Manuela Brandstetter Gewalt im sozialen Nahraum
VS RESEARCH
Manuela Brandstetter
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Manuela Brandstetter Gewalt im sozialen Nahraum
VS RESEARCH
Manuela Brandstetter
Gewalt im sozialen Nahraum Zur Logik von Prävention und Vorsorge in ländlichen Sozialräumen
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Wien, 2008
Gefördert durch das Land Niederösterreich.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16794-7
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 9 1
Einleitung ................................................................................................... 11 1.1 Ausgangsthesen und Forschungsziel ....................................................... 13 1.2 Arbeitsablauf ........................................................................................... 15
2
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen.................. 19 2.1 Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“................................................ 19 2.1.1 Diskurse zu „Family Violence“.................................................... 21 2.1.2 Stand der Theorie und Forschung zu häuslicher Gewalt .............. 25 2.1.3 Begriff „Gewalt“ und „gewalttätige Handlungen“ ....................... 28 2.2 Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs .......................................................................................... 30 2.2.1 Familiäre Gewalt vor dem Hintergrund der rechtlichen Bestimmungen in Österreich seit 1989......................................... 30 2.2.2 Exkurs zur Geschichte familialer Beziehungen und deren Dimension der Gewalt.................................................................. 34 2.3 Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie ....................................... 43 2.3.1 Gewalt als zentrales Thema der Moderne .................................... 44 2.3.2 Kriminologische Kritik am Diskurs über Gewalt im sozialen Nahraum ....................................................................................... 47
3
Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus............................. 55 3.1 Der Präventionsdiskurs in Kriminologie und Sozialwissenschaft ........... 56 3.2 Implikationen des Präventionismus für Fragen der Hilfe und Vorsorge in der „nachdisziplinären Ordnung“ ........................................................ 64 3.2.1 Exkurs: Der Raumbegriff ............................................................. 72 3.2.2 Die Logik der Hilfe und die Logik der Prävention – frühe Theorien Sozialer Arbeit .............................................................. 75 3.2.3 Präventionsansätze des Public Health .......................................... 81 3.3 Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss ... 83 3.3.1 Unterschiede im Begriffsverständnis............................................ 90
6
Inhaltsverzeichnis
3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7
Strategien der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt ............ 94 Beseitigung von Geschlechterasymmetrien.................................. 94 Schaffung normverdeutlichender Grundlagen.............................. 95 Abfederung sozioökonomischer Deprivationen ........................... 95 Stärkung des sozialen Netzwerkes ............................................... 96 Ausbau und Koordination öffentlich wirksamer Unterstützungsnetze ..................................................................... 97 3.3.8 Verbesserung von Aufklärung und Erziehung.............................. 98 4
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt? ............................................................................ 101 4.1 Kommunale Kriminalprävention in Deutschland .................................. 102 4.2 Humankapital fördernde Komponenten kommunaler Kriminalprävention................................................................................ 104 4.2.1 Zivilgesellschaftliche Ausrichtung ............................................. 105 4.2.2 Problemorientierung und ressortübergreifende Arbeitsweise..... 107 4.2.3 Kommunale/Regionale Orientierung.......................................... 108 4.2.4 Kooperation als Prinzip .............................................................. 108 4.2.5 Kriminologische Regionalanalyse als Ausgangspunkt............... 109 4.3 Kritik an Konzepten kommunaler Kriminalpolitik................................ 110 4.3.1 Die „Schichtschiefe“ bei der NutzerInnenorientierung .............. 110 4.3.2 Präventabilität von Delikten ....................................................... 111 4.3.3 Mangelnde Rechtsstaatlichkeit ................................................... 112 4.4 Vorsorgestrategien im Phänomenbereich häuslicher Gewalt – Die Zusammenführung der Diskurse aus „Family Violence“ und aus Kriminologie.......................................................................................... 114 4.4.1 Die Gesamtbevölkerung (einer lokalen Einheit) als EntwicklerIn sowie NutzerIn von Vorsorgestrategien................ 116 4.4.2 Die Stärkung lokaler Netzwerke................................................. 117 4.4.3 Die Ausrichtung von Hilfs- und Unterstützungsangeboten auf Grundlage eines lokal analysierten Bedarfs ........................ 120 4.4.4 Die Optimierung der Kooperation zwischen Politik / Öffentlicher Verwaltung, Opferschutz, Zivilgesellschaft und Polizei......................................................................................... 120 4.4.5 Häusliche Gewalt als soziostrukturelles Problem und nicht als Problem bestimmter Risikogruppen, -familien bzw. als „Unterschichtsphänomen“ .......................................................... 122 4.5 Häusliche Gewalt im ländlichen Raum ................................................. 125 4.5.1 Stadt oder Land? – Beispiel Niederösterreich ............................ 126
Inhaltshaltsverzeichnis
7
4.5.2 Charakteristika des ländlichen Raums im Hinblick auf Unterstützungsformen und institutionalisierte Hilfen................. 131 5
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum – anhand des Beispiels niederösterreichischer Bezirke und Gemeinden .................. 141 5.1 Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich.......... 143 5.1.1 Die Verteilung der Opfer nach Geschlecht und Tatort ............... 143 5.1.2 Die Verteilung der Opfer nach interessierendem Tatbestand, Tatort und Geschlecht................................................................. 146 5.1.3 Die Verteilung der Opfer nach den am häufigsten angezeigten Delikten in ihrer Altersverteilung............................................... 149 5.1.4 Die Verteilung der Opfer nach Tatort und Geschlecht für Gesamtösterreich ........................................................................ 150 5.2 TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum..................... 151 5.2.1 Die Verteilung der Beziehung zwischen Opfer und TäterInnen im Bundesländer-Vergleich....................................................... 151 5.2.2 Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Gesamtösterreich..... 154
6
Der Forschungsprozess ........................................................................... 157 6.1 Die Erhebungsgrundlagen ..................................................................... 158 6.2 Methodologische Überlegungen zur Wahl der Erhebungskategorien und -instrumente .................................................................................... 160 6.3 Auswertung und Verallgemeinerung der Daten .................................... 162
7
Ergebnisse der Datenanalyse .................................................................. 165 7.1 Die Rechtfertigungslogik des Präventionsbegriffs ................................ 166 7.1.1 Die „Nicht- Erreichbarkeit“ von Betroffenen bzw. potentiell Gefährdeten ................................................................................ 167 7.1.2 Die Vorbeugung „häuslicher Gewalt“ als ziviles Problem und nicht als Sicherheitsagenda......................................................... 168 7.1.3 Die Spezialisierung der Dienste und Einrichtungen ................... 169 7.2 Strategien der Distanzierung.................................................................. 171 7.2.1 Die Reproduktion geschlechtsrollenspezifischer Normen.......... 172 7.2.2 Die Normverdeutlichung und das Einschreiten im ländlichen Raum .......................................................................................... 173 7.2.3 Kenntnislage über Opferstatistik und TäterInnen-OpferBeziehungen ............................................................................... 174
8
Inhaltsverzeichnis
7.2.4 Die Polizei als zentrale AkteurIn öffentlicher Sicherheit ........... 175 7.2.5 Häusliche Gewalt als unpopuläres Thema.................................. 177 7.2.6 Zivilgesellschaftliche Abwehr des Gegenstandes....................... 178 7.3 Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt im ländlichen Raum ................................................. 179 7.3.1 Organisationsformen der Vorsorge............................................. 179 7.3.2 Die AkteurInnen der Vorsorge ................................................... 182 7.3.3 Die gesellschaftspolitische Einbettung der Vorsorge ................. 184 8
Fazit zur Vorsorge bei häuslicher Gewalt in ländlichen Sozialräumen............................................................................................ 193 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
Die Einbindung der Zivilgesellschaft .................................................... 193 Die Bedeutung kriminalgeographischer Analysen ................................ 195 Lokalspezifische Hilfen im ländlichen Raum........................................ 196 Soziale Inklusion der vor Ort ansässigen Bevölkerungsgruppen........... 197 Die Einschätzung der Vorsorgekompetenz im ländlichen Raum .......... 198 Das Konzept von Hilfe, Vorsorge und Empowerment .......................... 199 Vorsorgeideen auf Basis dynamischer Raumbilder ............................... 202
Literaturverzeichnis ....................................................................................... 207 Anhang A......................................................................................................... 223 Anhang B ......................................................................................................... 239
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Topographie Stadt-Land-Bezirke in Niederösterreich ................ 129 Abbildung 2: Auszählung nach niederösterreichischen Tatorten ..................... 144 Abbildung 3: Opferhäufigkeit (in absoluten Zahlen) nach Bezirksgröße ......... 145 Abbildung 4: TäterInnen-Opfer-Beziehung nach Bundesland im Vergleich (relative Häufigkeit) ................................................................... 152
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Legistischer Wandel familiärer Gewalt in Österreich seit 1989 ........ 31 Tabelle 2: Opferhäufigkeit nach Bezirksgröße ................................................. 145 Tabelle 3: Häufigste strafbare Tatbestände nach „opferhäufigsten“ niederösterreichischen Bezirken ...................................................... 147 Tabelle 4: TäterInnen-Opfer-Beziehung nach Bundesland (Kreuztabelle)....... 153 Tabelle 5: Strafbare Handlungen nach Opfer-Geschlecht (Niederösterreich, relative Häufigkeit) .......................................................................... 223 Tabelle 6: Die Verteilung von Opfern nach Tatorten (niederösterreichische Bezirke) und strafbarem Tatbestand ................................................ 227 Tabelle 7: Die Verteilung der Opfer nach den am häufigsten angezeigten Delikten für Niederösterreich in ihrer Altersverteilung (weibliche Opfer)............................................................................................... 228 Tabelle 8: Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Gesamtösterreich .......... 230 Tabelle 9: Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Niederösterreich............ 234
1
Einleitung
In ihrem ursprünglichen Erkenntnisinteresse knüpfte die dem vorliegenden Band zugrundeliegende Theorie- und Forschungsarbeit (im Rahmen meiner Dissertation) an die aktuellen Family-Violence- sowie die kriminologischen Diskurse zu „Gewalt im sozialen Nahraum“ an und nahm dabei Bezug auf die in vielen deutschen Bundesländern sowie EU-Staaten installierten Modelle „Kommunaler Kriminalprävention“. Deren Umsetzbarkeit für primärpräventive Fragen bei „Gewalt im sozialen Nahraum“1 stand im Mittelpunkt der Analyse. Dabei zielte sie in erster Linie darauf ab, unter den insbesondere im deutschsprachigen Raum realisierten vielgestaltigen Modellen und Konzepten jene deskriptiv zu erfassen, welche lokale Orientierungen, „Deliberative Demokratische Praxen“ (vgl. Habermas 1992, Fishkin 1991) sowie „Kräfte eines Gemeinwesens“ (Steinert 1995) zur Lösung der Probleme häuslicher Gewalt einsetzen (vgl. dazu auch CremerSchäfer 1995, Lehne 2002). Die Dissertation verfolgte also ursprünglich die Absicht, sich mit den Fragen der kriminalpolitischen Nutzbarkeit zivilgesellschaftlicher Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt für ländliche Sozialräume auseinanderzusetzen. In diesem Sinne galt das Forschungsinteresse folgenden Fragen: 1. Welche zivilgesellschaftliche sowie wohlfahrtsstaatliche Vorsorgekompetenz ist gegenwärtig im ländlichen Raum vorhanden? 2.
1
Inwieweit wird diese einer primärpräventiven Ausrichtung gerecht?
In der gegenständlichen Arbeit wird – in Anlehnung an Godenzi (1996:32) – familiäre bzw. häusliche Gewalt als „Gewalt im sozialen Nahraum“ definiert.
12
Einleitung
3.
Welche besonderen Voraussetzungen braucht es, um kommunale Kriminalprävention als primäre Vorbeugung gegen häusliche Gewalt im ländlichen Raum zu implementieren?
Deren Beantwortung erwies sich insofern als schwierig, als sich im Zuge der Datenerhebung und -analyse die Forschungskategorie der „Prävention“ als hoch voraussetzungsvolle herausstellte. Deutlich wurde, dass sie mit besonderen methodischen und auch inhaltlichen Problemstellungen behaftet ist. Weiteres zentrales Forschungsergebnis war, dass VerantwortungsträgerInnen aus unterschiedlichen Untersuchungsfeldern (Polizei/Sicherheit, Politik/Öffentliche Verwaltung und Opferschutz) in ihren Darstellungen der geleisteten „Präventionsarbeit“ durchwegs vage und im Bereich moralischen Attribuierens blieben. Wissen über Vorsorge war in den untersuchten Sozialräumen durchgehend sowie breit gefächert vorhanden, konnte aber nicht über die Frage nach der „Prävention“ erhoben werden. Zusammenfassend für die Forschung aus dem Jahr 2008 lässt sich sagen, dass sich die systematische Beschäftigung mit Fragen der Prävention häuslicher Gewalt den befragten VerantwortungsträgerInnen der Sozialräume als Problem darstellt. So wurde das Faktum, dass häusliche Gewalt „kein zähl- und messbares Phänomen“ (Expertin H, Position 56) darstellt, dass „sie (die häusliche Gewalt Anm. d. Verf.) insgesamt nur schwer fassbar ist“ (Expertin MD, Position 37) als meistgenanntes Argument dafür angeführt, bis dato keine konkreten Präventionsüberlegungen angestellt zu haben. Während im Deliktsbereich Einbruch oder Suchtgifthandel die Phänomene unaufgeregt und mühelos in Zahlen zum Ausdruck gebracht werden konnten, stieß die Beschäftigung mit quantitativen Messungen von Tatbeständen, Opfern und TäterInnen-Opfer-Beziehungen insgesamt auf eine breite und umfassende Ablehnung im Sample der Befragten. Diese äußerte sich auch darin, Fragen der Prävention und Behandlung von häuslicher Gewalt in die Kompetenz spezialisierter Dienste zu überantworten, Täter tendenziell zu rechtfertigen, tendenziell auch Opfer in Frage zu stellen („am nächsten Tag gehen sie dann wieder Hand in Hand bei der Polizei-Dienststelle vorbei“,
Ausgangsthesen und Forschungsziel
13
ExpertIn S, Position 14) sowie das Problem bei bestimmten Risikofamilien und „Unterschichtsangehörigen“ zu verorten. Die dieser Publikation zugrundeliegende Forschungsarbeit legte zwei Schlussfolgerungen nahe: Zum einen wird mit dem Präventionsbegriff weder ein erhebbares theoretisches Programm noch eine konkrete Handlungsanleitung definiert. Zum anderen folgt die Frage nach der „Vorsorgekompetenz“ professioneller, zivilgesellschaftlicher sowie betroffener AkteurInnen einer anderen Logik als die nach einem „Präventionswissen“. Aus diesem Grund wird in dieser Fassung der Untersuchung der Präventionsbegriff einer erneuten und genaueren theoretischen Begründung unterzogen, genauso wie die vorliegenden empirischen Daten vor dem Hintergrund des Wissens um die Logik von Prävention und Vorsorge erneut analysiert und kritisch diskutiert werden. Insofern nimmt die gegenständliche Arbeit eine kritische Bezugnahme auf die ursprünglichen Begriffe und Forschungskategorien vor, insbesondere was die Denkfigur der Prävention und ihre Implikationen betrifft. Die Findings über das vorhandene Vorsorgewissen sowie jene über beschreibbare – und zum Teil auch realisierte – Innovationsansätze hingegen lassen sich ohne weitere Überarbeitung zur Darstellung bringen.
1.1
Ausgangsthesen und Forschungsziel
Das Thema häusliche Gewalt ist seit seiner Wiederentdeckung in den frühen 60ern als Gewalt gegen Frauen und Kinder und seit den 80ern als „sexueller Kindesmissbrauch“ in Medien und Öffentlichkeit überrepräsentiert, in den Wissenschaften hingegen „untererforscht“ (Honig 1992:22). Insbesondere im Hinblick auf eine disziplinenübergreifende Forschung nach den Ursachen und vorbeugenden Strategien ist man – für den angloamerikanischen wie deutschsprachigen Raum gesprochen – nach wie vor „weit davon entfernt, einheitliche Theorien, Konzepte und Methoden anzuwenden“ (Godenzi 1996:21). Was sich durch den „Gewaltdiskurs“ (vgl. dazu kritisch Albrecht 2001:10) und seine mediale Aufbereitung verändert hat, ist die rechts- sowie wohlfahrts-
14
Einleitung
staatliche Betrachtung und Behandlung des Problems. Die Einführung des Gewaltschutzgesetzes, die Veränderung strafrechtlicher Bestimmungen und anderer legistischer Maßnahmen (aus der Exekutionsordnung, aus dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Sicherheitspolizeigesetz u. a.) der 90er Jahre haben insbesondere in Österreich das Thema aus seiner Tabuisierung „geholt“: Gewalt im Sozialen Nahraum verbleibt damit nicht länger in der „familiären Privatheit“. Eine Konsequenz des zunehmenden öffentlichen Redens über die familiäre Gewalt ist deren verstärkte Moralisierung und Skandalisierung im Diskurs (Cremer-Schäfer/Steinert 1998:126). Die öffentliche Empörung ist es auch, die aus einem sozialen Problem das eines Individuums als Täter und/oder als Opfer bzw. eines des „funktionsbeeinträchtigten familiären Systems“ (Honig 1992:40) macht. Medial aufbereitete, erschütternde Einzelfälle unterstützen den Glauben, dass es sich bei der dargestellten Gewalt nur um Einzelfälle handelt und verunmöglichen damit die Betrachtung der strukturellen Dimension des Problems. Sie verhindern eine systematische Reflexion sowie empirische Forschung auf verschiedenen Ebenen kriminalpolitischer Betrachtung. Während in Österreich das Gewaltschutzgesetz auf Bundesebene eingeführt wurde, wurden in Deutschland unter dem Titel „Kommunale Kriminalprävention“ einzelne, regionalspezifische Modelle „gegen Männergewalt“ initiiert, welche aus dem in Deutschland relativ breit angelegten Diskurs2 über die Notwendigkeit und den Nutzen kleinräumiger Kriminalprävention im Allgemeinen resultierten. Die Tendenz, den gesellschaftlichen Nahraum als eigentliches Feld für Präventionsbemühungen zu nützen, erlebte in den 90ern insbesondere im deutschsprachigen Raum eine Renaissance 2
Hornbostel (1998:94) verweist auf die dem Diskurs über die Chancen und Grenzen kommunaler Kriminalprävention zugrundeliegenden Empfehlungen des Europarates 1987. Dort findet sich die Aufforderung, Kriminalprävention in Form von primärpräventiv agierenden Gremien auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu installieren, welche über die Eingriffe von Exekutive und wohlfahrtsstaatlichen Diensten hinausgehen können und sollen (vgl. dazu auch Czapska/Stangl 2007:59 zur Europäischen Sicherheitsstrategie vom 12. Dezember 2003). Diese als „Präventionsräte“ bezeichneten Gruppen sollen quer über politische sowie behördliche Zuständigkeiten, gesellschaftliche Gruppen und soziale Funktionen organisiert werden. Dadurch werden Strukturen installiert, welche sich mit der Entwicklung lokaler Initiativen zur ursächlichen bzw. primären Verhinderung von Kriminalität (allgemein) beschäftigen.
Arbeitsablauf
15
(vgl. Lindenberg/Ziegler 2005). Nicht nur kriminalpolitische Ziele wurden damit in Angriff genommen, sondern allgemeine sozialpolitische Reformbemühungen hatten den Sozialraum wiederentdeckt. Zahlreiche VerfechterInnen eines sozialraumorientierten Ansatzes in der Sozialen Arbeit propagieren (erneut) die präventive Ausrichtung ihrer Handlungsansätze und platzieren diese auch aktiv in den verwaltungsbürokratischen und sozialpolitischen Reformbemühungen (vgl. dazu exemplarisch Budde et al. 2006:274, vgl. kritisch dazu Lindner/Freund 2001 u. a.). Insgesamt geht es in der vorliegenden Arbeit darum, an die genannten Diskurslinien anzuknüpfen und zu analysieren, welches Wissen aus Sozialwissenschaft und Kriminologie sowie aus den ländlichen Sozialräumen selbst bereitgestellt wird, das als vorsorgend im Phänomenbereich häuslicher Gewalt gilt. Es geht dabei auch um die Erhebung eines Status Quo an realisierten Modellen, die in einzelnen Bezirken und Kommunen zur Anwendung kommen.
1.2
Arbeitsablauf
Das Untersuchungsfeld für die Studie wurde mit den ländlich-geprägten Sozialräumen des Bundeslandes Niederösterreichs begrenzt; der rezipierte Fachdiskurs hingegen ist international an kriminologischen und sozialwissenschaftlichen Theorie- und Forschungsarbeiten ausgerichtet. In einem ersten Schritt werden die Diskurse zu häuslicher Gewalt skizziert, sowie die jüngeren sozialwissenschaftlichen Arbeiten dazu in Zusammenhang mit dem Gewalt- und Sicherheitsdiskurs gestellt. Kritisiert wird damit die unhistorische Verwendung des Gewaltvokabulars sowie die Anlehnung am Moral- und Sicherheitsdiskurs der späten 80er Jahre, der die gesellschaftlichen Funktionsbereiche (Medien, Recht, Erziehung, Gesundheit, Wissenschaft, etc.; vgl. dazu Bommes/Scherr 2000:70) nach und nach erfasste. In einem zweiten Schritt findet die Annäherung an den Phänomenbereich häuslicher Gewalt selbst statt. Hier geht es vor allem darum zu zeigen, welche
16
Einleitung
Implikationen mit dem Präventionsbegriff in theoretischer Analyse sowie empirischer Forschung einhergehen. Nachdem das zentrale Erkenntnisinteresse der Dissertation sowie der gegenständlichen Fassung an der Vorsorgekompetenz ländlicher Sozialräume orientiert ist, wird anschließend die Kategorie der Vorsorge derjenigen der Prävention gegenübergestellt. Vor diesem Hintergrund geht es abschließend um die Darstellung des in der Fachliteratur bekannten Wissens um Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt. In einem dritten Schritt werden Ansätze Deliberativer Demokratie (Habermas 1992) für die Verwirklichung kriminal- und sozialpolitischer Ziele (aus dem angloamerikanischen sowie aus dem deutschsprachigen Raum) im Allgemeinen sowie für häusliche Gewalt im Besonderen formuliert. Die Zusammenführung der Wissensbestände aus den einschlägigen kriminologischen sowie FamilyViolence Diskursen und aus der Einschätzung existierender Vorsorgemodelle bei häuslicher Gewalt bildet den Rahmen für dieses Kapitel. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird ein „Raumbild“ (vgl. dazu Ipsen 1997:7) quer über die ländlichen Bezirke Niederösterreichs aus mehreren Komponenten zusammengesetzt. Die Darstellung eines „vormodernen, ländlich-dörflichen Kommunikationsgeflechts“ (Böhnisch 1991:23) in seiner Gleichzeitigkeit mit urbanen, modernen Elementen als „postrurales Gefüge“ (Goldberg 2003:19) bildet den analytischen Zugang zum ländlichen Raum. Dieser wird mit einer topographischen sowie einer Sekundäranalyse kriminalpolizeilicher Eckdaten3 beispielhaft für die ländlichen Bezirke Niederösterreichs erweitert. Auf diesem Raumbild und den theoretischen Vorarbeiten aus Kriminologie und Family-Violence-Forschung fußend wird der Leitfaden zur Erhebung des im Untersuchungsfeld vorhandenen Vorsorgewissens entwickelt. Die Ergebnisse der Datenanalyse sowie die für Fragen der Prävention, Vorsorge und Hilfe im Phä3
Die Häufigkeit der Interventionen nach dem Gewaltschutzgesetz wird an dieser Stelle nicht in den Fokus des Forschungsinteresses gestellt. In der Evaluierung des Gewaltschutzgesetzes nach Haller (2000) findet eine diesbezügliche Analyse statt. In der gegenständlichen Arbeit ging es hingegen um die Auswertung von Informationen aus der kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik, welche zum einen eine Gegenüberstellung mit anderen kriminellen Tatbeständen erlaubt sowie zum anderen die Zahl aufgetretener Opfer, die nicht nach dem Gewaltschutzgesetz behandelt wurden, bezirksspezifisch ausweist.
Arbeitsablauf
17
nomenbereich häuslicher Gewalt ableitbaren Handlungsrichtlinien finden sich im letzten Kapitel der gegenständlichen Arbeit. Im nun folgenden Kapitel geht es also darum, die Diskurse zur häuslichen Gewalt in ihren soziohistorischen Verlaufsschienen abzubilden und sie in ihren zentralen Implikationen einander vergleichend gegenüberzustellen. Die dazugehörenden Rezeptionen und Publikationen aus dem deutschen Sprachraum bilden die Grundlage für den eingangs verwendeten Begriff von „häuslicher Gewalt“, der vorab eine begriffliche Annäherung an das Phänomen ermöglichen soll.
2
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
Anders als zu Beginn der 90er Jahre, als Godenzi (1996) in seiner Analyse von „Gewalt im sozialen Nahraum“ erstmals „Gewalt in der Familie“ metatheoretisch erfasste sowie einen Vergleich zwischen den US-amerikanischen Studien und europäischen Arbeiten4 unternahm, liegen gegenwärtig – wie Lamnek/Ottermann (2003:13) hervorheben – einige „respektable Übersichtsarbeiten“ zum Thema vor. Dennoch scheint die Forschung zu Gewalt im sozialen Nahraum aber nach wie vor „weit davon entfernt“ zu sein, „einheitliche Theorien, Konzepte und Methoden anzuwenden“ (Cizek et al. 2001:36, vgl. dazu auch Godenzi 1996:21). Die für die Theorie und Empirie gegenwärtig gültigen, wesentlichen Begrifflichkeiten finden sich nachstehend.
2.1
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“ „Die (..) verwendete Begriffskombination >Gewalt im sozialen Nahraum< umfasst schädigende interpersonale Verhaltensweisen, intendiert oder ausgeübt in sozialen Situationen, die bezüglich der beteiligten Individuen durch Intimität und Verhäuslichung gekennzeichnet sind. Die Definition impliziert, dass weder die Blutsverwandtschaft noch der Zivilstand der Beteiligten begriffsrelevant ist. Einbezogen sind also auch z. B. Übergriffe von Lebenspartnern alleinerziehender Mütter gegen deren Kinder oder Gewaltakte in Konkubinatsverhältnissen. Die Begriffssetzung ist deskriptiv und folgte einem lokalen Kriterium (Nahraum) und nicht einer sozialen Organisationsform (z. B.: Familie). Dadurch ist kein Vorentscheid über allfällige Ursachen oder Einflussvariablen der Gewalt gefällt.“ (Godenzi 1996:27)
4
Der Vergleich US-amerikanischer Verhältnisse mit europäischen Sozietäten ist – in Anlehnung an Godenzi (1994:7) und Gelles/Cornell (1983:1) – zulässig. Für den Gegenstandsbereich zeigen sich durchaus vergleichbare theoretische Zusammenhänge und vergleichbare empirische Tendenzen.
20
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
Anders als die VertreterInnen der „Family Violence-Forschung“ (Cicek et. al 2001:33) umgeht Godenzi (ebd.) mit der Wahl seines Labels „sozialer Nahraum“ (erstmals) eine Vielzahl an Einschränkungen bzw. problematischen theoretischen und forschungspraktischen Problemen5:
5
x
Mit „Nahraum“ anstelle von „Familie“ ist die Definition von „Familie“ zweitrangig für die Festlegung von Forschungsfragen im engeren Sinne sowie für die Auswahl eines Samples. Der Bedeutung und Historizität von Familie kommt dennoch – auch im Verständnis von Godenzi (ebd.) – eine zentrale Rolle bei der Erklärung zu (siehe 2.2.1 Exkurs „Geschichte familiärer Beziehungen unter Berücksichtigung ihrer gewalttätigen Dimension“).
x
Der Begriff der „familiären Gewalt“ (Godenzi 1996:21 in Anlehnung an Dobash/Dobash 1979) verschleiert die für das Phänomen charakteristische geschlechtsspezifische Dimension der Gewalt. Er macht Glauben, dass es sich in erster Linie um ein innerfamiliäres Problem handelt, das nicht genuin an der Gewalt aufgrund von Geschlechtsrollenbildern und Geschlechtsasymmetrien ausgerichtet ist.
x
Fragwürdig an der Definition der „familiären Gewalt“ ist weiters, dass durch dessen Festlegung der Eindruck aufrechterhalten wird, das Problem sei eines in Familien. Der Begriff von Godenzi umgeht die Familie als „Behandlungseinheit“ (vgl. dazu auch Honig 1986:28) und verzichtet damit auf einen „innerfamilialen, therapeutisch zu diagnostizierenden, in die Summe der abweichenden Verhaltensweisen aufzunehmenden Sachverhalt“ (ebd.).
x
Mit der begrifflichen Festlegung auf „Nahraum“ vermeidet der Autor die Thematisierung des gesellschaftlichen Konflikts über die Legitimität familialer Gewalt, sondern streicht hervor, dass Gewalt als soziales
Die unterschiedlichen Definitionen zum Thema „Gewalt in der Familie“, die vorwiegend im deutschsprachigen Raum seit den 70er-Jahren vorliegen, resultieren aus einer „Uneinigkeit in der Konzeptualisierung“ (Cicek et. al 2001:34) und haben zur Folge, dass verschiedene Ansätze auch im Hinblick auf „Hilfemaßnahmen“ vorliegen (Honig 1986, Fröschl/Löw 1992).
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“
21
Problem und auch als krimineller Tatbestand sozialstaatliche sowie kriminalpolitische Implikationen hat. Im Rahmen der gegenständlichen Arbeit findet diese Definition nach Godenzi (ebd.) deswegen Anwendung, weil sie sich weitgehend abgrenzt vom Titel der „häuslichen bzw. familiären Gewalt“ und somit von (ideologisch) überfrachteten begrifflichen Implikationen und normativ überhöhten Definitionen. Im Rückgriff auf andere Primärquellen ist in der vorliegenden Arbeit aber auch immer wieder von „familiärer oder häuslicher Gewalt“ die Rede; definitorisch sind diese Begriffe allerdings unter jenen des „sozialen Nahraums“ zu subsumieren.
2.1.1
Diskurse zu „Family Violence“
Der unter dem Titel „Family Violence“ (Hagemann-White 1983 nach Steinhage 1999:650) geführte Diskurs hat viele Facetten und widmete sich sehr heterogenen Phänomenen mit unterschiedlicher Reichweite und in unterschiedlicher Tiefe. Von dessen historischen Vorläufern zeugen diverse Dokumente aus früheren Jahrhunderten (vgl. Pfohl 1977:313), welche auf das Phänomen geschlagener Kinder aufmerksam machen. „Brutalität gegen Ehefrauen und Missbrauch von Kindern waren schon früh wichtige Themen der modernen Fürsorge im 19. Jahrhundert“ (May 1978 und Ross 1982, zitiert nach Honig 1986:22). Die Problematisierungen häuslicher Gewalt, wie wir sie heute kennen, sind hingegen relativ jungen Datums (vgl. Habermehl 1999:417). Die öffentliche (und massenmedial wirksame) Thematisierung und Auseinandersetzung wurzelt in den frühen 60er Jahren, als die Diagnose „Battered Child Syndrome“ erstmal im Journal of the American Medical Association – einem anerkannten und weitreichenden medizinischen Journal US-Amerikas – als schwerwiegendes medizinisches Problem ausdrücklich beschrieben wurde (Kempe et al. 1962 zitiert nach Conrad/ Schneider 1992:162).
22
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen “They described a >syndrome< with characteristics that included the victims being usually under 3 years of age and neglected, having traumatic injuries especially to the head and long bones, and having parents who often themselves had been battered as children and who denied the abuse of their own children.”
Ansätze zur institutionalisierten Bekämpfung des sozialen Problems „Kindesmissbrauch“ verorten Conrad/Schneider (1992:168) erst mit dem 1973 initiierten Kongress „The Child Abuse Prevention and Treatment Act“ und den sich in weiterer Folge entwickelnden öffentlichen Diskurs zum Thema. Die Formierung der „Arbeitsgruppe Kinderschutz“ im Jahr 1976 war für die Entwicklung des Kinderschutzes im deutschsprachigen Raum ausschlaggebend, deren vordergründiges Ziel im Aufbrechen der gesellschaftlichen Tabuisierung familiärer Gewalt stand. In „mehreren Schüben“ (Honig 1986:21) wurden auch die Phänomene „körperliche Angriffe auf Frauen in der Ehe“ und später „sexuelle Ausbeutung von Mädchen durch Väter und andere vertraute Personen“(ebd.) im deutschsprachigen Raum zum öffentlichen Thema gemacht. Ähnlich den Aktivitäten von MedizinerInnen und AnhängerInnen der Kinderschutzbewegung griffen frühe feministische und patriarchatskritische Ansätze – vorab in den USA der 70er Jahre – diese Gewaltformen auf und fokussierten die Dynamiken innerhalb von Familien und Paarbeziehungen sowie die diesbezügliche Rolle gesellschaftlicher Institutionen: „The central argument is that the brutalization of an individual wife by an individual husband is not an individual or >family< problem. It is simply one manifestation of the system of male domination of women which has existed historically and crossculturally” (Yllö 1983:277).
Der von der Frauenbewegung maßgeblich getragene und forcierte Diskurs sollte veranschaulichen, dass „Gewalt in Familien alltäglich ist und in allen Schichten der Bevölkerung vorkommt“ (Honig 1986:21). Ziel war es auch, „Gewalt in Familien“ in den „Sprachschatz der etablierten Fürsorge und Familienpolitik“ (vgl. Honig 1986:21) zu erheben und es auf diese Weise letztlich als anerkanntes soziales Problem durchzusetzen.
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“
23
In kritischer Auseinandersetzung mit dem „Gewaltdiskurs“ (Albrecht 2001:10) merken Cremer-Schäfer/Steinert (1998:127) an, dass die Begriffe „Gewalt gegen Frauen“ und „Gewalt gegen Kinder“ symbolisch aufgeladen waren und für politische Anliegen dienten. Die genannten Phänomene konnten von der Frauenbewegung als Hinweise für „männliche Herrschaft“ bzw. für den „Objektstatus von (Ehe-)Frauen und Kindern“ benutzt werden. In der massenmedialen Aufbereitung allerdings wurde das Thema der Gewalt – insbesondere für den bundesdeutschen Diskurs gesprochen – zunehmend transformiert: Im öffentlichen Thematisieren6 ging es nicht länger um die moralische Empörung über Herrschaftsverhältnisse, sondern um die Entrüstung über den bzw. die Täter sowie um den Norm- und Wertverlust von Individuen. „Der Lösungsweg, die Mobilisierung staatlicher Kontrolle, ist mit dem Vokabular vorgezeichnet.“ (ebd.). Die „öffentliche“ Beschäftigung mit sexuellem Missbrauch an Kindern im deutschsprachigen Raum war anfänglich vor allem von psychoanalytischen Strömungen getragen (Steinhage 1999:650). In den ersten dokumentierten Aufzeichnungen zum Thema „sexuelle Gewalt an Kindern“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging es vorrangig um Diskussionen über die Glaubwürdigkeit von kindlichen ZeugInnen (vgl. dazu Bange/Deegner 1996:32, vgl. dazu auch Steinhage 1999). Der „Neue Kinderschutz“ hat sich des Themas vergleichsweise7 spät angenommen (Honig 1986:24). Erst die Neue Frauenbewegung Ende der 70er strich hervor, „dass Männer ihre Gewalt nicht nur gegen Frauen, sondern in besonderem Maße auch gegen Kinder, vor allem gegen Mädchen richten. Sie dokumentierte, dass die brutalste Gewalt von Männer [sic] gegen Frauen und Kinder im häuslichen Rahmen stattfindet, dass sie im sexuellen Missbrauch von Mädchen durch den Vater gipfelt.“ (Steinhage 1999:650 in Anlehnung an Hagemann-White 1983 und Kavemann 1989)
6
Mit welchen Implikationen diese Richtung des Gewaltdiskurses für die Agenden der Prävention einhergeht, ist Gegenstand von Kapitel 3, Gewalt im sozialen Nahraum – Der Präventionismus. 7 Honig (ebd.) streicht hervor, dass die Phänomene des sexuellen Kindesmissbrauchs hingegen um ein Vielfaches häufiger offiziell registriert wurden als körperliche Misshandlungen. Insofern sind die Ursachen des vergleichsweise späten Aufgreifens des Themas nicht mit dem hohen Dunkelfeld zu argumentieren.
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Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
und initiierte erst differenzierte Forschungsarbeiten zum Thema. Zusammenfassend betrachtet Honig (1992:42) den öffentlichen Diskurs zur häuslichen Gewalt in Gestalt folgender Stränge: des administrativens, des therapeutischens und des politischen Diskurses zum Thema. Während im administrativen Diskurs Justiz, Polizei und Medien Gewalt essentialistisch fassen und diese als Verletzung rechtlich geregelter Sonderbeziehungen betrachten, die sich vielfach in gravierenden Körperverletzungen bzw. klinisch diagnostizierbaren, häufig dauerhaften psychischen/körperlichen Schädigungen objektiviert, fassen therapeutischer8 wie auch politischer9 Diskurs Gewalt vielmehr als generalisiertes symbolisches Verhaltensmuster auf (Honig 1990:347). In Anlehnung an feministische AutorInnen existiert Gewalt schon „dort, wo einer Frau die Entwicklung und Äußerung eines eigenen Willens gar nicht erst möglich wird.“ (HagemanWhite 1983:114) Deutlich wird die psychisch-symbolische Form von Gewalt sowie seine soziostrukturelle Voraussetzung auch in folgender Formulierung: „Was verstehen wir unter sexuellem Missbrauch? All das, was einem Mädchen vermittelt, dass es nicht als Mensch interessant und wichtig ist, sondern dass Männer frei über es verfügen dürfen (…). Hierzu gehört jeder Übergriff auf das Mädchen.“ (Kavemann /Lohstötter 1984:10)
Lange nachdem die Frauen- und Kinderschutzbewegung das Thema der „häuslichen Gewalt“ entdeckt und besetzt hatte, haben die Sozialwissenschaften dieses wieder aufgegriffen und es (für den US-amerikanischen wie für den deutschsprachigen Raum gleichermaßen) empirisch untersucht (vgl. Honig 1986:28). Die Vielfalt der Begriffe „häusliche Gewalt“, „familiäre Gewalt“, „Aggression und Gewalt“, „Gewalt gegen Frauen“, „partnerschaftliche Gewalt“ etc. resultiert aus 8
Dieser wird vorwiegend vom Kinderschutz, den psychosozialen Diensten sowie der Familientherapie geführt. Gewalt wird darin zu einem familienpathologischen Phänomen; politische und strukturelle Vermittlungen, die Einfluss auf die Familienrealität haben könnten, werden vernachlässigt; eine Therapeutisierung (Honig 1992:45) findet statt, ohne dass die Lokalisierung der Problemgenese und -lösung in der Familie verändert würde. 9 Dieser skandalisiert die Menschenrechtsverletzung, welche alltäglich im nahezu „rechtsfreien“ Raum Familie stattfindet bzw. durch legistische Ausnahmen eine Sonderstellung erfährt. Es geht um ein Anprangern der patriarchalen Organisation weiblicher Lebenskonzepte, ähnlich der Kinderrechtsbewegung, welche Erziehung als Herrschaftsinstrument aufgreift und zum politischen Thema macht (Honig 1986:46).
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“
25
diesem Umstand und verursacht erhebliche Verständigungsschwierigkeiten auf interdisziplinärer Ebene. Sie stellt die Forschung vor beachtliche Probleme und berührt Fragen der Wertung und des Entsetzens (Schneider 1990:506) genauso wie jene von subjektiven „Erkenntnisinteressen“10 der mit dem Thema arbeitenden WissenschaftlerInnen. Letztlich ist es die uneinheitliche Forschungslandschaft, welche – mit Schneider (ebd.) gesprochen – die Erarbeitung problembezogener Vorbeugungs- und Behandlungsprogramme wesentlich erschwert.
2.1.2
Stand der Theorie und Forschung zu häuslicher Gewalt
Im Hinblick auf die Zahl einschlägiger Publikationen weist das Themengebiet häusliche Gewalt eine „überdurchschnittliche Forschungsaktivität“ (vgl. Lamnek/Ottermann 2003:43) auf. Die Fülle an Studien steht in Zusammenhang mit der besonderen Attraktivität des Forschungsfeldes, dem allerdings ein „ungenügender theoretischer Entwicklungsstand“ (ebd.) gegenübergestellt werden muss. Vielfach gestalten sich die Trennlinien zwischen den unterschiedlichen Strängen als „unversöhnlich“ (ebd., 44), genauso wie die existierenden internationalen Unterschiede enorm sind. Beispielsweise ist in den USA das Phänomen häuslicher Gewalt bereits 1970 mit standardisierten Instrumenten quantitativ erfasst worden, während es im deutschsprachigen Raum bis in die Gegenwart nur wenig Forschung über Ausmaß und Wahrnehmung häuslicher Gewalt gibt. In der deutschsprachigen Soziologie dominiert das Arbeiten mit offiziellen Kriminalstatistiken. Überrepräsentiert sind auch frauenzentrierte Viktimisierungsstudien 10
Albrecht (2001:13) beschreibt das Dilemma, vor dem sich WissenschaftlerInnen befinden, sobald sie ein Phänomen mit Aufmerksamkeitswert für die Wissenschaft belegen, folgendermaßen: „Erkennbar wird hier das Dilemma für den Sozialwissenschaftler: Ohne Sensibilität gegenüber Differenzen zwischen gesellschaftlichen Standards und Werten auf der einen und gesellschaftlichen Gegebenheiten auf der anderen Seite und ohne ein moralisches Engagement kann er die ihm zukommende Rolle bei der Transformation von latenten zu manifesten sozialen Problemen (vgl. Merton 1971) nicht angemessen erfüllen. (.) Von diesem Augenblick an kann das Problem gar nicht bedrohlich genug erscheinen: Statt >Mythen zu entlarven< und eine wissenschaftlich aufgeklärte Auseinandersetzung mit dem problematischen Sachverhalt zu initiieren, wirkt er an ihrer Produktion aktiv mit.“
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Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
(ebd.)11. Eine umfassende Dunkelfeldforschung, wie sie beispielsweise in der richtungsweisenden Arbeit von Gelles/Straus (1990) für die USA durchgeführt wurde, existiert im deutschsprachigen Raum nicht, genauso wenig wie Langzeitstudien vorliegen. Eine Evaluierung des gegenwärtigen Forschungsstandes nimmt der österreichische Gewaltbericht 2001 vor (Cizek et al. 2001; vgl. dazu auch Lamnek/Ottermann 2003:13), in dem zusammenfassend festgestellt wird, dass die soziologischen Teildisziplinen (politische Soziologie, Soziologie abweichenden Verhaltens, Entwicklungssoziologie, Jugendsoziologie etc.) sich vornehmlich mit modetypischen Teilaspekten „gewalttätigen Verhaltens“ (Gewalt im Jugendalter, Rechte Gewalt, Jugendbanden etc.) beschäftigen und sich einer Metaanalyse der Gewaltsoziologie weitgehend entziehen (vgl. Cicek et al. 2001:30). Bedarf sieht der Gewaltbericht in der Herausbildung einer integrierten Scientific Community zur Entwicklung einer Phänomenologie der Gewalt12. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Phänomen der häuslichen Gewalt in Gestalt der „Family Violence-Forschung“ die Sozialwissenschaften insgesamt, insbesondere die Familiensoziologie, zu einem eher verspäteten Zeitpunkt beschäftigte. „Als die Sozialwissenschaften (zuerst in den USA) begannen, sich mit familialer Gewalt zu befassen, war das Thema als >soziales Problem< bereits etabliert. Die Frauenbewegung hatte es politisch skandalisiert, und die Ärzte, später die Psychologen und die Sozialarbeiter, hatten es terminologisch besetzt. Wie wenig die familiensoziologische Forschung (in den USA) auf eine Tradition der Problematisierung familialer Gewalt zurückblicken konnte, erhellt die Beobachtung von O’Brien (1971), dass in den dreißig Jahren des Bestehens der einschlägigen Fachzeitschrift >Journal of Marriage and the Family< nicht ein einziger Artikel erschien, der den Begriff
11
Als „rühmliche Ausnahme für den deutschsprachigen Raum“ stellen Lamnek/Ottermann (2003:43) den österreichischen Gewaltbericht dar, „in dem die Fülle an Material, das inzwischen zum Themenkomplex vorliegt, zusammengetragen sowie umfassend und differenziert geschildert wird. 12 Trotha (1997:24; vgl. dazu Cizek et al. 2001:66) vertritt die Ansicht, dass der Fokus einer Gewaltsoziologie bislang und beinahe ausschließlich auf die Ursachen familiärer Gewalt gerichtet war und in teilweise unübersichtlichen, überbordenden Befunden über die Ätiologie von Gewalthandlungen resultierte. Er stellt einen Mangel im Bereich systematischer und bewertender Übersichtsarbeiten sowie in der Entwicklung einer Phänomenologie familiärer Gewalt fest.
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“
27
>violence< im Titel trug.“ (Honig 1986:28) Auch Godenzi (1996:51) konstatiert: „Alles, was wir haben, sind >Lehnstuhltheorien< oder philosophische Denkgebäude, und ein versichernder Rückgriff auf etablierte Aggressionstheorien (.)“.
