfstoffe
1249
ten. Dieses Polysaccharid zeigt bei Menschen eine schlechte Immunogenitt, daher beinhaltet keine Vakzine das Polysaccharid der Serogruppe B. Trotz dieser Einschrnkung, trotz nur geringen Infektionsrisikos und eingeschrnkter Immunantwort kann die Impfung entsprechend Tabelle 1 empfohlen werden, insbesondere nach Splenektomie und vor Beginn einer Chemo- und/oder Radiotherapie. Totimpfstoff: Mencevax ACWY, MeningitecJ, Meningokokken Impfstoff A+C MØrieuxJ, MenjugateJ, NeisVac-CTM Poliomyelitis
Der WHO-Plan der vollstndigen Eradikation ist in Europa, Amerika und Australien gelungen, whrend Afrika und Asien ein Infektrisiko darstellen. Nachdem die attenuierte orale Lebendvakzine in Einzelfllen auch bei Immunsupprimierten zur Impfpolio fhrte, wird seit 1998 der inaktivierte Totimpfstoff der Serotypen I, II und III eingesetzt (IPV). Da autolog und allogen Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantierte ihre Immunitt verlieren, wird die Impfung empfohlen. Totimpfstoff: IPV MØrieuxJ, IPV-VirelonJ Masern
Die gefrchtete Masernpneumonie (noch seltener die Masernenzephalitis) kommt bei immunsupprimierten Kindern hufiger vor als bei immunsupprimierten Erwachsenen und ist mit hoher Letalitt behaftet. Unter Immunsuppression ist der Impferfolg … verglichen mit gesunden Personen … deutlich eingeschrnkt, dennoch wird die Impfung auch bei Transplantierten unter Bercksichtigung der Impfpausen und Immunsuppression empfohlen. Die Nebenwirkungen des Lebendimpfstoffes sind gering und mit denen bei gesunden Patienten vergleichbar. Es wurden adquate Antikrpertiter nach Vakzinierung bei allogen transplantierten Patienten ohne Transplant-gegen-Wirt-Reaktion (GvHD) und einem Mindestabstand von 2 Jahren nach der Transplantation gefunden. Die Impfnotwendigkeit kann anhand der Antikrperkonzentration im Serum bestimmt werden. Angehrige von Patienten knnen mit diesem Impfstoff jederzeit vakziniert werden, da bisher in der Literatur von einer Virusbertragung auf immunsupprimierte Patienten nicht berichtet wurde. Lebendimpfstoff: Masern-Impfstoff MØrieuxJ. In Kombination mit Mumps und Rteln: MMR TriplovaxJ, M-M-R VaxJ, PriorixJ
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1250
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
Mumps
Die Antikrperbildung ist bei immunsupprimierten Patienten vermindert und liegt … verglichen mit gesunden Personen … bei etwa 50%. Es wurden adquate Antikrpertiter nach Vakzinierung bei allogen transplantierten Patienten ohne GvHD und einem Mindestabstand von 2 Jahren nach der Transplantation gefunden. Die Impfnotwendigkeit kann anhand der Antikrperkonzentration im Serum bestimmt werden. Angehrige von Patienten knnen mit diesem Impfstoff jederzeit vakziniert werden, da bisher in der Literatur von einer Virusbertragung auf immunsupprimierte Patienten nicht berichtet wurde. Lebendimpfstoff: MMR-Impfstoff Ro¨teln
Der Einsatz des attenuierten Lebendimpfstoffs fhrt zu einer impfassoziierten Virmie, die auch bei Gesunden vorkommt. Es wurden adquate Antikrpertiter nach Vakzinierung bei allogen transplantierten Patienten ohne GvHD und einem Mindestabstand von 2 Jahren nach der Transplantation gefunden. Die Impfnotwendigkeit kann anhand der Antikrperkonzentration bestimmt werden. Angehrige von Patienten knnen mit diesem Impfstoff jederzeit vakziniert werden, da bisher in der Literatur von einer Virusbertragung auf immunsupprimierte Patienten nicht berichtet wurde. Lebendimpfstoff: Rteln-Impfstoff-HDC MØrieuxJ Hepatitis B
Die Hepatitis-B-Infektion neigt bei Immunsupprimierten zu einem chronischen Verlauf, der mit der Einschrnkung der T-Zell-Funktion korreliert. Deshalb ist die Impfung bei allen Organtransplantierten zu empfehlen, eine zweite Impfserie knnte jedoch in Abhngigkeit von der Antikrperkonzentration im Serum empfehlenswert sein (STIKO 2003, Ltkes et al. 2000). Grundstzlich kann die Impfnotwendigkeit bei nicht geimpften Menschen anhand der Antikrperkonzentration im Serum bestimmt werden. Totimpfstoff: EngerixJ-B, HBVAXPROJ Kombination mit Hepatitis A: Twinrix Varizellen
Die Infektion ist durch Reaktivierung des Virus relativ hufig und bei viszeraler oder disseminierter Aussaat … insbesondere Pneumonien … mit einer 70prozentigen Letalittsrate behaftet. Die Datenlage ist fr immunsupprimierte Patienten drftig, jedoch scheint die vorbeugende Impfung
3
Spezielle Infektionen und Impfstoffe
1251
insbesondere bei seronegativen Organtransplantierten von Vorteil (Ltkes et al. 2000). Die Impfnotwendigkeit kann anhand der Antikrperkonzentration im Serum bestimmt werden. Bei allogen Knochenmarktransplantierten gilt die Impfung als kontraindiziert. Bei autolog transplantierten seronegativen Patienten sollte eine Vakzinierung nicht auerhalb von Studien erfolgen. Impfnebenwirkungen sind gering. Impfbedingte Varizellenkrankheiten knnen mit Aciclovir behandelt werden. Ein hitzeinaktivierter Impfstoff ist in Erprobung. Angehrige von immunsupprimierten Patienten sollten, soweit vertretbar, mit diesem Impfstoff nicht vakziniert werden, da von Virusbertragungen auf immunsupprimierte Patienten berichtet wurde. Fr immundefiziente Patienten mit unbekannter oder fehlender Varizellenimmunitt wird die passive Immunisierung mit Varicella-Zoster-Immunglobulinen innerhalb von 96 Stunden nach Exposition empfohlen; sie kann den Ausbruch einer Erkrankung verhindern oder deutlich abschwchen (STIKO 2003). Lebendimpfstoff: VarilrixJ Pertussis
Die Impfungen sollten im Rahmen der Grundimmunisierung erfolgen. Spezielle Empfehlungen fr immunsupprimierte Patienten liegen nicht vor. Aufgrund eines erhhten beruflichen Risikos ist auch gefhrdetes Personal zu impfen (STIKO 2003). Totimpfstoff: Pac MØrieuxJ Hepatitis A
Die Hepatitis A wird auf fkal-oralem Weg bertragen und gilt als klassische Reisekrankheit. Sie spielt bei immunsupprimierten Patienten eine untergeordnete Rolle. ber den Einsatz der Vakzine bei Immunsupprimierten liegen kaum Daten vor. Auch nach Exposition wird die aktive Immunisierung empfohlen. Die Impfnotwendigkeit eines nicht geimpften Patienten kann anhand der Antikrperkonzentration im Serum bestimmt werden. Totimpfstoff: HAV pur, Havrix, VAQTAJ
3 Spezielle Infektionen und Impfstoffe Cholera
Es gibt mehrere Impfstoffe. Ein sinnvoller Impfschutz ist aufgrund geringer Effizienz, erheblicher Nebenwirkungen und mangelnder Erfahrung bei Immunsupprimierten nicht gegeben (Ltkes et al. 2000).
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1252
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
FSME
Die Endemiegebiete in Deutschland wurden erweitert (STIKO 2003). Es fehlen Studien bei Immunsupprimierten. Totimpfstoff: EncepurJ, FSME-IMMUN Gelbfieber
Der attenuierte Lebendimpfstoff gilt fr Immunsupprimierte bis auf eine strenge Einzelfallentscheidung bei zwingenden Reisegrnden als kontraindiziert. Lebendimpfstoff: STAMARILJ Tollwut
Eine Tollwutimpfung kann bei bestimmten Auslandsreisen auch fr Immunsupprimierte empfohlen werden, wenn lngere Aufenthalte mit Kontakt zu Tieren geplant sind (Ltkes et al. 2000). Totimpfstoff: RabipurJ, RabivacJ, Tollwut-Impfstoff (HDC) inaktiviert Typhus
Bei Reisen in auslndische Endemiegebiete ist eine Impfung mit einem parenteralen Totimpfstoff fr Immunsupprimierte zu empfehlen, obwohl Impfversager vorkommen knnen. Der vor allem die lokale gastrointestinale Immunitt frdernde Lebendimpfstoff ist bei Immunsupprimierten jedoch kontraindiziert. Es fehlen Daten zur Immunogenitt bei Immunsupprimierten. Totimpfstoff: TypherixJ, TYPHiM ViJ Pocken
Die Pocken sind weltweit ausgerottet. Im Fall eines bioterroristischen Angriffs sind Impfungen mit einem Lebendimpfstoff (Vaccinia) nach den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts durchzufhren.
4 Grundregeln bei der Impfung immunsupprimierter Patienten Der Impferfolg hngt von der Funktionsfhigkeit des B- und T-Zell-Systems ab. Menschen ber 60 Jahre, Patienten mit Herz-/Kreislauf-, chronischer Leber-, Nieren- und Atemwegserkrankung, mit Diabetes mellitus, Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis oder Kollagenosen sowie Dialysepatienten weisen eine beeintrchtigte Immunantwort auf und sollten konsequent gegen Tetanus, Diphtherie, Polio (10-Jahres-Abstand) und saisonal
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Zeitabsta¨nde
1253
gegen Influenza (jhrlich) sowie gegen Pneumokokken (5- bis 6jhrig) geimpft werden. Fr diese Patienten, insbesondere aber fr Patienten mit hmatologischonkologischen Systemerkrankungen ohne, unter oder nach immunsuppressiver Behandlung, HIV-Patienten, Patienten mit Organtransplantaten und fehlender Milz gelten folgende Regeln: F
F
F
F
F
Lebendimpfstoffe (s. Tab. 1) du¨rfen wegen der Gefahr unkontrollierter Infektexazerbation nur unter individueller Risikoabwa¨gung gegeben werden. Dies gilt insbesondere fr schwere B- und/oder T-Zell-Defekte. Lebendimpfstoffe sind bei Patienten unter immunsuppressiver Therapie oder GvHD kontraindiziert Totimpfstoffe (s. Tab. 1) ko¨nnen risikolos gegeben werden. Eine ausreichende Immunantwort setzt jedoch ein zumindest teilweise funktionierendes B- und/oder T-Zell-System voraus. Gegebenenfalls sind zustzliche Impfungen, insbesondere bei Hepatitis B, erforderlich. Bei zu erwartender schwerer Immunsuppression … sei es durch Grundkrankheit oder eingreifende Behandlung … ist fru¨hzeitig ein inviduell angepater Impfplan festzulegen, insbesondere bei Patienten vor autologer KMT/PBSZT, Organtransplantation, intensiver Chemotherapie, bei HIV-Patienten und vor elektiver Splenektomie. Es liegen keine ausreichenden Daten zur Impfung des Spenders vor allogener KMT/PBSTZ im Hinblick auf die Persistenz des Impferfolgs im transplantierten Patienten vor. Der Impferfolg kann bei immunsupprimierten Patienten nur bedingt serologisch berprft werden, um die Notwendigkeit weiterer Impfungen abzuschtzen. Nur hohe Antikrperkonzentrationen bieten verllich einen Krankheitsschutz; im Gegensatz dazu bedeutet der fehlende oder niedrige Nachweis von Antikrperkonzentrationen im Serum nicht automatisch, da kein Impfschutz besteht. Nach Gabe von Blutprodukten sollte bei Masern-, Mumps- und Rtelnimpfung ein 3- bis 12monatiger Mindestabstand eingehalten werden (Grund: Die Immunantwort kann durch bertragene spezifische Antikrper beeintrchtigt sein; der Wash-out-Effekt sollte abgewartet werden.) (Red Book 2003, Sung et al. 2003).
5 Zeitabsta¨nde Aufgrund der klinischen Erfahrung sind folgende Impfpausen zu beachten, innerhalb deren nicht geimpft werden sollte. Dabei ist zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen zu unterscheiden; bei Lebendimpfstoffen kann die Impfpause grer sein. Je nach Erkrankung, Eingriff und Medikament knnen folgende Mindestabstnde empfohlen werden:
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1254 F
F
F
F
F
F
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Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
Elektive Operation: Vorher: Totimpfstoff: 3 Tage. Lebendimpfstoff: 14 Tage (STIKO 2003) Nachher: nach Erholung von der Operation Elektive Splenektomie: Vorher: > 2 Wochen Nachher: sofort nach Erholung von der Operation Blut und Blutderivate: Vorher: keine Pause Nachher: keine Erwhnung einer Pause bei der STIKO-Empfehlung 2003, jedoch wird bei der STIKO-Empfehlung 1997 fr Masern, Mumps und Rteln ein Abstand von 3…12 Monaten empfohlen (s. auch Red Book 2003, Sung et al. 2001). Isolierte Steroidtherapie: Eine niedrigdosierte Steroidtherapie (systemisch, topisch oder inhalativ) stellt keine Kontraindikation fr Tot- oder Lebendimpfstoffe dar. Whrend hochdosierter und lnger andauernde Steroidtherapie sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Nach lngerer hochdosierter Steroidtherapie sollten folgende Abstnde eingehalten werden: Vor Beginn der Steroidtherapie: mindestens 2 Wochen Nach Absetzen der Steroidtherapie: Bei Erwachsenen keine einheitliche Empfehlung, ein Abstand von 4 Wochen erscheint sinnvoll. Fr Kinder gilt: Totimpfstoffe sofort, Lebendimpfstoffe uneinheitlich … sofort oder erst nach 2…4 Wochen (Suttorp 1999) Konventionelle onkologische Therapie (Chirurgie, Radiotherapie, Hormontherapie, Chemo- und Zytokintherapie): Grundstzlich gilt, da bei Vorliegen einer schweren B- und/oder T-ZellImmundefizienz Lebendimpfstoffe kontraindiziert sind. Im Einzelfall kann jedoch eine Lebendvakzinierung in Abhngigkeit von der Gefhrdung des Patienten fr eine Infektionskrankheit und der vermuteten Restfunktion des Immunsystems durchgefhrt werden. Unter Umstnden sollte die immunsuppressive Therapie unterbrochen werden. Totimpfstoffe knnen grundstzlich eingesetzt werden, sind jedoch meist ohne ausreichende Immunantwort. Vorher: 10…14 Tage Nachher: Es sollte je nach Intensitt der onkologischen Therapie bis zu 3 Monaten nach deren Ende keine Impfung erfolgen. Verschiedene Zytokine knnen einen gnstigen Einflu auf die Immunantwort haben (Avigan et al. 2001); hieraus knnen aber keine Empfehlungen abgeleitet werden. Intensive langzeitimmunsuppressive Therapie (gilt fr Organtransplantationen, Autoimmunerkrankungen mit Azathioprin, Cyclophosphamid, Ciclosporin A, Tacrolimus, Mykophenolatmophetil, Sirolimus; gilt nicht fr KMT/PBSZT):
5
Zeitabsta¨nde
1255
Totimpfstoffe fu¨hren bei einem Teil der Patienten auch unter Immunsuppression zu wirksamen Titeranstiegen (Suttorp 1999, Stark et al. 2002) Vorher: in der Regel 4…6 Wochen Nachher: Totimpfstoffe ab 1. Monat (Hib, Pneumokokken, Influenza) bzw. ab 3. Monat (Td, IPV); Lebendimpfstoffe mindestens 3 Monate nach Beendigung der Immunsuppression. Tabelle 2. Autologe PBSZT/KMT Impfstoff gegen
Empfehlung
Intervalle/Kommentar
Pneumokokken
Ja
Nach 8–12 Monaten; 1 Dosierung
Influenza
Ja
Ab 4. Monat, saisonal, Angeho¨rige
Tetanus*
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Diphtherie*
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Hib/Meningokokken
Ja
Nach 4–8 Monaten; 1–2 Dosierungen
Polio inaktiviert
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Masern*/Mumps*/Ro¨teln* Individuell
Nach 12 Monaten – CAVE! Lebendimpfstoff
HBV*
Seronegativ
Vor Tx; ab 6. bis 12 Monat nach Tx; 3 Dosierungen
VZV*
Seronegativ
Nur innerhalb von Studien
* Bei diesen Patienten ko¨nnen Antiko¨rperbestimmungen vor und nach den Impfungen zur Erfolgskontrolle veranlaßt werden Tabelle 3. Allogene PBSZT/KMT Impfstoff gegen
Empfehlung
Intervalle/Kommentar
Pneumokokken
Ja
Nach 6–12 Monaten; 1 Dosierung
Influenza
Ja
Ab 4. Monat, saisonal, Angeho¨rige!
Tetanus*
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Diphtherie*
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Hib/Meningokokken
Ja
Nach 6–12 Monaten; 2 Dosierungen
Polio inaktiviert
Ja
Nach 6–12 Monaten; 3 Dosierungen
Masern*/Mumps*/ Ro¨teln*
Individuell
Fru¨hestens nach 24 Monaten, keine GvHD und immunsuppressive Therapie – CAVE! Lebendimpfstoff
HBV*
Seronegativ
Nach 6–12 Monaten, 3 Dosierungen, lokale Endemie
VZV*
nein
Keine Daten
* Bei diesen Patienten ko¨nnen Antiko¨rperbestimmungen vor und nach den Impfungen zur Erfolgskontrolle veranlaßt werden
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1256
23
Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
Tabelle 4. HIV-Patienten (STIKO 2003) Impfungen bei HIV
HIV asymptomatisch
HIV symptomatisch
Inaktivierte Impfstoffe/Toxoide*
Empfohlen
Empfohlen
Masern-Impfstoff*
Empfohlen
Nicht empfohlena)
Mumps*-, Ro¨teln*- und Lebendimpfstoffe*
Empfohlen
Nicht empfohlen
Varizellen*
Mo¨glichb)
Kontraindiziert
(BCG) nicht im Handel erha¨ltlich
Kontraindiziert
Kontraindiziert
a Masern ko¨nnen bei HIV-Infizierten einen besonders schweren Verlauf nehmen. Bei erho¨hter Maserngefa¨hrdung ist deshalb eine Masernimpfung indiziert. Eine gleichzeitig durchgefu¨hrte IgGSubstitution kann den Impferfolg in Frage stellen. Eine Kontrolle des Impferfolges ist in diesen Fa¨llen angeraten. Im Falle einer akuten Masernexposition ist bei nichtimmunen Personen eine IgG-Gabe zu erwa¨gen. b Die Varizellenschutzimpfung kann bei varizellenseronegativen HIV-infizierten Personen mit noch funktionierender zellula¨rer Abwehr (> 25% der altersentsprechenden CD4-Zell-Zahl) erwogen werden. * Bei diesen Patienten ko¨nnen Antiko¨rperbestimmungen vor und nach den Impfungen zur Erfolgskontrolle veranlaßt werden
F F
Allogene oder autologe KMT/PBSZT: Siehe Tabelle 2 und 3. HIV: Siehe Tabelle 4 (STIKO 2003).
6 Praktische Durchfu¨hrung Diese richtet sich nach den Empfehlungen der Stndigen Impfkommission (STIKO 2003). Als Impfstelle wird nicht mehr der obere uere Quadrant des Glutaeus maximus, sondern am Oberarm der M. deltoideus sowie am Oberschenkel anterolateral der M. vastus lateralis empfohlen. Nach Desinfektion der Impfstelle und Abwarten fr mindestens eine Minute wird bei wieder trockener Haut intramuskulr oder subkutan (als Alternative bei hmorrhagischen Diathesen) geimpft. Die Nadel mu trocken sein, der Reflux von Impfstoff in den Stichkanal ist zu vermeiden. Es sind Aufklrungsgesprch (STIKO 2004), Einverstndnis und Eintragung in den Impfpa einschlielich Chargennummer zu dokumentieren. Bei Wiederholungsimpfungen ist gezielt nach Nebenwirkungen vorheriger Impfungen zu fragen, weil das Vorgehen gegebenenfalls abzundern ist.
7 Impfreaktionen und Komplikationen Gelegentlich knnen innerhalb der ersten 72 Stunden Lokalreaktionen und/ oder allgemeines Krankheitsgefhl und Fieber auftreten. Zwischen dem 5. und 14. Tag nach der MMR-Impfung kann es zu einer leichten masernhn-
Literatur
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lichen Symptomatik mit Fieber kommen (STIKO 2003). Selten werden Gelenkbeschwerden (Hepatitis B), Hypotonie oder Krampfanflle (Pertussis), Fieberkrmpfe (Masern), Arthritis und generalisierte Lymphknotenschwellung (Rteln) und bei Cholera Aktivierung von infektisen Prozessen beschrieben (Quast et al. 1997). Ausfhrlicher berblick s. STIKO 2004.
8 Kontraindikationen Neben den im Zusammenhang mit Immunsuppression beschriebenen Gegenanzeigen sollte folgendes beachtet werden: Bei Allergie gegen Hhnereiwei sind z.B. Influenza- und Gelbfieberimpfstoff kontraindiziert. Allergien gegen Antibiotika, vor allem Neomycin und Streptomycin, mssen bercksichtigt werden, die in folgenden Impfstoffen enthalten sind: Masern, Mumps, Rteln, Varizellen, Gelbfieber und Poliomyelitis. Weiter mu bei Allergien gegen Phenol und Formaldehyd auf Impfungen im Einzelfall verzichtet werden (STIKO 2003).
9 Internet-Webseiten Homepage des Robert-Koch-Instituts: http://www.rki.de/GESUND/STIKO/STIKO.HTM Empfehlungen der Centers for Disease Control (CDC) aus den USA: http://www.cdc.gov/mmwr Das Nationale Immunisierungsprogramm der USA: http://www.cdc.gov/nip Infections Diseases Society of America (IDSA): http://www.idsociety.org/. Literatur American Academy of Pediatrics (2003) Active and passive immunization. In Pickering LK (ed) 2003 Red Book: Report of the committee on Infectious Diseases. 26th ed, Elk Grove Village, USA Avigan D, Pirofski LA, Lazarus HM (2001) Vaccination against infectious disease following hematopoietic stem cell transplantation. Biol Blood Marrow Transplant 7: 171…183 Centers for Disease Control and Prevention (2000) Guidelines for preventing opportunistic infections among hematopoietic stem cell transplant recipients: recommendations of CDC, the Infectious Disease Society of America, and the American Society of Blood and Marrow Transplantation. MMWR 2000;49(No. RR-10):1…128
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Impfungen bei immunsupprimierten Patienten
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24 Humangenetische Beratung C. Pagenstecher, P. Propping
1 Ziele und Inhalt der humangenetischen Beratung Durch Fortschritte bei der Aufklrung molekulargenetischer Grundlagen erblicher Sonderformen von Krebserkrankungen und die Mglichkeit der prdiktiven Diagnostik hat die genetische Beratung eine neue Dimension hinzugewonnen und wurde Bestandteil der Krebsprvention. 1.1 Ziele Vor dem Hintergrund der Geschichte der Humangenetik besteht eine klare Ablehnung einer eugenischen Zielsetzung. Die Humangenetik dient dem Wohl des einzelnen und seiner Familie. Aufgabe der genetischen Beratung ist die Aufklrung von Ratsuchenden ber ihr individuelles genetisches Risiko mit dem Ziel individueller Krankheitsvorsorge und selbstverantwortlicher Familienplanung. Die genetische Beratung ist ein rztliches Angebot an alle, die an einer genetisch bedingten Krankheit leiden oder ein Erkrankungsrisiko fr sich oder Angehrige befrchten; sie soll helfen, medizinisch-genetische Fakten zu verstehen, Entscheidungsalternativen zu bedenken und individuell angemessene Verhaltensweisen zu whlen (Berufsverband Medizinische Genetik 1996). Wesentlich ist das Prinzip der Freiwilligkeit und individuellen Entscheidung bei der Inanspruchnahme genetischer Beratung und Diagnostik. Das Recht auf Nichtwissen mu immer respektiert werden. Fr jede rztliche Manahme mu der Patient bzw. der Ratsuchende sein Einverstndnis geben. Er mu also so gut informiert sein, da er die Entscheidung und ihre Konsequenzen berblicken kann. Dies gilt insbesondere fr die molekulargenetische Diagnostik, da sie elektiv erfolgt und weitreichende Folgen fr den Ratsuchenden und seine Angehrigen haben kann. Die Beratung erfolgt dabei nicht direktiv; es bleibt die Entscheidung des Ratsuchenden, welche Konsequenzen er aus dem Beratungsgesprch zieht. 1.2 Inhalt und Ablauf Die persnliche Fragestellung und die jeweilige Erkrankung bestimmen den Rahmen des Beratungsgesprchs. Folgende Punkte sind regelmig Bestandteil der Beratung:
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Humangenetische Beratung
Klrung des persnlichen Beratungsziels Erhebung der Anamnese der Ratsuchenden und ggf. Einordnung von mitgebrachten Befunden Erhebung der Familienanamnese: Unabhngig vom speziellen Anla wird in jedem Beratungsgesprch ein ausfhrlicher Familienstammbaum ber mindestens drei Generationen erstellt (Abb. 1). Hierbei interessieren Geburts- und ggf. Sterbedaten und Krankheiten bzw. Todesursachen. In jeder Generation sollten alle Personen … ob gesund oder krank … aufgefhrt werden, auch Angaben ber Fehlgeburten oder frh verstorbene Kinder knnen fr die Beurteilung wichtig sein. Es gehrt auch immer die Familienanamnese des Partners dazu (es sei denn, die Ratsuchenden lehnen dies ab), da sich fr gemeinsame Kinder auch von dieser Seite Risiken fr erbliche Erkrankungen ergeben knnen. Wenn der Berater im Laufe des Gesprchs Hinweise auf bislang nicht bewute zustzliche Risiken erhlt, wird er die Ratsuchenden darauf ansprechen. Die Ratsuchenden knnen dann aber bestimmen, ob und wie weit sie informiert werden wollen.
Abb. 1. Familien-Stammbaum. In der Familie der Frau besteht va¨terlicherseits Verdacht auf familia¨ren Brust- und Eierstockkrebs. Falls die Ratsuchende eine molekulargenetische Diagnostik wu¨nscht und bei ihr eine Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen identifiziert wird, ko¨nnte ihrer Schwester und spa¨ter der Tocher eine pra¨diktive Diagnostik angeboten werden. & Ma¨nner; * Frauen; ausgefu¨llte Symbole Erkrankte; durchgestrichene Symbole gestorben; g gesund; Ratsuchende
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Ko¨rperliche Untersuchung, wenn es fr die Fragestellung von Bedeutung ist. Stellen einer mglichst genauen medizinisch-genetischen Verdachtsdiagnose. Hufig ist es erforderlich, ergnzende bzw. genauere Informationen bei behandelnden ˜rzten einzuholen oder Zusatzuntersuchungen zu veranlassen. Ausfu¨hrliche Information der Ratsuchenden ber das betreffende Krankheitsbild: ˜tiologie, klinische Manifestation, ggf. Prognose der Erkrankung und Therapie (auch wenn dies vorrangig durch den behandelnden Facharzt geschieht), Prvention und diagnostische Mglichkeiten. Angebot weitergehender Hilfen wie Selbsthilfegruppen, die Beteiligung eines Psychologen und spezialisierter ˜rzte. Erluterung der genetischen Grundlagen, soweit sie fr die betreffende Erkrankung bekannt sind, und anschauliche Schilderung des Vererbungsmodus und des sich daraus ergebenden Erkrankungsrisikos fr Angehrige; Besprechen der mglichen Bedeutung von molekulargenetischen und zytogenetischen Befunden fr die Lebens- und Familienplanung. Ggf. Veranlassung einer molekulargenetischen oder zytogenetischen Diagnostik … nur wenn der Ratsuchende dies selber wnscht. Die Beratung soll fr ihn eine Entscheidungshilfe sein und es ihm erleichtern, Krankheitsrisiken zu bewerten und sich auf sie einzustellen. Die wichtigsten Inhalte der Beratung werden dem Ratsuchenden in einem verstndlich gehaltenen Beratungsbrief noch einmal mitgeteilt. Der Ratsuchende nennt dafr die ˜rzte, die eine Durchschrift der schriftlichen Zusammenfassung erhalten sollen.
Auch nach der Durchfhrung einer molekulargenetischen oder zytogenetischen Diagnostik kann der Ratsuchende entscheiden, ob er das Ergebnis erfahren will. Er wird in der Regel zunchst nur darber informiert, da ein Ergebnis vorliegt, und gebeten, einen Termin zur persnlichen Befundmitteilung und erneuten Erluterung der Konsequenzen zu vereinbaren. Die Ratsuchenden bestimmen, in welchem Umfang die behandelnden ˜rzte ber das Ergebnis informiert werden sollen. Bei der medizinisch-genetischen Diagnostik knnen sich evtl. auch Aufflligkeiten ergeben, die nach derzeitiger Kenntnis nicht die Ursache fr eine gesundheitliche Beeintrchtigung sind (wenn z.B. keine pathogene Mutation, sondern eine harmlose Variante im untersuchten Gen identifiziert oder aber eine Vaterschaftsinkompatibilitt festgestellt wird). Auf solche Aufflligkeiten werden die Ratsuchenden und die von ihnen benannten ˜rzte nur dann hingewiesen, wenn es fr die Erfllung des Untersuchungsauftrags erforderlich ist.
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Humangenetische Beratung
1.3 Beratungsstellen in Deutschland Die humangenetische Beratung wird durch einen Facharzt fr Humangenetik bzw. Facharzt mit der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik“ durchgefhrt. Eine Liste der Humangenetischen Beratungsstellen in Deutschland kann ber die Geschftsstelle der Deutschen Gesellschaft fr Humangenetik, Goethestr. 29, 80336 Mnchen, bezogen werden (Tel: 0 89-55 02 78 55, Internet: http://gfhev.de).
2 Fragestellungen im Rahmen der Beratung bei Tumorerkrankungen 2.1 Kinderwunsch nach Radio- oder Chemotherapie Zustzlich zu dem nicht sicher vorhersagbaren Ausma einer Fertilittsminderung durch eine Radio- oder Chemotherapie sowie der Problematik einer erblichen Tumorbelastung stellt sich hufig die Frage nach einem mglichen genetischen Risiko fr Nachkommen von Patienten, die sich einer Radio- oder Chemotherapie unterziehen muten. Dabei ist zwischen F F
dem mutagenen und dem teratogenen Risiko zu unterscheiden.
Mutagenes Risiko
„Mutagen“ bedeutet mutationsauslsend … durch eine Vernderung des Erbguts der elterlichen Keimzellen kann es zu einer Schdigung des Kindes kommen (z.B. wenn bei Vater oder Mutter vor der Zeugung eine Radio- oder Chemotherapie durchgefhrt wurde). Da fr die Beurteilung mutagener Noxen beim Menschen nicht gengend Erfahrungen vorliegen, ist man auf die bertragung tierexperimenteller Ergebnisse angewiesen (Vogel und Motulsky 1997). Bestimmte Stadien der Keimzellentwicklung sind gegenber mutagenen Noxen besonders sensibel. Beim Mann sind dies die postmeiotischen Stadien der Spermatogenese und bei der Frau die Oozyten um die Zeit der Befruchtung. Fr ionisierende Strahlung gilt eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ohne Schwellenwert, d.h., da auch eine sehr geringe Dosis Mutationen mit evtl. gravierender Wirkung verursachen kann. Bei chemischen Mutagenen scheint die Phasenspezifitt der mutagenen Wirkung noch grer zu sein, und die verschiedenen Gruppen von Mutagenen unterscheiden sich auch bezglich der Art der ausgelsten Mutationen. Grundstzlich gilt, da die Meiose der Keimzellen „als Filter“ wirkt, durch das Zellen mit greren Chromosomenaberrationen nicht hindurchkommen. Daraus ergibt sich das besonders hohe Risiko fr Keimzellen, die erst nach diesem natrlichen Filter … also postmeiotisch … der mutagenen Noxe ausgesetzt waren: Wenn sie zur Befruchtung kommen,
Fragestellungen im Rahmen der Beratung bei Tumorerkrankungen
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knnen sie zu einem Abort oder schweren Fehlbildungen beim Kind fhren. Daher wird dringend empfohlen, in dieser Zeit keine Kinder zu zeugen; bei Frauen erstreckt sich dieser Zeitraum nur auf einen Zyklus, beim Mann auf 2 bis 3 Monate, da die Dauer der Spermatogenese mindestens 64 Tage betrgt. Fr kleinere strukturelle Vernderungen und Punktmutationen gibt es diesen Filter nicht, so da das genetische Risiko fr Nachkommen auch bei Wahrung der Fristen erhht ist. Allerdings sind Syndrome durch dominante Punktmutationen sehr selten, und die Vermehrung rezessiver Mutationen wird in der ersten Filialgeneration nicht erkennbar. Man geht davon aus, da mit lngerer Wartezeit nach Einwirkung der mutagenen Noxe ein groer Teil der ausgelsten Mutationen eliminiert oder repariert wird; daher wird oft zu einem zustzlichen „Sicherheitsabstand“ zu den obengenannten Fristen geraten. Auerdem wird Frauen von klinischer Seite her zu einer lngeren Wartezeit geraten. Es soll einerseits verhindert werden, da fr den Fall eines Rezidivs dieses in eine bestehende Schwangerschaft fllt. Andererseits kann unter der vernderten Situation im Hormonhaushalt und Immunsystem whrend der Schwangerschaft das Wachstum von Tumoren beschleunigt werden. In der Regel besteht kein Grund, dem Paar von eigenen Kindern abzuraten; sicherheitshalber wird eine prnatale Chromosenanalyse angeboten (keine Erfassung von Punktmutationen!), und es wird ein sog. Fehlbildungsultraschall in der ca. 20. Schwangerschaftswoche durch einen ausgewiesenen Untersucher empfohlen. Fr Mnner steht vor der Radio- oder Chemotherapie mit der Kryokonservierung von Spermien eine fertilittserhaltende Prventivmanahme zur Verfgung. Da die Motilitt der Spermien nach Kryokonservierung verringert ist, kann eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) notwendig sein. Dabei ist zu bercksichtigen, da das sogenannte Basisrisiko angeborener Erkrankungen oder Fehlbildungen nach In-vitro-Fertilisation und ICSI auf 8…9% verdoppelt sein soll (Hansen et al. 2002); eine abschlieende Bewertung dieses Risikos ist zur Zeit aber noch nicht mglich. Teratogenes Risiko
„Teratogen“ bedeutet fruchtschdigend … der sich entwickelnde Embryo bzw. Fetus wird direkt durch die Strahlung oder das ber die Plazenta wirksame Medikament geschdigt (wenn also die Mutter whrend der Schwangerschaft der Noxe ausgesetzt ist). Mgliche Verlaufsformen nach einer Schdigung sind normale Entwicklung (Defekte werden repariert), Absterben, Fehlbildung, Wachstumshemmung, gestrte Organfunktionen, Induktion von Tumoren, Mutationen in Keimzellen.
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Humangenetische Beratung
Die Empfindlichkeit hngt vom Entwicklungsstadium ab: Bis zum ca. zehnten Tag nach Konzeption gilt die „Alles-oder-Nichts-Regel“, nach der gesetzte Schden entweder vollstndig repariert werden oder zum Absterben der Blastozyste fhren. Die Sensibilitt gegenber teratogenen Noxen erreicht ihr Maximum in der Embryonalperiode (Organogenese). In diesem Zeitraum werden die meisten Fehlbildungen ausgelst. In der Fetalphase nimmt die Empfindlichkeit wieder ab. Bezglich der Strahlenbelastung des Embryos bzw. Fetus sind in Deutschland folgende „Grenzwerte“ allgemein akzeptiert: Dosen unter 100 mSv werden als harmlos angesehen (obwohl Dosis-Wirkungs-Beziehung ohne Schwellenwert!). Zwischen 100 und 200 mSv kann ein Schwangerschaftsabbruch erwogen, ber 200 mSv sollte ein Schwangerschaftsabbruch umfassend diskutiert werden. Whrend die Strahlenbelastung durch diagnostische Manahmen meist weit unter 100 mSv bleibt, wurden nach therapeutischen Bestrahlungen in der Frhschwangerschaft ab Dosen von 200 mSv bei den Nachkommen hufiger geistige Retardierung, Mikrozephalie, Augenschdigungen und Minderwuchs beobachtet. Bei Chemotherapie mit Zytostatika mu aufgrund des Wirkungsmechanismus dieser Arzneimittelgruppe mit embryotoxischen Wirkungen gerechnet werden. Bei Chemotherapie im ersten Trimenon ist die Rate schwerer Fehlbildungen deutlich erhht (bei Kombinationstherapie noch mehr als bei Monotherapie). Letztlich entscheidet die Patientin, ob die Schwangerschaft beendet werden soll. Bei Therapie mit Zytostatika im zweiten und dritten Trimenon ist das Risiko fr Aborte und Fehlbildungen anscheinend nur gering erhht; wenn die Patientin die Schwangerschaft erhalten mchte und es die klinische Situation erlaubt, sollte daher erst vom zweiten Trimenon an mit der Chemotherapie begonnen werden (Doll et al., 1988). Weitere Nebenwirkungen der Zytostatikatherapie sind fetale Wachstumsverzgerung, Strung der geistigen und krperlichen Entwicklung, der Reifung der Blutbildung im Knochenmark und Infertilitt. Bei Vorliegen eines teratogenen Risikos sollte unbedingt ein Fehlbildungsultraschall (s.o.) empfohlen werden. Im Einzelfall sollte … insbesondere bei Vorliegen eines teratogenen Risikos … immer eine humangenetische Beratung empfohlen werden, um die Art der Noxe, ihre Dosis und den Zeitpunkt der Einwirkung bezglich der Phase der Entwicklung zu beurteilen, das Risiko abzuschtzen und die mglichen Konsequenzen zu erlutern. 2.2 Erbga¨nge von erblichen Tumordispositionskrankheiten F
autosomal-rezessiv: Die Eltern eines betroffenen Kindes sind gesunde Anlagetrger, Geschwister haben ein Risiko von 25%, ebenfalls betroffen zu sein. Kinder der Betroffenen haben ein geringes Wiederholungs-
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risiko. Es handelt sich um seltene Reparaturdefekte bzw. genomische Instabilitt, z.B. Xeroderma pigmentosum, Fanconi-Anmie, Bloom-Syndrom, Ataxia teleangiectatica. autosomal-dominant: Ein Elternteil ist betroffener Anlagetrger, Kinder und Geschwister haben ein Risiko von 50%, ebenfalls Anlagetrger zu sein. Die Penetranz ist teilweise herabgesetzt und die Hufigkeit von Neumutationen unterschiedlich. multifaktorielle Tumordisposition: Hier scheinen sowohl mehrere genetische als auch verschiedene Umweltfaktoren eine Rolle zu spielen. Je strker dabei einzelne genetische Faktoren im Vordergrund stehen, desto grer ist das Wiederholungsrisiko fr Verwandte. Das Wiederholungsrisiko ist fr die erstgradig Verwandten deutlich hher als fr weiter entfernte Verwandte. Nur fr wenige komplex-genetische Erkrankungen sind bereits einzelne urschliche Gene identifiziert worden. Bei der Angabe der Wiederholungsrisiken ist man daher auf statistische Zahlen angewiesen, die aus der Beobachtung der Hufigkeit der jeweiligen Erkrankung in zahlreichen Familien stammen. Groe intrafamilire Variabilitt ist mglich.
2.3 Hinweise auf eine erbliche Tumordisposition Bei einigen Tumordispositionskrankheiten lt sich die Diagnose anhand des typischen klinischen Bildes bei einem Patienten stellen, so z.B. bei der familiren adenomatsen Polyposis (FAP), der Neurofibromatose, der VonHippel-Lindau-Krankheit und dem beidseitig aufgetretenen Retinoblastom. Fr die meisten hufigen Krebserkrankungen (z.B. Brust- und Darmkrebs) wird geschtzt, da jeweils etwa 5% autosomal-dominant erblich sind. In Ermangelung pathognomonischer Stigmata lt sich das erbliche Tumorsyndrom hier nicht an einem einzelnen Patienten stellen; das familir gehufte Auftreten der Erkrankung sowie die relativ frhe, z.T. auch multiple Entwicklung von Tumoren sind jedoch Hinweise fr eine mgliche hereditre Tumordisposition. Auch bei der Tumorberatung spielt daher die Familienanamnese eine herausragende Rolle (insbesondere die Art der Krebserkrankung und das Erkrankungsalter). Da fr Personen aus lteren Generationen diesbezglich hufig keine rztlichen Unterlagen eingeholt werden knnen, mu sich der Berater oft auf anamnestische Angaben verlassen; sie sollten aber kritisch beurteilt werden, da die Validitt dieser Angaben sehr unterschiedlich ist (so ist sie bei Brustkrebs hoch, whrend bei Darmkrebs hufig eine falsche anamnestische Angabe gemacht wird).
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2.4 Fru¨herkennungsuntersuchungen Personen, in deren Familie die klinischen Kriterien fr eine erbliche Tumordisposition erfllt sind, sollten ein engmaschiges Frherkennungsprogramm wahrnehmen, das spezifisch fr die jeweilige Tumordisposition empfohlen wurde (Beispiel eines Frherkennungsprogramms s. Tabelle 1). Wegen des hohen Risikos von Zweitkarzinomen bzw. Tumoren in anderen Organen sollten auch Betroffene neben der Tumornachsorge dieses Frherkennungsprogramm wahrnehmen. Bei einigen erblichen Tumordispositionen gibt es bereits etablierte Vorsorgeprogramme (z.B. FAP, MEN2, Retinoblastom), bei anderen werden interdisziplinre Betreuungsangebote derzeit im Rahmen von Studien eingefhrt (z.B. Verbundprojekte „Familirer Darmkrebs“ und „Familirer Brustkrebs“ der Deutschen Krebshilfe; www.krebshilfe.de). Ziel der prdiktiven Testung (s.u.) ist es, die intensiven Frherkennungsuntersuchungen auf die tatschlichen Anlagetrger zu begrenzen. Ergibt sich kein Hinweis auf ein erbliches Tumorsyndrom, knnen die Ratsuchenden eher beruhigt werden; ggf. werden aber auch hier individuelle Frherkennungsuntersuchungen fr Betroffene und Angehrige empfohlen, die aufgrund des erhhten Wiederholungsrisikos bei komplexgenetischer Vererbung in der Regel etwas intensiver als die fr die Allgemeinbevlkerung sind, aber weniger intensiv als die bei dominant erblicher Tumordisposition. So wird bei sporadischem Darmkrebs aufgrund des statistisch erhhten Risikos fr erstgradig Verwandte diesen die erste Koloskopie in einem Alter zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des Betroffenen bzw. sptestens ab dem 40. bzw. 50. Lebensjahr empfohlen (Schmiegel et al. 1999). Durch die Mglichkeit der Abtragung von Polypen bei der EndoTabelle 1. Fru¨herkennungsprogramm bei der klassischen familia¨ren adenomato¨sen Polyposis (FAP), das allen Betroffenen und ihren erstgradig Verwandten empfohlen wird. Aus diesem engmaschigen Fru¨herkennungsprogramm werden nur diejenigen Risikopersonen entlassen, bei denen durch eine pra¨diktive Diagnostik die Anlagetra¨gerschaft ausgeschlossen werden konnte. Die Kolektomie wird in Abha¨ngigkeit von den Befunden der Koloskopien durchgefu¨hrt (meist um das 20. Lebensjahr). Alter
Untersuchung
Frequenz
Ab dem 10. Lebensjahr
Ko¨rperliche Untersuchung
ja¨hrlich
Ab dem 10. Lebensjahr
Rektosigmoidoskopie; bei Beobachtung ja¨hrlich erster Polypen: komplette Koloskopie
Ab dem 10. Lebensjahr
Abdomen-Sonographie
ja¨hrlich
Vor der Kolektomie bzw. ab dem 30. Lebensjahr
Gastroduodenoskopie
Alle drei Jahre; bei Nachweis von Adenomen: ja¨hrlich
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skopie ist die Frherkennung bei Darmkrebs das herausragende Beispiel effektiver Prvention. 2.5 Prophylaktische Maßnahmen bei erho¨htem Krebsrisiko Chemopra¨vention
Chemoprvention bezeichnet die langfristige Verabreichung von Wirkstoffen, um der Karzinogenese entgegenzuwirken. Obwohl zahlreiche potentielle Angriffspunkte fr eine Chemoprvention identifiziert wurden, ist die Wirksamkeit beim Menschen nur bei wenigen Substanzgruppen belegt. Antistrogene und Antiandrogene sollen durch Unterbrechung der hormonellen Stimulation die Zellproliferation und Progression von hormonabhngigem Krebs verlangsamen. Nachgewiesen ist, da Tamoxifen (oder Raloxifene) das Brustkrebsrisiko verringert. Da die Entzndung vermutlich eine enge Verbindung zur Karzinogenese hat, haben entzndungshemmende Wirkstoffe wie NSAID wahrscheinlich eine chemoprventive Wirkung. So gibt es Beobachtungen, nach denen eine regelmige Einnahme von Acetylsalicylsure das Darmkrebsrisiko um bis zu 50% reduziert. Antioxidanzien schtzen vor oxidativem Stress durch freie Radikale und sollen dadurch die Karzinogenese hemmen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Karotinoide, Vitamin C und E sowie Selen bekannt. So wurde eine protektive Wirkung von Vitamin C gegenber Krebs des oberen Verdauungstrakts und von Vitamin E gegenber Krebs von Lunge, Darm und Prostata beobachtet. Eine vermehrte Einnahme von Folsure verringert das Risiko fr Adenome und Karzinome des Dickdarms. Diesbezglich wurden auch eine obst- und gemsereiche Ernhrung sowie Calcium positiv bewertet (Tamimi et al. 2002). Insgesamt sollte aber gerade bei Vorliegen einer erblichen Tumordisposition der Nutzen der Chemoprvention nicht berbewertet werden. Prophylaktische Chirurgie
Das Beispiel fr eine etablierte prophylaktische Operation bei erblicher Tumordisposition ist die Thyroidektomie bei der MEN2: Bei gesicherten Anlagetrgern erfolgt im Alter von 5…6 Jahren (bei der MEN2b noch frher) die prophylaktische Thyroidektomie, wodurch die Entstehung des medullren Schilddrsenkarzinoms komplett verhindert wird. Ebenso etabliert ist die prophylaktische Kolektomie bei FAP-Patienten (allerdings handelt es sich hier nicht mehr um eine rein prophylaktische Manahme, da die Indikation erst nach dem Auftreten von Polypen auf der Basis des klinischen Befundes der jhrlichen endoskopischen Kontrollen gestellt wird). Bei anderen Tumordispositionserkrankungen wird die Frage einer prophylaktischen Operation bei identifizierten Anlagetrgern
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kontrovers diskutiert. So ist beim Auftreten eines Karzinoms im Darm bei HNPCC nicht geklrt, ob eine komplette Kolektomie anstelle der onkologischen Resektion sinnvoll ist. Die prophylaktische Mastektomie reduziert in Gruppen mit hohem Risiko das Brustkrebsrisiko um ber 90% (Hartmann et al. 2001); dennoch ist man in Deutschland … anders als z.B. in England und den Niederlanden … auch bei gesicherten Anlagetrgerinnen fr erblichen Brustkrebs bezglich der prophylaktischen Mastektomie eher zurckhaltend, da kein absoluter Schutz erzielt wird und die Nebenwirkungen … besonders im Hinblick auf die Psyche … bercksichtigt werden mssen. Fr Frauen mit hohem Eierstockkrebsrisiko stellt die Ovarektomie die effektivste Prvention dar, zumal die Frherkennung schwierig ist. Durch die Ovarektomie wird gleichzeitig das Brustkrebsrisiko verringert. Die Mglichkeit der prophylaktischen Chirurgie und ihre Alternativen sollten mit dem erfahrenen Kliniker immer ausfhrlich besprochen werden, um eine individuelle Entscheidung reifen zu lassen. 2.6 Bedeutung der molekulargenetischen Diagnostik bei erblicher Tumordisposition Fr manche Ratsuchenden ist es schwierig, die Komplexitt des „genetischen Tests“ zu verstehen; sie stellen sich eine einfache Blutuntersuchung vor. Um so bedeutender ist die Aufklrung ber die molekulargenetische Diagnostik einer Tumordisposition, ihre Grenzen und mgliche Konsequenzen bei positivem und negativem Ergebnis. Zu den Vorteilen der molekulargenetischen Diagnostik zhlt das Wissen ber Krebsrisiken und durch diesen Informationsvorsprung die Frherkennung bei Angehrigen. Zudem erweist sich die Verringerung der Ungewiheit in vielen Fllen als psychologischer Vorteil. Mgliche Nachteile des genetischen Testens betreffen die Mglichkeit der Diskriminierung durch Versicherungen im Fall des Nachweises einer Tumordisposition; auch dieses Problem sollte in der Beratung angesprochen werden. Die deutschen Lebensversicherer haben allerdings bis 2006 ein Moratorium bzgl. prdiktiver genetischer Tests beschlossen (bis zu gewissen Versicherungssummen; Freiwillige Selbstverpflichtungs-Erklrung der Mitgliedsunternehmen des GDV aus 11/2001). Es knnen auch negative psychische Effekte sowie angespannte Familienverhltnisse resultieren. Eine entscheidende Einschrnkung findet sich im Fortbestand eines Restrisikos sowie in den begrenzten prventiven Mglichkeiten (z.B. beim Li-Fraumeni-Syndrom). Die in den letzten Jahren rapide wachsenden molekulargenetischen Erkenntnisse auf dem Gebiet der erblichen Tumoren werden zu einer weiteren Verbesserung der Prvention und Frherkennung von Tumoren in den Familien fhren und in absehbarer Zeit auch neue Wege fr die Therapie der
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Patienten erffnen. Fr groangelegte Screeninguntersuchungen von Gesunden, in deren Familiengeschichte kein Hinweis auf eine erbliche Erkrankung vorliegt, fehlen alle Voraussetzungen. Molekulargenetische Diagnostik bei Betroffenen
Die Identifizierung der urschlichen Mutation kann mit einem betrchtlichen Aufwand verbunden sein. Bei der MEN2a ist die molekulargenetische Diagnostik vergleichsweise einfach, da die Mutation bei ber 90% der Patienten in einem sehr engen Bereich des RET-Protoonkogens liegt (Exon 10…11). Beim familiren Brust- oder Darmkrebs dagegen knnen Mutationen in einem von mehreren Genen auftreten und ber den gesamten Bereich der betreffenden Gene verstreut sein. Die Mutationssuche wird dadurch wesentlich aufwendiger und die Erfolgsrate geringer. Den Patienten und Angehrigen sollte von vornherein die jeweilige Identifizierungsrate genannt werden, damit keine falschen Erwartungen entstehen. Fr eine bereits an Krebs erkrankte Person bedeutet die molekulargenetische Besttigung der klinischen Verdachtsdiagnose „erbliche Tumordisposition“, da sie … auch wenn die aktuelle Krebserkrankung berstanden ist … ein erhhtes Risiko hat, erneut an Krebs zu erkranken (z.B. metachrone Darmtumoren, Endometrium- oder Urothelkarzinome bei HNPCC oder Karzinom der kontralateralen Brust oder Eierstockkrebs bei familirem Brustkrebs). Eine Prognoseabschtzung bereits Erkrankter kann durch den Mutationsnachweis in der Regel nicht geleistet werden. Ebenso sollte auch eine Therapieentscheidung, z.B. im Hinblick auf die Radikalitt einer notwendigen Operation, vom klinischen Befund und nur in bestimmten Fllen vom Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung abhngig gemacht werden. Teilweise kommt es bei Betroffenen zu Schuldgefhlen gegenber den Nachkommen, die in der humangenetischen Beratung angesprochen werden sollten. Pra¨diktive Diagnostik bei Risikopersonen
Die meisten erblichen Tumordispositionserkrankungen werden autosomaldominant vererbt; somit sind Kinder und Geschwister eines Betroffenen mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% ebenfalls Anlagetrger. Wegen des hohen Krebsrisikos werden sie als Risikopersonen bezeichnet. Die rechtzeitige Erkennung prmaligner oder maligner Vernderungen ist fr sie von entscheidender Bedeutung. Zunchst wird allen Risikopersonen ein fr die betreffende Tumorerkrankung spezifisches Frherkennungsprogramm empfohlen. Eine Differenzierung zwischen Anlagetrgern und Nichtanlagetrgern und damit eine Begrenzung der intensiven Frherkennungsuntersuchungen auf die tatschlichen Anlagetrger ist nur mglich, wenn die verantwortli-
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Humangenetische Beratung
che Mutation bei einem Betroffenen der Familie identifiziert worden ist und dann Risikopersonen auf das Vorliegen dieser Mutation untersucht werden knnen. Die Familienangehrigen, bei denen die Mutation ausgeschlossen werden konnte, haben im Vergleich zur Allgemeinbevlkerung kein erhhtes Erkrankungsrisiko und knnen aus dem Frherkennungsprogramm fr Risikopersonen entlassen werden. Da ein sicherer Ausschlu einer Mutation bei einer Risikoperson nur dann mglich ist, wenn die der Erkrankung in der Familie zugrundeliegende Mutation bekannt ist, kann in Familien, in denen alle Betroffenen bereits verstorben sind oder keine Blut- oder DNA-Probe zur Verfgung stellen oder in denen die pathogene Keimbahnmutation nicht identifiziert wurde, keine prdiktive Diagnostik durchgefhrt werden. Seltener wird die indirekte Genotypanalyse (Kopplungsanalyse) eingesetzt: Wenn ein Gendefekt chromosomal lokalisiert, aber nicht identifiziert ist, ermglicht sie bei Krankheiten ohne Locusheterogenie (z.B. FAP) in geeigneten Familien eine prdiktive Diagnostik; in diesem Fall ist die Untersuchung mehrerer Familienangehriger erforderlich. Prdiktive (auch prsymptomatische) Diagnostik bedeutet also die Untersuchung eines gesunden Menschen auf Erbanlagen, die zu Erkrankungen im weiteren Leben disponieren; sie stellt damit eine neue Dimension in der Arzt-Patienten-Beziehung dar. Da die prdiktive Diagnose einer Tumordisposition mit psychosozialen Problemen verbunden sein kann, soll sie nur nach einer vorhergehenden ausfhrlichen humangenetischen Beratung angeboten werden (Bundesrztekammer 1998), in der nicht nur die Mglichkeiten der Untersuchung, sondern auch die Konsequenzen eines mglichen Testergebnisses besprochen werden; auerdem wird die Mglichkeit einer psychologischen Begleitung angesprochen und ggf. veranlat. Die Entscheidung fr die Durchfhrung eines prdiktiven Tests soll den Risikopersonen selbst berlassen werden. Eine Ausnahme hierzu bilden Tumorerkrankungen im Kindesalter: Wenn sinnvolle medizinische Manahmen zur Prvention und therapeutische Konsequenzen bestehen (wie beim Retinoblastom, der MEN2 oder der FAP), sollen die Eltern die Entscheidung bezglich der Durchfhrung einer prdiktiven Diagnostik treffen. Pra¨natale Diagnostik
Die Frage nach einer vorgeburtlichen Diagnostik einer dominant erblichen Tumordispositionserkrankung wird von den Ratsuchenden nur sehr selten angesprochen (Whitelaw et al. 1996), vermutlich weil die erblichen Tumorerkrankungen meist erst im Jugend- oder Erwachsenenalter manifest werden und ein Elternteil selbst betroffen ist. Die prnatale Diagnostik im Hinblick auf spt manifeste erbliche Krankheiten stellt ohnehin ein Problem dar. Sollte eine prnatale Diagnostik von einem Paar gewnscht werden,
Fragestellungen im Rahmen der Beratung bei Tumorerkrankungen
1271
so mu in einer genetischen Beratung die Gesamtsitation ausfhrlich errtert werden. Literatur Berufsverband Medizinische Genetik e.V., Deutsche Gesellschaft fr Humangenetik (1996) Leitlinien zur Erbringung humangenetischer Leistungen: 1. Leitlinien zur Genetischen Beratung. medgen 8, Heft 3, Sonderbeilage 1…2 Bundesrztekammer (1998) Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition fr Krebserkrankungen. Dtsch ˜rztebl 95, Heft 22, A-1396…1403 Doll DC, Ringenberg QS, Yarbro JW (1988) Management of cancer during pregnancy. Arch Intern Med 1988 148(9):2058…2064 Hansen M, Kurinczuk J, Bower C, Webb S (2002) The risk of major birth defects after intracytoplasmic sperm injection and in vitro fertilization, N Engl J Med, Vol. 346, No. 10 Hartmann LC, Sellers TA, Schaid DJ (2001) Efficacy of bilateral prophylactic mastectomy in BRCA1 and BRCA2 gene mutation carriers. J Natl Cancer Inst. 93(21): 1633…1637 Schmiegel W, Adler G, Frhmorgen P, Flsch U (1999) Leitlinien der DGVS: Kolorektales Karzinom: Prvention und Frherkennung in der asymptomatischen Bevlkerung … Vorsorge bei Risikopatienten … Endoskopische Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Polypen und Karzinomen, Z Gastroenterol 38:49…75 Tamimi RM, Lagiou P, Adami HO, Trichopoulos D (2002) Prospects for chemoprevention of cancer. J Intern Med 251(4):286…300 Vogel F, Motulsky AG (1997) Human Genetics. Springer, Berlin, S. 457 ff. Whitelaw S, Northover JM, Hodgson SV (1996) Attitudes to predictive DNA testing in familial adenomatous polyposis. J Med Genet 33(7):540…543
24
25 Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten E. Hiller
1 Einleitung Enge Zusammenhnge zwischen Neoplasien und dem Gerinnungssystem wurden schon von Armand Trousseau vor mehr als einem Jahrhundert beschrieben (Trousseau 1865). Seither wurde durch eine groe Zahl von Publikationen in der Tat belegt, da das Gerinnungssystem bei Tumorerkrankungen aktiviert ist. Vieles ist jedoch auch heute noch ber die biologische Bedeutung einer solchen Aktivierung unklar. In frheren Jahren gingen die Autoren von einem klinisch letztendlich nicht bedeutsamen Epiphnomen einer Erkrankung, die oft multiple Organsysteme involviert, aus, whrend derzeit argumentiert wird, da die Gerinnungsaktivierung eine grundlegende Voraussetzung in der Pathogenese des Tumorwachstums und der Metastasierung darstellt. Dies hat in den vergangenen Jahren sogar zu therapeutischen Interventionen durch Antikoagulanzien mit der Zielsetzung einer Hemmung des Tumorwachstums gefhrt.
2 Pathophysiologie von Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten Whrend wir bei Patienten mit soliden Tumoren in der Regel einen lang anhaltenden Zustand der Hyperkoagulabilitt, bei einem Teil der Flle zur Thromboembolie fhrend, vorfinden, ist der Verlauf von Patienten mit Systemerkrankungen des hmatopoetischen Systems viel hufiger mit Blutungen assoziiert. Auch fr Tumorpatienten gelten die grundstzlichen pathophysiologischen berlegungen Virchows fr die Thromboseentstehung, nmlich Vernderungen der Gefwand, der Blutstrmung und der Blutzusammensetzung (Virchow-Trias). 2.1 Vera¨nderungen der Gefa¨ßwand Das intakte Endothel ist mit einer „thrombophoben“ Oberflche ausgestattet, bedingt durch antithrombogene Eigenschaften (endothelstndiges Thrombomodulin, Heparansulfate, endotheleigene Prostacyclinsynthese, lokale t-PA-abhngige Fibrinolyse). Unter dem Einflu von Zytokinen, wie IL-1 und TNFa, die im Rahmen der Tumorabwehr vermehrt exprimiert werden, resultiert eine Endothelaktivierung mit verstrkter Expression von Tissuefactor (TF), Adhsionsmoleklen, PAI (Plasminogen-Aktivator-Inhi-
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
bitor) und herabgesetzter Expression von Thrombomodulin. Dies fhrt in der Summe zu einer thrombophilen Oberflchen. Auch knnen die normalen, thromboseresistenten Eigenschaften der Gefwand bei einigen Tumoren durch direkten Einbruch von Tumorgewebe, wie z.B. beim Nierenzellkarzinom, geschdigt werden (Hedderich et al. 1987). ˜hnliche Manifestationen findet man auch bei fortgeschrittenen Hodenkarzinomen oder Nebennierenrindenkarzinomen. In solchen Fllen kann es neben der Endothelschdigung auch zu einer direkten Verlegung der unteren Hohlvene und damit zum mechanischen Abfluhindernis kommen. Darber hinaus knnen die an Endothelzellen adhrierenden Tumorzellen durch den Einri von interzellulren Verbindungen zur Desintegration der glatten Endothelzelloberflche mit Exposition der extrazellulren Matrix fhren. Verletzte Endothelzellen und exponierte Subendothelien begnstigen die Adhsion und Aggregation von Blutplttchen. Die daraus resultierende Pla¨ttchenaktivierung mit Freisetzung von prokoagulatorischen Pla¨ttchensubstanzen (z.B. Serotonin, Thromboxan A2, ADP) ist ein Teilfaktor der Aktivierung des Gerinnungssystems. Die Endothelverletzung fhrt aber auch zur Aktivierung des Kontaktsystems der plasmatischen Gerinnung, indem insbesondere Prkallikrein und Faktor XII in ihre aktivierten Formen berfhrt werden. Die Interaktionen zwischen Tumorzellen und Gefendothel sind sehr komplex; neben der Freisetzung von prokoagulatorischen Aktivitten kommt es auch zur Freisetzung dazu antagonistisch wirkender Substanzen. In der Bilanz drften jedoch die prokoagulatorischen Substanzen, wie z.B. Thromboxan A2 und PAI-1, berwiegen (Abb. 1).
Abb. 1. Folgen einer Endothelverletzung nach Tumoreinbruch
Pathophysiologie von Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
1275
2.2 Blutstro¨mung Die oft krankheitsbedingte Immobilisation und Bettruhe fhren zum Ausfall der Muskelpumpe und dadurch zu Vernderungen der Blutstrmung im Sinne einer vensen Stase. Auch Hyperviskosittssyndrome bei Paraproteinmien (z.B. M. Waldenstrm), myeloproliferativen Erkrankungen (z.B. Polycythaemia vera) und Leukmien mit hohen Zellzahlen knnen zu Mikrozirkulationssto¨rungen und damit auch zur vensen Abflustrung fhren. Durch die vense Stase kommt es zur verzo¨gerten Elimination aktivierter Gerinnungsfaktoren. 2.3 Blutzusammensetzung Bei einer Vielzahl von Karzinompatienten findet man, wahrscheinlich im Rahmen der allgemeinen Akute-Phase-Reaktion, Erho¨hungen einzelner Gerinnungsfaktoren (z.B. Faktor V, VII, VIII und Fibrinogen). Da diese Faktoren schon im Normalzustand im berschu vorhanden sind, ist es relativ unwahrscheinlich, da sie wesentlich die Thrombophilie bei malignen Erkrankungen begnstigen. Hingegen scheint die oben schon erwhnte eingeschrnkte Elimination (Clearance) aktivierter Gerinnungsfaktoren, aber auch die Synthesesto¨rung von Inhibitoren der plasmatischen Gerinnung (Antithrombin, Protein C und S) nach tumorbedingter Leberparenchymschdigung eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Thrombophilie zu spielen. So kommt es u.a. bei Patienten mit malignen Erkrankungen im Rahmen der tumorbedingten Akute-Phase-Reaktion zum Anstieg des C4b-BP, des Bindungsproteins fr Protein S, was nachfolgend zum Abfall des freien Proteins S und damit zu einer verminderten Kofaktorfunktion fr Protein C fhrt (Kemkes-Matthes 1992). Auch eine Verminderung des endothelstndigen Thrombomodulins unter dem Einflu von IL-1 und TNF, mit der Folge einer verminderten Protein-C-Aktivierung, wurde beschrieben. Schlielich scheint auch eine Erho¨hung des Tissue factor pathway inhibitor (TFPI) als Folge des zytokinaktivierten Endothels vorzuliegen Tabelle 1. Mechanismen der Aktivierung des Ha¨mostasesystems bei malignen Erkrankungen *
* *
* * * *
Tumorfreisetzungsprodukte – Gewebsthromboplastin Faktor-X-Aktivatoren (CPA) Makrophagen-Monozyten-Aktivierung – Gewebsthromboplastin u.a. Lupusantikoagulans Pla¨ttchenaktivierung Thrombozytose Inhibitormangel (Antithrombin, Protein C und S) bei Paraproteina¨mie und Asparaginasetherapie
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
(Lindahl et al. 1989). Die Erhhung des TFPI knnte der Versuch sein, das hmostatische Gleichgewicht wiederherzustellen und damit thromboembolische Ereignisse oder die DIC zu verhindern (Lindahl 1992). 2.4 Weitere Aktivierungsfaktoren ber die Virchow-Trias hinaus gibt es einige, besonders bei malignen Tumoren charakteristische Pathomechanismen, die das Hmostasesystem aktivieren (Tabelle 1). 2.4.1 Tumorfreisetzungsprodukte
Aus vielen Tumoren werden latent und chronisch sog. ,,cancer procoagulants" freigesetzt, die entweder dem Gewebsthromboplastin (Gewebefaktor, „tissue factor“) entsprechen und das extrinsische Gerinnungssystem ber den Faktor VII aktivieren oder einer Serin- oder Cysteinprotease entsprechen, die den Faktor X direkt aktivieren kann (Abb. 2). Gewebsthromboplastin lie sich in intakten Tumorzellen und Extrakten von Tumoren und Tumorzellinien nachweisen (Rickles et al. 1988). Die Konzentration ist meist grer als im normalen analogen Gewebe. Besonders hohe Konzentrationen von Gewebsthromboplastin fand man in den Promyelozyten der akuten Promyelozytenleukmie, aber auch in den Karzinomzellen des Magens, des Kolons und des Rektums. Im Rahmen des Tumorwachstums und der Tumorausbreitung mu man von einer kontinuierlichen Einschwemmung von Thromboplastin in das Blut ausgehen.
Abb. 2. Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems u¨ber das extrinsische System und direkt u¨ber Faktor X
Pathophysiologie von Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
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Von Gordon u. Cross (1981) wie auch von anderen Arbeitsgruppen wurde berichtet, da Muzin aus Bronchialsekret, Speichel und Zystenflssigkeit, aber auch aus schleimbildenden Adenokarzinomen des Gastrointestinaltrakts in der Lage ist, unabhngig vom Faktor VII, d.h. nicht ber das extrinsische System, direkt den Faktor X zu aktivieren. Die Faktor-X-Aktivierung geht von einer Serinprotease aus, die als „cancer procoagulant A“ (CPA) bezeichnet wird und durch Diisopropylfluorphosphat (DFP) hemmbar ist (Gordon u. Cross 1981). 2.4.2 Zytokine
Tumorzellen oder auch durch Tumorzellen vermittelte Zytokine, wie der Tumornekrosefaktor (TNF), fhren zur Stimulierung des MakrophagenMonozyten-Systems, was zur Freisetzung hoher Konzentrationen gerinnungsaktivierender Substanzen fhrt. Am bedeutsamsten drfte hier die Freisetzung des Gewebsthromboplastins (s. oben) sein, aber auch andere Aktivatoren, wie ein Prothrombinasekomplex und direkte Aktivatoren von Faktor X, wurden beschrieben (Edwards et al. 1981). 2.4.3 Lupusantikoagulans
Bei einigen Tumoren wurde ein Lupusantikoagulans gefunden. Hierbei handelt es sich um ein Immunglobulin, das die Phospholipide der Gerinnungskaskade bindet und dadurch zur Verlngerung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit fhrt. Paradoxerweise fhrt diese Verlngerung der PTT jedoch nicht zu Blutungen, sondern zu Thrombosen. Insgesamt 17% der Patienten, bei denen ein Lupusantikoagulans nachgewiesen wurde, hatten maligne Erkrankungen. 2.4.4 Pla¨ttchenaktivatoren
Die Plttchen zirkulieren normalerweise in einem inaktiven Zustand, unterliegen aber nach Stimulation verschiedenen morphologischen und biochemischen Vernderungen. Bekannte Plttchenaktivatoren sind Thrombin, Prostaglandine, ADP und Adrenalin. Offensichtlich gibt es jedoch auch in menschlichen Tumoren und Tumorzellextrakten thrombozytenaggregationsauslsende Aktivitten (Batisda u. Ordinas 1988). 2.4.5 Thrombozytose
Bei einer Vielzahl maligner Erkrankungen, besonders bei Tumoren des Gastrointestinaltrakts, kann eine Thrombozytose beobachtet werden, d.h. Thrombozytenwerte, die deutlich ber dem oberen Normbereich von 400 000/ll liegen. Nach der Literatur findet man bei 30…50% der Pa-
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tienten mit malignen Erkrankungen eine Thrombozytose. Als urschlich hierfr kann die Freisetzung von IL-6 und Thrombopoietin angefhrt werden (Estrov et al. 1995). Auch bei nichtproliferativen Syndromen knnen die Thrombozyten gelegentlich 1 Mio./ll berschreiten. Bei Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen sind die Plttchen in ihrer Funktion oft sowohl pathologisch gesteigert als auch beeintrchtigt. Dies fhrt besonders bei Patienten mit Polycythaemia vera und essentieller Thrombozythmie zu einer erhhten Inzidenz thrombotischer Komplikationen im arteriellen und vensen System. Besonders gefrchtet sind Thrombosen der Mesenterialvenen und der Gehirnarterien. Aus diesem Grund sind hufig eine Zytoreduktion und eine Therapie mit Plttchenaggregationshemmern notwendig. Plttchenaggregationshemmer knnen wiederum zu schweren Blutungskomplikationen fhren. Anders als bei Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen ist die Pla¨ttchenfunktion bei Patienten mit soliden Karzinomen normal, und trotz Thrombozytose sind keine besonderen therapeutischen Maßnahmen erforderlich. Es mu davon ausgegangen werden, da die Thrombophilie von Tumorpatienten nicht nur von einem der o.g. Mechanismen ausgelst wird, sondern von verschiedenen Mechanismen, Thrombozyten und plasmatisches Gerinnungssystem betreffend, die sich addieren und bei einem Teil der Patienten zu thrombotischen Komplikationen fhren.
3 Klinische Manifestationen und deren Inzidenz 3.1 Inzidenz von Thrombosen Die relative Hufigkeit und die klinischen Manifestationen von Thromboembolien und Blutungen stehen in Abhngigkeit von Ort und Art des Primrtumors. Grundstzlich findet man bei ha¨matologischen Systemerkrankungen (Leukmien), besonders aufgrund der Thrombozytopenie, mehr Blutungen, whrend solide Tumoren sehr viel hufiger durch Thromboembolien kompliziert werden. Die Zahlenangaben zur Hufigkeit von klinisch relevanten Ereignissen sind oft schwer einzuordnen, da viele der publizierten Zahlen pathologisch-anatomischen Statistiken entnommen wurden. Es ist wahrscheinlich, da die Pathologen im Sektionssaal tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien sehen, die als terminales Ereignis kurz vor dem Tod entstanden sind und klinisch letztendlich ohne Bedeutung waren. Die Zahl der Thrombosen und Lungenembolien, die im Verlauf der Monate oder Jahre des Tumorleidens komplizierend auftreten, liegt nach Angaben mehrerer Autoren in der Grenordnung von 15%, wobei die Zahlen je nach Tumorlokalisation und -histologie zwischen 1% und ca. 30% variieren (Rickles u. Edwards 1983). Besonders Patienten mit muzinproduzierenden Adenokarzinomen des Gastrointestinaltrakts sowie
Klinische Manifestationen und deren Inzidenz
1279
Tabelle 2. Inzidenz von Thrombosen bei bestimmten malignen Tumoren. (Nach Rickles und Edwards 1983) Prima¨rtumor
Fa¨lle (n)
[%]
Lunge
158
27,9
Pankreas
104
18,4
Magen
96
17,0
Kolon
89
15,7
Ovar/Uterus
41
7,2
Prostata
40
7,1
mit Pankreas-, Ovarial- und Bronchialkarzinomen haben ein, wie in Tabelle 2 erkennbar ist, deutlich erhhtes Thromboembolierisiko. Meist treten tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien bei fortgeschrittener Tumorerkrankung auf, wobei zustzliche Faktoren, wie Bettruhe, Gewebszerfall unter Chemo- oder Strahlentherapie, Herzinsuffizienz, operative Eingriffe und ein hheres Lebensalter, zustzlich auslsende Faktoren sind. In den Fllen, in denen eine direkte Einwirkung des Tumors urschlich als Grund fr eine Thromboembolie ausgeschlossen werden kann, also wenn z.B. keine tumorbedingte Kompression der V. cava inferior vorliegt, mte man strenggenommen von einem paraneoplastischen Syndrom sprechen, da der Tumor nur indirekt, z.B. durch Freisetzung von Wirkstoffen, die prokoagulatorischer, fibrinolytischer oder proteolytischer Natur sind, das HTabelle 3. Ha¨ufige und seltene Ha¨mostasesto¨rungen infolge eines paraneoplastischen Prozesses Ha¨ufige paraneoplastische Ha¨mostasesto¨rungen tiefe Beinvenenthrombose Lungenembolie Blutung arterielle Thrombose Thrombophlebitis migrans * * * * *
Seltene paraneoplastische Ha¨mostasesto¨rungen digitale und zerebrale mikrovaskula¨re arterielle Thrombosen (z.B. mit Gangra¨n) nichtbakterielle Endokarditis (NBTE) Lebervenenthrombose, Pfortaderthrombose zerebrale Embolien Myokardinfarkt kutane und viszerale Infarkte Sinusvenenthrombose akute disseminierte intravaskula¨re Gerinnung (DIG)
* * * * * * * *
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
mostasesystem beeinflut, so da es zu Gerinnungsstrungen im Sinne von thrombotischen oder Blutungskomplikationen kommen kann (Hiller 1998). Unter diesen Umstnden mte man die Mehrzahl der im Rahmen eines Tumorleidens auftretenden Hmostasestrungen als Paraneoplasien bezeichnen. Grenzt man jedoch den Begriff ein, so versteht man unter einer paraneoplastischen Hmostasestrung thromboembolische oder Blutungsereignisse, die entweder dem klinisch erkennbaren Tumorleiden Wochen, Monate oder Jahre vorausgehen oder zumindestens als Erstmanifestation eines im Rahmen der Durchuntersuchung erkennbaren Tumors auftreten (Tabelle 3). 3.2 Tiefe Venenthrombose und Lungenembolie Die hufigste das Hmostasesystem betreffende paraneoplastische Komplikation ist die tiefe Venenthrombose mit der mglichen Folge einer Lungenembolie. So fanden Prandoni et al. (1992) bei 5 von 153 Patienten (3,3%) mit idiopathischer Thrombose zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme und bei weiteren 11 von 145 Patienten (7,6%) im Rahmen einer 2jhrigen Nachbeobachtung ein Krebsleiden. Hingegen fand sich bei 107 Patienten mit sekundrer Thrombose bei der initialen Durchuntersuchung keine Neoplasie, erst nach 2jhriger Nachbeobachtung kam es dann bei 2 von 105 Patienten (1,9%) mit sekundrer Thrombose zu einer Neoplasie. ˜hnliche Zahlen in demselben Prozentbereich werden auch von anderen Autoren berichtet (Aderka et al. 1986; Monreal et al. 1991; Otten u. Prins 2001). Auch bei der „idiopathischen Lungenembolie“ mu davon ausgegangen werden, da bei einem Teil der Betroffenen eine Neoplasie aufgedeckt werden kann. Gore et al. (1982) berichten, da bei 6 von 88 Patienten mit angiographisch gesicherter Lungenembolie im Verlauf der nchsten 2 Jahre eine maligne Erkrankung diagnostiziert wurde; das entsprach 6,8%, whrend es bei der Vergleichsgruppe, bei der eine Lungenembolie ausgeschlossen werden konnte, in keinem Fall zu einem Malignom innerhalb von 2 Jahren kam. 3.3 Thrombophlebitis migrans Whrend tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien zu den hufigen paraneoplastischen Syndromen gehren, gibt es einige seltene, aber ganz charakteristische paraneoplastische Hmostasestrungen (s. bersicht Hiller 1998). Hierzu zhlt in erster Linie die Thrombophlebitis migrans, die schon von Trousseau (1865) in Assoziation mit einem Magenkarzinom beschrieben wurde. Im angloamerikanischen Schrifttum wird daher auch die Thrombophlebitis migrans als Trousseau-Syndrom bezeichnet (Silverstein u. Nachmann 1992).
Klinische Manifestationen und deren Inzidenz
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Im Gegensatz zu den hufigeren tiefen Venenthrombosen kommt es bei der Thrombophlebitis migrans zu wechselnden rezidivierenden Thrombophlebitiden nicht nur der Beine, sondern auch der Ober- und Unterarme, der Thoraxvorderseite und des Abdomens. Innerhalb von Tagen kann es zu spontanen Rckbildungen kommen. Die intensive Tumorsuche fhrt frher oder spter meist zur Diagnose eines gastrointestinalen Tumors (Patterson u. Ringenberg 1990). Bei einer Antikoagulanzientherapie kommt es in der Regel nicht zu einer Besserung oder Rckbildung. 3.4 Budd-Chiari-Syndrom und Pfortaderthrombose Auch das Budd-Chiari-Syndrom und die Pfortaderthrombose knnen als paraneoplastische Hmostasestrung, besonders in Assoziation mit myeloproliferativen Erkrankungen sowie mit bestimmten soliden Tumoren, auftreten. In einer Serie von 253 Patienten mit Lebervenenthrombose hatten 12% der Patienten ein myeloproliferatives Syndrom (meist eine Polycythaemia vera) und 7% eine paroxysmale nokturnale Hmoglobinurie (PNH) (Mitchell et al. 1982). Bei einem Teil der Patienten ging dem Lebervenenverschlu oder der Pfortaderthrombose keine klinisch erkennbare myeloproliferative Erkrankung voraus. Bei solchen Patienten wurde eine spontane Koloniebildung von Vorluferzellen in vitro beschrieben (Valla et al. 1985). Bei soliden Tumoren lieen sich vermehrt bei hepatozellulren Karzinomen und Karzinomen der Niere und Nebennierenrinde Lebervenenthrombosen beobachten (Patterson u. Ringenberg 1990). 3.5 Nichtbakterielle Endokarditis Im Rahmen der paraneoplastischen Syndrome soll noch auf die nichtbakterielle thrombotische Endokarditis (NBTE) hingewiesen werden, die besonders mit muzinproduzierenden Adenokarzinomen assoziiert ist (Min et al. 1980; Ondrias et al. 1985). Die NBTE kann sehr frh bei Patienten mit noch nicht nachweisbaren, okkulten Karzinomen, aber auch spter bei bereits fortgeschrittenen, metastasierten Karzinomen auftreten. Charakteristischerweise kommt es zu aseptischen, endoluminalen Vegetationen des Herzens, die hufig, aber nicht immer auf vorgeschdigten Herzklappen lokalisiert sind. Morbiditt und Mortalitt der NBTE sind Folgen der Klappeninsuffizienz wie auch peripherer arterieller Embolien, die zu Myokardinfarkt, Apoplexie, aber auch ischmischer Nekrose peripherer Organe fhren. Bei einem neu aufgetretenen Herzgerusch sollte die Verdachtsdiagnose eine NBTE bei okkultem Tumorleiden mit einschlieen.
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
3.6 Zerebrale Embolien Weitere, in Tabelle 3 aufgefhrte paraneoplastische Hmostasestrungen sind die prima¨re Sinusvenenthrombose (Hickey et al. 1982), Mesenterialgefa¨ßinfarkte (Rayner et al. 1987; Shulkin et al. 1987) und iatrogene Thrombosen, d.h. der Verschlu zentraler Venenkatheter (V. jugularis, V. subclavia, Hickman-Katheter) (De Cicco et al. 1997). Auslsend bei den Verschlssen der Venenkatheter sind neben der vorbestehenden Hyperkoagulabilitt auch oft bestimmte Chemotherapeutika, wie z.B. Dacarbazin oder eine Hormontherapie (Patterson u. Ringenberg 1990). 3.7 Disseminierte intravaskula¨re Gerinnung Schlielich ist auch die disseminierte intravasale Gerinnung (DIG) mit generalisierter Thrombose bzw. Blutungsneigung als paraneoplastische Komplikation vieler solider Tumoren und hmatologischer Systemerkrankungen beschrieben worden, wenn sie auch zahlenmig ein eher seltenes Ereignis ist und gewhnlich nur in fortgeschrittenen Krankheitsstadien auftritt. Eine Sonderstellung nimmt allerdings die akute Promyelozytenleuka¨mie (APL) ein, die nach verschiedenen Untersuchern in 50…100% der Flle zur akuten DIG mit z.T. bedrohlichen Blutungen fhren kann (Colman u. Rubin 1990). Auslsender Triggermechanismus der DIG ist die Freisetzung von Gewebsthromboplastin und fibrinolytisch wirksamen Enzymen (Plasmin, Elastase) aus den Granula der pathologischen Promyelozyten (Gralnick u. Abrell 1973; Hiller u. Jochum 1984). Die Blutungen sind somit die Folge einer DIG mit Verbrauch von Gerinnungsfaktoren (Verbrauchskoagulopathie), die durch eine zusa¨tzliche Hyperfibrinolyse (Plasmin, Elastase) kompliziert wird. Da darber hinaus krankheitsbedingt immer eine Thrombozytopenie vorliegt, werden die intervenierenden therapeutischen Manahmen, z.B. mit Heparin, kontrovers diskutiert (Rodeghiero et al. 1990). Unter Behandlung mit All-Trans-Retinsure (ATRA) kommt es zu einer deutlichen Abnahme der Inzidenz einer DIG bei APL (Koyama 1996). Bei nichtpromyelozytren Leukmien ist die Inzidenz der DIG wesentlich niedriger und wird auf 2% geschtzt. Bei der Mehrzahl der soliden Tumoren in fortgeschrittenen Krankheitsstadien liegt eine kompensierte oder berkompensierte chronische DIG vor, die meist nur durch charakteristisch vernderte Labortests erkennbar ist. Man findet dann eine verkrzte PTT, ein erhhtes Fibrinogen und eine hohe Thrombozytenzahl und spricht im angloamerikanischen Schrifttum daher auch von einer chronischen DIG. Typischerweise sind dann auch die Fibrin-/ Fibrinogenspaltprodukte bzw. die D-Dimere erhht, erklrbar durch eine lokale, im Tumor stattfindende Fibrinolyse. Die chronische DIG ist zunchst nur ein erkennbares Laborphnomen und nicht therapiebedrftig. In seltenen Fllen, meist ausgelst durch eine Infektion, Sepsis oder Blutung,
Labordiagnostik bei malignen Erkrankungen
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kann jedoch die chronische DIG dekompensieren und den Verlauf einer akuten DIG annehmen. Bei fortgeschrittenem Tumorleiden ist die akute DIG meist ein lebensbedrohliches und trotz therapeutischer Interventionen terminales Ereignis. 3.8 Blutungen Blutungen bei malignen Erkrankungen sind am hufigsten durch Thrombozytopenien (Knochenmarkbefall, chemotherapiebedingt) oder in seltenen Fllen auch durch Thrombozytopathien bedingt. Weitere gefrchtete Blutungsursachen sind auf Gefarrosionen durch den Tumor zurckzufhren, z.B. im Gastrointestinal- oder im Urogenitaltrakt. Einige seltene Blutungsursachen, die unter den Begriff „paraneoplastische Hmostasestrung“ fallen, sind auf die Paraproteine zurckzufhren, die gelegentlich Blutplttchenfunktionen inhibieren, und zwar im Sinne einer Plttchenfaktor-3-Freisetzungsstrung bzw. einer Plttchenaggregationsstrung durch Bindung des Paraproteins an Plttchenglykoprotein IIIa (Ey u. Goodnight 1990). Dadurch kommt es zur Strung der Fibrinogenbindung. Darber hinaus kann die Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin oder die Fibrinpolymerisation inhibiert werden. Auch Komplexbildungen zwischen Paraproteinen und verschiedenen Gerinnungsfaktoren, Thrombin und von-Willebrand-Faktor fhren zu entsprechenden Aktivittsminderungen (Hyman u. Westrick 1986).
4 Labordiagnostik bei malignen Erkrankungen Die in der Klinik blichen globalen Gerinnungstests eignen sich wohl zur mglichen Voraussage von Blutungen, aber wenig zur Voraussage einer thromboembolischen Komplikation. Mangelzustnde der Gerinnungsinhibitoren Antithrombin, Protein C und Protein S kommen in der Regel bei Patienten mit malignen Erkrankungen nicht hufiger vor als bei gesunden Personen, sieht man einmal von erworbenen Mangelzustnden bei schweren Leberparenchymerkrankungen oder einer Asparaginasetherapie ab. Bei der Mehrzahl der Patienten mit malignen Erkrankungen liegt ein Zustand einer chronischen, disseminierten, intravasalen Koagulation (DIG) vor, die kompensiert oder sogar berkompensiert ist. Unter diesen Umstnden sind dann die blichen DIG-Parameter normal oder sogar denen der akuten DIG entgegengesetzt, indem man eine verkrzte PTT, einen hohen Fibrinogenwert und hohe Thrombozytenzahlen findet (Colman u. Rubin 1990). In vielen Fllen sind die Fibrinogenspaltprodukte bzw. die D-Dimere erhht, bedingt durch die lokale Fibrinolyse im Tumor. Wenn allerdings zuvor erhhte Fibrinogen- und Thrombozytenwerte abfallen und anscheinend „normal“ werden, kann sich u.U. eine drohende DIG
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
Tabelle 4. Aktivierungspeptide, die einen pra¨thrombotischen Zustand anzeigen * * * * * * *
Fibrinopeptid A (FPA), F1+2-Fragment, Thrombin-Antithrombin-Komplex (TAT), Bb-1-42-Fragment, D-Dimere, b-Thromboglobulin (b -TG), Pla¨ttchenfaktor 4 (PF4)
ankndigen. Die akute DIG mit Verlngerung der Gerinnungszeiten der globalen Tests, niedrigen Plttchenzahlen, niedrigem AT und hohen Titern von Fibrinogenspaltprodukten ist ein seltenes Ereignis und bedarf meist eines zustzlichen auslsenden Anlasses. Fr wissenschaftliche Fragestellungen wurden in den letzten 10 Jahren neue Testsysteme zur Frherkennung der Thrombophilie etabliert. Da die aktiven Gerinnungsfaktoren in ihrer Labilitt und schnellen Elimination aus der Zirkulation nur schwer zu quantifizieren sind, wurden sensitive und spezifische Radioimmuno- und Enzymimmunoassays entwickelt, um die stabileren Peptide messen zu knnen, die als Beiprodukt whrend der sequentiellen Aktivierung von Zymogenen in der Gerinnungskaskade entstehen. Erhhte Spiegel dienen dann als Marker einer In-vivo-Aktivierung des Gerinnungssystems. Einige dieser Thrombophiliemarker sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Sie dienen sowohl zum Nachweis der Entstehung von Thrombin als auch zum Nachweis einer Aktivierung der Thrombozyten und der Fibrinolyse. Verschiedene Autoren haben gezeigt, da ganz besonders das Fibrinopeptid A (FPA) eng mit dem klinischen Verlauf verknpft ist, indem man hohe Spiegel bei groer Tumormasse („bulky disease“) und eine Normalisierung bei klinischer Remission findet. Wieder ansteigende Spiegel weisen auf ein entstehendes Rezidiv hin (Colman u. Rubin 1990; Luzzatto u. Schafer 1990).
5 Therapie von Gerinnungssto¨rungen bei malignen Erkrankungen Die therapeutischen Manahmen bei Gerinnungsstrungen im Rahmen maligner Erkrankungen haben im Falle von Blutungen zur Zielsetzung, fehlende Gerinnungsfaktoren oder Blutkomponenten zu ersetzen. Bei thromboembolischen Komplikationen soll durch die Gabe von Antikoagulanzien der thrombotische Proze unterbunden werden. Alle getroffenen Manahmen haben jedoch so lange nur palliativen Charakter, solange die Grundkrankheit nicht kausal behandelt wird.
Therapie von Gerinnungssto¨rungen bei malignen Erkrankungen
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5.1 Blutungen mit Thrombozytopenie Was die Behandlung von Blutungen mit Thrombozytopenie bei hmatologischen Systemerkrankungen anbelangt, wird auf die entsprechenden Kapitel im speziellen Teil verwiesen. F
F
F
F
Es soll hier jedoch festgehalten werden, da die Indikation zur therapeutischen und prophylaktischen Thrombozytentransfusion bei hmatologischen Systemerkrankungen unbestritten ist, wenn auch die magische Zahl 20 000/ll als Grenze zur prophylaktischen Thrombozytentransfusion heute nicht mehr aufrechterhalten werden sollte (Beutler 1993). Auch was die prophylaktische Heparinisierung bei Leukmiepatienten bei der Induktionstherapie anbetrifft, ist man heute wesentlich zurckhaltender als vor 2 Jahrzehnten geworden. Kontrollierte Studien zum Stellenwert der Heparintherapie auch bei der Promyelozytenleukmie gibt es nicht. Kasuistische Berichte weisen bei der Promyelozytenleukmie darauf hin, da auch eine grozgige Thrombozytensubstitution, wie die antifibrinolytische Therapie, unter Umstnden die gefrchtete Blutung verhindert (Rodeghiero et al. 1990). Auch der Einsatz von All-Trans-Retinsure (ATRA) macht in der Mehrzahl der Flle eine Heparinisierung entbehrlich, da es unter ATRA nicht mehr zur gefrchteten DIG kommt. Eine niedrigdosierte Heparintherapie (z.B. 500 IE/h) zur Remissionsinduktion whrend der ersten Tage bei der Promyelozytenleukmie oder der akuten lymphatischen und nichtlymphatischen Leukmie mit hoher Leukmiezellzahl (> 30 000/ll) ist heute jedoch nach wie vor vertretbar. Trotz der beobachteten Erniedrigung des Faktors XIII bei der akuten Leukose erbrachte eine Studie keinen Vorteil hinsichtlich Schweregrad von Blutungen, Transfusionsbedarf oder Anzahl der erreichten Remissionen, wenn der Faktor XIII grozgig substituiert wurde (Rasche et al. 1982).
5.2 DIG Auch bei der manifesten akuten DIG ist man heute, was Heparin anbelangt, auf Distanz gegangen. Neben der unerllichen kausalen Therapie der Grundkrankheit wird zunehmend auf F F
Substitution der verbrauchten Inhibitoren, Faktoren und Blutkomponenten zurckgegriffen. Lediglich bei einer protrahierten, chronischen Form drfte die niedrigdosierte Heparintherapie nach wie vor einen Stellenwert haben.
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
5.3 Thrombophilie/Thromboembolie Wegen der andauernden Thrombophilie bzw. des erhhten Thromboembolierisikos von Patienten mit soliden Tumoren knnte man aus theoretischen Erwgungen eine allgemeine Thromboseprophylaxe mit niedrigdosiertem Heparin empfehlen. Im Gegensatz zur Situation von chirurgischen Patienten, bei denen das Thromboserisiko in den ersten 10 Tagen besonders hoch ist, mte man bei Tumorpatienten oft ber einen Krankheitsverlauf von vielen Monaten die Behandlung durchfhren, da nicht voraussehbar ist, wann im Verlauf der Erkrankung ein thromboembolisches Ereignis eintreten wird. Dieses Vorgehen ist weder praktikabel, noch wrde es von der Mehrzahl der Patienten akzeptiert werden. Aus diesem Grund ist die generelle Thromboembolieprophylaxe von Tumorpatienten abzulehnen. Dennoch gibt es auch bei Tumorpatienten bestimmte Risikosituationen, in denen eine Thromboseprophylaxe durchgefhrt werden sollte. Im Gegensatz zur perioperativen Prophylaxe ist die Frage, welche Krebspatienten in welchen klinischen Stadien eine medikamentse Thromboseprophylaxe bentigen, noch nicht mit ausreichender Evidenz zu beantworten. Unbestritten sind lediglich die perioperative Einstufung von Krebspatienten in die Hochrisikogruppe und die Langzeitantikoagulation bei Patienten mit malignen Erkrankungen, die whrend ihrer Erkrankung beTabelle 5. Indikationsstellung fu¨r eine medikamento¨se Thromboemboliepra¨vention bei Krebspatienten Eindeutige Indikationen Chirurgische Eingriffe bei Krebspatienten Chemotherapie bei hoher Tumorlast Bettla¨grige Krebspatienten mit hoher Tumorlast Zentralveno¨se Katheter (nicht Port) Krebspatienten mit Z. n. Thromboembolie und/oder variko¨sem Symptomenkomplex Krebspatienten mit Rezidivthrombose Krebspatienten mit heredita¨rer Thrombophilie bei Chemotherapie und einem weiteren Risikofaktor Krebspatienten mit Kombination von mindestens 2 Risikofaktoren Strahlentherapie im Beckenbereich * * * * * * *
* *
Umstrittene Indikationen Kleine Eingriffe bei Krebspatienten (z.B. ZVK-Anlage oder Portimplantation) Krebspatienten mit liegendem Port nach vorausgegangenem Verschluß – Immobilisation als einziger Risikofaktor Terminales Krankheitsstadium Langfristige Prophylaxe bei veno¨sem Port Chemotherapie mit bestimmten Substanzen (z.B. DTIC, Taxan) Antihormonelle Behandlung
* *
* * * *
Therapie von Gerinnungssto¨rungen bei malignen Erkrankungen
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reits eine thromboembolische Komplikation erlitten haben. Auch die Kombination von mehreren Risikofaktoren bei einem Krebspatienten macht die Indikation zu einer medikamentsen Prophylaxe immer wahrscheinlicher. In jedem Fall mu die Entscheidung individuell getroffen werden. Dies betrifft auch die Frage, ob orale Antikoagulanzien, unfraktionelles oder niedermolekulares Heparin zum Einsatz kommen. Tabelle 5 gibt die Indikationsstellung fr eine medikamentse Thromboembolieprvention bei Krebspatienten in Anlehnung an die Ergebnisse von Fachplattformen der Bayerischen Krebsgesellschaft wieder (Lutz et al. 2001). 5.4 Therapie der Thromboembolie (Lee 2001) Was die Therapie eingetretener Thromboembolien bei Tumorpatienten anbelangt, unterscheidet sie sich nicht grundsa¨tzlich von der Behandlung von Nichttumorpatienten. Aufgrund des Tumorleidens wird jedoch eine Fibrinolysetherapie bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (intraluminale oder gefarrodierende Tumoren) oder bei verkrzter Lebenserwartung nicht indiziert sein. Auch wird man mit der Gabe von oralen Antikoagulanzien (z.B. MarcumarJ) bei fortgeschrittenem Tumorleiden, kurzer Lebenserwartung, Lebermetastasierung oder hohem Blutungsrisiko sehr zurckhaltend sein. In diesen Fllen kommt anstatt des 2- bis 3mal tglich zu verabreichenden subkutanen, unfraktionierten Heparins ein niedermolekulares Heparin in einer hheren Dosierung als zur Prophylaxe blich in Betracht. Zur Therapie der tiefen Venenthrombose sind zwischenzeitlich vier Prparate zugelassen (FraxiparinJ, innohepJ 20 000 Anti-Xa IE/ml, ClexaneJ und MonoEmbolexJ NM). Je nach Blutungsrisiko sollte die Dosierung das 2- bis 4fache der blichen prophylaktischen Dosierung betragen. Retrospektive Analysen von Studien, die niedermolekulares mit unfraktioniertem Heparin in der Therapie tiefer Beinvenenthrombosen verglichen, zeigten bei Tumorpatienten nach 3 Monaten eine bis zu 50%ige Reduktion der Mortalitt unter der Behandlung mit niedermolekularem Heparin (Hiller et al. 2001). Daher wird der Einsatz von niedermolekularem Heparin bei Tumorpatienten in Studien prospektiv geprft. Literatur Aderka D, Brown A, Zelikovski A et al (1986) Idiopathic deep vein thrombosis in an apparently healthy patient as a premonitory sign of occult cancer. Cancer 57:1846…1849 Batisda E, Ordinas A (1988) Platelet contribution to the formation of metastatic foci: the role of cancer cell-induced platelet activation. Haemostasis 18:29…36 Beutler E (1993) Platelet transfusions: The 20 000/ll trigger. Blood 81:1411…1413 Colman RW, Rubin RN (1990) Disseminated intravascular coagulation due to malignancy. Semin Oncol 17:172…186
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Gerinnungssto¨rungen bei Tumorpatienten
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26 Prinzipien des Blutzellersatzes W. Dempke, H.-J. Schmoll
26 1 Einleitung Die ersten menschlichen Blutgruppenantigene, die des AB0-Systems, wurden im Jahre 1900 von Karl Landsteiner entdeckt, der damit gleichzeitig die Grundlagen fr die serologisch vertrgliche Bluttransfusion schuf. Die Vererbbarkeit von Blutgruppenantigenen erkannte als erster Bernstein im Jahre 1924 durch Familienuntersuchungen im AB0-System, was zur Begrndung der modernen Immungenetik fhrte. Mit der Entdeckung des Rhesussystems durch Landsteiner und Wiener 1940 konnten Transfusionszwischenflle weitgehend vermieden werden, so da die Bluttransfusion zu einer etablierten Therapiemodalitt wurde.
2 Blutgruppenphysiologie Bei einer Transfusion erhlt der Empfnger der Transfusion Vollblut oder bestimmte Blutkomponenten eines Spenders. Im klinischen Alltag hat die Transfusion von Erythrozyten die grte Bedeutung. Dabei mu die Kompatibilitt zwischen Spender und Empfnger gesichert sein, da sonst tdliche hmolytische Reaktionen auftreten knnen. Auf der Oberflche der Erythrozyten sind bisher ber 400 verschiedene Blutgruppenantigene beschrieben worden. Davon haben das AB0- und das Rhesussystem die grte klinische Bedeutung. Natrlich vorkommende Blutgruppenantikrper finden sich im Plasma von Personen, die nicht ber das entsprechende Antigen verfgen, keine Transfusionen erhalten haben und nicht schwanger waren. Die wichtigsten sind Anti-A und Anti-B. In der Regel handelt es sich um Klteantikrper vom IgM-Typ (Reaktionsoptimum 4 C). Immunantikrper entwickeln sich als Reaktion auf die bertragung von Erythrozyten mit Antigenen, die dem Patienten fehlen. Dies kann bei einer Transfusion oder auch durch die diaplazentare bertragung whrend einer Schwangerschaft entstehen. Diese Antikrper gehren in der Regel zur Gruppe IgG (plazentagngig). Es handelt sich um Wrmeantikrper mit einem Temperaturoptimum von 37 C.
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Prinzipien des Blutzellersatzes
Das klassische AB0-System von Landsteiner besteht aus drei Genen: F F F
A: endstndige Fukose und N-Acetylgalaktosamin B: Fukose und Galaktose 0: Fukose (H-Substanz)
Bei der Gruppe A werden die Untergruppe A1 und A2 unterschieden. Dabei ist zu beachten, da A2-Zellen schwcher mit Anti-A-Serum reagieren als A1-Zellen, so da Patienten mit der Blutgruppe A2B flschlich als B eingestuft werden knnen (Hoffbrand et al. 1997). >
Die hufigste Blutgruppe in Mitteleuropa ist 0 (46%), gefolgt von A (42%), hingegen ist B mit 9% selten, noch seltener ist die Blutgruppe AB (3%).
Das komplexe Rhesussystem wird durch Gene an drei eng verbundenen Genorten kodiert. Es gibt die Antigene Cc, Dd, Ee. Diese Antigene knnen mit spezifischen Antiseren bestimmt werden (sog. „Rhesusformel“), lediglich fr das Merkmal „d“ existiert kein Antiserum, man schreibt deshalb beim Nachweis von „D“ stets einen Punkt fr ein eventuelles „d“ (z.B. Rhesusformel: „CeEeD.“). Neben dem AB0-System gibt es noch weitere Blutgruppensysteme (Kell, Lewis, Duffy, MN, P, Lutheran, Kidd etc.), die jedoch nur von geringer klinischer Bedeutung sind. Obwohl natrlich vorkommende Antikrper dieser Systeme nicht ungewhnlich sind, reagieren sie nur bei niedrigen Temperaturen; ferner haben viele dieser Antigene nur eine geringe Antigenitt (Hoffbrand et al. 1997). Die Technik der Blutgruppenbestimmung beruht auf der Feststellung der Erythrozytenagglutination. Dazu werden die Patientenerythrozyten mit den spezifischen Antiseren versetzt. Neben der Blutgruppenbestimmung wird in der Regel auch eine Antikrpersuche durchgefhrt. Dazu bedient man sich des sog. „Coombs-Tests“. Dazu wird ein sog. „Anti-Humanglobulin“ (AHG) eingesetzt. Dies kann dadurch gewonnen werden, da menschliches Globulin in Tiere (Kaninchen, Ziegen, Schafe etc.) injiziert wird, um dann aus dem Serum der Tiere die Antikrper gegen das Globulin zu gewinnen. Wenn AHG zu menschlichen Erythrozyten gegeben wird, auf deren Oberflche sich Immunglobuline (Antikrper) oder Komplementfaktoren befinden, findet man eine Agglutination dieser Erythrozyten (direkter Coombs-Test). Beim sog. „indirekten Coombs-Test“, der zum Nachweis von Antikrpern im Serum des Spenders dient, werden Testerythrozyten mit dem Spenderserum inkubiert. Anschlieend werden die Erythrozyten gewaschen, um dann das AHG hinzuzugeben. Eine Agglutination zeigt eine Antikrperbeladung der Erythrozyten an. Fr das Screening werden Erythrozyten ausgesucht, die das Merkmal in optimaler Konzentration tragen (sog. „Test-
Blutgruppenphysiologie
1293
Erythrozyten“). Der indirekte Coombs-Test kann als Teil der Kreuzprobe dazu verwendet werden, um Antikrper gegen die Spendererythrozyten im Serum des Patienten nachzuweisen. Die Bestimmung der AB0-Blutgruppen ist nur vollstndig, wenn auer den Antigenen auch die Isoagglutinine untersucht worden sind. Vor einer Bluttransfusion wird deshalb zunchst (falls nicht bekannt) die Blutgruppe des Empfngers bestimmt. Gleichzeitig wird das Serum auf pathologische Antikrper in der sog. Kreuzprobe untersucht. Dann werden Erythrozyten jedes Konzentrats gegen das Serum des Patienten getestet. Im ersten Schritt wird die Agglutination in Kochsalzlsung (20 C und 4 C) durchgefhrt (Nachweis von IgM-Antikrpern, also Anti-A und Anti-B). Im zweiten Schritt werden kolloidale Substanzen (z.B. Albumine) hinzugegeben (Nachweis von IgG-Antikrpern, Verstrkung der Agglutination bei 37 C). Im dritten Schritt schlielich werden die Erythrozyten noch mit proteolytischen Enzymen vorbehandelt (z.B. Bromelase), um ihre Reaktionsempfindlichkeit zu erhhen. Wegen der betrchtlichen Gefahren AB0-inkompatibler Transfusionen mu sich der transfundierende Arzt am Patientenbett mit Hilfe eines Kartensystems nochmals von der AB0-Identitt von Konserven- und Empfngererythrozyten berzeugen („Bedside-Test“). Dies gilt auch fr eine Notfall-Transfusion. Die Vertrglichkeit von Erythrozytenkonzentraten im AB0-System ist in Tabelle 1 dargestellt. Beim AB0-ungleichen Erythrozytenersatz sind Trger der Blutgruppe 0 Universalspender, whrend Trger der Blutgruppe AB Universalempfnger sind. Wegen des Mangels an Rhesus(D)-negativem Blut lt sich die bertragung von Rhesus(D)-positiven Erythrozytenkonzentraten an Rhesus(D)negative, nicht immunisierte Patienten nicht immer vermeiden. Eine solche Transfusion sollte aber nur in Betracht gezogen werden, wenn die Transfusion lebenswichtig (z.B. Massentransfusionen) ist und Rhesus(D)-negative Konserven nicht sofort beschafft werden knnen. Zustzlich sollte es sich um Frauen im nicht mehr gebrfhigen Alter oder um Mnner handeln. Umgekehrt knnen Rhesus-negative (D-negative) Erythrozyten Rhesus(D)Tabelle 1. Vertra¨glichkeit AB0-ungleicher Erythrozytenkonzentrate (EK) Patient
Kompatible EK
A
A oder 0
B
B oder 0
AB
AB, A, B oder 0
0
0
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Prinzipien des Blutzellersatzes
positiven Empfngern bertragen werden, wenn keine Unvertrglichkeit infolge von erythrozytren Antikrpern besteht.
3 HLA-System Man wei heute, da nicht nur die Erythrozyten, sondern auch die Leukozyten spezielle Oberflchenantigene tragen, die als HLA-System bezeichnet werden („human leucocyte antigen“). Der kurze Arm von Chromosom 6 weist eine Ansammlung von Genen auf, die als „Hauptkompatibilitts-Komplex“ (MHC, „major histocompatibility complex“) oder HLA-Region bezeichnet werden. Diese Antigene sind auf der Membranoberflche der meisten kernhaltigen Zellen vorhanden, und es ist mittlerweile bekannt, da sie eine wichtige Rolle bei der Transplantatabstoung und bei vielen Aspekten der Immunantwort spielen. Durch die modernen Methoden der Molekularbiologie konnten bis heute drei MHC-Klassen identifiziert werden: F
F
F
MHC-Klasse I: Diese Molekle bestehen aus einer b-Kette (MHC-kodiert) und dem b-2-Mikroglobulin. Die a-Kette besteht aus drei Domnen (a1…3) mit je 90 Aminosuren und ist transmembrans angelegt. Die Domnen a1…2 binden das Antigen (z.B. Antigen-Prsentation der zytotoxischen T-Zellen). Zur Klasse I gehren die HLA-Antigene A, B und C. MHC-Klasse II: Diese Molekle bestehen aus je einer a- und einer b-Kette, die transmembrans angelegt sind und je zwei Domnen (a1…2 und b1…2) besitzen. Dabei bilden a1 und b1 die Tasche fr die Proteinbindung. Zur Klasse II gehren die HLA-Antigene DR, DP und DQ. MHC-Klasse III: Sie kodiert fr die Komplementfaktoren, den Tumornekrosefaktor sowie fr die Steroid-21b-Hydroxylase.
Ein wichtiger Anwendungsbereich der HLA-Typisierung ist die Identifizierung von kompatiblen Spendern und Empfngern bei der Organtransplantation. Dabei wird der Schweregrad der Abstoung vom Grad der HLAKompatibilitt zwischen Spender und Empfnger beeinflut. Die HLA-Bestimmung wird heute mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) und anschlieender Identifizierung mit Oligonukleotidproben durchgefhrt. Dies ermglicht eine Bestimmung des HLA-Musters an sehr kleinen Materialmengen, ferner ist die Methodik auch zum Nachweis von Polymorphismen geeignet, die mit den konventionellen serologischen Techniken nicht erfat werden knnen. Aufgrund der HLA-Antigene auf den Leuko- und Thrombozyten besteht bei jeder Transfusion von Vollblut oder Thrombozytenkonzentraten das Risiko einer Sensibilisierung des Patienten gegen die Antigene des Spenders. Dieses Risiko kann jedoch durch die Abtrennung der Leukozyten aus Erythrozytenkonzentraten durch Filterung vor der Transfusion gemin-
Erythrozytensubstitution
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dert werden. Eine Immunisierung kann auch dazu fhren, da Patienten nach einer Transfusion mit Thrombozytenkonzentraten (Thrombozyten tragen HLA-Antigene der Klasse I) nicht mit dem erwarteten Anstieg („take“) der Thrombozytenzahl reagieren.
4 Mikrobiologische Untersuchungen Vor der Freigabe einer Blutzellprparation mssen definierte mikrobiologische Untersuchungen durchgefhrt werden (Richtlinien der Bundesrztekammer 2000). Hierzu zhlen: F F F F
HBsAg, HIV1/2, HCV, Treponema pallidum.
Diese Befunde mssen negativ sein. Zustzlich sollte die CMV-Serologie bestimmt werden. Das Zytomegalievirus findet sich zellassoziiert, aber auch frei im Plasma und in anderen Krperflssigkeiten. Es hat einen direkten zytopathischen Effekt auf die infizierten Zellen und kann zur Neutropenie und somit zur Beeintrchtigung der Immunitt fhren. Bei gesunden Menschen verlaufen CMV-Infektionen in der Regel inapparent. Der Nachweis von CMV-Antikrpern spricht nicht unbedingt fr Immunitt, denn die Erkrankung kann reaktiviert werden, und auch Neuinfektionen sind nicht ungewhnlich. Die Durchseuchung in der Bundesrepublik Deutschland liegt bei ca. 50%. Zytomegalieviren knnen besonders durch Blutzellprparationen bertragen werden, so da die einzig sichere Mglichkeit, eine CMVInfektion nicht zu bertragen, die Transfusion von CMV-negativen Konserven darstellt. Allerdings ist die ausschlieliche Transfusion von CMV-negativen Blutprodukten in Mitteleuropa praktisch undurchfhrbar, da mindestens 50% der Bevlkerung und damit auch der Blutspender CMV-positiv sind. Ein Ausschlu dieser Spender ist allerdings auch nicht notwendig, da ja der gleiche Durchseuchungsgrad auch bei den Empfngern vorliegt. Hinzu kommt, da bei nicht immunsupprimierten Patienten die Infektion inapparent und blande verluft. Lediglich bei den immunsupprimierten Patienten, besonders im Rahmen einer Knochenmark- oder Stammzelltransplantation, sollte CMV-negativen Prparaten unbedingt der Vorzug gegeben werden.
5 Erythrozytensubstitution Eine Blutkonserve enthlt Blut eines Spenders mit Antikoagulans (Citrat), additiver Lsung und/oder Stabilisator. Der Hmoglobinwert in einer solchen Konserve mu mindestens 9,7 g/dl betragen.
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Prinzipien des Blutzellersatzes
Blutkomponenten und Plasmaderivate sind Arzneimittel, die als Fertigarzneimittel einer Zulassung durch die zustndige Bundesoberbehrde (Paul-Ehrlich-Institut) bedrfen. Zur Herstellung bedarf es einer Erlaubnis durch die zustndige Behrde (§ 13 AMG). Der Anwender ist gehalten, die jeweilige Gebrauchsanweisung zu beachten (Leitlinien der Bundesrztekammer 2001). 5.1 Vollblutkonserve Eine Vollblutkonserve ist eine Prparation, die sowohl die zellulren Elemente des Blutes als auch das Blutplasma enthlt. In der heutigen Transfusionsmedizin ist der Einsatz von Vollblut selbst bei pltzlichen groen Blutverlusten nicht mehr zu rechtfertigen, da es zu Gerinnungsstrungen kommen kann. Vielmehr sollten in einem solchen Fall Erythrozytenkonzentrate und Frischplasmen transfundiert werden. Die Vollblutkonserve stellt aber weiterhin das Ausgangsprodukt zur Herstellung von Blutkomponenten und Plasmaprparationen dar. Zu den Vollblutkonserven wird auch Frischblut (nicht lter als 24 Stunden) und Warmblut (nicht lter als zwei Stunden) gezhlt. Beide Prparate sollten heute nicht mehr eingesetzt werden. 5.2 Erythrozytenkonzentrat Unter einem Erythrozytenkonzentrat versteht man eine Blutkonserve, aus der das Plasma bis auf minimale Reste entfernt wurde. Somit werden nur Blutzellen, vorzugsweise Erythrozyten, transfundiert. Erythrozytenkonzentrate sind heute als die Standardprparationen der Transfusionsmedizin anzusehen und sind berall dort indiziert, wo Sauerstofftrger zu ersetzen sind. Nach der Zentrifugation des Vollblutes werden der sog. „buffy coat“ (Leukozyten und Thrombozyten) und das Plasma abgetrennt. Die verbliebenden Erythrozyten werden dann zur Verbesserung der Konservierung mit ca. 40…70 ml des autologen Plasmas resuspendiert. Solche Konzentrate knnen bei 4 C 35 Tage gelagert werden. Sofern die Resuspension nicht in eigenem Plasma, sondern durch den Zusatz von additiven Lsungen erfolgt (Verbesserung der Membranstabilitt und des Energiehaushaltes), knnen die Erythrozytenkonzentrate bis zu 49 Tage bei 4 C gelagert werden. Die heute gebruchlichsten Stabilisatoren sind CPD (Citrat, Phosphat, Dextrose) und CPA mit Zusatz von Adenin (CPDA-1). Diese so durch Abtrennung des Buffy coat hergestellten Standarderythrozytenkonzentrate enthalten in der Regel weniger als 1,2 109 Leukozyten und weniger als 1 1010 Thrombozyten pro Einheit. Da die Standarderythrozytenkonzentrate noch immer Lymphozyten und Monozyten enthalten, stellen sie auch einen immunologischen Reiz fr das
Erythrozytensubstitution
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Immunsystem des Empfngers dar. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Lymphozyten, die auch in der Konserve und im Empfnger vital bleiben und ihre proliferative Fhigkeit nicht verlieren. Auerdem fhren sie ber ihre HLA-Antigene bei Langzeittransfundierten zur Bildung von lymphotoxischen HLA-Antikrpern, die in der Folge hufig die Ursache fr nichthmolytische, febrile Transfusionsreaktionen sind. Zur Verminderung solcher Effekte kann man leukozytendepletierte Erythrozytenkonzentrate einsetzen. Diese knnen durch die Verwendung von speziellen Filtersystemen (Leukozytenadhsionsfilter) am Krankenbett hergestellt werden. Die Anzahl der Restleukozyten wird dann nicht ber 5 106 pro transfundierter Einheit liegen. Diese leukozytendepletierten Erythrozytenkonzentrate sollten grundstzlich bei allen Patienten eingesetzt werden, die ber einen lngeren Zeitraum transfusionspflichtig sind. Dies gilt vor allem fr Patienten im Rahmen der Knochenmark- oder Stammzelltransplantation. Die Leukozytendepletion ist ab dem 01. 10. 2001 fr alle zur Transfusion vorgesehenen Blutprparate Pflicht. Da auch die gefilterten Erythrozytenkonzentrate noch Plasmareste enthalten, kann es zu Eiweiunvertrglichkeitsreaktionen kommen, so da gewaschene Erythrozytenkonzentrate eingesetzt werden mssen. Gewaschene Erythrozytenkonzentrate werden aus normalen Konzentraten durch mindestens dreimaliges Waschen mit physiologischer Kochsalzlsung gewonnen. Dabei kann der Plasmagehalt unter 0,5 g pro Einheit gesenkt werden. Da diese Prparate im offenen System angefertigt werden, sind sie zur sofortigen Transfusion bestimmt. Indikationen fr die Anwendung von gewaschenen Erythrozyten sind in Tabelle 2 angegeben. Gelegentlich kann es notwendig werden, Erythrozytenkonzentrate zu kryokonservieren. Dazu werden die Erythrozyten gewaschen und unter Zusatz von Glyzerin tiefgefroren (ca. …80 C). Nach dem Auftauen mssen sie erneut gewaschen und dann sofort transfundiert werden. Die Indikationen zur Gabe von kryokonservierten Erythrozytenkonzentraten beschrnken sich derzeit auf Patienten mit ungewhnlichen Blutgruppenkonstellationen oder multiplen Antikrpergemischen, soweit diese nicht anders versorgt werden knnen. Zu diesem Zweck halten einige Blutbanken ausgewhlte Erythrozytenkonzentrate kyrokonserviert vor. Sie knTabelle 2. Indikationen fu¨r die Anwendung von gewaschenen Erythrozytenkonzentraten * * * * *
Ha¨molytische Ana¨mien (mit Komplementbeteiligung) Paroxysmale na¨chtliche Ha¨moglobinurie (PNH) Ka¨lteautoantiko¨rper Wa¨rmeantiko¨rper (mit Komplementreaktion) IgA-Mangelsyndrom
26
1298
26
Prinzipien des Blutzellersatzes
nen unter geeigneten Bedingungen bis zu 10 Jahren transfusionsfhig gelagert und dort abgerufen werden.
6 Thrombozytensubstitution >
Das groe Indikationenspektrum der Thrombozytensubstitution umfat in erster Linie die iatrogene Thrombozytopenie (z.B. nach myeloablativer Chemotherapie).
Entsprechend den Herstellungsverfahren unterscheidet man die am Zellseparator von jeweils einem Spender gewonnenen ThrombozytaphereseKonzentrate von den aus Vollblut durch Zentrifugation und Isolierung der Thrombozyten aus plttchenreichem Plasma hergestellten Thrombozytenkonzentraten. Thrombozytapheresekonzentrate enthalten pro Einheit etwa 2 bis 4 1011 Thrombozyten eines definierten Spenders in bis zu 300 ml Plasma. In Abhngigkeit vom Herstellungsverfahren findet man zustzlich noch 0,1…5 108 Leukozyten und 3 109 Erythrozyten. Durch den Einsatz von speziellen Zellseparatoren, die auf der Grundlage des Gegenstromprinzips arbeiten, kann die Leukozytenzahl auf unter 1 106 gesenkt werden. Dagegen enthlt das aus Vollblut gewonnene Thrombozytenkonzentrat nur etwa 5…8 1010 Plttchen in 50 ml Plasma bei bis zu 0,2 109 kontaminierenden Leukozyten und 1…5 108 Erythrozyten (Richtlinien der Bundesrztekammer 2000). Einige Blutbanken sind dazu bergegangen, 4…8 aus Vollblut gewonnene Thrombozytenkonzentrate blutgruppenkompatibel zu einem „Pool-Thrombozytenkonzentrat“ zusammenzufhren. Davon ist nicht zuletzt aus infektiologischen Grnden abzuraten, denn dieses „Pool“-Konzentrat stammt von bis zu acht verschiedenen Spendern! >
Grundstzlich sollten deshalb, von begrndeten Ausnahmefllen wie Versorgungsengpssen abgesehen, nur noch Thrombozytaphereseprparate zum Einsatz kommen.
Aufgrund des Leukozytengehalts der Prparate sind die Konzentrate bei der Anwendung bei immunsupprimierten Patienten mit 30 Gy (Caesiumquelle) zu bestrahlen. Das Restrisiko der Immunisierung kann dann durch den Einsatz geeigneter Filtersysteme, die ber 99% der Leukozyten zurckhalten, weiter vermindert werden. Pro Konzentrat werden dann weniger als 1 107 Leukozyten auf den Patienten bertragen. Die Filter halten aber auch ca. 20% der Thrombozyten zurck, was bei der Dosierung zu bercksichtigen ist. Die Transfusion von Thrombozyten erfolgt rasch (mglichst innerhalb von 30 Minuten) ber ein Transfusionssystem mit einem Standardfilter (Porengre 170…230 lm). Thrombozytenkonzentrate sind in der Regel
Granulozytensubstitution
1299
AB0-kompatibel zu bertragen. Wegen des geringen Erythrozytengehaltes ist eine serologische Vertrglichkeitsprobe mit Spendererythrozyten nicht erforderlich. Thrombozyten mssen bei Raumtemperatur unter stndiger Agitation aufbewahrt werden und bleiben bei Verwendung von speziellen Beuteln bis zu 5 Tage funktionsfhig. Der Thrombozytenbedarf kann nach folgender Formel abgeschtzt werden: Dosis (Thrombozytenzahl) = gewnschter Anstieg Blutvolumen [l] 1,5 Kommt es trotz Transfusion einer ausreichenden Menge frischer Thrombozyten wiederholt zum Ausbleiben eines adquaten Therapieerfolges, so liegt ein Refraktrzustand vor. Bei Refraktrzustnden, die durch eine Splenomegalie, Fieber, DIC u.. hervorgerufen sind, steht die Behandlung dieser Ursachen im Vordergrund. Bei immunologisch bedingten Refraktrzustnden durch Bildung von Alloantikrpern gegen Thrombozyten und/oder HLA-Antigene gibt es folgende therapeutische Ansatzpunkte: F
F
Durchfhrung eines serologischen Vertrglichkeitstests, um aus den zur Verfgung stehenden Thrombozytenkonzentraten das am besten vertrgliche herauszufinden. Transfusion von Thrombozytenkonzentraten, die von HLA-kompatiblen Spendern stammen.
Zu beachten ist allerdings, da HLA-kompatible Konzentrate teuer und nur eingeschrnkt verfgbar sind.
7 Granulozytensubstitution Granulozytenkonzentrate sind am Zellseparator von Einzelspendern hergestellte granulozytenreiche und stets mit Erythrozyten verunreinigte Prparationen. Da sich eine Therapieserie hufig ber 10 Tage erstreckt, ein Spender mglichst mehrmals separiert werden soll, erfordert die termingerechte Bereitstellung einen ausreichenden zeitlichen Vorlauf. Die Wirksamkeit von Granulozytenkonzentraten ist gegenwrtig als nicht gesichert zu betrachten, denn diese Prparate knnen lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen. Durch den routinemigen Einsatz von Wachstumsfaktoren (z.B. G-CSF) in der Neutropenie sowie die Vielzahl der handelsblichen Breitspektrumantibiotika und Mykotika ist der Granulozytenersatz heute wieder weitgehend verlassen worden. Ein Granulozytenkonzentrat (GK) enthlt im Idealfall ca. 1,5 1010 Granulozyten. Nach den bislang publizierten Empfehlungen sollten mit einem Granulozytenkonzentrat minimal 1,5 bis 3,5 108 Granulozyten/kg KG transfundiert werden. Der Erfolg ist nicht zahlenmig, sondern am ehesten durch einschmelzende Infiltrationen oder Abszesse zu erkennen. Schreitet die Infektion trotz dreitgiger Substitution deutlich fort, ist die GK-Substitution als erfolglos anzusehen.
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Prinzipien des Blutzellersatzes
Granulozytenkonzentrate mssen AB0-kompatibel bertragen werden. Granulozyten sind labile Zellen, die nicht gekhlt werden drfen und sofort nach Gewinnung und Bestrahlung mit 30 Gy ber ein 170…200-lm-Filter transfundiert werden mssen. Dabei ist eine langsame Infusionsgeschwindigkeit zu whlen. Die Vertrglichkeit ist durch eine serologische Vertrglichkeitsprobe mit Spendererythrozyten und -leukozyten zu prfen.
8 Bestrahlte Blutkomponenten Besteht bei immunsupprimierten Patienten durch die Transfusion von immunkompetenten Zellen (Lymphozyten, Monozyten) das Risiko einer Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD), so mssen alle zur Transfusion vorgesehenen Blutbestandteile in ausreichender Dosis (30 Gy) bestrahlt werden. Dies fhrt dazu, da die Fhigkeit dieser Zellen, im Empfnger auf einen antigenen Stimulus hin zu proliferieren, ausgeschaltet wird. Einen berblick ber die Indikationen fr eine Transfusion mit bestrahlten Blutkomponenten gibt Tabelle 3. Tabelle 3. Indikationenliste fu¨r die Anwendung von bestrahlten Blutkomponenten * * * * *
Knochenmarktransplantation (autolog/allogen) Periphere Blutstammzelltransplantation Schweres Immundefekt-Syndrom Intrauterine Transfusionen Granulozyten-Transfusionen
9 Eigenbluttransfusionen Der Gedanke, einem Patienten das eigene Blut oder Blutbestandteile zu bertragen, wurde erstmals durch Blundell im Jahre 1818 geuert. Aufgrund der lebhaften Diskussion der HIV-Kontamination von Blutprodukten ist in den letzten Jahren die Eigenblutspende wieder zunehmend in den Kliniken eingesetzt worden. Grundstzlich sind zwei Formen der Eigenbluttransfusion zu unterscheiden: F F
Retransfusion von intraoperativ in Krperhhlen ausgetretenen Blutes, Retransfusion von properativ entnommenen und konservierten Blutes.
Die Retransfusion von intraoperativ in Krperhhlen ausgetretenem Eigenblut erfolgt heute mit dem „cell saver“. Dabei wird das Blut abgesaugt, mit heparinisierter Kochsalzlsung versetzt und anschlieend zentrifugiert. Das verbleibende Erythrozytensediment wird gewaschen und kann dann nach Resuspension in Kochsalzlsung oder Plasma wieder transfundiert
Verwandtenspende
1301
werden. Die Qualitt der Erythrozyten entspricht etwa 15 Tage altem Konservenblut. Dieses Verfahren kann in nahezu allen operativen Fchern eingesetzt werden, wobei bis zu 100% Fremdblut eingespart werden kann. Die Methode ist jedoch kontraindiziert bei einer Sepsis und bei einer fkalen Kontamination. An dieser Stelle sei aber erwhnt, da intra- und postoperativ gewonnenes Wundblut bei der operativen Entfernung solider Tumoren oder Metastasen zur sicheren Elimination von Tumorzellen mit einer Dosis von 50 Gy bestrahlt werden mu. Bei der klassischen Eigenblutentnahme sollten nicht mehr als 10% des gesamten Blutvolumens entnommen werden. Die Trennung in Erythrozytenkonzentrate und Gefrierplasma ist stets anzustreben. Gem einem Urteil des Bundesgerichtshofs (VI ZR 40/91) mu eine Eigenblutspende, wo immer sie mglich ist, auch angewendet werden. Nicht bentigte Eigenblutkonserven drfen aus Grnden der Sicherheit weder zur homologen Bluttransfusion noch als Ausgangsmaterial fr andere Blutprodukte verwendet werden.
10 Verwandtenspende Das Prinzip der Verwandtenspende („gerichtete Spende“) wird heute grundstzlich abgelehnt, da Blutspenden von Verwandten und Bekannten gegenber anderen Fremdblutspenden aus folgenden Grnden ein hheres Risiko haben: F F F
Verwandte und Bekannte sind in der Regel rztlich unberwachte Erstspender und haben dadurch ein hheres Infektionsrisiko. Die Zugehrigkeit zu einer Risikogruppe wird hufig verdrngt oder verschwiegen. Die Transfusion von Verwandtenblut kann eine Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) oder Sensibilisierungsprobleme verursachen.
Aus dem letztgenannten Grund ist die Transfusion von Blutprparaten von Familienmitgliedern streng kontraindiziert, wenn der Patient allogen mit Stammzellen eines Verwandten transplantiert werden soll. Grundstzlich ist die Verwandtenspende nur in wenigen Fllen indiziert: F F F F
Thrombozytenspende der Mutter bei neonataler Alloimmunthrombozytopenie, Thrombozytenspende von Verwandten, wenn HLA-kompatible Spender bentigt werden, Thrombozytenspende des Knochenmarkspenders nach erfolgter Transplantation, Lymphozytenspende des Knochenmarkspenders, um beim Patienten im Falle eines Rezidivs bewut eine GvHD und damit eine Graft-versusLeukmie-Reaktion auszulsen.
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Prinzipien des Blutzellersatzes
11 Massentransfusionen Von einer Massentransfusion spricht man, wenn innerhalb von 24 Stunden das Anderthalbfache des krpereigenen Blutvolumens bertragen wird. Massentransfusionen knnen eine Reihe von lebensgefhrlichen Komplikationen nach sich ziehen: F F F F F
Gerinnungsstrungen Elektrolytverschiebungen Herzrhythmusstrungen Akutes Lungenversagen Nierenfunktionsstrungen
Zur Vermeidung dieser Komplikationen sollten die Konserven warm (max. 37 C) transfundiert werden. Ferner ist die prophylaktische Anwendung von Dopamin in Nierendosis bei allen Massentransfusionen sinnvoll. Bei einer Massentransfusion sollte pro zwei Erythrozytenkonzentrate ein Frischplasmaprparat transfundiert werden. Zustzlich ist die Gabe eines Thrombozytenkonzentrats/10 Erythrozytenkonserven indiziert (Harke et al. 1996).
12 Stammzellsubstitution Die Rationale fr dosiseskalierte Therapien mit konsekutiver Stammzellretransfusion bei soliden Tumoren und hmatologischen Neoplasien begrndet sich in der Annahme, da eine direkte Beziehung zwischen der verabfolgten Dosis der antineoplastischen Substanzen und dem Ausma der Tumorzellvernichtung besteht und es daher mglich sein mte, eine Tumorzellpopulation durch eine entsprechende Erhhung der Zytostatikadosierungen vollstndig zu zerstren. Berechnungen haben gezeigt, da im idealen Fall eine Dosiseskalation um den Faktor 5…8 notwendig ist, um
Abb. 1. Schematische Dosis-Wirkungs-Kurve bei Dosiseskalation
Stammzellsubstitution
1303
kurativ sein zu knnen. Diese Berechnungen haben allerdings nur Gltigkeit, wenn man davon ausgeht, da fr die verwendeten Substanzen eine log-lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ber mehrere Zehnerpotenzen der Tumorzellreduktion vorliegt. Viele Substanzen, vor allem die Antimetaboliten und die Vincaalkaloide, weisen in experimentellen Systemen ein Plateau nach 1…2 log Tumorzellzerstrung auf und sind daher fr eine Hochdosis-Chemotherapie nicht besonders geeignet. Auch tumoreigene Faktoren, vor allem die erworbene oder natrliche Chemotherapieresistenz sowie eine schlechte Blutversorgung mit daraus resultierender schlechter Penetration der Zytostatika in das Tumorgewebe, fhren zu einer Abflachung der Dosis-Wirkungs-Kurven und damit zu schlechteren Voraussetzungen fr eine kurativ intentionierte Therapie. Eine steile Dosis-Wirkungs-Beziehung ber mehrere Zehnerpotenzen Tumorzellzerstrung zeigen nur die Alkylanzien, die Anthrazykline, Epipodophyllotoxinderivate sowie die Strahlentherapie. Neben diesen pharmakologischen Charakteristika, die vor allem die Alkylanzien als geeignete Tabelle 4. Dosiseskalation von Zytostatika bei autologer Knochenmarktransplantation oder Retransfusion peripherer Stammzellen Dosis (mg/m2) Normala Hoch
Faktor
Dosislimitierende Toxizita¨t
BCNU
200
750
3,8
Leber
Thiotepa
30
900
30
Lunge, Schleimhaut
Busulfan
24
640
27
ZNS, „venoocclusive disease“
Melphalan
40
180
4,5
Schleimhaut
Cyclophosphamid
2000
8000
4
Herz
Ifosfamid
5000
18 000
3,6
Niere
Cisplatin
100
200
2
ZNS, Niere
Carboplatin
400
2000
5
Nerven, Niere
Paclitaxel
250
825
3,3
Nerven
Etoposid
500
3500
7
Schleimhaut
Mitoxantron
14
90
6,4
Schleimhaut
Doxorubicin
120
180
1,5
Schleimhaut
Vincristin
1,4
1,4
1
Nerven
Methotrexat
12 000
12 000
1
Schleimhaut
5-Fluorouracil
5000
5000
1
Schleimhaut
Cytosin-Arabinosid
24 000
24 000
1
Schleimhaut, ZNS
Zytostatikum
a
Durchschnittliche Gesamtdosis pro Zyklus bei maximaler Therapie.
