Windenergie 2., vollst¨andig neu bearbeitete Auflage
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Windenergie 2., vollst¨andig neu bearbeitete Auflage
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Lorenz Jarass Gustav M. Obermair Wilfried Voigt
Windenergie Zuverl¨assige Integration in die Energieversorgung 2., vollst¨andig neu bearbeitete Auflage
2123
Prof. Dr. Lorenz Jarass Rhein-Main-University Wiesbaden Dudenstr. 33 65193 Wiesbaden www.JARASS.com Prof. Dr. Gustav M. Obermair Riverside Plot 124 P.O. Box 8141 Swakopmund, Namibia Wilfried Voigt Brückenstr. 29 24148 Kiel
ISBN 978-3-540-85252-0
e-ISBN 978-3-540-85253-7
DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1980, 2009 ¨ Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort
Im Jahr 1981 erschien im Springer-Verlag unser erstes Buch „Windenergie“ als Ergebnis eines f¨ur die Internationale Energieagentur durchgef¨uhrten Forschungsvorhabens. Um zum einen die Kontinuit¨at der Fragestellungen, zum anderen aber auch den seither erreichten technischen Fortschritt und die inzwischen verwirklichten Erwartungen zu verdeutlichen, sei hier aus dem damaligen Vorwort zitiert: „Die Kraft und die Launen der Winde sind in die Mythen der Menschheit ebenso eingegangen wie in die Geschichte der Technik: launische G¨otter, Sinnbild von Wechselhaftigkeit und Dauer zugleich. Und doch: nach jedem Scheitern diese Kr¨afte erneut listenreich zu z¨ahmen, im B¨undnis mit der Natur der Natur zu widerstehen, das macht den Odysseus aus, Inbegriff des Menschen, der nicht nur duldet, sondern auch handelt. Erst mit der Erschließung der u¨ ppigen fossilen Energietr¨ager in der industriellen Revolution werden f¨ur fast zwei Jahrhunderte die Windkr¨afte aus dem Blickfeld verdr¨angt. Doch heute, da die prinzipielle Begrenztheit fossiler Rohstoffe erstmals weltweit bewusst wird, da bei fossilen wie bei nuklearen Energietr¨agern die Umweltbelastung durch Immissionen und Abw¨arme wachsenden Widerstand hervorruft, steht die Frage nach unersch¨opflichen und „sauberen“ Energiequellen wieder im Vordergrund des Interesses; beide Merkmale, Unersch¨opflichkeit und ein vergleichsweise geringes o¨ kologisches Belastungspotenzial, kommen dem Wind gewiss zu. Bleibt die alte Frage nach der Kraft und den Launen der Windg¨otter, nach der Gr¨oße des Windangebots und nach seiner Zuverl¨assigkeit; technisch gesprochen: nach dem nat¨urlichen und dem technisch und wirtschaftlich nutzbaren Potenzial der Windenergie in einem bestimmten Land, nach einem m¨oglichen Ausgleich der Schwankungen dieses Angebots durch technische und organisatorische Maßnahmen, nach der Konkurrenzf¨ahigkeit und dem volkswirtschaftlichen Wert der Energiequelle Wind.“ Weiter heißt es im Vorwort vor 28 Jahren: . . . es werden „Fragen der folgenden Art behandelt: – An welchen Standorten, im Wesentlichen wohl im norddeutschen K¨ustenbereich, besteht u¨ berhaupt Aussicht auf wirtschaftlich tragbare Stromerzeugung aus Windenergie? Was l¨asst sich u¨ ber Standorte im Landesinneren aussagen? v
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Vorwort
– Welches Gesamtpotenzial der Stromerzeugung aus Wind ist damit f¨ur die Bundesrepublik absch¨atzbar? – Wie ist der Realzeitverlauf der Gesamtwindenergieerzeugung eines u¨ ber die genannte Region verteilten Verbunds von Windturbinen u¨ ber viele Jahre? Welche Schwankungen, Ausfallzeiten etc. der Produktion ergeben sich? – Lassen sich durch entsprechende regionale und lokale Verteilungen der einzelnen Windturbinen Verbesserungen dieser Windenergieangebotsstruktur hinsichtlich geografischer Dichte der Energieerzeugung einerseits, hinsichtlich verbessertem Ausgleich von Schwankungen andererseits erzielen? – Welches ist der Effekt einer Einspeisung dieses in seinem Realzeitverlauf bekannten Angebots in das westdeutsche Verbundsystem? Welcher Kapazit¨atseffekt, d. h. welche Substitutionsm¨oglichkeit von konventionellen Kraftwerken, ergibt sich? Welche Brennstoffeinsparung ergibt sich?“ Soweit zum Vorwort unseres 1981 ver¨offentlichten Buches „Windenergie“. Die Liste der dort aufgeworfenen Fragen ist erstaunlich aktuell, auch wenn damals noch niemand an Offshore-Windenergieanlagen und an eine Stromb¨orse dachte. Die Dimensionen des damals von L. Jarass mit 3 MW installierter Leistung und 100 m Rotordurchmesser mitentworfenen GROWIAN wurden nach 25 Jahren intensiver technischer Entwicklung im Jahr 2005 wieder erreicht, diesmal aber mit Betriebszeiten von (hoffentlich) vielen Jahren, nicht – wie bei GROWIAN – von nur wenigen Stunden. ¨ Uberraschend viele Ergebnisse des damaligen (noch mit Lochkartentechnologie ausgewerteten) Simulationsmodells zur Integration von Windenergie in die Stromversorgung wurden durch Untersuchungen der letzten Jahre best¨atigt, insbesondere zur H¨ohe und Art der Brennstoffeinsparung, zur Problematik von reinen Windenergiespeichern und zur unabdingbaren Notwendigkeit der Einbindung der Windenergie in das gesamte Stromversorgungssystem. Noch nicht absehbar war damals offenbar die Kontroverse um den Umfang und die Kosten des erforderlichen Ausbaus des Stromnetzes. Seither gibt es wachsenden Widerstand in der Bev¨olkerung gegen weitere Eingriffe in Natur und Landschaft, nicht nur durch die in manchen Regionen bis zum Horizont