Scheerer (2001:161) konstatiert den SozialwissenschaftlerInnen und KriminologInnen eine vergleichbare Tendenz, den „abwehrproduzierenden Gegenstand des gewalttätigen Handelns“ durch eine „vorschnelle“ sozialwissenschaftliche „Suche nach dem Warum“ zu bewältigen, um „gleich mit der Prävention beginnen zu können“. Er (ebd.) vertritt die Ansicht, dass die sorgfältige Beobachtung der Phänomene der Gewalt selbst und die nachvollziehende Rekonstruktion des subjektiven Sinns der Gewalthandlung für die jeweiligen AkteurInnen mit diesem Vorgehen auf der Strecke bleiben. Das Feld der Kriminologie insgesamt blieb von den sozialwissenschaftlichen Theorien und Forschungen zum Thema familiärer Gewalt „verblüffend ungenützt“, so Godenzi (1996:52). Auch wenn in den empirischen Arbeiten vielfach auf offizielle Statistiken zurückgegriffen wird, so zieht sich eine Distanz zum Strafrecht durch den Großteil der Arbeiten, die den Ansatz vertreten, dass die Theorien familialer Gewalt denjenigen aus der kriminologischen Forschung keinesfalls gleichgesetzt werden dürfen. Familie sei eine besondere soziale Gruppe, die sich bezüglich intimer und privater Ausrichtung von allen anderen Gruppen maßgeblich unterscheide (Gelles 1985 zitiert nach Godenzi ebd.). Gleichzeitig wird aber von ForscherInnen eingefordert, Gewalthandlungen zwischen Familienmitgliedern als kriminelle Akte zu sehen und eine Kritik an den herrschenden legistischen Bestimmungen vorzunehmen. Thematisiert wird die Ungleichbehandlung von Gewaltdelikten innerhalb der Familie und Gewaltdelikten außerhalb der Familie und der Umstand, dass im Bereich des Strafrechts „zuwider den Prinzipien von Gerechtigkeit nicht mit denselben Maßstäben bewertet wird wie bei vergleichbaren außerfamilialen Handlungen“ (Finkelhor/Straus 1987 zitiert nach Godenzi ebd.). Godenzi (ebd.) stellt auch fest, dass die KriminologInnen eine Antwort auf den veränderten staatlich-strafrechtlichen Umgang mit dem geänderten Sexualstrafrecht weitgehend schuldig geblieben sind. Anders hingegen fiel die Reaktion
28
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
der Kriminologie im angelsächsischen Raum aus, wo man den Wandel im Umgang mit Sexualstraftaten hauptsächlich als Exempel einer New Punitiveness betrachtet und einen aktuellen Diskurs darüber führt (vgl. dazu auch Sack 2004:38; siehe auch Kapitel 2.3.2 Kriminologische Kritik am Diskurs über Gewalt im sozialen Nahraum).
2.1.3
Begriff „Gewalt“ und „gewalttätige Handlungen“
Welche Phänomene sind nun mit dem Gewaltbegriff selbst umrissen? Finden sich gängige Operationalisierungen, welche den „Erscheinungsformen, Ausprägungen und verursachenden Faktoren“ (vgl. Albrecht 2001:10) Rechnung tragen können? Mit diesem Anspruch beschwören SozialwissenschafterInnen, – so Albrecht (ebd.) – dass alle dem Begriff der „Gewalt“ inhärenten Unschärfen und Unfassbarkeiten mit zu Tage befördert werden. „Gewalt tritt offensichtlich in außerordentlich vielfältigen Erscheinungsformen auf, und damit stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, nach einer gemeinsamen Erklärung für so Disparates zu suchen. Und nach empirisch gesicherten Erklärungen muss derjenige suchen, der gesichertes Wissen für die soziale Kontrolle von Gewalt zur Verfügung haben möchte – und nicht selbst Gewalt als letzte Ressource einsetzen will“ (ebd.).
Ähnlich wie Albrecht (ebd.) dies feststellt, gehen auch die AutorInnen des Gewaltberichts 2001 von der Annahme aus, dass die Herstellung eines einheitlichen und umfassenden Gewaltbegriffs „ein unmögliches Unterfangen“ (Cizek et al. 2001:16) darstellt. In Anlehnung an Haller et al. (1998) ist aus deren Sicht im Sinne einer Wissensgewinnung die Definition eines Begriffs zur „Gewalt im Sozialen Nahraum“ – außer im Weg normativer (z.B.: legistischer) Definitionen – dringend geboten, aber schwierig herzustellen. Und es bestünde auch der Anspruch, „Gewalt“ sowohl für Forschungszwecke als auch für die Bereiche öffentlicher Politik anwendbar zu machen (vgl. Godenzi 1994:33). Die emotionale
Begriffsbestimmung „sozialer Nahraum“
29
Aufladung von „Gewalt“ als „böser Gegenstand“ (vgl. Scheerer 2001:160) erschwere aber die Suche nach praktikablen sowie akzeptierten Definitionen. Da es in der gegenständlichen Arbeit um zivilgesellschaftliche Formen der Vorsorge und Hilfe im Phänomenbereich häuslicher Gewalt geht, erscheint die Normalitätsfolie, welche die legistischen Rahmenbedingungen den Gesellschaften und Bevölkerungen auferlegen, als interessierend. Insofern wurde die hier gültige begriffliche Abgrenzung kriminologisch-strafrechtlich vorgenommen. Inwieweit den geltenden rechtlichen Bestimmungen in den Hilfe- und Vorsorgeformen Rechnung getragen wird bzw. welche kriminal- und sozialpolitischen Ableitungen sich daraus ergeben, ist Bestandteil der empirischen Datenanalyse. Insofern sind oben beschriebene Phänomene der Gewalt – abseits der ihnen immanenten, normativen Konstruktivität – an dieser Stelle relativ pragmatisch aus der Perspektive des Strafrechts betrachtet. Aus diesem Grund interessiert vorerst auch der legistische Wandel, wie er sich in den vergangenen 15 Jahren nicht nur im Bereich des Strafrechts (inklusive Strafprozessordnung) vollzogen hat und wie er durch den Family-ViolenceDiskurs mitgetragen bzw. -verursacht wurde. Die Veränderungen der österreichischen Bestimmungen, wie sie vom Gewaltbericht 2001 seit 1989 und wie sie auch in den jährlich erscheinenden Sicherheitsberichten des Bundesministeriums für Inneres und des Bundesministeriums für Justiz zusammengefasst werden, zeigen, dass sich die Gewalthandlungen im sozialen Nahraum von anderen Formen interpersoneller Gewalt in besonderer Weise abheben. Sie berühren nur in seltenen Fällen das Strafrecht alleine, sondern in der Regel eine Vielzahl anderer legistischer Materien. Es geht an dieser Stelle um die Materien des Zivilverfahrensrechtes, des Jugendwohlfahrtsrechtes und des Sicherheitspolizeigesetzes, welche der öffentlichen Thematisierung zum Teil Rechnung tragen, diese aber genauso maßgeblich bestimmen (vgl. Albrecht 2001:17-19). Die vergleichsweise hohe soziale und rechtliche Komplexität dieser Tatbestände ist ursächlich in der normativen Sonderstellung von „Familie“ zu suchen. Handlungen, welche heute gemeinhin als illegitim betrachtet werden, sind vielfach in ihrer soziohistorischen Entwicklung erst allmählich zu einem strafrechtlich relevanten Tatbestand ge-
30
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
macht worden. Darüber hinaus werden Handlungen, wenn sie innerhalb von Familien, Partnerschaften stattfinden, vielfach als nicht illegitime Verhaltensformen ausgewiesen (Habermehl 1999:420). Insofern behandelt der nachstehende Exkurs skizzenhaft die Sonderstellung „familiärer/häuslicher Gewalt“ aus Sicht der Rechtssprechung sowie aus Sicht der Sozialgeschichte.
2.2
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
Im folgenden Kapitel geht es nicht nur um die Darstellung der legistischen Bestimmungen, welche das Phänomen häuslicher Gewalt in Österreich seit 1989 definieren. Auch die sozialgeschichtlichen Entwicklungslinien, welche Familie in ihren „gewalttätigen Implikationen“ als „historisch gewordene Sozialform“ (Lenz/Böhnisch 1999:11) ausmachen, bilden die Themen des Exkurses.
2.2.1 Familiäre Gewalt vor dem Hintergrund der rechtlichen Bestimmungen in Österreich seit 1989 Zusammenfassend seien an dieser Stelle vorerst folgende legistische Entwicklungen der „häuslichen Gewalt“ angeführt. Cicek et al. (2001:69-71) sowie der Sicherheitsbericht des BMI 2004 und 2005 verweisen auf nachstehende Bestimmungen im Zeitraum 1989 – 2006. Deutlich gemacht werden soll, inwieweit sich in den vergangenen 18 Jahren die Strafbarkeit der Tatbestände ausdifferenziert hat.
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
31
Tabelle 1: Legistischer Wandel familiärer Gewalt in Österreich seit 1989
Jahr Stand 1989
Gesetze / Fundstellen StGB
ABGB Neuerungen
StGB
ABGB
1990
Exekutionsordnung
1992
Beitritt Österreichs zur UNKonvention über die Rechte des Kindes. Strafprozessordnung
1993
1994
StGB
1995
StGB
Schwerpunktmäßiger Inhalt Die Strafbarkeit von Notzucht, geschlechtlicher Nötigung, Schändung, Beischlaf mit Unmündigen, Blutschande, Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses, Kuppelei (betreffend sexuelle Gewalt) besteht. Eltern haben für die Erziehung ihres minderjährigen Kindes zu sorgen und ihr Wohl zu fördern. Die Neudefinition der „Vergewaltigung“ findet statt. Eine Erweiterung auf männliche Opfer folgt, genauso wie die Einbeziehung der beischlafähnlichen Handlungen. Es kommt zu einem Wegfall der Voraussetzungen der so genannten „Widerstands-unfähigkeit“. Das Verbot der Zufügung körperlichen und seelischen Leides („Züchtigungsverbot“) wird ausdrücklich eingeführt bzw. verdeutlicht. Eine Ausweitung der gerichtlichen einstweiligen Verfügung auf Fälle ohne gerichtsanhängiges Verfahren findet statt.
Die Anzeigepflicht für BeamtInnen mit psychosozialen Beratungs- und Betreuungsfunktionen wird abgeschwächt. Eine Möglichkeit der schonenden Einvernahme von Gewaltopfern wird geschaffen. Es kommt zu einer Einführung eines Verbots von Kinderpornographie. Eine Lockerung bzgl. des Rechts des Erziehungsberechtigten auf Bestimmung des Aufenthalts des Kindes erfolgt. Die Strafbarkeit von Kinderpornographie wird erhöht.
32 Jahr 1997
1998
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
Gesetze / Fundstellen Bundesgesetz zum Schutz von Gewalt in der Familie (GeSchG) bzw. Sicherheitspolizeigesetz (SPG) Exekutionsordnung
StGB
Strafgesetzbuch StGB
1999 2000
Verbrechensopfergesetz (VOG) SPG
Stopp („Diversionsnovelle“)
Schwerpunktmäßiger Inhalt Das Polizeiliche Wegweisungsrecht wird geschaffen. Damit kann die Exekutive Gewalttätige aus einer Wohnung wegweisen. Gleichzeitig kann ein Rückkehrverbot für 7 bis maximal 14 Tage verhängt werden. Gleichzeitig kommt es zu Verbesserungen bei der Einstweiligen Verfügung (EV). Die Antragstellung kann nicht nur durch EhegattInnen, sondern auch LebensgefährtInnen, Kinder (vertreten durch Erziehungsberechtigte oder das Jugendamt), Eltern etc. („nahe Angehörige“) erfolgen. Es kommt auch zur Durchsetzbarkeit der Einstweiligen Verfügung. Eine Gleichstellung der so genannten „beischlafähnlichen Handlungen“ mit dem Beischlaf erfolgt. Gleichzeitig werden neue Bezeichnungen für die Delikte §§ 206, 207 „schwerer sexueller Missbrauch“ statt „Beischlaf mit Unmündigen“, „sexueller Missbrauch“ statt „Unzucht mit Unmündigen“ eingeführt. Es kommt zu einer Ausweitung der Verjährungsfrist bei bestimmten Sexualdelikten, welche erst mit der Volljährigkeit von Opfern eintritt. Eine Ausweitung der „schonenden Einvernahme“ ist zwingend für unmündige Sexualopfer, alle anderen Sexualopfer auf Antrag, vorgesehen. Verbrechensopfer können einen Kostenzuschuss für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung erhalten. Es kommt zur Umwandlung des Rückkehrverbots in ein Betretungsverbot und zur Verlängerung desselben auf maximal 20 Tage. Die Einführung von diversionellen Maßnahmen (Alternativen zum traditionellen Strafverfahren, außergerichtlicher Tatausgleich, Geldbuße, gemeinnützige Arbeit und Probezeit (mit oder ohne Auflagen) erfolgt, welche auch bei Gewalt in der Familie Anwendung finden können (mit Ausnahme bei schwerer Schuld, schwerer sexueller Gewalt, Mord, Totschlag).
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
Jahr 2004
Gesetze / Fundstellen StGB
2006
StGB
2006
Exekutionsordnung
33
Schwerpunktmäßiger Inhalt Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2001 und jenem aus 2004 wurden verschiedene Bestimmungen des Strafgesetzbuches im Hinblick auf Delikte gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung reformiert. Unter anderen Bestimmungen wurde § 58 StGB, der die Verlängerung der Verjährungsfrist bei an Kindern und Jugendlichen verübten Sexualdelikten regelt, auf den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen ausgedehnt. § 212 StGB, welcher den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses unter Strafe stellt, wurde generell auf Angehörige in aufsteigender Linie ausgedehnt. Die früher bestehende Unterscheidung zwischen Vergewaltigung unter Anwendung von schwerer Gewalt bzw. Drohung und jener unter Anwendung von nichtschwerer Gewalt bei Gefahr für Leib und Leben wurde aufgehoben. Zudem wurde auch § 203 StGB, welcher Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in Ehe oder Lebensgemeinschaft privilegiert behandelte, aufgehoben. Mit der Einführung des § 107 StGB in Gestalt der so genannten „Beharrlichen Verfolgung“, der mit 1.7.2006 in Kraft trat, werden auch Fälle der Fortsetzung häuslicher Gewalt durch Beeinträchtigungen in der Lebensführung unter Strafe gestellt. Auch werden die Bestimmungen der Exekutionsordnung erweitert und die bisherige zivilrechtliche Situation in Gestalt der einstweiligen Verfügung und des Unterlassungsanspruchs durch weitgehende Sicherungsmittel in Gestalt von § 382 EO auf das Phänomen des Stalking zugeschnitten.
Mit dem deutschen Gewaltbericht (Steinhilper 1990:449, vgl. dazu auch Schwind 1998) zum Ausdruck gebracht, ist an dieser Stelle eine auch für Österreich feststellbare Ausdifferenzierung des Strafrechts für den Schutz des so genannten „Privatraums Familie“ zu verzeichnen. Vielfach sind die legistischen Bestimmungen mit dem Verweis auf deutsche oder österreichische Verhältnisse versehen und die Expertisen rekurrieren aufeinander (ebd.). Mit der oben angeführten Darstellung des Wandels der gesetzlichen Bestimmungen im Zeitraum von 1989 – 2006 kommt eine Entwicklung zum Ausdruck,
34
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
welche durch den nachstehenden sozialgeschichtlichen Abriss noch verdeutlicht werden soll: Es geht um eine hohe normative Ladung von Familie, welche seit der Moderne besteht und welche die Nähe „familiärer“ zu „gewalttätigen Handlungen“ soziohistorisch ausmacht. Wie sich also die „alltäglichen Grausamkeiten“ (Honig 1986:31) familiärer Handlungen zu jenen der „Gewalt“ entwickelten, soll im folgenden Exkurs skizziert werden. Die Entdeckung der niederwertigen Stellung von Kindern und Frauen im familiären Verbund erscheint vor diesem Hintergrund als historische Konstante (vgl. dazu Brandstetter 2002). 2.2.2
Exkurs zur Geschichte familialer Beziehungen und deren Dimension der Gewalt
Familie ist – so Lenz/Böhnisch (1999:11) – eine „historisch gewordene Sozialform“, die ohne Rückgriff auf ihre soziohistorischen Vorläufer theoretisch nicht fassbar ist. Die Familie gibt es nicht, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart;13 vielmehr ist sie „eine bunte Vielfalt von sehr unterschiedlichen Familientypen“ (ebd.). Der gegenwärtig gebräuchliche Begriff der „Familie“ (vgl. Mitterauer/Sieder 1991:25-28) hat sich erst im 18. Jahrhundert durchgesetzt und schließt an das französische „famille“ an, das seinerseits von dem lateinischen „familia“ herzuleiten ist. Letzteres Wort geht über das oskische „famel“ auf eine gemeinsame indogermanische Wurzel zurück. Die Grundbedeutung dieses Wortes ist „Haus“. Gemeint ist damit die Gesamtheit der in einem Haus lebenden Personen, das Gesinde und die HaussklavInnen eingeschlossen. Zwischen leiblichen Kindern und 13
Mitterauer/Sieder (1991:25-28) beschreiben das aktuelle Verständnis von Familie als die Gemeinschaft der in einem Haushalt zusammenwohnenden, miteinander verwandten Personen, also fast durchwegs nur Eltern oder Elternteile mit ihren noch nicht verheirateten oder nicht selbständigen Kindern. Zentral ist dabei, dass die modernen, postindustrialen Haushaltsfamilien abgrenzbar sind, was für die historischen „Familien“ in dieser Weise keine Gültigkeit hat. Die frühe Neuzeit kannte gar keine Bezeichnung für jene Eltern-Kind-Gruppe, die man heute unter der Perspektive der Haushaltsgemeinschaft als Familie versteht. Aus dem Fehlen einer Bezeichnung darf nicht geschlossen werden, dass vor unserer heutigen Kleinfamilie entsprechende soziale Beziehungen nicht bestanden hätten.
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
35
Abhängigen wird dabei nicht grundsätzlich unterschieden. Die Begriffe „pater“ und „mater“ bringen nicht einen genealogischen Zusammenhang zum Ausdruck, sondern vielmehr herrschaftliche Abhängigkeit, denn die Stellung des pater familias hat mit leiblicher Vaterschaft gar nichts zu tun. Als „pater“ wird der Herr des Hauses bezeichnet, der über Frauen, Kinder, SklavInnen und sonstige Hausangehörige Gewalt hat. Während des Mittelalters und bis in die frühe Neuzeit wird das Wort „familia“ in diesem Sinne für die Gesamtheit dieses Hauses verwendet. Zu ähnlichen Befunden bzgl. der Beziehungsstruktur gelangt man auch, wenn man das heutige Verständnis von familiärer Gewalt mit dem aktuellen Umgang vergleicht. Familiäre Gewalt ist kein „naturwüchsiger Gegenstand“ (Lamnek/ Ottermann 2003:26), der – soziohistorisch gesehen – kollektive Ablehnung erfahren hat. Vielmehr war die Anwendung häuslicher Gewalt über Jahrhunderte gesellschaftlich akzeptiert bzw. toleriert. Frauen und Kinder befanden sich bis ins letzte Jahrhundert auf der Ebene von Sachwerten und gehörten zum Eigentum des Mannes, hatten sich dessen Willen zu unterwerfen und ihm sexuell gefügig zu sein (vgl. Cizek et al. 2001:20-22). „Das komplexe Aufeinander-Bezogen-Sein der Geschlechter im häuslichen Bereich ermöglichte und erzeugte (.) Gewalt, genauso wie es im Gegenzug aber auch verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Hilfe gegen unerwünschte Einmischung aktivierte. Es gewährte Schutz und versperrte den betroffenen Frauen gleichzeitig den Weg zur Obrigkeit, solange ihre wirtschaftliche und soziale Existenz an dieses System gebunden blieb“ (Hohkamp 1995:295).
Gewaltanwendung zum Zwecke körperlicher Züchtigung galt vielfach als weit verbreitete und als geeignete Methode zur Erziehung und zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin. So ist aus den Berichten aus dem 18. und 19. Jahrhundert bekannt, dass sich Männer der Ohrfeige als disziplinierender Praxis zu bedienen hatten, da diese als „Ordnungsmuster der kleineren Gewalt“ (Lindenberger/Lüdke 1995:24-26) einen festen Bestandteil des Erwartungsrepertoires an den väterlich-männlichen Habitus’ darstellte. Das Ohrfeigen unerzogener Kinder, Frauen und sonstiger so genannter „Unmündiger“ zählte zur Bezeugung ih-
36
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
rer Vormachtstellung als Hausväter – was auch später für proletarische Haushalte Geltung erlangte. Wie die Autoren anführen, galt die „Kleine Gewalt“ dann als gerechtfertigt, wenn die Schläger die Regeln der Anwendung und die Unterscheidungen nach Alter, Geschlecht und „Stand“ beachteten. „Die Regelhaftigkeit untermauerte den Anspruch der Gewalttäter, Herrschaft durchzusetzen. In doppelter Hinsicht reichten >kleine Schläge< also über den Regelkreis hinaus, der in dem Adjektiv >klein< beschworen wurde: Zum einen verwiesen sie auf das >große Ganze< eines Herrschaftszusammenhangs; zu dessen Geltungsbereich gehörten auch die Regeln der >kleinen Gewaltkleinen< zur großen Gewalt überzugehen. Ohrfeigen waren niemals endgültig. Die Gefahr von Weiterungen ließ sich nicht völlig ausschließen“ (ebd.).
Sieder (1987:43) weist allerdings darauf hin, dass es falsch ist abzuleiten, dass diese dörflich-bäuerlichen Gemeinschaften und Beziehungen keine emotionale Qualität besessen hätten. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Eltern ihren Kindern gegenüber „keine Gefühle“ hatten. Sie wurden lediglich in einer anderen Weise wahrgenommen und geäußert. Der Ausdruck von Emotionen verlief vielmehr über bestimmte religiöse Rituale und über symbolhafte Verhaltensweisen. Der Kindsmord als Tötungsrecht der Eltern ihren Kindern gegenüber war mit der zunehmenden Macht christlich-patriarchalischer Erziehung verschwunden. Das elterliche Züchtigungsrecht allerdings verblieb und erfuhr kaum rechtliche Grenzen (vgl. dazu 2.2.1 Familiäre Gewalt vor dem Hintergrund der rechtlichen Bestimmungen in Österreich seit 1989). Anhand einer gerichtlichen Fallgeschichte aus Hamburg im Jahr 182714 charakterisiert Döbler (1995:315) das damalige Verständnis von Misshandlung in 14
Die Fallgeschichte demonstriert, mit welchem Prozedere eine Legalsektion eines verstorbenen Kindes im Fall des Verdachts eines unnatürlichen Todes einherging. Im gegenständlichen Fall war eine übermäßige Züchtigung eines dreijährigen Sohnes durch seinen Vater mit dem Tod ausgegangen, was infolge umfangreicher gerichtlicher Gutachten und Befragungen des Gemeinwesens zu folgendem Urteil über den Vater führte: „eine übermäßige Züchtigung seines etwa dreijährigen Sohnes ..., durch welche allein sich der nachmalige Tod dieses Kindes erklären lässt, für überführt
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
37
Gestalt eines „unbefangenen Verhältnisses zur physischen Gewalt als legitimes Mittel väterlicher Verfügungsrechte“: „Wer die Rute selbst schneidet, schafft sich nicht nur ein Symbol der Drohung, sondern auch ein Instrument, das abgearbeitet werden soll. Dass dies in einer einzigen eruptiven Entladung erfolgte, begründete zwar keinen strafrechtlich relevanten Sonderfall, kam für die Nebenakteure aber keineswegs überraschend“ (ebd.).
Auch die Gewalt gegen Ehefrauen im 18. und 19. Jahrhundert ist unter dem patriarchalischen Herrschaftsverständnis des „Hausvaters“ zu verstehen. Bei öffentlichen Anzeigen gegen Ehemänner, die sich häuslichen Gewaltverhaltens schuldig gemacht hatten, erschienen jene verfolgungswürdig, die sich gegen (erwachsene) Söhne und andere männliche Verwandte richteten. Sofern es gelang, allgemeinen Druck gegen Ehemänner aufzubauen und diesen als verschwenderischen Haushaltsführer zu qualifizieren, konnten in Gerichtsfällen aus dem 18. Jahrhundert durchaus Gefängnisstrafen bei der Obrigkeit15 erwirkt werden. Die innerhäusliche Mauer des Schweigens gegenüber Öffentlichkeit sowie Obrigkeit wurde jedoch nur bei besonders schweren Fällen oder erst bei einem wirtschaftlichen Ruin des bäuerlichen Hauses durchbrochen. (Hohkamp 1995:285) Vor der Ausbreitung der bürgerlichen Ideen von der Liebe zum/r Ehegatten/in oder zum leiblichen Kind galt also die Prügelstrafe durch alle sozialen Schichten hindurch als probates Mittel, um väterliche Autorität zu unterstreichen
zu achten und daher, ihm selbst zur wohlverdienten Strafe, anderen dergleichen harten und jähzornigen Vätern zum warnenden Exempel, auf zwei Jahre zu einer seinen Kräften angemessenen Arbeit in das hiesige Zuchthaus zu setzen.“ Wäre es der Verteidigung geglückt, die legitime, von allen widernatürlichen Antrieben gereinigte Zucht, in den Vordergrund zu stellen, die mit der Kindstötung nur noch über den unglücklichen Zufall, allenfalls über die Unwissenheit des ungebildeten Täters verbunden war, wäre vor dem Hintergrund der damals vorherrschenden legistischen Normen ein Freispruch denkbar gewesen. 15 Döbler (1995:288) weist in einer Fallgeschichte aus Neukirch des Jahres 1975 nach, wie Anklagen gegenüber gewalttätigen Hausvätern obrigkeitsstaatlich behandelt wurden. Im gegenständlichen Fall wurde der Angeklagte wegen wiederholter Ehrenbeleidigung und tätlichen Angriffen auf seine erwachsenen Stiefsöhne und seine Ehefrau zu einer einmonatigen Gefängnisstrafe und zur Entschuldigung sowie Ehrenerklärung gegenüber den Söhnen verurteilt.
38
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
und Ungehorsam von Frauen und Kindern16 zu sanktionieren. Erst allmählich wurde die Rute als Inbegriff der Barbarei und die Fürsorge und Zärtlichkeit der Mutter als überlebenswichtig für das Kleinkind betrachtet. Der Einfluss der Aufklärung, welcher Kinder zum Gegenstand philosophischer Überlegungen sowie die Erziehung als Möglichkeit zur Beeinflussung des Sozialcharakters erhob, war an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Mit der Herausbildung bürgerlicher Werte kam es zu ersten systematischen Handlungsanweisungen, die „Liebe“ zu einem sozialen und emotionalen Wert innerhalb der Beziehungen zum/r Ehegatten/in wie zum Kind stilisierten. Wie Badinter (1980:35) deutlich macht, entstand in der Zeit um 1760 eine ganze Flut von Werken, in denen Eltern zu neuen Gefühlen und insbesondere die Frauen zur Mutterliebe aufgerufen wurden. Vertiefte persönliche Bindungen in der ElternKind-Beziehung sind demgemäß als vergleichsweise junges soziohistorisches Phänomen auszuweisen (vgl. Sieder 1987).
2.2.2.1
Das bürgerliche Ehe- und Liebesideal
Erst die neuen Lebensbedingungen, die mit Industrialisierung und sozialem Wandel entstanden, begünstigten die Ehe als „Gemütsverbindung“ (ebd.). Nunmehr lautete der Auftrag an das bürgerliche Paar: geistige Gemeinsamkeit basierend auf persönlichem wie auch sexuellem Interesse füreinander. Die Erotik wird zum Initiator für die Liebe und zur Vorbedingung der Ehe17 stilisiert. Idealbild ist der „beherrschte Mensch“ (vgl. ebd., 161), der seine Triebhaftigkeit und Spontaneität in den familiären Innenbereich zu verlagern imstande ist. Eine Abgrenzung des ehelichen Intimbereichs und eine Monopolisierung sexuellerotischer Beziehungen findet statt, woraus sich eine restriktivere Bindung des
16
Die Ehefrau, die sich etwas zuschulden kommen ließ, musste mit derselben Sanktion rechnen wie die ungehorsamen Kinder (Badinter 1980:33ff). 17 Näher behandelt werden die Themen „Soziale Schichtung und Sexualität“ bei Sieder (1987:133ff) sowie bei Mitterauer/Sieder (1991:149ff).
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
39
Einzelnen im sexuellen Bereich und eine wachsende Diskriminierung von vorund außerehelichen Beziehungen ergeben. Das bürgerliche Familienleitbild (Nave-Herz 1989:211), das nachhaltig auf christlichen Idealen basierte, ging allmählich von der Furcht als dominantem Beziehungsprinzip ab und ließ stattdessen „Zärtlichkeit“ als Gefühlsanspruch gelten (vgl. Badinter 1980:33). Die Sitte körperlicher Sanktion gegen Ehefrau und Kinder geriet seit dem 17. Jahrhundert (ebd.) immer mehr in Verruf; ebenso wurde zunehmend weniger ein ehrfürchtiges und gehorsames Verhalten von Ehefrau und Kindern erwartet. Vielmehr rückte die Entwicklung einer inneren Bereitschaft der Frauen und weiblichen Nachkommen in den Vordergrund, das eigene Wirken und Schaffen am Leben und an den Bedürfnissen des Mannes und Vaters auszurichten. Im Lichte dieser Entwicklungen sind die Anerkennung von Kindern als Rechtssubjekten und die Verankerung von Kindesinteressen im Recht erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anzusiedeln. Auch der rechtliche Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt war bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht gegeben (Cizek et al. 2001:22) und ist erst als Konsequenz des bürgerlichen Familienleitbildes zu betrachten. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der „bürgerlichen Gemütsverbindung“ kristallisierte erst mit dem Aufkommen der modernen Gesellschaft im späten 18. Jahrhundert nach und nach die „moderne Familie“ zum neuen Leitbild heraus. Wurde es in der aufklärerischen Euphorie noch als phantastisches Ideal propagiert, nahm es in der Folgezeit immer realere Züge an. Anfangs war es nur von der relativ kleinen sozialen Schicht des Bürgertums getragen, bis es schließlich langfristig zur vorherrschenden Familienform der Moderne avancierte. Im 19. Jahrhundert setzte sich das Modell der bürgerlichen Familie – mit allen Ambivalenzen – normativ, institutionell und sozial sowie in verschiedenen Ständen und Bevölkerungsgruppen z.B.: Handwerkern, Heimarbeitern, Bauernbevölkerung sowie Arbeiterschaft durch (vgl. Lenz/Böhnisch 1999:19). Die bürgerliche Familie etablierte sich nach und nach als dominante Familienform und erreichte
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Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
ihren Höhepunkt in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im so genannten „goldenen Zeitalter der Familie“ (vgl.Sieder 1987:245). In dieses Modell ist unauflösbar die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der oben beschriebenen Weise eingegossen. Dieser Lebensform erwächst ein männlicher Dominanzanspruch, wodurch die Position der Frau zu einer (ökonomisch) abhängigen wird. Genauso ist die Intimität einer modernen Kleinfamilie „verschränkt mit der Entwicklung eines marktvermittelten Familienhaushaltes, der geschlechtshierarchisch segmentiert ist“ (ebd.). Honig (1986:15) führt aus, dass überhaupt erst durch den Prozess von Modernisierung die Problematik von Bindung und Differenzierung in intimen Beziehungen auftritt und dass darin die eigentliche historische Veränderung liegt: Familie muss nunmehr als gemeinschaftliches Lebensmuster alltäglich hergestellt werden. Damit in Zusammenhang zu sehen ist auch, dass nunmehr eine Kindheit entstanden ist, in der das Generationenverhältnis nicht über individuell-ökonomische Interessen am Nachwuchs, sondern in erster Linie emotional vermittelt wird und damit „strukturell labil“ ist. (ebd.).
2.2.2.2
Kritik am bürgerlichen Familienideal in Moderne und Postmoderne
Der Einstellungswandel, der die Benachteiligung von Frauen in Familien zum öffentlich interessierenden Thema machte, manifestierte sich in den sozialen Protesten der späten 60er Jahre, als auch durch die Forderungen der StudentInnenund der neuen Frauenbewegung die weit verbreitete Familienorientierung in ihrer Leitbildfunktion systematisch in Zweifel gezogen wurde. Die monogame Ehe und insbesondere die geschlechtsspezifische Polarisierung der familialen Rollen zeigten sich erstmals als Fessel und nicht mehr länger als idealisiertes Lebensziel. Der Diskurs zu einer ersten radikalen Familienkritik in Form einer Missbilligung des tradierten Geschlechtsrollenbildes zulasten der Frauen hatte sich erst mit den 50er Jahren entwickelt und steht in Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen Wachstum der west- und mitteleuropäischen Wirtschaft und der
Exkurs: Sonderstellung familiärer Gewalt im allgemeinen Gewaltdiskurs
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deutlichen Zunahme von Frauenlohnarbeit18, wodurch Familie für Frauen zunehmend ihre Bedeutung als ausschließlicher biographischer Bezugsrahmen verlor (vgl. Sieder 1987:244). Keddi/Seidenspinner (1990:160) gehen davon aus, dass das traditionelle Lebensmodell der Ehefrau, Hausfrau und Mutter, das auf die Sorge für andere ausgerichtet war, seit den 70ern sukzessive abgelöst wurde durch den Anspruch auf eine stärker selbstbestimmte und eigenständige Lebensführung. Die Skandalisierung intimer familialer Gewalt sowie der daraus resultierende gesellschaftliche Konflikt um die Legitimität privater Gewalt, beginnend in den 70ern des 20. Jahrhunderts, hatten die öffentliche Ablehnung sowie ein klares gesellschaftliches „Nein“ zu allen Formen familialer Gewalt19 zur Folge. Die Empörung sowie die empfundene Abscheu, welche beim Reden sowie bei der „Verbildlichung des Themas“ vorherrschend waren, sind nach wie vor enorm (siehe Honig 1986:11, Honig 1992, Rapold 2002). Unbeschadet der Errungenschaften von Frauen- und Kinderschutzbewegung bleibt dennoch – so Böhnisch (2001:114) – die hohe normative Aufladung von Familie über die Moderne hinaus bestehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass das skandalisierende Reden (und Schreiben) über Gewalt die Aufrechterhaltung einer Ideologie der heilen Familie eher begünstigt denn geschmälert hat, auch wenn es – spätestens mit der Postmoderne – gelungen ist, die „intime Geschlossenheit der Familie aufzuweichen und den Bann des Schweigens zu brechen“ (ebd.).
18
Wie Sieder (ebd.) anführt, bedingte das ausgedehnte Wirtschaftswachstum in den 50ern, späten 60ern und frühen 70ern einen anhaltenden Bedarf an weiblichen Arbeitskräften. Der Anteil an der Gesamtheit der Erwerbstätigen veränderte sich in dieser Zeit nicht wesentlich, was sich aber abzeichnete, war eine stetige Zunahme der Berufsarbeit verheirateter Frauen. Sieder stellt auf Basis der statistischen Quellen eine wachsende Tendenz von verheirateten Frauen fest, trotz Ehe und Mutterschaft weiterhin erwerbstätig zu bleiben. Auch Reiterer (1995:129) stellt im Vergleich der Dekaden 70 bis 90 einen Verhaltenswandel fest: Die weibliche Erwerbsquote betrug 1991 38.2% gegenüber 30,5% im Jahr 1971; er führt dies auf eine bedeutend höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen im mittleren Alter zurück (näheres dazu bei Reiterer 1995:128-133). 19 Vgl. Kapitel 2.2.1 Familiäre Gewalt vor dem Hintergrund der rechtlichen Bestimmungen in Österreich seit 1989
42
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
Den soziohistorischen Exkurs zum Wandel von Emotionalität in der Familie und zum familiären Gewaltdiskurs in anderen Worten zusammenfassend: Es sind die Vorstellungen und die Ideale einer „normalen Ehe“, einer „normalen Familie“ abseits der vormodernen Barbarei, welche der häuslichen Gewalt in der modernen Familie zugrunde liegen. Mit Honig (1986:15) und seiner Analyse über das Reden von Gewalt gesprochen, ist „Gewalt weniger ein sichtbares Verhalten in Familien (.) als vielmehr ein Strukturmerkmal, das für die moderne, eigentumslose Kleinfamilie ebenso charakteristisch ist wie ihre emotionale Intensität.“
Demgemäß ist Gewalt an die Intimität der modernen (bürgerlichen) Familie gebunden und manifestiert sich weniger in der physischen Form der Gewaltanwendung selbst als vielmehr in der ihr (der Familie) innewohnenden strukturellen Labilität im Verhältnis von Macht und Schutz, von Fürsorge und Ausbeutung, von Bindung und Individuierung, von Unterlegenheit und Besonderheit – so Honig. Als das problematische an dieser Familienwirklichkeit gilt ihre Unsichtbarkeit nach außen. Zusammenfassend ausgedrückt ist es die „normative Sonderstellung von Familie“ insgesamt, welche die aufdeckenden Debatten der Kinderschutz- und Frauenbewegung und damit die Thematisierung „häuslicher Gewalt“ ausmachte (Habermehl 1999:420). Bevor nun auf die Implikationen der hohen normativen Ladung von Familie eingegangen werden kann, bedarf es der Darstellung einer weiteren zentralen theoretischen Position, die das Phänomen Gewalt im sozialen Nahraum näher definiert. Es geht um das Verhältnis der Kriminologie, insbesondere der Kritischen Kriminologie zur Terminologie der Gewalt. Im folgenden Kapitel soll verdeutlicht werden, in welchem Zusammenhang deren weitgehende Abstinenz im Diskurs um familiäre Gewalt (vgl. Godenzi 1996:52) zu sehen ist und welche Überlegungen im Besonderen hinter deren „innerer Abwehr gegenüber einer vertieften und verständigen Beschäftigung mit Gewalttaten“ (Schuhmann 1994:243 zitiert nach Krasmann/Scheerer 1997:6) stehen.
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
43
Das nächste Kapitel betrachtet also den Diskurs über familiäre bzw. häusliche Gewalt vor dem Hintergrund einer kritisch-kriminologischen Auseinandersetzung mit den Phänomenen der „Gewalt“, der sich von einer traditionellen, bürgerlichen Kriminologie abhebt und der die Prinzipien der „Täterabgewandtheit, der kritischen Instanzenorientierung und der kritischen Haltung gegenüber dem konventionellen Wissenschafts-, Politik- und Mediendiskurs über Gewalt“ (Krasmann/Scheerer 1997:9) betont.
2.3
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
Während es die Strategie der angloamerikanischen sowie der deutschsprachigen Family-Violence-ForscherInnen der 70er, 80er und 90er Jahre war, durch das Entsetzen über die häusliche Gewalt die „Hoffnung auf eine Befreiung von dieser Gewalt“ (Honig 1992:9) zu erreichen und dem „über die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte tabuisierten oder verharmlosten Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder“ (ebd.) durch öffentliches Reden und Anklage Ausdruck zu verleihen und auf diese Weise eine Veränderung realer sozialer Verhältnisse in Form entsprechender legistischer Bestimmungen herbeizuführen (Kapitel 2.2.1), war die kriminologische Theorie und Forschung vergleichsweise abstinent im Aufgreifen des brisanten Themas. Offenlegung und Anprangerung waren vielmehr die Mittel der Family-Violence-Forschung20, mit denen Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie Transzendierung der Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit erreicht werden sollten (vgl. Rapold 2002:178).
20
Auch der Gewalt- und Missbrauchsdiskurs, wie er von der feministischen Bewegung im deutschen und angloamerikanischen Sprachraum geführt wurde, brachte solcherart die sozial weit verbreiteten häuslichen Praktiken zu Tage: „Er zeigte auf, denunzierte, verortete und prangerte an. Die Verdienste der Frauenbewegung im Diskurs sind unwidersprochen. Frauen- und Kinderschutzbewegung bedienten sich dabei einer vorwiegend rechtsstaatlichen Betrachtung des Themas und argumentierten vor der Matrize der Bedrohung des hoheitsstaatlichen Gewaltmonopols“ (Honig 1992:369).
44
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
2.3.1
Gewalt als zentrales Thema der Moderne
Wie Lindenberger/Lüdke (1995:7) aus soziohistorischer Sicht zum Ausdruck bringen, fällt die definitorische Ausgrenzung bzw. Einschließung jener Sachverhalte, die sich unter „Gewalt“ zusammenfassen lassen, seit jeher schwer. In soziohistorischen Analysen stellen sie fest, dass zwar das Grauen vor Verletzungen, Kriegen, Massakern durchaus Bedeutung in der Geschichtsschreibung hat, dass aber das Erleiden sowie das Zufügen von Gewalt tendenziell aus historischen Quellen ausgespart werden. „Das Stechen und Hauen, das Treten und Schlagen, das Schießen derer, die weder autobiographische Aufzeichnungen noch andere (Selbst)Zeugnisse angefertigt haben, war lange Zeit kein Thema. In der überwiegend nationalstaatlich orientierten Historie seit dem 19. Jahrhundert genügten offenbar pauschale Beobachtungen über >die Masse< oder den im Zweifel irrationalen Mob. Die soziale Logik des (.) Mitmachens der einfachen Soldaten in den vielfältigen Fragen schien keiner Frage wert.“ (ebd.)
Auch Folter und Tötung stellten im vor-aufgeklärten Zeitalter durchaus legitime und wenig problematisierte Komponenten gesellschaftlichen Alltagslebens dar. Gewalt als alltägliche Praxis und Erfahrung bedurfte offenbar keiner besonderen Erwähnung, da eine Kindesaufzucht ohne elterliche Gewalt, ein Gemeinwesen ohne mit herrschaftlicher Gewalt ausgestatteter Macht einfach nicht denkbar waren. Gewalt als Ausnahme ist erst mit dem 19. Jahrhundert und dem Denken über Welt und Geschichte Thema von systematischer gesellschaftsphilosophischer und -politischer Auseinandersetzung (Lindenberger/Lüdke 1995:17). Scheerer (2001:148), Thome (2001:181) sowie Albrecht (2001:12) streichen hervor, dass es erst die Moderne war, welche die Unterdrückung der Gewalt zur alles beherrschenden Agenda machte – in politischer Theorie genauso wie in praktischen Fragen der Legitimation von Herrschaft seitens der Bevölkerungen in den „neuen“ Nationalstaaten. Mit der Aufklärung wird „Gewalt“ beim Staat monopolisiert „und zwar in den drei Formen der kriegerischen Gewalt nach außen (Militär), der strafenden Gewalt (Eigentumsentzug, Freiheitsentzug, Folter, Hinrichtung)
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
45
und der ordnenden Gewalt im Inneren“ (ebd.). In den Sphären öffentlicher sowie privater Herrschaft war das Ausmaß an direkter Gewalt spätestens seit dem 18. und 19. Jahrhundert rückläufig und symbolische oder „sanfte Gewalt“ löste die direkte Gewalt ab (Lindenberger/Lüdke 1995:17). Politik insgesamt war nunmehr darauf ausgerichtet, den inneren und äußeren Frieden zu gewährleisten sowie den Staat als Garant für die Bewahrung seiner BürgerInnen vor „injuries of one another (.)“ auszuweisen „and therby to secure them in such sort, as that by their owne industrie, and by the fruites of the Earth, they may nourish themselves and live contentedly.“ (siehe Hobbes 1968:227 zitiert nach Scheerer 2001:150 ebd.). Damit gelten auch die Fragen der inneren Sicherheit (vgl. Stummvoll 2003a:6) seither als die zentralen Aufgaben des modernen Staates und die Gefährdungen von Ordnung und Sicherheit werden zu den empfindlichsten Stellen für die Berechtigung politischer Herrschaft: „Mit der Etablierung des Gewaltmonopols durch den Staat und mit Hilfe der Institutionalisierung der Gewalt glaubte man die Lösung des Gewaltproblems gefunden zu haben“ (vgl. Stummvoll 2003a:7). Konsequenz einer modernen Betrachtung von „Gewalt“ ist also die veränderte Begriffskonnotation von „Gewalt“. Es wurde – im soziohistorischen Transformationsprozess – zu einem „hässlichen Wort“ (vgl. Baumann 1992:38) und zunehmend mit einer negativen Bewertung versehen. Im Begriff der Gewalt selbst konzentrierte sich „bereits das >schlechthin Illegitime< (Sieferle 1998:20) (..). Erst hiedurch wurde möglich, was in der jüngsten Vergangenheit zu beobachten ist: je mehr man in der Gewalt das schlechthin Illegitime sieht, desto mehr findet sich auch die Tendenz, alles Illegitime als Gewalt zu bezeichnen. So kann man nach Johan Galtung (1975:9) immer dann von Gewalt sprechen, >wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.Gewalt< und >Kriminalität< geredet. Unliebsamen Kategorien von Leuten wird >Gewalt< zugeschrieben. Zustände der Gesellschaft werden damit kritisiert, dass sie als >Gewalt< angeklagt werden. In den medialen wie privaten Unterhaltungen erscheint >Gewalt< als mindestens zweitwichtigstes Thema, dem man sich mit Gusto zuwendet. Und auch die Gewalttäter >sprechen< durch ihre Gewaltakte – und manche reden über sie. “ (Cremer-Schäfer/Steinert 1998:94)
Kritische KriminologInnen problematisieren den administrativen, therapeutischen sowie politischen Diskurs über die Gewalt (Krasmann/Scheerer 1997:9) mit folgenden Argumenten: Wer sich auf das „Gewaltvokabular“ (ebd.) einlässt, riskiert in ein „semantisches Schlachtfeld“ zu geraten und ernstzunehmende Phänomene wie „familiäre Gewalt“ zu einer „bloßen Funktion populistischer Strategien“ (ebd.) verkommen zu lassen. Wer sich an der Legitimationsstrategie staatlichen Handelns beteiligt, verunmöglicht auf diese Weise die Einnahme einer kritischen Distanz zu den (sozial)staatlichen Institutionen der Gewaltverhinderung und -vermeidung (Schuhmann 1994:244). Mit anderen Worten ausgedrückt, erlauben die Mittel einer symbolischen Politik im Hinblick auf soziale Probleme den Anschein von Entschlossenheit zu wecken, ohne dabei gleichzeitig und tatsächlich effektive Problemerkundung und -bekämpfung zu betreiben (vgl. Schetsche 1996:143). Damit wird auch die familiäre Gewalt zu einem Thema des „Impression Managements“ (Scheerer 2001:151), welches politische VerantwortungsträgerInnen einsetzen können, ohne in Folge tatsächliche und wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung zu ergreifen. Scheerer (ebd.) bringt dieses durchaus gängige Vorgehen folgendermaßen auf den Punkt: „Auch kann die Produktion (oder Fiktion) effektiven Vorgehens gegen gefährliche Gewalttäter von sonstigem Staatsversagen und komplexen Thematiken ablenken. Andererseits kann sich z. B. ein diffuses Unbehagen in der Bevölkerung leicht um das Thema der Gewaltkriminalität herum kristallisieren (und damit z. B.: zum Ausdruck bringen, dass man von der Politik in einem sehr viel allgemeineren Sinne mehr ordnende oder schützende Interventionen erwartet). Gewalt
48
Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen spielt also in zweierlei Gestalt eine eminente Rolle: als materiale Realität und als Kollektivsymbol.“ (ebd.).