26
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Prinzipien des Blutzellersatzes
Substanzen fr Hochdosistherapien erscheinen lassen, ist die nichthmatologische Toxizitt von entscheidender Bedeutung (Abb. 1). Die maximalen Dosierungen der am hufigsten eingesetzten Zytostatika in der konventionellen und der Hochdosistherapie, der Eskalationsfaktor sowie die nichthmatologische, bei Retransfusion von Stammzellen dann dosislimitierende Toxizitt sind in Tabelle 4 zusammengefat. Weitergehende Ausfhrungen zur Stammzellgewinnung und -retransfusion finden sich in Kapitel 34.1. Literatur Arzneimittelgesetz (1994) Bekanntmachung ber die Neufassung des Arzneimittelgesetzes vom 19. 10. 94. BGBl I:3018…3067 Bernstein F (1924) Ergebnisse einer biostatischen zusammenfassenden Betrachtung ber die erblichen Blutstrukturen des Menschen. Klin Wochenschr 3:1495…1499 Blundell J (1818) Experiments on the transfusion of blood by the syringe. Med Chir Trans 9:56…61 Harke H, Rahman S (1996) Massivtransfusionen. In: Mller-Eckhardt C (Hrsg.) Transfusionsmedizin. Springer, Berlin, 2. Aufl. pp 452…460 Hoffbrand AV, Pettit JE, Hoelzer D (1997) Roche Grundkurs Hmatologie. Blackwell, Oxford, pp 419…445 Landsteiner K (1900) Zur Kenntnis der antifermativen, lytischen und agglutinierenden Wirkungen des Blutserums und der Lymphe. Zbl Bakt 27:357…362 Landsteiner K, Wiener AS (1940) An agglutinable factor in human blood recognized by immune sera for rhesus blood. Proc Soc Exp Biol 43:223…227 Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesrztekammer (Hrsg), Deutscher ˜rzte-Verlag, Kln, 2. Aufl 2001 Thomas ED, Blume KG, Forman SJ (eds) (1998) Hematopoietic cell transplantation. Blackwell Science, Oxford, 2nd ed Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hmotherapie); aufgestellt vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesrztekammer und vom Paul-Ehrlich-Institut, Deutscher ˜rzte-Verlag, Kln, 2000
27 Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue) U. Rffer, R. Schwarz
1 Einfu¨hrung Fatigue (franz. = mde, abgeschlagen) als eine spezifische, krperlich und mental empfundene Form von Mdigkeit, Erschpfung und Kraftlosigkeit kristallisiert sich zunehmend als ein gleichermaen hufiger wie unbeachteter Beschwerdenkomplex von Krebskranken heraus und gilt als wesentlicher Einflufaktor auf die Lebensqualitt der postakuten Krankheitsphase, der Rehabilitation und der palliativen Situation (Curt 2000). Whrend sich in der Kontrolle von Schmerzen und des Anorexia-Nausea-Emesis(ANE)Syndroms beachtliche Fortschritte erzielen lieen, stellt Fatigue eine bislang weitgehend unbeantwortete Herausforderung an Diagnostik, Differentialdiagnostik und wissenschaftliche Aufklrung einerseits und die Behandlung im Rahmen der Akutbehandlung, der onkologischen Nachsorge und Rehabilitation andererseits dar (Vogelzang et al. 1997). Im Gegensatz zum Ermdungsgefhl nach krperlicher oder geistiger Anstrengung, das auch als angenehm empfunden werden kann, tritt Fatigue ohne vorherige Anstrengung auf, verschwindet auch nach ausreichender Erholungszeit nicht und lst ein betrchtliches Leidensgefhl aus. Obwohl inzwischen Korrelate mit somatischen Faktoren nachgewiesen werden konnten, befinden wir uns, was die Kenntnis der Ursachen und der Auswirkungen von tumorbedingter Fatigue betrifft, noch in den Anfngen. Fatigue ist zudem ein bekanntes Begleitsymptom u.a. nach Virusinfekten, Bluterkrankungen und endokrinen Strungen. Seit vielen Jahren spielt dieser Symptomenkomplex auch eine groe Rolle im Kontext funktioneller, als krperlich empfundener Leiden. In diesem Zusammenhang werden somatoforme Strungen, das Burnout-Syndrom, das chronische Mdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome), die „Multiple Chemical Sensitivity“ und die Fibromyalgie genannt. Desgleichen bestehen berschneidungen mit krperlichen Ausdrucksformen depressiver Leiden und von Angsterkrankungen. Aus klinisch-therapeutischer Sicht erscheint die Abgrenzung von depressiven Strungsbildern als besonders relevant (Hopwood u. Stephens 2000; Visser u. Smets 1998).
27
1306
27
Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue)
2 Definition und Diagnostik Um diese spezielle Art der Beeintrchtigung in der Therapieplanung bercksichtigen und fr die Auswertung von Behandlungsresultaten nutzbar machen zu knnen, mssen Wege gefunden werden, Fatigue in zuverlssiger Weise erfassen und die damit verbundenen psychischen und krperlichen Phnomene auch der Schwere nach einstufen zu knnen. Zugrunde liegt die folgende, vorlufige Definition (vgl. auch Glaus 1998): Unter ,,Fatigue‘‘ wird ein krankheitswertiges, unu¨berwindliches, anhaltendes und ganzko¨rperliches Gefu¨hl einer emotionalen, mentalen und physischen Erscho¨pfung verstanden, das gekennzeichnet ist durch eine verminderte Kapazita¨t fu¨r ko¨rperliche und geistige Beta¨tigung. Es besteht ein Mißverha¨ltnis zwischen der (unmittelbar) vorausgegangenen Belastung und dem Erscho¨pfungsgefu¨hl, das sich durch Schlaf nicht aufheben la¨ßt. Die Diagnostik von Fatigue bedient sich, je nach Anwendungsfall, verschiedener diagnostischer Methoden: Im klinischen Kontext kann die Anamnese ergnzt werden durch das Fhren eines Fatigue-Tagebuches oder durch standardisierte Fragebogen. Die Beurteilung erfolgt per Fremdoder Selbstbeurteilung, wobei der Selbstbeurteilung der Vorzug zu geben ist. Spezifische Fragebogen, die eine Quantifizierung auch bei Verlaufsbeobachtungen erlauben, haben sich vor allem im wissenschaftlichen Kontext bewhrt. Sie sollten mehrere Dimensionen umfassen (z.B. physisch, mental, emotional), so da die Darstellung als Profil ber die verschiedenen Dimensionen mglich ist. Auch die meisten umfassenden Lebensqualittsinventare enthalten eine Fatigue-Skala. Analog kategorialer, klinischer diagnostischer Systeme (z.B. DSM, ICD) hat die „Fatigue Coalition“ (Curt et al. 2000) eine Merkmalsliste aus elf
Tabelle 1. Diagnosekriterien eines Fatiguesyndroms Mindestens 6 der folgenden 11 Symptome mu¨ssen zutreffen * * * * * * * *
* * *
Mu¨digkeit, Energiemangel oder inada¨quat gesteigertes Ruhebedu¨rfnis Gefu¨hl der generalisierten Schwa¨che oder Gliederschwere Konzentrationssto¨rungen Mangel an Motivation oder Interesse, den normalen Altersaktivita¨ten nachzugehen Gesto¨rtes Schlafmuster (Schlaflosigkeit oder u¨berma¨ßiges Schlafbedu¨rfnis) Erleben des Schlafs als wenig erholsam Gefu¨hl, sich zu jeder Aktivita¨t zwingen zu mu¨ssen Ausgepra¨gte emotionale Reaktion auf die empfundene Erscho¨pfung (z.B. Niedergeschlagenheit, Frustration, Reizbarkeit) Schwierigkeiten bei der Bewa¨ltigung des Alltags Sto¨rungen des Kurzzeitgeda¨chtnisses Nach ko¨rperlicher Anstrengung mehrere Stunden andauerndes Unwohlsein
Verbreitung
1307
Tabelle 2. U¨bersicht u¨ber die verschiedene Dimensionalita¨t der Fatigueinstrumente Fragebogen
Skalen Anzahl
Dimensionen
5
Allgemein, physisch, kognitiv, Aktivita¨tslevel, Motivationslevel
4
Zeitlich, sensorisch, affektiv, kognitiv
Fatigue Assessment Questionnaire (FAQ) (Glaus 1998)
3
Physisch, affektiv, kognitiv
Cancer Fatigue Scale (Okuyama et al. 2000)
3
Multidimensional Fatigue Inventory (MFI) (Smets et al. 1995) Revised Piper Fatigue Self-report Scale (PFS) (Piper et al. 1989)
Functional Assessment of Cancer Therapy-Fatigue 1 Scale (FACT-F) (Cella 1997)
Physisch, affektiv, kognitiv Physisch
Symptomen erstellt, von denen mindestens sechs zutreffen mssen, um eine Fatigue-Diagnose vergeben zu knnen (Tabelle 1). Die kategoriale Diagnostik wird ergnzt durch eine Selbsteinschtzung der Patienten anhand von standardisierten Fragebogen. Tabelle 2 enthlt fnf Instrumente mit den entsprechenden Dimensionen. Die verschiedenen Instrumente fokussieren verschiedene Facetten von Fatigue, das heit, vor der Auswahl eines Meinstruments z.B. innerhalb einer Therapiestudie mu Klarheit bestehen, welche Dimension von Fatigue im jeweiligen Anwendungsfall relevant erscheint.
3 Verbreitung Bei „Mdigkeit“ im umfassenden Sinne handelt es sich um ein universelles Phnomen, dessen Intensitt stark schwankt und das auch in der Allgemeinbevlkerung anzutreffen ist. Die Kennzeichnung eines solchen Zustandes als „Fatigue“ hngt davon ab, inwieweit dieser Zustand quantitativ gesehen vom „Gewhnlichen“, d.h. Durchschnittlichen, abweicht. Welche Ausprgung als „normal“ gilt, ist nach Altersgruppen und Geschlechtszugehrigkeit verschieden. So zeigt sich in allen Subskalen ein nahezu linearer Altersanstieg der Fatigue-Werte, und zwar in beiden Geschlechtern ohne Bezug zur sozialen Schicht. Nach vorlufigen Schtzungen wird ber alle Gruppen hinweg von einer Prvalenz von ca. 5…10% ausgegangen, wobei der Festlegung eines Schwellenwertes durchaus etwas Willkrliches anhaftet (Schwarz et al. 2003). Nach der Einigung auf geeignete Meverfahren und auf Kriterien der Falldefinition lassen sich Prvalenzen von Fatigue bei verschiedenen Erkrankungen angeben (Tabelle 3).
27
1308
27
Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue)
Tabelle 3. Pra¨valenz von Fatigue bei verschiedenen Erkrankungen Maligne Tumorerkrankungen, alle Patienten Systemische Erkrankungen: – Lupus erythematodes (SLE) – Rheumatoide Arthritis (RA) – Morbus Bechterew – Multiple Sklerose (MS) Kardiomyopathie
60 bis > 90% mit fortschreitender Erkrankung "
Chronische Nieren- und Lungenerkrankungen
10–20%
> 80% > 60% > 50% > 60% 10–15%
4 Risikofaktoren Die pathophysiologischen Hintergrnde einer Fatigueerkrankung sind im wesentlichen noch unbekannt. Die psychophysische Erschpfung durch das Tumorleiden, vor allem bei rezidivierenden, progredienten Verlufen und bei solchen mit einer B-Symptomatik, mag einen nicht unbetrchtlichen Anteil haben. Blutarmut (Anmie), die Anhufung von zerstrten Zellbestandteilen nach Chemo- und Radiotherapie, interkurrierende Infekte sowie Strungen des Endokriniums spielen eine Rolle. Zu denken ist auch an die Medikation mit Analgetika, Hypnotika, Sedativa etc. Eine ungengende Symptomenkontrolle (Schmerz, Kachexie, Dyspnoe), Mangelernhrung und Bewegungsmangel stellen weitere Risikofaktoren dar. Es fllt nicht immer leicht, zwischen Depression und Fatigue zu differenzieren, zumal in etwa 20% aller Tumorpatienten eine Symptomenberschneidung besteht, die entweder im Sinne einer Komorbiditt oder als bergang der beiden Syndrome vorkommt. Hinweise lassen sich aus der Vorgeschichte der Patienten ableiten, wenn es beispielsweise schon frher depressive Episoden gegeben hat. Eine ausgeprgte Selbstentwertung spricht ebenfalls fr ein depressives Geschehen (Visser u. Smets 1998). Ein perfektionistischer und leistungsbetonter Stil der Krankheitsverarbeitung kann beim Scheitern (z.B. Rezidiv) in beides, einen Fatiguezustand und eine Depression, mnden im Sinne eines allgemeinen Erschpfungssyndroms. Dabei hat es den Anschein, da psychische Einflumerkmale insbesondere bei den nicht anmisch bedingten Formen der Fatigue eine wichtige Rolle spielen.
5 Klinische Bedeutung In allen Abschnitten der Tumorbehandlung kommt der Fatigue eine zum Teil bekannte Rolle zu. In Tabelle 4 sind die verschiedenen Abschnitte und die bekannten und mglichen Ursachen aufgefhrt.
Klinische Bedeutung
1309
Tabelle 4. Einfluß von Fatigue auf den Verlauf einer Tumorerkrankung Phase
Symptomatik Problemstellung
Ursache
Diagnostik
Leistungsknick
Tumor
Therapie
Compliance Therapieerfolg
Tumor/Therapie
Follow-up (subakut)
Abgeschlagenheit berufliche Reintegration
Therapiefolgen (z.B. Ana¨mie)
Follow-up (Langzeit-)
Rezidivangst Berentung
?, Krankheitsverarbeitung
Palliation
Lebensqualita¨t
Tumor
In der Diagnostik kommt der Fatigue als Kennzeichen des sogenannten Leistungsknicks eine groe Bedeutung zu und ist oft auch das hervorstechende Leitsymptom. Unter der Therapie tritt die Erschpfung recht hufig auf. Es wird geschtzt, da etwa 80% aller Therapiepatienten unter Fatigue leiden (Richerdson 1995). Die Tumorerkrankung, die Therapie und die damit verbundenen Komplikationen sind neben dem Diagnoseschock als auslsende Ursachen zu nennen. Neben durch belkeit und Erbrechen bedingter Mangelernhrung kommt Stoffwechselvernderungen und insbesondere der Anmie, tumor- und therapiebedingt, eine wichtige, leicht zu behebende Rolle zu. Auch nach Abschlu der Therapie kann der Patient weiter unter Fatigue leiden. In der Phase unmittelbar nach der Behandlung ist die Tumorerschpfung hufig noch den oben angefhrten Ursachen zuzuordnen. In dieser Phase ist es besonders wichtig, einen subakuten bakteriellen oder viralen Infekt auszuschlieen. Hufig reicht eine einfache Bestimmung des C-reaktiven Proteins, um zwischen Infekt und Fatigue zu unterscheiden. Aber im weiteren Verlauf mssen dann andere Momente als Auslser fr Fatigue angenommen werden, denn auch Jahre nach Therapie leiden bis zu 40% der Patienten bestimmter Tumorentitten unter Tumorerschpfung (Rffer et al. 2003). In der Phase der Palliation ist Fatigue ein wichtiger Risikofaktor, der mitentscheidend fr die verbleibende Lebensspanne ist (Chow et al. 2002). ber die Erfolge somatischer Behandlungsmanahmen droht der Einflu von Fatigue auf den Krankheitsverlauf, auf die posttherapeutische Rehabilitation und die Lebensqualitt insgesamt bersehen zu werden. Dabei kommt Fatigue ein wichtige Rolle im Hinblick auf die Compliance der Patienten zu. Bei Patienten, die stark unter Fatigue leiden, findet sich eine reduzierte Bereitschaft oder Fhigkeit, sich den notwendigen Behandlungs- und Nachsorgemanahmen zu unterziehen (Love et al. 1989). Trotz
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Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue)
vielversprechender therapeutischer Mglichkeiten wird Fatigue oft fatalerweise als unbeeinflubares Begleitphnomen der Erkrankung oder der Tumortherapie hingenommen. Studien zu Fatigue bei geheilten Patienten mit Morbus Hodgkin und Hodentumoren konnten zeigen, da auch noch lngere Zeit nach Therapieende erhebliche Langzeitbeeintrchtigungen der Lebensqualitt bis hin zur Frhinvaliditt zu verzeichnen sind.
6 Therapieansa¨tze Supportive Psychotherapie
Die Entwicklung und Evaluation gezielter Interventionen ist eine der wichtigsten Aufgaben fr die Zukunft. Whrend in der akuten Krankheitsphase informationsvermittelnde, konfliktverarbeitende und psychoedukative Methoden im Vordergrund stehen, sind in der Nachsorge und Rehabilitation zustzlich krperliche oder neuropsychologische bungsbehandlungen hilfreich. Auch der Zusammenschlu in Selbsthilfegruppen erscheint sinnvoll. Ko¨rperliches Training
Es gibt vielfltige Hinweise, da durch individuell dosierte krperliche Bettigung die Lebensqualitt verbessert und die Fatiguebelastung der Patienten reduziert werden kann. So zeigte Dimeo (2001), da Patienten auch whrend einer Knochenmarktransplantation von regelmigem krperlichem Training hinsichtlich ihrer Lebensqualitt und Fatigue profitieren. Darber hinaus verkrzte sich auch die Behandlungszeit, und die Therapiekomplikationen verringerten sich, was sowohl zu einer Verbesserung der berlebensprognose als nicht zuletzt auch zu einer Kosteneinsparung fhrt. In einer norwegischen Studie konnte die Effektivitt des krperlichen Trainings besttigt werden (Oldervoll et al. 2003). Medikamento¨se Behandlung
Prinzipiell mssen andere Grunderkrankungen ausgeschlossen bzw. angemessen behandelt werden, wie z.B. Schilddrsenfunktionsstrungen oder Diabetes mellitus. Liegt Fatigue eine Anmie zugrunde, so lt sich durch Korrektur des niedrigen Hmoglobinwerts eine deutliche Befindlichkeitsbesserung erreichen. Dabei kommen Bluttransfusionen oder der Einsatz des rekombinant hergestellten Hormons Erythropoetin in Frage. In Erprobung befinden sich weitere Medikamente, wie anabole Steroide, Progesteron, Psychostimulanzien oder auch Antidepressiva (Burks 2001, McNeil 2001). Die dazu vorliegenden Studienergebnisse lassen jedoch noch keine Behandlungsempfehlung ableiten.
Sozialmedizinische Aspekte
1311
7 Rehabilitation Whrend die akuten Nebenwirkungen der Tumortherapie in der Regel nach sechs Monaten abklingen, kann eine chronische Entwicklung auch mehrere Jahre nach Abschlu der Behandlung noch andauern. Dabei ist das Muster der Fatiguesymptomatik hnlich dem des chronischen Fatiguesyndroms (CFS) bei nicht tumorkranken Patienten (Servaes et al. 2001). Solche Verlufe, die mit einer erheblichen Beeintrchtigung der Leistungsfhigkeit und des gesamten Lebensgefhls einhergeht, werden oft nach Hochdosischemotherapie, nach Stammzelltransplantation oder generell bei malignen Lymphomen beobachtet. Bei Patienten mit Leistungseinschrnkungen mu ein Fatiguesyndrom differentialdiagnostisch in Erwgung gezogen und entsprechend abgeklrt werden. Handelt es sich um ein Tumor-Fatigue-Syndrom, empfiehlt es sich, gemeinsam mit dem Patienten einen Therapie- oder Rehabilitationsplan zu erstellen, der neben konfliktorientierter, supportiver (Einzel-)Psychotherapie auch ein psychoedukatives Gruppenangebot enthalten und je nach Ausprgung der Fatigueaspekte durch ein kognitives Training ergnzt werden kann. Obligatorisch sind abgestufte Bewegungstherapie, Einzel- oder Gruppengesprche und Entspannungsverfahren. Erfahrungsgem fhrt schon alleine die Thematisierung und Benennung des Fatigueproblems zu einer Entlastung und dem Wunsch nach Behandlung. Erste Lngsschnittuntersuchungen haben positive Effekte eines strukturierten Rehabilitationsprogramms hinsichtlich Fatigue und Lebensqualitt aufzeigen knnen (Heim et al. 2001).
8 Sozialmedizinische Aspekte: Arbeitsfa¨higkeit, Minderung der Erwerbsfa¨higkeit Die akute, unter der Krebsbehandlung auftretende Erschpfungssymptomatik geht im wesentlichen auf therapiebedingte Nebenwirkungen und auf die psychische Belastung durch eine Krebsdiagnose zurck. Den Schlu, da es sich nicht ausschlielich um krperliche Akutfolgen handelt, legt der klinische Alltag nahe. Patienten mit hnlichen Krankheits- und Therapiebelastungen zeigen verschiedene Grade der Belastbarkeit. Man kann auch nicht automatisch von Arbeitsunfhigkeit whrend einer Therapie ausgehen, wenn auch der berwiegende Teil der Patienten in dieser Phase der Arbeit fernbleibt. Ganz anders stellt sich die Situation bei lang andauernder Fatiguesymptomatik hinsichtlich Arbeitsunfhigkeit und spter geminderten Erwerbsfhigkeit dar. Ohne Zweifel ist ein Teil der Patienten durch das Tumor-Fatigue-Syndrom auch langfristig schwer belastet und auch erwerbsgemindert. Dennoch erscheint nicht in allen Fllen die Frhinvaliditt erstrebenswert und den Mglichkeiten der betroffenen Patienten angemessen. Fr die
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1312
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Tumorerscho¨pfungssyndrom (Fatigue)
Begutachtung und Entscheidung einer Frhinvaliditt stehen noch keine verbindlichen Kriterien zur Verfgung. Fr die Patienten und die Kostentrger wre die Entwicklung von reproduzierbaren Richtlinien zur Begutachtung von grter Wichtigkeit, um Fehlbeurteilungen zu vermeiden. Zur Zeit befinden sich spezifische Rehabilitationsmglichkeiten fr diesen Personenkreis im Aufbau, und es bleibt zu hoffen, da es in absehbarer Zeit gelingen wird, ihnen den Weg zurck in den Beruf zu erleichtern. Literatur Burks TF (2001) New agents for the treatment of cancer-related fatigue. Cancer 92 (6 Suppl):1714 Cella D (1997) The Functional Assessment of Cancer Therapy-Anemia (FACT-An) Scale: a new tool for the assessment of outcomes in cancer anemia and fatigue. Semin Hematol 34(3 Suppl 2): 13 Chow E et al (2002) Int J Radiat Oncol Biol Phys 53(5):1291…302 Curt GA (2000) The impact of fatigue on patients with cancer: Overview of fatigue 1 and 2. Oncologist 5: 9 Curt GA, Breitbart W, Cella D et al ((2000) Impact of cancer-related fatigue on the lives of patients: new findings from the Fatigue Coalition. Oncologist 5(5):353… 360 Dimeo FC (2001) Effects of exercise on cancer-related fatigue. Cancer 92(6 Suppl): 1689 Glaus A (1998) Fatigue in patients with cancer. Analysis and assessment. Recent Results Cancer Res 145:172 Heim ME, Krauss O, Schwarz R (2001) Effect of cancer in rehabilitation on fatigue and quality of life parameters. Psychooncology 10:26 Hopwood P, Stephens RJ (2000) Depression in patients with lung cancer: prevalence and risk factors derived from quality-of-life data. J Clin Oncol 18:893 Love R, Leventhal H, Easterling D, Nerenz D (1989) Side effects and emotional distress during cancer therapy. Cancer 63:604…612 McNeil C (2001) Cancer fatigue: one drug fails but more are in the pipeline. J Natl Cancer Inst 93:892 Okuyama T, Akechi T, Kugaya A et al (2000) Development and validation of the cancer fatigue scale: a brief, three-dimensional, self-rating scale for assessment of fatigue in cancer patients. J Pain Symptom Manage 19:5 Oldervoll LM, Kaasa S, Knobel H, Loge JH (2003) Exercise reduces fatigue in chronic fatigued Hodgkin‘s disease survivors … results from a pilot study. Eur J Cancer 39:57…63 Piper B, Lindsey A, Dodd M et al (1989) The development of an instrument to measure the subjective dimension of fatigue. In: Funk S, Tornquist E, Champagne M et al (eds) Key Aspects of Comfort: Management of Pain, Fatigue and Nausea. Springer, New York 1989 Richerdson A (1995) Fatigue in cancer patients: a review of the literature. Eur J Cancer Care (Engl):20…32
Sozialmedizinische Aspekte
1313
Rffer JU, Flechtner H, Josting A et al (2003) Fatigue in patients with Hodgkin’s disease: A report from the German Hodgkin Lymphoma Study Group (GHSG). Eur J Cancer 39:2179…2186 Schwarz R, Kraus O, Hinz A (2003) Fatigue in the general population. Onkologie (in press) Servaes P, van der Werf S, Prius J et al (2001) Fatigue in disease-free cancer patients compared with fatigue in patients with chronic fatigue syndrome. Support Care Cancer 9:11 Smets EM, Garssen B, Bonke B, De-Haes JC (1995) The Multidimensional Fatigue Inventory (MFI) … psychometric qualities of an instrument to assess fatigue. J Psychosom Res 39:315 Visser MR, Smets EM (1998) Fatigue, depression and quality of life in cancer patients: how are they related? Support Care Cancer 6:101 Vogelzang NJ, Breitbart W, Cella D et al (1997) Patient, caregiver, and oncologist perceptions of cancer-related fatigue: results of a tripart assessment survey. The Fatigue Coalition. Semin Hematol 34(3 Suppl 2):4…12
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28 Prinzipien der geriatrischen Onkologie U. Wedding, K. Hffken
Die Lebenserwartung hat sich in den Lndern der westlichen Welt in den letzten 100 Jahren nahezu verdoppelt. Sie steigt weiterhin um 1…2 Jahre pro Jahrzehnt an. Alter ist der Hauptrisikofaktor fr die Entstehung bsartiger Neubildungen. 30% aller Neuerkrankungen und 43% aller durch Krebs verursachten Todesflle treten in einer Bevlkerungsgruppe auf, die nur 7% der Gesamtbevlkerung Deutschlands ausmacht, den ber 75jhrigen. W. B. Ershler (1997) formuliert daher: „Cancer is a geriatric disease.“ Unterschiede zwischen alten und jungen Patienten mit Tumorerkrankungen lassen sich den Bereichen (1) Tumorbiologie, (2) somatische Situation und (3) psychosoziale Situation zuordnen.
1 Einfluß des Alters auf die Tumorentstehung Die Frage, welche Vorgnge zu einer Alterung der Zelle und des Organismus fhren und warum es dabei zu einer erhhten Empfnglichkeit fr eine maligne Transformation von Zellen und damit fr Krebserkrankungen kommt, war in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend Inhalt wissenschaftlichen Interesses. In den zellulren Alterungsproze und die maligne Transformation von Zellen sind gleiche molekulare Mechanismen wie Zellzykluskontrolle, DNS-Reparatur, Differenzierung und Apoptose involviert. Eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien versuchen derzeit, den zellulren Alterungsproze zu erklren. Es lassen sich zwei Hauptrichtungen unterscheiden: F F
Programmtheorie: zellulre Alterung aufgrund eines festgelegten genetischen Programms, Abnutzungstheorie: Akkumulation von extrinsischen oder intrinsischen Schdigungen mit progredienter Destruktion molekularer und zellulrer Strukturen.
Die Theorie der zellulren Alterung aufgrund eines festgelegten genetischen Programms basiert auf Ergebnissen von Zellkulturen, in denen in Kultur genommene Zellen nach einer Reihe von Passagen in einen Alterszustand (cellular senescence) bergehen. Je lter der Organismus ist, aus dem die Zellen entnommen sind, desto geringer ist die Anzahl der mglichen Passagen (replicative capacity). Eine Fusion von normal alternden Zellen mit immortalisierten Zellen zeigte eine Dominanz des normal alternden zellulren Phnotyps. Der Endzustand des genetisch programmierten Alte-
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
rungsprozesses wird als Endzustand der Differenzierung beschrieben. Die Zellen befinden sich dann in der spten G1-Phase. Ein Wiedereintritt in die S-Phase und eine konsekutive maligne Transformation sind mglich. Dem steht entgegen, da ein zellulrer Alterungsproze auch in postreplikativen Zellen mglich ist. Der Verlust der proliferativen Kapazitt ist weitgehend unabhngig von den Kulturbedingungen und hngt eher von der Zahl der Zellteilungen als von der Zeit ab. Als genetische Uhr des Alterungsprozesses werden die Telomere bezeichnet, die sich mit jedem Teilungsproze einer normalen Zelle verkrzen. In vielen Tumoren ist dieser Proze durch die Aktivitt der Telomerase inhibiert. Die Abnutzungstheorie geht davon aus, da sich im Lauf der Zeit aufgrund intrinsischer oder extrinsischer Mechanismen stochastische Schdigungen von DNS oder anderen zellulren Strukturen anhufen, die zu einer zunehmenden Dysfunktion der Zelle, zum Zelltod und im weiteren Verlauf zu Organdysfunktionen und letztlich zum Tod des Gesamtorganismus fhren. In jungen Jahren wird die Fhigkeit der Zellen, in einen Alters-/Ruhezustand (replicative senescence) berzugehen, als Schutz gegen eine unkontrollierte Zellvermehrung und maligne Transformation angesehen, whrend die mit dem Alter vermehrt einsetzende Akkumulation solcher Zellen als prokarzinogenes Umfeld interpretiert wird (Campisi 1997). Es besteht derzeit kein Anhalt dafr, da die Ursachen der malignen Transformation bei alten Menschen qualitativ andere sind als bei jungen. 1.1 Demographische Entwicklung Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen hat sich in Deutschland innerhalb der letzten 120 Jahre verdoppelt. Fr einen neugeborenen Jungen betrgt sie derzeit 74,8 Jahre, fr ein neugeborenes Mdchen 80,6 Jahre. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war dieser Anstieg im wesentlichen auf die sinkende Suglingssterblichkeit zurckzufhren, seit den siebziger Jahren jedoch berwiegend auf den Rckgang der Alterssterblichkeit (= Lebenserwartung im Alter = verbliebene [Rest-]Lebenserwartung, wenn ein bestimmtes Lebensalter einmal erreicht ist). Tabelle 1 gibt die Zahl der verbleibenden Jahre bei Erreichen eines bestimmten Alters wieder. Tabelle 1. Verbleibende Jahre bei Erreichen eines bestimmten Alters (Restlebenserwartung) fu¨r Frauen und Ma¨nner. (Daten fu¨r die Bundesrepublik Deutschland gema¨ß Gesundheitsberichterstattung des Bundes [www.gbe-bund.de] fu¨r das Jahr 1999) Bei Geburt 65 Jahre
70 Jahre
75 Jahre
80 Jahre
85 Jahre
90 Jahre
Frauen
80,8
19,2
15,2
11,6
8,5
6,0
4,3
Ma¨nner
74,8
15,6
12,3
9,4
7,0
5,2
4,1
1317
Einfluß des Alters auf die Tumorentstehung Tabelle 2. Bevo¨lkerungsvorausscha¨tzung fu¨r die Bundesrepublik Deutschland (in Mio.) 1998
2010
2020
2050
Altersgruppe 0–15
12,98
15,8%
10,78
13,1%
9,90
12,1%
7,55
10,3%
15–65
55,99
68,2%
54,69
66,3%
52,78
64,3%
39,77
54,5%
65–90
12,6
15,4%
16,39
19,8%
18,37
22,3%
23,15
31,7%
90+
0,47
0,6%
0,62
0,7%
0,99
1,2%
2,55
3,5%
Gesamt
82,04
100%
82,46
100%
82,05
100%
73,02
100%
Die gestiegene durchschnittliche Lebenserwartung wird in der Bundesrepublik in den nchsten Jahrzehnten (bei konstant niedriger Geburtenund Mortalittsrate und einem mittleren Zuwanderungsniveau) zu einer kontinuierlichen Zunahme der absoluten und relativen Zahl alter Menschen fhren (s. Tabelle 2). 1.2 Inzidenz und Mortalita¨t von Tumorerkrankungen im Alter Die Inzidenzrate bsartiger Neubildungen steigt altersabhngig nicht nur linear, sondern sogar exponentiell an. Erst in sehr vorgercktem LebensTabelle 3. Anteil der u¨ber 65ja¨hrigen an einzelnen Tumorerkrankungen: In der US-Gesamtbevo¨lkerung (gem. Daten des US-Census) und in Studien der SWOG (South-West Oncology Group) (Hutchins et al. 1999)
Prostatakarzinom Blasenkarzinom Pankreaskarzinom Kolorektale Karzinome Myelom Bronchialkarzinom Leuka¨mie Mammakarzinom Kopf- und Halstumoren Ovarialkarzinom Gehirntumoren Weichteilsarkome Melanom Zervixkarzinom Lymphom
US-Bevo¨lkerung [%]
SWOG-Studien [%]
77 73 73 72 70 66 63 49 49 48 44 44 37 24 16
64 56 38 40 25 39 27 9 24 30 19 29 22 7 14
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
alter, jenseits des 85. bis 90. Lebensjahres, ist wieder eine Abnahme der Inzidenzrate, nicht jedoch der Mortalittsrate zu verzeichnen. Fr die unter 65jhrigen betrgt die Inzidenzrate ca. 200/100 000, fr die ber 65jhrigen 2000/100 000. Der groe Anteil (60%) alter Patienten (65 Jahre) an der Gesamttumorinzidenz lt sich in unterschiedlicher Ausprgung auch fr die meisten einzelnen Tumorentitten zeigen. Tabelle 3 gibt fr 15 hufige Tumorerkrankungen den Anteil der ber 65jhrigen an der Gesamtzahl der Erkrankten mit dieser Tumorerkrankung anhand der Daten des US-Census in Prozent wieder (Spalte 2). Spalte 3 zeigt in einer Auswertung der Daten der South-West Oncology Group (SWOG) den Anteil der ber 65jhrigen an der Gesamtzahl der in Studien fr diese Tumorerkrankung behandelten Patienten. ˜ltere Patienten sind, wie dies exemplarisch anhand dieser Daten zum Ausdruck kommt, in klinischen Studien deutlich unterreprsentiert.
Tabelle 4. Altersspezifische Mortalita¨tsraten pro 100 000 nach Altersgruppen im Jahr 1995 fu¨r bo¨sartige Neubildungen (ICD 140–208) (Becker u. Warendorf 1997) Jahr
Westdeutschland Ma¨nner Stand. Mortal.
Ostdeutschland Frauen Stand. Mortal.
0 2,8 2,6 1–4 4,3 2,6 5–9 3,2 3,1 10–14 2,2 2,2 15–19 4,1 3,8 20–24 5,8 4,2 25–29 7,9 7,4 30–34 11,3 15,4 35–39 24,2 32,4 40–44 56,9 66,2 45–49 117,5 109,6 50–54 230,4 182,4 55–59 376,1 244,2 60–64 608,8 359,2 65–69 948,3 505,2 70–74 1346,3 718,9 75–79 1856,1 967,2 80–84 2502,5 1372,9 85+ 3397,1 1914,5 Stand. Mortal. = standardisierte Mortalita¨tsrate.
Ma¨nner Stand. Mortal.
Frauen Stand. Mortal.
5,0 4,3 3,5 3,9 4,6 8,1 9,4 13,4 23,5 60,7 122,7 232,8 427,1 707,8 1088,7 1467,3 1929,1 2514,1 2956,2
7,9 4,5 3,3 1,7 1,6 4,2 8,1 16,4 33,7 58,5 106,2 160,9 239,2 377,8 530,5 762,0 1017,9 1319,5 1709,0
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie
1319
Noch eindrcklicher ist der hohe Anteil alter Patienten in bezug auf die Mortalitt. Die Mortalittsrate betrgt fr die unter 65jhrigen ca. 75/100 000, fr die ber 65jhrigen 1000/100 000. Die fr die Bundesrepublik Deutschland aktuell vorliegenden Mortalittsraten zeigen sowohl fr den westlichen und stlichen Teil als auch fr Mnner und Frauen jeweils eine eindeutige altersabhngige Zunahme der Mortalittsrate (Tabelle 4).
2 Einfluß des Alters auf die Tumorbiologie Die weitverbreitete Annahme, da maligne Tumoren, die sich in einem alten Organismus bilden, langsamer wchsen, weniger destruierend seien und in geringerem Mae metastasierten, trifft allenfalls fr einzelne Tumorentitten zu. Fr die akute myeloische Leukmie, das hochmaligne Non-HodgkinLymphom und das Ovarialkarzinom sind bei alten Patienten geringere Remissionsraten, krzere Remissionsdauern und berlebenszeiten trotz gleicher Therapie beschrieben worden. Fr diese Unterschiede sind bisher nur teilweise Erklrungen gefunden. So zeigen die akuten myeloischen Leukmien bei alten Patienten hufiger komplexe, prognostisch ungnstigere genetische Vernderungen. Auerdem wird das p-Glykoprotein als Ausdruck der primren Chemotherapieresistenz auf den myeloischen Blasten dieser Patientengruppe hufiger berexprimiert. Alte Patienten mit Mamma- oder Lungenkarzinom weisen hingegen einen gnstigeren Verlauf der Erkrankung als junge Patienten auf. Das kolorektale Karzinom hingegen ist eine Erkrankung, bei der sich keine tumorbiologischen Unterschiede zwischen der in einem alten oder einem jungen Organismus auftretenden Erkrankung finden lassen.
3 Einfluß des Alters auf die Tumortherapie Zunehmendes Alter bedingt F F F F F F
eine reduzierte Restlebenserwartung, eine altersbedingte Einschrnkung der Reservekapazitt und der physiologischen Organfunktionen, eine Einschrnkung des funktionellen Status, das Vorliegen von Komorbiditten, die hufig notwendige Begleittherapie und Vernderungen pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Parameter.
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
3.1 Behandlungssituation alter Tumorpatienten Analysiert man die gegenwrtige Behandlungssituation alter Patienten mit Tumorerkrankungen, so ist festzustellen, da F F F F F F F
sie seltener zu prventiven Manahmen angehalten werden, bei ihnen seltener Screeninguntersuchungen durchgefhrt werden, seltener eine definitive histologische Diagnose gestellt wird, die Erkrankung hufiger in fortgeschrittenem Stadium erstdiagnostiziert wird, hufiger keine definitive Stadienzuordnung erfolgt, sie hufiger unterbehandelt werden und sie in klinischen Studien … die ja die Grundlage begrndeter Therapieentscheidungen darstellen … deutlich unterreprsentiert sind (vgl. Tabelle 3).
Die aufgezeigte Situation hat eine Reihe von Ursachen. Neben Zurckhaltung seitens des Patienten oder des behandelnden Arztes ist ein Grund auch im Mangel solider klinischer Daten zu suchen (Monfardini 1995). Prima¨re Pra¨vention
Der Effekt von primren prventiven Manahmen ist ein langfristiger. Alte Menschen mit reduzierter Restlebenserwartung erleben daher ggf. die positiven Auswirkungen primr prventiver Manahmen nicht. Altersabhngige diesbezgliche Daten und Empfehlungen existieren derzeit auer fr das Rauchen nicht. Der Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkarzinomen ist eindeutig. Aus einer Kohorte 20jhriger Raucher und Nichtraucher werden im Alter von 73 Jahren noch 78% der Nichtraucher, aber nur 42% der Raucher leben (Phillips et al. 1996). Der karzinogene Effekt des Rauchens ist z.T. reversibel. >
Ca. 12 Jahre (das entspricht der Restlebenserwartung von 70- bis 75jhrigen) nach Beendigung des Rauchens entspricht das Lungenkarzinomrisiko wieder dem der Nichtraucher.
Sekunda¨re Pra¨vention – Krebsfru¨herkennung
Alte Menschen beteiligen sich zu einem geringeren Ma an Frherkennungsmanahmen als junge (s. Tabelle 5). Die absoluten Hufigkeitsmaxima der meisten Zielkrebserkrankungen liegen jedoch um das 60. Lebensjahr (Mamma) oder weit darber hinaus (Kolorektum und Prostata), die relativen Hufigkeitsmaxima liegen auer fr das Zervixkarzinom jenseits des 70. Lebensjahres. Die geringere Teilnahme alter Menschen an Screeningprogrammen hat verschiedene Ursachen, die bei den Patienten
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie
1321
Tabelle 5. Rate der Teilnahme an Maßnahmen der gesetzlichen Fru¨herkennungsuntersuchungen in Abha¨ngigkeit vom Alter und Geschlecht. Altersgruppe
Ma¨nner [%]
Frauen [%]
20–24
0
28
25–29
0
34
30–34
0
36
35–39
0
36
40–44
0
36
45–49
9
38
50–54
11
40
55–59
13
33
60–64
16
27
65–69
17
21
70–74
17
17
75–79
13
9
selbst, bei den behandelnden ˜rzten und in Strukturen des Gesundheitssystems zu suchen sind. Dem steht die Tatsache entgegen, da die Effektivitt der sekundren Prvention mit steigender Inzidenzrate … wie diese altersabhngig zu beobachten ist … zunhme. Eine Abnahme der Restlebenserwartung fhrt dazu, da durch Frherkennung eine Lebensverlngerung nicht mehr erreicht werden kann. Betrgt die Restlebenserwartung weniger als drei bis fnf Jahre, so sollte von Screeninguntersuchungen abgesehen werden. Innerhalb der deutschen gesetzlichen Krebsfrherkennungsprogramme waren bisher keine Empfehlungen zu einer oberen Altersgrenze ausgesprochen, dies ndert sich durch die Einfhrung der Koloskopie zur Frherkennung des Darmkrebses und der Mammographie zur Frherkennung des Brustkrebses. F
Mammakarzinom: Methoden der Sekundrprvention des Mammakarzinoms sind die Untersuchung der Brust und die Mammographie. Eine bei einer alten Frau zu tastende Raumforderung ist eher maligne als die bei einer jungen Frau zu tastende. Mammographische Untersuchungen zeigen in der kleinen, weniger dichten Brust alter Frauen eher Abnormalitten als bei jungen Patientinnen. Die Inzidenzrate der Mammakarzinome nimmt bis in die 8. Lebensdekade zu. In die bisherigen Untersuchungen wurden Frauen bis zum 74. Lebensjahr eingeschlossen. Fr sie konnte eine Reduktion der Mortalitt durch
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F
F
F
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
Brustkrebs gegenber nicht mammographisch untersuchten Kontrollpersonen gezeigt werden. Die U.S. Preventive Services Task Force Guidelines empfehlen derzeit die Mammographie fr Frauen zwischen dem 50. und 75. Lebensjahr, die American Cancer Society und das National Cancer Institute empfehlen jhrliche Mammographien ab dem 50. Lebensjahr. In Deutschland soll die qualittskontrollierte Mammographie als Frherkennungsuntersuchung fr Frauen im Alter von 50…69 Jahre eingefhrt werden. Ob Screeninguntersuchungen jenseits des 75. Lebensjahres sinnvoll sind, kann derzeit nicht beantwortet werden. Frauen im Alter von 75 Jahren haben jedoch eine Restlebenserwartung von ber 10 Jahren (vgl. Tabelle 1), so da sie mglicherweise von Screeninguntersuchungen profitieren wrden. Kolorektales Karzinom: Die Inzidenzrate des kolorektalen Karzinoms steigt bis in das 8. Lebensjahrzehnt kontinuierlich an. Durch Screeninguntersuchungen knnen die Morbiditt und die krankheitsspezifische Mortalitt gesenkt werden. Es stehen als Untersuchungsverfahren Tests auf okkultes Blut im Stuhl (FOBT), digital rektale Untersuchung (DRU), flexible Sigmoidoskopie und Kolonoskopie zur Verfgung. In Deutschland werden ab dem 45. Lebensjahr Krebsfrherkennungsprogramme gesetzlich gefrdert. Diese beinhalten ab dem 50. Lebensjahr die jhrliche Untersuchung auf okkultes Blut im Stuhl sowie seit dem 01. 10. 2002 insgesamt zwei Koloskopien; die erste ab dem 56. Lebensjahr und die zweite frhestens 10 Jahre nach Durchfhrung der ersten Koloskopie. Zervixkarzinom: Fr das Zervixkarzinom sind zwei Inzidenz-Peaks zu beobachten. Ein kleinerer um das 35. Lebensjahr und ein zweiter um das 65. Lebensjahr. Fr die Mortalittsrate ist eine kontinuierliche altersabhngige Zunahme beschrieben. Alte Patienten haben hufiger ein Adeno- als ein Plattenepithelkarzinom. Erstere sind durch Screeninguntersuchungen schwieriger zu entdecken. Die Empfehlungen zu Altersbegrenzungen und Intervallen der Screeninguntersuchungen variieren von Land zu Land erheblich. In Deutschland werden ab dem 20. Lebensjahr Krebsfrherkennungsprogramme gesetzlich gefrdert. Prostatakarzinom: ber 75% der Prostatakarzinome werden jenseits des 65. Lebensjahres erstdiagnostiziert. Ob durch ein Screening asymptomatischer Mnner die Morbiditt und Mortalitt durch ein Prostatakarzinom gesenkt werden knnen, wird derzeit kontrovers diskutiert. Es stehen als Untersuchungsverfahren digital rektale Untersuchung (DRU), Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) und transrektaler Ultraschall (TRUS) zur Verfgung. In Deutschland werden ab dem 45. Lebensjahr Krebsfrherkennungsprogramme mittels DRU gesetzlich gefrdert. Seitens der DKG sind Evidenz-basierte Leitlinien fr die Frherkennung des Prostatakarzinoms verabschiedet worden.
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie
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Die Empfehlungen beinhalten fr Patienten im Alter von 50…75 Jahren mit Wunsch zur Prostatakarzinom-Frherkennung die PSA-Bestimmung und die digitale rektale Palpation in einjhrigem Abstand. Sie sind bisher allerdings nicht in den Katalog der von den gesetzlichen Krankenversicherungen gefrderten Manahmen bernommen worden. 3.2 Physiologische Abnahme der Organfunktionen Die allmhliche Einschrnkung der Fhigkeit, auf Strungen der Homostase zu reagieren, charakterisiert den physiologischen Alterungsproze. Dieser Vorgang wird als Einschrnkung der physiologischen Reservekapazitt bezeichnet. Er luft in den einzelnen Organsystemen unabhngig von anderen Vernderungen ab, beginnt in der 3. Lebensdekade und ist abhngig von ditetischen, Umwelt- und genetischen Faktoren. Dies bedingt, da Populationen alter Menschen eine groe Heterogenitt aufweisen, da der physiologische Alterungsproze durch Beeinflussung von Risikofaktoren modelliert werden kann, da ein gesundes Altsein kein Paradoxon ist und da rasche Vernderungen in einem Organsystem in aller Regel einer Erkrankung und nicht einem „normalen Alterungsproze“ zuzuschreiben sind. Die Streuung der Funktionsabnahmen der verschiedenen Organe ist um so grer, je lter die zu vergleichende Population ist. Bezogen auf einzelne Organsysteme lassen sich folgende altersabhngige Vernderungen beschreiben. F
F
Kardiovaskula¨res System: Der Alterungsproze fhrt im kardiovaskulren System zu einer Reihe von morphologischen und physiologischen Vernderungen wie Verdickung der Gefwand, Bildung arteriosklerotischer Plaques, Verlust von Elastinfasern, zunehmender Fibrose und Cross-linking von Kollagen. Innerhalb der Herzmuskelzelle beobachtet man einen verminderten Kalziumstoffwechsel und Energieumsatz, was zu verlngerten Relaxationszeiten des Herzmuskels fhrt. Die Ejektionsfraktion und das Herzminutenvolumen verndern sich im Alter in Ruhe kaum. Unter Belastung sinkt das maximale Minutenvolumen. Der Anstieg der Herzfrequenz unter Belastung ist geringer. Die frhdiastolische Fllung verluft im Alter langsamer. Die Vernderungen des HerzKreislauf-Systems sind der hufigste Ursprung altersassoziierter Krankheiten. Pulmonales System: Mit zunehmendem Alter kommt es zu einem Verlust der Alveolarstruktur, zu einer Erweiterung der Alveolargnge, einer Abnahme der Alveolarflche und einer Reduktion der Regenerationsfhigkeit des Flimmerepithels. Die Lunge selbst und die Thoraxwand verlieren an Elastizitt. Die Wandstabilitt der Bronchiolen und die Strke der Atemmuskulatur nehmen ab. Spirometrische Untersuchungen zeigen bei gleichbleibender Totalkapazitt eine Abnahme der Vital-
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
kapazitt. Atemgrenzwert und Spitzenflugeschwindigkeit nehmen im Alter ab, Residualvolumen, funktionelle Residualkapazitt und Verschluvolumen dagegen zu. Der arterielle Sauerstoffpartialdruck nimmt altersabhngig ab. Niere: Ab dem 20. Lebensjahr (LJ) erfolgt eine kontinuierliche Abnahme der glomerulren Filtrationsrate (GFR) um 1 ml/min/Jahr (20. LJ: 140 ml/min/1,73 m2 Krperoberflche [KOF]; 80. LJ: 80 ml/min/1,73 m2 KOF). Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Abnahme des Nierengewichts, einer Reduktion der Zahl funktionstchtiger Glomerula und Nephrone und einem verminderten renalen Blutflu. Durch die fortschreitende arterielle Nephrosklerose nimmt die glomerulre Filtrationsrate ab, die Fhigkeit zur Urinkonzentrierung sinkt. Da bei lteren Menschen auch die aktive Muskelmasse abnimmt, fllt weniger ausscheidungspflichtiges Kreatinin an. Trotz eingeschrnkter Nierenfunktion kann der Serumkreatininwert daher lange unverndert bleiben und spiegelt nicht das Ausma der glomerulren Funktionseinschrnkung wider. Eine realistische Einschtzung der Nierenfunktion sollte daher bei alten Menschen mit Hilfe der Kreatininclearance erfolgen. Leber: Mit zunehmendem Alter nehmen Leberdurchblutung (bis 20%) und -volumen (bis 40%) ab. So betrgt der Blutflu beim 30jhrigen 1400 ml/min, beim 75jhrigen 800 ml/min, woraus eine verminderte hepatische Clearance resultiert. Die Proteinsyntheserate der Leber nimmt im Alter ab. Hierdurch ergeben sich vernderte Proteinbindungen, die in einem vernderten Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil von Medikamenten resultieren knnen. Die Hydroxylierung und Glykosylierung knnen in hherem Alter reduziert sein. Die enzymatische Aktivitt der Cytochrom-P-450-abhngigen mikrosomalen Oxidationssysteme nimmt mit zunehmendem Alter ab. Es kann daher zur Akkumulation toxischer Substanzen kommen. Die Leber ist auch im Alter regenerationsfhig. Das Vermgen, auf ˜nderungen des ueren Milieus zu reagieren, ist jedoch eingeschrnkt. Ha¨matopoese: Das Alter hat keinen Einflu auf die basale Funktion des Knochenmarks. Allerdings ist die Fhigkeit, auf Stre oder Stimulation zu reagieren, eingeschrnkt. Zudem besteht eine reduzierte intrinsische Sekretion von hmatopoetischen Wachstumsfaktoren (HGFs) und ein vermindertes Ansprechen auf die Applikation von HGFs.
3.3 Einfluß des Alters auf Pharmakokinetik und -dynamik von Zytostatika Pharmakokinetik: Die Verteilung eines Medikaments im Krper in Abhngigkeit von der Zeit wird durch die pharmakokinetischen Parameter Absorption, Verteilung, Stoffwechsel und Elimination beschrieben. Sie unterliegen altersabhngigen Vernderungen.
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie
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Absorption: Mit fortschreitendem Alter kommt es zu einer Abnahme der gastralen Suresekretion, der Magenentleerungszeit, der gastrointestinalen Motilitt, des Blutflusses im Splanchnikusgebiet und der resorptiven Oberflche. Verteilungsvolumina: Das Gesamtkrperwasser nimmt im Alter ab, das Plasmavolumen ist reduziert, der Fettanteil an der Krpermasse nimmt zu. Dies resultiert in einer Zunahme des Verteilungsvolumens fr fettlsliche (apolare) (z.B. Carmustin) und einer Abnahme fr wasserlsliche (polare) (z.B. Methotrexat) Substanzen. Eine Zunahme des Verteilungsvolumens fhrt zu einer niedrigeren Peak-Konzentration und zu einer verlngerten Halbwertszeit (bei gleichbleibender Clearance). Neben der Abnahme des Albumingehalts des Plasmas mit dem Alter (um 15…20%) ndert sich auch die Qualitt der Bindung zwischen Albumin und Medikament. Die Dissoziation ist verstrkt, die Assoziation herabgesetzt, was zu einem hheren Anteil einer freien, nicht an Eiwei gebundenen Medikamentenfraktion bei alten Menschen fhrt. Elimination: Die Elimination von Medikamenten ist im Alter durch Einschrnkungen der Leber- und Nierendurchblutung und durch die Reduktion der Nierenfunktion verzgert (s.o.). Eine Reduzierung der Dosis renal oder hepatisch eliminierter Medikamente ist daher bei alten Patienten hufig indiziert, um unerwnschte Arzneimittelwirkungen bzw. toxische Ereignisse zu vermeiden. Zytostatika sind bisher kaum bezglich der Relevanz altersabhngiger Vernderungen ihrer Pharmakokinetik untersucht. Pharmakodynamik: Die Pharmakodynamik beschreibt die Beziehung zwischen Medikamentenexposition und erwnschter und unerwnschter Wirkung. Pharmakodynamische Parameter unterliegen wie die pharmakologischen einer groen interindividuellen Variabilitt. Pharmakodynamische Studien zu Zytostatika, die deren altersabhngige Effekte untersuchen, stehen derzeit weitgehend aus. Mgliche Ursachen einer vernderten Pharmakodynamik im Alter sind z.B. Vernderungen der Rezeptordichte und -affinitt sowie der Signaltransduktion. Pharmakainteraktionen mit Zytostatika: Zytostatika knnen mit einer Reihe von Medikamenten, die innerhalb der Chemotherapie sowie zur Therapie der Komorbiditten eingesetzt werden, interagieren. Pharmakokinetische Interaktionen von Zytostatika sind kaum untersucht. Mgliche Mechanismen fr Interaktionen sind z.B. Konkurrenz um Plasmaeiweibindung, Beeinflussung des p-Glykoproteins (Multi-Drug-Resistenz) und des Cytochroms P450 (Metabolisierung).
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
3.4 Funktioneller Status In der Onkologie haben sich als Meinstrumente des funktionellen Status der Karnofsky-Index oder der WHO-Performance-Status etabliert. Sie sind evaluiert bezglich der beiden Endpunkte therapeutisches Ansprechen und berleben. In der Geriatrie haben sich als Meinstrumente dagegen Skalen zur Bestimmung der Aktivitten des tglichen Lebens (ADL) und der instrumentellen Aktivitten des tglichen Lebens (iADL) etabliert. Das Risiko zu sterben nimmt mit der Zahl der Items zu, in denen eine Abhngigkeit besteht. Extermann et al. berichten fr ltere Tumorpatienten (63…91 Jahre, medianes Alter 75 Jahre) Unabhngigkeit in den ADL fr 78,8% der Patienten, partielle Abhngigkeit (1…5 Items) fr 19,2% und komplette Abhngigkeit fr 2%; bezglich der iADL Unabhngigkeit fr 43,8%, geringe oder mige Abhngigkeit fr 48,3% und starke Abhngigkeit fr 7,9%. Die Funktionsscores der Onkologie sind nicht bezglich der Anwendung bei alten Menschen, jene der Geriatrie nicht bezglich der Anwendung bei Tumorpatienten evaluiert. Der Karnofsky-Index korreliert nur schlecht mit dem ADL und dem iADL (Zagonel et al. 1996). Die Parameter des funktionellen Status, Karnofsky-Index, ECOG-Performance-Status, ADL und iADL, korrelieren nicht mit Scores fr Komorbiditten, Charlson Scale oder Cumulative Illness Rating Scale-Geriatric (CIRS-G), sondern sind unabhngig (Extermann et al. 1998). Erstmals konnte die Bedeutung geriatrischer Funktionsscores (ADL und iADL) auch fr die Situation alter Patienten mit Krebserkrankungen gezeigt werden. Die Mortalittsrate von Patienten mit einer Einschrnkung in den iADLs ist um 100% erhht gegenber Patienten ohne funktionelle Einschrnkungen und um 50% bei Einschrnkungen in den iADLs (Zagonel et al. 2002). 3.5 Komorbidita¨ten Mit zunehmendem Alter nimmt nicht nur die Inzidenz maligner Erkrankungen zu. Auch die Inzidenz und Prvalenz nicht-maligner Erkrankungen steigt. Immer hufiger bestehen verschiedene Krankheiten synchron nebeneinander (Multimorbiditt). Bei 80% der ber 60jhrigen liegt mindestens eine Erkrankung vor. Bei 70- bis 90jhrigen geht man von 5…9 nebeneinander existierenden Diagnosen, hufig chronisch verlaufenden Krankheiten, aus. Typische Komorbiditten sind kardiovaskulre Erkrankungen, Hypertonie, Diabetes mellitus, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen und Gelenkerkrankungen. In einem Screeningverfahren des geriatrischen Assessments fr die Depression, der Geriatric Depression Scale (GDS) nach Yesavage, waren bei 30% der alten Patienten mit Tumorerkrankungen Scores erhoben worden, die fr das Vorliegen einer Depression sprechen. In einem Screeningverfahren fr kognitive Einschrnkungen, dem Mini-Mental-Status (MMS) nach
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie
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Tabelle 6. Ha¨ufigkeit von Komorbidita¨ten u¨ber 55ja¨hrigen Patienten mit Tumorerkrankungen (Yancik 1997) Komorbidita¨t
Prozentualer Anteil
Hypertonie
42,9
Herzerkrankungen
39,1
Arthritis/Arthrose
34,9
Gastrointestinale Erkrankungen
31,0
Ana¨mie
22,6
Augenerkrankungen
19,0
Harnwegserkrankungen
18,0
Fru¨here Tumorerkrankung
15,4
Gallenblasenerkrankungen
14,9
Chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen
14,5
Diabetes
12,8
Frakturen
10,8
Endokrine Erkrankungen
10,6
Folstein, waren ebenso bei ca. 30% der alten Tumorpatienten Scores erhoben worden, die fr das Vorliegen kognitiver Einschrnkungen sprechen (Balducci 1998) (vgl. Abschnitt 3.7). ber den Einflu der Komorbiditten auf die ˜tiologie, das Wachstumsverhalten oder das Stadium der Tumorerkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose sowie auf den Krankheitsverlauf und auf therapeutische Entscheidungen ist nur sehr wenig bekannt. Vom National Institute on Aging (NIA) und dem National Cancer Institute (NCI) der USA wird derzeit eine diesbezgliche Studie durchgefhrt (SEER = Surveillance, Epidemiology and End-Result-Programm). In einer Zwischenauswertung von 7600 ber 55jhrigen Tumorpatienten ergab eine Untersuchung die in Tabelle 6 wiedergegebene prozentuale Verteilung der Komorbiditten. Je lter das untersuchte Kollektiv, desto mehr Komorbiditten finden sich. Die NIA/NCI-SEER-Studie fand durchschnittlich fr die Gruppe der 55- bis 64jhrigen 2,9, fr die der 65- bis 74jhrigen 3,6 und fr die der > 74jhrigen 4,2 Komorbiditten. Stellenwert der Tumorerkrankung innerhalb der Komorbidita¨ten
Die zuknftig zu erwartende gesundheitliche Entwicklung eines Patienten hngt nicht nur von der neu diagnostizierten, sondern auch von den bereits
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
Tabelle 7. 3-Jahres-Mortalita¨tsraten in Abha¨ngigkeit von der Anzahl der Komorbidita¨ten bei Patientinnen mit Mammakarzinom (Satarino u. Ragland 1994) Zahl der Komorbidita¨ten (Patientenzahl)
Alle Todesfa¨lle
Todesfa¨lle Todesfa¨lle an Mammakarzinom anderer Ursache
Ratio
0 (483)
47,7
34,0
8,3
4,1
1 (288)
68,6
41,0
24,3
1,7
2 (124)
108,3
47,4
56,2
0,8
3+ (41)
188,4
40,3
162,6
0,2
bestehenden Erkrankungen ab. Besonders bei alten Menschen ist es wichtig zu ermitteln, welche Bedeutung die Tumorerkrankung innerhalb von „competing risks“ der Erkrankungen hat, welche also die prognosefhrende ist. Je lter ein Patient mit einer Tumorerkrankung ist, desto grer ist auch die Wahrscheinlichkeit, da eine andere Erkrankung die prognosefhrende ist (Welch 1996). Die Bedeutung der Komorbiditten fr den Verlauf der Tumorerkrankung konnte eindrcklich am Beispiel des Mammakarzinoms demonstriert werden (s. Tabelle 7). Es existieren eine Reihe von Skalen zur Bestimmung der Komorbiditten (z.B. Charlson Scale, Cumulative Illness Rating Scale [CIRS], Index of Coexisting Diseases [ICED], Kaplan-Feinstein Scale) in ihrer Schwere und Zahl. Bedeutung haben die Komorbiditten auch bezglich der Einschtzung der Toleranz einer Chemotherapie. Frasci et al. konnten am Beispiel der palliativen Chemotherapie des fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms bei ber 70jhrigen Patienten zeigen, da das Vorliegen signifikanter Komorbiditten, ermittelt mit dem Charlson-Score, der beste Prdiktor fr ein frhes Abbrechen der Chemotherapie war (Frasci et al. 2000). Eine bersicht findet sich bei Wedding und Hffken (2002). 3.6 Begleittherapie Zur Komedikation alter Patienten mit Tumorerkrankungen liegen bisher kaum Daten vor. In einer prospektiven Kohortenstudie mit 218 alten Tumorpatienten waren aus folgenden Medikamentengruppen am hufigsten Verordnungen erfolgt: F F F F
Kardiaka, Antihypertensiva, Analgetika, Antidepressiva,
Einfluß des Alters auf die Tumortherapie F F F F F F
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Magen-Darm-Mittel, Hormone, Schilddrsentherapeutika, Antidiabetika, Sedativa, Lipidsenker.
Zwei Drittel dieser Patienten nahmen vier und mehr Medikamente ein. Neben der Einnahme rztlicherseits verordneter Medikamente erfolgt durch viele alte Menschen eine zustzliche Selbstmedikation. Am hufigsten werden Vitaminprparate, Analgetika, Laxanzien und Antazida verwendet. Viele Patienten visitieren mehrere ˜rzte, nicht immer sind die Rezepturen aufeinander abgestimmt (Corcoran 1997). 3.7 Geriatrisches Assessment Die Gruppe der alten Patienten ist sehr heterogen. Das kalendarische Alter eines Patienten ist kein gutes Kriterium, die reale gesundheitliche Situation eines alten Patienten zu erfassen. Die o.g. Vernderungen entgehen hufig der Routineuntersuchung. Sie knnen im Rahmen einer Krebserkrankung bei alten Patienten von enormer Relevanz fr den Krankheitsverlauf, aber auch fr die Vorhersage der Therapievertrglichkeit sein. Es gilt daher, sie im Rahmen der Betreuung solcher Patienten systematisch zu erfassen. Entsprechende Instrumente sind von der klinischen Geriatrie etabliert worden. Sie sind auch bei alten Patienten mit Krebserkrankungen anwendbar (Extermann et al. 1998). Tabelle 8. Kategorien des geriatrischen Assessments und geeignete Instrumente zu ihrer Erfassung (Friedrich et al. 2003) Kategorie
Instrumente zur Erfassung
Funktioneller Status
*
*
Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens (ADL) Instrumentelle Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens (iADL) Erweiterte Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens (aADL)
Depressionen
*
Geriatric Depression Scale (GDS)
Kognition
* *
Uhr-Zeichen-Test Geld-Za¨hl-Test
Demenz
*
Mini-Mental-Status (MMS)
Erna¨hrung
*
Mini-Nutritional Assessment
Sturzrisiko
* *
Tinetti-Test Timed up and go
*
Sozialassessment
*
Soziale Situation
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
Tabelle 8 gibt eine bersicht ber derzeit im Rahmen eines Basisassessments durchgefhrte Untersuchungen. Die Instrumente des geriatrischen Assessments sind bisher validiert bezglich der in der Geriatrie relevanten Fragen und Endpunkte. Dazu zhlen z.B.: F F F F
Ist der Patient in der Lage, ohne fremde Hilfe in seiner huslichen Umgebung zu leben? Auf welche Hilfe ist er gegebenenfalls angewiesen? Ist eine Heimeinweisung erforderlich? Mit welchen Ressourcen ist eine Rehabilitation mit dem Ziel, Selbstndigkeit im Bereich der ADL zu erlangen, durchzufhren?
In der Onkologie sind darber hinaus andere Fragen und Endpunkte von Bedeutung. Dazu zhlen z.B.: F F F
Bestimmt die neu diagnostizierte Krebserkrankung die Prognose der Patienten? Wird diese Erkrankung dem Patienten im Verlauf voraussichtlich Beschwerden verursachen und seine Lebensqualitt einschrnken? Ist der Patient in der Lage, eine tumorspezifische Therapie ohne eine erhhte, ihn gefhrdende Toxizitt zu tolerieren, um von ihr profitieren?
Parallel zur Erfassung der prognostischen Parameter des Tumors … Staging, Grading, Rezeptorstatus etc. …, wie sie standardisiert entsprechend den Leitlinien der Onkologie auch bei alten Patienten durchzufhren ist (Tumorassessment), erfolgt zustzlich die Erfassung der im Alter hufig vorliegenden Vernderungen des funktionellen Status und der Komorbiditten (Patientenassessment). Diese knnen fr den Krankheitsverlauf von ebenso gewichtiger prognostischer Bedeutung sein wie die Parameter des Tumorassessments. Ein geriatrisch onkologisches Assessment liefert zustzliche substantielle Informationen ber die Patienten, die einer Routineuntersuchung inklusive des Performance-Status entgehen, wie Repetto et al. (2002) anhand der Daten von 363 lteren Patienten mit Krebserkrankungen demonstrieren konnten.
4 Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten In der Betreuung alter Patienten mit Tumorerkrankungen bestehen zwei Hauptgefahren. Einerseits die unkritische bernahme der bei jngeren Patienten blichen hohen Behandlungsintensitten mit daraus resultierender therapiebedingter Morbiditt und Mortalitt, andererseits die Wahl einer inadquat niedrigen Behandlungsintensitt mit der Folge verminderter Heilungschancen oder unzureichender palliativer Therapie (Wedding u. Hffken 1998).
Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten
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Tabelle 9. Zytostatikatherapie bei alten Patienten mit soliden Tumoren – Anhalt fu¨r erho¨hte Toxizita¨t? (Modifiziert nach: Baker u. Grochow 1997) Studie
n
Alter
Entita¨t
Phase
Toxizita¨t
Autor
ECOG
780
> 70
Solide T.
II–III
Ha¨matologisch (Methyl-CCNU, MTX)
Begg et al. 1992
Piedmont 70
> 70
Mamma
II–III
Keine erho¨hte Toxizita¨t Christman et al. 1992
J. Hopkins 39
> 70
Solide T.
I–II
Keine erho¨hte Toxizita¨t Borkowski et al. 1994
EORTC
104
> 70
Solide T.
II
Keine erho¨hte Toxizita¨t Monfardini et al. 1993
Illinois
271
> 65
Solide T.
II
Keine erho¨hte Toxizita¨t Giovanazzi et al. 1994
4.1 Tumorspezifische Therapie Die verbreitete Annahme einer erhhten Toxizitt fr Kombinationschemotherapieregime bei alten Patienten ist nur zum Teil empirisch begrndet. Fr die Therapie der malignen Lymphome und der akuten Leukmien wurde altersabhngig eine erhhte Toxizitt beschrieben. Fr die soliden Tumoren konnte eine Reihe von Arbeiten keine altersabhngig erhhten zytostatikabedingten Toxizitten zeigen, so u.a. die Analyse von 19 Studien der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) mit 780 Patienten im Alter von ber 70 Jahren, auer fr die Myelosuppression nach MethylCCNU und Methotrexat, was einer nicht an die Nierenfunktion angepaten Dosierung zugeschrieben wurde (s. Tabelle 9). Es bleibt jedoch anzumerken, da es sich bei diesen Patienten um ein selektioniertes Krankengut in PhaseI- bis -III-Studien mit gutem funktionellem Status handelt, da Standardchemotherapien oder experimentelle Therapien verwendet wurden und da sehr alte Patienten 85 Jahre kaum reprsentiert waren. Andere Autoren beschreiben, da chemotherapiebedingte Myelosuppressionen, Kardiotoxizitten, periphere und zentrale Neurotoxizitten, pulmonale Toxizitt und Mukositis bei alten Patienten hufiger sind, lnger und schwerer verlaufen und z.T. bei gleicher objektiver Ausprgung subjektiv einschneidender wahrgenommen werden. Als urschlich werden ˜nderungen der Pharmakokinetik und eine erhhte Vulnerabilitt der Zielorgane angesehen (Balducci 1997). Ob erhhte altersabhngige Toxizitten auch dann zu beobachten wren, wenn pharmakokinetische Vernderungen Bercksichtigung fnden, ist derzeit unklar.
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
4.2 Spezifische Therapieprotokolle und Dosismodifikationen >
Das numerische Alter eines Patienten ist im Bereich von Standarddosierungen kein Grund fr eine Dosismodifikation der tumorspezifischen Therapie.
Diese sollten jedoch erfolgen, wenn Einschrnkungen der Organfunktion oder Begleiterkrankungen vorliegen. Im Rahmen der zytostatischen Therapie erfolgt die Anpassung der Zytostatikadosis in Abhngigkeit von der Clearance (Nierenfunktion und Leberfunktion) und dem Verteilungsvolumen (Ernhrungszustand [Albumin und Fettverteilung]); diese bestimmen die Eliminationshalbwertszeit: t1/2 = 0,693 Verteilungsvolumen/Gesamt-Clearance Beide Faktoren unterliegen bei alten Menschen z.T. erheblichen Vernderungen, die in einer Zunahme der Toxizitt der zytostatischen Therapie resultieren knnen. Darber hinaus sollten reduzierte Organfunktionen und spezifische Toxizitten einzelner Zytostatika beachtet werden: F
F F
F
Herz: Fr Doxo- und Daunorubicin ist keine Altersabhngigkeit der Pharmakokinetik beschrieben, fr Idarubicin dagegen eine verlngerte Halbwertszeit und Reduktion der Clearance (bei ber 60jhrigen Patienten mit akuter Leukmie). Eine eingeschrnkte Ejektionsfraktion ist mglicherweise Anzeichen einer eingeschrnkten Toleranz kardiotoxischer Substanzen. Fr Doxorubicin mu ein Patientenalter > 70 Jahre als zustzliches Risiko fr das Entstehen einer Kardiomyopathie angesehen werden (Baker u. Grochow 1997). Lunge: Fr Bleomycin besteht eine erhhte pulmonale Toxizitt bei Patienten ber 70 Jahre (Ginsberg u. Comis 1982). Niere: Die abnehmende Nierenfunktion fhrt zu einer erhhten Toxizitt verschiedener Chemotherapeutika im Alter (s. Tabelle 10). Formeln zur Dosisanpassung existieren. Die Dosierung der Platinderivate erfolgt angepat an die AUC (area under the curve). Diese Empfehlungen sind jedoch funktions- und nicht altersabhngig auszusprechen. Leber: Die im Alter verminderte hepatische Clearance (Hydroxylierung und Glykolysierung der meist schlecht wasserlslichen Zytostatika) kann zur gestrten Elimination von Zytostatika fhren (besonders der Anthrazykline, Mitomycin C, Actinomycin D, der Vincaalkaloide, der Epipodophyllotoxine, der Taxane, Dacarbacin und Procarbacin). Bei eingeschrnkter Leberfunktion ist daher eine Dosisreduktion notwendig, die derzeit orientiert am Bilirubinserumspiegel empfohlen wird. Bei erhhter alkalischer Phosphatase empfiehlt sich eine Reduktion von Vincaalkaloiden und Epipodophyllotoxinen. Eine reduzierte
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Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten
Tabelle 10. Dosisanpassung in Abha¨ngigkeit von der Nierenfunktion bei renaler Exkretion in Prozent der regula¨ren Dosis (Kintzel u. Dorr 1995)
Bleomycin Carboplatin Carmustin Cisplatin Cytarabin Dacarbacin Fludarabin Hydroxyurea Ifosfamid Melphalan Methotrexat
Kreatinin-Clearance [ml/min] 60 45
30
70
NR
80 75 60 80 80 85 80 65 85
60 Calvert-Formel 75 50 50 75 75 80 75 50 75
NR NR NR 70 65 75 70 NR 70
NR = not recommended
F
F
Enzymaktivitt ist jedoch nicht nur bezglich der Elimination, sondern auch hinsichtlich der Aktivierung vorher inaktiver Zytostatika wichtig (z.B. Cyclophosphamid, Dacarbazin, Gemcitabin, Irinotecan). Die Proteinsyntheserate der Leber nimmt im Alter ab. Hierdurch ergeben sich vernderte Proteinbindungen (z.B. Cisplatin), die ein verndertes Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil hervorrufen. Peripheres und zentrales Nervensystem: Fr Vincaalkaloide und fr die Taxane ist eine altersabhngig erhhte periphere Neurotoxizitt beschrieben, fr hochdosiertes Cytarabin eine erhhte ZNS-Toxizitt. Knochenmark: Die Beeintrchtigung der Hmatopoese ist die hauptschliche gemeinsame Toxizitt der meisten Zytostatika. Die Knochenmarksreserve nimmt mit zunehmendem Alter ab. Die Myelosuppression ist strker ausgeprgt und die Zeit bis zur Regeneration lnger. Es existieren keine Testverfahren, mit dem sich die Knochenmarksreserve prtherapeutisch bestimmen lt. Die Hmatotoxizitt ist strker ausgeprgt, wenn ein Knochenmarkbefall vorliegt, eine strahlen- oder chemotherapeutische Vorbehandlung, insbesondere eine Hochdosistherapie, erfolgt ist. Eine Dosisanpassung kann anhand des Nadirs nach dem ersten Therapiekurs erfolgen.
Hochdosistherapie bei alten Patienten
Fr klassische allogene Blutstammzelltransplantationen gibt es nur sporadische Erfahrungen fr „alte“ Patienten. Bereits Patienten ab dem 50. Le-
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
bensjahr gelten fr dieses Therapieverfahren als alt. Neue Mglichkeiten der Behandlung auch lterer Patienten mit allogenen Blutstammzellen erffnen sich durch neue Konditionierungsprotokolle, die auf eine komplette Myeloablation durch Chemotherapie und/oder Bestrahlung verzichten. Einzelne Studienprotokolle fr diese Behandlungsverfahren schlieen Patienten bis 75 Jahre ein. Allerdings handelt es sich dabei um ansonsten gesunde ltere Patienten. Bei einer Reihe von Tumorerkrankungen hat die Hochdosistherapie mit autologem Stammzellsupport oder die myeloablative Therapie mit autologer Stammzelltransplantation in den letzten Jahren einen gesicherten Stellenwert innerhalb der Behandlung erlangen knnen: zur primren Therapie des Plasmozytoms sowie zur Rezidivtherapie bei hochmalignen Non-Hodgkin- und Hodgkin-Lymphomen. Bei anderen werden diese Therapiekonzepte derzeit im Rahmen groer randomisierter Studien evaluiert (akute myeloische Leukmie, chronisch myeloische Leukmie, chronisch lymphatische Leukmie, Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, kleinzelliges Bronchialkarzinom). Hufig wird innerhalb dieser Studien eine obere Altersgrenze von 60 Jahren angegeben, ohne da diese Festlegung stringent nachvollziehbar wre. Nur wenige Untersucher schlossen ltere Patienten in Hochdosistherapien mit ein. Eine Ausnahme bildet die Therapie des multiplen Myeloms. Attal et al. (1996) schlossen in eine prospektive randomisierte Studie, in der eine Standardchemotherapie mit einer Hochdosistherapie mit autologer Stammzellretransfusion verglichen wurde, Patienten bis 65 Lebensjahre ein. Sie konnten fr den Hochdosisarm zum einen die Tolerabilitt dieses Vorgehens zeigen, zum anderen auch den Benefit bezglich der Remissionsund berlebensrate gegenber der Standardtherapie demonstrieren. Auch Barlogie et al. (1997) berichten ber Hochdosistherapie mit autologer Stammzellretransfusion, z.T. als Tandemtherapie, bei ber 60jhrigen mit Plasmozytom. Badros et al. (2001) berichten ber die Durchfhrung einer autologen Stammzelltransplantation bei 70 Patienten im Alter von 70…82,6 Jahren. Aufgrund initial erhhter Toxizitt war die Melphalandosis von 200 auf 140 mg/m2 reduziert worden. 44% der Patienten erhielten eine Tandemtherapie. Im Gegensatz zu jngeren Patienten ist die Frhmortalitt hher und die Rate kompletter Remission geringer, die Ergebnisse gegenber historischen Kontrollen mit Standardtherapie jedoch deutlich besser. Adjuvante Chemotherapie bei alten Patienten
Der gewnschte Effekt einer adjuvanten Therapie bemit sich in der Senkung der Rezidivrate und einer Verbesserung der berlebensrate. Beide Parameter knnen sich nur auf bestimmte Zeitrume beziehen. Bei jungen Patienten beobachtet man nach einer gewissen Nachbeobachtungszeit
Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten
1335
ggf. ein Plateau der Rezidivrate und des berlebens. Bei alten Menschen werden die Effekte einer adjuvanten Therapie geringer, mit fortschreitendem Alter ggf. auch gar nicht mehr erreicht. Mammakarzinom
Eine adjuvante Therapie des Mammakarzinoms erfolgt im Stadium II bei lteren Patientinnen meist als hormonale Therapie, i.d.R. wird unabhngig vom strogenrezeptorstatus (ER) das Antistrogen Tamoxifen eingesetzt. In einer Metaanalyse der Early Breast Cancer Trial Collaborative Group (EBCTCG) konnte in der Gruppe der ber 70jhrigen Patientinnen mit Mammakarzinom im Stadium II sowohl fr die Gruppe der ER-negativen als auch fr die ER-positiven eine Verringerung der Rezidivrate wie auch eine Verbesserung der berlebensrate gegenber der randomisierten unbehandelten Kontrollgruppe gezeigt werden. Innerhalb von randomisierten Studien wurden Patientinnen bis zu einem Alter von 84 Jahren eingeschlossen. Die Dauer der Tamoxifentherapie sollte 5 Jahre betragen. Derzeit existieren keine Richtlinien zur Begrenzung einer adjuvanten Hormontherapie aufgrund des chronologischen Alters. Liegen schwere Komorbiditten vor, welche die Lebenserwartung begrenzen und prognosefhrend werden, so sollte auf eine adjuvante Therapie verzichtet werden. Der Effekt einer adjuvanten Kombinationschemotherapie ist bei postmenopausalen Frauen deutlich geringer als bei prmenopausalen. Whrend fr unter 50jhrige Patientinnen eine Senkung der Mortalittsrate um 25% beobachtet werden konnte, betrug sie fr die 60- bis 69jhrigen nur 10%. Tabelle 11. Empfehlungen der 7. St. Galler Konferenz zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms: Neue Definition der Risikokategorien fu¨r Patienten mit nodal-negativem Mammakarzinom (Goldhirsch et al. 2001) Risiko
„Endocrine-Responsive“
„Endocrine-Nonresponsive“
Minimales oder niedriges Risiko
ER- und/oder PgR-positiv und alle folgenden Punkte: pT 2 cm und Grading 1 und Alter 35 Jahre
–
ER- und/oder PgR-positiv und mindestens einer der folgenden Punkte: pT > 2 cm oder Grading 2–3 oder Alter < 35 Jahre
ER- und PgR-negativ
* * *
Durchschnittliches oder hohes Risiko
* * *
ER = O¨strogenrezeptor, PgR = Progesteronrezeptor
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
Tabelle 12. Empfehlungen der 7. St. Galler Konferenz zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms bei Patientinnen mit operablem, postmenopausalem Mammakarzinom (Goldhirsch et al. 2001) Risikogruppe
„Endocrine-Responsive“
„Endocrine-Nonresponsive“
Nodal-negativ – minimales oder niedriges Risiko
Tamoxifen oder keine Therapie
–
Nodal-negativ – durchschnittliches oder hohes Risiko
Tamoxifen oder Chemotherapie plus Tamoxifen
Chemotherapie
Nodal-positiv
Chemotherapie plus Tamoxifen oder Tamoxifen
Chemotherapie
Nur 300 Frauen ber 70 Jahre hatten in dieser Metaanalyse, die 75 000 Patientinnen einschlo, eine adjuvante Chemotherapie erhalten. Eine Beurteilung der Effektivitt ist daher nicht mglich. Auch zur Kombination einer adjuvanten Chemotherapie mit einer Antistrogentherapie liegen fr die Gruppe der lteren Patientinnen ( 70 Jahre) mit Mammakarzinom keine Daten vor. Die in den Tabellen 11 und 12 wiedergegebenen Empfehlungen basieren auf den Vorschlgen der 7. Internationalen Konferenz zur adjuvanten Therapie des primren Mammakarzinoms. Kolonkarzinom
Nach R0-Resektion eines Kolonkarzinoms im Stadium UICC III (positive N-Kategorie) wird eine adjuvante Chemotherapie mit 5-Fluorouracil + Levamisol oder Leukovorin empfohlen. Obere Altersgrenzen werden nicht angegeben. Grothey et al. (2002) zeigten jedoch, da eine adjuvante Chemotherapie lediglich bei 47% der ber 70jhrigen Patienten durchgefhrt wurde. Die Effektivitt der adjuvanten Chemotherapie ist bei ber 70jhrigen gegenber jngeren Patienten nicht reduziert. In fortgeschrittenem Lebensalter wurden beim Einsatz von 5-Fluorouracil vermehrt schwere Toxizitten (Leukopenie, Diarrh, Erbrechen, Mukositis) beobachtet. Der Einsatz von 5-Fluorouracil in fortgeschrittenem Lebensalter ist nicht kontraindiziert. Patienten ber 70 Jahre sollten jedoch bezglich der genannten Nebenwirkungen besonders sorgfltig beobachtet und supportive Manahmen frhzeitig eingeleitet werden. Rektumkarzinom
Die postoperative Radiochemotherapie wird als adjuvante Therapie nach R0-Resektion eines Rektumkarzinoms im Stadium UICC II+III empfohlen. Obere Altersgrenzen werden nicht angegeben.
Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten
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4.3 Supportivtherapie Die Fachgesellschaften sprechen derzeit keine Empfehlungen bezglich der Bercksichtigung altersabhngiger Unterschiede in der Supportivtherapie von Patienten mit malignen Tumoren aus. Schmerztherapie bei alten Tumorpatienten
Die Schmerztherapie alter Patienten mit Tumorerkrankungen erfolgt in gleicher Weise nach dem WHO-Stufenschema zur Behandlung von Schmerzen wie bei jngeren Patienten. Es sollten jedoch einige Besonderheiten beachtet werden. Fr alte Patienten ist es typisch, da sie Schmerzen weniger als junge Patienten selbst berichten. Sie gehen eher davon aus, da die Schmerzen zur Erkrankung gehren. Sie wollen ein „guter“ Patient sein, nicht klagen und dem behandelnden Arzt lieber „Positives“ berichten. Schmerzen mssen bei diesen Patienten daher gezielt erfragt werden. Durch die Einschrnkung kognitiver Fhigkeiten kann die Kommunikation ber Schmerz zustzlich beeintrchtigt sein. >
Bei alten Menschen ist es daher wichtig, immer wieder neu nach Schmerzen zu fragen und frhzeitig auf unerwnschte Wirkungen zu achten, da diese im Alter hufiger auftreten.
Die im Abschnitt 3.3 genannten pharmakokinetischen Vernderungen im Alter sind auch fr den Einsatz von Analgetika zu beachten. F
F
Opioide: Opioide werden hepatisch eliminiert. Bei lteren Menschen werden hhere Plasmalevel und lngere Halbwertszeiten beschrieben. Es empfiehlt sich daher, bei alten Patienten mit niedrigeren Anfangsdosen zu beginnen und langsamer hher zu titrieren, um unerwnschte Wirkungen frhzeitig zu erfassen. Es sollten Substanzen mit langer Halbwertszeit vermieden werden. NSAID: Die verminderte Eiweibindung fhrt zu einer erhhten Serumkonzentration mit erhhter Nebenwirkungsrate. Die Elimination ist verlngert. Auf renale Toxizitten sollte geachtet werden. NSAID knnen mit einer Reihe anderer Pharmaka interagieren, die bei alten Menschen hufig eingesetzt werden. Sie knnen die Effektivitt von Diuretika, Betablockern und ACE-Hemmern herabsetzen. Indometacin sollte aufgrund hherer ZNS-Toxizitt bei alten Patienten vermieden werden.
Die erhhte Sensitivitt gegenber Opioiden und Nichtopioiden beruht mglicherweise auch auf einer erhhten Sensitivitt des Rezeptors.
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Prinzipien der geriatrischen Onkologie
Antiemetische Therapie
Antizipatorisches Erbrechen wird bei alten Patienten im Rahmen der zytostatischen Therapie in einem geringeren Ma als bei jungen Patienten beobachtet. Die derzeitigen Empfehlungen zur antiemetischen Therapie gelten fr alte Patienten gleichermaen wie fr junge. Es ist frhzeitig auf mgliche Auswirkungen rezidivierenden Erbrechens wie Flssigkeitsverlust und Elektrolytverschiebungen zu achten, welche alte Patienten strker beeintrchtigen als junge. Therapie mit ha¨matopoetischen Wachstumsfaktoren
Beim Einsatz von hmatopoetischen Wachstumsfaktoren bei alten Patienten mit Tumorerkrankungen bestehen fr G-CSF, GM-CSF, Il-3 und Erythropoetin Erfahrungen. Ihr Einsatz wird durch das Alter nicht eingeschrnkt. Shank u. Balducci (1992) beobachteten bei Patienten < 65 und > 65 Jahre keinen unterschiedlichen Effekt. Andere Autoren beschreiben, da zwar die Hhe des Anstiegs der ANC identisch sei, nicht jedoch die Menge der mobilisierten Stammzellen (Chatta et al. 1994). Ob nicht gerade alte Patienten mit Komorbiditt und dadurch erhhtem Risiko fr eine myelosuppressive Phase eine Patientengruppe sind, bei denen der frhzeitige Einsatz von Stammzellfaktoren besonders wichtig ist, kann anhand der vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Alte Patienten zeigen jedoch im Lauf der chemotherapeutischen Behandlung bei den spteren Therapiekursen eine eingeschrnkte Knochenmarksreserve (Vose 1995). Die derzeitigen Empfehlungen zur Therapie mit Stammzellfaktoren gelten fr alte Patienten gleichermaen wie fr junge (www.asco.org). 4.4 Behandlungsentscheidungen und Behandlungsziele in der geriatrischen Onkologie Bei der Betreuung alter Patienten mit Tumorerkrankungen gilt es, in den Entscheidungen und Empfehlungen eine Balance zu finden zwischen dem Therapieziel einerseits und der begrenzten Lebenserwartung, den Risiken und Komplikationen der Therapie und den Auswirkungen der Erkrankung und der Therapie auf die Lebensqualitt des Patienten andererseits. Die Lebenserwartung alter Patienten bemit sich als Funktion der Parameter Alter, Komorbiditt, funktioneller Status und Tumorstadium. Fr therapeutische Entscheidungen im Rahmen der Behandlung alter Patienten mit Tumorerkrankungen empfiehlt sich die gedankliche Zuordnung der Patienten zu einer der drei Gruppen:
Medikamento¨se Tumortherapie bei alten Patienten F F F
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Jene, die ohne erhhte Toxizitt wie jngere Patienten behandelt werden knnen. Jene, denen innerhalb spezieller Therapieprotokolle Rechnung getragen werden sollte. Jene, fr die eine symptomorientierte Therapie im Vordergrund stehen sollte.
Das kalendarische Alter allein hat sich nicht als Entscheidungskriterium bei der Behandlung alter Patienten mit Tumorerkrankungen bewhrt, da die gesundheitliche Situation, der funktionelle Status und die Lebensperspektive alter Menschen innerhalb sehr weiter Grenzen variieren. Um der speziellen Situation alter Patienten mit Tumorerkankungen gerecht zu werden, bedarf es daher eines multidimensionalen Assessments, das die allgemeine gesundheitliche Situation, den funktionellen Status, die Begleiterkrankungen, Komedikationen und die psychosoziale Situation neben dem Tumorassessment mit einbezieht. Die Zuordnung zu o.g. Gruppen kann derzeit jedoch nicht aufgrund objektiver, evidenzbasierter Daten getroffen werden, sondern ist noch weitgehend der subjektiven rztlichen Erfahrung und Intuition berlassen. 4.4.1 Lebensziele alter Patienten mit Tumorerkrankungen
Es ist sehr wenig darber bekannt, nach welchen Kriterien alte Patienten mit Tumorerkrankungen eine Entscheidung fr oder gegen eine tumorspezifische Therapie fllen. Der Erhalt der Lebensqualitt und der Selbstndigkeit gewinnt mit zunehmendem Alter gegenber den Zielen berleben und Lebensverlngerung an Bedeutung. 4.4.2 Lebensqualita¨tsassessment bei alten Patienten mit Tumorerkrankungen
Lebensqualittsassessment hat mittlerweile einen sicheren Platz im Rahmen der Bewertung therapeutischer Manahmen innerhalb der Onkologie. Es steht eine Reihe unterschiedlicher Methoden zur Erfassung zur Verfgung. Die Validierung der meisten Verfahren erfolgte nicht fr die Situation alter Patienten mit Tumorerkankungen. Bei einer bertragung aus der Situation jngerer Patienten knnen sich sowohl aus der fehlenden Relevanz von Items (z.B. Fragen nach beruflichen Auswirkungen oder die Erziehung von Kindern betreffend) als auch durch eine unzureichende Bercksichtigung von im Alter hufiger vorliegenden affektiven oder kognitiven Beeintrchtigungen Probleme ergeben. Untersucht man globale Parameter des Befindens, so lassen sie nicht zwischen alten und jungen Erwachsenen mit Tumorerkrankungen unterscheiden. Alte Patienten berichten geringere Auswirkungen der Erkrankung auf ihre seelische Verfassung und ihr Selbstvertrauen (Klauer 1994). Alte
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Menschen haben whrend ihres Lebens viel Erfahrung gesammelt, wie sich Krisen bewltigen lassen. Diese Erfahrung kommt ihnen auch im Umgang mit ihrer Krebserkrankung zugute (Pinquart 1998). Der alte Krebskranke wird die Qualitt der ihm verbliebenen Zeit danach bemessen, ob er sie beschwerdefrei bzw. -arm erleben kann und ob er in ihr einen Sinn findet. Die Dimensionen Restlebenserwartung als quantitative Komponente und Lebensqualitt als qualitative Komponente werden im sog. QALY(= quality-adjusted life-year)-Konzept in Beziehung zueinander gesetzt. 4.4.3 Fu¨hrung alter Patienten mit Tumorerkrankungen >
Fr jeden lteren Patienten die Kriterien seiner Lebensqualitt im Alter herauszufinden ist wesentliche Aufgabe rztlicher Betreuung alter Patienten, bei denen Wiederherstellung und Heilung in vielen Fllen nicht mehr die beherrschenden Ziele der Arzt-Patienten-Beziehung sein knnen (Fsgen 1994).
Was alten Menschen im Leben wichtig ist, was ihre Antwort auf die Frage des „Warum“ des Lebens ist, kann individuell sehr unterschiedlich sein und ist bisher kaum systematisch untersucht worden. Anders als bei jungen Patienten, fr die hufig Lebensquantitt im Vordergrund steht, gewinnt bei alten Menschen die Frage des „Wie“ des Lebens an Bedeutung. Inhalt der Anamnese bei alten Patienten mit Tumorerkrankungen sollte daher auch die Erfassung einer ethischen Orientierung des Patienten sein, die Hilfestellungen in Fragen der Therapieintensitt und der Therapiedauer geben kann. Die hufig schwierige Entscheidung innerhalb der geriatrischen Onkologie zwischen kurativ intendierter Therapie unter Einsatz aufwendiger Mittel und mit z.T. erheblichem Risiko, einer begrenzten tumorspezifischen Therapie unter Verzicht auf Heilung und dem Abbruch tumorspezifischer Behandlungsmanahmen und die Beschrnkung auf eine symptomorientierte Therapie soll, darf und kann dem ohnehin belasteten Patienten nicht allein zugemutet werden (Jorke 1998). Hierin bedarf er der rztlichen Hilfe. In ihren therapeutischen Entscheidungen innerhalb der Tumorbehandlung suchen alte Patienten in sehr viel strkerem Mae als junge Patienten die Hilfe ihrer Angehrigen. Auf deren Hilfe werden sie auch bei der Durchfhrung der Therapie und der Nachsorge angewiesen sein. Der Wunsch, nicht zur Last zu fallen und Autonomie aufzugeben, kann jedoch die Suche nach sozialer Untersttzung hemmen. Hufiger berlassen alte Menschen auch Behandlungsentscheidungen dem betreuenden Arzt. Frhzeitig im Lauf der Behandlung sollte sich der betreuende Arzt vom Patienten benennen lassen, ob es Menschen gibt, die in Informationen und Entscheidungen mit einbezogen werden sollen, und inwieweit dies erfolgen soll. Alte Patienten sind i.d.R. in geringerem Mae ber die aktuellen Mglich-
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keiten der Tumortherapie informiert als junge. Da von ihnen weniger Informationen erfragt werden, darf nicht als Desinteresse an der eigenen Erkrankung interpretiert werden. Alte Patienten mchten ber ihre Erkrankung informiert werden, fr die Verarbeitung solcher Informationen brauchen sie jedoch mehr Zeit als junge Patienten. Literatur Attal M, Harousseau JL, Stoppa AM et al (1996) A prospective, randomized trial of autologous bone marrow transplantation and chemotherapy in multiple myeloma. Intergroupe Fran ais du Myelome. N Engl J Med 335:91…97 Badros A, Barlogie B et al (2001) Autologous stem cell transplantation in elderly multiple myeloma patients over the age of 70 years. Br J Haematol 114(3):600…607 Baker SD, Grochow LB (1997) Pharmacology of cancer chemotherapy in the older person. In: Balducci L (ed) Cancer in the Elderly: Part I Clinics in Geriatric Medicine. WB Saunders, Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokyo Balducci L, Extermann M (1997) Cancer chemotherapy in the older patient. Cancer 80:1317…1322 Balducci L (1998) Educational Session. ASCO 1998 Barlogie B, Jagannath S, Vesole DH et al (1997) Superiority of tandem autologous transplantation over standard therapy for previously untreated multiple myeloma. Blood 89:789…793 Becker N, Warendorf J (1997) Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland 1981… 1990. Springer, Berlin Heidelberg New York, 3. Auflage Campisi J (1997) Aging and cancer: the double-edged sword of replicative senescence. J Am Geriatr Soc 45:482…488 Chatta GS, Price TH, Allen RC, Dale DC (1994) Effects of in vivo recombinant methionyl human granulocyte colony-stimulating factor on the neutrophil response and peripheral blood-forming cells in healthy young and elderly adult volunteers. Blood 84:2923…2929 Corcoran ME (1997) Polypharmacy in the older patient with cancer. Cancer Control 4:419…428 Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ … Herausforderung unserer lter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und an die Politik; Hrsg.: Deutscher Bundestag, Referat ffentlichkeitsarbeit, Bonn 1994 Ershler WB (1997) The science of neoplasia. In: Cassel CK, Cohen HJ, Larson EB et al (eds) Geriatric Medicine, 3rd ed. Springer New York Extermann M, Overcash J, Lyman GH et al (1998) Comorbidity and functional status are independent in older cancer patients. J Clin Oncol 16: 1582-1587 Frasci G, Lorusse V, Panza N et al (2000) Gemcitabine plus vinorelbine versus vinorelbine alone in elderly patients with advanced non-small-cell lung cancer. J Clin Oncol 18:2529…2536 Friedrich C, Kolb G, Wedding U, Pientka L (2003) Comprehensive geriatric assessment in the elderly cancer patient. Onkologie 26:355…360 Fsgen I (1994) Untersuchung lterer Patienten. MMV Mnchen
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29 Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
29.1 Nachsorge und Rehabilitation nach Tumortherapie H. Delbrck
1 Ziele Onkologische Nachsorge und Rehabilitation berschneiden sich dort, wo es darum geht, das Risiko einer Wiedererkrankung und damit einer erneuten Behinderung zu reduzieren. >
Wesentliche Aufgabe der Nachsorge ist es, einer Wiedererkrankung bzw. Verschlimmerung der Erkrankung vorzubeugen; Aufgabe der Rehabilitation ist es hingegen, dem Krebskranken trotz seiner Erkrankungsfolgen und therapiebedingten Behinderungen ein mglichst optimales Leben zu ermglichen.
Kostentrger fr die Nachsorge sind die Krankenkassen. Art und Ausma dieser Nachsorgebemhungen sind von der Primrtherapie her bestimmt, nmlich ob diese in potentiell kurativer Absicht erfolgte oder ob keine vollstndige Entfernung des Tumors mehr mglich war. Liegen keine Tumoraktivittszeichen mehr vor, so ist die Nachsorge anders als bei fortbestehendem Tumorleiden durchzufhren. Die Ziele der Rehabilitation sind krankheitsbergreifend; sie bezwecken weniger, die berlebenszeit zu beeinflussen, als die Qualitt des berlebens zu sichern und zu verbessern. Dies soll nicht nur in krperlicher, sondern ebenso in seelischer, sozialer und beruflicher Hinsicht geschehen. Entsprechend kommen neben den Krankenkassen auch andere Kostentrger fr die Rehabilitationsleistungen in Frage, so z.B. die Rentenversicherungen, die Trger der Sozialfrsorge, die Bundesanstalt fr Arbeit sowie die Beihilfe bei Beamten (Tiedt 1998).
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2 Relevanz Leider haben sich die in die Nachsorge der meisten Tumorerkrankungen gesetzten Hoffnungen nicht erfllt. Mit Ausnahme des M. Hodgkin, der malignen Hodentumoren und der akuten Leukmien ergeben sich nmlich fr die Mehrzahl der Patienten selbst dann keine kurativen Therapiemglichkeiten mehr, wenn die Rezidive „frh“ erkannt wurden. Whrend bei den Hodgkin-Lymphomen, den malignen Hodentumoren und den akuten Leukmien engmaschige und aufwendige Nachsorgeuntersuchungen notwendig sind, haben psychosoziale Manahmen und die Palliation Vorrang bei den anderen Tumorformen. Das Schicksal der meisten Patienten mit soliden Tumoren und der weitere Verlauf ihrer Erkrankung sind … trotz unbestreitbarer Fortschritte in der Rezidiverkennung und Therapie … in erster Linie von Art und Ausma des Tumorleidens und der Primrtherapie und weniger von dem Aufwand der Nachsorgeuntersuchungen her bestimmt. Hieraus folgt, da aufwendige und den Patienten belastende Nachuntersuchungen nicht schematisch durchgefhrt, sondern nur entsprechend deren Relevanz individuell angeordnet werden sollten. So manche psychischen und physischen Belastungen, aber auch berflssige finanzielle Aufwendungen knnen hierdurch reduziert werden. Da bei der berwiegenden Anzahl der Krebserkrankten nach Abschlu der Primrtherapie rehabilitationsorientierte Manahmen Vorrang haben mssen, bedeutet jedoch nicht etwa den vlligen Verzicht auf medizinische Nachsorgeuntersuchungen. Im Rahmen der Rehabilitationsdiagnostik mu grundstzlich auch ein Rezidivausschlu bzw. ein Staging der Tumoraktivitt erfolgen. Ohne diese „Nachsorgediagnostik“ ist eine Rehabilitationsplanung nicht mglich.
3 Koordination und zeitlicher Ablauf Krebsrehabilitation und Krebsnachsorge lassen sich letztendlich weder inhaltlich noch zeitlich voneinander trennen, wenn sie zum Erfolg fhren sollen. In der Akutklinik mssen rehabilitative Aspekte ebenso wie kurative Aspekte in den Rehabilitationskliniken mit bercksichtigt werden. Lediglich die Prioritten verlagern sich in diesen Kliniken. Rehabilitative Aspekte knnen in der Akutbehandlung naturgem nur ansatzweise zur Wirkung kommen, zumal die Liegezeiten in den Akutkliniken so kurz wie mglich sein sollten. Primres Ziel der Akuttherapie mu die Heilung, zumindest jedoch die Lebenszeitverlngerung bleiben. Dies ist ganz anders whrend der stationren Anschluheilbehandlung (AHB). Hier haben die rehabilitationsorientierte Diagnostik und die Rehabilitationsmanahmen Vorrang; die Weiterfhrung der Rehabilitation zu Hause mu vorbereitet werden (Delbrck 1998).
29.1
Nachsorge und Rehabilitation nach Tumortherapie
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4 Voraussetzungen fu¨r die Durchfu¨hrung stationa¨rer Rehabilitationsmaßnahmen Grundvoraussetzungen fr die stationre Aufnahme in eine onkologische AHB-Klinik sind die Rehabilitationsfhigkeit, Rehabilitationsbedrftigkeit und Rehabilitationsbereitschaft des Betroffenen. Ist er nicht ber sein Tumorleiden aufgeklrt oder stehen kurativmedizinische Manahmen im Vordergrund oder ist er in erheblichem Mae pflegebedrftig, so ist er nicht rehabilitationsfhig. >
Eine Rehabilitationsfhigkeit besteht nur dann, wenn eine Besserung der bestehenden Probleme zu erwarten ist und eine Bereitschaft zur Mitarbeit besteht.
Stationre Rehabilitationsmanahmen bei unmotivierten, d.h. nicht rehabilitationsbereiten Patienten sind wenig aussichtsreich. Fr Patienten und Behandelnde stellen sie eine unntige Belastung dar. Vorstellbar ist, da keinerlei krperliche, psychische, soziale oder berufliche Probleme vorliegen. Ist dies der Fall, so besteht keine Rehabilitationsbedrftigkeit. Prkanzerosen gelten sozialrechtlich als nicht rehabilitationsbedrftig.
5 Diagnostische Maßnahmen in der onkologischen Rehabilitation Eine ausfhrliche Rehabilitationsdiagnostik bestehender Folgestrungen („impairments“), der hierdurch bedingten funktionellen Einschrnkungen („disabilities“) und der resultierenden Beeintrchtigungen („handicaps“) stellt die Basis aller Rehabilitationsmanahmen dar. Hierfr gelten nicht nur objektive Kriterien, sondern auch die subjektiv von den Betroffenen gemachten Angaben (Delbrck 1998). Im Rahmen der Diagnostik ist grundstzlich auch ein Rezidivausschlu bzw. ein Staging der Tumoraktivitt notwendig. Ohne diese „Nachsorgediagnostik“ (Delbrck 2003) ist eine Rehabilitationsplanung unmglich. Gleichzeitig mu eine psychische Exploration erfolgen und die soziale und berufliche Rehabilitationsbedrftigkeit festgestellt werden.
6 Therapeutische Maßnahmen 6.1 Somatische Therapien in der onkologischen Rehabilitation Art und Ausma der in der Krebsrehabilitation notwendigen therapeutischen Manahmen richten sich primr nach dem Schweregrad der Behinderung und erst sekundr nach der Ausdehnung der Erkrankung. Dies unterscheidet die Rehabilitationsonkologie von der medizinischen Nachsorge, deren Akzente ausschlielich vom Schweregrad der Erkrankung her
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bestimmt sind. Dies bedeutet allerdings nicht, da im Rahmen der Rehabilitation nicht auch tumorverkleinernde Manahmen (Operation, Chemotherapie, Hormontherapie, Strahlentherapie) durchgefhrt werden knnten. Entscheidend ist jedoch, da diese Tumortherapien ausschlielich unter dem palliativen oder prventiven und nicht unter dem kurativen Aspekt erfolgen. >
Entgegen manchen Vorstellungen schliet also eine Tumoraktivitt Rehabilitationsmanahmen nicht aus, sondern modifiziert diese lediglich. Viele Tumor- und Schmerztherapien machen den Patienten erst wieder rehabilitationsfhig.
Beim operierten Magenkarzinompatienten (Delbrck 2003) sind es in erster Linie die Beschwerden und Folgeerkrankungen nach partieller und totaler Gastrektomie, beim Prostatakarzinom (Delbrck 2003) sind es die Inkontinenz, die Impotentia coeundi und das Lymphdem. Beim Mammakarzinom (Delbrck 2003) sind es die zahlreichen sich aus der Brustentfernung und der Chemo-/Strahlen- und Hormontherapie ergebenden psychischen und physischen Probleme. Die Aufklrung ber allgemeine und spezielle gesundheitliche Risikofaktoren (primre Prvention) und ber Mglichkeiten und Grenzen additiver Therapiemanahmen (tertire Prvention) ist ebenfalls Bestandteil der onkologischen Rehabilitationsmanahmen. Der Schwerpunkt der Gesundheitsbildung sollte hier weniger bei allgemein prventiven als bei krankheitsspezifischen Programmen liegen. Auch fr Krebspatienten gilt, da nicht nur die Krebserkrankung, sondern die gesamte Polymorbiditt, da nicht nur die krebsbedingte Behinderung, sondern die gesamte Rehabilitationsbedrftigkeit und auch das Umfeld des Patienten mit in die Therapien einbezogen werden mssen. 6.2 Psychologische Maßnahmen in der onkologischen Rehabilitation Der Bedarf an psychologischer Hilfestellung und Beratung ist innerhalb der onkologischen Rehabilitation besonders hoch, da gerade die Bewltigung der Krebserkrankung eine besonders starke psychische Belastung darstellt (Delbrck 2003, Weis u. Bartsch 2000, Koch u. Potreck-Rose 1990). Im Verlauf der Krebserkrankung sind verschiedene rehabilitationsbedrftige Reaktionsphasen zu unterscheiden. Diese Phasen gehen hufig nicht mit den Krankheitsphasen parallel: F F F F
die die die die
Schockphase, Reaktionsphase, Bearbeitungsphase, innere Neuorientierung und Bewltigung.
29.1
Nachsorge und Rehabilitation nach Tumortherapie
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Sie gehen flieend ineinander ber und werden gelegentlich bersprungen oder laufen parallel. In allen Phasen kann die Hilfe eines klinischen Psychoonkologen notwendig werden. Diese Hilfe darf jedoch niemals getrennt von den medizinischen, sozialen oder beruflichen Hilfen erfolgen. Grundstzlich gilt auch fr die Rehabilitation, da psychologische Hilfen oder eine Psychotherapie das Tumorleiden selber nicht beeinflussen knnen; sie knnen ausschlielich die Auswirkungen des Tumorleidens und der Therapie wirkungsvoll lindern und sind immer nur supportiver, niemals kurativer Natur.
7 Soziale Maßnahmen in der onkologischen Rehabilitation Im Rahmen der sozialen Rehabilitationsdiagnostik geht es um die Frage einer eventuellen sozialen Hilfsbedrftigkeit und in der „Therapie“ um Lsungsanstze (Delbrck 2003). Diese mssen gemeinsam mit den Patienten und den Angehrigen gesucht werden. Hierbei ist hufig die Initiierung von Fremdhilfe und Untersttzung notwendig, da viele krperlich nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Oft liegt auch eine ausgeprgte Antriebslosigkeit vor. Die Motivation zur Eigenhilfe und die Hilfe zur Selbsthilfe haben einen sehr hohen Stellenwert in der sozialen Krebsrehabilitation. Die Selbsthilfegruppen erfllen hierbei eine wesentliche Aufgabe. Sie haben neben medizinischen und prothetischen Sachkenntnissen hufig auch ein differenziertes sozialrechtliches Wissen, das sie an ihre Mitglieder weitervermitteln. Darber hinaus ben sie auf die Betroffenen einen aktivierenden Einflu aus. Bekannte Selbsthilfegruppen und deren Adressen sind in speziellen Ratgebern fr Betroffene und Angehrige vermerkt (Delbrck 1992…2004). >
Selbsthilfegruppen sollten von dem betreuenden Arzt als Partner und nicht als Konkurrent in der medizinischen und psychosozialen Rehabilitation angesehen werden. Erfahrungsgem wenden sich die Patienten erst dann paramedizinischen Disziplinen zu, wenn sie von schulmedizinisch orientierten ˜rzten nicht gengend ernst genommen und beraten werden.
Rehabilitation und Nachsorge sind ohne Aufklrung und aktive Mitarbeit des Patienten unmglich. Oft kann von den Krankenhausrzten und Schwestern nicht die ntige Zeit aufgebracht werden, um ausfhrlich auf die vielen Fragen des Krebspatienten einzugehen. Zahlreiche Ratgeber, speziell fr Betroffene mit Brustkrebs, Darmkrebs, knstlichem Darmausgang, Prostatakrebs, Magenkrebs, Lungenkrebs, Pankreaskarzinom, Plasmozytom/Myelom, chronischer Leukmie, fr Patienten nach Stammzelltransplantation und fr Patienten mit Krebsschmerzen oder mit Ernhrungsproblemen (Delbrck 1992…2004), versuchen, den Patienten und seine Angehrigen
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zu informieren. Zwar sollen diese Ratgeber nicht das Gesprch mit dem nachsorgenden Arzt ersetzen; sie knnen dem Patienten jedoch wichtige Hilfen und Informationen vermitteln und ihn dadurch strker in die Versorgung mit einbinden.
8 Berufliche Maßnahmen in der onkologischen Rehabilitation Nicht nur aus menschlichen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Grnden mu der beruflichen Problematik (Rehabilitation vor Rente!) ein grerer Raum in der Nachsorge und Rehabilitation Erwerbsttiger eingerumt werden. Je nach Tumorleiden sind 7…85% der Krebspatienten im erwerbsfhigen Alter. Bei diesen Patienten mu vom nachsorgenden Arzt sowohl ein negatives als auch ein positives berufliches Leistungsbild erstellt werden: F F
Unter einem negativen Leistungsbild versteht man Ttigkeiten, die nicht mehr durchgefhrt werden knnen. Das positive Leistungsbild beschreibt hingegen Ttigkeiten, die trotz Tumorerkrankung bzw. Therapiefolgestrungen noch zumutbar sind.
Vor einer vorzeitigen Berentung, auch einer nur zeitweiligen Berentung, ist dringend zu warnen. Nach einer „Zeitrente“ finden viele Patienten nicht mehr den Anschlu an die Arbeitswelt. Grundlage der Beurteilung einer Leistungsfhigkeit ist nicht etwa die Prognose, sondern die momentane Leistungsfhigkeit. Die Prognose geht lediglich in die Beantwortung der Frage ein, ob und, wenn ja, in welchem Ausma Rehabilitationshilfen geleistet werden sollen. Welche arbeitsplatzerhaltenden Manahmen, einschlielich Eingliederungshilfen, Arbeitsfrderung und Berufsfrderung sowie Arbeitsplatzumsetzung, in Frage kommen, wer diese finanziert, ab wann eine berufliche Neuorientierung sinnvoll und durchfhrbar ist und wo detaillierte Informationen erhltlich sind, kann der Krebspatient am besten in der onkologischen Rehabilitationsklinik, notfalls auch ambulant beim Rehabilitationsberater der jeweiligen Rentenversicherung erfahren. >
Jeder Krebspatient im erwerbsfhigen Alter mu im Rahmen der stationren Anschluheilbehandlung beruflich beraten werden.
In der sozialmedizinischen Stellungnahme des Entlassungsschreibens mu grundstzlich auf die spezielle berufliche Situation des Krebspatienten eingegangen werden. Eine besondere Hilfe fr die Rckkehr in das Arbeitsleben stellt die stufenweise erfolgende Wiederaufnahme der Beschftigung bei fortbestehender Arbeitsunfhigkeit dar. Der besondere Vorteil dieser Regelung liegt darin, da die Arbeitsbelastung auf den Grad der psychischen und physischen Einschrnkungen abgestimmt werden kann und
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die Eingewhnung in den Arbeitsproze und das Zurechtfinden in der Arbeitswelt dadurch erleichtert werden.
9 Zugangswege, Finanzierung und Organisation Voraussetzung fr die Nutzung stationrer und ambulanter Rehabilitationsmanahmen ist ein Versicherungsverhltnis des Betroffenen bei einem Trger der Rehabilitation. Je nach Zugehrigkeit zu einem Rentenversicherungstrger, aber auch je nach Behinderung kommen unterschiedliche Kostentrger in Betracht (Abb. 1). Ein Katalog mit Beschreibung der fr stationre Anschluheilbehandlungen zugelassenen Rehabilitationskliniken fr BfA-Angehrige auerhalb
Abb. 1. Diagramm zur Ermittlung des Kostentra¨gers
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Nordrhein-Westfalens kann ber die BfA in Berlin (10709 Berlin-Wilmersdorf, Ruhrstr. 2), ber die fr den Betroffenen jeweils zustndige Landesversicherungsanstalt oder in Nordrhein-Westfalen ber die Arbeitsgemeinschaft fr Krebsbekmpfung in Bochum (44799 Bochum, Universittsstr. 140) bezogen werden. Wichtig ist der Hinweis, da das stationre Anschluheilverfahren (entsprechend den Richtlinien der BfA) nur in AHBKliniken durchgefhrt werden darf, die nicht mehr als maximal 100 km vom Wohnort entfernt sind. Die Heilverfahren sollten nach Mglichkeit in onkologisch ausgerichteten Tumornachsorge- und Rehabilitationskliniken und nicht in Sanatorien oder anderen „Fachkliniken“ durchgefhrt werden. Letztere verfgen zumeist nicht ber die notwendigen onkologischen Erfahrungen, das ausgebildete Personal und die erforderlichen Einrichtungen, um auf die besonderen Nachsorge- und Rehabilitationsbedrfnisse von Krebspatienten eingehen zu knnen. Die Prfung der Leistungszustndigkeit fr die AHB erfolgt erst nach der Aufnahme in die AHB-Klinik. Die Einweisung erfolgt also durch direkten Kontakt des Krankenhausarztes (Sozialdienstes) mit der AHB-Klinik. Das Antragsverfahren bei spteren stationren Heilverfahren (Kuren) mu hingegen grundstzlich ber den finanziellen Trger eingeleitet werden, d.h., der Antrag mu von den Hausrzten bei den Rentenversicherungen bzw. den gesetzlichen Krankenversicherungen (in Nordrhein-Westfalen grundstzlich ber die Arbeitsgemeinschaft fr Krebsbekmpfung mit Sitz in Bochum) gestellt werden. Diese bestimmen die zu belegende Rehabilitationsklinik, wobei von den beantragenden ˜rzten Wnsche geuert werden knnen. Ein besonderes Charakteristikum fr Tumorpatienten ist die Bestimmung, da, anders als bei anderen Indikationen, stationre Rehabilitationsmanahmen durch die Rentenversicherungen auch bei Patienten auerhalb des Erwerbslebens, ja sogar auch an nichtversicherte Ehepartner und Kinder gewhrt werden knnen (Delbrck 2003).
10 Dokumentation, Qualita¨tssicherung und Evaluation Die fehlende Evaluation der Rehabilitationsmanahmen ist mit ein Grund fr deren bislang schlechte Reputation in der Schulmedizin und fr viele noch bestehende Miverstndnisse bei ˜rzten und Patienten. Eine Evaluation und wissenschaftliche Reproduzierbarkeit der durchgefhrten Manahmen lt sich nur durch eine Dokumentation der Rehabilitationsbedrftigkeit, der durchgefhrten Rehabilitationsmanahmen, des Verlaufs und des Erfolgs der durchgefhrten Therapiemanahmen erreichen. Eine Weiterentwicklung bzw. Verbesserung der Rehabilitation ohne Dokumentation und Evaluation ist unmglich (Tabelle 1). Bei der Evaluation ist in erster Linie danach zu fragen, wie … und nicht wie lange … der Patient gelebt hat. Hierbei sind nicht nur somatische Erfolgsparameter whrend der
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Nachsorge und Rehabilitation nach Tumortherapie
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Tabelle 1. Anliegen und Fehlentwicklungen in der stationa¨ren Krebsnachsorge/Rehabilitation. Anliegen
Fehlentwicklungen
Rehabilitation
Kuration
Ganzheitliche Betreuung
Ausschließlich Beru¨cksichtigung des Krebsleidens
Glied in onkologischer Versorgungskette
Isolierte Maßnahme
Evaluation und Weiterentwicklung der Maßnahmen
Ausschließlich Erfahrungsmedizin
Prima¨re und tertia¨re Pra¨vention
Sekunda¨re Pra¨vention
Aktivierung des Patienten
Passivbetreuung, ausschließlich Roborierung
stationren Rehabilitation, sondern in gleichem Mae auch sptere psychische, soziale und berufliche Parameter bei der Beurteilung der in der stationren Rehabilitation stattgefundenen Bemhungen hinzuzuziehen. Fr die onkologische Rehabilitation gibt es objektive und wissenschaftlich reproduzierbare Evaluationsparameter, die sich allerdings erheblich von denen der Akutonkologie und der medizinischen Nachsorge unterscheiden (Delbrck 2003). Literatur Delbrck H (1992…2004) Ratgeberreihe fr Krebspatienten. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. W. Kohlhammer, Stuttgart Delbrck H (Hrsg) (1997) Standards und Qualittskriterien in der Onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen Delbrck H (1998) Rehabilitation bei onkologischen Krankheitsbildern. In: Delbrck H, Haupt E (Hrsg) Rehabilitationsmedizin, 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Mnchen Delbrck H, Rbben H (Hrsg) (1993) Krebsnachsorge und Rehabilitation. Prostatakarzinom. Zuckschwerdt, Mnchen Delbrck H (2003) Krebsnachbetreuung (Nachsorge, Rehabilitation, Palliation) Springer, Heidelberg Herschbach P (1991) Mglichkeiten der Erfassung von Lebensqualitt bei gastroenterologischen Krebspatienten. In: Delbrck H (Hrsg): Krebsnachsorge und Rehabilitation. Magenkarzinom. Zuckschwerdt, Mnchen, S 118…130 Koch U, Potreck-Rose F (1990) Krebsrehabilitation und Psychologie. Springer, Berlin Heidelberg New York Yokyo Tiedt G (1998) Rechtliche Grundlagen der medizinischen Rehabilitation. In: Delbrck H, Haupt E (Hrsg) Rehabilitationsmedizin, 2. Auflage, Urban & Schwarzenberg, Mnchen Weis J, HH Bartsch (Hrsg) (2000) Fatigue bei Tumorpatienten. Eine neue Herausforderung fr Therapie und Rehabilitation. Karger, Basel
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29.2 Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren B. Mller
1 Ziele Die speziellen Ziele der Rehabilitation sind wesentlich geprgt durch die neurologischen Funktionsstrungen, zu denen auch kognitive und psychische Beeintrchtigungen gehren. Diese sind berwiegend der Hirntumorerkrankung selbst geschuldet, knnen aber auch durch die Tumortherapie verstrkt werden. Abhngig von der Prognose und dem Stadium wird gegenber den Leitlinien allgemeiner neurologischer Rehabilitation eine rasche Restitution der Autonomie gegenber mglichst physiologischer Adaptation favorisiert. Auer neurologischen Problemen sind allgemeine Komplikationen wie Thrombosen und Infekte wesentliche Morbidittsfaktoren bei Hirntumorpatienten. Spezifische Probleme im Zusammenhang mit der Tumortherapie erfordern zudem spezielle Kompetenz und Erfahrung.
2 Spektrum der Beeintra¨chtigungen Nur eine Minderheit der Hirntumorpatienten zeigt im Rahmen der initialen Erkrankung und Therapie „fokale“ neurologische Defizite (Lhmungen der Extremitten, Strungen des Schluckaktes und der Mimik, Gleichgewichtsstrungen, Hyp- und Dyssthesien) oder evidente neuropsychologische Strungen (Aphasie, Apraxie, Hemineglect, Sehstrungen). Diese Patienten bedrfen einer intensiven stationren Rehabilitation, die mglichst frhzeitig nach dem Eintritt der Symptomatik einsetzen sollte, ggf. auch schon parallel zur Fortfhrung der Tumortherapie. Leider ist dies aus organisatorischen Grnden parallel zur Bestrahlung selten mglich. Grundstzlich gelten fr die Rehabilitation der Hirntumorpatienten mit deutlichem Funktionsdefizit die allgemeinen Prinzipien neurologischer (Frh-)Rehabilitation … sie knnen in diesem Rahmen nur angedeutet werden (siehe Lehrbcher der neurologischen Rehabilitation). Aber auch Patienten ohne evidente Funktionsstrungen zeigen in aller Regel typische neurokognitive, emotionale und intentionale Beeintrchtigungen … mit erheblicher Implikation auf die Lebensqualitt von Patienten und Angehrigen. Krankheitsbedingt nehmen die Patienten diese Defizite oft nicht wahr, eine einfhlsame Schulung als Voraussetzung fr die Anpassung an diese Situation erfordert eine differenzierte neuropsychologische Ausbildung. Die sozialmedizinische Betreuung sollte die Angehrigen einbeziehen unter Wahrung der Eigenverantwortung des Patienten.
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Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren
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Neben diesen generellen Regeln der Rehabilitation von Patienten mit Hirnleistungsstrungen sind spezifische neuroonkologische Aspekte zu bercksichtigen … typische Komplikationen, Nebenwirkungen der Therapie (Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie). Die Behandlung von Anfallsleiden, Hirndruck, psychischen Strungen erfordert genaue Kenntnisse der pharmakologischen Interaktionen. 2.1 Lokalisationsabha¨ngige Funktionssto¨rungen Patienten mit malignen hirneigenen Tumoren zeigen initial nur zu etwa 20% fokale neurologische Funktionsstrungen, bei Hirnmetastasen liegt diese Rate hher. Eine bersicht ber die differentielle Therapie bei fokalen neurologischen Funktionsstrungen gibt Tabelle 1.
Tabelle 1. Lokalisationsabha¨ngige ha¨ufige neurologische Funktionssto¨rungen bei Hirntumoren und Therapieziele Funktionssto¨rung
Ziele und Methoden
Hemiparese bis schwere Hemiparese/Hemiplegie brachiozephal betont
Je nach Ausmaß: Mobilisation in den Rollstuhl (zuna¨chst passiv), Rumpfstabilisation Anbahnung von Funktion in Arm und Bein, ggf. Laufbandaktivierung, nach Anbahnung ggf. „Automove“ Grobmotorik des Armes Feinmotorik: motorische und sensorische U¨bungen Evtl. „forced use“ Training von Alltagsverrichtungen bei Hemiparese (ggf. mit Hilfsmitteln) *
*
* * * *
Schlucksto¨rung
Fazio-orale Therapie (Sensibilita¨tstraining, Faszilitation, Kompensationsstrategien)
Sprachsto¨rung
Logopa¨dische Therapie, bei globaler Aphasie: Musiktherapie, Kommunikationsaufbau Gezielte Aktivierung der Neglectseite
Hemineglect Tonussto¨rung
Tonusregulation (Spastik) durch Lagerung, Physiotherapie, Casting, selten medikamento¨s, „Motomed“
Schulter-Arm-Syndrom
Vermeiden von Schulterluxation und Schulter-Arm-Syndrom (begleitende physikalische Maßnahmen), medikamento¨se Therapie
Vegetatives O¨dem/ Thromboserisiko
Manuelle Lymphdrainage, Lagerung, Vermeiden von Traumatisierung der Extremita¨t, initial Low-dose-Heparin
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
2.2 Epileptische Anfa¨lle 30% aller malignen hirneigenen Tumoren und Metastasen manifestieren sich mit einem Anfall, dennoch bleiben viele Patienten nach der Tumorresektion lange anfallsfrei, weshalb die Indikation zur Einstellung auf Antiepileptika kritisch geprft werden mu (Tabelle 2; s.a. Forsyth et al. 2003). Tabelle 2. Anfallsrisiko bei Gliomen und Hirnmetastasen Inzidenz von Anfa¨llen bei malignen Gliomen: * * *
20–40% als Initialsymptom ca. 30% im weiteren Verlauf Inzidenz bei Glioblastomen eher niedriger
(Moots 1995)
Antiepileptische Behandlung: *
*
„Prophylaxe“ fu¨hrt nicht zu Risikoreduktion (versus Plazebo) ca. 30% im weiteren Verlauf trotz antiepileptischer Einstellung Anfa¨lle
(Glantz et al. 1998, 1996) (Moots 1996)
Indikationen zur antiepileptischen Einstellung sind: F F
rezidivierende Anflle, auch nach einer Resektion singulrer Anfall bei Zeichen erhhter zerebraler Erregbarkeit.
Anfallsleiden manifestieren sich nicht nur als typische (sekundre) Grand mal, sondern verbergen sich gelegentlich hinter vieldeutigen Symptomen wie Angstattacken, belkeit, Geruchshalluzinationen oder sensiblen Reizphnomenen. Bei „kleinen“ Anfllen, wie z.B. sensiblen Jackson-Anfllen, mu zwischen der Beeintrchtigung durch die Dauermedikation und durch die Anflle selbst abgewogen werden. Anflle bei Hirntumorpatienten sind grundstzlich als sekundre Anflle einzustufen, auch wenn dies in der klinischen Manifestation nicht immer erkennbar ist. Antiepileptische Therapie
Lange Zeit galt Carbamazepin als Substanz der Wahl fr die Behandlung von Anfllen bei Hirntumoren. In Konkurrenz stand Phenytoin, das sich auch als i.v. Medikation perioperativ eignet. Mittlerweile sind mehrere der „neuen“ Antiepileptika auch fr die Initialund Monotherapie zugelassen und stellen eine wesentliche Alternative zu den klassischen Prparaten dar. Neuere Prparate (Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam) beeintrchtigen kognitive Funktionen geringer als die klassischen … dies gilt insbesondere bei organischen Hirnschdigungen, also
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Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren
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auch bei Hirntumoren (Kalviainen et al. 1995; Meader 2003; Monaco et al. 1997; Prevey et al. 1996; Swann 2001). Zudem sind die pharmakologischen und toxikologischen Interaktionen geringer. So zeigen Gabapentin und Levetiracetam weder nennenswerte Plasmaeiweibindung noch Enzyminduktion; deshalb beeinflussen sich die Wirkspiegel dieser Substanzen mit periodisch applizierter Chemotherapie weniger als bei den klassischen Substanzen (Tabelle 3). Tabelle 3. Klassische Antiepileptika: Besondere Probleme in der Neuroonkologie Substanz
besondere Probleme
Carbamazepin
Allergie, Leukopenie, Hyponatria¨mie, Plasmaeiweißbindung, Enzyminduktion
Phenytoin
Plasmaeiweißbindung, Enzyminduktion, Intoxikationsrisiko, Allergie
Valproat
Intoxikationsrisiko, Leber- und Pankreasscha¨digung
2.3 Hirndruck Whrend das akute vasogene Hirndem meist rasch auf Steroide und Osmodiuretika anspricht, erfordert die Behandlung des chronischen Hirndrucks eine individuell abgestimmte Therapie, da Wirkungsverlust und Nebenwirkungen die klassische Therapie begrenzen. 2.3.1 Medikamento¨se Therapie Steroide
Das vasogene Hirndem wird durch akute Gabe von Steroiden binnen Stunden eindrucksvoll verringert, der Effekt hlt Tage an und ist nicht an die pharmakologische Halbwertszeit gebunden. Die chronische Applikation ist weniger effektiv und fhrt zu problematischen Nebenwirkungen. Insbesondere die proximal betonte Myopathie kann als Parese fehlinterpretiert werden. Grundstzlich sollte eine hher dosierte Steroidmedikation (ab 20 mg Prednison) regelmig berprft und probeweise reduziert werden. Abgesehen von Risikosituationen … Applikation von Chemotherapie, Radiatio, insbesondere bei deutlichem Resttumor bzw. Hirndruck … sind prophylaktische Gaben von Steroiden nicht sinnvoll. Beim Absetzen mu jedoch eine mgliche suppressionsbedingte Nebennierenrindeninsuffizienz bercksichtigt werden. Bei der Auswahl sollte ein eher kurzwirkendes, nichtfluoriertes Steroid eingesetzt werden. Dexamethason kann schon nach wenigen Applikationen zu einer lang anhaltenden Suppression der Nebennierenrinde fhren, das
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Risiko ossrer Nebenwirkungen ist grer als bei Prednison. Die gering mineralokortikoide Wirkung von Prednison ist eher gnstig, da unter Dexamethason oft eine Tendenz zur Hyponatrimie beobachtet wird, die demfrdernd wirkt. Die antidematsen Wirkungen quivalenter Steroiddosen unterscheiden sich nicht. Osmodiuretika
Den raschesten Wirkungseintritt zeigen zweifellos Mannit (20%) und Sorbit (40%). Sie bentigen allerdings auf jeden Fall einen zentralvensen Zugang. Besonders bei gestrter Blut-Hirn-Schranke kann es mangels Abbau zu einer intrazellulren Akkumulation kommen, die durch Osmose/Zellschwellung ein „Rebound-Phnomen“ provoziert. Rasche osmotische Entgleisungen unter Sorbittherapie sollten an einen Glukose-6-PhosphataseMangel denken lassen. Pharmakologisch gnstiger ist Glyzerol. Die i.v. Prparation enthlt (nur) 10% Glyzerol, zudem Glukose (!) und ist deshalb etwas weniger wirksam als Sorbit oder Mannit, kann jedoch ggf. zumindest vorbergehend auch ber eine periphere Vene infundiert werden. Die orale Gabe von 40 ml hochprozentiger (85%) Glyzerinlsung bewirkt nach 20 Minuten eine Senkung von erhhtem Hirndruck, die einer i.v. Applikation von 50 ml Sorbit vergleichbar ist und ca. 2…3 Stunden anhlt. Glyzerin wird intrazellulr metabolisiert und fhrt deshalb nicht zu einem Rebound. Oral appliziertes Glyzerin wird zu etwa einem Drittel renal eliminiert. Nur bei mangelnder Flssigkeits- und Elektrolytzufuhr besteht die Gefahr einer Kumulation mit osmotischer Entgleisung (hyperosmolares Koma mit Anionenlcke) >
Alle Osmodiuretika mssen als Bolus verabreicht werden.
Sonstige Diuretika
Fr andere Diuretika ist ein Effekt auf ein Hirndem nicht gesichert. Pathophysiologisch ist der evtl. induzierte Hmatokritanstieg hinsichtlich der Perfusionsbedingungen eher ungnstig. Zudem wird das Risiko einer osmolaren Entgleisung verschrft. Indometacin, COX2-Inhibitoren
Fr diese Substanzen ist theoretisch und nach experimentellen Daten ein Effekt auf den Hirndruck mglich, bisher liegen jedoch kaum klinische Daten vor. Als ergnzende Manahme ist die Gabe dieser jedenfalls analgetisch wirksamen Substanzen sinnvoll.
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Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren
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2.3.2 Weitere Maßnahmen Lagerung: Besonders bei morgendlichem druckbedingtem Kopfschmerz hilft eine Hochlagerung des Oberkrpers (Verbesserung der Perfusion durch Abnahme des Druckes im vensen Schenkel). Vermeiden o¨deminduzierender Noxen: Hypoxie, Hyperviskositt, epileptische
Anflle, Hyperglykmie, Fieber, Hyponatrmie und verschiedene Pharmaka (Vasodilatanzien, z.B. Nitroglyzerin; Kalzium-Antagonisten, z.B. Nimodipin, Nifedipin; Narkotika, z.B. Ketamin) verstrken ein Hirndem und mssen vermieden werden. 2.4 Schmerzen 2.4.1 Grundlagen
Im Gegensatz zu Patienten mit extrakraniellen Tumoren, bei denen Schmerz in ber der Hlfte der Flle die gravierendste Beschwerde ist, klagen Patienten mit Hirntumoren relativ selten ber Schmerzen. Gliome wachsen im nicht schmerzempfindlichen Parenchym des ZNS und metastasieren so gut wie nie nach extrakraniell. Selten kann durch einen Proze im Thalamus eine zentrale Schmerzsensation ausgelst werden. Schmerzen knnen durch direkte (Meningeosis neoplastica) oder indirekte (Raumforderung) Einwirkung auf die schmerzempfindlichen Strukturen des ZNS (Meningen, meningeale Gefe, Nerven und -wurzeln) ausgelst werden. >
Vor Einleiten einer Analgesie die Pathogenese der Schmerzen klren!
