Ulrich Hommel/Thomas C. Knecht/Holger Wohlenberg (Hrsg.) HancIbuch Unternehmensrestrukturierung
Ulrich Hommel Thomas C. Knecht Holger Wohlenberg (Hrsg.)
Handbuch Unternehmensrestru ktu ri eru ng Grundlagen - Konzepte- Mal~nahmen
GABUER
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet Cliese Publikation in Clef Deutschen Nationalbibliografie; Cletaillierte bibliografische Daten sind im Internet ~iber abrufbar.
Professor Ulrich Hommel, Ph.D., ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls for Unternehmensfinanzierung uncl Kapitalm~rkte sowie Akaclemischer Direktor des Instituts for Restrukturierungsforschung uncl Beteiligungsmanagement an cler EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Professor Dr. Thomas C. Knecht ist Juniorprofessor uncl Akaclemischer Direktor des Instituts for Restrukturierungsforschung uncl Beteiligungsmanagement an cler EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Dr. Holger Wohlenberg ist Managing Director cler Deutsche B6rse AG, Frankfurt am Main, sowie Beirat des Instituts for Restrukturierungsforschung uncl Beteiligungsmanagement an cler EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel.
1. Auflage Dezember 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Jutta Hauser-Fahr / Walburga Himmel Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Meclia. www.gabler.cle Das Werk einschliel31ich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch0tzt. Jecle Verwertung aul~erhalb Cler engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzul~ssig uncl strafbar. Das gilt insbesonclere for Vervielf~ltigungen, 0bersetzungen, Mikroverfilmungen uncI die Einspeicherung uncl Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in cliesem Werk berechtigt auch ohne besonclere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, class solche Namen im Sinne der Warenzeichen- uncl Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w~ren uncl claher von jeclermann benutzt werclen cl0rften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt am Main Druck und buchbinclerische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Geclruckt auf s~urefreiem uncl chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-409-12654-6 ISBN-13 978-3-409-12654-0
Die volkswirtschaftliche Bedeutung und das 6ffentliche Ansehen liegen bei wenigen Themenfeldem ~ihnlich weit auseinander wie bei der Unternehmensrestrukturierung. So ist einerseits festzuhalten, dass das wirtschaftliche Wachstum und der gesellschaftliche Wohlstand unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, im Kern auf die unternehmerische Bew~iltigung von Problemsituationen und das erfolgreiche Management von Ver/inderungen zur/ickgeht. Die Erfordernis permanenter Anpassung ergibt sich sowohl aus ver~inderten 6konomischen Rahmenbedinungen, wie z. B. der Konsolidierung von Branchen, aber auch durch einzelwirtschaftliche Aspekte, wie z.B. Fehlentscheidungen von Ftihrungskr~iften. Auf Frist werden nur die Unternehmen erfolgreich am Markt agieren, die sich wettbewerbsf~ihig aufstellen und somit die Herausforderung der Unternehmensrestrukturierung annehmen. Andererseits l~isst sich konstatieren, dass gerade in Deutschland die Unternehmensrestrukturierung nicht als Thema 6ffentlichen Glanzes angesehen wird. Dies 1/isst sich sowohl an der 6ffentlichen Einsch~itzung der Krise als vermeintliches Versagen und nicht als unternehmerische Chance zur strategischen Neuausrichtung festmachen, als auch an der oftmals einseitigen Fokussierung auf den Verlust von Arbeitspl~itzen. Mehr als 40.000 Insolvenzen pro Jahr und eine signifikant h6here Anzahl von Sanierungs- und Restrukturierungsf~illen in Deutschland belegen die Bedeutung der Unternehmensrestrukturierung. Alle diese Gesellschaften haben sich mit der Neuausrichtung ihres Gesch/iftsmodells und ihrer Strukturen auseinanderzusetzen. Ist die Unternehmensrestrukturierung fehlgeschlagen, so hinterlassen die Gesellschaften einen erheblichen finanziellen Schaden und nachhaltigen Ertragseinbruch in der Volkswirtschaft. Insgesamt ist der Volkswirtschaft allein durch die Insolvenzen im vergangenen Jahr ein finanzieller Schaden von rund 40 Mrd. Euro entstanden. Diese Fakten allein sollten Grund genug dafiir sein, dass wir uns mit der Materie der Unternehmensrestrukturierung nachhaltig auseinandersetzen. Veranlasst durch die erhebliche 6konomische Bedeutung hat sich im Themenfeld der Unternehmensrestrukturierung eine Industrie etabliert, die versucht, die Widerherstellung von Ertragskraft und Innovationsf/ihigkeit mit dem Restrukturierungskandidaten zu meistern. In erster Linie sind dies die Eigentiimer und Kreditinstitute, die sich um die finanzielle Ausstattung bemiihen sowie die Fiihrungskr~ifte und Berater, die sich um die stategischen und operativen Herausforderungen kiimmern. In der jiingsten Vergangenheit haben hier auch intemationale ,,Distressed Investoren" an Bedeutung gewonnen, die eine strikt wertorientierte Unternehmensrestrukturierung unterstiitzen und damit auch die Finanzierungsfunktion deutscher Kreditinstitute
erg~inzen. Dadurch gewinnt auch die Unternehmensrestrukturierung an Intemationalit~it und r6ckt gleichzeitig starker in das 6ffentliche Interesse. Dem untemehmerischen Engagement Raum zur Entfaltung zu geben ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Gerade im Kontext der Untemehmensrestrukturierung sind die innovativen Kr~ifte der Menschen und Untemehmen zu unterst6tzen, die die wirtschaftliche St~irke Deutschlands darstellen. F6r die Politik bedeutet dies, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Untemehmen und Untemehmer unseres Landes so erfolgreich wie m6glich agieren k6nnen. Dieses Handbuch, das aus verschiedenen Beitr~igen zahlreicher renommierter Experten zusammengestellt wurde, soil als Standardwerk f4ir das Themengebiet der Unternehmensrestrukturierung den Nutzem aus Wissenschaft und Praxis einen umfassenden 0berblick 6ber diese komplexe Thematik vermitteln. Es enth~ilt in mehreren aufeinander aufbauenden Kapiteln alles Relevante i~ber Untemehmensrestrukturierung und -sanierung. Damit ist ein Handbuch entstanden, das durch seine Tiefe und seine Breite der hohen Bedeutung von Unternehmensrestrukturierungen und -sanierungen im Wirtschaftsleben Rechnung tr~igt. Die Etablierung des vorliegenden Kompendiums zu diesem Thema wird den Grundstein daffir legen, die vielf~iltigen Facetten und Zusammenh~inge der Unternehmensrestrukturierung besser zu verstehen und zu handhaben. Ich bin zuversichtlich, dass auch diese Publikation den guten Ruf, den die EUROPEAN BUSINESS SCHOOL in Oestrich-Winkel in Wissenschaft und unternehmerischer Praxis genieBt, weiter festigen wird.
ROLANDKOCH (Hessischer Ministerpr~isident)
Eine erfolgreiche 0berwindung der Unternehmenskrise setzt zun~ichst voraus, sie als ,normale" Phase innerhalb der dynamischen Unternehmensentwicklung zu verstehen und zu akzeptieren. Einige konzeptionelle Ans~itze zur Erl~iuterung der Organisationsentwicklung ffihren die Degeneration, also den unternehmerischen Abschwung als ausgewiesene Krisenphase der Gesellschaft am ,Ende" des Lebenszyklus an. Andere Modelle markieren den 0bergang von einzelnen Entwicklungsschritten in jeder Phase der Unternehmensentwicklung als Krisensituation, die den Fortbestand der Firma substanziell gef~ihrden oder sogar unm6glich machen kann. Die Sanierung der Unternehmenskrise und somit die Erhaltung der unternehmerischen Existenz ist dabei ffir jede Krise als fibergreifendes Ziel angestrebt. Die praktischen Implikationen der Unternehmenssanierung, insbesondere einer fehlgeschlagenen, sind weitgehend bekannt und gleichsam drastisch: In 2004 verursachten rund 40.000 Unternehmensinsolvenzen Insolvenzsch~iden in H6he von 39,4 Mrd. Euro, wovon 11,9 Mrd. Euro auf die 6ffentliche Hand entfielen. Durchschnittlich ffigte jede Unternehmensinsolvenz ihren Gl~iubigern einen Ausfall von rund 700.000 Euro zu. Mehr als 600.000 Arbeitspl~itze wurden durch diese Insolvenzen vernichtet. Neben den medienwirksamen Insolvenzen, die nur einen Bruchteil der krisengeschfittelten Firmen darstellen, dfirften sich in Deutschland rund 100.000 Unternehmen in der Liquidit~its- bzw. Ergebniskrise befinden und ca. weitere 200.000 in einer strategischen Krise. Diese Vielzahl von Sanierungs- bzw. Restrukturierungsf~illen liefert auch Konsequenzen ffir die beteiligten Kapitalgeber. So mussten bspw. die zehn gr6t~ten Banken in 2004 einen Zugang zu Wertberichtigung aus Kreditausfall von ca. 13,2 Mrd. Euro bilden. Gelingt hingegen eine erfolgreiche Sanierung der Unternehmenskrise, werden neue Wachstumsimpulse und neue unternehmerische Chancen geschaffen. Voraussetzung hierffir ist jedoch stets die Anwendung einer soliden und zielgerichteten Methodenkompetenz. Die tradierten Vorgehensweisen der praktischen Untemehmenssanierung werden durch neue Markttrends verschoben, so dass ver~inderte bzw. innovative Ans~itze zur erfolgreichen Sanierung ffihren. In jfingster Zeit erwerben vermehrt angels~ichsisch gepr~igte Investoren angeschlagene Unternehmen bzw. deren Fremdkapitalanteile. Dies bedeutet, dass neben dem operativen Bankenpool einer Unternehmenssanierung auch der Kapitalmarkt ffir die Platzierung von Distressed Debt zunehmend eine Rolle spielt. Dadurch ergeben sich ffir die Beteiligten neben neuen Formen der Refinanzierung auch ver~inderte Verhaltens- bzw. Vorgehensweisen, die st~irker (kapital-) marktgetrieben sind. Durch die zunehmende Renditeorientierung anstatt der Schadensbegrenzung in der Sanierung gewinnen auch die Professionalisierung der Sanierungskonzepte und die st~irkere Wertorientierung der Sanierungsmethoden an Bedeutung.
III
Somit wird evident, dass die ganzheitliche Sanierung in Deutschland weiter ausgebaut wird, indem die Elemente der strukturellen, der leistungswirtschaftlichen und der finanziellen Sanierung unter Beriicksichtigung der M6glichkeiten einer gerichtlichen Sanierung weiter integriert werden. Zielsetzung der Herausgeber ist es, mit dem vorliegenden Handbuch eine umfassende, solide und aktuelle Informationsgrundlage f-fir all jene zu schaffen, die nachhaltig mit der Unternehmenssanierung betraut sind bzw. sich dafiir interessieren. Dazu haben wir in den letzten eineinhalb Jahren nach der Konzepterstellung die relevanten Themen an eine Vielzahl von einzelnen Experten aus Wissenschaft und Praxis vergeben. Das Zustandekommen der vorliegenden Publikation ware nicht m6glich gewesen, wenn uns nicht namhafte Autoren bei Konzeption und inhaltlicher Umsetzung unterstiitzt h/itten. Die intensive Zusammenarbeit mit diesen Experten war und ist fi~r uns sehr wichtig, so dass wir all diesen Autoren nachhaltig zu sehr grofiem Dank verpflichtet sind. Ganz besonderen Dank sagen wir Herrn DR. KLAUST. EICHHORN. Er hat diesem Projekt iiberdurchschnittliche Beachtung und aufierordentliches Engagement zukommen lassen. Danken m6chten wir ferner Herrn CHRISTIAN DICKOPF und Herrn BENJAMIN PFEIFER fiir die Unterstiitzung in der formalen Bearbeitung des Handbuchs. Abschliefiend gilt unser besonderer Dank Frau CLAUDIASPLITTGERBER,Frau JUTTAHAUSER-FAHR und Frau WALBURGAHIMMEL vom Gabler Verlag. Ffir die Annahme des vorliegenden Titels zur Publikation, f/.ir die stets sehr kompetente und vertrauensvolle Zusammenarbeit sind wir ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Alle Leser der vorliegenden Publikation d/irfen wir bitten, uns jegliche Form von konstruktiver Anregung, die zur Verbesserung des Buches beitragen k6nnte, zukommen zu lassen. 0ber die E-Mail-Adresse
[email protected] ber/.icksichtigen wir die Hinweise und Kommentare gerne.
Oestrich-Winkel, M/inchen, Frankfurt im September 2005
ULRICHHOMMEL THOMASC. KNECHT HOLGERWOHLENBERG
IV
Abkiirzungsverzeichnis ....................................................................................................... XI
Autorenverzeichnis ............................................................................................................. XIX
Teil 1: Grundlagen
Hommel/ Knecht/ Wohlenberg Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise .............................................................. 27
Woywode Erkl~irung der 0berlebenswahrscheinlichkeit von U n t e r n e h m e n - Theoretische Ans~itze .................................................................................................................................... 61
Thoma/ Wilke Rechtliche G r u n d l a g e n der U n t e r n e h m e n s s a n i e r u n g - Ein internationaler Vergleich .................................................................................................................................. 99
Blatz/ Kudla Ganzheitliche R e s t r u k t u r i e r u n g - Konzeptverst/indnis fi.ir den nachhaltigen Erfolg am Beispiel der Muster-AG ..................................................................................... 129
Giessler Bedeutung des Unternehmenswerts fi~r das S a n i e r u n g s m a n a g e m e n t - Shareholder Value-Management in der Krise ........................................................................................ 157
Teil 2: Restrukturierungs- und Sanierungsbedarf
Zwick/ Spencer Frtihwamsignale finanzieller K r i s e n - Vorboten der Insolvenz .................................... 187
Bickel/ Krolak/ Mach Instrumente zur F r 6 h e r k e n n u n g von Problemkrediten ................................................. 211
V
Altman/ La Fleur Ein management-orientierter Weg zur finanziellen Gesundung ................................... 235
Lang-von-Wins/ Kaschube/ von Rosenstiel F~hrungskompetenzen bei der U n t e r n e h m e n s r e s t r u k t u r i e r u n g Einbindung und Beurteilung des Management ............................................................... 253
Drukarczyk Insolvenztatbest/inde als Anstot~ zur Restrukturierung? ................................................ 277
Teil 3: Restrukturierungskonzept und-planung Andersch/ Schneider Erstellung und Testierung von Sanierungskonzepten .................................................... 303
Gro~/ Amen Fortbestehensprognose - Rechtliche Grundlagen und Erstellung aus betriebswirtschaftlichen Perspektiven .................................................................................................... 335
Lubos Sofortmat~nahmen und Instrumente zur U n t e r n e h m e n s a n a l y s e Erste Einsch~itzung der Sanierbarkeit von Krisenunternehmen .................................... 365 Zass Etablierung der Restrukturierungsorganisation- Managementqualit~it u n d Turnarounderfolg ................................................................................................................. 391
Reinert Kommunikation als Managementaufgabe in Sanierungen - Ausgestaltung der internen und externen Kommunikation ............................................................................ 413
Baden Kreditversicherung als Instrument des Risikomanagements und der Absatzsicherung ................................................................................................................... 435
Teil 4: Strukturelle Sanierung Picot Fortf/ihrungsgesellschaft und krisenbedingte Betriebsaufspaltung .............................. 459
VI
Wohlenberg/ Altenkirch Eigentiimerwechsel in der Sanierung ................................................................................ 485
Liebler Fusion als strukturelle Sanierungsoption ......................................................................... 511
Winkels Effiziente Corporate Governance in der U n t e r n e h m e n s k r i s e - Beirat, Aufsichtsrat und Mitbestimmung ............................................................................................................
547
Thommen/ Richter Ver~inderung der Organisationsstruktur (Redimensionierung) .................................... 581
Eisenberg Sanierungsmanagement: Ver/inderung der Unternehmensfi.ihrung ............................. 609
Hommel/ Kemper Sicherung der Netzwerkintegrit/it in der Unternehmenssanierung .............................. 625
Selzner/ Neuhaus Haftungsrisiken f/ir das Management in der U n t e r n e h m e n s k r i s e - Gesch~iftsleiterpflichten, zivilrechtliche Haftung, strafrechtliche Verantwortlichkeit .......................... 645
Teil 5: Finanzielle Sanierung
Hommel/ Schneider Finanzielle Sanierung als Grenzfall selbstbestimmter Kapitalstrukturpolitik ............. 691
Drukarczyk/ Schiiler Bewertung sanierungsbed/irftiger Kapitalgesellschaften ............................................... 709
Knecht Steuerung von Zahlungsf~ihigkeit und Untemehmensliquidit~it- Okonomische und rechtliche Implikationen in der Unternehmenssanierung ..................................... 739
Albrecht/Fiiger/Danneberg Distressed E q u i t y - Mat~nahmen zur Sanierung des Eigenkapitals .............................. 779
Reger Kapitalherabsetzung und - e r h B h u n g - Mat~nahmen zur Sanierung des Eigenkapitals ........................................................................................................................
807
VII
Inhal tsverzeichnis
Hass/ Schreiber/ Tschauner Sanierungsinstrument "Debt for Equity Swap". ............................................................... 841
Aldenhoff/ Kalisch Distressed Debt u n d Vulture Investing - Mat~nahmen zur Sanierung des Fremdkapitals ....................................................................................................................... 875
Meyer Workout M a n a g e m e n t - Mat~nahmen zur Sanierung des Fremdkapitals .................... 907
Schiereck/Weigl Prognose von Sanierungskreditvergaben in Deutschland - Ein Instrument ffir U n t e r n e h m e n s i n s i d e r .......................................................................................................... 935
von Tippelskirch H y b r i d e Finanzierungsinstrumente in der U n t e r n e h m e n s s a n i e r u n g Einsatzbereiche u n d Bedeutung von Mezzanine ............................................................. 961
Eichhorn/ Lawall S a n i e r u n g s s t e u e r r e c h t - Steuerliche Konsequenzen der U n t e r n e h m e n s s a n i e r u n g .... 981
Kriszeleit Offentliche Bfirgschaften - insbesondere Landesbfirgschaften .................................... 1017
Teil 6: Leistungswirtschaftliche Sanierung Strecker Restrukturierung u n d N e u a u s r i c h t u n g von Gesch/iftssystemen- Fallbeispiel HERLITZ AG .......................................................................................................................... 1045
Biirgel Innovation u n d U n t e r n e h m e n s r e c h t e - Sanierungs- u n d Restrukturierungsm e t h o d e n ............................................................................................................................. 1073
Voegele/ Gras S a n i e r u n g s m e t h o d e n im E i n k a u f - Stellgr6t~en, Mat~nahmen, Erfolgsfaktoren ........ 1101
Venohr R e s t r u k t u r i e r u n g s m e t h o d e n in den Querschnittsfunktionen ...................................... 1127
VIII
Inhal tsverzeichnis
iiiiiiiiiiiiiiiii~iiiiiiiiiiiiiiiiii~iiii
i~i~iZ~ii~i~1iii~iiiiiiii~ii~i~i~1~i~ii~i~i~i~i~i~i~ii~iii~iiiiiiii !i~iiii~i~i~ii~iii~ii~i!ii~i~i~ii~!~iii~i~i~iii~i~i~ii~ii~iii~iiiii~i
Bezani/ Richter Sanierungsmat~nahmen im Personalbereich- individual- und kollektivrechtliche Mittel .................................................................................................................................... 1151 von Perfall/ Uhlendorf Operative Umsetzungsbarrieren einer leistungswirtschaftlichen Sanierung ............ 1189
Teil 7: Gerichtliche Sanierung: Insolvenz als Option R6dl Strukturen, Ursachen und Phasen von Unternehmenskrise ........................................ 1219 Miinch/ Fischer Mat~geblichkeit der Insolvenzreife- Er6ffnungsgriinde, Antragsverfahren und Haftung bei Insolvenzverschleppung ............................................................................. 1233 B6rner/ Terpitz Insolvenzplanverfahren- Option einer gerichtlichen Sanierung ................................ 1283 Wohlleben Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) - Schutz der betrieblichen Altersvorsorge bei Insolvenz des Arbeitgebers .........................................................................................
1307
van Betteray/ von der Fecht Chancen aus der Internationalisierung der Insolvenzpraxis ........................................ 1335
Teil 8: Restrukturierungs-/Sanierungsabsicherung Rasche/ Roth/ Schmidt-Gothan Controlling- und Reportingsysteme im S a n i e r u n g s m a n a g e m e n t Herausforderungen und L6sungsans~itze ....................................................................... 1371 Picot/Ertsey Okonomische Anreizmechanismen zur Sicherstellung des Restrukturierungsergebnisses ..........................................................................................................................
1399
Sieger Besonderheiten bei der Sanierung von F a m i l i e n u n t e r n e h m e n Das Spannungsfeld Unternehmen, Unternehmensleitung und Privatverm6gen ..... 1429
IX
Inhal tsverzeichnis
Kvarnstr6m/ Ortwein Der Einsatz des Good-Bank/Bad-Bank-Modells - Eine Erfolgsstrategie bei der Restrukturierung der DRESDNERBANK
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1449
Stichwortverzeichnis ........................................................................................................ 1473
X
ABL. EG ABS AD AG AGB AIB AktG AKV AnSVG AO AP APV AR Art. BAB BaFin BAG BayOLG BB BBH BC BDA BDI BDSG BDU Begr. Begr. RegE BErzGG BetrAVG BetrVG BFH BFO BFuP BGB BGH BGHSt
Amtblatt der Europ/iischen Gemeinschaft Asset backed Securities Anlagendeckung Aktiengesellschaft Allgemeine Gesch~iftsbedingungen Allgemeine Versicherungsbedingungen fiir die Insolvenzsicherung der betrieblichen Alterversorgung Aktiengesetz Ausfuhrkreditversicherung Anlegerschutzverbesserungsgesetz Abgabenordnung Arbeitspapier Adjusted Present Value Aufsichtsrat Artikel Betriebsabrechnungsbogen Bundesamt f/ir Finanzdienstleistungen Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberlandsgericht Betriebsberater B/irgschaftsbank Hessen GmbH Bankruptcy Code Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverb/inde Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesdatenschutzgesetz Bund Deutscher Unternehmensberater Begriindung Begr/indung eines Regierungsentwurfs Bundeserziehungsgeldgesetz Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis B/irgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen XI
i!i•iiiiii•iiiii•ii•iiiiii•iiiiiii!i•iii•i•i•i•ii•i
~ii!i i i~i~i~i~i~i~i~i~i !i i ~i i i i i ~i ~i i ~i i~i i i~i i i ~i i iAbkiJrzun~sverzeichnis i i i i~i!i~i~i i~i i i i ~:~ ~!ii ~i~i i~i~i~!~i~i~i i i !i i i i i i~i~i~!~i~i~i i i !i i~i i i i !i~i~!~ii~i i i i!i!i i
BGHZ BidCo BIP BKR BMBF BMF BMJ BMWA BNCG BoB BPO BQG BSP BStB1 BT-Drs. BV BVCA BVL c.p. CAD CapEx CAPM CDAX CEO CF CFO Chp. CIO CLEC's CMA CRO CVA D&O-Versicherung DAX DB DBLA DBMS DB-Rechnung DBW DCF DCGK DIN DJ-Index XII
Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen Erwerbervehikel Bruttoinlandsprodukt Zeitschrift fi.ir Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium ffir Bildung und Forschung Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz Bundesministerium f/Jr Wirtschaft und Arbeit Berliner Netzwerk Corporate Governance B(irgschaft ohne Bank Business Process Outsourcing Besch/iftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft Bruttosozialprodukt Bundessteuerblatt Deutscher Bundestag / Drucksache niederl~indische GmbH-Variante British Venture Capital Association Verband der Bundesvereinigung Logistik e.V. ceteris paribus Computer Aided Design Capital Expenditures Capital Asset Pricing Model Composite Deutscher Aktienindex Chief Executive Officer Cash-Flow Chief Financial Officer Chapter Chief Information Officer Competitive Local Exchange Carriers Center for M & A Chief Restructuring Officer Company Voluntary Arrangement Directors'& Officers'-Versicherung Deutscher Aktien Index Der Betrieb Dresdner Bank Lateinamerika Datenbankmanagementsystem Deckungsbeitragsrechnung Die Betriebswirtschaft Discounted Cash-Flow Deutscher Corporate Governance Kodex Deutsche Industrie Norm Dow Jones-Index
Abk~rzungsverzeichnis
DStR DStRE DSWR DtA DV DZWIR EAD EBIT EBITDA ebs EClass EDV EGBGB EGHGB EGV EK EKQ EPS ERP EStG EU EuGH EuInsVO EuZW EVA EVCA EWG F&E FAQ FAR FAS FASB FAZ FB/IE FG Fibu FINK FK FKQ FKS FKVO
Deutsches Steuerrecht Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Datenverarbeitung- Steuer- Wirtschaft- Recht Deutsche Ausgleichsbank Datenverarbeitung Deutsche Zeitschrift f/Jr Wirtschafts- und Insolvenzrecht Exposure at Default Earnings before interest and taxes Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization EUROPEAN BUSINESS SCHOOL Internationaler Standard zur Klassifizierung und Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen Elektronische Datenverarbeitung EinfLihrungsgesetz zum Bfirgerlichen Gesetzbuch Einf/ihrungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Vertrag zur Grfindung der Europ~iischen Gemeinschaft Eigenkapital Eigenkapitalquote Earnings per Share Enterprise Ressource Planning Einkommenssteuergesetz Europ~iische Union Europ~iischer Gerichtshof Europ~iische Insolvenzverordnung Europ~iische Zeitschrift ffir Wirtschaftsrecht Economic Value Added European Private Capital Association Europ~iische Wirtschaftsgemeinschaft Forschung und Entwicklung Frequently Asked Question Fachausschuss Recht Financial Accounting Standards Financial Accounting Standards Board Frankfurter Allgemeine Zeitung Zeitschrift ffir Unternehmensentwicklung und Industrial Engineering Finanzgericht Finanzbuchhaltung Finanzkraft Fremdkapital Fremdkapitalquote Fremdkapitalstruktur Fusionskontrollverordnung XIII
Abk~rzungsverzeichnis
FN-IDW FSLIC FTE GA GBP GCCG GenG GewStR GF GmbH GmbH & Co. KG GmBH & Co. KGaA GmbHG GmbHR GrEStG GuV GWA GWB HAG HBR HFA des IDW HGB
HJ. HLHZ HP HR IAS IASB IBH IBM IDW IFRS IHK IKB IKV IMA INF InsO InsVV IPO IPR XIV
IDW-Fachnachrichten Federal Savings and Loan Insurance Corporation Flow to Equity Gemeinschaftsaufgabe Great Britain Pound German Code of Corporate Governance Genossenschaftsgesetz Gewerbesteuerrecht Gesch~iftsffihrer Gesellschaft mit beschfi~_nkter Haftung Gesellschaft mit beschr~inkter Haftung und Compagnie Kommanditgesellschaft Gesellschaft mit beschr~inkter Haftung und Compagnie Kommanditgesellschaft auf Aktien GmbH-Gesetz GmbH Rundschau Grunderwerbssteuergesetz Gewinn- und Verlustrechnung Gemeinkosten-Wertanalyse Gesetz gegen Wettbewerbsbeschr~inkungen Heimarbeitsgesetz Harvard Business Review Hauptfachausschuss des IDW Handelsgesetzbuch Halbjahr Houlihan Lokey Howard & Zukin Hewlett-Packard Human Resource International Accounting Standards International Accounting Standards Board Investitionsbank Hessen International Business Machines Institut der Wirtschaftsprtifer International Financial Reporting Standards Industrie- und Handelskammer Deutsche Industriebank Investitionsgtiterkreditversicherung Interministerieller Ausschuss Informaciones Insolvenzordnung Insolvenzrechtliche Vergtitungsordnung Initial Public Offering Intellectual Property Rights
AbkOrzungsverzeichnis !i!!!ii iiiii i~!ii~i~!i~i IPRax IRB IRR IRU ISG ISO IT KapInHaG KapMuG KBD KG KGaA KKV KMU KNN KO KonTraG KPI KVP-Programm KSchG KStG KTS KTV KWG LAG LBO LG LGD LL.M. LMU lt. LTD. M&A m.w.N. MA MaK MaRisk MBI M.B.L.-HSG MBO MDA
Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internal Ratings Based Internal Rate of Return Institutional Restructuring Unit International Steel Group International Standards Organization Information Technologie Gesetz zur Verbesserung der Haftung f/ir falsche Kapitalmarktinformationen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Kapitalbindungsdauer Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konsumentenkreditversicherung Kleine und Mittlere Unternehmen Kiinstliches Neuronales Netz Konkursordnung Gesetz zur Kontrolle und Transparenz Key Performance Indicator kontinuierliches Verbesserungsprogramm K/indigungsschutzgesetz K6rperschaftssteuer- und Gewerbesteuergesetz Konkurs, Treuhand, Sanierung Kautionsversicherung Kreditwesengesetz Landesarbeitsgericht Leveraged Buy-Out Landesgericht Loss Given Default Legum Magister Ludwig-Maximilians-Universit/it laut Limited (angels~ichsische GmbH-Variante) Mergers & Acquisitions mit weiteren Nachweisen Mitarbeiter Mindestanforderungen an das Kreditgesch/ift der Kreditinstitute Mindestanforderungen an das Risikomanagement Management Buy-In Master of Business Law - Universit/it St. Gallen Management Buy-Out Multivariate Diskriminanzanalyse XV
AbkOrzungsverzeichnis
ii~'.iiii:,Ei~':i~,~,i:~,i.~~,iii~i~~'~' :i~:i'~~,~.:,
MindestKapG MIS MitbG MuSchG n.F. NEMAX NJW NPL NPV NSL NZA NZG OECD OEM OFD OHG OLG OpCo OPEB PAQ PD PE Ph.D. PIPE PR PSV PwC Q&A ReCap RegE RGZ VersR RHB ROCE ROI ROS RpflG RV RZ S&P S.A. S.a.r.L. SB XVI
Gesetz zur Neuregelung des Mindestkapitals der GmbH Management-Informationssysteme Mitbestimmungsgesetz Mutterschutzgesetz neue Fassung Neuer Markt Aktienindex Neue Juristische Wochenschrift Non Performing Loan Net Present Value Non-Strategic Loan Neue Zeitschrift fiir Arbeitsrecht Neue Zeitschrift fiir Gesellschaftsrecht Organisation for Economic Co-operation and Development Original Equipment Manufacturer Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Zielunternehmen Other Post Employment Profit Personalaufwandquote Probability of Default Private Equity Philosophiae Doctor Private Investment in Public Equity Public Relations Pensionssicherungsverein PricewaterhouseCoopers Questions and Answers Rekapitalisierung Regierungsentwurf Reichsgericht Zivilsachen Zeitschrift Versicherungsrecht Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Return on Capital Employed Return on Investment Return on Sales Rechtspflegergesetz Recovery Rate Randziffer Standard & Poors Soci6t6 Anonyme Socii6t6 h responsabilit6 limit6e Selbstbedienung
AbkOrzungsverzeichnis
SbA SEC Sec. SEK SFAC SGB SMAX SPL SPV SSC StGB TAPE TCO TEUR TQM TransPuG TVG TZ TzBfG U.S.C. UBGG UE UMAG UmwG UmwStG UNSPSC UR US USD US-GAAP VDE VDI WACC WKV WM WP WPg WpHG WPO WpUG XML
sonstiger betrieblicher Aufwand Securities and Exchange Commission Section Swedisch Krona Statements on Financial Accounting Concepts Sozialgesetzbuch Small Cap Exchange Sub-Performing Loan Special Purpose Vehicle Shared Service Center Strafgesetzbuch Turnaround Private Equity Total Cost of Ownership tausend Euro Total Quality Management Transparenz- und Publizit~itsgesetz Tarifvertragsgesetz BaFin Teilzeits- und Befristungsgesetz United States Code Gesetz fiber Unternehmensbeteiligungsgesellschaften Untersuchungseinheiten Gesetz zur Unternehmensintegrit~it und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz United Nations Standard Products and Services Code Umsatzrentabilit~it United States United States Dollar United States-General Accepted Accounting Standards Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e.V. Verein Deutscher Ingenieure Weighted Costs of Capital Warenkreditversicherung Wertpapier-Mitteilungen Wirtschaftspriifer Die Wirtschaftspriifung Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftspriiferordnung Wertpapiererwerbs- und Ubernahmegesetz Extensible Markup Language XVII
~
iiiiiiiiiiiiiiijiiiiiiiii~!~!~i~i~i~i~i~ii~i~iiiiiiiiii~iiii~ii!iiii~ii!iii!i!~!!!!~iiiiiiiiiiiii~iiii~
AbkOrzungsverzeichnis
ZBB ZBB Zfb ZfbF zfo ZfW ZfWB ZHR ZInsO ZIP ZkredW ZR ZVG
XVIII
Zeitschrift ffir Bankrecht und Bankwirtschaft Zero-Base-Budgeting Zeitschrift f-fir Betriebswirtschaft Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift Ffhrung + Organisation Zeitschrift f-fir Wirtschaftsrecht Zeitschrift ffir Wirtschafts- und Bankrecht Zeitschrift ffr das gesamte Handelsrecht Zeitschrift f/.ir das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift f/.ir Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift f~ir das gesamte Kreditwesen Zivilrecht Gesetz fiber die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung
i iii i i iiiiiiiiiiiii Dr. Hans Albrecht, LL.M., Gr/indungspartner und Managing Director bei Nordwind Capital, M~inchen. Dr. Hans-Hermann Aldenhoff, LL.M. (Sydney), Rechtsanwalt, Partner & Head of Corporate Restructuring bei Simmons & Simmons, D/isseldorf.
Georg F. Altenkirch, Wiss. Assistent am Lehrstuhl f/Jr Unternehmensfinanzierung und Kapitalm~irkte an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Professor. Edward I. Altman, Ph.D., Director Credit & Debt Markets Program, NYU Salomon Center, Leonard N. Stern School of Business, New York University. Dr. Matthias Amen, Wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl fi~r Betriebswirtschaftslehre, insb. Unternehmensrechnung und Controlling, Universit~it Duisburg-Essen, Campus Essen.
Tammo Andersch, MBA, WP, Partner und Head of Corporate Restructuring bei KPMG, Frankfurt. Dr. Gerd-Uwe Baden, Vorsitzender des Vorstandes der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG, Hamburg, und Mitglied des Vorstandes der Euler Hermes S.A., Paris. Dr. Thomas Bezani, Fachanwalt ftir Arbeitsrecht, Partner der Rechtsanwaltskanzlei GORGPartnerschaft von Rechtsanw/ilten, K61n. Dr. Walter Bickel, Gesch~iftsf/ihrender Partner und Global Head of Competence Center Recovery Management bei Droege & Comp., Miinchen, sowie Beirat in verschiedenen mittelst~indischen Industrieunternehmen.
Michael Blatz, Partner und Head of Competence Center Restructuring & Corporate Finance bei Roland Berger Strategy Consultants, Berlin. Dr. Andreas B6mer, Partner, Bereich Corporate Finance bei Norton Rose, M/inchen/ Frankfurt am Main. Professor Dr. Hans Dietmar Biirgel, Inhaber des Lehrstuhls fiir Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre in Forschung und Entwicklung an der Universit~it Stuttgart (i.R.) sowie Adjunct Faculty Member R&D-Management am Stuttgart Institute of Management and Technology (i.R.). Dr. Norbert Danneberg, Grtindungsparmer und Director bei Nordwind Capital, Mtinchen.
XIX
Autorenverzeichnis
Professor Dr. Dr. h.c. Jochen Drukarczyk, Inhaber des Lehrstuhls Rir Finanzierung an der ldniversit~it Regensburg. Dr. Klaus T. Eichhorn, Head of Corporate Restructuring Germany bei Arthur D. Little, Mfinchen. Norbert Eisenberg, gesch~iftsffihrender Gesellschafter der Boyden Interim Management, Bad Homburg. Beatrix Ertsey, Wiss. Mitarbeiterin am Institut ffir Information, Organisation und Management der Ludwig-Maximilians-Universit~it (LMU), Mfinchen. Giitz-Eric Fischer, Wiss. Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl ffir Bfirgerliches Recht, Handelsrecht, deutsches und ausl~ndisches Zivilprozessrecht an der GeorgAugust-Universit~it G6ttingen, sowie Mitarbeiter der Regulatory Services Group der KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft AG, Frankfurt am Main. Dr. Rolf Fiiger, Rechtsanwalt, Fachanwalt f~r Steuerrecht und Partner der Soziet~it Milbank, Tweed, Hadley & McCloy LLP, Mfinchen. Jan W. Giessler, Rechtsanwalt und Diplom-Kaufmann, Managing Partner und Head of Competence Center Corporate Restructuring und Corporate Finance bei ConLead GmbH, K61n.
Stephan Gras, Partner der CON MOTO Consulting Group GmbH, Stuttgart, sowie Trainer der OLIVER WIGHT Companies EAME, Ostfildern. Dr. Paul J. Grog, Partner bei Ernst & Young, K61n, sowie Vorsitzender des IDW Arbeitskreises ,Sanierung und Insolvenz" und Vorsitzender des Fachverbandes ,,Sanierungs- und Insolvenzberatung" im BDU sowie Lehrbeauftragter an der Universit~it Duisburg-Essen. Dr. Detlef Hass, Rechtsanwalt, Solicitor (England&Wales) und Partner der Soziet/it Lovells, Mfinchen, sowie Mitglied von INSOL. Professor Ulrich Hommel, Ph.D., Rektor und Inhaber des Stiftungslehrstuhls f~r Unternehmensfinanzierung und Kapitalm/irkte sowie Akademischer Direktor des Instituts ffir Restrukturierungsforschung und Beteiligungsmanagement an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Ingrid Kalisch, Rechtsanw/iltin und Partnerin im Bereich Financial Markets bei Simmons & Simmons, Frankfurt am Main. Privatdozent Dr. Jiirgen Kaschube, Wiss. Mitarbeiter der Ludwig-MaximiliansUniversit/it (LMU), Mfinchen, sowie Partner der Perform - Gesellschaft ffir nachhaltige Beratung, Mfinchen.
XX
Autorenverzeichnis
Andreas Kemper, Wiss. Assistent am Stiftungslehrstuhl f/Jr Unternehmensfinanzierung und Kapitalm/irkte der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel und Research Associate am New England Complex Systems Institute, Cambridge/MA. Professor Dr. Thomas C. Knecht, Juniorprofessor und Akademischer Direktor des Instituts f/ir Restrukturierungsforschung und Beteiligungsmanagement an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Dr. Rudolf Kriszeleit, Rechtsanwalt und Vorstand der Investitionsbank Hessen (IBH), Frankfurt am Main, sowie Gesch/iftsf/ihrer der Mittelst/indischen Beteiligungsgesellschaft Hessen MBGH, Frankfurt am Main. Dr. Thomas Krolak, Senior Manager im Bereich Business Performance Services der KPMG, Hamburg. Dr. Ralph Kudla, Project Manager im Competence Center Restructuring und Corporate Finance von Roland Berger Strategy Consultants, Berlin.
Jan E. Kvarnstr6m, (bis Februar 2006) Vorstand der Dresdner Bank AG, Frankfurt am Main, sowie CEO der Institutional Restructuring Unit (IRU) der Dresdner Bank AG, Frankfurt am Main. James La Fleur, ehem. CEO der GTI-Corporation, New York. Dr. Thomas Lang-von Wins, Partner der Perform - Gesellschaft f/it nachhaltige Betatung, M/inchen. Dr. Lars Lawall, Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner im Bereich International, Corporate und M&A Tax bei PricewaterhouseCoopers (PwC), Hannover. Dr. Hans Liebler, Vice President, Alternative Investments der Allianz AG, M~nchen; Lehrbeauftragter am Stiftungslehrstuhl f/Jr Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarktforschung an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Dr. G/inter Lubos, gesch~iftsf/ihrender Gesellschafter der TAC Consulting, M/inchen, sowie Mitglied des Beirats in verschiedenen Industrieunternehmen.
Andreas E. Mach, ehem. Mitglied der Gesch~iftsleitung der HypoVereinsbank, Ressort Firmenkunden und Freie Berufe, sowie stellvertretender Leiter des Gesch~iftsbereichs S/id, M/inchen, heute gesch/iftsf/ihrender Gesellschafter der GermanCapital Advisor GmbH, M/inchen. Dr. Rolf Meyer, Direktor mit Generalvollmacht i. R., Gesch/iftsbereich Firmenkunden Workout, Baden-W/irttembergische Bank, Stuttgart. Professor Dr. Joachim M/inch, Inhaber des Lehrstuhls f/ir B/irgerliches Recht, Handelsrecht, deutsches und ausl~indisches Zivilprozet~recht an der Georg-AugustUniversit/it G6ttingen sowie Vizepr~isident dieser Universit/it.
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Autorenverzeichnis
Dr. Martin Neuhaus, M.B.L.-HSG, Rechtsanwalt der Anwaltssoziet~it Shearman & Sterling LLP, DUsseldorf.
Dr. Birger Ortwein, selbst/indiger Unternehmensberater, Wiesbaden. Professor Dr. Dres. h.c. Arnold Picot, Vorstand des Instituts fur Information, Organisation und Management an der Ludwig-Maximilians-Universit/it (LMU), MUnchen, sowie Vorsitzender des M/inchner Kreis (Vereinigung f6r Kommunikationsforschung). Professor Dr. jur. Gerhard Picot, Inhaber des Stiftungslehrstuhls fur Wirtschaftsrecht, insbesondere Mergers & Acquisitions, und des Center for M & A (CMA) an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel, sowie Seniorpartner der PICOT Rechtsanwaltsgesellschaft, K61n/MUnchen. Professor Dr. Christoph Rasche, Leiter des Fachbereichs ,,Professional Services und Sport6konomie" an der Universit/it Potsdam, gesch~iftsfUhrender Vorstand des General Managment Institute Potsdam e.V. sowie Managing Partner der Stratvanguard Rasche, Heitele & Associates Managementberatung. Dr. Gerald Reger, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei N6rr Stiefenhofer Lutz, Rechtsanw/ilte Steuerberater Wirtschaftspr6fer Partnerschaft, MUnchen. Michael Reinert, Gesch/iftsfUhrender Gesellschafter, Leiter Kompetenz-Center Change-Management, Corporate and Financial Communications der A&B One Kommunikationsagentur GmbH, Frankfurt, sowie Managing Director der Beratungsgesellschaft fi~r Kapitalmarktkommunikation, A&B Financial Dynamics GmbH, Frankfurt.
Ansgar Richter, Ph.D., Leiter des Lehrstuhls fUr Management und Consulting, und Co-Direktor des Instituts fi~r Industrielles Dienstleistungsmanagement an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Dr. Marcus Richter, Rechtsanwalt der Kanzlei G6rg Partnerschaft von Rechtsanw/ilten, K61n, sowie Lehrbeauftragter an der Rheinischen Fachhochschule K61n im Studiengang ,,Wirtschaft & Recht" (Arbeitsrecht). Dr. Sven L. Roth, Leiter IT-Beratung Region Nord, sd&m AG, Berlin. Professor Dr. Lutz yon Rosenstiel, Inhaber des Lehrstuhls fur Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universit/it (LMU), MUnchen, sowie Vorsitzender des Kuratoriums f6r das Forschungsprogramm ,,Lernkultur Kompetenzentwicklung" des Bundesministeriums fiir Bildung und Forschung (BMBF). Professor Dr. Helmut R6dl, Mitglied im Gesamtvorstand des Verband Creditreform e. V. und pers6nlich haftender Gesellschafter der Creditreform Koblenz/Neuwied KG. Ferner Universit~itsprofessor (Finanz-, Kreditmanagement) der Universit~it Innsbruck. Dr. Harald Selzner, Rechtsanwalt und Partner der Anwaltssoziet~it Shearman & Sterling LLP, DUsseldorf.
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Autorenverzeichnis ~iiiiiiiiii~i!iiii~ii~ii~!1Zi~iiiiiiiii~]ii~ii~ii~i~5!~!iiiiii~:~i~iiiii~iii~!iWi!ii!!~!1i~
Dr. Gert Sieger, Mitinhaber der Beratungsgesellschaft Boehm-Bezing, Sieger & Cie., Stuttgart, und Dozent an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), OestrichWinkel. Professor Dr. Dirk Schiereck, Inhaber des Stiftungslehrstuhls Bank- und Finanzmanagement der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel, sowie Sprecher des Department of Finance.
Hanno Schmidt-Gothan, Investment Director bei Orlando Management und Gesch/ifts~hrer der Buderus Foundry Management S.a.r.L.. Ehemaliger Partner und Leiter der Turnaround-Practice bei der Advisum GmbH.
Hilmar Schneider, Wiss. Assistent am Stiftungslehrstuhl fur Unternehmensfinanzierung und Kapitalm~irkte der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Klaus J. Schneider, Manager im Bereich Corporate Restructuring der KPMG, Frankfurt am Main.
Stephen J. Spencer, Senior Vice President bei Houlihan Lokey Howard & Zukin, Minneapolis (USA). Norbert Strecker, ehem. Mitglied des Vorstandes der Herlitz AG und der Herlitz PBS AG, Berlin.
Susanne Schreiber, Rechtsanw/iltin und Steuerberaterin im Bereich Mergers & Acquisition bei einer international t/itigen Wirtschaftspr/ifungsgesellschaft in M/inchen. Professor Dr. Andreas Schiller, Inhaber des Lehrstuhls fur Finanzwirtschaft und Finanzdienstleistungen (Fakult/it f6r Wirtschafts- und Organisationswissenschaften) an der Universit~it der Bundeswehr Mi~nchen.
Jochen Terpitz, Rechtsanwalt der Kanzlei Norton Rose im Bereich Corporate Finance, Frankfurt am Main.
Georg F. Thoma, Rechtsanwalt und Partner der Anwaltssoziet/it Shearman & Sterling LLP, D/isseldorf. Professor Dr. Jean-Paul Thommen, Inhaber des Lehrstuhls Organizational Behavior & Human Resource Management an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel, sowie Titularprofessor an der Universit~it Z/irich. Dr. Heiko Tschauner, Rechtsanwalt der Soziet~it Lovells im Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht, M~inchen, sowie Mitglied von INSOL. Jens Uhlendorf, Rechtsanwalt der Kanzlei Lovells im Bereich Steuerrecht, M/inchen. Wolfgang van Betteray, Seniorpartner der Soziet~it Metzeler-van Betteray, D/isseldorf.
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Autorenverzeichnis
Dr. Bernd Venohr, ehem. Gesch~iftsfiihrer Corporate Development der Accenture GmbH, Kronberg, sowie Mitglied des weltweiten Leadership Teams der Business Process Outsourcing Holding von Accenture. Dr.-Ing. Andreas R. Voegele, Gesch/iftsfi~render Gesellschafter der CON MOTO Consulting Group GmbH, Stuttgart, Vorstand des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) sowie Lehrbeauftragter an der FHTE, DonauUniversit~it, Krems, Phillips-Universit~it, Marburg, Hamburg School of Logistics. Dr. Wolf-R. yon der Fecht, Partner der Soziet~it Metzeler-van Betteray, D6sseldorf. Dr. Eberhard Freiherr yon Perfall, Rechtsanwalt und Fachanwalt f~ir Steuerrecht der Kanzlei Lovells, Di~sseldorf; sowie Aufsichtsratsvorsitzender verschiedener an der B6rse notierter sanierungsbedi~rftiger Unternehmen. Dr. Alexander yon Tippelskirch, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der IKB Deutsche Industiebank AG, Di~sseldorf/Berlin. Tobias Weigl, Wiss. Mitarbeiter am Supply Management Institute der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Rainer Wilke, Rechtsanwalt und Partner der Anwaltssoziet~it Shearman & Sterling LLP, D/isseldorf. Dr. Alexander Winkels, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Schmitz Cargobull AG sowie ehem. Generalbevollm/ichtigter und Leiter des Gesch~iftsbereichs Equity Investments, Private Equity & Mezzanine Solutions, der WestLB AG, D6sseldorf. Dr. Holger Wohlenberg, Managing Director der Deutsche B6rse AG, Frankfurt am Main, sowie Beirat des Instituts f6r Restrukturierungsforschung und Beteiligungsmanagement an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs), Oestrich-Winkel. Dr. Hermann Peter Wohlleben, Rechtsanwalt und Mitglied des Vorstandes des PENSIONS-SICHERUNGS-VEREINS Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG), K61n. Professor Dr. Michael Woywode, Inhaber des Lehrstuhls ~ r Internationales Management an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakult~it der RWTH (RheinischWestf~ilische Technische Hochschule) Aachen, Aachen. Martin Zass, Center for Strategic Projects, Deutsche Telekom AG, davor Gesch~iftsfi~hrer und Partner der Struktur & Management Landwehr, Faulhaber & Partner GmbH. Dr. Ansgar Zwick, Partner der Investmentbank Houlihan Lokey Howard & Zukin (Europe) Ltd., London.
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Teil 1: Grundl__~en
1
Unternehmenskrise: Spannungsfeld zwischen Neuausrichtung u n d Insolvenz .... 29 Charakteristika u n d Erkl/irungsans~itze der Unternehmenskrise ............................. 32 2.1 Begriffsabgrenzung: Unternehmenskrise, Sanierung u n d Turnaround .......... 32 2.2 Von der strategischen Krise zur Insolvenz .......................................................... 34 2.3 2.4
5
Krisenursachen u n d Krisensymptome ................................................................ 36 Konzeptionelle Ans~itze zur Erl/iuterung der Unternehmenskrise .................. 38
Krisenmerkmale u n d Insolvenzverfahrensausl6ser .................................................... 3.1 Priifungs- u n d Anzeigepflichten der Unternehmensfiihrung .......................... 3.2 Unterkapitalisierung u n d Eigenkapitalersatz ..................................................... 3.3 Verfahrenser6ffnung aufgrund Uberschuldung ................................................ 3.4 Verfahrenser6ffnung aufgrund Zahlungsunf/ihigkeit .......................................
41 41 42 44 45
Sanierung oder Liquidation als Konsequenz der Unternehmenskrise ..................... 4.1 Gegenstand der 6konomischen Sanierungspriifung ......................................... 4.2 Sanierungsf~ihigkeit u n d -wiirdigkeit .................................................................. 4.3 Sanierungskonzept als Entscheidungsgrundlage .............................................. 4.4 Rechtliche Aspekte der Sanierung ........................................................................
47 47 48 50 53
Krisenmanagement: Systematisierung der beteiligten Interessengruppen ............. 55
27
Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
Unternehmenskrise: Spannunssfeld zwischen Neuausrichtun8 und Insolvenz ,,One of the best ways to understand the world is to change it", konstatierte der Organisationsforscher KURT LEWIN einst. Beim Transfer dieser Erkenntnis auf erwerbswirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen, wird der grot~e Stellenwert der Analyse des organisatorischen Wandels unmittelbar deutlich. Nachhaltige Konzentrationstendenzen in vielen Branchen, pl6tzliche Einbr~iche von Kapitalm~irkten, erh6hter Verdr~ingungswettbewerb durch Substitutionsprodukte sowie gestiegene Bedeutung innovativer Technologien markieren nur einige Ursachen dafi~r, dass Unternehmen sich permanent anpassen sollten. Ober die Unternehmensf6hrung wird versucht die Anpassungskapazit~it zu sichern und das soziale System Unternehmung generell f~ir Ver~inderungen und Neuausrichtungen often zu halten. Erfolgreiche Unternehmen lassen sich daher als wandlungsf~ihige Gebilde klassifizieren. Die Aktualit~it der Thematik Wandlungsf~ihigkeit und Neuausrichtung stellt oft nur einen Indikator fiir tiefergreifende Fragen zur generellen Anpassungs- und oft auch Oberlebensf~ihigkeit dar. Gerade in der vergangenen Dekade waren konsequente Rationalisierungsstrategien mit dem einhergehenden Personalabbau zur Senkung von Gemeinkosten der Leistungserstellung ein Ansatz zur Ermittlung konkurrenzf~ihiger Preisgrenzen. Aspekte der Kostenorientierung dominierten i~ber die Ressourcenflexibilit~it. Aktuell zeigt sich, dass die Neuausrichtung bzw. der Wandel gerade im Mittelstand meist mit einem nachhaltigen Abschmelzen unternehmerischer Reserven einhergeht und so eine grundlegende Problemsituation markiert. Sofem ein Mindestmat~ an ,,organizational slack" unterschritten wird, dri~ckt sich dies als Unternehmenskrise aus (Reiss, 1994). Viele Wandlungsprozesse sind allerdings nicht intendiert, sondern entwickeln sich zuf~illig und bleiben daher lange Zeit unbemerkt. Die Konsequenz ist die hohe Zahl von Gesellschaften, die in den letzten Jahren aus ihren M~irkten ausscheiden und vielfach Insolvenz anmelden mussten. Aktuell weist die Zahl der Unternehmen, die Insolvenz beantragen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa einen H6chststand auf (vgl. Abb. 1-1). Mit mehr als 150.000 Unternehmen die europaweit insolvent wurden, hat die Insolvenzquote um mehr als 10,3 % zugenommen (Bretz, 2005). In Deutschland ist die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen auf i~ber 40.000 angestiegen, eine Steigerung in den letzten fi~nf Jahren um 47,6 % (Basis 2004). Ein weiterer Anstieg der Insolvenzen bzw. eine Stagnation auf hohem Niveau werden erwartet. Bemerkenswert ist, dass nicht nur kleine und mittelst~indische Unternehmen den Wandelungsprozess nicht konkurrenzf~ihig gestalten konnten, sondem auch namhafte Grot~konzerne. Mit den Insolvenzf~illen PHILIPPHOLZMANNAG, BABCOCKBORSIGAG und KIRCH MEDIAGRUPPE liegen die drei gr6t~ten Insolvenzf~ille der vergangenen zehn Jahre mit einem Gesamtumsatzvolumen von rd. 14,8 Mrd. Euro in Deutschland. Die Gesamtzahl der Untemehmen, die
29
Hommel / Knecht / Wohlenber9
sich in einer existenzbedrohenden Unternehmenskrise vor Anmeldung zum Insolvenzverfahren befinden, ibersteigt das Volumen der gegenwirtigen Insolvenzen deutlich. Allein in der Umsatzklassifizierung ab 25 Mio. Euro dirften derzeit in Deutschland mehr als 1.500 Unternehmen Sanierungsbedarf aufweisen.
Abbildung1-1:
Entwicklung Insolvenzf~lle und dadurch verursachte-sch~den in Deutschland (Quetle: Bretz, 2005)
D Anzahl Privatinsolvenzen ii ~ Anzahl Unternehmensinsolvenzen !iii' ~'RealesBIP-Wachstum(in%)
118.620 !781990
~ Offentliche Hand (in Mrd. Euro) I Private Sch~iden (in Mrd. Euro)
100.350
40,5 '~°"
ii 39 4 ii Iiii
i
Ii!! lii !i
.....
, 1991
1995
1999
2000
2001
2002
2003
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1997
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1999
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2002
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Der Zusammenbruch ehemals leistungsfihiger, etablierter Unternehmen f6hrt iber den sog. Kettenzusammenhang auch direkt und indirekt verbundene Gesellschaften in die Krise. 0ber ausbleibende Lieferungen bzw. unzufriedene Abnehmer werden Unternehmen, die vertragliche Verbindungen zum Krisenfall unterhalten haben, finanziell geschidigt. Eine starke Volumenkonzentration der Lieferanten und Abnehmer 16st nicht selten auch bei diesen eine Krise aus. Gesamtwirtschaftlich betrachtet haben die Zusammenbr6che bzw. finanziellen Schiden der Klein- und Mittelbetriebe ein mindestens gleichwertiges Gewicht zu den Krisen der Grot~unternehmen, auch wenn diese oft nicht im Fokus der Offentlichkeit stehen (Bea/K6tzle, 1983, S. 565). Untemehmenskrisen generieren erheblichen finanziellen Schaden und nachhaltigen Ertragseinbruch in der Volkswirtschaft (vgl. Abb. 1-1). Der Privatwirtschaft (ohne Kreditinstitute) ist allein durch die Unternehmensinsolvenzen in 2004 in Deutschland ein finanzieller Schaden in H6he von 27,5 Mrd. Euro durch Forderungsverluste entstanden (Bretz, 2005). Dies bedeutet, dass durchschnittlich jede Unternehmensinsolvenz einen privaten Forderungsverlust von rd. 700.000 Euro nach sich zieht. Auch die
30
Sunierung der betrieblichen Unternehmenskrise
6ffentliche Hand hat in 2004 den drastischen Insolvenzschaden in H6he von rd. 12,9 Mrd. Euro zu verzeichnen. Bei Kreditinstituten dr~icken nicht nur die bereits ausgefallenen Engagements den Ertrag, sondern auch die vorzunehmenden Wertberichtigungen auf potenzielle Forderungsausf~ille. So betr~igt aktuell der Zugang zu Wertberichtigungen aus Kreditausfall der 10 gr6t~ten Bankh~iuser in Deutschland pro Jahr rd. 13,2 Mrd. Euro. Allein die Reduktion des Wertberichtigungszugangs auf Kreditausfall um 10 % wi~rde c. p. eine Ergebniserh6hung um rd. 21,3 % erm6glichen (Basis 2003). Somit wird deutlich, dass es f(ir professionelles Management und kompetente Berater unumg~inglich ist, i~ber fundierte Kenntnisse und Methodenkompetenz zur nachhaltigen Bew~iltigung von Unternehmenskrisen zu verfi~gen. Die kontrollierte Steuerung der Unternehmenskrise erfordert den R~ickgriff auf konzeptionell gesicherte Grundlagen, die bislang weitgehend vernachl~issigt wurden. Gerade durch die Komplexit~it der Unternehmenskrise und des damit einhergehenden Zeitdrucks zur Situationsregulierung ist es erfolgskritisch, die erforderlichen Instrumente zu beherrschen, um die ,,Gesundung der Patienten" gew~ihrleisten zu k6nnen. F~ir die Jurisprudenz sind die Rahmenbedingungen durch die entsprechenden Gesetze definiert und die Urteile mit ihren Konsequenzen einsichtig. F6r die Betriebswirtschaftslehre, Hir die das Thema Unternehmenskrise nach Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung eine noch gr6t~ere Bedeutung erlangt haben sollte, fehlen die Leitplanken weitgehend. Die zentralen Aufgabengebiete umfassen mit der Analyse, Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle typische Aktivit~itsfelder des Okonomen (Risse, 2001); die spezifischen Vorgehens- und Wirkungsweisen sind bislang wesentlich in der unternehmerischen Praxis geb~indelt. Akademisch fundierte, empirische Forschungsarbeiten zum Themenfeld Untemehmenskrise sind bislang stark vernachl~issigt worden und markieren ein offenes Forschungsgebiet. Gerade f6r die Betriebswirtschaftslehre gilt es daher mit empirisch gesicherten Erkenntnissen das Erfahrungswissen der Unternehmenspraxis zu dokumentieren bzw. zu kommentieren, um gesicherte Grundlagen fi~r das Themenfeld im 6konomischen Systemgeb~iude zu etablieren und so dem Primat der Betriebswirtschaftslehre bei der Sanierung gerecht zu werden (Risse, 2001). Diese Aspekte zeigen bereits, dass die Unternehmenskrise im Spannungsfeld zwischen strategischer Neuausrichtung und gesetzlicher Insolvenz weiter in den Fokus von Wissenschaft und Wirtschaft zu r~icken ist. Die spezifischen Handlungsoptionen und -pflichten in der Unternehmenskrise erfordern gleichzeitig ein ganzheitliches Verst~indnis zur Problemidentifikation sowie detailliertes Wissen zur Probleml6sung. Dazu ist es n6tig, den Beteiligten und Betroffenen eine gemeinsame ,,Sprachbasis" und zusammenh~ingende Grundkenntnisse von 6konomischen und juristischen Facetten darzulegen, die im folgenden Abschnitt im Mittelpunkt stehen. Darauf aufbauend wird ein Bezugsrahmen konstituiert, der die Grundlagen, Methoden und Implikationen des ganzheitlichen Krisenmanagements darlegt und die Elemente zu einer inhaltlichen ,,Klammer" des vorliegenden Herausgeberbandes zusammenfi~gt.
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.~.i~.~..!i................... .. ................. Hommel / Knecht / Wohlenberg
2
Charakteristika und Erkl irungsans itze der Unternehmenskrise
2.1
Begriffsabgrenzuns: Unternehmenskrise, Sanierun8 und Turnaround
Erfahren Organisationen Widerspr/iche zwischen tradierten Wissensbest/inden und aut~ergew6hnlichen Ereignissen, so entsteht oft eine problematische Situation, die als St6rung des Systems wahrgenommen und als Unternehmenskrise bezeichnet wird (Kuhn, 1962). Dabei stellen nicht alle ungeplanten und bew/iltigungsbed/irftigen Probleme bereits eine Unternehmenskrise dar. Um ein gemeinsames Begriffsverst~indnis zu erzeugen, gilt es eine Inhaltsbestimmung vorzunehmen. Die ,,Krise" findet ihren etymologischen Ursprung im Altgriechischen, wo ,krisis" als Wendepunkt und Entscheidung verstanden wird. Dabei wird v. a. der Bezug zu einer entscheidenden Phase einer Krankheit in den Vordergrund gestellt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Begriff auch in der Medizin Bedeutung erlangt hat. Dort wird die Entscheidungssituation zwischen Genesung und Tod des Patienten mit dem Begriff Krise belegt und gleichzeitig der Wende- bzw. H6hepunkt einer gef~ihrlichen Situation markiert. Ahnliche Auslegung hat der Begriff in anderen Wissenschaften, wie bspw. der Politologie, erfahren. Wissenschaftsiibergreifende Gemeinsamkeit in der Begriffsabgrenzung besteht in der unerwarteten St6rung des Systems, die fi~r dieses eine existenzbedrohende Notsituation ist. Aus traditionell betriebswirtschaftlicher Perspektive ,wird der Krisenbegriff auf eine mikro-f~konomische Einheit, d. h. auf eine selbstfindig wirtschaftende Unternehmung bezogen. Die Bedrohung bedeutet hier Existenzgeffihrdung des Gesamtunternehmens. Sie ist gegeben, wenn die Selbstfindigkeit im Sinne der autonomen Entscheidungseinheit in Frage gestellt ist. Nicht einzelne Teile, Sparten oder Funktionsbereiche sind Gegenstand der Betrachtung, sondern die akut gestellte Existenzfrage fiir das selbstfindige Weiterbestehen des Unternehmens als Ganzes" (Witte, 1981a). Die Bedrohung der Unternehmensexistenz, also Lebensf~ihigkeit eines Schuldners, bedeutet jedoch nicht automatisch die Unternehmensvemichtung, denn der betriebswirtschaftlichen Unternehmenskrise ist auch die Chance zur positiven Wende immanent (Maus, 2003). Im Umkehrschluss soll die Notsituation eines Untemehmens nicht als Unternehmenskrise bezeichnet werden, wenn ex ante feststeht, dass eine Existenzaufl6sung der Gesellschaft unabwendbar ist. Das verdeutlicht bspw. KRYSTEKindem er Untemehmenskrisen sieht als ,,ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinyqussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung substantiell und nachhaltig zu
32
5anierungder betrieblichenUnternehmenskrise
geffihrden oder sogar unmfglich zu machen" (Krystek, 1987). Vor diesem Hintergrund ist zu berfcksichtigen, dass die Konsequenzen der Unternehmenskrise bereits Rechtspflichten ffr die Gesch/iftsffhrung ausl6sen k6nnen. So ist bspw. der Gesch~iftsffhrer bei Vorliegen einer betriebswirtschaftlichen Krisensituation verpflichtet, eine Schwachstellenanalyse durchzuffihren und Sanierungsmat~nahmen einzuleiten. Wird den Gesellschaftern nicht rechtzeitig die Gelegenheit zur Krisenabwendung einger~iumt, da der Gesch~iftsffhrer die Krisensituation verkannt hat, so kann er u. a. bei Verschulden nach § 43 GmbHG auf Schadensersatz haften (Uhlenbruck, 2003). Es ist somit nicht verwunderlich, dass die Unternehmenskrise als genereller Ausl6ser einer Sanierungsprfifung angesehen wird. Das IDW f~hrt daher eine operativere Begriffsabgrenzung, die auch dem vorliegenden Gesamtwerk zugrunde gelegt werden solll: Die Unternehmenskrise bezeichnet ,,die Notsituation eines Unternehmens, gleichsam als Ergebnis eines ungewollten Prozesses, in dessen Verlauf die Erfolgspotenziale, das Reinvermfgen und/ oder die Liquiditfit des Unternehmens sich so ungiinstig entwickelt haben, dass seine Existenz akut bedroht ist. Entweder wird durch die Sanierung die Notsituation iiberwunden oder sie endet im Zusammenbruch des Unternehmens" (Pfitzer, 2002). Manifestiert sich die betriebswirtschaftliche Krise, so dass ein konkreter Insolvenzgrund vorliegt, befindet sich die Gesellschaft in einer rechtlichen Unternehmenskrise, die als Zeitraum zwischen der identifizierten Insolvenzreife (materielle Insolvenz) und dem er6ffneten Verfahren (formelle Insolvenz) verstanden werden soll (Picot/Aleth, 1999). Die Kreditunwfrdigkeit einer Gesellschaft, d. h. der Bezug eines Darlehens zu marktfiblichen Bedingungen von einem externen Dritten ist aufgrund unzureichender Verm6genslage nicht m6glich, kann bereits als rechtliche Krise betrachtet werden. Liegt vor diesem Hintergrund die Zahlungsunf~ihigkeit und/oder die Oberschuldung der Gesellschaft vor, so hat die Gesch/iftsffihrung der Gesellschaft nach § 64 GmbHG, § 92 AktG bzw. § 130a HGB ohne schuldhaftes Z6gern, aber sp~itestens binnen drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes, die Beantragung zur Er6ffnung des Insolvenzverfahrens vorzunehmen. Erst mit gerichtlichem Er6ffnungsbeschluss verlieren die Schuldner die Verffigungsfreiheit fiber das Verm6gen (§ 80 InsO). Wird die Unternehmenskrise bereits frfihzeitig identifiziert, kann durch Anpassung der Unternehmensstrategie ein Kurswechsel eingeleitet und die Krisensituation abgewendet werden. Dieser sog. Turnaround beginnt dann, wenn der Erfolg des Unternehmens unter dem minimal akzeptierbaren Niveau liegt. Das akzeptierbare Niveau wird fiber die Definition der Unternehmensziele bestimmt (B6ckenf6rde, 1996). Die Antizipation bzw. frfihzeitige Identifikation von Unternehmenskrisen erm6glicht mittel- bis langfristige Mat~nahmen, indem bspw. bestehende Unternehmensstrukturen angepasst werden. Diese Anpassungen werden als Restrukturierung des Unternehmens verstanden. Begriffiich umfasst die Restrukturierung alle Formen eines tief-
Eine Vielzahl weiterer Autoren (bspw. Gabele, 1981) hat sich der Begriffsbestimmung der Unternehmenskrise angenommen. Zur substanziellen Begriffskl~irung ist die Analyse des theoretischen Gerfists erforderlich, das hier nicht im Fokus steht. 33
ii
ii
I Hommel/ Knecht/ Wohlenber~
greifenden Wandels der Gesellschaft. Die Begrifflichkeiten Restrukturierung und Turnaround werden nicht selten synonym eingesetzt. Eine spate Identifikation der Untemehmenskrise (sog. ,,fiinf-vor-zwSlf-Erkennung") zeigt sich bspw. durch fortlaufende und nachhaltige Liquidit~itsprobleme. Zur Sanierung der betrieblichen Krise ist, auf Basis einer Kurzdiagnose, die Umsetzung umgehend wirkender Sofortmat~nahmen n6tig, um die materielle Insolvenz abzuwenden. Dieser Kontext weist auch auf die etymologische Herkunft des Begriffs ,,Sanierung" hin, der seine Wurzeln im lateinischen ,,sanare" findet und dort im weiteren Sinne Heilung bedeutet. Eine erste grundlegende begriffliche Abgrenzung der Sanierung hat GUTENBERGgepr~igt: ,,Die Sanierung umfasst alle Maflnahmen zur Beseitigung von Schiiden, die im Gefiige eines Unternehmens entstanden sind und seine Existenzfrage stellen'" (Gutenberg, 1938). Es steht also bei der Sanierung die Sicherstellung gef/ihrdeter bzw. die Wiederherstellung verlorener Lebensf/ihigkeit einer Gesellschaft im Vordergrund. Die erforderlichen Mat~nahmen zielen dabei auf die vollst~indige Beseitigung der Gef/ihrdungstatbest~inde. Im Rahmen der Sanierung geht es somit nicht nur um die Eliminierung von kurzfristigen Verlustbringem, sondern um ein umfassendes Paket, das alle relevanten leistungswirtschaftlichen, finanziellen und strukturellen Mat~nahmen umfasst.
2.2
Von der strategischen Krise zur Insolvenz
In der einschl~igigen Literatur wird konstatiert, dass die Untemehmenskrise ein zeitlicher Ablauf von Ereignissen ist, also ein phasenspezifischer Fehlentwicklungsprozess (Krystek, 1987). Gerade die Beschreibung der Prozessphasen scheint von besonderem Interesse fiir die Unternehmenspraxis, da so die spezifischen Merkmale der Krisenkandidaten verglichen und mat~nahmenspezifisch beurteilt werden k6nnen. Durch die Forschungsarbeiten, die den Krisenverlauf als strukturierten Prozess auffassen, wird die Bestimmung phasengerechter Ansatzpunkte zum Krisenmanagement m6glich. Die 6konomischen Modelle basieren dabei meist auf den Erkenntnissen der Politologie und behandeln den Krisenverlauf mit zwei bis zehn Prozessphasen (Albach, 1979). Der Krisenverlauf wird hier exemplarisch am Vier-Phasen-Modell von MOLLER gezeigt, da die Darstellung der Krise in Abh/ingigkeit vom Grad der Existenzbedrohung mit expliziter Beriicksichtigung der Insolvenz die Realit~it strukturiert und die Ambivalenz des Krisenergebnisses beriicksichtigt (vgl. Abb. 2-1) (Miiller, 1982). Origin/ir zielt der Ansatz von MOLLER auf die Klassifizierung der Krisenarten, indem die Art der gef~ihrdeten Unternehmensziele und die Zeitperiode, die dem Krisenmanagement zur Problembehandlung zur Verf/igung steht, thematisiert werden. Ausgangspunkt bildet die strategische Krise, in der die l~ingerfristig wirkenden Erfolgspotenziale einer Unternehmung bedroht sind. Dazu z~ihlt bspw. eine imagetr/ichtige Produkt-/ Firmenmarke. Sofem die geplanten, finanziellen Unternehmensziele wie Gewinn oder 34
Senierun9 der betrieblichen Unternehmenskrise
Umsatz unterschritten werden, erweitert sich die strategische Krise zu einer Erfolgskrise. In dieser Prozessphase wird die Umsetzung wesentlicher Erfolgsziele in Frage gestellt. Das Unternehmen erzielt bereits nachhaltig Verluste und das Eigenkapital ist soweit aufgebraucht, dass die Gefahr der 0berschuldung droht. Unzureichende Effizienz und/oder Nachfrageverschiebungen im Zielmarkt stellen die Verlusttreiber des leistungswirtschaftlichen Bereichs in den Fokus. Dabei ist zu pr/ifen, ob das Management die vorhandenen Erfolgspotenziale optimal ffir die Ertragslage einsetzt. Liegt ein dauerhaftes Verfehlen der Erfolgsziele vor, so besteht die akute Gefahr der Zahlungsunf/ihigkeit. In der dritten Prozessphase, der Liquidit/itskrise, r/icken die rechtlichen Krisentatbest/inde durch Bedrohung der Illiquidit/it und/ oder Uberschuldung in den Vordergrund. Die f/illigen Zahlungsverpflichtungen k6nnen oft nur mit erheblichen Schwierigkeiten erf/illt werden. K/indigen Kreditgeber ihre Engagements und stellen die Forderungen f/illig, wird die Gefahr der Zahlungsunf/ihigkeit sprunghaft erh6ht. Mit der Erffillung eines Insolvenztatbestands tritt die Gesellschaft in die vierte Prozessphase, die Insolvenz, ein. Im Rahmen der Insolvenzordnung ist eine gerichtliche Sanierung m6glich, oft k6nnen die G1/iubigeranspr/iche allerdings nicht hinreichend befriedigt werden, so dass es zur Abwicklung bzw. Liquidation kommt.
Abbildung 2-1" Entwicklung der Unternehmenskrise (Quelle: Miiller, 1982) Aufgabenkomplexit~it
BestimmungKdsena~,en~icklung dutch :Gegen~ma6nahmen
Krisenur~chen ~und v e ~ m t e
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Bemerkenswerterweise l~iuft die Entstehungsfolge einer Untemehmenskdse der Erkennungsfolge entgegen. In der Praxis l~sst sich bspw. die Entstehung einer Kdse am
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ii
iii~ii
Hommel / Knecht / Wohlenberg
fehlenden Umsatz bzw. an der Ergebnisverschlechterung ableiten, wodurch die Ertragskrise evident wird. Kommt es zu einer Verlustfinanzierung ffihrt dies i. d. R. auch zur Liquidit~itskrise. Weitere Analysebemfihungen zeigen auch die Ursachen der strategischen Krise. Insgesamt wird klar, dass eine frfihzeitige Krisenidentifikation besonderen Stellenwert ftir die Krisenvermeidung und -bew~iltigung besitzt. Durch den steigenden Handlungsdruck im Zeitablauf bei gleichzeitiger Vemichtung der Unternehmenssubstanz bestehen auch f~r das Krisenmanagement die besten ,Rettungssaussichten" bei frfihzeitiger und konsequenter Problemoffenlegung und -adressierung.
2.3
Krisenursachen und Krisensymptome
Die erfolgreiche Bew~iltigung von Unternehmenskrisen erfordert relevante Krisenursachen und deren Folgen zu kennen. Prinzipiell ist das Spektrum m6glicher Krisenursachen eines Unternehmens fast genauso grot~ wie das Spektrum der Betriebswirtschaftslehre, die sich bereits seit den 30er Jahren mit der Erforschung von Krisenursachen auseinandersetzt (Fleege-Althoff, 1930). Die Krisenursachenforschung wurde weitgehend als Insolvenzursachenforschung verstanden, indem Rfickschlfisse aus dem Vergleich von ,kranken" zu ,,gesunden" Unternehmen vorgenommen wurden. Dieser Erforschung der Krisenursachen haftet der Nachteil an, dass Gesellschaften, die eine Krisensituation erfolgreich gemeistert haben, nicht weiter betrachtet wurden. Die Vielzahl von Forschungsarbeiten, die sich mit dem Vergleich von Krisengruppen befasst hat und umfangreiche wie heterogene Studienergebnisse liefert, unterstreicht, dass solche Rfickschlfisse kaum haltbar sind (Hauschildt, 1988). Dies zeigt, dass eine einheitliche 6konomische ,,Theorie der Unternehmenskrise" bis heute nicht existiert. Die facettenreichen Erkenntnisse verdeutlichen allerdings, dass Managementfehler als die h~iufigste Krisenursache angesehen werden, was EMMRICHbetont: ,,Die Krisenursachenlagen prim~irin Vers~iumnissender Untemehmensftihrungim laufenden Gesch~ift, dem gleichzeitigen Auftreten von Strukturver~inderungen in Branche und Markt sowie in falschen Unternehmenszuk~iufenund deren unzureichender Integration. Betroffen waren insbesondere Untemehmen, die gewohnt sind, als Marktffihrer mit geringem Entscheidungsdruck aus einer Position der St~irkeheraus zu agieren" (Emmrich,2002). Die Ans~itze der betriebswirtschaftlichen Krisenforschung lassen sich in quantitative und qualitative Ans~itze differenzieren. Die quantitativen Ans~itze versuchen im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs Merkmale zu identifizieren, die den Risikogehalt in Relation zur Unternehmenskrise messen. Gerade ffir exteme Gl~iubiger wie Kreditinstitute haben diese Ans~itze Relevanz, da so ein Abgleich mit den Risikomerkmalen im Engagement erm6glicht wird. Eine eindeutige Ursache-Ziel-Relation ist allerdings kaum ermittelbar, wodurch diese Ans~itze grunds~itzlicher Kritik ausgesetzt sind. Die qualitativen Ans~itze analysieren individuelle Krisenverl~iufe fiber die Methodenvielfalt der empirischen Forschung. Die Identifikation von Krisenursachen wird
36
Sanierun~ der betrieblichen Unternehmenskrise
so eher m6glich, da die Gewichtung einzelner Krisenbereiche wertvolle Hilfestellung zum Aufbau einer Krisenfrfiherkennung leistet. Durch die begrenzte Datenverffigbarkeit, die subjektive Fallauswahl und die differenzierten Datenerhebungsmethoden k6nnen auch hier Diskussionen ausgel6st werden (Krystek, 1987). Die Untemehmenskrise wird dem Management nicht ohne Vorwarnung offenkundig und sollte rechtzeitig erfasst und bewertet werden. So zeigt sich der Misserfolg einer fortschreitenden Krise lt. HAUSCHILDTerstmals rund vier Jahre vor seiner Erkennung, indem der ordentliche Betriebserfolg drastisch abf/illt (Hauschildt, 1988). Indizien f/Jr Krisen lassen sich bspw. im betrieblichen Bereich mit dem Ausfall von Kunden/Lieferanten oder einer fallenden Kapazit~itsauslastung festmachen. Bei der Konzentration auf vorrangig finanzwirtschaftliche Merkmale lassen sich bspw. die negative Entwicklung der Ums/itze und/oder Deckungsbeitr/ige herausarbeiten. Die Intensit~it und der Umfang der Krisensymptome, also der Kriterien die eine Krisensituation signalisieren ohne ffir deren Entstehung urs~ichlich zu sein, sind stets fallspezifisch zu betrachten. Zur Insolvenzschadensprophylaxe sind bspw. Kreditinstitute nach § 18 KWG verpflichtet, eine fortlaufende Oberprfifung, der wirtschaftlichen Verh/iltnisse der Kreditnehmer vorzunehmen (bei Kreditvolumen gr6t~er 250.000 Euro). Diese Uberpr/ifung ist letztlich eine Zusammenstellung von Indizien, die aus der Perspektive der G1/iubigerbank auf eine drohende oder akute Insolvenz des Kreditnehmers hindeuten. Als potenzielle Krisensymptome werden exemplarisch (1) die Kontoffihrung, (2) die Einsichtnahme in die wirtschaftlichen Verh/iltnisse, (3) die Kundenbesuche und Sicherheitenpriifungen sowie (4) Financial Coventants geprfift (vgl. Abb. 2-2). Durch die fortlaufende Oberprfifung der Symptome einer Unternehmenskrise soll es gelingen, auch die Krisenursachen frfihzeitig aufzudecken und so die Chance zur Unternehmenssanierung bzw. der Risikoreduktion in den Kreditinstituten zu wahren. Die reine Zusammenstellung m6glicher Krisenursachen weist dabei einen instruktiven Charakter auf, durch die detaillierte Analyse wird klar, dass wenig Evidenz fiber die eigentlichen Ursachen vermittelt werden kann. Krisenursachen sind selten monokausal, vielmehr rfihren Krisen aus dem Zusammenspiel verschiedenster Ursachen, die durch mannigfaltige Krisensymptome evident werden k6nnen.
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Abbildung 2-2:
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Potenzielle Krisensymptome aus der Perspektive der Kreditinstitute (Quelle: in Anlehnung an Wittig, 2003)
Zeitpunkt Zins- und/oder Tilgungsleistung Freigabe von (Gesch~iftsf0hrer-) Sicherheiten Planungszuverl~issigkeit Kreditbedarf ,,Steife" Kontof0hrung (0berziehungstendenz) Kontoumsatz, Abweichung Zahlungseingang/-ausgang Relevanz Scheck-/Wechselzahlungen Volumen Rechtsberatung/Gerichtsvollziehung Volumen Pf~indung (v.a. Steuer/Sozialabgabgen) Intensit~it Bonit~itsanfragen
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I rgua ng Grundsc, uld . _ e.chs.el i_m_Unternehmen
ls ~ ~ _ n _ n i s c h e Effizienz ! Mangelnde Kapazit~itsauslastung
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Unstimmigkeiten Buchhaltung Verschiebung Bilanzierungszeitpunkte Fehlendes/eingeschr~inktes Testat WP Abweichung vorl~iufiger zu endg01tigen Zahlen ErhShter Vorratsbestand ohne erhShte Forderungen Erh0hte Forderungen gegen Konzernunternehmen Eigenkapitalmangel, Aufdeckung stiller R e s e r v e n Umbuchung Positionen Umlauf- in AnlagevermSgen
i
Absolute,
minimale
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i
Eigenkapitalausstattung
(Net Worth Requirement) ill Verschuldungsgradklausel
(Gearing Ratio) [] Zinsdeckungsklausel: EBIT/Zinsaufwand
m Fehlender Versicherungsschutz (interest Cover Rat o) u Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern [] L qu dit~itsklausel: Kurz. Liquidit~it > Verbindlichkeit m Verlegung Unternehmenssitz (v.a. Ausland) (Current Ratio) Ungeplante Anpassung Unternehmensf0hrung ................................................................................................................
2.4
Konzeptionelle Ans itze zur Erl iuterun8 der Unternehmenskrise
Um ein ganzheitliches Verst~indnis der Untemehmenskrise zu erhalten, ist es erforderlich, ~iber hypothesengestiitzte Gesetzm~it~igkeiten Theorien abzuleiten, die die Zusammenh~inge der Untemehmenskrise beschreiben, erkl~iren und vorhersagen k6nnen (Witte, 1981b). Eine Theorie der Unternehmenskrise existiert zwar bislang nicht, die 6konomische Literatur weist allerdings einige konzeptionelle Ans~itze auf, die sich mit der Unternehmenskrise bzw. dem ,Oberleben von Unternehmen" besch~iftigen, die hier in (1) Entwicklungs-, (2) Selektions- und (3) Lernmodelle differenziert werden 2. Weite Verbreitung in der Managementliteratur haben die Ans~itze erfahren, die sich den Entwicklungsmodellen zuordnen lassen. Hierzu z~ihlen die Lebenszyklusans~itze, die in Anlehnung an die Biologie eine diskontinuierliche Folge von Entwicklungsschritten des Unternehmens unterstellen. Dabei verl~iuft die UnternehmensentwickDie Auswahl der konzeptionellen Ans~itze zur Erkl~irung der Unternehmenskrise erhebt hier keinen Anspruch auf Vollst~indigkeit. So wurden hier bspw. marktstrukturelle Ans~itze (Porter, 1979) oder spieltheoretische Ans~itze (Fudenberg/Tirole, 1986) genauso ausgeblendet wie Ans~itze der Organisationsforschung (Penrose, 1955).
38
Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
lung im Zeitablauf mit einer gewissen Eigendynamik und die einzelnen Entwicklungsphasen der Organisation sind abgrenzbar. Der jeweilige 0bergang zu einer n~ichsten Entwicklungsstufe wird durch unternehmensinterne Probleme, sog. Krisen, aufgedeckt. Durch die Bewusstheit dieses Entwicklungsprozesses wird dem Management erm6glicht, die phasenspezifischen Vorbereitungsmat~nahmen zur Krisenbew~iltigung zu definieren (Nelson, 1995). Vertreter dieses Ansatzes, wie bspw. GREINERoder TUSHMAN/NEWMAN/ROMANELLI,betonen dabei, dass die Bew~iltigung der Krisensituationen im Rahmen der Unternehmensentwicklung aktiv gemanagt werden sollte (Greiner, 1972; Tushman/Newman/Romanelli, 1986). Bemerkenswerterweise wird der Niedergang bzw. die Abwicklung eines Unternehmens kaum thematisiert. Eine Ausnahme stellt das Modell von QUINN/CAMERON dar, die die Restrukturierung als zentrale Phase ftir den Fortbestand der Organisation einr~iumen. Damit diese Krisenphase tiberwunden wird, konstatieren sie, dass die Differenzierung, die Dezentralisierung und die Innovation im Fokus der definierten Mal~nahmen zu stehen haben (Quinn/ Cameron, 1983). In der Gesamtschau verstehen Entwicklungsmodelle Krisensituationen als eigentlich unabwendbare Ereignisse, die im Rahmen der Unternehmensentwicklung auftreten. Ftir eine anwendungsorientierte 0konomie ist es allerdings erforderlich, v. a. auch Aussagen zur Krisenverhinderung und -bew~iltigung zu formulieren. Im Fokus der Selektionsmodelle stehen v.a. populations-6kologische Modelle, die unterstellen, dass die Unternehmensumwelt bestimmt, welche Unternehmen mit welchen Strategien, Strukturen und Systemen im Markt tiberleben. Die Kompetenz, der Einsatz und die Ressourcen des Unternehmens spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In Anlehnung an die darwinistische Evolutionstheorie werden im Rahmen dieser Modelle die Anforderungen zum 0berleben der Organisation durch die Umwelt bestimmt. Dies erfolgt durch die Annahme, dass sich der Wandel in Industrien entsprechend dem Wandel in biologischen Populationen vollzieht. Ein 0berleben der Gesellschaft im Wandel erfordert daher die 0bereinstimmung, der sog. Fit, der Unternehmens- und Umweltcharakteristika. Diese erm6glichen eine positive Selektion der Untemehmung, womit das 0berleben gesichert ist. Bei negativer Selektion geht das Unternehmen unter. HANNAN/FREEMANbegrtinden dies in ihrem Ansatz damit, dass sich Organisationen nicht rasch genug an die Umwelt anpassen k6nnen (Hannan/ Freeman, 1977; 1984). Ihrer Ansicht entsprechend haben Unternehmen bspw. durch hohe spezifische Investitionen bzw. unzureichende Informationen tiber Anpassungserfordernisse eine strukturelle Tr~igheit und Beharrungsverm6gen (structural inertia) aufgebaut, die eine aktive Krisensteuerung durch das Unternehmen nicht erm6glichen. Dadurch wird erkl~irt, warum einzelne Unternehmen absterben und andere Populationen entstehen. Die umfangreichen Forschungsarbeiten zu diesem Ansatz liefern eine Reihe zentraler Grtinde der 0berlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen, die gleichzeitig von anderen Forschungsarbeiten aus verschiedenen Grtinden heftig kritisiert werden (Frese, 1991). Die betriebliche Praxis zeigt allerdings, dass Unternehmen durch aktives Krisenmanagement in der Lage sind, den wettbewerbs-
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ilii
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bedingten Anpassungsprozess zu gestalten. Wenn gleich das Ph~inomen des Widerstands yon Unternehmen gegen Anpassungen (resistance to change) konzeptionell belegt ist (Cohen/March/Olsen, 1990), so daft betont werden, dass leistungswirtschaftliche, finanzielle und strukturelle Maflnahmen in der Sanierung wesentliche Ver~inderungen in den Unternehmen erfordern, um entsprechende Unternehmenserfolge zukiinftig zu erm6glichen. Die F~ihigkeit zur Anpassung und die Kompetenz zur Entwicklung stehen im Fokus der Lemmodelle und werden den Unternehmen im Rahmen des Krisenmanagements zur Sicherstellung des Uberlebens der Gesellschaft zugesprochen. Das Lernen zur Kriseniiberwindung, das durch die kritische Auseinandersetzung eigener Aktivit~iten eine Anpassung des Verhaltens nach sich zieht, wird bier beri.icksichtigt. Lernmodelle unterstellen dabei, dass Unternehmen bereits eine Vielzahl von Parametern ihres Gesch~iftsmodells im Markt definieren, bevor sie in diesen eintreten. Dazu z~ihlen u. a. die Kapazit~its- oder Kompetenzausriistung. Da unklar ist, ob die definierten Parameter im Markt die gewfinschten Unternehmenserfolge nach sich ziehen, unterstellen diese Modelle, dass Unternehmen ihre Markteffizienz nicht kennen. Erst auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse des Gesch~iftsansatzes k6nnen Informationen fiber die Wettbewerbsf~ihigkeit gewonnen werden. Im Rahmen der einsetzenden Lernprozesse wird ein Abgleich zwischen realisierten und geplanten Ergebnissen gefahren und so versucht, eine Krisensituation abzuwenden bzw. zu bew~iltigen. Der Umfang und die F~ihigkeit yon Unternehmen diesen Anpassungsprozess zu meistern stellt die Grundlage ffir die Entscheidung, ob die Unternehmenst~itigkeit fortge~hrt werden kann bzw. ob ein Austritt aus dem Markt erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht JOVANOVIC in seinem Modell die Auswirkungen unternehmensspezifischer Einflussfaktoren auf das Risiko des Unternehmensuntergangs im Zeitablauf (Jovanovic, 1982). Andere Ans~itze, wie bspw. ERICSON/PAKES,betonen, dass Unternehmen durch aktives Lernen ihre Effizienz im Markt verbessern k6nnen und so letztlich die Krisensituation verhindern (Ericson/Pakes, 1995). Insgesamt basieren Lernmodelle auf einer Vielzahl von restriktiven Annahmen, wie bspw. der strikten Gewinnmaximierung, die die Praxis nur eingeschr~inkt reflektieren.
40
Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
3
K r i s e n m e r k m a l e und I nso Iven z v e rfah rensa us li se r
3.1
PrUfungs- und Anzeigepflichten der UnternehmensfUhrung
Die systematische Erfassung der Krisenursachen i. R. d. der Risikovorsorge der Unternehmen hat durch das 1998 in Kraft getretene ,,Gesetz zur Kontrolle und Transparanz im Unternehmensbereich" (KonTraG) rechtliche Leitplanken und 6konomische Impulse erfahren. So ist der Vorstand einer AG nach § 91 Abs. 2 AktG verpflichtet, geeignete Mat~nahmen zu definieren und ein Kontrollinstrumentarium einzurichten, um Kriterien und Entwicklungen, die den Fortbestand des Unternehmens beeintr/ichtigen, frtihzeitig zu erkennen. Analog gilt § 91 Abs. 2 AktG ftir GmbHs und Personenhandelsgesellschaften. Oft werden dazu operative Friihwarnsysteme eingesetzt, die u. a. Finanzzahlen des Unternehmens berticksichtigen. Uber Kennzahlensysteme bemtihen sich diese Expertensysteme um eine frtihzeitige Ermittlung von Krisenursachen bzw.kandidaten. Wesentliche Nachteile, mit dem v. a. unternehmensexterne G1/iubiger wie Kreditinstitute konfrontiert werden, ist die Vergangenheitsbezogenheit der verarbeiteten Daten und die mangelhafte Integration betriebsinterner Informationen. Nicht zuletzt durch die rechtlichen Rahmenbedingungen werden Gesch/iftsftihrer und Vorst/inde deutscher Personen- und Kapitalgesellschaften veranlasst, eine Unternehmenskrise anzuzeigen. Die Unternehmenslenker unterliegen dabei der grunds/itzlichen Verpflichtung zur fortlaufenden 0berwachung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft und - entsprechend den §§ 264, 269 HGB - der Auflage der Darstellung dieser entsprechend den tats/ichlichen wirtschaftlichen Verh/iltnissen im Jahresabschluss (ggf. im Lagebericht). Treten Symptome einer Sanierungssituation auf, so hat die Gesch/iftsftihrung die Aufstellung des Verm6gensstatus zu veranlassen und die Gesellschaftervertretung zu informieren. Als wesentliche Indikatoren k6nnen bspw. eine nachhaltig negative Ergebnissituation, drastische Liquidit/itsschwierigkeiten oder signifikante Forderungsausf/ille dienen. Unterlassen die Unternehmensvertreter die Beachtung der Krisensignale und bedingen somit eine versp/itete Einleitung erforderlicher Sanierungsmat~nahmen, k6nnen sie entsprechend § 43a GmbH und § 93 AktG, aus welchen die Sanierungsverantwortlichkeit der Unternehmensfiihrung abgeleitet wird, zu Schadensersatzansprfichen ftihren. Besteht die Gefahr der Unternehmens/iberschuldung, so hat die Unternehmensftihrung neben der Jahresbilanz eine Uberschuldungsbilanz aufzustellen und fortzuschreiben. Nach §§ 268 III HGB ist diese rechtlich sp/itestens ab dem Zeitpunkt des
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iiiiii
Hommel / Knecht / Wohlenberg
!ii!i Ausweises eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrages erforderlich. Ab diesem Zeitpunkt besteht ffir den Gesch~iftsffihrer der GmbH nach§ 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot an die Gesellschafter, um das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaffsverm6gen zu sichem. Dieses Auszahlungsverbot umfasst die direkten Mittelabfliisse aus dem Gesellschaftsverm6gen und die Kreditvergabe an Gesch~iftsfiihrer nach § 43a GmbHG. Liegt ferner der Verlust der H~ilfte des Stammkapitals der Kapitalgesellschaft vor, so hat die Untemehmensleitung dies fiber eine Zwischenbilanz, die auch w~ihrend des laufenden Jahres erstellt wird, zu ermitteln. Dadurch wird klar, dass die 6konomischen Risiken aus Gesch~iftsbetrieb signifikant zu hoch sind und eine Uberschuldung unmittelbar bevor steht. Nach § 49 III GmbHG besteht beim Verlust des halben Stammkapitals die unmittelbare Anzeige- und Einberufungspflicht einer Gesellschafterversammlung durch die Gesch~iftsfi~rung (ffir AG entsprechend nach § 92 I AktG). Die Unterlassung zieht unmittelbar strafrechtliche Konsequenzen ffir das Management nach sich (§ 841 Nr. 1 GmbHG, § 401 AktG). Ffir die Unternehmensfiihrung existiert keine allgemeine Aufkl~irungspflicht ggii. Vertragspartnern, wenn eine Krisensituation des Unternehmens besteht (Picot/Aleth, 1999). Nicht zuletzt durch die meist diinne Eigenkapitaldecke deutscher Unternehmen ist der Eintritt einer Uberschuldung vorstellbar, wenn gleich das Unternehmen durchaus in das Lage ist, die zentralen Verbindlichkeiten zu bedienen. Eine vorvertragliche Aufkl~irungspflicht der Gesch~iftsffihrung besteht im Auflenverh~ilt-nis nicht, obwohl erwartet werden darf, dass iiber die wirtschaftliche Situation bei belastbarer Gesch~iftsbeziehung informiert wird. Ist bereits vorvertraglich erkennbar, dass die Vertragserfiillung keine formelle Insolvenz ausl6st, so besteht nach herrschender Rechtsprechung keine Au~l~irungspflicht des Managements im Au~enverh~iltnis.
3.2
Unterkapitalisierung und Eigenkapitalersatz
Grunds~itzlich verffigen die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft fiber die Freiheit der Finanziemng des Unternehmens. Weder ffir Finanzierungsart noch -umfang existieren rechtliche Vorschriften, sofern das gesetzliche Mindestkapital n a c h § 5 I GmbHG bzw. § 7 AktG berficksichtigt ist. Kommt es allerdings zur einer Unterkapitalisiemng der Kapitalgesellschaft werden dadurch Haftungsrisiken und Handlungspflichten ausgel6st, die die Gesch~iftsffihrung bzw. der Vorstand zu beri.icksichtigen hat. Prinzipiell ist zwischen einer materiellen und einer nominellen Unterkapitalisierung zu unterscheiden. Bei cler materiellen UnterkapitalisienJng ist das Eigenkapital des Unternehmens nicht ausreichend und der mittel- bzw. langfristige Finanzmittelbedar£ kann nicht durch Kredite extemer Dritter gedeckt werden, um die Art und den Umfang der Gesch~iftst~itigkeit des Untemehmens aufrechtzuerhalten. Abgesehen yon F~illen vors~itzlichen Missbrauchs trifft die Gesellschafter- auch im Insolvenzfallkeine Haftung. Bei der nominellen Unterkapitalisierung ist der Kapitalbedarf der
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Sunierung der betrieblichen Unternehmenskrise
Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Gesch~iftst/itigkeit ebenfalls nicht durch Eigenkapital gesichert, sehr wohl allerdings durch Fremdkapital, explizit durch die Gew/ihrung von Gesellschafterdarlehen. Der Sanierungskandidat wird zahlungsf~ihig gehalten, fiir die Gesellschaftsgl~iubiger besteht allerdings die Gefahr, dass die Unternehmenskrise bis zur vollst~indigen Aufzehrung des haftenden Kapitals verschleppt wird, die Gesellschafter kurz vor Insolvenzanmeldung ihre gew~ihrten Kredite riickfi.ihren und die verbliebenen Gl~iubiger dadurch erhebliche Forderungsausf~ille erleiden (Uhlenbruck, 2003). Diese Gl~iubiger erfahren Schutz/iber die gesetzlichen Grundlagen und die Eigenkapitalersatzvorschriften. So ist die R~ckfi.ihrung eines Gesellschafterdarlehens nach § 32a I GmbHG nicht m6glich, wenn das Darlehen erst zu einem Zeitpunkt dem Unternehmen gew~ihrt wurde, in welchem ordentliche Kaufleute aufgrund Unterkapitalisierung Eigenkapital zugefiihrt h~itten. Entsprechendes gilt fiir B/irgschaften etc. zur Kreditabsicherung lt. Generalklausel § 32a III GmbHG. Im Insolvenzfall wird dieses sog. eigenkapitalersetzende Darlehen 3 des Gesellschafters mit einem Rangriicktritt am Darlehensanspruch versehen, was dazu f6hrt, dass der Gesellschafter im Falle der Verwertung i. d. R. keine Quote aus der Insolvenzmasse erh~ilt. Entsprechend werden auch dem Unternehmen iiberlassene Darlehen behandelt, die vor der Krisensituation freigegeben, aber trotz Kenntnis der Unternehmenskrise weiterhin der Gesellschaft (iberlassen wurden. Dieses Prozedere findet fiir alle juristischen Personen analoge Anwendung, also auch fiir die OHG bzw. die GmbH & Co. KG, sofern nach §§ 129a, 172a HGB keine pers6nlich haftenden Personen vorhanden sind. Wenn das zu Buchwerten bewertete Reinverm6gen einer Kapitalgesellschaft das gezeichnete Kapital der Gesellschaft nicht mehr deckt, so liegt eine Unterbilanz vor. Die Unterbilanz ergibt sich, indem das Gesellschaftsverm6gen, verringert um die R/ickstellungen und Verbindlichkeiten, kleiner ist als das ausgewiesene gezeichnete Kapital. Bilanztechnisch erscheint dann das (negative) Eigenkapital der Kapitalgesellschaft auf der Aktivseite der Bilanz. Sobald die Unterbilanz festgestellt wird, verh~ingt § 30 I GmbHG eine Auszahlungssperre der Kapitalgesellschaft an die Gesellschafter, um das erforderliche Stammkapital zu erhalten. Sind dennoch Auszahlungen vorgenommen worden, so sind diese nach § 31 I GmbHG an die Gesellschaft zur6ckzahlen. Dabei hat die Gesellschaft nach § 31 V GmbHG einen Ri~ckzahlungsanspruch auf die vergangenen 5 Jahre seit Auszahlungszeitpunkt. Ebenso beurteilt der Gesetzgeber die R/ickfiihrung eines aktiven Gesellschafterdarlehens bei bestehender Unterbilanz. §§ 30, 31 GmbHG werden analog auf eigenkapitalersetzende Darlehen angewandt, da Darlehen, die nicht vorhandenes Stammkapital bzw. eine/iberschiet~ende Uberschuldung darstellen, an die Kapitalgesellschaft gebunden sind. Die Gesellschaft hat hier analog § 31 GmbHG einen fiinfj~ihrigen Riickgew/ihrungsanspruch (Weisang, 1997).
Nach § 32a GmbHG wird ein Gesellschafterdarlehen als Eigenkapitalersatz gewertet, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt der verbindlichen Kreditzusage nicht mehr in der Lage gewesen ware ein Darlehen eines externen Dritten zur marktkonformen Bedingungen zu erhalten, also das Kriterium der Kreditunwiirdigkeit erf~llt h~itte (Weisang, 1997). 43
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3.3
Verfahrenseriffnung aufgrund Oberschuldung
Haben die Verluste aus unternehmerischer T~itigkeit das gezeichnete Kapital aufgezehrt bzw. deckt das Verm6gen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr, so ist die Gesellschaft i~berschuldet und die Insolvenzordnung (InsO) fordert bei juristischen Personen ohne pers6nlich haftenden Gesellschafter nach § 19 InsO die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund 0berschuldung. oo
Die Bewertung des Uberschuldungsstatus eines Unternehmens hat Diskussionen zu den Grundlagen der 0berschuldungsmessung und -bewertung aufgeworfen. Nach § 130a HGB, § 92 I S. 2 AktG, § 64 I S. 1 GmbHG ist die 0berschuldung eingetreten, wenn das Verm6gen der Gesellschaft nicht mehr ausreicht, um die Schulden zu decken. Nach der Insolvenzordnung ist der einfache Vergleich von Aktiva und Passiva nicht ausreichend, um die 0berschuldung zu ermitteln. Der 0berschuldungstatbestand bezieht sich hier auf dynamische und nicht auf statische Werte. Zur Unterst6tzung des Gl~iubigerschutzes ist es m6glich, Aspekte wie die Ressourcenverwertbarkeit oder die Zahlungsfristigkeit in die Ermittlung des 0berschuldungsstatus aufzunehmen. Spezifische Vorschriften zur Statusermittlung fehlen bislang weitgehend, handelsrechtliche Ans~itze wie das Anschaffungskosten-, Imparit~its- oder Realisationsprinzip finden keine Anwendung. Die genutzten Bewertungsans~itze orientieren sich weitgehend am Unternehmenskonzept und am Verm6gensinventar. In der Literatur werden zur Bewertung die (1) zweistufige Pr~ifung und die (2) modifizierte zweistufige Pri~fung des 0berschuldungsstatus thematisiert (Pfitzer, 2002). Im Rahmen der zweistufigen Priifung wird zuerst auf Basis einer Fortbestehensprognose ermittelt, ob die Fortfiihrung oder die Liquidation der Gesellschaft wahrscheinlicher ist. Auf dieser Basis wird ein 0berschuldungsstatus erstellt, der ergebnisabh~ingig zu Fortfiihrungsoder Liquidationswerten die 0berschuldung ermittelt. Trotz positiver Fortfi~hrungsprognose auf Basis von ,going-concern"-Werten kann eine 0berschuldung vorliegen, die die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens nach sich zieht. Bei der modifizierten zweistufigen Methode ist zwischen der rechnerischen und der rechtlichen 0berschuldungspri~fung zu differenzieren. Der Status wird hier stets unter dem Aspekt der Liquidation (rechnerische 0berschuldung) aufgestellt und erf~ihrt nur dann Relevanz, wenn die Fortbestehensprognose (rechtliche Pri~fung) ein negatives Ergebnis ausweist 4. Der Verfahrensausl6ser 0berschuldung ist von der Unterbilanz und der Unterkapitalisierung strikt zu trennen. Die Unterbilanz entsteht, wenn das nach handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften ermittelte Reinverm6gen das gezeichnete Kapital nicht Mit dem Urteil vom 13.07.1992 hat sich der BGH trotz Bedenken der modifizierten zweistufigen 0berschuldungsprfifung angeschlossen. Rechtlich liegt somit die 0berschuldung vor, wenn das Verm6gen mit allen stillen Reserven zu Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken und die Finanzierungskraft der Gesellschaft zur mittelfristigen Fortfiihrung nicht ausreicht. 44
Sunierung der betrieblichen Unternehmenskrise
mehr deckt. Nach § 30 I GmbHG besteht hier die Auszahlungssperre. Die Unterkapitalisierung entsteht, wenn das Unternehmen nicht hinreichend Eigenkapital aufweist, um die ausge~ibte Gesch~iftst~itigkeit zu finanzieren. Dem ggi~. zielt die Uberschuldungspri~fung einerseits auf die Ermittlung des Verm6gens, das im Insolvenzverfahren als Insolvenzmasse zur Befriedigung der Insolvenzgl~iubiger zur Verf~igung stehen k6nnte. Andererseits zielt die 0berschuldungspr~ifung auf die Bewertung des Verm6gens des Schuldners zu Fortf~ihrungswerten ab, wenn diese den Umst~inden ~iberwiegend wahrscheinlich ist. °°
In der unternehmerischen Praxis hat die Verfahrenser6ffnung aufgrund 0berschuldung eine untergeordnete Bedeutung. M6glichkeiten der bilanziellen Gestaltung und rechtliche Probleme im Rahmen der objektiven Beurteilung des 0berschuldungsstatus, der wiederum auf betriebswirtschaftliche Methoden und Erkenntnisse zurfickgeht, verschaffen dem Krisenmanagement Handlungsspielr~iume. Dennoch sollte das Management eine fortlaufende 0berschuldungsprfifung vornehmen, um nicht aufgrund Unterlassung rechtliche Konsequenzen tragen zu m~issen (Uhlenbruck, 2003).
3.4
Verfahrenseriffnung aufgrund Zahlungsunfihigkeit
H~iufigster Er6ffnungsgrund des Insolvenzverfahrens ist nach § 17 (1) InsO die Zahlungsunf~ihigkeit. Dabei ist der Schuldner nach § 17 (2) InsO zahlungsunf~ihig, wenn er nicht in der Lage ist, seine f~illigen Zahlungsverpflichtungen zu erf~illen. Das bedeutet, der Schuldner ist objektiv aufgrund mangelnder Zahlungsmittel zahlungsunf~ihig, eine subjektive Verweigerung den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen ist nicht ausreichend. Indizien zur Zahlungsunf~ihigkeit eines Schuldners finden sich in der unterlassenen Erfi~llung f~illiger Geldschulden oder der Wechsel- und Scheckproteste. De lege ferenda liegt Zahlungsunf~ihigkeit vor, wenn beim Schuldner ein dauerhaftes Unverm6gen vorliegt, die f~illigen Geldschulden zumindest im Wesentlichen zu begleichen. Eine vor~ibergehende Zahlungsstockung 16st somit keine Zahlungsunf~ihigkeit aus. Sofern es dem Schuldner m6glich ist, kurzfristig die Liquidit~itskrise zu meistern, k6nnen die Gl~iubiger auf Frist befriedigt werden. Welchen Zeitraum eine ,,voridbergehende" Zahlungsstockung einnehmen kann, um nicht zu einer ,,dauerhaften" Zahlungsstockung zu avancieren ist nicht final gekl~irt. Die Rechtsprechung sieht einen Zeitraum von zehn Tagen bis zu drei Monaten vor (Uhlenbruck, 2003). In der Praxis ist auf den spezifischen Einzelfall abzustellen, wenngleich einem Gl~iubiger nicht zugemutet werden sollte, l~inger als drei Monate auf f~illige Geldschulden warten zu m(issen. Auch in der Beurteilung der Wesentlichkeit der f~illigen Verbindlichkeiten, weist die Literatur keine einheitlichen Grenzen aus. Werden jedoch nicht min. 10 % bis
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Hommel / Knecht / Wohlenberg
25 % der f~illigen Geldschulden in einem Zeitraum von drei Monaten beglichen, so liegt relativ unstrittig Zahlungsunf/ihigkeit vor (Drukarczyk/Schiiler, 1997). Die Feststellung der Zahlungsunf~ihigkeit wird durch die betrachteten Verm6gensund Schuldposten sowie durch die Liquidit/itsart5 determiniert. Als liquidit/itserh6hende Verm6gensgegenst/inde im Sinne der Insolvenzordnung sind die Posten zu berticksichtigen, die kurzfristig einen Mittelzufluss erwarten lassen. Dies k6nnten bspw. ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital, Mittelzufltisse aus Kapitalerh6hungen oder Gesellschafterdarlehen sein. Ausstehende Einlagen eines stillen Gesellschafters k6nnen nach § 236 (2) HGB nur in dem Umfang beri.icksichtigt werden, wie sie auch den Anteil des stillen Gesellschafters am Verlust umfassen. Relevanz hat hier auch der Verkauf nicht betriebsnotwendigen Verm6gens, sofem dies kurzfristig zu Ver~iut~erungserl6sen ~hrt. Dartiber hinaus kann hier auch die Aussch6pfung einer bestehenden Kreditlinie bzw. die Gew~ihrung von ,,frischem Kapital" durch die Kapitalgeber zu Abwendung der Zahlungsunf/ihigkeit beitragen. Als liquidit/itssenkender Schuldposten ist nach § 236 (1) HGB die Einlage des typisch stillen Gesellschafters zu ber/icksichtigen, die, sofern sie noch nicht durch operative Verluste aufgebraucht ist, eine Verbindlichkeit des Schuldners darstellt. Ebenso sind Gesellschafterforderungen Verbindlichkeiten, die zun~ichst Zahlungsunf/ihigkeit ausl6sen k6nnen. Im Zeitpunkt der Insolvenzer6ffnung durch Zahlungsunf~ihigkeit steht die Eigenschaft des Kapitalersatzes nach § 30 GmbHG i. d. R. noch nicht fest. Sofern hier kein Rangrticktritt erkl~irt wurde, belasten diese Forderungen den Liquidit~itsstatus. Rtickstellungen belasten die Liquidit/itssituation nur, falls es sich um sog. Verpflichtungsrtickstellungen ftir Geldschulden handelt, Aufwandsr/.ickstellungen dienen der periodengerechten Erfolgsabgrenzung und senken die Liquidit/it mangels Drittverpflichtung nicht zwingend. Ferner markieren Kredi~berziehungen bei Bankh~iusern genauso einzubeziehende Schuldposten wie erhaltene Anzahlungen auf zu erbringende Werk- und Dienstleistungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, sofern keine Stundung vereinbart ist. Mit Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung 1999 wurde der Verfahrenser6ffnungsgrund der drohenden Zahlungsunf/ihigkeit eingefiihrt. Nach § 18 (1) InsO kann der Schuldner die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens auch bei drohender Zahlungsunf/ihigkeit beantragen. Um m6gliche Sanierungsaktivit~iten nicht zu beeintr/ichtigen, wurde dieser Er6ffnungsgrund auf den Schuldnerantrag eingegrenzt und die Option zur Eigenverwaltung nach § 270 bis § 285 InsO explizit bewahrt. Nach § 18 (2) InsO droht der Schuldner zahlungsunf/ihig zu werden, wenn er vorraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der F~illigkeit zu erfi.illen. Dies bedeutet, dass hier die noch nicht f~illigen Zahlungsverpflichtungen ins K6nnen die Schuldner ihre f~illigen Zahlungsverpflichtungen begleichen, handelt es sich um die sog. statische Liquidit/it, die auch dem § 17 InsO (Zeitpunkt-Illiquidit/it) zugrunde liegt. Die dynamische Liquidit/it wird Schuldnem zugeschrieben, die entstandene und im Planungszeitraum f~illige Zahlungsverpflichtungen termingerecht erfiillen k6nnen; diese Liquidit~it liegt der drohenden Zahlungsunf/ihigkeit § 18 InsO (Zeitraum-Illiquidit/it) zugrunde. 46
Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
Kalkfil mit einzubeziehen sind, indem der Schuldner eine Prognoserechnung mit den entsprechenden Ein- und Auszahlungen modelliert. I. d. R. wird hier auch eine Planungsrechnung entsprechend § 20 InsO vom Gericht gefordert, um der Verfahrenser6ffnung stattzugeben. Die drohende Illiquidit~it wird auf Basis eines Finanzplans ermittelt, der die bestehende und sp~iter im Planungszeitraum eintretende Zahlungspflicht berficksichtigt (Drukarczyk/Sch~iler, 1997). Der Planungshorizont sollte ffir die kurzfristige Planung sechs bis 24 Monate umfassen und dabei Cash-Flow-Planung, Gewinn- und Verlustplanung sowie Planbilanz enthalten. Als Sanierungsalternative wird die vorgezogene Verfahrenser6ffnung nur bedingt genutzt, die aut~ergerichtliche Sanierung und die Vermeidung der ,,Insolvenz" ist die klar dominierte Option. Die frfihe Verfahrenser6ffnung bringt hingegen auch Vorteile mit sich, die zu bedenken sind, wie (1) die Herausgabesperre, d.h. die Verwehrung von Gl~iubigern auf Sicherheiten, um die Sanierungsm6glichkeiten einer fortf6hrungswfirdigen Firma zu schfitzen (§§ 165-169 InsO) oder (2) die M6glichkeit der Eigenveraltung, d.h. Wahrung der Verwaltungs- und Verf~igungsbefugnis des Schuldners unter Aufsicht eines Sachwalter bei angeordneter Eigenverwaltung. Ist der Tatbestand zur Er6ffnung des Insolvenzverfahrens nach § 17 InsO oder § 19 InsO erf611t, so ist der Verfahrensantrag einzureichen. Er kann sowohl von Schuldnern als auch Gl~iubigern gestellt werden. Handelt es sich hingegen um eine drohende Zahlungsunf~ihigkeit nach § 18 InsO, ist lediglich der Schuldner berechtigt den Antrag zu adressieren und es sind keine strafrechtlichen Konsequenzen an die Missachtung der Verfahrenser6ffnung geknfipft.
4
Sanierun8 oder Liquidation als Konsequenz der Unternehmenskrise
4.1
Gesenstand der ikonomischen SanierungsprUfun8
Ist fiber die Krisenindikatoren deutlich geworden, dass eine Unternehmenskrise vorliegt, so ri~ckt die Entscheidung ,,Sanierung oder Liquidation" in den Fokus. Die Gesch~iftsffihrung und die Gesellschafter des Unternehmens werden unverzfiglich aufgefordert zu ermitteln, ob die Unternehmenskrise zu beheben ist oder ob eine Liquidation einzuleiten ist. Durch die Sanierungsprfifung soll eine Entscheidung getroffen werden k6nnen, ob das Unternehmen sanierungsf~ihig ist oder nicht. Die Sanierungs-
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iiili
i Hommel / Knecht / Wohlenberg
f~ihigkeit dri~ckt dabei aus, ob die Gesellschaft ,,mit den vorhandenen Mitteln innerhalb einer vorgesehenen Zeit aus der gegenwfirtigen Krise in eine tragfiihige sowie beherrschende Position idberfi~hrt werden kann" (Pfitzer, 2002). Ansatzpunkt der Sanierungspr~ifung ist der Abgleich zwischen dem gewi~nschten Zielzustand des gesunden Unternehmens (Soll-Zustand) und dem aktuellen Zustand des Unternehmens in der Krise (Ist-Zustand). Entsprechend setzt die Sanierungspri~fung zun~ichst bei der Ermittlung und Beschreibung des Ist-Zustandes der Gesellschaft an. Diese Bestandsaufnahme und Datenerhebung ist objektiv zu ermitteln und vorzunehmen. Die Formulierung des Soll-Zustands ist hingegen vom Kenntnisstand und der Interessenlage des Entscheidungstr~igers abh~ingig. Die Bestimmung des tragf~ihigen Soll-Zustands der Gesellschaft ist daher genauso Gegenstand der Sanierungspri~fung, wie auch die davon abh~ingigen Sanierungsmat~nahmen (Grote, 1997). Ob das Untemehmen sanierungsf~ihig ist, h~ingt somit sachlogisch vom Sanierungskonzept ab, dass neben der Beschreibung des Ist-Zustands auch das Leitbild des genesenen Unternehmens mit den entsprechenden Sanierungsmat~nahmen enth~ilt. Im Rahmen der Sanierungspri~fung soll eine m6glichst genaue Prognose zur 0berlebensf~ihigkeit der Gesellschaft im zugrunde gelegten Prognosezeitraum formuliert werden. Das wertende Gesamturteil, die sog. Fortbestehensprognose, setzt auf der integrierten Finanz- und Unternehmensplanung aus dem Sanierungskonzept auf und enth~ilt sowohl eine Vorhersage zur Zahlungsf~ihigkeit als auch eine Vorhersage zum Reinverm6gen der Gesellschaft. Die zuk~inftige Zahlungsf~ihigkeit beri~cksichtigt dazu geplante Ereignisse der Unternehmensentwicklung sowie die definierten Restrukturierungsmat~nahmen bzw. deren finanzielle Konsequenzen. 0ber die Fortbestehensprognose begri~ndet die Sanierungspr~ifung die Aussage i~ber eine nachhaltige Fortf~ihrung der gesch~iftlichen Aktivit~iten unter Ausr~iumung der Insolvenzgri~nde (Grote/Amen, 2003). Diese f~illt positiv aus, wenn die Zahlungsf~ihigkeitsprognose und die Reinverm6gensvorausschau positiv beurteilt werden. Die Sanierungspri~fung stellt f~ir Kapitalgeber eine zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Um zu ermitteln, ob die 0berlebensf~ihigkeit der Gesellschaft auch ohne weitere Eigenkapitalzufuhr darstellbar ist, veranlassen Gesellschafter nicht selten eine Sanierungspr~ifung. Fi~r die Fremdkapitalgeber ist die Sanierungspri~fung zentral fi~r die Vergabe von Sanierungskrediten. Durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie die MAK, werden Kreditinstitute veranlasst, intensive Pr~ifungen zur nachhaltigen 0berlebensf~ihigkeit der angeschlagenen Kreditnehmer vorzunehmen (Oberm~iller, 1997).
4.2
Sanierungsf ihigkeit und -wiJrdigkeit
Als zentrale Einflussparameter auf die grunds~itzliche Entscheidung ,Sanierung oder Liquidation" wird die detaillierte Identifikation der Ursachen der Untemehmenskrise
48
Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
mit der m6glichst rechtzeitigen Krisenbeseitigung vor Eintritt der Insolvenzantragspflicht nach § 64 GmbHG, § 92 AktG, § 130a HGB angesehen (Uhlenbruck, 2003). Mit der Sanierungsbed/irftigkeitspr/ifung wird sichergestellt, dass die Ermittlung der Krisenursachen eingeleitet wird und die Optionen der Krisenbew/iltigung dargelegt werden. M6glich wird dies /iber eine ann/ihernd vollst/indige Erfassung des IstZustandes des Sanierungskandidaten. Zur Identifikation der Krisenursachen wird bspw. die Schwachstellenanalyse eingesetzt, die auf empirischen Untersuchungen zum Unternehmensmisserfolg beruht. Aus den diversen Erhebungen sind Checklisten hervorgegangen, die Aufschluss /iber zentrale Krisenursachen geben sollen. Ist der Fortbestand der Firma ohne die Umsetzung von Sanierungsmat~nahmen gef~ihrdet, so liegt Sanierungsbediirfigkeit vor. Ob die Sanierungsmat~nahmen die Lebensf~ihigkeit des Unternehmens wiederherstellen k6nnen, indem die Krisenursachen ausger~iumt werden und eine strategische Neuausrichtung erfolgt, ist/iber die Bestimmung der Sanierungsf/ihigkeit zu ermitteln. Die Sanierungsf~ihigkeit wird auch als zentrales Kriterium der Sanierungspr/ifung definiert (Pfitzer, 2002). Ist das Unternehmen nach Umsetzung der definierten Sanierungsmat~nahmen in der Lage einen nachhaltigen Einnahme/iberschuss zu erzielen, so gilt es als sanierungsf/ihig (Maus, 2003). F6hren die Sanierungsmat~nahmen nicht zu diesem Ziel, so gilt das Unternehmen als liquidationsbed/irftig. Die eindeutige Ermittlung der Sanierungsf~ihigkeit erfolgt im Wesentlichen/iber die verschiedenen Methoden der Unternehmensbewertung (Braun/Uhlenbruck, 1997). Dass die Ermittlung eines ,,richtigen" Wertansatzes nicht m6glich ist und die einzelnen Bewertungsans~itze methodische Kritik erfahren haben, soll hier nicht thematisiert werden. In Deutschland erfolgt die Feststellung der Sanierungsf/ihigkeit meist/iber den Vergleich des Fortf6hrungswerts mit dem Liquidations- bzw. Zerschlagungswerts der Gesellschaft. Im Fortf/ihrungswert ist die Summe der abgezinsten zuk/inftigen Unternehmenserfolge abgebildet, wohingegen im Liquidations- bzw. Zerschlagungswert die Verm6genspositionen mit den Liquidationskosten saldiert sind. Dem Szenario der Untemehmensfortfiihrung liegt eine Unternehmensplanung zugrunde, die alle definierten und abgestimmten finanziellen, strukturellen und v.a. leistungswirtschaftlichen Sanierungsmat~nahmen umfasst. Die korrespondierenden zahlungs- und ertragswirksamen Konsequenzen sind ebenfalls in Planbilanz, -erfolgsrechnung und -liquidit/it beri~cksichtigt. Daher erfolgt die Ermittlung des Fortf/ihrungswertes, indem die der Gesellschaft zufliet~enden Finanzstr6me mit einem risikoadjustierten, sanierungsad~iquaten Kapitalisierungszinsfut~ diskontiert werden. Daher gilt es hier besonders darauf zu achten, dass die Planung im integrierten Rechenwerk methodisch schl/issig und inhaltlich glaubwi~rdig nachzuvollziehen ist. Dem Szenario der Unternehmensliquida. tion liegen die geplante Liquidationsdauer sowie die erforderlichen Zerschlagungsbem/ihungen zugrunde. Eine Wertabsch/itzung ist hier ex ante mit besonderen Problemen behaftet, da die H6he der Liquidationskosten bspw. durch Kosten der Altlastenbeseitigung oder den tats/ichlichen Sozialplankosten schwer bestimmbar ist. 49
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Aus 6konomischer Perspektive ist die Sanierungsf~ihigkeit gegeben, wenn der Fortfiihrungswert den Liquidationswert ~ibersteigt. Lassen sich nach wirksamer Umsetzung der Sanierungsmat~nahmen nachhaltig positive Cash-Flows erwirtschaften, die auch die Sanierungskosten decken, so wird deutlich, dass der Barwert der zuki~nftig erzielbaren und ausschi~ttungsf~ihigen Jahresergebnisse den Liquidationswert i~bersteigt. Die Gesellschaft ist dann als sanierungsf~ihig zu bezeichnen. Im umgekehrten Fall ist die Gesellschaft als nicht sanierungsf~ihig zu bezeichnen. Eine Investition in ein sanierungsbedi~rftiges Untemehmen, das auch nach Umsetzung der definierten Sanierungsmat~nahmen einen geringeren Fortfiihrungswert ausweist als der Wert betr~igt, den ein Investor bei Liquidation der Gesellschaft erzielen k6nnte, ist nicht rentabel und wi~rde nicht durchgefiihrt. Ob die Sanierung eines angeschlagenen Unternehmens durchgefiihrt wird, h~ingt allerdings nicht nur von (relativ) objektiv ermittelten Fakten im Rahmen der Sanierungsf~ihigkeitspri~fung ab, sondern wird auch wesentlich durch die Bestimmung der Sanierungswiirdigkeit determiniert (Picot/Aleth, 1999). Durch eine nachvollziehbare Vorgehensweise wird im Rahmen der Bestimmung der Sanierungsfiihigkeit der Gesellschaft auch das Rational der Inhaber bzw. Gesellschafter abgebildet. Mit der Sanierungswi~rdigkeit wird das subjektive Interesse der Stakeholder, die in die Sanierung einbezogen werden, wie bspw. Kreditinstitute, erfasst. Die Ansichten fiber die Sanierungswi~rdigkeit des Unternehmens sind aufgrund des umfangreichen Stakeholderstammes meist h6chst heterogen. Zur Bestimmung der Sanierungswi~rdigkeit empfiehlt es sich daher, sich auf die wesentlichen Interessensgruppen- meist stark durch die Kreditinstitute und Kreditversicherungen gepr~igt- zu konzentrieren und eine einheitliche Haltung dieser Prozessbeteiligten zur Sanierung des Untemehmens herbeizufi~hren.
4.3
Sanierungskonzept als Entscheidunssgrundlage
Die finale Entscheidung fiber die Durch~hrung der Unternehmenssanierung erfolgt auf der Basis des Sanierungskonzeptes. Mit dem Sanierungskonzept wird klar, ob und wie die insolvenzrechtlichen Tatbest~inde Zahlungsunf~ihigkeit und 0berschuldung beseitigt werden k6nnen und ob die unternehmerischen Erfolgspotenziale im leistungswirtschaftlichen, strukturellen und finanziellen Bereich des Untemehmens neu geordnet werden k6nnen (Pfitzer, 2002). Das Sanierungskonzept umfasst ferner auch die qualitative und quantitative Darstellung der Zielsetzung, also des Leitbilds des sanierten Unternehmens, sowie die dazu erforderlichen Sanierungsmat~nahmen. Die Struktur und die inhaltliche Ausgestaltung des Sanierungskonzeptes orientiert sich am Prozessablauf der Unternehmenssanierung (vgl. Abb. 4-1). Die logische Nach-
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Senierung der betrieblichen Unternehmenskrise
vollziehbarkeit und schlfissige Konsistenz eines Sanierungskonzeptes umfasst die Darstellung des ehemals profitablen Unternehmens in der Vergangenheit, eine weitreichende und zugleich tief greifende Analyse des angeschlagenen Sanierungskandidaten in der Gegenwart sowie die Vision (,,Leitbild") des sanierten und strategisch neu ausgerichteten Unternehmens in der Zukunft. Die Pr/isentation des ehemals gesunden Unternehmens erfolgt fiber die Aufbereitung historischer Daten. Die Darstellung der aktuellen Krisensituation des Unternehmens wird fiber die Analyse der Krisenursachen in der Gesellschaft sowie im direkten Unternehmensumfeld gezeigt. Damit auf dieser Basis die 0berfiihrung des angeschlagenen Untemehmens in eine stabile und dauerhaft tragf/ihige Position erzielt werden kann, sind Sanierungsmagnahmen zu definieren. Uber die Umsetzungsqualit/it,-geschwindigkeit und-effizienz der Mat~nahmen wird der Zielerreichungsgrad des sanierten Unternehmens bestimmt.
Abbildung 4-1:
Ablaufstruktur einer Unternehmenssanierung (Quelle: in Anlehnung an Groin, 1997; Pfi'tzer, 2002)
RUCKSCHAU
PROGNOSE
Umfeld
iii) i)i)ii )ii
Umfeld
iiiiiii
iiiiii Umfetd Umfetd ~ - - - " -
~
iiiiii
i!)!i))i~i~i~i!))ii)i)i)~)ii;~i)i))i)i)i)i~)i~)ii~i)!)!~!i)!)))i~i)i~i)ii)i~)ii;)ii~i~{ii)i)i)i~i)i~i )~i)))i)i)~i)i)i)!i~)~)ii~iii))ii~i~i
_
v
GefQhrdung des Unternehmensfortbestandes ohne Umsetzung von Sanierungsma&nahmen
~. . . . m Ausgangssituatien ! = Leitbild des sanierten Untemehmens ~=
PrCifung der Eignung von Sanierungsma6nahrnen
. . . . m PlamVerprobungsre~hnungen .......,~..,~..~,~~i )~i )li;~!~i ;~,~.~i.!~..~i..-!~...... .,~.
mSanie~ngsma6nahmen .....
~
Beurteilung des Sanierungskonzepts durch Beteiligte auf Basis subjektiver Interessen und Renditevorstellungen Einheitliche Einsch~itzung erforderlich
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
~)
Fortbestehensprognose
................................................................... _:_O_=~.Obersc:___=_:_:!uld__:__:u_ngspref ............ un_~ g................................................................................
Ob die Saniemng des Unternehmens realisiert werden kann, h~ingt wesentlich vom definierten Ziel, der realistischen Bestimmung des Leitbilds des sanierten Unternehmens ab (Grote, 1997). Vor dem Hintergrund des analysierten Krisenzustandes des Unternehmens ist v. a. eine strategische Neuausrichtung, also eine Vision des sanierten
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Hommel / Knecht / Wohlenberg
Unternehmens, zu formulieren. Sie bestimmt die zukfinftige Umsatzqualit~it, d. h. die Nachhaltigkeit und das Volumen. Neben der Unternehmensplanung und der fundierten Kenntnisse fiber den Markt sind somit auch die entsprechende Kreativit/it und Erfahrung vom verantwortlichen Sanierungsmanagement gefordert. Uber die Lageprognose sind die Maflnahmen zu bestimmen, die n6tig sind, um vom Ist-Zustand der Unternehmenskrise zum Soll-Zustand des gesundeten Unternehmens zu kommen. Liquidit~itsstatus und Verm6genslage informieren hier fiber die Krisenart, was letztlich auch die Dringlichkeit der Sanierungsmaflnahmen veranschaulicht. Erfolgt die Planung der Zielerreichung fber die Ableitung der entsprechenden Sanierungsmaflnahmen, gilt es gleichzeitig die Liquidit~it und Finanzierungskraft des Unternehmens zu berficksichtigen, die Auskunft fber die Realisierungswahrscheinlichkeit der Vision geben. Im Rahmen eines intersubjektiv nachvollziehbaren Sanierungskonzeptes werden neben der integrierten Finanzplanung, den abgestimmten Sanierungsmaflnahmen auch die kritischen Pr/imissen der Sanierung, also die Risiken der Unternehmensfortffihrung definiert. Dadurch wird die fberwiegende Wahrscheinlichkeit abgeleitet, die rechtlichen Insolvenzgrfinde abzuwenden und das Risiko zum Kapitaleinsatz abzuw/igen. Damit die Verst~indlichkeit des Sanierungskonzeptes ffr einen sachverst/indigen Dritten gew~ihrleistet wird, hat sich auch der Fachausschuss Recht beim INSTITUT DERWIRTSCHAFTSPRUFER(IDW) mit den relevanten Anforderungen an Sanierungskonzepte auseinandergesetzt und diese in der Stellungnahme FAR 1/1991 formuliert, die bei der Erstellung von Sanierungskonzepten zu beachten ist. Zielsetzung ist hierbei ,,fiir die inhaltlichen Eckpfeiler eines Sanierungskonzepts eine intersubjektiv nachpriifaare Struktur vorzugeben", die folgende Aspekte behandelt (FN-IDW, 1991):
mi Beschreibung des Unternehmens: Die vollst~indige Datenerfassung und genaue Informationszusammenstellung ermbglicht die Abbildung der aktuellen Situation der Gesellschaft und stellt somit die Basis f~r das Sanierungskonzept dar. Zentrale Kemltnisse zur Beschreibung des Unternehmens resultieren aus (1) der bisherigen Unternehmensentwicklung, (2) den vertraglichen Verh~iltnissen, (3) den leistungswirtschaftlichen Prozessen/Produkten, sowie (4) den strukturellen Verbindungen. I
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Analyse des Unternehmens: Uber spezifische Methoden zur Analyse quantitativer und qualitativer Merkmale wie bspw. die Schwachstellenanalyse, werden Wirkungszusammenh~inge herausgearbeitet, die nicht sofort einsichtig sind. So gelingt es ein Verst~indnis ffr die Krisenursachen zu entwickeln, das Bedingung zur Absicherung einer nachhaltigen Sanierung ist. Da sich die Krisenursachen meist im Zeitablauf entwickelt haben, deren Zusammemh~inge oft nur bedingt bestimmbar sind, sind die einzelnen endogenen und exogenen Krisenursachen systematisch zu identifizieren. Zur Markierung der aktuellen Situation des Unternehmens ist ferner eine detaillierte Untersuchung der Untemehmensumwelt (z. B. technologische Entwicklung) erforderlich. Insgesamt kann so eine Lagebeurteilung erfolgen, die
Sanierun~ der betrieblichen Unternehmenskrise
ii~i~iiiii~iiii!iliiiiiiii ~iiiiiii!iiiiiiiiiiiiiiii~ i~ii!iiiii!!iiiiiiii!i~ ~~i~i!!ii~iiii!iii~i~iiiiiiiiiiiiiiii!
iiiiiiiiilill ~iiiiiiii!ilill i!i¸i!~ii!iiiilili~!ii
!~~i!~!i~!~!~!~!~!~!~~i~li!~ i!~i!~ i!~!i~~i!~!~ i!~!~ i!~~i!~ ii~i ~~ i!~~ i!i~~ i!i~!i!!il~!!~~ i~ i!~!~ i~ !i!~~ i!i~!~!i!i!i Auskunft 6ber die Liquidit/its- und Finanzsituation gibt und die Handlungsspielr~iume vor dem Hintergrund der Insolvenzordnung aufzeigt. m Leitbild des sanierten Untemehmens: Der zuk/inftig angestrebte Soll-Zustand des sanierten Unternehmens, die Vision, ist im Sanierungskonzept darzulegen. Das Leitbild ist so zu definieren, dass es einerseits Begeisterung und Vertrauen bei den Beteiligten des Krisenkandidaten ausl6st, andererseits aber realisierbar ist. Im Sanierungskonzept sind dazu sowohl die Kemkompetenzen als auch die Unternehmenskultur zu beri~cksichtigen, sowie die Bestimmung der Vorgehensweise und Skizzierung der Potenziale, um die Gesellschaft zuk/Jnftige wettbewerbsf/ihig zu positionieren. Dabei stehen u. a. Fragen nach (1) der Corporate Identity, (2) dem Produkt-/ Leistungskonzept, (3) den Erfolgspotenzialen, (4) der Unternehmensstruktur sowie (5) der Kapitalstruktur im Vordergrund. @ Mat~nahmen zur Sanierung des Unternehmens: Aus dem Abgleich der IstSituation des Unternehmens und dem Leitbild der Gesellschaft wird klar, welche Sanierungsmat~nahmen durch das Management und die Kapitalgeber vorzunehmen sind. Sofortmat~nahmen konzentrieren sich dabei auf die Abwendung der Ausl6setatbest~inde der Insolvenz. Konsolidierungsmat~nahmen zielen auf den Abbau von Verlusttreibern und auf die Effektivit~it bzw. Effizienz operativer Leistungserstellung. Maf~nahmen der strategischen Neuausrichtung fokussieren die Entwicklung profitabler und ggfs. innovativer Gesch~iftsfelder f/ir die Gesellschaft. @ Plan-Verprobungsrechnung: Uber die Planverprobung, die aus Teilplanungen in eine integrierte Finanzplanung /iberf/ihrt wird, wird verdeutlicht, ob die Sanierungsmat~nahmen durch die Gesellschaft finanzierbar sind. F/ir einen Planungszeitraum von i. d. R. 12 bis 36 Monate werden Szenariorechnungen aufgestellt, um potenzielle Planungsunsicherheiten finanziell abzubilden. Daraus ergibt sich letztlich, welche quantitativen Effekte die Sanierungsbeitr~ige die einzelnen Beteiligten liefern und wie sich das Leitbild des sanierten Unternehmens finanziell entwickelt. In diesem iterativen Prozess obliegt es nun der Unternehmensf~ihrung, den Gesellschaftern sowie den verschiedenen Stakeholdern, zu beurteilen, ob eine Sanierung erfolgen soll.
4.4
Rechtliche Aspekte der Sanierung
Die Entscheidung ,,Sanierung oder Liquidation" einer Gesellschaft wird nicht nur durch 6konomische, sondern auch durch rechtliche Implikationen beeinflusst. Agiert der Sanierungsfall mit einer Konzernstruktur im Wettbewerb, so stehen bspw. zur strukturellen Bereinigung der Legalstruktur gesellschaftsrechtliche Aspekte im Vordergrund. Die Eliminierung legaler Einheiten kann durch Verschmelzung, Urn-
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....{~{~........... I~ ...... ............
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wandlung oder Liquidation erfolgen. Diese Komplexit~itsreduktion im Rahmen der Sanierung kann allerdings u. a. an folgenden Aspekten scheitem: (1) entstehende Verschmelzungsverluste sind durch Konzemgesellschaften bspw. iiber Patronate abzudecken, (2) steuerliche Verlustvortfiige der K6rperschaften k6nnen nur bedingt genutzt werden, (3) stille Reserven werden aufgedeckt, die eine Steuerbelastung nach sich ziehen. Neben der Umwandlung kann die Komplexit/itsreduktion legaler Einheiten auch durch die Yertiut~erung von Untemehmensteilen erfolgen. Sofern ein Erwerber gefunden wird, erfordert die Durchfi~hrung der Transaktion vertraglicher Modalit~iten, um die Kaufpreiszahlung und die Regelung der Haftungsfragen zu vereinbaren. Die Realisierung von Personaleinsparungen des Krisenunternehmens wird meist als potenzialtr~ichtige Mat~nahme im Sanierungskonzept angefiihrt. Dabei k6nnen umfangreiche Hindernisse im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich auftreten, die die definierten Sanierungsmat~nahmen behindern. Im Grundsatz sind Mat~nahmen, die zum Nachteil die Arbeitnehmer fLihren, nur dann zu rechtfertigen, wenn sie zur nachhaltigen Sanierung des Unternehmens beitragen. Die Herausforderungen der vielf~iltigen Spezialsituationen lassen daher nur exemplarisch anfiihren: W Betriebs/inderungen im Rahmen der Sanierung: Nach §§ 111 ff. BetrVG hat die Unternehmens~hrung den Betriebsrat umfassend iiber m6gliche Nachteile fi~r die Belegschaft zu informieren und bei Interessenausgleich sowie Sozialplan eine schriftliche Einigung mit dem Betriebsrat zu erzielen. Der allgemeine Kiindigungsschutz nach dem Kiindigungsschutz (KSchG) sowie der besondere Ki~ndigungsschutz fiir Betriebsr~ite etc. hat im Grundsatz volle Wirksamkeit.
Betriebsbedingte Anderungskiindigung: Damit eine betriebsbedingte Anderungsk~ndigung durchsetzbar ist, bedarf es nach § 1 und § 2 KSchG eines rechtlich zul/issigen und vertretbaren Anlasses. Im Sanierungsfall liegt dieser vor, sofern unver~inderte Lohn-/Gehaltszahlungen den Fortbestand der Gesellschaft gef~ihrden. In diesen Fallen darf das Arbeitsentgelt soweit abgesenkt werden, wie fiir die Sanierung unbedingt erforderlich. Erhebt der Arbeitnehmer eine Kiindigungsschutzklage, sind in einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Finanzlage, der Personalkostenanteil und die Implikationen der Kosteneinsparung durch Anderungskiindigung fiir Unternehmen und Arbeitnehmer sowie Begr6ndung der Sanierungsmat~nahme im Rahmen des Sanierungskonzepts zu begriinden. M Pensionen/Pensionsanwartschaften: Sofern und soweit der gesetzliche Insolvenzschutz greift, k6nnen die unverfallbaren Teile der Versorgungsanwartschaft im Rahmen der Unternehmenssanierung gekiirzt werden. Liegt ein rechtskr/iftiges Urteil zur K6rzung/Einstellung der Versorgungsleistungen vor, so besteht nach § 7 (1) S. 3 BetrAVG die Einstandspflicht des PENSIONSSICHERUNGSVEREINS(PSV). Um die nach § 7 (1) S. 4 zul~issige, aut~ergerichtliche Ubernahme der Versorgungsleistungen mit dem PSV verhandeln zu k6nnen, bedarf es eines Sanierungskonzepts, aus dem die Sanierungsf/ihigkeit hervorgeht, um die K~rzung/ Einstellung der Versorgungsleistung beurteilen zu k6nnen. 54
Sunierun~ der betrieblichen Unternehmenskrise
~i~i!ii~ii!i~i~i~i~ii~ii~i~i~ii~i!ii~i!i~!i~i~i~ii
5
Krisenmanagement: Systematisierun8 der beteilisten Interessengruppen
Die betriebliche Unternehmenskrise stellt besondere Anforderungen an die Unternehmensfi3hrung bzw. an das Krisenmanagement. Mit dem Ziel der Bew~iltigung der betrieblichen Krisensituation ist es die zentrale Aufgabe, den Sanierungsprozess so auszusteuern, dass der dauerhafte Fortbestand nachhaltig und substanziell sichergestellt ist. In der akuten Krisensituation steht die Unternehmensfi3hrung unter zunehmendem Zeit- und Handlungsdruck, um die existenzbedrohende Situation abzuwenden. Dies erfordert ein professionelles Zusammenwirken der relevanten Interessengruppen und eine kompetente Anwendung m6glicher Sanierungsinstrumente (vgl. Abb. 5-1). Die Bewerkstelligung der kritischen Unternehmenssituation ist nur durch die Unterstiitzung der einzelnen Interessengruppen m6glich, weshalb das Krisenmanagement auch die Aufgabe hat, die Sanierungsbeitr~ige der einzelnen Beteiligten aktiv zu steuem und vertrauensvoll zu kommunizieren. Die Systematisierung der beteiligten Interessengruppen sowie der spezifischen fachlichen Aufgaben und Instrumente im Sanierungsprozess erlaubt die Bestimmung des konzeptionellen Rahmens des vorliegenden Handbuchs. Ein umfassendes Kompendium, in dem die vielschichtigen Facetten thematisiert bzw. gel6st werden, existiert bislang nicht. Um die zentralen Herausforderungen der Unternehmensrestrukturierung bzw.-sanierung zu erfassen, hat es Bem~ihungen gegeben, methodisch begri3ndbare Bezugsrahmen zu schaffen (B6ckenf6rde, 1996; M~iller, 1982). Diese Beitr~ige erm6glichen die Strukturierung ausgew~ihlter Steuerungsprobleme und die Formulierung allgemeiner Handlungsanweisungen im Krisenfall. Vor diesem Hintergrund umfasst die vorliegende Gesamtpublikation folgende Inhalte: W Grundlagen (Kapitel 1): Darlegung der grundlegenden Zusammenh~inge einer Krisensituation und deren Implikationen fi3r die Interessengruppen sowie Ableitung der begrifflichen Basis und der Grundlagen des prozessualen Krisenmanagements. Dabei werden auch die grundlegenden rechtlichen und 6konomischen Rahmenbedingungen thematisiert. mi Sanierungsbedarf (Kapitel 2): Die krisenausl6senden Ursachen und deren Fr6hwarnindikatoren stehen hier im Fokus. Es wird klar, dass die Ausl6ser der Restrukturierungs- bzw. Sanierungsbedi3rfigkeit innerhalb und aut~erhalb der Gesellschaft liegen k6nnen. Die etablierten Fri~hwarnsysteme und rechtlichen Rahmenbedingungen signalisieren die potenzielle Gef~ihrdung der Firma und erm6glichen so den Anstot~ von Sanierungsmat~nahmen. i! Sanierungskonzept und -planung (Kapitel 3): Die Bestimmung des Krisenausmat~es und die Determinierung der Sanierungsbeitr~ige der Interessengruppen stellen ausgew~ihlte Facetten des Sanierungskonzepts und der-planung dar. Der Ab-
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schnitt spiegelt auch die Ablaufstruktur einer Sanierung wider. Nach der Grobanalyse, der Einleitung der Sofortmai~nahmen und der Bestimmung der Sanierungsf~ihigkeit und -wLirdigkeit im Rahmen des Sanierungskonzepts, wird auch die Umsetzung und Kommunikation der Sanierungsmat~nahmen beleuchtet.
Abbildung 5-1:
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Interessengruppen im institutionellen Umfeld der sanierungsbediirftigen Gesellschaft
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Steuerberater/Wirtschaftspr0fer Rechtsanwalt Sanierungsberater/Interim-Manager Transaktionsberater Insolvenzverwalter
M Strukturelle Sanierung (Kapitel 4): Die Krise fordert von den betroffenen Interessengruppen die angepasste Ausgestaltung ihrer Aufgaben, um eine Sanierung zu erm6glichen. So wird bspw. von Aufsichts- und Betriebsr~iten besondere Vorsicht und Weitsicht, von der Unternehmensffihrung pr~izises Zeitmanagement und besondere Prozesssicherheit gefordert. Prozessfehler k6nnen hier nicht selten Haftungsrisiken der Interessengruppen nach sich ziehen. Oft ist auch die 6konomische Anpassung der betrieblichen Legalstruktur erforderlich. Die Anpassung bewegt sich im Rahmen des Gesellschaftsrechts und erfordert im Krisenfall eine enge VerknLipfung mit dem betrieblichen Rechnungswesen/Controlling. W Finanzielle Sanierung (Kapitel 5): Mit dem Ziel die Zahlungsunf~ihigkeit und die Uberschuldung abzuwenden sowie eine dem Gesch~iftsbetrieb angepasste Finanz-/ Kapitalstruktur zu etablieren, stehen die Instrumente zur Steuerung der Unternehmensliquidit~it und -kapitalstruktur im Fokus der finanziellen Sanierung. Auf-
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Sanierung der betrieblichen Unternehmenskrise
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bauend auf dem konzeptionellen Ger/ist der Kapitalstrukturpolitik, werden Ans~itze zur Steuerung der Liquidit~it sowie des Eigen- und Fremdkapitals behandelt. Neben dem Kapitalschnitt mit anschlief~ender Kapitalerh6hung und dem ,,Debt to Equity Swap" wird auch die Bedeutung des Verkaufs von Not leidenden Krediten und das Vulture Investing thematisiert. Die Implikationen des Sanierungssteuerrechts sowie die Bewertung von Krisenf~illen runden den Abschnitt ab. I
Leistungswirtschaftliche Sanierung (Kapitel 6): Die Mat~nahmen zur Verbesserung der Umsatzqualit~it und zur Anpassung der Kostenstruktur stehen hier im Fokus. Durch die operative Erh6hung von Effizienz und Effektivit~it soll eine Erh6hung des operativen Cash-Flows die Ertragskraft nachhaltig erh6hen. Ans~itze hierzu liegen in Qualit~itsverbesserungen, Kapazit~itsanpassungen im maschinellen bzw. personellen Bereich bzw. in der Gestaltung von Einkaufs- bzw. Vertriebsaktivit/iten. Die zeitnahe Nutzung der Kosteneinsparungspotenziale bei stabilem Umsatz liefert zahlreiche erfolgskritische Barrieren, die erl/iutert werden.
m Gerichtliche Sanierung im Rahmen der Insolvenzordnung (Kapitel 7): Mit Er6ffnung des Insolvenzverfahrens kann eine gerichtliche Sanierung erfolgen. Diese existenzgef/ihrdende Extremsituation weist sehr rechtsnahe Spielregeln auf, wie den Insolvenzplan als Sanierungsinstrument, und beteiligt weitere Interessengruppen im Rahmen der Sanierung, wie den Insolvenzverwalter. Mit den Ansatzpunkten und Instrumenten der gerichtlichen Sanierung, deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten im internationalen Kontext, werden die Leitplanken der Sanierung deftniert. m Sanierungsabsicherung (Kapitel 8): Die nachhaltige Erreichung der angestrebten Krisenbew~iltigung erfordert ein mat~nahmenspezifisches Controlling und Reporting sowie die Steuerung der individuellen Anreizmechanismen. Neben der Konzeption dieser schliet~t die Systematisierung der Elemente des Krisenmanagements mit den Herausforderungen bei Familienunternehmen bzw. Kreditinstituten.
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Hommel / Knecht / Wohlenberg
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1
Einleitung .......................................................................................................................... 63
2
O r g a n i s a t i o n s t h e o r e t i s c h e Erkl~irungsans/itze ............................................................. 64 2.1
Der O r g a n i z a t i o n a l Ecology A n s a t z ..................................................................... 64 2.1.1
2.2 3
4
Liability of Smallness ................................................................................. 65
2.1.2
Liability of N e w n e s s .................................................................................. 67
2.1.3
T h e o r y of F o u n d i n g Characteristics ........................................................ 70
2.1.4
Density D e p e n d e n c e T h e o r y .................................................................... 72
R a n d o m Walk M o d e l l e .......................................................................................... 74
I n d u s t r i e 6 k o n o m i s c h e Erkl/irungsans/itze ................................................................... 81 3.1
L e r n t h e o r e t i s c h motivierte Erkl~irungsans~itze ................................................... 81
3.2
M a r k t s t r u k t u r e l l e Erkl~irungsans/itze .................................................................. 86
Z u s a m m e n f a s s u n g der Ergebnisse ................................................................................ 90
61
Erkl~rung der Oberlebenswahrscheinlichkeit yon Unternehmen
1
Einleitun8
In der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Literatur sind eine Reihe theoretischer Ans~itze zur Erkl/irung der Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen entwickelt worden. Die Ans~itze lassen sich insbesondere der Organisationsforschung (Hannan/Freeman, 1977, 1984; Barnett/Woywode, 2004) und der industrie6konomischen Forschung (Jovanovic, 1982; Gort/Klepper, 1982; Fudenberg/Tirole, 1986; Horvath/Schivardi/Woywode, 2001) zuordnen. Vertreter organisationstheoretischer Erkl/irungsans/itze sehen in strukturellen Merkmalen von Organisationen, wie bspw. in deren Alter oder Gr6t~e, wichtige Determinanten f/Jr ihre Uberlebenswahrscheinlichkeit (Stinchcombe, 1965; Levinthal, 1991). Ein Teil der organisationstheoretischen Forschung betont auch das Ausmat~ der Obereinstimmung (Fit) zwischen Merkmalen der Organisation und den ,,relevanten" Umweltbedingungen als wichtige Einflussgr6t~e auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen (Hannan/ Freeman, 1977, 1989; Carroll/ Hannan, 1995). In einigen organisationstheoretischen Ans/itzen, die h/iufig der Unternehmerforschung zugerechnet werden, wird auch auf die zentrale Bedeutung von Fi.ihrungspersonen und Fiihrungsteams ffir den Unternehmenserfolg hingewiesen (Bates, 1990; Preisend6rfer/Voss, 1990). Erkl/irungsans/itze, die der Person des Unternehmers grot~e Bedeutung ffir die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen beimessen, stehen zumeist implizit oder explizit in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der Humankapitaltheorie (Becker, 1993). Interessante Anwendungen des Humankapitalansatzes f/ir die Erkl/irung der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Untemehmen finden sich bei PREISENDORFERund Voss (1990), BATES(1985, 1990) sowie BRODERL,PREISENDORFERund ZIEGLER(1992, 1995). Aus Platzgriinden wird der untemehmerbezogene Erkl~irungsansatz f/ir die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen jedoch hier nicht weiter ausgeffihrt. Zu den industrie6konomischen Erkl/irungsans/itzen der Uberlebenswahrscheinlichkeit von Untemehmen z~ihlen lerntheoretische und marktstrukturelle Erkl/irungsans/itze. Lerntheoretische Erkl/irungsans/itze in der Tradition JOVANOVICS(1982) gehen davon aus, dass Unternehmen, die neu in einen Markt eintreten, erst nach dem Markteintritt lernen, ob sie wettbewerbsf/ihig sind und im Markt bestehen k6nnen oder aber ausscheiden miissen. Die Effizienz des Unternehmens ist dabei in einigen Ans/itzen exogen vorgegeben und unver~inderbar (Jovanovic, 1982), in anderen Ans/itzen kann sie von den Unternehmen aktiv beeinflusst werden (Ericson/Pakes, 1995; Pakes/Ericson, 1998). Vertreter marktstruktureller Erkl/irungsans/itze suchen die Determinanten der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen weniger auf der Ebene des Unternehmens als vielmehr auf der Branchenebene. Sie gehen davon aus, dass strukturelle Charakteristika der Branche, wie die H6he von Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren oder die Technologieintensit/it, die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen entscheidend beeinflussen (Caves/ Porter 1976, 1977; Gort/ Klepper, 1982; Mata/Portugal, 1994; Geroski, 1995; Audretsch, 1995).
63
Woywode
In den folgenden Kapiteln werden verschiedene organisationstheoretische und industrie6konomische Erkl~irungsans~itze dargestellt, in denen Vorhersagen iiber Determinanten der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen getroffen werden.
2
Organisationstheoretische Erkl irungsans itze
In den Kapiteln 2.1 und 2.2 werden zwei organisationstheoretische Erkl~irungsans~itze zur Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen diskutiert. Zun~ichst wird der Organizational Ecology Ansatz (Hannan/Freeman 1977, 1984) dargestellt. Dieser Ansatz stammt aus der Organisationssoziologie und erkl~irt die Entwicklung von Organisationen und Branchen. Danach werden in Anlehnung an eine Arbeit von LEVINTHAL (1991) verschiedene Random-Walk-Modelle entwickelt, mit deren Hilfe die Oberlebenschancen von Unternehmen ebenfalls dargestellt und erkl~irt werden k6nnen.
2.1
Der Organizational Ecology-Ansatz
Die Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes analysieren das Zustandekommen der strukturellen Vielfalt von Organisationen (Hannan/ Freeman, 1977, 1984). Die grundlegende Frage lautet: Warum gibt es so viele verschiedene Organisationen? Der Ansatzpunkt fiir die Beantwortung dieser Frage liegt, dem Erkl~irungsansatz zufolge, in der Untersuchung exogener Einfliisse, welche (1) die GrLindungsraten von Organisationen, (2) die Scheiterraten von Organisationen sowie (3) den Wandel von Organisationen in einer Industrie beeinflussen. Die Vertreter des Organizational EcologyAnsatzes gehen vonder Annahme aus, dass die Prozesse des Wandels von Branchen den Prozessen des Wandels biologischer Populationen ~ihneln. Folglich iiberpr~ft ein Teil der empirischen Arbeiten, die im Rahmen dieses Ansatzes bisher entstanden sind, Erkl~irungsmodelle zur Entwicklung biologischer Populationen (Freeman/ Hannan 1983, 1987). Die Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes gehen jedoch i~ber die Oberpriifung von, aus der Biologie stammenden, Analogien hinaus und entwickeln eigene Konzepte zur Erkl~irung der Evolution von Organisationen und Branchen. In seiner klassischen Form kann die Konzeption des Organizational Ecology-Ansatzes folgendermat~en beschrieben werden (Hannan/Freeman, 1977, 1984): Organisationen weisen bei ihrer Griindung bestimmte organisationale Charakteristika, wie Technologie, Organisationsstruktur etc. auf. Die Charakteristika bestimmen, zu welcher Popula-
64
Erkl~rung der Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen
tion 6 bzw. zu welcher Branche eine einzelne Organisation geh6rt. Der einzelnen Organisation ist es nicht oder nur unter Inkaufnahme eines erh6hten Scheiterrisikos m6glich, die mit der Gr~ndung erworbenen Charakteristika zu ver~indern. Diese geringe Wandelbarkeit von Organisationen wird auf organisationale Tr~igheit (organizational inertia) zur~ickgeffihrt. Innerhalb einer Branche (Population) erfolgen Ver~inderungen der organisationalen Charakteristika weitgehend durch die Gr~ndung neuer Organisationen und das Ausscheiden bestehender Organisationen (Hannan/Freeman, 1977, 1984). Daher untersuchen Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes intensiv die Determinanten der Gri~ndungs- und Scheiterraten von Unternehmen. Neue Populationen von Organisationen entstehen, wenn bei der Gr~ndung von Organisationen Nachahmungen bestehender Populationen ,,misslingen" oder beabsichtigte Abweichungen von den Charakteristika bestehender Populationen vorgenommen werden (Kieser, 1988; Wiedenmayer/Aldrich/Staber, 1995). In den vergangenen 25 Jahren ist eine umfangreiche theoretische wie auch empirische Literatur zum Organizational Ecology Ansatz entstanden. In diesem Beitrag werden ausschliet~lich diejenigen Erkl~irungskonzepte des Organizational Ecology-Ansatzes dargestellt, in denen Aussagen fiber Determinanten der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen getroffen werden. Es existieren vier grot~e theoretische Konzepte, auf deren Grundlage die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen im Rahmen des Organizational Ecology-Ansatzes bisher untersucht wurde: (1) liability of smallness, (2) liability of new-
ness, (3) theory of founding characteristics und (4) density dependence theory.7
2.1.1
Liability of Smallness
Das theoretische Konzept der liability of smallness betrifft den vermuteten Zusammenhang zwischen der Unternehmensgr6t~e zum Zeitpunkt der Gri~ndung und der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen. Konkret besagt die liability of smallness, dass kleinere Unternehmen ceteris paribus eine geringere Oberlebenswahrscheinlichkeit besitzen als grot~e Unternehmen der gleichen Alterskohorte. ALDRICH und AUSTER (1986) nennen in ihrer Arbeit m6gliche Gr~nde fi~r eine liability of smallness. Ihrer Ansicht nach leiden kleinere Unternehmen, verglichen mit grot~en Unternehmen, unter einer Reihe von Wettbewerbsnachteilen. So gelten fi~r kleine Unternehmen bspw. eher Kapitalmarktrestriktionen als fi~r grof~e Unternehmen. Grot~e Der Begriff der Population wird von Vertretern des Organizational Ecology-Ansatzes synonym zu den Begriffen Industrie oder Branche verwendet. Der Organizational Ecology-Ansatz spricht bspw. vonder Population der Gewerkschaften oder der Zeitungsunternehmen. In ihrer Literaturi~bersicht nennen SINGH und LUMSDEN (1990) noch zwei weitere theoretische Orientierungen im Rahmen des Organizational Ecology-Ansatzes. Zum einen die sog. ,,fitness-set"-Theorie und zum anderen die ,,resource-partitioning"-Theorie (Freeman/Hannan, 1983, 1987; Carroll/Swaminathan, 1991, 1992). Beide Ans~itze haben zwischenzeitlich in der Literatur einige Bedeutung erlangt und werden nur aus Platzgr~inden hier nicht dargestellt.
65
i Woywode Untemehmen ver~gen, verglichen mit kleinen Unternehmen, tendenziell iiber Kostenvorteile, bspw. in der Produktion, in der Forschung, in der Beschaffung oder im Vertrieb. 8 Weiterhin haben kleine Untemehmen vermutlich Nachteile beim Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskr~ifte, da sie, anders als grot~e Unternehmen, den Arbeitnehmern die Stabilit~it des Arbeitsplatzes sowie des gesamten Untemehmens nicht garantieren k6nnen.9 Weiterhin verffigen kleine Untemehmen nicht i~ber signifikante interne Arbeitsm~irkte und k6nnen den Mitarbeitern nicht die gleichen M6glichkeiten zur beruflichen und sozialen Mobilit~it er6ffnen wie grot~e Unternehmen. In den meisten empirischen Arbeiten zur Oberlebenswahrscheinlichkeit von Untemehmen wird die liability of smallness best~itigt (Briiderl/Preisend6rfer/Ziegler, 1992). Dabei wird die Unternehmensgr6t~e meistens iiber die Anzahl der Mitarbeiter oder i~ber die H6he des Jahresumsatzes operationalisiert. In zwei jfngeren Studien wird allerdings auch fiber eine nicht-monotone Beziehung zwischen der Unternehmensgr6t~e und der Schliet~ungswahrscheinlichkeit berichtet. WHOLEY, CHRISTIANSONund SANCHEZ (1992) sowie AMBURGEY,DANCIN und KELLY(1994) finden in ihren Untersuchungen heraus, dass die Scheiterrate von Unternehmen mit zunehmender Unternehmensgr6t~e zun~ichst ansteigt, ffr grot~e Untemehmen aber wieder monoton sinkt. 10 Sie geben jedoch keine plausible Erkl~irung fiir diesen Zusammenhang. HARHOFF, STAHL und WOYWODE (1998) und WOYWODE (2004) k6nnen einen nicht-monotonen Zusammenhang zwischen der Untemehmensgr6t~e und der Insolvenzwahrscheinlichkeit von Untemehmen nachweisen. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit steigt fi3r Unternehmen bis zu einer Gr6t~e von 30 Mitarbeitern an; fi3r gr6t~ere Untemehmen sinkt sie dann wieder. Die Autoren fi3hren dieses Ergebnis darauf zuri~ck, dass sich die Ausl6sung von Insolvenzverfahren fiir sehr kleine Unternehmen m6glicherweise aus Sicht der Gl~iubiger nicht lohnt. Stattdessen ziehen sie eine aut~ergerichtliche Einigung mit den Schuldnern vor. Die Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Schliet~ung des Unternehmens ist dagegen eine fallende Funktion der Unternehmensgr6t~e.
8
In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden die Kostenvorteile grot~er Unternehmen ggi3. kleinen Untemehmen im Allgemeinen auf Stiickkostendegressionseffekte und Lernkurveneffekte zuriickge~hrt. 9 Nachdem in den letzten Jahren auch Grot~unternehmen in erheblichem Mat~e Arbeitspl~itze abgebaut haben, kann heute nicht mehr von Arbeitsplatzsicherheit bei Grot~unternehmen gesprochen werden. Allerdings werden in den meisten Grot~untemehmen im Falle von Entlassungen h~iufig grot~zi~gige Sozialpl~ine ausgehandelt, die die soziale Lage der Entlassenen oder Friihberenteten verbessern. In Kleinunternehmen sind umfangreiche Sozialpl~ine im Falle der Entlassung von Mitarbeitem dagegen eher die Ausnahme. 10 Die Autoren bezeichnen diesen nicht-monotonen Zusammenhang zwischen der Untemehmensgr6t~e und der Oberlebenswahrscheinlichkeit als liability of the middle. 66
Erkl~run~ der Oberlebenswahrscheinlichkeit yon Unternehmen
i!!i!!iii!~ !i!!il!i!!!i~i!i!i~!!!!!i!ii
2.1.2
Liability of Newness
Bei der Suche nach Gesetzm~it~igkeiten im Zusammenhang mit der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen spielt die Untersuchung der Zeitabh~ingigkeit von Mortalit~itsprozessen eine zentrale Rolle (Carroll, 1983). STINCHOMBE (1965) behauptet, es existiere eine liability of newness in Bezug auf die Scheiterraten von Unternehmen. Die liability of newness beschreibt die Tendenz junger Unternehmen, h~iufiger aus einem Markt auszuscheiden als alte Unternehmen. STINCHCOMBE (1965) argumentiert, dass dies aus mehreren Gri~nden der Fall sei. Junge Organisationen und ihre F~ihrungskr~ifte m~issen ihre neuen gesellschaftlichen Rollen als soziale Akteure erst lernen. Dies verlangt viel Zeit und M~ihe, denn die neuen Rollen mi~ssen nicht nur erlernt, sondern auch mit den Rollen anderer Akteure, mit denen sie Austauschbeziehungen unterhalten, koordiniert werden. Dies gilt sowohl f~ir Austauschbeziehungen innerhalb des Unternehmens als auch in Bezug zur Aut~enwelt. Junge Unternehmen sind gezwungen, ihre Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Kapitalgebern neu aufzubauen. Dabei stehen sie im Wettbewerb mit etablierten Organisationen, die bereits ~iber ein Netzwerk an verl~isslichen Auf~enbeziehungen verf~gen. Junge Organisationen besitzen insofern Wettbewerbsnachteile gg6. alten Organisationen. HANNAN und FREEMAN (1984) nennen weitere Gr6nde f~ir die liability of newness. Die Autoren behaupten, dass in modernen Gesellschaften nur diejenigen Unternehmen eine hohe Oberlebenswahrscheinlichkeit besitzen, die ~iber ein hohes Mat~ an Zuverl~issigkeit (reliability) und Rechenschaftsf~ihigkeit (accountability) verfi~gen.11 Die Zuverl~issigkeit eines Unternehmens ~iut~ert sich in einer geringen qualitativen und quantitativen Varianz des Leistungsergebnisses, d. h. der produzierten G6ter und Dienstleistungen. Rechenschaftsf~ihigkeit eines Unternehmens bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Nachweis 6ber den Einsatz v o n d e r Organisation zur Verf6gung gestellten Ressourcen i~berzeugend gefiihrt werden kann und dass eine Rekonstruktion der Abfolge der getroffenen Entscheidungen m6glich ist. 12 Eine wichtige Voraussetzung f~ir die Zuverl~issigkeit und Rechenschaftsf~ihigkeit einer Organisation ist die Reproduzierbarkeit der organisationalen Struktur. Aufgrund von Lern- und Sozialisationsprozes-
11 ,,Selection within organizational populations tends to eliminate organizations with low reliability and accountability" (Hannan/Freeman, 1984, S. 154). 12 Als Best~itigung dafiir, dass Zuverl~issigkeit und Rechenschaftsf~ihigkeit eines Unternehmens in den Augen externer Anspruchsgruppen wie Kunden, Lieferanten oder Banken einen hohen Wert besitzen, kann die Tatsache gewertet werden, dass sich Qualit~itssicherungskonzepte wie Total-Quality-Management (TQM), DIN-Normen, EN-Normen oder ISO 9000er Normen mit rasanter Geschwindigkeit in der deutschen Wirtschaft durchgesetzt haben (Geiger, 1994a, 1994b). TQM dient in erster Linie der Gew~ihrleistung von Qualit~itsstandards der hergestellten Produkte und Leistungen. Dazu wird h~iufig der gesamte Produktionsprozess des Unternehmens auf f~ir die Qualit~it kritische Einfl~isse untersucht. Erkl~irtes Ziel der ISO 9000 Norm ist es, die ,,Verfahrensrationalit~it" aller wirtschaftlichen Prozesse innerhalb des Unternehmens sicherzustellen. In vielen Fallen sind es die Kunden der Unternehmen, die die Einf6hrung von TQM oder der ISO 9000er Normen verlangen (Jackson/Ashton, 1994, S. 55 ff.). 67
~ i!i~!i~~ i~ i~ i!i~~ i!i~~ i~ i~ i~ i~ i~ li~ i~ i~ i~ i!~ i!~~ i~ i!~~ il~ i ~i~i~i~!i~!i~i~iii!i~!~!~!i!i!!ii!i!!!i!i!ii~i!!ii~ sen innerhalb des Unternehmens und der Entwicklung externer Legitimation 13 wird die Reproduzierbarkeit organisationaler Strukturen mit zunehmendem Unternehmensalter einfacher und weniger fehlerbehaftet. Daher besitzen ~iltere Unternehmen tendenziell ein h6heres Mat~ an Zuverl~issigkeit und Rechenschaftsf~ihigkeit als junge Unternehmen und somit auch eine h6here Uberlebenswahrscheinlichkeit. In j6ngeren Arbeiten wurde aber auch auf die M6glichkeit nicht-monotoner Beziehungen zwischen dem Unternehmensalter und der Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen hingewiesen (Brfiderl/Schfissler, 1990; Carroll, 1983; Fichman/Levinthal, 1991). BRUDERLund SCHUSSLER(1990) zeigen in ihrer empirischen Untersuchung, dass die Uberlebenswahrscheinlichkeit einer Kohorte von Unternehmen in den ersten Lebensjahren zun~ichst abnimmt, dann aber mit zunehmendem Alter der Unternehmen kontinuierlich steigt. Die Autoren nennen den beschriebenen nicht-monotonen Zusammenhang zwischen dem Unternehmensalter und der Oberlebenswahrscheinlichkeit die liability of adolescence. FICHMAN und LEVINTHAL (1991), BRUDERL, PREISENDORFER und ZIEGLER (1992), WAGNER (1994) und AUDRETSCH (1995) best~itigen in ihren Untersuchungen das Vorliegen einer liability of adolescence. FICHMAN und LEVINTHAL (1991) erkl~iren den zun~ichst ansteigenden, sp~iter aber fallenden Verlauf der Hazardrate 14, die zur Repr~isentation des Scheiterrisikos verwendet wird, folgendermat~en: Unternehmen, die neu in einen Markt eintreten, profitieren zun~ichst von einem Vertrauensvorschuss der Umwelt. In einem ersten Lebensabschnitt sammeln externe Anspruchsgruppen wie Kunden, Lieferanten oder Kapitalgeber Informationen /iber das Unternehmen und seine Erfolgsaussichten. Sie benutzen diese Informationen, um a priori gehegte Erwartungen zu korrigieren. Erst nach der anf/inglichen ,,Schonfrist" werden Unternehmen den SelektionskrMten des Marktes ausgesetzt, und es entsteht fur sie die Gefahr des Scheiterns. BRUDERLund SCHUSSLER(1990) geben eine alternative Begriindung ffir die im Zeitablauf zun~ichst steigende, dann sinkende Scheiterrate von Unternehmen. Ihrer Ansicht nach verf~gen neu gegr~indete Unternehmen zu Beginn ihres Bestehens/iber einen bestimmten positiven Anfangsbestand an Ressourcen. Dieser Anfangsbestand muss erst verbraucht werden, bevor es zu einer Unternehmensschliet~ung kommt. Daher werden Unternehmen in einer sehr fr/.ihen Phase ihrer Existenz nur selten geschlossen, und e i n e - aus betriebswirtschaftlicher Sicht- notwendige Schliet~ung des Untemehmens verschiebt sich auf einen sp~iteren Zeitpunkt. Nach der ersten Lebensphase, in der die Schliet~ungswahrscheinlichkeit neu gegrfindeter Unternehmen steigt und deren L~inge von exogenen Faktoren, wie
13 Unter externer Legitimation verstehen Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmens durch externe Anspruchsgruppen, wie Banken oder Lieferanten, mit denen das Unternehmen Austauschbeziehungen unterh/ilt. 14 Die Hazardrate gibt die bedingte Wahrscheinlichkeit an, dass ein Ereignis in der n~ichsten Periode eintritt, unter der Bedingung, dass bis zu Beginn der Periode noch kein Ereignis eingetreten ist. In den meisten empirischen Arbeiten wird zur Darstellung des Scheiterrisikos von Unternehmen die Hazardrate verwendet (Blossfeld/Hamerl/Mayer, 1986). 68
Erkl~rung der Oberlebenswuhrscheinlichkeit yon Unternehmen i! !!!!ili!iiii?!!~ii~!~!i!i!!!~!~!~i!i~i!!i!~!i!! i!i!!ill¸ i~ii?i~i!!!!il
der H f h e des Startkapitals, bestimmt wird, gilt, nach Meinung der Autoren, wieder die liability of newness. In vielen empirischen Arbeiten wird festgestellt, dass die Variablen Unternehmensalter und Unternehmensgrft~e miteinander hoch korreliert sind. Um den Effekt des Unternehmensalters auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen korrekt sch~itzen zu k6nnen, ist es daher notwendig, die Grft~e von Unternehmen als zeitvariierende Kovariate in der Sch/itzung zu beriicksichtigen. Da jahresgenaue Grft~enangaben f/ir Unternehmen h/iufig schwer zu erhalten sind, wurde in den meisten empirischen Arbeiten, die im Zusammenhang mit dem Organizational Ecology-Ansatz stehen, bisher nur die Griindungsgrft~e des Unternehmens als Determinante der Oberlebenswahrscheinlichkeit verwendet. 15 Sofern die Grft~e der Unternehmen als zeitvariierende Kovariate in die Sch/itzung eingeffihrt wird, - so weisen BARRON, WEST und HANNAN (1993), WHOLEY, CHRISTIANSONund SANCHEZ (1992) sowie BANASZAK-HOLL (1991) n a c h - k f n n e n die Scheiterraten von Unternehmen mit zunehmendem Alter auch ansteigen. 16 BARRON, WEST und HANNAN (1993) analysieren in ihrer Studie die Entwicklungsprozesse von Genossenschaftsbanken in Manhattan w/ihrend WHOLEY, CHRISTIANSON und SANCHEZ (1992) die Dynamik von Gesundheitsorganisationen in den Vereinigten Staaten untersuchen. BANASZAK-HOLL (1991) findet in ihrer Untersuchung zur Entwicklung von Gesch/iftsbanken in Manhattan zwischen 1840-1980 einen positiven, nicht signifikanten Effekt des Unternehmensalters auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit sowie einen signifikanten positiven Effekt des Alters auf die Wahrscheinlichkeit einer Fusion. Dieses Muster einer im Zeitverlauf ansteigenden Scheiterrate wurde von CARROLL (1987, S. 40) als liability of aging bezeichnet. 17 Inhaltlich wird die liability of aging auf zwei Arten begr/indet. BAUM und MEZIAS (1992) argumentieren, dass sich aufgrund der strukturellen Tr~igheit von Organisationen die Anpassung (Fit) des Unternehmens an sich wandelnde Umweltbedingungen mit steigendem Alter des Unternehmens verschlechtert. In der mit zunehmendem Alter steigenden Scheiterrate spiegelt sich daher die Obsoleszenz des
15 Studien, die im Zusammenhang mit dem Organizational Ecology-Ansatz stehen, beinhalten v.a. deshalb so selten jahresgenaue Grft~enangaben von Unternehmen, da hier i.d.R, die Entwicklungsprozesse von Unternehmen und Industrien fiber mehrere Jahrzehnte verfolgt werden. 16 Wird nur die Anfangsgrft~e der Unternehmen bei der Sch~itzung der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen berficksichtigt, so besitzt die Hazardrate in allen drei Untersuchungen im Hinblick auf die Zeitabh/ingigkeit einen fallenden Verlauf. 17 Auch auf der Grundlage der organisationalen Lebenszyklustheorie 1/isst sich begrfinden, dass die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen mit zunehmendem Alter ffir bestimmte Unternehmen sinken kann. So scheitern nach ADIZES (1979) solche Unternehmen, die in einem sp~iten Entwicklungsstadium die innere Stabilit~it, b~rokratische Elemente, Regeln oder Routinen fiberbetonen. Alte Unternehmen neigen dazu, in eine ,,Kompetenzfalle" (competency trap) zu geraten, die sie erstarren l~isst und die Adaption des Unternehmens an dynamische Umweltbedingungen erschwert (March, 1995, S. 96 f.). Eine Synopse verschiedener organisationstheoretischer Lebenszyklusmodelle findet sich in QUINNund CAMERON(1983).
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Woywode
Unternehmens wider (liability of obsolescence). Stimmt diese Argumentation, sollte die Scheiterrate von Unternehmen altersunabh~ingig sein, sofern die Umweltbedingungen stabil bleiben. Dagegen gehen BARRON, WESTund HANNAN (1993) davon aus, dass Organisationen im Laufe ihrer Existenz immer mehr Routinen, Regeln und Strukturen anh~iufen, was die gezielte Anpassung der Organisation an dynamische Umweltbedingungen zunehmend erschwert. Regeln, Routinen und Strukturen k6nnen als Gemeinkosten interpretiert werden, die alte Unternehmen st~irker belasten als junge Unternehmen. Junge Unternehmen besitzen in dieser Hinsicht Wettbewerbsvorteile ggii. alten Unternehmen. Nach Ansicht von BARRON, WEST und HANNAN (1993) verschlechtert sich die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen mit zunehmendem Alter also auch dann, wenn die Umweltbedingungen konstant bleiben. Die Autoren nennen diesen negativen Zusammenhang zwischen dem Untemehmensalter und der Uberlebenswahrscheinlichkeit die liability of senescence. Nicht in allen empirischen Untersuchungen, in denen die Unternehmensgr6t~e als zeitabh~ingige Kovariate in die Sch~itzung der Uberlebenswahrscheinlichkeit eingeht, wird eine positive Altersabh~ingigkeit der Scheiterrate von Unternehmen nachgewiesen. So k6nnen ALDRICH, ZIMMER, STABERund BEGGS(1994) f~ir Handelsorganisationen, BARNETT (1994) im Zusammenhang mit Telefongesellschaften in Iowa sowie BRODERL (1995) am Beispiel von Untemehmensgri~ndungen im Grot3raum M~inchen eine liability of aging selbst nach Kontrolle der j~ihrlichen Unternehmensgr6t~e nicht best~itigen.
2.1.3
Theory of Founding Characteristics
In verschiedenen Studien haben Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes die Bedeutung von Gri~ndungscharakteristika und Gr~indungsbedingungen fi~r die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen untersucht (Carroll/Delacroix/Goodstein, 1988; Tucker/Singh/Meinhard/House, 1988). Die inhaltliche Begr~indung der theory of founding characteristics geht ebenfalls auf STINCHCOMBE (1965) zur6ck. STINCHCOMBE vermutet, dass zwischen der Sozialstruktur einer Gesellschaft und den Strukturen von Organisationen Zusammenh~inge bestehen. Insbesondere behauptet STINCHCOMBE, dass bestimmte Muster der sozialen Umwelt die Prozesse des Organisierens zum Grfindungszeitpunkt der Organisation beeinflussen, dass diese im Folgenden institutionalisiert werden und ,~nderungsversuchen weitgehend widerstehen. Demnach erwerben Organisationen zum GriJndungszeitpunkt wichtige strukturierende Charakteristika, die tiber den gesamten Lebenszyklus nahezu unver~indert beibehalten werden. Diese Charakteristika, so Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes, beeinflussen die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen in der Zukunft. TUCKER, SINGH und MEINHARD (1989) begr~inden die Notwendigkeit, die Gr~indungscharakteristika des Unternehmens in die Untersuchung der Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen einzubeziehen, auf andere Weise. Die Autoren gehen davon
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Erkl~rung der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen
aus, dass der Prozess der Unternehmensselektion an den Unterschieden ansetzt, die innerhalb einer Population von Organisationen (Industrie) bestehen oder neu auftreten. So unterscheiden sich einzelne Organisationen innerhalb einer Population (Industrie) bspw. hinsichtlich der verwendeten Technologie, der Aufbau- und Ablauforganisation, der Kontrollstruktur oder der Strategiekonzeption. Einige der Unterschiede verbessem die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Organisationen, andere verschlechtern sie. Unternehmen, deren Griindungscharakteristika die Oberlebenschancen positiv beeinflussen, werden von der Umwelt positiv selektiert und so verbreiten sich ihre Charakteristika zunehmend innerhalb der Population. Dagegen verschwinden Unternehmen mit unterlegenen Charakteristika auf l~ingere Sicht aus der Population. In empirischen Arbeiten werden die Griindungsmerkmale einzelner Organisationen als unabh~ingige Einflussfaktoren operationalisiert. Interne Merkmale der Unternehmensgriindung, die iiber den Griindungszeitpunkt hinauswirken und die Uberlebenswahrscheinlichkeit beeinflussen, sind bspw. die Kapitalh6he und die Kapitalstruktur, die Anzahl der Vorg~ingerunternehmen, die Eigent6merstruktur, die verwendete Technologie oder die Unternehmenskultur (Bri~derl/Preisend6rfer/Ziegler, 1992; Tucker/ Singh/ Meinhard, 1989). Unternehmensexterne Umweltbedingungen zum Gr6ndungszeitpunkt, die die Charakteristika der Unternehmensgriindung beeinflussen und deren Wirkungen in Studien zur 0berlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen bereits analysiert wurden, sind bspw. die H6he der Marktkonzentration, das politische Klima oder die gesamtwirtschaftliche Lage zum Zeitpunkt der Gri~ndung (Tucker/ Singh/ Meinhard, 1989; Aldrich/ Zimmer/ Staber/ Beggs, 1994). Die erwarteten Effekte der Griindungsmerkmale auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit entsprechen jedoch nicht immer den nachgewiesenen Effekten. So konnten CARROLL und DELACROIX(1982) keine Einfliisse der Konjunktur zum Griindungszeitpunkt auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Zeitungsunternehmen nachweisen. Stattdessen war f6r die Oberlebenswahrscheinlichkeit der Zeitungsunternehmen entscheidend, ob sie in Jahren politischer Unruhe oder politischer Stabilit~it gegriindet wurden. Die theory of founding characteristics ist bisher nicht ausreichend theoretisch abgesichert. In den meisten Arbeiten begni~gen sich die Autoren mit einleuchtenden ad hocErkl~irungen fiir die vermuteten und nachgewiesenen empirischen Befunde (Carroll/ Delacroix, 1982). Dieses Vorgehen ist aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend. Die Wirkungen einzelner Griindungscharakteristika, wie Eigen~merstruktur, Kapitalstruktur, Diversifikationsgrad etc., auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen sind sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht bisher nur unzureichend systematisch analysiert worden. Ein grundlegendes Problem des Organizational Ecology-Ansatzes besteht darin, dass seine Vertreter bisher nicht befriedigend erkl~iren konnten, wie die Selektion von Unternehmen tats~ichlich vor sich geht. Insbesondere wird die Frage nur vage beantwortet, warum und wann bestimmte Unternehmen einen Markt verlassen, die anderen Unternehmen aber weiter bestehen bleiben. Sehr allgemein wird angenommen, dass Unternehmen nach a priori unbekannten
71
Woywode
Kriterien vonder Umwelt selektiert werden (Kieser, 1988). Die Bestimmung der relevanten Selektionskriterien ist aber eine notwendige Voraussetzung dafi~r, den Einfluss bestimmter Gr6ndungsmerkmale auf die Uberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen vorhersagen und erkl~iren zu k6nnen.