reichenden Reihen von Windturbinen, mehr noch durch lange neue Hoch- und H¨ochstspannungsleitungen, ¨ die – jedenfalls nach Angaben der Netzbetreiber – zur Ubertragung von Windenergie zu den Verbrauchszentren erforderlich sind, eines der Probleme, die in diesem Buch ausf¨uhrlich behandelt werden. Die Entwicklung der Windenergienutzung in Deutschland gilt weltweit als Erfolgsgeschichte. Bei der Darstellung der entscheidenden Faktoren und erforderlichen Rahmenbedingungen f¨ur diese positive Entwicklung konnten wir auf die umfangreichen Kenntnisse und Erfahrungen von W. Voigt zur¨uckgreifen, der als zust¨andiger Staatssekret¨ar in Schleswig-Holstein von 1996 bis 2005 die Entwicklung auf allen Ebenen konkret mit vorangetrieben und gestaltet hat. In diesem Buch wird verdeutlicht, dass die bisherige und auch die parteipolitisch einvernehmlich beschlossene weitere Entwicklung der Windenergie keine Selbstverst¨andlichkeit ist, sondern oftmals durch massive Interessenkonflikte
Vorwort
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gepr¨agt wurde und wird. Dies zeigt sich auch bei anderen zentralen Themen dieses Buches: • die f¨uhrende Rolle der Windenergie bei der Erreichung der Klimaschutzziele und einer verringerten Abh¨angigkeit von fossilen und nuklearen Energietr¨agern; • die technische und o¨ konomische Optimierung der Windenergieanlagen und der ben¨otigten Strom¨ubertragungssysteme auf der Grundlage von bew¨ahrten Optimierungsverfahren; • der notwendige Umbau des gesamten Kraftwerkssystems, in dem hohe Anteile stark schwankender erneuerbarer Energie mit rasch regelbaren Reservekraftwerken zusammenwirken m¨ussen. Die Ergebnisse einer dazu f¨ur das Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durchgef¨uhrten Untersuchung zur wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Netzausbaus f¨ur Windenergie sowie eine Reihe von weiteren von uns vorgelegten wissenschaftlichen Gutachten und Ver¨offentlichungen werden im vorgelegten Buch entsprechend ber¨ucksichtigt. Ebenfalls neu und in den n¨achsten Jahren sicher im Vordergrund stehend sind die hier behandelten technischen und wirtschaftlichen Probleme der Offshore-Windenergie, deren L¨osung Voraussetzung f¨ur den Aufbau großer Windparks in den k¨ustenfernen Gebieten der Nord- und Ostsee bilden. Bei den anstehenden strukturellen Umw¨alzungen von Energieumwandlung (massiver Windenergiezubau) und Energieverteilung (Stromnetze) ist die gesamtwirtschaftliche Kostenoptimierung von besonderer Bedeutung. Die Einspeisung von Windenergie, von anderen erneuerbaren Energien sowie von Kraft-W¨arme-Kopplung erlaubt eine Nutzung von schwer regelbaren Grundlastkraftwerken in immer weniger F¨allen, deshalb sinken deren Volllaststunden weit unter 5.000 pro Jahr ab. Damit sind zuk¨unftig neue Grundlastkraftwerke nicht mehr wirtschaftlich betreibbar, weil sie ihre Zins- und Tilgungszahlungen nicht mehr erwirtschaften k¨onnen. F¨ur die (v. a. auf Kohlebasis) geplanten neuen, nicht regelbaren Grundlastkraftwerke gibt es deshalb keine wirtschaftliche Zukunft. Insgesamt zeichnet sich derzeit f¨ur die Integration der Windenergie in die Energieversorgung eine positive Entwicklung ab: Der ordnungspolitische Rahmen, der durch nationales Recht (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Atomausstiegsgesetz) und europ¨aische Richtlinien (Stromrichtlinie, CO2 -Abgaben) gesetzt ist, wird den skizzierten Umbau des gesamten Systems der Stromerzeugung und -verteilung aufgrund der Marktkr¨afte vorantreiben. Wir bedanken uns bei MR U. Paschedag und T. Falk, beide BMU, Berlin, sowie bei Dr. J. Nitsch, DLR Stuttgart, und Prof. H. Brakelmann, Universit¨at DuisburgEssen, f¨ur die Unterst¨utzung unserer Arbeiten; bei Prof. D. Schulz f¨ur die Durchsicht der Abschnitte zu thermischen Kraftwerken; bei stud. jur. L. Jarass f¨ur die Mithilfe bei der Erstellung von Tabellen und Grafiken und bei Dipl. Volkswirtin A. Jarass f¨ur die Lektorierung des Buches. 21. Oktober 2008
L. Jarass, Wiesbaden G. M. Obermair, Swakopmund/Namibia W. Voigt, Kiel
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Inhalt
¨ Uberblick und Einfuhrung ......................................... ¨
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1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze 1.1 Probleme fossiler Energietr¨ager: abnehmende Ressourcen, zunehmende politische Abh¨angigkeit, Klimawandel . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Energiepreisentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Abh¨angigkeit und Erpressbarkeit Europas . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ziele und Maßnahmen zur L¨osung des Klimaproblems . . . . . . . . . . 1.2.1 Effizienzsteigerungen und Einsparungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Erneuerbare und nachwachsende Energie . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Nukleare Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Kohlendioxid-R¨uckhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Leitszenarien f¨ur zuk¨unftige Energiestrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Wie sind die Aussichten, die Energie- und Klimaziele zu erreichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Regenerative Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 . . . .