Bei chronischen Schmerzen ist unbedingt eine ausreichende Basis- und Dauermedikation in regelmigen Intervallen zu applizieren. Reine Bedarfssteuerung fhrt zu Schmerzspitzen und u.U. Habituation des Schmerzempfindens. Regelmige Applikation senkt den Analgetikabedarf und beherrscht den Schmerz besser (siehe WHO-Empfehlung). In der Neuroonkologie sind hinsichtlich der Substanzwahl Modifikationen angezeigt, da viele Analgetika zentrale Nebenwirkungen haben (Vigilanzminderung, Erhhung der Anfallsbereitschaft, Provokation extrapyramidaler Bewegungsstrungen, Zunahme des Hirndrucks). 2.4.2 Therapeutische Prinzipien Kopfschmerz durch diffusen Hirndruck
Suffiziente antidematse Therapie ist die beste analgetische Grundlage, die hufig zu einer ausreichenden Schmerzlinderung fhrt. Oft fehlt der Kopfschmerz bei Patienten mit Hirndruck berhaupt, die einsetzende Bewutseinstrbung steht dann im Vordergrund. Ist eine zustzliche Analgesie er-
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forderlich, so setzen wir zunchst Indometacin ein. Als weitere Stufen ist ein Umsetzen auf nichtsteroidale Analgetika, COX2-Hemmer, Metimazol und schlielich Opoide bzw. Opiate indiziert. Die transdermale Applikation ist bei belkeit und Schlafstrung, aber auch wegen der gleichmigen Wirkung zu bevorzugen. Zustzlich knnen Antidepressiva (cave: Anfallsprovokation), Benzodiazepine (cave: Vigilanzminderung und Atemdepression) oder Neuroleptika (cave je nach Substanzprofil: Anfallsprovokation, Vigilanzminderung, extrapyramidalmotorische Bewegungsstrung) eingesetzt werden. Thalamusschmerz und andere zentrale Schmerzformen
Diese seltene Schmerzform spricht nur schlecht auf klassische Analgetika an, sie ist eher durch Antiepileptika (Gabapentin oder Carbamazepin) und klassische Antidepressiva beeinflubar. Schmerz durch meningeale Reizung
Meningeale Schmerzen treten vor allem bei der Meningeosis neoplastica auf. Sie beruhen zum einen auf einer tumorsen Infiltration, zum anderen jedoch auch auf einer begleitenden entzndlichen, „vaskulitischen“ Komponente. Schon aus diesem Grund sind antiphlogistische Substanzen indiziert. Steroide knnen bei lokaler, lumbal-intrathekaler Applikation eindrucksvolle Palliation erreichen (Meador 2003; Moots et al. 1995a), wirken wie bei granulomatsen Meningitiden aber auch bei systemischer Gabe. Nichtsteroidale Antirheumatika und Metimazol sind hier oft wirksamer als Opiate. Neuralgiformer Schmerz
Lanzinierende, ausstrahlende, oft anfallsartig heftige Schmerzen, die vegetative Begleitreaktionen provozieren knnen, sind charakteristisch fr eine Irritation peripherer Nerven oder Nervenwurzeln, z.B. im Rahmen einer Meningeose. Mittel der ersten Wahl ist eine Dauermedikation mit Carbamazepin oder Gabapentin. Auch Steroide (kurzfristig, hochdosiert) sind wirksam. Lngerfristig knnen trizyklische Antidepressiva oder Neuroleptika die Schwelle der einschieenden Schmerzen senken. Par- und Dysa¨sthesien
Als Folge einer Chemotherapie, ganz besonders beim Einsatz von Vinca-Alkaloiden, kann es zu ausgesprochen schmerzhaften Polyneuropathien kommen. Diese sind leider einer medikamentsen Therapie kaum zugnglich. Carbamazepin bessert die Symptomatik auch nur in Ausnahmefllen. Bei rechtzeitiger Beendigung einer Vinca-Alkaloid-Therapie kann sich die Polyneuropathie teilweise zurckbilden.
29.2
Rehabilitation und Nachsorge bei Hirntumoren
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Spinale Meningeosen fhren ebenfalls zu Dyssthesien, die von den Patienten mit Worten wie „eine zweite Haut“ beschrieben werden, sehr unscharf abgegrenzt sind und sich bei Sensibilittsprfungen kaum objektivieren lassen. Die Therapie sollte zunchst auch unter palliativer Zielsetzung antineoplastisch sein (intrathekal, Radiatio), ansonsten s. oben! Relativ selten sind schmerzhafte Dyssthesien zentral … durch Herde in der Postzentralwindung, in den Basalganglien oder im Hirnstamm … bedingt. Auch sie sind am besten mit Carbamazepin (Gabapentin) zu dmpfen, zumal wenn eine eher intermittierende Ausbreitung die differentialdiagnostisch wichtigen sensiblen Jackson-Anflle einbezieht. 2.5 Unspezifische Hirnleistungssto¨rung Die Lebensqualitt von Hirntumorpatienten ist nach zahlreichen Untersuchungen weniger durch die direkten und lokalisationsabhngigen Symptome beeintrchtigt als durch unspezifische Leistungseinbuen, wie sie auch nach anderen Hirnlsionen (z.B. Trauma, Entzndung) dokumentiert sind. Verminderte Ausdauer, reduzierte Initiative, affektive Nivellierung, aber auch Streintoleranz, verminderte affektive Kontrolle und sozialer Rckzug werden nicht nur von den Patienten, sondern auch von den Angehrigen beklagt. Mit differenzierten neuropsychologischen Instrumenten knnen zwar zugrundeliegende Strungsmuster dokumentiert werden, doch ist dieses Bild auch durch eine sorgfltige Anamnese inkl. privater und sozialer Aktivitten erfabar. Sie wird durch Lebensqualittsinstrumente (z.B. EORTC) gut abgebildet, entzieht sich aber grberen Skalen der Alltagsaktivitt (FIM, Barthel, Spitzer, Karnofsky). In der Rehabilitation spielt diese Symptomatik meist nicht im Rahmen der frhen Anschluheilverfahren eine Rolle, sondern erst nach Abschlu der Primrtherapie, wenn auch die Klrung weiterer beruflicher und sozialer Perspektiven ansteht. Neben irreversibler Neurotoxizitt durch den Tumor, Hirndruck, Strahlen- und Chemotherapie knnen Zusatzmedikation (Antiepileptika, Psychopharmaka) oder eine latente endokrine Beeintrchtigung diese Symptomatik verstrken … Patienten mit organischen Hirnschden sind fr zentrale Nebenwirkungen besonders empfindlich. Affektive, besonders depressive Auslenkungen sind bei Patienten mit Hirntumoren weniger prominent als z.B. nach Schlaganfall. Therapeutisch ergnzen sich psychotherapeutische Hilfestellung und psychopharmakologische Intervention. Die hufigen zentralen Nebenwirkungen der meisten Psychopharmaka (Anfallsprovokation, extrapyramidale Symptome, kognitive Beeintrchtigung) erfordern groe Erfahrung und enge Betreuung. Hufiger als affektive Syndrome sind chronische Konfliktsituationen im huslichen Umfeld, unter denen Patienten und Familie gleichermaen leiden. Die Patienten erleben berfrsorge und Abhngigkeit, seine Regres-
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sion, affektive Labilitt und mangelnde Initiative belasten die Angehrigen, bei beiden Seiten ist dieser Konflikt zustzlich mit Schuldgefhlen verbunden. Hier kann Verhaltenstherapie bei einem Neuropsychologen die husliche Situation entspannen. 2.5.1 Spezifische Therapieansa¨tze F F F
berprfen der Indikation und Substanzwahl der Antiepileptika berprfen sonstiger (zentralwirksamer) Medikation: Psychopharmaka, Antispastika, Analgetika Abklrung der endokrinen Situation: Latente hypophysr-hypothalamische Insuffizienz zeigt sich zunchst in einem grenzwertig niedrigen fT3-Spiegel bei ebenfalls niedrigem TSH, weshalb die Untersuchung von fT3, fT4, TSH und Prolaktin als Screening bei diesen Patienten angezeigt ist. Insbesondere bei Patienten, die eine Chemotherapie erhalten haben, besteht zustzlich oft eine gonadale Unterfunktion (Arlt et al. 1997).
2.5.2 Allgemeine Hilfestellung
Die Exploration der Beschwerden und Verhaltensnderungen ist der erste Schritt zu einer realistischen Selbsteinschtzung und Voraussetzung fr einen angemessenen Umgang. Die Gelegenheit zum Gesprch gemeinsam mit Partnern und Angehrigen schafft Offenheit und Entlastung. Gerade Angehrige profitieren darber hinaus vom Kontakt in Selbsthilfegruppen, die Patienten eher von aktivierender Umgebung (euthyme Therapie) und Ermutigung.
3 Berufliche und soziale Reintegration Leider ist fr die Mehrzahl der Patienten eine Rckkehr in den Beruf nicht realistisch … in Berufen mit hohen Ansprchen an kognitive Leistungen und soziale Belastbarkeit finden sich Patient wie Arbeitsumfeld nur schwer mit dem gerade in diesem Bereich reduzierten Leistungsvermgen ab, bei krperlich arbeitenden Patienten grenzen Anfallsrisiko und andere sensomotorische Probleme den Einsatz im industriellen Umfeld stark ein, auch wegen leider hufig eingebter Eignung, Fahrzeuge und Maschinen zu fhren. Dennoch sollte, wenn der Patient dies wnscht, eine berufliche Reintegration angestrebt werden. Belastungserprobung im Rahmen einer Rehabilitation, aber auch am eigenen Arbeitsplatz mit stufenweiser Reintegration eignen sich als Vorbereitung und zur Anpassung an das Leistungsvermgen.
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Bereits berentete Patienten und solche, fr die keine geeignete Arbeitsstelle zur Verfgung steht, sollten ermutigt werden, andere Kontakte und Aktivitten zu pflegen, um krperliche Aktivitt und soziale Kompetenz zu frdern. Zugang zu Rehabilitation und Supportivtherapie
Die langfristige Betreuung von Hirntumorerkrankten und ihrer Familie ist eine typische nervenrztliche Aufgabe. Die Rehabilitation sollte in neurologischen Fachkliniken erfolgen, eine spezielle neuroonkologische Erfahrung und bei systemischen Tumorerkrankungen enge Kooperation mit Onkologen ist jedoch erforderlich. Nach akuter Intervention (Operation und Strahlentherapie) ist die Voraussetzung fr eine Anschluheilbehandlung gegeben. Spter … z.B. nach Erreichen der Remission … ist auf Initiative der Patienten und ihrer behandelnden ˜rzte eine stationre Rehabilitation zu beantragen. Auch wenn diese als Rehabilitation bei Krebserkrankung bewilligt wird, so sollte sie wegen der ntigen spezifischen Therapieangebote (Neuropsychologie, Logopdie) in einer neurologischen Fachklinik erfolgen. Das Angebot an Gruppentherapie und Information fr onkologische Patienten berfordert Hirntumorpatienten hufig. Auch die Vorbereitung huslicher Hilfen oder die Einschtzung von Pflegebedrftigkeit ist von neurologischen und kognitiven Defiziten bestimmt und bedarf entsprechend fachkundiger Gutachter. Literatur Archibald YM, Lunn D, Ruttan LA (1994) Cognitive functioning in long-term survivors of high-grade glioma. J Neurosurg 80:247…253 Arlt W, Hove U, Mller B et al (1997) Frequent and frequently overlooked: treatmentinduced endocrine dysfunction in adult long-term survivors of primary brain tumors. Neurology 49:498…506 Choucair AK (1990) Proposals for evaluation of toxic effects associated with treatment of gliomas: A call for action. J Natl Cancer Inst 82:531…532 Forsyth PA, Weaver S, Fulton D et al (2003) Prophylactic anticonvulsants in patients with brain tumour. Science 30(2):106…112 Glantz MJ, Cole BF, Forsyth PA, Recht L (1998) Metaanalysis of anticonvulsant prophylaxis (ACP) in seizure-naive patients with brain tumors. ASCO Proc 17, 388 (Abstract) Glantz MJ, Cole BF, Friedberg MH et al (1996) A randomized, blinded, placebo-controlled trial of divalproex sodium prophylaxis in adults with newly diagnosed brain tumors. Neurology 46:985…991 Kalviainen R, Aikia M, Saukkonen AM et al (1995) Vigabatrin vs carbamazepine monotherapy in patients with newly diagnosed epilepsy. A randomized, controlled study [see comments]. Arch Neurol 52:989…996
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29.3 Rehabilitation bei Patienten mit Kopf-Halstumoren E. J. Borghardt
1 Einleitung Nur etwa 5% aller malignen Neuerkrankungen sind Tumoren des Kopfoder Halsbereiches (Inzidenz: in Deutschland 6 Flle/100 000 Einwohner/ Jahr) mit einer Verteilung Mnner zu Frauen = 4 : 1 und einem Altersgipfel z. Zt. um das 60. Lebensjahr, der sich nach neueren Untersuchungen sogar weiter nach unten verschiebt. Gerade diese sehr heterogene Gruppe bsartiger Tumoren stellt aber auerordentlich komplexe Anforderungen an die Rehabilitationsmedizin. Sie verursacht nicht nur krankheitsbedingt durch ihren Sitz im sensiblen Bereich von Mund, Nase und oberem Respirationstrakt erhebliche Beschwerden und z.T. schwere kosmetische Defekte. Hufiger sind es gerade die unvermeidlichen Nebenwirkungen notwendiger Kombinationstherapien, die bei den Patienten massive Beschwerdebilder hervorrufen. So sind Sprach-, Kau- und Schluckstrungen, Narbenschmerzen, Lymphdeme und Bewegungseinschrnkungen im Schultergrtel sowie Abduktionseinschrnkungen im Bereich der Arme hufig Folgen operativer Interventionen. Die Strahlentherapie fhrt zu Geschmacks- und Geruchseinschrnkung oder -verlust, Xerostomie und Dysphagie. Eine Kombination von Bestrahlung und Chemotherapie kann diese Strungen sogar noch erheblich verstrken, insbesondere ein Fatiguesyndrom (s. Kap. 27) auslsen und zu lnger anhaltender Knochenmarksdepression mit vermehrter Infektanflligkeit fhren. Die Chemotherapie selbst lst nicht selten neben den klassischen, berwiegend kurz anhaltenden Problemen von Inappetenz, belkeit und Erbrechen auch neurogene Strungen aus. Beim Ausma dieser Beschwerden mit erheblicher subjektiver Beeintrchtigung orientiert sich die Notwendigkeit medizinischer Rehabilitationsmanahmen weniger an der mglichen Dauer der berlebenszeit und damit der Prognose der Erkrankung, sondern vorrangig an der verbleibenden Lebensqualitt. Da andererseits ca. 50% der Patienten mit Kopf-Halstumoren fnf Jahre rezidivfrei bleiben (Mathoy 1991), mssen mindestens fr diesen Teil der Betroffenen durchaus auch Langzeiteffekte der Rehabilitation mit bercksichtigt werden.
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Rehabilitationsleistungen fr diese Patienten knnen immer nur durch ein Team von ˜rzten, Pflegedienst, Psychologen, Logopden, speziellen Krankengymnasten und Masseuren sowie Ernhrungsberaterinnen, Ergotherapeuten und sozialmedizinischem Dienst erbracht werden.
2 Ziel der Rehabilitation Bei der Rehabilitation von Patienten mit Kopf-Halstumoren geht es ganz allgemein um die Linderung ihrer Beschwerdesymptomatik und die Kompensation von Funktionsdefiziten (Tabelle 1) mit dem Ziel der huslichen Selbstversorgung, die bei einem Teil der Patienten aufgrund schwieriger sozialer Verhltnisse allerdings erhebliche Probleme bereiten kann. Da eine zunehmend grere Anzahl der Betroffenen noch beruflich ttig ist, hat der Erhalt der Erwerbsfhigkeit … in Relation zur Prognose der Tumorerkrankung … besondere Prioritt. Hier wird neben der Steigerung der allgemeinen krperlichen Belastbarkeit vor allem eine weitgehende Wiederherstellung der krperlichen Funktionstchtigkeit und auch der Kommunikationsfhigkeit angestrebt. Auf die Besonderheiten der Stimmtherapie nach Laryngektomie wird in einem speziellen Kapitel (29.4) eingegangen. Tabelle 1. Krankheits- bzw. Therapiefolgen bei Kopf-Halstumoren Dysphonie (totaler Stimmverlust nach Laryngektomie siehe Kap. 29.4)
Einschra¨nkung des Stimmumfangs, Stimmklangs, Stimmeinsatzes, der Stimmlage und Stimmsta¨rke
Dysphagie, Verlust von Geschmacks- und Geruchsempfindungen, Xerostomie
Appetitverlust, Gewichtsabnahme, Aspirationsgefahr
Lympho¨dem im Kopf-/Halsbereich
Schmerzen, Spannungsgefu¨hl. Zusa¨tzlich Schwellungen im Bereich der Zunge, der Lippen, des Gaumens; Kieferklemme, Schlucksto¨rungen. Einschra¨nkung der Kopfbeweglichkeit, erschwerte Stimmgebung
Narbenschmerzen
Beeintra¨chtigung der Lebensqualita¨t durch schmerzhafte Bewegungseinschra¨nkung, u.U. Gewichtsabnahme durch Schmerzen beim Kauen und Schlucken
Einschra¨nkung der Schulterund Halsbeweglichkeit. Armabduktionseinschra¨nkung
Neuromuskula¨re operative Scha¨digung im Bereich des Plexus cervicalis, des N. accessorius sowie der Mm. trapezius und sternocleidomastoideus. Dadurch bedingt: Berufs- und Erwerbsunfa¨higkeit bei ko¨rperlich ta¨tigen Patienten. Probleme mit der ha¨uslichen Selbstversorgung
29.3
Rehabilitation bei Patienten mit Kopf-Halstumoren
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Tabelle 1. (Fortsetzung) Behinderung der Atemfunktion
Einschra¨nkung oder Ausfall der Nasenatmung, fehlende Anfeuchtung und Anwa¨rmung der Atemluft, trockene Schleimha¨ute, vermehrter Hustenreiz
Vera¨nderte Ko¨rperwahrnehmung
Beeintra¨chtigung durch Sensibilita¨tssto¨rungen im bestrahlten bzw. operierten Gebiet. Bei kosmetischer Entstellung als OP-Folge zusa¨tzlich Vera¨nderungen im sozialen Umfeld. Schlafsto¨rungen
Psychische Beeintra¨chtigung
Mangelnde Krankheitsverarbeitung, Behinderung der sozialen Reintegration
Berufsunfa¨higkeit, eingeschra¨nkte Erwerbsfa¨higkeit
Finanzielle und soziale Probleme
Reduktion von Risikofaktoren. Notwendigkeit der regelma¨ßigen Nachsorge. Verwendung von Hilfsmitteln.
Prima¨r- und Sekunda¨rpra¨vention
Verbesserung von Funktionsdefiziten
3 Problembezogene Therapieansa¨tze in der Rehabilitation von Patienten mit Kopf-Halstumoren 3.1 Dysphonie Stimmstrungen treten in unterschiedlicher Ausprgung in Abhngigkeit vom Ausma der Operation nach Larynxteilresektionen bzw. Chordektomien auf. Die Strungen der Phonation betreffen Stimmumfang, -lage und -klang sowie Stimmstrke und -einsatz. Vernderungen von Atemrhythmus und/oder Atemtyp beeintrchtigen den Patienten ebenso wie allgemeine Atemprobleme in Form einer phonatorischen Dyspnoe. Allerdings stellen sie, ebenso wie ebenfalls auftretende Schluckstrungen, selten lngerfristige Probleme fr die Patienten dar. Im Rahmen ihrer Erwerbsttigkeit fhlen sich Patienten insbesondere durch die hufig vorliegende eingeschrnkte stimmliche Dynamik, eine verkrzte Tonhaltedauer, die reduzierte Stimmintensitt und eine rasche Stimmermdung beeintrchtigt. Auch wenn in der aktuellen laryngealen Tumorchirurgie Kehlkopfkarzinome zunehmend lasermikrochirurgisch operiert werden … sofern das Tumorstadium die Vermeidung einer Laryngektomie erlaubt … und sich damit eine Kehlkopfteilfunktion noch erhalten lt, so ist doch fr eine konservative Stimmtherapie im Unterschied zu anderen Indikationen bei Tumorpatienten das morphologische Substrat des sogenannten Stimmgenerators (Kehlkopf) operativ destruiert und damit grundstzlich nicht mehr durch bungen in eine Normalfunktion zurckzufhren. Deshalb
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sind spezielle Therapien zur Stimmrehabilitation notwendig. Prinzipiell handelt es sich dabei um Ersatzphonationsmechanismen. Das Therapieziel der logopdischen Behandlung liegt im Erlernen einer individuell optimalen Ersatzphonation. Die logopdischen Therapieinhalte bestehen vor allem in bungen zum Stimmeinsatz, Resonanzbungen, einem Training zur Erweiterung des Stimmumfangs und Verlngerung der maximalen Phonationszeit. Darber hinaus sind eine Verbesserung der Atemstromfhrung sowie die Erarbeitung eines physiologischen Atemrhythmus, der reflektorischen Atemergnzung und der atemrhythmisch angepaten Phonation wichtig. Beim Erlernen der kosto-abdominellen Atmung findet das respiratorische Biofeedbackgert Anwendung. Daneben wird versucht, den Patienten z.B. ber ein Entspannungstraining nach Jacobson die Wahrnehmung und Erfahrung der individuellen Krperspannung zu vermitteln. 3.2 Dysphagie, Verlust von Geschmacks- und Geruchsempfindung, Xerostomie Dysphagien treten nach operativen Eingriffen bei Tumoren der Zunge, des Gaumens bzw. Oropharynx, Larynx und Hypopharynx sowie nach Mandibulotomie oder auch durch verminderten Speichelflu bei Xerostomie nach Strahlentherapie auf. Whrend bei laryngektomierten Patienten Dysphagien eher selten auftreten, sind Schluckstrungen nach Operationen im Bereich der Mundhhle … speziell im Bereich der Zunge und des Zungengrundes … und nach Teilresektion des Kehlkopfes ein hufiges Problem. Die Schweregrade der Dysphagie sind von der Lokalisation des morphologischen Defektes und dem Ausma der Zungenresektion abhngig. Funktional unterscheidet man eine oropharyngeale Dysphagie mit Schluckbeschwerden zu Beginn des Schluckaktes (z.B. nach Resektion von Zungen-, Gaumentumoren) und eine o¨sophageale Dysphagie mit Passagebehinderung, Wrgereiz und evtl. Erbrechen (z.B. bei Hypopharynxtumoren). Mundtrockenheit sowie die ebenfalls strahlentherapiebedingte Beeintrchtigung der Geschmacks- und Geruchsempfindung fhren … wie auch die Dysphagien ganz allgemein … ber Appetitverlust zu einer progredienten Gewichtsabnahme. Die Xerostomie kann durch eine fibrinse Mukositis noch kompliziert werden. Bei Patienten mit Teilresektionen im Kehlkopfbereich besteht zustzlich zur Schluckstrung auch eine Aspirationsgefahr. Im Gegensatz zu neurologisch Erkrankten kommt es allerdings bei diesen Patienten seltener zu Aspirationspneumonien, da die Betroffenen noch ber einen Hustenreflex verfgen. Die Therapieziele liegen in der Wiederherstellung einer ausreichenden Schluckfunktion, um nach Mglichkeit eine aspirationsfreie orale Nah-
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rungsaufnahme wieder zu ermglichen. Die Linderung bzw. Kompensation von Geruchs- und Geschmacksbeeintrchtigungen ist langwierig und schwierig. Die Rckbildung der Xerostomie bei Bestrahlungsdosen unter 50 Gy ist nach ca. 2 Jahren wahrscheinlich, bei hheren Dosen ist allerdings mit einer langfristig bestehenden Xerostomie zu rechnen (Bjrnsgard 1998). Die Therapieinhalte der konservativen Schlucktherapie nach Kopf-Halstumoren setzen sich aus den Komponenten einer kausalen und kompensatorischen Therapie sowie aus ergnzenden Hilfsmitteln zusammen (Bartolome 1995, Logemann 1994). Unter den kausalen Therapieverfahren versteht man Stimulation (z.B. Tappen, thermische Stimulation mit Eis), Mobilisationstechniken (Widerstandsbungen) und autonome Bewegungsbungen (laryngeale Adduktion … Elevationsbungen). Bei den kompensatorischen Verfahren werden Haltungsnderungen (Anteflexion, Kopfrotation, Kopfkippen/Seitenlage) gebt sowie Schluckmanver (supraglottisches, super-supraglottisches Schlucken, Nachschlucken, kraftvolles Schlucken, Mendelsohn-Manver). Bei den Hilfmitteln kommen anatomisch angepate Trinkgefe sowie der sogenannte Glossektomielffel zum Einsatz. Bei Vorliegen einer Xerostomie mu der Patient angehalten werden, viel und hufig zu trinken, insbesondere auch zu den Mahlzeiten. Medikaments kann eine Behandlung mit synthetischem Speichel, Lokalansthetika und schleimhautprotektiv sowie antiphlogistisch wirkenden Medikamenten versucht werden. Mit Pilocarpin 3 5…10 mg oral (in Deutschland nicht in oraler Darreichungsform erhltlich, ersatzweise 0,5 ml 1%ige Pilocarpinhydrochlorid-Augentropfen in einem Glas Wasser) war in Studien eine Steigerung des Speichelflusses ohne systemische Nebenwirkung zu erreichen. Prophylaktisch sollte vor einer Strahlentherapie der radioprotektive Effekt z.B. von Amifostin genutzt werden (Strnad und Sauer 2001). Aufgrund des herabgesetzten Speichelflusses und der genderten Zusammensetzung des Speichels nach einer Strahlentherapie besteht eine erhhte Kariesneigung. Prventiv sollte vor Beginn der Therapie eine vollstndige zahnrztliche Untersuchung von Zhnen, Kiefer und Mundschleimhaut stattfinden. Alle nicht sanierbaren karisen Zhne und verbliebenen Wurzeln mssen extrahiert werden. Eine anschlieende tgliche Applikation von Fluoriden reduziert die Kariesanflligkeit. Die Wundheilung nach einer erforderlichen Zahnextraktion kann im Anschlu an eine Strahlentherapie verzgert sein. Zustzlich besteht das erhhte Risiko einer konsekutiven Osteo-Radionekrose. In jedem Fall sind die Patienten nach der Therapie zu einer regelmigen und grndlichen Mundhygiene anzuhalten.
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3.3 Lympho¨dem im Kopf-Halsbereich Operationen und/oder Strahlentherapie fhren oft zu einer Behinderung des Lymphabflusses mit einem nachfolgenden chronischen dem. Die Patienten leiden je nach Ausdehnung dieses Lymphdems unter einem deutlichen Spannungsgefhl bis hin zu manifesten Schmerzen. Die Schwellungen knnen sich bis in den Bereich der Zunge, der Lippen und des Gaumens ausdehnen. Es kommt zu Einschrnkungen der Kopfbeweglichkeit, Schluckstrungen und einer zustzlich erschwerten Stimmgebung. Das Therapieziel der manuellen Entstauungstherapie (Lymphdrainage) liegt in einer raschen Reduktion des Lymphdems zur Verbesserung der beschriebenen Defizite und Beschwerden sowie insbesondere in der Vermeidung einer demfibrosierung als Langzeitfolge. Die Therapie selbst erfolgt immer durch speziell ausgebildete Lymphtherapeuten. Intensitt und Frequenz der Behandlung orientieren sich an den individuellen Bedrfnissen des Patienten und dessen therapeutischer Belastbarkeit. Ergnzende Behandlungen sind in Form von Kltepackungen bzw. medikamentsen Therapieversuchen (Cortisonstotherapie) mglich. Wrmeapplikationen, z.B. in Form von Fangopackungen im oberen Thoraxbereich, sind kontraindiziert. Bei der Beantragung einer Rehabilitationsmanahme sollte beachtet werden, da sich zum einen insbesondere nach Bestrahlungsbehandlung ein Lymphdem erst mit einigen Wochen Verzgerung ausbildet und zum anderen eine sich hufig als Komplikation einstellende Strahlendermatitis eine manuelle Lymphdrainage meist nicht zult. Eine Anschluheilbehandlungsmanahme sollte deshalb frhestens 4…6 Wochen nach Abschlu einer Strahlentherapie beginnen. Bei Karzinomen im Mundbodenbereich bzw. bei fehlender R0-Resektion ist die Entscheidung fr eine Lymphdrainagebehandlung grundstzlich individuell vorzunehmen (subjektives Beschwerdebild des Patienten in Abhngigkeit von der Prognose). 3.4 Narbenschmerzen Narbenschmerzen knnen die individuelle Selbstversorgung behindern und damit zu einer erheblichen Beeintrchtigung der Lebensqualitt der Patienten fhren. Durch schmerzbedingte Schon- und Fehlhaltungen kann es zu Kontrakturen kommen, und durch Narbenschmerzen verursachte Kau- und Schluckstrungen knnen eine progrediente Gewichtsabnahme nach sich ziehen. Chronische Schmerzen verursachen einen anhaltenden Leidensdruck mit entsprechenden allgemeinen psychischen Vernderungen bei den Betroffenen. Das Therapieziel ist die maximale Reduktion der Schmerzen.
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Die Therapiemaßnahmen bestehen neben den medikamentsen Behandlungsformen (Stufenplan der Schmerztherapie nach WHO) aus intensiven krankengymnastischen sowie balneophysikalischen Therapieanstzen und schlieen eine psychologische Begleitbehandlung ein mit dem Ziel, den Patienten den Umgang mit seinen Schmerzen und deren Bewltigung erlernen zu lassen. Reizstromtherapien (z.B. TENS), Akupunktur sowie insbesondere Akupunktmassagen haben sich als lokale Behandlungsmanahmen bei Narbenschmerzen zustzlich bewhrt. 3.5 Einschra¨nkung der Schulter-Halsbeweglichkeit, Armabduktionseinschra¨nkung Behinderungen ergeben sich durch operativ bedingte neuromuskulre Schdigungen im Bereich des Plexus cervicalis, des N. accessorius sowie der Mm. trapezius und sternocleidomastoideus. Sie schrnken den Patienten nicht nur bei Ttigkeiten des tglichen Lebens ein, sondern knnen sogar bei ansonsten gutem Allgemeinzustand, insbesondere bei krperlich ttigen Patienten, hufig eine Berufs- oder gar Erwerbsunfhigkeit nach sich ziehen. Das Therapieziel liegt hier ganz eindeutig in der Verbesserung der Mobilitt und Funktionalitt sowie der Wiederherstellung selbstndig durchzufhrender Ttigkeiten, vor allem im Bereich der Selbstversorgung, sowie u.U. auch im Erhalt der Erwerbsttigkeit. Die Therapiemaßnahmen bestehen in komplexen balneophysikalischen Anwendungen, intensiven krankengymnastischen bungsbehandlungen und Ergotherapie sowie sozialmedizinischer Beratung ber die Arbeitsplatzsituation.
4 Erna¨hrungstherapie Die Ernhrungsdefizite bei Patienten mit Kopf-Halstumoren haben sehr komplexe Ursachen. Bei einer groen Zahl von Patienten kommt es bereits in der Entstehungsphase der Erkrankung durch schmerzhafte Schluckstrung oder Passagebehinderung zu Ernhrungsmngeln und resultierender Gewichtsabnahme. Zustzlich bestehen bei einem Teil der Betroffenen dauerhafte Ernhrungsdefizite aufgrund problematischer sozialer Umstnde oder in Verbindung mit chronischem Alkoholismus. In der Posttherapiephase kommen dann erschwerend fr eine regelhafte Nahrungsaufnahme die beschriebenen Behandlungsfolgen hinzu. Die Therapiestrategien mssen sich properativ am Ausma des Krankheitsgeschehens und an den zu erwartenden Therapiefolgen orientieren. So sollte beispielsweise rechtzeitig eine PEG (perkutane enterale Gastrostomie) angelegt werden, um dem Patienten zumindest postoperativ passager eine kalorisch ausreichende Sondennahrungsmenge zukommen zu lassen.
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Selbstverstndlich ist natrlich ber die PEG auch eine Langzeiternhrung mglich. Whrend der Rehabilitationsphase mu den Patienten neben den geschilderten Hilfen und gezielten bungen sowie logopdisch berwachten Schluckbungen eine detaillierte Ernhrungsberatung zuteil werden. Diese sollte sowohl Hinweise zu den verschiedenen Zubereitungsformen enthalten als auch Ratschlge zum Wrzen (insbesondere bei Patienten mit Geschmacksirritationen) und bezglich einer entsprechenden Flssigkeitszufuhr zur Schluckpassageerleichterung. Da bei diesen Tumorpatienten nur in Ausnahmefllen Verdauungsstrungen vorliegen, hufig aber eine vielfltig bedingte Appetitstrung, sollte gerade bei Patienten mit Kopf-Halstumoren sptestens in der Rehabilitationsphase nach groen Gewichtsverlusten (> 10% des Normalgewichtes) auch eine vorbergehende medikamento¨se Gewichtsstimulation versucht werden (Borghardt 2001). Hierbei hat sich in den letzten Jahren in vielen nationalen und internationalen Studien vor allem die Gabe von Medroxyprogesteronacetat (160 mg) 1…2 Tbl./Tag mindestens ber 6…8 Wochen als sinnvoll erwiesen.
5 Psychoonkologische Rehabilitation Anders als bei vielen anderen Tumorerkrankungen erleben Patienten mit HNO-Tumoren ihre Krankheit und hufig besonders auch die Therapiefolgen als Stigmatisierung. Kosmetisch schwer entstellende Narbenbildungen, erhebliche Funktionsdefizite der Schulter-Halsbeweglichkeit und der Armabduktion, die Folgen einer Tracheostomaanlage oder die Funktionsdefizite bei Dysphonie und Dysphagie erschweren diesen Menschen in besonderem Mae eine frhzeitige familire und soziale Reintegration und verlngern damit auch die Krankheitsverarbeitung. Whrend der Rehabilitationsphase mu fr die Kopf-Halstumorpatienten die psychoonkologische Therapie deshalb eine zentrale Stellung innerhalb des Rehabilitationsprogramms einnehmen. Die therapeutischen Gesprche sollen die Entwicklung neuer Lebensperspektiven frdern bzw. resignatives Verhalten verhindern, ˜ngste vor Krankheitsprogression und Sterben nehmen sowie psychische Erschpfung, Depression und allgemeine Rckzugstendenzen bzw. soziale Isolierung abbauen helfen. Ein weiterer Schwerpunkt der psychoonkologischen Betreuung liegt in der Suchtberatung bei einer Reihe von Patienten sowie in der Untersttzung der Umstellung von Lebensgewohnheiten und externen Einflssen (Rauchen, Alkoholgenu, einseitige Ernhrung).
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6 Sozialmedizinische Aspekte der Rehabilitation Die Schwere der Erkrankung sowie unvermeidbare Therapiefolgen machen bei sehr vielen Patienten die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ntig. Wenn dies noch nicht im vorbehandelnden Krankenhaus erfolgt ist, sollte der Sozialdienst in der Rehabilitationsklinik den Patienten entsprechend aufklren und ihn bei der Beantragung untersttzen. Den Betroffenen stehen je nach Schwere der Erkrankung 50…100% GdB (Grad der Behinderung) zu. Unter Umstnden werden auch zustzliche Merkzeichen wie G (bei Gehbehinderungen) oder RF (Rundfunk- und Fernsehgebhrenbefreiung) gewhrt. Bei berufsttigen Patienten bedeutet der Schwerbehindertenausweis einen besonderen Schutz am Arbeitsplatz (Kndigungsschutz, 1 Woche Zusatzurlaub, steuerliche Vergnstigungen). Bei Patienten im arbeitsfhigem Alter ist die Klrung der beruflichen Situation vorrangig. Hier sollten z. B. Hinweise auf die Mglichkeiten der stufenweisen Wiedereingliederung ins Berufsleben erfolgen. Wichtig sind Ratschlge zu Umbesetzungen am Arbeitsplatz, wenn besondere Belastungen, z.B. durch Staub, Reizstoffe, Gase, Gerche etc., im Rahmen der bisherigen Ttigkeit mit dem aktuellen Krankheitszustand nicht mehr vereinbar sind. Eine Kontaktaufnahme zum zustndigen Reha-Berater, verbunden mit einer Aufklrung ber die Mglichkeiten der beruflichen Rehabilitation, den Krankengeldhchstdauerbezug (18 Monate) und den rechtzeitig zu stellenden EU-Rentenantrag, sollte in Erwgung gezogen werden. Je nach Versorgungsgrad sollte der sozialmedizinische Dienst der Rehabilitationsklinik auch die husliche Versorgung abklren und sicherstellen durch Kontaktaufnahme mit den Angehrigen, zu rtlichen Pflegediensten und den weiterbetreuenden ˜rzten etc. Auch die rechtzeitige Bereitstellung von Hilfsmitteln (Inhalationsgerte, Sonden, Pumpen, Absauggerte etc.) ist vor Entlassung des Patienten zu berprfen. Bei einem Groteil der Patienten mit Kopf-Halstumoren sind krankheitsbzw. therapiebedingt Dauerschdigungen und anhaltende Beeintrchtigungen eingetreten. Die Betroffenen brauchen deshalb auch nach Abschlu einer Rehabilitationsmanahme eine weitere fachkundige Begleitung. Aus diesem Grund ist den Patienten nicht nur zur Krankheitskontrolle durch regelmige Nachsorgeuntersuchungen, sondern auch zur Verbesserung ihrer Lebensqualitt zu raten. Die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfeorganisation kann fr einen groen Teil der Patienten auerordentlich hilfreich sein.
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Literatur Bartolome G (1995) Schluckstrungen. Funktionelle Behandlungsmethoden. Logos. Interdisziplinr 3:164…176 Bjrnsgard M (1998) Begleittherapie bei Strahlentherapie. In: Bokemeyer C, Lipp HP (Hrsg.). Praktische Aspekte der supportiven Therapie in Hmatologie und Onkologie. Springer, Berlin … Heidelberg Borghardt E-J (2001) Medikamentse Therapiemglichkeiten bei tumorbedingter Anorexie und Kachexie. In: Aulbert E, Klaschik E, Pichlmaier H. Ernhrung und Flssigkeitssubstitution in der Palliativmedizin. Beitrge zur Palliativmedizin, Bd 4. Schattauer, Stuttgart Logemann JA (1994) Rehabilitation of the head and neck cancer patient. Semin Oncol 21 (3):359…365 Mathoy RH (1991) Rehabilitation of head and neck cancer patients: Consensus on recommendation from the international conference on rehabilitation of the head and neck cancer patient. Head Neck 1:2 Strnad V, Sauer R (2001) Neue Aspekte der Supportivtherapie im Rahmen der Radiotherapie von Tumoren im Kopf-Hals-Bereich. In: Bttcher HD, Wendt TG, Henke M (Hrsg.) Klinik des Rezidivtumors im Kopf-Hals-Bereich. W. Zuckschwerdt, Mnchen
29.4 Rehabilitation nach Laryngektomie J. A. Schiefer
1 Epidemiologie Der Kehlkopfkrebs ist die hufigste Tumorentitt unter den Neoplasien im oberen Aerodigestivtrakt. In der Bundesrepublik leben derzeit ca. 21 000 Laryngektomierte; jhrlich werden 3 000 Laryngektomien durchgefhrt, davon 10% bei Frauen.
2 Laryngektomie Die totale Laryngektomie wird aufgrund der onkologischen Ausgangssituation mit einer Neck dissection kombiniert. Bei Lymphknotenbefall in Nhe des Nervus accessorius kommt es durch Resektion des Nervs zum Musculus-trapezius-Ausfall. Eine Hemithyreoidektomie wird bei Durchbruch in Richtung Glandula thyreoidea durchgefhrt. Bei Erfordernis erfolgt zustzlich eine Radiatio der Tumorregion und des zervikalen Lymphabflugebietes, die gegebenenfalls mit einer Chemotherapie kombiniert wird. Im Rahmen der Laryngektomie kann eine sog. primre chirurgische Stimmrehabilitation erfolgen. Die Shuntbildung zwischen Trachea und sophagus ist mit Silikonventilen sowie mit operativ angelegten und durch Transplantate ausgestalteten Fisteln mglich. Shuntventile existieren derzeit in unterschiedlicher Bauart, z.B: Blom Singer, ESKA Herrmann und Provox. Bei der Ausatmung erfolgt ein digitaler Verschlu des Tracheostomas, so da die Luft in den Hypopharynxtrichter entweicht. Weiter gelangt sie dann ber eine Schleimhautfalte in den Mund-Rachen-Raum, bringt diese zum Schwingen und erzeugt so einen Ton. Durch den Ventilcharakter wird eine Aspiration bei der Ernhrung verhindert. Die Herstellung von krpereigenen Verbindungen wird durch die nachfolgenden chirurgischen Techniken realisiert: F
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Die Laryngoplastik nach Hagen deckt die Verbindung zwischen Trachea und Hypopharynx zur Aspirationsvermeidung mit mikrovaskulr reanastomosiertem Unterarmlappen ab. Bei der Technik nach Maier und Weidauer endet die geschaffene Stimmfistel unter dem Tonsillenpol. Die Stimmfistel selbst wird durch einen Musculus-pectoralis-Lappen modelliert. Als weitere Mglichkeit besteht die Formung eines Jejunumsiphons nach Ehrenberger.
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In speziellen Fllen kann eine sog. sekundre chirurgische Stimmrehabilitation auch in einem gewissen Zeitraum nach OP und Bestrahlung durchgefhrt werden: Das Shuntventil wird hierbei nachtrglich implantiert.
3 Therapiefolgen Die individuelle Rehabilitationsbedrftigkeit ergibt sich aus der zentralen Lokalisation des Karzinoms und besonders jedoch aus den Therapiefolgen. Die Rehabilitation beinhaltet so zustzlich die Behandlung von Begleiterkrankungen und nicht zuletzt die Prvention von Zweitkarzinomen. Die Therapiefolgen lassen sich wie folgt beschreiben: F F F F F F F F F F
Stimmverlust, Tracheostomale Atmung, Einschrnkung der Atemfunktion, Geruchsverlust/Geschmacksverminderung, Dysphagie, Kopf-Hals-Lymphdem, Strung der Beweglichkeit im Kopf-Hals-Schulter-Oberarm-Bereich, Kosmetische Entstellung, Psychische Beeintrchtigung, Soziale Auswirkung.
4 Zeitliche Organisation der Rehabilitation nach Laryngektomie Bereits pra¨operativ informiert ein Gesprch ber die zu erwartenden Folgen im Beisein der Angehrigen. Diese Vorbereitung erfolgt durch einen ausgebildeten Klinikbetreuer des Kehlkopflosenverbandes, der selbst kehlkopflos ist. Auf diese Art und Weise wird recht plastisch das Leben ohne Kehlkopf demonstriert. Von den Betroffenen wird diese Verfahrensweise als uerst motivierend geschildert. Postoperativ wird dem Laryngektomierten die Grundausstattung fr Hilfsmittel rezeptiert. Diese beinhaltet zwei Trachealkanlen unterschiedlicher Lnge, Kanlenbnder, Metalline-Kompressen, Tracheostomaschutzltze, das Kanlenreinigungs-Set, ein Absauggert mit Absaugkatheter, ein Inhalationsgert und eine elektronische Sprechhilfe. Noch whrend des stationren Aufenthaltes erfolgt die Einweisung in diese Grundausstattung. Bei stabiler Wundheilung und nach Entfernung der Magensonde beginnt bereits in der stationren Phase die logopa¨dische Betreuung. Wichtige Voraussetzung zum Erlernen einer Ersatzstimme ist die Vermittlung eines mit Laryngektomierten erfahrenen Logopden, der eine kurzfristige Stimmtherapie bernehmen kann.
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Rehabilitation nach Laryngektomie
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Ebenfalls in der stationren Phase sollte die Kontaktaufnahme zu den Vereinen fu¨r laryngektomierte Patienten erfolgen. Kontaktadressen sind ber den Bundesverband der Kehlkopflosen e.V., Bundesgeschftsstelle: Annaberger Str. 238, 09120 Chemnitz Tel. 03 71/22 11 18, Fax 03 71/22 11 25 zu erfahren. Durch den Krankenhaus-Sozialdienst mu eine sozialmedizinische Beratung durchgefhrt werden. Hierbei ist in Grundstzen die gegebene AU-Dauer, die maximal 18 Monate betragen kann, zu erlutern. Weiterhin sind eine Bescheinigung ber den Grad der Behinderung sowie eine Rundfunkbefreiung auszustellen. Vor der Entlassung aus der stationren Behandlung erfolgen der Antrag auf Anschlußheilbehandlung bei den Rentenversicherern oder Krankenkassen und die Vermittlung an spezielle Rehabilitationskliniken mit HNO-Abteilung und Facharzt. Aus medizinischen Grnden sollte die Aufnahme zur stationren Rehabilitation in Anschluheilbehandlungskliniken frhestens 6 Wochen nach der Entlassung erfolgen. Erst dann ist eine intensive Rehabilitationstherapie mglich (siehe unten)! Bei Radiatio (ambulant und/oder stationr) ist aufgrund der zunehmenden Beschwerden mit einer Mukositis, Dysphagie und Verschlechterung der eventuell schon in Anstzen vorhandenen Ersatzstimme zu rechnen. Die Beschwerden differieren jedoch uerst individuell. Die durchschnittliche Zeitdauer einer Radiatio betrgt ca. 6 Wochen. Die Patienten schildern diese Phase als eine der belastendsten whrend der gesamten Krankheit berhaupt. Ca. 6…8 Wochen nach Beendigung der Radiatio ist mit einem zweiten Beschwerdekomplex zu rechnen. Es treten zervikales Lymphdem und Xerostomie mit ausgeprgter Dysphagie erneut auf. Dies ist der richtige Zeitpunkt zur Durchfhrung der Anschluheilbehandlung, die durch die Rentenversicherer oder Krankenkassen gewhrt wird. In einem 4- bis 6wchigen stationren Rehabilitationsaufenthalt erfolgt eine komplexe Behandlung der Therapiefolgestrungen nach Laryngektomie. Bei Notwendigkeit, z.B. bei Sprachbarrieren oder aus medizinischen bzw. psychosozialen Grnden, sollten Angehrige in die Therapiearbeit mit einbezogen werden. Dies mu jedoch im Rehabilitationsantrag begrndet werden. Die Anschluheilbehandlungen werden in onkologischen Rehabilitationskliniken mit speziellen HNO-Abteilungen durchgefhrt. Die Adressen dieser Schwerpunktkliniken sind aus dem AHB-Katalog der BfA ersichtlich.
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In diesen Kliniken stehen HNO-Arzt und HNO-Untersuchungseinheit mit Endoskopie und Sonographie zur Verfgung. Fr spezielle Fragestellungen stellt die Rntgendiagnostik (Dysphagiediagnostik, Rntgen-Thorax) ein weiteres erforderliches Strukturmerkmal dar. Die Therapie wird durch Logopden, Lymphtherapeuten, Krankengymnasten sowie durch eine psychologische und sozialmedizinische Betreuung gestaltet. Die stationre Rehabilitation Laryngektomierter mu unter pdagogischen Gesichtspunkten in ausreichend groen Gruppen erfolgen. Neben einer ganzheitlichen Rehabilitation aller Therapiefolgestrungen findet eine Information ber die Erkrankung statt. Nach der Anschluheilbehandlung kehrt der Patient in die onkologische Nachsorge durch die operierende Klinik, den HNO- und Hausarzt zurck. Die Kontrolle ist engmaschig: im ersten Jahr alle 6…8 Wochen, bis zum 5. Jahr alle 3 Monate und danach 1- bis 2mal jhrlich. Im Rahmen der onkologischen Sprechstunden erfolgt ein HNO-Status. Dieser dient dem Ausschlu von einem Lokalrezidiv, regionren Metastasen und insbesondere zur Erkennung eines Zweitkarzinoms. Eine jhrliche Rntgen-Thoraxaufnahme wird zum Ausschlu von Lungenmetastasen durchgefhrt. Bei persistierender Therapiefolgestrung ist eine Weiterbehandlung durch Logopden, Lymphtherapeuten und Krankengymnasten erforderlich. Bei weiterbestehenden Funktionsdefiziten sind erneute Rehabilitationsmanahmen erforderlich, die vom Kostentrger bernommen werden, jedoch vom behandelnden HNO-Kollegen oder Hausarzt initiiert werden mssen.
5 Symptombezogene Darstellung der Rehabilitation 5.1 Stimmverlust Die Anbahnung einer Ersatzstimme beginnt bereits postoperativ. Der Patient sollte angehalten werden, seine Sprechwerkzeuge weiterhin zu benutzen. Dieses Pseudoflstern mit enoraler Restluft zwingt zur guten Artikulation und ist damit Voraussetzung fr alle anderen Ersatzstimmverfahren. Die sophagus-Ersatzstimme entsteht durch Einbringen von Luft in das proximale sophagusdrittel. Beim willkrlichen Herauspressen schwingt Schleimhaut im Hypopharynxtrichterbereich (hnlich zum Rlpsen) und erzeugt so den Ton zum Sprechen. Man spricht von der Rlps- oder sophagus-Ersatzstimme. Aufgrund der uerst individuellen Voraussetzungen ist diese Ersatzstimme unterschiedlich gut erlernbar. Um sie bis zur Perfektion zu beherrschen, sind eine logopdische Betreuung ber Jahre und ggf. 2…3 stationre Rehabilitationsverfahren erforderlich.
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Die modernen chirurgischen Stimmrehabilitationsverfahren mit Shuntventilen und Shuntfisteln bedingen bei entsprechenden Voraussetzungen eine individuell ausgeprgte sofortige Stimme. Logopdische Betreuung mu auch hier erfolgen, da Phonations- und Atemintervalle eingehalten werden mssen. Fhren die oben genannten Stimmrehabilitationsverfahren nicht zum Erfolg, ist eine Unterweisung fr den Umgang mit der elektronische Sprechhilfe durch den Logopden notwendig. Die Stimme mit der elektronischen Sprechhilfe ist monoton, wird jedoch trotzdem von Kehlkopflosen individuell akzeptiert. 5.2 Tracheostomale Atmung Durch die Laryngektomie verliert die Atemluft ihre nasale Passage und damit auch ihre Klimatisierung und Reinigung. Einen Ausgleich bildet der Tracheostomaschutzlatz, der deshalb stndig … tags und nachts … zu tragen ist. Inhalationen fhren zur Linderung der rezidivierenden Tracheobronchitis, insbesondere in der ersten Phase der Umgewhnung von nasaler auf tracheostomale Atmung. Inhalationen zur Erleichterung der Expektoration sind erforderlich. Nach anfnglichem Absaugen erlernt der Patient das Abhusten. Eine zunehmende Austrocknung, z.B. durch Weglassen des Tracheostomaschutzlatzes, fhrt zur gefrchteten stenosierenden Tracheobronchitis sicca. Das Weglassen der Trachealkanle sollte nur in Absprache mit der operierenden Klinik erfolgen. 5.3 Dysphagie Intraradiationem entsteht durch Mukositis und Kandidose die erste Phase der Dysphagie. Die zweite Phase folgt ca. 6…8 Wochen postradiationem durch ein ausgeprgtes Lymphdem und durch die Xerostomie. Trotzdem sollte bei Mglichkeit auf flssigkeitsbetonte orale Normalkost zurckgegriffen werden. Einerseits minimiert dies ernhrungsbedingte Stoffwechselstrungen, andererseits wird durch die Passage von festen Nahrungsstoffen die Schleimhaut der oberen Schluckstrae entdematisiert. 5.4 Kopf-Hals-Lympho¨dem Dieses wird durch eine antidematse manuelle Entstauungstherapie (sog. Lymphdrainage) gelindert. Die speziell in dieser Therapie ausgebildeten Lymphtherapeuten drainieren vom dorsalen Bereich des Rumpfes (sog. axillres Abflugebiet) nach nuchal, retroaurikulr bis bukkal. Durch einen
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Sog wird die Lymphflssigkeit nach axillr abgeleitet. Langfristig wird dadurch eine Fibrosierung mit dauerhaft schmerzhaftem derbem Lymphdem verhindert. Bei einem Lymphdem sind hypermisierende Manahmen im gesamten oberen Rumpfbereich wie Teilmassagen, Fango etc. kontraindiziert. Eine Lymphdrainage ist bis ca. 18 Monate nach OP sinnvoll. Bei allen unklaren onkologischen Ausgangssituationen und bei entzndlichen Hautvernderungen ist sie kontraindiziert. Neben der physischen ist die psychische Komponente der Behandlung bedeutsam. Durch den Krperkontakt fhlt sich der Patient wieder akzeptiert und angenommen. 5.5 Sto¨rungen der Beweglichkeit im Kopf-Hals-Schulter-Oberarm-Bereich Durch OP und Bestrahlung entsteht ein komplexes neuromuskulres Schdigungsmuster. Plexus cervicalis, Nervus accessorius, Musculus sternocleidomastoideus und Musculus trapezius werden ggf. geschdigt. Krankengymnastik aktiviert die Restmuskulatur. Hierbei drfen keine verstrkten Krafteinwirkungen auf Transplantate und Transplantatentnahmestellen entstehen. Dem Krankengymnasten sollten grundlegende Befunde mitgeteilt werden.
6 Internistische und dermatologische Aspekte der Rehabilitation Im Rahmen der Therapie entsteht ggf. eine sekundre Hypothyreose. Die Schilddrsendiagnostik mit TSH-basal, FT3 und FT4 und bei Indikation Schilddrsenhormonsubstitution sind unverzichtbare Bestandteile der Nachsorge. Aufgrund der hufig einseitigen Ernhrung ist auf Stoffwechselstrungen besonders zu achten. Neben dem Diabetes mellitus ist eine Hyperurikmie bedeutsam. Im operierten und bestrahlten Bereich mit Lymphdem treten gehuft entzndliche Hautvernderungen auf. Insbesondere ein rezidivierendes Erysipel ist einer sofortigen antibiotischen Breitbandtherapie zuzufhren.
7 Psychologische Betreuung Die Laryngektomie ist nicht nur eine physische, sondern auch eine groe psychische Belastung. Bei Stigmatisierung ist eine psychologische Betreuung zu erwgen. Die zur Verfgung stehenden Methoden wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training, psychologisch-kreativtherapeutische Betreuung und psychologische Einzelgesprche sollten ausgeschpft werden. Der so-
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zialen Rckzugstendenz ist vorzubeugen. Weibliche Betroffene leiden besonders stark unter der kosmetischen Entstellung. Auch in diesem Fall ist eine Betreuung durch den Kehlkopflosenverband uerst hilfreich.
8 Wassertherapie Durch das neu angelegte Tracheostoma ist der Aufenthalt im Wasser zunchst nicht mehr mglich. Speziell entwickelte Wassertherapiegerte in Form einer blockbaren Trachealkanle mit anschlieendem Atemschlauch beseitigen dieses Handicap. Die Anwendung des Wassertherapiegertes ist kompliziert. Der Kehlkopflosenverband ist beauftragt, nach medizinischer Indikationsstellung die Anwendung des Wassertherapiegertes zu berwachen und ber diese Fhigkeit ein Zertifikat auszustellen. Durch die Anwendung des Gertes wird dem Laryngektomierten die medizinisch indizierte Wassertherapie ermglicht.
9 Sozialmedizinische Gesichtspunkte der Rehabilitation Durch die umfangreiche Therapie ist hufig eine sehr hohe AU-Dauer der Laryngektomierten die Regel. Die AU-Dauer ist gesetzlich auf 18 Monate begrenzt. Sptestens im 15. Monat ist ein Rentenantrag zu stellen, falls eine schrittweise Wiederaufnahme der Ttigkeit nicht mglich ist. Eine Rckkehr in die Berufsttigkeit ist selten, jedoch nicht ausgeschlossen. Die speziellen Gegebenheiten mssen verantwortlich geprft werden. Wiedereingliederungshilfen werden durch die Berufsberater der Rentenversicherer gewhrt. Der Laryngektomierte erhlt einen Schwerbehindertenausweis, in dem fr die ersten 5 Jahre ein Grad der Behinderung von 100 eingetragen wird. Bei der darauffolgenden Neueinstufung sind smtliche Behinderungen zu bercksichtigen. Zustzlich werden Merkzeichen festgelegt: Das Merkzeichen RF dient zur Rundfunk- und Fernsehgebhrenbefreiung. Der Laryngektomierte ist hufig nicht in der Lage, an ffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, da er ber ein lautes Atemgerusch verfgt und seine Kanle nicht in der ffentlichkeit reinigen kann. Das Merkzeichen G ist bei zustzlichen Gehbehinderungen zu gewhren. Werden wir dieser interdisziplina¨ren Aufgabe gerecht, fu¨hrt die Rehabilitation zu einer dauerhaften Reintegration des Laryngektomierten in Familie und Gesellschaft.
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Literatur Delbrck H (1998) Leitlinien zur onkologischen Rehabilitation. Tumordiagnostik und Therapie 19:17…19 Hagen R (1990) Stimmrehabilitation nach totaler Laryngektomie. HNO 38:213…216 Maddalena de H, Maaen M, Arold R et al (1992) Stimmrehabilitation nach Laryngektomie mit Stimmprothesen. Laryngorhinootologie 71:416…422 Maier H, Weidauer H (1991) Krebsrisiken im Kopf-Hals-Bereich. Springer, Berlin Heidelberg Plath P (1988) In: Ganz H, Schtzle HW (Hrsg) Rehabilitation von Kehlkopflosen. HNO-Praxis heute 8, Springer, Berlin Heidelberg
29.5 Rehabilitationsmaßnahmen nach Lungenresektion H. Delbrck
1 Ziele Die Rehabilitation und Palliation haben in der onkologischen Nachbetreuung von Bronchialkarzinompatienten eindeutig Prioritt vor Manahmen zur Rezidivprophylaxe und Rezidiverkennung. Einige von mglichen Rehazielen und deren Effektivittsparameter finden sich in der Tabelle 1. Die strkste krankheitsspezifische Belastung ist … nach einer Befragung Betroffener … die eingeschra¨nkte ko¨rperliche Leistungsfa¨higkeit. Weitgehend ist diese von den pulmonalen und kardialen Funktionseinbuen abhngig. Sie gilt es zu verbessern. Die Rehabilitation darf sich jedoch nicht nur auf die Erkennung und Behandlung krperlicher Beeintrchtigungen beschrnken, sondern mu auch Hilfen zur Bewltigung psychosozialer Probleme beinhalten (Delbrck 2003).
Tabelle 1. Mo¨gliche Rehabilitationsziele und Effektivita¨tsparameter bei potentiell kurativ behandelten Bronchialkarzinompatienten (aus Delbru¨ck 2003) Therapieziel
Effektivita¨tsparameter
Verbesserung der Lungenfunktion
Spiroergometrie, Blutgasanalyse, Shuttle-Walking-Test (SWT)
Verbesserung der kardialen Funktion
Ergometerbelastung, subjektive Wertung, klinisches Bild
Schmerzlinderung
Symptomverminderung, Schmerztagebuch, IRES-MIN, numerische, visuelle oder verbale Ratingskalen, Analgetikareduzierung, SchmerzempfindungsSkala (Geissner), Beschwerdeliste (v. Zerssen), Pain Disability Index (PDI), Brief Pain Inventory, EORTC QLQ-C30, SF-36, RSCL (Rotterdam Symptom Checkliste), SDS
Linderung gastrointestinaler Beschwerden, Gewichtsregulierung
Symptomminderung, Gewichtszunahme, biometrische Impedanzanalyse
Verbesserung der Mobilita¨t
Gehstrecke, Messung von Winkelgraden, Fragebo¨gen
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Tabelle 1. (Fortsetzung) Therapieziel
Effektivita¨tsparameter
Linderung der Pneumonitissymptomatik
Symptomminderung, Messungen der CO2-Diffusion, Herzfrequenz
Verbesserung der ko¨rperlichen Leistungsfa¨higkeit
Karnofsky-Index, Spiroergometrie, Ergometerbelastung, Gehstrecke, Fragebogen QLQ-C30, FACT-L, (EORTC)LC-13, LCSS
Raucherberatung
Anzahl der Zigaretten, CO-Test
Minderung zytostatisch- bzw. strahlentherapeutisch bedingter Folgesto¨rungen
Organfunktionsuntersuchungen, WHO-Toxizita¨tsskala, CTC-Klassifikation
Verminderung von Polyneuropathien
Fragebo¨gen
Abkla¨rung und Verbesserung intellektueller Sto¨rungen nach ZNS-Behandlung
Fragebo¨gen (Testbo¨gen), Benton-Test, Rivermead-Test, Mini-Mental-Status-Tests (MMST, MMSE)
Eingliederung in Familie und Partnerschaft
Selbstsicherheitsskalen, Goal-attainment-Skalen
Verminderung von Angst/Depressionen
Rating-Skalen, Fragebogen (STAI, BDI, HADS-D)
Erlernen von Entspannungstechniken, Krankheitsverarbeitung
Selbstbeurteilung, Streßverarbeitungsbogen, Fragebogen (FKV, BEFO, TSK, FKV-LIS), Ratingskalen, Goal-attainment-Skalen
Verbesserung des Selbstwertgefu¨hls
I.S.K.N (Selbstkonzeptskalen), Fragebogen HADS-D
Sicherung der sozialen Versorgung, Verminderung der Pflegebedu¨rftigkeit
Barthel-Index, Funktionaler Selbsta¨ndigkeitsindex (FIM), iADL, Reduzierung der Pflegestufe, ECOG-Status, WHO Performance Status, Karnofsky-Index, Fragebo¨gen bei Angeho¨rigen, SKT (Syndromkurztest)
Informationen und Erlernen eines krankheitsgerechten Verhaltens, Gesundheitstraining, Leben mit der Erkrankung
Fragebo¨gen, Testbo¨gen, A.T.L. (Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens)
Abkla¨rung der beruflichen Leistungsfa¨higkeit
Sozialmedizinische Stellungnahme
Berufliche Reintegration
Aufnahme der beruflichen Ta¨tigkeit, La¨nge der Arbeitsunfa¨higkeit
Angeho¨rigenberatung
Testbo¨gen
2 Diagnostik und Therapie spezifischer Probleme und Folgeerkrankungen nach Lungenresektion und Radio-/Chemotherapie Einige der Fragen, die im Rahmen der Rehabilitationsdiagnostik, also vor der Rehabilitationsplanung, abgeklrt werden mssen, finden sich in Tabelle 2.
29.5
Rehabilitationsmaßnahmen nach Lungenresektion
1383
Tabelle 2. Nachsorge- und Rehabilitationsfragen, die bei operierten Bronchialkarzinompatienten im Rahmen der Diagnostik beru¨cksichtigt werden mu¨ssen. (Nach Delbru¨ck 1998) Basisinformationen, ohne die eine Rehabilitationsplanung unmo¨glich ist Wurde der Patient palliativ oder potentiell kurativ behandelt? Welches weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen wird zur Abkla¨rung bzw. zur Therapie empfohlen? Art der Behandlung: Pneumonektomie, Lobektomie, Bilobektomie, Enukleation, Keilexzision, Segmentexzision? Erfolgte die Bestrahlung in kurativer, palliativer oder adjuvanter Absicht? Linearbeschleuniger, Telekobalt, Strahlenfeld, Strahlendosis, Fraktionierung? Welche zytostatischen Substanzen wurden verabreicht, in welcher Dosierung, wie viele Kurse? Welche Tumormarker waren vor der Behandlung pathologisch erho¨ht? Ist der Patient u¨ber sein Tumorleiden aufgekla¨rt (vollsta¨ndig, teilweise oder gar nicht)? Wie sieht der Patient selber seine Situation? (Ist er motiviert und kooperativ?) Wurde mit den Angeho¨rigen gesprochen? Welche Begleiterkrankungen bestehen? * *
*
* * * *
Medizinische Fragen, die im Rahmen der Rehabilitationsdiagnostik beru¨cksichtigt werden mu¨ssen Liegt Tumoraktivita¨t vor, welche Beschwerden werden hierdurch verursacht? Wie ist die ko¨rperliche Leistungsfa¨higkeit? Wodurch ist die geminderte Leistungsfa¨higkeit verursacht? (Tumor, Operationsfolge, Strahlen- oder Chemotherapiefolge, Begleiterkrankungen?) Wie ist die Lungenfunktion in Ruhe und bei Belastung (Spiroergometrie)? Wie ist die kardiale Funktion in Ruhe und bei Belastung? (Ergometrie, Langzeit-EKG)? Welche Begleiterkrankungen bestehen?
* *
* * *
Psychosoziale Fragen Wie ist die subjektiv empfundene Stimmungslage (z.B. Nervosita¨t, Schlaflosigkeit, A¨ngstlichkeit, Gru¨beln, Schreckhaftigkeit, Mutlosigkeit, Aggressionen)? Wie empfindet der Patient selber seine Leistungsfa¨higkeit (kann er z.B. den Haushalt selber versorgen)? Ist zuku¨nftig mit Versorgungsproblemen zu rechnen (ku¨mmern sich die Angeho¨rigen um den Betroffenen)? Ist eine soziale Institution fu¨r die weitere soziale Versorgung und Begleitung eingeschaltet? Ist der Patient u¨ber den bo¨sartigen Charakter der Erkrankung aufgekla¨rt? Sind die Angeho¨rigen u¨ber den bo¨sartigen Charakter der Erkrankung und u¨ber die zu erwartende Progression aufgekla¨rt? Soll der Betroffene dem Psychologen vorgestellt werden? Soll der Betroffene dem Sozialarbeiter vorgestellt werden?
*
*
*
*
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Berufliche Fragen Besteht ein Arbeitsverha¨ltnis? Kann der Patient seine zuletzt ausgeu¨bte berufliche Ta¨tigkeit wieder aufnehmen? Ist zu erwarten, daß er spa¨ter einmal seine zuletzt ausgeu¨bte Ta¨tigkeit wieder ausu¨ben kann? Ist eine Arbeitsplatzumsetzung sinnvoll? Erscheint eine berufliche Neuorientierung sinnvoll? Sollte eine Erwerbsunfa¨higkeitsrente in Erwa¨gung gezogen werden? Sind beruflich-rehabilitative Hilfen sinnvoll und erfolgverspechend? Wurden beruflich-rehabilitative Hilfen schon eingeleitet (Schwerbehindertenausweis, Betriebsarzt, Arbeitsplatzumsetzung, Rentenbeantragung)?
* *
* * *
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Art und Ausma der operativ bedingten Strungen hngen davon ab, ob eine Enukleation, Keilresektion oder Segmentresektion, Lobektomie, Bilobektomie oder Pneumonektomie bzw. Pleuropneumonektomie, ob erweiterte Resektionen oder parenchymsparende Resektionen mit oder ohne bronchoplastische Eingriffe vorgenommen wurden. Natrlich spielt auch eine Rolle, ob eine additive oder adjuvante Strahlen- und/oder Chemotherapie durchgefhrt wurden. Fr den rehabilitativ ttigen Arzt ist die detaillierte Kenntnis der durchgefhrten Therapien und vorherigen Untersuchungsergebnisse zur Rehabilitationsplanung unabdingbar. Zur Verminderung respiratorischer und ha¨modynamischer Funktionsausfa¨lle mssen medikamentse und physikalische Therapiemanahmen in Form von Inhalationen durchgefhrt werden. Die Patienten sollten atemgymnastische bungen erlernen und sie selbstndig und regelmig durchfhren. Bei den atemgymnastischen bungen ist zu unterscheiden zwischen Techniken, die die Selbsthilfe frdern, und passiven sowie aktiven atemgymnastischen bungen, die als Einzel- oder Gruppentherapie einsetzbar sind. Im einzelnen handelt es sich um folgende Techniken (Delbrck 2003): F F F F F F
therapeutische Krperstellungen, Wahrnehmung von Atembewegungen, manuelle Techniken am Oberkrper, Atemtechniken (Ein-/Ausatmungstechniken, kombinierte Techniken), Hustentechnik, Bewegungstechniken.
Schon vor der Erkrankung besteht bei vielen Patienten ein Cor pulmonale, das sich durch den Lungenparenchymverlust postoperativ unter krperlicher Belastung hufig noch verschlimmert. Der entscheidende Parameter ist der CO2-Partialdruck. Auch aus diesem Grunde sind Atemgymnastik, Nikotinabstinenz und Infektprophylaxe notwendig. Hinzu kommen eine O2-Therapie, ggfs. die medikamentse Senkung der pulmonalen Hypertonie und eventuell sogar eine Sauerstofflangzeittherapie. Bei Interkostalneuralgien kann durch eine paravertebrale Nervenblockade eine Besserung, manchmal aber auch eine Verschlimmerung bewirkt werden. Aufgrund der tumor- und operationsbedingten Schwa¨chung der Immunabwehr kann eine alte Tuberkulose exazerbieren. Blutiger Auswurf mu nicht auf ein Rezidiv hindeuten, sondern kann z.B. auch durch ein Fadengranulom oder durch Tuberkulose bedingt sein. Eitriges Sputum kann Folge einer Sekretverhaltung bei zu langem Bronchusstumpf, einer Bronchiektase oder Restlungen infolge von Verziehungen und Stenosen am Bronchus, einer inneren Bronchusfistel oder eines Fadengranuloms sein.
29.5
Rehabilitationsmaßnahmen nach Lungenresektion
1385
Bei bestrahlten Patienten kommt es hufig zu einer Pneumonitis. Eine chronische Pneumonitis und Fibrose kann mit Ausnahme der Antimetaboliten auch nach nahezu allen Zytostatika und der Strahlentherapie auftreten. Eine Strahlenpneumonitis fhrt nicht automatisch zu klinischen Symptomen. Inhalationen, z.B. mit Bepanthen und systemischen Kortikoiden, scheinen nach bisherigem Kenntnisstand die Alveolitis positiv zu beeinflussen; das Ausma der Sptvernderung kann hierdurch jedoch offensichtlich nicht vermindert werden. Ein abruptes Absetzen der Kortikoide kann die radiogene Lungenschdigung verstrken. Wichtig ist die Raucherentwo¨hnung whrend der Rehabilitation. Nikotinund Alkoholgenu vermindern die Strahlentoleranz und verstrken die Strahlenreaktionen. Die Raucherentwhnung erfolgt am besten in Gruppen. Zustzlich zur Einnahme schleimlsender Medikamente sollten die hufig unter einer obstruktiven Bronchitis leidenden Patienten sptestens in der onkologischen Rehabilitationsklinik vertraut gemacht werden mit Techniken wie Lippenbremse, Nasenstenose, Kontaktatmung, manuellen Klopfmassagen und der Benutzung von Hilfsmitteln (z.B. Vibrationsgerte, Trillerpfeifen, Flutter, Giebelrohr) (Delbrck 2003). J
3 Psychische Rehabilitation Schwerpunkt psychischer Rehabilitationsmanahmen sind Hilfen zum Coping, d.h. Hilfestellungen bei der Verarbeitung und Anpassung an die Behinderungen und Einschrnkungen. Der Patient mu lernen, mit der lebensbedrohenden Angst zu leben und positive Perspektiven fr sich zu ffnen. Sinnvoll ist die Einbeziehung von Angehrigen in die Beratung. Problemkreise im Proze der Krankheitsverarbeitung sind: F F F F F F
Emotionale Strungen: ˜ngste, Depressionen, Suizidneigung, Aggressionen, Sinnverlust, Konflikte in Partnerschaft und Familie: Kommunikations- und Beziehungsprobleme, Rollenvernderungen, Sexualitt, Beeintrchtigung des Sozialverhaltens, Psychische Strungen, die die krperliche Leistungsfhigkeit beeinflussen, Akzeptanzprobleme, Inadquates Krankheitsverhalten.
Wesentliche Hilfen kann der Psychologe in der Schmerztherapie leisten. Da die Schmerzempfindung im erheblichen Ma von psychischen Faktoren bestimmt wird, kann sie durch entsprechende Manahmen beeinflut werden. Allerdings kann die Psychologie niemals die medikamentse Analgesie ersetzen.
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4 Soziale Rehabilitation Motivation zur Eigenhilfe und Hilfe zur Selbsthilfe stehen im Vordergrund der sozialen Rehabilitation. Es gibt zahlreiche Hilfen, die dazu beitragen knnen, da der Behinderte im tglichen Leben besser zurechtkommt, die Pflegebedrftigkeit verringert und einer Abhngigkeit von Fremdhilfe vorgebeugt wird (Delbrck 2003). Liegt eine soziale oder berufliche Rehabilitationsbedrftigkeit vor, so ist bei Einleitung einer stationren Heilbehandlung grundstzlich eine wohnortnahe Rehabilitationssttte zu whlen!
5 Berufliche Rehabilitation Krperliche Ttigkeiten, die Patienten nach Pneumonektomie meiden sollten, sind in Tabelle 3 aufgefhrt. In den meisten Fllen knnen die pneumonektomierten Patienten nur noch leichte, vorzugsweise sitzende Ttigkeiten durchfhren. Nach einer Lobektomie sind die Einschrnkungen hingegen wesentlich geringfgiger, sofern nicht schon properativ und unabhngig von der Krebskrankheit die Atemkapazitt vermindert war.
6 Gesundheitstraining Das Gesundheitstraining schliet allgemeine Informationen ber die Erkrankung, deren Ursache, Therapiemglichkeiten, Rezidivprophylaxe, Nachsorgeuntersuchungen, Angstbewltigung, Schmerzen, Partnerprobleme und Rezidivbehandlungsmglichkeiten ebenso ein wie Informationen ber soziale Rechte und Hilfe sowie berufliche Konsequenzen. Sinnvoll ist, wenn den Patienten und deren Angehrigen diese Informationen auch in schriftlicher Form (z.B. in Form von differenzierten Ratgebern [Delbrck 2003]) zur Verfgung gestellt werden. Tabelle 3. Arbeitsbelastungen, die Pneumonektomierte meiden sollten. (Nach Delbru¨ck 2002, 2003) *
* * * *
*
Schwere ko¨rperliche Belastungen (dazu geho¨ren Hebearbeiten, U¨berkopfarbeiten, Arbeiten, die mit starken Erschu¨tterungen verbunden sind) Ungu¨nstige Arbeitshaltung (z.B. Arbeiten in der Hocke oder im Liegen) Ta¨tigkeiten, die mit extremen oder ha¨ufig schwankenden Temperaturen verbunden sind Ungu¨nstige Arbeitszeit (Schicht- und Nachtarbeit) Taktgebundene Arbeiten: Die Patienten mu¨ssen eine individuelle Pause einlegen ko¨nnen, ohne den Arbeitsfluß der Kollegen zu sto¨ren, Akkordarbeit Ta¨tigkeiten in Staubberufen, bei starker Luftverschmutzung, Lufttrockenheit oder starker Geruchsbelastung: Ta¨tigkeiten in chemischen Laboratorien
29.5
Rehabilitationsmaßnahmen nach Lungenresektion
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7 Evaluation Die Evaluation der Rehabilitationsmanahmen bei pneumonektomierten Patienten richtet sich nicht nach Lebenszeit-, sondern nach Lebensqualittsparametern. Hierzu zhlen die Beherrschung der Postpneumonektomiebeschwerden und die Bercksichtigung der in der Tabelle 1 aufgefhrten Effektivittsparameter.
8 Zugangswege fu¨r eine Rehabilitation Heilung ist keine Voraussetzung fr eine ambulante oder stationre Rehabilitation. Bei palliativ behandelten Patienten hat die Rehabilitation jedoch andere Zielsetzungen als bei potentiell kurativ behandelten Patienten. Onkologisch ausgerichtete Rehabilitationskliniken bieten sich bevorzugt fr die Durchfhrung stationrer und teilstationrer Rehabilitationsmanahmen an. Die stationre Anschluheilbehandlung (AHB) ist die wichtigste rehabilitative Manahme. Zu beachten ist, da whrend derartiger Rehabilitationsmanahmen eine ganzheitliche Rehabilitation unter Bercksichtigung der somatischen, psychischen, sozialen und beruflichen Rehabilitationsbedrftigkeit durchgefhrt wird. Ein Vorteil wohnortnaher Rehabilitationskliniken ist, da psychosoziale Hilfen vor Ort besser initiiert werden knnen. Die AHB sollte bevorzugt wohnortnah durchgefhrt werden. Sptere Heilverfahren und „Krftigungskuren“ knnen auch in wohnortfern gelegenen Kliniken durchgefhrt werden. Es gibt reizvolle, im Mittelgebirge oder an der See gelegene Kliniken, die sich hierfr anbieten. Eine Adressenliste ist ber die BfA in Berlin oder ber die Arbeitsgemeinschaft fr Krebsbekmpfung in Bochum oder ber die anderen Kostentrger zu erfahren. Literatur Delbrck H (Hrsg) (1997) Qualittssicherung in der Onkologie. Standards und Qualittskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen Delbrck H (Hrsg) (1998) Rehabilitationsmedizin. Therapie- und Betreuungskonzepte chronischer Krankheiten. Urban & Schwarzenberg, Mnchen, 2. Auflage Delbrck H (2003) Lungenkrebs. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. Kohlhammer, Stuttgart, 3. Auflage Delbrck H (2003) Krebsnachbetreuung (Nachsorge, Rehabilitation, Palliation) Springer, Heidelberg Schmid L, Delbrck H, Bartsch H, Kruck P (2000) Zur Strukturqualitt in der onkologischen Rehabilitation. Rehabilitation, 39:350
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29.6 Rehabilitationsmaßnahmen nach Mammaresektion H. Delbrck
1 Ziele Die speziellen Rehabilitationsziele sind eng im Zusammenhang mit der individuellen Rehabilitationsbedrftigkeit zu sehen. Diese variiert je nach Therapie, Tumorausdehnung, Prognose, Alter und Persnlichkeit der Betroffenen. Einige von mglichen Rehazielen und deren Effektivittsparameter finden sich in der Tabelle 1. Ohne Basisinformationen ist eine Rehabilitationsplanung sehr schwer. Liegt bei Antritt des Heilverfahrens kein Operationsbericht bzw. Bericht der Strahlenklinik vor, ist die stationre Anschluheilbehandlung abzulehnen bzw. zu verschieben! Ist die Patientin nicht ber ihr Tumorleiden aufgeklrt, so ist eine Rehabilitation unmglich. Auch eine fehlende Compliance ist eine Kontraindikation. Tabelle 1. Mo¨gliche Therapieziele und deren Effektivita¨tsparameter in der Mammakarzinomrehabilitation (aus Delbru¨ck 2001) Therapieziel
Parameter
Verminderung eines Armlympho¨dems und der damit verbundenen Beschwerden, Vermeidung eines Lympho¨dems
Volumen-/Umfangmessung, Verminderung der Para¨sthesien, Verbesserung der Funktionsfa¨higkeit, Verbesserung der Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens (A.T.L.)
Schmerzlinderung
Symptomlinderung, Schmerztagebuch, Analgetikareduzierung, Schmerzskala, z.B. IRES-MIN, Schmerzempfindungsskala (Geissner), Beschwerdeliste (v. Zerssen), Pain Disability Index (PDI)
Verbesserung der Mobilita¨t bei Skelettmetastasen
Verbesserung der Gehfa¨higkeit/Mobilita¨t, Schmerzskalen (Tinetti, Time up & go)
Messung der Abduktion, Adduktion, Neutral-NullVerminderung einer posttherapeutischen Schultersteife, Erhaltung bzw. Verbesserung Durchgangsmethode, Schu¨rzengriff, Winkelgrade der Schulter-/Armbeweglichkeit Verminderung/Verhinderung zytostatischer Spa¨tsto¨rungen
klinischer Verlauf
Linderung postradiogener Lungenfunktions- Spiroergometrie sto¨rungen Verbesserung der ko¨rperlichen Leistungsfa¨higkeit
(Spiro-)Ergometrie, Gehschritte, subjektive Wertung in Fragebo¨gen
29.6
Rehabilitationsmaßnahmen nach Mammaresektion
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Tabelle 1. (Fortsetzung) Therapieziel
Parameter
Verminderung der Hormonausfallssto¨rungen Symptomlinderung (z.B. Hitzewallungen, Schlafsto¨rungen etc.) Informationen u¨ber die Erkrankung, krankheitsbeeintra¨chtigendes Verhalten, Leben mit der Erkrankung
Fragebo¨gen, Testbo¨gen, A.T.L. (Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens)
Verbesserung der Lebensqualita¨t
Fragebogen SF-36, SF-12, EORTC-Q.L.Q.-C30, Spitzer-QLI, QLQBR23, FBK, IRES, FLIC (Functional Living Index Cancer)
Eingliederung in Familie und Partnerschaft
Selbstsicherheitsskalen, Skalen zur Koha¨sion in Partnerschaft und Familie
Verminderung von Angst, Depressionen
Rating-Skalen, Fragebogen (STAI, BDI, BSI, HADS-D, BSI, PAF)
Verbesserung des Ko¨rperkonzepts
FBEK, FKB-20, FKKS (Ko¨rperkonzeptskalen)
Erlernen von Entspannungstechniken, Streß- Selbstbeurteilung, Streßverarbeitungsbogen, bewa¨ltigung Ratingskalen Krankheitsverarbeitung und -bewa¨ltigung (Coping)
Fragebo¨gen (FKV, FKV-LIS, BEFO, TSK, FIBECK)
Abkla¨rung und Verbesserung der beruflichen Leistungsfa¨higkeit, berufliche Wiedereingliederung
Aufnahme der beruflichen Ta¨tigkeit, La¨nge der Arbeitsunfa¨higkeit
Verminderung der Pflegebedu¨rftigkeit, Kla¨rung und Hilfe bei der weiteren ha¨uslichen Versorgung
Barthel-Index, Funktionaler Selbsta¨ndigkeitsindex (FIM), instrumentelle Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens, Reduzierung der Pflegestufe bzw. des Ausmaßes an Fremdhilfen, Fragebo¨gen
2 Diagnostik und Therapie spezifischer Probleme nach Mammaresektion Die Radikalitt der Operation, insbesondere die der axillren Ausrumung, das Ausma des Lymphknotenbefalls und die postoperative Narbenbildung sowie chronisch-entzndliche Prozesse oder strahlenbedingte fibrotische Vernderungen an der Axilla korrelieren mit Hufigkeit und Schwere des Armo¨dems (Fldi 1997). Risikopatientinnen sollten ausfhrlich ber die Vorsichtsmanahmen aufgeklrt werden, um das Auftreten eines Lymphdems zu verhindern bzw. einer Verschlimmerung entgegenzuwirken (Tabelle 2). Hierfr eignen sich Einzelberatungen und Gruppengesprche. Eine prophylaktische Lymphdrainage ist selbst bei Risikopatientinnen nicht indiziert (Bkel 1997)! Die Therapie eines schon bestehenden Lymphdems ist aueror-
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Tabelle 2. Empfehlungen fu¨r Risikopatientinnen zur Verhinderung eines Lympho¨dems (nach Delbru¨ck 2004) Beim Arzt Mo¨glichst keine Injektionen auf der operierten Seite Mo¨glichst Blutdruckmessung auf der anderen Seite Keine Akupunkturbehandlung auf der gleichen Seite * * *
Im Haushalt Keine schweren Einkaufstaschen tragen Vorsicht vor manuellen Ta¨tigkeiten in heißem Wasser, in Laugen oder sa¨urehaltigem Wasser, es sei denn, daß Handschuhe getragen werden Vorsicht vor Schnittwunden mit Ku¨chenmessern, Nadeln Keine schweren Lasten tragen Keine Armbanduhr, keine abschnu¨renden Ringe an der gefa¨hrdeten Seite tragen
* *
* * *
Bei der Kleidung Tra¨ger des Bu¨stenhalters du¨rfen weder an der Schulter noch am Brustkorb einschneiden *
Bei der Ko¨rperpflege Bei der Nagelpflege den Nagelfalz nicht schneiden Keine reizenden, allergisierenden Kosmetika verwenden Ko¨rperfreundliche Kosmetika sind erlaubt! Vorsicht vor Sonnenbrand, Vorsicht vor Sauna Keine knetende Massage des Arms * * * * *
Im Urlaub bzw. bei der Freizeitgestaltung Vorsicht vor Insektenstichen in der gefa¨hrdeten Region Vorsicht vor Verletzungen, vor Frostscha¨den Keine großen Anstrengungen mit dem gefa¨hrdeten Arm Vorsicht vor Verletzungen mit Stacheln, Dornen oder Gera¨ten Bei der Gartenarbeit sollte man Handschuhe tragen
* * * * *
dentlich problematisch. Chirurgische Eingriffe sind wenig erfolgversprechend; eine antidiuretische Therapie gilt als kontraindiziert; Massagen, Kurzwellenbestrahlung und Packungen knnen das vorhandene Spannungsgefhl und die eventuell eingeschrnkte Beweglichkeit zwar zeitweilig lindern, das Lymphdem jedoch verstrken. Die einzige erfolgversprechende Behandlung ist die Lymphdrainage, obwohl auch sie den Lymphabflu nur zeitweilig verbessern kann. Bei tumorbedingten Lymphabflustrungen ist sie kontraindiziert (Fldi 1997). Im Gefolge der Ovariektomie, ebenso wie nach einer GnRH-Agonistentherapie, treten hufig hormonelle Entzugserscheinungen auf. Wenn mglich, sollte man zur Behandlung von Hormonentzugserscheinungen bei Frauen mit rezeptorpositivem Karzinom nicht strogene, sondern pflanzliche Prparate einsetzen. Sind letztere nicht wirksam, knnen Gestagene versucht werden.
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Die Besprechung mglicher Auswirkungen therapeutischer Manahmen auf die Sexualita¨t bzw. die Beratung bei sexuellen Problemen gehrt mit zur Rehabilitation. Strungen des sexuellen Erlebens und Verhaltens treten als Begleit- oder Folgeerscheinung hufig auf und bedeuten fr die Betroffene oft eine erhebliche Einbue an Lebensqualitt, Selbstwertgefhl und Zufriedenheit in der Partnerbeziehung (Zettl 1998). ber die Mglichkeiten einer Aufbauplastik, einer Prothese oder auch rekonstruktiver plastischer chirurgischer Manahmen sollte man nach Mglichkeit schon vor der Operation mit der Patientin gesprochen haben und nach Mglichkeit den Primreingriff unter Bercksichtigung dieser Aspekte vornehmen. Die brustprothetische Versorgung ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Nachsorge und Rehabilitation. Sie mu fachgerecht und individuell erfolgen, wozu sich speziell ausgebildete Prothetikberaterinnen in den Tumornachsorgekliniken und aus den Sanittsfachgeschften anbieten. Die Aufgabe der Physiotherapie im Gesamtkonzept der Mammakarzinomrehabilitation konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Schwerpunkte, nmlich auf die Erhaltung und Besserung der Mobilitt im Schulter-Arm-Gelenk sowie auf die Verhtung und Behandlung von Therapiefolgestrungen (Bkel 1997). Ziel und Aufgaben der Physiotherapie sind in der Tabelle 3 zusammengestellt. Sie beinhaltet aktive und passive Manahmen und hat durchaus auch einen positiven psychosozialen Inhalt. Oft besteht eine mangelhafte Entspannungsfhigkeit bei Brustkrebspatientinnen. Entspannungsverfahren wie Yoga, Meditationsformen, Atemtherapie bzw. Atemschulung, Eutonie, bungen aus dem Arbeitskreis nach Feldenkrais knnen sehr hilfreich sein. Tabelle 3. Zielsetzungen der Krankengymnastik in der Mammakarzinomrehabilitation (nach Bo¨kel 1997) Ko¨rperlich motorischer Aspekt Verbesserung der funktionellen Einschra¨nkung Vermittlung von Bewegungserfahrung Fo¨rderung der ko¨rperlichen Leistungsfa¨higkeit Verhinderung eines Lympho¨dems * * * *
Emotionaler Aspekt Spaß an der Bewegung, Stabilisierung, Selbstwertgefu¨hl Beitrag zur Krankheitsbewa¨ltigung anstatt Verdra¨ngung Motivation zu neuem, gesundheitsfo¨rderndem Freizeitverhalten * * *
Sozialaspekt Eingliederung in die Gesellschaft und Enttabuisierung der Krankheit Krebs Fo¨rderung der Kommunikation und des Gemeinschaftssinns * *
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3 Psychische Rehabilitation Viele Betroffene wnschen eine psychologische Hilfestellung zur Krankheitsbewltigung. Manche glauben an die Mglichkeit einer psychotherapeutischen Beeinflussung ihres Krebsleidens. Bewiesen ist bisher allerdings lediglich, da die Auswirkungen und Folgen des Tumorleidens durch eine psychische Hilfestellung beeinflut werden knnen. In der Auseinandersetzung mit der Erkrankung und der tdlichen Bedrohung sind bei den Patientinnen verschiedene Formen der Bewltigung (Coping) zu beobachten, die in unterschiedlicher Weise geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Untersttzt werden sollten hierbei die Verhaltensweisen, die eine aktive Form der Auseinandersetzung darstellen. Letztendlich ist jedoch nach wie vor ungeklrt, welche Strategie der Krankheitsbewltigung als effektiv anzusehen ist und bei welchem Bewltigungsverhalten psychologische Interventionen indiziert sind (Muthny 1996). Wichtig ist, da die Patientinnen lernen, unbefangen mit anderen Betroffenen ber ihre Probleme zu sprechen. Dies kann sehr gut in Gruppengesprchen erreicht werden, die in Selbsthilfegruppen und whrend der stationren und teilstationren Heilverfahren speziell fr Brustkrebspatientinnen angeboten werden. Auch die Ergotherapie ist von Bedeutung. Sie hat in der Mammakarzinom-Rehabilitation weniger beschftigungstherapeutische oder physikalisch-rehabilitative Aufgaben als vielmehr psychische Zielsetzungen.
4 Soziale Rehabilitation Zur ganzheitlichen Rehabilitation gehren auch soziale Hilfen. Mit Hilfe des Schwerbehindertenausweises sollen einige der durch die Krebserkrankung entstandenen Nachteile ausgeglichen werden. Die Einstufung des GdB (Grad der Behinderung) erfolgt nicht prognose-, sondern leistungs- und funktionsorientiert. Eine Mammakarzinompatientin T1N0M0 mit Lymphdem hat zwangslufig einen hheren GdB als eine beschwerdefreie Patientin mit einem T3N2M0-Stadium. Der Erfahrungsaustausch zwischen Betroffenen in Selbsthilfegruppen ist in vielen Fllen der beste Ratgeber. Dies nicht nur bei psychischen, sondern auch bei sozialen Problemen. Die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ ist in nahezu allen greren Stdten und auch in vielen lndlichen Regionen durch eine Gruppe vertreten. Die Adresse ist ber den Bundesverband in: B6-10/11, 68159 Mannheim erhltlich.
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5 Berufliche Rehabilitation Es gibt keine Hinweise dafr, da Arbeit das Wiedererkrankungsrisiko beeinflussen knnte. Sind jedoch irreversible Bewegungseinschrnkungen oder ein Lymphdem aufgetreten, so mu von bestimmten beruflichen Ttigkeiten abgeraten werden (Tabelle 4). Auch bei lymphdemgefhrdeten Patientinnen kann eine Berufsunfhigkeit fr bestimmte berufliche Ttigkeiten vorliegen, die allerdings nicht mit einer globalen Arbeits- oder Erwerbsunfhigkeit gleichgesetzt werden darf. Eine Arbeitsplatzumsetzung kann notwendig sein (Delbrck 1995, 2001). Eine adjuvante hormonelle Therapie beeintrchtigt in der Regel die berufliche Leistungsfhigkeit nicht oder nur unwesentlich. Whrend einer bis ca. sechs Monate dauernden adjuvanten zytostatischen Polychemotherapie ist hingegen von einer erheblichen Einschrnkung auszugehen, die auch noch mehrere Monate nach Absetzen der Chemotherapie anhalten kann. Der maximale Zeitraum bis zur Aussteuerung durch die Krankenkasse betrgt 18 Monate. Tabelle 4. Berufliche Einschra¨nkungen bei Patientinnen mit Lympho¨dem (nach Delbru¨ck 1995) * * * * * *
*
Ta¨tigkeiten von Schreibkra¨ften, handwerklichen Hilfskra¨ften und von Reinigungskra¨ften Ta¨tigkeiten bei ungu¨nstiger Wa¨rmeeinstrahlung oder la¨ngerer Sonnenbestrahlung Ta¨tigkeiten, die mit einer U¨berlastung des betreffenden Armes einhergehen Ta¨tigkeiten, die mit einer eventuellen Verletzungsgefahr des betroffenen Armes einhergehen Mehrstu¨ndige monotone leichte Ta¨tigkeiten mit dem betroffenen Arm Ta¨tigkeiten, bei denen eine abschnu¨rende Kleidung notwendig ist oder Schulterriemen auf der Schulter der betroffenen Seite aufgelegt werden mu¨ssen Ta¨tigkeiten im Wasserbad oder Thermalbad u¨ber 33 C
6 Gesundheitstraining Besonders bei Brustkrebspatientinnen ist zu beobachten, da sie mehr als andere Tumorpatientinnen zustzlich zur Schulmedizin auch paramedizinische Hilfen suchen. Diese reichen von schulmedizinisch nicht anerkannten, jedoch harmlosen „immunbiologischen Therapien“ bis hin zu finanziell aufwendigen, sinnlosen und gelegentlich sogar schdlichen Alternativtherapien. Ein Ditfanatismus ist nicht selten. Aufgabe des Gesundheitstrainings ist es unter anderem, die Patientinnen vor schdigenden Alternativtherapien zu schtzen und ihnen die Mglichkeiten und Grenzen der Schulmedizin zu erlutern. Zur Erfllung dieser Rehabilitationsaufgaben eignen sich Einzel- und Gruppengesprche, an denen auch Angehrige teilnehmen knnen. Das Gesundheitstraining schliet allgemeine Informationen ber die Erkrankung, deren Ursache, Therapiemglichkeiten, Rezidivprophylaxe, Nach-
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
sorgeuntersuchungen und Rezidivbehandlungsmglichkeiten ebenso ein wie Informationen ber soziale Rechte und Hilfen sowie berufliche Konsequenzen. Sinnvoll ist, wenn die Patientinnen und deren Angehrige diese Informationen auch in schriftlicher Form (z.B. in Form von differenzierten Ratgebern [Delbrck 2004]) erhalten. Den Patientinnen sollten auch Internetprogramme fr Brustkrebspatientinnen empfohlen werden, die nach Meinung des betreuenden Arztes seris, industrieunabhngig, informativ sind und sich positiv auf die Compliance auswirken (Delbrck 2004). Die Evaluation der Nachsorge- und Rehabilitationsmanahmen bei Mammakarzinompatientinnen richtet sich nicht nach Lebenszeit-, sondern nach Lebensqualittsparametern. Es gibt objektive sowie subjektive Parameter, um den Erfolg durchgefhrter Rehabilitationsmanahmen zu beurteilen. Einige von ihnen sind in der Tabelle 1 aufgefhrt.
7 Zugang zur Rehabilitation Grundstzlich mssen fr die ambulante sowie teilstationre Rehabilitation die gleichen Qualittskriterien wie fr die stationre Rehabilitation gelten. (Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation [2004]: Rahmenempfehlungen zur ambulanten onkologischen Rehabilitation. Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation). Onkologisch ausgerichtete Rehabilitationskliniken bieten sich bevorzugt fr die Durchfhrung stationrer und teilstationrer Rehabilitationsmanahmen an. Die klassische Kur in Sanatorien und Kurkliniken kann die notwendigen Rehabilitationsaufgaben nicht erfllen. Die Adressen wohnortnaher als auch wohnortferner Rehabilitationskliniken und teilstationrer Rehabilitationsmglichkeiten sind zu erfahren ber die BfA sowie die Arbeitsgemeinschaft fr Krebsbekmpfung im Lande Nordrhein-Westfalen oder ber die regionalen Landesversicherungsanstalten. Whrend die im Anschlu an die Primrbehandlung stattfindende Anschluheilbehandlung (AHB) vom behandelnden Arzt direkt eingeleitet werden kann und sowohl Zeitpunkt wie auch Ort der stationren Rehabilitationsmanahme bestimmt werden knnen, behalten sich bei spteren stationren Rehabilitationsmanahmen die Kostentrger den Zeitpunkt und den Ort der Rehabilitationsklinik vor. Kliniken, in denen weniger als 300 Mammakarzinompatientinnen jhrlich betreut werden, haben in der Regel nicht die notwendigen Erfahrungen, die notwendige Ausrstung und das notwendige Personal, die fr eine qualifizierte Rehabilitation von Mammakarzinompatientinnen notwendig sind. Diese und andere von der Deutschen Krebsgesellschaft erarbeiteten Empfehlungen zur Struktur-, Proze- und Ergebnisqualitt in der onkologischen Rehabilitation sollten beachtet werden (Schmid et al. 2000).
29.6
Rehabilitationsmaßnahmen nach Mammaresektion
1395
Literatur Bkel R (1997) Standards und Qualittssicherung der Physiotherapie in der onkologischen Rehabilitation. In: Delbrck H (Hrsg) Standards und Qualittskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen, 51 Delbrck H (Hrsg) (1989) Krebsnachsorge und Rehabilitation. Mammakarzinom. Zuckschwerdt, Mnchen Bern Wien, 1 Delbrck H (Hrsg) (1995) Krebsnachsorge und Rehabilitation. Der Krebskranke in der Arbeitswelt. Zuckschwerdt, Mnchen, 5 Delbrck H (2004) Brustkrebs. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. Kohlhammer, 6. Auflage Fldi K (1997) Lehrbuch der Lymphologie. Fischer, Stuttgart Muthny F (1996) Wege der Krankheitverarbeitung von Krebspatienten und Mglichkeiten von Hilfen. Hefte zur Krebsnachsorge. Hartmann Bund, Bad Neuenahr Schmid L, Delbrck H, Bartsch H, Kruck P (2000) Zur Strukturqualitt in der onkologischen Rehabilitation. Rehabilitation 39:350 Schwiersch M, Stepin J, Schrck R (1995) Inwieweit beeintrchtigen psychosoziale Belastungen den Wiedereintritt ins Berufsleben bei Mammakarzinompatientinnen. In: Delbrck H (Hrsg) Krebsnachsorge und Rehabilitation. Der Krebskranke in der Arbeitswelt. Zuckschwerdt, Mnchen, 5 Zettl S, Hartlapp J (1997) Krebs und Sexualitt. Springer, Heidelberg
29
29.7 Rehabilitationsmaßnahmen nach Magenresektion H. Delbrck
1 Ziele Rehabilitation und Palliation haben in der Nachbetreuung von Patienten nach Magenresektion eindeutig Prioritt vor Manahmen zur Rezidiverkennung und Rezidivprophylaxe (Delbrck 2003). Bei allen operierten Patienten … gleichgltig, ob gastrektomiert oder reseziert, ob kurativ oder palliativ behandelt, ob alt oder jung … steht die Beherrschung der Operationsfolgen, speziell der Postgastrektomiesymptomatik, ganz im Vordergrund. Dies um so mehr, als die mit dem Postgastrektomiesyndrom verbundenen Funktionsausflle einen groen Einflu auf Art und Ausma der psychosozialen und beruflichen Einschrnkungen haben. In Tabelle 1 sind die wichtigsten somatischen Beschwerden und Folgeerkrankungen erwhnt, mit denen nach partieller und totaler Magenresektion gerechnet werden mu. Einige der mglichen Rehabilitationsziele und Evaluationsparameter finden sich in der Tabelle 2.
2 Diagnostik und Therapie spezifischer Probleme und Folgeerkrankungen nach Gastrektomie Ohne Basisinformationen ist eine Rehabilitationsplanung unmglich. Sie betreffen vor allem das Operationsverfahren, aber auch die Aufklrung. Art und Ausma der Tumorentfernung … partielle oder totale Magenentfernung, mit oder ohne Ersatzmagen, mit oder ohne Ableitung nach Roux, mit oder ohne Entfernung der Milz und des kleinen Netzes … bedingen unterschiedliche Beschwerden und beeinflussen so Art und Ausma der notwendigen Rehabilitationsmanahmen (Tabelle 1).
Tabelle 1. Beschwerden und Folgeerkrankungen nach partieller und totaler Magenentfernung * * * * * *
Magenentleerungssto¨rungen Dumping-Syndrom Syndrom der zufu¨hrenden Schlinge Refluxo¨sophagitis Gewichtsverlust Maldigestion
* * * * *
Malassimilation Diarrho¨ Refluxgastritis Ana¨mie Osteopathie
29.7
Rehabilitationsmaßnahmen nach Magenresektion
1397
Tabelle 2. Mo¨gliche Rehabilitationsziele und deren Effektivita¨tsparameter bei potentiell kurativ behandelten Magenkarzinompatienten (aus Delbru¨ck 2003) Therapieziel
Evaluationsparameter
Verbesserung des Erna¨hrungszustandes
Gewichtsmessungen, Messungen des Gesamteiweißes, Albuminkonzentration, biometrische Impedanzanalyse
Abkla¨rung und Linderung von Gewichtsverlust
Gewichtsmessung, biometrische Impedanzanalyse
Medikamenteneinstellung nach vera¨nderten Resorptionsbedingungen nach Gastrektomie (z.B. Antiepileptika)
Medikamentenspiegel
Abkla¨rung und Linderung von Maldigestion, Malassimilation
Stuhluntersuchungen, Gewichtsmessung, Eiweißelektrophorese
Neueinstellung eines Diabetes nach Gastrektomie
Blutzucker-Tagesprofil, HbA1
Abkla¨rung und Linderung von Diarrho¨en
Stuhlfrequenz, Pankreaselastase, Stuhlvisite (Farbe), Stuhlgewicht
Abkla¨rung und Linderung von Dumpingbeschwerden
Fragebogen, Blutzuckeruntersuchungen, RR, Puls
Abkla¨rung und Linderung von Refluxbeschwerden, Dysphagien
Gastroskopie, Fragebogen, QLQ-C30
Abkla¨rung, Vorbeugung und Therapie einer Osteopathie
Bildgebende Verfahren, Histologie, alkalische Serumphosphatase, Ca-Spiegel
Abkla¨rung und Linderung von Ana¨mie
Blutbildvera¨nderungen
Verbesserung der ko¨rperlichen Leistungsfa¨higkeit
Gehstrecke, (Spiro-)Ergometrie, Vigorimeter, Fragebogen, QLQ-C30
Schmerzlinderung
Schmerztagebuch, numerische, visuelle, verbale Schmerzskalen (IRES-MIN), Analgetikareduzierung, Schmerzempfindungsskala (Geissner), Beschwerdeliste (v. Zerssen), Pain Disability Index (PDI), QLQ-C30
Krankheitsverarbeitung
Fragebogen (FKV, FKV-LIS, BEFO, TSK)
Verminderung von Angst, Depressionen
Rating-Skalen, Fragebogen (STAI, BDI, HADS-D), PAF, BSI
Erlernen von Entspannungstechniken
Selbstbeurteilung, Streßverarbeitungsbogen
Abkla¨rung und Verbesserung der beruflichen Leistungsfa¨higkeit
Sozialmedizinische Stellungnahme, La¨nge der Arbeitsunfa¨higkeit
Verminderung der Pflegebedu¨rftigkeit, Kla¨rung und Hilfe bei der weiteren ha¨uslichen Versorgung
Reduzierung der Pflegestufe, Barthel-Index, Funktionaler Selbsta¨ndigkeitsindex (FIM), instrumentelle Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens
Angeho¨rigenberatung
Testbogen
29
1398
29
Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Bei Magenentleerungssto¨rungen mu differentialdiagnostisch immer auch an mgliche Stenosierungen im Anastomosenbereich und im proximalen Jejunum gedacht werden. Diese knnen organischer, aber auch funktioneller Natur sein und knnen sowohl in der frhen als auch in der spteren postoperativen Phase auftreten. Sowohl das Fru¨hdumping-Syndrom als auch das Spa¨tdumping-Syndrom treten hufiger bei gastrektomierten als bei resezierten Patienten auf. Von zentraler Bedeutung fr die Therapie sind ditetische Manahmen. Sie richten sich beim Frhdumping gegen die beschleunigte Magenentleerung und/oder gegen den zu hohen osmotischen Reiz der Nahrung. Eine Pankreatinsubstitution ist sowohl beim Frh- als auch beim Sptdumping aufgrund der zu spten bzw. unzureichend einsetzenden exokrinen Pankreasfermentsekretion bei zu kurzer Verweildauer der Nahrung im Dnndarm indiziert. Zu einer Refluxo¨sophagitis kann es sowohl bei partiell als auch bei total gastrektomierten Patienten kommen. Whrend bei teilresezierten Patienten hufig ein magensurebedingter Reflux vorliegen kann (aber nicht mu), handelt es sich nach einer Gastrektomie grundstzlich um einen Reflux der Dnndarmsfte (alkalische Refluxsophagitis). Bei proximaler Resektion ist eine saure Refluxsophagitis hufig unvermeidbar. Die ditetische Beratung sowie nichtmedikamentse Allgemeinmanahmen stellen die Grundlage der Behandlung aller drei Varianten der Refluxsophagitis dar (Delbrck und Mestrom 2004). Die operative Entfernung des Pylorus erhht zwangslufig das Risiko eines Refluxes von aggressivem Duodenalinhalt in den Restmagen. Es kommt zu einer Refluxgastritis. Die Ernhrung und die Einnahme mglichst vieler kleiner Mahlzeiten haben eine vorrangige Bedeutung fr die Linderung der Beschwerden. Mitunter empfiehlt es sich, auch nachts eine Zwischenmahlzeit einzulegen. Bei Persistenz der Beschwerden knnen motilittssteigernde Prparate oder gallensureneutralisierende Medikamente versucht werden. Die ditetische Fhrung und Beratung sind von groer Bedeutung, um den Gewichtsverlust zu reduzieren. Eine ausschlielich unter dem Gesichtspunkt der quantitativen Kalorienaufnahme erfolgende Ernhrungsberatung ist gefhrlich. Vielmehr mu auch die Qualitt der Nahrungsmittel im Hinblick auf Eiwei-, Fett-, Kohlenhydrat-, Vitamin- und Mineralstoffgehalt stimmen. Zahlreiche Arbeiten weisen auf eine Malassimilation von Nahrungsbestandteilen hin (Armbrecht 1991). Als pathologischer Mechanismus fr die gestrte Verdauungsfunktion kommt neben einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Dnndarms und einer zu schnellen Passage der Nahrungsbestandteile auch eine gestrte exokrine Pankreasfunktion in Frage.
29.7
Rehabilitationsmaßnahmen nach Magenresektion
1399
Mehrere Faktoren sind an der Genese der hufig auftretenden Diarrho¨en beteiligt. Am hufigsten ist es ein zu hoher Fettgehalt der Nahrung oder eine „sekundre Laktoseintoleranz“. Eine weitere Ursache kann durch die Entfernung des Nervus vagus bedingt sein. Die Behandlung sollte sich nach der Ursache der Diarrh richten. Eine gute ditetische Fhrung ist der beste Beitrag zur Prophylaxe und Therapie (Delbrck 1997, 1999, Mestrom 1998, Delbrck und Mestrom 2004). Bei jedem gastrektomierten Patienten mu Vitamin B12 parenteral substituiert werden. Die orale Gabe ist sinnlos! Bei resezierten Patienten ist die Vitamin-B12-Gabe nur dann notwendig, wenn properativ eine atrophische Gastritis vorlag (was relativ hufig ist) oder wenn der Restmagen sehr klein ist. Die Eisengabe ist nur bei Eisenmangel, bei leerem Eisenspeicher und gleichzeitig gesicherter Malabsorption von Nahrungseisen notwendig. Bei mehr als 50% der Gastrektomierten kommt es zu einer spteren Osteomalazie. Ursache der Osteomalazie ist ein Mangel an Vitamin D. Dieser Mangel beruht auf einer gestrten Resorption von Fett und damit von fettlslichen Vitaminen. Bei nicht ausreichender Kalziumzufuhr ist die Substitution mit Kalziumtabletten in dem Bereich zwischen 800 und 1500 mg/ Tag zu empfehlen. Zur Prophylaxe der Osteomalazie ist bei allen Gastrektomierten die intramuskulre Injektion fettlslicher Polyvitamine (Vitamin A.D.E.K.) zu diskutieren.
3 Soziale Rehabilitation Magenkarzinompatienten hatten nicht selten schon vor der Operation groe soziale Probleme. Diese verstrken sich nach der Operation. Hufig liegt selbst bei Routinettigkeiten Hilfsbedrftigkeit vor. Ist dies der Fall, dann empfiehlt sich grundstzlich die Durchfhrung der stationren Anschluheilbehandlung in wohnortnahen Tumornachsorgekliniken. Die Angehrigen mssen mit in die Rehabilitation einbezogen werden. Soziale Hilfen sind Bestandteil der Rehabilitation (Delbrck 2003).
4 Berufliche Rehabilitation Manuell Ttige sind in ihrer beruflichen Leistungsfhigkeit besonders von den Folgen der Postgastrektomiebeschwerden betroffen. Schon allein wegen des Gewichtsverlustes kommen mit krperlichen Belastungen einhergehende Ttigkeiten fr Gastrektomierte, aber auch fr viele Resezierte nicht mehr in Frage (Tabelle 3). Im Rahmen der beruflichen Rehabilitation mu eine sozialmedizinische Stellungnahme erfolgen und mssen gegebenenfalls arbeitsplatzerhaltende Hilfen in die Wege geleitet werden (Delbrck 2003).
29
1400
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Tabelle 3. Einschra¨nkungen der Arbeitsfa¨higkeit potentiell kurativ gastrektomierter Magenkarzinompatienten (nach Delbru¨ck 2003) Einschra¨nkungen
Grund der Einschra¨nkungen
Keine Arbeit, die mit ha¨ufigem Bu¨cken verbunden ist
Gefahr der Refluxo¨sophagitis
Keine ko¨rperlich schweren Arbeiten; eingeschra¨nkte Belastbarkeit der Bauchwand, kein Heben oder Tragen schwerer Lasten Gefahr der Refluxo¨sophagitis, Hernie Keine Arbeiten, die Schwindelfreiheit voraussetzen (z.B. Dachdecker)
Dumping-Syndrom bzw. postprandiale Beschwerden mit Hypoglyka¨mie und Konzentrationsbeschwerden
Keine Arbeit, die permanente Aufmerksamkeit erfordert
ha¨ufige Sto¨rungen des Wohlbefindens mit gelegentlichen Konzentrationsbeschwerden
Keine Ta¨tigkeiten in den ersten sechs postoperativen Monaten, danach je nach Grad der Beschwerden
Der Ko¨rper braucht relativ lange Zeit zur Adaptation an die vera¨nderte Magen-Darm-Passage bzw. an die vera¨nderten Resorptionsbedingungen
Keine Ta¨tigkeiten, die mit Geruchsbelastung oder a¨tzenden Da¨mpfen einhergehen
Provokation von Erbrechen, U¨belkeit und Diarrho¨en
Verbot von Nacht- und Schichtarbeit
geringere Reizschwelle fu¨r Streß
Keine Arbeit, in der nicht ha¨ufiger betriebsunu¨bliche Pausen mo¨glich sind
ha¨ufigere Einnahme von kleineren Mahlzeiten ist notwendig
Ungeeignet als Berufskraftfahrer
ha¨ufigere betriebsunu¨bliche Pausen notwendig, keine Ta¨tigkeiten bei psychischem oder physischem Streß, Risiko eines Dumping-Syndroms und dadurch Risiko von Konzentrationsschwa¨chen
5 Gesundheitstraining Das Gesundheitstraining schliet allgemeine Informationen ber die Erkrankung, deren Ursache, Therapiemglichkeiten, Rezidivprophylaxe, Nachsorgeuntersuchungen und Rezidivbehandlungsmglichkeiten ebenso ein wie Informationen ber soziale Rechte und Hilfen sowie berufliche Konsequenzen. Sinnvoll ist, wenn den Patienten und deren Angehrigen diese Informationen auch in schriftlicher Form (z.B. in Form von differenzierten Ratgebern [Delbrck 1997]) zur Verfgung gestellt werden.
6 Evaluation Die Evaluation der Rehabilitationsmanahmen richtet sich nicht nach Lebenszeit-, sondern nach Lebensqualittsparametern. Einige der Effektivittsparameter sind in der Tabelle 2 erwhnt.
29.7
Rehabilitationsmaßnahmen nach Magenresektion
1401
7 Zugangswege zur Rehabilitation Die stationre Anschluheilbehandlung (AHB) ist die fr operierte Magenkarzinompatienten wichtigste stationre Rehabilitationsmanahme. Sie sollte auf jeden Fall in einer onkologisch ausgerichteten Rehabilitationsklinik und auf keinen Fall in einer allgemeinen Kur- oder Reha-Klinik durchgefhrt werden. Alle gastrektomierten Patienten sollten die Mglichkeit einer stationren Anschluheilbehandlung in Anspruch nehmen. In der Regel sind die Gastrektomierten krperlich zu geschwcht, um von einer teilstationren oder ambulanten Rehabilitation zu profitieren. Eine ausreichende Qualitt ist nur in Rehabilitationsinstitutionen mglich, in denen mindestens 100 Magenkarzinompatienten jhrlich betreut werden. Stationre Rehabilitationsmanahmen, speziell die Anschluheilbehandlung, sollten in denjenigen Rehabilitationskliniken unterbleiben, in denen diese und andere von der Deutschen Krebsgesellschaft erarbeiteten Empfehlungen zur onkologischen Rehabilitation nicht bercksichtigt werden (Schmid et al. 2000). Adressen von AHB-Kliniken knnen ber die BfA, ber die Arbeitsgemeinschaft fr Krebsbekmpfung in Bochum sowie ber die anderen Kostentrger in Erfahrung gebracht werden. Literatur Armbrecht U (1991) Malassimilation nach partieller und totaler Gastrektomie. In: H. Delbrck (Hrsg.) Krebsnachsorge und Rehabilitation. Magenkarzinom. Zuckschwerdt, Mnchen, 3, 57…61 Delbrck H (2003) Krebsnachbetreuung (Nachsorge, Rehabilitation, Palliation). Springer Heidelberg Delbrck H, Mestrom H (2004) Nachsorge, Rehabilitation und Ernhrung. In: Buhr, Meyer und Wilke (Hrsg) Management des sophagus- und Magenkarzinoms. Onkologie aktuell. Springer Heidelberg Delbrck H (1997) Magenkrebs. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. Kohlhammer, Stuttgart, 2. Auflage Delbrck H, Haupt E (Hrsg) (1998) Rehabilitationsmedizin. Urban & Schwarzenberg, Mnchen, 2. Auflage Delbrck H (1999) Ernhrung nach Krebs. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. Kohlhammer, Stuttgart Mestrom H (1998) Essen und Trinken nach Magenentfernung. ABC-Verlag, Sprockhvel Schmid L, Delbrck H, Bartsch H, Kruck P (2000) Zur Strukturqualitt in der onkologischen Rehabilitation. Rehabilitation 39: 350
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29.8 Standards rehabilitativer Maßnahmen bei Lympho¨demen G.-D. Braun
1 Ziel Im Rahmen onkologischer Therapien werden folgende Lymphdeme festgestellt: F F F F
Armlymphdem Beinlymphdem Gesichtsdem sonstige deme entsprechend der Grunderkrankung.
Es ist zu unterscheiden zwischen primrem und sekundrem Lymphdem. Bei einem primren Lymphdem ist die Vernderung u.a. durch iatrogene Eingriffe bedingt. Bei einem sekundren Lymphdem kommt u.a. vorrangig die Tumorerkrankung in Frage. Der Schweregrad des Lymphdems lt sich nach demgraden von 0 bis 6 unterscheiden (Tabelle 1). Das Therapieziel ist die Entstauung der dembefallenen Region, somit die Verhinderung von Erysipelen oder Unterhautgewebsfibrose bis hin zu sarkomatsen Entartungen. Die komplexe Entstauungstherapie besteht aus den Bereichen Entstauungstherapie und Bewegungstherapie und soll die Mobilitt und Unabhngigkeit der betroffenen Person frdern. Kontraindikationen sind akute Infektionen und partielle metastasierende Tumoren im Lymphabflugebiet (Individualentscheidung). Tabelle 1. O¨demgrade Grad 0 Grad 1 Grad 2 Grad 3 Grad 4 Grad 5 Grad 6
Pra¨o¨dem – latentes O¨dem (an den Beinen als reversibles O¨dem) Geringes O¨dem = bis 10% Ma¨ßiges O¨dem = bis 20% Starkes O¨dem = bis 40% Massives O¨dem = bis 80% Elephantiastisches O¨dem = bis 160% Monstro¨ses O¨dem = u¨ber 160%
manifestes O¨dem Bei einem einseitigen O¨dem: Volumenvermehrung gegenu¨ber gesunder Seite. Einfache O¨demgradbestimmung einseitiger O¨deme mit dem O¨demgradmesser. Grad 1–6:
29.8
Standards rehabilitativer Maßnahmen bei Lympho¨demen
1403
2 Entstauungstherapie Der in Lymphdrainage ausgebildete Therapeut (Masseur, Physiotherapeut) kann die Therapie 2- bis 3mal pro Woche jeweils 30…60 min lang durchfhren. Bei mehrmals tglichen Anwendungen mssen jeweils 4 Stunden Pause gewhrleistet sein. Bei geringgradigem dem ist eine ambulante Behandlung ausreichend, sie kann aber ber viele Jahre hinweg erforderlich sein. Bei massivem dem ist eine stationre Therapieeinleitung erforderlich, um therapeutische Manahmen festzulegen. Eine nachfolgende ambulante Therapie kann ebenfalls ber Jahre hinweg notwendig sein. Die manuelle Lymphdrainage kann durch Bandagierung untersttzt werden. Mit unnachgiebigen Dauerverbnden bei der direkten Entstauungstherapie und nachgiebigen Wechselverbnden bei der Erhaltungstherapie kann dieses weitergefhrt werden. Eine Kompressionsbestrumpfung ist fr die chronische Phase sinnvoll, es mu aber die arterielle Durchblutung intakt sein.
3 Bewegungstherapie Die Bewegungstherapie geschieht in Gruppen oder einzeln mit dem Ziel, die Lymphdrainage zu untersttzen. Die Durchfhrung dauert ca. 30 Minuten pro Tag, 2- bis 3mal wchentlich, zustzlich z.B. Atemtherapie (Verbesserung des vensen Rckflusses).
4 Ablauf der komplexen physikalischen Entstauungstherapie Anamnese: Ursache, Zeitpunkt und Dauer des Lymphdems sowie Art der
bisherigen Therapie mssen ermittelt werden. Status: Inspektion mit Umfangsmessung oder Abschtzung der beidseitigen
oder sonstigen lokalisierten deme, Angabe in Zentimetern oder prozentuale Angabe, Festlegung des demgrades. Bewegungseinschrnkungen mssen dokumentiert werden nach der Neutral-Null-Methode. Ebenso gehren die psychische Situation und soziale Belastung zur Beurteilung des Befundstatus. Therapieplanung: Festlegung der Effektivittsparameter, die whrend der
Therapie behandelt werden mssen, sowie Zeitdauer und Einsatz des Therapeuten. Die komplexe physikalische Entstauungstherapie beinhaltet die Lymphdrainage mit demgriffen, eine Kompressionsbehandlung, Gymnastik und Hochlagern, ergnzend die apparative intermittierende Kompressionsbehandlung. Wassergymnastik wirkt sich im allgemeinen positiv aus, es mssen jedoch die Kontraindikationen beachtet werden, die Wassertemperatur darf nicht ber 29 C sein.
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Therapieverlauf: Kontrolle wchentlich, Bestimmung der Umfnge, Beweg-
lichkeit oder Vernderung bezglich der Ausgangssituation und deren Dokumentation. Ist ein No-change feststellbar, mu der Patient sich ggf. mit dieser Situation abfinden. Zusa¨tzliche Informationen. Zur Therapie zhlen auch Informationen, Vortrge ber Lymphdemrisiken, demprophylaxe und Kontraindikationen. Grundstzlich sollten an derartigen Informationsveranstaltungen nicht nur Lymphdembetroffene, sondern auch Lymphdemgefhrdete teilnehmen. Die Informationen sollen in Form eines strukturierten Gruppenunterrichtes erteilt werden.
5 Ergebnis Die Abnahme des dems in Zentimetern oder Prozent bzw. die Zunahme der Beweglichkeit, bezogen auf die Neutral-Null-Methode, sind die Ergebnisparameter. Weiterhin ebenfalls Wiedereingliederung in das soziale Umfeld, Arbeitsaufnahme, Arbeitsunfhigkeitszeiten, Erwerbsunfhigkeit oder Berufsunfhigkeit. Als weiterer Effektivittsparameter kann auch der Grad der Zufriedenheit eingebracht werden. Jedes Lymphdem kann chronisch werden und zu einer ber lngere Zeit notwendigen Behandlung fhren.
6 Apparative intermittierende Kompression Unter apparativer intermittierender Kompression bei Lymphdemen versteht man die Anwendung pneumatischer Wechseldruckgerte, um den lymphatischen Rckfluss zu steigern. Die Indikationen sind beim primren wie beim sekundren Lymphdem gegeben, es knnen aber auch Stauungszustnde infolge Immobilisation als Indikation angesehen werden. Kontraindikationen sind Thrombosen, Thrombophlebitiden, Erysipele. Das maligne Lymphdem mu rztlicherseits beurteilt werden, ob eine manuelle oder auch intermittierende apparative Lymphdrainage notwendig und sinnvoll ist. Der Lymphherapeut mu die Ergebnisse der apparativen Kompression berprfen und mit dem zustndigen Arzt besprechen. Der Einsatz der Gerte … vorzugsweise Mehrkammerluftsysteme … bedarf teilweise der Hilfe einer zustzlichen Person. Bei mobilen Patienten kann aber auch der Einsatz selbstndig durchgefhrt werden. Die apparative intermittierte Kompression stellt eine ergnzende Therapie im Rahmen der komplexen physikalischen Entstauungstherapie dar. Sie kann immer nur eine zustzliche Leistung sein und die manuelle Lymphdrainage bzw. die komplexe physikalische Entstauungstherapie untersttzen.
29.8
Standards rehabilitativer Maßnahmen bei Lympho¨demen
1405
Literatur Fldi M, Kubik St (1993) Lehrbuch der Lymphologie. Fischer, Stuttgart Sozial-medizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, VDR (1995). Fischer, Stuttgart Herpetz U (1982) Lymphdrainage. Zeitschrift fr Lymphologie. Vol VI, 1 Kolster B, Ebelt-Paprotny C (1998) Leitfaden der Physiotherapie. O. Fischer Verlag Wienert V et al (1998) Leitlinien zur apparativen intermittierenden Kompression (AIK). Phlebographie 27:96…97
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29.9 Rehabilitation und Nachsorge nach Operation kolorektaler Karzinome P. Kruck
1 Ziele Die Rehabilitation nach Operation kolorektaler Karzinome betrifft ein hchst inhomogenes Patientenkollektiv mit sehr unterschiedlichen tumorund therapiebedingten Funktionseinschrnkungen bzw. Behinderungen, die abhngig sind von dem operativen Vorgehen und dem Verlust funktionsgebundener Kolon- bzw. Rektumanteile. Ferner ist bei Patienten mit kolorektalen Tumoren im Vergleich zu anderen Tumorentitten von einem hheren Durchschnittsalter auszugehen, da der Morbidittsgipfel hier am Ende der 7. Lebensdekade liegt. Das hhere Lebensalter kann den Rehabilitationsproze entscheidend beeinflussen, wenn zustzliche altersabhngige Funktionsstrungen bzw. Behinderungen bestehen. Auftrag der Rehabilitation ist die mglichst weitgehende Beseitigung … zumindest aber Kompensation … tumor- oder therapiebedingter Folgen sowie Hilfestellung mit dem Ziel der Akzeptanz verbliebener Behinderungen. Hierzu gehren die Behandlung aufgetretener Funktionsstrungen, die Verbesserung der verbliebenen krperlichen und geistigen Leistungsfhigkeit, die Hilfe bei der psychischen Verarbeitung des Krankheitsgeschehens, die soziale Sttzung und die berufliche Reintegration, wenn es die Voraussetzungen erlauben. Der Betroffene soll in die Lage versetzt werden, ein mglichst selbstbestimmtes und selbstndiges Leben zu fhren, auch dann, wenn aufgrund des Geschwulstleidens oder der Therapiefolgen die krperliche Unversehrheit dauerhaft eingeschrnkt bleiben wird (Winkler u. Kruck 2000).
2 Somatische Rehabilitation Da sich die wichtigste Funktion des Kolorektums in der Kontinenzfhigkeit seiner Endabschnitte offenbart, bedeutet besonders deren Verlust fr den Betroffenen nicht nur krperliche Einschrnkungen, sondern auch erhebliche Beeintrchtigungen der Lebensqualitt und der sozialen Integration, besonders nach Anlage eines Kolostomas oder bei therapiebedingter Stuhlbzw. Harninkontinenz. Weitere Beispiele rehabilitationsbedrftiger Funktionsdefizite und Belastungen sind Tabelle 1 zu entnehmen. Eine hervorgehobene Stellung … vorzugsweise im Rahmen der Frhrehabilitation … nimmt die Erna¨hrungsberatung ein, besonders nach ausgedehn-
29.9
Rehabilitation und Nachsorge nach Operation ...
1407
Tabelle 1. Somatische Funktionsdefizite bzw. Behinderungen * * *
* * * * *
* * *
*
*
Direkte Operationsfolgen: Wundheilungssto¨rungen, Spa¨tabszesse, persistierende Sakralfisteln, Hernien: perineal, parastomal, inzisional, Verdauungssto¨rungen (Diarrho¨en): nach umfangreichem Organverlust, Verlust des terminalen Ileums (chologene Diarrho¨), Bestrahlungsfolgen, Imperativer Stuhldrang (Verlust der Rektumampulle), Stuhlinkontinenz nach tiefer anteriorer Rektumresektion, Harninkontinenz im Rahmen des Postproktektomiesyndroms, Stomaanlagen: Ileostoma, Kolostoma, permanent oder tempora¨r, Stomakomplikationen: Dermatitiden, Hernien, Bauchwandrelaxation, Prolaps, Stenosen, Retraktion, Blutungen, Anlagefehler, Schmerzen: perineale Narbe, Verwachsungen, Lokalrezidive etc., Passagebehinderung bei Stenosen, Komplikationen im Bereich des Urogenitalsystems: Harnblasendeviation, sekunda¨re retroperitoneale Fibrose, Vaginaldeviation bzw. -stenose, Vaginalfisteln, Sexuelle Funktionssto¨rungen (neurogener Potenzverlust, psychogener Potenz- und Libidoverlust), Folgen der Bestrahlung: Adha¨sionen, Proktitis, Durchfall.
tem Organverlust, Verlust des terminalen Ileums oder Anlage einer Ileostomie. Die Regulierung bermiger Konsistenzabweichungen des Stuhlganges und die Beeinflussung von Meteorismus und Geruch (letzteres besonders bei Stomatrgern) sind nicht selten fr die Lebensqualitt des Betroffenen von entscheidender Bedeutung. Unabhngig davon sollte eine Ernhrungsberatung aber auch Mut machen zu einer genuvollen und abwechslungsreichen Kost ohne berflssige oder wenig sinnvolle Einschrnkungen (z.B. „Stomadit“). Die Stomaversorgung und die Aspekte der Verhtung und der Behandlung von Stomakomplikationen erfordern Erfahrung, Engagement und zustzliche Kenntnisse und haben das Ziel, den Patienten zur selbstndigen Versorgung zu befhigen und ihn somit von Fremdhilfe unabhngig zu machen. Einen zentralen Stellenwert hat selbstverstndlich hierbei die Auswahl der bentigten Versorgungssysteme, die fr den Betroffenen unter Bercksichtigung individueller Faktoren erforderlich sind. Zu beachten sind hierbei die Art, Gre und Lokalisation des Stomas, evtl. Komplikationen, aber auch die Hautbeschaffenheit, die manuelle Geschicklichkeit, das Sehvermgen und nicht zuletzt das Alter des Betroffenen. Die Beratung des Stomatrgers umfat nicht allein die Aspekte der Stomapflege, sondern sie sollte auch die Information ber prophylaktische Manahmen einschlielich Informationen ber ungeeignete Materialien und Kenntnisse ber Komplikationen enthalten. Sehr ntzlich fr den Betroffenen ist das Erlernen der
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Irrigation bei endstndigem Kolostoma, selbstverstndlich unter Bercksichtigung der Kontraindikationen. Hiermit wird eine grere Unabhngigkeit und temporre Kontinenz ermglicht, ein wichtiger Schritt zu einer schnelleren und komplikationsrmeren sozialen Integration. Die Stuhlinkontinenz ist, besonders wenn es sich um funktionelle Defekte handelt, mit gezieltem Training der Beckenbodenmuskulatur zum Teil mit gutem Erfolg zu behandeln, fallweise mit untersttzender Elektrostimulation und unter Verwendung von Biofeedback-Verfahren. Das gleiche gilt fr die Harninkontinenz, die sich nach Rektumamputation berwiegend in Form der Streinkontinenz manifestiert. Nicht selten fhren ausgedehnte Operationen im Beckenbereich zu sexuellen Sto¨rungen, bei Frauen fallweise durch Verlagerung der Sexualorgane, bei Mnnern durch erektile Dysfunktion infolge neurogener Lsionen. Da therapeutische Interventionen nicht selten gute Erfolge erwarten lassen, sind apparative oder operative Hilfe zu erwgen. Informationen ber die anatomische Situation und spezielle Hilfsmittel sowie psychologische Hilfestellungen und die Vermittlung fachkompetenter Ansprechpartner sollten in einem Rehabilitationskonzept obligat eingebaut sein. Strukturierte, auf die speziellen Erfordernisse abgestimmte Schulungsprogramme haben das Ziel, den Betroffenen an der Bewltigung seiner Krankheitsfolgen zu beteiligen, seine Eigenverantwortung zu strken und eine aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit (Coping) zu ermglichen. Neben den informativen Vortrgen ber die Krankheit (Therapie, Nachsorge, Prophylaxe, Ernhrung usw.) sind Gruppengesprche notwendig, in denen gezielt Inhalte erarbeitet und die erworbenen Kenntnisse vertieft werden (z.B. Stomaversorgung, Inkontinenztraining, Stuhlkonsistenzprobleme usw.). Gesprchskreise, an deren Gestaltung die Patienten aktiv beteiligt sind, leisten nicht nur durch Vermittlung von Informationen, sondern auch durch die Einleitung hilfreicher emotioneller Prozesse einen wesentlichen Beitrag zur Krankheitsbewltigung.