2.1.4
Density DependenceTheory
Im Mittelpunkt der density dependence theory steht die Frage: Warum ver~indert sich die Zahl der Organisationen in einer Industrie im Zeitverlauf? Zur K1/irung dieser Frage fasste HANNAN (1986) Ideen der Institutionentheorie (Meyer/Rowen, 1977; Meyer/ Scott, 1983) und der Organizational-Ecology-Theorie (Hannan/ Freeman, 1977, 1984) in einem neuen theoretischen Ansatz, der density dependence theory, zusammen. Die density dependence theory nimmt an, dass die Entwicklung einer Industrie von zwei sozialen Prozessen- Legitimation und Wettbewerb - mat~geblich beeinflusst wird (Hannan/Carroll, 1992; Wiedenmayer/Aldrich/Staber, 1995). In Anlehnung an MEYER und ROWAN (1977) argumentiert HANNAN (1986), dass Industrien in einem fr~ihen Entwicklungsstadium nur/iber ein geringes Mat~ an sozialer Akzeptanz (legitimation) ggLi. extemen Austauschpartnern, wie Lieferanten, Kunden oder Kapitalgebern, verf/igen. Geringe Legitimation geht mit einer geringen 0berlebenswahrscheinlichkeit der Unternehmen einher, die in einem sehr friihen Entwicklungsstadium der Industrie existieren. Sobald die Zahl der Unternehmen in einer Industrie ansteigt, erh6ht sich die Legitimation der Industrie. Die Industrie wird in zunehmendem Matte als ,,sozial akzeptiert" (socially taken for granted) angesehen (Aldrich/ Fiol, 1994; Suchman, 1995). Die zunehmende Legitimation der Industrie wirkt sich positiv auf die Uberlebenswahrscheinlichkeit der Unternehmen aus, die bereits in der Industrie existieren. Mit steigender Anzahl der Unternehmen in einer Industrie erh6ht sich aber neben der Legitimation auch die Wettbewerbsintensit~it. Zunehmende Wettbewerbsintensit/it verringert ceteris paribus jedoch die 0berlebenswahrscheinlichkeit der etablierten Unternehmen und wirkt dem positiven Legitimationseffekt entgegen. In einer friihen Phase der Industrieentwicklung, in der noch relativ wenige Unternehmen existieren, dominiert der positive Legitimationseffekt den negativen Wettbewerbseffekt im Hinblick auf die 0berlebenswahrscheinlichkeit von etablierten Unternehmen. Ab einer bestimmten Anzahl von Unternehmen dominiert jedoch der Wettbewerbseffekt den Legitimationseffekt. Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes bezeichnen die Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Industrie etablierten Unternehmen als ,,Industriedichte ''18. Die oben genannten Argumente implizieren eine nicht-monotone Beziehung zwischen der Industriedichte und der Scheiterrate etablierter Unternehmen. Mit zunehmender Industriedichte steigt zun~ichst die 0berlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen, die zu diesem Zeitpunkt in der Industrie exis18 Die Industriedichte berechnet sich als Anzahl der Unternehmen, die in einer Branche oder Industrie zu einem bestimmten Zeitpunkt existieren. 72
Erkl~rung der Oberlebenswuhrscheinlichkeit von Unternehmen
tieren, an. Erh6ht sich die Industriedichte aber i~ber einen kritischen Wert hinaus, so sinkt die Oberlebenswahrscheinlichkeit der etablierten Unternehmen. Diese nichtmonotone Beziehung kann durch eine Reihe funktionaler Formen abgebildet werden. Am einfachsten l~isst sich die Scheiterrate als log-lineare quadratische Funktion der Industriedichte darstellen. Die Scheiterrate eines Unternehmens,/Xt), wird dann folgendermagen spezifiziert: /dt) = exp I ~ + (7,1N(t)+ a2N2(t)] exp l~(t)]
wobei N(t) die Industriedichte zum Zeitpunkt t ist. ~ ist der Koeffizient, der f~ir die Altersabh~ingigkeit der Scheiterrate von Unternehmen kontrolliert. Die Vorhersage der Theorie lautet: 011 < O; ~7,2> 0
was eine nicht-monotone Beziehung zwischen der Industriedichte und der Scheiterrate von Unternehmen impliziert. Viele empirische Studien unterstiitzen die Vorhersagen der density dependence theory. So z. B. die Studien zur Evolution amerikanischer Gewerkschaften (Hannan/Freeman, 1988), zur amerikanischen Halbleiterindustrie (Freeman, 1990), zu Telefongesellschaften in Iowa (Barnett/Carroll, 1987), zu amerikanischen und deutschen Brauereiunternehmen (Carroll/ Preisend6rfer/ Swaminathan/ Wiedenmayer, 1993) oder zu Wiener Tageszeitungen (Barnett/ Woywode, 2004). In einigen Studien wurden die Effekte der Industriedichte auf die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen allerdings nicht bestatigt. So zeigen DELACROIX, SWAMINATHANund SOLT (1989), dass die Scheiterrate kalifornischer Weing~iter nicht vonder Populationsdichte beeinflusst wird. Ebenso konnten TUCKER, SINGH, MEINARD und HOUSE (1988) in ihrer Untersuchung keine density dependence der Scheiterrate nachweisen. Der Organizational Ecology-Ansatz fasst eine Reihe wichtiger Bestimmungsgr~inde der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen zusammen. Statt aber ein konsistentes theoretisches Modell der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen zu entwickeln, erkl~irt der Ansatz bisher v. a. stilisierte Fakten, wie die Gr6t~en- oder A1tersabh~ingigkeit der Scheiterraten von Unternehmen. Die Zusammenh~inge zwischen den einzelnen theoretischen Konstrukten sind bisher weitgehend unberi3cksichtigt geblieben. Der modulartige Aufbau des Organizational Ecology-Ansatzes besitzt aber auch Vorteile. So lassen sich in empirischen Untersuchungen einzelne Aspekte des Organizational Ecology-Ansatzes i~berpri3fen, ohne dass Annahmen an ein zugrundeliegendes Erklarungsmodell verletzt wi3rden. M6glicherweise erklart dieser Umstand auch die weite Verbreitung des Organizational Ecology-Ansatzes im Zusammenhang mit empirischen Arbeiten. Allerdings wurde um den Organizational Ecology-Ansatz eine komplizierte, darwinistisch angehauchte Prosa gestrickt, die den Zugang des Lesers stark erschwert (Kieser, 1988).
73
iiiiii
Woywode
Der Organizational Ecology-Ansatz ist in der Vergangenheit von zahlreichen Autoren teilweise sehr heftig kritisiert worden. Statt einer umfassenden Kritik des Ansatzes soll an dieser Stelle lediglich eine grundlegende Annahme des Ansatzes hinterfragt werden, die f6r organisatorische Gestaltungsempfehlungen auf der Basis des Organizational Ecology-Ansatzes von zentraler Bedeutung ist. Es handelt sich um die Annahme organisationaler Tr~igheit, die impliziert, dass Untemehmen zu organisationalem Wandel nahezu unf~ihig sind. Ohne Zweifel ist es f6r Organisationsgestalter keine leichte Aufgabe, bestehende Organisationscharakteristika zu ver~indern. Das Ph~inomen der ,resistance to change" ist in empirischen Untersuchungen h~iufig belegt und theoretisch formuliert worden (Barnett/Carroll, 1994). Gleichwohl widerspricht die Vorstellung, Unternehmen seien nur in Ausnahmef~illen zu tiefgreifenden strukturellen )knderungen f~ihig, der praktischen Erfahrung. In j6ngerer Zeit gehen Vertreter des Organizational Ecology-Ansatzes immer starker von einer darwinistischen Interpretation des Ansatzes ab. Stattdessen wird der Organizational Ecology Ansatz um Elemente aus anderen theoretischen Ans~itzen erweitert. Dazu geh6ren Elemente der Institutionentheorie (Meyer/Rowan, 1977; Meyer/Scott, 1983), regionalwissenschaftliche Aspekte (Baum/Haveman, 1995; Lomi, 1995; Hannan/ Carroll/Dundon/Torres, 1995), Elemente der strategischen Managementtheorie (Barnett/ Greve/ Park 1994) und Elemente der Theorie Sozialer Bewegungen (Barnett/ Woywode, 2004). Seit einigen Jahren wird im Rahmen des Organizational EcologyAnsatzes auch die Bedeutung organisationalen Wandels f6r den Unternehmenserfolg verst~irkt analysiert (Singh/ House/ Tucker, 1986; Amburgey/ Kelly/ Barnett, 1993). Die Annahme der organisationalen Tr~igheit wird dabei weitgehend aufgegeben. Damit n~ihert sich der Organizational Ecology-Ansatz in seinen Annahmen lerntheoretisch motivierten Ans~itzen zur Entwicklung von Organisationen an, wie sie den Arbeiten von MINER (1990, 1991) oder ZHOU (1993) zugrunde liegen. In diesen Arbeiten werden Prozesse der internen Evolution von Unternehmen am Beispiel der Entwicklung von Arbeitsplatzbeschreibungen, Strategiekonzepten und Organisationsroutinen untersucht.
2.2
Random Walk-Modelle
LEVINTHAL (1991) entwickelt ein dynamisches, stochastisches Modell, um die Altersund Gr6t~enabh~ingigkeit der Mortalit~itsprozesse von Untemehmen zu erkl~iren. Dabei nimmt LEVINTHALan, dass Unternehmen zum Zeitpunkt ihrer Gr6ndung mit einer bestimmten H6he ,,organisationalen Startkapitals" ausgestattet sind. ,,Organisationales Kapital" kann dabei verschiedene Formen annehmen. BRODERL(1995, S. 2) unterscheidet zwischen finanziellem und sozialem Kapital des Unternehmens sowie dem Humankapital des Unternehmers. Das finanzielle Kapital eines Unternehmens entspricht dem eingesetzten Startkapital. Das soziale Kapital eines Untemehmens ist
74
Erkl~rung der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen
bspw. abh~ingig von den pers6nlichen Beziehungen des Unternehmers oder den bestehenden interorganisationalen Verbindungen. Das Humankapital des Unternehmers kommt in seiner Ausbildung und Erfahrung zum Ausdruck. LEVINTHAL geht davon aus, dass ein Unternehmen dann scheitert, wenn es seinen finanziellen Verpflichtungen ggiL externen Anspruchsgruppen wie Banken oder Investoren nicht mehr nachkommen kann. Das wird genau dann der Fall sein, wenn das Unternehmen nicht mehr i~ber eine ausreichende Menge ,,organisationalen Kapitals" verfi~gt. Dann ist das Unternehmen zur Schliet~ung gezwungen. In empirischen Arbeiten wurde h~iufig best~itigt, dass ein hoher finanzieller und sozialer Kapitalstock des Unternehmens sowie hohes Humankapital des Unternehmers die Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen verbessern (Bri~derl/Preisend6rfer/Ziegler, 1992). So zeigte sick dass ein hoher finanzieller Kapitalstock die Unternehmen ceteris paribus vor Insolvenz schi~tzt und ihnen den Zugang zu weiterem Fremdkapital erleichtert (Winker, 1995; Almus/Prantl, 2001). Weiterhin wurde nachgewiesen, dass umfangreiche pers6nliche Netzwerke der Unternehmer die Scheiterraten von Unternehmen ebenso verringern wie ausgepr~igte interorganisationale Beziehungen (Miner/Amburgey/Stearns, 1990). Schliet~lich deuten die Ergebnisse der Arbeiten von BATES (1985, 1990) sowie PREISENDORFERund Voss (1990) darauf hin, dass die H6he des Humankapitals von Unternehmern ebenfalls positiv mit der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen korreliert ist. In LEVINTHALS (1991) Modell sind Unternehmen durch eine Zustandsvariable, den organisationalen Kapitalstock K und einen dynamischen Prozess, der den Wandel der Zustandsvariablen im Zeitablauf determiniert, gekennzeichnet. Das Niveau des organisationalen Kapitalstocks ver~indert sich in jeder Periode, wobei die Anderungen sowohl eine stabile als auch eine zuf~illige Komponente aufweisen. 19 Ein Unternehmen wird geschlossen, sobald der Kapitalstock den Wert null erreicht hat. Dem Unternehmen ist es dann nicht mehr m6glich, seine Wirtschaftsaktivit~iten in einer sp~iteren Periode wieder aufzunehmen. In dem Modell ist die Zeit durch die Variable t repr~isentiert, wobei t Werte zwischen null und unendlich annehmen kann. F~ir jeden Zeitpunkt t existiert ein eindeutiger Wert K(t), der das Kapitalniveau einer Organisation zu diesem Zeitpunkt angibt. Es wird angenommen, dass Organisationen mit einem positiven Anfangskapitalstock in H6he von K(O) gegri~ndet werden. In jeder Periode wird das Kapital der Organisation durch einen stochastischen Einfluss a ver~indert, wobei normal verteilt ist, mit Mittelwert ~ und Standardabweichung 5. Der stochastische Einfluss sei additiv. Der Parameter ~, der in dieser Arbeit als Wachstumsparameter bezeichnet wird, repr~isentiert die stabile Komponente des Unternehmenswachstums. Der Wert von ~ wird bspw. durch die verwendete Technologie festgelegt. Dagegen beschreibt der Parameter 8 die stochastische Komponente des Unternehmenswachs-
19 Die stabile Komponente entspricht einem Trend, der die Richtung und H6he der durchschnittlichen Anderung des Kapitalstocks angibt. Die zuf~illige Komponente der Anderung des Kapitalstocks wird durch die Varianz der Kapitalstockver~inderungen bestimmt. 75
Woywode
tums. Er repr/isentiert die zuf/illigen Schwankungen des Kapitalstocks und kann als unternehmens- oder industriespezifisches Risiko interpretiert werden. Der Prozess der Ver/inderung des Kapitalstocks K(t) hat folgende Eigenschaften. F/.ir jedes Zeitintervall (tl, t2) ist der Erwartungswert der Differenz der Kapitalniveaus zwischen zwei Zeitpunkten, E[K(t2) - K(tl)] gleich 12(t2 - tl), wobei/a die Richtung und die Rate der Kapitalver/inderung im Zeitverlauf angibt. Die Varianz der Ver~inderung des Kapitalniveaus steigt im Zeitablauf linear und hat ffir jedes Zeitintervall (tl, t2) die Gr6t~e 6 2 (t2 - tl). Die genannten Eigenschaften charakterisieren K(t) als einen ,,Random Walk" bzw. als einen ,,Wiener-Prozess". 20 Nimmt der Wachstumsparameter/2 den Wert null an, wird der beschriebene stochastische Prozess als ,,reiner Random Walk" bezeichnet. Das Kapitalniveau einer Kohorte von Unternehmen mit Wachstumsparameter/2 gleich null unterliegt im Zeitverlauf im Durchschnitt keiner Ver/inderung. Die Uberlebenswahrscheinlichkeit eines Untemehmens mit Wachstumsparameter/a gleich null n/ihert sich jedoch mit steigendem Alter dem Wert null. Ist der Wachstumsparameter/2 eines Unternehmens gr6t~er null wird das Unternehmen mit einer positiven Wahrscheinlichkeit unendlich lange leben. Der Zeitpunkt, zu dem ein Unternehmen, repr/isentiert durch den Kapitalstock K(t), das erste Mal die Austrittsbedingung K(t) = 0 erfiillt, wird als ,,hitting time" oder ,,passage time" bezeichnet. Der Zeitwert ist eine Zufallsvariable mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, die als inverse Gaussche Verteilung bekannt ist. Sie besitzt die folgende Dichtefunktion (Levinthal, 1991):21 f ( t ) = K(0)(2~3~2) -1/2 exp
{ - [K(0) +/2t] 2 } ~--~yt ,t > 0
und folgende Verteilungsfunktion:
F(t)=N{-[~+K(O)](d2t)-l/2}+exp
62
'
N{ [/a/- K(O)](cy2t) -1/2 }.
20 F/.ir eine Einffihrung in Random Walk-Modelle siehe PINDYCK und RUBINFELD (1981,
S. 494 ft.). 21 Die mathematischen Ausffihrungen gelten streng genommen nur f/.ir den Fall, dass/2 gleich null oder kleiner null ist. 76
Erkl~rung der Oberlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen
wobei N{...} die Dichte der Standardnormalverteilung repr~isentiert. Die Wahrscheinlichkeit eines Unternehmens, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu scheitern, wird im allgemeinen mit Hilfe der Hazardrate 22 dargestellt. Die Hazardrate h(t) ergibt sich als: h(t) =
f(t) ~
.
1-F(t)
Man kann zeigen, dass die Hazardrate K(0) 2 36`2
ihren H6hepunkt
formal im Interval1
• 2K(0) 2 4,0
~
i:....iC. C: . ; ij.;.'... i .;.'.'. i .. ..'iii.. ;;"" i".'"
~i ~
® < 40,0% ~ > 42,0% ~i
> 4,0 > 42,0%
..'.'.'i:;..'.... i;i'.'.... i
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379
Lubos
3
SofortmaSnahmen zur Yerlustbegrenzung und Liquidit itssicherun8
Analysen stellen keinen Selbstzweck dar, sondem bilden die Grundlage fOr eigentliche Probleml6sungen. Da Zeit bei jeder Sanierung ein wesentlicher Engpass ist, sollten Mat~nahmen so fr6h wie m6glich begonnen werden. In vielen F~illen ist es nicht erforderlich abzuwarten, bis ein umfassendes und integriertes Konzept vorliegt. So k6nnen in bestimmten Bereichen Sofortmagnahmen v611ig unabh~ingig von der gesamtstrategischen Ausrichtung des Untemehmens bereits parallel zur Phase der Analyse des Unternehmens eingeleitet werden.
3.1
Verbesserung des Debitorenmanagement
In den meisten Krisenunternehmen ist die Liquidit~itssituation extrem angespannt. Gleichzeitig verfahren Krisenunternehmen sehr ,,grot~z0gig" mit den Forderungen und Zahlungszielen gg0. den eigenen Debitoren. Ursache daf6r k6nnen eine 0bertriebene Kundenorientierung, organisatorische Unzul~inglichkeiten und oft fehlende Abstimmung zwischen verschiedenen Funktionsbereichen sein. Aufgrund der Liquidit~itsenge ist die Optimierung des Debitorenmanagement ein Bereich, der im Rahmen von Sofortmat~nahmen schnellstm6glich anzugehen ist (Lubos, 2004b). Stellt man bspw. fest, dass Kunden trotz 0berf~illiger Altforderungen auch weiterhin beliefert werden, so ist die Installierung von Auftragssperren eine typische Sofortmat~nahme. Erscheint es aus vertriebspolitischen Gesichtspunkten problematisch, s~iumigen Zahlem die weitere Belieferung zu sperren, so sollten zumindest Genehmigungsabl~iufe installiert werden, die ein unkontrolliertes Entstehen weiterer 0berf~illigkeiten vermeiden. Dies gilt auch for Entscheidungsabl~iufe bei Zahlungszielen. Meist haben sich 0ber die Jahre hinweg Ziele und Konditionen etabliert, die die Kapitalbindung im Unternehmen immer weiter steigern. In der Krise gilt es diese schnellstm6glich auf ein angemessenes Niveau zu bringen, ohne dass dadurch aber die Wettbewerbsf~ihigkeit des Unternehmens leidet. Mit dieser Aktivit~it wird oft schon die Grenze zu den langfristigen Mat~nahmen erreicht, da Ver~inderungen ohne Einbettung in ein umfassendes Konditionensystem oder die St~irkung der Leistungskraft nicht die gew0nschten Erfolge zeigen. Zahlungsziele zu verk0rzen, wenn gleichzeitig Liefertermine nicht eingehalten werden, wird die Kundenbindung eher schw~ichen als f6rdem. Mit den dargestellten Vorgehensweisen wird letztendlich auch verhindert, dass zuk0nftig Liquidit~it unkontrolliert gebunden wird. Zur Freisetzung von Liquidit~it f0hrt jedoch v. a. eine Optimierung der Abl~iufe des Debitorenmanagement. In den meisten 380
SofortmafJnahmen und Instrumente zur Unternehmensanalyse
Krisenunternehmen ist das Mahnwesen bzw. das Debitorenmanagement eine stiefmfitterlich behandelte Nebenfunktion der Buchhaltung. Mahnungen werden nach Erreichen bestimmter Termine routinem/it~ig versandt. Effektive Aktivit/iten werden erst dann eingeleitet, wenn mehrere Mahnungen durchgeffihrt und eine bestimmte Mahnstufe erreicht wurde. Da die gemahnten Unternehmen meist selbst Liquidit/itsprobleme haben wird dort nach der Methode verfahren, ,,wer am lautesten schreit, wird zuerst bedient". Zus~itzlich erfolgt die ,,Kommunikation" von Buchhaltung zu Buchhaltung auf h6chst anonymer Ebene. Will man beim Debitorenmanagement mit Sofortmat~nahmen ansetzen, so sollte als Erstes dieser anonyme Kreislauf innerhalb des Krisenunternehmens und zum Kunden unterbrochen werden. Im ersten Schritt erfordert dies eine regelm~it~ige und zeitnahe Abstimmung zwischen der Buchhaltung und dem kundenverantwortlichen Vertrieb. Deren regelm~it~ige Abstimmung macht transparent, wo Forderungsausf~ille drohen, welche Anschlussauftr~ige durch zu intensives Mahnen gef/ihrdet werden und wo es sinnvoll ist, Zahlungsvereinbarungen zu treffen. Um auch die Anonymit/it des Vorgangs ggii. dem Kunden zu unterbrechen empfiehlt es sich darfiber hinaus, den eigenen Vertrieb in das Debitorenmanagement einzubinden. Die direkte Kommunikation zwischen dem eigenen Vertrieb und dem Einkauf des Kunden erleichtert es, durch sanften Druck, den Ausgleich oftener Posten zu forcieren.
3.2
Optimierun8 des Kreditorenmanagement
Auch das eigene Kreditorenmanagement erfordert in Zeiten der Krise besondere Aufmerksamkeit. In vielen Unternehmen ist man sich in nachgeordneten Funktionen mancher Probleme und Risikofelder nicht bewusst. Gerade fiir die Gesch~iftsf~hrung des Unternehmens ist es, auch aus Griinden der Vermeidung einer pers6nlichen Haftung, jedoch wichtig, eine Reihe von Sofortmat~nahmen einzuleiten. Hierzu geh6rt die Schaffung von dauerhafter Transparenz in Form eines Kreditorenspiegels. Dieser gibt Aufschluss, mit welchen Zahlungen das Unternehmen in Verzug ist, welche Vereinbarungen mit den Kreditoren bestehen, welche Bedeutung der Lieferant f~r die Leistungserstellung des Krisenunternehmens hat und mit welcher Strategie er ,,bei der Stange" gehalten werden kann. Ffir das Kreditorenmanagement bedeutet dies, dort aktiv auf die Kreditoren zuzugehen, wo unmittelbare Gefahren der dargestellten Art drohen. Gerade vor dem Hintergrund der schwer zu steuernden Beziehungen zu den Kreditversicherern droht ein Gefahrenpotenzial, das viele Krisenunternehmen nicht erkennen oder untersch~itzten. Im Rahmen einer Sofortmat~nahme sollten daher Kreditoren hinsichtlich des damit einhergehenden Bedrohungspotenzials bewertet werden, um in entsprechende Gespr~iche mit ihnen einsteigen zu k6nnen. Ziel aller Aktivit/iten ist es, ein Stillhalten der Lieferanten zu erreichen. Die Verhandlung von Forderungsverzichten empfiehlt sich
381
Lubos
nicht als erste Aktivit~it. U. U. w/irde dies mit der Forderung nach langfristigen Liefervertr~igen als Gegenleistung verbunden werden, was wiederum einer sp~iteren Strukturbereinigung um defizit/ire Produkte und damit auch Lieferanten im Wege stihnde.
3.3
Abbau yon VorratsbestEnden
0berh6hte Best~inde und damit unn6tige Kapitalbindung ist eine weitere Begleiterscheinung von Untemehmenskrisen. Vorausgesetzt es handelt sich um werthaltige Best~inde, l~isst sich mit einem Bestandsabbau oft erheblich Liquidit/it sch6pfen, die das kurzfristige 0berleben sichert. Hier ist die mangelnde Abstimmung zwischen den verschiedenen Unternehmensfunktionen und damit die Organisation Quelle des Problems. Zu optimistische Absatzplanungen, das Einplanen von Kalkulationsreserven, der Wunsch optimale Beschaffungs- und Fertigungslose zusammenzustellen fiihrt bei mangelnder Abstimmung im Untemehmen zu einer Aneinanderreihung von Reservepositionen, die sich im Ergebnis in v611ig (iberh6hten Best/inden niederschl~igt (vgl. Abb. 3-1) (Lubos, 2002, S. 1019 ff.).
Abbildung 3-1:
Unzureichend abgestimmte Ablfiufe als Ansatzpunkt zur Reduzierung von Vorrfiten
121
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382
Sofortma,Onahmen und Instrumente zur Unternehmensanalyse
~!~~i!~!i~!~!~!~i~i!~!i~!~!~~i!!i~!~~i!!!~i!i~!~!~!i~!~~i!~!~!i Ziel von Sofortmat~nahmen ist es, diese organisatorische Abfolge zu unterbrechen, um die fiberh6hte Kapitalbindung zurfickzufi~hren. Das kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder durch systematische Ver~indemng der Dispositionsabl~iufe oder durch Verh~ingung eines Einkaufsstopps. W~ihrend eine Ver~inderung der Abl~iufe, je nach Ursache der organisatorischen Defizite, eher mittelfristige Wirkungen hat, ist der Einkaufsstopp eine typische Sofortmat~nahme. Er bedeutet allerdings in der Praxis nicht den v611igen Verzicht auf die Beschaffung von Vorprodukten, ohne die das Unternehmen eventuell nicht produktions- und lieferf~ihig ware. Vielmehr werden die Entscheidungsgrenzen so gestaltet, dass die Freigabe von Beschaffung auf eine hierarchisch h6here Ebene verlagert wird. Beschaffungsentscheidungen werden in diesem Fall zu Einzelentscheidungen, die sich stark an der Liquidit~it orientieren. Natiirlich l~isst sich ein derartiges Vorgehen nur ~ r einen begrenzten Zeitraum realisieren, da andernfalls die Managementkapazit~it ~iut~erst angespannt wird und die systematischen Abl~iufe im Unternehmen in Unordnung geraten. An den Einkaufsstopp muss sich relativ rasch eine Umgestaltung der Abl~iufe anschliet~en, die unn6tige Bestandsreserven vermeidet. Eine weitere Sofortmat~nahme zur Liquidit~itssch6pfung stellt die unternehmensinterne und unternehmensexterne Yerwertung der Uberbest~inde dar (Lubos, 2002, S. 1019 ff.). In vielen Produktionsunternehmen sammeln sich in erheblichem Matte Langsamdreher an, weil der Produktionsauslauf zu wenig koordiniert mit den Beschaffungsprozessen erfolgt. Dies zu verhindern erfordert ebenfalls eine Umgestaltung der Prozesse. Allerdings ist es in manchen Unternehmen durchaus m6glich, derartige Restbest/inde zu verbauen, indem man Sonderserien auflegt oder Ersatzteile erg/inzt und diese den Kunden zu besonders g/instigen Auslaufkonditionen anbietet. Dadurch reduziert das Untemehmen Verschrottungsverluste und Wertberichtigungen, die meist mit einer unternehmensexternen Nutzung verbunden sind. Bei dieser ist die Riickgabe von Restbest/inden mit Abschlag an die Lieferanten noch eine ergebnisschonende Variante im Gegensatz zu einer Verramschung zum Schrottwert /iber Restverwertungskan~ile. Die Ergebniswirkung in Form von Buchverlusten ist angesichts der Liquidit/itslage insgesamt von relativer Bedeutung. Da gerade bei einer Sanierung die Aktiva eines Unternehmens besonders kritisch betrachtet werden, 1/isst sich eine Abwertung der Best/inde meist ohnehin nicht vermeiden. Daher ist es zur Existenzsicherung des Unternehmens zweckm~it~ig, Abverkaufsprozesse so fr~ih wie m6glich zu initiieren. Liquidit/it geht in einem derartigen Fall oft vor Rentabilit/it. °°
3.4
Sicherung der Ums itze
Probleme im Umsatzbereich 16sen in vielen Fallen die Krise eines Unternehmens aus. Aber auch umgekehrt kann die Krise eines Unternehmens zu Umsatzproblemen fi~hren. Dies ist der Fall, wenn Kunden aufgrund von Geri~chten ~ber das Unternehmen
383
Lubos
Kaufzur~ickhaltung L/ben und damit einen Umsatzri3ckgang ausl6sen. Das Abspringen der Kunden zu vermeiden und den Umsatz zu sichern ist eine typische Sofortmat~nahme auf der Umsatzseite. Dass mit der Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung auch die Sicherung der Liquidit~it auf der Zahlungsseite einhergeht, bedarf keiner besonderen E r w ~ u n g . Da auf der Kundenseite nichts verheerender wirkt als Unsicherheit, sind zun~ichst Mat~nahmen zu deren Beruhigung zu ergreifen. Dies beginnt mit Kommunikationsaktivit/iten im eigenen AuSendienst, der die Bri.icke zwischen Untemehmen und Kunden darstellt. Nur wenn dieser selbst motiviert und optimistisch agiert wird es ihm gelingen, Kunden vom Weiterbestehen und der zukfinftigen Leistungsf~ihigkeit des Unternehmens zu/iberzeugen. In vielen Krisenunternehmen ist festzustellen, dass die verkaufsaktive Zeit des Aut~endienstes gering und die Besch~iftigung mit biJrokratischen Innendienstt~itigkeiten hoch ist (vgl. Abb. 3-2) (Lubos, 2001). Anstelle einer systematischen Vorbereitung kritischer und bedeutender Kundengespr~iche, schreibt der Aut~endienst umfassende Besuchsberichte, die niemand auswertet. Dies zu ~indem erfordert konsequente F~ihrung und ist im Rahmen von Sofortmat~nahmen schnell umsetzbar. Eine Erh6hung der Besuchsfrequenz bedarf keiner umfassenden Vorbereitungen wie dies z. B. eine Restrukturierung der Aut~endienstgebiete verlangt. Auch die Intensivierung der Stammkundenbeziehung, die durchaus die Bereitschaft haben k6nnen, durch Vorziehen von Auftr~igen die Existenz eines wichtigen Lieferanten zu sichern, geh6rt in das Repertoire der Sofortmat~nahmen. Die Unterlegung entsprechender Erfolge des Aut~endienstes mit Pr~imien ist zwar in der Krise aus Liquidit~itsgrL/nden wenig opportun, kann im Einzelfall aber durchaus wichtige Motivationswirkungen entfalten.
Abbildung 3-2: Erh6hungder verkaufsaktiven Zeit des AuJ~endienstes i~i
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384
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So[ortma,Onahmen und Instrumente zur Unternehmensanalyse
!ii!i!ii!ii!!ii~!i~ii!iii?!?i,~i!!i~i!iiii ~! Als kritisch sind bei vertriebsorientierten Sofortmat~nahmen Ver~inderungen der Preise und Konditionen zu sehen. Eine Absenkung des Erl6sniveaus hat meist langfristige Folgewirkungen. Sie l~isst sich nach der Sanierung nur sehr schwer umkehren. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sehr unsystematisch erfolgt. Spricht sich die Preisreduzierung bei entsprechender Transparenz im Markt bei allen Kunden herum, kann aus einer Einzelentscheidung bei einem bestimmten Kunden ein konditionsm~it~iger ,,Fl~ichenbrand" entstehen. Aus diesem Grund sollten Entscheidungen fiber Preise und Konditionen langfristig orientiert erfolgen. Eine Ausnahme bilden Aktionen, bei denen die Leistung des Unternehmens marketingm~it~ig differenzierbar ist und der Charakter von Sonderaktionen das gesamte Preisniveau nicht negativ beeinflusst.
3.5
Abbau yon Kosten
Die konsequente Sicherstellung von Budgetdisziplin ist die Mindestvoraussetzung, um ohne umfassende Ver~inderungen in den Strukturen des Unternehmens dessen Kosten im Griff zu halten. Regelm~it~ige Kostengespr~iche, die durch die Existenz einer aussagef/ihigen Kostenrechnung erleichtert werden, sind die Basis ffir kostensenkende Sofortmat~nahmen. V. a. die Personal- und Sachkosten bieten sich als Ansatzpunkte an, w~ihrend eine Senkung der Materialkosten meist 1/ingerfristig wirkende Aktivit~iten erfordern (Lubos, 2001). Gerade in grot~en Unternehmen, bei denen die quantitative Personalsteuerung fiber ausgepr~igte Stellenbesetzungspl~ine erfolgt, ist ein Einstellungsstopp die typische Sofortmat~nahme, um Personalkosten zu begrenzen. Dabei werden aufgrund nat6rlicher Fluktuation entstehende Vakanzen nicht mehr ersetzt. Diese Vorgehensweise hat den Nachteil, dass dadurch die qualitative Leistungsf~ihigkeit eines Unternehmens eingeschr~inkt werden kann. Dav. a. die qualifizierten Mitarbeiter eines Unternehmens die besten Berufsalternativen haben, verlassen diese ein Krisenunternehmen zuerst. Als Konsequenz bedeutet dies einen raschen Exodus der Mitarbeiter, die das Unternehmen am dringendsten ben6tigt. Ein rigoroser, fiber l~ingere Zeit andauernder Einstellungsstopp ffihrt daher zu einem qualitativen Ausbluten des Krisenunternehmens. Mittelfristig sollte er deshalb von einer differenzierten Einstellungspolitik abgel6st werden, die auch qualitativen Anforderungen Rechnung tr~igt. Der Einstellungsstopp wird meist von einem Bef6rderungsstopp und dem Einfrieren des Entgel~iveaus begleitet. Dies gilt zumindest ffir den aut~ertariflichen Bereich. Im tariflichen Entgeltbereich ist das Unternehmen an geltende Vertr~ige gebunden, deren Modifizierung meist Forderungen in Form bspw. von Besch~iftigungsgarantien nach sich zieht. Hier wird das Feld der konzeptunabh~ingigen Sofortmat~nahmen verlassen. Derartig langfristig wirkende Vereinbarungen sollten nur dam~ getroffen werden, werm ein Gesamtkonzept ffir die Sanierung des Unternehmens besteht.
385
i Lubos Das Auslaufen befristeter Arbeitsvertr/ige als weitere Sofortmat~nahme ist ebenfalls strategieunsch/idlich. Die Uberprfifung des Bestands derartiger Vertr~ige sollte daher am Anfang aller Personalmat~nahmen ebenso stehen, wie die Streichung oder Reduzierung von Uberstunden und die Einffihrung von Kurzarbeit. Gerade die Reduzierung von Uberstunden ist als Instrument geeignet, um ohne Folgekosten den Personalaufwand zurfickzuf/ihren. Dies gilt dann, wenn in der Vergangenheit 0berstunden gleichsam als zus~itzliche Einkommensquelle betrachtet wurden und sich deren Notwendigkeit nicht immer an den Belangen des Untemehmens orientiert hat. Wenn sich der Verzicht auf Uberstunden mit flexiblen Arbeitszeitmodellen kombinieren 1/isst, kann im Kostenbereich eine Entlastung erreicht werden. Besteht noch Unklarheit fiber Art, Umfang und Richtung organisatorischer und personeller Ver/inderungen, so ist die Einffihrung yon Kurzarbeit als Sofortmat~nahme ebenfalls gut geeignet. Der Verzicht auf oder die Stundung von Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld bringt eine kurzfristige Kosten- v.a. abet Liquidit~itsentlastung for das Untemehmen. Die Tatsache, dass derartige Mat~nahmen meist nut for ein bis zwei Jahre vereinbart werden k6nnen, charakterisiert jedoch von vomherein deren Ausrichtung als Sofortmaf~nahme. Sie sichem das kurzfristige Uberleben, nicht jedoch die langfristige Kostenentlastung. Abh/ingig v o n d e r Wertsch6pfungstiefe eines Unternehmens kann die Uberpriifung der Sachkosten und der damit verbundenen Vertr/ige erhebliche Potenziale freisetzen. Frachtraten und Versicherungspr~imien sind dankbare Ansatzpunkte, da diese oft seit Jahren hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit nicht mehr fiberprfift wurden. Gerade in der Krise empfiehlt es sich daher, bestehende Vertr~ige und Vereinbarungen kritisch zu hinterfragen und durch kosteng0nstigere Angebote zu ersetzen. Die Beschneidung von Werbeetats ist in der Unternehmenskrise ein h/iufig angewandtes Mittel, um kurzfristig Kosten zu reduzieren und Liquidit~itsabflfisse zu verhindern. Allerdings sollte dies nicht dazu ffihren, dass aufgrund der damit verbundenen geringeren Werbepr/isenz die Leistungsf/ihigkeit des Untemehmens leidet und die Ums/itze zurfickgehen. Eine abgestimmte Vorgehensweise mit Vertrieb und Marketing ist daher unabdingbar, um keine unkontrollierbaren Folgewirkungen auszul6sen. Bei Unternehmen mit hohem Fl~ichenbedarf, wie z. B. bei filialisierten Handelsunternehmen ist die Nachverhandlung von Mieten oder Pachten eine typische Sofortmat~nahme, um schnell Kosteneffekte zu erzielen.
4
Erste Einsch itzun8 der Sanierbarkeit
Die positive Einsch~itzung der Zukunftsperspektiven eines Krisenuntemehmens ist v.a. for die Finanzgl~iubiger, aber auch for die Gesellschafter eines Unternehmens
386
Sofortma,Onahmen und Instrumente zur Unternehmensanalyse
Voraussetzung ffir dessen weitere Begleitung. Die Bewertung der Sanierungsf~ihigkeit und Sanierungswfirdigkeit wird aus Neutralit~itsgrfinden unter Hinzuziehung eines neutralen Dritten vorgenommen. Je h6her das wirtschaftliche Risiko ffir alle Beteiligten ist und je umfassender sich der Liquidit~itsbedarf darstellt, desto frfihzeitiger soll die Aussage hierzu getroffen werden. Hier stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse der Untemehmensanalyse und der Sofortmat~nahmen bereits eine ausreichende Informationsbasis bilden, um eine erste Einsch~itzung der Sanierbarkeit vornehmen zu k6nnen, ohne dass bereits ein umfassendes Konzept und eine detaillierte Planungsrechnung vorliegt. Diese Frage zu beantworten muss zwangsl~iufig dem Einzelfall vorbehalten sein. Allerdings lassen sich in vielen Fallen je nach Problemschwerpunkt im Untemehmen erste Tendenzen erkennen. Bei der Analyse interner Strukturen und Prozesse erkennt ein erfahrener Sanierer meist relativ rasch, welche Ergebnispotenziale vorhanden sind und in welchem Zeitraum diese zu heben sind. Dies beinhaltet auch die fiberschl~igige Beantwortung der Frage nach den Einmalkosten einer Sanierung. Hat das Unternehmen prim~ir interne, durch die Kostensituation hervorgerufene Probleme, so lassen sich entsprechende Tendenzaussagen nach Abschluss einer Analyse und der Einleitung von Sofortmat~nahmen treffen. Die Aussagesicherheit reduziert sich allerdings dann, wenn umfassende und zeitintensive Umsetzungsmat~nahmen, wie z. B. eine Produktionsverlagerung ins Ausland die Voraussetzung ffir die Hebung von Potenzialen sind. Je kurzfristiger und einfacher strukturiert die erforderlichen Aktivit~iten sind, desto zuverl~issiger ist auch die Prognose der Sanierbarkeit zu einem derartig frfihen Zeitpunkt. Die Bedeutung des Faktors Zeit wird besonders dann sichtbar, wenn es datum geht, Erkenntnisse tiber die Markt-, Wettbewerbs- und Vertriebssituation eines Unternehmens zu sammeln. Fundierte Aussagen erfordern, auch bei umfassender Branchenkenntnis, entsprechenden Rechercheaufwand. Dies gilt v.a. dann, wenn often zug/ingliche Informationen nicht oder nut in geringem Umfang zur Verffigung stehen oder Plausibilit~itsbetrachtungen mit einer Vielzahl von Personen innerhalb oder au~erhalb des Unternehmens verifiziert werden mfissen. Da die langfristig orientierte Beurteilung der Sanierungschancen sehr h/iufig mit der Beantwortung der Frage nach seiner Existenzberechtigung im Markt verbunden ist, ist die erste Absch/itzung der Sanierbarkeit auf der Basis weniger Marktinformationen u. U. problematisch. Dies bedeutet, dass bei dominanten Einflfissen der Marktentwicklung auf das Unternehmensergebnis eine fundierte Aussage zur Sanierbarkeit erst dann m6glich sein wird, wenn ein umfassendes Konzept zur Sicherung, wenn nicht sogar zum Ausbau von Ums/itzen und Marktanteilen vorliegt. Nicht nut die betriebswirtschaftliche Erfordernis, sondem auch rechtliche Rahmenbedingungen erfordem es, dass eine Sanierung bis zu ihrem Ende durchfinanziert ist. Die Kapitalgeber eines Unternehmens werden die Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel aber nur dann bewilligen, wenn sie v o n d e r Sanierbarkeit des Unternehmens fiberzeugt sind. Dies umfassend und fundiert zu tun, ist h/iufig auf Basis von
387
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Lubos
reinen Analyseergebnissen prob]ematisch. Jede Sanierung erfordert Liquiditat als Folge der SanierungsmaSnahmen, die sich in einem entsprechenden Liquiditatsp]an niederschlagen. Der Nachweis der operativen Sanierbarkeit ist ]etztendlich tiber eine Planergebnisrechnung zu ffihren, in die ebenfa]]s konzeptionelle Uberlegungen einflie~en. Letztendlich ergibt sich somit die ~ r Kapitalgeber wichtige Erkenntnis tiber die H6he des ben6tigten Kapitaleinsatzes nicht am Ende der Analyse eines Untemehmens, sondem resultiert aus den Konzepten und MaSnahmen, die sich aus den Analyseergebnissen ableiten ]assen. Nur sie ]assen eine ver]assliche Aussage zur Sanierbarkeit aus finanzieller Sicht zu. Hier entsteht allerdings das Problem, dass das Unternehmen diesen Zeitpunkt nicht mehr erreicht, da in der Zeit bis zur definitiven Feststellung der Sanierbarkeit die Illiquiditat und damit die Insolvenz eingetreten ist. Um diese zu verhindern, k6nnen die Fremdkapitalgeber einen entsprechenden Uberbriickungskredit einraumen, bis die Sanierbarkeit festgestellt ist. Allerdings besteht trotz Sicherheiten die Gefahr, dass dieser nicht mehr zur6ckgezahlt wird. Sind keine Sicherheitenpotenziale mehr vorhanden, was in Krisensituation mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, so verscharft sich das Problem der finanziellen 0berbriickung. Aus diesem Grunde kann es sein, dass auf Basis der Erkenntnisse aus der Analyse zumindest eine Tendenzaussage zur Sanierbarkeit erforderlich wird, um die Wahrscheinlichkeit eines Turnaround darzustellen. In Fallen, in denen sich die Summe von negativen Einzelerkenntnissen aus Markt- und Unternehmenssituation in eine einzige Richtung bewegt, kann eine fri~he Aussage zur Sanierbarkeit sinnvoll sein. Sie vermeidet unn6tige Kapitalverluste bei den Finanziers des Untemehmens. U. U. sind die so gesicherten Mittel im Rahmen der Finanzierung einer sp~iteren Insolvenzl6sung besser eingesetzt. Sanierungsmat~nahmen realisieren sich nicht von selbst, sondern erfordern Menschen, die sie umsetzen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung wird daher dadurch beeinflusst, ob das Unternehmen (iber die notwendigen personellen Ressourcen verffigt oder diese kurzfristig beschaffen kann. Die hohe praktische Bedeutung dieser Frage relativiert sich, wenn es um die eher konzeptionell orientierte Einschatzung der Sanierbarkeit geht. Auch ein qualifiziertes Management kann nur erfolgreich sein, wenn das Unternehmen i~ber geni~gend Ergebnispotenzial aus Kostensenkungsmat~nahmen, einen tragfahigen Markt und den erforderlichen Finanzierungsspielraum verffigt. Erst wenn diese drei Faktoren gegeben sind, kann gleichsam die Managementsituation in eine erste Bewertung der Sanierbarkeit einbezogen werden. Konkret bedeutet dies festzustellen, ob das Management in der Lage ist Sofortmat~nahmen und langfristige Mat~nahmen konsequent umzusetzen. Allerdings sollte aus einer negativen Beurteilung eines Managements nicht zwangslaufig mangelnde Sanierbarkeit abgeleitet werden. Die notwendige Konsequenz ist vielmehr die Einleitung von Managementveranderungen, um die Umsetzung sicherzustellen.
388
SofortmufJnahmen und Instrumente zur Unternehmensanalyse
5
Die Qualit it der Instrumente entscheidet Uber den Sanierunsserfol8
Die fundierte Analyse eines Unternehmens mittels geeigneter Instrumente ist zwingende Voraussetzung ffir ein umfassendes und problemad~iquates Sanierungskonzept. Da es in Krisenunternehmen meist an einem qualifizierten Controlling mangelt, sind Benchmarks eine wesentliche Basis um die Verlustquellen und Verbesserungspotenziale im Unternehmen zu ermitteln. Die geeigneten Instrumente schaffen Transparenz in den Bereichen Markt und Wettbewerb, Kosten, Finanzierung und Organisation und Management auch auf Basis geringer Datenqualit~it. Die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse dienen im ersten Schritt dazu, Sofortmat~nahmen zur Stabilisierung der Situation einzuleiten. Ihrem Charakter nach veranlassen sie keine Ver~inderungen in der strategischen Gesamtausrichtung eines Unternehmens. Sie zielen vielmehr darauf ab, die Verluste mittels einfacher operativer Aktivit~iten zu begrenzen und v.a. die Liquidit~it zu sichern. Erst im zweiten Schritt schliet~en sich langfristig orientierte Konzepte und Mat~nahmen als Ergebnis der Analyse und eine entsprechende Planung an. In den meisten F~illen werden die Betroffenen und Beteiligten einer Sanierung daran interessiert sein, m6glichst fr0hzeitig eine Einsch~itzung der Sanierbarkeit zu erhalten. Hier konkurriert das Bed0rfnis nach schneller Information mit dem Erfordernis nach verl~isslicher Information. Allerdings geben die gewonnenen Erkenntnisse 0ber die Krisenursachen bereits fr0hzeitig erste Aufschl0sse dar0ber, wie kosten- und zeitintensiv eine Unternehmenssanierung werden kann. Damit wird bereits fr0hzeitig eine erste Indikation m6glich, ob insbesondere die Kreditgl~iubiger bereit sind, eine Sanierung zu unterstOtzen.
389
Lubos
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LUBOS,GONTER(2001): Systematik der Unternehmenssanierung, Compendium 1, o.O. LUBOS, GONTER (2002): Finanzierung der Sanierung, in: Krimphove, D./ Tytko, D. (Hrsg.): Praktikerhandbuch der Finanzierung, S. 1019 ff., o.O. LUBOS, GONTER (2004A): Oberblick (iber Methoden und Instrumente zur Krisenerkennung, in: Schriftlicher Management-Lehrgang in 13 Lektionen, Lektion 1, o.O. LUBOS, GONTER (2004B): Instrumente und Vorgehensweisen bei Restrukturierungen und Sanierungen, Compendium 2, o.O.
390
1
Managementqualit~it entscheidet i~ber den Turnarounderfolg ................................ 393
2
Analyse: Krisenursache in F 6 h r u n g u n d M a n a g e m e n t ? .......................................... 394 R e s t r u k t u r i e r u n g s h o h e i t auf Top-Ebene ..................................................................... 397 3.1
Fall 1: Kapital u n d M a n a g e m e n t sind getrennt ................................................ 398
3.2
Fall 2: Kapital u n d M a n a g e m e n t sind integriert ............................................... 398
3.3
Suche nach M a n a g e m e n t u n d Kapital ............................................................... 399
3.4
T u r n a r o u n d ohne Kapitalbedarf ......................................................................... 401
N e u o r d n u n g der zweiten F(ihrungsebene ................................................................. 402 4.1 4.2
Bisherige Linienorganisation: F~ir den T u r n a r o u n d untauglich ..................... 403 Schnell u n d effektiv: Die Task Force-Organisation .......................................... 403 4.2.1
Klar u m r i s s e n e A u f g a b e n p a k e t e ............................................................ 404
4.2.2 4.2.3
Messbare, einfache Ziele ......................................................................... 405 Klare Priorit~iten ....................................................................................... 405
4.2.4
Z u s a m m e n s e t z u n g der Teams ................................................................ 406
4.2.5
Autorisierung ........................................................................................... 407
4.2.6
Professionelles P r o j e k t m a n a g e m e n t ...................................................... 407
4.2.7
Nicht zu viele Task Forces parallel ........................................................ 408 K o m m u n i k a t i o n s f o r e n ............................................................................ 408 Positive Motivation der Restrukturierungs- u n d der
4.2.8 4.2.9
G e s a m t o r g a n i s a t i o n ................................................................................. 408 5
Einheit von Konzept u n d M a n a g e m e n t ...................................................................... 410
112 Ich danke meinen ehemaligen Partnern NORBERTLANDWEHR, PETERFAULHABER,DR. WOLFGANG ECKERT, ALFREDMERTENSund DR. HANS-JOACHIMGRABOWfi~r Ihre Anregungen und Ideen.
391
Etablierun~ der Restrukturierungsorganisation
/Vlanagementqualit it entscheidet Uber den Turnarounderfol8 Wie so oft in der Okonomie gilt auch beim Thema Turnaroundmanagement eine 8020-Regel. Der Turnaroundprozess l~isst sich grob in die drei Phasen Analyse, Konzept und Umsetzung einteilen. Die Analyse schafft zun~ichst ein ftir alle Beteiligten gemeinsames Verst~indnis der Ist-Situation, der Problemlage und ihrer Ursachen. Das Konzept ist dann der Katalog von Mat~nahmen, mit denen das Unternehmen wieder zu nachhaltigen Gewinnen und nachhaltigem Wachstum geftihrt werden soll. Es legt den Turnaroundfahrplan des Unternehmens fest, auf dessen Umsetzung sich alle Beteiligten verpflichten. Die Umsetzung ist die Phase, die den Turnaround verwirklichen muss. Erst hier werden Ums~itze gesteigert, Kosten gesenkt, Kapitalbindung reduziert. Es ist somit klar: Die grof~e Wertsch6pfung im Turnaround, gut und gerne 80 %, erfolgt in der Umsetzung. Ein gutes Konzept ist wichtig, aber nicht einmal die halbe Miete. Somit l~isst sich folgende These aufstellen: E These 1:80 % des Turnarounderfolgs h/ingen an einem exzellenten Management des Turnarounds, 20 % an einem guten Konzept. In der Turnaroundpraxis wird bei der Analyse- und Konzeptphase die Frage nach Management und Ftihrung - trotz ihrer Bedeutung ftir den Turnarounderfolg- nur wenig beachtet. Das betrifft die Bearbeitungszeit ftir dieses Thema in der Konzeptphase, den Tiefgang, den Einsatz systematischer Methoden und vieles mehr. Auch hier gilt wieder das Verh~iltnis ,,80-20", wahrscheinlich liegt es hier sogar bei 95 zu 5. Sicher- ein umfassendes und grfindlich erarbeitetes Konzept ist die Grundlage eines jeden Turnarounds. Ohne ein klares Bild der Situation und ein umfassendes Konzept scheitert jedes Turnaroundmanagement. Ohne saubere Analyse kein Konzept, ohne Konzept kein Turnaround. Der Kapit/in, der den Kurs seines in Gefahr geratenen Tankers ohne Uberlegung wechselt, handelt verantwortungslos. Wie SENECAsagte: ,,Wenn der Kapitiin nicht weijq, welches Ufer er ansteuern soll, ist kein Wind der richtige.'" Da aber 80 % des Turnarounderfolgs vonder Qualit~it des Umsetzungs-Managements abh~ingen, darf eben dieser Aspekt des Managements im Konzept unter keinen Umst~inden vernachl~issigt werden. Das Verst~indnis der Managementstrukturen, der Managerqualit/iten, der Motivation der Manager ist kriegsentscheidend. Das betrifft alle relevanten Managementebenen (vgl. Abb. 2-1), vorrangig aber gerade auch den Top-Manager, den Leader der Organisation- und bei eigenttimergeftihrten Unternehmen damit auch den Eigentfimer. Folglich muss die Analyse der Managementorganisation gerade unter Berficksichtigung der besonderen Turnaroundsituation ein wesentlicher Bestandteil der Analyse und des Konzepts sein.
393
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i~i~iiiiiiiiiiii~ii~i~ii~i!iiiii~iiii~iiiiZass iiiiiiiiiiiiii~i~i~ii~!iiiii~!~i~i~!ii~iiii~i!~iiiiiiiiiii~ii!ii~i!iii~
2
Analyse: Krisenursache in FLihrung und Management?
Wer soll den Turnaround also managen? Wer soll das Konzept erarbeiten, und wer soll es umsetzen? Kann es der Kapit~in sein, der sein Schiff in die Gefahrenzone gesteuert, der die Gefahren nicht gesehen hat? Erfahrung und einschl~igige Literatur tragen folgende These: R These 2: Die kritische Situation des Unternehmens im Turnaround ist zu 80 % durch Managementdefizite verursacht und nur zu 20 % durch nicht beeinflussbare externe Faktoren. Zwei Jahrzehnte Turnarounderfahrung best~itigen dies. Da gibt es z. B. den Unternehmer, der sein Handelsgesch~ift durch Zuk~iufe innerhalb von zwei Jahren verzehnfacht, der die Leichen im Keller aber erst nach Vertragsabschluss e n t d e c k t - und dem es nicht gelingt, die zugekauften Einheiten ins Unternehmen zu integrieren. Typisch ist auch der Unternehmer, der sein Baustoffgesch~ift vom regionalen Mittelst~indler auf nationale Gr6t~enordnung ausbauen wollte, hierf6r ausschliet~lich Fremdkapital aufnahm, seine M~irkte unrealistisch einsch~itzte und v611ig i~berinvestierte. Oder der Unternehmer, der einen riesigen Investitionsstau produziert und sein Unternehmen so lange ausblutet, bis es nicht mehr wettbewerbsf~ihig ist. Oder es gibt den SoftwareUnternehmer, der sich zu Hochzeiten des ,,Neuen Marktes" wie BILLGATES ~hlt, im abnehmenden Gesch~ift dann aber in die Illegalit~it abgleitet. Die Beispiele liet~en sich beliebig fortsetzen. Ihnen gemeinsam aber ist, dass es nicht einzelne zuf~illige Fehlentscheidungen sind, sondern zumeist fiber Jahre hinweg aus den Managementstrukturen, der Unternehmenskultur oder der Struktur des Unternehmers selbst heraus entstandene Entscheidungslogiken, die entweder grunds~itzlich oder durch Ver~inderung e n d e r M~irkte nicht mehr an die Notwendigkeiten des Unternehmens angepasst waren und sind. Die kritische Frage, inwiefern das Management fi~r die Krise verantwortlich ist, m u s s wie oben festgestellt- genauso tiefgehend untersucht werden wie alle anderen betriebswirtschaftlichen Krisenursachen. Zu untersuchen sind die Organisation, die vom Top- und mittleren Management gestalteten und gelebten Steuerungs- und Fi3hrungsprozesse, die Motivation und Anreizsysteme fi~r Management und Belegschaft, die Besetzung von Schli3sselpositionen, die Unternehmenskultur, ihre ,,hidden rules". In diesen Elementen kann ein wesentlicher Teil der Krise verursacht sein. Abbildung 2-1 verdeutlicht dies. F~ir die Untersuchung der Managementorganisation sind alle Fi~hrungsebenen relevant. Dies gilt unter besonderer Beri3cksichtigung der aut~ergew6hnlichen Situation Krise, Turnaround. Sie ist daher auf die Zukunft ausgerichtet. Vergangene Leistungen und Verdienste sind zu w~irdigen, d6rfen aber nicht den Blick in die Zukunft verstel-
394
Etablierun9 der Restrukturierungsorganisation
len. Der Turnaround erfordert, in kurzer Zeit alles richtig zu machen, er erlaubt keine Fehlertoleranz.
Abbildung 2-1:
Managementpotenziale: Krisenursachen in Fiihrung und Management (Quelle: in Anlehnung an Faulhaber/ Landwehr, 2001)
~4~;Keine Motivation ~'~, K o m p e t e n z g e r a n g e l
~ii;~Einmischung
=,i=,i~i~i~Neid
~{~i~Pers0nliche ; Ressentiments
iii!iiKeine A k z e p t a n z
;iiiiiii Unterlaufen von E n t s c h e i d u n g e n
~i~~i ~iKein ~i In f o r m a t i o n s a u s t a u s c h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Drei Faktoren sind for die Analyse der Managementorganisation wichtig: Wollen, K6nnen und D 6 r f e n - das Zusammenspiel von Turnaroundbereitschaft, Turnaroundf~ihigkeit und Turnaroundlegitimation. Die Untersuchung arbeitet die St~irken und die Defizite im Management entlang dieser drei Komponenten heraus. Notwendige Management-Mat~nahmen haben das Ziel, diese Defizite zu beseitigen, und sie d0rfen keine neuen L6cher entstehen lassen. FOr den Turnaround sind alle drei Aspekte notwendige, nicht verzichtbare Voraussetzungen. Turnaroundbereitschaft ist die erste wesentliche Grundvoraussetzung. Auf der TopEbene betrifft das bspw. die Bereitschaft, nicht erfolgreiche Produktbereiche aufzugeben. Aber auch auf der zweiten Ebene bedarf es der Bereitschaft, Ver~inderungen zu akzeptieren- z. B. wenn Organisationsstrukturen so ge~indert werden m0ssen, dass es nicht jedem Manager passt. Gerade auf der Top-Ebene ist die Frage nach dem Wollen nicht zu untersch~itzen. Der bisherige Unternehmensf0hrer muss sogar bereit sein, an seinem pers6nlichen Turnaround zu arbeiten. Die Wirkung des Top-Managements auf Entscheidungslogiken des Unternehmens, das Handeln der weiteren Managementebenen und die Unternehmenskultur wurde schon angesprochen. BOSSIDY,CHA-
395
Zass
RAN und BURCKsprechen in ihrem Buch ,,Execution- The Discipline of Getting Things Done" diese Wahrheit so aus: ,,The culture of a company is the behavior of its leaders. Leaders get the behaviour they exhibit and tolerate. You change the culture of a company by changing the behaviour of its leaders." (Bossidy/Charan/Burck, 2005)
Die Tumaroundsituation erfordert besondere F~ihigkeiten. Eine 0bersicht Liber die wichtigsten Turnaroundf~ihigkeiten gibt Abbildung 2-2. In manchen Fallen ist die Tumaroundverantwortung fLir das vorhandene Management jedoch weniger eine Frage des K6nnens und Wollens, sondern des DLirfens. F~ihige, leistungs- und ver/inderungsbereite Mannschaften k6nnen dadurch blockiert werden, dass die Top-Ebene sie nicht l~isst. Oder auch, dass die untere Ebene glaubt, sie dLirfe nicht handeln, wie sie es fLir richtig h~ilt. Die Situation erinnert dann h~iufig an die alte KARLVALENTINAusrede: ,,M6gen hfitten wir schon wollen, aber didrfen haben wir uns nicht getraut." Eine effektive und motivierte Restrukturierungsorganisation 16st solche Blockaden auf.
Abbildung 2-2:
Managementpotenziale: Beurteilung der individuellen Turnaroundpotenziale (Quelle: in Anlehnung an Faulhaber/ Landwehr, 2001) ....
Ein erfolgreiches Turnaround braucht Management-Potenziale
u Wille zu V e r ~ n d e r u n g e n = Verzicht
~
i Verantwortung m Engagement ..............................................................................................
m Fachwissen
Wollen
Teamf~higkeit = Lernbereitschaft
[]
/,//~'", ,
[] FOhrungsf~ihigkeit
Befugnisse ,' "" [] Stellung in der Hierarchie KOnnen ' ' DfJrfen ............................................................................................................................................................................................... i........................................................................................
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[] Belastbarkeit [] Durchsetzungskraft ~::~.~
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= Entscheidungskompetenz i•
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Steht die Analyse, mLissen nun die notwendigen Mai~nahmen folgen. Damit stellt sich die Frage der Aufstellung der Restrukturierungsorganisation und der Entscheidung Liber die Restrukturierungshoheit. Aus den Thesen 1 und 2, die durch langj~ihrige Erfahrung belegt sind, ergibt sich- mit Blick auf das Thema Management des Turnarounds und Restrukturierungshoheit - eine ebenso klare wie drastische Schlussfolgerung: m These 3: In 80 % der Turnaroundsituationen muss das Management des Tumarounds neu organisiert, die Restrukturierungshoheit in hierfLir qualifizierte und deshalb meist andere H~inde gelegt werden.
396
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
Warum ist das so? Nun, die Turnaroundsituation kommt im Lebenszyklus des Unternehmens und insbesondere des Managements nur selten vor. Sie erfordert eine andere Art eines auf die Situation bezogenen unternehmerischen Arbeitens, als dies in normalen Zeiten der Fall ist. Der Unternehmer, der bisher auf Wachstum gesetzt hat, schafft den mentalen Turnaround nur schwer, jetzt auf die Wachstumsbremse zu driicken und m6glicherweise ganze Gesch/iftsbereiche abzustot~en. Der Unternehmer, der sein Herzblut in den Aufbau eines nachhaltig nicht rentablen Produktbereiches gesteckt hat, tut sich schwer, das weitere Engagement in diesem Bereich rechtzeitig und grundlegend zu stoppen. Meist fehlt ihm hierfiir die notwendige F/ihigkeit zur Selbstkritik und Selbsterkenntnis. In der Turnaroundsituation spielt somit die Frage, ob das vorhandene Management die bevorstehenden Aufgaben bew~iltigen kann und will, eine entscheidende Rolle. Diese Beurteilung muss daher von allen Beteiligten offen und mit Ernsthaftigkeit angegangen werden. Fiir die beteiligten Menschen ist das Thema pers6nlich sensibel. Nichtsdestotrotz m/issen sie sich dem Problem stellen. Auf Basis oftener und seri6ser Analysen miissen die notwendigen Managementmat~nahmen angegangen werden. Restrukturierungshoheit und -organisation m/issen wirkungsvoll aufgestellt werden: bereit, f~ihig und legitimiert, das Konzept umzusetzen. Die Analyse und Mat~nahmen m/issen alle relevanten F/ihrungsebenen umfassen. L6sungsm6glichkeiten werden daher im Folgenden getrennt f/ir die Top-Ebene und die darunter liegende Restrukturierungsorganisation dargestellt.
3
Restrukturierungshoheit auf Top-Ebene
Als Kernaussage sei zun/ichst einmal vorangestellt: IN: T h e s e 4: Die Top-Verantwortung ffir die Restrukturierung, die Restrukturierungs-
hoheit, muss in einer Hand liegen. Die Krise, die Turnaroundsituation, erfordert Geschwindigkeit und stringentes Handeln. Gerade in dieser Situation verderben viele K6che den Brei. Der Turnaroundmanager ist Turnaroundstratege, Organisator, Motivator und Macher. Die Kapitalgeberdies sind in ihrer jeweiligen Bedeutung sowohl die Eigen- als auch die Fremdkapitalgeber - brauchen einen Verantwortlichen, der ihr Vertrauen hat, den sie unterstiitzen, der alle notwendigen Handlungsfreiheiten erh~ilt, der aber auch f/ir den Turnarounderfolg- wie die Angelsachsen s a g e n - ,,accountable" ist: der auf den man z/ihlen kann, mit dem man rechnen kann und der auch Rechenschaft ablegt. Diese Entscheidung fiber die Restrukturierungshoheit ist damit die wesentliche Entscheidung, die die Kapitalgeber zu treffen haben. Wie gesagt, sie ist zu einem grot~en Anteil verantwortlich fiir den sp~iteren Sanierungserfolg.
397
Zass
3.1
Fall 1: Kapital und Management sind getrennt
Die M6glichkeiten, die Restrukturierungshoheit auf der Top-Ebene in neue H~inde zu legen, h~ingen entscheidend davon ab, ob im Unternehmen die Kapitalgeberseite gleichzeitig das Management stellt oder das Management ausschliet~lich aus Angestellten besteht. Bei einer Angestellten-Gesch~ifts~hrung in einer GmbH kann die Gesellschafterseite zum einen durch Weisungen und zum anderen durch Entlassung der Gesch~iftsf6hrung jederzeit Einfluss nehmen - bis hin zum vollst~indigen Austausch des Managements. Bei einer Aktiengesellschaft ist es insofern schwieriger, als der Aufsichtsrat einen wichtigen Grund zur Abberufung des Vorstandes haben muss. Dar0ber hinaus hat die Gesellschafterseite nur 0ber den Aufsichtsrat die M6glichkeit, den Vorstand zu beeinflussen. Weisungen k6nnen weder die Hauptversammlungen noch der Aufsichtsrat geben. Das Gewicht der Eigen~merseite, die nicht gleichzeitig Management ist, h~ingt dann im Wesentlichen davon ab, wieweit sie den Turnaround selbst finanziert oder mitfinanzieren kann. Unternehmen in Turnaroundsituationen sind h~iufig gr6t~tenteils fremdkapitalfinanziert und das Potenzial auf Eigenkapitalseite, einen gegebenenfalls auftretenden Kapitalbedarf decken zu k6nnen, ist dann gering. Auch wenn die finanzierenden Banken und - ebenso wichtig - Kreditversicherer und Lieferanten nicht durch Entscheidungen eingreifen k6nnen, muss in solchen Situationen der Turnaroundmanager im Konsens der Eigenkapital- und der Fremdkapitalgeber eingesetzt werden. Vertrauen an der Front der Fremdkapitalgeber ist absolut entscheidend. Ein besonderes Problem entsteht, wenn die Eigenkapitalseite der Fremdkapitalseite nicht traut oder die Eigenkapitalseite sich uneins und zersplittert ist. In solchen Fallen hat es sich bew~ihrt, zumindest for die Mehrheit der Kapitalseite einen turnarounderfahrenen Treuh~inder einzusetzen. Die Fallgestaltungen sind dabei vielf~iltig und die rechtlichen Gestaltungsm6glichkeiten komplex. Treuh~inder sind daher zumeist Anw~ilte. Ihre F~ihigkeit, betriebswirtschaftliche und organisatorische Entscheidungen zu beurteilen und voranzutreiben, ist jedoch kritisch zu pr0fen. Im Idealfall sollte der Treuh~inder umfassende Erfahrungen im Turnaroundmanagement haben und damit ein qualifizierter Gespr~ichspartner sowohl for das Management als auch for die Fremdkapitalseite sein.
3.2
Fall 2: Kapital und Management sind integriert
Liegen Kapital und Management in einer Hand, handelt es sich also um den typischen mittelst~indischen Gesellschafter-Gesch~iftsffihrer, gestaltet sich der Fall deutlich schwieriger. Hier wird die Diskussion erst richtig spannend. Dreh- und Angelpunkt in
398
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
dieser Situation ist die pers6nliche Turnaroundbereitschaft und -f~ihigkeit des Gesellschafter-Gesch~ifts~hrers, seine F~ihigkeit zur richtigen Selbsteinsch~itzung und dann gegebenenfalls seine Einsicht in die Notwendigkeit, (die) Verantwortung jetzt abzugeben. Hier gibt es die F~ille, in denen der Patron, obwohl selbst bereits in hohem Alter, das Heft nicht aus der Hand geben wollte. Trotz hoher Verluste denkt er nicht daran, auf einen turnarounderfahrenen Manager zur~ickzugreifen. M6glich ist diese Haltung, wenn das Unternehmen nicht fremdkapitalfinanziert ist und der Unternehmer das in guten Zeiten erarbeitete Kapital verzehren kann. Es gibt kein Gesetz, das einem Unternehmer verbietet, sein Unternehmen an die Wand zu fahren. H~iufiger ist der Fall, dass bei Fortfi~hrung des Unternehmens nach dem Motto ,,weiter so" andere Kapitalgeber, insbesondere Banken, gesch~idigt werden. So ist es verst~indlich, dass die Kreditinstitute fi~r eine Fortf~ihrungsentscheidung immer h~iufiger Gutachten verlangen, die durch eine externe Turnaround-Beratungsgesellschaft erstellt werden und die Turnaroundf~ihigkeit des Unternehmens best~itigen sowie den Kapitalbedarf und seine Ri~ckf~ihrungsm6glichkeiten darlegen. Angesprochen ist hier somit wieder der Punkt Turnaroundkonzept- und es wird erneut deutlich: Die Frage des M a n a g e m e n t s - also die Frage, ob die Restrukturierungshoheit an einen anderen Top-Manager als den bisherigen GesellschafterGesch~iftsf~ihrer i~bergeben werden soll - muss darin unbedingt behandelt werden!
3.3
Suche nach Management und Kapital
Gesetzt also den Fall, eine Neubesetzung ist notwendig. Damit verbunden ist dann immer auch die Frage, ob nur ein neues Management erforderlich ist oder zus~itzlich auch die Bereitstellung von Kapital. Erfordert die Turnaroundsituation, das Eigenkapital des Unternehmens zu st~irken oder erfordert der Turnaround selbst einen Mittelbedarf, dann verbindet sich die Frage Kapital und M a n a g e m e n t - wie sie auch bis hierhin verbunden war. Die Neubesetzung des Top-Managements muss daher einhergehen mit der Suche nach einem neuen Eigenti~mer bzw. Eigenkapitalgeber. Warum ist das die beste L6sung? Nun, in einen Turnaround investiertes Kapital ist Risikokapital und sollte deshalb idealerweise als risikotragendes Haftkapital dargestellt werden. Wichtig ist f~ir alle Beteiligten, dass man sich f~ir die Suche nach dem neuen Eigen~mer ausreichend Zeit nimmt. Es geht ja nicht nur darum, einen Kapitalgeber, sondern auch eine damit verbundene neue Fi~hrung des Unternehmens zu finden. Ein reiner Finanzinvestor, wie er i. d. R. fi~r schnelle L6sungen zur Verfiigung steht, ist in dieser Situation nicht gefragt. Notwendig ist vielmehr der Investor, der dem Unternehmen Management-Mehrwert bieten kann. Im Grunde handelt es sich hier um strategische Investoren mit Synergiepotenzialen oder um MBI-L6sungen mit guter Eigenkapitalausstattung. Die Fremdkapitalgeber, die Banken, bleiben meistens weiter engagiert
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~ss
und brauchen das Vertrauen in die neue F~ihrung. Auch der neue oder zus~itzliche Kapitalgeber und Manager tut gut daran, seinen potenziellen Mehrwert sauber zu analysieren und ein tief gehendes Sanierungskonzept zu erarbeiten. Ein solcher 0bernahmeprozess braucht Zeit, er kann sechs bis neun Monate in Anspruch nehmen. F(ir beide Fragen - Management und Kapital - sind daher Zwischenl6sungen notwendig. Die klassische Zwischenl6sung f~ir das Management ist der tempor~ire Turnaroundmanager, d e r - wie oben schon festgestellt- legitimiert sein muss. Dies geschieht entweder dadurch, dass er Vorstand oder Gesch~iftsf~ihrer auf Zeit wird, oder dass er mit entsprechenden Vollmachten bzw. Generalvollmacht ausgestattet wird. Ob der tempor~ire Turnaroundmanager als einzelne Person oder mit einem Team auftritt, h~ingt vom Einzelfall ab. Bei kleinen Unternehmen bietet sich eine einzelne Person an. Sobald die Aufgabe komplexer wird, stellt sich die entscheidende Frage, in welchem Ausmat~ die Restrukturierungsorganisation auf der zweiten Ebene neu aufgestellt werden muss. Die durch langj~ihrige Erfahrung getragenen Thesen Ibis 4 bedeuten, dass hier in den meisten Fallen tief greifende Ver~inderungen notwendig sind. F~ir gr6t~ere F~ille muss der tempor~ire Turnaroundmanager daher ein Team mitbringen k6nnen. Idealerweise sind er und sein Team diejenigen, die auch das Konzept erarbeitet haben. Fi~r die Kapitalseite mi~ssen die Banken bereit sein, den Prozess konstruktiv zu begleiten. Sie kennen das Unternehmen und sind deshalb am schnellsten in der Lage, liquide Mittel im Sinne einer Zwischenfinanzierung zur Verftigung zu stellen. Erleichtert wird den Banken die Entscheidung ~iber frisches Geld selbstverst~indlich, wenn noch ausreichend freie Sicherheiten vorhanden sind. Es ist verst~indlich, dass der L6sungsweg ~iber einen neuen Investor mit ManagementMehrwert ein hohes Konfliktpotenzial gg~i. dem bisherigen Eigent6mer-Unternehmer birgt. Vielleicht liegt darin auch der Grund, dass die Management-Frage in vielen unzureichenden externen Sanierungsgutachten ausgeklammert bleibt. F~ir den bisherigen Unternehmenschef ist die Situation ohne Zweifel ~iut~erst hart: Nicht nur seine Funktion als Unternehmensf6hrer wird in Frage gestellt - man versucht auch noch, ihm sein Unternehmen wegzunehmen. Zwar kann man beobachten, dass in der Krisensituation mancher ~iberforderte Unternehmens~hrer anderen gerne dass Feld ~iberl~isst. Dennoch ist es selten, dass ein Mensch in dieser Situation zu so viel Selbstkritik und Selbsterkenntnis f~ihig ist, dass er die Suche nach einem neuen Eigentiimer und Manager u n t e r s ~ t z t - und das 6ber den gesamten Zeitraum bis hin zum endgi~ltigen Abschluss. Es ist f6r ihn ein nervenaufreibender Prozess. Zu den Gedanken ~iber die eigene Zukunft gesellt sich die Sorge um das Unternehmen - oft genug das Lebenswerk, das nun in fremde H~inde i~bergeht. Der Unternehmer muss mit ansehen, wie potenzielle Investoren kommen und wieder gehen. Und wenn es dann konkret wird, muss er erleben, wie die Kaufpreiserwartungen schwinden, und wie schliet~lich i~ber seine eigene ki~nftige Rolle diskutiert wird - und ihm am Ende
400
Etablierun~ der Restrukturierun~sor~,anisation
vielleicht noch die Rol|e eines Beraters bleibt. So hart es £fir den Eigentfimer-Unternehmer ist, so notwendig ist dieser Prozess rege|m~i~ig. AI| das £fihrt zu £o]gender Festste||ung: N These 5: Wird ein neuer Eigenkapita|geber gesucht, muss er i. d. R. nicht nur Kapita|, sondern auch Managementmehrwert bieten.
3.4
Turnaround ohne Kapitalbedarf
Eine Turnaroundsituation, in der kein Kapitalbedarf besteht, kommt nur selten vor. Dennoch sei kurz darauf eingegangen. Die Managementfrage |~isst sich in diesem Fa|l recht einfach 16sen, n~im|ich fiber die k|assische Suche nach einem neuen TopManager. Da auch ein so|cher Prozess Zeit braucht, ste]lt der tempor~ire Turnaroundmanager wiederum eine gute Zwischen|6sung dar, oder wie oben beschrieben £fir gr6~ere, komplexere Situationen ein tempor~irer Turnaroundmanager mit Turnaroundteam. Dieser kann mitt|erwei|e die ersten Restrukturierungen vornehmen und insbesondere den Cash-Flow im Grif£ ha]ten. Der a|te Eigen~mer-Unternehmer kann Eigent~mer b]eiben und hat die Chance, von der Wertsteigerung seines Unternehmens im Turnaround sp~iter zu profitieren. Dennoch ist es £fir ihn eine menschlich schwierige Situation, die man nicht untersch~itzen sollte. Dass er die Rolle als Ffihrer und Manager des Unternehmens aufgeben muss, ist eine grof~e Hfirde, fiber die er springen muss. Auch hier kann ein pers6nlicher Berater helfen, der den Unternehmer auch gegebenenfalls vertreten kann, bis hin zu einer entsprechenden Treuhandschaft. Entscheidend fiir den Turnarounderfolg ist es deshalb, dass der bisherige Unternehmer die L6sung mit tr~igt, er muss sie wollen. Als Gesellschafter muss er den Turnaroundmanager und sein Team und sp~iter den neuen Top-Manager legitimieren, muss seine eigene Rolle selbst beschneiden und in den Aufsichtsrat oder einen zu etablierenden Beirat wechseln. Die Situation verlangt von ihm mehr als nur einen einmaligen Kraftakt. Vielmehr muss er sich klar darfiber sein, dass er den Manager kontinuierlich in seiner Rolle stfitzt. Er darf die informellen Verbindungen und Kontakte in sein Unternehmen hinein nicht ausnutzen, u m das neue Management zu u m g e h e n und faktisch unwirksam zu machen. Tut er das, so ist er ffir das Unternehmen ein schlechter Eigentfmer - was letztlich darauf hinausl~iuft, einen neuen Eigentfimer finden zu mfissen. Die verschiedenen Handlungsoptionen bei eigentiimergeffihrten Unternehmen fasst Abbildung 3-1 zusammen.
401
iiiiii
Abbildung3-1:
Handlun gsoptionen fidr Mana gementverfinderungen bei eigentiimergefidhrten Unternehmen
ii.i...........................................:~......................................."...................................................................i.:~¸" ......................................... . . ~'""~:'''""................................?i..~..i.i................. ~:,~:~Suche neuer EK-Geber/EigentQmer muss Ja i Managementmehrwert geben !i ':~ Tempor~ires externes Turnaround-Management als ~:~: I Zwischenl0sun .... J.a_ .........] I g 1 ! i::;::ii~Zwischenfinanzierung i des Turnarounds durch B a n k e n ' ~ ~
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~] I........~ ~i~~i ~iGesel ~i lschaftenFremdvergabe von Teilaufgaben an Turnaround~ Nein
Existierende Mannschaft machen lassenRestrukturierungsfortschritt eng abverfolgen
.....
Neuordnung der zweiten FiJhrungsebene
Ist die Entscheidung um das Top-Management gefallen, braucht es eine f~ihige und willige FLihrungsmannschaft, um den Turnaround umzusetzen. Auch hier spielt die Legitimation, das ,,D~irfen", eine wichtige Rolle. Im Turnaround fehlt im Allgemeinen die Zeit f~r lange Abstimmungsprozeduren. Die F0hrungskr~ifte der zweiten F6hrungsebene m6ssen deshalb an den Teilaufgaben der Sanierung eigenverantwortlich arbeiten k6nnen. Fi.ir den Turnarounderfolg ist es entscheidend, dass die in der TopEbene, also beim Turnaroundmanager verankerte Restrukturierungshoheit sauber und effektiv auf eine zweite Fi~hrungsebene i~bertragen wird. Damit bleibt festzuhalten: m These 6: Unterhalb des alten oder neuen verantwortlichen Turnaroundmanagers braucht man eine wirkungsvolle Restrukturierungsorganisation, um den Turnaround schnell einzuleiten und umzusetzen. Die alte Linienorganisation wird in 80 % aller F~ille nicht erfolgreich sein.
402
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
4.1
Bisherige Linienorganisation: FUr den Turnaround untauglich
In der Praxis lassen sich im Allgemeinen zwei Typen von Linienorganisation beobachten. Typus eins ist gepr~igt durch den Unternehmer-Gesch~iftsffihrer, der alle F~iden noch selbst in der Hand hat. Er entscheidet 6ber viele Details selber. Es gibt zwar eine zweite Fi~hrungsebene, aber die Delegation von Verantwortung und Aufgaben an diese Ebene ist unsystematisch. Prozesse werden h~iufig aut~er Kraft gesetzt, einzelne Manager durch einsame Entscheidungen ~bergangen. Im Grunde gibt es keine funktionsf~ihige zweite F6hrungsebene. Sie muss erst aufgebaut, erm~ichtigt und legitimiert werden. Der verantwortliche Turnaroundmanager braucht hier viel Fingerspitzengefiihl, um herauszufinden, welche Manager in der Lage sind, eigenverantwortlich die ihnen i~bertragenen Turnaroundaufgaben zu meistern. Er stellt fest, welche F~ihrungskr~ifte ohne die alte Leitfigur - der sie im Grunde nur zugearbeitet haben! - nicht zurechtkommen w6rden, und welche Manager dagegen schon immer auf Verbesserungen gedr~ingt haben und Ver~inderungen umsetzen wollten. Der zweite Typ einer Linienorganisation ist das Gegens~ck zu Typus eins. Es ist die i~berorganisierte Organisation. Zu viele F~ihrungsebenen, zu starre Prozesse, fehlende Flexibilit~it sind ihre Kennzeichen. Sie k~impft st~indig mit dem Problem, die Schnittstellen zwischen Organisationseinheiten klar und eindeutig zu r e g e l n - was dazu f~ihrt, dass Schnittstellenfunktionen entstehen und die Organisation zu einer noch starreren und teureren Matrix-Organisation aufbl~ihen. Die F~ihrungsmannschaft besch~iftigt sich mehr mit B~irokratie als mit Gesch~ift. Aufgabe des Turnaroundmanagers ist es, diese Organisation aufzubrechen und zu verschlanken. Dies muss schnell geschehen, was wiederum viel Fingerspitzengef6hl, Erfahrung und soziale Intelligenz verlangt. Denn auch hier sollte der Turnaroundmanager entscheiden, welche Fi~hrungskr~ifte einer Verschlankung besser nicht zum Opfer fallen sollten. Beide Formen sind nicht immer idealtypisch gegeben. Viele Organisationen neigen allerdings stark in die eine oder die andere Richtung. Dies zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen ist schon Aufgabe des Teams, das das Turnaroundkonzept erstellt.
4.2
Schnell und effektiv: Die Task ForceOrganisation
Wie findet der Turnaroundmanager heraus, mit welchen Fi~hrungskr~iften er den Turnaround gemeinsam angehen kann? Und in welcher Organisationsform kann er den Turnaround am besten bew~iltigen? Fi~r beide Aufgaben hat sich in der Praxis der Weg bew~ihrt, das Turnaroundkonzept in klar umrissene Aufgabenpakete aufzuteilen 403
~ss ~i~i~i!~i~i!~i!i!~i!~i!~i!~!i~!~!i~i~i!!~i!i!!i!i!~i!i~i!~i und diese Pakete an schlagkr~iftige, aber nur auf Zeit gebildete Teams aut~erhalb der Linienorganisation zu vergeben. Anlehnend an die englische 0bersetzung von Aufgabenpaket wird diese Organisationsform als Task Force-Organisation bezeichnet. Wichtig ist, dass diese Task Forces ohne weiteren Ressourcenaufbau auskommen, dass also das vorhandene Management neben seiner Linienverantwortung diese Teams fi~hrt. Dies verlangt ohne Zweifel zus~itzliches Engagement. Allen Beteiligten muss klar sein, dass ein Turnaround nicht mit normalen Acht-Stunden-Tagen zu bew~iltigen ist. Die jetzt notwendige Einsatzbereitschaft ist der erste Pri~fstein, an dem der Turnaroundmanager seine Leute misst und seine ,,Mitk~impfer" erkennt. Einfacher hat es der Turnaroundmanager, der auf ein Team zugreifen kann, dass das Konzept erarbeitet hat und die notwendigen Ver~inderungen schnell vorbereiten und umsetzen kann. Die Task Forces haben sich als effektive Organisationsform bew~ihrt, um z(igig neue Strukturen umzusetzen. Schnelligkeit und Effektivit~it sind im Turnaround notwendig, um schnell erste Erfolge nach innen und aut~en kommunizieren zu k6nnen, aber auch um die Task Force-Mannschaft selbst zu weiteren Sonderanstrengungen zu motivieren. Dies ist umso wichtiger, als fi~r eine Motivation durch finanzielle Anreize meistens die Mittel fehlen, oft im Gegenteil von den Mitarbeitern sogar finanzielle Opfer abverlangt werden m~issen. Folgende Prinzipien sollten beim Aufbau der Restrukturierungsorganisation beachtet werden: t
Die Aufgabenpakete und damit die einzelnen Projekte m~issen klar umrissen sein. Messbare, einfache Ziele und klare Priorit~iten bei der Festlegung der Aufgaben.
W Kleine, fest zugeordnete, funktions- und hierarchiei~bergreifend zusammengesetzte Teams mit jeweils einem verantwortlichen Task Force-Leiter. Autorisierung: Task Forces treffen eigenverantwortliche Entscheidungen im Rahmen ihres Auftrags. Nicht zu viele Task Forces parallel - sechs bis acht sind gut. I
Professionelles Projekt-Management mithilfe von Meilensteinen und anderen Instrumenten des Projektmanagements.
Wi Zeitlich festgelegte Kommunikationsforen: z.B. Jour Fixes ~ r die Task Forces, monatlich Koordination und Erfolgskontrolle aller Task Forces im Rahmen von Masterteam-Sitzung. W Positive Motivation der Restrukturierungs- und der Gesamtorganisation.
4.2.1
Klar umrisseneAufgabenpakete
Jede Task Force muss ihre Mission eindeutig kennen. Die Aufgaben, die das Projektteam zu bew~iltigen hat, di~rfen deshalb nicht zu umfangreich und auch nicht zu kom-
404
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
pliziert sein. Schnittstellen zu anderen Aufgabenbereichen mfissen einfach und klar definiert sein, so dass die Task Force schnell und ungehindert agieren kann. Beispiele ffir solche klar umrissenen Aufgabenpakete sind: m Reduzierung der Best~inde und Debitorenlaufzeiten, forciertes Eintreiben von Forderungen, Verhandeln von Lieferantenbeitr~igen ffir den Turnaround t
Bereinigung des Sortiments, Bereinigung der Kundenstruktur, Aufgabe eines unprofitablen Produktbereiches, Crash-Programm ffir die schnelle Markteinffihrung eines neuen Produktes
m Kurzfristige Umsatzoffensive, Aufbau eines neuen Vertriebskanals W Durchftihrung einer Personalanpassung
4.2.2
Nlessbare, einfache Ziele
Eine au£ Schne]]igkeit ausgerichtete Task Force-Organisation ]~isst sich nicht mithi]fe der oft fiberkomp]izierten Zie]fest]egungssysteme steuern, wie sie h~iufig in den Unternehmen anzutreffen sind. Ein System mit £finf Zie]dimensionen, davon nur zwei quantitativ und drei qua]itativ (sprich: abh~ingig yon der Beurtei]ung eines Dritten), jewei]s drei Unterkriterien, sorgf~i]tig mit Prozentzah]en gewichtet, am Ende zu einer abstrakten Note zusammenaddiert - ein so]ches System £unktioniert hier nicht. ]m Turnaround mfissen die Zie]e einfach, hier und jetzt eindeutig messbar und m6g]ichst eindimensiona] sein. Der verantwort]iche Turnaroundmanager achtet darauf, dass die Einze]zie]e in ein Gesamtkonzept und einen Gesamtplan passen. Das macht die Qualit~it des Konzepts aus. Beispie]e £fir Zie]e der Task Forces k6nnen sein: Reduzierung der Best~inde: Gesamtbestand in Mio. Euro M Reduzierung der Kundenforderungen: Q Forderungs]aufzeit in Tagen ~W Lieferantenbeitr~ige zum Turnaround: Ver]~ingerung des Q Zah]ungszie]s in Tagen W Bereinigung der Auftragsstruktur: Q Rohertrag pro Auftrag oder Position in Euro W Kurzfristige Umsatzoffensive: Umsatz oder die P]an-Obererffi]]ung im Umsatz
4.2.3
Klare Priorit~iten
In den meisten Krisen- oder Turnaroundsituationen hat Liquidit~it zun~ichst einmal Priorit~it vor operativen Ergebnissen. Das Turnaroundprogramm formuliert solche Festlegungen eindeutig. Viele Aufgabenstellungen im Turnaround haben einen kurzfristig liquidit~itsrelevanten und einen mittelfristig strukturellen Aspekt. Eine Task
405
Zass
Force, die z. B. neun oder zw61f Monate ihre Turnaroundmission erfollen soll, sollte sich in den ersten drei Monaten auf die liquidit~itsrelevanten Aspekte konzentrieren und die Aufgaben danach in mittelfristig strukturelle Optimierung/iberleiten. Um bei den genannten Beispielen zu bleiben: Die Task Force ,Reduzierung der Best~xlde" wird unter Liquidit~itsaspekten zun~ichst Kurzfristmat~nahmen wie Bestellstopps fOr C-Teile, Splitten von Bestellungen for ATeile, Abverkaufsaktionen fOr Langsamdreher durchfOhren. Ist dieses kurzfristige Potenzial gehoben, kann sie die strukturellen Fragestellungen anpacken: systematische Bereinigung des Sortiments und Optimierung der Produktlinie, Optimierung der Dispositionssystematik usw. Die Task Force ,Reduzierung der Debitorenlaufzeiten" fokussiert sich zun~ichst auf das Eintreiben von Forderungen bei schlecht zahlenden Kunden, entscheidet fiber Limits und Lieferstopps. Mittelfristig wird sie zur Task Force ,Bereinigung der Kundenstruktur". Sie identifiziert dann profitable und nicht profitable Kunden und leitet entsprechende servicestrategische Mat~nahmen ein. Das Thema gute und schlechte Zahler ist dabei ein Teilaspekt. Strukturelle Maf~nahmen k6nnen bspw. darin liegen, Kleinauftr~ige durch Mindestbestellmengen zu reduzieren oder die Anforderungen bestimmter Kundenkreise durch den Aufbau eines alternativen Vertriebskanals zu erfollen. Im Bereich Einkauf/Lieferantenmanagement konzentriert sich die Task Force kurzfristig darauf, Stundungen oder verl~ingerte Zahlungspl~xle auszuhandeln. Dadurch lassen sich die 6berf~illigen Lieferantenverbindlichkeiten reduzieren bzw. aus der Uberf~illigkeit herausholen, was auch unter rechtlichen Aspekten fOr die Solvenz eines Unternehmens entscheidend ist. Auch versucht die Task Force, mit Lieferanten fiber Konditionen oder Einkaufspreise zu verhandeln, um sie zu einem Turnaroundbeitrag zu bewegen. Klare Priorit~iten heit~t aber auch hier: Die Task Force muss wissen, was Vorrang hat. Mittelfristig wird die Task Force dann die Lieferantenstruktur/iberarbeiten - z. B. den Einkauf auf weniger Lieferanten konzentrieren, Alternativlieferanten aufbauen oder den Lieferantenmarkt fOr das Unternehmen regional erweitern.
4.2.4
Zusammensetzung der Teams
Auch wenn die Task Forces klar umrissene Missionen zu erfollen haben, greifen doch die meisten Fragestellungen in viele funktionale Verantwortungsbereiche ein. Deshalb m/issen die Teams auch funktions/ibergreifend besetzt werden. Das Thema Bestandsabbau bspw. wird im Bereich der Fertigwaren v o n d e r Produktion verantwortet, im Bereich der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) vom Einkauf. Da die Nutzer der Fertigwaren die Kunden sind, muss auch der Vertrieb mit einbezogen werden. Nur so lassen sich falsche Entscheidungen in der Produktionsplanung vermeiden und die erforderliche Warenverfogbarkeit sicherstellen. Im 0brigen ist der Vertrieb auch bei
406
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
Abverkaufsaktionen von ,,Langsamdrehern" gefordert. Wenn es um die RHBBest~inde geht, ben6tigt die Produktion als Nutzer dieser Stoffe eine verni~nftige Versorgung. Das Team einer Task Force ist jedoch nicht nur funktions-, sondern auch hierarchiei~bergreifend zusammengesetzt. W~ihrend etwa Kundenstrukturmat~nahmen durch Aut~en- und Innendienst-Mitarbeiter umgesetzt werden, ist bei Einzelverhandlungen mit A-Kunden das Management gefordert. Zudem motiviert eine hierarchiei3bergreifende Einbindung nicht nur, sondern bricht auch althergebrachte Elemente der Unternehmenskultur a u f - was fiir einen Turnaround ja ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist.
4.2.5
Autorisierung
Wie bei dem topverantwortlichen Turnaroundmanager spielt die Autorisierung der einzelnen Task Force eine ganz entscheidende Rolle. Um mit hoher Geschwindigkeit vorangehen zu k6nnen, muss die Task Force in der Lage sein zu entscheiden und umzusetzen. Riickdelegation jeder Detailentscheidung zum Turnaroundmanager wiirde den Turnaround zum Scheitern bringen. Die Task Force agiert unternehmerisch, sie f6rdert das Unternehmertum im Unternehmen. Entscheidungsf~ihigkeit ist essentiell. Es muss deshalb einen Task Force-Verantwortlichen geben, der im Zweifel die Richtung vorgibt. Er ist der Multiplikator des Turnaroundmanagers, d. h. er multipliziert die Restrukturierungshoheit in das Unternehmen hinein. Er verantwortet die Operatio n - und soll sich mit seiner Leistung fi~r die Zukunft beweisen.
4.2.6
Professionelles Projektmanasement
Der Turnaround erlaubt kein Zaudern und Z6gern. Was fehlt, ist Zeit. Es geni3gt deshalb nicht, dass die Task Force ihr Ziel nur erreicht - es kommt vielmehr darauf an, dass sie es schnell erreicht. Zeit- und Projektmanagement sind daher ein wesentliches Managementelement der Task Force-Organisation, das es in der normalen Linienorganisation i. d. R. nicht gibt. Ausnahmen sind hier Vorgehensweisen in der Produktentwicklung, der Informationstechnologie oder bei Gesch~iften, die von der Durchfiihrung von Kundenprojekten leben. Die hier eingesetzten ProjektmanagementMethoden mi~ssen auch die Restrukturierungs-Task-Forces anwenden. Instrumente wie Zeitpl~ine, Statusmeldungen, Meilensteinpl~ine oder Meilenstein-Trendanalysen geh6ren zum notwendigen Ri3stzeug.
407
Zass ~ii~!ii ~i~i i~!i~i ~!ii~i ~i i ~i i~i i i !i i i i ~i i i i i ~i i~i i i i i i !i i i i i!i !!~ii~!i
4.2.7
Nicht zu viele Task Forces parallel
Es gibt kein Turnaroundprogramm, das nicht mit dem Anpacken yon sechs bis acht wesentlichen Hebeln zu meistern w~ire. Ffinfzehn Task Forces sind f6r den Turnaroundmanager und auch f6r sein Team nicht mehr steuerbar - die Ffihrung kann sich dann nicht mehr intensiv und zeitnah genug um die einzelnen Teams kfimmern. Auch die Task Forces, die Organisation und die Belegschaft w~iren fiberfordert. Nur wenn die Turnaroundziele einfach gehalten werden, k6nnen Organisation und Belegschaft diese Ziele verstehen, sich an ihnen ausrichten und sie nachhalten. Auch oder gerade im Turnaround gilt die alte Weisheit ,,keep it simple".
4.2.8
Kommunikationsforen
Management ist Kommunikation. Deshalb ist Kommunikation auch ffir die Task Force-Organisation wichtig und muss organisiert werden. Die Task Forces brauchen Teamr~iume- ,,war r o o m s " - als Zentren ffir regelm~iflige Kommunikation und intensive Teamarbeit. Bew~ihrt hat sich ein nicht diskutierbarer Jour Fixe, an dem sich das Team trifft. Nur so l~isst sich sicherstellen, dass die Task Force-Arbeit nicht zu kurz kommt, w~ihrend ja die normale Linienarbeit weiterl~iuft. Ein weiteres wichtiges Kommunikationsinstrument sind f~ir alle Teammitglieder transparente, ergebnisorientierte Kurzprotokolle und Aufgabenlisten. Dem Turnaroundmanager obliegt es, die Kommunikation zwischen den Teams sicherzustellen. Das bedeutet v. a., dass er die Schnittstellen im Griff haben muss. Es ist notwendig, einmal monatlich ein Kommunikationsforum anzuberaumen, an dem alle Task Forces und Linienverantwortlichen teilnehmen. In dieser monatlichen Masterteam-Sitzung kommen dann alle wichtigen Punkte mit der notwendigen Offenheit auf den Tisch: GuV- und Cash-Flow-Performance, alle Controlling-Informationen zur Steuerung des Unternehmens und der Projekte, Stand der Umsetzung der Projekte, Aktivit~iten der Linienorganisation- um nur einige wesentliche Themen zu nennen. Nur so ist es m6glich, die Turnaroundstrategie mit Geschwindigkeit und Konsequenz nachzuhalten und bei Abweichungen gegenzusteuern.
4.2.9
Positive Motivation der Restrukturierungs- und der
Gesamtorganisation Management ist Fi~hrung- und dazu geh6rt positive Motivation. In der Krisensituation ist dies nicht leicht aber besonders wichtig. In der Konzeptphase mfissen die Managementorganisation wie die Belegschaft intensiv in die Arbeiten eingebunden werden. Die Menschen mfissen das Konzept als ihr eigenes empfinden. Nur so erh~ilt man den notwendigen Buy-In der wichtigen Treiber des Unternehmens. Zu Beginn der
408
Eteblierung der Restrukturierungsorgenisetion
:::::::::
Umsetzungsphase muss Aufbruchstimmung erzeugt werden. Alle mLissen verstehen, warum das Unternehmen da steht, wo es steht. Gemeinsam wahrgenommenes Einverst~indnis, wie der Weg in eine gute Zukunft aussieht, ein Wir-GefLihl, dass es trotz aller notwendigen Einschnitte lohnt, dass es zu schaffen i s t - alle diese Wahrnehmungen sind wichtig. Einzelgespr~iche verst~irken diesen Effekt. Der Turnaroundmanager ist somit auch FLihrer. Ein Beispiel for eine Task Force-Organisation zeigt Abbildung 4-1:
Abbildung 4-1"
i Kurzfristige i
'
Die Task Force-Organisation - Beispiel
.....".. ~
~s~ndsabbau
Messzahl
Messzahl
Bestand in Mio.
EUR
Durchschnittl. Rohertrag pro Artikel
...." ' W r k 6 ~ a ~
~ " ~ 7 v e i i ~ 6 ~ i ~ '~........' i E!efe~nten~
.............
~F o r d e m n g s - i
Durchschnittl. Forderungszustell. in Tagen
Durchschnittl. Rohertrag pro Auftrag/Position ,o~r~'~::~.~'~::~~'~::,~'~ !~::~,~ili~l/~!!i~i~iii~, ' . . . . . .
Durchschnittl. Zahlungsziel in Tagen
.........................................~ ; ~ e i ~ 6 " n!¢htbetnebs~ ~
Umsatz in Mio.
EUR
Materialkosten pro Umsatz mit neuen StOck Produkten
-- :~'~'~:,....".'~.',~:~,'.. .:",~"-~ ' , ' ~ . ~ ~ " ~i~ii• ". . . . . ~. ~ . . . . .
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Etc.
a.o.
Cash-Zufluss
:~
Operatives Ergebnis pro Gesch~iftsfeld
~,'.,'."~!~::!~::ii::~::~
Es l~isst sich somit festhalten: @ These 7: Die effektivste Restrukturierungsorganisation ist eine schlagkr~iftige, tempor~ire Task Force-Organisation. Die Task Force-Organisation als Restrukturierungsorganisation ist die effektivste M6glichkeit, schnell wichtige erste Erfolge zu erzielen. Gleichzeitig kann der verantwortliche Turnaroundmanager die F~ihigkeit und Turnaround-Bereitschaft seiner leitenden Mitarbeiter beurteilen. Damit kennt er nun auch die richtigen Leute, um eine Linienorganisation aufzubauen, die nach Abschluss der harten Operationen die Stabilisierung des Unternehmens sicherstellen kann. Die Task Force-Organisation lebt - je nach Komplexit~it und Gr6t~e des Unternehmens - neun, zw61f, manchmal ffinfzehn Monate. L~inger darf diese Phase der harten Sanierung des Untemehmens nicht dauern.
409
Zass
5
Einheit von Konzept und Management
Der verantwortliche Turnaroundmanager muss nicht nur ein guter Umsetzer sein, sondern muss letztlich auch die Turnaroundrichtung festlegen und vorgeben. Deshalb muss er auch ,,Herr des Konzepts" sein. Dazu geh6rt, dass er an der Erstellung der Plane, an denen er sich in der Umsetzungsphase messen lassen muss, mitgewirkt hat. Das gilt auch fiir alle anderen Mitwirkenden an der Turnaroundumsetzung: Auch sie sollten am Konzept mitgewirkt haben. Wie ausgefiihrt sind in gr6t~eren und komplexeren Situationen h~iufig tempor~ire Turnaroundmanager und -teams notwendig. Wenn das Unternehmen externe Unters~tzung ~ r die Erstellung des Turnaroundkonzepts hinzuzieht, muss es auf die Umsetzungsst~irke und die Turnarounderfahrung der externen Gesellschaft achten. Die Umsetzungsst~irke einer hinzugezogenen externen Turnaroundgesellschaft ist gut ~ r das Konzept und damit selbstverst~indlich fiir die eigentlich entscheidende Phase danach. Sie bringt dann Erfahrung mit, die oben beschriebenen Task Force-Organisationen aufzubauen und zu organisieren. Sie gibt inhaltlichen Input, kann den Horizont auf die Erfahrungen aus anderen Industrien erweitern, kann das Querdenken f6rdem. Sie besitzt die notwendigen Projektmanagement-F~ihigkeiten, implementiert und trainiert sie. Die Restrukturierungshoheit erstreckt sich somit nicht nur auf die Umsetzung, sondern auch auf das Konzept. Sie muss in sinnvoller Weise bei der Erarbeitung des Turnaroundkonzepts beginnen und alle drei Phasen vonder Analyse 6ber das Konzept bis einschliet~lich der Umsetzung umfassen. Auf diesem Wege k6nnen sich alle Beteiligten, externe wie auch die Mitarbeiter, klar am Konzept und dem verantwortlichen Turnaroundmanagement orientieren- eine der wesentlichsten Voraussetzungen einer erfolgreichen Sanierung. t
These 8: Konzept und Management des Turnaround geh6ren zusammen.
Damit schliet~t sich der Kreis. Die Turnaroundsituation ist i. d. R. die Folge von Managementfehlern. Der Turnaround ist somit ein Management-Problem. Bei Einleiten des Turnarounds muss deshalb als erstes oder zumindest zu einem sehr friihen Zeitpunkt die Managementfrage gekl~irt werden: Ist es notwendig, die Restrukturierungshoheit in neue H~inde zu geben, voriibergehend oder auf Dauer, und in wessen H~inde?
410
Etablierung der Restrukturierungsorganisation
I+++++~+++++~+++++++~
+ + +++++++++++ +++++++ .++++++++++++++++++++++++++++ +++++++++ +++++++ +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ ++++++++++ ~++++++++++ +++++++++++++ ++++++++++~+. ++++++++++ ++++++++++ +~++++++++++~++ +++++++++ +++++ ++++ ++++++++ +++++ +.+++++++ ++++++ +++++++ ++++++++++ ++++++++++ +++++++ +++++ ++++++ +++++ +++++ ++++ +++++++
FAULHABER,PETER/LANDWEHR,NORBERT (2001): Turnaround-Management in der Praxis - Umbruchsphasen nutzen - neue St~irken entwickeln, 2. Auflage, Frankfurt.
BOSSIDY,LARRY/CHARAN,RAM/BURCK,CHARLES(2005): Execution- The Discipline of Getting Things Done, 1. Auflage, USA.
411
1
2
3
4
K o m m u n i k a t i o n in S a n i e r u n g e n ..................................................................................
K o m m u n i k a t i o n in w i r t s c h a f t l i c h e n Krisen ...................................................... 415
1.2
A n f o r d e r u n g e n an das K o m m u n i k a t i o n s m a n a g e m e n t ................................... 416
K o m m u n i k a t i o n s p l a t t f o r m - Basis der Aktivit~iten .................................................. 418 2.1
B e s t a n d s a u f n a h m e u n d S z e n a r i o - A n a l y s e ........................................................ 418
2.2
T u r n a r o u n d - S t o r y .................................................................................................
2.3
K o m m u n i k a t i o n s p l a n u n g u n d P r o z e s s - S t e u e r u n g .......................................... 422
420
Interne K o m m u n i k a t i o n in S a n i e r u n g e n .................................................................... 423 3.1
T o p - M a n a g e m e n t ..................................................................................................
423
3.2
Fiihrungskr~ifte .....................................................................................................
425
3.3
Mitarbeiter .............................................................................................................
426
3.4
Interne G r e m i e n ....................................................................................................
427
Externe K o m m u n i k a t i o n in S a n i e r u n g e n ................................................................... 428 4.1
5
415
1.1
M e d i e n ...................................................................................................................
428 429
4.2
K a p i t a l g e b e r ..........................................................................................................
4.3
K u n d e n , Lieferanten u n d Gesch~iftspartner ...................................................... 431
4.4
Politische Entscheider ..........................................................................................
431
Erfolgsfaktor S a n i e r u n g s k o m m u n i k a t i o n .................................................................. 432
413
Kommunikation als Managementaufgabe in Sanierungen
i i ~!ii~i ~i~!i~i i i i i~i ~!!!ii i i~i!!i!!ii ~i!i ~!~i!~i!i i !i!!i!~i!!~i!i !!!~!~ii i i!i~!i~i~ ~i~i~i~i~i i i~i~i ~i~i ~i !i!i ~!!ii ~!i~i i!!ii i i i~i i!i ~!i!i i i!~i~!ii i !i !i !i !!!ii i !~i~ ~i~i~ii~i~i~i~ii~i~i~i~i~!~i~ii!i~iiiiii~iiii!iiii!~i~!~i!~i~i~!ii!ii~i~i~!~
Kommunikation in Sanierun8en
1.1
Kommunikation in wirtschaftlichen Krisen
Untemehmen, Institutionen und Organisationen stehen in der Sanierung vor der Herausforderung, nicht nur die Zukunft des Unternehmens zu sichern, neue Strukturen und Prozesse aufzubauen bzw. alte den neuen Anforderungen anzupassen, sondern auch die unterschiedlichen externen und intemen Stakeholder fi~r die Ver~inderungsziele und die konkreten Ver~inderungsschritte zu gewinnen. Die zentrale Frage lautet: Wie k6nnen die notwendigen Schritte durchgesetzt werden, ohne dabei die daf~ir notwendige Zustimmung der wichtigsten Anspruchsgruppen zu gef~ihrden? Grunds~itzliche Merkmale der Situation sind ein erheblicher Zeitdruck, eine unvermindert anhaltende Dynamik der Ereignisse, die kritische Begleitung und Kommentierung der Situation des Unternehmens durch externe Stakeholder sowie intern ein hoher Grad an Verunsicherung, die Gefahr des Abwandems der Leistungstr~iger und m6glicherweise mangelnde Kooperationsbereitschaft und oftener Widerstand der Mitarbeiter, einhergehend mit deutlichen Einbut~en in der operativen Performance. All dies sind Faktoren, die den Sanierungsprozess gef~ihrden oder zum Scheitem bringen k6nnen (vgl. Abb. 1-1). Durch ein effektives Kommunikationsmanagement nach innen und aut~en k6nnen diese Faktoren gezielt aufgenommen und besser kontrolliert werden.
Abbildung 1-1:
~ iii~
Ursachenf-idr Friktionen in oder das Scheitern von Sanierungsprozessen
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415
iii.......................................... ...........ReJ°ert ..
Gerade in der wirtschaftlichen Krisensituation fehlt allerdings immer wieder die Zeit, in zwei bis sechs Wochen die Kommunikation unter Beriicksichtigung aller internen und externen Anspruchsgruppen vorzubereiten mit dem Risiko, dass die VerSnderungen und notwendigen Schritte intern nicht verstanden und umgesetzt sowie extern kritisch und ablehnend kommentiert werden. Der Umsetzungserfolg der Sanierung ist gefShrdet, die Reputation des Unternehmens nach aut~en ist erschi~ttert, nach innen herrschen Chaos und Konfusion. Kommunikation darf nicht als ,,Verpackung" verstanden werden, die nachrangig behandelt werden kann. Kommunikation sollte ,,von Anfang an" integraler Teil des Sanierungsmanagements sein, weil nur so die kommunikativen Implikationen der Sanierungsschritte bewertet und von vornherein in der Umsetzung beri3cksichtigt werden k6nnen.
1.2
Anforderunsen an das Kommunikationsmanasement
1. Oberste PrioritSt hat die Stabilisierung und Kontrolle der Situation. Das wichtigste Ziel fi3r das erfolgreiche Management einer wirtschaftlichen Krise ist die Absicherung des operativen Gesch~ifts. Nur so wird der Grundstein fi~r gr6t~tm6glichen Sanierungserfolg gelegt. Auch wenn nicht alle Informationsbedi3rfnisse der Anspruchsgruppen zufriedenstellend beantwortet werden k6nnen, sollte eine erste Kommunikation mit dem Ziel erfolgen, den Prozess zu erklSren, kommunikative ,,Leitplanken" zu setzen und Vertrauen in den Prozessablauf aufzubauen (Larkin/Larkin, 1994, S. 227 f.). 2. Kommunikation muss ein elementarer Bestandteil des Sanierungskonzeptes sein. Das Management legt das operative Arbeitsprogramm fi3r die BewSltigung der wirtschaftlichen Krise fest. Die Kommunikation hat die Aufgabe, alle beteiligten Anspruchsgruppen fi3r die Untersffitzung und Umsetzung dieses Plans zu gewinnen. Als Teil des Sanierungskonzeptes entsteht eine detaillierte Kommunikationsplanung, die die einzelnen Kommunikationsmat~nahmen mit ihren Zielen definiert und die Umsetzung kontrolliert. Auch f6r die Kommunikation ist es unabdingbar, Verantwortlichkeiten und messbare Ziele festzulegen. 3. Die Anzahl der relevanten Zielgruppen multipliziert sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation. Eine sorgfSltige Planung mbglicher Kommunikationsszenarien mit Blick auf die Interessenlage der verschiedenen Anspruchsgruppen und ihrer jeweiligen Rollen ist angeraten (vgl. Abb. 1-2). Denn: In der Krisensituation werden sich Akteure zu Wort melden, die vorher vom Unternehmen nie wahrgenommen worden sind. P16tzlich hat nicht nur jeder etwas zu sagen, sondern viele haben auch ein m6gli-
416
Kommunikation als /Vlanagementaufgabe in Sanierungen
ches Motiv, die Situation fiir eigene Zwecke zu missbrauchen und das automatisch entstehende Medieninteresse f/ir ihre ,Eigen-PR" zu nutzen.
Abbildung 1-2:
Rollender internen und externen Anspruchsgruppen
............................................................................................
:
Interne und externe Stakeholder miissen in ihren Rollen beriicksichtigt werden ~ I
~ i
~
To.~Ma'.~gement:
F0:hru.ngsk:r~fte:
Mitarbeiter:: .....
':%~i~il
~Le~igur, F0hmng Und Odent~mng, strategisch w ~ operativ
:.
Adressaten~r~iger u n d V e r m i ~ i e r d e r Ver~inderung
:. . . . :. • A d r e s s a t e n und ~teu:m; die:Ve~nderung operativ umsetzen
~ d ; i e n : : ~i: .;:
Beobachter, Kommentatomn und VerstSrker
Kapitalmarkt: ~
Be~ungsinstanz
Kundeni ....:
~~
•
.....
........: Nutzniel~er, ggf. Gesch~digte
Stand.o~e:::.: :
. Potenziell. Betmffene
W e t t ~ w e ~ : ~::.;
~obachter,::Benchmark,..N~nief~er
GremieN Po].Eik: . . . . UntersW~ert Kritiker ( ~ i t s p ! a t z e ,
Steuern)
4. Ein funktionierendes Monitoring- und Fri.ihwarnsystem ist wichtiger denn je. Der erh6hte Kommunikationsdruck f/ihrt zu einem Zwang zur schnellen Reaktion. Deshalb ist es entscheidend, dass das Monitoring von externen Medien und Einflfissen die schnelle Handlungsf~ihigkeit der Kommunikation sicherstellt. Dabei geht es z. B. darum, Geriichte schnell richtig zu stellen oder zu aufkeimenden Issues schnell sprachf/ihig zu sein. Ziel ist zu verhindern, dass in der 0ffentlichkeit eine Eigendynamik entsteht, die nicht mehr zu kontrollieren ist (M6hrle, 2004, S. 144 f.). 5. Die Konkurrenz wird versuchen, aus der Krise Vorteile zu schlagen. Die direkte und laufende Kommunikation mit Kunden und Gesch/iftspartnern darf unter dem Druck von Medien und Kapitalmarkt nicht ins Hintertreffen geraten. 6. Die Machtverh~iltnisse der Anspruchsgruppen iindern sich dramatisch. Anspruchsgruppen wie Kapitalgeber und Gliiubiger erhalten in der wirtschaftlichen Krise mehr Mitspracherecht als fiblich und miissen z. B. bei strategischen oder Finanzierungsentscheidungen ihre Zustimmung erteilen. Die Herausforderung an die Kommunikation ist, diesen i. d. R. 6ffentlichen Prozess so zu begleiten, dass die Kontroll- und Handlungsf/ihigkeit des Unternehmens nicht massiv beeintriichtigt werden.
417
Reinert
7. Der Erfolg des Sanierungskonzeptes muss w~ihrend der Umsetzung kommuniziert werden. Das planm~if~ige Erreichen von wichtigen Meilensteinen schafft Vertrauen bei allen Anspruchsgruppen, dass das Sanierungskonzept umgesetzt und erfolgreich abgeschlossen werden kann (Duck 2001, S. 189 f.). Zentrale Aufgabe der Kommunikation ist es, die Akzeptanz und das Verst~indnis ~ r den Sanierungsprozess bei den internen und externen Anspruchsgruppen herzustellen, zu f6rdem und zu nutzen. Das heit~t konkret nach innen: (1) die Glaubwi~rdigkeit und Handlungsf~ihigkeit des Top-Managements zu bewahren, (2) die Durchsetzungsf~ihigkeit der Fi~hrungskr~ifte zu erhalten und zu st~irken, (3) die Motivation und Mobilisierung der Mitarbeiter zu sichern, (4) die Ver~inderungsbereitschaft im Unternehmen zu verankern. Das heit~t konkret nach aut~en: (1) die notwendige Akzeptanz bei Kapitalgebem zu erlangen und auszubauen, (2) den amorphen Forderungen der Offentlichkeit m6glichst gerecht zu werden. So unterschiedlich die Sanierungsprozesse auch sind, es sind immer wieder die gleichen Strukturen und Prozessdynamiken erkennbar, die den Erfolg oder Misserfolg von Sanierungen beeinflussen. Durch konsequente Kommunikation k6nnen diese elementaren Faktoren beeinflusst werden.
2
Kommunikationsplattform - Basis der Aktivitliten
2.1
Bestandsaufnahme und Szenario-Analyse
In der Bestandsaufnahme gilt es, schnellstm6glich ein umfassendes Bild der ,internen Ver~inderungsverfassung" und der ,,extemen Ver~inderungseinstellung" zu gewinnen: nach innen die Untemehmenskultur und die emotionale Einstellung ggi~. dem Sanierungskonzept; nach aut~en die Wirkung des Untemehmens auf die Zielgruppen, das Bild bei Medien, Multiplikatoren, Kunden, Lieferanten und allen anderen extemen Anspruchsgruppen. Die Reputation des Unternehmens nach innen und aut~en beeinflusst die erfolgreiche Umsetzung des Sanierungskonzeptes. Die Kommunikation kann abwartend-kritische Haltungen aufnehmen und offensiv adressieren. Genauso wie positiv-aufgeschlossene Einstellungen ggi~. dem Unternehmen genutzt werden k6nnen, das Sanierungskonzept schl~issig zu kommunizieren und das Vertrauen der Stakeholder zu nutzen. V. a. 418
Kommunikation als Managementaufgabe in Sanierungen ~!~!~~ i~ i~ i~ i~ i~ i!~~ i~ i~ !i!~!~~ i~ i!~~ i~ i~ i~ i~ i~ i~ i die GlaubwLirdigkeit des Top-Managements ist von entscheidender Bedeutung. Von ihr h~ingt es ab, ob die internen und extemen Anspruchsgruppen an eine erfolgreiche Umsetzung des Sanierungskonzeptes glauben. Im Rahmen der Bestandsaufnahme lassen sich qualitative und quantitative Verfahren unterscheiden. Quantitative Verfahren wie Mitarbeiterbefragungen oder Online Surveys brauchen mehr Vorbereitungszeit und kommen deshalb in Sanierungen nur prozessbegleitend infrage. Aufgrund der geringeren Ressourcen- und Zeitbindung empfehlen sich qualitative Verfahren wie Fokusgruppen- oder Einzelgespr~iche als die Instrumente der Wahl. Aus wenigen Interviews lassen sich schon Tendenzen ablesen und ~ r die Kommunikation ,,drivers and barriers" definieren. Die Bestandsaufnahme liefert so die gesicherte Kommunikationsbasis. Ein wichtiges Ergebnis ist die Festlegung der fLir die Kommunikation relevanten Zielgruppen und ein klares Bild ihrer ,,Betroffenheit". Die Faustregel ist: Je starker einzelne Anspruchsgruppen betroffen sind, je schneUer und direkter muss die Kommunikation erfolgen. Abh~ingig vonder Gr6t~e des Unternehmens empfiehlt es sich, in der Sanierung ca. 20 bis 40 telefonische Interviews mit den internen Anspruchsgruppen durchzufL/hren. Dabei ist es wichtig, F6hrungskr~ifte und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Hierarchiestufen, Standorten oder L~indern sowie Funktions- und Aufgabenbereichen hinzuzuziehen. Bei den externen Anspruchsgruppen sind v. a. die Journalisten, Investoren und Analysten als wichtige Multiplikatorengruppe zu befragen (vgl. Abb. 2-1).
Abbildung 2-1:
Durchfi~hrungvon qualitativen Interviews in der Sanierung
i~il Intern: iilii Erfassen der Ver~inderungsbereitschaft, der i emotionalen und rationalen Unternehmenskultur .... i Extern: i I=rfassen des Unternehmensbilds, Reputation etc. . . . . . .
~i
Intern:
i~i i i i :~
Interviews mit 20-40 Mitarbeitern (abh~ingig yon der G r ~ e des Unternehmens) - alle Hierarchien, alle geografischen Gebiete etc. Extern:
Interviews mit Journalisten, :~ii Investoren und Analysten, Kunden und Lieferanten etc.
i ........................................................................................................................................................................................................................... intern: Image des Unternehmens ~, Qualit~it der Zusammenarbeit !~ Qualit~it derF0hrung i!i
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i
Intern/Extern:
:iil St~rken- Schw~ichen/Chancen-Risiken-Profil --) :ili Bestandsaufnahme
:ii
Festlegung der Zielgruppen
~i~!Erstellen eines Frehwarnsystems: Welche Botschaften ii werden kritisch aufgenommen; welche Signale werden positiv bewertet?
Extern"
Image/Reputation des Unternehmens Bewertung des Unternehmens (Risiken/Chancen) :
419
Reinert
Aus den Ergebnissen der Befragung lassen sich St~irken und Schw~ichen sowie Chancen und Risiken ~ r die Kommunikation ableiten. Bezweifeln die externen Anspruchsgruppen bspw. den Untemehmenserfolg in einem Marktsegment, ist dies fi~r die Kommunikation ein potenzielles Risiko in der Vermittlung eines darauf aufbauenden Sanierungskonzeptes. Mit der Bestandsaufnahme entsteht eine Art kommunikatives Fr~ihwarnsystem- Informationen und Inhalte k6nnen entlang der wahrscheinlichen Wahmehmung und Interpretation durch die intemen und externen Anspruchsgruppen vorab bewertet werden.
2.2
Turnaround-Story
Eine der wohl ebenso unvermeidlichen wie i~berraschenden Fehleinsch~itzungen von Top-Managem ist die Annahme, dass das hinter verschlossenen Ti~ren erarbeitete, h~iufig von externen Beratern begleitete Sanierungskonzept, niedergelegt in 100 Master-Charts und einer komplex-kompakten Version ~ r den Aufsichtsrat, genau das ist, was es jetzt zu kommunizieren gilt. Gewiss, das ist die Basis, aber aus Sicht der Kommunikation ist es die ,,Rohmasse", aus der die wirkungsm~ichtige kommunikative Turnaround-Story erst zu entwickeln ist. Diese basiert auf der unternehmerischen Ausgangssituation (Handlungsdruck), den untemehmerischen Zielen in der Sanierung und der sich daraus ergebenden notwendigen Strategie und Programmatik des Umbaus (Watzlawick/Weakland/Fish, 1998, S. 110 f., Kotter, 2002, S. 61 f.). Diese Bestandteile gilt es so aufzubereiten, dass die verschiedenen internen und externen Anspruchsgruppen sie nachvollziehen und verstehen. Daraus entsteht eine TurnaroundStory, die fi~r die unterschiedlichen Anspruchsgruppen erweitert und erg~inzt werden kann. Bspw. sollten die Fi~hrungskr~ifte mit Hintergrundinformationen vertraut gemacht werden oder im Kapitalmarkt ein Schwerpunkt auf den betriebwirtschaftlichen Kennziffern liegen- im Kern gibt es jedoch eine gemeinsame Rahmenhandlung. Die Turnaround-Story ist elementarer Bestandteil des Sanierungskonzeptes. Sie erz~ihlt, wohin die Reise g e h t - eindeutig, einfach, argumentationsstark, i~berzeugend, transportierbar, dramaturgisch und pr~ignant. Die Turnaround-Story bildet das zentrale Nervensystem, das Koordinatensystem f~ir alle weiteren Aktivit~iten ab. Die in ihr gesetzten Inhalte sind ~ r die weitere Kommunikation bindend. Nur so kann die Story ~ r alle Beteiligten eine i~ber den gesamten Prozess tragende, stabile und situationsstabilisierende Basis der Kommunikation sein, mit verbindlicher Orientierungskraft! Die Turnaround-Story beantwortet die folgenden Kernfragen (vgl. Abb. 2-2): m Woher kommen wir und wo stehen wir? Die Story muss einen Ausgangspunkt setzen, der die Bewertung des Managements
420
Kommunikation als IVlanagementaufgabe in Sanierungen
mit derjenigen der internen und externen Anspruchsgruppen plausibel verkn~ipft. Hier werden im Wesentlichen die Ergebnisse der Bestandsaufnahme eingebunden. Wohin gehen wir und was wollen wir erreichen? Handlungsdruck ,,ohne Alternative" muss immer auch kombiniert sein mit der Ausrichtung auf ein bewegendes, attraktives Ziel, eine glaubw~irdige und erreichbare Vision. Ein perspektivloses Angst-Szenario storniert eher als dass es motiviert und kann so kontraproduktiv wirken. U Wie gehen wir vor und was mLissen wir dafi3r leisten? Was wird sich konkret ver~indern? Was bleibt dagegen unver~indert? Die Turnaround-Story erl~iutert, welche Schritte, Strukturver~inderungen, Initiativen, Prozessumstellungen, Desinvestments etc. das Top-Management fLir notwendig halt, und warum. Zugleich wird deutlich gemacht, dass die Ziele erreichbar sind. m Welche M6glichkeiten und Chancen ergeben sich fL/r FLihrungskr~ifte, Mitarbeiter, Kapitalgeber und andere Anspruchsgruppen? Die Story sagt deutlich, welche Konsequenzen und Perspektiven damit fi~r jeden Einzelnen verbunden sind, so zLigig, klar, pers6nlich und kulturell akzeptabel wie m6glich.
Abbildung 2-2: Entwicklungeiner Turnaround-Story
Z e i t a c h s e - ca. zwei Wochen DurchfCihiung von Draft erste il workshop/~z ......... Finale .............. A d a p t i o n der T u r n a r o u n d Interviews :~............................................. Version Abgleich Version i S.?o ry in T e ~ b a u s t e i ~ ...................................................................... ::i .................................................... :.' ..................................................... ~:
~%~:": ~ t ~ ' : ~ % ~ E ~
~ ~
"
~i
~
Durchf(3hrung von ~
.................... !.nterv.iews Inpu ~, B e s t a n d s : . . . . . . . . .
-
¢,,,tlt
.......¢~. ~.
=a _
:--...~=. "..........
m i
" . --~=...!:~.....
...........aufrla.h.m, e ................... z
Reden, Pr~isentationen
w F(Jhrungskr~fte Q & A a Mitarbeiter Q & A B Investoren Presentation, Berichte
[] Kundeninformationen ~ ~ ~ I ' :~'' '~ ~ ~:~ " '~ ' ..... "~""~
Input B e s t a n d s aufnahme
a Gespr~chsleitfaden
RmmNlUmllBt~ ...............
:
::::::..
:~.::::::::,:
.::
== ======================== ===== == ===== : ~::
.:
:..~::::::
:::-::,::::::
Die Turnaround-Story ist somit das Drehbuch innerhalb des Sanierungskonzeptes. Wie ein Drehbuch weist die Story den beteiligten Personen im Unternehmen Rollen zu
421
i
i
Reinert
und stellt ihnen Auditorien ggi~.. Sie garantiert die ,one-voice-policy", da ~ie festlegt, welche Person zu welchen Themen welche kommunikativen Aussagen trifft. Eine gute Turnaround-Story gibt den Prozessen Stabilit~it und versetzt das Kommunikationsmanagement in die Lage, die Sanierung effektiv und effizient im Sinne des TopManagements zu steuern. Die Story ist die inhaltliche Vorlage und Vorgabe f~ir Reden, Vortr~ige, FAQs und alle internen und externen Kommunikationsmat~nahmen. Die Entwicklung der Turnaround-Story ist Aufgabe des Top-Managements, ausgew~ihlter F~ihrungskr~ifte und einer externen Beratung f~ir den ,kritischen Blick von au~flen". Sie tr~igt Autorschaft und Handschrift des Top-Managements. Bevor sie den internen und externen Anspruchsgruppen kommuniziert wird, sollte sie getestet werden. Hierfi~r bieten sich z. B. Fokusgruppen aus F6hrungskr~iften an (vgl. Abb. 2-2).
2.3
Kommunikationsplanung und ProzessSteuerung
Die Basis der Kommunikation bildet eine umfassende, flexible und individuelle Kommunikationsplanung. Als Bestandteil des Sanierungskonzeptes zeigt diese die einzelnen Kommunikationsinstrumente mit ihren Anspruchsgruppen und Zielsetzungen. Den zeitlichen Rahmen und die Taktung gibt der strategische Meilenstein-Plan des Sanierungsprojektes vor. Es gibt zahlreiche Instrumente der internen und externen Kommunikation, i~ber deren Einsatz die Bestandsaufnahme entscheidet. Grunds~itzlich lassen sich die Instrumente nach innen unterscheiden in Information (Newsletter und Mitarbeiterzeitungen, EMails etc.), Motivation (Mitarbeiterevents, Incentives etc.) und Dialog (Workshops, Informationsveranstaltungen etc.) (Doppler/Lauterburg, 1999, S. 317 f.). Nach aut~en orientieren sie sich an den jeweiligen Anspruchsgruppen (vgl. Abb. 2-3). Eine umfassende Prozess-Steuerung ist ein weiterer Wirkungsfaktor in der Sanierung. Sanierungsprozesse sind gekennzeichnet durch typische Verlaufsphasen und bieten damit einerseits einen Rahmen fi~r Planung, andererseits zeichnet sie eine prinzipielle Anf~illigkeit aus fi~r Oberraschungen, Stopps, unerwartete Hi~rden, starke Interaktionen intern wie im Zusammenspiel von interner und externer Kommunikation, die nur unter Kontrolle gebracht werden k6nnen, wenn die Prozess-Steuerung funktioniert. In einer Arbeitsgruppe Kommunikation wird die kommunikative Prozess-Steuerung verankert. Mitglieder sind neben dem Vorstand die Leiter der Teilprojekte sowie die Kommunikationsverantwortlichen und externen Berater. Die personelle Verflechtung mit den fachlichen Projekten stellt sicher, dass die Arbeitsgruppe Kommunikation diesen I n p u t - Fortschritte, Entwicklungen, Erfolge und Risiken- in der Steuerung jederzeit beri~cksichtigt.
422
Kommunikation als Managementaufgabe in Sanierungen
Credo und Mandat des Vorstands, der Kommunikation als Managementtool einsetzt, wird sein: ,,Hier geht nichts raus, ohne dass die Kommunikation - und damit ich - d a s gesehen hat". Ver~inderungsprozesse, in denen Arbeitspakete oder Teilprojekte ohne ,,kommunikative Disziplinierung" agieren k6nnen, laufen schnell Gefahr, ihren dramaturgischen Rahmen zu verlieren, und damit den Duktus eines gut gefL/hrten Prozesses, in dem das Top-Management umsichtig und nachvollziehbar einen Schritt nach dem anderen tut.
Abbildung2-3:
Instrumente der Kommunikation
i~i Begleitungen von Sanierungsprozessen, Corporate Disposals, Begleitung yon Ver~inderungen im Management
ii....i~,::::::::::::::::::::::: ......:.~.,.1. 5. Der Untemehmensgesamtwert bei anteiliger Fremdfinanzierung betr~igt 50 + 9 = 59. Er iibersteigt den Unternehmenswert bei Eigenfinanzierung um 5 9 - 56,87 = 2,13. Dem APV-Ansatz folgend, entspricht diese Differenz dem Barwert des Steuervorteils:
VTS = 0,4.0,1125.50.1,06 -1 = 2,13 Das Eigentiimerverm6gen w~ichst um 4. Der Anstieg setzt sich zusammen aus dem oben berechneten Wertbeitrag der Sanierung bei Eigenfinanzierung (1,87) und dem eben abgeleiteten Steuereffekt (2,13). Letzterer steigt im Vergleich zum Fall ohne Risikokompensation aufgrund des h6heren vertraglichen Zinssatzes. Wegen der Risikokompensation der Gl~iubiger wird kein Verm6gen von den Gl~iubigem zu den Anteilseignern verschoben. Die ffir den FTE- bzw. WACC-Ansatz relevanten Diskontierungss~itze, also geforderte Rendite der Eigner bei Fremdfinanzierung bzw. WACC, k6nnen folgendermal~en berechnet werden:
731
Drukarczyk / SchiJler
D
-~
0,1096+(0,1096-0,06875) 58-~9+ (0,1096-0,06) -2'13 8,99 = 0,325 =
Oder: E[CEj ] 11,9125 rL = ~ - I - ~ 1=0,325 E 8,99
E D • D WACC=rL -vT+rD -V-~L-r'ro VL 8,99 50 50 +0,06875 -0,4.0,1125~ 58,99 58,99 58,99 = 0,0697 =0,325
Oder: WA CC = rv ~ I _ Vrs ~ ~ rF Vvs - r . r~ . D
v~ --
0'1096/1 - 58,992'13/ + 0,06- 2,13 -50,4.0,1125 058,99 •
= 0,0697 Zu diskontieren ist beim FTE-Ansatz die erwartete Ausschfittung bei anteiliger Fremdfinanzierung (11,9125) und beim WACC-Ansatz die erwartete Ausschfittung bei Eigenfinanzierung (63,1). Auch hier best~itigen FTE- und WACC-Ansatz wiederum den Wert des Eigenkapitals (9).
4
Zur Relevanz yon Werteinbul en und Insolvenzkosten
In Abschnitt 3 wurden einige grundlegende Kalk/.ile zur Bewertung der Positionen von Eigentfimem, Gl~iubigern sowie des Untemehmensgesamtwertes ftir den einperiodigen Fall entwickelt. Diese Kalkfile schaffen Grundlagen, sind aber noch nicht voll geeignet, im konkreten Anwendungsfall unmittelbar eingesetzt zu werden, weil die Annahmen zu diesen Uberlegungen einige empirisch zu beobachtende Aspekte, deren
732
Bewertun~ sanierungsbedOr]:tigerKapitalgesellschaften ~i~i~i~ii~i~i~i~i~i~!i~iii~i~i~i~¸ii!i~®i~i~ii!~i!i!i~ii~
Wertrelevanz als belegt gelten kann, ausschliet~en. Hierzu geh6ren insbesondere die folgenden Aspekte: S Der Investitionsstrategie des Unternehmens wurde keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, aber unterstellt, dass das Unternehmen operativ erfolgreich ist: Der Fortffihrungswert i~berstieg den Liquidationswert. Weisen einzelne Gesch~iftsbereiche insolventer Unternehmen erhebliche Performanceschw~ichen aus, sind partielle Liquidationsentscheidungen h~iufig nicht zu vermeiden. Die Auswirkung auf den Untemehmensgesamtwert kann positiv sein. Sie h~ingt u. U. davon ab, welche L6sungen fi~r die freizusetzenden Arbeitnehmer gefunden werden. Die institutionellen Rahmenbedingungen halten hier einige H~irden bereit (Rieger, 1988; Marschdorf, 1984). Desinvestitionsentscheidungen, die damit verbundenen Unterbrechungen der Leistungserstellung und Freisetzungen von Arbeitnehmern 16sen Kosten der Insolvenz aus, die i. d. R. unter dem Begriff indirekte Insolvenzkosten zusammengefasst werden. W Der Zeitbedarf, welcher ben6tigt wird, um Sanierungsvereinbarungen unter den Hauptfinanciers zustande zu bringen und zu implementieren, wurde ausgeschlossen. 173 Auch wurde der Rechtsrahmen nicht pr~izisiert, in dem Sanierungsverhandlungen ggf. stattfinden. Prinzipiell sind ,freie" Sanierungsverhandlungen zu unterscheiden von Sanierungsversuchen im Rahmen der geltenden Insolvenzordnung, also einem Insolvenzplanverfahren. Der Literatur kann man entnehmen, dass Workouts zeitlich fr~iher in Gang gesetzt werden, schneller ablaufen, geringere direkte verfahrensbedingte Kosten ausl6sen, geringere Verzichte der Gl~iubiger zur Folge haben und auch in dem Sinn erfolgreicher sind, dass das Risiko einer erneuten Insolvenz deutlich geringer ist, als nach einer Reorganisation in einem gesetzlich regulierten Verfahren 174, weil die operative Performance der Untemehmen in der Nach-Insolvenz-Phase starker ist und die Verschuldungsgrade geringer sind als bei den Unternehmen, die ein Insolvenz- oder Reorganisationsverfahren w~ihlen. Man kann annehmen, dass performanceschwache Unternehmen mit komplexer Kapitalstruktur und hohem Verschuldungsgrad Reorganisations- bzw. Insolvenzverfahren w~ihlen mi~ssen und ~ r die regelm~it~ig sp~itere Ingangsetzung des Sanierungsversuchs mit h6heren Kosten, sog. indirekten, belegt werden. li Die steuerlichen Konsequenzen im Rahmen einer Sanierung wurden sehr stark vereinfacht und damit der Wertbeitrag steuerlicher Vorteile ~ibersch~itzt. Dem Prinzip folgend, dass nur die Gesellschaft, die Verlustvortr~ige generiert hat, diese auch steuerlich nutzen k6nnen soll, hat der Steuergesetzgeber zahlreiche H6rden
173 Dieser Zeitbedarf ist wichtig, weil er Managementkapazit~it bindet, operative Entscheidungen verz6gert und die Qualit~it der Entscheidungen mindert, also untemehmenswertsenkend wirkt. 174 Die amerikanische Literatur hierzu ist sehr reichhaltig. Vgl. ANG/CHUA/MCCONNELL,(1982); FRANKS/ TOROUS, (1989); GILSON/ JOHN/ LANG, (1990); WHITE, (1990); WRUCK, (1990); HOTCHKISS, (1994); ANDRADE/KAPLAN, (1998); FRANKS/SUSSMAN,(2000).
733
Drukarczyk / SchEiler
konstruiert, die die Nutzungsm6glichkeiten der Verlustvortr~ige zu sanierender Untemehmen einengen (§ 8 Abs. 4 KStG, § 10 d Abs. 2 EStG). Damit werden die erzielbaren Wertbeitr~ige aus der Nutzung von steuerlichen Verlusten erheblich reduziert. t
Auch die sog. direkten Kosten der Insolvenz (Honorare ftir Wirtschaftsprffer, Notare, Anw~ilte, evtl. Kosten des Insolvenzverwalters und Insolvenzgerichts, Kostenerstattung ffr Gl~iubigerausschfsse) wurden nicht beachtet. Es ist die am wenigsten bedeutende Kostenkategorie, auch wenn die Kosten pro Monat in langlaufenden Reorganisationsverfahren grot~er Gesellschaften einen anderen Eindruck erwecken k6nnen (vgl. z. B. die Fallstudien in GILSON, (2001); WEISS, (1993)). Man liegt vermutlich nicht falsch, wenn man die direkten Kosten auf 1%-2 % des Marktwertes vor dem Start des Insolvenzverfahrens veranschlagt.175
5
Ergebnisse
Sanierungsbedfirftigkeit wird als Zustand verstanden, in dem die finanzielle Leistungsf~ihigkeit des Untemehmens nicht ausreicht, um alle vertraglichen Zahlungsansprfche zu erffillen. Es ist dann zu prffen, ob die Fort~hrung des Untemehmens lohnt. Ist dies der Fall, wird hier von einem sanierungswfirdigen Unternehmen gesprochen. Unter einer Reihe von Annahmen, u. a. dem Ausschluss von indirekten und direkten Kosten der Insolvenz, wurde gezeigt, wie problemkonforme DCF-Kalkfile zur Bewertung der relevanten Positionen aussehen k6nnten. Es wird zwischen zwei verschiedene Verhaltensweisen der Fremdkapitalgeber unterschieden: Im ersten Fall verhalten sie sich passiv, weil sie entweder zum Stillhalten 6berredet wurden oder die drohende Zahlungsunf~ihigkeit (noch) nicht bemerkt haben. Im zweiten Fall handelt es sich um aufmerksame Gl~iubiger, die - z. B. ges~tzt auf vertragliche Covenants - in Neuverhandlungen auf die Festschreibung von Vertragszinss~itzen dr~ingen, die ihnen eine dem Risiko angemessene Rendite liefert. Wie APV-, FTE- und WACC-Ansatz unter diesen Bedingungen zu formulieren sind, wurde gezeigt. Es wird deutlich, dass bei der Bewertung sanierungsbedfrftiger Untemehmen zum einen zwischen risikoloser Rendite, geforderter Rendite der Gl~iubiger sowie vertraglich vereinbartem Kreditzinssatz und zum anderen zwischen Nominal- und Marktwert des Fremdkapitals zu differenzieren ist. Dies erfordert Modifikationen bei den g~ingigen Kapitalkostendefinitionen.
175 Die direkten Kosten eines Workouts liegen deutlich unter diesem Wert. Vgl. etwa WARNER, (1977); WHITE(1983); WHITE (1990); DRUKARCZYK(1995).
734
Bewertun~ sanierun~sbedCir]:ti~terKapitai~tesellscha]:ten
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i~ii~i~!!i!!ii!i~!i!i!!!i!!i!i!i ~iiiii~i!i!~i!ii~i~iiiii!i i~~iii!!~i~~!!~!ii!iii!i!!iii~~i~iiiii!~iii!!i~!ii!i~~!!~iiii~~ii!~i~ii!i~iiii!i~i~i!~i~iDrukarczyk
I SchCfler
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737
iiiii.
1
Bedeutung der Zahlungsf~ihigkeit in der Unternehmenskrise ................................ 741 Methodische Ans~itze zur Ermittlung der Zahlungsf~ihigkeit ................................. 744 2.1 Liquidit~itsbegriff u n d Liquidit~itsanalyse ......................................................... 744 2.2
2.2.1
A b g r e n z u n g u n d Aussagewert des Cash-Flow .................................... 746
2.2.2
Vom Cash-Flow z u m Zahlungsmittelbestand ...................................... 747
2.2.3 Konzeptionelle Grundlagen u n d Erstellungsgrunds~itze ................... 2.2.4 Darstellungs- u n d Ermittlungsmethoden ............................................. 2.2.5 Cash-Flow als Finanzindikator: Kritische Wiirdigung ....................... Liquidit~itsplanung als Bestandteil des Sanierungskonzepts .........................
748 750 753 754
Operative Liquidit~itssteuerung durch Working-Capital-Management ................. 3.1 Grundlagen der Kapitaleffizienz im U m l a u f v e r m 6 g e n .................................. 3.2 Cash Conversion Cycle ........................................................................................ 3.3 Bestands-, Debitoren- u n d K r e d i t o r e n m a n a g e m e n t ........................................
759 759 760 762
Rechtliche H e r a u s f o r d e r u n g e n des Liquidit~itsmanagements ................................. 4.1 Cash Pooling: Liquidit~itsausgleich im Konzern .............................................. 4.2 Aufrechterhaltung u n d KLindigung der Kreditlinie ........................................ 4.3 Spannungsfeld Sanierungskredit .......................................................................
768 768 770 772
2.3
5
Liquidit~itssteuerung i~ber die Kapitalflussrechnung ...................................... 746
Liquidit~it zur Realit~itsbestimmung ............................................................................ 774
739
Steuerung von Zuhlun~sf~hi~keit und Unternehmensliquidit~t ~i~ii~i~!~ii~!~iii~iii~ii~i!iii~i~iiii!~iiiiiiiiiii~ii~iii~i!i~i~iiiiii~ii~ii~i~i~
Bedeutun8 der Zahlungsf ihigkeit in der Unternehmenskrise Die kurzfristige Aufrechterhaltung und nachhaltige Stabilisierung der Zahlungsf~ihigkeit stellt eine zentrale Zielsetzung im Rahmen der Unternehmenssanierung dar. Solange eine Gesellschaft zahlungsf/ihig ist, kann sie ihren vertraglich vereinbarten, finanziellen Verpflichtungen nachkommen und ist somit bef/ihigt, als seri6ser Partner am Markt aufzutreten. Ist die Gesellschaft hingegen nicht mehr zahlungsf~ihig, also zahlungsunf~ihig, so liegt einer der gesetzlich definierten materiell-rechtlichen Insolvenzgr6nde zur Er6ffnung eines Insolvenzverfahrens vor (Kirchhof, 2001). Im Sinne des § 17 (2) InsO ist der Schuldner zahlungsunf/ihig, wenn er nicht in der Lage ist, die f~illigen Zahlungspflichten zu erfLillen. Die Herstellung der Zahlungsf/ihigkeit entscheidet somit dar/iber, ob eine Sanierung m6glich ist bzw. ob diese aut~ergerichtlich oder gerichtlich vorgenommen wird. Die Bedeutung der Zahlungsf~ihigkeit und ihre Implikationen f/Jr die Unternehmen ist durch die Tatsache hervorgehoben, das 92,7 % der 39.600 gestellten Insolvenzantr~ige in 2004 aufgrund Zahlungsunf~ihigkeit gestellt wurden. Prominente Beispiele, die zahlungsunf/ihig waren, lassen sich mit der WALTER BAU AG, der KOGELFAHRZEUGBAUAG oder der HETTLAGEAG anf/ihren. Nach § 17(2)2 InsO ist Zahlungsunf/ihigkeit i. d. R. anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Nach aktueller Rechtsprechung und Literaturmeinung unterstellt diese Abgrenzung, dass Zahlungsunf~ihigkeit der Geldilliquidit/it gleichzusetzen ist (Uhlenbruck, 2003). Diese war bislang erf/illt, wenn die Merkmale der andauemden Unf~ihigkeit zur Erf/illung der Zahlungspflichten (Merkmal der Dauer) und die F/ihigkeit, den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten zu begleichen (Merkmal der Wesentlichkeit), erfLillt waren. Mit der Zielsetzung, das Insolvenzverfahren rechtzeitig zu er6ffnen, hat der Gesetzgeber auf diese Tatbestandsmerkmale neuerdings verzichtet und begr/indet dies damit, dass die Merkmale der Dauer und der Wesentlichkeit eine rechtzeitige Verfahrenser6ffnung nicht behindern diJrfen (BTDrucks. 12/2443). Die Zahlungsunf~ihigkeit ist somit nur noch auf die F/illigkeit der Zahlungspflichten (Merkmal der Zahlungsmittel) abgestellt. Das bedeutet, dass alle Verbindlichkeiten des Schuldners auf Zahlung in Geld, die einrede- und einwendungsfrei bestehen und nach § 271 BGB sofort zu erf611ende Geldschulden darstellen, f~illig sind. Verpflichtungen die aktuell keine Geldschuld ausl6sen, wie bspw. Verpflichtung auf Warenlieferung, sind f/ir die Bestimmung der Zahlungsunf~ihigkeit nicht relevant. Genauso wenig sind f/ir die Pr/ifung der Zahlungsunf/ihigkeit gestundete Verbindlichkeiten zu berLicksichtigen 176 oder die Ernsthaftigkeit der Einforde-
176 Ist die Zahlungsunf~ihigkeit bereits eingetreten, so kann sie erst dann beseitigt werden, wenn die G1/iubiger einer Stundung der Verbindlichkeit zustimmen, die dazu f/ihrt, dass der Schuldner seine Zahlungen wieder leisten kann. 741
Knecht
rung durch den Gl~iubiger, bspw. durch eine zus~itzliche ernsthafte Mahnung, von Relevanz 177. Von der Zahlungsunf~ihigkeit ist die Zahlungsstockung zu differenzieren, denn die Geldilliquidit~it ist unsch~idlich, wenn sie vorfibergehend ist und so keine hinreichende Grundlage zur Einleitung des Insolvenzverfahrens darstellt. Nach bisheriger Rechtsprechung lagen geringf6gige Liquidit~itslficken vor, wenn der Schuldner innerhalb eines fiberschaubaren Zeitraumes einen geringen und somit nicht wesentlichen Bruchteil der f~illigen Geldschulden nicht bedienen konnte bzw. Zahlungsstockung, wenn der Schuldner innerhalb kurzer Frist wieder ausreichend Zahlungsmittel erlangt, um die Gl~iubigerforderungen zu erffillen (RG v. 11.07.1901). Als wesentlich wurde die Relation aus den verf6gbaren Mitteln zu den gesamten, f~illigen Zahlungsverpflichtungen gesehen, die eine Spanne von 10 % bis 25 % fiberstiegen hat (Kuhn/ Uhlenbruck, 1994; Uhlenbruck, 2003). Wann die Illiquidit~it wesentlich ist, l~isst sich so rechtlich nicht zwingend begriinden, so dass es letztlich auf die fallspezifische Beurteilung durch den Insolvenzrichter ankommt (BT-Drucks. 12/2443, S. 114). Die aktuelle Rechtsprechung und Literatur hat keine absolute Dauer, in der die Geldilliquidit~it beseitigt sein muss, definiert, sondern Fristen angefiihrt, die zwischen zehn Tagen und drei Monaten betragen (BGH v. 04.10.2001). Als Merkmale einer Zahlungsstockung lassen sich bspw. die Insolvenz eines Kunden oder der verz6gerte Eingang f~illiger Kundenrechnungen anffihren, wenn gleich die einzelfallspezifischen und branchenabh~ingigen Gepflogenheiten berficksichtigt werden sollten. Verweigert der Schuldner die Zahlung der offenen Geldschuld und entschliet~t sich zur Nichtzahlung, der sog. Zahlungsunwilligkeit, so ist er im Sinne des § 17 (2) 2 InsO zahlungsunf~ihig, wenn die Nichtzahlung auf einen Mangel an Geldliquidit~it zurfickzuffihren ist (Uhlenbruck, 2002). Unerheblich sind dabei die m6glicherweise liquidierbaren Verm6gensgegenst~inde, durch die Liquidit~it beschafft werden k6nnte. Entschliet~t sich hingegen der Schuldner zur Nichtzahlung, trotz verfiigbarer Liquiditat, weil er bspw. die Zahlungsforderung ~ r unbegrfindet halt oder einen Zahlungstermin fibersieht, so ist diese Zahlungsunwilligkeit nicht als Zahlungsunf~ihigkeit zu klassifizieren. Es ist allerdings zu beachten, dass bereits die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit zur Annahme der Zahlungsunf~ihigkeit genfigen kann (BGH v. 27.4.1995). Nimmt der Schuldner offensichtlich die Zahlungseinstellung vor, so ist gem~it~ § 17 (2) 2 InsO meist Zahlungsunf~ihigkeit zu unterstellen. Diese ~iut~erlich sichtbare Handlung und nachvollziehbare Tatsache des Schuldners erfibrigt nach richterlicher Rechtsprechung einen weiteren Beweis der Zahlungsunf~ihigkeit (BGH v. 11.07.1991). Wann die Zahlungseinstellung allerdings als offensichtlich zu beurteilen ist, obliegt bislang weitgehend dem Insolvenzrichter. M6gliche Indizien ~ r eine Zahlungseinstellung 177
Die Emsthaftigkeit der Einforderung der offenen Schuld und das Verhalten der Gl~iubiger ist aus dem § 17 (2) InsO nicht abzuleiten und nicht gesetzlich festgelegt. Die Anpassung dieses Tatbestandsmerkmals ffihrt durchaus zu kontroversen Ansichten (BGH v. 13.07.1993).
742
5teuerun~ yon Zahlungs]:f~higkeit und Unternehmensliquiditdt
k6nnten bspw. (1) die Erkl~irung des Schuldners sein, dass er seine offenen Geldschulden nicht begleichen kann und um die Einr~iumung einer Stundung oder eines Vergleichs bittet (BGH v. 01.03.1984), (2) die Ver~iut~erung von Vorratsbest~inden der Gesellschaft unter dem Marktpreis oder (3) die Nichtzahlung von notwendigen Betriebskosten (bspw. Mietzinsen, Sozialversicherungsbeitr~ige) oder von L6hnen sein (BGH v. 30.04.92). Die Ermittlung und 0berpri~fung der Zahlungsunf~ihigkeit erfolgt iiber einen stichtagsbezogenen Liquidit~itsstatus 178, der den Bestand an liquiden Mitteln, den sog. Zahlungsmittelbestand, vollst~indig und geordnet verdeutlicht. Auf der Einzahlungsseite werden (1) die Kassenbest~inde und jederzeit verfiigbaren Bankguthaben, (2) die f~illigen, kurzfristig realisierbaren Forderungen, (3) das nicht betriebsnotwendige, kurzfristig ver~iut~erbare Anlageverm6gen, (4) die sicheren Kreditzusagen von Bankinstituten sowie (5) die illegalen Einkiinfte angefiihrt. Demgegeni~ber umfasst die Auszahlungsseite insbesondere (1) nicht gestundete Verbindlichkeiten wie bspw. m6gliche Zins-/Tilgungsverpflichtungen aus bestehenden Kreditvertr~igen, einschlief~lich kapitalersetzender Darlehen ohne ggf. qualifizierten Rangrficktritt, und (2) f~illiggestellte Verbindlichkeiten ggi~. Kreditinstituten. Um eine m6gliche Zahlungsstockung aufzuzeigen, gilt es die Ver~inderungen der einzelnen Bestandsgr6t~en im Zeitablauf im Rahmen eines Finanzplans zu modellieren. Durch die Bestandsver~inderung l~isst sich die zeitpunktspezifische Verf0gbarkeit der Geldmittel und der f~illigen Verbindlichkeiten entnehmen. Eine m6gliche Zahlungsunf~ihigkeit ist allerdings stets auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ~iber die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens zu beziehen (Kirchhof, 2001). Trotz der wesentlichen Bedeutung einer m6glichst pr~izisen Liquidit~itssteuerung verfi~gen erschreckend viele der angeschlagenen Gesellschaften i~ber ein unzureichendes bzw. fehlendes Liquidit~itsmanagement. F~ir das Unternehmen ist so eine Sanierung der betrieblichen Krise kaum m6glich, fiir das Management sind die rechtlichen Folgen (bspw. Insolvenzverschleppung) kaum steuerbar. Induziert durch wirtschaftliche Erfordemisse und rechtliche Rahmenbedingungen ist klar, dass die Aufrechterhaltung und nachhaltige Stabilisierung der Zahlungsf~ihigkeit iiber eine strukturierte, belastbare Liquidit~itsplanung und -steuerung zu den zentralen Bestandteilen eines Sanierungskonzepts geh6ren. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, die wesentlichen Ans~itze und Einflussgr6t~en zur Steuerung der Zahlungsf~ihigkeit und Unternehmensliquidit~it aufzuzeigen. Dazu wird explizit die Liquidit~itssteuerung durch WorkingCapital-Management ausgef6hrt. Der Beitrag schliet~t mit ausgew~ihlten rechtlichen Implikationen der Zahlungsf~ihigkeit in der Untemehmenskrise.
178 Der Liquidit~itsstatus verdeutlicht die im betrieblichen Rechnungswesen erfassten Zahlungsvorg~inge. Dazu setzt er beim Zahlungsmittelbestand auf und erm6glicht erste Aussagen zum Netto- bzw. Reinverm6gen der Gesellschaft. Die Summe aus Kassenbest~inden, jederzeit verf~gbaren Bankguthaben, dem Bestand an Forderungen und Sachverm6gen abziiglich des Bestands an Verbindlichkeiten zeigt das Netto- bzw. Reinverm6gen. 743
Knecht
2
Methodische Ans itze zur Ermittlung der Zahlungsf ihigkeit
2.1
Liquidit itsbegriff und Liquidit itsanalyse
Zur Steuerung der Zahlungsf/ihigkeit in der Unternehmenssanierung orientieren sich Kapitalgeber und Management an der Untemehmensliquidit/it, die in der Literatur im Wesentlichen in zweifacher Bedeutung angefi~rt wird: t
Die ,,absolute Liquidit/it" stellt zentral auf die Liquidierbarkeit der Verm6gensgegenst~inde der Gesellschaft ab. Die Liquidit~it wird als Eigenschaft der betrieblichen Verm6genswerte interpretiert, die unterschiedliche Fungibilit~it aufweist und entsprechend zeitnah als Zahlungsmittel eingesetzt werden kann (Hahn, 1971). Unter dem Aspekt der Wiedergeldwerdung von Verm6genswerten wird zwischen dem durch die Leistungserstellung vorgesehenen Liquidit~itsbindungsprozess und einer vorzeitigen Ver~iuf~erung differenziert. Sind bspw. erworbene Rohstoffe anstatt der geplanten Fertigprodukte im Sanierungsfall zu ver~iut~ern, so ist mit einem Wertverlust zu rechnen. HAHN unterscheidet daher die echte Liquidittit von der kiinstlichen Liquidit/it. Sofern die Umwandlungsf~ihigkeit des Verm6gens in Zahlungsmittel Einfluss auf die Zahlungsf~ihigkeit des Untemehmens hat, so vernachl~issigt die absolute Liquidit~it den Aspekt des Liquidit~itsproblems, indem nur die Verm6gens- und nicht die Kapitalseite beri.icksichtigt wird.
I
Die ,,relative Liquidit/it" stellt ein Deckungsverh~iltnis zwischen den ver~gbaren Geldmitteln und den f/illigen Verbindlichkeiten dar. Diese Liquidit/itsabgrenzung erweitert die absolute Liquidit~it auf eine Relation zwischen Bedarf und Deckung verf/igbarer fl/issiger Mittel. MELLEROWICZdefiniert die relative Liquidit~it als ,,die Ffihigkeit, allen Zahlungsverpflichtungen und Zahlungsnotwendigkeiten fristgerecht nachkommen zu k6nnen" (Mellerowicz, 1967). Das setzt voraus, dass der Zahlungsmittelbestand zu jedem Zeitpunkt gr6t~er bzw. mindestens genauso grot~ ist wie der Zahlungsmittelbedarf. Nur dann ist die Gesellschaft im finanziellen Gleichgewicht und als liquide zu bezeichnen. Die Bilanzanalytik differenziert hier ferner zwischen der statischen Liquidit/it, d. h. der lang- und kurzfristigen Fristenkongruenz des Verm6gens zu den Schulden, und der dynamischen Liquidit/it, d. h. dem Vergleich des Cash-Flows mit den Finanzschulden (Born, 2001).
Im Rahmen der Unternehmenssanierung haben beide Liquidit/itsabgrenzungen ihre Bedeutung. Im Sanierungskonzept ist neben der Fort~hrung auch die Untemehmenszerschlagung/-liquidation zu thematisieren. Die absolute Liquidit/it gibt dann Aufschluss, welche Zahlungsmittel durch den Verkauf der Verm6genswerte am Bilanz-
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Steuerung yon ZahlungsfEhigkeit und Unternehmensliquidit~t
stichtag realisiert werden k6nnen. Die meist favorisierte Fortsetzung der betrieblichen Aktivit~it und angestrebte Unternehmenssanierung setzt hingegen auf die relative Liquidit~it, die informiert, ob die Einzahlungen, aus Ver/iut~erung von Verm6genswerten und operativer Leistung, die entsprechenden Auszahlungen fristgem/it~ decken. Unter der Bedingung der Unternehmensfortf6hrung, zeigt die Liquidit/itsanalyse die zukfinftige Eintrittswahrscheinlichkeit der Zahlungsunf~ihigkeit der Gesellschaft und die Erf~llung des Insolvenztatbestands nach § 17 InsO. Sie l~isst sich bestandsorientiert, stromgr6t~enorientiert oder aus Mischformen dieser Ans~itze darstellen. Die bestandsorientierte Liquidit/itsanalyse geht auf Stichtagsbest/inde der Bilanz ein und versucht darfiber k6nftige Ein- und Auszahlungen zu ermitteln (Coenenberg, 2001). Durch die Liquidit~itskennzahlen, sog. Liquidit/itsgrade, werden bspw. Relationen zwischen Deckungsmitteln und Verbindlichkeiten definiert, die informieren, in welchem Umfang und welcher Frist der Zahlungsmittelbestand mit den Deckungsmitteln kongruent sind. Die weiteste Verbreitung haben dabei die Barliquidit/it (Zahlungsmittel zu kurzfr. Verbindlichkeiten; Liquidit/it 1. Grades), die Liquidit/it auf kurze Sicht (Zahlungsmittel und kurzfr. Forderungen zu kurzfr. Verbindlichkeiten; Liquidit~it 2. Grades) und die Liquidit/it auf mittlere Sicht (Zahlungsmittel, kurzfr. Forderungen und Vorr~ite zu kurzfr. Verbindlichkeiten; Liquidit~it 3. Grades) erfahren. Die Liquidit/itsgrade lassen sich als absolute oder relative Kennzahlen abbilden und zeigen die Uber- oder Unterdeckung der Zahlungsf/ihigkeit der Gesellschaft. Dabei ist kritisch anzumerken, dass die bestandsorientierten Liquidit~itsaussagen nur bedingten Aussagewert besitzen, da diese auf Daten basieren, die auf einen vergangenen Stichtag bezogen sind und daher das Liquidit/itsrisiko nicht trennscharf quantifizieren: B Die F~illigkeit von Forderungen/Verbindlichkeiten l~isst sich in der Durchschnittsbetrachtung der Liquidit/itsgrade nicht festhalten. Je heterogener Anzahl/Volumen der Gl~iubiger/Schuldner desto gr6t~er die pot. Abweichung zur Bilanzposition. U Die ad~iquate Bewertung von Verm6gensgegenst/inden ist in der Bilanz nicht zu ermitteln, wodurch sich letztlich eine Verzerrung in den berechneten Liquidit~itskennzahlen ergibt. R Die Liquidit~it kann zum Bilanzstichtag/iber Bilanzierungsspielr/iume ver~indert werden. Geschickte Beschaffungspolitik (stille Rficklagen) oder innerbetriebliche Kreditgew/ihrung beeinflussen den Bestand an Vorr~iten/Zahlungsmitteln. Die stromgr6genorientierte Liquidit/itsanalyse fokussiert die Erwirtschaftung liquider Mittel aus der betrieblichen Leistungserstellung und gleichsam die Verwendung dieser Liquidit~it (Coenenberg, 2001). Da weder die Gesellschafter und Gl~iubiger noch die Unternehmensf~hrung aus einer stichtagbasierten Liquidit~itsanalyse hinreichend Information f/ir eine zukunftsorientierte Sanierungsentscheidung erhalten k6rmen, werden mit der Kapitalflussrechnung Methoden eingesetzt, durch die Zahlungsmittelbewegungen der Vergangenheit auf die zu erwartenden Zahlungsstr6me in der Zukunft extrapoliert werden k6rmen. 745
~#i~i!i~!~i~ii~iii~i!i!i!i!iiii~ii~i!ii!i!~i~iii!i!iKnecht ~iiii~iii!i~iii~iiiiiii~ii ~!i!i!i!ii~i!!ii!iii!~!!i!i!iiii!!~!!i!iiiiiiiii!i!!!!iii!iiii!!iiii!!iiiiii!i!~!~i~ i~i i~i i i i i~i ~i i~i~i i~i i i ~i i i i i i i i~i i~i!i i i!i~i~i~i i ~i!i~i ~i i!i!i!i~i~i!i i i!i~ ~ii ~i i i !i~i!i i i!~!~i~i ~i ~i i~i!i i~i i ~i i!i i i i i i!!i!i!i!i i i ~!ii i i ~i i i i i i i !i!i i !i ~
~iiii~i~ii~i~i~i~i~iiiiii~i!ii~iiii~i~iiiiii!iiiiiii~i~iii~i;iiiii~iiii!
2.2
Liquiditlitssteuerung iJber die Kapita Ifl u ssrec h n u ng
2.2.1
Abgrenzung und Aussagewert des Cash-Flow
Grunds~itzlich bildet der Cash-Flow das zahlungswirksame Periodenergebnis ab, seine begriffliche Abgrenzung weist allerdings sowohl in der konzeptionellen Literatur als auch in der betrieblichen Praxis erhebliche Unterschiede auf. Die Beri~cksichtigung und Interpretation der differenzierenden finanz- bzw. liquidit~itswirksamen Vorg~inge liefert diverse Cash-Flow-Berechnungen. Eine Ursache daffir mag in der Tatsache begri~ndet sein, dass den Cash-Flow-Berechnungen sehr unterschiedliche Fragestellungen zugrunde liegen und somit gegen den elementaren Grundsatz der Kennzahlendefinition (Notwendigkeit eines klar definierten Ermittlungsziels) verstot~en wird (Wagner, 1985). Um die Vergleichbarkeit zu gew~ihrleisten, bietet die Periodisierung der Zahlungsstr6me einen Ansatz zur Vereinheitlichung. Durch die Beachtung der periodenbezogenen, zahlungswirksamen Vorg~inge wird mit dem Cash-Flow beabsichtigt, einen starker objektiven Mat~stab als den Jahresiiberschuss bzw. den Bilanzgewinn zu definieren, der frei ,,von den Schwfichen der menschlichen Bewertungsabsichten und -irrtiimer" (Hauschildt/R6sler/Gemiinden, 1984, S. 354) ist. Der Cash-Flow wird sowohl als Kennzahl zur Analyse der Finanzkraft als auch als Kennzahl zur Analyse der Ertragskraft einer Gesellschaft verwendet und markiert somit eines der am st~irksten verbreiteten Instrumente der externen Bilanzanalyse 179. Dies wird evident, da er sowohl zur Bilanzbesprechung auf Haupt- und Gesellschafterversammlungen regelm~it~ig betont wird als auch einen zentralen Mat~stab zur Kreditwiirdigkeitspri~fung der Kreditinstitute darstellt (Siener, 1991). Dabei wird der Cash-Flow nicht selten als (1) liquidit~itswirksamer Jahresi~berschuss, (2) Finanzmittelzufluss oder (3) Teil des Umsatz6berschusses bezeichnet, was sowohl auf die unterschiedliche Terminologie, begriffliche Interpretation und methodische Ermittlung hinweist. Basiert die Ermittlung des Cash-Flow auf den Angaben zum Bilanzstichtag, so hat er allerdings einen geringen Aussagewert ~ r die Bestimmung der Zahlungsf~ihigkeit der Gesellschaft. Dieser zeigt hingegen vielmehr die finanziellen Mittel die von der Gesellschaft aus dem Umsatzprozess in der Abrechnungsperiode fiir Ersatz-/Erweiterungsinvestitionen, ~ r Zinsen und Tilgungen sowie ~ r m6gliche Dividendenzahlungen eingesetzt worden sind (Coenenberg, 2001).
179 In der Investitionstheorie wird der Cash-Flow auch zur Bewertung der Vorteilhaftigkeit mbglicher Investitionsprojekte herangezogen (Knecht, 2003). Abh~ingig vonder Bewertungsmethodik erfolgt dabei die Diskontierung der periodenspezifischen Cash-Flow-Werte. 746
Steuerun~ von Zahlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
2.2.2
Vom Cash-Flow zum Zahlunssmittelbestand
Zur Beurteilung der Zahlungsf~ihigkeit einer Gesellschaft, insbesondere im Falle der existenzbedrohenden Krisensituation, ist es notwendig, die Ver~inderung im Finanzmittelfonds dezidiert zu steuern und zu kontrollieren, was eine 0berleitungsrechnung vom Cash-Flow zur Ver~inderung des Finanzmittelfonds erforderlich macht. Die in Abbildung 2-1 angeffihrte 0berleitung des Brutto-Cash-Flow zur Ver~inderung des Finanzmittelfonds ber0cksichtigt die erforderlichen Investitionen, die m6glichen Kredittilgungen sowie die eventuellen Aussch0ttungen des Free-Cash-Flow an entsprechende bezugsberechtigte Gesellschafter.
Abbildung 2-1:
Ermittlung des Cash-Flow und Ve#inderung des Finanzmittelfonds (Born, 2001)
+ + + =
Zinsergebnis Beteiligungsergebnis au~erordentliche Aufwendungen aul~erordentliche Ertrtige (ggf. ohne Ertrtige aus der Aufl0sung der Reckstellungen) Ertragssteuern Jahres0berschussl Jahresfehlbetrag
+ + +/+/+/=
Abschreibungen (- Zuschreibungen zugunsten des Ergebnisses) Wertberichtigungen Ver~nderung latente Steuern Verlust/Gewinn aus Equity-Bewertung Erh0hung/Verminderung des Sonderpostens mit Recklageanteil, soweit Jahres0berschuss/-fehlbetrag Beeinflussung Brutto-Cash-Flow aus laufender Gesch~iftst~tigkeit
+/=
Zunahme/Abnahme langfristiger R0ckstellungen (ohne Ver~inderung Konsolidierungskreis) Brutto-Cash-Flow aus laufender Gesch~iftst~itigkeit (Betriebsergebnis vor Abschreibungen, Zuf~hrung zu langfr.
+/+/+/+/=
Zunahme/Abnahme Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Zunahme/Abnahme Vorr;~te (+ ErhOhung - Verminderung auf erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen) Zunahme/Abnahme Verbindlichkeiten auf Lieferungen und Leistungen Zunahme/Abnahme sonstiges Netto-Umlaufverm0gen (ohne Finanzmittelfonds) Verf0gbarer Cash-Flow (operativer Cash-Flow)
-/+ =
Investitionen (Immat. Verm0gen, Sachanlagen, Finanzanlagen)/Desinvestitionen Zur Schuldentilgung und Aussch0ttung verf0gbarer Cash-flow (Free Cash-Flow)
+/=
Kreditaufnahmen/-tilgungen Zur Aussch0ttung verf0gbarer Cash-flow
-/+ =
Aussch0ttungen/Bareinlagen Veriinderung Finanzmittelfonds
::~
ROckstellungen und nach Ertragssteuem)
Gerade for Kreditinstitute und Finanziers hat der verfLigbare Cash-Flow zur Schuldentilgung und eventuellen Ausschi~ttung die gr6t~te Bedeutung. Letztlich spiegelt sich in diesem Posten der Erfolg der Mat~nahmenumsetzung eines Sanierungskonzepts und verdeutlicht die Nachhaltigkeit des unternehmerischen Erfolgs des Gesch~iftsmodells. FLir die Steuerung der Unternehmensliquidit~it liefert der so ermittelte Cash-Flow nur bedingt relevante Erkenntnisse und l~isst sich daher v. a. sinnvoll zur Ermittlung des dynamischen Verschuldungsgrades einsetzen (Born, 2001). Um die Zahlungsf~ihigkeit
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::i i
Knecht
beurteilen und steuern zu k6nnen, ist eine zielgerichtete Kapitalflussrechnung einzusetzen, die 6ber die reine Investition und Finanzierung des Unternehmens hinaus gehende Aspekte beriicksichtigt.
2.2.3
Konzeptionelle Grundlagen und ErstellungsgrundsEtze
Zur Beurteilung der Zahlungsf~ihigkeit einer Gesellschaft sowie zur Analyse der Bestandsver~inderung der liquiden Mittel im Zeitablauf ist die Kapitalflussrechnung heranzuziehen. Sie bildet insbesondere die dynamischen Aspekte der finanziellen Situation des Untemehmens ab. Eine trennscharfe und einheitliche Bestimmung der Kapitalflussrechnung ist bislang sowohl in der betriebswirtschaftlichen Literatur als auch in der betrieblichen Praxis nicht erzielt worden (Gebhardt, 1984). So wird die Kapitalflussrechnung u. a. als Oberbegriff mr Finanzierungsrechnungen und fiir Formen der Fondsrechnungen genutzt. Die verschiedenen Abgrenzungen weisen allerdings die Gemeinsamkeit auf, dass stets Zeitraumrechnungen betrachtet werden, die Bestandsver~inderungen in einer Abrechnungsperiode ermitteln. Die Kapitalflussrechnung verdeutlicht nicht den Verm6gens- oder Kapitalbestand zu einem ausgewiesenen Stichtag, sondern zeigt die Ver~inderung der Best~inde im Ablauf einer Abrechnungsperiode indem s~imtliche Zu- und Abg~inge dargelegt werden. Bei ad~iquater Strukturierung ist sie ,,frei von Bewertungsproblemen und damit intersubjektiv nachpridjbar" (Busse von Colbe, 1966). Die Kapitalflussrechnung kann auch als Analyse der Liquidit~itsentwicklung bezeichnet werden, da sie aussagef~ihige Informationen iiber die selbst erwirtschafteten Brutto-Cash-Flows aus laufender Gesch~iftst~itigkeit, i~ber die kurz- und langfristigen Investitions- und Finanzierungsvorg~inge sowie iiber die Ursache der Ver~inderung der Unternehmensliquidit~it enth~ilt (Born, 2001). Moderne Formen der Kapitalflussrechnung lassen sich als Steuerungs- und Kontrollinstrument nutzen. Dazu werden die Rechnungen im kurzfristigen Bereich innerhalb des Cash-Management, d. h. zur Liquidit~itssteuerung, genutzt, im mittel- bis langfristigen Bereich zur Bestimmung des Kapitalbedarfs und dessen Deckung herangezogen (Brigham/Gapenski/Daves, 1999). Ziel der Kapitalflussrechnung ist Beschaffung einer objektiven M6glichkeit zur Steuerung und realistischen Absch~itzung der Machbarkeit der erforderlichen bzw. der geplanten Investitionen, der Aufnahme bzw. der Tilgung von Kreditengagements, der Erzielung von geplanten Ums~itzen und Ergebnissen sowie der Darlegung von prognostizierten Gewinn- bzw. Dividendenausschiittungen. Dabei zeigt die Kapitalflussrechnung, wofiir die erwirtschafteten Brutto-Cash-Flows eingenommen wurden, wie die finanziellen Eigen- und Fremdkapitalbetr~ige eingesetzt wurden, wodurch Investitionen, Kredittilgungen und Dividendenausschiittungen finanziert wurden und letztlich woher die Ver~inderung des Finanzmittelfonds (fli.issige Mittel inkl. leicht ver~iu-
748
Steuerung yon Zuhlungs[~higkeit und Unternehmensliquidit~it
t~erbarer Wertpapiere) sowie der weiteren Posten des Netto-Umlaufverm6gens stammt. In Bezug auf andere Elemente des betrieblichen Rechnungswesens unterliegt sie weniger bilanzpolitischen Mat~nahmen und ist somit bewertungsunabh~ingiger. Im Rahmen der betrieblichen Krise hat die Kapitalflussrechnung besondere Bedeutung, da sie sowohl Hinweise auf Krisensymptome liefert als auch Ansatzpunkte ffir den Umsetzungsstand von Sanierungsmat~nahmen zeigt. Negative Abweichungen in den Bereichen der laufenden Gesch~iftst~itigkeit oder der Finanzierungs- bzw. Investitionst~itigkeit werden umgehend in der Ver~inderung der Fonds 180 (Finanzmittelbest~inde) deutlich und weisen auf m6gliche Krisen- bzw. Abweichungsursachen hin. Da die Kapitalflussrechnung die Ver~inderung der Fonds erl~iutert, wird sie auch Fondsrechnung, Finanzbewegungsrechnung oder Finanzflussrechnung genannt (Born, 2001). Entsprechend § 264 (2) HGB soll der handelsrechtliche Jahresabschluss die Verm6gens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft in einem ,,den tatsfichlichen Verhfiltnissen entsprechendes Bild" zeigen. Seit dem 01.05.1998, durch das in Kraft treten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), gibt es in Deutschland eine gesetzliche Vorschrift die Kapitalflussrechnung als Bestandteil des Jahresabschlusses zu ver6ffentlichen 181. Der § 297(1) HGB wurde dazu wie folgt erg~_nzt: ,,Die gesetzlichen Vertreter eines b&sennotierten Mutterunternehmens haben den Konzernanhang um eine Kapitalflussrechnung und eine Segmentberichterstattung zu erweitern." Mit dem TransPubG wurde dies 2002 - unter Einr~iumung bestimmter 0ber-
gangsfristen- auf Konzerne erweitert, die selbst oder durch Tochterunternehmen mit Wertpapieren einen organisierten Markt in Anspruch nehmen. Die einzelnen Gestaltungsregeln finden sich letztlich im Deutschen Rechnungslegungsstandard Nr. 2 (DRS 2) (,,Kapitalflussrechnung") vom 29.10.1999 des Deutschen RechnungslegungsStandard-Commitee (DRSC), der auch mit IAS 7 und SFAS 95 weitgehend kongruent ist. Die betriebswirtschaftliche Literatur weist hierzu die Grunds~itze ordnungsgem~it~er Kapitalflussrechnungen aus (Coenenberg/ Schmidt, 1978). Dabei sind wesentliche Facetten mit den Prinzipien ffir Bilanz und GuV deckungsgleich, wie bspw. die Grunds~itze der Klarheit, Vollst~indigkeit und Regelm~it~igkeit. Die ffir die Kapitalflussrechnung spezifischen Grunds~itze zielen wesentlich auf die Gestaltung Zahlungsstromorientierung des Instruments. Idealtypischerweise sollte die Kapitalflussrechnung auf den unternehmensinternen Daten des Rechnungswesens aufsetzen. Der 180 Als Fonds werden die flfissigen Mittel der Gesellschaft entweder mit oder ohne die leicht ver~iut~erbaren Wertpapiere (Finanzmittelfonds) bezeichnet. Entsprechend den Vorschriften nach IAS werden in der betrieblichen Praxis i. d. R. lediglich die Finanzmittelfonds genutzt. 181 Der Wunsch den Jahresabschluss durch eine Kapitalflussrechnung (Bewegungsbilanz, Zeitraumbilanz) anzureichern, hat BAUERbereits 1926 dokumentiert. Er zielt dabei auf die Beantwortung der Frage, ,wie eigentlich der Gewinn verwandt worden seL in welchem Verhfiltnis er zu den Investitionen beigetragen habe, wie die Ausweitung der Auflenstdnde finanziert worden sei."
(Bauer, 1926). 749
~!i~~ i~ i~ i~ i~ i~ i!i~~ i!~ i!i~~ i~ i!~!i~~ i~ i!~ i~ iZ i !i~!~!~ i~ ii
Knecht
Grundsatz der Bewertungsunabh~ingigkeit und der Grundsatz der Kongruenz sind dann als stringente Leitlinien zu setzen.