Aus der Perspektive der Kritischen Kriminologie gilt es zu beachten, dass die Vokabel „familiäre Gewalt“, „Gewalt gegen Frauen und Kinder“, „sexueller Missbrauch“, „sexuelle Gewalt“ zu „politischen Metaphern“ (vgl. dazu auch Honig 1992:373) und „Gewalt“ zu einer mehr oder weniger nichts sagenden Kategorie wurde, die aufgrund ihrer Breite völlig verschiedene Phänomene unter einem Titel vereint und für empirische Zwecke unbrauchbar ist: „Sie ermöglicht hemmungsloses Moralisieren und vermeidet damit die harte Analyse der Alltäglichkeit von gewalttätigen Aktionen.“ (siehe Cremer-Schäfer/Steinert 1998:117). Weiterer Kritikpunkt der Kritischen Kriminologie am Gewaltdiskurs und der daraus resultierenden medialen Verbreitung spektakulärer Einzelfälle ist der Anschein, den familiäre Gewalt-Handlungen insgesamt erwecken: nämlich, dass die angezeigten familiären Gewalt-Handlungen ständig zunehmen und dass die stetig zunehmende Zahl der Fälle in Summe eigentlich nur die „Spitze des Eisberges“ (Cremer-Schäfer/Steinert 1998:122) markiert. Mit der Autorin gesprochen entsteht dadurch ein Bild, welches die eigentliche Gefahr in den nicht-sichtbaren und nicht-bearbeitbaren Ursachen sowie in der Funktionsunfähigkeit gesellschaftlicher Institutionen verortet. Unter diesem Licht verleitet der Gewaltdiskurs mit seinem spezifischen Vokabular zu einem „Ordnungsdiskurs“ und nicht zur öffentlichen Debatte über „Abhilfe bei gesellschaftlichen Problemen“ (ebd.) oder um Strategien der Vorbeugung. Cremer-Schäfer/Steinert (1998:123) betrachten die Debatte um den sexuellen Kindesmissbrauch sowie die feministischen Kampagnen zu „Gewalt gegen Frauen“ vor dem Hintergrund der großen „Sicherheits- und Moral-Paniken“ sowie der medialen Konjunkturlage21 interessierender Themen. Ihrer Ansicht nach sind es die im Folgenden dargestellten Abläufe, welche auch den Diskurs über häusliche Gewalt begleiten. 21
Wie die AutorInnen (ebd.) herausarbeiten, erweisen sich soziale Phänomene dann als geeignet für die Taktiken einer symbolischen Politik, wenn sie Hinweise für eine umfassende gesellschaftliche Ordnungskrise liefern.
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
2.3.2.1
49
Die Skandalisierungsfalle
Cremer-Schäfer/Steinert (1998:123) stellen dazu folgendes fest: „Wer das Gewalt-Vokabular verwendet, dem stellen Medien eine Skandalisierungsfalle. Sofern Medien >Gewalt von/an/in/gegen …< thematisieren, findet dabei keine öffentliche Debatte um Abhilfe bei gesellschaftlichen Problemen statt, es geht nicht um die Politisierung von Konflikten, nicht um Befreiungen von Herrschaftsverhältnissen. Sofern sich Medien nicht selbst über >Gewalt-Täter< oder eine neue Welle der (..) Eltern- und Männer-Gewalt entrüsten, sondern Skandalisierungen von sozialen Bewegungen aufnehmen (wie der Frauenbewegung) oder von sozialen Advokaten (wie dem alternativen Kinderschutz) veranstalten sie das, was sie beim Thema >Gewalt< gelernt haben, sie führen einen Ordnungsdiskurs. Es geht um die gute Ordnung von Familie, Staat und Gesellschaft, um die >natürliche< oder >moderneStörungen< und >Störer< vermeidende Ordnung von Geschlechtern und Generationen. Dass das private Skandalisieren in eine Falle gerät, liegt einmal am Skandalisieren selbst. Vor allem aber an der Benutzung des Gewalt-Vokabulars.“
Als Effekt des Gewaltdiskurses verortet auch Rapold (2002:176), dass mittlerweile „etablierte“ Themen durch ihre expansive mediale Verbreitung mehr oder weniger „Unterhaltung anbieten“ und dadurch ein in seinen Ursprüngen politisch motivierter Diskurs über Gewalt im sozialen Nahraum untergegangen ist in allgemeinen Law and Order-Kampagnen, die an Einzelfällen ausgerichtet sind.
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Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
2.3.2.2
Die Personalisierung bzw. Individualisierung
Die universelle Norm „keine private Gewalt“ (vgl. Cremer-Schäfer/Steinert 1998:125) mündet in der öffentlichen Debatte22 zumeist in moralischer Entrüstung und sozialer Degradierung jener Personen, welche diese brechen. Um ein Problem auf die öffentliche Tagesordnung zu bringen, ist es erforderlich, dass dieses einen Zustand moralischer Empörung verspricht (vgl. Cremer-Schäfer/ Steinert 1998:124). Bestimmte Ungerechtigkeiten, Problemlagen von Minderheiten bedürfen eines solchen normativen Bezugspunktes, der sich in einer öffentlichen Anklage leicht bestätigen lässt. Dafür wiederum muss ein konkret >Verantwortlicher< für den Normbruch auszumachen sein. Das heißt, eine Zuschreibung zu einer bestimmten Person ist erforderlich, denn ohne persönliche Etikettierung kommt die Skandalisierung nicht aus. Es braucht – so CremerSchäfer (ebd.) – eine klare „Bedrohungs- und Bedeutungsspirale“, die sich in Bezug auf einen „herausstechenden Fall“ beschreiben lässt.
2.3.2.3
Mystifizierung der Gewalthandlung
Der diskursiv geschaffene „Mythos Gewalt“ (Honig 1992:42) nährt sich von der Vorstellung, dass Gewalt ein raumzeitlich bestimmbares Verhalten darstellt, das messbar, medizinisch diagnostizierbar und rechtlich qualifizierbar ist. Die Skandalisierung verleiht dieser Vorstellung eine „pseudokonkrete Gegenständlichkeit, die auf spektakuläre Weise evident ist: Prügel, Schmerzen, Verletzungen, Tränen. Die suggestive Eindeutigkeit verbietet jede erwägende Distanz. Der Mythos lebt von der Ausgrenzung (Partikularisierung; vgl. Gravenhorst 1984) aller Wirklichkeitselemente, welche die Geschichte und den Zusammenhang des spektakulären Ereignisses ins Be-
22
Auch wenn von Gewalt-Themen im besten Fall über die Anklage von Verhältnissen, Situationen und Zuständen die Rede ist, kommt die öffentliche Debatte nicht ohne Empörung und Abwertung des/r individuellen NormbrecherIn aus, genauso wie eine Fahndung nach den Ursachen immer des Rückgriffs auf die einzelne NormbrecherIn bedarf, um die durch den Normbruch gefährdete Ordnung wieder herzustellen (vgl. dazu Rapold 2002).
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
51
wusstsein heben und seine Eindeutigkeit verwischen könnten. In diesem Sinne ist >Gewalt< eine Dramatisierungsmetapher, die nichts erklärt und nichts versteht, sondern Empörung verkörpert.“ (ebd.)
Auch auf der Ebene sozialwissenschaftlicher Betrachtung führen die beschriebenen Phänomene der Empörung und moralischen Entrüstung zu einer unscharfen Terminologie. Insofern ist die Entwicklung von interventions- und präventionsorientierten Phänomenologien über häusliche/familiäre Gewalt erschwert, ähnlich wie jene von gezielten kriminalpolitischen Strategien zur Verhinderung. Um gewalttätiges Handeln im sozialen Nahraum deutend zu verstehen und es dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen erklärbar zu machen, braucht es – mit Cremer-Schäfer/Steinert (1998:133) gesprochen – deshalb deutlichen Abstand zum „Karriere-Thema Gewalt“23 und zur „Skandalisierungsfalle des Gewaltvokabulars“ (ebd.). Dies ist gleichermaßen auch die Gewährleistung dafür, dass ein bedeutsames Thema (für Opfer und TäterInnen) von medialer Berichterstattung, politischer Bezugnahme und wissenschaftlicher Reflexion nicht „enteignet“ (ebd.) wird.
2.3.2.4 Der Gewalt- und Missbrauchsdiskurs als Ausläufer des „Punitive Turn“ Anders als von den Familiy-Violence-ForscherInnen wird von den VertreterInnen der Kritischen Kriminologie der Gewalt- und Missbrauchsdiskurs der vergangenen Jahrzehnte als Indiz einer im Steigen begriffenen „Straflust“ betrachtet. So beschreibt Sack (2004:30) in seiner These des „Punitive Turn“, dass alle Zeichen kriminalpolitischer Entwicklung (bezogen auf Gesetzgebung, Justiz,
23
Auch Albrecht (2001:12) spricht von einer Mystifizierung gewalttätiger Handlungen, welche durch den Gewaltdiskurs als Phänomene sowie als „soziale Handlungen“ (Honig 1992:100) zunehmend an Evidenz verlieren. Die Konsequenz daraus ist das Fehlen umfassender empirischer Studien zur Gewaltforschung, wie Scheerer (2001:154) zum Ausdruck bringt: „Es fehlt an dichten Beschreibungen, an Worten für die Leiden der Opfer, an Theorien über die handelnden Subjekte, es fehlt fast an allem, was es erlauben würde, den Sinn von Gewalt zu verstehen und die Ursachen von Gewalt zu erklären!“
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Gewalt im sozialen Nahraum – Begriffliche Bestimmungen
Wissenschaft und Gesellschaft) auf eine zunehmende Bestrafungstendenz hindeuten: „Zuerst in den USA sichtbar geworden, dann nach Großbritannien importiert, erreicht die Tendenz nunmehr das europäische Festland. Zur Erklärung werden verschiedene Konzepte herangezogen, schließlich eine Rückkehr zur >politischen Ökonomie< von Strafe und Verbrechen vorgeschlagen“ (ebd.).
Dabei geht es in erster Linie um ein „Governing through crime“ (Young 2002:228) als Strategie der Instrumentalisierung von Kriminalität und Kriminalpolitik24 für Zwecke des politischen Machterwerbs25 bzw. -erhalts. Als wesentliches Indiz26 dieser von ihm beschriebenen „im Steigen begriffenen Straflust“ betrachtet Sack (2004:30) die Veränderungen rund um den Bereich der Sexualstraftaten. Sexualstraftäter, die insbesondere im angelsächsischen Sprachraum teilweise lynch- und mobartig verfolgt werden, erfüllen dort die Funktion von 24
Sack (2004:32-42) untermauert seine Thesen mit Beispielen aus US-amerikanischen Wahlkämpfen seit 1992, solchen aus Großbritannien sowie aus der Bundesrepublik Deutschland, in denen symbolische kriminalpolitische Kraftakte im Phänomenbereich „Innere Sicherheit“ reüssieren konnten. 25 „Politische Parteien haben durchgehend entdeckt, dass sich mit dem Thema hervorragend punkten und gewinnen lässt. In den berichteten Tendenzen schlägt sich eine Verwandlung von rationaler Kriminalpolitik in eine Politik von >law und order< nieder i. S. der Nutzung von Kriminalität und Unsicherheit für Zwecke des Machterhalts bzw. Machterwerbs. Kriminalpolitik hat, je nachdem welche Perspektive eingeschlagen wird, eine totale Entpolitisierung bzw. Politisierung erfahren. (.) Um die richtige Kriminalpolitik wird zwischen den Parteien nicht länger gestritten“ (Sack 2004:42). 26 Weitere Indizien für den „punitive turn“ sind zusammenfassend – mit Sack (2004:32-40) gesprochen – folgende: Die Rückkehr des Gefängnisses als „Instrument der Wahl einer Kriminal- und Sicherheitspolitik“. Eine explosionsartige Zunahme der Gefängnispopulation ist in den USA seit Mitte der 70er feststellbar, dergestalt, dass sich von 1970 bis 1997 diese Gruppe versechsfacht hat. Im Jahr 2002 hat die Zahl der InsassInnen die Zwei-Millionen-Grenze überschritten, womit die Gefängnisquote bei mehr als 700 InsassInnen pro 100.000 Einwohner liegt (im Vergleich dazu liegt die Gefängnisquote in Europa bei 100). Die Zunahme der Gefängnispopulation ist kein amerikanisches Phänomen, vielmehr findet in den Staaten der europäischen Union ein signifikantes Wachstum der Gefängnispopulationen statt: Zwischen 1992 und 2002 war in den Niederlanden ein Plus von 90 % zu verzeichnen, in England von 55%, in Spanien von rund 47,8 %, in Deutschland von 38,8 %. (vgl. Roggan 2003 zitiert nach Sack 2004:37; Irwin/Austin 1993, 2000 zitiert nach Sack 2004:37) Niederschlag findet der „punititve turn“ auch in der „legislativen und institutionellen Aufrüstung“ von Sicherheitsorganen; allen voran die Polizei gefolgt von privaten Sicherheitsdiensten. „Insgesamt lässt sich über die Novellierungen auf dem Gebiet der polizei- und strafrechtlichen Verfahren feststellen, dass eine deutliche Verschiebung zu Gunsten des Prinzips der Effizienz und zu Lasten desjenigen der Rechtsstaatlichkeit zu registrieren ist.“ (ebd.)
Der Gewaltdiskurs aus Sicht der Kriminologie
53
„suitable enemies“ (Wacquant 1999 zitiert nach Sack 2004:38) und dienen als Signum spätmoderner Sicherheitsgesellschaften und als Ausdruck aufgestauter und ventilloser Hassbedürfnisse der Menschen in modernen Gesellschaften. Zusammenfassend gesprochen, macht die Kritische Kriminologie folgende Aspekte deutlich, die den politischen und wissenschaftlichen Diskurs zu häuslicher Gewalt charakterisieren und bedeutende Auswirkungen auf bestehendes Vorsorgewissen haben: 1. Wissenschaftliches Wissen dient (auch) immer der Stützung von Kriminalisierung und solcherart der Legitimation für sozialen Ausschluss. 2. Der Rückgriff auf rechtsstaatliche Problembewältigung bedeutet auch immer „Law and Order-Kampagnen“ und nicht das Hinterfragen von sozialer Ordnung von Geschlechtern, Generationen und sozialer Teilhabe. 3. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Phänomene und Ursachen von Gewalt in der Familie wird durch öffentlich geführte Diskurse über die Phänomene von Gewalt im sozialen Nahraum vielfach erschwert. Aus diesem Grund ist auch die Gewaltforschung27 weit davon entfernt, „klare, forschungsfreundliche Abgrenzungskriterien“ (Schneider 1990:507) zu führen. Welchen Konsequenzen der Gewalt- und Sicherheitsdiskurs für die Entwicklung von Vorsorgekompetenz hat, bildet das Thema des folgenden Kapitels.
27
Der österreichische Gewaltbericht 2001 (Cizek et al. 2001:24; siehe dazu auch Kapitel 2.1.2 Stand der Theorie und Forschung zu häuslicher Gewalt) unterteilt die Gewaltforschung in eine Mainstreamgewaltforschung und eine Neuere Gewaltforschung und fordert Disziplinentwicklung und expansive Forschungstätigkeit bei letzterer ein.
3
Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
Im nun folgenden Abschnitt wird die Denkfigur der Prävention vor den Hintergrund des im vorangegangenen Kapitel erschlossenen Diskursfeldes gestellt. Diskutiert wird deren Anschlussfähigkeit an den Begriff der Vorsorge mithilfe der Theorien sozialer Hilfe, solcher sozialer Ungleichheit sowie mit systemtheoretischen Begriffselementen. Dabei geht es um die Herleitung von Kategorien, die anstelle des Präventionsvokabulars die Erforschung von Vorsorge (im Phänomenbereich häuslicher Gewalt) anleiten können. In diesem Abschnitt wird deutlich, dass und inwieweit der Präventionsbegriff analytische Schwächen aufweist. Anhand des strafrechtlichen sowie des Public-Health-Präventionsbegriffs wird dargestellt, mit welchen Implikationen der Präventionismus im Phänomenbereich häuslicher Gewalt einhergeht. Erörtert werden auch die im Fachdiskurs zur Family-Violence-Forschung vorliegenden Diskursstränge über Ursachen häuslicher Gewalt. Die aus dem vorherrschenden Kenntnisstand resultierenden Wissensbestände werden am Ende des gegenständlichen Kapitels in „Strategien der Vorsorge bei häuslicher Gewalt“ zusammengefasst und dargestellt. Sie bilden jene Hintergrundmatrize, vor der zivilgesellschaftliche und Sozialkapital fördernde Modelle der Vorsorge im weiteren Verlauf der Arbeit diskutiert werden können und schaffen eine erste theoretische Grundlage für die Einschätzung des empirisch erhobenen ExpertInnenwissens aus dem Untersuchungsfeld.
56 3.1
Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
Der Präventionsdiskurs in Kriminologie und Sozialwissenschaft
Im kriminologischen Alltagsverständnis werden „Präventionsmaßnahmen“ verstanden als „Interventionsstrategien, die statt auf Repression und Kontrolle auf Unterstützung, auf die Behebung von Defiziten, ja letztlich auf die Beseitigung der Ursachen von Kriminalität setzen“ (Lehne 2002:169).
Im Alltagsverständnis gilt Prävention als Gegenpol zur Sanktion. Irreführend ist dieses Verständnis insofern, als die strafgesetzlichen Bestimmungen von Prävention eine andere Lesart vorgeben. Vorbeugung im Rahmen des Strafrechts ist vielmehr als Kontinuum zu verstehen, an dessen einem Ende sich die Strafe befindet, die von der „Sicherheitswirkung freiheitsentziehender Maßnahmen im Sinne von tertiärer Prävention“ (Schwind 1998:14) ausgeht. Am anderen Ende steht die so genannte „primäre Prävention“, welche auf die angenommenen „tieferen“ Ursachen von Kriminalität abzielt, beispielsweise auf Sozialisationsdefizite und sozioökonomische Mängellagen. Mit sekundärer Prävention sind, strafrechtlich betrachtet, allgemeine Maßnahmen zur Verhinderung von Kriminalität angesprochen, wie zum Beispiel die generalpräventive Abschreckungswirkung des Strafrechtes. Insofern ist – im kriminologischen Begriffsgebrauch – eine vorbeugende Einsperrung eines/r potentiellen Täters/in ebenso unter demselben Etikett „Prävention“ zu subsumieren wie die therapeutische Beschäftigung mit Opfern/ TäterInnen. Einzig die grundlegende Bedeutung: „Prevention means to stop something from happening“ (Godenzi 1996:320) betrifft das kriminologische, sozialwissenschaftliche sowie öffentliche Verständnis von Prävention gleichermaßen (und bleibt auch nicht nur auf den Bereich der Gewaltprävention beschränkt). Im Rahmen eines sozialwissenschaftlichen Präventionsbegriffs für den Bereich der häuslichen Gewalt ist – in Anlehnung an Godenzi (ebd.) – ein deutlicher Unterschied zwischen der angloamerikanischen und der deutschsprachigen Terminologie festzustellen. In Forschung und Anwendung außerhalb Europas
Der Präventionsdiskurs in Kriminologie und Sozialwissenschaft
57
versteht sich „Prevention“ als Oberbegriff und „Intervention“ eher in Zusammenhang mit sekundärer Prävention sowie „Therapy“ im Umfeld tertiärer Prävention. In der deutschsprachigen Bedeutung hingegen wird „Intervention“ als Überbegriff eingesetzt und je nach Stadium der Beeinträchtigung ist dann zwischen präventiver, kurativer und rehabilitativer Intervention zu unterscheiden (Hurrelmann 1990:117). Während „Intervention“ im Sinne von „dazwischentreten“ die Widersprüchlichkeit jedes Eingriffs in eine prekäre Situation zum Ausdruck bringt, impliziert „Prävention“ eine „magische Formel, mit deren Hilfe jede soziale Intervention legitimierbar wird“ (Otto 1991:73). Die oben beschriebene Tradition der Unterscheidung zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention gilt auch im sozialwissenschaftlichen Anwendungsbereich, indem von den Sozialwissenschaften selbstredend auf den medizinisch geprägten Präventionsbegriff nach Caplan (1964) verwiesen wird. Dieser versteht unter primärer Prävention einen Versuch der Senkung der Inzidenzrate durch Minimierungen von Gesundheitsgefährdungen, unter sekundärer Prävention den Versuch der Senkung der Prävalenzrate durch Früherkennung und -behandlung und unter tertiärer Prävention den Versuch der Minimierung von Chronifizierungen, Folgeschäden und Rückfällen. Vor diesem Hintergrund hat jede Intervention präventiven Charakter, was auch voraussetzt, dass es bei den Interventionen immer um „Risikosubjekte“ und „Risikogruppen“ geht. Das heißt, dass immer dann, wenn von Präventionshandeln die Rede ist, abweichende Verhaltensweisen und deren Erscheinungsformen als quasi-manifeste Phänomene impliziert thematisiert werden. Aufgrund seiner Unschärfe in der theoretischen Bestimmung von Begriffen und seiner Unzulänglichkeit in der empirischen Handhabe von zu beforschenden Phänomenen bietet der Präventionsbegriff breiten Raum für ideologielastige Konnotationen (vgl. dazu Wambach 1983; Castel 1983; Castel 2005; Sack 1995 u. a.; vgl. dazu genauer Kapitel 2.3.1 Begriff „Gewalt“ und „gewalttätige Handlungen“). Auch die normative Aufladung des Präventionsbegriffs wird problematisiert. So beschreibt Kupffer (1994:245) die Grundproblematik der Präventionssemantik in dem „naiven Verlangen, >Was können wir tun, um eine Wieder-
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Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
holung ein für allemal auszuschließen?Ursache-Wirkungs-ZusammenhangBegünstigungsfaktoren< für Gewalttaten anzusehen sind. Wenn Tätereigenschaften wie Willensschwäche, Geltungsdrang oder Stimmungslabilität genannt werden, dann stützten sich solche Attributionen auf Kasuistik und nicht auf Signifikanzen“ (ebd., 73).
Auch Cizek et al. (2001:37) streichen hervor, dass aufgrund der enormen Verbreitung von Gewalt im sozialen Nahraum intraindividuelle Modelle, die Gewalt auf Ausnahmeindividuen und deren Persönlichkeitsmerkmale abstellen, als „überflüssig“ zu bezeichnen sind, weil keine Erklärungskraft von ihnen ausgehe. Die Bedeutung klinischer Studien sowie jene der neueren, um situationale Faktoren erweiterten psychiatrischen Forschung liege – so die AutorInnen – in ihren Beiträgen zur allgemeinen Gewaltforschung, eher als in ihrer Relevanz für den Fall häuslicher Gewalt. Ad 2) Sozialpsychologische Theorien hingegen fokussieren die Beziehungen zwischen Individuen (Opfern/TäterInnen) und Gruppen (Familie) sowie interper-
Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss
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sonale Faktoren wie Stress, Interaktionsmuster und Lerngeschichten. Zu diesen Modellen gehören – nach Habermehl (1989:90) – stresstheoretische Ansätze, Attributionstheorie (Hotaling/Straus 1980), die Theorie von der Lerngeschichte der Gewalt sowie jene der Statusinkonsistenz und Statusinkompatibilität (Hornung 1981) und die Ressourcentheorie (Goode 1971). Die Stressfaktoren, wie sie die Attributionstheorie (Hotaling/Straus 1980) empirisch nachgewiesen hat, waren die ersten Forschungsergebnisse, welche eine Abkehr von normativ gesetzten „gesunden und kranken individuellen Einflussvariablen“ ermöglichten. Folgende Faktorengruppen, die seit 1980 zunehmend differenziert und weiterentwickelt worden sind, lassen sich an dieser Stelle zusammenfassend darstellen: 1. Ein Zusammenhang, der empirisch als nachgewiesen gilt, ist der zwischen der Gewaltbereitschaft von Eltern sowie PartnerInnen und die in ihre Interaktionen und Beziehungen einfließende eigene Sozialisationserfahrung (Gelles 1995:465). Mit dem Begriff des „Cycle of Violence“ wurde dieses Phänomen folgendermaßen beschrieben: „Evidence from studies of parental and marital violence indicate that, while experiencing violence in one’s family of origin is often correlated with later violent behaviour, such experience is not the sole determining factor. When the cycle of violence occurs, it is likely the result of a complex set of social and psychological process. The continuation of a pattern of violence is most likely among those individuals who do not receive emotional support from an adult during childhood (..).” (ebd.)
Gewalt in der eigenen Kindheit erfahren zu haben, erhöht die Wahrscheinlichkeit, selbst TäterIn zu werden. Ähnliche Korrelationen existieren zwischen den Gewalterfahrungen von Mädchen in der Kindheit und der Wahrscheinlichkeit, als erwachsene Frauen Opfer von Gewalttätigkeit zu werden (Schwind/Winter 1990:89). 2. Eine statistische Korrelation besteht auch zwischen belastenden Lebensumständen wie sozioökonomischer Armut, Arbeitslosigkeit, schlechten Berufschancen, einer großen Kinderzahl und elterlichen sowie partnerschaftlichen gewaltvollen Auseinandersetzungen (Gelles 1995:464).
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Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
3.
Dennoch ist Gewalt im sozialen Nahraum kein Spezifikum eines niedrigen sozialen Status (Steinmetz 1971, 1974 sowie Straus/Hotaling 1977 zitiert nach Honig 1992:74). Der Faktor soziale Isolation der Familie sowie soziale Desintegration in der sie umgebenden Gemeinschaft spielt eine besondere Rolle bei der Erklärung häuslicher Gewalt. Insbesondere die Rekrutierung von Hilfsund Unterstützungsleistungen ist maßgeblich vom Ausmaß sozialer Einbindung beeinflusst. „People who are socially isolated from neighbours and relatives are more likely to be violent towards spouses and children. One major source of stress reduction and an insulator to Family Violence is being able to call on friends and family for help, aid and assistance. The more a family is integrated into the community, the more groups and associations they belong to, the less likely they are to be violent.” (Gelles 1995:464)
Die Vielzahl materieller und sozialer Probleme begünstigt nicht nur das Auftreten von Konflikten in Familien, sondern potenziert das Auftreten derselben, wenn eine Abgeschnittenheit von äußerer Hilfe besteht (Schneider 1990:531). Darüber hinaus ist die Familie, welche kaum engere Kontakte nach außen hat, der informellen sozialen Kontrolle entzogen. Demgemäß sind Familien insbesondere dann verletzlich gegenüber Stresssituationen, wenn infolge hoher Mobilität und der Verluste von sozialen Netzwerken “Support Systems“ ( Honig 1986:75) verloren gehen. 4. Goode (1971) sieht in der ideologisch gefärbten Vorstellung vom „Schonraum Familie“ den zentralen Nährboden für Stress. Mit der normativen Überhöhung steigen auch die Erwartungen an die PartnerInnen sowie an die Kinder bei einer gleichzeitig hohen Enttäuschbarkeit der Familienmitglieder. Aus diesen Faktoren resultiert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Familie, eine emotional-soziale Überforderungssituation zu erleben.
Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss
5.
87
Die hohe Stressanfälligkeit von Familie ist – so Habermehl (1989:114) – auch entscheidend beeinflusst vom familialen Zusammenleben auf engem Raum. Die Durchsetzung sowie Einhaltung von Regeln des Zusammenlebens ist auch mitbestimmt durch den Faktor des Machtungleichgewichts (Frau-Mann, Kind-Eltern): „Konflikte und auch Enttäuschungen entstehen ebenso bei dem Versuch der Durchsetzung eigener Interessen gegen die Wünsche eines anderen, wobei die Durchsetzung eigener Interessen häufig an dem Recht des >Stärkeren< scheitert, das Verhalten des >Untergeordneten< zu beeinflussen“ (Habermehl 1989:114).
6.
7.
Das Machtungleichgewicht zwischen Mann und Frau und Eltern und Kindern ist ein zentraler Stressfaktor, indem „die eine Gruppe ein Recht besitzt und die andere Gruppe aufgrund des Machtunterschiedes die Fähigkeit hat, sich ein Recht zu nehmen“ (ebd.). Wie Schneider (1990:532) feststellt, gesellen sich zu den traditionellen Unterschieden in der Definition von Geschlechterrollen, welche zentrale Stressfaktoren in der familiären Interaktion darstellen, noch nicht voll ausgeprägte und anerkannte emanzipatorische Vorstellungen hinzu, welche die Orientierung für einzelne mitunter erschweren. In Anlehnung an Goode (1971) führt Schneider (ebd.) aus, dass das Risiko/Gefahrenpotential in dieser anomischen Übergangsphase zu neuen Rollenbildern darin besteht, dass immer noch durch die Erziehung überlieferte Dominanzerwartungen an den Mann bestehen. Gleichzeitig fallen aber – infolge von gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozessen – Männern nicht mehr notwendigerweise die überlegenen wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen (Bildung, Beruf, Einkommen etc.) zu, welche diese Ansprüche rechtfertigen können. Gewalt stellt in diesem interaktionellen Zusammenhang vielfach das „letzte erlernte Mittel“ (ebd.) dar, um Machtansprüche durchsetzen zu können. Überhöhte Erwartung an den „Schonraum“ Familie ist auch, dass er zur Bewältigung außenverursachter Stressoren (Schule, Arbeitsleben) bei-
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Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
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tragen und für diese emotionalen Ausgleich schaffen soll (vgl. Habermehl 1989:113). Einen zentralen Stressor stellt die unkündbare Mitgliedschaft von „Familie“ dar. Geburt und Tod regeln – in der normativen Vorstellung – den Weggang; ein Verlassen der Familie durch eine PartnerIn ist mit erheblichen Kosten/erheblichem Einsatz verbunden, für ein minderjähriges Kind ist eine „Kündigung“ der Mitgliedschaft de facto unmöglich, „was dazu führt, dass nicht nur harmonische, funktionierende, sondern auch disharmonische Familie bestehen bleiben“ (ebd., 114).
Ad 3) Soziokulturelle und soziostrukturelle Theorien stellen die oben genannten Faktoren in einen Zusammenhang mit allgemeinen soziokulturellen Normen und Werten einer Gesellschaft. Erster Vertreter eines solchen Modells war Gil (1979:362), der in den 70ern extrafamiliale Bedingungen analysierte54 und auf dessen Grundlage sein theoretisches Modell entwickelte. Dieses zielt ab auf gesellschaftsstrukturelle Ursachen von familiärer Gewalt. „Stress“ ist bei Gil (ebd.) immer in Zusammenhang zu sehen mit gesellschaftlicher Diskriminierung und sozialer Frustration (Arbeitsplatzverlust, materielle Benachteiligung, Zukunftslosigkeit), wobei Gil (ebd.) deklassierte soziale Schichten vermehrt ins Auge fasst. Die Unterscheidung in Schichtzugehörigkeit und Stress verdeutlicht aber, dass Gewalt in Familien kein Unterschichtsphänomen ist, genauso wenig wie es per se ein pathologisches Phänomen ist. Das A priori der individuellen Gewalthandlung ist bei ihm die strukturelle Gewalt von Gesellschaft, nicht das Motiv der Tat bzw. das Erscheinungsbild derselben. Auf Ebene der familialen Lebensverhältnisse geht es bei Gil (1979) um unterschiedliche Belastungen, unterschiedliche Lebensverhältnisse und unterschiedliche Motive, die mit Gewalttätigkeiten einhergehen. Gewalttätigkeit ist 54
Hinter Gils theoretischem Erklärungsmodell steht folgendes, von Gelles (1995:455) beschriebenes empirisches Design: „In 1967, David Gil (1970) conducted a nationwide inventory of reported cases of child abuse (before, however, all 50 states had enacted mandatory reporting laws.). He found 6,000 confirmed cases of child abuse. Gil also used a self-reported survey to estimate that between 2.53 and 4.07 million children were abused each year.“
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also eines von vielen unterschiedlichen Mitteln, um Frustrationen auszudrücken. Auch existieren unterschiedliche Erscheinungsformen von Gewalt, die nicht mehr unbedingt an eindeutigen Handlungskonsequenzen zu erkennen sind (Honig 1986:65). Bezugspunkt häuslicher Gewalt ist demgemäß der ihr zugrunde liegende Konflikt bzw. die der familiären Gruppe zugrunde liegende Macht- und Ungleichheitsstruktur. Damit ist Familie nicht mehr „lediglich ein Ort, wie andere Orte in der Gesellschaft; ist auch nicht lediglich ein Filter äußerer Einflüsse oder ein unter dem Druck von Armut leicht zu beschädigendes soziales Gefüge, (…) sondern sie ist gerade als Ausgleich gesellschaftlicher Entfremdung selber ein Ort dieser Entfremdung.“ (Honig 1986:65)
Kulturelle Normen, welche Gewalt in der Familie zulassen, werden auch bei Straus/Hotaling (1977) als „Schlüsselverbindung zwischen der Konflikt- und der Gewaltanfälligkeit der Familie“ betrachtet. So gelangen auch Bergdoll/ Namgalies-Treichler (1987:44) zu der Auffassung, dass die Ausprägung der Gemeinschaften innewohnenden sozialen Normen jeweils bestimmen, ob und inwieweit Gewalt in der Familie geduldet wird bzw. beispielsweise diese den Frauen als Versagen zugerechnet wird. Normen, welche Gemeinschaften beherrschen, sind vielfach die „gewaltverursachenden und -tragenden Gerüste“ (ebd.).55 Die genannten theoretischen Trennlinien umreißen den Diskurs um die Ursachen „familiärer Gewalt“ in empirischer Forschung sowie theoretischer Analyse. Festzuhalten ist, dass sich die VertreterInnen der unterschiedlichen Schulen und Forschungstraditionen zum Teil „unversöhnlich“ (Lamnek/Ottermann 2003:44) gegenüberstehen, nicht nur, was die Erklärung häuslicher Gewalt anlangt, sondern auch, was die begriffliche Festlegung selbst betrifft. Es existiert kein einheitlicher Begriff der Gewalt in der Familie oder deren Unterformen (Schneider 1990:506). Mit Honig (1992:369) zum Ausdruck gebracht, liegt es am Begriff der Gewalt in seiner soziohistorischen Ausprägung 55
Die in Kapitel 2 angeführte chronologische Auflistung legistischer Änderungen verdeutlicht die normative Wirkung staatlicher Maßnahmen häuslicher Gewalt und ihre Entwicklung bis in die jüngere Vergangenheit. So war bis 1989 die Strafwürdigkeit von „Vergewaltigung“ innerhalb der Ehe eine andere als außerhalb der Ehe.
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selbst, warum dieser methodisch nicht zur Klassifizierung objektiver Verhaltensmerkmale geeignet ist, sondern insgesamt als Unwert-Urteil reflektiert werden muss. „Der Terminus >Gewalt in Familien< ist eine Metapher der Instanzen sozialer Kontrolle für spezifische Erscheinungsformen der Dialektik von Intimität und Macht unter den Bedingungen geschlechter- und generationenhierarchischer Abhängigkeitsverhältnisse“ (ebd.).
Was aber unter Gewalt im sozialen Nahraum, häuslicher oder familiärer Gewalt verstanden wird, hat nicht nur grundlegende Bedeutung für die Ermittlung und Darstellung von Häufigkeiten, gesellschaftlicher Verteilung und Erscheinungsformen, sondern insbesondere auch für die Entwicklung problembezogener Vorbeugungsprogramme.
3.3.1
Unterschiede im Begriffsverständnis
Schneider (1990:507) hält fest: „Wegen der Uneinheitlichkeit des Begriffsverständnisses ist es schwierig, vergleichbare Daten über ihre Verbreitung zu erhalten. Ob familiäre Gewaltanwendung als Problem weniger, in ihrer Persönlichkeit gestörter Täter oder sozial unterprivilegierter Familien angesehen wird oder als gesellschaftliches Massenphänomen, das aus gängigen sozialen Normen und familienspezifischen Interaktionsmustern oder aus einem alters- und geschlechtsspezifischen Machtgefüge erklärt wird, hängt von der Reichweite und Struktur des betrachteten Verhaltens ab. Die Ursachenanalyse ihrerseits bestimmt die Entwicklung und Auswahl von Vorbeugungs- und Behandlungsmaßnahmen.“
Neben sehr engen Gewaltkonzepten, die bei der begrifflichen Eingrenzung der Gewalt gegen Kinder vor dem Hintergrund eines juristisch oder medizinisch geprägten Problemverständnisses nur intensive Verletzungshandlungen oder die Verursachung schwerer körperlicher Schäden als Misshandlung gelten lassen, finden sich sehr weite Definitionen, die über körperliche Beeinträchtigungen
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hinaus auch die Zufügung seelischer Verletzungen, sexuelle Angriffe56 und die Vernachlässigung von Kindern umfassen. Bei Lamnek/Ottermann (2003:93) findet sich folgende begriffliche Festlegung von häuslicher Gewalt: „Häusliche Gewalt bezieht sich auf Gewalt unter Personen, die intim oder eng verwandt sind und ständig oder zyklisch zusammen wohn(t)en. Folgende Ausrichtungen (.) können dabei in Betracht gezogen werden: 1. Partnergewalt (.), 2. Eltern-Kind-Gewalt, 3. Geschwistergewalt (.), 4. Kind-Eltern-Gewalt (.).“
Kury/Obergfell-Fuchs (2005:18) halten fest, dass eine präzise Bestimmung und Eingrenzung von Gewalt in der Familie bislang nicht gelungen ist, weil die Definitionen von Gewalt nicht nur von gesellschaftlichen Wertvorstellungen, soziostrukturellen und kulturellen Bedingungen und deren Wandel abhängen, sondern ganz entscheidend auch vom jeweiligen Blickwinkel und den Interessen des Definierenden selbst. Damit ist die Begriffsbestimmung nicht zuletzt „eine Frage der Perspektive, der wissenschaftlichen Disziplin und der Zweckmäßigkeit“ (Schweikert 2000:39). Vielfach wird bei der Abbildung empirischer Untersuchungen auf begriffliche Festlegung57 insgesamt verzichtet und ohne vorhergehende Einschränkung mit Bezug auf vorliegende Studien58 gearbeitet. 56
So wird beispielsweise der sexuelle Missbrauch – als Unterform häuslicher Gewalt – nach Finkelhor/Yllö (1985:27 zitiert nach Honig 1992:378) definiert als der „Gebrauch eines Kindes durch einen Erwachsenen oder eine wesentlich ältere Person zum Zweck der eigenen sexuellen Befriedigung.“ Kavemann und Lohstötter (1984:10 zitiert nach Honig 1992:378) verstehen unter sexuellem Missbrauch all das, „was einem Mädchen vermittelt, dass es nicht als Mensch interessant und wichtig ist, sondern dass Männer frei über es verfügen dürfen; dass es durch seine Reduzierung zum Sexualobjekt Bedeutung erlangt.“ (siehe dazu auch Kapitel 2.1.1 Diskurse zu „Family Violence“) 57 So nimmt beispielsweise Bolen (2003:220) keine begriffliche Klärung vor, ähnlich wie Smithey/Straus (2003:239) den Begriff „physical assault“ selbstredend voraussetzen. 58 „Child Abuse remains one of the most prevalent, persistent, and underreported crimes in the United States and in other industrialized countries. Since the 1980s, reviews of random prevalence studies have suggested that 5 % to 13 % of males and 20 % to 33 % of females are sexually abused in childhood (Bolen 2001, Finkelhor 1994). These prevalence estimates continue to be supported by random, rigorous surveys done in recent years (Gallup et al., 1995, Vogeltanz et al. 1999; Wyatt et al. 1999). Thus, the problem of child sexual abuse remains persistent and, it will be argued, apparently recalcitrant to implement prevention efforts.” (Bolen 2003:220)
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Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus „Die Bandbreite der jeweils verwendeten Gewaltbegriffe reicht von der Feststellung >Gewalt ist das, was eine Frau als Gewalt empfindet< über das Verständnis von Gewalt als der ganzen >Breite von Handlungen oder Handlungszusammenhängen (.) durch die Frauen in ihrer psychischen oder physischen Integrität und in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden< (Schweikert 2000:69) bis zur Einschränkung der Gewalt auf – nach jetzigem Recht – kriminalisierte und eindeutig strafbare Handlungen“ (Kury/Obergfell-Fuchs 2005:20).
Die skizzierten Probleme bei der begrifflichen Festlegung haben zu einer weitgehend pragmatischen Vorstellung darüber geführt, was den Phänomenen „häuslicher Gewalt“ an vorbeugenden Maßnahmen unmittelbar entgegengesetzt werden kann (Honig 1992:29). Abseits von allen vielfältigen Begriffsbestimmungen und Erklärungsansätzen hat sich das psychopathologische Modell der Betrachtung von Gewalt im sozialen Nahraum insofern als dominierendes durchgesetzt, weil es das Phänomen als quasi- isolierbares Verhalten behandelt, das „unter Kontrolle gebracht, beseitigt oder geheilt werden kann“ (ebd.). Die innerhalb des psychopathologischen Erklärungsmodells existierenden Kontrolltechniken isolieren Gefährdung „vorab“, indem sie „Risikopopulationen“ festmachen. Entgegen allen Wissens um die Relevanz von nicht-pathologisch determinierbaren Faktoren familialer Gewalt dominieren diese den deutschsprachigen Diskurs weitgehend. Jüngere Befunde als jene von Honig (ebd.) kommen zu einem ähnlichen Schluss (vgl. Cicek et al. 2001, vgl. Lamnek/Ottermann 2003). Gewaltbegriffe, welche komplexe soziohistorische und -dynamische Phänomene ins Zentrum rücken, realisieren andere Präventionsansätze als solche, die sich auf die Ausmerzung abweichenden Verhaltens im Sinne von Behandlung beziehen bzw. die Gesamtpopulation als Pool von potentiellen RisikoträgerInnen (Opfern wie TäterInnen) ins Auge fassen. Wählt man einen weiten Gewaltbegriff, der Spielraum lässt für komplexe soziohistorische und -dynamische Phänomene (Galtung 1975), und der auf Zusammenhänge zwischen struktureller sozialer/gesellschaftlicher Gewalt und familiärer Gewalt abzielt, kann die Vorbeugung auch bei strukturellen auslösenden Ursachen im Sinne von Goode (1971) ansetzen.
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Somit macht auch die Familiy-Violence-Forschung deutlich, dass anstelle spezifischer Präventionsstrategien zur Veränderung der Inzidenz-Raten von häuslicher Gewalt eher unspezifische, vorsorgende Hilfen dem Phänomen in seiner Komplexität gerecht werden. Was Godenzi (1994:320) in Gestalt von „Non-SpecificGuidelines“ durch den Diskurs der Familiy-Violence-Forschung abbildet, meint, dass sich erst auf Grundlage eines weiten Gewaltbegriffs Prämissen der „Guiding Principles“ darstellen lassen. Godenzi (ebd.) kritisiert den Präventionismus nicht explizit, schreibt aber anstelle von präventiven Maßnahmen von realisierten „guiding courses of action”, „adopted and pursued by societies and their governments as well as institutions, (.) designed to influence (.) a) the quality of life in that society b) the nature of intrasocietal relationships among individuals, groups and society as a whole.”
Was er fordert, ist eine entschiedenere Position der Sozialwissenschaften, die sowohl Politik wie auch Öffentlichkeit bezüglich Lösungswege berät und sich aktiv in die Debatte einbringt. Ein Zusammenwirken zwischen Theorie, Forschung und Öffentlichkeit sowie politischen Institutionen, Selbsthilfeorganisationen ist erforderlich, was durch die Übersetzungsarbeit von Sozialen Diensten geleistet werden kann – so der Autor. Auch aus kriminologischer Perspektive (Cremer-Schäfer 1995:313) wird eine gleichlautende Forderung formuliert. Es geht um ein Mehr an differenzierter Forschung zu kriminalpolitischen Strategien und Maßnahmen. Die Kriminologie müsse mit ihren empirisch abgesicherten Wissensbeständen die Kriminalpolitik anleiten, damit diese sich zunehmend als eigenständiger Politikbereich definiert, der zuständig ist für das „Regeln von Konflikten, die Kompensation von Schadensereignissen und die Bereinigung schwieriger und belastender Lebenssituationen“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund sind die nachstehenden Strategien der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt zu verstehen, die sich im Wesentlichen auf die bei Godenzi in seiner Metaanalyse zusammengefassten „Non-SpecificGuidelines and Courses“ und auf das Wissen um Vorsorge und unspezifische Hilfe beziehen.