3 Psychosoziale Rehabilitation Die psychische Bewltigung des Tumorleidens … geprgt von der Angst vor einem Fortschreiten der Krankheit … wird nicht selten erschwert durch eine zum Teil gravierend vernderte Lebenssituation, hervorgerufen von den einschneidenden Therapiefolgen (z.B. Stomaanlage, Inkontinenz usw.) und die damit verbundenen Probleme bei der Akzeptanz von Funktionsausfllen oder dem vernderten Krperbild. Soziale Rckzugstendenzen oder Konflikte in Partnerschaft, Familie und Beruf sind in solchen Fllen zu erwarten und mssen im Rehabilitationskonzept bercksichtigt werden. Um die Spirale der depressiven Verstimmung und des sozialen Rckzuges zu stoppen, sind individuell abgestimmte
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Rehabilitation und Nachsorge nach Operation ...
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Hilfen zur psychischen Krankheitsbewa¨ltigung erforderlich. Je nach Situation kann eine fachgerechte Information aber den gleichen Erfolg haben wie eine professionelle, fachpsychologische Entwicklung adquater Verarbeitungsmethoden. Die zum Teil massive Einschrnkung in der Mobilitt durch Inkontinenz und Stomaprobleme sowie Strungen im Sexualbereich oder in der Partnerbeziehung erfordern zustzliche Hilfestellungen im sozialen Bereich: F F F F F
F
Beratung und Hilfe bei der Reintegration in Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis und Beruf (besonders bei Stomatrgern), Vermittlung von Kontaktadressen: Selbsthilfegruppen (ILCO), Beratungsstellen usw., Information zum Schwerbehindertenausweis, ggf. auch zu den Nachteilsausgleichen, Vermittlung von Hilfen zur huslichen/familiren Situation (Haushaltshilfen, husliche Krankenpflege, Unterbringung in Pflegeheime), Kontaktherstellung zu den verschiedenen Institutionen, falls noch nicht vorhanden (Sozialversicherungstrger, Hauptfrsorgestelle, Sozialamt, Krankenkasse), Beratung der Partner und Angehrigen.
4 Berufsbezogene Rehabilitation Etwa 25…30% der Betroffenen mit kolorektalen Karzinomen stehen im erwerbsfhigen Alter (Krebsregister des Saarlandes 1994). Whrend Patienten nach einer kontinenzerhaltenden Operation an Kolon und Sigma meist schon bald wieder uneingeschrnkt arbeitsfhig sind, kann bei Betroffenen nach tiefen Rektumresektionen und nachfolgenden Inkontinenzproblemen oder bei Stomatrgern z.T. mit lngeren Arbeitsunfhigkeitszeiten und einem hheren Risiko einer Berufs- und Erwerbsunfhigkeit gerechnet werden. Eine Verbesserung und Intensivierung berufsfrdernder Manahmen und Beratungen ist notwendig, weil ein nicht zu bersehender Teil dieser Betroffenen diese Arbeit nicht wieder aufnimmt, wobei wiederum erhebliche Unterschiede bei der Tumorlokalisation und dem Operationsmodus festzustellen sind. Geschtzt werden 50…60% Erwerbsunfhigkeit nach Rektumamputationen, etwa 15…20% nach Rektumresektionen. Die Leistungseinbue betrifft hufig Berufe, die einen vermehrten krperlichen Einsatz erfordern, insbesondere durch Heben und Tragen schwerer Lasten, ferner bei Arbeiten, die mit verstrkter Hitzeeinwirkung verbunden sind (Komplikationen mit der Stomaversorgung) bzw. die lngere sitzende Ttigkeiten verlangen (Beschwerden von seiten der perinealen Narbe). Auch sind Beeintrchtigungen bei der Abwicklung von Publikumsverkehr durch Komplikationen im Stomabereich zu erwarten. Kenntnisse der Arbeitsplatz-
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bedingungen im Einzelfall sind notwendig, um diese an Funktionsstrungen so weit wie mglich zu adaptieren (Weg zu Toiletten, Raumtemperaturen usw.).
5 Nachsorge Ziel der Nachsorgediagnostik ist es, Rezidive mglichst in einem frhen, asymptomatischen Stadium zu erkennen. Da das Auftreten eines Rezidivs wesentlich die Prognose des Tumorleidens bestimmt, erscheint die mglichst frhzeitige kurative Behandlung besonders von asymptomatischen Rezidiven als ein sinnvoller Ansatz fr die Verbesserung der berlebenschancen. Die Lokalisation des Primrtumors, sein Ausbreitungsstadium und sein Differenzierungsgrad sind bekanntlich die wichtigsten Prognosefaktoren. Trotz R0-Resektion mu in Abhngigkeit vom Tumorstadium zum Zeitpunkt der Diagnosestellung mit einer Rezidivquote zwischen 5 und 65% gerechnet werden (Krebsregister des Saarlandes 1994; Mller et al. 1994). Bei Kolonkarzinomen ist in 70…80% die Leber die erste Metastasenlokalisation, whrend bei Rektumkarzinomen lokoregionre Rezidive berwiegen. Etwa 80% der Rezidive treten in den ersten zwei postoperativen Jahren auf (Eckardt u. Bernhard 1997). Somit erscheint eine regelmige Nachsorgediagnostik berechtigt, die sich in zeitlich und methodisch strukturiertem Rahmen etabliert hat (Tabellen 2 und 3). Inzwischen konnte gezeigt werden, da bei einer sorgfltigen Anamneseerhebung mit eingehender krperlicher Untersuchung bei 47% und der Bestimmung des karzinoembryonalen Antigens (CEA) bei 41% die grte Bedeutung bei der Entdeckung eines Rezidivs zukommt (Bruinvels et al. 1994).
Tabelle 2. Nachsorgeempfehlungen bei Patienten mit Kolonkarzinom (Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft 1997) Untersuchung Anamnese, ko¨rperliche Untersuchung, CEA Abdomen-Sonographie
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Monate 3
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Ro¨ntgen-Thorax
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Koloskopie*
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3 Monate postoperativ, wenn pra¨operativ Abkla¨rung des gesamten Kolons nicht mo¨glich. Nach dem 5. Jahr 2- bis 3ja¨hrlich Koloskopie; CT-Abdomen symptomorientiert (CEA-Anstieg etc.).
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Tabelle 3. Nachsorgeempfehlungen bei Patienten mit Rektumkarzinom (Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft 1997) Untersuchung Anamnese, ko¨rperliche Untersuchung, CEA
Monate 3
6
9
12 15 18 21 24 30 36 42 48 54 60
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Abdomen-Sonographie
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Ro¨ntgen-Thorax +
Koloskopie* CT-Becken * **
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Rektoskopie bei Z.n. Rektumresektion **
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+
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3 Monate postoperativ, wenn pra¨operativ Abkla¨rung des gesamten Kolons nicht mo¨glich. Nicht bei Patienten mit pT1 N0 oder nach TEM (Transanale Endoskopie Mikrochirurgie). Nach dem 5. Jahr 2–3 ja¨hrlich Koloskopie.
In mehreren umfangreichen Untersuchungen ist es jedoch bislang nicht gelungen, durch die Frhdiagnostik asymptomatischer Rezidive eine Verlngerung des berlebens nachzuweisen. In prospektiven Vergleichsstudien konnte bei einer intensiven Nachsorgediagnostik zwar eine hhere Rate von Nachoperationen mit kurativem Ergebnis aufgezeigt werden als in einem Kollektiv ohne Nachsorge und mit Operation von symptomatischen Rezidiven (Bruinvels et al. 1994; Ohlsson et al. 1995; Steele 1993). In randomisierten Studien ist allerdings ein berlebensvorteil bei intensiver Nachsorge nicht nachweisbar, obgleich dieser … besonders bei hohem Rezidivrisiko … nicht ausgeschlossen werden kann (Eckardt und Bernhard 1997; Mller et al. 1994; Safi u. Beger 1991). Da bisher nicht zweifelsfrei belegt werden konnte, da ein intensives Nachsorgeprogramm entsprechend der momentan geltenden Empfehlungen den in sie gesetzten Erwartungen entspricht, wird vor dem Hintergrund der damit verbundenen Kosten eine Modifizierung der Empfehlungen vorgeschlagen. Eine weiterhin regelmig durchgefhrte Nachsorgediagnostik nach R0-Resektion sollte sich demnach beschrnken auf Tumoren der UICC-Stadien II und III und auf Patienten mit HNPCC, whrend bei Tumoren des UICC-Stadiums I eine bedarfsadaptierte Nachsorgediagnostik angestrebt wird (Hermanek et al. 1999). Hierbei wird ein individuelles Vorgehen favorisiert unter Bercksichtigung der Tumorbiologie, der durchgefhrten Therapie, der Akzeptanz bzw. Belastung des Patienten und nicht zuletzt unter Beachtung der Sensitivitt und Spezifitt der diagnostischen Verfahren. Eine Koloskopie im zweiten postoperativen Jahr und dann in
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Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
3jhrigen Abstnden, mit dem Ziel einer Frhdiagnostik metachromer Adenome bzw. Karzinome, wird weiter bei allen Stadien empfohlen. Literatur Bruinvels DJ, Stiggelbout AM, Kievitj et al. (1994) Follow-up of patients with colorectal cancer. A meta-analysis. Ann Surg 219:174…182 Eckardt VF, Bernhard G (1997) Nachsorge beim kolorektalen Karzinom. Dtsch ˜rztebl 94 A:456…462 Hermanek P, Junginger T, Hossfeld D et al (1999) Nachsorge und Rehabilitation bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Dtsch ˜rztebl 96A:2084…2088 Krebsregister des Saarlandes (1994) Morbiditt und Mortalitt an bsartigen Neubildungen im Saarland 1991. Statistisches Landesamt Saarland Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft zur Therapie des Kolonkarzinoms (1997) Forum DKG 12:285…291 Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft zur Therapie des Rektumkarzinoms (1997) Forum DKG 12:292…297 Mller JM, Tbergen D, Zieren U (1994) Nachsorge bei kolorektalen Karzinomen. Zentralbl Chir 119:65…74 Ohlsson B, Breland U, Ekberg H et al (1995) Follow-up after curative surgery for colorectal carcinoma. Randomized comparison with no follow-up. Dis Colon Rectum 38:610…626 Safi F, Beger HG (1991) Ist die Tumornachsorge beim kolorektalen Karzinom sinnvoll? Dtsch Med Wochenschr 116:1001…1007 Steele G (1993) Standard Postoperative Monitoring of Patients after Primary Resection of Colon and Rectum Cancer. Cancer Suppl 71:4225…4235 Winkler R, Kruck P (2000) Rehabilitation von Patienten mit kolorektalen Karzinomen. Onkologie 6:28…35
Weiterfu¨hrende U¨bersichtsliteratur Kommission zur Weiterentwicklung der Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hrsg.) Abschlubericht Bd III (1991) Kruck P, Gruber G, Gdecker-Geenen N, Schlitt U (1998) Qualittssicherung in der Rehabilitation des Stomatrgers. In: Englert G, Kruck P (Hrsg.) Die Rehabilitation des Stomatrgers. ILCO, Freising Leitlinie der Deutschen Gesellschaft zur onkologischen Rehabilitation (1998) Forum DKG 13:398…403 Qualittssicherung in der Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe). Delbrck, H (Hrsg.) (1997) Standards und Qualittssicherung in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen Bern Wien New York Winkler R (1993) Stomatherapie. Thieme, Stuttgart New York
29.10 Rehabilitationsmaßnahmen nach Resektion von Weichgewebssarkomen R. Bkel
1 Ziele Neben dem Ziel einer kurativen Behandlung ist bei den Weichgewebssarkomen bereits die primre Therapieplanung auf die sptere Rehabilitation, d.h. auf das bestmgliche funktionelle und sthetische Langzeitergebnis, ausgerichtet. Durch den Einsatz moderner Diagnoseverfahren (NMR, CT, Angiographie) lassen sich die zu erwartenden Resektionsdefekte dreidimensional simulieren und ihre Rekonstruktion schon properativ planen (Steinau 1995). In Kombination mit der Strahlentherapie wird heute fast ausschlielich ein extremittenerhaltendes chirurgisches Vorgehen gewhlt (Rosenberg 1982; Hohenberger 1995). Es ist wichtig, die verschiedenen Optionen multimodaler Therapiekonzepte mit den Patienten umfassend zu besprechen, da sie oft eine sehr lang dauernde und belastende Behandlung mit sich bringen. Der Erfolg der spteren Rehabilitation ist stark von der Motivation der Patienten und ihrer Akzeptanz gegenber dem therapeutischen Vorgehen abhngig.
2 Diagnostik und Therapie spezifischer Probleme nach Resektion von Weichgewebssarkomen Die vielfltige Lokalisation und Ausdehnung der Weichgewebssarkome sowie ihr unterschiedlicher Malignittsgrad bedingen eine entsprechend groe Vielzahl an operativen Verfahren. Dementsprechend sind Art und Ausma der postoperativen Behinderungen sehr unterschiedlich. Nach der Operation ist so frh wie mglich eine individuelle, am jeweiligen Befund orientierte Krankengymnastik angezeigt. Hierzu mu der Krankengymnast vom Operateur ber die anatomischen Details des Eingriffes (z.B. weite Exzision, radikale Resektion, Kompartimentresektion, plastische Rekonstruktion mit Sehnen- und Muskeltransfer, Endoprothesen, Knochen- und Hautlappentransplantation) informiert sein. Das Ziel einer fr den einzelnen Patienten optimalen Anpassung an Funktionen des tglichen Lebens steht in der krankengymnastischen Therapie im Vordergrund und sollte durch eine ergotherapeutische Betreuung ergnzt werden. Hierbei wird der Patient auch ber mgliche Hilfsmittel fr den Alltag informiert. Ein Selbsthilfetraining ist unerllich und umfat
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beispielsweise Verrichtungen wie An- und Ausziehen, Krper- und Intimpflege, Haushaltstraining oder PKW-Bedienung. Nach Gliedmaßenamputation ist in allen Phasen der Rehabilitation (Stumpfbehandlung, Prothesenversorgung, Gehtraining) eine enge Zusammenarbeit zwischen Arzt, Krankengymnast und Orthopdiemechaniker erforderlich. Nach extremita¨tenerhaltender multimodaler Therapie ist zu beachten, da bei etwa einem Drittel aller Patienten durch die Kombination von Operation und Bestrahlung Sptfolgen auftreten (Stinson 1991). Diese uern sich durch strkere Fibrosen, Einschrnkungen der Muskelkraft und der Gelenkbeweglichkeit sowie durch Kontrakturen. Bei solchen Patienten ist u.U. langfristig eine intensive krankengymnastische Betreuung durchzufhren, um eine mglichst optimale Restfunktion der Extremitt zu erhalten.
3 Psychosoziale und berufliche Rehabilitation Die Rehabilitation von Patienten mit Weichgewebssarkomen darf sich nicht nur auf die krperlichen Behinderungen und Funktionseinschrnkungen beziehen, sondern sie mu darber hinaus die teilweise erheblichen psychischen, sozialen und beruflichen Probleme und Handicaps mit einschlieen. Die Rehabilitationsbedrftigkeit ist bei jedem Patienten fr die einzelnen Bereiche zu berprfen. Die berufliche Rehabilitation erfolgt in enger Zusammenarbeit zwischen Arzt und Reha-Berater des zustndigen Rentenversicherungstrgers. Grundstzlich hat die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes Prioritt vor Umschulungsmanahmen. Erforderliche Hilfsmittel fr den Arbeitsplatz sind deshalb vorrangig zu prfen. Gegebenenfalls mu unter dem Gesichtspunkt der beruflichen Wiedereingliederung eine gezielt an den Bedingungen des Arbeitsplatzes orientierte Krankengymnastik und Ergotherapie durchgefhrt werden. Meist empfiehlt sich eine zeitlich stufenweise Wiederaufnahme der Ttigkeit. Bei Patienten unter 40 Jahren mit einer gnstigen Prognose sollte eine frhzeitige Arbeitsplatzanalyse und Bedarfsermittlung vorgenommen werden. In diesen Fllen knnen auch Umschulungsmanahmen sinnvoll sein. Jedem Patienten sollte psychologische Hilfe angeboten werden. Neben der Verarbeitung von Tumordiagnose und Therapiefolgen ist hufig ein Selbstsicherheitstraining angebracht, wenn stark in das Krperbild eingreifende Operationen stattgefunden haben. Angehrige und Ehepartner sind in die Therapie mit einzubeziehen, da durch die Behinderung bzw. die genderten Lebensbedingungen erhebliche Belastungen der Partnerschaft auftreten knnen. Zur Anpassung der huslichen Verhltnisse an die Behinderung (diverse Hilfsmittel, behindertengerechtes Wohnen) ist die sozialrechtliche
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Beratung durch einen Sozialarbeiter notwendig. Dieser kann auch Untersttzung bei der Organisation von bentigten sozialen oder medizinischen Hilfsdiensten leisten.
4 Zugangswege zur Rehabilitation Die oft aufwendige Rehabilitation nach Operation von Weichgewebssarkomen sollte in der Regel nach einer ersten Phase in der Akutklinik als stationre Anschluheilbehandlung (AHB) in einer wohnortnahen und spezialisierten Rehabilitationsklinik erfolgen. Diese Klinik sollte nicht allein onkologisch orientiert sein, sondern sie mu gleichzeitig personell und strukturell zur Durchfhrung orthopdischer Rehabilitationsmanahmen geeignet sein. „Kuren“ mit ausschlielich roborierender Zielsetzung werden der Rehabilitationsbedrftigkeit der Patienten nicht gerecht. Teilstationre oder ambulante Rehabilitationsmanahmen sind unmittelbar im Anschlu an grere operative Resektionen im allgemeinen nicht sinnvoll. Literatur Hohenberger P (1995) Chirurgische Therapie von Weichgewebssarkomen. Onkologe 1:101…109 Rosenberg SA, Tepper J, Glatstein E et al (1982) The treatment of soft tissue sarcomas of the extremities: prospective randomized evaluations of (1) limb sparing surgery plus radiation therapy compared with amputation and (2) the role of adjuvant chemotherapy. Ann Surg 196:305…315 Steinau HU, Hebebrand D, Vogt PM, Hussman J (1995) Weichgewebssarkome … Rehabilitation und Sekundreingriff. Onkologe 1:126…131 Stinson SF, DeLaney TF, Greenberg J et al (1991) Acute and long-term effects on limb function of combined modality limb sparing therapy for extremity soft tissue sarcoma. Int J Radiat Oncol Biol Phys 21:1493…1499
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29.11 Rehabilitationsmaßnahmen bei Patienten mit urologischen Tumoren H. Delbrck
1 Ziele Weniger die Lnge der berlebenszeit als die Qualitt der verbleibenden Lebensspanne soll durch die Rehabilitation positiv beeinflut werden. Die hierfr eingesetzten Therapiemanahmen sind vielfltig. Sie werden wegen der ganzheitlichen Zielsetzung nicht nur vom Arzt, sondern von einem ganzen Rehabilitationsteam erbracht. In ihm haben der gleichermaen onkologisch-urologisch als auch rehabilitativ erfahrene Arzt, der Psychoonkologe, der (die) Krankengymnast(in), der (die) Inkontinenzberater(in), der (die) Stomatherapeut(in) und der (die) Sozialarbeiter(in) eine herausragende Bedeutung. Der Bedarf der in der Rehabilitation notwendigen therapeutischen Manahmen richtet sich somit primr nach dem Schweregrad der Tumor-/ Therapiefolgen und nicht wie in der Nachsorge nach dem Stadium und der Prognose der Krebserkrankung.
2 Diagnostik und Therapie spezifischer Probleme und Folgeerkrankungen nach Prostatakarzinombehandlung Prostatakarzinom
Das Spektrum mglicher somatischer Behinderungen reicht von Inkontinenz, Impotenz ber Lymphdem bis hin zu kardiopulmonren Einschrnkungen (Tabelle 1). Nach einer radikalen Prostatektomie, mit oder ohne adjuvanter Strahlentherapie oder Hormontherapie, kommt es zu anderen Problemen und sind andere Rehabilitationsmanahmen notwendig als nach einer ausschlielichen Prostataresektion oder gar hormonellen Therapie. Bei den meisten radikal prostatektomierten Patienten kommt es zu einer … zumindest zeitweiligen … Harninkontinenz (Otto et al. 1998). Sie ist allerdings bei den meisten Patienten reversibel. Besteht die Inkontinenz auch in Ruhe und im Liegen, so dauert es lngere Zeit bis zur Besserung. Die Fhigkeit zur Unterbrechung des Harnstrahls lt auf eine baldige Besserung der Inkontinenz schlieen. Der Strkung der Beckenbodenmuskulator kommt eine wesentliche Bedeutung bei der Behandlung der Inkontinenz zu. Wesentlich ist die Strkung des ueren Schliemuskels. Sie ist … im Gegensatz zu der des inneren Schliemuskels … durch Training beeinflubar.
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Rehabilitationsmaßnahmen bei Patienten mit urologischen Tumoren
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Tabelle 1. Mo¨gliche Therapieziele und deren Effektivita¨tsparameter in der Prostatakarzinomrehabilitation. (Nach Delbru¨ck 2003) Therapieziel
Parameter
Verminderung eines Lympho¨dems und der damit verbundenen Beschwerden
Volumen-/Umfangmessung, Verminderung der Para¨sthesien, Verbesserung der Funktionsfa¨higkeit, Verbesserung der Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens (ATL)
Harninkontinenz
Sonographische Restharnbestimmung, Anzahl der Vorlagen, Urometrie, Dauer der Miktionsintervalle, na¨chtliche Miktionsfrequenz, Fragebogen QLQ-PR25, Patiententagebuch
Schmerzlinderung
Symptomlinderung, Schmerztagebuch, Analgetikareduzierung, Schmerzskala (z.B. IRES-MIN), Schmerzempfindungsskala (Geissner), Beschwerdeliste (v. Zerssen), Pain Disability Index (PDI)
Verbesserung der Mobilita¨t bei Skelettmetastasen
Verbesserung der Gehfa¨higkeit, Mobilita¨t, Schmerzskalen, Tinetti, Time & Go
Verminderung lymphozelenbedingter Beschwerden
Beschwerdesymptomatik, Abdomensonographie
Verbesserung der ko¨rperlichen Leistungsfa¨higkeit
(Spiro-)Ergometrie, Gehschritte, subjektive Wertung in Fragebo¨gen, FACT-P
Verminderung der Hormonausfallssto¨rungen/hormoneller Nebenwirkungen
Symptomlinderung (z.B. Hitzewallungen, SchlafSto¨rungen, erektile Potenz, Schlafsto¨rungen etc.)
Verminderung sexueller Beschwerden
Fragebogen QLQ-PR25
Vermeidung von Fehlverhalten, Vermittlung von Kenntnissen
Fragebo¨gen (Testbo¨gen)
Informationen u¨ber die Erkrankung, krankheitsbeeintra¨chtigendes Verhalten, Leben mit der Erkrankung
Fragebo¨gen, Testbo¨gen ATL (Aktivita¨ten des ta¨glichen Lebens)
Verbesserung der Lebensqualita¨t, Fatigue
Fragebogen (SF-36, SF12, EORTC-QLQ-C30, QLQ BR23, PROSQOLI, IRES)
Eingliederung in Familie und Partnerschaft
Selbstsicherheitsskalen, Goal-attainment-Skalen
Verminderung von Angst, Depressionen
Rating-Skalen, Fragebogen (STAI, BDI, HADS-D, BSI, PAF)
Verbesserung des Selbstwertgefu¨hls
ISKN (Selbstkonzeptskalen), Fragebogen (HADS-D, QLQ-C30/CR38)
Erlernen von Entspannungstechniken
Selbstbeurteilung, Streßverarbeitungsbogen
Krankheitsverarbeitung/Coping
Fragebo¨gen: (FKV, BEFO, TSK, Fibeck)
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Tabelle 1. (Fortsetzung) Therapieziel
Parameter
Abkla¨rung und Verbesserung der beruflichen Leistungs-fa¨higkeit, berufliche Wiedereingliederung
Aufnahme der beruflichen Ta¨tigkeit, La¨nge der Arbeitsunfa¨higkeit
Verminderung der Pflegebedu¨rftigkeit, Kla¨rung und Hilfe bei der weiteren ha¨uslichen Versorgung
Reduzierung der Pflegestufe bzw. Ausmaß der Fremdhilfen, Fragebo¨gen bei Angeho¨rigen, Barthel-Index, funktionaler Selbsta¨ndigkeitsindex (FIM), SKT (Syndrom-Kurztest)
Angeho¨rigenberatung
Testbo¨gen
Durch eine konsequente Beckenbodengymnastik (Delbrck 2004) wird die Muskulatur um die Harnrhre gestrkt. Gleiches kann mit der Elektrostimulation des Beckenbodens erreicht werden. Der Erholungsproze dauert bei den meisten Patienten ca. 6…12 Wochen. Bei einigen Patienten … insbesondere bei ehemaligen Prostataadenomtrgern … kann es allerdings wesentlich lnger dauern. Bei einer Streinkontinenz sollte ein Kondomurinal nur fr kurze Zeit und nur in bestimmten Situationen (z.B. Theaterbesuche oder hnliches) getragen werden. Es besteht sonst die Gefahr, da der Patient sich zu sehr auf die durch das Kondomurinal bewirkte Sicherheit verlt und die Beckenbodenmuskulatur vernachlssigt. Bleibt die Inkontinenz trotz intensiver Beckenbodengymnastik lnger als 12…16 Monate bestehen, sollte die Anlage eines knstlichen Schliemuskels in Erwgung gezogen werden. Die Besprechung mglicher Auswirkungen therapeutischer Manahmen auf die Sexualita¨t sollte vor Einleitung der Primrtherapie erfolgen. Hufig werden den Patienten die Auswirkungen der Therapie jedoch erst in der Nachbetreuung bewut (Hartlapp und Zettl 1996). Es ist davon auszugehen, da nur ein kleiner Prozentsatz der Patienten von sich aus ihre sexuellen Probleme anspricht. Die meisten Mnner warten auf Fragen seitens des Arztes. Infolge des Hormonentzugs kommt es zu einer kompletten Impotenz (Impotentia coeundi) mit Libidoverlust. Sie ist nach Orchidektomie nicht mehr rckgngig zu machen, hingegen nach einer Behandlung mit LHRH-Analoga bzw. nach einer antihormonellen Behandlung zumindest theoretisch reversibel. Testosteroninjektionen oder Testosteronpflaster zur Anhebung des Testosteronspiegels sind kontraindiziert. Durch Injektion oder Einfhren eines Medikaments bzw. Zpfchens mit einer papaverin- oder prostaglandinhnlichen Flssigkeit in die Schwellkrper bzw. Harnrhre kann eine Erektion des Penis herbeigefhrt werden (SKAT = Schwellko¨rperautoinjektions-
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therapie bzw. MuseJ). Die Erektion kann Stunden anhalten; die Erfolgsrate mit dieser Technik ist sehr hoch. Nach jahrelangem Gebrauch knnen allerdings Fibrosen entstehen, weswegen die Injektionen alternierend in den linken bzw. rechten Schwellkrper vorgenommen werden. Eine weitere apparative Erektionshilfe bei erektiler Impotenz stellt die „externe Vakuumtherapie“ dar (Erecaid System von Osborn). Diese Methode ist relativ nebenwirkungsarm. Im Gegensatz zu den anderen Hilfen werden die Kosten dieser Methode von den meisten Krankenkassen erstattet. Bei leichten Formen psychisch oder hormonell bedingter Erektionsschwche knnen Medikamente versucht werden. Hierzu gehren auch pflanzliche Pra¨parate wie z.B. Yohimbin. Auch die Einnahme von Sildenafil (ViagraJ) kann helfen. Bei operativ bedingter Erektionsschwche sind diese Prparate wirkungslos. Wenn all diese erwhnten Methoden nicht erfolgreich sind, kann auch an ein operatives Einsetzen einer Prothese gedacht werden. Es gibt z. Z. mindestens 15 verschiedene Modelle „peniler Prothesen“, wie z. B. biegsame, halbfeste, hydraulische und aufblasbare Prothesen. Sie alle haben Vorund teilweise erhebliche Nachteile. Auch Gefoperationen sind mglich. Auf Grund der hormonellen Umstellung kommt es bei vielen Patienten zu Beschwerden hnlich denen von Frauen in Wechseljahren. Cyproteronacetat (50 mg/d) oder eine niedrigdosierte Gestagentherapie (2 5 mg/d) oder niedrigdosiertes Clonidin (0,1 mg/d) wirken beschwerdelindernd. Gleiches tun strogene. Wegen der Nebenwirkungen sollte jedoch auf strogenhaltige Prparate nur dann zurckgegriffen werden, wenn die genannten Prparate nicht mehr wirken. Mit psychischen Alterationen, Stimmungslabilitt, Potenzverlust, Hyperpigmentierungen, Hochdruck, Herzstrungen, Durchblutungsstrungen, ¨ strogenHerzinfarkt, Schlaganfall und Blutbildungsstrungen ist bei einer O J J J behandlung (z.B. Honvan , FES , Turisteron ) zu rechnen. Frher, als strogene vermehrt in der Behandlung des metastasierenden Prostatakarzioms eingesetzt wurden, war die Rate letaler kardiovaskulrer Komplikationen sehr hoch. Wegen der Nebenwirkungen fhrt man heute eine reine strogentherapie nur noch in besonderen Ausnahmefllen durch. Nach Antiandrogenen (FugerelJ, CasodexJ) allein knnen Libido und Potenz noch lange erhalten bleiben, nehmen erfahrungsgem nach einiger Zeit jedoch auch ab. Weitere Nebenwirkungen sind Brustsensationen und eine Gyna¨komastie (bei ca. 35…75%). Durch eine frhzeitige Bestrahlung der Brust knnen diese lstigen Beschwerden verhindert werden. LH-RH-Analoga gelten als besonders nebenwirkungsarm. In den ersten Wochen nach Therapiebeginn kann es allerdings zu einer kurzfristigen berschieenden Mehrausschttung mnnlicher Geschlechtshormone kommen. Um die hierdurch bedingten Beschwerden zu reduzieren, gibt man … zumindest in den ersten Wochen … Antiandrogene. Ansonsten
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kann es vorbergehend zu starken Schmerzen in den befallenen Knochenherden kommen. Weitere Folgestrungen sind Libidoverlust (100%), erektile Impotenz (100%), Hitzewallungen (70%), Flare up (10%) und Gynkomastie (9%). Nach lngerer Gabe kommt es zu einer Hodenatrophie. Grundstzlich ist nach einer Kastration … gleichgltig, ob operativ oder chemisch bedingt … mit einem erhhten Osteoporose- und Frakturrisiko zu rechnen. Ungesichert ist, ob bei gleichzeitiger Einnahme von Vitamin-Dund kalziumreicher Kost das Frakturrisiko gesenkt wird. Ob die prophylaktische Gabe von Bisphosphonaten die Osteoporoseinzidenz reduziert, ist Gegenstand mehrerer noch nicht abgeschlossener Studien.
3 Psychische Rehabilitation Depressionen sind bei Prostatakarzinompatienten hufig. Die Ursachen hierfr sind komplex. Manchmal stehen sie in Zusammenhang mit der Inkontinenz, mit Strungen der Sexualitt, der krperlichen Leistungsschwche und legen sich nach ihrer erfolgreichen Behandlung. Hufig ist es jedoch die Angst vor einem Krankheitsprogre, vor der ungewissen Zukunft, die Selbstndigkeit zu verlieren und anderen zur Last zu fallen. Hinzu kommen die Angst vor Nebenwirkungen der Therapie und die dauernde Anspannung. Mit besonderer Zuwendung, Gesprchen, „Schulterklopfen“ oder sozialen Aktivitten allein ist es hufig nicht getan. Vielmehr gilt es, diese ˜ngste anzugehen. Die Mitbetreuung durch einen Psychoonkologen kann in solchen Situationen sehr hilfreich sein.
4 Soziale Rehabilitation Durch sie soll u.a. die Gefahr einer Pflegebedrftigkeit reduziert werden. Ist eine selbstndige Versorgung nicht mehr mglich, mu im eingetretenen Pflegefall fr entsprechende Hilfen gesorgt werden. Bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden ist dies hufig notwendig. „Kuren“ mit ausschlielich roborierender Zielsetzung, in denen Angehrige nicht mit in die Planung der weiteren huslichen Versorgung einbezogen werden, in denen keine Kenntnis und keine Kontakte zu den mglichen Hilfs- und eventuell auch Pflegeinstitutionen bestehen, werden den Mglichkeiten der Rehabilitation bei sozial hilfsbedrftigen Patienten nicht gerecht. Eine detaillierte Kenntnis der Situation und Abhilfemglichkeiten vor Ort ist unerllich. Es empfiehlt sich daher bei sozialen Versorgungsproblemen grundstzlich die ambulante bzw. stationre Rehabilitation in der Nhe des Wohnortes. Angehrige mssen in die Rehabilitation mit einbezogen werden. Gnstig ist, wenn Betroffene ihre Erfahrungen untereinander austauschen, voneinander lernen und sich gegenseitig helfen. Dies kann in Selbsthilfegruppen geschehen.
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Adressen von Selbsthilfegruppen speziell fr Prostatakrebserkrankte sind zu erfahren ber die Bundesarbeitsgemeinschaft Prostatakrebs e.V. (BPS), Egestorfer Str. 3, 30989 Gehrden, Tel. 0 51 08//92 66 46, Fax 0 51 08/2 66 47, E-Mail:
[email protected] Fr Inkontinente gibt es ebenfalls Gruppen, in denen mehrheitlich nicht an Krebs erkrankte Mitglieder sind. Adressen sind zu erfahren ber: Hilfe fr inkontinente Personen e.V., Postfach 11 13 22, 40513 Dsseldorf, Tel. 02 11-59 21 27 Gesellschaft fr Inkontinenzhilfe e.V., Friedrich-Ebert-Str. 124, 34119 Kassel, Tel. 05 61-78 06 04 Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, Friedrichstr. 28, 35392 Gieen, Tel. 06 41/7 02 24 78 Krebsinformationsdienst (KID), Postfach 10 19 49, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, Tel. 0 62 21/41 01 21.
5 Berufliche Rehabilitation Etwa 10…12 Wochen nach einer radikalen Prostatektomie ist von einer vollen Arbeitsfa¨higkeit auszugehen. Voraussetzung hierfr ist allerdings, da keine Kontinenzprobleme, keine Harnwegsinfektionen und keine Einschrnkungen des Lymphabflusses bestehen. Manuell Arbeitende sind in ihrer beruflichen Einsatzfhigkeit von den Folgen der Streßinkontinenz besonders betroffen. Krperliche Belastungen, insbesondere der Bauchmuskulatur (Bcken, Anheben und Tragen schwerer Lasten, Schieben), sowie Arbeiten in feuchtem Klima und bei stndigem Witterungswechsel (z. B. Garten- und Feldarbeit, Ttigkeiten am Hochofen) kommen bei einer Streinkontinenz nicht in Frage. Eine leichte Streinkontinenz gestattet lediglich Arbeiten im Sitzen und im Stehen, bei denen Unterbrechungen mglich sind (Delbrck 2003). Schreibtischttigkeiten sind mglich. Heute gibt es so gute Vorlagen, da eine eventuelle Geruchsbelstigung der Umgebung bei einer leichten Inkontinenz nicht ins Gewicht fllt.
6 Gesundheitstraining Aufklrung und Information sind wichtige Hilfen bei der Krankheitsbewltigung. Die Mehrzahl der Patienten mchte zwar nicht selbst ber die Therapie entscheiden, aber sie mchte wissen, warum eine bestimmte Behandlung notwendig ist. Immer mehr knnen sich die Patienten aus der Literatur, aus dem Internet und anderen Medien ber die Erkrankung informieren. Weitergehende, erklrende Informationen und vor allem Hilfen bei der Verarbeitung dieser Informationen sind notwendig. Dies ist eine der Aufgaben der Gruppengesprche des Gesundheitstrainings (Delbrck 2003).
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Den Betroffenen und ihren Angehrigen sollten die in den Gruppengesprchen vermittelten Informationen und Ratschlge auch in schriftlicher Form angeboten werden. (z.B. in Form differenzierter und industrieunabhngiger Ratgeberbcher [Delbrck 2002]). Natrlich drfen diese Ratgeber niemals das rztliche Gesprch ersetzen. Sie sollten vielmehr die Grundlage fr nutzbringende Gesprche mit dem betreuenden Arzt darstellen. Sinnvoll ist, interessierten Patienten und deren Angehrigen Internetadressen mitzuteilen, die in seriser Form und losgelst von wirtschaftlichen Interessen ber die Erkrankung und Behandlungsmglichkeiten informieren (Delbrck 2002).
7 Evaluation Die Evaluation von Rehabilitationsmanahmen richtet sich nicht nach Lebenszeit-, sondern nach Lebensqualittskriterien (Delbrck et al. 2000). Zu ihnen zhlen auch subjektive Parameter wie Schmerzbeeinflussung, Verbesserung des Appetits, Verminderung der Inkontinenz, Impotenz, Abbau von ˜ngsten, Akzeptanz der Erkrankung und anderer Behinderungen. Das Ausma dieser sehr stark subjektiv gefrbten Beschwerden ist naturgem schwerer zu messen als die Erfolgskriterien in der Primrtherapie, nmlich Responseraten, Remissionsraten, Remissionszeiten und berlebenszeiten. Dennoch gibt es auch fr diese Beschwerden Meparameter, mit denen der Erfolg durchgefhrter Rehabilitationsmanahmen beurteilt werden kann. Der grundlegende Unterschied zur Evaluation primrtherapeutischer Manahmen ist, da nicht der Arzt allein, sondern der Patient mit in die Effektivittsbeurteilung einbezogen wird (s. Tabelle 1).
8 Zugangswege fu¨r eine Rehabilitation Allgemein ist die Rehabilitationsbedrftigkeit nach Abschlu der Primrtherapie am grten. Deswegen hat die stationre Anschluheilbehandlung (AHB) eine besondere Bedeutung. Sie darf nur in AHB-Kliniken durchgefhrt werden, die nicht mehr als maximal 100 Kilometer vom Heimatkrankenhaus entfernt sind. Sie mu sptestens 2 Wochen nach Krankenhausentlassung angetreten werden. Fr die teilstationre Rehabilitation gilt die Regel, da die Fahrzeit zur Institution nicht mehr als 30 Minuten betragen sollte. Grundstzlich sollten stationre und teilstationre onkologische Rehabilitationsmanahmen fr Prostatakarzinompatienten nur in onkologisch ausgerichteten Tumornachsorge- und Rehabilitationskliniken durchgefhrt werden, die die Mindestvoraussetzungen der von den Rehabilitationstrgern und der Deutschen Krebsgesellschaft vorgeschriebenen Standards erfllen (Schmid et al. 2000). Auch fr die ambulante onkologische Reha-
29.11
Rehabilitationsmaßnahmen bei Patienten mit urologischen Tumoren
1423
bilitation gibt es Standards und Qualittskriterien, die zu beachten sind (Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation 2003). Hodenkarzinom
In den meisten Fllen sind Patienten mit Frhstadien nach Abschlu der Therapie wieder uneingeschrnkt arbeitsfa¨hig. Patienten mit fortgeschrittenen Stadien sollten insbesondere nach Chemotherapie starken krperlichen Stre, wie z.B. Schichtarbeit, in den ersten zwei Jahren vermeiden. Eine Berufsunfa¨higkeit, die zu einer Umschulung Anla geben knnte, liegt nur in Ausnahmefllen vor. Von einer Rente auf Zeit ist abzuraten, da die jungen Patienten danach hufig nicht mehr den Wiedereinstieg ins Berufsleben schaffen. Bei krperlicher oder psychischer Erschpfung sollte von der Mglichkeit einer stufenweisen Wiederaufnahme der Arbeit Gebrauch gemacht werden (Delbrck 2002). Die Wahrnehmung der im Schwerbehindertengesetz festgelegten Vergnstigungen kann groe Nachteile haben. Gerade bei jungen Erwachsenen knnen diese „Vergnstigungen“ infolge des Schwerbehindertenstatus zu Schwierigkeiten bei der Berufswahl, einem Berufswechsel oder dem beruflichen Fortkommen fhren und eine mgliche „Flucht in die Krankheit“ frdern. Die Durchfhrung einer stationren oder ambulanten Rehabilitationsmaßnahme ist von der individuellen Rehabilitationsbedrftigkeit abhngig zu machen und sollte nicht routinemig erfolgen. Eine Rehabilitationsbedrftigkeit kann nicht nur bei krperlicher Schwche, sondern auch bei psychischen, sozialen und beruflichen Handicaps bestehen. Blasenkarzinom
Bei den hufig alten und gebrechlichen Patienten stehen nicht selten Zweiterkrankungen und die soziale Versorgung im Mittelpunkt der Nachbetreuung. Zweittumoren der oberen Harnwege und der oberen Luftwege sind wegen gemeinsamer tiologischer Noxen (z.B. Nikotinabusus) berproportional hufig. Die nach transurethraler Elektroresektion und auch nach Teilresektionen auftretenden Komplikationen sind zumeist reversibel, wohingegen nach knstlicher Harnableitung (Nierenfistel, Harnleiterhautfistel, Ileumkonduit, Kolonkonduit, Harnleiter-Darm-Verbindung) eine lngerfristige Rehabilitationsbedrftigkeit besteht (Otto et al. 1998). Stauung und Steinbildung mssen beim Stomapatienten verhindert werden; eine aszendierende Pyelonephritis ist hufig. Solange der Urin vollstndig ausgeschieden wird, besteht hierfr keine Gefahr und auch keine Indikation zu einer antibakteriellen Therapie trotz Bakteriurie. Abflubehinderungen als Folge von Stenosen treten beim Ileumkonduit hufiger
29
1424
29
Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
auf als beim Kolonkonduit. Der Gefahr einer Elektrolytentgleisung … vor allem einer Azidose … bei einer Ureterosigmoidostomie mu vorgebeugt werden. Die Ansuerung des Harns auf Werte unter pH 6 ist anzustreben. Die Betreuung des Urostomatrgers ist komplex und schliet die Kenntnis der besonderen medizinischen und soziopsychologischen Probleme dieser Patienten ein. Neben der Beratung des Patienten in Grundfragen der Pflege und Versorgung des Urostomas ist die rechtzeitige Erkennung und Behandlung lokaler Stomakomplikationen notwendig. Sexualstrungen im Sinne einer erektilen Impotenz sind hufig. Gerade bei der Beratung, Pflege und Versorgung des Stomas fhlt sich mancher Arzt berfordert, weswegen eine gemeinsame Betreuung des Patienten mit einer Stomatherapeutin anzustreben ist (Otto et al. 1998). Versorgungshilfen wie „Essen auf Rdern“, Haushaltshilfen, husliche Krankenpflege, Pflegehilfen und unter Umstnden auch eine Unterbringung in einem Pflegeheim oder einem Hospiz mssen bei Patienten in fortgeschrittenem Stadium mglicherweise organisiert werden. Die Vermittlung von Kontaktadressen (Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen etc.) ist notwendig. Ohne die Mitarbeit von Sozialarbeitern ist die Organisierung der sozialen Hilfen unmglich. Bei alten Patienten mit knstlicher Harnableitung und bei sozialen Rehabilitationszielen empfiehlt sich im Anschlu an die Primrtherapie die ambulante bzw. stationre Rehabilitation in der Nhe des Wohnortes. Angehrige mssen in die Rehabilitation mit einbezogen werden. Nach einer Elektro- oder Blasenteilresektion knnen weniger somatische als psychosoziale Grnde Anla fr die Einleitung einer Anschluheilbehandlung sein. Nierenkarzinom
Operativ bedingte Langzeitschden, die in der Rehabilitation bedacht werden mssen, sind erstaunlich selten. Die verbliebene gesunde Niere kann im allgemeinen bald den Funktionsausfall der entfernten Niere voll kompensieren. Die meisten Patienten fhlen sich gesund und sind voll arbeitsfhig. ber die Notwendigkeit stationrer Anschluheilverfahren sollte individuell entschieden werden. Psychosoziale Grnde rechtfertigen eine stationre Rehabilitation hufig eher als somatische Probleme. Literatur Bkel R (1997) Standards und Qualittssicherung der Physiotherapie in der onkologischen Rehabilitation. In: Delbrck, H (Hrsg.). Standards und Qualittskriterien in der onkologischen Rehabilitation. Zuckschwerdt, Mnchen, 51 Bundesarbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation (BAR) (2003) Rahmenempfehlungen zur ambulanten onkologischen Rehabilitation
29.11
Rehabilitationsmaßnahmen bei Patienten mit urologischen Tumoren
1425
Delbrck H, Haupt E (Hrsg) (1998): Rehabilitationsmedizin. Ambulant … Teilstationr … Stationr. Urban nchen Delbrck H, Schmid L, Bartsch H, Kruck P (2000): Zur Ergebnisqualitt in der onkologischen Rehabilitation. Rehabilitation 39:359…362 Delbrck H (2004) Prostatakrebs. Rat und Hilfe fr Betroffene und Angehrige. 4. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart Delbrck H (2003) Krebsnachbetreuung. Nachsorge, Rehabilitation und Palliation. Springer, Berlin Heidelberg Hartlapp H, Zettl P (1996) Krebs und Sexualitt. Weingrtner, St. Augustin Muthny F (1996) Wege der Krankheitverarbeitung von Krebspatienten und Mglichkeiten von Hilfen. Hefte zur Krebsnachsorge. Hartmann-Bund, Bad Neuenahr Otto U, Grosemans P, Hoffmann W, Dombo O (1998) Rehabilitation in der urologischen Onkologie. Urologe (B) (Suppl. 1) 30:35 Schmid L, Delbrck H, Bartsch H, Kruck P (2000) Zur Strukturqualitt in der onkologischen Rehabilitation. Rehabilitation 39:350…354
29
29.12 Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie und allogener KMT (HSCT) A. Mumm, W. Willenbacher, J. Weis, H.H. Bartsch, W. Siegert
1 Einfu¨hrung Die Zahl der durchgefhrten Hochdosistherapien mit konsekutiver hmatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT) hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. 2001 betrug die Zahl der erstmals durchgefhrten autologen und allogenen Knochenmarktransplantationen (KMT) sowie peripheren Blutstammzelltransplantationen (PBSCT) in Deutschland 3499 (1993 ca. 1100). Die Stammzellen knnen vom Patienten selbst (autologe Transplantation), von einem Verwandten (familir-allogene Transplantation) oder von einem nicht-verwandten Spender (fremd-allogene Transplantation) stammen. Zwei Entwicklungen der Transplantationsmedizin der letzten Jahre haben Auswirkungen auf die Rehabilitation. Dies sind die steigende Zahl fremd-allogener Transplantationen, bedingt durch die zunehmende Spendebereitschaft in der Bevlkerung, und die Etablierung von Konditionierungstherapien mit reduzierter Intensitt. Das Durchschnittsalter der Transplantierten ist gestiegen. In Einzelfllen werden ber 60jhrige mit einer allogenen HSCT behandelt. Auch intensive Vorbehandlungen oder Begleiterkrankungen stellen nur noch relative Kontraindikationen dar.
2 Indikation zur posttransplanta¨ren Rehabilitation In Abhngigkeit vom individuellen Problemprofil kann eine posttransplantre Rehabilitation ambulant oder stationr erfolgen. In Deutschland drfte nur eine Minderheit hmatopoetisch Transplantierter in ein strukturiertes rehabilitatives Programm eingebunden sein; meist im Rahmen einer sich an die Akutbehandlung anschlieenden Anschluheilbehandlung (AHB) oder eines spteren Heilverfahrens (HV). Diese Behandlungen erfolgen in der Regel stationr, selten teilstationr und fast nie ambulant, da umfassende ambulante Rehabilitationsprogramme fr hmatologisch Transplantierte in Deutschland nicht etabliert sind. Der Rehabilitationsbedarf richtet sich nach der Art und dem Stadium der Grunderkrankung, den somatischen Folgestrungen, dem Bedarf an Diagnostik und der medikamentsen Behandlung sowie der individuellen sozialen und beruflichen Situation.
29.12
Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie ...
1427
Starre Indikationskriterien sind nicht sinnvoll. So wird es manchen Patienten trotz objektiv bestehenden Rehabilitationsbedarfs nach vielleicht langer stationrer Vorbehandlung nach Hause drngen, wohingegen andere Patienten eine rasche und zielorientierte Rehabilitation vorziehen. Fr manche Patienten stellt eine stationre Rehabilitation mit ihren besonderen rumlichen und menschlichen Rahmenbedingungen eine sinnvolle und notwendige Zwischenstufe vor der Entlassung ins husliche Milieu dar. Die Indikation zur Rehabilitation nach HSCT richtet sich also nach den objektiven Rehabilitationsproblemen und den subjektiven Prferenzen des Patienten. Voraussetzungen zur Klrung der Rehabilitationsbedrftigkeit sind: F F
F
Die systematische Erfassung der rehabilitationsrelevanten Probleme, Die individuelle Abstimmung mit dem Patienten, wie die vorliegenden rehabilitations- und nachsorgespezifischen Probleme angegangen werden sollen, Das Wissen des transplantierenden Zentrums um die rehabilitativen Mglichkeiten und die transplantationsbezogene Kompetenz der die Rehabilitation durchfhrenden Institution, da die Besonderheiten der Intermedirphase nach HSCT (bis Tag 180 posttransplant) mit spezifischen Risiken verbunden sind.
Die Frage der Indikation einer Rehabilitation nach HSCT mu wiederholt geprft werden, sowohl in der Intermedirphase als auch in der darauffolgenden Sptphase.
3 Spezifische Problemfelder der Rehabilitation nach HSCT Die somatischen Sptfolgen nach HSCT haben eine multifaktorielle Genese. ˜tiologisch relevant sind unter anderem die Vorbehandlung, insbesondere die Art der prtransplantren Konditionierung, die posttransplantre, immunsuppressive oder infektprophylaktische Medikation, die Risiken der zeitweiligen oder fortbestehenden Immundefizienz sowie eine mgliche Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) (Tabelle 1). Sowohl die Grunderkrankung als auch die HSCT bedeuten eine seelische Extrembelastung fr die Betroffenen und deren Bezugspersonen. Whrend im Vorfeld die gesamte Aufmerksamkeit der Transplantation gilt, folgt danach eine Phase der Verunsicherung und Neuorientierung. Die Art der Krankheitsverarbeitung hngt stark ab von der Persnlichkeit sowie Art und Ausma der sozialen und professionellen Untersttzung. Pathologische Reaktionen reichen bis zu psychotischen Dekompensationen. Besonders zeitnah zur Transplantation finden sich gehuft hospitalismushnliche Krankheitsbilder mit mangelndem Eigenantrieb, starker Verunsicherung, Isolierung und sozialem Rckzug (Tabelle 2).
29
Interstitielle Pneumonitis, restriktive Ventilationssto¨rungen, obstruktive Ventilationssto¨rungen Bronchiolitis obliterans
Ha¨morrhagische Zystitis, Niereninsuffizienz, Infertilita¨t, sexuelle Funktionssto¨rung
Viral (HSV, VZV, CMV) bakteriell (venenkatheteras- soziiert [grampositive Keime]), mykotisch (Candida spp., Aspergillus spp.), protozoenbedingt (Pneumocystis carinii, Toxoplasma gondii)
Nieren, Harn- und Genitaltrakt
Infektionen
Symptom- und a¨tiologieorientiert Sicca-Syndrom, Infekt-Screening (CMV, Clostridium diff.) Mukositis, Geschmackssto¨rungen, Karies, Parodontose, GvHD; virale (HSV, CMV), bakterielle, mykotische Infektionen; Resorptionssto¨rungen, relaktiver Laktasemangel
Gastrointestinale, dentale Probleme
Infekt-Screening Prophylaxe (Pc), pra¨emptive Therapie (CMV)
Meist symptomatisch, Dosisanpassung, Medikamentenauswahl, Beratung
Mo¨glichkeiten beschra¨nkt, a¨tiologieorientiert
Symptomatisch oder a¨tiologieorientiert
29
Pulmonale Funktionssto¨rungen
Sicca-Syndrom, cGvHD, Krankheitsbilder, die Kollagenosen und Autoaggressionserkrankungen a¨hneln
Probleme von Haut und Bindegewebe
Kritischer Einsatz von Kortikoiden, medikamento¨se, physikalische Osteoporoseprophylaxe
Steroidmyopathie, Osteoporose, aseptische Hu¨ftkopfnekrose
Muskuloskelettale Probleme
Hinweis/Therapie
Problem
Bereich
Tabelle 1. Spezifische somatische Problemfelder nach HSCT
1428 Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
Modifikation der Medikamentendosis, physiotherapeutische, neuropsychologische Ansa¨tze
Kortikoide, Plasmapherese, Plasmaaustausch
HUS, Rezidiv der Grunderkrankung
Breites Spektrum, bedingt durch medikamento¨se Nebenwirkungen, Infektionen, immunologische Prozesse
Substitution (bestrahlt, leukozytendepletiert), Stammzellfaktoren
ha¨ufig in Strahlenfeldern
Karzinome, Sarkome, eher nach 10–15 Jahren
Ana¨mie, Thrombozytopenie, Leukopenie
Abku¨rzungen: cGvHD = chronische GvHD, HSV = Herpes-simplex-Virus, CMV = Zytomegalievirus, VZV = Varicella-Zoster-Virus, MDS = myelodysplastisches Syndrom, HUS = ha¨morrhagisch-ura¨misches Syndrom, Pc = Pneumocystis carinii.
Neurologische Probleme
Ha¨matologische Probleme
fru¨h, insbesondere bei intensiver Immunsuppression Fru¨herkennungsuntersuchungen in Abha¨ngigkeit von der Immunsuppression
Sekunda¨re Malignome
Symptomatisch, ggf. Operation, antiviral
EBV-assoziierte Non-Hodgkin-Lymphome
Sicca-Syndrom (Konjunktivitis, Keratitis), Katarakt, CMV-Retinitis
Ophthalmologische Probleme
Substitution, einmal ja¨hrlich FSH (Ma¨nner und Frauen), Testosteron (Ma¨nner), Estradiol (E II, Frauen), Diabetestherapie
Leuka¨mien, MDS, meist innerhalb von 5 Jahren
Hypothyreose, Mangel an gonadalen Hormonen, Steroiddiabetes
Endokrinopathien
29.12 Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie ...
1429
29
Transplantationsassoziierte Einflu¨sse auf das soziale Netz, Sexualita¨t, Kommunikation in Partnerschaft A¨nderung der Einkommenssituation,
Neuropsychologische Defizite
Soziale, familia¨re Probleme
Anpassung der beruflichen Situation
Konzentration, Ausdauer, Geda¨chtnis, abstraktes Vorstellungsvermo¨gen
Emotionale Probleme
Kla¨rung der beruflichen Anpassung und Infektionsrisiken am Arbeitsplatz
Kla¨rung sozialrechtlicher Probleme,
Einbeziehung naher Bezugspersonen, Reflexion der seelischen Transplantationsfolgen
Testdiagnostische Screeningverfahren, neuropsychologische Trainingsprogramme (papier- oder PC-gestu¨tzt)
Therapeutisches Setting, einzel- und gruppentherapeutische Verfahren, Kreativ- und Physiotherapie, Psychopharmaka
Hinweis/Therapie 29
Berufliche Vera¨nderung
Problem
Angst, Depression, Verunsicherung, Regression, Erscho¨pfung
Bereich
Tabelle 2. Spezifische psychosoziale Problemfelder der Rehabilitation nach HSCT
1430 Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
29.12
Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie ...
1431
4 Spezifische Rehabilitationsangebote nach HSCT 4.1 Krankengymnastik und Sporttherapie Das physiotherapeutische Assessment ist aufwendiger als bei anderen onkologischen Patienten. Erfat werden insbesondere die krperliche Kondition, spezifische Muskelschwchen (besonders die Hft- und Beckenmuskulatur nach bzw. unter Kortikoiden), die motorische Koordination, die Lungenfunktion und transplantationstypische Parameter, wie hmatologischer Rekonstitutionsstatus, GvHD, Immunittslage, Infektionen u.a. Wichtig ist darber hinaus die Erfassung der beruflichen Vergangenheit, der Leistungsmotivation und Selbsteinschtzung der krperlichen Leistungsfhigkeit, die nicht selten erheblich von der Fremdwahrnehmung divergiert. Die Eingangs- und Verlaufsdiagnostik sollte standardisierte, objektive Leistungs- und Funktionsparameter erfassen (z.B. Laufband, definierte Funktionsbungen). Die sensiblen und motorischen Defizite orientieren sich an den Prinzipien der medizinischen Trainingstherapie (MTT). Die physiotherapeutische Behandlung sollte aber nicht einseitig Leistungsaspekte betonen, sondern ausreichend koordinative, spielerische und soziale Elemente integrieren, um umfassender zur Bewltigung der Erkrankung und der Therapiefolgen beizutragen. 4.2 Psychologie und Neuropsychologie Einen berblick ber psychosoziale Problemfelder der Rehabilitation gibt Tabelle 2. In Einzel- oder Gruppengesprchen werden Informationen zu Empfehlungen und Problemen der Posttransplantationsphase vermittelt. Weitere Angebote richten sich auf die Auseinandersetzung des Patienten mit der Krankheit und den Therapiefolgen sowie auf die Vermittlung gezielter Entspannungstechniken (autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Imagination). Die behandlungsbedingten neuropsychologischen Einschrnkungen, vor allem in den Merkmalsbereichen Konzentration, Ausdauer, abstraktes Vorstellungsvermgen und Aufmerksamkeit, knnen durch gezielte neuropsychologische Trainingsprogramme behandelt werden. Darber hinaus sind kunsttherapeutische Angebote (therapeutisches Plastizieren, Maltherapie, Musiktherapie, Bibliotherapie und Ergotherapie) fr die Patienten wichtige Hilfestellungen zur Strkung der personalen Ressourcen und Verbesserung der Krankheitsverarbeitung. Einen wichtigen Stellenwert fr diese Patientengruppe nimmt die Sozialberatung ein, da aufgrund der Altersstruktur dieser Zielgruppe Fragen der beruflichen Integration hufig im Vordergrund stehen.
29
1432
29
Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
4.3 Dia¨tetik Bei der Ernhrung nach HSCT, insbesondere nach allogener, sind einige Besonderheiten zu beachten. Trotz aller Unterschiede zwischen verschiedenen Transplantationszentren sind einige Prinzipien allgemein anerkannt: F
F
F
Vermeiden von Infektionsrisiken: Zu achten ist auf eine hygienisch einwandfreie Zubereitung von Mahlzeiten (hhere kchentechnische Standards als klinikblich), keine Zwischenlagerung der zubereiteten Speisen, keine Buffets, Verzicht auf hygienisch bedenkliche Speisen (Halbgares, Rohes, Rohmilchprodukte, Nsse u.a.). Leichte Verdaulichkeit: Geeignet ist eine keimarme, leichte Vollkost unter Verzicht auf fette, blhende, stark gebratene und gewrzte Speisen. Posttransplantr besteht hufig eine relative Laktoseintoleranz, immunogene Effekte von Milchprodukten werden diskutiert. Beru¨cksichtigung des gea¨nderten Geschmackempfindens: Hier gibt es groe individuelle Unterschiede, tendenziell werden eher se und khle Speisen bevorzugt. Soweit dies organisatorisch mglich ist, sollten individuelle Vorlieben bercksichtigt werden. Schulung und Information sowohl der Patienten als auch relevanter Mitarbeitergruppen bilden eine wichtige Aufgabe fr die Ditassistentinnen.
5 Prophylaxen Eine besondere Rolle in der Nachbetreuung nach HSCT spielen die Zytomegalievirus(CMV)-Prophylaxe, die Pneumocystis-carinii(Pc)-Prophylaxe sowie die Auffrischung des Impfstatus. F
F
F
CMV: Wichtig ist die Verwendung bestrahlter, leukozytendepletierter Blutprodukte. Ob bestimmte Patienten Blutprodukte von CMV-Antikrper-negativen Spendern bekommen mssen, ist bei Verwendung leukozytendepletierter Produkte strittig und sollte mit der Transplantationsklinik abgesprochen werden. Einen groen Fortschritt bedeutet die Einfhrung der premptiven CMV-Therapie (Ganciclovir, Foscarnet) bei positiver CMV-Antigenmie (pp 65-Ag) oder 2fach konsekutiver positiver CMV-PCR. Pc: Etabliert ist die Gabe von Co-trimoxazol an 2 Tagen pro Woche (2800 mg Sulfamethoxazol/160 mg Trimethoprim/Tag) in Kombination mit Folsure (5 mg/Tag). Alternativ bei Niereninsuffizienz knnen Diaminophenylsulfon/Pyrimethamin p.o. (Vorteil: Toxoplasma-gondiiwirksam) oder die Inhalation von Pentacarinat (300 mg) alle 4 Wochen eingesetzt werden. Impfprophylaxe: Nach allogener HSCT verlieren die meisten Patienten die Immunitt gegen Poliovirus, Tetanus, Diphtherie und Masern. Weniger gut dokumentiert ist die Situation nach autologer Transplantation.
29.12
F
Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie ...
1433
Totimpfstoffe knnen ohne besonderes Risiko verabreicht werden. „Lebendimpfstoffe“ sollten mglichst vermieden und bei Patienten mit cGvHD und immunsuppressiver Therapie gar nicht angewandt werden. Eine generelle Impfempfehlung, Transplantierte gegen Hepatitis B (HB) zu impfen, gibt es nicht. Das Infektionsrisiko ist regional sehr unterschiedlich. Insbesondere in Gesundheitsberufen besteht ein erhhtes Risiko fr eine Hepatitis-B-Virusinfektion. Die Indikation wird individuell gestellt. Allogen Transplantierte sollten gegen Pneumokokken geimpft werden. Nach einer autologen Transplantation wird eine Impfung gegen Pneumokokken in bestimmten Situationen empfohlen, wie z.B. nach einer Ganzkrperbestrahlung, einer Entfernung der Milz (Splenektomie), im Falle des Vorliegens einer Hodgkin-Erkrankung oder eines multiplen Myeloms. Die Impfung kann 12 Monate nach der Transplantation, mit grerem Impferfolg aber nach 24 Monaten durchgefhrt werden. Aufgefhrt sind die Impfempfehlungen der European Group for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) (Tabelle 3). Weitere Prophylaxen: Unterschiedliche Empfehlungen existieren zur prophylaktischen Gabe von Antibiotika, Virostatika, Antimykotika und Immunglobulinen sowie Bisphosphonaten zur Osteoporoseprophylaxe.
Tabelle 3. Impfempfehlungen der EBMT fu¨r Langzeitu¨berlebende nach allogener und autologer HSCT (nach Ljungman 1999) Vakzine
Empfa¨nger einer allogenen HSCT
Empfa¨nger einer autologen HSCT
Empfohlener Impfzeitpunkt (nach HSCT)
Tetanustoxoid
++
++
6–12 Monate
Diphtherietoxoid
++
++
6–12 Monate
Inaktiviertes Poliovirus (Salk)
++
++
6–12 Monate
Masern (attenuiert)
+/– (S, R)
+/– (S, R)
Individuell*
Ro¨teln (attenuiert)
+/– (S)
+/– (S)
Individuell*
Influenza
+
+ (S)
6 Monate#
Haemophilus influenzae
++
+ (S)
6 Monate#
Hepatitis B
+ (R)
+ (R)
Siehe Text
Pneumokokken
+
+/– (S)
Siehe Text
++ dringend empfohlen fu¨r alle Patienten, Benefit Risiko + empfohlen, Benefit > Risiko +/– individuelle Empfehlung, Benefit und Risiko mu¨ssen individuell abgewogen werden R regionale Unterschiede, abha¨ngig von der epidemiologischen Situation S mo¨glicherweise Benefit fu¨r eine Subgruppe der Pat. * nicht vor Ablauf von 25 Monaten nach allogener HSCT # saisonabha¨ngig.
29
1434
29
Prinzipien der Rehabilitation und Nachsorge
6 Empfohlene Laboruntersuchungen Schwerpunkte des laborchemischen Monitorings bilden die Parameter der hmatopoetischen Rekonstitution (manuelles Differentialblutbild, Retikulozyten) mit Augenmerk auf Hmolyseparameter (Fragmentozyten, LDH, Haptoglobin), Infektparameter (CRP), Nierenretentionswerte mit Elektrolytkontrollen einschlielich Magnesium, Bilirubin, Entzndungsparameter und CMV-Antigenamie oder CMV-PCR sowie relevante Medikamentenspiegel (z.B. Ciclosporin A).
7 Nachsorgeprogramm Die „Working Party Late Effects“ der EBMT hat ein standardisiertes Nachsorgeprogramm fr Stammzelltransplantierte zusammengestellt (Tabelle 4). Dies ist als Vorschlag zu verstehen, der von den Behandlungszentren modifiziert und auf den Einzelfall angepat wird. Tabelle 4. Vorschlag fu¨r ein Nachsorgeprogramm nach ha¨matopoetischer Stammzelltransplantation (Working Party Late Effects der EBMT) vor BMT
nach 6 Monaten
nach 1 Jahr ja¨hrlich
*
+ +
+ +
+ +
+ +
Pulmonologie: Spirometrie CO-Diffussionskapazita¨tsmessung *
+ +
+ +
+ +
+ +
Neurologie Neurologischer Status Neuropsychologische Testung
+ +
+
+ +
+ +
+ +
+ +
+ +
+ + +
+
+
+ + b. B.
+
Kardiologie: EKG Echokardiographie mit Linksherzfunktion *
*
* *
Endokrinologie: TSH, fT4, fT3 FSH, LH, Testosteron, O¨stradiol, Prolaktin Spermiogramm Cortisol, Blutzucker Sexualita¨ts- und Fertilita¨tsberatung
* *
* * *
Osteologie: Osteodensitometrie *
+
+
+
Mund- und Zahnheilkunde Zahna¨rztliche Untersuchung
+ +
+ +
+ +
*
29.12
1435
Rehabilitation nach Hochdosis-Chemotherapie ...
Tabelle 4. (Fortsetzung) vor BMT
nach 6 Monaten
nach 1 Jahr ja¨hrlich
+
+ + + +
+ + + +
+ + +
+ + +
+ + +
+ +
+ +
+ +
Ophthalmologie: Ophthalmologische Untersuchung inkl. Spiegelung des Augenhintergrundes + Messung des Augeninnendrucks + Sehscha¨rfe + Spaltlampe + * * * * *
Zweittumoren: Ultraschall der Schilddru¨se Ultraschall des Beckens Abstrichuntersuchung vom Muttermund Untersuchung der Mamma Inspektion der Haut (ko¨rperliche Untersuchung)
* * *
* *
b. B. bei Bedarf
Literatur Apperly JF, Gluckman E, Gratwohl A (2000) The EBMT Handbook … Blood and Marrow Transplantation. Anonymous (2000) Guidelines for Preventing Opportunistic Infections Among Hematopoietic Stem Cell Transplant Recipients. Recommendations of CDC, the Infectious Disease Society of America, and the American Society of Blood and Marrow Transplantation. CDC, Morbidity and Mortality Weekly Report, Oct. 20, 2000, Vol. 49, No. RR-10, www.cdc.gov/mmwr/PDF/RR/RR4910.pdf (Stand 22. 1. 2003) Bartsch HH, Fink J, Mumm A (Hrsg) (2001) Stammzelltransplantation … neue Konzepte in der Rehabilitation und Nachsorge transplantierter Patienten. Karger, Basel Freiburg Paris Bartsch HH, Mertelsmann R (Hrsg) (1996) Knochenmark- und periphere Stammzelltransplantation … medizinische Probleme der Posttransplantationsphase und Rehabilitationsstrategien. Karger, Basel Freiburg Paris Delbrck H (1996) Rehabilitation bei onkologischen Krankheitsbildern. In: Delbrck H, Haupt E (Hrsg): Rehabilitationsmedizin, Urban 416 Forman SJ, Blume KG, Thomas DE (eds) (1999) Hematopoietic Cell Transplantation, Blackwell Science, Malden Ljungman P (1999) Immunization of transplant recipients. Bone Marrow Transplant 23:635…636 Neitzert CS, Ritvo P, Dancey J et al (1998) The psychosocial impact of bone marrow transplantation: a review of the literature. Bone Marrow Transplant 22:409…422 Trenschel R, Ottinger HD, Elmaagacli A, Schaefer UW (2001) Blutstammzelltransplantation … Stand und Trends. Onkologe 7:1283…1295
29
30 Antineoplastische Substanzen
30.1 Substanzklassen und Wirkmechanismen T. Efferth, R. Osieka
30 1 Einleitung Klassifikationssysteme spielen eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen, z.B. bei der Verschlsselung von Diagnosen im ICD-System oder der DRG-Klassifikation von Behandlungsfllen, aber auch bei Versicherungen (Risikoklassen) oder in der gewerblichen Wirtschaft (DIN- und ISO-Normen). Klassifikationen knnen pragmatisch oder nach naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten entwickelt werden, wobei in der Medizin eine scharfe Trennung nicht immer mglich ist. Rein naturwissenschaftliche Klassifikationen (Taxonomie) streben eine objektive Richtigkeit durch mehrfache unabhngige Untersuchungen an. In der Hmatologie/Onkologie spielen nosologische Klassifikationen bei Leukmien und Lymphomen wegen der Heterogenitt der Erkrankungen eine herausragende Rolle. Klassifikationen bilden auch die Grundlage fr ein prozedural korrektes Vorgehen bei der Behandlung im Sinne von Evidence-Based Medicine. Leitlinien fhren somit diagnostische und therapeutische Bemhungen um diese Klassifikationen zusammen. Die Komplexitt der antineoplastischen Systemtherapie bildet sich in den jeweiligen Klassifikationen nur sehr begrenzt ab. Deshalb stellt dieser Artikel zunchst allgemeine therapeutische Grundlagen der Behandlung voran. Die systemische Therapie von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, aber auch die Therapie in der adjuvanten Konstellation umfat heute ein breites und uerst heterogenes Spektrum von Medikamenten (Karp u. Broder 1994). Zu den klassischen Medikamenten, die teilweise seit Jahrzehnten im klinischen Gebrauch sind, treten in jngster Zeit zunehmend neue Stoffgruppen mit vllig neuartigen Wirkprinzipien hinzu (z.B. Neoangiogenese-Inhibitoren, Farnesyltransferase-Inhibitoren etc.). Den Fortschritten in der Tumorbiologie steht die klinische Problematik der Resistenzentwicklung und Toxizitt gegenber. In den vergangenen Jahren
1438
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Antineoplastische Substanzen
wurde zunehmend klarer, da genetische Faktoren, die fr die Tumorentstehung verantwortlich sind (z.B. genetische Instabilitt, deregulierte DNSReparatursysteme, Deregulation der Apoptose), auch die Entwicklung von Therapieresistenzen begnstigen. Andererseits sind physiologische Mechanismen zur Detoxifikation xenobiotischer Noxen (z.B. ATP-bindende Cassetten-Transporterproteine, Glutathion-assoziierte Enzyme) nicht nur in Normalgeweben, sondern auch in Tumoren operativ und tragen so zur Unwirksamkeit von Zytostatika bei. Die Einteilung einer stndig wachsenden Anzahl von Antitumormedikamenten in Klassen ist nicht nur fr die Grundlagenwissenschaft bedeutsam, sondern auch in klinischer Hinsicht hilfreich. In der modernen Pharmakologie werden Substanzen je nach ihrer Wechselwirkung mit Zellproteinen gruppiert. Gemeint sind die Inhibition von Enzymen, der Einflu auf Membrantransportvorgnge, die ffnung und Schlieung von Ionenkanlen und die Interaktion mit Rezeptoren. Ein wesentlicher Unterschied zur allgemeinen Pharmakologie besteht bei der Pharmakologie antineoplastischer Substanzen in der Irreversibilitt der erwnschten Wirkung. Whrend in der allgemeinen Pharmakologie eine Verbesserung der Organfunktion (z.B. Diureseleistung der Nieren oder Auswurfleistung des Herzens) Therapieziel ist, wird in der konventionellen Chemotherapie die vollstndige Zerstrung der Tumorzellen angestrebt. Dabei wird bewut in Kauf genommen, da auch in normalen Zellen derartige Schden eintreten. Eine relative Spezifitt wird erst durch die Iteration von Behandlungszyklen in kritischen Abstnden erlaubt, die eine differentielle Erholung von normalen gegenber neoplastischen Zellen ausnutzen. Analysen der Struktur-Wirkungs-Beziehung setzen die Existenz eines sog. kritischen Zielmolekls voraus. Fr verschiedene antineoplastische Wirkstoffe (insbesondere die sog. konventionellen Zytostatika) lt sich ein solches kritisches Zielmolekl zwar identifizieren, aber es fehlt hufig das Merkmal der Selektivitt. In der Regel teilen gesunde Stammzellen und Tumorzellen diese „kritischen Zielstrukturen“, so da zunchst eine mangelnde Selektivitt postuliert werden mu. Kaum eine Erkenntnis in der modernen Pharmakologie hat in der ffentlichkeit zu mehr Miverstndnissen und Vorurteilen gefhrt. Die vielfach empirisch gesicherte Tatsache von dauerhaften Heilungen durch die konventionelle Chemotherapie ist also nicht durch die inhrente Selektivitt der Zytostatika zu erklren, sondern es scheinen komplexe sekundre und tertire Ereignisse in Tumorzellen gegenber normalen Zellen einzutreten, die nach fraktionierter Behandlung zum therapeutisch gnstigen Resultat fhren. Im allgemeinen werden Wirkstoffe nach reduktionistischen Klassifikationskriterien eingeteilt, indem man unter den mglichen Interaktionen der Substanz mit dem Tumorwirt und den Tumorzellen die fr die antineo-
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plastische Wirkung entscheidende Reaktion herausarbeitet („prsumptiver Wirkmechanismus“). Grundstzlich sollte aus der nicht immer stringenten Gruppierung von antineoplastischen Wirkstoffen nicht voreilig die therapeutische berlegenheit bestimmter Wirkstoffklassen abgeleitet werden. Dies betrifft sowohl die Herstellung (Herkunft) als auch den Wirkungsmechanismus von antineoplastischen Medikamenten. Natrlich erlaubt dieser reduktionistische Ansatz nicht unbedingt, den klinischen Stellenwert eines Medikamentes vorherzusagen, da die Spezifitt einer Bindung nicht automatisch die Selektivitt der Therapie garantiert. Eine besondere Problematik bei der Klassifizierung ergibt sich aus der pleiotropen Wirkung von Zytostatika. Meist liegen nicht monospezifische Struktur-Wirkungs-Beziehungen vor, sondern multiple Wirkmechanismen. Dies gestaltet die Klassifizierung deutlich schwieriger als bei vielen anderen pharmakologischen Stoffgruppen. Whrend beispielsweise die antihypertensiven Kalziumkanalblocker und „angiotensin converting enzyme“(ACE)-Hemmer klar definierte Zielmolekle aufweisen, wirken Anthrazykline nicht nur als Inhibitoren der DNS-Topoisomerase II, sondern sie interkalieren auch in die DNS und stren Transkriptionsprozesse. Darber hinaus bilden sie reaktive Sauerstoffspezies und Radikalmolekle, die zu Schden an nukleophilen Moleklen in der Zelle fhren (Lipidperoxidation, DNS-Lsionen).
2 Klassische Prinzipien der Wirkstoffklassifikation Es wurden ganz unterschiedliche Klassifikationen fr Zytostatika entwikkelt. Grundstzlich sollte aus der nicht immer stringenten Gruppierung von antineoplastischen Wirkstoffen nicht voreilig die therapeutische berlegenheit bestimmter Wirkstoffklassen abgeleitet werden. Dies betrifft sowohl die Herstellung (Herkunft) als auch den Wirkmechanismus von antineoplastischen Medikamenten. 2.1 Einteilung nach kritischen Zielmoleku¨len Fr die sog. konventionellen Zytostatika sind die prsumptiven Wirkmechanismen gut untersucht. Um die Wirkung auf die Zelle mit ihren mannigfaltigen und komplexen Makromoleklen besser interpretieren zu knnen, ist der Arbeitsbegriff des sog. kritischen Zielmolekls („critical target site“) hilfreich. Kritische Zielmolekle sind demnach fr den prsumptiven Wirkungsmechanismus bei der Zellabttung von zentraler Bedeutung (Abb. 1). Antimetaboliten hemmen die Schlsselenzyme der DNS-Synthese (Goldman u. Matherly 1985), whrend die Topoisomerasegifte die Erhaltung des
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Torsionsgrades der DNS stren (D’Arpa u. Leroy 1989). Bei den tubulinbindenden Substanzen ist hingegen ein nichtenzymatisches Makromolekl der Zelle als gemeinsames Zielmolekl das wesentliche Klassifikationsmerkmal (Cabral u. Barlow 1989). In den oben genannten Fllen liegt eine spezifische Affinitt zwischen Pharmakon und Zielmolekl vor. Alkylanzien werden hingegen nur durch eine aus der organischen Chemie bekannte Reaktionsweise (bertragung von Alkylresten durch nukleophile Substitution) definiert, ohne da die jeweiligen Reaktionspartner (DNS-Abschnitte, RNS und Proteine) angegeben werden. Neue Zielstrukturen bilden spezifische DNS-Abschnitte, Boten-
Abb. 1. Kritische Zielmoleku¨le als Klassifikationskriterium antineoplastischer Substanzen
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RNS-Molekle (antisense-RNS und siRNS) sowie das Proteasom und Hitzeschockproteine. Die Komplexitt und Redundanz der genetischen Steuerungsprozesse, die regulierend in den Ablauf von Zellproliferation und Zelltod eingreifen knnen, setzen jedoch dem Konzept einer hochspezifischen Interaktion mit nur einem sog. kritischen Zielmolekl deutliche Grenzen. 2.2 Einteilung nach Wirksamkeit im Zellzyklus Die Feststellung, da die verschiedenen Phasen des mitotischen Zellzyklus eine unterschiedliche Vulnerabilitt gegenber Zytostatika aufweisen, wurde ebenfalls als Merkmal einer Klassifikation genutzt (Abb. 2). Whrend man zunchst die Position von Zellen im Teilungszyklus nur durch DNSZytophotometrie oder Einbau von tritiiertem Thymidin feststellen konnte, sind heute zahlreiche nichtradioaktive Methoden zur Bestimmung der Zellzyklusphasen verfgbar. Antimetaboliten sind nur in der S-Phase des Zell-
Abb. 2. Wirkort antineoplastischer Substanzen im Zellzyklus
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zyklus wirksam, wenn die zur DNS-Replikation notwendigen Enzyme aktiv sind. Tubulinbindende Substanzen (Vinca-Alkaloide, Taxane) sowie Topoisomerase-II-Inhibitoren wirken bevorzugt auf Zellen, die sich in der Mitosephase befinden. Es gibt aber auch Zytostatika, die zellzyklusunabhngig Tumorzellen hemmen (Alkylanzien). Proliferierende Zellen sind im allgemeinen gegenber den meisten antineoplastischen Substanzen empfindlicher als quieszente Zellen. Dies beruht auf der Fhigkeit quieszenter Zellen, Schden durch Reparatur oder BypassMechanismen zu beseitigen, bevor letale Folgen whrend oder nach der Zellteilung eintreten. Die jeweilige Position im Zellzyklus zum Zeitpunkt der Zytostatikaapplikation beeinflut die berlebenschance von Tumorzellen. Eine Arretierung im Zellzyklus (Zytostase) kann schon bei subletalen Konzentrationen von antineoplastischen Substanzen eintreten. Phasenspezifitt und/oder Zellzyklusblockade fhrten zu dem experimentellen Therapiekonzept der Synchronisation: Tumorzellen werden durch eine Substanz in einer bestimmten Zellzyklusphase bevorzugt arretiert. Der anschlieende Einsatz einer zweiten fr diese Phase spezifischen Substanz verursacht eine effektivere Abttung der Tumorzellen. Klinisch hat sich diese Strategie jedoch nicht durchgesetzt, da sich meist nur eine partielle Synchronisation erreichen lt und auch normale Stammzellen gegenber dieser Strategie nicht unempfindlich sind. 2.3 Einteilung nach Herkunft Neben den synthetischen Stoffen (Alkylanzien, Platinderivate, Antimetaboliten) gibt es eine Reihe von Zytostatika natrlichen Ursprungs (Anthrazykline, Vinca-Alkaloide, Taxane, Epipodophyllotoxine, Camptothecine). Gentechnologisch modifizierte Antikrper haben mittlerweile ein breites Indikationsspektrum in der Onkologie erreicht. Fr klinisch-therapeutische Belange ist die Herkunft als Klassifikationsmerkmal wohl nur von untergeordneter Bedeutung. Die Sonderrolle von Phytotherapeutika im Sinne der Homopathie kann hier nicht ausgeleuchtet werden (Gabius u. Gabius 1994). So impliziert die Herkunft von antineoplastischen Wirkstoffen aus Pflanzen keinesfalls die mit der Phytotherapie so oft assoziierte Armut an Nebenwirkungen. ˜hnliches lt sich fr Wirkstoffe biologischer Herkunft, z.B. von Zytokinen mit pleiotroper Wirkung, sagen. 2.4 Einteilung nach Resistenzmechanismen Frhzeitig wurde im Verlaufe der Entwicklung von Zytostatika auch die Rolle von Resistenzmechanismen erkannt. Ihre Aufdeckung diente als Motor fr die Entdeckung neuer Wirkstoffklassen, aber auch zur initialen Klassifikation aufgrund von Kreuzresistenzmustern. Nach Exposition mit
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nur einer Substanz knnen jedoch verschiedene Resistenzmechanismen (z.B. ˜nderung des Membrantransports und mangelnde Aktivierung) operativ werden, und umgekehrt kann ein Resistenzmechanismus verschiedene Substanzen beeintrchtigen. Der Interaktion mit den sog. kritischen Zielmoleklen knnen verschiedene Prozesse wie Membrantransport, intrazellulre Kompartmentierung, Aktivierung und Inaktivierung vorgeschaltet sein. Nachgeschaltet sind Reparatursysteme von relativer Spezifitt, die stndig die Integritt der DNS-Matrize kontrollieren. ber diesem System der Schadensbegrenzung steht das genetisch fixierte Programm der Apoptose, das die langfristige Reaktion von Zellen auf Schden determiniert. Neben hochspezifischen Resistenzmechanismen, die Anabolismus und Katabolismus von Zytostatika sowie die Umgehung der Enzyminhibition durch ˜nderung von Bindungskonstanten oder Enzymverfgbarkeit betreffen, wurden relativ breit wirksame Detoxifikationsmechanismen entdeckt. Hierzu gehren die Multidrug-Resistenz, das Glutathion-Redoxzyklus-Entgiftungssystem und DNS-Reparaturmechanismen. Die zunehmende Einsicht in die Komplexitt derartiger Resistenzmechanismen hat bald dazu gefhrt, die Resistenzmuster als Klassifikationsmerkmal aufzugeben. Detoxifikationsmechanismen sind sowohl in malignen Zellen als auch in normalen Stammzellen operativ und bewirken deren relative Unempfindlichkeit. Die Belastbarkeit der hmatopoetischen Stammzellen mit Zytostatika aufgrund zelleigener Detoxifikationsmechanismen kann vielleicht als Erklrung fr die Regeneration des blutbildenden Systems unter der zyklischen Intervallchemotherapie angesehen werden und bildet somit die wichtigste Grundlage der gesamten zytostatischen Behandlungsstrategie. 2.5 Andere Einteilungskriterien Es bieten sich je nach Sicht des Anwenders oder Herstellers von antineoplastischen Medikamenten weitere Merkmale an, nach denen eine Klassifikation erfolgen kann. Im Rahmen von Lehrbchern werden aufgrund der zunehmenden Patientenrolle und der Kostensituation jedoch diese Faktoren nicht vllig unbercksichtigt bleiben drfen. Kostenfaktoren
Kostenfaktoren stellen sich aus Hersteller- und Anwenderansicht unterschiedlich dar. Gewinntrchtige Umsatzrenner (Blockbuster) stehen kaum eingesetzten Substanzen (Orphan Drugs) und kaum noch beworbenen Altsubstanzen gegenber. Je nach Zulassungsdatum werden hochpreisige von niedrigpreisigen Medikamenten zu unterscheiden sein. Zulassungen fr Medikamente knnen begrenzt oder breit sein, was jeweils spezifische konomische Vorteile, aber auch Risiken mit sich bringt. Das Problem des sog. Off-Label Use zeigt die Gefahr auf, da ein Medikament nur fr eine Indi-
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kation zugelassen wird und somit eine breitere Nutzung vertan wird. Gerade sinnvolle Klassifikationen von Medikamenten gestatten einen individualisierten Einsatz von Medikamenten z.B. mit hnlichem prsumptivem Wirkmechanismus, aber abweichendem Profil von Nebenwirkungen. Eine erste Analyse der Neuzulassungen vor der Europischen Gesundheitsbehrde besttigt nach Garratini und Bertele (2002) Sorgen, da die Kostenexplosion bei neuen antineoplastischen Medikamenten nicht zu angemessenen Fortschritten in der Wirksamkeit der Behandlung fhrt. Dennoch hat die Bewerbung von antineoplastischen Medikamenten eine deutliche Wende von der Betonung prsumptiver Wirkmechanismen hin zur Lebensqualitt vollzogen. Unstrittig sind Fortschritte bei der Applikationsform, da orale Medikationen wegen der damit erreichten Unabhngigkeit gegenber der traditionellen intravensen Applikation zur subjektiven Lebensqualitt von Patienten beitragen knnen. Der Kosteneinsparung bei der stationren Behandlung stehen allerdings stark erhhte Preise und noch ungeklrte Folgekosten durch versptete Erkennung von Risikosituationen gegenber. Therapeutische Intention
Ferner lassen sich antineoplastische Substanzen nach der therapeutischen Intention einteilen, die prventiv (z.B. COX-2-Inhibitoren), zytotoxisch im konventionellen Sinne (Apoptoseinduktion) und schlielich stabilisierend (Seneszenzinduktion) im Sinne einer Erhaltungstherapie sein kann. Moleku¨lgro¨ße
Die Moleklgre von antineoplastischen Substanzen nhrt seit je eine Diskussion um Vor- und Nachteile von Makromoleklen (Proteine, Nukleinsuren, Lipide, Kohlenhydrate) gegenber kleinen Moleklen (small molecules). Grundstzlich bieten Makromolekle eine ber die Sequenz zu definierende Spezifitt als Vorteil, whrend kleine Molekle eine bessere Insitu-Verfgbarkeit durch galenische und pharmakokinetische Merkmale (Lslichkeit und Stabilitt) aufweisen. Der Wirkungseintritt (Apoptose, Differenzierung, Seneszenz) ist bei antineoplastischen Medikamenten in der Regel stark verzgert: Grundstzlich erlaubt daher die Einteilung in Depotform bzw. Prodrug nur wenig Vorhersagen ber Vertrglichkeit oder Wirksamkeit. Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen sind wegen der geringen therapeutischen Breite von Zytostatika fast zum Synonym mit der hmatologisch/onkologischen Behandlung geworden. Ihre Vermeidung bzw. berwindung im Rahmen der Weiterentwicklung von Medikamenten bleibt das Hauptziel der onko-
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logischen Forschung. Die Dokumentation und Klassifikation von Nebenwirkungen nach den sog. LENT/SOMA-Kriterien (Seegenschmiedt 1998) tragen daher zur Klassifkation von antineoplastischen Substanzen bei.
3 Neue Prinzipien der Wirkstoffklassifikation 3.1 Einteilung nach Wirkprofilen Klassifikationssysteme werden sowohl in den Grundlagenwissenschaften angewandt als auch in pragmatischer Absicht eingesetzt. Die Einordnung von Zytostatika in verschiedene Klassen kann deshalb als taxonomisches Problem betrachtet werden. Bildung von Gruppen aufgrund der Nhe von Merkmalen wird in der Taxonomie z.B. mit der sog. Cluster-Analyse erreicht. Die Anwendung dieser Methode auf antineoplastische Substanzen wurde erst in den letzten Jahren vorangetrieben. Im Rahmen des Programms der Zytostatikaentwicklung am National Cancer Institute (N.C.I., Bethesda, MD, USA) wurde der Versuch unternommen, anhand der standardisierten Resultate der In-vitro-Austestung an 60 Tumorzellinien eine objektive Klassifikation anhand eines Vergleichs der individuellen Wirkprofile anzustreben. Die so gefundenen Ergebnisse wurden der Gruppierung nach mutmalichen Wirkungsmechanismen gegenbergestellt (Leteurtre et al. 1994, Shi et al. 1998, Fan et al. 2001). Ausgangspunkt war die Hypothese, da die selektive Aktivitt gegen Zellinien einer bestimmten Organherkunft in vitro die Aktivitt dieser Substanz gegen Tumoren ebendieser Tumorart in der Klinik vorhersagen kann. Im Verlauf der Untersuchungen zeigte sich dann, da man diese Strategie auch zur Vorhersage prsumptiver Wirkmechanismen von neuen zytostatischen Stoffen nutzen kann. Eine herausragende Bedeutung zur Klassifikation antineoplastischer und zytotoxischer Stoffe auf der Grundlage ihres antiproliferativen Musters bei den 60 Zellinien des National Cancer Institute kommt bioinformatischen Methoden zu, z.B. COMPARE-Analyse, Kohonens Self-Organizing Maps, hierarchischer Cluster-Analyse, neuralen Netzwerken, multidimensionaler Skalierung etc. (Paull et al. 1989, Weinstein et al. 1992, van Osdol et al. 1994, Weinstein et al. 1997). Ein Beispiel fr eine Self Organizing Map ist in Abbildung 3 dargestellt. 3.2 Einteilung nach Expressionsprofilen und molekularen Signaturen Die ursprngliche krankheitsorientierte Strategie zur Wirkstoffanalyse mittels Zellinien verschiedener Tumorarten wurde im Molecular Target Program des N.C.I. fortentwickelt. Die Identifikation von zytostatikaspezifischen Zielstrukturen auf DNS-, RNS- und Proteinebene und deren Assoziierung zu Chemosensitivittsmustern dient nicht nur dem Ziel der Klassifikation von neuen Substanzen, sondern ist mglicherweise in der Zukunft
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Abb. 3. In Anti-Cancer Self-Organizing Maps (SOM) sind Daten von Testsubstanzen in Regionen organisiert, die das gleiche Muster der Wachstumshemmung haben (in diesem Fall bei Zellinien des National Cancer Institute) und daher gleiche pra¨sumptive Wirkmechanismen aufweisen. Beispielsweise gruppieren sich Substanzen zusammen, die antimitotisch wirken (oben: Epipodophyllotoxine, Colchicine, Vinca-Alkaloide etc.) oder die Nukleinsa¨uren scha¨digen (unten: Platinderivate, alkylierende Agenzien, Anthrazykline, Camptothecine etc.). Nah verwandte Substanzgruppen liegen eng zusammen, nicht verwandte sind weiter voneinander entfernt (http://spheroid.ncifcrf.gov/ scripts/mapviewer.cfm).
auch fr patienten- und tumoradaptierte individualisierte Therapiekonzepte hilfreich. Whrend das Molecular Target Program des N.C.I. zunchst mit konventionellen Methoden der Molekularbiologie vorangetrieben wurde (Punktmutationsanalyse, Northern-Blotting, RT-PCR, Western-Blotting, ELISA, Immunzytochemie, zweidimensionale Gelelektrophorese), hat die Entwicklung moderner Mikroarray-basierter Technologien neuerdings die Analysemglichkeiten regelrecht revolutioniert. Drei groe Gebiete zeichnen sich ab: F
Genomik: Hierzu zhlen die Analyse der genomweiten mRNS-Expression mittels cDNS-Mikroarrays und Oligonukleotid-Mikroarrays sowie die Analyse genomweiter Single-nucleotide-Polymorphismen (SNPs) und Methylierungsmuster.
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Proteomik: Es gibt zahlreiche verschiedene proteinbasierte Mikroarraysysteme, die beispielsweise auf Antikrpern, rekombinanten Proteinen, Small Molecule Drugs oder Reverse-Phase-Proteinen beruhen. Interaktome: Darunter versteht man die Analyse von Multiproteinnetzwerken, Signalkaskaden und Protein-Protein-Interaktionen (Kohn 1999, Begley et al. 2002).
Die Basistechnologien fr diese drei Felder knnen nicht nur zur Unterscheidung verschiedener Tumorarten und -subtypen dienen (Ross et al. 2000), vielmehr kann mittels bioinformatischer Methoden auch die Chemosensitivitt von Tumorzellen aufgrund spezifischer Muster vorhergesagt werden (Scherf et al. 2000).
4 Mikroarrays in der Wirkstoffentwicklung und klinischen Onkologie 4.1 Klassifizierungsarten Die molekulare Profilierung auf der Basis der Mikroarraytechnologie kann fr drei verschiedene Klassifizierungsarten angewandt werden (Simon et al. 2003): fr den Vergleich, die Vorhersage und die Entdeckung von Klassen. F
F
F
Bei vergleichenden Klassenanalysen wird das Expressionsprofil von Klassen, die a priori und unabhngig von Mikroarray-Ergebnissen definiert wurden, verglichen. Es wird der Frage nachgegangen, ob bestehende Klassen sich auch in unterschiedlichen molekularen Signaturen widerspiegeln. Bei der Klassenvorhersage sind die Klassen ebenfalls bereits vordefiniert. Hier ist die Fragestellung, ob sich Prdiktoren entwickeln lassen, welche die Zugehrigkeit von neuen Substanzen zu bestimmten Stoffklassen vorhersagen knnen. Die Klassenentdeckung hingegen unterscheidet sich grundlegend von Klassenvergleich und Klassenvorhersage. Es existieren keine vorgegebenen Klassen und molekulare Signaturen (Fingerprints), und Expressionsprofile dienen der Entdeckung und Charakterisierung neuer, bisher unbekannter Klassen.
4.2 Anwendungsbereiche Die Anwendungsbereiche der verschiedenen Facetten der Mikroarraytechnologie sind vielfltig: F F
In der klinischen Diagnostik knnen prdiktive Expressionsprofile fr eine optimierte und individualisierte Chemotherapie erstellt werden. Die Identifikation neuer Tumorsubtypen hat eine verbesserte Therapieplanung zum Ziel.
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Toxikogenomische Anstze dienen der Risikoabschtzung in der Tumortherapie. Weiterhin kann der Behandlungserfolg whrend einer Therapie mit Mikroarray-Analysen berwacht werden.
In Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie kann eine berprfung der bestehenden Systematik und Klassifikation bekannter Substanzen und gegebenenfalls eine Neuklassifikation durchgefhrt werden. Neue Substanzen knnen entweder bekannten Wirkstoffklassen zugeordnet werden oder zur Definition neuer Wirkstoffklassen dienen. Bei konventionellen Zytostatika wird man bisher unbekannte Wirkmechanismen identifizieren. Interessant sind Forschungsanstze zur Prdiktion von Nebenwirkungen toxischer Substanzen auf gesunde Normalgewebe und zur Identifikation von Mechanismen der toxischen Gewebeantwort (Waring et al. 2001). Die Toxikologie versucht traditionell Wirkungen von Substanzen im menschlichen Organismus zu verstehen und vorherzusagen. Mit Mikroarray-basierten Methoden der Toxikogenomik erhlt man Signaturen, die einen molekularen Phnotyp in einem bestimmten zellulren Status widerspiegeln. Ziel ist es, einerseits die Toxizitt neuer Substanzen und andererseits die unterschiedliche toxische Antwort bei verschiedenen Patienten bereits a priori festzustellen. Der Vergleich der molekularen Signaturen von Substanzen mit bekannter Toxizitt mit denen neuer Substanzen lt Rckschlsse auf mgliche toxische Wirkungen neuer Stoffe zu. So knnen potentiell toxische Stoffe bereits frhzeitig aus der Entwicklungs-Pipeline herausgenommen werden. Die Prdiktion toxischer Reaktionen in vitro kann mglicherweise zu einer Verringerung des Ressourcenbedarfes bei der Zytostatikaentwicklung (Toxizittsstudien im Tiermodell, klinische Phase-I-Studien) beitragen und Nebenwirkungen, die erst zu einem spten Zeitpunkt offenkundig werden (z.T. erst nach Markteinfhrung eines Medikamentes), bereits frhzeitig in der Entwicklung aufdecken (Gant 2002). Negativbeispiele fr dramatische Nebenwirkungen bei Medikamenten, die whrend des Entwicklungsprozesses nicht erkannt wurden, sind aus der Vergangenheit bekannt (z.B. Contergan, Baycol). Die Verknpfung von Hochdurchsatz-Screeningverfahren und Mikroarray-Analysen erlaubt es, dass Small Molecules schnell und umfassend auf ihre Spezifitt fr zellulre Zielmolekle getestet werden und eine Abschtzung ihrer Tauglichkeit fr die Tumortherapie rascher vorgenommen werden kann.
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4.3 Qualita¨tskontrolle Die Komplexitt, die durch die Mikroarraytechnologie sowohl in technischer als auch in wissenschaftlich-medizinischer Hinsicht entsteht, erfordert die Definition strenger Mastbe fr die Qualittskontrolle. Die drei Bereiche der Qualittskontrolle sind die technische, die bioinformatische und die biologisch-funktionelle Validierung. Mikroarrays von hchster Qualitt zeichnen sich durch ein geringes Signal-Rausch-Verhltnis und geringe Schwankungen im Hintergrundrauschen von Experiment zu Experiment aus. Kreuzhybridisierungen mssen minimiert bzw. ausgeschlossen werden, um eindeutige und monospezifische Signalmuster zu erhalten. Mikroarrays liefern groe Datenmengen an Information, die mit Antitumor- und/oder Toxizittsreaktionen in Beziehung gesetzt werden knnen. Es wird zunchst nicht unterschieden, ob diese Beziehungen kausaler Natur sind oder auf Epiphnomenen beruhen. Die Ergebnisse Mikroarray-basierter Expressionsanalysen mssen durch unabhngige Methoden berprft werden. Die alleinige Validierung von mRNS-Profilen, die mit Mikroarrays erstellt wurden, beispielsweise durch Echtzeit-RT-PCR oder Northern-Blotting, reicht in manchen Fllen nicht aus, da mRNS- und Proteinexpression nicht immer kongruent sind und erheblich differieren knnen (Kastan et al. 1991, O’Connor et al. 1993). Das Problem zuflliger Koinzidenzen bei statistischen Auswerteverfahren von Mikroarray-Experimenten ist bisher vielfach unterschtzt worden. Mit der Anzahl von Signifikanztests bei Korrelationsanalysen steigt auch die Wahrscheinlichkeit statistisch signifikanter, aber dennoch zuflliger Korrelationen ohne funktionellen Zusammenhang (Typ-I-Fehler; Keselman et al. 2002). Es wurden verschiedene biostatistische Programme entwickelt, um die Rate solcher falsch positiven Korrelationen zu ermitteln. Die Kausalitt von Korrelationen zwischen Genexpression und Chemosensitivitt kann weiterhin berprft werden durch gezielte Manipulationen prsumptiver Zielgene beispielsweise mit Antisense-Techniken (antisenseRNS, siRNS, Hammerhead-Ribozyme) oder Methoden der reversen Genetik (Transfektion, transgene und Knock-out-Modelle, konditionelle Tet-offGenrepressionsmodelle). Den Annotationen zu Sequenzen im menschlichen Genom wird eine zunehmend wichtigere Bedeutung in der Zukunft zukommen. Auch sie sind zur Kausalittsprfung potentieller Zielgene der Tumortherapie hilfreich. Um die Suche nach verfgbaren Informationen ber bestimmte Gene in der Literatur zu vereinfachen, wurden spezielle Programme wie MedMiner oder EDGAR entwickelt (Tanabe et al. 1999, Rindflesch et al. 2001). Aus Mikroarray-basierten Expressionsprofilen ist primr nicht erkenntlich, ob differentiell exprimierte Gene primren oder sekundren Signal-
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wegen angehren. Ein primrer Signalweg oder ein primres Zielgen ist fr die Hauptwirkung bzw. die gewnschte Wirkung eines Medikamentes kausal verantwortlich. Sekundre Zielstrukturen sind zwar kausal mit den Medikamentenwirkungen verknpft, tragen aber zu anderen, z.T. unerwnschten Wirkungen des Medikaments bei. Solche begleitende Wirkungen knnen auch unerwnschte Nebenwirkungen sein. Marton et al. (1998) haben hierfr die Begriffe On-Target und Off-Target geprgt. Mit der sog. Decoder-Strategie ist in Mikroarray-Experimenten die Unterscheidung zwischen Hauptwirkung und begleitenden Wirkungen mglich. 4.4 Pra¨diktive Expressionsprofile und individualisierte Therapie Die Anzahl der chemotherapeutisch behandelten Patienten, bei denen eine Remission induziert werden kann, ist in den letzten Jahren insgesamt gesehen deutlich gestiegen. Dennoch ist es immer noch nicht mglich, das Ansprechen auf eine Therapie fr jeden Patienten individuell vorherzusagen. Obwohl in den zurckliegenden Jahren eine ganze Reihe klinischer und molekularbiologischer Faktoren zur Prognose der berlebenswahrscheinlichkeit und des Therapieansprechens bekannt geworden sind, reicht diese Information vielfach nicht aus, um przise Vorhersagen fr den einzelnen Patienten zu treffen. Die Problematik besteht darin, da ein erheblicher Teil der Tumorpatienten langfristig nicht von einer Chemotherapie profitiert, jedoch unter den erheblichen Nebenwirkungen leidet. Trotz gleicher Behandlung sprechen Patienten individuell unterschiedlich auf Medikamente an. Hufig sind diese Unterschiede zwischen verschiedenen Patienten grer als zwischen denselben Personen zu verschiedenen Zeitpunkten. Hierfr werden genetische Faktoren verantwortlich gemacht. Es gibt Schtzungen, wonach bis zu 95% der Variabilitt in Medikamentendisposition und -effekt genetisch determiniert sein sollen (Kalow et al. 1998). Weitere Grnde fr ein unterschiedliches Ansprechen auf eine Therapie sind Alter, Geschlecht, Komorbiditt sowie Interaktionen mit anderen Medikamenten. Um ineffektive Chemotherapien zu vermeiden, wurde bereits in den 1970er Jahren das Konzept der prdiktiven Testung und individualisierten Therapie entwickelt. Die Vorstellung ist, da man einen Tumor bereits vor einer Chemotherapie in vitro auf sein Resistenzverhalten hin analysiert, um auf der Basis der so erhaltenen Ergebnisse individuell eine optimale Therapie auswhlen zu knnen. Eine solche individualisierte Therapie schliet ein: F F F
das Ausweichen auf andere, wirksamere Medikamente; das Vermeiden von Nebenwirkungen durch Absetzen ohnehin unwirksamer Zytostatika und der Einsatz von Resistenzmodulatoren bei Tumoren mit Breitspektrumresistenz.
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In den 70er und 80er Jahren wurde dieses Konzept nicht umgesetzt, da die damals zur Verfgung stehenden Methoden (z.B. Colony Forming Assay) zwar fr experimentelle Belange erfolgreich eingesetzt werden konnten, jedoch fr den klinischen Routinebetrieb ungeeignet waren. Durch die Mikroarray-Technologie erlebt das Konzept der individualisierten Tumortherapie zur Zeit ein Revival. Da das Ansprechen auf eine Tumortherapie in den meisten Fllen durch eine Vielzahl verschiedener Resistenzfaktoren determiniert ist, scheint die genomweite Suche nach Vernderungen in resistenten Tumoren ein idealer Ansatz zu sein, um komplexen Resistenzphnomenen sowohl in definierten experimentellen Modellen als auch in der Klinik auf die Spur zu kommen. Die Hoffnung ist, die Limitierungen des Single Gene Approach aus den vergangenen Jahren zu berwinden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Mikroarrays als Routinewerkzeug einsetzbar sind, um Medikation und Dosierung individuell fr Tumorpatienten zu ermitteln. Aus den Erfahrungen der Resistenzforschung wei man, da die Entstehung refraktrer Tumoren nach Chemotherapie durch zellulre Faktoren alleine nicht erklrt werden kann. Extrazellulre Bedingungen, wie z. B. Blutgefversorgung, Hypoxie, Prodrug-Aktivierung in der Leber, Pharmakodynamik und -kinetik, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle fr die Chemoresistenzentstehung. Der Erfolg einer prdiktiven Therapietestung unter Zuhilfenahme von Mikroarrays wird auch davon abhngen, inwieweit neben zellulren die extrazellulren Determinanten der Chemoresistenz bercksichtigt werden knnen. 4.5 Klinische Studien Neue Antitumormedikamente, die auf spezifische Zielmolekle und ihre nachgeschalteten Signalwege wirken, knnen mit neuen biologischen Endpunkten in klinischen Phase-I…III-Prfungen mglicherweise besser beurteilt werden (Korn et al. 2001). Obwohl die maximal tolerierte Dosis in Phase-I-Studien und die Tumorregression in Phase-II- und -III-Studien gut etablierte biologische Endpunkte sind, stellt die molekulare Profilierung mglicherweise in Zukunft eine wichtige Ergnzung fr klinische Studien dar. Neue Substanzen, die mutmalich auf spezifische Zielmolekle wirken (Molecular Targeted Chemotherapy) induzieren zwar hufig einen Stillstand des Tumorwachstums, fhren jedoch nicht unbedingt zum Schrumpfen der Tumormasse. Dieser Effekt wird zudem hufig unabhngig davon erreicht, ob niedrige oder hohe Dosen verabreicht worden sind. Gerade fr solche Wirkstoffe sind Toxizitt und Tumorregression keine idealen Endpunkte in der klinischen Prfung. Die Messung neuer Endpunkte (Angiogenesemarker, onkogene Signaltransduktionsmarker, Zellzyklusgene etc.) mit Hilfe von Mikroarrays knnten mglicherweise geeignetere Meparameter sein.
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Der neuerdings fast werbemig eingesetzte Begriff „Molecular Targeted Therapy“ mag fr einige neue Medikamente wie z.B. Imatinib zu Recht gelten, da es sich gegen ein exklusiv in CML-Zellen vorkommendes Zielmolekl richtet. Humanisierte monoklonale Antikrper, die sich gegen Epitope auf normalen oder neoplastischen lymphatischen Zellen richten, binden zwar mit hoher Spezifitt an diese Epitope, wirken aber dennoch mit eingeschrnkter therapeutischer Breite. Der therapeutische Antikrper Rituximab, der gegen das B-Zell-Oberflchenantigen CD20 gerichtet ist, bindet nicht nur an CD20-positive Lymphomzellen, sondern auch an normale hmatopoetische Zellen mit CD20-Expression. Dennoch gibt es eine prferentielle Wirkung von Rituximab fr Lymphomzellen. Tatschlich wurden Expressionsmuster in Rituximab-resistenten follikulren Lymphomen identifiziert, die denen normaler lymphoider Gewebe mehr hnelten als Rituximab-sensiblen Lymphomen (Bohen et al. 2003). Dies deutet darauf hin, da die CD20-Expression alleine nicht ausreicht, um das Ansprechen auf eine Rituximab-Therapie vorherzusagen, und da es weitere komplexe zellulre Vorgnge geben mu. Hier knnen Mikroarrays neue Wege zur Aufklrung molekularer Wirkmechanismen der Tumortherapie weisen.
5 Schlußbemerkung Die Klassifikation von antineoplastischen Substanzen scheint im Zeitalter der Behandlung nach Leitlinien und Vorgabe von Kostenrahmen nach DRG nur noch eine scholastische Rolle zu spielen. Wissenschaftstheoretisch faszinieren jedoch die ber mehr als sechs Jahrzehnte laufende Zusammenfhrung von rationaler Empirie in die Klinik, die Aufklrung von StrukturWirkungs-Beziehungen in der Pharmazie (Medicinal Chemistry), die Identifikation von kritischen Zielmoleklen nach dem Onkogenkonzept und die breite Anwendung von Biometrie und Bioinformatik sowohl in der Klinik als auch bei der Deutung der durch Laborautomatisierung anfallenden ungeheuren Datenmengen. Die Besttigung unserer Vorstellungen ber den prsumptiven Wirkmechanismus durch eine sehr gut korrespondierende Klassifikation der antineoplastischen Substanzen durch bioinformatische Auswertung ohne Vorgaben bleibt eine historisch herausragende Wissenschaftsleistung. Die Multidimensionalitt der Klassifikationen von Zytostatika wird eine stndige wissenschaftliche, klinische und konomische Herausforderung bleiben, so da die hier vorgestellten Klassfikationssysteme stndiger berarbeitung und Erweiterung bedrfen werden.
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Substanzklassen und Wirkmechanismen
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30.2 Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung* P. Schmid, K. Possinger, H.-D. Peters
1 ,,Klassische’’ Zytostatika In diesem Abschnitt wird auf die Entwicklung neuer („klassischer“, etablierter) Zytostatika aus bekannten Substanzklassen eingegangen, die sich in der prklinischen Charakterisierung bzw. in frhen Phasen der klinischen Entwicklung befinden. Darber hinaus werden beispielhaft einige schon fr die klinische Versorgung zugelassene Modellsubstanzen (Prototypen) aufgefhrt, die die Grundlage fr die Synthese neuer Substanzen (oder von Modifikationen) darstellen. Da die Daten zur Prklinik z.T. nur schwer erreichbar sind, wird dieser Teilaspekt nur lckenhaft belegt. Die klinische Entwicklung der neuen Zytostatika mit Hinweisen zur Wirksamkeit (Aktivitt) und zu den unerwnschten Wirkungen (UAW) bzw. Toxizitten steht im Vordergrund. Zahlreiche neue Zytostatika (etwa 200…300) stehen weltweit fr die klinische Entwicklung an. Fr diese notgedrungen unvollstndige Skizze muten daher Schwerpunkte gesetzt werden. 1.1 Neue Anthrazykline (s. auch unter Topoisomerase-II-Hemmstoffe) Mehrere tausend Anthrazyklinanaloga sind seit Mitte der 60er Jahre synthetisiert worden. Die Auswahl neuer Anthrazykline zielt auf Substanzen, die bei gleicher Wirksamkeit (bezogen auf Doxorubicin) entweder weniger (kardio)toxisch sind oder den Nachteil einer Anthrazyklinresistenz besser umgehen knnen. Bedeutsam ist auch die Entwicklung oral wirksamer Substanzen, da Paravasate durch Anthrazykline schwere Gewebsnekrosen hervorrufen knnen. Inzwischen haben einige neu ausgewhlte Anthrazykline entweder das Stadium der klinischen Prfungen erreicht oder befinden sich im Endstadium der prklinischen Entwicklung. Neue Substanzen erscheinen mit einer groen Regelmigkeit in der wissenschaftlichen Literatur: Als Prototypen der Anthrazykline gelten Daunorubicin und vor allem Doxorubicin. Die „frhen“ Anthrazykline Carminomycin, Esorubicin, Marcellomycin, Quelamycin und Rubidizon zeigten sich dem Doxorubicin entweder in ihrer Wirksamkeit unterlegen oder weisen eine hhere Toxizitt * Redaktionsschlu: 2003
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auf. Von den neueren Anthrazyklinen zeigen Aclacinomycin (Aclarubicin) oder PirarubicinJ keinen therapeutischen Vorteil gegenber Doxorubicin. Idarubicin ist alles in allem mit Doxorubicin vergleichbar wirksam. Epirubicin wurde entwickelt, um nicht zuletzt das Kardiotoxizittsrisiko zu verringern. Letztendlich geht aber auch dieses Anthrazyklinderivat mit einer dosisabhngigen Kardiotoxizitt einher, die im therapierelevanten Bereich erreicht werden kann. Eine eindeutige berlegenheit gegenber Doxorubicin konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Durch die Enkapsulierung in Liposomen kann mglicherweise eine zielgerichtetere Applikation der Anthrazykline erreicht werden, die zu einer verminderten Aufnahme in normale Gewebe und einer Anreicherung im Tumorgewebe fhrt. Dadurch knnen im Tumorgewebe hhere Konzentrationen von freiem Doxorubicin auftreten als in der Zirkulation. Die liposomale Enkapsulierung bewirkt vor allem eine verzgerte Freisetzung des Anthrazyklins. Die systemische Zirkulationszeit der liposomalen Anthrazykline hngt dabei von der intravaskulren Stabilitt, der Aufnahme und Zerstrung der Liposomen durch das retikuloendotheliale System und der Anreicherung in anderen Geweben ab. Solange das Anthrazyklin enkapsuliert ist, weist es die pharmakokinetischen Eigenschaften der liposomalen Trgersubstanz auf. Nach Freisetzung aus den Liposomen entspricht die Pharmakokinetik jedoch der konventioneller Anthrazyklinprparate. Liposomale Formulierungen sind sowohl fr Doxorubicin (CaelyxJ, MyocetJ) als auch fr Daunorubicin (DaunoXomeJ) zugelassen. Weitere liposomale Prparate befinden sind z.B. mit Annamycin in der Entwicklung. MyocetJ und DaunoXomeJ sind konventionelle liposomale Prparate, die eine Halbwertszeit von mehreren Stunden aufweisen. Im Gegensatz dazu stellt CaelyxJ ein pegyliertes liposomales Prparat dar. Durch die Bindung von Polyethylenglykol (PEG) an die Oberflche wird den Liposomen eine erhhte Stabilitt verliehen und die vorzeitige Freisetzung von Doxorubicin in die Zirkulation verringert. CaelyxJ ist demnach durch eine deutlich lngere Halbwertszeit als konventionelle Liposome gekennzeichnet. Aufgrund der unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften weist CaelyxJ auch ein abweichendes Nebenwirkungsspektrum auf, mit einer verstrkten Haut- und Schleimhauttoxizitt. Liposomale Anthrazykline wurden zunchst vor allem beim Kaposi-Sarkom erfolgreich eingesetzt. Randomisierte Studien beim metastasierten Mammakarzinom zeigen, da der Einsatz der liposomalen Doxorubicinprparate CaelyxJ und MyocetJ mit einer gegenber konventionellem Doxorubicin signifikant verringerten Kardiotoxizitt bei gleichzeitig vergleichbarer antitumoraler Wirksamkeit einhergeht. Der Stellenwert bei anderen Tumorentitten ist nicht abschlieend geklrt. Zuknftige Entwicklungen bei liposomalen Prparaten zielen darauf ab, die Applikation noch zielgerichteter stattfinden zu lassen. So werden z.B. oli-
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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gosaccharidhaltige Liposomen entwickelt, die von tumorzellassoziierten Rezeptoren wie dem CD44-Rezeptor fr Hyaluron spezifisch gebunden werden. Die Morpholinyl-Anthrazykline stellen eine weitere Gruppe von Anthrazyklinderivaten dar, die sich in ihren pharmakologischen Eigenschaften deutlich von Doxorubicin unterscheiden. Die Morpholinyl-Derivate sind Vorlufersubstanzen, die zum Erreichen ihrer Wirksamkeit zunchst metabolisch aktiviert werden mssen. Sie setzen an verschiedenen nukleren Angriffspunkten an, hemmen zum Teil aber nicht die Topoisomerase-II. Verschiedene Morpholinyl-Anthrazykline werden gegenwrtig untersucht, darunter MX2 (KRN8602), AD32, AD198 und PNU 152243. AD198 und PNU 152243 konnten in prklinischen Untersuchungen signifikante Formen der Drug-Resistenz umgehen. In den ersten klinischen Studien wurde PNU 152243 zunchst sowohl oral als auch intravens verabreicht. Dabei zeigte sich eine relativ ausgeprgte Myelosuppression. Eine antitumorale Aktivitt konnte bei Patienten mit anthrazyklinresistenten Tumoren bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. AD138 zeigte in einigen Modellen eine gegenber Doxorubicin deutlich geringere Kardiotoxizitt und scheint mglicherweise auch mit einer geringeren systemischen (insbesondere hmatologischen) Toxizitt einherzugehen. Die Substanz reichert sich im Tierversuch in der Lunge an und ist bei einer Reihe von humanen Lungenkarzinomzellinien wirksam. Dies legt den Einsatz in klinischen Studien beim Bronchialkarzinom nahe. Eine interessante Substanz ist das dual wirkende Anthrazyklin-Analogon AD312 (N-[2-Chlorethyl]-N-nitrosoureidodaunorubicin), das als Hybrid aus einem Anthrazyklin und Nitrosourea zwei Strukturen mit zytotoxischer Wirkung kombiniert. Die Anthrazyklinstruktur fhrt neben einer DNS-Interkalation zu proteinassoziierten DNS-Strangbrchen durch Interaktion mit der Topoisomerase-II, der alkylierende Nitrosoureaanteil (wie in Zytostatika vom Typ des Lomustins [CCNU] und Carmustins [BCNU]) hemmt die DNS-Synthese und ihre Reparatur. AD312 fhrt in einer im Vergleich zu Doxorubicin 5fach hheren Dosis (gemessen an einer quieffektiven Ausgangsdosis) nur zu einer minimalen Kardiotoxizitt. Ferner ist AD312 in vitro gegen sensitive und doxorubicinresistente P388-Zellen aktiv. AD312 befindet sich in der klinischen Entwicklung. Eine Gruppe neuer Anthrazyklin-Hemiester hat in prklinischen Untersuchungen eine hohe Aktivitt bei resistenten Zellinien, insbesondere bei Multidrug-Resistenz, gezeigt. Dazu zhlen 14-OH-Hemiadipate und -Hemipimelate sowie 14-Hydroxycarminomycin. Weitere Ergebnisse bleiben abzuwarten. Ebenfalls als aktiv bei resistenten Zellinien haben sich in prklinischen Untersuchungen zwei neue desaminierte Analoga, ME2303 und Annamycin, erwiesen, die wie Doxorubicin die Topoisomerase-II hemmen. ME2303 (2’-Fluoro-3’-hydroxydoxorubicin-14-pimelat) ist bereits in Japan in Phase-II-Studien eingetreten, allerdings sind diese Untersuchungen nicht
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Antineoplastische Substanzen
hinreichend publiziert. Annamycin hat aufgrund von positiven prklinischen Toxizittsstudien der liposomalen Verabreichungsform Phase-Iund Phase-II-Studien erreicht. Das Disaccharid MEN 10755 hat prklinisch neben einer moderaten Kardiotoxizitt ein breiteres antitumorales Spektrum als Doxorubicin gezeigt. Es befindet sich gegenwrtig in Phase-I-Studien. Verschiedene Anthrazyklin-Vorlufersubstanz werden gegenwrtig untersucht. Darunter DOX-GA3 sowie HMR-1826, das in prklinischen Untersuchungen nahezu hundertfach geringer kardiotoxisch war als Doxorubicin. Zusammenfassung
Nachdem die Entwicklung neuer, weniger kardiotoxischer Anthrazykline gelungen scheint, bleibt unverndert das Auftreten von anthrazyklinresistenten Zellpopulationen eine der grten Hrden fr eine verbesserte Anthrazyklintherapie. Die dabei involvierten Mechanismen scheinen komplexer zu sein als die simple berexpression der P-GlykoyproteinMembranpumpe. 1.2 Neue Antimetaboliten Antimetaboliten werden seit etwa 50 Jahren zur Therapie maligner Erkrankungen angewendet. Antimetaboliten werden als Substanzen definiert, die mit normalen intrazellulren metabolischen Prozessen interferieren. Die verbesserte Kenntnis der metabolischen Stoffwechselwege auf zellulrer Ebene hat zu der Identifikation von mehreren neuen potentiellen Angriffspunkten gefhrt. Die intrazellulren metabolischen Ablufe sind sehr komplex. Es existieren zwei Hauptstoffwechselwege, die die Synthese der Purine und Pyrimidine steuern. Vom Folat abgeleitete Kofaktoren sind ebenfalls an diesen Prozessen beteiligt wie die Kohlenstofffragmente (mit einem C-Atom), die von den Folaten fr wesentliche Transformationen bereitgestellt werden, so z.B. fr die Konversion von Desoxyuridin-Monophosphat (dUMP) zu Desoxythymidin-Monophosphat (dTMP) (s. bersicht: Matherly et al. 1994). Die Hemmstoffe wichtiger Enzymsysteme der genannten Stoffwechselwege (Purin- und Pyrimidinsynthese) wurden inzwischen detailliert untersucht, einschlielich der Dihydrofolat-Reduktase (DHFR), der Thymidylat-Synthetase (TS), der Glycinamid-Ribonukleotid-Formyltransferase (GARFT) und der Aminoimidazol-Carboxamid-Ribonukleotid-Formyltransferase (AICARFT). Andere pharmakologische Angriffspunkte sind die Transportmechanismen, die fr die Aufnahme von Metaboliten in die Zelle verantwortlich sind. Inzwischen wurden Pharmaka entwickelt, die bessere Substrate fr den
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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reduzierten Folat-Carrier (RFC) und fr das membranassoziierte FolatBindungsprotein (mFBP) sind und dadurch die Aufnahme in die Zellen erleichtern. Zu nennen sind ferner Nukleosidanaloga, die nach Einbau in die DNS und/oder RNS wirksam werden und z.B. zum DNS-Strangabbruch und dadurch zum Zelltod fhren. Einige Nukleoside gehren zu den am hufigsten therapeutisch angewendeten Antimetaboliten wie z.B. 5-Fluorouracil (5-FU) und Gemcitabin (s. bersichten: Kaye 1998; Matherly et al. 1994). 1.2.1 Potentielle Angriffspunkte fu¨r die zytotoxische Intervention von Antimetaboliten Hemmstoffe der Dihydrofolat-Reduktase (DHFR)
Methotrexat (MTX), einer der ltesten Antimetaboliten, ist ein Inhibitor des Enzyms DHFR. DHFR ist fr die Konversion von Dihydrofolat zu Tetrahydrofolat bzw. schlielich zu N10-Formyltetrahydrofolat verantwortlich. Die Formylgruppe des N10-Formyltetrahydrofolats ist das Substrat fr die Enzyme GARFT und AICARFT. Aus der Hemmung der DHRF resultiert die Entleerung der intrazellulren Pools der reduzierten Folate. Dadurch kommt es schlielich zu einer verminderten De-novo-Synthese der Purine und Pyrimidine in den Zellen. Der vorherrschende Wirkungsmechanismus von MTX ist nicht abschlieend zu bestimmen, da polyglutamatierte Formen von MTX auch die TS und AICARFT hemmen (s. bersicht: Kaye 1998). Die Resistenzprobleme von MTX (ber mehrere Mechanismen induziert) fhrten zur Suche und Entdeckung von weiteren DHFR-Hemmstoffen, wie von Trimetrexat (Marshall u. Delap 1994) und Edatrexat (Sirotnak et al. 1984). Trimetrexat ist lipophiler als MTX, und seine zellulre Aufnahme ist nicht vom Carrier fr reduzierte Folate (RFC) abhngig. Dieses Phnomen fhrt zu hheren intrazellulren Trimetrexatkonzentrationen. Eine Polyglutamation findet nicht statt. Aus den klinischen Studien ist keine berlegenheit von Trimetrexat gegenber dem MTX zu erkennen. Die Ansprechraten im Rahmen einer zytostatischen Therapie rangierten von 13 bis 26%, die Ansprechraten waren am hchsten bei Kopf- und Halskarzinomen (26%) und beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (19%). Eine Zulassung fr Trimetrexat erfolgte in den USA fr die Pneumocystis-carinii-Pneumonie bei AIDS-Patienten. Ein anderer zytostatisch aktiver DHFR-Inhibitor ist das Piritrexim. Auch bei dieser Substanz ist das RFC nicht an der intrazellulren Aufnahme des Zytostatikums beteiligt. Der Zelleintritt erfolgt durch passive Diffusion. Wegen der kurzen Halbwertszeit von Piritrexim (3…5 h) wurde das Verabreichungsregime so konzipiert, da geringe Dosierungen wiederholt verabreicht werden. In Phase-II-Studien ist Piritrexim bei Blasen-, Kopf- und
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Antineoplastische Substanzen
Halskarzinomen aktiv, ferner beim Melanom. Die DHFR-Hemmstoffe haben folgende typische reversible UAW: Myelosuppression mit Thrombozytopenie, Mukositis. Durch gleichzeitige Anwendung von Folinsa¨ure (Kalziumfolinat) werden diese UAW zumeist reduziert. Nukleosidanaloga
Die Nukleosidanaloga stellen eine der wichtigsten Gruppen zytostatischer Substanzen dar. Es wird zwischen Pyrimidin- und Purinanaloga mit ihren Nukleosiden unterschieden: Whrend zunchst die Pyrimidinanaloga eine grere klinische Relevanz aufwiesen, haben eine Reihe von vielversprechenden Neuentwicklungen unter den Purinanaloga in den letzten Jahren zu einer deutlichen Steigerung der Bedeutung dieser Gruppe gefhrt. F F
Als Hauptvertreter der Pyrimidinanaloga gelten die Fluoropyrimidine, Arabinosyl-cytosin und Gemcitabin. Wichtige Verbindungen der Purinanaloga sind Tiazofurin, 3-Deazaguanin und 3-Deazaguanosin, Neplanocin-A, Arabinosyladenin sowie Adenosindesaminase-Hemmstoffe, Arabinosyl-2-fluoroadenine und 2-Chloro-2’-desoxyadenosin.
Entsprechend ihrer Wirkmechanismen knnen die Nukleosidanaloga zudem in zwei Hauptklassen eingeteilt werden: F F
Prparate, die berwiegend in die DNS und RNS inkorporiert werden; Prparate, die zumindest eines der Enzyme hemmen, die fr den Zellstoffwechsel wesentlich sind.
Fluoropyrimidine
Prototyp der Fluoropyrimidine ist 5-Fluorouracil (5-FU), das seit Jahrzehnten in der zytostatischen Therapie eingesetzt wird. Fluoropyrimidine knnen ihre antitumorale Wirkung ber mindestens vier potentielle Mechanismen entfalten: F F F F
Einbau von FUTP (Fluoruraciltriphosphat) in die RNS Einbau von FdUTP (5-Fluor-Deoxyuraciltriphosphat) in die DNS Hemmung der Thymidilat-Synthase (TS) durch FdUMP (5-Fluor-Deoxyuracilmonophosphat) Bildung von Uracil-Zuckerverbindungen
Das Verhltnis der einzelnen Wirkmechanismen hngt u.a. von der Dosis und dem Verabreichungsregime ab. Wahrscheinlich ist die Thymidilat-Synthase der wesentliche Angriffspunkt von 5-FU, insbesondere bei protrahierter Applikation (intravens oder oral), whrend bei Bolusinjektion eher der Einbau in die RNS von Bedeutung ist.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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In den letzten Jahren ist die 5-FU-Therapie als kontinuierliche Infusion immer mehr in den Vordergrund gerckt, da sie sich in mehreren Studien gegenber einer intermittierenden Bolusgabe als berlegen zeigte. Allerdings wird die Dauerinfusion zum Teil von den Patienten als belastend empfunden und fhrt immer wieder zu Problemen mit dem vensen Zugang. Eine fortlaufende orale Applikation von 5-Fluorouracil knnte dies umgehen, ist aber aufgrund des hohen „first pass“-Effekts von 5-FU in der Leber nur bedingt durchfhrbar. Aus diesem Grund wurden mehrere oral applizierbare 5-Fluorouracil-Analoga entwickelt, welche die Vorteile der hohen antitumoralen Aktivitt der kontinuierlichen Infusion mit einer weniger belastenden Applikationsform verbinden (Tabelle 1). Wichtigster Vertreter der oralen Fluoropyrimidine ist Capecitabin, das nach der Aufnahme aus dem Gastrointestinaltrakt in einem in der Leber und im Tumorgewebe ablaufenden dreistufigen enzymatischen Proze in den aktiven Metaboliten 5-FU umgewandelt wird. Die entscheidende Aktivierung zu 5-FU erfolgt dabei durch die Thymidinphosphorylase, die in malignen Zellen in deutlich hheren Konzentrationen vorkommt als in gesunden Geweben. Capecitabin wird somit bevorzugt im Tumorgewebe zu 5-FU umgewandelt, whrend die Exposition von gesundem Gewebe verringert wird. Dementsprechend erwies sich Capecitabin in den bisherigen Studien als gut vertrglich. Im Vordergrund steht eine moderate Haut- und Schleimhauttoxizitt, die sich insbesondere in Diarrhen, Mukositiden und dem Auftreten des sog. Hand-Fu-Syndroms manifestiert. Capecitabin ist zur Behandlung von Kolon- und Mammakarzinomen zugelassen und wird im Kapitel 30.4 im Detail beschrieben. Ein weiteres 5-FU-Prodrug ist Uracilftorafur (UFT), das zusammen mit oraler Folinsa¨ure angewendet werden kann, was eine Doppelmodulation von 5-FU bewirkt. UFT besteht aus den beiden Komponenten Tegafur und Uracil in einem molekularen Verhltnis von 1:4. Nach oraler Applikation von UFT wird Tegafur in der Leber zu 5-FU metabolisiert. Uracil verzgert den Abbau von 5-FU durch Hemmung der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase, so da hhere 5-FU-Plasmakonzentrationen erreicht werden knnen. Orale Folinsa¨ure fhrt zu einer kontinuierlichen Exposition der reduzierten Folate mit dem Resultat einer maximalen TS-Hemmung. In zwei Phase-III-Studien bei Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen ging UFT/FA (FA = Folinsure) mit einer vergleichbaren Wirksamkeit wie 5-FU/FA (Mayo) einher, wies aber ein gnstigeres Nebenwirkungsprofil auf. Die Rekrutierung einer adjuvanten Studie, in der UFT/ FA mit 5-FU/FA (Mayo) verglichen wird, wurde inzwischen abgeschlossen. Ergebnisse werden in Krze erwartet. S1 ist eine neue Kombination des oral wirksamen Fluoropyrimidins Tegafur mit zwei 5-FU-Modulatoren (CDHP = Chloro-2,4-dihydroxypyridin und OXO = Kaliumoxonat) in einem Verhltnis von 1 : 0,4 : 1 fr Tega-
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 1. Fluorierte Pyrimidine, zumeist oral anwendbar Analogon, ggf. Code-Name
Entwickelnde Firma bzw. Studien in:
Studienphase
Dosisbereich* und Regime (Beispiel)
Capecitabin (Xelodaj)
Roche
Phase III
zugelassen 2500 mg/m2/d d1–14 W 3 Wochen
Doxifluridin (5’DFUR) (Furtulonj)
Roche
Phase II/III
UFT plus orale FA (Tegafur u. Uracil im Verha¨ltnis 1:4)
Taiho Pharmaceuticals (Japan) & Bristol Meyers (USA)
Phase III
S-1 Tegafur: OXO:CDHP 1:0,4:1
Phase II Taiho PharmaceuticalsPhase II (Japan) & Bristol Meyers (USA)
35–45 mg/m2/d
BOF-A2 plus orale FA (1-ethoxy-5-FU u. CNDP im Verha¨ltnis 1:1) (Emitefur)
Otsuka Pharmaceuticals (Japan)
100–800 mg/m2 1 tgl. oder 100–400 mg/m2 2 tgl. fu¨r 2 oder 4 Wo
Eniluracil plus 5-FU oral (776C85)
Glaxo Wellcome (Research Phase III Triangle Park, USA)
Phase I
300–350 mg/m2/d fu¨r 4 Wo
10 mg/m2 Eniluracil 2 tgl. + 1 mg/m2 5-FU 2 tgl.