2.2.4
Darstellungs- und Ermittlungsmethoden
Die Aussagef~ihigkeit der Kapitalflussrechnung und ihre Eignung zur Steuerung der Zahlungsfihhigkeit in der Unternehmenssanierung h~ingt wesentlich vom Ansatz der Darstellung und Ermittlung der Zahlungsstr6me ab, denn sie beeinflussen die Aussagef~ihigkeit der Liquidit~its- und Finanzierungsrechnung erheblich (Coenenberg, 2001). Gerade in der Sanierungssituation verfolgt die Kapitalflussrechnung die permanente Sicherstellung der Zahlungsf~ihigkeit als zentrales Ziel. Die Kapitalflussrechnung ist prinzipiell in Konto- oder Staffelform darstellbar. Die Kontoform fOhrt alle Mittelzufl0sse auf der Sollseite eines bildlichen T-Kontos an, alle Mittelabfli~sse auf der Habenseite. Durch die Gegen~iberstellung wird ein Saldo ermittelt, der den Finanzmitteli~berschuss bzw. das -defizit anzeigt. Wenngleich diese Darstellungsform der Struktur einer Bilanz entspricht, hat sich in der betrieblichen Praxis - nicht zuletzt durch die gOltigen Rechnungslegungsvorschriften - die Darstellung der Kapitalflussrechnung in Staffelform durchgesetzt (DRS 2.9, IAS 7, FAS 95.131 ft.). Diese Darstellung ordnet alle Mittelbewegungen der Gesellschaft gem~it~ einer strukturierten, fortgeschriebenen Aufstellung an. Um aussagef~ihige Zwischenergebnisse zu erhalten, werden die Mittelbewegungen zu Teilbereichen- wie bspw. dem operativen Bereich- zusammengefOhrt und ein entsprechender Bereichssaldo ermittelt. Ob die Gliederung der Kapitalflussrechnung nach dem Finanzfluss- oder Aktivit~itsformat erfolgt, h~ingt meist vom definierten Informations- und Aussageziel ab. Im Finanzflussformat (,,sources and uses format") erfolgt die Gliederung der Finanzierungsrechnung nach Mittelherkunft und -verwendung und verdeutlicht v. a. die periodenspezifische H6he dieser. Dazu werden die Mittelzufl0sse/-abfl~isse separiert und entsprechenden Finanzierungs- und Investitionsquellen zugeordnet. Die Finanzierung kann dabei wiederum in Innen- und Aut~enfinanzierung, die Investition in Mittelverwendung und Definanzierung differenziert werden. In der Unternehmenssanierung ist die Kontrolle und Steuerung der liquidit~itsbindenden Vorg~inge von besonderer Bedeutung, die das Aktivit~itsformat (,,activity format") verdeutlicht. Bevor eine Unterscheidung in Mittelzufluss oder -abfluss erfolgt, werden die Liquidit~itsbewegungen betrieblichen T~itigkeitsbereichen zugeordnet (Busse von Colbe, 1966). In Abgrenzung zum Finanzflussformat werden hier die Mittelbewegungen in umgekehrter Folge, zuerst den Funktionsbereichen (operativer Bereich, Investitionsbereich, Finanzierungsbereich) zugeschrieben und dann gem~U~ der Ausrichtung zugewiesen. Im Bereich der laufenden Gesch~iftst~itigkeit werden die gesamten Zahlungsstr6me zur Produkterstellung und -lieferung angef6hrt. Der operative Saldo zeigt letztlich die M6glichkeit zur Selbstfinanzierung der Gesellschaft aus laufendem Gesch~ift. Im Bereich
750
Steuerung von Zahlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
der Investitionst~itigkeit werden die Mittelbewegungen, die durch den Erwerb bzw. die Ver~iut~erung von Untemehmensressourcen entstehen, angeffihrt. Der Bereichssaldo verdeutlicht den Uberschuss bzw. das Defizit aus Investitions- und Desinvestitionsmat~nahmen. Durch die Addition des operativen Saldos und des investiven Saldos wird der Finanzierungsfiberschuss der Innenfinanzierung (sog. Free-Cash-Flow) und der ggf. von aut~en zu deckende Finanzierungsbedarf deutlich. Im Bereich der Finanzierungst~itigkeit werden die Mittelbewegungen mit Eigen- und Fremdkapitalgebern angeffihrt, der Bereichssaldo zeigt die Netto-Aut~enfinanzierung. Die Berficksichtigung dieser drei Bereichssaldos definiert den Fondsmittelzufluss oder-abfluss, der mit dem Anfangsbestand der Berechnungsperiode abzugleichen und ein entsprechender Schlussbestand zu ermitteln ist. Aufgrund der h6heren Eignung des Aktivit~itsformats gerade in der betrieblichen Krisensituation durch verbesserten Einblick in die Struktur der Vorg~inge und der Vorgabe durch die externe Rechnungslegung, wird im Folgenden lediglich die Kapitalflussrechnung nach dem Aktivit~itsfomat in Staffelform mit (zahlungsorientierter) Fondsausgliederung unterstellt. Die Darstellung der Mittelbewegungen in der Kapitalflussrechnung kann nach der direkten oder indirekten Methode erfolgen. Ergibt sich der Cash-Flow fiber die Bereinigung der nicht finanz- bzw. liquidit~itswirksamen Buchungen, so wurde er durch die indirekte {retrograde) Methode ermittelt. Dies bedeutet, dass der Jahresfiberschuss um die Gr6t~en erh6ht wird, die nur zur Ergebnisabgrenzung angeffihrt wurden und keine zahlungswirksamen Aufwendungen darstellen bzw. um die Betr~ige reduziert wird, die keine zahlungswirksamen Ertr~ige darstellen. Die Salden werden also durch Uberleitungsrechnungen ermittelt, die Korrekturposten enthalten, mittels welcher gebuchte Vorg~hlge aufgrund Zahlungsunwirksamkeit revidiert werden oder zahlungswirksame Vorg~inge zur zweckad~iquaten Beurteilung in andere Aktivit~itsbereiche umgebucht werden. Wurde der Cash-Flow durch die direkte (progressive) Methode errechnet, so ergibt er sich aus der Differenz zwischen auszahlungswirksamen Aufwendungen und einzahlungswirksamen Ertr~igen. Die Berechnung setzt dabei i. d. R. auf den Einzahlungen aus Umsatzerl6sen auf. Neben dem Ausweis der Zahlungen im Rahmen der direkten Methode gilt hier das Bruttoprinzip, d. h. Einzahlungen werden grunds~itzlich nicht mit Auszahlungen verrechnet (Gebhardt, 1999)182. H~iufig sind die berficksichtigten Korrekturposten keine Zahlungsvorg~inge sondem saldierte Summen (v. a. bei der Ermittlung des operativen Saldos der aus dem Jahresabschluss abgeleitet wird), so dass die indirekte Methode auch gegen das Bruttoprinzip verst6f~t. Obwohl definitionsgetreu die beiden Methoden identische Salden liefern sollten (Coenenberg, 2001), wird hier die direkte Methode bevorzugt, da die direkte
182
Zur Darstellung der Zahlungsstr6me im Rahmen einer Kapitalflussrechnung ist nach den Standards der intemationalen Rechnungslegung das Bruttoprinzip einzuhalten, d. h. die unmittelbare Aufrechnung von Ein- und Auszahlungen ist unzul~issig (DRS 2.15; IAS 7.21; FAS 95.11). Die Ausnahme dabei stellen derartige zahlungswirksame Vorg~inge dar, die eine hohe Umschlagh~iufigkeit, grot~e Rechnungsbetr~ige oder kurze Restlaufzeiten aufweisen, ftir die ein Nettoausweis akzeptabel ist (DRS 2.15 (a); IAS 7.21 (b)). 751
Knecht
iii ¸ Analyse von Ein- und Auszahlungen die ,,Liquidit~itstreiber" besser verdeutlichen als Korrekturposten und somit auch m6gliche Sofortmat~nahmen der Sanierung aufzeigen k6nnen. Die Analyse- und Interpretationsfehler zur Beurteilung der Liquidit~itslage werden dadurch reduziert. Als kritischer Mangel beider Ermittlungsmethoden ist anzumerken, dass mit der Berficksichtigung der zahlungswirksamen Vorg~inge nicht alle Betriebseinzahlungen und -auszahlungen aus dem periodisierten Umsatzprozess eingeschlossen werden. Die zahlungswirksamen, aber erfolgsneutralen Bestandsver5nderungen werden so nicht beri~cksichtigt. Das bedeutet bspw., dass der Cash-Flow unver~indert bleibt, wenn Rohmaterial gekauft und in der Periode bezahlt wird, wenn der Mittelabfluss durch eine Bestandserh6hung aufgefangen wird. Entsprechend sollte das Ermittlungsschema alle zahlungswirksamen, erfolgsneutralen Bestandsver~inderungen zur Cash-Flow-Ermittlung erg~inzen (vgl. Abb. 2-2).
Abbildung 2-2:
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Abgrenzungsansfitze und Ermittlungsmethoden des Cash-Flow (in Anlehnung an W~he, 1992, S. 878-879)
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Bilanzgewinn + Gewinnvortrag (- Verlustvortrag)
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G e w i n n - und Verlustrechnung
Aufwand
+ Erh0hung R0cklagen (- Aufl0sung R0cklagen)
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~ ' ~"
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Ertrag
i
............................................................................................................................................................
= JahresLiberschuss + Abschreibungen (- Zuschreibungen (Wertaufholung)) iAuszahlungs............................................................................................................................................................ ' wirksamer = Cash-Flow Nr. 1 Aufwand + ErhOhung langfr. Rtickstellungen (- Aufl. langfr. RCickst.) ............................................................................................................................................................
Einzahlungsw i r k s a m e r Ertrag
480
360 ......................................................
= Cash-Flow Nr. 2 + Sonst. betriebl. Aufwendungen (- Sonst. Betr. Ertr~ige)
.......................................................................................................... Cash-Flow
....=----c.as-l~..l~iow--i~r i 3 .......................................................................................................... A u s z a h l u n g s neutraler A u f w a n d ----9~w!nna-u.-s.--s--£h.9-~ung-e-. n-....................................................................................... = Cash-Flow Nr. 4
180 Einzahlungs-
120
.aahreS0bOrSC~hU.SS ................. 60 ....... n.eutra!er..E.rtrag .................................................. ....................... , . . , . ~ i - . . - ~
.....
J0 + zahlungsneutraler Aufwand
.
~,,~...
~,.,
~
60 180
.. . . . . . .
i~. . . . .
~.-
....
.
.~,,
~
~
.
~
+ zahlungswirksamer Ertrag
........................
480
_:____._z.a.h!,u.n~.sr/..e.,tra!e_r.E_~ra..g ......................... ~.2.o .................. :...__.zah_!.u.ngsw!~s.a .rg...e.r.A...,..~a...n~ ................ 3eO .................
= Cash Flow
60
= Cash Flow
60
Neben der Darstellungsform ist f~ir eine belastbare LiquiditStssteuerung die Ermittlungsmethode des Zahlenmaterials essentiell. Im Rahmen der origin~iren Ermittlungsmethode werden die Ein- und Auszahlungen der Gesellschaft direkt aus den Zahlungskonten, d. h. aus den Zu- und AbgSngen der Fondsbestandskonten, ermittelt und den AktivitStsbereichen zugeordnet. Dabei ist stets die erfolgsgerechte Periodisierung zu beri~cksichtigen, bevor der Periodensaldo gebildet wird, sowie eine klare
752
Steuerun~ yon Zehlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
ii~i~ii!!!!i i!!i~i!i!ili
i ~ ~:~i~ ~i!!!ii!il Zuordnung der Zahlungswirksamkeit einzelner Buchungen im Rechnungswesen bspw. fiber zus~itzliche Belegschlfissel (Arbeitskreis Finanzierungsrechnung, 1996). Die erforderlichen Informationen zur Erstellung der origin~iren Kapitalflussrechnung sind nur durch die Gesellschaft selbst zu erbringen. Demgegenfiber setzt die derivative Ermittlungsmethode auf dem Jahresabschluss auf. Durch die angestrebte Eliminierung von zahlungsunwirksamen Vorg~ingen sowie der entsprechenden Periodisierungen wird die Kapitalflussrechnung retrograd basierend auf reinen Zahlungen ermittelt. Die Korrekturposten unterliegen meist erheblicher Unsch~irfe, so dass im Rahmen der Sanierung, die sich durch eine enge Liquidit~itssituation auszeichnet, die origin~ire Ermittlungsmethode klar zu bevorzugen ist.
2.2.5
Cash-Flow als Finanzindikator: Kritische WUrdisun8
Wird der Cash-Flow zur Beurteilung der Unternehmenssanierung betrachtet, so liegt der Fokus auf seiner Interpretation als Finanzindikator. Die Zielsetzung der CashFlow-Ermittlung ist dann die Bestimmung der verffigbaren Zahlungsmittel aus der Innenfinanzierung der Gesellschaft. Dazu ist die Zahlungswirksamkeit jeglicher Posten der GuV zu analysieren und entsprechende Erh6hungen bzw. Verminderungen des Zahlungsmittelbestands auszuweisen. Wird der Cash-Flow als Indikator zur Quantifizierung des Finanzierungspotenzials der Gesellschaft aus dem Leistungsprozess genutzt, so wird die umsatzbasierte Selbstfinanzierung betrachtet. Dabei verdeutlicht der finanzwirtschaftliche Periodenfiberschuss, wie viel aus der Betriebst~itigkeit anf~illt und wie viel davon, unter Berficksichtigung der Investitions- und Gewinnausschfittungserfordernisse sowie weiterer Finanzierungsm6glichkeiten, zur Schuldentilgung auf~erhalb des laufenden Umschlagprozesses verwendet werden kann (Lachnitt, 1973). 0ber die Absch~itzung des eigenst~indigen Umfangs m6glicher Ersatzinvestitionen der Gesellschaft, kann der Cash-Flow auch als Mat~stab der Investitionskraft genutzt werden. Insgesamt erm6glichen derartige Betrachtungen des Cash-Flows die Absch~itzung des Gewinnausschfittungspotenzials bzw. der Verlusttr~ichtigkeit der Gesellschaft und die Notwendigkeit der Fremdunterst6tzung zur Aufrechterhaltung des Gesch~iftsbetriebs. Der Finanzindikator Cash-Flow unterliegt allerdings umfangreicher Kritik (Wagner, 1985; Born, 2001), die insbesondere vor dem Hintergrund der Beurteilung der Zahlungsf~ihigkeit einer angeschlagenen Gesellschaft zu berficksichtigten ist: m Der Cash-Flow wird meist aus der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet, wodurch kaum Einblick in die zahlungswirksamen Finanzstr6me der Gesellschaft genommen wird. Die Erfolgsermittlung steht hier im Betrachtungsmittelpunkt.
753
Knecht
R Der Cash-Flow bildet die Konsequenzen bilanzpolitischer Mat~nahmen nur teilweise ab. So k6nnen bspw. stille Reserven geschaffen werden, deren richtige Quantifizierung im Rahmen des Cash-Flow nicht selbstverst~indlich ist. B Der Cash-Flow stellt ,keine Liquidit~tsreserve fidr die Zukunft, sondern einen erwirtschafteten finanziellen Betrag'" dar, ,,der i. d. R. zum gr~jqten Teil entsprechend dem Investitions- und Finanzplan bereits wieder verwendet ist" (Siener, 1991). Insgesamt wird evident, dass die Betrachtung des Cash-Flow als Finanzindikator nicht hinreichend ist, um die Zahlungsf~ihigkeit im Rahmen der Untemehmenssanierung zu beurteilen bzw. zu steuem. Die Vergangenheitsorientierung, der Stichtagsbezug und die nicht ausreichende Verifizierungsm6glichkeit von Korrekturposten verhindem, dass der Zahlungsmittelbestand aus Innenfinanzierung nicht trennscharf und periodengerecht aufgezeigt werden kann.
2.3
Liquidit itsplanun8 als Bestandteil des Sanierungskonzepts
Zur Steuerung der Zahlungsf~ihigkeit in der Sanierung dient die Liquidit~itsplanung, die als integraler Bestandteil des Sanierungskonzepts veranschaulicht, inwiefem Liquidit~it zur Umsetzung der betrieblichen Aktivit~iten zur Ver~gung steht. Dieses Planungs- und Steuerungsinstrumentarium setzt auf der origin~iren Ermittlungs- und direkten Darstellungsmethode auf und ber~icksichtigt den Cash-Flow im Rahmen der Kapitalflussrechnung, die auf der Untemehmensplanung basiert. Die Liquidit~itsplanung im Rahmen des Sanierungskonzept orientiert sich an den definierten Standards ~ r die Kapitalflussrechnung gem~it~ intemationaler Rechnungslegung. Diese erfordem - entsprechend dem Aktivit~itsformat - einen getrennten Ausweis von Ein- und Auszahlungen in den Bereichen (1) ,,laufendes Gesch~ift", (2) ,,Investition" und (3) ,,Finanzierung" sowie in den periodenspezifisch abgegrenzten Zahlungsmittelbest~inden verlangen (DRS 2.6; IAS 7.10 f.; FAS 95.6). Die Bereichsabgrenzung dient der verbesserten Informationsfunktion der Kapitalflussrechnung sowie der deutlichen Darstellung der liquidit~itsabsorbierenden Vorg~inge. In der Zahlungszuordnung werden diese Bereiche folgendermat~en bezeichnet (DRS 2.6 f.; FAS 95.14; und FAS 95.26; IAS 7.10 f.): (1) Cash-Flow aus laufender Gesch~iftsfiitigkeit, (2) Cash-Flow aus Investitionst~itigkeit, (3) Cash-Flow aus Finanzierungst~itigkeit. Die Summe der bereichsspezifischen Cash-Flows entspricht der zahlungswirksamen Ver~inderung des Finanzmittelfonds (DRS 2.6; IAS 7 Appendix 1; FAS 95.26) und signalisiert den Endbestand freie Linien, der als ,,Leitplanke" zur Steuerung der Zahlungsf~ihigkeit anzusehen ist (vgl. Abb. 2-3).
754
Steuerun9 von Zehlungsf#higkeit und Unternehmensliquidit~t
Zur Aufstellung der Kapitalflussrechnung gilt es die Zahlungsstr6me den einzelnen Aktivit/itsbereichen zuzuordnen. Gem/it~ DRS2 sollte die Zurechnung entsprechend der Art des Gesch~iftsvorfalls in der jeweiligen wirtschaftlichen Aktivit/it der Gesellschaft erfolgen. Nach IAS 7 hat die Zuordnung so zu erfolgen, dass die Cash-Flows der Gesellschaft das spezifische Gesch/ift am besten widerspiegeln (IAS 7.11). M6gliche Abgrenzungsprobleme mit erforderlichem Einzelfallentscheid ergeben sich sofern ein Vorgang mehreren T/itigkeitsbereichen zuzuordnen ist.
Abbildung2-3:
Struktur der Kapitalflussrechnung nach Aktivitfitsformat in Staffelform (Coenenberg, 2001, S. 737)
; I
Operative Einzahlungen
~ ~
I
~
(cash receipts~inflows from operating activities)
~i~
- Operative Auszahlungen
(cash payments~outflows from operating activities)
~i~J
Cash Flow aus laufender Gesch~iftst~itigkeit (1) (net cash from~provided by or used in operating activities)
(Des-) Investitionseinzahlungen
i
-
(cash receipts~inflows from investing activities)
Investitionsauszahlungen (cash payments~outflows from investing activities)
Cash Flow aus Investitionst~itigkeit (2)
I
(net cash from~provided by or used in investing activities)
Finanzierungseinzahlungen (cash receipts~inflows from financing activities)
Finanzierungsauszahlungen (cash payments~outflows from financing activities)
Cash Flow aus Finanzierungst~itigkeit (3) (net cash from~provided by or used in financing activities)
(1) Cash-Flow aus laufender Gesch/iftst/itigkeit
Der Cash-Flow aus laufender Gesch/iftst/itigkeit (,,operating activities") bildet alle zahlungswirksamen Gesch~iftsvorg~inge der Periode ab, die auf Aktivit~iten aus der Produktion, des Verkaufs oder des Services zur6ckzufiihren sind und somit die Leistungserstellung der Gesellschaft betreffen. Jegliche Zahlungen, die in diesem Zusammenhang geleistet werden, stellen grunds/itzlich zahlungswirksame Aufwendungen und Ertr/ige dar, die bei der Ergebnisermittlung zu ber6cksichtigen sind. Die materiell in diesem Bereich zu ber/icksichtigenden Vorg~inge werden in einer nicht abschliet~enden Aufzahlung in der Rechnungslegung thematisiert (IAS 7.13 ff.; FAS 95.21 ff.). Nach DRS 2 erfolgt die Zuordnung der Zahlungsstr6me zu diesem Bereich einer Mindestgliederung: (1) Zahlungseingang aus Umsatzerl6sen, (2) Zahlungsausgang f~ir Material und Personal, (3) sonstige Ein- und Auszahlungen.
755
Knecht
Im Bereich der laufenden Gesch/iftst/itigkeit erlaubt die Rechnungslegung auch die Darstellung der Zahlungsvorg/inge nach der indirekten Methode (DRS 2.24 ff.; IAS 7.18 ft.; FAS 95.27 f.). Ausgehend vom Jahresiiberschuss/-fehlbetrag als Periodenergebnis werden jegliche auf die Periodisierung zuriickgehenden und nicht zahlungswirksamen Aufwendungen und Ertr~ige samt Bestandsver/inderungen im Umlaufverm6gen ohne Finanzmittelfonds bereinigt. Femer werden alle Zahlungsvorg/inge, die dem Bereich Investition oder Finanzierung zuzurechnen sind umgebucht und umgekehrt auch die nicht in diesen Bereichen zurechenbaren dem laufenden Gesch~ift zugeschlagen (DRS 2.24(b); IAS 7.18(b) und IAS 7.20; FAS 95.28). Erfolgt die Ri~ckrechnung vollst/indig und korrekt, sollte der Bereichssaldo unabh~ingig vonder gew~ihlten Darstellungsform identisch sein. DRS 2 kennt auch ~ r die Darstellung der Kapitalflussrechnung nach indirekter Methode eine Mindestgliederung mit den entsprechend auszuweisenden Posten. Zur 0berleitung des Ergebnisses entsprechend IAS 7 bzw. FAS 95 ist hier allerdings eine 0berleitungsrechnung erforderlich, die verdeutlicht, wie das Jahresergebnis um die Periodisierungsmat~nahmen (deferrals and accruals) zu adjustieren ist. So sind bspw. die Zu- bzw. Abnahmen der lang- und kurzfristigen Riickstellungen herauszurechnen, die zahlungsunwirksamen Aufwand bzw. Ertrag darstellen. Die 0berleitungsrechnung im Sammelposten ,sonstige zahlungswirksame Aufwendungen und Ertrfige" bringt eine Vielzahl zahlungsunwirksamer Vorg~inge wie bspw. Abschreibungen auf Aufwendungen fiir die Erweiterung des Gesch/iftsbetriebs, die nicht zu ber/icksichtigen sind. Trotz des Ermittlungsaufwands der Darstellung nach indirekter Methode dominiert diese in der betrieblichen Praxis im Rahmen der Jahresabschlusserstellung.
(2) Cash-Flow aus Investitionst/itigkeit
Der Cash-Flow aus Investitionst~itigkeit (,,investing activities") bildet alle zahlungswirksamen Gesch/iftsvorg~inge der Periode ab, die zum Kauf bzw. Verkauf von Resourcen der Gesellschaft genutzt werden, die dem Unternehmen zur Leistungserstellung und Ertragserzielung i. d. R. 1/inger als ein Jahr, also langfristig, zur Verfi~gung stehen sollen (DRS 2.30; IAS 16; FAS 95.15). Dazu z~ihlen Zahlungsvorg~inge zum Erwerb von Giitern des Anlageverm6gens, die zur Umsatzerstellung ben6tigt werden genauso wie Zahlungsvorg~inge im Rahmen von Investitionen bzw. Desinvestitionen in langfristige finanzielle Verm6gensgegenst~inde (bspw. Wertpapiere des Umlaufverm6gens, die nicht zum gewerblichen Handel erworben sind) (DRS 2.5 und DRS 2.31; IAS 7.6 und IAS 7.16; FAS 95.15). Die Zuordnung von Vorg~ingen die diesem Bereichssaldo erfolgt in Anlehnung an die Abgrenzung der Investitionst~itigkeit mittels der nicht abschliet~enden Aufz/ihlung investiver Zahlungsstr6me in IAS 7 und FAS 95 (IAS 7.16 a-h; FAS 95.16 f.). DRS 2 liefert dariiber hinaus ein nicht konkretisiertes Gliederungsschema investiver Vorg~inge, das folgende Positionen aufweist: (1) Zahlungseingang/-ausgang f-iir Grundbesitz, Maschinen/Anlagen, Betriebs-/Gesch~ifts-
756
Steuerung yon Zahlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
ausstattungen, (2) Zahlungseingang/-ausgang ~ r Beteiligungen, (3) Zahlungseingang/-ausgang fi~r konsolidierte Gesellschaften. Verursacht eine Investition - unabh~ingig davon, ob es sich um den Kauf bzw. Verkauf von Anlageverm6gen (z. B. Finanzierungsleasing, Sachanlagentausch) oder um eine nicht im operativen Bereich zu erfassende Transaktion des Umlaufverm6gens handelt, - keinen zahlungswirksamen Vorgang, so ist dieser nicht in der Kapitalflussrechnung auszuweisen. Diese sog. ,,non cash transactions" finden lediglich Eingang in den Anlagenspiegel und erfahren eine Kommentierung in den erg~inzenden Angaben, sofern diese von nachhaltiger Bedeutung sind (DRS 2.49 a und DRS 2.52 d; IAS 7.43 f.; FAS 95.32). Durch diese nicht zahlungswirksamen Investitionen wird auch evident, warum die angefiihrten Betr~ige von Auszahlungen fi~r Anlageverm6gen meist nicht mit den ange~hrten Zug~ingen im Anlagenspiegel i~bereinstimmen. Hinsichtlich der Darstellungsform f6r den Investitionsbereich verlangt die internationale Rechnungslegung einheitlich die direkte Darstellung unter Ber(icksichtigung des Bruttoprinzips (DRS 2.29; IAS 7.21; FAS 95.31) 183.
(3) Cash-Flow aus Finanzierungst/itigkeit
Der Cash-Flow aus Finanzierungst~itigkeit (,,financing activities") bildet alle zahlungswirksamen Gesch~iftsvorg~inge der Periode ab, die zur Finanzierung der betrieblichen Leistungserstellung genutzt werden und dabei die Struktur des Eigenkapitals bzw. der Finanzschulden ver~indern (DRS 2.5; IAS 7.6). Somit werden hier jegliche Zahlungen erfasst, die aus Transaktionen mit Eigen- bzw. Fremdkapitalgebern resultieren (DRS 2.34; IAS 7.17; FAS 95.18). Zur Beri~cksichtigung der hier relevanten Zahlungsvorg~inge nimmt DRS 2 eine allgemeine Beschreibung vor, der sich IAS 7 und FAS 95 im Wesentlichen anschliet~en und diese durch Anfi~hrung von Zahlungsbeispielen erg~inzen: (1) Zahlungseingang/-ausgang fi~r Eigenkapitaltransaktionen, (2) Zahlungseingang/ -ausgang ~ r Fremdkapitaltransaktionen. Die Darstellung des Cash-Flow aus Finanzierungst~itigkeit soll prinzipiell nach der direkten Darstellung erfolgen und entsprechend unsaldierte Positionen aufweisen (DRS 2.33; IAS 7.21; FAS 95.131). Der Nettoausweis ist nur bedingt zul~issig.
(4) Cash-Flow aus Sanierungst/itigkeit
Der Cash-Flow aus Sanierungst~itigkeit stellt eine erweiterte Abgrenzung der etablierten Kapitalflussrechnung, die auf den internationalen Rechnungslegungsstandards basiert, dar. Diese Erweiterung soll der m6glichst betrags- und termingetreuen Steuerung von Zahlungsstr6men in der besonderen Unternehmenssituation - der Sanierung 183 Unter Beri~cksichtigung spezifischer Anforderungen zur Anwendung des Nettoausweises ist dieser als Ausnahmeregel auch im Investitionsbereich zul~issig. 757
Knecht
-erm6glichen. Dadurch
k6nnen die betroffenen Bezugsgruppen (u. a. Management, Eigen- und Fremdkapitalgeber) schnell unterscheiden, welche zahlungswirksamen Vorg~inge sanierungsbedingte Einmalzahlungen darstellen und welche Transaktionen dem laufenden Gesch~ift zuzuordnen sind. Entsprechend erfasst der Cash-Flow aus Sanierungst~itigkeit exemplarisch folgende sanierungsbedingten Einmalzahlungen in den Bereichen laufendes Gesch~ift, Investitions- und Finanzierungst~itigkeit: I
Sanierungsbedingte Zahlungen im Personalbereich: Nicht selten erfordert die Sanierung der betrieblichen Krise die Freisetzung von Mitarbeitem. Die daraus resultierenden Lohnfortzahlungen bei m6glicher Personalfreistellung bzw. die Zahlung von Abfindungsbetr~igen stellen sanierungsbedingte Zahlungen dar, die entsprechend nicht in den Zahlungen f6r Personal zu erfassen sind.
m Sanierungsbedingte Zahlungen im Materialaufwand: Der Bezug von Roh-, Hilfsund Betriebsstoffen stellt meist die Basis der betrieblichen Leistungserstellung dar. Neben der bedingten Zahlungsm6glichkeit des Sanierungskandidaten markiert der Verlust eines Kunden ~ r den Lieferanten ebenso einen Ansatzpunkt ~ r m6gliche Verhandlungen ~iber Sanierungsbeitr~ige. Wird bspw. der Aufschub f~illiger Geldschulden gew~ihrt oder die Zahlungsfrist ~ r Material entsprechend verl~ingert, so ist nicht im Cash-Flow aus laufender Gesch~iftst~itigkeit sondern im CashFlow aus Sanierungst~itigkeit zu erfassen. E Sanierungsbedingte Zahlungen aus Kreditverbindlichkeiten: Aufgrund der angespannten Liquidit~itssituation k6nnen Kreditinstitute Verzichte auf Tilgungszahlungen oder die Aussetzung von Zinszahlungen einr~iumen. Diese Formen von Sanierungsbeitr~igen der Fremdkapitalgeber werden dann in den sanierungsbedingten Zahlungen aus Finanzierungst~itigkeit evident. Genauso w~irden allerdings hier m6gliche Zahlungen an die Fremdkapitalgeber aus Besserungsscheinen (,,Excess Cash-Flow") erfasst werden. Gerade zur Ermittlung der stichtagsgenauen Liquidit~itssituation und zur Steuerung der Zahlungsf~ihigkeit in der Sanierung empfiehlt sich die unsaldierte Erfassung aller zahlungswirksamen, sanierungsbedingten Einmalvorg~inge. Nur so wird es m6glich, einen belastbaren Endbestand der freien Linien zu ermitteln und zu erfassen, welche Zahlungen der Sanierung und welche Zahlungen dem laufenden Gesch~ift zuzuordnen sind. Insgesamt ist festzuhalten, dass die zahlungsbasierte Kapitalflussrechnung ~iber die Verdeutlichung der Ver~inderung der liquiden Mittel im Zeitablauf sowohl die Beurteilung der finanziellen Situation der zu sanierenden Gesellschaft erm6glicht als auch zeigt, welche Spielr~iume die Zahlungsf~ihigkeit zul~isst bzw. welchen Umfang die zeitpunktspezifischen Sanierungsbeitr~ige haben sollten. Durch diese Art der Kapitalflussrechnung steht nicht mehr die Erl~iuterung von Rechnungsposten im Mittelpunkt, sondern die Steuerung tats~ichlicher Zahlungsstr6me.
758
Steuerung yon Zahlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
3
Operative Liquidit~itssteuerung durch Worki ng-Capita I-Ma n age m e n t
3.1
Grundlagen der Kapitaleffizienz im Umlaufvermtigen
Das Working-Capital stellt einen Fondstyp dar, der Ansatzpunkte zur Liquidit~itssteuerung aus der operativen Gesch~iftst~itigkeit liefert und dabei sehr unterschiedlich abgegrenzt wird. Hier wird unter Working-Capital das Umlaufverm6gen abzi3glich der zinstragenden Verbindlichkeiten, also das sog. Nettoumlaufverm6gen oder das Betriebsverm6gen, verstanden (Schneider, 2003; Pike/Pass, 1987). Es kann errechnet werden, indem zun~ichst die Vorr~ite (Bestand), die Forderungen aus Lieferung und Leistung (LuL) und sonstige Verm6gensgegenst~inde/ Forderungen des Umlaufverm6gens addiert werden. Von dieser Summe werden die Verbindlichkeiten aus LuL, kurzfristige Rhckstellungen sowie sonstige Verbindlichkeiten des Umlaufverm6gens abgezogen (vgl. Abb. 3-1). Als kurzfristig werden dabei Positionen mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr aufgefasst. Das so ermittelte Working-Capital stellt einen Ansatzpunkt zur operativen Identifikation und Realisierung von Liquidit~its- und Kapitalpotenzial in der Sanierung dar und weist gleichzeitig das nicht zinstragende Umlaufverm6gen aus, das zu finanzieren ist.
Abbildung 3-1:
i
i i
Working-Capital: Kapitalbindung in der Leistungserstellung
Vorr~te
Leistungserstellung (Umsatzprozess)
+
'
Forderungen aus LUL
i i
Anzahlungen
+ Geleistete
+
Erhaltene
Working Capital
•
;-
i Material~ einkauf
i , i
Fertigungsbeginn
•
Fertigungsende +
~
Iiii~
Fe~igung
Abnahme/ Ubergabe ,
Zahlungseingang +
Lagerung Fe~produkte
i
ZahlungsmiRelabfluss Einkauf & Beschaffung
Umsatz-/WertschOpfung durch Unternehmensfinanzierung Dauer der Kapitalbindung
759
Knecht
Mit der transparenten und konsequenten Steuerung des Working-Capital wird die Zielsetzung verfolgt, das in der Leistungserstellung gebundene Kapitel zu optimieren, indem - v. a. in der Sanierung - der effiziente, kostenbewusste Umgang mit Liquidit/it in den Vordergrund rfickt und dabei mfglichst die Rentabilit/it gesteigert wird. Dazu ist fiber den Steuerungsprozess sicherzustellen, dass die Forderungen aus LuL sowie die Vorratsbest~inde minimiert werden und gleichzeitig der Umgang mit offenen Verbindlichkeiten aus LuL professionalisiert wird (Paul, 2004; Sartoris/Hill, 1983). Durch die Steuerung des Working-Capital wird es mfglich, die Kapitaleffizienz der Gesellschaft zu erhfhen. Als Steuerungsinstrument kfnnen wertorientierte Kennzahlensysteme wie Economic Value Added (EVA), Cash-Flow Return on Investment oder Cash Value Added angesetzt werden (Stewart, 1999; Young/O'Byrne, 2000). Der Wertbeitrag des Working-Capital-Managements l~isst sich messen, indem eine Wl Gewinnerhfhung ohne Reduktion gebundenen Kapitals zu einer Erhfhung des NOPAT (bspw. Steigerung von Deckungsbeitr~igen) ffihrt. I
Reduktion des gebundenen Kapitals im Anlage- und Umlaufvermfgen (Optimierung des Capital Employed) ohne Gewinnreduktion erfolgt.
@ Reduktion der Kapitalkosten erreicht wird, indem bspw. der Zinssatz fiber das Branchen-/Kapitalmarktrisiko gesenkt oder der Eigenkapitalanteil angepasst wird. Es ist somit auch nicht verwunderlich, dass Working-Capital Einfluss auf den Unternehmenswert nehmen kann, was gerade ffir einen m6glichen neuen Kapitalgeber im Rahmen der Sanierung von wesentlicher Bedeutung sein kann. Erg~inzend ist anzumerken, dass gerade in der Sanierung der Fokus auf der Verringerung des Kapitaleinsatzes liegen sollte, sofern eine Ergebnisausweitung nicht mfglich ist.
3.2
Cash Conversion Cycle
Uber den Cash Conversion Cycle (CCC) l~isst sich die Zeitspanne und das Volumen der Kapitalbindung des Umlaufvermfgens der Gesellschaft analysieren. Dabei ist es zentral, die Zahlungseing/inge und -ausg~inge per Kontoffihrung zu erfassen. Somit wird auch dem ursprfinglichen Konzept des Working-Capital-Management- Einkauf von Vorr/iten auf Ziel, zfigiger Verkauf der erstellten Produkte und dabei mfglichst die Begleichung der Verbindlichkeiten durch Zahlungseingang aus ForderungenRechnung getragen. Hierzu liefert der CCC die Mfglichkeit, die Effektivit~it des Working-Capital-Managements des Unternehmens zu analysieren, indem folgende Berechnungen durchgeffihrt werden (Brigham/Gapenski/Daves, 1999): @ Inventory Conversion Period (ICP)" Die ICP (Lagerumschlagsh~iufigkeit) ermittelt, welchen Zeitraum die Gesellschaft durchschnittlich benftigt, um die angelieferten Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (Vorr~ite) in verkaufsf~ihige Fertigprodukte umzu760
5teuerung von Zehlungsf~higkeitund Unternehmensliquidit~t
wandeln und diese zu verkaufen. Dazu wird der Vorratsbestand zum Ermittlungsstichtag in Relation zum erzielten Umsatz pro Tag gesetzt (Annahme meist 360 Tage/Jahr). Zur Validierung der Kapitalbindung ist ferner die Komplexit~it in Logistik und Materialwirtschaft zu berLicksichtigen, indem die Anzahl der auf Lager befindlichen Teile, Komponenten und Produkte (Teilezahl) berLicksichtigt wird. m Receivables Collection Period (RCP): Die RCP beschreibt die durchschnittliche Umsatzbindung durch Forderungen und wird auch als ,,Days Sales Outstanding" (DSO) bezeichnet. Die ermittelte Debitorenlaufzeit, d.h. das durchschnittliche durch die Kunden in Anspruch genommene Zahlungsziel bis die Gesellschaft einen Zahlungseingang verzeichnen kann, erfordert zur Effizienzmessung auch einen Vergleich mit den gew~ihrten Zahlungszielen. Die Berechnung erfolgt indem die Forderungen aus LuL in Relation zum erzielten Umsatz pro Tag gesetzt werden. Gerade bei Forderungen aus LuL sollte beriJcksichtigt werden, welcher Anteil der Forderungen ausfallgef~ihrdet ist. Die Overdue-Rate quantifiziert das Zahlungsausfallrisiko, indem sie das Volumen Liberf~illiger Forderungen in Relation zum gesamten Forderungsbestand setzt. Die Darstellung der ~iberf~illigen Forderungen sollte dabei nach zeitlichem Verzug gestaffelt erfolgen. I: Payables deferral period (PDP): Die PDP gibt die durchschnittliche Zeitspanne fLir den Kauf von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen bzw. den Bezug von Dienstleistungen und der Begleichung dieser an. Diese auch als ,,Days Payables Outstanding" (DPO) bezeichnete Kreditorenlaufzeit kennzeichnet das Zahlungsverhalten der Gesellschaft. Die Optimierung der durchschnittlichen Zeitspanne zwischen Rechnungseingang und Rechnungsbezahlung verschafft dem Unternehmen ein meist zinsfreies Darlehen. Wird die Bezahlung zu sehr Liberzogen, besteht entsprechend InsO die M6glichkeit des Insolvenzantrags durch den Gl~iubiger. Der CCC addiert die Zeitperiode der durchschnittlichen Bestandslaufzeit (ICP) und der Debitorenlaufzeit (RCP) und subtrahiert davon die Zeitspanne der durchschnittlichen Kreditorenlaufzeit (PDP). Die resultierende Gr6t~e ist der durchschnittliche Zeitraum der Kapitalbindung (Zahlungseing~inge/ -ausg~inge) auf Basis des aktuellen Working-Capital-Management. Das Ergebnis zeigt die durchschnittliche Bindungsdauer einer Geldeinheit in Verm6gensgegenst~inden des Umlaufverm6gens an. Je l~inger der CCC ist, desto gr6t~er ist die Kapitalbindung im Working-Capital und desto gr6l~er sind Kapitalkosten, sowie der Vorfinanzierungsbedarf der Gesellschaft. Zur Ermittlung des Finanzierungsbedarfs von zus~itzlichem Working-Capital zu einer m6glicherweise im Sanierungskonzept angestrebten Umsatzsteigerung ist die Working-Capital-Intensit~it zu berechnen. Diese Relation des Working-Capital zum Umsatz verdeutlicht, wie viel zus~itzliches, durchschnittliches Working-Capital durch die Umsatzsteigerung erforderlich wird. Jeder positive Wert zeigt den zus~itzlichen Bedarf finanzieller Mittel, der nicht aus der Leistungserstellung gewonnen werden kann, jeder negative Wert verdeutlicht, dass der Umsatzprozess mehr Liquidit~it generiert als zur Finanzierung von Vorr~iten und Verbindlichkeiten aus LuL ben6tigt wird. Zur 761
i
Knecht
Beurteilung der Gesamtsituation sind diese Indikatoren in ein Kennzahlensystem einzugliedern, dass sowohl Unternehmens- und Wettbewerbsinformationen als auch Vergangenheits- und Plandaten enth~ilt. Der besondere Stellenwert der Untemehmensliquidit~it und Kapitaleffizienz in der Unternehmenssanierung ~ h r e n in letzter Konsequenz zum ,,Concept of Zero Working-Capital". Diesem Ansatz, der ebenso wie die Kapitalbudgetierung auf die langfristige Untemehmensfinanzierung Einfluss nimmt, liegt die 0berlegung zu Grunde, dass Vorr~ite und Forderungen aus LuL f~r den Umsatzprozess essentiell sind, aber diese jedoch durch die Aushandlung entsprechender Konditionen am besten 6ber Verbindlichkeiten aus LuL finanziert werden sollten. Gelingt einer Gesellschaft die Realisierung des Zero Working-Capital, so bedarf es keiner Umlauffinanzierung zur Leistungserstellung. Inwieweit dieses Konzept realisierbar ist, h~ingt wesentlich von der Industrie bzw. der Branche ab, in der die Gesellschaft aktiv ist. Im Bereich des Projektgesch~ifts (bspw. Anlagenbau) ist dies problematisch zu realisieren, im Bereich des Handels (bspw. Konsumgfiter) l~isst sich das Konzept realisieren (McLennahan, 2003). Unabh~ingig v o n d e r finalen Umsetzbarkeit des Zero Working-Capitals liefert aber allein diese Zielsetzung eine Erh6hung der Produktivit~it, eine Erh6hung der Kapazit~itsauslastung und somit das Streben nach Wettbewerbsvorteilen und der Erreichung finanzieller Ziele.
3.3
Bestands-, Debitoren- und Kreditorenmanagement
Um den verzinslichen Teil des Umlaufverm6gens, der zu finanzieren ist, m6glichst gering zu halten bzw. m6glichst effizient zu gestalten, sind ~ r das Bestands-, das Debitoren- und das Kreditorenmanagement Ansatzpunkte zur Working-CapitalSteuerung identifiziert worden.
(1) Bestandsmanagement (Vorr/ite) Im Betrachtungsmittelpunkt des Bestandsmanagements stehen die Vorr~ite der Gesellschaft, die nach § 266 (2) HGB Bestandteil des Umlaufverm6gens sind. Bilanzierte Vorr~ite umfassen Leistungen der Gesellschaft oder Teile von diesen, was auch die Untergliederung der Vorr~ite nach HGB verdeutlicht. So werden hier (1) Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe angef~ihrt, also Stoffe, die unmittelbar in das Fertigprodukt eingehen und dessen Hauptbestandteil bilden. Die (2) unfertigen Erzeugnisse bzw. Leistungen markieren Vorr~ite von noch nicht verkaufsf~ihigen Produkten, ftir die durch Beoder Verarbeitung im eigenen Unternehmen bereits Aufwendungen entstanden sind. Die (3) fertigen Erzeugnisse und Waren stellen die selbstgefertigten und die gekauften
762
Steuerung yon Zohlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
Produkt-/Leistungsvorr~ite dar, die das Stadium der Versandfertigkeit erreicht haben und ausgeliefert bzw. fakturiert werden k6nnten. Handelt es sich hingegen um eine schriftliche Bestellung, auf die bereits eine Anzahlung geleistet wurde, ohne dass bislang eine Leistung erfolgt ist, so ist hier eine (4) geleistete Anzahlung zu bilanzieren. Diese Vorleistung eines Vertragspartners auf ein schwebendes Gesch~ift ist aufgrund der abgeschlossenen und noch offenen Liefer- und Leistungsverpflichtung zu erfassen. Zur Reduktion des Einflusses des Vorratsverm6gens auf das Working-Capital sind Anpassungsmat~nahmen zu definieren, die den vollst~indigen leistungswirtschaftlichen Prozess betreffen. Im Idealfall sind diese Aspekte bereits bei der Produktplanung berficksichtigt worden, falls nicht, sollten sie bis auf die Planung und Kombination des Produktsortiments zurfickgeffihrt werden (Schneider, 2003). Eine Kapitalbindungskosten orientierte Leistungserstellung ergreift alle Mat~nahmen, die zur Reduktion von Durchlaufzeiten und Minimierung der Erstellungskosten ffihren, um eine Senkung der Vorratshaltung in den Bereichen Roh-, Hilfs, Betriebsstoffe, unfertige sowie fertige Erzeugnisse zu erreichen. So ist bspw. auf die Standardisierung von Bauteilen oder auf einen hohen Lagerumschlag der Vorr~ite zu achten. Ein hoher Standardisierungsgrad und ggf. sogar eine Modularisierung der Produktelemente erm6glichen ein klarer strukturiertes Produktsortiment aufgrund geringerer Teilevielzahl und damit letztlich auch weniger Komplexit~itskosten (erh6hte Durchlaufzeit und Zuverl~issigkeit). Zur Optimierung der Vorratsbeschaffung (Einkauf) sind etablierte Managementkonzepte wie Outsourcing oder Just-in-Time-Fertigung zu prfifen. Im Bereich des Produktabsatzes (Verkauf/Vertrieb) sollte mittels einer konkreten Absatzplanung und Verkaufsf6rderung darauf geachtet werden, sowohl eine verarbeitungsad~iquate Beschaffung zu erm6glichen als auch den Bestand an fertigen Produkten und Waren m6glichst gering zu halten. Da ein optimiertes Bestandsmanagement Prozessschritte aus der gesamten betrieblichen Leistungserstellung anspricht, ist Steuerung des Spannungsfeldes zwischen Bestandsminimierung zur Reduktion der Kapitalbindungskosten und der Sicherstellung/Erhaltung der Leistungserstellungs- und Auslieferf~ihigkeit zu gestalten. Nach § 252 (1) HGB werden Verm6gensgegenst~inde des Umlaufverm6gens prinzipiell nach dem Prinzip der Einzelbewertung bilanziert. Da es der Gesellschaft fiberlassen ist, welche Vorr~ite zuerst verbraucht bzw. verkauft werden, hat sie die M6glichkeit im Zeitpunkt des Verbrauchs bzw. des Verkaufs den Ausweis des Periodengewinns bzw. -verlusts zu beeinflussen. Es haben sich daher verschiedene Methoden zur Wertermittlung der Anschaffungs- und Herstellungskosten etabliert, die fiber unterschiedliche Wertans~itze eine Beeinflussung des Periodenergebnisses und der Substanzerhaltung der Gesellschaft erm6glichen und von der Einzelbewertung abweichen k6nnen: (1) Bewertung nach zeitlicher Reihenfolge (First-in- First-Out-Methode bzw. First-inLast-Out-Methode), (2) Bewertung nach Anschaffungskosten (Highest-in - First-OutMethode bzw. Lowest-in- First-Out-Methode), (3) Gewogener Durchschnitt. Konzeptionell l~isst sich der Vorratsbestand und somit der Einfluss auf die Bilanzierung und das Periodenergebnis fiber das Economic Ordering Quantitiy (EOQ)-
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Knecht
Modell verdeutlichen 184. In diesem Ansatz werden dezidiert die Bestell- und Lagerkosten ~ r Vorr~ite ermittelt um letztlich eine Optimierung der Bestellgr6t~en und des Vorratsbestands bei gleichzeitiger Minimierung der Gesamtkosten aufzuzeigen. Dabei lassen sich sowohl Mindestvorratsmengen, Mengenvergi~nstigungen oder saisonale Bedarfsschwankungen beri~cksichtigen. Praktisch kann die Analyse des Vorratsbestands i~ber eine Kennziffemanalyse erfolgen, die die Effizienz verdeutlicht (Ji~nger, 1998). Dazu geh6rt die durchschnittliche Lagerbestandsreichweite ~ r RHB-Stoffe, die angibt fi~r welchen Zeitraum die RHB-Stoffe bei gleich bleibender Produktion ausreicht oder die durchschnittliche Anzahlungsh6he fi~r Waren, die verdeutlicht in welchem Umfang Liquidit~it in Materialeink~iufen gebunden wird. Gerade im Sanierungsfall lassen sich in allen Prozessketten der betrieblichen Leistungserstellung typische Griinde fiir den Bestandsaufbau identifizieren, die sich vermeiden lassen sollten. Im Bereich des Materialeinkaufs lassen sich bspw. variierende Wiederbeschaffungszeiten fi~r identische Verarbeitungsmaterialen identifizieren. Im Extremfall kann dies zu einer sog. Out-of-stock-Situation f~ihren, die negativ auf die Produktion wirkt. Eine Unregelm~it~igkeit kann auch durch un~ibersichtliche Lieferanten- und Materialgruppen entstehen. Dies ist m6glich, wenn eine zu hohe Zahl unterschiedlicher Anbieter fi~r dieselben Materialen genutzt werden oder die Materialgruppen uni~bersichtlich und wenig differenzierend klassifiziert sind. Nach klaren Selektionsmerkmalen sollte hier eine Komplexit~itsreduktion erfolgen. Im Bereich der Produktion sind bspw. eine zu hohe Fertigungstiefe ohne entsprechende Wertsch6pfung oder ein h~iufiger Produktwechsel, der eine Vielzahl nicht verwertbarer Rohstoffe nach sich zieht, als Ursache f6r den unn6tigen Bestandsaufbau anzufiihren. Eine Prozessanalyse, die den Wertbeitrag einzelner Arbeitsschritte verdeutlicht, und eine Sortimentsdefinition, die sowohl einigermat~en zeitstabil als auch nicht zu komplex ist, helfen hier das Vorratsmanagement zu optimieren. Im Bereich des Vertriebs lassen sich als Bestandstreiber die fehlende Abstimmung zwischen dem Auftragseingang und der Produktionsplanung sowie der Absatz ungi~nstiger Losgr6t~en identifizieren. So ist nachvollziehbar, dass bei fehlender bzw. unzureichender Kommunikation die Arbeitsprozesse in Einkauf und Produktion ineffizient sind. Eine ~ibergreifende Verst~_ndigung ~iber alle Wertsch6pfungsstufen tr~igt zur Aufl6sung von (Bestands-) Ressourcen und zur Reduktion der Kapitalbindung bei, um eine Steigerung des Unternehmenswertes zu erm6glichen.
(2) Debitorenmanagement (Forderungen) Das Debitorenmanagement zielt auf die Minimierung des Bestands oftener Forderungen aus LuL der Kunden sowie auf eine gleichzeitige Maximierung des Forderungsumschlags (Paul, 2004). Dabei umfasst das Debitorenmanagement in der begrifflichen 184 Das EOQ-Modell geht zu~ck auf BAUMOL,der bereits 1952 festgestellt hat, dass die Zahlungsf~ihigkeit einer Gesellschaft eng mit dem Vorratsbestand verkn~ipft ist (Baumol, 1952). 764
5teuerung yon Zohlungs[f~higkeit und Unternehmensliquiditf~t
Abgrenzung alle ,Ma2qnahmen zur rechnerischen Erfassung und tatsfichlichen Durchsetzung von Forderungen aufgrund eines Kaufs oder einer erbrachten Dienstleistung" (BMWi, 1997). Somit sind sowohl Aspekte des Kreditmanagements als auch Aspekte der Forderungsbearbeitung- also alle Mat~nahmen zur Risikobegrenzung und -vermeidungin der operativen Steuerung zu berficksichtigen. Das Gesamtvolumen oftener Forderungen aus LuL ergibt sich aus (1) dem Volumen des Verkaufs von Produkten und Leistungen ,,auf Ziel'" und (2) der durchschnittlichen Zeitdauer zwischen Rechnungsstellung und Zahlungseingang. Diese Forderungen entstehen, indem den Kunden entsprechende Zahlungsziele gew~ihrt werden (Absatzkredit) und dadurch eine Absatzf6rderung erzielt wird. Gerade in Westeuropa sind Zahlungskonditionen wie ,,auf Rechnung", ,,per Nachname" oder /ihnliches vorherrschend, so dass ein akzeptierter verz6gerter Geldeingang zu verzeichnen ist. Wenngleich der Absatzkredit vonder Struktur mit dem Bankkredit vergleichbar ist, so wissen die meisten Unternehmen vergleichsweise wenig fiber ihre Kreditnehmer. Zahlungsf/ihigkeit und -willigkeit markieren das Kreditrisiko, das durch die verschiedenen Produktlieferungen, die oft mit unterschiedlichen Zahlungszielen und Skontobedingungen verbunden sind, gesteuert wird. Daneben erfolgt durch den Absatzkredit eine Kapitalbindung in Form von Forderungen. Um die Kapitalbindung zu optimieren wird die Erh6hung des Kapitalumschlags gefordert, denn je h6her der Kapitalumschlag desto geringer sind Verm6gensbindung und Finanzierungskosten. Zur Steuerung des Forderungsausfallrisikos ist sowohl ein kundenspezifisches Rating als auch die ad/iquate Vertragsgestaltung vorzunehmen. Entsprechend einem Kreditrating der Banken gilt es hier ein Kundenrating zur Bonit~itspriifung/-bewertung zu erstellen. Dazu wird eine Bewertungssystematik erstellt, in die kundenspezifisch konjunkturelle Daten (bspw. Branchenentwicklung), konstitutive Daten (bspw. Rechtsform), wirtschaftliche Daten (bspw. Gesch/iftsentwicklung) und engagementspezifische Daten (bspw. Zahlungsverhalten) aufgenommen werden. Unter Beriicksichtigung der internen und extemen Bewertungskriterien sowie der Festlegung der Gewichtung der einzelnen Kriterien erfolgen verdichtete Einzelanalysen zu einem Kundenrating, das fiber den Umfang des Absatzkredites entscheidet. Altkunden k6nnen einer erweiterten Kennzahlenanalyse unterzogen werden, indem Kunden- und Umsatzstruktur des Altkunden, die Struktur der Forderungen sowie sein Zahlungsverhalten analysiert werden. Zur Steuerung des Kreditrisikos ist auch die klar strukturierte Vertragsgestaltung mit nachvollziehbaren Zahlungsbedingungen der Kunden zu beriicksichtigen. Oft zeigen sich unterschiedliche Standardisierungsgrade in den vereinbarten Vertragsbedingungen. Gerade im Sanierungsfall ist eine einheitliche Spezifikation der Zahlungsbedingungen hilfreich, um schnellstm6glich und transparent die Liquidit/it steuern zu k6nnen. Entsprechend gilt es das Kreditlimit sowie dessen Uberwachung zu definieren. So sollte kein Kunde einen h6heren Absatzkredit erhalten als es das spezifische Bonit/itsrating sowie die Finanzierung des Kreditgebers zul~isst, um die Verluste aus Forderungsausfall zu begrenzen. Zur Festlegung des Kreditlimits ist die Kundenstruktur heranzuziehen. Handelt es sich um wenige, internationale Konzerne 765
Knecht
wird die Limitbeurteilung vermutlich anders ausfallen, als wenn die Kundenstruktur eine Vielzahl von Klein- und Einzelk~iufem umfasst, deren Ausfall sich schnell zu einem nachhaltigen Strukturrisiko entwickeln kann. Zur Begrenzung des Ausfallrisikos kann eine Kreditversicherung abgeschlossen werden, die ebenfalls wieder eine Bonit~itsbeurteilung und Limitdefinition der Kunden veranlasst. Dari~ber hinaus besteht auch die M6glichkeit der vertraglichen Vereinbarung von Sicherungsinstrumenten mit dem Kunden zur Forderungsabsicherung. Dazu nutzen Kreditinstitute oft Grundpfandrechte oder Sicherungsi~bereignungen. Zur Absicherung des Absatzkredites eigenen sich meist Instrumente wie der Eigentumsvorbehalt an der ausgelieferten Ware oder die Globalzession. Die Bearbeitung und Optimierung oftener Forderungen aus LuL erfolgt durch die Debitorenbuchhaltung und das Mahnwesen. In der Debitorenbuchhaltung werden alle Kontokorrente erfasst, d. h. vonder Versendung der Rechnung an den K u n d e n und somit der Entstehung der Forderung - bis hin zur Abwicklung der Geldzahlung. Die umgehende Fakturierung z~ihlt zu den bedeutendsten Aufgaben des Forderungsmanagements, denn die Zahlungsfristen beginnen erst mit 0bergabe der Rechnung. Um die Kapitalbindungsdauer zu reduzieren, ist eine versp~itete Abrechnung zu vermeiden, da l~ingere Zahlungsziele generell ein h6heres Ausfallrisiko nach sich ziehen. Mit Rechnungsstellung und -versand werden das Volumen der Kreditverk~iufe sowie die verschiedenen genutzten Zahlungskonditionen systematisch erfasst, die die Grundlage f~ir die Kontrolle der Zahlungseing~inge darstellen. Sind Zahlungen i~berf~illig, d. h. es werden die vereinbarten Zahlungsziele ~iberzogen, sind umgehend die Gri~nde mr den Verzug zu ermitteln und ggf. eine Ursachenanalyse der M~ingeleinreden anzustot~en. Zur Etablierung einer stringenten Kommunikation mit dem Kunden sollte die Integration des Vertriebs in das Forderungsmanagement vorgenommen werden. So kann die Struktur des s~iumigen Kunden und die M6glichkeit der Forderungsbegleichung ber~icksichtigt werden. Gerade die Kundenanalyse ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt, denn dadurch ist es m6glich Kundencluster in Abh~ingigkeit vom Umsatz zu definieren und ein Reduktionsziel ftir den kundenspezifischen Forderungsbestand zu erfassen. Sind offene Forderungen i~berf~illig und haben trotz Forderungsmanagement keinen Zahlungseingang erwirkt, so sollte das Mahnwesen Anwendung finden. In einem effizienten Mahnwesen ist bestimmt, welche Mahnstufen und welcher Mahnrhythmus vorgesehen sind. Oft umfasst dieser Prozess zwei Mahnstufen, indem Kunden eine erste bzw. eine zweite Mahnung erhalten, bevor weitere juristische Schritte veranlasst werden. Zur konsequenten Ri~ckfi~hrung i~berf~illiger Forderungen, werden bereits in den Mahnungen abschreckende Mahngeb~ihren, Verzugszinsen oder Anwaltskosten berechnet. Ist das nicht ausreichend, liefert ein vereinbartes Inkasso die M6glichkeit (1) offene Forderungen mit m6glichen Kundenverbindlichkeiten aufzurechnen, (2) die Ubergabe an ein Inkassobi~ro vorzunehmen bzw. (3) den Einsatz von Factoring oder einer Forfaitierung zu veranlassen. Fi~r ein effizientes Inkasso ist es wichtig inhaltlich und rechnerisch korrekte Rechnungen an den Kunden i~bersandt zu haben. Dazu helfen eindeutige Tarifstrukturen sowie die Definition von
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Steuerung yon Zohlungsf~higkeit und Unternehmensliquiditf~t
Kreditrichtlinien, die u. a. die offenen Posten Listen mit Angaben der 0berf~illigkeiten auf Einzelpostenebene (sog. ,,Aging Lists") ausweisen, die Kriterien fi.ir die Gew/ihrung von Absatzkrediten enthalten oder das Prozedere im Mahn- bzw. Inkassoprozess eindeutig und konsequent regeln.
(3) Kreditorenmanagement (Verbindlichkeiten) Das Kreditorenmanagement stellt auf die zeitliche Streckung der offenen Verbindlichkeiten aus LuL ab. In der begrifflichen Abgrenzung umfasst es alle Mai~nahmen, die zur rechnerischen Erfassung und tats~ichlichen Verschiebung yon Verbindlichkeiten auf eine entgegengenommene Leistung eines Lieferanten zur~ickzuf~ihren sind. Zum Kreditorenmanagement z~ihlen daher die strategische Analyse der Tr~iger der Verbindlichkeiten und die Ansatzprmkte f~r Verhandlungen ~iber die Verz6gerung yon Verbindlichkeiten. Gelingt es, die Zahlungskonditionen oftener Verbindlichkeiten zeitlich zu strecken, so wird wertvolle Unternehmensliquidit~it gewor~en, die m6glicherweise die Zahlungsf~ihigkeit bewahrt und so einen Sanierungsbeitrag des Lieferanten darstellt. Die Vereinbarung yon Verbindlichkeiten aus LuL mit m6glichst weiten Zahlungszielen wird wesentlich dutch die Marktmacht des Abnehmers, die Marktstruktur und die strategische Bedeutung des Lieferanten gesteuert. Zur Analyse der strategischen Bedeutung von Lieferanten bietet sich eine ABC-Wertanalyse nach Lieferanten und Lieferantengruppen an, mit der eine Klassifizierung der Dringlichkeit und Notwendigkeit der Begleichung yon Verbindlichkeiten aus LuL erfolgen sollte. Dabei ist v. a. zu entscheiden, welchen Dringlichkeitsstatus der Lieferant flit die Fortffihrung der Leistungserstellung hat. Ober den Dringlichkeitsstatus lassen sich idealtypisch die Gruppen (1) dringend erforderlich, (2) bedingt erforderlich und (3) kurzfristig nicht bedeutend identifizieren. Daraus resultiert letztlich das Spammngsfeld zwischen der Bewahrung einer belastbaren Lieferantenbeziehung und der Zielsetzung der Minimierung des Working-Capitals bzw. der Erhaltung der Zahlungsf~ihigkeit. Abh/ingig yore Lieferantenstatus/-vertrag sowie der aktuellen Unternehmenssituation stehen verschiedene M6glichkeiten zur Erzielung yon Sanierungsbeitr~igen der Lieferanten zur Verf~gung. Ist die strategische Bedeutung f~ir die Vertragspar~er hoch genug, so karm ein erfolgter Lieferstopp aufgehoben bzw. m6gliche, vertraglich deftnierte Abnahmeverpflichtungen gel6st/gek~indigt werden. Gelingt es dem Lieferanten die Bedrohlichkeit der Unternehmensfortf~ihrung zu vermitteln, so k6rmen Forderungsverzichte auf offene Verbindlichkeiten dutch den Lieferanten erfolgen oder eine zeitliche Stundung auf Restforderungen vereinbart werden. Auch die Vereinbarung von zeitlich terminierten Rahmenvertr~igen, die l~ingere Zahlungsziele zulassen, karm ein Sanierungsbeitrag sein. Durch eine offene und vertrauensvolle Kommunikation mit dem Lieferanten sollte auch die mittel- bzw. langfristige Anpassung der Unternehmenskonditionen erwirkt werden k6rmen.
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Knecht
4
Rechtliche Herausforderunsen des Liq ui dit its m a n abe m e n ts
4.1
Cash Poolins: Liquidit itsausgleich im Konzern
Die Bereitstellung von verfiigbarer Liquidit~it zu m6glichst geringen Kosten ffir eine gesamte Untemehmensgruppe, bestehend aus einer Muttergesellschaft und mindestens einer Tochtergesellschaft, kann durch Cash Pooling gew~ihrleistet werden (Seibold, 2005; Oho/Eberbach, 2001). Gerade Konzerngesellschaften unterhalten oft individuelle Konten. Da in der Krisensituation Liquidit~it ein knappes Gut darstellt, ist es wenig hilfreich, wenn Verbundgesellschaften einerseits Liquidit~itsfiberschuss aufweisen, der - wenn ~iberhaupt- zu geringen Zinss~itzen angelegt werden kann, andererseits Verbundgesellschaften teure Oberziehungskredite- sofern noch m6glich- aufnehmen. Durch das Cash Pooling185, also das Zusammenfi~hren der Einzelkosten der Konzerngesellschaften zu einem Zielkonto (sog. ,,Master Account"), gelingt es den Liquidit~itsbedarf einzelner Gesellschaften durch den Liquidit~itsbedarf anderer Konzerngesellschaften bereitzustellen und lediglich den Saldo auf dem Zielkonto am Kapitalmarkt anzulegen bzw. i~ber Kreditinstitute zu finanzieren. Dadurch kann die Fremdmittelaufnahme und die Zinsbelastung im Konzern minimiert werden. Die konzernweite Liquidit~itssteuerung birgt allerdings auch umfangreiche rechtliche Risiken, die exemplarisch angefi~hrt werden. Im Rahmen der Oberffihrung von Liquidit~it auf das Master Account der Muttergesellschaft darf gem. § 30 GmbHG das stammkapitalerhaltende Verm6gen nicht an die Gesellschafter ausgegeben werden. Erfolgt hingegen eine Darlehensgew~ihrung aus diesem kapitalerhaltenden Verm6gen, so wurde eine verbotene Auszahlung vorgenommen. Rechtsfolge ist die sofort f~illige R~ickzahlung des kapitalerhaltenden Teils der Liquidit~itsfiberffihrung, die nicht gestundet und auf die nicht verzichtet (§ 31 (4) GmbHG) werden kann (Lutter/Hommelhoff, 2004). Daneben hat der Organinhaber (Gesch~iftsffihrer, Vorstand) den entstandenen Schaden zu ersetzen, der hier nicht auf die Darlehensh6he beschr~inkt ist (§ 43 GmbHG). Aufgrund vernachl~issigter Verm6gensbetreuungspflicht bzw. aufgrund Untreue ist die Gesch~iftsf~hrung ferner pers6nlich strafbar lt. § 266 StGB, wenn diese eine Verm6gensverfi~gung die gegen § 30 GmbHG verst6t~t, vornimmt bzw. zustimmt. Auch auf der Ebene des Gesellschafters ist diese Liquidit~itsanforderung kritisch, denn wenn der Gesellschafter der Gesellschaft so viel Liquidit~it entzieht, dass sie nicht mehr bef~ihigt ist ihre f~illigen Verbind185 Die Ausf~ihrungen beschr~inken sich auf das physische Cash Pooling, das Notional Cash Pooling, also virtuelle Pooling in dem nur Zinsberechnungen einzelner Konten teilnehmen und die fiktiv saldiert werden, sind ausgeblendet (M~iller-Bullinger, 1999). 768
Steuerung yon Zahlungsf~hi~keit und Unternehmensliquidit~t
lichkeiten zu bedienen und somit die Belange der Gesellschaft nicht hinreichend berticksichtigt, so liegt ein existenzvernichtender Eingriff vor (BGHZ 149, 10 v. 17.09.2001). Im Fall des existenzvernichtenden Eingriffs in ein konstituiertes Cash Pooling haftet der Gesellschafter per Durchgriffshaftung den G1/iubigern der Gesellschaft unmittelbar auch im Aut~enverh/iltnis. Wurde die Auszahlung aus ,freiem Verm6gen" wie z. B. aus Kapitalrticklagen geleistet, so ist dies rechtlich unbedenklich. Im Rahmen der Uberftihrung von Liquidit~t vom Master Account an einen Client Account kann diese als Eigenkapitalersatz gewertet werden (B16se, 2002). Wird die Liquidit~t des Cash Poolings ffir ein Darlehen an ein Verbundunternehmen gew~hrt, dass in der Krise steckt, d. h. es ist insolvenzgef~hrdet, dann liegt der eigenkapitalersetzende Charakter vor und somit darf diese Liquidit~t bis zur nachhaltigen Beseitigung der Krise in dem Umfang nicht zurfickgezahlt werden, wie es zur Deckung des Stammkapitals erforderlich ist (BGH v. 08.11.2004). Erfolgt die Rtickzahlung des eigenkapitalersetzenden Darlehens, so liegt ein Verstot~ gegen § 30 GmbHG vor, der wiederum Schadensersatz nach § 43 GmbHG ausl6st und ftir die Gesch~iftsftihrer Untreue nach § 266 StGB nach sich zieht. Hier kann maximal ein Rangrticktritt erkl~irt werden, der praktisch dazu f6hrt, dass das eigenkapitalersetzende Darlehen bei Insolvenz der Gesellschaft nicht mehr zur Bedienung kommt. Hat eine Kapitalgesellschaft oder GmbH & Co. KG einen Beherrschungs- u n d / o d e r Gewinnab~hrungsvertrag mit einem anderen Unternehmen geschlossen (§ 291 AktG), so hat das beherrschende Unternehmen eine Verlustausgleichspflicht nach § 302 AktG. Eine m6gliche Zahlungsunf~ihigkeit ist somit durch die beherrschende Gesellschaft auszugleichen. Daraus l~isst sich ferner ableiten, dass das Weisungsrecht der beherrschenden Gesellschaft nach § 308 AktG rechtlichen Grenzen unterliegt. So ist bspw. eine Weisung an beherrschte Gesellschaft nicht durch diese umzusetzen, sofern sie existenzgef~ihrdend ist. In diesem Rahmen hat also der existenzvernichtende Eingriff ebenso Gtiltigkeit. Gerade in der Sanierung von Konzerngesellschaften bzw. in der Sanierung von Konzernen sind im Rahmen des Cash Poolings Vorkehrungen zu treffen, um die m6glichen rechtlichen Risiken einzugrenzen. So ist durch die ftir die Ftihrung des Cash Pools verantwortliche Gesellschaft stets sicherzustellen, dass keine Darlehen begeben werden, die letztlich zur Unterdeckung des Stammkapitals ftihren. Dazu k6nnte es hilfreich sein keine automatische Liquidit~itsabftihrung an das Master Account zu veranlassen, sondern unter Berticksichtigung der finanziellen bzw. bilanziellen Situation das ,,Clearing" zu veranlassen. Um diese Unterdeckung zu vermeiden k6nnte auch eine strukturelle Sanierung bspw. tiber eine Verschmelzung von liquidit~itsstarken mit -schwachen Konzerngesellschaften- sofern dies wirtschaftlich sinnvoll i s t vorgenommen werden. Die Absicherung des existenzvemichtenden Eingriffs k6nnte durch eine 0berlassung einer Liquidit~itsreserve auf Ebene der einzelnen Gesellschaft erreicht werden, so dass diese stets ihre Verbindlichkeiten bedienen kann. Schliet~lich sollte der Cash Pooling-Vertrag jederzeit durch jede einbezogene Gesellschaft ktindbar
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~ii!
Knecht
sein, um potenzielle Teilinsolvenzen zu erm6glichen und somit die Liquidit~it ftir weiterhin ,,gesunde" Unternehmen im Konzernverbund aufrechtzuerhalten.
4.2
Aufrechterhaltun8 und KUndigun8 der Kreditlinie
Die Kapitalstruktur eines mittelst~indischen Untemehmens in Deutschland besteht durchschnittlich zu 53 % aus Verbindlichkeiten ggii. Kreditinstituten, was die Bedeutung der Kreditlinie ffir die Untemehmensliquidit/it betont. Ger~it nun der Kreditnehmer in die Krise bzw. wird ein Sanierungsfall, w/inschen die Kreditnehmer i. d. R. zumindest die Aufrechterhaltung der Kreditlinie und somit der aktuellen Liquidit/itssituation, auf der anderen Seite sind Banken neben dem eigenen Schaden auch rechtlichen Ansprtichen anderer Gl~iubiger ausgesetzt, sofem die Sanierung scheitert. Vor diesem Hintergrund wurde dem Kreditgeber Handlungsspielraum vom Gesetzgeber einger/iumt (RG v. 09.04.1932), sofern das Verhalten der Kreditinstitute nicht zur (1) Insolvenzverschleppung, (2) Schuldnerknebelung, (3) stillen Gesellschafterposition, (4) Kreditbetrug oder (5) Gl~iubigergef/ihrdung beitr/igt. Der liquidit~itsrelevante Entscheidungsspielraum der Kreditinstitute umfasst in diesem Zusammenhang die M6glichkeiten des (1) Stillhaltens, des (2) F/illigstellens und der (3) Ausgabe ,,frischen Gel-
des". Hat sich ein Kreditinstitut zum Stillhalten entschieden so bedeutet dies im Wesentlichen die Aufrechterhaltung der bereits zugesagten oder ausgezahlten Kreditlinie (R6sler/Mackenthun/Pohl, 2002). Dies umfasst auch die Prolongation des bestehenden Engagements, d.h. das Darlehen bleibt mit seinen Rtickzahlungsraten unver~indert, wobei die entsprechend f/illigen Zinszahlungen gestundet bzw. verschoben werden und somit periodisch neu zu berechnen sind. Formal hat der Kreditnehmer hier das Recht den zugesagten Kreditrahmen vollst~indig- auch im Sanierungsfalle- auszusch6pfen, denn auf Basis der Rahmenzusage (AGBs) ist das Kreditinstitut verpflichtet, den Kredit auszuzahlen (BGH v. 07.03.1985). Dieser Verpflichtung k6nnen die Banken in der Praxis allerdings entgehen, indem sie das Engagement 16sen. Die Option ,,Stillhalten" ist also nicht zwingend w6rtlich zu interpretieren, vielmehr ist dies als Stundungsabrede oder Moratorium zu sehen, wenn die Kreditinstitute von einer Kreditktindigung absehen. Um in der Krise des Kunden allen m6glichen Haftungsfragen zu entgehen, kann das Kreditinstitut auch das Recht zur Kreditkiindigung ausfiben. In welchem Umfang die Kreditktindigung erfolgt, h~ingt wesentlich vonder Befristung des Kreditvertrags, der K/indigungsart und der Kreditart ab. Ist das Kreditengagement an bestimmte Fristen gebunden bzw. sind bestimmte Ri.ickzahlungen vereinbart, so hat der Kreditnehmer
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Steuerung yon Zahlungsf~higkeit und Unternehmensliquidit~t
den Kredit nach § 488 (1) 2 BGB fristgerecht ohne Aufforderung bzw. Kiindigung durch die Bank zu bedienen, sofern keine besonderen Vereinbarungen getroffen sind. Ist im Kreditvertrag keine Laufzeit fest definiert, so hat die Bank die M6glichkeit zur einseitigen Vertragsbeendigung durch ordentliche Kreditkiindigung gem~it~ § 488 (3) BGB mit einer dreimonatigen Frist bzw. nach Nr. 19 (1) AGB der Banken (vollst~indige Aufhebung der Kundenbeziehung). Dabei hat die Bank dem Kreditnehmer eine angemessene Frist bis zum finalen Termin der F~illigstellung einzur~iumen, so dass dieser einen alternativen Kreditgeber finden kann (OLG Di~sseldorf v. 09.02.1989). Diese Frist orientiert sich zun~ichst an der vertraglichen Vereinbarung, sollte aber in AGB gem~it~ dem gesetzlichen Leitbild in § 488 (3) 2 BGB eine Frist von mindestens 3 Monaten vorsehen. Ferner sollte die Bank auf die Interessenlage des Schuldners Ri~cksicht nehmen, kann allerdings davon abweichen, wenn sie nicht der einzige Kreditgeber ist, keine hinreichend werthaltigen Sicherheiten besitzt oder ~iber das Gesch~iftsgebaren des Unternehmens nicht hinreichend informiert ist. Ist der Kreditbetrag ~iber Sicherheiten gedeckt und strebt die Bank dennoch eine ordentliche Ki~ndigung an, so kann der Kreditnehmer ein Recht haben, dass die Kreditk~indigung aufgeschoben wird, wenn die Bank auch im Verz6gerungszeitraum werthaltige Sicherheiten hat, der Kreditnehmer termingerecht die Annuit~iten leistet und die Ki~ndigung unverh~iltnism~it~ige Konsequenzen ~ r den Kreditnehmer h~itte. Liegt dem Kreditinstitut hingegen ein wichtiger Grund vor, der die Fortsetzung der vertraglichen Beziehung zum Kreditnehmer unzumutbar erscheinen l~isst, so besteht die M6glichkeit der aut~erordentlichen Kreditkiindigung gem~it~ Nr. 19 (3) ABG Banken. Gerade fi~r Gesellschaften in der Krise ist dies der Fall, wenn eine bedeutende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und der Verm6gensverh~iltnisse beim Kreditnehmer festzustellen ist und dadurch die Werthaltigkeit der Sicherheit der Bank bedroht wird bzw. die R~ickzahlung des Kreditengagements gef~ihrdet ist. F~ir eine aut~erordentliche K~indigung ist es essentiell, dass die Interessen des Kreditgebers wesentlich und nachhaltig beeintr~ichtigt sind, was im Wesentlichen auf unzureichende Kreditsicherheiten des Schuldners zuri~ckzufi~hren ist. Die Bewertung der Werthaltigkeit der Sicherheiten sollte durch einen externen Sachkundigen erfolgen, der beurteilt, inwiefern die Sicherheiten zur Deckung des R6ckzahlungsanspruchs ausreichen und mit welchem Aufwand eine Verwertung vorgenommen werden kann. Ist die R(ickfi~hrung des Engagements auch unter Beriicksichtigung der Sicherheitensituation gef~_hrdet, besteht nach § 490 (1) BGB die Option der fristlosen Kiindigung. Ferner hat der Kreditgeber das Recht zur fristlosen Ki~ndigung, wenn das Unternehmen in der Krise vertragsbr(ichig wird, d. h. insbesondere die f~illigen Geldschulden fiir Zins bzw. Tilgung nicht termingerecht bzw. gar nicht leistet. Kann der Schuldner bspw. die Konto(iberziehung wieder glattstellen, so sollte die Bank vor F~illigstellung eine Mahnung mit eindeutiger Forderung auf Kreditbedienung i~bersenden, denn hier ist die Fortsetzung der Vertragsbeziehung u. U. zumutbar. Neben den Einschr~inkungen der ordentlichen Kreditkiindigung sind hier im Wesentlichen das Verbot der willkiirlichen Kreditkiindigung sowie die Kiindigung zur Unzeit zu betonen (BGH v. 30.05.1985; OLG
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i~i~i~?!i~i~i!i?!i!!!i!!~!!!i!i~!~!i!i!i!~i~!~K!~ni!ii!ei~i~c!~h!i!i!tii
M~inchen v. 27.09.1996). Fordert die Bank durch die ver~inderte wirtschaftliche Situation weitere Kreditsicherheiten und verwehrt der Kreditnehmer diese der Bank, so steht der Bank ebenfalls ein aut~erordentliches K~indigungsrecht zu (Nr. 13 (2) AGB Banken), wobei hier auf die Mahnung verzichtet werden kann, sofern evident ist, dass der Schuldner die geeigneten Kreditsicherheiten nicht mehr bestellen kann. In den Fallen der aut~erordentlichen Ki~ndigung aufgrund wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Verh~iltnisse des Kreditnehmers wird von einer Mahnung mit Fristsetzung vor Kreditki~ndigung verzichtet, da sonst dem Kreditnehmer die M6glichkeit einger~iumt wird, i~ber das Sicherungsgut zu verf~igen. Ist die Ki~ndigung nach diesen Grunds~itzen zul~issig, so kann die Bank auf Kreditr~ickfi~hrung zum definierten Termin bestehen, ohne dass dies vom Kreditnehmer mit Schadensersatzanspri~chen gem~it~ § 826 BGB versehen werden kann bzw. die Ki~ndigung gem~it~ § 138 BGB als nichtig zur(ickgewiesen werden kann. Durch die Zahlungsforderung ist es wahrscheinlich, dass das zu sanierende Unternehmen zahlungsunf~ihig wird und entsprechend Insolvenzantrag stellen muss.
4.3
Spannunssfeld Sanierunsskredit
Ist die Aufrechterhaltung der Zahlungsf~ihigkeit und die Untemehmenssanierung nur i~ber die Ausgabe von ,,frischem Geld" m6glich, so geraten unters~tzende Kreditinstitute in einen nachhaltigen Interessenkonflikt. Einerseits streben die Kapitalgeber einer sanierungsf~ihigen Gesellschaft nach der Erhaltung bzw. der Sanierung des Unternehmens. Dazu wird versucht werden, die bestehenden Kreditlinien vollumf~inglich auszusch6pfen, um entsprechende Liquidit~it und dar~iber hinaus ,,Fresh Money" von der Bank zu erhalten. In der Rechtsprechung sind Urteile zu finden, die es der Hausbank erlauben, zur Rettung der sanierungsbed(irftigen Gesellschaft vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitensituation kurzfristig den erforderlichen Liquidit~itsbedarf zur Verfi~gung zu stellen (BGH v. 09.07.1979). Andererseits werden Kreditinstitute zumindest bei eigenni~tziger Liquidit~itsgew~ihrung mit den Schadensersatzanspr~ichen externer Dritter auf Basis § 826 BGB aufgrund Insolvenzverschleppung und Ri~ckgew~ihr der nachtr~iglich bestellten Sicherheiten nach § 138 BGB aufgrund Vertragsnichtigkeit konfrontiert, sofern Insolvenz beantragt werden muss. In diesem Spannungsfeld haben Kreditinstitute i~ber die Vergabe von Sanierungskrediten zu entscheiden. Von einem Sanierungskredit soll hier gesprochen werden, wenn eine Gesellschaft aufgrund ihrer Sanierungsbedi~rftigkeit nach allgemeinen Kriterien nicht mehr kreditwi~rdig ist. Als sanierungsbed~irftig soll das Unternehmen dann angesehen werden, wenn ohne exteme Unters~tzung und Mithilfe eine Fortsetzung der betrieblichen Aktivit~iten und die Bedienung der notwendigen Verbindlichkeiten zur Erhaltung der Gesch~iftssubstanz nicht m6glich ist (BFH v. 27.01.1998). Vielfach werden die rechtli-
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Steuerung von Zohlungsfahigkeit und Unternehmensliquiditat
chen Grenzen f~r einen Sanierungskredit erst bei Insolvenzreife eines Kreditnehmers gesehen, d. h. bei Zahlungsunf~ihigkeit bzw. Uberschuldung. Im Sinne einer angestrebten Unternehmenssanierung ist dieser Zeitpunkt jedoch zu spat, da dann eine aut~ergerichtliche Sanierung kaum noch m6glich ist. Somit stellen Sanierungskredite neue Kreditlinien ffir sanierungsbedfirftige Gesellschaften dar, die keine Aufstockung bzw. Vollaussch6pfung bestehender Kredite umfassen. Ebenso z~ihlen wiederer6ffnete bzw. bereits gekiindigte Kreditlinien nicht zu den Sanierungskrediten, sondern nur eine wirklich zus~itzlich einger/iumte Liquidit/itsgew/ihrung. Die Beurteilung, ob ein Sanierungskredit unter Inkaufnahme von Insolvenzverschleppung gew~ihrt wurde oder wirklich zur Unternehmenssanierung dienen soll, ist nicht trivial, kann aber daran Orientierung finden, ob die Bank den Kredit eigen- oder uneigenn/itzig zur Verf~gung gestellt hat. Die Insolvenzverschleppung k6nnte in diesem Zusammenhang evident werden, wenn eine Bank eine f~r die Sanierung unzureichende Liquidit~itszufuhr gew/ihrt und in der Verz6gerung bis zum Insolvenzantrag versucht sich entsprechende Vorteile gg/i. anderen G1/iubigern zu verschaffen. Diese sog. eigennfitzigen Kredite sind in diesem Fall als sittenwidrig zu beurteilen, da die ernsthafte Sanierung nicht m6glich ist und die Besserstellung auf Kosten anderer beabsichtigt ist (BGH v. 09.12.1969). Stellt das Kreditinstitut hingegen e i n e n - meist ungesicherten- neuen Kredit in ausreichender H6he fiir die Sanierung zur Verfiigung, ist dies meist ein Indiz f~r einen uneigenniitzigen Kredit (BGH v. 14.11.1983). Die Gefahr der Insolvenzverschleppung besteht hier kaum. Ist der Bank die Sanierungsbediirftigkeit des Schuldners bekannt, und vergibt sie einen Sanierungskredit zur Unternehmenssanierung, so kann sie sich von dem Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens durch eine Sanierungspr/ifung entlasten. Dazu hat ein externer, sachkundiger Dritter ein Sanierungsgutachten anzufertigen, dass zwar das Scheitern des Sanierungsversuchs nicht ausschliet~t, aber die Sanierungsf/ihigkeit und wiirdigkeit mit entsprechenden Sanierungsmat~nahmen dokumentiert. Dariiber hinaus sollten die Sanierungsbemiihungen des Kreditinstituts als ernsthaft beurteilt werden k6nnen, indem sich bspw. die beteiligten Banken zu einem Sanierungskonsortium zusammenschliet~en und den Fortgang der Sanierungsmat~nahmen nachhaltig begleiten. Gew/ihren die Kreditinstitute vor dem positiven Sanierungsvotum des Sanierungsgutachtens den Sanierungskredit, k6nnen sie sich daffir Sicherheiten aus dem Schuldnerverm6gen in ad/iquatem Umfang bestellen lassen. Sofern die Sanierung misslingt und ein Insolvenzverfahren er6ffnet wird, haben die Banken ftir die bestellten Sicherheiten keine Insolvenzanfechtung zu fiirchten. Auf Basis eines umfassenden und nachhaltigen Sanierungskonzepts k6nnte es somit m6glich werden, Liquidit/it fiir den Sanierungsversuch zu erwirken und gleichzeitig die Kreditinstitute ,,an Bord zu behalten".
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ii!iiii~i~i~i~i~i~i~i~i~i~!~i~iii~i~ii~K!~in~i~e c h t
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Liquidit it zur Realit
itsbestimmung
Die Erkenntnis ,,Profit is an opinion, cash is a fact" unterstreicht bereits, dass die Liquidit~itssituation einen Ri~ckschluss auf die Untemehmensrealit~it zul~isst und eine Positionierung der Gesellschaft in der Krisenentwicklung erm6glicht. Der auf die Liquidit~it zuri~ckzu~hrende Umfang der Zahlungsf~ihigkeit zeigt den Rahmen der aut~ergerichtlichen M6glichkeiten einer Sanierung auf bzw. verdeutlicht, welche Mat~nahmen und Fristigkeiten zu ber6cksichtigen sind, um die Sanierungsf~ihigkeit/-wi~rdigkeit sicher zu stellen. Durch ihre intersubjektive Nachpri~fbarkeit und geringen Bewertungsspielr~iume stellt die Liquidit~it eine zentrale Grundlage fi~r Kapitalgeber und F(ihrungskr~ifte dar, um 6ber die Realit~it und die zuk~inftige Unternehmensentwicklung zu entscheiden. Die Erstellung eines zahlungswirksamen Liquidit~itsstatus bzw. die Ermittlung einer belastbaren Liquidit~itsplanung sind bedeutende Aufgaben im Rahmen der Unternehmenssanierung und -entwicklung. Dies erfordert die Erfassung der zahlungswirksamen Vorg~inge und die Steuerung von Forderungen und Verbindlichkeiten bei gleichzeitiger Vermeidung der insolvenzausl6senden Tatbest~inde. Dazu sind sowohl der Kenntnisstand i~ber die betriebliche Leistungserstellung als auch der 0berblick i~ber die anstehenden Sanierungsmat~nahmen erforderlich. Die methodisch vollst~indige, zahlungsbasierte Kapitalflussrechnung erm6glicht daher die Steuerung und die Planung der Zahlungsf~ihigkeit bzw. Liquidit~it, weshalb sie auch zentraler Bestandteil des Sanierungskonzepts ist. Auf dieser Basis verdeutlicht sie erforderliche Sanierungsbeitr~ige der Beteiligten und liefert eine wichtige Kommunikationsgrundlage. In der Praxis zeigt sich allerdings oft die Herausforderung, eine methodisch klare Kommunikation der Liquidit~it zu erwirken und gleichzeitig eine kongruente Liquidit~its- und Unternehmensplanung zu erstellen. Durch das Working-Capital-Management wird eine Option dargestellt, liquidit~itswirksame Sanierungsbeitr~ige einer Interessengruppe im Rahmen der Sanierung zu erwirken und deren Wertbeitrag zu steuern. So stellt die Anpassung der Zahlungskonditionen bei Lieferanten bzw. das konsequente und strukturierte Nachhalten offener Rechnungen eine operative Aufgabe dar, die sowohl einen Beitrag zum Sanierungsfortschritt als auch einen Beitrag fiir eine zukiinftig vertrauensvolle Zusammenarbeit nach gelungener Sanierung darstellen kann. Der Kommunikationsst~irke der Aktiven kommt hier sicherlich eine besondere Bedeutung zu. Die Erhaltung der Zahlungsf~ihigkeit der Gesellschaft in der Sanierung bringt mr die Beteiligten rechtliche Gefahren mit sich. So k6nnen ftir die Fi~hrungskr~ifte im Rahmen des Cash Pooling in der Sanierung sowohl Schadensersatzanspri~che gegen sie als Organtr~iger als auch strafrechtliche Konsequenzen gegen die sie als Person entstehen. Aufgrund unber~icksichtigter Konzernstrukturen k6nnen Prozessfehler im Cash Pooling mr die Gesellschaft Folgeinsolvenzen ausl6sen. Kreditgebende Bankinstitute
774
S t e u e r u n ~ yon Z u h l u n g s f ~ h i g k e i t u n d U n t e r n e h m e n s l i q u i d i t ~ t
bewegen sich bei der Sanierung eines Kreditnehmers stets im Spannungsfeld zwischen Kreditsanierung und Engagementbeendigung, beeinflusst durch interne und externe Anspri~che. Zur Bew~iltigung der rechtlichen Herausforderungen f6r die Sanierungsbeteiligten stellt daher die offene und klare Kommunikation- v. a. ~iber die realit~itsspiegelnde Liquidit~itssituation- eine notwendige Bedingung dar. Die Bedeutung der validen Quantifizierung des Liquidit~itsbedarfs und dar6ber hinaus die realit~itsnahe Planung des vollst~indigen Rechenwerks wird zuk~inftig im Rahmen der Sanierungskonzepte an Bedeutung gewinnen, da sie Entscheidungsgrundlage fiir die Sanierungsstrategie und -beitr~ige sein werden. Durch die zunehmend erweiterte Rechtsprechung in diesem Themenfeld, durch innovative Liquidit~itsund Finanzierungsinstrumente sowie durch die zunehmende internationale Aktivit~it der Gesellschaften wird die Themenbrisanz hier weiter erh6ht. Es ist evident, dass Methodenkompetenz und Kommunikationsklarheit hier Grundlage f~ir eine erfolgreiche Sanierung und Unternehmensentwicklung sind.
775
................................................... ...............~!i~
Knecht
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Knecht
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778
Datum 27.04.1995 11.07.1991 17.12.1901 04.10.2001 13.07.1993 01.03.1984 30.04.1992 17.09.2001 08.11.2004 02.11.1988 09.04.1932 07.03.1985 09.02.1989 14.07.1983 30.05.1985 27.09.1996 09.07.1979 09.12.1969 14.11.1983
Fundort ZIP 1995, S. 929-930 NJW 1992, S. 624 RGZ 50, S. 39-41 ZIP, 47/01, 2097 BGHZ, 119, 201 ZIP 1984, S. 809-812 NJW 1993, 1782 BGHZ 149, 10f WM 2005, 78 BGHZ 105, 365 RGZ 136, S. 247-254 ZIP 1985, S. 596 WM 1989, S. 1838 WM 1983, S. 1038 WM 1985, S. 1136 BB 1997, S. 435 BB 1979, S. 1625 WM 1970, S. 399 WM 1983, S. 1406
~~~~~i~~~~~~~~
I
i i i ii
i ii iii ii
1
Vom Private Equity z u m Distressed Equity ............................................................... 781
2
Wertsch6pfung bei Distressed Equity-Investitionen ................................................. 783
3
4
5
2.1
B e w e r t u n g s m e t h o d i k u n d - k o m p o n e n t e n ........................................................ 783
2.2
Werttreiber von Equity-Investitionen ................................................................ 785
Due Diligence von Distressed-Investitonen ............................................................... 788 3.1
K o n z e p t Due Diligence ........................................................................................ 788
3.2 3.3
Operative Due Diligence ..................................................................................... 788 Probleme u n d Risikofelder bei K r i s e n u n t e r n e h m e n ....................................... 790
S t e u e r u n g s i n s t r u m e n t e von Private Equity-Fonds ................................................... 791 4.1
Operative S t e u e r u n g des M a n a g e m e n t s ............................................................ 791
4.2
S t e u e r u n g s i n s t r u m e n t e auf Portfolioebene ....................................................... 793
S t r u k t u r i e r u n g u n d F i n a n z i e r u n g der Transaktion ................................................... 795 5.1 5.2
6
I n v e s t m e n t p h a s e ................................................................................................... 795 Rekapitalisierung (,,ReCap") u n d Exitoptionen ............................................... 800
W a c h s t u m s m o t o r Distressed Equity? ......................................................................... 803
779
Distressed Equity
Vom Private Equity zum Distressed Equity Der Private Equity (,PE") ist kein gesetzlich oder in der betriebswirtschaftlichen Lehre einheitlich definierter Begriff. PE ist eine Sammelbezeichnung fi~r alle Formen der Unternehmensfinanzierung mit Beteiligungskapital, das Unternehmen privat, d.h. nicht i~ber 6ffentlich zug~ingliche Quellen, wie z. B. ~iber die B6rsen, zur Verf~igung gestellt wird. 186 Welche besonderen Merkmale PE-Investitionen zugeschrieben werden, h~ingt von dem jeweiligen Kontext ab. Der diesem Beitrag zugrunde gelegte Begriff des PE ist gepr~igt durch die Sicht der Investoren und weist folgende grundlegende Merkmale auf: 1~ Gegenstand des Erwerbs sind Mehr- und Minderheitsbeteiligungen an nicht b6rsennotierten Unternehmen oder auch vollst~indige 0bernahmen b6rsennotierter Unternehmen (,,Public to private"); Bei den Unternehmen, die Gegenstand des Erwerbs sind, handelt es sich um etablierte Unternehmen in traditionellen Branchen mit mehrj~ihriger Marktpr~isenz (PE nicht als Oberbegriff der nicht 6ffentlichen Finanzierung, sondern in Abgrenzung zu Venture Capital Investitionen); t
Ziel des Erwerbs ist, ~iber einen zeitlich befristeten Investitionsraum eine positive Rendite auf das eingesetzte Kapital zu erwirtschaften.
Die zeitliche Entwicklung der Private Equity-Industrie l~isst sich grob in drei Phasen einteilen. Die erste grot~e Phase Anfang der 80er Jahre war haupts~ichlich durch hochgradig fremdfinanzierte Unternehmensk~iufe gekennzeichnet. W~ihrend die klassischen PE-Investoren der zweiten Phase eher die Tendenzen zur Financial Engineering und Strukturierung aufweisen, zielt die T~itigkeit der Turnaround Private Equity (,,TAPE") Funds in der derzeit aktuellen dritten Phase darauf, die zuki~nftige Steigerung des Eigenkapitalswertes durch aktive Wertsch6pfung zu f6rdern. Die in den einzelnen Phasen zur Anwendung kommenden Strategien waren Market Arbitrage/Multiple Expansion, Wachstum, Schuldenreduktion und Verbesserung der Marge. TAPE-Investoren haben sich dabei insbesondere auf Schuldenreduktion und Margenverbesserung durch operative Mat~nahmen spezialisiert. In den nachfolgenden Kapiteln werden diese Strategien vorgestellt und deren Wertsch6pfungspotenzial anhand eines einfachen Modells diskutiert.
186 "Private Equity provides equity capital to enterprises not quoted on a stock market. Private Equity can be used to develop new products and technologies, to expand working capital, to make acquisitions, or to strengthen a company's balance sheet. It can also resolve ownership and management issues - a succession in family-owned companies, or the buyout or buyin of a business by experienced managers may be achieved using private equity." (EVCA, 2006).
781
Albrecht / FiJger / Danneberg ~i!i!i!~i~!!~i~!i!i!i~i~i~i~i!!i!i!i!~!~!i!~i!i!i!!!i~i!i~i!~!i!i!!~
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Abbildung 1-1:
The Waves of Private Equity
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Zunehmende Komplexitat
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Multiple Expansion
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Wachstum
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!1980
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Schuldenmduktion
Beispiele
....
:KKR
: ~1990
12002
Carlyle, Advent, Permira, i Nordwind Capital, Public to Private, IPO : i Orlando, Turnaround i !Equity
In Anlehnung an Lebenszyklusmodelle von Unternehmen kann TAPE auch als besondere Finanzierungsphase verstanden werden. Dabei unterscheidet der private Kapitalmarkt zwischen Early stage-, Expansion stage- und Later stage-Entwicklungsphasen von Unternehmen. Die exteme Eigenfinanzierung erfolgt i. d. R. in Entwicklungs- und Expansionsphase (Early stage und Expansion stage) begriffiich durch Venture Capital und danach durch PE (Later stage) beschrieben. TAPE ist damit der Later stage-Phase zuzuordnen, also Reife- und Wendeunternehmen (Pi~mpin/Prange, 1991, S. 83 ff.) Die TAPE-Fonds investieren dabei in Untemehmungen mit operativen Problemen, die aber im Kern gesund (d. h. gute Marktpositionierung, nachhaltige Wettbewerbsvorteile) und in einer zukunftstr~ichtigen Branche t~itig sind. Die Krisenursachen m~issen klar erkennbar und fi~r den Investor behebbar sein, um eine strategiekonforme Wertsch6pfung des Zielunternehmens zu erm6glichen. TAPE-Investoren grenzen sich insoweit von Vulture Investoren ab, die den spekulativen Erwerb von Anspr~ichen ggi~. Not leidenden Unternehmen betreiben und i. d. R. keine Wertsch6pfungsstrategie im Sinn des Zielunternehmens betreiben (Deibert/ Schellenberger, 1998, S. 434). Die Nische TAPE wird innerhalb des PE-Gesch~ifts an Bedeutung gewinnen, weil im klassischen PE die hohen Renditen der Vergangenheit aufgrund des zunehmenden Wettbewerbes der Investoren und den in der Folge steigenden Transaktionspreisen nicht mehr ohne weiteres realisierbar sind. Deswegen versuchen immer mehr Teilnehmer in diesen Markt einzudringen. Des Weiteren bem6hen sich klassische PEInvestoren zunehmend sich operatives Know-how anzueignen, um ftir die Phasen der Akquisition und des Managements einer Beteiligung ein besseres Verst~indnis fiir die operativen Abl~iufe zu gewinnen. Dieses Verst~indnis ist notwendige Voraussetzung
782
Distressed Equity
i i l i ili ~ii~ii'~ii iiiiiii!i~iiiiiiiiii~iiiii!ii!i~!~!i!!! i!i!!i!i!i!i!i!!i!i!i!iT~!!~!iii! !i!!i!¸?~iiii!i i!i!!!i!!i¸!i!iiiiii!i! '!il!i~i!iliiiii!i!~' !¸ii~i~i~i~ ~ !i!i!~!i!ili! gerade ftir die Beurteilung und die Kontrolle des Managements einer Beteiligung mit operativen Problemen. Allgemein ist der Wettbewerb um TAPE-Investitionen in Deutschland noch begrenzt, weil es nur wenige Marktteilnehmer gibt, die fiber einen eigenen Fonds und die notwendige operative Erfahrung verffigen. In der Zukunft werden jedoch verst/irkt auch I n v e s t o r e n - wie Hedge Funds und Distressed Equity F u n d s - aus den USA nach Deutschland dr/ingen. Dies hat seine Ursache darin, dass sich Banken auf dem deutschen Markt zunehmend aus der Mittelstandsfinanzierung zurfickziehen oder ihre Engagements aufgrund einer ver/inderten Einsch~itzung ihres wirtschaftlichen Risikos verringern. Dies ffihrt naturgem/it~ zu einem steigenden Finanzierungsbedarf der betroffenen Unternehmen.
2
Wertsch ipfun8 bei Distressed EquityInvestitionen
2.1
Bewertungsmethodik und -komponenten
Die den Wert eines Unternehmens beeinflussenden Faktoren (,,Werttreiber") von PEInvestitionen lassen sich verallgemeinert anhand eines einfachen Modells erl/iutern. In diesem Modell werden die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung zun/ichst nur zum Zeitpunkt der Akquisition (t = 0) von 100 % der Anteile des Unternehmens (,,OpCo") und zum Zeitpunkt der Devestionen/Rekapitalisierung (t = n) betrachtet. Der Zeitpunkt (t= 0) entspricht dabei aus Sicht des TAPE-Investors dem Zeitpunkt der Investition (Mittelabfluss); der Zeitpunkt (t = n) entspricht der Realisation des Investments (Mittelzufluss); andere Geldstr6me zwischen Investor und Unternehmen finden nicht statt. Bei der Akquisition investiert der TAPE-Investor den Barkaufpreis, der dem Wert des Eigenkapitals / Equity Value (EQV) entspricht. Der Wert des Eigenkapitals 1/isst sich als Differenz aus dem Unternehmenswert (EV) und den Netto-Finanzverbindlichkeiten 187 (D) bestimmen. E Q Vi = E V i - D i
(1)
187 Finanzverbindlichkeiten sollen im Rahmen dieses Modells keine strukturierten Finanzierungen wie Mezzanine oder nachrangige, endf~illige Darlehen umfassen, sondern nur besicherte Darlehen mit einem festen Tilgungsplan.
783
Albrecht / FOger / Danneberg ®iiiiii!i!!iiiii!~!i!iiiiii!i!ii~i~ii!!i~i~i!i!ii!ii!!!~i!iiiii~i:~ii!ii!~!~!~!~i~i
Zur Bestimmung des Untemehmenswertes existieren eine Vielzahl von unterschiedlichen Bewertungsmethoden, von denen einige auch speziell ffir die Bewertung von Unternehmen in der Krise angepasst bzw. entwickelt wurden. Unter diesen kommt dem Multiple-Ansatz bei PE-Investitionen die gr6t~te praktische Bedeutung zu. Das hier vorgestellte Modell folgt diesem Ansatz. Es verwendet einen EBITDA-Multiple. Es k6nnen jedoch auch beliebige andere Multiples wie Cash-Flow oder EBITMultiplikatoren verwendet werden. Der Untemehmenswert Ell/ zum Zeitpunkt (i) l~isst sich darstellen als EV i = S i m i M i = E i M i
(2)
wobei Mi den EBITDA-Bewertungsmultiple bezeichnet und Ei den EBITDA, der sich aus EBITDA-Marge m i und Umsatz S i zusammensetzt. Im Gegensatz zur fiblichen PE Praxis bestimmt sich der Akquisitions-Multiple jedoch nicht prim~ir aus dem Vergleich mit b6rsennotierten Unternehmen oder dem Vergleich mit ~ihnlichen Transaktionen, da dieser Ansatz die Vergleichbarkeit der Unternehmen und deren Situation voraussetzt und somit ffir Unternehmen in der Krise nur bedingt anwendbar ist. Der hier vorgestellte Ansatz basiert vielmehr auf der erwarteten Rendite des Investors-IRR. Diese muss gr6t~er sein als die Eigenkapitalkosten (=Zielrendite IRRziel ) des Investors. 1
IRR
EQV o
- 1>
IRRziel =Eigenkapitalkosten
(3)
Die Bestimmung des Verkaufserl6ses EQV,, insbesondere die darin enthaltene Nettoverschuldung D n und der EBITDA E n erfordern dabei eine detaillierte Planung der Gewinn- und Verlustrechnung, der Bilanz und des Cash-Flows. Ein TAPE-Investor wird also immer zumindest teilweise auch zukfinftige Potenziale des Unternehmens, die die Zukunftsplanung pr~igen, bei der Ermittlung des Kaufpreises berficksichtigen. Der ebenfalls in E Q G enthaltene Verkaufsmultiple ist dagegen i. d. R. nicht planbar. Die Rendite h~ingt somit von zwei wesentlichen Annahmen ab: Der zukfinftigen operativen Entwicklung des Unternehmens sowie einer Hypothese fiber den beim Exit zu erzielenden Verkaufsmultiple. Dabei sind die Annahmen, die der zukfinftigen operatiyen Entwicklung zugrunde liegen das zentrale Element der Turnaround-Investition. Deren Zuverl~issigkeit entscheidet fiber den Erfolg der Investition. Sie werden im Rahmen der in Abschnitt 3.2 beschriebenen detaillierten operativen Due Diligence festgelegt. Der beim Exit (t = n) zu erzielende Verkaufserl6s E Q G bzw. der zu erzielende Multiple M n ist zum Zeitpunkt der Investition i. d. R. mit einer grot~en Unsicherheit behaftet und variiert dementsprechend. Eine M6glichkeit zur Reduzierung oder Vermeidung dieses Risikos besteht darin, bei der Berechnung der zu erwartenden Rendite nicht yon
784
Distressed Equity
einem Verkauf auszugehen, sondern von einer Re-Kapitalisierung des Unternehmens. Die zugrunde zu legende Gleichung l~isst sich dann wie folgt schreiben: 1
IRR ~ MDebt En -Dn ]n - I >
=Eigenkapitalkosten
(4)
Hier ist MDebt der am Kreditmarkt verffigbare Verschuldungs-Multiple 188. Dieser h/ingt im Wesentlichen von dem zur Tilgung des Darlehens zur Verffigung stehenden freien Cash-Flows des Unternehmens und vonder Industrie, in der das Unternehmen t/itig ist, ab und unterliegt nur bedingt Schwankungen des Kreditmarktes. Das Marktrisiko des Exits wird auf diese Weise weitestgehend aus der zu erwartenden Rendite eliminiert. Diese h/ingt damit in erster Linie natiirlich noch von dem zugrunde liegenden Gesch~iftsplan - d e r im Rahmen der operativen Due Diligence zu erstellen ist - ab. Das Risiko des Investors reduziert sich somit im Wesentlichen auf das interne Risiko. Externe Risiken sind weitestgehend minimiert.
2.2
Werttreiber yon Equity-lnvestitionen
Die nachfolgende Diskussion der Wertreiber von PE-Investitionen dient haupts~ichlich der Illustration der einzelnen Wertbeitr/ige und kann eine detaillierte Cash-FlowPlanung, die die gesellschaftsrechtliche Struktur und die steuerliche Situation des Unternehmens im Detail berticksichtigt, nicht ersetzen. In einer solchen Cash-FlowPlanung sind jedoch alle hier verwandten Parameter enthalten, so dass die einzelnen Wertbeitr~ige bei einem Investitionsprojekt berechnet werden k6nnen. Ausgehend von Gleichungen (1) und (2) kann der Wertzuwachs einer PE Investition
AEQ V =EQ Vn - EQ Vo
(5)
in seine einzelnen Bestandteile zerlegt werden
AEQV =zSdgV+ AMV + AmV + ASV
(6)
wobei zXDV die Wert/inderung aus Schuldenreduktion, AMV diejenige aus der Ver/inderung des Bewertungsmultiples, Am V diejenige aus Ver/inderung der Marge und
zXSV diejenige aus Ver/inderung des Umsatzes. Im Einzelnen ergeben sich fiir die Wertbeitr/ige folgende Gleichungen AMV --AM (E o + AE)
(7)
188 Finanzverbindlichkeiten sollen im Rahmen diese Modells keine strukturierten Finanzierungen wie Mezzanine oder nachrangige, endf/illige Darlehen umfassen, sondern nur besicherte Darlehen mit einem festen Tilgungsplan.
785
Albrecht / FiJger / Danneberg
AmV =Am SoM o
(8)
ASV =A S (moM o + Am M o) (9) AD V =AD = (D n -Do)
(10)
wobei A immer die Differenz der jeweiligen Gr6t~e zwischen den Zeiten (t = n) und (t = 0) bezeichnet 189. Der durch Schuldenreduktion geschaffene Wert ~ g v kann weiter in einen Anteil ADwc aus Reduktion des Working-Capital, Verkauf nicht notwendiger Verm6gensgegenst~inde und sonstigen nicht operativen Cash-Flow sowie einen Anteil z~D°p , der die Schuldenreduktion aus operativen Ertr~igen beschreibt, dargestellt werden. n
AD =z~) wC +AD Op =AD Wc + P Z E i i=1
t/
=AD wc + p Z m i S ,
(11)
i=1
Der Prozentsatz p, der beschreibt, welcher Anteil des EBITDA (nach Steuern, Investitionen und anderen Aufwendung) zur Schuldentilgung zur Verffigung steht, kann aus der Cash-Flow-Rechnung des Unternehmens abgeleitet werden. Anhand der oben beschrieben Werttreiber lassen sich nun folgende Strategien zur Wertsch6pfung unterscheiden: 1. Schuldenreduktion, ADV Die Finanzierung des Erwerbs von Untemehmen durch Fremdkapital pr~igte die Anf~inge des Buy Out-Gesch~ifts. Da viele Unternehmen in den USA in den 80er Jahren keine optimale Finanzierungsstruktur hatten, erm6glichte eine solche Restrukturierung der Passivseite mit anschliet~ender Tilgung der Akquisitionsfinanzierung beachtliche Renditen. Im Jahre 1991 betrug die durchschnittliche Eigenkapitalquote bei LBOs nur 24 %. 1998 stieg sie bereits auf 36 % (Standard&Poors, 2003). 2. Wachstum, ASV Ein Steigerung des Umsatzes durch internes und extemes Wachstum (,,Add-OnAcquisitions") ffihrt, soweit die Kosten in dieser Phase unter Kontrolle bleiben, indirekt auch zu einer Steigerung des EBITDAs und somit des Eigenkapitalwertes. Da Wachstum i. d. R. durch Investitionen finanziert werden muss, nimmt bei diesem Ansatz eine Reduktion der Schulden eine eher untergeordnete Stellung ein. 3. Multiple Expansion, Die Erzielung einer Handels-Arbitrage bei Untemehmensk~iufen und-verk~iufen war in der Vergangenheit die effektivste Methode kurz und mittelfristig erhebliche Wert-
189 Die Gruppierung der in A quadratischen Terme impliziert eine gewisse Willkfir, spielt aber wegen deren Gr6t~enordnung keine wesentliche Rolle.
786
Distressed Equity
steigerungen zu erzielen, da nicht in das U n t e r n e h m e n selbst eingegriffen w e r d e n muss. Zu dieser Strategie z~ihlen B6rseng~inge (,,IPO") oder die Realisierung von Bewertungsdifferenzen in verschiedenen L~indem. Dies kann soweit gehen, dass Untern e h m e n in einem Land von der B6rse g e n o m m e n w e r d e n (,,Public to Private"), u m die Anteile anschliet~end an einer B6rse eines Landes, das den Industriesektor h6her bewertet, zu ver~iut~ern. Die Multiple E x p a n s i o n / A r b i t r a g e ist jedoch immer von der aktuellen Marktsituation abh~ingig u n d deswegen fiber einen Zeitraum von m e h r e n Jahren nicht realit~itsnah planbar. Sie hat damit stets stark spekulativen Charakter. 4. Margenverbesserung, Am/," Da eine Verbesserung des EBITDA fiber die Marge ebenfalls multiplikativ in den Eigenkapitalwert eingeht, ist sie auch eine sehr effektive Methode, u m eine signifikante Wertsteigerung zu generieren. Diese Strategie erfordert umfangreiches operatives Wissen u n d Erfahrung, da sie nachhaltige Eingriffe in die Unternehmensabl~iufe erfordert. Z u s a m m e n mit Schuldenreduktion durch eine Verringerung des WorkingCapital (,,WC") stellt sie die Kernstrategie von TAPE-Investoren dar. Empirische Studien (Daniel Allen, 2002) belegen, dass die in der Vergangenheit erzielten hohen Renditen nahezu vollst~indig durch Wachstum, Schuldenreduktion u n d Multiple Expansion geschaffen wurden.
Abbildung 2-1:
Anteil der Werttreiber an der Gesamtwertsch6pfung von PE Fonds 19o
100% ii!!il
90%
Revenue Growth
....
8O% ......
Margin Expansion
70%
....
6O% 5O%
ilili~
Multiple Expansion
4O% 3O% ..... .....
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~i,~i
10 %
Leverage
......
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FV
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Gesamtausschfittung von ffinf zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgelegten Fonds, aufgegliedert nach einzelnen Werttreibem (Daniel Allen, 2002)
190
787
i
Albrecht / FiJger/ Danneberg
3
Due Diligence yon DistressedInvestitonen
3.1
Konzept Due Diligence
Das Due Diligence-Konzept wurde im US-amerikanischen Kapital- und Anlegerschutzrecht (securities laws) durch die Gesetze ~iber die Haftung von Wirtschaftspri~fern, Rechtsanw~ilten, Investmentbanken und anderen am Handel mit Wertpapieren beteiligten Experten begr~indet. Unter einer Due Diligence (w6rtliche Obersetzung ,gebiihrende Sorgfalt") wird die Pri~fung der relevanten rechtlichen (legal), wirtschaftlichen (financial and accounting) und umweltbezogenen (environmental) Verh~iltnisse sowie des Marktes (Market) eines Unternehmens verstanden. Zweck der Due Diligence ist sicherzustellen, dass die Annahmen des K~iufers, auf die er sein Kaufangebot gr~indet, zutreffen, und dass alle wesentlichen Risiken im Kaufvertrag beri~cksichtigt werden. Die Due Diligence wird i. d. R. von einer Gruppe von Experten aus dem Untemehmen des K~iufers mit Hilfe externer Berater durchgefi~hrt, wobei relevante Unterlagen aus dem Zielunternehmen gepri~ft und Betriebsbesichtigungen vorgenommen werden (Hadeler, 2000). Da die Grundzi~ge einer allgemeinen Due Diligence in der Literatur ausfi~rlich behandelt werden (z. B. Berens/Schmitting/Strauch, 2002), wird nachfolgend nur auf den zus~itzlichen Aspekt der operativen Due Diligence n~hher eingegangen, da dieser bei TAPE-Investitionen die Grundlage der Wertsch6pfung darstellt.
3.2
Operative Due Diligence
Die Due Diligence bei Krisenunternehmen verfolgt- im Vergleich zur Due Diligence bei einem gesunden Unternehmen- im wirtschaftlichen Bereich eine etwas andere bzw. eine zus~itzliche Zielsetzung: ,,The focus of due diligence is somewhat different in turnaround situations. Rather than seeking to conjirm the hypothesis that the organization will continue to perform a high level turnaround due diligence seeks to confirm a hypothesis that an organization can be fundamentally changed to perform at a higher level than in the past." (M~iller, 1999, S. 40) Ziel der operativen Due Diligence ist neben einem genauen Verst~hndnis der Krisenursachen die Definitionen eines klaren Mat~nahmenkataloges, dessen Umsetzung kurzfristig die Liquidit~it sichert und mittelfristig die eigentliche Wertsch6pfung generiert
788
Distressed Equity
(Kraft, 2000). Dieser Wertsch6pfungsplan, der urs~ichlich fur die Wertsteigerung AEQY = E ~ Y n - E Q Y o ist, stellt das eigentliche Know-how des TAPE-Investors dar und erfordert langj~ihrige Erfahrung im operativen Bereich sowie in Restrukturierungsfragen. Die Due Diligence bei Krisenunternehmen umfasst im Einzelnen folgende, von der Due Diligence beim gesunden Unternehmen abweichende Ziele (Quintero, 1989, S. 395). Erfassung der Ursachen und des Ausmat~es der Unternehmenskrise, @ Bewertung der Oberlebensf~ihigkeit des Unternehmens, Bestimmung der notwendigen Turnaround-Mat~nahmen, @ Bestimmung der zum Turnaround notwendigen ,,Human Resources", Absch~itzung des notwendigen Zeitaufwandes, W Absch~itzung der Kosten des Turnarounds und des zus~itzlichen Kapitalbedarfs, Beurteilung des mit einem Turnaround verbundenen Wertsteigerungspotenzials. Da die im Einzelfall notwendigen Mat~nahmen vonder jeweiligen Situation des Unternehmens abh~ingen, wird nachfolgend exemplarisch auf diejenigen Themen eingegangen, die gerade bei deutschen Unternehmen eine nicht unerhebliche Praxisrelevanz haben. Allen Analysen und Mat~nahmen ist dabei gemeinsam, unmittelbar oder mittelbar den freien Kapitalfluss (,,Cash-Flow") zu verbessern. Besondere Bedeutung kommt der Analyse der Profitabilit~it von Kunden- und Produkten zu. Soweit eine Deckungsbeitragsrechnung auf Kunden- und Produktebene im Unternehmen vorhanden ist, weist diese oft bei n~iherer Analyse Schw~ichen- insbesondere aufgrund nicht verursachergerechter Kostenzuordnung- auf, die letztlich zu falschen Deckungsbeitr~igen f~ihren und eine gezielte Steuerung des Produktportfolios verhindern, bzw. zu Fehlsteuerung fi~hren. Aufbauend auf einer korrekten Kunden- und Produktprofitlabilit~itsrechnung kann sowohl das Kunden- als auch das Produktspektrum unter Beri~cksichtigung strategischer Aspekte neu ausgerichtet werden. Ein bei deutschen Unternehmen verbreitetes Problem ist dabei oftmals ein auf Spitzentechnologie statt auf Profitlabilit~it ausgerichtetes Management was sich h~iufig ein nicht unerhebliches Optimierungspotenzial im Produkt- und Gesch~iftsfeldspektrum bedingt. Die in der Vergangenheit fi~r viele Unternehmen nicht ,risikoadjustierten" und daher gtinstigen Fremdfinanzierungsm6glichkeiten haben in vielen Unternehmen dazu gef~ihrt, dass ein aktives Working-Capital-Management vernachl~issigt wurde. Eine genaue Analyse der offenen Forderungen nach F~illigkeit und Kunde sowie eine Analyse der Zahlungskonditionen zeigen oft erhebliches Verbesserungspotenzial. Die
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Albrecht
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ii~ii~i, i il~"!~i~
Einffihrung eines strikten Forderungsmanagements sowie die Verbesserung der Zahlungskonditionen bereits beim Verkauf der Produkte k6nnen zusammen mit einem aktiven Lagermanagement auch kurzfristig erhebliche Liquidit~it schaffen. Schliet~lich besteht i. d. R. auch hinsichtlich der innerbetrieblichen Anreizsysteme bei sehr vielen Untemehmen noch deutliches Optimierungspotential, da diese Anreizsysteme oft l~ingst nicht alle Mitarbeiter erfassen die den Unternehmenserfolg beeinflussen, i. d. R. recht niedrig sind und h~iufig nicht objektiv berechnet werden und v. a. sehr oft nicht wirklich optimal auf die fi~r den Untemehmenserfolg wichtigen Parameter abgestimmt sind
3.3
Probleme und Risikofelder bei Krisenunternehmen
Die Due Diligence im Zusammenhang mit dem Kauf von Krisenuntemehmen wird durch mehrere Faktoren erschwert. Dabei stehen Probleme bei der Informationsbeschaffung, die hohen Kosten, v. a. aber der hohe Zeitdruck im Vordergrund, da das Fortschreiten der Krise und eine damit verbundene nahende m6gliche Insolvenz eine laufende Verschlechterung der Unternehmenssituation bewirkt (Kraft, 2001). Aufgrund dieser spezifischen Risiken ist es unerl~isslich, dass die Due Diligence von Personen durchgefL/hrt wird, die ~iber erhebliche Erfahrungen mit Krisensituationen sowie ein ausgepr~igtes unternehmerisches Gespi~r verffigen. Diese m~issen in der Due Diligence die Risikofelder bei der 0bernahme von Krisenuntemehmen in kurzer Zeit vollst~indig erfassen und bewerten. Dabei lassen sich die Risiken, die aus einem falschen 0bernahmekonzept entstehen k6nnen, von denjenigen Risiken unterscheiden, die das operative Gesch~ift des Krisenuntemehmens mit sich bringt. Erstgenannte Risiken lassen sich durch richtiges Transaktionsmanagement im Rahmen der Due Diligence und den Kaufvertragsverhandlungen identifizieren und minimieren (Lubos, 1999, S. 954). Soweit es um Haftungsrisiken des Erwerbs geht, ist strukturell danach zu unterscheiden, ob der Rechtstr~iger (also Anteile an einer Gesellschaft- ,,Share Deal") oder die Verm6gensgegenst~inde eines Untemehmens (,,Asset Deal") i~bemommen werden. Werden Verbindlichkeiten nicht bewusst als Erh6hung des Kaufpreises i~bemommen, gehen in einem Share Deal gleichwohl Verbindlichkeiten wirtschaftlich mittelbar auf den Erwerber ~iber, da sie Verbindlichkeiten der erworbenen Zielgesellschaft bleiben. Aber auch bei einem Asset Deal - einer bei dem Erwerb von Krisenunternehmen oft bevorzugten Akquisitionsstruktur- kann sich in den F~illen, in denen die 0bernahme von Verbindlichkeiten vertraglich ausgeschlossen ist, eine Haftung aufgrund zwingender Rechtsnormen ergeben. Wesentliche Bedeutung im Rahmen eines Asset Deals haben dabei die Bestimmungen des § 613a BGB (0bergang von Rechten und Pflichten bestehender Arbeitsverh~iltnisse auf den Erwer-
790
Distressed Equity
ber eines Betriebs oder Betriebsteils), § 75 AO (Haftung des 0bernehmers eines Unternehmens im Ganzen oder eines gesondert gefi~hrten Betriebs fiir betriebliche Steuern und Abzugsbetr~ige fi~r einen begrenzten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum), Haftung des Erwerbers f6r Umweltprobleme aufgrund 6ffentlich-rechtlicher Normen und § 25 HGB (Haftung des Erwerbers eines Handelsgesch~ifts fiJr alle im Betrieb des i~bernommenen und unter der bisherigen Firma fortgefiihrten Gesch~ifte). Im Rahmen der Due Diligence bei Krisenunternehmen ist eine zutreffende Ermittlung solcher Haftungsrisiken deswegen von besonderer Bedeutung, da eine Freistellung des Erwerbers von diesen Risiken durch den Ver~iut~erer wirtschaftlich- mangels Verm6gens des Ver~iut~erers - oftmals keinen Schutz bietet und vertragliche Regelungen, wonach die entsprechenden Haftungsrisiken nicht 6bergehen sollen, i. d. R. nicht wirksam sind. Gestaltungsm6glichkeiten, wie sie § 25 Abs. 2 HGB er6ffnet (M6glichkeit des vertraglichen Ausschlusses der Haftung fi~r Verbindlichkeiten des Ver~iut~erers, falls der Haftungsausschluss in das Handelsregister eingetragen oder bekannt gemacht oder dem Dritten mitgeteilt worden ist), verhindern nicht die Haftung aufgrund anderer gesetzlicher Tatbest~inde, also insbesondere die Haftung ~ r Umweltsch~iden, Betriebssteuern und Arbeitsvertr~ige.
4
Steuerungsinstrumente yon Private Equity-Fonds
4.1
Operative Steuerun8 des Manasements
Ob und in welchem Umfang ein TAPE-Fonds sich am aktiven Management der Portfoliogesellschaft beteiligen soll, wird derzeit in der Praxis nicht nur nach den operativen Erfordernissen, sondern auch unter Beri~cksichtigung steuerlicher Rahmenbedingungen entschieden. Aufgrund der derzeitigen steuerrechtlichen Rahmenbedingungen besteht- abh~ingig insbesondere v o n d e r Zusammensetzung der Fondsinvestorenein Spannungsverh~iltnis zwischen einem unternehmerischen T~itigwerden in Portfoliogesellschaften einer- und effektiver Steuerplanung andererseits. Dabei lassen sich fi~r Fonds mit 6berwiegend inl~indischen Investoren in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften Strukturen schaffen, die ohne steuerliche Nachteile dem Fonds die Obernahme von operativer Verantwortung erm6glichen. Anders ist dies bei klassischen Fonds, die die steuerlichen Interessen von Investoren zu beriicksichtigen haben, bei denen es sich um Steuerausl~inder oder na~rliche Personen handelt. Grob vereinfacht, verlangt der Private Equity-Markt in dieser Konstellation, dass 791
Albrecht / FiJger / Denneber:g
der Fonds als verm6gensverwaltende Personengesel]schaft strukturiert ist, also a]s Personengesellschaft, die weder gewerblich t~tig noch gewerblich gepr~igt ist. Die Personengesellschaft vermeidet die gewerbliche Pr~igung dadurch, dass neben der Komplement~rin eine na~rliche Person, die Kommanditist ist, Gesch~fts~hrungsbefugnis erh~ilt. Mit anderen Worten werden Private Equity-Fonds in diesen Konstellationen als verm6gensverwa]tende Personengese]]schaften strukturiert. Das Vermeiden einer gewerblichen T~itigkeit bzw. einer inl~indischen Betriebsst~itte ist Voraussetzung daffir, dass natfirliche Personen mit weniger als einer (mitte]baren) Beteiligung von 1% an Portfoliogesel]schaften bzw. (abkommensgeschfitzte) Steuerausl~inder Ver~ugerungsgewinne nicht der deutschen Besteuerung zu unterwerfen haben. Nach Auffassung der Finanzverwaltung (BMF, 2003, Rn. ? ff.) k6nnen folgende Merkmale ffir eine gewerbliche T~itigkeit des Fonds sprechen: m Einsatz von Bankkrediten statt Anlage von Eigenkapital; t
Unterhalten eines Bfiros oder einer Organisation zur Durchf6hrung von Gesch~iften;
W Ausnutzung eines Marktes unter Einsatz beruflicher Erfahrungen; @ Anbieten von Wertpapiergesch~iften einer breiten Offentlichkeit ggfi. oder Wertpapiergesch~ifte auch auf Rechnung Dritter; und m'~ eigenes unternehmerisches T~itigwerden in den Portfoliogesellschaften. Das zuletzt genannte Kriterium interpretiert die Finanzverwaltung dahin, dass sich der Fonds nicht am aktiven Management der Portfolio-Gesellschaften beteiligen darf und zwar auch nicht fiber verbundene Dritte. Unsch~idlich soll lediglich die Wahrnehmung von Aufsichtsratsfunktionen in den gesellschaftsrechtlichen Gremien der Portfolio-Gesellschaften sein. Die Einr~iumung von Zustimmungsvorbehalten analog § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ist ebenfalls regelm~it~ig unsch~idlich191, soweit nicht Zustimmungsvorbehalte in einem Mat~ einger~iumt werden, welche bewirken, dass der Gesch~iftsffhrung der Portfolio-Gesellschaft kein echter Spielraum ffr unternehmerische Entscheidungen mehr bleibt; ansonsten l~ige nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Indiz ffr eine gewerbliche T~itigkeit des Fonds vor. Auch die Einschaltung sog. Inkubatoren (gewerbliche Entwicklungsgesellschaften), deren T~itigkeit dem Fonds aufgrund schuldrechtlicher Vertr~ige oder personeller Verpflichtungen zuzurechnen ist, soil stets zur Gewerblichkeit des Fonds fiihren (BMF, 2003, Rn. 16).
191 Die Auffassung der Finanzverwaltung ist dahin zu verstehen, dass der unter Bezugnahme auf § 111 AktG gezogene Rahmen auch dann gelten soll, wenn es sich bei dem PortfolioUntemehmen um eine GmbH handelt. 792
Distressed Equity
F~ir Portfolio-Unternehmen, die von klassischen PE-Fonds gehalten werden, bedeutet dies, dass das Management des Portfolio-Unternehmens - nicht des Fonds - f6r die Erstellung der Planung und ihre Umsetzung verantwortlich zeichnet. Dem entspricht es, dass das Management der Portfolio-Unternehmen von solchen Fonds 6blicherweise im Anschluss an den Erwerb des Portfolio-Unternehmens an der Erwerberin beteiligt wird. Diese Beteiligung des Managements stellt sicher, dass zwischen dem Management und dem Fonds Interessengleichheit insbesondere auch hinsichtlich der Umsetzung der Wertsch6pfungsstrategie besteht. Neben der Beteiligung des Managements an der Erwerberin wird die Umsetzung der Wertsch6pfungsstrategie durch die Besetzung der Aufsichtsrats- oder Beiratspositionen mit operativ erfahrenen SeniorPartnern des TAPE-Fonds sichergestellt. Diese ~iberwachen eine pr~izise Umsetzung der Planung durch das Management. Da dies stets im Rahmen des § 111 AktG zu geschehen hat, ist ein Konsens zwischen Management und Aufsichts- bzw. Beirat i~ber die Strategie und die einzelnen Mat~nahmen entscheidend f~ir eine erfolgreiche Umsetzung der Planung. Die faktische 0bernahme der Gesch~iftsf6hrung der Portfolio-Gesellschaft durch den Fonds ist aber nicht nur aufgrund der Auffassung der Finanzverwaltung mit steuerlichen Nachteilen verbunden; vielmehr k6nnen sich f~ir diejenigen handelnden Personen, die zwar nicht Gesch~iftsf6hrer sind, sich jedoch faktisch wie Gesch~iftsf~ihrer verhalten, haftungsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen ergeben. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist n~imlich derjenige, der die Geschicke einer Gesellschaft als ,,faktischer Gesch~iftsf~ihrer" mat~geblich in die Hand nimmt, also nicht nur auf die satzungsm~it~igen Gesch~iftsf~ihrer intern einwirkt, sondern selbst wie ein Gesch~iftsf~hrer nach Aut~en handele, den strafrechtlichen und den haftungsrechtlichen Verantwortlichkeiten der satzungsm~it~igen Gesch~iftsf~ihrer unterworfen 192 (zu Einzelheiten vgl. Roth/Altmeppen, 2005, § 43 Rn. 69 und § 84 Rn. 4 ff. jeweils m. w. N.; vgl. dort auch zu umstrittenen Einzelfragen).
4.2
Steuerungsinstrumente auf Portfolioebene
Neben dem operativen Controlling, das Teil der Umsetzung des Wertsch6pfungsplans ist und im Wesentlichen auf der Managementebene des Unternehmens und auf der Aufsichtsrats-Beiratsebene stattfindet, werden die Portfoliounternehmen eines TAPEInvestors auch durch den Fonds bewertet.
192 Siehe dazu auch die Entscheidung des BGH (BGHSt 31, 118). Der BGH hat darin unter anderem auch Buchungsanweisungen an Mitarbeiter, Einstellung bzw. Entlassung von Mitarbeitern, die ihn ihrerseits als Vorgesetzten ansehen, Pflege der Gesch~iftsbeziehungen zu Lieferantenfirmen unter Einbeziehung des Vereinbarungsrechtes z. B. von Zahlungsmodalit~iten als Indizien fi~r eine faktische Gesch~iftsfiihrung gewertet.
793
Albrecht I F(Jger I Danneberg
Investoren von TAPE-Fonds erwarten Liblicherweise, dass die einzelnen Portfoliounternehmen einmal pro Quartal bewertet werden. Bei der Bewertung werden die in der Branche ma~geblichen Richtlinien der BRITISHVENTURECAPITALASSOCIATION (BVCA) bzw. der EUROPEANVENTURECAPITALASSOZIATION (EVCA) zugrunde gelegt. Gemeinsam ist diesen Ans~itzen, dass sie von einer Bewertung der Investition zu Anschaffungskosten ausgehen (,,At Cost"), sofem kein triftiger Grund vorliegt, einen anderen Vat, stab zu verwenden. Liegt ein solcher nach Meinung des Fund Managers vor, so gilt der Marktwert der Beteiligung als Wertansatz (,,Fair Market Value"). Zur Bestimmung des Marktwertes werden i. d. R. eines oder mehrere der oben genannten Verfahren herangezogen. Diesen Verfahren ist jedoch gemeinsam, dass sie alle von mindestens einem freien Parameter (WACC, Multiple, etc.) abh~ingen. Gerade bei TAPE-Transaktionen ist dieser Bewertungsansatz oft jedoch wenig zielfOhrend. Eine andere Methode den Wert einer PE-Investition zu bestimmen, ohne sie subjektiv zu bewerten, ist der Kosten-Multiplikator (,,Cost-Multiple")CM. Der Kosten Multiplikator zu einem Zeitpunkt (t = n) ergibt sich aus der Summe des Investierten Eigenkapitals EQF0 (Basis: 100 % Anteile am Untemehmen) zum Zeitpunkt (t=0), der Nettoverschuldung D, zum Zeitpunkt (t = n) und durch Division durch den EBITDA E, zum Zeitpunkt (t = n). Cost Multiple CM, = EQV° + Dn (11)
En Der sich ergebende Kosten Multiplikator, ist der Multiplikator zu dem der Investor zum Zeitpunkt (t = n) verkaufen mi,isste, um sein in die Transaktion investiertes Kapital zur~ickzuerhalten. Der Kostenmultiplikator hat dabei ggti. anderen Bewertungsverfahren folgende Vorteile: m Er fasst alle aus Sicht des Investors wichtigen Werttreiber in einer einzigen Kennzahl zusammen. Ei Er ist unabh~ingig von freien Parametern und l~isst daher kaum Spielraum fOr Korrekturen und Interpretationen. m Er erm6glicht eine dynamische Betrachtung ~iber Berichtszeitr~iume hinweg wodurch Trendentwicklungen schnell erkannt und beobachtet werden k6nnen. B Er erlaubt eine einfache Zusammenfassung der Planung for die Investition und damit auch einen einfachen Soil/Ist vergleich zwischen Planung und sp~iteren aktuellen Ergebnissen. I
Er l~isst sich leicht auf das gesamte Portfolio des Fonds ~ibertragen und erm6glicht damit eine leichtere Darstellung des gesamten Fonds. Insbesondere for Investoren mit einem breit gestreuten Portfolio, die sich i. d. R. mit einer erheblichen ,,Infor-
794
Distressed Equity
mationsflur' konfrontiert sehen ist dies sehr hilfreich, da so sehr schnell und ohne umfangreiche Detailanalysen festgestellt werden kann, welche Engagements sicher erfolgreich und daher als ,,sorgenfrei" einzustufen sind und welche Engagements aufgrund von ,,Performanceproblemen" erh6hte Aufmerksamkeit erfordern. Bei sich positiv entwickelnden Investitionen (oder Fonds) bleibt das investierte Kapital ~iber den betrachteten Zeitverlauf konstant (sofem es keine weiteren Kapitalbeitr~ige des Fonds gibt), der EBITDA E n steigt und die Nettoverschuldung sinkt. Der KostenMultiplikator f~illt damit stetig. Dabei erm6glichen in der Praxis bestimmte Kennzahlen brancheni~bliche Schlussfolgerungen. m Bei einem Kosten-Multiplikator unter 3 kann i. d. R. eine Rekapitalisierung durchgefi~hrt werden, um einen substanziellen Teil der Investition an die Investoren auszuschi~tten. I
Bei einem Kosten-Multiplikator unter 2 kann von einer erfolgreichen Transaktion ausgegangen werden, da sich praktisch jedes Unternehmen entweder zu einem EBITDA-Multiple gr6t~er als zwei ver~iut~ern l~isst oder eine Rekapitalisierung des Unternehmens eine positive Rendite ~ r den Investor impliziert.
5
Strukturierung und Finanzierung der Transaktion
5.1
Investmentphase
Akquisitionsstrukturen sind durch Erfordemisse des Kapitalmarkts sowie steuerliche Rahmenbedingungen gepr~igt. I. d. R. wird das Zielunternehmen (,,OpCo") ~iber eine oder mehrere Gesellschaften erworben. Die Finanzierung der Transaktion erfolgt i~ber eine Kombination aus Eigen-, Mezzanine- und Fremdmitteln. Die Verm6genswerte sowie die Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung der OpCo sowie der freie Cash-Flow bestimmen den Umfang, in dem die finanzierenden Banken bereit sind, den Erwerb mit Fremdkapital zu finanzieren. In Abh~ingigkeit der Fondsstruktur, der Gr6t~e des Investments sowie der Art der eingesetzten Finanzierung wird die Fremdfinanzierung insgesamt entweder vom Erwerbervehikel (,BidCo") aufgenommen oder auf mehrere Zwischenstufen zwischen dem Fonds und der BidCo verteilt. Hintergrund einer mehrstufigen Akquisitionsstruktur ist oftmals ein entsprechendes Verlangen der die Akquisition finanzierenden Banken. Insbesondere bei gr6t~eren Akquisitionen pr~igen
795
ii~
Albrecht I Finger I Danneberg
zwei Umst/inde die Struktur. Zum einen stammt das Fremdkapital aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen, wobei der KreditfLihrer 0blicherweise die Fremdmittel an andere institutionelle Investoren und Finanzinstitute ,,syndiziert". Zum anderen wird das Fremdkapital in Form unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente mit unterschiedlichem Rangverh~iltnis zur VerfLigung gestellt. Bei den eingesetzten Finanzierungsinstrumenten wird dabei grunds/itzlich zwischen den erstrangigen sog. ,,Senior Debt Facilities", einer zweitrangigen Mezzanine Finanzierung bzw. einer Finanzierung Liber High Yields und ggf. einer Drittrangigen Finanzierung Liber sog. PIK-Notes (Fremdkapital, bei dem der Zins am Ende des Jahres nicht gezahlt wird, sondern dem Darlehensbetrag zugeschlagen wird) unterschieden. Dies alles ~ h r t zu mehrstufigen Akquisitionsstrukturen, da die verschiedenen den Kapitalmarkt pr/igenden Beteiligten for die Finanzierungsinstrumente mit unterschiedlichem Rangverh/iltnis auch ein in der gesellschaftsrechtlichen Struktur verankertes entsprechendes Rangverh~iltnis fordem; das heit~t, je nachrangiger ein Finanzierungsinstrument ist, desto ,,weiter" muss es gesellschaftsrechtlich von der den Gesch~iftsbetrieb unterhaltenden Gesellschaft, also der OpCo entfernt sein. Um dieses Rangverh/iltnis sicherzustellen, werden z. B. ,,PIK Notes" gg6. der Mezzanine Finanzierung/dem High Yield und die Mezzanine/ der High Yield ggLi. der Senior Debt Facility dadurch strukturell nachrangig ausgestaltet, dass sie jeweils auf einer h6heren gesellschaftsrechtlichen Stufe aufgenommen werden. Die sich aus diesen Erw/igungen ergebende Gesellschaftsstruktur fLihrt unter BeriJcksichtigung der dargestellten vor- bzw. nachrangigen Finanzierungsinstrumente in gr6t~eren Akquisitionen zu der folgenden inl~indischen Akquisitions-, Finanzierungsund Sicherheitenstruktur:
Abbildung 5-1:
Akquisitions-, Finanzierungs- und Sicherheitenstruktur
Ebene der Akquisitionsstruktur ....~....................PIK Note
Sicherheiten
100%
....
.....~................... ,: Mezzaninie / High Yield ~.~
[ ~ iiii
796
100%
............................Senior Debt Facilities 100%
J:~i
Verpf~indung der Anteile an NewCo durch die HoldCo
Zweitrangige Verpf~indung der Anteile an BidCo durch die NewCo Garantien durch BidCo ggfs. Verpf~indung des bei Begrendung eines ErgebnisabfQhrungsvertrages bestehenden Anspruchs auf Gewinnabf0hrung durch HoldCo Bestellung von Sicherheiten an den Wirtschaftsgetern der BidCo sowie der Zielgesellschaft und deren Tochterunternehmen Garantie der Muttergesellschaft (NewCo) Erstrangige Verpf~ndung der Anteil an der BidCo durch die NewCo ggfs. Verpf~indung des bei Begr0ndung eines Ergebnisabf0hrungsvertrages bestehenden Anspruchs auf GewinnabfOhrung durch BidCo
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Distressed Equity
Steuerlich l~isst sich die Abzugsf~ihigkeit der Zinsen auf die gew~ihrten Finanzierungen - unter Beachtung der allgemeinen hierffir geltenden Regeln, wie des § 8a KStG durch die Begrfindung von Organschaften zwischen der OpCo und der BidCo bzw. der jeweils h6heren Strukturebene sicherstellen. Um der finanzierenden Bank einen m6glichst unmittelbaren Zugriff auf die Wirtschaftsgfiter der OpCo zu erm6glichen, wird im Zuge der Strukturierung der Transaktion oftmals versucht, einen Grot~teil der Fremdfinanzierung mit Wirksamwerden des Erwerbs oder in dessen Anschluss aufzunehmen. U.S.-amerikanische Fonds oder ausl~indische Fonds mit amerikanischen Investoren stellen das Kapital h~iufig ganz oder teilweise fiber in Luxemburg ans~issige Kapitalgesellschaften zur Verffigung. Aus rein steuerrechtlicher Sicht ist den Akquisitionsstrukturen von PE-Fonds die folgende Zielsetzung gemeinsam: I
Optimierung der steuerlichen Abzugsf~ihigkeit der Zinsen auf die Akquisitionsfinanzierung (einschliet~lich der Zinsen auf Gesellschafterdarlehen)
@ Minimierung oder Vermeidung von Kapitalertragsteuern auf Zahlungsflfisse aus der Zahlung von Zinsen, der Tilgung von Darlehen bzw. sonstigen Kapitalrfickflfissen I
Minimierung von Verkehrssteuem, wie deutscher Grunderwerbsteuer oder Luxemburger Kapitalverkehrssteuer
m Flexibilit~it ffir eine zukfinftige steuereffiziente Ver~iut~erung bzw. Teilver~iut~erung I
Maximierung der Abzugsf~ihigkeit von Akquisitionskosten, einschlief~lich der Berficksichtigung der Regelungen, unter denen die Umsatzsteuer auf Beratungsleistungen im Zusammenhang mit dem Konzern vonder NewCo als Vorsteuer abgezogen werden kann
Unternehmen in Krisensituationen weisen dabei Besonderheiten auf, die es zu berficksichtigen gilt. So liegt in den meisten Fallen bereits eine signifikante operative Verschuldung bei gleichzeitigem niedrigen freien Cash-Flow vor. Eine Standard Buy-Out Finanzierung ist deswegen in den seltensten Fallen m6glich. Der ,,Leverage" befindet sich i. d. R. bereits auf Ebene der OpCo. In Restrukturierungssituationen treten folglich zwei Aspekte in den Vordergrund: Ei Eine Restrukturierung der Fremdkapitalfinanzierung auf OpCo-Ebene Zi Eine strukturell, risikooptimierte und steuereffiziente Bereitstellung von Eigenkapital Soweit PE-Fonds dabei branchenfiblich von der Zurverftigungstellung von ,,Eigenkapital" sprechen, handelt es sich gesellschafts- bzw. zivilrechtlich zum einen um Eigenkapital in der Form der Einlage auf das Stammkapital sowie andere Zuzahlungen in die R~cklage der dem Fonds nachgeschalteten Kapitalgesellschaft (im Falle einer deut-
797
Albrecht / FiJger / Donneberg
schen Kapitalgesellschaft handelt es sich also um andere Zuzahlungen im Sinne des § 242 Abs. 2 Nr. 4 HGB) und um Fremdkapital in Form eines Gesellschafterdarlehens. Hinsichtlich des Gesellschafterdarlehens gilt dabei als Daumenregel, dass dessen Gew ~ r u n g dann vorteilhaft ist, wenn die Abzugsf~ihigkeit der Zinsen auf Ebene der inoder ausl~indischen Zielgesellschaft einen Entlastungseffekt bewirkt, der h6her ist als der Belastungseffekt der Zinseinnahmen auf Ebene des Fonds bzw. der Fondsgesellschafter. Im Rahmen des Vergleichs der Belastungs- und Entlastungseffekte ist dabei von besonderer Bedeutung, dass die Zinsen auf Gesellschafterdarlehen regelm~it~ig endf~illig ausgestaltet werden, mit dem Effekt, dass der Steuerminderungseffekt auf Ebene der Zielgesellschaft sofort eintritt, w~hhrend die Besteuerung des Fonds bzw. des Fonds-Investors gegebenenfalls erst Jahre sp~iter bei der tats~ichlichen Bezahlung der Zinsen ausgel6st wird. Schliet~lich ist zu beachten, dass aufgrund steuerrechtlicher Besonderheiten im Ausland ausl~indische Fonds bzw. Fonds-Investoren nach ihrem nationalen Steuerrecht ggf. nicht mit der Besteuerung von in Deutschland abzugsf~ihigen Zinsen rechnen mi~ssen. Steht dem sich auf Ebene des Fonds bzw. der Investoren des Fonds gegebenenfalls entstehenden Steuerbelastung kein vorzugsw~irdiger Entlastungseffekt auf Ebene der Zielgesellschaft ggii.- was gerade bei Krisenunternehmen aufgrund der ohnehin bereits bestehenden operativen Verschuldung oder im Rahmen der gesetzlichen Begrenzungen nutzbaren Verlustvortr~ige denkbar erscheint- kann sich gleichwohl empfehlen, die Gesellschaft mit einem dann niedrig verzinslichen Gesellschafterdarlehen zu finanzieren. Dies kann insbesondere im Hinblick auf eine vor der Ver~iut~erung der Gesellschaft gegebenenfalls stattfindenden Refinanzierung des Portfolio-Unternehmens mit einer teilweisen Ri~ckfi~rung der vom Fonds zur Verfi~gung gestellten Mittel Vorteile haben (vgl. Abb. 5.2). Die Fremdfinanzierung der Akquisition durch Gesellschafterdarlehen hat dabei gewisse steuerliche Rahmenbedingungen zu beachten. Zum einen muss der Zinssatz dem sog. Fremdvergleich standhalten. Zum anderen ist die Abzugsf~_higkeit der Zinsen auf Gesellschafterdarlehen gerade bei der Finanzierung von Krisenunternehmen nur gesichert, wenn das Verh~iltnis von Fremd- zu Eigenkapital das Verh~iltnis von 1,5:1 nicht i~berschreitet. PE-Investoren m~ssen daher regelm~if~ig vor der Akquisition aufgrund der besonderen Eigenkapitalermittlungsvorschriften des § 8a KStG unter Beri~cksichtigung der prognostizierten Entwicklung der mat~geblichen Handelsbilanz (unter Beri~cksichtigung von Gewinnab~hrungen bzw. der Verpflichtung zum Verlustausgleich) das Verh~iltnis von Fremd- und Eigenkapital in einem der Steuerplanung zugrunde zu legenden Modell fi~r die zuki~nftigen drei bis ~ n f Jahre ermitteln.
798
Distressed Equity
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Abbildung 5-2" SchematischeAkquisitionsstruktur ............................
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i:i 1) PEC: Preffered Equity Certificats; Eigenkapital a u s Sicht der U S - I n v e s t o r e n ; V e r b i n d l i c h k e i t e n aus Sicht der L u x C o i::~:iFA: F i n a n z a n l a g e n ; SK: S t a m m k a p i t a l ; KR: Kapitalr(~cklagen; EK: Eigenkapital; G D : G e s e l l s c h a f t e r d a r l e h e n ; i.~!........:....:...:.......~.....~..:.......L:..:.....:..:.....7::::~.T:..:..~...~..................:.:..~.:.~.....`:~:..~. ..::.: ': ...........' . : . ~ 7 . : . . . : c : ::..::..:..:.. ::,/'c/.::. '::
i
FK: F r e m d k a p i t a l '.: ' : "..............' . ..............: ........ • ' . . :
Das zur Finanzierung notwendige ,Eigenkapital" wird schliet~lich vom Fonds zusammen mit dem Management-Team und ggf. weiteren Koinvestoren, die auch die ursprfnglichen Eigen~mer des Unternehmens einschliel~en k6nnen, zur Verffgung gestellt. Die H6he des auf den einzelnen Ebenen der Akquisitionstruktur (HoldCo, NewCo, BidCo - zusammen nachfolgend ,,BidCo") einsetzbaren Fremdkapitals h~ingt mat~geblich v o n d e r H6he der auf OpCo-Ebene bereits existierenden Verschuldung ab. Um dieses Volumen an zus~itzlichem Fremdkapital in der BidCo zu ermitteln, ist eine detaillierte Analyse der nach Turnaroundmal~nahmen, Investitionen und sonstigen Mat~nahmen zur Verffgung stehenden Cash-Flows notwendig. I. d. R. ist das fiber OpCo und BidCo konsolidierte Fremdfinanzierungsvolumen gemessen als Vielfaches des konsolidierten EBITDA (Leverage Ratio) bei Turnaround Investitionen deutlich geringer (4 x EBITDA bis 5 x EBITDA) als bei ,,normalen" Buyout-Transaktionen bei denen mehr als das achtfache des EBITDAs fremdfinanziert wird. Der geringere Leverage rfhrt in Einzelf~illen auch daher, dass bei Turnaround-Investitionen oftmals die Verschuldung des Targets bereits so hoch ist, dass mit den bestehenden Fremdkapitalgebern im Rahmen der Sanierungsmaf~nahmen zun~ichst eine Schuldenverzicht oder eine Wandlung in Optionsgenussrechte oder ~ihnliche Instrumente notwendig ist um Insolvenz abzuwenden.
799
Albrecht / FiJger / Danneberg
Rekapitalisierun8 (,,ReCap") und Exitoptionen
5.2
Neben dem klassischen Exit, also einem Verkauf des Unternehmens an einen strategischen Investor bzw. einen Finanzinvestor oder einem B6rsengang (,,IPO"), k6nnen TAPE-Investoren ihre Zielrendite auch ~iber einen Rekapitalisierung (,,ReCap") - die Aufnahme neuer Schulden nach erfolgreicher Tilgung bzw. Senkung des KostenMultiplikators und anschliet~ende R~ickfi~hrung der Mittel an die Investoren- erzielen. Dies ist besonders dann interessant, wenn der Investor im Investitionszeitraum auch die operative Ertragskraft des Unternehmens steigern konnte und hat den entscheidenden Vorteil, unabh~ingig von der aktuellen Marksituation f6r Unternehmensverk~iufe bzw. den IPO-Bedingungen am Kapitalmarkt durchgefi~hrt werden zu k6nnen. Da das Volumen einer m6glichen Fremdfinanzierung i. d. R. in erster N~iherung proportional zu der Ertragskraft ist, impliziert eine optimale Finanzierungsstruktur des Unternehmens dann auch eine h6here Verschuldung als zum Zeitpunkt der Akquisition.
Abbildung 5-2: Ausgangsbilanz des Akquisitionsvehikels (BidCo)
Passiva
Aktiva
Finanzanlagen
::
Barmittel Summe
200
0 200
Stammkapital (SK) Kapitalr0cklage (KR)
1 39
Summe Eigenkapital
40
Gesellschafterdarlehen
60
Fremdkapital (FK) Summe
100 200
Wie Kapital 5.1 erl~iutert, werden die Erwerbervehikel (,,BidCo") mit Eigenkapital (Kapitalri~cklage und Stammkapital) sowie mit Gesellschafterdarlehen ausgestattet. In einem angenommenen Investitionszeitraum von 5 Jahren entwickeln sich die einzelnen Bilanzpositionen der BidCo in Abh~ingigkeit mit der operativen Performance der OpCo sowie der Finanzierungskonditionen und der Verzinsung des Gesellschafterdarlehens. Bei einer angenommen ,,Aufzinsung" des Gesellschafterdarlehens mit 7 % p. a. erg~ibe sich nach ffinf Jahren ein Wert von 84 Mio. Euro. Unterstellt man einen erfolgreichen Turnaround der Gesellschaft und eine damit um 30 % gestiegene operative Ertragskraft, die neben Gewinnrficklagen in der BidCo zu einer vollst~indigen Rfickf~ihrung der Finanzverbindlichkeiten auf Ebene der OpCo sowie auf Ebene der
800
.....
Distressed Equity
BidCo gefiihrt hat, erg/ibe sich nach Aufnahme neuer Schulden in H6he von 130 Mio. Euro auf Ebene der BidCo folgende schematische Bilanz des Akquisitionsvehikels.
Abbildung 5-3:
Bilanz zum Zeitpunkt der Rekapitalisierung
Aktiva Finanzanlagen
Passiva 200
Stammkapital (SK) KapitalrQcklage (KR) Gewinnrecklage
76
Summe Eigenkapital
116
Gesellschafterdarlehen
84
Fremdkapital als (FK) •
1 39
0
Barmittel
130
Fremdkapital neu (ReCap)
130
Summe
330
Summe
330
Auf der Aktivseite der Bilanz ergibt sich durch die Aufnahme neuer Schulden ein Barmittelbestand von 130 Mio. Euro, der teilweise an die Gesellschafter der BidCo und mittelbar an die Investoren des Fonds ausgesch/ittet werden kann. Der Rahmen und die konkrete Strukturierung eines Recaps werden im Wesentlichen durch drei Determinanten bestimmt, n~imlich die steuerlichen Rahmenbedingungen, die gesellschaftsrechtlichen Beschr~inkungen sowie die wirtschaftliche Ertragskraft des Unternehmens. Alle drei Faktoren greifen dabei ineinander bzw. haben aufeinander Auswirkungen. Da es sich bei der BidCo regelm/it~ig um eine GmbH handelt, ist die Rechtsprechung bzw. die gesetzlichen Regelungen zu eigenkapitalersetzenden Darlehen zu beachten. Nach der Rechtsprechung ist die R/ickzahlung von eigenkapitalersetzenden Darlehen, soweit Mittel zur Deckung des Stammkapitals erforderlich sind, als Riickzahlung von Eigenkapital anzusehen. Dies hat zur Folge, dass der entsprechende Betrag erstattet werden muss. Der Riickzahlungsanspruch, der auch vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann, verj~ihrt nach zehn Jahren (§ 31 Abs. 5 GmbHG analog). Aut~erdem sind die Regelungen der § 32 a/b GmbHG, § 135 InsO und § 6 Anfechtungsgesetz zu beriicksichtigen. Eigenkapitalersetzende Darlehen werden grunds/itzlich in der Insolvenz nur nachrangig befriedigt. Ist eine RLickzahlung von eigenkapitalersetzenden Darlehen erfolgt, unterliegt diese in der Insolvenz und Einzelzwangsvollstreckung, sofern bis zu einem Jahr vor Antrag auf Er6ffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt oder sp/iter - bzw. bei der Einzelzwangsvollstreckung bis zu einem Jahr vor Anfechtung. Dies gilt auch dann, wenn das Darlehen zum Zeitpunkt der Riickzahlung nicht mehr eigenkapitalersetzend war, denn Letzteres wird innerhalb der Jahresfrist unwiderleglich vermutet.
801
Albrecht / FiJger / Danneberg
Im Mittelpunkt der steuerlichen Planung steht die Frage ob und in welchem Umfang die Riickzahlung von Mitteln an den Fonds Kapitalertragsteuem ausl6st. Eine Riickzahlung des Gesellschafterdarlehens, einschliet~lich aufgelaufener Zinsen (im Beispiel in H6he von 84 Mio. Euro) durch die BidCo, 16st keine deutsche Steuer, insbesondere keine deutsche Kapitalertragsteuer aus, unterstellt, der vereinbarte Zinssatz halt dem Drittvergleich stand und das Gesellschafterdarlehen wurde insgesamt unter Beachtung der Regelungen des § 8a KStG gew~ihrt. Der dariiber hinausgehende Betrag in H6he von 39 Mio. Euro stellt eine steuerpflichtige Dividende dar, die grunds~itzlich der deutschen Kapitalertragsteuer (20 % zzgl. Solidarit~itszuschlag) unterliegt. Dies ware nach nationalem deutschen Steuerrecht nur dann anders, wenn die Riickzahlung aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. d. § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG erfolgen wiirde, da die das Nennkapital geleistete Einlage nach zutreffender Ansicht ohne Einbehalt von Kapitalertragsteuer an die Gesellschafter ausgekehrt werden kann. Allerdings sieht § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG vor, dass zun/ichst der aussch6ttbare Gewinn als ~ r eine Ausschi.ittung verwendet gilt. Mit anderen Worten l~isst sich die Kapitalertragsteuer steuerlich nicht dadurch vermeiden, dass handelsrechtlich statt Gewinnr6cklagen bestehende Kapitalriicklagen ausgeschiittet werden 193. Die Einbehaltung und Abfiihrung von Kapitalertragsteuem auf Dividenden ist dann nicht erforderlich, wenn der Gesellschafter der ausschiittenden HoldCo eine EUMuttergesellschaft i. S. d. § 43b Abs. 2 EStG ist und zum Zeitpunkt der Dividendenausschiittung eine beim BUNDESAMTFOR FINANZEN zu beantragende Freistellungsbescheinigung vorliegt. Das BUNDESAMTFORFINANZEN erteilt eine solche Freistellungsbescheinigung - unter Missachtung neuerer Rechtsprechung des BFH - derzeit nur unter der Voraussetzung, dass die EU-Muttergesellschaft die entsprechenden Substanzerfordernisse (keine Briefkastengesellschaft, sondem z.B. gesch/iftsleitende Holding) des § 50d Abs. 3 EStG erfiillt. Dariiber hinaus hat die Gestaltungspraxis Restrukturierungsm6glichkeiten entwickelt, die auch ohne, dass diese Voraussetzungen vorliegen, steuerliche Nachteile der Mittelr6ckfi.ihrung vermeidet. Eine Darstellung dieser Gestaltungsalternativen w6rde allerdings den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die H6he der Ausschi~ttung an die Investoren ist schlief~lich wirtschaftlich durch die Ertragsituation der operativen Gesellschaft (OpCo) sowie aktuelle Finanzierungskonditionen begrenzt. Unter der Annahme, dass sich die Finanzierungskonditionen und somit der auf dem Fremdkapitalmarkt erzielbare Leverage Ratio im Investitionszeitraum nicht wesentlich ge~indert hat, erg~ibe ein um 30 % gestiegener EBITDA auch eine um 30 % h6here m6gliche Neuverschuldung. Ein Recap nach dem oben dargestellten M o d e l l - hier konkret eine Aussch6ttung der Kapitalriicklage i. H: v. 39 Mio. Euro plus Riickzahlung des Gesellschafterdarlehen in 193
Da es sich bei der BidCo iiblicherweise um eine GmbH handelt, deren Satzung diesbezi~glich keine Besonderheiten vorsieht, sind die Gesellschafter der HoldCo grunds~itzlich frei, durch einfachen Gesellschafterbeschluss Kapitalriicklagen oder Gewinnrticklagen aufzul6sen und auszuschi~tten und zwar auch unterj~ihrig.
802
Albrecht / FiJger / Danneberg
grund eines sich durch die hohe Liquidit~it im Private Equity-Markt 196 st~indig versch~irfenden Preiswettbewerbes erscheinen reine ,,financial und tax engineering" Konzepte jedoch zunehmend als riskant, was dazu geffihrt hat, dass die Verbesserung der operativen Ertragskraft der Beteiligungsuntemehmen eine immer wesentlichere Rolle fi~r die von den Private Equity-Unternehmen angestrebte Wertsteigerung spielt. Da derartige operative Verbesserungen bei schlecht geffihrten Unternehmen oft leichter zu erreichen sind als bei sehr gut gefi~hrten Firmen, die ihr Ertragspotential bereits ,,ausgereizt" haben, nimmt das Interesse auch an ,,Distressed Equity"-Investitionen stark zu, was aus volkswirtschaftlicher Sicht zu begr~it~en ist, da Private Equity hier in der Rolle eines ,,change agent" durch Eigenti~mer- und Fi~hrungswechsel zum Erhalt gef~ihrdeter Arbeitspl~itze beitragen kann. Im Gegensatz zu reinen ,,financial engineering" Transaktionen, deren volkswirtschaftlicher Nutzen fraglich ist und die im Gegenteil durch die mit der Aufnahme hoher Akquisitionsverbindlichkeiten verbundenen Risiken gerade in zyklischen Industrien Arbeitsplatzrisiken sogar erh6hen k6nnen, erscheinen Distressed Equity Investitionen daher volkswirtschaftlich ebenso sinnvoll und wi~nschenswert, wie die i. d. R. mit der Schaffung neuer Arbeitspl~itze verbundenen Venture Capital Investitionen.
196 Im Jahr 2004 wurde in Europa Private Equity Fonds mit einem Gesamtvolumen von 25,2 Mrd. Euro geschlossen, ~ r 2005 erwartet man ein Volumen von 72 Mrd. Euro (Private Equity News, Ausgabe 97, 15.08.2005)
804
iiiiiiiiiiiiiili~Z!i iiiiiiii!~!!i!iii!ii!iilili!~¸ ii~ii!L~Lii~i!i~
Distressed Equity ~i!i~l!~i!~!~i~i!i~~i~i!i~~i~i~i~i~i!i~!i~~i~i~i~i!~!i~i!~~i~i!i ............ i ......... i ¸¸ ~i!ii!illi~iiiii~¸!iiliiiii!ii!?ii!ii!ili!!iiiii!~iilili~i!¸¸'Z !i!i¸i¸~i!i~
BERENS,WOLFGANG/SCHMITTING,WALTER/STRAUCH,JOACHIM(2002): Funktionen, Terminierung und rechtliche Einordnung der Due Diligence, in: Berens, W./Brauner, H. U./Strauch, J. (Hrsg.), Due Diligence im Rahmen von Unternehmensakquisitionen, 3. Aufl., Stuttgart 2002, S. 69 ff. BUNDESMINISTERIUMDER FINANZEN (BMF) (2003): Einkommensteuerliche Behandlung von Venture Capital und Private Equity Fonds; Abgrenzung der privaten Verm6gensverwaltung vom Gewerbebetrieb; Schreiben vom 16.12.2003, IV A 6 - S 2240- 153/03, in: www.bundesfinanzministerium.de.
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805
l
.................................i.i................................
Wirtschaftliche Funktionsweise einer kombinierten Kapitalherabsetzung u n d e r h 6 h u n g ......................................................................................................................... 1.1 1.2
Rechtliche R a h m e n b e d i n g u n g e n ................................................................................. 2.1 Vereinfachte Kapitalherabsetzung u n d K a p i t a l e r h 6 h u n g aus Barmitteln .... 2.2 Voraussetzungen der vereinfachten Kapitalherabsetzung ............................. 2.2.1 Zul~issige Zwecke einer vereinfachten K a p i t a l h e r a b s e t z u n g .............
2.3
2.4
813 813 815 815
2.2.2
Begriff der W e r t m i n d e r u n g u n d der sonstigen Verluste ................... 816
2.2.3
Rechtsfolge im Falle fehlerhafter Verlustannahme .............................. 816
2.2.4 2.2.5
Aufl6sung von Ri3cklagen u n d Aufl6sung der G e w i n n r e s e r v e ......... 817 A n p a s s u n g g e n e h m i g t e r u n d bedingter Kapitalien ............................ 818
Weitere A n f o r d e r u n g e n an K a p i t a l h e r a b s e t z u n g e n ........................................ 2.3.1 Sachliche Rechtfertigung ......................................................................... 2.3.2 A k t i e n z u s a m m e n l e g u n g ......................................................................... 2.3.3 Bezugsrechtsausschluss ........................................................................... 2.3.4 H e r a b s e t z u n g unter den M i n d e s t n e n n b e t r a g ...................................... Rechtsfolgen der Sanierungsmat~nahme Kapitalherabsetzung/ - e r h 6 h u n g .............................................................................................................. 2.4.1 Z e i t p u n k t der Wirksamkeit der beschlossenen Mat~nahmen ............ 2.4.2 Z w e c k b i n d u n g u n d Ausschi~ttungssperre des umgeschichteten Kapitals ...................................................................................................... 2.4.3 Beschr~inkung der Gewinnausschi~ttung .............................................. 2.4.4 2.4.5
819 819 821 822 823 823 823 825 825
Bilanzielle Ri~ckwirkung ......................................................................... 826 Verpflichtung zur Einstellung in die Kapitalri3cklage bei zu hoch a n g e n o m m e n e n Verlusten ...................................................................... 828
Struktur der Vorgehensweise ....................................................................................... 3.1 3.2
809
Zweck u n d Folgen einer K a p i t a l h e r a b s e t z u n g ................................................. 809 Spezifische Funktionsweise der Kombination von Kapitalherabsetzung u n d - e r h 6 h u n g ...................................................................................................... 812
828
Bilanzielle M a g n a h m e n ....................................................................................... 828 Einberufung der H a u p t v e r s a m m l u n g ............................................................... 829 3.2.1 Muster eines Beschlussvorschlages ....................................................... 829
807
Reger
3.3
3.2.2
N o t w e n d i g e A n g a b e n im Beschluss i~ber die Kapitalmat~nahme ...... 831
3.2.3
N o t w e n d i g k e i t einer k o m b i n i e r t e n Beschlussfassung ........................ 831
3.2.4
M e h r h e i t s e r f o r d e m i s ............................................................................... 832
3.2.5
Sonderbeschli~sse ..................................................................................... 832
3.2.6
Satzungs~inderung .................................................................................... 833
3.2.7
Bezugsrechtsausschluss ........................................................................... 834
3.2.8 Jahresabschluss ......................................................................................... 835 Z e i c h n u n g sowie E i n z a h l u n g v o n m i n d e s t e n s 1/4 des gezeichneten Kapitals .................................................................................................................. 835
3.4
H a u p t v e r s a m m l u n g u n d R e g i s t e r a n m e l d u n g e n .............................................. 835
3.5
Weitere Mat~nahmen ............................................................................................ 836
Z u s a m m e n f a s s u n g wichtiger Stolpersteine ................................................................ 836 Fazit ..................................................................................................................................837
808
Kupitalherabsetzung und-erh6hung ~iiii! ! i ¸....i¸ ~ii!i!
Wirtschaftliche Funktionsweise einer kombinierten Kapitalherabsetzung und
-erhbhung Ein Untemehmen in der Krise ben6tigt regelm~it~ig v. a. eines, wenn es i~berleben will: frisches Kapital. Da ein sanierungsbedi~rftiges Unternehmen jedoch mangels hinreichender Kreditwiirdigkeit keinen Zugriff auf Fremdkapital hat, iiberdies eine Zufi~hrung von Fremdkapital nicht geeignet ist, eine etwaige 0berschuldung abzufangen, ist das Unternehmen darauf angewiesen, einen Investor zu finden, der bereit ist, dem sanierungsbediirftigen Unternehmen Eigenkapital zuzuschiet~en. Der Zufluss von Eigenkapital wird im Recht der Kapitalgesellschaften im Wege der Kapitalerh6hung, d.h. der Schaffung und der Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile gegen die Leistung von Kapitalmitteln an die Gesellschaft, bewerkstelligt. Schwierig gestaltet sich f6r das Untemehmen dabei die Suche nach einem Investor, der zum Engagement als Gesellschafter bereit ist. I. d. R. wird die Suche nur dann Erfolg haben, wenn es dem in der Krise befindlichen Unternehmen gelingt, seine Attraktivit~it mr einen Investor zu steigem. Ein Mittel hierf6r ist die Kapitalherabsetzung. Deshalb hat sich in der Praxis die Kombination aus Kapitalherabsetzung und -erh6hung, der sog. Kapitalschnitt, als Sanierungsmodell bew~ihrt. 197 Um die Funktionsweise dieses Systems anschaulich zu machen, soll im Folgenden zun~ichst die Wirkung einer isolierten Kapitalherabsetzung und dann das Zusammenspiel von Kapitalherabsetzung und gleichzeitiger Kapitalerh6hung erl~iutert werden.
1.1
Zweck und Folgen einer Kapitalherabsetzuntl
Eine Kapitalherabsetzung ist zun~ichst schlicht das Gegens~ck zu einer Kapitalerh6hung. Entsprechend kann mit ihr die Ri~ckzahlung nicht mehr ben6tigter Gesellschaftsmittel angestrebt werden (effektive Kapitalherabsetzung). Ein Bedi~rfnis hierfi~r kann in der Praxis dann auftreten, wenn der unternehmerische Zuschnitt einer Kapitalgesellschaft
197 Statistisch betrachtet gab es in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1990-1994 78 Kapitalherabsetzungen mit einem Herabsetzungsbetrag von 12.843,0 Mio. Euro (Zahlen sind dem Statistischen Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland, jeweils unter Entwicklung von Zahlung und Kapital der Kapitalgesellschaften, entnommen). Das Statistische Jahrbuch gibt allerdings keine Aufschli~sselung nach dem Zweck der Kapitalherabsetzung; es di~rfte jedoch davon auszugehen sein, dass der ganz i~berwiegende Anteil auf Kapitalherabsetzungen zum Zwecke der Sanierung zur6ckzu~hren ist.
809
i i~i!ii¸!¸ii~iii'i ~i¸i~I!¸ Reger schrumpft. Letztlich verbirgt sich hinter dieser Form der Kapitalherabsetzung eine Teilliquidation der Gesellschaft (Schmidt, 2002, § 29 III Nr. 4). Da aber eine Kapitalherabsetzung mit gleichzeitiger Auszahlung von Gesellschaftsmitteln an die Gesellschafter zwangsl~iufig eine Reduzierung der Haftungsmasse der Gl~iubiger bedeutet, musste der Gesetzgeber diese Form der Kapitalherabsetzung mit entsprechenden Sicherungsmechanismen zum Zwecke des Gl~iubigerschutzes ausgestalten. So haben die Gl~iubiger der Kapitalgesellschaft das Recht, Sicherheit ~ r ihre Forderungen zu beanspruchen; erst hiemach darf im Rahmen der Kapitalherabsetzung Kapital an die Gesellschafter ausgeschi~ttet werden, § 225 AktG. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Kapitalherabsetzung zur Anpassung des Grund-/ Stammkapitals an das Reinverm6gen der Gesellschaft nach eingetretenen Verlusten erfolgt, also einer blot~en Berichtigung des gezeichneten Kapitals dient (nominelle Kapitalherabsetzung) (Schmidt, 2002, §29 III Nr. 5; Henn, 2002, §37 Rn. 1302). Wirtschaftlich betrachtet ist diese Kapitalmat~nahme nut eine Anpassung an die wirtschaftliche Realit~it; eine Auszahlung von Gesellschaftsmitteln an die Gesellschafter erfolgt nicht. Den Gl~iubigern wird nichts genommen, auf das sie effektiv Zugriff h~itten. In einem solchen Fall konnte sich der Gesetzgeber mit einem gelockerten Gl~iubigerschutz begni.igen, sofem nut sichergestellt ist, dass wirklich ein Sanierungsfall vorliegt. Er sah daher im Gegensatz zum Verfahren der sog. ordentlichen Kapitalherabsetzung mit weitreichenden Gl~iubigerschutzbestimmungen die M6glichkeit einer verfahrensm~it~ig einfacheren, der sog. vereinfachten Kapitalherabsetzung vor. Rechtlich wird die Kapitalgesellschaft freilich nicht gezwungen, auf die Form der vereinfachten Kapitalherabsetzung zuri~ckzugreifen; sie k6nnte stattdessen auch eine ordentliche Kapitalherabsetzung durchfi.ihren (vgl. Abschnitt 2.1). Bei der nominellen Kapitalherabsetzung wird das gezeichnete Kapital teilweise in andere Bilanzposten (z. B. die Kapitalri~cklage) umgeschichtet. Diese Umschichtung hat drei wesentliche Auswirkungen: R Die Einstellung des frei gewordenen Kapitals in die genannten R/icklagen erlaubt einen schnellen Zugriff der Gesellschaft auf die umgeschichteten Mittel, insbesondere zur Deckung yon Jahresfehlbetr~igen. Deshalb ist diese Kapitalherabsetzung geeignet, schnell dringende Liquidit~itsprobleme zu beseitigen. m F/it das Untemehmen wichtiger ist jedoch, dass eine Kapitalherabsetzung eine Unterbilanz zu beseitigen hilft. Eine Unterbilanz entsteht, wenn der gesamte Eigenkapitalbetrag den des gezeichneten Kapitals unterschreitet. Folglich kann dutch eine Herabsetzung des gezeichneten Kapitals eine Unterbilanz beseitigt werden. M! Schliet~lich f~hrt die Kapitalherabsetzung dazu, dass die ~ r die Aussch/ittung von Gewinnen zu /iberwindenden Ausschi.ittungssperren sinken. Nach dem Aktienrecht daft an die Gesellschafter nur der Bilanzgewinn ausgesch/ittet werden (§ 57 Abs. 3 AktG). Dieser Bilanzgewinn wird ermittelt aus dem Jahres/iberschuss ab-
810
Kapitalherabsetzun~ und -erh~hung
!!i!i~' i!~!i ...................................................
zfiglich von Verlustvortr/igen (§ 158 Nr. 1 AktG) und wird weiter gemindert durch die Pflicht, so lange j/ihrlich 5 % des um den Verlustvortrag geminderten Jahresfiberschusses in die gesetzliche Rficklage einzustellen, bis Kapital- und gesetzliche Rficklage 10 % des Grundkapitals (bzw. den in der Satzung der Aktiengesellschaft bestimmten h6heren Prozentsatz) erreichen (§ 158 Nr. 4 i. V. m. § 150 Abs. 2 AktG). Wird die Grundkapitalziffer herabgesetzt, sinkt damit zugleich der Betrag der aufzuffillenden Rficklage. Je geringer aber die aufzuffillende Rficklage ist, desto schneller ist sie erreicht, so dass die Pflicht zur Einstellung von 5 % des Jahresfiberschusses entf/illt und folglich der ausschfittbare Bilanzgewinn steigt. Allerdings ist zu beachten, dass eine Kapitalherabsetzung in der Form der vereinfachten Kapitalherabsetzung die spezifische Ausschfittungssperre nach § 233 Abs. 1 AktG aus16st: Nach einer vereinfachten Kapitalherabsetzung dfirfen erst dann Gewinne an die Aktion/ire ausgeschfittet werden, wenn die gesetzliche und die Kapitalrficklage 10 % des (verminderten) Grundkapitals erreichen. Aber auch hier gilt: Der Ausschfittungen verhindernde Schwellenwert wird umso schneller erreicht, je niedriger die Grundkapitalziffer ist. Fazit: Je mehr man also das i. d. R. durch Verluste aufgezehrte gezeichnete Kapital reduziert, desto eher kann die Gesellschaft wieder Ausschfittungen vornehmen. Gute Aussichten, zeitnah wieder an die Aktion~ire ausschfitten zu k6nnen, tragen wiederum zur Steigerung der Attraktivit~it der Aktiengesellschaft ffir Investoren bei. Diese Vorteile der Kapitalherabsetzung dfirfen jedoch fiber eine Tatsache nicht hinwegt~iuschen: Die sog. nominelle Kapitalherabsetzung ist eine reine Verschiebung von Bilanzposten; ein Mittelab- bzw. -zufluss ist mit ihr nicht verbunden. Die Krise selbst 16st die Kapitalherabsetzung nicht! Denn hinter einer Kapitalherabsetzung verbirgt sich nichts anderes als eine ,,Bilanzsch6nung"; nicht umsonst nennt man die Kapitalherabsetzung deshalb auch ,,Buchsanierung" (Kropff/ Semler, 2001, §229 Rn. 5; Schmidt, 1982, 520; Winnefeld, 2000, N Rn. 660). Deutlich wird dies v. a. dadurch, dass die Kapitalherabsetzung nicht geeignet ist, eine rechnerische Uberschuldung zu beseitigen. Eine Oberschuldung liegt dann vor, wenn die Verbindlichkeiten die Verm6genswerte der Kapitalgesellschaft (entspricht in etwa den Aktiva der Bilanz) fibersteigen. Eigenkapitalpositionen bleiben bei der Aufstellung einer Oberschuldungsbilanz aut~er Betracht (Winnefeld, 2000, N Rn. 859, 866; Schmidt, 1982, 520). Da die Kapitalherabsetzung ausschliet~lich Eigenkapitalkonten berfihrt, ~indert die Kapitalmat~nahme an der Situation der (drohenden) Uberschuldung unmittelbar nichts. Bleibt die Kapitalherabsetzung isoliert, verpufft ihre Wirkung weitgehend; als Vorbereitung bzw. in Kombination mit einer (den Engpass an eigenkapitall6senden) Kapitalerh6hung allerdings kann die Kapitalherabsetzung sanierende Wirkung entfalten.
811
iii,i
Reger
1.2
Spezifische Funktionsweise der Kombination yon Kapitalherabsetzung und -erhi hung
Die spezifische Funktionsweise der Kombination der Kapitalmat~nahmen Kapitalherabsetzung und Kapitalerh6hung basiert im Wesentlichen darauf, dass die Kapitalherabsetzung als Vorschaltmat~nahme zu einer Kapitalerh6hung geeignet ist, die Attraktivit~it f~ir potenzielle Investoren zu erh6hen. Diese attraktivit~itssteigemde Wirkung beruht auf folgenden Mechanismen: Zum einen werden etwaige Ausschi~ttungssperren infolge der Kapitalherabsetzung schneller ~iberwunden (vgl. Abschnitt 1.1). Der Investor kann also auf eine schnellere Rendite seiner Investition hoffen. Vorrangig ist jedoch folgender Effekt: Durch die Herabsetzung der Ziffer des gezeichneten Kapitals tragen im Innenverh~iltnis die bisherigen Gesellschafter die aufgelaufenen Verluste; ihr Anteil an der Gesellschaft wird im Verh~iltnis zum Investor reduziert. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Das Grundkapital einer krisengeschi~ttelten Aktiengesellschaft betr~igt (nominal) 1.000.000 Euro; ein Investor ist bereit, das Unternehmen durch eine Finanzspritze (im Wege der Barkapitalerh6hung zum Nennwert) von 900.000 Euro zu sanieren und damit vor der Insolvenz zu bewahren. Ware der Investor nun gezwungen, ohne eine Kapitalherabsetzung zu investieren, erhielte er einen Stimmenanteil auf der Hauptversammlung von weniger als 50 %. Nimmt das Unternehmen jedoch zuvor eine Kapitalherabsetzung im Verh~iltnis 1:10 vor, reduziert es also zun~ichst das vorhandene Grundkapital auf 100.000 Euro, so erhielte der Investor bei derselben Investition und Erh6hung zum Nennwert 90 % der Stimmen auf der Hauptversammlung. Dieses Ergebnis entspricht auch den wirtschaftlichen Realit~iten, da der Investor u. U. eine nahezu wertlose Hi~lle aufkauft. Die Kapitalherabsetzung fi~hrt somit dazu, dass dem Investor, der eine bestimmte Summe zu investieren bereit ist, eine seinem wirtschaftlichen Engagement entsprechende Stellung in der Gesellschaft zukommt. Rechtlich zu einer Kapitalherabsetzung gezwungen, um eine Kapitalerh6hung i~berhaupt durchf6hren zu k6nnen, ist eine Aktiengesellschaft dann, wenn der Kurs ihrer an der B6rse notierten Aktien bereits unter dem Nennbetrag (bei Nennbetragsaktien) bzw. unter dem anteiligen Betrag am Grundkapital (bei S~ckaktien) liegt. Da der Ausgabebetrag f6r neue Aktien (f6r die n6tige Kapitalerh6hung) nicht unter diesen Betr~igen liegen darf (sog. Verbot der Emission unter pari, § 9 Abs. 1 AktG), der Investor jedoch nur einen realit~itsgerechten und damit am Aktienkurs orientierten Preis zu zahlen bereit sein di~rfte, ist eine Kapitalherabsetzung der einzige Weg, dieser gesetzlichen Regelung Rechnung zu tragen (Happ, 2004, 14.03 Rn 1; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 5). Eine Kapitalherabsetzung ~ h r t n~imlich automatisch zu einer Absenkung des Nennbetrages bzw. des anteiligen Betrages der Aktie am Grundkapital. Im selben Matte sinkt der vom Gesetz vorgeschriebene Mindestpreis pro Aktie; er n~ihert sich somit dem Aktienkurs an.