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3.3.2
Strategien der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt
Für die gegenständliche Forschung richtungsweisend ist die Arbeit von Straus et al. (1987), welche mit Hilfe von Netzwerkperspektiven in der Familienarbeit festgestellt haben, dass „sich das Hilfesuchverhalten, je belastender Probleme werden und je enger sie mit der Familie zusammenhängen, immer stärker und ausschließlicher auf den eigenen Partner reduziert“ (ebd., 187). Das Fehlen der Erfahrung kollektiver Problembearbeitungsmuster führt vielfach zu einer generalisierten Skepsis gegenüber der Offenlegung familiärer Probleme. Dieser Befund soll an dieser Stelle nicht in Zweifel gezogen werde. Ergänzt wird er in diesem Kapitel mit jenen Consistent Findings, die Godenzi (1996) als „Non Specific Guidelines“ zusammengefasst hat bzw. die im aktuellen Diskurs der Family Violence Forschung geltend gemacht werden.
3.3.3
Beseitigung von Geschlechterasymmetrien
Als zentral gelten jene Ansätze, welche sich mit der Beseitigung von Geschlechterasymmetrien auseinandersetzen. Eine sexistische Gesellschaftsorganisation und die Niedrigstellung der weiblichen Geschlechtsrolle sind wesentliche Bedingungen für Gewalttätigkeiten und Übergriffe im häuslichen Kontext. Maßnahmen, welche also die Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt fördern, sind in diesem Rahmen ebenso einzuordnen wie folgende soziostrukturelle Themen, die von Godenzi (1996:329) als unterstützend genannt werden. Dazu zählen x
umfassende Entlastungen im Privatbereich (z.B.: vermehrte Angebote außerhäuslicher Kinderbetreuung),
x
der Verzicht auf Objektivierungen des Weiblichen (z.B. die Darstellung von Frauen als ausschließlich und quasi-natürlich für Kinderbetreuung zuständig),
x
die Infragestellung und Neubewertung weiblicher und männlicher Attribute und Handlungsbereiche,
Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss
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x
alternative Erwerbsangebote,
x
diverse Qualifizierungsoptionen in beruflicher Hinsicht genauso wie der Ausbau von Karrierechancen.
Gelles/Straus (1990:139) erheben an dieser Stelle folgende handlungsanleitende Forderung: “Change the sexist character of society. Sexual inequality, perhaps more than economic inequality, makes violence possible in homes. The elimination of men’s work and women’s work would be a major step toward equality in and out of the home.”
3.3.4
Schaffung normverdeutlichender Grundlagen
Die rechtsstaatliche Missbilligung des über die Jahrhunderte überlieferten und generierten Recht des Mannes zur Züchtigung von Frau und Kind bzw. der Züchtigung von Kindern durch ihre Eltern in Form eines gesetzlichen Verbots jeglicher interpersonaler Gewaltausübung bildet die Grundbedingung für alle vorsorgenden und helfenden Maßnahmen. Unumstritten ist die Signalwirkung dieser Verdeutlichung („keine Gewalt!“) für die Gesamtpopulation eines sozialen Raumes (vgl. Schwind/Winter 1990:183, Gelles/Cornell 1990). “Eliminate the norms that legalize and glorify violence in the society and the family. The elimination of spanking as a child-rearing technique, the promotion of gun control to get deadly weapons out of the home, the elimination of corporal punishment in school and the death penalty, and an elimination of media violence that glorifies and legitimatizes violence are all necessary steps. In short, we need to cancel the hitting license in society” (Gelles/Cornell 1990:139).
3.3.5
Abfederung sozioökonomischer Deprivationen
Dass sozioökonomisch benachteiligte Personen besonders gefährdet sind, TäterInnen bzw. Opfer von Gewalthandlungen zu werden, gilt als widerlegt (vgl.
96
Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
Schwind/Winter 1990, Schneider 1990, Honig 1992). Dennoch stellt die Abfederung ökonomischer Deprivation die zentrale vorsorgende Intervention dar, weil Armut und materielle Deprivation zu jenen Faktoren gehören, welche „eine konstruktive Auseinandersetzung mit den in sozialen Gruppen entstehenden Konfliktsituationen erschweren“ (Godenzi 1996:331). Sozialer Ausschluss kinderreicher Familien am Arbeits- und Wohnungsmarkt, die Diskriminierung von Hausarbeit und Mutterrolle sowie die materielle Schlechterstellung von Familien mit Kindern gegenüber Familien ohne Kindern gilt in der Austausch- und Ressourcen-Theorie (vgl. dazu Goode 1971, näher dazu Hotaling/Straus 1980) als zentraler Stressfaktor.
3.3.6
Stärkung des sozialen Netzwerkes
In der Stärkung des sozialen Netzwerkes insgesamt liegt nach Godenzi (1994:331) die zentrale vorsorgende Größe. Sie schafft Abhilfe bei Belastungen und mindert – so der Autor – gewalttätige Übergriffe in Intensität und Häufigkeit. Als grundlegend für sämtliche Hilfsmaßnahmen bei häuslicher Gewalt definieren Schwind (1998:183) die Schaffung von gemeindebezogenen lokalen Initiativen, welche problembelastete Familien unterstützen. Insbesondere die Kommunen, Kirchen und freien Wohlfahrtsverbände sind an dieser Stelle gefordert, sich mit den strukturellen sowie alltäglichen Problemen von Familien auseinanderzusetzen. Gleichzeitig stellen die AutorInnen aber fest, dass diese Unterstützungsformen insgesamt eher zivilgesellschaftlich dominiert sein sollten. Folgende Komponenten der Vorsorge werden rezipiert: Es geht um eine (Wieder-)Einbindung in ein verwandtschaftliches Netz, eine alternative Wohnpolitik genauso wie eine veränderte Kinder- und Altenbetreuungspraxis. Diese gelten als geeignet, um „Selbsthilfe“ entstehen zu lassen. Ein vergrößertes soziales Netz sowie aktive Mitgliedschaften stellen ebenso entlastende Hilfen dar, sofern diese nicht wieder Geschlechtsasymmetrien und Geschlechterdifferenzen betonen und reproduzieren. Gelles/Straus (1990:139) fordern an dieser Stelle: „Inte-
Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss
97
grate families into a network of kind and community. Reducing social isolation would be a significant step to reduce stress and increase the abilities of families to manage stress.” Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt setzt an bei sozialpolitischen Maßnahmen auf lokaler Ebene bzw. in kommunalen Feldern und rekurriert auf ungenütztes Sozialkapital – wie dies auch die Deutsche Gewaltkommission zum Ausdruck bringt (vgl. Schwind/Winter 1990:183). Das Spektrum ungenützter Handlungsspielräume durch bislang ungenütztes „Nachbarschaftspotential“ (ebd.) gilt als richtungsweisend. Darüber hinaus ermöglichen Netzwerke nicht nur Unterstützung bei reproduktiven Aufgaben, sondern ermöglichen auch eine stärkere soziale Kontrolle, die bei der Verhinderung von Gewalt eine bedeutende Rolle spielt (Godenzi 1996:333).
3.3.7
Ausbau und Koordination öffentlich wirksamer Unterstützungsnetze
Über gezielte gemeinwesenorientierte Maßnahmen hinausgehend fordern die AutorInnen der Deutschen Gewaltkommission (Schwind/Winter 1990:187) verstärkte soziale Unterstützungssysteme als Netze von formellen (wohlfahrtsstaatlichen) sowie informellen Hilfeleistungen, welche verhindern sollen, dass innerfamiliäre Konflikte zu „misshandlungsrelevanten Formen“ (ebd.) eskalieren. Diese Netzwerke stellen idealtypische Nahtstellen zu klinischen Einrichtungen auf kommunaler sowie auf föderaler Ebene dar und basieren auf einer fundierten Analyse des regional-lokalen Bedarfs. Weiters geht es um eine ausreichende Förderung von Frauenhäusern, von Selbsthilfegruppen und lokal agierenden Frauenberatungseinrichtungen als Grundbedingung für Vorsorge und Hilfe jeder Art. Eine Guideline, die sich quer über die Arbeiten aus der Family-ViolenceForschung erstreckt, ist die Forderung nach der Schaffung verbindlicher Kooperationsstrukturen zwischen Hilfsorganisationen und Polizei, weil diese – ähnlich wie die oben angeführten legistischen Maßnahmen – nicht nur die bestehenden
98
Gewalt im sozialen Nahraum – der Präventionismus
Interventionen effektivieren, sondern eine normverdeutlichende Wirkung auf die Gesamtbevölkerung ausüben. Gerade von der Existenz von Krisen- und Hilfseinrichtungen, von kooperierenden Netzwerkstrukturen gehen öffentliche Signale gegen gewalttätiges Handeln aus.
3.3.8
Verbesserung von Aufklärung und Erziehung
Eine weitere zentrale Guideline der Vorsorge stellen Aufklärung und Erziehung dar. Sie bildet auch die am häufigsten angewandte Intervention, die sich in der Regel an die Zielgruppen der Kinder, Jugendlichen, Eltern und Erziehungsberechtigten sowie der in Erziehungsberufen Tätigen richtet. Eine Bandbreite an spezifischen sowie unspezifischen Aufklärungsprogrammen existiert, so Godenzi (1996: 334) in seiner Metaanalyse. Er stellt aber fest, dass entsprechende Longitudinalstudien, welche den Effekt spezifischer Interventionen über Jahre hinaus verorten könnten, fehlen. Der Autor streicht kritisch hervor, dass insbesondere im angloamerikanischen Raum der Großteil der finanziellen Mittel in Maßnahmen der Aufklärung und Erziehung fließen, während Ansätze und Modelle, welche auf die Beseitigung von Geschlechterasymmetrien, die Abfederung sozioökonomischer Deprivationen oder aber die Stärkung lokaler Netzwerke ausgerichtet sind, bislang weitgehend ausgeblieben sind. Insofern wird das Bild von Risikogruppen und Störungsbildern aufrechterhalten und Vorsorgearbeit wirkt „systemstabilisierend“ (ebd.). Die „Non Specific Guidelines“ einer Vorsorge bzw. Prävention bei häuslicher Gewalt, wie sie Godenzi (1996, 1994) entwirft und wie sie oben dargestellt wurden, decken sich weitgehend mit jenen Befunden, welche sich im Bericht der Deutschen Gewaltkommission sowie in den einschlägigen Arbeiten der Family Violence Forschung wiederfinden. Ob und inwieweit sich das dargestellte Wissen als anschlussfähig an den kriminologischen Fachdiskurs sowie an sozialraumspezifisches Wissen (beispielsweise in Gestalt des so genannten NeoSozialen Präventionismus) erweist, in welchem die Verhinderung interpersonaler
Theoretische Modelle zur Gewalt im sozialen Nahraum – ein Aufriss
99
Gewalt nur eine „unter mehreren erhofften Konsequenzen“ (Godenzi 1996:326) ist, bildet den Gegenstand des nun folgenden Kapitels. Im Rahmen des nun folgenden Kapitels ist der Präventionsbegriff als analytische Kategorie zu verstehen, die sich aus dem Gegenstandsbereich der Kriminologie nicht aussparen lässt. Auch wenn er beispielsweise bei Steinert (1995) durchgehend unter Anführungszeichen genannt oder bei Lehne (2002) insgesamt in Frage gestellt wird, erscheint er für die Klärung genuin kriminalpolitischer Fragen als unerlässlich. Im inhaltlichen Bogen der gegenständlichen Arbeit insgesamt, der am Gewaltdiskurs der Family-Violence-Forschung, an Theorien sozialer Hilfe sowie an kriminologischen Wissensbeständen gleichermaßen orientiert ist, geht es hingegen um die Ziele und Funktionen einer sozialen Vorsorge, wie sie auch von TheoretikerInnen sozialer Hilfe beschrieben wurden.
4
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Bevor die Anschlussfähigkeit von kommunaler Kriminalprävention an Strategien der Vorsorge bei häuslicher Gewalt unter Bezugnahme auf die Fachdiskurse überprüft wird, geht es in einem ersten Schritt um eine skizzenhafte Darstellung des Modells in seinen chancenreichen und problematischen Komponenten. So ist die Installierung von kommunaler Kriminalprävention seit den frühen 80ern in Mitteleuropa in Zusammenhang zu sehen mit den Veränderungen der „kriminalpolitischen Großwetterlage“ und den Arbeiten des Left Realism (vgl. dazu Czapska/Stangl 2007:49; Young 1992:47). Auch die kriminalpolitischen Empfehlungen des Europarates aus dem Jahr 1987 (Hornbostel 1998:94) weisen jene kriminalpolitischen Strategien als förderungswürdig aus, welche auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene die Präventionsbemühungen der Polizei mit denen anderer öffentlicher und privater Einrichtungen zu koordinieren versuchen. Die Installierung so genannter „Präventionsräte“ auf kommunaler Ebene in allen deutschen Bundesländern (1990-1998) erfolgte zum Teil in Anlehnung an die Neighbourhood Watch Programme aus den USA, England, den Niederlanden und den Skandinavischen Ländern (ebd.). So wurde in den Niederlanden im Jahr 1999 das Präventionsprogramm „Communities That Care“ unter der Federführung des Justizministeriums initiiert, bei dem auf der Basis kriminologischer Erkenntnisse Gemeinden befähigt werden sollten, einen Prozess der kommunalen Kriminalprävention für die vor Ort vorfindbaren Probleme einzuleiten. Seit den 1980er Jahren und insbesondere nach dem Erlass des "Crime and Disorder Act“ durch das Home Office im Jahr 1997 wurde in Großbritannien bereits besonderer Wert auf lokale Zusammenarbeit in „Community Safety“-Projekten gelegt, in welchen die Kommunalverwaltungen sich verpflichten mussten, Sicherheitspart-
102
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
nerschaften einzusetzen, um gemeinsam mit VertreterInnen der Polizei, Stadtplanung und -architektur, Jugendvereinen und Schulen sowie der Sozialarbeit und Bewährungshilfe problemorientierte Präventionsmaßnahmen zu erarbeiten. Das „Safer Cities Programme“ umfasste 3.600 Initiativen in insgesamt 20 Regionen Englands. Auch von der Europäischen Union wurde Sicherheitsforschung forciert, indem seit dem Jahr 2006 Forschungsförderungen als „vorbereitende Maßnahmen in Hinblick auf die Einrichtung eines umfassenden themenspezifischen Programms mit 2007“ (PASR) ausgeschrieben wurden. Ein Schwerpunkt liegt dabei unter anderem auf der Vernetzung verschiedener Einrichtungen zur Verbesserung des Situationsbewusstseins bei der Verbrechensbekämpfung. Wie im Laufe des gegenständlichen Kapitels deutlich gemacht wird, geht es bei kommunaler Kriminalprävention und den darunter zusammengefassten Modellen um Kriminalprävention insgesamt und nicht um ein genuin für den Phänomenbereich häuslicher Gewalt entwickeltes Konzept. Die Zahl jener Programme, die sich unter anderem oder vorwiegend der Vorbeugung häuslichen Gewalt widmen, ist als relativ gering auszuweisen. Was sich allerdings in der Vielzahl an Projekten findet, ist deren grundlegender Anspruch, gesellschaftsverändernde, „Humankapital fördernde Effekte“ (vgl. Lindenberger/Ziegler 2005) zu erzielen. In weiterer Folge wird auf die in Deutschland verwirklichten Modelle kommunaler Kriminalprävention sowie auf den diesbezüglichen kriminologischen Fachdiskurs eingegangen um die gegenständliche Bearbeitung zu fokussieren.
4.1
Kommunale Kriminalprävention in Deutschland
Strafrechtlich betrachtet, gehören die Ansatzpunkte und Modelle kommunaler Kriminalprävention dem präventiven Teil der Verbrechensbekämpfung an. Sie sind also immer in ein Verhältnis mit repressiven Strategien zu bringen und haben – ausgehend von Großbritannien und den Niederlanden – auch in Deutsch-
Kommunale Kriminalprävention in Deutschland
103
land einen beachtlichen Status gewonnen (Volkmann 2002:14). Die Summe der Programme und Projekte gilt als enorm und als „unüberschaubar“ sowie als thematisch und methodisch äußerst vielfältig (ebd.). So stellt auch Lehne (2005:53) eine „Gründungsflut“ von Projekten der kommunalen Kriminalprävention seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland fest und fasst zusammen, dass präventive Reaktionen sowie situative Ansätze59, Multi-Agency-Programme60 und allgemeine Maßnahmen zur Responsibilisierung dabei zunehmend an Bedeutung gewinnen. Als Gemeinsamkeit der vielen verschiedenen Präventionsmaßnahmen61 in Deutschland ist deren Zielsetzung auszumachen, die vorwiegend darin besteht, dass sie Kriminalität in Zukunft verhindern bzw. reduzieren möchte. „Die Maßnahmen reichen von wohlfahrtsstaatlichen kompetenz- und entwicklungsfördernden oder auch unterstützenden Angeboten, über repressive Ansätze (Erhöhung der Kontrolle, des Entdeckungs- und Bestrafungsrisikos etc.) bis hin zur technopräventiven Veränderung der Gelegenheitsstruktur (..). Und nicht selten besteht ein Präventionsprojekt schlicht darin, das die Zusammenarbeit verschiedener Akteure, etwa aus der Polizei, der Sozialarbeit und der lokalen Verwaltung, in Bezug auf bestimmte Sicherheitsprobleme verbessert werden soll.“ (Lehne 2002:55)
Die Bandbreite der unter dem Thema zusammengefassten Modelle und Initiativen wird deutlich, wenn man folgende Definition der Zentralen Geschäftsstelle polizeilicher Kriminalprävention der Länder und des Bundes ins Auge fasst:
59
Unter situativen Ansätzen fasst Stummvoll (2003a:100) in Anlehnung an Young (1994) die besonders pragmatischen, beinahe atheoretischen kriminalpräventiven Programme zusammen, die seit den 70ern in Großbritannien verwirklicht wurden. Es geht dabei vorwiegend darum, Kriminalität nicht ursächlich zu erklären, sondern vielmehr die situativen Gelegenheiten dafür zu reduzieren. Die Realisierung situativer Kriminalprävention erfolgt durch ganz verschiedene Strategien, wie zum Beispiel Maßnahmen zur Erhöhung der sozialen Kontrolle sowie solche des „Target hardenings“ (vgl. dazu näher ebd., 112). 60 Darunter sind grundsätzlich Ansätze der sozialpolitischen Kriminalprävention zu verstehen, die verschiedenste (wohlfahrts)staatliche AkteurInnen, RepräsentantInnen der Zivilgesellschaft sowie einzelne BürgerInnen auf lokaler Ebene vernetzt, um auf sozial-strukturelle Mangellagen zu reagieren (näher dazu Stummvoll 2003a:150-159). 61 Lehne (2005:56) behandelt in seinem Literaturbericht „Schlaglichter auf die aktuelle Debatte zum Thema Kriminalprävention“ die in Deutschland verwirklichten Modelle kommunaler Kriminalprävention und diskutiert anhand Kurys und Obergfell-Fuchs’ „Crime Prevention“ (2003) die Schwerpunkte und Strukturen des aktuellen Diskurses zum Thema Kriminalprävention.
104
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
„Kriminalprävention umfasst die Gesamtheit aller staatlichen und privaten Bemühungen, Programme und Maßnahmen, die Kriminalität als gesellschaftliches Phänomen oder als individuelles Ereignis verhüten, mindern oder in ihren Folgen gering halten soll.“ (ebd., 95).
Die nachstehende Zusammenfassung der als zentral diskutierten Charakteristika kommunaler Kriminalprävention führt an die wesentlichen Zielsetzungen der Projekte heran.
4.2
Humankapital fördernde Komponenten kommunaler Kriminalprävention
Der zum Teil sehr optimistisch geführte deutsche Diskurs über kommunale Kriminalprävention steht – so seine KritikerInnen – in Widerspruch zu den vielfach konstatierten aktuellen Tendenzen im „Politikfeld Kriminalität und öffentliche Sicherheit“ (Lehne 1998:113), welche von einer neuen Punitivität (Sack 2004:38) und von einem Strukturwandel im Bereich der sozialen Kontrolle sprechen. Diese Tendenzen lassen wenig Hinwendung zu den sozialen Ursachen bzw. den sozial- und gesellschaftspolitischen Lösungen im Sinne einer „New Criminology“ (vgl. Boogart/Seus 1991) bzw. eines Left Realism (vgl. Young 1992; vgl. dazu kritisch Peters 1997:60) erkennen. Vielmehr wird aus diesem Grund von einer „Präventionswiese“ gesprochen, die insbesondere in Deutschland den Ausläufer einer „pragmatischen sicherheitspolitischen Problemmanagement-Strategie“ (vgl. Lehne 1998:114) darstellt, welche nur darauf abzielt, die Probleme „irgendwie abzustellen und zu handhaben“ (ebd.). Vor diesem kontroversiellen Hintergrund werden im folgenden jene Tendenzen knapp diskutiert, die in der deutschen und angloamerikanischen Kriminologie als „chancenreich“ gelten, weil sie auf den Einsatz von Sozialkapital62 för62
Kriminologische Ansätze beziehen sich vielfach auf einen Begriff von Sozialkapital, wie er von Granovetter (1973:1361) in den Kategorien der „Weak Ties“ und der „Strong Ties“ entwickelt wurde. Dieser stellt zum einen die Qualität tendenziell offener Beziehungen („weak“) von AkteurInnen und zum anderen die solidaritätsstifenden Verhältnisse („strong“) ins Zentrum des Forschungsinteresses. „Vertikale sowie horizontale Strategien“ zu fördern, um die „Civil Society of
Humankapital fördernde Komponenten kommunaler Kriminalprävention
105
dernden Handlungs- und Entscheidungspraxen abzielen. Gemeinsam mit den im kriminologischen Fachdiskurs als „problematisch“ ausgewiesenen Komponenten bilden sie die Hintergrundmatrize für die Analyse der erhobenen Daten über vorhandenes Vorsorgewissen im ländlichen Raum Niederösterreichs.
4.2.1
Zivilgesellschaftliche Ausrichtung
Anders als in personenzentrierten Maßnahmen der Kriminalprävention, wo es vorrangig um medizinisch-pathologische Versuche der Beeinflussung von TäterInnen (und Opfern) und um die Bestimmung von so genannten individuellen Risikofaktoren und -populationen geht, spielen in der kommunalen Prävention zivilgesellschaftliche, kommunitaristische und kohäsive Prinzipien, welche die Solidarität im Gemeinwesen in den Vordergrund stellen, eine bedeutsame Rolle (vgl. Peters 1997; Young 2002; Hughes 2002; Czapska/Stangl 2007; Lindenberg/Ziegler 2005; Otto/Ziegler 2005) Als innovativ wird an diesen Maßnahmen die gesamtgesellschaftliche Reaktion auf „Unsicherheit“ und der Rückzug von staatlicher Politik und Verwaltung aus den inhaltlichen Fragen ausgewiesen. Idealtypisch gesprochen, vernetzen staatliche AkteurInnen in solchen Projekten kommunaler Prävention bestehende Ideen (z. B. Entwaffnung der Bevölkerung, Vorschläge zur Gestaltung von Wohnhausanlagen und Parks um Unsicherheiten zu reduzieren etc.) und existierende Initiativen miteinander, bringen andere relevante Gruppen zueinander in Kontakt und „begleiten sachkundig, unterstützen eventuell einzelne Projekte finanziell um überstürzte Staatsnachahmungen63 zu verhindern“ (Steinert 1995:409). Communities“, also die Bindekraft und die Austauschhäufigkeit individueller sowie kollektiver sozialer Netze insgesamt zu stärken (vgl. dazu näher Jansen 2000, Hughes 2002, vgl. dazu auch Rose 2000), sei der Auftrag an kriminalpolitische sowie wohlfahrtsstaatliche Initiativen. 63 Unter Staatsnachahmungen versteht der Autor alle Initiativen, die simple Kopien von Polizeiaktivitäten sind, die lediglich auf die Erhöhung von (sozialer) Kontrolle abzielen, ohne an den sicherheitsbedrohenden Lagen und deren Verursachung etwas Elementares zu verändern. Es geht – so der Autor – im Bereich kommunaler Prävention um eine Ausweitung von Zivilität und nicht um
106
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Wie Finkel (1995:416) hervorhebt, geht es dabei in der Regel auch um die Produktion von Sicherheit aus subjektorientierter Perspektive (vgl. dazu auch Lehne 1998:116). Insbesondere der Entstehung von subjektiven Unsicherheitsgefühlen soll durch lokale Projekte entgegengewirkt werden, weil aus kriminologischen Untersuchungen des städtischen Raums (vgl. dazu Sessar 1997; Herrmann/Sessar 2007; Breckner/Briccoli 2007) hervorgeht, dass die Entstehung von Unsicherheitsgefühlen in großem Ausmaß mit sozialer und physischer Ordnung bzw. Verwahrlosung, mit dem Vertrauen in politische Einrichtungen (Polizei, Justiz, Verwaltung, Soziale Dienste etc.) und mit der Qualität der lokalen Infrastruktur in korrelativem Zusammenhang steht. Aus diesem Grund wird bei kommunaler Kriminalprävention vielfach die Bedeutung von solidaritätsstiftenden, raumgestaltenden Praxen für das subjektive sowie kollektive Sicherheitsempfinden hervorgehoben. Den Bevölkerungen wird grundsätzlich ein bestimmtes Maß an vorhandener „Vorsorgekompetenz“ (Steinert 1995:410) zugeschrieben, welches es durch gezielte und vernetzende Maßnahmen zu fördern gilt. In einem staatlich bestrittenen, kriminalpolitischen Sicherheitsdiskurs ist diese Art der Vorsorge vielfach banalisiert dargestellt. Damit schmälert man – so der Ansatzpunkt – die Relevanz realistischer und ernstzunehmender Hinweise auf Schwierigkeiten der Lebensführung, auf „gegenseitige Beeinträchtigungen und auf Versäumnisse der öffentlichen Einrichtungen. Zugleich überlässt man damit die Unzufriedenheit über die Situationen den PopulistInnen, die daraus Ressentiments gegen Leute machen und die Sache also irrational halten, um sie für ihre eigenen Zwecke ausbeuten zu können. (…) Wenn man also der Unsicherheits-Propaganda etwas entgegensetzen will, das sowohl wirksam als auch beruhigend wirkt, dann muss man den Leuten ermöglichen, sich aktiv mit dem Problem zu beschäftigen“ (ebd., 410- 411).
Vom Leitsatz des Community-Policings ausgehend, wie er in Großbritannien und den USA Popularität erlangte und als „bürgernahe Polizei“ übersetzt werden
eine Reduzierung, weshalb die Einrichtung von Hilfsdiensten für die Polizei, zum Beispiel durch private Streifen oder durch Neighbourhood Watch, nicht unter diesem Begriff zu subsumieren ist.
Humankapital fördernde Komponenten kommunaler Kriminalprävention
107
kann, sollen Sicherheitsfragen zu einer „Co-Produktions-Agenda zwischen Polizei, Kommunalverwaltung und BürgerInnenschaft auch in europäischen Breiten“ (Kersten 2002:94; vgl. dazu Peters 1997:67) verschmolzen werden. Als zentralen Effekt einer interdisziplinären Zusammenarbeit und zivilgesellschaftlichen Ausrichtung in sicherheitspolitischen Belangen weist der Fachdiskurs den „PolicyWandel“ innerhalb der Polizei aus: „Die Zusammenarbeit in kommunalen Präventionsgremien verlangt von der Polizei gegenüber den AkteurInnen und der Öffentlichkeit stärker als bisher eine Öffnung und Offenlegung ihrer Arbeitsweisen, was sie transparenter und kontrollierbarer werden lässt.“ (van den Brink 2005:175).
4.2.2
Problemorientierung und ressortübergreifende Arbeitsweise
Was Steinert (1995:413) als „stillschweigende Verwaltungsreform“ bezeichnet, beschreibt die Abkehr von fachabteilungsspezifischen Verwaltungsarbeiten hin zu einem aufgaben- und problemorientierten Management von Sicherheitsproblemen. Dadurch wird vor allem dem fehlenden oder mangelhaften Informationsaustausch bzw. Abstimmungsbedarf zwischen staatlichen und korporativen Institutionen Abhilfe geleistet, genauso wie die abteilungsübergreifende Partnerschaft sich auf diese Weise zu einer „modernen Projektverwaltung“ (van den Brink 2005: 49) entwickeln kann. Als herausragend an den Initiativen kommunaler Kriminalprävention wird also die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen staatlichen sowie privaten AkteurInnen in eigens dafür geschaffenen Gremien und Komitees – quer über berufsständische Schranken und funktionale Zuständigkeiten hinweg - hervorgehoben (vgl. dazu Trenczek/Pfeiffer 1996:29-30). Es geht um eine verbindliche Vernetzung von den für öffentliche Sicherheit, Versorgung und Lebensqualität verantwortlichen Behörden (in Gestalt der Polizei, der Schul- und Sozialbehörden, der Justiz und Jugendhilfe), Institutionen (beispielsweise den Schulen, den Sozialverbänden, den sozialen und kulturellen Einrichtungen) und den zivilge-
108
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
sellschaftlichen Einrichtungen als Vereine und BürgerInneninitiativen, die sich zu lokalen Gremien zusammenschließen, um sich kontinuierlich mit drängenden Fragen auseinanderzusetzen.
4.2.3
Kommunale/Regionale Orientierung
Kriminologisch betrachtet, bezieht sich die regionale bzw. kommunale Ausrichtung von Projekten auf den empirischen Befund, wonach rund 70 % aller Tatverdächtigen in jenem „geographischen Kleinraum (eigener Wohnort oder Landkreis) straffällig werden, wo sie auch wohnen“ (Baier/Feltes 1994:693, Hornbostel 1998:95). Weiters gilt die Kommune als jene Ebene, auf der Kriminalprävention mit Aussicht auf Erfolg einsetzen kann, weil die Entstehungsbedingungen von Kriminalitäts- und Verbrechensfurcht von BürgerInnen zumeist lokale Wurzeln besitzen (Heinz 2004:365). VerfechterInnen des Ansatzes stellen auch deren Chance in den Vordergrund, sich nicht nur mit lokalen Defiziten auseinanderzusetzen, sondern systematisch auch die lokal vorhandenen Ressourcen und Problemlösungskompetenzen bei Sicherheitsproblemen aktiv einzubringen.
4.2.4
Kooperation als Prinzip
Kriminalpräventive Räte bestehen in der Regel aus Organen (Vorsitzende, GeschäftsführerInnen und wissenschaftliche BeraterInnen), die wiederum – in Form von Arbeitsgruppen und Plenarversammlungen – ähnlich einem Verein agieren (Finkel 1995:49). Die Mitglieder der Gremien vertreten unterschiedliche staatliche Institutionen (Polizei, öffentliche Wohlfahrt, Justizwesen, Schule), sowie Wirtschaftsunternehmen, Gewerbebetriebe, Interessensvereinigungen, BürgerInneninitiativen und freie Wohlfahrtsträger (Hornbostel 1998:93-94). Eine möglichst breite und intensive Beteiligung aller im Sozialraum vertretenen sozialen
Humankapital fördernde Komponenten kommunaler Kriminalprävention
109
Gruppen wird unter dem Gesichtspunkt eines „maximal ausgedehnten Kooperationsprinzips“ (van den Brink 2005:45) als „Leitlinie staatlichen Handelns“ (ebd.) verstanden. „Im kooperativen Staat sollen staatliche und private AkteurInnen deswegen nicht mehr getrennt agieren, sondern gemeinsam kommunalbezogene Präventionskonzepte zur Bearbeitung von präventablen Konfliktfeldern entwickeln und in die Praxis umsetzen.“ (ebd.)
4.2.5
Kriminologische Regionalanalyse als Ausgangspunkt
Ziel von Grundlagen- und Begleitforschungen ist es, den Kommunen Hintergrundwissen für Konzeption und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen zu liefern. Idealtypisch gesprochen, sollten am Beginn jeder Projektarbeit eingehende empirische Forschungsarbeiten in Gestalt lokalspezifischer Bevölkerungsbefragungen sowie der Erhebung und Analyse sonstiger Querschnittsdaten stehen (vgl. Heinz 1998:156). Heinz (1998:156) erläutert dieses Erfordernis der kommunalspezifischen Forschung auch anhand eines realisierten Pilotprojekts in Baden-Würtemberg, wo erst durch die Datenanalyse eine Standortbestimmung für vorsorgende Maßnehmen ermöglicht wurde. Im gegenständlichen Bundesland war eine auffällige Viktimisierung im Bereich Gewaltdelikte an 30- bis 34-jährigen Frauen festzustellen. Entgegen der sonstigen bundesdeutschen Befunde war dort die Belastung durch Gewaltdelikte in der Altergruppe der 30- bis 45-Jährigen sogar höher als diejenige der Männer, was allen sonstigen Trends und Entwicklungslinien der Anzeigenstatistik zu widersprechen schien. Vorsorge in Baden-Würtembergs musste folglich explizit an den viktimisierten Frauen ansetzen und vor der Implementierung von Maßnahmen insbesondere die Frage nach der Tragweite häuslicher Gewalt (an Frauen) für das Einzugsgebiet stellen. Ein solcher Befund wäre ohne eine differenzierte empirische Analyse im Vorfeld nicht zu leisten gewesen. Erst auf Grundlage dieser kann und soll – so die Empfehlung der VerfechterInnen kommunaler Prävention – über Ursachen, Strategien und Maßnahmen diskutiert und daran gearbeitet werden.
110
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Insgesamt findet der o. g. Diskurs nicht nur auf Ebene von idealtypischen Abhandlungen statt. Es existieren umfassende Problematisierungen, insbesondere solche über verwirklichte Projekte (vgl. dazu Sack 1995), die auszugsweise in Gestalt nachstehender Thesen dargestellt werden.
4.3
Kritik an Konzepten kommunaler Kriminalpolitik
In seiner Analyse der BürgerInnenrolle in den bestehenden Projekten zu kommunaler Kriminalprävention aus Baden-Württemberg (vgl. Baier 1995:128, Liebl 2002:137) kommt van den Brink (2005:65) zu dem Schluss, dass die kommunalen Präventionsprojekte in Deutschland bislang den Anspruch der NutzerInnen- bzw. BürgerInnenorientierung nicht eingelöst haben. Vor allem der privat-engagierte und „funktionslose“ Bürger (Pütter 2002:72) bleibt – so die Analyse – vielfach unintegriert oder ein „ewiger Zaungast“ (Lange 2000:244). Kritisch äußert sich auch Hornbostel (1998:97-98) insgesamt über den o. g. Anspruch der Projekte, eine „gleichberechtigte Kooperation“ verschiedenster lokaler und politischer AkteurInnen sicherzustellen. Insbesondere dann, wenn die Hauptfunktion gesellschaftlicher Gruppen in der Aktivierung sozialer Kontrollen liegt, während die Polizei und Verwaltung die eigentliche kommunale Verantwortung zu tragen haben, bestünde die Aufgabe der Räte vielfach nur in einer Konsultations- und Berichtspflicht und nicht in einer Steuerungsaufgabe.
4.3.1
Die „Schichtschiefe“ bei der NutzerInnenorientierung
Die sozial-selektive Teilnahme („Mittelschichtdominanz“) wird als Grundproblem von BürgerInnenbeteiligung (vgl. Bogumil et al. 2003:27f), das in kriminalpräventiven Gremien besonders virulent ist, ausgewiesen. Diese weisen eine gewisse „Schichtschiefe“ (Boers 1995:18) hinsichtlich ihrer TeilnehmerInnen, Programme und Effekte auf (vgl. auch Gramckow 1996:195). KritikerInnen
Kritik an Konzepten kommunaler Kriminalpolitik
111
bringen zum Ausdruck, dass dem „freien Spiel der Kräfte“ keine Grenzen gesetzt werden und dass zu wenig dafür Sorge getragen wird, dass benachteiligte Gruppen „Teilhabe und Gehör“ (Lehne 1998:127) erhalten. Es ginge um die Schaffung einer „sozialverträglichen Konfliktaustragung und eines Interessensausgleichs (.). In diesem Sinne müsste eine Kultur bzw. ein Verfahren entwickelt werden, das altbekannte Prinzipien des liberalen demokratischen Rechtsstaats auch in diesem Kontext sicherstellt: Minderheitenschutz, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Repressionsbegrenzung, Schutz der Individualrechte etc.“ (ebd.)
Das Wesen von Humankapital fördernden Ansätzen läge in der Erkenntnis, dass zur Gesellschaft einer Region, einer Kommune auch so genannte „Randgruppen“ und „unpassende Bevölkerungsteile“ gehören und dass sich eine demokratische Gesellschaft daran zu messen hat, wie sie mit diesen Gruppen umgeht. Dieser Deliberative Demokratie-Anspruch wird in den bisher verwirklichten Modellen – so die KritikerInnen aus dem deutschen Fachdiskurs – nicht (ausreichend) eingelöst. Pütter (2002:78 zitiert nach van den Brink 2005:57) charakterisiert die Präventionsgremien deswegen auch als ein „bürokratiezentriertes Mittelschichtsmodell, das den Objektstatus der anvisierten Problemgruppen eher befestigt denn beseitigt“.
4.3.2
Präventabilität von Delikten
In seiner Analyse kriminalpräventiver Räte in Schleswig-Holstein64 macht Lehne (1998:122) die Art der Themen deutlich, an denen in kommunalpräventiven Projekten gearbeitet wird. Kritikpunkt ist, dass in den bisher in Deutschland verwirklichten Ansätzen vorwiegend Ladendiebstähle und Versicherungsbetrug zu Arbeitsfeldern gemacht worden sind.
64
Beim Beispiel Schleswig-Holsteins handelt es sich – so Lehne (1998:122) – um einen Prototyp des Organisationskonzepts kommunaler Kriminalprävention.
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Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Die in Projekten zur kommunalen Kriminalprävention vielfach anzutreffende Selektivität von Sachbereichen wird mit der Dominanz potenter AkteurInnen in den Gremien zum einen sowie mit der Sichtbarkeit bestimmter Delikte zum anderen in Zusammenhang gebracht. Beide Faktoren prägen die Arbeit in den Gremien bzw. deren Themenauswahl entscheidend (van den Brink 2005:52-53). Viele Formen von Kriminalität sind für lokal agierende Gremien entweder zu weit gegriffen (z. B. organisiertes Verbrechen, verfassungsfeindliche Aktivitäten oder zum Beispiel Wirtschafts- und Umweltkriminalität65) oder öffentlich zu wenig sichtbar (vgl. van den Brink 2005:52). Insbesondere die Erscheinungsformen häuslicher Gewalt finden – außer im Fall von besonders spektakulären und medienwirksamen Eskalationen – eher hinter verschlossenen Türen statt, weshalb die dazu gehörenden Kriminalitätsformen vergleichsweise selten in die Themenlisten der Räte und Arbeitskreise aufgenommen werden.
4.3.3
Mangelnde Rechtsstaatlichkeit
Von einer schwimmenden Grenzziehung zwischen informeller und formeller Sozialkontrolle spricht Hornbostel (1998:94). Damit meint er, dass darauf abgezielt wird, die rechtsstaatlichen Begrenzungen polizeilichen Handelns durch die Problem- und Gemeindeorientierung zunehmend zu unterlaufen. Durch die Herausbildung eines „autonomen Subsystems Prävention“ wird – so auch Sack (1995) – ein Bruch mit der rechtsstaatlich verankerten Gewalten-
65
Die isolierte Betrachtung der Kriminalstatistik lässt darauf schließen, dass Themen wie „Jugend“, „Gewalt in der Familie“, „Suchmittel“ „die“ zentralen Einsatzfelder kriminalpräventiven Handelns darstellen müssten. Damit wird allerdings – so Heinz (2004:369) – verschleiert, dass und in welchem Ausmaß organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Kriminalität der Mächtigen in einem durchaus signifikantem Ausmaß angestiegen seien. Diese Formen können allerdings auf kommunaler Ebene keine Bearbeitung finden. Auf diese Weise kommt es zu einer Wahrnehmungsverzerrung von Kriminalitätsphänomenen im allgemeinen. „Dunkelfelderhebungen zeigen überdies, dass der tatsächliche Anstieg der Gewalthandlungen deutlich niedriger ausgefallen ist, als es die Ausweise in der Polizeilichen Kriminalstatistik nahe legen; ein nicht unerheblicher Teil des Anstiegs polizeilich registrierter Gewaltkriminalität beruht auf einem veränderten Anzeigeverhalten“ (Heinz 2004:371) .
Kritik an Konzepten kommunaler Kriminalpolitik
113
trennung vollzogen und der funktionale Sinn von verfahrensmäßiger Demokratie zumindest in seinem ursprünglichen Sinn in Frage gestellt. Daneben findet eine Erweiterung des Polizeilichen in bislang exekutivferne Felder statt. Das heißt aber auch, dass die zivilgesellschaftliche Befähigung durch die Gemeindegrenzen limitiert ist, während jene der Polizei darüber hinausgeht und dort auch Informationen aus den Gemeinwesen nützen kann. Auch Heinz (2004:366) hebt hervor, dass die „bestechende Vernünftigkeit“ von kommunalen kriminalpräventiven Räten sich zunehmend durch die nicht eingetretene Kurskorrektur der deutschen Kriminalpolitik insgesamt relativiert. „Vielmehr sind zwei erwartungswidrige Tendenzen festzustellen, die sich beide auf den Omnibus-Begriff >Innere Sicherheit< stützen: Zum einen wurde die strafrechtliche Kontrolldichte nicht zurückgenommen, sondern durch weiteren Ausbau des Strafrechts und der strafprozessualen Eingriffsmöglichkeiten verstärkt“(ebd.).
Zusammenfassend lässt sich – in Anlehnung an Heinz (2004:387) – festhalten, dass „die“ kommunale Kriminalprävention als Modell für Deutschland nicht existent ist. Was es gibt, ist eine Fülle an Konzepten, die sich im Hinblick auf Ziele, Zielgruppen, Mittel und Träger deutlich unterscheiden und über die keine systematische Übersicht66 vorliegt. Für die Beantwortung der gegenständlichen Forschungsfrage „Welche zivilgesellschaftliche sowie wohlfahrtsstaatliche Vorsorgekompetenz ist für den Phänomenbereich häuslicher Gewalt im ländlichen Raum (Niederösterreichs) existent?“ erscheint es an dieser Stelle von Relevanz, jene realisierten Modelle zu diskutieren, welche sich dem Phänomen- bzw. Deliktsbereich häuslicher Gewalt widmen und welche sich als anschlussfähig an die Strategien der Vorsorge aus dem Family-Violence-Diskurs erweisen. Die im nächstfolgenden Abschnitt erarbeiteten Thesen bilden also jene theoretische Matrize, vor deren Hintergrund 66
Die beiden Datenbanken Infopool Prävention des BKA (http://ww.bka.de) und das Präventionsinformationssystem PrävIS des Deutschen Forums für Kriminalprävention liegen nur auf Bundesebene vor. Heinz (2004:363) kritisiert, dass eine grundlegende Diskussion über Ziele, Mittel und vor allem Grenzen von (nicht nur kommunaler) Kriminalprävention und über das Verhältnis von Kriminalprävention und Sozialpolitik insgesamt bislang ausgeblieben ist.
114
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
eine Einschätzung des Vorsorgewissens, wie es im Untersuchungsfeld vorliegt, gelingen kann. 67
4.4
Vorsorgestrategien im Phänomenbereich häuslicher Gewalt – Die Zusammenführung der Diskurse aus „Family Violence“ und aus Kriminologie
Nunmehr wird dargestellt, inwieweit sich die ausgewiesenen Erkenntnisse über Ursachen häuslicher Gewalt (2.1.2 Stand der Theorie und Forschung zu häuslicher Gewalt) und über Vorsorgestrategien (3.4 Strategien der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt) als anschlussfähig an die im folgenden Kapitel dargestellten Komponenten kommunaler Kriminalprävention zeigen. Als grundlegende Klammer zwischen den sozialwissenschaftlichen und kriminologischen Wissensbeständen sind dabei zuvorderst jene Modelle zu nennen, welche auf die Entwicklung lokaler Unterstützungsnetzwerke abzielen, in denen auf die Erhöhung Sozialen Kapitals innerhalb von sozialen Räumen abgezielt wird. „Der staatlich verfassten politischen Gemeinschaft selbst soll dabei vor allem die Aufgabe zukommen, die „Rahmenverantwortung“ sicherzustellen, um in diesem Rahmen >bürgerschaftliche Aktivitäten< zu ermöglichen und zu stimulieren, während das sozialstaatliche Integrationsprinzip >Teilhabe< durch >aktive Teilhabe< ersetzt wird.“ (Otto/Ziegler 2005:127; vgl. dazu Kessl 2000).
Vor diesem Hintergrund sind all jene Formen der Vorsorge als problematisch auszuweisen, die fest in gesellschaftliche Verwertungszusammenhänge eingebunden sind, einer festen gesellschaftlichen Ordnungs- und Sicherheitspolitik entstammen und/oder welche die Dynamik des Entstehungszusammenhangs häuslicher Gewalt ignorieren.
67
Diese bilden gleichermaßen auch das Rahmengerüst für die Diskussion und Einschätzung der Forschungsergebnisse im letzten Kapitel der gegenständlichen Arbeit.