Abku¨rzungen: CDHP 5-Chloro-2,4-dihydropyridin; CNDP 3-Cyano-2,6-dehydropyrimidin; UFT Uracilftoratur; W Wiederholung.
fur:CDHP:OXO). CDHP ist ein ungefhr 200fach strkerer Hemmstoff der DPD als Uracil, whrend Oxonat die Phosphorylierung von 5-FU in der Darmschleimhaut blockiert, wodurch die gastrointestinale Toxizitt reduziert wird. Derzeit liegen bei mehreren Entitten vielversprechende Phase-II-Ergebnisse vor. In vier Phase-II-Studien beim Magenkarzinom zeigte S1 Ansprechraten zwischen 32 und 54%. Des weiteren erwies sich S1 als wirksam beim Kolon- (Ansprechrate 17…35%) und Mammakarzinom (Ansprechrate 41%) sowie bei Kopf- und Halstumoren (Ansprechrate 46%).
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Ha¨ufigste untersuchte Karzinome in folgenden Organen; andere Effekte
Dosislimitierende Toxizita¨ten und andere UAW
Kommentar
Zulassung beim fortgeschrittenen, anthrazyklin- und paclitaxelrefrakta¨ren Mammakarzinom; Kolon, Rektum
Diarrho¨, Erbrechen, Hand-Fuß-Syndrom
Unterschiedliche MTD in Abha¨ngigkeit vom Regime und von der gleichzeitigen oralen FA-Gabe
Kolon, Rektum, Mamma, auch andere solide Karzinome
Diarrho¨, andere gastrointestinale UAW, Neurotoxizita¨t toxischer als Capecitabin
Zulassung in Japan, Korea und China
In erster Linie bei Kolon, Rektum
Diarrho¨, Nausea, Erbrechen, abdominelle Kra¨mpfe, Anorexie, Abgeschlagenheit, Mukositis, Exantheme
Therapeutisches Ziel: Doppelmodulation durch Uracil u. FA
In erster Linie Magen, Kolon, Rektum, Mamma, Kopf/Hals
Diarrho¨, andere gastrointestinale Toxizita¨ten
MTD: 45 mg/m2 2 tgl. fu¨r 4 Wo; deutliche Aktivita¨t beim Magenkarzinom
Fortgeschrittene Karzinome, besonders Kolon und Rektum, auch Lunge
Anorexie, Diarrho¨, Myelosuppression, Nausea, Erbrechen und Stomatitis
Fortgeschrittene Karzinome, besonders Kolon und Rektum (auch bei refrakta¨ren Karzinomen)
Diarrho¨, Abgeschlagenheit, Nausea, Erbrechen Mukositis, Obstipation, Dehydratation
geringe Toxizita¨t
DPH Dihydropyrimidin-Dehydrogenase; EM-FU 1-Ethoxymethyl-5-fluorouracil; OXO Kaliumoxonat;
BOF-A2 besteht aus 1-Ethoxymethyl-5-fluorouracil (EM-FU), welches eine „maskierte“ Form des 5-FU ist, und dem 3-Cyano-2,6-dihydroxypyridin (CNDP) in einem molekularen Verhltnis von 1:1. EM-FU kann nur schwer (und langsam) abgebaut werden und wird vorzugsweise hepatisch aktiviert. CNDP hemmt in vitro strker (um den Faktor 2000) als Uracil den Abbau von 5-FU. In japanischen Phase-I-Studien wurde BOF-A2 bei fortgeschrittenen Malignomen einmalig oder an mehreren Tagen ber 4 Wochen angewendet (100…800 mg/m2 einmal oder 100…400 mg/m2 zweimal tglich). Die dabei registrierten UAW waren Anorexie, Diarrh, Myelosuppression,
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Antineoplastische Substanzen
Nausea, Erbrechen und Stomatitiden. Phase-II-Studien mit BOF-A2 mit oder ohne orale Folinsa¨ure (verabreicht 2- oder 3mal tgl.) laufen. Eniluracil ist ein potenter irreversibler Inaktivator der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) und wird mit oralem 5-FU in einem Verhltnis von 10:1 verabreicht. Die Vorbehandlung mit Eniluracil erhht die Bioverfgbarkeit (bis auf nahezu 100%) und die Halbwertszeit von 5-FU (bis zu 5 h) und reduziert seine pharmakokinetische Variabilitt. In Phase-I-Studien wurde besttigt, da dieses oral verabreichte Regime 5-FUPlasmakonzentrationen erreichen kann, die nach intravenser 5-FU-Dauerinfusion erreicht werden. In einer Phase-III-Studie mit 964 Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen ging Eniluracil/5-FU mit einer vergleichbaren Wirksamkeit wie 5-FU/FA (Mayo) einher und wies zudem ein gnstigeres Nebenwirkungsprofil auf. In einer hnlichen Phase-III-Studie mit 531 Patienten zeigte sich nach Eniluracil/5-FU jedoch ein signifikant krzeres Gesamtberleben. Der Stellenwert von Eniluracil/5-FU kann derzeit nicht abschlieend beurteilt werden. Insbesondere Ergebnisse von Kombinationsstudien mssen abgewartet werden. Andere Pyrimidinanaloga
Neben den o.a. Fluoropyrimidinen, deren aktiver Metabolit letztendlich 5-FU ist, sind in den letzten Jahren eine Reihe neuer Pyrimidinanaloga entwickelt worden, die in prklinischen und frhen klinischen Untersuchungen eine breite Wirksamkeit gegen solide und hmatologische Neoplasien aufweisen. Bekanntester Vertreter dieser neuen Pyrimidinanaloga ist Gemcitabin (2’,2’-Difluorodeoxycytidin), das u.a. zur Behandlung von Pankreaskarzinomen, NSCLC, Blasenkarzinomen und Brustkrebs zugelassen ist. Gemcitabin wird detailliert im Kapitel 30.4 beschrieben. Tezacitabine [(E)-2‘-Deoxy-2-(Fluoromethylen)-Cytidin, FMdC, MDL101731] ist ein neues Cytidin-Analogon aus der gleichen Substanzklasse wie Gemcitabin oder Ara-C. Neben dem Einbau in die DNS, scheint Tezacitabine vor allem ber eine Hemmung der Ribonukleotid-Reduktase zu wirken. Im Gegensatz zu anderen Pyrimidinanaloga ist Tezacitabine wesentlich resistenter gegenber der metabolischen Inaktivierung durch die Cytidin-Deaminase. Tezacitabine hat eine breites Spektrum prklinischer Aktivitt gezeigt, unter anderem bei Leukmie-Zellinien sowie bei Bronchial-, Mamma, Kolon-, Magen-, Pankreas- oder Ovarialkarzinomen. Aufgrund einer guten PhaseI-Aktivitt bei refraktren Leukmien wird Tezacitabine gegenwrtig in einer Phase-II-Studie bei Patienten mit rezidivierter AML untersucht. Eine Phase-II-Studie beim NSCLC wurde vorzeitig beendet, nachdem unter den ersten 28 Patienten kein Ansprechen beobachtet wurde. Weitere PhaseII-Studien insbesondere beim Kolonkarzinom laufen derzeit (Tabelle 2). Troxacitabine [b-L-Dioxolan Cytidin, L-(-)-Deoxy-3‘-Oxacytidin, Troxatyl, BCH-4556] weist strukturelle Verwandtschaft mit dem Virostatikum
Studienphase
Phase II
Phase II
Phase I/II
Phase II
Phase I
Phase I
Substanz
Tezacitabine
Troxacitabine
Clofarabin
Nelarabine
CNDAC
3‘-Ethnylcytidine
AML, Kolonkarzinom, NSCLC
z.B. 270 mg/m2 d1,15, alle 4 Wo
Fortgeschrittene solide Tumoren
40–50 mg/m2 p.o. d1–5, alle 4 Wo
Fortgeschrittene solide Tumoren
T-Zell-Neoplasien
1,2 mg/m2/d d1–5, alle 4 Wo
Kommentar
Nicht bekannt
Phase-I-Studien noch laufend
Potentielle Wirkungssteigerung bei Kombination mit Fludarabin, insbesondere auch bei B-ZellNeoplasien Zentrale oder periphere Neurotoxizita¨t: Somnolenz, Enzephalopathie, Krampfanfa¨lle, Ataxie, aufsteigende Paralye Neutropenie
Aktivita¨t bei akuten Leuka¨mien, lymphoproliferativen Erkrankungen, wenig Aktivita¨t bei soliden Tumoren
Neutropenie, Thrombozytopenie
Neutropenie, Hautreaktio- Aktivita¨t bei AML, CML nach nen (Hand-Fuß-Syndrom), STI571, Nierenkarzinom Stomatitis
Aktivita¨t bei AML, Neutropenie; grippea¨hnliches Syndrom, Kolonkarzinom Keine Wirksamkeit bei Mukositis NSCLC
Dosislimitierende Toxizita¨ten; andere UAW
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
Nicht bekannt
Fortgeschrittene solide oder ha¨matolog. Erkrankungen; CLL, refrakta¨re akute Leuka¨mien
2 mg/m2/d d1–5, alle 4 Wo
8 mg/m2/d AML, ALL, CML d1–5, Nierenkarzinom alle 4 Wochen (ha¨matolog. Erkrankungen); 10 mg/m2, alle 3 Wo
Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Dosisbereich und Regime
Tabelle 2. Neue Purin- und Pyrimidinanaloga in der klinischen Entwicklung 30.2
1465
30
1466
30
Antineoplastische Substanzen
Lamivudin auf. Es ist das erste L-Enatiomer eines Nukleosidanalogons, das eine zytotoxische Wirkung gezeigt hat. Troxacitabine ist ebenfalls resistenter gegenber dem Abbau durch die Cytidin-Deaminase als Ara-C. Es wurde in mehreren Phase-I-Studien bei soliden Tumoren und refraktren hmatologischen Erkrankungen eingesetzt. Aufgrund seiner hohen Aktivitt innerhalb einer Phase-I-Studie wurde Troxacitabine bei refraktren hmatologischen Erkrankungen weitergehend untersucht. Dabei wurden insbesondere bei Patienten mit Ara-C-refraktrer AML und bei Patienten mit intensiv vorbehandelter CML Remissionen beobachtet. In einer Phase-II-Studie bei Patienten mit metastasierten Nierenkarzinomen zeigten 2 von 31 Patienten ein objektives Ansprechen. Bei 17 Patienten konnte zudem eine Stabilisierung erreicht werden. CNDAC (2‘-C-Cyano-2‘-Deoxy-1-b-D-Arabino-Pentofuranosylcytosin, CS-682) ist ein neues oral applizierbares Desoxycytidin. Hauptmechanismus seiner antitumoralen Wirkung ist die Inkorporation in die DNS, wo es im Gegensatz zu Gemcitabin oder Ara-C zu DNS-Einzelstrangbrchen fhrt. Daneben ist CNDAC auch ein Hemmstoff der DNS-Polymerasen. CNDAC zeigte in prklinischen Untersuchungen eine breite Wirksamkeit. Auffallend war dabei eine auergewhnlich hohe Aktivitt bei SarkomZellinien. CNDAC wird derzeit in Phase-I-Studien untersucht. Die zytostatische Wirkung von 3‘-Ethnylcytidine (Ecyd, TAS-106) beruht hauptschlich auf einer Hemmung der RNS-Synthese. Da 3‘-Ethnylcytidine nur sehr langsam eliminiert wird, ist mglicherweise keine engmaschige Applikation erforderlich, um eine optimale zellulre Akkumulation zu erreichen. 3‘-Ethnylcytidine hat in vitro und in vivo ein sehr breites Aktivittsspektrum gezeigt. Phase-I-Studien wurden initiiert. Aufgrund seiner ausgeprgten antileukmischen Aktivitt wurde Ara-C als Ausgangspunkt fr die Entwicklung neuer Pyrimidinanaloga verwendet. Dabei wurde vor allem versucht, Verbindungen zu synthetisieren, die eine vergleichbare antileukmische Aktivitt wie Ara-C aufweisen, aber nicht den gleichen Resistenzmechanismen unterliegen. Zu den in diesem Zusammenhang derzeit untersuchten Substanzen zhlen u.a. 5-Azacytidin, 5-AzaArabinosylcytosin (Fazarabin) und 5-Aza-2‘-Deoxycytidin (Decitabine). Diese Verbindungen wirken nicht nur ber einen Einbau in die DNS, sondern hemmen gleichzeitig die DNS-Methylierung, die ein hufiges Phnomen in neoplastischen Zellen ist und z.B. zur Unterdrckung von Tumorsuppressorgenen oder Apoptose induzierenden Genen fhren kann. Die Mehrzahl der bisherigen klinischen Untersuchungen wurde bei hmatologischen Erkrankungen durchgefhrt, insbesondere bei Patienten mit AML, MDS oder CML. Whrend hier vielversprechende Ergebnisse beobachtet werden konnten, waren die Remissionsraten bei soliden Tumoren erwartungsgem niedrig.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1467
Purinanaloga
Purinanaloga wurden bisher berwiegend zur Behandlung lymphoproliferativer Erkrankungen eingesetzt. Die Profile der bereits zugelassenen Purinanaloga Cladribin, Fludarabin und Pentostatin sind im Kapitel 30.4 detailliert beschrieben. Daneben befinden sich mehrere interessante Verbindungen in frhen Phasen der klinischen Entwicklung. Clofarabin [2-Chloro-(2-Deoxy-Fluoro-b-D-Arabinofuranosyl)Adenine, CL-F-ara-A, CAFdA] ist ein Deoxyadenosin-Analogon, das prklinisch eine strkere Hemmung der Ribonukleotid-Reduktase und der DNS-Polymerase a aufweist als die etablierten Vertreter der Substanzklasse Fludarabin oder Cladribin. Clofarabin befindet sich gerade in Phase-I-Studien. Phase-II-Studien bei Patienten mit CLL bzw. refraktren akuten Leukmien wurden initiiert (s. Tabelle 2). Nelarabine (2-Amino-9-b-D-Arabinofuranosyl-6-Methoxy-9H-Purin, 506U, GW605U78) ist eine inaktive Vorlufersubstanz, die intrazellulr mit Hilfe der Adenosindeaminase rasch in den aktiven Metaboliten Arabinosyl-Guanin (Ara-G) umgewandelt wird. Ara-GTP wird nachfolgend in die DNS eingebaut, was zu einer Inhibition der DNS-Synthese und letztendlich zur Apoptose fhrt. Nelarabine hat sich als relativ resistent gegenber dem intrazellulren Abbau durch die Purin-Nukleosid-Phosphorylase (PNP) erwiesen. In Phase-I-Studien zeigte sich eine dosislimitierende zentrale und periphere Neurotoxizitt. Auffallendste Eigenschaft von Nelarabine ist eine relativ selektive Aktivitt gegenber T-Zell-Neoplasien. So wurde im Rahmen der initialen Phase-I-Studie bei 54% der 39 Patienten mit refraktren akuten T-Zell-Leukmien ein Ansprechen beobachtet. Neun Patienten erreichten eine komplette Remission. Da die antitumorale Effektivitt von den zellulren Ara-GTP-Spiegeln abzuhngen scheint, werden verschiedene Anstze untersucht, die Ara-GTP-Akkumulation zu verstrken. Dazu zhlen ˜nderungen des Verabreichungsschemas sowie der Versuch der Stimulation des aktivierenden Enzyms Deoxycytidinkinase. Da die Aktivitt der Deoxycytidinkinase durch niedrige intrazellulre Spiegel von dCTP und dGTP gesteigert werden kann, wurden Kombinationsstudien mit Fludarabin initiiert. Dabei konnten sowohl bei T- als auch bei B-Zell-Neoplasien Remissionen beobachtet werden. Laufende Phase-II-Studien bei Patienten mit T-ZellLymphomen, T-ALL oder B-CLL werden dazu beitragen, den Stellenwert von Nelarabine weiter zu definieren (s. Tabelle 2). Thymidilat-Synthetase-Hemmstoffe
Diese Klasse von Verbindungen ist seit Jahren Gegenstand intensiver Forschung. Die Thymidylat-Synthetase (TS) ist fr die Synthese von Desoxythymidin-Monophosphat (dTMP) aus Desoxyuridin-Monophosphat (dUMP) erforderlich. Dieser Proze ist die einzige Quelle fr die zellulre
30
1468
30
Antineoplastische Substanzen
dTMP, und die TS-Inhibition fhrt zu einer Entleerung des zellulren Thymidin-Pools. Entsprechend ihrem Angriffspunkt an der TS werden zwei Kategorien von TS-Hemmstoffen unterschieden. Zum einen kann die Hemmung an der Pyrimidin-Bindungsstelle (Prototyp: 5-FU) erfolgen, zum anderen an der Bindungsstelle fr das Co-Substrat Folat. Die entsprechenden Hemmstoffe wurden im vorangegangenen Abschnitt „Fluoropyrimidine“ beschrieben. Da 5-FU mit dem natrlichen Substrat dUMP um die Bindung an der Nukleotidbindungsstelle der TS konkurriert, kann es durch einen reflektorischen Anstieg der dUMP-Konzentration zu einer Reduktion des Hemmeffekts von 5-FU kommen. Substanzen, die nicht an der Nukleotidbindungsstelle der TS binden und zugleich deren Aktivitt hemmen, knnten unter Umstnden zu besseren Ergebnissen fhren. CB3717 war der erste Quinazolin-TS-Hemmstoff, der prklinisch und klinisch untersucht wurde. CB3717 tritt mittels des reduzierten Folat-Carriers in die Zelle und bentigt zur Aktivierung eine Polyglutamation. In Phase-IStudien war die Substanz gegen Lungen- und Mammakarzinome aktiv. Auffllig war eine schwere und nicht voraussagbare renale Toxizitt, die in Phase-II-Studien besttigt wurde. Daher wurde die weitere klinische Entwicklung von CB3717 eingestellt (Tabelle 3). Raltitrexed (ZD1694) ist ein wasserlsliches Analogon von CB3717. Raltitrexed wird wie natrliche Folate ber ein folatspezifisches Membranprotein aufgenommen und intrazellulr polyglutamyliert. Es wurde mit dem Ziel entwickelt, die Nebenwirkungen von CB3717 zu eliminieren. Klinische Prfungen besttigten, da die klinische Aktivitt insbesondere bei kolorektalen Karzinomen und beim Mammakarzinom erhalten blieb, aber die bei CB3717 registrierte renale Toxizitt eliminiert werden konnte. In drei Phase-III-Studien bei Patienten mit metastasierten kolorektalen Karzinomen wurde Raltitrexed mit 5-FU/FA (Mayo) verglichen. Whrend sich in zwei Studien keine Unterschiede im Ansprechen und berleben zeigten, war in der dritten Studie trotz gleicher Ansprechraten ein dreimonatiger berlebensvorteil zugunsten von 5-FU/FA zu verzeichnen. Gleichzeitig ging Raltitrexed jedoch mit einer signifikant niedrigeren Mukositisinzidenz einher. In einer weiteren randomisierten Studie wurde Raltitrexed mit einer kontinuierlichen 5-FU-Infusion oder infundiertem 5-FU/FA (de Gramont) verglichen. Dabei zeigten sich fr die 5-FU-Infusionsregime hhere Remissionsraten. Unterschiede im berleben waren jedoch nicht zu verzeichnen. Allerdings war im Raltitrexed-Arm eine berproportionale Anzahl therapieassoziierter Todesflle zu verzeichnen, die zumeist in Zusammenhang mit Neutropenie und Diarrh standen. Die erhhte Mortalitt wurde in einer vorzeitig beendeten adjuvanten Studie besttigt. Prdisponierend fr eine erhhte Toxizitt scheint vor allem eine vorbestehende Nierenfunktionsstrung zu sein. Raltitrexed wird gegenwrtig auch in Kombination
Phase II
Astra Zeneca (England)
Agouron Pharmaceuticals (USA)
ZD9331 (nicht polyglutamatabler TS-Hemmstoff)
Nolatrexed (AG337) Thymitaqj
Zulassung fu¨r die Therapie d. Pleuramesothelioms; weitere Aktivita¨ten: NSCLC, Mamma-, Pankreaskarzinom, gastrointestinale Tumoren Zulassung fu¨r die Therapie kolorektaler Karzinome; weitere Aktivita¨ten: Mammakarzinom und andere Entita¨ten Verschiedene Karzinomentita¨ten, insbes. Kolonkarzinom Kopf und Hals, Pankreas, Leber, Kolon, Rektum
500 mg/m2 10 min Infusion, Tag 1 alle 3 Wochen
3 mg/m2/d, alle 3 Wo
0,16 mg/m2/d u¨ber 5 Tage, alle 3 Wo 800–1000 mg/m2/d u¨ber 1 oder 5 Tage (i.v.), alle 3 Wo
Ha¨ufigste untersuchte Karzinome in folgenden Organen; andere Effekte Hemmt zusa¨tzlich weitere Enzyme; begleitende niedrigdosierte ta¨gliche Folsa¨ure- und Vitamin B12-Einnahme unabdingbar U¨berproportionale therapieassoziierte Todesfa¨lle in Zusammenhang mit Neutropenie und Diarrho¨
Ohne Vitaminsupplementierung: Neutropenie, Asthenie, Thrombocytopenie
Neutropenie, Diarrho¨, Zunahme der Transaminasen, gastrointestinale UAW
Neutro- u. Thrombozytopenie, Mukositis, Nausea, Erbrechen, Exanthem
Auch orale Formulierung geplant
Ana¨mie, Neutropenie, Orale und intraveno¨se Therapie mo¨gErbrechen, Mukositis, lich milde Lethargie, Transaminasenerho¨hung
Kommentar
Dosislimitierende Toxizita¨ten und andere UAW
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
* s. Anmerkung wie unter Tabelle 2.
Phase III
Astra Zeneca (England)
Raltitrexed (ZD1694) (Tomudexj)
Phase II
Phase III
Eli Lilly (USA)
Pemetrexed (LY231514) (Alimtaj)
Studienphase Dosisbereich* und Regime (Beispiel)
Entwickelnde Firma
Analogon, ggf. CodeName
Tabelle 3. Hemmstoffe der Thymidylat-Synthase
30.2
1469
30
1470
30
Antineoplastische Substanzen
mit verschiedenen Zytostatika untersucht. Interessant sind dabei vor allem die Kombinationen mit Oxaliplatin oder Irinotecan. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Ein Derivat von Raltitrexed ist das ZD9331, welches wie Raltitrexed durch den reduzierten Folat-Carrier (RFC) in die Zellen transportiert wird. Im Gegensatz zu Raltitrexed ist ZD9331 kein Substrat fr die Folylpolyglutamyl-Synthetase (FPGS). Daher kann die Verbindung mglicherweise die Resistenz umgehen, die bei konventionellen polyglutamatierten TS-Inhibitoren auf Basis einer gestrten FGGS-Aktivitt mglich ist. Phase-I-Studien zur intravensen und oralen Applikation sind abgeschlossen. In ersten Phase-II-Studien zeigte ZD9331 insbesondere bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen eine hohe Effektivitt. In den letzten Jahren wurden fr die Entwicklung von neuen und strker wirksamen TS-Hemmstoffen computeruntersttzte Molekle modelliert. Ein Beispiel dafr ist das Nolatrexed (AG337). Nolatrexed ist lipophil und erfordert fr seine Aktivitt weder die Mithilfe von RFC noch die von FPGS. Nolatrexed wird ber eine passive Diffusion in die Zellen aufgenommen. In prklinischen Untersuchungen wurde eine eindeutige „Schedule“-abhngige Aktivitt an einem breiten Spektrum von humanen Xenografts demonstriert. In mehreren Phase-I-Studien wurden unterschiedliche orale und intravense Verabreichungsschemata geprft. Eine zytostatische Aktivitt wurde z.B. bei Kopf- und Halskarzinomen, beim Pankreaskarzinom und bei Leberkarzinomen nachgewiesen. Die klinische Entwicklung von Nolatrexed kommt insgesamt jedoch relativ langsam voran, nicht zuletzt, da sich keine eindeutigen Vorteile gegenber bereits etablierteren Prparaten zeigen lieen. ˜hnliches gilt fr die Verbindung GW1843. Eine neue liposomale Formulierung (GS7904) knnte hier jedoch zu einer neuen Bewertung fhren. Multi-Targeted Antifolate (MTA, Pemetrexed)
Pemetrexed ist ein neues Pyrrolopyrimidin-Antifolat mit breiter zytostatischer Wirksamkeit. Der Hauptwirkungsmechanismus von Pemetrexed zielt auf drei Enzyme der Purin- und Pyrimidinsynthese. Da dieses Antifolat neben der Thymidylat-Synthetase auch die Dihydrofolatreduktase (DHFR) und die Glycinamid-Ribonukleotid-Formyltransferase (GARFT) hemmt, wurde es als MTA bezeichnet (Shih et al. 1997). Nach Eintritt von Pemetrexed in die Zelle unterliegt die Substanz einer Polyglutamation. Diese resultiert in einer verlngerten zellulren Retention und einer intensivierten Hemmung der TS, GARFT und DHFR (Schultz et al. 1996). Pemetrexed wurde in Phase-I-Studien in einem dreiwchigen und einem wchentlichem Schema sowie als tgliche Gabe ber 5 Tage in dreiwchigen Intervallen untersucht. Die dreiwchige Applikation in einer Dosis von
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1471
500 mg/m2 wurde aufgrund des gnstigsten Nebenwirkungsprofils fr die weitere Entwicklung ausgewhlt. In Phase-II-Studien wurde eine vielversprechende Aktivitt unter anderem beim NSCLC sowie beim Mamma-, Pankreas-, Magen- und Kolonkarzinom beobachtet. In einer PhaseIII-Studie bei Patienten mit metastasiertem Mesotheliom zeigte sich die Kombination von Pemetrexed und Cisplatin einer Cisplatin-Monotherapie signifikant berlegen hinsichtlich Ansprechrate, Ansprechdauer, berlebenszeit und Symptomkontrolle. Diese Ergebnisse weisen Pemetrexed einen besonderen Stellenwert beim Mesotheliom zu und fhrten zur Zulassung in dieser Indikation in den USA. Hufigste Nebenwirkungen unter Pemetrexed sind Neutropenie und gastrointestinale Beschwerden. Durch Substitution von niedrigdosierter Folsure und Vitamin B12 kann die Inzidenz dieser Nebenwirkungen deutlich verringert werden. Hemmstoffe der Glycinamid-Ribonukleotid-Formyltransferase (GARFT) und Aminoimidazol-Carboxamid-Ribonukleotid-Formyltransferase (AICARFT)
Die Enzyme GARFT und AICARFT besitzen eine entscheidende Rolle fr die De-novo-Synthese der Purine. Die Funktion der GARFT besteht darin, den Transfer von Formylgruppen von N10-Formyltetrahydrofolat zu Tetrahydrofolat zu katalysieren, whrend die AICARFT AICAR formyliert. Beide Prozesse sind wesentlich fr die Bildung von Purinen und damit fr die DNS-Synthese. Die Hemmung von GARFT und AICARFT fhrt zur Entleerung der zellulren Pools von Adenosinmonophosphat (AMP) und von Guanosinmonophosphat (GMP). Der erste in klinische Prfungen eingefhrte GARFT-Hemmstoff war Lometrexol, ein Analogon des MTX. Nach den ersten prklinischen Daten wurde vermutet, da die gleichzeitige Gabe von Folinsure die Lometrexoltoxizitt reduzieren kann. Diese Beobachtung wurde in die klinischen Untersuchungen bertragen. Lometrexol findet sich derzeit in Phase-II-Studien. Prklinische Studien mit LY309887, einem weiteren GARFT-Hemmstoff, demonstrierten eine Aktivitt an einem breiten Spektrum von Tumoren. Derzeit werden eine Reihe von Phase-II-Studien bei verschiedenen Entitten durchgefhrt. Die Methode des Drug-Designs mittels Computer-Modelling wurde eingesetzt, um weitere GARFT-Hemmstoffe zu entwickeln. Zu diesen sind die Verbindungen AG2032 und AG2034 zu rechnen. Ferner wurde ein AICARFT-Hemmstoff (AG2009) synthetisiert. Alle genannten Substanzen befinden sich noch in einem frhen Stadium der klinischen Entwicklung und sind derzeit von ihrem potentiellen therapeutischen Rang nicht zu bewerten.
30
1472
30
Antineoplastische Substanzen
Zusammenfassung
Auf dem Sektor der zytostatischen Therapie mit Antimetaboliten scheint sich eine Renaissance zu entwickeln. Die zunehmende Kenntnis vom Zellmetabolismus, besonders die Identifikation der wichtigen beteiligten Enzyme, hat zu einer genaueren Definition der Angriffspunkte fr die zytostatische Intervention mit Antimetaboliten gefhrt. Es ist zu erwarten, da die Entwicklung von neuen Antimetaboliten in Zukunft einen signifikant positiven Einflu auf die Tumortherapie haben wird. Wahrscheinlich werden viele dieser neuen Antimetaboliten in eine kombinierte Zytostatikatherapie integriert, da Antimetaboliten zumeist monotherapeutisch nicht ausreichend wirksam sind. Wie bei anderen Zytostatika bleibt die Resistenz gegen die Antimetaboliten ein Hindernis, aber die zunehmend intensivierte Forschung auf dem Sektor von zellulren translationalen Prozessen mit verbesserten Kenntnissen der Resistenzmechanismen erffnet die Aussicht fr zuknftige Verbesserungen der zytostatischen Therapie mit Antimetaboliten. 1.3 Neue Platinkomplexe Es ist nun ber 30 Jahre her, da das Zytostatikum Cisplatin in die zytostatische Therapie eingefhrt wurde. Trotz der auerordentlichen Wirksamkeit gegen zahlreiche Karzinome (Ovar-, Lungen-, Blasen-, Zervix-, Kopf- und Halskarzinome, Kleinzelltumoren) ist die Substanz durch zwei Hauptnachteile belastet: F F
durch z.T. schwere Toxizitten gegenber normalem Gewebe; durch die Tendenz vieler Karzinome, eine primre Resistenz gegen Cisplatin zu entwickeln.
Gene/Proteine, die als Determinanten der Tumorsensitivitt bzw. der Resistenzentwicklung gegenber Cisplatin gelten, sind in Tabelle 4 aufgefhrt. Durch In-vitro-Untersuchungen an murinen und humanen Zellinien wurden drei Hauptmechanismen fr die Resistenz durch Cisplatin identifiziert: F F F
Verminderter intrazellulrer Transport der Substanz; erhhte zytoplasmatische Detoxifikation; erhhte Entfernung von platininduzierten Addukten aus der DNS und/ oder erhhte Toleranz gegenber Platin-DNS-Addukten.
Die genannten Nachteile der Cisplatintherapie (insbesondere das Problem der Resistenz) fhrten zu groen Anstrengungen, neue Platinanaloga zu identifizieren und klinisch zu entwickeln, um die Limitierungen der Wirksamkeit einer Cisplatintherapie zu umgehen. Aus der kaum noch berschaubaren Zahl von Platinkomplexen wurden nur diejenigen ausgewhlt, die sich derzeit weltweit in der klinischen Entwicklung befinden.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1473
Tabelle 4. Determinanten einer Resistenz gegenu¨ber Cisplatin Gen/Protein
Zellula¨re Effekte
CRP
Erho¨hter Substanzefflux
SQM1
Verminderte Substanzakkumulation
XPA
NER-Erkennung
ERCC1
NER (nucleotid excision DNA repair)
BRCA1
DNS-Reparatur, Transkription
BRCA2
DNS-Reparatur
p53
Apoptose, Zellzykluskontrolle, Wachstumskontrolle
p73
Apoptose (p53-Homolog)
HMG1
Erkennung von DNS-Verzerrungen
DNS-Protein-Kinase
Reparatur von DNS-Doppelstrang-Bru¨chen (DSB)
RAD51
DSP-Reparatur, homologe Rekombination
ATM
DSP-Erkennung und Reparatur
MSH2
Mismatch-Reparatur
MSH6
Mismatch-Reparatur
MLH1
Mismatch-Reparatur
PMS1
Mismatch-Reparatur
Polymerase zeta u. eta
Fehlertolerante DNS-Polymerasen
c-Ha-ras
Erho¨hte Drug-Resistenz, verminderte Aufnahme
c-myc
Erho¨hte Drug-Resistenz
HSP60
Hitzeschockprotein, Chaperonin
Zumindest sieben neue Platinanaloga (Enloplatin, Iproplatin [JM9, CHIP], Zeniplatin, 254-S, CI-973, DWA2114R), die nach dem Entwicklungskonzept vertra¨glicher als Cisplatin sein sollen, werden derzeit vorzugsweise gegen Ovarial-, Blasen-, Prostata- und Keimzellkarzinome geprft. ber das Verhltnis von Aktivitt/Toxizitt im Vergleich zu Cisplatin sind noch keine definitiven Aussagen mglich. Das oral wirksame Platinanalogon JM216 (Satraplatin) wurde in PhaseII-Studien u.a. beim Prostatakarzinom, NSCLC und Mammakarzinom untersucht. Die maximal tolerierbare JM216-Dosis betrgt 120 mg/m2/d (Tag 1…5). Andere Regime werden ebenfalls geprft. In vitro kann JM216 strahlentherapeutische Effekte verstrken. Inzwischen ist dies auch bei Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomen des Brustraums belegt. JM216 hat in klinischen Studien eine Wirksamkeit bei Patienten mit SCLC, Prostatakarzinomen und Doxorubicin-resistenten Mammakarzinomen gezeigt.
30
1474
30
Antineoplastische Substanzen
Tabelle 5. Status der Entwicklung von neuen Platin-Analoga Analogon, ggf. Code-Name
Entwickelnde Firma
Studienphase
Dosisbereich* und Regime (Beispiel)
JM216 Satraplatin
Bristol-Myers (USA)
Phase II/III
p.o. 120 mg/m2/d p.o. u¨ber 5 Tage alle 4 Wo (Monotherapie)
Enloplatin (CL287,110)
Am Cyanamid Company (USA)
Phase II/III
MTD 1227 mg/m2/d (Einzeldosis), alle 3 Wo
Iproplatin (CHIP; JM9)
Brystol-Myers (USA)
Phase II/III
300 mg/m2/d, alle 4 Wo
Lobaplatin (D-19466)
ASTA (Deutschland)
Phase II
60 mg/m2, alle 3–4 Wo
Ormaplatin (Tetraplatin) (NSC36812)
NCI, Upjohn (USA)
Phase II
MTD 90 mg/m2/d (Einzeldosis); Bolus
Zeniplatin (CL286,558)
Am Cyanamid Company (USA)
Phase II
MTD 145 mg/m2/d (Einzeldosis); Kurzinfusion alle 3 Wo
DWA2114R
Chugai (Japan)
Phase II
800–1200 mg/m2/d u¨ber 5 Tage
CI-973 (NK121)
Nippon Kayaku Company (Japan)
Phase I
190–230 mg/m2/d u¨ber 5 Tage, alle 4 Wo
L-NDDP (DACH-Komplex)
MD Anderson Cancer Center (USA)
Phase II
MTD 390 mg/m2/d (Einzeldosis)
254-S
Shionogi (Japan)
Phase II/III
100 mg/m2/d; alle 4 Wo; 30-min-Infusion
*s. Anmerkung wie unter Tabelle 2.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1475
Ha¨ufigste untersuchte Karzinome in folgenden Organen; andere Effekte
Dosislimitierende Toxizita¨ten und andere UAW
Kommentar
Ovar, SCLC, Prostata; Radiosensitizer Mammakarzinom
Myelosuppression, gastrointestinale UAW wie Nausea, Erbrechen usw.
Hinweise auf Hepatotoxizita¨t; geringe Aktivita¨t beim NSCLC
Kolon, bei einigen Leuka¨mieformen geringe bis moderate Nephrotoxizita¨t
Neutropenie; Nephrotoxizita¨t; Nausea, Erbrechen
Neuro- und Ototoxizita¨t im Vergleich zu Cisplatin geringer
Ovar
Thrombozytopenie, gastrointestinale UAW
Kein Vorteil gegenu¨ber Carboplatin, dadurch zuku¨nftiger Einsatz fraglich
Ovar, wahrscheinlich bei Cisplatin- und Carboplatinrefrakta¨ren Tumoren wirksam
Thrombozytopenie, Nausea, keine renale Toxizita¨t
Entwicklung in Deutschland und Holland
Verschiedene Entita¨ten in Phase-I-Studien mit mehreren Regimen: u¨ber 5 Tage, Tag 1 u. 8, und intraperitoneal
Myelosuppression, Neurotoxizita¨t (peripher), Nausea, Erbrechen, Hypotension, allerg. Reaktionen
Die Neurotoxizita¨t ist weiter zu charakterisieren; i.v. Hydratation no¨tig
NSCLC, Ovar, Melanoma, Mamma
Myelosuppression, Nausea, Erbrechen, Diarrho¨, Leberdysfunktion
Klinische Entwicklung unsicher wegen Auftreten renaler Dysfunktionen
Akute myeloische Leuka¨mie, Blastenkrise der CML, Ovar, Prostata, Lunge
Myelosuppression, besonders Leukopenie, Nausea, Erbrechen; minimale Nephrotoxizita¨t
Zum Fortgang der klinischen Entwicklung nahezu keine Hinweise. Keine Neuro- bzw. Ototoxizita¨t
Mamma, Blase, Ovar (Cisplatin Leukopenie, Nausea, refrakta¨r), Leuka¨mie (Phase I) Erbrechen, Anorexie; Neuround Nephrotoxizita¨t selten und milde
Jetzt klinische Entwicklung mit neuer Formulierung
Verschiedene Entita¨ten; keine na¨heren Angaben
Neutro- u. Thrombozytopenie; Galenische Probleme: Substanzstabilita¨t; bei liposomaler Pra¨Nausea, Erbrechen; keine paration ungelo¨st Nephrotoxizita¨t
Keimzell-(Hoden-)Karzinom; Prostata, Blase; vereinzelt Nephrotoxizita¨t
Leukopenie, Thrombozytopenie, Aktivita¨t auch nach CisplatinVortherapie schwere renale Toxizita¨t < 1%; keine Neurotoxizita¨t
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Antineoplastische Substanzen
Im Vergleich zu Cisplatin scheint JM216 bei Patienten mit NSCLC eine vergleichbare (relativ geringe) Aktivitt zu besitzen. Die nicht-hmatologischen Toxizitten sind milder als bei Cisplatin, dafr ist die Myelosuppression strker. Zur Umgehung der Cisplatintumorresistenz wurden ebenfalls neue Platinkomplexe synthetisiert (1,2-Diaminocyclohexan[DACH]-Platinkomplexe). Zu diesen sind u.a. Cycloplatam, Tetraplatin (Ormaplatin), L-NDDP zu rechnen. Lobaplatin (D-19466) dagegen gehrt nicht der Gruppe der „DACH“-Platinkomplexe an. Diese Substanzen befinden sich derzeit z.T. berwiegend in Phase-I/II-Studien. Aufgrund der bisherigen Datenlage weisen diese Derivate bezglich der Aktivitt (Wirksamkeit) einen geringen bis migen Erfolg auf (Tabelle 5). Oxaliplatin (L-OHP), ein weiterer 1,2-Diaminocyclohexan-Platin-Komplex, zeigt im Gegensatz zu Cisplatin keine signifikante Nephrotoxizitt, ist jedoch mit einer kumulativen peripheren Neurotoxizitt verbunden. Prklinische Daten deuten auf eine inkomplette Kreuzresistenz gegenber Cisplatin hin. Oxaliplatin hat sich insbesondere bei kolorektalen Karzinomen und beim Ovarialkarzinom als wirksam erwiesen. Es wird in Kapitel 30.4 detailliert beschrieben. Aufgrund der nur gering ausgeprgten Myelosuppression ist Oxaliplatin gut fr Kombinationstherapien geeignet. Besonderes relevant ist die synergistische Wirkung mit 5-FU. Dabei ist Oxaliplatin anscheinend in der Lage, bei einem Teil der Patienten eine erworbene 5-FUResistenz aufzuheben. Von SPI-77, einer neuen liposomal enkapsulierten Formulierung von Cisplatin, wurden pharmakologische und erste Phase-I-Studien vorgestellt. Im Vergleich zu Cisplatin wurde fr SPI-77 eine differente Pharmakokinetik ohne auffllige Toxizitten demonstriert. Weitere liposomale Prparate wie z.B. das Cisplatinanalogon L-NDDP befinden sich in der Entwicklung. Zusammenfassung
Im Vergleich zu den Anstrengungen, die Nebenwirkungen einer auf Platin basierenden Zytostatikatherapie (besonders durch die Einfhrung von Carboplatin wurde diese Zytostatikatherapie besser vertrglich) zu reduzieren, gibt es bisher kaum Fortschritte, die Cisplatintumorresistenz klinisch erkennbar zu verbessern. Die Umgehung der Tumorresistenz bleibt in den gegenwrtigen Programmen zur Entdeckung von neuen Platinkomplexen unverndert das Hauptziel. Bei Analyse der Publikationen zu platinhaltigen Verbindungen fllt auf, da im Vergleich zu Zytostatika aus anderen Substanzklassen Berichte ber neue Platinkomplexe (Ausnahmen: Oxaliplatin, JM216, SPI-77) in den letzten Jahren recht selten geworden sind.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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1.4 Topoisomerase-Hemmstoffe DNS-Topoisomerasen sind im Zellkern lokalisierte Enzyme, die fr die Kontrolle, Erhaltung und Modifikation der Struktur oder Topologie der DNS whrend der Replikation und Translation verantwortlich sind. Mehrere verschiedene Topoisomerasen sind bekannt, von denen derzeit zwei Enzyme, Topoisomerase-I und -II, als Angriffspunkte fr zytostatische Therapien dienen. 1.4.1 Topoisomerase-I-Hemmstoffe Camptothecin-Derivate
Praktisch alle derzeit eingesetzten Hemmstoffe der Topoisomerase-I leiten sich von 20(S)-Camptothecin (NSC94600)-CAM ab. Camptothecin ist ein Alkaloid pflanzlichen Ursprungs und der am vollstndigsten untersuchte Topoisomerase-I-Hemmstoff. Alle Camptothecin-Derivate weisen ein identisches, aus 5-Ring-Strukturen bestehendes Grundgerst auf, unterscheiden sich aber durch mehrere Seitenketten. Modifikationen an den Positionen C9 und C10 des A-Rings knnen dabei die antitumorale Potenz der Derivate verndern, whrend Substituenten am A- und B-Ring die Wasserlslichkeit beeinflussen. Aufgrund der S-Phasen-Spezifitt der Camptothecin-Derivate scheint eine Therapie mit verlngerter Applikationsdauer ein sinnvoller Ansatz, was sich in prklinischen und z.T. auch in klinischen Untersuchungen besttigen lie. Die klinischen Ergebnisse sind jedoch uneinheitlich. Mglicherweise liegen diesbezglich Unterschiede zwischen den einzelnen Derivaten vor. Mehrere Camptothecin-Derivate durchlaufen gerade die prklinische und klinische Entwicklung. Sie werden in zwei Kategorien eingeteilt: F F
Substanzen, die wasserlslich sind (Irinotecan, Topotecan, DX-895 1F, GW211 usw.), und Nicht wasserlsliche Substanzen (CAM, 9NC usw.).
Die wasserlslichen Topoisomerase-I-Hemmstoffe sind … besonders intravens … leicht zu verabreichen, aber sie scheinen, wie in Xenograft-Modellen humaner Tumoren demonstriert wurde, eine geringere zytostatische Aktivitt als die nicht wasserlslichen Topoisomerase-I-Hemmstoffe zu besitzen (Giovanella 1997; Ratain 1998). Die bereits zugelassenen Topoisomerase-I-Hemmstoffe Irinotecan und Topotecan sind im Kapitel 30.4 „Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine“ detailliert beschrieben (s. dort). 9-AC und 9-NC sind zwei semisynthetische Camptothecin-Derivate. Beide Substanzen knnen zusammen betrachtet werden, da 9NC im Krper von Menschen und Sugetieren in 9AC konvertiert wird. 9AC wird in einer
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30
Antineoplastische Substanzen
Tabelle 6. Neue Topoisomerase-I-Hemmstoffe Analogon, ggf. Code-Name
Entwickelnde Firma
Studienphase
Dosisbereich und Regime (Beispiel)
9-Amino-Camptothecin Pharmacia Upjohn (NSC 603071) (9AC) (Schweden, USA)
Phase I (orale Form)
0,25 mg/m2/d7 d; 0,25–1,1 mg/m2/d fu¨r 7–14 d, alle 3 Wo
9-Nitro-Camptothecin (9NC) (RFS 2000)
Stehlin Foundation for Cancer Research (USA)
Phase I/II (orale Form)
1–1,5 mg/m2/d fu¨r 5 Tage, dann Pause von 2 Tagen
DX-895 1F
Daiichi Pharmaceuticals (Japan, USA)
Phase I/II
0,3–2,4 mg/m2/d, Infusion u¨ber 24 h, alle 3 Wo; 0,1–0,4 mg/m2/d u¨ber 5 Tage (Infusion 30–60 Minuten) alle 3 Wo
GI147211 (GW211)
Glaxo-Wellcome (England)
Phase I/II
1,2 mg/m2/d 5 d, alle 3 Wo
Karenitecin BNP 1100 u. 1350
BioNumerik Pharmaceuticals, Inc. (USA)
Pra¨klinisch
Noch nicht definiert
intravensen und einer oralen Verabreichungsform geprft, 9-NC lediglich oral. Prklinisch sind beide oral wirksamen Substanzen aktiv (wirksam) gegen ein breites Spektrum von Tumoren (Tabelle 6). Die klinischen Ergebnisse mit 9-AC waren jedoch bisher enttuschend. In Phase-II-Studien mit 9-AC als 72-Stunden-Infusion wurde bei Mammakarzinomen, NSCLC, Kolonkarzinomen und NHL allenfalls eine geringe Aktivitt beobachtet. Allerdings wurden aufgrund dosislimitierender hmatologischer Nebenwirkungen mglicherweise keine suffizienten Plasmaspiegel des aktiven 9-AC-Lactons erreicht. Dementsprechend wird gegenwrtig untersucht, ob durch eine Verlngerung der Infusionsdauer von 9-AC bzw. orale Applikation bessere Ergebnisse erreicht werden knnen. Dabei knnen unter Umstnden neue Formulierungen, die z.B. Polyethylenglykol-1000 einsetzen, zu einer verbesserten oralen Bioverfgbarkeit beitragen. Mit oral angewendetem 9NC wurde eine Phase-II-Studie bei Patienten mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom durchgefhrt, die bei 32% der Patienten zu einem
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Ha¨ufigste untersuchte Karzinome in folgenden Organen; andere Effekte
Dosislimitierende Toxizita¨ten Kommentar und andere UAW
NSCLC, Ovar, NHL, verschiedene Karzinome; wahrscheinlich (relativ) inaktiv bei Kolon, Rektum
Leukopenie, Thrombozytopenie
Pankreas; in Phase-I-Studien Ansprechen bei einigen Karzinomentita¨ten
Myelosuppression, Zystitis, Diarrho¨, Nausea
Pankreas, SCLC, Kolon, NSCLC, Kopf u. Hals, Leber
Myelosuppression, Nausea, Erbrechen, Diarrho¨, Alopezie
Mo¨glicherweise wirksamer als andere Topoisomerase-IHemmer
Bisher SCLC; zu anderen Entita¨ten keine Daten verfu¨gbar
Myelosuppression, Asthenie, Nausea
Liposomale Formulierung in Phase I
Derzeit Untersuchungen an Zellinien und anderen pra¨klinischen Modellen: Kolon, Rektum, Kopf u. Hals, Sarkome
Noch nicht definiert
Sequentielle Kombination mit ZD1694 wird gepru¨ft
Dosis fu¨r Phase II: 0,84 mg/m2/d; Entwicklung einer verbesserten oralen Verabreichungsform
Ansprechen oder einer Krankheitsstabilisierung fhrte. Die Ergebnisse konnten jedoch in einer zweiten Studie nicht besttigt werden. Gegenwrtig wird 9-NC im Rahmen mehrerer Phase-II-Studien bei verschiedenen soliden Tumoren untersucht. Die wasserlsliche Verbindung GI-147211 (Lurtotecan) wurde in mehreren Phase-II-Studien u.a. bei Patienten mit SCLC, NSCLC, Mamma-, Kolonoder Ovarialkarzinomen untersucht, wobei lediglich eine mige Aktivitt beobachtet werden konnte. Interessant erscheint die Entwicklung einer liposomalen Formulierung, NX 211, das mit einer deutlich lngeren Plasmaverweildauer und einer 70fach hheren AUC einhergeht. Eine Phase-I-Studie wurde bereits abgeschlossen. Phase-II-Studien laufen gegenwrtig. Exatecan (DX-8951F) ist ein synthetisches, hexazyklisches Camptothecin-Derivat, das prklinisch ein vergleichbares Spektrum, aber eine strkere antiproliferative Aktivitt wie Topotecan oder SN-38, der aktive Metabolit von Irinotecan, aufweist. Erste Phase-II-Ergebnisse zeigen eine vielverspre-
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Antineoplastische Substanzen
chende Wirksamkeit bei Patienten mit NSCLC, SCLC oder Pankreaskarzinomen. Karenitecin stellt hingehen eine ausgesprochen lipophile Verbindung dar, die in vitro und in vivo eine hhere Aktivitt aufweist als andere Camptothecin-Derivate. Zudem weist es eine hhere chemische Stabilitt und bessere orale Bioverfgbarkeit auf. Karenitecin wird gegenwrtig in Phase-Iund -II-Studien untersucht. Weitere Camptothecin-Derivate, die sich in frhen Phasen der klinischen Entwicklung befinden, sind Afelectan, CKD-602, DRF-1042, ST1481 und Homa-copolymer-camptothecin. Eine neue Gruppe von Camptothecin-Derivaten sind die Homocamptothecine, die im Gegensatz zu den Camptothecinen eine 7er E-Ring-Struktur aufweisen. Diese ist stabiler gegenber der Umwandlung des hochaktiven Lactons in das wenig aktive Carboxylat. In prklinischen Untersuchungen zeigen die Homocamptothecine eine hhere Aktivitt als Camptothecine. Insbesondere bei Camptothecin-resistenten Zellinien lt sich unter Homocamptothecine noch eine antitumorale Wirkung nachweisen. Die Verbindung BN-80915 (Deflomotecan) wurde fr die klinische Entwicklung ausgewhlt. Neben der Entwicklung neuer Substanzen wird auch versucht, die pharmakologischen Eigenschaften bestehender Camptothecin-Derivate durch Verknpfung mit hhermolekularen, wasserlslichen Verbindungen zu verbessern. PEG-Camptothecin (Prothecan) bzw. MAG-Camptothecin (PNU-166148), die beide gegenwrtig Phase-I-Studien durchlaufen, stellen die ersten Vertreter dieser Klasse dar. T-0128, eine Kombination aus dem Camptothecin-Derivat T-2513 und Carboxymethyl-Dextran, befindet sich in prklinischen Untersuchungen. Mglicherweise lassen sich auf diese Art tumorspezifischere Prparate gewinnen. Einen potentiellen Ansatz stellen z.B. die 9-Aminocamptothecin-Glukuronide dar, die eine selektive Aktivitt gegen Tumoren aufweisen, die die b-Glukuronidase akkumulieren. Non-Camptothecin-Topoisomerase-I-Hemmstoffe
Einige Eigenschaften der derzeitigen Camptothecin-Derivate, insbesondere die geringe Wasserlslichkeit, die geringe Stabilitt der aktiven Lactonform bei physiologischen Bedingungen sowie die rasche Reversibilitt der Cleavage-Komplexe nach Entfernung der Camptothecine, haben zur verstrkten Entwicklung von Verbindungen gefhrt, die keine strukturelle Verwandtschaft mit Camptothecin aufweisen. Zu diesen sog. Non-Camptothecin-Topoisomerase-I-Hemmstoffen zhlen polyheterozyklische aromatische Hemmstoffe wie z.B. die Indolcarbazol-Derivate oder Indenoisoquinoline (z.B. NSC-314622, MJ-III-65) sowie Benzimidazole (z.B. Ho-33342) oder DNA minor groove binders (z.B. Ecteinascidin 743, NU/ICRF505).
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Die derzeit am besten untersuchte Gruppe sind die Indolcarbazol-Derivate. Zwei Vertreter dieser Substanzklasse, NB-506 und J-107088, befinden sich gerade in Phase-I-Studien. Ecteinascidin 743 (Et 743, NSC-648766), ein Isolat aus dem karibischen Manteltier Ecteinascidia turbinata, wird bereits in Phase-II- und -III-Studien untersucht. Es zeigt eine vielversprechende Aktivitt bei einer Reihe solider Tumoren, insbesondere bei Weichteilsarkomen und beim Ovarialkarzinom. Zusammenfassung
Eine prolongierte Verabreichung der Topoisomerase-I-Hemmstoffe scheint wirksamer zu sein als die kurzzeitige Verabreichung hoher Dosierungen. Zumindest gilt das fr einige Topoisomerase-I-Hemmstoffe (wohl nicht fr CPT11). Das Auffinden und die Durchfhrung des optimalen Verabreichungsregimes scheint fr die Topoisomerase-I-Inhibitoren von ausschlaggebender Bedeutung zu sein. So sind z.B. hohe Dosierungen ber kurze Zeit u.U. nicht ausreichend effektiv oder sogar ineffektiv. Jedes Agens, welches zu DNS-Strangbrchen fhrt, drfte ein Kandidat fr die Kombination mit den Camptothecinen sein. Am deutlichsten wurde dies nach Studien mit ionisierenden Strahlen demonstriert. Gegen humane Tumor-Xenografts weisen die Camptothecin-Verbindungen … unter optimalen Bedingungen verabreicht … ein breites Aktivittsspektrum auf. Die klinische Entwicklung der in dieser Skizze genannten Substanzen bzw. Pharmaka erfolgt derzeit mit groer Aktivitt. Nach den prklinischen Untersuchungen scheint die eine oder andere neue Verbindung wirksamer zu sein als die bisher zugelassenen Topoisomerase-I-Hemmstoffe Irinotecan und Topotecan. 1.4.2 Topoisomerase-I- und -II-Hemmstoffe
Whrend die Mehrzahl der Topoisomerase-Inhibitoren entweder die Topoisomerase-I oder die Topoisomerase-II hemmt, ist eine kleine Gruppe von Substanzen gegen beide Enzyme aktiv. Diese dualen TopoisomeraseHemmstoffe knnen in drei Gruppen unterteilt werden. Zu der grten Gruppe, die ber eine DNS-Interkalation wirkt, zhlen u.a. das Acridin DACA, das Benzopyridinol Intoplicin, das Indenoquinolinon TAS-103, das Benzophenazin XR11576 und das Pyrazolacridin NSC366140. Diese Substanzen werden gegenwrtig in klinischen Studien untersucht. Eine zweite Gruppe besteht aus Hybridmoleklen von Topoisomerase-Iund -II-Hemmstoffen wie z.B. Camptothecin-Epipodophyllotoxin. Die dritte Gruppe umfat Substanzen, die Strukturen in beiden Topoisomerase-Enzymen erkennen knnen. Zu dieser Gruppe zhlen z.B. NK109, das modifizierte Camptothecin BN80927 und das modifizierte Epipodophyllotoxin Tafluspid (F-11782). Klinische Ergebnisse liegen fr die beiden letztgenannten Gruppen noch nicht vor.
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 7. Neue Topoisomerase-II-Hemmstoffe Analogon, ggf. Code-Name
Entwickelnde Firma
Studienphase
Dosisbereich* und Regime (Beispiel)
Rebeccamycin (NSC655649) Bristol-Myers (USA)
Phase I, einige, auch fu¨r die orale Form
20–744 mg/m2/d Kurzzeitinfusion alle 3 Wo
NK 109 (Benzo[c]phenanthridine)
Pra¨klinisch, Phase I
Nicht bekannt Entwicklung in Japan
Topoisomerase-II-Hemmstoffe
Nippon Kayaku Co. (Japan)
Topoisomerase-II-Suppressoren Merbaron (NSC 336628)
NCI, Kliniken in den USA
Phase II
Nicht bekannt
Fostriecin (CI-920)
(Kanada)
Phase I
2–38 mg/m2/d MTD 38 mg/m2/d
* s. Anmerkung wie unter Tabelle 1. Kommentar: (1) Fu¨r Rebeccamycin sind wegen der neurologischen Toxizita¨t keine weiteren Studien mehr mit der intraveno¨sen Verabreichungsform geplant;
Wegen der noch frhen klinischen Entwicklung der neuen Topoisomerase-I- und -II-Hemmstoffe sind Bewertungen dieser Substanzen derzeit nicht mglich. 1.4.3 Neue und alte Topoisomerase-II-Hemmstoffe
Die alten Topoisomerase-II-Hemmstoffe, die z.T. auch andere Wirkmechanismen aufweisen, werden hier genannt, um die Nomenklatur fr die Einordnung der z.T. betagten Substanzen „berschaubarer“ zu halten. Einige Zytostatika wie Etoposid (VP-16) und viele ltere Anthrazykline sind neben anderen Angriffspunkten auch gegen die Topoisomerasen-II wirksam. Die Anthrazykline werden auch als zytotoxische Antibiotika eingeordnet (s. Beschreibung oben). Die Anti-Topoisomerasen-II werden in zwei Gruppen klassifiziert: F
F
in Topoisomerase-Hemmstoffe, die zu einer Stabilisierung der Komplexe von DNS und der beiden Topoisomerase-II-Subeinheiten fhren, und in Topoisomerase-II-Suppressoren, die die Enzymaktivitt hemmen.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Ha¨ufigste untersuchte Karzinome in folgenden Organen; andere Effekte
Dosislimitierende Toxizita¨ten und andere UAW
Kommentar
In pra¨klinischen Modellen: Mamma, Tumoren des Gehirns
Neurologische Toxizita¨t: Somnolenz, Ataxie, Vertigo, Nystagmus usw. (bei i.v. Gabe): Auslo¨ser Penclomedinmetabolit
Bei den DNS-interaktiven Substanzen auch als Topoisomerase-I- u. -II-Hemmstoff geordnet
Xenografts von Lunge, Magen, Kolon, Rektum, Ovar
Nicht bekannt
Pra¨klinisch dem Etoposid u¨berlegen
Keine oder nur geringe Aktivita¨t Nicht bekannt bei mehreren soliden Karzinomen (s. Text)
Kaum Berichte u¨ber die Substanz
Nicht bekannt
Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der Substanz fu¨r Studien
Hepato- und nephrotoxisch
(2) die klinische Entwicklung von Merbaron u. Fostriecin scheint seit 1994/95 nur schleppend voranzuschreiten
Zu den Topoisomerase-II-Hemmstoffen werden gerechnet: F F F F F F
Desmethylepipodophyllotoxine (VP-16, VM 26 [Teniposid]) Anthrazykline Anthraquinone (Mitoxantron und Derivate) Amsacrin (m-AMSA) Ellipticine (wichtig ist ein semisynthetisches Derivat: 2-N-methyl-9-hydroxy-ellipticinium-acetat [NMHE = Elliptinium]) eine groe Zahl anderer Topoisomerase-II-Hemmstoffe aus diversen chemischen Familien. Zu ihnen gehren Amonfide, Flavone, Genistein und seine Derivate, die Nitroimidazole, Withangulatin, Streptonegrin, Terpenoide, Azatoxine, Chinolone, Menogaril, Naphthochinone usw.
Zu den Topoisomerase-II-Suppressoren werden gerechnet: F F F
Dioxopiperazine (ICRF-186 [Levrazoxan], ICRF-187 [Dexrazoxan]), ICRF-193 u.a.) Merbaron Fostriecin.
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Antineoplastische Substanzen
Inzwischen wurde eine neue Klasse von Topoisomerase-II-Hemmstoffen entdeckt, die im Vergleich zu den oben genannten Topoisomerase-II-Inhibitoren einen unterschiedlichen Wirkungsmechanismus aufweisen. Die Bis(2,6)-dioxo-piperazine wurden ursprnglich als potentiell intrazellulr chelatbildende Substanzen synthetisiert. Ihre biochemischen und pharmakologischen Eigenschaften, einschlielich der zytostatischen Eigenschaften, wurden umfassend untersucht, bevor deutlich wurde, da die Topoisomerase-II durch diese Substanzen supprimiert wird (Tabelle 7). Merbaron befindet sich in Phase-II-Studien. Nach jetziger Kenntnis ist Merbaron in den gewhlten Dosierungen bei einer Vielzahl von soliden Karzinomen (Nierenzellkarzinom, hepatozellulres Karzinom, Pankreaskarzinom, Magenkarzinom oder kleinzelliges Lungenkarzinom) nicht aktiv. Fostriecin ist ein Zytostatikum mit einer Polyen-Lakton-Strukur, die Phosphate enthlt. Die Substanz ist bei einer Reihe von Tumormodellen aktiv und fhrt zu einer Akkumulation der Zellen in der G2- und M-Phase des Zellzyklus. Nach anderen Studien interferierte Fostriecin mit den mitotischen Kontrollmechanismen des Zellzyklus und bewirkte, da proliferierende Zellen vorschnell in die Mitose eintreten. Neben anderen zellulren Wirkungen ist die Suppression der Topoisomerase-II der am deutlichsten relevante Wirkungsmechanismus von Fostriecin. ber klinische Untersuchungen zur Substanz wurde in den letzten Jahren kaum berichtet. Tirapazamin ist ein hypoxieaktiviertes Zytostatikum, das seine antitumorale Wirkung ebenfalls ber eine Hemmung der Topoisomerase-II zu entfalten scheint. Zusammenfassung
DNS-Topoisomerase-II-Hemmstoffe spielen schon seit langem eine wichtige Rolle in der Zytostatikatherapie. Neue Topoisomerase-II-Hemmstoffe drften auf der Grundlage ihres klinischen Wirkprofils die Tumortherapie erweitern. Die Topoisomerase-II-Suppressoren reprsentieren eine weitere neue Zytostatikaklasse, die interessante biologische, pharmakologische und mglicherweise klinische Eigenschaften aufweist. 1.5 Antimikrotubula¨re Substanzen Die antimikrotubulren Substanzen umfassen eine Gruppe von natrlichen und semisynthetischen Prparaten, die mit dem Tubulin interagieren und die dynamische Reorganisation des mikrotubulren Netzwerks stren. Darunter befinden sich einige der wirksamsten Zytostatika. Es sind aber auch mehrere neue vielversprechende Substanzen in der Entwicklung. Die antimikrotubulren Substanzen knnen in Abhngigkeit davon, ob sie die Polymerisation von Tubulin zu Mikrotubuli verstrken oder hemmen, in zwei Kategorien eingeteilt werden. Zu der Gruppe, die die Assozia-
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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tion der Mikrotubuli inhibieren kann, zhlen neben den Vinca-Alkaloiden (Vincristin, Vinblastin, Vinorelbin, Vindesin) neue Prparate wie Dolastatine, Cryptophycine oder Indanocine. Die mikrotubulistabilisierenden Substanzen umfassen neben den Taxanen die Epothilone, Discodermolide und Eleutherobine. Hemmstoffe der Mikrotubulibildung
Die Dolastatine stellen eine Gruppe von zytotoxischen Peptiden dar, die aus der Molluske Dolabella auricularia isoliert werden konnten. In prklinischen Studien zeigten sie ein weites Spektrum antitumoraler Wirksamkeit. Sie scheinen jedoch der Multidrug-Resistenz zu unterliegen. In Phase-I-Studien ging Dolastatin 10 mit einer ausgeprgten Myelosuppression einher. Es wurde keine relevante antitumorale Wirksamkeit festgestellt, was aber auch dadurch bedingt sein kann, da aufgrund der Myelosuppression keine ausreichenden Wirkspiegel erreicht werden konnten. Weitere Studien unter Einsatz von Granulopoese-stimulierenden Faktoren sind geplant. Das Dolastatin-15-Analog LU103793 zeigte ebenfalls eine ausgeprgte Myelosuppression. In einer Phase-II-Studie konnten bei 4 von 80 Patienten mit metastasiertem Melanom objektive Remissionen erreicht werden (Smyth et al. 2001). Cryptophycine sind Makrolide, die von Zyanobakterien produziert werden. Sie unterliegen nicht der P-Glykoprotein-Resistenz. In einer Phase-IStudie erwies sich die Neurotoxizitt als dosislimitierend. Preliminre Aktivitt konnte bei Patienten mit intensiv vorbehandelten NSCLC nachgewiesen werden. Zudem zeigten sich Cryptophycine wirksam in Kombination mit Doxorubicin, Paclitaxel, 5-Fluorouracil und Platinverbindungen. Indanocine hemmen ebenfalls die Polymerisation von Tubulin. Zustzliche Wirkmechanismen werden diskutiert. Klinische Ergebnisse liegen derzeit noch nicht vor. Mikrotubulistabilisierende Substanzen Taxane
Die bekanntesten Vertreter der mikrotubulistabilisierenden Substanzen sind die Taxane. Die bereits zugelassenen Prparate Docetaxel und Paclitaxel werden in Kapitel 30.4 detailliert beschrieben. Weiterentwickelte Formulierungen, wie z.B. das Cremophor-freie Nanopartikel Paclitaxel ABI-007, knnen mglicherweise zu einer besseren Vertrglichkeit beitragen. ABI007 wird in einer Dosis von 260 mg/m2 ber 30 Minuten verabreicht. Die Rekrutierung einer Phase-III-Studie, in der ABI-007 mit konventionellem Paclitaxel verglichen wird, wurde vor kurzem abgeschlossen. Zudem wird gegenwrtig die Effektivitt von ABI-007 bei Patientinnen nach Ver-
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Antineoplastische Substanzen
sagen einer Taxanbehandlung untersucht. Ergebnisse liegen noch nicht vor. In hnlicher Weise wurde Docetaxel in vernderter Formulierung in Form einer polysorbatfreien, submikroskopischen Dispersion untersucht. Dabei konnten hhere Dosierungen von Docetaxel ohne Prmedikation sicher verabreicht werden. Durch Kombination mit Hemmstoffen der intestinalen Membranpumpe P-Glykoprotein, wie z.B. Ciclosporin A oder dem strukturell verwandten SDZ PSC 833, kann zudem eine deutliche Steigerung der oralen Bioverfgbarkeit von Paclitaxel bzw. Docetaxel erreicht werden, die eine orale Therapie mglich erscheinen lt. Die orale Therapie mit Docetaxel bzw. Paclitaxel wird gegenwrtig in Phase-II-Studien weiter untersucht. Derzeitige Ziele bei der Weiterentwicklung der Taxane sind zum einen die Gewinnung von Prparaten mit einem breiteren Spektrum, die mglicherweise auch bei bereits taxanrefraktren Tumoren noch eine Wirkung entfalten knnen. Zum anderen wird versucht, besser lsliche Verbindungen zu erzeugen, die den Einsatz von Detergenzien wie Cremophor oder Polysorbat 80 berflssig machen. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung liposomaler Taxane von Interesse, die ebenfalls keine Lsungsmittel bentigen und mglicherweise zustzlich eine zielgerichtetere Applikation bewirken. Mehrere neue Taxoide, darunter die Prparate XRP6258, XRP9881, IDN5109, BMS275183, BMS184476 oder BMS188797, befinden sich derzeit in unterschiedlichen Phasen der prklinischen und klinischen Entwicklung. Sie scheinen zum Teil eine deutlich hhere antitumorale Wirksamkeit und eine grere therapeutische Breite als Paclitaxel oder Docetaxel aufzuweisen. XRP6258 (RPR116258) und XRP9881 (RPR 109881A) sind semisynthetische Derivate von 10-Desacetylbaccatin III, die einen hnlichen Wirkmechanismus wie ltere Taxane aufweisen. Beide Prparate weisen bei zahlreichen In-vitro- und In-vivo-Tumormodellen ein breites Wirkspektrum auf, einschlielich einiger Modelle, bei denen eine Taxoidresistenz vorliegt. Im Tiermodell konnte eine gute orale Bioverfgbarkeit nachgewiesen werden. XRP6258 und XRP9881 scheinen zudem die Blut-Hirn-Schranke passieren zu knnen. Mehrere Phase-I-Studien sind bereits abgeschlossen. Randomisierte Studien laufen gerade an. BMS-275183 ist ein oral verfgbares neues Taxoid. Es wird gegenwrtig in Phase-I-Studien untersucht. BMS184476 oder BMS188797 haben eine im Vergleich zu Paclitaxel breitere prklinische Aktivitt gezeigt. BMS184476 wurde in mehreren Phase-II-Studien unter anderem bei Patienten mit Mammakarzinom, NSCLC oder Magenkarzinomen eingesetzt. Dabei zeigte sich vor allem beim NSCLC eine beraus vielversprechende Aktivitt. BMS188797 befindet sich derzeit in Phase-II-Studien.
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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BAY 99-8862 (IDN5109), ein semisynthetisches Derivat von 14-b-Hydroxy-10-Desacetylbaccatin III mit breiter In-vitro-Aktivitt, weist eine im Vergleich zu Paclitaxel geringere Affinitt zu P-Glykoprotein auf und zeigte sich prklinisch auch bei taxanresistenten Zelllinien wirksam. Zudem scheint es ber eine gute orale Bioverfgbarkeit zu verfgen um die Blut-Hirn-Schranke passieren zu knnen. Gegenwrtig wird BAY 99-8862 in Phase-II-Studien bei taxanrefraktren Patienten untersucht. Epothilone
Die Epothilone stellen eine vielversprechende neue Klasse mikrotubulistabilisierender Substanzen dar. Sie werden durch Fermentierung aus Myxobakterien gewonnen. Gegenwrtig sind mindestens acht verschiedene Epothilone bekannt (Epothilon A bis I), von denen allerdings nur Epothilon B und D sowie deren Derivate eine therapeutische Bedeutung besitzen. Epothilone knnen rekombinant, halbsynthetisch oder vollsynthetisch hergestellt werden. ˜hnlich den Taxanen entfalten die Epothilone ihre Wirkung auf zellulrer Ebene durch eine Stabilisierung der Mikrotubuli. Dies fhrt zu einer Einschrnkung der normalen dynamischen Reorganisation des mikrotubulren Netzwerks, das essentiell fr die vitale Zwischenphase und die Mitose ist. Die Zellen werden somit im bergang von der G2- in die M-Phase blockiert. Im Gegensatz zu den derzeit eingesetzten Taxanen stellen die Epothilone nach den bisherigen Erkenntnissen jedoch keine Substrate des resistenzvermittelnden Transportproteins P-Glykoprotein dar. Zudem knnten sie theoretisch Vorteile hinsichtlich der Vertrglichkeit mitbringen. Die besser wasserlslichen Epothilone bentigen z.T. keine Lsungsvermittlung durch Cremophor, das bei Taxanen zu Hypersensitivittsreaktionen fhren kann und mglicherweise eine Rolle bei der Kardiotoxizitt spielt. Auerdem scheinen unter Epothilonen nach den bisherigen Erkenntnissen die Stimulation von Makrophagen und die Synthese proinflammatorischer Zytokine, die bei Taxanen fr die Entstehung von Muskel- und Gelenkschmerzen verantwortlich sein knnen, geringer ausgeprgt zu sein. In prklinischen Untersuchungen haben Epothilone eine breite antitumorale Aktivitt insbesondere auch auerhalb des Taxanspektrums gezeigt. Dabei zeigten sie sich vor allem auch bei taxanresistenten Tumoren wirksam. Derzeit befinden sich mit EPO906, BMS247550, BMS310705, KOS-862 und ZK219477 mindestens fnf verschiedenen Epothilone in der prklinischen und frhen klinischen Entwicklung. EPO906 und BMS247550 befinden sich derzeit in Phase-II-Studien. Vielversprechende Ergebnisse liegen dabei vor allem fr BMS247550 vor, das sich bei taxanresistenten Mammaund Magenkarzinomen aktiv zeigte. Fr EPO906 konnte hingegen bisher keine Aktivitt auerhalb des Taxanspektrums nachgewiesen werden. KOS-862 und ZK219477 befinden sich derzeit in Phase-I-Studien (Tabelle 8).
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 8. Bereits zugelassene oder sich in der Fru¨hphase der klinischen Entwicklung befindende Substanz
Entwickelnde Firma
Studienphase
Dosisbereich und Regime
EPO906 (rekombinantes Epothilon B)
Novartis
Phase II
2,5 mg/m2 d 1, 8, 15, alle 4 Wochen
BMS-247550 (halbsynthet. Epothilon-B-Derivat)
Bristol-Myers-Squibb
Phase II
40–50 mg/m2, alle 3 Wochen; 6 mg/m2/d d1–5, alle 3 Wochen; 25 mg/m2 d 1, 8, 15, alle 4 Wochen
BMS-310705 (halbsynthet. Epothilon-B-Derivat)
Bristol-Myers-Squibb
Pra¨klinisch
Bisher nicht bekannt
ZK219477 (halbsynthet. Epothilon-B-Derivat)
Schering
Phase I
Bisher nicht bekannt
KOS-862 (rekombinantes Epothilon D)
Roche/Kosan
Phase I
9–150 mg/m2, alle 3 Wochen
Andere mikrotubulistabilisierende Substanzen
Discodermolide sind Alkatetraen-Laktone, die von dem Schwamm Discoderma dissoluta produziert werden und ein hnliches prklinisches Wirkspektrum wie Epothilone aufweisen. Im Gegensatz zu diesen konnte jedoch fr Discodermolide eine synergistische Aktivitt mit Paclitaxel nachgewiesen werden. Eleutherobine sind Naturstoffe, die aus Korallen isoliert werden konnten. Sie befinden sich derzeit in prklinischen Untersuchungen.
2 Neue Strategien und neue Angriffspunkte Die zunehmenden Einblicke in die Zellbiologie normaler und maligner Zellen und die wachsenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Molekularbiologie, der Genetik und der Immunologie haben in den letzten Jahren zur Entwicklung einer Vielzahl von antineoplastischen Substanzen gefhrt, die sich deutlich von konventionellen Zytostatika unterscheiden. Diese neuen Therapieanstze versuchen zellulre Vorgnge, die bei der malignen Transformation fehlreguliert werden, wie z.B. die Zellproliferation, -differenzierung, -adhsion, -ablsung, -migration oder das Zellberleben, zu
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1489
Taxoide Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Dosislimitierende Toxizita¨ten; andere UAW
Kommentar
Kolon-, Mamma-, Ovarial-, Prostata-, Nierenkarzinom, Melanom
Diarrho¨; Asthenie, Obstipation, Nausea/Emesis, Ana¨mie
Aktivita¨t bei Ovarial- (3/43), Prostata- (1/8), Mammakarzinom (2/34); keine Wirksamkeit außerhalb Taxanspektrum
Kolon-, Mamma-, Ovarial-, Prostata-, Nieren-, Pankreaskarzinom, Melanom, NSCLC, Kopf/Hals-Tumoren
Neutropenie, Sepsis, Asthenie, Neurotoxizita¨t, Nausea/Emesis, Obstipation, Diarrho¨, Myalgie/Arthralgie, Thrombopenie
Aktivita¨t bei Mammakarzinom (10/19 ohne Taxan-Vorbehandlung, 2/8 Taxan-resistent); NSCLC (4/22), Magenkarzinom (2/20 Taxan-resistent) Wirksamkeit außerhalb Taxanspektrum bzw. bei Taxanresistenz
Pra¨klinisch
Phase-I-Studien noch nicht durchgefu¨hrt
Fortgeschrittene solide Tumoren
Phase-I-Studie laufend
Fortgeschrittene solide Tumoren
Phase-I-Studie laufend
Pra¨klinisch aktiv bei taxanresistenten Tumoren
modulieren. Dadurch werden zum Teil selektivere Therapien ermglicht, die neoplastische Zellen bevorzugt angreifen, whrend sie normale Gewebe in geringerem Ausma einbeziehen. Vor diesem Hintergrund wurde im angloamerikanischen Sprachraum auch der Begriff der „targeted therapy“ eingefhrt. Zu den potentiellen Angriffspunkten fr neue Therapiestrategien zhlen F F
F F
F
die Kontrolle des Zellzyklus, z.B. ber eine Modulation der Kontrollpunkte durch Hemmung cyclinabhngiger Kinasen, die Beeinflussung der zellulren Signalbertragung, z.B. durch Hemmung von Proteinkinasen oder durch eine Modulation der Genexpression und spezifische Proteinsynthese die Mechanismen der Apoptose, z.B. ber eine Modulation wesentlicher Regulatoren wie Bcl-2, Bax oder p53, die Zellinvasion und Metastasierung, z.B. ber eine Beeinflussung von Adhsionsprozessen oder eine Modulation der extrazellulren Matrix durch Matrix-Metalloproteinase-Inhibitoren, die Gefversorgung von Tumoren ber Hemmstoffe der Angiogenese und
30
1490 F
30
Antineoplastische Substanzen
die Immunerkennung und Reaktion, z.B. durch aktive oder passive Immuntherapie oder den Einsatz von Immuntoxinkonjugaten, d.h. Hybridfusionsproteinen, die einen spezifischen Antikrper enthalten und mit einem Zelltoxin oder einem radioaktiven Isotop verbunden sind.
Eine Vielzahl von neuen Substanzen befinden sich gegenwrtig in der prklinischen und klinischen Entwicklung. Die Einteilung dieser Verbindungen in bestimmte Gruppen ist nicht unproblematisch, da viele Prparate mehrere Wirkmechanismen aufweisen knnen. Modulatoren der Signaltransduktion knnen z.B. ber eine Vernderung der Expression des vaskulren endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) bzw. der Synthese von MatrixMetalloproteinasen auch zu einer Beeinflussung der Angiogenese und der Zellinvasion fhren. Die Einteilung wird zustzlich dadurch erschwert, da manche Substanzen ber ihren molekularen Angriffspunkt charakterisiert werden, whrend andere entsprechend ihrer chemischen Struktur oder ihres Wirkmechanismus beschrieben werden. Nichtsdestoweniger sollen in den folgenden Abschnitten einige der wesentlichen neuen Gruppen kurz vorgestellt werden, wobei als Auswahlkriterien der Entwicklungsstand und/oder das Potential der Verbindungen herangezogen wurden. Da an dieser Stelle nicht auf alle Entwicklungen eingegangen werden kann, mu fr detailliertere Darstellungen auf die weiterfhrende Literatur verwiesen werden. Die Prparate mit neuen Wirkmechanismen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht relevant von klassischen Zytostatika, wodurch auch die klinische Entwicklung einige Besonderheiten aufweist. Bisher wurde bei der Entwicklung klassischer Zytostatika, die in der Regel mit einer dosisabhngigen Toxizitt einhergehen, zunchst in Phase-I-Studien die maximal tolerable Dosierung ermittelt. Diese wird dann unter der Annahme, da sie mit einer hheren Wahrscheinlichkeit zu Tumorremissionen bzw. einer Besserung tumorbedingter Beschwerden fhrt, in Phase-II-Studien eingesetzt. Ausgehend davon, da Substanzen, die zu einer besseren Remissionsinduktion fhren, auch am ehesten mit einem berlebensvorteil einhergehen, wird bei hinreichender Effektivitt nachfolgend in Phase-III-Studien der Vergleich mit konventionellen Therapien hergestellt. Bei der Entwicklung von Substanzen mit neuen Wirkmechanismen sind z.T. jedoch andere Vorgehensweisen notwendig. Zum einen gehen diese Prparate hufig mit deutlich geringeren Nebenwirkungen einher. Zum anderen wirken sie in der Mehrzahl zytostatisch, das heit, sie fhren eher zu einer Verlangsamung oder einer Hemmung des Tumorwachstums, ohne da dabei relevante objektive Remissionen zu beobachten sind. Dementsprechend erscheinen traditionelle Phase-I- und -II-Studien-Konzepte, die eine Bestimmung der maximal tolerablen Dosis bzw. der objektiven Ansprechrate als Endpunkte aufweisen, nur bedingt geeignet. Es mssen vielmehr unter Einbeziehung von biologischen Surrogatmarkern geeignete
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1491
Endpunkte definiert werden, die es ermglichen, die optimale biologische Dosis zu definieren. Diese sollte dann frhzeitig in randomisierten Studien eingesetzt werden. Da die neuen Substanzen hufig klar definierte molekulare Angriffspunkte haben, die nicht bei allen Tumorerkrankungen vorhanden sind, ist es zudem notwendig, frhzeitig Patientengruppen zu charakterisieren, die am ehesten von der entsprechenden Therapie profitieren. Die Mierfolge bei der Entwicklung einiger Prparate sind sicherlich zum Teil auch auf die Auswahl ungeeigneter Kollektive zurckzufhren. Neue molekularbiologische Methoden wie z.B. Proteomics oder Genomics knnen zuknftig vielleicht dazu beitragen, Studienkonzepte gezielter zu erstellen. 2.1 Hemmstoffe der Matrix-Metalloproteinasen Maligne Tumoren sind durch die Fhigkeit des infiltrativen Wachstums und der Metastasenbildung gekennzeichnet. Eine wesentliche Rolle bei der Gewebeinfiltration spielen die Matrix-Metalloproteinasen (MMP), eine heterogene Gruppe von mindestens 24 zinkhaltigen proteolytischen Enzymen wie Kollagenasen, Gelatinasen oder Stromelysinen, die bei vielen pathologischen Prozessen lokal berproduziert werden und einen Abbau der extrazellulren Matrix bewirken knnen (Tabelle 9). Daneben knnen MMP aber auch die Funktion zahlreicher bioaktiver Proteine regulieren. MMP sind z.B. an der Abspaltung und Freisetzung oberflchlicher Bestandteile von membranstndigen Rezeptoren, der Aktivierung und Inaktivierung von Chemound Zytokinen oder der Freisetzung apoptoseinduzierender Liganden beteiligt. Eine pathologische Aktivierung von MMP kann sich auf eine Vielzahl zellulrer Prozesse auswirken, u.a. auf die Zellproliferation, -adhsion, -ablsung, -migration oder -differenzierung sowie auf die Apoptose, die Angiogenese oder die lokale Immuntoleranz. MMP sind in vielen Karzinomtypen berexprimiert. Es besteht eine positive Korrelation zwischen der Aggressivitt eines Tumors und seiner Expression an Proteinasen. Hemmstoffe der MMP erffnen somit die Mglichkeit der Einflunahme auf verschiedene Stufen der Tumorprogression, insbesondere auf die Invasion, die Metastasierung und die Angiogenese. In prklinischen Untersuchungen konnte durch eine Hemmung der verschiedenen MMP-Aktivitten die Ausbreitung von Tumoren kontrolliert werden. Zahlreiche Substanzen zur Hemmung von MMP befinden sich derzeit in der prklinischen und klinischen Entwicklung. Die MMP-Inhibitoren (MMPI) werden in kollagen-peptidomimetische und non-peptidomimetische Substanzen unterteilt. Daneben werden Naturstoffe mit MMP-inhibierender Wirkung sowie Tetrazyklin-Derivate untersucht. Neuere prklinische Untersuchungen zeigen zustzlich eine MMP-hemmende Wirkung von Bisphosphonaten, deren klinische Relevanz derzeit jedoch unklar ist.
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30
Antineoplastische Substanzen
Tabelle 9. Mitglieder der Familie der Matrix-Metalloproteinasen Enzym
MMP-Nummer
Substrat
Kollagenase-1
MMP-1
Kollagen I, II,III, VII, VIII, X, Aggrecan, Serpins, 2M
Kollagenase-2
MMP-8
Kollagen I, II, III, Serpins, Aggrecan, 2M
Kollagenase-3
MMP-13
Kollagen I, II, III, IV, IX, X, XIV, Gelatin, FN, Laminin, Fibrillin, Osteonectin, Serpins
Stromelysin-1
MMP-3
Kollagen IV,V,IX,X, FN, Elastin, Gelatin, Laminin, Fibrillin, Aggrecan, 1PI, Myelinbasic-Protein, Osteonectin, OP, E-Cadherin
Stromelysin-2
MMP-10
Kollagen IV, V, IX, X, FN, Elastin, Gelatin, Laminin, Aggrecan, OP, E-Cadherin
Stromelysinelike MMP
Stromelysin-3
MMP-11
Serin-Proteinase Inhibitoren, 1PI
Metalloelastase
MMP-12
Kollagen IV, Elastin, Gelatin, FN, Laminin, Vitronectin, Fibrillin, 1PI, Apolipoprotein A, Myelin-basic-Protein
Matrylisine
Matrilysin
MMP-7
Elastin, FN, Laminin, Nidogen, Kollagen IV, Tenascin, Versican, 1PI, O E-Cadherin, TNF
Matrilysin-2
MMP-26
Gelatin, 1PI
Gelatinase A
MMP-2
Gelatin, Kollagen I, IV, V, VII, X, FN, Tenascin, Fibrillin, Osteonectin
Gelatinase B
MMP-9
Gelatin, Kollagen IV, V, VII, XI, XIV, Elastin, Fibrillin, Osteonectin 2
MT-1 MMP
MMP-14
Kollagen I, II, III, Gelatin, FN, Laminin, Vitronectin, Aggrecan, Perlecan, Fibrillin, 1PI, 2M, Fibrin
MT-2 MMP
MMP-15
FN, Laminin, Aggrecan, Perlecan
MT-3 MMP
MMP-16
Kollagen III, Gelatin, FN, Casein, Cartilage-Proteoglykane, Laminin-1, 2M
MT-4 MMP
MMP-17
Fibrin, Fibrinogen, TNF-Precursor
MT-5 MMP
MMP-24
Proteoglykane
MT-6 MMP
MMP-25
Kollagen IV, Gelatin, FN, Fibrin
MMP-19
MMP-19
Gelatin, Aggrecan, COMP, Kollagen IV, Laminin, Nidogen
Enamelysin
MMP-20
Amelogenin, Aggrecan, COMP
MMP-23
MMP-23
Synthetische MMP-Substrate
MMP-28
MMP-28
Casein
Interstitielle Kollagenasen
Stromelysine
Gelatinasen
Membranetype MMP
Andere
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
Aktivierende Faktoren
Durch MMP aktivierte Faktoren
MMP-3, -7, -10, Plasmin, Kallikrein, Chymase
MMP-2
MMP-3, -10, Plasmin
Unbekannt
MMP-2, 3, -10, -14, -15, Plasmin
MMP-2, -9
Plasmin, Kallikrein, Chymas-Tryptase
MMP-1, -8, -9, -13
Elastase, Cathepsin-G
MMP-1, -7, -8, -9, -13
Furin
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
MMP-3, Plasmin
MMP-9
Unbekannt
Unbekannt
MMP-1, -13, -14, -15, -16
MMP-9, -13
MMP-2, -3, -7, -13, Plasmin, Trypsin, Chymotrypsin, Cathepsin G
Unbekannt
Plasmin, Furin
MMP-2, -13
Unbekannt
MMP-2, -13
Unbekannt
MMP-2
Unbekannt
MMP-2
Unbekannt
MMP-2
Unbekannt
MMP-2
Trypsin
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
Unbekannt
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Antineoplastische Substanzen
Peptidomimetische MMPI werden von MMP als Substrate erkannt und binden an das aktive Zentrum. Mehrere zinkbindende Verbindungen wurden hinsichtlich ihrer MMP-hemmenden Eigenschaften untersucht. Die meisten der eingesetzten peptidomimetischen Prparate, wie z.B. Batimastat, Marimastat (BB-2516) oder Solimastat (BB-3644), sind relativ unspezifische Hydroxamat-Derivate (Tabelle 10). Die klinische Entwicklung von Batimastat wurde wegen der geringen Effektivitt in mehreren Phase-IIStudien eingestellt. Marimastat wurde in mehreren Phase-III-Studien, u.a. bei Patienten mit Pankreas-, Ovarial-, Mamma-, oder Magenkarzinomen sowie bei SCLC, NSCLC oder Glioblastomen, untersucht. In der Mehrzahl der Studien wurde dabei kein relevanter Effekt beobachtet. Allerdings konnte durch den Einsatz von Marimastat vor kurzem bei Patienten mit Magenkarzinomen eine signifikante Verlngerung der Zeit bis zur Tumorprogression und des Gesamtberlebens nachgewiesen werden. Aus diesem Grund konzentriert sich die weitere Entwicklung auf gastrointestinale Tumoren. Tabelle 10. MMPI in der klinischen Entwicklung Substanz
Entwickelnde Firma
Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Entwicklungsphase
Batimastat (BB-94)
British Biotech
Verschiedene
Phase II/eingestellt
Marimastat (BB-2516)
British Biotech
Pankreas, SCLC, NSCLC, Ovar, Mamma, Glioblastom, Magen
Phase III/Weiterentwicklung begrenzt auf GI-Tumoren
Solimastat (BB-3644)
British Biotech/ Schering Plough
Solide Tumoren
Phase I/eingestellt
Prinomastat
Agouron/Pfizer
Prostata, Mamma, NSCLC, Glioblastom
Phase II/III
BAY12-9566 (Tanomastat)
Bayer
Pankreas, SCLC, NSCLC, Ovar
Phase III/eingestellt
BMS-275291 (D2163)
Bristol-MyersSquibb
NSCLC
Phase II
CGS27023A (MMI 270B)
Novartis
Verschiedene
Phase II/eingestellt
Neovastat
Aeterna
Plasmozytom, NSCLC, Niere, Prostata
Phase III
Metastat (Col-3, CMT-3)
CollaGenex
Kaposi-Sarkom, Gliome
Phase I/II
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1495
Non-peptidomimetische MMPI wurden anhand der dreidimensionalen Struktur der zinkhaltigen Gruppe der MMP synthetisiert. Sie sind z.T. deutlich spezifischer als die peptidomimetischen MMPI und weisen eine bessere orale Bioverfgbarkeit auf. Zu der Gruppe der non-peptidomimetischen MMPI zhlen unter anderem Prinomastat (AG3340), BAY 12-9566 (Tanomastat), BMS-275291 (D2163) oder CGS27023A (MMI270). Prinomastat zeigte keine Wirksamkeit in Phase-III-Studien bei Patienten mit hormonrefraktren Prostatakarzinomen bzw. NSCLC. Auch in Kombination mit Paclitaxel beim metastasierten Melanom bzw. mit Temozolamid bei Glioblastomen konnte kein Therapieeffekt nachgewiesen werden. Die Entwicklung von BAY12-9566, einem synthetischen MMPI gegen MMP-2, -3, -9 und -13, wurde eingestellt, nachdem sich in einer Phase-III-Studie beim SCLC eine Verschlechterung des progressionsfreien berlebens und des Gesamtberlebens zeigte. BMS-275291 (D2163) wird derzeit in Phase-III-Studien in Kombination mit einer Chemotherapie, u.a. beim fortgeschrittenen NSCLC, untersucht. Die Entwicklung von CGS27023A wurde aufgrund fehlender Phase-II-Aktivitt und kutaner Nebenwirkungen eingestellt. Die chemisch modifizierten Tetrazykline (CMT) sind eine Gruppe von mindestens 10 Analogen (CMT 1…10) mit unterschiedlicher Spezifitt und Potenz in bezug auf ihre MMP-inhibierende Wirkung. Sie knnen zudem die Produktion der MMP hemmen. Col-3 (Metastast, CMT-3) ist das derzeit am besten untersuchte CMT. Es hemmt die MMP-1, -2, -8, -9, und -13 sowie die Elastase. Col-3 wird gegenwrtig in Phase-I/II-Studien u.a. beim Kaposi-Sarkom und bei malignen Gliomen untersucht. Neovastat ist ein oral anwendbarer MMPI mit Wirkung gegen Elastase und MMP-2, -9, -12 und -13. Zudem wurden eine Hemmwirkung von Neovastat auf den VEGF-Rezeptor 2 sowie die Apoptoseinduktion von Endothelzellen beschrieben. In Phase-II-Studien zeigte sich eine Aktivitt u.a. beim NSCLC und beim Prostatakarzinom. Bei Patienten mit refraktren Nierenkarzinomen konnte zudem eine dosisabhngige Verlngerung des Gesamtberlebens beobachtet werden. Mehrere Phase-III-Studien laufen derzeit. Trotz einiger positiver Ergebnisse in jngster Zeit entsprachen die bisherigen Therapieergebnisse mit MMPI sicherlich nicht den ursprnglichen Erwartungen. Dazu haben mglicherweise mehrere Faktoren beigetragen. MMPI weisen eher eine zytostatische als eine zytotoxische Wirkung auf, das heit, sie fhren zu einer Verlangsamung des Tumorwachstums und weniger zur Induktion objektiver Remissionen. Dementsprechend erscheinen konventionelle Phase-I- und -II-Studien-Konzepte nur bedingt geeignet, die Wirksamkeit der MMPI zu beschreiben. Vor allem die Abschtzung der bioaktiven Dosis stellt ein wesentliches Problem dar, das mglicherweise durch die Identifikation und Einbeziehung geeigneter Surrogatparameter besser gelst werden kann. Weiterhin wurden die MMPI bisher
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1496
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Antineoplastische Substanzen
berwiegend bei fortgeschrittenen, refraktren Tumoren eingesetzt, whrend theoretische und prklinische Ergebnisse eher einen Einsatz in frhen Krankheitsstadien nahelegen. Zu dem Versagen der MMPI hat mglicherweise auch beigetragen, da berwiegend relativ unspezifische Prparate eingesetzt wurden. Die Interaktion unspezifischer MMPI mit anderen Proteasen kann u.a. dazu beitragen, da ausgeprgte Nebenwirkungen, insbesondere muskuloskelettale Beschwerden, auftreten, die eine Verringerung der Dosis nach sich ziehen knnen. Zudem mu bercksichtigt werden, da die Wirkungen und Interaktionen der MMP komplex sind. So knnen MMP einerseits die Angiogenese hemmen, andererseits aber z.B. ber eine Hemmung der Bildung von Angiogenesehemmern aus Vorluferproteinen die Angiogenese frdern. MMPI knnen durch vermehrte Bildung oder verminderten Abbau auch zu einer vermehrten Aktivitt von MMP fhren. Die jeweiligen Wirkungen hngen von dem Spektrum der aktivierten bzw. gehemmten MMP ab. Es ist aus diesem Grund anzustreben, mglichst gezielt mit selektiven MMPI zu therapieren. Bei der Auswahl und dem Einsatz von MMPI sollte zuknftig auch das MMP-Profil des entsprechenden Tumors besser bercksichtigt werden. So ist z.B. das Versagen von Tanomastat, das vor allem MMP-2 hemmt, dagegen aber nur eine geringe Wirkung auf MMP-11 ausbt, mglicherweise auch darauf zurckzufhren, da SCLC hufig MMP-11 berexprimieren, whrend MMP-2 in der Regel nur sehr gering exprimiert wird. In die berlegungen mssen sicherlich auch weitere Proteasen, die in den Umbau der extrazellulren Matrix eingreifen und die Wirkungen der MMP modulieren knnen, einbezogen werden. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff des Degradoms eingefhrt, welches das Profil der zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Gewebe exprimierten Proteasen beschreibt. Neue molekularbiologische Verfahren auf Protein- (Proteomics) oder Genebene (Genomics), die das Degradom besser charakterisieren, knnen sicherlich dazu beitragen, Studienkonzepte gezielter zu erstellen. Daneben werden auch neue Angriffspunkte in die Therapiestrategien einbezogen. Zuknftige Strategien zur Beeinflussung der MMP-Aktivitt beinhalten z.B. die Hemmung der Produktion von MMP durch Antisense-Oligonukleotide oder Signaltransduktionshemmer, die Hemmung der Aktivierung von Pro-MMP, z.B. Thrombospondin oder Testican-3, und die Hemmung der MMP durch Substanzen, die nicht am katalytischen Zentrum angreifen. 2.2 Hemmung der Angiogenese bzw. Beeinflussung der Vaskularisation Tumoren bleiben in ihrer Ausdehnung auf wenige Millimeter beschrnkt, solange kein Anschlu an Blutgefe die Versorgung mit Nhrstoffen
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1497
und Sauerstoff sowie die Entsorgung von Abfallprodukten gewhrleistet. Die Entwicklung einer eigenstndigen Gefversorgung durch Angiound Vaskulogenese ist demnach ein zentraler pathogenetischer Schritt fr das lokale Tumorwachstum, die Invasion und die nachfolgende Metastasierung. Unter Angiogenese wird dabei die Entwicklung neuer Blutgefe aus vorbestehenden Gefen verstanden, whrend Vaskulogenese die Entstehung von Gefstrukturen aus mesodermalen Vorluferzellen beschreibt. Wurde bisher davon ausgegangen, da die tumorassoziierte Neovaskularisation berwiegend der Angiogenese zuzurechnen ist, mehren sich die Hinweise, da auch der Vaskulogenese eine wesentliche Rolle zukommt. In jngeren Untersuchungen konnte z.B. gezeigt werden, da bis zu 40% der Endothelzellen im Tumorgewebe von Vorluferzellen aus dem Knochenmark stammen (Lyden et al. 2001). Angiogenese und Vaskulogenese stellen komplexe Vorgnge dar, die von dem lokalen Verhltnis einer Vielzahl von pro- und antiangiogenetischen Faktoren reguliert werden (Tabelle 11). Die Produktion der angiogenesehemmenden oder -stimulierenden Faktoren wird sowohl von Tumorzellen als auch von Stroma- oder Immunzellen gesteuert. Whrend normalerweise antiangiogenetische Faktoren dominieren, kann im Rahmen des Tumorgeschehens durch verschiedene Stimuli, wie z.B. Hypoxie, Gewebeazidose oder Zytokine, ein Umschalten zugunsten der Angiogenese erfolgen. Angiogenesestimulierende Faktoren, insbesondere der vaskulre endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF) oder der basische Fibroblasten-Wachstumsfaktor (bFGF), knnen zu einer Aktivierung und Proliferation von Endothelzellen fhren. Aktivierte Endothelzellen sezernieren proteolytische Enzyme, wie z.B. Matrix-Metalloproteinasen (MMP) oder Plasminogenaktivator, die Tabelle 11. Auflistung Angiogenese-stimulierender bzw. -hemmender Faktoren Angiogenese-stimulierende Faktoren
Angiogenese-hemmende Faktoren
VEGF
bFGF/aFGF
Interferon a/b
Angiostatin
PlGF
PDGF
Endostatin
Vasostatin
TGF a/b
TNFa
Canstatin
Tumstatin
Del-1
IL-8
VEGI
Platelet Factor 4
HGF
PD-ECGF
Thrombospondin-1
IL-12
Angiogenin
IL-3
Prolactin-Fragment
PEDF
Proliferin
Pleiotropin
AT III Fragment
IP-10
Follistatin
Midkine
Maspin
Meth-1/2
Leptin
G-CSF
Il-18
Restin
HIV Tat
SPARC
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Antineoplastische Substanzen
eine Degradation der Basalmembran und der extrazellulren Matrix bewirken und die Migration und Invasion der Endothelzellen in die Umgebung ermglichen. Dort knnen die Endothelzellen differenzieren und Gefstrukturen ausbilden. Damit die entstehenden Gefe unter den ungnstigen vorherrschenden Bedingungen berleben knnen, sind jedoch eine Vielzahl zustzlicher Faktoren notwendig. Wesentliche Bedeutung scheint dabei der Interaktion von Extrazellularmatrix und Adhsionsmoleklen wie Integrinen zuzukommen. Angiopoetin-1 und -2 spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Differenzierung der Endothelzellen und der Stabilisierung der formierenden Gefe. Die Endothelzellen bilden schlielich eine neue Basalmembran aus und sezernieren Wachstumsfaktoren, wie z.B. den Plttchen-Wachstumsfaktor (PDGF), die weitere Zellen anlocken und somit zur Stabilisierung der Gefe beitragen. Die zentrale Bedeutung der Angiogenese fr Tumorwachstum und Metastasierung hat zur Entwicklung zahlreicher therapeutischer Anstze gefhrt, die das Ziel haben, die Tumorvaskularisation zu beeinflussen. Mehr als 70 antiangiogene Substanzen werden in klinischen Studien untersucht. Grundlage dieses ausgeprgten Interesses sind mehrere theoretische Vorteile. Im Gegensatz zu Substanzen, die Tumorzellen direkt erreichen mssen, was insbesondere bei ausgedehnten minderperfundierten Tumorarealen eingeschrnkt sein kann, besteht fr Angiogenesehemmer eine gute Zugnglichkeit der Zielstrukturen. Weitere theoretische Vorteile knnten die Unabhngigkeit der endothelialen Zellen von Resistenzmechanismen der Tumorzellen und die weiten Einsatzmglichkeiten bei verschiedenen Tumorarten darstellen. Demgegenber steht allerdings die ausgeprgte Heterogenitt der Gefe innerhalb eines Tumors, die nicht zuletzt auf Unterschieden im Lokalmilieu und in den vorherrschenden, die Angiogenese beeinflussenden Faktoren beruhen. Der zunehmende Einblick in die komplexen Mechanismen der Tumorangiogenese hat zu einer Vielzahl von neuen antiangiogenetischen Substanzen mit definierten molekularen Angriffspunkten gefhrt. Die meisten der derzeit untersuchten Substanzen interferieren mit der Aktivitt endothelialer Zellen oder sie beeinflussen die aktivierenden angiogenen Wachstumsfaktoren bzw. Peptide (Tabelle 12). Insbesondere die Hemmung des VEGF/ VEGF-Rezeptorsystems (VEGF-R) stellt dabei einen bevorzugten Angriffspunkt dar, was neben der zentralen Stellung von VGEF auch darin begrndet ist, da der hochaffine VEGF-R berwiegend auf vaskulren Endothelzellen exprimiert wird. Derzeitige gegen VGEF gerichtete Therapiestrategien beinhalten den Einsatz monoklonaler Antikrper gegen VEGF oder den VEGF-R, die Hemmung der Signaltransduktion ber den VEGF-R durch „small molecule“-Tyrosinkinasehemmer und die Hemmung der VEGF-R-Synthese ber einen Abbau der mRNS. Auch die Beeinflussung anderer Signaltransduktionswege insbesondere der Familie der epithelialen
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1499
Tabelle 12. Antiangiogenetische Pharmaka in der Entwicklung Substanz
Mechanismus
Entwicklungsstand
Hemmung von aktivierten Endothelzellen Thalidomid
Verminderung von TNFa, bFGF, VEGF
Phase-II-Aktivita¨t u.a. bei MM, Prostata-, Mamma-, Nierenkarzinom, HIV-ass. KS, Phase III laufend bei MM, Nierenkarzinom, NSCLC, Prostata
Revimid (CC-5013)
Verminderung bFGF und VEGF, Immunmodulation
Phase-II-Aktivita¨t u.a. bei MM
Actimid (CC-4047)
Verminderung bFGF und VEGF, Immunmodulation
Phase-I/II-Aktivita¨t u.a. bei MM
Squalamin
Hemmung des Natrium-Wasserstoff-Austauschers (NHE)
Phase II u.a. NSCLC, Ovarialkarzinom
Combrestatin A4
Hemmung der TubulinPolymerisation
Phase I
Endostatin
Apoptose von Endothelzellen, Detailmechanismus unklar
Phase I mit biolog. Endpunkten, Phase II neuroendokrine Tumoren, Melanom
Angiostatin
Apoptose von Endothelzellen, Detailmechanismus unklar
Phase I
Methoxyestradiol
Hemmung der MikrotubuliFormation und Apoptose von Endothelzellen
Phase I/II verschiedene Entita¨ten
Hemmung von Angiogenesemediatoren und deren Rezeptoren SU101
VEGF-R2-TK-Inhibitor
Entwicklung eingestellt
SU5416 (semaxanib) VEGF-R2-TK-Inhibitor
Entwicklung eingestellt
SU6668
Phase II verschiedene Entita¨ten
TK-Inhibitor VEGF-R2, FGF-R, PDGF-R
ZD4190
VEGF-R2-TK-Inhibitor
Phase II verschiedene Entita¨ten
PTK787/ZK222584
VEGF-R2-TK-Inhibitor
Phase II verschiedene Entita¨ten
IMC-1C11
VEGF-R2-Inhibitor
Phase I CRC
Angiozyme
Verminderung VEGF-R1/2 durch mRNS-Abbau
Phase I solide Tumoren
Rhu Mab VEGF (Avastin)
Mab gegen VEGF
Phase II u.a. CRC, Mamma-, Prostata-, Nierenkarzinom, NHL, NSCLC; Phase III laufend CRC, Mammakarzinom, NSCLC
Hemmung EGF-Aktivita¨t, z.B. ZD1839, Erbitux (C225) u.a.; Details s. Abschn. 2.3 Signaltransduktion
30
1500
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 12. (Fortsetzung) Substanz
Mechanismus
Entwicklungsstand
Beeinflussung der Stroma-Endothelzell-Interaktion durch Hemmung von Adha¨sionsmoleku¨len Vitaxin
MAB gegen Integrin avb3
Phase I/II u.a. solide Tumoren, CRC, Leiomyosarkome
EMD 121974 (Gilengitide)
Small-molecule-Inhibitor von Integrin avb3 und vb5
Phase I u.a. solide Tumoren (Aktivita¨t bei CRC, Nierenkarzinom), HIV-ass. KS, Phase III anaplast. Gliome
Hemmung des Umbaus der extrazellula¨ren Matrix Details s. Abschn. 2.1 Andere IM862
Mo¨gl. VEGF-Hemmung
Phase-I-Aktivita¨t bei HIV-ass. KS; Phase II u.a. CRC, Ovarialkarzinom
CAI
Hemmung des Kalziumeinstroms
Phase-I-Kombinationsstudien bei soliden Tumoren; Phase II u.a. Ovarial-, Nierenkarzinom
Interferon-a-2a
Verminderung von bFGF, VEGF
Phase II/III bei verschiedenen fortgeschrittenen Tumoren
IL-12
Hochregulation von IFN-c und IP-10
Phase I/II HIV-ass. KS
Celecoxib
COX-2-Inhibitor
Phase II/III verschiedene Entita¨ten
Wachstumsfaktoren und ihrer Rezeptoren (EGFR) kann zu einer Angiogenesehemmung fhren. So weisen z.B. gegen EGFR gerichtete monoklonale Antikrper (z.B. Trastuzumab, Cetuximab) oder Tyrosinkinasehemmer (z.B. ZD 1839, OSI774) eine antiangiogene Aktivitt auf, die zumindest zum Teil auf eine Suppression der Expression von VEGF zurckzufhren ist. Neben den angefhrten Angiogenesehemmern konnte in jngeren Untersuchungen gezeigt werden, da auch zahlreiche klassische Zytostatika wie Cyclophosphamid, Paclitaxel, Doxorubicin oder Vincristin eine antiangiogene Aktivitt aufweisen, die vor allem auf die Apoptose von Endothelzellen zurckzufhren ist. Da tumorassoziierte Endothelzellen eine geringere Zellteilungsrate als Tumorzellen aufweisen, scheint eine gezieltere Therapie gegen Endothelzellen insbesondere bei kontinuierlicher oder wiederholter niedrigdosierter Applikation mglich zu sein. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der „metronomen“ Therapie eingefhrt. Die meisten klinischen Daten liegen derzeit zu MMP-Inhibitoren (MMPI) vor. MMPI wurden in mehreren Phase-III-Studien bei verschiedenen soliden Tumoren eingesetzt (Detail s. Abschn. 2.1). Dabei zeigten die MMPI in
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1501
den meisten Studien keinen berlebensvorteil, gingen aber gleichzeitig mit vermehrten Nebenwirkungen einher. Zum Versagen der MMPI hat mglicherweise beigetragen, da die Substanzen relativ frh in Phase-III-Studien eingesetzt wurden, ohne da detaillierte Phase-I/II-Daten bezglich Wirksamkeit und Vertrglichkeit vorlagen. Die z.T. ausgeprgten Nebenwirkungen, insbesondere muskuloskelettale Beschwerden, knnen dabei zu einer Verringerung der Compliance gefhrt haben. Wesentlich erscheint auch, da die Substanzen berwiegend bei fortgeschrittenen, refraktren Tumoren eingesetzt wurden, whrend theoretische und prklinische Ergebnisse eher einen Einsatz in frhen Krankheitsstadien nahelegen. Neuere Substanzen, wie BMS-275291 (D2163), Col-3 (Metastat, CMT-3) oder Neovastat, werden gegenwrtig untersucht. Ihr Stellenwert ist derzeit noch nicht abzuschtzen. Vielversprechende Ergebnisse, zumindest beim multiplen Myelom, wurden mit Thalidomid und seinen Derivaten erreicht. Thalidomid wurde ursprnglich als Sedativum entwickelt, mute aber aufgrund seiner Teratogenitt zurckgezogen werden. Spter zeigte sich jedoch, da Thalidomid ausgeprgte antiangiogene und immunmodulatorische Eigenschaften aufweist. Die Mechanismen, die diesen Effekten zugrunde liegen, sind derzeit nicht bis ins Detail verstanden. Die Angiogenesehemmung scheint u.a. auf eine Hemmung der Effekte von bFGF und VEGF zurckzufhren zu sein. Zu den immunmodulatorischen Effekten sind unter anderem eine Aktivierung von T-Zellen und natrlichen Killerzellen, eine vermehrte Produktion von Interferon-c, Interleukin-2 und -10 sowie eine Hemmung der inflammatorischen Zytokine TNFa, Interleukin-1b und Interleukin-6 zu zhlen. Aufgrund dieser Eigenschaften wird Thalidomid bei zahlreichen malignen Erkrankungen untersucht. Dabei zeigte Thalidomid vor allem bei intensiv vorbehandelten Patienten mit refraktrem multiplem Myelom eine vielversprechende Aktivitt. Inwiefern diese Effekte auf die antiangiogenen bzw. die immunmodulatorischen Eigenschaften zurckzufhren sind, ist derzeit unklar. Sicherlich spielt jedoch die Beeinflussung des Stromas eine entscheidende Rolle. Thalidomid wurde als Grundlage fr die Entwicklung mehrerer Derivate genommen, von denen sich mit Revimid (CC-5013) und Actimid (CC-4047) derzeit zwei Prparate in klinischen Studien befinden. Diese neuen Immunmodulatorischen Substanzen (IMiD) weisen in vitro eine deutlich hhere Aktivitt als Thalidomid auf. Neben den antiangiogenen und immunmodulatorischen Effekten knnen sie bei Myelomzellen auch zu einer Blockade des Zellzyklus in der G1-Phase, zur Induktion von Apoptose sowie zu einer Beeintrchtigung der Zell-Stroma-Interaktionen fhren. Zudem gehen beide Substanzen mglicherweise mit einer geringeren Neurotoxizitt als Thalidomid einher. Phase-II-Studien mit Revimid zeigen eine vielversprechende Aktivitt bei refraktren Myelomen. Auf dieser Grundlage wurden Phase-III-Studien initiiert. Weitere Phase-II-Studien laufen u.a.
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Antineoplastische Substanzen
bei myelodysplastischen Syndromen, metastasierten Melanomen und Glioblastomen. Actimid weist ein etwas abweichendes Aktivittsspektrum von Revimid auf. Es wird derzeit in Phase-I/II-Studien ebenfalls bei Patienten mit multiplem Myelom eingesetzt. Prliminre Daten deuten dabei eine gute Aktivitt an. Trotz der Vielzahl der untersuchten Substanzen sind insgesamt die bisherigen Therapieergebnisse zur Beeinflussung der Angiogenese eher ernchternd. Einer der Grnde ist unter Umstnden, da in den meisten Studien antiangiogene Prparate als Monotherapien eingesetzt wurden. Mglicherweise ist jedoch die Kombination mehrerer Angiogenesehemmer mit verschiedenen Angriffspunkten notwendig, um die Angiogenese effektiv zu unterdrcken. Denn selbst wenn ein Weg der Angiogenesestimulation blockiert werden kann, liegen im Tumorgewebe viele alternative Mechanismen zur Angiogenese vor, die konsekutiv hochreguliert werden knnen. Aus diesem Grund werden derzeit verschiedene Kombinationen von antiangiogenen Substanzen, aber auch von Angiogenesehemmern und klassischen Zytostatika prklinisch und klinisch untersucht. Die Entwicklung bleibt abzuwarten. Eine weitere Erklrung fr die unzureichenden Erfolge der bisherigen klinischen Studien ist mglicherweise im Einsatz suboptimaler Studienkonzepte zu suchen. Zuknftige Anstze werden deshalb neue Endpunkte definieren mssen, wobei vor allem biologische Surrogatmarker identifiziert und einbezogen werden sollten. Mgliche Parameter knnten dabei z.B. zirkulierende endotheliale Vorluferzellen bzw. abgeschilferte Endothelzellen, apoptotische Endothelzellen, Vernderungen des Signalverhaltens von Endothelzellen, aber auch zirkulierende, die Angiogenese beeinflussende Faktoren, wie z.B. VEGF, bFGF oder PDGF, darstellen. Auch neue bildgebende Verfahren knnen mglicherweise dazu beitragen, die optimale biologische Dosis zu definieren. Weiterhin scheint es essentiell, Patientengruppen besser zu charakterisieren, die am ehesten von einer antiangiogenen Therapie profitieren. Dabei ist zu bercksichtigen, da die besten Ergebnisse fr die Angiogenesehemmung wahrscheinlich in frhen Phasen des Tumorgeschehens, wie z.B. in der adjuvanten Behandlungssituation, zu erwarten sind. Neue molekularbiologische Methoden wie z.B. Proteomics, Angiomics oder Genomics knnen mglicherweise zustzliche Informationen zur Bestimmung der optimalen Zielgruppe liefern. Sie knnen aber auch dazu beitragen, neue therapeutische Angriffspunkte zu definieren. Ein interessanter neuer Ansatz, der z.T. in prklinischen Untersuchungen vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat, ist z.B. die antiangiogene Gentherapie. Ein theoretischer Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Mglichkeit der langanhaltenden Suppression der tumorbedingten Neovaskularisation durch die Geneinschleusung. Verschiedene
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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virale oder nonvirale Vektoren werden gegenwrtig untersucht. Ein weiteres neues Therapieprinzip stellt das Ansetzen an der bereits bestehenden Tumorvaskularisation dar. Hierbei wird versucht, bestehende Gefe zu zerstren, anstatt die Tumorangiogenese zu unterdrcken. Diese Vorgehensweise erscheint mglich, da sich Tumorgefe deutlich von normalen Gefen unterscheiden. Neue Angriffspunkte knnen dabei u.a. mit Hilfe molekularbiologischer Methoden identifiziert werden. Diese haben z.B. zur Entdeckung endothelialer Gene wie TEM1, TEM5, TEM8, robo4 oder Delta4 beigetragen, die derzeit weiter untersucht werden. 2.3 Beeinflussung der zellula¨ren Signaltransduktion Die komplexen Vorgnge, die bei der Entwicklung, dem Wachstum und der Erhaltung von Organismen ablaufen, erfordern ein differenziertes und dynamisches Zusammenwirken von zahlreichen Faktoren, wie z.B. von Hormonen, Wachstumsfaktoren, Zell-Zell- oder Zell-Stroma-Kontakten, und anderen externen Stimuli, die zellulre Prozesse ber Rezeptoren an der Zelloberflche koordinieren. Intrazellulr wird die Information ber ein komplexes Netzwerk von Signalkaskaden weiterverarbeitet. Proteinkinasen spielen dabei entweder ber eine rezeptorvermittelte Phosphorylierung von Tyrosinresten oder ber rezeptorgekoppelte GTP-bindende Proteine eine zentrale Rolle. Obwohl sich das Wissen ber die zellulre Signalbertragung in den letzten Jahren vervielfacht hat, sind die Vorgnge noch lange nicht im Detail verstanden. Verschiedene Faktoren und Wege der Signaltransduktion konnten beschrieben werden, die vielfltigen Funktionen und die Regulationsmechanismen sind jedoch nur unzureichend charakterisiert. Eine wesentliche Ursache dafr ist, da die verschiedenen Wege der Signalbertragung auf multiplen Ebenen interagieren knnen. Eine Signalkaskade kann somit nicht isoliert betrachtet werden, sondern mu vielmehr in ein mehrdimensionales Netzwerk eingebunden werden. Die zellulre Signaltransduktion ist auch bei Tumorerkrankungen von entscheidender Bedeutung. So kodieren die meisten der Protoonkogene fr Proteine, die an den Signalkaskaden beteiligt sind, durch die Zellen ihre Instruktionen erhalten und umsetzen, die letztendlich zur Zellteilung, -differenzierung, -migration oder Apoptose fhren. Das zunehmende Wissen ber die zellulre Signaltransduktion und die Beobachtung, da diese Mechanismen sehr hufig bei Neoplasien verndert sind, haben zur Entwicklung zahlreicher Modulatoren der Signaltransduktion gefhrt. Die Hoffnung ist dabei, gezieltere und wirksamere Therapieanstze zu erhalten, die gleichzeitig ein gnstigeres Nebenwirkungsspektrum aufweisen. Die molekularen Angriffspunkte knnen entsprechend ihrer subzellulren Lokalisation und ihren funktionellen Eigenschaften in drei Kategorien eingeteilt werden:
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1504 F F F
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Plasmamembranrezeptoren, insbesondere transmembranre Wachstumsfaktor-Rezeptoren, Enzyme fr die zytoplasmatische Signaltransduktion einschlielich ihrer assoziierten Bindungsproteine, Intranuklere Regulatoren des Zellzyklus, wie z.B. p53, Rb, fos, E2FTranskriptionsfaktoren.
Von den o.a. Ansatzpunkten konnten bisher vor allem Therapiestrategien zur Beeinflussung der Signalvermittlung ber Plasmamembranrezeptoren etabliert werden. Aber auch fr die zytoplasmatische und die intranuklere Signaltransduktion befinden sich eine Reihe von vielversprechenden Substanzen in der prklinischen und klinischen Entwicklung. Im Folgenden werden verschiedene zellulre Angriffspunkte und die potentiellen therapeutischen Strategien vorgestellt. Aufgrund der Komplexitt der Signaltransduktion und der Vielzahl der Anstze knnen an dieser Stelle jedoch nur einige Mechanismen herausgegriffen werden. Fr detailliertere Darstellungen mu auf die weiterfhrende Literatur verwiesen werden. 2.3.1 Hemmung von Wachstumsfaktor-Rezeptoren – Tyrosinkinase-Inhibitoren
Innerhalb der Plasmamembran befindet sich eine Vielzahl von Rezeptoren, ber die extrazellulre Signale in das Zellinnere vermittelt werden. Vor allem Wachstumsfaktoren (growth factors, GF), wie der epitheliale Wachstumsfaktor (EGF), der vaskuloendotheliale Wachstumsfaktor (VEGF), der Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF) oder der Plttchen-Wachstumsfaktor (PDGF) und ihre Rezeptoren, spielen bei vielen Tumorerkrankungen eine wichtige Rolle. ber sie werden unter anderem die Zellproliferation, -differenzierung, -migration, Metastasierung, Apoptose und Angiogenese beeinflut. Die Wachstumsfaktor-Rezeptoren weisen eine extrazellulre Bindungsstelle fr den Liganden und eine regulierbare intrazellulre Tyrosinkinase-Domne auf. Durch die Bindung des Liganden wird eine Homooder Heterodimerisierung der Rezeptoren induziert. Die dabei ablaufende Konformationsnderung fhrt ber eine Autophosphorylierung der inneren Domne zur Aktivierung der Tyrosinkinase. Nachfolgend binden Adapterproteine, zytosolische Tyrosinkinasen oder andere Substrate an den phosphorylierten Rezeptor und leiten die Effekte ber die intrazellulren Signalkaskaden weiter. Bei zahlreichen Tumorerkrankungen sind die rezeptorassoziierten Tyrosinkinasen durch aktivierende Mutationen, vermehrte Expression der Rezeptoren, verstrkte Interaktionen und Aktivierung der Rezeptoren oder durch autokrine berproduktion von Liganden konstitutiv aktiviert. Die Hemmung dieser Aktivierung kann zu einer Verlangsamung des Tumorwachstums fhren. Verschiedene therapeutische Strategien, die gegen Plas-
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mamembranrezeptoren gerichtet sind, befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung. Dazu zhlen F F F
F F
Antikrper gegen die extrazellulre Domne der Plasmamembranrezeptoren (s. Abschn. 3) Antisense-Oligonukleotide gegen die Rezeptoren oder ihre Liganden (s. Abschn. 2.4) Ligand-Toxin- und Immuntoxin-Konjugate, d.h. Hybridfusionsproteine, die einen spezifischen Liganden fr den individuellen Rezeptor bzw. einen gegen den Rezeptor gerichteten Antikrper enthalten und mit einem Zelltoxin oder einem radioaktiven Isotop verbunden sind (s. Abschn. 3) Vakzinierungen gegen einen Rezeptor oder den entsprechenden Liganden Hemmstoffe der enzymatischen Aktivitt der Rezeptoren wie z.B. Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI)
Von den angefhrten Therapieanstzen sind derzeit monoklonale Antikrper und Tyrosinkinase-Inhibitoren am weitesten etabliert. Auf die monoklonalen Antikrper wird in Abschnitt 3 eingegangen. Tyrosinkinase-Inhibitoren sind berwiegend niedermolekulare Verbindungen, die kompetitiv die ATP-Bindung blockieren und somit die Autophosphorylierung der Rezeptoren und die Signaltransduktion hemmen. Da sie einen intrazellulren Angriffspunkt haben, sind sie auch bei konstitutiv aktivierten Rezeptoren wirksam, deren extrazellulre Domne abgeschnitten ist (Tabelle 13). Der erste zugelassene Tyrosinkinase-Inhibitor ist STI 571 (Imatinib), ein 2-Phenylamino-Pyrimidin, das die Tyrosinkinasen c-Abl, c-Kit und PDGFR hemmen kann. Die Hemmwirkung auf c-Abl schliet auch das Fusionsprotein Bcr-Abl ein, das bei chronischen myeloischen Leukmien (CML), aber auch bei akuten lymphatischen (ALL) und selten bei akuten myeloischen Leukmien entstehen kann. Klassischerweise geschieht dies durch eine Translokation des Abl-Gens von Chromosom 9 auf das Chromosom 22, wodurch das sog. Philadelphia-Chromosom gebildet wird. Das Fusionsprotein Bcr-Abl weist eine unregulierte Tyrosinkinase-Aktivitt auf, die letztendlich zur malignen Transformation fhrt. STI 571 kann in BcrAbl-exprimierenden Zellen die Autophosphorylierung des Fusionsproteins und die Phosphorylierung der Substrate effektiv hemmen, was wiederum zu einer Inhibition der vermehrten Zellproliferation und zur Induktion von Apoptose fhren kann. STI 571 greift an der ATP-Bindungsstelle der Tyrosinkinase an, besetzt diese aber im Gegensatz zu den meisten anderen Tyrosinkinase-Inhibitoren nicht vollstndig. Die Wirkung von STI 571 scheint deshalb zumindest partiell auf einer Stabilisierung der inaktiven, nicht ATPbindenden Form von Bcr-Abl zu beruhen. STI 571 wurde bisher vor allem
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 13. Hemmstoffe der Tyrosinproteinkinase-Hemmstoffe Substanz
Entwickelnde Firma
Kinase
Studienphase
STI571 (Imatinib, Gleevecj)
Novartis
Abl (c-kit, PDGF-R)
Zugelassen
ZD 1839 (Gefitinib, Iressaj)
Astra Zeneca
EGF-R
Phase III
OSI-774 (Erlotinib, Tarcevaj)
Roche
EGF-R
Phase III
PKI166
Novartis
EGF-R (HER-2)
Phase II
CI-1033
Pfizer
HER 1-4
Phase II
EKB-569
Wyeth Research
EGF-R (HER-2)
Phase II
GW2016
GlaxoSmith Kline
EGF-R/HER-2
Phase I
EGF-R
Eingestellt
BIBX 1382
SU5416
Sugen
VEGFR-2
Phase III
PTK787 (ZK222584)
Novartis/Schering
VEGFR-2
Phase I
SU6668
Sugen
VEGFR-2 (PDGF-R, FGF-R)
Phase I
ZD6474
Astra Zeneca
VEGFR-2 (EGF-R)
Phase I
CEP2583
Cephalon
Trk
Phase II
zur Behandlung der CML erfolgreich eingesetzt. In einer Phase-III-Studie bei Patienten in der chronischen Phase zeigte sich STI 571 signifikant effektiver hinsichtlich des Ansprechens und der Ansprechdauer als die Kombination von Ara-C und Interferon. Unter STI 571 wurde bei etwa 40% der Patienten eine komplette zytogenetische Remission erreicht im Vergleich zu 2% unter Interferon/Ara-C. In fortgeschrittenen Krankheitsphasen scheint die Effektivitt von STI 571 geringer zu sein. Trotzdem kann bei etwa 50 bis 60% der Patienten im Blastenschub der CML oder mit Philadelphia-Chromosom-positiver ALL ein hmatologisches Ansprechen erreicht werden, das aber meist nur 3…6 Monate anhlt. Als mgliche Resistenzmechanismen
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Dosisbereich und Regime
Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Kommentar
400–800 mg/d p.o.
CML, GIST
250–500 mg/d p.o.
NSCLC, Kopf/Hals-, Nierenzell-, Mammakarzinom
Phase-II-Aktivita¨t beim NSCLC, Phase III beim NSCLC in Kombination mit Chemotherapie kein Benefit
150 mg/d p.o.
NSCLC, Ovar, Kopf/Halskarzinom
Aktivita¨t bei Kopf-/Hals-Tumoren, NSCLC, Ovarkarzinomen; Phase III beim NSCLC und Pankreaskarzinom
u.a. 600–750 mg p.o. d1–14 W. 4 Wo
Solide Tumoren
Aktivita¨t u.a. bei Kopf-/HalsTumoren, NSCLC, Nierenzellkarzinom
50–560 p.o. mg/d d1–7 W. 3 Wo
Solide Tumoren
Aktivita¨t u.a. bei Plattenepithelkarzinomen beobachtet
75 mg p.o. d1–14 W. 4 Wo
Solide Tumoren
p.o.
Solide Tumoren
p.o.
Solide Tumoren
Entwicklung eingestellt wegen geringer Bioverfu¨gbarkeit und Hepatotoxizita¨t
i.v.
Kolorektale Karzinome
Entwicklung eingestellt
p.o.
Solide Tumoren
p.o.
Solide Tumoren
p.o.
Solide Tumoren
p.o.
Kolon, Prostata, Niere
wurden Amplifikationen oder Mutationen des Bcr-Abl-Gens beschrieben, die eine inkomplette Hemmung von Bcr-Abl zu Folge haben. Neben der Wirkung auf Bcr-Abl kann STI 571 auch die Aktivitt der Tyrosinkinasen c-Kit und PDGFR effektiv hemmen. So zeigte sich STI 571 auch bei der Behandlung von gastrointestinalen Stroma-Tumoren (GIST) wirksam. Bei diesen seltenen nichtepithelialen Tumoren, die hufig die Tyrosinkinase c-Kit berexprimieren, fhrt STI 571 bei etwa der Hlfte der Patienten zu einer objektiven Remission. Studien, die STI 571 bei anderen soliden Tumorerkrankungen, c-Kit oder PDGFR berexprimieren, laufen derzeit.
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Eine Reihe von niedermolekularen Tyrosinkinase-Inhibitoren richten sich gegen die Familie der Humanen-epithelialen-Wachstumsfaktor-Rezeptoren (HER1…4). Die Mehrzahl der eingesetzten Substrate gehrt zu den Gruppen der Quinazoline oder der Pyrazolo-, Pyrido- bzw. Pyrrolo-Pyrimidine. Sie unterscheiden sich vor allem in der Spezifitt und der Art der Bindung. Whrend einige der Tyrosinkinase-Inhibitoren, wie z.B. ZD1839 (Gefitinib, IressaJ) oder OSI-774 (Erlotinib, TarcevaJ), praktisch selektiv den EGF-Rezeptor (HER-1) hemmen, sind andere Verbindungen, wie PKI166, EKB-569, GW2016 oder BIBX 1382, gegen HER-1 und HER-2 aktiv. CI-1033 ist ein Pan-HER-Tyrosinkinase-Inhibitor, der sogar alle Mitglieder der EGFR-Familie hemmen kann. Die Hemmung der Tyrosinkinase-Aktivitt kann sowohl reversibel als auch irreversibel sein. Zu den reversiblen Tyrosinkinase-Inhibitoren zhlen ZD1839, OSI-774, PKI166, GW2016 oder BIBX 1382, whrend CI-1033 oder EKB-569 die Tyrosinkinase irreversibel blockieren. Die gegen EGFR gerichteten Tyrosinkinase-Inhibitoren teilen nicht nur den Wirkmechanismus, sondere hneln sich auch in ihrem Nebenwirkungsprofil. Im Vordergrund stehen dabei Diarrhen und ein aknehnlicher Hautausschlag. Alle derzeit klinisch eingesetzten Verbindungen sind oral verfgbar. Die klinische Entwicklung von ZD1839 und OSI-774 ist derzeit am weitesten fortgeschritten. ZD1839 wurde bisher vor allem bei Patienten mit fortgeschrittenen NSCLC untersucht. In Phase-II-Studien bei Patienten mit platinvorbehandelten NSCLC konnten dabei unter einer Monotherapie objektive Ansprechraten zwischen 9 und 19% erreicht werden. Bei 36…54% der Patienten konnte eine Krankheitsstabilisierung verzeichnet werden. Eine Symptombesserung wurde bei 35…43% beobachtet. Diese Daten waren Grundlage fr zwei placebokontrollierte Phase-III-Studien beim NSCLC, in denen ZD1839 in Kombination mit einer platinhaltigen Kombinationschemotherapie untersucht wurde. berraschenderweise zeigte sich dabei jedoch kein Nutzen von der Hinzunahme von ZD1839. Die Grnde fr das Versagen von ZD1839 in der Kombination trotz der guten Aktivitt als Monotherapie und der in vitro nachgewiesenen synergistischen Wirkung mit Zytostatika sind nur unvollstndig verstanden. ZD1839 wird gegenwrtig bei einer Reihe von soliden Tumoren untersucht. Dabei ist vor allem die Kombination mit anderen Modulatoren der zellulren Signaltransduktion von Interesse. In prklinischen Untersuchungen an Mammakarzinommodellen konnte z.B. gezeigt werden, da eine Hochregulation des EGFR bei der Resistenzentwicklung gegen endokrine Tumoren eine wesentliche Rolle spielt. Durch Blockade der EFGR-vermittelten Signaltransduktion mittels ZD1839 kann bei hormonrefraktren Tumoren die Hormonsensibilitt wiederhergestellt werden. Klinische Studien, die diesen Ansatz verfolgen, laufen derzeit an.