1 1 3 5 6 7 8 9 11 12 12 14 16
¨ Teil I Grundlagen der Erzeugung und Ubertragung von Windenergie 2
Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung . . . . . . 2.1 Globale und lokale Luftzirkulation in der Atmosph¨are – Klima und Wetter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Regul¨are und chaotische Str¨omung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Wind und Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Umwandlung Stufe 1: Von der Luftstr¨omung zur Drehung der Turbinenwelle . . . . . 2.2.2 Umwandlung Stufe 2: Von der Turbine bis zum Drehstromausgang einer Windenergieanlage: die Leistungskennlinie . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Regelung und Netzeinspeisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24 27 28 28
31 37 ix
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Inhalt
Wind als stochastische Energiequelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Statistische Beschreibung von Windgeschwindigkeiten . . . . . . . . . . 3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort . . . . . . . . . . . 3.2.1 Leistung-Dauer-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Jahresenergieproduktion und Volllaststunden . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Theoretisch versus tats¨achlich zu erwartende Volllaststunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Extreme zeitliche Schwankungen der Windgeschwindigkeit . . . . . . 3.3.1 Einzelanlage versus Windpark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Energieproduktion aller deutschen Windkraftwerke . . . . . . . Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Stromnetze und Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 4.1.1 Trennung von Stromerzeugung, Ubertragungsnetzbetrieb und Stromverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Ausbau der Stromnetze erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 4.2 Ubertragungsleistung und Versorgungssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zuverl¨assige Versorgung von Stromverbrauchern: das (n-1)-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 4.2.2 Ubertragung von Windenergie durch ein vermaschtes System: modifiziertes (n-1)-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Anschluss von Windparks an das H¨ochstspannungsnetz . . . . ¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Erh¨ohung von Versorgungssicherheit und ¨ Ubertragungsleistung ohne Netzneubau: Leitungsmonitoring und Hochtemperaturseile . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Netzneubau: Freileitung versus Erdkabel . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Netzanbindung der Offshore-Windparks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 4.4.1 Ubernahme der Netzanbindung durch die ¨ Ubertragungsnetzbetreiber ............................ 4.4.2 Umsetzung der Offshore-Netzanbindung in der Nordsee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Netzintegration der Windenergie in Europa – Europ¨aisches Offshore-Supergrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 44 44 49 50 52 53 54
57 57 58 59 61 61 64 65 67
68 75 81 81 82 84
Teil II Windenergieausbau 5
Systematische Berucksichtigung von externen Kosten: ¨ Erneuerbare-Energien-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Ber¨ucksichtigung der externen Kosten der konventionellen Stromerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 F¨orderung der erneuerbaren Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93 93 95
Inhalt
xi
5.1.2
5.2
5.3
5.4
6
Zum Charakter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Rolle der F¨orderinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Stromeinspeisungsgesetz 1991 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000/2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das Stromeinspeisungsgesetz 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Der EEG-Erfahrungsbericht von November 2007 . . . . . . . . . 5.3.2 Erneuerbare Energien verringern die B¨orsen-Strompreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 5.3.3 Anderungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuk¨unftige Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 5.4.1 Reine B¨orsenverg¨utung verhindert Zubau von Windenergieanlagen – Beispiel D¨anemark . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Eigenvermarktung der Windenergie durch die Windm¨uller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Vermarktung des EEG-Stroms durch den ¨ Ubertragungsnetzbetreiber ............................ ¨ 5.4.4 Ubergang von der EEG-Mindestverg¨utung zur Stromb¨orse risikoreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Windenergieausbau onshore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Eignungsfl¨achen und Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . 6.1.2 Planungserlasse und Fl¨achenoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Windenergieausbau offshore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Genehmigungsverfahren des Bundesamtes f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Eignungsgebiete und Raumordnung in der ausschließlichen Wirtschaftszone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Stromnetzausbau und Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Gesetzliche Vorgaben zur Verkabelung von H¨ochstspannungsleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Leitlinien f¨ur transeurop¨aische Energienetze 2007 . . . . . . . . 6.3.3 Energieleitungsausbaugesetz 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Fallbeispiel Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Praxiserfahrungen im Windland Schleswig-Holstein . . . . . . 6.4.2 Handlungsfeld Repowering oder aus weniger wird mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Handlungsfeld Offshore-Windenergie oder der Weg aufs Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Handlungsfeld Stromnetze oder die Ert¨uchtigung der Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 98 98 99 100 101 101 103 104 105 105 106 107 108 113 113 114 115 119 119 122 124 124 126 126 127 127 130 131 132