Vorsorgestrategien im Phänomenbereich häuslicher Gewalt
115
In diesem Sinne sind – in Anlehnung an den Family-Violence-Diskurs und jenen aus der Kriminologie – folgende Kategorien einer Vorsorge bei häuslicher Gewalt als richtungsweisend bzw. handlungsempfehlend darzustellen: 1. Die Gesamtbevölkerung (einer lokalen Einheit) ist EntwicklerIn sowie NutzerIn der konzipierten Maßnahmen (vgl. dazu Godenzi 1996:333, Gelles/Cornell 1990:139). 2. Durch die Stärkung lokaler Netzwerke wird ein entscheidender Beitrag zur Vorsorge geleistet (vgl. Schwind/Winter 1990:397). 3. Hilfs- und Unterstützungsangebote werden auf der Grundlage eines lokal zu analysierenden Bedarfs entwickelt (vgl. Honig 1988:20). 4. Eine optimierte Zusammenarbeit zwischen Sozialen Diensten, Therapieeinrichtungen, Zivilgesellschaft und Polizei schafft ein professionelles Wissensmanagement jenseits von berufsständischen Konkurrenzen sowie Klientifizierungen von TäterInnen und Opfern (vgl. Honig 1988:20, vgl. Young 1992:47). 5. Auf Basis lokaler Netzwerke werden Maßnahmen geschaffen, die häusliche Gewalt als soziostrukturelles Problem behandeln und nicht als Problem bestimmter Risikogruppen und -familien bzw. als „Phänomen von Unterschichtsangehörigen“, welche sich an bestimmten Plätzen konzentrieren. Es geht dabei um die Gewährleistung, dass vorsorgende Strategien alle BürgerInnen bzw. soziale Gruppen gleichermaßen berücksichtigen, ohne „Ortseffekte“ (Bourdieu et al. 1997:159) bzw. einen forschungsmethodisch erzeugten Bias zu reproduzieren. Anhand ausgewählter Beispiele werden die angeführten Thesen mit rezipiertem Erfahrungswissen aus dem deutschen Fachdiskurs sowie mit Erkenntnissen aus Best Practice Modellen (sofern existent) unterlegt. Auf die Tatsache, dass bislang vergleichsweise wenige Beispiele der Vorsorge bei häuslicher Gewalt in der Praxis der kommunalen Kriminalprävention in Deutschland realisiert wurden, muss an dieser Stelle erneut hingewiesen werden.
116
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
4.4.1
Die Gesamtbevölkerung (einer lokalen Einheit) als EntwicklerIn sowie NutzerIn von Vorsorgestrategien
Insgesamt ist festzuhalten, dass die physische Verletzung von PartnerInnen in intimen Beziehungen „the most prevalent type of violent crime“ darstellt (Smithey/Straus 2003:239). Einen vergleichbaren Befund für die Fälle „sexual abuse und abusive behavior in partnerships“ weist Bolen (2003:220) aus. Der überwiegende Teil häuslicher Übergriffe stellt Vergehen dar und ist – strafrechtlich gesehen – im so genannten Geringfügigkeitsbereich anzusiedeln. Die unmittelbare Betroffenheit von Bevölkerungen und Gemeinwesen ist aber vor allem aufgrund des bestehenden Dunkelfeldes als hoch einzuschätzen. Aus diesem Grund müsste auch das unmittelbare und mittelbare Wissen über Fälle aus familiären, freundschaftlichen, nachbarschaftlichen und beruflichen Netzwerken in diesem Bereich vergleichsweise ergiebig sein. Zivilgesellschaftlich getragene Vorsorge verlangt in der Regel eine Modellbildung, welche Bevölkerungen befähigt, verschiedenste soziallogische und regionalspezifische Maßnahmen zur Verhinderung von Belastungen für Familien zu entwickeln und umzusetzen. Nicht nur SpezialistInnen und ExpertInnen68 dürfen mit den Problemen betraut werden, weil dadurch Unsicherheitsgefühle von Bevölkerungen aufgrund ihrer „Nicht-ExpertInnenschaft“ (ebd.) gesteigert werden. Weiters werden dadurch ohnehin bereits belastete Familien zu „Problemfamilien“ gemacht und eine Fortsetzung des sozialen Ausschlusses von TäterInnen sowie Opfern findet statt.
68
Ungeachtet der Bedeutung, die vergesellschaftete Formen von Konfliktbewältigung für die soziale Kohäsion haben, geht von bestehenden Gesetzen (z. B. Gewaltschutzgesetz samt Begleitgesetze eine hohe Signalwirkung aus. Auch Smithey/Straus (2003:257) weisen auf den Effekt hin, wonach informelle Sanktionierung bzw. Missbilligung mehr bewirkt als Gesetze: „Perceptions of informal sanctions, such as the disapproval of family and their friends or one’s own conscience and moral commitments, are more powerful deterrents than criminal justice system sanctions.”
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
4.4.2
117
Die Stärkung lokaler Netzwerke
Als ursächliche Bedingung für die Entstehung von Kindesmisshandlung und PartnerInnengewalt werden die soziale Isolation von Familien sowie die soziale Desintegration der sie umgebenden Gemeinschaft an vielen Stellen geltend gemacht. „Familien, in denen es zu Kindesmisshandlung kommt, leben häufig in Nachbarschaften, die nicht nur durch materielle Armut, sondern auch durch Isolation innerhalb der Gemeinschaft und durch eine Konzentration von Risikofamilien gekennzeichnet sind (sog. >soziale VerarmungRisikogruppen< gehören, haben die geringsten Wahlmöglichkeiten auf dem Wohnungsmarkt, weil sie über nur geringe materielle, soziale und kulturelle Ressourcen verfügen, die für den Zugang zu den verschiedenen Segmenten des Wohnungsangebots entscheidend sind. Sie werden über Marktmechanismen, Informationsflüsse und Zuweisungen des Wohnungsamtes in solche Quartiere gelenkt, in denen bereits Haushalte in ähnlicher sozialer Lage konzentriert sind. Dadurch entstehen >marginalisierte Quartiere< oder Armutsviertel – Sozialräume also, die durch ein bestimmtes Milieu gekennzeichnet sind, das allerdings durchaus ambivalente Wirkungen hat.“
Vielfach kommt es dadurch zur Bildung neuer Armutsviertel und zu ausgegrenzten Quartieren – insbesondere in den Großstädten. Insofern ist Exklusion „mehrdimensional bestimmt. Neben der Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt gehören dazu die Verweigerung bestimmter sozialer Rechte und das Fehlen von sozialer Einbettung“ (ebd., 598).
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
123
Problemen sozialen Ausschlusses71 kann vorsorgend nur durch ein in Gang gebrachtes „Bewältigungshandeln“ begegnet werden. Sobald die akteurszentrierte Hilfe unterbleibt und wohlfahrtsstaatliche ausschließlich auf Ebene von „sozialen Risiken“ gehandelt wird, ist die Wiederherstellung „residualer Normalität“ (Cremer-Schäfer 1995:322) nahezu unmöglich. Die Normalisierungsarbeit, welche von Individuen erbracht wird, ist abhängig vom Zugang derselben zu gesellschaftlichen Möglichkeiten. Auch wenn die vor Ort verfügbaren Ressourcen und die sozialen Stützsysteme im Hilfeprozess berücksichtigt werden müssen, so ist es doch immer die individuelle, akteurszentrierte Hilfe, die auf die Vorsorge folgt. Im deutschen Fachdiskurs konnten keine Projekte kommunaler Kriminalprävention erhoben werden, welche sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Exklusionsdynamik explizit mit der Abfederung kriminalitätsfördernder Fragen des sozialen Ausschlusses beschäftigt haben (Stand Jänner 2007). (Wohlfahrts-)Staatlich produzierter Ausschluss setzt sich vielfach auch im Rahmen von Humankapital fördernden Strategien von Vorsorge und Hilfe fort, wie dies Otto/Ziegler (2005:125) auf den Punkt bringen. Wie anhand der realisierten Projekte kommunaler Kriminalprävention in Deutschland (Stand Jänner 2007) deutlich wurde, bleiben in solchen Maßnahmen die Fragen der sozialen Teilhabe in der Regel unbearbeitet oder aber sie nehmen eine „hierarchische Steuerung zu Gunsten der Selbstorganisation gesellschaftlicher Teilsysteme“ (ebd.) vor ohne weiters auf elementare Fragen der sozialen Inklusion aller gesellschaftlichen Gruppen einzugehen. Für die Beantwortung der gegenständlichen Forschungsfrage ist von Relevanz, ob und inwieweit das in der ExpertInnenschaft und der Zivilgesellschaft des ländlichen Raums vorliegende Vorsorgewissen in erster Linie auf die Kompensation gesellschaftlich „disruptiver Effekte“ (Otto/Ziegler 2005:127) abzielt.
71
Häußermann/Kronauer (2005:599) stellen Phänomene sozialen Ausschlusses vor einen sozialräumlichen Bezug, indem sie Belastungen durch räumliche Gegebenheiten, durch Forderungen und Zumutungen von Seiten kontrollierender Institutionen, durch die Häufung kritischer Lebensereignisse (z. B. Arbeitslosigkeit, Migration, Wohnungsverlust, Trennungen) sowie durch problembelastete persönliche Beziehungen (häusliche Gewalt, soziale Isolation) als Ausgrenzungsmerkmale erfassen (vgl. dazu auch Kronauer 2005:169).
124
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Interessierend ist, ob und inwieweit häusliche Gewalt lediglich als „Unterschichtsphänomen“ kompensatorisch bewältigt werden soll oder ob es darin um Formen der Vergesellschaftung von Konflikten geht. Hinter der Fragestellung nach der Vorsorgekompetenz von ExpertInnen und Zivilgesellschaft liegt also auch die Frage nach einem Wissen, das den Prämissen einer BürgerInnenaktivierung, einer Förderung von Humankapital Rechnung trägt, wie dies von VerfechterInnen kommunaler Kriminalprävention beansprucht wird (vgl. Steinert 1995, Cremer-Schäfer 1995, Finkel 1995, Heinz 2004) und das gleichzeitig Vorsorge bei häuslicher Gewalt erzielt. Da die nahräumliche Orientierung als eine zentrale Grundbedingung für die Verwirklichung genannter Strategien der Vorsorge formuliert wurde, muss aber zuvor noch die lokale Ausrichtung der Studie analytisch erfasst werden. Aus diesem Grund geht es im folgenden Kapitel darum, sich dem Phänomen häuslicher Gewalt mit der Forschungskategorie „ländlich“ anzunähern. Die Schaffung eines „Raumbildes“ (Läpple 1991), das Rückschlüsse auf mögliche raumtypische Implikationen von Hilfe und Vorsorge zulässt, soll mithilfe kriminalgeographischer sowie qualitativer Analysen ermöglicht werden. Dem ländlichen Raum insgesamt haftet die Feststellung an, dass der häufig genannte Zusammenhalt, der dort (noch) existiert, vielfach eine sich „schließende, homogenisierende Funktion hat, die sich nach Außen zersetzend auf die Toleranz gegenüber Heterogenität auswirkt und den Ausschluss von AußenseiterInnen vorantreibt sowie sich nach Innen in einer freiheitsbeschränkenden Tendenz zur Selbstunterordnung gegenüber den Loyalitätsforderungen der Mitglieder der Ingroup manifestiert“ (Lindenberg/Ziegler 2005:623).
Vieles spricht dafür, dass sich solche Mechanismen gerade auch in ländlichen Gemeinschaften zeigen und dort vermehrt zu einer Segregation von belasteten Familien und sozial schlecht situierten Klassenmilieus führen. Ob und inwiefern diese vorliegen bzw. mit welchen Vorsorgestrategien solchen Phänomenen begegnet wird, bildet dann den Analysegegenstand des empirischen Teils.
TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum
4.5
125
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
Die Relevanz der Forschungskategorie „ländlich“ zeigt sich in der Tatsache, dass nahezu die Hälfte der österreichischen Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 10.000 EinwohnerInnen lebt. Insofern bildet die Kleingemeinde den häufigsten Typus einer Kommune im nationalen Kontext. Mit dem Phänomen der weit verbreiteten Streusiedlung geht einher, dass in den ländlichen Gemeinden und außerhalb der zentralen Orte und der bevölkerungsdichten Umlandbereiche rund 1,9 Millionen Menschen in Österreich leben, die relativ stark konfrontiert sind mit strukturellen Defiziten wie der nicht-gewährleisteten Nahversorgung sowie der mangelnden Versorgung mit Arbeitsplätzen vor Ort (Lichtenberger 1989:27). Im gegenständlichen Kapitel wird eine Charakterisierung Niederösterreichs als ländliches Wirtschaftsgefüge mittels geographischer Strukturdaten und demographischer Zuordnung vorgenommen. Anschließend geht es um dessen soziostrukturelle Besonderheiten und die damit in Zusammenhang stehenden Implikationen für zivilgesellschaftliche sowie institutionalisierte Hilfe und Unterstützungsformen. Unter Bezugnahme auf den spärlichen Diskurs über den Gegensatz bzw. die Kontinuität von Urbanität und Ländlichkeit (vgl. Brüggemann/Riehle 1986:28-29; vgl. dazu auch Hainz 1999:2) werden anhand ausgewählter Thesen jene Besonderheiten herausgearbeitet, welche die Strategien der Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt elementar betreffen und dennoch eine kritische Betrachtung der „Risiken einer überzogenen Solidaritätsrhetorik“ (vgl. Lindenberg/Ziegler 2005:623) erlauben. Im Anschluss an dieses Kapitel folgt ein kriminalgeographischer Aufriss von häuslicher Gewalt in ländlichen Bezirken Niederösterreichs (als Sekundäranalyse der Polizeilichen Anzeigenstatistik). Dabei werden jene Anzeigen in regionale Zusammenhänge gestellt, die eine vorläufige, quantitative Einschätzung der Phänomenverbreitung zulassen, um darauf basierend das Sample von InterviewpartnerInnen zu generieren. Ziel dieser Sekundäranalyse war auch, mithilfe der Topographie häuslicher Gewalt eine Gesprächsgrundlage für die Interviews zu entwickeln.
126
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
4.5.1
Stadt oder Land? – Beispiel Niederösterreich
Festzuhalten ist, dass „der“ ländliche Raum theoretisch nicht bestimmbar ist. Eine Definition des Begriffs „ländlich“ zu finden, ist insofern schwierig, als die Bestimmung des so genannten ländlichen Raums (Gebiete mit überwiegend ruraler Prägung) immer in Kontrastierung zu den Kernräumen der großen Landeshauptstädte (Räume mit ausgeprägtem urbanen Charakter) erfolgt (vgl. Goldberg 1998:19). So sind die Bestimmungen vielfältig und beziehen sich auf qualitative Merkmale ebenso wie auf quantifizierbar-geographische. Nach Kötter (1977:16) ist mit „ländlich“ eine kleine Gemeinde mit „geringer Bevölkerungsdichte, Dominanz der landwirtschaftlichen Tätigkeit, natürlicher Umgebung, Homogenität der Bevölkerung, geringer Stratifizierung und Mobilität sowie Dominanz personaler und informaler Sozialbeziehungen“
zu verstehen. Kriterien aus der Raumplanung umfassen Zuschreibungen wie niedrige Bevölkerungsdichte, große Flächenreserven, spezifische sozioökonomische und soziokulturelle Strukturen. In der Agrarsoziologie finden sich Kategorien, welche dem „typisch ländlichen Dorf“ zugeschrieben werden, wie: eine „außerordentlich geschlossen und stabil wirkende Form der dort praktizierten alltäglichen Lebensführung“ (Kudera 1995:121, 168 zitiert nach Hainz 1999:1), eine „dominant landwirtschaftliche Prägung sowie Herrschafts- und Schicksalsgläubigkeit“ (Brüggemann/Riehle 1986:37), die Sozialform der „kulturellen Beharrung“ (Chassé 1996:16) sowie eine „keine Privatheit zulassende Überschaubarkeit“ (Illien/Jeggle 1978:46). Aufgrund der Schwierigkeit, begriffliche Definitionen für „ländlich“ agrarsoziologisch-demographisch zu finden, wird im Zuge der gegenständlichen Arbeit auf die Stadtregionsgliederung nach Fuchs (1983) rekurriert (vgl. dazu Goldberg 1998). Österreich lässt sich demnach in folgende Räume unterteilen: Kernräume (urbane Gebiete), deren Außenzonen (Räume mit urbanem und ruralem Einfluss) sowie Gebiete außerhalb der Stadtregionen (Gebiete mit überwiegend ruraler Prägung).
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
127
Während die Kernräume zwischen 1981 und 1991 ihr Bevölkerungswachstum aufgrund von Zuwanderung aufrechterhalten konnten und die Umlandgemeinden und Außenzonen von Zuwanderung und Geburtenbilanz profitierten, hat die Region „Österreich außerhalb der Stadtregionen“ eine negative Wanderungsbilanz zu verzeichnen. Dieser Trend setzte sich – laut Mikrozensus 2001 – bis ins neue Jahrtausend hinaus fort (ebd., 34). Goldberg (1998:19-20) führt anhand von Bildungsniveau, Lebensform und Familientypus eine soziodemographische Markierung im Stadt-Land-Vergleich ein, welche folgende Tendenzen ausweist: x
Goldbergs Befund im Hinblick auf Bildungsniveau zeigt, dass der ländliche Raum durch geringere Anteile an „höher Gebildeten“ charakterisiert werden muss.
x
Weiters weisen in ländlichen Gemeinden rund 60 % der berufstätigen Frauen einen Pflichtschulabschluss als höchste abgeschlossene Schulbildung auf, während in den Kernräumen nur knapp über 40 % einen solchen haben.
x
In Bezug auf die Haushaltsgröße ist festzustellen, dass drei Viertel aller Haushalte in ländlichen Gemeinden und fast 60 % aller Haushalte in den Kernräumen der großen Städte in Form der Kernfamilie bestehen. Tendenziell nimmt aber die Zahl dieser Haushaltsformen auch in ländlich strukturieren Gebieten ab, dennoch sind anteilsmäßig immer noch die meisten Großhaushalte in ländlichen Gemeinden zu finden. Als bemerkenswert streicht die Autorin hervor, dass die Zuwachsrate von Einpersonenhaushalten im ländlichen Raum eine stärkere ist als in den Kernräumen. Der Wandel in der Bevölkerungsweise, wie er auch den ländlichen Raum erfasst, zeigt sich auch in der für alle Teilräume Österreichs bestehenden Tendenz in Richtung kinderlose Paare und Familien mit einem Kind. Die häufigste Form des partnerschaftlichen Zusammenlebens stellt aber nach wie vor die Ehe dar, unabhängig von StadtLand-Differenzen.
128
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
x
Tendenziell zeichnet sich – so Goldberg (ebd.) – bei Familien mit Kindern insgesamt ein Rückgang der Ehepaare ab, sowohl Lebensgemeinschaften als auch so genannten „unvollständige Familien“ – alleinerziehende Mütter und Väter – nehmen zu. In allen Teilräumen sind mittlerweile alleinerziehende Mütter in der Kategorie der Familie mit Kindern neben den Ehepaaren mit den höchsten Anteilen vertreten. Auch zeigt die Differenzierung nach urbanen und ruralen Regionen, dass in städtischen Bereichen die stärker vorhandenen alternativen Formen des Zusammenlebens tendenziell zunehmen, während in ländlichen Gebieten dieser Trend zu neuen Lebensformen vorhanden ist, jedoch weniger ausgeprägt vorliegt.
Für Niederösterreich ist die Gebietskategorie „ländlicher Raum“ von besonderer Bedeutung, da zwei Drittel der Gesamtbevölkerung in einem solchen leben. Rund 573 Gemeinden sind 21 Bezirken zugeordnet; „Gewinner“ des Bevölkerungszuwachses sind die Außenzonen oder Verdichtungsräume, die bestehen und in den letzten Dekaden stetig anwachsen.
129
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum Abbildung 1: Topographie Stadt-Land-Bezirke in Niederösterreich Gebietskategorien Stand: 2002 Stadt-Kernraum Stadt-Umland Landgemeinden
Oberösterreich
Slowakei Wien
Burgenland
Steiermark
Ungarn
0 10 20 Kilometer
Gebietskategorien nach den Abgrenzungskriterien „Statistik Austria“
Daten: Statistik Austria, Karte: Abteilung Raumordnung und Regionalpolitik
Tschechien
Obige Topgraphie (Amt der Niederösterreichischen Landesregierung 2006:42) macht die starken territorialen Unterschiede in Niederösterreich deutlich. Es zeigt sich, dass der Untersuchungsraum bis auf die Speckgürtel rund um Wien, die Landeshauptstadt und den Raum an der oberösterreichischen Grenze als ländlicher Raum identifiziert werden kann. Rund 65 % der NiederösterreicherInnen leben in dieser Kategorie. Hinzu kommt, dass eine signifikant geringere Geburtenrate im Osten des Bundeslandes vorherrscht, sowie die weibliche Erwerbsquote im Westen deutlich höher ist. Bedeutsam ist auch, dass Städte wie Mistelbach, Laa an der Thaya, Waidhofen an der Thaya trotz ihres Stadtrechts zur Gebietskategorie der ländlichen Gemeinden mit ähnlichen infrastrukturellen Benachteiligungsprozessen (PendlerInnenwesen, Mangel an Arbeitsplätzen, Abnahme der Kinderanzahl), wie ihn auch ländliche Gemeinden kennen, gehören.
130
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Obige Topographie bringt auch das Phänomen der Suburbanisierungsprozess seit den 70ern zum Ausdruck: „Gewinnende Gemeinden“, also solche, die eine positive Wanderungsbilanz ziehen, sind die unmittelbaren Umlandgemeinden großer Zentren (z. B. Gänserndorf bei Wien, Loosdorf bei St. Pölten etc.). Ausschlaggebender Faktor hierfür ist der tiefgreifende sozioökonomische Strukturwandel der vergangenen Dekaden. Vor zehn Jahren waren zwei Drittel der im ländlichen Raum insgesamt Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig; mittlerweile ist diese Zahl als gering auszuweisen (Lichtenberger 1989:27). Auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur finden die Phänomene von Urbanisierung und Suburbanisierung eine Erwähnung. Brüggemann/Riehle (1986:38) stellen aber fest, dass die einschlägigen Studien wenig bis keinen Aufschluss darüber geben, wie LandbewohnerInnen mit den sozialen Kosten umgehen, die in Verarbeitung städtischer Anforderungen zu tragen sind. So sind Phänomene wie die sukzessive Ausdünnung ländlicher Infrastruktur sowie Veränderungen sozialer Netzwerke und Beziehungen infolge von Arbeitskräftemigration als Schlagworte bekannt, aber in ihren konkreten Auswirkungen und Copings weitgehend unerforscht. Insofern erscheint die Forderung nach umfassenden und differenzierten Studien über die Folgen des sozialen Wandels auch als richtungweisend für die gegenständliche Arbeit. Zusammenfassend ist anzumerken, dass das, was heute im alltäglichen und statistischen Sprachgebrauch als „Land“ bezeichnet wird, völlig heterogene gesellschaftliche Realitäten beschreibt. Goldberg (2003:19) charakterisiert: „Mit fortschreitender Differenzierung von Wirtschaft und Gesellschaft haben wir es mit einer Pluralität von Umwelten zu tun, zu deren adäquater Beschreibung weder die Dichotomie noch das Stadt-Land-Kontinuum ausreichen. Nach einem Vorschlag von Cecora (1991) muss, um die Umstände nicht städtischer Gebiete zu beschreiben, an die Liste der „post-ismen“ der Begriff „post-rural“ angehängt werden. Die steigende Mobilität von Personen, Gütern und Informationen, Zersiedelung, gute Transportmittel und Kommunikationsnetzwerke werden zusehends Merkmale entwickelter Industriegesellschaften, die Stadt-Land-Differenzen verringern und demographische, sozioökonomische und berufliche Unterschiede an Bedeutung gewinnen lassen.“
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
131
Vor diesem Hintergrund werden im folgenden Kapitel die zentralen Charakteristika ländlicher Räume bzw. deren besondere Implikationen für Hilfs- und Vorsorgewissen behandelt. Festzuhalten ist, dass es dabei immer nur um idealtypische Verdichtungen gehen kann, welche letztlich nur zur Klärung der gegenständlichen Forschungsfrage und nicht zur Entwicklung trennscharfer Kategorien für eine Beschreibung des ländlichen Raums beitragen.
4.5.2
Charakteristika des ländlichen Raums im Hinblick auf Unterstützungsformen und institutionalisierte Hilfen
Mitunter sind die einzelnen ländlichen Sozialräume von zum Teil hohen Differenzen im Selbstverständnis und in der Selbstbeobachtung gekennzeichnet (vgl. Lichtenberger 1989). Auch wenn sich in den letzten Dekaden das Selbstbild vieler dörflicher Kommunen dem der städtischen angenähert hat, so ist deren Werteund Normensicherheit dennoch in kleinräumigen, eher abgeschlossenen Kontexten entstanden. Infolge einer vergleichsweise hohen Überschaubarkeit der dörflichen Öffentlichkeit ist diese immer noch informell und nachbarschaftlich durch eine ausgeprägte Form sozialer Kontrolle geregelt. Lichtenberger (ebd.) charakterisiert: „Überschaubarkeit und Gegenseitigkeit bringen vielfach eine Verhaltenskontinuität hervor, die Veränderungen im Lebensstil nur als langsamen kollektiven Prozess zulässt. Die Kehrseite dieser dörflichen Kontrollstruktur ist die mehr personenzentrierte und damit >menschlicher< erlebte Kommunikation, die Orientierung und soziale Integration ermöglicht und heimatliche Identität begründet.“
Der „tiefgreifende Strukturwandel des ländlichen Raums“ (Böhnisch/Funk 1991:23), der sich spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs abzeichnet, geht einher mit einer Kapitalisierung bäuerlicher Produktion und einer ökonomischen Integration sowie Funktionalisierung des Landes, was auch zu einer Wende in den soziokulturellen Traditionen und den Sozialgefügen der Gemeinden
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Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
führte (vgl. Brüggemann/Riehle 1986:28, vgl. dazu Ipsen 1997:128; Wiesinger 2003:47). Die im folgenden Abschnitt dargestellten Charakteristika von „Dorf/Land“ sind vor dem Hintergrund der beschriebenen Normenkonflikte und sozialen Widersprüche zu betrachten. Festzuhalten ist, dass es sich beim Wandel des ländlichen Raumes nicht um Ablösungsprozesse von so genannten typisch ländlichen soziokulturellen Strukturen durch die neuen Prinzipien der „Warenwirtschaft“, der „Disziplinierung“, des „Leistungs- und des Profitprinzips“ (ebd.) handelt, sondern vielmehr um die Entwicklung einer Gleichzeitigkeit von modernen Segmenten der Verhaltens- und Einkommensweisen mit solchen der vormodernen bäuerlichen Produktionsweise. Das heißt, dass zu den bislang nicht verschwundenen Sozialstrukturen neue Elemente hinzugekommen sind (vgl. näher dazu Brandstetter 2007).
4.5.2.1
Mythos Dorf/Land
Als am geschichtlich „wirkmächtigsten“ hebt Hainz (1999:1) die Ideologie hervor, dass „das Dorf eine vertraute, heimliche (..) ausschließliche Gemeinschaft und eine Gruppe aus gleichartigen Gliedern“ sei. Das Dorf als der Ursprung von Gemeinschaftserfahrung, als sozial-logische Nahtstelle von Haushalt und Familie, wo politische wie soziale Austausch-Beziehungen in Face-to-Face-Kontakten verhandelt und strukturiert werden, benennt eine tendenziell naive Auffassung der Sozialstruktur kleinräumiger Areale, die in Wissenschaft sowie Alltagswissen einschlägige Rezeptionen findet (ebd.). Sie gibt eine Vorstellung von Gesellschaft wieder, die zum einen den modernen Umschichtungen und Entwicklungen nicht Rechnung trägt und die zum anderen die problematischen Aspekte des dörflichen Miteinanders verkürzt. „In seiner nostalgisch verbrämten Vorstellung vieler Städter (..) erscheint das >Land< vielfach noch >heilunproblematisch< und >friedlichUnkenntnis< der dörflichen ExpertInnen stellt sich nicht als ein Problem individuellen Nichtwissens dar, sondern als strukturelles Problem des traditionellen dörflichen Umgangs mit sozialen Problemen (...).“
So hebt Chassé (1996:46, vgl. dazu auch Böhnisch 1991:19) hervor, dass die strukturelle Ausblendung von Problemen und Notsituationen aus dem dörflichen Kommunikationszusammenhang heraus erklärbar ist und in Zusammenhang mit der vormodernen Mentalität des „für sich selbst Sorgens“ (ebd.) gebracht werden muss. Für das Unterstützungssystem im ländlichen Raum bedeutet das, dass Soziale Probleme auf diese Weise vergleichsweise länger verdeckt bleiben, dass
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Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Betroffene vergleichsweise länger versuchen, Anonymität zu wahren, bis ihre Selbsthilferessourcen gänzlich erschöpft und „die Problemlagen ohne professionelle Hilfen nicht mehr zu bewältigen sind.“ (Chassé 1996:48) Eine Charakterisierung von Hilfe und Unterstützung im vormodernen Kontext liefern Böhnisch/Funk (1991:19) in Anlehnung an historische Studien von Illien/Jeggle (1978): „In der >Not- und Terrorgemeinschaft< (vgl. Illien) des bäuerlichen Dorfes war das Individuum auf Solidargemeinschaften angewiesen. Die wichtigste, die Familie, wurde schon genannt; von zentraler Bedeutung war auch die Verwandtschaft (vgl. dazu Jeggle, Illien/Jeggle, MeyerPalmedo insbesondere S. 157 ff), innerhalb derer man auf gegenseitige Hilfe verpflichtet war, in gewissem Maße auch die Nachbarschaft (vgl. Ruland). In spezifischen Fällen musste die Gemeinde als Solidargemeinschaft auftreten, dann nämlich, wenn ein alleinstehender Mensch oder eine Familie sich aufgrund von Armut und Krankheit (die den Ausfall der Arbeitskraft bedeutete) nicht mehr selbst helfen konnten und auch niemand aus der Verwandtschaft zu seiner Hilfe fähig war. Beispielsweise in Institutionen wie dem Armenhaus musste die ganze Gemeinde einen Armen, Arbeitsunfähigen versorgen (vgl. Militzer-Schwenger). Der solchermaßen Betroffene fiel damit der Gemeinschaft zur Last, da er die mageren Früchte ihrer harten Arbeit schmälerte. Ein Armer oder Arbeitsunfähiger wurde als >Gemeinschaftsschädling< angesehen.“
Diese vormoderne Darstellungsnorm der eigenen Person und auch Familie als „arbeitsfähig“, „funktionierend“ und „normal“ innerhalb der vormodernen dörflichen Kommunikationsgemeinschaft bildet nach wie vor eine zentrale Grundlage für die Herausbildung von sozialem Status in ländlichen Sozialräumen. „Im alltäglichen Leben muss das eigene Handeln stets darauf reflektiert werden, ob es von den anderen toleriert wird und welche Rückwirkung die Bewertung durch die anderen auf das eigene Sozialprestige haben würde“ (ebd., 22).
4.5.2.3
Öffentlichkeit und Privatheit
Böhnisch/Funk (1991:33) heben hervor, das soziodemographische Umschichtungen (z. B. Trennungen sowie Auslagerung von Lebensbereichen, Veränderung familialer Lebensformen, Wandel der Einkommensstrukturen, Erhöhung
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
135
der weiblichen Erwerbsquote etc.) die ursprünglich vormoderne dörfliche Öffentlichkeit ihrer normgebenden Verbindlichkeit zunehmend beraubt haben. Durch die Assimilation urbaner Lebensformen sind allerdings vielfach keine neuen Öffentlichkeiten entstanden, welche Probleme und Schwierigkeiten der Menschen mediatisieren können – so der Befund der AutorInnen. Insofern ist die dörfliche Sozialstruktur auch im „postruralen Gefüge“ (Goldberg 2003:19) noch gekennzeichnet durch eine „Balance von halböffentlicher Gegenseitigkeit und privater Verschwiegenheit“ (Böhnisch/Funk 1991:29). Die Dorföffentlichkeit als Ort gleichzeitig stattfindender Integration sowie Ausgrenzung ist als soziale Kontrolle organisiert, an deren Ausübung die BewohnerInnen in der Regel beteiligt sind. Die Furcht davor, selbst zur Zielscheibe von negativen Zuschreibungen zu werden, hindert in der Regel nicht daran, sich an Diskussionen über Fragen der Kindererziehung, des nachbarschaftlichen Umgangs miteinander, der Art des öffentlichen Auftretens zu beteiligen und diese Themen als „Normalitätsmittel“ (ebd.) einzusetzen. Auch in urbanisierten ländlichen Sozialräumen wird nach wie vor von einer „Privatisierung von Lebensschwierigkeiten“ (ebd., 33) ausgegangen, die sicherstellt, dass keine Einbuße familialer Selbstregulierungsfähigkeit sichtbar wird. Eine offene Kommunikation und Auseinandersetzung über prekäre soziale Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Suchtprobleme, psychische Krankheit, Familienprobleme (Chasse 1996:49) unterbleibt dadurch vielfach.
4.5.2.4
Hilfe und Unterstützung im ländlichen Raum
Hilfe beschränkt sich aufgrund der von Lange/Fellöcker (1997:16) beschriebenen Selektivität auf ganz bestimmte Problemstellungen (Hausbau, Hilfen im nachbarschaftlichen Betrieb, Reparatur-Arbeiten von Kraftfahrzeugen etc.) und existiert in Form eines standardisierten und hoch arbeitsteiligen Arrangements. Aus dem Bereich des Normalen, des „Nicht-Funktionierens“ ausscherende Schwierigkeiten (Suchtprobleme, psychische Erkrankung, familiäre Gewalt, sexueller
136
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
Missbrauch) sind für das Lösungsrepertoire einer vormodernen Dorföffentlichkeit nicht zugänglich und führen zu Ausgrenzung und Segregation der TrägerInnen solcher Probleme. Jene Hilfeformen, die sich von außen auf das Private richten, gelten tendenziell als unerwünschte „Abhängigkeitsverhältnisse“ und bedeuten ein „nach Außen-Tragen von innerfamiliären Problemen“ (ebd.). Aus diesem Grund dominiert vielfach auch der Versuch von Familien solcher Kommunikationsgefüge, im Fall bestimmter Problemlagen eher durch innerfamiliäre und verwandtschaftliche Ressourcen eine Problembehebung herbeizuführen. Mit anderen Worten: Die Sozialstruktur des ländlichen Raums legt nahe, Probleme aus eigener Kraft zu lösen und Unterstützungsangebote erst im äußersten Notfall zu beanspruchen, so Lange/Fellöcker (ebd., 21). Auch Böhnisch/Funk (1991:29) streichen hervor, dass „Hilfe“ in der traditionalen Dorfwelt nur dann etwas Selbstverständliches darstellt, wenn sie an ein sozialökonomisches System der dörflichen Gegenseitigkeit angebunden ist. Die Unterstützungsleistungen innerhalb dieser Gemeinschaften sind zum Teil von enormem Ausmaß, hoch differenziert und arbeitsteilig organisiert: „Hilfe ist in der traditionellen Dorfwelt eingebunden in ein System dörflicher Gegenseitigkeit: Nachbarschaftshilfe beim Häuserbauen und bei der Pendlerfahrgemeinschaft oder Aushelfen und Einspringen bei Notfällen, bei Vereins- und Dorfveranstaltungen“ (Gängler 1990:110-126).
Sozialstaatlich organisierte Hilfeformen hingegen entziehen sich mehr oder weniger dieser Selbstverständlichkeit, weil sie sich auf das Private richten und die Balance von Gegenseitigkeit und familialer Verschwiegenheit systematisch unterwandern. BewohnerInnen, die sich vom Staat oder von Wohlfahrtsverbänden helfen lassen, legen offen, dass sie nicht (mehr) „funktionieren“ (ebd.). Böhnisch/Funk (1991:36) bringen das Problem folgendermaßen auf den Punkt: „Grundsätzlich hat die Sozialadministration mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass es im dörflichen Bereich zwar eine kulturelle Selbstverständlichkeit hinsichtlich traditionaler gegenseitiger Hilfe gibt, aber eben keine selbstverständliche Akzeptanz moderner institutionalisierter sozialer Hilfe“.
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
137
Im Fachdiskurs findet sich der Befund, dass die Betrauung wohlfahrtsstaatlicher Dienste mit einschlägigen Problemen vergleichsweise spät und damit zu einem Zeitpunkt passiert, wo aus Problemen „Mehrfachprobleme“ geworden sind. Verstärkt wird diese Tendenz durch strukturelle Defizite im Bereich Kommunikation und Koordination zwischen den selbstverwalteten Kommunen und den sozialen Diensten, die vorrangig von den Ländern und den dazugehörenden Gebietskörperschaften unterhalten werden (vgl. Lichtenberger 1989). Auch das beschriebene, zum Teil eher unkoordinierte Nebeneinander verschiedener Institutionen und Einrichtungen führt dazu, dass die Problemwahrnehmung im ländlichen Raum grundsätzlich spät bzw. zufällig passiert (Chassè 1996:47, Böhnisch/Funk 1991). Als Problem der professionellen Hilfen gilt auch deren mangelnde BürgerInnennähe und Präsenz in der Dorfgemeinschaft. Insbesondere der Mangel an Zusammenarbeit zwischen der Selbsthilfe vor Ort, die sich vorwiegend in freien Gruppen, ehrenamtlichen HelferInnen, der Pfarrgemeinde etc. findet, und den wohlfahrtsstaatlichen Trägern wird als Problem ausgewiesen (Chassè 1996: 47).
4.5.2.5
Die Rolle des Konflikts in ländlichen Sozialräumen
Lange/Fellöcker (1997:15) vertreten die Ansicht, dass die Gegenwart auf dem Lande von einer ganz besonderen Eigenart der Situation bestimmt ist, die sich von städtischen Verhältnissen abhebt: Die vergangenen 150 Jahre Sozialgefüge im städtischen Raum waren zum Teil von heftigen Kontroversen und dramatischen Zuspitzungen gesellschaftlicher Widersprüche (gesellschaftliche Schichten bzw. Klassen, Benachteiligung von Frauen, männliche Gewalt in der Familie etc.) geprägt. Die zum Teil öffentlich ausgetragenen Konflikte mündeten in der Regel in die Gründung sozialstaatlicher Institutionen (non-profit-orientierte Vereinigungen, verbandlich organisierte Interessensgruppierungen, NGOs etc.), welche einen Ausgleich von einander gegenläufigen Interessen zum Ziel hatten. Im ländlichen Raum hingegen fanden diese Prozesse nicht statt, vielmehr blieben sie der für die ländliche Öffentlichkeit typischen Vermischung von Dorföffentlich-
138
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
keit und Alltagswelt (mit der zentralen Steuerungsdimension der informellen sozialen Kontrolle) vorbehalten. Eine Regelung von Konflikten war den relativ abgeschlossenen Familienkommunikationen und dörflichen Gremien vorbehalten; eine öffentliche Problematisierung unterblieb weitgehend. Ländliche Sozialräume, die mit „postruralen“ (Goldberg 2003:19) Basisdynamiken konfrontiert sind, erleben also – in Anlehnung an Lange/Fellöcker (ebd.) – den Konflikt zwischen tradierten Hilfeformen, die vielfach nicht mehr greifen, und neuen Ansätzen, die noch nicht etabliert sind. Zu einem ähnlichen Befund gelangen Böhnisch/Funk (1991:25), wenn sie sich auf den historischen Vorläufer dörflicher Öffentlichkeit in Form der Binnenstruktur bäuerlicher Hausgemeinschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beziehen. Zu diesem Zeitpunkt wurden schon Widersprüche mittels vorgeformter Regeln zu klaren Bahnen harmonisiert und nicht öffentlich konfligierend ausgetragen. Traditionelle Segmente, die eine konfliktuöse und damit öffentlich sichtbare Entladung von Widersprüchen verhindern, verunmöglichen auch die Thematisierung von Problemlagen wie Arbeitslosigkeit, schlechten Arbeitsbedingungen in Betrieben, Randständigkeit von Familien etc. – so die AutorInnen.
4.5.2.6
Lange Wege von Sozialen Diensten
Pantucek (2005:61) beschreibt ein zentrales Charakteristikum des ländlichen Unterstützungssystems in Gestalt der „langen Wege“, welche BewohnerInnen ländlicher Sozialräume in der Regel zurücklegen müssen, um Hilfe zu erhalten. Gemeinsam mit Problemen der Mobilität, welche insbesondere benachteiligte Gruppen, Menschen mit physischen Beeinträchtigungen, materiell arme Menschen betreffen, gestalten sie die Wahrnehmung von Hilfebedürftigkeit maßgeblich (vgl. dazu Kronauer 2005:169). Im Fachdiskurs zu Hilfe im ländlichen Raum wird auch dargestellt, dass eine Vielzahl jener Sozialen Dienste, die in die Gemeinden selbst vordringen, oft nur jene der Pflege und der unmittelbaren physischen Versorgung sind. Differenzier-
Häusliche Gewalt im ländlichen Raum
139
te Betreuungs- und Versorgungsleistungen stehen dem Gros der am Land lebenden Bevölkerung zumeist nicht – oder nur unter großen Einschränkungen – zur Verfügung (vgl. Fellöcker 1997:47-63). Dieser Umstand wird auf die Problemwahrnehmung der ländlichen Sozialadministration zurückgeführt, die in der Regel von der Auffassung dominiert ist, dass Selbsthilfe und Selbstregulierung der dörflichen Familie vorauszusetzen sind. Ein unterschiedlicher Befund wird den ländlichen Neubaugebieten ausgestellt. Böhnisch/Funk (1991:34) gehen von der Annahme aus, dass in jüngst entstandenen Siedlungsräumen der ländlichen bzw. suburbanen Zonen die Einflussnahme direkt auf Problemfamilien zugeschnitten ist, weil aufgrund ihrer zumeist vorhandenen strukturellen Isolierung kein Selbsthilfepotential vermutet wird. Dort, wo sich vielfach neue Bevölkerungsgruppen angesiedelt haben, die häufig in den Verdichtungsräumen arbeiten und im ländlichen Raum wohnen, lässt sich eine unmittelbarere Intervention durch Soziale Dienste feststellen. Die eingeschränkte Versorgung des ländlichen Raums mit wohlfahrtsstaatlichen Angeboten wird aber auch in engem Zusammenhang mit dem urbanen Ursprung von Institutionen der Sozialen Arbeit gesehen. Das heißt, dass spezifische Formen der institutionellen Problemerkennung sich erst in den urbanen Verdichtungsräumen herausgebildet haben und auch nur im städtischen Leben soweit „veralltäglicht sind, dass die Artikulation von Lebensschwierigkeiten und die Inanspruchnahme sozialer Dienste in sozialen Krisen- und Konfliktsituationen zur Selbstverständlichkeit wird, denn nur so können privat erlebte soziale Probleme der sozialpolitischen Öffentlichkeit der Sozialarbeit zugänglich gemacht werden“ (Böhnisch/Funk 1991:35).
Für die gegenständliche Arbeit sind die ausgewiesenen Befunde trotz des vergleichsweise lange zurückliegenden Entstehungsdatums insofern von Relevanz, als der demographischen und infrastrukturellen Benachteiligung ländlicher Räume eine fortdauernde Tendenz zuzuschreiben ist (vgl. Lichtenberger 1989:27; Schipfer 2005). Sozioökonomisch günstige Entwicklungen, wie sie für den suburbanen Einzugsbereich konstatiert werden, bedürften an dieser Stelle einer differenzierten Untersuchung, vor allem, was deren Auswirkungen auf kommunikative Strukturen und soziale Netzwerke betrifft. In der gegenständlichen Arbeit
140
Kommunale Kriminalprävention – eine unspezifische Hilfestrategie bei häuslicher Gewalt?
wird von der Annahme ausgegangen, dass in den soziogeographisch ausgewiesenen „ländlichen“ Kommunen und Bezirken (vgl. Abb. 1) nach wie vor die beschriebenen Fragen ungenügender Vernetzung, Koordination und Kommunikation der Sozialadministration, gepaart mit der Gleichzeitigkeit vormoderner und urbaner Lebensstile als kumulierende Problemfaktoren vorliegen. Gemeinsam mit jenen Konfliktlinien, die aus dem eingangs beschriebenen Übergang von bäuerlicher Wertestruktur zu modernen Lebensformen entstehen, eröffnen sich daraus besondere Fragen an die Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt für den ländlichen Raum. Welche besonderen Voraussetzungen braucht es vor dem Hintergrund der beschriebenen Zusammenhänge, um Strategien der Vorsorge für häusliche Gewalt im ländlichen Raum zu entwickeln? Welche Komponenten der im vorangegangenen Kapitel zusammengefassten Strategien sowie praxisbezogenen Modelle sind zum einen für eine Innovationsbildung nutzbar und zum anderen bereits verwirklicht? Welche Rolle spielt vor den angeführten Charakteristika die Dimension zivilgesellschaftlichen Vorsorgewissens und inwieweit wird dieses in den bestehenden Bemühungen zur Vorsorge zum Einsatz gebracht? Bevor im empirischen Teil der gegenständlichen Arbeit diese Fragen einer Bearbeitung zugeführt werden, bedarf es auch einer Klärung dessen, welche ländlichen Räume72 Niederösterreichs im Besonderen vom Phänomen häuslicher Gewalt betroffen sind. Aus diesem Grund wird im nächsten Schritt eine kriminalgeographische Skizze über die Verteilungsformen und -muster von häuslicher Gewalt auf Grundlage der Kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik im Zeitraum 2001-2005 dargestellt, die dazu dienen soll, jene Untersuchungseinheiten und -räume zu identifizieren, aus denen im Rahmen der Dissertationsforschung das Sample von Befragten rekrutiert wurde.
72
Nachdem die Verortung dieser Räume nach Maßgabe kriminalgeographischer Daten auf Grundlage der Kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik vorgenommen wurde, kann eine Kartographie nur auf Ebene der 21 in Niederösterreich vorliegenden Verwaltungsbezirke erfolgen. Eine Datenanalyse auf Gemeindeebene wäre nur möglich gewesen, indem jede einzelne Anzeige, die auf Bezirksebene per Aktenzeichen dokumentiert wurde, auf deren kommunalen Ursprung hin rückverfolgt worden wäre.
