JOE MILLARD
FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR Western-Roman Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
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JOE MILLARD
FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR Western-Roman Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-BUCH Nr. 2302 im Wilhelm Heyne Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe FOR A FEW DOLLARS MORE Deutsche Übersetzung von Hans Gamber
Scanned by Doc Gonzo
Copyright © 1965 by Sergio Leone and Fulvia Morsella Printed in Germany l972 Umschlagfotos: Constantin-Film Gesamtherstellung: Ebner, Ulm
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l Gewöhnlich gingen dem Sheriff von Tucumcar die Nerven so leicht nicht durch. Aber als er von der Morgenpost aufblickte und den Fremden vor seinem Schreibtisch stehen sah, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Fremde bedeuteten ihm beileibe nichts Neues, aber er war daran gewöhnt, daß sich ihr Kommen durch das Knirschen von Stiefelabsätzen und das Ächzen morscher Fußbodenbretter ankündigte. Dieser Mann war so lautlos erschienen, als ob er ein Geist wäre. Er hatte ihm den Rücken zugewandt und studierte einen Steckbrief an der Wand. Er zeigte die Skizze eines fleischigen, brutalen Gesichts, und darunter stand der stereotype Satz: GESUCHT TOT ODER LEBENDIG >Red< Cavanagh $ 2000 Belohnung Der Sheriff unterdrückte seine Verärgerung und musterte den Rücken des Fremden. Der Mann war groß — gut einsneunzig, wenn nicht größer — und so schmal wie eine Peitsche. Er trug einen braunweißen Poncho auf mexikanische Art, den Kopf durch den Schlitz in der Mitte gesteckt, die Fransen herabfallend bis zum Knie. Der Hut war breitrandig und flachgedrückt. Mit einem schwachen Seufzer der Erleichterung bemerkte der Sheriff, daß weder das Ende eines Halfters noch ein Schenkelriemen unter den Fransen des Ponchos sichtbar waren. Zumindest trug der Fremde seine Waffe nicht in der Manier eines Revolvermannes.
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Der Sheriff räusperte sich: »Ich habe Sie nicht kommen hören, mein Freund.« Der Fremde ließ auch weiterhin seinen Blick auf dem Plakat verweilen, ohne Anzeichen, daß er etwas gehört hatte. Der Sheriff grollte mit wachsendem Unmut: »Kann ich etwas für Sie tun, Mister?« Diesmal fuhr der Mann katzengleich herum. Er war etwa dreißig — vielleicht weniger —, hatte tiefliegende Augen, die zu Schlitzaugen verengt waren, und ein eigenwilliges Kinn, das von einem spärlichen Bart bedeckt war. Das Gesicht wirkte in keiner Weise unangenehm, aber es war so ausdruckslos wie das eines Indianers, als hätte er schon vor langer Zeit gelernt, jeden Gedanken und jedes Gefühl zu verbergen. Nur das schwache Glimmen in den Augenschlitzen verschaffte dem Sheriff einen unbehaglichen Einblick in eine beherrschte, aber hochempfindliche Gewaltnatur. Wortlos, ohne Wimpernzucken dem Blick des Sheriffs standhaltend, hob der Fremde den Poncho und streifte ihn über die Schulter. Der Revolver war also da, ein schwerer 44er, und obwohl er ihn hoch an der Hüfte trug, zeigte der Griff den bekannten Schimmer häufigen Gebrauchs. Schweigend langte der Mann zwischen eine kurze Schafsfellweste und zog aus einer Hemdtasche eine stummelige mexikanische Zigarre. Vom Sheriffsschreibtisch nahm er sich ein Streichholz. Nachdem die Zigarre zu seiner Zufriedenheit brannte, sprach er zum erstenmal. »Cavanagh«, sagte er. »Gilt das Angebot immer noch?« Der Sheriff rutschte auf dem Stuhl vor. »Sie sind ein Menschenjäger?« »Kopfgeldjäger«, korrigierte der Fremde. »Auf dem Steckbrief heißt es >tot oder lebendige« »So heißt es immer«, schnappte der Sheriff, »aber ich habe noch keinen gesehen, der lebendig zurückgebracht worden wäre.« »Das überlasse ich dem andern. Er kann sich aussuchen, was er haben will.«
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Ein leiser Schauer sträubte die Haare des Sheriffs im Nacken. »Soweit ich weiß, ist die Belohnung immer noch zu haben. Das heißt natürlich, wenn ihn heute keiner abgeknallt hat, was ich bezweifle. Red ist nicht so leicht totzukriegen.« »In bar?« Keine Modulation, kein vergeudetes Wort. »Bei Lieferung.« »Das Land ist groß.« »Well-l-1«, der Sheriff kratzte mit einem Daumennagel über sein stoppeliges Kinn. »Wenn ich hinter Cavanagh her wäre — und so verrückt bin ich nicht — würde ich meine Suche in White Rocks beginnen. Er hat einen Haufen Freunde dort.« »Danke.« »Einen Augenblick!« Der Sheriff kramte durch den Wirrwarr auf seinem Schreibtisch und fand einen zerkauten Bleistiftstummel. »Wenn Sie es auf die zweitausend Dollar abgesehen haben, brauche ich schon Ihren Namen.« »Warum?« »Für die Akten, verdammt noch mal. Ich muß genau Buch führen. Wenn Sie sich die Belohnung verdienen, muß ich auch Rechenschaft darüber geben können, an wen ich sie ausbezahlt habe. Und im anderen Fall« — seine Mundwinkel verzogen sich hämisch — »muß ich wissen, welchen Namen ich auf den Grabstein setzen lassen soll.« Keine Antwort, kein Ausdruckswechsel. Der Sheriff starrte ihn wütend an, dann bückte er sich nach einem Formular in einer Bodenschublade. »Jeder hat doch irgendeinen Namen. Verflixt. Ich hab' keine Zeit, um in der Weltgeschichte rumzulaufen und festzustellen, ob der Name, den mir ein Mann gegeben hat, identisch ist mit dem, der in seiner Geburtsurkunde steht. So, und jetzt nennen Sie mir ihn, damit ich •ihn hier gleich eintragen kann . . .« Er richtete sich auf und seine Stimme erstarb. Der Fremde war so abrupt und geräuschlos verschwunden, wie er gekommen war. Der Sheriff stieß eine Verwünschung aus. Dann feuchtete
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er die Bleistiftspitze an und kritzelte in das obere Kästchen des Formulars: Red Cavanagh — $ 2.000. Und darunter: Mann ohne Namen.
2 Abgesehen von der bizarren Felslandschaft, die diesem Ort den Namen gab, unterschied sich White Rocks in nichts von irgendeinem anderen verschlafenen Westernstädtchen. Ein paar Hütten und einige Geschäftshäuser mit falschen Fassaden scharten sich um den Schnittpunkt zweier Schienenstränge. Aus einem langgestreckten Saloon drang der Lärm eines verstimmten Klaviers, das Klirren von Geschirr und das Ge lalle Betrunkener. Ein Dutzend besattelter Pferde döste geduldig an dem Geländer davor. Der Jäger ohne Namen zügelte am Stadtrand sein Pferd und betrachtete lange und ausdruckslos die Straßen und Häuser. Schwarze, zerfetzte Wolken trieben am Himmel und wurden von stacheldrahtartigen Blitzen durchzogen. Donner grollte, und ein heftiger Platzregen stach dem Jäger ins Ge nick. Sein Pferd, ein stattlicher, langbeiniger Brauner mit weißen Fesseln, scharrte unruhig. Der Mann glitt herunter, warf die Zügel um seinen Arm und holte eine seiner kurzen Cigarros hervor. Er hatte sie bereits angezündet, als im nächsten Augenblick der Sturm mit aller Gewalt losbrach und ein peitschender Regen sie wieder verzischen ließ. Mit geducktem Kopf tastete sich der Jäger an die Pferdestange des Saloons heran und band seinen Braunen fest. Unter dem Vordach des Saloons hielt er inne, um den Regen aus dem Poncho zu schütteln und seine Schußhand zu trocknen und zu erwärmen. Für einen Revolvermann konnte eine regenglitschige Hand so tödlich sein wie ein leerer Halfter. Eine Weile blickte er über die Schwingtür und registrierte
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jedes Detail des großen und weitläufigen Saloons und der dröhnenden Meute, die ihn bis auf den letzten Zentimeter füllte. Eine ganze Anzahl von Galgengesichtern darunter, aber keins davon brachte sein Registrierkassengedächtnis »gesuchter« Männer zum Klingeln, noch glich einer der Skizze von Red Cavanagh. Er ignorierte den Schwärm von Animiermädchen in kurzberockten, tief ausgeschnittenen Kostümen, die mit Getränken durch das Gedränge schlüpften, die Tätscheleien Betrunkener abwehrten und dafür mit Geldsäcken kokettierten. Hinter der langen Bar führte eine kurze Treppe zu einem kleinen Alkoven, wo eine Gruppe von Männern um einen Pokertisch saß. Ein grauhaariger Mann, der einen Sheriffstern trug, wanderte langsam um den Tisch, paffte dicke Rauchwolken in die Luft und sah den Spielern auf die Hände. Er sagte etwas, das kurzes Gelächter auslöste, dann stieg er die Treppe herunter, gerade als der Jäger durch die Schwingtür schritt. Ihre Blicke trafen sich, und in den Augen des Gesetzeshüters flackerte vorsichtige Neugier auf. Als sie auf gleicher Höhe standen, streckte der Jäger die Hand aus. »Wie war's mit Feuer?« Der Sheriff machte ein überraschtes Gesicht und hielt ihm dann die brennende Zigarre entgegen. Der große Mann beugte sich herunter und saugte Feuer in seinen Cigarro. Als sie zu seiner Zufriedenheit qualmte, richtete er sich wieder auf. »Red Cavanagh. Wo kann ich diesen Mann finden?« Die Augen des Sheriffs waren plötzlich überschattet und undurchdringlich. Nach einiger Zeit nickte sein Kopf fast unmerklich in die Richtung des Alkovens. »Droben am Tisch. Der mit dem Rücken zu Ihnen.« Er schaute dem großen Fremden nach, bis er den Treppenabsatz erreicht hatte, dann wirbelte er herum und stieß durch die Schwingtür. Auf der anderen Seite des Raums schlug der Klavierspieler eine falsche Taste. Red Cavanagh war ein untersetzter, wulstiger Bulle von
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einem Mann mit kalten, blauen Augen und borstigem, rötlichem Haar über einer schmalen Stirn. Er hatte die Karten gemischt und gab nach links weiter. Als der Kartenspielgeber danach griff, trat der Jäger lautlos zwischen beide und deckte die Karten mit seiner eigenen linken Hand ab. Der Geber fuhr mit zornrotem Gesicht hoch. »Was, zum Teufel, fällt Ihnen eigentlich ein . . .« Er bemerkte das kalte Starren des Eindringlings, und der Wortsprudel versiegte. Er sank auf den Stuhl zurück, und sein Gesicht wurde aschfahl. Cavanagh drehte sich herum, um in das teilnahmslose Ge sicht des Fremden zu starren, während sein dumpfer Verstand Herr über den Schock völliger Überraschung zu werden versuchte. Er warf den anderen Spielern einen bestürzten Blick zu, dann versuchte er, sich wieder auf den schweigenden Fremdling zu konzentrieren. Seine Zunge schoß hervor, um die trockenen Lippen zu befeuchten. Seine blauen Augen zeigten mehr Verwirrung als Alarm. Unten im Saal wurde es schlagartig still. Das einzige Ge räusch war das Schnarchen eines schlafenden Mannes, dessen Kopf in einer Bierlache ruhte. Im Alkoven glitten die Spieler aus ihren Stühlen und rückten vorsichtig vom Tisch ab. Den Blick auf Reds Augen fixiert, hob der Fremde das Päckchen auf und begann, einhändig auszugeben — eine Karte für den Gejagten, eine für den Jäger. Er gab langsam, bedächtig, bis die nervtötende Spannung jenen Punkt erreichte, wo das leichte Klatschen jeder Karte in der Stille wie ein Donnerschlag klang. Als jeder fünf Karten hatte, legte der Jäger das Päckchen hin und warf einen raschen Blick auf seine Karten. Zwei Asse, eine Acht, eine Fünf und eine Sieben. Red holte rasselnd Atem, fuhr sich wieder über die Lippen und hob sein eigenes Blatt auf, wobei er die Karten vor dem Blick des anderen abschirmte. Ein Muskel zuckte neben seinem Mund. Mit der Linken sortierte der große Mann flink die beiden Asse heraus und legte die drei niedrigen Karten ab. Er griff nach dem Päckchen und wartete.
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»Zwei Karten«, sagte Red heiser und legte ebenfalls ab. Die Hand, die neu abhob, zitterte leicht. Mit einem kleinen Freudenschrei breitete Red seine Blattfolge auf dem Tisch aus — drei Könige, eine Zehn und eine Königin. Mit triefenden Augen glotzte er in das Gesicht seines Gegners. Der andere beugte sich vor, um sein Blatt auszubreiten. Drei Asse, eine Königin, ein Bube. Eine lange Zeit, die unendlich zäh vertropfte, starrte Red auf die Karten. Sein feister Körper war so reglos wie eine Statue. Nur ein Muskel zuckte in seiner Wange. Dann fuhr er langsam herum, um zum Sieger aufzublicken. »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie hoch der Einsatz war, Mister.« Der Jäger nahm den zerkauten Zigarrenstumpen aus den Lippen, inspizierte ihn sorgfältig und ließ ihn zu Boden fallen. Er zertrat ihn unter seinem Stiefel und spuckte ein Stückchen Tabak aus. Um seine Lippen spielte der Hauch eines humorlosen Lächelns. »Ihr Leben, Red.« Der Outlaw starrte ihn leer an, während sein langsamer Verstand den Sinn der Worte zu ergründen versuchte. Dann traf ihn die Erkenntnis, und er kam hoch, fluchend, den Stuhl zur Seite stoßend, mit massiven Fäusten auf seinen Feind losschlagend. Der andere blockierte mit Ellbogen und Vorderarmen die Schläge ab und riß Red in den Schwitzkasten. Reds riesige rechte Pranke schloß sich um den Hals seines Gegners wie eine Wolfsfalle. Keuchend und stoßend drehten sie sich langsam im Kreis, bis ihre Füße sich in dem umgefallenen Stuhl verfingen und sie mit einer Wucht zu Boden fielen, die das Gebäude zum Beben brachte. Der Jäger war oben. Die harte Kante seiner geöffneten Hand vollführte einen kurzen Hieb und löste den tödlichen Griff an seinem Hals. Sie sprangen auf die Füße und droschen aufeinander ein. Red Cavanagh war bullenstark, aber ein blutiger Anfän-
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ger. Der andere parierte die meisten seiner Schläge, während seine eigenen Fäuste methodisch zuschlugen. Eine solide Rechte beförderte den Outlaw über die Brüstung in den Saloon. Halbbenommen versuchte Red sich zu erheben, bis ihm mit einiger Verspätung der Colt im Halfter einfiel. Er hatte ihn schon halb gezogen, als die heranfliegende Gestalt des Jägers ihn niederrammte, ihm den Atem aus den Lungen quetschte und den Colt weit außer Reichweite stieß. Auffedernd packte der Mann ohne Namen Red am Hemd und riß ihn mit sich. Er hieb ihm mehrmals kreuzweise ins Gesicht, dann wirbelte er den massigen Leib und stieß ihn gegen die Bar. »Tot oder lebendig, Red? Sie haben die Wahl.« Hinten ihnen federte leise die Schwingtür, und eine kalte, tödliche Stimme sagte: »Lassen Sie Red los!« Der Jäger drehte langsam den Kopf, bis er den Besitzer der Stimme sehen konnte. Drei Männer standen in der Tür und hielten ihn mit gespannten Colts in Schach. Alle drei wiesen sie die Merkmale von Gunfighters auf — kalte Augen, entblößte Zähne, festgeschnürte Halfter und breitbeinige Haltung. In dem Gesicht des Jägers spiegelte sich nichts, weder ein Aufflackern von Alarm noch eine Muskelanspannung. Einen Augenblick hielt er noch den zerschundenen Cavanagh aufrecht und blickte über seine Schulter leidenschaftslos dem sicheren Tod ins Auge; im nächsten Augenblick schoß er herum, den 44er in der Hand, und drückte den Abzug so rasend schnell, daß es schien, als seien alle drei Schüsse zu einem einzigen verschmolzen. Die Revolverhelden wurden von der Wucht der Kugeln zur Schwingtür hinausgefegt und blieben im Straßenstaub liegen. Nur einer feuerte noch einen Schuß ab, und das war nur der Reflex eines bereits Toten, der ein Loch in die Decke schoß. Der Jäger verhielt in seiner vornübergebeugten Haltung, den Revolver immer noch im Anschlag, während sein Blick über die Gesichter der Zuschauer, die sich gegen die Wand
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gedrängt hatten, glitt. Er sah Ehrfurcht, Ungläubigkeit, nackte Angst und verstohlene Blicke auf etwas hinter ihm. Als der Mann ohne Namen Cavanagh fortgestoßen hatte, um seine Schau zu liefern, war der Outlaw zu Boden gestürzt und wie irr aus der Schußlinie gerobbt. Red war jetzt hinter ihm — und auch der Colt, den er ihm entwunden hatte. Danach waren mindestens zehn Zeugen bereit gewesen zu schwören, daß der große, schlanke Fremde rückwärts gefeuert hatte, zwischen dem Arm hindurch, ehe er soweit herumgefahren war, daß er sein Ziel hätte ausmachen können. Das war unmöglich, aber Red Cavanagh lag bereits tot auf dem Boden, mit einem Loch in der Stirn, als der Jäger die Drehung vollzogen hatte. Der Kopfgeldjäger ließ wieder seine eiskalten Augen über die Menge schweifen, dann steckte er den Revolver in den Halfter. Er packte den Gürtel des Toten, hob den schweren Körper auf und schulterte ihn, als handle es sich um einen Hafersack. Der Sheriff von White Rocks blickte auf und erstarrte. Der Kopfgeldjäger sah ihn an, bis sich Schweißtröpfchen auf der Stirn des Mannes zu bilden begannen. »Sagen Sie«, bemerkte der Fremde schließlich, »wird von einem Sheriff nicht erwartet, daß er mutig, treu und vor allem ehrlich ist?« Der Sheriff fuhr sich über die Lippen. »J-ja. Das erwartet man.« Langsam beugte sich der Menschenjäger vor und entfernte den vernickelten Stern. Er warf dem schweißnassen Mann einen letzten Blick zu und wandte sich zur Tür. Draußen auf der Straße ging es hoch her. Männer standen in Grüppchen herum und unterhielten sich erregt über die Schießerei und die sagenhafte Schnelligkeit und Treffsicherheit des Fremden. Sie fielen in Schweigen, als ihr Gesprächsthema erschien ; ein alter Mann nahm den verbeulten Hut ab, als Zeichen der Ehrfurcht. Der Fremde warf den Sheriffsstern in den Hut.
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»Ihr braucht einen neuen Sheriff«, sagte er und begann, sein Pferd loszubinden. Nicht ganz dreißig Meilen in nordwestlicher Richtung trieb ein Mann sein blutiges Unwesen, den er noch nie gesehen und von dem er noch nie gehört hatte — aber ein Mann, der entscheidend über seine weitere Zukunft bestimmen sollte.