xii
7
Inhalt
Windenergie in Deutschland, Europa und weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Windenergie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Ausbauplanung der deutschen Bundesregierung bis 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Windenergieproduktion und Stromverbrauch . . . . . . . . . . . . 7.2 Zuk¨unftige Offshore-Windenergie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Die Entwicklung der Offshore-Windenergie . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Genehmigte Offshore-Windkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Probleme beim Offshore-Windenergieausbau . . . . . . . . . . . . 7.3 Windenergie in Europa und weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Windenergie in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Windenergie weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 135 135 139 139 140 144 146 149 149 151
Teil III Optimierung des Windenergieausbaus 8
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Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Nutzen und Kosten der Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Nutzen der Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Kosten der Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Monet¨are Bewertung von Nutzen und Kosten der Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Abgeltung des volkswirtschaftlichen Nutzens durch die EEG-Mindesteinspeiseverg¨utung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Grenznutzen und Grenzkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Grenznutzenkurve einer zeitlich fluktuierenden Quelle wie der Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Monetarisierung des Nutzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Prinzip der Erstellung einer Dauer-Leistung-Kurve . . . . . . . 8.3.3 Dauer-Leistung-Kurve und GrenznutzenLeistung-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Anwendung der Grenznutzenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Optimierung von Windenergieanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung . . . . 9.2 Kosten der Onshore-Windkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Kostenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Sinkende Stromerzeugungskosten der Windenergie bis 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Steigende Stromerzeugungskosten der Windenergie seit 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Kosten der Offshore-Windkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Optimierung statt Maximierung des Windenergieausbaus . . . . . . . . . 9.4.1 Optimierung der installierten Leistung pro Rotorfl¨ache . . . . 9.4.2 Verringerung der Windleistungsspitzen . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157 157 160 161 162 162 167 167 168 170 173 175 175 179 179 181 182 183 187 188 191
Inhalt
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¨ 10 Optimierung der Ubertragung von Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 10.1 Wirtschaftliche Zumutbarkeit als Begrenzung f¨ur Netzausbau . . . . . 195 10.1.1 Drei verschiedene Standardf¨alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 ¨ 10.1.2 Optimierung der Erh¨ohung der Ubertragungsleistung . . . . . 197 10.1.3 Wirtschaftliche Zumutbarkeit als Verh¨altnism¨aßigkeit von volkswirtschaftlichen Nutzen und Kosten . . . . . . . . . . . . 198 10.1.4 Richtgr¨oßen f¨ur Netzausbau und f¨ur dynamische Begrenzung von kurzzeitigen Erzeugungsspitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 10.1.5 Faustregeln f¨ur wirtschaftliche Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . 200 10.2 Objektive Bestimmung des wirtschaftlich zumutbaren Netzausbaus 202 10.2.1 Bestimmung des Grenznutzens einer Erh¨ohung der ¨ Ubertragungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10.2.2 Bestimmung der Grenzkosten einer Erh¨ohung der ¨ Ubertragungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ¨ 10.2.3 Optimierung der Erh¨ohung der Ubertragungsleistung . . . . . 204 10.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 10.3.1 Fallbeispiel 1: 110-kV-Anbindung von Windparks . . . . . . . . 209 10.3.2 Fallbeispiel 2: Netzanbindung von Offshore-Windenergieanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 10.3.3 Fallbeispiel 3: 380-kV-Fernleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 10.3.4 Exkurs: dena-Netzstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Teil IV Optimierung des gesamten Kraftwerkssystems bei hohen Windenergieanteilen 11 Struktur und Entwicklung des Kraftwerksparks: Zielvorgaben und Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Bisheriges System von Stromnachfrage, Stromerzeugung und Strom¨ubertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Gesetzliches Grundprinzip: Jederzeitige Deckung der Stromnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Ausgangssituation: Installierte Leistung und Stromerzeugung 1997, 2002 und 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Strom¨ubertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Kraftwerkseinsatzplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Grundlast, Mittellast, Spitzenlast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 11.2.2 Anderungen durch die Windenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Exkurs: Kraftwerkseinsatzplanung und Preisbildung an der Stromb¨orse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Zielvorgaben der Bundesregierung f¨ur die deutsche Kraftwerksstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Zuk¨unftiges Kraftwerkssystem in der Diskussion . . . . . . . . . 11.3.2 Eckpunkte f¨ur ein integriertes Energie- und Klimaschutzprogramm der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . .