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Kapitalherabsetzung und -erhOhung i!~i~!i~i~i!~!i~i!~i~i~i~!~i~i!i~i!~!i~i~i!~i!i~i~i~i!~i~i~i~ Der Gesetzgeber hat im Falle der kombinierten Kapitalherabsetzung/-erh6hung in den §§ 234 ff. AktG die M6glichkeit geschaffen hat, den Kapitalmaf~nahmen bilanzielle Ri~ckwirkung beizumessen. Der Jahresabschluss des abgelaufenen Gesch~iftsjahres wird so aufgestellt, als ob der Kapitalschnitt bereits am Ende des abgelaufenen Gesch~iftsjahres vollzogen gewesen ware; Verluste ,,verschwinden". Diese Frage mag man als ,,Bilanzoptik" klein reden; in der Praxis hat diese vom Gesetzgeber geschaffene M6glichkeit der Durchbrechung des Stichtagprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) jedoch eine nicht zu untersch~itzende Auswirkung auf die Kreditw~irdigkeit des zu sanierenden Unternehmens. Noch deutlicher werden die Auswirkungen, wenn man an b6rsennotierte Aktiengesellschaften denkt: Hier ist die r6ckwirkende Bilanzkorrektur ein Indiz fiir eine Gesundung des Unternehmens.
2
Rechtliche Rahmenbedingunsen
2.1
Vereinfachte Kapitalherabsetzun8 und Kapitalerhi hun8 aus Barmitteln
Es wurde bereits angedeutet, dass der Gesetzgeber zwei Verfahren zur Durchf6hrung einer Kapitalherabsetzung vorgesehen hat: zum einen die ordentliche Kapitalherabsetzung, geregelt in den §§ 222 ff. AktG, der als Modell eine Teilliquidation der Aktiengesellschaft mit entsprechend strengen Gl~iubigerschutzvorschriften zugrunde liegt; zum anderen die sog. vereinfachte Kapitalherabsetzung, geregelt in den §§ 229 ff. AktG, die die Kapitalherabsetzung als Sanierungsmat~nahme mit gelockerten Gl~iubigerschutzvorschriften im Auge hat. Faktisch ist eine sanierungsbedi~rftige Aktiengesellschaft fast immer gezwungen, den Weg der vereinfachten Kapitalherabsetzung zu gehen. Wi~rde sie den anderen Weg w~ihlen, mi~sste sie allen Gl~iubigern auf deren Verlangen Sicherheit leisten (§ 225 Abs. 1 S. 1 AktG). Dass ein sanierungsbedi~rftiges Unternehmen gerade diese Voraussetzung nicht oder nur schwer erf(illen kann, leuchtet ein. Im Falle der vereinfachten Kapitalherabsetzung ist die strenge Gl~iubigerschutzvorschrift der Sicherheitsleistung durch das mildere System der §§ 230 ff. AktG ersetzt. An die Stelle der Sicherheitsleistung tritt ein umf~ingliches Regime an Regelungen, das sicherstellen soll, dass die durch die Kapitalherabsetzung frei gewordenen Mittel zweckgerichtet eingesetzt werden und nicht unmittelbar (durch Ausschi~ttung) oder mittelbar (~iber ,,vorzeitige" Gewinnaussch~ittungen, d.h. Gewinnausschi~ttungen, bevor erneut ein gewisses, wenngleich vermindertes Haftungsreservoir f~ir die Gl~iubiger aufgebaut ist) an die Aktion~ire zuri~ckfliet~en und auf diese Weise endgi~l-
813
Reger
tig dem Zugriff der Gl~iubiger entzogen werden. Diese Ersetzung des strengen Gl~iubigerschutzes durch ein den wirtschaftlichen Gegebenheiten des sanierungsbediirftigen Unternehmens angepasstes Gl~iubigerschutzsystem (Schmidt, 1982, 531) im Rahmen der vereinfachten Kapitalherabsetzung erm6glicht iiberhaupt erst das Zusammenspiel von Kapitalherabsetzung und -erh6hung als wirkungsvolles Sanierungskonzept. G~ibe es die vereinfachte Kapitalherabsetzung nicht, ware den sanierungsbed6rftigen Unternehmen eine Kapitalherabsetzung gar nicht m6glich. Ferner erm6glicht nur die vereinfachte Kapitalherabsetzung in den §§ 234 f. AktG eine ri~ckwirkende Bilanzkorrektur mit den bereits geschilderten Auswirkungen auf die Kreditf~ihigkeit (vgl. Abschnitt 1.2). Wollen sanierungsbedi~rftige Unternehmen und Investor die M6glichkeit einer ri~ckwirkenden Bilanzkorrektur in Anspruch nehmen, mi~ssen sie eine weitere Anforderung erfiillen: Die anschliet~ende Kapitalerh6hung muss aus Barmitteln erfolgen. Soll dagegen die Kapitalerh6hung im Wege der Sacheinlage erfolgen, ist die M6glichkeit einer riickwirkenden Bilanzkorrektur versperrt (§ 235 Abs. 1 S. 2 AktG); dies betrifft insbesondere den Weg, Forderungen des Investors gegen das Unternehmen im Wege der Sacheinlage in eine Beteiligung am sanierungsbed~rftigen Unternehmen umzuwandeln. 198 Ebenfalls nur aus Barmitteln zul~issig ist eine Kapitalerh6hung, wenn zuvor im Rahmen der Kapitalherabsetzung das Mindestnennkapital von 50.000,- Euro unterschritten wird (§ 228 AktG). Dieser Fall ist gar nicht so selten; ist das zu sanierende Unternehmen faktisch nur noch eine wertlose H61se, kommt sogar eine Kapitalherabsetzung auf Null in Betracht (BGH, Urteil vom 05.10.1992, BGHZ 119, 305, 319 f.; BGH, Urteil vom 05.07.1999, ZIP 1999, 1444, 1445). Der Gesetzgeber er6ffnet die volle Brandbreite an Gestaltungsspielraum im Rahmen der Sanierungsmat~nahme Kapitalherabsetzung/-erh6hung nur dann, wenn die Voraussetzungen der vereinfachten Kapitalherabsetzung vorliegen und diese mit einer Kapitalerh6hung aus Barmitteln kombiniert wird. Dies hat seine Ursache darin, dass eine Verringerung der Anforderungen an den Gl~iubigerschutz nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn ein echter Sanierungsfall vorliegt; mit der Verkni~pfung gewisser Vorteile aus der vereinfachten Kapitalherabsetzung an die Kapitalerh6hung aus Barmitteln m6chte der Gesetzgeber zum einen die Seriosit~it des Kapitalschnitts absichern (Kropff/Semler, 2001, § 235 Rn. 1), zum anderen die Attraktivit~it dieser ~ r die Gl~iubiger der Gesellschaft vorteilhaftesten Mat~nahme (Barkapitalerh6hung) steigern und somit einen Anreiz zur Wahl dieses speziellen Instrumentariums schaffen.
198 Dieser Weg ist ohnehin h6chst problematisch, da die Forderungen gegen ein Unternehmen in der Krise oftmals i~berbewertet sein di~rften, so dass sich fi~r den Investor die Gefahr der Differenzhaftung ergibt (gestiitzt auf § 188 Abs. 2 i. V. m. § 36a Abs. 2 S. 3 AktG bzw. auf eine Analogie zu § 56 Abs. 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 GmbHG); vgl. Hiiffer, 2004, § 183 Rn. 21 m. w. N.; Lutter/Hommelhoff/Timm, 1980, 740.
814
Kapitalherabsetzun~ und -erh6hun~
2.2
Voraussetzunsen der vereinfachten Kapitalherabsetzun8
Eine vereinfachte Kapitalherabsetzung mit ihrem reduzierten Gl~iubigerschutz ist nur dann m6glich, wenn strenge Tatbestandserfordernisse erfLillt sind.
2.2.1
Zulissise Zwecke einer vereinfachten Kapitalherabsetzun8
Eine vereinfachte Kapitalherabsetzung darf nur einem oder mehreren der folgenden Ziele dienen: M Ausgleich von Wertminderungen und Deckung von sonstigen Verlusten @ Einstellung von Betr~igen in die Kapitalri3cklage Der Zweck muss in dem zu fassenden Hauptversammlungsbeschluss angegeben werden. Fehlt diese Angabe, ist der Beschluss anfechtbar; werden andere Zwecke als die genannten verfolgt, obwohl die Kapitalmat~nahme ausdri~cklich als vereinfachte Kapitalherabsetzung bezeichnet wird, 199 so ist der Beschluss nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig, weil er dem Gl~iubigerschutz zuwiderl~iuft. Die exakte Angabe des Zwecks dient dazu, eine zweckentsprechende Verwendung der Mittel, zu der die Aktiengesellschaft verpflichtet ist (§ 230 S. 2, 3 AktG), LiberpriJfbar zu machen. Dementsprechend verlangt zumindest die herrschende Ansicht, dass, wenn beide Zwecke verfolgt werden, eine betragsm~it~ige Aufteilung des Herabsetzungsbetrages auf die verschiedenen Zwecke zu erfolgen hat (HLiffer, 2004, § 229 Rn. 6; Z611ner, 1995, § 229 Rn. 20; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 13). Indem das Gesetz nur die aufgez~ihlten Zwecke fi3r eine vereinfachte Kapitalherabsetzung zul~isst, kreiert es zugleich tatbestandliche Voraussetzungen fLir die vereinfachte Kapitalherabsetzung. Denn der Zweck, Wertminderungen auszugleichen bzw. sonstige Verluste zu decken, kann nur verfolgt werden, wenn solche Verluste im Sinne der Vorschrift vorhanden sind. Fi3r die Einstellung in die Kapitalri~cklage ergibt sich aus § 231 S. 1 AktG, dass dieser Zweck nur insoweit zul~issig ist, als durch die Umschichtung des Grundkapitals in die Kapitalri3cklage diese und die gesetzliche Ri3cklage zusammen 10 % des (verminderten) Grundkapitals nicht Liberschreiten.
199 Andemfalls dL/rfte die Auslegung ergeben, dass eine ordentliche Kapitalherabsetzung vorliegt (Happ, 2004, 14.03 Rn. 2).
815
Refer
2.2.2
Begriff der Wertminderung und der sonstisen Verluste
Der Gesetzgeber hat die Tatbestandsmerkmale ,,Wertminderung" und ,sonstige Verluste" bewusst untechnisch formuliert (Z611ner, 1995, § 229 Rn. 10). Er will damit die im wirtschaftlichen Verkehr n6tige Flexibilit~it erreichen. Ganz herrschender Meinung entspricht es dabei, dass - in Obereinstimmung mit bilanzrechtlichen Grundprinzipien200 - Wertminderungen und Verluste noch nicht realisiert sein mi~ssen, sondern dass eine Verlusterwartung fi~r eine vereinfachte Kapitalherabsetzung geni~gt (BGH, Urteil vom 05.10.1992, BGHZ 119, 305, 321; Hi~ffer, 2004, § 229 Rn. 8; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 20). Hinreichend, aber keineswegs notwendig fi~r eine vereinfachte Kapitalherabsetzung ist eine Unterbilanz. Vielmehr reicht es aus - wie § 229 Abs. 2 S. 1 AktG zeigt -, wenn die Verlusterwartung (bei Aufl6sung der Gewinnvortr~ige) zu einer Eigenkapitaldeckung von weniger als oder von exakt 110 % des (verminderten) Grundkapitals f~ihrt. Dem Unternehmen soll in einer solchen grenzwertigen Situation stets ein Ermessensspielraum verbleiben, ob es seine gesetzlichen Reserven aufl6st oder zur Mat~nahme der Kapitalherabsetzung greift. Damit ist freilich die Frage noch nicht beantwortet, wann Verlusterwartungen im Sinne der Vorschrift vorliegen. Einen Ermessensspielraum wird man dem Unternehmen auch hierbei zubilligen m~issen. Andererseits darf dem Unternehmen bei der Bewertung seiner Lage kein Willki~rspielraum zuerkannt werden, da anderenfalls der notwendige Gl~iubigerschutz in nicht hinnehmbarer Weise verletzt ware. Erforderlich ist demnach eine Prognose nachhaltiger negativer Ver~inderungen der Verm6gensstruktur, die nach kaufmSnnischen Mat~stSben im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung sachlich begri~ndet ist (OLG Frankfurt/M., Urteil vom 10.05.1988, AG 1989, 207, 208; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 22). Entsprechend beschr~inkt sich der BGH auf eine Plausibilit~itskontrolle der unternehmerischen Entscheidung (BGH, Urteil vom 09.02.1998, ZIP 1998, 692, 694 f.).
2.2.3
Rechtsfolge im Falle fehlerhafter Verlustannahme
Wenn ~ r eine Kapitalherabsetzung bereits eine beg~ndete Verlusterwartung geni~gt, stellt sich die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen eintreten, wenn sich die Verlustannahme als fehlerhaft erweist. Das Gesetz ordnet in § 232 AktG an, dass ein Betrag in H6he des nicht eingetretenen Verlustes in die Kapitalri~cklage einzustellen ist. Allerdings gilt dies nur, soweit sich im Jahr der Beschlussfassung und in den folgenden Jahren herausstellt, dass die Verluste bzw. die Wertminderungen nicht eingetreten bzw. ausgeglichen sind. Dieser Betrag steht somit im Ergebnis den G15ubigern als 200 Nach dem Vorsichtsprinzip werden auch drohende Verluste bilanziert (§ 249 Abs. 1 HGB); im Obrigen muss eine Verlusterwartung gen~igen, wenn Gl~iubiger bei drohender Zahlungsunf~ihigkeit nach § 18 InsO Insolvenzantrag stellen k6nnen.
816
Kepitalherabsetzung und -erhOhun~
. . . . . . . . . . . . . . . .i.H. . . . . . . . . . Haftungsmasse zur Verfi~gung, da die Kapitalr/icklage f/ir Ausschiittungen an die Aktion~ire nicht zur Verf/igung steht (vgl. § 150 Abs. 3, 4 AktG). Dar~iber hinaus ist danach zu differenzieren, ob gegen die Anforderungen an eine begr/indete Verlustannahme verstot~en wurde. Stellt sich die Prognose als unzutreffend, aber rechtm~it~ig heraus, hat die Fehlerhaftigkeit der Verlustannahme keine sonstigen Auswirkungen auf die Kapitalmat~nahmen, insbesondere sind die Beschl~isse der Hauptversammlung nicht anfechtbar. War dagegen bereits die Verlustannahme ermessensfehlerhaft, so ist der Beschluss ~ber die Kapitalherabsetzung rechtswidrig und anfechtbar. Eine Nichtigkeit wegen/iberwiegender Gl~iubigerinteressen ist dagegen nicht anzuerkennen, da die Gl~iubiger auch in diesem Falle durch den Zwang zur Einstellung der nicht eingetretenen Verluste in die Kapitalr6cklage ausreichend gesch/itzt sind (Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 24; Z611ner, 1995, § 229 Rn. 26 f.). Im Ergebnis heit~t das: Sind die Verluste rechtswidrig prognostiziert, so kann die Kapitalherabsetzung im Klagewege zu Fall gebracht werden; geschieht das nicht (fristgerecht), so ist die Kapitalmat~nahme wirksam, jedoch muss der fehlerhaft angenommene Verlustbetrag in die Kapitalri~cklage eingestellt werden.
2.2.4
AufRisun8 von RUcklagen und Aufltisun8 der Gewinnreserve
Die vereinfachte Kapitalherabsetzung i s t - weil sie die fiir die Befriedigung der Gl~iubiger zur Verfi~gung stehende Haftungsmasse reduziert und somit die Gl~iubigerinteressen ber~ihrt - nur zul~issig, wenn sich ein Unternehmen wirklich in der Krise befindet. Objektiver Maf~stab hier~r ist die Verringerung des zur Verf/igung stehenden Eigenkapitals. Entsprechend misst auch der Gesetzgeber diesem Kriterium entscheidende Bedeutung bei. Die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist gem~it~ § 229 Abs. 2 AktG nur dann zul~issig, wenn M kein Gewinnvortrag vorhanden ist, W die Gewinnr~icklagen vollst~indig und E die gesetzliche sowie die Kapitalri~cklage soweit, dass sie 10 % des nach (!) der geplanten Kapitalherabsetzung und vor der geplanten Kapitalerh6hung vorhandenen Grundkapitals nicht/ibersteigen, aufgel6st sind. Die Begriffe Gewinnvortrag und Gewinnriicklage scheinen dabei auf die entsprechenden Bilanzposten (§ 266 Abs. 3 A. III. bzw. IV. HGB) Bezug nehmen zu wollen. Dies trifft jedoch nur fLir den Begriff Gewirmvortrag zu. Der Begriff GewinnrLicklage im Sirme des § 229 Abs. 2 AktG meint dagegen ausschliet~lich die satzungsm~it~igen RLicklagen sowie andere GewinnrScklagen (§ 266 Abs. 3 A. III. 3. bzw. 4. HGB); die gesetzliche RLicklage sowie die RLicklage fLir eigene Anteile sind fLir die Frage, ob die 817
Reger !ii~iiiiiii~ii!~i!ii!~iiii~iiiii!iiiiiiiii~!i~i~i!ii~ii~!~iii~ii~ii~i~iii~i~ii~i
tatbestandlichen Voraussetzungen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung gegeben sind, irrelevant (H~iffer, 2004, § 229 Rn. 14; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 37 ff.). Bez~iglich der Abschmelzung der gesetzlichen sowie der Kapitalr6cklage besteht Streit, wie die 10 %-Marge zu bestimmen ist, wenn eine Kapitalherabsetzung (vori~bergehend) zu einem Grundkapital unter dem Mindestnennbetrag von 50.000 Euro nach § 7 AktG f6hrt. Eine buchstabengetreue Anwendung des § 229 Abs. 2 AktG h~itte zur Folge, dass der Extremfall einer Kapitalherabsetzung auf Null nur zul~issig ware, wenn keine Ri~cklagen mehr vorhanden sind. F~ir diese Sichtweise spricht das Interesse der bisherigen Aktion~ire, an der Substanz des Untemehmens in m6glichst weitem Umfang beteiligt zu bleiben. Die herrschende Ansicht (Hi~ffer, 2004, § 229 Rn. 13; Krieger, 1999, § 61 Rn. 9; Z611ner, 1995, § 229 Rn. 33; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 36.) betont dagegen, dass die genannte Sichtweise das betriebswirtschaftlich bedingte Recht der Kapitalgesellschaft, eine gewisse Reserve vorhalten zu di~rfen, zu sehr beeintr~ichtigt. 0berdies ist § 231 S. 2 AktG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass die Kapitalr~icklage in jedem Fall bis auf 10 % des Mindestnennkapitals von 50.000 Euro, also auf 5.000 Euro aufgefiillt werden darf. Diese gesetzgeberische Wertung muss auch bei der Prtifung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung Beri~cksichtigung finden. Nach herrschender Ansicht schadet demnach eine gesetzliche und eine Kapitalri~cklage von 5.000 Euron in keinem Fall. Im 0brigen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 229 Abs. 2 AktG abschliet~end. Dies bedeutet, dass eine vereinfachte Kapitalherabsetzung keine Aufl6sung des Ri~cklagenanteils mit Sonderanteil oder der stillen Reserven voraussetzt (OLG Frankfurt/M., Urteil vom 10.05.1988, AG 1989, 207, 208; H~iffer, 2004, § 229 Rn. 11; Krieger, 1999, § 61 Rn. 10; Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 45; tlw. a.A: Z611ner, 1995, § 229 Rn. 31.). Wollte man bzgl. der stillen Reserven anders entscheiden, h~itte dies wegen der hieraus resultierenden Steuerpflicht der Erl6se u. U. fatale Konsequenzen fiir die Sanierungsbemi~hungen, zumal eine solche Aufl6sung von stillen Reserven im Rahmen der Sanierung nicht nach § 16 EStG steuerbegi/nstigt ist.
2.2.5
Anpassunggenehmi~ter und bedingter Kapitalien
Der Vollst~indigkeit halber erw~ihnt werden soll f e r n e r - o h n e eine weitergehende Vertiefung-, welche Auswirkungen eine Kapitalherabsetzung auf besondere Kapitalien hat: Eine Anpassungspflicht des genehmigten Kapitals besteht im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung nicht. Argument hierfi~r ist, dass es fiir die Frage der Zul~issigkeit des genehmigten Kapitals auf den Zeitpunkt der Genehmigung ankommt (Happ, 2004, 14.02 Rn. 10). Daher kann die sp~itere Kapitalherabsetzung die Zul~issigkeit des genehmigten Kapitals nicht tangieren.
818
Kapitalherabsetzun~ und -erh6hun~
Auch bedingtes Kapital nimmt nicht automatisch an der Kapitalherabsetzung teil (Happ, 2004, 14.02 Rn. 10); jedoch leitet die vorherrschende Meinung im Falle von Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen (Krieger, 1999, §63 Rn. 20; Kropff/Semler, 2001, § 224 Rn. 25) aus § 216 Abs. 3 AktG ab, dass diese an der Kapitalherabsetzung anteilig teilnehmen und deshalb angepasst werden miissen.
2.3
Weitere Anforderungen an Kapitalherabsetzungen
2.3.1
Sachliche Rechtfertigung
In der Literatur wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob eine Kapitalherabsetzung wegen ihres Eingriffs in die Mitgliedschaftsrechte der Aktion~ire der materiellen Beschlusskontrolle durch die Gerichte unterliegt (Z611ner, 1995, § 229 Rn. 17, 19; Lutter, 1981, 180; Wiedemann, 1980, 157), d. h. einer gerichtlichen Kontrolle des Kapitalherabsetzungsbeschlusses der Hauptversammlung hinsichtlich Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verh~iltnism~if~igkeit. Die Rechtsprechung hat dies vemeint 201. Sie argumentiert dabei, dass dem Schutz des einzelnen Aktion~irs durch verschiedene gesetzliche Regelungen ausreichend Rechnung getragen werde, namentlich durch den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) sowie den Vorrang der Herabsetzung des Nennbetrages bei Nennbetragsaktien bzw. des auf die einzelne Aktie entfallenden Betrages bei S~ckaktien vor einer Zusammenlegung von Aktien (§ 222 Abs. 4 AktG) (vgl. Abschnitt 2.3.2). Allerdings ist nicht zu verkennen, dass isolierte Kapitalherabsetzungsmat~nahmen mit extremen Zusammenlegungsverh~iltnissen (Beispiel: Zusammenlegung der Aktien im Verh~iltnis 1:75) dazu missbraucht werden k6nnen, unliebsame Aktion~ire aus der Aktiengesellschaft herauszudr~ingen. Diese Gefahr ist grunds~itzlich dann nicht gegeben, wenn die Kapitalherabsetzung mit einer Kapitalerh6hung kombiniert wird. Dann n~imlich haben die Aktion~ire im Rahmen der Kapitalerh6hung die Chance, ihren Aktienanteil wieder aufzustocken (Hi~ffer, 2004, § 222 Rn. 14; Thiimmel, 1998, 912). Dies gilt freilich nur, wenn das Bezugsrecht der Aktion~ire nach § 186 Abs. 1 S. 1 AktG nicht ausgeschlossen wird. Das Bezugsrecht besagt, dass jeder Aktion~ir bei einer Kapitalerh6hung das Recht hat, einen seinem bisherigen Anteil am Unternehmen entsprechenden Anteil an der Erh6hung zu erwerben, um so seinen 201 BGH, Urteil vom 09.02.1998, ZIP 1998, 692, 693 f. (allerdings liet~ der BGH die Frage offen, ob dies auch im Falle einer vereinfachten Kapitalherabsetzung in der Insolvenz, wo eine Kapitalerh6hung nicht nachfolgen kann, gilt); BGH, Urteil vom 05.07.1999, ZIP 1999, 1444, 1445; Krieger, 1999, § 60 Rn. 11; zustimmend ~ r den Fall der ordentlichen Kapitalherabsetzung, kritisch jedoch im Falle der vereinfachten Kapitalherabsetzung: Kropff/Semler, 2001, § 222 Rn. 25ff., § 229 Rn. 27ff. 819
iii!!!!!iiii¸~!i!i!~!ii!~i!ii~i!~i!~!i!i!~!~!~i!i!!~i~Reger i!!i~i!~!~i!i~!i!!i~!~ ~i~iiiii!~i~iiiiiiiiii~i~iii~iiii~i~i~ii~ii~ii~i~ii~iiiiiiiiiii~i~i~iiiiiiiii~i~iiiiii~i~i~iiiiii
prozentualen Anteil am Unternehmen unver/indert erhalten zu k6nnen. Bildet freilich ein konkreter Investor den Hintergrund der Kapitalmat~nahmen, so wird h~iufig im Kapitalerh6hungsbeschluss der Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktion/ire ausgeschlossen, um die Investition durch diesen konkreten Investor in der vereinbarten H6he sicherzustellen. Ohne einen Bezugsrechtsausschluss k6nnte sich der Investor n~imlich nicht sicher sein, welchen Stimmenanteil er im Rahmen der Kapitalerh6hung erwerben wird; denn er kann nur denjenigen Teil der durch die Kapitalerh6hung geschaffenen Aktien erwerben, bzgl. dessen das Bezugsrecht nicht ausgefibt worden ist. Da der Bezugsrechtsausschluss andererseits in den Kernbestand der Aktion~irsrechte eingreift und fiberdies zu einem Hinausdr/ingen unliebsamer Aktion~ire missbraucht werden kann, unterwirft die Rechtsprechung den Beschluss fiber den Bezugsrechtsausschluss der oben beschriebenen materiellen Beschlusskontrolle (BGH, Urteil vom 19.04.1982, BGHZ 83, 319, 325 f.). Im Ergebnis ist festzuhalten, dass bei einem Kapitalschnitt eine materielle Beschlusskontrolle durch die Gerichte immer d a n n - und damit im Regelfall- stattfindet, wenn gleichzeitig das Bezugsrecht ausgeschlossen wird. Da bereits im Ausgabepreis der neuen Aktien eine Erschwernis ffir die Ausfibung des Bezugsrechts liegen kann, kommt selbst dann, wenn formal kein Bezugsrechtsausschluss beschlossen wird, ein so genannter faktischer Bezugsrechtsausschluss in Betracht, der denselben Regeln wie ein offener Bezugsrechtsausschluss folgt (Happ, 2004, 12.01 Rn. 8 lit. e). Ein Rechtsbeistand sollte dementsprechend einem zu sanierenden Unternehmen in jedem Falle raten, Vorkehrungen zu treffen, um jeden Verdacht des Missbrauchs der Kapitalmat~nahme zu zerstreuen und die Maf~nahme sachlich unter den Gesichtspunkten der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verh~iltnism~it~igkeit zu rechtfertigen. Dann n~imlich 1/iuft das Unternehmen nicht Gefahr, dass Gerichte die Kapitalmat~nahmen im Rahmen der Beschlusskontrolle kassieren. Im Sanierungsfall sollte es dem Unternehmen ohnehin nicht allzu schwer fallen, den Eingriff in die Aktion~irsrechte sachlich zu rechtfertigen. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist daher gut beraten, in seinem Bericht an die Hauptversammlung Ausffihrungen zur Notwendigkeit der Sanierungsmat~nahme, insbesondere zu den ins Auge gefassten, ffir die Aktion,ire weniger einschneidenden Alternativkonzepten und dem Grund ihres Scheitems zu machen sowie die Geeignetheit der Kapitalmat~nahmen zur dauerhaften Sanierung n~iher auszuffihren. Auch ein vollst~indiger Bezugsrechtsausschluss kann letztlich keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen (BGH, Urteil vom 19.04.1982, BGHZ 83, 319, 323), wenn keine anderen Mittel ffir eine Sanierung in Sicht sind als die, die der potenzielle Investor in Aussicht stellt. Psychologisch vorteilhaft ist es, gleich auch die Vorzfige der Kapitalherabsetzung ffir die Altaktion/ire herauszustreichen. Diese liegen in der Existenzsicherung der Gesellschaft und der schnelleren Erwartung von Ausschfittungen.
820
Kapitalherabsetzung und -erh5hung
2.3.2
Aktienzusammenlesung
Eine Kapitalherabsetzung wird technisch grunds~itzlich dadurch bewirkt, dass der nominelle Wert der Aktie herabsetzt wird. Im Falle von Nennbetragsaktien geschieht dies durch eine Herabsetzung des Nennbetrags der Aktien. Bei Sti~ckaktien bedarf es dagegen keiner Umsetzung; die DurchfLihrung erfolgt automatisch: War das Grundkapital von bspw. 1.000.000,- Euro in 10.000 StLickaktien zerlegt, so verk6rperte jede S~ckaktie einen Anteil von 100,- Euro. Wird nun das Kapital auf 500.000,- Euro herabgesetzt, so verk6rpert jede StLickaktie automatisch nur noch 50,- Euro. Vorteil dieser vom Gesetzgeber vorrangig vorgeschriebenen betrags der Aktien (§ 222 Abs. 4 S. 1 AktG) ist, dass sich die der Gesellschaft untereinander nicht verschieben: Jede Aktie Beispiel vor und nach der Kapitalmat~nahme 0,01% des kommt es auch nicht zu einem Verlust an Eigentumsrechten.
Herabsetzung des NennAnteile der Aktion~ire an verk6rpert im genannten Grundkapitals. Insofern
Dieses Modell versagt jedoch, wenn infolge der Kapitalherabsetzung der gesetzlich zul~issige Mindestbetrag von 1,- Euro je Aktie unterschritten wird. In diesem F a l l und nur in diesem Fall - l~isst der Gesetzgeber die Zusammenlegung von Aktien zu (§ 222 Abs. 4 S. 2 AktG). Beispiel: Der Nennbetrag einer Aktie betr~igt 2,- Euro; das Grundkapital soll auf ein Viertel des ursprLinglichen Betrages reduziert werden. Hier wi~rde eine Herabsetzung des Nennbetrages alleine nicht zum Ziel f~ihren, da der hierfi~r notwendige Nennbetrag von 0,50 Euro den gesetzlichen Mindestbetrag von 1,Euro unterschreitet. Die Gesellschaft hat nun die M6glichkeit, neben der Reduzierung des Nennbetrages auf 1,- Euro die Aktien im Verh~iltnis 2:1 zusammenzulegen. Dies fLihrt freilich dazu, dass Aktion~ire mit Eigentum an einer ungeraden Anzahl von Aktien einen Rechtsverlust erleiden: Hat ein Aktion~ir etwa 11 Aktien, so erh~ilt hierfi~r nur 5; mit seinem Teilrecht aus der i3brigen 1/2 Aktie f~illt er aus, sofern nicht den Aktion~iren durch Beschluss der Hauptversammlung die M6glichkeit geboten wird, dies durch freiwillige Zuzahlung abzuwenden 202. Zu beachten ist, dass diese sog. Spitzen zu umso st~irkeren Einschnitten an Aktion~irsrechten fLihren k6nnen, je krasser das Zusammenlegungsverh~iltnis gew~ihlt wird 203. In der beri3hmten SachsenmilchEntscheidung des BGH (Urteil vom 09.02.1998, ZIP 1998, 692) lag dieses Zusammenlegungsverh~iltnis bei 75:1 (die Kapitalherabsetzung insgesamt wurde sogar im Verh~iltnis 750:1 vorgenommen)! Gleichwohl hat die Rechtsprechung diesen Fall - wie oben
202 Nach herrschender Meinung ist dies zul~issig. Zum Streitstand sowie zu den praktischen Komplikationen beim Procedere, insbesondere bei der Eintragung, vgl.: Kropff/Semler, 2001, § 222 Rn. 29, § 223 Rn. 9f. 203 Diskussionsw~irdig ist es jedoch, eine Ausnahme vom Vorrang der Herabsetzung von Aktienbetr~igen vor einer Zusammenlegung von Aktien zu machen, wenn es infolge der Zusammenlegung nicht zu Spitzen kommen kann. Besitzen alle Aktion~ire eine gerade Anzahl von Aktien, so ist kein vernLinftiger Grund zu erkennen, warum eine Zusammenlegung von Aktien im Verh~iltnis 2:1 unterbleiben sollte. Vgl.: Kropff/Semler, 2001, § 222 Rn. 45.
821
Refer
ausgeffihrt- nicht zum Anlass genommen, den Kapitalherabsetzungsbeschluss einer materiellen Beschlusskontrolle zu unterwerfen.
2.3.3
Bezussrechtsausschluss
Wie bereits erw~ihnt, haben Aktion~ire bei einer Kapitalerh6hung ein Recht auf Zuteilung eines ihrem Anteil am bisherigen Grundkapital entsprechenden Teils der neuen Aktien (§ 186 Abs. 1 S. 1 AktG). Dieses Recht ist allerdings hinderlich, wenn ein konkreter Investor investieren und eine entsprechende Beteiligung an der Gesellschaft erhalten will. Um die Durchf~ihrung der Investition zu garantieren, ist es notwendig, das Bezugsrecht der Aktion~ire auszuschliet~en. Ein solcher Bezugsrechtsausschluss bedarf eines Beschlusses der Hauptversammlung, dem 3,4 des in der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals zustimmen m~issen, sofern nicht die Satzung eine h6here Mehrheit oder weitere Erfordemisse vorsieht (§ 186 Abs. 3 AktG). Die Ausschliet~ung muss ausdri~cklich in der Tagesordnung der Hauptversammlung bekannt gemacht worden sein; femer hat der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht fiber die Grfnde vorzulegen, in dem auch der Ausgabebetrag f~ir die neuen Aktien begrfndet werden muss (§ 186 Abs. 4 AktG). Der (von der Rechtsprechung anerkannte- BGH, Urteil vom 19.04.1982, BGHZ 83, 319, 323) Grund kann insbesondere darin liegen, dass der Investor das Erreichen einer bestimmten Stimmenquote in der Hauptversammlung zur Bedingung ffr seine Investition macht. Unter solchen Umst~inden hat die Gesellschaft nur die Wahl, das Bezugsrecht auszuschliet~en oder auf die gegebenenfalls lebensnotwendige Sanierung zu verzichten. Sollte ausnahmsweise ein Bezugsrechtsausschluss nicht notwenig sein, so ist Folgendes zu beachten: Der Sanierungsmat~nahme Kapitalschnitt k a n n - wie dargestelltbilanzielle Rfckwirkung beigemessen werden. Um diesen Vorteil nutzen zu k6nnen, verlangt das Gesetz jedoch, dass die neuen Aktien bereits bei Beschlussfassung der Hauptversammlung fber die Kapitalerh6hung gezeichnet sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AktG). Dies wird nicht gelingen, wenn den Aktion~iren ein Bezugsrecht mit mindestens zweiw6chiger Zeichnungsfrist zuzubilligen ist (§ 186 Abs. 1 S. 2 AktG). Deshalb ist es in einem solchen Falle n6tig, dass ein Kreditinstitut die Aktien vor der Hauptversammlung zeichnet und anschliet~end den Aktion~iren zum Bezug anbietet. Ist das Kreditinstitut zur Weiterreichung an die Aktion~ire verpflichtet, gilt dies nicht als Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 5 AktG; sog. mittelbares Bezugsrecht). Die strengen formalen Anforderungen an den Beschluss sind nicht einzuhalten; allerdings besteht die Gefahr des sog. faktischen Bezugsrechtsausschlusses (vgl. Abschnitt 2.3.1).
822
Kapitalherabsetzungund-erhdhung
2.3.4
Herabsetzung unter den Mindestnennbetrag
Eine Aktiengesellschaft muss minclestens ein Grundkapita] yon 50.000,- Euro haben.
Gleichwohl kann es sich als notwendig erweisen, dass beim Kapitalschnitt diese Marke vorfibergehend unterschritten wird. Man denke nur an eine sanierungsbed~irftige Aktiengesellschaft, die ohnehin nur mit dem Mindestkapital ausgestattet ist. Auch ihr muss eine Kapitalherabsetzung mit anschlieflender Kapitalerh6hung m6glich sein. Diesem Ansinnen tr~igt der Gesetzgeber in § 228 AktG Rechnung: Danach darf eine Kapitalherabsetzung den Betrag von 50.000,- Euro unterschreiten, wenn zugleich eine Kapitalerh6hung ohne Sacheinlagen beschlossen wird und durch diese Kapitalerh6hung der Mindestnennbetrag wieder erreicht oder fiberschritten wird. Um den vorfibergehenden Charakter der Unterschreitung des Mindestnennbetrags abzusichern, ordnet der Gesetzgeber in § 228 Abs. 2 AktG die Nichtigkeit der Kapitalmat~nahmebeschlfisse an, wenn sie und die Durchffihrung der Kapitalerh6hung nicht binnen sechs Monaten nach Beschlussfassung ins Handelsregister eingetragen sind. Im Rahmen des Kapitalschnitts spielt die Frist jedoch nur eine untergeordnete Rolle, d a - falls eine bilanzielle R~ickwirkung angestrebt wird - die strengere 3-Monats-Frist nach §§ 234 Abs. 3, 235 Abs. 2 S. 1 AktG l~iuft. Im Extremfall hat die Rechtsprechung sogar eine Kapitalherabsetzung auf Null gebilligt; allerdings verlangt sie in einem solchen Fall, dass den Altaktion~iren nach M6glichkeit im Rahmen der Kapitalerh6hung- so sie dies wfinschen- wieder eine Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft einger~iumt werden muss (BGH, Urteil vom 05.07.1999, ZIP 1999, 1444, 1445). Diese Verpflichtung resultiert aus der Treuepflicht zwischen der Gesellschaft und ihren Aktion~iren. Nicht statthaft ist es, auf diese Weise eine Auswechslung der Aktion~ire zu bewirken.
2.4
Rechtsfolgen der SanierungsmaBnahme Kapita Iherabsetzu ng/-erh~ih ung
2.4.1
Zeitpunkt der Wirksamkeit der beschlossenen MaBnahmen
Die Kapitalherabsetzung wird wirksam im Zeitpunkt der Eintragung des Beschlusses fiber die Kapitalherabsetzung in das Handelsregister (§ 224 AktG). Dies ~indert freilich nichts daran, dass auch die Durchf~ihrung der Kapitalherabsetzung (n6tig z. B. bei der Zusammenlegung von Aktien) stets eintragungspflichtig ist (§ 227 AktG); ist eine Durchf6hrung entbehrlich, kann die Eintragung der Durchffihrung bereits mit der Eintragung des Beschlusses verbunden werden.
823
i
Reger
iiii~i~!~i!~!iii~i~i~ii!!!~iiiii!!~!~ii~i~i!~ii~ii~ii~i~!!ii!i!~i~iii~!ii!!~iiii~i!iii
Anders stellt sich die Rechtslage bei der Kapitalerh6hung dar. Sie wird nicht mit der Eintragung des Beschlusses ~iber die Kapitalerh6hung, sondern erst mit der Eintragung ihrer Durchfi~hrung in das Handelsregister wirksam (§ 189 AktG). Wegen § 188 Abs. 2 i. V. m. §§ 36 Abs. 2, 36a AktG ist Voraussetzung, dass Sacheinlagen vollst~indig und Bareinlagen mindestens zu einem 1,4 und ein etwaiger Ausgabeaufschlag (Agio) ebenfalls vollst~indig einbezahlt sind. Soll dem Kapitalschnitt jedoch bilanzielle Ri~ckwirkung beigemessen werden, sind die versch~irften Voraussetzungen des § 235 Abs. 1 AktG zu beachten: Hiernach mi~ssen bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung ~iber die Kapitalerh6hung nicht nur s~imtliche Aktien gezeichnet sein, vielmehr muss auch bereits die Bareinlage zu mindestens einem Viertel sowie der etwaige Ausgabeaufschlag vollst~indig erbracht sein; Sacheinlagen sind grunds~itzlich ausgeschlossen. Eine angenehme Kehrseite haben die versch~irften Voraussetzungen204: Im Recht der Kapitalgesellschaften ist umstritten, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Vorauszahlungen auf Kapitalmat~nahmen schuldbefreiende Wirkung haben (vgl. mit Nachweisen zum Streitstand: Hi~ffer, 2004, § 188 Rn. 7f.). Konkret stellt sich das Problem, ob ein Investor, der im Vertrauen auf eine sp~iter zu beschliet~ende Kapitalmat~nahme bereits vor der Beschlussfassung eine Einlage leistet, die aber im Zeitpunkt der Eintragung des Beschlusses 6ber die Kapitalerh6hung bereits verbraucht ist, erneut leisten muss. Im Rahmen des Kapitalschnitts nach § 235 AktG hat der Gesetzgeber diese Frage mittelbar entschieden: Wenn der Gesetzgeber die bilanzielle Ri~ckwirkung von einer Vorauszahlung abh~ingig macht, w~irde er sich widerspr6chlich verhalten, wenn er der Vorausleistung gleichzeitig schuldbefreiende Wirkung absprechen wi~rde (OLG Di~sseldorf WM 1981, 969; Kropff/Semler, 2001, § 235 Rn. 11; Schmidt, 1982, 529f.). Richtiger Ansicht nach erstreckt sich die schuldbefreiende Wirkung nicht nur auf die zu leistende Mindesteinlage (also 1/4 des Nennbetrages), sondern auf den gesamten Einlagebetrag (Kropff/Semler, 2001, § 235 Rn. 11). Die Er6ffnung der M6glichkeit, schuldbefreiend im Voraus die Einlage leisten zu k6nnen, ist u. U. n~imlich ~ r die Aktiengesellschaft lebensrettend. Nach § 92 Abs. 2 AktG ist der Vorstand verpflichtet unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen (§ 401 AktG) - binnen drei Wochen nach Eintritt der Insolvenz einen Insolvenzantrag zu stellen. Bis zur Mat~nahme Kapitalschnitt vergeht aber mindestens ein Monat, da allein die Ladungsfrist f6r die Hauptversammlung mindestens einen Monat betr~igt (§ 123 Abs. 1 AktG). Nur in kleinen Aktiengesellschaften, in denen die Aktion~ire bekannt sind, kann mit deren Einverst~indnis die Ladungsfrist abgek~irzt werden (§ 121 Abs. 6 AktG). Somit k~ime- ohne die M6glichkeit der Vorauszahlung - die Sanierungsmat~nahme Kapitalschnitt u. U. zu spat. L~isst man dagegen die Vorauszahlung zu, kann hierdurch die Oberschuldung
204 Der BGH hat diese Frage allerdings bislang stets often gelassen (BGH, Urteil vom 11.11.1985, BGHZ 96, 231, 242; BGH, Urteil vom 13.04.1992, BGHZ 118, 83, 90 f.). 824
Kepitalherebsetzungund-erhOhung
entfallen und damit der Gesellschaft der Gang zum Insolvenzrichter erspart bleiben205.
2.4.2
Zweckbindung und AusschiJttungssperre des umgeschichteten Kapitals
S~imtliche im Rahmen der vereinfachten Kapitalherabsetzung freiwerdenden Mittel dOrfen nicht an die Aktion~ire zurOckfliet~en (§ 230 S. 1 AktG). Auch eine Umgehung des AusschOttungsverbots durch die Befreiung der Aktion~ire von Einlagepflichten ist nicht statthaft. Diese AusschOttungssperre gilt sowohl for die Betr~ige aus der Kapitalherabsetzung als auch for die aus den bilanziellen Vorfeldmat~nahmen gewonnenen Mittel, wie der Aufl6sung der Kapital- und GewinnrOcklagen. Wird gegen dieses Verbot verstot~en, hat die Gesellschaft einen (durch einen Gl~iubiger pf~indbaren) Anspruch gegen den Aktion~ir aus § 62 Abs.1 S. 1 AktG auf ROckzahlung des Erlangten; ein die AusschOttung legitimierender Jahresabschluss ist nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG nichtig; Oberdies haften Vorstand und Aufsichtsrat nach §§ 93, 116 AktG. Dari~ber hinaus dOrfen die freiwerdenden Mittel ausschliet~lich zu den Zwecken verwendet werden, die im Kapitalherabsetzungsbeschluss genannt sind (§ 230 S. 2, 3 AktG). Diese strikte Zweckbindung ist Folge davon, dass der Gesetzgeber im Falle der vereinfachten Kapitalherabsetzung die Anforderungen an den Gl~iubigerschutz lockert; im Gegenzug will er sicherstellen, dass die so gewonnenen Mittel tats~ichlich der Sanierung der Aktiengesellschaft zugute kommen und nicht der schlichten Reduktion der Haftungsmasse zu Lasten der Gl~iubiger dienen. Ein Verstot~ gegen die Zweckbindung macht den Jahresabschluss zwar nicht nichtig oder anfechtbar (§ 257 Abs. 1 S. 2 AktG), begrOndet jedoch Schadensersatzpflichten von Vorstand und Aufsichtsrat aus §§ 93, 116 AktG.
2.4.3
Beschrlinkungder GewinnausschiJttung
Ober die strenge Zweckbindung hinaus ordnet das Gesetz an, dass Gewinne erst dann wieder ausgeschOttet werden dOrfen, wenn die gesetzliche und die KapitalrOcklage wieder auf 10 % des (verminderten) Grundkapitals, mindestens jedoch auf 5.000,Euro aufgefOllt sind (§ 233 Abs. 1 AktG). Voraussetzung dafOr, dass Oberhaupt Mittel for die AuffOllung zur VerfOgung stehen, ist, dass zun~ichst der Verlustvortrag abge-
205 Dogmatisch stellt sich freilich das Problem, ob die Leistung einer Einlage ohne entsprechende Verpflichtung nicht die Passivierung eines ROckzahlungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB erzwingt; w~ire dem so, entfiele die Oberschuldung nicht. Letztlich wird man- aus pragmatischen GrOnden - die Passivierungspflicht ablehnen (Lutter/ Hommelhoff/ Timm, 1980, S. 745 ff.).
825
Refer
baut wurde. Mat~stab ist das nach der Kapitalherabsetzung vorhandene Grundkapital; nicht relevant ist f/Jr diese Ausschiittungssperre die mit der Kapitalherabsetzung verbundene Kapitalerh6hung. Setzt also eine Aktiengesellschaft ihr Grundkapital zun~ichst von 1.000.000,- Euro auf 100.000,- Euro herab, um es dann auf 500.000,- Euro zu erh6hen, so betr~igt die ftir § 233 Abs. 1 AktG mat~gebliche Riicklage 10.000,- Euro (10 % von 100.000,- Euro). Fiir die sonstigen Ausschi~ttungssperren, insbesondere § 150 Abs. 2 AktG, ist dagegen das aktuelle Grundkapital, hier also dasjenige nach der Kapitalerh6hung, mat~geblich. Demnach muss solange 5 % des Jahresi.iberschusses in die RLicklagen eingestellt werden, bis die genannten Riicklagen 50.000,- Euro (10 % des aktuellen Grundkapitals) betragen- vorbehaltlich einer strengeren Regelung in der Satzung. Auch diese Regelung der Beschr/inkung der Gewinnausschiittung dient dem Schutz der G1/iubiger. Sie mussten eine Reduktion der ihnen zur Verf6gung stehenden Haftungsmasse hinnehmen; als Kompensation soll der Gewinnausschiittungsanspruch der Aktion~ire ebenfalls mat~voll beschr/inkt werden. Immerhin haben die Aktion/ire bereits den Vorteil, dass durch die Kapitalherabsetzung die Bezugsgr6t~en f~r die Ausschiittungssperren sinken und somit bereits bestehende Sperren abgemildert werden. Dass der Gesetzgeber dies hinnimmt, hat seine Ursache auch darin, dass auf diese Weise die Attraktivit/it der sanierungsbediirftigen Gesellschaft fiir Investoren steigt. Dari~ber hinaus sieht das Gesetz eine Begrenzung der Ausschiittung auf 4 % fiir zwei Jahre nach dem Beschluss iiber die Kapitalherabsetzung vor, es sei denn die Gl~iubiger werden befriedigt oder ihnen wird auf ihr Verlangen hin Sicherheit geleistet (§ 233 Abs. 2 AktG). Bezugsgr6t~e f6r die 4 % ist das jeweils aktuelle Grundkapital, d. h. eine etwaige Kapitalerh6hung findet Beriicksichtigung. Verst6t~t der Gewinnverwendungsbeschluss gegen diese Grunds/itze, ist er nach §§ 253 Abs. 1, § 241 Nr. 3 AktG nichtig; die Aktion/ire m6ssen erhaltene Gewinne nach § 62 Abs. I herausgeben, Vorstand und Aufsichtsrat haften nach §§ 93, 116 AktG.
2.4.4
Bilanzielle RiJckwirkun8
Bereits mehrfach angesprochen wurde, dass dem Kapitalschnitt bilanzielle Riickwirkung beigemessen werden kann. Ebenfalls bereits ausgef6hrt wurde, dass diese M6glichkeit der ,,Bilanzkorrektur" fiir angeschlagene Untemehmen eine nicht zu untersch/itzende Wirkung auf deren Kreditf~higkeit und damit auf ihre Uberlebenschance hat. Die Riickwirkung wird dergestalt vorgenommen, dass in dem Jahresabschluss des vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung iiber den Kapitalschnitt abgelaufenen Gesch/iftsjahres die Umschichtung der R6cklagen sowie die Kapitalherabsetzung und -erh6hung als bereits erfolgt behandelt werden. Dementsprechend tauchen in dieser Bilanz die Verluste nicht mehr auf. Das Unternehmen steht buchtechnisch saniert da, obgleich dies zum Bilanzstichtag nicht den tats~ichlichen Umst~inden ent-
826
Kapitalherabsetzun~t und -erh6hung
sprach. Diese Durchbrechung des Stichtagsprinzips h~ilt der Gesetzgeber aus unternehmenspolitischen GrLinden (Sicherstellung des Erfolgs der Sanierung) fiJr gerechtfertigt (Kropff/Semler, 2001, § 234 Rn. I m. w. N.). Allerdings knLipft der Gesetzgeber hieran erh6hte Anforderungen (§§ 234f. AktG): Die Beschlussfassung/iber Kapitalherabsetzung und Kapitalerh6hung m/issen auf derselben Hauptversammlung gefasst werden, s~imtliche neuen Aktien m/issen im Zeitpunkt der Beschlussfassung gezeichnet und auf die Kapitalerh6hung miissen mindestens 1/4 sowie der gesamte Ausgabeaufschlag eingezahlt sein; Sacheinlagen sind ausgeschlossen. Die Zeichnung und die Einzahlung muss dem die Hauptversammlung beurkundenden Notar nachgewiesen werden. Aut~erdem muss der Jahresabschluss v o n d e r Hauptversammlung festgestellt werden; eine Feststellung durch den Aufsichtsrat geniigt nicht, versperrt sogar den Weg zur r/ickwirkenden Bilanzkorrektur (Hiiffer, 2004, § 234 Rn. 4; Z611ner, 1995, § 234 Rn. 7). Die Feststellung des Jahresabschlusses soll zugleich mit den Kapitalmat~nahmen erfolgen 206. Fi.ir die Gesellschaft essentiell ist, dass die Beschl/isse zur Kapitalherabsetzung und zur Kapitalerh6hung sowie die Durchf/ihrung der Kapitalerh6hung (nicht: der Kapitalherabsetzung) binnen drei Monaten ab Beschlussfassung in das Handelsregister eingetragen sind; anderenfalls sind s/imtliche Beschliisse nichtig. Allerdings ist der Lauf der 3-Monats-Frist gehemmt, solange eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage rechtsh~ingig ist. Beruht die Nichteintragung innerhalb der Frist auf einem Verschulden des Registergerichts, so ~indert dies an der Nichtigkeit nichts. Mit diesem engen zeitlichen Rahmen will der Gesetzgeber erreichen, dass die in die Vergangenheit gerichteten Beschliisse bzgl. der Bilanz rasch durch die Wirksamkeit der Kapitalmat~nahmen gedeckt sind und so Missbr~iuchen vorgebeugt wird. Anerkennen sollte man allerdings die Kompetenz der Hauptversammlung zu beschliet~en, dass die Kapitalmat~nahmen- dann ohne bilanzielle RLickwirkung- isoliert auch dann Bestand haben sollen, wenn die 3-Monats-Frist nicht eingehalten wird (ebenso: Hiiffer, 2004, § 234 Rn. 9; Kropff/Semler, 2001, § 234 Rn. 17, § 235 Rn. 18; Krieger, 1999, § 61 Rn. 39; Z611ner, 1995, § 234 Rn. 17). Hiervon sollte auch Gebrauch gemacht werden, um gr6t~ere R/ickabwicklungen zu vermeiden. Praktisch wird in diesem Zusammenhang so vorgegangen, dass der Vorstand den Jahresabschluss unter Beriicksichtigung der geplanten Kapitalmat~nahmen aufstellt und dem AbschlusspriJfer vorlegt. Dieser erteilt dann den Best/itigungsvermerk unter der Bedingung, dass die Hauptversammlung die vorgesehenen Kapitalmat~nahmen beschliet~t. Erst nach der Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversamm206 Umstritten ist die Rechtsfolge eines Verstot~es gegen diese Soll-Vorschrift: Nach der Rechtsprechung ist die Regelfolge die Anfechtbarkeit des Beschlusses (RG, Urteil vom 24.09.1942, RGZ 170, 83, 97; zustimmend Hiiffer, 2004, § 243 Rn. 7, § 234 Rn. 6, wobei anfechtbar nur die Feststellung des Jahresabschlusses mit der bilanziellen R/ickwirkung, nicht aber die Kapitalmat~nahme als solche sein soll; aA Krieger, 1999, § 61 Rn. 38; krit. auch Kropff/Semler, 2001, § 234 Rn. 13. 827
Reger
lung und nach der Eintragung der Beschlfisse fiber die Kapitalherabsetzung und die Kapitalerh6hung sowie der Durchfiihrung der Kapitalerh6hung darf der Jahresabschluss mit seinen bilanziellen Korrekturen offengelegt werden (§ 236 AktG). Diese Norm modifiziert die Pflicht zur unverzfiglichen Offenlegung des Jahresabschlusses nach seiner Vorlage an die Gesellschafter (§ 325 Abs. 1 HGB), um einer T~iuschung der Gl~iubiger und kfinftigen Anleger vorzubeugen: Erst wenn die Voraussetzungen der Rfickwirkung tats~ichlich eingetreten sind, darf und muss eine Offenlegung des Jahresabschlusses erfolgen.
2.4.5
Verpflichtun8 zur Einstellung in die KapitalriJcklase bei zu hoch a n g e n o m m e n e n Verlusten
Die vereinfachte Kapitalherabsetzung wird nicht nur dann vorgenommen, wenn bereits Verluste eingetreten sind; oftmals wird sie bereits dann durchgeffihrt, wenn Verluste nur erwartet werden. Insoweit wohnt dem Kapitalschnitt auch ein pr~iventives Element inne. Logische Konsequenz von nur erwarteten Verlusten ist das Risiko, dass diese nicht eintreten. Bereits oben wurde erl~iutert, dass die Fehlerfolge bei zu hoch angenommenen Verlusten danach differiert, ob diese nach bilanziellen Mat~st~iben zu Recht oder willkfirlich angenommen wurden (vgl. Abschnitt 2.2.3 zu den Fehlerfolgen). In jedem Fall gibt das Gesetz vor, dass der Unterschiedsbetrag zwischen den angesetzten und eingetretenen Verlusten bzw. Wertminderungen in die Kapitalrficklage eingestellt werden (§ 232 AktG). Diese Betr~ige unterliegen damit der Bindung nach § 150 Abs. 3, 4 AktG und stehen prim~ir den Gl~iubigern als Haftungsmasse zur Verffigung; eine Ausschfittung an die Aktion~ire ist nicht m6glich.
3
Struktur der Vorgehensweise
Im Folgenden soll der Ablauf der Sanierungsmat~nahme Kapitalherabsetzung, verbunden mit einer Kapitalerh6hung, in einer Art ,,step plan" erl~iutert werden.
3.1
Bilanzielle MaBnahmen
Zun~ichst mfissen bilanztechnisch alle Voraussetzungen f-fir eine vereinfachte Kapitalherabsetzung geschaffen werden. Hierzu mfissen der Gewinnvortrag verwendet, die Gewinnrficklage (im oben unter Abschnitt 2.2.4 beschriebenen Sinne) vollst~indig und die gesetzliche sowie die Kapitalrficklage bis auf 10 % des nach der Kapitalherabset828
Kapitalherabsetzung und-erh6hung
zung (aber vor der Kapitalerh6hung) vorhandenen Grundkapitals abgeschmolzen werden. Diese Mat~nahmen haben vor der Beschlussfassung tiber die Kapitalmat~nahmen durch entsprechende Umbuchungen zu erfolgen. Grunds~itzlich ist for die BuchfOhrung und damit auch for die hier in Frage stehenden Umbuchungen der Vorstand im Rahmen seiner Gesch~iftsfOhrungst~itigkeit verantwortlich. Anders sieht dies im Falle des Gewinnvortrages, der satzungsm~it~igen ROcklagen und der Gewinnr~icklage aus. Hier ist gem~it~ § 174 Abs. I i. V. m. § 119 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung for die entsprechenden Mat~nahmen zust~indig. Die n6tigen BeschlOsse mOssen vor den Kapitalmat~nahmen gefasst werden, eine Beschlussfassung auf derselben Hauptversammlung genOgt jedoch (HOffer, 2004, § 229 Rn. 12; Krieger, 1999, § 61 Rn. 12). Sollte im Rahmen der Umbuchungen eine Abschmelzung der Kapital- bzw. der gesetzlichen ROcklage erforderlich sein, sind hierf6r zwar materiell die Bestimmungen des § 150 Abs. 3, 4 AktG zu beachten, d. h. die so gewonnenen Mittel mOssen zum Zwecke des Ausgleichs von Jahresfehlbetr~igen sowie zur Deckung von Verlusten verwendet werden. Nicht eingehalten werden mOssen jedoch die formellen Anforderungen des § 150 Abs. 4 AktG; so ist zur Vorbereitung einer vereinfachten Kapitalerh6hung nicht erforderlich, dass ein Jahresfehlbetrag f6rmlich festgestellt worden ist oder dass ein f6rmlicher Verlustvortrag vorliegt (Kropff/Semler, 2001, § 229 Rn. 43f.; HOffer, 2004, § 229 Rn. 13; Z611ner, 1995, § 229 Rn. 34).
3.2
Einberufun8 der Hauptversammlung
Bei der Einberufung der Hauptversammlung hat der Vorstand die Tagesordnung bekanntzugeben. Dabei sind gewisse Formalien bzgl. der Beschlussvorschl~ige zu beachten. Im Folgenden wird daher zun~ichst ein Muster einer Einberufung vorgestellt, das anschliet~end erl~iutert wird.
3.2.1
Muster eines Beschlussvorschlages2o7
2. Vorlage des mit dem Bestfitigungsvermerk des Abschlusspridfers versehenen Jahresabschlusses ~ r das Gescha'ftsjahr [ ] nebst Lagebericht des Vorstands und Bericht des Aufsichtsrats. 3. Beschlussfassung i~ber die Herabsetzung des Grundkapitals in vereinfachter Form zum Zwecke des Ausgleichs von Wertminderungen und der Deckung sonstiger Verluste und 207 Ein ~ihnliches Muster findet sich bei HAPP,2004, 14.03; dort wird auf einen Bezugsrechtsausschluss verzichtet und stattdessen die Gestaltung eines mittelbaren Bezugsrechts der Aktion~ire Ober Kreditinstitute gew~ihlt. 829
.....
Reger
idber die Anderung der Satzung Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, folgende Beschliisse zu fassen: a) Das Grundkapital der Gesellschaft in H6he von Euro 10.000.000,-, eingeteilt in 10.000.000 auf den Inhaber lautende Stiickaktien, wird um Euro 9.000.000,- auf Euro 1.000.000,- herabgesetzt. Die Herabsetzung erfolgt nach den Vorschriften idber die vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG), um Wertminderungen und sonstige Verluste im Geschfiftsjahr [ ] in Gesamth6he von Euro [ ] teilweise auszugleichen bzw. zu decken. Sie wird in der Weise durchgefiihrt, dass je zehn auf den Inhaber lautende Stidckaktien zu einer auf den Inhaber lautenden Stiickaktie zusammengelegt werden. b) Der Vorstand wird ermfichtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats Einzelheiten der Durchfiihrung des Beschlusses zu regeln. c) § [ ] der Satzung (Grundkapital und Einteilung) wird in Anpassung an die Kapitalherabsetzung wie folgt neu gefasst: ,,Das Grundkapital der Gesellschafl betrfigt Euro 1.000.000,-. Es ist eingeteilt in 1.000.000 S tiickaktien. " d) Der Vorstand wird angewiesen, den Beschluss gemfifl diesem Tagesordnungspunkt 3 nur zusammen mit der Eintragung der zu Tagesordnungspunkt 4 zu beschlieflenden Kapitalerh6hung anzumelden. 4. Beschlussfassung idber die Erh6hung des Grundkapitals der Gesellschaft gegen Bareinlagen unter Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktion&e, idber die Anderung der Satzung sowie iiber die Feststellung des Jahresabschlusses fidr das Geschfifisjahr [ ] Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, folgende Beschlidsse zu fassen: a) Das nach Maflgabe des Beschlusses gemfifl Tagesordnungspunkt 3 herabgesetzte Grundkapital der Gesellschaft in H6he von 1.000.000,- Euro, eingeteilt in 1.000.000 auf den Inhaber lautende Stidckaktien, wird gegen Bareinlagen um 4.000.000,- Euro auf 5.000.000,- Euro durch Ausgabe von 4.000.000 auf den Inhaber lautenden Stidckaktien mit Gewinnberechtigung ab dem [ ] erh6ht. Der auf jede neue Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals betrfigt 1,00 Euro. Der Ausgabepreis betr~gt 2,- Euro pro Aktie (Kurs von 200 %). Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionfire ist ausgeschlossen. Die neuen Aktien werden an [Investor] mit Sitz in [ ] ausgegeben. b) Der Vorstand wird ermfichtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats die weiteren Einzelheiten der Kapitalerh6hung und ihrer Durchfiihrung festzusetzen. c) § [ ] der Satzung (Grundkapital und Einteilung) wird in Anpassung an die Kapitalerh6hung wie folgt neu gefasst: ,,Das Grundkapital der Gesellschafi betrfigt 5.000.000,- Euro. Es ist eingeteilt in 5.000.000 Stiickaktien. "
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Kapitalherabsetzun~ und -erh6hung
d) Der Jahresabschluss fiir das Gesch~ftsjahr [ ] in der vorgelegten Fassung wird unter Beriicksichtigung der beschlossenen Kapitalherabsetzung und Kapitalerhf~hungfestgestellt. Der Vorstand hat gemfiJ3§ 186 Abs. 4 S. 2 AktG einen schriftlichen Bericht idber den Grund fidr den Ausschluss des Bezugsrechts im Rahmen des Tagesordnungspunkts 4 erstattet. Der Vorstandsbericht erstreckt sich auch auf die vorgeschalteten Tagesordnungspunkte 2 und 3 und wird wie folgt bekannt gemacht: [Es folgt der Bericht des Vorstandes, zumindest seinem wesentlichen Inhalt nach.]
3.2.2
Notwendige Ansaben im Beschluss iJber die KapitalmalSnahme
Wichtig sind im Rahmen der Beschlussfassung iiber die Kapitalherabsetzung die folgenden Angaben: m Kapitalherabsetzung in vereinfachter Form M der genaue Herabsetzungsbetrag E genaue Angaben aller verfolgten (gesetzlich zul~issigen) Zwecke, gegebenenfalls unter Aufteilung des Herabsetzungsbetrages E die Art der Kapitalherabsetzung (hier: Zusammenlegung der Aktien). Verfolgt die vereinfachte Kapitalherabsetzung einen unzul~issigen Zweck, ist sie nichtig. Fehlt die Angabe ,vereinfacht", so ist der Beschluss anfechtbar; wird er nicht angefochten, muss die Verwaltung von einer ordentlichen Kapitalherabsetzung mit den entsprechenden Folgen fi~r den Gl~iubigerschutz ausgehen. Bei der Kapitalerh6hung ist darauf zu achten, dass im Beschluss m'~ der Betrag der Kapitalerh6hung unter Angabe der alten Grundkapitalziffer t
die Anzahl und der Nennbetrag der Aktien bei Nennbetragsaktien bzw. Anzahl und anteiliger Betrag bei Sti.ickaktien
m der Ausgabekurs festgesetzt werden.
3.2.3
Notwendigkeit einer kombinierten Beschlussfassun8
Eine kombinierte Besch]ussfassung von Kapita]herabsetzung und -erh6hung, d. h. eine Besch]ussfassung in derse]ben Hauptversarnm]ung, ist von Gesetzes nur dann vorge-
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Reger
schrieben, wenn die Kapitalherabsetzung zu einem Unterschreiten des Mindestnennbetrages von 50.000,- Euro f/ihrt (§ 228 Abs. 1 AktG). Dieselbe Voraussetzung stellt der Gesetzgeber jedoch auch dann auf, wenn - wie im Regelfall der Sanierung - dem Kapitalschnitt bilanzielle Rtickwirkung beigemessen werden soll (§ 235 Abs. 1 AktG).
3.2.4
Mehrheitserfordernis
Ftir die Kapitalherabsetzung ist mindestens eine 3/4-Mehrheit des auf der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals notwendig (§ 222 Abs. 1 S. 1 AktG). Die Satzung kann weitere Erfordernisse bestimmen oder das Mehrheitserfordernis versch~irfen, eine Reduzierung der Anforderungen an das n6tige Quorum ist nicht zul~issig. Zweifelhaft ist, ob eine allgemeine Versch~irfung des Mehrheitserfordernisses ftir Satzungs~inderungen (zul~issig gem~it~ § 179 Abs. 2 S. 2 AktG) auch die (vereinfachte) Kapitalherabsetzung erfasst. Argument hiergegen ist, dass zumindest die vereinfachte Kapitalherabsetzung eine Sanierungsmat~nahme darstellt. Hier versch~irfte Anforderungen zu stellen, kann eine Existenzgef~ihrdung der Gesellschaft begrfinden und ist i. d. R. nicht gewollt (Kropff/Semler, 2001, § 222 Rn. 16; Htiffer, 2004, § 222 Rn. 10; aA Z611ner, 1995, § 222 Rn. 3). Auch fLir die Kapitalerh6hung schreibt das Gesetz in § 182 Abs. 1 S. 1 AktG eine 3/4Mehrheit des auf der Hauptversammlung vertretenen Kapitals vor; im Gegensatz zur Kapitalherabsetzung darf jedoch die Satzung der Aktiengesellschaft die Anforderungen an die Mehrheitserfordernisse einerseits versch~irfen, andererseits absenken. Praktische Bedeutung gewinnt dieser Punkt nicht, da die Sanierungsmat~nahme Kapitalschnitt- wie schon mehrfach geschildert w u r d e - ihre spezifische Wirkung aus der Kombination beider Mat~nahmen gewinnt, so dass letztlich die strengsten Anforderungen durchschlagen. Auf~erdem ist zu beachten, dass auch der Bezugsrechtsausschluss, der h~iufig als flankierende Mat~nahme ben6tigt wird, zwingend die 3/4Mehrheit voraussetzt, sofern die Satzung die Anforderungen nicht noch versch~irft (§ 186 Abs. 3 S. 2, 3 AktG).
3.2.5
Sonderbesch l iJsse
Sonderbeschltisse sind immer dann erforderlich, wenn mehrere Gattungen von stimmberechtigten Aktien vorhanden sind; in diesem Fall muss jede Gattung mit den oben genannten qualifizierten Mehrheiten zustimmen (§ 222 Abs. 2 AktG). Fehlt ein Beschluss, ist die Rechtsfolge nicht etwa die Nichtigkeit der Beschltisse, sondern deren schwebende Unwirksamkeit (RG, Beschluss vom 21.06.1935, RGZ 148, 175, 186f.); d. h. bis zur Nachholung der notwendigen Sonderbeschlfisse entfalten die Kapitalmat~-
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Kapitalherabsetzung und -erhOhun9
nahmen keine Wirkung. Wird ein erforderlicher Sonderbeschluss verweigert, ist die Kapitalmat~nahme endgfiltig gescheitert. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden Vorzugsaktien. Vorzugsaktion~re bilden bei einer Kapitalherabsetzung grunds~itzlich keine stimmberechtigte Gattung. Folglich mi.issen sie einer Kapitalherabsetzung nicht zustimmen (Hfiffer, 2004, § 141 Rn. 9). Eine Rfickausnahme ist fiir den Fall zu machen, dass durch die Kapitalherabsetzung der Vorzug der Vorzugsaktion/ire beschnitten wird (§ 141 Abs. 1 AktG), d.h. ihr prozentuales Dividendenvorrecht schrumpft. Dieses Ph~nomen kann zum einen im Falle einer Zusammenlegung von Aktien auftreten; zum anderen liegt eine Beschr/inkung des Vorzugs vor, wenn mit der Kapitalherabsetzung eine Kapitalerh6hung verbunden wird, die ein Bezugsrecht ffir Vorzugsaktion/ire enth~lt: Dann n~mlich muss der Vorzugsaktion~r, will er den status quo wahren, sein Bezugsrecht aus6ben. Hierin liegt eine Beschr~nkung des Vorzugs (Kropff/Semler, 2001, § 222 Rn. 33ff.; im Einzelnen besteht hier jedoch Streit; aA sind Frey/Hirte, 1989, 2465).
3.2.6
Satzungs~nderung
Da die H6he und die Aufteilung des Grundkapitals in der Satzung geregelt sind (§ 23 Abs. 3 Nr. 3-5 AktG), ziehen Kapitalmat~nahmen in aller Regel Satzungs/inderungen nach sich. Dies gilt auch ffir den hier besprochenen Kapitalschnitt. Ausnahmsweise ist dann eine Satzungs~inderung entbehrlich, wenn sich Kapitalherabsetzung und Kapitalerh6hung gegenseitig aufheben. Verzichtet die Gesellschaft in einem solchen Fall auf eine Satzungs~inderung, sollte sie jedoch unbedingt beide Kapitalmat~nahmen in einen Beschluss zusammenfassen bzw. die Wirksamkeit beider Beschlfisse aneinander koppeln, um ein Auseinanderfallen von Beschlfissen und Satzung zu verhindern. Wird eine Satzungs/inderung vorgenommen, ist § 124 Abs. 2 S. 2 AktG zu beachten. Danach muss die Ankfindigung der Satzungs/inderung in der Bekanntmachung der Tagesordnung w6rtlich aufgeftihrt werden. Anderenfalls darf fiber die Kapitalmat~nahme - da nicht ordnungsgem/it~ bekannt gemacht- nicht abgestimmt werden (§ 124 Abs. 4 S. 1 AktG). Alternativ zur formellen Satzungs/inderung ist folgende Regelung denkbar: Geht es nur um die sprachliche Neufassung der Satzung nach einer inhaltlich von der Hauptversammlung geregelten Kapitalmat~nahme, kann diese Befugnis zur Satzungsneufassung vonder Hauptversammlung an den Aufsichtsrat/ibertragen werden (§ 179 Abs. 1 S. 2 AktG); die Hauptversammlung muss dann die Satzungs~inderung nicht selbst beschlief~en (Happ, 2004, 14.01 Rn. 9).
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~ii!
Refer ~i~i~i~i ~i i i i~i~i ~ii~!iii~i!i~i~i~i i~i~i!~i~ii~ii~iiii~i~!~!~i~iii~i~ i ~i i~i i i i!i~!!ii i i !i!!i!i!i i ~ii i!ii i!i!i!~i i !i i i i~!!~i!i i !i !i!i i i i i i i i i!!i!!!
3.2.7
Bezussrechtsausschluss
Der Bezugsrechtsausschluss zu Lasten der Altaktion~ire dient dazu, dem Investor die Obernahme eines bestimmten Stimmrechtsanteils zu sichern. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass mit dem Bezugsrechtsausschluss materiell in die Eigentumsrechte der Aktion~ire an der Gesellschaft eingegriffen wird. Durch eine Kapitalerh6hung unter Bezugsrechtsausschluss vermindert sich n~imlich der Anteil der Altaktion~ire am Grundkapital der Aktiengesellschaft und regelm~il~ig an den Stimmrechten; ihre Eigentiimerstellung wird geschw~icht. Weil dem so ist, unterwirft der Gesetzgeber den Bezugsrechtsausschluss erh6hten Anforderungen. Der Vorstand hat schriftlich iiber die Griinde fiir den Bezugsrechtsausschluss zu berichten (i. d. R. wird der Vorstand in Analogie zu § 124 Abs. 2 S. 2 AktG zumindest den wesentlichen Inhalt in der Einberufung der Hauptversammlung bekannt geben (BGH, Urteil vom 09.11.1992, BGHZ 120, 141, 155f.); dariiber hinaus muss der vollst~indige Bericht von der Einberufung der Hauptversammlung an in den Gesch~iftsr~iumen der Gesellschaft ausgelegt und auf Verlangen jedem Aktion~ir zugeschickt werden; w~ihrend der Hauptversammlung selbst muss der Bericht ausliegen- HOFFER, 2004, § 186 Rn. 23 unter Berufung auf die Analogie zu § 175 Abs. 2 AktG). Der Bezugsrechtsausschluss muss ausdriicklich in der Beschlussvorlage (und damit schon in der Bekanntmachung der Tagesordnung) erw~ihnt sein und unterliegt schliet~lich der sog. materiellen Beschlusskontrolle durch die Gerichte. Seine Anordnung wird auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftszweck, auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verh~iltnism~it~igkeit iiberp~ft (BGH, Urteil vom 13.03.1978, BGHZ 71, 40, 45; BGH, Urteil vom 19.04.1982, BGHZ 83, 319, 325). Entsprechend muss der Bericht auf diese Punkte eingehen. Im Falle der Sanierung sollten die Wirkungsweise und Notwendigkeit der Zufi.ihrung frischen Kapitals, die Notwendigkeit des Ob und des Umfangs der vorangehenden Kapitalherabsetzung (insbesondere gegeben, wenn der Investor bei einem Limit an Investitionsbereitschaft seine Beteiligung an das Erreichen eines bestimmten Stimmenquorums kniipft), alternative Mat~nahmen und die Griinde ihres Ausscheidens sowie die Notwendigkeit des Bezugsrechtsausschlusses ausfiihrlich erl~iutert werden. Die Verh~iltnism~it~igkeit kann am einfachsten dann begriindet werden, wenn ohne den Einstieg des Investors eine Insolvenz naheliegend erscheint. Gerade an diesem Punkt sollte der Vorstand sehr sorgf~iltig auf Oberzeugung bedacht sein, da allein schon die Aussicht eines langdauernden Rechtsstreites iiber die Anfechtung der Beschliisse zu den Kapitalmat~nahmen Investoren abschreckt. Hinzu tritt, dass die Rechtsprechung die sachliche Rechtfertigung ausschliet~lich anhand der im Bericht angefiihrten Griinde iiberpriift; eine Vertiefung soll freilich im Prozess noch m6glich sein (OLG Celle, Urteil vom 29.06.2001, AG 2002, 292, 293). Selbst wenn kein Bezugsrechtsausschluss geplant ist, sondern aus den im Abschnitt 2.3.3 genannten Griinden ein mittelbares Bezugsrecht iiber Kreditinstitute gew~ihrleistet wird, erscheint es ratsam, vorsorglich einen Bezugsrechtsausschluss beschliel~en zu lassen; Hintergrund ist, dass der Ausgabepreis der neuen Aktien wom6glich eine faktische Erschwerung des Bezugs bedeutet. Eine solche faktische Erschwerung wird 834
Kepitalherabsetzun9 und-erhOhun9
einem ausdrticklichen Bezugsrechtsausschluss gleichgestellt. Um hier dem Risiko der Anfechtbarkeit zu entgehen, sollte stets ein vorsorglicher Bezugsrechtsausschluss in die Beschlussvorlage aufgenommen werden.
3.2.8
Jahresabschluss
In derselben Hauptversammlung soll, wenn den Kapitalmat~nahmen bilanzielle Rtickwirkung beigemessen werden soll, auch der Jahresabschluss vonder Hauptversammlung per Beschluss festgestellt werden. Da der Jahresabschluss insofern eine Einheit mit den Kapitalmat~nahmen bildet, kann - und sollte - der Beschluss tiber ihn mit dem Kapitalerh6hungsbeschluss verbunden werden. Wichtig ist, dass der Jahresabschluss wirklich von der Hauptversammlung festgestellt wird. Hat der Aufsichtsrat die Feststellung bereits nach § 172 AktG vorgenommen, hindert dies eine Feststellung des Jahresabschluss durch die Hauptversammlung. Die Chance auf eine bilanzielle Rtickwirkung des Kapitalschnitts ist damit vertan (Htiffer, 2004, § 234 Rn. 4; Z611ner, 1995, § 234 Rn. 7).
3.3
Zeichnun8 sowie Einzahlung von mindestens des 8ezeichneten Kapitals
Noch vor der Hauptversammlung mtissen die Zeichnung der neuen Aktien und die Einzahlung von mindestens 1,4 des gezeichneten Kapitals zuztiglich des vollen Agios zur freien Verftigung des Vorstandes erfolgt sein, anderenfalls scheitert die bilanzielle Rtickwirkung des Kapitalschnitts (§§ 235 Abs. 1 S. 2, 188 Abs. 2, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG). Zeichnung und Einzahlung sind dem Notar vor dessen Beurkundung der Hauptversammlung, nicht aber notwendigerweise in der Hauptversammlung selbst nachzuweisen. Wie der Nachweis zu erfolgen hat, ist gesetzlich nicht geregelt. Oblich ist die Vorlage der Zeichnungsscheine und von Einzahlungsbelegen; statthaft ist auch eine Bankbest~itigung (Htiffer, 2004, § 235 Rn. 8).
3.4
Hauptversammlun8 und Registeranmeldungen
Bei der Durchftihrung der Hauptversammlung ist namentlich auf die Auslegung des Berichts des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss zu achten. Die Kapitalherabsetzung, die Kapitalerh6hung sowie die Durchftihrung der Kapitalerh6hung sollten gemeinsam zur Eintragung im Handelsregister der Gesellschaft
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ii
Reger
angemeldet werden. Dies ergibt sich mittelbar aus § 235 Abs. 2 S. 3 AktG. Gleichzeitig ist zu beachten, dass ab der Beschlussfassung in der Hauptversammlung eine 3Monats-Frist l~iuft, innerhalb derer die Eintragung aller drei Mat~nahmen erfolgt sein muss, widrigenfalls deren Nichtigkeit eintritt. Gerade wegen dieses engen zeitlichen Korridors sollte Sorgfalt auf die Beif-0gung s~imtlicher Anlagen verwandt werden.
3.5
Weitere Malnahmen
Sofem - wie im Beispiel - die Kapitalherabsetzung durch die Zusammenlegung von Aktien erfolgt oder der Nennbetrag bei Nennbetragsaktien reduziert wird, bedarf es noch einer Durchffihrung der Kapitalherabsetzung. Zu diesem Zwecke m0ssen die alten Aktienurkunden durch neue (richtige) Urkunden ersetzt werden. Dazu wird den Aktion~iren eine Frist gesetzt, innerhalb derer sie ihre Aktienurkunden umtauschen sollen. Kommen sie dem nicht nach, muss der Aktiengesellschaft ein Mittel in die Hand gegeben werden, damit die Durchf6hrung der Mat~nahme nicht blockiert werden kann. Im Falle der Zusammenlegung richtet sich das Verfahren nach § 226 AktG, im Falle der Nennwertreduktion nach § 73 AktG. Gemeinsamer Kern beider Verfahren ist, dass im Ergebnis die unrichtigen Aktien for kraftlos erkl~irt werden. Durch diese Kraftloserkl~irung wird das Mitgliedschaftsrecht freilich nicht ber0hrt. Die Durchfiihrung der Kapitalherabsetzung hat die Aktiengesellschaft ebenfalls zum Handelsregister anzumelden (§ 227 AktG); Wirksamkeitsvoraussetzung for die Kapitalmat~nahme ist dies nicht. Aut~erdem hat die Gesellschaft unverz0glich nach Eintragung der unter 3.5 genannten Mat~nahmen den (korrigierten) Jahresabschluss nach den Regeln des HGB zu ver6ffentlichen (§ 236 AktG).
4
Zusammenfassung wichtiger Stolpersteine
Hingewiesen sei an dieser Stelle nochmals auf drei Stolpersteine, die es im Zuge eines Kapitalschnitts unbedingt zu vermeiden gilt: Der Jahresabschluss darf nicht bereits durch den Aufsichtsrat gebilligt sein. In diesem Fall ist eine bilanzielle R0ckwirkung der Kapitalmat~nahmen unm6glich. Die Zeichnung der Aktien sowie die Einzahlung der notwendigen Barmittel hat bereits vor der Hauptversammlung zu erfolgen und ist dem Notar nachzuweisen. 836
Kapitalherebsetzun~und-erhOhung iiiiii i~!iiililliii!iii:i!i!!ii!iii~ Ferner ist auf die Einhaltung der 3-Monats-Frist zwischen Beschlussfassung und Eintragung der Beschl~isse zu achten. Einen Stolperstein kann der Kapitalschnitt selbst nicht beseitigen: Ist die Krise bereits soweit fortgeschritten, dass ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, ist der Kapitalschnitt kein taugliches Rettungsinstrument. Dies liegt daran, dass der Insolvenzantrag binnen drei Wochen zu stellen ist (§ 92 Abs. 2 AktG). Der Kapitalschnitt dauert jedoch in seiner Vorbereitung bereits mindestens vier Wochen. So lange dauert n~imlich die gesetzliche Ladungsfrist zur Hauptversammlung. Die Mat~nahme Kapitalschnitt kommt also zu spat. Diese Rechtslage mag kritisiert werden. Bei der Kritik sollte jedoch nicht verkannt werden, dass auch das Insolvenzrecht M6glichkeiten zur Rettung einer Kapitalgesellschaft kennt. Allerdings geschieht dies durch einen unabh~ingigen Insolvenzverwalter unter gerichtlicher Aufsicht- angesichts der betroffenen Gl~iubigerinteressen durchaus kein schlechter Weg (Schmidt, 1982, 527). 0berdies unterstreicht die gesetzliche Regelung den Zwang zum rechtzeitigen Gegensteuern. Einen mittelbaren Ausweg bietet der Kapitalschnitt allerdings doch: Wie oben bereits geschildert (vgl. Abschnitt 2.4.1), kann der Investor durch eine Vorauszahlung auf die Kapitalmat~nahmen die 0berschuldung abwenden. Dieses Vorgehen birgt f6r den Investor zwar nicht unerhebliche Risiken: Scheitert die Kapitalmat~nahme, ist die Ri~ckzahlung des geleisteten Geldes sehr fraglich. Hat er jedoch das n6tige Vertrauen in die Hauptversammlung, wird er bereit sein, diesen Weg zur Abwendung des Insolvenzverfahrens zu gehen.
5
Fazit
Die kombinierte (vereinfachte) Kapitalherabsetzung und Kapitalerh6hung, der sog. Kapitalschnitt, ist f~ir ein sanierungsbed~irftiges Unternehmen ein geeignetes und in der Praxis bew~ihrtes Mittel, dem Unternehmen tiber die Kapitalerh6hung dringend ben6tigte frische Geldmittel zuzuf~ihren und als notwendige Vorstufe hierf~ir durch die vorgeschaltete Kapitalherabsetzung die Attraktivit~it des Unternehmens fi~r einen Investor zu erh6hen: Die Kapitalherabsetzung hilft, eine Unterbilanz der Gesellschaft zu beseitigen. Aut~erdem k6nnen die fi~r k~inftige Gewinnaussch6ttungen zu ~iberwindenden gesetzlichen Aussch6ttungssperren gesenkt werden. Dari~ber hinaus erhalt der Investor aufgrund der vorangehenden Kapitalherabsetzung im Rahmen der Kapitalerh6hung einen dem Unternehmenswert und seiner Investition entsprechenden Anteil am Gesamtkapital und - v. a. - den Stimmrechten der Gesellschaft. Bei Einhaltung bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen kann der Kapitalschnitt mit bilanzieller R(ickwirkung erfolgen. Dies hat positive Auswirkungen auf die Kreditf~ihigkeit und damit die 0berlebenschance des Unternehmens. F~ir Not leidende Unter837
~i~!i~~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~iReger ~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i !~~i ~i ~i ~i ~i ~i ~i i i!i~i iiii!iii~ nehmen ist angesichts der Insolvenzantragsfristen die schnelle Ver~gbarkeit von neuen Finanzmitteln entscheidend. Wesentlich for das Unternehmen ist daher, dass die vom Investor bereitzustellenden Mittel bei einem Kapitalschnitt mit bilanzieller R0ckwirkung bereits vor der Beschlussfassung 0ber die Kapitalmat~nahmen an die Gesellschaft bezahlt werden k6nnen bzw. sogar m0ssen. Das Unternehmen kann daher die neuen Finanzmittel bereits vorzeitig for die Sanierung einsetzen und so ggf. einen sonst erforderlichen Insolvenzantrag vermeiden.
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Kapitalherabsetzun~ und -erhOhung
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Begriff u n d B e d e u t u n g des Debt for Equity Swap als S a n i e r u n g s i n s t r u m e n t ....... 843 Wirtschaftlicher u n d rechtlicher R a h m e n ................................................................... 844 Differenzhaftung bei Sachkapitalerh6hung ............................................................... 845 3.1 Begriff ..................................................................................................................... 845 3.2 3.3
Wertermittlungsrisiko bei Einbringung von F o r d e r u n g e n in der Krise ........ 846 Ermittlung des Einlagewertes ............................................................................. 847
Eigenkapitalersatzrisiken .............................................................................................. 848 4.1 Grundz~ige des Eigenkapitalersatzrechts .......................................................... 848 4.1.1 Begriff u n d N o r m z w e c k des Eigenkapitalersatzes .............................. 848 4.1.2 H a f t u n g s u m f a n g nach Rechtsprechungsregeln u n d
4.2
Novellenregeln ......................................................................................... 4.1.3 Erfasste Gesellschaftsformen/Beteiligungsschwellen ......................... 4.1.4 Erfasster Personenkreis ........................................................................... 4.1.5 Definition der Krise ................................................................................. Sanierungsprivileg ............................................................................................... 4.2.1 Erwerb von Anteilen ,,in der Krise". ...................................................... 4.2.2 Erwerb von Anteilen ,,zum Zweck der Sanierung". ............................ 4.2.3 Beteiligungsform ...................................................................................... 4.2.4 Erwerb von Anteilen d u r c h Altgesellschafter mit einer Beteiligung von i~ber 10 % bzw. 25 % ......................................................................... 4.2.5 Aufstockung einer Kleinbeteiligung von max. 10 % bzw. 25 % ......... 4.2.6 Beteiligung von ,,Sanierungsgesellschaftern" ohne Gl~iubigerstellung vor der Krise ............................................................. 4.2.7
853 854 855
Entfallen des S a n i e r u n g s p r i v i l e g s / w i e d e r h o l t e Krisenfinanzierung ..................................................................................
4.3
849 850 851 851 852 852 852 853
855
A u s w i r k u n g e n der E u G H - R e c h t s p r e c h u n g zu Auslandsgesellschaften mit Sitz im Inland auf die A n w e n d b a r k e i t des d e u t s c h e n Kapitalerhaltungsu n d Kapitalersatzrechts ....................................................................................... 856
841
Hass I Schreiber I Tschauner
Alternative Gestaltungen .............................................................................................. 5.1 5.2 5.3
857
U m w a n d l u n g von F o r d e r u n g e n in Genussrechte oder Wandelgenussrechte ............................................................................................. 857 Gew~ihrung von Anteilen an ausl~indischer (Holding)-Gesellschaft ............. 858 D r o h e n d e Haftung w e g e n verdeckter Sacheinlagen bei Umgehungsgesch~iften ......................................................................................... 859
Der Debt for Equity Swap aus steuerrechtlicher Perspektive .................................. 860 6.1 E r h 6 h u n g des Stamm- bzw. G r u n d k a p i t a l s - bilanzielle u n d steuerliche B e h a n d l u n g ............................................................................................................ 6.1.1
6.2
6.3
6.1.2 M i n d e s t b e s t e u e r u n g ................................................................................ 862 6.1.3 S a n i e r u n g s g e w i n n .................................................................................... 863 E r h 6 h u n g des Stamm- bzw. G r u n d k a p i t a l s - bilanzielle u n d steuerliche B e h a n d l u n g beim (zuki~nftigen) Gesellschafter ............................................... 863 6.2.1 Steuerliche Ber~cksichtigung des Verlusts bei eigenkapitalersetzenden Darlehen? ....................................................... 864 6.2.2 B e s t i m m u n g des Teilwerts bei eigenkapitalersetzenden Darlehen ... 865 6.2.3 Folgen bei der Differenzhaftung ............................................................ 866 Sonstige E r h 6 h u n g e n des Eigenkapitals ............................................................ 866 6.3.1 Bilanzielle u n d steuerliche B e h a n d l u n g bei der Gesellschaft ............. 867 6.3.2 Bilanzielle u n d steuerliche B e h a n d l u n g beim Gesellschafter ............. 868 6.3.3
842
860
Verlust des Verlustvortrags? ................................................................... 862
Sonderfall: Schuldiibernahme unter Verzicht auf Regressanspri~che ..................................................................................... 868
Sanierungsinstrument ,,Debt [or Equity Swap" ii~iii~ii~'~iiii!ii!il ~¸~¸!~ii!ii!i!!i!!!~!!¸~ii~i!i!!!i!~!!i!i~ i~!~!~i~i!i~!~i~
Begriff und Bedeutung des Debt for Equity Swap als Sanierungsinstrument Unter Debt for Equity Swap ist ein Sanierungsbeitrag zu verstehen, bei dem ein Kreditgeber ffir die Einbringung von Darlehensforderungen im Gegenzug Eigenkapital an der Schuldner-Gesellschaft erwirbt. Der Gl~iubiger ,,bezahlt" seinen Gesch~iftsanteil mit der eingebrachten Darlehensforderung. Er bringt im Rahmen einer Kapitalerh6hung seine Forderungen ganz oder teilweise in das Eigenkapital des zu sanierenden Untemehmens ein und kann damit eine bestehende oder drohende 0berschuldung mindem bzw. beseitigen (Buth/Hermanns, 2004, § 13 Rn 49). Durch die damit verbundene Verringerung der Finanzierungskosten wird die Ertragskraft des Unternehmens gest~irkt. Dies erzielt bei den anderen Gl~iubigern den positiven und psychologisch nicht zu untersch~itzenden Effekt, dass diese der Gesellschaft eine h6here Sanierungsf~ihigkeit in Bezug auf das operative Gesch~ift unterstellen und wiederum eher zu eigenen Investitionen bereit sind, um die Lage zu stabilisieren und die Krise abzuwenden. Dieselbe Wirkung zeigt sich bei Lieferanten und Kunden, die durch die neue Beteiligung des Gl~iubigers wieder Vertrauen in die 0berlebensf~ihigkeit der Gesellschaft gewinnen (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 524). Neben diesen mittelbaren Folgen erh~ilt der Neugesellschafter die M6glichkeit, direkt auf den Sanierungserfolg einzuwirken. Durch seine Beteiligung erwirbt er unternehmerische Mitspracherechte, die es ihm erlauben, sich aktiv an der Willensbildung im Unternehmen zu beteiligen. Gleichzeitig wird der unternehmerische Einfluss der Altgesellschafter beschr~inkt. Im Fall des Sanierungserfolges besteht ffir ihn die M6glichkeit, an der Wertsteigerung der Gesellschaft (ggf. fiber den Wert der ursprfinglichen Forderung hinaus) teilzunehmen, sog. ,,upside potential" (Buth/Hermanns, 2004, § 13 Rn 49). Gleichwohl wird die Sanierungsmat~nahme des Debt for Equity Swap in Kreisen der Betroffenen in Deutschland eher misstrauisch betrachtet. Der Grund daffir liegt haupts~ichlich im starren Haftungssystem des Kapitalgesellschaftsrechts, welches mit seinen einschneidenden und verschuldensunabh~ingigen Konsequenzen potenzielle Kreditgeber zurfickschrecken l~isst, einem sanierungsbedfrftigen Unternehmen Eigenkapital durch Umwandlung von Fremdkapital zuzuffhren. Mit den Neuregelungen zum Zwerganteils- und Sanierungsprivileg in § 32 a Abs. 3 GmbHG konnte der Gesetzgeber den kontraproduktiven Effekt dieser Haftung entsch~irfen. Dies zieht auch positive Wirkungen ffir das Institut des Debt for Equity Swap nach sich. Die verbleibenden Risiken lassen sich durch entsprechende Gestaltung in den Griff bekommen. Es liegt daher durchaus nahe, dass sich das Instrument zu einem Standardmodell der Restrukturierung einer fiberschuldeten Gesellschaft entwickelt und neben der fibertragenden Sanierung stehen kann. Diese Bedeutung hat das Instrument im angloame-
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Hass / Schre~ber / Tschauner
ii ..........................................
rikanischen Rechtsraum, woes fir pre-insolvency-Restrukturierungen ebenso wie ffir die Restrukturierung innerhalb eines f6rmlichen Insolvenzverfahrens zur Anwendung kommt.
2
Wirtschaftlicher und rechtlicher Rahmen
Sofern ein Unternehmen in die Krise gerit, stellt sich sowohl ffir die Gesellschafter als auch ffir die Gliubiger des Unternehmens (insbesondere Kreditinstitute) die grundsitzliche Frage, ob das Unternehmen liquidiert oder ein Sanierungsversuch unternommen werden soll. Diese Entscheidung hingt bei den Gliubigern von zahlreichen Faktoren, insbesondere dem erwarteten Ausfallrisiko im Falle der Liquidation, der erwarteten zukfinftigen Geschiftsentwicklung des Unternehmens und gegebenenfalls dem Druck der 0ffentlichkeit und der Medien ab. Sofem eine Sanierung angestrebt wird, stellt sich weiter die Frage, ob diese aut~erhalb oder im Rahmen eines f6rmlichen Insolvenzverfahrens durchgeffihrt werden soll. Bei einer Sanierung aut~erhalb eines Insolvenzverfahrens mfissen etwa bereits bestehende Insolvenzgrinde unverzfiglich beseitigt werden. Denn gemit~ § 64 Abs. 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG haben Geschiftsffihrer einer GmbH bzw. der Vorstand einer AG unverzfiglich, spitestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der 0berschuldung oder Zahlungsunfihigkeit einen Antrag auf Er6ffnung eines Insolvenzverfahrens fiber das Verm6gen der Gesellschaft zu stellen. Die Sanierung innerhalb eines Insolvenzverfahrens hat den Vorteil, dass hier kein Zwang zur sofortigen vollstindigen Beseitigung der Zahlungsunfihigkeit bzw. 0berschuldung besteht. Der Nachteil ist jedoch, dass bei Durchffihrung eines f6rmlichen Insolvenzverfahrens der Ruf des Unternehmens u. U. nachhaltig beeintrichtigt wird. Zudem gehen mit der weitgehend unbeeinflussbaren Auswahl eines Insolvenzverwalters erhebliche Unwigbarkeiten einher. Die in Betracht kommenden Sanierungsmat~nahmen hingen entscheidend davon ab, ob das Unternehmen ausschliet~lich auf die Beseitigung einer Uberschuldung oder auch (oder nur) auf die Zuffihrung neuer Liquiditit angewiesen ist: Der Debt for Equity Swap alleine ist lediglich ein geeignetes Mittel, eine bestehende Uberschuldung zu vermindern oder zu beseitigen. Regelmit~ig ist neben der Beseitigung der Uberschuldung die Zurverffigungstellung zusitzlicher Liquiditit erforderlich. Dies kann entweder durch eine Barkapitalerh6hung und/oder Gewihrung von Krediten erfolgen. Wenn der Gliubiger, der einen Debt for Equity Swap in der Krise erwigt, zusitzlich neue Darlehen gewihrt und/oder Altkredite stehen lisst, ist von
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Sanierungsinstrument,,Debt for Equity Swap"
erheblicher Bedeutung, ob und in welchem Umfang der Gl~iubiger bereits an der Krisen-Gesellschaft beteiligt ist und welche Beteiligung er im Rahmen des Sanierungskonzepts erwirbt. Denn der Gl~iubiger ist in diesem Fall dem Risiko des Eingreifens der Eigenkapitalersatzvorschriften ausgesetzt, wonach er nicht nur die zu Sanierungszwecken eingesetzten Mittel, sondern u. U. auch seine Altkredite zu verlieren droht, selbst wenn diese bei einer sofortigen Liquidation aufgrund ausreichender Besicherung voll realisierbar gewesen w~iren. Ausgenommen von den Regeln i~ber den Kapitalersatz sind Sachverhalte, die unter das Zwerganteils- und das Sanierungsprivileg (vgl. Kapitel 4.1.3 und 4.2) fallen. Ferner besteht fiir den Gl~iubiger beim Debt for Equity Swap im Rahmen einer ordentlichen Sachkapitalerh6hung das Risiko der Differenzhaftung (vgl. Kapitel 3). Um die vorgenannten Risiken zu umgehen oder zu reduzieren, kommen f~ir den Gl~iubiger mehrere Alternativgestaltungen in Betracht, insbesondere die Ausgabe von (Wandel-) genussrechten (vgl. Kapitel 5.1) oder die Gew~ihrung von Anteilen an einer ausl~indischen Holding-Gesellschaft der Krisen-Gesellschaft (vgl. Kapitel 5.2). Von anderen Gestaltungen ist aufgrund des hohen Haftungsrisikos wegen verdeckter Sacheinlagen abzuraten (vgl. Kapitel 5.3). Um den Erfolg eines Debt for Equity Swap nicht mit ungewollten Steuerbelastungen zu gef~ihrden, sollten die steuerlichen Folgen sowohl auf Seite der beteiligten Gesellschaft als auch der (Alt- oder Neu-) Gesellschafter kritisch gepr~ift werden (vgl. Kapitel 6).
3
Differenzhaftun8 bei Sachkapitalerhi hun8
Sofern der Gl~iubiger einen Debt for Equity Swap durch~hrt (d. h. Forderungen gegen die Krisen-Gesellschaft in Anteile an der Krisen-Gesellschaft umwandelt) gilt es zun~ichst, Risiken der Differenzhaftung (§§ 9 GmbHG, 46 AktG) auszuschliet~en.
3.1
Begriff
Der Gesellschafter ist nach der Konzeption von GmbHG und AktG prim~ir zur Leistung einer Bareinlage verpflichtet, die unter Einhaltung besonderer Vorschriften durch eine Sacheinlage substituiert werden kann.
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Hass / Schreiber / Tschauner
Beim Debt for Equity Swap ,,verzichtet" der Gl~iubiger (im Wege des Erlasses, § 397 Abs. 1 BGB) auf seine Forderung oder tritt diese an die Gesellschaft ab (§ 398 BGB), wobei die Verbindlichkeit der Gesellschaft durch Konfusion erlischt (BGH v. 15.01.1990, 60; Mi~nchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29). Der Wert des Erlangten besteht fi~r die Gesellschaft in der Befreiung von einer Verbindlichkeit, so dass das Einbringen der Forderung als Sacheinlage, nicht als Bareinlage zu qualifizieren ist (st. Rspr., zuletzt: BGH v. 21.03.1994, 143; Lutter/Hommelhoff, 2004, § 56 Rn 9; MiinchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29, jeweils m. w. N.). Diese Kapitalerh6hung setzt einen Beschluss der Altgesellschafter mit 75 %-iger Mehrheit voraus (§§ 53, 55 GmbHG, § 182 AktG). Wurde eine Sachkapitalerh6hung durchgefi~hrt, der Wert der Sacheinlage jedoch nicht sorgf~iltig ermittelt, hat die Gesellschaft ~ r den durch den Gl~iubiger erworbenen Gesellschaftsanteil keinen (ausreichenden) Gegenwert erhalten. Das Trennungsl~rinzi p des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts verpflichtet aber dazu, einen verl~isslichen Wert der Haftungsmasse anzusetzen, um den Gl~iubigern eine realistische Einsch~itzung derselben zu erm6glichen. Dies gilt umso mehr fiir den hier mat~geblichen Fall der Sanierung einer Kapitalgesellschaft. Diesen Zweck verwirklicht die Differenzhaftung. Das Risiko der Differenzhaftung besteht nicht, wenn der Gl~iubiger seine Forderung lediglich in die Kapitalri~cklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB einstellt (vgl. 6.3.1 und 6.3.2).
3.2
Wertermittlungsrisiko bei Einbringung von Forderungen in der Krise
Es geht hierbei um F~ille, in denen der eingebrachte Gegenstand tats~ichlich einen niedrigeren Wert hatte, als dies fi~r die Ausgabe der neuen Anteile vorgesehen ist. Die Differenzhaftung bezieht sich auf die konkret als Einlage geschuldete Sache und ~ h r t im Falle der Differenz des Wertes der Sache ggti. dem vereinbarten Wert der Einlage zu einer Geldeinlagepflicht. Der Gl~iubiger wird daher nur insoweit von seiner Einlageverpflichtung befreit, als die eingebrachte Forderung dem Sacheinlagewert entspricht, d. h. den angenommenen Wert hat. Der Wert der Forderung ist bei einer sanierungsbedi~rftigen Gesellschaft jedoch regelm~it~ig schwer feststellbar. Die geminderte Bonit~it der Gesellschaft muss zu einem reduzierten Wertansatz unterhalb des Nominalwertes ~hren (Groh, 1997, S. 2523), da die eingebrachte Forderung krisenbedingt regelm~it~ig nicht mehr f~illig, liquide und vollwertig ist (BGH v. 21.02.1994; BGH v. 26.03.1984). Werden bei der Sanierung einer Gesellschaft Kreditforderungen als Sacheinlage zum Nominalwert in Eigenkapital umgewandelt, sieht sich der Kreditgeber der Differenzhaftung des § 9 GmbHG, § 46 AktG ausgesetzt und muss verschuldensunabh~ingig den Differenzbetrag zwischen dem Nominalwert der iibernommenen
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Sanierungsinstrument ,,Debt for Equity Swap"
Stammeinlage oder Aktien und dem tats~ichlichen Wert der eingebrachten Forderung nachzahlen (Wittig, 1998, S. 56; Buth/ Hermanns, 2004, § 13 Rn 51). Diese Haftung wird in der Praxis meist nur im Falle des Scheiterns der Sanierung zum Tragen kommen, besteht aber im Prinzip unabh/ingig vom Erfolg der Sanierung.
3.3
Ermittlun8 des Einlasewertes
Obwohl in Nuancen noch streitig, besteht in der Praxis weitgehend Einigkeit, dass aus Gri~nden des Gl~iubiger- und Gesellschaftsschutzes und des Kapitaldeckungsprinzips eine Bewertung nach dem tats/ichlichen Wert der Forderung unter Berficksichtigung der Leistungsf/ihigkeit der Gesellschaft erfolgen muss (BGH v. 15.01.1990; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG § 56 Rn 9; Picot, 2004, S. 1193 Rn 98; Wittig, 1998, S. 56; MfinchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29). Insoweit wird darauf abgestellt, ob das Verm6gen der Gesellschaft zur Deckung aller vorhandenen Verbindlichkeiten genfigt (MfinchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29). Ob eine Forderung demnach vollwertig ist, beurteilt die Rechtsprechung danach, ob die Gesellschaft nach insolvenzrechtlichen Grunds/itzen fiberschuldet ist oder lediglich eine Unterbilanz vorliegt (d. h. nur das Stammkapital angegriffen ist). In letzterem Fall ist die Forderung vollwertig, wenn bei rechtzeitiger Abwicklung alle Gl~iubiger befriedigt werden k6nnen. Ist die Gesellschaft hingegen i.iberschuldet, ist die Forderung keinesfalls mehr vollwertig (BGH v. 26.03.1984; BGH v. 21.02.1994). Der Mat~stab f/ir die Bewertung der nicht mehr vollwertigen Forderung ist umstritten. Einige stellen auf den Preis ab, den ein Dritter f/ir die Forderung bezahlen wfirde (MfinchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29), andere auf den Liquidationswert der Forderung. Zutreffend dfirfte es sein, danach zu differenzieren, ob eine Fortfiihrung des Untemehmens wahrscheinlich ist. In diesem Fall erscheint es sachgerecht, eine Bewertung auf Basis von ,,going concern"-Werten, denen Sanierungsgutachten und plan zugrunde liegen, durchzuf~hren (Stadler, 2003, S. 584). Bei Wandelgenussrechten (vgl. Kapitel 5.1) ist fLir die Bewertung der Forderung der Zeitpunkt der Gew~ihrung des Wandelgenussrechts mat~geblich und nicht die Aus/.ibung der Wandeloption (Stadler, 2003, S. 584). Bei der Aktiengesellschaft erfolgt die Wertermittlung durch einen (Grfindungs) Priifer (§§ 33 Abs. 2 Ziff. 4; 183 Abs. 3 S. 1 AktG) bzw. das Registergericht (§§ 38 Abs. 1, 183 Abs. 3 S. 3 AktG). Den Gesellschaftern einer GmbH steht die Wertermittlung grunds/itzlich zwar frei, die Zuziehung eines Wirtschaftsprfifers ist zur Vermeidung des Haftungsrisikos der Differenzhaftung aber dringend zu raten (so auch Lutter/ Hommelhoff, 2004, § 56 Rn 9). Bei der Einbringung von eigenkapitalersetzenden Forderungen ist zu berficksichtigen, dass diese bereits kein tauglicher Einbringungsgegenstand sind, soweit deren Erfiillung das Stammkapital angreifen und damit gegen §§ 30, 31 GmbHG analog (vgl.
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Hass I Schreiber I Tschauner
Kapitel 4.1.2) verstot~en w/irde (BGH v. 26.03.1984; Baumbach/Hueck, 2000, § 32 a Rz. 77; unklar: MihnchKommInsO, 2001, § 27 Rn 29). Die Forderung eines Gl~iubigers kann trotz der eingetretenen Krise des Schuldneruntemehmens dann voll werthaltig sein, wenn sie ausreichend besichert ist (R6mermann, 2002, § 24 Rn 45). Soweit jedoch ein Fall der sog. upstream-Besicherung vorliegt, d. h. die Besicherung aus einem Verm6gen einer Tochtergesellschaft erfolgt ist, ist zu beachten, dass die Besicherung bzw. die Verwertung der Sicherheiten ganz oder teilweise gegen §§ 30, 31 GmbHG verstot~en kann (Baumbach/Hueck, 2000, § 30 Rz. 18; j~ingst auch BGH v. 24.11.03).2o8 Fi,ir diesen Fall hat die Besicherung der Forderung bei ihrer Bewertung aut~er Betracht zu bleiben.
4
Eisen kapita le rsatz ri si ken
Sofem ein Gl~iubiger Forderungen in Eigenkapital umwandeln m6chte, stellt sich h~iufig die Frage, welche Auswirkungen seine Beteiligung auf verbleibende, nicht in Eigenkapital umgewandelte Forderungen und/oder Forderungen aus neu gew~ihrten Darlehen hat. Unter bestimmten Voraussetzungen werden seine Forderungen wie Eigenkapital behandelt. In der Insolvenz hat dies eine nachrangige Befriedigung zur Folge, auch wenn die Forderung besichert ist. Durch entsprechende Gestaltung kann dies vermieden werden.
4.1
GrundzUse des Eisenkapitalersatzrechts
4.1.1
Begriff und Normzweck des Eigenkapitalersatzes
Kreditgrundlage und Haftungsmasse einer Kapitalgesellschaft ist stets das Stammbzw. Grundkapital. Dieses kompensiert die durch die Verm6genstrennung ausgeschlossene pers6nliche Haftung der Gesellschafter (Trennungsprinzip). Es wird durch die Institute der Kapitalaufbringung und -erhaltung geschi~tzt. Hat sich ein Gesellschafter dazu entschieden, dem Unternehmen in der Krise statt der Zuf6hrung von Eigenkapital ein Darlehen zu gew~ihren, nimmt er als Darlehensgeber und Anteilseigner eine Doppelrolle ein, an die ihn in der Krise des Untemehmens seine Gesellschaf-
208
Zur Kreditgew~ihrung an Gesellschafter aus gebundenem Verm6gen als verbotene Auszahlung selbst bei vollwertigem R~ickzahlungsanspruch WESSELS(2004, S. 795).
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Sanierungsinstrument,,Debt for Equity Swap" ii!i!i!~i¸!i~ii!i!iiii~ii!iiiil!~i!i!ii!i~'i!il!ii~ii!iil~i i i!!iiii!i!ii~!~ !~ii~!~!i~!!i~~ ii~! terstellung bindet. Er kann sich seiner Rolle als Kapitalgeber weder hinsichtlich des Fremd- noch des Eigenkapitals entziehen, indem er das Kapital abzieht. Das ergibt sich f-Lirdas Eigenkapital aus dem Verbot der Einlagenrfickgew~ihr (§ 30 GmbHG, § 57 AktG) und ffir das Fremdkapital aus den Regeln fiber eigenkapitalersetzende Darlehen (§§ 32 a, 32 b GmbHG bzw. §§ 30, 31 GmbHG analog, vgl. zum Umfang Kapitel 4.1.2). Zu beachten ist, dass die Eigenkapitalersatzfunktion auch dann eintritt, wenn ein Gesellschafter ein vor Eintritt der Krise gew~ihrtes Darlehen in der Krise nicht abzieht, sondern ,stehen l~isst". Die Rechtsprechung r~iumt hier dem GesellschafterGl~iubiger eine Uberlegungsfrist von zwei bis drei Wochen ein, innerhalb derer er bei Erkennbarkeit der Eigenkapitalersatzfunktion sein Darlehen (innerhalb der Schranken von§ 30 GmbHG, § 57 AktG) abziehen darf (BGH v. 11.12.1995).
4.1.2
Haftunssumfan8 nach Rechtsprechungsreseln und Novellenreseln
Zu unterscheiden ist zwischen den vom BGH in analoger Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG entwickelten Kriterien zur Verstrickung von Fremdkapital (sog. ,,Rechtsprechungsregeln") und den seit 01.01.1981 gfiltigen in §§ 32 a, b GmbHG kodifizierten Regelungen (,Novellenregeln"). Vor Einffigung der §§ 32 a, b in das GmbHG hat der BGH in analoger Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG den Grundsatz entwickelt, dass von einem Gesellschafter gew~ihrte Darlehen insoweit eigenkapitalersetzend sind, als sie zur Aufffillung des Stammkapitals bzw. Beseitigung einer darfiber hinaus bestehenden 0berschuldung erforderlich sind. Auch nach Inkrafttreten der §§ 32 a, b GmbHG bleiben die Rechtsprechungsregeln anwendbar (BGH v. 26.03.1984). Der Unterschied zwischen den Rechtsprechungsregeln und den Novellenregeln besteht zum einen darin, dass die Rechtsprechungsregeln auch aut~erhalb eines Insolvenzverfahrens gelten, w~ihrend die §§ 32 a, b GmbH die RLickzahlung eines kapitalersetzenden Darlehens erst im Falle der Er6ffnung eines Insolvenzverfahrens verbieten (d. h. die Forderung kann im Insolvenzverfahren nur als nachrangige Forderung geltend gemacht werden, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Bei RLickffihrung vor Insolvenzer6ffnung kommt eine Anfechtbarkeit nach § 135 Nr. 2 InsO in Betracht. Auf der anderen Seite verstricken die Novellenregeln das eigenkapitalersetzende Darlehen in vollem Umfang, w~ihrend die Rechtsprechungsregeln die Rfickffihrung des eigenkapitalersetzenden Darlehens nur insoweit verhindern, als dies zur AuffL/llung des Stammkapitals bzw. Beseitigung einer darfiber hinaus bestehenden 0berschuldung erforderlich ist (Lutter/Hommelhoff, 2004, §§ 32 a/b Rn 102). Wurden Sicherheiten ffir eigenkapitalersetzende Darlehen bestellt, kann sich der Gesellschafter im Sicherungsfall vor Er6ffnung des Insolvenzverfahrens ungehindert aus der Sicherheit befriedigen, es sei denn die Verwertung der Sicherheiten wfirde mit
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Hass I Schreiber I Tschauner
§§ 30, 31 GmbHG kollidieren (Baumbach/Hueck, 2000, § 32a Rn. 58, 77). Nach Er6ffnung des Insolvenzverfahrens kann der Gesellschafter akzessorische Sicherheiten, die vonder Gesellschaft bestellt wurden, nicht mehr verwerten, da bereits der DarlehensrOckzahlungsanspruch nachrangig ist (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Im Falle von nichtakzessorischen Sicherheiten der Gesellschaft kann der Insolvenzverwalter geltend machen, dass die Auskehrung der Verwertungserl6se nach § 135 InsO anfechtbar ware und nach h. M. diese Anfechtbarkeit der Verwertung auch einredeweise entgegensetzen (OLG Celle v. 19.08.1998; Baumbach/Hueck, 2000, § 32 a Rn 59 m. w. N.). Von Dritten gestellte Kreditsicherheiten kann der Gesellschafter jedoch auch in der Insolvenz der Gesellschaft verwerten (Lutter/Hommelhoff, 2004, §§ 32 a/b Rn 100).
4.1.3
ErfassteGesellschaftsformen/Beteiligungsschwellen
Eigenkapitalersetzende Darlehen sind for die GmbH in den §§ 32 a / b GmbHG speziell geregelt. Ober § 129 a HGB und § 172 a HGB sind diese Vorschriften auch auf Personengesellschaften anwendbar, bei der keine na~rliche Person pers6nlich haftender Gesellschafter ist, wie z. B. bei der GmbH & Co KG. § 32a Abs. 3 S. 2 GmbH wurde im Jahr 1998 dahingehend erg~inzt (durch das Gesetz zur Verbesserung der Wettbewerbsf~ihigkeit deutscher Konzeme an Kapitalm~irkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen, KapAEG, BGB1. I 1998, S. 707 ff.), dass die Regeln ~iber den Eigenkapitalersatz nicht mehr for solche Kreditgeber gelten, die einen Anteil am Stammkapital von h6chstens 10 % halten und nicht an der Gesch~iftsfi~rung der Gesellschaft beteiligt sind (sog. Zwerganteilsprivileg). Das Zwerganteilsprivileg stellt den nicht gesch~ifts~hrenden Kleingesellschafter auch von den Rechtsprechungsregeln Ober den Eigenkapitalersatz frei (Schmidt, 2002, S. 1164 f.). D e r n u r geringfOgig Beteiligte tr~igt typischerweise keine untemehmerischen Risiken und hat kaum Einflussm6glichkeiten auf die Gesellschaft. Er tr~igt deshalb nicht die for die Umqualifizierung notwendige Finanzierungsverantwortung. Erh6ht der Gesellschafter jedoch seinen ,Zwerganteil" oder wird er Gesch~iftsf6hrer, so gelten die Eigenkapitalersatzregeln unmittelbar ab SchwellenOberschreitung, es sei denn, es greift das sog. Sanierungsprivileg (vgl. Kapitel 4.2). Umgekehrt f6hrt die Absenkung des Beteiligungsanteils oder die Aufgabe der Gesch~iftsffihrerstellung nicht zum Wegfall einer bereits eingetretenen Kapitalersatzfunktion (Lutter/Hommelhoff, 2004, §§ 32a, b, Rn 66 ff.). FOr die Aktiengesellschaft existieren keine den §§ 32 a, b GmbHG, §§ 129 a, 172 HGB entsprechenden Vorschriften. Jedoch hat der BGH die aus den §§ 30, 31 GmbHG entwickelten ,,Rechtsprechungsregeln" auf das Aktienrecht Obertragen (BGH v. 26.03.1984; BGH v. 09.05.2005). Um unangemessene Folgen zu vermeiden, hat der BGH dies unter die Bedingung gestellt, dass der Aktion~ir nicht nur als Kapitalanleger beteiligt ist, sondem in einer Weise an der AG beteiligt ist, die es ihm erm6glicht, auf die
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Unternehmensleitung Einfluss zu nehmen. Das sei im Regelfall bei einer Beteiligung von mehr als 25 % am Grundkapital der Fall.209 In der Literatur ist umstritten, ob bei der sog. Kleinen Aktiengesellschaft statt der 25 %-Grenze die fiir die GmbH geltende 10 %-Grenze zur Anwendung kommt (Zetzsche, 2002, 948). Gesellschafter von Untemehmensbeteiligungsgesellschaften sind nach § 24 des Gesetzes ~iber Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG, BGB1. I 1998 S. 2765) insoweit privilegiert, als sie den Bindungen des Eigenkapitalersatzrechts nicht unterliegen.
4.1.4
Erfasster Personenkreis
Die Eigenkapitalersatzregeln erfassen nicht nur Gesellschafter, sondern auch Dritte, soweit deren Handlung der Darlehensgew~ihrung durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entspricht (§ 32a Abs. 3 GmbHG). Dies ist insbesondere der Fall, wenn einem stillen Gesellschafter Einfluss auf die Gesch~iftsf(ihrung einger~iumt wird (Baumbach/Hueck, 2000, § 32 a Rn 22). Auch k6nnen die Eigenkapitalersatzregeln eingreifen, wenn die DarlehensgewShrung durch einen nur mittelbar beteiligten Gesellschafter erfolgt (hierzu: Hommelhoff/Goette, 2003, Rn 121 ff.). GewShrt nicht der Gesellschafter, sondern ein Dritter das Darlehen, wird dem Gesellschafter die Mittelzufuhr nach der Rechtsprechung des BGH unwiderleglich zugerechnet, wenn dieser mit dem Dritten in einer Unternehmensverbindung nach §§ 15 ff. AktG steht. Nach Ansicht des BGH geni~gt also bereits das blot~e Mehrheits- oder AbhSngigkeitsverhSltnis fi~r eine Zurechnung (BGH v. 21.06.1999; str., vgl. nur Lutter/Hommelhoff, 2004, §§ 32 a, b Rn 63 f. m. w. N.).
4.1.5
Definition der Krise
Die Krise im Sinne der Eigenkapitalersatzregeln liegt nicht erst vor, wenn eine Gesellschaft zahlungsunf~ihig oder ~iberschuldet ist. Vielmehr definiert die Rechtsprechung als Krise den Zeitpunkt, in dem die Gesellschaft nach markttiblichen Kriterien kreditunwiirdig ist. Kreditunw~irdig ist eine Gesellschaft, wenn ein aut~en stehender Dritter das konkrete Darlehen in Kenntnis der kreditrelevanten UmstSnde iiberhaupt nicht oder nicht zu markt6blichen Bedingungen gewShrt hStte (st. Rspr. seit BGH v. 24.03.1980). Bei durchgreifender Besserung der Lage der Gesellschaft kann ein Gesellschafterdarlehen den eigenkapitalersetzenden Charakter wieder verlieren (BGH v. 02.12.1996)
209 Die 25 %-Grenze wurde durch die Begr~indung zu Art. 2 Nr. 1 des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes best~itigt (BT-Dr. 13/7141, S. 12, 13).
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Hass I SchreJber I Tschauner
4.2
Sanierungsprivileg
Gem~it~ § 32 Abs. 3 S. 3 GmbHG sind die Regeln Ober den Eigenkapitalersatz (d. h. die Novellen- und nach herrschender Meinung auch die Rechtsprechungsregeln; Baumbach/Hueck, 2000, § 32 a Rn 75 m. w. N.) nicht anwendbar, wenn ein Kreditgeber zum Zweck der Sanierung der Gesellschaft in der Krise einen Gesellschaftsanteil erwirbt. Sinn und Zweck der Regelung ist es, den Neugesellschafter, der einen wertvollen Beitrag zur Oberwindung der Krise leistet, nicht durch das Eingreifen der Regelungen Ober den Eigenkapitalersatz zu benachteiligen, und so im Ergebnis einen Anreiz for eine Beteiligung in der Krise zu Sanierungszwecken zu setzen.
4.2.1
Erwerb yon Anteilen ,,in der Krise"
Zun~ichst ist Voraussetzung for das Sanierungsprivileg, dass die Anteile ,,in der Krise" erworben werden. In der Praxis ist es h~iufig schwierig, den Zeitpunkt des Eintritts der Krise zu bestimmen. Die Gesellschafter werden im Hinblick auf die Privilegierung daran interessiert sein, den Zeitpunkt des Krisenbeginns m6glichst weit vorzuverlegen, damit auch frOhere Erwerbsvorg~inge noch erfasst werden. In der Literatur wird der Zeitpunkt des Eintritts der Krise dagegen teilweise weit nach hinten geschoben. Denkbar erscheint es auf der Grundlage des zu § 32 a Abs. 1 GmbHG entwickelten Krisenbegriffs der Rechtsprechung (vgl. Kapitel 4.1.5) die Beteiligungsbereitschaft eines Kreditinstitutes als Indiz for die noch vorhandene KreditwOrdigkeit der Gesellschaft zu werten. Dieser Gedanke geht jedoch im Ergebnis an der gesetzgeberischen Uberlegung vorbei. Der Tatbestand des § 32 Abs. 3 Satz 3 GmbHG ware selten erfOllt, so dass das Sanierungsprivileg weitgehend ins Leere ginge. Im Ubrigen ist ein Kreditinstitut regelm~it~ig nur zum Erwerb von Gesch~iftsanteilen bereit, weil es seinen Schuldner for gef~ihrdet halt. Falls die Krise noch in einem frOhen Stadium ist, will es durch verst/irkte Einflussnahme seine Gl~iubigerstellung festigen (v. Gerkan/Hommelhoff, 2002, S. 116). Um der Gefahr der Aush6hlung des Kapitalersatzrechtes zu begegnen, m6glichst frOh einsetzenden SanierungsbemOhungen aber auch nicht im Wege zu stehen, sollte das Sanierungsprivileg als Mittelweg, obwohl begrifflich ebenfalls nicht trennscharf, bei sich deutlich abzeichnender Krise und hierauf bezogenem Anteilserwerb angewendet werden (v. Gerkan/Hommelhoff, 2002, S. 116f.; G6tz/Hegerl, 2000, S. 1388).
4.2.2
Erwerb von Anteilen ,,zum Zweck der Sanierung"
Zudem muss der Erwerb der Beteiligung zum Zweck der Sanierung erfolgen. Erforderlich ist danach zun~ichst, dass der Anteilserwerb mit Sanierungswillen erfolgt.
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Sanierungsinstrument ,,Debt for Equity Swap"
Dar/iber hinaus muss die Sanierung mit den vom Gesellschafter gew/ihlten Mat~nahmen (ggf. zusammen mit weiteren Mat~nahmen gem/it~ dem Gesamtsanierungsplan) objektiv m6glich sein (D6rrie, 1999, S. 14; Pentz, 1999, S. 449; Lutter/ Hommelhoff, 2004, § 32 a GmbHG Rn 84). Zu beachten ist, dass die Beweislast daf/ir, dass der Beteiligungserwerb zum Zwecke der Sanierung erfolgt ist, der Erwerber tr/igt. In der Praxis ist daher die Pr/ifung der Sanierungsaussichten durch einen unabh/ingigen Sachverst/indigen zu empfehlen. Im Falle der Kreditgew/ihrung durch Kreditinstitute in der Krise besteht bei unzureichender Pr/ifung der Sanierungsaussichten des Krisenunternehmens zudem die Gefahr der Haftung wegen vors/itzlicher sittenwidriger Sch/idigung nach § 826 BGB, und zwar sowohl gg/i. dem Krisenunternehmen als auch gg/i. den G1/iubigern des Unternehmens. FOr sittenwidrige Sanierungskredite bestellte Sicherheiten sind nach § 138 BGB nichtig. 210
4.2.3
Betel Iisu nssfo rm
Als Form der Sanierungsbeteiligungen unterfallen § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG sowohl der Erwerb neuer Gesch/iftsanteile aus einer Bar- oder Sachkapitalerh6hung als auch die blot~e Ubernahme yon Altanteilen (Seibert, 1998, S. 310). Der Anteilserwerber ist nicht gehalten, der Gesellschaft neues Eigen- oder Fremdkapital zuzuf/ihren (Lutter/ Hommelhoff, 2004, §§ 32 a/b Rn 82). Denn auch die Ubernahme von Altanteilen in Verbindung mit dem Austausch des Managements kann einen wichtigen Sanierungsbeitrag darstellen (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, ZIP 1998, S. 487, 491). Die H6he der Beteiligung spielt keine Rolle, sie ist in § 32 a Abs. 3 S. 3 GmbHG often gelassen und kann daher bis zu 100 % der Anteile betragen. Auch ist das Sanierungsprivileg nicht auf den direkten Erwerb von Gesellschaftsanteilen beschr/inkt, sondern findet auch im Falle indirekter Beteiligung, z. B. fiber einen Treuh/inder oder ein verbundenes Unternehmen Anwendung (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 529).
4.2.4
Erwerb yon Anteilen durch Altgesellschafter rnit einer Beteiligun8 yon Uber 10 % bzw. 25 %
Das Sanierungsdarlehen von Alt-Gesellschaftern, die bereits vor der Krise mit fiber 10 % (GmbH) bzw. 25 % (AG) an der Krisengesellschaft beteiligt sind, soll grunds/itzlich nicht privilegiert werden. Derjenige, der bereits vor Eintritt der Krise mat3geblich
210
Zu den Haftungsrisiken bei Gew~ihrung eines ,eigens/Jchtigen" Sanierungskredits: (1998, S. 3225); WENZEL(1999, S. 294); THEEWEN(2003, S. 141).
NEUHOF
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an der Gesellschaft beteiligt war, soll eine Umqualifizierung seiner bestehenden Kredite in Eigenkapital nicht dadurch verhindem k6nnen, dass er nach Eintritt der Krise zus~itzliche GeschMtsanteile erwirbt (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zum RegE KonTraG, BT-Drs. 13/10038, S. 28). Anderenfalls best6nde die Gefahr, dass der ,,Todeskampf einer kranken Gesellschafr' zum Nachteil ihrer Gl~iubiger verl~ingert wOrde. Ein sp~iteres Ausscheiden des Gesellschafters aus der Gesellschaft (BGH v. 11.07.1994) oder eine sp~itere Abtretung seines Darlehens~ckzahlungsanspruchs (BGH v. 21.03.1998) kann im Obrigen eine bereits eingetretene Kapitalersatzbindung nicht mehr beseitigen.
4.2.5
Aufstockung einer Kleinbeteiligung von max. 10 % bzw. 25 %
Etwas anderes gilt jedoch bei der Aufstockung einer Kleinbeteiligung des nicht geschMtsffihrenden Gesellschafters von h6chstens 10 % bei der GmbH bzw. 25 % bei der AG: Sie ist vom Wortlaut des § 32 a Abs. 3 Satz 3 GmbHG und dem vom Gesetzgeber mit dem Sanierungsprivileg verfolgten Zweck ohne weiteres gedeckt (Dauner-Lieb, 1998, S. 1520). Der Inhaber eines Zwerganteils kann also zur Abwendung der Krise weitere Anteile erwerben, ohne dass er hinsichtlich bestehender oder neu gew~ihrter Darlehen deswegen dem Eigenkapitalersatzrecht unterliegt, auch wenn er mit dem hinzu erworbenen Anteil eine Beteiligung von 10 % bzw. 25 % i~berschreitet. Liegt die Oberschreitung der Grenze von 10 % bzw. 25 % jedoch schon vor der Krise und schiet~t der Kreditgeber w~ihrend der Krise neues Kapital zu, greift das Sanierungsprivileg nicht. Die Beteiligungen mehrerer Sanierungsgesellschafter, die bei isolierter Betrachtung unter das Zwerganteilsprivileg fielen, werden unter bestimmten Voraussetzungen zusammengerechnet, um eine systemwidrige Ausnutzung des Zwerganteilsprivilegs zu verhindem (vgl. die Gesetzesbegriindung, BT-Drucks. 13/7141, S. 12). Denn je enger die Bindung mehrerer Sanierer untereinander ist, desto gr6t~er ist i.d.R, deren Einfluss auf die weitere GeschMtsffihrung der zu sanierenden Gesellschaft und damit die zur Umqualifizierung des Fremdkapitals nach § 32 a Abs. 1 GmbHG ~hrende Finanzierungsverantwortung. In Betracht kommt eine Zusammenrechnung, wenn eine Anteilsstreuung auf Strohm~inner erfolgt oder mehrere Sanierer (Kreditgeber) als Konsortium verbunden durch Stimmrechtsbindungen bzgl. des Gesellschafterstimmrechts auftreten (Schmidt, 1999, S. 1272; Rowedder/Schmidt-Leithoff, 2002, §§ 32 a, 32 b Rn 93). Eine blot~e koordinierte Kreditvergabe durch Bankenpools fi~hrt jedoch auch bei Abstimmung der Kreditkonditionen noch nicht zu einer Zusammenrechnung. 211 In je-
211 So auch PICHLER(1999, S. 414) wegen fehlender Vergleichbarkeit mit der Anteilsstreuung auf Strohm~inner; a. A. SCHMIDT(1999, S. 1272). 854
Sanierungsinstrument ,,Debt for Equity Swap"
dem Fall werden die Beteiligungen zusammengerechnet, wenn es sich bei den Sanierungsgesellschaftem um verbundene Unternehmen (§§ 15 ff. AktG) handelt.
4.2.6
Beteiligung yon ,,Sanierungsgesellschaftern" ohne Gl~iubigerstellung vor der Krise
Umstritten ist, ob der Sanierungsgesellschafter bereits vor Eintritt der Krise und damit vor Erwerb der Gesch~iftsanteile Darlehensgeber gewesen sein muss. Da eine solche Differenzierung in den Gesetzesmaterialien keine Erw~ihnung findet und der Gesetzeswortlaut nicht entgegensteht, wendet die Oberwiegende Literatur das Sanierungsprivileg auch an, wenn Sanierungsbeteiligung und Darlehensgew~ihrung zeitlich zusammenfallen (v. Gerkan/ Hommelhoff, 2002, S. 122 m. w. N; a.A. Claussen, 1996, S. 326).
4.2.7
Entfallen des Sanierungsprivilegs/ wiederholte Krisenfinanzierung
Falls die Sanierung des Unternehmens nicht gelingt und die Krise in ein Insolvenzverfahren Obergeht, greift die Privilegierung selbstverst~indlich immer zu Gunsten des Kreditgebers. Die w~ihrenddessen erfolgte Darlehensgew~ihrung des Kreditgebers unterliegt dann nicht den Regeln i.iber den Eigenkapitalersatz. Nicht gekl~irt sind jedoch die Konsequenzen, die sich in einer zweiten Krise ergeben, falls die Beteiligung am Untemehmen aus der ersten Krise nach erfolgreicher Sanierung fortgesetzt wurde. Nach herrschender Meinung endet das Sanierungsprivileg in dem Zeitpunkt, in dem die Krise nachhaltig iiberwunden ist. Erfolgt danach erneut eine Krise, greifen wieder die Regeln Ober den Eigenkapitalersatz (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, Rn 532 m. w. N.). Besonders riskant ist for den Gl~iubiger, dass ihm nach dieser Ansicht nach Ablauf des im Sanierungsplan festgehaltenen Zeitraums die Darlegungs- und Beweislast dafOr obliegt, dass die Krisensituation noch nicht Oberwunden ist (FrOh, 1999, S. 847; Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 533 m. w. N.). Zudem dOrfte h~iufig ein fliet~ender Ubergang von der ersten Krise zu einer folgenden gegeben sein, der ein rechtzeitiges Abziehen der Mittel for den Sanierungsgesellschafter unm6glich macht. Gleichwohl ist der herrschenden Meinung zuzustimmen, da andernfalls eine missbr~iuchliche Uberdehnung der Ausnahmevorschrift des § 32 a Abs. 3 S. 3 GmbHG zu befOrchten ware (Pichler, 1999, S. 418 f.). Zudem dienen die Eigenkapitalersatzregeln dem Gl~iubigerschutz. Mangels pers6nlicher Haftung mOssen sich die Gl~iubiger auf eine stabile Haftungsmasse verlassen k6nnen, die nicht durch eine allzu grot3zOgige Auslegung des Sanierungsprivilegs ausgeh6hlt werden darf.
855
Hass I Schreiber I Tschauner
4.3
Auswirkunsen der EuGH-Rechtsprechun8 zu Auslandssesellschaften mit Sitz im Inland auf die Anwendbarkeit des deutschen Kapitalerhaltunss- und Kapitalersatzrechts
Inwieweit sich die oben genannten Risiken bei einer sanierungsbedfirftigen Kapitalgesellschaft, die nach ausl~indischem Recht gegrfindet wurde, jedoch ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat, auswirken k6nnen, wird seit den jfingeren Urteilen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) im Zusammenhang mit der Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften (EuGH v. 09.03.1999; EuGH v. 30.09.2003; EuGH v. 05.11.2002) kontrovers diskutiert. Bislang hat die Debatte eher neue Fragen aufgeworfen als abschliet~ende Antworten gegeben, da der EuGH ausdrficklich lediglich die Auslandsgrfindung der Gesellschaft als solche, deren Rechts- und Parteif~ihigkeit sowie eine Befreiung von inl~indischen Mindestkapitalvorschriften im Fall der Sitzverlegung als vonder Niederlassungsfreiheit geschfitzt angesehen hat, die Fragen des im Ubrigen anzuwendenden Gesellschaftsstatuts jedoch offen gelassen hat. Mit der vorherrschenden Ansicht in Wissenschaft und Praxis ist jedoch grunds~itzlich von der Mat~geblichkeit des Grfindungsrechts (Grfindungstheorie) der zu sanierenden Gesellschaft ffir das gesamte Gesellschaftsstatut und damit auch ffir die Frage des anzuwendenden Kapitalerhaltungs- bzw. Kapitalersatzrechts auszugehen (Eidenmfiller, 2004, § 9 Rn 14 m. w. N.; Hirte/Bficker, 2005, § 15 Rn 91-93; Palandt, 2005, Anh. Art. 12 EGBGB Rn 6; Hfiffer, 2004, § 1 Rn 30; Geyrhalter/G~int~ler, 2003, S. 411; Borges, 2004, S. 743; a.A: Altmeppen, 2004, S. 103 (Kapitalerhaltungsrecht grundsfitzlich anwendbar); Ulmer, 2004, S. 1207; Haas, 2002, S. 466 (Kapitalersatzrecht aufgrund Art. 3 Abs.1 EuInsVO anwendbar)). Anderenfalls wfirde die Niederlassungsfreiheit entgegen der Schrankendogmatik des EuGH (vgl. grundlegend hierzu EuGH v. 30.11.1995) zu weitgehend beschnitten. Zul~issige Beschr~inkungen der Niederlassungsfreiheit sind danach nur nicht diskriminierende, aus zwingenden Grfinden des Allgemeinwohls gebotene, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignete und nicht fiber das hierffir Erforderliche hinausgehende Mat~nahmen des nationalen Rechts. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprfifung wfirde sich dann die (erst im Einzelfall zu beantwortende) Frage stellen, inwieweit eine Sonderanknfipfung an das deutsche Kapitalerhaltungsund Kapitalersatzrecht gerechtfertigt ist. Entscheidend hierffir ist in der Praxis insbesondere, ob und inwieweit das jeweilige ausl~indische Gesellschaftsstatut bereits einen hinreichenden, d.h. mit dem Sitzlandniveau vergleichbaren Gl~iubigerschutz gew~ihrleistet (so auch Hirte/Bficker, 2005, § 15 Rn 17, § 16 Rn 64; Eidenmfiller, 2004, § 9 Rn 39-45).
856
Sanierungsinstrument ,,Debt/:or Equity Swap"
5
Alternative Gestaltungen
Wirtschaftlich ist den im Folgenden dargestellten Alternativgestaltungen zum Debt for Equity Swap gemein, dass der G1/iubiger seinen Rang ver~indert. W~ihrend er vor der Restrukturierung (ggf. aufgrund Abrede oder Eigenkapitalersatz nachrangige) Forderungen hat, ist er nach der Restrukturierung auf Liquidationserl6se, Dividendenaussch/ittungen oder einen Exit durch Trade Sale der erworbenen Anteile bzw. einen IPO angewiesen. Die unter 5.3 angedeuteten Umgehungsgesch~ifte begegnen erheblichen Haftungsrisiken. Von ihnen ist daher entschieden abzuraten.
5.1
Umwandlung yon Forderungen in Genussrechte oder Wandelgenussrechte
Eine Alternative zur Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital stellt die Umwandlung von Forderungen in Genussrechte oder Wandelgenussrechte dar.
Genussrechte stehen wirtschaftlich zwischen einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung und einer blot~en schuldrechtlichen Forderung, da sie keine aktienrechtlichen Mitwirkungs- oder Kontrollrechte, aber andererseits schuldrechtliche Anspriiche auf aktion~irstypische Verm6gensrechte wie Beteiligung am Gewinn und/oder am Liquidationserl6s begri.inden (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 538). Dari.iber hinaus sind die Genussrechte flexiblen Gestaltungsm6glichkeiten zug/inglich (z. B. Gew~ihrung von Umtausch- und R/ickkaufrechten, vgl. Stadler, 2003, S. 579 ff.). Im Falle von Wandelgenussrechten erwirbt der Inhaber zus/itzlich einen bedingten schuldrechtlichen Anspruch auf Umwandlung der Genussrechte in Aktien (praktiziert wurde dies z. B. in den F~illen METALLGESELLSCHAFTund KLOCKNER-HUMBOLDT-DEUTZ, vgl. hierzu Marsch-Barner, 1995, S. 1497 und Meilicke, 1995, S. 1069). Im Unterschied zum Debt for Equity Swap erwirbt der Inhaber hier zun~ichst keine Gesellschafterstellung, sodass vor der Wandlung Eigenkapitalersatzrisiken im Hinblick auf Kredite, die der Wandelgenussrechtsinhaber gew~ihrt, vermieden werden (Oberm~ller, 2002, Rn 1.997; a.A. Neuhof, 2005, 410). Es sollte jedoch darauf geachtet werden, die Position des Genussrechtsinhabers nicht durch zus~itzliche Einflussm6glichkeiten derjenigen eines Gesellschafters anzun/ihern, da ansonsten das Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln droht (Baumbach/Hueck, GmbHG, 2000, § 32 a Rn 22 fi~r den vergleichbaren Fall des stillen Gesellschafters). Auch ist zu beri.icksichtigen, dass das Volumen von Wandelgenussrechten durch die H6he des Grundkapitals begrenzt ist, da das bei Ausgabe der Wandelgenussrechte geschaffene bedingte Kapital nach § 192 Abs. 3 AktG die H~ilfte des Grundkapitals nicht i~bersteigen darf. Zudem ist ihre Ausgabe in der Praxis
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Hass I Schreiber I Tschauner
auf die Rechtsform der Aktiengesellschaft begrenzt (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 540, da bei der GmbH praktisch nicht kapitalmarktf~ihig).
5.2
Gew ihrung yon Anteilen an ausl indischer ( H o ldi ng )-Gese I Isc haft
Keine Anwendung finden die Regelungen des deutschen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsrechts, wenn der Anteilserwerb an einer im Ausland ans~issigen und nach dortigem Recht gegrtindeten Gesellschaft erfolgt. Zu denken ist an die M6glichkeit, fiir das betroffene sanierungsbed~irftige Untemehmen eine ausl~indische HoldingGesellschaft zu gri~nden, die die Anteile an dem sanierungsbedi~rftigen Untemehmen ~ibemimmt. In einer gemeinsamen Sanierungsvereinbarung k6nnen den Gl~iubigern gegen Erlass der Forderungen ggi~. der sanierungsbed~irftigen Gesellschaft Anteile an der ausl~indischen Holding-Gesellschaft angeboten werden (,,Equity Kicker"). Ziel eines Equity Kickers ist es zum einen, f~r das Unternehmen die laufenden Finanzierungskosten zu senken und zum anderen, die Erh6hung der Rendite auf Seiten des (Fremd) Kapitalgebers im Erfolgsfall zu erm6glichen. Bei Ausi~bung des Equity Kickers werden die Gl~iubiger Gesellschafter der ausl~indischen Holding-Gesellschaft, die als solche den deutschen Eigenkapitalersatzregeln nicht unterliegt. Hier bieten sich z.B. Gesellschaftsformen nach dem Recht von Jersey, Guernsey oder Luxemburg, Letzteres auch im Hinblick auf Steuervorteile f6r Dividendenausschfittungen, an. Zu beachten ist, dass sich auch bei der Beteiligung 6ber eine ausl~indische HoldingGesellschaft unter den o. g. (Ziff. 4) Voraussetzungen das Risiko des Eingreifens der Eigenkapitalersatzvorschriften stellt, wenn einer operativen deutschen Kapitalgesellschaft von dem Gesellschafter der Holding-Gesellschaft Darlehen gew~ihrt werden (vgl. 4.1.3 zur ,mittelbaren Beteiligung"). Sofem die im Ausland gegr~indete Holding-Gesellschaft sp~iter ihren Verwaltungssitz faktisch ins Inland verlegt, gelten die oben unter Ziff. 4.3 dargestellten Grunds~itze. Die Gefahr der Anwendbarkeit des inl~indischen (deutschen) Kapitalaufbringungsund -erhaltungsrechts unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs ist mit der vorherrschenden Ansicht in der Literatur (Hirte/Bi~cker, 2005, § 15 Rn 56-60; Eidenm~iller, 2004, § 3 Rn 103, jeweils m. w. N.) in der Konstellation des Equity Kickers aus den genannten grunds~itzlichen Erw~igungen zur Anwendbarkeit des Gri~ndungsrechts der Gesellschaft als gering einzustufen.
858
Sanierungsinstrument,,Debt for Equity Swap"
5.3
Drohende Haftung wegen verdeckter Sacheinlagen bei Umgehungsgeschiften
Die strengen Prfifungsanforderungen, die das Gesetz (§§ 5 Abs. 4 S. 1, 7 Abs. 3, 8, 9 c Abs. 1 S. 2, 19 Abs. 5 GmbHG; §§ 32 Abs. 2, 34 Abs. 1, 33 Abs. 2 Nr. 4, 37 Abs. 1 AktG) an die Sachgrfindung und Sacheinlage bei Kapitalgesellschaften stellt, werden aus Zeit- und Kostengrfinden oft durch so genannte verdeckte Sacheinlagen umgangen. Die Bareinlage wird dabei gewissermat~en vorgeschoben, um die Sacheinlage unzul/issigerweise als Bareinlage zu deklarieren. Es wird der Gesellschaft eine Bareinlage gew/ihrt, wobei der Zufluss im zeitlichen Zusammenhang hiermit als Gegenleistung for eine vom Gesellschafter erbrachte (Dienst-, Werk-, oder Liefer-) Leistung oder zur R/.ickzahlung eines vom Gesellschafter gew/ihrten Darlehens wieder an ihn zurfickfliet~t. Dabei wird der wirtschaftlich einheitliche Vorgang der Sacheinlage in rechtlich getrennte Gesch/ifte aufgespaltet. Da eine Bewertung der Forderung in der Krisensituation sehr aufw/indig ist, liegt eine solche Vorgehensweise auch for den einen Debt for Equity Swap erw/igenden G1/iubiger nahe: Der einen Gesch/iftsanteil fibernehmende Gesellschafter zahlt seine Einlage bar ein, gleichzeitig oder in unmittelbarem Zusammenhang wird von dieser Bareinlage die Forderung dieses Gesellschafters gegen die Gesellschaft erffillt. Wirtschaftlich liegt in diesem Falle lediglich ein einheitlicher Vorgang der Einbringung einer Forderung vor. In diesem Fall haftet der Gesellschafter nach den durch die Rechtsprechung des BGH entwickelten Regeln for verdeckte Sacheinlagen, die gleichermat~en auch bei der Aktiengesellschaft gelten (BGH v. 15.11.1990), auf nochmalige Erbringung der Bareinlage. In diesem Zusammenhang ist es for Gl~iubiger interessant, ab wann sie der Einlageforderung der Gesellschaft die Einrede der Verj/ihmng entgegenhalten und sich damit einer Haftung nach den Grunds/itzen der verdeckten Sacheinlage entziehen k6nnen. Die Frage der mat~geblichen Verj/ihrungsfrist for Sachverhalte nach der zum 01.01.2002 in Kraft getretenen Sehuldrechtsreform und vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung von Verj/ihrungsvorschriften an das Gesetz zur Modemisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004 (BGB1. I 2004, S. 3217) ist umstritten, da h6chstrichterliche Entscheidungen hierzu nach wie vor fehlen (zur Diskussion im Schrifttum: Ettinger/Reiff, 2004, S. 264; Altmeppen, 2002, S. 516; Mansel, 2002, S. 91). Nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Rechtslage umfasste die dreit~igj/ihrige Verj/ihrungsfrist nach der Rechtssprechung auch Einlageforderungen aufgrund von verdeckten Sacheinlagen, wobei die Anwendung der ffinfj/ihrigen Verj~ihrungsfrist der Differenzhaftung aus § 9 Abs. 2 GmbHG abgelehnt wurde, da sie viel zu kurz und mithin nicht interessengerecht war (BGH v. 13.04.1992; Lutter/Hommelhoff, 2000, § 19 Rn 13 m. w. N.). Die for Neuf/ille nunmehr anwendbare dreij/ihrige Regelverj/ihrung (§§ 195, 199 BGB) versch/irfte die nach altem Recht erkannte Verj/ihrungsfrage weiter, da der eine verdeckte Sacheinlage leistende Gl~iubiger hiernach besser stand, als ein G1/iubi-
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Hass / Schreiber / Tschauner
ger, dessen often gelegte und vom Registergericht gem~it~ § 9 c Abs. 1 S. 2 GmbHG geprfifte Sacheinlage sich nachtr~iglich als nicht werthaltig erwies. Der Gesetzgeber hat jiingst diese Unstimmigkeit mit dem Gesetz zur Anpassung von Verj~ihrungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004 (BGB1. 1 2004, S. 3217), das am 15.12.2004 in Kraft getreten ist, durch die neue zehnj~ihrige Verj~ihrungsfrist f/Jr nicht geleistete Bareinlagen in § 19 Abs. 6 GmbHG weitgehend gel6st, da aufgrund der vergleichbaren Interessenlage mit einer analogen Anwendung von § 19 Abs. 6 GmbHG auf Einlageforderungen infolge verdeckter Sacheinlagen durch die Rechtssprechung zu rechnen ist. Um das aufgezeigte Haftungsrisiko zu vermeiden, k6nnte ein Gesellschafter grunds~itzlich versuchen, eine Sachgri~ndung nachzuholen und eine Heilung der verdeckten Sacheinlage herbeizufiihren. Die Grunds~itze zur Heilung einer verdeckten Sacheinlage sind jedoch bei sanierungsbedfirftigen Kapitalgesellschaften nicht anwendbar. Bei der Aktiengesellschaft besteht eine Heilungsm6glichkeit nach h.M. aufgrund des entgegenstehenden Wortlauts des § 183 Abs. 2 Satz 4 AktG nicht (Hiiffer, 2004, § 183 Rn 15). Fi~r die GmbH setzt die Heilung (u. a.) die Vollwertigkeit der Verrechnungsforderungen voraus, die bei einem sanierungsbed6rftigen Unternehmen regelm~it~ig gerade nicht mehr gegeben ist. W~ihrend der Versuch, eine Heilung herbeizufdhren, nach erfolgreicher Sanierung empfehlenswert ist, stellt sie in der Krise des Unternehmens kein geeignetes Mittel zur Beseitigung der Haftung dar (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 372).
6
Der Debt for Equity Swap aus steuerrechtlicher Perspektive
6.1
Erhi hung des Stamm- bzw. Grundkapitalsbilanzielle und steuerliche Behandlung
Das Stamm- bzw. Grundkapital einer GmbH bzw. Aktiengesellschaft durch eine Sachkapitalerh6hung erh6ht werden, indem ein Gesellschafter oder Drittgl~iubiger seine Darlehensforderung gegen die Gesellschaft in diese gegen Gew~ihrung von Gesellschaftsanteilen einbringt. Dies kann geschehen, indem die Kreditforderung in Erfi~llung der Sacheinlageverpflichtung auf die Gesellschaft iibertragen wird, so dass die Darlehensschuld der GmbH durch Konfusion erlischt. Ebenso ist aber auch in Anrechnung auf die Einlageverpflichtung der Erlass der Darlehensschuld oder die Auf-
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Sanierungsinstrument ,,Debt for Equity Swap"
rechnung zwischen Kreditverbindlichkeit und Sacheinlageverpflichtung zum Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerh6hung ins Handelsregister m6glich (Wittig, 1998, S. 56). Entspricht der Nominalwert des Darlehens auch dem tatsSchlichen Wert und wird die Darlehensforderung in voller H6he in die Gesellschaft im Rahmen der Kapitalerh6hung eingelegt, kommt es bei der Gesellschaft handelsbilanziell zu einem erfolgsneutralen Passivtausch: Die Darlehensverbindlichkeit wird ausgebucht und im gleichen Umfang erh6ht sich das Grundkapital der Aktiengesellschaft bzw. das Stammkapital der GmbH. Auf Ebene des (zukfinftigen) Gesellschafters (bisherigen Darlehensgebers) kommt es in diesem Fall zu einem erfolgsneutralen Aktivtausch der Darlehensforderung gegen eine Erh6hung des Beteiligungswerts an der Gesellschaft, in die die Forderung eingelegt wird. Die Anschaffungskosten ffir die neu gebildeten Gesellschaftsanteile entsprechen dem Nominalwert der Darlehensforderung. Anders ist es dagegen, wenn die Darlehensforderung nicht mehr vollwertig ist. Die Darlehensforderung ist in diesem Fall in einen werthaltigen und in einen nicht mehr werthaltigen Teil aufzuspalten. Nur in H6he des noch werthaltigen Teils kommt es zu einer Einlage in die Gesellschaft und nur in maximal dieser H6he kann das Stamm- bzw. Grundkapital erh6ht werden. Da die Darlehensverbindlichkeit der Gesellschaft jedoch in voller H6he durch die Einbringung erlischt, erzielt die Gesellschaft in H6he der Differenz, also des nicht werthaltigen Teils des Darlehens, einen aut~erordentlichen Ertrag. Insoweit erh6ht sich zwar nicht das gezeichnete Kapital, doch der aut~erordentliche Ertrag wirkt sich auf das Jahresergebnis und damit das Eigenkapital der Gesellschaft aus. Der aut~erordentliche Ertrag kann zum Ausgleich laufender Verluste verwendet werden; gegebenenfalls erzielt die Gesellschaft sogar einen Jahresfiberschuss. Diese Grunds~itze gelten auch bei der Einbringung einer Kreditforderung gegen die Ausgabe von Wandelgenussrechten, so dass auch hier in H6he des nicht werthaltigen Betrags der eingelegten Forderung die Gesellschaft einen aut~erordentlichen Ertrag erzielt (Stadler, 2003, S. 585; Stegemann, 2005, S. 150). Steuerlich erzielt die Gesellschaft in H6he des nicht werthaltigen Teils der Darlehensforderung einen steuerpflichtigen Ertrag (Blfimich, 2004, § 8 Rn 181 mit Hinweis auf Alternativgestaltungen wie der Rangrficktrittserkl~irung), da die Einlage mit ihrem gemeinen Wert nach § 6 Abs. 6 S. 1 EStG bewertet wird. Der werthaltige Teil stellt eine Einlage dar, die nicht den steuerlichen Gewinn der Gesellschaft, sondern das steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 1 KStG erh6ht. Verbleibt der Gesellschaft im laufenden Wirtschaftsjahr ein steuerpflichtiger Gewinn, kann dieser gegebenenfalls mit bestehenden steuerlichen VerlustvortrSgen der Gesellschaft verrechnet werden.
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6.1.1
Verlust des Verlustvortrass?
Die Nutzung der bei der Gesellschaft gg£. bestehenden k6rperschaftsteuerlichen Verlustvortr~ige und gewerbesteuerlichen Fehlbetr/ige k6nnte bei einer Debt for EquityGestaltung gef~ihrdet sein, wenn die wirtschaftliche Identit~it der Gesellschaft nicht gewahrt bleibt. Nach § 8 Abs. 4 KStG ist dies insbesondere der Fall, wenn mehr als die H~ilfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft (innerhalb von ~ n f Jahren) i~bertragen oder im Rahmen einer Kapitalerh6hung neu ausgegeben werden und die Kapitalgesellschaft ihren Gesch~iftsbetrieb mit i~berwiegend neuem Betriebsverm6gen fortfi~hrt oder wieder aufnimmt. Die Zufiihrung neuen Betriebsverm6gens ist allerdings unsch/idlich und ~ h r t nicht zu einem Verlust des Verlustvortrags bei der Kapitalgesellschaft, wenn dies allein der Sanierung des Gesch~iftsbetriebs dient und die K6rperschaft den Gesch~iftsbetrieb in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse vergleichbaren Umfang in den folgenden ~ n f Jahren fortffihrt. Als Z u ~ h r u n g neuen Betriebsverm6gens sieht der BFH die Neuzufi.ihrung von Aktivverm6gen an (BFH v. 16.05.2001, wobei aber auch nicht bilanzierte Vorg~inge wie die Bestellung von Sicherheiten oder Ubernahme von Bfirgschaften als der Z u ~ h r u n g von Aktivverm6gen vergleichbare Vorg~inge berficksichtigt werden), so dass die Verminderung von Verbindlichkeiten etwa durch einen Forderungsverzicht nicht erfasst werden d/irfte (Erle/Sauter, 2003, § 8 Rn 455): Der Verzicht auf Gesellschafterdarlehen oder die Befreiung von einer Verbindlichkeit wirkt sich nur auf der Passivseite aus; die Zufiihrung von Aktivverm6gen erfolgte dagegen bereits bei Auszahlung der Darlehenssumme. Vor diesem Hintergrund und der einschr/inkenden Betrachtung des Aktivverm6gens, die wohl auch von der Finanzverwaltung (BMF, 1999, Tz. 9) geteilt wird, di~rften die Verlustvortr~ige der Gesellschaft allein durch die Einbringung von Darlehensforderungen nicht gef/ihrdet sein.
6.1.2
Mindestbesteuerung
Bestehende steuerliche Verlustvortr~ige der Gesellschaft k6nnen (sofern die Beschr~inkung des § 8 Abs. 4 KStG nicht eingreift, siehe 6.1.1) mit dem steuerpflichtigen Gewinn der Gesellschaft unter Ber/icksichtigung der ab 2004 geltenden Mindestbesteuerung verrechnet werden. Nach § 10d Abs. 2 EStG kann ein Verlust in H6he von 1 Mio. Euro unbeschr~inkt, dar~ber hinaus jedoch nur bis zur H6he von 60 % des fibersteigenden Gesamtbetrags der Einkfinfte abgezogen werden. F~ihrt die Forderungseinbringung z. B. zu einem zu versteuernden Einkommen von 3 Mio. Euro und hat die Gesellschaft Verlustvortr~ige in H6he von 5 Mio. Euro, mindert sich ihr Verlustvortrag nur um 2,2 Mio. Euro; die Gesellschaft muss aufgrund der Mindestbesteuerung 800.000 Euro (40 % von 2 Mio. Euro auflerordentlichen Ertrags, der nach der unbeschr/inkten Verrechnung von 1 Mio. Euro verbleibt) versteuem. Die Mindestbesteuerung gilt gem~ifl § 10 a GewStG auch f/ir Zwecke der Gewerbesteuer.
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Sanierungsinstrument ,,Debt [or Equity Swap"
6.1.3
San ieru n 8sgewi n n
Der Gewinn, der sich bei der Gesellschaft als Folge der Forderungseinbringung mangels Vollwertigkeit der Forderung ergibt, war unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG als Sanierungsgewinn bis zum Veranlagungszeitraum 1997 steuerbefreit. Mit Schreiben vom 27.03.2003 (BMF, 2003) hat das BMF auf die Abschaffung der Norm reagiert und Billigkeitsregelungen fiir Sanierungsgewinne eingefOhrt. Unter Sanierungsgewinn sind Erh6hungen des Betriebsverm6gens zu verstehen, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden (BMF, 2003, Tz. 3). Wird das Unternehmen trotz der Sanierungsmat~nahme eingestellt, kann sich ein Sanierungsgewinn in diesem Sinne nur ergeben, wenn die Schulden aus betrieblichen GrOnden erlassen werden. Voraussetzungen for einen beg/instigten Sanierungsgewinn sind (1) die SanierungsbedOrftigkeit, (2) die Sanierungsf~ihigkeit des Unternehmens, (3) die Sanierungseignung des Schulderlasses und (4) die Sanierungsabsicht der G1/iubiger. Nach dem BMF-Schreiben werden Verluste oder negative Eink/infte unbeschadet von Ausgleichs- und Verrechungsbeschr~inkungen bis zur H6he des Sanierungsgewinns vorrangig mit diesem verrechnet (BMF, 2003, Tz. 8). Diese abweichende Steuerfestsetzung erfolgt auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 163 AO. Die festgesetzte Steuer wird nach § 222 AO mit dem Ziel des sp/iteren Erlasses zun/ichst unter Widerrufsvorbehalt ab F~illigkeit gestundet.
6.2
Erhi hun8 des Stamm- bzw. Grundkapitalsbilanzielle und steuerliche Behandlun8 beim (zukUnftisen) Gesellschafter
Beim Einbringenden wird bei einer offenen Einlage steuerlich der gemeine Wert nach § 6 Abs. 6 S. 1 EStG, bei einer verdeckten Einlage der Teilwert nach § 6 Abs. 6 S. 2 EStG als Anschaffungskosten for die Beteiligung angesetzt, wobei sich bei Kapitalforderungen gemeiner Wert und Teilwert i. d. R. entsprechen. Bei einer/iberschuldeten Kapitalgesellschaft betr/igt der Teilwert der Forderung, auf die verzichtet wird, i. d. R. Null (BFH v. 15.10.1997), doch kann auch in diesem Fall bei hohen stillen Reserven der Gesellschaft der Teilwert dem Nennwert entsprechen (FG Hamburg v. 30.08.2001). Auf Ebene des Gesellschafters erh6ht sich der Beteiligungswert an der Gesellschaft nur in H6he des werthaltigen Teils der eingebrachten Darlehensforderung. In H6he des nicht werthaltigen Teils der Darlehensforderung erleidet der Gesellschafter einen Verlust. Sollte der bilanzielle Ansatz der Darlehensforderung bereits aufgrund einer vorher vorgenommenen Teilwertabschreibung in der Bilanz des Darlehensgebers unter ihrem Nominalwert liegen, realisiert sich der Verlust des Darlehensgebers (zukOnftigen Gesellschafters) nur in H6he der Differenz zwischen dem werthaltigen Teil bei Einbrin-
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gung und dem Betrag der teilwertabgeschriebenen Darlehensforderung. Dieser Verlust kann bei einer im Betriebsverm6gen gehaltenen Darlehensforderung grunds~itzlich steuerlich geltend gemacht werden (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rn 603; zu den Besonderheiten im Bereich des Privatverm6gens vgl. Schmidt, 2005, § 17, Rn 171 ff.).
6.2.1
Steuerliche BeriJcksichtigung des Verlusts bei eigenkapitalersetzenden Darlehen?
Da Gewinne aus der Ver~iut~erung von Kapitalgesellschaftsanteilen f/Jr in Deutschland steuerpflichtige Kapitalgesellschaften als Gesellschafter grunds~itzlich steuerfrei nach § 8b Abs. 2 S. 1 KStG sind, werden auch mit dem Gesellschaftsanteil im Zusammenhang stehende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG steuerlich nicht ber/icksichtigt. Fiir eigenkapitalersetzende Darlehen zeichnet sich nun in der Finanzverwaltung die Ansicht ab, dass die hiermit im Zusammenhang stehenden Verluste steuerlich nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG nicht beriicksichtigt werden d/irfen (Buchna/ Sombrowski, 2004, S. 1956; a. A.: Wassermeyer et. al., 2004, S. 2716 ff.; R6dder/Stangl, 2005, 354; Schmidt/Hageb6ke, 2002, S. 1203). Aufgrund der eigenkapitalersetzenden Funktion l~igen hier Gewinnminderungen vor, die im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsanteil stiinden. Das aktuelle BMF-Schreiben zu § 8b KStG (BMF 2003, S. 292) fGhrt bei den Beispielen der nicht zu ber/icksichtigenden Gewinnminderungen Verluste im Zusammenhang mit eigenkapitalersetzenden Darlehen jedoch nicht auf, obwohl die Frage bereits vor Erlass dieses Schreibens diskutiert wurde (Schmidt/Hageb6ke, 2002, S. 1202). Nach der neueren Rechtsprechung (vgl. FG K61n v. 19.11.1998, FG Baden-Wiirttemberg v. 19.02.2004) richtet sich jedoch die Teilwertabschreibung bei eigenkapitalersetzenden Darlehen nach den Grunds/itzen, die fiir die Teilwertabschreibung von Beteiligungen gelten. Diese Gleichsetzung k6nnte f/ir eine Einbeziehung von Verlusten aus eigenkapitalersetzenden Darlehen in § 8b Abs. 3 KStG sprechen. Allerdings miisste nach dieser Auffassung gegebenenfalls als Teilwert der volle Nennbetrag des eigenkapitalersetzenden Darlehens beibehalten bleiben, so dass es nicht zu einem Verlust auf Ebene des Darlehensgl/iubigers (und entsprechend nicht zu einem aut~erordentlichen Ertrag auf Ebene der Gesellschaft) k~ime (vgl. Kapitel 6.2.2). Gegen die steuerliche Nichtber~cksichtigung von Verlusten im Zusammenhang mit eigenkapitalersetzenden Darlehen spricht, dass der Wortlaut Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Kapitalgesellschaftsanteilen voraussetzt, hier der Verlust jedoch aus der Abschreibung oder Ausbuchung der nicht werthaltigen Darlehensforderung resultiert. Da das eigenkapitalersetzende Darlehen steuerlich Fremdkapital bleibt (BFH v. 05.02.1992), h~ingt die Gewinnminderung, anders als eine Teilwertabschreibung der Beteiligung, selbst nicht mit der Beteiligung, sondem mit der Darlehensforderung zusammen. Erzielt die Gesellschaft einen steuerpflichtigen Ertrag und wird der korrespondierende Verlust auf Ebene des Gesellschafters nach der obigen Auffassung nicht beri,icksichtigt, kommt es zu einer steuerlichen Mehrbelastung, die von § 8b
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Abs. 3 KStG nicht beabsichtigt ist. Die typischen von§ 8b Abs. 3 KStG erfassten F~ille (z. B. Teilwertabschreibung auf die Beteiligung oder Ver/iut~erungsverluste) wirken sich anders als der Forderungsverzicht nicht steuererh6hend bei der Gesellschaft aus, sondern betreffen wie die Ver/iut~erungsgewinne nach § 8b Abs. 2 KStG nur die Ebene des Gesellschafters. In diesen Fallen ist die Nichtberficksichtigung als Kehrseite der Steuerfreistellung der Ver/iut~erungsgewinne konsequent, nicht jedoch, wenn die Verluste durch die Forderungseinbringung zugleich bei einem anderen Steuerpflichtigen (hier der Gesellschaft) zu steuerpflichtigen Einkfinften ffihren. Zur Frage der Verlustberficksichtigung bei eigenkapitalersetzenden Darlehen nach § 8b Abs. 3 KStG wird das BMF mit einem gesonderten Schreiben im Laufe des Jahres 2006 Stellung nehmen. Sollten darin Verluste aus eigenkapitalersetzenden Darlehen steuerlich tats~ichlich als nicht berficksichtigungsf~ihig angesehen werden, mfissten bei einem Debt for Equity Swap im Vorfeld Mat~nahmen angestrengt werden, die diese Verluste weitgehend vermeiden.
6.2.2
Bestimmung des Teilwerts bei eigenkapitalersetzenden Darlehen
Auch bei einem Verzicht auf eigenkapitalersetzende Darlehen gelten die Grunds/itze, dass die Einlage bei der Gesellschaft nur in H6he des Teilwerts erfolgen kann (BFH v. 16.05.2001, mit Abgrenzung zur Behandlung des Verlusts als nachtr~igliche Anschaffungskosten in H6he des Nennwerts beim verzichtenden Gesellschafter in bestimmten Konstellationen, wenn dieser eine wesentliche Beteiligung im Sinne von§ 17 EStG im Privatverm6gen h~ilt, zu Letzterem siehe auch BFH v. 13.07.1999; D6rner, 2001, S. 494). Bei eigenkapitalersetzenden Darlehen zeichnet sich in der Rechtsprechung die Tendenz ab, den Teilwert der Darlehensforderung nach den Kriterien der Bewertung yon Gesellschaftsanteilen zu bestimmen (FG K61n v. 19.11.1998; BFH v. 06.11.2003). W~ihrend der BFH entscheidend darauf abstellt, dass eine Betriebsaufspaltung zwischen Kapitalgesellschaft und Gesellschafter vorlag und deshalb die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft (Betriebsunternehmen) yon besonderer funktionaler Bedeutung ffir den Gesellschafter (Besitzunternehmen) ist, geht das FG K61n generell davon aus, dass eigenkapitalersetzende Darlehen nur nach den Kriterien fiir Beteiligungen auf ihren Teilwert abgeschrieben werden k6nnen. Der Teilwert der Beteiligung bemisst sich auch nach den kfinftigen Ertragsaussichten und den sonstigen an den Besitz der Beteiligung geknfipften Erwartungen. Darlehen, die der Gesellschaft bewusst in voller Kenntnis des Verlustrisikos als eigenkapitalersetzend gegeben werden, k6nnen nicht wie Darlehen Dritter allein wegen fehlender Bonit/it des Schuldners auf den Teilwert abgeschrieben werden (in diesem Sinne auch FG Baden-W/.irttemberg v. 19.02.2004). Es muss vielmehr ber/.icksichtigt werden, dass ein Darlehen zur Verbesserung der Rentabilit~it der Gesellschaft oder in Erwartung der wirtschaftlichen Gesundung der Gesell-
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schaft ausgereicht wird. Auch wenn sich diese Rechtsprechung nicht mit dem Teilwert der Darlehensforderung im Verzichtszeitpunkt besch~iftigt, kann hier wohl nichts anderes gelten, so dass ein Teilwert unterhalb des Nennwerts erst angenommen werden kann, wenn ~ r die Beteiligung nachweislich ein unter den Anschaffungskosten liegender Wert angesetzt werden muss. Im Einzelfall mag auch das Abschreibungsverbot fi~r Sanierungszuschi~sse (BFH v. 08.12.1990; BFH v. 28.04.2004) als Argument gegen eine Teilwertabschreibung herangezogen werden, wenn auf die Darlehensforderung zur Sanierung oder Wiederherstellung der Rentabilit~it der Gesellschaft verzichtet wurde. Dieser Ansatz wi~rde im Ergebnis wohl zu einer Angleichung der Behandlung und Bewertung von eigenkapitalersetzenden Darlehen im Privatverm6gen (nachtr~igliche Anschaffungskosten in H6he des Nenn- oder Teilwerts, vgl. zu den Fallgruppen BFH v. 13.07.1999) und im Betriebsverm6gen fiihren (vom FG K61n ausdr~icklich offen gelassen, FG K61n v. 19.11.1998). Wird der Teilwert mit dem Nennbetrag der eigenkapitalersetzenden Darlehensforderung angesetzt, so erzielt der einlegende Gesellschafter keinen Verlust und die Gesellschaft vermeidet bei Ausbuchung der Verbindlichkeit einen aut~erordentlichen Ertrag. Sollten Verluste beim Einbringenden nach § 8b Abs. 3 KStG steuerlich nicht anerkannt werden (vgl. Kapitel 6.2.1), so wi~rde mit diesem Ansatz bereits ein Verlust beim Einbringenden und eine steuerliche Mehrbelastung mangels steuerpflichtigen Ertrags bei der Gesellschaft vermieden werden.
6.2.3
Folgen bei der Differenzhaftung
Wurde das Gesellschafterdarlehen ~iberbewertet und besteht aufgrund der Differenzhaftung die Einlageverpflichtung des Gesellschafters (teilweise) fort (vgl. Kapitel 3.2), handelt es sich bei sp~iterer Einzahlung aufgrund dieser Differenzhaftung um einen erfolgsneutralen Vorgang. Steuerlich liegt hier eine Leistung auf das Nennkapital vor, die das k6rperschaftsteuerliche Ergebnis nicht ber6hrt.
6.3
Sonstige Erhi hungen des Eigenkapitals
Anstelle einer offenen Sacheinlage im Rahmen einer Kapitalerh6hung kann ein Altgesellschafter auch auf seine Anspr~iche ggi~. der Gesellschaft in der Krise verzichten. Ein Drittgl~iubiger, der noch nicht Gesellschafter ist, erh~ilt durch einen blot~en Forderungsverzicht selbstverst~indlich keine Gesellschafterstellung, sondern kann diese nur im Rahmen einer ordentlichen Sachkapitalerh6hung (vgl. Kapitel 6.1 und 6.2) oder i~ber den Erwerb und die Wandlung von Wandelgenussrechten erlangen.
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Sanierungsinstrument ,,Debt for Equity Swap"
6.3.1
Bilanzielle und steuerliche Behandlun8 bei der Gesellschaft
Mangels Kapitalerh6hung wird in diesem Fall nicht das Stamm- bzw. Grundkapital der Gesellschaft erh6ht, sondem das sonstige Eigenkapital, indem die Forderung entweder in die Kapitalriicklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingestellt oder ertragswirksam als verlorener Zuschuss behandelt wird. Es liegt in der Entscheidung des Gesellschafters, ob und inwieweit der Forderungsverzicht handelsrechtlich als andere Zuzahlung in die Kapitalrficklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingestellt oder als augerordentlicher Ertrag direkt in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst werden soil. Ertragszuschfisse ohne Gegenleistung sind grunds/itzlich als augerordentlicher Ertrag nach § 277 Abs. 4 HGB auszuweisen, w/ihrend fiir eine anderweitige Zuordnung in das Eigenkapital, d.h. in die Kapitalrficklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, nach herrschender Ansicht (vgl. Beck'scher Bilanzkommentar, 2006, § 272, Rn 67) eine ausdrfickliche Erkl~irung des Gesellschafters erforderlich ist. Was den Ansatz der H6he nach betrifft, so ist dieser handelsbilanziell (maximal) mit dem Verkehrswert der Forderung in die Kapitalr/icklage einzustellen (so FG Hamburg v. 30.08.2001; Beck'scher Bilanzkommentar, 2006, § 272, Rn 67; Kilting/Kessler, 1989, S. 25; a. A. Baldamus, 2003, S. 852: Nennwert der Forderung). Ist der Verkehrswert oder Zeitwert niedriger als der Nennbetrag der auszubuchenden Verbindlichkeit, erzielt die Gesellschaft handelsbilanziell in H6he der Differenz einen augerordentlichen Ertrag. Steuerlich liegt eine verdeckte Einlage vor, wenn ein Gesellschafter seiner Kapitalgesellschaft einen Verm6gensvorteil ohne gesellschaftsrechtliche Verpflichtung zuf~hrt und wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Kaufmann der Gesellschaft diesen Verm6gensvorteil nicht gew/ihrt h/itte. Unabh/ingig von der handelsbilanziellen Unterscheidung zwischen ertragswirksamem Zuschuss oder erfolgsneutraler Zuweisung in die Kapitalrficklage liegt unter diesen Voraussetzungen stets eine verdeckte Einlage vor (Erle/Sauter, 2003, § 8 Rn 268; FG Hamburg v. 30.08.2001). Steuerlich fiihrt ein auf dem Gesellschaftsverh/iltnis beruhender Verzicht eines Gesellschafters auf seine (nicht mehr vollwertige) Forderung ggfi. einer Kapitalgesellschaft bei dieser zu einer verdeckten Einlage in H6he des Teilwerts der Forderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG (BFH v. 09.06.1997). Der Einlagewert bemisst sich nach dem tats/ichlichen Wert der Forderung, nicht ihrem Nennbetrag und auch nicht dem Wert der korrespondierenden Verbindlichkeit bei der Gesellschaft. Bei der Werthaltigkeit ist entscheidend, in welcher H6he die Forderung f~r den Gesellschafter werthaltig war, so dass Sicherheiten des Gesellschafters hier auger Betracht bleiben (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, Rn 665). Allein der werthaltige Teil der Forderung ist dem steuerlichen Einlagekonto der Gesellschaft nach § 27 KStG zuzuschreiben. Die in der Steuerbilanz zu erfassende Gewinnerh6hung bei der Schuldnerin wird nur in H6he des werthaltigen Teils der Forderung augerbilanziell fiber eine verdeckte Einlage neutralisiert (BFH v. 16.05.2001). Der Unterschiedsbetrag zwischen dem werthaltigen Teil und dem Nennbetrag der Darlehensverbindlichkeit ist steuerbares Einkommen der Kapitalge-
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sellschaft. Dies fOhrt entweder zu einer tats~ichlichen Steuerbelastung oder verbraucht einen etwa bestehenden k6rperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Verlustvortrag/Fehlbetrag der Gesellschaft (vgl. 6.1, 6.1.2 und 6.1.3).
6.3.2
Bilanzielle und steuerliche Behandlung beim Gesellschafter
Steuerlich wird die verdeckte Einlage durch Forderungsverzicht wie die Einbringung der Forderung im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerh6hung (6.1.) behandelt und mit ihrem Teilwert gem. § 6 Abs. 6 S. 2 EStG als nachtr~igliche Anschaffungskosten der Beteiligung angesetzt (vgl. 6.2 und 6.2.2 zur Teilwertbestimmung bei eigenkapitalersetzenden Darlehen). Auf Ebene des Gesellschafters erh6hen sich durch den Forderungsverzicht somit in H6he des werthaltigen Teils der Forderung seine Anschaffungskosten der Beteiligung. Geh6rt die Darlehensforderung, auf die der Gesellschafter verzichtet hat, zu einem Betriebsverm6gen dieses Gesellschafters, kann der Erlass beim Gesellschafter einen Gewinn oder Verlust verursachen oder erfolgsneutral sein. Ist der Buchwert der Darlehensforderung schon durch eine Teilwertabschreibung vermindert worden, kann es durch den Forderungsverzicht beim Gesellschafter zu einem Ertrag kommen, wenn der Wert der Einlage h6her als der Buchwert der Darlehensforderung beim Gesellschafter ist. Ist der Buchwert der Forderung dagegen h6her als der werthaltige Teil der Forderung, kommt es zu einem Verlust (vgl. 6.2.1 zur steuerlichen BerOcksichtigung des Verlusts bei eigenkapitalersetzenden Darlehen). Entsprechen sich Buchwert der Darlehensforderung in der Bilanz des Gesellschafters und die Werthaltigkeit des Darlehens (z. B. aufgrund von Garantieerkl~irungen anderer Gesellschafter) und korrespondiert der Buchwert mit dem Wert der verdeckten Einlage, ist der Vorgang fOr den Gesellschafter erfolgsneutral.
6.3.3
Sonderfall" SchuldUbernahme unter Verzicht auf Re8ressansprUche
Das Eigenkapital der Gesellschaft kann auch durch eine befreiende SchuldObernahme erh6ht werden, indem ein Gesellschafter eine Schuld der Gesellschaft Obemimmt. Die Schuld wird bei der Gesellschaft in H6he des bilanzierten Werts ausgebucht. Anders als im Grundfall des Debt for Equity Swap (3.1) werden hier nicht eigene Forderungen zur Erh6hung des Eigenkapitals eingesetzt, sondem die Gesellschaft von Anspri~chen Drittgl~iubiger (z.B. Kreditinstituten) befreit. Auch hier stellt sich grunds~itzlich die Frage, mit welchem Wert die Forderung des Drittgl~iubigers als Einlage angesetzt wird, denn nur in H6he des werthaltigen Teils kann die Gesellschaft von ihrer Verbindlichkeit befreit werden. Allerdings liegt bei einer Schuldiibemahme unter sofortigem Yerzicht auf Regressanspriiche die Einlageleistung des Gesellschafters nicht in
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der Forderung gegen die Gesellschaft, sonclern in dem Freistellungsanspruch der Gesellschaft, so dass es auf die Werthaltigkeit dieses Anspruchs ankommt (BFH v. 20.12.2001; Vogt, 2002, S. 1432). Entscheidend ist bei einer Schuldfibernahme unter Verzicht auf Regressansprfiche somit nicht die Bonit~it des ursprfinglichen Schuldners, d.h. der Gesellschaft, sondem des Gesellschafters, der die Schuld fibernimmt. Uber diese Gestaltung k6nnen die Folgen, die mit der Einlage einer nicht voll werthaltigen Forderung verbunden sind (6.1 und 6.2.1, steuerpflichtiger Ertrag bei der Gesellschaft, gegebenenfaUs nicht zu berficksichtigender Verlust beim Gesellschafter) vermieden werden, da bei einem Schuldfibernehmer mit guter Bonit~it die Einlage mit dem Nennbetrag der fibernommenen Schuld bewertet wird. Die Einlage und Schuldbefreiung ist ffir die Gesellschaft dann erfolgsneutral. Im Hinblick auf die Nutzung steuerlicher Verlustvortr~ige der Gesellschaft ist hier jedoch zu beachten, dass sich die Schuldfibernahme auf die Aktivseite der Bilanz der Gesellschaft auswirkt und dadurch die Yerlustnutzung nach § 8 Abs. 4 KStG gef~ihrden kann. Bei der Gesellschaft wird ein Freistellungsanspruch gegen den Schuldfibernehmer aktiviert, der zusammen mit der Verbindlichkeit nach Zustimmung des Gl~iubigers zum Schuldnerwechsel (§ 415 Abs. 3 BGB) gewinnneutral ausgebucht wird (BFH v. 20.12.2001). Ein bilanziell abzubildender Verzicht auf eine Regressforderung des Schuldfibernehmers scheidet aus, da ein Regressanspruch von vornherein nicht entstanden ist. Da hier - wenn auch nur kurzzeitig - das Aktivverm6gen durch den Freistellungsanspruch erh6ht wird, kann dadurch fiberwiegend neues Betriebsverm6gen im Sinne von§ 8 Abs. 4 KStG zugeffihrt werden. In diesem Falle wfirde die steuerliche Nutzung der Verlustvortr~ige bei Vorliegen der fibrigen Voraussetzungen (6.1.1) ausscheiden.