3 Der Zug kroch beständig in südlicher Richtung durch eine öde und sonnengedörrte Landschaft. Im mittleren Abteil des ersten Waggons saß ein kleiner Mann mit einem dünnen Fuchsgesicht und betrachtete mürrisch seine Mitfahrer. Er war ein einsamer und kontaktfreudiger kleiner Mann, dessen Hunger nach Konversation vom Beginn der Reise an frustriert worden war. Er hatte kaum Platz genommen, als er von einer fetten und robusten indianischen Squaw in die Ecke gedrängt wurde, die sein hoffnungsvolles »Guten Morgen, Madam. Heiß heute, nicht wahr?« ignorierte. Die gegenüberliegenden Sitze waren von einem großen, schlanken, gutgekleideten Fremden und dessen Reisetasche besetzt. Unglücklicherweise hatte der Fremde bisher die ganze Zeit in einer großen Bibel gelesen, die er so hielt, daß der kleine Mann kein einziges Mal einen Blick in das Gesicht dahinter hatte werfen können. Irgendwie brachte er den Mut nicht auf, diese offensichtliche Barrikade gegen Geselligkeit zu erstürmen. Als der Schaffner den schmalen Mittelgang herunterkam — »Fahrkarten! Bitte die Fahrkarten vorzeigen!« rufend —, griff der kleine Mann in die Westentasche und holte seine heraus. Eine harte braune Hand kam hinter der Bibel mit einem Bil-
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lett zum Vorschein, und eine Stimme sagte: »Ist es noch weit bis Tucumcari, Schaffner?« Der Schaffner zog eine enorme Golduhr zu Rate. »Drei, vier Minuten noch, dann müßten wir durchfahren.« »Vielen Dank.« Der kleine Mann fieberte in freudiger Erwartung, während er sich vorbeugte. »Ent-entschuldigen Sie, Hochwürden, aber ich fürchte, es ist Ihnen ein Fehler unterlaufen, und zwar ein sehr großer. Wie ich eben gehört habe, wollen Sie nach Tucumcari. Ich habe viel in dieser Gegend zu tun. Daher kenne ich auch die Züge hier ganz genau, und ich muß Ihnen sagen, Sie sitzen im falschen. Ich glaube, die nächste Haltestelle nach Tucumcari ist Amarillo. Sie müßten in Santa Fe aussteigen und nach Amarillo zurück, um dort hinzukommen, wo Sie hin wollen . . .« Seine Stimme erstarb, als langsam die Bibel gesenkt und die obere Hälfte eines harten, sonnengebräunten Gesichts sichtbar wurde. Hohe, vorstehende Backenknochen umrahmten Augen von einem strahlenden Braun. »Hochwürden« hielt eine gekrümmte, gelbe Meerschaumpfeife zwischen den Zähnen, und ein dünner blauer Rauchfaden schwebte empor. Schweigend und ausdruckslos studierte der Fremde den kleinen Mann, als wäre er eine Art Insekt, das sich zu nahe herangewagt hatte. Der kleine Mann wand sich unter dem mitleidlosen Blick und stotterte in Verzweiflung: »D-d-dieser Zug h-hält nicht in Tucumcari.« Der Fremde schloß die Bibel und steckte sie in die Reisetasche. Er blickte zum Fenster hinaus und stand auf. Dabei öffnete sich der Gehrock und zeigte den größten Colt, den der kleine Mann je gesehen hatte. Der Lauf allein war gut vierzig Zentimeter lang, was bedeutete, daß die Waffe fast dieselbe Reichweite und Genauigkeit wie ein Gewehr besaß. Der kleine Mann starrte mit tellergroßen Augen. Der Fremde nahm die Pfeife aus dem Mund. »Der Zug wird in Tucumcari halten.« Er hob den Arm und ruckte an der Notleine, die von der
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Decke baumelte. Vorn im Führerhäuschen ertönte eine schrille Glocke, gefolgt von dem Quietschen gequälten Metalls, während sich der Bremsschuh auf die eisernen Räder stemmte. Dicke Dampf schwaden umhüllten sie. Der Zug bockte und schleifte. Der kleine Mann wurde mit einer solchen Macht auf den Schoß der Squaw geschleudert, daß beide zu Boden fielen. Als sie sich wieder entwirrt hatten, war der Fremde verschwunden. Draußen sprangen der Zugführer und der Heizer von der Lokomotive, während sich der Schaffner vom Trittbrett des hinteren Waggons schwang. Er rannte vor und bellte: »Was ist passiert? Wer hält denn hier mitten in voller Fahrt den Zug an?« »Jemand hat die Notleine gezogen«, rief der Zugführer zurück. »Wenn ich den Kerl zwischen die Finger . . .« Die Stimme versagte dem Schaffner, als er sah, daß die Tür des Gepäckwagens aufging. Eine behelfsmäßige Verladerampe kam zum Vorschein, und dann erschien der Mann im Gehrock, der ein prächtiges, kohlrabenschwarzes Pferd am Zügel mit sich führte. Der Schaffner sprintete vor, sein schwartiges Gesicht purpurn vor Zorn. »Hören Sie, Mister, Sie können doch nicht einfach die Notleine ziehen und aussteigen, wo es Ihnen gerade paßt. Wo nehmen Sie eigentlich das Recht her, meinen Zug zu stoppen? Wenn Sie in Tucumcari aussteigen wollten, dann hätten Sie . . .« Der große Mann hielt inne und drehte sich um. Zum erstenmal sah der Schaffner den riesigen Revolver; seine Streitsucht ließ abrupt nach. Er schluckte und erklärte zahm: »Ich wollte nur sagen, Sir, die Eisenbahngesellschaft ist bei vorheriger Anmeldung gern bereit, ihre Reisenden dort aussteigen zu lassen, wo sie wollen.« »Ich bin ausgestiegen, wo ich wollte«, sagte der große Mann milde. »Ich bin Ihnen sehr verbunden.« Er tippte höf-
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lieh an seinen schwarzen Hut und ging mit dem schwarzen Pferd weiter, den Schaffner offenen Mundes zurücklassend. Der Schaffner hatte mehr Glück, als er ahnte. Nicht viele Männer hatten versucht, Colonel Douglas Mortimer aus Carolina zur Schnecke zu machen und die Erinnerung daran überlebt. Einst bekannt als der tödlichste Schütze in der Armee, hatte Mortimer nach seiner Entlassung viele Gelegenheiten gefunden, seine Fähigkeiten in Übung zu halten. Jetzt ging er schnurstracks auf einen Steckbrief zu, der an die Wand des wackeligen Bahnhofs von Tucumcari geheftet war. Offeriert wurde eine Belohnung von 1000 Dollar für die Festnahme, tot oder lebendig, eines Mörders namens Guy Callaway. Ein Witzbold hatte der Summe mit einem Bleistift zwei Nullen hinzugefügt. Während der Colonel das Plakat betrachtete, streckte ein fetter Mann, der einen grünen Augenschirm trug, einen grinsenden Kopf aus dem Fahrkartenschalter. »Guy selbst hat erst gestern die zwei Nullen drangehängt. Er war ganz aus dem Häuschen, als er in die Stadt kam und sah, wie wenig sie für ihn boten. Er fühlte sich bestimmt nicht geehrt. Er stand genau da, wo Sie jetzt stehen, und sagte zu mir: >Schäbige tausend Eier für mich, das ist eine Beleidigung. Ich bin eine ganze Menge mehr wert.< Und so hat er dann an Ort und Stelle aus der Belohnung hunderttausend Dollar gemacht.« Der Fahrkartenverkäufer kicherte. »Macht sowieso keinen großen Unterschied, was draufsteht. Gegen Guy traut sich keiner ran, wie hoch auch die Summe ist.« Der Colonel betrachtete kalt den Mann, dann wandte er sich um und nahm behutsam den Steckbrief von der Mauer. Er rollte ihn zusammen und steckte ihn in seinen Gehrock. Der fette Bahnbedienstete schien zu welken. Er schluckte und fügte heiser hinzu: »Zumindest hat sich bis jetzt keiner getraut.« Tucumcaris einziger Saloon bot einen öden Anblick, als Colonel Mortimer durch die Schwingtür trat. Der feiste Wirt zauberte tausend Lachfältchen auf sein Gesicht und brachte
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geschäftig eine Flasche Whisky und ein Glas herbei. Die Hand des Colonels stieß beides ans andere Ende der Bar. Er holte den Steckbrief hervor und rollte ihn auf. »Wo steckt er?« Die Augen des Wirts waren plötzlich umschleiert. Er zuckte die Schulter und grunzte etwas Unverständliches. Die Lippen des Colonels wurden schmal. »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.« Der Saloonbesitzer drehte sich weg, ging die Bar hinunter und kehrte mit einem Stapel Gläser zurück; im übrigen tat er so, als sei der Mann im Gehrock Luft für ihn. Als er vorbeikam, schoß die Linke des Colonels vor, erwischte ihn am Kragen und zog ihn halb über die Mahagonitheke. Der Wirt starrte in ein Paar gleißende, lohfarbene Augen, die an die Augen eines sprungbereiten Berglöwen erinnerten. »Wo — ist — er?« Der Colonel ließ ihn los, und der Wirt richtete sich auf, sein Gesicht kalkweiß und mit kaltem Schweiß bedeckt. Er rang schwer nach Atem, warf einen ängstlichen Blick um sich und rollte dann die Augen zur Decke. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wo er jetzt sein könnte.« Der Colonel lächelte dünn, löste sich von der Bar und ging die Treppe hinauf, den zusammengerollten Steckbrief in der Linken. Droben blieb er einen Moment stehen; er befand sich am Ende eines langen, mit Schlafzimmern gesäumten Gangs. Alle Türen waren geschlossen, aber hinter einer waren Stimmen und platschendes Wasser zu hören. Der Colonel schlich sich auf Zehenspitzen zur Tür. Eine männliche Stimme grollte: »Halt still, verfluchtes Biest!« »Aber, Guy . ..«, protestierte die Stimme einer Frau. »Halt still, sagte ich.« »Aber du tust mir weh.« »Dann tu, was ich dir sage!« Die Frau kicherte, dann kreischte sie: »Oh! Siehst du! Jetzt habe ich die Seife fallen lassen.«
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Der Mann lachte. »Warte. Ich hole sie dir.« Wieder Spritzen und Planschen, und die Frau schrie: »Guy! Du kitzelst mich ... Guy! Schau! W-was iss'n das?« Das war der ausgerollte Steckbrief, den der Colonel leise durch den Türspalt geschoben hatte. Er stand auf und trat zur Seite, den schlanken Körper gegen die Wand pressend. Drinnen herrschte tödliches Schweigen. Dann stieß der Mann wilde Flüche aus. Eine Serie von Schüssen fetzte in Brusthöhe durch die Tür. Die Schießerei hörte auf, und ein Fenster wurde aufgerissen. Der langläufige Colt lag bereits in der Hand des Colonel, und der Hahn war schon gespannt, als sein Stiefel gegen die durchlöcherte Tür trat und sie krachend aufbrach. Quer gegenüber saß eine junge Frau in einer blechernen Badewanne. Sie schrie wie am Spieß und versuchte vergeblich, ihre Blößen zu bedecken, als der Colonel an ihr vorbeirannte, um das Fenster zu öffnen. Er lehnte sich gerade noch rechtzeitig hinaus, um einen stämmigen Mann zu sehen, der sich mit Jacke und Sattel von einem Balkon aus in Sicherheit brachte. Der Colonel wirbelte herum und strebte zur Tür. Dort hielt er inne und lüpfte seinen flachgedrückten schwarzen Hut. Er verbeugte sich. »Bitte vielmals um Entschuldigung, Ma'am.« Er stürzte aus dem Saloon und sah, wie sich sein Opfer auf ein laufendes Pferd schwang; aber es war schon zu weit entfernt, selbst für seine langläufige Waffe. Der Colonel stob herum und hetzte zu seinem Pferd. An dem Sattel war etwas befestigt, das wie zusammengerolltes Bettzeug aussah, in Leinen eingewickelt war und in der Mitte von einem Wildlederriemen zusammengehalten wurde. Er riß den Riemen auf, und der Gegenstand öffnete sich mit einem Schnapplaut. Unter dem Tuch befanden sich, säuberlich eingepackt, zwei Gewehre. Der Colonel riß ein Ge wehr an sich und feuerte. Am hinteren Ende der Straße ging das Pferd in einer Staubwolke in die Knie und warf den Reiter ab. Der Flüchtige lag einen Augenblick reglos da. Dann rap-
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pelte er sich auf, stolperte vor, Revolver in der Hand, und blickte auf das Pferd hinunter. Der Colonel hob das Gewehr in dem Moment wieder, als sein Opfer aufschaute. Callaway sah das Gewehr und ging auf einen verzweifelten Zickzackkurs. Aber als das Gewehr wieder knallte, sackte er zusammen und blieb im Staub liegen. Der Colonel drehte sich um, um das Gewehr zu verstauen. Er rollte das Leinentuch sorgfältig zusammen und zog den Riemen fest. Als er sich erneut umwandte, stand Callaway auf den Beinen. Eine Seite seiner Jacke war dunkel vor Blut, aber er hatte immer noch die Kraft, um seinem Verfolger entgegenzutaumeln. Sein Gesicht war von Wut verzerrt. »Sie gottverdammtes Aas!« gellte er. »Dafür bringe ich Sie um! Gottverdammtes Aas! Gottverdammtes Aas!« Aus seinem Revolver schoß eine Stichflamme. Die Kugel wirbelte Sand hoch, direkt vor der Gestalt im Gehrock, aber fünf Meter zu kurz. Der Colonel schaute unbewegt auf die Stelle, dann zog er den langläufigen Colt. Aus seinem Mantel holte er einen seltsam konstruierten Gewehrkolben und schloß ruhig den Griff seines langen Colts an das gekrümmte Ende des Kolbens. Der taumelnde Outlaw schoß wieder. Diesmal war die Staubfontäne nur noch drei Meter von den Stiefeln des Colonels entfernt. Mortimer wich weder aus, noch blickte er auf, sondern war weiterhin intensiv damit beschäftigt, die Schrauben festzudrehen, die Revolvergriff und Kolben unerschütterlichen Halt gaben. Er beendete die Arbeit und legte den Kolben langsam an die Schulter, als eine dritte Kugel genau vor seinem linken Stiefel einschlug. Sein dunkles, kantiges Gesicht zeigte keinerlei Emotionen, als er den Hahn des Revolvers spannte und sorgfältig den sich nähernden Killer anvisierte. Ungerührt ließ der Colonel den Revolvermann einen weiteren Schuß abfeuern, der zwischen den Stiefeln einschlug. Erst dann drückte er ab. Callaway ging nieder, ein Kugelloch in der Mitte der Stirn.
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Der Colonel nahm die seltsame Waffe wieder auseinander und steckte die einzelnen Teile wieder ein, ehe er zu seinem Opfer ging. Er packte ihn am Gürtel und schleppte ihn die Straße hinunter zu einer Tür, auf der >Sheriffbüro< stand. Er öffnete die krächzende Tür. Der Sheriff von Tucumcar hob seine fleischigen Massen aus dem Stuhl. »Ich hatte schon gedacht, niemand wäre an den tausend Dollar interessiert.« Er schleppte sich zu einem kleinen eisernen Safe in der Ecke. Der Colonel steckte das Geld ein und nickte zu dem Steckbrief an der Wand. »Hat schon jemand die Zweitausend für Red Cavanagh kassiert?« »Nicht daß ich wüßte, aber vor ein oder zwei Tagen war da ein Bursche aus der gleichen Branche, der sich nach ihm erkundigte. Er ritt nach White Rocks weiter, als ich ihm erzählte, daß Red sich gewöhnlich dort rumtreibt.« Die Augen Colonel Mortimers verengten sich. »Wie hieß der Kerl?« Der Sheriff zog eine schiefe Grimasse. »Wollte mir seinen Namen nicht nennen. Und wie er mich ansah, hatte ich keine Lust, weiter danach zu fragen.« Der Colonel salutierte höflich. »Danke, Sheriff. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.« Er ritt nach White Rocks weiter, aber seine Gedanken drehten sich nicht um Red Cavanagh oder um die zweitausend Dollar Prämie, die er präsentierte. Obwohl sich das dicke Bündel Belohnungsgeld in seiner Tasche erfreulich anfühlte, war es für ihn nur ein Mittel, nicht der eigentliche Zweck. Über die Jahre hinweg hatte er viele solcher Prämien verdient und ausgegeben, aber jede Prämie hatte ihm nur dazu gedient, ihn ein paar Schritte weiterzubringen auf einem dunkleri und abgründigen Trail. Eines Tages würde dieser Trau ein Ende finden vor den Füßen der einzigen Person, deren Tod ihm Erfüllung brächte. Das Bild dieser Person füllte sein gemartertes Gedächtnis,
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wie immer in den kurzen Augenblicken der Gewalt, die seine Suche begleiteten. Er konnte sich nicht dazu bringen, dieses Bild einen Mann zu nennen. Ein Monstrum, ein wildes Tier, das sich damit vergnügte, ohne Grund und ohne Gnade zu quälen und zu töten. Ein Scheusal, das gejagt und erbarmungslos vernichtet werden mußte. Eines Tages würde Colonel Douglas Mortimer diesen Auftrag erfüllen, und kein Mensch würde ihn daran hindern können, nicht einmal sein größter Rivale in Sachen Kopfgeld.
4 In dem ersten grauen Licht der Dämmerung erinnerte das Gefängnis in grotesker Weise an eine Handvoll Blöcke, die eine Kinderhand wahllos auf dem Wüstenboden ausgestreut hatte. Im Anfang war es nur ein großer, ungeschlachter Würfel aus sonnengetrocknetem Ziegelstein gewesen, dessen Mauern von massiv vergitterten Türen und Fenstern durchbrochen waren. Die Fenster gaben den Blick auf schmale Balkons, die man allerhöchstens als Laufplanken bezeichnen konnte, frei. Je höher die Zahl der Insassen stieg, desto mehr Würfel waren hinzugefügt worden. Da sie sich alle beträchtlich in Größe und Höhe unterschieden, hätte ein Mann bei dem Versuch, die flachen Dächer zu überqueren, die Wendigkeit einer Gemse haben müssen. Ständig befand sich ein schwerbewaffneter Aufpasser auf jedem einzelnen Dach. Noch mehr Aufpasser hielten sich auf den äußersten Treppen und in den inneren Gängen auf. Das Gefängnis war als das härteste und ausbruchsicherste des ganzen Südwestens bekannt. Zu Recht. Die Gitter waren mit einer speziellen Legierung versehen, die der schärfsten Feile widerstanden. Die Ziegelsteinmauern, zwei Fuß breit und mehr, konnten die Wucht einer Kanonenkugel oder einer
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Ladung Dynamit absorbieren, ohne einen Zentimeter nachzugeben. Durch all die Jahre war seine Sicherheit nie angetastet, geschweige denn bedroht worden, und vielleicht sind die Aufpasser etwas sorglos geworden. Sorglosigkeit hätte hier böse ins Auge gehen können, denn das Gefängnis beherbergte die ungezähmtesten Desperados, die ein ungezähmtes Land hervorgebracht hatte. Aber der Übelste von ihnen war nicht mehr als ein ungezogenes Kind im Vergleich zu dem Banditenführer namens Indio, der in der stärksten Zelle im oberen Geschoß eingeschlossen war. Achtzehn unendlich lange Monate hatte Indio in der Enge der Zelle wie ein gefangenes Tier gewütet, während die Behörden über sein weiteres Schicksal debattierten. Es ging das Gerücht, an dem vieles stimmte, daß sich das Gesetz fürchtete, den Galgentod über ihn zu verhängen, den er sich so redlich verdient hatte. Ein solcher Entschluß hätte die Blutrache seiner Bande heraufbeschworen, die von seinem zweiten Befehlshaber und einzigen Vertrauten zusammengehalten und geführt wurde. Ein Mann hätte schon ein vollkommener Narr sein müssen, um nicht bei dem Gedanken zu erschauern, sich eines Tages einmal einem solch verschlagenen und bestialischen Pack von Peinigern und Marodeuren konfrontiert zu sehen. In dem schwachen Dämmerlicht lag Indio in seiner Koje auf dem Rücken und hatte seine mächtigen Hände über den Bauch gefaltet. Sein schwartiges Gesicht war von einem breiten Sombrero bedeckt, und seine Brust hob und senkte sich mit der Regelmäßigkeit eines Mannes, der fest schläft. Aber unter dem Sombrero waren seine Augen geöffnet. Sie folgten den vorsichtigen Bewegungen seines Zellengenossen gegenüber und glitzerten wie die Augen einer Schlange. Indios Mitgefangener war ein alter Mann, dessen ledernes Gesicht fast vergraben war unter einem Gewirr von Haar und Bart. Er war beim ersten Licht aus der Koje geschlüpft und saß jetzt schon lange da, ständig voller Mißtrauen um sich spähend.
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Als er sich schließlich damit zufriedengab, daß Indio wirklich schlief, fummelte der alte Mann unter seiner schmutzigen Decke und brachte einen kleinen Gegenstand zum Vorschein, der bleich in den tiefen Schatten aufleuchtete. Es war ein rechteckiger Ziegelstein mit sonderbaren Linien auf der Oberfläche und hie und da einigen seltsamen Ausbuchtungen. Mit verstohlenen Blicken auf die reglose Gestalt Indios, nahm der Alte eine Prise weißen Staubs aus einem Ledersäckchen, befeuchtete sie mit Speichel und knetete sie zu einem weichen Bällchen. Er stopfte das Bällchen in den Ziegelstein und begann es festzudrücken. Plötzlich vernahm er draußen vor dem Fenster ein äußerst feines Geräusch. Der Alte erstarrte. Blitzschnell ließ er den weißen Gegenstand unter der Decke verschwinden. Er stand auf, kroch auf Zehenspitzen zum vergitterten Fenster und lehnte sich so weit vor, wie es der schmale Balkon erlaubte. Auch Indio hatte das winzige Geräusch gehört. Unter dem Sombrero weiteten sich seine Augen, und ein dünnes Lächeln berührte seine Lippen. Der alte Mann kehrte zur Pritsche zurück und setzte sich. Seine Blicke schössen nervös zwischen Indio und der Tür hin und her. Auf dem flachen Dach des niedrigsten Gefängnisflügels schritt ein Wärter, das Gewehr geschultert, schläfrig auf und ab. Der östliche Himmel flammte in rosigen Farben auf, aber auf dem Dach waren die Schatten immer noch tief. Der Wärter konnte die braune Hand, die sich fast vor seinen Füßen in den Rand der Mauer gekrallt hatte, nicht sehen. Er gähnte und beobachtete den Beginn eines neuen Tages. Sich noch enger gegen die Mauer drückend, holte der Eindringling mit der freien Hand einen Kieselstein aus der Tasche und flippte ihn aufs Dach. Er landete mit einem leisen Scheppern, und der Aufpasser fuhr herum, das Gewehr von der Schulter reißend. Lautlos schwang sich der Eindringling aufs Dach. Seine Linke legte sich um Mund und Nase des Wärters, während
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seine rechte Hand ein langes Messer in den Rücken des Mannes bohrte. Der Wärter schlug einen Moment wild um sich, dann wurde er schlaff. Der Eindringling ließ die Leiche langsam auf den Boden sinken, dann wirbelte er herum, um zwei Begleitern bei der Ersteigung des Dachs behilflich zu sein. Geduckt liefen die drei zu der Mauer des nächsthöheren Dachs. Sie waren alle aus demselben Holz geschnitzt. Wild und erbarmungslos. Alle trugen sie ihre Revolver tief und festgebunden. Alle hatten sie Messer und Extrawaffen in die Gürtel gestopft und Patronengurte kreuzweise um die Brustl geschnallt. Es waren Männer, die mit ihren Colts lebten und starben, Männer, denen nur Gold etwas Heiliges war. Einer richtete sich auf, um vorsichtig über die Mauer zu spähen. Ein Aufpasser, dessen Rücken ihm zugewandt war, marschierte zur anderen Seite des Dachs. Der Mann kletterte hoch und versteckte sich hinter einem Schornstein, als der Wärter wieder zurückkam. Von der Wand, wo die zwei anderen Eindringlinge warteten, kam ein lautes kratzendes Geräusch. Der Wächter lief dem Geräusch nach und brachte sein Gewehr in Anschlag. Er schaute hinunter, und seine Augen quollen bei dem Anblick des wartenden Paares hervor. Sein Mund öffnete sich, um Alarm zu schlagen, als sich die Klinge durch den Rücken in sein Herz bohrte. Der Killer wühlte in den Taschen der Jacke des Wärters und zog einen riesigen Eisenschlüssel heraus. Er winkte mit dem Sombrero, und die anderen Männer huschten aufs Dach. Geräuschlos liefen sie zur Ecke und spähten hinunter. Direkt unter ihnen führte ein schmaler, offener Balkon um das ganze Gebäude. Wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, schwangen sie sich über die Brüstung. In Indios Zelle zuckte der Alte zusammen, als ein Schlüssel knirschte und die schwere Tür aufging. Er war im Begriff aufzustehen, als ihm einer der Banditen bedeutete, sitzenzubleiben. Der alte Mann kauerte da und machte Stielaugen, als die Bande hereingeströmt kam.