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OSI-774 zeigte in vitro und in vivo ein hnliches Spektrum wie ZD1839. In Phase-II-Studien wurde Aktivitt bei fortgeschrittenen NSCLC, Kopf-/HalsTumoren und Ovarialkarzinomen beobachtet, whrend die Ergebnisse beim Mammakarzinom eher enttuschend waren. OSI-774 wird gegenwrtig in Phase-III-Studien beim NSCLC und beim Pankreaskarzinom untersucht. Die Rekrutierung wurde bereits abgeschlossen. Erste Ergebnisse werden in Krze erwartet. PKI166 ist ein selektiver Inhibitor des EGFR, wirkt aber bei hheren Konzentrationen auch auf HER-2. In Phase-I-Studien zeigte PKI166 u.a. Aktivitt bei Kopf-/Hals-Tumoren, NSCLC und Nierenzellkarzinomen. Klinische Studien bei EGFR oder HER-2 berexprimierenden soliden Tumoren laufen derzeit. CI-1033, ein Pan-HER-Tyrosinkinase-Inhibitor, befindet sich ebenfalls in Phase-II-Studien. Aufgrund der irreversiblen Hemmwirkung zeigt sich CI-1033 sowohl bei kontinuierlicher als auch bei intermittierender Therapie wirksam. In prklinischen Studien wurde eine synergistische Wirkung u.a. mit Gemcitabin beobachtet. Aufgrund seiner Pan-HER-Aktivitt wird CI1033 gegenwrtig bei HER-2 berexprimierenden Patienten untersucht, die unter einer Therapie mit dem monoklonalen HER-2-Antikrper Trastuzumab progredient waren. Neben der Familie der EGF-Rezeptoren gibt es eine Reihe weiterer Wachstumsfaktorrezeptoren, die als mgliche Ziele fr die Entwicklung von Tyrosinkinase-Inhibitoren in Betracht kommen. Mehrere niedermolekulare Hemmstoffe gegen den VEGFR sind in der klinischen Entwicklung. Aufgrund der zentralen Rolle von VEGF und VEGFR fr die Angiogenese fallen diese Verbindungen unter die Gruppe der potentiellen Angiogenese-Inhibitoren (s. Abschn. 2.2). Ihr Stellenwert ist derzeit nicht abzuschtzen. Weitere potentielle therapeutische Ansatzpunkte sind z.B. der FGF-Rezeptor, die Familie der Insulin-like-Wachstumsfaktor-Rezeptoren (IGFR) oder der PDGFR. Gegen diese Rezeptoren befinden sich mehrere Tyrosinkinase-Inhibitoren in unterschiedlichen Stadien der klinischen Entwicklung. Zusammenfassung
Die Substanzklasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren hat sicherlich eine hohes therapeutisches Potential. Mehrere Substanzen konnten in Phase-II- und Phase-III-Studien bereits eine relevante Wirksamkeit gegen hmatologische oder solide Neoplasien zeigen. Allerdings ist die Effektivitt einer Monotherapie nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Interaktionen zwischen den verschiedenen Mechanismen der zellulren Signaltransduktion limitiert. Mglicherweise knnen Kombinationen von verschiedenen Modulatoren der Signaltransduktion zu einer Verbesserung der Therapieergebnisse beitragen. Insbesondere die Interaktionen zwischen dem EGFR und dem
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strogenrezeptor erffnen hier neue konzeptionelle Anstze. Zuknftige Untersuchungen werden zudem versuchen, Patientengruppen, die am ehesten von einer Therapie mit einem spezifischen Tyrosinkinase-Inhibitor profitieren, genauer zu beschreiben. 2.3.2 Beeinflussung der Signaltransduktion u¨ber Ras/Raf/MAPK
Die Ras-Proteine gehrten zu den ersten Proteinen, deren Beteiligung an der Regulation des Zellwachstums nachgewiesen werden konnte. Sie wurden zunchst bei Nagern entdeckt, bei denen durch Sarkoma-Virusarten mutierte Ras-Gene bertragen wurden, die konstitutiv aktiviert waren. Die Ras-Proteine nehmen beim Menschen physiologisch eine Schlsselrolle bei der Kontrolle verschiedener zellulrer Wege der Signaltransduktion ein und sind an der Regulation der normalen Zellproliferation beteiligt. Von der Familie der Ras-Gene sind zumindest drei Gene als potentielle Onkogene bekannt, d.h., sie knnen durch Mutationen dereguliert werden und zu einer malignen Transformation von Zellen fhren. Diese Ras-Onkogene kodieren fr die Ras-Proteine K-ras, H-Ras und N-Ras. Das K-Ras-Gen kann auf zwei Arten gespliced werden, so da zwei Formen des K-Ras-Proteins existieren (K-RasA und K-RasB). Diese vier Ras-Proteine weisen eine hohe strukturelle Verwandtschaft auf, unterscheiden sich aber in ihren zellulren Funktionen. Die Ras-Proteine gehren zu der Gruppe der GTP/GDP-bindenden Proteine, d.h., ihr Aktivierungszustand ist abhngig von der Bindung von GTP. Durch Bindung von GTP werden die Ras-Proteine in den aktiven Zustand berfhrt, whrend GDP-gebundene Ras-Proteine inaktiv sind. Ras-Proteine fungieren als eine Art molekularer Schalter bei der bertragung von externen Signalen von der Zelloberflche auf das Zellinnere. Zu den Ras-aktivierenden Stimuli zhlen Wachstumsfaktoren und ihre Rezeptoren wie z.B. der EGFR oder HER-2, Zytokine (z.B. Interleukin-2 oder -3) oder Hormone (z.B. Insulin-like Growth Factor). Dabei ermglicht die aktivierte Tyrosinkinase von Wachstumsfaktorrezeptoren oder zytokinaktivierten Proteinen, die nicht an einen Rezeptor gebundenen sind (z.B. Src), die Assoziation von Adapterproteinen wie dem Growth-factorreceptor-bound Protein 2 (Grb2), die nachfolgend ber eine Rekrutierung von Ras-aktivierenden Proteinen (SOS) den GDP/GTP-Austausch der membrangebundenen Ras-Proteine erleichtern. Nach Bindung von GTP wird das Signal ber verschiedene Mechanismen intrazellulr weitervermittelt. Der Hauptmechanismus fhrt ber die Serin/ Threonin-Kinase Raf, die nach Ras-Aktivierung an die Zellmembran herangefhrt und aktiviert wird. Das aktivierte Raf-Protein kann durch Phosphorylierung die mitogenaktivierten Proteinkinasen 1 und 2 (MEK1 und 2) aktivieren, die das Signal wiederum an die mitogenaktivierten Protein-
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kinasen ERK 1 und 2 (MAPK) weitergeben. ERK1 und 2 haben eine Vielzahl zytosolischer und nuklerer Substrate, die letztendlich die zellulren Effekte vermitteln. Neben dem Raf/MAPK-Weg kann Ras aber auch ber andere Wege der Signaltransduktion die Zellen beeinflussen. Dazu zhlen z.B. die Aktivierung der Phosphoinositol-3-Kinasen (PI3K), der „RAL guanine nucleotide dissociation stimulators“ (RALGDS) und der Phospholipase C. Die Funktion der Ras-Proteine ist entscheidend abhngig von ihrer Lokalisation an der Innenseite der Zellmembran, wo sie mit den Wachstumsfaktorrezeptoren in Verbindung treten. Eine wesentliche Voraussetzung dafr ist posttranslationelle Modifizierung, die Farnesylierung, die durch die Farnesyltransferase (FTase) katalysiert wird. Durch die FTase wird eine Isoprenoid-Kette von Farnesylphosphat auf die Ras-Proteine bertragen. Diese lipophile Gruppe ermglicht die Verankerung der ansonsten hydrophilen Ras-Proteine in der Zellmembran. Findet diese Verankerung nicht statt, sind die Ras-Proteine inaktiv. Eine Strung der Signaltransduktion ber den Ras/Raf/MAPK-Weg ist bei Tumorerkrankungen hufig zu finden. Bereits eine Punktmutation in einem der Ras-Gene kann eine konstitutive Aktivierung der enkodierten Ras-Proteine verursachen und reicht somit aus, um normale Zellen in maligne zu transformieren. Etwa 20% aller Tumoren weisen eine aktivierende Mutation eines Ras-Gens auf. Am hufigsten betroffen davon sind das KRas-Gen (ca. 85% aller Mutationen) und das N-Ras-Gen (ca. 15%), whrend Mutationen des H-Ras-Gens relativ selten sind (< 1%). Daneben sind aber auch Vernderungen von Proteinen, die die Ras-Aktivitt regulieren, oder von anderen Mitgliedern der Ras/Raf/MAPK-Signalkaskade beschrieben. Nicht zuletzt kann der Ras/Raf/MAPK-Weg z.B. ber amplifizierte Wachstumsfaktoren oder andere Wege der Signaltransduktion bermig stimuliert werden. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung fr die Zelle und der hufigen Strung bei Tumorerkrankungen wird ber verschiedene Wege versucht, die Ras-Aktivitt und die Ras/Raf/MAPK-Signalkaskade therapeutisch zu beeinflussen. Dazu zhlen: F F F F
die Modulation der Ras- oder Raf-Expression durch Antisense-Oligonukleotide (s. Abschn. 2.4) oder Ribozyme die Modulation der Ras-Funktion durch Antagonisten der Protein-Protein-Interaktionen die Beeintrchtigung der posttranslationalen Modifikation und somit der Membranlokalisation der Ras-Proteine und die Modulation der Raf/MAPK-Kaskade, z.B. durch Proteinkinase-Inhibitoren gegen Raf oder MEK.
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 14. Farnesyltransferase-Inhibitoren Substanz
Angriffspunkt
Substanzklasse
Studienphase
R115777 (Zarnestra)
Ras-Farnesylierung
CAAX-peptidomimetisch
Phase III
SCH66336 (Sarasar)
Ras-Farnesylierung
CAAX-peptidomimetisch
Phase II
L778,123
Ras-Farnesylierung
CAAX-peptidomimetisch
Phase II
BMS-214662
Ras-Farnesylierung
CAAX-peptidomimetisch
Phase I
SIS 5132
Ha-Ras
Antisense-Oligonukleotide
Phase I/II
ISIS 2503
RAF
Antisense-Oligonukleotide
Phase I/II
BAY 43-9006
RAF
Kinase-Inhibitor (ATP-Bindungsstelle)
Phase I
CI-1040 (PD184352)
MEK
Kinase-Inhibitor (nicht ATP-Bindungsstelle)
Phase I
Am besten untersucht ist bisher die Gruppe der Farnesyltransferase-Inhibitoren (FTI). Diese knnen im wesentlichen drei Gruppen zugeordnet werden (Tabelle 14): F
F
F
Die wichtigste Klasse umfat Substanzen wie L731735, L744832, SCH66336 und R115777, die der Carboxy-terminalen Ras-Struktur CAAX hneln und somit kompetitiv die FTase hemmen knnen. Eine zweite Gruppe weist die Beeintrchtigung der Bindung der Farnesyl-Phosphat-Gruppe als Angriffspunkt auf. Vertreter dieser Gruppe sind z.B. PD 169451 oder RPR130401. Eine dritte Gruppe, die bispezifischen Derivate wie BMS-186511, kombiniert beide Anstze.
Mehrere FTI haben in prklinischen Untersuchungen eine antitumorale Aktivitt u.a. beim Kolon- und Pankreaskarzinom gezeigt. Klinisch kamen bisher berwiegend CAAX-peptidomimetische Farnesyltransferase-Inhibitoren zum Einsatz. Am weitesten ist die Entwicklung des oral verfgbaren R115777 fortgeschritten. Die bisherigen Ergebnisse waren jedoch unbefriedigend. In der Monotherapie zeigte R115777 bei der Mehrzahl der untersuchten Entitten, darunter Kolon-, Pankreas-, Prostatakarzinome sowie NSCLC und SCLC, keine relevante Aktivitt. Lediglich bei Patienten mit akuten Leukmien konnte bisher eine vielversprechende Aktivitt beobachtet werden. Zudem war eine geringe Aktivitt bei Gliomen und beim Mam-
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Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Kommentar
Kolorektale Tumoren, Pankreaskarzinom
Keine Wirksamkeit beim Kolonkarzinom; kein U¨berlebensvorteil in Kombination mit Gemcitabin beim Pankreaskarzinom
Pankreas, urotheliale Tumoren
Weniger effektiv als Gemcitabin beim Pankreaskarzinom
NSCLC
Keine Wirksamkeit
Solide Tumoren
Krankheitsstabilisierungen beobachtet
Solide Tumoren
H-RAS seltener u¨berexprimiert als K-RAS
Solide Tumoren
Keine Phase-II-Aktivita¨t beim Ovarialkarzinom, Phase II beim Prostata- und Kolonkarzinom laufend
Solide Tumoren
Partielle Remissionen beobachtet
Solide Tumoren
Partielle Remissionen beobachtet
makarzinom zu verzeichnen. Aufgrund synergistischer Effekte in prklinischen Untersuchungen wurde R115777 mit mehreren Zytostatika kombiniert. Ergebnisse einer Phase-III-Studie beim Pankreaskarzinom konnten jedoch auch fr die Kombination mit Gemcitabin keine Wirksamkeit zeigen. Das ebenfalls oral verfgbare SCH66336 wurde bisher vor allem bei Pankreaskarzinomen und bei urothelialen Tumoren eingesetzt. Dabei konnte eine geringe Aktivitt beim Pankreaskarzinom beobachtet werden. Gegenwrtig wird die Kombination mit Gemcitabin untersucht. BMS-214662 kann sowohl oral als auch intravens verabreicht werden. In den bisherigen Phase-I-Studien wurden Krankheitsstabilisierungen unter anderem bei Patienten mit NSCLC beobachtet. Phase-II-Studien laufen derzeit. Die Entwicklung von L778,123 wurde aufgrund geringer Wirksamkeit und des Auftretens von kardialen berleitungsstrungen eingestellt. Trotz der effektiven Hemmung der FTase und der prklinischen Aktivitt waren die bisherigen klinischen Ergebnisse insgesamt enttuschend. Ein wesentlicher Grund dafr ist, da bei der Blockade der FTase K-Ras und in geringerem Ausma auch N-Ras alternativ durch die Geranyl-GeranylTransferase posttranslational modifiziert werden knnen. Dabei wird ein lngeres Isoprenoid an das Ras-Protein gebunden, das zur Erhaltung der biologischen Aktivitt fhrt. Eine Kombination von Hemmstoffen gegen die FTase und Geranyl-Geranyl-Transferase knnte diesen Alternativweg zwar umgehen, ist aber aufgrund einer ausgeprgten Toxizitt nicht mglich.
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Da trotz der inkompletten Hemmung der FTase eine gute prklinische antitumorale Wirksamkeit gezeigt werden konnte, wird vermutet, da Farnesyltransferase-Inhibitoren auch ber andere Mechanismen wirken knnen. Diskutiert werden u.a. die Strung der Farnesylierung anderer zellulrer Proteine, wie z.B. von RhoB oder den Zentromer-Proteinen CENP-E und -F, sowie eine Hemmung der PI3K/AKT2-Signaltransduktion. Aus diesem Grund werden einige Substanzen weiter in klinischen Studien untersucht. Neben Ras wird auch versucht, ber die Beeinflussung tieferliegende Proteine der Ras-Signalkaskade eine Hemmung des Signaltransduktionswegs zu erreichen. Mindestens zwei dieser Verbindungen werden gegenwrtig in klinischen Studien untersucht. BAY43-9006 ist ein oral verfgbarer Inhibitor der Tyrosinkinase-Aktivitt von Raf. Es bindet kompetitiv an die ATPBindungsstelle. Zudem scheint es auch gegen BRAF wirksam zu sein. BAY43-9006 wird gegenwrtig in Phase-I-Studien untersucht. CI-1040 ist ein Hemmstoff der MEK. Im Gegensatz zu BAY43-9006 setzt es nicht an der ATP-Bindungsstelle an. CI-1040 hat bereits Phase-I-Studien durchlaufen. Phase-II-Studien wurden initiiert. Der Stellenwert der Modulatoren dieser tieferliegenden Abschnitte der Signalkaskade kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Potentielle Vorteile knnten jedoch in der geringeren Interaktion mit anderen Signaltransduktionswegen liegen. 2.3.3 Andere Wege der Signaltransduktion
Von den vielfltigen Mechanismen der zellulren Signaltransduktion, die bei der Entstehung von Tumorerkrankungen eine Rolle spielen knnen, sollen im Folgenden mit der Phosphoinositol-3-Phosphat-Kinase, der Proteinkinase C, mTOR und der Endothelin-Achse mehrere Wege vorgestellt werden, fr die sich therapeutische Anstze bereits in der prklinischen und klinischen Entwicklung befinden. Mit der zunehmenden Kenntnis des Netzwerks der intrazellulren Signalverarbeitung werden sich sicherlich in naher Zukunft noch weitere potentielle Angriffspunkte definieren lassen, auf die im Rahmen dieses Kapitels jedoch nicht nher eingegangen werden kann. Phosphoinositol-3-Phosphat-Kinase. Phosphoinositol-3-Phosphat-Kinasen (PI3-
Kinasen) sind eine Gruppe von Lipid-Kinasen, die eine zentrale Rolle in der Regulation zahlreicher zellulrer Prozesse wie der Zellproliferation, der Zellmotilitt oder dem Zellberleben spielen. Die PI3-Kinasen kommen ubiquitr vor und knnen durch eine Reihe von Tyrosinkinase- oder G-Protein-abhngigen, membranstndigen Rezeptoren aktiviert werden. Es existieren auerdem Querverbindungen zu anderen Wegen der Signaltransduktion, insbesondere zu den Ras-Proteinen, ber die ebenfalls eine Akti-
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vierung der PI3-Kinasen erfolgen kann. Die PI3-Kinasen sind in vielfltige Signalkaskaden eingebunden, ber die sie ihre Information weitergeben knnen. Einer der Hauptmechanismen ist die Aktivierung der Proteinkinase B (PKB; auch als „akt“ bezeichnet) ber den Zwischenschritt der Phosphoinositol-abhngigen Kinase (PDK1). PKB/akt reguliert letztendlich die Aktivitt verschiedener Proteine wie z.B. von Caspase 9, BAD, FKHLR1 oder IKK, die vor allem fr das berleben einer Zelle entscheidend sind. In den letzten Jahren wird zunehmend klarer, da PI3-Kinasen bei malignen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen knnen, insbesondere als Regulatoren der Zellteilung und der Apoptose. Dementsprechend gewinnt der Signaltransduktionsweg ber die PI3-Kinasen an Bedeutung als potentielles Ziel therapeutischer Anstze. Mit Wortmannin und LY294002 existieren bereits PI3-Kinase-Inhibitoren, die in Zellversuchen das Zellwachstum hemmen und bei hheren Konzentrationen Apoptose induzieren knnen. Aufgrund ihrer geringen Selektivitt und ihrer Instabilitt bzw. geringen Wasserlslichkeit sind sie allerdings nicht fr den klinischen Einsatz geeignet. Sie bilden jedoch die Basis fr die Weiterentwicklung neuerer Substanzen. mTOR. Die Charakterisierung des mTOR-Signaltransduktionsmechanismus wurde vor allem durch den natrlich vorkommenden Inhibitor Rapamycin vorangetrieben. Rapamycin ist ein aus Bakterien isoliertes Makrolid mit antimikrobieller, immunsuppressiver und antitumoraler Aktivita¨t. Es bindet intrazellulr an das Immunophilin FKBP12. Der entstehende Komplex kann die PI3-verwandte Kinase mTOR (mammalian target of rapamycin) hemmen, wodurch eine Reihe von Signaltransduktionswegen blockiert werden, die unter anderem die Translation verschiedener Schlsselproteine fr die Zellzykluskontrolle regulieren. Physiologisch wird mTOR unter anderem ber die PI3-Kinase aktiviert. Die Effekte von mTOR auf die Translation werden ber eine Phosphorylierung des 40S-ribosomalen Proteins S6 und des Translationsmodulators 4E-BP1/PHAS-1 vermittelt. Die mTOR-Inhibition fhrt letztendlich zu einer Blockade des Zellzyklus in der G1/SPhase. Whrend der klinische Einsatz von Rapamycin durch seine Instabilitt und eine geringe Wasserlslichkeit limitiert ist, gelang es, verschiedene Derivate zu synthetisieren, die gnstigere biochemische Eigenschaften aufweisen. Das Rapamycin-Analog CCI-779 befindet sich derzeit in Phase-IIStudien bei verschiedenen Entitten. In den bisherigen Untersuchungen konnte unter anderem bei Patienten mit metastasierten Nierenkarzinomen eine vielversprechende Aktivitt nachgewiesen werden. Whrend die objektive Remissionsrate bei diesen Patienten relativ gering war, konnte bei knapp drei Viertel der Patienten eine Krankheitsstabilisierung erreicht werden. Prliminre Ergebnisse belegen zudem eine Aktivitt beim Mammakarzinom.
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Proteinkinase C. Ein weiterer potentieller Angriffspunkt fr neue Therapie-
strategien ist die Proteinkinase C. Die Familie der Proteinkinasen C besteht aus mindestens elf strukturell verwandten Serin/Threonin-Kinasen, die vor allem die Zellproliferation und -differenzierung sowie die Apoptose beeinflussen und dadurch bei Tumorerkrankungen eine Rolle spielen knnen. Daneben scheinen sie auch bei der Resistenzentwicklung gegen manche Zytostatika beteiligt zu sein. Die Aktivitt der Proteinkinasen C wird ber verschiedene Signalkaskaden bestimmt. Eine Schlsselrolle scheint dabei der Phosphoinositol-abhngigen Kinase (PDK1) zuzukommen, wodurch die Proteinkinasen C mit dem Signaltransduktionsweg der PI3-Kinasen verknpft sind. Aufgrund der zentralen Stellung der Proteinkinasen C wird seit lngeren versucht, die Aktivitt dieser Enzyme zu unterbinden. Verschiedene Kinase-Inhibitoren wie z.B. PKC142 oder UCN-01 befinden sich derzeit in Phase-II-Studien. PKC142 hemmt neben der Proteinkinase C auch den flt3-Rezeptor. Es hat in den bereits abgeschlossenen Studien vor allem bei hmatologischen Neoplasien eine vielversprechende Aktivitt gezeigt. Die bisherigen Therapieanstze waren allerdings dadurch eingeschrnkt, da nur unzureichend zwischen den Isoenzymen der PKC, die sich in ihren Funktionen und ihrem Expressionsmuster erheblich unterscheiden, differenziert werden konnte. Der Einsatz von AntisenseStrategien kann hier u.U. weiterfhren. Das Antisense-Oligonukleotid LY900003 (ISIS 3521) ermglicht z.B. eine spezifische Therapie gegen das Isoenzym a der Proteinkinase C. LY900003 hat in bisherigen Studien u.a. Aktivitt bei Patienten mit NSCLC gezeigt und wird gegenwrtig in Phase-III-Studien untersucht. Endotheline. Die Endotheline sind drei kleine, strukturell verwandte Peptide (ET-1, ET-2, ET-3), die vor allem von Endothelzellen (ET-1) sowie in Nieren, im Magen-Darm-Trakt und im Gehirn freigesetzt werden. ber die beiden Rezeptoren ETA und ETB knnen die Endotheline die Zellproliferation, Angiogenese und Metastasierung von Tumorzellen frdern und zu einer Unterdru¨ckung der Apoptose fhren. ET-1 scheint zudem bei der Entstehung von osteoblastischen Knochenlsionen eine Rolle zu spielen. Die Endothelin-Achse ist eng verknpft mit verschiedenen Wegen der intrazellulren Signaltransduktion u.a. mit der Proteinkinase C und den MAP-Kinasen. ET-1 und der ETA-Rezeptor scheinen bei einer Reihe solider Tumoren eine Rolle zu spielen, insbesondere bei der Modulation des Stromas. Mehrere ETA-Antagonisten befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Sie wurden bisher berwiegend bei Prostatakarzinomen eingesetzt, nicht zuletzt aufgrund ihrer Wirkung auf die Osteoblasten. Atrasentan, ein hochselektiver ETA-Antagonist, hat in Phase-II-Studien eine Aktivitt bei Patienten mit fortgeschrittenen Prostatakarzinomen gezeigt und befindet sich derzeit in Phase-III-Studien. Zudem wird Atrasentan
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in Phase-II-Studien bei verschiedenen anderen Entitten untersucht. Zwei weitere oral verfgbare ETA-Antagonisten, YM 598 und AZD 4054, werden in Phase-II-Studien bei Prostatakarzinom eingesetzt. 2.4 Antisense-Oligonukleotide Die zunehmenden Kenntnisse ber die molekularen Grundlagen von Erkrankungen fhren zur verstrkten Entwicklung neuer Therapieformen auf genetischer Ebene. Im Gegensatz zur Gentherapie, bei der zustzliche genetische Informationen in die Zelle eingeschleust werden, zielt die Anwendung von Antisense-Oligonukleotiden auf eine spezifische Hemmung der Bildung von Zielproteinen. Antisense-Oligonukleotide sind kurzkettige Nukleinsuren mit einer frei whlbaren Abfolge von Basen. Der Therapieansatz mit Antisense-Oligonukleotiden bei malignen Erkrankungen (aber auch bei viralen und entzndlichen Krankheiten) benutzt diese kurzen Oligonukleotide zur Hybridisierung eines mRNA-Transkripts durch ein „Watson-Crick base pairing“. In dem entstehenden NukleinsureDoppelstrang stehen sich immer die Basen Adenin und Thymidin sowie Cytidin und Guanidin gegenber. Durch die spezifische Bindung des Antisense-Oligonukleotids an die komplementre Sequenz der RNA wird die Bildung des Zielproteins verhindert. Dies geschieht vor allem durch eine sterische Behinderung der ribosomalen Translation der Ziel-mRNA und durch den Abbau der mRNA durch die ubiquitre endogene RNase H. Antisense-Oligonukleotide werden synthetisch hergestellt und so modifiziert, da sie gegenber abbauenden Enzymen stabil bleiben. Die wichtigste Modifikation ist die Phosphorothioat-Modifikation (Ersatz eines Sauerstoffatoms im Phosphat durch ein Schwefelatom, s. Angabe: „BackboneSize“). Durch Modifikationen an der Ribose-Gruppe (z.B. Einfgen einer negativen Seitengruppe wie 2’-O-Methyl oder 2’-O-[2-Ethoxy]Ethyl) knnen zudem die RNA-Affinitt gesteigert und gleichzeitig die indirekten toxischen Effekte vermindert werden. Die intrazellulre Aufnahme der Antisense-Oligonukleotide kann per Endozytose, aber auch durch eine direkte Permeation der Zellmembran erfolgen. Die Verwendung von geeigneten kationischen Trgerlipiden kann zur Optimierung der Aufnahme in die Zelle, aber auch zur besseren intrazellulren Verteilung der Antisense-Oligonukleotide beitragen. Die Wirksamkeit von Antisense-Oligonukleotiden in der Zellkultur und in vivo in Tiermodellen ist gut abgesichert. Neben der antisensevermittelten Hemmung des Zielproteins sind zustzliche Antisense-Oligonukleotid-Wirkungen nachzuweisen, die von dem primren Antisenseeffekt zu unterscheiden sind. Zu diesen sind die Freisetzung von Zytokinen, Aktivierung des Komplementsystems und Interferenz mit dem Gerinnungssystem zu rechnen. Sequenzunspezifische ladungsabhngige Effekte, wie sie auch
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bei anderen geladenen Makromoleklen wie z.B. Heparin beobachtet werden, knnen zudem zu einer Thrombopenie fhren. Antisense-Oligonukleotide knnen theoretisch gegen jedes Gen gerichtet sein. Therapeutisch relevante Ziele sind aber vor allem Gene, die in normalen und malignen Gewebe unterschiedlich exprimiert werden und wesentliche Vorgnge wie Zellproliferation, Apoptose, Angiogenese oder Metastasierung beeinflussen. Mehrere Antisense-Oligonukleotide befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Eine Vielzahl anderer Verbindungen werden zudem in prklinischen Untersuchungen eingesetzt. 2.5 Modulation Cyclin-abha¨ngiger Kinasen Eine wesentliche Eigenschaft normaler Zellen ist die koordinierte Regulation des Zellzyklus. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Familie der Retinoblastom-Proteine (Rb) zu. Durch Phosphorylierung und Inaktivierung dieser Proteine wird der Transkriptionsfaktor E2F1 freigesetzt und die Zelle tritt in die S-Phase ein. Rb wird durch eine Reihe von Serin/Threonin-Kinasen, den sog. Cyclin-abhngige Kinasen (Cyclin-dependent kinases, CDK) phosphoryliert. Diese CDK sind Schlsselenzyme der Zellzykluskontrolle, die periodisch Komplexe mit aktivierenden Kofaktoren, den Cyclinen, bilden. Derzeit sind neun unterschiedliche CDK (CDK1-9) und 15 Cycline (Cyclin A-T) bekannt, die zu verschiedenen Zeitpunkten des Zellzyklus aktiv werden. Die Cyclin/CDK-Komplexe knnen wiederum durch endogene CDK-Inhibitoren (CDI) gehemmt werden. Mit Ink (p16Ink4a, p15Ink4b, p18Ink4c, p19Ink4d) und Cip/Kip (p21Cip1, p27Kip1, p57Kip2) werden gegenwrtig zwei Familien von CDI unterschieden. Vernderungen im komplexen Zusammenspiel von Rb, Cyclinen, CDK und CDI knnen bei der Mehrzahl aller Neoplasien nachgewiesen werden. Diese Vernderungen fhren zum Verlust von G1-Kontrollpunkten und zu einer deregulierten Progression durch die S-Phase. Die zentrale Bedeutung der CDK fr das Tumorwachstum, die Apoptose und die Zelldifferenzierung hat zur Entwicklung zahlreicher therapeutischer Anstze gefhrt, die das Ziel haben, die CDK-Aktivitt zu beeinflussen. Im wesentlichen werden direkte und indirekte CDK-Modulatoren unterschieden. Direkte CDK-Inhibitoren sind gegen das katalytische Zentrum der CDK gerichtet, whrend indirekte CDK-Inhibitoren z.B. die Regelkreise, die zu einer Aktivierung der CDK fhren, die Expression der CDK, Cycline oder CDI, die Phosphorylierung der CDK oder den Abbau der CDK/CyclinKomplexe beeinflussen. Bei den direkten CDK-Inhibitoren handelt es sich um niedermolekulare (small molecule CDK), hydrophobe, heterozyklische Verbindungen, die mit ATP um die ATP-Bindungsstelle der CDK konkurrieren. Drei Gruppen von CDK-Inhibitoren knnen unterschieden werden:
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Unspezifische CDK-Inhibitoren, wie z.B. Dimethylaminopurin, Deschloroflavopiridol, Flavopiridol, Oxindol 16 (Compound 3), oder Oxindol 91 Spezifische CDK-Inhibitoren gegen CDK1, 2 und 5 wie z.B. Olomoucin, (R)-Roscovitine, Purvalanol B, Aminopurvalanol (NG97), Hymendialdisine, Kenpaullone (NSC 664704), Indirubin-3‘-Monoxime, Indirubin-5-Sulfonat, SU9516 und Alsterpaullone (9-Nitro-paullone) Spezifische CDK-Inhibitoren gegen CDK4 und 6 wie z.B. Fascaplysin, Compound 66, PD0183812, Compound 26a, Compound 15b und CINK4
Spezifische CDK-Inhibitoren, die ausschlielich gegen eine CDK gerichtet sind, konnten bisher nicht synthetisiert werden. Einige der direkten CDKInhibitoren beeinflussen neben den CDK auch andere Enzyme. Mit Flavopiridol und ICN-01 befinden sich derzeit mindestens zwei Small-molecule-CDK in klinischen Studien. Eine Vielzahl von neuen Verbindungen sind zudem in der prklinischen Entwicklung. Flavopiridol ist ein semisynthetischer, unspezifischer CDK-Inhibitor, der hauptschlich gegen CDK1, 2 und 4 gerichtet ist. Daneben weist Flavopiridol aber auch eine Reihe anderer Mechanismen auf, die zu seiner antitumoralen Wirkung beitragen knnen. Dazu zhlen u.a. eine Absenkung der zellulren CyclinD1-Spiegel, eine Hemmung der EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase und der Proteinkinase A, die Induktion von Apoptose sowie antiangiogene Eigenschaften. Flavopiridol zeigte in prklinischen Untersuchungen eine breite antitumorale Wirksamkeit. Als dosislimitierend erwiesen sich in Phase-I-Studien in Abhngigkeit vom eingesetzten Schema das Auftreten von Diarrhen und Neutropenien. Nachdem innerhalb der Phase-I-Studien bei Magen-, Kolon oder Nierenkarzinomen sowie bei NHL eine antitumorale Aktivitt beobachtet werden konnte, wurde ein breites Phase-II-Studienprogramm eingeleitet. Mehrere Phase-II-Studien u.a. bei Magen- und Nierenkarzinomen sowie bei NSCLC setzen Flavopiridol als 72-Stunden-Infusion ein. Die antitumorale Wirksamkeit innerhalb dieser Studien war jedoch gering. Weitere Phase-II-Studie, in denen Flavopiridol als Kurzinfusion eingesetzt wird, laufen derzeit. UCN-01 weist neben der CDK-Inhibition eine Reihe anderer antiproliferativer Mechanismen auf, u.a. eine Hemmung verschiedener Isoenzyme der Proteinkinase C und die Induktion von Apoptose. In prklinischen Untersuchungen wurde insbesondere nach verlngerter Exposition bei verschiedenen Modellen eine antitumorale Wirksamkeit beobachtet. Dementsprechend wurde UCN-01 in Phase-I-Studien zunchst als 72-Stunden-Infusion eingesetzt. Innerhalb der Phase-I-Studien wurden bei einem Patienten mit einem metastasierten Melanom sowie bei einem Patienten mit einem anaplastischen Lymphom Tumorremissionen beobachtet. Zudem traten Krankheitsstabilisierungen fr mehr als 6 Monate bei Patienten mit Leiomyo-
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sarkomen, NHL und Bronchialkarzinomen auf. Aufgrund synergistischer Effekte in prklinischen Untersuchungen wird UCN-01 gegenwrtig auch in Kombination mit verschiedenen Zytostatika, u.a. mit Gemcitabin, 5FU oder Cisplatin, untersucht. Zusammenfassung
Die Modulation der CDK stellt einen interessanten neuen therapeutischen Angriffspunkt dar. Klinische Ergebnisse liegen derzeit nur fr die beiden CDK-Inhibitoren Flavopiridol und UCN-01 vor. Dabei zeigt sich in frhen Phasen der klinischen Entwicklung eine antitumorale Wirksamkeit. Eine Vielzahl von neuen CDK-Inhibitoren findet sich gegenwrtig in der prklinischen Entwicklung. Der Stellenwert der Substanzklasse kann gegenwrtig noch nicht ausreichend beurteilt werden. 2.6 Proteasomen-Inhibitoren Das Proteasom ist ein groer multikatalytischer Komplex, der eine wesentliche Rolle beim kontrollierten, nichtlysosomalen, intrazellulren Proteinabbau spielt. Davon betroffen sind u.a. Schlsselproteine der Zellzykluskontrolle, der Angiogenese, der Zell-Zell- bzw. Zell-Stroma-Interaktion und der Apoptoseinduktion. Zu den Proteinen, die ber das Proteasom abgebaut werden, zhlen z.B. das Tumorsuppressorprotein p53, die Cyclinabhngigen Kinase Inhibitoren p21 und p27 oder das Hemmprotein fr den Transkriptionsfaktor NF-jB, IjB. Dementsprechend kann der proteasomale Abbau zahlreiche Zellfunktionen beeinflussen, die fr das Tumorwachstum und die Metastasierung entscheidend sind. Die Hemmung der Proteasomenfunktion stellt ein neues therapeutisches Wirkprinzip dar, das verschiedene antineoplastische Mechanismen kombiniert. PS-341, der erste selektive Proteasomeninhibitor, hat sich in prklinischen Untersuchungen bei einer Reihe von Tumorarten als effektiv erwiesen. Die antineoplastische Wirkung beruht unter anderem auf einer Hemmung von Signaltransduktionsmechanismen, einer Hemmung der Expression zellulrer Adhsionsmolekle und einer direkten Apoptoseinduktion, die selbst bei Bcl-2 berexprimierenden Zellen auftritt. In Phase-I-Studien wurde unter PS-341 u.a. bei Patienten mit multiplem Myelom, Kopf-Hals-Tumoren, Nieren- oder Prostatakarzinomen, NSCLC oder Lymphomen eine antitumorale Aktivitt beobachtet. Trotz der Vielzahl der involvierten intrazellulren Prozesse erwies sich dabei das Nebenwirkungsprofil als relativ gnstig. Vor allem die Myelosuppression scheint relativ gering ausgeprgt zu sein. Im Vordergrund stehen hingegen Fatigue, Pyrexie und gastrointestinale Nebenwirkungen. Bei einem Teil der Patienten wurde zudem eine periphere Polyneuropathie beobachtet.
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Die meisten klinischen Erfahrungen mit PS-341 liegen derzeit fr das multiple Myelom vor. In einer groen Phase-II-Studie konnte bei 35% der intensiv vorbehandelten Patienten mit multiplem Myelom eine objektive Remission und bei weiteren 24% eine Krankheitsstabilisierung erreicht werden. Das Ansprechen erscheint dabei unabhngig von der Anzahl der Vortherapien. Diese Daten werden gegenwrtig in einer Phase-III-Studie berprft. Eine Vielzahl von Phase-II-Studien laufen derzeit bei anderen Entitten, u.a. bei Lymphomen, bei Bronchial-, Mamma- und Prostatakarzinomen sowie bei kolorektalen Tumoren. Neben dem Einsatz als Monotherapeutikum bietet sich PS-341 vor allem auch fr die Kombination mit konventionellen Zytostatika an, da die durch die Hemmung der Proteasomenwirkung betroffenen Proteine eine wichtige Rolle bei der Reaktion von Zellen auf schdigende Einflsse spielen knnen. So konnte z.B. gezeigt werden, da die Applikation von PS-341 die unter Chemotherapie oder Bestrahlung beobachtete Hochregulation des antiapoptotischen Transkriptionsfaktors NF-jB hemmen kann. Dementsprechend kann mglicherweise die gleichzeitige Gabe von PS-341 und Zytostatika zu einer Steigerung der antitumoralen Wirksamkeit fhren. Prklinisch konnten fr eine Reihe von Zytostatika bereits synergistische Effekte gezeigt werden. Klinische Studien zur Kombination mit Anthrazyklinen, Taxanen, Irinotecan und Capecitabin laufen derzeit. 2.7 Cyclooxygenase-Inhibitoren Das Enzym Cyclooxygenase (COX) katalysiert die Synthese von Prostaglandinen aus Arachidonsure. Zwei Isoformen (COX-1 und -2) sind gegenwrtig bekannt. Whrend die COX-1 in den meisten Geweben konstitutiv aktiv und fr die Produktion der fr die physiologischen Funktionen notwendigen Prostaglandine verantwortlich ist, wird die COX-2 vorwiegend auf entzndliche oder mitogene Stimuli hin exprimiert. Zahlreiche Studien haben gezeigt, da die COX-2 in prmalignen Lsionen und im Tumorgewebe hufig berexprimiert wird. Die COX-2 beeinflut dabei viele Prozesse, die fr die Karzinogenese wichtig sind. Dazu zhlen u.a. die Bioaktivierung potentiell karzinogener oder mutagener Substanzen, die Frderung der Angiogenese und der Zellinvasion, die Inhibition immunologischer Prozesse sowie die Beeinflussung der Apoptose. Zudem scheint die COX-2 die strogensynthese und die Multidrug-Resistenz modulieren zu knnen. Durch den Einsatz von selektiven COX-2-Inhibitoren konnte in Tierversuchen die Bildung von Tumoren des Intestinaltrakts, der Haut, der Lunge, der Mamma, der Blase und des Kopf-Hals-Bereichs reduziert werden. COX-2-Inhibitoren konnten zudem in prklinischen Untersuchungen das Wachstum und die Metastasierung von Tumoren hemmen, wobei allerdings selten eine Regression erreicht wurde.
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Dementsprechend wurden COX-2-Inhibitoren klinisch zunchst vor allem als potentielle Substanzen zur Tumorprvention untersucht. In einer kleinen doppelblind randomisierten Studie konnte durch die sechsmonatige Einnahme des selektiven COX-2-Inhibitors Celecoxib die Inzidenz von kolorektalen Polypen bei Patienten mit familirer adenomatser Polypose (FAP) signifikant gesenkt werden. Celecoxib wurde daraufhin in den USA zur Behandlung von Patienten mit FAP zugelassen. Grere Studien, die den Einsatz selektiver COX-2-Inhibitoren zur Prvention spontaner kolorektaler Karzinome untersuchen, wurden initiiert. Darber hinaus werden COX-2-Inhibitoren gegenwrtig in Prventivstudien beim Barrett-sophagus, bei oraler Leukoplakie, bronchialer Metaplasie, Basalzellnvus und aktinischer Keratose untersucht. Mglicherweise knnen die Ergebnisse durch Kombination der COX-2-Inhibitoren mit anderen Prparaten verbessert werden. Klinische Studien zur prventiven Therapie mit Celecoxib und Difluormethylornithin, einem Hemmstoff der Ornithin-Decarboxylase, laufen derzeit bei FAP-Patienten. Aufgrund der Tatsache, da COX-2-Inhibitoren praktisch nicht zu einer Regression fhren knnen, erscheint die Monotherapie bei malignen Tumoren nicht vielversprechend. Selektive COX-2-Inhibitoren werden deshalb berwiegend in Kombination mit Chemo- oder Radiotherapie untersucht. Mehrere Studien, insbesondere bei kolorektalen Karzinomen und beim NSCLC, laufen derzeit. Der Stellenwert der COX-2-Inhibitoren kann derzeit nicht abschlieend beurteilt werden. 2.8 Statine Die Substanzklasse der Statine ist durch ihre Hemmwirkung auf die HMGCoA-Reduktase, das schrittmachende Enzym im Mevalonat-Stoffwechsel, gekennzeichnet. Aufgrund ihrer Fhigkeit die LDL-Cholesterol-Spiegel im Plasma effektiv zu senken, wurden die HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren bisher berwiegend zur Prvention und Behandlung von kardiovaskulren Krankheiten eingesetzt. Neuere In-vitro-Untersuchungen zeigen jedoch, da Statine auch auf die Zellproliferation, -invasion und -apoptose Auswirkungen haben knnen. Dies ist darauf zurckzufhren, da die Produkte des Mevalonat-Stoffwechsels nicht nur fr die Cholesterolsynthese verantwortlich sind, sondern auch weitere wichtige zellulre Funktionen wie z.B. die zellulre Signalbertragung, die Proteinsynthese, die Zellzykluskontrolle und die Integritt der Zellmembranen modifizieren knnen. Dabei spielt vor allem die Beeintrchtigung der Geranyl-Geranylierung und der Farnesylierung, die fr die posttranslationale Modifizierung verschiedener Proteine notwendig sind, eine Rolle. Die Strung der Geranylierung kann sich sowohl auf die zellulre Signalbertragung auswirken als auch zu einer direkten Apoptoseinduktion fhren. Darber hinaus knnen Statine,
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mglicherweise ber eine Vermehrung der Cyclin-abhngigen Kinaseinhibitoren p21 und p27, den bergang von der G1- zur S-Phase verhindern. Dieser Effekt kann zu einer Steigerung der Empfindlichkeit gegenber ionisierenden Strahlen fhren. Diese Ergebnisse haben dazu gefhrt, da Statine gegenwrtig als potentielle antiproliferative Substanzen untersucht werden. Die dabei eingesetzten Dosierungen liegen deutlich hher als bei der Therapie kardiovaskulrer Erkrankungen. Zur Reduktion der Myotoxizitt knnen die Statine mit Ubiquinon kombiniert werden. Bisherige Phase-II-Studien mit Lovastatin und Pravastatin zeigen eine geringe Aktivitt bei ZNS-Tumoren und hepatozellulren Karzinomen, whrend die Statine bei Magenkarzinomen wirkungslos waren. Weitere Studien untersuchen gegenwrtig den Stellenwert der Statine als Radiosensitizer. Die Entwicklung bleibt abzuwarten. Am weitesten fortgeschritten ist derzeit die klinische Entwicklung von G3139, ISIS 3521 und ISIS 5132. G3139 richtet sich gegen BCL-2, einen der wichtigsten endogenen Inhibitoren der Apoptose, der bei zahlreichen hmatologischen und soliden Neoplasien berexprimiert wird. In einer Phase-I-Studie bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen konnte mit G3139 bei 3 von 21 Patienten ein objektives Ansprechen und bei weiteren 9 Patienten eine Krankheitsstabilisierung erreicht werden. Eine Phase-I/IIStudie bei Patienten mit metastasierten Melanomen zeigte zudem eine gute Wirksamkeit und Vertrglichkeit einer Kombination von G3139 mit DTIC. Diese Ergebnisse wurden zur Grundlage einer krzlich initiierten Phase-IIIStudie. Weitere Phase-II-Studien untersuchen gegenwrtig den Stellenwert von G3139 bei verschiedenen Entitten, darunter CLL, Plasmozytom oder NSCLC. Die Proteinkinase C (PKC) spielt eine wichtige Rolle bei der Deregulation der Wachstumskontrolle und der Tumorentstehung und ist seit lngerem Angriffspunkt verschiedener therapeutischer Bemhungen. Bisherige Therapieanstze waren aber dadurch eingeschrnkt, da nur unzureichend zwischen den verschiedenen Isoenzymen der PKC differenziert werden konnte. Der Einsatz des Antisense-Oligonukleotids ISIS 3521 ermglicht eine spezifische Therapie gegen die PKC-a. In Phase-I-Studien zeigten sich unter ISIS 3521 Remissionen bzw. Krankheitsstabilisierungen bei Patienten mit Lymphomen oder Ovarialkarzinomen. In einer Phase-I/II-Studie bei Patienten mit NSCLC konnte nach einer Kombinationsbehandlung von ISIS 3521 mit Paclitaxel und Carboplatin ein medianes berleben von 18 Monaten beobachtet werden. Darauf aufbauend wurde eine Phase-III-Studie beim NSCLC initiiert, in der die Kombination von ISIS 3521 und einer Chemotherapie weitergehend untersucht wird. ISIS 5132 ist gegen c-RAF gerichtet, das vor allem eine wichtige Rolle innerhalb der mitogenaktivierten Proteinkinase(MAPK)-Signalkaskade spielt. Es zeigte in Phase-I-Studien Aktivitt bei Patientinnen mit metasta-
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30
Antineoplastische Substanzen
Tabelle 15. Antisense-Oligonukleotide in der Entwicklung Oligonukleotid
Entwickelnde Firma
Studienphase
Gen-Target
G3139 (Genasense)
Genta/Aventis
III
BCL-2
ISIS 5132
ISIS
I–II
c-RAF
ISIS 2503
ISIS
I–II
Ha-RAS
OGX-011
OncoGeneX
I–II
Clusterin
GEM 231
Hybridon
I–II
PKA-R1-a
LR/INX-3001
Gerwitz & Lynx
I–II
c-MYB
GTI-2040
Lorus Therapeutics
I–II
RibonukleotidReduktase
MG-98
MethylGene
I–II
DNA Methyltransferase
OL(1)p53
Bishop et al.
I
p53
BCR-ABL AS
De Farbitis et al.
I
BCR-ABL
I
IGFBP5
OGX-133
PS: Phosphorothioat-Antisense-Oligonukleotide; AC: Advanced-chemistry-Antisense-Oligonukleotide.
siertem Ovarialkarzinom. Eine Phase-II-Studie konnte diese Ergebnisse jedoch bisher nicht besttigen. Weitere Phase-II-Studien u.a. beim Prostataund beim Kolonkarzinom laufen derzeit. Tabelle 15 gibt einen berblick ber weitere Antisense-Oligonukleotide, die derzeit in klinischen Studien eingesetzt werden. Zusammenfassung
Das theoretisch berzeugende Modell zur Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden ist in der prklinischen Umsetzung sehr komplex. In der prklinischen Entwicklung der Antisense-Oligonukleotide wurden eine ganze Reihe von Problemen identifiziert wie die Stabilitt, die Lnge der Sequenz, die zellulre Aufnahme, die Selektion der Zielsequenz, die Interaktionen der Oligonukleotide mit Proteinen sowie die sehr hohen Kosten der Herstellung. Die Phosphorothionat-Oligonukleotide (mit guten parenteralen pharmakokinetischen Eigenschaften) haben in einer Reihe von Tiermodellen und in
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Backbone-Size/ Struktur
Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Kommentar
18-mer/PS
Melanom, MM, CLL, NHL, NSCLC
Ansprechen bei NHL und Melanom, Phase-III-Studie in Kombination mit DTIC beim metastasierten Melanom initiiert
20-mer/PS
Solide Tumoren
Keine Phase-II-Aktivita¨t beim Ovarialkarzinom, Phase II beim Prostata- und Kolonkarzinom laufend
20-mer/PS
Solide Tumoren
Ha-Ras in Tumoren in geringerem Ausmaß u¨berexprimiert als K-Ras
21-mer/AC
Prostatakarzinom, NSCLC
18-mer/AC
Solide Tumoren
Kombination mit Taxanen
24-mer/PS
CML
Phase II ex vivo Stammzell-Purging
21-mer/PS
Solide Tumoren
20-mer/AC
Solide Tumoren
Reduktion der DNA-Methylierung nachweisbar, aber bisher kein klinischer Benefit
20-mer/PS
AML, MDS
Bisher kein Ansprechen beobachtet
26-mer/PS
CML
Ex vivo Stammzell-Purging
Prostata
Phase-I-Studie geplant
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vielen zustzlichen Experimenten interessante Ergebnisse gezeigt. Ferner zeigten diese Antisense-Oligonukleotide ausreichende therapeutische Indizes bei vielen Indikationen. Andererseits weisen die Phosphorothiat-Antisense-Oligonukleotide signifikante Grenzen auf. Pharmakodynamisch ist die Affinitt pro Nukleotideinheit noch nicht optimiert, d.h., sie ist zu gering. Das bedeutet, da lngere Oligonukleotide fr biologische Aktivitten ntig sind und da dann eine intrazellulre Aufnahme von vielen RNS-Strukturen nicht mehr mglich ist. In hheren Konzentrationen hemmen diese Verbindungen die RNase H ebenfalls, und die Dosis-Wirkungs-Beziehung geht verloren. Die Phosphorothionate berwinden nicht die Blut-Hirn-Schranke und weisen nur eine geringe Bioverfgbarkeit nach oraler Anwendung auf. Auf die zustzlichen „Non“-Antisense-Oligonukleotid-Wirkungen (Zytokinfreisetzung, Aktivierung des Komplementsystems usw.) wurde bereits hingewiesen.
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Antineoplastische Substanzen
Das Konzept einer zielgerichteten Hemmung der Bildung krankheitsverursachender Proteine mit Antisense-Oligonukleotiden wird unverndert verfolgt, auch weil in vielen prklinischen Studien potente antitumorale Wirkungen nachgewiesen wurden, die mit den Antisensemechanismen konsistent sind. Die erforderlichen Dosierungen sind um die Grenordnung von 2…3 geringer als die minimal toxischen Dosierungen.
3 Monoklonale Antiko¨rper Maligne und benigne Zellen unterscheiden sich mitunter durch Oberflchenbestandteile, die immunologisch von Antikrpern und/oder Lymphozyten erkannt werden knnen. Einige dieser Tumorantigene wie z.B. mutierte oder virale Proteine sind selektiv auf bestimmten Tumorzellen vorhanden. Andere Antigene sind im Verhltnis zu normalen Geweben berexprimiert oder abnormal auf den Tumorzellen exponiert. Diese Unterschiede knnen ausgenutzt werden, um immunologische Therapiekonzepte zu entwickeln. Im Vordergrund steht dabei der Einsatz von therapeutischen Antikrpern oder Vakzinierungen. Therapeutische Antikrper knnen im wesentlichen ber drei Mechanismen antineoplastische Effekte ausben. F
F
F
Zum einen knnen sie die Aktivitt von spezifischen Moleklen, wie z.B. Wachstumsfaktoren, Zytokinen oder anderen Mediatoren, ber eine direkte Bindung an den Faktor oder seinen Rezeptor blockieren. Zum anderen knnen sie direkt gegen spezifische Zellpopulationen gerichtet sein und entweder ber die natrlichen Effektorfunktionen der Komplementaktivierung (CDC; complement-dependent cytotoxicity) und der antikrperzellvermittelten Zytotoxizitt (ADCC) oder ber angekoppelte toxische Substanzen wie Enzyme, Toxine, Zytostatika oder Radionuklide zu einer Schdigung der Tumorzellen fhren. Schlielich knnen Antikrper auch direkt als Signalgeber wirken, indem sie z.B. an Rezeptoren binden und eine agonistische Aktivitt entfalten oder eine Querverknpfung von bestimmten Rezeptoren verursachen, was zur Auslsung spezifischer intrazellulrer Signalkaskaden fhren kann.
Antikrper wurden zunchst vor allem bei hmatologischen Neoplasien und bei Lymphomen erfolgreich eingesetzt, da diese eine Vielzahl geeigneter Oberflchendeterminanten exprimieren und der Antikrpertherapie gut zugnglich sind. Die Entwicklung von antikrperbasierten Strategien gegen solide Tumoren zeigte sich hingegen schwieriger, nicht zuletzt da die Verteilung der Antikrper im Gewebe deutlich schlechter ist und weniger gut definierte selektive Antigenstrukturen vorliegen. In den letzten Jahren konnten jedoch auch gegen solide Tumoren effektive antikrper-
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1527
basierte Therapien entwickelt werden. Sie richten sich vor allem gegen die extrazellulre Domne von Wachstumsfaktorrezeptoren, insbesondere gegen die Familie der Humanen-epithelialen-Wachstumsfaktor-Rezeptoren (Her). Nachdem es Khler und Milstein mit der Entwicklung der Hybridomtechnik 1975 gelungen war, monoklonale Antikrper herzustellen, wurden zahlreiche antikrpergesttzte immuntherapeutische Verfahren entwickelt. Die ersten klinisch eingesetzten monoklonalen Antikrper waren Maus-Antiko¨rper. Ihre therapeutische Verwendbarkeit war jedoch durch eine relativ kurze Serum-Halbwertszeit, die eingeschrnkte Fhigkeit im Menschen natrliche Effektormechanismen auszulsen, und vor allem durch die Entwicklung neutralisierender Antikrper (HAMA; humane antimouse antibodies) deutlich begrenzt. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist Edrecolomab, ein Maus-IgG2a-Antikrper, der gegen das epitheliale Zelladhsionsmolekl 17-1A (Ep-CAM) gerichtet ist (Tabelle 16). Edrecolomab wurde zur adjuvanten Behandlung von Kolonkarzinomen zugelassen, nachdem in einer kleinen randomisierten Studie nach Einsatz einer postoperativen Therapie mit Edrecolomab ein signifikanter berlebensvorteil gegenber der Vergleichsgruppe, bei der keine weitergehende systemische Therapiemanahme durchgefhrt wurde, gezeigt werden konnte. Die Ergebnisse konnten jedoch in einer groen randomisierten Studie nicht besttigt werden, in der Edrecolomab als Monotherapie bzw. in Kombination mit 5-FU/Leukovorin mit einer Chemotherapie (5-FU/Leukovorin) verglichen wurde. Es zeigte sich vielmehr, da die Hinzunahme von Edrecolomab zur zytostatischen Therapie mit keinem zustzlichen Vorteil verbunden war, whrend eine Monotherapie mit Edrecolomab den beiden Chemotherapiearmen signifikant unterlegen war. Ergebnisse weiterer Studien stehen derzeit aus. Sie werden helfen, den Stellenwert von Edrecolomab besser zu definieren. Da eines der Hauptprobleme der Therapie mit monoklonalen Maus-Antikrpern die Entwicklung neutralisierender HAMA-Antikrper ist, wurde versucht, durch Einbringung von Bestandteilen humaner Antikrper die Immunogenitt zu reduzieren. Die ersten derart modifizierten Antikrper waren die sog. chima¨ren Antiko¨rper, die durch Verknpfung der variablen Region des Maus-Antikrpers mit der konstanten Region eines humanen Antikrpers gebildet werden. Diese Antikrper behalten die Spezifitt bei, sind aber deutlich weniger immunogen, da die Mehrzahl der HAMA-Antikrper gegen den konstanten Teil der Maus-Antikrper gerichtet ist. Einer der am besten etablierten chimren Antikrper ist Rituximab (IDEC-2B8), das gegen das B-Zell-Antigen CD20 gerichtet ist. Rituximab hat in der Monotherapie und in Kombination mit Zytostatika sowohl bei unbehandelten als auch bei refraktren niedrigmalignen Non-HodgkinLymphomen der B-Zell-Reihe eine gute Aktivitt gezeigt. Bei lteren Patienten mit diffus grozelligen Non-Hodgkin-Lymphomen zeigte sich Ritu-
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Antineoplastische Substanzen
Tabelle 16. Monoklonale Antiko¨rper, Immuntoxine und mit Radionukliden konjugierte Antiko¨rper Substanz
Angriffspunkt
AK-Typ
Studienphase
Edrecolomab (MoAb17-1A, Panorex)
17-1A (Ep-CAM)
Muriner AK
Phase III
EMD55900
EGFR (Her-1)
Muriner AK
Phase II
Rituximab (IDEC-2B8)
CD20
Chima¨rer AK
Phase III
Cetuximab (C225, Erbitux)
EGFR (Her-1)
Chima¨rer AK
Phase III
Trastuzumab (Herceptinj)
Her-2
Humanisierter AK
Phase III
Alemtuzumab (Campath)
CD52
Humanisierter AK
Phase II/III
hLL2 (Epratuzumab)
CD22
Humanisierter AK
Phase II/III
Hu1D10 (Apolizumab; Remitogen) 1D10 (HLA-DR)
Humanisierter AK
Phase II
Anti-CD80-Antiko¨rper IDEC-114
CD80 (anti-B7-1)
Humanisierter AK
Phase I/II
Anti-CD40-Antiko¨rper
CD40
Humanisierter AK
Phase I
h-R3 (TheraCIM)
EGFR
Humanisierter AK
Phase II
ABX-EGF
EGFR
Humanisierter AK
Phase II
EMD72000
EGFR
Humanisierter AK
Phase II
2C4
Her-2
Humanisierter AK
Phase I
Bevacizumab (Avastin, rhuMAb-VEGF)
VEGF-Rezeptor
Humanisierter AK
Phase III
Gemtuzumab (CMA-676, Mylotarg)
CD33
Humanisierter AK mit Toxin Clicheamicin
Phase III
Jod-131-Tositumomab (Bexxar)
CD20
Radiomarkierter Maus-AK
Phase III
Yttrium-90-Ibritumomabtiuxetan (Zevalin)
CD20
Radiomarkierter Maus-AK
Phase III
CMB-401 (hCTM01-Calicheamicin) Epitheliales Muzin
AK mit Toxin Calicheamicin Phase II
MDX-210
Her-2
Bispezifischer AK
Phase III
2B1
Her-2
Bispezifischer AK
Phase II
MDX-447
EGFR
Bispezifischer AK
Phase II
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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(Auswahl) Ha¨ufigste untersuchte Entita¨ten
Kommentar
Kolorektale Karzinome
In der adjuvanten Therapie kein Nutzen bei Kombination mit 5-FU/LV, in der Monotherapie 5-FU/LV unterlegen
Maligne Gliome Niedrig- und hochmaligne B-NHL
Zulassung bei rezidivierten oder refrakta¨ren follikula¨ren Lymphomen, in Kombination mit CHOP bei diffus großzelligen B-NHL
Kopf-/Hals-Tumoren, NSCLC, Kolon- und Pankreaskarzinome
Aktivita¨t in Monotherapie und Kombination bei Kopf-/HalsTumoren, Kolonkarzinom, NSCLC
Mammakarzinom
Aktivita¨t in Monotherapie und Kombination; u¨berproportionale Kardiotoxizita¨t mit Anthrazyklinen
B- und T-CLL
Phase-II-Aktivita¨t bei B-/T-CLL
Niedrigmaligne B-NHL
Aktivita¨t in der Monotherapie und in Kombination mit Rituximab
CLL, niedrigmaligne NHL
Aktivita¨t in Phase-I-Studien
Niedrigmaligne NHL
Hemmung der T-Zell-Aktivierung
B-Lymphome
Entwicklung eingestellt
Kopf-/Hals-Tumoren, Mammakarzinom, NSCLC, Gliome
In Kombination mit Radiatio bei Kopf-/Hals-Tumoren; auch als radioaktiv markierter AK in Studien (Tc-99m-h-R3)
Nieren-, Prostata-, kolorektale Karzinome, NSCLC
Phase-I-Aktivita¨t bei Prostatakarzinom, kolorektalen Karzinomen, NSCLC; Phase-II-Aktivita¨t beim Nierenkarzinom
Solide Tumoren
Humanisierte Version von EMD55900; Phase-I-Aktivita¨t bei kolorektalen Karzinomen und O¨sophaguskarzinom
Solide Tumoren
Wirkung auch bei Zellen, die nicht Her-2 u¨berexprimieren. Beeinflussung der Aktivita¨t von Her-1, -3 oder -4
Mammakarzinom, kolorektale Karzinome, NSCLC
Phase-II-Aktivita¨t bei Mammakarzinom, kolorektalen Karzinomen, NSCLC. Keine Vorteile in Phase III beim Mammakarzinom
AML
Phase-II-Aktivita¨t bei refrakta¨ren AML
Refrakta¨re Lymphome, MDS
Gamma- und Beta-Strahler; Vorbehandlung mit unmarkiertem AK wg. zirkulierender CD20+Zellen; Phase-II-Aktivita¨t bei refrakta¨ren Lymphomen
Refrakta¨re Lymphome
Beta-Strahler; zugelassen in den USA; Vorbehandlung mit unmarkiertem AK wg. zirkulierender CD20+Zellen; Phase-II-Aktivita¨t bei refrakta¨ren Lymphomen
Ovarialkarzinom
Keine relevante Aktivita¨t als Monotherapie
Ovarialkarzinom
Zweite Spezifita¨t gegen FccRI (CD64) auf Monozyten/Makrophagen
Solide Tumoren
Zweite Spezifita¨t gegen FccRIII
Kopf-/Hals-Tumoren
Zweite Spezifita¨t gegen FccRI (CD64) auf Monozyten/Makrophagen
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Antineoplastische Substanzen
ximab in Kombination mit einer Chemotherapie nach dem CHOP-Protokoll signifikant berlegen gegenber einer alleinigen CHOP-Behandlung. In Deutschland ist Rituximab derzeit fr die Behandlung von Patienten mit rezidivierten oder refraktren follikulren Lymphomen sowie in Kombination mit CHOP zur Behandlung von diffus grozelligen B-Zell-Lymphomen zugelassen. Cetuximab (C225, Erbitux) ist ebenfalls ein chimrer Antikrper. Er bindet an den EGF-Rezpetor (Her-1) und kann dadurch die multiplen EGFR-vermittelten Effekte auf das Zellwachstum und -berleben blockieren. Cetuximab wurde bisher berwiegend bei Kopf-/Hals-Tumoren und bei Kolonkarzinomen eingesetzt. In einer kleinen Phase-III-Studie bei Patienten mit fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs ging Cetuximab in Kombination mit Cisplatin mit einer hheren Ansprechrate (23 vs. 9%) und einem lngeren 2-Jahres-berleben (29 vs. 17%) einher, wenngleich die Ergebnisse das Signifikanzniveau knapp verfehlten. Auch bei platinrefraktren Kopf-/Hals-Tumoren zeigte sich die Kombination von Cetuximab mit Cis- oder Carboplatin effektiv mit einer objektiven Ansprechrate von 15% und Krankheitsstabilisierungen bei weiteren 40% der Patienten. Beim Kolonkarzinom hat sich Cetuximab sowohl in der Monotherapie bei Irinotecan-refraktren Patienten als auch in Kombination mit 5-FU/Leukovorin und Irinotecan als wirksam erwiesen. Phase-III-Studien beim Kolonkarzinom laufen derzeit. Darber hinaus zeigte Cetuximab unter anderem beim NSCLC und bei Pankreaskarzinomen eine vielversprechende Aktivitt. Die Behandlung mit Cetuximab ist gut vertrglich. Die hufigste Nebenwirkung ist ein akneartiger Hautausschlag, wie er fr Substanzen, die die EGF-Aktivitt hemmen, typisch ist. Da es auch bei chimren Antikrpern zur Entwicklung neutralisierender Antikrper kommen kann (z.B. etwa 3…4% unter Cetuximab), wurde versucht, durch zustzliche Modifikationen die Immunogenitt weiter zu verringern. Der Anteil der murinen Bestandteile kann minimiert werden, indem lediglich die Antigenbindungsstellen des Maus-Antikrpers, die sog. „complementarity determining regions“ (CDR), auf einen humanen Antikrper bertragen werden. Mehrere dieser humanisierten Antikrper befinden sich in der klinischen Entwicklung oder sind bereits zugelassen. Trastuzumab (HerceptinJ) ist ein humanisierter monoklonaler Antikrper, der gegen die extrazellulre Domne des Humanen-epidermalenWachstumsfaktor-Rezeptors-2 (Her-2) gerichtet ist. Her-2 wird bei etwa 25…30% aller Mammakarzinome berexprimiert und ist mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf und einer ungnstigen Prognose assoziiert. Durch Bindung des Antikrpers an das Her-2/neu-Protein kann der Proliferationsstimulus des Her-Systems unterdrckt und eine antikrpervermittelte immunologische Reaktion induziert werden. Im Gegensatz zu Zytostatika erreichen die Antikrper nicht nur proliferierende, sondern wahr-
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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scheinlich auch ruhende Tumorzellen. Trastuzumab hat sich beim metastasierten Mammakarzinom sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Zytostatika als wirksam erwiesen. Entscheidend fr die Wirksamkeit ist dabei das Ausma der berexpression von Her-2/neu. Lediglich Patientinnen mit einer starken berexpression (immunhistochemischer Score 3+) oder einer Genamplifikation profitieren von der Behandlung. Die Behandlung mit Trastuzumab hat gezeigt, da auch spezifische Antikrpertherapien mit ausgeprgten Nebenwirkungen einhergehen knnen. Neben den fr die Substanzklasse typischen infusionsbedingten Toxizitten war vor allem die Kardiotoxizitt relevant, die insbesondere in Kombination mit Anthrazyklinen auftrat. Die Mechanismen sind bisher nicht vollstndig verstanden. Mit 2C4 befindet sich derzeit ein weiterer gegen Her-2 gerichteter humanisierter Antikrper in der klinischen Entwicklung. Im Gegensatz zu Trastuzumab kann 2C4 in prklinischen Untersuchungen die Signaltransduktion aller Mitglieder der Her-Familie unterbinden. Diese Effekte sind auch bei Zellen nachzuweisen, die nicht Her-2 berexprimieren, und sind mglicherweise auf eine Strung der fr die Aktivitt der Rezeptoren bedeutsamen Heterodimerisierung von Her-2 mit Her-1, -3 oder -4 zurckzufhren. Auch gegen Her-1 werden gegenwrtig mehrere humanisierte Antikrper entwickelt. ABX-EGF hat in einer Phase-II-Studie Aktivitt bei refraktren Nierenkarzinomen gezeigt. Phase-II-Studien bei Prostatakarzinomen, kolorektalen Karzinomen und NSCLC laufen derzeit. EMD72000 ist die humanisierte Version von EMD55900, einem murinen Anti-Her-1-Antikrper, der ebenfalls in Phase-II-Studien untersucht wird. In Phase-I-Studien mit EMD72000 konnte bei kolorektalen Karzinomen und bei sophaguskarzinomen eine Aktivitt beobachtet werden. Phase-II-Studien wurden initiiert. h-R3 (TheraCIM) wurde bisher berwiegend in Kombination mit einer Strahlentherapie bei inoperablen Kopf-/Hals-Tumoren eingesetzt. Eine radiomarkierte Variante (Tc-99m h-R3) wird parallel untersucht. Neben den Anti-Her-Antikrpern befinden sich mehrere humanisierte Antikrper gegen B- oder T-Zell-Antigene in der Entwicklung. Bereits zugelassen ist Alemtuzumab (Campath), das gegen das lymphozytre Antigen CD52 gerichtet ist. Alemtuzumab zeigte in Phase-II-Studien eine gute Aktivitt bei Patienten mit refraktren chronischen lymphatischen Leukmien der B- und der T-Zell-Reihe. Auffallend war dabei eine hohe Inzidenz schwerwiegender Infektionen, die eine Infektprophylaxe ratsam macht. Daneben befinden sich derzeit eine Reihe weiterer Antikrper in der prklinischen oder klinischen Entwicklung. Das hHLL2 (Epratuzumab) ist gegen CD22 gerichtet und hat sich bei Patienten mit niedrigmalignen B-NHL sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Rituximab als wirksam erwiesen. Es wird gerade in Phase-II/III-Studien untersucht.
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Antineoplastische Substanzen
Hu1D10 (Apolizumab; Remitogen), ein humanisierter Antikrper gegen die b-Ketten-Variante von HLA-DR, 1D10, hat in Phase-I-Studien Aktivitt bei Patienten mit CLL oder niedrigmalignen NHL gezeigt. Es befindet sich derzeit in Phase-II-Studien. Der Anti-CD80-Antiko¨rper IDEC-114 (anti-B71) kann die T-Zell-Aktivierung hemmen, indem es selektiv ein kostimulierendes Molekl antigenprsentierender Zellen blockiert. Er wird gegenwrtig in der Monotherapie und in Kombination mit Rituximab bei niedrigmalignen Lymphomen untersucht. Ein potentiell antiangiogener humanisierter Antikrper ist Bevacizumab (Avastin, rhuMAb-VEGF). Er ist gegen VEGF gerichtet und hat in Phase-IIStudien u.a. beim Mammakarzinom, bei kolorektalen Tumoren und beim NSCLC Aktivitt gezeigt. In einer randomisierten Studie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom konnte unter der Kombination von Bevacizumab und Capecitabine eine signifikant hhere Ansprechrate als unter Capecitabine allein beobachtet werden. Allerdings waren keine Unterschiede im progressionsfreien berleben und im Gesamtberleben zu verzeichnen. Bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen zeigte die Kombination von Bevacizumab und Chemotherapie in einer randomisierten PhaseII-Studie ein besseres Ansprechen, ein lngeres progressionsfreies Intervall und ein lngeres Gesamtberleben als eine alleinige Chemotherapie. Die Rekrutierung einer Phase-III-Studie mit mehr als 900 Patienten mit kolorektalen Karzinomen ist abgeschlossen. Ergebnisse werden in Krze erwartet. Trotz der deutlich reduzierten Immunogenitt humanisierter Antikrper kann es letztendlich auch bei ihnen zur Ausbildung neutralisierender Antikrper kommen. Deshalb ist es ein wesentliches Ziel, vollstndig humane monoklonale Antiko¨rper zu entwickeln. Mit der sog. Phagen-Display-Methode, bei der durch Einschleusung humaner Gene selektive Antikrper in E.-coli-Bakterien gebildet werden knnen, und dem transgenen Mausmodell stehen zwei neue Verfahren zu Verfgung, die eine Produktion humaner Antikrper ermglichen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist in naher Zukunft mit der Entwicklung verschiedener humaner Antikrper zu rechnen. Neue molekularbiologische Techniken erlauben zudem weitere Modifikationen der Antikrperstruktur. Ein wesentliches Ziel ist dabei, eine Verkleinerung der Antikrpermolekle zu erreichen, da diese leichter in das Tumorgewebe eindringen knnen. Die kleinste natrliche antigenbindende Einheit von Antikrpern ist das Fv-Fragment. Durch gentechnische Vernderungen knnen jedoch kleinere Fragmente der variablen Region gebildet werden, die weiterhin antigenbindende Eigenschaften aufweisen. Je nach Lnge des entstehenden Fv-Fragments knnen die entstehenden Peptide als Einzelketten (scFV, single chain Fv) vorliegen oder sich zu Dimeren, den sog. Diabodies, oder Trimeren, den Triabodies, mit mehreren Antigenbindungsstellen zusammenlagern.
30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
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Eine weitere Mglichkeit der Strukturmodifikation ist die Erzeugung bispezifischer Antiko¨rper. Diese weisen zwei verschiedene antigenbindende Domnen auf und knnen verwendet werden, um den Kontakt zwischen dem Tumor und den Effektorzellen des Immunsystems zu verstrken. Dabei bindet eine Region des Antikrpers gegen ein Tumorantigen, whrend die zweite Bindungsstelle gegen ein Oberflchenantigen von Effektorzellen gerichtet ist. Hufige Zielstrukturen sind z.B. der Fc-Rezeptor, die T-Zell-Antigene CD3 oder CD28, die bei der Antigenerkennung und T-Zell-Stimulation eine Rolle spielen, oder das NK-Zell-Antigen CD16. Mehrere bispezifische Antikrper befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Am hufigsten wurden dabei bisher Antikrper eingesetzt, die gegen den Fc-Rezeptor gerichtet sind und so gezielt Monozyten, Makrophagen, natrliche Killerzellen oder Granulozyten rekrutieren knnen. In der zweiten Spezifitt sind sie u.a. gegen Her-2 oder Her-1 gerichtet, wie z.B. bei MDX-H210 und 2B1 bzw. bei MDX-447. Sie wurden unter anderem bei Patienten mit Ovarial-, Mamma-, Kolon-, Nieren- oder Prostatakarzinomen eingesetzt und knnen in ihrer Wertigkeit derzeit nicht ausreichend beurteilt werden. Um die zytotoxische Aktivitt von Antikrpern weiter zu steigern, kann eine Konjugation mit toxischen Substanzen erfolgen. Dadurch werden diese selektiv an neoplastische Zellen herangefhrt, wo sie eine hohe lokale Konzentration erreichen, whrend gesunde Gewebe deutlich weniger betroffen werden. Dieses Verfahren findet mit der Verbindung Gemtuzumab bereits seinen erfolgreichen klinischen Einsatz. Gemtuzumab (CMA-676, Mylotarg) besteht aus einem Antikrper, der gegen das myeloische Antigen CD33 gerichtet ist, und dem zytotoxischen Antibiotikum Calicheamicin. Es zeigte in mehreren Phase-II-Studien eine gute Aktivitt bei rezidivierten oder refraktren akuten myeloischen Leukmien und ist in den USA fr diese Indikation zugelassen. Bei der Therapie mit Antikrperkonjugaten scheint die Wirkung u.a. von der Menge der gekoppelten Zytostatikamolekle abhngig zu sein. Durch Verwendung von Immunliposomen kann eine deutliche Steigerung der applizierten Zytostatika erreicht werden. Eine elegante Alternative ist die Kopplung eines Antikrpers mit einem nichttoxischen Enzym, das im Krper normalerweise nicht vorkommt. Nach Applikation des Antikrpers reichert sich dieses Enzym in Tumorzellen an. In einem zweiten Schritt wird dann eine nichttoxische Vorlufersubstanz verabreicht, aus der durch das zuvor gegebene Enzym in den Tumorzellen selektiv die zytotoxische Substanz gebildet wird. Neben Zytostatika werden auch verschiedene pflanzliche (z.B. Ricin, Abrin) oder bakterielle Toxine (z.B. Diphtherietoxin, Choleratoxin) mit Antikrpern verknpft. Diese Toxine sind zum Teil wesentlich toxischer als Zytostatika. Sie sind zunchst durch die Bindung des Antikrpers inaktiviert und werden erst nach Internalisierung des Antikrpers in die Tumorzellen durch lysosomale Abspaltung des Antikrpers freigesetzt.
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Antineoplastische Substanzen
Immuntoxine wurden bereits bei hmatologischen Neoplasien erfolgreich eingesetzt. Ihre Entwicklung wird jedoch durch ihre zum Teil schweren Nebenwirkungen limitiert. Eine weitere Mglichkeit der Therapie mit konjugierten Antikrpern ist die Radioimmuntherapie, bei der ein Antikrper mit einem Radionuklid gekoppelt wird. Die bevorzugten Isotope waren bisher Jod 131 und Yttrium 90, die beide hochenergetische Beta-Strahlen abgeben. Zuknftige Strategien sehen aber auch die Entwicklung von Verbindungen vor, die Alpha-Teilchen emittieren, da diese eine noch geringere Eindringtiefe aufweisen und somit selektivere Therapie ermglichen. Zwei Prparate, I-131-Tositumomab (Bexxar) und Y-90-Ibritumomab-Tiuxetan (Zevalin), die beide gegen das B-Zell-Antigen CD20 gerichtet sind, haben eine gute Aktivitt bei refraktren Non-Hodgkin-Lymphomen gezeigt. Weitere Verbindungen, z.B. mit Anti-EGFR oder Anti-Her-2-Antikrpern, befinden sich in der Entwicklung. Zusammenfassung
Die Therapie mit monoklonalen Antikrpern hat in den letzten Jahren immense Fortschritte gemacht. Behandlungserfolge wurden dabei sowohl bei hmatologischen Erkrankungen als auch bei soliden Tumoren erzielt. Frhere Probleme, wie die unzureichende Potenz, die Immunogenitt oder die ungnstige Verteilung der Antikrper im Tumor, konnten zum Teil gelst werden. Neue gentechnische Verfahren ermglichen u.a. die Herstellung spezifischer humaner Antikrper. Durch Modifikationen knnen Antikrper mit zwei oder drei verschiedenen spezifischen Bindungsstellen generiert werden, die eine bessere Aktivierung von Effektorfunktionen ermglichen knnen. Die Zytotoxizitt kann zudem durch Konjugation mit Toxinen, Zytostatika oder Radioisotopen weiter gesteigert werden. Diese modifizierten Antikrper sind bisher berwiegend in der frhen klinischen Entwicklung. Sie werden mglicherweise dazu beitragen, da die bisherigen Therapieergebnisse weiter verbessert werden knnen. Nicht zuletzt aufgrund der ebenfalls verbesserten Charakterisierung geeigneter zellulrer Tumorantigene kann in Zukunft mit einer Vielzahl neuer Prparate gerechnet werden. Literatur Anthrazykline Chan S, Friedrichs K, Noel D et al (1999) Prospective randomized trial of Docetaxel versus Doxorubicin in patients with metastatic breast cancer. J Clin Oncol 17(8):2341. Wigler N, Inbar M, O‘Brien M et al (2002) Reduced cardiac toxicity and comparable efficacy in a phase III trial of pegylated liposomale doxorubicin (Caelyx/Doxil) vs.
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Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1535
doxorubicin for first-line treatment of metastatic breast cancer. Proc Am Soc Clin Oncol 21: Abstract: 177 Batist G, Ramakrishnan G, Sekhar Rao C et al (2001) Reduced cardiotoxicity and preserved antitumour efficacy of liposome-encapsulated doxorubicin and cyclophosphamide compared with conventional doxorubicin and cyclophosphamide in a randomized, multicenter trial of metastatic breast cancer. J Clin Oncol 19:1444… 1454 Gianni L, Graselli G, Cresta S et al (2002) Anthracyclines. In: Giaccone G, Schilsky R, Sondel P (eds) Cancer Chemotherapy and Biological Response Modifiers Annual 20, Elsevier 59-70
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Antineoplastische Substanzen
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30.2
Neue antineoplastische Substanzen und ihre klinische Entwicklung
1537
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30
30.3 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellula¨re Kinetik M. Borner, Th. Cerny, M. E. Scheulen
1 Einleitung Das klassische Paradigma in der medikamentsen Behandlung von Tumorerkrankungen ist die Abttung der malignen Zellen durch die gngigen Zytostatika. Damit lt sich prinzipiell eine signifikante Verringerung des Tumorvolumens und im besten Fall eine Heilung erreichen. Da die Zielstrukturen fr die meisten Chemotherapeutika nicht nur in den Tumorzellen, sondern auch in den normalen Zellen vorhanden sind, ist eine geringe therapeutische Breite dieser Substanzen mit Inkaufnahme erheblicher toxischer Nebenwirkungen unumgnglich. Neuere Chemotherapeutika stehen demgegenber fr das moderne Paradigma der Wachstumskontrolle: Nicht die Elimination der Tumorzelle ist das primre Ziel, sondern die Modulation der zellulren Vorgnge, die die Proliferation und die Metastasierung berhaupt erst ermglicht. Dadurch lassen sich Medikamente entwickeln, die eine grere therapeutische Breite aufweisen, die nicht zy-
Abb. 1. Wichtige Schritte von der Medikamentengabe bis zur Wirkung
30.3
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellula¨re Kinetik
1539
klisch, sondern chronisch verabreicht werden und damit mehr ˜hnlichkeit mit Therapien chronischer Erkrankungen aufweisen. Immer mehr werden entscheidende Zielstrukturen im hochkomplexen Regelwerk der zellularen Kommunikation definiert, die bei malignen Zellen gestrt sind und sich medikaments beeinflussen lassen. In keiner Disziplin der Medizin sind so viele neue Molekle in Entwicklung wie in der Onkologie. Pharmakokinetische und pharmakodynamische Untersuchungen knnen wesentlich dazu beitragen, da diese Substanzen letztlich optimiert zum Einsatz kommen knnen. Die Pharmakokinetik beschreibt das Schicksal eines Medikamentes im Krper. Dosis, Verabreichungsmodus und Verabreichungsweg werden mit den resultierenden Konzentrationsverlufen mathematisch in Beziehung gesetzt. Demgegenber untersucht die Pharmakodynamik die Beziehung zwischen Medikamentenkonzentration und Effekt (Wirkungen und Nebenwirkungen). So hat eine unerwartete Toxizitt bei erhhtem Plasmaspiegel des Medikaments eine pharmakokinetische Ursache, whrend bei normalem Plasmaspiegel eine pharmakodynamische Ursache vorliegt. Abbildung 1 zeigt schematisch die wichtigsten Schritte von der Verabreichung eines Chemotherapeutikums bis zu seiner Wirkung. Viele individuelle Faktoren knnen die Plasma- und Gewebskonzentration eines Medikaments beeinflussen (Tabelle 1). Zudem haben Tumorzellen als biologische Systeme die Mglichkeit, Abwehrstrategien gegen die letale Wirkung der Chemotherapeutika zu entwickeln. So ist es im EinzelTabelle 1. Ursachen fu¨r Variabilita¨t pharmakokinetischer Parameter bei Tumorpatienten. (Modifiziert nach Ratain et al. 1990) Verteilungssto¨rungen Gewichtsabnahme, Adipositas, vermindertes Ko¨rperfett (lipophile Medikamente), Aszites oder Pleuraergu¨sse (Methotrexat), Hypalbumina¨mie, gleichzeitige Gabe von anderen Medikamenten mit ausgepra¨gter Plasmaproteinbindung, Lo¨sungsmittel (z.B. Cremophor EL bei Taxol); * * * * *
*
Eliminationssto¨rungen Leberfunktionssto¨rung, Niereninsuffizienz (Methotrexat, Melphalan, Carboplatin, Cisplatin, Bleomycin, Hydroxyurea); * *
Variabilita¨t der Bioverfu¨gbarkeit (orale Medikamente) Erbrechen, vorhergehende Chirurgie, Radiotherapie oder Chemotherapie, Antiemetika (Darmmotilita¨t beeintra¨chtigt); Compliance.
* * * *
30
1540
30
Antineoplastische Substanzen
fall nicht mglich, aufgrund der Dosis eines Medikaments dessen Wirkung vorauszusagen. Auch helfen die pharmakokinetischen Parameter zur Findung der optimalen Dosis und Verabreichungsart eines Chemotherapeutikums wenig, wenn die Kenntnis der pharmakodynamischen Zusammenhnge fehlt. Von der Kombination pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Modelle sind jedoch in den letzten Jahren interessante Resultate in den klinischen Alltag eingeflossen, die eine zunehmend rationale Pharmakotherapie maligner Tumoren ermglichen werden.
2 Pharmakokinetik Die Pharmakokinetik beschftigt sich mit der Absorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung einer Substanz (s. Abb. 1). Diese Vorgnge lassen sich in vivo nicht unabhngig voneinander quantifizieren, da sie zeitlich berlappend und in gegenseitiger Abhngigkeit ablaufen. Es werden deshalb mathematische Modelle gebraucht, die die Verteilung eines Medikamentes in fiktiven Krperrumen mit homogenen pharmakokinetischen Eigenschaften (Kompartimente) beschreiben. Im einfachsten Fall liegt ein Einkompartimentmodell vor, wobei davon ausgegangen wird, da sich das Medikament homogen im ganzen Krper verteilt. Diese Vereinfachung gilt fr viele Substanzen, wenn man von der initialen Verteilungsphase und einer spten Eliminationsphase aus Geweben mit spezieller Substanzaffinitt absieht. Bei linearer Kinetik ist die Elimination einer Substanz nur von deren aktueller Plasmakonzentration abhngig: dC/dt = kC
(1)
Die Integration von Gleichung 1 ergibt C(t) = C0ekt
(2)
wobei C0 die Plasmakonzentration der Substanz zum Zeitpunkt t0 unter der Annahme einer sofortigen homogenen Verteilung nach intravenser Bolusgabe darstellt. Bei bekannter Eliminationskonstante k lassen sich aus Gleichung 2 die Plasmakonzentrationen einer Substanz zu beliebigen Zeitpunkten t berechnen, die semilogarithmisch in Abhngigkeit von der Zeit dargestellt eine Gerade mit der Steigung k (Abb. 2) ergeben. In gleicher Weise knnen Rohdaten aus pharmakokinetischen Studien dargestellt werden, wobei erhebliche Abweichungen vom Geradenverlauf gegen das Vorliegen einer Einkompartimentkinetik sprechen (Abb. 2). Weitere wichtige pharmakokinetische Kenngren sind die Halbwertszeit t1/2: t1/2 = ln 2/k = 0,693/k
(3)
30.3
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellula¨re Kinetik
1541
30
Abb. 2. Plasmakonzentration-Zeit-Kurve einer Substanz mit Einkompartimentkinetik (gestrichelte Linie) und Zweikompartimentkinetik (durchgezogene Linie)
die Flche unter der Plasmakonzentration-Zeit-Kurve (AUC) und die Clearance (Ausscheidungsrate). Die folgenden Gleichungen beschreiben, wie diese Gren zusammenhngen: Clearance = V k Clearance = Dosis/AUC Clearance = Infusionsrate/Css
(4) (5) (6)
wobei das Verteilungsvolumen (V) ein hypothetisches Volumen darstellt, das bei einer homogenen Verteilung der Substanz im ganzen Krper bestnde. Wenn ein Medikament als kontinuierliche Infusion verabreicht wird und ein Gleichgewicht zwischen Infusion und Ausscheidung erreicht ist („steady state“), lt sich die Clearance aus einer einzigen Plasmakonzentrationsmessung (Css) errechnen (Gl. 6). Eine wichtige Folgerung aus Gleichungen 3…5 ist, da bei Substanzen mit linearer Pharmakokinetik Halbwertszeit und Clearance von Dosis und Dosierungsintervall unabhngig sind. Whrend bei intravenser Gabe 100% der Substanz die Blutbahn erreichen, ist dies bei peroraler, intraperitonealer, intrathekaler, subkutaner oder
1542
30
Antineoplastische Substanzen
intramuskulrer Verabreichung nicht notwendigerweise der Fall. Die Bioverfu¨gbarkeit F beschreibt die Fraktion des Medikamentes, das bei nichtintravenser Verabreichung die Blutbahn erreicht, und errechnet sich aus AUC (nichtintravense Verabreichung)/AUC (intravense Verabreichung). Neben eingeschrnktem Absorptionsvermgen knnen prsystemische Metabolisierungsvorgnge die Bioverfgbarkeit beeinflussen. Ein Beispiel ist der „first pass effect“ der Leber bei oraler oder intraperitonealer Verabreichung von Fluorouracil. Andere Substanzen (z.B. Cyclophosphamid) wirken erst, nachdem sie zum Beispiel von der Leber zu aktiven Metaboliten umgebaut worden sind (sog. Produgs). Oft sind die pharmakokinetischen Daten adquater unter der Zuhilfenahme von zwei oder mehreren Kompartimenten beschrieben (s. Abb. 2). Suffixe aus dem griechischen Alphabet bezeichnen dann die dem jeweiligen Kompartiment zugeordneten Gren. Moderne Computerprogramme, die unter anderem nichtlineare Regressionsanalysen verwenden, haben die Auswertung komplexer pharmakokinetischer Daten erheblich vereinfacht. Auch die besten mathematischen Modelle knnen jedoch nicht Fehler bei Blutentnahmen und andere Ungenauigkeiten bei der Durchfhrung von pharmakokinetischen Studien kompensieren. Eine nichtlineare Kinetik liegt vor, wenn die Kapazitt von Prozessen wie Absorption, Plasmaproteinbindung oder Metabolisierung/Ausscheidung gesttigt werden kann. Oberhalb einer Schwellendosis geht dann die Proportionalitt zwischen Dosis, Serumkonzentration und AUC verloren, und kleine Dosissteigerungen knnen zu unerwarteten Nebenwirkungen fhren. Beispiele sind die Sttigung des Fluorouracil-Hauptabbauenzyms Dihydrofolsure-Reduktase oder der renaltubulren Sekretion von Cisplatin.
3 Pharmakodynamik Dosis-Wirkungs-Beziehungen sind bei der Verwendung von Chemotherapeutika in vivo weniger offensichtlich als beispielsweise bei den Antibiotika oder Antihypertensiva. Grnde sind die zeitliche Verzgerung zwischen Medikamentenverabreichung und Wirkung, die entscheidende Abhngigkeit der Wirkung von der Biologie des jeweiligen Tumors und die fast ausschlieliche Verwendung von Medikamentenkombinationen. Prklinische Modelle zeigen jedoch, da Medikamente, die die Funktion der DNS beeintrchtigen, eine steile Dosis-Effekt-Beziehungskurve aufweisen. Diese Kurve verluft bei zellzyklusspezifischen Substanzen (z.B. Antimetaboliten) flacher und erreicht ein Plateau, da nur die sich teilende Fraktion der Zellen der Wirkung dieser Medikamente berhaupt zugnglich ist. Mit einer Dosiserhhung ist hier oft keine Wirkungssteigerung mehr zu erwarten, wohl aber mit einer verlngerten Expositionsdauer. So sind eine kontinuierliche Infusion von Cytosin-Arabinosid oder die repetitive perorale Verabreichung
30.3
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellula¨re Kinetik
1543
von Methotrexat zytotoxischer als die entsprechende intravense Bolusgabe, selbst wenn identische AUC-Werte erreicht werden. Da viele Faktoren die Beziehung zwischen Dosis und Plasmakonzentration beeinflussen knnen (s. Tabelle 1), wre es erstrebenswert, in der Phase der klinischen Prfung eines Medikamentes dessen Wirkung bei kontinuierlicher Infusion unter „Steady-state“-Bedingungen zu untersuchen, da dann Plasmakonzentration und AUC praktisch austauschbar Tabelle 2. Beispiele von Medikamenten mit nachgewiesenem Zusammenhang zwischen pharmakokinetischen Parametern und Effektivita¨t/Toxizita¨t. (Mod. nach Ratain et al. 1990, Newell 1994, Huitema 2002) Medikament
Parameter
Cytosin-Arabinosid
Cytosin-Arabinosid-3-P in Blasten Therapierefrakta¨rer Leuka¨mie
Ansprechen bei
Methotrexat
Clearance
Akuter lymphatischer Leuka¨mie
Methotrexat
MTX-Polyglutamate in Blasten
Akuter lymphatischer Leuka¨mie
Carboplatin
AUC
Ovarialkarzinom
Cyclophosphamid
AUC
Mammakarzinom
Epirubicin
AUC
Nasopharyngealem Karzinom
Etoposid
Css
Bronchialkarzinom
Teniposide
Css
Pa¨diatrischen soliden Tumoren
Medikament
Parameter
Toxizita¨t
Cyclophosphamid
AUC
Kardiotoxizita¨t
4-Hydroxycyclophosphamid
AUC
Venookklusive Erkrankung (VOD)
Anthrazykline
Spitzenkonzentration
Kardiotoxizita¨t
Vincristin
AUC
Neurotoxizita¨t
Cisplatin
Spitzenkonzentration
Nephrotoxizita¨t
Cyclophosphamid
Acroleinbildung
Urotoxizita¨t
Carboplatin
AUC
Ha¨matologische und Ototoxizita¨t
Methotrexat
48-h-Spiegel
Ha¨matologische Toxizita¨t
Doxorubicin
Css
Ha¨matologische Toxizita¨t
Etoposid
Css, AUC
Ha¨matologische Toxizita¨t
Fluorouracil
Css
Ha¨matologische Toxizita¨t
Vinblastin
Css
Ha¨matologische Toxizita¨t
Thiotepa
AUC
Schleimhauttoxizita¨t
30
1544
30
Antineoplastische Substanzen
sind (AUC = Css Infusionsdauer). Auch die Bestimmung der totalen Plasmakonzentration kann jedoch ungengend sein, wie am Beispiel von Etoposid gezeigt wurde, wo nur die AUC der freien und nicht an Plasmaproteine gebundenen Fraktion des Medikamentes mit dessen Toxizitt korrelierte (Stewart et al. 1991). In anderen Fllen sind AUC oberhalb einer bestimmten Schwellenkonzentration, aktive Metaboliten oder intrazellulre Zielmolekle die verllicheren Effektorkorrelate (Clark et al. 1989; Ratain et al. 1990; Newell 1994). Tabelle 2 gibt eine bersicht ber Studien, die eine Beziehung zwischen pharmakokinetischen Parametern und Effekt oder Toxizitt von Chemotherapeutika in vivo zeigen konnten. Gerade auch fr palliative Therapien sind Dosierungshilfen ntzlich, da ihr Wert wesentlich durch Vermeiden von Nebenwirkungen bestimmt wird. Sind pharmakokinetische Zielgren etabliert, so knnen diese als Endpunkte zur Therapieindividualisierung verwendet werden. Die Entwicklung von adaptiven Dosierungshilfen unter Zuhilfenahme von Populationskinetikdaten ist ein erfolgreicher Schritt in diese Richtung. Die Populationskinetik definiert die Verteilung von pharmakokinetischen Parametern und deren Varianz in einer Kontrollpopulation fr das betreffende Medikament. Individuelle Patientendaten werden dann mit Hilfe von speziellen Computerprogrammen mit den Populationskinetikdaten verglichen (Bayes-Algorithmus) und eventuelle Dosierungsanpassungen errechnet, deren Resultate dann wieder in die Populationsdaten integriert werden (D’Argenio u. Schumitzky 1979). Eine erfolgreiche Anwendung dieses Bayes-Verfahrens wurde fr Methotrexat, Etoposid, Teniposid, Doxorubicin, Topotecan, Taxotere, Cisplatin, Carboplatin, 5-Flurouracil und Suramin beschrieben (Ratain et al. 1989; Santini et al. 1989; Jodrell et al. 1994; Rousseau et al. 2000). Eine wesentliche Vereinfachung stellt die „Limited-sampling“-Strategie dar, mit der fr einen Parameter (oft AUC) optimale Zeitpunkte fr Plasmakonzentrationsbestimmungen vorausgesagt werden. Diese werden dann zusammen mit Populationsdaten dazu verwendet, mittels des Bayes-Algorithmus die pharmakokinetischen Parameter des individuellen Patienten zu errechnen (Ratain et al. 1990; Rousseau et al. 2000).
4 Intrazellula¨re Kinetik Chemotherapeutika wirken v.a. intrazellulr, und ihre extrazellulre Konzentration mu nicht notwendigerweise die intrazellulren Verhltnisse widerspiegeln. Damit verbundene Faktoren erschweren das Herstellen von pharmakodynamischen Zusammenhngen in der medikamentsen Tumortherapie. Transportvorgnge durch die Zellmembran knnen in beide Richtung gestrt sein, und ein vermehrter Medikamentenausstrom ist fr das Phnomen der „multidrug resistance“ (CMDR) verantwortlich. Die meisten Antimetaboliten mssen zuerst von den Tumorzellen metabolisiert
30.3
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und intrazellula¨re Kinetik
1545
werden, bevor sie ihre volle Wirkung entfalten knnen. Zudem konkurrieren sie mit den natrlichen Substraten um Bindungsstellen an Zielmoleklen und um essentielle Kofaktoren. Zellen haben Reparaturenzyme, die von Chemotherapeutika verursachte Schden korrigieren knnen. Obwohl schwierig zu untersuchen, ist es sehr wohl mglich, da die quantitativen Verhltnisse dieser Vorgnge fr die Unterschiede in der Chemotherapiesensitivitt zwischen verschiedenen Tumoren und zwischen Tumorund Normalgewebe die entscheidende Rolle spielen.
5 Dosisberechnung Die Wunschvorstellung, da sich fr den klinischen Alltag fr den einzelnen Patienten einfache, zuverlssige und evidenzbasierte Dosisempfehlungen etablieren lieen, hat sich bisher leider nicht realisiert. So mu im Einzelfall insbesondere der erste Zyklus sehr sorgfltig beobachtet und dokumentiert werden, da allfllige individuelle Dosisanpassungen fr die Weiterfhrung der Therapie optimiert werden knnen. Die heute noch bliche Dosisberechnung ber die Krperoberflche ist ungenau und unbefriedigend. Sie hat sich nur gehalten, weil sie einfach und vertraut ist und kein einfacheres und besseres Verfahren zur Verfgung steht (vgl. Kap. 14). Die individuelle Komplexitt insbesondere auch mit der ganzen Dynamik der Krankheitsentwicklung mit wechselnden Ausprgungen von Organfunktionen erfordert eine hohe Wachsamkeit, damit unntige Toxizitten genauso wie unntige ber- oder Unterdosierungen ausbleiben. Die Hoffnung, da die pharmakokinetisch geleitete Chemotherapie diese Aufgaben bernehmen kann, ist wohl a priori unrealistisch. Zum einen lassen sich wichtige Metaboliten wegen ihrer Kurzlebigkeit und zum Teil Kompartimentalisierung kaum nachweisen, zum anderen ist es logistisch kaum machbar, da im Einzelfall Probeentnahmen und Resultate optimal verfgbar wren. Am ehesten noch wird die pharmakokinetisch kontrollierte Zytostatikagabe, abgesehen von hochdosiertem Methotrexat, bei weiteren Hochdosistherapien Eingang finden. Inwieweit sich die individuelle Typisierung bezglich Pharmakogenetik hilfreich erweisen wird, werden wir erst in Zukunft wissen. Mittels Populationsanalyse und des sog. Bayes-Verfahrens wird versucht, mit nur einem Mewert nach einer ersten Dosis eine Wahrscheinlichkeitsverteilung (die sog. A-posteriori-Verteilung) zu berechnen, um damit besser abschtzen zu knnen, ob der Patient im gewnschten Bereich der Dosis-Wirkungs-Beziehung liegt (Rousseau et al. 2000).
30
1546
30
Antineoplastische Substanzen
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30.4 Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine1 U. Keilholz, H. Knoth, H. Sauer
1 Zytostatika (S. 1548) – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aclarubicin Amsacrin Asparaginase Bendamustin Bleomycinsulfat Busulfan Capecitabin Carboplatin Carmustin Chlorambucil Cisplatin Cladribin Cyclophosphamid Cytarabin Dacarbazin-Citrat Dactinomycin Daunrorubicin-HCl Daunorubicin, liposomal Docetaxel Doxorubicin-HCl Doxorubicin, liposomal
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Doxorubicin, PEG-liposomal Epirubicin-HCl Estramustinphosphat Etoposid Etoposidphosphat Fludarabin Fluorouracil Fotemustin Gemcitabin Hydroxycarbamid Idarubicin-HCl Ifosfamid Irinotecan Lomustin Melphalan 6-Mercaptopurin Methotrexat-Dinatrium Miltefosin Mitomycin C Mitotane Mitoxantron
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Nimustin-HCl Oxaliplatin Paclitaxel Pegasparagase Pentostatin Procarbazin-HCl Raltitrexed Streptozotocin Temozolomid Teniposid Thioguanin Thiotepa Topotecan Treosulfan Tretinoin Trofosfamid Vinblastin Vincristin Vindesin Vinorelbin
2 Andere Stoffe (S. 1685) – Rituximab – Trastuzumab
– „Medikamente“ ohne nachgewiesene Wirksamkeit
3 Hormone (S. 1688) – – – – – – –
Aminoglutethimid Anastrozol Bicalutamid Buserelin Cyproteronacetat Ethinylestradiol Flutamid
– – – – – – –
Formestan Gestonoroncaproat Goserelin Letrozol Leuprorelin Lynestrenol Medroxyprogesteronacetat
– – – – – –
Megestrolacetat Octreotid Polyestradiolphosphat Tamoxifen Toremifen Triptorelin
4 Zytokine (S. 1718) – Interferon-a-2a – Interferon-a-2b
– Interferon-b – Interleukin-2
5 Zielgerichtete Therapeutika/Signaltransduktionsinhibitoren (S. 1725) – Bortezomib – Gefitinib 1
Stand: 2004
– Erlotinib – Imatinib
30
1548
30
Antineoplastische Substanzen
1 Zytostatika Aclarubicin (ACLA) = Aclacinomycin-A (ACM)
Pharmakologie
Antibiotikum aus Streptomyces galilaeus. Anthrazyklinderivat mit Interkalation mit der DNS. Schon in niedriger Konzentration auch Hemmung der RNS-Synthese (Klasse-II-Anthrazyklin). Blockierung des G1/S- und des S/G2-bergangs in Zellteilungszyklus. Rasche intrazellulre Aufnahme. Groes Verteilungsvolumen. Metabolisierung und teilweise Inaktivierung durch Abspaltung von Sacchariden in Leber, Nieren, Herz. Weniger als 1% Ausscheidung durch die Nieren in 24 h. Terminale Halbwertszeit ca. 3 h. Keine klinische Kreuzresistenz gegenber Doxorubicin oder Daunorubicin. Zulassung
Akute myeloische Leukmie. Dosierung
25 mg/m2 KOF langsam i.v. oder als 30-min-Infusion tglich fr 7 Tage. Wiederholung je nach Therapieprotokoll (ca. ab Tag 15). Nebenwirkungen
Allgemeine Nebenwirkungen siehe bei Doxorubicin und Daunorubicin. Reversible Herzrhythmusstrungen und EKG-Vernderungen (hufiger bei Dosierungen ber 30 mg/m2). Vereinzelt reversible Transaminasener-
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1549
hhungen. Lokale Venenreizung bzw. Thrombophlebitis. Nekrosen nach paravenser Injektion. Hinweise fu¨r den Umgang
Bei quieffektiver Dosis geringere Kardiotoxizitt als andere Anthrazykline. Kumulative Hchstdosis wegen Kardiomyopathierisiko nicht angegeben. Die Kontrolle der Herzfunktion wird empfohlen (z.B. Echokardiographie). Vermeidung von Kontakten mit Haut und Schleimhuten. Die Kombination mit kardiotoxischen Medikamenten ist zu vermeiden. Im Tierversuch teratogen und embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen embryotoxisch und fetotoxisch. Whrend der Behandlung und drei Monate danach sind kontrazeptive Manahmen erforderlich. Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Bei Intoxikationen steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt (entsprechend der Kenntnis ber die Pharmakokinetik mu deren Unwirksamkeit angenommen werden). Aufbewahrung vor Licht geschtzt bei +2 bis +25 C. Das gelste Medikament mu innerhalb von 24 h verabreicht werden. Bemerkungen
Urogenitale Blutung in Einzelfllen in Kombination mit Cytarabin. Im Tiermodell teilweise Antagonisierung der zytostatischen Wirkung (Apoptoseinduktion) von Etoposid. In vitro keine Beeinflussung bei P-170-Glykoprotein-bedingter „Multiple Drug Resistance“ (MDR). In-vitro-Induktion von Apoptose und Differenzierungsmechanismen. An Mikrosphren gebunden zur Chemoembolisation. Lokale Applikation des an Aktivkohle gebundenen Medikamentes.
Amsacrin (m-AMSA) (4’-(9-Acridinylamino-)-3’methansulfon-m-anisid)
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1550
30
Antineoplastische Substanzen
Pharmakologie
Interkalation. Hemmung der Topoisomerase II. Radikalbildung. Membraneffekte. Verlngerung der S-Phase und Stop in der G2-Phase. Induktion von Apoptose. Plasmaeiweibindung 98%. Nur geringe Liquorgngigkeit. Metabolisierung in der Leber ber die Glutathiontransferase und Ausscheidung inaktiver Metaboliten ber die Galle (> 50% in 2 h). 20% der unvernderten Substanz werden in den ersten 8h ber die Niere ausgeschieden. Terminale Plasmahalbwertszeit fr die Muttersubstanz 2…3 h, einschlielich der (inaktiven) Metaboliten 8…9 h. Groe interindividuelle Schwankungsbreite der Plasmaspiegel und Plasmaclearance. Verlangsamte Elimination bei Leberfunktionsstrungen (Dosisreduktion!) und bei schwerer Niereninsuffizienz. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet bzw. ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Akute myeloische Leukmie und akute lymphatische Leukmie bei Erwachsenen. Induktions- und Erhaltungstherapie. Dosierung
Intravens 90 mg/m2 KOF tglich ber 5 Tage, Wiederholung nach 2…4 Wochen. Nebenwirkungen
Panzytopenie; gastrointestinale Strungen; Neurotoxizitt; zentralnervse Strungen (Grand mal, wahrscheinlich durch den Hilfsstoff Dimethylacetamid); Alopezie; Phlebitis; allergische Hautreaktionen, gelb-orange Hautverfrbung; Herzrhythmusstrungen, Herzinsuffizienz, Herzstillstand; Leberfunktionsstrungen; Augenschdigungen. Hinweise fu¨r den Umgang
Fr die konzentrierte Lsung sollten nur Glasspritzen verwendet werden, da das Lsungsmittel mit Kunststoffen reagieren kann. Bei Mischung mit chloridhaltigen Lsungen fllt schwerlsliches Amsacrinhydrochlorid aus. Wirkt bei Kontamination hautreizend. Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Bei Patienten im geschlechtsreifen Alter sollen whrend und bis 3 Monate nach Amsacrintherapie kontrazeptive Manahmen getroffen werden. Bei einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Besonderheiten
Induktion der Glutathiontransferase durch Phenobarbital fhrt zu niedrigeren Plasmaspiegeln und zu beschleunigter bilirer Exkretion der Metaboliten. Hemmung der Aldehydoxydase und dadurch verlangsamter Abbau von Methotrexat zu 7-Hydroxymethotrexat. Keine Kreuzresistenz zu Anthrazyklinen. Dosisreduktion bei Patienten mit Leberfunktionstrungen. Kardiotoxizitt weniger als bei Anthrazyklinen. Myokardnekrose, Kammerflimmern. Hypomagnesimie. Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie. Auch wirksam bei malignen Lymphomen und bei Mammakarzinomen. Schdigungen beim anwendenden Personal (belkeit, Kopfschmerzen, Urtikaria). Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur und Tageslicht 48 h (Verbrauch jedoch innerhalb von 8 h empfohlen). Gefahr der Ausfllung bei Aufbewahrung im Khlschrank.
Asparaginase (ASP, L-ASP) (L-Asparagin-Amidohydrolase; EC 3.5.1.1.) Siehe auch bei Pegasparagase.
Pharmakologie
Enzymatische Spaltung der fr manche Zellpopulationen, insbesondere der akuten lymphatischen Leukmien, essentiellen Aminosure Asparagin zu Asparaginsure und Ammoniak. Folge ist eine globale Strung der Proteinund Nukleinsuresynthese. Induktion von Apoptose. Wegen der Gre des Molekls (Molekulargewicht ca. 140 000) bleibt das Verteilungsvolumen im wesentlichen auf den intravaskulren Raum beschrnkt. Elimination durch Proteaseverdauung und Clearance im retikuloendothelialen System. Terminale Plasmahalbwertszeit ca. 10 h. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke. Die Substanz geht in die Muttermilch ber.
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
Als Bestandteil von Polychemotherapieschemata bei akuter Lymphoblastenleukmie (ALL). Dosierung
Intravens 200…1000 IE/kg KG tglich ber 10…14 Tage. Vor Therapiebeginn Testdosis mit 0,2 IE/kg KG. Nebenwirkungen
Zerebrale Dysfunktionen mit EEG-Vernderungen (Vigilanzstrungen), Appetitlosigkeit, Brechreiz, Erbrechen, Gewichtsverlust, akute hmorrhagische Pankreatitis, Leberfunktionsstrungen (Anstieg von Bilirubin, alkalischer Phosphatase, Abfall von Fibrinogen, Albumin und Cholesterin), Verschlechterung der Glukosetoleranz, Abfall des Insulinspiegels, Hyperglykmie, Ketoazidose, Strung von Blutgerinnung und Fibrinolyse (Abfall von Antithrombin III und Protein C, ggf. Substitution von Fibrinogen bzw. Antithrombin III), Thromboseneigung, Blutbildvernderungen (Leukozytopenie, Thrombozytopenie, hmolytische Anmie), Nierenschden (Mikrohmaturie, Albuminurie, Zylindrurie, Harnstofferhhung), berempfindlichkeitsreaktionen (Urtikaria, Fieber, Bronchospasmus, Blutdruckabfall, Schock, Anaphylaxie). Vereinzelt passagerer sekundrer Hypothyreoidismus (low T3/T4). Hinweise fu¨r den Umgang
berwachung des Glukosestoffwechsels. Regelmige Kontrollen des Fibrinogenspiegels, bei Abfall unter 100 mg/dl Substitution von Fresh-frozenPlasma oder besser Fibrinogenkonzentrat. Verlangsamte Elimination hepatisch/bilir ausgeschiedener Zytostatika (z.B. Vincristin, Vinblastin, Vindesin, Etoposid, Teniposid). Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Beim Menschen besteht ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Bei Intoxikationen steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Ausbildung von Pankreaspseudozysten. Akute Pankreatitis (auch erst lngere Zeit nach Therapieende). Mgliche Therapie der Pankreatitis mit Somatostatin. Akute Parotitis. Strung der Synthese hmostatischer und
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1553
fibrinolytischer Proteine. Myokardinfarkt. Zerebrovaskulre Komplikationen (Blutungen, Thrombosen, Hirninfarkt in Kombination mit Frischplasma, Krampfanflle, Koma, Hemiparese, Desorientiertheit; in CT und MRT Sinusvenenthrombose, intrazerebrale Blutung, hmorrhagischer Infarkt, hyperdense Areale ohne Kontrastmittelanreicherung), Leberverfettung, Hypoparathyreoidismus mit Hypokalzmie und Hyperphosphatmie. Transiente schwere Hyperlipidmie (Triglyzeride und Cholesterin). Wirkungsverstrkung bei sequentieller Gabe von Methotrexat und Cytarabin. Begrenzung der Wirkung von Methotrexat („Rescue“) durch verminderte Polyglutamatbildung bei Anwendung von Methotrexat 24…96 h nach Asparaginase, vorwiegend in normalen Zellen, in L-ASP-empfindlichen Zellen jedoch Synergismus mit Methotrexat. Bei Allergie oder ausgeprgter Glukosestoffwechselstrung Umstellung von dem aus E. coli gewonnenen Prparat auf das aus Erwinia carotovora gewonnene (Erwinase) bzw. auf Pegasparagase (siehe dort).
Bendamustin
Pharmakologie
Antineoplastisch und zytozid wirkendes Stickstofflostderivat aus der Gruppe der bifunktionellen Alkylanzien (vergleiche z.B. bei Cyclophosphamid). Quervernetzung der DNS-Einzel- und DNS-Doppelstrnge durch Alkylierung, woraus eine Strung der Matritzenfunktion der DNS- und der RNS-Synthese resultiert. Nach intravenser Injektion Bindung zu ber 90% an Plasmaproteine (Albumin). Elimination mit einer terminalen Halbwertszeit von 28 min. Die Substanz wird in der Leber zum zytotoxisch aktiven Hydroxyderivat metabolisiert (Hydroxylierung an der Butansureseitenkette). Die Muttersubstanz und die Metaboliten werden hauptschlich renal und geringfgig ber die Leber eliminiert. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht.
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
M. Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome, Plasmozytom, chronische lymphatische Leukmie, Mammakarzinom. Zustzlich Wirksamkeit nachgewiesen fr kleinzelliges Bronchialkarzinom (s. Kap. 85) Dosierung
Intravens 25 mg pro Dosis tglich ber 3…4 Wochen (oder lnger), 50…60 mg/m2 KOF Tag 1…3(5) alle 3…4 Wochen, 120…150 mg/m2 KOF Tag 1+2 alle 4 Wochen. Nebenwirkungen
Hmatotoxizitt. belkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit. Mundtrockenheit. Geschmacksvernderungen. Kolikartige Schmerzen im Unterleib. Hitzegefhl. Gesichtsrtung. Haut- und Schleimhautreizungen (Mukositis). Alopezie. Selten allergische Reaktionen. Lokale Reizerscheinungen und Thrombophlebitis an der Injektionsstelle. Nicht auszuschlieen sind neurotoxische Reaktionen, Nierenfunktionsstrungen, Leberfunktionsstrungen (diese Nebenwirkungen wurden bisher aber nicht beobachtet). Hinweise fu¨r den Gebrauch
Kontraindiziert bei eingeschrnkter Nierenfunktion (glomerulre Filtration < 30 ml/min/m2 KOF), schweren Leberparenchymschden (Bilirubinerhhung). Bendamustin wirkt im Tierversuch embryotoxisch und teratogen. Bei weiblichen Patienten im geschlechtsreifen Alter soll whrend der Chemotherapie, bei mnnlichen Patienten whrend und bis zu 6 Monaten nach Ende der Chemotherapie eine effektive Kontrazeption erfolgen. Im Falle einer Intoxikation steht ein Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt (s. auch bei Cyclophosphamid). Besonderheiten
In vitro keine Kreuzresistenz mit Doxorubicin.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1555
Bleomycinsulfat (BLEO)
30
Pharmakologie
Es liegen mehrere Analoge des Glykopeptids vor, die intrazellulr durch NADH/NADPH-abhngige Reduktionsprozesse und Komplexbildung mit Eisen aktiviert werden. Inaktivierung durch Hydrolasen, am langsamsten in der Haut und in der Lunge, deshalb hier protrahierte Wirkung. Hemmung der DNS-Polymerase und der DNS-Reparatur. In hheren Konzentrationen Einzel- und Doppelstrangbrche der DNS (durch O2-Radikale). Membraneffekte. Induktion von Apoptose. Rasche Elimination aus dem Blut. Enzymatischer Abbau durch intrazellulre Bleomycinhydrolasen zum
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30
Antineoplastische Substanzen
inaktiven Desmethylbleomycin. Renale Elimination (40…70% in 24 h). Terminale Halbwertszeit 2…4 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Die Substanz geht nicht in die Muttermilch ber. Zulassung
Plattenepithelkarzinome im Kopf- und Halsbereich der Zervix, sophaguskarzinom. Maligne Lymphome. Hodentumoren. Zustzlich Wirksamkeit nachgewiesen bei Kaposi-Sarkom, Melanom. Dosierung
Intravens (auch intramuskulr oder subkutan) 10…20 mg/m2 KOF 1- bis 2mal pro Woche. Intraperitoneal bzw. intrapleural 60 mg. Intraperikardial 5…15 mg. Nebenwirkungen
Dosis- und altersabhngige Pneumopathie. Idiosynkratische Reaktionen. Haut- und Schleimhautvernderungen wie Sklerodermie, Hyperkeratose, Exanthem, Pigmentierung, Stomatitis, Nekrosen, deme, Raynaud-Syndrom sowie Alopezie. Fieber, Schttelfrost, belkeit, Mdigkeit, Depressionen und Schmerzen. Anaphylaktoide Reaktionen, Thrombozytopenie, Appetitlosigkeit, Parsthesien. Hinweise fu¨r den Umgang
Dosisreduktion auf 50% bei deutlicher Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 25 ml/min m2 KOF). Whrend und bis etwa 6 Wochen nach Abschlu der Therapie sind regelmige Funktions- und Rntgenkontrollen der Lunge notwendig. Sorgfltige Indikationsstellung bei ausgeprgtem Lungenbefund sowie vorausgegangener mediastinaler/thorakaler Bestrahlung. Bleomycin bildet mit 2- und 3wertigen Kationen Chelatkomplexe. Es darf nicht mit Lsungen, die solche Ionen (besonders Kupfer) enthalten, gemischt werden, ebenso nicht mit Lsungen, die essentielle Aminosuren, Riboflavin, Ascorbinsure, Dexamethason, Aminophyllin oder Furosemid enthalten. Substanzen mit einer Sulfhydrylgruppe (z.B. Glutathion) inaktivieren Bleomycin. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Patienten im geschlechtsreifen Alter sollten whrend und bis zu 3 Monaten nach Beendigung der Chemotherapie kontrazeptive Manahmen ergreifen.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Bei Intoxikationen steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Lungeninfiltrate mit der Problematik der Differentialdiagnose zu Lungenmetastasen. Lungenfibrose mit Pneumothorax. Induktion der Lungenfibrose durch Faktor-XIIIa- oder TNF-a-bildende Alveolarmakrophagen, mglicher Synergismus mit G-CSF. Eine effektive Prophylaxe der pulmonalen Toxizitt ist nicht bekannt, deshalb Begrenzung der Gesamtdosis auf 350 mg. Im Tierversuch Protektion gegen Lungenfibrose durch 21-Aminosteroide oder Indometacin. Eventuell Verminderung der Kollagendeposition durch N-Acetylcystein. Verstrkte pulmonale Toxizitt bei Kombination mit Cyclophosphamid, Niereninsuffizienz, O2-Gabe (bei Inhalationsnarkose mglichst niedrige O2-Konzentration whlen!) und fraglich bei kombinierter Anwendung mit G-CSF. Behandlung der Lungenvernderungen mit Kortikosteroiden. Im Tiermodell teilweise Reversibilitt der Lungenfibrose mit Urokinase. Kapillarschdigung. Hauterythem, Striae. Streifenfrmige („flagellate“) Dermatitis. Hmorrhagische Zystitis. Akute Perikarditis. Myokardinfarkt. Akuter Thoraxschmerz. Hypokalzmie. „Recall“ von Hautvernderungen nach Bestrahlung. In Kombination mit Cisplatin und Etoposid oder Vincristin oder Vindesin: Stevens-Johnson-Syndrom, Ateminsuffizienz, akutes Nierenversagen, autonome Neuropathie, Raynaud-Syndrom, Fingerspitzennekrose, Sklerodermie, Kardiotoxizitt, Angina pectoris, hmolytisch-urmisches Syndrom. Strahlensensibilisierung. Wirkungssteigerung durch Bromdeoxyuridin, Koffein, Hyperthermie, Glutathiondepletion, Anticalmodulin/Trifluoperazin, Pyrimidinderivate, Hydroxyharnstoff, 3-Aminobenzamid. Wirkungsabschwchung oder -verstrkung (je nach Dosis) durch Chlorpromazin. Intrakavitre Anwendung, selten auch mit systemischer Toxizitt. Intrapulmonal zur Behandlung eines Chylothorax. Hypothalamusschdigung nach lokaler Gabe in ein zystisches Kraniopharyngeom. Behandlung des HIV-assoziierten Kaposi-Sarkoms (auch topische Anwendung in Kombination mit DMSO). Auch intraarteriell oder lokal am Auge (nach Trabekulektomie) anwendbar. Lokale Anwendung bei Warzen, oralen Leukoplakien, Lymphozelen oder mittels „Elektrochemotherapie“ bei malignem Melanom bzw. Basalzellkarzinom. Verlangsamte Elimination in Kombination mit Cisplatin. Resistenz in Tumoren mit hoher Hydrolaseaktivitt (Wiederherstellung der Wirkung durch Hemmung der Hydrolasen). Erhhte Empfindlichkeit bei genetisch
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Antineoplastische Substanzen
bedingten DNS-Reparaturdefekten (z.B. Xeroderma pigmentosum) oder beim Syndrom des fragilen X-Chromosoms. Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur 24 h.
Busulfan (BUS)
Pharmakologie
Alkylierung. Gute Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe. Rasche Clearance aus dem Plasma. Lipophilie, daher Penetration der Blut-Hirn-Schranke bei hohen Dosen. Metabolisierung ber das Cytochrom-P450-Enzymsystem und die Glutathiontransferase. Renale Elimination als Methansulfonsure. Terminale Plasmahalbwertszeit 2,5…3 h (bei Kindern krzer: 1,5…2 h). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet bzw. ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Chronische myeloische Leukmie. Zustzlich wirksam bei essentieller Thrombozythmie und Polycythaemia vera. Dosierung
Zur Remissionsinduktion 0,06 mg/kg KG (maximal 4 mg) tglich p.o., zur Remissionserhaltung 0,5…2 mg Tagesdosis. Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haarausfall, hmorrhagische Zystitis, Leberschden (sehr selten), Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Austrocknung von Haut- und Schleimhaut, Urtikaria, Hautpigmentierung, Pneumonitis mit folgender diffuser Lungenfibrose („Busulfanlunge“, selten), Linsentrbung, Katarakt (selten), M.-Addison-hnliche Symptome (selten), Ossifikation der Lunge (selten), sekundre Leukmien und solide Tumoren sowie ausgedehnte Epitheldysplasien (nach Langzeittherapie),Gynkomastie (sehr selten), Myasthenia gravis (sehr selten), endokardiale Fibrose (sehr selten), Erythema multiforme und Erythema nodosum (sehr selten), Porphyria cutanea tarda (sehr selten), Sjrgen-Syndrom (selten). Knochenmarkfibrose (Einzelfall). Zerebrale Krampfanflle bei hoher Dosierung.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1559
Hinweise fu¨r den Umgang
Hochdosierte O2-Gabe erhht das Risiko einer Lungenfibrose. Hautbestrahlung: verstrkte kutane Strahlenreaktionen. In Kombination mit Allopurinol: makulopapulse Hautreaktionen (sehr selten). Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeption: Frauen whrend der Behandlung, Mnner whrend der Behandlung und 6 Monate danach. Bei einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Zelldifferenzierung (bei CML). Proteinose der Lungenalveolen als besondere Verlaufsform der „Busulfanlunge“. Dosisabhngig (AUC) venookklusive Erkrankung der Leber (VOD). sophagusvarizen in Kombination mit Thioguanin. Bei hochdosierter Gabe berschreiten 20% der Busulfandosis die Blut-Hirn-Schranke. Die Krampfbereitschaft kann mit Phenobarbital, Diphenylhydantoin, Clobazam oder Clonazepam unterdrckt werden. Da hierdurch aber eine Induktion des hepatischen Cytochrom-P450-Enzymsystems stattfindet, ist ein beschleunigter Busulfanmetabolismus und damit eine Wirkungsabschwchung nicht ausgeschlossen. Beschleunigte Elimination von Etoposid bei kombinierter Gabe mit Busulfan. Im Tierversuch orale Applikation einer durch DMSO wasserlslich gemachten Prparation. Die gebrauchsfertige Lsung ist bei Zimmertemperatur mindestens 54 h haltbar.
Capecitabin
Pharmakologie
Orales Fluoropyrimidin. Carbamat (N4-pentoxycarbonyl-5’-deoxy-5-Fluorocytidin) als Pro-Drug fr 5-Fluorouracil. Nach oraler Gabe schnelle und praktisch vollstndige intestinale Absorption des Gesamtmolekls. Rasche enzymatische Umwandlung zu 5’-Deoxy-5-Fluorocytidin und 5-Fluo-
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Antineoplastische Substanzen
rouracil bzw. dessen Derivaten (z.B. 5-Fluoro-Deoxyuridin), insbesondere in der Leber und im Tumorgewebe („tumorselektive Aktivierung“). Starke intratumorale Anreicherung (im Tierversuch bis zum 127fachen im Vergleich zum Plasmaspiegel). Zum Wirkungsmechanismus siehe bei 5-Fluorouracil (Thymidylat-Synthase-Inhibitor). Zulassung
Kolorektales Karzinom. Zustzlich wirksam bei allen 5-Fluorouracil-sensiblen Erkrankungen (s. dort). Dosierung
2500 mg/m2 KOF p.o., verteilt auf 2 Dosen im Abstand von 12 h tglich Tag 1…14, Wiederholung ab Tag 21. Nebenwirkungen
Hand-Fu-Syndrom. Geringe Hmatotoxizitt (Thrombozytopenie). Diarrh, belkeit, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Schwindel, Mdigkeit. Bemerkungen
Auch wirksam bei Kolonkarzinomen. Die Kombination mit Folinsure als „Modulator“ (siehe bei 5-Fluorouracil) ist mglich, dann aber Reduktion der Tagesdosis auf 2000 mg/m2 bzw. 1000 mg/m2. Verlangsamte, aber dennoch vollstndige Resorption bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme. Die Einnahme zusammen mit der Mahlzeit wird empfohlen. Im Tierversuch keine komplette Kreuzresistenz mit 5-Fluorouracil. Wirkungsverstrkung durch Taxane.
Carboplatin (CARBO) (Paraplatin; Cyclobutandicarbonsa¨urecisdiamminplatin; CBDCA)
Pharmakologie
Alkylierung. Intrazellulre Aktivierung durch Abspaltung der Cyclobutandicarboxylgruppen (Monoaquo- und Diaquoform). Behinderung der DNSSynthese durch Brckenbildung an der DNS („interstrand crosslinks“).
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1561
Auch Reaktion mit RNS, Proteinen und Zellmembranen. Transport im Blut als inaktive Muttersubstanz. Langsame Bindung an Plasmaproteine (maximal 31% nach 4 h, maximal 92% nach 24 h). Anreicherung bis zum ca. 10fachen in Leber, Nieren, Haut und Tumorgewebe. Mige Liquorgngigkeit (ca. 20…30% der Plasmaspiegel). Elimination vorwiegend in unvernderter Form durch glomerulre Filtration. Terminale Plasmahalbwertszeit fr freies Carboplatin 2…6 h, fr Gesamtplatin 7…40 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Ovarialkarzinom, Bronchialkarzinom, Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, Zervixkarzinom, Harnblasenkarzinom. Zustzlich Wirksamkeit nachgewiesen zum Beispiel bei Non-Hodgkin-Lymphomen, Magenkarzinom, Melanom, sophaguskarzinom. Dosierung
Intravens 200…400 mg/m2 KOF alle 4 Wochen (konventionelle Dosierung, siehe Hinweise fr den Gebrauch). Nebenwirkungen
Haarausfall (selten), neurotoxische Strungen, Sehstrungen (Einzelflle von Erblindung), Hrschden, Strung des Vestibularapparates, gastrointestinale Strungen, Enteritis, Leberschden (selten), Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Elektrolytstrungen (Hypomagnesimie, Hypokalzmie, Hypokalimie, Hyponatrimie), Herzrhythmusstrungen, Herzstillstand (Einzelflle), Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Hypersensitivittsreaktionen (Juckreiz, Fieber und/ oder Hautrtungen, Schttelfrost, Anaphylaxie, Dyspnoe, Tachykardie, Hypotension, Angina pectoris, Diarrh, deme, Urtikaria). Geschmacksvernderungen. Bei hoher Dosierung bis zu 1600 mg/m2 KOF Granulozytopenie, Thrombozytopenie und Anmie. Auerdem Nierenfunktionsstrungen mit Abfall der glomerulren Filtrationsrate um 50%, Neuropathien, Ototoxizitt, Hyperbilirubinmie, Mukositis, Diarrh, belkeit und Erbrechen mit Kopfschmerzen, Hautrtungen, schwere Infektionen. Hrstrungen (meist vorbergehend und reversibel). Knochenmarktransplantation und Transfusionen (Thrombozyten, Blut) knnen wirksame Manahmen zur Beherrschung hmatologischer Nebenwirkungen darstellen.
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Antineoplastische Substanzen
Hinweise fu¨r den Gebrauch
Formeln zur Dosisanpassung an die Nierenfunktion bei nicht mit nephrotoxischen Medikamenten vorbehandelten Patienten: % der Solldosis = (0,82 GFR) + 18 bei entsprechend vorbehandelten Patienten: % der Solldosis = (0,65 GFR) + 18 oder Monotherapiedosis (absolut in mg) = 5…7* (25 + GFR) (GFR = glomerulre Filtrationsrate, z.B. Kreatininclearance in ml/min m2 KOF, * angestrebte AUC = Area unter der Konzentrationskurve).
Oto- und nephrotoxische Arzneimittel verstrken die Oto- und/oder Nephrotoxizitt. Komplexbildner (z.B. Penicillamin) und aluminiumhaltige Infusionsbestecke vermindern die Carboplatinwirkung. Blockierung der aktivierten Carboplatinformen durch Thiole. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Weiblichen Patienten im geschlechtsreifen Alter werden whrend der Chemotherapie, mnnlichen Patienten whrend und bis zu 6 Monaten nach Beendigung der Chemotherapie kontrazeptive Manahmen bzw. Abstinenz empfohlen. Im Falle einer Intoxikation kann als Antidot gegen die zytostatische Wirkung Natriumthiosulfat versucht werden. Da Carboplatin langsam an Protein bindet, ist es in der frhen Phase einer Intoxikation mglich, freies Carboplatin abzudialysieren. Besonderheiten
Thrombotische hmolytische mikroangiopathische Anmie. Thrombozytopenie und Leberversagen. Schnellere Thrombozytenregeneration unter Interleukin-1-a oder Interleukin-3. Erythropoetin zur Behandlung der Anmie. 6 Wochen Dauerinfusion mit 28 mg/m2 tglich. Desensibilisierung gegenber Hypersensitivittsreaktionen, beginnend mit sehr niedrigen Dosen (0,1 mg) unter Schutz durch Prednisolon, Diphenhydramin und Ranitidin. Induktion einer immunhmolytischen Anmie. Optikusneuritis (reversibel nach 1 Jahr). Bei Dialysepatienten betrgt die Clearance des freien Platins nur ca. 10% im Vergleich zu nierengesunden Patienten. Bei Hmodialysepatienten knnen 24 h vor der Dialyse 100 mg/m2 KOF Carboplatin gegeben werden. Die Halbwertszeit betrgt fr freies Platin vor der Dialyse 18…32 h, unter der Dialyse 2…3 h, d.h., freies Platin ist hmodialysierbar (nicht peritoneal!). Bei sehr hoher Dosierung ab ca. 800 mg/m2 sind Nephrotoxizitt und Oto-
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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toxizitt vergleichbar mit denen von Cisplatin. Akutes Nierenversagen nach intraperitonealer Anwendung. Hohes Risiko der renalen Schdigung (akutes Nierenversagen) bei einer Kombination von hohen Spiegeln von freiem (ultrafiltrierbarem) Platin und Ifosfamid. Renaler Salzverlust (durch tubulre Schdigung?). Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Paclitaxel. Beeinflussung der Pharmakokinetik von Melphalan. Intraarterielle Gabe ist mglich. Toxizittsminderung durch Amifostin. Im Tierversuch Hemmung der Antitumoraktivitt durch Amphotericin B. Wirkungsverstrkung von Warfarin in Kombination mit Etoposid. Zirkadian unterschiedliche Toxizitt: ausgeprgtere Thrombozytopenie nach frhmorgendlicher Gabe, jedoch keine erkennbaren Unterschiede in der Pharmakokinetik. Erniedrigte Spiegel von Diphenylhydantoin. Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie. Reversibilitt eine Resistenz durch Kombination mit Ciclosporin. Strahlensensibilisierung. Erhhte intrazellulre Aufnahme durch Bestrahlung. Erhhte Empfindlichkeit bei genetisch bedingten DNS-Reparaturdefekten: z.B. Ataxia teleangiectatica, Xeroderma pigmentosum, Fanconi-Anmie. Akute Promyelozytenleukmie nach Behandlung eines Seminoms mit Carboplatin. Anaphylaxie erst nach mehreren komplikationslosen Gaben. Eventuell Hautnekrosen bei Paravasat mit Lsungskonzentrationen 10 mg/ml. Mglicherweise Aktivierung durch Dimethylsulfoxid, deshalb keine DMSO-Anwendung nach Paravasat. Stabilitt in Pumpen zur Dauerinfusion bei 4 C und bei 37 C jeweils mindestens 14 Tage. Mischinfusionen mit Ifosfamid sind mglich. Beschleunigter Abbau von Carboplatin in Mischinfusionen mit 5-Fluorouracil.