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Urteil/Beschluss/AZ
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BGH, Urteil, II ZR 164/88 BGH, Urteil, II ZR 60/93 BGH, Urteil, II ZR 14/84 BGH, Urteil, II ZR 171/01 BGH, Urteil, II ZR 128/94 BGH, Urteil, II ZR 171/83 BGH, Urteil, II ZR 66/03 BGH, Urteil, II ZR 70/98 BGH, Urteil, II ZR 213/77 BGH, Urteil, II ZR 243/95 BGH, Urteil, II ZR 146/92 BGH, Urteil, II ZR 238/87 BGH, Urteil, II ZR 277/90 BFH, Urteil, I R 20/03 BFH, Urteil, I R 29/00 BFH, Beschluss, I B 143/00 BFH, Urteil, I R 103/93 BFH, Urteil, VIII R 31/98 BFH, Urteil, IV R 10/01 BFH, Urteil, I R 127/90 BFH, Urteil, VIII R 158/86 BFH, Urteil, VIII R 31/91 BFH, Beschluss, GrS 1/99 BFH, Beschluss, I B 74/01 FG Hamburg, VII105/01 (rkr.) FG K61n, 14 K 7699/96 (rkr.) FG Baden-Wfirttemberg, 6 K 217/03 (Rev. eingelegt, Az. IV R 13/04) EuGH, Rs. C-212/97 EuGH, Rs. C-167/01 EuGH, Rs. C-208/00 EuGH, Rs. C-55/94 OLG Celle, II ZR 273/98
15.01.1990 21.02.1994 26.03.1984 24.11.2003 11.12.1995 26.03.1984 09.05.2005 21.06.1999 24.03.1980 02.12.1996 11.07.1994 21.03.1998 13.04.1992 28.04.2004 08.08.2001 16.05.2001 15.10.1997 13.07.1999 06.11.2003 05.02.1992 08.12.1990 13.07.1999 09.06.1997 20.12.2001 30.08.2001 19.11.1998 19.02.2004
BGHZ 110, S. 47 BGHZ 125, S. 141 BGHZ 90, S. 370 NJW 2004, S. 1111 ZIP 1996, S. 273 BGHZ 90, S. 382 ZIP 2005, S. 1316 GmbHR 1999, S. 916 BGHZ 76, S. 326 GmbHR 1997, S. 501 BGHZ 127, S. 1 BGHZ 104, S. 43 BGHZ 118, S. 83 GmbHR 2004, S. 1484 BStB1. I12002, S. 392 DStR 2001, S. 1431 BFH/NV 1998, S. 572 DStRE 1999, S. 779 BStB1. I12004, S. 416 BStB1. II 1992, S. 532 BFH/NV 1992, S. 15 BStB1. II 1999, S. 724 BStB1. II 1998, S. 307 BFH/NV 2002, S. 678 DStRE 2002, S. 193 EFG 1999, S. 374 EFG 2004, S. 971
09.03.1999 30.09.2003 05.11.2002 30.11.1995 19.08.1998
NJW 1999, S. 2027 NJW 2003, S. 3331 EuZW 2002, S. 754 NJW 1996, S. 579 NZG 1999, S. 77
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1
Begriffliche G r u n d l a g e n ................................................................................................ 877 1.1
Distressed Debt -- Arten u n d Charakteristika n o t l e i d e n d e r Kredite ............ 878
1.2
Vulture Investing - Control- u n d Non-Control-orientiertes E n g a g e m e n t ........................................................................................................... 881
2 3
4
Rechtlicher R a h m e n des Erwerbes von Distressed Debts ........................................ 882 Debt for Equity Swap als rechtlicher R a h m e n des Vulture Investings ................... 883 3.1
K a p i t a l e r h 6 h u n g mit Sacheinlage ...................................................................... 884
3.2
Vorgaben des W p U G - Das Sanierungsprivileg gem. § 37 W p U G ................ 886
3.3
Pr~fung u n d A n m e l d u n g der K a p i t a l e r h 6 h u n g .............................................. 887
Kontrolle u n d Kontrollerwerb -- Strategische Aspekte des Vulture Investings ... 888 4.1
Strategische Ausgangserw~igungen ................................................................... 889
4.2
Einsetzung eines S a n i e r u n g s m a n a g e m e n t s ...................................................... 889
4.3
E i g e n v e r w a l t u n g im I n s o l v e n z v e r f a h r e n .......................................................... 891 A u s w e c h s e l u n g des M a n a g e m e n t s - Gesetzlicher u n d gesellschaftsvertraglicher R a h m e n ..................................................................... 893 Einflussnahme fiber weitere Kontrollorgane .................................................... 895 Sonderfall: Gl~iubigerausschuss in der Insolvenz ............................................ 896
4.4 4.5 4.6 5
Rechtliche Risiken .......................................................................................................... 898 5.1 Bankgeheimnis u n d D a t e n s c h u t z ....................................................................... 898 5.2 Zivil- u n d strafrechtliche Haftungsrisiken ........................................................ 900
6
R e s f m e e .......................................................................................................................... 901
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Distressed Debt und Vulture Investing ~ii~iii~i~i~i~ii~ii~i~!~!i!iii~iii!!~iii!ii~i~i~i~i~ii~i~i~ii~ii~i~i~i~iii
Besriffliche Grundlagen Wer sich in Krisenzeiten, sei es auf Seiten des Fremdkapitalgebers oder auf Seiten des Schuldners, mit der finanziellen Sanierung und dem sog. Corporate Turnaround von Untemehmen befasst, begegnet zunehmend anglo-amerikanischen Marktteilnehmern. Diese erkennen Deutschland in immer st~irkerem Matte als attraktiven Zielmarkt (H6ninghaus/Clausen, 2004, S. 21; o. V., 2004, S. 23) und ~ibertragen Sanierungskonzepte aus deren Rechtskreis. An der Schnittstelle zwischen Bankgesch~ift und Unternehmenssanierung bewegen sich dabei Strukturen, die sich unter den Bezeichnungen ,Distressed Loan" Investment (Toth-Feher/Schick, 2004, S. 491), ,Vulture Investing" (Deibert/Schellenberger, 1998, S. 434), ,Non-performing Loan Transactions" (Rinze/Heda, 2004, S. 1557 ft.) etc. zunehmend gr6t~erer Aufmerksamkeit sowohl in der Tagespresse als auch der betriebswirtschaftlichen und juristischen Fachliteratur erfreuen. Eine vertiefte Besch~iftigung mit derartigen Transaktionen verdeutlicht, dass sich hinter den vorgenannten Anglizismen im Wesentlichen i~berkommene, auch in Deutschland seit geraumer Zeit genutzte Finanzierungsinstrumentarien und Rechtsinstitute verbergen. Dementsprechend lassen sich die Konzepte, soweit sie auch durch den Eintritt neuer, insbesondere angels~ichsischer Marktteilnehmer in der praktischen Handhabung modifiziert werden, ohne weiteres im Rahmen der hiesigen Rechtsordnung auf eine gestaltenden Unternehmenssanierung auf dem deutschen Markt anwenden. Allerdings bedarf dies im Einzelfall der im Wesentlichen anhand von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen vorzunehmenden Pr~ifung, ob die genannten Instrumentarien in concreto ~ r die Unternehmenssanierung sinnvoll sind. Des Weiteren ist die Ber6cksichtigung vielf~iltiger rechtlicher Besonderheiten, etwa des Zivil-, Straf-, Steuer-, Aufsichts- und Bilanzrechts, unerl~isslich. Diese k6nnen im Folgenden auf Grund Ihrer Komplexit~it weder vollst~indig noch ersch6pfend er6rtert werden. Es sollen jedoch einige ausgew~ihlte, wesentliche rechtlichen Aspekte und ihre Verkn~ipfung mit wirtschaftlichen Erw~igungen dargestellt werden. Zun~ichst gilt es jedoch, die in den relevanten Publikationen verwendeten Begriffe zum Zwecke einer Systematisierung der einschl~igigen Sanierungsm6glichkeiten zu definieren. Dabei ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Begriffiichkeiten im Wesentlichen nicht im Sinne verschiedener Definitionen, sondern zum Teil synonym (wenn auch mit abweichender Akzentuierung) verwendet werden.
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Aldenho]:.f / galisch
1.1
Distressed D e b t - Arten und Charakteristika notleidender Kredite
Bei den Begriffen des ,,Distressed Debt Trading" sowie der ,Non-performing Loan Transaction" handelt es sich inhaltlich um den Handel mit notleidenden Krediten, also Kreditengagements, bei denen entweder i~berhaupt nicht mehr mit der planm~it~igen Zahlung von Kapital, Zinsen, Provisionen und Kosten bei F~illigkeit gerechnet werden kann (dann: ,,Non-performing Loans") oder aber deren R~ick~hrung zumindest ins Stocken geraten ist (,,Sub-performing Loans"). Hinsichtlich solcher Kreditengagements sahen sich Kreditinstitute seit jeher aus bilanzrechtlichen und aufsichtsrechtlichen, letztlich aber auch aus gesch~iftspolitischen Gr6nden mit der Notwendigkeit konfrontiert, die dem Kreditgesch~ift inh~irenten Risiken durch geeignete Mat~nahmen, insbesondere Wertberichtigungen, zu be~cksichtigen. Die englischen Begriffe beschreiben somit kein neues Ph~inomen, sondem sind lediglich aufgrund des verst~irkten Markteintritts anglo-amerikanischer Untemehmen auch in Deutschland g~ingige Bezeichnungen f~ir Transaktionen geworden, hinter denen sich rechtlich letztlich nur Kauf und Abtretung von Forderungen verbergen. Neu ist allerdings eine auch im historischen Vergleich besondere Bedeutung eines aktiven Managements solcher Kreditengagements vor dem Hintergrund einer Vielzahl von rechtlichen und tats~ichlichen Gegebenheiten: So sind Banken und Kreditinstitute derzeit nach Jahren der Aktienbaisse einerseits und hohem Wertberichtigungsbedarf im Untemehmenskreditgesch~ift andererseits mit einer angespannten Eigenkapitalsituation konfrontiert. Diese trifft mit einer Reihe von europarechtlichen und supranationalen Rechts~inderungen, insbesondere dem Ende der Gew~ihrtr~igerhaftung f6r Sparkassen und Landesbanken (Quardt, 2002, S. 424) und dem Inkrafttreten von Basel II (Hamberger/Diehm, 2004, S. 182) zum Jahresende 2006, zusammen. Beides hat Auswirkungen sowohl auf das Kreditneugesch~ift als auch auf die Verwaltung bestehender Kreditportfolios. In erstgenannter Hinsicht sind die auf Kreditgeberseite beteiligten Marktteilnehmer in der Gesamtheit dazu gezwungen, der Risikoauswahl im Kreditgesch~ift ebenso eine gr6t~ere Bedeutung zukommen zu lassen wie generell der Bonit~itsanalyse. Schon jetzt ist daher eine zunehmend restriktivere Neukreditvergabe zu beobachten, eine Entwicklung, die ihrerseits forciert wird durch die Ein~hrung bankinterner Ratingsysteme nach dem Vorbild externer Ratingagenturen. Diese Entwicklung hat unmittelbar einen erheblichen Einfluss auf die Aufnahme von Fremdkapital durch in der Krise befindliche Unternehmen. In letztgenannter Hinsicht hat durch die erh6hten rechtlichen und tats~ichlichen Eigenkapitalanforderungen das aktive Management bestehender Kreditengagements bzw. die Bereinigung von Gesamtportfolien an erheblicher praktischer Bedeutung gewonnen. Grunds~itzlich l~isst sich dabei zwischen den strategischen Optionen unter-
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Distressed Debt und Vulture Investing
scheiden, den notleidenden Kredit im Portfolio zu behalten, zugleich aber durch Finanzprodukte abzusichern, oder mit Krediten bei gleichzeitiger Abtretung der Darlehensforderungen zu handeln. Soweit die Forderung im Portfolio verbleibt, ist dies aus Sicht des in der Krise befindlichen, sanierungsbedfiirftigen Unternehmens bzw. Schuldners dadurch charakterisiert, dass die Gl~iubigerstellung der finanzierenden Bank unangetastet bleibt und sich die Absicherung des Kredites aus Sicht des Schuldners ohne dessen Einfluss und im Verborgenen abspielt. Es liegt auch begriffiich kein Handel mit der Forderung vor. Nur der Vollst~indigkeit halber seien daher an dieser Stelle typischerweise zur aufsichtsrechtlichen Risikoverbesserung seitens von Kreditinstituten eingesetzte Kreditderivate genannt, etwa ,,Credit Default Swaps" und ,,Total Return Swaps" (Frtih, 2004, S. 499). Gemeinsam ist diesen Kreditderivaten, dass die Bank als Risikoverk~iuferin die Risiken eines notwendigen Verlustausgleiches im Falle des Forderungsausfalls auf einen Risikok~iufer tibertr~igt. Je nach Ausgestaltung ist es dabei m6glich, eine Forderung nicht nur gegen einen Ausfall bestimmten Ausmaf~es, sondem gegen jegliche vom Markt bewertete Bonit~itsverschlechterung w~ihrend der Vertragslaufzeit abzusichern. Typischerweise werden solche Swap-Transaktionen mit verbrieften Anlageformen kombiniert, bei denen die Ubertragung des Risikos auf die Note synthetisch erfolgt. Insbesondere bedient man sich sog. Total Return-Swaplinked Notes. Typisch ist auch eine Risikodiversifikation dergestalt, dass die besicherten Forderungen sich auf ganze ,,K6rbe" von Kreditforderungen verschiedener Unternehmen, Branchen oder Lander beziehen (sog. Basket-Options). F/.ir den hier interessierenden Fall notleidender Kredite sind die vorbezeichneten Mechanismen der Risikominimierung allerdings nicht uneingeschr~inkt geeignet. Zum einen sind die Kosten derartiger Kreditderivate ftir die im Eigentum der Forderung befindliche Bank umso teurer, je h6her das Ausfallrisiko des zugrunde liegenden Kreditengagements ist. Denn typischerweise wird sich der Risikok~iufer mit zunehmendem Forderungsausfallrisiko nur gegen eine h6here Pr~imie zur 0bernahme des Verlustrisikos bereit erkl~iren. Zudem ist aus Sanierungssicht bedeutsam, dass die in Rede stehenden Transaktionen regelm~il~ig g~inzlich ohne Beteiligung des eigentlichen Schuldners vonstatten gehen. Denn diese ist weder rechtlich noch betriebswirtschaftlich geboten, da Gl~iubiger der prim~iren Kreditforderung die Bank bleibt, mit der der Schuldner ursprfiinglich in die entsprechende parteiliche Darlehensbeziehung eingetreten ist. In letztgenanntem Punkt unterscheidet sich die blot~e Absicherung eines bestehenden Kreditportfolios fundamental von Szenarien, in denen der Gl~iubiger sich der notleidenden Engagements ganz oder teilweise entledigt, also mit ihnen handelt. Im Interbankenhandel ist dies in Deutschland ein seit l~ingerem bekanntes Ph~inomen. Neu ist neben dem Umfang des Handels, der deutlich angestiegen ist, dass die Banken versuchen, durch Verkauf notleidender Kredite an spezialisierte Investmenth~iuser oder die Ausgliederung auf ,,Bad banks" ihre Risikoaktiva in grot~em Stil zu reduzieren bzw.
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AlOe n ho[[ / Kalisc h
zu bi~ndeln. Die ,,Bad banks" ihrerseits refinanzieren das Portfolio u. a. durch hochverzinsliche High-Yield-Anleihen, die durch das Portfolio besichert sind (sog. Collateral Debt Obligations (Zahn/Lemke, 2003, S. 37)). F~ir die ~ibertragende Bank dient ein solches Vorgehen zudem dazu, den nicht unerheblichen Personaleinsatz fi~r die Bearbeitung solcher Kredite zu minimieren; letztlich werden also ganze Stabsfunktionen outgesourct. Fi~r den Kreditnehmer hat all dies einschneidende Konsequenzen: Abgesehen von den Sonderf~illen der bankintemen Isolierung notleidender Kredite auf separate, aber nach wie vor konzemangeh6rige Gesellschaften wechselt ~ r das Unternehmen nicht nur de jure der Gl~iubiger, sondern auch der Ansprechpartner, mit dem das Engagement zu verhandeln ist. Insbesondere endet die ggi~. der Hausbank bestehende, oft langj~ihrige Kundenbeziehung, was Einfluss namentlich auf die Konsequenz hat, mit der der Gl~iubiger seine Forderungen beitreibt. Zugleich kann die 0bertragung von Forderungen Rechtsfragen aufwerfen. Insbesondere bei Forderungen ggii. Privatpersonen- mit der Folge der Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes - und aut~erhalb beidseitiger Handelsgesch~ifte treten regelm~it~ig Fragen des Datenschutzes bzw. Bankgeheimnisses auf. J~ingst hat das OLG Frankfurt in einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nochmals klargestellt, dass auch f6r Forderungsabtretungen das Bankgeheimnis gilt (OLG Frankfurt, 2004, S. 1650). Da der Forderungszessionar regelm~it~ig zur Geltendmachung der Forderung Informationen ben6tigt, wird die Verschwiegenheitspflicht der Bank als Forderungszedentin durch die Abtretung ber~ihrt. Eine Abtretung ohne ausdri~ckliches Einverst~indnis ist daher in den vorbezeichneten Fallen unzul~issig. Fi~r das Distressed Debt Trading bieten sich daher vornehmlich sog. Corporate Debts, also Unternehmenskredite an, hinsichtlich derer bereits die Aufnahme des Kredites regelm~it~ig beidseitige Handelsgesch~ifte im Sinne von § 354 a HGB ist, sodass ein Zessionsverbot unbeachtlich ist. Damit sind solche Kredite fungibler und am Markt praktikabler zu ver~iut~ern. Im 0brigen bieten sich Corporate Debts aber auch aus anderen Gesichtspunkten ~ r den Handel mit notleidenen Krediten an. Krediten mit Privatleuten ist einerseits ein erhebliches Wirksamkeitsrisiko inh~irent, etwa aufgrund von f~ir diese Gruppe von Kreditnehmem ausschliet~lich oder weitergehend geltenden Schutzbestimmungen, sei es aufgrund der Vorschriften betreffend Verbraucherkredite, Hausffirwiderruf oder Allgemeine Gesch~iftsbedingungen. Andererseits ist fi~r den Investor die Werthaltigkeit solcher Forderungen, soweit sie nicht grundpfandrechtlich gesichert sind, schwer kalkulierbar, da ~ r Privatpersonen ~iberwiegend keine Bonit~itskennzahlen existieren. Sie sind daher im Wesentlichen fi~r den Investor allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer im Vergleich zur zedierenden Bank optimierten Verwertung von Interesse. Bei Untemehmenskrediten hingegen kann er unter verschiedenen strategischen Optionen inklusive des Engagements im Untemehmen des Schuldners w~ihlen.
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Distressed Debt und Vulture Investing
i~i~i~i~i~i~i~i!~i~il~i~i~i~i~i!~i~i~i!~i~!i~i~i~i~i~!~!i~i~i Schliet~lich er6ffnen sich auch fi~r das Unternehmen selbst erhebliche Chancen, da der Erwerber von notleidenden Krediten dies eben nicht notwendigerweise mit dem Ziel einer kurzfristigen und bestm6glichen Verwertung tut, sondern a u c h - und hier liegt letztlich der innovative und ffir die Unternehmenssanierung fruchtbar zu machende Aspekt des Distressed Debt Trading- mit dem Ziel, sich im Unternehmen des Schuldners langfristig, sei es im ersten Schritt als Fremdkapitalgeber oder mittelfristig als Eigenkapitalgeber, zu beteiligen.
1.2
Vulture Investin8 - Control- und Non-Control-
orientiertes Ensasement Auf Investments in sanierungsbed~irftige Unternehmen spezialisierte Fonds bezeichnet man als Vulture oder Turnaround Investors (Labbe, 2003, S. 5). Diese verfolgen ihrerseits unterschiedliche Strategien im Umgang mit notleidenden Krediten. Aus Sicht des sanierungsbed6rftigen Unternehmens im Wesentlichen ohne gravierende Auswirkungen ist der Erwerb einer Gl~iubigerstellung durch einen sog. passiven Investor. Solche Investoren spekulieren regelm~it~ig allein auf eine Erholung der finanziellen Situation des Schuldners, eine Verbesserung seiner Bonit~it oder sonstiger, namentlich im Sekund~irmarkt relevanter Faktoren, die den Wert des erworbenen Portfolios positiv beeinflussen. Passive Investoren unterscheiden sich damit kaum von Banken, die im Interbankenhandel Forderungen notleidender Unternehmen zu Niedrigstpreisen in der Erwartung erwerben, dass entweder diese Kredite zur~ickgefiihrt werden oder a b e r - im Falle von verbrieften Krediten- Kursgewinne nach Sanierung und Besserung zu erwarten sind. Typisch ~ r passive Investoren ist ferner, dass sie regelm~it~ig nicht an einer Einflussnahme auf das operative Gesch~ift des Schuldners interessiert sind, sondern als reine Finanzinvestoren auftreten. Wenngleich kein Synonym, ist der passive Investor damit i. d. R. auch ein ,Non-Control Oriented Investor". Gr6t~ere Chancen f~ir eine Unternehmenssanierung bietet demgegeniiber der aktive Investor (Paetzmann, 2003, S. 969 f.), der regelm~it~ig mit dem Ziel antritt, sich in die Sanierungsbem~ihungen einzuschalten. Hierzu bietet sich ein einvernehmliches Vorgehen mit dem Krisenunternehmen an, etwa dadurch, dass das erworbene Fremdkapital konsensual in Eigenkapital des Unternehmens gewandelt wird, um die Abh~ingigkeit von Fremdgl~iubigern zu vermindern, die Eigenkapitalquote und die Bonit~it des Unternehmens zu st~irken und letztlich die Neukreditaufnahme zu verbilligen. Zugleich zeichnen sich aktive Investoren oftmals dadurch aus, dass sie auf eine Beteiligung an der Unternehmensf~ihrung des Sanierungszieles bestehen, etwa indem ein Vertreter des aktiven Investors in die Gesch~iftsleitung, regelm~it~ig als Chief Financial Officer/kaufm~innischer Gesch~iftsf~ihrer/Finanzvorstand eintritt. Aktive Investoren
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~iii
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stellen die erworbenen Forderungen regelm~it~ig sofort f~illig und erwerben mit Hilfe des so geschaffenen Drohpotenzials GeschMtsanteile bzw. Aktien. In einem zweiten Schritt ergeben sich sodann wiederum verschiedene Handlungsoptionen: Entweder sie verhalten sich nunmehr weitgehend passiv und spekulieren lediglich auf eine bevorstehende Wertsteigerung der Anteile oder sie verfolgen eine aktive Strategie und nehmen 0ber das Management Einfluss auf die Gesch~iftsentscheidungen. Synonym mit dem Begriff ,aktive" Strategie wird auch von ,Control Oriented Investors" gesprochen.
2
Rechtlicher Rahmen des Erwerbes yon Distressed Debts
Der Erwerb einer notleidenden Forderung durch den Vulture Investor erfolgt stets auf der Grundlage eines schuldrechtlichen Vertrages zwischen dem Investor und der Bank als bisheriger Forderungsinhaberin. Er unterscheidet sich nicht von einem regul~iren Forderungserwerb, so dass im Folgenden nur die elementarsten Grundz0ge erw~ihnt seien: Die Forderung wird auf der Grundlage eines solchen Vertrages im Wege der Forderungsabtretung (Zession) vonder Bank (als Zedentin) an den Investor (als Zessionar) gem. §§ 398 ff. BGB Obertragen. Ein eventuell vertraglich gem. § 399, 2. Alt. BGB vereinbartes Zessionsverbot wird in der Praxis nahezu immer bedeutungslos sein. FOr Corporate Debts folgt dies schon daraus, dass eine Zession gem. § 354a, S. 1 HGB trotz eines solchen Verbotes wirksam ist, soweit das RechtsgeschMt, das die Forderung begriindet, also der Darlehensvertrag, for beide Teile ein HandelsgeschMt ist (Saar, 1999, S. 988). Nur bei Forderungen gg0. Privatpersonen ist daher der Frage von Abtretungsverboten im Rahmen einer Due Diligence besonderes Augenmerk zu schenken. Solche Forderungen k6nnen zwar Gegenstand eines Distressed Debt Trading sein, sind dies aber regelm~it~ig nicht in der hier interessierenden Variante des Vulture Investing. Anzumerken ist, dass gem. § 401 Abs. 1 BGB mit der zedierten Forderung Hypotheken, Pfandrechte und BOrgschaften als akzessorische Sicherungsrechte 0bergehen. § 401 Abs. 1 BGB findet auf unselbst~indige Sicherungsrechte analoge Anwendung, sodass im Ergebnis lediglich nicht akzessorische, selbst/indige Sicherungsrechte - so z. B. Sicherungsgrundschulden - beim Zedenten verbleiben, sofern sie nicht auf den Zessionar 0bertragen werden (Toth-Feher/Schick, 2004, S. 492; Hofmann/Walter, 2004, S. 1569 f.). Letzteres ist indes in der Vertragspraxis typischerweise der Fall.
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Distressed Debt und Vulture Investin~
Um zu vermeiden, dass sich ein Schuldner ggfi. dem Zessionar darauf berufen kann, er habe ohne Kenntnis der Abtretung bereits an den Zedenten geleistet, ist darauf zu achten, dass die Bank mit der Zession den Schuldner fiber diese informiert 212, sog. Offene Zession. Anderenfalls ist der Investor gezwungen, sich wegen der an die Bank geleisteten Zahlung wiederum mit dieser auseinander zu setzen. Im Ubrigen ist bei der Abtretung besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass Gestaltungsrechte nicht beim Zedenten verbleiben, sondern ausdrficklich mit fibertragen werden. Insofem wird regelm~it~ig eine Ubertragung dieser Rechte gem~it~ § 413 BGB notwendig sein, um dem Zessionar die uneingeschr~inkte, selbst~indige Geltendmachung von Kfindigungs-, Widerrufs-, Rficktritts- und ~ihnlichen Rechten ggfi. dem Schuldner zu erm6glichen (BGH 1985, S. 2641; Palandt, 2004, § 398 Rn 18b und § 413
Rn. 7).
3
Debt for Equity Swap als rechtlicher Rahmen des Vulture Investings
Bei einem Anteilserwerb - dem eigentlichen Kern des aktiven Vulture Investments sind die technischen Vorgaben des Gesellschaftsrechts zu beachten. Welche gesetzlichen Vorschriften einzuhalten sind, orientiert sich naturgem~if~ an der Rechtsform der Zielgesellschaft und dem ffir sie anwendbaren Recht. Da das Vulture Investing zumeist die Beteiligung an Aktiengesellschaften zum Ziel hat, beschr~inken sich die nachstehenden Betrachtungen im Wesentlichen auf das Wertpapierfibernahmegesetz und das Aktiengesetz. Das Ziel einiger Distressed-Debt-Investoren wird h~iufig die Durchffihrung eines Debt for Equity Swap, also die Umwandlung der erworbenen Forderungen in Eigenkapital des Unternehmens, sein. Hierbei handelt es sich um die g~ingigste Beteiligungsmethode von anglo-amerikanischen Vulture-Investoren aut~erhalb des Insolvenzverfahrens. Die Investoren erwerben zun~ichst Distressed Debts der sanierungsbedfirftigen Zielgesellschaft und treten sodann mit ihr in Verhandlungen fiber eine Beteiligung ein. Die Investoren verfolgen hierbei also eine Strategie der freundlichen Beteiligung bzw. Ubernahme.
212 Grunds~itzlich denkbar ist auch die Information durch den Investor selbst. Da aber die Rechtsprechung eine solche Information nicht immer als ausreichend erachtet- vgl. OLG Dfisseldorf, 1975, S. 397- sollte eine solche immer nur zus~itzlich zur Information durch die Bank, nie aber statt dieser erfolgen.
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Aldenhoff / Kalisch
Ffir das betroffene Unternehmen stellt ein solcher Swap oft die willkommene M6glichkeit der Sanierung aut~erhalb des Involvenzverfahrens durch eine Reduzierung der Bankverbindlichkeiten und eine Verbesserung der eigenen Haftbasis dar.
3.1
Kapitalerhi hung mit Sacheinla e
Rechtstechnisch wird ein solcher Swap in Form einer Kapitalerh6hung mit Sacheinlage i. S. d. § 183 AktG umgesetzt. Diese Mat~nahme ist zumeist Bestandteil eines allgemeinen Sanierungskonzeptes, das z. B. auch Kapitalmat~nahmen der Aktion~ire, die Ausgabe von Genussrechten und den Forderungsverzicht yon Gl~iubigern beinhalten kann. Ffir die Einbringung der Forderung213 selbst stehen zwei M6glichkeiten zur Verffigung: der Abschluss eines schuldrechtlichen Erlassvertrages gem. § 397 Abs. 1 BGB oder die Ubertragung der Forderung auf die Gesellschaft im Wege der Zession (§ 398 BGB). In letzterem Fall kommt es zu einem Erl6schen der Forderung auf Grund einer Konfusion (BGH 1980; OLG K61n 1992; Erman/Westermann, 2004, vor § 362 Rn. 3). Erforderlich ffir die Durchffihrung einer solchen Kapitalerh6hung ist zun~ichst ein
Kapitalerh6hungsbeschluss, d e r - so nicht die Satzung eine h6here Kapitalmehrheit oder weitere Erfordemisse bestimmt- gem. § 182 Abs. 1 AktG von einer Mehrheit von mindestens 75 % des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals getragen sein muss. Dieser Beschluss muss eine Festsetzung fiber den Gegenstand der Sacheinlage, die Person, yon der die Gesellschaft die Einlage erwirbt (sog. ,,Inferenten"), und den Nennbetrag bzw. bei S~ckaktien die Zahl der bei der Sacheinlage zu gew~ihrenden Aktien enthalten. Da es sich im Regelfall um nur einen Inferenten handelt, muss - wenn eine gemischte Kapitalerh6hung, bei der andere Altaktion~ire ebenfalls zeichnungsberechtigt sind, vermieden werden soll (Heidel/Elser: 2003, § 183 Rn. 20) - e i n Bezugsrechtsausschluss beschlossen werden. Ein solcher ist jedoch nut dann m6glich, wenn die Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 und 4 AktG erffillt sind. Zun~ichst erforderlich- in der Praxis abet zumeist unproblematisch- ist eine sachliche Rechtfertigung ffir den Bezugsrechtsausschluss (BGH 1978, S. 43; Br6ner, 1988, S. 1258). Zwar wird im Zusammenhang mit der Einbringung von Forderungen oft angeffihrt, die zur Tilgung notwendigen Mittel seien auch durch eine Barerh6hung ohne Bezugsrechtsausschluss zu beschaffen (Hirte/Billow/Lutter, 2003, § 186 Rn. 80). Hier wird man praktisch jedoch immer eine Rechtfertigung aus der Notwendigkeit
213 Zur nach ganz h.M. gegebenen Einlagefiihigkeit von Forderungen gegen die Gesellschaft selbst: Heidel/Elser, 2003, § 183 Rn. 13
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Distressed Debt und Vulture Investing
~i~i!i!i~ii!i~i:~¸!i!ii~!iiii~i!il!ii~i!i!ii~i~i!i!~i einer Unternehmenssanierung ableiten k6nnen, die letztlich ein spezifisches Gesellschaftsinteresse darstellt und fiber eine Barerh6hung ohne Bezugsrechtsausschluss faktisch nicht m6glich sein wird (Heidel/Rebmann, 2003, § 186 Rn. 54). Nur im Rahmen einer allgemeinen Missbrauchskontrolle finden die Interessen der anderen Aktion~ire Berficksichtigung. Zu beachten ist, dass die zu inferierende Forderung objektiv bewertet werden und nur mit dem so festgestellten Wert eingebracht werden kann. Anders gewendet: Nur der wirkliche Wert einer Forderung kann eingebracht werden, da die Einbringung in die Gesellschaft den Inferenten von seiner Einlageverpflichtung nur in dem Mat~e befreien kann, in dem die eingebrachte Forderung werthaltig ist (Toth-Feher/Schick, 2004, S. 496). Der Nominalwert der Forderung ist also nur dann ausschlaggebend, wenn die Gesellschaft in der Lage ware, die Forderung auch ohne eine Kapitalerh6hung zu begleichen, oder die umzuwandelnde Forderung durch das Verm6gen der Gesellschaft der H6he nach gedeckt wird. 214 Hiergegen wird zwar teilweise die Ansicht vertreten, die Forderungseinbringung sei (eine Bareinlage und daher) stets mit dem Nennwert anzusetzen, da durch ihre Einbringung bilanziell ein Passivposten gestrichen und das Eigenkapital entsprechend erh6ht werde. Indes verbietet sich ein strikter Nennwertansatz schon deshalb, weil eine Forderungseinbringung gerade keine Bareinlage ist. Dies ergibt sich aus dem Verbot der Bareinlage mit anschliet~ender Forderungstilgung (§ 66 Abs. 1 S. 2 AktG; Wiedemann in: Hopt/Wiedemann, 1992, § 183 Rn. 40). Folgerichtig kann sich auch die Bewertung einer Forderungseinbringung nicht allein am Nominalwert orientieren. Ein weiterer Gesichtspunkt zur Angemessenheit des Forderungsansatzes: Wird der wirtschaftliche Wert der Forderung zu hoch angesetzt, ist die Sacheinlage jedenfalls in H6he der 0berbewertung unwirksam und es droht, sollte die Kapitalerh6hung gleichwohl eingetragen worden sein, eine Nachschusspflicht in H6he der Differenz, vgl. § 27 AktG (Toth-Feher/Schick, 2004, S. 496). Zu bedenken ist darfiber hinaus, dass die nicht in Eigenkapital verwandelte Restforderung den Kapitalersatzregeln (Schouler, 2001) unterliegen kann. Folge der Anwendbarkeit dieser Regeln ist, dass im Insolvenzfall ein Anspruch auf Rfickgew~ihr dieser Darlehen nur nachrangig geltend gemacht werden kann (§ 32 a Abs. 1 GmbHG analog). In zwei Fallen ist jedoch eine Anwendbarkeit der Kapitalersatzregeln zu verneinen: Nur wer Finanzierungsverantwortung tr~igt, kann Eigenkapitalersatzregeln unterliegen. Daher sind die Kapitalersatzregeln erst dann (analog) anwendbar, wenn eine 214 Nur am Rande sei auf eine ggf. unerwfinschte steuerliche Implikation verwiesen: Problematisch ist, dass der Schuldner nur hinsichtlich des werthaltigen Teils der Forderung in der Lage ist, diesen steuerneutral in Eigenkapital zu fiberffihren, w~ihrend er hinsichtlich der verbleibenden Differenz zum Nominalwert einen steuerpflichtigen Ertrag erzielt, § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG; vgl. BFH 1998, S. 307.
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Beteiligung von 25 % oder mehr besteht (BGH 1984, S. 625). Die zweite Ausnahme wird durch das Sanierungsprivileg (§ 32 a Abs. 3 S. 3 GmbHG analog) gebildet: Werden Gesch~iftsanteile in der Krise zum Zweck der Uberwindung der Krise erworben, k6nnen Darlehen im Insolvenzfall regular geltend gemacht werden (Toth-Feher/ Schick, 2004, S. 496).
3.2
Vorgaben des..Wp(JG- Das Sanierungsprivileg gem. § 37 WpUG
Ein Sanierungsprivileg gilt 6brigens auch in einem anderen Zusammenhang: Nach § 35 Abs. I des WpUG, dessen Vorschriften bei Anteilsk/iufen immer dann zu ber/icksichtigen sind, wenn es um den Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft geht, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen ist, muss derjenige, d e r unmittelbar oder mittelbar - die Kontrolle, d.h. mindestens 30 % der Stimmrechte /iber eine Zielgesellschaft erwirbt (§ 29 Abs. 3 WpUG), ein Angebot zum Erwerb weiterer Wertpapiere der Gesellschaft stellen (und die H6he des erworbenen Anteils in einem i~berregionalen B6rsenblatt unverz/iglich ver6ffentlichen, § 10 Abs. 2 WpUG). Inhaltlich muss das Angebot nicht in einer Barzahlung bestehen, sondern kann in einigen F~illen auch eine Offerte eigener Aktien sein (§ 31 WpUG). Von dieser Verpflichtung kann sich jedoch der Investor, der durch den Debt for Equity Swap eine Sanierung des Zielunternehmens verfolgt, gem. § 37 WpUG i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 WpUG-Angebotsverordnung durch die BUNDESANSTALT FOR FINANZDIENSTLEISTUNGSAUFSICHT (BAFIN) befreien lassen (Baums/Thoma/Hecker, 2004, § 37 Rn. 139 ff.). Praktische Schwierigkeiten wirft insofern auf Grund seiner Unbestimmtheit der Sanierungsbegriff auf (Hirte/von B/ilow/Versteegen, 2003, Anh. § 37 Rn. 14). Gefordert wird, dass die Sanierungsmat~nahme als objektiv geeignet erscheinen muss, den Fortbestand des Unternehmens der Zielgesellschaft zu gew~ihrleisten (Schwark/Noack, 2004, § 37 WpUG Rn. 5; Holzborn/Blank, 2002, S. 950 f.; Lenz/Linke, 2002, S. 367; s. auch Holzborn/Friedhoff, 2001, S. 114 ft.). Dies wird zwar aus Sicht des Investors durchweg der Fall s e i n - anderenfalls w/irde das Investment f6r ihn kaum Sinn machen -, kann aber im konkreten Einzelfall durch die Aufsichtsbeh6rde durchaus anders beurteilt werden. Daneben wird die tatbestandliche Sanierungsvoraussetzung regelm~it~ig nur im Falle eines bereits er6ffneten Insolvenzverfahres unproblematisch sein. Befindet sich die Zielgesellschaft lediglich in einer wirtschaftlichen Krise kann der Sanierungsbegriff schwierig zu fassen sein.
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Schliet~lich entstehen Probleme dann, wenn die Zielgesellschaft selbst kein Sanierungsfall ist, wohl aber ihre Hauptgesellschafterin. Die BAFIN verneint bislang in einem solchen Fall die Anwendbarkeit des Sanierungsprivileges. Dieser sehr wortlautorientierten Ansicht ist jedoch - bereits auf der Grundlage geltenden Rechts, zumindest aber de lege ferenda- entgegen zu halten, dass eine solche Sichtweise den praktischen Bedi~rfnissen des Distressed Debt Investing nicht gerecht wird. Ein Beispiel soll die hiermit verbundene wirtschaftliche Problematik verdeutlichen: Als im Jahr 2002 der US-amerikanische Medieninvestor HAIM SABAN erstmalig die PROSIEBENSAT.1 MEDIAAG i~bernehmen wollte, welche ein durch die Krise nur mittelbar getroffener, weil profitabler Teil der zusammengebrochenen KIRCH-GRUPPE war, stiitzte er seinen Befreiungsantrag darauf, dass die geplante Obernahme im Zusammenhang mit der Sanierung der PROSIEBENSAT.1 MEDIA AG erfolge (Hecker, 2004, S. 41 ff.; Seibt, 2003, S. 1865 ff.). Da SABAN die Obernahme in der Folgezeit jedoch zun~ichst nicht weiter verfolgte und den Antrag zuri~ckzog, konnte die BAFIN nicht 6ber die materielle Begri~ndetheit des Antrages entscheiden. Hintergrund fi~r die zwischenzeitliche Ri~cknahme des Angebotes di~rfte neben wirtschaftlichen Daten die bislang informell seitens der BAFIN vertretene Auffassung gewesen sein, dass aus ihrer Sicht die eigentliche Zielgesellschaft - die PROSIEBENSAT.1MEDIAAG - kein Sanierungsfall war und die Sanierungsbed~irftigkeit der Muttergesellschaft nicht zur Erfi~llung des Ausnahmetatbestandes ausreichte. Es h~itte somit die rechtliche Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebotes gedroht.
3.3
PriJfungund Anmeldung der Kapitalerhtihung
Neben dem Kapitalerh6hungsbeschluss muss im Falle einer Kapitalerh6hung mit Sacheinlage eine Priifung durch einen oder mehrere unabh~ingige Pr~ifer sowie durch das Registergericht erfolgen (§ 183 Abs. 3 AktG). Kommt letzteres im Rahmen seiner Pr~ifung zu dem Ergebnis, dass der Wert der Sacheinlage hinter dem geringsten Ausgabebetrag zurfickbleibt, muss es die Eintragung im Falle einer wesentlichen negativen Abweichung des Wertes der Sacheinlage verweigern, ohne insofern ~iber einen Ermessensspielraum zu verf~igen. Schliet~lich ist eine Anmeldung des Beschlusses gem. § 184 Abs. 1 AktG durch den Vorstand und den Vorsitzenden des Aufsichtsrates zur Eintragung in das Handelsregister erforderlich. Durch die Eintragung des Beschlusses wird dieser bindend, w~ihrend die Kapitalerh6hung selbst gem. § 189 AktG erst mit der Eintragung ihrer Durchf~ihrung ins Handelsregister wirksam wird.
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Kontrolle und KontrollerwerbStrategische Aspekte des Vulture Investings
Zun~ichst wird sich eine Erlangung yon Kontrolle fiber gesellschaftsrechtliche Einflussrechte verwirklichen. Soweit sich also die Investition fiber den Erwerb einer Beteiligung an dem Ziekmternehmen vollzieht oder im Ergebnis vollzogen hat, bedeutet die Erlangung von Kontrolle zuv6rderst den Erwerb einer entsprechenden Mehrheit in der Gesellschaftsversammlung (gleich welchen rechtsformspezifischen Namen diese tr/igt). Die Reichweite der Einflussm6glichkeiten ist jenseits der konkret zur Verffigung stehenden Stimmrechtsmacht nicht zuletzt auch durch die Rechtsform der Zielgesellschaft determiniert, weil sich Mehrheitserfordernisse rechtlich aus entsprechenden gesetzlichen oder - soweit zul~issig - gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen und faktisch aus Quoren und der empirischen Pr~isenz bei Abstimmungen ergeben. Strategisch mfissen diese Faktoren- insbesondere auch gesellschaftsvertragliche Regel u n g e n - m6glichst frfihzeitig ermittelt sein. Wichtige Schwellenwerte sind die folgenden: Minderheitenschwelle (etwa das Recht, die Einberufung einer Gesellschafterversammlung zu verlangen, § 50 GmbHG), Sperrminorit/it (insbesondere fiir Satzungs/inderungen oder Strukturmagnahmen), einfache und absolute Mehrheit, satzungs/indemde Mehrheit. Welche Stimmrechtsmacht tats/ichlich erforderlich ist, h~ingt von der strategischen Zielsetzung ab. Insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmat~nahmen sind meist entsprechende Mehrheiten erforderlich, um die notwendigen Beschlfisse fassen zu k6nnen. Gerade fiber Sperrminorit/iten kann sich hier ein erheblicher, im Ergebnis mindestens zeitaufw/indiger (und oft auch ,,teurer") Widerstand artikulieren. Wichtig sind entsprechende Mehrheiten aber auch, um andere Organe der Zielgesellschaft, also die Gesch/iftsffihrung oder etwaige Aufsichts- oder Beir/ite (neu) besetzen zu k6nnen. Hier muss der Investor im Rahmen einer Due Diligence bereits vor Forderungserwerb verifizieren, ob andere Gesellschafter sich qua Ausgestaltung der Satzung personellen Einfluss, etwa durch garantierte Mitgliedschaft in den Organen, Stimmbindungsvereinbarungen und/oder Vetorechte vorbehalten haben. Ein solcher Fall lag z.B. in Bezug auf die Gruppengesellschaften der CALLAHANGRUPPEvor. Bei jener handelte es sich um die Eigner des nordrhein-westf~ilischen Kabelnetzbetreibers ISH, dessen Mutter- und Grot~muttergesellschaft im Jahr 2002 nacheinander Insolvenz anmelden mussten. Die komplizierte High-Yield-Finanzierung basierte in diesem Fall darauf, dass eine strukturelle Subordination letztlich dadurch erreicht wurde, dass die G1/iubiger der Grot~muttergesellschaft, ausnahmslos Inhaber hochverzinslicher Schuldverschreibungen, sog. Bondholder, wirtschaftlich an der Bonit/it der operativ t/itigen Gesellschaft nur nachrangig ggfi. den (Banken-)gl/iubigern
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Distressed Debt und Vulture Investing
der Muttergesellschaft partizipierten. Abgesichert wurde dieses Verh~iltnis von sog. Junior und Senior Debt, des Weiteren durch die personelle Besetzung der jeweiligen, personenidentischen Beir~ite der drei Gruppengesellschaften, hinsichtlich derer bestimmte Gesellschafter satzungsm/it~ig vorgegebene Entsenderechte hatten (Pecunia 1 Verm6gensverwaltungs GmbH, 2000, S. 80). Derartige gesellschaftsrechtliche Konstrukte k6nnen sich als einer konsensualen Sanierung hinderlich erweisen, wenn etwa die Bondholder, wie im angels/ichsischen Rechtskreis/iblich, in der Krise versuchen, ihre Debt-Beteiligung in eine Eigenkapitalbeteiligung zu verwandeln. Denn wenn hierzu letztlich der Anreiz fehlt, weil auf Grund der besonderen Struktur die Einflussnahme auf das Management der operativ t~itigen Gesellschaft nur sehr mittelbar m6glich ist, werden die Schuldverschreibungsinhaber kaum Debt in Equity verwandeln oder gar frisches Kapital zufiihren. Dies gilt um so mehr, als regelm~it~ig Konflikte mit den G1/iubigern auf der Ebene der Zwischenholding, den Banken (sog. Senior Lenders) drohen.
4.1
Strategische Ausgangserw igungen
Ein wesentliches Instrument zur Verwirklichung des strategischen Konzepts ist die Erlangung von Kontrolle iiber das Zielunternehmen. Kontrollerwerb vollzieht sich einerseits durch eine Einflussmehrheit auf die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung. Hiermit werden jedoch die t~iglichen Entscheidungen der Unternehmensleitung nur unzul/inglich erfasst und erreicht. Umgekehrt kann ein der Strategie des Investors gg/i. kritisch oder gar ablehnend eingestelltes Management dessen Ziele in erheblichem Umfang vereiteln oder deren Verwirklichung jedenfalls nachhaltig erschweren. Der Investor wird also in jedem Falle versuchen, ein Management einzusetzen, das seine Ziele im Rahmen des rechtlich Zul/issigen zu tragen und gegebenenfalls auch zu unters~tzen bereit ist.
4.2
Einsetzung eines Sanierungsmanagements
Bei dieser Entscheidung sind jedoch vorab verschiedene Erw~igungen anzustellen: Das Vorgehen muss sinnvollerweise von einer Bestandsaufnahme ausgehen. Hierbei muss zun/ichst besonderes Augenmerk auf die personelle Zusammensetzung des bisherigen Managements gelegt werden. Insoweit muss die Frage beantwortet werden, ob dieses aus grunds/itzlichen Erw/igungen vollst~indig ausgewechselt werden soll (oder muss), oder ob eine k/inftige Zusammenarbeit mit ihm oder einzelnen seiner Mitglieder in Betracht kommt. Den Ausschlag d/irfte hier nicht zuletzt das Bestehen oder umgekehrt das Fehlen einer Vertrauensgrundlage geben.
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Ein weiteres Kriterium der Entscheidungsfindung ist die Situation, in der sich das Zielunternehmen befindet: Soweit ein Insolvenzantrag bereits gestellt oder sogar schon ein Insolvenzverfahren er6ffnet wurde, ist die rechtliche und untemehmerische Rolle der Gesch~iftsleitung eine grundlegend andere, weil in Bezug auf Einflussnahmeund Gestaltungsm6glichkeiten geringere. Zwar beh~ilt die Gesch~iftsleitung eines Untemehmens auch im Insolvenzverfahren grunds~itzlich eine Funktion und wird nicht schlechthin einfach aus dem Amt entfernt. Vielmehr kommt den bisherigen Gesch~iftsfi~rern die Aufgabe zu, die T~itigkeit des Insolvenzverwalters- zumal in der Anfangsphase des Verfahrens - zu begleiten und zu unterstiitzen. Zu diesem Zweck unterliegen die bisherigen Gesch~iftsfohrer gem. §§ 101, 97 InsO nicht nur einer gesetzlichen Auskunftspflicht, sondern auch einer umfassenden Mitwirkungspflicht bzgl. der Realisierung der Masse (Uhlenbruck, 1997, S. 371). Schlief~lich sind die Gesch~iftsfohrer im Insolvenzverfahren verpflichtet, sich for die Verwirklichung dieser Pflichten bereitzuhalten, und umgekehrt alles zu unterlassen, was deren Verwirklichung erschwert. Hierzu k6nnen die Gesch~iftsfohrer sogar zwangsweise angehalten werden (§§ 101, 98 InsO). 0ber diese UnterstOtzungsfunktion hinaus bleiben wesentliche Organfunktionen der Gesch~iftsfohrer im Insolvenzverfahren erhalten. Diese betreffen zwar den innergesellschaftlichen Bereich, sind aber gerade deshalb aus der Sicht eines Vulture Investors von besonderer Relevanz: Sie betreffen alle den Gesch~iftsfohrern 0bertragenen Befugnisse, welche nicht die Insolvenzmasse betreffen, also etwa die Einwilligung zur 0bertragung von Gesch~iftsanteilen oder die Vertretung in innergesellschaftlichen Streitigkeiten. Auch die Kompetenz zur Einberufung von Gesellschafterversammlungen verbleibt grunds~itzlich bei den Gesch~iftsfohrem. Diese behalten also gerade fOr jenen Bereich der inneren Organisation, der im Hinblick auf eine Investitionsstrategie von besonderer Relevanz sein kann, eine nicht unerhebliche Einfluss- und Gestaltungssph~ire. Schliet~lich besteht eine hierOber weit hinaus reichende Rolle zudem dann, wenn besondere Arten des Insolvenzverfahrens, insbesondere die sog. Eigenverwaltung, verwirklicht werden sollen. Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass die Gesch~iftsfohrung des Unternehmens in der Insolvenz letztlich weitgehend autonom durch den Insolvenzverwalter ausge0bt wird. Es wird also for den Vulture Investor entscheidend darauf ankommen, entweder im Rahmen des tats~ichlich M6glichen auf die Auswahl des Insolvenzverwalters Einfluss zu nehmen oder aber Einflussrechte durch andere Gremien, namentlich durch den Gl~iubigerausschuss, wahrzunehmen. In erstgenannter Hinsicht sei an dieser Stelle nur in aller K0rze auf eine M6glichkeit hingewiesen, die besteht, wenn Insolvenz angemeldet werden muss, dies aber noch nicht geschehen ist: Wenn der Schuldner in mehreren EU-Mitgliedsstaaten (EU Insolvenzverordnung, Nr. 1346/2000, in Kraft getreten am 31.03.2002, AB1. EG L 160/1 vom 30.06.2000; Herchen, 2004, S. 825) t~itig ist, kann der Vulture Investor durch geschickte Wahl des Ortes, an dem die Insolvenz angemeldet wird, auf die Determinierung des sog. Center of Main Interest Einfluss
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Distressed Debt und Vulture Investing
nehmen, durch das das (ira Wesentlichen) anwendbare Recht und damit die Ausgestaltung des Hauptinsolvenzverfahrens bestimmt wird (High Court of Justice, Leeds, 2004, S. 221; AG Dfisseldorf 2003, S. 1363). In Kombination mit Sekund/irverfahren, die ihrerseits als Eigenverwaltung ausgestaltet werden kfnnen, ergeben sich damit mannigfaltige Gestaltungsmfglichkeiten. Eine andere Fallkonstellation besteht naturgem/it~ dann, wenn sich die Zielgesellschaft zwar in der Krise befindet, aber noch keinen Insolvenzantrag gestellt hat und auch noch nicht stellen musste (§ 64 GmbHG). Der Gesch/iftsfiihrung kommt dann eine Schliisselrolle bei einer strategischen Neuausrichtung der Zielgesellschaft zu, gleich welches Ziel diese verfolgen mag. Hier kann eine entsprechende Konzeption iiberhaupt nur umgesetzt werden, wenn diese mit Nachdruck durch die Gesch~iftsffihrer betrieben wird. Im Hinblick hierauf wird ein Wechsel in der Gesch/iftsf/ihrung regelm/igig zu erw/igen und oft auch notwendig - wenn nicht sogar unabdingbar - sein. Die Entscheidung fiber die Neubesetzung der Gesch/iftsffihrung basiert auf unternehmerischen und strategischen, aber auch persfnlichen Erw/igungen, sie ist nicht zuletzt auch rechtlich determiniert: Die Situation der Zielgesellschaft bestimmt hier nicht lediglich fiber die Frage der Neubesetzung des Managements an sich, sondern auch fiber deren personelle Umsetzung. Die sodann einzuleitenden Schritte sind in jedem Falle unmittelbar rechtlich determiniert. Das ,,Wer" muss sich bei einer Entscheidung fiber die Auswechselung eines Managements zwar einerseits an praktischen Bedfirfnissen, nicht zuletzt auch Verffigbarkeiten ausrichten. Auf jeden Fall sollte immer auch erwogen werden, ,,eigene Leute" einzubinden, ohne das strategische Ziel aus dem Blickwinkel zu verlieren: Handelt es sich um eine vor- oder aut~erinsolvenzliche Sanierung oder Restrukturierung, sind die relevanten Qualifikationen anders zu gewichten als im Falle eines bereits beantragten oder erfffneten Insolvenzverfahrens. Sie mfgen untergeordneter Natur sein, soweit es um die Leitung des Unternehmens in der Krise geht; sp/itestens im Falle der bereits erfffneten Insolvenz ist es jedoch von herausragender Bedeutung, die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter umfassend zu berficksichtigen.
4.3
Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren
Etwas anderes gilt dann, wenn rechtlich das Instrument der Eigenverwaltung(Huhn, 2003) im Insolvenzverfahren angestrebt ist. Ob und inwieweit diese sinnvoll ist, wird zwar eine sachliche und v. a. strategische Entscheidung sein, und h/ingt zun/ichst auch vonder Bereitschaft des Insolvenzgerichts ab, diese zuzulassen, sowie sp/iter auch der der G1/iubiger, diese zu akzeptieren. Gerade deshalb - also im Hinblick auf die Herstellung von Akzeptanz - ist die personelle Auswahl von herausragender Bedeutung.
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F6r eine sachliche Wiirdigung bedarf es der Vergegenw~irtigung der Funktion des Verfahrens der Eigenverwaltung: W~ihrend im gew6hnlichen Insolvenzverfahren mit der Er6ffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfiigungsbefugnis iiber das Verm6gen des schuldnerischen Unternehmens (vollst~indig) auf den gerichtlich bestellten Insolvenzverwalter i~bergeht, der also in eigener Verantwortung und im umfassendsten Sinne die unternehmerische Leitung des Unternehmens iibernimmt, gilt das gerade nicht ~ r das Verfahren der Eigenverwaltung. Vielmehr verbleibt die Verwaltungs- und Verffigungsbefugnis bei der Insolvenzschuldnerin selbst, also bei der Gesch~iftsf~hrung des Unternehmens in der Insolvenz (§ 270 Abs. 1 InsO). Das Unternehmen wird zwar als insolventes Unternehmen unter zwingender rechtlicher Bindung an die Ziele und Verfahrensregelungen eines Insolvenzverfahrens, aber von dessen eigener Gesch~iftsfi~hrung (weiter) gefi~hrt. Hieraus ergibt sich beinahe zwangsl~iufig - und ungeachtet der rechtlichen Vorgaben des Insolvenzrechts - ein anderer und im Ergebnis auch gr6f~erer Gestaltungsspielraum, der gerade dann von Bedeutung sein wird, wenn eine (jedenfalls voriibergehende) Fortfi~hrung des Unternehmens oder wesentlicher Gesch~iftszweige angestrebt wird. Auch eine 0bertragung des Unternehmens oder bestimmter Betriebsteile aus der Insolvenz l~isst sich im Rahmen der Eigenverwaltung oft in praktischer Hinsicht leichter realisieren. Die Gesch~ifts~hrung i~bernimmt also -vereinfacht formuliert- die Rolle des Insolvenzverwalters, ohne freilich ihre bisherige Funktion aufzugeben. Diese wird lediglich modifiziert. Die Verwaltungs- und Verfi~gungsbefugnis verbleibt also bei der Gesch~iftsffihrung, und diese verwaltet nicht nur das Insolvenzverfahren, sondern fiJhrt auch die Gesch~ifte der Gesellschaft fort und vertritt diese im Rechtsverkehr nach aut~en. Hierfi~r gibt es jedoch nicht zuletzt im Interesse der Gl~iubiger als wesentliche Einschr~inkung die Funktion des sog. Sachwalters, der die Verwaltungst~itigkeit und die Gesch~iftsfi~hrung durch das Management i~berwacht. Er kann aut~ergew6hnlichen Gesch~iften widersprechen, und das Insolvenzgericht kann diese von seiner Zustimmung abh~ingig machen. 0ber gew6hnliche Gesch~iftsvorf~ille befindet jedoch das Management in eigener Verantwortung. Insolvenzrechtliche Anfechtungsanspriiche und bestimmte Haftungsanspr~iche, die sich gegen die Gesellschafter richten (§§ 92, 93 InsO), werden durch den Sachwalter geltend gemacht; bei diesem werden auch die Forderungen der Insolvenzgl~iubiger zur Tabelle angemeldet. Der Sachwalter ist also gleichsam der Garant der Interessen der Gl~iubiger im Verfahren der Eigenverwaltung. Umgekehrt verbleiben wichtige Entscheidungen bei der bisherigen Gesch~iftsfiJhrung. Hierzu z~ihlt auch die Entscheidung, ob laufende Vertr~ige fortgefiihrt oder beendet werden sollen. Insoweit ist lediglich um das Einvernehmen mit dem Sachwalter nachzusuchen. Ausnahmen, die eine Zustimmung des Sachwalters erfordern, bestehen lediglich bei bestimmten arbeitsrechtlichen Mat~nahmen (KiJndigung von Betriebsvereinbarungen, Beschlussverfahren zum K~indigungsschutz etc.).
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Die Eigenverwaltung kann so zu einem wesentlichen Instrument der Umsetzung eines strategischen Konzepts durch den Vulture Investor werden. Nicht/ibersehen werden darf dabei aber, dass die Eigenverwaltung seitens des Insolvenzgerichts angeordnet, also in der Sache zugelassen werden muss. Das ist nur im Zeitpunkt der Antragstellung und nur dann m6glich, wenn das schuldnerische Unternehmen diese w/inscht; der Vulture Investor muss also Einvernehmen mit der Zielgesellschaft herstellen. Hat umgekehrt ein G1/iubiger Insolvenzantrag gestellt, ist die Eigenverwaltung nur m6glich, wenn der antragstellende G1/iubiger dem Schuldnerantrag auf Eigenverwaltung zustimmt. Eine nachtr/igliche Anordnung durch Beschluss der Gl~iubigerversammlung sieht das Gesetz lediglich f/ir den Fall einer urspriinglichen Ablehnung des Antrags auf Eigenverwaltung durch das Gericht vor. Ein insgesamt nachtr/iglicher Antrag auf Eigenverwaltung kommt hingegen nach der tiberwiegenden (wenngleich bestrittenen) Ansicht im Schrifttum nicht in Betracht (Frege/Keller/Riedel, 2002, S. 692). Das Insolvenzgericht ist seinerseits gehalten, das Vorliegen der Voraussetzungen einer Eigenverwaltung zu priifen; dabei sind die Interessen der G1/iubiger in ihrer Gesamtheit zu beachten.
4.4
Auswechselung des Managements - Gesetzlicher und gesellschaftsvertraglicher Rahmen
Unabh/ingig vonder konkreten Ausgestaltung des Verfahrens und der hierdurch beeinflussten personellen (Neu-) Besetzung der Gesch/iftsf/ihrung, also der Frage nach dem .Wer", steht die v. a. rechtlich determinierte Frage nach dem ,Wie". Im Kern geht es hierbei um eine gesellschaftsrechtliche Fragestellung, die als solche im Grundsatz keine Besonderheiten aufweist. Entscheidend f/Jr das rechtliche Regime sind einerseits die Rechtsform des Zielunternehmens und andererseits der Inhalt der gesellschaftsvertraglichen Regelungen. In den Grenzen des rechtlich Zul/issigen gehen letztere vor. Aus den Regelungen des Gesellschaftsvertrages k6nnen sich hier durchaus entsprechende Anforderungen ergeben. So kann der Gesellschaftsvertrag einer GmbH das grunds~itzlich bestehende gesetzliche Recht der Gesellschafterversammlung zur jederzeitigen Abberufung der Gesch/iftsf/ihrer auf den Fall des Vorliegens wichtiger Gr/inde beschr/inken (§ 38 GmbHG) oder entsprechende Befugnisse auf ein anderes Organ, etwa einen Beirat oder einen Aufsichtsrat,/ibertragen. F/ir andere Rechtsformen, etwa die Aktiengesellschaft (die Praxis kennt auch hier Beispiele), ist die Abberufung des Vorstandes ohnehin nur bei wichtigen Griinden m6glich, §84 Abs. 3 AktG (H/iffer, 2004, §84 Rn. 26 ff.). Bei Personengesellschaften ist die GeschMtsfiihrung mit der Stellung als Gesellschafter verknfipft; anderes gilt hier f/ir die GmbH & Co. KG. Damit m/issen die rechtsformspezifischen Vorgaben beachtet und etwaige (zul~issige) gesellschaftsvertragliche Modifikationen ber/icksichtigt werden. Fast immer ist ein entsprechendes
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zust~indiges Organ einzuberufen, und eine Beschlussfassung von diesem herbeizufiihren. Dies erfordert nicht nur, die notwendigen Mehrheiten - auch angesichts etwaiger Regelungen zum Stimmrecht- zu sichem, sondem auch Widerst~nde, die zu Anfechtungen ~ h r e n k6nnen, vorab unter Kontrolle zu bringen. In jedem Falle ist mit einem gewissen organisatorischen und zeitlichen Aufwand zu rechnen; namentlich wenn Formerfordemisse (Anmeldung zum Handelsregister) zu beachten sind. Soweit sich Erschwernisse ~ r eine Auswechselung des Managements im Gesellschaftsvertrag finden, kommt dessen Ab~inderung in Betracht. Auch hierfiir sind die gesetzlichen und - soweit rechtlich zul~issig - gesellschaftsvertraglichen Voraussetzungen und insbesondere Mehrheitserfordemisse und Regelungen zum Stimmrecht zu beachten. Auch hier kann das Risiko von Anfechtungen aufkommen. Grunds~itzlich ist eine Anderung des Gesellschaftsvertrages im 0brigen aber auch m6glich, wenn sie bereits auf die amtierenden Gesch~iftsfi~hrer Anwendung finden soll. Hier besteht i. d. R. also ein Gestaltungsrahmen, der jedoch von Mehrheitserfordemissen bestimmt ist. Daneben bleibt es dem Vulture Investor, etwa qua Einflussnahme durch den Gl~iubigerausschuss, unbenommen, insbesondere im Falle der Eigenverwaltung im Laufe des Verfahrens die Zusammensetzung der die Insolvenz eigenverwaltenden Organe zu ver~indem. Allerdings wurde diese M6glichkeit in der Vergangenheit weitgehend vernachl~issigt. Wechsel betrafen Einzelf~ille (oft mit pers6nlichem Hintergrund) oder waren aus sachlichen Erw~igungen motiviert (etwa Ausscheiden von Insolvenzspezialisten, wenn entsprechende T~itigkeiten erfi~llt waren). Der gesetzliche Rahmen gibt die 0berwachung durch den Sachwalter vor, der dem Gl~iubigerausschuss Anzeige zu machen hat, wenn hier Nachteile fi~r die Gl~iubiger zu besorgen sind (§ 274 Abs. 3 InsO). Auch ist der Gl~iubigerausschuss nach § 69 S. 1 InsO in besonderem Matte gehalten, die T~itigkeit des eigenverwaltenden Schuldners zu i~berwachen; in letzter Konsequenz steht die Aufsicht durch das Gericht. Wenngleich eine offenkundige Grenze bei Nachteilen fiir die Gl~iubiger in ihrer Gesamtheit zu sehen ist, und sogar der potenzielle Eindruck eines Missbrauch vermieden werden sollte, kann sich hier dennoch ein gewisser Gestaltungsrahmen ergeben. Auch im rechtlichen Schicksal hiervon zu unterscheiden ist der Anstellungsvertrag der Mitglieder der Gesch~iftsleitung. Die Befugnis, diesen zu kiindigen, geht auf den Insolvenzverwalter i~ber, § 113 InsO; s. a. § 87 Abs. 3 AktG. In der Eigenverwaltung verbleibt diese Befugnis bei der Schuldnerin, also bei den hier~r berufenen Gremien der Gesellschaft. Allerdings ist insoweit Einvernehmen mit dem Sachwalter herzustellen (§ 279 InsO), ohne dass dessen Fehlen die Wirksamkeit einer Kiindigung nach aut~en ber6hren wi~rde. Sachlich hat es aut~erhalb der Eigenverwaltung also der Insolvenzverwalter in der Hand, sich faktisch der Gesch~iftsfiihrer zu ,entledigen", indem er deren Anstellungsvertr~ige ki~ndigt. Die gleiche Regelung des § 113 InsO gilt auch ~ r Mitglieder des Managements ohne Organstellung, also leitende Angestellte i. S. v. § 5 BetrVG. In der Eigenverwaltung
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werden entsprechende Befugnisse sodann durch die eigenverwaltende Gesch~iftsfiihrung ausgeObt (§ 279 InsO).
4.5
Einflussnahme iJber weitere Kontrollorgane
Neben der Gesellschafterversammlung und der Gesch~iftsfOhrung (beide Begriffe seien hier als Funktionsbezeichnung verstanden) kann ein Einfluss auf das Zielunternehmen auch fiber weitere Organe realisiert werden. Es h~ingt dabei vonder jeweiligen Rechtsform ab, ob solche weiteren Gesellschaftsorgane bestehen, eingerichtet wurden oder werden oder aber errichtet werden k6nnen. Soweit es sich um gesetzlich vorgeschriebene Organe handelt, sind grunds~itzlich auch deren Befugnisse gesetzlich umschrieben; dies gilt etwa for den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft. Bei der Aktiengesellschaft ergeben sich die Aufgaben und Befugnisse aus dem Gesetz (insbesondere §§ 111 f. AktG). Die Bestellung und Abberufung von Mitgliedem ist ebenfalls gesetzlich geregelt. Wichtig ist hier v.a. die M6glichkeit der Hauptversammlung, Mitglieder mit einer Dreiviertelmehrheit abberufen zu k6nnen (§ 103 AktG). Bei fakultativen Organen ergeben sich entsprechende Aufgaben und Befugnisse zuv6rderst aus den einschl~igigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages; das Gesetz kann Vorgaben machen oder Grenzen setzen, die oft im Zusammenhang mit der grunds~itzlichen Verteilung von Organkompetenzen stehen. Bei anderen Gesellschaftsformen, insbesondere also der GmbH, ergeben sich neben den mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben die Zusammensetzung sowie die Aufgaben und Befugnisse eines Aufsichtsrats im Wesentlichen aus einer gesetzlichen Verweisung (§ 52 GmbHG) auf die aktienrechtlichen Vorschriften. Der entscheidende Unterschied folgt hier aus dem satzungsdispositiven Charakter der Verweisung; der Gesellschaftsvertrag kann also abweichende Regelungen enthalten (anderes gilt nur for die mitbestimmungsrechtlichen Regelungen, § 77 BetrVG 1952). Je nach seiner Ausgestaltung k6nnen wichtige Befugnisse in der Hand des Aufsichtsrats liegen; regelm~it~ig wird die Bestellung und Abberufung von Gesch~iftsfOhrern auf dieses Gremium Obertragen sein. Gerade im Hinblick auch auf entsprechende Informationsrechte darf die Position des Aufsichtsrats nicht untersch~itzt werden. FOr eine aut~erinsolvenzliche Sanierung kann ihm eine SchlOsselstellung zukommen. In der Praxis k6nnen entsprechende Befugnisse zumal bei der (nicht mitbestimmten) GmbH auch auf einen Beirat (oder einem vergleichbaren Organ mit anderer Bezeichnung) iibertragen sein. Grunds~itzlich sind die Gesellschafter hier in der rechtlichen Gestaltung recht frei zwischen einem weithin nur beratenden Organ und einem Gremium, in dem alle wesentlichen strategischen Entscheidungen- etwa auch fiber Zustimmungsvorbehalte for Mat~nahmen der Gesch~iftsfOhrung- gebOndelt sein k6nnen. Einem Beirat k6nnen sogar Befugnisse Obertragen sein, die grunds~itzlich der Gesell-
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schafterversammlung vorbehalten sind; lediglich ein Kernbestand genuiner Befugnisse (Anderung des Gesellschaftsvertrages, Unternehmensvertr~ige, Strukturmagnahme) muss bei der Gesellschafterversammlung verbleiben. Auch hier sollen Einzelheiten nicht diskutiert werden. Die Stellung als Gesellschafter ist schlieglich for die Mitgliedschaft im Beirat nur erforderlich, wenn der Gesellschaftsvertrag dies vorsieht. Entsprechende Organe und Gremien sind -abh~ingig v o n d e r konkreten Ausgestaltung ihrer Befugnisse- fOr den Investor von besonderer Bedeutung: Die Mitgliedschaft in ihnen kann helfen, den erforderlichen Einfluss zu erreichen und entsprechende Magnahmen umzusetzen. Umgekehrt kann hiermit auch eine entsprechende Bfindelung von Schlfisselbefugnissen verwirklicht werden. Eine genaue rechtliche Kl~irung der satzungsm~igigen Vorgaben anl~isslich einer sorgf~iltigen Due Diligence vor Anteilserwerb wird, wie bereits oben ausgefohrt, hierfOr durchweg unerl~isslich sein.
4.6
Sonderfall: Gl iubi8erausschuss in der Insolvenz
Im Falle der Insolvenz kann die wesentliche Kontroll- und sogar Entscheidungsfunktion fiber das Verfahren einem Gl~iubigerausschuss fibertragen sein. Hier liegt mithin ein bedeutendes Feld der Einflussnahme auf das Insolvenzverfahren und seine Abwicklung. Die Befugnisse eines Gl~iubigerausschusses sind umfassend; nach der gesetzlichen Definition zielen sie zun~ichst ganz generell auf die Unterstfitzung und Uberwachung des Insolvenzverwalters bei dessen Gesch~iftsffihrung (§ 69 InsO). Hieraus folgen entsprechende Pflichten, sich zu unterrichten, aber, als Korrelat hierzu, auch ein sehr umfassender Zugang zu Informationen- in der Praxis einschlieglich des Inhalts etwaiger Angebote von potenziellen Erwerbern des Unternehmens oder von Unternehmensbestandteilen. Wichtiger noch sind die speziellen Befugnisse bzgl. der Stellung des Insolvenzverwalters, v. a. aber das gesetzliche Erfordernis zur Zustimmung des Gl~iubigerausschusses bei ,,besonders bedeutsamen Rechtshandlungen" (§ 160 InsO). Danach ist die Zustimmung des Gl~iubigerausschusses nicht nur im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten mit erheblichem Streitwert erforderlich, sondern auch bei der Aufnahme gr6gerer Darlehen. Insbesondere - hier wird for einen Investor das wesentliche Einflusselement liegen- ist eine Zustimmung des Gl~iubigerausschusses bei allen wichtigen Transaktionen um das Unternehmen selbst erforderlich. Das gilt for die Ver~iut~erung des Unternehmens oder eines Betriebs ebenso wie for die Ver~iugerung von Beteiligungen an anderen Unternehmen oder von wesentlichen Verm6gensgegenst~inden. Die gesetzliche Aufz~ihlung stellt zudem keinen abschliet~enden Katalog dar, sondern
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Distressed Debt und Vulture Investin9
nennt nur exemplarisch typische Gesch~ifte, die in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Nach dem Zweck der Vorschrift ist die Zustimmung immer dann erforderlich, wenn das Gesch~ift ftir die Masse oder das Verfahren selbst von besonderer Bedeutung ist; das wird gerade ftir unternehmensbezogene Transaktionen fast immer gelten. Insofern liegt hier eine ganz wesentliche Einflusssph~ire im Rahmen einer Sanierung. Je nach Besetzung des Gl~iubigerausschusses kann hier ein wesentlicher lenkender, umgekehrt aber auch ein obstruktiver Einfluss ausgetibt werden. Hinzuweisen ist darauf, dass die (Nicht-) Zustimmung des Gl~iubigerausschusses die Wirksamkeit entsprechender Mat~nahmen im Verh~iltnis zu Dritten unbertihrt l~isst. Ein Gl~iubigerausschuss kann (muss aber nicht) durch das Insolvenzgericht eingesetzt werden, durch welches auch die an Zweckm~it~igkeitserw~igungen ausgerichtete Entscheidung hieriiber getroffen wird (Wimmer/Kind, 2002, § 67 Rn. 2). Sodann kann die Gl~iubigerversammlung die Einsetzung eines Gl~iubigerausschusses beschliet~en. Sie befindet auch tiber die Beibehaltung eines bereits zuvor durch das Gericht eingesetzten Ausschusses. Die Mitglieder des Gl~iubigerausschusses werden bei einer Einsetzung durch das Insolvenzgericht auch durch dieses (anderenfalls durch die Gl~iubigerversammlung) bestimmt. Mitglieder k6nnen nur nattirliche Personen sein. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass es sich bei diesen tats~ichlich um Gl~iubiger handelt: Das Gesetz l~isst ausdrticklich (§ 67 Abs. 3 InsO) die Bestellung anderer, dritter Personen zu. In der Praxis ist hier oft die Bestellung von Personen zu beobachten, die tiber besondere Expertise in bestimmten Bereichen (z. B. dem Insolvenzrecht oder dem T~itigkeitsfeld des Schuldnerunternehmens) verftigen. Aus der Sicht eines Vulture Investors ist es besonders wichtig, dass die M6glichkeit als Gesellschafter einem Gl~iubigerausschuss angeh6ren zu k6nnen, recht unterschiedlich beurteilt wird: Ftir pers6nlich haftende Gesellschafter wird dies weithin verneint, ebenso dann, wenn die besondere N~ihe zum Unternehmen (etwa bei Familiengesellschaften) eine Inkompatibilit~it angezeigt erscheinen l~isst. Bei Gesellschaftern einer GmbH oder Aktion~iren spielt der Einzelfall eine Rolle; dennoch l~isst sich eine prinzipielle Unvereinbarkeit nicht dartun. Aus pragmatischer Sicht wird man hier fiir eine entsprechende organisatorische Abschichtung Sorge zu tragen haben. Vertretungsberechtigte Organmitglieder (Gesch~iftsftihrer, Vorstandsmitglieder) k6nnen dem Gl~iubigerausschuss nicht angeh6ren. Fiir Mitglieder eines Aufsichtsrats ist dies umstritten (Wimmer/Kind, 2002, § 67 Rn. 11); in der Sache ist das Konfliktpotenzial hier wohl aber meist unn6tig hoch, und es sollten andere Personen vorgeschlagen werden. Hinzuweisen ist sachlich darauf, dass die Mitglieder des Gl~iubigerausschusses nicht entsandte Vertreter eines bestimmten Gl~iubigers sind, sondern Vertreter der Gl~iubiger in ihrer Gesamtheit. Es ist ihnen also untersagt, im Rahmen ihrer T~itigkeit Einzelinteressen zu verfolgen.
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Kalisch
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Rechtliche Risiken
Ober die mannigfaltigen, oben nur im Ansatz angedeuteten Gestaltungs- und sachlichen und personellen Einflussnahmem6glichkeiten hinaus ist es zudem f~r den Vulture Investor, der eine notleidende Forderung erwirbt, essentiell, die sich mit dem Erwerb stellenden rechtlichen Risiken zu beachten. Abschliet~end werden daher einige der wesentlichsten Risiken aufgezeigt.
5.1
Bankseheimnis und Datenschutz
Die Frage, inwiefern das Bankgeheimnis bzw. datenschutzrechtliche Gri~nde eine Abtretung von Kreditforderungen- und somit eine der Grundvoraussetzungen des Distressed Debt Tradings- entgegenstehen, war in j~ingster Zeit Gegenstand einer Entscheidung des OLG Frankfurt (2004, S. 1650), welche in Allgemein- und Fachpresse erhebliche Beachtung gefunden hat. Da es sich um eine Entscheidung handelt, vonder in der Praxis teilweise die Ansicht vertreten wird, dass sie erhebliche Auswirkungen auf den Handel mit Kreditforderung haben werde, sei zun~ichst der Sachverhalt kurz dargestellt: Die Verf6gungskl~iger hatten mit einer Bank mehrere Kreditvertr~ige abgeschlossen. Zur Sicherung der Kredite hatten sie ihm geh6rende Aktien an die Bank verpf~ndet. In der Folgezeit kam es zur Er6ffnung des Insolvenzverfahrens i~ber die Bank. Der Insolvenzverwalter ver~iut~erte die Darlehensforderungen samt der zur Sicherheit verpf~indeten Aktien. Das OLG Frankfurt f6hrte aus, dass die Pfandrechte trotz ihrer Akzessoriet~it nicht gem~it~ § 401 Abs. 1 BGB auf die Ver~gungsbeklagte ~ibergegangen seien, da die Abtretung der Darlehensri~ckzahlungsforderung durch den Insolvenzverwalter wegen eines Verstot~es gegen das Bankgeheimnis unwirksam sei (OLG Frankfurt, 2004, S. 1650). Das Bankgeheimnis- also das Prinzip, nach dem Banken das Recht aber auch die Verpflichtung haben, Informationen ~iber ihre Kunden ggfi. Dritten geheimzuhalten (Bruschke, 1990, S. 392) - ist in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten, wie z. B. der Schweiz (gem. Artikel 47 des Bundesgesetzes ~iber die Banken und Sparkassen vom 08.11.1934), gesetzlich nicht vorgegeben. Vor dem Hintergrund der in der Bankenpraxis i~blichen Vereinbarung der Verpflichtungswahrung des Bankgeheimnisses (so z. B. in Nummer 2 der Allgemeinen GeschMtsbedingungen der Banken), ist stattdessen davon auszugehen, dass das Bankgeheimnis (allein) auf dem zivilrechtlichen Vertrag zwischen Bank und Kunde beruht. Daraus folgt, dass Banken, wollen sie sich nicht schadenersatzpflichtig machen, Informationen ~iber den Kunden nur dann weitergeben di~rfen, wenn gesetzliche Bestimmungen dies gebieten (vgl. z. B. § 30a Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 93 AO), der Kunde eingewilligt hat oder die Bank zur Erteilung einer Bankauskunft befugt ist. Strafrechtlichen Schutz geniet~t das Bank898
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geheimnis dagegen ffir Privatbanken 215 grunds~itzlich nicht. Zwar sind F~ille denkbar, in denen die Verletzung des Bankgeheimnisses zu einer Strafbarkeit gem~ifl § 203 Abs. 2 StGB ffihrt. Dies gilt jedoch nur, wenn es sich um eine 6ffentliche Bank handelt, da nur dann die Mitarbeiter der Bank zum Kreis der Geheimnistr~iger des § 203 Abs. 2 z~ihlen (Kfimpel, 2000, Rn. 2138). Soweit das Gericht daher seine Entscheidung mit dem Hinweis darauf begrfindet, dass die Rechtsprechung zur unwirksamen Abtretung von Honorarforderungen von Arzten, Steuerberatern und Rechtsanw~ilten im gleichen Mafle auch ffir Banken gelten mfisse (OLG Frankfurt, 2004, S. 1651), ist dies, weil der Sachverhalt eine Privatbank betraf, unzutreffend (Freitag, 2004, S. 742). Letztlich ist der Entscheidung des OLG Frankfurt jedoch zuzustimmen. Allerdings ist ftir die Frage des Verstofles gegen das Bankgeheimnis zwischen vier verschiedenen Fallkonstellationen zu unterscheiden: M6chte die Bank eine nicht notleidende Kreditforderung gegen einen Privatkunden an einen Dritten abtreten, so ergibt sich in der Tat die Schranke des Bankgeheimnisses. Die mit der Zession einhergehende Informationserteilung fiber kundenbezogene Daten widerspricht dem Bankgeheimnis bzw. dem ihm innewohnenden Verschwiegenheitsgebot (Langenbucher, 2004, S. 3334). Das Bankgeheimnis bildet in diesem Fall ein Abtretungsverbot im Sinne des § 399 BGB. Soweit dem in der Literatur teilweise entgegengehalten wird, es sei nicht sachgerecht anzunehmen, dass die Vertragsparteien aufgrund des Bankgeheimnisses einen Abtretungsausschluss gewollt haben (Kuder, 2004, S. 904), weil mit der Forderungsabtretung eine Pflicht zur Auskunft fiber den Darlehensanspruch verbunden sei, handelt es sich um eine rein ergebnisorientierte Argumentation. Aus den ffir die Praxis unliebsamen Folgen wird geschlussfolgert, dass ein derartiger Inhalt des Bankgeheimnisses sicherlich nicht gewfinscht sei. Dies vermag jedoch fiber den wahren Parteiwillen nicht hinwegzuhelfen. Eine Privatperson wird durchweg Wert darauf legen, dass ihre (Haus-)Bank das Bankgeheimnis umfassend wahrt. Auch der Einwand, § 402 BGB - wonach der bisherige Gl~iubiger verpflichtet ist, dem neuen Gl~iubiger die zur Geltendmachung der Forderung notwendigen Informationen zu erteilen - sei ggfi. dem Bankgeheimnis lex specialis (also das speziellere und damit vorrangige) Gesetz, da es nur zu einer eng beschr~inkten Durchbrechung des Bankgeheimnisses bei Abtretungen ffihre (Rinze/Heda, 2004, S. 1564), vermag nicht zu fiberzeugen. Denn im gleichen Mafle in dem § 402 BGB nur einen kleinen Teilbereich des Bankgeheimnisses betrifft, betrifft das Bankgeheimnis nur einen kleinen Teil der Abtretungen, n~imlich Abtretungen bei denen Zedentin eine Bank ist. Ein Spezialit~itsverh~iltnis l~isst sich so jedenfalls nicht bestimmen. Gerade umgekehrt l~isst sich aber aus der Abdingbarkeit des § 402 BGB (Rinze/Heda, 2004, S. 1564) und aus dem Umstand der vertraglichen Vereinbarung des Bankgeheimnisses 215
Zwar ist gem. § 41 BDSG die unbefugte Weitergabe personenbezogener Daten strafbar. In der Praxis wird sich hieraus jedoch im vorliegenden Zusammenhang so gut wie nie eine Strafbarkeit ergeben, weil das BDSG gem. § 3 Abs. 1 allein natfirliche Personen schfitzt. 899
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zwischen Bank und Kreditnehmer der Schluss ziehen, dass das Bankgeheimnis § 402 BGB vorgeht. Hiervon zu unterscheiden sind F/file, in denen eine nicht notleidende Kreditforderung gegen Firmenkunden abgetreten werden soll. Hier ist der in der Literatur vorgebrachte Hinweis darauf, dass gem~ifi § 354 a HGB ein Abtretungsverbot unwirksam sei, im Ergebnis zuzustimmen. Die dritte und vierte Konstellation bilden F~ille, in denen eine notleidende Forderung gegen Privatkunden oder gegen Firmenkunden abgetreten werden soll. Dabei gilt, dass eine Kreditforderung immer dann als notleidend gilt, wenn die Bank wegen Zahlungsverzugs des Kreditnehmers oder wegen Verletzung wesentlicher Vertragspflichten oder wegen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verh~iltnisse des Kreditnehmers zur Kfindigung berechtigt ist (Hofmann/Walter, 2004, S. 1568). In beiden Fallen - das heit~t bzgl. der Abtretung notleidender Kreditforderungen gegen Privatkunden oder gegen Firmenkunden- ist eine Zession zul~issig. Hinsichtlich der Kreditforderungen gegen Firmenkunden ergibt sich dies zwanglos bereits aus dem soeben dargestellten Gedanken des § 354 a HGB. Anders stellt sich die rechtliche Begrfindung des Ergebnisses bzgl. der Zession notleidender Kreditforderungen gegen Privatkunden dar. Dessen Berufen auf eine Verletzung des Bankgeheimnisses ware aufgrund des vertragsbrtichigen Verhaltens des Darlehensnehmers selbst rechtsmissbr~iuchlich.
5.2
Zivil- und strafrechtliche Haftunssrisiken
Nicht zu vernachl/issigen ist schliet~lich das zivilrechtliche Haftungsrisiko, welches mit Distressed Debt Trading einhergeht. Dieses ist insbesondere dann relevant, wenn Vulture Investors ,offensiv" (Paetzmann, 2003, S. 971) - d . h. unter Bezugnahme auf ein bestimmtes Kreditengagement- an Banken herantreten. Das hiermit oft verbundene ,,Schlechtreden" der Kreditwtirdigkeit des Bankkunden kann n~imlich zu einer Haftung des Investors gg/i. dem Bankkunden aus §§ 823; 824; 826 BGB ffihren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Bankkunde tats~ichlich (noch) nicht so kreditunwfirdig ist, wie es durch die Vulture-Investoren dargestellt wird, und unabh~ingig davon, ob die Investoren hierbei vors~itzlich oder lediglich fahrl~issig gehandelt haben. Das daneben bestehende strafrechtliche Risiko sei hier nur der Vollst/indigkeit halber erw~ihnt. Zu denken ist in erster Linie an eine Strafbarkeit wegen Verleumdung gem. § 187 StGB. Es ist jedoch nicht nur der Vulture Investor, der Gefahr l~iuft, wegen seines Verhaltens in Haftung genommen zu werden. Auch die Banken selbst k6nnen sich einem Haftungsanspruch wegen der schuldhaften Verletzung des Bankgeheimnisses ausgesetzt sehen (§§ 280 Abs. 1; 823 Abs. 1 BGB).
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Distressed Debt und Vulture Investing
Ggf. ist hier sogar an eine Unterlassungsklage oder einstweiligen Rechtsschutz des Kreditnehmers ggti. der Bank zu denken (Toth-Feher/Schick, 2004, S. 494). Daneben ist wiederum ftir einen Teil der Banken das Strafbarkeitsrisiko zu nennen. Mitarbeiter 6ffentlicher Sparkassen oder Landesbanken sind Amtstr~iger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB und k6nnen sich daher wegen der Verletzung des Bankgeheimnisses gem. § 203 Abs. 2 Nr. 1 strafbar machen (Tr6ndle/Fischer, 2004, § 203 Rn. 24; a. A. zu Unrecht Sester/Glos, 2005, S. 375 ft.).
6
ResiJmee
Die Instrumentarien des Distressed Debt Investings sind dem deutschen Recht schon seit langer Zeit bekannt. Doch erst in der jfingeren Vergangenheit wird der Handel mit notleidenden Krediten nicht mehr nur im Interbankenhandel, sondern verst~irkt auch von Investoren betrieben, deren (mittelbares) Ziel die Sanierung des notleidenden Schuldnerunternehmens sowie sein finanzieller Turnaround sind. Gerade das Insolvenzrecht bietet diesen Investoren ein breites Spektrum m6glicher Instrumente der Einflussnahme. Demgegen/iber stehen jedoch auch einige rechtliche R i s i k e n - manche (so z.B. das Bankgeheimnis) bertihren allein das (praktisch nicht existente) Vulture Investment in notleidende Forderungen ggfi. Privatleuten. Andere betreffen allein den zu forschen, zu offensiven Investor. Der Blick auf Chancen und Risiken indes verdeutlicht, dass es sich bei Vulture Investments in notleidende Kredite um eine Form des Investments handelt, die einer sorgf~iltigen und intensiven betriebswirtschaftlichen und juristischen Begleitung bedarf.
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Distressed Debt und Vulture Investing
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Urteil/Beschluss/AZ BGH II ZR 142/76 BGH V ZR 41/77 BGH II ZR 171/83 BGH V ZR 134/84 BFH GrS 1/94 OLG Frankfurt 8 U 84/04 OLG Diisseldorf 21 U 156/74 OLG KOln 19 U 173/91 AG Di/sseldorf 502 IN 126/03 High Court of Justice, Leeds, No. 861-876/03
Datum 13.03.1978 19.09.1979 26.03.1984 21.06.1985 09.06.1997 25.04.2004 25.03.1975 28.02.1992 06.06.2003 16.05.2003
Fundstelle BGHZ 71, S. 43 WM 1980, S. 199 WM 1984, S. 625 NJW 1985, S. 2641 BStB1. II 1998, S. 307 BB 2004, S. 1650; WM 2004, S. 1386 WM 1975, S. 397 NJW-RR 1992, S. 1337 ZIP 2003, S. 1363 NZ12004, S. 221
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Einleitung ........................................................................................................................ 909
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W o r k o u t - M a n a g e m e n t der Kreditinstitute ................................................................. 910 2.1
Allgemeine K r e d i t i i b e r w a c h u n g u n d K r i s e n f r i i h e r k e n n u n g ......................... 910
2.2
Obergabe des E n g a g e m e n t s in das W o r k o u t - M a n a g e m e n t ............................ 911
2.3
Analyse des Problemkredites .............................................................................. 912
H a n d l u n g s a l t e r n a t i v e n der Kreditinstitute ................................................................ 914 3.1
Stillhalten ............................................................................................................... 914
3.2
Aut~ergerichtliche Sanierung des Problemkredites ......................................... 915 3.2.1
Sanierungsbeitr~ige der Kreditinstitute ................................................. 915 3.2.1.1
Gew~ihrung zus~itzlicher Kredite ............................................ 915
3.2.1.2
S t u n d u n g , Verzicht u n d Rangrficktritt .................................. 916
3.2.1.3
U m w a n d l u n g von Krediten in Eigenkapital ......................... 916
3.2.1.4
Sonstige Sanierungsbeitr~ige ................................................... 917
3.2.2
3.3 3.4
Beteiligung weiterer Kreditinstitute im R a h m e n eines Sicherheiten-Poolvertrags ....................................................................... 917 3.2.3 Kosten u n d Entgelte ................................................................................ 919 K i i n d i g u n g u n d Liquidation des Problemkredites .......................................... 920 Ver/iut~erung v o n K r e d i t f o r d e r u n g e n ................................................................ 920
Rechtliche Risiken der Kreditinstitute ........................................................................ 923 Risiken in der Phase vor einer Sanierung (Phase der I n t e n s i v b e t r e u u n g ) .... 923
4.1
4.2
5
Risiken in der S a n i e r u n g s p h a s e .......................................................................... 925 4.2.1
N a c h b e s i c h e r u n g b e s t e h e n d e r Kredite ................................................. 925
4.2.2
G e w / i h r u n g u n d Besicherung von S a n i e r u n g s k r e d i t e n ...................... 927
4.2.3
Kapitalersatz ............................................................................................. 928
Ausblick: Organisation der W o r k o u t - A b t e i l u n g als Profitcenter? .......................... 930
907
Workout-Management
1
Einleitun8
Nach mehreren Jahren negativer Gesch~iftsentwicklung und durch den im Zuge der Vorlage und Analyse der Jahresabschl0sse schrittweisen Abstieg auf der Rating-Skala wird ein Unternehmen von seinen Fremdkapitalgebern schliet~lich als Problemfall, d. h. als ein Engagement mit deutlich erh6htem Ausfallrisiko und damit reduzierter Werthaltigkeit, eingestuft. F~ir die Unternehmensf0hrung bedeutet dies neue Ansprechpartner, zus~itzlichen Informationsbedarf seitens der Kreditinstitute und sich ver~indernde Gespr~ichsinhalte in einem h~iufig nicht spannungsfreien Gespr~ichsklima. Unternehmerisches Selbstverst~indnis und unternehmerische Qualit~iten stehen zur Disposition. In vielen Fallen entsteht auf Seiten des Unternehmens die Wahrnehmung, dass das untemehmerische Selbstverst/indnis durch die Bank grunds/itzlich in Frage gestellt und die eigene Handlungsfreiheit zu Unrecht begrenzt wird. Die Wirkungen auch l~inger zur~ickliegender, unternehmerischer Entscheidungen, die in der Phase des vermeintlich risikolosen Kreditengagements auch von den Fremdkapitalgebem beanstandungsfrei mitgetragen wurden, schlagen jetzt voll dutch. Man denke z.B. an steuersparende Versorgungswerke und an die hierf~ir notwendigen R0ckstellungen, die von den Kreditinstituten fr/iher einmal als ,,quasi Eigenkapital" eingestuft wurden. Genannt sei abet auch die nicht risikoad~iquate Kreditversorgung, die faktisch fehlendes, abet wesentlich teureres Eigenkapital ersetzte, gleichzeitig abet durch Erf/illung des Sicherungsverlangens der Kreditinstitute die freie Verfiigbarkeit 0bet die Substanz einschr~inkte. Erst als die /iberhitzte Luft der New Economy verschwand und die Old Economy gleichzeitig stagnierte, wurden einzelne Kreditausf~ille pl6tzlich nicht mehr lediglich als ,systemimmanente Betriebsunf~ille" wahrgenommen. Die Auswirkungen vorangegangenen Handelns hinterliet~en nicht nur tiefe Spuren in den Jahresabschl0ssen der Fremdkapitalgeber, sondern hatten ebenfalls - im Hinblick auf weitreichende aufsichtsrechtliche Neuregelungen wie etwa Basel II - nachhaltige Konsequenzen fi~r die Kreditnehmer. Die neue Wahrnehmung von Risiko bei sich grundlegend ver~indemden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen treibt die Kreditinstitute zur Portfoliooptimierung durch Risikoabbau, bringt gleichzeitig neue, /iut~erst heterogenen Risikostrategien hervor und fi.ihrt zu einer wesentlich differenziertere Betrachtung des Einzelrisikos und der Funktion von Fremdkapital. Hier liegen die Ursachen daf/ir, dass das fr0here Selbstverst/indnis einer gemeinsamen Sanierungsl6sung zum Nutzen aller Beteiligten einer sehr differenzierten, individuellen Risikobetrachtung der einzelnen Kreditinstitute gewichen ist. Risikoreduzierung dutch R/ickgewinnung von Bonit/it, d. h. Sanierung, ist zeit- und kostenaufw/indiger fi~r alle Beteiligten geworden und die/iberwiegende
909
Meyer
Wahrscheinlichkeit ihres Gelingens liegt regelm~it~ig nicht mehr bei den Engagements, die fast das Ende der Rating-Skalen erreicht haben.
2
Workout-Management der Kreditinstitute
Unter Workout-Management ist die Bearbeitung und Betreuung von Problemkrediten, d. h. solchen Krediten zu verstehen, bei denen eine i~berwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass Kapital, Zinsen und Gebi~hren ganz oder zumindest teilweise bei F~illigkeit nicht (mehr) aus verf/.igbarer Liquidit/it bezahlt werden und damit ein ki~nftiger Verlust f-tir den Fremdkapitalgeber droht oder seine Forderungen nur noch mit Erl6sen aus der Verwertung von Sicherheiten oder aus dem Verkauf der Forderungen ganz oder wenigstens teilweise zur~ickgef6hrt werden k6nnen.
2.1
AIIgemeine KreditiJberwachun8 und KrisenfrU herken n u n8
FLir die Fremdkapitalgeber ist es von grundlegender Bedeutung, Krisensituationen m6glichst fr/ih zu erkennen und die aktuelle Krisenphase m6glichst zutreffend zu definieren, um die notwendigen risikomindernden Mat~nahmen ergreifen zu k6nnen. Deshalb muss schon vor der Uberleitung eines Engagements in die Zust~indigkeit des Workout-Bereichs, n~imlich bereits vor der Entscheidung ~iber die Ausreichung von Krediten und danach in regelm/it~igen Abst~inden die Bonit~it der Kreditnehmer und damit der Risikogehalt eines Engagements einer eingehenden pr~iventiven Priifung unterzogen werden. Diese umfassende, fortlaufende 0berpri~fung erfolgt nicht nur im Eigeninteresse der Kreditinstitute, sondern auch in Erfi~llung aufsichtsrechtlicher Pflichten. Gem~it~ § 18 KWG sind die Kreditinstitute verpflichtet, bei der Gew~hrung von Krediten (iber 750 TEuro an einen Kreditnehmer oder eine Kreditnehmereinheit, sich regelm/if~ig die wirtschaftlichen Verh~iltnisse offen legen zu lassen. Ziel und Zweck dieser Offenlegung ist, ein klares, zeitnahes und hinreichend verl~issliches Bild (iber die wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers und damit ein unter Risikogesichtspunkten verl~issliches Urteil/iber das Eingehen bzw. Aufrechterhalten eines Engagements zu erhalten. Die blot~e Vorlage der Jahresabschl~isse reicht dazu regelm/it~ig nicht aus, vielmehr sind weitere Unterlagen, aus denen auch die weitere wirtschaftliche Entwicklung seit dem letzten Bilanzstichtag zuverl~issig beurteilt werden kann, erforderlich. Dies sind
910
Workout-Management
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neben dem stichtagsbezogenen Priifungsbericht des AbschlussprLifers weitere akmelle Daten und Informationen Liber Liquidit~it, Substanz und Erfolg des Kredit-nehmers, die einzelfallbezogen angefordert werden (Nachweise fiber Auftragsbest~inde, kurzfristige Ergebnisrechnungen, Planungsunterlagen mit Soll-Ist-Vergleich, betriebswirtschaftliche Auswermngen, usw.). Das aus der Analyse und Bewer~ng dieser Daten und Informationen entstehende verl~issliche Bild und Urteil flie~t naturgem~i~ in die Aktualisierung des internen Ratings ein, das auch unterj~ihrig jeweils den akmellen Verh~ilmissen des Kreditnehmers angepasst wird - mit allen damit verbundenen Konsequenzen bei einer eingetretenen Risikover~inderung (BaFin, 2002, MaK, Ziffer 4.3.2. TZ 51-53). Neben Krisenanzeichen im Zahlenwerk- Kennzahlen u. a.- und in qualitativen Rating-Komponenten sind prozessabh~ingig Warnsignale definiert, die auf ein Engagement mit reduzierter Bonit~it und damit erh6htem Fortbestandsrisiko hinweisen k6nnen (deutliche Negativabweichungen in Umsatz, Ertrag, Auftragseingang gg~i. Plan; auff~illige Verz6gerung cler Vorlage von JahresabschliSssen und sonstigen Unterlagen; Auff~illigkeiten in der KontofLihrung; negatives Haftkapital; schlechtes BranchenRating; Abrutschen auf der Rating-Skala um mehr als zwei Klassen; Rating-Klasse im Vorfeld der Problemf~ille usw.). Diese Engagements miissen einer gesonderten Beobachtung unterzogen werden (sog. Intensivbetreuung) und mrnusm~i~ig auf ihre weitere Behandlung Liberpriift werden (BaFin, 2002, MaK Ziffer 4.3.4.- weitere Intensivbetreuung, Abgabe an die Sanierung oder Abwicklung, Riickffihrung in die Normalbetreuung).
2.2
Obergabedes Engagements in das Workout/Vlanagement
Mit Inkrafttreten der aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen fidr das Kreditgeschfift (MaK) sind in allen Kreditinstituten in Organisationsrichtlinien die Kriterien festgelegt, die die Abgabe eines Engagements an die auf die Sanierung bzw. Abwicklung spezialisierten Mitarbeiter oder Bereiche bzw. deren Einschaltung regeln. Die Federfi~hrung f~ir den Sanierungs- oder Abwicklungsprozess oder die Oberwachung dieser Prozesse wird aut~erhalb des Bereichs ,,Markt" wahrgenommen (BaFin, 2002, Ziffer 4.3.5 TZ 58). Oberleitungskriterien sind regelm~it~ig das aktuelle interne Rating sowie erg~inzende, erfahrungsbasierte Signale aus der Gesch~iftsverbindung und/oder aus dem Unternehmensumfeld, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Problemengagement hinweisen (Unterbilanz, drohende Poolbildung, R~ickzug anderer Banken, Zahlungsverz6gerungen, insbesondere bei Lohn, Gehalt, Sozialabgaben, Nichteinhaltung von Ab-
911
Meyer i~i~i!~!~i!ii!i!~!~i!~ii!ii!iiiiiiii~iiiiiiiiiiiiiiii~iiiii~i!i!ii
sprachen, nachhaltige Uberziehungen, Auff/illigkeiten im Bericht des Abschlusspri~fers, pl6tzliche Wechsel in der F/ihrung, Eintritt eines default-Ereignisses nach IAS 39 und damit der Notwendigkeit einer Risikovorsorge usw. (BaFin, 2002, MaK Ziffer 4.3.5 TZ 65). In diesen F~illen wechselt die Engagementftihrung vom Markt in die Marktfolge, d. h. die Betreuung wechselt vom Firmenkundenbetreuer zu den Workout-Spezialisten.
2.3
Analyse des Problemkredites
Die Analyse des Problemkredites vollzieht sich regelm~it~ig in zwei, aufeinander folgenden Phasen. Sobald das betroffene Engagement an die Workout-Abteilung des Kreditinstitutes/ibergeben wurde, beginnt unmittelbar eine pragmatische Grobanalyse des Problemkredites und des Kreditnehmers. Ziele sind hierbei in erster Linie: I
Pri~fung des Vorliegens von Insolvenzgri~nden (insbesondere im Hinblick auf eine drohende Zahlungsunf~ihigkeit i. S. d. InsO)
I
Erstbeurteilung von Sanierungsf~ihigkeit und -wi~rdigkeit des Unternehmens
I
Vorl~iufige Risikoklassifizierung des Engagements
t
Erstabsch~itzung des Ausfallrisikos im Hinblick auf die Sicherheiten (wirksame Bestellung, Durchsetzbarkeit, Zerschlagungswert)
J
Ermittlung des vorhandenen Ausfallrisikos (einschliet~lich Drohverlustpotenzial, Ausfallwahrscheinlichkeit, notwendige Risikovorsorge)
!
Identifizierung erster Mat~nahmen zur Risikoreduzierung oder zur vorl~iufigen Stabilisierung (z. B. Poolbildung)
Aus Rechtsgriinden ist der erste Punkt von besonderer Bedeutung, da die Kreditinstitute nur dann eine Sanierung begleiten sollten, wenn keine Insolvenzgefahr droht oder die drohende Insolvenzgefahr oder ein bereits vorliegender Insolvenzgrund kurzfristig (§ 64 GmbHG; § 92 Abs. 2 AktG) beseitigt werden k6nnen. Die Insolvenzgrtinde sind in der Insolvenzordnung geregelt: m Zahlungsunf/ihigkeit (§ 17 InsO): Der Schuldner ist zahlungsunf~ihig, wenn er nicht in der Lage ist, die f/illigen Zahlungspflichten zu er~llen. Zahlungsunf~ihigkeit ist regelm~it~ig anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
S Drohende Zahlungsunf/ihigkeit (§ 18 InsO): ,Beantragt der Schuldner die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens, so ist auch die drohende Zahlungsunf~ihigkeit Er6ffnungsgrund. Der Schuldner droht zahlungsunf~ig zu werden, wenn er voraus-
912
Work out- lvlanageme n t
sichtlich nicht mehr in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der F~illigkeit zu erffillen." I
Uberschuldung (§ 19 InsO)" Bei juristischen Personen sowie bei Gesellschaften ohne Rechtspers6nlichkeit und ohne nattirliche Person als pers6nlich haftender Gesellschafter ist auch die Uberschuldung Er6ffnungsgrund. Eine 0berschuldung liegt vor, wenn das Verm6gen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.
Dies bedeutet, dass in dieser ersten Phase der Sanierungspriifung ausreichend Liquidit~it (z. B. durch Offnung eingefrorener Kreditlinien- u. U. auch der Kreditversicherer) zur Verfi.igung stehen und ggf. das Uberschuldungsindiz einer Unterbilanz durch eine vorl~iufige, eigene Verm6gensbewertung der Unternehmensfiihrung entkr~iftet werden muss. Unmittelbar an die Phase 1 der Grobanalyse, der Definition von Sofortmat~nahmen und deren Umsetzung schliet~t die Phase 2 an, die durch tiefergreifende und damit auch zeit- und kostenaufw~indigere 0berpriifungen und Entscheidungen gepr~igt ist. Sp~itestens in dieser Phase muss die Situation mit der Unternehmensfiihrung eingehend er6rtert werden, um sie von der Notwendigkeit der weiteren Schritte zu iiberzeugen und vorhandene Ver~inderungswiderst~inde auszur~iumen. Denn Sanierungswiirdigkeit und Sanierungsf~ihigkeit, Entwicklung eines plausiblen Sanierungskonzepts mit Definition der notwendigen und geeigneten Mat~nahmen, ihrer Umsetzung und Auswirkungen, nachhaltige Sicherung der Liquidit~it w~ihrend der Sanierungsphase, Vorliegen eines 0berschuldungstatus, die sorgf~iltig vorbereitete eigene Entscheidung des Kreditinstituts iiber die Begleitung bzw. Durchfiihrung der Sanierung und Festlegung der Art und Weise der Erfolgskontrolle sind die beherrschenden Themen (BaFin, 2002, MaK 4.3.4 und 4.3.5 TZ 57-61). Um diese Themen objektiviert, d. h. nicht nur aus der Sicht des Unternehmens, in der zur Verffgung stehenden kurzen Zeitspanne abzuarbeiten, ihre Komplexit~it zumindest etwas aufzul6sen und zu beherrschen, Informationsliicken zu schliet~en, eine zuverl~issige Entscheidungsbasis zu schaffen und gleichzeitig der latenten Gefahr einer Scheinsanierung und daraus entstehender Haftungsrisiken vorzubeugen, legen die Kreditinstitute regelm~it~ig gr6t~ten Wert darauf, dass die Unternehmensleitungauch in ihrem eigenen Interesse - erfahrene externe Spezialisten zuzieht und sie von ihrer Verschwiegenheitspflicht ggii. den Kreditinstituten entbindet. Denn in dieser Phase mfssen Ziele und Strategie, Gesch~iftsmodell einschliet~lich Produktpalette, Marktpositionierung, Strukturen, Organisation und Prozesse, finanzielle Situation, Management und Fiihrungskr~ifte usw. objektiviert, fiberpri~ft, analysiert und bewertet werden, um vorhandene Potenziale, Chancen, aber auch Risiken sichtbar zu machen und eine plausible Basis fLir die Entscheidung der Kreditinstitute zu schaffen. Am Ende mLissen klare Aussagen dariiber vorliegen, dass das Unternehmen sanierungswOrdig und mit Liberwiegender Wahrscheinlichkeit sanierungsf~ihig ist. Ohne diese positive, uneingeschr~inkte oder mit erf6llbaren Voraussetzungen verbundene Fort913
Meyer
f6hrungsprognose (Amen/Grot~, 2004, S. 225 ff.; Grot~/Amen, 2003, S. 67 ff.) kann eine Sanierungsbegleitung durch Kreditinstitute nicht stattfinden. Eine positive Fortfiihrungsprognose, Konzepte und Mat~nahmen extemer Spezialisten oder gar der Untemehmens~hrung darf ein Kreditinstitut nicht ungepri3ft Libernehmen. Vielmehr sind die Erkenntnisse, Ergebnisse, Konzepte und Mat~nahmen einer Oberpri~fung auf Plausibilit~it, Realisierbarkeit, Vollst~indigkeit, Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung- kurz einer Machbarkeitsanalyse- zu unterziehen. Nur bei einem positiven Ergebnis dieser Prtifung wird eine Sanierungsbegleitung stattfinden, denn letztlich wird vom Kreditinstitut das prim~ire Ziel einer Absenkung des Risikos und damit der Risikokosten verfolgt. Zeigt sich w~ihrend der Sanierungsphase aufgrund neuer Erkenntnisse oder Entwicklungen, dass die SanierungsbemLihungen nicht und auch nicht n~iherungsweise zum geplanten Erfolg fi~hren, die Sanierung also (nahezu) aussichtslos erscheint, wird das Kreditinstitut die weitere, aktive Unters~tzung einstellen, um nicht auch noch mit anderen (Haftungs-) Risiken konfrontiert zu werden.
3
Handlungsalternativen der Kreditinstitute
In Abh~ingigkeit vom Erkenntniszeitpunkt und den Pri~fungsergebnissen aus der Phase 1 oder 2 hat ein Kreditinstitut verschiedene Handlungsalternativen, die von der Gr6t~e des eigenen Engagements und dem daraus resultierenden Ausfallrisiko gepr~igt werden, aber auch vonder Offentlichkeit (Politik im weiteren Sinne; Medien) im Einzelfall beeinflusst sein k6nnen.
3.1
Stillhalten
Diese ,mildeste Handlungsalternative" ist janusk6pfig. Sie hat einerseits den passiven Aspekt ,ira Sinne ruhig bleiben", weil die eigene Sicherungsposition bei kritischer Pr~ifung auch unter Zerschlagungsgesichtspunkten und unter Einrechnung der Verwertungskosten kein oder nur ein sehr geringes Verlustrisiko erkennen l~isst und damit nicht unbedingt Veranlassung besteht, ggL/. dem Kreditnehmer aktiv zu werden, andererseits aber auch den aktiven Aspekt, das Risiko durch Hereinholen weiterer werthaltiger Sicherheiten zu reduzieren oder das Engagement schrittweise abzubauen und zu beenden, ohne aktiv den Kreditnehmer in den Zustand der nachhaltigen Zahlungsstockung bzw. an den Rand der Zahlungsunf~ihigkeit zu treiben. Die Informati914
Workout-Management
onspflichten des Kreditnehmers bestehen fort, seine Entwicklung wird eng begleitet und die Sicherheiten werden tumusm~it~ig auf Werthaltigkeit und Liquidit~it ~iberpr6ft (BaFin, 2002, MaK 4.3.3. TZ 52).
3.2
Aul ergerichtliche Sanierung des Problemkredites
Ziel der Sanierung aut~erhalb eines Insolvenzverfahrens ist Risikoreduzierung durch Ri~ckgewinnung von BonitSt, Verbesserung des intemen Ratings bis zur R~ickgabe in die Normalbetreuung bei nachhaltiger Wiederherstellung von ZahlungsfShigkeit und RentabilitSt des sich in der Krisenphase befindlichen Kreditnehmers.
3.2.1
Sanierungsbeitr~ige der Kreditinstitute
3.2.1.1
Gew~ihrungzus~itzlicher Kredite
Liegen die Voraussetzungen fi~r eine Sanierung vor und hat sich das Kreditinstitut ftir die Begleitung entschieden, muss auch die nach der im Konzept enthaltenen Planung prognostizierte, erforderliche Liquidit~it w~ihrend der gesamten voraussichtlichen Sanierungsphase, d. h. zeitlich und betragsm~it~ig sichergestellt sein, nicht zuletzt um der Problematik eines untauglichen Sanierungsversuchs oder einer Scheinsanierung zu begegnen. Reichen dazu die bisherigen Kreditlinien nicht aus, muss die erforderliche Liquidit~it durch einen ,,Sanierungskredit" zur Verfiigung gestellt werden (bei einem Pool quotal durch die beteiligten Kreditinstitute). Die Besicherung eines solchen Sanierungskredits unterliegt bei enger Zweckbestimmung, d. h. ohne Ausweitung des Sicherungszwecks auf ,,Altverbindlichkeiten", nach den Regeln des Bargesch~ifts grundsStzlich nicht der Insolvenzanfechtung (vgl. Kapitel 4.2.2). Als m6gliche Variante f~ir die Besicherung ist die B~irgschaft einer ,,6ffentlichen Institution" denkbar, die jedoch wegen des regelmSt~ig notwendigen Notifizierungsverfahrens, das den Entscheidungsprozess bei h~iufig ungewissem Ausgang mehrere Monate verl~ingern kann, in Anbetracht des zeitlichen Drucks zur Umsetzung der Sanierungsmat~nahmen hSufig nicht zielf~ihrend ist.
915
Meyer
3.2.1.2
Stundung, Verzicht und RangriJcktritt
Neben der Wiederer6ffnung eingefrorener Kreditlinien oder Gew~ihrung eines Sanierungskredits ist die Stundung f~illiger Forderungen auf Zahlung von Zinsen oder Ri~ckzahlung von Kapital, eine weitere M6glichkeit zur Stabilisierung der Liquidit~itssituation. IAS 39 sieht jedoch in jeder Form von Stundung ein default-Ereignis. Eine 0berschuldung kann (anteilig) durch einen Forderungsverzicht oder Rangriicktritt beseitigt werden. Beim Yerzicht erl~isst das Kreditinstitut dem Kreditnehmer eine konkret bezeichnete Schuld (Kapital oder Zinsen) ganz oder teilweise durch Vertrag (§ 397 Abs. 1 BGB). In die Entscheidung i~ber einen Verzicht miissen jedoch dessen weitere Auswirkungen beim Kreditnehmer einbezogen werden: Der Verzicht ist aut~erordentlicher Ertrag und damit ergebnisver~indernd (vgl. steuerliche Regeln zum sog. Sanierungsgewinn; Stri~ber/von Donat, 2003, S. 2036 ff). Wird der Verzicht aufl6send bedingt durch eine Besserung der wirtschaftlichen Verh~iltnisse des Kreditnehmers - quasi mit Besserungsschein - vereinbart, muss die Bildung einer entsprechenden Ri~ckstellung, die den Zweck des Verzichts vereiteln kann, gepriift werden. Ferner muss sichergestellt sein, dass ein solcher Erlassvertrag werthaltige akzessorische Sicherheiten nicht in Frage stellt, d. h. das Kreditinstitut nicht mit der Problematik einer Novation, des Anlasskredits oder des engen Sicherungszwecks konfrontiert wird. Der Rangriicktritt ist eine Vereinbarung zwischen dem Kreditinstitut und dem Kreditnehmer, durch die das Kreditinstitut mit bestimmten Forderungen im Rang hinter alle anderen Gl~iubiger- regelm~it~ig mit Ausnahme der Gesellschaftergl~iubigerzuri~cktritt, d.h. bei Liquidation oder Insolvenz erst dann mit Zahlungen rechnen kann, wenn alle anderen vorgehenden Gl~iubiger voll befriedigt sind. Daraus folgt, dass eine solche Vereinbarung regelm~it~ig nur ~ r ungesicherte Forderungen mit inhaltlichen Regelungen, auch bzgl. Tilgung, Verzinsung und einer Sonderverg~itung bei einem Erfolg der Sanierung, auf den Einzelfall zugeschnitten, geschlossen wird. Ein solch umfassender Rangri~cktritt hat zur Folge, dass die von ihm erfassten Forderungen im 0berschuldungsstatus nicht mehr passiviert werden mi~ssen (Heerma, 2005, 537 ff).
3.2.1.3
Umwandlung von Krediten in Eigenkapital
Die Umwandlung von Krediten in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) bedeutet nach deutschem Recht eine Kapitalerh6hung durch Sacheinlage, deren echter, objektiver Wert (mindestens) dem Betrag der Kapitalerh6hung entsprechen muss. Der Wert von Forderungen gegen Kreditnehmer in der Krise entspricht regelm~it~ig nicht mehr ihrem Nennwert, sondern unterschreitet diesen einzelfallabh~_ngig mehr oder weniger deutlich. Dieses Risiko der Wertdifferenz mit der Pflicht zu einem sp~iteren Nachschuss aus ,eigenem Geld" liegt beim Kreditinstitut (Differenzhaftung), abgesehen von dem Zusatzrisiko, mit den verbleibenden restlichen oder neu gew~ihrten Krediten in die Problematik des Kapitalersatzes (vgl. Kapitel 4.2.4) hineinzugeraten.
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Workout-Management
3.2.1.4
SonstiseSanierungsbeitr~ige
Neben den genannten Beitr~igen kann das Kreditinstitut auch folgende Beitr~ige zur Oberwindung der Unternehmenskrise anbieten, die ffir sich alleine jedoch kaum ausreichend sein werden (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, 1. Teil, Rn. 473)" !
Verbesserung der Liquidit~itssteuerung durch Bankprodukte wie z.B. das CashManagement (unter Beachtung der h6chstrichterlichen Rechtsprechung zur Konzernfinanzierung) oder das Factoring.
N Nutzung des Bankennetzwerkes zur Vermittlung potenzieller Kooperationspartner oder Kapitalbeteiligungen N Unterstfitzung bei der Liquidation nicht betriebsnotwendigen Verm6gens. Saleand-lease-back-Aktionen haben den Einmaleffekt des Liquidit~itsgewinns und m6glicherweise der Aufl6sung stiller Reserven, belasten aber die nachfolgenden Gesch~iftsjahre einzelfallabh~ingig mit erheblichen Zusatzkosten. m Abschluss einer Stillhaltevereinbarung zwischen allen betroffenen Kreditinstituten zur Verhinderung der vorzeitigen Kfindigung von Krediten durch einzelne Institute mit einer Sicherheiten-Treuhandvereinbarung. m Vereinbarung eines Sicherheiten-Pool-Vertrages zwischen allen kreditgebenden Kreditinstituten (und Kreditversicherer) zur Optimierung der Sicherheitensituation und zur Sicherung der Liquidit~it.
3.2.2
Beteilisun8 weiterer Kreditinstitute im Rahmen eines Sicherheiten-Poolvertrass
Der Bankenpoo] ist der Zusammenschluss der kreditgebenden Kreditinstitute sowie in
Einzelf~illen auch der Kreditversicherer zu einer GbR. Zweck dieser Gesellschaft ist die Beibehaltung der einger~iumten Kreditlinien, Wieder6ffnung eingefrorener Linien, die Bestellung weiterer Sicherheiten ffir alle beteiligten Kreditinstitute gemeinsam, die Abstimmung von Sanierungskonzept und notwendiger Mat~nahmen, die Entscheidung fiber die gemeinsame Sanierungsbegleitung und letztlich auch die quotale Verteilung von Zusatzrisiken w~ihrend der Sanierungsphase. Soweit der Poolvertrag nicht entgegensteht, sind die beteiligten Kreditinstitute in der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen zum Kreditnehmer jedoch frei. Im Einzelnen werden im Bankenpool insbesondere folgende Aspekte geregelt: @ Festlegung der Poolbanken sowie Bestimmung einer Poolf/ihrerin (=regelm~it~ig das Institut mit der h6chsten Beteiligungsquote), I
Bestimmung der Beteiligungsquoten der einzelnen Kreditinstitute in Abh~ingigkeit vom in den Poolvertrag einbezogenen Kreditvolumen, 917
Meyer
R Beibehaltung der bisherigen Kreditlinien der im Pool beteiligten Banken zur Sicherstellung der Zahlungsf~_higkeit, m Gew~ihrung eines Sanierungskredites zur Sicherung der Liquidit~it w~ihrend der Sanierungsphase sowie Festlegung der Beteiligungsquoten und Sicherheiten, m Aufnahme, Verwaltung und Pooling (quotale Verteilung) der zur Verfi~gung stehenden bzw. zus~itzlich zu bestellenden Sicherheiten, J
Verwendung und Verteilung von freiwerdenden Sicherheiten sowie Verwertung gemeinsamer Sicherheiten und Verteilung der Nettoerl6s-Zufl~isse,
m Art der Beschlussfassung, erforderliche Mehrheiten (regelm~it~ig Einstimmigkeit), Laufzeit des Poolvertrages sowie Ki~ndigungsm6glichkeiten und E Kosten und Geb6hren der beteiligten Kreditinstitute - nicht nur der Poolf6hrung. Aufgrund der ~iut~erst heterogenen Interessen und der unterschiedlichen Besicherungssituation der einzelnen Gl~iubiger, stellt sich der Abschluss eines Poolvertrages teilweise als sehr schwieriger Prozess dar. Je nach Verhandlungsmacht versuchen die Institute ihre Interessen - u. U. auf Kosten der weiteren Gl~iubiger - durchzusetzen. Die Entscheidung, dem Bankenpool beizutreten oder aber das Engagement aut~erhalb des Pools weiter zu betreuen, trifft jede Bank eigenst~indig und einzelfallabh~_ngig. Jedes Institut muss dabei die Vor- und Nachteile des Bankenpools wie z. B. Risiken aus der Pooldynamik, Nachschusspflichten, aber auch Auswirkungen auf die eigene Risikoposition, abw~igen. Die Phase bis zum einvernehmlichen Abschluss des Poolvertrags ist regelm~it~ig besonders kritisch, weil kontroverse Diskussionen von pers6nlichen Konfliktsituationen zu Management und Gesellschaftern durchzogen sind und Unternehmen und Management ihr Selbstverst~xldnis in Frage gestellt sehen. Gespr~ichspartner sind nunmehr auf Sanierung und Abwicklung spezialisierte Mitarbeiter der Kreditinstitute. Zudem k6nnen Forderungsk~iufer als neue Mitspieler am Tisch sitzen. 0ber ihre Ziele und Strategien, ihr Verhalten und ihr Mitwirken sind zun~ichst keine Aussagen m6glich. Gespr~ichsthemen sind nicht mehr Preise und Gesch~iftsstrategien, sondern M6glichkeiten und Wege der kurzfristigen Reduzierung des Risikos, die Notwendigkeit der schnellen Analyse sowie der positiven Fortffihrungsprognose. Unangenehme Themen wie der notwendige Druck zur Ver~inderung, das Aufbrechen verkrusteter Strukturen, die notwendige Zufuhr von Eigenkapital durch die Gesellschafter, das (akute) Risiko der Zahlungsunf~ihigkeit oder 0berschuldung m~issen diskutiert werden. Oftmals wird auch die Qualifikation des bisherigen Managements in Frage gestellt und regelm~it~ig der Einsatz eines externen Sanierungsspezialisten verlangt. Schliet~lich steht unausgesprochen die Kreditki~ndigung im Raum. Entscheidenden Einfluss auf den weiteren Ablauf der Verhandlungen hat die Erfahrung und Kompetenz des designierten Pool~hrers; aber auch die Diagnose- und Pro-
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Workout-Management
Prognosef~ihigkeit des externen Sanierungsspezialisten sowie seine Umsetzungsst~irke und -geschwindigkeit sind von entscheidender Bedeutung. Beide k6nnen wesentlich zur Vertrauensbildung und zur Kooperation der Beteiligten und letztlich auch zur positiven Entscheidung ~iber die Sanierungsbegleitung beitragen. Ist der Pool gebildet und ein entsprechender Poolvertrag inhaltlich mi~hsam abgestimmt und schliet~lich unterzeichnet, kann sich der Pool in manch einem Fall auch als beh~ibiges und komplexes Vehikel erweisen. Gr~inde hierfi~r sind etwa das Einstimmigkeitserfordemis oder aber relativ lange Entscheidungswege. Im Einzelfall kann dies dazu f~ihren, dass einzelne Kreditinstitute ausscheren und den Poolvertrag k~indigen. Trotz der aufgezeigten Schwierigkeiten bei Vereinbarung und Durch~hrung des Poolvertrages i~berwiegen jedoch regelm~it~ig die Vorteile aus Sicht des Schuldnerunternehmens und der Kreditinstitute: Der Schuldner hat im Regelfall einen erfahrenen Hauptansprechpartner und muss sich im laufenden Gesch~ift nicht mit allen Kreditinstituten einzeln auseinandersetzen. Ein solcher Poolvertrag verhindert vorzeitige K~indigungen einzelner Kreditinstitute bzw. f~ihrt zur R~icknahme erfolgter K~indigungen, stellt die Gleichbehandlung der beteiligten Kreditinstitute im Risikobereich sicher, vermeidet ein ,,Windhundrennen" um die noch vorhandenen Sicherungsm6glichkeiten und koordiniert auf der Basis positiver Sanierungsentscheidungen der einzelnen Kreditinstitute die gemeinsame Sanierungsbegleitung.
3.2.3
Kosten und Entselte
Die Krise des Kreditnehmers ist deutliches Kennzeichen eines erh6hten Risikos f~ir die Fremdkapitalgeber. Dem Grundsatz einer risikoad~iquaten Verzinsung folgend bedeutet dies nennenswerte Risikozuschl~ige bei variablen Zinss~itzen oder bei entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen (z. B. Covenants) oder Fristablauf von Festzinss~itzen bis zu einem Gesamtpreis, der dem doppelten Satz ~ r eine Normaladresse entsprechen kann. Zusatzkredite liegen im vergleichbaren Korridor, Nachrangdarlehen sind teurer. Zinsverbilligte Sonderfinanzierungen werden nicht mehr durchgefi~hrt. Konkrete Aussagen sind nicht m6glich, da die Gestaltung der Konditionen v o n d e r Risikoeinsch~itzung und der Risikoposition des einzelnen Kreditinstituts, aber auch von der wirtschaftlichen Gesamtsituation des Kreditnehmers abh~_ngen. Hier geht es nicht mehr um ratingabh~ingige Standardrisikokosten und statistische Ausfallwahrscheinlichkeiten, sondern um das sich realisierende, konkrete Einzelrisiko. Dari~ber hinaus werden von den Kreditinstituten regelm~it~ig Zusatzentgelte f~ir den erh6hten Bearbeitungsaufwand aus dem Engagement f~illig. Diese betragen in Abh~ingigkeit vom konkreten Aufwand und von der Engagementh6he zwischen 3.000 Euro
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und 100.000 Euro p. a. Die T~itigkeit des Poolfiihrers muss wegen der zus~itzlichen Arbeitsbelastung gesondert honoriert werden Die Poolfiihrungsgebiihr wird entweder in Promille-S~itzen bezogen auf das gesamte im Pool gebundene Kreditvolumen p. a. berechnet oder als fester Betrag p. a. festgelegt. Sie liegt iiber dem Zusatzentgelt fiir die einzelnen Poolmitglieder. Zunehmend werden Sonderentgelte bei erfolgreichem Verlauf der Sanierung vereinbart, d. h. eine Teilhabe an der dadurch erreichten Steigerung des Untemehmenswerts.
3.3
KUndigun8 und Liquidation des Problemkredites
Ergibt die oben beschriebene sorgf~iltige Priifung, dass die Sanierungswiirdigkeit und/oder -f~ihigkeit im konkreten Fall nicht gegeben ist oder entscheidet sich das Kreditinstitut gleichwohl gegen eine Sanierungsbegleitung, so wird die Beziehung zum Kreditnehmer regelm~it~ig durch Ki~ndigung beendet, um das Engagement ab F~illigkeit abzuwickeln. Das Recht auf KreditkCindigung kann sich dabei aus der nicht abschlief~enden Aufz~ihlung von Ki~ndigungsgriinden in den AGB der Banken (Nr. 19 Abs. 3 ABG-Banken bzw. Nr. 26 AGB-Sparkassen) ergeben oder aber aus gesondert vereinbarten Financial Covenants. Financial Covenants sind letzten Endes nichts anderes als Klauseln im Kreditvertrag, die dem Kreditnehmer die Einhaltung bestimmter Mindestanforderungen auferlegen. Je nach vertraglicher Regelung fiihrt die Verletzung von Covenants zu einer Verteuerung des Kredits, zur Neuverhandlung bestehender vertraglicher Regelungen oder zu einem besonderen Kiindigungsrecht des Fremdkapitalgebers. Dabei kommen insbesondere Kennzahlen zur Eigenkapitalausstattung, zum Verschuldungsgrad, zur Ertrags- und zur Liquidit~itssituation in Betracht. Werden vom Kreditnehmer nach K6ndigung die ausstehenden Betr~ige nicht fristgem~il~ zuriickbezahlt, ist das Kreditinstitut gezwungen, die ihm zur Verfiigung stehenden Sicherheiten zu verwerten.
3.4
Verliul erun8 von Kreditforderunsen
Neben der Liquidation des Kredites bestehen aus Sicht des Kreditinstitutes auch die M6glichkeiten des Verkaufs einzelner Kreditforderungen sowie die Ver~iul~erung ganzer Problemkredit-Portfolios an institutionelle Investoren.
920
Workout-Management
Die Griinde fiir den Verkauf von Kreditforderungen sind vielf~iltig. Im Wesentlichen spielen jedoch folgende Faktoren eine Rolle (Hofmann/Walter, 2004, S. 4 f.): m Erh6hung der Profitabilit~it des Kreditinstitutes, B'~ Diversifikation des Kreditportfolios, m Verbesserung des Ratings des bestehenden Kreditportfolios, m Freisetzung von Eigenkapital zur Unterlegung rentablerer Gesch~ifte ( Basel II), m~ Liquidit/itsgenerierung, M~ Herabsetzung der Kapazit~itsbelastung im Workout-Bereich. Aus rechtlicher Sicht ist das schuldrechtliche Kausalgesch~ift der Ver/iut~erung krisenbehafteter Kreditengagements im Regelfall als Forderungskauf anzusehen. Als Ver~gungsgesch/ift ~hrt ein Abtretungsvertrag zur Ubertragung der Forderung auf den Neugl~iubiger. Der Abtretungsvertrag hat auch Auswirkungen auf die Sicherheitensituation: Mit der Abtretung der Forderung gehen die akzessorischen Sicherheiten (z. B. Hypothek, B/irgschaft) gesetzlich gem. § 401 BGB auf den Neugl~iubiger/iber, die selbst/indigen Sicherungsrechte (z. B. Grundschuld, Sicherungs~bereignung) sollten trotz der zwischen Kreditinstitut und Kreditnehmer vereinbarten Zweckbindung grunds~itzlich einzeln/ibertragen werden. Gegenstand des zugrunde liegenden Kaufvertrags ist neben den Sicherungsrechten der dem Kreditinstitut zustehende Anspruch auf Riickzahlung des Kapitals sowie die Gegenleistungen des Kreditnehmers fiir die Kapitaliiberlassung (insbesondere Zinsen). Der Inhalt und die Strukturen dieser Vertr~ige sind abh~ingig von: M:, den Zielen, die K/iufer und Verk~iufer verfolgen, I:~ den tats~ichlichen und rechtlichen Gegebenheiten (des Einzelfalls), Ei den sich daraus ergebenden rechtlichen Fragestellungen (Bankgeheimnis und Datenschutz; Ausschluss der Abtretung durch (konkludente) Vereinbarungen; EURichtlinien; Umsatzsteuerpflicht; Einwilligung des Kreditnehmers; Vertrauensverh/iltnis zwischen Kreditinstitut und Kreditnehmer usw.) sowie m den Pflichten des verkaufenden Kreditinstituts gem~it~ Ziffer 4.3.5 MAK (selbst/indige Priifung von Sanierungswiirdigkeit und -f/ihigkeit von Problemkrediten und eigene Entscheidung, jedoch ohne Zwang zur Sanierungsbegleitung!). Unbeschadet m6glicher Image-Probleme wird den Kreditinstituten mit der Entwicklung eines Marktes f/ir Problemkreditforderungen eine Alternative zur Sanierungsbe-
921
Meyer gleitung oder Abwicklung geboten, d.h. die Sanierung eines Problemengagements muss nicht mehr unbedingt innerhalb des Kreditinstituts erfolgen. Dies wird jedoch zwangsltiufig zu einer sttirkeren Kapitalmarktorientierung des Workout-Bereichs ~hren. W~ihrend bei der Entscheidung zwischen Sanierung und Liquidation im Wesentlichen nur die Risikorechnung (Engagement abztiglich Liquidationsbarwert der Sicherheiten nach Verwertungskosten) und die Einschtitzung der Wahrscheinlichkeit der Sanierung au£ der Zeitachse gegentiberzustellen waren, erfordert die Abwtigung im Hinblick au£ einen Verkau£ eine umfangreichere Betrachtung. Ober die genannten Kriterien hinaus, sind insbesondere ein erzielbarer Kaufpreis und die tiber die Sanierungszeit einzusparenden, erh6hten Betreuungskosten, die Wahrschein|ichkeit der Sanierung und die durch sie eintretenden dauerhafte Risikovertinderung zu berticksichtigen. Ftir die Kreditnehmer entsteht daraus - auch mit Blick auf immer denkbare Krisenszenarien- ein zustitzlicher Druck zum Management der eigenen Fremdkapitalrisiken, zur Konsolidierung der Eigenkapitalposition sowie zum (turnusmtifligen) Einkau£ zeitlich begrenzter extemer Kompetenz, um Schwachstellen, Prozessbarrieren usw. rechtzeitig zu bereinigen und die latente Gefahr eines Marktaustritts abzusenken. Denn die Selbstverst~indlichkeit einer Fremdkapitalversorgung, die in der Vergangenheir durchaus im Markt vorhanden war, ist definitiv vorbei. Fremdkapital mit erh6htern latentem Risiko wird nur noch in Ausnahmeftillen yon Kreditinstituten gewtihrt. Die entstehende Lticke wird voraussichtlich durch risikoreiche, spezialisierte Investoren geschlossen, die jedoch gleichzeitig deutlich h6here Zinss~itze und Aufwandsentschtidigungen verlangen werden. Die Ziele und Strategien dieser Investoren werden, auch unter rechtlichen Gesichtspunkten, erheblichen Einfluss au£ ein SanierungsSzenario haben. Demzufolge werden die Kreditinstitute das Schwergewicht der Sanierungsbegleitung au£ Engagements mit einer hohen Sanierungswahrscheinlichkeit und damit hohem Potenzial mr die Reduzierung der Wertminderung ihrer Forderungen durch Rtickgewinnung yon Bonittit verlagem und den Sanierungsdruck im Vorfeld der Problembereiche, in dem bisher regelmtiflig nur Risikoabbau-Strategien verfolgt wurden, erh6hen. Die Maflnahmen zur (wirklichen) Risikoprophylaxe werden im Interesse beider Partner £rtiher einsetzen und kreativer gestaltet werden mtissen- mit der Konsequenz, dass der Rest mit variablen Trennungskonzepten seinem Schicksa| tiberlassen werden k6nnte.
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Workout-Management
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4
Rechtliche Risiken der Kreditinstitute
Mit dem Eintritt der Krise zieht der Gesetzgeber f~ir die wirksame Kreditgew~ihrung und Besicherung enge Grenzen. Dies dient neben dem Erhalt der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Kreditnehmers v. a. der Gleichbehandlung bzw. dem Schutz aller Gl~iubiger. Aus diesem Grund sind die Kreditinstitute besonderen rechtlichen Risiken ausgesetzt, die dazu fi~hren k6nnen, dass Rechtsgesch~ifte von Anfang an anfechtbar oder nichtig sind. Einschl~igige gesetzliche Vorschriften finden sich etwa in dem allgemeinen Verbot sittenwidrigen Handelns (§§ 138; 826 BGB) sowie den Tatbest~inden der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO). Der folgende Abschnitt gibt einen Oberblick i~ber die wesentlichen rechtlichen Risiken aus Sicht der Kreditinstitute, in Abh~ingigkeit vom Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung.
4.1
Risiken in der Phase vor einer Sanierun (Phase der Intensivbetreuung)
Ein Kreditengagement wird nach den internen Organisationsrichtlinien dann von der Normalbetreuung in die Intensivbetreuung (vgl. Kapitel 2.1) ~ibergeleitet, wenn das aktualisierte Rating und weitere Signale auf ein (signifikant) erh6htes Fortbestandsrisiko des Kreditnehmers hinweisen, ohne dass die Kriterien fi~r einen Problemfall vorliegen bzw. ein default-Ereignis i. S. d. IAS 39 eingetreten ist. In dieser Phase werden unter Mitwirkung der Marktfolge die Engagementstrategien neu definiert, ein Konzept zur Risikoreduzierung entwickelt und dazu notwendige Mat~nahmen festgelegt und umgesetzt. Diese auf den jeweiligen Einzelfall abgestellte Entscheidung k a n n unter Einbeziehung der Sicherungsposition und deren Liquidit~it- beinhalten: Das blot~e Stillhalten, mit dem Verlangen nach laufender aktueller und umfassender Information und die deutlichen Hinweise auf die erkannte Krisensituation des Kreditnehmers, verbunden mit dem dringenden Rat, externe Spezialisten zur Sanierung und Restrukturierung kurzfristig zuzuziehen, @ das Einfrieren der Kreditlinien auf niedrigerer Inanspruchnahme oder Umsetzung eines Abbaukonzepts, das die Liquidit~it belastet, aber nicht final einengt, !
die Umschuldung von ,,kurz- auf mittelfristig" mit regelm~it~igen Tilgungen und zus~itzlicher werthaltiger Absicherung oder
@ das Verlangen nach konsequentem Abbau des Gesamtengagements bzw. dessen Abl6sung.
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!
Letztlich die ordentliche K/indigung des Kreditverh~iltnisses bzw. der Gesch/iftsverbindung unter Einhaltung einer angemessene Frist zur R/ickzahlung.
Nach seinen allgemeinen Gesch~iftsbedingungen, die regelm/it~ig Inhalt des Kreditvertrags sind, ist das Kreditinstitut bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen (z. B. Nr. 13 und Nr. 19 AGB Banken- Nichterffillung eines geltendgemachten Anspruches auf Nachbesicherung; wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verh/iltnisse seit dem Zeitpunkt der Kreditgew/ihrung) zur ordentlichen K/indigung mit Setzung einer angemessenen Nachfrist zur R/ickzahlung oder zur aut~erordentlichen, fristlosen K/indigung berechtigt, aber nicht verpflichtet. Schadensersatzrisiken entstehen jedoch grunds~itzlich erst im R/ickblick aus einer Insolvenz, wenn zu den blof~en K/indigungstatbest~inden im Einzelfall weitere Umst~inde hinzutreten, die unter Einbeziehung von Zweck- und Beweggr/inden den Gesamtcharakter des Verhaltens des Kreditinstituts als rechtswidrig umqualifizieren und sein Bewusstsein zur Sch/idigung Dritter (zum eigenen Vorteil) deutlich machen. Hierunter fallen z. B. die Sondertatbest~inde der Knebelung, d.h. des Entzugs wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit (also nicht die blot~e Intensivkontrolle) der Gesch~iftsleitung oder der Gesellschafter; die Veranlassung des Kreditnehmers zur R/ickgabe von bereits eingel6sten Lastschriften im Zusammenhang mit einer K/indigung oder im Zusammenhang mit dem Unterlassen einer zeitlich frfiheren K/indigung. In der Vor-Sanierungsphase hat das Kreditinstitut im Wesentlichen die M6glichkeit, sich passiv zu verhalten oder aber das Darlehen zu k/indigen und in die Abwicklung zu treten. Es bestehen grunds~itzlich keine rechtlichen Bedenken gegen das Zur/ickstellen einer Kreditk/indigung, weil das Kreditinstitut nicht zur K/indigung und Sicherheitenverwertung verpflichtet ist. Ein Anspruch der G1/iubiger oder Drittsicherungsgeber auf K/indigung zur ,,rechten" Zeit besteht nicht. Dies bedeutet auch, dass nicht ausgesch6pfte Linien in Anspruch genommen werden k6nnen, ohne dass sich das Kreditinstitut den Vorwurf der Sittenwidrigkeit oder der Insolvenzverschleppung entgegenhalten lassen muss (Theewen, 2003, S. 141; Neuhof, 1998, S. 3225). Etwas anderes kann sich im Einzelfall dann ergeben, wenn es sich bei dem Schuldner um eine Kapitalgesellschaft handelt und der Kreditgeber hieran eine wesentliche Beteiligung h~ilt oder sich wesentliche Gesellschafterbefugnisse anmat~t (Theewen, 2003, S. 141; Neuhof, 1998, S. 3225).
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Workout-Management
4.2
Risiken in der Sanierungsphase
In der eigentlichen Sanierungsphase sind die rechtlichen Risiken der beteiligten Kreditinstitute von ihrem konkreten Verhalten und von den konkret gew/ihlten Sanierungsmat~nahmen abh/ingig.
4.2.1
Nachbesicherung bestehender Kredite
Zur Risikominimierung werden von Kreditinstituten im Falle einer Untemehmenskrise oftmals zus/itzliche Sicherheiten for bereits bestehende Kredite verlangt. Dabei k6nnen sich die Institute auf Vorschriften in ihren Allgemeinen Gesch~iftsbedingungen berufen (Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken, Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen) - oder auf eine zeitlich vorgelagerte Positiverkl~irung des Kreditnehmers zur Bestellung einer oder mehrerer, nach Art, Inhalt und Umfang eindeutig definierte Sicherheit(en). Realisiert das Kreditinstitut eine Nachbesicherung aus dem Verm6gen des Unternehmens auf der Grundlage der Regelung in seinen allgemeinen Gesch/iftsbedingungen, bestehen j e d o c h - anders als bei der Bestellung von Drittsicherheiten mit Ausnahme von BOrgschaften- nicht unerhebliche Risiken der Anfechtung und der Sittenwidrigkeit. Hierzu ein kurzer Uberblick Ober die zu beachtenden Vorschriften (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, 1. Teil, Rn. 295 ff.):
@ Sittenwidrigkeit der Besicherung (§ 138 BGB): Gerade auch im Vorfeld einer m6glichen Insolvenz kann eine Sicherheitenbestellung sittenwidrig und damit nichtig sein. Hierbei handelt es sich um F/ille, die von der Rechtsordnung unter Ber/icksichtigung von Beweggr/inden, verfolgtem Zweck und Bewusstsein der Sch/idigung Dritter missbilligt werden. Dazu geh6ren u. a. Verleitung zum Vertragsbruch, G1/iubigergef/ihrdung, Kollusion zwischen dem Kreditinstitut und dem Kreditnehmer zur Kreditt/iuschung, Insolvenzverschleppung etc., Knebelung, anf/ingliche Ubersicherung, Verm6gensverlagerung zu Lasten anderer G1/iubiger, Oberforderung eines Bfirgen usw. N Anfechtung wegen vors/itzlicher Benachteiligung (§ 133 InsO): Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Er6ffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine G1/iubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn das Kreditinstitut zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermuter, wenn das Kreditinstitut wusste, dass die Zahlungsunf/ihigkeit des Schuldnets drohte (!) und die Handlung die G1/iubiger benachteiligte. Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138 InsO) im Zeitraum von zwei Jahren vor dem Er6ffnungsantrag geschlossener Vertrag, durch den die Insolvenzgl/iubiger unmittelbar benachteiligt werden.
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@ KapitalersetzendenDarlehen (§ 135 InsO; dazu Kapitel 4.2.3): Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die fiir die Forderung eines Gesellschafters auf RLickgew~ihr eines kapitalersetzenden Darlehns oder ~ r eine gleichgestellte Forderung 7.
Sicherung gew~ihrt hat, werm die Handlung in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Er6f~ung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist;
8.
Befriedigung gew~ihrt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Er6f~ungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
U Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO): Eine Besicherung ist dann anfechtbar, wenn der Schuldner mit dem Vorsatz handelte, seine Gl~iubiger zu benachteiligen, und der Kreditgeber den Vorsatz des Schuldners kannte. U Anfechtung bei inkongruenter Besicherung (§ 131 InsO): Anfechtbar ist eine Rechtshandkmg, die einem Kreditinstitut eine Sicherung oder Befriedigung gew~ihrt oder erm6glicht hat, die es nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wer~ 9.
die Sicherheitenstellung oder Kreditri~ckf~rung im letzten Monat vor dem Antrag auf Er6f~ung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist,
10. die Sicherheitenbestellung oder Kreditri.ickfi.ihrung irmerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Er6f~ungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Sicherheitenbestellung bzw. Kreditri~ck~hrung zahlungsunf~ihig war oder 11. die Sicherheitenbestellung oder Kreditri~ck~hrung irmerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Er6f~ungsantrag vorgenommen worden ist und dem Kreditinstitut zur Zeit der Sicherheitenbestellung bzw. Kreditri~ckffihrung bekannt war, dass dies die Insolvenzgl~iubiger benachteiligte. Der Kerm~is der Benachteiligung der Insolvenzgl~iubiger steht die Kenntnis yon Umst~inden gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schliet~en lassen. diesen Anfechtungsbereich f~illt auch die Beurteilung einer RCickffihrung der Inanspruchnahme im Kontokorrent bei bis zum ~solvenzantrag offengehaltenet Kreditlinie.
Anfechtung bei kongruenter Besicherung (§ 130 InsO): Konkrete Deckung liegt vor, wenn das Kreditinstitut zum Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung oder Kreditri.ick~hrung einen f~illigen Anspruch auf Bestellung einer eindeutig definierten Sicherheit oder auf die konkrete KreditrCickffihrung hatte. Hierzu reicht der allgemeine Nachbesicherungsanspruch z. B. gem~ii~ Nr. 13 AGB Banken nicht aus; wohl aber eine entsprechend inhalflich gestaltete Positivverpflichtung des Kredi~ehmers.
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Workout-Management.i...................i Eine solche Nachbesicherung oder Rtickffihrung ist jedoch gleichwohl anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Er6ffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist und zu diesem Zeitpunkt der Schuldner zahlungsunf~ihig war und das Kreditinstitut zu diesem Zeitpunkt die Zahlungsunf~ihigkeit kannte oder wenn die Sicherung oder Befriedigung nach dem Er6ffnungsantrag vorgenommen worden ist und das Kreditinstitut zur Zeit der Vornahme die Zahlungsunf~ihigkeit oder den Er6ffnungsantrag kannte. Der Kenntnis der Zahlungsunf~ihigkeit oder des Er6ffnungsantrags steht die Kenntnis von Umst~inden gleich, die zwingend auf die Zahlungsunf~ihigkeit oder den Er6ffnungsantrag schliet~en lassen. Von diesem Grundsatz gibt es zwei Ausnahmen: 1. Wiederherstellung der Margensicherheit bei Finanzgesch~iften (§ 130 Abs. 1 Satz 2 InsO); 2. Sog. Bargesch~ift, d.h. Ausreichen eines neuen Kredits gegen Sicherstellung aus dem Schuldnerverm6gen. Notwendig ist eine enge Zweckbestimmung der Sicherheit auf diesen Anlasskredit ohne Ausdehnung der Haftung - nachrangig - ftir bereits bestehende Verbindlichkeiten, da hier dem Schuldnerverm6gen der entsprechende Gegenwert zufliet~t (§ 142 InsO, sofern nicht eine vors~itzliche Benachteiligung i. S. § 133 InsO vorliegt). Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Nachbesicherung bestehender Kredite mit nicht unerheblichen rechtlichen Risiken verbunden ist und daher eine genaue Prfifung der Umst~inde des Einzelfalles erforderlich ist.
4.2.2
Gew~ihrung und Besicherung von Sanierungskrediten
Sanierungskredite sind Neukredite, d. h. auch die Prolongation ausgelaufener Kredite oder die Erh6hung bestehender Kreditlinien, die zur Sicherung der Liquidit~it w~ihrend der voraussichtlichen Sanierungsphase gew~ihrt werden. Hierffr bestellte Zusatzsicherheiten sind nach den Regeln des Bargesch~ifts grunds~itzlich nicht anfechtbar, auch wenn in der Folge durch neuauftretende Umst~inde die Sanierung misslingt und der Kreditbetrag zum Zeitpunkt des Antrags auf Er6ffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr im Schuldnerverm6gen vorhanden ist (Theewen, 2003, S. 145). Diese Neukredite k6nnen jedoch unter dem Gesichtspunkt des untauglichen Sanierungsversuchs bzw. einer Scheinsanierung sittenwidrig sein und Schadensersatzansprtiche Dritter, insbesonderer anderer Insolvenzgl~iubiger, nach sich ziehen. Aus der genannten Zweckbestimmung eines Sanierungskredits folgt, dass er in seiner H6he und in seiner Laufzeit ftir die Sanierungsphase ausreichend bemessen sein muss. Besteht jedoch vorrangig die Intention des Kreditinstituts darin, den Zusammenbruch des Schuldners durch Gew~ihrung neuer, aber f/Jr eine erfolgreiche Sanierung nicht ausreichende Mittel nur hinauszuschieben, um sich in diesem Zusammenhang ggfi.
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den anderen Gl~iubigern Vorteile zu verschaffen, so ist regelm~it~ig der Tatbestand einer Scheinsanierung und damit einer Insolvenzverschleppung erffillt. Die der Sittenwidrigkeit folgende Nichtigkeit erfasst Kredit- und Sicherungsvertr~ige, mit der Folge, dass die bestellten Sicherheiten an die Insolvenzmasse zurfickzugew~ihren sind und der ausgereichte Kredit lediglich als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden kann. Um dieser Gefahr zu begegnen, muss das Kreditinstitut die Entscheidung fiber eine Sanierungsbegleitung sehr sorgf~iltig vorbereiten. In der Prfifungsphase 1 kann das Kreditinstitut zur Abwendung einer Zahlungsunf~ihigkeit einen Oberbrtickungskredit auch ohne detaillierte Sanierungsprfifungen ausreichen, da ihm nicht zuzumuten ist, seine Engagements voreilig zu kfindigen. Eine Oberschuldung darf aber nicht vorliegen oder muss ebenso kurzfristig beseitig werden. Zu einer sorgf~iltigen Sanierungsprtifung in der Phase 2 geh6rt ein qualifiziertes Sanierungsgutachten mit einer positiven Fortffihrungsprognose externer Spezialisten ohne oder mit erffillbaren Voraussetzungen, mit einem realisierbaren Konzept, dazu notwendige Mat~nahmen, seine Plausibilisierung, ggf. Erg~inzung durch das Kreditinstitut, d.h. bei dieser Prtifung sind in erster Linie die Ursachen der Krise zu ermitteln und zu erforschen, mit welchen Mitteln der Krisenlage abgeholfen und eine Sanierung voraussichtlich erfolgreich durchgeffihrt werden kann (BGH v. 11.11.1985; BGH v. 04.12.1997). Von einer Eigenprfifung durch das Kreditinstitut sollte vor diesem Hintergrund grunds~itzlich Abstand genommen werden, auch wenn diese wesentlich schneller erfolgen kann, aber wesentliche Interna beim Kreditnehmer regelm~it~ig nicht erfasst. Entscheidet sich das Kreditinstitut ffir eine Sanierungsbegleitung, ist die Kontrolle des Sanierungsfortschritts, der Realisierbarkeit des Konzepts und des Mat~nahmenkatalogs unabdingbar. Sollte sich herausstellen, dass die Sanierungsbemfihungen nicht zum gewfinschten Erfolg ffihren, muss das Kreditinstitut die weitere Sanierungsbegleitung einstellen, um sich nicht dem Vorwurf der Insolvenzverschleppung bzw. Gl~iubigerbenachteiligung mit allen daraus folgenden Konsequenzen auszusetzen.
4.2.3
Kapitalersatz
Besondere Risiken drohen den Kreditinstituten zuletzt auch dann, wenn ihre Darlehen drohen, als eigenkapitalersetzend angesehen zu werden. Ausgangspunkt sind die gesetzlichen Kapitalerhaltungsvorschriften (§ 30ff GmbHG; § 57 AktG; § 8a KStG) und umfangreiche h6chstrichterliche Rechtsprechung, die sich zun~ichst unter bestimmten Voraussetzungen an die Gesellschafter einer juristischen Person (GmbH; AG) unter dem Stichwort ,,Gesellschafter-Fremdfinanzierung" wenden, aber auch ffir Kreditinstitute ohne Beteiligung bzw. Gesellschafterstellung Bedeutung gewonnen haben. Inhalt dieser Vorschriften ist, dass das Stamm- bzw. Grundkapital aus Grfinden des Gl~iubigerschutzes grunds~itzlich nicht an die Gesellschafter ausbezahlt werden darf. Gibt ein
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Gesellschafter statt einer Kapitalerh6hung Darlehen an die Gesellschaft oder stellt er Sicherheiten f6r einen Kredit an die Gesellschaft, so wird er unter bestimmten Voraussetzungen in der Insolvenz der Gesellschaft nur als nachrangiger Insolvenzgl~iubiger behandelt bzw. muss in der Vorphase der Insolvenz erhaltene Zahlungen an die Masse wieder ausfolgen. Diese m6glichen Rechtsfolgen k6nnen dann eintreten, wenn sich das Unternehmen in einer Krise befindet und das Kreditinstitut eine wesentliche Beteiligung halt.
Vorliegen einer Unternehmenskrise: Eine Krise ist gem/it~ § 32 a Abs. 1 Satz 1 GmbHG dann anzunehmen, wenn die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute dem Unternehmen Eigenkapital zugef6hrt h/itten. Dies ist dann der Fall, wenn die Gesellschaft ihren Liquidit/itsbedarf nicht mehr durch Fremdkredit zu marktiiblichen Bedingungen decken kann und deshalb kreditunw//rdig ist und auf Gesellschafterdarlehen angewiesen ware (Neuhof, 1998, S. 3233).
Bestehen einer wesentlichen Beteiligung: Betroffen sind davon die gesch~iftfi~hrenden Gesellschafter und Gesellschafter mit einer Beteiligung von 10 % an einer GmbH oder einer Beteiligung mit mehr als 25 % an einer AG ( § 32 Satz 2 GmbHG). Zwei Ausnahmen gelten f/ir die GmbH: 1. Nicht betroffen sind nicht gesch/iftsf/ihrende Gesellschafter, die mit 10 % oder weniger am Stammkapital beteiligt sind (§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG). 2. Das sog. Sanierungsprivileg (§ 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG): Erwirbt ein Darlehensgeber in der Krise der Gesellschaft Gesch~iftsanteile zum Zwecke der Oberwindung der Krise, f~ihrt dies fi~r seine bestehenden oder neu gew~ihrten Darlehen nicht zur Anwendung der Regeln/iber den Eigenkapitalersatz. Diese gesetzliche Regelung ist f~ir Kreditinstitute und andere Kreditgeber h6chst problematisch, da in der Auslegung weitgehend Rechtsunsicherheit besteht (Tetzlaff, 2005, S. 644 ff.). Selbst wenn keine wesentliche oder gar keine Beteiligung des Kreditinstitutes existiert, k6nnen die Vorschriften /iber kapitalersetzende Darlehen eingreifen, falls sich das Kreditinstitut bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise Gesch/iftsf/ihrungs- und Gesellschafterbefugnisse anmat~t: Wenn sich ein Kreditgeber wie ein Gesellschafter geriert, wird er v o n d e r Rechtsprechung auch als solcher behandelt (etwa BGH v. 26.03.1984). Von einer solchen Anmat~ung kann insbesondere in folgenden zwei F~illen gesprochen werden: @ Die Gesellschafter und/oder Gesch/iftsf/ihrer werden vertraglich oder rein faktisch weitgehend entmachtet (Neuhof, 1999, S. 20 ft.; BGH v. 26.03.1984). Eine Entmachtung liegt z. B. dann vor, wenn dem Gl~iubiger weit reichende Befugnisse zur Einflussnahme auf die Gesch~iftsf/ihrung und die Gestaltung der Gesellschaft einger~iumt werden (BGH v. 02.07.1992). Das Kreditinstitut verschafft sich durch Kontrollmai~nahmen und den Einsatz von Vertrauensleuten weitgehende Gesch~iftsf/ihrungsbefugnisse und dem Schuldner
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verbleibt dadurch kein nennenswerter Verhandlungsspielraum (Schuldnerknebelung). Ein solcher Fall ist jedoch erst dann zu bejahen, wenn nach der Beurteilung der Gesamtheit aller Mat~nahmen von einer L~ihmung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit gesprochen werden kann (BGH v. 09.12.1969) bzw. unter Androhung der K/indigung die Gesellschafter zu bestimmten Entscheidungen praktisch gezwungen werden. Auch wenn die Kreditinstitute im Sanierungsfall ein berechtigtes Interesse an der Einflussnahme und Kontrolle von Unternehmensentscheidungen haben, sollten sie aus rechtlicher Sicht den Bogen nicht (iberspannen. Um den Konsequenzen des Kapitalersatzes, n/imlich Nachrangigkeit der Forderungen im Insolvenzfall bei gleichzeitigem Verlust s~imtlicher Sicherheiten aus dem Weg zu gehen, erscheint es aus Sicht der Kreditinstitute sinnvoll, von den Gesellschaftern und der Gesch~iftsfiihrung auch in alle wesentliche Personal- und Sachentscheidungen fri.ihzeitig eingebunden zu werden und diese Einbindung auch zu dokumentieren (Neuhof, 1999, S. 21). Am Ende bleibt noch der Hinweis, dass die Regeln des Kapitalersatzes auch sog. Kapitalersetzende Nutzungs/iberlassungen und mittelbare Beteiligungen erfassen. Dies bedeutet, dass Mehrheitsbeteiligungen eines Kreditinstituts an Kapital- oder Leasinggesellschaften direkt auf das Kreditinstitut als Kreditgeber und als Refinanzierer der Leasinggesellschaft durchschlagen k6nnen.
S
Ausblick: Organisation der WorkoutAbteilun8 als Profitcenter?
Die Frage, ob das Workout-Management als eigenst~indiges Profitcenter organisiert werden kann, besch~iftigt derzeit das Controlling vieler Kreditinstitute. Dies erscheint v. a. zur besseren Kontrolle und quantitativen Performance-Messung sinnvoll. In vielen Fallen scheitert die Umsetzung des Konzeptes jedoch an den nicht unerheblichen Schwierigkeiten bei der konkreten Bemessung des Erfolgsbeitrages und der Definition entsprechender Kennzahlen. Hierzu ist es erforderlich, dass zwischen der allgemeinen Kreditabteilung als abgebende Stelle und dem Workout-Bereich als annehmende Stelle - zun~ichst fi.ir die Abgabe - Verrechnungspreise der Kredite festgelegt werden. Basis ist somit eine objektive, quantitative Bewertung des Kredites zum Zeitpunkt der Ubergabe an das Workout-Management (=Transferpreis). F/ir die Berechnung des Erfolgsbeitrages des Workout-Managements sind zwei F~ille zu unterscheiden (Lautenschl~iger, 2000, S. 282 ft.): !
Die Wertsch6pfung kann zun~ichst in der Sanierung mit anschliet~ender Riickgabe des Engagements in die ordentliche Kreditbetreuung liegen. In diesem Fall liegt
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Workout-/Vlunegemen t
ein Erfolg dann vor, wenn das Kreditrating durch das Workout-Management verbessert wurde und damit eine Wertsteigerung des Kredites erreicht wurde. !
Der Erfolg f6r das Workout-Management kann jedoch auch in der besonders effektiven und effizienten Durchf~ihrung der Liquidation des Kredites liegen. In diesen Fallen ist die realisierte Recovery-Rate gr6t~er als die zun~ichst erwartete.
In Abh~ingigkeit von den aufgezeigten Handlungsoptionen bemisst sich der (Brutto-) Erfolg des Workouts als Differenz zwischen dem Wert des Kredites bei 0bergabe an das Workout-Management (-Transferpreis) und dem R~ickgabepreis bzw. Liquidationserl6s. Der Nettoerfolg ermittelt sich in einem n~ichsten Rechenschritt durch Abzug der mit der Sanierung/ Liquidation zusammenh~ingenden Aufwendungen (Lautenschl~iger, 2000, S. 286). Da sich im Regelfall eine Vielzahl von Krediten in der Intensivbetreuung befindet, bedarf es einer Bewertung des gesamten Kreditportfolios im Bereich Distressed Debt. Um den Wertzuwachs eines solchen Portfolios zu bestimmen, m6ssen die Werte der betreuten Einzelkredite- aufgrund der unterschiedlichen Betreuungsdauer - sowohl zu Beginn als auch zum Ende der Beurteilungsperiode diskontiert werden. Bereits die Ermittlung der Transferpreise di~rfte in der Praxis relativ schwierig und aufw~indig sein, da die Engagements m6glichst auf Einzelkreditebene einer sachlichen Bewertung zu unterziehen sind. Eine objektive Absch~itzung ist dann m6glich, wenn am Markt vergleichbare Kredite gehandelt werden. Denkbar ist zun~ichst etwa ein Vergleich mit Unternehmensanleihen derselben Bonit~itsstufe. Die Problematik der Bewertung verschiebt sich d a n n - insbesondere bei kleineren Unternehmen- allerdings auf die Ebene des Unternehmensratings. Auch wenn die Rating-Agenturen ihre Services ki~nftig fi~r mittelst~indische Unternehmen anbieten wollen, di~rfte eine objektive Bewertung in naher Zukunft nur schwer m6glich sein. Als Alternative zur Einzelbewertung von Krediten kommt die Bewertung des gesamten betreuten Kreditportfolios in Betracht. Vergleichsmat~stab k6nnen verkaufte Kreditportfolios anderer oder der eigenen Bank sein. Aufgrund des ansteigenden Marktvolumens handelbarer Kreditportfolios erscheint es zumindest nicht g~inzlich ausgeschlossen, objektive Vergleichsmat~st~ibe aufzuzeigen. Erforderlich ist hierfi~r jedoch, dass sich der Markt f~ir Kreditportfolios in Europa weiter entwickelt und die Anzahl der ver6ffentlichen Transaktionen weiter zunimmt. Solange eine Vielzahl von Deals nicht 6ffentlich bekannt gemacht wird, liefert eine Sch~itzung des Volumens keine ausreichende Hilfestellung. Zusammenfassend l~isst sich festhalten, dass die Organisation des Workout-Bereichs als Profitcenter sinnvoll, a b e r - zumindest gegenw~irtig- nur mit erheblichem Aufwand umsetzbar ist.
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ili
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932
Workout-Management
Urteil/Beschluss/AZ
Datum
Fundstelle
BGH, BGH, BGH, BGH, BGH,
09.12.1969 11.11.1985 04.12.1997 26.03.1984 02.07.1992
NJW 1970, S. 657 NJW 1986, S. 837 ff. WM 1998, S. 248 BGHZ 90, S. 382, NJW 1984, S. 1893 NJW 1992, S. 3035
Urteil, Urteil, Urteil, Urteil, Urteil,
IX ZR 174/91 VI ZR 50/68 IX ZR 47/97 II ZR 171/83 II ZR 171/83
933
1
A u s g a n g s l a g e .................................................................................................................
2
G r u n d l a g e n z u m Sanierungskredit ............................................................................. 937
3
Konzeptionalisierung des E n t s c h e i d u n g s p r o b l e m s .................................................. 3.1 E n t s c h e i d u n g s p r o b l e m der Sanierungskreditgeber ......................................... 3.2 E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r bei der Sanierungskreditvergabe ........................... 3.2.1 Qualitative E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r .................................................... 3.2.1.1 E n d o g e n e E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r ...................................... 3.2.1.2 Exogene E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r ......................................... 3.2.2 Quantitative E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r ................................................. 3.3 Erstellung der Parameterfunktion ......................................................................
939 939 941 941 941 943 944 947
4
Empirische U n t e r s u c h u n g zur Sanierungskreditvergabe ........................................ 4.1 Methodische Vorgehensweise u n d D a t e n e r h e b u n g ........................................ 4.2 A u s w e r t u n g u n d Interpretation der Ergebnisse .............................................. 4.2.1 H~iufigkeit der Vergabe von Sanierungskrediten innerhalb der Stichprobe ................................................................................................. 4.2.2 Statistische A u s w e r t u n g u n d Interpretation der einzelnen Parameter .................................................................................................. 4.2.3 Statistische A u s w e r t u n g u n d Interpretation der Parameterfunktion ...................................................................................
948 948 950
954
S c h l u s s b e m e r k u n g e n .....................................................................................................
956
5
937
950 951
935
Prognose von Sanierungskreditvergaben in Deutschland
Ausgangslage Bei der Finanzierung von Krisenunternehmen obliegt die Schl~isselrolle in Deutschland bis heute den Banken, da sich die Frage der Krisenbew~iltigung oft auf die Gew~ihrung neuer Finanzmittel, v.a. Sanierungskredite, konzentriert und die Banken i. d. R. die Grot~gl~iubiger der Krisenunternehmen sind (David, 2001, S. 71; Buchalik, 1998, S. 27). Die Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2003 verdeutlichen jedoch, dass die Bereitschaft der Banken, Sanierungskredite zu vergeben, selektiver und restriktiver geworden ist (Hofmann, 2002, S. 551; Stadler, 2002, S. 10-14; Vera, 2002, S. 31). Die Vergabe eines Sanierungskredites hat aber nicht nur Auswirkungen auf das jeweils betroffene Unternehmen, sondern beeinflusst auch das Verhalten anderer involvierter Parteien wie z. B. Lieferanten und Kunden. Vor diesem Hintergrund zeigt die nachfolgende Analyse, dass die Sanierungskreditvergabe in Deutschland in den letzten Jahren zumindest von Unternehmensinsidern recht gut zu prognostizieren war. Bevor in Kapitel 4 diesbez~igliche empirische Evidenz geboten wird, werden zun~ichst in Kapitel 2 kurz einige definitorische Grundlagen und in Kapitel 3 ausf6hrlich die Parameter der Kreditvergabeentscheidung vorgestellt. Abschliet~end wird Kapitel 5 die wesentlichen Ergebnisse zusammenfassen und mit einem Ausblick enden.
2
Grundlagen zum Sanierungskredit
Im Allgemeinen werden Sanierungskredite als die Gew~ihrung neuer Kredite oder die Ausweitung bestehender Kreditlinien durch ein Kreditinstitut oder eine Gruppe von Kreditinstituten (Bankenpool) im Rahmen der Sanierungsfinanzierung von Unternehmen in der Liquidit~itskrise verstanden (Gawaz, 1997, S. 15-16). In der Praxis werden Sanierungskredite h~iufig als 0berbri~ckungskredite deklariert, da man diese aufgrund ihrer k~irzeren Laufzeiten in regelm~it~igen Sequenzen erneuern kann.216 Der Sanierungskredit wird dem Unternehmen im Stadium der Sanierungsbed6rftigkeit zugef~ihrt, wenn eine Insolvenzreife nicht gegeben ist, das Unternehmen sich aber in einer Liquidit~itskrise befindet (Gawaz, 1997, S. 15; K~impfer, 1993). Aufgrund der Liquidit~itsproblematik wird von den Banken oft ein nicht-risikoad~iquater Zins (sog. Sanierungszins) zugestanden. Immer h~iufiger ist die Gew~ihrung eines Sanierungskredites dabei von der Zusage einer Erfolgsbeteiligung nach gelungener Restrukturie-
216 Vgl. KAHL(2002), S. 135-168. KAHLbegri~ndet dieses Verhalten mit der Intention, eine potenzielle Liquidationsentscheidung hinauszuz6gem, um vorhandene Informationsdefizite zu reduzieren. 937
Schiereck I Wei~l
r u n g abh~ingig. Tendenziell n i m m t auch die vertragliche Z u s i c h e r u n g eines sog. Equity Kickers zu. Der u r s p r 0 n g l i c h e Zins verliert somit an Bedeutung, da andere Instrum e n t e das Risiko der Banken geeigneter reflektieren. A b b i l d u n g 2-1 fasst die Charakteristika von S a n i e r u n g s k r e d i t e n z u s a m m e n :
Abbildung 2-1:
Charakteristikavon Sanierungskrediten
i¸~¸ i~:,'i~i~ili~i~i~i;i~ii~i~i~i~ii~i~iili~liii~ii,ii~iiii~iiiII:GG ~:i iii~i~i~i~:i~I~I~I~GGI i~i ii:i~i~G i~i~I~I'I~GII~Iii~ii~i~iii~;i~i~~Gi~iii;~i~i~i~Ii~i:IiG~Ii~I~iGi~Ii~I~II~IG ~I;~I~GG~G~GI~I~ I~I~I~ i~i:~i~i~i~i~i~i~i~i~i~i~ii~i~i~i~i~i:,~i~Gi~i~i;~i~:i~i~i~iiii~:i~i~ii~::i~i~i~i~iiGG i~i~i~i i~;iiI~IG~I ~i iiiiii;i~i~ii~iii~i~i~i~i ~;ii~iiii:ii~i:~i ~i~i ~iiG ~i if;ii~i~i,iiiiiii:ii~GGII:::~i
ii iiiii
iHHiiiiii;i ii
iiiiiiii iiiiii ii®iiiiiiiiii
iiiiiiiiiiiii iii iiii i ii iii iiiiiiiii
il i .I Systemati~he Einordnung
Heteronome Mal~nahme mit unmittelbarer Liquidit~itswirkung
i:
ili i " i Zei~unktder i:iil ~: . Kreditgew~hrung .
Unternehmen befindet sich in einer akuten Krise, meist Liquidit~tskrise; Gew~ihrung erfolgt nach der Attestierung der Sanierungsf~ihigkeit im Rahmen des Restrukturierungskonzeptes
i~:i if: i~i
i
Haftung
Keine Haftung; jedoch bestehen erhOhte Haftungsrisiken insbesondere bedingt durch den Zeitpunkt der Kreditgew~ihrung
ii ~ . . . . . . . . . . . . . . . . i: VermOgensanspruch ............. .....i ~
.,
......................
Nominalanteil; Rechtsanspruch auf R0ckzahlung; jedoch unterliegt dieser einer erhOhten Unsicherheit bei Nicht-Besicherung, da erhShte Gefahr der Insolvenz (ZufOhrung zur Insolvenzmasse)
. ...............................................................................................................................................................
i ~.... i.:
i~:ii :~
:
E~ragsanspruch
:~ ii::~i ,i',
Ve~gungsrechte
i;:.~i
Zeitliche Verf0gbarkeit
Feste Verzinsung (Zinsen sind abzugsf~ihig); erfolgsabh~ngige Verg0tung ist mittlerweile Standard
i
Kein Einfluss auf die Gesch~ftsf0hrung; jedoch h~iufig erh~hte Informations- und z.T. Einwirkungsrechte
i ~: i~ ..
:i ~
• " Besicherung
Befristet (> 1 Jahr); Laufzeit ist h~ufig an den Sanierungsverlauf und -erfolg gekn0pft Meist hohe Besicherung; gelegentlich auch ohne Sicherheiten
Im Entscheidungskalk01 einer rational a g i e r e n d e n Bank ist der wichtigste G r u n d for eine S a n i e r u n g s k r e d i t v e r g a b e die V e r l u s t v e r m e i d u n g bzw. V e r b e s s e r u n g der individuellen Risikoposition. D u r c h eine weitere Kreditgew~ihrung soll d e m U n t e r n e h m e n Liquidit~it zugefOhrt u n d h~iufig die Er6ffnung eines I n s o l v e n z v e r f a h r e n s v e r h i n d e r t w e r d e n . Ziel ist es, als Folge einer erfolgreichen Sanierung bereits gew~ihrte Kredite z u r O c k z u e r l a n g e n (Kosten-Nutzen-Kalkulation). N a c h f o l g e n d w e r d e n relevante E n t s c h e i d u n g s p a r a m e t e r for die Sanierungskreditvergabe als Einflussfaktoren auf die individuelle K o s t e n - N u t z e n - A n a l y s e der Banken verst~indlich gemacht. Ableitend aus b e s t e h e n d e n theoretischen G r u n d l a g e n u n d den Ergebnissen intensiver Expertengespr~iche w i r d eine P a r a m e t e r f u n k t i o n erstellt, die es erm6glicht, das einzelfallspezifische E n t s c h e i d u n g s p r o b l e m der Banken zu konzeptionalisieren.
938
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Prognose von Sanierungskreditvergaben in Deutschland i!!!ii!!i~ii!i!ii~i!!i!ii!!!i!!!ii!i!!!ii!~i~i!ii!i!!!!i !!i!i!!!i¸!i!i!i~iiii!ii !i!i!i!!~
3
Konzeptionalisierun8 des Entsc hei d u ngsp rob lems
3.1
Entscheidungsproblem der Sanierungskreditgeber
Der Sanierungskreditgeber hat sich zwischen Kreditvergabe und Nichtvergabe zu entscheiden. Dabei wird der Entschluss zur zus~itzlichen Kreditvergabe ,,in erster Linie
die resultierenden Auswirkungen auf die Rentabilitfit, Sicherheit und Liquiditfit als grundlegendes Zielsystem einer erwerbswirtschaftlich orientierten Bank [...] beridcksichtigen'" (L6thy, 1988, S. 245). F6r die Bank ergibt sich vereinfacht ein Entscheidungsproblem, das in Abb. 3-1 dargestellt ist:
Abbildung 3-1:
Entscheidungsproblemder Sanierungskreditvergabe
Sicherheit ... ... ohne zus~itzliche Kreditvergabe (unmittelbarer Exit)
... mit zus~tzlicher Kreditvergabe (kein.. unmitte!barer Exit)
.........................................................
6
g~ ? Verlust
iii~ cO
~.~
~ Gesamtbesicherung
i~i,i
Gesamt- Szenario A: Szenario B: KrisenInsolvenz kreditengagement bew~ltigung ErlOs der Bank aus bestehendem Kreditengagement ErlSs der Bank aus Sanierungskredit
I
Gesamt- Szenario C: Szenario D: kreditenga- Verkaufder Insolvenz gement Forderung ........ Verlust aufgrund nachtr~iglicher Kosten und Risiken
i!
. . . .
Durch eine zus~itzliche Kreditvergabe erh6ht sich das Gesamtkreditengagement, wobei sich zwei Szenarien ergeben k6nnen. Szenario A - Krisenbew~iltigung spiegelt die
939
Schiereck I Weigi
Rettung des Unternehmens nach der Gew~ihrung des Sanierungskredits wider. Die bereits bestehenden Kredite sowie der zus~itzliche Kredit k6nnen zuriickgezahlt werden. Demgegeni~ber illustriert Szenario B - Insolvenz die M6glichkeit, dass trotz Sanierungskreditvergabe eine Insolvenz eintritt. Dabei soll vereinfachend die Annahme gelten, dass der Sanierungskredit vollst~indig und werthaltig besichert ist, d. h., der Erl6s fi~r den Sanierungskredit entspricht dem Wert seiner Kreditsicherheiten. Der Kreditgeber erh~ilt hier auch den Erl6s aus der Verwertung der Kreditsicherheiten fiir das bisherige Engagement. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Kreditsicherheiten ~ r das bisherige Engagement i. d. R. nicht das vollst~indige Ausfallrisiko abdecken und der Erl6s aus der Verwertung nicht dem Wert der Kreditsicherheiten entspricht, da u. a. Kosten des Insolvenzverfahrens sowie diverse wirtschaftliche und rechtliche Risiken mit den Besicherungen verbunden sind (Drukarczyk, 1999, S. 494-496). Schliet~lich kann sich die Bank auch entscheiden, keinen Sanierungskredit zu vergeben. Wiederum k6nnen zwei Alternativen identifiziert werden. Im Szenario C - Yerkauf erh~ilt die Bank einen Erl6s durch den Verkauf ihrer bisherigen Forderungen an andere Banken, meist mit einem erheblichen Abschlag, der vom individuellen Ausmat~ der Krisensituation abh~ingt. 217 Eine Alternative zum Verkauf des Altengagements ist ~ n l i c h wie in Szenario B die Verwertung von Sicherheiten im Insolvenzverfahren. Diese Handlungsaltemative beschreibt Szenario D - Insolvenz. Im Gegensatz zu Szenario B sind die Sicherheiten im Szenario D insgesamt geringer, da keine weiteren Sicherheiten fiir einen Sanierungskredit aufgebracht werden mi~ssen. In der Praxis erleidet der Sanierungskreditgeber in Szenario B h6here wirtschaftliche Einbut~en als in Szenario D, da Sanierungskredite nur selten vollst~indig besichert sind. Die Entscheidungssituation des Kreditgebers ist somit komplex und hoch bedeutsam ~ r das Fortbestehen des Untemehmens. Grunds~itzlich ist sie mit der eines Investors, der zwischen zwei altemativen Investitionsobjekten zu entscheiden hat, vergleichbar. Analog zu einer Investition kann die Vorteilhaftigkeit der Vergabe eines Sanierungskredites mit Hilfe investitionsrechnerischer Verfahren beurteilt werden (Elsas/Krahnen, 2002, S. 24; Fouquet, 1987, S. 63; Schneider, 1980, S. 504). Die praktische Anwendung dieser Entscheidungsregel ist aufgrund einer hohen Anzahl an unbekannten Einflussgr6t~en mit beachtlichen Schwierigkeiten verbunden. In diesem Zusammenhang erweist sich auch eine Prognose hinsichtlich einer erfolgreichen Krisenbew~iltigung bzw. einer Insolvenz trotz Sanierungskreditvergabe als schwierig. Aus diesen Gri~nden ist eine einfache Barwertberechnung nicht ausreichend. Vielmehr wird die Entscheidung von mehrdimensionalen und interdependenten Parametem beeinflusst, die nachfolgend n~iher zu bestimmen sind.
217
Der Abschlag betr~igt laut Experten aktuell zwischen 50 und 90 Prozent.
940
Pro$nose von Sanierun~skreditver~aben in Deutschland
iiii ~ili ~iii~
3.2
Entscheidungsparameter bei der Sanierungskreditvergabe
Die weitere Implementierung der Entscheidung zur Sanierungskreditvergabe mit der Auswahl einzubeziehender Entscheidungsparameter orientiert sich an den Erkenntnissen von KUDLA (2004)218 und wird tiber zus~itzliche Experteninterviews validiert und erweitert. Aufgrund dieser herangezogenen Vorgaben sind die einzelnen Parameter ftir die Interviews allerdings nicht immer tiberschneidungsfrei definiert. Die Gewichtung der Parameter wird auf einer einfachen Skala erfasst (1 = keine Relevanz bis 5 = h6chste Relevanz). In Abh/ingigkeit der Messbarkeit wird zwischen qualitativen und quantitativen Kriterien unterschieden.