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Der letzte Mann, der eintrat, war groß, bärenhaft, und hatte einen Bauch, der zwischen Gürtel und Patronengurten hervorquoll. Eine häßliche Messernarbe an seinem linken Auge verlor sich in dem schmierigen Dickicht eines Bartes. Seine schwarzen Haarbüschel glänzten ölig, und die gezwirbelten Enden seines Lippenbartes hingen bis zum Kinn herab. Seine gestickte Weste starrte vor Dreck und Schweiß und dunklen Flecken getrockneten Blutes. Indio saß auf. »Nino«, sagte er zu seinem Leutnant. »Wie geht's, Amigo?« »Besser«, grollte der schwere Mann, »da ich wieder mit dir zusammen bin.« »Du hast lange Zeit gebraucht, um hierherzukommen«, sagte Indio. »Ohne deinen Verstand«, sagte Nino, »dauern alle Pläne länger.« Indio brach in ein scharfes, bellendes Gelächter aus und schnalzte mit den Fingern. »Hughie!« Der Bandit, der die Wächter niedergestochen hatte, nahm einen zweiten Revolver aus dem Gürtel und warf ihn ihm hinüber. Indio fing ihn geschickt auf, ließ ihn um den Finger wirbeln und stand auf. Sein schwartiges Gesicht verkniff sich zu einem humorlosen Grinsen, und seine dunklen, klaren Augen leuchteten auf. Er trat zu dem Alten, der zitternd an der Wand stand. Sein Lächeln weitete sich. »Adios, amigo. Hasta luego!« sagte er und jagte seinem Zellennachbarn eine Kugel ins Herz. Er drückte aus so kurzer Entfernung ab, daß das Mündungsfeuer das zerlumpte Hemd in Brand setzte. Indio riß- das schwelende Stück Stoff weg und holte ein zusammengefaltetes Papier aus der Hemdtasche. Er wühlte unter der dreckstarrenden Decke, nahm den kleinen Ziegelstein heraus und warf ihn Nino zu. »Beschütze ihn wie deinen Augapfel, Amigo.« Er ruckte scharf den Kopf. »Und jetzt nichts wie weg!«
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Das ohrenbetäubende Echo des Schusses hatte jede Hoffnung zunichte gemacht, unbemerkt zu entkommen. Indios Leute rannten mit laut klappernden Stiefeln den Balkon entlang zu einer schmalen Wendeltreppe. Von unten erklang das Scharren von Stiefeln und das scharfe Bellen von Kommandos. Drei Wärter stürmten mit vorgehaltenen Waffen in ihr Gesichtsfeld. Sie liefen buchstäblich in eine Mauer aus Blei und fielen in einem Haufen zusammen. Das Rudel setzte über die Leichen hinweg und hetzte hinunter zu einem breiten Korridor. Ein halbes Dutzend Aufseher war fieberhaft damit beschäftigt, ein großes vergittertes Tor zu schließen und zu verriegeln, um die Flucht durch den Korridor zu verhindern. Ein dichter Kugelregen stob den Wärtern entgegen, und sie starben, ohne daß sie ihren Auftrag hätten vollenden können. Die Banditen schlüpften durch die kleine Öffnung. Rechts neben ihnen war eine massive Eisentür, die die Aufschrift trug: >Büro des Gefängnisdirektors.< Indio flitzte herum und pochte an die Tür. Von innen rief eine Stimme: »Wer ist das? Was soll denn dieser Radau? Was geht da draußen eigentlich vor?« »Rodriguez, Senor«, rief Indio in einer piepsigen, unterwürfigen Stimme zurück. Er grinste und winkte Nino zu. »Es gab da eine kleine Auseinandersetzung, Senor, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Ich habe den Auftrag bekommen, Sie darüber zu informieren.« Nach einer Weile öffnete sich eine kleine Luke in dem oberen Teil der Tür, und das Gesicht des Gefängnisdirektors erschien in dem Kästchen. Indio lächelte freudig und schoß den Gefängnisdirektor zwischen die Augen. Dann stürzten sie los und jagten quer über den Hof zum zweiten Tor. Als die Banditen den schweren Riegel hochstemmten, tauchten zwei weitere Wärter auf. Ninos Revolver krachte zweimal, und die Wärter fielen um wie Säcke. Als das Tor aufschwang, bemerkte Indio eine flüchtige Bewegung hinter einem Wärterhäuschen. Mit der Waffe in der
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Hand lief er zu der Stelle. Ein verwundeter Aufpasser, die Augen glasig vor Schmerz und Angst, kauerte neben der Wand. Indio krallte seine Hand in die Jacke des Mannes und zog ihn mit einem Ruck hoch, den Revolver an seine Schläfe drückend. Der Bandit starrte auf den Mann, und sein Grinsen wurde immer breiter, als das dunkle Gesicht in Resignation versank. Dann senkte Indio abrupt den Revolver und stieß den Wärter hart zu Boden. »Ich laß dir das Leben, Held. Damit du weitererzählen kannst, was an diesem Tag geschah. Erzähl jedem, was du hier gesehen hast!« Er fuhr herum .und hetzte zu Nino zurück. »Diese Richtung!« sagte Nino. »Die Pferde sind in der Nähe in einem kleinen Hohlweg versteckt. Wir haben dein Lieblingspferd mitgebracht.« Als sie sich in die Sättel schwangen, wandte sich Nino an seinen Führer. »In welches Bordell zuerst, Senor Indio?« Bei dieser gutgemeinten Frage verschwand Indios Grinsen, und sein Gesicht färbte sich dunkel und wurde von einem wilden Haß verzerrt. »Was soll denn diese Frage, Dummkopf?«, schnarrte er. »Hast du gedacht, das Töten hätte aufgehört, wenn es erst angefangen hat?«
5 Das Haus war winzig, strohbedacht, fensterlos und fast verloren in der grellen Unendlichkeit des verkarsteten Landes. Ein erbärmliches Stückchen Garten kämpfte ums Überleben. Ein paar Meter dahinter diente ein Strohdach auf einem Lattengerüst als Schuppen und bot einem einsamen Pferd, einer Handvoll Hühner und einem vergammelten vierrädrigen Wagen kümmerliches Obdach. »Ist es nicht«, bemerkte Indio, »das passende Herrschafts-
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haus für unseren so plötzlich zu Reichtümern gekommenen Tomaso, was?« Die Outlaws sprangen aus ihren Sätteln in den Staub und befestigten ihre Pferde an einem Ast, der aus der Erde ragte. Indio ging zu der einzigen verschlossenen Tür und klopfte leise. Sie wurde von einer jungen, dunkelhäutigen hübschen Frau geöffnet, die ein pausbäckiges Baby im Arm hielt. Beim Anblick ihrer Besucher weiteten sich schlagartig ihre Augen, und ein unmenschlicher Schrei entrang sich ihrer Kehle. Indio stieß sie herum und stampfte in den Raum, von den anderen gefolgt. Ein schlanker, olivfarbiger junger Mann sprang von der Sitzbank hoch und erstarrte. Sein Mund klaffte auf, und in seinen Augen irrlichterte helles Entsetzen. »Mutter Gottes«, murmelte er. »Indio!« »Du hast nicht damit gerechnet, mich so bald wiederzusehen, Tomaso?« Indios Stimme klang trügerisch sanft und angenehm. Er tat zwei schnelle Schritte und schmetterte die Faust voll in das aschfahle Gesicht. Der Mann flog gegen die Wand und glitt an ihr herunter. Blut strömte aus seiner Nase. Bevor er sich hätte rühren können, waren schon zwei von Indios Männern über ihm. Einer packte ihn am Haar und ruckte den Kopf so hart zurück, daß im Zimmer das Knacken von Halsknochen hörbar war. Der andere riß die Hände des jungen Mannes nach hinten und schlang einen Strick darum. Sie hielten ihn auf den Knien, während der grinsende Indio systematisch auf das hochgewandte Gesicht mit fürchterlichen Hieben einschlug. »Für Geld«, sagte Indio sanft, die Worte dem Rhythmus der Schläge anpassend. »Für — lausiges — dinero.« Die junge Frau erwachte aus der ersten Schreckenslähmung und warf sich auf Indio. »Nein! Nein! Nein! Gott im Himmel, nein!« kreis chte sie. Zwei von Indios Leuten zogen sie weg und drängten sie gegen die Wand. Sie hielt das Baby, das angsterfüllte Schreie ausstieß, immer noch in den Armen. »Du hast Geld — Blutgeld — genommen, um mich zu ver-
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raten, um mich wie ein wildes Tier in einen Käfig zu bringen.« Indio beugte sich vor und spie in das blutige Gesicht. »Du hättest mich umbringen sollen, wenn du gekonnt hättest, Tomaso. Dann sähe es jetzt besser für dich aus ...« Er richtete sich auf und sein Lächeln war eine satanische Maske »... und für sie.« Indio wandte sich abrupt zu der Frau und dem heulenden Baby. Aus der Westentasche zog er eine an einer Kette befestigte Golduhr. Er berührte einen versteckten Knopf. Das Gehäuse sprang auf, und es ertönte ein leises, süßes Glockenspiel. Das Baby hörte auf zu weinen und starrte fasziniert auf das seltsame, glänzende Spielzeug. Indio lächelte wie ein stolzer Großvater auf die zitternde Frau herab. »Wie alt ist der Junge?« Unter Aufbietung all ihrer Kräfte brachte sie hervor: »Achtzehn Monate.« »Achtzehn Monate«, wiederholte Indio sanft. »Interessant. Genau die Zeit, die ich in der Gefängniszelle eingesperrt war.« Abrupt wirbelte er herum zu dem knienden Tomaso. »So hast du also die Belohnung für meinen Verrat dazu benutzt, eine Familie zu gründen. In gewisser Weise gehört dann ein Teil der Familie auch mir.« Sein Gesicht wurde unglaublich häßlich. »Ich nehme mir meinen Teil jetzt.« Indio ruckte den Kopf. Nino, der die Gedanken und Pläne seines Anführers lesen zu können schien, zog einen Revolver aus dem Gürtel und steckte ihn in den leeren Halfter des knienden Mannes. Beim Aufstehen schnappte er nach dem Handgelenk der schluchzenden Frau und zerrte sie samt Baby durch die Tür in das grelle Sonnenlicht. Der kniende Mann stemmte sich wie besessen gegen die Hände, die ihn niederhielten, und schrie wild mit belegter Stimme: »Gütiger Gott, nein! Sie sind beide unschuldig. Indio, du weißt, daß sie unschuldig sind. Ich habe dich an deine Häscher verkauft — nur ich allein. Im Namen der heiligen Jungfrau, zeig Gnade und hol dir den Preis bei mir.« Als hätte kein Wort sein Ohr erreicht, ließ Indio die Uhr
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wieder aufspringen. Er stand mit geneigtem Kopf da, mit halbgeschlossenen Augen, lauschte er dem Glockenspiel, völlig in die Melodie versunken. Draußen schrie die Frau noch einmal, ihre Stimme schriller noch als die des Babys. Dann krachten zwei Schüsse, und danach herrschte nur noch fürchterliches Schweigen. Indio klappte den Deckel wieder zu, und die Melodie verstummte. Er studierte die sich auf dem Boden krümmende, stöhnende Gestalt. »Jetzt«, sagte der Bandit leise, »glaube ich, daß du mich genug haßt, um unser letztes Treffen .. . wirklich interessant zu gestalten.« Auf seine Geste hin wurde Tomaso auf die Füße hochgerissen. Langsam schälte sich Indio aus dem Staubmantel und ließ ihn zu Boden fallen. Er streckte eine Hand aus, und hastig löste einer seiner Männer den Revolvergurt und überreichte ihn ihm. Indio schnallte ihn um und grinste auf die blutige Figur vor ihm. »Du solltest dich glücklich schätzen, Tomaso, denn nicht viele Menschen erhalten eine zweite Chance, um einen Fehler zu korrigieren. Dein Fehler war, daß du mich nicht erschossen hast. Um der guten alten Zeiten willen, Amigo, gebe ich dir eine zweite Chance.« Zu seinen Männern sagte Indio: »Bindet ihn los.« Ein Messer schnitt durch den Strick, und die Banditen entfernten sich. Indio holte die Golduhr hervor und übergab sie einem seiner Männer. »Die Musik wird so lange spielen, bis die Feder abgelaufen ist. Beim letzten Glockenton fangen wir an.« Der Bandit betrachtete sein Opfer in spöttischer Besorgtheit. »Denkst du, daß du es schaffst? Du siehst nicht sehr gut aus, alter Freund. Fehlt dir wirklich nichts?« Der bodenlose Haß in dem Gesicht des anderen rief bei Indio einen Lachkrampf hervor. Plötzlich unterdrückte er das Gelächter. Er nickte seinem Mann zu. Die Uhr schnappte auf, und das Glockenspiel begann von neuem.
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In dem zerschundenen Gesicht Tomasos mischte sich Weiß mit Blut, während die Zeit ablief. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Musik langsamer und die Intervalle zwischen den Tönen länger wurden. Der letzte Glockenton verklang und erstarb im Schweigen — einem Schweigen, das augenblicklich durch das Klatschen von Handflächen gegen Walnußholz und Stahl gebrochen wurde. Haß und Verzweiflung verliehen dem todgeweihten Mann ungeahnte Schnelligkeit, aber er war doch nicht schnell genug. Die Revolver detonierten fast gleichzeitig, aber Tomasos Geschoß schlug in die Erde. Er kippte vornüber, mit einer Kugel im Herzen. Indio ließ seinen Revolver in den Halfter gleiten und sich die Uhr zurückgeben. Sein ganzer Körper schien zusammenzuschrumpfen. Sein Gesicht war schlaff, seine Augen trüb und leer. Mühevoll riß er sich zusammen und gestikulierte scharf. »Alle raus hier! Und nehmt ihn mit.« Die Outlaws gehorchten schweigend. Zwei von ihnen trugen den Toten mit sich. Indio wankte zur Bank und sank darauf nieder. Sein Atem kam in kurzen, rauhen Schluchzern. Nach einer Weile beruhigte sich sein Atem wieder. Er legte den Kopf auf den Tisch neben ihm. Die Blutlust, die ihn immer aufs neue vorwärtspeitschte, jetzt war sie verklungen. Er war gesättigt, wenigstens für den Augenblick. Nino kam herein und rollte und befeuchtete eine braune Zigarette. Er steckte sie zwischen die welken Lippen Indios, hielt ein Streichholz dran und ging wortlos wieder hinaus. Die Zigarette, die fast bis auf seine Lippen heruntergebrannt war, weckte Indios Lebensgeister wieder. Fröhlich stand er auf, spie den Stummel aus und trat mit weitausgreifenden Schritten wie ein neugeborener Mann ins Freie. Seine Bande wartete in dem spärlichen Schatten eines verwitterten Baums. »Aufsitzen«, bellte Indio. »Wir reiten jetzt zu unserem Hauptquartier und benachrichtigen jeden, der je mit uns ritt, sofort zu kommen. Wir haben große Pläne.«
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»Du planst etwas Großes, Amigo?« fragte Nino. »Etwas Großes?« lachte Indio wild. »Wir werden die reichste Beute machen, die je ein Bandido gemacht hat, mein Freund.«
6 Die Nachricht von Indios blutigem Ausbruch, verbreitet von galoppierenden Reitern und klappernden Telegrafentasten, fegte wie ein Lauffeuer durchs Territorium. Eine Schreckenswelle erfaßte das Land. Geschäftsleute schlössen ihre Läden oder heuerten bewaffnete Wachen an. Rancher blieben auf ihren Höfen und bewachten, hinter verrammelten Türen, ihre Familien. Polizeiaufgebote, bis an die Zähne bewaffnet, schwärmten aus, aber paßten gut auf, daß sie nicht auf die Fährte der Killer stießen. Bevor man die Leichen der Gefängniswärter begraben hatte, waren schon die Steckbriefe ausgedruckt: zehntausend Dollar für Indio, tot oder lebendig, und geringere Summen für seine bekannten Komplicen. In jeder Stadt in einem Umkreis von hundert Meilen erklangen die Hämmer, die die Suchplakate festnagelten. Das bestialische Gesicht des Killers, den Mund zu einem irren Gelächter geöffnet, blickte von jeder Mauer und jedem Pfosten im Territorium. Der Sheriff von Los Gallos hatte seinen letzten Steckbrief angenagelt und marschierte in sein winziges Büro zurück. An der Tür hielt er inne, um den Fremden zu beobachten, der aus nördlicher Richtung in die Stadt geritten kam. Der bärtige Reiter war sehr groß, und sein schmaler Körper steckte in einem braunweißen Poncho. Sein Pferd war ein herrlicher Brauner mit weißen Fesseln. Der Sheriff sah einen Augenblick in milder Neugier hin, dann hob er die Schultern und ging hinein. Der Mann ohne Namen bemerkte das druckfrische Plakat und schwang sich aus dem Sattel. Als erstes interessierte er
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sich für die Höhe der Belohnung, und seine Augen wurden groß. Ein Lächeln der Vorfreude spielte um. seinen ernsten Mund. Er angelte sich eine krumme Cigarro heraus, zündete sie sorgfältig an und paffte Rauchschwaden in die Luft, während er jedes Detail des Banditengesichts in seinen Verstand einritzte. Als er das getan hatte, marschierte er auf das Sheriffsbüro zu. Er änderte seinen Entschluß und führte das Pferd über eine staubbedeckte Straße zu einem Pfosten, wo ein Dutzend gesattelter Pferde dicht beisammen stand. Ein Saloon war immer noch der beste Umschlagplatz von Informationen. Etwa vierzig Meilen entfernt band Colonel Douglas Mortimer seinen Rappen an einen Pfosten und marschierte auf den nagelneuen Steckbrief zu. Wenige Schritte davor fuhr ein Schock durch seinen Körper. Sein brennender Blick war nicht auf die Höhe der Belohnung gerichtet, sondern auf das lachende Gesicht des gesuchten Banditen. Es war das Gesicht, das ihn in seinen Alpträumen verfolgt und gequält hatte. Der Bankdirektor runzelte die Stirn, als sein Finger auf einer Seite des Hauptbuchs herunterlief. Er stieß das Buch vor den wartenden Angestellten. »Sie würden besser noch einmal die Zahlen nachprüfen. Da scheint etwas nicht zu stimmen.« »Ja, Sir.« Der Direktor blickte auf, als der große Mann im langen Gehrock vor den Schalter trat. Er taxierte die Kleidung des Fremden und war von ihrer offensichtlichen Qualität sichtbar beeindruckt. »Guten Tag, Sir. Kann ich Ihnen zu Diensten sein?« »Mein Name ist Mortimer«, sagte der Fremde. »Douglas Mortimer.« »O ja. Colonel Mortimer. Kommen Sie doch herein.« Der Direktor schloß die Schaltertür auf und verschloß sie wieder
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hinter seinem Besucher. Er wies zu seinem Privatbüro hinter dem Schalter. »Aus Virginia, nicht wahr?« »Carolina«, berichtigte der Colonel. »Richtig, Carolina. Ein geschätzter Kollege schrieb, daß Sie sich in der Stadt aufhalten würden und die Absicht hätten, mich in einer finanziellen Angelegenheit aufzusuchen. Bitte, nehmen Sie Platz. Zigarie, Sir?« Der Direktor wollte sich gerade hinter dem großen Schreibtisch niederlassen, als er wieder hochfuhr. Der Angestellte schaute fragend zur Tür herein. »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Sir. Komm rein, Harry.« Der Bankier wählte einen Schlüssel aus einem Bund, den er an einer Kette trug, und öffnete damit einen massiven Safe in der Ecke. Er trat zur Seite, damit der Angestellte ein Tablett mit Goldmünzen herausnehmen konnte. Dann schloß er den Safe wieder ab und kehrte zum Stuhl zurück. »Nun, wie kann ich Ihnen behilflich sein, Colonel Mortimer?« Der Colonel hatte die Zigarre abgelehnt, dafür die gelbe Meerschaumpfeife angezündet. Er blies das Streichholz aus und lehnte sich vor. »Ich bin auf der Suche nach einer erstklassigen Bank.« »Aber natürlich, Sir«, strahlte der Direktor. »Der größten und sichersten Bank im Territorium.« »Nun, Colonel Mortimer, ich möchte Ihnen versichern, daß unsere Bank mit allem ausgestattet ist — all den Sicherheitsvorrichtungen, die Sie zum Schutz Ihres Geldes erwarten würden.« »Daran zweifle ich nicht«, sagte der Colonel, »aber es könnte sein, daß ich eine ungewöhnlich hohe Summe zur Aufbewahrung hätte. Jetzt, nur einmal angenommen, ich wäre ein Bandit...« Der Direktor schoß hoch und erbleichte. »Ein Bandit?« Seine Stimme überschlug sich. Er schluckte schwer und warf einen nervösen Blick in die Safeecke. »Ein sehr gefährlicher Bandit, Sir, mit einer Bande gefähr-
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licher Killer, die vor nichts zurückschreckt.« Der Colonel hielt inne, um den Bankier zappeln zu lassen. »In einem solchen Fall, welche Bank im gesamten Territorium wäre absolut ausraubsicher?« Der Bankier schöpfte hörbar Atem. »In einem solchen Fall wäre die einzige Bank, die ich empfehlen würde, die Bank von El Paso. Selbst der schreckliche Indio und sein Mordgesindel würden es nicht wagen, sie zu überfallen. Es ist mehr als eine Bank, Sir. Es ist eine Festung — eine unüberwindliche Festung.« Der Colonel stand auf. »Ich glaube, es ist immer noch Zeit, um den Zug nach El Paso zu erwischen.« Er streckte die Hand aus. »Ich danke Ihnen für die Hilfe. Sie haben mir genau das gesagt, was ich wissen wollte.« Der Bankier pumpte die Pranke des Colonels in offensichtlicher Erleichterung. »Es war mir ein Vergnügen, Ihnen zu Diensten zu sein, Colonel Mortimer. Ich werde meinem Kollegen in El Paso ein Telegramm schicken, daß Sie ihn besuchen werden.« Der Mann ohne Namen ritt bei strahlender Morgensonne in El Paso ein. Sie war größer als all die Städte, die er gesehen hatte, die Gebäude höher und solider, aber zu dieser Stunde war die breite Hauptstraße praktisch ausgestorben. Eine Bande braunhäutiger Bengels spielte mit einem Hufeisen im Staub Fußball. Einer, ein etwa zwölfjähriger helläugiger Junge, löste sich von der Gruppe und rannte dem Ankömmling entgegen. »Hallo, Mister, Captain, General«, rief er. »Willkommen in El Paso. Brauchen Sie einen Stall für Ihr schönes Pferd? Oder ein Zimmer? Oder vielleicht wollen Sie ein erfrischendes Bad nehmen? Mein Name ist Fernando. Der Stall ist gleich hier, und das ist Ihr Hotel, dort um die Ecke.« Der Kopfgeldjäger studierte schweigend die Straße. Diagonal besagtem Hotel gegenüber stand ein anderes, ebenfalls