Carmustin (Bis-chlora¨thyl-nitrosourea; BCNU)
Pharmakologie
Alkylierung von DNS, RNS und Proteinen durch Chlorthylisocyanat, das spontan nichtenzymatisch freigesetzt wird. Hemmung der DNS-Reparatur. Wirkt evtl. auch als Antimetabolit in der Purinribonukleosidbiosynthese. Die zytozide Wirkung ist zellzyklusphasenunspezifisch und betrifft auch ruhende Zellen. Induktion von Apoptose. Rasche Elimination aus dem Plasma (5 min). berschreitung der Blut-Hirn-Schranke in antineoplastisch wirksamer Menge. Renale und bilire Ausscheidung der Metaboliten. Terminale Plasmahalbwertszeit 1,5 2 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht.
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
Multiples Myelom, maligne Lymphome, M. Hodgkin, Magenkarzinom, Osteosarkom. Zustzlich wirksam bei hirneigenen Tumoren (s. Kap. 74) Dosierung
Intravens 80…200 mg/m2 KOF einmal alle 6 Wochen. Nebenwirkungen
Bei schneller i.v. Injektion knnen Hautrtungen und Bindehautblutungen auftreten. Vereinzelt wurden entzndliche Vernderungen an der Lunge und/oder Lungenfibrosen nach einer Langzeittherapie beobachtet. Auch Gynkomastien traten vereinzelt auf. Die Behandlung von mnnlichen Kindern und Jugendlichen kann im Erwachsenenalter zu Fertilittsstrungen fhren. Haarausfall, Dermatitis, neurotoxische Strungen, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Stomatitis, Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression. Hinweise fu¨r den Umgang
Enthlt ˜thanol. Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist zur Elimination von Metaboliten evtl. sinnvoll. Besonderheiten
Interstitielle Pneumonitis (dosis-/wirkspiegelabhngig; Steroidbehandlung mglich; Manifestation auch als „lobre Infiltration“) bzw. Lungenfibrose (auch mit verspteter Manifestation oder auch als „Recall-Phnomen“ nach vorausgegangener Bestrahlung). Nephrotoxizitt (auch irreversibel). Nach hoher Dosis Myokardischmie. Auch intraarteriell anwendbar. Neuroretinitis, Leukoenzephalopathie nach Karotisperfusion. Topische Anwendung bei Mucosis fungoides. Hirnnekrose nach intraarterieller Anwendung in Kombination mit Bestrahlung. Makulopathie (Pigmentverschiebung) im ipsilateralen Auge nach arterieller Perfusion. Erblindung in Kombination mit Doxorubicin. Bei hochdosierter Gabe (in Kombination mit Mitomycin) Verminderung des Trnenflusses mit Schdigung von Kornea und Konjunktiven.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Wirkungsverstrkung durch Verapamil, Nitroimidazole, z.B. Metronidazol oder Misonidazol, H2-Antagonisten (Cimetidin und Ranitidin), Hyperthermie. Resistenz bei hoher DNS-Reparaturkapazitt (Glutathion, Alkyltransferase). Synergismus mit Interferon-a und Interferon-b. Bei Behandlung von Glioblastomen in vitro und im Tierversuch Wirkungsverstrkung durch Simvastatin. Verbesserung der Tumoroxygenierung. BCNUimprgnierte Polymere als Implantate in Hirntumoren („Depot“). Langsamere Elimination in Kombination mit Cisplatin und Cyclophosphamid. Mutagenittsrisiko auch durch das Abbauprodukt Vinylchlorid. Lsungsstabilitt mindestens 48 h bei 4 C im Dunkeln, 8 h bei Zimmertemperatur.
Chlorambucil (CBL)
Pharmakologie
Alkylierung. Induktion von Apoptose (insbesondere in Zellen der chronischen lymphatischen Leukmie). N-Lost-Derivat. Keine enzymatische Aktivierung in der Leber erforderlich. Gute Bioverfgbarkeit (75…100%) nach oraler Gabe. Elimination durch Metabolisierung in der Leber. Hepatische Metabolisierung (b-Oxidation zum noch aktiven Metaboliten Phenylacetatmustard) und anschlieende renale Ausscheidung. Terminale Plasmahalbwertszeit 1…1,5 h. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Chronische lymphatische Leukmie, Non-Hodgkin-Lymphom, M. Hodgkin, multiples Myelom, fortgeschrittenes Ovarialkarzinom sowie Mammakarzinom. Dosierung
Peroral 0,1…0,2 mg/kg KG tglich fr 2 (bis 4) Wochen oder 0,4 mg/kg KG einmal alle 14 Tage. Nebenwirkungen
Haarausfall, Hautallergie, Krampfanflle bei Kindern (Einzelflle), fokale Krampfanflle bei Erwachsenen (bei hohen Dosen), periphere Neuropathie,
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Antineoplastische Substanzen
gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Hepatotoxizitt, Ikterus, sekundre Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Lungenfibrose (Einzelflle, reversibel), interstitielle Pneumonie, Strungen der Hmatopoese, sekundre Leukmien (nach Langzeittherapie), Zystitis (Einzelflle), Fieber, Immunsuppression, Hautund Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Hinweise fu¨r den Umgang
Aufgrund der Wirkungsweise wird eine embryo- und fetotoxische Wirkung postuliert. Vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeption: Frauen whrend der Behandlung, Mnner whrend der Behandlung und 6 Monate danach. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist nicht effektiv. Besonderheiten
Siehe auch bei Melphalan. Behandlung von Autoimmunkrankheiten. Allergische Reaktionen (auch mit immunhmolytischer Anmie). Konfluierendes makulopapulses Erythem und toxische epidermale Nekrolyse (LyellSyndrom). Visusminderung und Optikusatrophie. Induktion zerebraler Anflle (Risiko insbesondere bei Kindern). Die interstitielle Pneumonie hat eine schlechte Prognose. Trotz Stopp der Behandlung und Kortikosteroidgabe ist die Mortalitt ca. 50%. Behandlung einer protrahierten Granulozytopenie mit GM-CSF. Erhhte Zytotoxizitt bei Hypoxie und niedrigem extrazellulrem pH-Wert. Erhhte Zytotoxizitt durch Phenylbutazon. Induktion des hepatischen Metabolismus von Ciclosporin A (Abfall der Wirkspiegel). Erfolgreiche Behandlung einer Myositis. Tumorlysesyndrom bei Behandlung einer chronischen lymphatischen Leukmie. Verzgerte allergische Reaktion (Myalgie, generalisierte Erythrodermie mit dem und Exfoliation). Synergismus mit Theophyllin (Apoptose). Verminderte Wirkung bei sauem intrazellulrem pH-Wert, bei erhhten Glutathionspiegeln.
Cisplatin (cis-Diammindichlorplatin; DDP)
Pharmakologie
Alkylierung. Intrazellulre Aktivierung durch Abspaltung der Chlorliganden (Monoaquo- und Diaquoform). DNS-Quervernetzungen („intra- und
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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interstrand crosslinks“) und Punktmutationen. Hemmung der DNS-Reparatur. Hemmung der Telomeraseaktivitt. Auch Alkylierung von RNS und Proteinen. Induktion von Apoptose. Rasche Bindung an Plasmaproteine (> 90% in 4 h). Aufnahme ins Gewebe durch passive Diffusion und evtl. auch durch aktiven Transport. Anreicherung in Leber, Nieren, Milz, Prostata, Blase, Hoden, Pankreas, Muskulatur und z.T. auch in Tumorgeweben. Innerhalb von 5 Tagen wird ca. die Hlfte des Platins berwiegend als Metaboliten ber die Nieren durch glomerulre Filtration eliminiert. Terminale Halbwertszeit fr freies Platin < 1 h, fr Gesamtplatin 44…190 h. Lange Halbwertszeit in Organen (z.B. Haut: 30 Tage). Akkumulation bei wiederholter Anwendung und Ausscheidung geringer Mengen von Platin noch mehrere Jahre nach Ende der Behandlung. Liquorplatinspiegel bis 4% des Plasmaspiegels. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke. Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Klein- und nichtkleinzellige Bronchialkarzinome, Hodentumor, Ovarialkarzinom, Zervixkarzinom, Prostatakarzinom, Endometriumkarzinom, Blasenkarzinom, Melanom, Sarkom, Karzinome im Kopf-Hals-Bereich, Schilddrsenkarzinom, Pleuramesotheliom, Pankreaskarzinom, Osteosarkom, sophaguskarzinom, Phochromozytom. Zustzlich wirksam bei Lymphomen, multiplem Myelom, Magenkarzinom. Dosierung
Intravens 20(…40) mg/m2 KOF Tag 1…5 alle 3…4 Wochen oder 120 mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen. Intraperitoneal 90 mg/m2 KOF in 2 l isotoner Flssigkeit einmal alle 3 Wochen. Nebenwirkungen
Haarausfall, neurotoxische Strungen, autonome Neuropathie, Sehstrungen (Einzelflle), (Hochton-)Hrschden, gastrointestinale Strungen (auch verzgertes Auftreten von belkeit/Erbrechen), Enteritis, Leberschden (selten), Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Elektrolytstrungen (Hypomagnesimie, Hypokalzmie, Hypokalimie, Hyponatrimie, Hypozinkmie), Herzrhythmusstrungen, Herzstillstand (Einzelflle), Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Anaphylaktoide Reaktionen (selten). Kumulative Nephro- und Ototoxizitt.
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Antineoplastische Substanzen
Hinweise fu¨r den Gebrauch
Forcierte Diurese nicht mit Schleifendiuretika durchfhren (Tubulusschdigung). Kontrolle der Nierenfunktion vor Cisplatinanwendungen. Verstrkung der Oto- und Nephrotoxizitt durch entsprechende Medikamente (z.B. Aminoglykoside). Durch Komplexbildner (z.B. Penicillamin) oder aluminiumhaltige Infusionsbestecke wird die Cisplatinwirkung vermindert. Magnesiumsubstitution. Kontakturtikaria bei Personal. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Patienten im geschlechtsreifen Alter sollten whrend und bis zu 3 Monaten nach Beendigung der Chemotherapie kontrazeptive Manahmen ergreifen bzw. Abstinenz einhalten. Geburt gesunder Kinder nach Anwendung in der Schwangerschaft (ab 16. Woche). Im Falle einer Intoxikation knnen als Antidote gegen die zytostatische Wirkung und die Nephrotoxizitt Natriumthiosulfat, reduziertes Glutathion und andere SH-Gruppen-haltige Stoffe versucht werden. Eine Dialyse ist auch bei frhem Einsatz nicht effektiv (weniger als 10% Gesamtplatin knnen durch Hmodialyse entfernt werden). Versehentliche berdosierung mit 480 mg/m2 KOF mit reversibler Myelosuppression, Nephrotoxizitt und Neurotoxizitt, jedoch irreversibler Schdigung des Corti-Organs im Ohr. Besonderheiten
Allgemeine Toxizittsminderung durch Einkapselung in Liposomen oder durch „Glutathionprotektion“. Radiosensibilisierung. Hemmung der Thrombozytenaggregation. Freisetzung von Serotonin aus mononukleren Blutzellen (Hemmung durch Methylprednisolon). Hmolytisch-urmisches Syndrom. Uroendothelausscheidung. Endgltiges Nierenversagen schon nach einmaliger Gabe. Progrediente tubulointerstitielle Nephropathie mit Azidose, Hyperaminoazidurie, Glukosurie, Magnesium- und Natriumverlust (Verlauf nicht erfabar durch Serumkreatinin). Verstrkung der Nephrotoxizitt durch Methionin oder Probenecid. Verstrkte Methotrexat- und Ifosfamidnephrotoxizitt nach vorausgegangener Therapie mit Cisplatin und umgekehrt (vermehrte Ausscheidung von a1-Mikroglobulin [A1M]). Nierenversagen in Kombination mit Ganzkrperhyperthermie oder Kontrastmittelanwendung. Verminderung der Nephrotoxizitt durch Infusion in 3%iger Kochsalzlsung bzw. Mannitol und forcierte Diurese, durch ein Selenderivat (Ebselen), Procain-HCl, Prochlorperazin, Fosfomycin, Natriumthiosulfat, N-Acetylcystein, Dithiocarbamate, Glutathion, Aminothiol WR-2721 (Amifostin), Probenecid, atriales natriuretisches Peptid (BY A68828), Silbimin, Glycin (weniger Aufnahme von Platin in das Nierenparenchym), Verapamil und Cimetidin. Fragliche
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Verminderung der Nephrotoxizitt durch Mesna. Anwendung bei Nierentransplantattrgern und Dialysepatienten mglich. Bei Hmodialysepatienten Eliminationshalbwertszeiten wie bei Nierengesunden: 0,42 h fr freies Platin und 101 h fr Gesamtplatin. Polyurie nach Cisplatintherapie (Vasopressinresistenz). Verminderte Clearance von freiem Cisplatin bei lteren Patienten. Raschere Erholung der Nierenfunktion durch lngerfristige Blockade des Angiotensin-II-Rezeptors. Syndrom der inappropriaten ADH-Sekretion. Dosisabhngigkeit der Ototoxizitt und Neurotoxizitt. Verstrkung der Ototoxizitt durch Lrm, ZNS-Bestrahlung oder Kombination mit Ifosfamid. Verstrkte Ototoxizitt bei Schdelbestrahlung. Erhhtes Risiko fr Ototoxizitt bei schlechtem Allgemeinzustand, Anmie, Hypoproteinmie. Erhhtes Ototoxizittsrisiko bei Kindern mit braunen oder schwarzen Augen. Verminderung der Ototoxizitt durch Coenzym A. Verminderung der Ototoxizitt durch D-Methionin. Verminderung der Neurotoxizitt durch Langzeitinfusion, ACTH(4…9)-Analog (ORG-2766), Glutathion, Glycin oder Nerve-growth-Faktor. Vorbergehend Sehstrungen (Farben), Papillendem, retrobulbre Neuritis, Sehnervatrophie, Makulopathie (Pigmentverschiebung), transiente kortikale Blindheit, Koma, Hemiparese, Krampfanflle, kardiovaskulre und zerebrovaskulre Komplikationen, zerebraler Infarkt. L’Hermitte-Syndrom (Parkinsonismus und Pseudobulbrparalyse). Ototoxizitt nach Karotisperfusion. Verstrkte Neurotoxizitt in Kombination mit Paclitaxel und Docetaxel. Leukenzephalopathie. Bei gleichzeitiger Lithiumtherapie erniedrigte Lithiumserumspiegel. Schwere akute metabolische Azidose und Wernicke-Enzephalopathie in Kombination mit 5-Fluorouracil (bei intravenser Ernhrung und evtl. Thiaminmangel). Deutliche Anmisierung bei 5-Tage-Infusionen. Induktion eines wahrscheinlich vom Grad der Anmie unabhngigen Erythropoetinanstiegs. Trotzdem Behandlungsmglichkeit der Anmie mit Erythropoetin. Hautnekrose nach intraarterieller Anwendung. Hautnekrose und Weichteilschdigung nach Paravasat, wenn die Konzentration > 0,4 mg/ml betrgt (ggf. Behandlung mit Natriumthiosulfat; mgliche Aktivierung durch Dimethylsulfoxid, deshalb keine lokale DMSO-Anwendung nach Paravasat). In einem Einzelfall auch Nekrose bei niedriger Cisplatinkonzentration (bei vorgeschdigtem Gewebe). Schwere allergische exfoliative Dermatitis mit Ischmie und Nekrose der Hand. Arterielle Thrombose in Kombination mit Vinblastin und Methotrexat. Lokale Hauthyperpigmentierung an druckexponierten Stellen. Stevens-Johnson-Syndrom. Toxic-shock-Syndrom. Todesflle durch Anaphylaxie. Antihistaminika und Kortikosteroide sind unwirksam zur Verhinderung einer Anaphylaxie (ggf. Desensibilisierung mit niedrigen Cisplatingaben bei Patienten, deren Tumorerkrankung auf Cisplatin gut anspricht). Anaphylaxie auch nach intraperitonealer Gabe. Lungenembolie.
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Antineoplastische Substanzen
Vorhofflimmern. Herzrhythmusstrungen und Myokardischmie in Kombination mit Etoposid, Vincristin und Bleomycin. Hepatotoxizitt (Enzymanstieg in Kombination mit Ondansetron und Metoclopramid). Inappropriate Sekretion von antidiuretischem Hormon (IADH-Syndrom). Hypokalzmie. Tetanie bei Hypomagnesimie. Magnesiumverlust auch intrazellulr. Positiver Coombs-Test. Anstieg therapeutischer Lithiumspiegel. Mobilisierung von Blei- und Eisendepots. Verlangsamung der Bleomycinelimination. Atemnot und akutes Nierenversagen in Kombination mit Bleomycin. Verstrkte pulmonale Bleomycintoxizitt bei cisplatininduzierter Nierenfunktionsstrung. Akutes Herz- und Nierenversagen in Kombination mit 5-Fluorouracil. Raynaud-Syndrom in Kombination mit Bleomycin und Vinblastin. Hypotonie in Kombination mit 5-Fluorouracil. Strahlenmyelitis in Kombination mit 5-Fluorouracil. Anmie in Kombination mit 5-Fluorouracil und Bleomycin. Hmolytisch-urmisches Syndrom in Kombination mit Vinblastin und Etoposid. Verkrzte Thrombozytenberlebenszeit in Kombination mit Vinblastin und Bleomycin. Sekundre Leukmien, myelodysplastische Syndrome und andere maligne Zweiterkrankungen (in Kombination mit Etoposid oder Doxorubicin). Persistierende Chromosomenaberrationen in Lymphozyten. Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR durch Glutathionentzug, Bestrahlung (z.B. Langzeitdauerinfusionen oder vor jeder Bestrahlung bis zu 5 mg/m2 KOF i.v.), Hyperthermie, Azidose, Aminobenzamid und Nikotinamid, Methylglyoxal, Acivicin (L-Glutaminantagonist), Nicotinamid, Verapamil, Dipyridamol, Metoclopramid, Methylxanthine, Chloroquin, Sparsomycin, Trifluoperazin, Ciclosporin A, Amphotericin B (intrazellulre Akkumulation), Sulfasalazin (Hemmung der Glutathion-S-Transferase), Tamoxifen, Aphidicolin, Pentoxifyllin, Novobiocin, Etacrynsure und Buthionin-Sulfoximin (Hemmung der Glutathionsynthese), Lonidamin, Synergismus mit Mitomycin C, Etoposid, Cytarabin, Hydroxyharnstoff, Alkylanzien, Doxorubicin, 5-Fluorouracil, Bleomycin, Tamoxifen, Paclitaxel, Topotecan, Interleukin-1, Rapamycin (Apoptose), Bromdeoxyuridin, Gemcitabin, All-Trans-Retinsure (ATRA), Pyrazoloacridin, 5-Fluorouracil. Antagonismus mit Interferon-a oder Interferon-b sowie mit Thioharnstoff (Auflsung von DNS-Addukten in Tumorzellen). Verbesserte Bindung an DNS in Kombination mit 2’-Deoxy-5-azacytidin (AZA). Erhhte Plasmaspiegel von 5-Fluorouracil bei gleichzeitiger Gabe von Cisplatin. Nach Cisplatin verlangsamte Elimination von Etoposid. Antagonismus mit Paclitaxel bei gleichzeitiger oder vorheriger Gabe von Cisplatin. Die effektivste Sequenz ist Paclitaxel vor Cisplatin bzw. Cisplatin vor Topotecan. Wirkungsabschwchung durch Metallothionein-Expression, Chelatbildner, Benzaldehyd-Derivate und fraglich durch Fosfomycin. Antagonismus mit Vinkaalkaloiden. Kreuzresistenz mit Methotrexat und 5-Fluoro-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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uracil. Resistenzinduktion durch Metallothioneine. Keine oder fragliche Wirkungsbeeinflussung durch Dexamethason oder Mesna. Erhhte Empfindlichkeit bei genetisch bedingten DNS-Reparaturdefekten: z.B. Ataxia teleangiectatica, Xeroderma pigmentosum, Fanconi-Anmie. Intraarterielle Anwendungen, auch zur Chemoembolisation. Regionale hypertherme Perfusion. Intraperikardiale Gabe. Osteonekrose nach intraarterieller Gabe. Intraperitoneale Anwendungen, z.T. mit systemischer Neutralisation durch Natriumthiosulfat. Gabe von 120 mg/m2 KOF intraperitoneal whrend kontinuierlicher ambulanter Peritonealdialyse (CAPD): Effektive Serumspiegel von freiem und Gesamtplatin werden erreicht (entsprechend 100 mg/m2 KOF i.v.), Eliminationshalbwertszeit ca. 200 h. Massive berdosierung durch Verwechslung mit Carboplatin mit zerebralen Anfllen, Halluzinationen, Visusverlust, Hepatotoxizitt, irreversiblem Nierenversagen (Nierentransplantation!). Deutliche Senkung der Plasmaspiegel durch Plasmapherese. Behandlung cisplatininduzierter Durchflle mit Octreotid. Niedrige Cisplatintagesdosen (z.B. 25 mg/m2) sind auch bei Hmodialyse-Patienten anwendbar, jedoch Akkumulation bei Wiederholung. Cisplatintherapie auch nach Nierentransplantation mglich. Behandlung primrer intrazerebraler Keimzelltumoren bzw. von Metastasen. Stabilitt der Gebrauchslsung bis 28 Tage im Dunkeln bei 22 C und bei 35 C. Langsamer Abbau durch kurzwelliges Licht. Bei Aufbewahrung von Carboplatin in 0,9%igem NaCl kann Cisplatin entstehen. Erhhte Platinblutspiegel bei Personal.
Cladribin (2-Chlor-2’-deoxyadenosin; CdA)
Pharmakologie
Antimetabolit. Purinanalog. Deoxyadenosinanalog. Durch die Chlorsubstitution am 2-C-Atom des Purinkrpers kann Cladribin nicht so wie
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Antineoplastische Substanzen
das physiologische Deoxyadenosin durch das Enzym Adenosindeaminase (ADA) abgebaut werden. 2-CdA ist also „resistent“ gegenber dem Metabolismus durch ADA. Dadurch wird ein ADA-Mangel simuliert, wodurch ein fr Lymphozytenpopulationen selektiver zytotoxischer Effekt entsteht (Nheres s. bei Pentostatin). Im Gegensatz zu Pentostatin entsteht nicht die Akkumulation von physiologischem Adenosintriphosphat infolge der Hemmung der ADA, sondern Cladribin selbst akkumuliert als Triphosphat und entfaltet die gleiche zytotoxische Wirkung wie ein intrazellulres berangebot von Deoxyadenosintriphosphat. Nach intravenser Infusion zellulre Aufnahme durch aktiven Transport und intrazellulre Phosphorylierung ber die Deoxycytidinkinase. Akkumulation von Mono-, Di- und Triphosphatformen wegen fehlenden Abbaus durch ADA. Inkorporation als falsche Base in die DNS proliferierender Zellen und dadurch Hemmung der DNS-Synthese. Akkumulation der Zellen in der S-Phase des Zellteilungszyklus. Hemmung der Konversion von Cytidin zu Deoxycytidin (Hemmung der Ribonukleotidreduktase). Verminderung der Synthese von Thymidin- und Deoxycytidintriphosphat. In nichtproliferierenden Zellen Induktion von Apoptose als Folge von vermehrten DNS-Strangbrchen, dadurch hhere Beanspruchung der Reparaturkapazitt der Zellen und folgende Verarmung an NAD und ATP. Nach intravenser Gabe intrazellulre Akkumulation gegenber der Plasmakonzentrationen auf das 128- bis 375fache. Terminale Plasmahalbwertszeit 5,7…19,7 h. Intrazellulre Halbwertszeit 23 h. Elimination ber die Nieren. Hauptmetabolit ist das inaktive Chloradenin. Gesamtkrperclearance 433…883 ml/min. Die renale Clearance insgesamt betrgt 51%, 21…35% der Substanz werden unverndert ausgeschieden. Bioverfgbarkeit bei oraler Gabe 42…55%, keine wesentliche ˜nderung durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme. Bioverfgbarkeit bei subkutaner Gabe 100%. Konzentration im Liquor 25% im Vergleich zum Plasma, bei meningealem Befall mit Strung der Blut-Hirn-Schranke jedoch hher als die Plasmakonzentration. Zulassung
Haarzellenleukmie. Zustzlich wirksam bei niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen. Dosierung
0,09…0,1 mg/kg KG (bzw. 3,6 mg/m2 KOF) tglich als 24-h-Dauerinfusion fr 7 Tage. Bei der Haarzellenleukmie ist meist nur eine einmalige Verabreichung dieses 7-Tage-Zyklus notwendig. Bei den anderen unter Indikationen genannten Erkrankungen wird der Zyklus je nach Ansprechen in einmonatigen Abstnden wiederholt.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Nebenwirkungen
Die Knochenmarktoxizitt ist die limitierende Nebenwirkung (Neutropenie, Thrombozytopenie, Anmie). Bei wiederholten Zyklen kumulative Myelotoxizitt und verlngerte Thrombozytopeniedauer. Megaloblastre Transformation des Knochenmarks. Suppression der CD4- und CD8-Lymphozytenpopulationen. Fieberanstieg (ohne Keimnachweis) bei bis zu 58% der Patienten. Dokumentierte Infektionen bei 10…39% der Patienten. Zum Teil letal verlaufende (opportunistische) Infektionen mit gramnegativen oder grampositiven Bakterien, Candida, Aspergillus, Herpes simplex/zoster und anderen Viren, Cryptococcus neoformans, Pneumocystis carinii, Listeriose. Selten epidermale Nekrolyse, Phlebitis, sensorische Neuropathie, Muskelschwche und Muskelschmerzen, transiente Erblindung, Kardiotoxizitt, Tumorlysesyndrom. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Wegen des ausgeprgten immunsuppressiven Effekts ist hufig eine supportive Therapie mit Antibiotika erforderlich. Zur prophylaktischen Behandlung eines eventuellen Tumorlysesyndroms wird die Gabe von 300 mg Allopurinol tglich empfohlen. Der Einflu von Nieren- bzw. Leberfunktionsstrungen auf die Gesamtkrperclearance ist unbekannt. Entsprechend fehlen Empfehlungen zur Dosismodifikation. Besonderheiten
Therapieversuche mit Ausnutzung der immunsuppressiven Wirkung von 2-CdA wurden auch bei folgenden Erkrankungen gemacht: multiple Sklerose, autoimmunhmolytische Anmien, rheumatoide Arthritis, Hystiocytosis X, chronische refraktre immunthrombozytopenische Purpura. Neben den Lymphozyten (Abfall um 35%) entfaltet sich der zytotoxische Effekt auch in neutrophilen Granulozyten (Abfall 20%) und insbesondere in Monozyten (Abfall 94%). Teilweise Antagonisierung der Wirkung durch vorherige Gabe von Nicotinamid. Eine Cladribinvorbehandlung fhrt zur erhhten intrazellulren Akkumulation von aktivem Cytarabin-Triphosphat. Folgende Nebenwirkungen wurden bisher nicht berichtet: belkeit, Erbrechen, Haarausfall, Konjunktivitis, Hautausschlag, Strungen der Nierenoder Leberfunktion. Bisher keine Berichte ber sekundre Neoplasien oder Myelodysplasien. Bei sehr hohen Dosierungen ( 0,2 mg/kg KG) wurden schwere Nephro- und ZNS-Toxizitten sowie gastrointestinale Symptome berichtet. Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Krankheit nach Cladribinbehandlung. Reaktivierung einer Hepatitis B. Induktion einer autoimmunhmolytischen Anmie. Eosinophile und allergische Hautreaktion mit Pruritus (Behandlung mit Antihistaminika und/oder Kortikosteroiden). Auch orale und sukutane Applikationsformen werden in Studien untersucht.
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Antineoplastische Substanzen
Cyclophosphamid (CPM, CYT, CTX)
Pharmakologie
Alkylierung (bevorzugt an der N7-Position des Guanins). Oxazaphosphorinsubstituiertes Stickstofflostderivat. Aktivierung ber das CytochromP450-abhngige hepatische mikrosomale Enzymsystem durch Oxidation zu 4-Hydroxycyclophosphamid (4-OHCP), das nach Tautomerisierung zu Aldophosphamid in das hauptschliche Alkylans Phosphoramidmustard und das urotoxische Acrolein zerfllt. Dieser letzte Schritt der Aktivierung verluft verlangsamt unter der intrazellulren Einwirkung von Thiolen (z.B. Glutathion). Die toxische Aktivitt des Acroleins kann durch Thiole (z.B. Mesna = Uromitexan oder N-Acetylcystein) extrazellulr, z.B. im Urin, neutralisiert werden. Die Alkylierung erfolgt nach Abspaltung der Chloratome von den Chlorthylgruppen. Es entstehen kovalente Bindungen mit DNS („intra- und interstrand crosslinks“) und Proteinen. Inaktivierung ber Aldehyddehydrogenasen (zu 4-Ketocyclophosphamid und Carboxycyclophosphamid) oder durch Abspaltung der Chlorthylgruppen (Seitenkettenoxidation). Gute Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe. Proteinbindung der Muttersubstanz zu 20%, der Metaboliten zu 67%. Hauptschliche Elimination durch Inaktivierung in der Leber und Ausscheidung der Metaboliten ber die Nieren (ca. 20%, hauptschlich inaktives Carboxycyclophosphamid). Terminale Plasmahalbwertszeit 4…8 h. Keine Dosismodifikation bei Leberfunktionstrungen oder Niereninsuffizienz erforderlich. Konzentration im Liquor ca. 50% der Plasmakonzentration (bei Patienten mit Hirntumoren). Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Chronische und akute lymphatische und myeloische Leukmien, maligne Lymphome, Plasmozytom, M. Waldenstrm. Ovarial-, Mamma-, kleinzelliges Bronchialkarzinom, Sarkome, Endometriumkarzinom, Harnblasenkarzinom, Hodenkarzinom, Kopf-Hals-Karzinome, Pleuramesotheliom, Prostatakarzinom. Autoimmunkrankheiten, Organtransplantation. Zustzlich wirksam bei Schilddrsenkarzinom, Magenkarzinom, sophaguskarzinom, Zervixkarzinom.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Dosierung
Intravens 10…15 mg/kg KG (400…600 mg/m2 KOF) Tag 1 und 2 oder 1 und 8 alle 3…4 Wochen, 600…1200 mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen. Peroral 50…200 mg als Tagesdosis Tag 1…14(…28). 60 mg/kg KG einmal (Hochdosistherapie!). Nebenwirkungen
Haarausfall, Dermatitis, neurotoxische Strungen, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Stomatitis, Leberschden („Hepatitis“, Ikterus), Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression. Anaphylaxie, Bronchospasmus, Allergie, Idiosynkrasie, Immunthrombozytopenie, Stevens-Johnson-Syndrom, Gesichtsschmerzen, Lungenfibrose, Induktion von Amenorrh, Pneumonitis, Kardiotoxizitt in hoher Dosierung. Hodenfunktionsstrungen, Sekretionsstrung des antidiuretischen Hormons („IADH-Syndrom“), transienter nephrogener Diabetes mellitus nach hoher Dosierung, verminderte Glukosetoleranz unter hoher Dosierung, hmorrhagische Zystitis, bei Langzeitbehandlung Induktion von Blasenkarzinomen (und sehr selten Leiomyosarkomen). Hinweise fu¨r den Umgang
Zur Verhtung der Urotoxizitt: Mesna. Unter Antidiabetika kann die Blutzuckersenkung verstrkt sein. Allopurinol verstrkt die Knochenmarkdepression. Unter Suxamethonium kann die Apnoezeit verlngert sein. Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Bei Patienten im geschlechtsreifen Alter kontrazeptive Manahmen bis mindestens 3 Monate nach Beendigung der zytostatischen Therapie. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung (evtl. kann mit Glutathion eine gewisse Entgiftung erreicht werden). Bei der geringen Proteinbindung der inaktiven Muttersubstanz kann diese in der frhen Phase einer Intoxikation dialysiert werden. Eventuell knnen auch toxische Metaboliten durch Dialyse eliminiert werden. Besonderheiten
Immunsuppression zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten (Risiko einer Pneumocystis-carinii-Pneumonie). In niedriger Dosis immunstimu-
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Antineoplastische Substanzen
lierend (Induktion von Helfer-CD4-Zellen). Behandlungsmglichkeit der toxischen epidermalen Nekrolyse (Lyell-Syndrom). Vermeidung der Urotoxizitt (hmorrhagische Zystitis, Induktion von Blasenkarzinomen) durch Mesna und andere Thiole, im Tierversuch auch durch Karotinoide (Crocetin). Keine Antagonisierung des zytostatischen Effektes durch Mesna. Nebenwirkungen von Mesna bei oraler Gabe: Hautexanthem, Angiodem, Vaskulitis. Intravesikales Prostaglandin-F2a oder hyperbarer Sauerstoff zur Therapie einer schweren hmorrhagischen Zystitis. Wahrscheinlich ist unabhngig vom hepatischen Enzymsystem auch eine oxidative Aktivierung in der Lunge mglich, wodurch die pulmonale Toxizitt bedingt sein kann (evtl. Hemmung der Aktivierung durch Prostaglandinsynthesehemmung wie z.B. mit Acetylsalicylsure oder Indometacin). „Facial discomfort“: Brennen im Gesicht oder an der Kopfhaut, Kribbeln im Oropharynx, Schwellung der Nasenschleimhaut, Rhinorrh, Niesen, vermehrter Trnenflu (Behandlung mit Ipratropiumbromid). Falsch-positives Aspergillusantigen im Urin. Akute respiratorische Insuffizienz in Kombination mit Doxorubicin und G-CSF. Wasserintoxikationssyndrom (Hyponatrimie) nach niedrigdosiertem Cyclophosphamid. Unterschiedliche Phnotypen des Metabolismus: „low carboxylators“ mit verminderter Aktivitt der Aldehyddehydrogenase und damit verminderter Ausscheidung des Metaboliten Carboxycyclophosphamid und dafr vermehrte Bildung des Alkylans Phosphoramidmustard. Verminderte Wirksamkeit bei niedriger Expression des Enzymsystems P450Cyp2B6 (trotz wiederholter hoher Dosis keine Knochenmarktoxizitt bei einer Patientin mit „normaler“ Leberfunktion). Resistenter Phnotyp nach Gentransfer von Aldehyd-Dehydrogenase. Sensitiver Phnotyp nach Gentransfer von Cytochrom-P-450-Enzym. Autoinduktion der Aktivierung ber das Cytochrom-P-450-Enzymsystem. Verlangsamte Elimination bei bergewichtigen Patienten. Raschere Gesamtclearance unter Medikamenten, die den Leberstoffwechsel induzieren (z.B. Barbiturate). Enterohepatische Rezirkulation der Metaboliten. Mit Interleukin-3 rasche trilineare Knochenmarkregeneration (Gewinnung von peripheren Blutstammzellen = PBSC). Protein-C-Mangel, Lebernekrose zusammen mit Azathioprin, Induktion von Zweittumoren, Blasenkarzinomen (Vermeidung durch Mesna), Transitionalzellkarzinome in Ureter oder Nierenbecken, Leukmien. Induktion einer Myopie. Akute Hypersensitivittsreaktion der Haut. Fatale interstitielle Pneumonitis bei einem nierentransplantierten Patienten. Venookklusive Lebererkrankung (VOD). DNS-Strangbrche und DNS-Crosslinks in Blutlymphozyten (in Kombination mit Carboplatin). Ausbildung eines Barrett-sophagus in Kombination mit Methotrexat und 5-Fluorouracil. Fingernagelvernderungen in Kombination mit Adriamycin und 5-Fluorouracil (transverse Leukonychie,
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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longitudinale Melanonychie). Sonnenbrandreaktivierung („Recall“). Diabetesinduktion bei Musen (Zerstrung der b-Zellen des Pankreas). Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR durch Cimetidin, aber nicht Ranitidin, Cisplatin, 5-Fluorouracil und Methotrexat, Tiramazapin, Glutathionmangel, Halothan, Hyperthermie, Methylxanthine (Coffein, Pentoxifyllin), Nitroimidazole (z.B. Metronidazol, Misonidazol u.a.), Amphotericin B, O2-Zufuhr, auch mit knstlichen O2-Trgern (z.B. Fluorochrome = Fluosol-DA). Weniger Thrombozytopenie nach Vorbehandlung mit Deoxyspergualin (bei Hunden). Hemmung der alkylierenden Aktivitt durch Glutathion. Immunstimulation mit niedrigen Dosen. Raschere Elimination nach Dexamethason-Vorbehandlung, langsamer in Kombination mit Allopurinol oder Chlorpromazin. Toxizittsminderung durch Amifostin. Protektion der Spermatogenese bei Cyclophosphamid-Dauertherapie durch Testosteron. Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur 4…6 Tage. Chemische Degradierung durch Natriumhypochlorit, Wasserstoffperoxid ( Eisenchlorid). Nachweis von geringen Mengen im Urin von Personal. Behandlung einer Paraquat-Intoxikation. Behandlung einer toxischen epidermalen Nekrolyse (aber auch Induktion dieses Krankheitsbildes).
Cytarabin (ARAC) (Cytosin-Arabinosid)
Pharmakologie
Antimetabolit, Pyrimidinantagonist. Inhibition der DNS-Synthese durch kompetitive Hemmung der DNS-Polymerase und Inkorporation als „falsche“ Base in die DNS mit der Folge von Strangbrchen. Recruitment und Synchronisation in der S-Phase. Induktion von Apoptose. Rasche zellulre Aufnahme durch carriererleichterte Diffusion. Aktivierung durch Phosphorylierung mittels verschiedener Kinasen und Akkumulation als Triphosphat (ara-CTP). Liquorgngigkeit bei hohen i.v. Dosen. Inaktivierung durch enzymatische Deaminierung. Renale Elimination der inaktiven Metaboliten. Terminale Plasmahalbwertszeit 2 h. Raschere Clearance
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Antineoplastische Substanzen
bei Mnnern (139 vs. 131 l/h m2) und bei hohen Leukozyten- bzw. Blastenzahlen im Blut. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Akute myeloische und akute lymphoblastische Leukmien, chronische myeloische Leukmie, Non-Hodgkin-Lymphome hoher Malignitt. Dosierung
Intravens (oder subkutan) 100(…200) mg/m2 KOF fr 5(…10) Tage (auch als Dauerinfusion). 0,5…3,0 g/m2 KOF intravens als Hochdosistherapie 3(…5) Tage. Intrathekal 20…30 mg/m2 KOF 1(…2)mal pro Woche. Nebenwirkungen
Haarausfall, Hautreaktionen, Erythem, Hand-Fu-Syndrom (Erythem, Dyssthesien), Muskel- und Gelenkschmerzen, zentralnervse Strungen, Neuritiden, Leukenzephalitis (selten), Paraplegie (selten), gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Ulzerationen der Mundschleimhaut und des Magen-Darm-Trakts (bei hoher Dosierung), Leberschden, (Leberzellnekrosen), Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Herzrhythmusstrungen, Bronchospasmen, Lungendeme, Strungen der Hmatopoese, Nierenfunktionsstrungen, bempfindlichkeitsreaktionen (IgE), Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Diffuse interstitielle Pneumonie. Thrombophlebitis und Blutungen, Fieber. Seltener sind Sepsis, Pneumonie, Gewebsschdigungen am Injektionsort. Schmerzen im Brust- und Bauchraum, Gelbsucht, Kolitis, Peritonitis, akute Pankreatitis. Erhhtes Risiko fr Neurotoxizitt bei hoher Dosis: Serumkreatinin 1,2 mg/dl, Alter 40 Jahre, alkalische Phosphatase 3mal normal. Cytarabinsyndrom: Fieber, Rigor, Schwitzen, Myalgie, Arthralgie, Exanthem. Bei hher dosierter Dauerinfusion sind die gastrointestinalen Beschwerden ausgeprgter, auch mit paralytischem Ileus, Erosionen, Nekrosen, submuksen Blutungen. Korneatoxizitt und hmorrhagische Konjunktivitis, wobei letztere durch Glukokortikoid- oder 2-Deoxycytidin-haltige Augentropfen oder knstliche Trnenflssigkeit weitgehend verhindert werden kann. Gro- und Kleinhirnfunktionsstrung (meist reversibel), u.U. mit Persnlichkeitsvernderungen, Somnolenz oder Koma. Neuropathie.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1579
Hinweise fu¨r den Umgang
Bei Patienten mit Leberfunktionsstrungen Anwendung nur unter strenger Kontrolle. Cytarabin darf nicht mit Methotrexat oder 5-Fluorouracil vermischt werden (inkompatibel). Cytarabin kann den Plasmadigoxinspiegel und damit auch die renale Glykosidelimination reversibel senken. Gegebenenfalls Umstellung auf Digitoxin! Gentamycinantagonismus: Cytarabin senkt in vitro die Empfindlichkeit von Klebsiella pneumoniae gegenber Gentamycin … ggf. anderes Antibiotikum whlen. Fluorocytosin: kompetitive Hemmung der Fluorocytosinresorption durch Cytarabin. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Es besteht ein Risiko fr perinatale Komplikationen oder Schdigungen beim Menschen. Kontrazeption whrend und bis 6 Monate nach Behandlung bei Frauen und Mnnern. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Wegen der raschen zellulren Aufnahme ist eine Dialyse wahrscheinlich nicht effektiv. Prinzipiell sind jedoch Cytarabin und der Hauptmetabolit Uracil-Arabinosid hmodialysierbar bzw. -filtrierbar. Eventuell ist der Schutz normaler Knochenmarkprkursoren durch Deoxycytidin mglich. Besonderheiten
Fatale pulmonale Komplikation (Pneumonitis), insbesondere bei den Patienten, die auch eine Reaktion an der Haut zeigen (Behandlung mit Kortikosteroiden). Bronchiolitis obliterans mit karnifizierender Pneumonie (BOOP). Bilaterale Parotitis. Perikarditis. Fulminantes Leberversagen in Kombination mit Mitoxantron. Polyneuritis, ZNS-Toxizitt (evtl. mit dichten Herden in der Kernspintomographie), Pseudotumor cerebri, Einklemmungssyndrom, fatale periphere Neuropathie (Axondegeneration). Akute reversible Neurotoxizitt nach intrathekaler Gabe. Aufsteigende Paralyse, Paraplegie nach intrathekaler und intravenser Gabe. Fatale Myeloenzephalopathie nach kombinierter intrathekaler Gabe (Cytarabin Methotrexat). Erhhte Neurotoxizitt bei Niereninsuffizienz. Augenmuskellhmungen und zerebellre Dysfunktion (Ataxie, Dysarthrie, Parkinsonismus). Akute Polyneuropathie. Rhabdomyolyse. Herzversagen. Hypersensitivittsreaktion (Fieber, Schock). Akrale deme mit Schwellung der Ohren (Behandlung mit Kortikosteroiden). Akrale Erytheme (auch mit Bullae). Akute Pankreatitis bei ARAC-Dauerinfusion. Hemmung der Granulozytenfunktion. Im Tierversuch Protektion gegen die ARAC-induzierte Alopezie durch topische Anwendung von Minoxidil. Verschiedene Mglichkeiten der biochemischen Modulation: z.B. Verstrkung der Wirkung durch Thymidin oder Tetrahydrouridin. Wirkungs-
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Antineoplastische Substanzen
steigerung durch Interleukin-3, L-Asparaginase, Dipyridamol, Chinin, Hydroxyharnstoff („Synchronisation“), Cisplatin, Carboplatin, Fludarabin. Verstrkung der Wirkung von Mitoxantron, Verminderung der Wirkung bei gleichzeitiger Gabe von Methotrexat. Verminderung der Wirkung durch 5-Fluorodeoxyuridin. Synergismus mit Interleukin-3. Eine niedrigdosierte Vorbehandlung mit Cytarabin sensibilisiert gegen Etoposidwirkung (und umgekehrt). Synergismus bei Gabe nach 6-Mercaptopurin. Die Akkumulation von ara-CTP korreliert mit der Sensitivitt. Induktion einer Resistenz durch Transfektion von Cytidin-Deaminase cDNS. Raschere Elimination aus normalen Blutzellen im Vergleich zu leukmischen Blasten. In niedriger Dosierung zur Behandlung myelodysplastischer Syndrome („Zellreifung“?), evtl. in Kombination mit Zytokinen. Behandlung eines refraktren kutanen Lupus erythematodes. Subkutane Applikation. Intraperitoneale bzw. intrapleurale Applikation. Ventrikulolumbale Perfusion in Kombination mit Methotrexat bei Meningiosis carcinomatosa. Behandlung der Leukoenzephalopathie bei AIDS. Lsungsstabilitt mindestens 28 Tage bei 4 C oder 22 C. In-vitro-Stabilitt 72 h in Mischinfusion mit Doxorubicin und Etoposid oder 5-Fluorouracil.
Dacarbazin-Citrat (Dimethyl-Triazino-ImidazolCarboxamid; DTIC)
Pharmakologie
Alkylans und evtl. auch Antimetabolit. Hemmung der DNS-, RNS- und Proteinsynthese. Aktivierung durch das mikrosomale Enzymsystem der Leber. Induziert DNS-Einzelstrangbrche in DNS-synthetisierenden Zellen der S-Phase. Nach Hemmung der DNS-Polymerase-a mit Aphidicolin tritt dieser Effekt nicht auf. Strung der DNS-Reparatur. Einbau als „falsche“ Base in die Nukleinsuren. Rasche Elimination aus dem Plasma (Halbwertszeit 20 min). Geringer lichtinduzierter Abbau zu Azahypoxanthin. Metabolisierung in der Leber zu Aminoimidazolcarboxamid. Renale (tubulre) Elimination der Muttersubstanz (50%) und der Metaboliten. Terminale Plasmahalbwertszeit ca. 5 h (verlngert bei Leber- bzw. Nierenfunktionsstrungen). Nur geringe Liquorgngigkeit (14% der Plasmaspiegel). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet bzw. ob sie in die Muttermilch bergeht.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Melanom, M. Hodgkin, Pleuramesotheliom. Zustzlich wirksam bei Sarkomen. Dosierung
Intravens 150…250 mg/m2 KOF tglich fr 5 Tage alle 3…4 Wochen oder 375(…850) mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen. Nebenwirkungen
Haarausfall, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Strungen der Hmatopoese, anaphylaktische Reaktionen (selten), Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Lokale Reizungen der Einstechstelle. Schmerz und Nekrosen bei paravenser Injektion. Hinweise fu¨r den Umgang
Bei Leberfunktionsstrungen nur nach strenger Nutzen-Risiko-Abwgung. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeptive Manahmen sind whrend und bis zu 3 Monaten nach der Therapie erforderlich. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist evtl. sinnvoll. Besonderheiten
Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie. „Chemosensibilisierung“ durch Verminderung der Reparaturkapazitt (Absenkung der Glutathion-Spiegel und Hemmung der O6-Alkyltransferase). Resistenz bei hoher Reparaturkapazitt (O6-Alkyltransferase). Hepatotoxizitt: venookklusive Erkrankung der Leber, Lebervenenthrombose mit akuter Leberdystrophie. Sekundre Myelodysplasien 2 und 9 Monate nach kombinierter Behandlung mit Fotemustin. Akute pulmonale Toxizitt (ARDS) in Kombination mit Fotemustin. Intraarterielle Applikation. Stabilitt der Gebrauchslsung 24 h bei 20 C im Dunkeln, 8 h bei Licht und 35 C.
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Antineoplastische Substanzen
Dactinomycin (Actinomycin D, DACT, ACTD)
Pharmakologie
Interkalierendes Antibiotikum. Bildung stabiler Komplexe mit doppelstrngiger DNS und damit Hemmung der DNS-Reduplikation und insbesondere der Transkription. Rasche Elimination aus dem Plasma. Eine Metabolisierung findet praktisch nicht statt. Ausscheidung der unvernderten Muttersubstanz durch die Galle und nur wenig ber die Nieren. Genaue Richtlinien fr Dosismodifikationen bei Leber- und Nierenfunktionsstrungen existieren nicht. Terminale Plasmahalbwertszeit ca. 36 h. Keine Liquorgngigkeit. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet bzw. ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Hodenkarzinom. Zustzlich wirksam bei Sarkomen. Dosierung
Intravens: 0,01…0,015 mg/kg KG (0,4…0,6 mg/m2 KOF) tglich ber 3 bis 5 Tage alle 3…5 Wochen.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haarausfall, Hyperurikmie, Leberschden, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis), Magen-DarmBlutungen, Erytheme, Strungen der Nierenfunktion. Intravens: Intimareizungen. Paravens: Nekrosen. Hinweise fu¨r den Umgang
Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise wird eine embryo- und fetotoxische Wirkung beim Menschen postuliert. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Nach Anwendung in der Schwangerschaft wurden gesunde Kinder geboren. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist ineffektiv. Eine versehentliche berdosierung mit 5 mg innerhalb von 2 Tagen ging einher mit generalisierten Krampfanfllen, renalem Magnesiumverlust, demen, Erythem in bestrahlten Gebieten („Recallphnomen“), gastrointestinalen Ulzerationen und ausgeprgter Thrombozytopenie. Restitution nach 3 Wochen. Besonderheiten
Hepatotoxizitt. Akne und Hyperandrogenmie. Hyperpigmentierung der Haut, Hautrtungen mit charakteristischer Lokalisation an Axilla, Leiste und mit spontaner Abheilung in 4 Wochen (evtl. Behandlung mit topischen Kortikosteroiden; histologisch: Dermatitis mit Syringometaplasie). In Kombination mit Vincristin venookklusive Erkrankung der Leber. Wirkungsverstrkung durch Erythromycin, Amphotericin B, Ciclosporin, Tumornekrosefaktor. Verstrkung der Kachexie-induzierenden Wirkungen von Tumornekrosefaktor. berwindung der MDR-Resistenz mit Verapamil. Potenzierung der radiogenen Pneumonitis. Elektiver Abbruch einer Zervixschwangerschaft. In vitro Inaktivierung von Trypanosomen unter Erhaltung der Immunogenitt.
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Antineoplastische Substanzen
Daunorubicin-HCl (DNR, DAUNO)
Pharmakologie
Interkalation. Terminale Plasmahalbwertszeit 11…27 h. Weiteres s. bei Doxorubicin. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Akute Leukmien, akzelerierte chronische myeloische Leukmie und Blastenschub, Non-Hodgkin-Lymphome. Dosierung
Intravens 30…60 mg/m2 KOF Tag 1…3 alle 3 Wochen (in der Regel in Kombination mit anderen Zytostatika). Nebenwirkungen
Haarausfall (selten), gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Kardiomyopathie, Intimareizungen (Einzelflle), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Allergische Reaktionen, Tubulusschdigungen. Paravense Verabreichung verursacht schwere Hautlsionen bis zur Nekrose. Hinweise fu¨r den Umgang
Behandlung whrend der Remissionsinduktionsphase nur stationr. Zur Vorbeugung einer Hyperurikmie Zufuhr von Allopurinol vor der Behandlung. Dosisanpassung bei schwerer Leber- und Niereninsuffizienz. Kumulative Hchstdosis s. bei Doxorubicin. Vorangegangene oder gleichzeitige
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Thoraxbestrahlung und/oder Verabreichung potentiell kardiotoxischer Substanzen erhhen das Risiko einer Kardiomyopathie. Kreuzresistenz zwischen Doxorubicin und Daunorubicin. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1.Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Whrend der Behandlung und 3 Monate danach sind kontrazeptive Manahmen erforderlich. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Muttermilch bergeht. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist ineffektiv. Besonderheiten
Hautpigmentierungen. Vasokonstriktive Aktivitt. Spte Manifestation der Kardiotoxizitt 4…20 Jahre nach Ende der Chemotherapie. Prophylaxe der Kardiomyopathie mit Dexrazoxan (ICRF-187). Keine Hemmung der zytostatischen Aktivitt durch Dexrazoxan. Progressive Bulbrparalyse mit tdlichem Ausgang nach versehentlicher intrathekaler Gabe. Nephrotisches Syndrom. Subunguale Blutung. Transverse Leukonychie (Meessche Bnder der Fingerngel). Umgehung der Multidrugresistenz durch Verapamil, Ciclosporin A, Dihydropyrimidinderivate (z.B. Azidopin), Itraconazol, Torimefen. Hhere intrazellulre Anreicherung von Daunorubicin und Daunorubicinol bei Patienten mit akuter Leukmie, die eine Vollremission erreichen. Verminderte Biotransformation zu Daunorubicinol bei Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Wirkungsverstrkung durch Formaldehyd. In Kombination mit Vincristin Behandlung der „pure red cell aplasia“. Liposomales Daunorubicin zur Behandlung des Kaposi-Sarkoms bei AIDS (s.u.). Positronen-emissionstomographische (PET) Darstellung von P-170-Glykoprotein mit 11C-markiertem Daunorubicin. Nichtinvasive fluoreszenzphotometrische Messung von Daunorubicinspiegeln im Glaskrper des Auges. Stabilitt der Gebrauchslsung fr 3…4 Tage bei 21…25 C. Stabilitt 72 h in vitro als Mischinfusion mit Cytarabin und Etoposid.
Daunorubicin, liposomal Pharmakologie
Siehe bei Daunorubicin und Doxorubicin. Gesamt-Plasma-Clearance ca. 10 ml/min. Verteilungsvolumen 2…6 l. Terminale Halbwertszeit 3 bis 6 h. Die Exposition gegenber dem Zytostatikum (AUC) ist ca. 36mal hher als bei Gabe der entspechenden Menge von konventionellem Daunorubicin.
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
AIDS-assoziiertes Kaposi-Sarkom. Zustzlich Wirksamkeit bei anderen anthrazyklinsensitiven Erkrankungen, z.B. Non-Hodgkin-Lymphomen, Mammakarzinom, Sarkomen, akuten Leukmien. Dosierung
40 mg/m2 KOF alle 2 Wochen als 30- bis 60-min-Infusion. Nebenwirkungen
Siehe auch bei Daunorubicin. Die anthrazyklintypischen kardialen Nebenwirkungen treten seltener auf. Alopezie und Stomatitis sind ebenfalls seltener und weniger ausgeprgt. Hauptschliche Nebenwirkung ist die Granulozytopenie, weniger eine Anmie oder eine Thrombozytopenie. Rckenschmerzen, Gesichtsrtung, Brustenge: Diese Symptome sind nicht dosisabhngig und treten meist innerhalb der ersten 10 min auf. Die ˜tiologie ist unklar. Die Schmerzen klingen meistens ab, wenn die Infusion verlangsamt oder gestoppt wird. Allergische Reaktionen mit Hypotonie knnen auftreten. Hinweise fu¨r den Umgang
Mischung nur mit 5%iger Glukoselsung, in salzhaltiger Lsung agglutinieren die Liposomen. Die gebrauchsfertige Zubereitung kann maximal sechs Stunden bei 2…8 C aufbewahrt werden. Kontakt mit der Haut ist zu vemeiden. Acetaminophen zur Prophylaxe und Behandlung des Schmerzsyndroms. Frauen sollten whrend der Behandlung nicht schwanger werden, Mnner sollten whrend der Behandlung und sechs Monate danach kein Kind zeugen. Bemerkungen
Auch bei einer kumulativen Gesamtdosis von mehr als 1000 mg/m2 keine signifikante Kardiotoxizitt. Bei Patienten mit kardialem Risiko vor Therapiebeginn Messung der linksventrikulren Auswurffraktion und regelmige Wiederholung ab einer kumulativen Dosis von 800 mg/m2. Liposomendurchmesser ca. 45 nm. Mglichst keine Verwendung von Filtern im Infusionssystem (falls Filter eingesetzt werden, Porendurchmesser nicht unter 5 lm). Informationen ber eine eventuelle Dosisanpassung bei Leberund Nierenfunktionsstrungen liegen nicht vor.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Docetaxel
Pharmakologie
Antimikrotubulrer Wirkstoff (Mechanismus s. bei Paclitaxel). Semisynthetisch hergestellt aus dem Grundstoff 10-Deacetylbaccatin III, einem Extrakt aus den Nadeln der europischen Eibe (Taxus baccata). Im Vergleich zu Paclitaxel ist die Wasserlslichkeit besser und der tubulinpolymerisierende Effekt grer (dafr ist die maximal tolerable Dosis geringer). Metabolismus in der Leber ber Cytochrom-P-450-abhngige Enzyme. Plasmaproteinbindung > 95%. Terminale Plasmahalbwertszeit 8 bis 12 h. Verteilungsvolumen 36,6…95,6 l/m2 KOF. Gesamtkrperclearance 36 l/h m2. Nur 9% der Gesamtdosis werden ber die Nieren ausgeschieden. In 7 Tagen 75% Ausscheidung ber die Fzes (hauptschlich in den ersten 48 h). Zulassung
Mammakarzinom, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom. Zustzlich Wirksamkeit nachgewiesen z.B. beim sophaguskarzinom, Magenkarzinom, Pankreaskarzinom, Prostatakarzinom, Ovarialkarzinom, Kopf-Hals-Karzinom (s. entsprechende Kap., Bd. 2). Dosierung
100 mg/m2 KOF als 1-h-Infusion einmal alle 3 Wochen oder 30…40 mg/m2 KOF wchentlich. Nebenwirkungen
Dosislimitierende Myelosuppression (vorwiegend Neutropenie). Hypersensitivittsreaktionen (Blutdruckabfall, Dyspnoe, Bronchospasmus, Urtikaria, Angiodem; evtl. durch Lsungsvermittler Polysorbat 80) seltener und weniger schwer als bei Paclitaxel. dembildung (Flssigkeitsretentionssyndrom infolge erhhter Membranpermeabilitt, insbesondere bei wiederholter Anwendung). Asthenie, Myalgie. Alopezie (Vermeidung der
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Antineoplastische Substanzen
Alopezie durch Kltekappe). Mukositis (vermehrt bei lngerer Infusionsdauer). Schmerzhafte makulopapulse und/oder bullse Hautreaktionen, z.T. mit Nagelvernderungen und/oder Onycholyse. Juckreiz. Flush. Wiederauftreten strahlenbedingter Hautvernderungen (Radiation Recall). belkeit, Erbrechen (nicht hochemetogen), Diarrh. Phlebitis. Geschmacksvernderungen. Dosisabhngige sensomotorische periphere Neuropathie, verstrkt in Kombination mit Cisplatin. Ataxie. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Zubereitung der Gebrauchslsungen mit 5%iger Glukose oder 0,9%igem NaCl. Im Gegensatz zu Paclitaxel wurde keine Kardiotoxizitt beschrieben. Vermeidung der Hypersensitivittsreaktionen und des Wasserretentionssyndroms durch Vorbehandlung mit 32 mg Methylprednisolon oder 16 mg Dexamethason, beginnend vor der Docetaxel-Gabe und dann weiter bis zum Tag 5. Behandlung von Hautreaktionen mit einer cycloheximidhaltigen Glycerinsalbe. Keine speziellen Behandlungen nach Extravasat erforderlich (keine schweren Hautschden oder Nekrosen). Dosisreduktion auf 75 mg/m2 bei 1,5facher Erhhung der Transaminasen bzw. 2,5facher Erhhung der alkalischen Phosphatase. Keine Anwendung bei Tansaminasen oder Bilirubin > 3,5fach oder alkalischer Phosphatase > 6fach ber der Normgrenze. Die gebrauchsfertige Infusionslsung sollte baldmglichst verwendet werden. Besonderheiten
Siehe auch bei Paclitaxel. Selten palmarplantare Erythrodyssthesie (Hand-Fu-Syndrom; Prophylaxe durch lokale Hypothermie, Behandlung evtl. mit Pyridoxin). Weniger lymphozytotoxisch und damit weniger immunsuppressiv als Paclitaxel. Schwere Mukositis als „Recall“ nach Strahlentherapie. Sklerodermiehnliche Vernderungen an den unteren Extremitten. Verminderter Metabolismus bei Kombination mit Ketoconazol, Midazolam, Erythromycin, Testosteron, Nifedipin, Orphenadrin, Troleandomycin, Cimetidin wegen Kompetition am mikrosomalen P-450-Enzymsystem. Keine Beeinflussung des Metabolismus durch Verapamil, Cisplatin, Doxorubicin, Vinblastin, Vincristin, Ranitidin, Diphenylhydramin. Stimulation des Metabolismus durch Vorbehandlung mit Barbituraten, Rifampicin, Dexamethason. Vermeidung von Hypersensitivittsreaktionen mit Chromoglycat. Radiosensibilisierung. Verstrkte Toxizitt bei Leberfunktionsstrung. Interstitielle Pneumonitis. Kltekappe zur Vermeidung von Alopezie.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Doxorubicin-HCl (Adriamycin, ADM, ADR)
30 Pharmakologie
Interkalation. Aktivierung durch Reduktion in der Leber ber NADPH-abhngige Enzymsysteme, z.B. Cytochrom-P450-Reduktase, Cytochrom-CReduktase, Cytochrom-B5-Reduktase oder Xanthinoxidase. Bildung von Semichinonradikalen, die nach Reaktion mit Sauerstoff Superoxide, Wasserstoffperoxid und Hydroxylradikale generieren. Hemmung der Topoisomerase II. Hemmung der Thyrosinkinase. Induktion von Apoptose. Rasche Elimination aus dem Plasma. Reduktion in der Leber zu Doxorubicinol und Abspaltung des Aminozuckers (Aglykon). Ausscheidung der Muttersubstanz und der Metaboliten vorwiegend ber die Galle, nur geringe renale Elimination. Terminale Plasmahalbwertszeit etwa 45h. Raschere Clearance bei Mnnern. Ganzkrperhalbwertszeit 168h. Akkumulation in der Leber und langsame Rckverteilung. Hhere Spiegel von Doxorubicinol bei Langzeitinfusion (z.B. 6 h). Keine Liquorgngigkeit. Verlangsamte Elimination bei bergewicht und bei Verabreichung am Abend (verminderter Blutflu durch die Leber whrend des Schlafs). Hhere intrazellulre Konzentrationen nach Bolusgabe (im Vergleich zur Langzeitinfusion). Abnahme des Verteilungsvolumens bei wiederholter Gabe. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Mamma-, Ovarial-, Prostata-, Schilddrsen-, Leberzell-, Magen-, Harnblasen-, Endometriumkarzinom, Non-Hodgkin-Lymphom, Hodgkin-Lymphom, Leukmien, multiples Myelom, kleinzelliges Bronchialkarzinom, Karzinome im Kopf- und Halsbereich, Kaposi-Sarkom, Osteosarkom. Zustzlich wirksam beim Ewing-Sarkom.
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Antineoplastische Substanzen
Dosierung
Intravens 40…75 mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen oder „fraktioniert“ 10…20 mg/m2 KOF einmal wchentlich. Intravesikal 50 mg/m2 KOF. Nebenwirkungen
Haarausfall, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Kardiomyopathie, Intimareizungen (Einzelflle), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Ablsung der Nagelplatte, Pigmentstrungen, Blschenbildung, Hautrtung, Nesselausschlag, Entzndungen der Venenwand. Eine Fehlinjektion auerhalb der Blutgefe fhrt zum Absterben des betroffenen Gewebes. Appetitlosigkeit, Geschwrbildungen im Bereich des Rachens und des Gastrointestinaltraktes. Nach Strahlentherapie Entzndungen der Speiserhre. Vereinzelt Niereninsuffizienz. Vorbergehend Rotfrbung des Urins. Allergische Reaktionen, Fieber, Gelenkschmerzen, Schmerzen an der Injektionsstelle. Bereits in Abheilung befindliche Strahlenschden knnen erneut auftreten („Recallphnomen“). Bei der HL-Form: berempfindlichkeit gegenber Alkyl-4-hydroxybenzoaten (Paragruppenallergie). Hinweise fu¨r den Umgang
Vorsicht bei eingeschrnkter Leberfunktion oder Galleabflubehinderungen, nach vorangegangener oder bei geplanter Strahlentherapie, bei aktiven Impfungen und bei Kontakt mit Poliomyelitisimpflingen. Keine Anwendung, solange Entzndungen, Geschwrbildungen oder Durchfall bestehen. Vereinzelt wurde im Zusammenhang mit der Kombination von Cytarabin ber Gewebssterben im Bereich des Dickdarms mit massiven Blutungen und schweren Infektionen berichtet. Substanzen, die das Leberparenchym schdigen, knnen die Nebenwirkungen von Doxorubicin verstrken und eine Dosisnderung notwendig machen. Cyclosphosphamid und andere Anthrazykline verstrken die herzmuskelschdigende Wirkung von Doxorubicin. Doxorubicin bindet an Heparin: Es kann zu Ausfllungen und Wirkungsverlust beider Mittel kommen. Phenobarbital kann zu einer beschleunigten Plasmaclearance von Doxorubicin fhren. Kumulative Hchstdosis 550 mg/m2 KOF (450 mg/m2 KOF bei Zustand nach Bestrahlung des Mediastinums bzw. linksthorakal; 800 mg/m2 KOF bei fraktionierter wchentlicher Gabe oder bei i.v. Infusion 6 h pro Anwendung; 400 mg/m2 KOF bei Kindern). Ein laufendes Monitoring der Herzfunktion ist erforderlich (v.a. bei Kindern). Bei intravesikaler Anwendung Harnblasenentzndung.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeptive Manahmen sollen whrend und bis 3 Monate nach der Behandlung getroffen werden. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eventuell ist eine Toxizittsminderung durch Glutathion oder N-Acetylcystein mglich. Eine Dialyse ist ineffektiv. Eine Hmoperfusion ber Ionenaustauscher (Amberlit) kann versucht werden. berdosierungen mit 150…300 mg/m2 KOF sind beschrieben. Besonderheiten
Kardiotoxizitt (frh: Frequenzanstieg, QT-Verlngerung, SVES, VES [auch Couplets], supraventrikulre und ventrikulre Tachykardie; spt: Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz; Risikofaktoren: Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Bestrahlung der Herzregion, junges Alter insbesondere < 4 Jahre). Myokarditis. Manifestation der Kardiomyopathie evtl. auch erst nach mehreren (bis 20) Jahren (z.T. dosisunabhngig). Kardiologisches Monitoring mit Echokardiographie Radionuklidven-trikulographie vor jedem 2. Therapiezyklus, bei Kindern ab 300 mg/m2 KOF vor jedem Zyklus. Verschlechterung der Kardiomyopathie bei interkurrenten Infekten oder Tumorprogression. Bei Kindern fatale Kardiotoxizitt auch schon bei Gesamtdosen unter 400 mg/m2 KOF. Vermehrte Kardiotoxizitt bei Kindern weiblichen Geschlechts. Erfassung subklinischer Kardiotoxizitt mittels Dopplerechokardiographie, Dobutaminstreechokardiographie oder Metajodbenzylguanidin (MIBG)-Szintigraphie (Downregulation b-adrenerger Rezeptoren), verminderte Glukoseutilisation (18F-Fluordeoxyglukose). Anstieg des atrialen natriuretischen Peptids als Frhzeichen der Kardiotoxizitt. Frherkennung der Kardiotoxizitt durch Szintigraphie mit 111In-Myosinantikrpern. Behandlung der Kardiomyopathie mit Metoprolol. Langzeitberleben nach Herztransplantation wegen Doxorubicinkardiomyopathie. Verstrkte Kardiotoxizitt bei Polychemotherapie. Pltzlicher Herztod durch maligne Arrhythmie bei gleichzeitiger Hypokalzmie. Verminderung der Kardiotoxizitt durch Verapamil, Inosin, ICRF-187 (1,2-Bis(3,5-dioxopiperazinyl-)propan = Dexrazoxan, s.u.), Antihistaminika, Coenzym Q10, Prenylamin, Glutathion, Niacin, Isocitrat, N-Acetylcystein, Digoxin, Venoruton, Knoblauchextrakt, Probucol, Flavinoide, Thyrosinoder Phenylalaninmangel, Spermin-Polymer, Lipidsenkung, Catechine (Polyphenole) aus grnem Tee, Thioredoxin, 7-Monohydroxyethylrutosid, Vitamin C, Vitamin E oder Langzeitinfusion (6 h) oder fraktionierte Gabe. Am effektivsten zur Prvention der Kardiotoxizitt scheint ein Razoxanderivat (Dexrazoxan = ADR 529 = ICRF-187 = CardioxaneJ oder ZinecardJ)
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Antineoplastische Substanzen
zu sein (Verhinderung der Bildung frher Radikale durch Blockierung der Bildung von Anthracyclineisen[kupfer]komplexen). Chelatbildung mit Kupfer und Eisenionen. Verstrkte Kardiotoxizitt bei Vitamin-E-Mangel. Verminderung der Kardiotoxizitt und Hmatotoxizitt durch Desferrioxamin. Wirkungssteigerung durch Vorbehandlung mit Desferrioxamin und folgender Kombination von ADM mit Eisen. Verbesserte Wirkung in strogenrezeptor-positiven Mammakarzinomzellen nach Vorbehandlung („Stimulation“) mit strogenen. Verstrkte Toxizitt auf KnochenmarkProgenitorzellen in Kombination mit Tamoxifen. Photoinaktivierung durch langwelliges UV-Licht. Verminderung der Toxizitt durch Einkapselung in Liposomen. Verminderung der Alopezie durch a-Tocopherol, Minoxidil oder Kltekappe. Bei Ratten Verhinderung der Alopezie durch „Imuvert“ (Extrakt aus Serratia marcescens). Mundkhlung zur Vermeidung der Stomatitis. Verminderung der Nephrotoxizitt durch Angiotensin II. Strkere Nephrotoxizitt bei salzreicher Kost. Nephrotoxizitt: segmentale Glomerulosklerose, Proteinurie, nephrotisches Syndrom; Verlangsamung der Progression der Nierenschdigung durch ACE-Hemmer, z.B. Enalapril, bzw. durch Superoxiddismutase, Dimethylthioharnstoff, Vitamin E, Fischl-Dit, Amilorid oder Heparin. Verstrkung der renalen Fibrose und Sklerose durch TGF-b. Akutes Nierenversagen bei multiplem Myelom (in Kombination mit VCR/Prednison). Verlangsamte Elimination bei Dialysepatienten (1,5- bis 3fach hhere AUC). Verminderte Gesamt-Clearance bei Kombination mit Ciclosporin. Messung der Akkumulation in weien Blutzellen mit Durchfluzytometrie (auch als Sensitivittstest?) oder mit einem LaserMikroskop. Hemmung des Efflux durch Prochlorperazin. Kein Nachweis enterohepatischer Zirkulation bei einem Patienten mit temporrer bilirer Obstruktion. Entzndliche Vernderungen an den Augen, Vertzungen nach versehentlicher Instillation. Muskelatrophie durch Anwendung am Auge (bei Blepharospasmus). Akute Erblindung in Kombination mit CCNU. Neurologisches Syndrom mit Koma (in Kombination mit Ciclosporin A). Lokale Urtikaria. Nagelvernderungen: transverse Leukonychie, longitudinale Melanonychie, Onycholyse. Hypersensitivittsreaktion zusammen mit Clindamycin. Gesichtsflush. Aktivierung einer Arthritis bei M. Bechterew. Wiederauftreten („Recall“) einer Strahlenpneumonitis. Fragliche minimale Vernderungen in der Skelettmuskulatur. Strung der Granulozytenphagozytose. Zweittumoren. Sekundre Leukmien nach Kombination mit Cisplatin oder Cyclophosphamid. Hemmung der Thrombozytenaggregation. Akute respiratorische Insuffizienz in Kombination mit Cyclophosphamid und GM-CSF.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR durch Hyperthermie, Bestrahlung, Ultraschall, Verapamil, Cimetidin, Ranitidin, Chinin, Amiodaron, Lonidamin, Ciclosporin A, Buthioninsulfoximin (BSO), Glutathionentzug, Methioninmangel, Cefoperazon, Kalziumantagonisten, Erythromycin, Dipyridamol, Pentoxyfyllin, Diazepam, Phenothiazine, Amphotericin B, Flurbiprophen, Imidazole, Forskolin, Trifluoperazin, Dithiocarbamate, Tamoxifen, Torimefen und Derivate, Amilorid, Mitotane, Itraconazol, O2-Trger (z.B. Fluosol-DA), Konjugation an Proteine (Albumin, Immunglobulin), niedriger pH-Wert, Alkohol, Quercetin, Interferon-a oder -c, All-Trans-Retinsure (ATRA), Diltiazem. Selektion MDR-positiver Zellen durch Calmoduline (z.B. Trifluoperazin). Wirkungsverminderung durch Glutathion, gesteigerte Aktivitt der Glutathiontransferase (Resistenzmechanismus), N-Acetylcystein, Coffein, Chlorpromazin, Glukose- bzw. NADPH-Mangel. Synergismus mit Cisplatin, Aclacinomycin. Vermehrte Radikalbildung bei Laserbestrahlung (photodynamische Therapie). Keine komplette Kreuzresistenz zu Alkylanzien (z.B. Bendamustin). Erhhte Sensitivitt nach Transfektion von Antisense-RNS gegen Glutathion-STransferase. In manchen In-vitro-Systemen Antagonismus gegen Paclitaxel. Verstrkte Toxizitt, wenn innerhalb von 48 h vorher Paclitaxel gegeben wurde: Deshalb wird die Sequenz Doxorubicin vor Paclitaxel empfohlen. Intraarterielle (auch mit Lipiodol oder Mikrosphren bei der Leberperfusion, beste Bindung an Angiostat), intrapleurale (auch mit Mikrosphren) bzw. intravesikale Anwendung. Leberversagen nach ADM/Lipiodol ber die A. hepatica. Photosensibilisierung fr photodynamische Therapie. Niedrigdosierte Dauerinfusion (3 mg/m2 KOF tglich ber 28 Tage). Behandlung von Paravasaten durch Khlung, Dimethylsulfoxid (DMSO, z.B. Dolobene-Gel) oder subkutanes N-Acetylcystein (5%ig in 0,9% NaCl) bzw. 8,4% Natriumbicarbonat, im Tierversuch ist auch Vitamin C wirksam. Mglichkeit der Fluoreszenzmikroskopie zur Bestimmung des infiltrierten Areals bei evtl. operativer Sanierung eines Extravasatbezirks. Hautkarzinom 10 Jahre nach Extravasat. In-vitro-Stabilitt bei …20 C ber mindestens 4 Wochen, 14…28 Tage bei 4 C und 22 C, 7 Tage bei 35 C. Topische Inaktivierung (z.B. auf verunreinigten Gegenstnden) durch Kalziumhypochlorit.
Doxorubicin, liposomal (Myocetj) Pharmakologie
Myocet ist ein Gemisch zur Herstellung einer liposomalen Infusionsdispersion. Es wird als System mit drei Durchstechflaschen geliefert: Doxorubicin-
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Antineoplastische Substanzen
HCl-Lyophilisat; Liposomen und Puffer. Vor Verabreichung mu eine Zubereitung erfolgen, bei der in 0,9%iger NaCl-Lsung rekonstituiertes Doxorubicin auf 75 C aufgeheizt und mit Liposomen und Puffer vermischt wird. Nach krftigem Schtteln entsteht eine liposomale Dispersion, die nach Abkhlung auf Krpertemperatur intravens appliziert werden kann. Die Haltbarkeit dieser Dispersion betrgt bei 25 C ca. 8 Stunden, bei 2…8 C ca. 5 Tage. Die Pharmakokinetik fr Gesamt-Doxorubicin hat einen hohen Schwankungsgrad. Allgemein liegen die Plasmaspiegel hher als mit nichtliposomalem Doxorubicin, wobei die Spitzenwerte im Plasma von nichtliposomalem Doxorubicin kurzfristig hher sind. Die Clearance von liposomalem Doxorubicin wurde mit 5,1 4,8 l/h ermittelt, wohingegen die Clearance bei nichtliposomalem Doxorubicin 76,7 9,6 l/h betrgt. Zulassung
MyocetJ ist zugelassen zur Behandlung von Brustkrebs in der Erstlinientherapie in Kombination mit Cyclophosphamid. Die Wirksamkeit entspricht generell derjenigen von nichtliposomalem Doxorubicin. Dosierung
Die zugelassene Dosierung entspricht der von nichtliposomalem Doxorubicin. Aufgrund der hheren AUC durch verlngerte Eliminationszeit ist es jedoch notwendig, die Dosierung in anderen Kombinationstherapieschemata zu berprfen. Nebenwirkungen
Siehe Doxorubicin. Die Kardiotoxizitt ist aufgrund geringerer Aufnahme im Myokard im Vergleich zu nichtliposomalem Doxorubicin reduziert. Bei schneller Infusion knnen Hitzegefhl, Dyspnoe, Fieber, Engegefhl in Brust und Hals sowie Schwellungen im Gesicht auftreten. Bei einer Infusionszeit von ber einer Stunde knnen diese Nebenwirkungen in der Regel vermieden werden.
Doxorubicin, PEG-liposomal (Caelyxj) Pharmakologie
Siehe bei Doxorubicin. Groe interindividuelle Schwankungen der Pharmakokinetik. Biphasische Elimination mit Halbwertszeit von 45 h. Akkumulation bei Gabe in Abstnden von weniger als zehn Tagen.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, AIDS-assoziiertes Kaposi-Sarkom. Zustzlich Wirksamkeit bei anderen doxorubicinsensiblen Erkrankungen (siehe dort). Dosierung
20 mg/m2 KOF alle 3 Wochen als 30-min-Infusion in 250 ml 5%iger Glukose (keine unverdnnte Bolusinjektion!). Nebenwirkungen
Siehe auch bei Doxorubicin. Die anthrazyklintypischen kardialen Nebenwirkungen treten seltener auf. Dosislimitierend ist oft die Granulozytopenie. Hufig sind Asthenie, Fieber, Schttelfrost, mit der Infusion einhergehende akute Reaktionen (nicht dosisabhngig) wie Hitzegefhl, Atemnot, Gesichtsschwellungen, Kopfschmerzen, Schttelfrost, Rckenschmerzen, Engegefhl in der Brust. Weniger hufig, aber typisch ist die dosisabhngige palmar-plantare Erythrodyssthesie (reversibles sogenanntes Hand-Fu-Syndrom, bis 16%) oder akute Hypersensitivittsreaktionen (bis 9%). Selten Recall-Phnomen (Hautreaktion) nach vorausgegangener Strahlentherapie. Wenig belkeit, Erbrechen, Stomatitis, Alopezie. Hinweise fu¨r den Umgang
Vor Therapiebeginn Messung der linksventrikulren Auswurffraktion und regelmige Wiederholung ab einer kumulativen Dosis von 450 mg/m2. Dosisreduktion bei erhhtem Serumbilirubin: 50% der Solldosis bei 1,2 bis 3,0 mg/dl, 25% bei mehr als 3 mg/dl. Bei Nierenfunktionsstrung keine Dosisanpassung erforderlich. Bemerkungen
Signifikante Kardiomyopathien wurden bisher nicht beobachtet (kumulative Dosis ber 400 mg/m2 KOF). Die durch Polyethylenglykol (PEG, „pegylated“) geschtzten Liposomen werden weniger aktiv im retikuloendothelialen System phagozytiert. Liposomendurchmesser ca. 100 nm. Einzelfall mit schwerer Hepatotoxizitt und Leberversagen. Keine Nekrose nach Paravasat. 4- bis 16fache Anreicherung in malignen Ergssen (nach 3…7 Tagen).
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Antineoplastische Substanzen
Epirubicin-HCl (EPI)
Pharmakologie
Interkalation. Siehe bei Doxorubicin. Wirkung nicht zellzyklusphasenspezifisch, jedoch bevorzugt in der S- und G2-Phase. Im Vergleich zu Doxorubicin geringere Anreicherung im Herzmuskel und strkere Lipophilie. Im Vergleich zu Doxorubicin rascherer Metabolismus in der Leber zum Alkoholmetaboliten (Epirubicinol) und schnellere Glukuronidierung und damit bilire Exkretion. Nur 11…15% werden als Muttersubstanz oder Metaboliten im Urin ausgeschieden. Von Dosis und Infusionsdauer unabhngige Pharmakokinetik: terminale Plasmahalbwertszeit 32 h, Plasmaclearance 46 l/h, Verteilungsvolumen 13…52 l/kg KG, Gesamtkrperhalbwertszeit 96 h. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Mamma-, Ovarial-, Magen-, Pankreas-, Rektum-, Prostata- und kleinzelliges Bronchialkarzinom, Non-Hodgkin-Lymphome, Weichteilsarkome. Zustzlich wirksam bei anderen anthrazyklinsensitiven Erkrankungen. Dosierung
Intravens 45…90 mg/m2 KOF einmal alle 3 Wochen oder „fraktioniert“ 20…30 mg/m2 KOF einmal wchentlich, Hochdosistherapie bis 120 mg/ m2 KOF einmal alle 3 Wochen. Nebenwirkungen
Haarausfall (selten), gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Kardiomyopathie, Intimareizungen (Einzelflle), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautent-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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zndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Selten allergische Reaktionen. Nekrosen nach Paravasat. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Dosisreduktion bei Leberfunktionsstrungen. Bei Bilirubin 1,2…3,0 mg/dl sollen 50%, bei > 3,0 mg/dl 25% der Solldosis gegeben werden. Dosisanpassung an die Nierenfunktion nicht erforderlich. Kumulative Hchstdosis 1000 mg/m2 KOF. Regelmiges Monitoring der Herzfunktion ab einer kumulativen Dosis von 450 mg/m2 KOF. Wegen chemischer Inkompatibilitt sollte Epirubicin weder mit Heparin noch mit anderen Zytostatika in einer Infusion gemischt werden. Ebenso sollte Epirubicin nicht mit einer alkalischen Lsung zusammengebracht werden. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeptive Manahmen sollen whrend und bis 3 Monate nach der Behandlung getroffen werden. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eventuell kann eine Toxizittsminderung mit Glutathion oder N-Acetylcystein erreicht werden. Eine Dialyse ist ineffektiv. Besonderheiten
Siehe auch bei Doxorubicin. Geringere Kardiotoxizitt (Dosisquivalent 1,8:1) und Hmatotoxizitt (Dosisquivalent 1,2:1) im Vergleich zu Doxorubicin. Dosisquivalent fr die Antitumoreffektivitt aber 1:1! Verminderte myokardiale Kontraktionsfhigkeit auch noch nach Jahren nachweisbar. Behandlung der Kardiomyopathie mit ACE-Hemmern. Toxisches Megakolon. Nephrogener Diabetes insipidus. Myokardinfarkt. Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR durch Amiodaron, Chlorpromazin, Reserpin, (D-)Verapamil, Chinidin, Lonidamin, Interferon-a, Tamoxifen. Erhhte Metabolitenspiegel unter Verapamil. Keine wesentliche Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Dexrazoxan (ICRF-187, siehe bei Doxorubicin). Photosensibilisierung (z.B. fr photodynamische Therapie). Chelatbildung mit Kupfer(II)-Ionen. Induktion eines Sjgren-Syndroms. Hemmung der Thrombozytenaggregation. Niedrigdosierte (20…25 mg/m2 KOF) wchentliche Anwendung auch bei Leberfunktionsstrungen mglich (z.B. bei Bilirubin > 5 mg/dl). Maximal tolerierte Einzeldosis 120(…150) mg/m2. Die AUC korreliert mit der Hmatotoxizitt. Korrelation zwischen langsamer Elimination und erhhten Transaminasen und Bilirubinwerten bzw. niedrigem Albumin. Intraarteri-
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Antineoplastische Substanzen
elle Anwendungen (auch mit Chemoembolisation, z.B. Lipiodol). Intraperitoneale und intravesikale Anwendungsmglichkeiten. Erfolgreiche Behandlung eines Non-Hodgkin-Lymphoms in der Schwangerschaft. Bei Extravasaten Khlung fr 24 h und Behandlung mit DMSO-Gel (z.B. Dolobene) (s. bei Doxorubicin). DMSO selbst kann auch zu Hautreizungen fhren. Topische Inaktivierung (z.B. auf verunreinigten Gegenstnden) durch Kalziumhypochlorit. In konzentrierter Lsung (1…2 mg/ml) in Polypropylenbehltern 14 Tage bei 25 C und 180 Tage bei 4 C haltbar. Lichtschutz nicht erforderlich.
Estramustinphosphat Estramustin-17b-dihydrogenphosphat Dinatriumsalz (Kapseln) Megluminsalz (Trockensubstanz)
Pharmakologie
Die Substanz ist eine kovalente Verbindung aus stradiol und Stickstofflost. Alkylierung. Bevorzugte Interaktion mit den Proteinen der Zellkernmatrix. Teilweise Hydrolyse in der Leber und langsam auch in anderen Geweben zu stradiol und Bischlorthylcarbamat. Anreicherung im Prostatagewebe durch Bindungsprotein, das nicht dem strogenrezeptor entspricht. Der Antitumoreffekt beruht hauptschlich auf der Muttersubstanz und weniger auf den Metaboliten oder der strogenwirkung. Strung der Integritt des intrazellulren Tubulusnetzwerks (Depolymerisation der Mikrotubuli) und Hemmung der Sekretion von Kollagenase. Dadurch evtl. Strung der Mitose und Verminderung des invasiven Potentials der Zellen. Ausreichende Bio-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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verfgbarkeit nach oraler Gabe (75%). Dephosphorylierung durch Phosphatasen und Oxidation zu Estromustin durch Dehydrogenasen in der Leber. Ausscheidung vorwiegend bilir mit ausgeprgtem enterohepatischem Kreislauf. Geringe renale Elimination der Metaboliten (ca. 10% in 24 h). Zulassung
Prostatakarzinom Dosierung
Peroral 560…840 mg tglich als Dauertherapie. Intravens 300…450 mg tglich fr 5…10 Tage, dann perorale Dauertherapie. Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen, belkeit/Erbrechen, kurzdauernde Schmerzen oder Miempfindungen (Hitzegefhl) im Bereich des Perineums und der Prostata. In einzelnen Fllen wurden Thrombozytopenie, Leukozytopenie bzw. eine Beeintrchtigung der Leberfunktion beobachtet. Vereinzelt allergische Reaktionen wie Hautausschlag, Juckreiz, Quincke-dem. In einzelnen Fllen Gynkomastie, deme, pektanginse Beschwerden und andere kardiovaskulre Komplikationen (Myokardinfarkt, Thrombose, Embolie). Libido- und Potenzverlust. Hinweise fu¨r den Umgang
Eine Kontrolle der Leberfunktion ist angebracht. Insbesondere sollten Patienten mit kardiovaskulrer Anamnese berwacht werden. Lokale Thrombophlebitiden lassen sich durch sorgfltige Zubereitung und Applikation der Lsung vermeiden. Bei Anwendung als Infusionstherapie nur in 250 ml Glukose 5% (pH-Wert 5,5 0,5). Kalziumreiche Nahrung wie Milch- oder Milchprodukte sowie Kalziumprparate hemmen die Resorption. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Wirkungssteigerung bei Glutathionmangel. Radiosensibilisierung. Modulation der Multidrugresistenz. Hemmung des Flare-Phnomens unter GnRHAnaloga bei der Prostatakarzinombehandlung. Selektive Aufnahme in Prostatakarzinomzellen und Wirkung durch Interaktion mit Mikrotubuli. Evtl. Behandlung von malignen Gliomen ( Bestrahlung).
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Antineoplastische Substanzen
Etoposid (VP-16)
Siehe auch Etoposidphosphat. Pharmakologie
Mitoseblockierung durch unklaren Mechanismus (Stabilisierung des Topoisomerase-II-DNS-Komplexes, DNS-Strangbrche, Hemmung der Proteinsynthese zellzyklusphasenspezifisch in der spten S- und der frhen G2-Phase). Bildung freier Radikale. Induktion von Apoptose. Wahrscheinlich metabolische Aktivierung ber das hepatische Cytochrom-P450Enzymsystem. Hemmung von Membrantransportvorgngen, insbesondere fr Nukleoside. Durch Glutathionverarmung sowie Hemmung der Topoisomerase II verminderte DNS-Reparaturkapazitt (Sensibilisierung gegenber anderen Zytostatika, z.B. Alkylanzien u.a.). Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe ca. 50%; variabel, aber unabhngig von Nahrungsaufnahme. Bessere Resorption bei kleineren Einzeldosen. Starke Plasmaproteinbindung (93%, Bereich 80…97%). Hchste Anreicherung in Leber, Milz, Nieren, Dnndarm, Schilddrse, Harnblase, Prostata, Hoden. Metabolisierung ber Dehydrogenasen in z.T. noch aktive Metaboliten und Glukuronidierung. Ausscheidung von bis zu 50% der verabreichten Dosis durch die Nieren. Weniger bilire Exkretion. Gesamtetoposid: terminale Plasmahalbwertszeit 6 bis 12 h, Verteilungsvolumen 20…30 l/m2 KOF, Plasmaclearance 27 ml/min/m2 KOF, renale Clearance 14 ml/min/m2 KOF. Nur geringe Liquorgngigkeit. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Kurz nach der Infusion erscheint Etoposid in der Muttermilch und ist nach 24 h nicht mehr nachweisbar.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Kleinzellige und nichtkleinzellige Bronchialkarzinome, M. Hodgkin, NonHodgkin-Lymphome, akute myeloische Leukmie, multiples Myelom, Hodentumoren, Ovarialkarzinom. Zustzlich wirksam bei akuter lymphatischer Leukmie, Sarkomen, Magenkarzinom. Dosierung
Intravens 100…120 (bis maximal 330) mg/m2 KOF tglich fr 3…5 Tage alle 4 Wochen. Peroral: 100(…200) mg/m2 KOF tglich fr 5(…7) Tage alle 3…4 Wochen, 50…100 mg als Tagesdosis fr 2…3 Wochen. Nebenwirkungen
Haarausfall, neurotoxische Strungen. Einzelflle: gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Kurze Zeit nach Verabreichung kann in seltenen Fllen ein erheblicher Blutdruckabfall auftreten. Diese Kreislaufkomplikationen knnen durch langsame i.v. Infusion ber 30 bis 60 min weitgehend vermieden werden. Generalisierte allergische Reaktionen, Anaphylaxie, Bronchospasmus, Kopfschmerz, Fieber und Kltegefhl sind beobachtet worden. Selten berempfindlichkeitsreaktionen (z.B. Hautreaktionen, Angiodeme) gegen den Hilfsstoff Benzylalkohol. Kapseln: selten berempfindlichkeitsreaktionen gegen Parahydroxybenzoesureester. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Infusion enthlt ˜thanol! In wriger Lsung am stabilsten in einer Konzentration von 0,25 mg/ml und bei pH-Wert von 4…5, in anderen pH-Bereichen rasche Degradation. Ausfllung in Glukoselsungen oder gepufferten Lsungen mit einem > pH 8. Stabil als Mischinfusion mit Doxorubicin und Cytarabin. Kontraindiziert bei Neugeborenen, insbesondere bei unreifen Frhgeborenen wegen des Hilfsstoffs Benzylalkohol. Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeptive Manahmen whrend der Therapie und bis 3 Monate nach Therapieende. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist nicht erfolgversprechend. Spontane Knochenmarkregeneration nach einmaliger berdosierung mit 2100 mg i.v. bzw. insgesamt 4900 mg p.o. in 25 Tagen.
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Antineoplastische Substanzen
Besonderheiten
Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz und fraglich bei Leberfunktionsstrung.
Verminderte Proteinbindung bei vermindertem Serumalbumin und dadurch erhhte Toxizitt (30…40%ige Dosisreduktion empfohlen bei Albumin < 35 g/l). Vermehrte Hmatotoxizitt bei erhhten Tansaminasen (> 3fache der Norm). Verlangsamte Clearance bei Applikation nach Cisplatin (bei 2tgigem Abstand ca. ein Drittel hhere AUC fr Etoposid). Kein wesentlicher Unterschied der Pharmakokinetik bei oraler oder intravenser Gabe oder intraarterieller Applikation ber die A. hepatica. Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Hmodialyse. Verstrkte Wirkung von Warfarin. Hemmung der Aktivierung durch Dehydrogenaseinhibitoren (z.B. Disulfiram, Dithiocarbamate). Verminderte Knochenmarktoxizitt mit Dithylthiocarbamat. In vivo Akkumulation in Leukmiezellen. Wirkungssteigerung durch Vorbehandlung mit niedrigdosiertem Cytarabin. Synergismus mit Pentoxifyllin, Methotrexat, Cisplatin, Cytarabin, Dactinomycin, Carmustin, Cyclophosphamid, Mitomycin C, Carboplatin, Doxorubicin und mit Topoisomerase-I-Hemmern (z.B. Camptothecine). Kreuzresistenz mit anderen Topoisomerase-II-Hemmstoffen. Wirkungsverstrkung bzw. berwindung der MDR durch Ciclosporin A, Verapamil, Cefoperazon, Dipyridamol und Derivate, Koffein, Spermin-Polymer, Tamoxifen, Warfarin, O2-Zufuhr und knstliche O2-Trger (Fluorkohlenwasserstoffe, z.B. Fluosol-DA). Wirkungsabschwchung durch Phenytoin oder Hyperthermie oder Aclarubicin, Toxizittsminderung mit dem Immunmodulator AS101. Verstrkte Leukozytopenie nach vorheriger Gabe von Interferon-a. Antagonismus bei Gabe von Etoposid vor Paclitaxel. Erhhte Sensitivitt nach Transfektion von Antisense-cDNS fr Glutathion-S-Transferase. Vermehrte Toxizitt bei oxidativem Stre (z.B. Glutathionmangel). Hypersensitivittsreaktion (Urtikaria, Angiodem, Erythem, Hypotension). Hand-Fu-Syndrom bei hoher Dosierung (schmerzhaftes Palmarerythem mit Blasenbildung und Desquamation). Akrale Erytheme. Intertriginse Dermatose. Wiederauftreten eines Sonnenbrandes („Recall“). Intraktabler Singultus, transiente akute Parotitis, gastroduodenaler Mukosaschaden in Kombination mit Cisplatin, aszendierende Myelitis (Hochdosis in Kombination mit Methotrexat und Bestrahlung), Hepatotoxizitt in Kombination mit Ifosfamid, Hepatitis, Apnoe, Dyspnoe in Kombination mit Mitomycin C, Kardiotoxizitt (Myokardischmie, Myokardinfarkt) in Kom-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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bination mit Cisplatin und Bleomycin oder Methotrexat, Genotoxizitt, ZNS-Toxizitt bei sehr hoher Dosierung (3mal 800 mg/m2 KOF; rasche Besserung mit Dexamethason). Tumorlysesyndrom. Renales Salzverlustsyndrom in Kombination mit Carboplatin. Fatale pulmonale Toxizitt nach oraler Gabe. Erhhtes Myelodysplasie- bzw. Leukmierisiko [meist M4 oder M5 mit Chromosomentranslokationen in der 11q23-Region, auch M3 mit t(15;17)] nach hoher kumulativer Dosis (> 2000 mg/m2 KOF), evtl. auch bei konventioneller Dosierung. Niedrigdosierte perorale Langzeitgabe. Intrapleurale bzw. intraperitoneale Anwendung. Behandlung von Hirntumoren bzw. Hirnmetastasen. Behandlung der Histiocytosis X und hypereosinophiler Syndrome. Behandlung von Autoimmunkrankheiten (M. Wegener). Lokale Injektion zur Beendigung einer Eileiterschwangerschaft. Keine komplette Kreuzresistenz mit Topoisomerase-I-Hemmern. Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur 5…28 Tage. In einer Konzentration von 10 mg/ml 0,9%iges NaCl unabhngig vom Lichteinflu 22 Tage stabil.
Etoposidphosphat
Pharmakologie
Siehe bei Etoposid. Etoposidphosphat ist ein wasserlsliches „Pro-Drug“ von Etoposid, ohne die Notwendigkeit eines speziellen Lsungsmittels. In vivo Metabolisierung zu Etoposid. Orale Bioverfgbarkeit ca. 70% (vgl. Etoposid ca. 50%).
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
Siehe Etoposid. Dosierung
Unter Bercksichtigung des Umrechnungsfaktors von 1,136 (100 mg Etoposid entsprechen 113,6 mg Etoposidphosphat) besteht Wirkungsquivalenz. Tag 1…5 jeweils als 30- bis 120-min-Infusion (Infusionsdauer je nach verabreichter Menge) 56,8…113,6 mg/m2 KOF oder an Tag 1, 3, 5 jeweils 136,2…170,4 mg/m2 KOF. Nebenwirkungen
Siehe bei Etoposid. Hinweise fu¨r den Umgang
Siehe bei Etoposid. Fertig zubereitete Lsungen sind bei Zimmertemperatur bis zu 24 h und bei 2…8 C bis zu sieben Tagen haltbar. Bemerkungen
Siehe bei Etoposid. Im Vergleich zum herkmmlichen Etoposid ist Etoposidphosphat leichter und schneller handhabbar, stabiler und wegen des Verzichts auf spezielle Lsungsmittel auch nebenwirkungsrmer als Etoposid. Etoposidphosphat erscheint aus diesen Grnden auch besonders fr Therapieregime mit hochdosierten Zytostatikagaben vorteilhaft.
Fludarabin (Fludarabinphosphat; 1-b-D-Arabinofuranosyl-2-fluoradeninmonophosphat; F-ara-A)
Pharmakologie
Antimetabolit. Purinantagonist. Halogeniertes Adeninanalog, das gegenber einer Deaminierung resistent ist. Hemmung der Zellprogression durch
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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die S-Phase des Zellteilungszyklus. Intrazellulre enzymatische Aktivierung zu Fludarabintriphosphat. Zustzlicher S-Phasen-unabhngiger Toxizittsmechanismus in nichtproliferierenden Zellen. Induktion von Apoptose. Nach intravenser Gabe rasche Dephosphorylierung zu Fludarabin (5 min). In dieser Form Aufnahme in die Zellen und dort Aktivierung ber die Deoxycytidinkinase zum Di- und Triphosphat. Inkorporation als falsche Base in DNS und RNS. Hemmung von DNS- und RNS-Polymerasen. Hemmung der Ribonukleotidreduktase. Resistenz gegen Abbau durch die Adenosindeaminase (ADA): s. bei Cladribin. Nach intravenser Gabe hchste Fludarabinkonzentrationen im Plasma sofort nach der Injektion. Keine Akkumulation bei wiederholter Gabe ber 5 Tage. Das Verteilungsvolumen entspricht etwa dem Doppelten des Krperwassers. Die hchsten intrazellulren Fludarabinkonzentrationen finden sich 3…4 h nach der Applikation und sind dosisabhngig. Halbwertszeit des intrazellulren Fludarabintriphosphats 6…15 h. Im Vergleich zu normalen Zellen hhere Akkumulation von Fludarabintriphosphat in leukmischen Blasten. Terminale Gesamtkrpereliminationshalbwertszeit zwischen 6,9 und 12,4 h. Verlngert bei Niereninsuffizienz. Gesamtkrperclearance zwischen 68 und 152 ml/min in Abhngigkeit von der Kreatininclearance. Elimination vorwiegend ber die Nieren (ca. 60%). Bioverfgbarkeit bei oraler Gabe 70% (intrazellulres Fludarabintriphosphat 57%). Zulassung
Chronische lymphatische Leukmie, niedrigmaligne Non-Hodgkin-Lymphome. Zustzlich wirksam bei AML, CML-Blastenschub. Dosierung
25 mg/m2 KOF als 30-min-Infusion tglich fr 5 Tage, Wiederholung alle 4 Wochen. Nebenwirkungen
Die Myelosuppression ist der hauptschliche dosislimitierende Faktor. Immunsuppression und opportunistische Infektionen (z.B. Listeriose). Das Infektionsrisiko steigt insbesondere bei Kombination mit Kortikosteroiden. belkeit und Erbrechen. Fieber. Schmerzen. Einzelflle mit medikamenteninduzierter interstitieller Pneumonitis (behandelbar mit Kortikosteroiden). Tumorlysesyndrom. Autoimmunhmolytische Anmie. Nach sehr hoher Dosierung schwere progressive ZNS-Demyelinisierung (sehr selten evtl. auch bei niedriger Dosierung). Reversible Neurotoxizitt nach der jetzt empfohlenen Dosierung (siehe oben).
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Antineoplastische Substanzen
Hinweise fu¨r den Gebrauch
Eventuell Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz mit einer Kreatininclearance 50 ml/min (keine exakten Angaben; evtl. wie bei Cytarabin Verringerung auf 50%?). Besonderheiten
Additive Zytotoxizitt mit Galliumnitrat, Cytarabin, Cisplatin, Mitoxantron. Radiosensibilisierender Effekt. Cave: Kombination mit Kortikosteroiden (Steigerung des Infektionsrisikos, „AIDS-like-Syndrom“). Kreuzresistenz mit Cladribin. Behandlung myeloischer Leukmien. Hemmung der DNSReparatur. Akkumulation von Cytarabin-Triphosphat in Leukmiezellen. Mehr Aktivierung nach vorheriger Gabe von G-CSF, das gilt nicht fr Cytarabin, deshalb bei Kombination Gabe von Fludarabin vor Cytarabin. Behandlung einer angioimmunoblastischen Lymphadenopathie. Behandlung von Autoimmunkrankheiten (z.B. Klteagglutinine). Opportunistische Infektionen insbesondere bei Kombination mit Kortikosteroiden. Rezidiv einer Autoimmunthrombozytopenie bei Behandlung eines Patienten mit CLL. Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Krankheit. Ototoxizitt in Kombination mit Gentamycin. Nierenversagen. Suppression der Granulozytenfunktion und der CD4-Lymphozyten. Fatale Knochenmarknekrose. Letaler paraneoplastischer Pemphigus. Induktion einer Eosinophilie. Topische Behandlung von Psoriasis. Beschleunigung des Wachstums von spinozellulren Hautkarzinomen. Myelodysplasie nach Fludarabinbehandlung. Wirkungsverstrkung durch Hemmung der Ribonukleotid-Reduktase.
Fluorouracil (5-FU)
Pharmakologie
Antimetabolit, Pyrimidinantagonist. Aktivierung durch Phosphorylasen (z.B. Pyrimidinnucleosidphosphorylase) und Kinasen (z.B. Thymidinkinase) zu 5-Fluordeoxyuridinmonophosphat (5-FdUMP), 5-Fluordeoxyuridintriphosphat (5-FdUTP) und 5-Fluoruridintriphosphat (5-FUTP). Hemmung der Thymidylatsynthase. Modulation der Wirkung durch Folinsure. Einbau als „falsche“ Base in die RNS und DNS. Induktion von Apoptose. Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe unterschiedlich (0…75%). Innerhalb
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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von 12 h fast vollstndige hepatische Katabolisierung (Dihydropyrimidindehydrogenase, DPD) und renale Ausscheidung der Metaboliten (Dihydrofluorouracil, 5-Fluorureidopropionsure, Fluor-b-Alanin). Terminale Plasmahalbwertszeit von 5-Fluorouracil 4,5…13 min, der Metaboliten bis zu 70 h. Langsamere Clearance bei Frauen, im hheren Lebensalter und bei hherer Dosis. Keine sichere Abhngigkeit der Clearance von der Leberfunktion oder der Ernhrung. Bei Zimmertemperatur rascher enzymatischer Abbau in Blut und Plasma (94% in 24 h). Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Mamma-, Endometrium-, Rektum- und Kolonkarzinom, Magen-, primres Leber-, Ovarial- und Blasenkarzinom. Zustzlich wirksam bei sophaguskarzinom, Dnndarmkarzinom, Analkarzinom, Kopf-Hals-Karzinomen, Nierenzellkarzinom, Pankreaskarzinom. Dosierung
Intravens 12…15 mg/kg KG (450…550 mg/m2 KOF) einmal wchentlich oder tglich fr 5 Tage mit 4wchentlicher Wiederholung. Peroral: 12 bis 15 mg/ kg KG 2- bis 3mal wchentlich. Intraperitoneal 1000 mg in 2 l isotoner Flssigkeit. Nebenwirkungen
Haarausfall, Hyperpigmentierung, Photosensibilisierung. Blutungen und Ulzerationen der Magen-Darm-Schleimhaut, Diarrh (Behandlung mit Octreotid oder Loperamid). Zerebellre Ataxie, Bewegungsstrungen, Sehnervenentzndung, bermiger Trnenflu. Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden. Hyperurikmie. Strungen der Spermatogenese und der Ovulation. Pektanginse Beschwerden, EKG-Vernderungen, Herzinfarkt. Strungen der Hmatopoese. Hautund Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Immunsuppression, berempfindlichkeitsreaktionen (z.B. Urtikaria, Bronchospasmen). Hinweise fu¨r den Gebrauch
Eine regelmige kardiologische berwachung ist erforderlich. Im Tierversuch teratogen und embryotoxisch. Vermutlich auch beim Menschen embryo- bzw. fetotoxisch. Es besteht beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Whrend und bis zu 6 Monate nach der Behandlung sind kontrazeptive Manahmen durchzufhren.
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Antineoplastische Substanzen
Im Fall einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist evtl. sinnvoll. Allopurinol, Uridin oder Purine (z.B. Hypoxanthin) sind mglicherweise zur Toxizittsminderung einsetzbar, da sie die Aktivierung von 5-Fluorouracil zu den zytostatisch wirksamen Formen vermindern. Salbe: Die mit Efudix-Salbe behandelte Hautflche darf nicht mehr als 500 cm2 (ca. 23 23cm) betragen. Bei nicht bestimmungsgemem Gebrauch (Anwendung auf Hautarealen ber 500 cm2) besteht die Mglichkeit einer systemisch-toxischen Wirkung von 5-Fluorouracil durch Absorption des Wirkstoffs in den Kreislauf. Nicht mit Schleimhuten oder Augen in Berhrung bringen. Die Hnde sind nach dem Auftragen grndlich zu waschen. Bei Einwirkung von Efudix-Salbe auf Hautlsionen knnen Erythem, gefolgt von Blschenbildung, Erosion, Ulzeration und Nekrose, entstehen. Basaliome werden bis zum Auftreten einer Ulzeration, die brigen Lsionen nur bis zum Auftreten einer Erosion behandelt. Gesunde Haut reagiert auf Efudix-Salbe gelegentlich mit Rtung. Hypersensitivittsreaktion auf Stearylalkohol in der Salbengrundlage. Besonderheiten
Wirkungsverstrkung durch Folinsure (5-Formyltetrahydrofolsure = Kalziumfolinat = Leucovorin), aus der im intermediren Stoffwechsel der Kofaktor fr die Thymidylatsynthasereaktion entsteht: 5,10-Methylentetrahydrofolsure. Stabilisierung der Hemmung der Thymidylatsynthase (TS; ternrer Komplex aus 5-Fluordeoxyuridinmonophosphat, 5,10-Methylentetrahydrofolsure und Enzym) durch d,l-Leucovorin (bzw. halbe Konzentration des biologisch aktiven l-Leucovorins) oder durch 5-Methyltetrahydrofolsure, dadurch Wirkungssteigerung („Biomodulation“). Diese Modulation ist mit niedrigen Dosen Leucovorins (20 mg/m2 KOF tglich) genauso gut zu erreichen wie mit hohen Dosen (200 mg/m2 KOF tglich). Dennoch wird hufig eine sehr hohe Dosis (z.B. 500 mg/m2 KOF) ber 5 h als optimal angesehen. Intrazellulre Retention der Folinsure durch Polyglutamatbildung, deshalb keine effektive Modulation bei Mangel an Folylpolyglutamatsynthase. Orale Bioverfgbarkeit von Leucovorin bei 20 mg 100%, bei 200 mg nur noch 31%. Doppelmodulation mit Leucovorin + Interferon-a. Durch Interferon-a Wirkungssteigerung in vitro um 26…76% (vermehrte DNS-Schden durch Fluorouracil). Wahrscheinlich keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Interferon und/oder durch Leucovorin. Hemmung der TS auch durch Leucovorin(diastereoisomere) allein. Bessere Hemmung der TS durch Dauerinfusion von 5-FU (im Vergleich zum Bolus), deshalb auch noch Wirksamkeit hochdosierter Dauerinfusionen bei Nichtansprechen auf Bolus. Interaktion mit lymphokinaktivierten Killerzellen (LAK-Zellen). Verstrkte Schleimhauttoxizitt in Kombination mit Folin-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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sure. Schlechtes Ansprechen bei hoher intratumoraler Thymidylat-Synthese-Aktivitt bzw. bei deren schlechter Hemmbarkeit. Modulation durch intratumorale Hemmung der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase, den limitierenden Schritt im 5-FU-Katabolismus in der Leber (Hemmstoff: z.B. Ethinyluracil). Hypokalzmie in Kombination mit Folinsure. Resistenz durch berproduktion (Genamplifikation) von TS bzw. Synthese von weniger empfindlichen Isoenzymen bzw. Mangel an TS oder bei Folypolyglutamatsynthase- oder Thymidinkinasemangel. Induktion einer Methotrexatresistenz durch vermehrte Dihydrofolatreduktaseaktivitt. Beim Menschen nachts hohe DPD-Aktivitt, deshalb niedrigere Plasmaspiegel von 5-Fluorouracil. Bei nchtlicher Anwendung von 5-Fluorouracil wenig Toxizitt bei erhaltener (verbesserter?) Antitumoraktivitt. Vermehrte Aufnahme im Tumorgewebe im Vergleich zu normaler Darmmukosa. Selektive Toxizitt in Tumorzellen im Vergleich zu normalen Knochenmarkzellen. Recruitment und Stimulation (rascherer Zellteilungszyklus) hmatopoetischer Stammzellen. Knochenmarkprotektion durch Dithiocarbamate. Hemmung der Erythropoese und Stimulation der Produktion von Erythropoetin. Bildung von 5-Fluorouracil aus 5-Fluorocytosin unter Einflu der intestinalen Mikroflora (gramnegative Enterobakterien). Verlangsamter Metabolismus und prolongierte zellulre Aufnahme von Cyclophosphamid. Hohe Toxizitt von 5-Fluorouracil in Kombination mit Leucovorin + Interferon-a. Verstrkte auch letale Toxizitt in Kombination mit Folinsure (insbesondere niedrigen oralen Dosen). Interaktion mit der zellulren Aufnahme von Thiamin. Vermehrte Aufnahme in Bakterienzellen in Kombination mit Piperacillin. Schwere 5-Fluorouraciltoxizitt mit Neurotoxizitt bei familirer Hyperpyridinmie (Dihydropyrimidindehydrogenase[DPD]-Mangel). Vorhersage der individuellen Clearance durch Bestimmung der DPD-Aktivitt in Lymphozyten. Erhhte Toxizitt beim Syndrom des fragilen X-Chromosoms oder bei Bloom-Syndrom. Bessere Aktivierung von 5-Fluorouracil bei hoher Aktivitt der Pyrimidinnucleosidphosphorylase (bessere Antitumorwirkung). Vermehrte Aktivierung durch die sequentielle Therapie: Methotrexat, gefolgt von 5-Fluorouracil. Vermehrte Aktivierung auch nach Vorbehandlung mit Thymidin. Wirkungsverstrkung durch N-(Phosphonoacetyl-)L-aspartat (PALA), Purinantagonisten, Pyrimidinantagonisten, Hydroxyharnstoff, Laevamisol, Metronidazol, Misonidazol, Inosin, Deoxyinosin, Thymidin, Deoxycytidin, Guanosin, Uracil, Isoprinosin, Theophyllin, Dipyridamol, Calmodulininhibitoren, Cimetidin, L-Cystein, Ansamycinantibiotika (Mycotriene), Menadion, a-Tocopherol, N-Methylformamid, WR-2721, Granulozyten-Makrophagen-stimulierender Faktor (GM-CSF), Hyperthermie, Bestrahlung („Strahlensensibilisierung“). Synergismus mit Tamoxifen, Interferon-a
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Antineoplastische Substanzen
und Interferon-b, Interleukin-2, Laevamisol, Zidovudin (Azidothymidin), Hydroxyharnstoff, Cisplatin, Methotrexat. Verstrkte Toxizitt bei ber 70jhrigen und bei Frauen. Vorhersage der Sensitivitt durch die Aufnahme von 3H-Uridin in die Tumorzellen. Besseres Ansprechen bei hoher Expression des TS-Gens. Keine Kreuzresistenz mit Raltitrexed oder Irinotecan. Schutz normaler Gewebe vor der Toxizitt von hochdosiertem Methotrexat (mit Folinsure-Rescue). Bei Ratten verminderte hepatische Inaktivierung bei Kombination mit Morphin. Verlangsamte hepatische Elimination und damit erhhte Toxizitt bei Proteinmangel. Wirkungsverstrkung durch 5-Benzyloxybenzyluracil (Hemmung der Dihydrouracil-Dehydrogenase). In Kombination mit Interleukin-2 Stimulation der NK-Zellen und der antikrperabhngigen zellulren Zytotoxizitt (ADCC). Verminderte Aktivierung unter Allopurinol, dadurch „Dosissteigerung“ mglich. Prophylaxe der Stomatitis durch Mundsplungen mit Allopurinollsung oder durch Khlung der Mundschleimhaut mit Eis (30 min). Hemmung der Mukositis mit GM-CSF. Verminderung der Augenirritation durch Eispackungen. Wirkungsverminderung durch erhhte Spiegel von Uracil-, Cytosin- oder Purinderivaten. Weniger Granulozytopenie (nicht Thrombozytopenie) durch orale Uridingabe. Eventuell Wirkungsabschwchung in normalem Gewebe durch Membrantransporthemmstoffe wie z.B. Dipyridamol, Lidoflazin. Interaktion mit Warfarin (Verlngerung der Prothrombinzeit). Antagonismus mit Paclitaxel bei kurzzeitiger simultaner Gabe, bei Langzeitexposition additive Effekte. Kardiotoxizitt (bei Dauerinfusion z.B. nach 18…30 h, insbesondere bei hohen Plasmaspiegeln von 5-Fluorouracil > 450 ng/ml, verstrkt durch Cisplatin), kardiale Ischmie, Myokardinfarkt, Myo-Perikarditis, Kammerarrhythmie, transiente Verminderung der linksventrikulren Auswurffraktion, Herzinsuffizienz, kardiogener Schock, Herzstillstand, pltzlicher Herztod. Bei Kardiotoxizitt hohe Endothelinspiegel im Plasma. Hypotension, akutes Herz- und Nierenversagen in Kombination mit Cisplatin. Prophylaxe der Kardiotoxizitt durch Kalziumantagonisten. Kardiotoxizitt durch Verunreinigung mit Fluoroacetaldehyd oder FluoromalonaldehydSure (Abbauprodukte v.a. in Tris-gepufferten Prparationen, weniger mit Natriumhydroxid). Aszites, Hyperbilirubinmie und Hypalbuminmie in Kombination mit PALA. Strahlenmyelitis in Kombination mit Cisplatin. Akute Magenschleimhautlsion bzw. Mesenterialischmie nach kontinuierlicher Infusion. Schmerzhaftes Erythrodyssthesiesyndrom der Handflchen und Fusohlen („Hand-Fu-Syndrom“, besonders unter Dauerinfusionen). Entzndung in aktinischen Hyperkeratosen. Systemische Kontaktdermatitis. Verminderung der Hauttoxizitt durch Nikotinpflaster oder -kaugummi. Narbiges Ektropium. Korneatrbung.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Reboundthrombozytose. Pseudoporphyrie. Hautpigmentierungen, Keratosen, Follikulitis. Wiederauftreten von Hautvernderungen („Recall“ von Hauttoxizitt). GvH-Krankheit-hnliche Hautvernderungen in Kombination mit Leucovorin und Interferon-a. Pellagra. Subakute Neurotoxizitt. Leukoenzephalopathie, Hepatotoxizitt, Verstrkung der Wirkung von Warfarin, zerebrale Demyelinisierung (Diagnose mit Thallium-SPECT), entzndliche Darmerkrankung, erhhte Kreatinkinase, schwere Myalgie in Kombination mit Laevamisol. Leukenzephalopathie in Kombination mit Ranitidin. Hepatotoxizitt in Kombination mit Laevamisol. Akute toxische Optikusneuropathie. Melanokeratose nach subkonjunktivaler Gabe. Sehstrungen in Kombination mit Cisplatin. Autoimmunhmolytische Anmie. Allergische und anaphylaktische Reaktionen. Nekrotisierende Pneumonitis nach Fehlinfusion ber Hickman-Katheter. Nagelvernderungen: transverse Leukonychie, longitudinale Melanonychie. Akutes zerebellres Syndrom. Schwere metabolische Azidose und Wernicke-Enzephalopathie in Kombination mit Cisplatin (Thiaminmangel?). Nach hoher 5-FU-Dosis Hyperammonmie, Laktazidose und Enzephalopathie. Reversible Leberverfettung. Keine Wundheilungsstrung (z.B. Anastomosen) bei frher postoperativer Gabe. Verbesserung der Wundheilung durch Retinol. Bessere Vertrglichkeit bei Verabreichung in der „Ruhephase“ (abends, nachts). Nachts raschere Inaktivierung (bis Faktor 5) wegen hherer Aktivitt der Dihydropyrimidindehydrogenase. „Chronomodulation“ durch nchtliche Gabe mit einem Dosismaximum um 4 Uhr. Intrapleurale/intraperitoneale/intraperikardiale Gabe. Intravesikale Instillation. Subkutane Gabe (Bioverfgbarkeit hnlich gut wie bei i.v. Gabe). Arterielle Perfusion: im Vergleich zum normalen Lebergewebe deutlich hhere Retention von 5-Fluorouracil in Lebermetastasen. Chemoembolisation. Kalkherde in der Leber nach Perfusion der A. hepatica in Kombination mit Doxorubicin und Mitomycin C. Hepatotoxizitt (sklerosierende Cholangitis) und gastrointestinale Toxizitt des Derivats 5-Fluorodeoxyuridin (5-FUdR, Floxuridin) nach A.-hepatica-Infusion. Haut-, Neuround Kardiotoxizitt von Floxuridin deutlicher als von 5-Fluorouracil. Behandlung von Hirnmetastasen in Kombination mit BCNU und Cisplatin. Ophthalmologische Anwendung zur Narbenprophylaxe nach Trabekulektomie bzw. Kataraktextraktion. Lokale Behandlung von Warzen, Condylomata acuminata und aktinischen Keratosen. Intralsionale Depotapplikation bei Basalzellkarzinom oder topisch in Kombination mit Tretionin bei Basalzellnvussyndrom. Lokale Applikation durch Iontophorese bei M. Bowen. Rektale Anwendung mit Suppositorien. Gabe auch bei hohen Bilirubinspiegeln mglich. Lokale Anwendung bei intraepithelialer Neoplasie der Zervix. 1-(2-Tetrahydrofanyl)-5-Fluorouracil als Pro-Drug (Ftorafur).
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Antineoplastische Substanzen
Sekundre Leukmien bei Patientinnen mit Mammakarzinom nach adjuvanter Therapie mit Cyclophosphamid, Methotrexat und 5-Fluorouracil (CMF). Keine signifikante fetale Morbiditt oder Mortalitt nach lokaler Anwendung im Genitalbereich bei Frauen in der Schwangerschaft. Nichtinvasive pharmakokinetische Memethode: kernspintomographische Darstellung der Anreicherung im Gewebe nach Markierung mit 19F (NMR-Spektroskopie) oder mit 18F-Fluorouracil-Positronenemissionstomographie (PET). Bessere klinische Ergebnisse mit Nachweis der Anreicherung („Trapping“) im Tumorgewebe. Nachweis der Kontamination (medizinisches Personal, Arbeiter in Herstellungsbetrieben) durch a-Fluoro-b-Alanin im Urin. In-vitro-Stabilitt mindestens 28 Tage bei 4 C, 22 C und 35 C, mit Heparin stabil fr 14 Tage bei 4 C und mindestens 7 Tage bei Temperaturen bis 37 C. Mischungen von 5-Fluorouracil und Leucovorin mindestens 60 h stabil bei Zimmertemperatur und bei 32 C. Problemlose Kompatibilitt mit 20% Mannitol im Bypass. Inkompatibilitt (Kristallbildung) einer Mischlsung von 5-FU und Kalziumfolinat. Przipitation von 5-FU in Elastomer-haltigen Behltnissen.
Fotemustin
Pharmakologie
Alkylans. Nitrosoharnstoffderivat mit einer angekoppelten alaninhnlichen Aminosure (1-Aminothylphosphonat). Aktive Aufnahme in die Zellen ber das membranstndige Aminosuretransportsystem. Rasche nichtenzymatische Abspaltung des sehr reaktiven, alkylierend wirkenden Chlorthylcarboniumions. Abbau zum endgltigen Metaboliten 2-Chlorthyl. Penetration der Blut-Hirn-Schranke. Wirkungsweise siehe bei Carmustin, Lomustin, Nimustin. Verteilungsvolumen 33 l/m2 KOF. Terminale Plasmahalbwertszeit des intakten Medikaments 17…30 min. Gesamtkrperclearance 85…100 l/h. Zu 50…60% Ausscheidung als Metaboliten im Urin (ber 7 Tage, hauptschlich jedoch in den ersten 24 h) und zu 7% mit den Fzes. Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch wiederholte Anwendung.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Zulassung nur in Frankreich und der Schweiz: malignes Melanom (auch Hirnmetastasen). Dosierung
100 mg/m2 KOF als 1h Infusion 3(…4)mal im Abstand von je 1 Woche, nach 4…5 Wochen Pause „Erhaltungstherapie“ mit 100 mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen. Nebenwirkungen
Dosislimitierende Hmatotoxizitt, insbesondere Thrombozytopenie. belkeit, Erbrechen. Transiente Hepatotoxizitt (Anstieg von SGOT, SGPT, Bilirubin). Lokale Venenreizung. Selten Diarrh, abdominelle Schmerzen, Kreatininanstieg. Hyperpigmentierung der Haut. Allergische Reaktion mit Fieber und Hauterythem. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Lsung in ˜thanol, dann Weiterverdnnung mit 5% Glukose. Stabilitt der Gebrauchslsung mindestens 4 h. Besonderheiten
Verzgerte Knochenmarktoxizitt mit Thrombozyten- und Leukozytennadir an Tag 35 (bis 50). Verstrkte Hmatotoxizitt bei ber 50jhrigen. Neurotoxizitt. Epigastrische Schmerzen. Pulmonale Toxizitt in Kombination mit Dacarbazin. Verschlechterung einer vorbestehenden Leberschdigung. Keine Alopezie. Perfusion der A. hepatica bei Lebermetastasen von malignen Melanomen. Isolierte Extremittenperfusion. Radiosensibilisierung. Wirkungsverstrkung durch Tamoxifen. In vitro Synergismus bei sequentieller Gabe nach Dacarbazin (DTIC): weniger Reparatur der Chlorthylierung an der 6O-Position des Guanins in der DNS wegen DTIC-induzierter verminderter Alkytransferaseaktivitt und Glutathionverarmung, jedoch keine Verbesserung der klinischen Behandlungsergebnisse. Pulmonale Toxizitt mit ARDS in Kombination mit DTIC. Resistenz bei hoher DNS-Reparaturkapazitt bei gesteigerter Alkyltransferaseaktivitt. Myelodysplastisches Syndrom nach Behandlung in Kombination mit Dacarbazin.
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Antineoplastische Substanzen
Gemcitabin (2’,2’-Difluordeoxycytidin; dFdC)
Pharmakologie
Antimetabolit. Pyrimidinnucleosidanalog. Wirkt vorwiegend zellzyklusphasenspezifisch in der S-Phase und blockiert den G1/S-bergang. Intrazellulre Aktivierung durch Umwandlung zum 5’-Diphosphat (dFdCDP) und 5’-Triphosphat (dFdCTP) mit Hilfe von Nukleotidkinasen (z.B. Deoxicytidinkinase). Selbstinduktion der Aktivierung. Terminierung der DNSKettenverlngerung. Strung der DNS-Synthese durch Hemmung von DNS-Polymerasen und Einbau als „falsche Base“ in die DNS und RNS. Hemmung der Ribonukleotidreduktase. Induktion von Apoptose. Die zytostatische Wirkung ist abhngig von der intrazellulren Akkumulation der oben genannten dFdC-Nukleotide. Eine maximale Akkumulation wird erreicht, wenn die Plasmakonzentration von dFdC mindestens 15…20 lmol/l betrgt. Mediane terminale Halbwertszeit des intrazellulren Triphosphats 4,6…6,8 h. In Plasma, Leber, Nieren und anderen Organen zu 91…98% enzymatische Deaminierung zum inaktiven Uracilderivat (dFdU). Nur sehr geringe Plasmaproteinbindung. Mediane terminale Plasmahalbwertszeit 8 min bei Kurzzeitinfusion ber 30 min. Medianes Verteilungsvolumen 59 l. Mediane Gesamtkrperclearance ca. 250 ml/min. Vorwiegend (92…98%) renale Elimination des inaktiven Metaboliten dFdU mit einer terminalen Halbwertszeit von 14 h. Renale Clearance ca. 30…120 ml/min. Keine ˜nderung der Pharmakokinetik im hheren Lebensalter (> 65 Jahre). Zulassung
Pankreaskarzinom, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom, Blasenkarzinom. Zustzlich wirksam z.B. bei Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, M. Hodgkin, Hodenkarzinom, Gallenblasenkarzinom, kleinzelligem Bronchialkarzinom, Angiosarkom, Non-Hodgkin-Karzinom.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Dosierung
1000 mg/m2 KOF (1000…1250 mg/m2 als Monotherapie; 800…1000 mg/m2 in der Kombinationstherapie) als 30-min-Infusion 3mal im Abstand von je 1 Woche (1 Zyklus), Wiederholung des Zyklus ab Tag 29. Bis 1250 mg/m2 in der Kombinationstherapie als 30-min-Infusion bei Anwendung 2mal im Abstand von je 1 Woche (1 Zyklus) und Wiederholung ab Tag 21. Eine Verlngerung der Infusionszeit erhht die Toxizitt. Nebenwirkungen
Bei hoher Dosis oder langer Infusionsdauer kann die Myelosuppression (Leukozytopenie, Thrombozytopenie) eine dosislimitierende Nebenwirkung sein. Spezielle Nebenwirkungen sind das grippehnliche („flu-like“) Syndrom mit Gliederschmerzen, Myalgien, Kopfschmerzen und Schwche und die demneigung. Nur selten belkeit und Erbrechen vom Schweregrad III…IV. Selten Fieber, Diarrh, Hautausschlag, Hepatotoxizitt, Nephrotoxizitt, Proteinurie, Hmaturie, Ateminsuffizienz, Dyspnoe, Bronchospasmen, Anstieg der Thrombozytenzahl (Thrombozythmie). Praktisch keine Alopezie (Grad 3 weniger als 1%). Hinweise fu¨r den Gebrauch
Die besonderen Nebenwirkungen wie grippehnliches Syndrom und periphere deme sind zu beachten. Das grippehnliche Syndrom kann durch nichtsteroidale Antirheumatika (z.B. Diclofenac, Paracetamol) symptomatisch gebessert werden. Verabreichung „mit Vorsicht“ bei Patienten mit Leber- bzw. Nierenfunktionsstrung. Aufbewahrung der fertig zubereiteten Gebrauchslsungen bis zu 24 h bei Zimmertemperatur (im Khlschrank Gefahr der Auskristallisation!). Keine Anwendung whrend der Schwangerschaft oder der Stillzeit. Frauen im gebrfhigen Alter sollten das Eintreten einer Schwangerschaft vermeiden. Besonderheiten
Komplette Antagonisierung der zytostatischen Aktivitt durch einen berschu an Deoxicytidin. Synergismus und keine Kreuzresistenz mit Cisplatin. Keine komplette Kreuzresistenz mit Paclitaxel. Keine Induktion des P-Glykoprotein-Multidrug-Resistance(MDR)-Mechanismus. Maximal tolerable Dosis bei akuten Leukmien 4800 mg/m2 KOF (infundiert ber 480 min mit einer Dosisrate 10 mg/m2 KOF/min) 3mal im Abstand von je 1 Woche (Wiederholung ab Tag 29). Abnahme der T-Helferzellen (CD4) und Abfall des Helfer-/Suppressorzell-Quotienten (CD4/CD8) auf 0,6. Verminderung der Aktivitt der natrlichen Killerzellen. Die Vernde-
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Antineoplastische Substanzen
rungen in den Lymphozytenpopulationen konnten unter der heute blichen wchentlichen Dosierung nicht reproduziert werden. Hemmung der DNSReparatur. Dadurch Verstrkung der Wirkung verschiedener Zytostatika. Radiosensibilisierung. Fatale pulmonale Toxizitt (ARDS bei „Leakage“-Syndrom). Vorbergehend leichter Transaminasenanstieg. Keine kumulative Hepato- oder Nephrotoxizitt. Keine erhhte Toxizitt bei lteren Patienten. Keine Hinweise auf Nekrosen oder andere schwerwiegende unerwnschte Ereignisse der Paravasate. Keine Hinweise auf klinisch relevante Interaktionen mit anderen Arzneimitteln.
Hydroxycarbamid (Hydroxyharnstoff, Hydroxyurea; HU)
Pharmakologie
Strung der DNS-Synthese durch spezifische Hemmung der Nukleosiddiphosphatreduktase und damit der Bildung von Deoxynukleosidtriphosphaten. Reversible Hemmung der DNS-Reparatur. Blockierung des bergangs von der G1- in die S-Phase (Blockierungsdauer 6 bis 10 h). Rasche Resorption (individuell unterschiedlich) und gute Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe (ca. 80%). Inaktivierung in der Leber und Ausscheidung ber die Nieren (80% in 12 h). Renale Clearance 90 ml/min. Verminderte Clearance bei hherer Dosis. Terminale Plasmahalbwertszeit 2…4,5 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Maligne Erkrankungen auch in Kombination mit einer Strahlenbehandlung (sinnvoller Einsatz: myeloproliferative Erkrankungen). Dosierung
Peroral 20…30 mg/kg KG tglich oder 80 mg/kg KG jeden 3. Tag. Nebenwirkungen
Strungen der Hmatopoese. Selten Haarausfall, Haut- und Schleimhautschden, neurologische Strungen, Mdigkeit, gastrointestinale Strungen, Miktionsbeschwerden. Gelegentlich vorbergehende Strungen der Nierenfunktion, abnorme Blutsenkung, Fieber, Schttelfrost, Erhhung der Leberenzyme.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Hinweise fu¨r den Gebrauch
Vorsicht bei ausgeprgten Nierenfunktionsstrungen. Die Kombination mit Strahlentherapie kann zu einer Verstrkung der Nebenwirkungen fhren. Obwohl die Anwendung in der Schwangerschaft prinzipiell kontraindiziert ist, wurde mehrfach ber die Geburt gesunder Kinder nach Anwendung in der Schwangerschaft berichtet. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eventuell kann durch die Gabe von Deoxyadenosin die Toxizitt vermindert werden. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt, aufgrund der pharmakokinetischen Daten erscheint ein Versuch sinnvoll. Besonderheiten
Hemmung der Thymidinkinase und der Thymidylatsynthase. Synchronisation von Zellpopulationen am bergang G1/S-Phase. Aufhebung der Wirkung durch Zufuhr von Deoxyadenosin. Induktion einer Methotrexatresistenz. Sensibilisierung gegenber Bleomycin. Synergismus mit Cytarabin, 5-Fluorouracil, Cisplatin, Carboplatin, Chelatbildnern. Verstrkte Aktivierung von Zidovudin (Azidothymidin). Strung des Kationentransports in der Erythrozytenmembran. Resistenz bei Amplifikation des Gens fr Ribonukleotidreduktase mit kollateraler berempfindlichkeit fr 6-Thioguanin (vermehrte Aktivierung zum Triphosphat). Hemmung der Replikation von HIV-Typ-1-Viren. Wirkungsverstrkung durch Interferon-a. Akute Alveolitis. Interstitielle Lungenfibrose. Lichenoider Hautausschlag. Ulcera cruris. Pruritus. Reversible Hautpigmentierung, pigmentierte Streifen in Fingerngeln. Bei hoher Dosis: Stomatitis, violettes Hauterythem, Hand-Fu-deme mit folgender Hyperpigmentierung. Induktion von multiplen Keratosen und Hauttumoren. Myelodysplasie und sekundre Leukmie nach essentieller Thrombozytose oder Polycythaemia vera. Induktion eines Lupus erythematodes oder einer Pseudo-Dermatomyositis. Thrombotische Mikroangiopathie. „Zytolytische“ Hepatitis. Geburt eines gesunden Kindes nach Hydroxyharnstoff-Behandlung einer essentiellen Thrombozytose. Behandlung der Myelofibrose, der Sichelzellenanmie (Induktion der Bildung von fetalem Hmoglobin, verstrkt durch Erythropoetin), der rheumatischen Arthritis und der Psoriasis.