3.2.1
Qualitative Entscheidungsparameter
Die erfassten qualitativen Parameter unterteilen sich in endogene, von den Banken und Krisenunternehmen begrfindete und beeinflussbare, sowie in exogene, von den Banken und Krisenunternehmen nicht unmittelbar beeinflussbare Entscheidungsparameter. Die endogenen Parameter sind ftir die Sanierungskreditvergabe i. d. R. aufgrund der Einzelfallbetrachtung von h6herer Bedeutung. Sie werden nachfolgend gem/if~ der Gewichtung von KUDLA(2004) nach abnehmender Bedeutung vorgestellt.
3.2.1.1
EndogeneEntscheidungsparameter
Qualit/it der Gesch/iftsleitung (Relevanz: Q 4,9): In Krisensituationen muss die Gesch/iftsleitung spezifische Kenntnisse und F~ihigkeiten zur Krisenbew/iltigung besitzen. Als wichtigste Anforderungen werden hohe Analysef~ihigkeiten, gutes Durchsetzungsverm6gen sowie tiberragende Qualit~iten im Bereich Mitarbeiterftihrung und Motivation genannt. 219 Da die Krisensituation oft auf Fehler der amtierenden Gesch~iftsftihrung zurtickgeffihrt werden kann (80 % aller Krisen) u n d / o d e r diese die Krisensituation bewusst verschleiert hat, wird das Management h~iufig ausgetauscht (Hotchkiss, 1995, S. 4; Gilson, 1989, S. 241-242). Eine Beurteilung der Qualit~it der Gesch~iftsleitung ist aus Sicht der Banken zwar wichtig, zugleich aber auch ~iut~erst schwierig. Eingeschr~inkt hilfreich kann hier die Jahresabschlussanalyse sein, sofern der finanzielle und bilanzielle (Miss-)Erfolg des Krisenunternehmens der amtierenden Gesch~iftsleitung zugeordnet werden kann (Wilden, 1998, S. 21-22). Vertrauen der Banken in die Gesch/iftsleitung (O 4,8): Charakteristisch fiir Vertrauen ist die Erbringung einer in die Zukunft gerichteten (riskanten) Vorleistung, mit der 218 Vgl. KUDLA(2004), S. 109-119. KUDLAorientiert sich v. a. an Ratingverfahren von Banken. 219 ~idmlicheErkenntnisse finden sich bei WILDEN(1998), S. 21-22. 941
Schiereck / Weigl
eine Verlustgefahr verbunden ist (Bachmann, 2000, S. 112; Krystek, 1997, S. 544; Zand, 1972, S. 232-233). Im Fall der Sanierungskreditvergabe vertraut die Bank darauf, dass eine Restrukturierung erfolgreich sein wird und als Konsequenz die Kreditr/ickzahlungsf~ihigkeit gew~ihrleistet ist. Dazu muss das Management eine hohe Glaubwi,irdigkeit besitzen.
Qualit/it des Restrukturierungskonzeptes (O 4,7): Die Qualit~it wird bestimmt durch weiche Faktoren, wie z. B. eine realistische Einsch/itzung der Ziele, sowie durch harte Faktoren, wie z. B. den zus~itzlichen Kapitalbedarf (Kudla, 2004, S. 115.). Eine realistische Einsch/itzung der H6he des ben6tigten Sanierungskredites sowie der damit verbundenen Chancen und Risiken geht aus dem Restrukturierungskonzept hervor (Buth/Hermanns, 1998, S. 355-356). Das Restrukturierungskonzept beinhaltet auch die Restrukturierungsstrategie. Die richtige Wahl der Restrukturierungsstrategie ist unabdingbar f6r eine sehr gute Qualit/it des Restrukturierungskonzeptes. 220 Es sei an dieser Stelle nochmals explizit darauf hingewiesen, dass f/Jr die folgende empirische Analyse die hier vorgestellten Kriterien und ihre Gewichtung aus der Literatur 6bernommen wurden. Dass die Zusammenstellung dieser Kriterien nicht immer den theoretischen Vorgaben einer vollst/indigen und insbesondere/,iberschneidungsfreien Abgrenzung gentigt, wird bewusst in Kauf genommen. F6r die hier analysierte Prognostizierbarkeit von Kreditvergabeentscheidungen ist dieser Mangel aber von untergeordneter Bedeutung.
Zustand des Kerngesch/ifts (O 4,5): Das Vorhandensein bzw. die Erlangung wettbewerbsf/ihiger Kernkompetenzen bildet das Fundament einer erfolgreichen Restrukturierung (Kudla, 2004, S. 114; Jobsky; 1998, S. 335). Wesentlich f/Jr die Sanierungskreditgeber ist die wirtschaftliche Kraft des Untemehmens Cash-Flows zu generieren, um die Zins- und Tilgungsverpflichtungen zu erf611en. Integriertes, ziigiges und flexibles Umsetzungscontrolling (O 4,5): Zum Risikomanagement ist die Durchf/.ihrung eines regelm/it~igen Reportings eine unabdingbare Auflage der Banken, um sowohl tiber den neuesten Stand der Umsetzung als auch i.iber die aktuelle Liquidit~itslage des Krisenunternehmens informiert zu sein. Zur Vermeidung eines m6glichen Vorwurfs der Insolvenzverschleppung, hilft die Begutachtung der Sanierungswtirdigkeit durch Dritte (O 4,3): Externe Berater (Unternehmensberater oder Wirtschaftsprtifer) k6nnen verborgene Risiken und Schwachstellen oft pr~iziser aufdecken als interne, voreingenommene Mitarbeiter des Krisenuntemehmens. Sie sind eher bereit, mit einer vorhandenen Untemehmenstradition zu brechen und gew~ihren weitgehende Objektivit~it.
Unsicherheit tiber die Sanierungswtirdigkeit (O 4,2): Ist es unm6glich, eine klare Aussage bzgl. der Sanierungsf~ihigkeit zu treffen, sind Banken h/iufig nicht bereit, einen Sanierungskredit zu gew~ihren. 220 ,aflanlicheErkenntnisse finden sich bei KUDLA(2004), S. 116. 942
Prognose yon Sanierungskreditvergaben in Deutschland
Einigkeit im Bankenpool (O 4,0): Bei Nichtzustandekommen einer Einigung, so betonen Experten, kann eine Sanierungskreditvergabe nahezu ausgeschlossen werden. In Abh/ingigkeit ihrer Interessen und Zielsetzungen ist es jedoch auch m6glich, dass eine Bank ohne Bildung eines Bankenpools einen Sanierungskredit gew~ihrt. Meistens hat sie in diesem Fall hohe unbesicherte Altforderungen. Homogenit/it der Gesellschafterstruktur (O 3,4): Als nachteilig erweist sich regelm~it~ig ein inhomogener Gesellschafterkreis, der die f/it den Sanierungserfolg notwendige Geschlossenheit und Einigkeit aller Stakeholder tendenziell erschwert. Die Existenz eines Grot~aktion/irs bei Aktiengesellschaften erleichtert eine Sanierungskreditvergabe, sofern dieser an einer langfristigen Revitalisierung des Unternehmens interessiert ist. Hohe Umsetzungsgeschwindigkeit der Restrukturierungsmat~nahmen (O 3,3): Wichtig ist insbesondere der Zeithorizont bis zum Break-even. Die Zeitspanne sollte maximal drei Jahre betragen; je geringer der Zeitraum, desto weniger Unsicherheit besteht hinsichtlich der Restrukturierungschancen und desto schneller kann eine Verbesserung der Handlungsf~ihigkeit erreicht werden (Herrmann/R6ttgen, 1998, S. 362).
Homogenit/it der G1/iubigerstruktur (O 3,0): Besteht eine ausgepr~igte Heterogenit/it unter den Gl~iubigern (z. B. In- und Auslandsbanken, Lieferanten), entstehen divergierende Anreizkonstellationen und Abstimmungsprobleme (Brunner/Krahnen, 2002, S. 11; Elsas/Krahnen, 2002, S. 1).
3.2.1.2
ExogeneEntscheidungsparameter
Allgemeine Markt- und rechtliche Risiken (O 3,9): Sie sind von den Entscheidungen des Gesetzgebers u n d / o d e r der Umwelt abh/ingig. Bestehen rechtliche Risiken, so geben Banken normalerweise keinen Sanierungskredit.
Aktuelle und antizipierte Branchenentwicklungen (O 3,8): Mit Hilfe einer Branchenanalyse erstellen Banken ihre subjektiven Branchenratings. Wird eine Branche relativ schlecht bewertet, sinkt die Bereitschaft, Investitionen in sie zu t/itigen, und bereits bestehende Kreditengagements werden reduziert.221 Ist die Wettbewerbsintensit~it der Branche verh/iltnism/ii~ig niedrig, wird die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung als h6her eingesch/itzt.
Stabilit/it des makro6konomischen Umfelds (O 2,8): Determinanten sind z.B. die Inflationsrate oder das Zinsniveau. Staatliche Rahmenbedingungen wie das Insolvenzoder Kapitalmarktrecht sowie das Steuersystem sind weitere Determinanten. Verschlechtert sich das makro6konomische Umfeld, erfolgt die Gew/ihrung von Sanierungskrediten restriktiver.
221 Die befragten Experten bezeichnen die Bau-, Textil-, M6bel- und seit j6ngster Zeit die Luftfahrtindustrie als sehr risikoreich. 943
iii.ii.......................
Schiereck / Weigl
i!ii~iiiii~i!!~ii~iiiii!ii~iiiii!ii~iiii~i~iiii!~ii!iii~i~i~i~ii!i!iiiii~iii~ii
Die Relevanz von staatlichem bzw. 6ffentlichem Druck (O 2,8): In einigen medienwirksamen F~illen hat der Staat bzw. die 0ffentlichkeit Druck auf die involvierten Banken ausge/ibt, insbesondere wenn for diese die Entscheidung zur Sanierungskreditvergabe betriebswirtschaftlich fragw/irdig war. Die aufgefohrten qualitativen Entscheidungsparameter verdeutlichen, dass das Entscheidungsproblem der Sanierungskreditgeber sehr komplex und vom Einzelfall abh~ingig ist. Abbildung 3-2 fasst die Gewichtungen der Parameter zusammen:
Abbildung 3-2: Einordnungund Gewichtungder qualitativen Entscheidungsparameter Qualitative Entscheidungsparameter .... .... : ..... ::: :. . . . . .
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..................................
4,0
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Gesellschaftsstruktur
3,4
i iUm~etzungs~esc"w!ndi~"eii i
. . . . . . . . . . . . . . . ............................................................
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... U . n s i c h e r h e . i t
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4, 5
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staatiicl~er/sffentlichei
..................................................... i i.....................................218 ...............................':
'DruCk ..............................................................
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3.2.2
Quantitative
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2,8
.................................
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Entscheidungsparameter
Die Berechnung und Auswertung von finanz- und ertragswirtschaftlichen Kennzahlen ist eine wesentliche Aufgabe der Kreditanalytiker von Banken, um z. B. die Kreditw~irdigkeit des Krisenunternehmens zu prognostizieren (Littkemann/Krehl, 2000, S. 19; Hauschildt, 1995, S. 356). Die nachfolgende empirische Analyse wird allerdings zeigen, dass eine Einbeziehung auch der qualitativen Faktoren unbedingt sinnvoll erscheint, um gute Vorhersagen zu treffen.
944
Prognose yon Sunierungskreditverguben in Deutschlund
Die Kennzahlen sind weitestgehend selbsterkl~irend und werden hier nicht intensiver diskutiert. Abbildung 3-5 fasse ihre Gewichtungen zusammen.
Abbildung 3-3: Einordnungund Gewichtung der quantitativen Entscheidungsparameter ;Q~an~iYeEn~hSidungSp arameter
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E~t~h~!dUngs~ievaoz[~ ] ~
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Ausfa!lrisiko/. Besic.herungsgrad ......................... 3,2 Re!ativer.. Kapitalbedar[ ................................................................................................... 3,2 ...................... .. verschu!dungsgrad ................ .. '... .i..... .. .....i ......i_ .i. ._ .... .. .. i...i ...31 o ... i ............ 'iEffekti~_v.e.isghuidunglzur.Daue[ii~is iC.F.p0Sit.iviii iiii.-ii...iii. '_ ................i '_i . '. 2,8 ....................... i Cash,bum:Rate ........................................................................................................... 2,.7 ``~Wert~d.e~r~frei~en~`v~e~im~6g~e`nsgeg:e~si:~n~e~`.~:~:~.:~`~`:~:~:~`:~`~`:~ .i. .:..i.-.:. . .i.-.i.i. .:.i ...2121 .i-.i .i....... .ii .i "...i Zinsd.eckungsf,~hig keit .................................................................................... 2,.1..... Effe ktivyerschu !dung .zu m. 0.pe.rative n. E !:ge b.n is .................... ........................ 1,9 .Neukrediteiigagementzur.umsatzsani.erUng................... :....i~..i.i.i.i..i.........!.1.4 ........ .......i.... Zeta:score ........................................................................ ..................... 1,1 .
Die Entwicklung des Free-Cash-Flows (O 4,9): Der Free-Cash-Flow ist eine unentbehrliche Kennziffer fiir den Nachweis der (k6nftigen) Ertrags-, Expansions- und Selbstfinanzierungskraft des Krisenunternehmens (Hauschildt/Leker/Mensel (2000), S. 50). Aus Sicht des Sanierungskreditgebers ist v.a. seine Liquidit~itsgenerierungsund somit seine Tilgungsf~ihigkeit von maggeblichem Interesse. Hiihe des zukiinftigen Entschuldungsgrades [CF/Effektiwerschuldung] (O 3,3): Die Kennzahl ist als quantitativer Parameter gut geeignet, da in Krisensituationen als Folge der h~iufig schlechten Absatzlage die Effektivverschuldung steigt, w~ihrend aufgrund der geringeren Umsatzerl6se bzw. des niedrigeren Jahrestiberschusses der Cash-Flow sinkt. Ausfallrisiko bzw. Besicherungsgrad des Kreditengagements bei Insolvenz (O 3,2): Generell l~isst sich vermuten, dass, je h6her das Ausfallrisiko des Altengagements ist, desto h6her ist die Bereitschaft der Banken, ihr Kreditengagement auszuweiten. Diese Entscheidung wird bestimmt durch die individuelle Risikoaffinit~it der Banken. Relativer Kapitalbedarf [Neukreditengagement/Altkreditengagement] (O 3,2): Dass die H6he des Sanierungskredites geringer sein muss als die H6he des Altengagements, ist einhelliger Konsensus aller befragten Experten. I. d. R. wird der zus~itzliche Liquidit~itsbedarf nicht mehr als 10 %-15 % des bestehenden Kreditengagements betragen.
945
ii:ii
Schiereck / Weigi
Verschuldungsgrad (O 3,0): Kreditanalytiker unterscheiden zwischen statischem Verschuldungsgrad [Fremdkapital/ Gesamtkapital] und Bankverschuldungsgrad [Verbindlichkeiten ggti. Kreditinstituten/ Gesamtkapital]. Empirische Studien belegen, dass Unternehmen in der Liquidit~itskrise i. d. R. Verschuldungsgrade yon 50 %-80 % aufweisen(J~ickel/Poppe, 2000, S. 111-112). Effektivverschuldung zur Dauer bis Free-Cash-Flow positiv [Effektivverschuldung/ Dauer bis CF positiv] (O 2,8): Fi~r die Dauer gilt aufgrund des Risiko- und Unsicherheitspotenzials unter Praktikern die Faustregel von maximal drei Jahren.
Cash-Burn-Rate [Liquide Mittel/ negativer CF] (O 2,7): Diese Kennzahl sagt aus, wann mit dem Verbrauch der vorhandenen Liquidit~it zu rechnen ist (Ki.iting/Weber, 2001, S. 139). Im Fall der Sanierungskreditvergabe entspricht der Posten ,Liquide Mittel" dem Betrag des Neukredites, so dass man erf~ihrt, wann die H6he des Sanierungskredites (wieder) aufgebraucht ist. Wert der freien Verm6gensgegenst/inde [Neukreditengagement/Wert d. freien VG] (O 2,2): Fi~r die Entscheidung zur Sanierungskreditvergabe ist v. a. der Marktwert der Verm6gensgegenst~inde im Fall einer erfolgreichen Restrukturierung und der Insolvenz ausschlaggebend. Die H6he der Insolvenz- bzw. Liquidationskosten wird aus der Differenz zwischen Fortffihrungs- und Liquidationswert ermittelt.
Zinsdeckungsf/ihigkeit [zukiinftiger EBITDA/ zukiinftiger Zinsaufwand] (O 2,1): Ein Weft kleiner Eins w~irde bedeuten, dass das Unternehmen nicht in der Lage ist, mit dem operativen Ergebnis die Zinsen zu zahlen. Dar/iber hinaus sind von den Experten drei weitere Verh~iltniszahlen bewertet worden, auf die aufgrund der geringeren Bedeutung nicht n~iher eingegangen wird. 222 Abbildung 3-4 illustriert die Einordnung s~imtlicher Entscheidungsparameter in Abh~ingigkeit ihrer Entscheidungsrelevanz sowie Quantifizierbarkeit. Die aufge~hrten Entscheidungsparameter verdeutlichen, dass das Entscheidungsproblem der Sanierungskreditgeber sehr komplex, multidimensional und v. a. durch qualitative Kriterien gepr~igt ist.
222 Gesamtkreditengagement im Verh~iltnis zum operativen Ergebnis [Effektivverschuldung/ operatives Ergebnis] (0 1,9). Das Verh/iltnis Neukreditengagement zur Umsatzsteigerung [Neukreditengagement/Umsatzsteigerung] (Q 1,4) sowie der Zeta Score (~ 1,1). Ist dieser kleiner 1,2, ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit sehr hoch.
946
Prognose von Sanierungskreditvergaben in Deutschland
Abbildung 3-4: ,;~,~,~,~,~:~,~:~
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Einordnungaller Entscheidungsparameter
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iiiiii
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gering gering UnabdingbareVoraussetzung
3.3
Quantifizierbarkeit
hoch
Erstellung der Parameterfunktion
Auf den bisherigen Erkenntnissen aufbauend, kann nun in einem dritten Schritt eine Parameterfunktion ermittelt werden, die die Relevanz der analysierten Entscheidungsparameter fiir konkrete RestrukturierungsfSlle beri~cksichtigt. Durch die Berechnung einer Vielzahl von Werten f~ir Krisenunternehmen anhand dieser Funktion kann m6glicherweise eine Bandbreite festgelegt werden, innerhalb deren eine Sanierungskreditvergabe durch die Banken erfolgt. Die Parameter werden im Vorfeld der Entscheidung zur Sanierungskreditvergabe f~ir das jeweilige Unternehmen bestimmt und in die Parameterfunktion eingesetzt. Anhand durchgefi~hrter RestrukturierungsfSlle wird die Problemstellung in ihrem realen Kontext exemplarisch aufgezeigt. Die Untersuchung zeigt sowohl Anwendung als auch Aussagekraft der erstellten Parameterfunktion fi~r die Stichprobe auf. Dabei sollen im Rahmen der erstmaligen Anwendung der Parameterfunktion Interdependenzen zwischen den Entscheidungsparametern unber6cksichtigt bleiben.
947
Schiereck / Weigl
Abbildung 3-5: Parameterfunktion Qualitative Parameter f (x) =
[(4,9*xl+4,8*x2+4,7*x3+
4,5*x4+4,5*x5+4,3*x6+4,3*x7+4,0*x8+3,4*x9+3,3*Xlo+3,0*x11)
+(3,9*x12+3,8*x13+2,8*x14+2,8*x15)]
,. .... i~
Quantitative Parameter [(4,9*x16+3,3*x17+3,2*xl 8+3,2*x19+3,0*X2o+3,0*x21 +2,8*x22+2,7*x23+2,2*x24+2,1 *x25 + 1,9"x26+ 1,4"x27+ 1,1 *x28)]
Qualitative Parameter
iiiiiii~!il
Quantitative Parameter
Endogene Faktoren
Exogene Faktoren
x I = Qualit~it der Gesch~iftsleitung X 2 = Vertrauen
x12 = AIIgemeine und rechtl. Risiken X~3 = Branchenentwicklung
X16 = Free-Cash-Flow Xl~ = Entschuldungsgrad
X 3 = Qualit~it des Konzepts X 4 = Zustand des Kerngesch~ifts
X~4 = Makro6konomisches Umfeld X~s = Staatlich/6ffentlicher Druck
X18 = Besicherungsgrad X19 = Relativer Kapitalbedarf
ii:: X s = Umsetzungscontrolling X 6 = Begutachtung durch Dritte X 7 = Unsicherheit 0ber Sanierungswfirdigk. iii:! X 8 = Einigkeit im Bankenpool X 8 = Gesellschaftsstruktur Xlo = Umsetzungsgeschwindigkeit Xll = Gl~iubigerstruktur
X20 = Stat. Verschuldungsgrad X21 = Bankverschuldungsgrad X22 = Effektiwerschuldung/Dauer bis CF+ X23 = Cash-burn-Rate X24 = NeukreditengagementJohne Wert freie VG X2s = Zinsdeckungsf~higkeit X26 = Effektiwerschuldung/operativem Ergebnis X27 = NeukreditengagementJUmsatzsteigerung X28 = Z-Score.
4
Empirische Untersuchung zur Sanieru ngskreditvergabe
4.1
Methodische Vorgehensweise und Datenerhebun@
Aufgrund des geforderten Detaillierungsgrades der Datenbasis ist eine Analyse bzgl. der Sanierungskreditvergabe nur unter Einbeziehung nicht-6ffentlicher Daten durch~hrbar. Eine Zusammenarbeit mit ROLANDBERGERSTRATEGYCONSULTANTSerm6glichte den Zugriff auf vertrauliche Dokumente wie Sanierungskonzepte, Aufsichtsratsund Lenkungsausschusspr~isentationen. Ferner wurden relevante Daten von einer Vielzahl von Ansprechpartnern, die die untersuchten Unternehmen als Berater begleiteten, bereitgestellt.
948
!~ ii
, :i
Prognose yon SanJerungskreditvergaben in Deutschland
Die Untersuchungsvariablen sind die qualitativen und quantitativen Entscheidungsparameter. Die Relevanz dieser Parameter fi~r die im Einzelnen zu analysierenden Sanierungsf~ille wird (iber zwei unterschiedliche Datenquellen und methodische Vorgehensweisen ermittelt, um in einem iterativen Prozess die Resultate im Sinne einer empfohlenen Triangulation (,,cross examination") gegenseitig zu i~berpri~fen (Dieckmann, 2002, S. 18). Die Bewertung der qualitativen Entscheidungsparameter basiert vorwiegend auf 18 gelenkten und problemzentrierten Experteninterviews, bei denen jeder Entscheidungsparameter eines Untersuchungsgegenstandes von mindestens zwei Personen unabh~ingig voneinander bewertet wurde. Die Grundgesamtheit, auf die sich die empirischen Aussagen beziehen, sind deutsche Untemehmen, die sich in einer Krise mit unmittelbarem Liquidit~itsbedarf befanden. Dieser sollte durch einen Sanierungskredit der Banken gedeckt werden. Die Unternehmen waren b6rsennotiert und unterlagen der handelsrechtlich vorgeschriebenen Rechnungslegung und der deutschen Insolvenzordnung. Dabei beschr~inkt sich die Untersuchung auf eine Stichprobe von 16 Fallen. Die Auswahl basiert auf einer empirischen Untersuchung von LAFRENZ(2004). Von ca. 900 durch ROLANDBERGERSTRATEGY CONSULTANTSdurchgefi~hrten Sanierungsprojekten wurden die 16 F~ille nach folgenden Kriterien ausgew~ihlt (Lafrenz, 2004, S. 212-258): W Die Unternehmen befanden sich zum Zeitpunkt der Konzepterstellung in einer akuten Liquidit~itskrise. Die betrachteten F~ille entstammen einem 9-JahresZeitraum (1994-2002). Die Sanierungsf~ihigkeit und -wi~rdigkeit wurde durch die Konzepte best~itigt. @ Lt. Restrukturierungskonzept sollte den Unternehmen neue Liquidit~it in Form eines Sanierungskredites zugef6hrt werden. Der Sanierungskredit wurde verstanden als ein Neukreditengagement oder eine Ausweitung bestehender Kreditlinien durch die Banken. Bei der Untersuchung der Stichprobe erfolgt ein Vergleich mit dem CDAXAktienindex aller an der Frankfurter Wertpapierb6rse im h6chsten Marktsegment notierten deutschen Gesellschaften, um das Profil der Stichprobe besser einordnen und bewerten zu k6nnen (Lafrenz, 2004, S. 219-222). Es ist zu beachten, dass die CDAX-Struktur eine Zeitpunktbetrachtung ist, w~ihrend die untersuchten Restrukturierungsf~ille aus einem 9-Jahres-Zeitraum stammen. Aus diesem Grund und v.a. aufgrund der kleinen Stichprobe war eine 0ber- bzw. Unterrepr~isentativit~it einzelner Branchen und Gr6t~enklassen nicht auszuschliet~en. Eine Auswertung der Branchenzugeh6rigkeit zeigt, dass der Anteil der Unternehmen aus der Branche ,,General Industries" (z. B. Anlagen- und Maschinenbau) mit ca. 44 % am h6chsten ist. Im Vergleich zum CDAX-Anteil sind Unternehmen aus diesem Bereich 6berrepr~isentiert. Mehr als 90 % der Unternehmen haben einen Jahresumsatz von i~ber 100 Mio. Euro erzielt, weshalb nahezu alle als grof~e Gesellschaften einzustu-
949
! SchiereckI Weigl fen sind. Hintergrund der Auswahl ist die Tatsache, dass sich ROLANDBERGERSTRATEGYCONSULTANTSvorwiegend auf gr6t~ere Restrukturierungsf~ille konzentrieren.
Abbildung 4-1:
Profil der Stichprobe (Quelle: Berechnungen in Anlehnung an Bloomberg; Datastream; Lafrenz, 2004)
:i:~:'~i ~,1994:
;~1995:
6%
(1)
0%
(0)
!~::~:~~i 1996: 13% (2) ~ 1997: 0%
(0)
U m satz 4) < 100 Mio. EUR.:
6%
C DAX 3) (1) 41%
~ = 100 und < 500 Mio. EUR.:
50% (8)
13% (2)
~ 1999
0°/0 (0)
~ = 500 und < 1.000 Mio. EUR.: 25% (4) 8%
i~;~i ~ 2000
25% (4)
~ 2001
19% (3)
~ = 1.000 und 5.000 Mio. EUR.: 19% (3)
13%
0%
(0)
9%
.
0%
Anteil CDAX3) (0) 41%
i: !i:i
!:=;~:~;;::i i:!.::;i eranchenstruktuP) i~:~::i:~::iBasic Industries:
Anteil CD AX3) 13% (9) 9%
ii~i;i ~ General Industries
44% (7)
8%
~ = 500 und < 1.000 MA:
31% (5)
13%
!!:i!I:i ~ Zyclical Consumer Goods:
13% (2)
7%
~ = 1.000 und < 5.000 MA:
31% (5)
24%
4%
~ =5.000 und 10.000 MA:
31% (5)
7%
13°/o
;~ = 10.000 MA:
6°/0
15°/0
!~!i:i!:i ~ Non-Zyclical Consumer Goods:6%
ii:i!iii~i!iZyclical Service:
(1)
13°/o (2)
Mitarbeiter (MA) > 500 MA:
.
28%
1998
=5.000 Mio. EUR.:
.
(1)
.... .... ....
1)Ber0cksichtigungnur bis September 2002 2)Branchenzuteilunggemti~ FTSE Global Classification System 3)Gem~il~Dezember 2002 ~: 4) Gr01~enverteilunggem~ig der Gr0r3enkriterien des Institutsf0r Mittelstandsforschung i~
!ii:i ;
:
4.2
ii ~.:~i
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i.~;i::iiiiiii i:::i::ii!::i
iiii.::;i:: .iii:::~
i ~iii
i:
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ii~ :::i
i:i :
:: : i : ;
: :
:~;::~i ~:
Auswertun8 und Interpretation der
Ergebnisse 4.2.1
HEufigkeit der Vergabe yon Sanierungskrediten innerhalb der Stichprobe
Die Stichprobe von 16 Unternehmen l~isst sich in zwei Gruppen unterteilen, zwischen denen im Folgenden jeweils differenziert werden soll.
Gmppe A
setzt sich aus Untemehmen zusammen, die das lt. Sanierungskonzept vorgesehene Kreditvolumen zu mindestens 50 % bekommen haben. Vier Untemehmen haben die volle H6he, zwei Untemehmen mindestens 65 % erhalten.
950
Prognose yon Sanierungskreditvergaben in Deutschland
Gruppe B umfasst ca. 63 % der Stichprobe. Die Unternehmen haben teilweise ebenfalls einen Sanierungskredit erhalten, aber h6chstens 50 %. Drei dieser Unternehmen wurde weniger als 20 % der urspr6nglich vorgesehenen H6he gew/ihrt. F/ir diese Unternehmen wurde eine Insolvenzer6ffnung nur kurzfristig verhindert, sp~iter mussten sie alle einen Insolvenzantrag stellen. Sieben Unternehmen haben entgegen der Konzeptplanung keinen Sanierungskredit erhalten. Vier dieser sieben Unternehmen mussten einen Antrag auf Insolvenzer6ffnung stellen, die ~ibrigen drei haben durch Fusion oder Aufkauf die Insolvenzer6ffnung verhindert. 56 % aller untersuchten Unternehmen aus der Stichprobe haben also einen Sanierungskredit in voller H6he oder einen Teil der geplanten H6he erhalten. 44 % ist ein Neukredit verweigert worden. Dieses Ergebnis spiegelt ungefShr die Meinung der befragten Kapitalgeber wider, dass ca. 50 % bis 60 % der laut Sanierungskonzept geplanten Sanierungskredite durch die Banken gewShrt werden.
4.2.2
Statistische Auswertun8 und Interpretation der einzelnen Parameter
Wesentliches Ziel der empirischen Untersuchung ist es, die Auspr/igungen der einzelnen Entscheidungsparameter in den jeweiligen Gruppen zu bestimmen, um zu ~iberpr6fen, ob die durchschnittlichen Auspr~igungsstSrken der einzelnen Entscheidungsparameter im Fall einer Sanierungskreditvergabe h6her sind als bei einer Nichtvergabe. Abbildung 4-3 fasst die Ergebnisse graphisch zusammen. Eine Analyse der laut Kapitalgeber zwei wichtigsten qualitativen Parameter Qualit~it der Gesch/iftsleitung und Vertrauen zeigt deutlich, dass diese Faktoren bei Unternehmen starker ausgeprSgt sind, die mindestens 50 % der geplanten H6he erhalten haben. Unternehmen der Gruppe A wurde f/Jr beide Parameter mindestens eine (2) zugeordnet, so dass ihre AusprSgungen als nicht negativ bzw. hinderlich fiir den Restrukturierungsprozess und damit f/ir die Sanierungskreditvergabe einzustufen sind. F/Jr die Unternehmen der Gruppe B wurde die Qualit/it der Gesch/iftsleitung sehr schlecht beurteilt. Bei einer detaillierten Betrachtung vermag diese Feststellung nicht zu i~berraschen. Wurde die QualitSt der GeschSftsleitung bei Unternehmen der Gruppe B mit durchschnittlich (2,3) bewertet, so handelte es sich immer um das urspr/ingliche, f~ir die Krise verantwortliche Management. Der Durchschnittswert von Vertrauen in Gruppe B ist der niedrigste s/imtlicher endogener qualitativer Faktoren. Dar6ber hinaus besteht eine Korrelation zwischen der QualitSt der Gesch~iftsleitung und dem ihr entgegengebrachten Vertrauen. Die wichtigsten Gri.inde ffir die Besch/idigung des Vertrauens auf Seiten der Banken waren eine Verschleierung der realen, existenzbedrohenden Unternehmenssituation und unseri6se Praktiken des Managements wie z. B. eine k/instliche Umsatzsteigerung. Auch die
951
Schiereck I Weigl
Qualit/it des Konzeptes wurde for Unternehmen der Gruppe B schlechter bewertet als bei der Gruppe A.
Abbildung 4-2:
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Auswertung der Ausprfigungsstfirke der Parameter in den jeweiligen Gruppen . . . . .
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T.T~~L//T/::TT ~
i 'zustand des .....................~i ........~ ~ ................... staatl: i sffentlicher ...... Kerngesch~ifts ~.--~"..........@-----G~---i..........~ gruck
iT--::;~= 7-~-;;i~%i;7--;:~77- ;7;7:~;7;;-T
!--0=setzu-n-gs- ...................i
...............i........~
..... co.nt.roJ.!i.ng
~ i , i..... ~= @{ i T./TI.-L.-I;I;IiIT..~.~:;:~:!;~:~~!:?!~!ITILT_Ti ~ ~ , . , , ~
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
................................................ i:~ Sicherheit eber Sanierungs.w0.rdigk.
~
=~ v:v-vv:~w~-+;::-v~-w~T.
~ " Einigkei;[im ...................... i:::i ~:
[email protected]!_................... i
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~ iGeseiisc,a,s
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2T'Zt;_~i~TLL'~TTT;:I'TTT[iTZT~.
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..... s.truktu.r; ................................. I~;;i:!~
Ol~ubioerstruktur
1
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1 = nicht ausgepr~igt/sehr schlecht
~
"~--'~'~ Gesamt Gruppe A
5 = stark ausgepr, gt/sehr gut
Gruppe B 1
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2
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. . . . . . . Reiativer ............................~ q ....... j .... Kapita.!be.daff ............. ! .........'........i ....statisc, er .......................... ~ . ~ . . : . . ........................ ~/e.rs.ch.u !d u.og.sg.rad ....
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Z-Score .
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Der Zustand des Kemgesch/ifts erf~ihrt for die Untemehmen der Gruppe A i m Vergleich zur Gruppe B eine deutlich positivere Bewertung. Ein guter (wieder erlangbarer) Zustand des Kerngesch/ifts ist offensichtlich eine wesentliche Bedingung ffir eine Sanierungskreditvergabe. Die Ergebnisse zeigen ferner, dass bei den Unternehmen der Gruppe B durchschnittlich eine hohe Unsicherheit iiber die Sanierungswiirdigkeit bestand. Diese Erkenntnis spiegelt die Expertenaussagen wider, dass bei Unsicherheit fiber die Sanierungsw/irdigkeit Banken tendenziell eine Neukreditvergabe ablehnen. Die Einigkeit im Bankenpool wurde for einzelne Unternehmen der Gruppe B mit (1), also sehr negativ, bewertet. Uneinigkeiten bzw. Streitigkeiten im Bankenpool, v.a. aufgrund yon Differenzen zwischen Banken und Kreditversicherern, erschwerten eine Sanierungskreditvergabe. Allerdings wurde auch bei einem Unternehmen der Gruppe A dieser Parameter mit (1,5) bewertet. In diesem Fall weigerten sich einige Banken, ein weiteres Engagement einzugehen, weshalb letztlich ein ,,Kernpool" nur einen Teil des
952
Prognose yon Sanierungskreditvergaben in Deutschland
ben6tigten Sanierungskredites gew/ihrte. Negative Auspr~igungen bei Einzelparametern sind also noch kein abschliet~ender Ablehnungsindikator. Auch bei der Bewertung der Gesellschafterstruktur zeigen die Unternehmen der Gruppe B durchschnittlich schlechtere Einsch/itzungen. Uneinigkeiten im Gesellschafterkreis fOhrten h~iufig zu einer Verweigerung eines (zus~itzlichen) Gesellschafterbeitrages und verhinderten somit die M6glichkeit, die kritische Liquidit~itslage zu verbessern. Die Umsetzungsgeschwindigkeit wurde for die Unternehmen der Gruppe A im Gegensatz zu den anderen Unternehmen nie schlechter als (2,5) bewertet. Lt. Sanierungskonzept sollte maximal in 14 Monaten der Break-even erreicht werden. Betrachtet man die exogenen Entscheidungsparameter, so wurden bis auf eine Ausnahme diese Parameter ebenfalls mehrheitlich for Unternehmen der Gruppe A h6her bewertet. Nur der staatliche bzw. 6ffentliche Druck war bei der Gruppen B st~irker ausgepr~igt. Im Rahmen der Auswertung und Interpretation der quantitativen Entscheidungsparameter erweist es sich als schwieriger, eindeutige Aussagen zu treffen. Eine Betrachtung des relativen Kapitalbedarfs belegt, dass for Unternehmen der Gruppe A dieser durchschnittlich niedriger als for die restlichen Unternehmen ist. Es l~isst sich also vermuten, dass Kreditvergaben scheiterten, weil die Relation zwischen ben6tigter Liquidit~it und bisherigem Engagement zu hoch war. Dar0ber hinaus impliziert die Untersuchung n~iherungsweise, dass der relative Kapitalbedarf nicht mehr als 15 % betragen sollte. Das arithmetische Mittel der Unternehmen der Gruppe A betrug (4,0), was einem relativen Kapitalbedarf zwischen 11% und 20 % entspricht. Der statische Verschuldungsgrad ist for die beiden Gruppen ann~iherungsweise gleich. Unternehmen der Gruppe A haben aber nie einen Wert schlechter als (2) erhalten. Auff/illig ist, dass der Bankverschuldungsgrad bei den Unternehmen der Gruppe A tendenziell schlechter war, d. h., dass im Verh~iltnis zur Bilanzsumme der Anteil an Bankkrediten h6her ausfiel als bei den Obrigen Unternehmen. Diese Erkenntnis mag als Beleg gewertet werden, dass Banken h~iufiger einen Sanierungskredit vergeben, sofern das Krisenunternehmen bereits hohe Verbindlichkeiten aufweist. Denn im Fall einer Insolvenz werden die Banken hier h6here Verluste erleiden. Diese Interpretation spiegelt die Meinung der Experten wider, dass bei hohem unbesicherten Altengagement Banken eher bereit sind, einen weiteren Kredit zu vergeben. Die hier dokumentierten Ergebnisse belegen, d a s s - bezogen auf alle qualitativen Parameter mit Ausnahme des staatlichen/6ffentlichen Drucks - die durchschnittlichen Auspr/igungsst~irken fiir Unternehmen der Gruppe A immer h6here Werte erreichten. Somit kann for die Stichprobe die Hypothese best~itigt werden, dass die durchschnittlichen Auspr~igungsst~irken der einzelnen Parameter im Fall einer gew~ihrten Sanierungskreditvergabe h6her sind als bei einer Nichtver,gabe. S~imtliche endogenen Faktoren (Ausnahme: staatlicher/6ffentlicher Druck) der Gruppe A wurden nie mit einer (1) bewertet. Diese Erkenntnis ist zudem ein Indiz dafOr, dass keiner der Entschei-
953
Schiereck I Weir!
dungsparameter von den Banken als ,nicht vorhanden" bzw. ,,sehr schlecht ausgepr~igt" bewertet werden sollte, um eine Sanierungskreditvergabe zu realisieren.
4.2.3
Statistische Auswertun8 und Interpretation der Parameterfunktion
Auf Basis der ermittelten Parameterfunktion konnte f-fir jedes einzelne Unternehmen ein Wert berechnet, dieser anschliet~end eingeordnet und mit den Ergebnissen der anderen Unternehmen verglichen werden. Dadurch zeichnet sich eine Bandbreite ab, innerhalb derer eine Sanierungskreditvergabe durch die Banken erfolgte. Abbildung 44 zeigt die ftir die Stichprobe adjustierte 223 Parameterfunktion.
Abbildung 4-3:
f (X) =
Adjustierte Parameterfunktionen
[(4,9*X1+4,8*X2+4,7*X3+ 4,5*X4+4,5*X5+4,3*X6+4,3*XF+4,0*X8+3,4*X9+3,3*X10+3,0*X11)
iiii
+(3,9*X12+3,8*X13+2,8*X14*2,8*Xl 5)] +[(3,2"X19 + 3,0*X2o+3,0*X21 + 1,1"X28)] X 1 = Qualit~it der Gesch~iftsleitung
X12 = AIIgemeine und rechtl. Risiken
X19 = Relativer Kapitalbedarf
:!
X 2 = Vertrauen
X13 = Branchenentwicklung
X2o = Stat. Verschuldungsgrad
:
X~4 = Makro6konomisches Umfeld X~5 = Staatlicher/Offentlicher Druck
X2~ = Bankverschuldungsgrad X22 = Effektiwerschuldung/Dauer bis CF+
i X~ = Qualit~it des Konzepts X 4 = Zustand des Kerngesch~ifts X 5 = Umsetzungscontrolling X 6 = Begutachtung durch Dritte
X28 = Z-Score.
:: !i::I
X 7 = Unsicherheit tiber Sanierungsw0rdigk. X 8 = Einigkeit im Bankenpool X 8 = Gesellschaftsstruktur Xlo = Umsetzungsgeschwindigkeit i Xll = Gl~iubigerstruktur
Anhand der Ergebnisse der Parameterfunktionen wird ersichtlich, dass alle Unternehmen der Gruppe A einen Wert von fiber 200 erzielten. Der Durchschnittswert liegt bei 213. Ferner liegen die Werte verh~iltnism~it~ig dicht beieinander. Untemehmen der Gruppe B haben einen durchschnittlichen Wert von 175 erzielt, wobei der Spitzenwert bei 199 und das Minimum bei 144 liegen. Das Unternehmen mit dem niedrigsten Wert hat einen Teil des geplanten Sanierungskredites (ca. 10 %) erhalten. Durch detaillierte Gespr~iche mit Beratem, die die Untemehmenssanierung begleiteten, konnte 6ffentli-
223 Da es sich ausschliet~lich um von ROLANDBERGERSTRATEGYCONSULTANTSdurchgeffihrte Restrukturierungsf~ille handelt, bekam der Parameter Begutachtung der Sanierungswi2rdigkeit durch Dritte durchgehend eine (5). Ferner konnten von den quantitativen Parametern lediglich x19,x20,x21und x28berechnet werden.
954
Prognose von Sanierungskreditvergaben in Deutschland
cher Druck als Entscheidungsgrund fLir eine Sanierungskreditvergabe identifiziert werden. Diese Erkenntnis zeigt, dass in Einzelf~illen Banken aufgrund hohen Drucks von aut~en zur Sanierungskreditvergabe gedr~ingt werden, die betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint und unter Zugrundelegung unserer Bewertungsfunktion unterblieben worden ware. Fiir die Stichprobe l~isst sich ableiten, dass Unternehmen mit f(x) > 200 mindestens die H~ilfte des geplanten Sanierungskredits erhalten haben. Unter dem Vorbehalt des hier vorliegenden nur sehr kleinen Stichprobenumfangs ist zudem die 0berschneidungsfreiheit und perfekte Trennsch~irfe der Parameterfunktion bemerkenswert. Diese Erkenntnisse haben klare Implikationen sowohl fi3r das Entscheidungsproblem der Banken als auch fi~r das Krisenunternehmen sowie die f-iir die Erarbeitung m6glicher Sanierungsmat~nahmen einbezogene Untemehmensberatung. Im Vorfeld einer Sanierungskreditvergabe k6nnen die erarbeiteten Parameter ~ r das betroffene Krisenunternehmen analysiert und anschliet~end in die Parameterfunktion eingesetzt werden. Das Ergebnis kann man als Hilfe heranziehen, um im Vorfeld zu beurteilen, ob das Unternehmen noch einen Sanierungskredit erhalten wird. Dadurch ist es m6glich, mit gezielten und unmittelbaren Mat~nahmen, wie z. B. dem Austausch der Gesch~iftsleitung und/oder der Einfiihrung eines regelm~it~igen Reportings, eine Verbesserung des berechneten Wertes zu erzielen. Die Empirie erm6glicht somit die Entwicklung eines Scoringverfahrens, nach welchem eine Sanierungskreditvergabe fi~r die betrachteten Unternehmen recht gut vorhergesagt werden kann.
Abbildung 4-4: Ergebnisseder Parameterfunktionfiir die jeweiligen Gruppen
220 ...........{
........ ........ 226
210 ..........i
213
0
m ............... 203
200
'~
WertederjeweiligenUnternehmen
19o
190 ...........i
}
180 ...........i i1175
170 160
;;;:i:;? ........
144
Gruppe A
Gruppe B
( = 50 % der
( < 50 % der geplanten HOhe)
geplanten H6he)
955
ili!i iili i~i!
" Schiereck / Weigl
5
Schlussbemerkunsen
Aus den hier pr~isentierten Ergebnissen wird deutlich, dass die Vergabe von Sanierungskrediten durchaus vorhersagbar ist, insbesondere wenn detaillierte Informationen aus bisherigen Finanzbeziehungen durch Untemehmensinsider gegeben sind. Folgende Handlungsempfehlungen ergeben sich aus unserer Sicht darfiber hinaus ffir die potenziellen Geber und Nehmer von Sanierungskrediten: W Die Erkenntnisse fiber die Entscheidungsparameter sollten im Rahmen eines fibergeordneten und universellen Modells zur Restrukturierungsfinanzierung von Krisenuntemehmen als essentielle Ausgangsbasis Verwendung finden. Z Eine hohe Qualit~it der GeschMtsleitung sowie ein ausgepr~igtes Vertrauen zwischen Banken und Krisenunternehmen sollten verst~irkt gef6rdert werden - eine intensivere Betreuung und Steuerung des Kreditengagements sowie ein besseres Hineindenken seitens der Banken in die operativen Unternehmensprozesse sind notwendig.
956
Pro~nose yon Sanierun~skreditvergaben in Deutschland
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959
1
M e z z a n i n e F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e als Teil der S a n i e r u n g s f i n a n z i e r u n g ......... 963
2
Uberblick fiber m e z z a n i n e F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e ............................................. 964 2.1
Definition ............................................................................................................... 964
2.2
G~ingige F o r m e n m e z z a n i n e r F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e ............................... 964 2.2.1
N a c h r a n g d a r l e h e n ................................................................................... 965
2.2.2
Stille Gesellschaft ..................................................................................... 966
2.2.3 2.3
2.2.2.1
Typisch stille Gesellschaft ........................................................ 966
2.2.2.2
A t y p i s c h stille Gesellschaft ..................................................... 968
G e n u s s r e c h t .............................................................................................. 968
R e n d i t e k o m p o n e n t e n ........................................................................................... 970
M e z z a n i n e F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e als Teil der S a n i e r u n g s f i n a n z i e r u n g ......... 971 3.1 3.2
Ziele b e i m Einsatz m e z z a n i n e r F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e in der Krise ...... 971 H y b r i d e F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e in der U n t e r n e h m e n s r e s t r u k t u r i e r u n g ......................................................................... 972 3.2.1
N a c h r a n g d a r l e h e n ................................................................................... 972
3.2.2
Stille Gesellschaft u n d f r e m d k a p i t a l S h n l i c h e G e n u s s r e c h t e .............. 972
3.2.3
EigenkapitalShnliche G e n u s s r e c h t e ....................................................... 973
Einsatzbereiche u n d I n v e s t o r e n m e z z a n i n e r F i n a n z i e r u n g s i n s t r u m e n t e in der U n t e r n e h m e n s s a n i e r u n g ............................................................................................... 975
961
Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung
/Vlezzanine Finanzierungsinstrumente als Tell der Sanierungsfinanzierun8 Im Rahmen der finanzwirtschaftlichen Sanierung werden auch hybride Finanzierungsinstrumente (Mezzanine) eingesetzt, wobei diese Instrumente meist Teil eines Gesamtkonzepts sind, das gemeinsam von den Gesellschaftem des zu sanierenden Unternehmens, den Kreditinstituten, den Kreditversicherern und ggfs. von Beteiligungsgesellschaften und der 6ffentlichen Hand entwickelt wurde (vgl. Abb. 1-1).
Abbildung 1-1: Sanierungsfinanzierung
i ~:~
iiI:~~,~ : Verzicht/ Rangr0cktritt :.... ~ ZufL~hrung yon Fresh Money
~ Erwerb yon Distressed Securities ~ Direktbeteiligung
~ Zinsverzicht ~ Stundung
~ B0rgschaften
f~ii~RangrQcktritt ~ Forderungsverzicht ~ Freigabe/Tausch yon Sicherheiten ~ii:~iDebt-Equity-Swap ~',. W a n d e l - / O p t i o n s genussscheine
....... i l ,::,/:/i:i 2::.;d:;::iil .i..i.i.ii:i::;~i::.. ,:~
Gesellschafter
Vulture Funds
. ....................................................................................................
i............ i!:!.,~:.:i;~:;, .. :.:...ii:i:L i :.. :::CI.::.Z.:I
Kreditinstitute !:..~:::....:,~ ..i:i::::::....i! :.. :.::...:.. i~i.. i..: 112_.../::;..:.2Z..:::.
Offentliche Hand .........................................................................
....
Der folgende Beitrag gibt einen 0berblick ~iber die Merkmale hybrider Finanzierungsinstrumente, der wichtigsten Typen sowie deren Einsatzbereiche und Bedeutung.
963
yon Tippelskirch
2
Uberblick Uber mezzanine Finanzierungsinstrumente
2.1
Definition
Fi~r den Begriff Mezzanine-Kapital existiert weder in der Okonomie noch in der Rechtswissenschaft eine Definition (J~inisch/ Moran/ Waibel, 2002, S. 2451; Schrell/ Kirchner, 2003, S. 13). Das Wort Mezzanine ist eigentlich ein Begriff aus der Architektur und bedeutet Zwischengeschoss. Auf Finanzierungsaspekte iibertragen bildet Mezzanine-Kapital eine (6konomische) Zwischenform von Eigen- und Fremdkapital. Trotz rechtlich eindeutiger Zuordnungsm6glichkeit zu Eigen- oder Fremdkapital besitzt es stets auch Merkmale der jeweils anderen Art (Stringfellow, 2001, S. 117). Mit anderen Worten: Bei Mezzanine-Kapital handelt es sich um Kapital, das (~r sich betrachtet) 224 nicht von Gesellschafterseite zur Verf~gung gestellt wird, jedoch mehr oder weniger stark mit eigenkapital~ihnlichen Attributen ausgestattet ist. Durch entsprechende vertragliche Gestaltung l~isst sich also Eigenkapital schaffen, das 6konomisch alle Elemente besitzt, die fi~r Fremdkapital typisch sind (feste Zinsen, fester Riickzahlungsbetrag, Laufzeitbegrenzung) bzw. Fremdkapital, das 6konomisch alle Merkmale von Eigenkapital (mitgliedschaftliche Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse, Kapitalstamm plus Dividende) aufweist. Derartige Mischformen sind im Gesetz nur vereinzelt erw~ihnt (z. B. § 221 AktG Wandel-, Optionsanleihen und Genussrechte). Nur zum Teil enth~ilt das Gesetz ausfi~hrliche Regelungen (wie z. B. die stille Gesellschaft §§ 230-236 HGB). Selbst in diesen Fallen k6nnen die Kapitalgeber und -nehmer diese ~indern und erg~inzen, zum Teil allerdings rechtsformbedingt eingeschr~inkt (Grundsatz der Satzungsstrenge im AktG), zum Teil flexibel in weitem Rahmen (Personenhandelsgesellschaften, GmbH) sowie alle ausschliet~lich schuldrechtlichen Varianten.
2.2
G ingise Formen mezzaniner Finanzierunssinstrumente
In der Praxis bedeutsam sind die mezzaninen Finanzierungsformen stille Beteiligung, Nachrangdarlehen und Genussrecht. Diese werden im Folgenden dargestellt.
224 In der Praxis werden h~iufig Eigenkapitalfinanzierungsinstrumente und mezzanine Finanzierungsformen kombiniert eingesetzt. 964
Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung
2.2.1
Nachrangdarlehen
Das mittel- bis langfristige (zwischen 5 und 10 Jahren) Nachrangdarlehen (Junior Debt oder Subordinated Debt) ist diejenige mezzanine Finanzierungsform, die der reinen Fremdkapitalfinanzierung am n~ichsten kommt. Allerdings wird das Nachrangdarlehen anderen Fremdkapitalgebern gg0. nachrangig gestellt (Nachrangabrede/Rangriicktrittsvereinbarung). Am laufenden Verlust nimmt es nicht teil. Inhalt und Reichweite des Nachrangs k6nnen Gl~iubiger und Schuldner grunds~itzlich frei vereinbaren. I. d. R. wird der Nachrang in Form einer Erkl~irung zugunsten bestimmter, benannter Dritter festgelegt (Barthold, 2001, S. 12). Sehr selten wird eine allgemeine oder weite Nachrangigkeit gg0. allen Gl~iubigern ausgesprochen, was allerdings der Qualifizierung als materielles Eigenkapital entgegensteht. In der Praxis erfolgt die RangrOcktrittsvereinbarung insbesondere zur Vermeidung der 0berschuldung in der Form, dass die R0ckzahlung nur im Rang nach den Forderungen s~imtlicher Insolvenzgl~iubiger und aut~erhalb des Insolvenzverfahrens nur aus ungebundenem Verm6gen erfolgen darf. Die Nachrangabrede kann von Anfang an, aber auch durch nachtr~igliche Vereinbarung begr0ndet werden (Teller/Steffan, 2003, Rz. 8 9). Des Weiteren k6nnen die Rechtsfolgen der Rangvereinbarung vom Eintritt eines bestimmten Ereignisses abh~ingig gemacht werden, also einen (aufschiebend oder aufl6send) befristeten oder bedingten Rangr0cktritt (Bermel, 2002, Rdnr. 90 ff). Hinsichtlich des Bilanzausweises existieren unterschiedliche Auffassungen. Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass Nachrangdarlehen die wesentlichen Merkmale von Eigenkapital nicht erf~illen, so dass ein separater Ausweis in der Bilanz grunds~itzlich abgelehnt wird. Andererseits wird for einen Ausweis unter den Verbindlichkeiten mit einem Nachrangvermerk und einer Erl~iuterung des Nachrangcharakters im Anhang pl~idiert. Welcher dieser beiden Ausweisformen gew~ihlt wird, h~ingt letztlich vom jeweiligen Einzelfall ab und sollte mit dem Wirtschaftspr~ifer/Steuerberater des Mezzanine-Nehmers besprochen werden (Elkemann-Reusch/ Zickenrott, 2001, S. 107 ff.). Die Yergiitung kann, muss sich aber nicht aus einer fixen Nominalverzinsung und einer gewinnabh~ingigen VergOtung zusammensetzen. Hinzu kommen h~iufig sog. Equity Kicker in Form von Besserungsscheinen oder Wandel- und Bezugsrechten in Eigenkapitaltitel. Die Gesamtverzinsung liegt somit zwischen den marktOblichen S~itzen von direktem Eigenkapital und langfristigem Fremdkapital.225 Die R0ckf6hrung der nachrangigen Mittel erfolgt i. d. R. nach R0ckzahlung der vorrangigen Darlehen (Senior Debt) aus dem Cash-Flow. Aus der Sicht der vorrangig gesicherten Kreditgeber qualifizieren die Nachrangdarlehen als (relativ) eigenkapital~ihnlich, weil sie zur Bedienung ihrer Forderungen zur Verf0gung stehen (R6sler/Mackenthun/Pohl, 2002, S. 522).
225 Zur Reduktion des Risikos und damit der Finanzierungskosten k6nnen im Einzelfall Sicherheiten der Gesellschafter (nicht der Gesellschaft) eingesetzt werden. 965
~iii~iii!!i~i!!i~i~ii!i~!ii~i~ii~!~i~!i~i!~!~!i~!~!~iyon !i~i~ii~i~!!!~iTippelskirch ~i~i!!!i!i!i!i~
Nachrangdarlehen in Form des partiarischen Darlehens 226 sind mit einer Gewinnbeteiligung versehen, w~ihrend eine Verlustbeteiligung sich nur mittelbar durch den Ausfall der gewinnabh~ingigen Vergi~tung ergibt.
2.2.2
Stille Gesellschaft
2.2.2.1
Typisch stille Gesellschaft
Verglichen mit einem Nachrangdarlehen hat die typisch stille Beteiligung eine starker gesellschaftsrechtliche Komponente. Zudem sind die Rahmenbedingungen gesetzlich definiert (§§ 230 ff. HGB) (ausfOhrlich Blaurock, 2003). Im Rahmen einer stillen Beteiligung partizipiert der stille Gesellschafter an den Gewinnen des Untemehmens; die Verlustbeteiligung kann ganz oder teilweise ausgeschlossen werden (§ 231 Abs. 2 HGB). Sofern der stille Gesellschafter am Verlust beteiligt ist, beschr~inkt sich seine Verlustteilnahme auf seine Einlage (§ 232 Abs. 2 HGB). Das Einlagekonto eines stillen Gesellschafters kann durch die Verbuchung von Verlustanteilen negativ werden, so dass kiinftige Gewinnanteile zu deren Ausgleich verwendet und nicht ausbezahlt werden. Jedoch braucht der stille Gesellschafter in Verlustjahren weder nachzuschiet~en, noch muss er einmal bezogene Gewinne zurOckbezahlen (§ 232 Abs. 2 S. 2 HGB). In der Insolvenz kann der stille Gesellschafter seine Einlageforderung als Insolvenzgl~iubiger geltend machen, soweit die Einlage nicht durch Verlustanteile aufgezehrt ist (§ 236 Abs. 1 HGB). Eine riJckst~indige Einlage braucht er nur in der H6he zu zahlen, in der sein Verlustanteil gedeckt werden muss (§ 236 Abs. 2 HGB). Stille Beteiligungen lassen die unterschiedlichsten Ausgestaltungen zu, so dass die Grenzen zu partiarischen Darlehen fliet~end sind. Beide Rechtsinstitute sind allerdings streng voneinander zu unterscheiden, weil mit ihnen unterschiedliche Folgewirkungen verbunden sind (Blaurock, 2003, Rdnr. 8.21 ff.): Im Gegensatz zur stillen Beteiligung ist beim partiarischen Darlehen die Verlustbeteilung ausgeschlossen und die Kontrollrechte sind meist stark eingeschr~inkt. Des Weiteren ist bei einer stillen Beteiligung eine autonome Obertragung nicht m6glich, w~ihrend beim partiarischen Darlehen eine Obertragung auch ohne Einwilligung des Darlehensnehmers vollzogen werden kann. Sowohl bei der stillen Beteiligung als auch beim partiarischen Darlehen kann neben der Festverzinsung eine gewinnabh~ingige Vergiitung vereinbart werden. Das Vorliegen einer stillen Beteiligung ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn der stille Gesellschafter von jeglicher Beteiligung am Gewinn ausgeschlossen ist. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn dem Geldgeber neben oder statt einer festen Verzinsung eine Gewinnbeteiligung unter Ausschluss der Verlustbeteiligung zugesagt
226 Zur Abgrenzung von partiarischem Darlehen und stiller Beteiligung vgl. BFH, DB 1983, 1743. 966
Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung ~iii~i~ii!iii~ii~i~ii~i~i~i~i!iiiiii~i~ii~i~i~i~i~i~i~i~i!~i~ii~iiii
ist. Hier muss im Auslegungswege der Willen der Vertragsparteien ermittelt werden, wobei es auf das Gesamtbild aller Umst~inde im jeweiligen Einzelfall ankommt. Ihrer Rechtsnatur nach ist die stille Gesellschaft eine Personengesellschaft in der Gestalt einer eingliedrigen Innengesellschaft (Wemer, 2002, S. 42). Sie kann also nicht Tr~igerin von Rechten und Pflichten sein und kein Gesellschaftsverm6gen bilden. Die Verm6genseinlage, mit welcher der stille Gesellschafter beteiligt ist, geht in das Verm6gen des Gesch/iftsinhabers tiber. Diese Einlage ist kein Haftkapital, da die stille Einlage im Falle der Untemehmensinsolvenz wie ein Darlehen als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Die Funktion von Haftkapital erh~ilt die stille Einlage nur dann, wenn dies vereinbart ist, etwa durch eine Nachrangabrede, oder wenn sie als Eigenkapitalersatz qualifiziert ist. Die stille Beteiligung an einer Aktiengesellschaft qualifiziert sich als Teilgewinnabfiihrungsvertrag im Sinne v o n § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG, so dass die Abschluss- und Wirksamkeitsvoraussetzungen von Unternehmensvertr/igen gem. §§ 292 ff. AktG einzuhalten sind. Dies wird in der Literatur zum Teil auch f6r die stille Beteiligung an einer GmbH vertreten (Schmidt-Ott, 2001, S. 183 f.). Extem ist die stille Gesellschaft nicht selbst/indig rechnungslegungspflichtig. Die Gesch~ifte der Gesellschaft werden nach aut~en im Namen des Inhabers des Handelsgewerbes beschlossen, im Innenverh/iltnis dagegen auf gemeinsame Rechnung gef6hrt. Intern, insbesondere bei Beschr~inkung der stillen Beteiligung auf einzelne Unternehmensbereiche oder bei komplizierter Gewinn- und Verlustverteilung mit Vorabvergtitung, ist allerdings eine rechnungslegungsm/it~ige Ergebnisfeststellung erforderlich, praktisch unter Einrichtung von Festkapitalkonten. Bei der bilanziellen Zuordnung der typisch stillen Beteiligung zu Eigen- oder Fremdkapital existieren unterschiedliche Auffassungen: Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass bei fehlender Verlustteilnahme des stillen Gesellschafters ein Bilanzausweis unter den ,,Sonstigen Verbindlichkeiten" geboten ist. Andererseits existiert die Auffassung, dass bereits beim Vorliegen von Nachrangigkeit und einer gewinnabh~ingigen Bedienung wesentliche Eigenkapitalkriterien erfi~llt sind, um den gesonderten Bilanzausweis als ,,Kapital des stillen Gesellschafters" nach dem Eigenkapital zu rechtfertigen. Im Falle der Verlustbeteiligung ~ibernimmt die stille Beteiligung Verlustdeckungsfunktion und ist somit unter der Bezeichnung ,,Kapital des stillen Gesellschafters" nach dem gezeichneten Kapital und vor den R/ickstellungen auszuweisen. Insofern besitzt die stille Gesellschaft eine h6here Bilanzqualit~it als das Nachrangdarlehen. Im Rahmen der strukturellen Bilanzanalyse wird/iblicherweise eine mit Rangr~cktritt ausgestattete stille Beteiligung unabh/ingig von ihrem Bilanzausweis zu 50 % zum wirtschaftlichen Eigenkapital hinzugerechnet. Erst bei einer Restlaufzeit von unter einem Jahr erfolgt regelm/it~ig eine Umgliederung der stillen Beteiligung zu den Verbindlichkeiten (Finsterer/Gulder, 2001, S. 10 ff.). Im Gegensatz zum Nachrangdarlehen ist die stille Gesellschaft mit bestimmten Kontrollrechten ausgestattet (§ 233 HGB i. V. m. § 716 BGB). In der Praxis werden weitere Mitwirkungs-/Kontrollrechte, ggfs.
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auch weitere Verpflichtungen des Mezzanine-Nehmers (z. B. Covenants) im Beteiligungsvertrag vereinbart. Insgesamt ist die Partnerschaft zwischen dem Unternehmen und dem stillen Gesellschafter eher enger als mit einem Nachrangdarlehensgeber.
2.2.2.2
Atypisch stille Gesellschaft
Bei der atypisch stillen Gesellschaft handelt es sich ebenfalls um eine stille Gesellschaft im Sinne des § 230 HGB. Ggi~. der typisch stillen Gesellschaft und dem partiarischen Darlehen unterscheidet sich die atypisch stille Gesellschaft jedoch durch die (steuerliche) Mitunternehmerschaft, d.h. der Mezzanine-Investor tr~igt Mitunternehmerrisiko und -initiative. Ein mitunternehmerisches Risiko tr~igt der Mezzanine-Investor, wenn er am laufenden Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Unternehmens beteiligt ist. Von einer Mitunternehmerinitiative ist auszugehen, wenn/iber die ,,passiven" gesetzlichen Kontrollrechte hinaus auch bestimmte Gesch~iftsf/ihrungsbefugnisse oder ausgepr~igte Kontrollrechte existieren. Die Bandbreite der Einflussm6glichkeiten reichen von Zustimmungsvorbehalten bei wesentlichen Anderungen der Gesch~iftspolitik/iber die weitergehende Gew~ihrung von Weisungsrechten ggi~. der Gesch/ifts~hrung bis hin zur unmittelbaren Ubertragung von Gesch~iftsf~hrungsbefugnissen. Die atypisch stille Beteiligung ist meist ~ r einen l~ingeren Zeitraum vereinbart und kann nicht kurzfristig gek~indigt werden. Sie stellt f-fir das Unternehmen langfristiges Kapital dar und sichert somit die Unternehmenskontinuit~it. Atypisch stille Beteiligungen werden in der Bilanz nach dem Eigenkapital als eigenkapital/ihnlicher Sonderposten ausgewiesen.
2.2.3
Genussrecht
Genussrechte werden zwar an einigen Stellen im AktG (§§ 160 Abs. 1 Nr. 6, 221 Abs. 3. und 4, 347a) erw~ihnt, jedoch vom Gesetzgeber bewusst nicht detailliert geregelt und sind nach vorherrschender Meinung auch bei einer GmbH oder Personengesellschaft zul~issig. Sie gew~ihren auf schuldrechtlicher Basis verm6gensrechtliche Anspr/.iche, insbesondere die Teilhabe am Gewinn oder Verlust und/oder am Liquidationserl6s. 227 Hierbei ist zwischen einer gewinnorientierten Verzinsung (also einer ihrer H6he nach gewinnabh~ingigen Verzinsung) und solchen, die blot~ gewinnabh~ingig verzinst werden, zu unterscheiden. Mit letzterer ist ein Festzins gemeint, der entf~illt soweit ein 227 In der Untemehmenspraxis wird allerdings i. d. R. kein Recht auf Teilnahme am Liquidationserl6s vereinbart. Vielmehr wird den Genussrechtsinhabem fiir den Fall einer Liquidation ein Anspruch auf Abfindungsleistung einger~iumt, der erst nach Befriedigung aller anderen Gl~iubiger, jedoch vor Verteilung des Liquidationserl6ses an die Gesellschafter zu er~llen ist. Ziel ist es, dadurch die k6rperschaftssteuerliche Abzugsf/ihigf~ihigkeit der Gewinnaussch~ittung als Betriebsausgabe zu erhalten (Bieg/Kussmaul, 2000, S. 326 f.).
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Bilanzverlust besteht oder durch die Zinszahlung entstehen w/irde. In der Praxis sind auch Mischformen/iblich. Denkbar sind aber auch andere verm6genswerte Leistungen wie z.B. Bezugsrechte auf Anteile (Wandel-, Optionsgenussrechte, Optionsgenussscheine). Aufgrund ihres rein schuldrechtlichen Charakters gew~ihren Genussrechte keine mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte, insbesondere keine Stimm-, Kontroll- und Informationsrechte (Lorch, 1993, S. 30 ff.). Auf vertraglicher Basis k6nnen allerdings Kontroll- und Informationsrechte einger~iumt werden (Bermel, 2002, Rdnr. 90, 97 ft.). Die Einzelheiten regeln die Genussrechtsbedingungen. 228 Zivilrechtlich betrachtet vermitteln Genussscheine somit nur schuldrechtliche Gl~iubigerrechte und haben dem Grund nach Fremdkapitalcharakter. Dennoch kann das Genussrechtskapital in der Handelsbilanz des emittierenden Unternehmens als Sonderposten des Eigenkapitals angesetzt werden, wenn Nachrangigkeit gg/i. anderen Kreditgebern und eine volle Verlustbeteiligung besteht, das Kapital langfristig zur Verfogung gestellt wird und der Investor einen Anspruch auf wiederkehrende, von den Gewinnen des Emittenten abh~ingige Verg/itungen hat; anderenfalls handelt es sich um Fremdkapital (HFA des IDW, 1994, S. 269). Der besondere Vorteil einer Finanzierung/iber Genussrechtskapital liegt darin, dass es trotz eigenkapital/ihnlicher Ausstattungsmerkmale unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich wie Fremdkapital behandelt wird. FOr Genussrechte, die mit Wandel- und Optionsrechten ausgestattet sind, gilt das zu Wandel- und Optionsanleihen Ausgefohrte entsprechend. Da Genussrechte nicht das Nennkapital beri~hren, sind die Vorschriften ~iber die Kapitalaufbringung nicht anwendbar. Denkbar sind daher neben Bar- oder Sacheinlagen auch gegen die Gesellschaft gerichtete Forderungen oder Dienstleistungen m6glich (Bieg/Kussmaul, 2000, S. 333). Ublich ist die Ausgabe von Genussrechten daher als Entgelt for in die Gesellschaft eingebrachte Erfindungen, Know-how, Konzessionen, Lizenzen usw., aber auch im Rahmen einer Kapitalherabsetzung (Genussscheine ersetzen teilweise eingezogene Aktien oder Forderungen von Kreditinstituten). Eine Aufl6sung oder Ri~ckzahlung unterliegt keinen besonderen Beschr~inkungen. Dies gilt allerdings nicht uneingeschr~inkt in der Krise. Entsprechend der Rechtsprechung zu den sog. Finanzplankrediten muss auch Genusskapital mit Eigenkapitalcharakter in der Krise zur0cktreten, wenn explizit eine Nachrangabrede fOr diesen Fall vereinbart wurde oder aus der sonstigen Ausgestaltung der Eigenkapitalcharakter hergeleitet werden kann. Sofern die Ausgabe von Genussrechten bei einem Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft erfolgt, gelten for die Beschlussfassung der Hauptversammlung
228 Ein Abdruck einer Vielzahl von Genussrechtsbedingungen findet sich bei FRANTZEN,(1993, 295 ff.). 969
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bzw. das Bezugsrecht der Aktion~ire die gleichen Bestimmungen wie bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen (§ 221 Abs. 3 AktG bzw. § 221 Abs. 4 AktG). 229
2.3
Renditekomponenten
Die Gesamtrendite aller Mezzanine-Kapitalvarianten l~isst sich letztlich in eine Zinsund in eine Kicker-Komponente zerlegen (J~inisch/Moran/Waibel, 2002, S. 2451). Beide Komponenten stehen hinsichtlich ihrer Bemessung in einem diametralen Verh~iltnis zueinander: Eine geringere (relativ sichere) Zinskomponente muss durch eine fiberproportional h6here (relativ unsichere) Kicker-Komponente kompensiert werden. Innerhalb einer Mezzanine-Finanzierung k6nnen wiederum unterschiedliche Range und Fristen einzelner Tranchen existieren. Je nachrangiger und langfristiger die Mezzanine-Tranche strukturiert ist, desto h6her ist die Pr~imie. Die Kicker-Komponente kann in unterschiedlichen Formen auftreten und zwar Liblicherweise als E Bezugsrecht bzw. Option (Warrant) auf Untemehmensanteile; I
Eine virtuelle Optionsvereinbarung, die eine als-ob-Beteiligung definiert (virtuel-
ler Equity Kicker oder Phantom Warrant); t! Ein Wandlungsrecht (Convertible Right) des Mezzanine-Darlehens in Eigenkapital (Nathusius, 2001, S. 114.); Eine Pr~imienzahlung bei F~illigkeit des Mezzanine-Darlehens (Back End Fee) in Abh/ingigkeit vonder Untemehmenswertsteigerung (Barthold, 2001, S. 13). Beim Equity Kicker in der Form eines Bezugsrechts bzw. einer Option hat der Mezzanine-Investor das Recht, bei einer Kapitalerh6hung bzw. bei Erreichen eines bestimmten Ereignisses (z. B. B6rsengang oder Verkauf des Untemehmens bzw. von Unternehmensteilen an einen strategischen Investor), Gesellschaftsanteile zu vorher festgelegten Konditionen zu erwerben. Die 0bertragung der Anteile findet zeitlich kurz vor dem B6rsengang bzw. dem Verkauf an den strategischen Investor statt. Erg~inzend wird in der Praxis h~iufig eine zeitlich aufeinanderfolgende Put- bzw. CallVereinbarung getroffen. Dabei hat zun~ichst der Mezzanine-Investor w/ihrend eines bestimmten Zeitraums das Recht, das Bezugsrecht bzw. die Option an den MezzanineNehmer zum Marktpreis zu ver~iut~em. Fi~r den Fall, dass der Mezzanine-Investor dieses Recht nicht aus/ibt hat der Mezzanine-Nehmer anschliet~end das Recht, das Bezugsrecht bzw. die Option zum Marktpreis zu erwerben.
229 Bei der Ausgabe obligations~ihnlicher Genussrechte, die den Anspruch der Akfion~ire auf verh~iltnism~it~ige Teilnahme am Gewinn- und Liquidationserl6s nicht beeintr~ichtigen, ist indes ein Bezugsrechtsausschluss ohne weiteres m6glich. 970
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Bei einer virtuellen Optionsvereinbarung wird - im Gegensatz zum Equity Kicker in der Form eines Bezugsrechts bzw. einer Option- lediglich eine ,,Als-ob-Beteiligung" definiert. Zum Zeitpunkt der Rfickzahlung des Mezzanine-Kapitals wird dem Mezzanine-Investor der Wertzuwachs gezahlt, den er durch den realisierten Verkauf der fiber das virtuelle Optionsrecht erworbenen Anteile beim B6rsengang erhalten h/itte. Die Beteiligungsquote und der Barausgleich ergeben sich aus der Differenz zwischen der vereinbarten Gesamtrendite und der laufenden Vergfitung. Beim Equity Kicker in der Form eines Wandlungsrechts (Convertible Right) hat der Mezzanine-Investor das Recht, das Mezzanine-Kapital beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses (z. B. B6rsengang) zu vorher vereinbarten Konditionen in eine offene Eigenkapitalbeteiligung zu wandeln. H/iufig wird zus~itzlich noch vereinbart, dass diese Aktien beim B6rsengang zuerst am Kapitalmarkt platziert werden mfissen. Voraussetzung ffir die Vereinbarung eines Equity Kickers ist eine Unternehmensbewertung. Dies ist h/iufig ein komplizierter Prozess, w e i l - abgesehen vom Management Buy Out/Management Buy In - der Blickwinkel der Beteiligten nicht identisch ist, so dass im Ergebnis die Vorstellungen tiber einen ,,fairen Unternehmenswert" h/iufig deutlich auseinander liegen. Um dennoch eine Beteiligungsnahme zu erm6glichen, werden h/iufig so genannte verz6gerte Kaufpreisbestimmungen oder Nachbewertungen vereinbart. Schliet~lich kann neben der festen Vergfitung noch eine Pr/imienzahlung bei F~illigkeit des Mezzanine-Darlehens (Back End Fee) vereinbart werden, deren H6he von der Unternehmenswertsteigerung abh/ingt. Diese variable Ausschfittung kann an absolute oder relative Performance-Kennziffern gekoppelt werden (Golland, 2000, S. 34).
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Mezzanine Finanzierunssinstrumente als Tell der Sanierungsfinanzierun8
3.1
Ziele beim Einsatz mezzaniner Finanzierunssinstrumente in der Krise
Eine Sanierung setzt meist die Zuffihrung haftenden Kapitals voraus, da die aufgelaufenen Verluste das Eigenkapital aufgezehrt haben oder sogar die insolvenzrechtliche Uberschuldung eingetreten ist. Hinzu kommt fast immer eine Liquidit/itsenge, die bis hin zur insolvenzrechtlichen Zahlungsunf/ihigkeit ffihren kann.
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Die Motive, aus denen Gesellschafter, Gl~iubigerbanken oder gegebenenfalls sogar neue Investoren (z. B . - vornehmlich angels~ichsische- Private Equity-Firmen, die auf Sanierungsf~ille spezialisiert sind)230 Mezzanine-Kapital zur Ver~gung stellen, reichen v o n d e r Werterhaltung fi~r das bisherige Investment, der bilanziellen Sanierung und der Partizipation am Upside Potential. Die Beschr~inkung des unternehmerischen Einflusses der Alt-Gesellschafter steht indes nicht im Vordergrund. Sofern dies gewi~nscht ist, sollten andere Modelle eingesetzt werden wie z.B. Treuhandmodelle, mittelbare Beteiligungen unter Einschaltung einer ,,Zwischenholding", Pfandrechte an Gesellschaftsanteilen (ausfi~hrlich Wittig, 2000, S. 685 ff.).
3.2
Hybride Finanzierungsinstrumente in der U n terneh men srest ru kt u ri eru n8
3.2.1
Nachrangdarlehen
Nachrangdarlehen werden in der Krise h~iufig durch die bisherigen Gesellschafter zur Verfiigung gestellt, um eine Oberschuldung und/oder eine (drohende) Zahlungsunf~ihigkeit zu vermeiden. Die Nachrangabrede kann allerdings auch im nachhinein auf bereits bestehende Darlehen ausgesprochen werden. Damit zeigen die Gesellschafter, dass sie zu ihrer unternehmerischen Verantwortung stehen und geben so den Gl~iubigerbanken ein positives Signal zur Begleitung des Unternehmens in der Krise.
3.2.2
Stille Gesellschaft und fremdkapitallihnliche Genussrechte
Typisch stille Beteiligungen und fremdkapital~ihnliche Genussrechte sind nur dann sanierungsgeeignet, wenn durch eine erg~inzende Sanierungsabrededas Kapital einer rechtlichen Bindung unterworfen wird. Inhalt der Sanierungsabrede ist, dass die Ri~ckzahlung nur im Rang nach den Forderungen s~imtlicher Insolvenzgl~iubiger und aut~erhalb des Insolvenzverfahrens nur aus dem ungebundenen Verm6gen erfolgen darf.
230 Die Strategie solcher oftmals auch als ,,Vultures" oder ,,Geierfonds" bezeichneten Private Equity-Firmen ist es, die Untemehmen nach der Akquisition zu sanieren und anschliet~end mit der erzielten Wertsteigerung wieder zu ver~iut~em. Im Rahmen der Obernahme werden die Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Mezzanine-Kapital, meist durch eine atypisch stille Beteiligung oder die Ausgabe von Genussrechten gewandelt. 972
Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung
Atypisch stille Beteiligungen sind unabh~ingig vonder Sanierungsabrede - wie sie fLir typisch stille Beteiligungen notwendig i s t - sanierungsgeeignet, da das Kapital bereits aufgrund des Gesellschaftsvertrags einer besonderen Bindung unterliegt (Zacharias/ Hebig/Rinnewitz, 2000, S. 199).
3.2.3
Eisenkapital~ihnliche Genussrechte
Genussrechte weisen dann Eigenkapitalcharakterauf, wenn kumulativ die folgenden Bedingungen erfLillt sind: Ein R/ickzahlungsanspruch des Genussrechtsinhabers kann im Insolvenzfall erst nach Befriedigung aller anderen Gl~iubiger geltend gemacht werden, die Vergtitung f/.ir die Kapital/iberlassung ist erfolgsabh/ingig, das Genussrechtskapital nimmt am Verlust bis zur vollen H6he teil und es wird f/ir einen l~ingerfristigen Zeitraum/iberlassen, w/ihrenddessen die Riickzahlung fLir beide Seiten ausgeschlossen ist (G6hrum, 1992, S. 121 ff.). Ist nur eine dieser Bedingungen nicht erf/illt, haben Genussrechte keinen Eigenkapitalcharakter. Die Genussrechte gew~ihren keine mitgliedschaftlichen Rechte, wie z.B. Stimmrecht in der Hauptversammlung oder Bezugsrechte. Der Genussrechtsinhaber erh~ilt somit mitgliedschafts/ihnliche Verm6gensrechte, jedoch keine Mitgliedschaft (BGH NJW 1993, S. 57, Lutter, 1993a, S. 291, 294). Mit den stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§ 12 Abs 1. AktG) verbindet die Genussrechte demnach nur eine Ahnlichkeit in wirtschaftlicher, nicht aber rechtlicher Hinsicht (Lutter, 1993b, Rn 197). Im Insolvenzfall haben die Rechte der Genussscheininhaber Vorrang vor den Rechten der Aktion/ire; sie stehen im Rang aber nach den Rechten der Gl~iubiger der Aktiengesellschaft. In j/ingerer Zeit werden mit Bezugs-(Options-) und Wandel-(Umtausch-) Rechten auf bzw. in Gesellschaftsanteile ausgestattete Genussscheine (d. h. verbriefte Genussrechte) im Austausch ftir unbesicherte Forderungen von Gl~iubigerbanken (Debt/EquitySwap) eingesetzt (Wittig, 2003, Rdnr. 538 ff.).231 Der Umtausch der Kreditverbindlichkeiten folgt dabei den Regeln/iber die Sachgr/indung (Meilicke, 1995, S. 1061, MarschBarner, 1995, S. 1497). Bei Wandel-Genussrechten k6nnen die Genussrechte in Aktien des Emittenten umgewandelt werden. Neben diesen Wandelgenussrechten gibt es so genannte Options-Genussscheine. Hierbei ist wie bei der Optionsanleihe der Genussschein mit einem abtrennbaren und selbst~indig handelbaren Optionsschein verbunden. Beide Modelle geben den Gl~iubigerbanken die M6glichkeit, w/ihrend der (i.d.R. sehr langen) Wandlungs- bzw. Optionslaufzeit an der Wertsteigerung der Aktiengesellschaft zu partizipieren. Zur Emission der Genussscheine ist die Zustimmung der Hauptversammlung mit mindestens drei Viertel der Stimmen des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erforderlich, sofern nicht die Satzung eine andere Kapitalmehrheit vorschreibt (§ 221 Abs. 3 AktG i. V. m. § 221 Abs. 1 AktG). Nach /iberwiegender Ansicht gilt 231 Zu den historischen Vorbildem s. FRANTZEN(1993, S. 50 ff.) und SINGER(1991, S. 11 f.). 973
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daneben auch § 221 Abs. 2 AktG (bezieht sich auf die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen) entsprechend. Danach kann die Erm~ichtigung des Vorstandes zur Ausgabe von Optionsgenussrechten auf h6chstens 5 Jahre erteilt werden. Sofem der Einfluss von Altgesellschaftern beschr~inkt werden soll, muss bei Ausgabe von Wandelbzw. Optionsgenussrechten zus~itzlich ein Bezugsrechtsausschluss beschlossen werden, da anderenfalls die Alt-Gesellschafter gem. §§ 221 Abs. 4, 186 AktG ein Bezugsrecht h~itten (Wittig, 2000, S. 705).232 Bei Wandel- bzw. Optionsgenussrechten ist jedoch zu beachten, dass das ~ r die Wandlung bzw. Optionsausi~bung erforderliche bedingte Kapital nicht mehr als die H~ilfte des Grundkapitals ausmachen darf (§ 192 Abs. 3 AktG). 233 Sofem dies nicht oder nicht in ausreichendem Umfange vorhanden ist, muss ein entsprechender Beschluss auf einer erneuten Hauptversammlung eingeholt werden. Im Falle einer erfolgreichen Sanierung erhalten die Gl~iubigerbanken eine gewinnabh~ingige Verzinsung und die Ri~ckzahlung des Nominalbetrags der Genussrechte. Zudem k6nnen sie an der zwischenzeitlichen Untemehmenswertsteigerung durch Ver~iut~erung der Aktien partizipieren. Der Vorteil von Genussrechten ggi~. einer Sachkapitalerh6hung mit Einbringung von Krediten lag v. a. darin, dass die Zeichner Ansprfiche schuldrechtlich erhalten, die der verm6gensrechtlichen Stellung des Gesellschafters entsprechen. Da die Genussrechte jedoch nicht zu einer gesellschaftergleichen Stellung f6hren, wird ihr Inhaber ~ r die Kapitalersatzvorschriften nicht als Gesellschafter angesehen. Die Bedeutung dieses Vorteils ist mit der Ein~hrung des sog. Sanierungsprivilegs (§ 32a GmbHG) deutlich reduziert worden. Danach k6nnen die Kreditgeber einer insolventen Aktiengesellschaft jetzt in der Krise unmittelbar Gesellschafter werden, ohne dass die Kapitalersatzregeln eingreifen. Rechtliche Risiken entstehen jedoch dann (wieder), wenn das Unternehmen nach erfolgter Sanierungsfinanzierung emeut in eine Krise ger~it und die Banken nach wie vor gleichzeitig Gl~iubiger- und Gesellschafterstellung innehaben und die Grenzen der Kleinbeteiligung i~berschritten sind. Bei Options-Genussrechten ist das Optionsrecht separat handelbar und kann bei der b6rsennotierten Aktiengesellschaft fiber die B6rse ver~iut~ert werden, so dass die Gl~iubigerbank zu keinem Zeitpunkt Gesellschafterstellung erlangt. Der Nachteil von Sanierungsgenussrechten, die im Austausch von unbesicherten Kreditforderungen ausgegeben werden, besteht darin, dass die Zahlungsunf~ihigkeit nicht beseitigt wird. Schliet~lich sind langfristig nur Tilgungs- und Zinserspamisse liquidit~itswirksam. Zudem l~isst sich die Oberschuldung aufgrund des Zeitbedarfs nicht innerhalb der 3-Wochenfrist vermeiden.
232 Das legitime Interesse am Austausch des Managements als Beitrag zur Sanierung wird vom Gesetzgeber anerkannt (s. Rechtsausschuss, Beschlussempfehlung u. Bericht zum KonTraG, BT-Drucksache 13/10038, zu Artikel 9a (ii~nderung des GmbH-Gesetzes), S. 28. 233 Dies erkl~irt auch, warum sich dieses Modell ffir die GmbH nicht eignet. 974
Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung ii!i~ii!ii!iliiii~i!i~!iii!i!ii!~i i:3 ~i!i3iidiiil i Beispiele fiir Sanierungsgenussscheine bei b6rsennotierten Aktiengesellschaften sind in der folgenden Abbildung 3-1 dargestellt.
Abbildung 3-1:
Beispielefiir Sanierungsfinanzierungen mit Wandel-/Optionsrechten (Quelle: G6rg, 2000; Goller, 2000; Kischewski, 1986; o. V., 1987; o. V., 2001; o. V., 2002; Schaltbau Holding AG, 2004)
Grundig A G
1984
Ausga~ Genussschein yon insgesamt DM 250 Mio. gegen Kapitateintage bestehend aus Gl~iubigerbanken. Die Genussscheine sind mit einern Wandtungsrecht in neue Grundig-Stammaktien ausgestattet.
Otto W o l f A G
1987
Ausgabe von Genussscheinen von insg! DM t:00 Mio. mit einer Laufzeit bis zum Jahresende 2002 und einer gewinnabh~ingigen Verg0tung, Tausch ab t991 im Verh~iitnis 2:1 in stimmrechtslose Vorzugsaktien.
Metallgesellschaft A G
1994
Umwandtung yon Kredifford. von insg. DM 1.335 Mio. in DM 267 Mio. Genussrechte. Recht auf Wa:ndtungin EK und Dividenden, ~ g s ~ t e . Keine V~ust0bernahme. R0ckzahlung im KSndigungsfafl, Mitbestimmungs~tefehlen (Goetter, 2000, S. 63).
Philipp Holzmann A G
2000
Ausgabe von Wandetgen0ssen zum Nominalbetrag von E 4,6 Mio. in bar und im Betrag des Agios von rd. ~ 386 Mio~ dumh Umwandtung yon Dartehen. (GOrg ~ e i c h n e t dieseTransaktion daher als ,debt-ag:io-swap", GOrg, 2000, 128),
Heditz A G
2001
Umwandlung yon Kredifford~ i.H.v, rd. E 49 Mio. i.n Genussrechtskapital mit beigefSgten Optionsrechten auf Aktien~ Begebung i.H.v. E 22,9 Mio. Einstellung yon 0berschuss zum Nennbetrag E 25,9 Mio. in Kapitatr0cklagen.
i~ i~.
Vogt •" e l e ~ n i c AG
2001
Umwandtung von Ford. i.H.v. E 49,8 Mio, in Genussrechtskapital i.H.v. E 39,0 Mio. und Zufohrung in Kapita!~cklage i.H.v. E 80Mio.
2003
Vorstand wurde auf auBerordti. HV im Nov: 2003 erm~ichtigt, bis Nov. 2007 u:a. Optionsgenussrechte attemativ oder kumutativ zu anderen Anleiheformen his zu einem Gesamtbetrag i.H.v. E 80 Mio.
Media ..........
(.e!Com) AG ..................................... a.szu~e~en.
Auf der aur~erordtl. HV im Dez. 2003 wurde u.a..vorgeschtagen, Optionsgenussrechte im Schaltbau 2003 Gesamtbetrag LH.v. E 10 Mio. zu ~ b e n ~ Bei der Umwandtung yon Kreditfo. in Genuss~hte wird Holding AG je ein Genussrecht im Nennbetrag yon E 20 fOr einen Fo.-Betrag yon E 24 (Ausgabekurs) gew,~hrt. i...., v.v.......:........:. ................:....:.:.................................... .......................:...............: ..............................~::. : . :...::::. ../:.. /..: ::..: ~=
4
Einsatzbereiche und Investoren mezzaniner Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung
Die vorstehenden Betrachtungen haben gezeigt, dass die beschriebenen mezzaninen Finanzierungsinstrumente als Teil einer Sanierungsfinanzierung geeignet sind, um eine drohende Insolvenz abzuwenden. Nachrangdarlehen und stille Gesellschaft sind bei entsprechender Gestaltung ein probates Mittel, um kurzfristig eine Uberschuldung und/oder eine (drohende) Zahlungsunf~ihigkeit abzuwenden. Die Ausgabe von Sanierungsgenussrechten mit Bezugs-(Options-) und Wandel-(Umtausch-) Rechten auf bzw. 975
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in Gesellschaftsanteile bietet sich dagegen nur bei b6rsennotierten Aktiengesellschaften an. Als Investoren ~ r mezzanine Finanzierungsinstrumente in der Krise kommen grunds~itzlich die Altgesellschafter, die Gl~iubigerbanken und auf Sanierungsf~ille spezialisierte Private Equity-Gesellschaften in Betracht.
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Hybride Finanzierungsinstrumente in der Unternehmenssanierung .............
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979
I
i~i
1
S a n i e r u n g s s t e u e r r e c h t als lex specialis in D e u t s c h l a n d nicht existent ................... 983 Steuerliche K o n s e q u e n z e n der leistungswirtschaftlichen S a n i e r u n g ..................... 983 2.1
P e r s o n a l a b b a u , Sozialplan u n d A b f i n d u n g s z a h l u n g e n .................................. 984
2.2
Weitere operative Sanierungseffekte .................................................................. 985
2.3
Steuerliche N u t z u n g der Verlustsituation ......................................................... 986
Steuerliche K o n s e q u e n z e n der finanzwirtschaftlichen S a n i e r u n g .......................... 987 3.1
B e s t e u e r u n g der S a n i e r u n g s g e w i n n e ................................................................ 988
3.2
F o r d e r u n g s v e r z i c h t e ............................................................................................ 991
3.3 3.4
3.2.1
F o r d e r u n g s e r l a s s der Gesellschafter ...................................................... 991
3.2.2
Verzicht auf P e n s i o n s a n s p r / i c h e ............................................................ 992
3.2.3
F o r d e r u n g s v e r z i c h t e v o n Nicht-Gesellschaftern ................................. 993
3.2.4
V e r e i n b a r u n g v o n B e s s e r u n g s s c h e i n e n ................................................. 993
Rangr/icktrittserkl~irungen .................................................................................. 994 Kapitalmat~nahmen .............................................................................................. 995 3.4.1 K a p i t a l e r h 6 h u n g e n .................................................................................. 995 3.4.2
3.5
D e b t - E q u i t y - S w a p .................................................................................... 996
F i n a n z i e r u n g der S a n i e r u n g ................................................................................ 996
Steuerliche K o n s e q u e n z e n der s t r u k t u r e l l e n S a n i e r u n g .......................................... 997 4.1 V e r s c h m e l z u n g ..................................................................................................... 998
4.2
4.3
4.1.1
V e r s c h m e l z u n g z w i s c h e n Kapitalgesellschaften .................................. 998
4.1.2
V e r s c h m e l z u n g v o n P e r s o n e n g e s e l l s c h a f t e n ...................................... 1001
4.1.3
Mischf~ille ................................................................................................ 1001
S p a l t u n g ............................................................................................................... 1002 4.2.1
S p a l t u n g v o n Kapitalgesellschaften ..................................................... 1003
4.2.2
S p a l t u n g v o n P e r s o n e n g e s e l l s c h a f t e n ................................................. 1003
4.2.3
Mischf~ille ................................................................................................ 1004
F o r m w e c h s e l ....................................................................................................... 1004 4.3.1 4.3.2
Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft ....................................... 1004 Personengesellschaft in Kapitalgesellschaft ....................................... 1006
981
Eichhorn I Lawall
4.4
5
Ver~inderungen im Gesellschafterbestand ....................................................... 1006 4.4.1
K6rperschaftsteuerliche Verlustvortr~ige ............................................. 1007
4.4.2
G e w e r b e s t e u e r l i c h e Verlustvortr~ige .................................................... 1010
Z u s a m m e n f a s s u n g ....................................................................................................... 1010
982
Sanierungsst euerrech t
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Sanierungssteuerrecht als lex specialis in Deutschland nicht existent Obwohl die Anzahl von Unternehmenssanierungen, Restrukturierungen und Insolvenzen in Deutschland seit Jahren angestiegen ist und nun auf hohem Niveau stagniert, gibt es f~ir diesen Bereich kein eigenst~indiges ,,Sanierungssteuergesetz", das wie z. B. das Umwandlungssteuergesetz die in diesem Zusammenhang relevanten Tatbest~inde umfassend regelt. Vielmehr sind die verschiedenen Mat~nahmen und Stellhebel der leistungswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen und strukturellen Sanierung dahingehend zu pri~fen, ob sie relevante Tatbestandsmerkmale der geltenden Steuergesetze erfi~llen und somit steuerliche Konsequenzen ausl6sen. Relevant sind hier v. a. die ertragsteuerlichen Regelungen des Einkommensteuergesetzes, des K6rperschaftsteuergesetzes und des Gewerbesteuergesetzes, aber auch die Vorschriften des Umwandlungssteuerrechts. F(ir die Zwecke des vorliegenden Handbuchs soll eine Perspektive und Vorgehensweise gew~ihlt werden, die sich an denen in der Praxis relevanten und in g~ingiger 0bung praktizierten drei Dimensionen einer Sanierung- der leistungswirtschaftlichen, der finanzwirtschaftlichen sowie der strukturellen Sanierung - orientiert. Damit soll der Sicht der wirtschaftlichen Betrachtungs- und praktischen Vorgehensweise bei einer Unternehmenssanierung gefolgt werden, um so den mit Projekten dieser Art betrauten Experten m6gliche steuerliche Konsequenzen in diesem Themenbereich aufzuzeigen.
2
Steuerliche Konsequenzen der leistungswirtschaftlichen Sanierun8
Sanierungsf~ille sind die Konsequenz eines l~inger anhaltenden Ungleichgewichts zwischen buchhalterischem Aufwand und Ertrag respektive Auszahlungen und Einzahlungen. Ein dauerhaftes 0bersteigen der Aufwendungen i~ber die Ertr~ige fi~hrt nach Verbrauch des haftenden Eigenkapitals zu einer bilanziellen 0berschuldung gem. § 19 Insolvenzordnung (InsO), ein permanent negativer Saldo zwischen Einzahlungen und Auszahlungen zieht eine drohende oder tats~ichliche Zahlungsunf~ihigkeit nach sich, womit die Insolvenzantragsgr~inde gem. §§ 17, 18 InsO erfi~llt w~iren. Mat~nahmen zur Wiedererlangung operativer St~irke im Sinne von positiven operativen Ergebnissen und positiven operativen Cash-flows m~issen folglich an den Ursachen solcher Ungleichgewichte ansetzen und die operativen Aufwands- und Kostenstrukturen sowie die damit verbundenen Zahlungsstr6me in einen profitablen Zustand brin-
983
Eichhorn / Lawall
gen. Dies kann nur gelingen, wenn die Mat~nahmen im Rahmen der leistungswirtschaftlichen Sanierung ihren Niederschlag in der GuV, der Bilanz sowie der Kapitalflussrechnung eines Unternehmens finden.
2.1
Personalabbau, Sozialplan und Abfindungszahlungen
Mat~nahmen zur Reduzierung von Personalaufwendungen umfassen in Sanierungsf/illen oft Entlassungen von Arbeitnehmern, das Auslaufen von befristeten Arbeitsvertr~igen oder konzerninterne Versetzungen. Unter Beachtung der Regelungen des Kfindigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes sind die daffir notwendigen Mat~nahmen neben der Vereinbarung eines Interessensausgleichs i. d. R. mit der Verabschiedung eines Sozialplans oder entsprechender einzelvertraglicher Regelungen verbunden. Inhalte dieser Regelungen sind neben dem Zeitpunkt der Aufl6sung des Arbeitsverh/iltnisses v.a. die H6he der Abfindungszahlungen ffir den Verlust des Arbeitsplatzes. Bedingt durch die Novellierung des BetrVerfG in 2001 kommen neben klassischen Abfindungssozialpl~inen auch Transfersozialpl~ine sowie die Besch~iftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) als Instrumente der Personalfreisetzung in Betracht. Fiir den Arbeitnehmer sind Zahlungen aufgrund eines Sozialplans grunds~itzlich Arbeitslohn und damit als Einkfinfte aus nichtselbst~indiger T~itigkeit steuerbar gem. §§ 19 Abs. 1 EStG, 2 LStDV. Abfindungszahlungen k6nnen jedoch steuerfreie Einnahmen sein, wenn sie ..... wegen einer vom Arbeitgeber verantassten oder gerichtlich ausgesprochenen AuflSsung des Dienstverhiiltnisses" gezahlt werden (§ 3 Nr. 9 EStG). Ffir diese Abfindungszahlungen sieht das Gesetz eine betragsm~it3ig begrenzte Steuerfreiheit in H6he von 7.200 Euro vor, die unter kumulativer Erffillung bestimmter Kriterien bis auf 11.000 Euro ansteigt. Diese Regelung gilt jedoch nur noch ffir vor dem 01.01.2006 entstandene oder rechtskr/iftig best~itigte Abfindungsansprfiche der Arbeitnehmer sowie ffir Abfindungen, fiber die zum 31.12.2005 eine Klage anh~ingig ist und vor dem 01.01.2008 dem Arbeitnehmer zufliet3en (BGB1.1 2005, Nr. 76, S. 3682). Uber die Freibetr~ige des § 3 Nr. 9 EStG hinausgehende Abfindungsbetr~ige sind zudem als aut3erordentliche Einkfinfte nach den Voraussetzungen § 34 Abs. 1 und 2 EStG erm~it3igt besteuert werden, sofern die Abfindung als Entsch~idigung ffir den Verlust des Arbeitsplatzes i. S. d. § 24 Nr. 1 EStG klassifiziert wird. Aufgrund von betriebsbedingten Kfindigungen gezahlte Abfindungen erffillen die notwendigen Tatbestandsmerkmale ffir eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 9 EStG zweifelsfrei. Hingegen fallen Zahlungen aufgrund einer blot3en Versetzung innerhalb eines Konzerns, wegen einer Anderungskfindigung oder bei Auslaufen und Nichtverl~ingern eines Zeitvertrags nicht unter das Privileg des § 3 Nr. 9 EStG (Schmidt, 2004, § 3
984
Sani erungsst euerrech t
[Abfindungen]). Ob Abfindungszahlungen, die im Zusammenhang mit einem Transfersozialplan oder einen externen BQG gezahlt werden, ebenfalls unter die begfinstigende Regelung fallen, ist derzeit umstritten. TM FOr den arbeitgebenden Betrieb sind grunds~itzlich alle mit dem Personalabbau in Zusammenhang stehenden Aufwendungen Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG. Die Bildung einer Rfickstellung for ungewisse Verbindlichkeiten gem. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB bereits im Jahr der Planung der Sanierung kommt via Mat~geblichkeitsprinzip auch for die Steuerbilanz in Betracht, wenn die Verpflichtung vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht wurde und mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist. Kfinftige Leistungen aufgrund eines Sozialplans sind ansatzpflichtig, wenn die Durchffihrung der zugrunde liegenden Betriebs~inderung vor dem Bilanzstichtag beschlossen wurde oder zumindest wirtschaftlich notwendig ist und der Betriebsrat sp~itestens bis zur Feststellung der Bilanz unterrichtet wurde (Schmidt, 2004, § 5 Rz. 550; R 31c Abs. 6 EStR). Ffir die Bewertung der Rfickstellung ist der Verhandlungsstand mit dem Betriebsrat bzw. den betroffenen Mitarbeitern von Bedeutung. Sofern eine Betriebsvereinbarung mit den entsprechenden Konditionen hinsichtlich Sozialauswahl und Abfindungsh6he vorliegt, kann die tats~ichliche H6he der Ausgaben recht genau quantifiziert werden. Solange noch keine Einigung mit dem Betriebsrat erzielt wurde oder im Streitfall der Spruch der Einigungsstelle noch nicht vorliegt, muss der Rfickstellungsbetrag innerhalb einer Bandbreite m6glicher Ausgabebetr/ige gesch/itzt werden. Hierzu wird in der Literatur zum Teil die Rfickstellung des Erwartungswerts, d. h. des gewogenen arithmetischen Mittelwerts oder des wahrscheinlichsten Werts gefordert. Unter Berficksichtigung des Vorsichtsprinzips kann es in dieser Situation durchaus sachgerecht sein, wenn bei der Dotierung der ROckstellung das Volumen zugrunde gelegt wird, dass sich aus der Forderung des Betriebsrats ergibt (Hartung, 1988, S. 1425).
2.2
Weitere operative Sanierunsseffekte
Zur Verbesserung der Liquidit~its- und Ertragslage des Unternehmens kommt die Ver~iut~erung von nicht betriebsnotwendigen WirtschaftsgOtern in Betracht. Wird ein Ver~iut~erungspreis erzielt, der unter dem Buchwert liegt, entsteht ein den gfltigen Verlustverrechnungsvorschriften unterliegender Verlust. Kann hingegen ein fiber dem Buchwert liegender Ver~iut~erungspreis erreicht werden, werden stille Reserven reali-
234 Beffrwortend PROPPER(2001, S. 2170); kritisch PITTERLE(2002, S. 762 ft.) mit weiteren Nachweisen. Die Argumente der OFD Stuttgart aufgreifend dfirfte das Tatbestandsmerkmal ,,Auf16sung des Dienstverh/iltnisses" dann erf/.illt sein, wenn die Ausgestaltung der intemen oder externen BQG fiber eine reine Abwicklungsgesellschaft und Zahlstelle hinausgeht und mit der Zielsetzung erfolgt, die ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu qualifizieren und eine neue Besch~iftigung zu vermitteln. 985
Eichhorn / Lawall
siert und damit in dieser H6he ein ertragsteuerrechtlicher Gewinn verwirklicht. Insoweit ergeben sich aus dieser operativen Sanierungsmat3nahme keine steuerlichen Besonderheiten oder Gestaltungsm6glichkeiten. Bestehen zwischen den Gesellschaftern und einer im Sanierungsprozess befindlichen Kapitalgesellschaft Leistungsbeziehungen, k6nnen die Gesellschafter als weiteren Sanierungsbeitrag unentgeltliche Nutzungen und Dienstleistungen erbringen, z. B. in der Auspr~igung von reduzierten Mietforderungen. Diese unentgeltlich erbrachten Leistungen sind nach Ansicht des BFH nicht einlagef~ihig, da hierbei die Kriterien ~ r ein bilanzierungsf~ihiges Wirtschaftsgut nicht er~llt sind. Beim Gesellschafter k6nnen die f6r die Nutzungsgew~ihrung notwendigen Aufwendungen grunds~itzlich als Betriebsausgaben abgezogen werden. Beim zu sanierenden Untemehmen besteht fi~r die erhaltenen Leistungen korrespondierend weder eine Aktivierungspflicht noch ist ein fiktiver Aufwandsposten anzusetzen, sodass dem Unternehmen ein echter, die Ertragskraft steigernder Vorteil entsteht (Dautel, 2002, S. 1129 f.)235. Bei dieser Art von Sanierungsbeitr~igen besteht ein erheblicher Gestaltungsspielraum. Bspw. wird die Vergabe eines zinslosen Darlehens an die Zielgesellschaft auch dann nicht als Gestaltungsmissbrauch angesehen, wenn diese im Wege einer entsprechenden Anlage auch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung t~itigt und Kapitalertr~ige realisiert. Insbesondere bei Restrukturierungen/ Sanierungen innerhalb von Unternehmensgruppen und Konzernen ist darauf zu achten, dass die Aufwendungen der Sanierung verursachungsgerecht den Unternehmenseinheiten zuzurechnen sind, bei denen die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmat~nahmen umgesetzt werden und die somit auch von diesen Mat3nahmen profitieren. Eine Verteilung der Restrukturierungsaufwendungen unter verschiedenen Gesellschaften dergestalt, dass diese von Gesellschaften getragen werden, die nicht direkt von den Sanierungsmat3nahmen betroffen sind, kann ggf. als eine verdeckte GewinnausschiJttung zugunsten einer Konzern-Mutter angesehen werden, die mit steuerlichen Mehrbelastungen bei der Tochtergesellschaft verbunden ist (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, S. 696, Rz. 166).
2.3
Steuerliche Nutzun8 der Verlustsituation
Durch die verschiedenen Mat~nahmen im Rahmen der leistungswirtschaftlichen Sanierung werden oftmals laufende sowie bereits entstandene operative Verluste vergr6t~ert. Die Ober~hrung der Sanierungsaktivit~iten in eine Businessplanung muss unter Einbeziehung von Steuern erfolgen, da insbesondere die Auszahlungswirksamkeit im
235 Im Einzelfall ist jedoch zu pri~fen, inwieweit die Vorschrift des § 3c Abs. 2 EStG greift und nur ein h~ilftiger Abzug m6glich ist, wenn damit korrespondierend steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 40 EStG verbunden sind.
986
Sanierungssteuerrech t I
Rahmen der Finanzplan- und Liquidit~itsrechung von erheblicher Bedeutung sein kann. Die Voraussetzungen fiir den Verlustabzug richtet sich nach § 10d EStG. Der Verlustabzug kann nur bei der Gesellschaft vorgenommen werden, bei der der Verlust eingetreten und entstanden ist. Da bei Kapitalgesellschaften kein vertikaler Verlustausgleich vorgenommen werden kann, sind diese Verluste zuri~ckzutragen, wobei eine betragsm~it~ige Begrenzung auf 511.500 Euro vorgeschrieben ist (§ 10d Abs. 1 EStG). Dariiber hinausgehende Verluste k6nnen zwar zeitlich unbeschr~inkt vorgetragen werden. Jedoch ist die Beri~cksichtigung von Verlusten in der Zukunft betragsm~it~ig begrenzt. Konkret ist pro Jahr zun~ichst ein Sockelbetrag von 1.000.000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkiinfte abzuziehen. Ein dari~ber hinaus gehender Verlustvortrag kann nur zu 60 % vom verbleibenden Gesamtbetrag der Einki~nfte abgezogen werden (§ 10d Abs. 2 EStG). Analog dazu sind die gewerbesteuerlichen Vorschriften formuliert (§ 10a GewStG). Diese den Verlustvortrag limitierende Regelung ~ h r t zu einer Mindestbesteuerung, die insbesondere bei der Sanierung von gr6t~eren Unternehmen und der angestrebten Gesundung der finanziellen Situation in Bezug auf Eigenkapital und Liquidit~it eine erhebliche Zusatzbelastung darstellt. Durch die Zahlungswirksamkeit der Mindestbesteuerung k6nnen bspw. in der Sanierung gew~ihrte Darlehen bei Erreichen der Gewinnzone langsamer getilgt werden, als bei einem unbeschr~inkten Verlustvortrag. Zudem mindem die Ertragsteuern den Aufbau des bilanziellen Eigenkapitals bei Gewinnthesaurierung. Dariiber hinaus belasten die negativen Zinseffekte die Sanierungsbemiihungen zus~itzlich. In bestimmten Fallkonstellationen kann durch den Anstieg des effektiven Grenzsteuersatzes die Mindestbesteuerung sogar zu einem Substanzverzehr fi~hren (Herzig/Wagner, 2003, S. 227).
3
Steuerliche Konsequenzen der finanzwirtschaftlichen Sanierung
Im Rahmen der finanzwirtschaftlichen Sanierung stehen zwei Kernziele im Vordergrund. Zum einen gilt es iiber eine Restrukturierung der Passivseite der Bilanz die bilanzielle 0berschuldung kurzfristig zu i~berwinden und die Kapitalstruktur bis zum Erreichen operativer Ertragskraft stabil zu halten. Zum anderen muss iiber den Einsatz geeigneter Instrumente die Finanzierung der gesamten Sanierung bis zum Erreichen der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilit~it sichergestellt werden. Dabei sind sowohl die mit der Sanierung verbundenen Zahlungen wie fiir Sozialpl~ine, Schliet~ungs- und Ri~ckbaukosten oder Beratungsleistungen genauso zu finanzieren wie ein eventuell noch entstehender operativer Verlust. 987
i
Eichhorn / Lawall
3.1
Besteuerung der Sanierungsgewinne
Unter Sanierungsgewinnen werden im steuerlichen Sinne Erh6hungen des Betriebsverm6gens verstanden, die durch den vollst~indigen oder teilweisen Erlass von Schulden zum Zweck der Sanierung entstehen. Eine Sanierung wird dabei als Mat~nahme verstanden, ,,die darauf gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmenstrfiger (juristische oder natidrliche Person) vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsffihig zu machen..." (BMF, 2003a, Tz. 1). Dabei k6nnen Schulden insbesondere durch den Verzicht auf Forderungen (Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB) oder durch ein Anerkenntnis, dass ein Schuldverh~iltnis nicht besteht, (negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB) erlassen werden (BMF, 2003a, Tz. 3). Bis zum VZ 1999 waren diese Sanierungsgewinne unter bestimmten Voraussetzungen nach § 3 Nr. 66 EStG a. F. steuerfrei gestellt. Fi~r nachfolgende VZ wurde dieser Steuerfreiheit aufgehoben, was vor dem Hintergrund der Zielsetzung der neuen Insolvenzrechtsordnung ab 1999 als eine Behinderung von Sanierungsbem(ihungen im Vergleich zur vorher geltenden, grot~zi~gigen Regelung interpretiert wurde (Janssen 2003, 1056). Mit Schreiben vom 27.03.2003 reagierte das BMF schliet~lich auf Kritik und praktische Verfahrensvorschl~ige zur Abmilderung der neuen Gesetzeslage. Dabei wird im Kern auf den Erlass von Steuern auf Sanierungsgewinne abgezielt, um so den auch vom BMF anerkannten Zielkonflikt mit der InsO zu 16sen. Nach dieser Verlautbarung sind entstehende Sanierungsgewinne zun~ichst separat festzustellen und deren H6he zu ermitteln. Anschliet~end ist der Sanierungsgewinn mit allen aufgelaufenen Verlusten unbeschadet von bestehenden Ausgleich- und Verrechnungsbeschr~inkungen i. S. d. §§ 2 Abs. 3, 2a, 2b, 10d, 15 Abs. 4, 15a, 23 Abs. 3 EStG zu verrechnen. Sollte nach diesen durchgefiihrten Verrechnungen ein Sanierungsgewinn verbleiben, ware dieser der normalen Besteuerung zu unterwerfen. Vor dem Hintergrund des damit verbundenen Liquidit~itsabflusses sowie des um den Betrag der zu entrichtenden Steuer reduzierten Eigenkapitaleffekts wird diese Steuer vom BMF als eine erhebliche H~irte ~ r den Steuerpflichtigen beurteilt. Daher kann aus sachlichen Billigkeitsgriinden auf Antrag des Steuerpflichtigen diese Steuer auf den verbleibenden Sanierungsgewinn nach § 163 AO abweichend festgesetzt und nach § 222 AO mit dem Ziel eines sp~iteren Erlasses zun~ichst unter Widerrufsvorbehalt ab F~illigkeit gestundet werden (BMF, 2003a, Tz. 7 ff.). Einwendungen des Steuerpflichtigen gegen die vorangegangene Verlustverrechnung des Finanzamtes im Festsetzungsverfahren mit dem Ziel, die Verrechnung mit anderen Einki~nften oder die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrag zu erlangen, werden als Ri~cknahme des Erlassantrages interpretiert und ~ h r e n zur Nichtanwendung der geschilderten Billigkeitsmat~nahme. Entstehen im Folgejahr immer noch Verluste, sind diese zwingend zuri~ckzutragen und mit dem Sanierungsgewinn zu verrechnen (zwingender, maximal zul~issiger Verlustr(icktrag nach § 10d EStG). Ist der Forderungsverzicht mit einem Besserungsschein verbunden, ist die auf den Sanierungsgewinn entfallende Steuer bis zu dem Zeitpunkt zu stunden, bis zu dem aus dem Besserungsschein Zahlungen m6glich sind. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die
988
Sanierungsst euerrech t
Finanzverwaltung auch keinen Erlass aussprechen (BMF, 2003, Tz. 11). Werden in nachfolgenden Veranlagungszeitr~iumen Zahlungen aufgrund eines Besserungsscheins vereinbart und geleistet, ist der verbliebene Sanierungsgewinn um diese Zahlungen zu ki~rzen. Schliet~lich ist nach abschliet~ender Priifung und nach Feststellung des endgiiltigen Sanierungsgewinns nach Beriicksichtigung eventuell zu leistender Zahlungen aus Besserungsscheinen der auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallende Steuerbetrag nach § 227 AO vom Finanzamt zu erlassen (Ermessensreduzierung auf Null). 236 Voraussetzung f6r diese Art von Billigkeitsmat~nahmen ist jedoch die Einordnung der anfallenden Betriebsverm6gensmehrungen als Sanierungsgewinne. Im BMF-Schreiben werden als Voraussetzungen hierfiir die Sanierungsbediirftigkeit und Sanierungsf/ihigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht der G1/iubiger aufgez~ihlt. Damit wird auf die Kriterien abgestellt, die f/ir die Anwendung der fr6heren Vorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a. F. Voraussetzung waren. Finanzverwaltung und Kommentarliteratur haben jeden dieser Begriffe umfangreich und teilweise streitig versucht einzugrenzen. Fiir das Vorliegen von Sanierungsbediirftigkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten zu priifen, ob es ohne Sanierungsmat~nahme m6glich gewesen ware, das Untemehmen auf Dauer nach kaufm~innischen Gesichtspunkten rentabel und ertragsf/ihig fortzufiihren (Schmidt, 1997, § 3 ABC ,,Sanierungsgewinn"). Die Sanierungsbed6rftigkeit h~ingt dabei insbesondere v o n d e r Liquidit/it, dem Verh~iltnis der fliissigen Mittel zur H6he der Schuldenlast, der F/illigkeit der Verbindlichkeiten, der Zusammensetzung des Betriebsverm6gens, der Ertragslage und der Verzinsung des Untemehmens ab (BFH vom 22.11.1983; BFH vom 14.03.1990). Ein Untemehmen ist als sanierungsbediirftig zu klassifizieren, wenn ohne die Sanierung die Betriebssubstanz, die fiir eine erfolgreiche Weiterfiihrung des Betriebs sowie fi~r die Abdeckung von bestehenden Verpflichtungen notwendig ist, nicht erhalten werden k6nnte (BFH vom 10.04.2003). 237
Sanierungsf/ihigkeit kann aus steuerlicher Sicht bejaht werden, wenn es im Zeitpunkt der Sanierungsmat~nahme als lebensf/ihig anzusehen ist. Kann das U n t e m e h m e n trotz der Sanierungsmat~nahme- auf keinen Fall weiterbestehen, so ist es weder sanierungsbed6rftig noch sanierungsf/ihig. Auch hier verweist der BFH auf die Ertragslage, die H6he des Betriebsverm6gens vor und nach der Sanierung, die Kapitalverzinsung sowie die Verh/iltnisse der fliissigen Mittel zur Schuldenlast und der Gesamtleistung (BFH vom 13.11.1963).
236 Dies gilt auch fiir ggf. erhobene Stundungszinsen, soweit diese auf gestundete und schliet~lich erlassene Steuerbetr/ige entfallen, BMF 2003a, Tz. 12. 237 Fiir Personengesellschaften gilt dariiber hinaus fiir die Anerkennung der Sanierungsbediirftigkeit, dass der im Zeitpunkt der Sanierung erforderliche Finanzbedarf auch nicht aus dem Privatverm6gen der pers6nlich haftenden Gesellschafter gedeckt werden kann (BFH vom 10.04.2003 m. w. N.)
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Die OberprLifung der Sanierungseignung der Sanierungsmat~nahme hat sich daran zu orientieren, ob die Betriebsverm6gensmehrung z.B. durch einen Forderungserlass geeignet erscheint, das Untemehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und die Ertragsf~ihigkeit wieder herzustellen, um das Unternehmen als Wirtschaftsfaktor zu erhalten. 238 Sanierungsabsicht der auf Forderungen verzichtenden Gl~iubiger liegt vor, wenn die Sanierungsmat~nahme nach den subjektiven Vorstellungen der Gl~iubiger erfolgt, um den Zusammenbruch des notleidenden Unternehmens zu verhindem, und urn, auf Dauer gesehen, seine finanzielle Gesundung zu erreichen (RFH vom 30.03.1938). Davon ist im Besonderen auszugehen, wenn unter der Mitwirkung der verzichtenden Gl~iubiger ein (mehrj~ihriger) Plan zur Wiederherstellung der Zahlungsf~ihigkeit aufgestellt wird, in den die Forderungsverzichte einfliet~en (BFH vom 10.04.2003). Vereinfachend soll lt. BMF-Schreiben davon ausgegangen werden, dass bei Vorliegen eines Sanierungsplans diese Voraussetzungen erfLillt sind (BMF, 2003a, Tz. 4). Eine Detaillierung dieses Begriffes erfolgt jedoch nicht. Nach unserer Einsch~itzung miisste ein Sanierungsplan, der den Anforderungen der Verlautbarung des Fachausschusses Rechts des Instituts der WirtschaftsprLifer 1/1991 (IDW, 1992, S. 319 ff.) in GrundzLigen entspricht, ausreichen: Ein Sanierungsplan wird i. d. R . - ausgehend vonder Beschreibung des zu sanierenden U n t e r n e h m e n s - eine Analyse des Untemehmens und ein Leitbild des sanierten Unternehmens enthalten. Er beinhaltet die Darstellung der Entwicklungsschritte v o n d e r krisenhaften Ist-Situation zur Zielsituation nach erfolgreicher Sanierung, also die Darstellung der einzelnen Sanierungsmat3nahmen. Dass die geplanten Mat~nahmen geeignet sind, den erstrebten Sanierungserfolg zu erreichen, wird abschliet~end durch Planverprobungsrechnungen iiberpriift. Abgesehen von den verfahrensrechtlichen Problemen, die sich insbesondere aus der ,totalen Verlustverrechnung" der Sanierungsgewinne ergeben (Becker, 2003), zieht die Stundung der Steuern auf Sanierungsgewinne bis zum sp~iteren Erlass jedoch ein materielles Problem nach sich. Die v. a. aus handels- und insolvenzrechtlicher Sicht angestrebte Verminderung der Verbindlichkeiten zur Beseitigung der bilanziellen Oberschuldung wird durch die Stundungsregelung zumindest anteilig konterkariert. Denn nach den Grunds~itzen der vorsichtigen Bilanzierung sind die zun~ichst nur gestundete K6rperschaftsteuer sowie Gewerbesteuer auf die Sanierungsgewinne als Verbindlichkeit zu passivieren. Dieser Effekt sollte bei der Bemessung der notwendigen H6he von Forderungsverzichten unbedingt berLicksichtigt werden. 239
238 Sog. untemehmensbezogene Sanierung i. S. d. BFH vom 12.03.1970; BFH vom 22.01.1985; BFH vom 07.02.1985. 239 Zustimmend BECKER(2003), der als m6gliche L6sung die Anwendung des § 163 Satz 2 AO fOr die Behandlung von Steuern auf Sanierungsgewinne vorschl~igt. 990
Sani erungsst euerrech t i~! ¸ i!'ili~iUiiiiiii~i~i ¸~Yiiiii7 ~i~ili~! ~iiii!iiii!i!iiii
3.2
Fo rde ru n 8sve rzi c h te
3.2.1
Forderungserlass der Gesellschafter
Ein in der Praxis oft genutztes Instrument zur Oberwindung der bilanziellen Oberschuldung ist der (anteilige) Verzicht von Gesellschaftern auf ihre Darlehensforderungen ggfi. der sanierungsbed~irftigen Gesellschaft. Wenn diese Mittel zu einem Zeitpunkt gew~ihrt werden, ab dem die Gesellschaft von sich aus nicht mehr in der Lage ist, Fremdkapital aufzunehmen bzw. die Gesellschafter ,,als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugef6hrt h~itten" (§ 32a GmbHG), werden sie als Eigenkapitalersatz behandelt, unterliegen somit Aussch/Jttungssperren und dienen bei Verzehr des nominellen Haftkapitals ebenfalls dem bilanziellen Verlustausgleich. Insoweit kann dieser Schritt eine sinnvolle Verwendungsalternative fi3r den Gesellschafter darstellen, um eine buchm~it~ige Oberschuldung auszugleichen. Der Forderungsverzicht stellt zivilrechtlich einen Erlass gem. § 397 Abs. 1 BGB dar und fi3hrt auf Seiten der Gesellschaft durch das Ausbuchen der Verbindlichkeit zu einer Verm6gensmehrung, die nach handelsrechtlichen Grunds~itzen als Gewinn ausgewiesen werden kann.240 Begrfindet sich bei einer Kapitalgesellschaft der Erlass aus dem Gesellschaftsverh~iltn i s - wovon bei Sanierungen ausgegangen werden m u s s - ist dem steuerrechtlich eine verdeckte Einlage entgegenzustellen, da eine solche Einlage durch die Gesellschafter nicht nur durch die Zuffihrung von Wirtschaftgiitern, sondern auch durch den Verzicht auf Forderungen erbracht werden kann (BFH vom 09.06.1997, S. 1284). Hinsichtlich der Bewertung der Einlage erkl~irt der BFH den steuerlichen Teilwert als mat~gebend, d. h. den Betrag, den der Betriebsinhaber f~ir die Herbeif~ihrung des Verzichts h~itte aufwenden mfissen. Wird die Forderung im Ergebnis dieser Bewertung zu einem unter dem Nominalwert liegenden Betrag taxiert, bildet die Differenz zwischen Nominalwert und Teilwert den nicht werthaltigen Teil der Forderung ab und stellt bei der Gesellschaft steuerpflichtigen Gewinn dar (sog. Sanierungsgewinn). In H6he des werthaltigen Teilwerts wird eine Einlage in das steuerliche Kapitalkonto der Gesellschaft vorgenommen. 241 Diese steuerlichen Regelungen gelten sogar unabh~ingig davon, ob das Gesellschafterdarlehen eigenkapitalersetzenden Charakter hat oder nicht (BFH vom 16.5.2001, S. 1431).
240 Handelsrechtlich kann abweichend von den nachfolgenden Ausfi~hrungen der Forderungsverzicht auch bei Auseinanderfallen von steuerlichem Teilwert und dem Nominalwert der Forderung der Forderungsverzicht in die Kapitalr(icklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB geleistet werden, vgl. hierzu ausffihrlich BALDAMUS(2003, S. 852). 241 Die Bewertung der Not leidenden Forderung bringt den Gesellschafter bei schon vorliegender Oberschuldung in Argumentationszwang, da der BFH hier i. d. R. einen Teilwert von Null Euro annimmt, vgl. BFH vom 15.10.1997, S. 572.
991
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Auf Ebene des Gesellschafters ist fLir die steuerliche W/irdigung die jeweilige Verm6genssph~ire von Forderung und Beteiligung entscheidend. Bei identischer Verm6genssph~ire stellt der Verzicht auf den werthaltigen Teil eine Einlage, die in gleicher H6he zu nachtr~iglichen Anschaffungskosten der Beteiligung ~ h r t (Schmidt, 2004, § 6 Rz. 440 [Forderungsverzicht, Einlage]). Der Verzicht auf den nicht werthaltigen Teil der Forderung stellt Aufwand dar. 242 Bei Auseinanderfallen der Verm6genssph~iren ~ h r t der Verzicht in H6he des gemeinen Werts zu nachtr~iglichen Anschaffungskosten (O1bing, 2003, Rz. 375). Bei Personengesellschaften ist ~ r die steuerliche Einordnung zu unterscheiden, welche Veranlassung aus Gesellschaftersicht dem Forderungsverzicht zugrunde liegt. Verzichtet der Gesellschafter aus eigenbetrieblichen Interessen, z.B. zur Aufrechterhaltung von Gesch~iftsbeziehungen zu anderen Gesellschaften mit seinem Verm6gen, sind die Grunds~itze zum Forderungsverzicht eines Gesellschafters bei Kapitalgesellschaften anzuwenden. Demnach ist in H6he des werthaltigen Teils der Forderung auf Ebene der Personengesellschaft eine Einlage vorzunehmen und beim Gesellschafter eine Entnahme vorzunehmen. Der nicht werthaltige Teil stellt bei der Gesellschaft einen aut~erordentlichen Ertrag und beim Gesellschafter abzugsf~ihigen Aufwand dar (Schmidt, 2004, § 15 Rz. 550). Ist der Verzicht im Gesellschaftsverh~iltnis begri.indet, was bei Sanierungen der Regelfall sein d~irfte, wird nach herrschender Meinung unabh~ingig von der Frage der Werthaltigkeit der Forderung von einer unentgeltlichen und erfolgsneutralen 0bertragung eines Wirtschaftguts von einem Betriebsverm6gen oder Sonderbetriebsverm6gen in das Gesamthandsverm6gen ausgegangen (Schmidt, 2004, § 15 Rz. 550; abweichend Olbing, 2003, Rz. 362).
3.2.2
Yerzicht auf PensionsansprUche
Insbesondere bei mittelst~indischen Unternehmen mit einer GesellschafterGesch/iftsf6hrer-Kombination kann der Verzicht des Gesch/iftsf6hrers auf seine Pensionsanspri~che einen Sanierungsbeitrag darstellen. Auf Seiten der Gesellschaft f/ihrt der Wegfall der Verpflichtung zu einem handelsrechtlichen Gewinn. Die steuerliche Wi~rdigung ist vom Grund des Verzichts sowie von der Frage der Werthaltigkeit der Pensionszusage abh~ingig. Nach aktueller Rechtsprechung des BFH stellt ein durch das Gesellschaftsverh~iltnis begri~ndeter Verzicht auf eine Pensionszusage auf Seiten des Gesch~iftsfiihrers zu einer Realisation der Anwartschaft und damit zu einem Zufluss von Einnahmen aus nichtselbst~indiger Arbeit gem. § 19 i. V. m. § 11 EStG und gleichzeitig zu einer Einlage in das k6rperschaftsteuerliche Einlagekonto des § 27 KStG (BFH vom 09.06.1997, S. 1281 ft.; kritisch hierzu Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rz. 681). Die Bewertung der H6he von 242 Anderer Ansicht DAUTEL(2002), der unabh~ingig vom Teilwert stets fLir eine Einlage (und damit zu Anschaffungskosten) in H6he des Nennwerts pl~idiert. 992
Sanierungsst euerrech t
H6he von Einnahmen sowie Einlage erfolgt analog zur Vorgehensweise beim Forderungsverzicht zum Teilwert der Anwartschaft. In H6he des nichtwerthaltigen Teils (Differenz zwischen dem nach § 6a EStG ermittelten R(ickstellungsbetrag sowie dem tats~ichlichen Wert der Forderung) entsteht bei der Gesellschaft ein zu versteuernder Gewinn, beim Gesch~iftsf~ihrer zieht dieser Differenzbetrag keine steuerlichen Konsequenzen nach sich (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rz. 679). Nach einer neueren Entscheidung des BFH sowie dem BMF-Schreiben vom 14.05.1999 lassen sich speziell in Sanierungsf~illen diese beim (Gesellschafter-)Gesch~iftsfi~hrer anfallenden steuerlichen Konsequenzen durch eine bestimmte Darstellungsform vermeiden. Kann die betriebsbedingte Notwendigkeit des Verzichts nachgewiesen werden, wovon bei einer nicht mehr gegebenen Finanzierbarkeit der Pensionszusage ausgegangen werden kann, liegt beim Gesellschafter-Gesch~iftsfi~hrer weder steuerpflichtiger Zufluss noch Einlage vor (BMF, 1999b, S. 512). Die Gesellschaft hat den Differenzbetrag zwischen der urspri~nglich bilanzierten Pensionszusage sowie dem Wert der verringerten Pensionszusage ertragswirksam aufzul6sen (Dautel, 2002, S. 1129 f.).
3.2.3
Forderungsverzichte yon Nicht-Gesellschaftern
Insbesondere Kreditinstitute k6nnen in Form von anteiligen Verzichten auf Forderungen gg6. der Gesellschaft einen Beitrag zur Sanierung von Gesellschaften leisten, deren Sanierungsf~ihigkeit best~itigt wurde und deren Sanierungsw6rdigkeit aus Sicht der Bank gegeben ist. Der Wegfall der Verbindlichkeit f~ihrt handelsrechtlich bei der Gesellschaft zum Erl6schen der Verbindlichkeit und damit zu einer Gewinnerh6hung. Steuerlich f6hrt der Wegfall der Verbindlichkeit bei der Gesellschaft zu einer Erh6hung des Betriebsverm6gens und damit zu einem steuerpflichtigen Gewinn. Dies gilt sowohl f~ir k6rperschaftsteuerliche als auch gewerbesteuerliche Zwecke. Auf Ebene des verzichtenden Kreditinstituts f~hrt das Ausbuchen des Forderungsbetrags zu steuerlich anerkannten Aufwand, sofern nicht bereits im Vorfeld eine erfolgswirksame Wertberichtigung auf die Forderung vorgenommen worden ist.
3.2.4
Vereinbarun8 von Besserungsscheinen
Die Aussprache von Forderungsverzichten wird in der Praxis oft an die Vereinbarung eines sog. Besserungsscheins gekn~ipft, wodurch bei einer Besserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft die Verbindlichkeit ganz oder anteilig wieder auflebt, Zahlungen jedoch nur aus zuk6nftigen Jahres6bersch~issen oder aus einem etwaigen Liquidations~iberschuss zu leisten sind. Die Vereinbarung eines solchen Besserungsscheins im Zeitpunkt der Aussprache des Forderungsverzichts ~indert nichts an der oben beschriebenen steuerrechtlichen Behandlung. 993
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Wie ftir den Fall des Eintritts des Besserungsfalls als aufl6sende Bedingung zu verfahren ist, ist allgemein im BMF-Schreiben vom 27.03.2003 (Forderungsverzichte) vorgegeben. Dort wird ausgeftihrt, dass bei Zahlungen auf den Besserungsschein ..... der
Abzug dieser Aufwendungen als Betriebsausgaben entsprechend den Rechtsgrundsfitzen des § 3c Abs. 1 EStG ausgeschlossen" ist, sich aber der entsprechende Sanierungsgewinn nachtr~iglich verringere (BMF 2003b, Tz. 5). Diese Regelung steht jedoch nicht in Einklang mit der Regelung des § 5 Abs. 2a EStG, wonach Verbindlichkeiten ftir Verpflichtungen aus zuktinftigen Gewinnen dann anzusetzen sind, wenn diese Gewinne angefallen sind (Becker, 2003, S. 1604 m. w. N.). Seitens der Finanzverwaltung wurde mit Schreiben vom 16.12.2003 nunmehr ftir Forderungsverzichte mit Besse~ngsschein yon Gesellschaftem konkretisiert. Grunds~itzlich ist der aufgrund des Verzichts ausgebuchte Forderungsbetrag im Zeitpunkt des Eintritts des Besserungsfalls als Verbindlichkeit wieder verm6gensmindernd einzubuchen (BMF, 2003b, Tz. 2a). Lebt durch den Eintritt der im Besserungsschein geregelten Bedingungen die ursprtingliche Forderung bis zur H6he ihres Teilwerts wieder auf und wird erftillt, wird die durch die Einbuchung der Verbindlichkeit ausgel6ste Verm6gensminderung im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung durch die Rtickgew~ihr der Entnahme wieder neutralisiert. Insgesamt handelt es sich um einen erfolgneutralen Vorgang. Lebt jedoch die Forderung in einer tiber dem Teilwert liegenden H6he wieder auf, ist nach dieser Stellungsnahme der Differenzbetrag zwischen Teilwert und neuem Nominalwert als Verm6gensminderung zu erfassen. Ob der damit verbundene Sanierungsgewinn um diesen Betrag zu ktirzen ist, wird nicht erw~ihnt. Insoweit besteht hier eine Regelungslticke, die sich durch die nicht deckungsgleichen Aus~hrungen in den beiden BMF-Schreiben in Bezug auf diese Konstellation ergeben.
3.3
RangriJcktrittserklirungen
Eine Rangrticktrittserkl~irung stellt zivilrechtlich eine Vereinbarung zwischen Gl~iubiger und Schuldner dar, die dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht einr~iumt (BGH vom 21.2.1983, S. 2496; Schmidt/Uhlenbruck, 2003, S. 694, Rz. 158). Ist diese Erkl~irung derart ausgestaltet, dass die Forderung nur aus ktinftigen Jahrestiberschtissen oder im Falle einer Liquidation aus einem die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft tibersteigenden Verm6gen getilgt wird, und der Gl~iubiger mit seiner Forderung im Rang hinter alle anderen Gl~iubiger zurticktritt, muss dieses Darlehen im Oberschuldungsstatus nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht berticksichtigt werden, wodurch eine bilanzielle Oberschuldung vermieden werden kann. Durch den Rangrticktritt ~indert sich nichts am Bestehen der Forderung, sondern nur an ihrem Inhalt, weshalb sie vom Gl~iubiger weiterhin als Verbindlichkeit auszuweisen (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, S. 694, Rz. 158).
994
Sanierungsst euerrech t
Die Literatur folgt der handelsrechtlichen Einordnung. Zwar kann eine Rangri~cktrittserkl~irung wegen ihrer inhaltlichen Einschr~inkung steuerrechtlich wie eine das Verlustausgleichpotenzial i. S. d. § 15a EStG erh6hende Einlage betrachtet werden. Gleichwohl wird dadurch kein steuerpflichtiger Ertrag ausgel6st und die Forderung ist auch steuerbilanziell weiterhin als Verbindlichkeit auszuweisen (Olbing, 2003, Rz. 348 f.). Nach Ansicht der Finanzverwaltung indes ist die konkrete Formulierung des Rangri~cktritts von erheblicher Bedeutung, da die Vorschrift des § 5 Abs. 2a EStG zu beachten ist. Demnach darf eine Verbindlichkeit nicht angesetzt oder eine Ri~ckstellung nicht gebildet werden fi~r solche Verpflichtungen, die nur zu erf611en sind, soweit ki~nftig Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Wird in einer Rangri~cktrittsvereinbarung nur auf zuk~inftige Gewinne oder Einnahmen abgestellt, w~iren nach Ansicht der Finanzverwaltung die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2a EStG mit der Folge erf~illt, dass die dem Rangri~cktritt zugrunde liegende Verbindlichkeit nicht mehr zu passivieren ware. Das k~ime in der Konsequenz einem Forderungsverzicht gleich, der zu den oben dargelegten steuerrechtlichen Folgen f6hren wi~rde. Insbesondere durch den daraus resultierenden Ausweis von gestundeten Steuerverbindlichkeiten aus Sanierungsgewinnen ware dies in Bezug auf die Beseitigung der bilanziellen 0berschuldung eine kontraproduktive Alternative. Im Urteil vom 10.11.2005 wurde vom BFH dieser engen Auslegung der Finanzverwaltung jedoch nicht gefolgt. Die fehlende Bezugnahme der Rangri~cktrittsvereinbarung auf die M6glichkeit der Darlehensr~ickfi~hrung aus einem Liquidations~iberschuss oder aus sonstigem freien Verm6gen f6hrt nicht zwangsl~iufig zu einem Nicht-Ansatz der Verbindlichkeit aufgrund von§ 5 Abs. 2a EStG. Eine nicht n~iher pr~izisierte Rangri~cktrittsvereinbarung sei nicht dahingehend auszulegen, dass der Gl~iubiger fi~r den Fall der wirtschaftlichen Besserung auf die Darlehenstilgung aus einem Liquidations~iberschuss oder aus dem sonstigen freien Verm6gen desSchuldners verzichtet.
3.4
KapitalmaBnahmen
3.4.1
Kapitalerhi~hungen
Bei Personengesellschaften sind Einlagen auf der Ebene der Gesellschaft gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG steuerneutral. Auf der Ebene des Gesellschafters kommt es bei der 0bertragung aus einem anderen Betriebsverm6gen zur Aufdeckung stiller Reserven, es sei denn, die Einlage ist nach § 24 UmwStG oder gem. § 6 Abs. 5 EStG zu Buchwerten m6glich. Bei Einlagen aus dem Privatverm6gen erfolgt eine Besteuerung der durch den Tausch aufgedeckter stiller Reserven nur im Rahmen des § 23 Abs. 1 EStG.
995
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Bar- oder Sachkapitalerh6hungen fOhren bei Kapitalgesellschaften zu keinem Besteuerungstatbestand. Die Verm6gensmehrung wird, soweit sie den Nennbetrag der Anteile /ibersteigt, steuerneutral in die KapitalrOcklage eingebucht. Auf der Ebene des Gesellschafters kommt es aut~erhalb des Anwendungsbereichs von § 20 UmwStG zu einer Aufdeckung stiller Reserven, deren Besteuerung vom Einzelfall abh~ingt (Betriebsverm6gen oder Privatverm6gen i. S. v. § 23 EStG). Sofern die Kapitalgesellschaft /iber Verlustvortr~ige verfOgt, ist § 8 Abs. 4 KStG zu beachten: Einerseits ist die Einlage eine ZufOhrung von Betriebsverm6gen. Andererseits fOhrt die Ausgabe der Anteile an neue Gesellschafter zur Ubertragung von Anteilen i. S. d. § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG.
3.4.2
Debt-Equity-Swap
Die Umwandlung von Kreditverbindlichkeiten in Eigenkapital beseitigt den Uberschuldungstatbestand und st/irkt die kiinftige Ertragskraft des zu sanierenden Unternehmens durch die damit verbundene Verringerung der Finanzierungskosten. Anders als beim Forderungsverzicht erh~ilt das Kreditinstitut als Gesellschafter durch die untemehmerischen Mitspracherechte die M6glichkeit, Einfluss auf das Gelingen der Sanierung zu nehmen, damit den Wert seiner Forderung zu retten und im besten Fall mit dem Wertgewinn seines Gesch~iftsanteils bei einer gelungenen Sanierung den Verlust der Kreditforderung auszugleichen (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Tz. 524). Bei der Umwandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital liegt eine Sachkapitalerh6hung vor. Bei Kapitalgesellschaften muss der tats~ichliche Wert der Forderung dem Nennwert der neuen Anteile entsprechen. Differenzen zwischen dem Nennwert der Forderung und Nennwert der Anteile werden ertragswirksam. Bei Personengesellschaften miisste die Erh6hung des Kapitals ertragsneutral sein, wenn die Forderung der Kapitalerh6hung entspricht (Olbing, 2003, Tz. 229 f.).243
3.5
Finanzierun8 der Sanierun8
Die Bereitstellung von in der Sanierung ben6tigten zus~itzlichen finanziellen Mitteln wird zu einem grot~en Teil von den Gesellschaftern zu leisten sein. Bei Kapitalgesellschaften steht es deren Gesellschaftern grunds~itzlich frei, ihre Gesellschaft mit Eigenoder mit Fremdkapital zu finanzieren. Jedoch hat die steuerliche Anerkennung der Fremdkapitalvergiitungen nach § 8a KStG ab dem VZ 2004 erhebliche Einschr~inkungen erfahren.244 Demnach sind VergOtungen fOr die Uberlassung von Gesellschafterdarlehen von wesentlich Beteiligten (d. h. bei Beteiligungsanteil > 25 %) nur unter
243 Vgl. auch zu dieser Thematik HASS/SCHREIBER/TSCHAUNERin diesem Handbuch. 244 Vgl. zur ji~ngsten Entwicklung des § 8a KStG DOTSCHET.AL. (2004, S., 202 f. m. w. N.). 996
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bestimmten Voraussetzungen als Betriebsausgaben bei der Gesellschaft abzugsf~ihig; anderenfalls sind sie bei 0bersteigen der Freigrenze von 250.000 Euro p. a. (§ 8a Abs. 1 S. 1 KStG) als verdeckte Gewinnaussch~ttungen zu behandeln. So muss die Vergtitung ffir die Kapital~iberlassung in einem fixen Verh~iltnis zum Fremdkapital bemessen sein; zudem darf die H6he des Fremdkapitals nicht das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals (,,safe haven") des Anteilseigners ~ibersteigen (§ 8a Abs. 1 Nr. 1, 2 KStG). Diese Rechtsfolgen gelten im Grundsatz auch ffr die Verg~tung von Darlehen, die von einer dem Anteilseigner nahe stehenden Person oder durch einen Dritten, der dem Anteilseigner ggfi. R~ickgriffsrechte geltend machen kann, an die Gesellschaft gew~ihrt werden (§ 8a Abs. 1 S. 2 KStG).245 Diese Regelung belastet die Sanierung von Kapitalgesellschaften dahingehend, dass bspw. die Vereinbarung von gewinnabh~ingigen Darlehen zu einer Klassifizierung der Verg~itungen als verdeckte Gewinnausschfittung f~ihrt und somit eine k6rperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Mehrbelastung nach sich zieht. Das Gleiche gilt, soweit der Darlehensbetrag das EK-FK-Verh~iltnis von 1:1,5 fibersteigt, was in einer Sanierung ~iberwiegend der Fall sein d~rfte. Von der neuen Fassung des § 8a KStG wird jedoch Fremdkapital, das der Gesellschaft nur kurzfristig ~iberlassen wird, nicht erfasst. In Bezug auf die unsch~idliche Darlehenslaufzeit wird davon ausgegangen, dass die bisherige Verwaltungsauffassung, die unter einer kurzfristigen Kreditvergabe eine Laufzeit von bis zu sechs Monaten akzeptierte, weiterhin gilt (D6tsch et. al., 2004, S. 206). Diese Gestaltungsaltemative k6nnte in Sanierungsf~illen genutzt werden, um ein kurzfristiges ,,Bridge-Financing" aut~erhalb der Konsequenzen des § 8a KStG darzustellen, um den Zeitraum bis zur vertraglichen Fixierung aller im Sanierungskonzept vorgesehenen (finanzwirtschaftlichen) Vereinbarungen zu ~iberbrficken.
4
Steuerliche Konsequenzen der strukturellen Sanierung
Nachdem sich dieser Beitrag bisher mit den steuerlichen Folgen der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Sanierung besch~iftigt hat, wird nun auf gesellschaftsrechtliche Sanierungsmat~nahmen eingegangen. F~ir den hiesigen Zusammenhang sollen darunter gesellschaftsrechtliche Gestaltungsm6glichkeiten verstanden werden, die geeignet sind, im Rahmen des ganzheitlichen Sanierungskonzepts die Legalstruktur des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe in Hinblick auf die Zielstruktur zu vermin-
245 Vgl. ausffihrlich zu der Anwendung der Vorschrift BMF 2004. 997
......................
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dern. Dazu z~ihlen in erster Line die verschiedenen Handlungsaltemativen von Umwandlungen. Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz sind insbesondere die Verschmelzung, die Spaltung und der Formwechsel (§ 1 UmwG). 246 Sie spielen seit langem sowohl aus gesellschafts- als auch aus steuerrechtlicher Sicht eine zentrale Rolle in der Beratungspraxis. Dabei ist das Umwandlungsrecht jedoch erst in der jiingeren Vergangenheit als Sanierungsmittel in das Interesse geriJckt (Olbing, 2003, Tz. 431; Gerl, 1997, S. 131 ff.; W611ert, 1997, S. 11).247 Die Umwandlung eines der Sanierung oder der Insolvenzprophylaxe bediirftigen Unternehmens ist in erster Linie ein betriebswirtschaftliches Thema (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Tz. 379). Sie kann nicht die eigentliche Sanierung ersetzen. Sie kann nur nach einer Analyse der eingetretenen Krise in die Erarbeitung und Durchsetzung eines langfristigen Sanierungskonzeptes integriert werden und die Sanierung erleichtern (Olbing, 2003, Tz. 433). Schlieglich z~ihlen auch Ver~inderungen im Gesellschafterbestand, aber auch die Liquidation von Unternehmen, die zukiinftig nicht mehr Bestandteil des sanierten Untemehmens sein sollen, zum Kanon der strukturellen Sanierungsmagnahmen, deren steuerliche Rahmenbedingungen sowie steuerliche Konsequenzen nachfolgend er6rtert werden.
4.1
Verschmelzung
Die Verschmelzung nach §§ 2 ff. UmwG kann ein Sanierungsinstrument sein, indem bspw. ein gesundes Unternehmen auf das notleidende oder die Gesellschaft in der Krise auf ein gesundes Untemehmen jeweils zur Aufnahme verschmolzen wird. Dadurch k6nnen die fi~r eine Sanierung erforderlichen Mittel in einem Rechtsakt zuge~ h r t werden.
4.1.1
Verschmelzung zwischen Kapitalgesellschaften
Steuerrechtlich gelten fiir eine Verschmelzung zwischen Kapitalgesellschaften nach §§ 2ff. UmwG die §§ 11 ff. UmwStG. Dabei k6nnen in der steuerrechtlichen Schlussbilanz der untergehenden Gesellschaft die WirtschaftsgLiter nach § 11 Abs. 1 UmwStG zu Buch-, Teil- oder Zwischenwerten angesetzt werden. Wird eine Gegenleistung fiir 246 Dabei muss Klarheit dariJber bestehen, dass Umwandlungen i. S. v. § 1 UmwG nur einen Teil der denkbaren Restrukturierungsmagnahmen darstellen (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, Tz. 379). 247 Der Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG spielte vor der Einffihrung der vereinfachten Kapitalherabsetzung nach §§ 58a ff. GmbHG eine gr6gere Rolle (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, Tz. 379). 998
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die Ubertragung gew~ihrt, sind die Wirtschaftsgtiter mit dem Wert dieser Gegenleistung anzusetzen. Ist die Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt, kann die Verschmelzung nur zum Teilwert erfolgen. Von der fibernehmenden Gesellschaft werden die Schlussbilanzwerte der untergehenden Gesellschaft fortgeffihrt (§§ 12 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 UmwStG). Die Verschmelzung kann steuerrechtlich auf einen acht Monate zurfickliegenden Stichtag erfolgen, sofem auf diesen Tag nach § 17 Abs. 2 UmwG eine Schlussbilanz des fibertragenden Rechtstr~igers aufzustellen ist, § 2 Abs. 1 UmwStG. Werden in der Schlussbilanz der fibertragenden Gesellschaft die Wirtschaftsg/iter fiber dem Buchwert angesetzt, entsteht durch die Aufdeckung stiller Reserven ein ertragsteuerpflichtiger Gewinn, von dem 60 % mit vorhandenen Verlustvortr~igen nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verrechnet werden k6nnen, soweit er den Betrag von 1 Mio. Euro ~bersteigt. Zu beachten ist jedoch, dass das steuerliche Wahlrecht des § 11 Abs. 1 UmwStG nach Ansicht der Finanzverwaltung eingeschr~inkt ist: Da in der handelsrechtlichen Obertragungsbilanz wegen § 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG die Buchwerte anzusetzen sind, gilt dies fiber den Mat~geblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG auch ffir die Steuerbilanz (BMF, 1998, Tz. 11.01). Ein Ubemahmegewinn oder-verlust in H6he der Differenz zwischen dem Buchwert der Anteile und dem Nettoverm6gen (Kapital) des fibertragenden Unternehmens bleibt ffir die steuerrechtliche Gewinnermittlung der aufnehmenden Gesellschaft prinzipiell aut~er Ansatz (§ 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Allerdings ist die Besteuerung der in den Anteilen ruhenden stillen Reserven vorgesehen, wenn die tats~ichlichen Anschaffungskosten der Beteiligung bspw. aufgrund einer Teilwertabschreibung den bilanziellen Buchwert fibersteigen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Auf der Ebene der Gesellschafter des /ibertragenden Rechtstr~igers kann die Verschmelzung nur dann steuerpflichtig sein, wenn Bar- oder Sachabfindungen geleistet werden. Im Ubrigen gelten die Anteile an der/ibertragenden Gesellschaft als - vereinfacht - zum Buchwert ver/iut~ert und die an ihre Stelle tretenden Anteile als zu diesem Wert angeschafft (§ 13 UmwStG). Ein kfrperschaftsteuerlicher Verlustvortrag des fibertragenden Rechtstr/igers i. S. d. § 10d Abs. 4 EStG geht nach § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG auf den fibernehmenden Rechtstr~iger fiber. 248 Dabei kann die fibernehmende Kapitalgesellschaft die fibergegangenen Verluste nur zum Verlustausgleich im Jahr des Ubernahmestichtags und zum Verlustvortrag nutzen, nicht aber auch zu einem Verlustrficktrag (BMF, 1998, Tz. 12.16; Haritz/Benkert/Wisniewski, 2000; § 12 Rz. 52; Schaumburg, 1995, S. 211; Wochinger/D6tsch, 1994, S. 16, Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Rz. 627; a.A. Streck/Posdziech, 1995, S. 271; Roser/Jung, 1995, S. 598). Die bei der notleidenden Kapitalgesell-
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Entsprechendes gilt f/Jr gewerbesteuerliche Fehlbetr/ige des § 10a GewStG nach § 19 Abs. 1 UmwStG. 999
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schaft wertlosen Verlustvortr~ige bekommen dadurch bei der aufnehmenden Gesellschaft einen Wert (Olbing, 2003, Tz. 472). Voraussetzung ~ r den Obergang des Verlusts ist jedoch, dass die aufnehmende Gesellschaft den verlustverursachenden Betrieb oder Betriebsteil in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse vergleichbaren Umfang ~ r einen Zeitraum von ffinf Jahren fortffihrt (D6tsch, 1997, S. 2144; Ffiger/Rieger, 1997, S. 1434; Gehrke/Krohn, 1999, S. 235; H6rger/Endres, 1998, S. 388; Roser, 1997, S. 886; Orth, 1997, S. 2242; Prinz, 1997, S. 881). Dies verlangt zun~ichst, dass dieser Betrieb oder Betriebsteil auf der Ebene des fibertragenden Rechtstr~igers im Zeitpunkt des Verschmelzungsstichtags noch in einem vergleichbaren Umfang besteht. Die Verlustt~itigkeit darf somit noch nicht eingestellt sein und darf auch nicht in einem sch~idlichen Umfang eingeschmolzen sein. Magstab ffir das Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse sollen- ~ihnlich wie bei der Sanierung des § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG - bspw. Umsatz, Aktivverm6gen, Anzahl der Arbeitnehmer und Auftragsvolumen aus der Zeit sein, in der die Verluste entstanden sind (BMF, 1999a, Tz. 38, 17; Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Tz. 630; Herrmann/Heuer/Raupach/Prinz, 2004, § 8 Rz. G 14). Ist der ursprfingliche Betrieb durch den fibertragenden Rechtstr~iger bereits im Umfang erheblich reduziert worden 249 oder wird er innerhalb von f~nf Jahren durch den aufnehmenden Rechtstr~iger erheblich reduziert, steht § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG dem Obergang des Verlustabzugs entgegen. Einigkeit besteht, dass der Betrieb oder Betriebsteil durch den fibemehmenden Rechtstr~iger oder - nach dessen Umwandlung - einem Gesamtrechtsnachfolger fortgeffihrt werden muss (BMF, 1999a, Tz. 43). Sowohl der Wortlaut des § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG als auch Sinn und Zweck der Vorschrift (Erhaltung des Verlustbetriebs) sprechen jedoch da~r, dass die Fortffihrung durch irgendeinen Rechtstr~iger, also nicht nur durch den aufnehmenden Rechtstr~iger oder durch dessen Gesamtrechtsnachfolger, ausreichen mfisste (Schmidt/Uhlenbruck, 2003, Tz. 631; Breuninger/Frey, 1998, S. 874). Schwierigkeiten bereitet die Auslegung des Tatbestandsmerkmals Betrieb und Betriebsteil. Der Verwendung dieser Begriffe soll wohl deutlich machen, dass es sich nicht um einen Teilbetrieb i. S. v. § 16 EStG handelt. Mangels Kl~irung durch die Finanzverwaltung oder durch die Rechtsprechung k6nnen Betrieb und Betriebsteil wohl t~itigkeitsbezogen, marktbezogen oder produktionsfaktorenbezogen verstanden werden.250
249 In ,erheblichem Umfang" soll wohl ,urn mehr als die Hdlfte" bedeuten (BMF, 1999a, Rz. 38, 16). 250 Vgl. dazu DOTSCH(1997, S. 2144); FUGER/RIEGER(1997, S. 1427, 1438); HORGER/ENDRES(1998, S. 388). Zu Fallen, in denen mehrere Betriebsteile den Verlust verursacht haben, aber nicht alle im erforderlichen Umfang fortgeffihrt werden, vgl. bspw. SCHMIDT/UHLENBRUCK(2003, Tz. 632). 1000
Sanierungssteuerrecht
4.1.2
Verschmelzun8 yon Personengesellschaften
Verschmelzungen von Personengesellschaften finden sich in der Praxis seltener. Das wirtschaftlich gleiche Ergebnis l~isst sich durch die Einbringung aller Anteile an einer Personengesellschaft in eine andere Personengesellschaft e r r e i c h e n - entweder im Wege der Einzelrechtsnachfolge oder im Wege der Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG.251 Steuerrechtlich greift § 24 UmwStG: Die Einbringung kann zum Buch-, Teil- oder zu einem Zwischenwert erfolgen und steuerlich um acht Monate zuriickbezogen werden (§ 24 Abs. 4 UmwStG). Das Bewertungswahlrecht ist grunds~itzlich in Ubereinstimmung mit der Handelsbilanz durch die aufnehmende Gesellschaft auszuiiben (§ 24 Abs. 2 UmwStG). Sofern eine Aufdeckung der stillen Reserven erfolgt, ist auf der Ebene der Personengesellschaft, deren Anteile eingebracht werden, einheitlich und gesondert ein Gewinn festzustellen. Sofern er nach § 7 Satz 2 GewStG gewerbesteuerpflichtig ist, kann er mit gewerbesteuerlichen Verlustvortr~igen nach § 10a GewStG verrechnet werden. Auf der Ebene der Gesellschafter kann eine Verlustverrechnung iiber §§ 15a EStG, 10d EStG erfolgen. Gewerbesteuerrechtlich nicht ausgeglichene Yerlustvortr~ige der ,,iibertragenden" Personengesellschaft k6nnen auf die aufnehmende Personengesellschaft iibergehen, sofern Unternehmens- und Untemehmeridentit~it gewahrt sind (R 67, 68 GewStR). Verrechenbare Verluste nach § 15a EStG bleiben bestehen (Olbing, 2003, Tz. 484; Schwedhelm, 2003, Rz. 1986).
4.1.3
MischfEIle
Die Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft wird steuerlich wie ein Formwechsel in eine Personengesellschaft behandelt, §§3 ft. UmwStG. Insoweit kann hier auf die Ausfiihrungen zum Formwechsel verwiesen werden (vgl. Kapitel 4.3). Bei der Verschmelzung einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft gem. §§ 2, 39 ft. UmwG bringen die Personengesellschafter nach h. A. steuerrechtlich ihre Mitunternehmeranteile in die aufnehmende Kapitalgesellschaft nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG ein (D6tsch et al., 2003, § 20 UmwStG, Tz. 131, 21 m. w. N.). Damit fiihrt die Einbringung durch die Gesellschafter steuerrechtlich zu mehreren Einbringungen. Jede der Sacheinlagen ist hinsichtlich des Bewertungsansatzes durch die aufnehmende Kapitalgesellschaft fiir sich zu betrachten. Es scheint also m6glich, for die eingebrachten Mitunternehmeranteile unterschiedliche Ans~itze zu w~ihlen und damit for die 251 Vgl. zur Einbringung MULLER/HOFFMANN(2002, § 9, Rz. 349); NEYEET.AL. ( 2001, Rz. 566 ff.); SCHWEDHELM(2003, Rz. 2017 ff.).
1001
Eichhorn I Lawall
jeweiligen Gesellschafter festzulegen, ob und in welcher H6he f-fir sie ein (Einbringungs-)gewinn entsteht. Ahnliches miisste dann auch ~ r die gesetzlichen Einschr~inkungen des Bewertungswahlrechts gelten: Personenbezogen ware zu pri~fen, ob das Kapitalkonto eines Mitunternehmers negativist, so dass eine Aufstockung nach § 20 Abs. 2 Satz 4 UmwStG zu erfolgen h~itte, auch wenn das Kapitalkonto des eingebrachten Betriebs insgesamt einen positiven Betrag ausweist (D6tsch et al., 2003, § 20 UmwStG, Tz. 21 m. w. N.). In der Praxis wird man sich h~iufig mit einer Anwachsung behelfen: Dabei scheiden alle Gesellschafter einer Personengesellschaft bis auf einen aus. Das Gesellschaftsverm6gen w~ichst dem letzten Gesellschafter nach § 738 BGB zu (D6tsch et al., § 20 UmwStG, Tz. 129). Beim sog. einfachen Anwachsungsmodell scheiden die Kommanditisten entsch~idigungslos aus. Das diesen zuzurechnende Gesellschaftsverm6gen wird im Rahmen einer verdeckten Einlage in das Betriebsverm6gen der Komplement~irGrnbH i~berffihrt. Dabei kommt es zur Aufgabe des Mitunternehmeranteils nach § 16 EStG. Mangels Ausgabe neuer Anteile liegt keine Sacheinlage i. S. v. § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG vor. Es kommt weder eine analoge Anwendung der Grunds~itze des § 20 UmwStG noch eine Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG in Frage (D6tsch et al., 2003, § 20 UmwStG, Tz. 146). Anders jedoch, wenn die Kommanditisten aus einer GmbH & Co KG dadurch ausscheiden, dass bei der Komplement~ir-GmbH eine Kapitalerh6hung beschlossen wird und die Kommanditisten ftir die untergehenden Gesellschaftsanteile neue Anteile aus der Kapitalerh6hung erhalten (erweitertes Anwachsungsmodell). Hier gelten die Grunds~itze des § 20 UmwStG (Widmann/Mayer, 2004, § 20 UmwStG, Tz. 60; Dehmer, 2001, § 20 UmwStG, Tz. 199; Orth, 1999, S. 1053). Sofem bei diesen Formen der Anwachsung mangels Unternehmeridentit~it gewerbesteuerliche Verlustvortr~ige nach R 68 GewStR verloren gehen, wird in der Praxis die Komplement~irGmbH auf ihre zu 100 % beteiligte Kommanditisten-GmbH verschmolzen. Die Verschmelzung fi~hrt hier mangels anderer Gesellschafter ebenfalls zur Anwachsung, wobei gewerbesteuerliche Verlustvortr~ige auf die ~ibernehmende Kommanditistin nach R 68 Abs. 3 Satz 7 Nr. 4 GewStR i~bergehen. 252
4.2
Spaltung
Regelm~it~ig nur mit Zustimmung der Grot~gl~iubiger ist im Rahmen einer Sanierung auch an eine Spaltung zu denken. Es kann dadurch versucht werden, den gesunden Teil eines Unternehmens zu retten, indem der abgespaltene Teil fortgefi~hrt und der verbleibende Problembereich liquidiert wird.
252 Zur Anwachsung s. auch OFD Berlin vom 11.11.2002.
1002
Sanierungsst euerrech t
4.2.1
Spaltung yon Kapitalgesellschaften
Wird eine Kapitalgesellschaft in andere Kapitalgesellschaften aufgespalten oder findet eine Abspaltung nach § 123 Abs. 1, 2 UmwG statt, gelten tiber § 1 Abs. 4 UmwStG die §§ 15 ff. UmwStG. Fiir eine Sanierung ist bedeutsam, dass VerlustabzCige nach §§ 15 Abs. 1 i. V. m. 12 Abs. 3 Satz 2, 19 UmwStG 6bergehen. Verlustvortr~ige sind nach § 15 Abs. 4 UmwStG aufzuteilen. Aufteilungsmal~stab ist das Verh~iltnis des iibergehenden Verm6gens zum Verm6gen der 6bertragenden Gesellschaft vor Spaltung, welches sich bei zutreffender Berechnung in einem entsprechenden Umtauschverh~iltnis der Anteile an der iibertragenden zu den neuen Anteilen an der iibemehmenden Gesellschaft niederschlagen muss. Nur wenn das Umtauschverh~iltnis im Spaltungs- und Ubernahmevertrag nicht verh~iltniswahrend festgelegt wird, ist das Verh~iltnis der gemeinen Werte zueinander mal~gebend (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UmwStG). Regelm~il3ig fiihrt dies dazu, dass dem Gewinn-Teilbetrieb der iiberwiegende Teil des verbleibenden Verlustabzugs zugeordnet wird (D6tsch, § 15 UmwStG, Tz. 156 ff.). Da die Finanzverwaltung § 15 Abs. 4 UmwStG als lex specialies zu § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG sieht (BMF, 1999a, Tz. 45), wird hier das Auseinanderlaufen von Verlustabzug und Verlustquelle akzeptiert. Durch den Verweis auf § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG setzt die Ubertragung eines Verlustabzugs im Wege der Spaltung voraus, dass die iibertragende Gesellschaft ihren Gesch~iftsbetrieb noch nicht eingestellt bzw. in sch~idlichem Umfang reduziert hat und dass der 6bernommene Teilbetrieb tiber den Spaltungsstichtag hinaus in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse vergleichbaren Umfang in den folgenden fi.inf Jahren fortgef6hrt wird. 253 Wird im Anschluss an einen verschmelzungsbedingten Obergang eines Verlustbetriebs die aufnehmende Kapitalgesellschaft gespalten, fCihrt die Spaltung als solche nicht zu einem steuersch~idlichen Abschmelzen i. S. d. § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG (DCill/Fuhrmann, 2000, S. 1171). Geht bei der Spaltung der bei der Verschmelzung iibergegangene Verlustbetrieb mit iiber, muss er von der Ubernehmerin fortgef6hrt werden (D6tsch et al, 2003, § 12 UmwStG, Tz. 98).
4.2.2
Spaltung yon Personengesellschaften
Sofern eine Personenhandelsgesellschaft gespalten wird, indem Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile auf eine andere (bestehende oder neu gegriindete) Personenhandelsgesellschaft iibertragen werden (§ 123 Abs. 1 UmwG), oder sofern eine KG oder oHG einen Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil auf eine Personenhandels-
253 Zu Einzelheiten siehe oben 4.1.1. 1003
Eichhorn I Lawall
gesellschaft spaltet oder ausgliedert (§ 123 Abs. 2, 3 UmwG), gelten die Vorschriften des § 24 UmwStG (D6tsch et al, 2003, § 24 UmwStG, Tz. 23, 24). Wenn bei der Spaltung von Personengesellschaften die einzelnen Gesellschafter jeweils einen Teilbetrieb oder zumindest Wirtschaftsgtiter der zu teilenden Gesellschafter fibernehmen, gelten die Grunds~itze zur Realteilung (D6tsch et al, 2003, § 15 UmwStG, Tz. 2).
4.2.3
Mischf~ille
Bei der Spaltung einer Kapitalgesellschaft in/auf eine Personengesellschaft gelten §§ 16, 3 ff., 10 ff. UmwStG und damit die Grunds~itze zum Formwechsel. Nach § 16 Satz 3 UmwStG gehen nicht verbrauchte Verlustvortr~ige i. S. d. 10d EStG nicht auf die i.ibernehmende Personengesellschaft fiber, wobei der Aufteilungsschliissel des § 15 Abs. 4 UmwStG anzuwenden ist. 254 Bei der Spaltung einer Personengesellschaft in/auf eine Kapitalgesellschaft ist § 20 UmwStG anzuwenden (D6tsch et al, 2003, § 20 UmwStG, Tz. 130).
4.3
Formwechsebs
Der Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG kann insbesondere im Verein mit betrieblichen Umstrukturierungen eine Sanierungshilfe sein (Schmidt/ Uhlenbruck, 2003, Tz. 379). So kann bspw. bei einem Formwechsel einer GmbH in eine Personenhandelsgesellschaft die strafbew/ihrte Insolvenzantragspflicht beseitigt werden, um geni.igend Zeit fiir die Sanierung zu gewinnen (Olbing, 2003, Tz. 434).
4.3.1
Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft
Steuerrechtlich gelten beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft gem. § 14 UmwStG die §§ 3 ff. UmwStG. Ahnlich wie bei der Verschmelzung besteht gem. §§ 14 Satz 2, 3 Satz 1 UmwStG f-fir die formwechselnde Kapitalgesellschaft ein Wahlrecht, in ihrer steuerrechtlichen Schlussbilanz die bisherigen Buchwerte fortzuf/ihren oder aber stille Reserven aufzu254 Ob § 16 Satz 3 UmwStG bei Verlusten i. S. v. §§ 2a, 15 Abs. 4 und 15a EStG anzuwenden ist, vgl. bei DOTSCHETAL(2003, § 16 UmwStG, Tz. 16). 255 Mangels Ubertragung von Verm6gensgegenst~inden auf einen anderen Rechtstr~iger wird beim Formwechsel - anders als bei anderen Umwandlungen- nie ein grunderwerbsteuerrechtlicher Tatbestand i. S. v. § 1 GrEStG erffillt, BFH vom 14.12.1996.
1004
Sani erungsst euerrec h t
decken und die Wirtschaftsgiiter zum Zwischen- oder Teilwert anzusetzen. Zu beachten ist jedoch auch hier, dass dieses Wahlrecht nach Ansicht der Finanzverwaltung eingeschr~inkt ist: Sofern der steuerrechtliche Obertragungsstichtag mit dem handelsrechtlichen Abschlussstichtag zusammenf~illt, liegt f~ir die ObertrSgerin eine formelle Schlussbilanz und ~ r die Obemehmerin eine formelle Er6ffnungsbilanz vor. Da es dort nicht zur Aufdeckung stiller Reserven kommt, soll dies nach dem Mat~geblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG auch fi~r die Steuerbilanz gelten. Gleiches soll nach Ansicht der Finanzverwaltung gelten, wenn der steuerrechtliche Obertragungsstichtag nicht mit dem handelsrechtlichen Abschlussstichtag zusammenf~illt (BMF, 1998, Tz. 14.03). Damit soll wohl erreicht werden, dass der Formwechsel steuerlich wie andere Umwandlungen behandelt wird. Indes ist mit der herrschenden Ansicht im Schrifttum zu beachten, dass beim Formwechsel handelsrechtlich eine Schlussbilanz auf den steuerrechtlichen Obertragungsstichtag weder erforderlich noch statthaft ist (Fischer, 1995, S. 2178; Thiel, 1997, S. 149). Wenn keine Handelsbilanz zu erstellen ist, kann der Mat~geblichkeitsgrundsatz nicht greifen. Eine nicht existierende Handelsbilanz kann die Steuerbilanz nicht binden. F~ir den Fall, dass der steuerliche Obertragungsstichtag mit einem handelsrechtlichen Abschlussstichtag zusammenf~illt, regeln §§ 14 Satz 1, 3 Satz 1 UmwStG eine Durchbrechung des Maf~geblichkeitsgrundsatzes (D6tsch et al., 2003, § 14 UmwStG, Rz. 16; Widmannn/Mayer, 2004, § 3 UmwStG, Rz. 304 if; Haritz/Benkert, 2000, § 14 UmwStG, Rz. 43 ff.). Bez~iglich der Besteuerung der iibernehmenden Personengesellschaft kommt es nach § 4 Abs. 1 UmwStG zu einer Buchwertverkn~ipfung mit der steuerrechtlichen Schlussbilanz der Kapitalgesellschaft. Dadurch wird eine sp~itere Versteuerung der stillen Reserven sichergestellt. Beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft entsteht auf der Ebene der aufnehmenden Personengesellschaft ein Ubernahmegewinn oder-verlust, § 4 Abs. 4 UmwStG. Nach § 4 Abs. 6 UmwStG bleibt ein Obernahmeverlust aut~er Ansatz. Gleiches gilt fi~r einen Obernahmegewinn, soweit Gesellschafter der Personengesellschaft eine- vereinfachtKapitalgesellschaft ist, § 4 Abs. 7 UmwStG. °°
§ 5 UmwStG regelt die Besteuerung der Gesellschafter. Im Rahmen von Sanierungen di~rfte der Formwechsel in Personengesellschaften aus steuerlicher Sicht wenig interessant sein: Auf der Ebene der Kapitalgesellschaft existierende Yerluste gehen nach § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG nicht auf die Personengesellschaft i~ber. Nach Ansicht der Finanzverwaltung und ihrer Bem6hung des Mat~geblichkeitsgrundsatzes k6nnen diese Verluste auch nicht durch eine (teilweise) Aufdeckung stiller Reserven in der steuerlichen Obertragungsbilanz und daraus folgendem erh6htem Abschreibungspotenzial bei der Personengesellschaft genutzt werden. Zudem verbietet der Gesetzgeber mittlerweile in § 4 Abs. 6 UmwStG das Umwandlungsmodell. WShrend nach alter Rechtslage die Wirtschaftsg~iter in der Bilanz der Personengesellschaft bis zu ihren Teilwerten zum Ausgleich einen Obernahmeverlustes aufgestockt werden konnten, bleibt nunmehr ein Obernahmeverlust aut~er Ansatz. 1005
Eichhorn / Lawall
4.3.2
Personengesellschaft in Kapitalgesellschaft
Gem. § 25 Satz 1 UmwStG sind beim Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft die §§ 20 ff. UmwStG anzuwenden. Nach h.A. handelt es sich dabei um einen Rechtsgrundverweis (Widmann/ Mayer, 2004, § 25 UmwStG, Haritz/Benkert, 2000, § 25 UmwStG, Tz. 9; Breuninger, 2000, S. 217), so dass die Tatbestandsmerkmale einer Sacheinlage gegeben sein mi~ssen: Die formwechselnde Umwandlung muss eine v o n § 20 Abs. 1 UmwStG begi~nstigte Sachgesamtheit oder mehrheitsvermittelnde Anteile an einer Kapitalgesellschaft zum Gegenstand haben. Lediglich die Merkmale des ,,Einbringens" und der ,,Gew~ihrung neuer Anteile" gelten als gegeben (D6tsch et al, 2003, § 25 UmwStG, Tz. 6). Ahnlich wie in den Fallen der Sacheinlage obliegt die Bewertung des eingebrachten Verm6gens beim Formwechsel der Kapitalgesellschaft als Rechtstr~iger neuer Rechtsform. Auf den steuerlichen Obertragungsstichtag hat sie eine steuerliche Er6ffnungsbilanz zu erstellen, in der ihr gem. § 20 Abs. 2 Satz I UmwStG das Wahlrecht zusteht, das ~ibernommene Verm6gen mit dem Buch-, einem Zwischen- oder dem Teilwert anzusetzen. Entgegen der h.A. (FG Mi~nchen v. 05.10.2000, S. 32; Widmann/Mayer, 2004, § 25 UmwStG, Tz. 9; Haritz/Benkert, 2000, § 25 UmwStG, Tz. 15; D6tsch et al, 2003, § 25 UmwStG, Rz. 22 je m. w. N.) schr~kt die Finanzverwaltung dieses Bewertungswahlrecht jedoch auch hier unter Bemiihung des Mat~geblichkeitsgrundsatzes ein (BMF vom 25.03.1998, Tz. 20.30). Die Ausf6hrungen zum Formwechsel in eine Personengesellschaft gelten entsprechend. Gewerbesteuerliche Yerlustvortdige der Personengesellschaft gehen mangels Unternehmeridentit~it gem. R 68 Abs. 3 Satz 7 Nr. 5 Satz 7 GewStR im Rahmen des Formwechsels verloren. Ahnlich wie der Formwechsel in eine Personengesellschaft di~rfte auch die formwechselnde Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft als Sanierungsinstrument aus steuerlichen Gr~inden daher nur eine untergeordnete Rolle spielen.
4.4
VerEnderungen im Gesellschafterbestand
Die Aufnahme neuer Gesellschafter im Zuge der Kapitalerh6hung oder die Obertragung existierender Anteile an neue Gesellschafter stellen einen meist unentbehrlichen Bestandteil eines Sanierungskonzepts dar. Zu denken ist hier zun~ichst an Sanierungsmat~nahmen existierender Gl~iubiger (-banken): Statt einem in der Praxis oft unbefriedigenden Forderungsverzicht mit Besserungsschein bzw. einem Rangr~icktritt kann sich anbieten, dass kreditgebende Banken einen Sanierungsbeitrag durch die Umwandlung von Kreditverbindlichkeiten in Eigenkapital leisten (Debt-Equity-Swap,
1006
Sanierungsst euerrech t
siehe 3.4.2.). 256 In der Praxis kann aber immer h/iufiger festgestellt werden, dass auch fremde Dritte ein bevorzugtes Interesse haben, sich an Unternehmen in der Krise zu beteiligen. So gibt es mittlerweile einen Markt, auf dem sich Venture Capital- oder Private Equity-H~iuser bereit erkl/iren, (Wagnis-)Kapital zur Verffigung zu stellen. Dies kann geschehen durch die begrenzte Uberlassung von Kapital oder aber durch den Ankauf ganzer U n t e m e h m e n bzw. Unternehmensgruppen. Erstrangiges Ziel ist dabei, die in Not geratenen Unternehmen zu sanieren, um die Beteiligungen dann nach ca. 5 bis 7 Jahren mit Gewinn zu ver~iut~ern. Vorrangiges Ziel bei Ver~inderungen im Gesellschafterbestand einer Gesellschaft in der Krise ist, bestehende Verlustvortr~ige zu erhalten. Sowohl k6rperschaft- als auch gewerbesteuerlich sind beim Gesellschafterwechsel Verlustbeschr~inkungsvorschriften zu beachten.
4.4.1
Ki~rperschaftsteuerliche Verlustvortr~ige
Voraussetzung ~ r den Verlustabzug nach § 10 d EStG ist bei einer Kapitalgesellschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der K6rperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Der Verlustabzug ist nach § 8 Abs. 4 KStG bei einer Kapitalgesellschaft insbesondere dann zu versagen, wenn mehr als 50 % der Anteile an der Gesellschaft fibertragen wurden und sie ihren Gesch/iftsbetrieb mit fiberwiegend neuem Betriebsverm6gen fortffihrt oder wieder aufnimmt. 257 Die Grenze von mehr als 50 % der Anteile bezieht sich grunds~itzlich auf das Nennkapital. 258 Es spielt keine Rolle, ob die Obertragung der Anteile entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt. 259 Erwerber der Anteile k6nnen sowohl neue als auch bereits beteiligte Anteilseigner sein. Eine Einschr~inkung bei Ubertragungen innerhalb eines Konzerns gibt es nicht. Die Ubertragung der Anteile muss in einem zeitlichen Zusammenhang stehen. Hiervon kann nach Ansicht der Finanzverwaltung ausgegangen werden, wenn innerhalb eines Zeitraums von fLinf Jahren mehr als 50 % der Anteile an der Kapitalgesellschaft fibertragen werden. Nach der Rechtsprechung des BFH kann es insgesamt aber immer nur auf die unmittelbare Ubertragung von Anteilen, nicht aber auf eine mittelbare ankommen (BFH vom 20.08.2003, S. 135). Die Zufiihrung iiberwiegend neuen Betriebsverm6gens ist sowohl ffir den Fall der Fortf6hrung als auch bei der Wiederaufnahme des Gesch~iftsbetriebs Voraussetzung ffir den Verlust der wirtschaftlichen Identit/it. Der Ausgangsrechtsprechung des BFH 256 Zu rechtlichen Risiken (z. B. verdeckte Sacheinlage, Kapitalersatz, Differenzhaftung) vgl. SCHMIDT/UHLENBRUCK(2003, Tz. 375 ft., 525 ft.). 257 Die folgenden Ausffihrungen beschr~inken sich auf diesen Hauptanwendungsfall des § 8 Abs. 4 KStG. 258 Besitzt die Verlustgesellschaft eigene Anteile, bemisst sich der Umfang der fibertragenen Anteile nach dem Verh~iltnis dieser Anteile zu dem Betrag des um die eigenen Anteile gekfirzten Nennkapitals, vgl. BMF, 1999, Tz. 3. 259 Erbf~ille und Erbauseinandersetzungen bleiben ausgenommen.