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an einer Ecke. Er schaute herunter. »Warum das Hotel und nicht das dort drüben?« Der Junge verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Abscheus. »Das andere würde Ihnen bestimmt nicht zusagen, Senor. Nicht im geringsten würde es Ihnen zusagen. Die halbe Nacht würden Sie damit verbringen müssen, Schaben abzuknallen, um sie davon abzuhalten, Ihre Stiefel zu zerfressen.« »Wirklich?« fragte der Jäger feierlich. »In diesem Hotel kosten die Zimmer auch viel weniger.« »Außerdem«, sagte der Mann auf dem Braunen, »zahlt es auch besser für jeden Gast, den du anschleppst.« »Was immer Sie sagen, Senor.« Der Junge grinste unverfroren. »Außerdem hat das Hotel eine Chefin, und sie ist gar nicht alt.« Der große Mann hob die Augenbrauen. »Verheiratet?« »O ja. Aber das hält sie nicht davon ab, es ihren Gästen — äh — gemütlich zu machen.« Der Kopfgeldjäger glitt vom Pferd, hob die Satteltaschen herunter und warf sie über die linke Schulter. Die Zügel überließ er Fernando. »Sag ihnen, sie sollen das Pferd ordentlich abbürsten und ihm leichte Haferkost geben.« Er betrachtete das Gebäude gegenüber, die Bank. Es war ein großer viereckiger Kasten aus weißem Stuck, dessen Eingangstür und Fenster mit massiven Eisengittern bewehrt waren. Man hätte es leicht für ein Gefängnis halten können, wäre da nicht das Schild an der Tür gewesen: »Bank von El Paso.« Fernando tauchte plötzlich vor dem Ellbogen des Kopfgeldjägers auf. »Das ist die Bank, Senor. Dort werde ich einmal mein Geld anlegen.« Er blinzelte hoch und fügte bedeutungsvoll hinzu: »Ich meine, sobald ich Geld habe, das man anlegen kann.« Der Jäger prüfte den Jungen nachdenklich, dann wühlte er unter seinem Poncho und holte ein glänzendes nagelneues Fünfzig-Cent-Stück hervor. Er schnippte es zwischen den
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Fingern und beobachtete, wie die weisen jungen Augen aufleuchteten. »Um Geld für die Bank zu bekommen, Fernando, mußt du es dir zuerst verdienen. Den halben Dollar könntest du dir leicht verdienen.« Fernando stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte heiser: »Wen soll ich umbringen, General?« Ein flüchtiges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Du mußt nur eins tun: Mir sofort Bescheid geben, wenn du einen Fremden in der Stadt siehst, jemand, den du noch nie zuvor in El Paso gesehen hast.« Die Hand des Jungen schoß vor und schnappte die Münze. »Schauen Sie über die Straße, vor dem anderen Hotel«, sagte er. Der Jäger drehte langsam den Kopf. Ein großer Mann in einem langen Gehrock stand am Rand eines hölzernen Gehwegs und blickte die Straße auf und ab, in der Art eines Fremden, der sich ein Bild von der Umgebung verschaffen will. Einen Augenblick später wandte er sich um und ging die Straße hinunter. Der Jäger schloß die Augen zu schmalen Spalten. »Wo hält er sich auf?« Fernando gab sich alle Mühe, so zu tun, als hätte er nichts gehört. Er begann zu summen und warf das Fünfzig-CentStück in die Luft. »Verstehe«, sagte der Jäger. Er fischte eine weitere Münze heraus. »Bandido!« Fernando grinste. »In dem Hotel. Jetzt soll ich Ihnen bestimmt noch sagen, in welchem Zimmer.« Er blickte in die verengten Augen des großen Mannes, und das Grinsen verschwand. Hastig sagte er: »Das ist umsonst, Senor. Oben — das mittlere Fenster auf der Vorderseite, genau über dem Eingang.« »Halt die Augen auf«, sagte der Kopfgeldjäger und wandte sich der eigenen Hoteltür zu. Sein Gesicht wirkte wie aus Granit. Nicht Fernandos kümmerliche Gier hatte das Glitzern
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in seine Augen gebracht; es war ein plötzlicher Einfall bei den Worten des Jungen. Vielleicht war es natürlich nur Zufall, aber das Fenster des anderen blickte fast direkt auf den Bankeingang herunter. Der Fremde, der in dem Zimmer wohnte, war im Auge zu behalten. Eine Frau mit üppiger Figur und einer Masse kupferroten Haars saß hinter dem kleinen Hotelschalter und trug Zahlen in ein eselsohriges Kassenbuch ein. Der Ausschnitt des schwarzen Seidenkleides war so tief, daß beim Schreiben der pralle Busen vollständig herauszurutschen drohte. Der Jäger war so geräuschlos eingetreten, daß sie seine Gegenwart erst wahrnahm, als er auf die Klingel neben ihrem Ellbogen drückte. Sie fuhr auf, und ein kleiner mondgesichtiger Mann mit einer Nickelbrille schnellte irgendwo hinter dem Schalter hoch, einen Eimer und Putzlappen krampfhaft an die Brust gedrückt. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« Es war ganz offensichtlich, daß er hoffte, die Antwort würde »nein« lauten. »Ja«, sagte der Jäger kalt. »Ich will das Zimmer, das genau über Ihrem Schreibtisch liegt.« »Bedaure«, erwiderte der Besitzer, erfreut dreinblickend, »das Zimmer ist leider schon vergeben. Genau gesagt, das Hotel ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. So ein Pech. Aber das Zimmer, das Sie haben wollen, ist unser bestes und ständig besetzt.« Der Jäger bedachte ihn mit einem eisigen Blick: »Von wem?« »Mary, sieh mal im Register nach.« Die Frau hatte den großen Fremden mit unverhohlenem Interesse angestarrt. Zögernd drehte sie sich zur Seite und holte ein dickes Buch aus einem unteren Regal; sie ließ sich Zeit, um dem Neuankömmling vollen Einblick in den Ausschnitt und tiefe Fleischtäler zu gewähren. Sie richtete sich auf und schlug das Register auf. »Das ist Senor Martinez.« »Sehen Sie«, bemerkte der Besitzer triumphierend, »ich
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habe gesagt, es ist besetzt — von Senor Martinez. Tut mir leid.« Der Jäger streckte die Hand aus, schnappte das Register aus der Hand der Frau und wirbelte es herum. Er griff die Feder aus dem Tintenfäßchen und zog einen dicken Strich über die Eintragung. »So, jetzt ist es wieder frei.« Das Mondgesicht des Besitzers lief krebsrot an. »Dieses Zimmer ist besetzt.« »Ich weiß«, sagte der große Mann leise. »Das wollte ich Ihnen doch die ganze Zeit klarmachen.« Er schulterte die Satteltaschen und stapfte die Treppe, die hinter dem Schreibtisch lag, hoch. Der Besitzer hämmerte in hilfloser Wut auf den Tisch. »Er ist ein Tier — ein wildes, böses, reißendes Tier.« Seine Frau seufzte verträumt. »Aber so groß und so gutaussehend. Und diese mächtigen Arme, die eine Frau zerquetschen könnten.« Sie warf ihrem Gatten einen Blick tiefster Verachtung zu. »Er würde lieben wie ein Mann — ein richtiger Mann.« »Du bist nur ein Stück Dreck«, spie er. Über ihnen lärmte es heftig — Füße scharrten, ein Stuhl wurde umgeschmissen, eine Männerstimme gellte. Dann polterten Schritte, und ein fetter untersetzter Mann stürzte mit wehenden Hemdzipfeln die Treppe herunter. Im Laufen versuchte er, einen Armvoll Kleidungsstücke in eine offenstehende Reisetasche zu stopfen. Keuchend fiel er gegen den Schreibtisch. »Mister! Sofort die Rechnung! Ich will meine Rechnung! Bevor er runterkommt.« Der mondgesichtige Hotelier hielt beschwörend die Hände hoch. »Aber, aber, Mr. Martinez, das ist doch kein Grund, um auszuziehen. Morgen ist der Sheriff wieder in der Stadt, und dann werde ich dafür sorgen, daß er die Sache in die Hand nimmt.. .« »Meine Rechnung!« wiederholte der fette Mann fast den
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Tränen nahe. »Ich muß sofort ausziehen. Ich kann keine Minute mehr länger bleiben.« Er rang die Hände vor der Frau. »Mary, Sie geben mir doch die Rechnung. Er versteht nicht.« »Aber, Mr. Martinez«, beharrte der Hotelier, »ich versichere Ihnen, daß alles wieder in Ordnung kommt. Sie werden nicht noch einmal von ihm belästigt werden, ich verspreche es. Ich gebe Ihnen auf der Stelle ein anderes Zimmer, das beste im Haus. Wir geben Mr. Martinez die Brautsuite, nicht wahr, Mary?« Martinez trommelte auf den Tisch mit geballten Fäusten. »Ich will meine Rechnung, und keine Worte mehr. Können Sie denn nicht begreifen? Ich würde gern bleiben, aber es ist nicht möglich. Ich muß sofort die Stadt verlassen. Im letzten Augenblick fiel mir noch eine äußerst dringende Verabredung ein, weit weg von hier.« »Senor Martinez.« Der fette Mann wirbelte herum, sah die große, in einen Poncho gehüllte Gestalt und sackte gegen den Tisch, mit schlotternden Knien. »J-ja, Senor? W-was w-wollen Sie jetzt von mir?« »Hier.« Der Jäger schleuderte eine flanellene Unterhose hinunter. »Ich trage sie nicht.« Martinez fing sie auf und sabberte vor Erleichterung. »Oh, welche Ehre, daß Sie an mich dachten. Oh, danke sehr, danke sehr. ..« Der Jäger verriegelte die Tür seines Hotelzimmers, holte ein gefaltetes Plakat aus der Satteltasche und legte sich aufs Bett. Er öffnete den auf Indio ausgestellten Steckbrief und studierte die Fratze voller Zärtlichkeit. »Du süßer Bengel«, murmelte er weich. »Du süße, süße Bestie. Zehntausend Dollar für eine hübsche blaue Bohne in deine Fresse. Baby, du wirst mir all das geben, hinter dem ich all die Jahre herjagte, und Gott sei jedem gnädig, der sich zwischen uns mischt.«
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In dem mittleren Zimmer des Hotels gegenüber saß Colonel Douglas Mortimer in Hemdsärmeln und polierte seine tödlichen Waffen auf Hochglanz.
7 Im Gegensatz zu dem Schlupfwinkel irgendeines x-beliebigen Bandenchefs war das Hauptquartier des gefürchteten Indio kein schwer zugängliches Bergnest, keine sorgfältig kaschierte Höhle. Tatsächlich hätte jeder Mann im Territorium auf die Stelle zeigen können — wenn auch nur aus sehr weiter Entfernung. Niemand, der recht bei Sinnen war, hätte sich auf Schußnähe herangewagt, und nur ein Aufgebot, das einen Massenselbstmord beabsichtigte, hätte sich erdreistet, seine Mauern zu erstürmen. Das große Ziegelsteingebäude war seit den Tagen jener anderen gnadenlosen Marodeure, der Conquistadores, eine wichtige Mission gewesen. Indio und seine Bande hatten sie in Besitz genommen, einfach indem sie die frommen und wehrlosen Bewohner niedergemetzelt und ihre Leichen vierbeinigen Wölfen zum Fraß vorgeworfen hatten. Die große Kapelle im Erdgeschoß war ihnen nun Speisesaal, Versammlungsraum und Orgienstübchen in einem. Die spärlich mö blierten Zellen im oberen Stock dienten ihnen als Schlafgelegenheiten. An jenem Tag war die Kapelle von dem gemeinsten Pack von Mördern seit den Zeiten von Spaniens Gloria bevölkert. Mehr als dreißig von Indios engsten Gefährten hatten sich bereits eingefunden, andere waren noch im Anmarsch. Der riesige Speisetisch bog sich unter der Last halbrohen Rindfleischs, von Brotlaiben und Wein. Nirgends gab es Ge schirr oder Besteck. Mit Jagdmessern säbelten sich die Männer Fleischstücke ab, schlangen sie hinunter und spülten mit Wein nach. Unter dem unbeschreiblichen Lärm unflätiger
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Worte und groben Gelächters brüsteten sich die Männer ihrer Heldentaten; der Beute, die sie gemacht, der Opfer, die sie gemordet, der exquisiten neuen Foltern, die sie erfunden, und der Frauen, die sie vergewaltigt und getötet hatten. Abseits von ihnen saß Indio und hing eigenen Träumen nach. Als im Kirchhof Pferdehufe erklangen, war er jedoch sofort hellwach. Sporen bimmelten, und ein massiger Mann stampfte herein, grinsend, den Arm zur Begrüßung erhoben. »Hallo, meine Freunde. Hallo, Indio. Es ist schön, dich in Freiheit und wieder im Geschäft zu wissen. Wie du siehst, bin ich auf schnellstem Weg hierhergekommen. Indio ruft, und Groggy kommt angelaufen.« Er brach ein Stück Brot ab und stopfte es in den Mund. Indio blickte vom Neuankömmling zur Tür und erstarrte. »Wo ist Sancho? Er sollte mit dir kommen.« Groggy zog eine schmerzhafte Grimasse und streckte die Hände aus. »Wenn du auf Sancho wartest, kann ich genausogut nach Hause gehen und in etwa vier Jahren wieder zurückkommen. Dann wird Sancho aus dem Gefängnis entlassen. Armer Kerl, vier Jahre ohne dinero, ohne amor. Schlimm für ihn — aber nicht so schlimm für den Rest von uns. Ein Mann, der sich erwischen läßt, verdient weder Respekt noch einen Anteil an der Beute, oder?« Er griff sich einen Stuhl und ließ sich vor Indio nieder. »Nun, worum geht es jetzt eigentlich?« Der Anführer sprang auf. »Hört alle, die ihr im Saal seid, genau zu.« Er entfaltete das Papier, das er seinem toten Zellengenossen weggenommen hatte und hielt einen gerade gezeichneten Lageplan hoch. »Das, meine Freunde, ist die Innenansicht der Bank von El Paso, der stärksten und reichsten Bank im Territorium.« Er sah auf die Karte und ließ dann den Blick durch den Saal schweifen. »Sagen wir, dieser, Raum ist die Innenseite der Bank. Dort drüben, wo Nino steht, würde sich dann der Safe befinden.« Groggy rümpfte höhnisch die Nase. »Und wie ich zufällig
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weiß, wiegt er drei Tonnen und ist nicht mal mit Dynamit aufzukriegen.« Indio nickte abwesend und ging im Saal umher. »Genau hier«, wies er, »läge der Schalterraum mit den zwei Angestellten. Hier steht der Schreibtisch des Bankchefs. Direkt dahinter befindet sich ein kleiner Barschrank, aus dem Ge tränke für reiche Kunden serviert werden. Dort drüben ist die Haupttür, und genau gegenüber haben sie eine doppelte Mauer errichten lassen.« Er drehte sich abrupt um. »So, was geschieht jetzt, Groggy? Nehmen wir an, du hast die zwei Angestellten und den Bankchef niedergeschossen. Für die nächsten paar Minuten bist du der Boß der ganzen Bank. Was nun, Intelligenzbestie?« »Nun«, sagte Groggy angeekelt, »ich stelle rasch fest, daß ich drei wertvolle Kugeln und meine Zeit vergeudet habe, weil ich immer noch nicht ans Geld rankomme.« Indio nickte. »Genau, mein Freund. Eine glatte Zeitverschwendung. Nämlich, Groggy, um diesen verdammten Safe zu sprengen, brauchten wir soviel Dynamit, daß einfach die ganze Bank in die Luft flöge — und wir mit.« Ein wölfisches Grinsen breitete sich über Indios Gesicht aus. »Und selbst wenn wir ihn aufbrächten, würden wir vielleicht die Entdeckung machen, daß das Vorhandensein eines Safes nicht unbedingt heißt, daß auch Geld drin ist.« Er grinste in die leeren, ratlosen Gesichter der umstehenden Banditen. »Und ihr denkt alle, das ist doch blanker Unsinn. Ihr denkt vielleicht, Indio hat in seiner Gefängniszelle den Verstand zurückgelassen?« Kichernd stieg er auf eine Kanzel, auf der Priester einst Messen gehalten hatten. »Um euch etwas zu helfen, möchte ich euch eine hübsche kleine Geschichte erzählen — was die Pfaffen eine Parabel nennen.« Indio legte die Fäuste auf die Kanzelbrüstung und schaute in die aufgerichteten Gesichter. »Es war einmal ein Schreiner. Ihr haltet es wohl für nicht möglich, daß ein Schreiner viel Geld verdienen könnte, was? Nein? Aber ihr irrt. Dieser tat
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es, weil er es verstand, sehr schöne Schränke zu bauen. Eines Tages beschließt nun ein Bankier, ehrliche Banditen wie uns zum Narren zu halten und tarnt seinen Safe als einen wunderschönen Schrank. Zu diesem Zweck sucht der Bankier den Schreiner auf, von dem er soviel gehört hat, aber . . .«, Indio machte eine Pause und hob den Finger, um die Neugier seiner Männer zu schüren, ».. . er erzählt dem Schreiner weder seinen Namen noch den der Bank.« Langsam gingen ihnen die Lichter auf. Einige der Gewitzteren fuhren sich über die Lippen, und ein Glitzern von Vorfreude und Gier leuchtete in ihren Augen auf. Indio wartete, bis wieder tiefstes Schweigen herrschte. »Eines Tages ist der Schreiner zufällig in El Paso und geht zufällig zur Bank. Drinnen, hinter vielen vergitterten Türen, sieht er den großen Safe, der, wie Groggy sagte, drei Tonnen wiegt und Dynamit widersteht. Dann bemerkt er, zu seinem maßlosen Erstaunen, an der gegenüberliegenden Wand, so unschuldig wie nur etwas ausschauend, den Schrank, den er gebaut hatte, um einen Safe zu tarnen. Da wußte er, wo die Bank ihr Geld wirklich aufbewahrt — mehr als eine Million Dollar.« Alle hielten den Atem an. Dann stießen sie juchzende Schreie aus und brachen in wildes, unbändiges Gelächter aus. Banditen hopsten herum und schlugen sich gegenseitig auf die Schulter, und einige begannen Freudentänze. Indio hob gebieterisch die Hand. »Ihr haltet den Schreiner für einen ausgesprochenen Glückspilz, so, wie ihm der Zufall in die Hand spielte. Leider war dem nicht so. Denn während er träumte und große Pläne schmiedete, machte er einen kleinen Fehler und wurde ins Gefängnis geschickt. Dort wurde der arme Teufel in dieselbe Zelle gesteckt wie ein Gefangener namens Indio. Und er redete oft im Schlaf, und wenn er glaubte, daß Indio schlief, arbeitete er an einem perfekten kleinen Modell des Safeschranks.«
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Indio griff unter die Jacke und holte den kleinen, weißen, ziegelähnlichen Gegenstand, den er seinem Zellengenossen entrissen hatte, hervor. Er warf ihn hinab zu Groggy. »Präge dir genauestens jede Einzelheit ein, dann gib ihn weiter. Jeder von euch muß den echten Safe fehlerfrei und ohne Zögern erkennen können. Wenn ihr fertig seid, setzen wir uns zusammen, und dann werde ich euch von allen meinen Plänen berichten.«
8 Der Direktor der Bank von El Paso hatte immer noch keinen Cent des enormen Reichtums, von dem der Fremde ständig sprach, zu sehen bekommen. Nichtsdestotrotz war er genügend von seinem Auftreten und der offensichtlichen Qualität seiner Kleidung beeindruckt, um ihm eine seltene Ehre zu erweisen. Aus einem herrlich geschnitzten Schrank nahm er zwei Gläser und eine Flasche, die nur für die begütertsten Kunden reserviert war. Der Direktor füllte sorgfältig zwei Gläser und stellte die Flasche wieder zurück, ehe er sich setzte. »Nun, Mr. Mortimer, wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?« Der Colonel hatte die Pfeife angesteckt und blies das Streichholz aus. »Ihr Kollege in Tucumcari versicherte mir, daß Ihre Bank die größten Einlagen im gesamten Territorium hat.« »Das ist absolut korrekt, Mr. Mortimer. Hier in der Bank bewahren wir ständig Bargeldreserven in Höhe, hm, sagen wir, mehr als einer halben Million Dollar, auf.« Der lautlose Pfiff des Colonels deutete properen Respekt an. »Dann müssen Sie auch sehr gewiß sein, daß Ihre Bank ausreichend für solche Summen gesichert ist.« »Sehr gewiß«, entgegnete der Direktor lächelnd. »Von dem Augenblick an, in dem Sie Ihr Geld der Bank überlassen, können Sie unbesorgt schlafen. In vollstem Vertrauen.«
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Der Bankier wies zu den vergitterten Fenstern, den stählernen Türen, die jeden Raum vom anderen trennten, und schließlich zu dem Dreitonnensafe, der so unerschütterlich in seinem eigenen Büro stand. Der Colonel, der jedes Detail bereits auswendig kannte, nickte tief ergriffen. »Zusätzlich, Sir, wenn die Bank geschlossen is t, hält sich ständig ein bewaffneter Wächter vor dem Tresor auf, während zwei bewaffnete Männer um das Gebäude patrouillieren. Und darüber hinaus«, der Direktor senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Geflüster, »haben wir noch gewisse andere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, die nur mir und einem weiteren Angestellten bekannt sind.« »Gott«, sagte der Colonel und schüttelte bewundernd den Kopf, »nicht einmal die Bank von San Francisco ist so gut geschützt.« »Genau, Sir. Nur ein Narr, ein völliger Narr, würde den Versuch wagen, diese Bank auszurauben.« Der Colonel nickte. »Oder ein Wahnsinniger«, murmelte er leise. Für einen Kopfgeldjäger ist Geduld eines der wichtigsten Werkzeuge. Aber wenn das Warten mit winziger, nagender Ungewißheit verbunden ist, kann es selbst die eisernsten Nerven angreifen. Der Mann ohne Namen war fast sicher, daß er jeden Blickwinkel beachtet und den einzigen möglichen Schluß gezogen hatte, wie der nächste Schritt in diesem grimmigen Spiel aussähe. Er war fast sicher, aber nie ganz. Ein Verrückter ist unberechenbar, und Indio war verrückt, unbestreitbar. Aber ebenso war er besessen von einer Gier ohnegleichen, und sein Ego würde nur darin Bestätigung finden, indem er das Unmögliche wagte — und schaffte. Das war der Grundgedanke der sorgfältigen Überlegungen des Jägers. Während sich die Tage dahinschleppten und sich keiner seiner vorbedachten Schritte in die Tat umsetzte, wuchs der Selbstzweifel. Noch mehr irritierte und verwirrte den Mann