5
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum – anhand des Beispiels niederösterreichischer Bezirke und Gemeinden
Die Sekundäranalyse der (nieder)österreichischen Anzeigen- und Opferstatistik73 ermöglichte die Verortung jener Räume, in denen im Untersuchungszeitraum vom Jahr 2001 bis zu 2005 ein ausgeprägtes Hellfeld häuslicher Gewalt vorlag. Auch aufgrund sonstiger Merkmale wie beispielsweise der Opferverteilung, der Altersverteilung derselben oder besonderer Ausprägungen in der TäterInnenOpfer-Beziehung konnte dieses deskriptiv erfasst werden. Die Auswahl der InterviewpartnerInnen aus den drei interessierenden Untersuchungsfeldern Sicherheit/Polizei, Politik/Öffentliche Verwaltung, Opferschutz sowie aus dem Kreis von Betroffenen erfolgte auf Grundlage der räumlich differenzierten Sekundäranalyse. Im Rahmen der leitfadengestützten Gespräche mit diesen wurden die nachstehenden sekundäranalytischen Auswertungen auszugsweise als Gesprächsgrundlage eingesetzt. Die Datenanalyse nahm insgesamt alle angezeigten Delikte gegen Leib und Leben (Anzeigen nach §§ 75 – 79 StGB und §§ 82 – 93 StGB), jene gegen die Familie (Anzeigen nach §§ 195 + 198 StGB), die Delikte gegen die Freiheit (Anzeigen nach §§ 99 – 107 StGB) sowie jene gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (§§ 201-217 StGB) ins Blickfeld. Durch dieses Vorgehen blieb das Dunkelfeld der Anzeigen sowie die tolerierten und sozial akzeptierten
73
Die Anzeigenstatistik ist die Erfassung aller an die Justizbehörden erstatteten Anzeigen und weist deren rechtliche Beurteilung durch die Sicherheitsbehörden zum Zeitpunkt der Anzeige aus. Die hierfür relevanten Daten werden seit 1.2.2000 elektronisch in der Kriminalstatistik Online erfasst, in einer Datenbank des Bundesministeriums für Inneres gespeichert und aufbereitet.
142
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
Formen von Gewalt im sozialen Nahraum aus den Überlegungen74 ausgespart. Auch die Auszählung sowie Analyse jener Interventionen, die aufgrund des Gewaltschutzgesetzes vorgenommen wurden, bildeten an dieser Stelle nicht den zentralen Untersuchungsgegenstand. Letztere wurden in umfangreichen Arbeiten, so auch in der Evaluierung des Gewaltschutzgesetzes nach Haller (2000) einer breiten Analyse zugeführt. Im Rahmen dieser Arbeit ging es vielmehr um die Auswertung von Informationen aus der Kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik, welche zum einen eine Gegenüberstellung mit anderen kriminellen Tatbeständen erlaubte sowie zum anderen die Zahl aufgetretener Opfer, die nicht nach dem Gewaltschutzgesetz behandelt wurden, bezirksspezifisch ausweisen konnte. Für die nachstehende Darstellung ist folgende Einschränkung zu formulieren: Die Kriminalpolizeiliche Anzeigenstatistik in Österreich wird aus drei voneinander getrennt geführten Rohdatensätzen75 in Gestalt der Anzeigenstatistik, der Opferstatistik und der Beziehungsstatistik gespeist, die nicht miteinander kombiniert auswertbar sind. Auch ist die isolierte Analyse der strafbaren Tatbestände für ausgewählte Deliktsgruppen ohne datenspezifisches Wissen über die TäterInnen-Opfer-Beziehung und Viktimisierung nur begrenzt aussagefähig. Hinzu kommt, dass die ausgewählten Deliktsgruppen, in denen sich häusliche Gewalt niederschlägt insgesamt (mit Ausnahme von § 106 StGB „Nötigung“ und § 107 StGB „Gefährliche Drohung“) in sehr geringen Häufigkeiten (im Vergleich zur sonstigen Kriminalität) vorliegen, weshalb auch Entwicklungslinien nur begrenzt festgestellt werden können. Eine differenzierte, hypothesenprüfende Analyse
74
Einen Überblick dazu liefert der Gewaltbericht 2001 (Cizek et al. 2001) bzw. diese finden im Rahmen der Darstellung der Diskurse zu Gewalt in der Familie bzw. „Family Violence“ Erörterung. 75 Die Anzeigenstatistik für den Zeitraum 2001 – 2005 setzt sich aus drei voneinander unabhängig erhobenen Datensätzen zusammen: x Die Polizeiliche Anzeigenstatistik Österreichs (und Niederösterreichs) erhebt die Variablen Tatort, Tatzeit und Tatbestände. x Die Polizeiliche Anzeigenstatistik nach der Täter-Opfer-Beziehung erhebt neben oben genannten Variablen die Variable der Täter-Opfer-Beziehung zum Tatzeitpunkt, x Die Polizeiliche Anzeigenstatistik in Form der Opferstatistik gibt durch die Variablen Alter und Nationalität der Opfer Aufschluss über die Zahl der registrierten Opfer zum Anzeigenzeitpunkt.
Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich
143
kann folglich nur über mehrere Dekaden76 erfolgen. Aus diesem Grund werden in weiterer Folge auch nur jene Analyse-Ergebnisse dargestellt, die für die weiterführende Forschung elementar waren. Insofern erwiesen sich folgende Findings auf Ebene der politischen Verwaltungsbezirke77 als bedeutsam, die insbesondere aus den Rohdaten der Opferstatistik zu gewinnen waren.
5.1 5.1.1
Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich Die Verteilung der Opfer nach Geschlecht und Tatort
Deutlich wurde, dass in der Deliktgruppe „strafbare Handlungen gegen Leib und Leben“ (§§ 82 – 93 StGB sowie § 75 – 79 StGB) vorwiegend männliche Opfer auftraten, während in der Gruppe der „strafbaren Handlungen gegen die Freiheit“ (§§ 99 – 107 StGB) sowie bei jenen Delikten gegen die „sexuelle Integrität und Sittlichkeit“ (§§ 201 – 217 StGB) eine Verschiebung hin zu vorwiegend weiblichen Opfern78 stattfand (vgl. dazu Anhang A Tabelle 5). Dieser Befund deckt sich weitgehend mit den Findings aus dem kriminologischen Fachdiskurs zur häuslichen Gewalt (vgl. Smithey/Straus 2003:239) insgesamt. Der leichte Überhang an männlichen Opfern im Rahmen des § 83 StGB wurde durch die Summe der weiblichen Opfer bei allen anderen Straftatbeständen kompensiert. Die Auszählung der laut Kriminalstatistik registrierten Opfer nach niederösterreichischen Bezirken zeichnete – in relativen Häufigkeiten angegeben – fol76
Eine digitalisierte Aufzeichnung von Anzeigen existiert seit dem Jahr 2000 und wird in der Kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik sowie im jährlich erscheinenden Sicherheitsbericht des Bundesministerium für Inneres sowie des Bundesministeriums für Justiz veröffentlicht. 77 Die Grenzen eines administrativen Raumes in Gestalt eines politischen Bezirks sind nicht gleichzusetzen mit jenen eines Sozialraums. Vielmehr haben sich erstere „mehr oder weniger raumblind“ aus einer rechts- und verwaltungshistorischen Logik heraus entwickelt (Benda/Keppeler 2005:441). Das heißt, dass Gebietseinteilungen in der Regel nicht dem Gebot der räumlichen Zuordnung von Lebenswelten folgten, sondern „dem Bemühen der Öffentlichen Verwaltung, Steuerungs- und Versorgungsaufgaben möglichst effektiv erledigen zu können“ (ebd.). 78 Eine Auszählung der Opfer nach innerfamiliärem bzw. außerfamiliärem Kontext der Deliktbegehung wäre von zentralem Interesse für die gegenständliche Forschung. Diese muss allerdings unterbleiben, weil der gegenständliche Datensatz „Opfer“ diese Variablen unerhoben lässt.
144
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
gendes Bild, das den bestehenden Zusammenhang zwischen dem Tatort und der Opferhäufigkeit visualisiert. Abbildung 2: Auszählung nach niederösterreichischen Tatorten
Auszählung nach niederösterreichischen Tatorten
14 12
Prozent
10 8 13,72
6 10,17
4 2 0
7,53 5,42
5,2
4,58
4,4
4,17
2,91
2,62
2,01
1,54
1,46
1,14
0,73
BH Amstetten BH Krems BPD St.Pölten BPD Wr. Neustadt BH Tulln BH Gänserndorf BPD Schwechat BH Baden BH Korneuburg Mag. Waidhofen/Ybbs BH Zwettl BH Bruck a d Leitha BH Gmünd BH Neunkirchen BH Mödling BH Lilienfeld BH Melk BH Scheibbs BH St.Pölten BH Mistelbach BH Waidhofen/Thaya BH Wien-Umgebung Mag. Krems BH Horn BH Wr. Neustadt BH Hollabrunn
Die Zahl der im Zuge von Strafanzeigen registrierten Opfer (beiderlei Geschlechts) war in der BH Hollabrunn mit 13,7 % am höchsten, gefolgt von der BH Wr. Neustadt mit 10,2 %, der BH Horn mit 7,5 % und dem Magistrat Krems mit 5,4 % (absolute Häufigkeiten siehe Anhang A). Diese Verteilung änderte sich nur geringfügig, wenn die Auszählung ausschließlich nach weiblichen Opfern erfolgte (siehe Diagramm b Anhang A). Die dargestellte Streuung der Be-
145
Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich
zirke im Hinblick auf die Relation der Opferzahlen zueinander bedurfte einer Auszählung nach der Häufigkeitszahl für die jeweiligen Bezirke, was folgende Abbildung erzeugte: Abbildung 3: Opferhäufigkeit (in absoluten Zahlen) nach Bezirksgröße 12
10
Opfer pro 100 Einwohner
10 9
8
8
7 6
4
7 6 5 4
4 3
2
2
2
2
2
2
2
1
1
1
1
1
1
1
1
0
0
B H
H ol la br u B nn H B H H M ag or W a .K n M ag idh r . W ofe em s n ai dh /Th a of en ya /Y B H bb Li B s H l W ien f r. N e ld eu B st H ad S B t PD ch e Sc ibb hw s ec B ha H t G B m H B ün H M is B ru te d B lb ck H ac a W h d ie Le nith U m ge a bu ng B H Zw et tl B B HM H St elk .P öl B te H B n M H ö N eu dlin nk g B H irc K h or ne en B PD ub ur St g .P öl B te PD B n H W Tu r. ll N B eu n H G än sta se dt rn do B rf H K re m B H s B H Bad A m en st et te n
-
Tabelle 2: Opferhäufigkeit nach Bezirksgröße
BH Hollabrunn
Anzahl der relative Häufigkeit Bezirksgröße Opfer der Opfer 5007 13,72% 49.931
BH Wr. Neustadt
3712
10,17%
72.656
5,1
BH Horn
2747
7,53%
32.090
8,6
Mag. Krems
1978
5,42%
23.656
8,4
BH Wien-Umgebung
1929
5,29%
89.336
2,2
BH Waidhofen/Thaya
1897
5,20%
27.700
6,8
BH Mistelbach
1799
4,93%
72.840
2,5
BH St. Pölten
1672
4,58%
94.475
1,8
BH Scheibbs
1654
4,53%
41.296
4,0
BH Melk
1605
4,40%
75.673
2,1
BH Lilienfeld
1578
4,32%
27.133
5,8
BH Mödling
1523
4,17%
108.983
1,4
Bezirk
Opfer pro 100 EW 10,0
146
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
BH Neunkirchen
Anzahl der relative Häufigkeit Bezirksgröße Opfer der Opfer 1144 3,14% 86.213
Opfer pro 100 EW 1,3
BH Gmünd
1061
2,91%
39.372
2,7
BH Bruck a d Leitha
984
2,70%
40.784
2,4
BH Zwettl
955
2,62%
45.009
2,1
Mag. Waidhofen/Ybbs
788
2,16%
11.811
6,7
BH Korneuburg
735
2,01%
70.158
1,0
BH Baden
596
1,63%
129.977
0,5
BPD Schwechat
561
1,54%
15.286
3,7
BH Gänserndorf
550
1,51%
89.768
0,6
BH Tulln
534
1,46%
65.967
0,8
BPD Wr. Neustadt
490
1,34%
72.656
0,7
BPD St. Pölten
415
1,14%
50.191
0,8
BH Krems
308
0,84%
54.572
0,6
266
0,73%
109.995
0,2
36488
100,00%
1.597.528
Bezirk
BH Amstetten
Für die Gespräche mit den VerantwortungsträgerInnen erwies sich das oben genannte Finding – die BH Hollabrunn als „Spitzenreiterin“ – als zentral. Insbesondere die Frage nach dem ursächlichen Zustandekommen der vergleichsweise hohen Opferzahl in den Bezirken Hollabrunn, Wr. Neustadt und Horn sowie nach der breiten Streuung erschien an dieser Stelle als wichtig.
5.1.2
Die Verteilung der Opfer nach interessierendem Tatbestand, Tatort und Geschlecht
Die Verteilung von Opfern nach Tatort und Geschlecht wurde weiters mit der Variable des Tatbestandes79 in Relation gesetzt und verdeutlichte folgende Zusammenhänge:
79
Ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Tatort, dem Tatbestand sowie der Opferanzahl konnte im Signifikanztest nachgewiesen werden.
147
Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich
80
Tabelle 3: Häufigste strafbare Tatbestände nach „opferhäufigsten“ niederösterreichischen Bezirken Tatbestän de
§ 83
§ 92
§ 106
§ 107
§ 201
§ 202
80
Gesamt
„opferhäufigste Tatorte“ BH Hollabrunn
BH Wr. Neustadt
BH Horn
Mag. Krems
BH WienUmgebung
BH Waidhofen/ Thaya
Anzahl
3550
2497
1973
1317
1285
1362
11984
% von „opferhäufigste Tatorte“
29,6%
20,8%
16,5%
11,0%
10,7%
11,4%
100,0 %
Anzahl
15
21
16
28
7
8
95
% von „opferhäufigste Tatorte“
15,8%
22,1%
16,8%
29,5%
7,4%
8,4%
100,0 %
Anzahl
72
34
57
30
19
14
226
% von „opferhäufigste Tatorte“
31,9%
15,0%
25,2%
13,3%
8,4%
6,2%
100,0 %
Anzahl
593
884
254
533
334
171
2769
% von „opferhäufigste Tatorte“
21,4%
31,9%
9,2%
19,2%
12,1%
6,2%
100,0 %
Anzahl
52
26
20
21
19
13
151
% von „opferhäufigste Tatorte“
34,4%
17,2%
13,2%
13,9%
12,6%
8,6%
100,0 %
Anzahl
2
5
3
7
4
3
24
Die Auszählung erfolgte nach zeilenweisen Prozentwerten.
148
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
Tatbestän de
§ 206
§ 207
Gesamt
Gesamt
„opferhäufigste Tatorte“ BH Hollabrunn
BH Wr. Neustadt
BH Horn
Mag. Krems
BH WienUmgebung
BH Waidhofen/ Thaya
% von „opferhäufigste Tatorte“
8,3%
20,8%
12,5%
29,2%
16,7%
12,5%
100,0 %
Anzahl
18
11
12
16
15
4
76
% von „opferhäufigste Tatorte“
23,7%
14,5%
15,8%
21,1%
19,7%
5,3%
100,0 %
Anzahl
20
25
13
17
16
15
106
% von „opferhäufigste Tatorte“
18,9%
23,6%
12,3%
16,0%
15,1%
14,2%
100,0 %
Anzahl
4322
3503
2348
1969
1699
1590
15431
% von „opferhäufigste Tatorte“
28,0%
22,7%
15,2%
12,8%
11,0%
10,3%
100,0 %
Anzeigen wegen Körperverletzung und wegen Gefährlicher Drohung sind an allen Tatorten ungleich höher vertreten als jene wegen Schwerer Nötigung (§ 106 StGB), Vernachlässigung (§ 92 StGB), Vergewaltigung sowie wegen sexuellen Missbrauchs (§§ 202, 206, 207 StGB). Weiters zeigt sich, dass die BH Hollabrunn in den Deliktsgruppen des § 83 StGB (Körperverletzung), des § 106 StGB (Schwere Nötigung), des § 201 StGB (Vergewaltigung) sowie des § 206 StGB (Sexueller Missbrauch) die meisten Opfer aufweist (siehe dazu Tabelle 6 im Anhang A). Signifikant war der im Magistrat Krems sowie im Bezirk Wr. Neustadt vorliegende Anteil an Opfern aufgrund von Anzeigen nach § 92 StGB (Quälen oder
Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich
149
Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen). Ein ähnliches Bild zeigte der Magistrat Krems auch bei den registrierten Opfern nach § 202 StGB (Geschlechtliche Nötigung) mit einer relativen Häufigkeit von 29,2 % von insgesamt nur 24 registrierten Opfern im genannten Untersuchungszeitraum. (Aufgrund der geringen absoluten Häufigkeiten sind diese Prozentwerte nur mit Vorsicht interpretierbar.) Als auffällig erwies sich die vergleichsweise hohe relative Häufigkeit an Opfern im Fall von Anzeigen nach § 106 StGB (Schwere Nötigung) mit 31,9 % der Fälle (von insgesamt 226 Opfern im Untersuchungszeitraum) und nach § 201 (Vergewaltigung) mit 34,4 % (von insgesamt 151 Opfern) für den Bezirk Hollabrunn. Erhöht war der Wert auch für die BH Wr. Neustadt mit 31,9 % für den Tatbestand der Gefährlichen Drohung nach § 107 StGB, in welchem 2.769 Opfer insgesamt für den Untersuchungszeitraum registriert wurden. Interessierend war an dieser Stelle die Frage, wie diese vergleichsweise hohe Opferzahl von lokalen AkteurInnen (aus dem Untersuchungsfeld Sicherheit/Polizei und Politik/Öffentliche Verwaltung) interpretiert wurde. Folgende Fragen wurden demgemäß an die VerantwortungsträgerInnen formuliert: Inwieweit ist die hohe „Opferbelastung“ den lokal verantwortlichen AkteurInnen bekannt? Wie erklärt man sich das Zustandekommen dieser Befunde?
5.1.3
Die Verteilung der Opfer nach den am häufigsten angezeigten Delikten in ihrer Altersverteilung81
Auffallend war, dass im Fall von Anzeigen nach § 83 StGB (Körperverletzung) 33,7 % (das sind 22.250 Opfer) der registrierten Opfer in der Altersklasse zwischen 25 und 40 Jahren waren. Im Fall von § 92 StGB (Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen) sowie von § 99 (Freiheits-
81
Um die vergleichsweise hohe Zahl weiblicher Opfer in allen Delikten zu veranschaulichen, wurden in der gegenständlichen Auszählung nur weibliche Opfer berücksichtigt (vgl. dazu Tabelle 7 im Anhang A).
150
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
entziehung) war die überwiegende Zahl (190 Opfer nach § 92 StGB, 8 Opfer nach § 91 StGB) der registrierten Opfer unter 6 Jahren alt, wobei an dieser Stelle auf die vergleichsweise geringe absolute Zahl der Opfer hinzuweisen ist. Die schwere Nötigung (§ 106 StGB) war wiederum vermehrt (zu 42,1 %, das sind 1191 Opfer) in der insgesamt am meisten belasteten Altersgruppe der 25bis 40-jährigen Personen zu verzeichnen, ähnlich auch im Fall von § 107 (gefährliche Drohung), wo der relative Anteil bei 38,1 % (bzw. 8.848 absoluten Fällen) liegt. Als auffallend zeigte sich auch, dass im Fall von §§ 206, 207 StGB (Sexueller Missbrauch) eine Tendenz zur Altersgruppe der 10- bis 14-jährigen weiblichen Opfer besteht, mit über 50 % der Fälle in dieser Gruppe. Die im Forschungszusammenhang interessierenden Fragen bezogen sich auf Fragen der Erreichbarkeit der ausgewiesenen Personengruppen. Die zentrale Frage an die lokalen VerantwortungsträgerInnen aus der Politik/Öffentlichen Verwaltung, aus der Polizei sowie aus dem Opferschutz orientierte sich daran, wie diese Personen am ehesten durch ein flächendeckendes Programm angesprochen werden konnten.
5.1.4
Die Verteilung der Opfer nach Tatort und Geschlecht für Gesamtösterreich
Die Opferstatistik (für Niederösterreich sowie für Gesamtösterreich) wies einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Geschlecht registrierter Opfer und dem Straftatbestand im Untersuchungszeitraum auf. Während die Delikte nach dem § 83 StGB vorwiegend männliche Opfer betrafen, überwogen bei allen anderen Tatbeständen die weiblichen Opfer. Deutlich wurde auch, dass in den jüngeren Altersgruppen ungleich mehr Mädchen als Jungen davon betroffen waren, Opfer einer Straftat (in den ausgewählten Deliktsbereichen) zu werden. Die in diesem Zusammenhang an die VerantwortungsträgerInnen zu richtende Frage kreiste um mögliche Deutungen für die Tatsache, dass Mädchen von häus-
TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum
151
licher Gewalt stärker betroffen sind als Jungen. Insbesondere die Frage nach Geschlechtsrollenbildern, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt zum Tragen kommen, wurde aufgrund dieses Findings an die VerantwortungsträgerInnen gestellt.
5.2
TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum
In den Rohdaten der Kriminalpolizeilichen Anzeigenstatistik bildet die Beziehung zwischen Opfern und TäterInnen im Untersuchungszeitraum einen eigenen Datensatz, der nach der Zahl der Anzeigen geführt wurde und nicht aufgrund der Gruppierungsvariable „Zahl der Opfer“. Aus diesem Grund waren diese Daten nur begrenzt für die Analyse einsetzbar. Folgende Befunde konnten dennoch gelegt werden:
5.2.1
Die Verteilung der Beziehung zwischen Opfer und TäterInnen im Bundesländer-Vergleich
Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehungen im Vergleich der Bundesländer legte offen, in welchen Bundesländern der höchste Anzeigenanteil für familiäre TäterInnen-Opfer-Beziehung auszuweisen war (vgl. dazu Tabelle 8 Anhang A).
152
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
Abbildung 4: TäterInnen-Opfer-Beziehung nach Bundesland im Vergleich (relative Häufigkeit)
Opferbeziehung nach Bundesländern in Prozent Bundesländer Burgenland Kärnten
Zufallsbek oder unbekannt
Niederösterreich Oberösterreich
Täter-Opfer-Beziehung
Salzburg Steiermark Tirol Vorarlberg Wien
Bekanntschaftsver hältnis
familiale Beziehung
0,0%
10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0%
Prozent
153
TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum Tabelle 4: TäterInnen-Opfer-Beziehung nach Bundesland (Kreuztabelle) Bundesländer
Burgenland
Beziehungstyp (neu)
Anzahl % von Bundesländer Anzahl
Kärnten
Niederösterreich
Oberösterreich
Salzburg
Steiermark
Tirol
Vorarlberg
Wien
Gesamt
Gesamt
familiale Beziehung
Bekanntschaftsverhältnis
Zufallsbekanntschaft oder unbekannt
315
198
474
987
31,9%
20,1%
48,0%
100,0%
851
972
1299
3122
% von Bundesländer
27,3%
31,1%
41,6%
100,0%
Anzahl
1904
1624
2514
6042
% von Bundesländer
31,5%
26,9%
41,6%
100,0%
Anzahl
1585
1981
3289
6855
% von Bundesländer
23,1%
28,9%
48,0%
100,0%
Anzahl
618
793
1401
2812
% von Bundesländer
22,0%
28,2%
49,8%
100,0%
Anzahl
1367
1659
2300
5326
% von Bundesländer
25,7%
31,1%
43,2%
100,0%
Anzahl
925
1088
2020
4033
% von Bundesländer
22,9%
27,0%
50,1%
100,0%
Anzahl
561
694
1142
2397
% von Bundesländer
23,4%
29,0%
47,6%
100,0%
Anzahl
3287
3146
6447
12880
% von Bundesländer
25,5%
24,4%
50,1%
100,0%
Anzahl
11413
12155
20886
44454
% von Bundesländer
25,7%
27,3%
47,0%
100,0%
154
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
Der relative Anteil jener Anzeigen, in denen eine familiäre TäterInnen-OpferBeziehung vorlag, betrug in Niederösterreich 31,5 % und war nur im Burgenland mit 31,9 % höher.
5.2.2
Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Gesamtösterreich82
Angenommen wurde, dass sich die Straftatbestände je nach Beziehungstyp verändern bzw. dass ein Zusammenhang zwischen dem Delikt und dem Beziehungstyp besteht (vgl. dazu Tabelle 9 Anhang A). Die Kreuztabelle (unter Angabe zeilenweiser Prozentwerte – siehe Tabelle 8 Anhang A) macht deutlich, in welcher relativen Häufigkeit die Straftatbestände (Anzeigen) als familiäres Verhältnis, als Bekanntschaftsverhältnis oder als nicht bestehende/unbekannte Beziehung zwischen TäterInnen und Opfern unterscheidbar sind. Unter Rückgriff auf die wesentlichen Tatbestände verdeutlichten sich folgende Befunde, die auch weitgehend mit den Erkenntnissen aus dem kriminologischen Fachdiskurs übereinstimmten: Bei Mordanzeigen nach § 75 StGB lag zum überwiegenden Teil (44,2 %) eine familiäre Beziehung vor, wenngleich die absolute Zahl der Fälle für den Untersuchungszeitraum 165 Anzeigen betraf. Im Fall von Anzeigen nach § 83 StGB (Körperverletzung) hingegen bestand in den meisten Fällen (49,6 %, das sind 13.761 Anzeigen) keine oder eine unbekannte TäterInnen-Opfer-Beziehung. Anders wiederum bei der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB): Nahezu die Hälfte der Anzeigen (45,5 %) wurden einer bestehenden familiären Beziehung zugeordnet, was aber wiederum „nur“ einer absoluten Zahl von 11 Anzeigen im Untersuchungszeitraum entsprach. 82
Aufgrund der besseren Vergleichbarkeit wurden an dieser Stelle die Daten aus Gesamtösterreich für die Analyse herangezogen. Die Befunde für Niederösterreich sind unter Tabelle 10 (Anhang A) abgebildet und machen die identen Entwicklungslinien im Hinblick auf die Relevanz der Beziehungsformen in den Tatbeständen deutlich.
TäterInnen-Opfer-Beziehung im Untersuchungszeitraum
155
Im Fall von Anzeigen nach § 92 StGB („Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen“) bestand bei 204 von 246 Anzeigen eine familiäre Beziehung. Die Zahl jener Anzeigen, bei denen keine oder eine unbekannte TäterInnen-Opfer-Beziehung vorlag, war marginal (4,1 % bei Vergehen, 5,6 % bei Verbrechen). Freiheitsentziehung als Vergehen (§ 99 StGB) wurde in der überwiegenden Zahl der Fälle (39 % von 451 Anzeigen im Untersuchungszeitraum insgesamt) als familiäres Delikt zur Anzeige gebracht. Anders beim Verbrechen nach § 99 StGB, wo bei 58,6 % der Fälle ein Bekanntschaftsverhältnis vorlag. Anzeigen, in denen die familiäre TäterInnen-Opfer-Beziehung überwog, waren noch jene nach §§ 106, 107 StGB (Schwere Nötigung und Gefährliche Drohung). Auch die Zahl der absoluten Fälle zeigte sich bei diesen Tatbeständen als vergleichsweise hoch. Hingegen lagen die Anzeigen wegen Vergewaltigung (§ 201 StGB) in allen drei Beziehungskategorien annähernd gleich verteilt vor. Innerhalb der Delikte gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung insgesamt zeigte sich folgender Unterschied deutlich: Bei den Anzeigen im Fall von sexuellem Missbrauch lag zu einem hohen Teil83 ein Beziehungskontext zwischen TäterInnen und Opfer vor (siehe Tabelle 8 Anhang A). Die genannten Befunde sollten auch als Gesprächsimpulse für Schilderungen über bestimmte Fälle dienen, in denen Wissen über konkrete Interventionen und/oder Hilfestellungen zum Ausdruck gebracht sollte. VerantwortungsträgerInnen sollten diese Findings für Rekonstruktionen aus der beruflichen Praxis nützen. Mit der Annahme, dass sich die Reaktionsweisen auf sowie die Vorsorgemaßnahmen für häusliche Gewalt zwischen den ländlichen Bezirken unterscheiden und dass zum Teil unterschiedliches Wissen über Hilfe und Vorsorge in einzelnen Räumen vorliegt, wurde die gegenständliche Datenanalyse mit einer
83
Nach § 206 StGB (Schwerer sexueller Missbrauch) liegen in 45,7 % der Fälle – das sind 91 Anzeigen – und nach § 207 StGB (Sexueller Missbrauch von Unmündigen) in 32,7 % der Fälle – das sind 130 Anzeigen – familiäre Täter-Opfer-Beziehungen vor.
156
Sekundäranalyse: Gewalt im sozialen Nahraum
qualitativen Datenerhebung und -analyse ergänzt. Sie sollten Aufschluss geben über heterogene Wissensbestände zu Fragen der Vorsorge. Diese sollten u. a. erschlossen werden über die oben angeführten expliziten Fragen nach statistisch auffälligen Daten und Zusammenhängen. Aus welchem Grund wiesen die BH Hollabrunn sowie die BH Horn eine vergleichsweise hohe Anzahl an Opfern aus? Wie lässt sich die Tatsache interpretieren, dass ein Großteil der Opfer von häuslicher und auch elterlicher Gewalt weiblich war? Warum lag im Magistrat Krems eine vergleichsweise hohe Anzahl an Anzeigen nach § 92 StGB vor? Welche Maßnahmen der Vorsorge werden in diesem Zusammenhang lokal getroffen bzw. wären aus Sicht von Betroffenen und aus der Perspektive des Operschutzes empfehlenswert? Diese und ähnliche Fragen wurden an ausgewählte VerantwortungsträgerInnen aus Politik/Öffentlicher Verwaltung, der Polizei sowie dem Opferschutz gestellt. Ehemals von häuslicher Gewalt Betroffene bildeten die vierte Gruppe an Befragten für die gegenständliche Untersuchung.
6
Der Forschungsprozess
Das Ziel der Dissertationsforschung bestand darin, einen „methodengeleiteten Beitrag zu materieller Theorienbildung“84, zu entwickeln, welcher für „PraktikerInnen im Feld verständliche und sinnvolle Deutungsmuster, Erklärungen, Interpretationen und Anwendungen“ (Glaser/Strauss 1998:12) zur Vorsorge bei häuslicher Gewalt liefern kann. Den Erhebungsgegenstand dafür sollten letztlich das „Betriebswissen“ (vgl. Meuser/Nagel 2005:75) ausgewählter VerantwortungsträgerInnen sowie die von ihnen gewährten Einblicke in die „ungeschriebenen Gesetze des ExpertInnenhandelns“ (Meuser/Nagel 1994:123) und in die handlungsanleitenden Regeln jenseits der herrschenden Gesetze und Verordnungen bilden. Um die bloße Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen und die Darstellung von Allgemeinplätzen weitgehend zu vermeiden, war der Einsatz der kriminalgeographischen Analysen geplant. Beabsichtigt war auch gewesen, diesem gewonnenen Tacit Knowledge aus der Sicht von VerantwortungsträgerInnen die Perspektiven (ehemals) von häuslicher Gewalt Betroffener ungewichtet gegenüberzustellen. Der Forschungsprozess, wie er sich real gestaltete und wie er auch im Rahmen dieser Fassung aktualisiert wurde, wird nachstehend beschrieben.
84
Im Gegensatz dazu verstehen Glaser/Strauss (1998:42) unter formalen Theorien solche, „die für einen formalen oder konzeptuellen Bereich der Sozialforschung (wie Stigmata, abweichendes Verhalten, formale Organisation, Sozialisation, Statuskongruenz, Autorität und Macht, Belohnungssysteme oder soziale Mobilität) entwickelt werden.“
158 6.1
Der Forschungsprozess
Die Erhebungsgrundlagen
Die ursprüngliche Forschungsabsicht bestand darin, eine Bestandsaufnahme der vor Ort vorhandenen Maßnahmen sowie der denkbaren idealtypischen Vorsorgeideen jenseits von Verantwortungs- und Schuldzuschreibungen zu entwickeln. Insofern lag besonderes Augenmerk auf der Sicherstellung der Anonymität der Interviewpersonen sowie einer umfassenden Verfremdung der Daten, um die Redebereitschaft der Interviewpersonen auch über das erste Gespräch hinaus zu gewährleisten. Als Gesprächsgrundlage dienten in erster Linie die Interviewleitfäden (Meuser/Nagel 2005:77), welche an den Auswertungsergebnissen der Sekundäranalyse85 orientiert waren. In allen Interviews wurden auszugsweise diese lokalspezifischen Wissensbestände präsentiert. Der Auftrag an die Befragten aus den drei Untersuchungsfeldern Politik/Öffentliche Verwaltung, Polizei/Sicherheit und Opferschutz bestand u. a. darin, diese zu interpretieren. Die Leitfäden variierten je nach Untersuchungsfeld, waren aber in den drei nachstehenden Themenbereichen ident. Diese lauteten: 1. Als lang gediente Verantwortliche in dieser Funktion kennen Sie viele Fälle häuslicher Gewalt. Dadurch bekommt man vermutlich ein sehr klares Bild darüber, wie und unter welchen Voraussetzungen Konflikte im häuslichen Kontext eskalieren. Wie wird gegenwärtig präventiv gearbeitet? Was wäre erforderlich, um Prävention zu verwirklichen? 2. Die folgenden Auszählungen zur Kriminalitätslage in Niederösterreich stellen die für Ihren Bezirk ausgewiesenen Opfer/Anzeigen im Bereich „häuslicher Gewalt“ dar. Wie lassen sich aus Ihrer Sicht diese Daten interpretieren?
85
Inwiefern existieren „Kumulationsorte“ häuslicher Gewalt in Niederösterreich? Anhand welcher Merkmale (Altersverteilung, Opferverteilung, Täter-Opfer-Beziehung, Opfergeschlecht, Delikt etc.) und an welchen Orten können diese – basierend auf der vorherrschenden Datenlage – beschrieben werden? Welche Entwicklungslinien sind ableitbar, die in die Fragestellung an die ExpertInnen einfließen und dort richtungsweisend sein können?
Die Erhebungsgrundlagen
3.
159
Wenn Sie das Wissen all Ihrer MitarbeiterInnen zusammentragen könnten und mit entsprechenden Fördermitteln aus Landes-, Bundes- sowie aus EU-Töpfen ausgestattet wären: Welche Projekte gegen häusliche Gewalt würden Sie planen und gestalten?
Um sich den Vorstellungen über Vorsorge aus Sicht von Betroffenen authentisch nähern zu können, wurde mit einer relativ breit angelegten, offenen Einstiegsfrage86 eröffnet. Auf Basis der Sekundäranalyse waren also VerantwortungsträgerInnen aus jenen Bezirken und Gemeinden ausgewählt worden, die sich aufgrund besonderer Datenausprägungen abhoben. Eine deutliche Häufung von Opferzahlen beziehungsweise eine besonders geringe Ausprägung derselben bildeten u. a. die Auswahlkriterien. Das Sample war auch nach dem Prinzip des „komparativen Vergleichs“ (Glaser/Strauss 1998:57) im Forschungsprozess systematisch erweitert worden, was bedeutet, dass der Kreis der befragten Personen in der Datenanalyse ergänzt werden musste, sobald die entwickelten Kategorien einen Gruppenvergleich erforderlich machten. Auch wurden gezielt solche InterviewpartnerInnen rekrutiert, die „kontrastierende Fälle“ (Corbin/Strauss 1996: 64) darstellten. Entscheidend war dabei, dass die VerantwortungsträgerInnen in Gestalt der interviewten ExpertInnen die von ihnen beschriebene Wirklichkeit auch maßgeblich mitkonstituieren konnten. Über Vermittlung der VerantwortungsträgerInnen aus dem Opferschutz wurde das Sample der Betroffenen rekrutiert und komparativ erweitert.
86
Die Einstiegsfrage lautete: „In meiner Untersuchung über häusliche Gewalt interessiere ich mich dafür, wie in Ihrem Fall die häusliche Gewalt zustande gekommen ist, wer oder was für Sie in den Situationen davor und danach hilfreich war und was es aus Ihrer Sicht gebraucht hätte, um die Gewalt zu verhindern. Mich interessiert grundsätzlich alles, was Sie über Ihre Geschichte zu erzählen wissen. Ich werde Sie aus diesem Grund auch nicht unterbrechen und Sie ganz frei erzählen lassen, was immer Ihnen in diesem Zusammenhang wichtig erscheint.“
160 6.2
Der Forschungsprozess
Methodologische Überlegungen zur Wahl der Erhebungskategorien und -instrumente
Da eine Dokumentation bestehender Präventionsprojekte für Niederösterreich nicht existierte, musste das triangulierende Vorhaben, Daten auch in Gestalt von Konzeptpapieren zu erheben, fallen gelassen werden. Insofern war die „rekonstruierende Erhebungsmethode“87 nach Gläser/Laudel (2006:67) jene der Wahl, weil die ExpertInnenrolle jene ist, die die jeweilige befragte VerantwortungsträgerIn in Erfahrung ihrer Funktion und des ihr zugeteilten Gegenstandsbereichs auch einnimmt. Der Einsatz von ExpertInneninterviews zur Generierung des o.g. Wissens ermöglichte Zugang zu diesem Betriebswissen. Der Einsatz von narrativen Interviews zur Befragung Betroffener bildete den zweiten Erhebungsschwerpunkt. Ein offener Gesprächseinstieg sollte die relative Nähe von der Darstellungsform88 des Erzählens zur Ebene des ursprünglichen Handelns (vgl. Schütze 1976:80) nützen. Erzählung und Erfahrung ist bei Schütze (ebd.) also grundsätzlich deckungsgleich: „Erzählungen eigenerlebter Erfahrungen sind diejenigen, vom thematisch interessierenden faktischen Handeln abgehobenen sprachlichen Texte, die diesem am nächsten stehen und die Orientierungsstrukturen des faktischen Handelns auch unter der Perspektive der Erfahrungsrekapitulation in beträchtlichem Maße rekonstruieren. (.) Erzählen ist somit näher am >faktischen Handeln< als andere Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung, Berichten“ etc. (Schütze 1976:82).
Darüber hinaus bietet das narrative Interview ein breites Antwortspektrum für die befragten Personen, die letztlich über für sie zum Teil stark traumatisierende Sachverhalte erzählen und abstrahieren sollten. Der offene Gesprächseinstieg 87
Vgl. dazu den Diskurs über die Eigenständigkeit der Methode „ExpertInneninterview“ nach Kassner/Wassermann (2005:95-111). 88 Wie Schütze (1976:80) anführt ist die Erzählerin, sofern sie selbst als tatsächlich Handelnde in die erzählte Situation involviert war, die Erzählung thematisch begrenzt ist, und es sich um eine Stegreiferzählung handelt, solcherart „gezwungen“, tatsächlich Erlebtes in logischer Abfolge sowie in Einzelheiten darzustellen.
Methodologische Überlegungen zur Wahl der Erhebungskategorien und -instrumente
161
ohne konkrete Einzelfragen gewährleistete eine sensible Gesprächssituation, in der die Interviewpartnerin weder unterbrochen noch detailliert zwischengefragt wurde. In den Erhebungssituationen selbst kam der Klärung und Abgrenzung des thematischen Rahmens eine besondere Bedeutung zu. Als schwierig gestalteten sich an dieser Stelle die Dominanz des Gewaltschutzgesetzes und seiner Begleitgesetze sowie die dem Präventionsbegriff zugrunde liegende Logik. Differenzierte Antworten über darüber hinausgehende Fragen der Vorsorge und Hilfe erfolgten zum Teil erst nach genauem und explizitem Nachfragen. Auf den Versuch, die ExpertInnen zur Reflexion anzuregen bzw. auf der Ebene von Innovationen zu kommunizieren, wurde verschiedentlich reagiert. Der Großteil der Befragten widmete sich der Lösung der gestellten Aufgabe, während eine Gruppe (aus dem Kreis der polizeilichen sowie der politischen VerantwortungsträgerInnen) die Antwort unter Verweis auf die durch das Gewaltschutzgesetz und die Institution der KOBs (Abkürzung für KontaktbeamtInnen der Polizei) gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen verweigerte. Die Beantwortung der ursprünglichen Forschungsfragen erwies sich insofern als schwierig, als sich die Forschungskategorie der „Prävention“ als hoch voraussetzungsvolle herausstellte. In der Datenerhebung und auch im Zuge der Datenanalyse war offensichtlich geworden, dass sie mit besonderen methodischen und inhaltlichen Problemstellungen behaftet ist. So zeigte sich, dass – sobald von (primärer) Prävention die Rede war – es in erster Linie um idealtypische Empfehlungen, um normative Zuschreibungen sowie um appellativ formulierte Adhoc-Thesen geht. Eine weitere zentrale Erkenntnis aus der Dissertationsforschung war auch, dass VerantwortungsträgerInnen aus den Untersuchungsfeldern in ihren Darstellungen durchwegs vage und im Bereich moralischen Attribuierens blieben. Wissen über Hilfe und Vorsorge war in den Narrationen der VerantwortungsträgerInnen quer über die Untersuchungsfelder feststellbar. Dieses konnte allerdings nicht über die Frage nach der „Prävention“ erhoben werden. Als besonders voraussetzungsvoll erwiesen sich auch die Forschungskategorien der primären Prävention sowie der kommunalen Kriminalprävention. Die
162
Der Forschungsprozess
diesbezüglichen Rekonstruktionen fielen in der Regel metaphorisch aus. Die Daten offenbarten weitgehend unsystematische Narrationen der Verantwortungsträger -Innen im Umgang mit Fragen nach der Prävention von häuslicher Gewalt. Quer über die Untersuchungsfelder dominierten rechtfertigende Statements.
6.3
Auswertung und Verallgemeinerung der Daten
In der Dissertation 2008 wurden die solcherart erhobenen Daten auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2002) unter dem Fokus des Zusammenfassens relevanter Textteile ausgewertet. Charakteristische Rekonstruktionen wurden dabei mit wörtlichen Interviewauszügen illustriert und sollten die Regelmäßigkeiten im Hinblick auf das Innovations- und Vorsorgewissen der VerantwortungsträgerInnen sowie der Betroffenen quer über funktionale Zuständigkeiten hinweg zum Ausdruck bringen. Die ursprüngliche Absicht, zivilgesellschaftliches und professionelles (wohlfahrtsstaatliches) Wissen über Prävention und Vorsorge quer über die beschriebenen Untersuchungsfelder und auch aus der Perspektive Betroffener zusammenzutragen bzw. dieses in der Datenanalyse verdichtend herauszuarbeiten, orientierte sich an folgenden Forschungsfragen: 1. Welche zivilgesellschaftliche sowie wohlfahrtsstaatliche Vorsorgekompetenz ist gegenwärtig im ländlichen Raum vorhanden? 2. Inwieweit wird diese einer primärpräventiven Ausrichtung gerecht? 3. Welche besonderen Voraussetzungen braucht es, um kommunale Kriminalprävention als primäre Vorbeugung gegen häusliche Gewalt im ländlichen Raum zu implementieren? Im Resümee der Dissertationsforschung wurde der Präventionsbegriff selbst als nicht anschlussfähig an jenen des Vorsorgewissens ausgewiesen. Aus diesem Grund wurden die vorliegenden Daten für die gegenständliche Arbeit einer erneuten Analyse unterzogen, die an den beschriebenen begrifflichen Problemen
Auswertung und Verallgemeinerung der Daten
163
ansetzte und sich kritisch mit der ursprünglichen Erkenntnisabsicht auseinandersetzte. Relativiert wurde auf diese Weise auch die Relevanz jener Rekonstruktionen, die sich auf die Unterscheidung von primärer, sekundärer und tertiärer Prävention bezogen hatten. Die Findings über das vorhandene Vorsorgewissen sowie jene über beschriebene und zum Teil auch realisierte Innovationsansätze konnten ohne weiteren Vorbehalt aus der ursprünglichen Forschung in die gegenständliche integriert werden.
7
Ergebnisse der Datenanalyse
Welche Logik der Prävention sowie der Vorsorge dem Phänomenbereich häuslicher Gewalt zugrunde liegt und welches Wissen dazu in den Untersuchungsfeldern vorliegt, bildet den zentralen Gegenstand der nachstehenden Ergebnisdarstellung. Wie bereits angeführt, sind mit dem Präventionsbegriff in der Regel andere Rekonstruktionen angesprochen als mit jenem der Vorsorge. Während die Rekonstruktionen zur Prävention in der Regel rund um vage beschriebene Erklärungen und Handlungspraxen sowie rechtfertigende Statements89 kreisen, hebt sich das im Feld auffindbare Vorsorgewissen davon durchgehend ab: Die diesbezüglichen Beschreibungen liegen in Gestalt konkret explizierbarer Innovationen sowie in Form von ausdifferenzierten Denk- und Handlungsmodellen vor. In der Dissertationsforschung trat diese Differenz als zentrales Ergebnis in Erscheinung, weshalb auch die vorliegende Datenauswertung anhand dieser Findings zu strukturieren war. Zur formalen Darstellung ist anzumerken, dass nachfolgend zitierte ExpertInnen auch als Einzelpersonen zwecks Anonymisierung gegendert wurden (z.B. „ExpertIn H.“), da es kaum Frauen in Spitzenpositionen in Politik, Verwaltung bzw. bei der Polizei gibt. Je nach Untersuchungsfeld sind sie mit Zahlen, Buchstaben oder einer Kombination aus beidem gekennzeichnet. Eine Kategorie an Rekonstruktionen fand sich in allen Untersuchungsfeldern repräsentiert. Es geht dabei um „Strategien der Distanzierung“, die sich in der Datenanalyse als Praxis der Abwehr des Gegenstandes „häuslicher Gewalt“ zeigten. Ein/e ExpertIn aus dem Untersuchungsfeld Polizei/Sicherheit bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: 89
In den Untersuchungsfeldern Polizei/Sicherheit sowie Politik/Öffentliche Verwaltung waren Findings zur Prävention als Rechtfertigungslogik tendenziell überrepräsentiert.