231 231 231 234 235 236 236 238 239 241 241 242
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Inhalt
11.3.3 Monitoring-Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Ausgew¨ahlte Szenarien der zuk¨unftigen Kraftwerksstruktur . . . . . . . 11.4.1 dena-Kurzanalyse 2008 und ihre Bewertung . . . . . . . . . . . . . ¨ 11.4.2 Arrhenius-Institut und Oko-Institut: Klimaschutz und Stromwirtschaft 2020/2030 . . . . . . . . . . . . 11.4.3 Greenpeace: Nationales Energiekonzept bis 2020 . . . . . . . . . 11.4.4 Schlussfolgerungen aus den Studien zur zuk¨unftigen Kraftwerksentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Entwicklung des Kraftwerkssystems bei uber ¨ 50 GW Windleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Ausgleich von Stromangebot und Stromnachfrage bei hohen Windenergieanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Schwankungen von Stromangebot und von Stromnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Ausgleich von Stromangebot und von Stromnachfrage . . . . 12.1.3 Speicher f¨ur elektrische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Ausgleich von Windenergieschwankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Ausgleich von Windenergieschwankungen bis zu einigen Stunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Ausgleich l¨angerer Windflauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Nachfragedeckung bei hohem Windenergieanteil . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Anteil der Windenergieeinspeisung an der Stromnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Restnachfrage, die f¨ur konventionelle Kraftwerke verbleibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Windenergieanlagen versus Grundlastkraftwerke: ein Entweder-Oder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Mit wachsender Windenergieeinspeisung deutlich abnehmende Benutzungsdauer der Grundlastkraftwerke . . . 12.4.2 Bei hoher Windenergieeinspeisung neue Grundlastkraftwerke nicht mehr wirtschaftlich betreibbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
244 244 245 247 247 251 255 255 256 256 257 259 259 262 265 266 269 272 272
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Liste der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Liste der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Liste der K¨asten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
¨ Uberblick und Einfuhrung ¨
¨ Der folgende Uberblick ist nach den Kapiteln des Buchs geordnet: (1) Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze Schon vor einigen Jahren schlug Lord Browne, der damalige Chef des Konzerns „British Petroleum“, als neue Fassung f¨ur den weltbekannten Kurznamen BP den Namen „Beyond Petroleum“ vor. Damit hat er in zwei W¨ortern eines der vordringlichsten Ziele benannt, das von der Weltwirtschaft bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erreicht werden sollte: eine drastische Verringerung des Einsatzes fossiler Energietr¨ager und der damit verbundenen Emission des Treibhausgases Kohlendioxid. In der Europ¨aischen Union gibt es feste Vereinbarungen, in einem ersten Schritt bis 2020 den Ausstoß der klimasch¨adlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um mindestens ein F¨unftel zu verringern. Dabei ist eine vermehrte Substitution fossiler durch nukleare Energie weltweit umstritten, in Deutschland politisch negativ entschieden; Kernfusion steht, wenn u¨ berhaupt, erst in 50 Jahren zur Diskussion. Die CO2 -R¨uckhaltung und Einlagerung in tiefe Schichten ist wohl grunds¨atzlich m¨oglich, aber technisch unerprobt. So wird neben drastischen Verbesserungen der Energieeffizienz v. a. eine rasche und weitgehende Substitution fossiler durch erneuerbare Energie als realistischer Weg beschritten: Der Anteil von Energie aus Sonne, Wasser, Wind und Biomasse am gesamten Prim¨arenergieeinsatz soll bis 2020 in der Europ¨aischen Union auf mindestens 20% erh¨oht werden, Deutschland soll seinen Anteil von 6,6% in 2007 auf 18% in 2020 erh¨ohen. Bei der Stromerzeugung hat Deutschland diesen Anteil von 18% erneuerbarer Energie schon 2007 erreicht, bis 2020 soll hier knapp ein Drittel erreicht werden, bis 2050 drei Viertel, v. a. durch Offshore-Windenergie. Damit ¨ entsteht ein zus¨atzlicher Ubertragungsbedarf im Hoch- und H¨ochstspannungsnetz.
(2) Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung Wie fast alle auf der Erde verf¨ugbaren Energieformen ist auch Windenergie eine abgeleitete Form von Sonnenenergie. Die unterschiedliche Erw¨armung der xv
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Erdatmosph¨are durch die Einstrahlung der Sonne auf verschiedene Gebiete der Erdoberfl¨ache f¨uhrt zu Dichte- und Druckunterschieden, die in fluktuierenden Luftstr¨omungen auf allen L¨angen- und Zeitskalen von Metern bis zu Tausenden von Kilometern und von Sekunden bis zu Wochen und Monaten ihren Ausgleich suchen. Das Leistungsangebot des Windes steigt mit der dritten Potenz der momentanen Windgeschwindigkeit. Tats¨achlich l¨auft eine große Windenergieanlage erst bei 3 bis 5 m/s an, erreicht dann Nennleistung bei 12 bis 14 m/s und wird bei etwa 25 m/s sturmabgeschaltet. Dabei wird maximal eine elektrische Energieausbeute von vier F¨unftel des theoretischen H¨ochstwerts einer idealen Windenergieanlage realisiert. Der tats¨achliche Jahresenergieertrag an einem Standort steigt etwa mit dem Quadrat des dort gegebenen Jahresmittelwerts der Windgeschwindigkeit. Op¨ timierung des Energieertrags und Vermeidung von Uberlastung werden bei großen Anlagen durch eine der jeweiligen