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ohne Namen, daß der große Fremde im Gehrock sich immer noch in El Paso aufhielt und ganz offensichtlich ebenfalls auf eine Person oder ein Ereignis wartete. Außer gelegentlichen ziellosen Spaziergängen, verbrachte der Mann im Gehrock die meiste Zeit vor dem Fenster seines Hotelzimmers und spähte durch einen Vorhangspalt auf den Verkehr oder Kunden, die in der Bank ein- und ausgingen. Einige Male hatte der Jäger etwas aufblitzen sehen, das möglicherweise die Reflexion eines Fernglases war. Der Fremde lag auf dem Bett und starrte nachdenklich zur Decke, als draußen ein schriller Pfiff laut wurde. Er sprang auf und eilte zum offenen Fenster. Drunten stand Fernando. Der Mann ohne Namen wirbelte herum und rannte zur Tür hinaus. Fernando wartete vor dem Hoteleingang, andeutungsvoll mit einer Münze spielend. Der Mann ohne Namen holte einen halben Dollar unter dem Poncho hervor und warf ihn ihm zu. »Du hast endlich Neuigkeiten für mich? Ein neuer Fremder ist in der Stadt aufgetaucht?« Fernando nickte. »Gerade vor ein paar Minuten.« Ein verschlagenes Grinsen huschte über sein Gesicht. »Aber ich habe noch eine andere Nachricht, die Ihnen eine kleine Summe wert sein dürfte.« Der Jäger machte eine zweite Münze locker. »Du Halunke.« »Ein zweiter Mann kam mit dem anderen geritten. Und außerdem habe ich noch eine Nachricht, die ich gegen Entgelt ausplaudern würde.« Eine harte Hand packte Fernando am Kragen und rüttelte ihn heftig. »Du kleiner Teufel! Ich hab' deine Spielchen satt. Ich will wissen, wieviel Fremde zusammen ankamen. Spuck's aus, bevor ich dir die Nachricht aus dem Schädel schlage.« »J-ja, Sir, General, S-Sir. Es waren vier. Sie sahen alle bös und häßlich aus.« »Wo sind sie jetzt?«
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»Dort drüben, Senor. In dem Saloon von dem anderen Hotel.« Der Kopfgeldjäger ließ den Jungen los und überquerte die Straße, halb laufend. Das konnte der langersehnte Augenblick sein, die Bestätigung von allem, was er vorausgesehen hatte. Wenn das zutraf, war das Warten vorüber und das Handeln würde beginnen. Er blickte über die niedrige Schwingtür und sah die vier Männer. Sie tranken an der Bar, dicht beieinander, den Rücken zur Tür. Jeder hielt das Glas in der linken Hand und ließ die Rechte nahe neben dem verschnürten Halfter baumeln. Drei Männer waren groß, der vierte ein kleiner Buckliger und wahrscheinlich der gefährlichste von allen. Der Jäger stieß durch die Tür und lehnte sich gegen eine Säule. Er beobachtete die vier Trinkenden, während er eine Cigarro und ein Streichholz herausholte. Als er das Zündholz anriß, wandten sich zwei der Männer so weit zur Seite, daß er ihre Gesichter erkennen konnte. Der letzte Zweifel schwand in einer Welle des Hochgefühls dahin. Er erkannte sie sofort von den Steckbriefen, die er studiert hatte, wieder. Beide waren sie Mitglieder von Indios Bande, mit guten Preisen auf ihren Köpfen. Der Bucklige würde dann der sein, den sie seiner explosiven Ausbrüche wegen nur den >Wilden< nannten. Zusammengerechnet erbrächten die vier ein erkleckliches Sümmchen, aber jetzt war er hinter einer größeren Sache her, und lebend waren sie ihm wertvoller als tot. Eine Bewegung an der Treppe erregte die Aufmerksamkeit des Jägers. Der Fremde im Gehrock kam langsam herunter, bedächtig Tabak in die gelbe Pfeife stopfend. Der Fremde warf den vier Trinkern einen Blick zu, und seine hellbraunen Augen blitzten in plötzlicher Erkenntnis auf. Erkenntnis und noch etwas mehr — Frohlocken. Der Jäger erstarrte neben der Säule. Dieser flüchtige Blick bestätigte, was vorher nur eine dunkle Ahnung gewesen war. Der Fremde war gleichfalls Kopfgeldjäger. Und was am
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schlimmsten war: er hatte sich für dasselbe Opfer entschieden. Der Colonel passierte die vier Revolvermänner. Er hielt ein Streichholz in der Hand und suchte eine Stelle, wo er es anreißen konnte. Dann langte er ruhig vor und fuhr mit dem Hölzchen über den Hosenträger des Buckligen. Die vier schössen herum, ihre Gesichter hohlwangig vor Fassungslosigkeit. Der Wirt stieß einen gellenden Schrei aus und tauchte außer Sicht. Ein Mann ließ das Whiskyglas fallen und hechtete in Deckung. Die weiße Straffe in dem Gesicht des Wilden ließ nach und wich einer flammenden Röte. Ein Muskel zuckte in seiner hohlen Wange. Als der Colonel sich darauf konzentrierte, die Pfeife anzustecken, blies der Bucklige die Flamme aus. Der Colonel betrachtete nachdenklich das verbrannte Streichholz und ließ es schließlich fallen. Er griff vor und entriß der Hand des Wilden eine glühende Zigarre, deren Ende er dazu benutzte, die Pfeife in Gang zu setzen. Der Bucklige grimassierte in wortloser Wut und schnappte nach dem Colt. Aber einer seiner Gefährten packte ihn am dünnen Handgelenk, drückte die Waffe ins Halfter zurück und wisperte eine unverständliche Warnung in das Ohr des Wilden. Vor unterdrücktem Haß bebend, ließ der Bucklige widerwillig den Colt los und begann, sich zurückzuziehen. Der Colonel hielt ihm ernst die Zigarre entgegen. Der Wilde schnaubte und drehte sich um; dann entfernten sich auch die anderen und verschwanden durch die Schwingtür. Der Colonel schaute auf die rauchende Zigarre, zuckte die Schulter und ließ sie in den Spucknapf fallen. Er pochte auf die Theke. »Whisky, bitte.« Das leichenblasse Gesicht des Wirts spähte vorsichtig über den Rand der Theke. »Mister, warum, zum Teufel, müssen Sie sich mein Lokal aussuchen, wenn Sie Selbstmord begehen wollen? Vielleicht kennen Sie den Burschen nicht. Aber ich,
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und ich kann Ihnen nur sagen, es grenzt an ein Wunder, daß Sie noch am Leben sind.« »Wirklich? Wie erklären Sie sich dann, daß ein Mann, der seine Waffe schußbereit in einem festgeschnürten Halfter trägt, sich diese Beleidigung in aller Öffentlichkeit gefallen läßt? Kommt Ihnen das nicht etwas komisch vor?« Der Wirt stellte die Flasche hin und beugte sich vor. »Hören Sie, Mister, wenn Sie der Bucklige nicht an Ort und Stelle niedergeschossen hat, dürfte er einen sehr triftigen Grund dafür haben, keinen Krawall zu schlagen, und darauf können Sie Ihre Stiefel verwetten.« »Wissen Sie, Freund«, sagte Colonel Douglas Mortimer, als wäre ihm dieser Einfall nie gekommen, »Sie könnten absolut recht haben.« Dann trank er das Glas aus und ging die Treppe hoch, in sein Zimmer zurück. Der Mann ohne Namen wandte sich um und trat zur Saloontür hinaus. Die vier Revolvermänner waren nirgends zu sehen, aber die vier fremden Pferde, die er zum erstenmal gesehen hatte, als Fernande rief, standen immer noch an ihrem alten Platz vor dem Saloon. Er zog sich eilig auf sein Zimmer zurück. Die Dinge kamen ins Rollen, und sein Fenster war der beste Platz, um ein Auge sowohl auf den Fortgang der Ereignisse als auch auf seinen gefährlichen Rivalen zu haben. Er hatte kaum Stellung bezogen, als er einen täglichen Routinevorgang verfolgen konnte. Fünf Männer, mit Revolvern und Gewehren versehen, standen wartend vor der Bank. Einen Moment darauf brachte der Bankdirektor die letzten Kunden zur Tür. Der Direktor wartete, bis der Aufseher für die Innenräume die Bank betreten hatte, dann schloß und verriegelte er die massive Stahltür. Er nickte den übrigen vier Wachtposten zu und marschierte zielstrebig die Straße hinunter. Die vier Männer lösten sich in Zweiergruppen auf und begannen in entgegengesetzter Richtung ihren die ganze
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Nacht dauernden Rundgang rund und rund um die Bank. Während er ihrem steten Marschschritt zusah, erspähte der Jäger plötzlich den Wilden. Der Bucklige lehnte sich gegen einen Pferdepfosten und beobachtete das Paar patrouillierender Wachen auf seiner Seite der Bank. Seine linke Hand schlug dazu unbewußt den perfekten Gleichtakt zu den Schritten. »Er ist beim Zählen«, murmelte der Jäger leise. »Der Rundgang soll gemessen und dabei die genaue Distanz einer Seite durch die Anzahl der Schritte bestimmt werden.« . Jetzt, da er genau verstand, was die Banditen im Schilde führten, hatte er auch keine Schwierigkeiten, zwei weitere Outlaws ausfindig zu machen. Jeder lungerte unauffällig an einer Stelle, wo er eine andere Seite der Bank übersehen konnte. Der vierte Bandit beobachtete unzweifelhaft die vierte Seite, von einer Stelle aus, die außerhalb des Blickfeldes des Jägers lag. Nachdem die vier die Rundgänge ein paarmal verfolgt hatten, würden sie die Bewegungen der Wachen auf den Bruchteil einer Sekunde genau gemessen haben. Der Jäger sah dann hinüber zu dem Fenster des Rivalen. Das Auge eines kleinen Feldstechers lugte zwischen den Vorhängen hervor und folgte beständig den Bewegungen der Wachen. Das Gesicht des Jägers wurde hart und kalt, und seine Finger streichelten über die harte Ausbuchtung der Pistole unter dem Poncho. »Indio gehört mir, du verfluchtes Miststück«, stieß er heftig hervor. »Mir allein.« Plötzlich bemerkte er, daß das Auge des Fernglases die Richtung gewechselt hatte: Es starrte genau auf ihn.
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9 Colonel Douglas Mortimer legte den Feldstecher zur Seite und starrte nachdenklich ins Leere. Schließlich nickte er, als wäre er zu einem Entschluß gekommen. Er zog den Gehrock an, nahm den Hut und ging hinunter auf die Straße. In dem kleinen Zeitungsladen ließ man ihn nur zu gerne durch den Stapel von Wochenzeitungen aus sämtlichen Städten des Territoriums blättern. Nach sehr kurzer Zeit stieß der Colonel auf den Artikel, den er gesucht hatte. Prämienkiller macht reiche Beute Die Marton-Brüder, lange wegen einer Reihe gemeiner Verbrechen gesucht, wurden gestern abend auf der Straße in einem Kugelduell mit einem einzelgängerischen Kopfgeldjäger niedergeschossen. Zuschauer beschwören, daß die Martons ihre eigenen Pistolen bereits aus dem Halfter gerissen hatten, als ihre Nemesis in phantastischer Schnelligkeit die Pistole unter dem braunen Poncho hervorzog. Sie waren alle tot, ehe sie einen einzigen Schuß abfeuern konnten. Als er die hohe Belohnung entgegennahm, weigerte sich der Killer glatt, seinen Namen oder seine Herkunft zu nennen. Er wurde in der Sheriffsakte eingetragen als »Mann ohne Namen von Nirgendwo«. Der Colonel schlenderte zurück in den Hotelspeisesaal und nahm gemächlich, wenn auch ohne sonderlichen Appetit, das Abendessen ein. Danach saß er noch einige Zeit vor einem Drink. Zum erstenmal seit vielen Jahren spürte er so etwas wie Entspannung; fast hätte man sagen können Friede mit sich und der Welt. Das Ende des dunklen Trails war in Sicht, und bald würden ihn in den Nächten keine Alpträume mehr quälen. Der einzige Schönheitsfehler in diesem friedlichen Bild war die Gegenwart eines rivalisierenden Kopfgeldjägers, der sich ganz offensichtlich auf Kollisionskurs um dieselbe Belohnung befand. Aber auch das war kein allzu großes Problem. Wenn
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ihm Konkurrenz drohte, würde er sie schleunigst ausschalten. Er war immer noch nicht dem Mann begegnet, der es in punkto Schnelligkeit oder Treffsicherheit mit ihm hätte aufnehmen können. Der Colonel steckte die Pfeife an und ging auf sein Zimmer. Er war gerade dabei, die Waffen zur Säuberung auszubreiten, als ihm etwas einfiel. Er trat ans Fenster und schaute über die dunkle Straße. In dem Zimmer seines Rivalen war kein Licht. Lange stand er da und starrte auf das schwarze Rechteck des Fensters. Fernande blickte scharf auf, als ein Schatten vor seine Füße fiel. Die Unruhe verschwand aus seinem Gesicht, als er die Münze in der Hand des Jägers sah. Er rappelte sich auf und fing sie behende auf. »Der Fremde, der genau vor mir eintraf. Der große Mann in dem Gehrock. Ich will wissen, wie er heißt, wo er herkommt und aus welchen Gründen er hier ist.« »Das wird nicht leicht sein, Senor. Wie Sie schrieb auch er keinen Namen ins Hotelregister und führt keine Gespräche mit den anderen. Ich höre viele Männer die gleiche Frage stellen, aber keiner kann ihnen die Antwort geben.« »Es muß doch jemand geben, der es mir sagen kann.« Fernande kratzte sich am Kopf, stierte vor sich hin, dann leuchtete sein Gesicht auf. »Sie könnten den Propheten fragen.« »Der was?« »Der Prophet, Senor. Er ist ein sehr alter Mann, der in einer Hütte am Bahndamm wohnt. Vor langer Zeit war er Wahrsager gewesen, jetzt nicht mehr. Aber man sagt, er würde jeden Mann kennen, der in diesem Territorium je eine Waffe trug. Ich zeige Ihnen sein Haus.« Eine dünne krächzende Stimme rief: »Herein.« Der Kopfgeldjäger hörte auf zu klopfen und betrat ein schmutziges, unordentliches Zimmer, das von einer verräucherten Petro-
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leumlampe erhellt wurde. Ein unglaublich verwitterter alter Mann mit einem verfilzten Bart lag auf einem schmuddeligen Bett. Eine Decke war bis ans Kinn hochgezogen, während unten bestiefelte Füße herausragten. Er spähte mit wässrigen Augen auf seinen Besucher, dann riß er die Decke über den Kopf. »Nein, nein, nein, nein! Hau ab! Ich weiß, wer du bist. Du bist ein Kopfgeldkiller, und mit Killern will ich nichts zu tun haben. Raus, los!« »Wer hat dir von mir erzählt?« »Ich brauch' niemand, der mir was erzählt«, gackerte eine gedämpfte Stimme. »Ich weiß Sachen — Sachen, die andere Leute nicht wissen, denn ich bin ein Prophet.« »Dann«, sagte der Jäger und schob sich einen Stuhl zurecht, »bin ich genau bei der richtigen Adresse, die mir sagen könnte, was ich über einen anderen Mann wissen möchte.« Er schilderte minuziös die Kleidung des Colonels und sein Aussehen. Als er zu Ende war, plärrte der Alte: »Ich kenn' ihn nicht! Ich kenn' ihn nicht! Ich kenn' überhaupt niemand mehr. Ich bin tot, verstehst du?« Er riß die Decke herunter und kicherte in senilem Übermut. »Es gab einmal eine Zeit, da kannte ich jeden, aber das ist lange her. Als das alles hier noch Prärie war. Aber heutzutage ist ja jeder in Eile. Und alles wegen eurer blöden Züge. Eure verdammten saublöden Züge — tut, tut, tut, dingeling, dingeling.« Er spie geräuschvoll gegen die Wand. »Verdammte Züge!« Der Jäger seufzte und zog den Hut ab. Er sah sich um, wo er ihn hätte hinhängen können, dann stülpte er ihn über den Stiefel des Alten. Er lehnte sich zurück, um bei dem zänkischen alten Herrn mit der unendlichen Geduld seines Gewerbes auszuharren. Der Prophet setzte sich auf. »Weißt du, was sie mir getan haben? Ein Lümmel von der Eisenbahngesellschaft kommt zu mir und sagt: >Prophet, wir bauen hier einen Schienenweg. Wenn du uns dein Land nicht gibst, müssen wir zu deinem
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Nachbarn gehen.< Well, Sir, ich sagte ihm auf der Stelle, wo er seine verdammten Schienen hinlegen könnte und es gefiel ihm kein bißchen. Weißt du, was dieser Hundesohn getan hat, um mir dafür eins auszuschmieren?« Ein durchdringender Pfeifton unterbrach ihn, darauf das Stampfen herannahender Triebräder. Ein Zug donnerte so nahe vorbei, daß der Fahrtwind die Hütte durcheinanderrüttelte und eine mächtige Wolke aus Dampf und Rauch durch das Fenster wallte. Der Lärm verklang in der Entfernung, und der Alte fragte wieder: »Weißt du, was sie mir angetan haben — er und seine gottverdammten Züge?« »Ich habe da eine Ahnung«, sagte der Jäger. Er setzte den Hut auf und erhob sich. »Aber ich bin nicht gekommen, um dich die ganze Nacht über Züge jammern zu hören. Es ist ziemlich ersichtlich, daß du gar nichts weißt. . .« »Brauchst nicht gleich beleidigend zu werden«, schrillte der Prophet. »Wenn du bloß deswegen gekommen bist, kannst du dich gleich verziehen. Los! Raus, bevor ich mich vergesse ... Zum Teufel, wo willst du denn hin, Junge?« An der Tür sagte der Jäger: »Ich dachte, ich mache mich lieber dünn, bevor du dich vergißt.« »Großer Gott, was ist bloß in dich gefahren? Wie kannst du nur so blöd sein, Junge? Hol mir mal die Pistole — die, die direkt hinter dir an der Wand hängt. Beeil dich.« Der Jäger griff nach der Waffe, sah, daß sie leer war und warf sie ihm zu. Der Alte fing sie geschickt auf und seine Augen begannen zu glänzen. Er hielt sie angewinkelt an der linken Hüfte. »Der Kerl, nach dem du gefragt hast — trägt er sein Schießeisen auch so?« »Ja, genauso.« »Warum, Herrgott noch mal, hast du das nicht gleich gesagt, du Idiot. Natürlich kenne ich den Mann, den du meinst. Das ist Colonel Douglas Mortimer, ein tapferer Mann, einst ein ausgezeichneter Soldat. Er war bekannt als der beste Schütze von Carolina.«
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»Colonel Douglas Mortimer«, wiederholte der Jäger leise. »Eines Tages quittierte er einfach den Dienst bei der Armee, um genau wie du Kopfgeldjäger zu werden. Niemand wußte warum, aber ich hätte es ihnen sagen können. Es waren die Züge, die gottverdammten tutenden Züge, die dran schuld waren.« Der Jäger ließ eine Banknote auf das Bett flattern und ging hinaus. Jetzt kannte er zumindest die Identität seines Rivalen, den er umzulegen hätte, wenn er seinen Absichten in die Quere kam. Als er am Bahnhof vorbeikam, sah er, daß der Fahrkartenschalter geöffnet war und dahinter der Stationsvorsteher es sich bequem gemacht hatte. Ein flüchtiges Grinsen berührte die Lippen des Kopfgeldjägers, als er an den Schalter trat. »Fährt heute nacht ein Zug von El Paso?« »Hängt davon ab, in welche Richtung Sie wollen, Mister.« »Das ist egal.« »Ja. In etwa einer halben Stunde fährt einer nach Santa Fe, wenn er nicht gerade wieder eine Kuh überfährt und aus den Geleisen springt.« »Paßt mir ausgezeichnet, Freund«, sagte der Jäger. »Schließen Sie noch nicht ab, in ein paar Minuten wird noch ein Passagier eine Fahrkarte bei Ihnen lösen.« Er wandte sich um und verschwand zielstrebig in der Nacht. Colonel Mortimer war nun endlich damit fertig, den langen Revolver zu polieren und die Innenseite des Halfters mit Bohnerwachs geschmeidig zu machen. Er probte den Zug und nickte befriedigt. Er blickte hinüber und bemerkte, daß in dem Zimmer seines Gegners immer noch kein Licht brannte. Stirnrunzelnd zog er den Hut auf und strebte zur Tür. Seine Hand lag auf der Klinke, als er zögerte und es sich anders überlegte. Er nahm den Hut wieder ab und schmiß ihn aufs Bett. Er schlüpfte gerade aus dem Gehrock, als die Tür aufging und zu seiner maßlosen Verblüffung ein kleiner,
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zerknitterter Chinese mit einem Bowler sichtbar wurde. Schweigend trat er ein; ohne sich im geringsten um den gaffenden Mann zu kümmern, watschelte er zum Schrank, hob den leeren Koffer des Colonels heraus und öffnete ihn auf dem Bett. Er ging zu der Anrichte, holte seine Wäsche und Ausrüstung heraus und packte alles wortlos in den Koffer. Seelenruhig schloß er den Behälter, klemmte ihn unter den Arm und trottete zur Tür hinaus. Der Colonel riß den Hut auf und folgte ihm die Treppe hinab auf die dunkle Straße. Der Kopfgeldjäger in dem braunen Poncho hatte sich neben dem hölzernen Bürgersteig breitbeinig aufgepflanzt, das Gesicht eine Maske aus Granit, die Hände nahe den Hüften. Er ruckte den Kopf zum Chinesen. »Bringen Sie ihn zum Bahnhof. Der Gentleman fährt heute nacht mit dem Zug weg.« Der Kuli hatte erst zwei Schritte unternommen, als der Colonel aus seiner Benommenheit erwachte und bellte: »Bringen Sie ihn zurück ins Zimmer des Gentleman. Der Gentleman bleibt hier.« Gehorsam drehte sich der Chinese zur Hoteltür. »Ich gebe die Befehle. Zum Bahnhof.« »In mein Zimmer«, dröhnte der Colonel. Der Chinese stieß einen markerschütternden Schrei aus und ließ den Koffer fallen; der schnappte auf und Hemden und Unterwäsche quollen hervor. Der Mann rannte die Straße hinunter, wild mit den Armen rudernd und gellend. Der Colonel trat langsam vom Bürgersteig vor den Rivalen. Fast Brust an Brust standen sie da und maßen sich schweigend. Als der andere seinem Blick immer noch ohne Wimperzucken standhielt, schaute der Jäger auf die eleganten, sattglänzenden Stiefel des Colonels herab. Langsam und willkürlich setzte er seinen eigenen staubigen Stiefel auf das gewichste Leder und drehte gewaltsam den Absatz, immer noch in den blaßbraunen Augen nach einer Reaktion forschend.