166
Ergebnisse der Datenanalyse
„Bei uns rufen täglich Leute an, die ihr Eigentum gesichert haben wollen, wir machen Beratungen, Vorträge, mit den verschiedensten Zugängen. Über Gewalt in Familien haben wir uns noch nicht einmal einen Gedanken gemacht, etwas präventiv zu machen, weil auch mir der Zugang fehlen würde, wo wir das zielführend einsetzen könnten. Vielleicht auch deswegen, weil ich, wie eingangs gesagt, nicht glaube, dass wir präventiv was verhindern oder machen könnten. Vielleicht auch, weil häusliche Gewalt auch ein sehr junges Projekt ist, das anfangs sehr kritisiert und negativ gesehen wurde, was sich aber auch im Laufe der Jahre gewandelt hat. Damals war die Exekutive männlich dominiert war und der Beamte dachte, warum er das machen soll und das war auch einmal ein deutlicher Zugang.“ (Position: 19)
7.1
Die Rechtfertigungslogik des Präventionsbegriffs
Den Kernpunkt der Rekonstruktionen von VerantwortungsträgerInnen aus der Polizei/Sicherheit und Politik/Öffentlichen Verwaltung bildet der Verweis auf den korrekten Vollzug der herrschenden Gesetze sowie auf die jährlich stattfindenden Regionalkonferenzen, die vom Gewaltschutzgesetz zwingend vorgeschrieben sind. Die Frage nach möglichen Ideen und Ansatzpunkten für eine über das Gewaltschutzgesetz hinausgehende Vorsorge hingegen bleibt in diesen Untersuchungsfeldern vorerst unbeantwortet. ExpertIn H 1 bringt Ihr Verständnis der Prävention häuslicher Gewalt folgendermaßen auf den Punkt: „Wir haben den Auftrag für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Aber wir sind halt Exekutivbeamte und keine Prediger.“(Position 3) Den Rekonstruktionen über Prävention vorgelagert sind jene über die Motive: In den Untersuchungsfeldern Polizei/Sicherheit sowie Politik/Öffentliche Verwaltung gilt „Alkohol“ neben „Geldsachen90“ als zentrales Ursache91 für 90
Aus Sicht der OpferschutzexpertInnen hingegen wurde angeführt, dass Geld und Alkohol nur in Form von intervenierenden Variablen wirksam werden. Vielmehr seien es die gewalttätigen Strukturen von familiären Beziehungen selbst sowie die teilweise bestehende soziale Toleranz eines gewaltvollen Umgangs im geschlechtsrollenspezifischen Beziehungsgefüge, die ursächlich bedingend sind, so die zentrale Diskurslinie. Weiters sind ein grundlegender sozialer Ressourcenmangel in Form von so genannten „äußeren Bedingungen“ und ein Mangel an sozialen Kompetenzen als so genannte „innere Ursache“ festzustellen (ExpertIn 2, Position 17, ExpertIn JW, Position 2). 91 Gegen die These, dass „Geldsachen“ und „Alkohol“ erklärende Bedingungen darstellen, spricht auch die Tatsache, dass die ExpertInnen, welche diese Ansicht vertreten, diese Themen nicht als Ansatzpunkte für Vorsorgestrategien erörtern.
Die Rechtfertigungslogik des Präventionsbegriffs
167
häusliche Gewalt. Auch von Seiten der Betroffenen (ExpertIn B., Position 17, Betroffene M., Position 5, Betroffene G., Position 13., ExpertIn H., Position 20) werden die oben angeführten Gründe genannt. Als Ursache wird aber auch die „Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu“, zu einer „bestimmten Schicht“ aus Sicht von VerantwortungsträgerInnen der zuvor genannten Untersuchungsfelder (ExpertIn H., ExpertIn MY) namhaft gemacht. Sie könne durch Präventionsarbeit genauso wenig beeinflusst werden, wie der Alkoholkonsum, die Geldsorgen und die im ländlichen Raum vorherrschende Tendenz, „so was in den eigenen vier Wänden zu behandeln“ (ExpertIn MD, Position 33), so die Auffassung der VerantwortungsträgerInnen. Die Haltung, das eigene professionelle Handeln tendenziell zu rechtfertigen sowie die Weigerung, gedanklich Ideen- und Innovationen92 zu simulieren, verdeutlicht sich weiters anhand der nachstehend beschriebenen Accountings.
7.1.1
Die „Nicht- Erreichbarkeit“ von Betroffenen bzw. potentiell Gefährdeten
Es sei das Problem der schlechten Erreichbarkeit von „Problemfällen“ (ExpertIn H.), das Präventionsmaßnahmen bei häuslicher Gewalt grundsätzlich verunmögliche. „Unwillige Risikogruppen“ (ExpertIn H 1, ExpertIn B., ExpertIn V. u. a.) können in kein „Programm“ integriert werden – so die gängigen Rekonstruktionen von Seiten politischer/behördlicher sowie polizeilicher InterviewpartnerInnen.
92
Der Erzählimpuls an dieser Stelle lautete: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Projektbudget von Euro 200.000 für die Laufzeit von zwei Jahren zur freien Verfügung, um ein Projekt Ihrer Wahl im Problembereich häuslicher Gewalt mit PartnerInnen Ihrer Wahl zu realisieren! Was müsste aus Ihrer Sicht mit diesen Mitteln in Angriff genommen werden?“
168 7.1.2
Ergebnisse der Datenanalyse
Die Vorbeugung „häuslicher Gewalt“ als ziviles Problem und nicht als Sicherheitsagenda
Ausführlich expliziert werden die existierenden Präventionspraxen im Phänomenbereich der Eigentums- und der Suchtgiftkriminalität. So gilt das Training von Bevölkerungen zum Schutz des Eigentums beispielsweise als „klassische Präventionsarbeit“, weil sie auf die „Minimierung von Tatgelegenheiten“ abziele (ExpertIn 1, Position 12). „An welchen Tagen wird eingebrochen, dort machen wir Planquadrate, gibt es mehr bei den Wohnungen, müssen wir mehr Prävention bei den Wohnungen machen, oder gibt es was bei Firmen, sagen wir zum Architekten, das ist ein schlechtes Gebiet, planen Sie das ein. Das bekommt man mit den Zahlen und mit der Strategie.“ (ExpertIn M., Position 31)
Im Deliktsbereich häuslicher Gewalt hingegen dominiert die Auffassung, dass es sich an dieser Stelle um ein Spezialproblem handelt, das nicht in den Präventionsauftrag der Polizei nach § 20 Sicherheitspolizeigesetz (SPG siehe Anhang B) falle. Die Frage der Vorbeugung sei demgemäß der Gegenstand spezialisierter Dienste und Einrichtungen und „keine sozial- bzw. sicherheitspolitische Agenda“ (ExpertIn BA, ExpertIn H 1, ExpertIn H.). In vereinzelten Rekonstruktionen aus dem Untersuchungsfeld Polizei/Sicherheit findet sich die Empfehlung, häusliche Gewalt zur Angelegenheit öffentlicher Sicherheit zu erheben und ihr damit ein Mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. So führt zum Beispiel ein/e PolizistIn an, dass gerade dieser Deliktsbereich stärker polizeilich behandelt werden muss, weil gerade in diesem „die kriminelle Handlung laufend fortgesetzt wird und der Unterdrückte gar nicht ausweichen kann.“ (ExpertIn M., Position 53-54). Letztgenannte Rekonstruktion ähnelt dem Diskursstrang aus dem Kreis der OpferschutzexpertInnen, welcher deutlich macht, dass Täter (zum überwiegenden Teil Männer) vielfach auch in anderen Ehen und familiären Konstellationen wiederholt zu Tätern werden. So bringt es ExpertIn 1 (Position 16) auf den Punkt:
Die Rechtfertigungslogik des Präventionsbegriffs
169
„Es ist oft die Frage, warum die Frauen bei den Männern bleiben. Es geht aber bei Gott nicht darum, dass die Frauen was verändern. Im Frauenhaus habe ich es auch gehabt, dass ich eine Frau gehabt habe, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt hat, dann ein Jahr später die nächste Frau vom selben Mann, ein Jahr später die 3. Frau. Also, es soll ja die Gewalt aufhören. Man überlegt sich ja auch was man z.B. gegen andere Kriminalität tun kann.“
Auch in den Betroffenen-Interviews ist die Wiederbegehung93 sowie die Fortsetzung des gewalttätigen Handelns ein zentrales Thema. Zusammenfassend betrachtet, ist eine Ungleichbehandlung der Deliktsgruppen in den Untersuchungsfeldern der Politik/Öffentlichen Verwaltung sowie der Polizei/Sicherheit evident. Dass das vorrangige Interesse polizeilicher Präventionsarbeit nicht der häuslichen Gewalt gewidmet ist, wird von einem Teil der Befragten mit dem Argument der „Privatsphäre von BürgerInnen“ argumentiert, die „PolizistInnen zu würdigen haben“ (ExpertIn S., Position 21). Der präventive Handlungsbedarf bei häuslicher Gewalt sei mit dem Gewaltschutzgesetz erschöpfend behandelt (ExpertIn BA, Position 20). „Klassische kriminelle Delikte“ (ExpertIn MD, ExpertIn H 1, ExpertIn H.) sollen aus diesem Grund auch weiterhin das Hauptaugenmerk politischer, behördlicher und polizeilicher Arbeit bilden.
7.1.3
Die Spezialisierung der Dienste und Einrichtungen
Aus der Perspektive des Opferschutzes wird der Trend zur Spezialisierung von Diensten und Einrichtungen problematisiert. Indem vorwiegend individualisierte, einzelfallorientierte Hilfen angeboten werden, setzt sich die Isoliertheit und Privatheit des Themas auch auf Ebene der professionalisierten Hilfe fort. Insbeson-
93
So schildert Betroffene M. (Position 4), dass ihr ehemaliger Ehemann in seiner zweiten Ehe sein gewalttätiges Verhalten unbeeinträchtigt fortsetzte. Anzeigen der Betroffenen in der ersten Ehe führten zu Belehrungen durch die Exekutive und blieben „wirkungslos“ – so die Betroffene (ebd.)
170
Ergebnisse der Datenanalyse
dere ein darüber hinausgehendes programmatisches Vorgehen94 (siehe dazu auch 7.2.2), bleibt aus Sicht der OpferschutzexpertInnen und der Betroffenen im ländlichen Raum weitgehend aus. Dieser durch die gegenständliche Datenanalyse verdeutlichte Befund wird auch im Family-Violence-Diskurs ausgewiesen. Phänomene der Privatisierung sowie Verschleierung von Seiten aller Beteiligten offenbaren sich auch in der expliziten Nicht-Verwendung des Gewalt-Begriffs. So meinte Betroffene M. – im Zuge der Vereinbarung des Interviewtermins – dass es bei ihr eigentlich gar keine Gewalt gewesen sei. Er (ihr Ehemann) habe ihr ja „nur einmal mit der Faust während des Autofahrens ins Gesicht geschlagen; alles andere sei im Zorn passiert“ (Betroffene M., Position 1). „Eine verdiente Watschn“ (Betroffene G., Position 55), ein „Weggestoßen-Werden“ (Betroffene G., Position 30) und andere „Lappalien“95 (Betroffene M, Position 51) stellen keinen Grund für eine Anzeige96 dar. Erst wenn äußerlich sichtbare Beeinträchtigungen vorliegen, soll – so die Empfehlung der interviewten Betroffenen – öffentlicher Schutz (zum Beispiel durch Anzeigen bei der Polizei oder durch einen Aufenthalt im Frauenhaus) in Anspruch genommen werden. Ansonsten riskieren betroffene Frauen eine öffentliche Stigmatisierung durch die Nachbarschaft oder sie werden von den einschreitenden Behörden nicht ernst genommen.
94
Bei Fragen der Vorsorge im ländlichen Raum kooperiert die Frauenhausbewegung mit Gremien wie dem Bezirksbäuerinnenrat, der Katholischen Frauenbewegung sowie den Frauensektionen der politischen Parteien. 95 Auf die Frage, aus welchem Grund sie nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt Anzeige erstattet hätte, führt die Betroffene M. an, dass sie sehr wohl angezeigt hätte. Die Polizei hätte aber „nichts unternommen“ sondern nur den Ehemann zu einer Belehrung vorgeladen. „Das war vor vier Jahren. Eine Lehre hat er gekriegt. Und zu mir hat er gesagt: >Geh die haben sich ja nur eins gelacht. Wegen so einer Lappalie anzuzeigen.Das betrifft uns eh nicht.< Bei Fremden hat man da schon eher Angst. Vielleicht ist es auch so, dass die häusliche Gewalt eher ein wenig toleriert wird von der Bevölkerung. Dass man das gar nicht so dramatisch empfindet. Erst wenn es zu arg wird, empfindet man es als dramatisch. Oft geht ja das mit der Gewalt Jahre dahin.“ (ExpertIn H., Position 36)
Die an dieser Stelle ausgewählte Region zeigt im Vergleich zu anderen Bezirken einen deutlich überhöhten Anteil an Opfern häuslicher Gewalt.
103
ExpertIn 3 (Position 19) bringt die Popularität allgemeiner Kriminalprävention folgendermaßen auf den Punkt: „Kriminalprävention klingt immer gut. Verbrechen zu verhindern ist ja eine honorige Absicht. (..) Höchstens dass sich jemand denkt, was bringt das? Was soll das bringen.“ 104 So berichtet ExpertIn JW von einem Modell der (ehrenamtlichen) Vernetzung von ExpertInnen zum Thema Suchtprävention in ihrer Region, den dafür aufgewendeten Ressourcen und den Erfolgen, welche daraus entstanden. Ungeachtet der steigenden Opferzahlen für den Bereich „häusliche Gewalt“ im genannten Bezirk, existiere dazu kein betrautes Gremium im Raum. Die Frage nach dem Beweggrund für das Thema „Sucht“ beantwortete sie folgendermaßen: „Weil es immer leichter ist, sich die Symptome anzuschauen und nicht die Ursachen! Ich denke mir, dass einfach eine gewisse Hilflosigkeit da ist mit dem Thema umzugehen. Es ist ein unangenehmes Thema, es lassen sich damit nicht unbedingt Wählerstimmen schaffen und das ist natürlich mit Sucht etwas ganz anderes. Sag ich jetzt einmal ganz bös!“ (Position 43) 105 Opferstatistiken, die in der Befragungssituation eingesetzt wurden, waren unbekannt. Deutlich wurde, dass präventive Bemühungen im Bereich häuslicher Gewalt nicht maßgeblich von Seiten der EntscheidungsträgerInnen aus Politik und Sicherheitsbehörden initiiert wurden.
178 7.2.6
Ergebnisse der Datenanalyse
Zivilgesellschaftliche Abwehr des Gegenstandes
Wenn Familien106 von häuslicher Gewalt betroffen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nachbarschaftliche Hilfe einsetzt. Selbst wenn außerhalb der Familiengrenzen offenkundig wird, dass Gewalt passiert, ist dies vielfach kein Anlass, um „Hilfe“ im Sinne von „Schutz“ und „Intervention“ zu gewähren, wie Betroffene berichten (Betroffene G., Position 65). Vielmehr ist es so, dass gewalttätige Übergriffe eine „Privatsache“ (ebd.) darstellen. Verhaltensnormen wie „Das geht niemanden etwas an!“ oder „Das machen wir uns untereinander aus!“ (ebd.) dominieren den ländlichen Raum. Gerüchte darüber, dass es „dort unten so zugeht“ (Betroffene G., Position 36) werden weitererzählt; eine Unterbrechung wird aber nicht als zentrale Aufgabe von Zivilgesellschaft definiert.107. Wenngleich – wie oben beschrieben – die dörfliche Enge keinen Schutz vor Gewalt bietet, bedeutet sie aber einen Zugang zu „natürlichen Stützen“ (ExpertIn JW, Position 3) und „Hilfen im Alltag“ (ebd.), die für die ländlichen Sozialräume als sehr präsent beschrieben werden. Vor allem im Hinblick auf mögliche verwandtschaftliche bzw. familiäre und nachbarschaftliche Netzwerke existieren dort unterstützende Ressourcen. Wenn Familien aufgrund eines Arbeitsplatzmangels in Ballungszentren oder Vorstädte ziehen, riskieren sie, dass durch den „Umzug sämtliche andere Ressourcen, die Oma zum Beispiel, die die Kinder abholt oder die Tante, der man sie für ein paar Stunden vorbeischupft, wegfallen. (..) Durch das Wegfallen solcher Stützen kommt es leichter zu Überforderung und auch zu Gewalt. Das sind – meiner Meinung nach – die äußeren Ursachen von Gewalt.“ (ExpertIn JW, Position 37-38)
106
Wie die Sekundäranalyse (Punkt 5.1.1; vgl. dazu auch Smithey/Straus 2003:239) deutlich macht, sind in der überwiegenden Mehrzahl der polizeilich registrierten Anzeigen Frauen und Mädchen von häuslicher Gewalt betroffen. 107 Auf die Frage, ob die InterviewpartnerInnen andere Betroffene von häuslicher Gewalt kennen beziehungsweise von Fällen gewalttätiger Übergriffe in der Dorfgemeinschaft erzählen können, geben diese ausführliche Antworten. Zum Beispiel folgte in einem Betroffeneninterview die Situationsbeschreibung der Gewalt an der Tante, die jahrelang immer wieder in der Nacht von ihrem Ehemann mit dem Gewehr „ums Haus gejagt wurde“ (Betroffene M., Position 32). Eine diese Dynamik durchbrechende Intervention von Seiten der vor Ort lebenden Zivilgesellschaft sei unterblieben, aus Respekt vor der Privatsphäre der betroffenen Familie – so die Betroffene.
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
7.3
179
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe bei häuslicher Gewalt im ländlichen Raum
Hinter nachstehend dargestellten Rekonstruktionen liegt jenes Wissen108, das professionell mit dem Phänomen betraute ExpertInnen aus dem Untersuchungsfeld Politik/Öffentliche Verwaltung, Polizei/Sicherheit sowie Opferschutz zum Ausdruck bringen. Zur Organisation, zur Frage des Einbezugs relevanter AkteurInnen sowie zur gesellschaftspolitischen Einbettung sind die nachstehend dargestellten Handlungsansätze zusammenzufassen.
7.3.1
Organisationsformen der Vorsorge
In dieser Analysekategorie sind vorerst jene Rekonstruktionen verdichtet abgebildet, die sich auf Fragen der Organisation, der Koordination sowie des Wissensmanagements beziehen.
7.3.1.1
Arbeitskreise quer über berufsständische Zuständigkeiten und formale Funktionen im Themenfeld „häusliche Gewalt“
Einigkeit unter den ExpertInnen aus allen Untersuchungsfeldern besteht hinsichtlich eines idealtypischen Organisationsmodells für Vorsorge. In interdisziplinären Arbeitskreisen, die sich unter dem Titel des „Opferschutzes“ zusammenfinden und die Spielraum für ehrenamtliches Engagement bieten, kann
108
„Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Projektbudget von Euro 200.000 für die Laufzeit von zwei Jahren zur freien Verfügung, um ein Projekt Ihrer Wahl im Problembereich häuslicher Gewalt mit PartnerInnen Ihrer Wahl zu realisieren! Was müsste aus Ihrer Sicht mit diesen Mitteln in Angriff genommen werden?“ Mithilfe dieser Frage wurde versucht, an das Betriebswissen (Meuser/Nagel 2005) zu gelangen, welches Aufschluss gibt über vorsorgende Strategien und Modelle der ExpertInnen in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet.
180
Ergebnisse der Datenanalyse
bestehendes Wissen vernetzt bzw. weiterentwickelt werden (ExpertIn MD, ExpertIn 1, ExpertIn 2, ExpertIn 3, ExpertIn B., ExpertIn MY). Eine auf diese Weise angelegte Zusammenarbeit muss lokal orientiert sein und bedarf dafür der Teilnahme aller jeweils vor Ort engagierten „Opinion Leader“. (Expertin 3, Position 11). Weiters ist der Einbezug relevanter VerantwortungsträgerInnen aus den Bereichen Öffentliche Verwaltung, Politik, Sicherheit sowie von AkteurInnen der Zivilgesellschaft (beispielsweise dem örtlichen Vereinswesen, der Pfarre etc.) erforderlich – so die idealtypisch formulierten Rekonstruktionen. In die Arbeit solcher Foren sollen insbesondere auch solche Personen einbezogen werden, die nicht unmittelbar aus dem Opferschutz stammen, da es nach Ansicht der ExpertInnen darum geht, das Thema „häusliche Gewalt“ und seine Relevanz durch RepräsentantInnen möglichst breit zu streuen. So stellt dies eine ExpertIn anhand der Entwicklung eines präventiv agierenden Arbeitskreises in den 90er Jahren dar: „Da war Neustart, Exekutive, Kinderschutzzentrum, Frauenhaus dabei. Das Abstimmen, was tun wir, was die Opferschutzeinrichtungen, die Exekutive bzw. das anderen zu vermitteln, darum ging es. (..). Das war die Initiative des Arbeitskreises gegen Gewalt.“ (ExpertIn 2, Position 5253)
Ein Kooperationsmodell, dem bei der Entwicklung von vorsorgenden Projekten in ländlichen Bezirken Entwicklungskompetenz zugeschrieben wird, stellt die Regionalkonferenz im Sinne des Gewaltschutzgesetzes dar. Dieses beruht auf regional spezifischen, interdisziplinär agierenden Netzwerken, welche ein Zusammenwirken unterschiedlichster Stellen sicherstellen. Zentraler Unterschied zum lose und ehrenamtlich organisierten Arbeitskreis bildet die Tatsache, dass diese Regionalkonferenzen legistisch vorgeschrieben sind und von den lokalen Gebietskörperschaften und Organisationen besucht werden müssen. Im ländlichen Raum Niederösterreichs findet sich ein Beispiel eines interdisziplinären Kooperationsmodells, das über die verpflichtenden Regionalkonferenzen hinausgeht. Es ist das eines Gremiums, in welchem auf Ebene der Bezirksverwaltung über Fragen der Vorsorge und Intervention regelmäßig multi-
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
181
professionell diskutiert wird. Im genannten Beispielbezirk werden (auf Initiative des verantwortlichen Bezirkshauptmannes) quartalsmäßig stattfindende Sitzungen abgehalten, zu denen Soziale Dienste, Polizei, VertreterInnen der Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft sowie ExpertInnen aus der Jugendwohlfahrt geladen sind. Sozial- sowie kriminalpolitische Themen des Bezirks bilden den Gegenstand dieser Zusammentreffen: „Jedes Quartal gibt es Besprechungen, wo Gewaltverbrechen, Wegweisungen, Betretungsverbote diskutiert werden. Wegweisungen und Betretungsverbote nehmen in unserem Gebiet sehr stark zu, wohingegen Schlichtungsgespräche sehr abgenommen haben.“ (ExpertIn MY, Position 24)
Wie auch im Fachdiskurs zur kommunalen Kriminalprävention in Deutschland abgebildet (Baier/Feltes 1994:693, van den Brink 2005, Heinz 2004), findet sich innerhalb der befragten ExpertInnen des ländlichen Niederösterreichs die übereinstimmende Auffassung, dass der Einbezug der Polizei in jede Form der interdisziplinären Zusammenarbeit eine Voraussetzung für funktionierende Vorsorge darstellt. Es ist die „Autorität der Polizei“ (Betroffene M.) in Sicherheitsagenden, die gewährleistet, dass das Thema „häusliche Gewalt“ aus seiner Privatheit „geholt“ und zu einer öffentlichen Agenda ziviler Sicherheit gemacht wird.
7.3.1.2
Die Vorsorge als „Chefsache“
Zentrales Konstrukt in den Rekonstruktionen aus dem Untersuchungsfeld Sicherheit ist die Priorisierung der Vorsorge als „Chefsache“. Es geht an dieser Stelle um eine Organisationskultur des Corps, die sich zum einen aus einer Vorbildwirkung, zum anderen aus der „Freiwilligkeit der PolizistInnen“ (ExpertIn M., Position 68) und zum Dritten aus dem individuellem Engagement derselben zusammensetzen würde: „Oft ist es so, wenn wer sieht, der Chef behandelt ein Problem im häuslichen Bereich so oder so macht, dann macht er es auch so. Aber, je älter die Struktur ist, desto eher wird verdeckt. Es
182
Ergebnisse der Datenanalyse
müssten von oben herab Workshops organisiert werden, freiwillige Teilnahme für die Beamten, die das wollen.“ (ExpertIn M., Position 68)
7.3.2
Die AkteurInnen der Vorsorge
Die „richtige Zusammensetzung von zivilgesellschaftlich getragenen Gremien und Foren“ (ExpertIn 1; Position 12) durch relevante lokale AkteurInnen bilden eine häufig beschriebene Maßnahme der Vorsorge. Diese Kategorie wurde verdeutlicht durch die diesbezüglichen Rekonstruktionen der ExpertInnen sowie der Betroffenen.
7.3.2.1
Die Rolle der „Opinion Leader“ in ländlichen Kommunikationsgefügen
Voraussetzende Bedingung für erfolgreiche Vorsorge und Hilfe im Phänomenbereich häuslicher Gewalt ist die Kooperation zwischen InitiatorInnen und der jeweiligen Gemeindeverwaltung und -politik, in welcher Projekte und Maßnahmen durchgeführt werden. BürgermeisterInnen (als Vorstände von Gemeinden) füllen die traditionelle Schnittstelle von Öffentlichkeit und Privatheit aus (ExpertIn 3, Position 11) und bilden – gemeinsam mit VertreterInnen der Pfarre, zivilgesellschaftlichen Vereinen und der Polizei – jene „HonoratorInnen, die vorangehen können“ (ebd.). So beschreibt ExpertIn M. (Position 10), wie im Bereich Einbruchsvorbeugung die Mithilfe von Gemeinden genützt wird und wie die Polizei in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Kriminalprävention für Eigentumskriminalität betreibt. „Jetzt kommt es immer mehr: >Was macht man dagegen?< Wir haben zum Beispiel letztes Jahr 25 Veranstaltungen zu Einbruchsvorbeugung, also Präventionsmaßnahmen, gemacht. Das ma-
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
183
chen wir in den Gemeinden, die spannen wir ein, dass die Gemeinde die Leute einlädt, dann ist der Bürgermeister dabei oder es kommt ein Vortragender von der Sicherheitsdirektion.“
Ein solches Vorgehen für ausgewählte Veranstaltungen im Bereich häuslicher Gewalt zu nützen, erscheint aus Sicht der VerantwortungsträgerInnen aus dem Untersuchungsfeld des Opferschutzes als empfehlenswert.
7.3.2.2
Die Schule als zentrale Ansprechpartnerin des ländlichen Raums
Die Schule ist bedeutsame Akteurin des ländlichen Raums und damit als geeignete Attraktorin für gezielte Informationsveranstaltungen heranzuziehen. Betroffene G. (Position 39) beschreibt an dieser Stelle: „Aber alles über die Schule. Weil die Leut gehen am Land nur wohin, wenn es über die Schule ist. Weil dann ist die Lehrerin oder der Lehrer dort und dann schaut es blöd aus, wenn man nicht dort ist.“
Dabei geht es um Fragen der Vorsorge sowie um jene der Hilfe: Zum einen sind über die Schule Eltern vergleichsweise einfach erreichbar und zum anderen kann dort zumindest informativ auf diese „eingewirkt“ werden (ExpertIn M., Position 53). Auch kann häusliche Gewalt gegen Kinder an Schulen erkannt werden. Als Akteurin wird die Schule auch genannt, um bei Kindern und den daraus erwachsenden Folgegenerationen ein umfassendes Verständnis von „Gewalt“ – alternativ zu jenem des Elternhauses – zu entwickeln und um „frühzeitig die Verständigung im Geschlechterverhältnis herzustellen“ (ExpertIn JW, Position 22, vgl. dazu auch ExpertIn, H., ExpertIn MY).
7.3.2.3
Die Rolle des Medizinsystems
Gesundheitseinrichtungen erfahren vielfach schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt von Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder. Die Wahrneh-
184
Ergebnisse der Datenanalyse
mung gewalttätiger Beziehungsformen ist in einem Stadium möglich, in welchem der soziale Nahraum oder andere Hilfseinrichtungen (vielfach) noch keine Kenntnis von gewalttätigen Umständen haben. ExpertIn 1 (Position 38) dazu: „Im Gesundheitsbereich muss es noch nicht öffentlich sein. Es gibt Unterschiede. Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sind 10 Mal mehr im Krankenhaus, haben öfter Missbrauch von Medikamenten.“
7.3.2.4
Die Einbindung der Zivilgesellschaft
Der Vorschlag, vorhandene zivilgesellschaftliche Strukturen des ländlichen Raums für Fragen der Vorsorge einzusetzen, bildet einen zentralen Schwerpunkt der Narrationen. Die Öffentlichkeitswirksamkeit von lokalen Vereinen und Verbänden soll genützt werden, um bestimmte Botschaften zu transportieren. Insbesondere die Feuerwehr als Kommunikations- und Aktivitätsmittelpunkt von Kommunen des ländlichen Raums stellt dabei eine bedeutsame Nahtstelle für die Propagierung einer „klaren Haltung gegen Gewalt“ (ExpertIn 2) dar.
7.3.3
Die gesellschaftspolitische Einbettung der Vorsorge
Die hohe normative Bedeutung, die vom Thema der häuslichen Gewalt selbst sowie von allen Fragen der Hilfe und Vorsorge insgesamt ausgeht, tritt in allen analysierten Rekonstruktionen hervor. Die aus den zum Teil politischphilosophisch geprägten Narrationen abgeleiteten Handlungsansätze bilden den Gegenstand nachstehender Thesen.
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
7.3.3.1
185
Die „Bekanntheit von Unterstützungsformen“
Die vor Ort existierenden Unterstützungsformen, Institutionen und Dienste zu kennen, geht mit einer gesteigerten Bereitschaft von Betroffenen einher, aus gewalttätigen Verhaltensweisen auszusteigen. Ehemals Betroffene häuslicher Gewalt sowie AkteurInnen des Opferschutzes bringen zum Ausdruck, dass erst dann eine Anzeige in Erwägung gezogen wird, wenn klar ist, dass Hilfe und Unterstützung gewährleistet sind. Wissen über Unterstützung ist also voraussetzend für die Erstellung einer Anzeige. Betroffene G. (Position 64) bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: „Dann müssen Frauen wissen, dass es diese Stelle gibt. Und die müsste wirklich aktiv belehren. Aber wie man das wieder macht, weiß ich nicht. Vielleicht über die Gemeinden oder über Vorträge.“
Ländliche Unterstützungsformen bedürfen – und darin sind sich Betroffene sowie ExpertInnen aus allen Untersuchungsfeldern einig – zum einen der Anonymität in der Begegnung sowie zum anderen der Bekanntheit ihrer Existenz. Die Nähe zur Lebenswelt des ländlichen Raums darf (nur) indirekt gegeben sein und muss insofern vorliegen, als der/die ermittelnde BeamtIn sowie die beratende Betreuungsperson anonym agiert, aber die besonderen Strukturen der dörflichen Öffentlichkeit genau kennt und entsprechend dieser vorgeht. Durch diese Bedingungen kann die vorherrschende Strategie, „so etwas unter sich auszumachen“ (Betroffene G., Position 36), durchbrochen werden. Eine anonyme (telefonische) Beratungsmöglichkeit auch über die Polizei anzubieten würde aus Sicht der Betroffenen „viel bringen“ (ebd.), weil im ländlichen Raum das bestehende Beratungsangebot tendenziell unbekannt ist. Die Polizei hingegen ist bekannt und würde auch bei Beratungsbedarf in Anspruch genommen werden, selbst wenn Betroffene (noch) nicht von einer Anzeige Gebrauch machen wollen. Bislang erhalten Kinder im ländlichen Raum tendenziell nur dann Beratung, wenn sie aufgrund von Auffälligkeiten den Jugendwohlfahrtsbehörden zugewie-
186
Ergebnisse der Datenanalyse
sen werden. Dass Kinder und Jugendliche von sich aus Hilfe in Anspruch nehmen, ist insbesondere im ländlichen Raum ein „unübliches Verhalten“ (ExpertIn 5, Position 81). ExpertIn 2 (Position 44) ist der Ansicht, dass eine Beratung auch für Kinder und Jugendliche unter dem Motto „Was ist häusliche Gewalt, wo gibt es Hilfe?“ angelegt sein müsste, um Bewusstsein in der Bevölkerung für Gewalt an Kindern und Jugendlichen herzustellen.
7.3.3.2
Die Wirkung legistischer Normen – Das Gewaltschutzgesetz
Eine zentrale Vorsorgewirkung geht auch von der Existenz gesetzlicher Bestimmungen aus. Alle Rekonstruktionen verweisen auf den Umstand, dass Gesetze gesellschaftspolitischen Wandel zwar nicht bedingen, aber doch initiieren können. So beschreibt ExpertIn I. die Veränderung seit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes 1997 folgendermaßen: „Was sich bei uns stark verändert hat und ich bin schon 16 Jahre da (..). Darauf einzuwirken, dass die Frau zurückgeht, von Seiten des Mannes oder von Verwandten, das hat sich verändert, das ist völlig weg. (..) Mehr geworden ist die Zustimmung und Unterstützung, dass Frauen aus gewalttätigen Beziehungen weg gehen, auch im ländlichen Bereich.“ (Position 21)
7.3.3.3
Die Bedeutung gesellschaftlicher Normen und Werte
„Philosophische Hintergründe“ (Expertin MY, Postion 20) sind erforderlich, um das Phänomen häuslicher Gewalt zu erklären sowie um darauf Einfluss zu nehmen. Quer über die Untersuchungsfelder kommen die Befragten zu dem Schluss, dass Hilfe und Vorsorge der gesellschaftspolitischen Veränderungsarbeit bedarf. Wenngleich die Diskursstränge über relevante Ursachen häuslicher Gewalt stark voneinander abweichen (vgl. Punkt 7.2 Strategien der Distanzierung) wird deutlich, dass im Hinblick auf denkbare Strategien der Vorsorge weitgehender Konsens besteht. Es geht um die Entwicklung gezielter und öffentlichkeitswirksamer
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
187
Veranstaltungen, die die Bekanntheit des Themas, der gesetzlichen Bestimmungen sowie die Popularität von Unterstützungseinrichtungen erhöhen können. Weiters geht es – so der Konsens unter den ExpertInnen aus dem Opferschutz – um eine öffentliche Missbilligung von Gewalt, die nur dann gelingen kann, wenn Umwelten regional spezifisch sensibilisiert109 werden und solcherart der „Druck auf Täter erhöht wird, etwas zu unternehmen“ (ExpertIn 3).
7.3.3.4
Die Schulung und Kommunikationsförderung beteiligter AkteurInnen
ExpertInnen rekurrieren auf einen „Train-the-Trainers-Ansatz“ (Expertin JW, Position 21), der mittels MultiplikatorInnen-Effekte die „klare Haltung“ (ExpertIn 1, 7) von AkteurInnen erreichen und auch transportieren kann. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, leitende FunktionärInnen lokaler Vereine und Verbände mithilfe gezielter Ausbildungs- und Schulungsmaßnahmen für das Thema „häusliche Gewalt“ insofern zu sensibilisieren, als sie dem Thema der Geschlechterverständigung, der gewaltfreien Konfliktlösung und der Kommunikation über (persönliche/private) Probleme breiten Raum geben. ExpertIn 1 (Position 34) bringt ihren Ansatz folgendermaßen auf den Punkt: „durch Kulturvereine oder durch die Feuerwehr, könnte man da etwas erreichen. (.) nämlich, dass da eine gewisse Sprachkultur, eine gewisse Kommunikationskultur hineinkommen könnte, dass man eben Probleme haben darf und dass man darüber redet, dass das schon einiges auffangen kann. Dass man da schon einen Bewusstseinsprozess in Gang bringen kann. Ich denke, dass hier solche Kompetenzen ja auch etwas mit Führungsqualität zu tun haben und dass von höherer Ebene das multipliziert werden kann in untere Ebenen. Dass zum Beispiel der Feuerwehrhauptmann oder -kommandant zum Beispiel solche Schulungen wahrnimmt und das dann multipliziert, allerdings verpflichtend.“
109
Expertin 1 (Position 18) beschreibt: „Es gibt es ja auch, es hat auch in Österreich verschiedene Kampagnen gegen Gewalt gegeben, Plakataktionen mit Prominenten,… also da denke ich, da wird einiges getan und je mehr Menschen öffentlich auftreten und eine authentische Haltung diesbezüglich vermitteln, umso besser ist es, das ist ein Teil von Prävention.“
188 7.3.3.5
Ergebnisse der Datenanalyse
Die Vorsorge in Gestalt von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen
Als zentrale ursächliche Bedingung häuslicher Gewalt wird von Betroffenen sowie auch aus der Perspektive der ExpertInnen (Untersuchungsfeld Opferschutz) die Hierarchie der Geschlechterrollen sowie die Trennung zwischen „häuslich“ und „öffentlich“ namhaft gemacht. Verantwortliche aus Politik/Öffentlicher Verwaltung und SicherheitsexpertInnen sehen hingegen in den Faktoren „Alkohol“, „Geldsorgen“, „Zugehörigkeit zu einer niederen sozialen Schicht“ sowie „Wertewandel und -verfall“ die zentralen, verursachenden Einflüsse. Seitens der ExpertInnen aus dem Opferschutz werden Innovationen in Gestalt von allgemeinen öffentlichen Festanlässen entwickelt, die beispielsweise unter das Motto „Gegen Frauengewalt“ gestellt werden sollen: „Es wäre eingebettet in Events z.B. verbunden mit dem üblichen Event, z.B. Veranstaltungen des Roten Kreuzes oder das Feuerwehrfest, wo die Leute hinkommen, weil sie sich amüsieren wollen, ganz und gar nicht über das Thema Gewalt, sondern weil es da einfach eine breitere Gruppe anspricht. Und es kann gar nicht oft genug angesprochen werden. (ExpertIn 1, Position 20)
Was aus dem Fachdiskurs sowie aus der empirischen Untersuchung hervorgeht, ist, dass die öffentliche Darstellung von skandalisierten Einzelfällen den Zielen einer Vorsorge zuwider läuft. Diese medialen Darstellungen fördern das Klima der Distanzierung und mindern auf diese Weise die Bereitschaft von Bevölkerungen, sich mit Fragen der Geschlechtsrollenbilder und „gewalttätiger Beziehungsstrukturen“ an sich auseinanderzusetzen (vgl. dazu 7.2 Strategien der Distanzierung). Insgesamt – so das zentrale Fazit aus dem gegenständlichen Forschungsprozess – geht es in allen Untersuchungsfeldern (mit Ausnahme der Frauenhausbewegung) bei der Vorsorgearbeit im Phänomenbereich häuslicher Gewalt eigentlich um eine Kultur des „Sich-Interessierens“. Es geht darum, auf einer kollektiven, sozialräumlichen Ebene das Überwinden von Denksperren und -barrieren zu initiieren, welche als Tabu-Themen jahrzehntelang und zumeist generationenübergreifend existierten. Zwei Strategien sind zusammenfassend zu
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
189
nennen, welchen entscheidende Wirkkraft auf „verursachende Zusammenhänge“ zuzuschreiben ist: Zum einen ist es die Strategie der Vernetzung von ExpertInnen zu regional spezifischen Gremien, die sich in Gestalt einer „stillschweigenden Verwaltungsreform“ (Steinert 1995:413) quer über berufsständische Schranken und funktionale Zuständigkeiten hinweg den Fragen der Vorsorge widmen. Erst der Zusammenschluss unterschiedlichster Systeme (z. B. „das Medizinsystem“, ExpertIn 2, „der BezirksbäuerInnen-Tag“, ExpertIn 3, oder „die katholische Frauenbewegung“, ExpertIn 1) kann die zweite, in der empirischen Untersuchung sowie dem theoretischen Fachdiskurs zu Tage getretene Strategie verwirklichen, die auf gezielte Aufklärungs-, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit setzt.
7.3.3.6
Der gesellschaftspolitische Wandel durch Frauen(haus)bewegung und Gewaltschutzgesetz aus ExpertInnensicht
ExpertInnen aus dem Bereich des Opferschutzes vertreten die Ansicht, dass in den vergangenen 20 Jahren durch die umfassende Öffentlichkeitsarbeit von Seiten der Frauenhausbewegung und von sonstigen sozial- und frauenpolitischen Bewegungen eine nachhaltige Veränderung des Gewaltverständnisses im ländlichen Raum eingetreten ist. ExpertIn 2 (Position 17) bringt ihre 20-jährige Erfahrung zum Thema folgendermaßen auf den Punkt: „Dass ein Mann zum Stammtisch kommt und sagt, dass er es ihr heute gezeigt hat, ihr eine Watschn gegeben hat, das kann sich jetzt keiner mehr leisten. Das ist eine deutliche Veränderung zu vor 20 Jahren.“
ExpertInnen aus dem Bereich der Jugendwohlfahrt beschreiben vor allem im Hinblick auf den Phänomenbereich „(sexuelle) Gewalt gegen Kinder“ ein weniger optimistisches Bild des Status Quo. „Eine Veränderung, die eingetreten ist, nein, das glaub ich nicht. Es weiß jeder, es ist unrecht. Davon bin ich überzeugt. Dass aber ein Grund gesehen wird, hier anzuzeigen, dazu muss es
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Ergebnisse der Datenanalyse
wirklich schon massiv sein. Oder es wird eben immer noch sehr viel gerechtfertigt. Sowohl wegen Gewalt gegenüber Kindern als auch sich selbst gegenüber.“ (ExpertIn JW, Position 44)
Zusammenfassend zum Ausdruck gebracht, hat im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ die Normverdeutlichung durch das Gewaltschutzgesetz 1997 (vgl. dazu 2.2.1 Familiäre Gewalt vor dem Hintergrund der rechtlichen Bestimmungen in Österreich seit 1989) sowie damit einhergehende Maßnahmen (z.B. in Gestalt der Errichtung von Interventionsstellen) einen allmählichen Wandel in den Werthaltungen der ländlichen Bevölkerung bewirkt. Die Einschätzungen für den Bereich Kinderschutz gehen tendenziell in eine andere Richtung. ExpertInnen des Kinderschutzes sehen zwar einen Zusammenhang zwischen Gewalt an Frauen/PartnerInnen und jener gegen Kinder, formulieren aber insbesondere für letztere einen deutlichen Handlungsbedarf an vorsorgenden Maßnahmen für den ländlichen Raum. Ausgehend von der Annahme, dass Gewalt gegen Kinder im ländlichen Raum vielfach mit Überforderung sowie einem Mangel an erleichternden Alltagsressourcen einhergeht, sind nach Maßgabe der vorliegenden Daten folgende Handlungsempfehlungen zu formulieren: x
Der Kindergarten bildet einen zentralen Ansatzpunkt für jede Art der Vorsorge sowie der Hilfe (ExpertIn JW, Position 6). Insofern stellt ein flächendeckender Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen eine zentrale Vorsorgemaßnahme dar.
x
Insbesondere in ländlichen Sozialräumen nehmen die Pfarren eine zentrale Stellung ein und bilden eine Nahtstelle im Übergang zwischen „Öffentlichkeit“ und „Privatheit“. Gerade für Fragen der Kindererziehung und -betreuung können sie als Anlaufstellen genützt und in vernetzende Vorsorgearbeit integriert werden (ExpertIn 4, ExpertIn 2). Es geht dabei nicht darum, aus dem Pfarrämtern Beratungsstellen zu machen, sondern deren kommunikative Anknüpfungsmöglichkeiten, deren Kontakte zu Betroffenen sowie zu HonoratorInnen des sozialen Raums zu nützen.
Wissen zur Entwicklung einer Kultur der Vorsorge und Hilfe
x
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Der Bereich Geburtsvorbereitung und Säuglingspflege (ExpertIn JW, Position 28) stellt insbesondere in ländlichen Räumen ein für Fragen häuslicher Gewalt bislang ungenütztes Feld dar. „Ganz spontan ist das ja auch ungefähr die Altersspanne, wo auch die meisten Geburten stattfinden. Da wäre für mich die Frage ob man da nicht im Zuge von Elternschule, Geburtsvorbereitung, Säuglingspflege, ich denk mir, da gibt’s ja dann auch die zumindest Baby-Runden in den Gemeinden, die meistens von den Müttern besucht werden. Die könnt man dafür nützen um nicht nur übers Baby zu sprechen, sondern auch über die Beziehung zu diesem und zum Partner. Um auch den Partner zu erreichen, wäre es wichtig so was wie eine Elternschule einzurichten. Dort gehen ja auch die, die man erreichen will, eher weniger hin. weil ja das mit den unterschiedlichen Milieus nicht so einfach ist.“ (ebd.)
Aus den dargestellten Findings zur Vorsorgekompetenz im ländlichen Raum lässt sich unter Einbezug des Wissens aus dem Family-Violence sowie dem kriminologischen Fachdiskurs verdichtend folgendes Fazit formulieren und wie folgt darstellen.
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Fazit zur Vorsorge bei häuslicher Gewalt in ländlichen Sozialräumen
Stress und Belastung für Familien entstehen aufgrund von Problemen mit der Tochter, die sich nicht (mehr) „geschlechtsrollenadäquat verhält“ (ExpertIn JW, Position 21) infolge der Ausübung der „Rolle als Mann“ (ebd.) sowie wegen des Umgangs mit Partnerschaft, Ehe und Familie und nicht, weil es an alltäglichen Hilfen mangelt. Insgesamt sind sich die befragten VerantwortungsträgerInnen darüber einig, dass gewalttätiges Verhalten „frühzeitig“ (ebd.) in den Familien beginnt und durch Überforderung und Tabuisierung charakterisiert ist bzw. zum Teil verursacht wird. Insofern soll eine Vorsorge im Phänomenbereich häuslicher Gewalt nicht auf die „Inszenierung von Nachbarschaften“ (vgl. dazu auch Schwind 1990) abzielen, sondern auf die „Förderung einer problemorientierten Kommunikationskultur“ (Expertin JW, Position 22). Erst wenn die Erörterung von innerfamiliären Problemen nach außen ermöglicht wird, mindert sich der (soziale) Druck auf Familien, wie aus den Daten ersichtlich wurde.