Windgeschwindigkeit entsprechende Einstellung des Anstellwinkels der Rotorbl¨atter erreicht. (3) Wind als stochastische Energiequelle Die Windst¨arke und damit die m¨ogliche Windenergieproduktion in Nordwesteuropa zeigt einen irregul¨aren zeitlichen Verlauf mit sehr großen und raschen Fluktuationen, der durch statistische Gr¨oßen wie H¨aufigkeitsdichten, Verteilungsfunktionen oder „Leistung-Dauer-Kurven“ charakterisiert werden kann. Wenn man die Leistung-Dauer-Kurve einer gegebenen Anlage in einer Standortregion bestimmt hat, so ist die dort erzielbare Jahresenergieproduktion gleich der Fl¨ache unter dieser Kurve. Teilt man diese Jahresenergieproduktion durch die installierte Generatornennleistung, so erh¨alt man die „Volllaststundenzahl“. Sie betr¨agt f¨ur gr¨oßere Anlagen auf dem heutigen Stand der Technik im Binnenland rund 1.500 Stunden, an der K¨uste rund 2.000 Stunden, offshore k¨onnten 4.000 Stunden erreicht werden; eine Erh¨ohung der T¨urme auf 150 m k¨onnte im Binnenland Werte von u¨ ber 2.000 Stunden erbringen. Beim realen Zeitverlauf der Stromerzeugung eines großen Windparks, einer ganzen Region oder aller Windenergieanlagen in Deutschland zeigt sich gegen¨uber einer Einzelanlage eine deutliche Gl¨attung der starken Fluktuationen im Minutenund Stundenbereich. Doch auch im deutschlandweiten oder sogar nordwesteuropaweiten Verbund wirken sich großr¨aumiger Schwachwind und Flauten u¨ ber Tage und in seltenen F¨allen u¨ ber Wochen auf den Energieertrag aus und m¨ussen durch Regel- und Reservekraftwerke ausgeglichen werden. (4) Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung ¨ Bei der Ubertragung von elektrischer Energie aus Wind kann man die Entsorgungssicherheit im o¨ ffentlichen Netz sehr viel kleiner halten als die Versorgungssicherheit der Stromverbraucher, weil man die Einspeisung der Windenergieanlagen im Netzst¨orfall kurzfristig zur¨uckregeln kann im Gegensatz zur Nachfrage der
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¨ Stromverbraucher. Bei einer windbedingten Erh¨ohung der Ubertragungsleistung des Netzes ist nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Leitungsneubau nur dann wirtschaftlich zumutbar, wenn die kosteng¨unstigeren L¨osungen Netzoptimierung (z. B. durch Temperaturmonitoring) und Netzverst¨arkung (z. B. durch Hochtemperaturseile) nicht ausreichen. Bei einem Neubau von 110-kV-Hochspannungsleitungen sind grunds¨atzlich Erdkabel gegen¨uber Freileitungen zu bevorzugen, weil sie schneller realisierbar sind, geringere Umweltbelastungen verursachen und nicht nennenswert teurer sind. Insgesamt liegen die windenergiebedingten Netzausbaukosten auch f¨ur die H¨ochstspannungsfern¨ubertragung onshore im Bereich von 10% der Investitionskosten der Windenergieanlagen. Mittelfristig ist allerdings ein aufw¨andiges großr¨aumiges Verbundnetz erforderlich, das insbesondere die neuen OffshoreWindparks der Nordsee-Anrainerstaaten untereinander und mit den Verbrauchsschwerpunkten verbindet. (5) Systematische Berucksichtigung von externen Kosten: ¨ Erneuerbare-Energien-Gesetz Das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinen Kernregelungen der festen Einspeiseverg¨utungen und der Abnahmeverpflichtung des erzeugten Stromes ist o¨ konomischer Garant f¨ur den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Angesichts der Verh¨altnisse in der deutschen Stromwirtschaft mit dem massiven Angebotsdruck eines oligopolistisch organisierten und weitgehend abgeschriebenen Großkraftwerksparks war und ist dieser Ansatz des Gesetzgebers ohne ernsthafte Alternative. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat sich mittlerweile zum Exportschlager entwickelt, a¨ hnliche Gesetze wurden in vielen L¨andern eingef¨uhrt, die ebenfalls den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Die garantierte Einspeiseverg¨utung f¨ur Windenergie liegt schon heute deutlich unter den dadurch vermiedenen volkswirtschaftlichen Kosten fossiler Energieerzeugung, in denen neben den weiter steigenden Brennstoffkosten v. a. die externen Kosten durch CO2 - und Schadstoffemissionen bewertet werden m¨ussen. Der ge¨ plante Ubergang von fester Einspeiseverg¨utung und Abnahmeverpflichtung hin zum Verkauf der Windenergie an der Stromb¨orse ist ebenso risikoreich wie die Einf¨uhrung eines Quotensystems: Eine reine B¨orsenverg¨utung w¨urde Windenergie im Mittel weit unter ihrem gesamtwirtschaftlichen Nutzen verg¨uten und zuk¨unftig den Zubau von Windenergieanlagen unwirtschaftlich machen, wie das Beispiel D¨anemark zeigt. (6) Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren Die auch im weltweiten Vergleich beeindruckende Windenergieentwicklung in Deutschland war nur m¨oglich durch zielf¨uhrende Rechtsnormensetzung, gerade auch im Bereich der Genehmigungsverfahren und der Fl¨achenausweisungen. Die rapide Entwicklung des Onshore-Windenergieausbaus mit rund 24 GW installierter Leistung Ende 2008 zeigt dies ebenso wie der Offshore-Windenergieausbau,
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der nach aufw¨andigem Genehmigungsverfahren f¨ur die ersten 8 GW seit 2009 anl¨auft. Verschiedenste Interessengegens¨atze wurden soweit u¨ berwunden, dass der Rechtsrahmen auch f¨ur den windenergiebedingten Ausbau der Stromnetze und f¨ur die kostenaufw¨andige Offshore-Netzanbindung mittels H¨ochstspannungsseekabeln geschaffen werden konnte. Die so erreichbaren positiven Gesamtwirkungen des Ausbaus der Windenergie belegt nicht zuletzt die wirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein, dem Pionierland der Windenergie.