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Als der Jäger den Stiefel wegnahm, beeinträchtigte ein breites Geschmier die Politur. Der Colonel studierte einige Zeit nachdenklich den Makel. Dann trat er mit gleicher Willkür hart auf den Fuß des Jägers und bohrte seinen Stiefel ein. Ohne jede Vorwarnung krachte die Faust des Jägers gegen das Kinn des anderen. Der Colonel flog rückwärts und landete in einer Staubwolke auf den Schultern. Langsam und behutsam richtete er sich auf, das ausdruckslose, granitene Gesicht nicht aus den Augen lassend. Er klopfte den Staub ab und bückte sich dann nach dem Hut. Seine Finger hatten ihn schon berührt, als die Hand seines Widersachers unter den Poncho fuhr und wie ein Blitz wieder zum Vorschein kam. Ein Schuß krachte, der Hut entflog dem Colonel und blieb ein paar Meter weiter unten liegen. Vorsichtig begab sich Colonel Mortimer zu der Stelle, wo der Hut lag, und griff danach. Wieder donnerte der Revolver, und wieder flog die Kopfbedeckung ein Stück weiter. Die Schüsse lösten sich in rascher Folge, bis die Trommel leer und der Rivale weit unten auf der Straße war. Der Mann ohne Namen schüttete die Hülsen heraus und lud neu nach, während der Colonel den durchsiebten Hut aufhob, ihn abwischte und wieder auf den Kopf stülpte. Nachdem er die Waffe geladen hatte, feuerte er noch zweimal. Die Schüsse wirbelten zwei Sandfontänen vor den Füßen des Colonels auf. Dann ließ der Jäger den Revolver ins Halfter zurücksinken und stand schweigend und wachsam da. Ohne Eile zog der Colonel seinen Revolver. Er nahm sich Zeit zum Zielen, dann drückte er ab. Der Hut des anderen flog in die Luft. Und er blieb solange in der Luft, bis die langläufige Waffe leergeschossen war. Der Colonel stapfte vorwärts, im Gehen nachladend, bis er vor seinem Nebenbuhler stand. Er schnappte die Trommel zu und steckte das Schießeisen zurück. »Okay, das war ein hübscher Schlagabtausch«, sagte er.
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»Droben steht eine Flasche verdammt guten Whiskys, den Ihr Chinese übersehen hat.« Nach einem Moment sagte der Jäger: »Ich helfe Ihnen, den Kram zusammenzupacken.« Während der Colonel zwei Gläser eingoß, saß der Jäger am Tisch und untersuchte den langläufigen Revolver und den losen Kolben. Er setzte sie zusammen und schüttelte den Kopf. »Wie kann nur jemand mit solch einem Ungetüm in dem Geschäft arbeiten?« »Dieses Ungetüm, wie Sie es nennen«, bemerkte der Colonel trocken, »hätte Sie unter den Rasen bringen können.« »Vergessen Sie nicht, Colonel, ich schoß nur auf Ihren Hut.« »Und ich nur auf Ihren«, fügte der andere sanft hinzu. »Dieses eine Mal.« Sie hoben die Gläser zu einem wortlosen Trinkspruch und nippten genießerisch. Der Colonel studierte seinen jungen Nebenbuhler. »Junge, ich habe es fertiggebracht, fast fünfzig Jahre mit diesem System am Leben zu bleiben, und ich hab' mich noch auf ein paar weitere Jährchen eingerichtet. Nicht viele Männer überdauern solange in diesem Land. Wie lange, glauben Sie, wird es mit Ihnen dauern?« »Länger, Colonel. Ich kenne einen hübschen kleinen Flecken Erde im Norden, auf den ich schon vor langer Zeit ein Auge geworfen habe. Wenn ich an Indio und die zehntausend Dollar komme, werde ich imstande sein, es zu kaufen. Und dann Colt ade.« »Es ist wichtig, daß man die Augen auf ein Ziel gerichtet hat«, sagte der Colonel. »Ich möchte nicht noch einen Kampf auslösen, aber ich habe das Gefühl, Sie scheinen dabei einen kleinen Punkt zu übersehen, mein Sohn.« »Ja? Und der wäre?« »Ich bin selbst hinter Indio her.« »Gewiß. Aber, bitte schön — nach mir.« »Oder vor Ihnen«, sagte der Colonel. Er stopfte Tabak in
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die gelbe Meerschaumpfeife und setzte sanft hinzu: »Oder wir knöpfen uns ihn gemeinsam vor.« Der Jäger blickte scharf auf. »Soll das etwa ein Vorschlag sein?« »Oh-oh.« Der Colonel saugte Feuer in die Pfeife und blies das Streichholz aus. »Eine Partnerschaft mit gleichen Rechten. Wir teilen uns Risiko und Geld genau in der Mitte.« »Weshalb? Warum sollte ich mit irgend jemand teilen? Bisher bin ich ganz gut allein zurechtgekommen.« »Nun, aus dem Stegreif fallen mir allein drei zwingende Gründe ein, Junge. Der erste ist die drückende Übermacht. Wenn wir nur die Leute aus seinem engsten Zirkel, denen er am meisten vertraut, zusammenrechnen, kommen wir schon auf vierzehn ziemlich schnelle Schützen. Das ist eine Menge für einen Mann — oder selbst zwei.« »Richtig, Colonel. Aber es bedeutet auch eine Menge dinero für mich, wenn ich es allein schaffe. Und vergessen Sie nicht, daß auf all die anderen ebenfalls Belohnungen ausgesetzt sind. Wie lautet Ihr zweiter zwingender Grund?« »Wenn wir uns nicht zusammenschließen, erhöht sich diese Überlegenheit auf fünfzehn zu eins.« »Das kapier' ich nicht«, sagte der Jäger barsch. »Wollen Sie damit sagen, daß, wenn ich auf den Handel nicht eingehe, Sie sich auf die Seite Indios schlagen?« »Sie gebrauchen nicht Ihren Grips, Junge«, sagte der Colonel traurig. »Sehen Sie, wenn zwei Jäger hinter der gleichen Beute her sind, und zwar verzweifelt, ist es nicht auszuschließen, daß einer unvorsichtig wird und den anderen in den Rücken schießt. Sollte das passieren, wäre Indio der einzige Nutznießer der Angelegenheit.« »Und der dritte Grund?« »Jeder von uns hat irgendeinen Plan ausgearbeitet, den er für sich behält. Wenn jeder versucht, seinen eigenen Weg zu gehen, könnte mein Plan leicht den Ihren in die Luft sprengen und Sie mit, oder umgekehrt. Übrigens, etwas macht
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mich neugierig. Wie kamen Sie dazu, sich für die Bank von El Paso als Indios Angriffsziel zu entscheiden?« Der Jäger zuckte die Schulter. »Auf dieselbe Weise wahrscheinlich wie Sie, Colonel. Ich trug jedes Stückchen Information, dessen ich habhaft werden konnte, über Indio zusammen. Dann versuchte ich, die einzelnen Teile auf jede mögliche Art zu einem Ganzen zu fügen und die Antwort war immer die gleiche — El Paso.« Der Colonel nickte, entkorkte die Flasche und füllte die Gläser nach. Der Jäger stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Nach anderthalb Jahren im Gefängnis braucht er Geld — großes Geld. Indio hat sich noch nie mit Pfennigbeträgen abgegeben. Und er muß ein wirklich tolles Ding drehen, um seinen Stolz und vor allem seine Reputation, die ziemlich angeknackst wurde, als er sich erwischen ließ, wieder aufzumöbeln. Die Antwort konnte gar nicht anders als El Paso heißen — die reichste und am schwersten zu knackende Bank im Territorium.« »Gut gedacht, Junge«, sagte der Colonel. »Fast genauso, wie ich es mir zusammengereimt hatte. Aber angenommen, Sie hätten sich verschätzt und seine Leute wären hier nicht aufgetaucht. Was hätten Sie dann getan?« Der Jäger grinste schwach. »Einen anderen Köder an den Angelhaken und weitergefischt. Vielleicht hätte ich ihn auf eine oder zwei Schwächen im Sicherheitssystem der Bank aufmerksam gemacht. Ich hab' ein paar entdeckt, und ich bin sicher, Sie auch.« »Sie sind ein verdammt aufgeweckter Bursche«, sagte der Colonel und hielt salutierend das Glas hoch. »Das ist ein zwingender vierter Grund, um uns zusammenzuschließen. Ich sage Ihnen, was ich tun werde. Aus ganz persönlichen Gründen werde ich Indio selber umbringen und niemand wird mich davon abhalten. Aber ich lasse Ihnen die Zehntausend für ihn und gebe mich mit den geringeren Kopfgeldern für den Rest der Männer zufrieden.« »Oh, das werden Sie nicht tun«, sagte der Jäger. »Das wäre
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ein zu schönes Geschäft — für Sie. Zufällig weiß ich, daß sich die anderen zu mehr als der Belohnung auf Indio addieren.« »Woher wissen Sie das?« »Ich habe meine Informationsquellen. Beispielsweise winken viertausend Dollar für Nino, drei für den Wilden, zwei für Blackie . . .« »Berichtigung«, sagte der Colonel. »Blackie ist nur einen Tausender wert.« Er öffnete ein schwarzes Notizbüchlein und wies auf einen Namen, der fein säuberlich in einer Liste aufgeführt war. »Sehen Sie. Zusammen addieren sie sich zu genau zehntausend Dollar.« Der andere prüfte die Liste über die Schulter des Colonels. »Ein paar sind überhaupt nicht verzeichnet, und die ergeben nochmals eine hübsche Summe. Dennoch wäre ich geneigt, auf Ihren Vorschlag einzugehen.« Sie hoben die Gläser. »Auf die Partnerschaft.« »Ohne Tricks«, warnte der Jäger. »Ohne Tricks.« Der Jäger setzte sich und schob den Stuhl dichter heran. »Nun, als erstes müssen wir uns was einfallen lassen, wie wir uns unter ihre Mitte mischen.« »Richtig. Einer schlägt von innen zu, der andere von außen. Das ist die einzig sichere Art. Das bedeutet, daß sich einer von uns Indios Gang anschließen muß.« »Ja? Und warum sehen Sie mir in die Augen, wenn Sie >einer von uns< sagen?« »Weil niemand von Indios Boys Sie kennt. Aber nach der kleinen Szene im Saloon brauchte nur der Bucklige meiner ansichtig zu werden, um Zeter und Mordio zu rufen.« »Na schön. Dann übernehme ich das Ehrenamt. Vielleicht haben Sie auch schon eine Vorstellung, wie ich mir ein herzliches >Willkommen< verschaffe bei einem Rudel Wölfe, die bei ihren eigenen Müttern mißtrauisch würden? Soll ich einfach hineinreiten und sagen: >Hallo, Freunde. Ihr kennt mich nicht, aber ich bin ein Mann, dem ihr vertrauen könnt. Ich bin
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gekommen, um mich in eurer glorreichen Armee einzuschreiben^ Oder würde es was helfen, wenn ich Indio einen Strauß Rosen brächte?« »Well-1-1«, sagte der Colonel feierlich, »Sie könnten es mal probieren, aber ich habe einen besseren Vorschlag. Statt Rosen bringen Sie ihm Sancho Perez.« »Und wer, zur Hölle, ist Sancho Perez?« »Ein Freund Indios und einer seiner wertvollsten Helfer. Indio ist todunglücklich, da jetzt, wo er ihn am meisten braucht, Sancho vier Jahre im Gefängnis von Alamagordo abbrummt.« »Woher wissen Sie über all das Bescheid?« Der Colonel lächelte schwach. »Ich habe auch meine Informationsquellen.« »Alamagordo«, grübelte der Jäger, nach einer seiner Ciganos tastend. »Ich hab' den Bau gesehen, und das ist keine Strohhütte. Da müssen wir uns schon einen ziemlich guten Plan ausdenken, um Sancho dort rauszuholen.« »Das«, sagte der Colonel, »ist eine Fifty-fity-Partnerschaft. Mein Beitrag ist die Idee. Die Ausführung wird Ihrer sein.« Er stand auf und ging zum Fenster. Der andere blickte zu ihm auf, die Augen verengt. »Sagen Sie eins, Colonel. Sind Sie jemals jung gewesen?« »Ja, mein Junge, so jung wie Sie und genauso unbekümmert. Und dann, eines Tages, geschah etwas — etwas, das mir auf einmal das Leben als etwas sehr Kostbares erscheinen ließ, das man unter keinen Umständen aufgeben durfte.« »Was war das?« fragte der Jäger. Als keine Antwort erfolgte, setzte er hinzu: »Oder ist die Frage indiskret?« Der Colonel wandte sich langsam um. »Nein, die Frage ist nicht indiskret — aber die Antwort könnte es sein.« Der ältere Mann griff in die Westentasche und holte eine schwere, an einer Kette befestigte Golduhr hervor. Der Deckel klappte auf, und das dünne Klimpern eines Glockenspiels erfüllte den Raum. Der Colonel stand reglos da, starrte
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auf die Fotografie auf der Innenseite des Deckels, in irgendeine dunkle Erinnerung versunken. Nach einiger Zeit nahm der Jäger den Hut und ging hinaus, die Tür ganz sachte hinter sich schließend.
10 Viele Meilen weiter westlich tröpfelt die gleiche Melodie aus einer identischen Uhr, die offen in Indios Hand lag. Der Bandit saß schlaff vornübergebeugt auf einer Bank, die Augen halb geschlossen, entrückt, verfangen im Netz seiner eigenen dunklen Erinnerungen. Er war durch eine nächtliche Straße, immer im Schatten der Häuser, entlanggewandert, als er das Glockenspiel zum erstenmal vernommen hatte. Es war durch einen schmalen Fensterspalt gedrungen. Indio hatte sich auf Fußspitzen herangeschlichen und spähte in das erhellte Schlafzimmer. Ein Mädchen, kaum mehr als ein Kind, saß mit gekreuzten Beinen auf dem Bett. Sie trug ein hauchdünnes Kleid, das nur wenig von den verführerischen Formen ihres taufrischen, jungen Körpers verbarg. Die Uhr lag geöffnet vor ihr, und sie lauschte mit kindlicher Faszination der elfenhaften Melodie. Lust auf das Mädchen und Lust auf die einzigartige Uhr erfaßte Indio und füllte seine Adern mit wildem Feuer. Plötzlich tauchte ein junger Mann auf. Er setzte sich aufs Bett und legte seine Arme um das Mädchen. Er begann, sie zu streicheln und murmelte dabei etwas über ein reizendes kleines Hochzeitsgeschenk. Bei seinem Anblick verzerrte sich das Gesicht Indios vor kalter Wut. Er riß den Revolver heraus und bewegte sich katzengleich zur Vordertür, die abzusperren die jungen Liebenden vergessen hatten. Die Liebkosungen des Jungen wurden immer heftiger und drängender. Er beugte sich plötzlich vor und schloß die Uhr.
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Das Glockenspiel erstarb. Er zog das lachende Mädchen an sich und fuhr mit dem Mund über seinen Hals. Er drückte sie in seine Arme, und ihr junger Körper schmiegte sich näher an den seinen. Der Junge griff vor, um die Uhr wegzulegen, als er die sinistre Gestalt im Türrahmen stehen sah. Einen Augenblick war er starr vor Entsetzen. Dann gellte er auf, sprang vom Bett und stürzte sich auf den Eindringling. Indios Revolver detonierte, und die schweren Bleikugeln schleuderten den schmalen Jungen buchstäblich gegen die Wand. Der Junge sank vornüber und blieb reglos liegen, während Blut aus seiner zerschmetterten Brust lief. Das Mädchen auf dem Bett war vor Schreck gelähmt. Ihr Mund bewegte sich zu einem lautlosen Schrei. Indio trat ans Bett und nahm die Uhr an sich. Dann blickte er herunter und sättigte sich wollüstig grunzend an dem Anblick des kauernden Mädchens. Seine grobe Hand schnellte vor und zerrte das dünne Kleid von ihrem Körper und schleuderte es zur Seite. Er ließ sich noch einen Augenblick Zeit, um sich an seinem Opfer zu weiden, dann war er über ihr wie ein Tier, stöhnend, winselnd, sabbernd . . . Auf der Bank in seinem Hauptquartier fuhr Indio mit einem erstickten Schrei hoch. Mit geballten Fäusten schlug er sich gegen den Kopf, grub die Fingernägel in die Augen, preßte die Hände gegen die Ohren — alles, um die Erinnerung abzutöten, um das letzte entsetzliche Bild zu verdrängen. In der Finsternis erwachte plötzlich der Gefangene, Sancho Perez, mit einem Gefühl, als berühre etwas sein Gesicht. Er tastete über die Wangen in Angst vor einem Skorpion oder einer giftigen Spinne. Nichts dergleichen. Ein Kieselstein, der durch das vergitterte Fenster geflogen war, fiel auf den Zellenboden. Sancho saß ruckartig auf und starrte auf die Silhouette eines Männerkopfes und stieß dann heftig in die Richtung der
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Pritsche. Der Bandit saß mit offenem Mund da, völlig begriffsstutzig. Die Hand verschwand, erschien wieder. Sie griff durch die Gitterstäbe und legte einen kleinen zylindrischen Gegenstand neben den Eisenrahmen. Sancho begriff immer noch nichts. Dann nahm die Hand eine brennende Zigarre aus einem unsichtbaren Mund und hielt sie an den Gegenstand. Funken sprühten auf, eine Zündschnur zischelte. Sancho schrie »Dynamit!« und tauchte in den hintersten Winkel, Matratzen und Decken über sich zerrend. Die Nacht explodierte in einem grellen Feuer, und eine Druckwelle legte sich wie ein eiserner Ring um seine Lungen. Aber ansonsten war er unverletzt. Er rappelte sich keuchend auf und sah ein großes gähnendes Loch, wo früher einmal das Zellenfenster gewesen war. Drunten saß ein Fremder in einem braunen Poncho auf einem Pferd und hielt die Zügel eines anderen. Der Fremde machte eine ungeduldige Handbewegung. Sancho schlug auf den Boden auf, und im nächsten Moment hatte er sich in den wartenden Sattel geschwungen. »Los, bewegen Sie sich«, knurrte der Fremde. »Sie wollen doch Indio nicht warten lassen.« Die große Wiedersehensfeier, dachte der Mann ohne Namen sardonisch, war einfach zu rührend. Die Banditen umdrängten Sancho, johlten und hauten ihm auf die Schulter. Indio bahnte sich einen Weg durch die Menge und drückte den Ankömmling in einer stürmischen Umarmung ans Bruderherz. »Sancho! Ah, mein großer und guter Freund, Sancho! Und man hat mir gesagt, sie hätten dich für vier Jahre ins Kittchen gesteckt — vier lange Jahre ohne meinen Sancho.« »Das haben sie auch gedacht, Indio, aber wir haben ihnen ein Schnippchen geschlagen, nicht wahr? Vier Jahre? Pah! Vier kurze Wochen nur, und hier bin ich wieder, frei und bei dir, Amigo.« Indio trat zurück und nahm zum erstenmal Notiz von dem großen Fremden in dem braunen Poncho. Die Hand des Me-
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xikaners schwebte über dem Revolvergriff, während er den unbeteiligten Mann anknurrte. »Sancho! Der Mann, der mit dir gekommen ist. Wer ist das?« »Mein großer und guter Freund, Indio — es ist der Mann, der das Gefängnis in die Luft sprengte und mir die Freiheit zurückgab.« »Warum, Sancho? Welches Interesse sollte er daran haben; dir die Freiheit zurückzugeben? Hast du ihn gefragt, warum?« Sancho starrte verständnislos seinen Chef an. »Aber — aber ich dachte, du hättest ihn geschickt, Indio.« »Ich habe niemand geschickt. Ich habe diesen Mann nie zuvor in meinem Leben gesehen.« Indio bewegte sich vorwärts, das Gesicht entstellt von Mißtrauen. Die anderen wichen zurück. Indio grunzte: »Los, erzählen Sie, aber keine Märchen. Wer sind Sie und aus welchem Grund haben Sie Sancho zur Freiheit verhelfen? Warum nahmen Sie ein solches Risiko auf sich für jemanden, den Sie noch nicht einmal kennen. Antworten Sie.« Der Mann ohne Namen zog gemächlich eine stummelige Cigarro aus der Tasche und zündete sie sorgfältig an. Er ließ das Streichholz zu Boden fallen. Indio machte eine ungeduldige Gebärde. »Die Antwort — und die Wahrheit!« »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, Indio«, sagte der Fremde. »Die Wahrheit ist, es winkt eine so saftige Belohnung für Euch, daß ich der Versuchung einfach nicht widerstehen konnte, sie mir zu holen. Ich überlegte, der beste Weg, Euer habhaft zu werden, bestünde darin, mich auf Eure Seite zu schlagen, bei Euren nächsten Coup mitzumachen und Euch dann im passenden Augenblick der Polizei auszuliefern.« Er sog an seiner Cigarro, lächelte ruhig und entspannt in den Kreis fassungsloser Gesichter. Nino brach als erster das betäubte Schweigen. Seine Hand zuckte zum Colt, in dem geschlossenen Raum krachte es ohrenbetäubend. Das Ende der Cigarro war verschwunden.