1007
Eichhorn / Lawall
(BFH vom 13.08.1997, S. 829) folgend, fiberwiegt nach Ansicht der Finanzverwaltung neues Betriebsverm6gen, wenn das fiber Einlagen und Fremdmittel zugeffihrte bzw. finanzierte Aktivvermfgen das im Zeitpunkt der Anteilsfibertragung vorhandene Aktivvermfgen fibersteigt (BMF, 1999, Tz. 9). Gehfren zum Betriebsvermfgen Organgesellschaften oder Personengesellschaften, ist deren Aktivvermfgen in den Vergleich einzubeziehen. Bewertungsmat~stab sind die Teilwerte des Verm6gens, wobei immaterielle Wirtschaftsgfiter auch dann zu berficksichtigen sind, wenn sie bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht angesetzt werden dfirfen. Zwischen der Ubertragung der Anteile und der Zuffihrung von Betriebsverm6gen in sch~idlichem Umfang muss ein zeitlicher Zusammenhang bestehen: I. d. R. ist nur Betriebsvermfgen zu berficksichtigen, das innerhalb von ffinf Jahren nach der sch~idlichen Anteilsfibertragung zugefiihrt wird. Anders als die Finanzverwaltung soll es nach neuerer Ansicht des BFH beim Betriebsverm6gensvergleich allein auf das Anlageverm6gen, also ohne Berficksichtigung des Umlaufvermfgens, ankommen. 260 Wenn auch diese Ansicht des BFH aus der Sicht der Praxis zu begrfit~en ist, ist die Erweiterung des Betriebsvermfgensbegriffs durch den BFH fiber § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG auf nicht bilanzierungsf~ihige Vorteile bedenklich: Nach Auffassung des BFH kann die Ubernahme von Bfirgschaften durch die Anteilseigner und die Einr~iumung von Sicherheiten der Zuffihrung neuen Aktivverm6gens wirtschaftlich vergleichbar sein (BFH vom 08.08.2001). Gleiches muss dann auch ffir Patronatserkl~irungen gelten. Bei dem gedanklichen Ansatz dieser Rechtsprechung werden Kapitalverst~irkungen bedenklich, die sich nicht auf der Aktivseite der Bilanz niederschlagen (Hoffmann, 2001, S. 1123): Nutzungseinlagen, Leasing statt Kauf von Wirtschaftsgtitern, Verkauf von Forderungen im Wege des Factoring, Vergabe von Auftragsproduktion, T~itigung von Handelsgesch~iften auf Vermittlungsbasis, Verlagerung von gewinntr~ichtigen Gesch~iften aus anderen Bereichen in die Verlustgesellschaft, Anpachtung lukrativer Betriebsteile vom Stammhaus, Uberlassung von Sachkapital im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (vgl. D6tsch et al, 2004a, § 8 Abs. 4 KStG, Rnr. 51 ff.). Hat eine Kfrperschaft ihre wirtschaftliche Identit~it i. S. v. § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG verloren, dfirfen die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Verluste mit danach entstandenen Gewinnen weder ausgeglichen (§ 8 Abs. 4 Satz 4 KStG) noch von ihnen abgezogen werden. Eine Zuffihrung neuen Betriebsvermfgens allein zu Sanierungszwecken ist nach § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG jedoch unsch~idlich, wenn der Gesch~iftsbetrieb, der den Verlust verursacht hat, in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse vergleichbaren Umfang erhalten wird und die K6rperschaft den Gesch~iftsbetrieb in die-
260 BFH vom 08.08.2001, BStB1112002,392; beffirwortend HERZIG(2002, S. 1290); a. A. DOTSCHET AL (2004a, § 8 Abs. 4 KStG, Rnr. 49); FROTSCHER(2002, S. 10). Der BFH hat jedoch seine Bereitschaft zur Oberprtifung dieser Rechtsprechung angedeutet, BFH vom 19.12.2001, S. 395. 1008
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sem Umfang fi~nf Jahre fortfiihrt. Ein bereits eingestellter Betrieb kann nicht saniert werden (BMF 1999, Tz. 18-20). Die Feststellungslast liegt beim Steuerpflichtigen. In Anlehnung an die friihere Vorschrift des § 3 Nr. 66 EStG werden im Rahmen des § 8 Abs. 4 KStG Sanierungsbediirftigkeit, Sanierungsabsicht und Sanierungsf~ihigkeit verlangt (Neumann, 1999, S. 682, 688; D6tsch et al, 2004a, § 8 Abs. 4 KStG, Tz. 108). Wie oben unter 3.1 bereits ausgefi~hrt, di~rften bei Vorliegen eines qualifizierten Sanierungsplans auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG erfiillt sein, da hier nichts anderes gelten kann, als fi~r Billigkeitsmat~nahmen bei Sanierungsgewinnen. Zu beachten ist, dass die Betriebsverm6genszufiihrung allein der Sanierung zu dienen hat. Oberm~it~ige Betriebsverm6genszufiihrungen fi~hren zu einer steuersch~idlichen Ubersanierung. Eine Obersanierung soll dann nicht vorliegen, wenn das zugefi~hrte Betriebsverm6gen den fi~r das Fortbestehen des Gesch~iftsbetriebs notwendigen Urnfang nicht wesentlich iiberschreitet (BMF, 1999, Tz. 14). Steuersch~idlich scheint somit die Zufi~hrung von unverh~iltnism~it~ig viel neuem Betriebsverm6gen mit entsprechendem Gewinnpotenzial mit dem vorrangigen Ziel, die vorhandenen Verlustvortr~ige m6glichst schnell mit in den Verlustbetrieb hinein verlagerten Gewinnen aus anderen Quellen steuerlich nutzbar zu machen (D6tsch et al., 2004a, § 8 Abs. 4 KStG, Rnr. 122). Auf der anderen Seite darf der den Verlust verursachende Gesch~iftsbetrieb nicht steuersch~idlich abgeschmolzen sein: Sanierung i. S. d. § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG verlangt, dass der Gesch~iftsbetrieb, der den Verlust verursacht hat, in einem nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verh~iltnisse erhalten wird und die K6rperschaft den Gesch~iftsbetrieb in diesem Umfang fi~nf Jahre fortfiihrt. Als Vergleichskriterien k6nnen im Rahmen einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtw6rdigung hier Umsatz, Auftragsvolumen, das Aktivverm6gen u n d / o d e r die Zahl der Arbeitnehmer angenommen werden (BMF 1999, Tz. 17). Mat~geblich als Vergleichsgr6t~e I ist die urspr~ingliche Gr6f~e des Verlustbetriebs, regelm~if~ig somit der urspr~ingliche Gesch~iftsbetrieb in dem Umfang, den er im Durchschnitt w~ihrend der Verlustphase gehabt hat; diese Phase endet sp~itestens mit dem Verlust der wirtschaftlichen Identit~it. Ein ,,Abschmelzen" des Verlustbetriebs um mehr als die H~ilfte seines Umfangs innerhalb eines Zeitraums von fiinf Jahren nach Verlust der wirtschaftlichen Identit~it ist fiir den Sanierungsfall sch~idlich: Die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 4 Satz 3 KStG ist dann nicht anwendbar und der Verlustabzug steuerlich nicht mehr nutzbar. Grunds~itzlich muss die K6rperschaft selbst (bzw. ihr Rechtsnachfolger im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge) den Verlust verursachenden Gesch~iftsbetrieb weiterfi~hren. Zur Frage, ob die Fortfi~hrung auch durch andere Rechtstr~iger m6glich ist, gelten nach unserer Einsch~itzung die Ausf6hrungen zu § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG entsprechend (siehe 4.1.).
1009
Eichhorn / Lawall
4.4.2
Gewerbesteuerliche Verlustvortr~ige
Gem. § 10a Satz 4 GewStG gelten die Grunds~itze des § 8 Abs. 4 KStG auch fi~r einen negativen Gewerbeertrag (Fehlbetrag). Bei Personengesellschaften ist zudem zu beachten, dass Verlustvortr~ige nach R 68 GewStR nicht nutzbar sind, soweit die Unternehmeridentit~it nicht mehr gewahrt ist. Ein Untemehmerwechsel bewirkt somit, dass der Abzug des im i./bergegangenen Untemehmen entstandenen Verlusts entf~illt, auch wenn das Unternehmen als solches von dem neuen Unternehmer unver~indert fortgeftihrt wird. Beim Wechsel von Personengesellschaftem entf~illt der Verlustabzug gem. § 10a GewStG anteilig mit der Quote, mit welcher der ausgeschiedene Gesellschafter im Erhebungszeitpunkt der Verlustentstehung entsprechend dem sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Gewinnverteilungsschli~ssel an dem negativen Gewerbeertrag beteiligt war (vgl. R 68 Abs. 3 Satz 7 Nr. 3 GewStR).
5
Zusammenfassun8
Die Aus~hrungen zu den steuerlichen Konsequenzen der dargestellten Sanierungsmat~nahmen in den Bereichen der leistungswirtschaftlichen, finanzwirtschaftlichen und strukturellen Sanierung haben gezeigt, dass es regelm~it~ig zu Konflikten zwischen gesellschaftsrechtlichen bzw. insolvenzrechtlichen Vorgaben sowie den steuerlichen Zielvorstellungen kommt. Demzufolge ist es ~ r den Erfolg einer Sanierung zwingend notwendig, bei der Ableitung von Sanierungsmat~nahmen fri~hzeitig eine Einbindung von Steuerexperten vorzunehmen, um unerwi~nschte steuerliche Konsequenzen auszuschliet~en. Angesicht der Vielzahl von Unternehmenssanierungen und Untemehmensinsolvenzen, der Komplexit~it der Materie sowie der Interdependenzen zwischen Handels-, Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht ist die Schaffung eines einheitlichen und alle Rechtsgebiete umfassenden ,,Sanierungsrechts" zu beffirworten. Ausgehend von der grunds~itzlichen Gleichberechtigung der Rechtsgebiete kann eine Aufl6sung der Zielkonflikte nur ~iber eine pr~izise Kodifikation von relevanten Tatbest~inden erfolgen.
1010
Sanierungsst euerrech t
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-
BMF (2004b): Gesellschafter-Fremdfinanzierung (§ 8a KStG), BMF-Schreiben vom 15. Juli 2004, IV A 2 - S 2742a - 20/04, www.bundesfinanzministerium.de
1011
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BMF (2004c): Steuerbereinigungsgesetz 1999; Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG im Zusammenhang mit Rangrt/cktrittsvereinbarungen, BMF-Schreiben vom 18.08.2004, IV A 6 - S 2133- 2/04, www.bundesfinanzministerium.de. BMF (2004d): Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der ertragsteuerlichen Behandlung von Entlassungsentsch~idigungen, BMF-Schreiben vom 24.05.2004, IV A 5-S 2290 20/04, www.bundesfinanzministerium.de BREUNINGER, GOTTFRIEDE. (2000): Der Formwechsel als hybrides Umwandlungsinstrument zwischen Gesellschafts- und Steuerrecht- Oberlegungen zu den §§ 14, 25 UmwStG und sich daraus ergebende Gestaltungsfragen, in: Umwandlungen im Zivilund Steuerrecht, Festschrift ffir Siegfried Widmann, S. 203 ff. DAUTEL, RALPH (2002): Steuerliche Gestaltungsm6glichkeiten bei der Sanierung von Untemehmen, in: Betriebs-Berater, S. 1124 ff. DEHMER, HANS (2001): Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 3. Auflage, ML/nchen. DOTSCH, EWALD(1997): Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform: ,~nderungen des UmwStG, in: Der Betrieb, S. 2144 ff. DOTSCH, EWALD/EVERSBERG,HORST/JOST,WERNER/PUNG,ALEXANDRA(2004a): Die K6rperschaftsteuer, Loseblatt, Stuttgart, Stand Mai 2004. DOTSCH, EWALD/ FRANZEN, INGO/ SADTLER, WOLFGANG/ SELL, HARTMUT/ ZENTHOFER, WOLFGANG(2004B): K6rperschaftsteuer, 14., neubearbeitete Auflage, Stuttgart. DOTSCH, EWALD/PATT,JOACHIM/PUNG,ALEXANDRA/JOBST,WERNERF. (2003): Umwandlungssteuerrecht. Umstrukturierung von Untemehmen. Verschmelzung. Spaltung. Formwechsel. Einbringung. 5. Auflage, Stuttgart. DOLL, ALEXANDER/FUHRMANN, GERD (2000): Erwerb der Anteile einer Kapitalgesellschaft und anschlief~ende Verschmelzung auf die Muttergesellschaft - das Zusammenspiel von§ 8 Abs. 4 KStG und § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG, in: DStR, S. 1166 ff. IDW (1992): Anforderungen an Sanierungskonzepte, FAR 1/1991, in: FN-IDW 1992, S. 319 ff. und 1992, S. 75. FISCHER, MICHAEL(1995): Formwechsel zwischen GmbH und GmbH & Co. KG. Haftungssysteme und Handelsbilanzen, in: BB, S. 2173 ff. FROTSCHER,GERRIT(2002): Zur ,,Zuffihrung neuen Betriebsverm6gens" nach § 8 Abs. 4 KStG. Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 08.08.2001, I R 29/00, in: DStR, S. 10 ff. FOGER, ROLF/RIEGER,NORBERT(1997): Das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform- rLickwirkende Anderungen im EStG, KStG und UmwStG, in: DStR, S. 1427 ff.
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Senierun~sst euerrech t i!i!~!ii!!iiiiiiiiiiiiiiiii~!~iii!!!i!iii!iiii~ii!iiiiiiiiiiiii~ii~iii~!iii!iiii!iii~iiiiiiii~i~iii~
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1014
Sanierungsst euerrech t
Urteil/Beschluss RFH, VI 630/37 BFH, GrS 1/63 S BFH, IV R 39/69 BFH, I R 164/69 BFH, VIII R 14/81 BFH, VIII R 37/84 BFH, IV R 177/83 BFH, I R 129/85 BFH, II B 116/96 BFH, GrS 1/94 BFH, I R 89/96 BFH, I R 103/93 BFH, I B 143/00 BFH, I R 29/00 BFH, I R 58/01 BFH IV R 63/01 BFH, I R 61/01 BFH, IV R 13/04 BGH, VIII ZR 4/82 (KG) FG Mi~nchen OFD Berlin
Datum 30.03.1938 13.11.1963 12.03.1970 08.12.1971 22.11.1983 22.01.1985 07.02.1985 14.03.1990 14.12.1996 09.06.1997 13.08.1997 15.10.1997 16.05.2001 08.08.2001 19.12.2001 10.04.2003 20.08.2003 10.11.2005 21.02.1983 05.10.2000 11.11.2002
Fundort RStB1. 1938, S. 629 BStB1. III 1964, S. 124 BStB1. II 1970, S. 518 BStB1. II 1972, S. 229 BStB1. II 1984, S. 472 BStB1. II 1985, S. 501 BStB1. II 1985, S. 504 BStB1. II 1990, S. 955 DB 1997, S. 79 DStR 1997, S. 1284 BStB1. II 1997, S. 829 BFH/NV 1998, S. 572 DStR 2001, S. 1431 BStB1. I12002, S. 392 BStB1. I12002, S. 395 BStB1. I12004, S. 9 BFHE 2003, S. 135 www.bundesfinanzhof.de NJW 1983, S. 2496 EFG 2001, S. 32 St 122-S-2241-2/02
1015
Rechtliche G r u n d l a g e n ................................................................................................ 1019 1.1
1.2
BGB - Definition, A b g r e n z u n g zu G a r a n t i e n ................................................. 1019 1.1.1
B6rgschaften ........................................................................................... 1019
1.1.2
G a r a n t i e n ................................................................................................. 1019
Die w i c h t i g s t e n Bi~rgschaftsarten ..................................................................... 1020 1.2.1
Selbstschuldnerische Biirgschaft .......................................................... 1020
1.2.2
Ri~ckbiirgschaft u n d Patronatserkl~irung ............................................ 1021
1.2.3
Bietungs,- Vertragserfi~llungs-, A n z a h l u n g s - u n d Gew~ihrleistungsbi~rgschaft .................................................................. 1021
1.2.4 1.3
2
Ausfallbi~rgschaft ................................................................................... 1022
Biirgschaftsvertrag ............................................................................................. 1022
1.4
I n a n s p r u c h n a h m e aus der Bi~rgschaft ............................................................. 1022
1.5 1.6
Befreiung v o n d e r B6rgschaft u n d Erl6schen der Biirgschaft ...................... 1023 K r e d i t a u f t r a g ....................................................................................................... 1024
E i g e n k a p i t a l u n t e r l e g u n g , K r e d i t s i c h e r h e i t e n u n d E i g e n o b l i g o g r e n z e n der Kreditwirtschaft ........................................................................................................... 1024 2.1 G r u n d l a g e n der E i g e n k a p i t a l u n t e r l e g u n g ...................................................... 1024 2.2 2.3
3
E r m i t t l u n g v o n Kreditrisiken ............................................................................ 1025 K a p i t a l b e d a r f u n d F i n a n z i e r u n g v o n U n t e r n e h m e n ..................................... 1026
Offentliche Bi~rgschaften als I n s t r u m e n t der Wirtschaftspolitik ........................... 1027 .o
3.1
O k o n o m i s c h e u n d o r d n u n g s p o l i t i s c h e Grunds~itze ...................................... 1027
3.2
Beispiel fiir Wirtschaftspolitik: G A - F 6 r d e r u n g .............................................. 1028
3.3
E U - W e t t b e w e r b s a u f s i c h t ................................................................................... 1029 3.3.1
S u b v e n t i o n s w e r t ..................................................................................... 1029
3.3.2
N o t i f i z i e r u n g s v e r f a h r e n ........................................................................ 1031
L a n d e s b i i r g s c h a f t e n .................................................................................................... 1032 4.1
Oberblick ............................................................................................................. 1032
4.2
L a n d e s b i i r g s c h a f t e n a m Beispiel H e s s e n s ....................................................... 1033
1017
Kriszeleit
4.2.1
4.3
4.4
4.5
Richtlinien ~ r KreditbLirgschaften u n d Beteiligungsgarantien u n d wesentliche Voraussetzungen ....................................................... 4.2.2 Antragsteller/-innen, Bankenvotum ................................................... 4.2.3 Quotale AusfallbLirgschaft .................................................................... 4.2.4 Kreditvertrag, B~irgschaftsurkunde, BLirgschaftsvertrag .................. KreditbiJrgschaften in Insolvenz- u n d Vergleichsverfahren ......................... 4.3.1 Massekreditb~irgschaften ...................................................................... 4.3.2 KreditbL/rgschaften in Vergleichsverfahren ........................................ Die INVESTITIONSBANKHESSEN als Beauftragte des Landes ........................... 4.4.1 Antragsverfahren, Gebi~hren ................................................................ 4.4.2 B6rgschaftsbetreuung, GebLihren ........................................................ 4.4.3 I n a n s p r u c h n a h m e aus einer BLirgschaft u n d Abwicklung ............... Bedeutung der Landesb~irgschaften ~ r die Wirtschaft u n d den Haushalt Hessens ...............................................................................................
1033 1034 1034 1035 1035 1035 1036 1036 1036 1037 1038 1038
Praxisbeispiele fLir Kredit-Ausfallbi~rgschaften des Landes Hessen ..................... 1039 5.1 Beispiel 1: Restrukturierung einer Kapitalgesellschaft .................................. 1039 5.2 Beispiel 2: Auffanggesellschaft aus einer Insolvenz ....................................... 1040 Exkurs: Bi3rgschaften der BURGSCHAFTSBANKHESSEN GMBH ................................. 1040
1018
Offentliche B~Jrgschaften- insbesondere Landesb~J~jschaften
Rechtliche Grundlagen
1.1
BGB - Definition, Abgrenzun8 zu Garantien
1.1.1
BiJrsschaften
Die Bfirgschaft (§§ 765-778 BGB) ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, durch den sich der Bi~rge dem Gl~iubiger eines Dritten ggti. verpflichtet, fi.ir die Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Zweck der Bfirgschaft als Avalkredit ist die Sicherung des Gl~iubigers insbesondere bei Zahlungsunf~ihigkeit des Hauptschuldners, Voraussetzung ist das Bestehen der Hauptschuld (Akzessorit/it der Biirgschaft). Ffir kfinftige Verbindlichkeiten ist eine Bfirgschaft nur wirksam, wenn zum gegebenen Zeitpunkt die Hauptschuld bestimmbar ist. Die Haftung des Bfirgen bestimmt sich nach dem jeweiligen Stand der Hauptschuld, d. h. nach der jeweiligen H6he des Kredites. Vermindert sich die Hauptschuld oder erlischt sie, so vermindert sich in gleicher Weise auch die Bfirgschaft oder erlischt sie. Wird die Forderung des Gl~iubigers gegen den Hauptschuldner durch den Bfirgen befriedigt, so geht sie kraft Gesetz auf den Bfirgen/iber. Die Bfirgschaftserkl~irung ist mit Ausnahme eines Handelsgesch~iftes (§ 350 HGB) nur schriftlich wirksam (vgl. Kapitel 1.3). Das Schuldverh~iltnis zwischen Gl~iubiger und Hauptschuldner (Grundverh~iltnis) wird durch den Bfirgschaftsvertrag grunds/itzlich nicht berfihrt: Nachtr~igliche Erweiterungen des Grundverh~iltnisses wirken nicht gegen den B6rgen (Palandt, 2002).
1.1.2
Garantien
Die Garantie stellt ein abstraktes Leistungsversprechen dar und ist nicht akzessorisch, sondern begrfindet eine v o n d e r Hauptverbindlichkeit unabh~ingige Verpflichtung: der Garant verpflichtet sich fi~r den Eintritt eines Erfolges einzustehen oder die Gefahr eines kfinftigen Schadens zu fibernehmen. Die Garantie im Kreditgesch~ift geht in ihrer Wirkung so weit, dass der Garant f~r den Zahlungseingang beim Gl~iubiger auch dann aufzukommen hat, wenn eine Zahlungspflicht des Kreditnehmers nicht mehr besteht.
1019
Kriszeleit
Einer besonderen Form bedarf es nicht. Spezielle rechtliche Vorschriften ~ r die Garantien gibt es nicht. An die Stelle des gesetzlichen Forderungsiiberganges bei der B~rgschaft muss bei der Garantie eine besondere vertragliche Vereinbarung treten, nach der die Forderung nach Garantiefall auf den Garanten/ibergeht. Als Beispiele ftir Garantien seien Beteiligungsgarantien und Bankgarantien genannt. Beteiligungsgarantien sind Garantien f/ir Einlagen von Dritten ohne bank/ibliche Sicherheiten, die im Aut~enverh~iltnis eigenkapital~ihnlich sind und im Innenverh~iltnis Fremdkapital darstellen. Bankgarantien dienen der Sicherung einer Verbindlichkeit des Auftraggebers der Bank gg~. dem daraus Begtinstigten, z.B. im Aut~enhandel oder als Bietungsgarantie bei Ausschreibungen als Sicherung ~ r die Einhaltung der mit einem Angebot des Bieters verbundenen Pflichten. Die Unterscheidung, ob eine B6rgschaft oder eine Garantie vorliegt, erfolgt in Zweifelsf/illen durch Auslegung der getroffenen Vereinbarungen (Lwowoski, 1986)
1.2
Die wichtissten BUrgschaftsarten
1.2.1
Selbstschuldnerische BiJrgschaft
Bei Verzicht des Biirgen auf die Einrede der Vorausklage (vgl. Kapitel 1.4) oder bei offensichtlichen Schwierigkeiten, die Hauptschuld zu begleichen (§ 773 BGB) und wenn der Bi~rge ein Vollkaufmann und die Bi,irgschaft f6r ihn ein Handelsgesch~ift ist (§ 349 HGB), liegt eine selbstschuldnerische B/irgschaft vor. Die selbstschuldnerische B~rgschaft ist eine Form der B/irgschaft, bei der der B/irge nicht die Einrede der Vorausklage erheben kann, d. h. er verzichtet darauf, dass der Gl~iubiger seine grunds/itzliche Verpflichtung, zun~ichst den Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen (einschliet~lich Vollstreckungsversuch), erf/illt. Der G1/iubiger kann somit vom B/irgen sofort Zahlung verlangen, wenn der Kreditnehmer seinen Verpflichtungen nicht ordnungsgem~it~ nachkommt. Banken akzeptieren grunds/itzlich nur selbstschuldnerische B/irgschaften im Kreditgesch/ift von als kreditw/irdig anerkannten Personen oder Unternehmen. Kreditinstituten als Vollkaufleuten steht f/ir die von ihnen ~ibernommenen Bi.irgschaften die Einrede der Vorausklage nicht zu. Ein Vollkaufmann kann sich jedoch bei Ubernahme der B/irgschaft die Einrede der Vorausklage vorbehalten.
1020
Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften
1.2.2
RiJckbiJrgschaft und Patronatserkllirung
Bei der Rfickbfirgschaft haftet der Rfickbfirge dem Bfirgen f6r dessen Rfickforderung gegen den Hauptschuldner. Zwischen Bfirge und Rfickbfirge besteht ein Bfirgschaftsvertrag zur Sicherung des Riickgriffanspruches des Bfirgen gegen den Hauptschuldner. Rfickbfirgschaften werden z. B. vom Bund und von den L~indern zugunsten der Bfirgschaftsbanken der Lander vergeben (vgl. Kapitel 4.1). Patronatserkl~irungen werden in der Gesch~iftspraxis von Holdinggesellschaften zugunsten ihrer Beteiligungsgesellschaften abgegeben, um deren Kreditverh~iltnis abzusichern. Nur die Erkl~irungen, mit der die Aufrechterhaltung der Zahlungsf~ihigkeit der Beteiligungsgesellschaft durch die Holdinggesellschaft, z. B. durch eine Verpflichtung zur Saldofibernahme, erkl~irt wird, erffillen die Sicherungsfunktion.
1.2.3
Bietungs,- VertragserfUIlungs-, Anzahlungs- und GewlihrleistungsbUrgschaft
Die bei langfristigen Auftr~igen in der Bau- und Anlagenbauindustrie und im Maschinenbau gegebenen Risiken werden im In- und Auslandsgesch~ift i. d. R. mit folgenden Bankbfirgschaften oder-garantien gesichert: W Grot~auftr~ige ausl~indischer staatlicher oder halbstaatlicher Institutionen und teilweise auch von Unternehmen werden oftmals fiber eine Ausschreibung vergeben. Da der Auftraggeber sicherstellen will, dass der Anbieter in jedem Fall sein Angebot verbindlich aufrechterh~ilt, wird die Nichtannahme des Zuschlages mit einer Vertragsstrafe belegt, deren Zahlung durch eine Bankbfirgschaft zu sichern ist (Bietungsbiirgschaft), W, Mit einer Yertragserfiillungsbiirgschaft wird das Bestellerrisiko gesichert, dass der Hersteller seine vertragliche Liefer- oder sonstige Leistungsverpflichtung qualitativ und/oder terminlich nicht einh~ilt, W Die Anzahlungsbiirgschaft soil dem Besteller die Rfickzahlung geleisteter Zahlungen, die er als Vorauszahlungen zur vertragsm~if~igen Erffillung des Lieferungsoder Leistungsvertrages erbracht hat, ffir den Fall der Nichterffillung des Kaufvertrages sichern, E Die mit den Produktlieferungen verbundenen Gew~ihrleistungsverpflichtungen werden durch Gew~ihrleistungsbiirgschaften ffir den Fall von Qualit~itsabweichungen oder Funktionsst6rungen gesichert. Bietungs-, Vertragserffillungs-, Anzahlungs- und Gew~ihrleistungsbfirgschaften ffihren insbesondere bei neuen Gesch~iftsverbindungen und bei gr6t~eren Auftr~igen zu h6heren Risiken ffir den Bfirgen. Der finanziellen Projektplanung kommt besondere Bedeu-
1021
Kriszeleit
tung zu, wenn der Finanzierungsrahmen durch Anrechnung der Avalinanspruchnahmen auf die Barkreditlinien, insbesondere bei einer Bargeldhinterlegung als Sicherheit, eingeengt wird. Bei Landesbfirgschaften wird daher darauf hingewirkt, dass z.B. Anzahlungsavale nicht zus~itzlich durch Bargeldhinterlegungen abgesichert werden, um den Vorfinanzierungsbedarf ffir die Produktfertigung zu sichern.
1.2.4
AusfallbiJrgschaft
Bei einer Ausfallbfirgschaft verpflichtet sich der Ausfallbfirge dem Gl~iubiger, ~ r den endgfiltigen Ausfall der Hauptforderung einzustehen, d. h. ~ r das, was der Gl~iubiger trotz Zwangsvollstreckung und Verwertung anderer Sicherheiten vom Hauptschuldner nicht erlangen kann. Der Gl~iubiger muss den erlittenen Verlust nachweisen. Um diesen Beweis erbringen zu k6nnen, mfissen zun~ichst s~imtliche zur Verftigung stehenden Sicherheiten realisiert und die Zwangsvollstreckung in das Verm6gen des Schuldners betrieben worden sein sowie gegebenenfalls das Insolvenzverfahren stattgefunden haben. Zur Verbesserung der Inanspruchnahme aus einer Ausfallbfirgschaft verzichtet der Bfirge auf die Einrede der Vorausklage und es wird im Einzelnen festgelegt, wann der Ausfall eingetreten ist (modifizierte Ausfallbiirgschaft). Grfinde einer Inanspruchnahme sind z. B. Zahlungseinstellung des Hauptschuldners oder die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens.
1.3
BUrgschaftsvertra8
Die Bfirgschaftsverpflichtung entsteht durch den schriftlichen Bfirgschaftsvertrag zwischen dem Bfirgen und dem Gl~iubiger (§ 766 BGB). Damit entsteht ein neues Schuldverh~iltnis mit dem Zweck der Sicherung der Forderungen des Gl~iubigers gegen den Hauptschuldner aus deren Schuldverh~iltnis (Grundverh~iltnis). Auf eine Bfirgschaft, die auf der Seite des Bfirgen ein Handelsgesch~ift ist, findet die schriftliche Formerfordernis nicht Anwendung (§ 350 HGB).
1.4
Inanspruchnahme aus der BiJrgschaft
Die Inanspruchnahme aus der Bfirgschaft erfolgt durch den Gl~iubiger, wenn der Hauptschuldner seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Der Bfirge kann Einreden und Einwendungen aus dem Bfirgschaftsvertrag und aus dem zwischen Gl~iubiger und Hauptschuldner zugrunde liegenden Schuldverh~iltnis (Grundverh~iltnis) geltend machen. Einreden nach § 768 BGB erhebt der Bfirge mit der Folge, dass die Bfirgschaftsschuld nicht durchgesetzt werden kann. Einreden, die dem Bfirgen zustehen, 1022
Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften
sind die Einrede der Anfechtbarkeit und der Aufrechnung (§ 770 BGB) sowie der Vorausklage (§ 771 BGB). Durch diese kann der B0rge die Befriedigung des Gl~iubigers verweigem, solange dieser nicht erfolglos die Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner versucht hat. Die Einrede der Vorausklage ist ausgeschlossen, wenn der Bfirge auf sie verzichtet hat (selbstschuldnerische Biirgschaft), wenn 6ber das Verm6gen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren er6ffnet ist und wenn voraussichtlich die Zwangsvollstreckung in das Verm6gen des Hauptschuldners erfolglos ist (§ 773 BGB). Die Einreden aus der Rechtsbeziehung zwischen Hauptschuldner und Gl~iubiger, die der Bhrge geltend machen kann, stehen dem Bi~rgen auch dann zu, wenn der Hauptschuldner auf sie verzichtet. Ausgenommen ist die Einrede der Anfechtung der Hauptschuld, die dann nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn der Hauptschuldner darauf verzichtet hat. Das Recht zur Einrede der Aufrechnung steht dem Hauptschuldner und dem B~irgen zu, wenn der Hauptschuldner eine Gegenforderung gegen den Gl~iubiger besitzt. Auf die Einreden der Vorausklage, der Anfechtung und der Aufrechnung verzichten die meisten gewerblichen Bhrgen ausdri~cklich in ihren B~irgschaftserkl~irungen, um dem Bedi~rfnis der Gl~iubiger nach einer rasch verwertbaren Sicherheit Rechnung zu tragen. Einwendungen, die aus dem Schuldverh~iltnis (Grundverh~iltnis) bestehen, kommen dem B6rgen unmittelbar aufgrund der Akzessorit~it der Biirgschaft zugute. Einwendungen, die hinsichtlich der Hauptschuld bestehen sind ,,von Amts wegen" im strittigen Verfahren zu beri~cksichtigen und brauchen nicht ausdr~icklich erhoben zu werden. Nach Inanspruchnahme des B6rgen durch den Gl~iubiger geht die Forderung des Gl~iubigers gegen den Hauptschuldner einschliet~lich etwaiger Sicherungs- und Nebenrechte auf den B0rgen 6ber. In H6he der an den Gl~iubiger geleisteten Aufwendungen entsteht dann zugunsten des B6rgen ein Aufwandsersatzanspruch gegen den Hauptschuldner.
1.5
Befreiung yon der BUrgschaft und Erl ischen der BiJrgschaft
Der B~irge kann nach § 776 BGB Befreiung vonder B6rgschaft vom Hauptschuldner verlangen. Der B6rge wird ferner aus der Verpflichtung frei, wenn die B6rgschaft auf bestimmte Zeit ~ibernommen wurde und diese Zeit abgelaufen ist. Die Bhrgschaft erlischt durch Widerruf, Anfechtung, Kfindigung, Erfiillung, Ri~cktritt, Erlass oder Anschaffung der Hauptschuld.
1023
Kriszeleit
1.6
Kreditauftrag
Ein auftragsgem~it~ ausgef/ihrter Kreditauftrag begrfindet automatisch ein Bfirgschaftsverh~iltnis (§ 778 BGB): ,Wer einen anderen beauftragt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem dritten Kredit zu geben, haftet dem Beauftragten f-iir die aus der Kreditgew~hrung entstehende Verbindlichkeit des Dritten als Biirge". Im Unterschied zur durch Bfirgschaftsvertrag entstehenden Bfirgschaft wird ein durch Auftrag geschlossener Kreditvertrag durch den Auftraggeber verb/irgt. Wesentliches Merkmal ist, dass der durch Kreditauftrag gesicherte Kredit nach dem erkl~irten Willen von Auftrag- und Kreditgeber dem ausschliet~lichen Interesse des Auftraggebers an der Kreditgew~ihrung dient. Kreditauftr~ige werden in der Praxis nur in begr/indeten Einzelf~illen, z. B. bei Vorhaben mit besonderem volkswirtschaftlichem oder regionalem Interesse durch 6ffentliche Stellen vergeben.
2
Eigenkapitalunterlegung, Kreditsicherheiten und Eigenobligogrenzen der Kreditwi rtschaft
2.1
Grundlagen der Eigenkapitalunterlegung
Die Kreditantragsprfifung beinhaltet die Analyse der wirtschaftlichen Ausgangslage und der zukiinftigen Erfolgsaussichten zur Feststellung der Kapitaldienstf~ihigkeit des Kreditnehmers. Einbezogen ist die Bestellung der Kreditsicherheiten, die ffir den Fall zur Verffigung gestellt werden, dass den Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nicht nachgekommen wird. Die Kreditwirtschaft befindet sich derzeit in der Umstellung auf die ab Ende 2006 zum Grot~teil geltenden Vorschriften nach Basel II, die einer Kreditvergabe neue, erweiterte Eigenkapitalunterlegungen der Kreditrisiken vorgeben. Steigende Kreditrisiken erfordern mehr Eigenkapital, die Refinanzierungskosten erh6hen sich und umgekehrt. Nach dem derzeit noch weltweit geltenden Standard nach Basel I mfissen Banken ihre herausgereichten Kredite pauschal mit 8 % Eigenkapital unterlegen. Zukfinftig gilt nach Basel II unver~indert eine Mindesteigenkapitalanforderungvon 8 % der gesamten Risiken, d. h. die Summe aus Kreditrisiken, Marktrisiken und operationellen Risiken darf nicht das 12,5-fache des gesamten Eigenkapitals fiberschreiten. 1024
O[[entliche BiJr~scha[ten- insbesondere LandesbiJrgscha[ten
Nach der neuen Regelung wird die Berechnung der Eigenkapitalunterlegung von Krediten starker differenziert. Das individuelle Kreditrisiko wird starker berficksichtigt. Basel II fordert daher eine vollst~indigere, ad~iquatere und differenziertere Risikoerfassung und -steuerung. Die Kreditinstitute sind angehalten, ein standardisiertes Adressenausfall- und Risikomanagementsystem einzuffihren. Zu beachten sind hierbei die Mindestanforderungen ffir das Kreditgesch~ift (MaK), nach denen eine Kreditrisikostrategie, die Funktionstrennung, klar definierte Kreditprozesse, eine sachgerechte Oberwachung der Risiken auf Portfolioebene sowie das Berichtswesen festzulegen sind. Die erste Stufe der MaK wurde bis Ende Juni 2004, die zweite Stufe wird bis Ende 2005 eingeffihrt (Weidanz, 2003).
2.2
Ermittlun8 von Kreditrisiken
Kreditrisiken k6nnen nach zwei Verfahren ermittelt werden: Standardansatz und IRBAnsatz. Beim Standardansatz werden sechs Risikokategorien vorgegeben (eine ffir Staaten, drei ffir Banken, eine ffir Unternehmen und eine ffir Retail = Mengengesch~ift), denen sechs Ratingklassen externer Ratingagenturen (von AAA bis B-) und eine ohne Rating zugeordnet werden. Durch Zusammenfassungen ergeben sich insgesamt 26 Risikogewichte, von 0 % ffir Kredite an Staaten mit AAA-Bonit~it, fiber 20 % ffir Kredite an Banken und Unternehmen mit AAA-Bonit~it bis zu 150 % ffir Kredite mit unter Bminus-Bonit~it. Mit dem IRB-Ansatz wird den Banken erstmals die M6glichkeit einger~iumt, mit eigenen Steuerungs- und Risikomessmethoden die bankaufsichtsrechtliche Eigenkapitalunterlegung zu berechnen. Ffir die Anerkennung der Risikomesssysteme sind 5j~ihrige Datenhistorien Voraussetzung. Bei Sicherheiten vermindert sich das Kreditrisiko auf den ungesicherten Anteil, der mit dem ratingabh~ingigen Risikogewicht durch Eigenkapital zu unterlegen ist. Die Eigenmittelanforderung des besicherten Kreditanteiles wird fiber den Marktwert der Sicherheit mit dem Bonit~itsgewicht ermittelt. Das Risikogewicht des besicherten Teiles betr~igt mindestens 20 %. Ffir bestimmte Ausnahmen k6nnen besicherte Forderungen auch ein Risikogewicht unter 20 % erhalten, bspw. wenn sie mit einer Bfirgschaft oder Garantie des Staates besichert sind: bei durch Bfirgschaften oder Garantien eines anerkennungsf~ihigen Bfirgen oder Garanten abgesicherten Krediten wird das Risikogewicht f6r den abgesicherten Teil aus der dem Bfirgen oder Garanten entsprechenden Risikogewichtungsfunktion abgeleitet. Ffir den unbesicherten Teil ist das Risikogewicht des Kreditnehmers anzusetzen. Nach Basel II sind als Sicherheiten ohne Abschl~ige nur Bareinlagen, Gold, bestimmte Schuldverschreibungen und bestimmte Aktien anerkennungsf~ihig. Die fibrigen bankfiblichen Sicherheiten (Grundpfandrech-
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Kriszeleit !iii~i~!~!~i~i!~!ii?~!i!i!i!i!!~i!!~!~!~i!~ii!ii!~!~%ii~!i
te, Sicherungsiibereignungen, Forderungsabtretungen, Verpf~indungen, B6rgschaften) unterliegen einem aufsichtsrechtlich geregelten Bewertungsverfahren mit Zu- und Abschl~igen (Weidanz, 2003). Landesbi~rgschaften sowie Biirgschaften von Kreditsicherungsgemeinschaften, die von Verb~inden der Wirtschaft eingerichtet sind, wie z. B. von der BURGSCHAFTSBANK HESSENGMBH, erm6glichen eine erhebliche Risikoentlastung und tragen damit grunds~itzlich zu einer Verbesserung der Kapitalbereitstellung bei.
2.3
Kapitalbedarf und Finanzierung von Unternehmen
Der Kapitalbedarf von Unternehmen entsteht durch Investitions- und Desinvestitionsvorg~inge in weitestem Sinne und damit verbundenen Aus- und Einzahlungen, Aufwendungen und Ertr~ige, die zeitlich auseinander fallen, insbesondere bei Betriebsgriindungen, Betriebserweiterungen, Entwicklung und Marktein~hrung neuer Produkte, Grot~auftr~igen und bei Restrukturierung. Bei zunehmender Komplexit~it von Produktinnovationen und zunehmendem Zeitbedarf bis zur erfolgreichen Marktplatzierung wird oftmals der Kapitalbedarf untersch~itzt, was zu weitreichenden Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung flirt. Mangels Riickfli~ssen aus dem Umsatz ausgelaufener Produkte und Nachfinanzierungsbereitschaft von Investoren und Fremdkapitalgebern kann der Bestand des Untemehmens gef~ihrdet werden. Bei Grot~auftr~igen mit langer Laufzeit haben eine genaue Vorkalkulation sowie Einnahmen- und Ausgabenplanung besondere Bedeutung. Zeitverz6gerungen im Auftragsvergabeverfahren und bei der Projektrealisierung f~hren zu l~ingeren Laufzeiten. Vertragserfi~llungs- und Anzahlungsbiirgschaften belasten kumulierend und Gew~ihrleistungsbi~rgschaften i. d. R. fi~r mehrere Jahre nach Lieferung die Avalrahmen. Mit Teilabnahme in sich abgeschlossener Teilleistungen kann der Aval- und Vorfinanzierungsbedarf reduziert werden. Die Restrukturierung von Unternehmen stellt i. d. R. eine mit Gemeinkostenabbau verbundene Reduzierung der Kapazit~iten an die Marktnachfrage dar. In diesen Fallen liegt ein Desinvestitionsvorgang vor, der jedoch durch umsatzriickgangbedingte Einnahmenausf~ille, zeitverz6gerter Ver~iut~erung nicht betriebsnotwendigen Verm6gens, Remanenz- und Fixkosten zun~ichst zu einem Kapitalbedarf ftihren, der durch Mittelfreisetzungen in den Folgeperioden bei erfolgreichem Verlauf zuriickgefiihrt werden kann. Die begrenzte Eigen- und Selbstfinanzierungsf~ihigkeit der Unternehmen erfordert zur Deckung des Kapitalbedarfs die Kreditaufnahme, die bei Konsolidierung des Unternehmenssektors durch Wegfall der innersektoralen Kreditbeziehungen iiber die Kre-
1026
Offentliche Bargschaften- insbesondere Landesbfirgscheften
ditwirtschaft erfolgt. Die Summe des aus den Einzelkapitalbedarfspl~inen entstehenden Kapitalbedarfsplanes der Untemehmen weicht von der F~ihigkeit und Bereitschaft zur Kreditvergabe ab, da dem monet~iren Wirtschaftskreislauf abweichende Rahmenbedingungen zugrunde liegen. Bei verst~irkter Eigenkapitalunterlegung fflr Kredite in Phasen des Konjunkturabschwunges und dadurch eingeschr~inkter Kreditvergabem6glichkeit (und umgekehrt) kann sich die Prozyklizit~it des Finanzsektors verst~irken. Die Eigenkapitalunterlegungsvorschriften entfalten eine expansionsbremsende Wirkung, die eine Eingehung zus~itzlicher Risiken unterbindet. Bei geringerer Bereitschaft zur Kreditvergabe kann die Finanzierungsfunktion der Kreditwirtschaft eine Einschr~inkung erfahren, die fiber die Selektionsfunktion hinaus zu einem Verlust an volkswirtschaftlicher Dynamik f~ihrt. Restriktiv wirken sich insbesondere die Bestellung und Bewertung von Sicherheiten aus, die der Realisierung von UnternehmenspRinen entgegenstehen k6nnen. Besonders betroffen sein dfirften Existenzgrfindungen und weniger ertragsstarke Unternehmen, die risikoadjustierte Konditionengestaltung dfirfte kontraproduktiv wirken. Landesbi3rgschaften erm6glichen die Unterstiitzung von Kreditantr~igen, die zwar schlechtere Rating-Einstufungen vorweisen, denen aber bei eingeschr~inkten Sicherheiten ein betriebswirtschaftlich vertretbares Untemehmenskonzept zugrunde liegt und die volkswirtschaftlich, sowie regional- oder arbeitsmarktpolitisch von besonderer Bedeutung sind.
oo
3
Offentliche BUrgschaften als Instrument der Wirtschaftspolitik
3.1
C)konomische und ordnungspolitische Grundsiitze
Allgemein akzeptierte volkswirtschaftliche Ziele einer Marktwirtschaft sind haupts~ichlich die Preisstabilit~it und ein hoher Besch~iftigungsstand sowie aut~enwirtschaftliches Gleichgewicht und gleichm~it~ige Verm6gensverteilung. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der sich selbst fiberlassene Wirtschaftsprozess der Marktwirtschaft zu Erscheinungen f6hren kann, die mit den gesamtwirtschaftlichen Zielen nicht vereinbar sind.
1027
Kriszeleit
Ordnungspolitische Mat~nahmen, z.B. zur Erhaltung und Verbesserung des Wettbewerbes, sind auf die Bereiche beschr~inkt, die Aufgaben einer nationalen wie internationalen Wirtschaftspolitik sind. Die Konjunktur- und Wachstumspolitik versucht die Globalziele wie Preisstabilit~it und Vollbesch~iftigung zu erreichen und ist mit der Wirtschaftsstrukturpolitik eng verkni~pft: Standortnachteile von Regionen, Einkommensgef~ille zwischen Bev61kerungsteilen, Wegfall von Wirtschaftszweigen wegen technischer Innovation und Rationalisierung, Aufbau neuer Sektoren oder die Sicherung einer Wirtschaftsbasis mit nationalem Interesse (Energie- und Rohstoffversorgung), Unters~tzung der ehemals auf Zentralverwaltungswirtschaft ausgerichteten Betriebe auf marktwirtschaftliche Verh~iltnisse (Aufbau Ost) sowie Unters~tzung einer 6kologischen, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaft sind Beispiele fi~r die vielf~iltigen und umfassenden Aufgabengebiete. Andererseits darf das Ausscheiden leistungsschwacher Untemehmen nicht durch 6ffentliche Beihilfen verhindert werden: funktionierender Wettbewerb sichert permanent eine zukunftsf~ihige Wettbewerbsstruktur, eine auf (statische) Erhaltung ausgerichtete Unters~tzung wird auf Dauer kontraproduktiv. Es bedarf daher einer weitgehenden, die Umstrukturierungsvorg~nge begleitenden Steuerung. Als Beispiel seien nachfolgend die Mat~nahmen der GA-F6rderung (einschliet~lich der GA-Bi~rgschaften) n~iher dargestellt.
3.2
Beispiel fiJr Wirtschaftspolitik: GA-Ftirderung
Im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik des Bundes und der Lander werden Plane nach dem Gesetz ~iber die Gemeinschaftsaufgabe (GA) zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur mit dem Ziel aufgestellt, Standortnachteile strukturschwacher Regionen und regionale Entwicklungsunterschiede m6glichst auszugleichen. Da der sektorale Strukturwandel h~iufig ganze Regionen belastet, werden Regionalbeihilfen zur Umstrukturierung hin zu wettbewerbsf~ihigen Aktivit~iten als sinnvoll erachtet. F6rderschwerpunkt der Gemeinschaftsaufgabe ist die Unters~tzung der regionalen Investitionst~itigkeit, um Einkommen und Besch~iftigung zu erh6hen. Damit wird die Arbeitsmarktpolitik erg~inzt, die durch Weiterbildung und Arbeitsbeschaffungsmat~nahmen den Aufbau von neuen wettbewerbsf~ihigen Strukturen i~berbr~ickt (Bundesamt f6r Bauwesen und Raumordnung, 2004). Im Rahmen der GA-Infrastrukturf6rderung sind Umweltinfrastrukturmat~nahmen f6rderf~ihig, wie z.B. Wiedernutzbarmachung von brachliegendem Industrie- und Gewerbegel~inde einschliet~lich der dafi~r erforderlichen Sanierung von Altlasten, Einrichtungen der Abwasserreinigung, Abfallbeseitigungsanlagen sowie L~irmschutzmat~nahmen und 6kologische Ausgleichsmat~nahmen bei neu erschlossenen Gewerbegebieten.
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Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften !iiiiiiiiiii!!!!ili!/iliiiiiiiiiii~ii!i!iiiii!iiiiiiiiililili! i~iC~!iiiiii;~!~i~!~i!i!~iii!i
Zur Obernahme einer GA-B(irgschaft (modifizierte Ausfallbiirgschaft) bestehen folgende Voraussetzungen: W Antragstellung bei der zust~indigen Bearbeitungsstelle vor Beginn des Investitionsvorhabens, Investitionsvorhaben im GA-F6rdergebiet, Prim~ireffekt (mehr als 50 % des Umsatzes werden ~berregional erzielt), Investitionsvorhaben, das die Voraussetzung einer GA-F6rderung erf~illt: Mindestinvestitionen im Investitionsjahr 150 % der im Durchschnitt der letzten drei Jahre verdienten Abschreibungen oder mindestens 15 % zus~itzliche Dauerarbeitspl~itze, H6chstbetrag der Bi~rgschaft 80 % fi~r Kredite zur Investitionsfinanzierung, Alternativfinanzierung nicht m6glich, Laufzeit der B~irgschaft max. 15 Jahre, grundpfandrechtliche oder sonstige Besicherung. Nach Beginn eines Investitionsvorhabens ist die Gew~ihrung oder Aufstockung einer GA-B6rgschaft ausnahmsweise m6glich, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: (1) ein Investitionszuschuss wurde rechtzeitig vor Beginn der Investition beantragt, (2) der Investitionszuschuss wird genehmigt, (3) das Investitionsvorhaben ist noch nicht abgeschlossen. Unter diesen Voraussetzungen ~ibernimmt der Bund nach Bewilligung im jeweiligen Bundesland hier~r mit gesonderter Erkl~irung bis zu einem Gesamtbetrag je Einzelfall und Jahr von 10 Mio. Euro eine Garantie von 50 %. Hierzu werden GA-Bi~rgschaften innerhalb eines Monates nach deren Eingehung (Aush~indigung der Urkunde) bei den Bundesministerien f~ir Finanzen sowie fi~r Wirtschaft und Arbeit zum Einbezug in die oben genannte Bundesgarantie angemeldet.
3.3
EU-Wett bewe rbsa ufsi ch t
3.3.1
Subventionswert
Staatliche Beihilfen sind wirtschaftspolitisch-historisch durch die jeweiligen Besonderheiten begr~indet, deren Harmonisierung zur Vermeidung von Wettbewerbsverzer-
1029
Kriszeleit
rungen im europ/iischen Wirtschaftsraum ~ r erforderlich gehalten wird. Nachfolgende Regelungen gelten als Ausnahmen v o n d e r prinzipiellen Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem EU-Markt. F6r Landesbiirgschaften gelten derzeit folgende Grunds~itze: 1. Biirgschaften, die nicht zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten dienen: Fiir mittelstands- und strukturpolitische Zielsetzungen sind Bi~rgschaften z. B. fiir Kredite im Zusammenhang mit der Unternehmensgriindung und -nachfolge, der Bereitstellung von Risikokapital, der Erschliet~ung von Auslandsm~irkten, des Uberschreitens von Wachstumsschwellen, der Durchfiihrung von Innovationen oder der Anpassung an Umweltschutzvorschriften m6glich. Der Subventionswert einer solchen Biirgschaft wird pauschal auf 0,5 % des verbiirgten Betrages festgesetzt. Die ,,De-Minimis"-Bestimmungen des europ~iischen Beihilferechtes sehen vor, dass einem Unternehmen innerhalb von drei Jahren Beihilfen auf~erhalb von genehmigten Programmen bis zu einem Betrag von 100 TEuro zufliet~en k6nnen. In diesem Rahmen kann ein B6rgschaftsobligo bis zu einem Betrag von 20 Mio. Euro gew~ihrt werden. Der Subventionswert einer Biirgschaft wird durch eine ,,De-Minimis-Bescheinigung" dem Unternehmen bei Ubersendung der Biirgschaftsurkunde mitgeteilt. 2. Biirgschaften zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten: Ein Unternehmen gilt dann als ein Unternehmen in Schwierigkeiten, wenn folgende Voraussetzungen erfiillt sind: (1) es ist zahlungsunf~ihig oder iiberschuldet im Sinne der Insolvenzordnung oder (2) mehr als die H/ilfte des buchm/it~igen Eigenkapitals bei Personengesellschaften bzw. mehr als die H/ilfte des Grundoder Stammkapitals bei Kapitalgesellschaften im Sinne der § 92 AktG und § 49 GmbHG sind verlustbedingt aufgezehrt worden und 25 % des buchm~it~igen Eigenkapitals bzw. des Grund- und Stammkapitals sind w~ihrend der letzten zw61f Monate vor Stellung des Biirgschaftsantrages verlustbedingt aufgezehrt worden. Wird die Biirgschaft an ein kleines und mittleres Unternehmen (KMU) gew/ihrt, ist eine Rettungsb6rgschaft zur Weiterfiihrung aus akuten sozialen Griinden bis zur Vorlage eines Umstrukturierungsplanes, h6chstens fiir sechs Monate m6glich, wenn eine positive Fortbestehensprognose absehbar und das Ausfallrisiko begrenzt ist (z. B. im Zusammenhang mit Verwalterdarlehen). Die H6he des verbi~rgten Kredites muss auf den Betrag begrenzt sein, der ~ r die Weiterf6hrung des Unternehmens bis zum Beginn der Umstrukturierung erforderlich ist, z. B. zur Deckung der Lohnkosten oder der laufenden Beschaffung. Die Restlaufzeit der verbiirgten Kredite daft nach der Auszahlung des letzten Teilbetrages der Kreditsumme maximal zwblf Monate betragen, das Eigenobligo der Bank betr/igt mindestens 10 %. Legt das Unternehmen einen schliissigen Umstrukturierungsplan vor, nach dem innerhalb einer angemessenen Frist die Wettbewerbsf~ihigkeit des Unternehmens wieder hergestellt wird, kann eine Umstrukturierungsbi~rgschaft dutch z.B. das
1030
O[[entliche BiJrgsche[ten- insbesondere LandesbOrgscheften
Land Hessen gew~ihrt werden. Die H6he des Kredites muss sich auf das fLir die Umstrukturierung unbedingt notwendige Mindestmat~ beschr~inken und das Eigenobligo der Bank mindestens 10 % betragen. W~Jlrend der Phase der Umstrukturierung darf das Unternehmen i.d.R, keine Kapazit~itsaufstockung vornehmen. FLir Rettungs- und UmstrukturierungsbL/rgschaften gilt der Grundsatz der einmaligen Beihilfe. 3. GA-Biirgschaften" Der Subventionswert von GA-BLirgschaften betr~igt 0,5 % des Bi~rgschaftsbetrages, der bei Kumulation mit GA-Zuschi~ssen anzurechnen ist. Da es sich bei GA-BLirgschaften um eine Beihilfe nach einem genehmigten Programm handelt, entf~illt die Ausstellung einer Bescheinigung ~iber den Subventionswert. Wird der genehmigte F6rderh6chstsatz i~berschritten, erfolgt die Ausstellung einer ,,De-Minimis-Bescheinigung".
3.3.2
Notifizierunssverfahren
Nach der Definition der EU-Kommission gelten derzeit folgende Grenzen fLir kleine und mittlere Unternehmen (KMU): (1) weniger als 250 Besch~iftigte und (2) Jahresumsatz von h6chstens 40 Mio. Euro oder Jahresbilanzsumme von h6chstens 27 Mio. Euro und (3) nicht 25 % oder mehr des Kapitals oder der Stimmanteile stehen im Besitz von einem oder mehreren Unternehmen gemeinsam, welche die Definition der Kommission nicht erfLillen (Unabh~ingigkeitskriterien). Bei einer BLirgschaftsvergabe an ein Grol~unternehmen ist eine Einzelfall-Notifizierung der Rettungs- bzw. Umstrukturierungsbi3rgschaft bei der Europ~iischen Kommission erforderlich. Bei einer Bi3rgschaftsvergabe an ein KMU ist eine Einzelfall-Notifizierung der Rettungs- bzw. Umstrukturierungsbi3rgschaft nur dann erforderlich, wenn eine oder mehrere der folgenden Bedingungen zutreffen: Verl~ingerung der Rettungsphase Liber sechs Monate hinaus, li wiederholte Gew~ihrung einer Rettungs- und/oder UmstrukturierungsbLirgschaft, Mi Bi3rgschaftsbetrag f6r eine Rettungs- und/oder Umstrukturierungsb6rgschaft inkl. der Kumulation mit anderen 6ffentlichen Finanzierungshilfen von mehr als 10 Mio. Euro, ti vorgesehene Kapazit~itsaufstockung in der Umstrukturierungsphase. F6r eine Einzelfall-Notifizierung sind im Wesentlichen folgende Angaben notwendig:
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1. Anmeldung an die EU-Kommission u. a. mit folgenden Angaben: (1) Begriindung des Beihilfezwecks, (2) Art der Beihilfe, Ri~ckzahlungsmodalit~iten, vorgesehene Laufzeit, (3) M6glichkeiten der Kumulierung mit anderen Beihilfen, 2. Anlagen mit Angaben i~ber das Untemehmen: (1) Rechtsform, Sitz, (2) Gri~ndung, Handelsregistereintragung, (3) Gesellschafter, Gezeichnetes Kapital / Haftkapital, (4) Gesch~iftsfiihrer / Vorstand, Aufsichtsrat / Verwaltungsrat, (5) Gesch~iftsgegenstand, (6) Beteiligungen, (7) letzte Gewinn- und Verlustrechnungen, (8) Liquidit~itsplan fi~r die n~ichsten sechs Monate mit Angabe der aufzunehmen Fremdmittel, (9) Kopie des Darlehensangebotes, Kopie des Entwurfs der Biirgschaft. Die Beihilfe wird als Mitteilung der Bundesregierung an die Kommission der Europ~iischen Gemeinschaften i~ber das Bundesministerium der Finanzen angemeldet.
4
Lan des bU rgschafte n
4.1
Oberblick
Landesbi~rgschaften sind ein traditionelles Instrument der Wirtschaftsf6rderung auf L~inderebene und werden daher von den einzelnen Bundesl~indern auf der Grundlage des jeweiligen Haushaltsgesetzes des Bundeslandes und nach Richtlinien vergeben, verwaltet und bei Inanspruchnahme abgerechnet. I. d. R. werden die Landesbiirgschaften durch die F6rderbanken der einzelnen Bundesl~inder oder erg~inzend durch beauftragte Dritte, die in das Bearbeitungsverfahren einbezogen sind, in enger Abstimmung mit den jeweiligen Ministerien, bearbeitet. Auskiinfte iiber die Anschriften der Investitionsbanken und F6rderinstitute der einzelnen Bundsl~inder k6nnen z. B. i~ber das BUNDESMINISTERIUMFOR WIRTSCHAFTUND ARBEIT(www.bmwa.bund.de) eingeholt werden. Landesbiirgschaften werden direkt zur Verbi~rgung einzelner Forderungen aus Kreditvertr~igen oder als Ri~ckbi~rgschaften zugunsten der Biirgschaftsbanken der einzelnen Bundesl~inder vergeben. Grundlage einer Landesri~ckbiirgschaft ist die Riickbiirgschaftserkl~irung des Bundes. Die Ri~ckbi~rgschaften des Bundes und des Landes werden im Rahmen festgelegter Kontingente wirksam, sofern jeweils bestimmte prozentuale Anteile der einzelnen Ausfallbi~rgschaften als globale Ausfallbi~rgschaften vereinbart werden. Bei ri~ckverbiirgten Ausfallbi~rgschaften steht dem Land bzw. dem Bund oder seiner Beauftragten und dem Bundes- sowie Landesrechnungshof ein Priifungsrecht zu.
1032
Offentliche BiJrgschal:ten- insbesondere LandesbiJrgschaften i~i~!~!i~i~i~i~i~i!i~i~i~!~i!i~i~i!i~i~i~i~i~i~i~!i~i
4.2
LandesbUrgschaften am Beispiel Hessens
4.2.1
Richtlinien fiJr KreditbiJrgschaften und Beteiligungsgarantien und wesentliche Voraussetzungen
Die Richtlinien des Landes Hessen vom 28.08.2001, in die erstmals die neuen beihilfenrechtlichen Regelungen der EU-Kommission Eingang gefunden haben (,De-Minimis", Rettungs- und Umstrukturierungsbiirgschaften, vgl. Kapitel 3.3.1.) gelten bis Ende 2006 (Land Hessen, 2004). Wichtige Vorgaben zur Art und H6he von BCirgschaften/Garantien sind: M! Es muss ein Landesinteresse bestehen, ml Biirgschaften fi.ir Investitionskredite mit B6rgschaftsquote von max. 80 % ab Biirgschaftsobligo i. H. v. 1.000 TEuro, I
Biirgschaften f6r Betriebsmittelkredite mit BCirgschaftsquote i.d.R. 50 % ab Biirgschaftsobligo i. H. v. 1.000 TEuro,
~i Garantien fiir Bietungs-, Anzahlungs-, Lieferungs-/Leistungs-(Vertragserffillungs-) Garantien i. d. R. 50 % ab Garantieobligo i. H. v. 1.000 TEuro, mi bei besonderem volkswirtschaftlichem Interesse sind auch Landesbiirgschaften bis Biirgschaftsobligo von 1.000 TEuro m6glich, @ Garantien und Riickgarantien fi~r Beteiligungen, H BCirgschaften fiir Leasing-Vertr~ige in Ausnahmen; die B6rgschaftsquote betr~igt max. 80 % des Anteiles der ausstehenden Leasingraten, der dem Anteil am Anschaffungspreis des Leasing-Gutes entspricht. Wichtige allgemeine Antragsvoraussetzungen sind: I
Die zu f6rdernde Betriebst~itte muss in Hessen liegen. Der steuerliche Unternehmenssitz soll in Hessen liegen.
M Keine Ubernahme von Biirgschaften fiir zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vergebene Kredite (Ausschluss der Obligoverlagerung); als Zeitpunkt der Antragstellung gilt die erste verbindliche Kontaktaufnahme. m Grunds~itzliche Bereitschaft zur Ubernahme einer selbstschuldnerischen BCirgschaft durch t~itige Gesellschafter/-innen, in zumutbarem Umfang Eigenmitteleinsatz.
1033
Kriszeleit iiiiii U Sicherung der Gesamtfinanzierung und banki~bliche Absicherung des Ausfallrisikos.
4.2.2
Antragsteller/-innen, Bankenvotum
Antragsteller/-innen k6nnen gewerbliche Untemehmen, in gewerblichen Unternehmen t~itige Einzelpersonen oder freiberuflich T~itige sein. Dem Antragsformular liegen die Pri~fraster ,Unternehmen in Schwierigkeiten" und ,,Kleine und Mittlere Unternehmen/KMU" bei, die bei Antragstellung auszuffillen sind. Inhaber und Inhaberinnen, sowie pers6nlich haftende Gesellschafter und Gesellschafterinnen des/der Antragstellers/ in haben ihre privaten Verm6gens- und Schuldenverh~iltnisse often zu legen. Mit der Antragstellung ist eine formgerechte, schriftliche Absichtserkl~irung eines Kreditinstitutes i. S. d. § 1 des Kreditwesengesetzes, einer Versicherungsgesellschaft oder einer Leasinggesellschaft oder ausnahmsweise einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft zur Kreditvergabe einzureichen. Vertragspartner des Landes Hessen k6nnen nur Kreditinstitute nach § 1 KWG, Versicherungsgesellschaften, Leasinggesellschaften und - wenn es das 6ffentliche Interesse erfordert- Kapitalbeteiligungsgesellschaften sein. Bei Antr~igen durch mehrere Banken ist die Obernahme der Poolf~ihrerschaft durch eine Bank die ggi~. dem Land Ansprechpartnerin ist (Treuh~inderbank), angezeigt. Bei Antragstellung ist ein Angebot zur Besicherung der beantragten, zu verbi~rgenden Kredite zu unterbreiten.
4.2.3
Quotale AusfallbUrgschaft
Zu verb~irgende Kredite sind banki~blich zu besichern. Sicherheiten fi~r bereits bestehende Kredite sind zumindest nachrangig zur Besicherung heranzuziehen. Eine Sonderbesicherung des Eigenobligoanteiles der Bank ist nicht zul~issig. Die Bi~rgschaftslaufzeit darf grunds~itzlich 15 Jahre nicht ~iberschreiten, bei Kontokorrentkrediten soll sie auf grunds~itzlich 5 Jahre beschr~inkt werden, wobei die B(/rgschaft unter Beibehaltung des gew~ihrten Kreditrahmens in Stufen zuri~ckgef~ihrt wird. Avalrahmen k6nnen i. d. R. 5 Jahre lang belegt werden und laufen dann mit den Restlaufzeiten aus. Tilgungen werden quotal dem verbi~rgten und nicht verbi~rgten Kreditteil angerechnet. Bei Kreditausfall erfolgt quotale Ausfallerstattung nach Sicherheitenverwertung. Einbezogen werden k6nnen die vertraglichen Zinsen und Avalprovisionen, Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und die notwendigen Auslagen bei der Verwertung des Sicherungsgutes (vgl. Kapitel 4.4.3).
1034
Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften
4.2.4
Kreditvertras, BiJrgschaftsurkunde, BUrgschaftsvertra8
Das Angebot auf Abschluss eines Bi~rgschaftsvertrages ist auf drei Monate nach Zusage zur B6rgschafts6bernahme befristet. Im Zusageschreiben wird auf das Hessische Subventionsgesetz hingewiesen. Mit der Vorlage des Kreditvertrages wird die Ausstellung der Bi~rgschaftsurkunde formal beantragt. Dem Kreditvertrag sind in urkundlicher Form die mit Zusageschreiben mitgeteilten Auflagen und Bedingungen der B~irgschaft sowie die B6rgschaftsrichtlinien als Anlage beizuf~igen. F6r die Wirksamkeit der B~irgschaft bedarf es der schriftlichen Annahmeerkl~irung durch den/die Kreditgeber/in. Auf wesentliche Verschlechterungen der wirtschaftlichen Lage w~ihrend der Bewilligungs- und Beurkundungsphase haben Antragsteller/in und Kreditgeber/in rechtzeitig hinzuweisen. F~ir ,wesentliche Verschlechterungen" der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens gibt es keine quantifizierten Vorgaben. Bezugspunkte sind bei Vorjahres- und Planabweichungen bleibende Ertrags- und LiquiditStsunterdeckungen, die nicht aus eigenen Reserven kompensierbar sind. Das Land wird aus der B6rgschaft frei, sollten die zugesagten Kredite nicht innerhalb von drei Monaten nach Annahme zumindest teilweise in Anspruch genommen sein. Ebenso wird das Land Hessen aus der B~irgschaft frei, sollte der Kreditgeber seiner Sorgfaltspflicht nicht gen~igen.
4.3
KreditbiJrgschaften in Insolvenz- und Vergleichsverfahren
4.3.1
MassekreditbU rgschaften
Die Verb~irgung eines Massekredites (Verwalterdarlehen) als Rettungsb6rgschaft ist ausnahmsweise m6glich, sofern eine positive Fortf~ihrungsprognose absehbar und das Ausfallrisiko begrenzt ist (vgl. Kapitel 3.3.1). Sie pr~ijudiziert nicht die sp~itere Gew~ihrung einer Umstrukturierungsbi~rgschaft. Aus Laufzeit der Rettungsb~irgschaft von h6chstens 6 Monaten und der maximalen Restlaufzeit von 12 Monaten der verb~irgten Kredite nach Auszahlung des letzten Teilbetrages der Kreditsumme ergibt sich eine maximale Gesamtlaufzeit von 18 Monaten, sofern die verb~irgten Kredite in den ersten 6 Monaten abgerufen werden.
1035
Kriszeleit
4.3.2
KreditbiJrgschaften in Vergleichsverfahren
Die Vergabe einer weiteren Landesb~irgschaft bei bereits bestehender Kreditbi~rgschaft des Landes im Rahmen eines Sanierungskonzeptes ist ausgeschlossen. Ausnahmsweise kann nach bereits i./bernommenen Landesbi~rgschaften eine Ausfallerstattung im Rahmen eines gerichtlichen oder aut~ergerichtlichen Vergleiches erfolgen, sofem damit eine grundlegende Neuordnung des Unternehmens verbunden ist. Das der Sanierung zugrunde liegende Konzept muss eine finanzielle Konsolidierung gew~ihrleisten und einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg erwarten lassen.
4.4
Die INVESTITIONSBANKHESSENals Beauftragte des Landes
Die INVESTITIONSBANKHESSEN (IBH) ist im Auftrag des Landes Hessen Ansprechpartnerin fi~r die Beratung der Unternehrnen, Banken und Sparkassen bei Antragstellung, Erarbeitung der Entscheidungsvorlage und Betreuung der Bi~rgschaften und Garantien einschliet~lich einer eventuellen Abwicklung. Sie vermittelt zwischen allen Beteiligten und vertritt die Interessen des Landes Hessen.
4.4.1
Antrassverfahren, GebiJhren
H~iufig muss zi~gig i~ber Kredit- und Bi~rgschaftsvergabe entschieden werden. Ein Gespr~ich aller Beteiligten - das Unternehmen, seine Bank und die Vertreter des Landes einschliet~lich der I B H - kl~iren aufgrund der vorgelegten Informationen, ob und unter welchen Bedingungen eine B~irgschaft grunds~itzlich m6glich ist. Um die Chancen und Risiken des Antrages qualifiziert beurteilen zu k6nnen, erstellt die IBH nach Antragseingang eine detaillierte Entscheidungsvorlage. Der Antrag beinhaltet auch die schriftliche Bereitschaftserkl~irung der Hausbank zur Kreditvergabe (Bankenvoturn). Die Antragsbearbeitung schliet~t i. d. R. eine Firmenbesichtigung ein, um die Vorbereitung des Antrages zur Vorlage beim Bi~rgschaftsausschuss abzuschliet~en. Damit kann der Bi~rgschaftsausschuss i~ber den Antrag beraten und seine Empfehlung aussprechen. Im Bi~rgschaftsausschuss sind die Hessischen Ministerien (Finanzen, Wirtschaft und Soziales), die Banken (Privatbanken, die Landesbank HessenThi~ringen und die Genossenschaftsbanken), die Staatskanzlei, die Regierungspr~isidien sowie die Arbeitsagentur vertreten. Die abschliet~ende Entscheidung trifft der im Bi~rgschaftsverfahren federf~ihrende Finanzminister in Abstimmung mit dem Wirtschaftsminister. Danach erhalten der Antragsteller und die Bank schriftliche Nachricht. Bei Bewilligung ergibt sich der weitere Ablauf aus 4.2.4 ,Kreditvertrag, B~irgschafts-
1036
Offentliche Bi~rgscheften- insbesondere Landesbiirgscheften
urkunde, BCirgschaftsvertrag". Abbildung 4-1 verdeutlicht den Ablauf eines Biirgschaftsverfahrens.
Abbildung 4-1" ~IbersichtBidrgschaftsverfahren i:.i ~i~iZii~!i~Z:~!~i~Z.~i~:~::i~.~i~C~L~Z~Z~ii~Z~!~Z~!~Z~Z~
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1 Voranfrage
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3
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12. B a r g s c h a f f s u ~ u n d e
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121pr~fungRealisie~ba~ei t (IBHi ggf. Ministenen)
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13. Engagementbetreuung
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11. K r e d i N e r t r ~ g e
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i 10. Schriftlicher Bescheid dutch IBH .,.~
4i Antragste!!ung bei IBH ~-, (HausbanK Unternehmen)........
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9. Entscheidung Minister ................................................................~ : ~
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5. Antragbearbeitung durch die IBH .................. ~
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8. B0rgschaffsausschuss: Empfehlung
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............................ 6i Beratungsgespr~ich II vorO~ ..............., ~ 7. Entscheidungsvodage durch die IBH !.... !" ~.... (AntragSteller, Hausbank, ~- ..................... fQr den B0rgschaffsausschuss i ................... Ministerien, IBH) . .....................................................................................................................................................................
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Die BearbeitungsgebLihren belaufen sich auf 0,5 % des beantragten (f~illig bei Antragstellung) und auf 0,5 % des bewilligten BLirgschaftsbetrages (f~illig nach Bewilligung). Insgesamt sind die Bearbeitungsgebiihren auf 60 TEuro begrenzt.
4.4.2
BUrgschaftsbetreuun8, GebUhren
Nach Abschluss des Bi.irgschaftsvertrages wird der weitere Verlauf der Bi.irgschaft Ciberwacht. Die AuskLinfte erteilt die Hausbank oder bei mehreren Kreditinstituten die Poolfi~hrerin in vorgegebener Form. Die wichtigsten Vorgaben betreffen t
laufende Berichterstattung zum 30.06. und 31.12. eine Kalenderjahres,
I
sofortige Berichterstattung bei Eintreten bedeutsamer Umst~inde (z. B. Liquidit~itsprobleme), die zu einer Belastung fiir das Land Hessen fiihren k6nnen (Ausfallgefahr),
1037
Kriszeleit
m vorherige Zustimmung zu Anderungen des Kreditvertrages, zu Stundungen und Aussetzungen der im Kreditvertrages vereinbarten Zins- und Tilgungsraten, Z Beibehaltung des Standortes der Betriebsst~itte in Hessen. Die laufende Verwaltungsgebfihr betr~igt 1,0 % des Bfirgschaftsbetrages, die erstmals mit der Obersendung der Bfirgschaftsurkunde in H6he von je 1/12 des Jahresbetrages ffir den angefangenen und die folgenden Monate bis zum Ende des Kalenderjahres f~illig wird.
4.4.3
Inanspruchnahme aus einer BiJrgschaft und Abwicklung
Der Ausfall gilt dem Grunde nach als festgestel]t, wenn und soweit die Zahlungsunf~ihigkeit durch Zah]ungseinstellung, Er6ffnung des Insolvenzverfahrens, durch fruchtlose Pf~indung oder in sonstiger einwandfreier Weise feststeht und nennenswerte Eing~inge aus bestehenden Sicherheiten in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten sind, sowie bei Zustimmung des Landes zu einem auflergerichtlichen Vergleich. ]st der Ausfall nach Abschluss des Verwertungsverfahrens ffir die Sicherheiten nachgewiesen, kann der Eintritt in die Landesbfirgschaft durch Ausfa]]zah]ung ver]angt werden. Je nach Einze]fa]] kann schon vor Absch]uss des Verwertungsverfahrens zur Vermeidung weiterer Zinsen und Kosten eine angemessene Abschlagszahlung geleistet werden. Oberziehungs- und Umsatzprovisionen, Verzugs-, Straf- und Zinseszinsen, Zinserh6hungen sowie sonstige Nebenkosten sind nicht in die Leistungspflicht einbezogen. Ab Eintritt des Verzugs oder ab Kreditkfindigung ist der in die Bfirgschaft einbezogene Zinssatz auf den jeweiligen Basiszinssatz zzgl. 3 % und auf einen Zeitraum von 18 Monaten begrenzt.
4.5
Bedeutun8 der LandesbUrgschaften fur die Wirtschaft und den Haushalt Hessens
Durchschnittlich werden j~ihrlich 40 Bfirgschaften ffir Kredite fiber 200 Mio. Euro mit einem Bfirgschaftsvolumen von 150 Mio. Euro bewilligt. Die Spannweite verbfirgter Kredite reicht von 250 TEuro bis zu 40 Mio. Euro im Einzelfall und liegt am h~iufigsten zwischen 750 TEuro und 5 Mio. Euro. Die Bestandssumme aller Landesbfirgschaften und -garantien belief sich Ende 2004 auf 511 Mio. Euro, verteilt auf fiber 2.350 Engagements. Damit wurde die Sicherung bzw. Neuschaffung von fiber 8.100 Arbeitspl~itzen erm6glicht.
1038
Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften •!•!ii!ii!!•!•!•!•i!••i!•i•!•!•!•i•i!i!•!•i•i!i•!i!•!•••!!i•!•!••!ii•!•!•i!!i•!ii•!i i!iiiill,~!!!!i!!:~!~!i!~i!ii!~! ii!iiii~ i!~i! ~!i!i!i!i ~¸¸¸!~!~!!!!! !!i!!~i~!ii!!!!i !i!iiii!iiiii~iii Die Gesamthaushaltserm/ichtigung des Landes Hessen fiir Biirgschaften und Garantien bel~iuft sich derzeit auf 250 Mio. Euro p. a..
5
Praxisbeispiele fiJr KreditAusfallbiJrgschaften des Landes Hessen
5.1
Beispiel 1: Restrukturierung einer Kapitalgesellschaft
Ein gut eingefiihrtes, traditionsreiches Familienunternehmen wird von einem branchenweiten Nachfrager/ickgang/iberrascht. Bisher haben kontinuierliche Umsatzerh6hungen aufgrund der innovativen Produktentwicklungen und Sortimentserweiterungen bei guter Ertragslage eine problemlose Unternehmensentwicklung erm6glicht. Es entsprach der bisherigen Untemehmenspolitik, den erwirtschafteten, freien CashFlow in innovative Fertigungstechnologien und Ausbau der Marktstellung durch Zuk/iufe, teilweise von Mitwettbewerbern, zu investieren. Das Unternehmen konnte sich hierdurch in bestimmten Produktsegmenten als Marktffihrer etablieren. Eine relativ geringe Vorwarnzeit bei r/ickl/iufigen Auftragseing/ingen reichte nicht aus, um bei sich dann einstellendem, unerwartet hohem Nachfrageeinbruch alle geeigneten Mat~nahmen rechtzeitig zu ergreifen. Zusammen mit einer externen Unternehmensberatung wurde eine Schwachstellenanalyse und ein Fortf/ihrungskonzept erstellt. Dabei stellte sich heraus, dass neben der erforderlichen Kapazit/itsreduzierung deutlich zu hohe Gemeinkosten insbesondere im Vertriebs- und im Fertigungsbereich, eine zu geringe Produktivit/it und eine zu hohe Produkt-Variantenvielfalt zu den erheblichen Verlusten beigetragen haben. Aufgrund der langj/ihrigen Zusammenarbeit und der positiven Fortbestehensprognose waren die Hausbanken bereit, den fiir die Finanzierung der Restrukturierung erforderlichen Neukredit zur Verfiigung zu stellen. Die vorhandenen Sicherheiten waren jedoch hierffir nicht mehr ausreichend. Mit Hilfe einer Landesbiirgschaft konnte ein Beitrag zur Uberbr/ickung des Zeitbedarfs zur Anpassung an die neuen Marktbedingungen fiir ein Unternehmen als regional bedeutender Arbeitgeber geleistet werden.
1039
Kriszeleit i~i~i~!~!!~ii!!ii!i!~!~i!!~iii!i~ii!iiiiiiii~~iii~i~i~iiiiiiiii~iiii~iiii?
5.2
Beispiel 2: Auffanggesellschaft aus einer Insolvenz
Ein Untemehmen ist langj~ihrig gut im Weltmarkt des Grot~anlagenbaus eingefi/hrt. Als Tochtergesellschaft eines weltweit t~itigen Konzems besteht neben der steuerlichen Organschaft die Verpflichtung, am konzemweiten Cash-Pool teilzunehmen. Daher fi~hrt das Unternehmen s~imtliche, erhebliche Bankguthaben u. a. aus Anzahlungen fi~r Projekte, ungesichert auf Konten der Obergesellschaft. Als Folge des Insolvenzantrages der Obergesellschaft stellt das Konzernuntemehmen wegen 0berschuldung und nach F~illigstellung der Avalkredite auch wegen Zahlungsunf~ihigkeit Insolvenzantrag. Mit dem Insolvenzverwalter gelingt es aufgrund der guten Auftragslage ein Fortfi~rungskonzept zu erarbeiten und die Hausbanken zur Aufrechterhaltung der Kreditlinien zu bewegen. Damit ist die weitere Auftragsaus~hrung gesichert. Dem Insolvenzverwalter gelingt es, einen industriellen Investor mr den Erwerb des betriebswirtschaftlich gesunden Unternehmens zu finden. Mit der Landesbi~rgschaft kann ein Beitrag zur Umsetzung der Auffangl6sung/0bemahme und zur Erhaltung einer gr6t~eren Anzahl von Arbeitspl~itzen in einer Region geleistet werden, die eine i~berdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit aufweist.
6
Exkurs: BiJrgschaften der BORGSCHAFTSBANKHESSENGMBH
Die BURGSCHAFTSBANKHESSENGMBH i./bernimmt Ausfallbi~rgschaften fi~r Kredite von Kreditinstituten, Bausparkassen und Versicherungsunternehmen mr kleine und mittlere Untemehmen der gewerblichen Wirtschaft, des Gartenbaus und fi~r Angeh6rige Freier Berufe in Hessen, wenn bankm~it~ige Sicherheiten nicht in ausreichendem Matte zur Verfi~gung stehen. Die BURGSCHAFTSBANKHESSEN GMBH (BBH) vergibt daneben Ausfallbi~rgschaften fi~r Leasing-Vertr~ige von Leasing-Gesellschaften und garantiert Beteiligungen fi~r hessische Unternehmen. Grundlage der Gesch~iftst~itigkeit sind die Ri~ckbi~rgschafts- und Ri~ckgarantieerkl~irungen des Landes Hessen und des Bundes (vgl. Kapitel 4.1). Die maximale Bi~rgschaftsverpflichtung zugunsten eines Kredit- oder Leasingnehmers betr~igt 1 Mio. Euro. In diesem Rahmen sind mehrere B~irgschaften mr eine Kreditnehmereinheit nach KWG zul~issig. B~irgschaftsverpflichtungen von mehr als 750 TEuro sowie die Aufstockung bestehender Bi~rgschaftsverpflichtungen, die zu einer 0berschreitung des Betrages von 750 TEuro f6hren, di~rfen ausschliet~lich nach der De-Minimis-Regelung eingegangen werden. 1040
Offentliche BiJrgschaften- insbesondere LandesbiJrgschaften
Die Laufzeit der Ausfallbiirgschaft darf 15 Jahre nicht Liberschreiten. Bei zu verbLirgenden Programmkrediten der 6ffentlichen Hand mit 1/ingerer Laufzeit kann davon abgewichen werden. Bei Kontokorrentkrediten und Avalrahmen muss die RLickfLihrung des BLirgschaftsobligos durch regelm~it~ige Verringerung vereinbart sein. Die AusfallbLirgschaften sind I-I6chstbetragsbiirgschaften: iiber den Kreditbetrag hinausgehende, auflaufende Zinsen sind nicht verbLirgt. Nach Ausfall werden Zinsen nur fLir 18 Monate einbezogen. Das Programmangebot der BBH wurde seit 01.03.2004 um ,,Biirgschaft ohne Bank (BOB)" erweitert. Damit soll GrLinderinnen und GrLindern entgegengekommen werden, die bisher aufgrund strengerer aufsichtsrechtlicher Vorgaben durch Kreditinstitute keine Bank fLir ihr Unternehmenskonzept gefunden haben. Die BBH prLift das Finanzierungsvorhaben und gibt bei Erfolg eine verbindliche Zusage, eine BLirgschaft bis zu 80 % der Kredite zu stellen. Damit verbessern sich die Erfolgsaussichten bei Kreditverhandlungen fLir die geprLifte Gesch/iftsidee. Das Programm ,,BOB" gilt fLir Bankkredite zwischen 50 TEuro bis max. 300 TEuro. Als ExistenzgrLinder gilt auch, wer sich erstmals als Gesellschafter an einem Unternehmen beteiligt oder einen bestehenden Betrieb kauft, sowie Franchisenehmer.
1041
Kriszeleit
LWOWSKI,HANS-JORGEN(1986): Das Recht der Kreditsicherheiten, Berlin 1986. PALANDT, OTI'O (2002): Btirgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Miinchen 2002. WEIDANZ, BIRGIT (2003): Auswirkungen der Basel I I - Vorschl/ige auf das Kreditgesch/ift von F6rderbanken, 2003 LAND HESSEN (2004): Richtlinien fiir die Ubemahme von Biirgschaften und Garantien durch das Land Hessen fiir die gewerbliche Wirtschaft vom 28. August 2001, ver6ffentlicht im StAnz. vom 10. 9.2001, S. 3307 ff., Anderung (Teil C Abschnitt I) vom 21.9.2001, ver6ffentlicht im StAnz. vom 15.10.2001, S. 3627 sowie Anderung (Teil A Allgemeine Verfahrensregelungen) vom 18.12.2003, ver6ffentlicht im StAnz. vom 12.1.2004, S. 209 ff.). BUNDESMINISTERIUMFOR WIRTSCHAFTUND ARBEIT (2005): Wirtschaftliche F6rderung Hilfen fiir Investitionen und Arbeitspl~itze, Bundesministerium fi.ir Wirtschaft und Arbeit, 11019 Berlin. BUNDESAMT FOR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG (2004): Dreiunddreif~igster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe ,Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA) f/ir den Zeitraum 2004 bis 2007. http://www.bbr.bund.de/index.html?/raumordnung/strukturpolitik_finanzen/gemeinschaftsaufgabe.htm.
1042
Teil 6: Leis tungswirts chaftli che Sanierung
1
M a n a g e m e n t S u m m a r y ............................................................................................... 1047 E n t w i c k l u n g der HERLITZ A G ..................................................................................... 1048 2.1
Ein Grot~h~indler w i r d z u m K o n z e r n u n t e r n e h m e n ....................................... 1048
2.2
E x p a n s i o n in die Krise ....................................................................................... 1049
Gesch~iftssysteme in U n t e r n e h m e n s k r i s e n ............................................................... 1051 3.1
Von der Gesch~iftsidee z u m GeschSftssystem ................................................. 1051
3.2
Differenzierung v o n K r i s e n u r s a c h e n ............................................................... 1053
3.3
B e w e r t u n g der Fortf~hrungsfShigkeit ............................................................. 1055
HERLITZ in der R e s t r u k t u r i e r u n g ............................................................................... 1057 4.1
BewSltigung indirekter K r i s e n u r s a c h e n .......................................................... 1057
4.2
S y s t e m r e v i s i o n im KerngeschSft ...................................................................... 1059
4.3
R e s t r u k t u r i e r u n g des GeschSftssystems .......................................................... 1061
N e u a u s r i c h t u n g des Gesch~iftssystems u n d Ausblick ............................................ 1063 5.1 U m s e t z u n g der 2-SSulen-Strategie ................................................................... 1063 5.2 R e s t r u k t u r i e r u n g im I n s o l v e n z p l a n v e r f a h r e n ................................................ 1066 5.3
Ausblick n a c h e r f o l g r e i c h e m A b s c h l u s s des I n s o l v e n z p l a n v e r f a h r e n s ...... 1069
1045
Restrukturierung und Neueusrichtung yon Gesch~ftssystemen
Management Summary Unternehmen in Krisensituationen unterliegen regelm~it~ig einem grot~en Handlungsdruck. Kurzfristige Ursachenanalysen und Sofortmat~nahmen zur Absicherung der 0berlebensf~ihigkeit stehen deshalb im Vordergrund jeder Restrukturierung. Die pr~izise Bestimmung des Krisenherds ist jedoch meist durch eine Vielzahl verschiedener und korrespondierender Krisenursachen erschwert. Nach g~ingiger Literaturauffassung und praktischer Restrukturierungserfahrung haben die meisten Krisen einen strategischen Ursprung. Diese direkten Krisenursachen entstehen im Gesch~iftssystem und reichen vonder Beeintr~ichtigung dessen Funktionalit~it bis zur Zerst6rung seiner Erfolgsfaktoren. Eine RL/ckkehr zum Kerngesch~ift setzt deshalb zwingend die FortfLihrungsf~ihigkeit des Gesch~iftssystems voraus. Gesch~iftssysteme werden immer komplexer und verlaufen in immer kL/rzeren Lebenszyklen. Notwendig sind deshalb eine strategische Steuerung und Kontrollsysteme zur Krisenfri3herkennung. Besonders die Marktad~iquanz sollte regelm~it~ig im Markt- und Wettbewerbsvergleich ~iberpri~ft werden. Im Restrukturierungsfall konzentriert sich eine Systemrevision auf die Beurteilung des Mehrwertes aus der spezifischen Konfiguration der Erfolgsfaktoren und die Bewertung der Systemfunktionalit~it. Im positiven Fortfi~hrungsfall wird ein Konzept zur Restrukturierung und Neuausrichtung des Gesch~iftssystems entwickelt. Es bildet den Kern der Unternehmensrestrukturierung, die i. d. R. noch eine Vielzahl weiterer operativer Restrukturierungsmat~nahmen beinhaltet. HERLITZist ein typisches Beispiel f~ir ein langj~ihrig erfolgreiches Gesch~iftssystem, das durch gesch~iftsfremde Aktivit~iten und unzureichende Betreuung zunehmend in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die multiple Diversifikation des Unternehmens verlief Liberwiegend erfolglos und fLihrte zu entsprechenden Wertberichtigungen. Neue Gesch~iftsaktivit~iten sollten die Umsatzverluste aus notwendig gewordenen Desinvestments kompensieren. Anstatt das Gesch~iftssystem zu restrukturieren und das Unternehmen anzupassen, verblieb man im Spannungsfeld zwischen Krisenverdr~ingung und Krisenbew~iltigung. Im Rahmen der anschliet~enden Restrukturierung des Unternehmens wurde eine umfassende Systemrevision durchgefi~hrt. Es stellte sich heraus, dass ursprLingliche Werttreiber in Folge rL/ckl~iufiger Ums~itze und Margen zu Krisenursachen wurden. Die systemimmanente, starre Kombination von Leistungsfaktoren war nicht mehr marktad~iquat und verlor ihren Mehrwert, oder der Mehrwert wurde von Kunden nicht mehr bezahlt. Indirekte Krisenursachen, wie die steigende Fremdverschuldung, verst~irkten den Krisenverlauf. Zielsetzungen zur Restrukturierung des Gesch~iftssystems waren deshalb die Entflechtung der Wertsch6pfung und Neukonfiguration der Erfolgsfaktoren sowie die Entkoppelung des operativen Gesch~ifts von der Altverschuldung aus Fehlinvestitionen. HERLITZhat als erste, gr6t~ere, b6rsennotierte Aktiengesellschaft das neue Insolvenzplanverfahren erfolgreich durchlaufen. Erfolgsfaktoren dafLir waren eine fortgeschrittene Restrukturierung, die laufende Neuausrichtung des Gesch~iftssystems und die enge Zusammenarbeit zwischen Insolvenzverwalter und Management. Das gerichtliche Verfahren beschleunigte die laufenden Prozesse 1047
Strecker
und ermfglichte die Oberwindung von Umsetzungsbarrieren. Negative Insolvenzeffekte konnten fiberwiegend vermieden werden und ein wesentlicher Teil der insolvenzbedingten Entlastungseffekte wirkt dauerhaft. Das Unternehmen behauptet sich erfolgreich im schwierigen Markt und erzielt positive Ergebnisse. Die Neuausrichtung des GeschMtssystems im Rahmen der 2-S~iulen-Strategie ist zwischenzeitlich abgeschlossen und bew/ihrt sich im Wettbewerb.
2
Entwicklung der HERLITZAG
2.1
Ein Grol h indler wird zum Konzernunternehmen
1904 wurde HERLITZ als Papier- und Schreibwarengrot~handlung von CARL HERLITZ gegrfindet. Das Unternehmen behauptete sich gegen den etablierten Wettbewerb und fiberstand erfolgreich die Weltwirtschaftskrise. Anschliet~end fibernahm Sohn GONTER HERLITZ den im Krieg zerst6rten GeschMtsbetrieb und fing 1945 in neuen GeschMtsr~iumen in Berlin-Charlottenburg erneut an. Nach mehreren Anl/iufen entwickelte sich HERLITZ auch fiber die Grenzen der geteilten Stadt Berlin hinaus und wurde zu einer der bedeutendsten deutschen Grot~handlungen. Im Jahr 1953 folgte dann die Aufnahme der Produktion von Papierprodukten. Mit seinen Schulheften, Zeichen- und Briefbl6cken wurde HERLITZin kurzer Zeit popular. St~indige Sortimentserweiterungen und flexible Anpassungen an Trends und Marktanforderungen verhalfen zur erfolgreichen Expansion in den Bfirobedarf. HERLITZ entwickelte sich damit zum Vollsortimenter und baute 1967 seine Kapazit~iten auf einem gr6t~eren Produktionsgel~inde in Berlin aus. 1972 folgte die Umwandlung des Einzelunternehmens in eine Aktiengesellschaft. Um den finanziellen Spielraum ffir die weitere Expansion sicherzustellen, ging HERLITZ 1977 an die B6rse. Anfang der 80er Jahre erzielte das Unternehmen einen Umsatz von etwa 170 Mio. Euro. Die Entwicklung des deutschen Lebensmitteleinzelhandels beeinflusste seit Anfang der 70er Jahre auch zunehmend die non food-Sortimente. Traditionell wurden PBS-Artikel ffir den privaten Verbraucher fiber Facheinzelh~indler vertrieben, die ihren Bedarf beim Grot~handel, fiber Genossenschaften oder die Hersteller direkt deckten. Mit der steigenden Distribution und F1/ichenentwicklung von Selbstbedienungsm/irkten (SB) er6ffneten sich auch in diesen Vertriebswegen wachsende Absatzchancen ffir PBS-Sortimente. Private Endverbraucher kombinierten ihre t/igliche Besorgung von Lebensmitteln zeitsparend mit dem Kauf von PBS-Artikeln. Weil sich dort Bruttospannen von 40 % bis 50 % realisieren liet~en, waren diese Rand-
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Restrukturierung und Neuausrichtung yon Gesch~ftssystemen
sortimente auch f6r Superm~irkte, Verbraucherm~irkte und SB-Warenh~iuser attraktiv. Allerdings erschwerten die unzureichende Sortimentskompetenz, eine aufw~indige Bewirtschaftung der Verkaufsfl~ichen, der vergleichbar geringere Lagerumschlag und nicht zuletzt die hohe Artikelkomplexit~it den eigenst~indigen Markteintritt. HERLITZ erkannte in diesem spezifischen Betreuungsbedarf seine GeschMtschancen und baute ein integriertes Sortimentsplanungs-/und Warenbewirtschaftungskonzept ftir die SBVertriebswege auf. Als PBS-Probleml6ser mit der Zielsetzung ,,alles aus einer Hand und in optimaler Verftigbarkeit" setzte HERLITZ seine GeschMtsidee in einem einmaligen, innovativen GeschMtssystem um. Der Handel nahm die umfassende Systemleistung sehr schnell an und akzeptierte daftir einen Kalkulationsaufschlag von etwa 10 %. In wenigen Jahren bewirtschaftete HERLITZmit seinem GeschMtssystem mehr als 9.000 Verkaufsstellen und erreichte eine hervorragende Marktakzeptanz. Die Wettbewerbsvorteile durch die Systemkompetenz, ein umfassendes PBS-Sortiment mit bis zu 20.000 Artikeln, aber auch die bewusste SB-Abstinenz namhafter PBSMarkenhersteller verhalfen zu einer herausragenden Position im Lebensmitteleinzelhandel. Damit war die Ausgangsbasis ftir das starke Unternehmenswachstum bis in die Mitte der 90er Jahre geschaffen. Das HERLITZ-GeschMtssystem gilt seither als ,,State of the Art".
2.2
Expansion in die Krise
Mit dem starken Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel waren allerdings auch starke Abschmelzungen ftir HERLITZ im traditionellen FachhandelsgeschMt verbunden. Verst~irkt wurde diese Entwicklung noch durch die vertikale Integration in den Facheinzelhandel mit dem Aufbau der Fachmarkt-Filialkette MCPAPER & CO. Zur Kompensation des GeschMtsrt/ckganges im Fachhandel wurde ab Mitte der 80er Jahre eine Reihe von Wettbewerbern tibernommen, um durch deren Fachhandelszugang den Umsatz wieder zurtickzugewinnen. Parallel zum anhaltenden Ausbau der Eigenfertigung erfolgte eine Intensivierung des Zukaufs von Handelswaren. Anfangs nur zur Arrondierung der eigenen Sortimente vorgesehen, weitete sich der Fremdbezug sp~iter auf ganze Sortimentsbausteine aus. Mit seinen Sortimenten in den Bereichen Schule und Btiro (PBS) sowie Schenken und Schmticken (Papeterie) erreichte das HERLITZGeschMt eine extreme Komplexit~it. Diese Entwicklung wurde durch die Zusatzums~itze aus der Wiedervereinigung und die Markt6ffnung in Mittel-Osteuropa noch verst~irkt. Infolgedessen entschloss man sich zu weitreichenden Investitionen in Logistik-Kapazit~iten und EDV-Systeme. Neben der Entwicklung zum Komplettanbieter von Produkt- und Dienstleistung sowie dem Eintritt in den filialisierten Fachhandel vollzog HERLITZ in mehreren Phasen eine geografische Expansion. Nach intensiven Exportaktivit~iten Mitte der 70er Jahre in den mittleren Osten versuchte man Anfang der 80er Jahre mit Hilfe einer Firmentibernahme den Eintritt in den amerikanischen Markt. Von etwa 15 % Prozent Ende der 70er Jahre stieg der Auslandsanteil bis 1985
1049
Strecker ii•!ii•i!•i!•i•i!•i!i!ii!i•!!•!ii•i!i!i•i•!••i•!i!i!i!ii!i auf bis zu 40 %. Das USA-Engagement schlug allerdings schon nach kurzer Zeit fehl und wurde komplett eingestellt. Im Anschluss verlagerten sich die Aktivit/iten auf den Aufbau mehrerer Landesgesellschaften in Westeuropa. V. a. die Ubernahme von Wettbewerbern in Frankreich und deren Integration erwies sich von Beginn an als Problem. Erfolgreicher verlief der Markteintritt in Mittel- und Osteuropa nach Offnung der M~irkte. Das friihzeitige Engagement wurde durch ,,Huckepackentscheidungen" des deutschen Lebensmitteleinzelhandels unterstiitzt. Somit gelang der schrittweise, systematische Aufbau des HERLITZ-Gesch/iftssystems in den Pionierm/irkten, w~ihrend sich in der Gesch~iftsentwicklung in Westeuropa und v. a. in Frankreich zunehmend Risiken aufbauten.
Abbildung 2-1:
Multiple Diversifikation
..............................................................................................................................
• ................................................................................................................................................................................................................
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Eintritt in die Einzelhandelsstufe mit Mc PaperAG ~ ~
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Geografische Expansiondurch Obernahmenund eigeneAktivit~ten
Investitionen in Spezialimmobilien 7 f(~reigenen Logistikbedarf
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Investition in Gewerbe- und Wohnimmobilien
Sortimentserweiterung mit Handelswaren
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Eintritt in Produktion durch 0bernahmen und eigene Wertsch5pfung
Neben der geografischen Expansion im angestammten Gesch/ift engagierte sich HERLITZ Anfang der 90er Jahre verst/irkt in der Entwicklung neuer Gesch~iftsfelder. Die Aktivit/iten reichten vom internationalen Papiergrot~handel und der Papierproduktion bis zum Immobilien- und Bautr~igergesch~ift. Der hohe Kapitalbedarf wurde dabei ebenso untersch/itzt wie die dafiir erforderliche Kompetenz. Managementfehler und ver/inderte Marktbedingungen fiihrten deshalb rasch in die Krise. Alleine das Russland-Engagement und die Berliner Immobilienspekulationen verursachten Verluste von iiber 150 Mio. Euro, die sich v. a. in den Bilanzen von 1997 und
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Restrukturierung und Neuausrichtung von Gesch~ftssystemen
~ i~ i~ i~ i~ i~ i!i~~ i!i~!~!~ i!i~!~~ i~ i!~ i!i~~ i~ i!~® i 1998 niederschlugen. Die multiple Diversifikation entwickelte sich damit zum zentralen Krisenherd, der eine immer h6here, progressiv wachsende Fremdverschuldung zur Folge hatte. Dem Wiedervereinigungsboom in Deutschland folgte die Stagnation. Ungel6ste strategische Probleme und anhaltende Verluste in mehreren westeurop~iischen Tochtergesellschaften belasteten weiterhin das Unternehmen. Eine zus~itzliche, exogene Krisenverst~irkung entstand aus der Ver~inderung der politischen Rahmenbedingungen im Berliner Wirtschaftsraum. In Folge der Wiedervereinigung entfiel zwischen 1992 und 1993 schrittweise das Berlin F6rderungsgesetz. Bei einem Wertsch6pfungsanteil von etwa 60 % nahm HERLITZmit der 11%-Zulage j~ihrlich zwischen 15 und 25 Mio. Euro ein. Hinzu kamen eine Investitionszulage zwischen 10 % und 25 % auf bewegliche Wirtschaftsg(iter und etwa 10 % auf unbewegliche Wirtschaftsg~iter sowie eine Vergi~tung fi~r die HF~RLITZ-Kundenvon etwa 4 % auf den Umsatz mit HERLITZ.Die i~bliche Arbeitnehmerzulage von 8 % auf den Bruttolohn fi~hrte dari~ber hinaus zu vergleichsweise geringeren durchschnittlichen Geh~iltern der Besch~iftigten in Berlin. Das Wegfallen der subventionierten Standortbedingungen sowie der Ergebnisbeitr~ige aus F6rdermitteln konnte marktseitig nicht kompensiert werden. Anstatt das Gesch~iftssystem zu restrukturieren und die Organisation zu redimensionieren, versuchte man durch Umsatzsteigerungsprogramme und Sortimentsausweitung die Auslastung der Immobilien und der i~berdimensionierten Organisation wieder herzustellen. Dadurch verzettelte sich das Unternehmen immer mehr im Spannungsfeld zwischen Krisenverdr~ingung und Krisenbew~iltigung.
3
Gesch iftssysteme in Unternehmenskrisen
3.1
Von der Gesch iftsidee zum Gesch iftssystem
Unternehmerische T~itigkeiten beginnen i. d. R. mit einer Gesch~iftsidee. Deren Strukturierung erfolgt zumeist in einem Gesch~iftskonzept, h~iufig auch als Gesch~iftsmodell bezeichnet. Durch spezifische Konfiguration der Erfolgsfaktoren werden eine Alleinstellung oder zumindest nachhaltige Wettbewerbsvorteile angestrebt. Die Operationalisierung des Gesch~iftskonzeptes bildet das Gesch~iftssystem. In der Anfangsphase einer Gesch~iftst~itigkeit orientieren sich die Funktionen von Gesch~iftssystemen noch ~iberwiegend an einzelnen, zentralen Erfolgsfaktoren des Gesch~iftskonzepts. Im Ver-
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Strecker
lauf des Wachstumsprozesses nimmt jedoch die Komplexit~it dieser Faktorkombination zu und bedarf der strategischen Strukturierung. ,Der Kern der Strategie manifestiert sich in der Ffihigkeit, Beziehungen zu den besten Kunden, Partnern und Mitarbeitern zum Zwecke i~berlegener kundenbezogener Wertsch~pfung aufzubauen und zu managen." (Zahn/ Foschiani, 2000, S. 17) Neue Gesch~iftskonzepte basieren auf der Entwicklung eines neuen Produktes, Verfahrens oder einer Leistung, mit der sich neue M~irkte erschliet~en oder vorhandene M~irkte substituieren lassen. In der Vergangenheit haben v. a. Inventionen bei Wirkstoffen, Technologien oder Verfahren bedeutende Wettbewerbsvorteile geschaffen und M~irkte revolutioniert. Die Wirksamkeit von Pr~iparaten, Geschwindigkeit von Prozessoren und Leistungsf~ihigkeit von Kommunikationsmitteln ist von Innovationsspri~ngen bestimmt, die sich in immer ki~rzeren Zeitr~iumen vollziehen. Ubiquit~ire Informations- und Kommunikationsquellen schaffen dafi~r die notwendigen Rahmenbedingungen. Mitte der 60er Jahre vollzog sich die Verbreitung einer Schrittmachertechnologie wie dem Farbfernsehen noch i~ber Jahrzehnte. Heute geni~gen nur noch wenige Jahre zur globalen Marktein~hrung von Mobiltelefonen oder Navigationssystemen. Die kiirzeren Lebenszyklen geben Untemehmen aber auch immer weniger Zeit, eine wirtschaftlich hinreichende Marktposition zu erreichen. Eine besonders hohe Bedeutung erlangt die Funktionalit~it eines Gesch~iftssystems bei vergleichbar geringer Innovationskraft einzelner Erfolgsfaktoren. In diesem Fall entsteht der Mehrwert v. a. durch die spezifische Faktorkombination und deren optimaler Funktionalit~it in der Wertsch6pfungskette. Typische Beispiele dafiir sind erfolgreiche, innovative Gesch~iftssysteme von Unternehmen wie DELL,APPLE,BENETTONund IKEA. Alle vorstehenden Anbieter und deren Marken stehen ausnahmslos f6r exzellente Produktleistungen. Das wesentliche Alleinstellungsmerkmal liegt allerdings in der optimalen Kombination der marktrelevanten Erfolgsfaktoren. Hohe Warenverfi~gbarkeit durch ein ausgekli~geltes Produktions- und Logistiksystem wird durch zielgruppenspezifische Sortimentskonzepte sowie ausgefeilte Qualit~its- und Kundenbindungsprogramme erg~_nzt. Differenzierung, funktionale Vernetzung und kontinuierliche Verbesserungsprozesse machen solche Gesch~iftssysteme komplex und steuerungsbediirftig. Der Erfolg eines Gesch~iftskonzepts verteilt sich damit nahezu gleichgewichtig auf die Qualit~it der Gesch~iftsidee wie die Leistungsf~ihigkeit seines Gesch~iftssystems. ,Das alte Prinzip, bei dem es um eine grundlegende Verbesserung der Produktivit~it 6ber Arbeitsteilung und Spezialisierung ging, hat seinen Dienst seit nahezu 200 Jahren getan." ,,Bei dem neuen Prinzip, das sich an der Zeit orientiert, wird die Organisation als dynamisches, nichtlineares System gesehen. Die Verbindungen sind genauso wichtig wie die Schnittstellen." (Istvan, 1993, S. 389 f.) Grundbedingungen fiir ein leistungsf~ihiges Gesch~iftssystem sind eine lernf~ihige Organisation, funktionsi~bergreifende Innovationsorientierung und Prozesseffizienz. Nur optimal funktionierende Gesch~iftssysteme k6nnen im Zeitwettbewerb bestehen und dari~ber hinaus ihre Markteinfiihrungskosten im Wettbewerbsvergleich 6berpro-
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Restrukturierun9 und Neuausrichtung yon Gesch~ftssystemen
portional senken. In diesen GeschMtssystemen wird das Leistungsportfolio regelm~it~ig bewertet und die Systemwertsch6pfung kontinuierlich fiberprfift. ,,Bei allen Systemen besteht die Gefahr, dass sie zur Routine werden und daher die wichtigen Verdnderungen nicht erkennen, geschweige d e n n - schwache Signale- wahrnehmen." (Lochridge, 1993, S. 242). Ein strategisch ausgerichtetes, dynamisches System antizipiert Risiken und reagiert proaktiv auf interne Diskontinuit~iten und externe Ver~inderungen. Nur durch schnelle, flexible Anpassungen und Anschlussinnovationen lassen sich GeschMtssysteme gegen me-too-Anbieter und konkurrierende Systeme verteidigen. Der Anpassungsbedarf reicht dabei von der Restrukturierung einzelner Systemfunktionen bis zur vollkommen neuen strategischen Ausrichtung des GeschMtssystems.
3.2
Differenzierun8 yon Krisenursachen
Krisenursachen lassen sich durch ihren ,,Krisenherd" differenzieren: ,,Dabei ist zu unterscheiden in endogene Krisen, d. h. im Unternehmen selbst entstandene und in exogene Krisen, d.h. solche, die von auf~erhalb auf das Untemehmen einwirken" (Hess/ Fechner, 1991, S. 19). Typische endogene Krisenursachen sind misslungene Diversifikationen, Qualit~itsprobleme, fehlgeschlagene 0bernahmen oder eine falsche Bilanzpolitik. Als exogene Krisenursachen gilt z. B. der Ausfall wesentlicher Lieferanten, Kundeninsolvenzen, FachkrMtemangel und Gesetzes~inderungen. Abh~ingig von der Entstehungsfolge unterscheidet die Literatur Strategie- Erfolgs- und Liquidit~itskrisen. Dabei wird zunehmend beobachtet, dass Erkennungs- und Entstehungsfolge einer Krise gegenl~iufig sind: ,,1. Die Liquidit~itskrise wird offenkundig, nachdem die Banken weitere Kredithingaben verweigern. Bei der Ursachenanalyse erkennt man die 2. Erfolgskrise, die sich in einer drastisch gesunkenen Eigenkapitalquote ausdr~ickt, weil bspw. der Lageraufbau durch Fremdkapital finanziert wurde. Die weitere Ursachensuche ~ h r t zur Entdeckung der 3. strategische Krise." (Hess/Fechner, 1991, S. 21). Wie f~ir die Typologisierung der Krisenarten l~isst sich auch f6r die Stadien einer Krise keine zwingende Ablauffolge beschreiben. Auf Grund des sich verengenden Handlungsspielraums entwickeln sich Krisen aber normalerweise aus nicht existenzbedrohenden Phasen 6ber existenzbedrohende, bis zur existenzvernichtenden Krisensituation.
Zur weiteren Pr~izisierung der Krisendiagnose wird an dieser Stelle darfiber hinaus in direkte und indirekte Krisenursachen unterschieden. Alle direkten Krisenursachen entstehen zwingend im GeschMtssystem und reichen vonder Beeintr~ichtigung dessen spezifischer Erfolgsfaktoren bis zur Zerst6rung des GeschMtskonzepts. Die meisten Unternehmenskrisen haben bei n~iherer Betrachtung einen direkten, strategischen Ursprung. Erst im weiteren Verlauf eskaliert die strategische Krise und beeintr~ichtigt Ergebnis und Liquidit~it. Als typischer direkter Krisenausl6ser gilt das nicht marktad~iquate GeschMtskonzept. Durch Substitution verlieren Produkte und Leistungen
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Strecker
ihre Wettbewerbsfihigkeit, unabhingig davon, wie funktions- und leistungsfihig das jeweilige Geschiftssystem ist. Elektronische Speichermedien 16sen analoge Bandaufzeichnungen ab, Mailverkehr die Faxkopie und Plasmabildschirme die Fernsehbildr6hre. Derartige Technologierevolutionen 16sen einen konstruktiven Zerst6rungsprozess aus und verkirzen den Lebenszyklus. Die Marktadiquanz von Geschiftssystemen sollte deshalb regelmit~ig im Markt-/Wettbewerbsvergleich iberp~ft werden. Bei grot~en Untemehmen und komplexen Geschiftssystemen ist ein Frihwarnsystem erforderlich, mit dem die Erffillung der zentralen Erfolgsfaktoren im Markt kontinuierlich iberprift und bewertet werden kann. Nicht nur die Substitutionsfihigkeit durch leistungsfihigere oder kostenginstigere Produkte, sondem Kontingenzfaktoren wie Umfeldtechnologien, Kiuferverhalten und der gesellschaftliche Wertewandel bilden immer relevantere Einflussgr6t~en. Die permanente Anpassungsbereitschaft und -fihigkeit ist deshalb existenziell. ,,Die eigentliche Herausforderung fir die Unternehmungen besteht in der Bewiltigung des Unerwarteten und nicht in der Extrapolation von Erfolgsrezepten der Vergangenheit." (Hinterhuber, 1989, S. V) Eine weitere Krisenursache liegt in Geschiftssystemen, die zwar ein marktadiquates Geschiftskonzept aufweisen, deren Geschiftssystem aber nicht strategiekonform verliuft.
Abbildung 3-1"
Krisenursachenund -arten
exogene Krisenursachen
endogene Krisenursachen
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Besonders grot~e Untemehmen mit komplexen Geschiftssystemen sollten deshalb ein Steuerungs- und Kontrollsystem (z. B. auf Basis von Scorecards) implementieren, mit
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Restrukturierung und Neueusrichtung
von
Gesch~f tssyst emen ~iii!iil
dem die Einhaltung der Strategie iiberprLift werden kann. Eine unklare, indifferente oder konflikt~ire Strategieumsetzung ~ h r t unmittelbar zu nachhaltigen St6rungen des Gesch~iftssystems. Eine Variante des nicht strategiekonformen Gesch~iftssystems bildet die unzureichend operationalisierte Strategie. Das Gesch~iftskonzept ist marktad~iquat, die Unternehmensstrategie konsistent, wird aber nicht umgesetzt. H~iufig wird diese Situation noch durch externen Einfluss verstSrkt. Die Strategieentwicklung wird durch Berater unterstiitzt, aber nicht in die Umsetzung begleitet. Das GeschSffssystem wird von seinem Umfeld isoliert und erh~ilt keine neuen Impulse. Im schlechtesten Fall werden fortlaufend Strategien entwickelt und aktualisiert, ohne dass strategische Kontinuit~it entsteht. Die Unternehmenssteuerung entwickelt sich dabei immer st~irker zu einem ,,muddling through". Situativ und impulsartig werden divergierende Richtungen eingeschlagen, um der eigentlichen Krisenursache zu entgehen. Expansion in Fernm~irkte, Firmeniibernahmen oder Diversifikationen sollen Entlastung schaffen und ein riickl~iufiges Kerngesch~ift kompensieren. Dabei entstehen aus solchen Ma~nahmen schon h~iufig nach kurzer Zeit neue Krisenherde. Indirekte Krisenursachen (Normkrisen) iiberlagern damit den eigentlichen Ursprung der Krise im Gesch~iftssystem und erschweren die Krisendiagnose. Indirekte Krisenursachen haben ihren Ursprung grundsStzlich au~erhalb des origin~iren GeschSftssystems und beeintr~ichtigen vielfach auch fortfLihrungsf~ihige GeschSftssysteme. Obwohl marktad~iquat und strategisch richtig ausgerichtet, wird das funktionierende Gesch~iftssystem gest6rt oder sogar nachhaltig geschSdigt. In der Restrukturierungspraxis lassen sich indirekte Krisenursachen rasch identifizieren. Fehlinvestments in Diversifikationen, falsche Finanzierungskonzepte, Liberdimensionierte Investitionen oder unvorhersehbare externe Ver~inderungen gelten als typische Beispiele. In diesen FSllen gilt es, diese Krisenursachen umgehend abzustellen und das GeschSftssystem soweit abzuschirmen, dass es nicht geschSdigt wird. In vielen FSllen ist al]erdings eine Durchmischung verschiedener Krisenursachen anzutreffen. Gerade bei lan~Shrigen RestrukturierungsfSllen 15sst sich nur noch sehr schwer Ursache von Wirkung unterscheiden und die VerknLipfung von direkten mit indirekten Krisenursachen ermitteln. Zur gesicherten Beurteilung der Fortfiihrungsf~ihigkeit eines Gesch~iftssystems ist deshalb ein systematischer unternehmensspezifischer Arbeitsansatz erforderlich.
3.3
Bewertun8der FortfUhrungsf ihigkeit
Restrukturierungsf~ille erfordern auf Grund ihres typischen Zeit- und Handlungsdrucks schnelle Analysen und Reaktionen. Das kurzfristige Uberleben wird durch Sofortmat~nahmen sichergestellt und die Entwicklung eines Restrukturierungskonzepts hat das Erreichen der Gewinnschwelle zum Ziel. Den Schwerpunkt bilden dabei Benchmark-Betrachtungen und quantitative Analysen in systematisierter Form. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse werden die Ziele zur finanziellen und leistungswirtschaftlichen Restrukturierung top-down festgelegt. Dieser Prozess verlSuft hSufig
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iiiiiii~!~!~!~!!~!!~!~!~ii!i~i!~!~!~!!~!~i S t ~ri!e!~!c k e r
mit Unters~tzung restrukturierungserfahrener Berater und Interimsmanager, die einen pragmatischen und zielorientierten Ansatz verfolgen. Durch routiniertes, zum Teil standardisiertes Vorgehen werden zeitintensive, irrelevante Analysen vermieden. Aber auch strategische Betrachtungen des Gesch~iftssystems treten dabei naturgem~it~ in den Hintergrund und reduzieren sich i~blicherweise auf eine Bewertung des Unternehmensportfolios. Die Verzettelung von Unternehmen in vielf~iltigen, meist gesch~iftsfremden Aktivit~iten korrespondiert mit dieser Methodenfokussierung. Im Allgemeinen resultiert deshalb daraus meist eine Bereinigung des Untemehmensportfolios. Mit der Konzentration auf das Kemgesch~ift ist allerdings nicht automatisch die Fort~hrungsf~ihigkeit des Gesch~iftssystems eines Unternehmens sichergestellt. Sanierungspraxis und Literatur gehen vielmehr durchg~ingig davon aus, dass die Mehrzahl von Krisenf~illen einen strategischen Ursprung hat. Hinzu kommt das latente Risiko der Folgesch~idigung eines urspr~inglich fortf6hrungsf~ihigen Gesch~iftssystems durch l~inger anhaltende, indirekte Krisenursachen. In Folge verdr~ingter Krisensymptome, erfolgloser Diversifikationsversuche und inkonsequenter Anpassungsmat~nahmen i~berlagert meist eine Vielzahl indirekter Krisenursachen den urspri~nglichen Krisenherd. Sequenzielles Abschichten der vielf~iltigen, teilweise miteinander verkni~pften Krisenursachen ist jedoch zeitintensiv und fi~hrt nicht automatisch zur abschliet~enden Best~itigung der Sanierungsf~ihigkeit. Komplexe Sanierungsf~ille erfordern vielmehr einen Arbeitsansatz, der sich nicht auf die bekannten, wiederkehrenden indirekten Krisenursachen (Normkrisen) beschr~inkt, sondern auf das spezifische Gesch~iftskonzept und dessen Operationalisierung im Gesch~iftssystem konzentriert. Ein solcher bottom-up-Ansatz geht von der Arbeitshypothese aus, dass die origin~ire Krisenursache regelm~it~ig im Gesch~iftssystem liegt und m6glicherweise nur durch eine Reihe weiterer Krisenursachen i~berlagert und verst~irkt wird. Vorteile des bottom-up-Ansatzes sind: m Fortf~ihrungsf~ihigkeit wird im Wertsch6pfungszentrum, dem Gesch~iftssystem ~iberpr~ift. @ Negative Fortf~hrungsf~ihigkeit erm6glicht alternative, z.B. gesetzliche Sanierungswege, oder erlaubt ressourcenschonende Austrittsentscheidung statt fortlaufender Restrukturierung. m Positive Fortfi~hrungsf~ihigkeit fokussiert die Restrukturierung auf den Krisenherd. Bevor die strategischen St6rungen oder Sch~idigungen nicht pr~izise ermittelt und bewertet wurden, dienen alle i~brigen operativen Mat~nahmen nur der Erhaltung der 0berlebensf~ihigkeit. Ein Fortfi~hrungskonzept ohne strategische Revision und Neuausrichtung funktioniert deshalb im Normalfall nur bei indirekten Krisenursachen. Im Gegensatz dazu geht der bottom-up-Ansatz grunds~itzlich von direkten St6rungen im Gesch~iftssystem aus. Dies erfordert einen hohen Grad an interner Kritikf~ihigkeit und Kommunikationsbereitschaft. Die 0berpri~fung von Gesch~iftssystemen ist deshalb auch nicht allein durch standardisiertes benchmarking, sondern nur durch Kom-
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Restrukturierung und IVeuausrichtun£ yon Gesch~ftssystemen
bination mit detailliertem GeschMtsverst~indnis und dessen systematischer, strategischer Auswertung m6glich. Dabei leisten Mitarbeitermeinungen und Aussagen von Marktteilnehmern einen wesentlichen Beitrag. ,,Das Erfahrungs- und Wissenspotential
der Belegschaften wird von Geschfiftsleitungen h~ufig untersch~tzt und selten zur Krisenidentifizierung eingesetzt." (Hess/Fechner, 1991, S. 26). Ebenso lassen sich Informationen aus dem Dialog mit Kreditinstituten, Kunden, Lieferanten und Branchenexperten einholen. Auf dieser Basis ist eine umfassende Bestandsaufnahme der wesentlichen Systemfunktionalit~iten hinsichtlich Wirksamkeit, Effizienz und Nutzen m6glich. Zur anschliet~enden, systematischen Auswertung steht eine ausreichende Anzahl praxisbew~ihrter, strategischer Analyseinstrumente und Audits zur Verf~igung.
4
HERLITZ in der Restrukturierung
4.1
Bew iltigung indirekter Krisenursachen
Immer deutlicher werdende Krisensignale f6hrten Mitte der 90er Jahre zu verst~irkten Restrukturierungsanstrengungen. Anfangs konzentrierte man sich auf Desinvestments, wie den Ausstieg aus der HIT AG und den Verkauf der Einzelhandelskette MCPAPER AG. Zus~itzlich wurden Mat~nahmen zur Refinanzierung eingeleitet, wie z. B. Sale and lease back des Logistik Centers in Berlin-Spandau. Seit 1990 baute sich daraus in Summe eine Eigenkapitalbelastung von etwa 150 Mio. Euro auf. Marktseitig versuchte man den Margenverfall durch einen Marken-Relaunch aufzuhalten. Mit grot~em Ressourceneinsatz wurde ein Konzernmarketing aufgebaut und branchenerfahrene Mitarbeiter gegen Marketingspezialisten ohne Branchenkenntnisse ausgetauscht. Die neue Marketingorganisation beschMtigte etwa 140 Mitarbeiter, die wenig marktnah und isoliert zur Vertriebsorganisation operierten. Im Mittelpunkt der neu entwickelten Marketingstrategie stand die Neupositionierung der Marke HERLITZ. Parallel dazu wurde eine Sortimentsoffensive eingeleitet, die sich zunehmend in HERLITZ-kompetenzfremde Bereiche entwickelte. Die Marketingmat~nahmen erzielten keine nennenswerte Wirkung, und die Produkteinf6hrungen verliefen 6berwiegend erfolglos. Die Markenbedeutung und -belastbarkeit von HERLITZ im Lebensmitteleinzelhandel wurde deutlich /~bersch~itzt. Hohe Personal- und Beratungskosten sowie hohe Lagerbest~inde und hohe Wertberichtigungen belasteten zus~itzlich das Unternehmen. Hinzu kam der Verlust an Branchenkompetenz und marktseitiger Steuerungsf~ihigkeit.
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~i Strecker ~i i!¸ iiii¸ i!i!~i i~¸iiiii il¸ ~ i~ii!i~i!~i~i!i~ii~i!ii!i!iii~i!i!i~iiii!~i!i!ii!iii ~!~i~iiiiiii~iiii~i~i~iiii~!!!i!~!~!ii!~!i~iiiiiii~i~iii~i~i!~!i!iii!!!!i!iii!ii~iii~iiiiiiii~ii~ii Nach ausffihrlicher Bestandsaufnahme wurde Anfang 2000 ein weitreichendes Restrukturierungskonzept mit Unters~tzung von extemen Beratern erstellt. Im Mittelpunkt standen dabei Standortkonzentration, organisatorische Strukturbereinigungen, weitere Kostensenkungsmat~nahmen und die Fortsetzung von Desinvestments. In der Gesch~iftsplanung wurden alle Mat~nahmen bewertet und durch systematisches Sanierungscontrolling auf Umsetzungszeitpunkt und -wirksamkeit i.iberwacht. Vor allem die Strukturbereinigungen und funktionale Konzentration fiihrten neben positiven Ergebniseffekten zu einer effizienteren Gesch~iftssteuerung. Anfang 2001 waren nahezu alle gesch/iftsfremden Aktivit~iten desinvestiert und die Standortreduzierung abgeschlossen. Nahezu alle Auslandsgesellschaften sowie das gewerbliche Gesch~ift erzielten positive Ergebnisbeitr~ige. Das deutsche Kemgesch~ift verlief dagegen weiterhin rtickl/iufig. Es erreichte etwa 40 % Umsatzanteil in der HERLITZ-Gruppe, verursachte aber etwa 70 % der Kosten. Die Deckungsbeitr~ige ~ r die Dienstleistungsorganisation und den (iberdimensionierten overhead sanken j~ihrlich zwischen 8 % und 11%. Die Ursache lag/iberwiegend im Verlust umsatzstarker Eckartikel, Preissenkungen und Konditionenwachstum. Versuche zur R/ickgewinnung von Ums~itzen verst~irkten die Margenerosion nochmals. Diverse Umsatzsteigerungsprogramme wurden ohne Beriicksichtigung der Funktionalit~it des Gesch~iftssystems durchge~hrt. Zusatzums~itze sollten v. a. (iber Sonderplatzierungen und Saisonaktionen realisiert werden. Stattdessen substituierten diese Programme bestehendes Gesch~ift oder ~ h r t e n zur tempor~iren Vorverlagerung von Ums~itzen. Die Preis- und Konditionenpolitik orientierte sich immer weniger an Art und Umfang der Kundenbeziehung, sondem am vertrieblich Machbaren. Abh/ingig vom individuellen Verhandlungsdruck begegnete man Abschmelzungen mit Preiszugest~_ndnissen und h6heren Konditionenzusagen. Wiederholt versuchte man, sich marktseitig im gleich gebliebenen HERLITZ-Gesch~iftssystem zu stabilisieren und Marktanteile zurLickzugewinnen. Obwohl die Kosten zwischen 1999 und 2001 durch Strukturanpassungen und Optimierungen um etwa 113 Mio. Euro reduziert wurden, kompensierten sie den Leistungsverlust nicht. Das Unternehmen machte weiter Verluste und die Verschuldung stieg. Auf Grund des hohen Bilanzverlustes in 2000 wurde Anfang 2001 eine Rekapitalisierung der HERLITZ AG erforderlich. Die Hauptversammlung beschloss, das Grundkapital von etwa 79 Mio. Euro auf etwa 16 Mio. Euro herabzusetzen. Im gleichen Zuge wurde das herabgesetzte Grundkapital der Herlitz AG gegen Bareinlagen in H6he von etwa 30 Mio. Euro durch Ausgabe neuer S~ckaktien erh6ht. Ein Bankenkonsortium bot die nicht b6rsenzugelassenen Papiere den Aktion~iren der HERLITZ AG zum Kauf an. Den Abschluss der Rekapitalisierung bildete die Umwandlung von Kreditverbindlichkeiten in H6he von etwa 49 Mio. Euro. Etwa 23 Mio. Euro wurden als Genussrechte mit beigef/igten Optionsrechten auf Aktien begeben, der den Nennwert (ibersteigende Betrag von etwa 26 Mio. Euro in die KapitalrLicklage eingestellt. Seitdem halt das Bankenkonsortium etwa 65 % des Grundkapitals der HERLITZAG. Mitglieder und Beteiligungsverh/iltnisse des Bankenkonsortiums sind nahezu identisch mit dem Bankenpool als Hauptgl~iubiger der Gruppe.
1058
Restrukturierung und Neuausrichtung von Gesch~ftssystemen
4.2
Systemrevision im Kerngesch ift
Trotz Restrukturierung der indirekten Krisenursachen durch Desinvestments, Strukturanpassungen und Kostensenkungen wurde der turn around nicht erreicht. Nur das Auslandsgesch~ift und die produzierenden Bereiche mit Vermarktung ohne Dienstleistung erzielten anhaltend positive Ergebnisse. Anfang 2001 war damit immer deutlicher, dass wesentliche Krisenursachen direkt im HFRLITZ-Gesch~iftssystem liegen. Das ,,Wertsch6pfungssystem zur Vermarktung eigengefertigter und zugekaufter Papier-, Bfiro- und Schreibwaren in Verbindung mit eigenerbrachten Dienstleistungen" rfickte ins Zentrum der Restrukturierung. Schwerpunkte der Systemrevision im HERLITZKemgesch~ift waren die Identifikation der direkten Krisenursachen, die Beurteilung der Fortfiihrungsf~ihigkeit sowie die Planung und Budgetierung der erforderlichen Mat~nahmen zur Restrukturierung. Aut~erdem sollte geprfift werden, wie stark indirekte Krisenursachen das Gesch~iftssystem zus~itzlich belasteten oder zwischenzeitlich gesch~idigt hatten. Im Mittelpunkt standen dabei die fiberdimensionierten Immobilien und deren Fremdfinanzierung. In Ermangelung einer formulierten Strategie konnte die Strategiekonformit~it des Gesch~iftssystems nicht fiberprfift werden. Die Funktionalit~it des Gesch~iftssystems basierte auf der starren Kombination von Produkt und Dienstleistung und entsprach damit weitestgehend dem Gesch~iftssystem der 80er Jahre: mi Exklusivit~it von Sortiment und Dienstleistung bei HERLITZ ~i Koppelung von Produkt und Dienstleistung in einem Preis Ni Konzentration auf gemeinsame Wertsch6pfung in Produkt und Dienstleistung In der Entwicklungsphase des HERLITZ-Gesch~iftssystems korrelierten vorstehende Merkmale mit den marktseitigen Rahmenbedingungen nahezu ideal. Die hervorragende Positionierung des HF.RLITZ-Sortiments im Lebensmitteleinzelhandel war sowohl ein Ergebnis der aktiven Erschliet~ung dieses Vertriebskanals durch HERLITZ, als auch Resultat des bewussten Absentismus der fachhandelsorientierten Wettbewerber. Im Unterschied zu traditionellen Lieferanten basierte das HERLITZ-Gesch~iftssystem auf der absatzkanalorientierten Faktorkombination der Angebotsleistung und nicht auf einer spezifischen Produktkompetenz. Mit seiner Dienstleistung erg~inzte HERLITZ die unzureichenden PBS-Kompetenzen im Lebensmitteleinzelhandel und implementierte die fehlenden Vermarktungssysteme. Die damit erreichte Distribution profilierte HERLITZals Sortimentsanbieter und positionierte HERLITZals Marke. Die Verbindung von Produkt und Dienstleistung in einem Preis war ursprfinglich eine Forderung des Einzelhandels. Dabei wurde ein Dienstleistungsaufschlag von etwa 10 % gg6. Produktpreisen im Fachhandel akzeptiert. Der prozentuierte Aufschlag deckte jedoch nicht nur den Dienstleistungsaufwand, sondern ffihrte auf Grund des progressiven Umsatzwachstums zu steigenden Gewinnen. Die einzigartige Kompe-
1059
Strecker
tenz im Lebensmitteleinzelhandel und der wirtschaftliche Erfolg erm6glichten einen immer st~irkeren Ausbau des Gesch~iftssystems. HERLITZkonzentrierte sich dabei auf Wachstum aus eigener Wertsch6pfung. Daraus entwickelten sich Liber die Jahre Wettbewerbsvorteile, die andere Hersteller und GrolTh~indler wiederholt zu kopieren versuchten. Zum Zeitpunkt der Systemrevision hatten sich die Rahmenbedingungen f6r das HERLITZ-Kerngesch~ift grundlegend ver~indert: @i Wachstumsgrenze im Absatzkanal, rLickl~iufige Preise, zunehmende Konditionen @i Eintritt von Markenherstellern zur ,,Differenzierung" im PBS-Regal Verdr~ingungswettbewerb durch ,Discountierung" Hinzu kam die Belastung aus {iberdimensionierten Immobilien und Fremdverschuldung (indirekt-endogene Krisenursache). Die ver~inderten Rahmenbedingungen wirkten direkt auf das Gesch~iftssystem und stellten den Nutzen der bisher wirtschaftlich erfolgreichen Faktorkombination in Frage. Durch langsameres Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel verminderte sich die Kostendegression. Stattdessen fi.ihrten sinkende Preise und steigende Konditionen zu nachhaltigen Umsatz- und RohertragsriJckg~ingen. FOr den prozentuierten Dienstleistungsanteil reduzierte sich damit auch gleichzeitig die Bemessungsbasis.
Abbildung 4-1: Wirkungsvergleichin den Entwicklungsphasen iiiijijiiiiiiiiiZiiiiiiiiiil iiiiilililiiiiiiiiii~Ziiiiiiiiiiilili; ¸iiiiiii!iiii i¸ilii777iiiiiii!iiiiiiiiiiiii~iiii7777771717ii !iiiiliiii!iiiililili!ii~iii~i~!~ii i¸77!!!11i}ii!ii!iiii:iiiii~iiiiiiiiii!!!iii~iiiiiii::~:~;;~
~:~:~:~:~::~::;~:~ ~:: ~~:~:z:~~:~ ::~:~:~::~ ~~~:~:~::~~ ~:~:~:=~:~~:~~:~ ~~:ii7ii!iii!iii!!!!!i!! iiiiiiiiiiiii!ii!7!!!!!iii!iiTi!il 7ii!!ii!!iiTiT!i i~7771777!~i~iiiiTiiiiiTil;iii!TiTii! i~ii;177iiTi%ii!iiiiilii i:i!iiiiiii!!!!!!!iiiiiiill;!iT!!iTiiiiii1777!177i!!Tiiiiii!ililC!i!7ii7iiii777;i177!!! !iiii~iiiiiiiT;iiii!iii!Z!; 777777!i!!i7!~7ii77ii77717!ii!!ii!G777}i!!7!~! !i7777Z!7!i7!!7!i!!i7i~777i!71117!!i!i!~!!!i1711i771 i}~:~i
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Wiederkehrende Versuche zur Wiederherstellung des Wachstums verliefen jedoch meist erfolglos. Saisonangebote und Aktionsverk~iufe waren nicht nur margen1060
Restrukturierung und Neuausrichtun9 von Gesch~l:tssystemen
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schwach, sondern verursachten zus~itzlichen Aufwand und belasteten das HERLITZGesch~iftssystem. Analog der zunehmenden Lernkurve mit PBS-Sortimenten entwickelte sich im Handel der Wunsch nach Differenzierung durch Zukau£ von Sortimenten am HERnITZ-Gesch~iftssystem vorbei (cherry picking). Im Fokus standen dabei v. a. h6herwertige Sortimente, von denen man sich eine gr6~ere Sortimentsattraktivit~it erwartete und bei denen Markenlieferanten bereit waren, Zulistungen £inanziell zu unterstiitzen. Die riicklSufige Marktentwicklung im Fachhandel £6rderte dariiber hinaus den schrittweisen Eintritt von Markenherstellern in den Lebensmitteleinzelhandel. Die Wettbewerbsintensivierung durch Discounter bildete eine weitere Belastung. Volumenstarke Sortimente verlagerten sich zunehmend in diesen preisaggressiven Vertriebsweg. Eckartikel werden dort ohne Sortimentsanspruch und Dienstleistung zeitlich begrenzt zu niedrigsten Preisen angeboten. Um dieser Entwicklung zu begegnen, bot der Lebensmitteleinzelhandel verstSrkt Aktionsware auf SonderflSchen an. Aus dieser Umgehung des HERLITZ-GeschSftssystems resultierten wiederum UmsatzriJckg~inge mit der Folge niedriger DeckungsbeitrSge bei gleich bleibenden Fixkosten. Im Rahmen der Systemrevision wurden damit mehrere direkte Krisenursachen im HERLITZ-Gesch~iftssystem identifiziert. Kritisch war nicht die Leistungserfiillung der einzelnen Systemfaktoren, sondern der erodierende Mehrwert aus deren spezifischer Verkniipfung. Urspriingliche Werttreiber transformierten in Folge r~icklSufiger Ums~itze und Margen zu Krisenursachen. Die starre Verbindung von Produkt und Dienstleistung in einem Preis und deren Begrenzung auf die HERLITZ-interne Leistungserbringung fiihrten zur Wertevernichtung. Indirekte Krisenursachen, wie die unterausgelasteten Immobilien und die hohe Fremdverschuldung, verst~irkten die Krise im GeschSftssystem dariiber hinaus. Die ri.icklSufigen ErgebnisbeitrSge aus dem Kerngesch~ift konnten die wachsenden Belastungen nicht mehr tragen. Fiir die Restrukturierung des Gesch~iftssystems leiteten sich daraus zwei Hauptziele ab: Entkoppelung vonder Altverschuldung aus Fehlinvestitionen zur Entlastung des Gesch~iftssystems m Entflechtung der Wertsch6pfung und Neukonfiguration der Erfolgsfaktoren des GeschSftssystems
4.3
Restrukturierun8 des Geschiftssystems
Bis auf die Gesch~iftst~itigkeiten im Ausland und im gewerblichen Bereich umfasste die Restrukturierung die gesamte HERLITZ-Organisation. Aut~erhalb des Unternehmens waren alle Kunden und Lieferanten involviert, die mit dem HERLITZ-KerngeschSft bisher Leistungsbeziehungen hatten. Zur Absicherung der Entscheidungsfindung im hoch kompetitiven Wettbewerbsumfeld wurde zu Beginn eine detaillierte Kundener1061
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~ Strecker
folgsanalyse durchgeffihrt. Dabei stellte sich heraus, dass viele Kunden das HERLITZGeschMtssystem zwischenzeitlich in sehr unterschiedlicher Form wahmahmen und nutzten. Die Bedarfsstruktur im Lebensmitteleinzelhandel f~r Waren und Dienstleistungen hatte sich in den vergangenen Jahren grundlegend ver~indert. Einige Handler bezogen unver~indert das komplette HERLITZ-Sortiment, reduzierten aber mit h6heren Konditionenforderungen die Margen der in Anspruch genommenen Dienstleistungen. Andere bezogen zunehmend Waren ohne Dienstleistung, so dass sich dort Volumen und Deckungsbeitr~ige reduzierten. Beide Altemativen ~hrten gleichsam zum Ergebnis, dass die Ware im Preisfokus an Wettbewerbsf~ihigkeit verlor und die in Anspruch genommene Dienstleistung nicht mehr ausreichend bezahlt wurde. Ausgehend von den Erkenntnissen aus der Kundenerfolgsanalyse erfolgte die Zuordnung der Kunden in Kundengruppen. Anschliet~end wurden kundengruppenspezifisch Mat~nahmen festgelegt und in Mat~nahmenprogrammen, den sog. Kundenkonzepten, zusammengefasst. Wesentliche Ziele waren dabei: S Transparenz der HERLITZ-Leistungen ffir den Kunden Sensibilisierung ffir Verlustursachen und Ableitung von Anpassungsmat~nahmen m Ersatz fixer Konditionen durch leistungsabh~ngige Vereinbarungen m Wegfall wirtschaftlich nicht verbesserungsf~ihiger Lieferungen und Leistungen Aufnahme von Kundenwfinschen zur Aktualisierung des HERLITZ-GeschMtssystems J
Diskussion von Modellen zur strategischen Neuausrichtung
Ein mat~geblicher Erfolgsfaktor bei der Umsetzung der Kundenkonzepte war die Wiederherstellung der Verhandlungsreputation der HERLITZ-Vertriebsorganisation. Der kritische Umgang mit der eigenen GeschMtssituation und die intensive Diskussion von Verbesserungsmat~nahmen vermittelten Ernsthaftigkeit und Ver~inderungswillen. Durch kurzfristige, in enger Abstimmung mit den Kunden festgelegte Mat~nahmen konnten die Rohertr~ige um durchschnittlich 2,7 %-Punkte verbessert werden. Mit einer bedarfsorientierten Reallokation der HERLITZ-Leistungen wurden die Aufwandsanpassungen im Dienstleistungsbereich gezielt und ohne gr6t~eren Effizienzverlust vollzogen. Wesentliche Erfolgsfaktoren waren der Wegfall gering wertsch6pfender Leistungen und die Vermeidung unwirtschaftlicher AktionsgeschMte mit Remissionsvereinbarungen. Hinzu kam die Variabilisierung bisher vertraglich fix vereinbarter Konditionen. Anstatt fixe Konditionen bei rfickl~iufigen Ums~itzen hinzunehmen, wurden umsatzproportionale Vereinbarungen getroffen. Trotz teilweise sehr offensiver und kurzfristiger Anpassungen kam es zu keinem Kundenverlust. Der gemeinsame Wille zur Ert~chtigung der eng verzahnten GeschMtsbeziehung war starker als zur Beendigung der Zusammenarbeit. Die wesentlichen Leistungsfaktoren des GeschMts-
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Restrukturierung und IVeuausrichtung von Gesch~ftssystemen
systems wurden vom Lebensmitteleinzelhandel weiterhin als unverzichtbar angesehen und damit in ihrer Fortfiihrungsf/ihigkeit bestStigt. Allerdings bestand durchg/ingig die Auffassung, dass die Systemkonfiguration nicht mehr zeitgemSg ist. Besonders kritisch betrachteten die Kunden die Intransparenz des Dienstleistungsaufwands in der bestehenden Mischkalkulation und die statische Produkt-/Dienstleistungskombination. Einige Handelsunternehmen wollten bei flexiblem Dienstleistungsangebot und leistungsf/ihigen Preisen sogar zus/itzliche Dienstleistungen f/ir andere Sortimente und Lieferanten in Anspruch zu nehmen. Urspriinglich ein zentraler Erfolgsfaktor des HERLITZ-GeschSftssystems, blockierte jetzt die feste VerknLipfung der Erfolgsfaktoren eine autonome Gesch/iftsentwicklung. Im festen Leistungsverbund liegen sich weder r/ickl/iufige ProduktumsStze kompensieren noch Deckungsbeitr/ige fiir die Dienstleistung bei Dritten erwirtschaften. Voraussetzung zur nachhaltigen Restrukturierung des HERLITZ-Gesch/iftssystems war deshalb die Entflechtung der GeschSftsarten ProduktgeschSft (,,Herstellung und Vermarktung von Produkten") und DienstleistungsgeschSft (,Lagerung, Distribution und Merchandising"), sowie deren jeweilige strategische Neuausrichtung.
5
Neuausrichtung des Gesch iftssystems und Ausblick
5.1
Umsetzung der 2-S iulen-Strategie
Zielsetzung der 2-S/iulen-Strategie war die Aufhebung der negativen Verbundeffekte und Neukonfiguration der Systemfaktoren zur Wiederherstellung der Wertsch6pfung. Durch autonome Entwicklung beider Bereiche sollte der strategische Handlungsspielraum erh6ht werden bis hin zur Beteiligung Dritter an den Wertsch6pfungsbereichen. Die Entflechtung diente damit sowohl der Risikovorsorge als auch der Verbesserung der AllianzfShigkeit. Anfang 2002 wurde die Entflechtung von Produkt- und Dienstleistungsgesch~ift durch die organisatorische Trennung der Bereiche eingeleitet. WShrend die Logistik schon bisher in einer selbst~indigen Unternehmenseinheit operierte, waren die Merchandiserund Supportfunktionen organisatorischer Bestandteil bei HERLITZ.F/ihrungskr/ifte der Vertriebsorganisation verantworteten neben dem Produktgesch/ift den Einsatz der Dienstleistungsorganisation. Die Steuerung von Vertrieb und Merchandising erfolgte regional aus drei Niederlassungen. Das Produktmanagement und die unterstiitzenden Marketingfunktionen waren sortimentsorientiert organisiert und arbeiteten weitestge1063
Strecker
iiii hend unabh~ingig vom Vertrieb. Eine Abstimmung der vielfach konflikt~iren Ziele erfolgte auf Vorstandsebene. Die geplante Reorganisation vereinfachte sich durch die bestehende Dienstleistungstochter ECOMLOGISTIKGMBH & CO. KG. Im Rahmen eines Betriebs~ibergangs konnten dort alle dienstleistungsrelevanten Funktionen zusammenge~hrt werden. Nach Strukturierung und Dimensionierung der Zielorganisation erfolgte in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat der Betriebs~ibergang mit mehr als 1.000 Mitarbeitern in die ECOM. Die F~ihrungsfunktionen wurden kompetenzorientiert auf das Dienstleistungsund Produktgesch~ift verteilt und kundengruppenspezifisch ausgerichtet. Dadurch entfielen die Vertriebsniederlassungen und regionalen Dienstleistungsaufgaben. Die spezialisierten und schlanken Organisationseinheiten erm6glichten effizientere Prozesse und erreichten eine h6here Wettbewerbsf~ihigkeit. Im Produktgesch~ift wurde durch Einfi~hrung einer Profit-Center-Organisation eine gr6t~ere Sortimentsspezialisierung erreicht. Hinzu kam die Zusammenfi~hrung von Vertrieb und Marketing in einer Einheit und unter gemeinsamer Verantwortung. Der dienstleistungsunabh~ingige Vertrieb operiert in enger Abstimmung mit dem Marketing und sehr produktnah. Gleichzeitig wurde die kaufm~innische Funktion im Marketing deutlich verst~irkt.
Abbildung 5-1:
Geschfiftsdifferenzierungund Entflechtung
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...... Wettbewerbsf~ihigkeit
Nach Abschluss der Reorganisation folgte Ende 2002 die wirtschaftliche und rechtliche Umgestaltung des Dienstleistungsgesch~iftes der ECOM. Zuk~inftig konzentriert sich ECOM ausschliet~lich auf Logistik und Dienstleistung, w~ihrend alle Warengesch~ifte direkt zwischen Produzent und Handel vereinbart werden. Damit wurde fiir ECOMdie
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Restrukturierung und Neuausrichtung von Gesch~[tssystemen
Voraussetzung zur Entwicklung vom PBS-Spezialisten im Lebensmitteleinzelhandel zum neutralen non food-Dienstleister in allen relevanten Vertriebskan/ilen geschaffen.
Abbildung 5-2"
GeschaftskonzeptECOM
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Die Grot~handelsfunktion wurde in die rechtliche Konstruktion eines Kommission/irs fiberffihrt. Die bisherigen Partnermarken kauften ihre Waren in eigene Konsignationslager zurfick. Gleichzeitig wurde allen Anbietern der freie Zugang in den Lebensmitteleinzelhandel erfffnet, was die Produktkonkurrenz durch HERLITZ bisher erschwert hatte. Die Leistungen der ECOM stehen seitdem jedem Hersteller und Handelsunternehmen als Kunde individuell zur Verffigung und werden auf Basis einer Preisliste abgerechnet. Dabei sind alle Hersteller untereinander und ggfi. HERLITZgleichgestellt. In vertraglich festgelegten Zeitabst/inden erfolgt die Auskehrung der Ums/itze an die Industriekunden, wobei die Dienstleistungsprovision von ECOM einbehalten wird. Diese setzt sich aus Gebfihren ffir die Lagerung, Auftragsabwicklung, Kommissionierung, Fracht und, sofern vereinbart, dem Merchandising am point of sale zusammen. ECOM verffigt zur Warendisposition und -steuerung fiber alle erforderlichen ITSchnittstellen zum Einzelhandel. Zur Auftragserfassung wird von regelm/it~ig geschulten Mitarbeitem eine leistungsf/ihige Ger/itetechnik eingesetzt. Die ECoM-Mitarbeiter sind bundesweit t/itig und durch ein Jahresarbeitszeitmodell variabel einsetzbar. Industriekunden erreichen damit in kfirzester Zeit eine bundesweite Distribution aus einer Hand. Eine eigene Organisation erfibrigt sich, und auch die aufw/indige Koordination regional operierender Grot~h/indler entf/illt. Auch ffir den filialisierten Lebensmitteleinzelhandel ergeben sich eine Reihe entscheidender Vorteile aus der Zusammenarbeit mit ECOM: direkter Lieferantenzugang ohne Grog-
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Strecker
handelsstufe und ein definiertes, bundesweit einheitliches Distributions- und Dienstleistungssystem. Eine eigene Zentrallogistik f~ir langsam drehende, spezialisierte Produkte ist nicht erforderlich, so dass Investitionen und Lagerbest~inde deutlich verringert werden k6nnen. Die B~indelung mitunter kleinster Teilmengen in einer Sendung und einer Rechnung stellt eine hohe Effizienz im Wareneingang sicher und l~isst sich durch cross docking im eigenen Zentrallager noch weiter optimieren. Das Merchandising wird in zunehmendem Matte vom Einzelhandel selber beauftragt und verringert somit St6rungen auf den VerkaufsflSchen. Dabei wird die Ware netto frei Haus gekauft und mit ECOM in die F15chen distribuiert. Aut~erdem betreiben die neutralen ECoM-Mitarbeiter keinen Verteilungskampf um die RegalflSchen, sondern orientieren sich ausschliet~lich an den mit Industrie und Handel gemeinsam definierten Regalstandards.
5.2
Restrukturierung im Insolvenzplanverfahren
Nach dem Scheitem der Verhandlungen zur Prolongation der Kreditlinien am 02.04.2002 beantragten die Hauptgesellschaften des Konzems, die HERLITZAG und die HERLITZ PBS AG, am 03.04.2002 die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens wegen 0berschuldung und drohender Zahlungsunf~ihigkeit. Infolgedessen mussten auch weitere inl~indische Konzerngesellschaften, deren Finanzierung nicht mehr gesichert war, Insolvenz anmelden. F~ir die Auslandsgesellschaften sowie die gr6t~ten produzierenden Tochtergesellschaften konnte die Insolvenz jedoch wegen deren wirtschaftlicher Eigenst~indigkeit vermieden werden. Nach Bestellung des vorlSufigen Insolvenzverwalters am 03.04.2002 erfolgte bereits am 05.06.2002 die Er6ffnung des Insolvenzverfahrens. Am 15.07.2002 wurden die InsolvenzplSne von den G15ubigerversammlungen verabschiedet und mit Wirkung zum 16.09.2002 beide Insolvenzverfahren wieder aufgehoben. Die Planerfi~llung endete am 31.03.2004. Der Gesetzgeber hat mit der Insolvenzrechtsreform vom 01.01.1999 die Rahmenbedingungen ~ r eine gesetzliche Sanierung erheblich erweitert. Das neue Insolvenzplanverfahren bietet im Vergleich zum Regelverfahren einen universellen Gestaltungsrahmen zur individuellen Insolvenzbew~iltigung. Zielsetzung ist eine wirtschaftlich effiziente Masseverwertung, die auch die Fort~hrung und Sanierung des insolventen Unternehmens erm6glicht. ,,Die Befriedigung kann durch Verwertung des Schuldnerverm~gens und Erl~sverteilung an die Glfiubiger nach den gesetzlichen Regeln erfolgen oder durch davon abweichende in einem Insolvenzplan getroffene Regelungen, wobei die InsO die Verwertung mittels Insolvenzplan als gleichwertige M~glichkeit erachtet. Der Insolvenzplan kann z.B. die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens vorsehen, die entsprechend dem Zweck der InsO dann in Betracht kommt, wenn eine Verwertung auf Grund eines Insolvenzplans die ~ r die Glfiubiger vorteilhaftere Alternative darstellt. Zu denken wfire hier z.B. an die Fortfidhrung des
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Restrukturierung und Neuausrichtung yon Gesch~ftssystemen
Unternehmens und Befriedigung der Gliiubiger aus den Erlfsen der fortgefiihrten Unternehmung." (Seagon, 1998, S. 51) Nach Ansicht des Insolvenzverwalters und des Vorstands w~ire der Wert von HERLITZ aus seiner Kombination von Produktion, Vertrieb und Dienstleistung bei einer Zerschlagung oder fibertragenen Sanierung untergegangen. Der Insolvenzplan stellt die Gl~iubiger nicht schlechter, als sie ohne Plan stfinden (vgl. §§ 245, 251 InsO). Im Zerschlagungsfall h~itte nach Reduzierung der Absonderungsrechte die freie, zur Ausschfittung verffigbare Insolvenzmasse nach Feststellung des Insolvenzverwalters nur noch einen Bruchteil des going concern-Wertes betragen. Nach Abzug der Kosten des Insolvenzverfahrens w~iren die sonstigen Masseverbindlichkeiten mit einer Quote von etwa 1% zu befriedigen gewesen und die Insolvenzgl~iubiger erhielten nichts. Zur Obernahme des gesamten vorhandenen Unternehmensvermfgens, frei von Verbindlichkeiten, stand zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags kein Investor zur Verfiigung. Eine fibertragende Sanierung als Alternative zur Zerschlagung fiel dadurch ebenfalls aus. Demgegenfiber erffillte HERLITZ auf Grund der fortgeschrittenen Restrukturierung und Neuausrichtung des Gesch~iftssystems alle notwendigen Voraussetzungen zur Durchffihrung eines Insolvenzplanverfahrens. Die indirekten Krisenursachen waren mit Ausnahme der nicht abschliet~end gel6sten Immobilienproblematik beseitigt, und die Restrukturierung des Kerngesch~iftes vollzog sich planm~it~ig. Das restrukturierungserfahrene, nicht durch Fehlentscheidungen der Vergangenheit belastete Management, setzte die 2-S~iulen-Strategie konsequent um. Stabile Kunden- und Lieferantenbeziehungen sowie eine ertragsorientierte Gesch~iftssteuerung sicherten das operative Gesch~ift. HERLITZwar nicht nur wirtschaftlich steuerbar geworden, sondern verffigte fiber einen pr~izisen ,,Fahrplan" zur Wiederherstellung der Wertsch6pfung seines Gesch~iftssystems. Die wirtschaftlichen Risiken der Insolvenz waren damit zwar nicht pr~izise quantifizierbar, aber transparent und beherrschbar. Auf Grund der Ausgangssituation von HERLITZfiberwogen eindeutig die Chancen aus der Durchffihrung eines Insolvenzplanverfahrens. Das gerichtliche Verfahren verhalf zur beschleunigten Umsetzung der laufenden Restrukturierung und ermfglichte die Oberwindung entstandener Sanierungsbarrieren. Der Insolvenzplan basierte deshalb im Wesentlichen auch auf den Ende 2001 getroffenen strategischen Entscheidungen und unterstiitzte deren Umsetzung. Durch die festgelegten Mat~nahmen sollte der Insolvenzgrund beseitigt und die Ertragskraft wieder hergestellt werden, und zwar leistungswirtschaftlich durch den (1) Abbau von Oberkapazit~iten (insbesondere Leerfl~ichen), (2) die Ausgliederung der Betriebsgrundstiicke und (3) die Schliet~ung unrentabler Konzernt6chter. Der Abbau des negativen Finanzergebnisses erfolgte bilanziell durch (1) die Reduzierung der gesicherten Gl~iubigerforderungen auf den Wert der Absonderungsrechte, (2) den Verzicht ungesicherter Gl~iubiger und (3) den Sanierungsbeitrag der Arbeitnehmer.
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Strecker
Ein Kernelement des Insolvenzplans war die bilanzielle Entlastung von friiheren Fehlinvestitionen in tiberdimensionierte B/iro- und Logistikimmobilien. Dazu wurde schon Ende 2001 die Entkoppelung des operativen Gesch~ifts von den Immobilien entschieden und durch die Grtindung zweier Immobiliengesellschaften eingeleitet. In 2002 folgten die Herausl6sung der Immobilien sowie die Zuordnung ehemaliger Bankverbindlichkeiten der HERLITZ PBS AG auf die zwei Grundstticksgesellschaften. Die ftir das HERLITZ-GeschSftssystem erforderlichen Fl~ichen und LagerkapazitSten standen anschliet~end zu markttiblichen Mietpreisen zur Verffigung. Parallel dazu wurden 51tere Mietvertr~ige aus sale and lease back-Vereinbarungen vorzeitig beendet, die Immobilien ger~iumt und an den Eigent/imer zurtickgegeben. Im Verlauf der Insolvenz kam es bei der Umsetzung der 2-S~iulen-Strategie zu keiner wesentlichen Unterbrechung. Die Trennung des Produktgesch~ifts vom DienstleistungsgeschSft vollzog sich planmSt~ig und verlief parallel zur Immobilienentflechtung. Eine weitere Entlastung entstand durch den Erwerb aller GeschSftsanteile aus dem Joint venture mit einem Logistik-Dienstleister. Dadurch konnten beide Gesch~iftsfelder (S~iulen) eigenstSndig und wettbewerbsorientiert operieren, ohne von Leerstandskosten und Leistungen an Dritte weiterhin belastet zu werden. Im Rahmen der freien Sanierung ware eine vergleichbare Umsetzung der strategischen Ziele, speziell im Hinblick auf die Immobilien, voraussichtlich nicht m6glich gewesen. Die laufenden Mat~nahmen zur Restrukturierung und Neuausrichtung des Gesch~iftssystems bildeten die Voraussetzung, um eine Reihe weiterer insolvenzspezifischer Sanierungserleichterungen gezielt einzusetzen. Im Gegensatz zur freien Sanierung ist in der Insolvenz die Befreiung von DauerschuldverhSltnissen auch ohne das Entgegenkommen der Vertragsparteien m/Sglich. Mehrere langjShrige VertrSge konnten auf diese Weise beendet werden. Weiterhin konnten Pensionsverpflichtungen beseitigt werden, da der Pensionssicherungsverein in die Versorgungsleistungen eintrat. Der Mitarbeitertibergang nach § 613a BGB in die ECOM hatte unabhSngig von der Insolvenz schon Entlastungen aus einer auf 40 Stunden erh6hten Wochenarbeitszeit und dem Abbau von Jahressonderzahlungen erm6glicht. Hinzu kam ein Sanierungsbeitrag der Belegschaft in Form einer Erh6hung der Wochenarbeitszeit und einer Reduzierung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Weitere Personalanpassungsmat~nahmen waren deshalb im Rahmen der Insolvenz nur in eingeschrSnktem Umfang notwendig. Das normalerweise dreimonatige Insolvenzausfallgeld brauchte nur ftir zwei Monate in Anspruch genommen zu werden, da die m6glichst rasche Ri.ickkehr in den normalen Gesch~iftsbetrieb den Vorrang vor einer einmaligen Ergebnis- und Liquidit~itsverbesserung besat~. Zusammengefasst verlief die Insolvenz bei HERLITZohne wesentliche Beeintr~ichtigung des operativen Gesch~ifts, f/ihrte zur nachhaltigen finanziellen Entlastung und erg~inzte die laufende Restrukturierung und Neuausrichtung des Gesch~iftssystems. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war dabei die professionelle und eng abgestimmte Zusam-
1068
Restrukturierun~ und Neuausrichtung yon Gesch~ftssystemen
~~i!~~i~i~i!i~~i~i~i~i!~U~!~~i~i¸,~ii!~ ii~~i~iiiii menarbeit zwischen Insolvenzverwalter und Management, wodurch die Sanierungsziele mit hoher Umsetzungsgeschwindigkeit erreicht wurden.
5.3
Ausblick nach erfolgreichem Abschluss des I nso Ive n zp lan ve rfa h rens
Die Restrukturierung des Gesch~iftssystems und dessen Neuausrichtung auf die 2S~iulen-Strategie sind umgesetzt. 2003 kann damit als das erste ,,normale" Gesch~iftsjahr nach dem ordnungsm~it~igen Abschluss des Planverfahrens angesehen werden. Ein wesentlicher Teil der insolvenzbedingten Entlastungseffekte wirken dauerhaft, und negative Insolvenzeffekte konnten 0berwiegend verhindert werden. In allen Kernbereichen der Produktion erh6hte sich die Auslastung. Die Konzernbilanz weist eine stabile Finanzierungsstruktur auf. Trotz deutlicher Reduktion der Vorr~ite konnte die Warenverf0gbarkeit nochmals gesteigert werden. Optimales Bestands- und Forderungsmanagement erm6glichten eine Entschuldung von etwa 26 Mio. Euro. Die verminderten Bankenschulden tragen zu einer deutlichen Verbesserung des Finanzergebnisses bei. Trotz anhaltend schwieriger Marktbedingungen wurde bei einem Betriebsergebnis von etwa 7 Mio. Euro ein Ergebnis der gew6hnlichen Gesch~iftst~itigkeit von etwa I Mio. Euro erzielt. Operativ resultiert der Erfolg aus der verbesserten Gesch~iftstransparenz in den ,,2 S~iulen" und der fortgesetzt konsequent ertragsorientierten Gesch~iftssteuerung. Trotz weiterer Preisri.ickg~inge wurde der Rohertrag stabilisiert und durch Variabilisierung der Konditionen gesch~iftsabh~ingig gestaltet. Dem Unternehmen liegt eine realistische Gesch~iftsplanung zu Grunde, was die regelm~it~ige Ergebniserreichung seit 2002 beweist. Entgegen der Versuchung unrealistischer Umsatzsteigerungsmat~nahmen werden markt- und unternehmensbedingte Umsatzrisiken fr0hzeitig ber~icksichtigt. Die dadurch erreichte Risikoantizipation erm6glichte frOhzeitige Anpassungsmat~nahmen in Strukturen und Prozessen, so dass gg0. 2002 nochmals Einsparungen von etwa 12 Mio. Euro m6glich waren. Mit der gezielten Aufl6sung der ehemaligen Verbundeffekte vollzog HERLITZ einen systematischen Neuanfang, der sich an den ver~inderten Anforderungen des Marktes orientierte. Anstatt durch Anpassungsmat~nahmen die bisherige Wertsch6pfung im alten Gesch~iftssystem wiederherzustellen, wurde eine neue, kundenspezifische Systemfunktionalit~it konfiguriert und implementiert. Im Management verliefen die dazu erforderlichen 0berzeugungsprozesse anfangs recht verhalten. Ursache daf~ir war, dass die Risiken aus der Ver~inderung zum Teil h6her eingesch~itzt wurden, als das Erhalten und Optimieren des Status Quo. Innerhalb des Unternehmens wie auf~erhalb funktionierte die 2-S~iulen-Strategie aber schon wenige Wochen nach ihrer EinfOhrung st6rungsfrei, was zur steigenden GlaubwLirdigkeit bei den Kunden beitrug und den
1069
ker =:ii:~iii~ii!~:
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.
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,
Ver~inderungswi]]en der Mitarbeiter deut]ich f6rderte. Die Wettbewerber verfLigten i.iber kein verg]eichbares Gesch~iftskonzept und versuchten stattdessen im Markt diverse ,Neuauflagen" des a]ten HERLITZ-Gesch~iftssystems. Diese A]temativen fanden jedoch keine Akzeptanz. Der Lebensmitte]einze]hande] nutzt stattdessen in wachsendem Umfang die erweiterten Funktiona]it~iten des Gesch~iftssystems.
Abbildung 5-3: Umsetzungder 2-Sfiulen-Strategie i -ii
ZIZ.IZ
L. ii..i.2..2...Z....I.IZZZZZ
ZZZIZZZZIIIIIZZZI
iiii iii i
i ii
Systematische Separate Gesch~iftsGesch~ifts- entwicklung planung
~i
i ~.ii
,
Organisatorische Entflechtung
~.~ i!!
Umstellung Partnermarken
Umsetzung des Kommission~irsmodells
Entkopplung der Immobilien vom operativen Gesch~ift
~
Strategieii .
entwicklung ,,2S~ulen" ....... ........ ............ .:........................
Intern wie extern verfLigt HERLITZ heute wieder fiber ein k]ares Zie]system. Trotz anhaltend schwieriger Marktbedingungen konnte die Wettbewerbsposition kontinuier]ich verbessert werden. Die 2-S~iu]en-Strategie bew~ihrt sich zunehmend im Tagesgesch~ift und erreicht schrittweise die angestrebte Marktposition. Damit ist HERLITZ seinero urspriing]ichen Motto ,immer eine Idee voraus" treu geb]ieben. Mit seiner Neuausrichtung erzie]t das Gesch~iftssystem wieder einen Mehrwert, den die Kunden bezah]en. Die Entflechtung in Produkt- und Dienst]eistungsgesch~ift hat zudem die A]]ianzf~ihigkeit von HERLITZ vergr6flert und den Entwick]ungsspielraum erh6ht.
1070
Restrukturierung und Neuausrichtung von Gesch~ftssystemen
HESS,HARALD/FECHNER,DIETRICH(1991): Sanierungshandbuch, 2. Auflage, Neuwied. HINTERHUBER,HANS H. (1989): Strategische Unternehmungsfi~hrung, 4. Auflage, Berlin, New York. ISTVAN,RUDYARDL. (1993): Den Informationsvorteil aussch6pfen, in: Das Boston Consuiting Group Strategie-Buch, ECON. LOCHRIDGE,RICHARDK. (1993): Schaffung der adaptiven Organisation, in: Das Boston Consulting Group Strategie-Buch, ECON. SEAGON,CHRISTOPHER(1998): Die Insolvenzordnung ab 1.1.1999, in: Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz, hrsg. von Buth, A. K./Hermanns, M., M6nchen. ZAHN,ERICH/FOSCHIANI,STEFAN(2000): Erfolgsstrategien im Wandel, Stuttgart.
1071
iii 1
E r f o l g s b e i s p i e l a u s d e r P r a x i s .................................................................................... 1075
2
Sanierungs- versus Restrukturierungsmethoden
.................................................... 1079
S a n i e r u n g s m e t h o d e n ................................................................................................... 1081 3.1
3.2
K o s t e n u n d F i n a n z i e r u n g .................................................................................. 1081 3.1.1
K o s t e n s e n k u n g s m a t ~ n a h m e n ............................................................... 1081
3.1.2
F i n a n z i e r u n g s o p t i m i e r u n g ................................................................... 1082
B i l a n z .................................................................................................................... 1083 3.2.1
4
V e r k a u f v o n V e r m 6 g e n s g e g e n s t ~ i n d e n ................................................ 1083
3.2.2
L e a s i n g t r a n s a k t i o n e n ............................................................................. 1084
3.2.3
A u s l a g e r u n g e n ....................................................................................... 1085
Restrukturierungsmethoden 4.1
4.2
4.1.1
P e r s o n e l l e M a f ~ n a h m e n ......................................................................... 1086
4.1.2
O r g a n i s a t o r i s c h e M a t ~ n a h m e n ............................................................. 1087
4.1.3
I n f o r m a t i o n s t e c h n i s c h e M a t ~ n a h m e n .................................................. 1087
P r o z e s s e ............................................................................................................... 1088 4.2.1
M a t ~ n a h m e n z u r G e s t a l t u n g d e s T e c h n o l o g i e p o r t f o l i o s ................... 1088
4.2.2
Mat~nahmen im Produktentstehungsgang
4.2.3
4.2.4
......................................... 1090
S c h n i t t s t e l l e n m a f ~ n a h m e n ..................................................................... 1093 4.2.3.1
5
...................................................................................... 1085
B e r e i c h e ................................................................................................................ 1086
B e r e i c h e .................................................................................... 1093
4.2.3.2
K o o p e r a t i o n e n / J o i n t V e n t u r e s .............................................. 1094
4.2.3.3
I n t e r n a t i o n a l i s i e r u n g .............................................................. 1095
Produkteinftihrungsmagnahmen
........................................................ 1096
R e s t r u k t u r i e r u n g in I n n o v a t i o n u n d U n t e r n e h m e n s r e c h t e n ................................. 1097
261 Ich bin den Herren DR. RAINER SCHULTHEIt~ u n d Dipl.-Kfm. tech. STEFFEN HESS (ehem. wiss. Mitarbeiter am von mir gefiihrten Lehrstuhl fiir F&E-Management der Universit/it Stuttgart) ffir die kritische Durchsicht des Manuskripts und viele wertvolle Hinweise bei der Ausarbeitung dankbar.
1073
Innovation und Unternehmensrechte
Erfolgsbeispiel aus der Praxis ,,Es ist das erklfirte Ziel, dass PORSCHE in zwei Jahren als Vorzeigemodell ~ r ein gegliicktes Reengineering bzw. eine gelungene Restrukturierung steht". Diesen Satz sprach WENDELIN WIEDEKING 1994 auf dem Deutschen Betriebswirtschaftertag in Berlin aus, als er i~ber ,Reengineering und Rekonstruierung am Beispiel der PORSCHE AG" vortrug (Wiedeking, 1995, S. 217). In diesen zwei Jahren war das Ergebnis vor Steuem von PORSCHE im Konzern von 5,8 Mio. Euro auf 84,5 Mio. Euro hochgeschnellt, um im Gesch~iftsjahr 2003/2004 1.088,0 Mio. Euro zu erreichen. Die Forschungs- und Entwicklungsintensitat (F&E-Intensit~it als Verh~iltnis von F&E-Aufwand zu Umsatz) ist dabei im Restrukturierungszeitraum zur~ickgegangen, w~ihrend auf der anderen Seite die Marke des Unternehmens heute werthaltiger denn je ist 262. Die in diesem Beispiel offenkundig erfolgreicher Restrukturierung angewendeten Methoden beziehen sich aufgrund der Unternehmensspezifika von PORSCHE schwerpunktm~if~ig auf den Bereich Innovation und Unternehmensrechte (mit Forschung und Entwicklung als wesentlichster Aktivit~it in diesem Bereich). Damit ist das Beispiel pr~idestiniert, erfolgreiche Restrukturierungsmethoden hierf~r zu identifizieren. Es werden daher zun~ichst die wesentlichen, damals vom Vorstand formulierten Zielvorgaben dargestellt und am jeweils Erreichten gespiegelt. i
Kostensenkungsmat~nahmen
Ziel: Es sollen mit weniger Mitarbeitern mehr Autos produziert werden. Kostensenkung nur um Geld einzusparen ist nicht die Frage. Ergebnis: Die Produktion nahm im Zehnjahreszeitraum 1993/1994 bis 2003/2004 um das Vierfache zu, w~ihrend die Mitarbeiterzahl in Forschung und Entwicklung nur um ca. 40 % zunahm. Auch wurden Kundenentwicklungsaktivit~iten weitergef~ihrt und ausgebaut. Der zentrale Controllingaufwand f~ir F&E wird mit ca. 6 Mitarbeitern durch Einsatz modernster Projektverfolgungssoftware auf einem Minimum gehalten. Dennoch wurde erreicht, dass ~iber den Verlauf technischer und kommerzieller Daten Transparenz besteht und diese auch miteinander im Einklang gehalten werden. Zus~itzlich ist Planungsarbeit in jedem einzelnen Projekt zu leisten, der aber als direkter Projektaufwand abgerechnet wird. Der Vorstand Forschung und Entwicklung setzt zwar restriktive, aber erreichbare Vorgaben (und beh~ilt sich ca. 20 % des Gesamtaufwandes F&E als zentrale Dispositionsmasse vor). Bei Fremdvergabe von Entwicklungsleistung wird darauf geachtet, dass keine gesonderten Umlagen anfallen, diese vielmehr in das Projektentwicklungsbudget eingerechnet sind. Damit wurden auch externe Leistungen transparenter und vergleichbarer gemacht. 262 PORSCHEweist den F&E-Aufwand im Gesch~iftsbericht nicht aus. Die Aussage beruht auf Gespr~ichen mit Herrn WIEDEKINGam 05.04.2005 und mit Herrn MARCHART(bis 2001 Vorstand Forschung und Entwicklung der PORSCHEAG) am 11.02.2004.
1075
Bi~rgel
m Personelle Mat~nahmen
Ziel: Das Personal ist als Aktivposten fiir Kreativit~it und Engagement auf allen Ebenen und in allen Unternehmensbereichen in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess nach Art des japanischen Kaizen einzubinden. Um das verst~indliche Tr~igheitsmoment eventuell noch nicht i~berzeugter Mitarbeiter zu i~berwinden ist es sinnvoll, Berater aus Fernost zu holen. Reengineering funktioniert im 0brigen nur ,von oben nach unten", d. h. das Topmanagement muss diese Haltung vorleben. Ergebnis: Das Bewusstsein aller Mitarbeiter (inkl. Top- und Middle-Management) fLir flexibles Denken wurde gesch~irft. Es durften Fehler gemacht, aber nicht verschwiegen werden, diese wurden zu keinem Vorwurf gebraucht, sehr wohl aber in den Versuch eines st~indigen Lernens umgemLinzt. Gutes Personal wurde wegen der M6glichkeit des Sich-Kennenlernens u. a. bevorzugt Liber die Vergabe von Diplomarbeiten/Dissertationen versucht zu akquirieren. Alle Mitarbeiter k6nnen einen bestimmten Zeitanteil fi3r Weiterbildung nutzen, sie werden aufgerufen, die bei ihnen immanent vorhandene Kreativit~it durch Verbesserungsvorschl~ige in ihrem jeweiligen Umfeld einzubringen, die innerhalb von zwei Wochen auch beantwortet werden mit einer Grundpr~imie fi3r jede Einreichung eines solchen. Damit wurden flexibles Denken und Eigeninitiative angeregt, wurde ein Wandel vollzogen vom ,,Bastler mit Erfahrung" zum ,,Forschungsund Entwicklungswissenschaftler". Fi~r diesen ,Kulturschock" war viel Schulung, waren viele pers6nliche Gespr~iche notwendig. Monatliche Reengineering-Sitzungen waren Standard. W Organisatorische Mat~nahmen
Ziel: Zun~ichst muss Klarheit Liber Vision und Strategie geschaffen werden, darauf aufbauend soll das arbeitsteilige und funktional ausgerichtete Gebilde PORSCHE zu einem prozessgetriebenen, teamorientierten System transformiert werden, in dem alle beteiligten Funktionen flexibel auch bereits in die Produktentwicklung einbezogen werden. Wenn Produktionskosten um 30 % gesenkt werden mLissen, dann ist man auch bereit, die Hierarchien von sechs auf vier abzuflachen und die Anzahl der Fi3hrungskr~ifte drastisch zu reduzieren. Die Ablauforganisation soll neu in Segmente aufgeteilt werden, um die Komplexit~it besser zu beherrschen, wo von den Kosten und dem Kostensenkungsziel her erforderlich, sollen Entwicklungsaufgaben auch nach aut~erhalb verlagert werden k6nnen. Ergebnis: Auch im Bereich Forschung und Entwicklung wurden flachere Strukturen eingefi~hrt. Damit brauchte die Zahl der Mitarbeiter in diesem Bereich trotz zweier neuer Modellreihen (Boxster und Cayenne) und einer VerfLinffachung des Umsatzes in der Zehnjahresperiode 1993/ 1994 bis 2003/ 2004 nur unterproportional erh6ht zu werden. Die ehemals bestehende Matrix-Organisation wurde aufgebrochen, die notwendige Verbindung zwischen den einzelnen Bereichen wurde durch gezielte Teamarbeit und Regelkommunikation im Rahmen des Simultaneous Engineering hergestellt. Die Fertigungstiefe wurde auf unter 20 % reduziert, vielfach wurde statt Eigen-
1076
Innovation und Unternehmensrechte
entwicklung zu externer Systembeauftragung iibergegangen (nachdem Einigung iiber die ,,erlaubten" Kosten erzielt worden war). Vorentwicklung und Forschung wurden jedem der Segmente zugeteilt, Zentralfunktionen weitestgehend aufgehoben. M Informationstechnische Mat~nahmen
Ziel: Von Japan soll folgende Informationspraxis iibernommen werden: Auf die Frage ,,Wie steht's?" antwortet der deutsche Manager mit einem flapsigen ,,Alles unter Kontrolle". Der Japaner, entsprechend der Kaizen-Idee, wi~rde sagen: ,,Alle wissen Bescheid" - auch iiber gravierende Ver~inderungen im Unternehmen. Die Tageslosungen sollen mit Spruchb~indern und ,Meistertafeln'" kommuniziert werden, letztere, um anzuzeigen, welche Fehler von wem wo gemacht worden sind. Die Anzahl der Mitarbeiter soll darauf erkennbar sein, ihre Qualifikation und die umgesetzten Verbesserungsvorschl~ige. Zus~itzlich zur Werkszeitung soll es ein Werksfernsehen geben, das die Mitarbeiter in die Lage versetzt, bei Diskussionen innerhalb wie aut~erhalb des Unternehmens mithalten zu k6nnen. Ergebnis: Es wurde vollst~indige Transparenz hergestellt, alle Beteiligten vom Konstrukteur bis zum Versuchsingenieur haben den gleichen Informationsstand. Informationsaustausch und Einigung wird meist pers6nlich gepflegt. Mitarbeiter mit unterschiedlichen inhaltlichen Auffassungen wurden aufgefordert, diese direkt im pers6nlichen Gespr~ich unter Beteiligung des vorgesetzten Hauptabteilungsleiters (bzw. bei diesen unter Beteiligung des Vorstands FuE) zu ~iut~ern, um in jedem Fall zu einer einheitlichen Meinung ohne Briiskierung des einen oder anderen zu gelangen. In Bezug auf das IT-Operating wird der Anschaffung der jeweils neuesten Hardware, Software und Methoden (z. B. CAD) stattgegeben, um die Betroffenen auch von dieser Seite her zu motivieren. 0berbordenden Anspri~chen wird mit verniinftigen Priorit~itssetzungen Einhalt geboten. Fehleranalyse wird mit IT-Untersti~tzung betrieben, eine Fehlerliste ist bis zu Beginn des Serienanlaufs abzuarbeiten. Finanzierungsoptimierung
Ziel: Der Restrukturierungsprozess soll nicht das gesamte Unternehmen mit einem Schlag aus den Fugen geraten lassen, sondern kontrolliert und dosiert ablaufen. Damit soll Finanzierbarkeit gew~ihrleistet und trotzdem das Unternehmen wieder in die Gewinnzone gebracht werden. Ergebnis: Reengineering wird als permanente Alltagaufgabe gesehen und so eingefi~hrt. Die dadurch entstandenen zus~itzlichen FuE-Fixkosten wurden durch gestiegene Deckungsbeitr~ige im Zeitablauf kompensiert, so dass nie Finanzierungsprobleme auftraten. Insofern mussten keine Refinanzierungsinstrumente wie Leasing angewendet werden, sie wurden zwar vorbereitet, kamen aber nicht zur Durchfi~hrung. @ Mat~nahmen zur Gestaltung des Technologieportfolios
Ziet: PORSCHEsoll wieder Sinnbild fiir i~berlegene, technische Leistung und innovative Produkte als die wichtigsten Wettbewerbsfaktoren werden und damit Kompetenz 1077
Biirgel
ausstrahlen. Durch ein Management des ,,walking around" soll versucht werden von allen permanent zu lernen- nicht als Eingest~_ndnis eigener Unzul~inglichkeit, sondern als Basis f~ir weitere Verbesserungen. PORSCHE soll technisch wieder Mat~st~ibe setzen, indem das Unternehmen das technisch M6gliche serienm~it~ig zu produzieren wagt. PORSCHE soll damit neue, innovative Produkte auf den Markt bringen und in der Lage sein, das Preissegment zu bestimmen, in dem diese neuen Produkte zu akzeptablen Preisen in drei bis vier Jahren auf dem Markt angeboten werden.