(7) Windenergie in Deutschland, Europa und weltweit Die Windenergie ist in Deutschland, Europa und weltweit der erneuerbare Energietr¨ager, der die mit Abstand gr¨oßte Ausbaudynamik aufweist. Die deutschen Ausbauplanungen k¨onnen bis zum Jahr 2030 zur Installation von bis zu 60 GW installierter Leistung f¨uhren. Dieses setzt sowohl die Fortschreibung und Weiterentwicklung geeigneter Rahmenbedingungen als auch die L¨osung teilweise noch anstehender Probleme, v.a. bei der Offshore-Windenergie, voraus. Auch andere europ¨aische L¨ander, wie z. B. Spanien oder Großbritannien, verfolgen ehrgeizige Windausbaupl¨ane – onshore wie offshore. Die weltweite Dynamik nimmt ebenfalls zu, was die Entwicklung in großen Schwellenl¨andern wie China und Indien ebenso zeigt wie die j¨ungere Entwicklung in den USA und Kanada. Die Windenergienutzung entwickelt sich so zu einem zentralen Eckpfeiler klimaschonender Stromversorgung und kann als eines der positiveren Beispiele globaler Entwicklung gelten.
(8) Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten Ein Investor oder eine ganze Gesellschaft wird sich f¨ur den Einsatz einer bestimmten Technik entscheiden, wenn der damit erzielbare Nutzen h¨oher ist als die daf¨ur zu erbringenden Kosten. Dar¨uber hinaus muss die Rendite der Investition, also das Verh¨altnis von Nettoertrag zu Kapitaleinsatz, nicht nur positiv sein, sondern mindestens so hoch wie die f¨ur Investitionen mit vergleichbarem Risiko erzielbare typische Rendite. F¨ur Investitionen in Windenergie werden Kosten und Nutzen abgesch¨atzt. Ist die Rendite der Investition grunds¨atzlich ausreichend, so bleibt die Frage, wie hoch die Investition gew¨ahlt werden soll. Hier gibt es im Allgemeinen ein Optimum, da die Anlagengr¨oße h¨aufig aus technischen Gr¨unden und wegen Platzbedarf nicht ¨ beliebig erh¨oht werden kann oder bei einem Uberangebot des nutzenbringenden Gutes der Ertrag pro St¨uck wieder abnimmt. Mit Hilfe der Grenznutzen-GrenzkostenMethode kann das Optimum ermittelt werden. Es resultiert daraus ein neues und f¨ur die Integration der Windenergie wesentliches Ergebnis: Die Grenznutzenkurve und damit das Optimum von Investitionen in eine zeitlich stark fluktuierende Quelle von Nutzen l¨asst sich direkt aus der „Leistung-Dauer-Kurve“ der Quelle herleiten. Damit l¨asst sich die optimale Nennleistung von Windenergieanlagen oder die optimale ¨ Grenzleistung von windenergiebedingten Ubertragungsleitungen bestimmen.
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(9) Optimierung von Windenergieanlagen Seit 1980 wurden die Windenergieanlagen drastisch vergr¨oßert: Die typischen Turmh¨ohen stiegen von 30 m auf bis zu 120 m, wodurch wesentlich h¨ohere und gleichm¨aßigere Windgeschwindigkeiten genutzt werden k¨onnen. Die installierte Generatornennleistung stieg von rund 30 kW auf mittlerweile bis zu 6.000 kW. Der Rotordurchmesser stieg von rund 15 m auf bis zu 127 m, was die f¨ur die j¨ahrliche Windenergieproduktion entscheidende Rotorkreisfl¨ache von knapp 200 m2 auf u¨ ber 12.000 m2 erh¨ohte. Der j¨ahrliche Energieertrag pro Anlage stieg von etwa 0,035 GWh auf bis zu 20 GWh. Die Stromgestehungskosten konnten so bis 2005 etwa halbiert werden. Seit 2006 steigen allerdings die spezifischen Investitionskosten der Windenergieanlagen wegen der stark gestiegenen Rohstoffpreise und der wachsenden internationalen Nachfrage nach Windenergieanlagen. Es bleibt zudem abzuwarten, ob die offshore mindestens doppelt so hohen Investitionskosten durch die dort deutlich h¨oheren Windertr¨age voll ausgeglichen werden k¨onnen. Windenergie ist in jedem Fall von allen erneuerbaren Energien (mit Ausnahme der Wasserkraft) am kosteng¨unstigsten und lag 2008 bei den einzelwirtschaftlichen Kosten nicht mehr wesentlich u¨ ber dem Niveau neuer thermischer Kraftwerke. Eine Verringerung der spezifischen Fl¨achenleistung (W/m2 ), d. h. kleinerer elektrischer Generator in sonst unver¨anderter Windenergieanlage, verringert die j¨ahrliche Energieerzeugung nur geringf¨ugig, f¨uhrt aber zu einer geringeren mechanischen Belastung der Anlage, einer deutlich h¨oheren Volllaststundenzahl und einer deutlich besseren Prognostizierbarkeit der Windenergieproduktion. ¨ (10) Optimierung der Ubertragung von Windenergie ¨ Die Netzbetreiber sind gesetzlich zur unverz¨uglichen Erh¨ohung der Ubertragungsleistung („Netzausbau“) f¨ur erneuerbare Energien verpflichtet, allerdings nur, soweit dies (volks)wirtschaftlich zumutbar ist. Diese Anweisung zu einer gewissen Beschr¨ankung des windbedingten Netzausbaus dr¨uckt eigentlich nur die wirtschaftliche Selbstverst¨andlichkeit aus, dass f¨ur die wenig Energie erbringenden sehr seltenen kurzen Spitzen der Windleistung keine teure zus¨atzliche ¨ Ubertragungskapazit¨ at von den Stromkunden bezahlt werden muss. Die Auswertung der Grenznutzenkurven zeigt, dass bei einem Netzausbau bis zum volkswirtschaftlichen Optimum deutlich weniger als 1% der m¨oglichen Windenergieerzeugung „ausgesperrt“ werden muss, aber je nach Einzelfall betr¨achtliche ¨ Netzausbaukosten eingespart werden. Uberdies werden die Betreiber der Windenergieanlagen durch die Einspeisebeschr¨ankung nicht schlechter gestellt, da sie ab 2009 voll entsch¨adigt werden. Die Stromkunden werden aber geringer belastet, weil die so vermiedenen Ausbaukosten niedriger sind als die Entsch¨adigungszahlungen. Es werden Richtgr¨oßen f¨ur die jeweils gesamtwirtschaftlich optimale Erh¨ohung ¨ der Ubertragungsleistung bestimmt und zwar f¨ur die Anbindung von OnshoreWindparks, von Offshore-Windparks und f¨ur eine großr¨aumige Nord-S¨ud¨ Ubertragung.