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Ohne das geringste Anzeichen irgendwelcher Emotionen untersuchte der Mann ohne Namen mit mildem Interesse den übriggebliebenen Stumpen und steckte ihn wieder zwischen die Zähne. Langsam schritt er auf Nino zu. »Sie haben meine Zigarre ausgelöscht, Freund. Ich fürchte, Sie müssen schon ein Streichholz locker machen.« Wie hypnotisiert holte der Bandit ein Streichholz aus der Weste und hielt es ihm entgegen. Der Jäger nahm es, und mit einer felsenruhigen Hand setzte er den Stumpen erneut in Brand. Indio brach in wieherndes Gelächter aus. »Genug. Das, mein Freund, war die einzige Antwort, die mich überzeugen konnte, daß du in Ordnung bist. Daß du ein Mann bist, dem man vertrauen kann. Jetzt, da du einer der Unsrigen bist, wie sollen wir dich nennen, Amigo?« Der Jäger fixierte den Banditen und stieß einen Rauchkringel in das lastende Schweigen. Nach einem Moment zuckte Indio die Schulter. »Ist ja auch vollkommen gleich. Was ist schon ein Name? Eine Krücke. Und du, mein Freund, siehst nicht so aus, als ob du Krücken nötig hättest.« Die anderen entspannten sich sichtlich; die Hände fielen von den Colts weg, die Feindseligkeit wich aus ihren Gesichtern. Auf Indios Geste hin setzten sie sich auf Stühle und Bänke und bildeten einen Halbkreis um den Sitz ihres Anführers. Nino, immer noch benommen, rückte auf seiner Bank für den Jäger ein wenig zur Seite. »Mann ohne Namen«, sagte Indio grinsend, »wenn dich die Belohnung hierherführt, bist du genau im richtigen Augenblick erschienen. Denn morgen, mein Freund, wird diese Belohnung bis ins Unermeßliche steigen. Selbst ich würde von ihr in Versuchung geführt werden.« Er grinste wölfisch. »Morgen, Amigo, unternehmen wir das Unvorstellbare, wir berauben die mächtige Bank von El Paso um eine Million Dollar. Du bist rechtzeitig gekommen, um einen wichtigen Platz in meinen Plänen einzunehmen.« Er beugte sich mit funkelnden Augen vor. »Ein paar Mei-
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len vor El Paso liegt eine kleine Stadt namens Santa Cruz. In aller Frühe werden vier Männer die dortige Bank überfallen, eine Schießerei veranstalten und jeden niederknallen, der ihnen vor den Lauf kommt. Diese vier werden, Blackie, Chico/ Paco . . . und du sein, Senor ohne Namen. Du wirst ein Aufgebot aus El Paso herbeitelegrafieren und dafür sorgen, daß es sich auf deine Fährte setzt. Mit den paar Leuten dann in El Paso werden wir allein fertig.« »Gerissen«, sagte der Jäger. »Was dann?« »An einem Punkt wirst du deine Verfolger abschütteln und dich sofort mit uns in Las Palmas treffen. Dann reiten wir zu einem von mir ausersehenen Ort und dort, mein Freund, werden wir die Million Dollar aufteilen.« Der Jäger erhob sich, holte den Sattel und die Decke, die er neben der Tür abgesetzt hatte, und strebte der Treppe enN gegen. »Wo willst du hin?« bellte Indio. Der Jäger hielt inne. »Vor einem harten Arbeitstag habe ich immer meine Bettruhe nötig.« Er lächelte und stampfte die Treppe hoch.
11 Die vier ritten in den schwindenden Stunden der Nacht los. In der Morgendämmerung blickten sie von einem Bergrücken auf das schlafende Städtchen Santa Cruz herab. Da sie noch ein paar Stunden totzuschlagen hatten, ehe die Bank geöffnet wurde, suchten sie sich ein Versteck zwischen den Felsen, entzündeten ein kleines Feuer und kochten Kaffee. Danach rollten sie die Decken aus. Die anderen schnarchten bald, aber der Jäger lag hellwach da und starrte in den aufglühenden Himmel. Als volles Tageslicht herrschte, streifte er die Decke ab, holte einen Becher aus dem Sattel und goß sich Kaffee ein. Er schlürfte das bit-
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tere Gebräu, als Blackie wach wurde und sich aufrichtete. Der Bandit grinste auf den großen Mann. »He, Amigo — weißt du, als du gestern abend diese verrückte Geschichte erzähltest, von wegen Kopfgeldjäger, bin ich doch tatsächlich einen Moment drauf reingefallen. Kleiner Scherz, was, Amigo?« Der Jäger sah ihn an. »Wer sagte, ich mache Scherze?« Der Outlaw blinzelte, sein Kinn wurde schlaff. Wie ein Messer schnitt die Erkenntnis durch den Vorhang der Benommenheit. »Bei Gott, dann stimmt es also«, japste er mit sich überschlagender Stimme und riß den Colt an sich. Der blecherne Becher klapperte über steinigen Boden. Der Lärm hatte die anderen aufgeweckt. Sie fuhren hoch und griffen nach ihren Waffen, als die Pistole des Jägers losdpnnerte. Die Kante seiner Linken zuckte dreimal über den Hammer, und drei Schüsse hallten wie ein einziger durch die Berge. Der Mann ohne Namen lud neu nach und steckte den Revolver in den Halfter. Die drei Leichen schleppte er zu einer verborgenen Nische zwischen den Felsen. Einen Moment blieb er noch vor ihnen stehen und bewegte die Lippen, als zählte er die Kopfgelder, die sie ihm einbrächten, zusammen. Nachdem er die anderen Pferde losgebunden hatte, ritt er gemächlich nach Santa Cruz hinunter. Eine armselige Bude neben dem Gleis diente gleichzeitig als Bahndepot, Telegrafenbüro und Wohnung für einen Agenten. Es war ein sehr alter Mann, dünn und ausgetrocknet. Als der Jäger eintrat, war der alte Mann gerade über einen alten Ofen gebückt und brach Frühstückseier in eine heiße Pfanne. Er bemerkte erst etwas von der Anwesenheit des anderen, als eine Hand dazwischenfuhr, ihm das letzte Ei aus den Fingern pflückte und es an der Kante der Bratpfanne aufschlug. Der Agent sprang wie von einer Tarantel gestochen zurück und starrte auf den großen Mann im Poncho. »W-was wollen Sie, M-Mister?«
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»Indio und seine Gang haben eben Ihre Bank ausgeraubt, Daddy, und sind fortgeritten, deutliche Spuren hinterlassend. Sie haben mehrere Menschenleben getötet. Ich kümmere mich um die Eier, während Sie sich an den Telegraf setzen und einen Hilferuf nach El Paso und den umliegenden Städten funken. Sagen Sie ihnen, daß Sie jeden erreichbaren Mann schicken sollen.« »Jetzt hören Sie mal zu, Mister. Ich habe keine Ahnung, was Sie im Schilde führen, aber was Sie da behaupten, ist erlogen nach Strich und Faden. Die Bank liegt dort drüben, und mein Gehör ist immer noch gut. Ich hab' keine Schüsse gehört, und es wäre mir bestimmt nicht entgangen, wenn hier komische Sachen angestellt worden wären — wie Sie mir weis machen wollen.« Der Jäger schob den Poncho beiseite und legte die Hand auf den Revolver. »Daddy, es kann passieren, daß Sie genau in diesem Zimmer einen Schuß hören, wenn Sie nicht auf der Stelle spuren.« Der Alte schluckte, drückte sich vorsichtig am Eindringling vorbei und ließ sich auf den Arbeitsstuhl gleiten. Er drehte ein paar Schalter und langte in die Tastatur des Telegrafen. Der Jäger stand nahe hinter ihm, entzifferte die Signale und nickte zustimmend. Einmal drehte er sich um und stocherte mit einer Gabel in den Eiern herum. Als der letzte Anschlag verklungen war, wuchtete der Jäger den Sender aus seiner Verankerung und riß die Drähte heraus. Er schwang den Stuhl herum, verschnürte die Hände des Alten hinter der Stuhllehne und stopfte ihm einen Knebel aus einem Abwaschtuch in den Mund. Im Türrahmen verharte er und nickte zum Ofen. »Lassen Sie die Eier nicht anbrennen, Daddy.« Er saß auf, und in scharfem Tempo jagte er neben dem Schienenstrang El Paso entgegen. Kurz hinter der Stadt stieß er auf die Spuren einer großen berittenen Bande, die an dieser Stelle die Schienen überquert hatte. Ein guter Schütze
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hatte die beiden Isolatoren von dem Telegrafenmast abgetrennt. El Paso besaß keine Verbindung nach Norden mehr. Augenblicke später hörte der Jäger das Trommeln von Hufschlägen auf dem Trail vor ihm. Er lenkte sein Pferd in einen schmalen Felsspalt und beobachtete, wie ein großes und schwerbewaffnetes Sheriffaufgebot in Richtung Santa Cruz an ihm vorbeipreschte. Er nickte befriedigt. Soweit hatte alles von Indios Plan wunderbar geklappt. Die Hauptstraße von El Paso lag einsam und verlassen da. Der Mann ohne Namen ritt zu dem Pferdeposten vor dem Hotel und schwang sich aus dem Sattel. Colonel Mortimer saß an seinem Fenster und rauchte Pfeife. Er schaute herunter, und mit einer kleinen Geste bedeutete er ihm, daß sich bis jetzt noch nichts ereignet hatte. Der große Mann nickte kaum merklich und bezog Stellung zwischen dem Hotel und dem anliegenden Gebäude, wo ihm eine hölzerne Außentreppe eine gänzlich unbehinderte Aussicht auf die Bank bot. Das Warten zog sich dahin. Zur Schließzeit sperrte der Bankdirektor die Tür hinter dem Innenwärter ab und ging fort. Die äußeren Patrouillen trennten sich und begannen ihre Runden. Die beiden Beobachter warfen sich ratlose Blicke zu. Sie hatten damit gerechnet, daß die Banditen zuschlügen, während die Bank noch offen war. Angesichts ihrer Übermacht wäre jede schwache Opposition im Handumdrehen ausgeschaltet worden. Was konnten sie jetzt noch tun, da die Bank geschlossen, bewacht und angeblich so unverwundbar war? Der Colonel beugte sich vor, um die Straße hinunterzuschauen. Plötzlich riß er den Kopf zurück. Er gestikulierte wild. Der Jäger spähte vorsichtig um die Ecke und wurde steif. Indio und seine Meute näherten sich mit einem schweren segeltuchüberspannten Frachtwagen im Schlepptau. Am Stadtrand hielten sie und durchforschten die leere Straße nach Anzeichen eines Hinterhalts. Schließlich gab Indio ein Zeichen, und sie trennten sich in zwei Parteien, die
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nach rechts und links ausschwärmten und die um die Hauptstraße gruppierten Gebäude in die Zange nahmen. Der überspannte Wagen folgte der Gruppe, die hinter der Bank vorbeikäme. Der Jäger schaute zum Colonel hoch und kratzte sich am Kopf. Der Colonel antwortete mit einem Achselzucken, ebenso unfähig, das verblüffende Manöver zu durchschauen. Seine zusammengekniffenen Augen verfolgten die Bewegungen der beiden Patrouillen, die um die Bank kreisten. Die eine marschierte an der Bankpforte vorbei und verschwand um die hintere Ecke. Augenblicke darauf erschien das zweite Paar und schritt zur Vorderseite. In den Minuten, die sie brauchten, um den Kreis zu schließen und sich wiederzutreffen, würde die Rückseite der Bank unbewacht und unbeschützt sein. Die zweite Patrouille hatte die halbe Strecke zurückgelegt, als es geschah. Es krachte fürchterlich, die Erde erbebte und die Häuser schwankten. Eine riesige Säule aus Dreck und Schutt schoß von der rückwärtigen Bank gen Himmel. Die Aufseher eilten herum und liefen zur Explosion, die Gewehre im Anschlag. Colonel Mortimer stieß sich vom Fenster weg. Der Jäger riß seine Waffe heraus und erstarrte, als ein paar von Indios Leuten auftauchten und die heraneilenden Wärter über den Haufen knallten. Als sie wieder um die Ecke verschwanden, hetzte der Mann ohne Namen über die Straße und sprintete durch eine schmale Allee zu einer Stelle, wo er sehen konnte, ohne von den Outlaws gesehen zu werden. Das Timing war so perfekt, die ganze Aktion so präzise einstudiert, daß er anfangs gar nicht erkannte, was an der Bank überhaupt vorging. Der überdachte Wagen wurde vor ein schwarzes, gähnendes Loch, hinter dem direkt der Saferaum lag, geschoben. Vier Banditen, die Stricke an den Sattelhörnern befestigt hatten, zogen den getarnten Safe auf eine Rampe, die sich in das Hinterteil des Wagens senkte. Der massive Safe widersetzte sich einen Augenblick, dann
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glitt er unter das Segeltuchdach. Er krachte in das Wagenbett, eine Peitsche knallte, Pferde stemmten sich gegen das Geschirr. Der Wagen zog mit einem Ruck an, und dann galoppierten sie los, den Banditen, die bereits aus der Stadt jagten, hinterher. Menschen strömten zu der aufgerissenen Mauer. Der Jäger hielt vergeblich nach dem Colonel Ausschau, dann lief er los und mischte sich unter das gaffende Volk. Am Locheingang lag die Leiche des Innenwärters. Der Jäger grübelte darüber nach, wie Indios Leute es geschafft haben mochten, in so kurzer Zeit so viel Dynamit an den Mann zu bringen. Zuvor hatte er nämlich weder Schläge noch scharrende Geräusche gehört. Dann entdeckte er unter all dem Dreck und Schutt Ziegelsteinbrocken, die von einer dunklen Substanz überzogen waren. Er fuhr mit dem Finger darüber; es war Teer, immer noch warm und klebrig. Dann traf ihn die Erkenntnis. Sie hatten die Dynamitstäbe mit Teer zusammengepreßt, die Zündschnur angesteckt und das Ganze gegen die Mauer geschleudert. Es war ein höllisch präziser Wurf gewesen. Er fuhr herum und rannte zu seinem Pferd. Er sprang in den Sattel und jagte in einem scharfen Galopp den entschwundenen Banditen nach. Die breite Spur, die in Richtung des verabredeten Treffpunkts führte, verengte sich zu einem windungsreichen Paß. Der Mann ohne Namen gab den Zügeln einen gewaltigen Ruck, die den Braunen auf die Hinterbeine hochrissen. Er schlidderte auf Haaresbreite vor die schweißnasse Flanke eines schwarzen Pferdes, das den Weg blockierte. »Wohin geht die Reise, Partner?« fragte Colonel Douglas Mortimer sanft. »Es besteht doch nicht die entfernte Absicht, daß Sie Reißaus nehmen wollen, nur weil unser Plan nicht so verlief, wie wir es uns gedacht haben?« »Nein, nicht im geringsten«, fauchte der andere zurück. »Ich bin hinter Indio und seinem Mörderpack her — und zwar
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allein. Von nun an können Sie unsere kleine Partnerschaft als aufgelöst betrachten.« »Aber, aber, mein Junge. Erst mal abwarten und Tee trinken und dann reden wir noch einmal darüber in ruhigen und vernünftigen Worten.« »Bullenscheiße! Wir haben immer nur geredet und geredet und sind keinen Penny reicher dadurch geworden. Ich war vernünftig und habe mich die ganze Zeit nach Ihnen gerichtet. Nun, ich hab' die Schnauze voll davon, und jetzt räumen Sie den Weg.« »Ruhig Blut, Junge. Geben Sie doch einen Augenblick Ruhe. Sehen Sie, Indio war einfach eine Spur zu gerissen, indem er Sie nur in den ersten Teil seines Plans einweihte. Es läßt sich leider nicht mehr ändern, daß wir das nicht in unsere Überlegungen miteinbezogen haben.« »Und warum haben wir es nicht mit einbezogen? Sie waren doch das helle Köpfchen, das seine Strategie bis aufs I-Tüpfelchen vorausbestimmt hatte. Warum ist Ihnen der Teil nicht aufgegangen, Genie?« Der Jäger ergriff die Zügel. »Tut auch nichts mehr zur Sache. Jetzt werde ich erst einmal bei Indio vorstellig.« Der Colonel seufzte. »Na schön. Aber in der Verfassung, in der Sie sich momentan befinden, könnte es leicht passieren, daß Sie dabei Ihr Leben lassen. Am besten, ich reite hinterher und gebe Ihnen Rückendeckung oder komme zu Hilfe, wenn Sie mich brauchen.« »Hören Sie«, sagte der Jäger durch gepreßte Zähne. »Ich bin derjenige, der ein Rendezvous mit Indio hat — ich persönlich. Und keiner wird verhindern können, daß ich es auch halte — allein.« Er stieß den Braunen in die Flanken und drängte sich vorbei. »Okay, mein Junge«, sagte der Colonel. Er seufzte. »Ich bedaure, es tun zu müssen, aber...« Er riß die langläufige Pistole heraus und feuerte in den Rücken des anderen. Ein brennender Schmerz zuckte am Hals des Jägers auf. Ein
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Strahl warmen Blutes schoß hervor. Er legte die Hand auf die seichte Wunde. Mühsam drehte er sich um und stierte den Colonel an, der gelassen die verbrauchte Hülse austauschte. »Warum das, Sie ...« »Na, na«, unterbrach der Ältere und wackelte mit dem Finger. »Wer wird denn gleich an die Decke gehen, mein Junge? Sie scheinen nicht zu erkennen, daß ich eben Ihr Leben gerettet habe.« »Was, zur Hölle, meinen Sie damit?« »Überlegen Sie einen Moment. Ich vermute, daß der Hilferuf aus Santa Cruz von Ihnen kam. Es würde in mein Konzept passen, daß Indio irgendeine solche Ablenkung beabsichtigte. Wenn Indio Sie geschickt hat, dann bestimmt noch drei andere mit Ihnen, von denen er wußte, daß er ihnen vertrauen konnte. Wenn Sie jetzt zurückgeritten wären, so völlig ohne Kratzer oder sonstwas, und Sie hätten ihm diese hanebüchene Geschichte vorgesetzt, wie der lange Arm des Gesetzes die anderen erwischt hatte, sind Sie ein größerer Idiot, als Sie Indio für einen zu halten scheinen. Jetzt haben Sie wenistens einen Beweis, der ihn überzeugen könnte.« Der Jäger nahm die blutverschmierte Hand herunter und wischte sie an einem Taschentuch ab. Das Tuch stopfte er in den Ponchokragen gegen die Wunde. »Danke«, sagte er schließlich. »War wirklich blöd von mir gedacht.« »Hmm! Entdecke ich den Hauch eines Anzeichens, daß die Partnerschaft möglicherweise erneuert werden könnte?« »Teufel, von mir aus.« Der Colonel lächelte. »Na, großartig, denn mittlerweile sind die Preise enorm geklettert. Vierzigtausend Dollar — das ist die Summe, die die Bank für die Wiederbeschaffung des Geldes offerierte; zumindest war das das letzte Wort, als ich mich Ihnen auf die Fersen heftete.« »Sprechen Sie weiter«, sagte der andere, aber er grinste, während er dies sagte. »Nun, hier ein Tip, wie Sie es anstellen müssen. Indio wird