8.1
Die Einbindung der Zivilgesellschaft
Insgesamt ist das zivilgesellschaftliche Problembewusstsein über das Auftreten sowie die Zusammenhänge häuslicher Gewalt in ländlichen Kommunen als „dürftig“ auszuweisen (ExpertIn 3, ExpertIn 2, ExpertIn B., Betroffene G., Betroffene M.). Das ausgeprägte Viktimisierungsrisiko stellt für die VerantwortungsträgerInnen aus Politik, dem Verwaltungs- und Polizeisystem einen Handlungsbedarf dar, dem auf der Ebene des „korrekten Gesetzesvollzugs“ zu be-
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gegnen ist. Umfassende Überlegungen zu einer darüber hinausgehenden Vorsorge, einer gezielten Information über die lokalen kriminalgeographischen Ausprägungen und Verteilungen sowie einer Einflussnahme auf die empirisch evidenten Entwicklungslinien bleiben aus. Im Gewaltschutzgesetz einen „gewaltigen Fortschritt“ (ExpertIn 2) zu sehen und damit das Thema der Prävention insgesamt als erschöpfend behandelt zu betrachten, mache das Problem weiterhin zu einem „privaten“ Problem einzelner Familien und ignoriere die sicherheitspolitische Relevanz von häuslicher Gewalt für die Gesamtbevölkerung der Gemeinwesen – so die Opferschutz-ExpertInnen. ExpertInnen aus dem Bereich der Polizei/Sicherheit sowie der Politik/ Öffentlichen Verwaltung hingegen vertreten vielfach die Ansicht, dass es die Bevölkerung selbst sei, die im Hinblick auf häusliche Gewaltphänomene keinen „Veränderungsbedarf“ definiere. Es sei die Nähe der Zivilgesellschaft zur häuslichen Gewalt, welche die Abwehr des Problems ursächlich bedingt, so eine Expertin aus dem Untersuchungsfeld Polizei/Sicherheit. Es ist ähnlich wie mit den Verkehrsunfällen, denen man sich nicht bewusst sein kann, „weil man sonst in kein Auto mehr einsteigt“ (ExpertIn H., Position 43). Die analytischen Befunde aus dem Fachdiskurs zur „Kriminalitätsfurcht“ und zum „Kriminalitätsfurchtparadoxon“ (vgl. dazu Sessar 1997:127, weiters Sessar 2007; Keller 2007) weisen in eine vergleichbare Richtung. „Die innere Sicherheit ist in den Familien, Nachbarschaften, generell in den sozialen Nahräumen weitaus gefährdeter als auf öffentlichen Plätzen, so schmerzlich dies für manche Politiker und Medien klingt. Es müssen daher ganz andere Taktiken entwickelt werden, um der >Gewalt in der Familie< – das ist das neue und doch so alte Gewaltthema in unserer Gesellschaft – zuvorzukommen als der >Gewalt auf der Straßenur< die Frau Gewalt erlebt, ist dies eine enorme Belastung für die Kinder. Aus diesem Grund sind umfassende gewaltdeeskalierende Strategien das Mittel der Wahl und nicht nur das Abzielen auf >Gewalt gegen FrauenGewalt gegen KinderGewalt gegen MännerGewalt an Frauen< heißt, gehen nur bestimmte Betroffene hin bzw. nicht, weil sonst deklariere ich mich ja. Ich war vor 10 Jahren bei einer Bezirksbäuerinnentagung und da war es die ganze Zeit mucksmäuschenstill. Das war sehr beeindruckend.“(Expertin 2, Position 34)
Umfassendes Wissen über die Wirkung und Implikation von Vorsorge läge auch innerhalb der Polizei vor. Wie und in welcher Intensität sowie Häufigkeit für die Fragen der Suchtgiftkriminalitätsverhütung, der Eigentumssicherung etc. an eine Öffentlichkeit bildend und aufklärend heranzutreten ist, welche KoalitionärInnen es dafür braucht und wie insgesamt dabei zu agieren ist, stellt innerhalb der Polizei ein gut durchdachtes und offensichtlich auch erprobtes Konzept dar. Für das
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199
Phänomen häuslicher Gewalt betrachtet sich die Polizei allerdings als nicht zuständig, wenngleich die diesbezügliche Bereitschaft der SicherheitsexpertInnen in diesem Punkt streut.
8.6
Das Konzept von Hilfe, Vorsorge und Empowerment
Aufgrund der theoretischen Ableitungen sowie der empirischen Findings ist deutlich geworden, dass mit dem Begriff der Prävention die bestehenden Ideen und Modelle über Hilfe und Vorsorge bei Gewalt im sozialen Nahraum nicht erhoben werden können (vgl. dazu Kapitel 1). Dem Forschungsinteresse, welches an der Vorsorgekompetenz lokaler sozialräumlicher Einheiten im Phänomenbereich häuslicher Gewalt orientiert ist, kann aus zweierlei Gründen nicht über die Denkfigur der Prävention Rechnung getragen werden: Zum einen unterlässt der Präventionismus die Ausrichtung von Maßnahmen an den jeweiligen AkteurInnen eines Raums, weil es in erster Linie um die Einflussnahme auf „Risikosubjekte“ und „Risiko-Räume“ geht. Damit widerspricht die Präventionshandlung dem, was frühe TheoretikerInnen Sozialer Hilfe als „Subjektorientierung“ definiert haben (vgl. dazu Frey 2005:82). Zum anderen wird mit dem Präventionsbegriff auf die Erreichung nachweisbarer, spezifischer Effekte abgezielt, was für vorsorgende, unspezifische Maßnahmen nicht gelten kann. Mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht, erwiesen sich die Begriffe von Hilfe und Vorsorge als theoretisch sowie empirisch nicht anschlussfähig an jenen der Prävention. Dies ist in Zusammenhang zu sehen mit der Tatsache, dass Hilfe in Gestalt unspezifischer und nicht trennscharf vom alltäglichen Helfen110 unterscheidbarer Unterstützungsleistungen (vgl. Bommes/Scherr 2000:82) andere 110
Vorsorge als begriffshistorisches Bestimmungsstück der unspezifischen Hilfe ist – mit Bommes/Scherr (2000) gesprochen und an die systemtheoretisch formulierte Theorie funktionaler Differenzierung angelehnt – als jene organisierte Unterstützung zu verstehen, die in funktional differenzierten Gesellschaften in erster Linie an der Kommunikation von Hilfsbedürftigkeit arbeitet.
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Implikationen hat, als die mit der Präventionssemantik einhergehenden primären, sekundären oder tertiären Maßnahmen, die es aufgrund eines statistisch bestimmbaren Risikos zu implementieren gilt. Aufgrund der bestehenden begrifflichen Probleme sei an dieser Stelle noch ein weiteres Verbindungsstück zur Kategorisierung unspezifischer Hilfe genannt, welches sich auch in den frühen Theorien der Sozialen Hilfe111 findet. Es umgeht die oben diskutierten problematischen Implikationen der Präventionslogik und trägt gleichzeitig den Prämissen von Vorsorge und Hilfe, wie sie für Deliberative Demokratie-Praxen vorausgesetzt werden, Rechnung. Es ist der Begriff des Empowerments, der eine Sammelkategorie für all jene Arbeitsansätze in den unspezifisch helfenden Professionen (Bommes/Scherr 2000) darstellt, die mit dem Anspruch, Subjekte zu ermutigen und ihnen „Lebenssouveränität“ (Herriger 2001:104) zu vermitteln, ausgestattet sind. Herriger (ebd.) hält fest, dass es sich hierbei um keine neue Rezeptur von Methoden und Interventionsformen handelt, sondern dass es in dieser programmatischen Gestalt vielmehr um eine professionelle Grundhaltung von Hilfe geht. In frühen Überlegungen zu organisierter unspezifsicher Hilfe finden sich diese Ansätze, die in der Regel einen bestimmten lokalspezifischen Fokus in ihrer Ausrichtung einnahmen (vgl. Elsen 2001:23 in Anlehnung an Alinsky 1984). Ein gegenwartsbezogenes Verständnis des Empowerment-Konzeptes gewinnt vor allem deshalb an Relevanz, weil sich die Raum-Zeit-Gefüge von HilfeadressatInnen strukturell grundlegend verändert haben, was vor allem ländliche Sozialräume in besonderer Weise betrifft. Strukturtheoretisch betrachtet, gehören Individuen mit dem Eintritt in die Moderne keinem sozialen Funktionskontext, keinem Stand und keiner sozialen Klasse mehr von Geburt weg selbstverständlich und umfassend an (vgl. Bommes/Scherr 2000:71). Die Dynamik 111
Systemtheoretische Analysen zur Funktionsbestimmung Sozialer Arbeit verwenden den Begriff des Empowerments nicht. Aber sie erkennen an, dass deren Nicht-Festlegung auf spezialisierte fachwissenschaftliche und rechtliche Semantiken und darin begründete Fassungen sozialer, psychischer und ökonomischer Problemsituationen es ihr ermöglicht, an Alltagskommunikation anzuknüpfen (Bommes/Scherr 2000:80). Mit anderen Worten geht es um den Verzicht auf expertInnenhafte Kategorien und Rollenkonstellationen, die voraussetzend für den Anschluss an alltagsweltliche Nähe ist.
Das Konzept von Hilfe, Vorsorge und Empowerment
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beschleunigter Individualisierungsprozesse hat die Bindekraft sozialkulturell überlieferter Modelle einer „normalen Lebensführung“ (Herriger 2001:106) zerfallen lassen. Insofern ist die „Philosophie der Menschenstärken“, die nach normativen Grundüberzeugungen112 operiert und nach neuen zivilen Verbindlichkeiten sucht, einen Gemeinsinn etablieren sowie eine „eigen-verantwortliche Gestaltung von lokalen Umwelten“ (vgl. kritisch dazu Otto/ Ziegler 2005) ermöglichen möchte, analytisch betrachtet weder als utopische Illusion noch per se als neoliberale Praxis einzuschätzen. Vielmehr ist sie sozio-historisch begründbar, weil es um eine Anbindung des Hilfewissens an zivil-gesellschaftliche Handlungspraxen geht, die mitunter aus einer alltäglichen Logik der Unterstützung heraus auch entwickelt und etabliert wurden. Als theoretisch analysiertes und empirisch erforschtes Best Practice Beispiel für das Empowerment benachteiliger gesellschaftlicher Gruppen wird vielfach die Organisation der Frauenselbstbhilfe sowie jene der Kinderschutzbewegung in deutschsprachigen Ländern genannt, die auch in ländlichen Sozialräumen eine Form der Vergesellschaftung im Umgang mit Konflikten und körperlichen Übergriffen etablieren konnte. So war die Entstehung von Frauenhäusern und die Schaffung von Kinderschutzzentren ursprünglich nicht von staatlichen Institutionen und spezialisierten ProfessionistInnen der Hilfe getragen. Die InitatorInnen waren vielmehr jene Gruppen und AktivistInnen, die sich für staatsunabhängige Angebote und Programme einsetzten. Deren Zielsetzungen waren aber an einer selbstbestimmten Veränderung der Lebenssituation Betroffener orientiert und realisierten sich fernab der „Klientifizierung“ oder „fürsorglichen Belagerung von Opfern“, wie dies Cremer-Schäfer (1995:317) beschreibt: „Ansetzend bei der Bearbeitung von Übergriffen und Lebenskatastrophen haben sich Institutionen und soziale Praktiken entwickelt, Gewalterfahrungen auch präventiv zu verhindern ohne die Kontrolle und Diskreditierung von Personen und Klientifizierung der Opfer auszuweiten.“ (ebd.) 112
Diese lauten – in Anlehnung an Herriger (2001): Selbstbestimmung und Lebensautonomie, soziale Gerechtigkeit und demokratische Partizipation.
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Der Empowerment-Begriff, wie ihn Cremer-Schäfer (ebd.) in Gestalt der Frauenbewegung als weitgehend umgesetzt betrachtet, ist an dieser Stelle nicht pädagogisch zu verstehen. Vielmehr ist er empirisch generiert113 und deskriptiv gefasst, weil er festhält, wie die Bedingungen für Hilfe im sozialen Raum gelagert sind: „Die erste ist, dass es vor allem auf lokaler, kommunaler Ebene Ressourcen und soziale Netze geben muss, die konkreten Personen vermittelt werden können und ihre Lebenssituation verändern. Das ist nicht weniger (auch nicht mehr) als die Forderung nach einer kommunalen Sozialpolitik und einer lokalen >lebensweltnahen< und stadteilbezogenen Organisation Sozialer Arbeit.“ (ebd.)
8.7
Vorsorgeideen auf Basis dynamischer Raumbilder
Was sich in der kriminalgeographischen sowie in der rekonstruierenden Datenanalyse abzeichnet, ist auch im Fachdiskurs als die „Innere Unsicherheit der Familie“ (Sessar 1997:129) ausgewiesen. Sie zeigt, dass Gewalt in der Regel ein Beziehungsdelikt darstellt und dass die soziale Nähe einen bedeutsamen erklärenden Faktor darstellt (ebd.). Mit dieser geht in der Regel auch eine räumliche Nähe einher, die auf den Umstand verweist, dass die Innere Sicherheit einer Gesellschaft in den Familien und Nachbarschaften, in den sozialen Nahräumen „generell weitaus gefährdeter als auf öffentlichen Plätzen ist“ (ebd., 130). Aus welchem Grund aber nun bestimmte soziale Räume (beispielsweise die BH Hollabrunn sowie die BH Horn etc.) besondere kriminalgeographische Verteilungen aufweisen und in welchen Zusammenhängen dieses Analysedatum zu sehen ist, bleibt in der gegenständlichen Untersuchung weitgehend unbeantwor113
Dieser Befund erweist sich auch als anschlussfähig an die Findings aus der raumorientierten Sicherheitsforschung, die „verlässliche Raumlandschaften in Gestalt proaktiver sozialer Praxen“ (vgl. dazu Breckner/Briccoli 2007) verorten. Die AutorInnen (vgl. Häußermann et al. 1991; Breckner/Briccoli 2007; Sessar/Stangl/van Swaaningen 2007) gehen von einer wechselseitigen Verschränkung der Faktoren soziales Handeln im Raum, Konstituiertheit des Raums, materielle Beschaffenheit und Regulationsweisen im Raum aus (vgl. dazu näher Herrmann/Sessar 2007:225 in Anlehnung an Läpple 1991).
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tet (vgl. Punkt 5.1. Die Verteilung der Opfer häuslicher Gewalt in Niederösterreich; vgl. Punkt 7.2 Strategien der Distanzierung). Ein Deutungsversuch aus dem gegenständlichen Sample bezog sich auf die Existenz eines lokal vorhandenen, seit Jahrzehnten bestehenden Frauenhauses, das möglicherweise durch fundierte Vorsorgearbeit das Dunkelfeld häuslicher Gewalt maßgeblich erhellte. ExpertIn 1 (Position 50) beschreibt: „Bei der häuslichen Gewalt und den meisten dazugehörenden Sexualdelikten führen im Positiven die ansteigenden Zahlen zu einer Bewusstmachung, dass da die Kooperation auch anfängt, Früchte zu tragen. (..) Es gibt dort möglicherweise ein anderes Bewusstsein zu der Straftat als in anderen Bundesländern oder Bezirken. Ich bin davon überzeugt, dass die Hollabrunner nicht mehr strafanfällig sind (…) und dass nicht die Gewalt eklatant zugenommen hat, aber dass es öffentlicher wird. Es sind bei den Statistiken auch die Lesearten, wer wo hingeschaut hat. Wir nützen auch statistische Zahlen.“
Ein anderer Deutungsversuch bezog sich auf den auffälligen Sozialraum als traditionelles Weinbaugebiet und das Zusammenspiel von Alkoholkonsum und häuslicher Gewalt: „Auch auf die Gefahr, dass ich komplett daneben liege – ich habe auch in diesen Bezirken schon Dienst verrichtet – Mistelbach, Krems, Horn, Hollabrunn, Waidhofen/Thaya – das sind Bezirke, wo für meine persönlichen Begriffe Alkohol eine wesentliche Rolle spielt. Das ist größtenteils eine Weingegend, viele Leute leben davon, meiner Meinung nach, bildet Alkohol dafür eine Grundlage. Hollabrunn auf jeden Fall. (..). Ist sicher auch ein Thema, Krems, da brauchen wir nicht darüber reden, Mistelbach, da wird auch gesoffen, was das Zeug hält. (ExpertIn MD Position 38-39).
Solche und andere Deutungen durch eine Bezugnahme auf die lokale Arbeitslosenstatistik, auf allgemeine sozialdemographische Bedingtheiten (beispielsweise durch Indizes wie die ÄrztInnendichte, die Sozialhilfedichte, den Grad der Bebauungsdichte des Wohnraums etc.) zu untermauern bzw. zu widerlegen, wäre von geringem Erklärungswert für die Fragestellung nach der „Vorsorge“ gewesen. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass erst ein fokussiertes, verstehendes Forschen in Gestalt qualitativer kleinräumiger Analysen das gehäufte Auftreten von Opfern der sozialen und räumlichen Nähe annähernd erklären kann. So erscheint
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die Einengung des Forschungsinteresses auf einen bestimmten Beispielbezirk sowie ein entsprechendes, Methoden triangulierendes Vorgehen als geeignet, um hinter die lokal spezifischen Deutungsmuster und Vorsorgepraxen des jeweiligen Sozialraums zu gelangen. In Anlehnung an die kriminologischen Sicherheitsforschungen jüngeren Datums, in denen zunehmend mit lebensweltspezifischen Methoden an Sozialräume herangegangen wird, wären konkrete Ansatzpunkte eines vorsorgenden Handelns „zur Verbesserung von Lebensqualität“ (vgl. Skogan 1993:51) besser geeignet, um eine realpolitische Veränderung des speziellen Wirkungsgefüges einzelner Räume zu erzielen (Herrmann/Sessar 2007:225). So arbeiten internationale Sicherheitsforschungsprojekte beispielsweise mithilfe biographischer Konstruktionen, die Aufschluss geben können über die von BewohnerInnen auf ihren Lebensraum projizierten inneren Unsicherheiten, Ängste und Ohnmachtsgefühle genauso wie über ihre Identifikationsmuster und ihre erlebte Verbundenheit mit dem jeweiligen Sozialraum (ebd.). Auf diese Weise gesellschafts- und raumtheoretisch eingebettete Findings können – anders als Sekundär- und Surveydaten – Aufschluss darüber geben, welche soziohistorischen Phänomene und Zusammenhänge die ausgewiesene Vielzahl an Fällen vor Ort (mit)erzeugen und vor allem wie aus AkteurInnensicht solche Phänomene zustande kommen. Über die Dechiffrierung der Verknüpfung von Raumbildern mit Lebenswelten (vgl. dazu Sessar 2007:208) sind Einsichten zu gewinnen in die vor Ort gängigen Vorsorgeund Hilfepraxen aus der Perspektive von Betroffenen sowie von (verantwortlichen) AkteurInnen. Zusammenfassend zum Ausdruck gebracht, können Sozial- und Aggregatdaten keinen Aufschluss über das Wechselspiel von Wahrnehmungen und Wirkungsweisen aus AkteurInnenperspektive geben. Wie die räumliche und zeitliche Kontextualisierung von häuslicher Gewalt bzw. die jeweiligen Beziehungs- und Kommunikationsmuster verheimlicht oder verdeutlicht werden, welche Raumstrukturen und sozialen Praxen an dieser Stelle wirksam werden und wie sich diese beispielsweise in Strategien der Distanzierung oder aber in „Vorsorge und
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Hilfe“ äußern, bedürfen einer fokussierten qualitativen Analyse auf Ebene des betroffenen Sozialraums selbst. Weiterführende lebensweltbezogene und sozialraumspezifische Forschungen im Phänomenbereich häuslicher Gewalt, welche sich mit den spezifischen Wirkfaktoren des jeweiligen Sozialraums (vgl. dazu Läpple 1991:222) beschäftigen, erscheinen nach Maßgabe der vorliegenden Daten als anschlussfähig und aufschlussreich. So betrachtet, war das gegenständliche Forschungsdesign zu weiträumig angelegt, die Untersuchungsfelder zu unterschiedlich sowie die Erkenntnisabsicht, bestehendes Vorsorgewissen möglichst weitflächig zu generieren, zu ehrgeizig angesetzt, um die spezifischen Wirkfaktoren in den Sozialräumen statistisch auffälliger Beispielbezirke induktiv erfassen zu können. Abschließend kann man festhalten, dass weiterführende lebensweltbezogene und sozialraumspezifische Forschungen, welche sich mit der Häufigkeit des Auftretens häuslicher Gewalt auf Ebene von Bezirken oder von Kommunen beschäftigen, anschlussfähig und vermutlich aufschlussreich für den Phänomenbereich wären. Zusammenfassend und in Anlehnung an die jüngeren Arbeiten aus der Sicherheitsforschung (vgl. Stangl/Sessar 2007, Breckner/Briccoli 2007:36) zum Ausdruck gebracht, ist auch davon auszugehen, dass „sichere“ Sozialräume keine substanzialistisch herstellbare Größe sind, sondern dass sich solche vielmehr aus den verlässlichen Kenntnissen über Verunsicherungen und Gefahren der BürgerInnen selbst speisen, die diese Haltung wiederum im Raum selbst zur Anwendung und Strukturierung einsetzen. „Wohlgefühl, Zufriedenheit und Sicherheit bei BewohnerInnen“ (Herrmann/Sessar 2007:225) zu erreichen, zielt nicht nur auf eine Einflussnahme des mehr oder minder gemeinsam genützten, öffentlichen Raumes ab, sondern auch auf private Sphären, wie die gegenständliche ExpertInnenuntersuchung dies zum Ausdruck brachte. Die Schaffung von gewaltfreien Räumen, von Räumen der Kommunikation über „private Fragen und Probleme“ entspricht dem, was unter ExpertInnen als „Kultur einer Vorsorge gegen häusliche Gewalt“ zu verstehen ist.
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Anhang A
Tabelle 5: Strafbare Handlungen nach Opfer-Geschlecht (Niederösterreich, relative Häufigkeit) Verarbeitete Fälle Fälle Gültig Straftat * Geschlecht
Fehlend
Gesamt
N
Prozent
N
Prozent
N
Prozent
33429
100,0%
0
,0%
33429
100,0%
Geschlecht Straftat
§ 217 StGB § 207b StGB § 207 StGB § 206 StGB § 205 StGB
Gesamt
männlich
weiblich
Anzahl
2
17
19
% von Straftat
10,5%
89,5%
100,0%
Anzahl
6
9
15
% von Straftat
40,0%
60,0%
100,0%
Anzahl
80
191
271
% von Straftat
29,5%
70,5%
100,0%
Anzahl
42
216
258
% von Straftat
16,3%
83,7%
100,0%
Anzahl
2
16
18
% von Straftat
11,1%
88,9%
100,0%
224
Anhang A
Geschlecht § 205 StGB Vergehen ALT
männlich
weiblich
1
13
14
7,1%
92,9%
100,0%
1
31
32
% von Straftat
3,1%
96,9%
100,0%
Anzahl
7
67
74
% von Straftat
9,5%
90,5%
100,0%
3
9
12
25,0%
75,0%
100,0%
15
166
181
% von Straftat
8,3%
91,7%
100,0%
Anzahl
13
327
340
% von Straftat
3,8%
96,2%
100,0%
Anzahl
3122
3347
6469
% von Straftat
48,3%
51,7%
100,0%
Anzahl
99
148
247
% von Straftat
40,1%
59,9%
100,0%
Anzahl
546
477
1023
% von Straftat
53,4%
46,6%
100,0%
0
3
3
,0%
100,0%
100,0%
0
5
5
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl % von Straftat
§ 205 StGB Verbrechen ALT § 202 StGB § 202 StGB Verbrechen ALT
Anzahl
Anzahl % von Straftat
§ 202 StGB Vergehen ALT § 201 StGB § 107 StGB § 106 StGB § 105 StGB § 104a StGB Verbrechen
Anzahl
Anzahl % von Straftat
§ 104a StGB Vergehen
Gesamt
Anzahl % von Straftat
225
Anhang A
Geschlecht § 104a StGB Vergehen ALT § 102 StGB § 101 StGB § 99 StGB Verbrechen § 99 StGB - Vergehen § 92 StGB Verbrechen § 92 StGB - Vergehen § 87 StGB § 86 StGB § 85 StGB § 84 StGB § 83 StGB § 82 StGB § 79 StGB
Gesamt
männlich
weiblich
2
0
2
% von Straftat
100,0%
,0%
100,0%
Anzahl
0
6
6
% von Straftat
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl
0
3
3
% von Straftat
,0%
100,0%
100,0%
3
5
8
% von Straftat
37,5%
62,5%
100,0%
Anzahl
48
159
207
% von Straftat
23,2%
76,8%
100,0%
3
4
7
% von Straftat
42,9%
57,1%
100,0%
Anzahl
98
77
175
% von Straftat
56,0%
44,0%
100,0%
Anzahl
59
13
72
% von Straftat
81,9%
18,1%
100,0%
Anzahl
23
1
24
% von Straftat
95,8%
4,2%
100,0%
Anzahl
13
2
15
% von Straftat
86,7%
13,3%
100,0%
Anzahl
1634
383
2017
% von Straftat
81,0%
19,0%
100,0%
Anzahl
13293
7276
20569
% von Straftat
64,6%
35,4%
100,0%
Anzahl
5
4
9
% von Straftat
55,6%
44,4%
100,0%
Anzahl
3
0
3
Anzahl
Anzahl
Anzahl
226
Anhang A
Geschlecht
§ 78 StGB § 76 StGB § 75 StGB Gesamt
Gesamt
männlich
weiblich
% von Straftat
100,0%
,0%
100,0%
Anzahl
4
2
6
% von Straftat
66,7%
33,3%
100,0%
Anzahl
3
0
3
% von Straftat
100,0%
,0%
100,0%
Anzahl
93
53
146
% von Straftat
63,7%
36,3%
100,0%
Anzahl
19858
13571
33429
% von Straftat
59,4%
40,6%
100,0%
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
2320,867(a)
35
,000
2463,703 1668,599
35 1
,000 ,000
Tabelle: Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Likelihood-Quotient Zusammenhang linear-mit-linear Anzahl der gültigen Fälle
33429
a 22 Zellen (30,6%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist ,81.
Anhang A
227
Tabelle 6: Die Verteilung von Opfern nach Tatorten (niederösterreichische Bezirke) und strafbarem Tatbestand Kreuztabelle: Häufigste strafbare Tatbestände mit weiblichen Opfern nach „opferhäufigsten“ niederösterreichischen Bezirken
228
Anhang A
Tabelle: Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Likelihood-Quotient Zusammenhang linear-mit-linear Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische kanz (2-seitig)
529,631(a)
35
,000
522,571 1,582
35 1
,000 ,209
Signifi-
15431
a 4 Zellen (8,3%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist 2,47.
Tabelle 7: Die Verteilung der Opfer nach den am häufigsten angezeigten Delikten für Niederösterreich in ihrer Altersverteilung (weibliche Opfer) Fälle Gültig Häufigste strafbare Handlungen mit weiblichen Opfern nach Altersgruppen
Fehlend
Gesamt
N
Prozent
N
Prozent
N
Prozent
211513
79,8%
53660
20,2%
265173
100,0%
Kreuztabelle: häufigste strafbare Handlungen mit weiblichen Opfern nach Altersgruppen
Anhang A
229
230
Anhang A
Tabelle: Chi-Quadrat-Tests
Wert Chi-Quadrat nach Pearson Likelihood-Quotient Zusammenhang linear-mitlinear Anzahl der gültigen Fälle
79708,543( a) 30331,918 1,223
df
Asymptotische Signifikanz (2seitig)
64
,000
64
,000
1
,269
211513
a 5 Zellen (6,2%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist ,33.
Tabelle 8: Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Gesamtösterreich Fälle Gültig Strafbare Handlung nach Art der Beziehung
Fehlend
Gesamt
N
Prozent
N
Prozent
N
Prozent
44454
100,0%
0
,0%
44454
100,0%
231
Anhang A
Kreuztabelle: Strafbare Handlung nach Art der Beziehung Beziehung
Gesamt Bekannt
familiale Straftat § 217 StGB
§ 207 StGB
§ 206 StGB
§ 205 StGB - Vergehen ALT
§ 205 StGB - Verbrechen ALT
§ 202 StGB - Vergehen ALT
§ 201 StGB
§ 143 StGB
§ 142 StGB
§ 131 StGB
§ 107 StGB
Zufalls-
Beziehung
bek. od. unbekannt
Anzahl
5
22
90
117
% von Straftat
4,3%
18,8%
76,9%
100,0%
Anzahl
130
154
113
397
% von Straftat
32,7%
38,8%
28,5%
100,0%
Anzahl
91
86
22
199
% von Straftat
45,7%
43,2%
11,1%
100,0%
Anzahl
2
13
15
30
% von Straftat
6,7%
43,3%
50,0%
100,0%
10
30
29
69
14,5%
43,5%
42,0%
100,0%
7
12
14
33
% von Straftat
21,2%
36,4%
42,4%
100,0%
Anzahl
66
146
167
379
% von Straftat
17,4%
38,5%
44,1%
100,0%
Anzahl
126
169
197
492
% von Straftat
25,6%
34,3%
40,0%
100,0%
Anzahl
0
44
402
446
% von Straftat
,0%
9,9%
90,1%
100,0%
Anzahl
16
95
529
640
% von Straftat
2,5%
14,8%
82,7%
100,0%
Anzahl
0
6
311
317
% von Straftat
,0%
1,9%
98,1%
100,0%
Anzahl
2646
2514
2169
7329
% von Straftat
36,1%
34,3%
29,6%
100,0%
Anzahl % von Straftat
§ 202 StGB - Verbrechen ALT
schaftsverhältnis
Anzahl
232
Anhang A
Beziehung
Gesamt Bekannt
familiale Straftat § 106 StGB
§ 105 StGB
§ 104a StGB - Verbrechen ALT
§ 100 StGB
§ 99 StGB - Verbrechen
§ 99 StGB - Vergehen
§ 93 StGB - Verbrechen
§ 93 StGB - Vergehen
§ 92 StGB - Verbrechen
§ 92 StGB - Vergehen
bek. od. unbekannt
Anzahl
328
304
209
841
% von Straftat
39,0%
36,1%
24,9%
100,0%
Anzahl
335
438
672
1445
% von Straftat
23,2%
30,3%
46,5%
100,0%
0
0
2
2
,0%
,0%
100,0%
100,0%
0
0
7
7
% von Straftat
,0%
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl
2
2
4
8
% von Straftat
25,0%
25,0%
50,0%
100,0%
Anzahl
0
0
1
1
% von Straftat
,0%
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl
10
17
2
29
% von Straftat
34,5%
58,6%
6,9%
100,0%
Anzahl
176
162
113
451
% von Straftat
39,0%
35,9%
25,1%
100,0%
Anzahl
0
1
0
1
% von Straftat
,0%
100,0%
,0%
100,0%
Anzahl
0
0
2
2
% von Straftat
,0%
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl
14
3
1
18
% von Straftat
77,8%
16,7%
5,6%
100,0%
Anzahl
204
32
10
246
% von Straftat
82,9%
13,0%
4,1%
100,0%
Anzahl
Anzahl
ALT § 102 StGB
Zufalls-
Beziehung
% von Straftat § 104a StGB - Vergehen
schaftsverhältnis
233
Anhang A
Beziehung
Gesamt Bekannt
familiale Straftat § 87 StGB
§ 86 StGB
§ 85 StGB
§ 84 StGB
§ 83 StGB
§ 82 StGB
§ 79 StGB
§ 78 StGB
§ 76 StGB
§ 75 StGB
Gesamt
schaftsverhältnis
Zufalls-
Beziehung
bek. od. unbekannt
Anzahl
27
50
90
167
% von Straftat
16,2%
29,9%
53,9%
100,0%
Anzahl
5
3
3
11
% von Straftat
45,5%
27,3%
27,3%
100,0%
Anzahl
9
5
21
35
% von Straftat
25,7%
14,3%
60,0%
100,0%
Anzahl
355
595
1886
2836
% von Straftat
12,5%
21,0%
66,5%
100,0%
Anzahl
6765
7196
13761
27722
% von Straftat
24,4%
26,0%
49,6%
100,0%
Anzahl
4
1
1
6
% von Straftat
66,7%
16,7%
16,7%
100,0%
Anzahl
4
0
1
5
% von Straftat
80,0%
,0%
20,0%
100,0%
Anzahl
3
2
0
5
% von Straftat
60,0%
40,0%
,0%
100,0%
Anzahl
0
2
1
3
% von Straftat
,0%
66,7%
33,3%
100,0%
Anzahl
73
51
41
165
% von Straftat
44,2%
30,9%
24,8%
100,0%
Anzahl
11413
12155
20886
44454
% von Straftat
25,7%
27,3%
47,0%
100,0%
234
Anhang A
Tabelle: Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Likelihood-Quotient Zusammenhang linear-mit-linear Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
3573,516(a)
66
,000
3869,223 24,870
66 1
,000 ,000
44454
a 34 Zellen (33,3%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist ,26.
Tabelle 9: Die Verteilung der TäterInnen-Opfer-Beziehung nach strafrechtlich relevanten Tatbeständen für Niederösterreich Fälle Gültig Strafbare Handlung und Art der familialen Beziehung
Fehlend
Gesamt
N
Prozent
N
Prozent
N
Prozent
6042
100,0%
0
,0%
6042
100,0%
235
Anhang A Kreuztabelle „Strafbare Handlung“ und familialer Beziehungstyp Beziehung
S § 207 StGB t r § 206 StGB a f § 205 StGB t Vergehen ALT a t § 205 StGB -
familiale Beziehung
Zufallsbek oder unbekannt
Anzahl
17
25
9
51
% von Straftat
33,3%
49,0%
17,6%
100,0%
Anzahl
16
16
4
36
% von Straftat
44,4%
44,4%
11,1%
100,0%
0
2
2
4
,0%
50,0%
50,0%
100,0%
0
5
2
7
,0%
71,4%
28,6%
100,0%
1
6
2
9
11,1%
66,7%
22,2%
100,0%
11
29
18
58
% von Straftat
19,0%
50,0%
31,0%
100,0%
Anzahl
15
25
25
65
% von Straftat
23,1%
38,5%
38,5%
100,0%
Anzahl
0
5
26
31
% von Straftat
,0%
16,1%
83,9%
100,0%
Anzahl
0
7
56
63
% von Straftat
,0%
11,1%
88,9%
100,0%
Anzahl
0
1
29
30
% von Straftat
,0%
3,3%
96,7%
100,0%
Anzahl
467
358
387
1212
% von Straftat
38,5%
29,5%
31,9%
100,0%
Anzahl
15
18
17
50
% von Straftat
30,0%
36,0%
34,0%
100,0%
Anzahl
54
57
100
211
Anzahl % von Straftat Anzahl
Verbrechen ALT % von Straftat § 202 StGB Verbrechen ALT
Anzahl % von Straftat
§ 202 StGB - Vergehen ALT § 201 StGB
§ 143 StGB
§ 142 StGB § 131 StGB
§ 107 StGB
§ 106 StGB
§ 105 StGB
Gesamt Bekanntschaftsverhältnis
Anzahl
236
Anhang A
Beziehung
Beziehung
Bekanntschaftsverhältnis
Zufallsbek oder unbekannt
25,6%
27,0%
47,4%
100,0%
0
0
2
2
% von Straftat
,0%
,0%
100,0%
100,0%
Anzahl
0
1
0
1
% von Straftat
,0%
100,0%
,0%
100,0%
3
2
0
5
60,0%
40,0%
,0%
100,0%
31
20
16
67
46,3%
29,9%
23,9%
100,0%
2
2
0
4
50,0%
50,0%
,0%
100,0%
35
3
0
38
% von Straftat
92,1%
7,9%
,0%
100,0%
Anzahl
3
5
9
17
% von Straftat
17,6%
29,4%
52,9%
100,0%
Anzahl
3
1
3
7
% von Straftat
42,9%
14,3%
42,9%
100,0%
Anzahl
62
83
189
334
% von Straftat
18,6%
24,9%
56,6%
100,0%
Anzahl
1153
946
1606
3705
% von Straftat
31,1%
25,5%
43,3%
100,0%
Anzahl
1
0
1
2
% von Straftat
50,0%
,0%
50,0%
100,0%
familiale S
% von Straftat
t § 104a StGB r Vergehen ALT a
Anzahl
f § 102 StGB t a t
§ 99 StGB Verbrechen
Anzahl % von Straftat
§ 99 StGB -
Anzahl
Vergehen % von Straftat § 92 StGB -
Anzahl
Verbrechen % von Straftat § 92 StGB -
Anzahl
Vergehen
§ 87 StGB
§ 85 StGB
§ 84 StGB
§ 83 StGB
§ 82 StGB
Gesamt
237
Anhang A
Beziehung
Gesamt
Beziehung
Bekanntschaftsverhältnis
S § 78 StGB
Anzahl
1
0
0
1
t r § 76 StGB a
% von Straftat
100,0%
,0%
,0%
100,0%
Anzahl
0
1
0
1
f t § 75 StGB a
% von Straftat
,0%
100,0%
,0%
100,0%
Anzahl
14
6
11
31
% von Straftat
45,2%
19,4%
35,5%
100,0%
Anzahl
1904
1624
2514
6042
% von Straftat
31,5%
26,9%
41,6%
100,0%
familiale
t Gesamt
Zufallsbek oder unbekannt
Tabelle: Chi-Quadrat-Tests
Chi-Quadrat nach Pearson Likelihood-Quotient Zusammenhang linear-mit-linear Anzahl der gültigen Fälle
Wert
df
Asymptotische Signifikanz (2-seitig)
385,216(a)
52
,000
423,434 ,720
52 1
,000 ,396
6042
a 34 Zellen (42,0%) haben eine erwartete Häufigkeit kleiner 5. Die minimale erwartete Häufigkeit ist ,27.
Anhang B
Sicherheitspolizeigesetz (SPG) 2. Hauptstück: Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit Aufgaben im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit § 20. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit umfaßt die Gefahrenabwehr, den vorbeugenden Schutz von Rechtsgütern, die Fahndung, die kriminalpolizeiliche Beratung und die Streitschlichtung. Gefahrenabwehr § 21. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Abwehr allgemeiner Gefahren. (2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen unverzüglich ein Ende zu setzen. Hiefür ist dieses Bundesgesetz auch dann maßgeblich, wenn bereits ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist. (3) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Beobachtung von Gruppierungen, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt, kommt (erweiterte Gefahrenerforschung). Vorbeugender Schutz von Rechtsgütern § 22. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt der besondere Schutz 1. von Menschen, die tatsächlich hilflos sind und sich deshalb nicht selbst ausreichend vor gefährlichen Angriffen zu schützen vermögen; 2. der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit;
240
Anhang B
3.
der Vertreter ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte, der diesen zur Verfügung stehenden amtlichen und privaten Räumlichkeiten sowie des ihnen beigegebenen Personals in dem Umfang, in dem dies jeweils durch völkerrechtliche Verpflichtung vorgesehen ist; 4. von Sachen, die ohne Willen eines Verfügungsberechtigten gewahrsamsfrei wurden und deshalb nicht ausreichend vor gefährlichen Angriffen geschützt sind; 5. von Menschen, die über einen gefährlichen Angriff oder eine kriminelle Verbindung Auskunft erteilen können und deshalb besonders gefährdet sind, sowie von allenfalls gefährdeten Angehörigen dieser Menschen. (1a) Die Entgegennahme, Aufbewahrung und Ausfolgung verlorener oder vergessener Sachen obliegt dem Bürgermeister als Fundbehörde. Der österreichischen Vertretungsbehörde obliegt die Entgegennahme der im Ausland verlorenen oder vergessenen Sachen und deren Übergabe an die Fundbehörde, in deren Wirkungsbereich der Eigentümer oder rechtmäßige Besitzer seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, zum Zweck der Ausfolgung. (2) Die Sicherheitsbehörden haben gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern solche Angriffe wahrscheinlich sind. (3) Nach einem gefährlichen Angriff haben die Sicherheitsbehörden, unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§ 53Abs. 1, 53a Abs. 2 bis 4 und 6, 57 und 58 sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt. (4) Hat die Sicherheitsbehörde Grund zur Annahme, es stehe ein gefährlicher Angriff gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Vermögen bevor, so hat sie die betroffenen Menschen hievon nach Möglichkeit in Kenntnis zu setzen. Soweit
Anhang B
241
diese das bedrohte Rechtsgut deshalb nicht durch zumutbare Maßnahmen selbst schützen, weil sie hiezu nicht in der Lage sind, haben die Sicherheitsbehörden die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Verzichtet jedoch derjenige, dessen Rechtsgut gefährdet ist, auf den Schutz ausdrücklich, so kann er unterbleiben, sofern die Hinnahme der Gefährdung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Aufschub des Einschreitens § 23. (1) Die Sicherheitsbehörden können davon Abstand nehmen, gefährlichen Angriffen vorzubeugen oder ein Ende zu setzen, soweit ein überwiegendes Interesse 1. an der Abwehr krimineller Verbindungen oder 2. am Verhindern eines von einem bestimmten Menschen geplanten Verbrechens (§ 17 StGB) gegen Leben, Gesundheit, Sittlichkeit, Freiheit oder Vermögen noch während seiner Vorbereitung (§ 16 Abs. 3) besteht. § 5 Abs 3 StPO bleibt unberührt. (2) Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 dürfen die Sicherheitsbehörden ihr Einschreiten nur aufschieben, 1. solange keine Gefahr für Leben und Gesundheit Dritter besteht und 2. sofern dafür Vorsorge getroffen ist, daß ein aus der Tat entstehender Schaden zur Gänze gutgemacht wird. (3) Die Sicherheitsbehörde hat Menschen, denen durch den Aufschub des Einschreitens ein Schaden entstanden ist, über diesen sowie über die ihnen gemäߧ 92 Z 1 offenstehende Möglichkeit zu informieren. Fahndung § 24. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Menschen, nach dem gesucht wird (Personenfahndung), weil 1. eine Anordnung zur Festnahme nach Art. 4 Abs. 1, 2 oder 4 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, besteht;
242
Anhang B
2.
befürchtet wird, ein Abgängiger habe Selbstmord begangen oder sei Opfer einer Gewalttat oder eines Unfalles geworden; 3. der Mensch auf Grund einer psychischen Behinderung hilflos ist oder Leben oder Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet; 4. ein Ersuchen gemäß § 146b ABGB vorliegt, an der Ermittlung des Aufenthaltes eines Minderjährigen mitzuwirken. (2) Den Sicherheitsbehörden obliegt das Aufsuchen von Gegenständen, die einem Menschen durch einen gefährlichen Angriff gegen das Vermögen entzogen worden sind oder die für die Klärung eines gefährlichen Angriffes (§ 22 Abs. 3) benötigt werden (Sachenfahndung). Kriminalpolizeiliche Beratung § 25. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe gegen Leben, Gesundheit und Vermögen von Menschen die Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit des Einzelnen, sich über eine Bedrohung seiner Rechtsgüter Kenntnis zu verschaffen und Angriffen entsprechend vorzubeugen. (2) Darüber hinaus obliegt es den Sicherheitsbehörden, Vorhaben, die der Vorbeugung gefährlicher Angriffe auf Leben, Gesundheit oder Vermögen von Menschen dienen, zu fördern. (3) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, bewährte geeignete Opferschutzeinrichtungen vertraglich damit zu beauftragen, Menschen, die von Gewalt einschließlich beharrlicher Verfolgung (§ 107a StGB) bedroht sind, zum Zwecke ihrer Beratung und immateriellen Unterstützung anzusprechen (Interventionsstellen). Sofern eine solche Opferschutzeinrichtung überwiegend der Beratung und Unterstützung von Frauen dient, ist der Vertrag gemeinsam mit dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen abzuschließen, sofern eine solche Einrichtung überwiegend der Beratung und Unterstützung von Kindern dient, gemeinsam mit dem Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz.
Anhang B
243
Streitschlichtung § 26. Um gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit oder Vermögen von Menschen vorzubeugen, haben die Sicherheitsbehörden auf die Beilegung von Streitigkeiten hinzuwirken. Kann die Streitigkeit nicht beigelegt werden, so haben die Sicherheitsbehörden auf eine sonst mögliche Gefahrenminderung hinzuwirken.
3. Hauptstück: Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung § 27. (1) Den Sicherheitsbehörden obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung an öffentlichen Orten. Hiebei haben sie auf das Interesse des Einzelnen, seine Grund- und Freiheitsrechte ungehindert auszuüben, besonders Bedacht zu nehmen. (2) Öffentliche Orte sind solche, die von einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis betreten werden können.
4. Hauptstück: Besonderer Überwachungsdienst § 27a. Den Sicherheitsbehörden obliegt im Rahmen des Streifen- und Überwachungsdienstes (§ 5 Abs. 3) die besondere Überwachung gefährdeter Vorhaben, Menschen oder Sachen in dem Maße, in dem der Gefährdete oder der für das Vorhaben oder die Sache Verantwortliche nicht bereit oder in der Lage ist, durch zumutbare Vorkehrungen den erforderlichen Schutz zu gewährleisten und die dadurch entstehende Gefahr im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit nicht hingenommen werden kann.