Ergebnis: In technischer Hinsicht wurde sichergestellt, dass der ,,state-of-the-art" in den Produkten und Komponenten realisiert wird. Mit den verschiedenen Vorentwicklungsabteilungen, die neu in jedem Segment angesiedelt wurden, wurde Sorge dafi~r getragen, technisch st~indig an vorderster Stelle arbeiten zu k6nnen. Ferner wurde sehr genau beobachtet, was von welchem Konkurrenten technisch wann neu eingefi~hrt wird, um ggf. sofort bautechnisch gleichzuziehen. Dennoch hat man seinen eigenen langfristigen Technologiekalender, versucht jedoch, diesen mit weiteren diesbezi~glich erh~iltlichen Daten der Konkurrenz zu erg~inzen. PORSCHE- und als Hersteller von high-tech-Produkten im Wesentlichen der Bereich Forschung und Entwicklung- hat es geschafft, mit einer an Zahl nur relativ gering~gig erh6hten Mannschaft innerhalb von 8 Jahren zwei neue Produktlinien aufzusetzen. Dieses wurde technisch m6glich u. a. auch durch strikte Ausnutzung eines Gleichteilekonzeptes, welches es mit sich brachte, dass trotz des unterschiedlichen ~iut~eren Erscheinungsbildes ca. 50 % der rund 15.000 Teile der Automobile identisch sind (also zahlreiche Karosserie- und Fahrgestellteile, nicht dagegen der Motor). ml Mat~nahmen im Produktentstehungsgang
Ziel: Es sollen straffere und zu Simultaneous Engineering kompatible Entwicklungsprozesse konzipiert und eingef~ihrt werden. Ergebnis: Forschung wird nur soweit betrieben, wie erwartet werden kann, dass deren Ergebnisse in drei bis f~inf Jahren in die Serie integriert werden k6nnen. Die Vorentwicklung (3 % vom Entwicklungsbudget) wurde dadurch, dass sie den Segmenten zugeordnet wurde, systematisiert und verschlankt, so dass weniger Entwicklungsschleifen und Anderungen die Folge sind. Es wird streng darauf geachtet, dass nach Konzeptfreigabe keine Anderungen mehr in der Fahrzeugentwicklung ber~icksichtigt werden (,,freezing"), sondern diese bis zum Auflegen eines Nachfolgemodells zu warten haben. Na~rlich ist man sich bewusst, dass jedem Entwickler st~indig Verbesserungen einfallen, aber hier gilt es, Fixpunkte zu setzen. Nach Konzeptfreigabe wird nur noch realisiert unter Einhaltung der geforderten Qualit~it, auch auf Seiten der Zulieferer. Bei Ber~icksichtigung der Tatsache, dass Werkzeuge eine Vorlaufzeit von 10 bis 22 Monaten haben, ist jede andere Vorgehensweise ausgeschlossen. M Schnittstellenmat~nahmen
Ziel: Forschung, Entwicklung, Einkauf, Finanz- und Rechnungswesen, Produktion und Vertrieb sollen durch Segmentierung in einheitliche und i~berschaubare Prozesse ein1078
Innovation und Unternehmensrechte
gebunden, Doppelverantwortungen in der Form einer Matrix abgeschafft werclen. Damit sollen mehr Unternehmertum, mehr Verantwortung vor Ort uncl mehr sich selbst regelnde Prozesse geschaffen werden.
Ergebnis: Ab den Entwicklungsschritten ,,Vorphase/(Konz~tion)" und ,,Definition" sind alle genannten Bereiche in den Produktentstehungsprozess eingebunden, ein Masterplan kennzeichnet transparent jede einzelne Komponente, man zieht ohne kiinstliche Schnittstellen an einem Strang. Mit Kontakten zu ancleren Unternehmen und Kooperationen ist man dagegen eher restriktiv, Strategie ist es, als Nischenanbieter autark zu bleiben. Auch Internationalisierung ist in einem Untemehmen, welches auf den Standort Deutschland setzt (die Tatsache, dass mittlerweile Lohnproduktion in Finnland erfolgt, widerspricht nicht dieser Haltung), kein priorit~ires Thema. @ Procluktein~hrungsmagnahmen
Ziel: Da zu Beginn des Restruk~rierungsprozesses die bereits beschlossenen und geplanten Produktneuein~hrungen wegen mangelnder Stiickzahlen noch nicht zu dem gewfnschten Erfolg ffhren werden, ist es unabdingbar, kurzfristig ein Oberbriickungsprogramm zu planen uncl mittelfdstig ein komplett neues Produktprogramm zu starten (sonst becleutet es das Aus ffr cliesen kleinsten Weltautomobilhersteller). Dabei muss cler Name ,,PORSCHE"mit einer neuen Marke (Boxster, genauso wie sp~iter Cayenne) positiv verknfipft werclen. Ergebnis: Eine Serie neuer Produkte wurde nach clrei Jahren Entwicklungszeit eingeffhrt. Das Kemprodukt 911 wurde nochmals 5berarbeitet und kam als Typ 933 auf den Markt. Die Typen 968 und 928 liefen wie geplant aus. Die neuen Baureihen 911 (neu) und der Boxster 16sten die vorgenannten Produkte ab und wurclen ab 2003 durch den Cayenne erg~inzt. Ffir die Mannschaft wichtig war in cliesem Moment, class eine viel versprechende Neuentwicklung, die schon als Studie yon den Fachleuten h6chste Anerkennung erhalten hatte, praktisch zum selben Zeitpunkt begonnen wurde (Boxster).
2
Sanierungs- versus Restrukturierungsmethoden
Da sich die Forschungs- und/oder Entwicklungsleistung immer zeitverz6gert auf die Innovationsleistung auswirkt, ist es im Fall der finanziellen Schieflage erforderlich zu wissen, welches die Frist ist, innerhalb derer eine Sanierungs- oder Restrukturierungsmat~nahme ,ankommen" s o l l - ist diese Frist kiirzer als die wahrscheinliche Auswirkung der Leistungserstellung, handelt es sich um eine Sanierungsmat~nahme, ist die Frist l~inger als die wahrscheinliche Auswirkung der Leistungserstellung, han1079
i
Biirgel
delt es sich um eine Restrukturierungsmat~nahme (ACHLEITNER/WAHL sprechen in diesem Zusammenhang von reaktiver bzw. antizipativer oder proaktiver Restrukturierung (Achleitner/Wahl, 2003, S. 77)). Diese Aussage gilt auch umgekehrt: wird saniert, so kann c. p. davon ausgegangen werden, dass die Mat~nahmen den Innovationserfolg (scheinbar) nicht sichtbar tangieren, sie sind auf Wiederherstellung einer akzeptablen Ertrags- und Liquidit~itssituation ausgerichtet. Wird restrukturiert, so besteht kein Grund, mit diesen Mat~nahmen jemals wieder aufzuh6ren, denn die Auswirkung betrifft eine Zukunft, in der es ebenso ungewiss ist, ob dann nicht wieder die Gefahr einer Schieflage besteht (Hoch, 1996). Die Mat~nahmen sind auf Effizienz und Effektivit~it zur inhaltlichen Verbesserung der Strukturen im Unternehmen ausgerichtet. Innovationsanstrengungen und dabei insbesondere F&E-Anstrengungen m~issen dazu beitragen, das Unternehmen st~indig neu ,,zu erfinden" (diese Aussage gilt fiir alle Lander, nicht nur fi~r Deutschland). Sanierung allein fi~hrt ein Unternehmen nicht auf den heute so wichtigen Wachstumspfad, dazu ist es notwendig, laufend zu strukturieren, also Wachstumspotenziale aufzubauen (vgl. Abb. 2-1). Unter ,,Bereich Innovation/Unternehmensrechte" wird im Folgenden und jeweils innerhalb desselben Abschnitts v. a. dessen Funktion in Bezug auf die Gestaltung von Prozessen zur Deckung des Innovationsbedarfs verstanden (Hauschildt, 2004, S. 30). Mit ,,Entwicklung" ist ,,Eigenentwicklung" (im Gegensatz zu ,,Fremd- oder Kundenentwicklung") gemeint. Diese Aspekte bieten sich in erster Linie zur Restrukturierung bzw. Sanierung an.
Abbildung 2-1:
Zusammenhang Restrukturierung, Wachstum und Innovationsbedarf (Quelle: o.V., 2005) .................................
Umsatz
~u.,.,.+,~.
II, ....................................................
Kosten
Pro
~ignto ~ b a u VOl : o ~ ~ :I:I::: I~:I: G e s c h S f t e ~
Zeit Ausgangs: basis
1080
Ziel
(z.B. nach 5 Jahren)
Innovation und Unternehmensrechte
3
Sanierungsmethoden
3.1
Kosten und Finanzierung
3.1.1
KostensenkunssmaSnahmen
Kostensenkung, und im hier anstehenden Zusammenhang v.a. Personalkostensenkung in allen Varianten (Li~thy, 1988, S. 106 f.), i s t - sofern unter tarifrechtlichen und betrieblichen Gegebenheiten erreichbar - die schnellste, unmittelbarste Art, Geld zu sparen, um einer akuten Krise entgegenzuwirken. Mit diesem Geld k6nnen Schulden an anderer Stelle abgetragen oder kann investiert werden in Projekte, welche in der vorhandenen Situation als sinnvoller fi~r einen angestrebten Turnaround angesehen werden als F&E-/Innovationsprojekte. Die Gefahr ist jedoch, dass man sich mit kurzfristig wirksamen Einsparungseffekten langfristiges Entwicklungspotenzial verbaut (Liebeskind, 1998; VDI-Gesellschaft, 1997). Auf der Leistungsseite muss man sich deshalb bei Kostensenkungsmat~nahmen die Leistungsstruktur ansehen, die mit den Kosten verkni~pft ist. Der Grot~teil wird vermutlich durch fest definierte F&E-Projekte eingenommen, die sich allerdings in unterschiedlichen Stadien des Produktentstehungsprozesses befinden (vgl. Kapitel 4.2.2). Also wird es sinnvoll sein, diejenigen Projekte zu streichen, die sich am Beginn des Produktentwicklungsprozesses befinden in der Annahme und Hoffnung, dass bei diesen die Ertragsauswirkung am geringsten, weil am entferntesten ist. Nati~rlich ist hier Vorsicht geboten, wird doch mit einem solchen Vorgehen auch das Innovationspotenzial f6r sp~itere Zeiten beschnitten. Man sollte sich nicht von kurzfristigen Sparerfolgen blenden lassen. Streichen kann aber auch heit~en: Radikale Ver~inderung des eingeschlagenen Weges, also unrealistische Projekte abbrechen und stattdessen aussichtsreichere Projekte aufnehmen. So unwahrscheinlich es klingt, so schwer scheint es zu sein, solches bei den Betroffenen durchzusetzen und entsprechend einzusparende Stellen zu finden. Terminverz~ige im Entwicklungsprozess werden ungern offengelegt, zu lange wird die Hoffnung gehegt, den geplanten Termin f6r das Projektende mit den bereits in die Wege geleiteten Mat~nahmen einhalten zu k6nnen (Albert/ H6gsdal, 1987, S. 28). F6r Innovationsprojekte bis hin zur Markenpflege trifft zwar das Gesagte tendenziell ebenso zu, allerdings greifen diese Projekte, da am ,,back end" befindlich, in die T~itigkeit auch anderer Bereiche ein (nicht nur F&E, sondern sicherlich auch Marketing, Werbung, Vertrieb, Service). Wie allerdings seit langem nachgewiesen wurde, wird
1081
~iii
80r~e~
nur ein Bruchteil der Innovationsprojekte sowohl technisch wie kommerziell ,erfolgreich" sein (Commes/Lienert, 1983; B~rgel/Haller/Binder, 1996), so dass es im Rahmen der Innovationst~itigkeit m6glich sein muss zu hinteffragen, welche der eigenen Vorhaben in absehbarem Zeitraum der Kategorie kommerziell vermutlich erfolgreich oder der anderen Kategorie kommerziell vermutlich erfolglos zugeh6ren werden. Trotz absehbarer Schwierigkeiten in der entsprechenden Informationssuche m/isste eine Streichliste damit durchaus zu erstellen sein. Bei bereits angebotenen Produkten geht kein Weg an einer bedingungslosen Analyse von St~irken und Schw~ichen derselben vorbei (mit Hilfe der SWOT-Analyse durch Herausarbeiten von strengths, weaknesses, opportunities, threats). Welche werden bei minimalem zus~itzlichem Einsatz noch die schnellsten Gewinn- oder Deckungsbeitragbringer sein, welche nicht? Auch auf dem Gebiet Unternehmensrechte263 lassen sich Kosten sparen, solche fur Patentanmeldungen ebenso wie solche zur Aufrechterhaltung des Patentschutzes, f/ir Warenzeichen usw. Dieselbe Bemerkung trifft zu: Zukunftspotenzial wird u.U. unzul~issig beschnitten.
3.1.2
Finanzierungsoptimierung
Finanzierungsfragen im Bereich Innovation und Unternehmensrechte anzuschneiden ist eher ungew6hnlich, halt man diesen Bereich doch traditionell f/Jr ein ,,Cost Center": Kosten fallen an, sie m/issen eingegangen o d e r - im Falle einer Restrukturierungsnotw e n d i g k e i t - zur/ickgestutzt werden. Der Gedanke, dass es sich um ,,Profit Center" mit eigenen Finanzierungsfragen handelt, l~isst Dinge anklingen, um die man sich ,eigentlich'" nicht k/immem m6chte: die Aufgabe heit~t Innovation bzw. Ergebnis und L6sungen daraus, nicht aber deren Finanzierung. Erst mit der Blickrichtung ,Profit Center" kommt neben den Kosten der Ertrag ins Spiel, ist es nicht mehr nur eine einwertige Gr6t~e, die ,,zfihlt" (n~imlich ,,Kosten"), sondern ist es eine Gleichung, die in Betracht kommt (n~imlich ,,Leistung", diese bewertet durch ,,Kundennutzen", und dieser ausgedr/ickt in Geldeinheiten). Wird versucht, die ,,Leistung" aus einer Innovationsanstrengung zu bewerten, wird die Sache schon wesentlich schwieriger. Welchen Wert hat ein qualitativ zu definierendes oder definiertes Entwicklungsergebnis f/ir den Markt, f/ir Kunden? Was ist dieser - sei es ein interner Kunde oder eine Entwicklungskooperation- bereit, in seinem Wert-
263 Unternehmensrechte werden im Beitrag mit Intellectual Property Rights (IPR) gleichgesetzt und umfassen nach § 266 HGB ,Konzessionen, Gewerbliche Schutzrechte und iihnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten"; unter Gewerbliche Schutzrechte fallen insbesondere Patente, aber auch Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Software und Marken (Klein, 1994, S. 31).
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Innovation und Unternehmensrechte
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sch6pfungsprozess daffir zu zahlen? Dasselbe trifft zu bei einem Forschungsergebnis (da dieses i. d. R. an die Entwicklungsabteilung weitergegeben wird, handelt es sich hier immer um einen internen Kunden), und/ oder bei einem Unternehmensrecht (einem Patent, einer Lizenz). Von hier ist es nicht mehr weit zu der 0berlegung: wie finanziere ich diese Leistung? Die Kostenseite wird Finanzierungsfragen aufwerfen (sonst w~iren in der Tat lnnovationskosten und Kosten ffir die Erstellung eines Unternehmensrechtes gleich den Ausgaben daffir). Das wird aber vermutlich in diesem strengen Sinne nicht der Fall sein, bei der Aktivierung einer gekauften Betriebssoftware wird dieser Zusammenhang sofort durchbrochen. Immer muss es also das Ziel sein, dass Kosten exakt und m6glichst sp~it, und dass Ertr~ige ebenso exakt und m6glichst friih, abgerechnet werden.
3.2
Bilanz
3.2.1
Verkauf yon Vermbgensgegenstinden
Die Parallele zur Kostensenkung, die sich in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) auswirkt, ist das Abstot~en von Verm6gensgegenst~inden, das sich in der Bilanz auswirkt und ,Geld in die Kasse'" fliet~en l~isst, um eventuell mit diesem Cash-Flow sp~iter andere, im Moment sinnvoller erscheinende Verm6gensgegenst~inde zu erwerben (also Aktivtausch zwecks Restrukturierung zu betreiben). Sieht man sich die Bilanz an, so tauchen darin implizit Verm6gensgegenst~inde auf, welche den Bereichen Innovation bzw. Unternehmensrechte zuzuordnen sind, insbesondere: @i Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ~ihnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten, N Sachanlagen, hier technische Anlagen und Maschinen sowie andere Anlagen und Betriebs- und Gesch~iftsausstattung. Hier heit~t es eventuell: Abstot~en von nicht betriebsnotwendigem Verm6gen, auch wenn es sich dabei h~iufig in den Augen der Beteiligten um das ,, Tafelsilber" handelt. Es ist dann durchaus m6glich, Patente, Lizenzen und Marken, selbsterstellte und gekaufte Software daraufhin zu untersuchen: dienen sie wirklich dem Gesch~iftsbetrieb oder werden sie diesem in unmittelbarer Zukunft dienen und welche Art Einnahmen k6nnen durch sie erzielt werden? Wenn das ffir das Unternehmen nicht bejaht werden kann, dann k6nnen sie auch verkauft, kann ,,geistiges Eigentum" (so wertvoll es zun~ichst erscheinen mag) auch zu Geld gemacht werden. Das kann z.B. auch durch
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BiJrgel
Tausch an Verwertungsrechten in der Form von cross-licensing geschehen, so dass Lizenzen erworben werden, deren Nutzen ffir den laufenden oder ki3nftigen Gesch~iftsbetrieb ftir das eigene Unternehmen h6her eingesch~itzt wird als diejenigen, die man abzugeben bereit ist. Allerdings darf nicht ~ibersehen werden, dass diese Mat~nahmen nur einen ,,Einmaleffekt" mit sich bringen, d.h. l~ingerfristig auch zu einem ,,schleichenden Unternehmenstod" fiihren k6nnen. Unter den Sachanlagen wird es nicht so sehr die Laborausstattung sein, die als nicht ben6tigte Betriebs- und Gesch~iftsausstattung abgestot~en werden kann, aber sehr wohl Teile des F&E-Invest (z. B. Test- bzw. Referenzanlagen fi3r ~iltere Produkte).
3.2.2
Leasinstransaktionen
Das Instrument ,,Leasing" im Rahmen von Restrukturierung kann f(ir den Bereich Innovation/Unternehmensrechte in mehrfacher Hinsicht interessant sein: sowohl ffir Wirtschaftsgi3ter des Anlageverm6gens (vgl. Kapitel 3.2.1), dann fiir Personal, schliet~lich fi3r Untemehmensrechte. In allen Fallen werden Fixkosten in variable Kosten umgewandelt. Das Leasen von Anlagegi3tern wie z. B. Rechenanlagen, Laborausri~stung und dergleichen bringt je nach Vertragsgestaltung (Capital Lease versus Operating Lease - nur Letzteres ist hier gemeint, Ersteres schafft wieder ein zu aktivierendes Anlagegut (Leippe, 2002) zus~itzlich den Vorteil, dass der Leaser vom Lessor vermutlich die jeweils neueste Generation dieser betreffenden Anlagekategorie zur Nutzung bereitgestellt bekommt. Soll ein bereits im Eigentum und in Nutzung befindliches Anlagegut in einen solchen Leasingvertrag umgewandelt werden, spricht man von ,Sale-and-Lease-back". Der Vorteil liegt auf der Hand: wieder wird Anlageverm6gen ,,versilbert", die Nutzung kann beibehalten werden, statt Abschreibungen belastet die Kostenrechnung eine ratierliche Leasingrate. Neben einer Verbesserung der Bilanzstruktur k6nnen steuerliche Vorteile erreicht werden, auch sind positive Einfli~sse auf die Bewertung von Haftungsbasis, Liquidit~it und Ertrag zu erwarten (Commerzbank AG, 2003). Im Falle von Personalleasing ist die Konstruktion ~ihnlich: man will nicht Eigenpersonal mit allen auch fi~r die Zukunft geltenden Verpflichtungen (Ki3ndigungsschutz, freiwillige soziale Leistungen) auf der payroll stehen haben, sondern gut ausgebildetes Personal ohne diese Verpflichtungen und nur als laufende Kosten. In der Folge der Reform der Eigenkapitalstandards nach Basel II und der erh6hten Bedeutung des Bankenratings fi3r die Kreditwi~rdigkeit der Untemehmen werden von Finanzdienstleistern mittlerweile auch Leasingtransaktionen fiir Marken- und Patentrechte sowie z. B. ffir Arzneimittelzulassungen und die Erstellung von Software angeboten (Commerzbank AG, 2003).
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Innovation und Unternehmensrechte
3.2.3
Auslagerungen
Auslagerung heit~t Abgabe von Betriebsteilen, die bislang operativ in das Unternehmen integriert waren, um entweder wieder Geld hereinzubekommen (Divestiture, Sell-off), um die Verantwortung fiir ein als mehr oder weniger risikoreich angesehenes Unterfangen abzugeben (Spin-off, Equity Carve-out), oder um das Augenmerk ohne irgendwelche sonstige Ver~inderungen im Portfolio besser auf einen als kritisch angesehenen Betriebsteil zu lenken (Targeted Stock; Jaeger, 1999). Unternehmen, die sich in expansiven Zeiten in M&A (Mergers and Acquisitions) engagiert haben, um sich profitabler oder wachstumstr/ichtiger zu positionieren, kommen nicht selten in die Verlegenheit, in der Form von Divestitures oder Sell-offs das Gegenteil - entweder bei den vorher zugekauften Teilen oder bei anderen sich im Portfolio befindlichen- praktizieren zu mtissen, um Verlustaussichten bzw. WachstumsschwSchen wieder aus dem Weg zu gehen. Ist die Situation fiir das Unternehmen nicht so iiberschaubar und klar, sondern soll einer AktivitSt unter eigenem Dach die besseren Chancen gegeben werden, sich zu einem wesentlichen Business zu entwickeln, so eignen sich einmal die Form des Spinoff, nSmlich die Er6ffnung der M6glichkeit, aus einer Randaktivit/it mit oder ohne eigenem (Forschungs- und/ oder Entwicklungs-)Personal ein Business zu machen (hierunter ist insgesamt das New Venturing einzuordnen, soweit es von Unternehmen zur Durchsetzung einer innovativen Idee initiiert wird), oder aus dem Unternehmen Eigenkapital zur Verftigung zu stellen (Equity Carve-out), um in derselben Weise einer Aktivit~it neuen Elan zu geben. Soll nicht soweit gegangen werden, dass ein eigenes Unternehmen mit eigener Rechtsform entsteht, soll aber trotzdem der positive Effekt eines eigenen ,Bilanzkreises" (separate Buchungseinheit) ausgenutzt werden, so ist als neuestem Instrument von ,Targeted Stock" die Rede, also Eigenkapitalanteilen, welche spezifisch einer Unternehmensaktivit/it zugeordnet sind, um Bilanz- und Ertragsratios auf diese Einheit anwenden und ftir Externe sichtbar machen zu k6nnen.
4
Rest ru ktu rieru ngsmethoden
Ankn/ipfungspunkte f/ir Restrukturierungsmethoden im Bereich Innovation/Unternehmensrechte k6nnen die Fachbereiche Personal, Organisation, Information und Finanzen sein, ferner k6nnen es wertsch6pfende Prozesse sein, die von der Funktion Innovation/ Unternehmensrechte angestot~en werden und die viele andere Stellen innerhalb des Unternehmens (Logistik, Produktion, Vertrieb) tangieren.
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4.1
Bereiche
4.1.1
Personelle Mal~nahmen
Der Bereich Innovation/Unternehmensrechte gilt im Untemehmen als Leistungsbereich, seine Arbeit vollzieht sich durch und mit Personen. Das fiir die Unternehmensziele am besten geeignete Personal zum jeweils richtigen Zeitpunkt einsatzbereit und in gen/igend grot~er Zahl zur Verfiigung zu haben, geh6rt zu den vornehmsten Aufgaben der Strukturierung und damit der Restrukturierung. Dieses Vorgehen kann sogar eine h6here Mitarbeiterfluktuation zulassen als dies in anderen Funktionsbereichen wiinschenswert ware. Folgende Instrumente sind auf dieses Ziel hin auszurichten: .Ni Anreizsystem Mit Anreizsystem sind alle Mat~nahmen gemeint, welche dazu geeignet sind, Personal f-fir seine jeweiligen Aufgaben so zu motivieren, dass einerseits die vorgenommene Leistung nach M6glichkeit optimal erbracht wird (d. h. heute z. B. schnell und doch fehlerfrei), dass aber andererseits diese Leistung trotz der hohen Anforderung auch irgendwie gern erbracht wird, dass die dahinter stehenden Mitarbeiter ,motiviert" sind (Domsch/Gerpott, 1991). Diese Motivation ist ganz besonders erforderlich, wenn die Leistung aufgrund geforderter permanenter Effizienzverbesserung in allen Prozessen stSndig auf dem Optimum gehalten werden soll (Kontinuierlieher Verbesse-
rungsprozess/jap.: Kaizen). W Personalmix und Qualifikationsstruktur Bei Fragen der Restrukturierung zeigt es sich, dass die Funktion Innovation/Unternehmensrechte und der Fachbereich Personal zwar einerseits jeweils genuine Aufgaben haben, andererseits kontinuierlich zusammenarbeiten miissen, um die Gesamtzahl an eigenen und eventuell fremden Mitarbeitern, den Personalmix und die Qualifikationsstruktur auf den gewiinschten Stand zu bringen und zu halten. Dazu miissen beide Bereiche gemeinsam im Rahmen der Strategischen Planung auch die Planung des Personalbedarfs in seinem Umfang, seiner Zusammensetzung und in seiner Qualifikationsstruktur durchfiihren. Zi Personalentwicklung Die soeben behandelten Fragen diirfen selbstverst/indlich nicht nur fiber Einstellungen bzw. fiber Entlassungen gel6st werden. Aus- und Weiterbildungsmagnahmen, also Personalentwicklungsmat~nahmen ftir das vorhandene Personal- frfih genug bzw. kontinuierlich durchgefiihrt- sind genauso gut oder vielleicht sogar noch besser (auch besser als teure Umschulungsmat~nahmen) dafiir geeignet. Dadurch kommt die Haltung zum Ausdruck, auch l~ingerfristig die Bindung zu einem/einer einmal eingestell-
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Innovation und Unternehmensrechte
ten MitarbeiterIn aufrecht erhalten zu wollen, selbst wenn das Umfeld eingetrfibt sein sollte. Eine Abstimmung mit dem Betriebsrat fiber diese Fragen ist angebracht.
4.1.2
Organisatorische MaBnahmen
Behandelt werden im Folgenden Instrumente zur Restrukturierung in der Aufbauorganisation, Instrumente der Ablauforganisation werden weiter unten unter Prozesse (vgl. Kapitel 4.2.3) besprochen. Z Organisationsgestaltung Bei Organisationsgestaltung geht es um die Effektivit~it der Aufbauorganisation, also der Institution Innovation (Hauschildt, 2004, S. 29), so wie sie im Unternehmen gegenw~irtig national und eventuell international besteht: Wird in allen Phasen, bei allen Projekten, wird im Umgang mit den eingesetzten bzw. gesuchten Technologien allseits das Richtige getan? Es handelt sich dabei um die Vorfrage zu der darauf folgenden Prozessfrage: Wird es mit diesem Aufbau dann auch effizient (d. h. richtig) getan (dazu Heeg/Meyer-Dohm, 1994)? M Informelle Organisation Die Strukturierung einer Aufbauorganisation ist eine formelle Angelegenheit und trotzdem immer wieder n6tig. Seit BARNARD (Barnard, 1968) weit~ man um die Bedeutung der informellen Organisation in Unternehmen, die gerade im Bereich Innovation/ Unternehmensrechte von grot~em Wert sein kann. Naturwissenschaftler ebenso wie Ingenieure ffihlen sich stark ihrer Profession verbunden und pflegen den informellem Austausch, aber natfirlich nur, wenn dieser nicht durch organisatorische Schranken und Mauern behindert wird. M Wissenschaftliche Community Es ist bekannt, welche hohe Bedeutung die Wissenschaftliche Community ffiir Mitarbeiter im Bereich Innovation/Unternehmensrechte hat (Schultheif~, 2001, S. 205). Im Wege der Restrukturierung ist es angebracht, dieses Netz verst~irkt zu erweitern, k6nnen doch damit Informationen fiber technische Trends einhergehen, technische Voraussagen und wahrscheinliches Verhalten von Konkurrenzfirmen, welche zur eigenen schnellen Neupositionierung sehr wertvoll sein k6nnen (Sydow, 2002).
4.1.3
Informationstechnische MaBnahmen
Information und die dahinterstehende Technik im Zusammenhang mit Strukturierung bzw. Restrukturierung hat etwas mit inner- bzw. zwischenbetrieblicher Abstimmung zur Vermeidung yon Medienbriichen und mit Migration von einer zu einer n~ichsten
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BOr~el
Generation zu tun. Hier sind fast nur strategische Fragen angesprochen, kurzfristiges Taktieren di~rfte wegen der Fristigkeit der damit verbundenen Abmachungen und Vertr~ige schwierig sein (Davenport, 1993). Mit diesen Mat~nahmen wird die Grundlage geschaffen auch ~ r ein Management von Wissen (B~irgel/Forschner/Neff, 1997; Bi~rgel/Zeller, 1998). Instrumentelle Unters~tzung leisten Simulationssysteme (Kettinger/Teng, 1997; Klein, 1994) und Dokumentenverwaltungssysteme.
4.2
Prozesse
4.2.1
/VlaBnahmen zur Gestaltung des Technologieportfolios
Nach der hier vertretenen Auffassung, dass Restrukturierung im Bereich Innovation/ Unternehmensrechte eine permanente Aufgabe ex ante und nicht eine sporadische Aufgabe ex post i s t - mit anderen Worten in den genannten Bereichen der Unternehmen ein st~indiges ,,Business Process Reengineering" (Kr6ger, 1995; Bi~rgel, 1993)oder noch anders ausgedri~ckt eine st~indige Pr~istrukturierung stattfinden m u s s - ist es nur konsequent, die Technologiefelder, in denen man t~itig ist oder t~itig sein m6chte einer st~indigen Beobachtung zu unterziehen (Day/Schoemaker/Gunther, 2000). I
Technologiefri~herkennung
Die explorative Phase der Technologiebeobachtung wird unter dem Begriff ,,Technologiefridherkennung" gefi~hrt. Hier mi~ssen laufend alle nur denkbaren Instrumente auch in Kombination angewendet werden, um ausmachen zu k6nnen, ob und im bejahenden Fall welche Technologien zuki~nftig f6r das Unternehmen relevant werden k6nnten. So hat sich fi~r Telekommunikationsunternehmen der Begriff ,, TIMES" gebildet, in dem Beobachtungsfelder subsumiert sind, die f~ir diese hohe Bedeutung haben, n~imlich Telekommunikation, Informationstechnik, Medien, Elektronik und Sicherheitstechnik. Innerhalb dieser Deskriptoren lassen sich in gleicher Weise weitere Untergliederungen herausfiltern, je nach gewi~nschtem Beobachtungsraum. Das weite Feld der Technologiefr~iherkennung l~isst sich seinerseits weiter aufgliedern in Phasen der Identifikation, der Analyse und der Evaluation. Instrumente zur Bereitstellung von Informationen auf diesen Gebieten sind (Zeller, 2003, S. 34) (1) Expertenbefragung/Expertennetze, (2) Tagungs-/Kongressbeobachtung, (3) Publikationsanalyse, (4) Bibliometrie/Technologielandkarten, (5) Patentanalyse, (6) Trendextrapolation, (7) Kreativit~itstechniken, (8) Szenariotechniken, (9) Cross-Impact-Analysen, (10) Nutzwertanalysen und (11) Technology Roadmapping. Zur strategischen und nachhaltig stimmigen Strukturierung der hier in Frage stehenden Aufgaben wird kein Weg daran vorbeigehen, mittels dieser Instrumente und
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Innovation und Unternehmensrechte
durch ZusammenfLigen der einzelnen Daten und Informationen das Technologiefeld oder die Technologiefelder einzugrenzen, innerhalb derer man selbst t~itig sein oder werden will, und diese mit der marktlichen Seite abzustimmen, so dass ein ,fit" entsteht zwischen Markt- und Technologieanforderungen, und zwar in gegenseitiger Abstimmung (Technology Push und Market Pull; Droege & Comp., 2003; Boutellier/ V61ker/Voit, 1999). Beispiele f/ir nicht gelungene Beobachtung dieses Tatbestandes und nicht erfolgter Abstimmung im Unternehmen sind jedem gegenw~irtig, sie zeigen iiberdeutlich, wie lange die Vorlaufzeiten sind fiir eine geeignete Strukturierung bzw. dass Sanierungsmat~nahmen allein nicht geniigend Anpassungszeit dafiir lassen. @ Technologieaudit Technologiebeobachtung geh6rt zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens, sie 1/isst aber u. U. vergessen oder verdr/ingen, dass auch ein Status der gegenw/irtig in ,,Gebrauch" stehenden Technologien notwendig ist, um sicher zu sein, dass vorhandene und in Nutzung stehende Technologien eventuell bereits strategisch neu zu sortieren sind. Eigene und fremde Technologieakquisition kann die Folge sein. Dazu dient der Technologieaudit, bei dem es sich um eine formale Methode handelt, um das Teehnologiepotenzial zu bewerten und mit den technischen Anforderungen eines Unternehmens in Einklang zu bringen. Forschung, Entwicklung, IPRs, Produktionsverfahren, Produkte unterliegen dabei einem Screening, um diese im Hinblick auf die Wettbewerbsf/ihigkeit und letztlich die Innovationspotenziale neu auszurichten. Die N/ihe zu einer ,,SWOT-Analyse", hier in Bezug auf Technologien, ist unverkennbar. Ein solcher Technologieaudit kann in regelm/it~igen Abst~inden erfolgen, er muss sofort begonnen werden, wenn Verdacht darauf besteht, dass u.U. das gegenw/irtige Technologieportfolio nicht den zukiinftigen Anforderungen entsprechen k6nnte. Dabei sollte es nicht tabu sein, ein solches Unterfangen unternehmensweit anzugehen: kein Gesch/iftsbereich sollte ausgenommen sein, sich dieser Frage zu stellen, und das heit~t auch, diesen mit den Marktpotenzialen seiner jeweiligen Produktpalette zu konfrontieren. Kurz-, mittel- und langfristige Uberlegungen miissen hier in Einklang gebracht werden. So kann es sein, dass in einem Bereich, welcher Konsumg/iter vertreibt, Kundenwiinsche sich schnell ver/indern und nach Anpassung der Produkte verlangen, w~ihrend auf technologischer Seite langfristigere Entscheidungen getroffen werden miissen. Beispiel hierfiir ist der Markt fiir Kommunikationsendger~ite mit der (langfristigen) Entscheidung eines diesbeziiglichen Herstellers dariiber, ob ein Zusammengehen von Kommunikationstechnik und Informationstechnik wahrscheinlich ist oder nicht (mit entsprechend anderer Entscheidung iiber den Einstieg in nur eines oder in beide technologischen Gebiete). @ Technologiekalender Um das Ergebnis einer Abstimmung von Technologie- und Marktpotenzial mit den eigenen strategischen Innovationsaktivit~iten, die man f/Jr richtig halt, hausintern organisatorisch einzuleiten und in eine sinnvolle Abfolge bis hin zur Markteinfiihrung
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BiJrgel
und der Diffusion der Produkte zu bringen empfiehlt sich oft ein Technologiekalender. Bei diesem handelt es sich um den Versuch, bestimmte Technologien in den eigenen Produkten dann zur Verfiigung zu stellen, wenn der Markt und damit der Kunde es verlangt und dafi~r zu zahlen bereit ist (d. h. - noch pointierter - nicht in Technik, sondern in M~irkte zu investieren). Das kann sich na~rlich nur ein Untemehmen leisten, das die Technologiefi~hrerschaft beansprucht, also ~iber einen langen Zeitraum in der Zukunft technologische ,,Roads" nicht nur vorhersagt, sondern proaktiv mitbestimmt und sich dann auch mit einer gewissen Technologiemacht am Markt durchsetzt. Der professionelle Einsatz des Auf- und Ausbaus von Untemehmensrechten geh6rt hier mit dazu. Damit wird nicht nur kein Raum gelassen ~ r eventuelle Sanierungsnotwendigkeiten, sondern aktiv der Weg mitbestimmt, wie die Zukunft aussehen soll, insbesondere wie mit neuen Produkten oder neuen Anwendungen das Gesch~ift auf eine neue Basis gestellt und Wachstum (vgl. Abb. 2-1) erzielt werden soll.
4.2.2
MaBnahmen im Produktentstehunsssan8
Unter Produktentstehungsgang wird der Weg verstanden, den ein Innovationsprojekt bis hin zu einem neu am Markt einzufiihrenden Produkt (einem Verfahren, einem Material, einem System oder einem Unternehmensrecht) nimmt. Am Anfang steht (fast) immer ein oder mehrere Forschungs- und/oder Entwicklungsprojekte, am Schluss die Innovation. Diese wiederum ist f~r die Marketingseite als Produktprojekt der Beginn eines Diffusionsprozesses. Das Controlling sieht beide Prozesse zusammen und unterscheidet in eine Forschungs-/ Entwicklungs-Investitionsphase und eine Umsatzphase mit Beobachtung des Break-Even-Points und eines sich (hoffentlich positiv) entwickelnden Returns. Wie Investitions- und Umsatzphase verlaufen, welche H6hen und L~ingen sie erreichen, das ist nicht als zuf~illig zu betrachten, wenngleich insbesondere in der anf~inglichen Investitionsphase immer noch (v. a. von Seiten der Technik) die Meinung zu h6ren ist, dass hier das technische Ergebnis mit allen seinen Widrigkeiten der Entstehung im Vordergrund steht, und dass dieses sich eben gerade nur sehr wenig steuern l~isst. Na~rlich bringt jede Unterteilung eine Segmentierung mit Schnittstellen und die Notwendigkeit mit sich, den Fluss dadurch insgesamt nicht aufzuhalten. Nachstehend werden die Phasen im Einzelnen betrachtet (wobei sich die Termini in der Praxis unterscheiden m6gen, den dahinterstehenden Gedanken aber nicht zunichte machen). Unter dem Gesichtspunkt der Strukturierung sollte auch Klarheit dar~iber bestehen, wie viele Produktideen sich innerhalb der ,,Pipeline", und d. h., innerhalb welcher der einzelnen Phasen befinden. Zu viele Ideen, zu wenig Umsetzung mi~ssen in diesem Fall bedeuten, den ,,Durchsatz" an Ideen zu erh6hen, um Produktideen nun auch wirklich auf den Markt zu bringen. Das kann heit~en, Sp~itphasen im Produktenstehungs-
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Innovation und Unternehmensrechte
gang mehr zu f6rdern als Fri~hphasen, sind doch in allen Phasen Mitarbeiter beteiligt, die in Schlussphasen zur raschen Umsetzung unabdingbar sind. E Konzeption Die Entscheidung zum Beginn der Konzeptionsphase fi~r ein neu zu entwickelndes Produkt ist ein Startschuss dafi~r, dass fi~r eine vorhandene Produktidee geringe erste Ressourcen eingesetzt werden sollen, um am Schluss dieser Phase eine Machbarkeitsstudie (,,Feasibility Study") vorstellen zu k6nnen. Diese muss belegen, dass mit den dem Unternehmen gegebenen bzw. von diesem zu beschaffenden Ressourcen die Umsetzung der Idee grunds~itzlich m6glich ist und eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besitzt, die dann auch h6her ist als die anderer Ideenskizzen. Damit verbunden ist bereits ein erster Auswahlvorgang, kann doch immer wieder beobachtet werden, dass es nicht an Ideen mangelt, sehr wohl aber an der Umsetzung dieser Ideen. Nicht selten erbringen solche Instrumente wie Ideenwettbewerbe in den Unternehmen (oder in geringerem Mat~e das Betriebliche Vorschlagswesen) so viele Produktideen, dass nur ein Bruchteil davon in den Produktentstehungsgang aufgenommen werden kann. Unter Strukturierungsgesichtspunkten kommt es also darauf an, diejenigen Ideen, die den im Produktentstehungsgang bis hin zur Kommerzialisierung am meisten versprechenden Verlauf zu nehmen in der Lage sind, einem ersten Plausibilit~itscheck zu unterziehen, und alle anderen eher fallen zu lassen. @! Definition In der Phase ,,Definition" werden i~blicherweise bereits mehr Ressourcen eingesetzt, deshalb sollten in diese Phase nur die Produktideen eingehen, denen die Machbarkeit testiert wurde und eine Kommerzialisierung sehr wahrscheinlich ist. Umgekehrt muss das aber heit~en, dass diese Phase bei Vorliegen dieser Bedingungen auch vorangetrieben und schnellstm6glich beendet werden muss unter Einsatz aller heute g~ingigen Instrumente zur Reduzierung von Komplexit~it und zur Beschleunigung des Prozessablaufes, als da sind: Standardisierung, Stmkturierung, Simultaneous Engineering, Rapid Prototyping (Bi~rgel/Haller/Binder, 1996, S. 41f.). Es sollte eines der wesentlichsten Prinzipien sein, mit der folgenden Phase Systemgestaltung nicht ohne allseits abgehakte Definition (einschliet~lich der Fixierung eines Kostenzieles entsprechend dem ,,Target Costing") und dem Phasenergebnis Spezifikation zu beginnen. Na~rlich stot~en sich an dieser Stelle mannigfache Interessen in einem Unternehmen: so stehen sich ggi~. bekannte Kundenwi~nsche und vielleicht schon Zusagen ggii. Kunden, Produktionsnotwendigkeiten mit Lageraufbau auf der einen Seite, auf der anderen Seite Vorarbeiten und erste Suchvorg~inge, die sich um Monate i~berlagern k6nnen. Hier auf formaler Oberpr~ifung wie z. B. im ,,Stage-GateProzess" suggeriert (Oberpriifung von Teilergebnissen - Gates - nach Ablauf bestimmter P h a s e n - Stages) zu bestehen, kann aus der Sicht aller Beteiligten kontraproduktiv fiir das werdende Produkt sein. Grauzonen, mehr entsprechend einem Trial-andError-Vorgehen mit Risikoabsch~itzung, mi~ssen erlaubt sein (vgl. Kapitel 4.2.3). Bei
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Restrukturierungen muss es v. a. Ziel sein, den Prozess der Risikoabsch~itzung parallel zur Produktentwicklung zeitnah zu betreiben, um nach M6glichkeit Abbrfche wegen erst sp/iter festgestellter Schwierigkeiten ebenso zu vermeiden, wie aufw/indige Nachentwicklungen wegen mangelhafter Definition. @ Systemgestaltung In der Phase der Systemgestaltung wird ausgearbeitet, was eine Spezifikation mit bekannten, definierten und begrenzten Leistungsmerkmalen aussagt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Leistungsmerkmale sollten kein Verschiebebahnhof entweder zugunsten der Kunden oder der Technik sein: in ersterer Hinsicht, um die Anforderungen, die wfnschenswert sein k6nnten, st~indig aufzunehmen und so eine laufende Anpassung des Leistungsspektrums (Moving Targets) zu erzwingen, in letzterer Hinsicht, um bei jeder technischen Schwierigkeit den Leistungsumfang gem/it~ ehemaliger Spezifikation abzuspecken und nachliefern zu wollen, was selbst fiber neue Releases, Maintenance oder Nachentwicklungen nicht abgefangen werden kann. Die Phase Systemgestaltung ist schwer zu verfolgen, Projektverz6gerungen, qualitative Probleme und/oder Kostenfberschreitungen sind an der Tagesordnung. Hier der Technik im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligter ,,auf den Fersen zu bleiben" und schnell zu reagieren, wenn sich unerwfnschte Abweichungen ergeben, muss unter Strukturierungsgesichtpunkten oberstes Ziel bleiben. Und doch entwickeln sich Technik und Aufwand mangels erkennbarer und kompatibler Markierungspunkte nicht immer parallel. Als Instrumente zur Oberwindung dieser Schwierigkeiten k6nnen beispielhaft die Meilensteintrendanalyse und die Entwicklungswertanalyse gelten (Bfrgel/Haller/Binder, 1996, S. 312ff.). Bei der Meilensteintrendanalyse werden vorher festgelegte Meilensteine ffr ein zu verfolgendes Projekt in Abh/ingigkeit zu ebenfalls vorher festgelegten Berichtszeitpunkten verfolgt. Dadurch sollen die Entwicklung von Reifegrad und Restzeitsch/itzung bis zur Fertigstellung frfhzeitig sichtbar gemacht werden. Ein noch aussagefiihigeres Instrument ist die Entwicklungswertanalyse. Sie versucht, laufend (und nicht nur zu Meilenstein- bzw. Berichtsterminen) die realiter erbrachte Projektleistung wahrheitsgem/it~ zu erfassen und ffr die Frfhsteuerung auszuwerten. Viel Leerlauf und damit Aufwand ffr Schleifen, Nachentwicklungen und Fehlentwicklungen kann gespart werden, wenn in diesem Punkt durch enge Abstimmung zwischen Technik und Kommerz ein flfssiger Produktentstehungsgang aufrechterhalten werden kann. N Integration und Test In der Phase Integration (z. B. von Hardware- und Software-Komponenten, aber auch von solchen einer Kategorie untereinander) und Test zeigt sich, wie gut oder schlecht im Produktentstehungsgang bis dahin gearbeitet wurde, wie viele Fehler entsprechend der hier zu erstellenden Fehlerprotokolle ausgemerzt werden miissen.
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Innovation und Unternehmensrechte
F/Jr den darauf folgenden Test gilt dasselbe: soll herausgepriift werden, w a s n i c h t hineinentwickelt wurde, oder ist es der Routine-Probelauf zur Demonstration professioneller Arbeit? Wenn schon der Testbetrieb notwendig ist, um z. B. Problemen bei extremen Temperatur-, R/ittel-/ Sch/ittel- oder Dauerlauf-Tests auf die Schliche zu kommen, dann ist die Frage dennoch: Sind die dafiir erforderlichen Testanlagen planerisch in den Produktentstehungsgang integriert (gewesen), so dass sie bei Bedarf vorhanden waren, andererseits auch nicht nutzlos herumgestanden und damit Leerkosten verursacht haben? Technische Realisierung Die Technische Realisierung mit dem Fertigungsmuster als Ergebnis muss bei Vorliegen eindeutiger Fertigungsunterlagen- welche zeitgleich mit dem Entwicklungsprozess entstanden sein sollten - ohne grot~e Probleme m6glich sein. Heute bekannte Methoden des schon genannten Rapid Prototyping (wie z. B. Stereolithographie, Laser-Sintern, Fused Deposition Modeling) erlauben es, in den Vorphasen an geeigneten und wichtigen Transferstellen z.B. Designmodelle/Anschauungsmuster f/Jr Marktanalysen, geometrische Prototypen zur 0berpr~ifung der Herstellbarkeit, Funktionsprototypen zur Darstellung des technischen Leistungsumfanges zu erstellen, so dass die Realisierung des technischen Prototyps nur noch eine letzte Routineaufgabe darstellt (Universit~it Stuttgart, 2002).
4.2.3
Schnittstellenma6nahmen
4.2.3.1
Bereiche
Das Wort ,,Schnittstellen" betont mehr das Trennende, das englische Wort ,,Interface" mehr das Verbindende, und die beiden Deutungen weisen auf die jeweilige Philosophie hin, die f/Jr eine m6glichst reibungslose Kopplung zwischen zwei prozessual miteinander verbundenen Bereichen m6glich und denkbar sind: werden diese eher als abgeschlossene Einheiten betrachtet, die bei klarer Definition der 0berg~inge ex definitionem ineinander passen wie Schl/issel und Schloss, oder geht m a n - getr~ibt durch mehr oder weniger b6se Erfahrungen- eher davon aus, dass es sinnvoll ist, durch fliet~ende 0berg~inge im Sinne des Simultaneous/Concurrent Engineering (Zusammenarbeit aller an einer Produktentwicklung beteiligten Bereiche zum fr~hestm6glichen Zeitpunkt) erst gar keine solchen Scharniere entstehen zu lassen? Diese Schnittstellen gibt es immer, wenn ,,Bereiche" zusammengeflanscht sind, die miteinander arbeiten m/issen, aber ihrerseits unter eigener organisatorischer Verantwortung stehen. Zu denken ist an Schnittstellen zwischen: (1) Forschungsbereich/ Entwicklungsbereich, (2) Entwicklungsbereich/Produktionsbereich, (3) F&E-Bereiche/ Finanzbereich (genereller: technische/kommerzielle Bereiche), (4) F&E-Bereiche/Mar-
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Biirgel
keting- bzw. Innovationsbereich, (5) Zentralbereich/Division, (6) Funktionalbereich X/ Funktionalbereich Y, (7) Eigenes Unternehmen/Kooperationspartner. Das generelle Problem ist eines der Abstimmung der Zielsetzungen: In allen diesen Fallen verlangt es die ,,Business Mission" des Bereiches, Optimierungen nach nicht genau denselben Kriterien vorzunehmen wie der Nachbarbereich. Beispiel: Wenn der Produktionsbereich von optimaler Auslegung eines Teiles spricht, so meint er produktions-optimal ausgelegt, sprich: in Serie zu produzieren bei minimalen Herstellkosten und in Dauerbetrieb in realer Umgebung bei h6chster Qualit~it. Der Entwicklungsbereich und die zu ihm geh6rende Technische Realisierung optimieren zwar auch, aber im Labor unter Optimierung von technischen Bedingungen wie z. B. Packungsdichte, W~irmeentwicklung, Bauelemente-Verfiigbarkeit, DIN-bzw. ISO-Mat~en und VDEVorschriften. Also f/ihrt unter der Annahme, dass das Innovationsgeschehen fliet~end ist und immer zu unbekannten/unerwarteten, n/imlich neuen Schnittstellen fi.ihrt, kein Weg daran vorbei, dass die Bereiche vorher miteinander sprechen und eben nicht die Philosophie des ,,Throw-over-the-Wall" praktizieren, vielmehr die Oberg~inge mit langem Vorlauf als ineinander i~bergehend betrachten (Ehrlenspiel, 1995, S. 159). Dann wiirde der Entwicklungsbereich von vornherein darauf hingearbeitet haben, die Auslegung eines bestimmten Bauteils so vorzunehmen, dass es auch in Grot~serie produzierbar ist. Mit einer solchen Gestaltung der F&E-Prozesse (genannt ,,Design to...", in diesem Fall ,,Design to manufacturing", umfassender ..... to cost" oder ..... to market") lassen sich Effizienzsteigerungen erzielen, l~isst sich mit anderen Worten zur wirtschaftlichen Strukturierung erheblich beitragen. Es handelt sich hierbei um eine Erweiterung des ,Stage-Gate-Prozesses" bzw. von ,Quality Gates", indem bei einem bestimmten ,,Stage" nach wie vor ein ,,Gate" durchschritten werden muss, bei dem die Teile ,,passen". Mit langen Obergangszeiten wird jedoch von den beteiligten Bereichen und ihren Mitarbeitern im Hinblick auf eine permanente Erh6hung des Projektreifegrades darauf hingearbeitet, dass nach M6glichkeit ein ,,Nicht-Stimmigsein" solcher Teile gar nicht erst auftreten kann. Instrumente hierfi.ir sind der ,,Bonding Box Approach" (Management by Exception), ,,Preplanned Iteration (Looping)" und ein systematisches ,,Project Risc Management" (o. V. 2005a; Smith/Reinertsen, 1997).
4.2.3.2
Kooperationen/Joint Ventures
Das soeben fiir ,,Bereiche" in der Dimension ,,Unternehmen" Gesagte trifft in gleicher Weise ~ r F&E-Kooperationen und Joint Ventures zu, d.h. ~ r ein notwendiges Zusammengehen mehrerer Unternehmen in bestimmten Fragen des Herbeiftihrens von Forschungs-/ Entwicklungsergebnissen oder Produktein~hrungen in Form einer Partnerschaft. Selbstverst/indlich wird in diesen Fallen auch an Grenzen der Offenlegung gedacht werden mi.issen. Entwicklungskooperationen/Joint Ventures bis hin zu ,,Strategischen Allianzen" oder Konsortien auf dem Gebiet Innovation/Unternehmens-
1094
Innovation und Unternehmensrechte
rechte sind dennoch heute an der Tagesordnung. Solche sich ,,fremden'" Partner so zusammenzubringen, dass Reibungsverluste nach M6glichkeit vermieden werden, ist ein schwieriges Unterfangen. Bei sich abzeichnenden Strukturierungs- und damit Schnittstellenproblemen bleibt alternativ oft nur der Sprung ins kalte Wasser, d. h. das Vertrauen auf die Validit/it des L6sungsangebotes des Kooperationspartners. Jedoch sollten vor einer definitiven Auslagerung von Teilschritten innerhalb z. B. Forschung & Entwicklung diese Uberlegungen im Vorfeld mit allen Eventualit/iten durchdacht werden, um dann im Falle der Entscheidung ffir ein solches Vorgehen auch nicht gleich bei den ersten Schwierigkeiten einen R/.ickzieher machen zu m/issen. Vieles von diesen potenziellen Strukturierungs-/ Restrukturierungsschwierigkeiten 1/isst sich durchrechnen und muss auch in einer Vorkalkulation des Projektes ,,Kooperation" oder ,,Joint Venture" in solcher Weise durchgerechnet werden. Die im vorhergehenden Abschnitt ,,Bereiche" genannten Instrumente sind in gleicher Weise anwendbar.
4.2.3.3
Internationalisierun8
Der Gedanke ]iegt nahe, bei Produktionsauslagerung ins Ausland aus Kostengrfinden F&E £o]gen zu lassen und die besten Ressourcen im Aus]and zu suchen. Die Kehrseite ist nicht selten, dass enorme Schnittstel]enprobleme auftauchen, bekannt z. B. au£ dem aktuel]en Gebiet der Aus]agerung yon Software-Entwicklungsaktivit~iten nach ]ndien. Zentra]e Entscheidungsinstanzen in Deutschland und dezentrale Entwick]ungsverantwortung in [ndien k6nnen sich al]ein durch kulture]l unterschied]iche Auffassungen fiber Vorgehen und Miteinanderarbeiten derart im Wege stehen, dass der Entwick]ungsfortschritt darunter ]eidet und Aufgaben- und/oder Verantwortungsstruktur angepasst werden mfissen, wenn die Reibungsver]uste nicht unertr~iglich werden sollen. So ist unter Innovationsgesichtspunkten sehr wohl zu fiberlegen, ob ein nationaler Markt mit einem Exportprodukt aus Deutschland bedient werden soll, oder ob lokale Produktion und F&E u. U. die nationalen Belange auf dem Gebiet Innovationen besser erfassen k6nnen und also lokal erbracht werden sollten. Anhaltspunkte f/Jr eine Entscheidungsfindung lassen sich daraus ableiten, ob es sich bei der anstehenden Aufgabe um technologie- und/ oder marktgetriebene F&E handelt (von Zedtwitz/ Gassmann, 2002). Auch die damit einhergehenden Strategien zum Aufbau von Untemehmensrechten mfissen unter diesen Gesichtspunkten mitgestaltet werden. Soll versucht werden, eine Erfindung zu einem nationalen, zu einem europ/iisehen oder zu einem Weltpatent anzumelden? Kosten und Nutzen verhalten sich nicht linear zueinander, vielmehr m/issen diese mit den eigenen vertrieblichen M6glichkeiten in Einklang gebracht bzw. gehalten werden. Im internationalen Rahmen gibt es Lander, in denen ein Patent gehalten werden muss, um zugleich in der Region ausreichend Flagge gezeigt zu haben, es gibt aber andere, die nicht dazugeh6ren und ffir die die Patentanmeldungs-
1095
i
BiJrgel
und Aufrechterhaltungskosten eingespart werden k6nnen, ohne sich im wesentlichen Umfang Nachteile einzuhandeln. Unter Strukturierungsgesichtspunkten sicher angebracht ist ein st~indiges ,,Screening" der eigenen Wfinsche/Erfordernisse/M6glichkeiten, um zu einer effektiven und effizienten Patentierung-/Lizenzierungsstrategie zu gelangen. Dabei kann und muss u.U. auch die Frage (in Zusammenarbeit mit der Marketingabteilung) gekl~irt werden, ob fiberhaupt ein Patent angemeldet werden muss, oder ob nicht unter fibergeordneten Gesichtspunkten bei Eingehen des Risikos der entsprechenden Erfindung an anderer Stelle auf die Anmeldung verzichtet werden sollte, nur um eventuell den Vorteil zu haben, auch keinen anderen auf sein eigenes Bet~itigungsfeld aufmerksam zu machen, welches diese anderen bei eigenen Patentrecherchen sonst entdecken k6nnten.
4.2.4
ProdukteinfiJhrungsmal~nahmen
Zeitpunkt: Ein neu entwickeltes Produkt kann unter dem Gesichtspunkt des Abw~igens von Vorteilen aus Schnelligkeit (Besetzung eines Markts/eines Teilmarktes, Neuheits,,Rente") und Nachteilen wie dem Risiko technischer M~ingel (bis hin zur Gefahr von Rfickrufaktionen) sehr wohl zu frfih als auch zu spat einge~hrt werden. Beides wird zu messen sein am Produktertrag fiber dessen gesamte Laufzeit (Produktlebenszyklus). Je dr~ngender eine Neuausrichtung des Gesch~iftsmodells ist bzw. sein muss, je eher wird man vor der Notwendigkeit stehen, eventuell noch in der Pipeline befindliche Produkte auch tats~ichlich schnell auf den Markt zu bringen. Empirische Untersuchungen zu dieser Frage (Perillieux, 1991) sagen mehrheitlich nicht etwa aus, dass eine frfihe Produkteinfiihrung in jedem Fall die richtige Entscheidung ist. Vielmehr spricht vieles daffir, einen anderen vorangehen und ,,die Kastanien aus dem Feuer holen" zu lassen, um als ,,Fast Follower" mit einem ausgereiften Produkt die langfristig h6chste Produktrente absch6pfen zu k6nnen. Wenn dieses Verhalten einhergeht mit dem Streben nach Technologieffihrerschaft und der Markt das bei einem bestimmten Hersteller/einer bestimmten Marke kennt und weit~, dann ist ein guter Grundstein gelegt ffir ein Vermeiden eines Kollapses bzw. des Gelangens in unruhiges Fahrwasser.
Produktpflege/Markenpflege: Eine Marke kann ffir die Bundesrepublik Deutschland oder ffir andere Lander gesetzlich geschfitzt werden, wenn sie als solche (ehemals ,,Warenzeichen") eingetragen ist. Dann weit~ jeder Interessierte, dass die Nutzung der Marke fiir ein anderes Unternehmen tabu ist. Diese Marke ist mit dessen Eintragung 10 Jahre lang (Verl~ingerung um jeweils weitere 10 Jahre m6glich) fiir das Unternehmen geschfitzt, ein anderer begeht eine Schutzrechtsverletzung mit entsprechenden Sanktionen, wenn er ffir ein eigenes Produkt diese Marke verwendet. Heute k6nnen Marken auch Betriebssysteme oder Internet-,,Domains" sein. Dasselbe trifft auf Gebrauchs- und Geschmacksmuster und selbstverst~indlich Patente zu. Die erste Pflicht bei Marken-
1096
Innovation und Unternehmensrechte
pflege usw. besteht also f/Jr das Unternehmen darin, den jeweiligen Schutz aufrecht-
zuerhalten, so lange diese Marke usw. wirtschaftlich verwertet werden kann. Es ist Klarheit dar/iber zu erlangen, welchen Wert ein Unternehmensrecht (wie ein Produkt oder eine Produktlinie) zukfinftig f/Jr das Unternehmen besitzt, ungeachtet dessen, ob eine Bilanzposition innerhalb der Immateriellen Verm6gensgegenst/inde ffir erworbene Markenrechte (It. § 266 Abs. 2 HGB) vorhanden ist oder nicht (wie bei selbst geschaffenen Marken). Wenn die Entscheidung positiv ausf/illt, dann muss die Marke (das Gebrauchsmuster usw.) gepflegt werden, um im Falle der wirtschaftlichen Verwertung oder Wiederverwertung auch verfiigbar zu sein. Auch mit st/indiger Produktpflege kann ein Yertrauensvorschuss aufgebaut werden, der bei der Einfiihrung einer Produktinnovation auf diesem Gebiet von erheblichem Wert sein kann.
5
Restrukturierung in Innovation und U n terneh me n srec h ten
Im Vorstehenden sind fiir den Bereich Innovation und Unternehmensrechte innerhalb zweier methodisch unterschiedlicher Vorgehensweisen - der Sanierung und der Restrukturierung- Mat~nahmen und Instrumente aufgezeigt worden, die geeignet sind, einen Beitrag im Rahmen der Erfordernisse des Gesamtunternehmens zu leisten. Dabei handelt es sich zun/ichst um Mat~nahmen und Instrumente aus einer existenzbedrohenden Situation heraus, im n/ichsten Schritt hin zu Wachstum durch Innovation. Es wurde dargelegt, dass der erste Schritt (Sanierung) nur ein Zwischenstadium darstellen kann und dass man sich von dort erzielten kurzfristigen (Einspar-)Erfolgen nicht blenden lassen sollte. In dem hier in Betracht gezogenen Bereich Innovation/ Unternehmensrechte muss es das Ziel sein, solche Erfolge zu antizipieren, mit anderen Worten ,,Wertmanagement'" in dem Sinne zu betreiben, dass st/indig hinterfragt wird, ob eine Handlung fiir das Unternehmen wertsteigernd ist oder nicht. St/indiges ,,Engineering" (Strukturierung) heit~t die Aufgabe, ein ,,Re-Engineering" (im Sinne einer Sanierung) ist nur in existenzbedrohender Situation angebracht.
1097
Bi~r~el
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1100
1
Einkaufspotenziale in der Sanierungsf~ihigkeitspri~fung ....................................... 1103 Management des Einkaufens ..................................................................................... 2.1 Schaffen von Transparenz -- Zahlen, Daten, Fakten ..................................... 2.2 Relevante Stellgr6f~en im Einkauf .................................................................... 2.2.1 Kurzfristig wirkende Stellgr6t~en ......................................................... 2.2.2 Mittelfristig wirkende Stellgr6t~en zur strategischen Weiterentwicklung u n d Ergebnissteigerung ...................................... 2.2.3 Langfristig wirkende Stellgr6t~en zur Sicherung des Qualifizierungs- u n d Innovationspotenzials ......................................
1104 1105 1107 1109 1112 1113
Mat~nahmen u n d Erfolgsfaktoren .............................................................................. 1115 3.1 Einkaufstaktische u n d organisatorische Mat~nahmen ................................... 1116 3.2 Erfolgsfaktoren fLir erfolgreiche Sanierung ..................................................... 1117 3.2.1 Top M a n a g e m e n t Attention .................................................................. 1117 3.2.2 Festlegung der Key Performance Indicators ...................................... 1118 3.2.3 Qualifizierungsoffensive ....................................................................... 1119 3.2.4 Change Management-Kultur ................................................................ 1120 3.2.5 Projekt-, Mat~nahmen- u n d Ergebniscontrolling ............................... 1121 R a h m e n b e d i n g u n g e n u n d erg~inzende Mat~nahmen .............................................. 4.1 Informations- u n d K o m m u n i k a t i o n s m a n a g e m e n t ........................................ 4.2 Imagetr~iger Einkauf ........................................................................................... 4.3 Ver~inderungen der Einkaufsorganisation ...................................................... 4.4 Notwendige mittel- u n d langfristige A n p a s s u n g e n ...................................... 5
1121 1121 1122 1123 1123
Potenzialrealisierung im Einkauf als Bestandteil der Sanierung ........................... 1124
1101
Sanierungsmethoden im Einkauf
Einkaufspotenziale in der San ieru n 8sf ih igkeitsprUfu n8 Typisches Merkmal von insolvenznahen Sanierungsprojekten ist der hohe Zeitdruck, unter dem die Analysen durchzufLihren und umzusetzen sind. Fi3r einen Quick-Audit zur Feststellung der insolvenzrechtlichen Tatbest~inde (0berschuldung, Zahlungsunf~ihigkeit) dLirfen maximal vier Wochen ben6tigt werden. Dann sollte eine belastbare Aussage zur Sanierungsf~ihigkeit und -wLirdigkeit des Unternehmens vorliegen. Bei frLihzeitig erkennbarer Existenz des Insolvenztatbestandes ist die 21-Tage-Frist mat~geblich. In diesem zeitlichen Rahmen ist ein umfassendes Sanierungskonzept mit den entsprechenden Vereinbarungen der Gesellschafter und Finanzierungspartner- zumeist mit Hilfe von professionellen externen Beratern- zu entwickeln. Wesentliche Punkte hierbei sind das Factbook, Benchmarks, Aussagen zur Marktentwicklung sowie eine Auflistung aller notwendigen internen Mat~nahmen. Diese Parameter f6hren zur betriebswirtschaftlichen Basisanalyse sowie zum Business- und Mat~nahmenplan. In einem Projektleitfaden werden dann s~imtliche Ergebnisse zusammengefasst. Der Einkauf spielt in diesem Zusammenhang eine ganz wesentliche Rolle, da die Potenziale auf dem Sachkostensektor im Vergleich zu Umsatzsteigerungen oder einem Personalabbau i. d. R. schneller umsetzbar bzw. teilweise auch besonders kritisch f~ir das 0berleben des Unternehmens sind. Folgende Beispiele k6nnen genannt werden: U Die Sicherung der Versorgung des Unternehmens trotz angespannter Liquidit~it und Zahlungsverzug mit entsprechender Verunsicherung von Lieferanten. E Die Gestaltung der Zahlungskonditionen unter BerLicksichtigung der angespannten Liquidit~itssituation des Unternehmens. !
Die Umsetzung kurzfristiger Kostenreduktionen im Rahmen von Sofortmat~nahmen, die schon parallel zu dem Quick-Audit eingeleitet werden.
W Die Reduzierung der Bezugskosten fL/r Rohstoffe, Handelswaren und Dienstleistungen durch VerhandlungsfLihrung, BedarfsbLindelung, wertanalytische Optimierung, Optimierung von Losgr6l~en, Konditionenpolitik etc. m Die Mitgestaltung der neuen Unternehmensstruktur durch Outsourcing und/oder Insourcing. U Die Bewahrung bzw. Wiederherstellung der Glaubwi~rdigkeit des Unternehmens bei den Lieferanten. Die Potenziale im Rahmen eines Quick-Audits werden auf Grund des Zeitdrucks von Benchmarks und Erfahrungswerten abgeleitet und es ist unter BerLicksichtigung der hohen Verantwortung aller beteiligten Partner zu empfehlen, diese Sch~itzungen konservativ durchzufL/hren. Sie sind wesentliche Grundlage der Entscheidung, ob z. B. die
1103
Voegele / Gras
Banken dem Unternehmen nochmals mit einer Finanzierung zur Seite stehen. Eine sp~itere Korrektur auf Grund zu optimistischer Ans~itze, kann nachhaltig das Vertrauen der Finanzpartner in die Krisenmanager und Berater zerst6ren. Die Potenzialabsch~itzung ist Zielvorgabe der Umsetzung und muss zur Akzeptanzsicherung unbedingt gemeinsam mit den Umsetzungsverantwortlichen erarbeitet werden. Da die Sanierungsf~ihigkeit und -w~irdigkeit auf Grundlage eines Businessplanes des Unternehmens abgeleitet wird, hat die Potenzialabsch~itzung nicht nur der H6he nach mit Angabe der GuV-Positionen zu erfolgen, sondern es muss auch das zeitliche Eintreten auf Basis einer ersten Umsetzungsplanung abgesch~itzt werden. Die Ereignisse lassen es oft nicht zu, dass die Bottom-Up-0berpri~fung noch in der Zeit des Quick-Audits erfolgt. Zu empfehlen - soweit machbar - ist es jedoch unbedingt. Es ist aber durchaus i~blich, dass erst nach dem Quick-Audit im Rahmen der Umsetzung die Potenziale nochmals griindlich aufgearbeitet werden. Allerdings darf nicht der Fall eintreten, dass die Sanierungsziele r~ickwirkend in Frage gestellt werden. In diesem Zusammenhang ist es ~ r ein erfolgreiches Sanierungsmanagement von hoher Bedeutung, dass keine erneute Zieldiskussion ausgel6st wird, sondern die detaillierte Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise und den Top-DownVorgaben in der anstehenden Umsetzung erfolgt.
2
Management des Einkaufens
Bei der effektiven, erfolgreichen und nachhaltigen Sanierung eines Unternehmens spielen die Sachkosten und somit der Einkaufsbereich eine wesentliche Rolle. Hierbei gliedert sich das professionelle Management des Einkaufens in drei Teilbereiche (Voegele/Zeuch, 2002): (1) Schaffen von Transparenz, (2) Auswahl und den Einsatz von Einkaufsstellgr6t~en, (3) entsprechendes Mat~nahmenmanagement und -controlling. Wichtigster Grundsatz vor Beginn der Sanierung ist die Schaffung von Transparenz innerhalb der gesamten Organisation und der einzelnen Bereiche. Nur die gri~ndliche und plausible Situationsanalyse erm6glicht es, die richtigen Mat~nahmen fi~r einen nachhaltigen und planm~it~igen Wandel der Unternehmung zu ergreifen. Durch die systematische Analyse und Gliederung der aktuellen Vorg~inge werden Volumina im Einkaufsbereich identifiziert, bei denen kurz-, mittel- und langfristige (Einsparungs-) Potenziale erschlossen werden k6nnen. Durch eine strukturierte Auswahl der richtigen Stellgr6t~en und einen daraus abgeleiteten Mat~nahmenplan werden diese Einsparungen realisiert. Dari~ber hinaus muss die strategische Weiterentwicklung und Ergebnissteigerung sichergestellt werden (vgl. Abb. 2-1).
1104
Sanierungsmethoden im Einkauf
Abbildung 2-1: Hfiufigvorgefundene Ausgangssituationen im Einkauf
Einkaufsvolumen Lieferanten Produkte/Leistungen '
~ Vertr~ige/Bestellungen Preise/Konditionen
~ Welche Stellgr61~en wenden Sie an? ~ Welche Stellgr613en k6nnten Sie zukenftig in welchen Bereichen anwenden?
~ Liefern die Controlling-Tools die notwendige Transparenz zur Erfolgsmessung? ~ Erreichen die Mal~nahmen die ~....... vorgegebenen . . . H~irtgrade? . .
~ Wie kann der Erfolg sichergestellt werden?
Im Sanierungsfall muss die Analyse auch unter Zeit- und Termindruck so pr~izise durchgefiihrt werden, dass eine ausreichende Transparenz fi~r die folgenden Schritte erreicht wird. Externe Berater k6nnen die Auswahl der richtigen Stellgr6t~en unterstfitzen, ggf. Hebel empfehlen, die im Unternehmen nicht angewendet werden oder bisher nicht bekannt waren. Bei der Umsetzung der Mat~nahmen wird die Qualifikation der Mitarbeiter durch die externe Unterstfitzung systematisch erh6ht und die Organisation wird damit schlagkr~iftiger. Alte Strukturen und eingespielte Abl~iufe milssen aufgebrochen und schnellstm6glich neu organisiert werden.
2.1
Schaffen yon Transparenz - Zahlen, Daten, Fakten
Zur strukturierten Analyse der Einkaufsorganisation geh6rt die Betrachtung folgender Themenbereiche: M Organisation (Strukturen, Hierarchien, Management und Mitarbeiter) W Lieferanten- und Materialgruppenmanagement M Stamm- und Bewegungsdaten Bei der Analyse der Organisation mi~ssen eingespielte Abl~iufe und scheinbar bew~ihrte Strukturen so kritisch und objektiv wie m6glich betrachtet werden. Dabei werden Berichte und Analysen gezielt durch neue und ggf. komprimierte Darstellungen ersetzt, um im weiteren Verlauf der Sanierung und der strategischen Neuausrichtung z. B. mit einem Balanced-Scorecard-Ansatz zu arbeiten. Als effektive Methode zur Analyse des Lieferanten- und Materialgruppenmanage_ ments innerhalb einer Sanierung haben sich strukturierte Interviews mit den verant-
1105
iiiii
Voegele /
Gras
wortlichen Mitarbeitern bew~ihrt. Eine Abw~igung zwischen Detaillierungsgrad und dem daf6r ben6tigten Zeitaufwand muss grunds~itzlich vorgenommen werden, um das richtige Mat~ zwischen beiden Dimensionen zu finden. Weiterhin werden Fragebogen und Interviews zur Erhebung von qualitativen Daten eingesetzt. Aus kommunikativer Sicht ist die verst~irkte Arbeit in Workshops der standardisierten Abfrage vorzuziehen, weil die Mitarbeiter so aktiver in den Prozess eingebunden werden. Bei der Analyse der Stamm- und Bewegungsdaten steht v. a. die Konsistenz der Informationen im Vordergrund. Durch entsprechende ABC-Analysen werden die wichtigsten Lieferanten des Unternehmens mit den gr6t~ten Volumina identifiziert. Neben Konditionen-, Verkaufs- und Steuerungsdaten mi.issen v. a. die Rahmenvertr~ige untersucht werden. Zum Ergreifen von Sofortmat~nahmen ist es ebenfalls wichtig, dass/iber wichtige Lieferanten s~imtliche Kommunikationsinformationen vorliegen. Die ~ r eine Sanierung ben6tigten Daten und Auswertungen sind meist nicht im ERPSystem der Unternehmung abgebildet, weil sie f-/ir die Abwicklung des operativen TagesgeschMts nicht ben6tigt werden. Teilweise finden sich in Unternehmen Zusatzsysteme, mit denen z. B. ABC-Analysen in Materialgruppen und -bereiche gemacht werden k6nnen. Ist entsprechende Software nicht vorhanden, k6nnen diese Analysen durch einen Datenabzug im Standard-Textformat und anschliet~end mit Hilfe von Standardsoftware vorgenommen werden, die dari~ber hinaus ausreichende statistische/mathematische Funktionen bietet, um die n6tigen Auswertungen zu erhalten. Auf der obersten Analyseebene werden die Top- bzw. ABC-Materialgruppen identifiziert. Damit ist eine weitere Grundlage ffir die Bestimmung des Einsparungspotenzials pro Gruppe geschaffen. Die Daten bilden gleichzeitig die Basis f/ir die Materialgruppenklassifizierung und Ermittlung der weiteren Vorgehensweise. Im n~ichsten Schritt werden die einzelnen Materialgruppenbereiche analysiert. Fokus fiir das Vorgehen liegt auf den grot~volumigen Bereichen, weil im Rahmen einer Sanierung das gr6t~te Einsparungspotenzial i. d. R. in diesen Gruppen liegt. Das Ansetzen der richtigen Stellgr6t~en verspricht hier die schnellsten Ergebnisse. Gleichzeitig k6nnen kleinere Volumina vernachlSssigt werden. Hier sollte eine klare Betragsgrenze definiert sein. Durch die Reduktion der Komplexit~it der Daten wird eine entscheidende Transparenzsteigerung erzeugt. Da in den heutigen ERP-Systemen die Gestaltung und Gliederung der Materialgruppen keinen Regeln unterworfen sind, bietet diese Auswertung gleichzeitig die Gelegenheit, die meist gewachsene Struktur zu bereinigen. Falsche Zuordnungen sowie unbenutzte und leere Materialgruppen werden identifiziert und gel6scht. Die neue Struktur kann an Standards wie EClass oder UNSPSC angelehnt werden. Das Ergebnis ist eine vollst/indige Bereinigung und saubere Abgrenzung der Gruppen. Bei der Analyse der Materialgruppen tritt erfahrungsgem/it~ immer wieder der Fall auf, dass gleiche Materialien mehrfach im System unter verschiedenen Materialnum-
1106
Sanierungsmethoden im Einkauf
mern gelistet sind. Teilweise werden Gleichteile so von zwei oder mehr Eink~iufern zu unterschiedlichen Konditionen beschafft. Durch Interviews und standardisierte Frageb6gen lassen sich weitere Informationen L/ber die Materialgruppen beschaffen. Abzufragende SchlLisseldaten sind u.a. die Anzahl der Lieferanten, die Anzahl der (Rahmen-) Vertr~ige, die Anzahl unterschiedlicher Materialien und Leistungen, die Anzahl der Bestellungen pro Jahr, der Anteil am Einkaufsvolumen oder auch die AufschlLisselung des Volumens nach Regionen.
2.2
Relevante Stellgri Ben im Einkauf
Eine vollst~indige 0bersicht aller einsetzbaren Stellgr6t~en wLirde den Rahmen dieses Beitrages deutlich ~iberschreiten, daher wird hier eine Auswahl von m6glichen Stellgr6t~en vorgestellt, die das Spektrum der M6glichkeiten andeuten und im Falle einer Sanierung zum Einsatz kommen mLissen. Die Ermittlung der richtigen Stellgr6t~en ist auch immer abh~ingig vom Unternehmen, Branche, Anzahl der Mitarbeiter, Produktionsmaterialien bzw. Dienstleistungsspektrum. Arbeitsweisen und Fi~hrungsstil wirken sich auf die Umsetzungsm6glichkeiten aus. Trotzdem muss versucht werden, ein m6glichst grot~es Spektrum von Stellgr6l~en einzubeziehen - auch solche, die nicht bei der t~iglichen Arbeit angewendet werden oder die zun~ichst nicht leicht umsetzbar erscheinen.
Abbildung2-2:
Zur erfolgreichen Sanierung muss das gesamte Spektrum anwendbarer Stellgr6~en genutzt werden
BasisaktivitQten z: B. Ve~!~ngen
Kfm. StellgrOl~en
Technische StellgrOr~en
Prozess-Stellgr61~en
~ii
z.B.
Mehrjahresvertr~ige
- - _ _._...._...........__....__ . .
Basisaktivit~ten
Kfm. Stellgr6gen
Basisaktivit~iten
Basisaktivittiten
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Kfm.
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Voegele / Gras
Oftmals wird aus Unkenntnis der m6glichen Stellgr6gen nur eine geringe Anzahl der Hebel eingesetzt. Best-in-Class-Unternehmen nutzen alle anwendbaren Stellgr6t~en (Voegele/Schwientek, 2002). Deswegen muss auch ein Unternehmen, das sich in der Sanierung befindet, das gesamte Spektrum der Hebel nutzen, um den gr6gtm6glichen Erfolg in der Umsetzung zu haben (vgl. Abb. 2-2). Am Anfang muss ein Katalog einsetzbarer Stellgr6gen vom Management aufgestellt werden. Relevante Stellgr6t~en werden in Workshops mit Hilfe von Gap-Analysen gemeinsam mit den verantwortlichen Einkiufern identifiziert. Dabei wird grundsitzlich in kurzfristig, mittelfristig und langfristig wirkende Hebel unterschieden. Zuerst werden alle Stellgr6t~en nach ihrer Anwendbarkeit pro Materialgruppe identifiziert. Anschliet~end werden die Stellgr6t~en nach der derzeitigen Anwendung bewertet und in ein Gap-Diagramm eingetragen. Die Stellgr6gen mit der gr6gten Differenz zwischen Ist- und Soll-Einsatz (idealem Einsatz) bieten das gr6gte Potenzial fir Einsparungen. I.d.R. konzentriert sich das f/Jr die jeweilige Gruppe zustindige Team auf die finf bis zehn Top-Themen, mit denen der gr6t~te Teil des Potenzials erschlossen werden kann (vgl. Abb. 2-3).
Abbildung 2-3:
Mit Hilfe von GAP-Analysen werden wirksame StellgrSflen identifiziert
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Sanierungsmethoden im Einkauf
2.2.1
Kurzfristig wirkende StellgriSBen
Zu den kurzfristig wirkenden Stellgr6t~en, die binnen weniger Tage bzw. Wochen entscheidende Potenziale heben, geh6ren u. a. Frankatur/ Skonto, Festpreisvergabe, Benchmarking (bei Merger/Fusionen), Kostenoffenlegung, Konsignationslager, optimierte Bestelllosgr6t~e, Target Pricing, Transportkostenoptimierung, Verhandlungen. Hier wie auch bei den mittelfristig und langfristig wirkenden Stellgr6t~en m6ssen die Sanierungsverantwortlichen einen Katalog von relevanten Stellgr6t~en aufstellen, der in den Workshops mit den Eink~iufern anschliet~end zur Auswahl und Bewertung genutzt wird. Verhandlungen sind innerhalb der kurzfristigen Mat~nahmen das am meisten eingesetzte Mittel zur Realisierung von Einsparungen, innerhalb derer weitere Stellgr6f~en angewandt werden k6nnen, z. B. Frankatur und Skonto oder Bfindelung und Standardisierung. In den Verhandlungen wird der Lieferant im pers6nlichen Gespr~ich mit der Situation des Unternehmens und mit Best-Price-Angeboten des Wettbewerbs konfrontiert. Einsparungen werden rasch durch die Neuverhandlung bestehender Vertr~ige und Konditionen realisiert. Ziele der Verhandlung sind neben dem bestm6glichen Abschlusspreis auch ein optimiertes Konditionengefiige und die Aktivierung des Lieferanten durch die Weitergabe des Wettbewerbsdrucks. Voraussetzungen ffir Verhandlungsgespr~iche sind das Vorhandensein einer ausreichenden Verhandlungsmacht oder einer guten Verhandlungssituation ggfi. dem Lieferanten, was in einer Krisensituation schwierig sein kann und ggf. durch geeignete Argumentationshilfen (z. B. einer Zusage zur weiteren Zusammenarbeit als Vorzugslieferant nach der Sanierung) kompensiert werden muss. Aut~erdem m6ssen Wettbewerbsangebote vorliegen, die ein Minimum an Vergleichbarkeit bieten (Chase/Aquilano/Jacobs, 2001). Gerade bei komplexen Produkten und Leistungen ist dies kaum ohne eine Ausschreibung m6glich. Hier muss wiederum der Grad der Detaillierung und der Zeitaufwand unter den gegebenen Rahmenbedingungen gegeneinander abgewogen werden. Dar6ber hinaus mfissen Eink~iufer und Einkaufsleiter eine Argumentationsstrategie fiber die Situation des Unternehmens festlegen. 0ber die wichtigsten Kernaussagen entscheidet gegebenenfalls die Gesch~iftsffihrung. Wie bereits erw~ihnt, k6nnen innerhalb einer Verhandlung auch andere Hebel zum Einsatz kommen (Voegele/Gras, 2004), z. B. die Vereinbarung ver~inderter Zahlungsziele. Grunds~itzlich mfissen die Lieferanten bereit sein, im Rahmen der Sanierung die gesamten Zahlungs- und Lieferbedingungen (Incoterms) zu ~indern. Gemeinsam sollten Frankaturstrategie und -ziele festgelegt werden. Hinzu kommt die Bewertung unterschiedlicher Frankaturalternativen im konkreten Fall. Ziel ist die ffir die Bew~iltigung der Krise vorteilhafteste L6sung, d. h. sehr lang angelegte Zahlungsziele. Beim Vergleich von Frei-Haus- und Ab-Werk-Lieferungen sind in zahlreichen Fallen, unabh~ingig von dem prozessual anwendbaren Hebel der Transportkostenoptimierung, schon Einsparungseffekte von 10 % bis 15 % der Logistikkosten erzielt worden, in Einzelf~illen bis zu 30 %. 1109
Voegele / Gras i i • ii•ii!!!!iii!i•!!!ii•ii!•i!i!!iii!!iii!i•!i!!iii!i!ii!•!i!!iii!••iii!i
Die direkte Kommunikation mit den Lieferanten erm6glicht zus~itzlich, wichtige Kernbotschaften i~ber die Situation des Unternehmens zu vermitteln und reduziert gleichzeitig die Gefahr, dem Lieferanten ein falsches oder ungLhnstiges Bild zu liefern. Durch den pers6nlichen Kontakt kann Vertrauen aufgebaut werden. Den Beteiligten muss bewusst sein, dass es hier nicht um Sch~iden am Image der Unternehmung geht, sondern dass einerseits mit h6chster Priorit~it die Versorgung zur Aufrechterhaltung des Betriebs sichergestellt sein muss, andererseits eine der beiden Parteien ums 0berleben k~impft. Am Ende des Gespr~ichs muss auf jeden Fall Liberpr~ift werden, ob die Gespr~ichspartner die Situation und das Verhandlungsergebnis richtig verstanden haben, um nicht durch weitere Abstimmungsrunden Zeit ~ r das Sanierungsvorhaben zu verlieren. Wichtig ~ r erfolgreiche Verhandlungsgespr~iche ist, dass die beteiligten Mitarbeiter entsprechend vorbereitet sind und neben den geschMtsbezogenen Inhalten auch zus~itzliche Instrumente zur Argumentation und Verhandlungs~hrung einsetzen k6nnen, die durch Berater oder Trainer kurzfristig vermittelt und gefibt worden sind. Ein Beispiel d a ~ r ist die Abbruchtaktik: Dabei setzen die beteiligten Eink~iufer vor dem Gespr~ich einen Zielpreis fest, der h~iufig sogar schriftlich fixiert wird, um den eigenen Verhandlungsspielraum einzuengen und sich nicht durch die Taktiken des Gegenfibers beeinflussen zu lassen. Sollte der letzte Vorschlag des Lieferanten L/ber dem fixierten Wert liegen, wird das Gespr~ich abgebrochen und zu einem sp~iteren Zeitpunkt weiterge~hrt. Dies wird solange wiederholt, bis der festgelegte Zielpreis erreicht ist (vgl. Abb. 2-4). Dieses Vorgehen kann mit dem Hebel des Target Pricing, also der Limitierung der Einkaufspreise durch Vorgabe von Ziel- und H6chstpreisen, verbunden werden. Beim Target Pricing werden allerdings gemeinsam mit dem Lieferanten Leistungen und Spezifikationen zur Erreichung des Zielpreises angepasst. Voraussetzung d a ~ r ist die Kenntnis von Preis-Benchmarks durch Wettbewerbsangebote und Kosten interner Leistungserbringung auf Lieferantenseite sowie detaillierte Kenntnisse i~ber tats~ichlich realisierbare Preise. Neben den Verhandlungen mit einem Lieferanten kann Target Pricing auch im Rahmen einer klassischen Ausschreibung angewandt werden. Vorteil dieser Methode ist die Orientierung an den gesetzten Einsparungszielen der Unternehmung, Nachteil der i. d. R. hohe Zeitaufwand. Target Pricing ist relativ einfach umzusetzen, birgt allerdings das Risiko, dass die vorgegebenen Preise falsch angesetzt und nicht erreicht werden k6nnen. Aut~erdem k6nnen die Auswirkungen auf die Qualit~it der gelieferten Materialien und Leistungen nicht im Voraus eingesch~itzt werden. Hier sollte der Eink~iufer anhand von Erfahrungswerten mit den Lieferanten zusammenarbeiten. Eine weitere Stellgr6t~e, die ebenfalls kurzfristig zu hohen Einsparungen fLihrt- allerdings nicht im Einkaufsbereich, sondern wiederum unternehmensfibergreifend - ist die Einrichtung von Konsignationslagern. Dabei wird die komplette Lagerwirtschaft an den Lieferanten L/bergeben. Das Material wird erst Eigentum des Unternehmens,
1110
Sanierungsmethoden im Einkau[
wenn es aus dem Lager entnommen wird. Die Einsparungseffekte liegen teilweise bei 3 % bis 5 % der bisherigen Kosten, weil der Lieferant - wenn auch auf eigenes Risiko die M6glichkeit bekommt, seine Produktionslose zu optimieren. Konsignationslager wirken in drei Dimensionen: (1) Reduktion von Lagerkosten, (2) Geringere Kapitalbindung/Erh6hung der Liquidit~it, (3) Reduktion von Logistikkosten.
Abbildung 2-4:
Durch Zielpreise wird der Lieferant zur Anpassung seiner Kostenstruktur angehalten
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Target Costing: Aktives Kostenmanagement zur Erreichung der Einsparungsziele
Voraussetzungen fL/r das Outsourcing von Lagereinrichtungen ist ein enges Vertrauensverh~iltnis zum Lieferanten. Prozesse und Schnittstellen mLissen sich bew~ihrt haben und eingespielt sein. Aut~erdem mi3ssen beide Unternehmen bereit sein, gegenseitig starker voneinander abh~ingig zu sein. Ein solches Vorhaben mit Lieferanten umzusetzen, ist in einer Phase der Sanierung erfahrungsgem~it~ schwieriger, als in Phasen der Stabilit~it. Gleichzeitig hat der Lieferant jedoch auch die M6glichkeit, Einblicke in das Dispositionssystem des Unternehmens zu bekommen und erh~ilt somit eine h6here Transparenz. Neben dieser h6heren Transparenz in der Supply Chain k6nnen Wiederbeschaffungszeiten verki3rzt werden. Gleichzeitig bietet sich das Konsignationslager als gute Basis f~ir die Einfi~hrung eines Gutschriftverfahrens an.
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Voegele / 6 ras
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2.2.2
Mittelfristig wirkende Stellgri~l~en zur strategischen Weiterentwicklung und Ergebnissteigerung
Zu den mittelfristig wirkenden Stellgr6f~en, die i. d. R. nach wenigen Wochen greifen, geh6ren u. a. BedarfsbiJndelung, Early Purchasing Involvement, Einkaufskooperationen, Konzeptwettbewerb, Kostenoffenlegung, Make-or-Buy. Die mit diesen Stellgr6t~en zu erreichenden Einsparungen zielen bereits auf die mittelfristig strategische Neuausrichtung des Einkaufsbereichs. Nach einer ersten, einseitigen Fokussierung auf die Lieferanten werden nun weitere Bereiche des Unternehmens in die Neustrukturierung des Einkaufs mit einbezogen. Dabei werden erstens die Kostenstrukturen (Bedarfsb~indelung, Kostenoffenlegung), zweitens die internen Prozesse (Early Purchasing Involvement) und drittens die Fertigungsverfahren einzelner Produkte/Leistungen (Make-Or-Buy) weiter optimiert. Uberschneidungen bei diesen Stellgr6t~en sind gewollt. Der Einkauf wird z. B. m6glichst fr~ih in die Make-or-Buy-Entscheidungen involviert. Gemeinsam mit dem Lieferanten werden die Kosten offen gelegt, mit der Produktentwicklung und Fertigung werden die Total Cost of Ownership berechnet. Bei Entscheidungen ~iber Make-or-Buy fi~r bestimmte Produkte und Leistungen liegt im Rahmen einer Sanierung der Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Kriterien Liber eine Fremd- oder Eigenfertigung. Neben der effizienten Nutzung der eigenen Kernkompetenzen wird auch die Auslastung von Teilbereichen der Fertigung mit in die Betrachtungen einbezogen. Dabei m~issen die Anspri~che des Kunden an einzelne Komponenten bzw. Funktionen zus~itzlich beriJcksichtigt werden. Bei der Fremdvergabe k6nnen auch gezielt alternative Lieferanten im Ausland angesprochen werden. Kritischer Punkt bei der Fremdvergabe und -fertigung von Produkten bzw. Leistungen ist die M6glichkeit, entsprechende Schnittstellen im geplanten Zeitrahmen auch deftnieren und umsetzen zu k6nnen. Klarer Vorteil der Auslagerung ist die Effizienzsteigerung durch die Konzentration auf die Kernkompetenzen des Unternehmens sowie die Ausnutzung von Spezialisierungsvorteilen und Economies of Scale von externen Unternehmen. Nachteile dagegen k6nnen der Verlust der Kontrolle i~ber Produkte und Prozesse sowie der Verlust von Know-how aus der internen Leistungserbringung sein. Die langfristige Abw~igung dieser Vor- und Nachteile darf auf keinen Fall vernachl~issigt werden, weil damit die Sanierungsmat~nahmen langfristig nicht abgesichert sind. Im Verlauf einer Unternehmenskrise wird sich die Beziehung zu einigen Lieferanten grunds~itzlich ver~indern mi~ssen. Eine Konzentration (Bedarfsb~indelung) auf zuverl~issige Partner muss so weit wie m6glich aktiv durch den Einkauf gesteuert werden. Die B~indelung von Volumina auf wenige Lieferanten bietet gleichzeitig den Anreiz der Umsatzsteigerung, der besseren Verhandlungsposition und der Chance auf eine intensivere Zusammenarbeit. Vorteil fiJr den Lieferanten ist der verringerte Wettbewerb zu Mitbewerbern. Voraussetzung f~ir eine erfolgreiche Bedarfsb~ndelung ist die
1112
Sanierungsmethoden im Einkauf !~!i!~i!i!!~! i~!~!~!i!i!!i~!~i i!i~¸i~ii~~i~iii strategisch gi/nstige Abw~igung der ausreichenden LeistungsfShigkeit von m6glichen Lieferanten bei einem gr6t~eren Spektrum von Artikeln und gleichzeitig die weitere UnabhSngigkeit des eigenen Unternehmens nach der Bi./ndelung sicher zu stellen. Durch die engere Zusammenarbeit k6nnen weitere Potenziale erschlossen werden. Aut~erdem wird durch intensive Kommunikation das Vertrauen verst~irkt und die Transparenz auf beiden Seiten erh6ht. Innerhalb der Einkaufsabteilung werden die KomplexitSt und die Zahl der Vorg~inge verringert. Beri~cksichtigt werden muss die st~irkere AbhSngigkeit vom Lieferanten- auch in Bezug auf die m6gliche (negative) Entwicklung innerhalb der Krise. Der Konzeptwettbewerb ist eine ideale M6glichkeit, sich das Fachwissen der Lieferanten nutzbar zu machen, um fi~r das eigene Unternehmen optimierte L6sungen zu finden. Beri~cksichtigt werden muss dabei allerdings der Zeitbedarf fi~r eine derartige Mat~nahme. Die Lieferanten werden gebeten, fi~r ein technisches oder kostenbedingtes Problem selbstst~indig eine L6sung zu erarbeiten. Um einen m6glichst grot~en Einsparungs- und Optimierungseffekt zu erreichen, werden die angesprochenen Partner ausdri~cklich gebeten, ein v611ig neues Konzept abzuliefern. Teilweise sind durch diese Stellgr6t~e quantensprungartige Innovationen m6glich. Gespart wird nicht nur beim Einkauf, sondern gleichzeitig bei den Entwicklungskosten. Im Idealfall k6nnen auch Fertigungszeiten verk~irzt werden etc. Allerdings rechtfertigen nur technisch anspruchsvolle Problemstellungen den Aufwand eines Konzeptwettbewerbs. Eine ausreichende Zusammenarbeit zwischen Produktentwicklung, Fertigung und Einkauf muss zudem sichergestellt sein. Ein gutes Ergebnis kann erreicht werden, indem bei den Lieferanten das Innovationspotenzial im Voraus gepri~ft oder bewertet wird. Die Nachteile dieser Vorgehensweise entsprechen in etwa denen des Make-or-Buy: M6gliche Vergabe von Kernkompetenzen an externe Partner und grot~e AbhSngigkeit vom Lieferanten. Auf der anderen Seite k6nnen Entwicklungsprozesse kosteng~instig fremdvergeben werden. Gleichzeitig findet ein Know-howTransfer ins eigene Unternehmen statt. Fi~r die Zukunft bietet eine derartige Zusammenarbeit die Chance, dass der Lieferant zu einem aktiven Gesch~iftspartner wird (Voegele, 2003).
2.2.3
Langfristig wirkende StellgriSl~en zur Sicherung des
Qualifizierungs- und Innovationspotenzials Langfristige Stellgr6t~en zur Absicherung der Sanierung bilden die Basis f6r die strategische Neuausrichtung des Unternehmens und eine nachhaltige Zukunftsplanung. Hier einige Beispiele: Strategisches Outsourcing, Process Reengineering, Standardisierung, Wertgestaltung/-analyse.
1113
Voegele / Gres
ii Zu den am h~iufigsten angewandten langfristigen Maflnahmen w~ihrend einer Sanierung geh6rt die systematische Planung und Durchfiihrung von strategischem Outsourcing kompletter Fertigungstechnologien wie z. B. H~irten, Galvanisieren, Schweiflen, Drehen, Fr~isen etc. bzw. Leistungspakete wie DV, Losdstik etc. Der Erfolg der in diesem Bereich durchgeffihrten Maflnahmen ist abh~ingig yon einer pr~izisen Vorbereitung, v. a. einer genauen Beschreibung des Outsourcing-Volumens und der bestm6glichen Vorausbestimmung der Auswirkungen auf interne Prozesse und der eigenen Organisation. Bei der StandardisienJng wird durch die Zusammenarbeit von Einkauf, Entwicklung und Produktion weiteres Einsparungspotenzial erschlossen. Produkte k6nnen dabei durch drei Maflnahmen standardisiert werden: Auswahl von Vorzugstypen, Ver~inderung von Leistungsverzeichnissen, Entfeinenmg von Spezifikationen. Das Ergebnis sind schlankere Beschaffungs- und Fertigungsprozesse, niedrige Best~inde und die Konzentration yon Beschaffungsvolumina auf wenige Vorzugstypen. Bei den entsprechenden Maflnahmen muss zuerst eine Top-Down-Definition des ben6tigten Produktspektrums vorgenommen werden. Gleichzeitig werden Sonderl6sungen identifiziert und deren technische und wirtschaftliche Notwendigkeit kritisch iiberprhft. Zum Schluss sollte eine pr~izise Ubergangsstrategie ffir die neuen Standardprodukte erarbeitet werden. Vorteile der Standardisierung aus Einkaufsperspektive sind die reduzierte Komplexit~it durch Verringerung der Artikelvielfalt, die Reduzierung des Handlingsaufwands sowie die Nutzung extemer Skaleneffekte. Nachteile aus Wettbewerbssicht sind v. a. der Verlust von Speziall6sungen sowie technische Kompromisse. Es muss sichergestellt werden, dass die neuen L6sungen den Anforderungen der Kunden entsprechen. Hier ist eine Identifikation der Kernkompetenzen dringend erforderlich. Zum Beispiel sind im Bereich der Investitionsgiiter Speziall6sungen und -funktionen aus Kostensicht aufw~indig und teuer zu realisieren. Andererseits werden sie von den Kunden gefordert und k6nnen nicht auf einen Standard reduziert werden. So hat z. B. ein Hersteller von Brillen s~imtliche Metallgestelle mit einem speziellen und teuren Verfahren selbst beschichtet und damit gegen die Korrosion durch Hautschweifl geschiitzt. Die aufgebrachte Schicht schiitzte das Metall im Durchschnitt dreimal l~inger, wie die Brillen von den Kunden getragen wurden. Die patentierte Technologie wurde an den Lieferanten verkauft und in Zusammenarbeit vereinfacht. Der Lieferant setzt das Verfahren heute auch fiir andere Kunden auf Lizenzbasis ein. Eine weitere zumeist langfristig wirkende Stellgr6fle ist die Wertgestaltung bzw. -analyse. Hier wird die Optimierung der Produkte aus der Perspektive der Funktionen und ihrem jeweiligen Kundennutzen durchgeffihrt. Gleichzeitig k6nnen die hohe Zahl an Varianten reduziert und die Produkte ffir die Fertigung und Montage optimiert werden. Dabei findet eine Reduktion von Funktionen und Merkmalen statt, die ihren wirtschaftlichen Wert fibersteigen. Das Ergebnis sind schlanke und dem Verwendungszweck angepasste Produkte, deren Herstellkosten durch ein balanciertes
1114
VerhSltnis yon Funktionen und deren Wert niedrig gehalten werden k6nnen. Wert und Volumen der jeweiligen Produkte m~issen allerdings eine detaillierte Analyse und Ver~inderung rechtfertigen. Aut~erdem mi~ssen detaillierte Kostendaten und ein Bewertungsmat~stab ffir den Funktionsnutzen vorliegen. Weiterer Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass nach einer entsprechenden Analyse eine hohe Transparenz fiber Produktwert und -kosten vorliegt.
WShrend die Wertgestaltung auf die Konzeptentwicklung anwendbar ist, wird die Wertanalyse bei der Produktverbesserung und der Optimierung der Abl~iufe eingesetzt. Im Wesentlichen werden drei Arten unterschieden: Z Konzept-Wertgestaltung (Value Engineering)" Untersuchungsobjekte sind potenzielle Produkte aus Forschung und Entwicklung
Produkt-Wertanalyse (Value Analysis): Untersuchungsobjekte sind Produkte aus dem aktuellen Programm m Gemeinkosten-Wertanalyse: Untersuchungsobjekte sind Prozesse in dienstleistenden, indirekten Bereichen
Auswahl und Schwerpunkte m~issen wiederum gemeinsam in bereichsfibergreifenden Teams gesetzt werden. Dabei ist ein weiterer Erfolgsfaktor die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen. Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen sichern die erforderliche Wissenstiefe und -breite ab und f6rdern gegenseitige Anregungen. In der Praxis werden daher auch Experten aus Marketing und Vertrieb sowie dem Controlling in den Workshops hinzugezogen. Auch Lieferanten sind in vielen Unternehmen an der Wertgestaltung bzw.-analyse beteiligt. In der Praxis wurde bei einem Grot~versender die Zahl der Verpackungsvarianten durch Standardisierung von 480 Kartonformaten auf rund 40 Varianten gesenkt, die anschliet~end einer Wertanalyse unterzogen wurden. Neben der reinen Verringerung der Varianten mussten aus Produktionssicht auch die Umr~istkosten fi~r die Packanlagen und die Verschiebung der KapazitStsauslastung beachtet werden. Im Einkauf ergaben sich zwei Effekte: Erstens wurde durch weniger Varianten die Zahl der Abrufe und Bestellungen reduziert und zweitens konnte aufgrund des gr6t~eren Gesamtvolumens der neuen Standardgr6t~en der Preis durch Verhandlungen mit verschiedenen Lieferanten nochmals um mehr als 15 % gesenkt werden.
3
Mal nahmen und Erfolgsfaktoren
Wesentlich ffir eine erfolgreiche Sanierung ist die Abstimmung und Verknfipfung der Mat~nahmen innerhalb des Einkaufsbereichs mit allen anderen Bereichen des Unter-
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Voegele /
Gras
nehmens. Schwerpunkt der groben Mat~nahmenplanung liegt auf der Abstimmung mit den Verantwortlichen, der Integration und Anpassung des Vorgehens an den Mat~nahmenplan sowie eine vertiefte Abstimmung mit der Produktion und der Qualit~itssicherung. Die Mat~nahmenplanung im Einkauf- wie in anderen Bereichen- wird in drei Hauptbereiche unterteilt: Mat~nahmen zur Schaffung von (Daten-) Transparenz (vgl. Kapitel 2.1.), einkaufstaktische Mat~nahmen, organisatorische Mat~nahmen. Die Schaffung von Transparenz, u. a. bei offenen Rechnungen, anstehenden Bestellungen etc., ist die Weiterfi~hrung der Analyse der Stamm- und Bewegungsdaten, in der gleichzeitig die Entwicklung und der Erfolg der bereits umgesetzten Mat~nahmen im Verlauf des Projekts abgebildet werden sollten.
3.1
Einkaufstaktische und organisatorische MaBnahmen
Mit Hilfe von ABC-Analysen sowie Top-10- und Top-20-Analysen ~ r Material und Lieferanten werden die Bestellplanung fiir die jeweils nSchsten acht Wochen erstellt und entsprechende PrioritSten vergeben. Die Bereiche Finanzen/Controlling und die Fertigung mi~ssen an dieser Stelle mit eingebunden werden. Daraus folgen eine vertiefte Lieferantenanalyse und die Vorbereitung kurzfristiger LieferantengesprSche. Auf den fi~r das Untemehmen wichtigen Lieferanten liegt der Fokus der ersten einkaufstaktischen Mat~nahmen. Oberstes Ziel ist die Schaffung einer optimalen Kooperation mit diesen Lieferanten, um einerseits optimale Einkaufsverh~iltnisse zu schaffen und andererseits den Lieferanten zu einem zuverl~issigen Partner fi~r die Zeit der Sanierung und danach zu machen. Durch entsprechende Information und Kommunikation muss das Vertrauensverh~iltnis zum Lieferanten erhalten werden. So wird VerstSndnis und damit die Basis ~ r das weitere Vorgehen geschaffen. Neben einem Brief an alle Lieferanten miissen die Ansprechpartner auf Unternehmensseite Kontakt zu wichtigen Lieferanten aufnehmen und individuelle Fragen ggf. auf direktem Wege kl~iren. Nach einer vollst~indigen Oberpriifung der Rechnungen wird iiber das weitere Vorgehen im Einzelnen entschieden: Zahlungsstopps bzw. Zahlungsprolongationen werden eingeleitet. Wichtigste organisatorische Mat~nahme- und somit eine Sofortmat~nahme- ist die Erstellung eines Terminrahmenplans. Ohne eine konsequente Auswahl der wichtigsten Hebel sowie die Vergabe von PrioritSten, die exakte Termin- und prSzise LiquiditStsplanung kann die kontinuierliche Weiterbelieferung der Untemehmung nicht
1116
Sanierungsmethoden im Einkauf
sichergestellt werden. Nur die gezielte Kommunikation fester Termine und Zeitr~iume schafft extern wie intern das n6tige Vertrauen zwischen Lieferanten und Mitarbeitern. Zus~itzlich mLissen Zust~indigkeiten und Verantwortungen zugeordnet werden. Bei Sanierungen wird h~iufig ein Interimsmanager hinzugezogen. Mit einer Mischung aus Hintergrundwissen innerhalb der entsprechenden Branche und aktuellen Methodenkenntnissen kann der Interimsmanager drei Rollen im Unternehmen einnehmen, um eine Sanierung erfolgreich zu begleiten: WI Operatives Management: FLihrung der Mitarbeiter und Organisation des Tagesgesch~ifts Beratendes Management: Analyse der Situation, Erarbeitung entsprechender Konzepte ~i Change Management: Umsetzung der notwendigen Sanierungsmat~nahmen
3.2
Erfolgsfaktoren fur erfolgreiche Sanierun8
Zur erfolgreichen Umsetzung der Sanierung sind mehrere Voraussetzungen bzw. Erfolgsfaktoren notwendig. Diese sind (1)uneingeschr~inkte Top Management Attention, (2) fr6he Festlegung von Key Performance Indicators (KPI), (3) Qualifizierungsoffensive L/ber alle Einkaufsebenen hinweg sowie fi~r die an den Einkauf angrenzenden Bereiche, (4) notwendige Change Management-Kultur und (5) effizientes Projekt-, Mat~nahmen- und Ergebniscontrolling. Es muss aber auch der uneingeschr~inkte Wille zur langfristigen und erfolgreichen Umsetzung auf allen Ebenen vorhanden sein. Hierzu muss sich jeder Mitarbeiter von der projektorientierten Arbeit hin zur langfristigen und strategieorientierten Verbesserung der gesamten Prozesskette mit der Ausrichtung auf die Total Cost of Ownership (TCO) (Goldratt/Cox, 1993) entwickeln. Nur mit der Entwicklung derartiger Skills bei den Mitarbeitern kann der R6ckfall in alte Strukturen verhindert werden.
3.2.1
Top Management Attention
Es versteht sich normalerweise von selbst, dass das Top Management im Rahmen einer Sanierung die gesamte Aufmerksamkeit auf alle neu zu schaffenden Prozesse und die damit befassten Mitarbeiter richten muss (Gaizer/Frazier, 2002). Ebenso ist das notwendige Vertrauen unabdingbar. Viele Unternehmen w~iren jedoch nicht in eine insolvenznahe Situation geraten, wenn das Top Management schon frLiher die gebotene Aufmerksamkeit h~itte walten lassen. Deswegen werden oft Interimsmanager eingesetzt, die nicht nur eine langfristige Orientierung fLir die Neugestaltung der Pro-
1117
ii
Voegele / Gras
iiii iiiiii zesse einbringen, sondern auch kurzfristig die personellen und monet~iren Ressourcen so zielgerichtet einsetzen, dass die kurzfristigen Analysen termingerecht durchgefiihrt und So£ortmat3nahmen ohne Verzug umgesetzt werden k6nnen.
3.2.2
Festlegun8der Key Performance Indicators
Zur Erfolgsmessung cler Umsetzungsmaflnahmen, aber auch zur langfristigen Ausrichtung der Messung der Einkaufserfolge, ist es zu Beginn unabdingbar, Key Performance Indicators (KPIs) festzulegen (Voegele, 2004a). Diese KPIs di~rfen sich jedoch nicht nur an den reinen Einkaufsindikatoren wie der Messung der Einkaufsergebnisse (reine Preissenkung ggi~. Voqahr) oder der Einkaufsleistung (Preissenkungen inkl. abgewehrter Preiserh6hungen der Lieferanten) orientieren, sondern mi.issen vielmehr die Leistung des Einkaufs ffir das gesamte Supply Net messen (Gareis, 2004; Sfissmeyer, 2004). Hierbei wird zwischen lieferantenbezogenen, internen und kunclenbezogenen Indikatoren unterschieden. Die lieferantenbezogenen Messungen beinha]ten u.a. die Anzahl Lieferanten, den Lieferantenservicegrad sowie die Lieferzeit. Geracle cliese Messungen sind entscheidende Anhaltspunkte, ob ein Lieferant auch noch in der Krise pi.inktlich, termingerecht uncl mit cler entsprechenden Anstrengung, seine Durchlaufzeiten zugunsten seines unsicheren Kunden einzuhalten, liefert. Die Messung des Lieferservicegrades l~isst sehr oft Interpretationen zu. Deswegen muss diese Messung sehr klar zwischen Kunden und Lieferanten abgesprochen werden. Eine Liefemng wircl nur als komplette Lieferung gewertet, wenn alle Bestellpositionen eines Auffrags (Abrufes) pi.inktlich und vollst~indig geliefert sin& Alle anderen Erffillungsgrade, auch wenn 99 % der Auffragspositionen eines Auftrages termingerecht geliefert sind, werden als nicht erffillter Auffrag, also mit 0 % gewertet. Somit wircl cler Lieferant zu einer extrem hohen Lieferperformance erzogen und schon au£ cler Supply Side ein hohes Mat3 an Lieferservice ffir die sp~iteren Kundenlieferungen gew~ihrleistet. Natfirlich ~nktioniert dieser Erziehungseffekt nur mit einer entsprechenden Bonus-Malus-Vereinbarung mit dem Lieferanten. Die intemen Messungen umfassen die Liefertreue innerhalb der einzelnen Prozessschritte, die Durchlaufzeiten, die Prozessauslastung, aber auch Lagerumschlag und Bestanclsreichweiten. Geracle Letztere geraten in Zeiten von Liquidit~itsengp~issen in den Fokus des Managements und fi~hren nicht se]ten durch eine Oberreaktion zu Versorgungsengp~issen. Eine exakte Schnelldreher-, Slow-Movables- und Bodensatzanalyse, verbunden mit einer Bestandssegmentierung, in cler die Best~inde nach ihrer Wertigkeit im Verh~iltnis zu deren Lagerreichweiten sortiert werden, sind unabdingbare interne Performance-Messungen. Es liegt in cler Natur der Best~nde, dass sie einerseits Auswirkung und nicht Ursache sind und andererseits vielfache Einflussnehmer
1118
Sanierun~smethoden im Einkauf
haben. Somit zeichnet oftmals niemand daf6r verantwortlich. Gerade im Sanierungsfall muss eine klare Bestandsverantwortung vom Management zugewiesen werden. Mit den kundenbezogenen Messungen werden nicht nur die Messungen durchgeffihrt, die die reine Belieferungen des Kunden betreffen, sondern auch der Auftragsbestand, Abrufschwankungen oder Reklamationsquoten. Gerade die Reklamationsquote kann ein guter Indikator daffir sein, ob das Unternehmen auch in Krisenzeiten f~ihig ist, den bekannten Qualit~itsstandard zu halten. Es ist im Interesse der Transparenz sehr sinnvoll, die Messung von Abrufschwankungen auch dem Einkauf zur Verffigung zu stellen. Im Vergleich zu dessen festgestellten Bedarfsschwankungen fi~r Produktionsmaterial kann (nach der entsprechenden Stficklistenaufl6sung) eine sachliche Diskussion mit der Fertigungsplanung und Disposition gefi~hrt werden, die eine Nivellierung der Bedarfe und eine genauere Absprache der Bedarfe beim Lieferanten zum Ergebnis haben kann. Messungen der KPIs sind am aussagef~ihigsten, wenn sie auf Prozesskostenbasis erfolgen. Sie mfissen als Chance zur Verbesserung der Unternehmensperformance und dfirfen nie als Schuldzuweisungen verstanden werden. Eine gute Voraussetzung f~ir die optimale Umsetzung von KPIs ist das Schaffen einer Fehlerkultur im Unternehmen. KPIs dienen dazu, dass Fehler von den Verursachern verstanden und zielgerichtet behoben werden. Gegebenfalls sind auch weitere Qualifizierungsmat~nahmen notwendig. Ziel der KPIs darf es niemals sein, Schuldige zu suchen und zu finden.
3.2.3
Qualifizierungsoffensive
Um die Mitarbeiter des Einkaufs aber auch angrenzender Bereiche auf die neuen Anforderungen einzustellen, zu trainieren und zu motivieren, ist eine systematische Qualifizierung als begleitende Mat~nahme zur Sanierung dringend notwendig (vgl. Abb. 3-1). Eine Krise zu bew~iltigen bedeutet nicht, zeitweise auftretende Probleme mit erh6htem Energie- und Arbeitsauswand abzuarbeiten, sondern das Unternehmen langfristig und systematisch zukunftsf~ihig zu machen. Das Management muss die Qualifizierungsoffensive gezielt kommunizieren, um Mitarbeitern auch die Vorteile der Situation zu verdeutlichen: Alte Strukturen werden verworfen, neue F~ihigkeiten und Arbeitstechniken erweitern das pers6nliche Portfolio an Skills und damit den Wert des Mitarbeiters. Die Umsetzung jeder Mafinahme wird begleitet von Trainern oder Beratern, die den Erfolg absichern, indem die Mitarbeiter w~ihrend der Bew~iltigung der Krise bei der Durchffihrung ihrer Aufgaben kontinuierlich verbessert werden.
1119
Voegele / Gres
Abbildung3-1:
3.2.4
Qualifizierun gsoffensive erm~glicht Aussch~pfen aller Einsparun gspotenziale und fiihrt zu einer h~heren Mitarbeiterzufriedenheit
ChanseManagement-Kultur
Die erfo|greiche Sanierung eines Unternehmens ist in vie]en F~i]]en eine organisatorische Meister]eistung. Das Top Management ist herausgefordert, steht aber h~iufig g]eichzeitig vor einem un]6sbaren Problem: Die Mitarbeiter ffir den Wande] der Unternehmung zu gewinnen. Wenn das Unternehmen auf dem Rei~brett bereits umorganisiert ist, f~i]]t es dem Management schwer, sich in die Lage der Mitarbeiter zu versetzen, deren Tagesarbeit p]6tz]ich v6]]ig ver~indert wird. Die Mitarbeiter bekommen Angst, class Routine und ]angfristige Bindungen innerha]b ihrer bisherigen T~ifigkeit aufge]6st w e r d e n - und das, obwoh! schon seit Jahren die wachsende Bereitschaft zur Ver~indemng und F]exibi]it~it yon den FfihrungskrMten eingefordert wird. Arbeit ist ffir vie]e und in hohem Ma~e immer auch Identit~it. Durch fa]sches Ffihrungsverha]ten wird die Unsicherheit noch erh6ht. Manager k6nnen oder wo]|en Sinn und Zweck der Sanierung nicht vermitte]n und reagieren mit Druck auf das unproduktive Verha]ten ihrer Mitarbeiter, oder sie ziehen sich zurfick. Dadurch Kih]en sich die Mitarbeiter noch st~irker ausgeschiossen, unfair behande]t oder bereits ,abgeschrieben". Gerade im Einkaufsbereich ist hohes Engagement gefragt. Ffir das Unternehmen wichfige Einsparungen mfissen schne]] rea]isiert werden. Aui3erdem stehen die Eink~iufer
1120
Sanierungsmethoden im Einkuuf
in unmittelbarem Kontakt zu den Lieferanten, an die Unsicherheiten nicht weitergegeben werden di~rfen. Neben der gut organisierten Kommunikation mi~ssen Mitarbeiter gezielt zum Handeln motiviert werden (Monczka/ Trent/ Handfield, 1998). Der Mitarbeiter im Einkauf ben6tigt in hohem Mat~e die R(ickendeckung des Managements. Das v. a. deswegen, weil gerade im Einkauf in Zeiten der Sanierung viele unkonventionelle Mat~nahmen mit hoher Aut~enwirkung durchgef~ihrt werden m~issen.
3.2.5
Projekt-, MaBnahmen- und Ergebniscontrollin8
Neben dem i~blichen Projektmanagement sind im Bereich des Einkaufs ein geeignetes Mat~nahmencontrolling zur 0berpr6fung der Umsetzung der Mat~nahmen und ein Ergebniscontrolling zur 0berpr~ifung des Erfolges und der Nachhaltigkeit aller eingeleiteten Mat~nahmen einzuf6hren (Voegele, 2004b). Im Mat~nahmencontrolling werden bei jedem Einkaufsmitarbeiter Mat~nahmenberichte erzeugt, die w6chentlich im Einkaufsmanagement gebi~ndelt und in einen komprimierten Mat~nahmenbericht gebracht werden. Sind Aktionen zur Umsetzung weiterer Mat~nahmen notwendig, die auf Eink~iuferebene nicht umgesetzt werden k6nnen, mi~ssen diese Maf~nahmen entsprechend einer festgelegten Eskalationsregel zun~ichst durch das Einkaufsmanagement bzw. anschliet~end durch das Top Management angegangen werden. Die Einsparungsberichte, die ebenso bei jedem Eink~iufer gefi~hrt werden, werden nach Materialgruppen und Lieferanten sortiert und w6chentlich dem Top Management zur Verf~igung gestellt. Zur Visualisierung des Erfolges (gr~in) von begonnenen Mat~nahmen (gelb) oder von noch umzusetzenden bzw. kritischen Mat~nahmen (rot) bietet sich die Ampelfunktion an.
4
Rahmenbedinsunsen und ersiinzende MaBnahmen
4.1
Informations- und Kommunikationsmanasement
Gr6t~ere Ver~inderungsprozesse von Unternehmen werden von Mitarbeitern in den meisten F~illen als Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes gesehen- das ergab eine Befragung der Kommunikationsberatung KOTHESKLEWESund des Bielefelder EMNID-
1121
Voegele I
Gras
Instituts. Als h~iufigste Fehler wurde von den Untemehmen angegeben (Kothes Klewes, 2000): zu spate Integration der Mitarbeiter (87 %), zu wenig Transparenz (86 %), fehlerhafte, unvollst~indige Informationsvermittlung (81%). Interne Kommunikation kann und muss mehr sein, als die blot~e Vermittlung von bereits getroffenen Entscheidungen der Fi~hrungsebene. Orientierung und Sicherheit k6nnen auch in ungewissen Situationen vermittelt werden. Selbst wenn die Mitarbeiter verschiedene M6glichkeiten i~ber den Ausgang einer Sanierung vermittelt bekommen, haben sie die M6glichkeit, sich mit diesen Szenarien auseinanderzusetzen- auch gemeinsam mit den FfihrungskrMten. Schliet~lich muss den Mitarbeitern bewusst sein, dass auch sie fiber den Ausgang der Krise entscheiden. Unternehmen k~impfen in Krisenzeiten sehr h~iufig mit einer hohen Fluktuationsrate. Vor allem gute Mitarbeiter orientieren sich sehr schnell am Arbeitsmarkt. Gezielte und ungeschminkte Informationen gerade bei diesen Mitarbeitem tragen zu einer Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen bei. Die Information nach aut~en- also an Lieferanten- kann aus der Situation heraus nicht unbedingt grunds~itzlich den gleichen Kriterien entsprechen, wie die Kommunikation nach innen. Es gilt der Grundsatz: Die Lieferanten regelm~it~ig, aber nicht unbedingt umfassend informieren. Da die Lieferanten die interne Entwicklung nicht miterleben und die Planungen nicht nachvollziehen k6nnen, sondern lediglich die weitestgehend routinierte und eingespielte Abwicklung der Prozesse erfahren, muss dieser Alltagskommunikation trotz erh6hten Aufwands weitere Information hinzugef(igt werden - und zwar nicht unbedingt ~iber die eingespielten Ansprechpartner, sondem zur Vermittlung von Kompetenz und Vertrauen auch mittels pers6nlicher Gespr~iche auf h6herer Ebene. Ein h~iufiger Fehler in dieser Situation ist, am Anfang verst~irkt nach aut~en zu kommunizieren und im weiteren Verlauf des Projekts keine weiteren Informationen ~iber den Status herauszugeben. Externe Partner k6nnen nicht einsch~itzen, ob die Krise bew~iltigt ist oder ob keine Informationen mehr verbreitet werden, weil ein extrem kritischer Zustand erreicht ist. Das Informations-Engagement muss gleichm~it~ig auf einem Niveau gehalten werden. Der Ton ist dabei immer sachlich und konstruktiv. Euphorische Erfolgsmeldungen und hysterische Warnungen helfen niemandem.
4.2
Imasetr iser Einkauf
Der Einkaufsbereich kann innerhalb der Unternehmung an Image gewinnen, wenn er die Bew~iltigung der Krise stark unters~tzt. Er kann an Image verlieren, wenn er die Ursache fi~r die Krise ist oder w~ihrend der Krise die Lieferungen und deren Qualit~it nicht entsprechend sicherstellen kann.
1122
Sanierungsmethoden im Einkauf
Gg/i. den Lieferanten verliert der Einkauf wie das gesamte Unternehmen i. d. R. an Reputation. Dem kann nur durch vertrauensbildende Mat~nahmen bei den Lieferanten entgegengewirkt werden. Wie bereits erw~ihnt, bestehen diese aus einer verst/irkten und regelm/it~igen Kommunikation iiber die eingespielten Kan/ile hinaus. Eine angemessene Transparenz iiber die Vorg/inge im Unternehmen muss hergestellt werden. Dar/iber hinaus ist die verst~irkte Pr/isenz von Fiihrungskr~iften bei pers6nlichen Treffen ein gutes Signal daf/ir, dass die Krise ernst genommen und professionell abgewickelt wird.
4.3
Verlinderungen der Einkaufsorganisation
Wenn Eink/iufer das Unternehmen kurzfristig verlassen oder die Sanierung aufgrund ihrer Qualifikation nicht entsprechend unterst/.itzen k6nnen, m/issen organisatorische Ver/inderungen/iberlegt und durchgefiihrt werden. Fiihrungskr~ifte k6nnen kurzfristig und zeitlich begrenzt durch Interimsmanager ersetzt werden. Auf Eink~iuferebene m/issen gemeinsam mit der Personalabteilung die qualifiziertesten Mitarbeiter ausgew/ihlt und gezielt motiviert werden. Dabei ist zu beriicksichtigen, dass die Erfahrungen mit Mitarbeitern aus dem ursprLinglichen Tagesgesch/ift nicht unbedingt auf die Ausnahmesituation der Sanierung /ibertragen werden k6nnen. Unterst/itzt werden kann dieser Prozess durch ein parallel zur Sanierung laufendes Key-Person-Retension-Programm, das die Mitarbeiter auch in dieser Situation motiviert und langfristig an das Unternehmen bindet.
4.4
Notwendige mittel- und langfristige Anpassungen
Die Sanierung und Neuorganisation der Stamm- und auch der Bewegungsdaten ist die konsequente und fortlaufende Folge der Transparenzschaffung. S/imtliche Nachteile innerhalb der Daten und Datenstruktur m/issen dokumentiert werden. Gleichzeitig wird die mittelfristige Reorganisation geplant. Nach einer Krise k6nnen Eink/iufer durch die aut~ergew6hnliche Situation in den Verhandlungsgespr/ichen mit den Lieferanten stark an Image verloren haben- teilweise so stark, dass sie nicht mehr mit den entsprechenden Firmen in Kontakt stehen sollten. Diese Mitarbeiter k6nnen durch Job-Rotation anderen Lieferantengruppen zugeordnet werden. Im Extremfall ist die Neugliederung der gesamten Einkaufsabteilung notwendig.
1123
ii~i~,'i~,i
Voe~ele / G ras
5
Potenzialrealisierung im Einkauf als Bestandteil der Sanierung
Die Sanierung eines Unternehmens ist mit Sicherheit eine der gr6t3ten Herausforderungen ~ r das Management. Gerade im Management des Einkaufens bieten sich zahlreiche M6glichkeiten, die Situation des Unternehmens schnell und nachhaltig zu verbessern. Intransparenz der Daten, keine saubere Gliederung der Datenstrukturen, kaum Kenntnisse der Stellgr6t~en im Einkauf und ein fehlendes Mat3nahmen- und Einsparungscontrolling sind Situationen, die man sehr h~iufig nicht nur in kleinen und mittelst~indischen Unternehmen vorfindet, sondern auch in grot~en Konzernen. Die Ursachen hierf~ir sind unterschiedlich. W~ihrend in kleinen und mittelst~indischen Unternehmen (KMU) gewachsene Strukturen zu geringer Transparenz beitragen, ist es in Grot~unternehmen das Vertrauen auf die eingesetzten IT-Systeme. Sind in KMU bisher die bekannten Stellgr6t~en vermeintlich immer erfolgreich und herrscht ohnehin ein gutes Verh~iltnis zum Lieferanten vor, legen Grot~unternehmen mehr Wert darauf, Eink~iufer in taktischem Einkauf zu schulen, als die strategischen Stellgr6t~en als zielf6hrend zu betrachten. Oftmals spielt hier auch der Zeitmangel ~ r strukturierte Einkaufsaktivit~iten eine Rolle. Mat~nahmen- und Ergebniscontrolling sind in sehr vielen Einkaufsprojekten- wenn e i n g e ~ h r t - eher kurzfristiger Natur und nur in wenigen Unternehmen, sehr h~iufig nur in Best-in-Class-Unternehmen- und die sind dann keine Sanierungsf~ille - strategisch ausgepr~igt. Sie dienen der momentanen Oberpr~ifung der beschlossenen Mat3nahmen und werden nicht im Sinne eines nachhaltigen Erfolges durchge~hrt. Um kurzfristige Erfolge in einer Sanierung zu erzielen, muss zun~ichst sehr schnell und z~igig eine Transparenz der Daten und Datenstrukturen geschaffen werden. Entscheidend sind klare und v. a. konsistente Informationen i~ber die Einkaufsorganisation, das Lieferanten- und Materialgruppenmanagement sowie alle Stamm- und Bewegungsdaten. Die Auswahl und Zuordnung geeigneter Stellgr6t~en zu einzelnen Materialgruppen folgt als n~ichster Schritt. Nicht die Anzahl der geeigneten Stellgr6t~en ist im Sanierungsfall entscheidend, sondern die Priorisierung nach kurzfristig wirkenden Stellgr6t~en, nach mittelfristig wirkenden Stellgr6t3en zur strategischen Weiterentwicklung und Ergebnissteigerung sowie nach langfristig wirkenden Stellgr6t~en zur Sicherung des Qualifizierungs- und Innovationspotenzials. Nach der Zuordnung der Stellgr6t~en zu den einzelnen Materialgruppen wird die Mat3nahmenplanung durchgef~hrt und zeitgleich das Instrumentarium zum Mat~nahmen- und Ergebniscontrolling entwickelt. Begleitend zu allen Sanierungsmat~nahmen im Einkauf muss eine Qualifizierungsoffensive begonnen werden, die nicht nur die Einkaufsmitarbeiter, sondern alle Mitar1124
Senierungsmethoden im Einkauf
beiter, die in den Prozess des Einkaufens und die angrenzenden Bereiche involviert sind, umfasst. Somit wird eine Qualifizierung der Mitarbeiter in der Umsetzung der Stellgr6t~en und im Verst~indnis f~ir Supply-Net-Prozesse geschaffen. Bei allen Mat~nahmen, die in einer Sanierung oftmals kurzfristig umgesetzt werden m~issen, darf nicht vergessen werden, dass sie in den meisten F~illen langfristige Wirkung haben. Deshalb muss mit Hilfe eines begleitenden und gut organisierten Informations- und Kommunikationsmanagements und einer hohen Transparenz der beschlossenen und durchgefi~hrten Aktionen Vertrauen in die interne Organisation aber auch in Richtung der Lieferanten und Kunden geschaffen werden. Weiterhin mi~ssen, wie in allen Bereichen, so auch im Einkauf, entsprechende Mat~nahmen f~ir die Zeit nach der Sanierung eingeleitet werden, wie z.B. eine nachhaltige Organisationsanpassung, optimierte Datenstrukturen und zielgerichtete Qualifizierungsprogramme.
1125
ii!!
Voegele / Gras
CHASE, RICHARDB./AQUILANO, NICOLASJ./JACOBS, F. ROBERT(2001): Operations Management for Competitive Advantage, 9. Edition, McGraw-Hill Higher Education. GAIZER, MICHAEL/FRAZIER,SERGE(2002): Operations Management, 9. Edition, SouthWestern. GAREIS, KARIN (2004): Supply Chain Cockpit, Firmenunterlagen Bosch Rexroth AG, Lohr. GOLDRATT,ELIYAHUM./Cox, JEFF(1993): The Goal: A Process of Ongoing Improvement, North River Press. KOTHESKLEWES(HRSG.) (2000): Emnid-Kothes-Studie, Meinungsbarometer Mergers & Acquisitions (Ausgabe 11), Bonn. MONCZKA,ROBERTM./TRENT, ROBERTJ./HANDFIELD,ROBERTB. (1998): Purchasing and Supply Chain Management, South-Western College Publishing, Cincinnati, Ohio. SOSSMEYER, VOLKER (2004): Strategische Logistik, Firmenunterlagen ZF Sachs AG, Schweinfurt. VOEGELE,ANDREASR. (2004a): Diagnose: Leistungsbruch, FAZ, 03.11.2004. VOEGELE,ANDREASR. (2004b): Supply Network Management - Neue Zusammenarbeit im Netzwerk der Wertsch6pfung, in: Best Practice in Einkauf und Logistik, BME, Gabler Verlag, Wiesbaden. VOEGELE,ANDREASR./GRAS, STEPHAN (2004): Die Logistiktrends 2004, Who is Who, Logistik inside, Heinrich Vogel Verlag, Mfinchen. VOEGELE,ANDREASR. (2003): Hand in Hand, in: FAZ v. 22.10.2003. VOEGELE,ANDREASR./ZEUCH, MICHAEL(HRSG.) (2002): Supply Network Management Mit Best Practice der Konkurrenz voraus, Gabler Verlag, Wiesbaden. VOEGELE,ANDREASR./SCHWIENTEK,R. (2002): Purchasing EmPowerment - Bestleistungen im Einkauf, in: Hahn, D./Kaufmann, L. (Hrsg.), Handbuch industrielles Beschaffungsmanagement, 2. Auflage, Wiesbaden.
1126
1
Von der GWA zur ,,3. Revolution der W e r t s c h 6 p f u n g " d u r c h O u t s o u r c i n g ? ...... 1129 Traditionelle Verfahren der R e s t r u k t u r i e r u n g von Q u e r s c h n i t t s f u n k t i o n e n ....... 1130 2.1
G e m e i n k o s t e n - W e r t a n a l y s e u n d Zero-Base-Budgeting ................................ 1130
2.2
Prozessorientierte R e s t r u k t u r i e r u n g s v e r f a h r e n ............................................. 1131
Shared Service Center u n d Business Process O u t s o u r c i n g als n e u e M e t h o d e n der U n t e r n e h m e n s r e s t r u k t u r i e r u n g .......................................................................... 1133
4
3.1
N e t z w e r k o r g a n i s a t i o n als G r u n d m o d e l l ......................................................... 1133
3.2
A u s l a g e r u n g v o n U n t e r n e h m e n s p r o z e s s e n .................................................... 1135
3.3
Interne BLindelung v o n Querschnittsfunktionen: Shared Service
3.4
Center (SSC) ........................................................................................................ 1138 A u s l a g e r u n g v o n Q u e r s c h n i t t s f u n k t i o n e n an externe Dienstleister:
3.5
Business Process O u t s o u r c i n g (BPO) ............................................................... 1143 Fallbeispiel Business Process Outsourcing: RHOD~A ...................................... 1145
H e r a u s f o r d e r u n g e n zur W e r t s c h 6 p f u n g s p a r t n e r s c h a f t d u r c h BPO ..................... 1147
1127
Restrukturierungsmethoden in den Querschnittsfunktionen
Von der GWA zur ,,3. Revolution der Wertschi pfun8" durch Outsourcing? Die direkten Bereiche der Fertigung sind durch den Trend zu ,schlanken Produktionsverfahren" mit hohem Automatisierungsgrad und einer Auslagerung von grot~en Teilen der Produktion an Zulieferer (z. B. stark ausgepr/igt in der Automobilindustrie und Elektronik-Ger~ite-Fertigung) in vielen Fallen tief greifend restrukturiert und optimiert worden. FCir die so genannten Querschnittsfunktionen gilt dies jedoch nicht. Unter Querschnittsfunktionen werden hier die internen Dienstleistungs- und Verwaltungsabteilungen mit den drei Hauptbereichen Finanz- und Rechnungswesen, Personalmanagement und Einkauf/Beschaffung, die ihre Leistung nicht unmittelbar an den Markt abgeben und typischerweise iiber Gemeinkostenschliissel weiter verrechnet werden (,,Gemeinkostenbereiche"), verstanden. Forschung & Entwicklung, Marketing und Vertrieb sowie Logistik, die zum Teil auch geb6ndelt auf Gesamtunternehmensebene vorgehalten werden, werden hier den operativen Kernbereichen zugeordnet. Diese Querschnittsfunktionen sind trotz verschiedener Restrukturierungswellen bisher von einer tief greifenden Neugestaltung verschont geblieben. Neue technische und organisatorische M6glichkeiten fiihren auch dort m6glicherweise zu grot~en Ver/inderungen. FINK/KOHLER/SCHOLTISSEK(2004, S. 12) sprechen vonder .dritten Revolution
der Wertsch6pfung". Nach einem kurzen 0berblick ~ber die ,,klassischen" Verfahren zur Restrukturierung von Querschnittsfunktionen (Gemeinkosten-Wertanalyse; Zero-Base-Budgeting; Reengineering) sollen diese neuen Methoden der Restrukturierung von Querschnittsfunktionen am Beispiel ,,Bereich Finanz- und Rechnungswesen" vorgestellt werden. Die hinter diesen Methoden stehende Idee ist einfach: Identische Funktionen, die traditionell in vielen Unternehmenseinheiten separat vorgehalten und mehr schlecht als recht ,nebenbei" erledigt werden, werden in einem selbst~indigen Verantwortungsbereich (Shared Service Center) zusammengefasst, um durch die Nutzung von Synergien Effizienzvorteile zu erlangen und eine starke interne Dienstleistungsorientierung zu erzielen. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Auslagerung der Prozessdurchfiihrung an einen darauf spezialisierten Dienstleister (Business Process Outsourcing). Hierdurch sollen weitere Vorteile erschlossen werden: niedrigere laufende Kosten und eine verbesserte Prozessqualit~it durch zus/itzliche Skaleneffekte und State-of-the-Art Prozess- und Technologie-Know-How des externen Dienstleisters. Weiterhin kann eine Flexibilisierung der Kostenstrukturen erreicht werden. Diese neuen Organisationsmodelle fiihren auch dazu, dass die alte Frage der optimalen Wertsch6pfungstiefe wieder neu gestellt wird (Quinn, 1999, S. 11-13). Welche T~itigkeiten und Prozesse sind denn die .Core Competencies" eines Unternehmens? Sollte ein Unternehmen denn nicht nur noch diejenigen Prozesse und Aktivit~iten, in
1129
Venohr
denen es ,,Weltklasse" ist und die aus Kundensicht entscheidend sind fi~r das Angebot hervorragender Produkte bzw. Services selbst durchf/ihren? K6nnen externe Dienstleister, die sich auf diese Prozesse konzentrieren und selbst wiederum auf ihrem Gebiet ,,Weltklasse" sind, einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsposition leisten?
2
Traditionelle Verfahren der Restrukturierun8 yon O.uerschnittsfunktionen
2.1
Gemeinkosten-Wertanalyse und Zero-BaseBudgetin8
Die Gemeinkosten-Wertanalyse(GWA) wurde Mitte der 70er Jahre entwickelt, um die stark steigenden Kosten der Querschnittsfunktionen in den Griff zu bekommen (McKinse~ 1981). Das Verfahren geht von Leistungen/Outputs aus und stellt Aufwand und Nutzen der Leistungen einander ggLi.. Das Ziel ist, mit Hilfe einer ,,DenkhSrde" (Einsparungsziel mindestens 40 %) Ideen zu sammeln, die darm priorisiert und diszipliniert abgearbeitet werden. Zur Bestimmung der Kosteneinsparungspotenziale wird das Untemehmen in so genarrate Untersuchungseinheiten (UE) eingeteilt. Die Leiter der Untersuchungseinheiten sind FLihrungskr~ifte des Untemehmens. Die UE werden in einem genau getakteten Verfahren, das aus den folgenden vier Schritten besteht, untersucht. FLir jeden dieser Schritte existieren ausgearbeitete Formulate und Vorgehensanweisungen, die sicherstellen, dass in kurzen Zeitr~iumen konkrete Einsparungsergebnisse erarbeitet werden: W Leistungen/Kosten strukturieren U Rationalisierungsideen entwickeln t
Realisierbarkeit bewerten
@i Mat~nahmen beantragen Trotz vielf~iltiger Kritik (,,Rasenm~iherverfahren"; mangelnde Vernetzung mit den strategischen Notwendigkeiten; St6rung des Betriebsfriedens) hat das Verfahren seine klaren St~irken. Es ist ein analytisch einfaches und projektorganisatorisch fundiertes Vorgehen zur kurzfristig wirksamen ,,Entschlackung" von Querschnittsfunktionen. 1130
Restrukturierun~smethoden in den Querschnittsfunktionen ~!~!~ i!i~!i~ l!!i~~ i!i~!i~~ i!~!i~!~!i~!~ i~ i~ i!i~~ i!~!i~~ !i!~!~ iii ~~ li~ i~ i!~ i!~~ i~ i!~ i~ i~ i~ i~ i~ i~ i!~ i~ ii~i~ li!i~i~ iii!~iiiii Nach mehreren ,,GWA-Wellen" diirfte aber das in den meisten Unternehmen durch diese Methode identifizierbare Abbaupotenzial eher gering sein. Das Verfahren Zero-Base-Budgeting (ZBB) wurde parallel zur GWA v o n d e r Beratungsfirma AT KEARNEYentwickelt. Gegenstand sind grundsStzlich alle Gemeinkostenbereiche des Unternehmens. Man unterstellt gedanklich einen Neuaufbau des Unternehmens bzw. bestimmter Funktionen und fragt, welche Funktionen in welchem Umfang und mit welchen Kosten tats~ichlich ben6tigt werden? In Abgrenzung zur GWA werden ausdr6cklich Anderungen der Gesamtorganisation beriicksichtigt. DenkansStze der Wertanalyse und der Kosten-Nutzen-Analyse dienen der Ideenfindung; 5hnlich der GWA l~iuft das Projekt straff getaktet in insgesamt 7 Schritten, ausgehend vonder Bildung von Entscheidungseinheiten und Erfassung der Ist-Situation bis hin zur Ausarbeitung von Detailmat~nahmen und Budgets ab (Friedemann, 2003, S. 26-32). Insgesamt erscheint das ZBB theoretisch etwas besser fundiert als die GWA und setzt tiefer bei den Ursachen fiir ausufernde Kosten an. Auch werden bestehende Strukturen starker in Frage gestellt. Es ist allerdings in der Anwendung komplexer. Beide Verfahren konzentrieren sich einseitig auf das Kostensenkungsziel und vernachl~issigen Fragen der ProzessqualitSt und langfristigen wettbewerblichen Positionierung. GWA und ZBB eignen sich deshalb weniger fiir Unternehmen, die durch eine tiefgreifende Restrukturierung ihre Kostenstruktur und Wettbewerbsposition langfristig verbessern wollen, sondern mehr fiir Unternehmen in akuten Krisensituationen, d. h. Sanierungsf~ille, die sehr schnell Kosten einsparen miissen und bewShrte Verfahren suchen, um dies strukturiert durchzufiihren.
2.2
Prozessorientierte Restrukturierunssverfahren
Die konzeptionelle Basis f6r Restrukturierungen liefert die Idee der Prozessorientierung: die Erbringung der Lieferungen und Leistungen eines Unternehmens erfolgt in Prozessen, die als Biindel von Aktivit~iten bzw. TStigkeiten definiert werden. Diese Prozesse fiihren zu bestimmten Arbeitsergebnissen, die wiederum fiir Kunden direkt oder indirekt einen Wert darstellen. An den Prozessen sind die einzelnen Funktionen des Unternehmens als Leistungserbringer beteiligt. Querschnittsfunktionen, die ja nur indirekten Bezug zu den externen Kunden haben, werden unter dem Gesichtspunkt interner ,,Kunde-Lieferant"-Beziehungen betrachtet. Einen wesentlichen Impuls hat die Grundidee der Prozessorientierung durch das Anfang der 90er Jahre entwickelte Konzept des Reengineering erhalten (Hammer/ Champ3~ 1994): Im Reengineering herrscht die Grundhaltung vor, Prozesse radikal neu zu gestalten (,Griine Wiese"- Idee). Die Leitfrage ist: Wenn das Unternehmen
1131
iii~iii!i!!~!!i~i~i!!!ii~!i~i!!i~ii~!ii!i!iii~i~!~!~!~!!i~!i!i~!ii!!~ii!~i~ii!i!~!!ii~!ii!~i!i!i~i!i!~i~
iiii
Venohr
ii!i!i
heute mit jetzigem Wissen und beim gegenw~irtigen Stand der Technik gegr~indet werclen mi.isste, wie wi~rde es dann aussehen? Weiterhin wichtig ist ein neuer Ansatz der Kostenrechnung. Mit den traditionellen Kostenrechnungsmethoden war es nicht m6glich, die Kosten von Prozessen im Unternehmen mit hinreichender Genauigkeit zu ermitteln. Erst mit der Einfi~hrung der Prozesskostenrechnung {Activity Based Costing} k6nnen die tats~ichlich den einzelnen Prozessen zuordenbaren Kosten bestimmt werden (Friedemann, 2003, S. 33-42). Dies fi~hrt zu einer Erh6hung der Kostentransparenz in den indirekten Bereichen und einer genauen Kenntnis der gemeinkostentreibenden Faktoren, so dass mittel- und langfristig wirksame Mat~nahmen ergriffen werden k6nnen, die an den Ursachen (z. B. hohe Produktkomplexit~it) ansetzen und deswegen auch zu nachhaltigen Kostensenkungen fi~hren.
Beide Ans~itze zusammen, Reengineering als Methode zur Erzielung radikaler Verbesserungen und die Prozesskostenrechnung als neues Verfahren des Kostenmanagement schaffen die M6glichkeit ~ r ein effektives Prozessmanagement. Bei der Durch~hrung von Reengineering-Projekten in der Praxis hat sich folgendes Vorgehen bew~ihrt (Venohr, 1996, S. 133-134): W Phase 1 - Abgrenzung und Priorisierung der Prozesse: Pro Prozess sind Ressourcenzuordnungen hinsichtlich Personalkapazit~iten und Kosten durchzufiihren. Weiterhin sind Leistungskennziffern aus Kunden- und Unternehmenssicht (Bearbeitungskosten/Produktivit~it, Durchlaufzeiten und Qualit~it) zu definieren, die dann den Ausgangspunkt f~ir Potenzialsch~itzungen und Priorisierungen bilden. E Phase 2 - Diagnose: Schwerpunkt ist die detaillierte Analyse und Dokumentation der einzelnen Prozessschritte, um eine Faktenbasis zu erstellen (Prozessablaufdiagramme, Zeit- und Mengengeri~ste, ,,Problemzonen" und Ziele f~r die Neugestaltung). Das Ergebnis dieser Phase sind meist i~berraschende und auch zum Teil schockierende Erkenntnisse. Dadurch entstehen auch die Bereitschaft und der Mut fi~r umfassende Neugestaltungen. Um dem Reengineering-Anspruch gerecht zu werden, sind auch externe Vergleichswerte fi~r wichtige Leistungskennziffern einzuholen, v. a. durch Analysen von Spitzenuntemehmen (,Beste angewandte Praxis") sowie Kundenbefragungen. Am Ende dieser Phase sollten dann die pr~izisen Ziele ~ r die Neugestaltung in der Phase 3 festgelegt werden. U Phase 3 - Neugestaltung: Ziel ist, die untersuchten Prozesse tief greifend neu zu gestalten (vonder Erarbeitung des Grobablaufes i~ber die Detailgestaltung bis zu den neuen Spielregeln der Zusammenarbeit), um die erhoffte sprunghafte Steigerung der Prozessleistung zu erreichen. Der neu gestaltete Prozess ist dann zu bewerten im Hinblick auf Kosten, Nutzen und Fragen der Machbarkeit. Die Auswirkungen auf Organisationsstruktur, Mitarbeiterqualifikation und -anzahl, die notwendige EDV-Unters~tzung sowie Spielregeln der Zusammenarbeit mi~ssen
1132
Restrukturierungsmethoden in den O.uerschnittsfunktionen illiiiii!ili!i~!iiillii~ilili!i!~iilliii sorgf~iltig durchdacht werden, da sie entscheidenden Einfluss auf den Umsetzungserfolg haben. !
Phase 4 - Pilotierung und Implementierung: Hier geht es darum, zun~ichst durch ein oder mehrere Pilotprojekte die Leistungsf~ihigkeit der neuen Prozesse zu demonstrieren, um Akzeptanz zu schaffen und schliet~lich die breite Einfi~hrung vorzubereiten. Das Ziel ist, das Konzept in allen Details praxisfest zu machen und v. a. auch erste Erfolge zu erzielen. Bew~ihrt hat sich in dieser Phase das Herunterbrechen des Gesamtkonzeptes auf Teilprojekte, die an Linienverantwortliche zur Umsetzung weitergegeben werden, allerdings unter der Leitung eines vollzeitlich zugeordneten Steuerungsteams, das die Schnittstellenprobleme 16st, f~ir straffes Projekt- und Zeitmanagement sorgt und kontinuierliches Lemen aus Umsetzungserfahrungen f6rdert.
Worauf kommt es nun an, um einen Reengineering-Prozess erfolgreich durchzufi~hren? Wichtig ist eine geschickte Projektbesetzung und -organisation, die Top-Downmit Bottom-Up-Ans~itzen kombiniert. Die ehrgeizigen Ziele und vollkommen neuen Ans~itze k6nnen nur durch ein eingeschworenes kleines Kernteam unter klarer FiShrung des Vorstandes, der sich an die Spitze der Bewegung stellt, erreicht und erarbeitet werden (Top-Down-Komponente). Entscheidend fi~r den Umsetzungserfolg wird es dann aber sein, das Denken und Handeln aller betroffenen Mitarbeiter zu ver~indern. Dies geschieht am besten durch ein rechtzeitiges Einbinden und fortlaufende Kommunikation (Bottom-Up-Komponente).
3
Shared Service Center und Business Process Outsourcin8 als neue Methoden der Unternehmensrestrukturierun8
3.1
Netzwerkorganisation als Grundmodell
Der Reengineering-Ansatz baut stark auf den durch die IT erm6glichten Neugestaltungsm6glichkeiten auf. Seit der Entwicklung dieses Ansatzes zu Beginn der 90er Jahre haben sich jedoch weitere technologische Ver~inderungen ergeben, die noch wesentlich tiefer greifende Neugestaltungen, v. a. durch die Auslagerung bestimmter Prozesse auf spezialisierte Dienstleister, erm6glichen.
1133
Venohr
J
Vollst/indige Digitalisierung von Gesch/iftsprozessen: Dank des Zusammenwirkens einer ganzen Reihe systemtechnischer Trends (Schwarzer/Krcmar, 1999, S. 1783) sinken die Kosten der Informations- und Kommunikationstechnologien drastisch bei gleichzeitig kontinuierlicher Leistungssteigerung, was dazu ffihrt, dass immer mehr Wertsch6pfungsaktivit~iten digitalisiert werden k6rmen. Die ~ r die Digitalisierung notwendige Softwareunters~tzung ffihrt wiederum zu einer starken Formalisierung vieler Prozessschritte. Standardanwendungssoftware bestimmt ffir jeden Arbeitsvorgang die Arbeitsschritte in logisch-konsequenter Weise in Verbindung mit den vorgegebenen und gespeicherten Daten. Insbesondere stabile Routineprozesse (his zu 80 % aller Gesch~iftsvorf~ille) k6mlen so weitgehend automatisch ablaufen. Digitalisierte Information kar~ wiederum mit Lichtgeschwindigkeit transportiert werden und kar~ beliebig kopiert, komprimiert und kombiniert werden und ist auflerdem fast beliebig ver~inderbar, was wiederum den Aufbau weltweiter Bearbeitungsketten erm6glicht. (Schwarzer/Krcmar, 1999, S. 90 ff.).
E ~, Starker Einsatz von betrieblicher Standard-Software fiir Querschnittsfunktionen: Durch den Siegeszug des SAP R/3 Systems, das weltweit inzwischen mehr als 20.000 real eingesetzt wird, gibt es einen starken Trend zum Einsatz yon StandardSoftware f~ir wichtige Querschnittsfunktionen wie Buchhaltung und Personalwirtschaft aber auch operative Bereiche wie Logistik/PPS (Schwarzer/Krcmar, 1999, S. 248 ff.). Das anwendende Unternehmen karm darm lediglich die f/,ir die eigene Organisation relevanten Gesch~iftsprozessalternativen aus dem R/3 Prozessangebot ausw~ihlen und an den untemehmensspezifischen Bedarf anpassen (,,Customizing"). Diese Anpassung ist jedoch meist nicht oder nut in geringerem Umfang ffir Querschnittsfunktionen erforderlich, da diese weder kundermah noch erfolgskritisch sind und deswegen auch keine Quelle ~ r Wettbewerbsvorteile bilden. W~ Weltweite unternehmensinterne und unternehmensiibergreifende Vernetzung: Das Internet verbindet weltweit verteilte leistungsf~ihige Computer (,,Server") und bildet die Infrastruktur zum Datenaustausch. Es fibernimmt ffir den Austausch yon digitalisierbaren Daten aller Art (z. B. Texte, Bilder, Videos) die Rolle, die das Teleformetz jahrzehntelang ffir die Sprachkommunikation eingenommen hat. Weiterhin wichtig ist die zunehmende Verbreitung yon web-basierter Software mit einet Standardisierung von Schnittstellen und Semantik (bspw. das Dokumentenaustauschformat XML). Mit Hilfe einiger weniger Konversionsl6sungen k6rmen Daten dann systemfibergreifend genutzt werden. Alle durch das Internet verbundenen Unternehmen k6r~en grunds~itzlich in Echtzeit miteinander zusammenarbeiten (,,Kor~ektivit~it") und weitgehend friktionslos digitale Informationen austauschen. W Starker Anstieg der verfiigbaren Bandbreite: Entscheidend sind hier die zur Verf~igung stehende stark wachsende Bandbreite (~ibertragene Datenmenge pro Zeiteinheit) der Kommunikationsverbindungen und die gleichzeitig stark fallenden Interaktionskosten. Rapide Verbesserungen in der Mikroelektronik, die Digitalisierung yon Netzen und Vermittlungszentralen sowie immer leistungsf~ihigere
1134
Restrukturierungsmethoden in den O.uerschnittsfunktionen
Ubertragungsmaterialien (Glasfasern/Optoelektronik) und Verfahren der Datenkompression sind Katalysatoren, die zu stark sinkenden Kosten je/ibertragener Datenmenge fiihren bei gleichzeitig stark steigender Qualit~it. Ein technologisches Ende dieser Trends ist nicht erkennbar (Bfillingen/Stamm, 2001, S. 6-21). Diese technologischen Ver/inderungen ffihren zu ganz neuen Formen der Arbeitsteilung innerhalb der Unternehmen und zwischen Unternehmen, die insbesondere von internationalen Grot~unternehmen bereits genutzt werden. Verschiedene Autoren haben diese Modelle beschrieben als ,Netzwerkorganisation" (Sawhney, 2002, 2003); ,,partnerschaftliche Kompetenznetzwerke" (Fink/K6hler/Scholtissek, 2004, S. 184 ff.) bzw. ,,grenzenlose Unternehmen" (Picot, 2002). Im Modell der Netzwerkorganisation werden kundenzentrierte ,,Front Office"-Funktionen von den unterstftzenden ,Back Office"-Funktionen entkoppelt; diese k6nnen wiederum an kostengfinstigen Standorten gebfindelt werden (,,Offshoring") bzw. an spezialisierte Dienstleister ausgelagert werden. In dieser ,,sch6nen neuen Welt" kann maximale Kundenn/ihe und dezentrale Marktbearbeitung bei gr6t~tm6glicher Ausnutzung von Kostensenkungs- und Qualit/itsverbesserungspotenzialen in den kundenfernen Back-Office-Prozessen (Querschnittsfunktionen) erreicht werden. Federf/.ihrend in der Umsetzung sind in den USA Firmen wie GENERALELECTRICund CITYBANKund in Europa BP (Sawhney, 2003, S. 2).
3.2
Auslagerung von Unternehmensprozessen
Grunds/itzlich k6nnen natfirlich nur solche Komponenten eines Gesamtsystems ausgelagert werden, die als Einzelleistung identifizierbar sind und fiber definierbare Schnittstellen zu den weiteren Komponenten verf/igen. Aut~erdem sollte die auszulagernde Komponente auch marktgSngig sein, d.h. es mLissen externe Dienstleister existieren, die diese Leistung anbieten (Weidner, 2000, S. 78 ff.). Diese Abgrenzung macht deutlich, dass bei Dienstleistungsprozessen grundsStzlich eine Reihe von Hiirden zu/iberwinden ist (Fink/K6hler/Scholtissek, 2004, S. 48-52). Anders als im Fertigungsbereich bei der Herstellung eines physischen Produktes, wo Standardkomponenten mit normierten Schnittstellen nach aut~en vergeben werden k6nnen, sind Dienstleistungen stSrker interaktiv und vollziehen sich oft zwischen Menschen. Die Integration der einzelnen Leistungen zu einem ,,Dienstleistungs-Endprodukt" vollzieht sich zum Zeitpunkt der Erffillungstransaktion selbst, quasi vor den Augen des externen bzw. internen Kunden, was eine nahtlose informationstechnische Verzahnung und Abstimmung der Leistungsprozesse erfordert. Weiterhin schwieriger sind bei Dienstleistungen die Etablierung von Standards und die Durchfiihrung entsprechender Qualit/itskontrollen. Die Dienstleistungsqualit~it bemisst sich sehr oft aus der Wahrnehmung des Kunden, die grunds/itzlich subjektiv und individuell ist. Die Digitalisierung von GeschSftsprozessen und damit einhergehende Untersttitzung durch Standardsoftware fiihrt allerdings zu einer stSrkeren
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Venohr
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Normierung dieser Prozesse und erm6glicht eine wesentlich st~irkere Ablaufsteuerung und Erfolgsmessung. Ffir die Beurteilung der Outsourcingpotenziale ist deswegen eine Unterscheidung in der Art der erbrachten Dienstleistungsprozesse notwendig. Man kann hierfi.ir die Idee des ,,Knowledge Continuum" heranziehen (Aron/ Singh, 2002, S. 1-3). Dienstleistungsprozesse decken ein sehr weites Spektmm ab: angefangen von einfachen Dateneingaben, Datenabgleichen und standardisierten TStigkeiten, die stark durch Algorithmen unters~tzt werden und deswegen weitgehend automatisierbar sind (,Transakti0nen" ) bis zu hoch spezialisierten TStigkeiten, die grot~es Fachwissen (,,expert judgement") erfordern und nicht standardisierbar und damit automatisierbar sind. Alle starker transaktionsorientierten Dienstleistungsprozesse sind grunds~itzlich stark ~ r Outsourcing geeignet. Einen wichtigen theoretischen Rahmen zur Erkl~irung dieser Entwicklung liefert die Theorie der Transaktionskosten. 264 Ausschlaggebend ffir die ,,make-or-buy-Entscheidung" ist die Abw~igung zwischen den niedrigeren Produktionskosten durch Ausgliederung (Skalenvorteile des Dienstleisters) und den gleichzeitig entstehenden h6heren Transaktionskosten durch Verhandlungen und Uberwachung der Vertr~ige sowie die Einbindung des Dienstleisters in die Leistungserstellungsprozesse. Ein Haupttreiber ffir die H6he der Transaktionskosten ist die ,Spezifizit~it" der Leistung (Weidner, 2000, S. 199), die vom Standardisierungsgrad abh~_ngt. Je starker standardisiert eine Leistung ist, umso geringer ist die SpezifizitSt und umso einfacher lassen sich derartige Leistungen am Markt beschaffen. Der Standardisierungsgrad wird typischerweise gemessen an Merkmalen wie erforderlicher Anpassungsbedarf an Unternehmensgegebenheiten (Anteil der Anpassungskosten an den Gesamtkosten) und Existenz von Anbietern ffir diese Leistung (Marktverffigbarkeit). Ist ein bestimmter Prozess standardisierbar, k6nnen externe Dienstleister in der Abwicklung dieses Prozesses Skalen- und Qualit~itsvorteile erzielen und diese dann an ihre Kunden weitergeben. Prozesse haben eine h6chst unterschiedliche SpezifizitSt: zwei m6gliche Pole bilden z.B. die Logistikkette bei einem PC-Hersteller wie DELL, die h6chst spezifisch ist und eine entscheidende Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein kann und die Gehaltsabrechnung, die stark normiert und standardisiert ist und deswegen schon fiberwiegend von externen Dienstleistern wie (z. B. DATEVin Deutschland oder ADP in den USA) durchgefiihrt wird. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ffir die H6he der Transaktionskosten ist der Faktor ,,Risiko/Unsicherheit", v. a. verursacht durch nicht oder nur sehr schwer voraussehbare UmweltverSnderungen, die z. B. zu neuen Anforderungen an den Vertragspartner ~hren. Eine gewisse MindeststabilitSt der Vertragsinhalte und der ausgelager-
264 Vgl. hierzu bezogen auf das Thema Ausgliederung von IT und damit verbundenen Prozessen DIBBERN/GOTTLER/HEINZL(2001, S. 681-962) und FRIEDRICHETAL. (2004, S. 21-23). 1136
Restrukturierungsmethoden in den CLuerschnittsfunktionen
ten Prozesse ist erforderlich, um laufende Nachverhandlungen mit hohen Anpassungskosten zu verhindern (Dibbern/GLittler/Heinzl, 2001, S. 685). Wie bereits in der Einleitung erw/ihnt, ist die Auslagerungsentscheidung eine sehr wichtige Grundsatzentscheidung fLir die Konfiguration der unternehmensspezifischen Wertsch6pfungsketten. Man muss sich deshalb hierbei mit grunds~itzlichen strategischen Fragen auseinandersetzen (Weidner, 2000, S. 131-133, S. 201-220; Fink/ K6hler/Scholtissek, 2004, S. 62-83). m Welche strategische Bedeutung hat eine bestimmte Leistung? Tr~igt sie dazu bei, Kostenvorteile ggLi. Mitbewerbern zu erzielen oder eine Differenzierung aus EndKundensicht zu erreichen? M Soll diese Leistung intern oder extern erbracht werden? Strategisch wichtige Leistungen, durch die Wettbewerbsvorteile erzielt werden k6nnen, werden i. d. R. als Kernkompetenz definiert, die auch intern erbracht werden sollten. Zus/itzlich zu berLicksichtigen ist bei dieser Bewertung eine ,,dynamische Dimension" (Raynor/ Christensen, 2002, S. 11-26). Da sich Wertsch6pfungsketten Liber die Zeit ver/indern, muss man wegen der langfristigen Auswirkungen grunds~itzlicher Ressourcenentscheidungen Liberlegen, wie sich in Zukunft das Wettbewerbsumfeld darstellen wird und auf welche Art und Weise Vorteile zu erzielen sind. Die Diskussion des Themas ,,strategische Bedeutung" kann hier nicht vertieft werden. Sie muss unternehmensspezifisch gefLihrt werden. Zu warnen ist hier nur vor der vorschnellen Erkl~irung bestimmter Prozesse als ,,strategisch" und dem damit verbundenen Kurzschluss ,,Kernkompetenz", die im Haus behalten werden muss. So ist z. B. unbestritten, dass der Prozess der Schadenabwicklung die Kernkompetenz einer Versicherung darstellt (Anteil von Liber 70 % an den Gesamtkosten; hohe Visibilit~it aus Kundensicht; Know-How aus abgeschlossenen Schadenf~illen entscheidend fLir die Tarifkalkulation und Preispolitik). Zu fragen ist allerdings, ob der gesamte Prozess, von der Schadenaufnahme bis zur endgLiltigen Auszahlung, auch intern durchgef/ihrt werden muss oder ob nicht bestimmte Dienstleister in einzelnen Elementen der Wertsch6pfungskette Wettbewerbsvorteile besitzen, deren Ausnutzung wiederum dem auslagernden Unternehmen Vorteile bringt. Die oben aufgef~ihrten technologischen M6glichkeiten fiihren zum Entstehen externer Dienstleister, die durch die BLindelung dieser Prozesse sowohl Skalenvorteile erzielen als auch Dienstleistungen in ganz neuer Qualit/it anbieten k6nnen. Ein erfolgreiches Beispiel in Deutschland ist die DATEV, als zentraler Dienstleister fLir selbstst~indige Steuerberater und deren Klienten fLir Finanzbuchhaltung und Personalabrechnung. Radikaler als es bisher m6glich war, kann der Kern eines Unternehmens als Quelle von Wettbewerbsvorteilen definiert werden. Zur Erzielung deutlicher Verbesserungen empfiehlt sich als grunds~itzliche Sichtweise eine ,,Umkehrung der Beweislast"
1137
Venohr
(Quinn, 1999, S. 12). Querschnittsfunktionen m/issen beweisen, dass sie das Leistungsniveau der besten externen Dienstleister erreichen, ansonsten werden sie ausgelagert. Neben den zu erzielenden Kosteneinsparungen sind also auch die strategischen Vorteile des Outsourcings von grot~er Bedeutung. Der durch die Auslagerung erzielte starke Fokus auf die ,Core Competencies" soll das Management von Verwaltungst~itigkeiten entlasten und es ihm erm6glichen, sich voll und ganz auf den Markterfolg zu konzentrieren (Drucker, 2002, S. 109). Der grot~e Erfolg von Untemehmen wie GENERAL ELECTRIC,DELL, CISCO oder auch PUMA und PORSCHE, die ein derartiges Organisationsmodell umgesetzt haben, scheint diese These zu unters~tzen. JACK WELCH, exCEO von GENERAL ELECTRIC, unterstreicht einen weiteren wesentlichen strategischen Vorteil, den Riickgriff auf die Kernkompetenzen des Outsourcers. Er sieht hierin sogar einen der Schl/isselfaktoren fi.ir den Unternehmenserfolg von GENERALELECTRIC: .... understanding where your real value added is and putting your best people and resources behind that. Back rooms by deJinition will never be able to attract your best. We converted ours into someone else's front room and insisted on getting their best" (Welch, 2001, S. 397). PETER
DRUCKERhat wegen dieser strategischen Vorteile schon vor fast 10 Jahren die Prognose abgegeben, dass langfristig die Mehrheit der ,,Mitarbeiter" eines Unternehmens als Mitarbeiter eines Outsourcing-Dienstleisters f-fir das Unternehmen arbeiten wird (Drucker, 1995, S. 7).
3.3
Interne BUndelun8 yon Q.uerschnittsfunktionen: Shared Service Center (SSC)
Sehr oft sind Querschnittsprozesse wie das Personal- bzw. Finanz- und Rechnungswesen bei gr6t~eren dezentral organisierten Unternehmen auch dezentral bei den selbst~indigen Gesch~iftseinheiten angesiedelt, die hierfi~r an einzelnen Standorten Ressourcen vorhalten (Wisskirchen, 2001, S. 2-4). Die Folge sind Ineffizienzen, v. a. durch lokal stark unterschiedliche Abl~iufe, nicht ausreichende IT-Unters~tzung sowie nicht standardisierte und meist veraltete IT-Systeme. Die Kostensenkungsreserven durch diese Ineffizienzen sind hoch.. In einer groben Durchschnittsbetrachtung liegen die gesamten Prozesskosten f/ir Personal und Finanzund Rechnungswesen bei jeweils 0,5 %-1% vom Umsatz. Durch Restrukturierungsmat~nahmen, die nach den vorliegenden Zahlen zu Einsparungen von 50 % und mehr der Kostenbasis fi.ihren k6nnen, lassen sich Verbesserungen erzielen, die auch f/Jr das Gesamtergebnis des Unternehmens relevant sind. Ein m6gliches Verfahren ist die Zentralisierung mit den typischen Nachteilen: marktferne Prozesse, die nicht auf die Bed/irfnisse der Tochtergesellschaften abgestimmt sind und die durch gering motivierte Mitarbeiter zu sehr hohen Kosten erbracht werden (Wit~kirchen, 2001, S. 7-10). Als Ausweg gilt dann die Gr~ndung sog. rechtlich
1138
Restrukturierungsmethoden in den O~uerschnitts[unktionen ~i!~!i!i!i,~i~i'i~i!!?!i¸~il!:!~!I~!U !/~'!i!i!i!ii!i selbst/indiger Shared Services Center (SSC), d.h. Organisationseinheiten, die die Leistungserbringung unternehmensweit biindeln und als interne Dienstleister auf der Basis marktorientierter Servicevereinbarungen und Preise t/itig sind. Man will durch die Zusammenlegung Skaleneffekte nutzen, aber auch die Prozessqualit~it steigern durch optimierte und standardisierte Prozesse (inkl. verbessserter IT-Unterst/.itzung), die auf der Basis von Service Standards erbracht werden durch spezialisierte und motivierte Mitarbeiter. Zunehmend spielt auch die Ausnutzung von Faktorkostenunterschieden (v. a. Lohnkosten) eine grot~e Rolle.
Abbildung3-1: Effizienzsteigerungspotenziale im Finanz- und Rechnungswesen (Kreditorenbuchhaltung), (Quelle: o.V., 2004a, S. 1) i ii:~i~i~i~i!!!i:i!~!i~!i!i!!!!!!!!ii:~:!~!!!!~!!!!!!!!~!i ~ ! !i!i ! ! ! ! ~ ! ~ ! ! i ! ! ! ! ! ! ~ ! ! ! ! ! ! ~ ! ! ! ! ! ~ ! ! ! ~ ! ~ ! ~ ! ~ : i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ z ~ i ~ z ~ i ~ ; ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ : i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ ! ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ i ~ : ~ i ~ ! ~ ! ~ : ~ : ~ ! ~ ! ~ ! ~ i ! ~ ! i ~ i ~ ; ~ i ~ z ; : ; ~ i ~ ! ~ i : ; i i i i ~ z ~ i i ~ i ~ i ~ i i i ~ i ~ ; i ~ z ~ i ~ i ~ i ~ i i ! ~ ! ~ ! ~ ! ~ ! ~ ! ~ ! ! ~ ! ~ ! ! ! ~ !
u ntersuchte Unternehmer
Kennzahlen .
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Kosten pro Rechnungsposition ($) Kosten pro Rechnung ($) Anzahl Mitarbeiter pro 1 Mrd. Umsatz ($) Kosten pro 1.000 $ Umsatz ($) Kosten pro Mitarbeiter ($) Mitarbeiterkosten pro Position ($) IT-Kosten pro Rechnungsposition ($)
1. Quartil (Q1)
(Q3) 3. Quartil (Q31
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Die Bildung von SSC verl~iuft in folgenden Phasen mit einer Gesamtdauer von typischerweise 1-2 Jahren. Nach einer positiven Grundsatzentscheidung auf der Basis einer ersten Machbarkeitsstudie inklusive einer Kosten-Nutzenabsch~itzung (,,Business Case") geht man in der Designphase dann sehr stark ins Detail und definiert die wesentlichen Leistungsmerkmale des SSC in den folgenden Schritten: W Prozessanalyse und Organisationskonzept: Man beginnt hier mit einer detaillierten Prozessanalyse und Modellierung der Sollprozesse und legt dann diejenigen Teilprozesse fest, die konsolidiert werden k6nnen oder aber weiterhin dezentral in den Gesch/iftseinheiten selbst durchgefCihrt werden sollen bzw. zentral in der Holding vorgehalten werden. Zun~ichst einmal ist zu kl/iren, wer in der Dreiecksbeziehung ,,Holding/SSC/Gesch~iftseinheiten" zukCinftig welche Leistungen erbringen soll? Bew/ihrt hat sich die Unterteilung in strategische, taktische und operative
1139
i~i:i~i;;ii.......... : :: :: :~:'~: : :: ! Venohr ~i~iiiiii~ii.
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Prozesse, die bestimmten Organisationseinheiten bzw. Diensfleistern zugeordnet werden. Die Entscheidung fiber die Organisationsstmktur umfasst weiterhin die Anzah! der SSC. Zu prfifen uncl abzuw~igen sind Ska]envortei]e aus einer Zentra]isierung und Standardisierung, Erfordernisse der Kundemn~ihe sowie Restriktionen durch ]~inderspezifische Gesetze uncl Usancen. Grunds~itz]ich sol]te bei weitgehencl ~ihnlichen und standardisierbaren Prozessen eine m6g]ichst geringe Zah! yon SSC
gew~ihlt werden. Weiterhin ist die grunds~itzliche Rollendefinition und die darauf aufbauende rechtliche Ausgestaltung festzulegen (Profit Center/ Cost Center, mit/ohne Marktzugang; eigene Rechtspers6nlichkeit/Abteilung). Die zukfinftige Schnittstellenmanagement-Organisation ist zu definieren, angefangen von der Einrichtung einer Hotline his zum Aufbau von Schnittstellen-Managern. Auch mfissen Personalgerfiste mit den entsprechenden Mitarbeiterqualifikationen festgelegt werden.
Abbildung 3-2: ii ii
Effizienzsteigerungspotenziale im Personalbereich Jtihrliche Kosten der Personalverwaltung pro
Einsparungen bei:
betreutem M?arbelter in $
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Verbesserung von Verbesserung von | Durchschnittskosten zu H~chstkosten zu Unternehmen i....................................... ~| Best-in-class"-Kosten Best-in-class"-Kosten mit den hOch- ! $ 3.000 it"...................................... '"...................................................................................................................... ::...........................................................................
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$ 2.275
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untersuchten Unternehmen i:i i:i ~:i i:,i
.................................................... i~:~!~ ~ ~ { . ~ s ~ o ~ { ~ , - , ~ . ~ ~ . $ 1 . 1 0 0 ~N. N~ .~ ~ ~ U nterneh mensi nso Ivenzen Im ersten Halbjahr 2004 mussten 19.300 Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten. Erstmals seit 1999 ist die Zahl der Unternehmenszusammenbr~iche wieder leicht r~ickl~iufig: 1,7 % oder 340 Unternehmen weniger als im ersten Halbjahr 2003 waren zu verzeichnen. Eine Trendwende ist dennoch nicht in Sicht: Fi]r das Jahr 2004 wird mit 39.000 bis 41.000 Unternehmenspleiten zu rechnen sein (Bretz, 2004).
Abbildung 1-1:
Insolvenzverfahren in Deutschland
iiili i!i~i~i~i~i~iT~iTi~i~i;!i!ii!~ii!:i~i~i~!~i...................... ~!i~i~i~ ................................................... ! ~ : 9 ~ ~ 33.870
................................................................................................................... -0,3 % 26.620 -4,3 % 2.450
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i~ii~!~!i~i~i~!~i~!i~i~i~i~!~!~i!~i~i~............................................. i~i~i~; ~ .......................................................................................................................... i .........................................~ ................................................................................ ~....................................~i~!il ~ ii2O0111ii!ilili~iii!ii!iiiiiiii!:i!iiii:i
49.510
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i~i !i!ii~iiiiiiii~iiiiiiiiiiiT~ii!~iii~!!ii!iii!!!ii~......................... !zi!i : -.................... ~ ~- ...................... ~ ......................... ; i .......................... ii~iiiii2002iiiiiiii!iiiii;iiiiiiiiiiiiii~il 84.330~ +70,3 % 37.620 +16 1%ii 21.520i
~ ~ ~ ~ 2003~,~,~,~_0, a = 0, falls E investiert, a = 1, falls E nicht investiert. Die Reorganisationskosten c ergeben sich entsprechend aus den Kosten ffir die Erstellung des Restrukturierungsplans zuzfiglich der I m p l e m e n t i e r u n g s k o s t e n u n d betragen d e m n a c h c = o + s mit o _>0. In t=3 w e r d e n die Bruttopayoffs (P) je nach eintretendem Szenario realisiert u n d auf die beiden Spieler aufgeteilt, so dass P=W+D. Wie aus Abb. 3-3 hervorgeht, ergeben sich vier m6gliche Szenarien mit vier unterschiedlichen Gesamtpayoffs (Nettogesamtertr~ige): 1.
E investiert nicht in t=l, O liquidiert in t=2. Beide erhalten ihre Reservationsnutzen WRR= W bzw. DRR = D . Der Nettogesamtpayoff (Pl) entspricht d e m Bruttogesamtpayoff ( P1 ).
2.
E investiert nicht in t=l,
O hingegen
investiert.
E erh~ilt
~R,
O erh~ilt
d~ = D~ - ( i + h). Der Nettoertrag betr~igt P2 = P2 - i - h . 3.
E investiert in t=l, O liquidiert in t=2, beide erhalten den Reservationsnutzen, wobei E netto WlR =
WI R - e ,
0 D, R erh~ilt. P3 = P3 - e .
1409
~ii #iiiii !#i!iii '~iiii',ii
Picot / Ertsey
4.
E investiert in t=l, O investiert in t=2, E erh/ilt wii = W I I - e und O dil = Die- i. P4 = P 4 - e - i .
Die Nettopayoffs werden durch die Handlungen (a) beider Spieler erzielt, d. h. sie sind als Funktion dieser Handlungen bzw. genauer als Differenz zwischen Bruttopayoff und Implementierungskosten darstellbar: p = f(auM)= P(aNM)-S mit M ~ {0,E},N E {Inv, Re j.}
L6st man dieses Spiel nun durch Rtickw/irtsinduktion, kann angegeben werden, unter welchen Bedingungen das vierte Szenario, ein gelungenes Reorganisationsprojekt, eintreten wird. Das Restrukturierungsprogramm wird nur darm realisiert, wenn seine Umsetzung auch die dominante Strategie ist. Dies ist der Fall, wenn die Umsetzung effizient ist, d. h. wenn sich die Akteure dadurch kollektiv besser stellen als in jeder Alternative, wenn also gilt, dass P4 > max[p1, P2, P3 ]. Die Gestaltung dieses effizienten Plans ist die Koordinationsaufgabe der Reorganisation.
Damit der Plan abet tats/ichlich umgesetzt wird, muss seine Durchftihrung zus/itzlich im individuellen Interesse jedes Spielers liegen. Der Payoff dieser Alternative muss dem Spieler einen relativ h6heren Anreiz zu ihrer Realisierung bieten als jede andere Alternative. Ist diese Bedingung erftillt, ist der Reorganisationsplan anreizkompatibel. Das bedeutet, dass hier nicht mehr der Gesamtpayoff entscheidend ist, sondern der Anteil des einzelnen Spielers an diesem Payoff. Dieser Anteil muss also gr6t~er sein, als der Anteil in jeder anderen Alternative. E entscheidet sich demnach ftir die Alternative, die ihm den maximalen Lohn verspricht: w = max[wR/, wii , WRRWIR,] Die Anreizbedingung ftir seine Teilnahme ist demnach
w. >_max[w, w wzR,] Die Differenz zwischen Wii und der n~ichstbesten Alternative bestimmt seinen individuellen Restrukturierungsgewinn. Ftir O muss analog gelten: dlI > max[dRi, dRRdlR,]
Der Unternehmer und der Mitarbeiter k6nnen nun tiber die Aufteilung des Gesamtpayoffs einen Vertrag schliet~en, der die H6he der individuellen Auszahlungen regelt. Durch Berticksichtigung der Anreizkompatibilit~it bei der Vertragsgestaltung kann ein Vertrag geschrieben werden, der den effizienten Reorganisationsplan auch tats~ichlich implementiert. 1410
Okonomische Anreizmechenismen zur Sicherstellung des Restrukturierun~sergebnisses
Die anreizkompatible Implementierung des effizienten Plans ist die Motivationsaufgabe der Reorganisation. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem Scheitern von Reorganisationsprojekten lautet demnach wie folgt: (Effiziente) Restrukturierungsvorhaben scheitern, wenn sie nicht anreizkompatibel durchgeffihrt werden. An einem einfachen Beispiel l~isst sich eine solche Situation nachvollziehen. Bei der Konstellation in Abbildung 3-3 ist Restrukturierung kollektiv optimal, d. h. bei Durchffihrung des Projektes wird der Gesamtfiberschuss aus der Kooperation maximal. P4 betr~igt hier 12 und ist damit h6her als in jeder anderen Alternative. Jedoch kann E individuell bei Ablehnung des Plans 5 Nutzeneinheiten erhalten, wohingegen er nur 4 erh~ilt, wenn er investiert. Dies gilt zwar nur, wenn auch O investiert. Da O aber unabh~ingig von der Entscheidung des E sich immer besser stellt, wenn er investiert, ist ffir E klar, welche Handlung des O er antizipieren muss. O wird also investieren, E den Plan im Anschluss ablehnen. Das effiziente Restrukturierungsprojekt ist damit gescheitert.
Abbildung 3-3: Auszahlungsmatrix eines Reorganisationsplans (Beispiel)
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Picot/Ertsey
3.2
Prinzipien des anreizkompatiblen Reorsanisationsmanasements
Offensichtlich optimale Restrukturierungen scheitern, weil die individuellen Auszahlungen nicht lukrativ sind. Damit liegt der L6sungsansatz auf der Hand: eine Ver~inderung der individuellen Auszahlungen. Wie kann das geschehen? (Wolff, 1999, S. 139 ff.) Eine endogene L6sung ware die Verhandlung von Transferzahlungen, die sich die Spieler vertraglich zusichern. Im Beispiel k6nnte also der Mitarbeiter ein Investitionsversprechen leisten, wenn der Unternehmer ihm eine Transferzahlung (t) in H6he von 2 gew~ihrte. Die Anreizbedingungen ver~inderten sich so zu Wli + t > max[wR/, WRRWIR,] fi.ir den Mitarbeiter und dli - t > max[dR/, dRRdlR,] ffir den Unternehmer. Die Transferzahlung darf also nicht kleiner sein als die Differenz aus Restrukturierungsauszahlung und n~ichstbester Alternative, gleichzeitig aber auch nicht h6her als die Differenz zwischen Restrukturierungsauszahlung und n~ichstbester Alternative des Unternehmers. D. h. ffir t muss gelten: max[wR/,WRRWIR , ] - Wli