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eine lange, lange Zeit brauchen, bis er den Safe aufkriegt; und er hat bestimmt schon einen Ort im Kopf, wo er ihn in aller Ruhe öffnen kann. Ihre Aufgabe ist es, ihn zu überzeugen, daß jeder Ort, für den er sich entschieden haben mag, der denkbar ungeeignetste ist. Überzeugen Sie ihn, daß er seine besten Chancen im Norden, den Fluß aufwärts, hätte, wo Sie ein perfektes Versteck kennten. Die Bande läßt sich am ehesten durch einen Hinterhalt hops nehmen, und die beste Gelegenheit dazu bieten die Canyons im Norden. Sie dirigieren ihn in diese Richtung, und ich werde dort warten, um das Festspiel zu eröffnen. Ist das ein Tip, Junge?« Er streckte die Hand aus, und nach einer langen Weile ergriff sie der andere. »Das ist ein Tip — Partner.« Der Mann ohne Namen näherte sich Indios Lager, als er das Gewehrfeuer hörte. Es klang wie eine regelrechte Schlacht zwischen zwei Armeen. Er erreichte die felsige Anhöhe und sah, daß sich Indios gesamte Gang aufgestellt hatte und auf den Schrank ballerte, der den Safe enthielt. Als er näher kam, ging ein stämmiger Outlaw hin und brach das durchlöcherte Holz auseinander. Stahl glänzte auf. Die Banditen fuhren bei dem Hufklang des Braunen herum. Ihre Hände schnellten zu den Waffen und blieben unschlüssig auf den Revolvergriffen liegen. Voller Argwohn beäugten sie den Jäger. Indio richtete sich von der Safeinspektion auf. »Du! Was ist mit den anderen? Sind sie tot?« Der Jäger nickte und glitt müde vom Pferd. Das Taschentuch am Hals war bis in die letzte Faser durchdrängt, und getrocknetes Blut hatte einen riesennaften Fleck auf seinem Poncho hinterlassen. Er hielt sich stützend am Sattel fest. »Dieses verdammte Telegramm«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Alles hatte wie am Schnürchen geklappt, und wir waren auf dem Weg nach El Paso, als wir einer Suchmannschaft aus irgendeiner nahe gelegenen Stadt direkt in die Arme liefen. Die Jungens hatten nicht die geringste Chance.« Der Bandit Groggy trat zwei Schritte vor und packte den
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Poncho. »Und du hast drei gute Männer sterben lassen, während du deine Haut gerettet hast, du feiger Hund ...« Eine Handkante schlug die krallende Hand weg. Eine granitene Faust landete mit voller Wucht in Groggys Gesicht. Der Bandit flog rückwärts, rollte durch den Staub und griff hastig nach seinem Revolver. Indio eilte dazwischen und trat sie fort. Der Banditenanführer hob ein Gewehr, schritt vor den Jäger und schob mit der Mündung das Taschentuch weg. Intensiv studierte er die Wunde, dann nickte er. »Pulvereinsprengung. Der gab kein Fersengeld, als ihn das erwischte. Er hat seinen Teil abgekriegt.« Er wandte sich an die anderen. »Okay, und jetzt vorwärts und ladet den Safe wieder auf. Wir steuern ein sicheres Versteck an, wo wir ihn öffnen können.« »In welche Richtung, Indio?« fragte der Jäger. »Nach Norden, den Fluß aufwärts, in das zerklüftete Land.« Er spähte aus schmalen Augen in das Gesicht des großen Mannes. »Warum? Hast du einen besseren Vorschlag?« »Wenn ich einen Hinterhalt legen wollte, könnte ich mir keinen besseren Ort ausdenken als diese schmalen Canyons flußaufwärts, Indio. Das sicherste meiner Meinung nach ist ein schneller Vorstoß in den Süden, über die Grenze, wo sie uns nicht mehr verfolgen können, aus Furcht vor den Truppen der ruales.« »Hmmm.« Der Bandit befingerte nachdenklich das Kinn, ging ein paar Schritte auf und ab und fuhr herum. »Du hast recht, was den Norden betrifft, du könntest recht haben, was den Süden betrifft. Aber ich, ich mache meine Pläne selbst. Deshalb gehen wir in den Osten zu einem kleinen Ort, den ich kenne — Agua Caliente. Es ist eine Stadt, wo sich jeder um seine eigenen Geschäfte kümmert und niemand Fragen stellt.« Der große Mann kämpfte gegen ein Kichern an. Das war ja besser, als er je zu erhoffen gewagt hatte. Der Colonel
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würde gründlich von der Fährte abgeschüttelt werden, und er hätte endlich freie Hand, mit Indio fertigzuwerden — zu seinem eigenen Zeitpunkt, zu seinen eigenen Bedingungen, in die eigene Tasche. Sie ritten über steil abfallende Hügel und blickten auf eine Handvoll Ziegelsteinhäuser, die eine schmale Straße säumten. Indio hob die Hand und zügelte. Er blickte zu dem Mann im Poncho. »Das, mein Freund, ist Agua Caliente. Sieht aus wie tot, nicht wahr? Oder wie ein Leichenhaus vielleicht. Und es könnte leicht eines werden, wenn ein Mann nicht auf der Hut ist. Für Fremde haben sie nicht viel übrig, was Groggy?« »Verdammt, denen dort unten gefällt doch rein gar keine Visage, Indio.« Der Bandit drehte sich im Sattel und richtete den Daumen auf den Jäger. »Nur so ein Einfall — hat irgendeiner von euch unseren neuen Freund je mit einer Waffe umgehen sehen?« Die Banditen schüttelten den Kopf und nahmen augenblicklich wieder feindliche Haltung gegenüber dem Neuen in ihrer Mitte ein. Der Wilde streichelte liebevoll über seinen Revolver. Indio gluckste. »Es ist an der Zeit, herauszufinden, wie abhängig er von uns ist, wenn wir einmal in der Klemme sitzen sollten. Gott sei Dank gibt es ein sehr probates Mittel, das festzustellen. Unser Freund wird allein nach Agua Caliente weiterreiten und die Einwohner auf unsere Ankunft vorbereiten.« Beifälliges Gelächter brandete auf. Der Jäger zuckte gleichgültig die Schulter, hob die Hand zu einem lässigen Salut und ritt den serpentinenreichen Weg hinab. Er nestelte unter dem Poncho eine Cigarro und ein Streichholz heraus. Als er sich der Stadt näherte, hetzte eine Frau aus einer Hütte, riß zwei spielende Kinder von der Straße und huschte zurück. Türen wurden zugesperrt und Riegel vorgeschoben, während der Jäger die Häuserreihen passierte. Arn Ende der Straße trat ein bis an die Zähne bewaffneter Mann hinter
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einer Mauer hervor. Zwei weitere folgten ihm. Sie beobachteten seine Ankunft in feindseligem Schweigen. Er schwang sich aus dem Sattel, band den Braunen fest und begann langsam auf das Trio zuzugehen. Er warf den Poncho über die Schulter, um die Pistole griffbereit zu haben. Ein klatschendes Geräusch an seiner Seite erregte seine Aufmerksamkeit. Hinter einem der Häuser sprang ein kleiner Junge auf und nieder, bei dem vergeblichen Versuch, mit einem Stecken einen orangenschweren Ast zu treffen. Der Zug des Jägers war wie ein Blitz. Er feuerte ohne zu zielen aus der Hüfte, und die Orange plumpste zur Erde. Der Junge glotzte ihn an, und schnappte sich die Frucht. Der Mann ohne Namen schoß ein zweites Mal, und wieder fiel eine herunter. Hinter und über ihm krachte zweimal ein Colt und zwei weitere Orangen prasselten aus dem Baum. Er wirbelte herum, starrte auf die begehrockte Gestalt des Colonels, der auf einem kleinen Balkon stand. »Hübsche Treffer«, bemerkte der Jäger säuerlich. »Danke, mein Junge.« Der Colonel lud nach und steckte die lange Pistole ein. Er schwang sich über das Balkongeländer und landete leichtfüßig auf dem Boden. Er nickte zu einer Tür neben ihm. »Ich saß gerade vor einem erbärmlichen Mahl, als Sie erschienen. Wollen Sie sich zu mir setzen? Das einzige, worauf diese taverna stolz sein kann, ist, daß es in der Stadt keine andere gibt.« Sie stapften in die schmuddelige Kneipe. »Würden Sie mir vielleicht verraten«, knurrte der Jäger, »warum, um alles in der Welt, Sie ausgerechnet hier auftauchen?« »Das Resultat einfachster Überlegungen, junger Mann. Da ich ja Ihr Bestreben kannte, sich Indio auf eigene Faust vorzuknöpfen, riet ich Ihnen, ihn in den Norden zu locken. Natürlich lag es glasklar auf der Hand, daß Sie genau das Ge genteil unternehmen würden und ihn drängten, in den Süden
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zu ziehen. Aber da ich auch Indios mißtrauische Natur kannte, war ich sicher, daß er nichts von beidem täte. Zum Westen hin ist das Land zu dicht bevölkert für ihn. Übrigblieb der Osten, und der wahrscheinlichste Ort im Osten war der hier.« Der Colonel setzte sich vor einen kleinen Tisch und attackierte eine Schüssel Bohnen. Der große Mann bestellte einen Rum. Er lehnte sich gegen die Theke, nippte und stierte angewidert auf die schmierige Wand. Die Tür wurde aufgerissen, und Indio kam mit seiner Bande hereingetrampelt. »Tequila für alle«, dröhnte er. Dem Jäger haute er auf den Rücken. »Wir hörten Schüsse. Irgendwelche Schwierigkeiten gehabt?« »Keine, mit denen ich nicht fertiggeworden wäre.« Der Bucklige führte sein Glas zum Mund, als er die Gestalt am Tisch bemerkte. Klirrend zersprang das Glas auf der Theke. Wie ein Wiesel schoß er an den Tisch. Der Muskel in seiner Wange zuckte heftig. Ein irres Licht fieberte in seinen blassen Augen. Er beugte sich über den Tisch vor. »Der Pfeifenraucher. Der Zündholzanreißer. Erinnern Sie sich, Amigo?« Der Colonel blickte gleichmütig auf, schüttelte den Kopf und widmete sich wieder dem Essen. »Könnte ich nicht behaupten, Freund.« »Sie erinnern sich genau«, stieß der Wilde hervor. »El Paso — der Hotelsaloon.« Mit mildem Interesse studierte der Colonel das zuckende Gesicht. »Ah, ja. Wie klein ist doch die Welt, nicht wahr?« »Und wie schlecht«, geiferte der Bucklige, von der Intensität seiner Wut geschüttelt. »Sehr, sehr schlecht für manche Leute. Nun, machen Sie schon, und reißen Sie ein neues Streichholz an. Hier an meiner Schulter. Zünden Sie es genauso an, wie Sie es früher getan haben.« Der Colonel führte einen weiteren Bissen zum Mund. »Tut mir leid, mein Junge. Ich zünde Streichhölzer nur an, wenn ich rauchen will, und ich rauche nicht, bevor ich mit dem
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Essen fertig bin. Wenn Sie sich vielleicht zehn Minuten gedulden könnten...« »Jetzt!« japste der Bucklige. »Jetzt und sofort! In zehn Minuten werden Sie in der Hölle schmoren. Stehen Sie auf. Auf die Beine! Cucillo, zähl bis drei.« Indio und die anderen sahen in gieriger Faszination zu. Der Bandit Cucillo begann zu zählen. »Eins!« Der Colonel brach eine Brotkruste ab und kaute mit Behagen. »Zwei!« Er schob sich einen Löffel Bohnen in den Mund. »Drei!« Die krallige Hand des Wilden schlug gegen den Revolvergriff. Der Colonel bewegte den Arm und eine kleine Derringer rutschte aus dem Ärmel in seine Hand. Sie rauchte auf, und das Gesicht des Buckligen wurde schlaff. Er fiel gegen den Tisch und stieß ihn im Fallen um. Plötzlich lag der lange Revolver in der Hand des Colonels und war auf die Gruppe an der Theke gerichtet. Indio machte eine ungeduldige Geste. »Schluß damit, ihr alle. Und stecken Sie die Kanone weg, damit wir uns unterhalten können. Wer sind Sie?« »Der Mann, der Ihnen den Safe öffnen kann.« Indios Augen wurden schmal. »Welchen Safe, Seftor?« »Den Sie aus der Bank von El Paso nahmen. Mein Pech, daß Sie mir um eine Nasenlänge zuvorkamen. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, daß ich dennoch einen kleinen Obolus für meine Zeit und Mühen retten könnte.« »So .. .?« »So, wenn Sie den Safe auf Ihre Art öffnen, mit Dynamit, vernichten Sie bei der Explosion die Hälfte der Banknoten. Ich bin der einzige Mann im Territorium, der weiß, wie man ihn aufkriegt, ohne eine einzige Note zu beschädigen.« »Für wieviel?« »Fünftausend.« »Zuviel. Zweitausend ist meine Grenze.«
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Der Colonel hob gleichgültig die Schulter. »Fünf ist mein Preis. Oder wir vergessen es.« Nach einem Moment ruckte Indio den Kopf zur Tür. »Dann kommen Sie mit und verdienen Sie es sich.« Der Colonel ließ einen Koffer zu seinen Füßen aufspringen und entnahm ihm einen kleinen Bohrer, einen Tropfzähler und eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit. Er folgte dem Banditenführer hinaus auf die Straße. Die Gang hatte in einer verlassenen Hacienda abseits der Häuserreihe Quartier bezogen. Der Safe stand in einem kleinen Hinterhof. Auf die Anweisung des Colonels hin wurde er umgekippt, so daß Schloß und Griff oben lagen. Er streifte den Gehrock ab, setzte ein Knie auf den Safe und begann, einen Kreis winziger Löcher um das massive Schloß zu bohren. Als er fertig war, öffnete er die Flasche und benutzte den Tropfzähler dazu, jedes Loch mit der gelben Flüssigkeit zu füllen. Ein scharfer Säuregeruch stieg auf. Es klang wie Brutzeln; dann stieg auch noch Rauch aus den Löchern, während sich die kräftige Säure durch das Eisen fraß. Nach einiger Zeit hörte das Brutzeln auf und der Rauch verzog sich. Der Colonel rüttelte am Griff, und die Safetür schwang auf. Die Banditen drängten sich heran, jubelten und streckten die Hände nach den Geldscheinbündeln und Säckchen mit Goldmünzen. Indio unterbrach den Tumult. »Die Finger weg! Los, alles zurück. Jetzt hört mir genau zu. Soviel Geld auf einem Haufen zu stehlen war einfach, aber wie wir es behalten, ist eine andere Sache. Jeder Mann im Territorium ist hinter uns her. Sie brauchen nur einen von uns mit etwas von dem Geld zu erwischen und wir sind alle tote Leute. Nino, schaff die Truhe her.« Nino und ein Begleiter verschwanden im Stall und erschienen wieder, eine schwere Truhe mit einem wuchtigen Vorhängeschloß mit sich schleppend. Sie sperrten sie auf und deponierten darin das Geld aus dem Safe. »Was wir jetzt tun«, fuhr Indio fort, »ist warten, wenn
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nötig einen ganzen Monat. Wenn ich glaube, daß die Jagd genügend abgekühlt ist, teilen wir das Geld und jeder Mann erhalt seinen vollen Anteil.« Er schaute zum Colonel. »Sie, mein Freund, werden ebenfalls einen Monat auf das Geld warten.« Der Colonel zuckte die Schulter. »Das Fressen in der Taverne ist für die Hunde, aber da ich keine andere Wahl habe, werde ich es vermutlich einen Monat aushalten können.« Er nahm den Mantel und seine Ausrüstung und wanderte, ohne einen Blick auf den Mann in dem braunen Poncho zu werfen, hinaus. Als der Safe leer war, verschloß Indio die Truhe mit einem Schlüssel, den er an einem Lederriemen um den Hals trug. Er und Nino schleppten die Kiste in eine eigene Kammer im Stall, verließen sie wieder und riegelten die schwere Eichentür hinter sich zu. Der Jäger hatte den ganzen Vorgang mit glitzernden Augen verfolgt; jetzt drehte er sich um und schlenderte mit übertriebener Lässigkeit zur Taverne. Indio und sein Leutnant nahmen die Schlafzimmer, der Colonel blieb in der Taverne und der Rest bettete sich auf den Boden eines Lagerraums nieder. Erst um Mitternacht war der Jäger überzeugt, daß die Banditen fest schliefen. Lautlos erhob er sich und trat über die schlafenden Gestalten. Schweigend erreichte er die Rückseite des niedrigen Ge bäudes, das Indios behelfsmäßige Stahlkammer enthielt, in halber Erwartung, entweder den Anführer oder Nino beim Wacheschieben vorzufinden. Er ließ einige Zeit verstreichen, bis er gewiß war, daß keine patrouillierende Gestalt auftauchen würde. Dann schnellte er hoch, bekam den Dachrand zu fassen und kletterte auf die lose aneinandergefügten Ziegeln. Nur wenige Handgriffe waren erforderlich, bis er eine Öffnung geschaffen hatte, die groß genug war, um sich zwischen den Dachsparren durchzuzwängen. Einen Moment hing er noch an einem Sparren, dann fiel er auf den erdigen Boden. Irgendwo in der Nähe scheuerte ein Streichholz, und der
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Docht einer Stummelkerze flammte auf. »Lange gebraucht, um hierherzukommen«, flüsterte Colonel Mortimer. Der alte Haudegen steckte die lange Pistole zurück, während der andere die Waffe einhalfterte, die er gezogen hatte. »Probleme mit dem Schloß, Colonel?« »Mein lieber Freund, wie Sie jetzt langsam gemerkt haben sollten, bin ich nicht direkt ein blutiger Anfänger, was Schlösser anbelangt. Indios Truhe sah so jämmerlich leer aus, daß ich aus lauter Barmherzigkeit ein Suchplakat mit seinem Konterfei zurückließ.« Der Colonel hob ein Paar prallvolle Satteltaschen aus einem Kasten hinter ihm. »Alles hier drin — eine Million Dollar. Nehmen Sie und verschwinden Sie damit. Wir treffen uns bei unseren Pferden wieder, sobald ich das Schloß so hergerichtet habe, daß sich unmöglich feststellen läßt, daß jemand daran herumgefummelt hat.« »Wissen Sie«, sagte der andere, »fast wünschte ich, ich könnte hier sein und Indios Gesicht beobachten, wenn er entdeckt, daß das Geld fort ist. Ist ja auch verflucht schwer, sich vorstellen zu müssen, wie es dieser Truhe entweichen konnte, wenn er der einzige Mann auf der Welt ist, der den Schlüssel dazu hatte.« »Möglich, daß Sie noch alles zu sehen bekommen«, sagte der Colonel grimmig, »wenn Sie sich jetzt nicht schleunigst von hier verdrücken.« Der alte Kämpe kniete vor der Truhe und zog ein letztes Mal an dem Vorlegeschloß, um sicherzugehen, daß es richtig eingeklinkt war. Dann, mit einem Bällchen aus Kitt, das er mit Druckerschwärze und Eisenspänen zusammengeknetet hatte, löschte er die letzten Spuren seiner Bohrungen. Mittlerweile hatte sich der Jäger auf eine Kiste gestellt und war durch die Öffnung im Dach verschwunden. Er glitt an den Rand herunter, die prallen Satteltaschen hinter sich herziehend, überzeugte sich, daß keine Gefahr drohte, dann rollte er auf den Bauch und ließ sich vorsichtig herunter, mit den Füßen nach einem Halt tastend.
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Ein Fuß landete geradewegs auf einer menschlichen Schulter, und eine Hand schraubte sich um seinen Knöchel. Was folgte, war reiner Reflex. Sein Arm streckte sich aus und schleuderte die Taschen über den Dachfirst außer Sicht. Mit einem leisen Rascheln blieben sie in einem Baum hängen. Er betete, daß der Mann in andere Sachen zu vertieft gewesen war, um es zu bemerken. Dann fiel er auf den Boden. Die harte, kalte Schnauze eines Revolvers rammte sich in seinen Bauch. Indio grinste ihn an, griff unter seinen braunen Poncho und entriß ihm die Pistole. »Senor, Senor«, sagte der Bandit sanft und schüttelte den Kopf, »du machst anderen Leuten so viel Kummer mit deinen albernen Mondscheinaktionen.« Über ihnen knarrte es leise, und die polierten Stiefel Colonel Douglas Mortimers wurden sichtbar. Voller spöttischer Höflichkeit setzte Indio seine freie Hand unter seinen Absatz und half ihm zur Erde. Er riß die lange Pistole aus dem Gehrock heraus und wich zurück. »Wollen Sie mir bitte in den Hof folgen, Senores? Wir veranstalten heute anläßlich unseres großen Erfolges eine kleine fiesta — und Ihr beide sollt dabei die Ehrengäste sein.«
12 Indios Geschrei lockte eine taumelnde und schlaftrunkene Bande herbei. Aus verklebten Augen starrten sie auf die beiden Gefangen. »Liebe Freunde«, sagte Indio, »erlaubt mir, euch zwei Kopfgeldkiller am Ende ihrer Karriere vorzustellen. Paßt gut auf sie auf, aber tut ihnen nichts zuleide; ich werde derweil nachforschen, welche Missetaten sie möglicherweise begangen haben. Nino, komm mit.« Fast im Laufschritt eilte Indio zu seiner >Stahlkammer