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Antineoplastische Substanzen
Idarubicin-HCl (IDA)4-Demethoxydaunorubicin
Pharmakologie
Siehe auch bei Doxorubicin. Interkalation. Starke Bindung an die DNS. DNSStrangbrche. Hemmung der DNS- und RNS-Polymerasen. Bildung freier Radikale. Verminderte RNS-, DNS-Synthese und DNS-Reparatur durch Hemmung der Topoisomerase-II. Verlangsamung des Zellzyklus und Block in der G2-Phase. Keine Beeinflussung durch Glykoprotein P-170 („multiple drug resistance“, MDR). Wirksam auch nach oraler Gabe (Bioverfgbarkeit ca. 30%; bezogen auf Idarubicinol, 40%). Rasche Metabolisierung in der Leber ber eine Aldoketoreduktase zu Idarubicinol, das noch die volle Antitumorwirkung hat, aber eine geringere Kardiotoxizitt zeigt. Die Plasmaspiegel der Metaboliten persistieren lnger und bersteigen die der Muttersubstanz. Gegenber Doxorubicin oder Daunorubicin erhhte Lipophilie und damit vermehrte zellulre Aufnahme (Anreicherung um mehr als das 100fache). Im Vergleich zu Daunorubicin ca. 10fach strkere Zytotoxizitt. Starke Proteinbindung (Idarubicin 97%, Idarubicinol 94%). 200- bis 400fache Anreicherung in kernhaltigen Blutzellen und in Knochenmarkzellen. Im Liquor werden zytotoxische Idarubicinolspiegel erreicht. Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend ber die Galle (70…80%), wenig im Urin (5…15%), berwiegend in Form von Idarubicinol. Verteilungsvolumen 1500…2000 l/m2 KOF. Gesamtkrperclearance 60 l/h m2 KOF, terminale Plasmahalbwertszeit fr Idarubicin 22 (4…46) h, fr Idarubicinol etwa doppelt so lang. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Akute myeloische Leukmie. Zustzlich wirksam bei anthrazyklinsensiblen Erkrankungen.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Dosierung
Intravens 8…12 mg/m2 KOF tglich fr 3…5 Tage alle 3…4 Wochen. Oral 15 mg/m2 Tag 1…3 oder Tag 1, 3, 5 alle 3 Wochen oder 15 mg/m2 einmal wchentlich. Nebenwirkungen
Ausgeprgte Knochenmarkdepression. Kardiotoxizitt (auch verzgert auftretend). Reversibler Haarausfall, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh, gastrointestinale Perforationen, Kolitis), Fieber, Schttelfrost, Erhhung der Leberenzyme, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Hautausschlag, bullse Erytheme, Stomatitis, sophagitis). Selten transiente Nierenfunktionsstrungen und Neurotoxizitt (Kopfschmerzen, Krmpfe). Eine paravense Applikation kann zu schwerer Gewebsnekrose fhren. Venensklerosierung nach wiederholter Applikation. Hinweise fu¨r den Umgang
Herz-, Leber- und Nierenfunktion sollen berprft werden. Wegen der dosisabhngigen Zunahme des Kardiomyopathierisikos Begrenzung der maximalen kumulativen Dosis auf 120 mg/m2 KOF (eine Vorbehandlung mit Doxorubicin oder Daunorubicin ist mit je 1/4 der Dosis anzurechnen). Cyclophosphamid, andere Anthrazykline und herznahe Bestrahlung erhhen das Risiko einer Kardiomyopathie. Inkompatibilitt mit Heparin (Wirkungsverlust durch Ausfllung). Hydrolyse in alkalischer Lsung (deshalb Mischungsinkompatibilitt mit vielen anderen Medikamenten). Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Bei Mnnern wird empfohlen, whrend der Behandlung und bis zu 6 Monaten danach kein Kind zu zeugen. Frauen sollten whrend und bis zu 6 Monaten nach der Behandlung nicht schwanger werden. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung (s. auch bei Doxorubicin). Eine Dialyse ist ineffektiv. Besonderheiten
Siehe auch bei Doxorubicin und Daunorubicin. Auch wirksam bei soliden Tumoren (z.B. Mammakarzinom) und malignen Lymphomen. In vitro und bei Tierversuchen (Musetumoren) geringe Kreuzresistenz gegen Daunorubicin (MDR-Unabhngigkeit). Dosisreduktion bei Serumbilirubinwerten > 2,5 mg/dl. Keine Anwendung bei Gesamtbilirubinwerten > 5 mg/dl. Bei Nierenfunktionsstrung wahrscheinlich keine Dosisreduktion erforderlich. Weniger Kardiotoxizitt und Alopezie als bei Daunorubicin. Keine klinische
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Antineoplastische Substanzen
Kardiomyopathie bis zur kumulativen Dosis von 290 mg/m2 (asymptomatische Abnahme der linksventrikulren Auswurffraktion bis 18% der Patienten). „Recall“ einer Strahlendermatitis, auch an Schleimhuten und evtl. mit Nekrosen. Strahlensensibilisierungen. Synergismus mit Retinoiden (z.B. ATRA). Fingernagelpigmentierung. Rotfrbung des Urins. Idarubicin ist das einzige verfgbare Anthrazyklinprparat, das nach enteraler Gabe resorbiert wird. Intravesikale Applikation. Trbung und Schleierbildung in verdnnten Lsungen (< 0,5 mg/ml 0,9%iges NaCl) sind kein Zeichen fr Inkompatibilitt. Stabilitt in Lsung bei Raumtemperatur 24 h bei 2…8 C 48 h.
Ifosfamid (IFO, IFX)
Pharmakologie
Alkylierung. Wie bei Cyclophosphamid ist die Aktivierung in der Leber erforderlich, es erfolgt aber eine langsamere Freisetzung der alkylierenden Metaboliten. Besser wasserlslich als Cyclophosphamid. Metabolismus und Elimination analog Cyclophosphamid. Oxidation des Oxazaphosphorins ist Voraussetzung fr die Wirkung (Aktivierung ber hepatisches mikrosomales multifunktionelles Oxidasesystem, Cytochrom-P-450-2B und -3A). Es entsteht das aktive 4-OH-Ifosfamid, dann Spaltung in Ifosfamidmustard und Acrolein. Die 4-Hydroxylierung ist langsam und weniger stark als bei Cyclophosphamid. Die Seitenkettenoxidation fhrt zur Abspaltung des neuro- und nephrotoxischen Chloracetaldehyds, das wahrscheinlich auch noch eine zytostatische Wirkung hat. Dadurch entstehen die noch alkylierend wirkenden Metaboliten 2- bzw. 3-Dechlorthylifosfamid. Innerhalb von 24 h werden 14…34% Ifosfamid unverndert im Urin ausgeschieden, 10…40% als inaktive Metaboliten. In den folgenden 24 h betrgt die Gesamtausscheidung von Ifosfamid und Metaboliten noch 11% (Mglichkeit der 31P-Kernspinresonanz[NMR]-Spektroskopie fr pharmakokinetische Messungen im Urin). Autoinduktion der Aktivierung und der Inaktivierung bei fraktionierter Anwendung oder bei Dauerfusion ber mehrere Tage. Dadurch z.B. am 5. Therapietag um 30% verkrzte Halbwertszeit und geringere AUC fr Ifosfamid, jedoch Zunahme der maximalen Konzentration und der AUC fr die aktive Form 4-OH-Ifosfamid und auch fr den toxischen Chloracetaldehyd (verbesserte Tumorwirkung und gesteigerte Toxizitt). Keine kumulative ˜nderung der Pharmakokinetik bei wieder-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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holten Therapiezyklen. Das Verteilungsvolumen entspricht etwa der Krpermasse. Terminale Plasmahalbwertszeit der Muttersubstanz 4…7 h. Gesamtkrperclearance 60 bis 80 ml/min/m2. Renale Clearance 10 bis 20 ml/min/m2 KOF. Groe Variabilitt der Wiederfindungsrate im Urin (20…80%). Raschere Clearance bei Kindern. Verteilungsvolumen 0,34 bis 0,78 l/kg. Bei lteren bzw. adipsen Patienten greres Verteilungsvolumen und damit verlngerte Halbwertszeit. 100% Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe (diese Applikationsart steht aber z.Z. noch nicht allgemein zur Verfgung). Intrazellulr entsteht Ifosfamid aus Trofosfamid (s. dort). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Bronchialkarzinom, Mammakarzinom, Sarkome, Hodenkarzinom, NonHodgkin-Lymphome, M. Hodgkin, Ovarialkarzinom, Pankreaskarzinom, Pleuramesotheliom, Zervixkarzinom. Dosierung
Intravens: 30…60 mg/kg KG (1200…2400 mg/m2 KOF) tglich fr 3…5 Tage oder 125 mg/kg KG (5g/m2 KOF) als 24-h-Infusion alle 3…4 Wochen. Nebenwirkungen
Haarausfall, Dermatitis, Hyperpigmentierung, neurotoxische Strungen, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Stomatitis, Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression. Gelegentlich Strungen der Nierenfunktion (z.B. Erhhung des Blutharnstoffs und der Serumkreatininwerte, Einschrnkung der Kreatininclearance, vermehrte Ausscheidung von Eiwei, Zucker, Phosphat im Urin). Vor allem bei Kindern kann sich eine nicht rechtzeitig erkannte und behandelte Nierentoxizitt zum Vollbild eines Fanconi-Syndroms entwickeln. In Einzelfllen Strungen der Leberfunktion. Verschiedene Grade einer in der Regel reversiblen Enzephalopathie (Desorientiertheit, Verwirrtheitszustnde) knnen auftreten. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Zur Verhtung der Urotoxizitt: Uromitexan. Vor Therapiebeginn sind Strungen der Leberfunktionen zu sanieren. Das Reaktionsvermgen kann vermindert sein. Vorsicht bei Patienten mit erniedrigtem Serumalbuminspiegel und/oder eingeschrnkter Nierenfunktion, weil sie oftmals
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eine hher dosierte Ifosfamidtherapie schlechter vertragen (Enzephalopathie), sowie bei Hirnmetastasen. Mgliche Verstrkung der Wirkung von Antidiabetika. Eine vorausgegangene oder gleichzeitige Gabe von Cisplatin oder eine Bestrahlung kann die Toxizitt auf Nieren, Hmatopoese und Zentralnervensystem verstrken. Die Bestrahlungsreaktion der Haut kann verstrkt sein. Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon), deshalb bei Patienten im geschlechtsreifen Alter kontrazeptive Manahmen bis mindestens 3 Monate nach Beendigung der zytostatischen Therapie. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist evtl. sinnvoll. Besonderheiten
Verlngerte Serumhalbwertszeiten im hheren Lebensalter und bei Adipositas wegen grerer Verteilungsvolumina. Die Pharmakokinetik ist abhngig von der Infusionsdauer bzw. Fraktionierung. Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Phenobarbital. Induktion des Metabolismus durch Rifampicin, Phenytoin oder fraktionierte Anwendung. Intrazellulre Glutathionverarmung und dadurch evtl. Sensibilisierung gegenber anderen Zytostatika bei Kombinationstherapie bzw. gegen Bestrahlung. Die Glutathionverarmung wird hervorgerufen durch den Chloracetaldehyd-Metaboliten, der aus Cyclophosphamid nicht freigesetzt wird. Diese Art der Sensibilisierung erklrt die fehlende komplette Kreuzresistenz zu Cyclophosphamid. Vermeidung der Urotoxizitt (hmorrhagische Zystitis) durch Mesna (Uromitexan) und andere Thiole (z.B. N-Acetylcystein). Durch die begleitende Mesnatherapie Auslsung von Hypertonie oder Allergien vom Akutbzw. Spttyp. Eine orale Applikationsform von Mesna steht zur Verfgung. Auch die subkutane kontinuierliche Anwendung ist mglich. Mesna ergibt auf Urinteststreifen eine (falsch) positive Reaktion auf Ketone. Keine Verminderung der zytostatischen Wirkung durch Mesna. ZNS-Neurotoxizitt (Behandlung evtl. mit Diazepam, Haloperidol oder Methylenblau): Verwirrtheit, verschwommenes Sehen, Stummheit, paranoide Halluzinationen, Krampfanflle, extrapyramidale Symptome, selten Koma. Diese Enzephalopathie ist wahrscheinlich durch den Chloracetaldehyd-Metaboliten bedingt und meist reversibel, selten irreversibel; vermehrt bei oraler Gabe; ein vermehrtes Enzephalopathierisiko scheint bei erniedrigtem Serumalbumin- und erhhtem Serumkreatininspiegel zu bestehen; diese Werte reichen aber nicht aus, um das Risiko sicher beurteilen zu knnen; das Enzephalopathierisiko kann durch lngere Infusionsdauer
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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( 3 h) und evtl. durch Piracetam (Nootrop) vermindert werden. Prophylaxe und Behandlung der Enzephalopathie mit Methylenblau (50 mg langsam i.v. oder als Infusion) oder mit intravensem Diazepam. Nicht konvulsiver Status epilepticus (Myoklonus der oberen Extremitten, rhythmisches Muster im EEG, Lsung durch Diazepam i.v.). Unklar ist, wieweit Mesna zur ZNS-Toxizitt beitrgt. Progressive Nephrotoxizitt: renale tubulre Dysfunktion (Azidose, DebrØ-de-Toni-Fanconi-Syndrom, DTFS), im Urin Marker der tubulren Insuffizienz wie z.B. N-Acetylglucosaminidase, a-1-(und a-2-)Mikroglobulin, Albumin, Glukose, Aminosuren, niedrigmolekulare Proteine, retinolbindendes Protein, IgG, Ferritin. Die Hyperaminoazidurie gilt als ein Frhzeichen der tubulren Nephrotoxizitt. Frhdiagnose durch Dimercaptosuccinat-Szintigraphie (99mTc-DMSA) oder durch sonographisch festgestellte Dichtezunahme im Nierenparenchym. Auch glomerulre Strung mit Abnahme der Filtratmenge. Eine verminderte Phosphatrckresorption fhrt zur hypophosphatmischen Rachitis bei erhhter Kalziumausscheidung im Urin. Verminderte Konzentrationskapazitt und Natriumverlust. Nephrotoxizitt hufiger bei Kindern und bei hherer kumulativer Dosis (> 72g/m2 KOF). Insbesondere bei Kindern sollten Gesamtdosen > 100 g/m2 vermieden werden. Erhhtes Risiko fr Fanconi-Syndrom bei Einzelniere. Frhdiagnostik des tubulren Schadens durch Nachweis von retinolbindendem Protein im Urin. Schwere Nephropathie bei 4% der Patienten (subklinische Vernderungen bei praktisch allen). Insgesamt hat die Nephropathie eine schlechte Prognose. Meist keine oder spter langfristige Erholung von der Nephrotoxizitt nach Ende der Ifosfamidtherapie. Pneumonitis, Kardiotoxizitt (bei hoher Dosierung reversible Herzinsuffizienz und maligne Arrhythmie), Sehstrungen, Hepatotoxizitt in Kombination mit Etoposid, Tumorlysesyndrom, Sekretionsstrung des antidiuretischen Hormons („IADH-Syndrom“). Akute Pankreatitis. Exazerbation einer peripheren Neuropathie. Hirnatrophie beim Kind. Falsch-positive Ketonurie. Verstrkte Hmatotoxizitt, Neurotoxizitt und Nephrotoxizitt nach vorausgegangener Behandlung mit Cisplatin. Verstrkung der Cisplatintoxizitt. Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie (bei Musen 2fache Anreicherung aktiver Metaboliten im Tumorgewebe bei 41 C) oder Lonidamin. Synergismus mit Cisplatin, Cytarabin, Vincristin und 5-Fluorouracil, aber nicht mit Cyclophosphamid. ˜hnliche zytostatische Aktivitt der enantiomeren S- bzw. R-Form. Mehr Hmatotoxizitt und langsamere Gesamt-Clearance der R- Form. Bei ifosfamidinduziertem Glutathionmangel Hemmung der CD3-positiven zytotoxischen T-Lymphozyten nicht jedoch der NK-Zellen. Toxizittsminderung durch L-Carnitin. Antagonismus bei Gabe von Ifosfamid vor Paclitaxel. Bessere Anreicherung im Liquor im Vergleich zu Cyclophosphamid. Evtl. Hemmung der Liquorgngigkeit durch Dexamethason.
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Antineoplastische Substanzen
Mobilisierung von peripheren Blutstammzellen. Bei Extravasaten mgliches Risiko von Hautulzerationen, wenn die Ifosfamidkonzentration > 50 mg/ml betrgt. Nachweis von Ifosfamid (und Cyclophosphamid) im Urin von Apothekenpersonal und Pflegepersonal. Behandlung von Hirnmetastasen in Kombination mit Etoposid. Behandlung einer Plasmazelleukmie. Stabilitt der Gebrauchslsung 7…9 Tage bei 4 C, Zimmertemperatur und bei 37 C. Ifosfamid kann in einer Infusion mit der gleichen Menge Mesna gemischt werden. Mischinfusionen mit Carboplatin sind ber mindestens 14 Tage stabil. Dekontaminierung von Oberflchen mit Na-Hypochlorit.
Irinotecan (CPT-11)
Pharmakologie
Semisynthetisches Camptothecin(CPT)-Derivat mit verbesserter Wasserlslichkeit. Topoisomerase-I-Hemmstoff. Wirkungsmechanismus s. bei Topotecan (TPT). In vivo wird die 2 Piperidinringe enthaltende Seitenkette an Position 10 des A-Rings enzymatisch (Carboxylesterase) abgespalten. Es entsteht der 100fach aktivere Metabolit 7-˜thyl-10-hydroxycamptothecin (SN-38). Demnach ist Irinotecan ein „Prodrug“. Ebenso wie Topotecan hydrolysieren Irinotecan und SN-38 in alkalischem Milieu am E-Ring. Im Gleichgewicht liegen 25…30% von CPT-11 und 50…64% von SN-38 als (aktives) Lakton vor. Interindividuell stark schwankende Pharmakokinetik. Plasmabindung 65% fr CPT-11, 95% fr SN-38. Terminale Plasmahalbwertszeit fr CPT-11 total 5…27 h; fr SN-38 total 6…30 h. Verteilungsvolumen 136… 255 l/m2 KOF. Gesamtkrperclearance 8…21 l/m2h. Ausscheidung von Irinotecan wahrscheinlich ber Galle (25% als Muttersubstanz, 1% als SN-38 und 2% als glucuronidiertes SN-38G) und Nieren. 17…25% in 24 h als Muttersubstanz oder zu 3% als SN-38G. Teilweise Rckresorption ber enterohepatischen Kreislauf. Keine ˜nderung der Pharmakokinetik bei wiederholter Anwendung. Im Speichel hnlicher Konzentrationsverlauf fr CPT-11 und SN-38 wie im Plasma.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Kolorektales Karzinom. Dosierung
100…150 mg/m2 KOF wchentlich als 90-min-Infusion fr 4 Wochen, dann 2 Wochen Pause, Wiederholung ab Tag 43 oder 250…300 mg/m2 alle 3 Wochen. Nebenwirkungen
Hmatotoxizitt und Diarrh als dosislimitierende Toxizitten. Die Diarrhen sind oft von Abdominalkrmpfen und Gesichtsflush begleitet. Hyperperistaltik im Magen-Darm-Trakt. belkeit, Erbrechen. Leukozytopenie (weniger Thrombozytopenie, Anmie). Hepatische Dysfunktion mit vorbergehender Erhhung der Transaminasen. Alopezie. Stomatitis. Mdigkeit. Nierenfunktionsstrungen. Pneumonitis (insbesondere bei Patienten mit Bronchialkarzinom, behandelbar mit Kortikosteroiden). Anorexie. Allgemeines Krankheitsgefhl. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Zubereitung fr den Gebrauch nur als saure Infusionslsung (z.B. mit 5% Glucose). Die akuten gastrointestinalen Nebenwirkungen knnen evtl. durch die prophylaktische Gabe von 5-HT3-Antagonisten in Kombination mit Histaminantagonisten verhindert werden. Die verzgert auftretende, mit einer Steatorrh einhergehende Diarrh kann mit Standardantidiarrhoika (z.B. Loperamid) behandelt werden, als Sekundrprophylaxe ist Neomycin sehr wirksam. Besonderheiten
Evtl. Anwendungsgebiete sind auch: kleinzellige und nichtkleinzellige Bronchialkarzinome, Magenkarzinome, Zervixkarzinome, Ovarialkarzinome, eventuell Pankreaskarzinome, Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, akute Leukmien. Die wichtigen Nebenwirkungen Durchflle und Gesichtsflush sind mglicherweise durch die Freisetzung vasoaktiver Substanzen bedingt (wahrscheinlich nicht-glucuronidiertes SN-38). Weniger Diarrh bei Einhaltung der Infusionszeit von mindestens 90 min. In vitro hemmt Irinotecan die Acetylcholinesterase. Additive Wirkung in Kombination mit Cisplatin (Verhinderung der Reparatur der durch Cisplatin gesetzten DNS-Schden). Kumulative Hmatotoxizitt (Granulozytopenie) bei wiederholter Anwendung.
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Antineoplastische Substanzen
Dosierung in Kombination mit 80 mg/m2 Cisplatin an Tag 1 : 60 mg/m2 KOF Irinotecan an den Tagen 1, 8 und 15. Wiederholung dieses Therapiezyklus alle 4 Wochen. Unter dem Schutz von GM-CSF lassen sich die Dosierungen von Irinotecan (80 mg/m2 KOF) erhhen. Antagonismus bei gleichzeitiger Anwendung von Hemmstoffen der Topoisomerase-I und der TopoisomeraseII (z.B. Etoposid), jedoch additive oder synergistische Wirkung bei sequentieller Gabe. Mglicherweise synergistische Wirkung mit Cytarabin und Mitomycin C bzw. additive Effekte mit Amsacrin, Bleomycin, Vincristin, 5-Fluorouracil. Erhhung des zytoziden Effekts einer Bestrahlung (Hemmung der Reparaturkapazitt). In vitro Steigerung der zytotoxischen Wirkung von Topoisomerase-I-Hemmstoffen in Kombination mit Hyperthermie. Tumorvarianten mit niedriger Aktivitt der Topoisomerase-I oder mit einer Enzymmutation mit niedriger Affinitt zu den Hemmstoffen sind resistent. Im Gegensatz zu Topotecan keine Resistenz durch berexpression des MDR-1-Gens (P-170-Glykoprotein). Resistenz bei verminderter Aktivierung von Irinotecan zu SN-38 (Carboxylesterasemangel). Verlangsamte Aktivierung und Ausscheidung bei Leberfunktionsstrung (Bilirubin und/oder Gamma-GT und/oder Transaminasen erhht). Kein Einflu einer Niereninsuffizienz. Tumorlysesyndrom. Stabilitt der Gebrauchslsung 24 h bei Zimmertemperatur bzw. 48 h bei 2…8 C. Die Lsung soll aber wegen des Kontaminationsrisikos innerhalb von 6 h bzw. 24 h verbraucht werden.
Lomustin (Cyclohexyl-Chlora¨thylNitroso-Urea; CCNU) Pharmakologie
Siehe auch bei Carmustin. Alkylierung. Hemmung der DNS-, RNS- und Proteinsynthese. Eventuell auch Hemmung der Purinribonukleotidsynthese. Gute Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe. Schnelle Elimination aus dem Plasma (5 min). Ausscheidung der Metaboliten ber die Nieren und die Galle. Plasmahalbwertszeit der Metaboliten 72 h. Liquorgngigkeit der Metaboliten (15…30% der Plasmakonzentration) und Anreicherung im Gehirn. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
M. Hodgkin, primre und sekundre Tumoren des Zentralnervensystems, Bronchialkarzinome, Melanom. Dosierung
Peroral 3,5 mg/kg KG (130 mg/m2 KOF) einmal alle 6…8 Wochen. Nebenwirkungen
Lungenfibrose. Haarausfall, Dermatitis, neurotoxische Strungen, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Stomatitis, Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Immunsuppression. Hinweise fu¨r den Umgang
Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Personen im fertilen Alter sollten whrend der Behandlung kontrazeptive Methoden bzw. Abstinenz ausben. Fr den Fall einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Spontane Erholung der Knochenmarkfunktion nach berdosis von 1120 mg. Nach einer berdosierung mit 1400 mg Tod im Multiorganversagen nach 45 Tagen. Besonderheiten
Siehe auch bei Carmustin (BCNU). Verminderung der Hepatotoxizitt durch Begleitmedikation mit Phenobarbital. Akute Erblindung in Kombination mit Doxorubicin. Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie, Nitroimidazole, Amphotericin B, Bestrahlung. Fr das Derivat MethylCCNU: Leukmieinduktion nach adjuvanter Behandlung kolorektaler Karzinome, deutliche Nephrotoxizitt, Wirkungsverstrkung durch Chlorpromazin, Coffein, Cimetidin. Die wchentliche Gabe von 30 mg/m2 ist mglich.
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Antineoplastische Substanzen
Melphalan (MEL) (L-Phenylalaninmustard; L-PAM)
Pharmakologie
Alkylierung (s. auch bei Chlorambucil). Induktion von Apoptose. Rasche Aufnahme in die Zellen durch aktiven Transport mit anfnglichen Plasmahalbwertszeiten von 5…15 min (a) und 17…75 min (b) nach hochdosierter Therapie. Resistenz bei Raumtemperatur oder hohem intrazellulrem Glutathion. Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe interindividuell sehr unterschiedlich (25…100%). Spontaner Zerfall. Ausscheidung ber die Fzes (20…50%) und sehr unterschiedlich ber die Nieren (3…93%). Teilweise tubulre Sekretion und Reabsorption. Terminale Plasmahalbwertszeit der Metaboliten 1…2,5 h. Gesamtkrper-Clearance ca. 24 l/h (unverndert auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz bei einer Kreatinin-Clearance < 40 ml/min). Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Multiples Myelom, Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, Melanom (PBSC). Dosierung
Peroral 0,15…0,2 mg/kg KG tglich fr 4…5 Tage alle 4 Wochen. Intravens 8…30 mg/m2 KOF einmal alle 2…6 Wochen (100–200 mg/m2 KOF einmalig als Hochdosistherapie). Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haarausfall, hmolytische Anmie, Strungen der Ovulation, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis), sekundre Leukmien (nach Langzeittherapie selten), Lungenfibrose (selten), anaphylaktischer Schock (Einzelfall).
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Hinweise fu¨r den Umgang
Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz. Kombination mit Nalidixinsure: hmorrhagische Enterokolitis (besonders bei Kindern). Verminderung der Stomatitis durch Eis. Kombination mit Ciclosporin A: Verschlechterung der Nierenfunktion. Wegen der sehr variablen oralen Bioverfgbarkeit kann individuell bei bergang auf parenterale Gabe eine Wirkung erreicht werden, auch wenn die Erkrankung auf die orale Gabe „resistent“ erscheint. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeption: Frauen whrend der Behandlung, Mnner whrend der Behandlung und 6 Monate danach. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist evtl. sinnvoll (Metaboliten). Hohe Konzentrationen von Leucin und Glutamin knnen die Toxizitt evtl. vermindern. Versehentliche berdosierung von 360 mg p.o. in 3 Wochen mit spontaner Erholung des Knochenmarks und kompletter Remission einer Paraproteinme. berdosierung mit 60 mg/m2 bei einem oligurischen Patienten mit Leichtkettennephropathie bei multiplem Myelom: 13 Tage dauernde schwere Granulozytopenie unter Gabe von G-CSF, danach rasche Erholung der Nierenfunktion ohne weitere Notwendigkeit der Hmodialyse. Schwere Neurotoxizitt bei intrathekaler Gabe (bei Affen). Besonderheiten
Resistenz bei vermehrter Glutathionsynthese. Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR bei Glutathionverarmung z.B. durch Behandlung mit Buthioninsulfoximin (BSO), Ethacrynsure, Sulfasalzin oder Stickoxid (NO), Hyperthermie, Misonidazol, Verapamil, Amphotericin B, O2-Zufuhr bzw. knstliche O2-Trger (Fluorochrome = Fluosol-DA), Flunarizin. Synergismus mit Cisplatin. Antagonismus mit Hydralazin. Verminderung der Bioverfgbarkeit und Beschleunigung der Elimination aus dem Plasma durch Cimetidin. Hemmung der zellulren Aufnahme durch Tamoxifen. Fragliche Toxizittsminderung durch Amifostin. Bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (auch unter Hmodialyse) kann eine hochdosierte myeloablative Therapie (200 mg/m2) durchgefhrt werden. Eine Dosisreduktion erscheint in diesen Fllen nicht erforderlich. Wegen der starken (Faktor 10) Schwankungen der interindividuellen Pharmakokinetik werden bei Hochdosistherapie generell Spiegelbestimmungen empfohlen. Erhhung der Sensitivitt durch Transfektion von Antisense-cDNS gegen Glutathion-STransferase. Cholestase. Parotitis in Kombination mit Etoposid. bergang multiples Myelom in chronische myeloische Leukmie. Extremitten- oder Lungen-
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Antineoplastische Substanzen
perfusion in Kombination mit Tumornekrosefaktor (TNF) und/oder Interferon-c. Intraperitoneale Anwendung. Behandlung einer Amyloidose mit Hochdosis-Melphalan. Dekontamination von Oberflchen mit Na-Hypochlorit.
6-Mercaptopurin (6-MP)
Pharmakologie
Antimetabolit, Purinantagonist. Aktivierung durch intrazellulre Umwandlung ber Hypoxanthinphosphoribosyltransferase zu Thioinosinmonophosphat, dadurch Hemmung von Enzymen der Purin-de-novo-Synthese. Inkorporation von Thiopurinnukleotiden als „falsche“ Basen in die DNS und RNS. Nach oraler Gabe unvollstndige und individuell sehr unterschiedliche Resorption. Bei hohen Dosen ist die Resorptionskapazitt wahrscheinlich sttigbar. Bioverfgbarkeit im Mittel nur 16%, besser bei Einnahme auf nchternen Magen. Metabolisierung ber Xanthinoxidase (deshalb verlangsamter Abbau unter Allopurinol!), Thiopurinmethyltransferase (TPMT; selten genetisch defekt!) und alkalische Phosphatase in Leber und Darmwand. Ausscheidung als inaktive Thioharnsure ber die Nieren. Verteilungsvolumen 0,75 l/kg. Gesamtkrper-Clearance 23 l/h. Terminale Plasmahalbwertszeit ca. 2 h. Im Liquor werden 15% der Plasmakonzentration erreicht (bei hochdosierter i.v. Gabe). Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke und geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Akute lymphatische Leukmie, akute myeloische Leukmie, chronische myeloische Leukmie (auch Blastenkrise). Dosierung
Peroral: 1,5…2,5 mg/kg KG als tgliche Dauertherapie. Nebenwirkungen
Anorexie, belkeit, Erbrechen, Knochenmarksuppression mit Leukozytopenie und Thrombozytopenie, Leberschden, Arzneimittelfieber, Hautaus-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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schlag, sekundre Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese, Ulzera der Mundschleimhaut, gastrointestinale Ulzera (selten), Pankreatitis, sekundre Leukmie (selten). Hinweise fu¨r den Gebrauch
Bei gleichzeitiger Gabe von Allopurinol die 6-Mercaptopurin-Dosis auf 25% reduzieren. Die Wirkung von Antikoagulanzien kann vermindert sein. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeption: Frauen whrend der Behandlung, Mnner whrend der Behandlung und 6 Monate danach. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Eventuell Verminderung der Aktivierung durch Gabe von Hypoxanthin oder Adenin. Besonderheiten
Dosisabhngig individuell unterschiedliche Sttigung der intestinalen Absorption. Abnahme der Aktivitt bei Dosissteigerung. Erhhung der Bioverfgbarkeit (und auch der Hmatotoxizitt!) um 7…48% bei Kombination mit Allopurinol. Monitoring der Therapie und der Compliance durch Bestimmung der Thioguanin-Nukleotide in Erythrozyten (bessere Behandlungsergebnisse bei strkerer Akkumulation) oder durch Bestimmung von Thiopurin-Residuen in Leukozyten-DNS. Verstrkte Toxizitt bei genetisch bedingtem Stoffwechseldefekt: Thiopurinmethyltransferase(TPMT)-Mangel, ca. 10% haben eine reduzierte Aktivitt bei heterozygotem Defekt, 1/300 hat einen absoluten Mangel bei homozygotem Defekt; diese Patienten bentigen nur 10% der Dosis. Weniger Wirksamkeit bei hoher Aktivitt der TPMT (z.B. in Erythrozyten, bei Mnnern hher als bei Frauen). Hemmung der TPMT durch Sulfasalazin (Interaktion z.B. bei immunsuppressiver Behandlung eines M. Crohn). Verminderte Bioverfgbarkeit bei gleichzeitiger Methotrexatbehandlung. Biochemischer Synergismus mit Methotrexat, Cytarabin. Verminderte Thionukleotidbildung unter Folsuresubstitution oder Cotrimoxazoltherapie. Wirkungssteigerung durch Ansamycinantibiotika (Mycotriene). Photosensibilisierung. Allergie mit Fieber, Schttelfrost, Arthralgien. Fatale Hepatotoxizitt. Hemmung der Prostaglandinsynthese. Immunsuppressive Behandlung (z.B. bei M. Crohn). Das Wirkprinzip von 6-Mercaptopurin ist in Azathioprin enthalten, das als intrazellulre Metaboliten neben Imidazolderivaten 6-Mercaptopurin- und 6-Thioguaninnukleotide bildet. Schwere Varizellenpneumonie.
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Antineoplastische Substanzen
Methotrexat-Dinatrium (MTX)
Pharmakologie
Antimetabolit, Folsureantagonist. Zellulre Aufnahme durch aktiven Membrantransport. Intrazellulre Akkumulation in Form von Polyglutamaten. Spezifische Hemmung der Dihydrofolatreduktase. Hemmung der Purinde-novo-Synthese. Antagonisierbar durch Tetrahydrofolsurederivate. Methotrexat ist das einzige Zytostatikum, fr das ein Antidot (Folinsure = Leucovorin) zur Verfgung steht, mit dem die zytostatische Wirkung sofort vollstndig aufgehoben werden kann. Individuell sehr unterschiedliche Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe (24…94%), relativ weniger bei hherer Dosis, kein signifikanter Einflu bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme. Hydroxylierung in der Leber zum noch gering antimetabol wirksamen und schlechter wasserlslichen 7-Hydroxymethotrexat (7-OH-MTX). Ausscheidung ber die Galle und praktisch vollstndige Rckresorption im enterohepatischen Kreislauf. Verteilungsvolumen 0,76 l/kg KG. Endgltige Elimination ber die Nieren (Clearance ca. 100 ml/min/m2 KOF, rascher bei Kindern, langsamer im Alter). Terminale Plasmahalbwertszeit 7…14 h. Verlngerung der Halbwertszeit bis auf das 4fache bei drittem Verteilungsraum (Pleuraergu, Aszites, Liquor). Zytostatisch wirksame Liquorspiegel nach hochdosierter Anwendung. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Zulassung
Akute lymphatische und myeloische Leukmie, Non-Hodgkin-Lymphome, Meningiosis leucaemica bzw. carcinomatosa, Mammakarzinom, Chorionkarzinom, Chorionepitheliom (Blasenmole), Zervixkarzinom, Ovarialkarzinom, Bronchialkarzinom, Malignome im Kopf- und Halsbereich, ZNS-Tumoren, Osteosarkom. Generalisierte, therapieresistente Psoriasis vulgaris einschlielich der Psoriasisarthropathie.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Dosierung
Intravens 0,5…1 mg/kg KG (20…40 mg/m2 KOF) alle 3…4 Wochen, mittelhoch dosiert 100…1500 mg/m2 KOF oder hoch dosiert 8…12 g/m2 KOF alle 1…4 Wochen (mit Serumspiegelbestimmungen und entsprechend adaptiertem Folinsureschutz: s. unter „Hinweise fr den Gebrauch“). Peroral 0,05…0,075 mg/kg KG tglich oder 0,1…0,15 mg/kg KG tglich ber 3 Tage jede Woche. Intrathekal 10…12 mg/m2 KOF 1(…3)mal wchentlich (maximale Einzeldosis 15 mg). Nebenwirkungen
Toxische Hautreaktionen (z.B. Exantheme, Juckreiz, Photosensibilitt, sehr selten Lyell-Syndrom), Haarausfall, Dermatitis, Osteoporose, gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), intestinale Blutungen, Ulzerationen der Mundschleimhaut und des Magen-Darm-Trakts, Stomatitis, Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Vaskulitis, Pneumonitis (Lungeninfiltrate, -fibrose), Strungen der Hmatopoese, Nierenschden, allergische Reaktionen, Immunsuppression, teratogene Schden. Strungen des ZNS, Fieber, Stoffwechselstrungen, bei ALL Entzndung der Milzkapsel mglich. Bei intrathekaler Applikation Wirkung auf das ZNS. Bei hoher Dosis und nicht gengend alkalinisiertem Urin Kristallbildung in der Niere mit nachfolgender Funktionsstrung. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Besonders strenge berwachung des Patienten bei vorangegangener ZNS-Bestrahlung. Vorsicht bei Patienten mit sog. Third-space-Reservoir (z.B. Pleuraergu, Aszites u..). Auch bei niedriger Dosierung Serumkreatininkontrolle vor jeder Anwendung (Kontraindikation bei 2 mg/dl). Wirkungsverstrkung durch nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID), Phenytoin, Barbiturate, Tetrazykline, Chloramphenicol, Sulfonamide, Triamteren, Trimethoprim-Sulfamethoxazol, p-Aminobenzoesure, p-Aminohippursure, Metamizol. Erhhung der Wirkung oraler Antikoagulanzien. Die gleichzeitige Verabreichung von Folinsureprparaten kann die Wirksamkeit von Methotrexat beeintrchtigen oder aufheben. Trotz insgesamt geringer (fehlender?) Karzino- und Teratogenitt ist ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon) nicht auszuschlieen. Personen im fertilen Alter sollten whrend und in den 3 Monaten nach der Methotrexatbehandlung kontrazeptive Manahmen ergreifen oder sexuelle Abstinenz einhalten.
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Antineoplastische Substanzen
Im Falle einer Intoxikation steht mit Kalziumfolinat (z.B. Leucovorin) ein spezifisches Antidot zur Verfgung. Dosisberechnung nach folgender Formel: Leucovorin (mg) = 10 MTX (mg/l) 0,76 Krpergewicht (kg). Die so berechnete Dosis wird bis zur nchsten Serummethotrexatspiegelbestimmung in 6stndigen Abstnden als Kurzinfusion verabreicht. Orale Folinsuredosen ber 15 mg werden nicht vollstndig resorbiert (Sttigung des Transportmechanismus). Zur Detoxifikation evtl. auch Hmodialyse oder besser Hmofiltration bzw. Kohle- oder Ionenaustauscherperfusion, orale Kohle- oder Cholestyramingabe. Enzymatischer Abbau durch Carboxypeptidase-G1 bzw. -G2. Bei intrathekalen berdosierungen (120 bzw. 625 mg wurden berichtet) Splung des ventrikulolumbalen Liquorraums mit Folinsure. Besonderheiten
Intrazellulre Aufnahme durch Endozytose (Potozytose) oder aktiven Transport (ber physiologisches Carrierprotein fr reduzierte Folate), entsprechend Resistenz bei defektem Transportmechanismus. Die intrazellulre enzymatische Polyglutamatbildung ist Voraussetzung fr eine optimale Wirkung (dementsprechend Resistenz bei verminderter Polyglutamatbildung). Deshalb ist Methotrexat auch als „Prodrug“ bezeichnet worden. Durch orale Glutaminsupplementierung hhere Methotrexatkonzentrationen im Tumorgewebe mit besserer Antitumorwirkung und gleichzeitig weniger Schleimhauttoxizitt (Enterokolitis). Erhhte Sensitivitt bei Trisomie 21 bzw. Homocysteinstoffwechselstrung. Resistenz bei verstrkter Exposition bzw. Amplifikation des Dihydrofolat-Reduktase-Gens. Erhhte MTX-Empfindlichkeit bei Patienten mit Down-Syndrom (evtl. Korrektur durch Folinsuresubstitution). DNS-Hypomethylierung ist reversibel durch MTX-Behandlung. Wirkung als Antagonist am Interleukin-1-Rezeptor. Suppression der Freisetzung von Leukotrien B4. Hemmung der Polyaminbiosynthese (der Wachstumsregulatoren Spermin und Spermidin). Bei hochdosierter Therapie sind immer Serumspiegelbestimmungen und eine spiegeladaptierte Antidotgabe („Rescue“) erforderlich, ebenfalls mu der Urin mit Bikarbonat alkalinisiert werden (evtl. auch mit Acetolamid = Diamox). Nur das l-Diastereoisomer von Folinsure ist als Antidot wirksam. Wenn man dieses Isomer in reiner Form verwendet, gengt die halbe Dosis im Vergleich zu d,l-Folinsure. Mundsplungen mit Folinsure zur Behandlung methotrexatbedingter Schleimhautulzerationen. Toxizittsminderung („Rescue“) auch mit L-Asparaginase oder Thymidin. Verlangsamter Metabolismus zu 7-OH-Methotrexat unter Einwirkung von Amsacrin. In normalen Leberzellen Hemmung des Membrantransports (Influx) durch Vinkaalkaloide (VBL, VCR, VDS) und dadurch Abnahme der
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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intrazellulren MTX-Konzentration um 70…80% (Schutz normaler Leberzellen?). Raschere Resistenzentwicklung bei Kombination mit Bestrahlung, Hydroxyharnstoff oder Cytarabin. Umgehung der Resistenz durch Blockierung der Aufnahme von exogenem Thymidin („salvage pathway“, Thymidinkinase) mit Dipyridamol. Synergismus mit 5-Fluorouracil, 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin bei vorheriger Methotrexatgabe (Anreicherung von Phosphoribosylpyrophosphat = PRPP und dadurch vermehrte Aktivierung der Purin- bzw. Pyrimidinantagonisten). Auch verstrkte Wirkung von lokal angewendetem 5-Fluorouracil. Synergismus mit 6-Mercaptopurin in malignen Lymphoblasten, aber nicht in normalen Knochenmarkzellen. Antagonismus bei simultaner Anwendung mit Cytarabin. Greres Verteilungsvolumen und grere systemische Clearance bei bergewichtigen Patienten. Verlngerte Halbwertszeit bei Rckresorption aus Ileumconduit. Verstrkte Nephrotoxizitt nach Cisplatinvorbehandlung. Unter NSAID verminderte Nierenclearance und verminderter metabolischer Abbau in der Leber. Bei Kombination mit Acetylsalicylsure verminderte Gesamt- und Nierenclearance, geringere Proteinbindung. Verlangsamte Clearance bei Mangelernhrung. Amoxillin und Mezlocillin vermindern die renale Clearance von Methotrexat durch Kompetition bei der tubulren Sekretion. Durch Omeprazol wird die Plasmaclearance von Methotrexat vermindert (Hemmung der anionenpumpenabhngigen Sekretion). Verlngerung der terminalen Halbwertszeit auf ber 200 h durch Makrolidantibiotika (z.B. Pristinamycin und evtl. auch Erythromycin). Darmschleimhautatrophie, die eine Resorptionsstrung fr andere Medikamente, z.B. 6-Mercaptopurin, bedingen kann. Verstrkte Methotrexat-Enteropathie bei Vitamin-A-Mangel. Verbesserung der Resorption durch Vitamin-A-Substitution. Unter Hochdosis-MTX abfallende Valproatspiegel (minus 25%). Intratumorale Akkumulation von MTX-Albumin-Konjugaten. Immunsupprimierend in niedrigen Dosen. Abnahme der CD4-positiven Helferzellpopulation. Pneumocystis-carinii-Infektion, Herpes simplex, Herpes zoster, Varizellenpneumonie, Listerieninfektionen, Zosterenzephalitis, Zytomegaliepneumonie, Hepatitis, Histoplasmose als Komplikationen. Kutane Kryptokokkose nach Photopherese + Methotrexat. Induktion von malignen Lymphomen, Leukmien und anderen Zweittumoren. Nach Methotrexatvorbehandlung Induktion von Hautspinaliomen durch PUVA-Behandlung. Wirkungsverstrkung durch Bestrahlung, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAID), Zytostatika und andere Medikamente: Acetylsalicylsure, Amitriptylin, Antibiotika, Azapropazon, Cisplatin, Cyclosporin, Cytarabin, Diazoxid, Dipyridamol, Epipodophyllotoxine, 5-Fluorouracil, Indometacin, Insulin, Kalziumantagonisten, Ketoprofen, N2O, 6-Mercaptopurin, 6-Thioguanin, Mezlocillin, Piperacillin, Naproxen, Nitroimidazole, Probenecid,
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Antineoplastische Substanzen
Procarbazin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Vinkaalkaloide, Vitamin-ADerivat (Etretinat), Vitamin C, Theophyllin. Verlangsamter Abbau und Verminderung der Clearance von Theophyllin. Verstrkung der Wirkung durch Induktion einer diabetischen Stoffwechsellage mit Diazoxid bzw. Glukoseinfusion. Keine ˜nderung der Pharmakokinetik von Prednison. Allpurinol-Mundsplungen zur Vermeidung der Stomatitis. Makrozytose, megaloblastre Transformation und Knochenmarkdepression mit Cotrimoxazol (Risikofaktoren: Niereninsuffizienz, Alter, Prophylaxe durch Substitution von Folsure oder Folinsure). Schwere Panzytopenie in Kombination mit Probenecid und NSAID. Transiente Enzephalopathie nach Hochdosis-Methotrexat (vaskulre Strung?). Leukoenzephalopathie nach i.v. und/oder intrathekaler Gabe, besonders bei Kombination mit ZNS-Bestrahlung. Subklinische Diagnose durch erhhte paraventrikulre Signalintensitt im ZNS insbesondere im T2-Bild bei Magnetresonanztomographie (MRT) oder durch verminderte Glukoseaufnahme bei der Positronenemissionstomographie (PET). Manchmal Besserung der Leukoenzephalopathie durch hochdosierte i.v. Leucovoringabe. Neuropathie. Schlaganfallhnliches Syndrom. Verkalkende zerebrale Mikroangiopathie. Dystrophie der Neuroachse. Transiente zerebrale Dysfunktion. Hemiparese, Krampfanflle und epileptiforme Entladungen im EEG nach mittelhoher Dosierung. Evtl. Behandlung mit Aminophyllin. Senkung der Anfallsschwelle bei Epilepsiepatienten. Hirndem. Reversible Querschnittsymptomatik nach intrathekaler Gabe. Neuropsychologische und kognitive Strungen nach intrathekaler Gabe in Kombination mit Bestrahlung im Kindesalter. Weniger ZNS-Toxizitt, wenn Methotrexat vor einer Bestrahlung verabreicht wird. Schlaffe Paraplegie nach versehentlicher subarachnoidaler Injektion (in Kombination mit Cytarabin). Axondegeneration und Myelinverlust nach versehentlicher Infusion von 48 mg in das Parenchym der Basalganglien des Gehirns. Fatale Myeloenzephalopathie nach intrathekaler Gabe in Kombination mit Cytarabin. Aszendierende Myelitis nach intrathekaler Gabe in Kombination mit Bestrahlung, Cytarabin und Hydrokortison. Leukoenzephalopathie und Hirnnekrose nach Applikation in das Hirnparenchym durch den dislozierten Katheter eines Ommaya-Reservoirs. Tumorlysesyndrom nach intrathekaler Gabe. Verminderte Synthese von Neurotransmittern (Homovanillinsure, 5-OH-Indolessigsure) durch Hemmung der Dihydropteridinreduktase und dadurch auch der tetrahydropteridinabhngigen Phenylalaninhydroxylase, was insbesondere bei der hochdosierten Therapie mit Methotrexat zur Hyperphenylalaninmie fhren kann. Akute/chronische (interstitielle), auch versptet auftretende Pneumonitis mit vermehrten CD4-Lymphozyten in der bronchoalveolren Lavage und guter Prognose nach Kortikosteroidbehandlung. Verstrkung der bleomycininduzierten Lungentoxizitt und anderer vorbestehender Lungen-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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erkrankungen. Zytomegaliepneumonie. Pneumocystispneumonie. Akute Hepatitis. Hepatitis-Reaktivierung. Fulminantes Leberversagen. Leberfibrose, -zirrhose (Diagnostik durch Biopsie oder dynamische Leberszintigraphie, alters- und dosisabhngig, vermindertes Risiko durch Substitution von Folsure bzw. Folinsure). Frhdiagnose der Leberfibrose durch Anstieg von Typ-III-Prokollagen-Aminopeptid im Serum. Hheres Risiko der Hepatotoxizitt bei chronischer Anwendung und hherer Gesamtdosis sowie durch Alkohol. Die Angaben ber den kausalen Zusammenhang zwischen Leberfibrose und Methotrexat sind jedoch nicht unumstritten. Hepatozellulres Karzinom in methotrexatinduzierter Zirrhose. Venookklusive Erkrankung der Leber (VOD) bei GvH-Prophylaxe nach Knochenmarktransplantation. Ausscheidung von N-Acetyl-b-D-Glukosaminidase im Urin als frher Marker einer tubulren Schdigung. Bullse Dermatose, epidermale Nekrolyse (Lyell-Syndrom), Steven-Johnson-Syndrom (Ectodermosis pluriorificialis), Induktion einer Porphyria cutanea tarda. Onycholyse. Hautreaktion besonders an Handflchen und Fusohlen (Hand-Fu-Syndrom). Sonnenbrandreaktivierung („Recall“). Hautnekrose mit Amiodaron. Fieber. Augenbrennen. Vaskulitis. Ventrikulre Extrasystolen. Ventrikulre Tachykardie bei Belastung. Asthma. Allergie. Panzytopenie durch Idiosynkrasie. Anaphylaktoide Reaktion mit Gesichtsdem, Dyspnoe, kardiovaskulrem Kollaps (evtl. IgE-bedingt). Perikarditis mit Perikardergu, Polyserositis. Enterokolitis (Verminderung des Risikos durch polypeptidsupplementierte Dit, Behandlung mit Bombesin). Gynkomastie. Peyronie-Krankheit (Induratio penis plastica). Impotenz. Blasenkarzinom. Akute diffuse Muskelschmerzen. Gynkomastie. Osteopathie. Urtikaria. Panzytopenie (mit Eosinophilie). Maligne Lymphome nach immunsuppressiver Behandlung (z.T. Epstein-Barr-Virus-assoziiert, teilweise mit spontaner Regression). Anhaltender Husten. Hyperkalzmie. Nekrotisierende Myelopathie nach intrathekaler Gabe. Nagelfalzvaskulitis, isolierte Thrombozytopenie. Myokardischmie in Kombination mit Etoposid und Cisplatin. Immunhmolytische Anmie. Bei lngerfristiger niedrigdosierter Anwendung Abnahme der glomerulren Filtration (minus 10…20%) und tubulre Funktionsstrung (insbesondere in Kombination mit Acetylsalicylsure) sowie Induktion einer Osteopathie (Osteoporose) durch Hemmung der Osteoblasten. Exazerbation einer rheumatoiden Arthritis bei Kombination mit Folinsure. Reaktion im Zusammenhang mit Erythrozytentransfusionen. Anstieg des Serumeisens durch Hemmung der Erythropoese. Strung der Thrombozytenfunktion. Hemmung der Granulozytenchemotaxis. Strung der Liquorproteinbestimmung. Behandlung ektoper Schwangerschaften (intratubale Injektion bei Tubargraviditt). Methotrexat (i.m. oder oral oder lokale Instillation bei ektoper
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Antineoplastische Substanzen
Schwangerschaft) + Misoprostol (vaginal) als Abortivum in der Frhschwangerschaft. Therapie von rheumatoider Arthritis, M. Still, Asthma bronchiale, Sklerodermie, Polymyositis, Vaskulitis, Psoriasis, Sarkoidose, Pemphigus bullosus, multipler Sklerose, idiopathischer granulomatser Hepatitis, Graft-versus-Host-Krankheit und -Prophylaxe, idiopathischer retroperitonealer Fibrose, Amyloidose, Immunsuppression bei Organtransplantationen, Pyoderma gangraenosum, Bronchiolitis obliterans, Wegener-Granulomatose, M. Crohn, steroidresistenten chronischen Augenerkrankungen (Uveitis, Skleritis u.a.), Takayasu-Krankheit, Lupus erythematodes, primrer bilirer Zirrhose evtl. in Kombination mit Urodeoxycholsure, primr sklerosierender Cholangitis. Behandlung des Interleukin-2-induzierten pulmonalen „Leakage“-Syndroms mit niedrigen Dosen MTX. Multiple kongenitale Anomalien bei einem Kind nach niedrigdosiertem MTX im 1. Trimester der Schwangerschaft. Intraarterielle Anwendung bei ZNS-Lymphomen (Aufbrechen der BlutHirn-Schranke durch vorherige Perfusion mit Mannitol). Intramuskulre oder subkutane Gabe mglich. Einmischen in Knochenzement bei der Behandlung von Knochenmetastasen. Bei oraler Gabe bessere Resorption bei Nchternheit. Intratumorale Anwendung bei Glioblastom. Intralsionale Gabe bei Keratoakanthomen. Prophylaxe und Therapie von GvH-Reaktionen und Abstoungskrisen im Rahmen von Organtransplantationen. Monitoring der Therapie und der Compliance durch Bestimmung von Methotrexat(polyglutamaten) in Erythrozyten. Stabilitt in Lsung bei Raumtemperatur im Dunkeln 7…42 Tage. Inaktivierung durch chlorhaltige Desinfizienzien (Natriumhypochlorit, Dichlorisocyanurat), nicht durch Thiosulfat. Nachweis von MTX im Urin von Arbeitern in Herstellungsbetrieben.
Miltefosin (MIL) (Hexadecylphosphocholin; HPC, He-PC)
Pharmakologie
˜therlipid mit Strukturhnlichkeit zu physiologischen Membranphospholipiden. Durch Einbau als „falscher“ Membranbestandteil kommt es zur Strung der Membranfunktion und zur Desintegration der Membranstabi-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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litt. Hemmung der Proteinkinase C. Modulation des Phosphoinositolstoffwechsels. Diese Wirkungen scheinen bei Tumorzellen ausgeprgter zu sein als bei normalen Zellen (z.B. Knochenmark). Auch tumorzelldifferenzierende und antiinvasive Mechanismen werden diskutiert. Bei bestimmungsgemer lokaler Anwendung knnen im Blut keine Wirkspiegel nachgewiesen werden. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet bzw. in die Muttermilch bertritt. Zulassung
Lokale Anwendung bei kleinknotigen, karzinomatsen, intrakutanen Metastasen eines Mammakarzinoms, wenn die Mglichkeiten der Operation, Hormontherapie oder Chemotherapie und/oder der Bestrahlung keinen Erfolg zeigen. Grer ausgedehnte flache lymphangitische Infiltrationen knnen auch lokal mit Miltefosin behandelt werden. Nicht sinnvoll ist der Einsatz bei tiefreichenden Haut-/Weichteilmetastasen. Dosierung
Die Lsung wird 2mal tglich auf den befallenen Hautbereich aufgetragen (Verwendung von Schutzhandschuhen; maximal 5 ml pro Tag). Nebenwirkungen
Bei lokaler Anwendung Juckreiz, Hautrtung, Hauttrockenheit, Hautschuppung, schmerzhaftes Brennen im Bereich offener, nssender Stellen. Systemische Nebenwirkungen sind bei bestimmungsgemer lokaler Anwendung nicht bekannt. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Die Kombination mit einer laufenden Hormon- oder zytostatischen Chemotherapie ist mglich. Eine gleichzeitige Bestrahlung sollte nicht erfolgen. berdosierung kann zu verstrkter Hautreaktion mit Atrophie und Ulzeration und/oder Nekrose fhren. Da von einem mutagenen Potential von Miltefosin ausgegangen werden mu, soll whrend und mindestens 6 Monate nach Beendigung der Therapie mit Miltefosin durch kontrazeptive Manahmen eine Schwangerschaft verhindert werden. Besonderheiten
Nach mehrwchiger oraler Gabe reversible Vernderungen am Pigmentepithel der Retina (aus Sicherheitsgrnden werden auch bei lokaler Anwendung in halbjhrigen Abstnden ophthalmoskopische Untersuchungen
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Antineoplastische Substanzen
mit Bestimmung des Visus empfohlen). Die orale Gabe zur systemischen Behandlung von soliden Tumoren (z.B. Mammakarzinome, Bronchialkarzinome, Kopf-Hals-Tumoren, Weichteilsarkome) erwies sich berhaupt nicht oder nur marginal effektiv. Bei Leukmiezellen in vitro differenzierungsinduzierende Effekte hnlich wie Phorbolester. Induktion der Transkription der Gene fr GM-CSF- und IL-2-Rezeptoren, Suppression von c-myc. Im Tierversuch verstrkte zytostatische Wirkung von Cyclophosphamid und raschere Erholung der Knochenmarkfunktion durch Miltefosin. Anwendung auch bei kutaner Infiltration durch maligne Lymphome (T-Zell-Lymphome). Haltbarkeit im original verschlossenen Behltnis 2 Jahre, nach Anbruch des Behltnisses 4 Wochen.
Mitomycin C (MMC)
Pharmakologie
Alkylierung. Induktion von Apoptose. Aktivierung in praktisch allen Geweben durch Reduktion ber das Cytochrom-P450-Enzymsystem (Xanthindehydrogenase, NADH-Cytochrom-B5-Reduktase) und andere Reduktasen bzw. nichtenzymatisch durch Sure- oder Basenkatalyse zum Chinon, bevorzugt unter anaeroben Bedingungen („bioreduktive Alkylierung“). Der erste bioreduktive Metabolit ist 2,7-Diaminomitosen (2,7-DM) und der zweite ist 10-Decarbamoyl-2,7-DM (DC 2,7-DM). Es besteht eine grere Sensitivitt hypoxischer, azidotischer Zellpopulationen (im Gegensatz zu den meisten anderen Zytostatika oder Bestrahlung). Rasche Elimination aus dem Plasma (anfngliche Halbwertszeit ca. 5 min). Clearance aus dem Tumorgewebe mit einer Halbwertszeit zwischen 5 und 35 min fr 2,7-DM (je nach gegebener Dosis) und 130 min fr DC 2,7-DM. Ausscheidung ber die Galle und Rckresorption im enterohepatischen Kreislauf. Nur geringe Ausscheidung ber die Nieren (15%). Bei bis zu 60 mg/m2 KOF dosisunabhngige terminale Plasmahalbwertszeit ca. 1h. Penetration in dritte Verteilungsrume (Pleuraergu, Aszites). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Zulassung
Blasentumoren, Magenkarzinom, Bronchialkarzinom, Pankreaskarzinom, Kolon-Rektum-Karzinom, Mammakarzinom, Leberzellkarzinom, Karzinome im Kopf- und Halsbereich, chronische myeloische Leukmie, Osteosarkom, Zervixkarzinom, sophaguskarzinom. Dosierung
Intravens 10(…20) mg/m2 KOF einmal alle 4…6(…8) Wochen. Intraarteriell 10(…15) mg/m2 KOF. Intravesikal 20…60 mg (1 mg/ml) bis zu 20 Instillationen. Nebenwirkungen
Myelosuppression, Leber-, Nieren- und Lungenschden, Appetitlosigkeit, Erbrechen, sehr selten Alopezie, Nekrosen bei paravenser Injektion (Behandlung mit DMSO). In Einzelfllen hmolytisch-urmisches Syndrom (durch Endothelschdigung), Pneumonitis. Intravesikale Anwendung: Blasenentzndung, Miktionsbeschwerden, Hautexantheme, Allergie. Hinweise fu¨r den Umgang
Zur Prophylaxe der Pneumonitis und der hmolytisch-urmischen Syndrome wird vor jeder Mitomycingabe die i.v. Applikation eines Kortikosteroids empfohlen (z.B. 100…250 mg Prednison). Bei paravenser Injektion Gefahr von Nekrosen. Verstrkung der Knochenmarktoxizitt durch Vitamin B2, B6, B12, C, K1, Orotsure, Cystein, Natriumdithionit. Bronchospasmus in Kombination mit Vinkaalkaloiden. Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Patienten im geschlechtsreifen Alter mssen whrend der Chemotherapie und bis zu 3 Monate danach kontrazeptive Manahmen ergreifen oder sexuelle Abstinenz einhalten. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist evtl. sinnvoll. Besonderheiten
Hmolytisch-urmisches Syndrom (HUS; Behandlungsmglichkeit mit Immunadsorption). Ein HUS kann auch erst mehrere Wochen nach Ende der Mitomycinbehandlung manifest werden. Verstrkte Apoptoseinduktion bei simultaner Anwendung mit einem synthetischen Flavon (Flavopiridol). In Kombination mit Tamoxifen hheres Risiko fr Anmie, Thrombozytopenie und HUS. Mikroangiopathische hmolytische Anmie, deren Behandlung mit Vincristin. Lungenschdigung, Bronchospasmus in
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Antineoplastische Substanzen
Kombination mit Vinkaalkaloiden und Podophyllotoxinen, interstitielle Pneumonitis, deren Behandlung mit Glukokortikoiden. Kardiotoxizitt. Hypersensitivittsreaktion vom Spttyp. Die Pneumonitis kann nach anfnglichem Ansprechen auf Kortikosteroide chronisch progredient werden (40% der Flle). Synergismus mit Cisplatin. Wirkungsverstrkung durch Bestrahlung, Hyperthermie, Ansamycinantibiotika (Mycotriene). Verstrkung der Wirkung durch Glutathionmangel (z.B. durch Buthioninsulfoximin = BSO oder Ethacrynsure). Resistenz bei ungengender enzymatischer Aktivierung bei Mangel an DT-Diaphorase. Dieses Enzym wird durch Dicumarol gehemmt. Induktion einer Multidrugresistenz (MDR; Modulation durch Ciclosporin A, Verapamil oder Progesteron). Bei Hunden weniger ausgeprgte Thrombozytopenie nach Vorbehandlung mit Deoxyspergualin. Bessere Aktivierung bei fettreicher Ernhrung (Induktion Mitomycin-aktivierender Enzymsysteme). Intraarterielle, intraportale, intrapleurale, intraperitoneale (auch mit Hyperthermie oder adsorbiert an Aktivkohlepartikel), intraperikardiale oder intralsionale (z.B. Lebermetastasen) Applikation. Strkemikrosphren als Trger mglich. Schnelle Aufnahme ins Gewebe nach lokaler Anwendung. Kalkherde in der Leber nach Perfusion in Kombination mit Adriamycin und 5-Fluorouracil. Konjugation mit monoklonalen Antikrpern. Iritis, Skleren- und Korneaulkus, Kalzifikation nach Anwendung am Auge (nach Glaukom- oder Pterygiumoperation). Systemische allergische bzw. Kontaktdermatitis nach intravesikaler Instillation. Hemmung der Bildung von Trnenflssigkeit mit Kornea- und Konjunktivaulzera nach hochdosierter systemischer Anwendung. Verstrkung der Effekte einer photodynamischen Therapie mit verlangsamter Heilungstendenz. Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur 6…48 h.
Mitotane (o’p’-Dichlordiphenyldichlora¨than; o’,p’-DDD)
Pharmakologie
Chemisch verwandt mit dem Insektizid DDT (p,p’-Dichlordiphenyltrichlorthan). Direkter zytotoxischer Effekt auf die Mitochondrien der Zellen der
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Nebennierenrinde mit folgender Degeneration der Zona fascicularis und reticularis. Verminderung der Steroidbiosynthese (Hemmung der 11und 18-Hydroxylasen, evtl. auch als Folge der Hemmung der Glukose-6Phosphat-Dehydrogenase oder einer Strung der Bildung und Utilisation von energiereichen Pyrimidinnukleosidtriphosphaten). Nach oraler Gabe werden nur ca. 40% resorbiert. Spitzenspiegel im Serum nach 3…5 h, Steady-state-Spiegel von 15…20 mg/l nach 12 h. Speicherung im Gewebe 20…30%, insbesondere im Fett. Terminale Plasmahalbwertszeit 55…60 Tage. Ausscheidung von 19…25% der verabreichten Dosis als Metaboliten im Urin. Chemisch verwandt mit dem Insektizid DDT (p,p’-Dichlordiphenyltrichlorthan). Direkter zytotoxischer Effekt auf die Mitochondrien der Zellen der Nebennierenrinde mit folgender Degeneration der Zona fascicularis und reticularis. Verminderung der Steroidbiosynthese (Hemmung der 11- und 18-Hydroxylasen, evtl. auch als Folge der Hemmung der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase oder einer Strung der Bildung und Utilisation von energiereichen Pyrimidinnukleosidtriphosphaten). Nach oraler Gabe werden nur ca. 40% resorbiert. Spitzenspiegel im Serum nach 3…5 h, Steady-state-Spiegel von 15…20 mg/l nach 12 h. Speicherung im Gewebe 20…30%, insbesondere im Fett. Terminale Plasmahalbwertszeit 55…60 Tage. Ausscheidung von 19…25% der verabreichten Dosis als Metaboliten im Urin. Zulassung
Nebennierenrindenkarzinome. Dosierung
4…6(…10) g tglich p.o. (evtl. einschleichender Beginn mit 1,5 g pro Tag), verteilt auf mehrere Dosen. Nebenwirkungen
Hufig: Appetitlosigkeit, belkeit, Erbrechen, Diarrh. Hepatotoxizitt mit Anstieg der alkalischen Phosphatase, c-GT, SGOT, SGPT im Serum. Gynkomastie bei Mnnern. Neuropsychologische (Lethargie, Somnolenz, Depression, Verwirrtheit, Schwindel, Ataxie, Artikulationsstrungen) und neurologische (Muskeltremor) Nebenwirkungen. Kopfschmerzen. Hautausschlag. Schwche. Selten verschwommenes Sehen, Doppelbilder, Katarakt, Retinopathie, Hmaturie, Zystitis, Albuminurie, Hypertonie, orthostatische Hypotonie, Flush, Fieber, Schmerzen. Libidoverlust. Sekundre Hyperlipidmie (Hypercholesterinmie). Hypourikmie. Anstieg von kortikosteroidund sexualhormonbindenden Globulinen im Serum.
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Antineoplastische Substanzen
Hinweise fu¨r den Gebrauch
Die verminderte Glukokortikoid- und Mineralokortikoidsynthese macht bei lnger dauernder Mitotanetherapie eine entsprechende Substitution erforderlich: z.B. Hydrokortison 30…40 mg tglich p.o. und Fludrokortison 0,1…0,2 mg tglich p.o. Besonderheiten
Nur ca. die Hlfte der behandelten Patienten erreichen die therapeutische wirksamen Spiegel von mehr als 14 mg/l Serum. Wenn diese Spiegel nicht erreicht werden, sollte bei diesen Patienten das Medikament nicht gegeben weden. Eine Resorption ist auch bei rektaler Anwendung mglich. Bei Langzeittherapie Abfall der Thyroxin(T4)-Spiegel und Verlngerung der Blutungszeit. Auslsung einer Porphyrie. Aufhebung der durch MDR-1 (P-170-Glykoprotein) induzierten Zytostatikaresistenz. Komplette Remission eines vom Hoden ausgehenden malignen LeydigZell-Tumors. Behandlung eines hypothalamisch-hypophysren CushingSyndroms.
Mitoxantron (MITOX, MIX) (Dihydroxyanthracendionderivat)
Pharmakologie
Interkalation mit der DNS und als Folge Hemmung der DNS- und RNS-Synthese. Blockierung der Zellen in der G2-Phase. Hemmung der Topoisomerase-II. Induktion von Apoptose. Radikalbildung. Hemmung der Angiogenese. Aktivierung durch Biotransformation im Cytochrom-P-450-abhngigen mischfunktionellen Oxidasesystem (Oxidation am Anthrachinonring zu 1,4-Dihydroxy-5,8-diaminoanthrachinon). Rasche Elimination aus dem Plasma und starke Bindung an praktisch alle Gewebe. Hchste Anreicherung in Leber, Schilddrse, Herz, Knochenmark, Milz, Lunge und Nieren, am wenigsten im Gehirn. Nur langsame Wiederfreisetzung. Nachweisbarkeit in den Geweben bis zu 35 Tagen nach Applikation. Metabolismus
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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in der Leber zu Mono- und Dicarbonsure. Koppelung an Glutathion bzw. Glukuronidierung. Hauptschlich Elimination ber die Galle und wenig ber die Nieren (2…7%, glomerulre Filtration und tubulre Rckresorption). Verteilungsvolumen 5,037 2,377 l, Gesamtclearance 743 462 ml/min, renale Clearance 19 8 ml/min. Terminale Plasmahalbwertszeit der Muttersubstanz 71 40h, der Metaboliten bis zu 9 Tagen, signifikant verlngert bei schwerer Leberfunktionsstrung und dritten Verteilungsrumen (Pleuraergu, Aszites; dort Retention durch Bindung an Albumin). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet. Die Substanz geht in die Muttermilch ber und ist fr mindestens 28 Tage nach der Infusion nachweisbar. Zulassung
Mammakarzinom, Non-Hodgkin-Lymphome, akute Leukmie, Leberzellkarzinom, Ovarialkarzinom, Prostatakarzinom, Blastenschub der chronischen myeloischen Leukmie, hepatozellulres Karzinom. Dosierung
Intravens 8…12 mg/m2 KOF tglich fr Tag 1…5 alle 3 Wochen bei Leukmien, 10…14 mg/m2 KOF einmal alle 3…4 Wochen bei anderen Indikationen. Intrapleural oder intraperitoneal 20…40 mg/m2 KOF. Intraperikardial 10…20 mg pro Dosis. Nebenwirkungen
Haarausfall (selten). Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie. Strungen der Spermatogenese und der Ovulation. Akute Arrhythmien, Kardiomyopathie (vermehrt bei Hochdosistherapie, in Kombination mit Cyclophosphamid, nach herznaher Bestrahlung, auch dosisunabhngige Sptmanifestation, evtl. Protektion durch den Chelatbildner ICRF-187 (= Dexrazoxan, siehe bei Doxorubicin), wobei die Antitumorwirkung erhalten bleibt). Intimareizungen (Einzelflle). Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression. Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Hypererge Reaktionen, in Einzelfllen Anaphylaxie. Hautnekrosen nach Paravasat in Einzelfllen. Vereinzelt passagere Vernderung von Laborparametern (Leberenzyme, Kreatinin, Harnstoff). Blaugrne Verfrbung des Urins. Blaufrbung der Skleren. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Kumulative Hchstdosis 200 mg/m2 KOF (ab 140…160 mg/m2 KOF regelmige berwachung der Herzfunktion). Nicht mit Heparin oder anderen Medikamenten in einer Infusion mischen (Ausfllung).
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Antineoplastische Substanzen
Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Patienten im geschlechtsreifen Alter sollte whrend und bis zu 3 Monaten nach Beendigung der Chemotherapie zu kontrazeptiven Manahmen bzw. zur Abstinenz geraten werden. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Dialyse bzw. Hmoperfusion sind ineffektiv. Nach versehentlicher berdosierung (100 mg/m2 KOF) reversible Verminderung der kardialen Kontraktilitt. Reinigung kontaminierter Gegenstnde mit Kalziumhypochloritlsung. Besonderheiten
Kardiotoxizitt geringer im Vergleich zu Doxorubicin, erhht bei mit Anthrazyklinen vorbehandelten Patienten. Mitoxantroninduzierte Bradykardie. Selektiver Ausfall weier/grauer Haare. Induktion einer Amenorrh. Hemmung der Thrombozytenaggregation und der Prostaglandin-E2-Synthese. Allergische Reaktion. Interstitielle Pneumonitis. Tumorlysesyndrom. Reversible Augenmuskellhmung und zerebellre Dysfunktion in Kombination mit Cytarabin. Photosensibilisierung. Warnung vor intrathekaler Anwendung. Sekundre Leukmien und myelodysplastische Syndrome. Nervenschdigung nach lokoregionaler intraarterieller Therapie. Synergismus mit Cytarabin. Wirkungsverstrkung bzw. Umgehung der MDR durch trizyklische Antidepressiva, Diazepam, Verapamil, Amiodaron, Chinin, Hyperthermie, Azidose. Verminderung des Topoisomerase-IIHemmefekts durch Coffein. Verminderte intrazellulre Aufnahme bei saurem Milieu (pH 6,5). Antagonisierung der zytotoxischen Aktivitt durch monoklonale Antimitoxantronantikrper, dadurch Mglichkeit zur raschen Elimination z.B. nach hochdosierter Anwendung vor Knochenmarktransplantation, evtl. auch bei Intoxikation. Mglichkeit der Konstruktion spezifischer Mitoxantron-beladener Antikrper fr gezielte Applikationen. Dosisreduktion bei erhhtem Serumbilirubin. Fulminantes Leberversagen in Kombination mit hochdosiertem Cytarabin. Bei Hmodialysepatienten hnliche Pharmakokinetik wie bei Nierengesunden, deshalb ist bei Hmodialysepatienten keine Dosisreduktion erforderlich. Bis zur Gabe von 90 mg/m2 KOF dosisunabhngige Pharmakokinetik: Verteilungsvolumen 486 254 l/m2 KOF, Gesamtclearance 320 100 ml/h m2 KOF. Im Vergleich zum Plasma intrazellulr deutlich lngere Verweildauer (AUC in peripheren weien Blutzellen 100mal grer). Intrapleurale/intraperitoneale/intraperikardiale/intravesikale Anwendung. Isolierte hypertherme Extremittenperfusion. Arterielle Perfusion. Vorbergehendes Linksherzversagen nach intrapleuraler Instillation. Immunsuppressive Be-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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handlung einer experimentellen allergischen Enzephalomyelitis und der multiplen Sklerose (auch in Kombination mit Cyclophosphamid). 14 Tage Dauerinfusion mit maximal tolerabler Dosis von 1,25 mg/m2 Tag. Stabilitt im Vollblut bei 0 C 3…6 h, im Plasma mindestens 24 h. Stabilitt in Pumpen zur Dauerinfusion bei 4 C und bei 37 C jeweils fr mindestens 14 Tage. Stabilitt der Gebrauchslsung 28 Tage bei 20 C.
Nimustin-HCl (Aminomethylpyrimidylmethylchlora¨thylnitrosourea; ACNU)
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Pharmakologie
Alkylierung, Induktion von Apoptose. Carbamoylierung. Spaltung in den Pyrimidylrest und den alkylierenden Chlorthylrest. Hemmung der DNS-Synthese. Akkumulation der Zellen in der S- und G2/M-Phase. Wahrscheinlich keine Kreuzresistenz mit anderen Nitrosoharnstoffen oder anderen Alkylanzien. Lipid- und wasserlslich. Verteilt sich rasch im Krper. Schwache Bindung an Plasmaproteine. Anreicherung in Leber, Thymus, Haut, Nieren, Tumoren. berschreitet die Blut-Hirn-Schranke. Nach Metabolisierung durch mikrosomale Enzyme in der Leber Elimination hauptschlich ber die Nieren. Terminale Plasmahalbwertszeit 0,6 h. Die Substanz berschreitet die Plazentaschranke. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Maligne Gliome, Hirnmetastasen, insbesondere bei zugrundeliegenden kleinzelligen Bronchialkarzinomen als Primrtumor, kleinzelliges Bronchialkarzinom, kolorektale Karzinome, lokalisiertes, nicht resezierbares Magenkarzinom, chronische myeloische Leukmie, M. Hodgkin, NonHodgkin-Lymphome. Dosierung
Intravens 2…3 mg/kg KG (90…100 mg/m2 KOF) einmal alle 6 Wochen.
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Antineoplastische Substanzen
Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Stomatitis, Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Nierenschden und Schden der ableitenden Harnwege, Haut- und Schleimhautentzndungen (Dermatitis, Stomatitis) Immunsuppression. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Bei Patienten im geschlechtsreifen Alter sind whrend und bis mindestens 3 Monate nach Beendigung der Nimustintherapie empfngnisverhtende Manahmen vorzunehmen. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Siehe auch bei Carmustin (BCNU). Schwere Knochenmarkdepression bei 7% der Patienten und geringer Transaminasenanstieg bei 50% der Patienten. Therapieintervalle 6 Wochen wegen verzgerter Knochenmarktoxizitt (Nadir nach 2…5 Wochen). Verminderung der Knochenmarktoxizitt durch Begleitmedikation mit Phenobarbital. Additiver, fraglich synergistischer Effekt mit Ifosfamid. In gegen Nimustin resistenten Zellen Verstrkung der Wirkung von L-Asparaginase (durch verminderte Aktivitt der Asparaginsynthase werden die Zellen vom exogenen Asparagin abhngig, deshalb deutliche zytostatische Wirkung durch extrazellulren Asparaginabbau mittels L-Asparaginase). Resistenz durch verminderte zellulre Aufnahme oder bei erhhten Glutathionspiegeln. Keine Kreuzresistenz mit anderen Alkylanzien. Kreuzresistenz mit Doxorubicin, Vinblastin, Etoposid. Intrathekale bzw. intraarterielle Anwendung mglich. Degeneration des N. opticus nach intraarterieller Gabe in Kombination mit Cisplatin. Hirnnekrose nach intraarterieller Gabe bei Hirntumoren (in Kombination mit Bestrahlung). Leukenzephalopathie nach intraarterieller Perfusion zur Behandlung von Glioblastomen.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Oxaliplatin (L-OGP)
Pharmakologie
Diaminocyclohexan-Platin-Derivat (Trans-L-1-Diamminocyclohexan-Oxalato-Platin(II) = DACH-Pt). Rasche Bindung an die DNS innerhalb von 15 Minuten. Bildung von DNS-Crosslinks, die stabiler sind als die mit Cisplatin. Im Gegensatz zu Cisplatin werden DNS-Oxaliplatin-Addukte nicht von DNS-Mismatch-Reparatur-Komplexen erkannt. Dadurch kommt es zu einer effektiveren Hemmung der Replikation und der Transkription. In Zellkulturen keine Kreuzresistenz gegenber Cisplatin. Halbwertszeit des Gesamtplatins 9 Tage. Residuelle Platinspiegel sind im Plasma nach 22 Tagen noch nachweisbar. Bei wiederholter Anwendung keine ˜nderung der Plasma-Pharmakokinetik und im Gegensatz zu Cisplatin keine Akkumulation im Plasma, jedoch Platin-Akkumulation in Erythrozyten. Zulassung
Metastasiertes kolorektales Karzinom. Zustzliche Wirksamkeit bei zahlreichen anderen cisplatinsensiblen Erkrankungen. Dosierung
85(…100) mg/m2 KOF als 2-h-Infusion Tag 1 alle 2 Wochen oder 20 mg/m2 KOF Tag 1…5 alle 3 Wochen jeweils in Kombination mit 5-Fluorouracil + Folinsure. 130 mg/m2 KOF als 2-h-Infusion Tag 1 alle 3 Wochen als Monotherapie. Nebenwirkungen
Neurotoxizitt (periphere Neuropathie, kumulativ und dosislimitierend, z.T. schon einige Stunden nach der ersten Applikation auftretend, meist Besserung der Symptomatik 3…6 Monate nach Therapieende), Parsthesien, Klteempfinden, Dyssthesie in Larynx/Pharynx mit Atem- und Schluckbeschwerden. Geringe Knochenmarksuppression (Granulozytopenie). belkeit/Erbrechen (gering). Diarrh. Schleimhauttoxizitt (z.T. dosislimitierend in Kombination mit 5-Fluorouracil). Selten allergische Reaktionen.
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Antineoplastische Substanzen
Bemerkungen
Im Vergleich zu Cisplatin keine signifikante Nephrotoxizitt und daher ohne zustzliche Hydratation anwendbar. Keine Ototoxizitt. Kein Haarverlust. Durch zirkadian angepate zeitliche Verabreichung in Kombination mit 5-Fluorouracil Folinsure (Chronomodulation) Wirkungsverstrkung (Synergismus) und Verminderung der Toxizitt. Evtl. auch wirksam bei Pankreaskarzinomen.
Paclitaxel
Pharmakologie
Wirkstoff aus der Rinde der nordamerikanischen Eibe (Taxus brevifolia). Halbsynthetische Herstellung unter Verwendung der Ausgangssubstanz 10-Deacetylbaccatin aus den Blttern von Taxus baccata. Antimikrotubulre Wirkung: Strung der strukturellen Reorganisation der intrazellulren Mikrotubuli, dadurch, da deren Depolymerisation verhindert und die Aggregation freier Tubulieinheiten gefrdert wird. Es kommt zur Akkumulation sehr stabiler, funktionsgestrter Tubuli. Durch die Strung im Bereich der Mikrotubuli kann sich auch der Spindelapparat nicht ausbilden und eine regelrechte Mitose nicht ablaufen. Es kommt zur Akkumulation der Zellen in der G2/M-Phase und damit nicht mehr zum bertritt in die G1-Phase. Induktion von Apoptose (z.T. p53-unabhngig). Nach intravenser Verabreichung liegt das Verteilungsvolumen zwischen 68 und 162 l/m2 KOF. Minimaler Plasmawirkspiegel 0,1lmol/l. Starke Plasmaeiweibindung (90 bis 95%) und Gewebebindung. Keine Liquorgngigkeit. Die Gesamtkrperclearance betrgt 5,2…30,2 l/h m2 KOF. Elimimation in 2 (3?) Phasen mit Plasmahalbwertszeiten von (0,2 h) 1,9 h, 20,7 h. Nur geringe renale Elimination (< 10%). Wahrscheinlich hepatischer Metabolismus ber mischfunktionelle Cytochrom-P450-abhngige Oxidasen und bilire Ausscheidung hydroxylierter Metaboliten. Das als Detergens verwendete polytho-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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xylierte Rizinusl (Cremophor EL) trgt wahrscheinlich mit zur Wirkung bei, indem es den Eintritt von Zellen in die Mitosephase blockiert bzw. die Aktivitt des P170-Glykoproteins bei „multiple drug resistance“ (MDR) hemmt. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Ovarialkarzinom, Mammakarzinom, nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom. Zustzlich z.B. wirksam bei Harnblasenkarzinom, Hodenkarzinom, Kopf-Hals-Karzinom, sophaguskarzinom, Magenkarzinom, Pankreaskarzinom, Prostatakarzinom (s. entsprechende Kap. Bd. 2). Dosierung
Intravens als 3-h-Infusion 135…175(…250) mg/m2 KOF einmal alle 3 Wochen oder 80(…100) mg/m2 KOF wchentlich als 1-h-Infusion. Nebenwirkungen
Dosislimitierende Knochenmarksuppression (nicht kumulative Neutropenie, weniger Thrombozytopenie und Anmie) und neuromuskulre Toxizitt. Hypersensitivittsreaktionen (Hypotonie, Angiodem, Bronchospasmus, generalisierte Utikaria), Prophylaxe durch 3(…24)stndige Infusionsdauer (Applikation ber ein 20- bis 22-lm-Partikelfilter) sowie obligate Prmedikation mit Dexamethason 20 mg p.o. 12 und 6 h (oder 40 mg i.v. 30 min vor Paclitaxel), Clemastin 2 mg i.v. 30 min bzw. Diphenhydramin 50 mg i.v. 30 min und Cimetidin 300 mg i.v. 30 min bzw. Ranitidin 50 mg i.v. 30 min jeweils vor Beginn der Paclitaxelgabe. Die Hypersensitivittsreaktionen sind mglicherweise auch auf das begleitende Cremophor EL zurckzufhren. Sie knnen auch verzgert auftreten. Kardiovaskulre Ereignisse (Hypertonie, Sinusbradykardie, Tachykardie, Thrombophlebitis, AV-Block, Schenkelblock, Synkope, Hypotonie, Koronarstenose, Bigeminus). Meist leichte bis mige (aber kumulative), dosisabhngige (bei hoher Dosis dosislimitierende), reversible periphere Neuropathie mit Parsthesien. Autonome Neuropathie. Geschmacksstrungen. Kopfschmerzen. Krampfanflle. Arthralgien, Myalgien, Myopathie. Alopezie (z.T. auch Verlust der Sekundrbehaarung bzw. der Augenbrauen und Augenwimpern). Mdigkeit. belkeit, Erbrechen. Diarrh. Mukositis. Anorexie. Obstipation. Selten intestinale Obstruktion, Erhhung von GOT, alkalischer Phosphatase oder Bilirubin. Periphere deme. Reaktionen an der Injektionsstelle (Venenreizung; Zellulitis, Verhrtung, Braunfrbung und Weichgewebsschdigung nach Extravasat, selten auch mit Ulzerationen). Nach Extravasat Aspiration und Khlung. Extravasate knnen am Anfang relativ
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Antineoplastische Substanzen
unauffllig und schmerzlos sein. Durch Cremophor EL kann es zu Vernderungen der Blutfettwerte (Anstieg der Triglyzeride) und Beeintrchtigung der Blutrheologie kommen. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Keine Verwendung von Polyvinylchloridmaterialien, da das Cremophor aus diesen den Weichmacher (Dithylhexylphthalat) herauslsen kann. Verminderte Gesamtkrperclearance, wenn Paclitaxel nach Cisplatin verabreicht wird (mglicherweise Kompetition des Metabolismus am hepatischen mikrosomalen mischfunktionellen Cytochrom-P450-abhngigen Enzymsystem). ˜hnlicher Effekt durch Ketoconazol. Induktion des Metabolismus durch Barbiturate und Benzodiazepine. Es besteht ein embryotoxisches und fetotoxisches Risiko. Whrend und bis 3 Monate nach Ende der Behandlung sollen effektive kontrazeptive Manahmen eingehalten werden. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Durch die Blockierung in der G2/M-Phase erfolgt eine Radiosensibilisierung (Verstrkungsfaktor ca. 2). Antagonisierung (Resistenz) durch Glutathionentzug (z.B. mit Buthioninsulfoximin = BSO). Antagonismus (je nach Sequenz und Zelltyp) mit Doxorubicin, Etoposid, Ifosfamid, Camptothecin, 5-Fluorouracil. Sensibilisierung mit Verapamil, Spermidinpolymer, Tumornekrosefaktor-a, Ciclosporin A, bei manchen Zellen keine Sensibilisierung mit Ciclosporin A. Keine komplette Kreuzresistenz mit Cisplatin und mit Docetaxel. Keine Resistenz bei p53-Mutationen. Synergismus mit Cisplatin, Topotecan. Teilweise Kreuzresistenz und kumulative Neurotoxizitt mit Vinorelbin. Antiangiogenese-Effekt. Antagonismus bei vorheriger oder gleichzeitiger Cisplatingabe. Induktion des Metabolismus durch Barbiturate und Benzodiazepine. Hemmung der Lymphozytenzytotoxizitt (strker als Docetaxel). Keine Aufnahme in normales Hirngewebe bei intakter Blut-Hirn-Schranke, z.T. werden in Hirntumoren und Hirnmetastasen therapeutische Spiegel erreicht. Typhlitis (in Kombination mit Doxorubicin). Gastrointestinale Nekrosen mit Perforation. Anfallartiges Schmerzsyndrom (Behandlung mit Antihistaminika). Wiederauftreten („Recall“) einer Strahlendermatitis. Bei systemischer Gabe Recall an der Stelle eines frheren Paclitaxel-Extravasats. Risikofaktoren fr die Neurotoxizitt: diabetische oder alkoholische Neuropathie, hohe Dosierung 250 mg/m2 KOF, Kombination mit Cisplatin. Myokarddegeneration mit Tod durch akutes Lungendem 7 Tage nach Paclitaxel. Keine erhhte Toxizitt bei Patienten im Alter ber 60 Jahren.
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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Verstrkte Neuropathie in Kombination oder in Sequenz mit Cisplatin. Neuropathie auch als Zeichen der Hypersensitivittsreaktion. Schdigung des N. opticus. Farbensehen. Pneumonitis. Pruritus. Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Cimetidin oder Famotidin. Verschlechterung eines M. Parkinson. Langsamere Elimination und vermehrte Neurotoxizitt bei Leberfunktionsstrung. Erhhte Kadiotoxizitt bei Kombination mit Doxorubicin. Transiente pulmonale Infiltrate (Hypersensitivittssyndrom). Desensibilisierung mit sehr niedrigen parenteralen Dosen. Fixierter bullser Hautausschlag. Schwere Lymphozytopenie und interstitielle Pneumonie bei Radiotherapie von Bronchialkarzinomen. Schwere mukokutane Toxizitt mit Hyperbilirubinmie. Transiente Enzephalopathie. Schwere Neuropathie bei vorangegangener Bestrahlung in der Kopf-Hals-Region. Akrale Erytheme. Schwere lokale Neuropathie nach Extravasat. Fataler Myokardinfarkt. Pankreatitis. Verstrkte Nephrotoxizitt in Kombination mit Cisplatin. Relativ gering ausgeprgte Thrombozytopenie nach der Kombination Paclitaxel + Carboplatin. Behandlung der Anmie (in Kombination mit Carboplatin) mit Erythropoetin. Behandlung eines Patienten mit anthrazyklininduzierter kongestiver Herzinsuffizienz. Fatales hepatisches Koma. Verminderte Zytotoxizitt in saurem Milieu (pH 6,5). Erhhter Blutalkoholspiegel am Ende einer 3-h-Infusion (ca. 100 mg/dl). Verstrkte Lyse von Tumorzellen durch NK-Zellen. Generalisierte pustulse Dermatose. In-vitro-Aktivierung von Ovarialkarzinomzellen zur Sekretion von CA 12-5. Zellulitis nach Extravasat. Toxizittsminderung mit Amifostin, jedoch keine Beeintrchtigung der zytostatischen Effektivitt. Auch wirksam bei Bronchialkarzinomen, Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich und malignen Melanomen. Mglichkeit der intraperitonealen Applikation, danach langsame Clearance aus dem Abdomen, wirksame Plasmaspiegel werden erreicht. Intrapleurale Gabe. Monoklonale und polyklonale Antikrper wurden fr pharmakokinetische Untersuchungen synthetisiert (Radioimmunoassay). Mglichkeit der Wirkungssteigerung und Toxizittsminderung durch Einschlu in Liposomen. Anreicherung und starke Bindung in Thrombozyten. Keine Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Carboplatin. Bei Kombination mit Doxorubicin: zuerst Doxorubicin und 24…48 h spter Paclitaxel, bei umgekehrter Reihenfolge verlangsamte Doxorubicin-Clearance mit erhhter Toxizitt. Die gebrauchsfertige Infusionslsung ist bei Zimmertemperatur (15 bis 25 C) mindestens 27 h stabil. Verdnnte Lsungen drfen nicht im Khlschrank aufbewahrt werden. Eine Mischlsung mit Odansetron und/oder Ranitidin ist mindestens 4 h stabil.
30
1654
30
Antineoplastische Substanzen
Pegasparagase Siehe bei Asparaginase Pharmakologie
Siehe bei Asparaginase. An Monomethoxypolyethylenglykolsuccinimidyl (Polyethylenglycol, PEG) gebundene L-Asparaginase aus Escherichia coli. Terminale Halbwertszeit 5,8…10,5 Tage. Zulassung
Akute lymphatische Leukmie, bei Patienten mit bekannter berempfindlichkeit auf „native“ L-Asparaginase. Dosierung
Je nach Therapieprotokoll, z.B. 2500 I.E./m2 KOF i.v. oder i.m. alle 14 Tage. Nebenwirkungen
Siehe bei Asparaginase. Hinweise fu¨r den Umgang
Siehe bei Asparaginase. Aufgrund der Wirkungsweise wird eine embryound fetotoxische Wirkung beim Menschen postuliert. Der Tierversuch erbrachte Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Milch bergeht. Bemerkungen
Wegen Abnahme der Proteinkonzentration im Serum verstrkte Wirkung proteingebundener Medikamente. Verringerung der Wirkung von Methotrexat. Durch die besondere Technik („Pegnology“) der Bindung an PEG gegenber „nativer“ Asparaginase verlngerte Halbwertszeit und weniger gut erkennbar durch das Immunsystem, deshalb eventuell weniger allergische oder anaphylaktische Reaktionen. Thrombotischer Verschlu kleiner zerebraler Venen. Motorischer Krampfanfall mit Vernderungen im zerebralen Kernspintomogramm (multiple fokale kortikale und subkortikale Lsionen, fokales dem), komplett reversibel nach drei Wochen.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1655
Pemetrexed
Pharmakologie
Antimetabolit, Antifolat, direkter und spezifischer Inhibitor von drei Enzymen der Pyrimidin- und Purinsynthese (TS … Thymidylat-Synthetase, DHFR … Dihydrofolat-Reduktase, GARFT … Glycinamid-RibonucleotidFormyltransferase). Als „multitargeted Antifolate“ (MTA) auch bei Patienten effektiv, die nicht mehr auf Antifolate ansprechen, im Gegensatz zu anderen Antimetaboliten, die jeweils nur an einem Enzym angreifen. Mangel an DNS-Bausteinen fhrt zu Abbruch der DNS-Synthese, resultierend in DNS-Fragmentierung. Durch die Hemmung der Purinsynthese wird zustzlich die RNS-Synthese und somit die Transkription inhibiert. Beide Mechanismen fhren zum Zelltod. Aufnahme in die Zelle durch verschiedene Folat-Carrier. Umgeht dadurch resistenzbildende Faktoren anderer Antifolate. Intrazellulre Polyglutamierung durch Folylpolyglutamatsynthetase (FPGS) erhht Verweildauer und Effektivitt von Pemetrexed. Pemetrexed hat eine Halbwertszeit zwischen 2,5 und 4,0 Stunden. Nach Infusion rasche Aufnahme in die Zellen. Es wird zu ca. 80% renal eliminiert. Deshalb besteht bei eingeschrnkter Nierenfunktion ein erhhtes Toxizittsrisiko. 80…90% der Substanz sind unverndert im Urin nachweisbar. Die Pharmakokinetik ndert sich auch im Laufe mehrerer Zyklen nicht. Steady-state-Verteilungsvolumen 16,1 Liter. Plasmaproteinbindung 81%. Keine Vernderung der Pharmakokinetik bei lteren Patienten. Indikation
Malignes Pleuramesotheliom. Dosierung
500 mg/m2, 10-min-Infusion alle 3 Wochen.
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30
Antineoplastische Substanzen
Nebenwirkungen
Es kann zu gastrointestinalen Nebenwirkungen, Knochenmarkstoxizitt, leichtem Anstieg von Leberenzymen (GOT, GPT) kommen. Die Schwere der Toxizitt korreliert mit erhhtem Homocysteinspiegel. Dosislimitierende Toxizitt waren Neutropenie, Asthenie und Thrombozytopenie. Nebenwirkungen lassen sich durch niedrigdosierte tgliche Folsureeinnahme und Vitamin-B12-Supplementierung beherrschen. Unter Vitaminsupplementierung war eine dosislimitierende Toxizitt auch bei einer Dosis ber 1000 mg/m2 nicht feststellbar. Wenig Hauttoxizitt und kaum Alopezie. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Empfohlene Vitaminsupplementierung sollte unbedingt eingehalten werden. Keine Dosisanpassung bei Patienten mit Kreatininclearence 45 ml/ min erforderlich. Keine Dosisanpassung bei lteren Patienten. Besonderheiten
Vitaminsupplementierung verringert nicht nur Nebenwirkungen, sondern erhht auch die Effektivitt von Pemetrexed. Es wird empfohlen, in den 7 Tagen vor der ersten Gabe von Pemetrexed mindestens an 5 Tagen jeweils 1mal tglich Folsure oral zu verabreichen. Die Folsuregabe sollte im Anschlu whrend der gesamten Chemotherapie und fr 21 Tage nach der letzten Infusion fortgefhrt werden. Zustzlich ebenfalls mit der ersten Infusion von Pemetrexed Vitamin B12 i.m. Weitere Vitamin-B12-Gaben erfolgen alle 3 Wochen. Auch wirksam in anderen soliden Tumoren, wie NSCLC, Pankreaskarzinom, Mammakarzinom und gastrointestinalen Tumoren.
Pentostatin (2’-Deoxycoformycin; DCF)
Pharmakologie
Antimetabolit. Purinantagonist mit adeninhnlicher Struktur. Produkt von Streptomyces antibioticus. Spezifischer Hemmstoff der Adenosinde-
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1657
aminase (ADA). ADA katalysiert die irreversible Deaminierung von Adenosin zu Inosin und von Deoxyadenosin zu Deoxyinosin. Die ADA-Aktivitt ist in Zellpopulationen des lymphatischen Systems besonders hoch, v.a. in stimulierten bzw. malignen lymphatischen Zellen. Durch die Hemmung der Enzymaktivitt kommt es zur Akkumulation von Adenosin- bzw. Deoxyadenosinnukleotiden und -nukleosiden bis zu zytotoxischen Konzentrationen. Dieser Mechanismus fhrt zur Elimination lymphatischer Zellpopulationen und ahmt den genetischen Defekt (ADA-Mangel) bei Kindern mit schwerem kombiniertem Immundefekt (SCID) nach. Es besteht eine enge Korrelation zwischen der Akkumulation von Deoxyadenosintriphosphat (dATP) und dem lymphoklastischen Effekt. Dieser lymphoklastische Effekt bedeutet gleichzeitig eine erhebliche Immunsuppression (s. bei Nebenwirkungen). Die hohen intrazellulren dATP-Konzentrationen fhren zu einer allosterischen Hemmung der Ribonukleotidreduktase und so zur Depletion anderer Deoxynukleotide und damit zu einer Strung der DNS-Synthese in rasch proliferierenden Lymphozytenpopulationen. Der Wirkmechanismus in langsam proliferierenden Populationen wie bei Haarzelleukmie oder niedrigmalignen Lymphomen ist unklar (DNS-Strangbrche, Reparaturdefekte, NAD-Depletion, Hemmung der DNS/RNS-Transkription, Hemmung von Transmethylierungsreaktionen, Induktion von Apoptose sind weitere diskutierte Mechanismen). Hchste Plasmaspiegel 1h nach intravenser Applikation. Geringe Plasmaproteinbindung (1,9…4,9%). Penetration der Blut-Hirn-Schranke (im Liquor 10…12% der Plasmakonzentrationen 2…4 h nach der Applikation). Vorwiegend renale Elimination in unmetabolisierter Form (69…76% nach 3 Tagen). Terminale Plasmaeliminationshalbwertszeit ca. 3…10 h (deutliche Verlngerung bei Niereninsuffizienz). Gesamtkrperclearance 53…64 ml/min (27 ml/min bei Kreatininclearance < 60 ml/min). Die Substanz geht in die Muttermilch ber. Dosierung
4 mg/m2 KOF alle 2 Wochen intravens als Bolus oder als 20- bis 30-minInfusion. Zulassung
Haarzellenleukmie. Nebenwirkungen
Akutes Nierenversagen, Depressionen, Krampfanflle, Koma, Immunsuppression mit opportunistischen Infektionen bei 8…58% der Patienten. Die Hufigkeit schwerer Infektionen liegt unter 10%. Myelosuppression
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30
Antineoplastische Substanzen
(Neutropenie, weniger Thrombozytopenie und Anmie). belkeit und Erbrechen. Allergische Reaktionen an der Haut. Mdigkeit. Kopfschmerzen. Allgemeines Krankheitsgefhl. Fieber. Transiente (selten schwere) Leberund Nierenfunktionsstrungen. Keratokonjunktivitis. Herzrhythmusstrungen, Herzinsuffizienz, Schock. Diarrh. Eosinophilie, Lymphadenopathie, Splenomegalie. Periphere deme. Myalgie, Knochenschmerzen, Gelenkschmerzen. Hustenreiz, Asthma, Dyspnoe, Lungendem. Alopezie. Photosensibilisierung. Sehstrungen, Geschmacksstrungen. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Vor der Gabe von Pentostatin wird eine intravense Flssigkeitssubstitution von 500…1000 ml empfohlen. Reduktion der Dosis auf 25% bei Niereninsuffizienz (Kreatininclearance zwischen 30 und 50 ml/min). Die Kombination mit anderen Zytostatika wird nicht empfohlen. Es besteht das Risiko mutagener/karzinogener Wirkung. Empfngnisverhtungsschutz fr Frauen und Mnner whrend und bis 6 Monate nach der Behandlung. Besonderheiten
Antagonisierung der Bildung von DNS-Einzelstrangbrchen mit den NADPrkursoren Nicotinamid und Niacin. Verminderung der CD4-positiven Lymphozytenpopulationen (Helferzellen). Wiederauftreten einer zuvor fludarabinassoziierten autoimmunhmolytischen Anmie. Hmolytischurmisches Syndrom. Behandlung von Kindern mit Langerhans-ZellenHistiozytose. Verstrkung des antiviralen Effektes von Vidarabin. Protektion des ZNS gegen anoxische Schden.
Procarbazin-HCl (PCZ)
Pharmakologie
Das Methylhydrazinderivat wird wahrscheinlich durch mikrosomale Enzyme aktiviert. Es erfolgt die Freisetzung von Carboniumionen, die alkylierend wirken und die DNS-, RNS- und Proteinsynthese hemmen. Hemmung der Monoaminooxidase (MAO-Inhibitor). Gute Bioverfgbarkeit
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1659
nach oraler Gabe. Schnelle Aufnahme in Gewebe und Liquor cerebrospinalis. Plasmahalbwertszeit der Muttersubstanz ca. 15 min. Renale Elimination der Metaboliten. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
M. Hodgkin, Non-Hodgkin-Lymphome. Dosierung
Peroral: 75…150 mg/m2 KOF tglich fr 10…14 Tage (oder lnger, je nach Toxizitt). Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haarausfall, Hyperurikmie, Leberschden, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis), Hautreaktionen, neurotoxische Strungen. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Wegen der mglichen Alkoholintoleranz ist Abstinenz geboten. Unvertrglichkeitsreaktionen mit Alkohol (disulfiramhnliche Wirkung). Wirkungsverstrkung von Barbituraten, Neuroleptika, Thymoleptika, Sympathomimetika. Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Wegen der schdigenden Wirkung auf das Keimepithel und die Entwicklung der Frucht ist fr den Patienten oder seinen Partner auf strikte Kontrazeption zu achten. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Hypersensitivittsreaktionen (makulopapulse Hautreaktionen, Fieber, abnorme Leberwerte, Lungeninfiltrate, interstitielle Pneumonitis; eine Weiterbehandlung mit Procarbazin ist kontraindiziert). Nephrotoxizitt in Kombination mit Methotrexat. Radiosensibilisierung. Erhhte Sensitivitt bei p53-Mutationen (kein Arrest am G1/2-bergang und damit keine Zeit fr DNS-Reparatur). Mutagene Potenz. Zweittumoren.
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Antineoplastische Substanzen
Raltitrexed
Pharmakologie
Antimetabolit. Folsureanalog. Direkter und spezifischer Inhibitor der Thymidylat-Synthase (TS). Der resultierende Mangel an aktivierten DNS-Bausteinen (Thymidintriphosphat) fhrt zur DNS-Fragmentierung und zum Zelltod. Aufnahme in die Zellen ber den Folat-Carrier. Intrazellulre Polyglutamierung durch die Folypolyglutamatsynthase (FPGS). Die Polyglutamate verbleiben bevorzugt intrazellulr und verlngern so die Wirkdauer. Im Vergleich zum Monoglutamat sind Polyglutamate bis zu 60mal effektivere Inhibitoren der TS. Im Gegensatz zu 5-Fluorouracil ist diese Hemmung der TS unabhngig von der Konzentration des Kofaktors (5,10-Methylentetrahydrofolat). Nach intravenser Infusion rasche Aufnahme in die Zellen. Langsame Eliminationsphase mit Ausscheidung von 50% innerhalb von 4 Wochen als unvernderte Substanz im Urin. Der Rest verbleibt wahrscheinlich lngerfristig in den Krpergeweben. Die Plasmaeliminationshalbwertszeit liegt zwischen 5 und 11 h. Indikation
Kolorektale Karzinome. Dosierung
3 mg/m2 KOF als 15-min-Infusion alle 3 Wochen. Nebenwirkungen
Hufig reversibler und asymptomatischer Anstieg der Transaminasen. Weniger Leukozytopenie und Mukositis als unter 5-Fluorouracil/Folinsure. Mdigkeit, allgemeines Krankheitsgefhl (Malaise), Diarrh, belkeit/Erbrechen. Wenig Hauttoxizitt und geringe Alopezierate. Hinweise fu¨r den Umgang
Dosisreduktion bei Nierenfunktionsstrung.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1661
Bemerkungen
Auch wirksam bei Mammakarzinomen. Bei berdosierung kann Folinsure als Antidot eingesetzt werden.
Streptozotocin (STZ)
Pharmakologie
Alkylans. Nitrosoharnstoffderivat. Glykolysierter Methylnitrosoharnstoff. Produkt von Streptomyces achromogenes. Verminderung des intrazellulren Pools der Pyrimidinnukleotide. Hemmung des bergangs von der G2in die M-Phase des Zellteilungszyklus. Nach intravenser Gabe rasche Penetration der Metaboliten in das ZNS (nach 2h im Liquor gleiche Spiegel wie im Plasma). In 24 h fast vollstndige Ausscheidung als Metaboliten (10…20% als Muttersubstanz) ber die Nieren. Terminale Plasmahalbwertszeit 15…35 min. Indikationen
Inselzellkarzinome des Pankreas. Maligne Karzinoide. Maligne Phochromozytome. Andere neuroendokrine Tumoren (Apudome). Eventuell auch exokrine Pankreaskarzinome und gastrointestinale Adenokarzinome. M. Hodgkin. Dosierung
500 mg/m2 KOF als Bolus i.v. oder als 15- bis 60-min-Infusion tglich an Tag 1…5, Wiederholung alle 6 Wochen. Nebenwirkungen
Nephrotoxizitt: Proteinurie als Frhzeichen des glomerulren Schadens, meist reversibler Tubulusschaden mit Bikarbonat- und Phosphatverlust, Glukosurie, Aminoazidurie, renale tubulre Azidose (Fanconi-Syndrom), Kreatininanstieg, chronische Niereninsuffizienz als Sptfolge, wenn die Therapie nicht rechtzeitig abgesetzt wird. Bei Monotherapie meist nur geringe Hmatotoxizitt, jedoch deutlich bei Kombination mit anderen knochenmarktoxischen Zytostatika. Hyperglykmie. Leberfunktionsstrungen
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Antineoplastische Substanzen
(Einzelfall mit fatalem akutem Leberversagen), belkeit, Erbrechen. Diarrh. Einzelfall mit akuter hyperpyretischer Reaktion. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Vor jeder neuen Therapie mit Streptozotocin Kontrolle der Nierenfunktion und des Urinstatus (Glukosurie, Proteinurie usw.). Stabilitt der Gebrauchslsung bei Zimmertemperatur mindestens 12 h. Besonderheiten
Diabetogene Wirkung bei Musen (hnlich wie durch Alloxan), beim Menschen jedoch nicht nachgewiesen. Protektion vor der diabetesinduzierenden Wirkung (mglicherweise durch Radikale hervorgerufene Zerstrung der Inselzellen des Pankreas) mit den Radikalfngern Nicotinamid, Thymidin oder Acetylhomocysteinthiolacton. Transientes akutes Nierenversagen nach hoher Dosierung. Intrapleurale Anwendung ohne wesentliche systemische Toxizitt. Intraarterielle Gabe zur Leberperfusion.
Temozolomid Pharmakologie
Temozolomid wird nach oraler Gabe zu 100% resorbiert und in vivo spontan zu Metozolomid konvertiert, dem gleichen aktiven Metaboliten wie dem des DTIC. Die Konversion erfolgt nicht in der Leber wie bei DTIC, sondern in allen Krperflssigkeiten bei physiologischem pH-Wert. Temozolomid hat eine Plasmahalbwertszeit von etwa 1,8 Stunden, die dosisabhngig ansteigt. Es weist eine niedrige Eiweibindung (10…20%) auf und passiert schnell die Blut-Hirn-Schranke. Die AUC in der zerebrospinalen Flssigkeit betrgt ca. 30% der im Plasma. Zulassung
Temozolomid ist zugelassen fr die Behandlung des rezidivierten Glioblastoms und des anaplastischen Astrozytoms. Eine Wirksamkeit besteht aufgrund des gleichen Wirkmechanismus bei allen DTIC-sensiblen Tumoren, wobei Temozolomid durch die Penetration der Blut-Hirn-Schranke im Gegensatz zu DTIC bei Hirnmetastasen eine strkere Wirkung entfaltet. Dosierung
Die Standarddosis betrgt 100 mg/m2 Krperoberflche 1mal/Tag an 5 Tagen, Wiederholung am Tag 29. Andere Dosisverteilungen und prodrahierte, niedrigdosierte Gabe sind in Entwicklung.
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1663
Nebenwirkungen
Siehe DTIC. Hinweise fu¨r den Umgang
Siehe DTIC.
Teniposid (VM 26) Pharmakologie
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Siehe auch bei Etoposid. Hemmung der Topoisomerase-II. Hemmung von Membrantransportvorgngen. Degradation von DNS in der S-Phase. Induktion von Apoptose. Starke Bindung an Plasmaproteine (> 99%) und zellulre Strukturen. Grere Lipophilie (Liquorgngigkeit) als Etoposid. Hauptschlich hepatischer intrazellulrer Abbau. Ausscheidung bis zu 10% ber die Galle und 4…14% der unvernderten Substanz ber die Nieren. Terminale Plasmahalbwertszeit stark schwankend (9…49 h). Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht.
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Antineoplastische Substanzen
Zulassung
M. Hodgkin; maligne Hirntumoren: malignes Gliom, Astrozytom, Ependymom; Harnblasenkarzinom. Dosierung
Intravens 30 mg/m2 KOF tglich fr 5 Tage alle 2 Wochen oder 30 bis 50 mg/m2 KOF 2- bis 3mal pro Woche ber einen Zeitraum von 6…9 Wochen oder 100…130 mg/m2 KOF einmal wchentlich fr 6…8 Wochen, 150 mg als Einzeldosis in der Erhaltungstherapie alle 10…14 Tage. Nebenwirkungen
Haarausfall, neurotoxische Strungen. Einzelflle: gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Leberschden, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Intimareizungen, Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis). Selten berempfindlichkeitsreaktionen (z.B. Hautreaktionen, Angiodeme) auf den Hilfsstoff Benzylalkohol. berempfindlichkeitsreaktionen bis zum Schock auf den Hilfsstoff Polyoxythylen-35-Rizinusl (vgl. Cremophor EL bei Paclitaxel), bei dessen lnger dauernder Anwendung Hyperlipidmie, Thrombozytenaggregationshemmung, Beeintrchtigung der Flieeigenschaften des Blutes. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Enthlt ˜thanol! Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Im geschlechtsreifen Alter werden whrend und bis 6 Monate nach der Behandlung effektive kontrazeptive Manahmen empfohlen. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. Eine Dialyse ist nicht erfolgversprechend. Besonderheiten
Siehe auch bei Etoposid. Synergismus mit Methotrexat und Cisplatin. Weniger Plasmabindung (ca. 97%) bei Hypoalbuminmie, damit hhere Spiegel an freier Substanz und mglicherweise gesteigerte Wirkung. Hchste Gewebekonzentrationen in Milz, Prostata, Herz, Kolon, Leber, Pankreas, nachweisbar noch am 3. Tag nach Therapie, kein Nachweis mehr ab dem 5. Tag (kurze Gewebehalbwertszeit und deshalb wenig viszerale Toxizitt).
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1665
Keine Aufhebung der MDR durch Verapamil. Rasche Clearance bei Kombination mit Antiepileptika (Enzyminduktion in der Leber z.B. durch Barbiturate oder Phenytoin). Dosislimitierende Hmatotoxizitt. Somnolenz, Hypotonie, metabolische Azidose bei hochdosierter Gabe. Hypersensitivittsreaktion, anaphylaktische Reaktion (Asthma, Kreislaufkollaps). Intraperitoneale Anwendung. Induktion von akuten myeloischen Leukmien (v.a. bei wchentlicher oder 2mal wchentlicher Anwendung). Genotoxizitt (vermehrt Mikronuclei, Chromosomenvernderungen).
Thioguanin (Tioguanin; 6-TG)
Pharmakologie
Siehe auch bei 6-Mercaptopurin. Antimetabolit, Purinantagonist. Einbau als „falsche“ Thioguaninnukleotide in die DNS. Relativ schlechte Bioverfgbarkeit (14…46%) nach oraler Gabe. Individuell und je nach Zellpopulation sehr unterschiedliche Aktivierung zum aktiven Mono- und Triphosphat. Metabolisierung unabhngig von der Aktivitt der Xanthinoxidase (keine Beeinflussung durch Allopurinol). Renale Elimination der Metaboliten. Terminale Plasmahalbwertszeit der Metaboliten 0,5…6 h. Halbwertszeit der intrazellulren Mono- und Triphosphate ca. 5 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Akute Leukmien, fortgeschrittene chronische myeloische Leukmie. Dosierung
Peroral 60…200 mg/m2 KOF tglich fortlaufend. Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Knochenmarksuppression (Leukozyto-, Thrombozytopenie), Stomatitis, Darmschleimhautnekrosen und -perforationen, Leberfunktionsstrungen, Ikterus, Lebervenenverschlu, Leberschden.
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Antineoplastische Substanzen
Hinweise fu¨r den Gebrauch
Prophylaktische Gabe von Allopurinol zur Verhinderung von sekundren Hyperurikmien. Lesch-Nyhan-Syndrom: Wirkung von Thioguanin verringert. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Kontrazeption: Frauen whrend der Behandlung, Mnner whrend der Behandlung und 6 Monate danach. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Eventuell Verminderung der Aktivierung durch Zufuhr von Purinen (siehe bei 6-Mercaptopurin). Besonderheiten
Synergismus mit Methotrexat und Alkylanzien. Kreuzresistenz mit Nitrosoharnstoffen. Wirkungsverstrkung durch Hyperthermie. Inverser Dosiseffekt (weniger Wirkung bei Dosissteigerung = Resistenzmechanismus). Hemmung der Expression von c-myc-Onkogen. Kollaterale Sensitivitt bei Resistenz gegen Hydroxyharnstoff. Synergismus und keine komplette Kreuzresistenz mit 6-Mercaptopurin. Immunsuppressive Behandlung (z.B. Psoriasis). Das Wirkprinzip von 6-Thioguanin ist in Azathioprin enthalten, das als intrazellulre Metaboliten 6-Thioguanin- und 6-Mercaptopurinnukleotide bildet (Stichwort: „Thiopurinmethyltransferase“ , siehe bei 6-Mercaptopurin). Akkumulation von 6-Thioguaninnukleotiden in Erythrozyten als individuelle charakteristische Parameter zum Monitoring einer Thioguanin- oder Azathioprintherapie. Toxische venookklusive Erkrankung der Leber. sophagusvarizen in Kombination mit Busulfan.
Thiotepa
Pharmakologie
Alkylierung. Thiotepa (Triethylenthiophosphoramid) ist zumindest teilweise ein „Prodrug“, aus dem durch hepatische intrazellulre Aktivierung ber das Cytochrom-P450-Enzymsystem die Alkylanzien Aziridin und Phos-
30.4
Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
1667
phatidylthanolamin gebildet werden. Rasche intrazellulre Akkumulation. In der Leber oxidative Desulfurierung zum weniger zytotoxischen Tepa und Bildung weiterer Metaboliten. Dosisunabhngige Elimination ber die Nieren. Terminale Plasmahalbwertszeit fr Thiotepa ca. 2,5 h, fr Tepa ca. 17 h. Rasche, fast 100%ige Resorption in den systemischen Kreislauf nach intraperitonealer, intravesikaler oder intrathekaler Anwendung. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Lokale Anwendung: Harnblasenpapillome, oberflchliche Harnblasenkarzinome, Kondylome, maligne Exsudate (Pleura- bzw. Peritonealergu). Systemische Anwendung: Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, chronische Leukmien. M. Hodgkin. Dosierung
Intravens 30 mg pro Dosis einmal wchentlich. Intrapleural oder intraperitoneal 15…60 mg pro Dosis einmal wchentlich. Intrathekal 5 bis 10 mg/m2 KOF 2mal pro Woche. Intravesikal 60 mg (1 mg/ml Aqua dest.) wchentlich. Nebenwirkungen
Gastrointestinale Strungen (z.B. belkeit, Erbrechen, Diarrh), Enteritis, Strungen der Hmatopoese, Immunsuppression, Haarausfall, Hyperurikmie, Strungen der Spermatogenese und der Ovulation, Haut- und Schleimhautentzndungen (z.B. Dermatitis, Stomatitis), Nierenschden, Zystitis. Intravens: Intimareizung (Einzelflle). Hinweise fu¨r den Gebrauch
Im Tierversuch embryotoxisch. Aufgrund der Wirkungsweise vermutlich auch beim Menschen ein embryotoxisches/teratogenes Risiko (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Bei Patienten im geschlechtsreifen Alter kontrazeptive Manahmen bis mindestens 3 Monate nach Beendigung der zytostatischen Therapie. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Lokale Anwendung (Harnblase, Peritoneum, Perikard). Intraarterielle Applikation (gute Gewebebindung bzw. gute Extraktion in der Leber). Wir-
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Antineoplastische Substanzen
kungssteigerung durch Pentoxifyllin. Inaktivierung durch Konjugation mit Glutathion mit Hilfe der Glutathion-S-Transferase (GST). Hochdosierte Gabe (z.B. 600 mg/m2) im Rahmen myeloablativer Verfahren mit Stammzellschutz. Behandlung von thrombozythmischen Patienten mit chronischen myeloproliferativen Erkrankungen. Stabilitt der Gebrauchslsung 5 Tage bei 5 C. In Verdnnung (0,5 mg [ml] 8 h).
Topotecan (TPT)
Pharmakologie
Semisynthetisches wasserlsliches Camptothecin(CPT)-Derivat. Topoisomerase-I-Inhibitor. Pflanzenalkaloid aus dem in Asien beheimateten Baum Camptotheca acuminata. Hemmung der DNS- und RNS-Synthese in Folge von Einzelstrangbrchen, die durch die Hemmung der Topoisomerase-I induziert sind (die normale Funktion der Topoisomerasen ist die Entfaltung von „supercoiled“ DNS, damit deren Reduplikation und Transkription eingeleitet werden kann bzw. ntige Reparaturschritte ausgefhrt werden knnen). Camptothecine stabilisieren den aus Topoisomerase-I und DNS gebildeten Komplex (sog. „cleavable complex“), der die Einzelstrangbrche induziert. Unter der Einwirkung des Topoisomerase-I-Hemmstoffes kann das Enzym nicht mehr von der DNS freigesetzt werden. Die Strangbrche werden damit fixiert. Diese Vorgnge finden bevorzugt an aktivierten Genabschnitten statt. Zustzlich zu den DNSEinzelstrangbrchen knnen beim Versuch der Reduplikation der DNS auch Doppelstrangbrche auftreten. S-Phase-Zellen sind bis zu 1000mal empfindlicher als Zellen in der G1- oder G2-Phase. Topoisomerase-I findet sich aber auch in ruhenden Zellen, so da auch in solchen Zellpopulationen ein zytotoxischer Effekt entstehen kann. Induktion von Apoptose. Zytostatisch wirksam ist die Form mit der Laktonkonstellation im E-Ring (geschlossener Ring), die in saurem Milieu stabil ist. Im alkalischen Milieu findet eine spontane Umlagerung des E-Ringes zur Dihydroxycarboxylform
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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statt (offener Ring). In vivo liegen bei physiologischem pH-Wert ca. 50% der Substanz in der inaktiven Hydroxylsureform vor. Mittleres Verteilungsvolumen 75 l/m2. Nur geringe Bindung an Plasmaproteine (35%). Mittlere Plasmaclearance 30 l/h m2. Mittlere terminale Eliminationshalbwertszeit ca. 2h. Elimination hauptschlich ber die Nieren (ca. 40%). Wahrscheinlich auch aktive Exkretion in die Galle. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Ovarialkarzinom. Zustzlich wirksam bei akuter Leukmie, kleinzelligem Bronchialkarzinom, bestimmten Weichteilsarkomen. Dosierung
1,5 mg/m2 KOF tglich an 5 aufeinanderfolgenden Tagen als 30-min-Infusion. Wiederholung alle 3 Wochen. Nebenwirkungen
Hmatotoxizitt (insbesondere Neutropenie, weniger Thrombozytopenie) als dosislimitierende Toxizitt. Keine Hinweise auf kumulative Toxizitt bei wiederholten Anwendungen. Selten belkeit, Erbrechen, Alopezie, Diarrh, Fieber, Mdigkeit, Hautausschlag, geringe Erhhung der Leberenzyme. Hyperbilirubinmie. Stomatitis. Bauchschmerzen. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Wegen der raschen Hydrolyse des E-Ringes im alkalischen Milieu sollten nur saure Lsungen zur Herstellung der Gebrauchslsung verwendet werden (z.B. 5%iger Glukose mit einem pH-Wert von 4,5). Verlangsamte Elimination bei Nieren- und Leberfunktionsstrung. Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz: 0,75 mg/m2 Tagesdosis bei Kreatinin-Clearance zwischen 20 und 39 ml/min. Bei Kreatinin-Clearance < 20 ml/min wird die Anwendung nicht empfohlen. Kein konkrete Empfehlung zur Dosismodifikation bei Leberfunktionsstrung. Es besteht ein embryo-/fetotoxisches Risiko. Besonderheiten
Die Dauer der Neutropenie lt sich mglicherweise durch den Einsatz kolonienstimulierender Faktoren verkrzen. Jedoch ist auch beschrieben worden, da sich unter der Anwendung von G-CSF der Nadir der Granulozyten- und Thrombozytenzahlen verstrkte. Andererseits konnte durch Gabe von GM-CSF vor der Topotecantherapie die Hufigkeit der Grad-4Neutropenie vermindert werden. Verhinderung des topotecaninduzierten
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Antineoplastische Substanzen
programmierten Zelltodes (Apoptose) durch Coffein (Komplexbildung und damit verminderte Verfgbarkeit des freien Wirkstoffes). Resistenz bei berexpression des MDR-1-Gens (P-170-Glykoprotein). 3wchentliche 24-h-Infusion (max. tolerierte Dosis 8,4 mg/m2). Wchentliche 24-h-Infusion (max. tolerierte Dosis 1,75 mg/m2). Mige Liquorgngigkeit (bis zu 20% der Plasmaspiegel). Keine Akkumulation bei dem empfohlenen 5-Tages-Schema. Synergismus mit Paclitaxel. Resistenz bei berexpression von Hitze-Schock-Protein (HSP 70). Bioverfgbarkeit bei oraler Gabe ca. 35%. Langsame Clearance von Topotecan nach vorheriger Gabe von Cisplatin. Verminderte Zytotoxizitt in saurem Milieu (pH 6,5).
Treosulfan
Pharmakologie
Alkylierung. „Prodrug“ fr im physiologischen Milieu nichtenzymatisch entstehende bifunktionell alkylierende Epoxide. Nach 4 h sind ca. 70% umgewandelt. Im sauren Milieu (pH < 6) findet diese Reaktion praktisch nicht statt. Gute Bioverfgbarkeit nach oraler Gabe. Rasche Elimination aus dem Plasma. Ausscheidung des unvernderten Treosulfans ber die Nieren (ca. 40% in 8 h). Terminale Plasmahalbwertszeit 2,2 h. Es ist nicht bekannt, ob die Substanz die Plazentaschranke berschreitet oder ob sie in die Muttermilch bergeht. Zulassung
Ovarialkarzinom. Dosierung
Peroral 400…600 mg/m2 KOF tglich in 4 Einzeldosen bis zu 1 Monat, dann 1 Monat Pause. Intravens 6…8 g pro Dosis einmal alle 4 Wochen. Nebenwirkungen
Abfall der Leukozyten und Thrombozyten, gastrointestinale Strungen, Stomatitis nach Zerkauen der Kapsel, Pigmentierung der Haut (Bronzefrbung), selten allergische Erscheinungen, Urtikaria, Erytheme, Ikterus bei Patienten nach vorausgegangener Cholezystektomie, Haarausfall, selten sekundre Leukmien (ALL 1,4%, AML 1%), Auslsung einer Psoriasis ist bekannt geworden, in Einzelfllen allergische Alveolitis, Pneumonie, Lun-
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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genfibrose, pseudogrippale Beschwerden, Parsthesien, hmorrhagische Zystitis, M. Addison, Hypoglykmie, Kardiomyopathie. Hinweise fu¨r den Gebrauch
Zur Vermeidung einer mglichen hmorrhagischen Zystitis sollen die Patientinnen 24 h nach der Infusion vermehrt trinken. Bei der Infusion ist auf eine einwandfreie Technik zu achten, da Extravasate zu schmerzhaften entzndlichen Reaktionen des Gewebes fhren knnen. Mgliche Wirkungsabschwchung von Ibuprofen oder Chloroquin bei gleichzeitiger Gabe von Treosulfan. Es besteht ein embryotoxisches/teratogenes Risiko beim Menschen (1. Trimenon) und ein fetotoxisches Risiko (2. und 3. Trimenon). Personen im fertilen Alter sollten whrend und bis 3 Monate nach der Behandlung kontrazeptive Manahmen ergreifen oder sexuelle Abstinenz einhalten. Im Falle einer Intoxikation steht ein spezifisches Antidot gegen die zytostatische Wirkung nicht zur Verfgung. ber den Wert einer Dialyse ist nichts bekannt. Besonderheiten
Wirksam auch bei Mammakarzinom. Maximal tolerierte Einzeldosis bei vorbehandelten Patienten 10 g/m2. Dosislimitierend ist die Thrombozytopenie. Relativ wenig nicht-hmatologische Toxizitt. Deshalb evtl. geeignet fr Hochdosistherapie mit Stammzellschutz.
Tretinoin All-Trans-Retinsure (ATRA)
Pharmakologie
Vitamin-A-Derivat, physiologischerweise vorhandener Metabolit von Vitamin A. Induktion der Zelldifferenzierung und Hemmung der Zellproliferation hmatopoetischer Zellen. Die Wirkung beruht wahrscheinlich auf der Bindung an einen modifizierten (rearrangierten) nukleren RetinsureRezeptor (Retinoic Acid Receptor = RAR). Die Chromosomen-Transloka-
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Antineoplastische Substanzen
tion t(15;17) fhrt zu einem PML/RAR-Fusionsprotein, das charakteristisch fr die Promyelozytenleukmie (PML) ist. Inter- und intraindividuell stark schwankende Resorption nach oraler Gabe. berwiegende Bindung an Plasmaproteine. Elimination aus dem Plasma mit einer Halbwertszeit von 0,7 h. Ausscheidung zu ca. zwei Dritteln im Urin (oxidierte und glukuronidierte Metaboliten) und zu ca. einem Drittel im Stuhl. Zulassung
Initialtherapie der akuten Promyelozytenleukmie (APL; FAB-Klassifikation AML-M3). Dosierung
45 mg/m2 KOF, verteilt auf 2 gleiche Tagesdosen jeweils mit einer Mahlzeit, p.o. tglich einnehmen bis zum Erreichen einer Vollremission oder bis zu maximal 90 Tagen (meist in Kombination mit einer anthrazyklinhaltigen Chemotherapie). Nebenwirkungen
Retinsa¨uresyndrom (Retinoic Acid Syndrome = RAS): Fieber, Dyspnoe, akute Atemnot, asthmahnliche Symptome, Lungeninfiltrate, Pleuraergsse, Hyperleukozytose, Hypotonie, deme, Gewichtszunahme, Leber-, Nieren- und Multiorganversagen. Sofortige Behandlung des RAS mit Dexamethason (10 mg alle 12 h bis zum Verschwinden der Symptome). Erhhtes Thromboserisiko im ersten Behandlungsmonat. Hypervitaminose A: Hauttrockenheit, Erythem, Exanthem, Pruritus, Haarausfall, Schwitzen, Cheilitis, Trockenheit von Schleimhuten, belkeit/Erbrechen, Kopfschmerzen, Erhhung des intrazerebralen Druckes, Pseudotumor-cerebri-Syndrom (v.a. bei Kindern). Schwindelgefhl, Angstzustnde, Depressionen, Parsthesien, Seh- und Hrstrungen. Schlaflosigkeit, Unwohlsein. Knochenund Brustschmerzen. Bauchschmerzen, Diarrh, Obstipation. Pankreatitis. Leber- und Nierenfunktionsstrungen. Kardiale Arrhythmien. Anfallsartige Hautrtungen und Hitzegefhl. Hinweise fu¨r den Umgang
Kontraindiziert ist die Kombination mit niedrigdosierten Gestagenen (kein ausreichender Konzeptionsschutz), mit Tetrazyklinen (Steigerung des intrakraniellen Druckes) bzw. mit anderen Vitamin-A-Derivaten (Verstrkung der Symptome der Hypervitaminose A). Tretinoin ist teratogen, deshalb keine Anwendung in der Schwangerschaft oder in der Stillzeit. Tretinoin schrnkt die kontrazeptive Wirkung niedrigdosierter Gestagene ein. Deshalb werden andere kontrazeptive Methoden
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Substanzprofile: Zytostatika, Hormone, Zytokine
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vorgeschlagen. ber die Dosierung bei Patienten mit eingeschrnkter Leber- oder Nierenfunktion liegen keine ausreichenden Informationen vor, sicherheitshalber wird die Reduktion der Tagesdosis auf 25 mg/m2 empfohlen. Bemerkungen
Die gleichzeitige Nahrungsaufnahme erhht die Bioverfgbarkeit der Retinoide. Da Tretinoin vom Cytochrom-P450-Enzymsystem der Leber metabolisiert wird, besteht die Mglichkeit der Interaktion mit dem Abbau oder der Aktivierung anderer Medikamente (z.B. Glukokortikoide, Phenobarbital, Pentobarbital, Rifampicin, Ketoconazol, Cimetidin, Erythromycin, Verapamil, Diltiazem, Cyclosporin). Tretinoin selbst fhrt bei wiederholter Anwendung zur Induktion des P450-Enzymsystems und wird dadurch schneller abgebaut und damit weniger bioverfgbar. Wiederherstellung der Sensitivitt mit Interferon-a (weniger Induktion des Metabolismus). Synergismus mit Interferon-a und Cisplatin. Gute Funktion der durch Tretinoin-Differenzierung erzeugten reifen Granulozyten. Folgende speziellen Nebenwirkungen wurden bei Einzelfllen beschrieben: Hyperkalzmie (Vermeidung durch nachfolgende Dosisverminderung auf 27 mg/m2 tglich), Sweet-Syndrom (akute febrile neutrophile Dermatose), Erythema nodosum, intravasale Hmolyse, Thrombozytose, akute Pankreatitis, hmorrhagische Gastritis, Knochenmarknekrose bzw. -fibrose, Blutungskomplikationen, Thromboembolien, Kolon-Pseudoobstruktion, lebensbedrohliche Hepatotoxizitt, Hyperhistaminmie. Erfolgreiche Behandlung mehrerer