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(11) Struktur und Entwicklung des Kraftwerksparks: Zielvorgaben und Szenarien Bis etwa 2000 bestand in Deutschland eine Dominanz von Großkraftwerken auf Kohle- und Uranbasis. Diese Grundlastkraftwerke machten zwei Drittel der installierten Leistung aus und lieferten mehr als vier F¨unftel der elektrischen Energie. Die von der Bundesregierung vorgegebenen, großteils gesetzlich festgeschriebenen Ziele des Klimaschutzes und einer verringerten Abh¨angigkeit von fossilen und nuklearen Brennstoffen sehen schon f¨ur die n¨achsten 20 Jahre schrittweise einen drastischen Wandel vor: Bis 2023 soll das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet sein, Erzeuger erneuerbarer Energien sollen bis 2025 50% der installierten Generatorleistung ausmachen (davon wiederum die H¨alfte Windenergie), in 2050 u¨ ber 80%, weitere 15% sollen dann auf dezentrale Kraft-W¨arme-Kopplung entfallen. Diesen v.a. von den konventionellen Stromversorgern angezweifelten Projektionen wird in zahlreichen Untersuchungen unabh¨angiger Experten Realisierbarkeit attestiert.
(12) Entwicklung des Kraftwerkssystems bei uber 50 GW Windleistung ¨ Im Energieprogramm der Bundesregierung ist eine Erh¨ohung der installierten Leistung von Windenergieanlagen von rund 25 GW in 2008 auf knapp 50 GW in 2025 und bis zu 70 GW in 2040 festgeschrieben. Dadurch wird Zug um Zug eine durch¨ greifende Anderung des gesamten Kraftwerkssystems notwendig. Erforderlich ist v. a. der Ausgleich der raschen und starken Schwankungen des Windenergieangebots durch Nachfrage- und Angebotssteuerung und den Einsatz einer großen Anzahl von kleinen und mittelgroßen rasch regelbaren neuen Reservekraftwerken, zu deren Betrieb neben Erdgas zunehmend auch ins Gasnetz eingespeistes Biogas beitragen kann. Bew¨ahrte und neue Speicher f¨ur elektrische Energie werden dabei eine wachsende Rolle spielen. Erneuerbare Energien k¨onnen zusammen mit dem vorgesehenen hohen Anteil an Kraft-W¨arme-Kopplung schon ab 2025 h¨aufig f¨ur Stunden oder gar Tage ann¨ahernd die gesamte Stromnachfrage in Deutschland abdecken. Insbesondere das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die CO2 -Zertifikate werden daf¨ur sorgen, dass der Markt die notwendige Umwandlung des gesamten Kraftwerkssystems in den n¨achsten 20 Jahren vorantreiben wird. Als Folge dieser notwendigen Entwicklung wird f¨ur große Grundlastkraftwerke nur noch ein sehr geringer Bedarf – etwa zur Frequenzstabilisierung – bestehen. Wegen der daraus resultierenden immer k¨urzeren Nutzungsdauern werden die derzeit geplanten Neubauten von Grundlastkraftwerken unwirtschaftlich und zu großen betriebswirtschaftlichen Verlusten f¨ur die Investoren f¨uhren.
Kapitel 1
Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Schon vor einigen Jahren schlug Lord Browne, der damalige Chef des Konzerns „British Petroleum“, als neue Fassung f¨ur den weltbekannten Kurznamen BP den Namen „Beyond Petroleum“ vor. Damit hat er in zwei W¨ortern eines der vordringlichsten Ziele benannt, das von der Weltwirtschaft bis zur Mitte dieses Jahrhunderts erreicht werden sollte: eine drastische Verringerung des Einsatzes fossiler Energietr¨ager und der damit verbundenen Emission des Treibhausgases Kohlendioxid. In der Europ¨aischen Union gibt es feste Vereinbarungen, in einem ersten Schritt bis 2020 den Ausstoß der klimasch¨adlichen Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um mindestens ein F¨unftel zu verringern. Dabei ist eine vermehrte Substitution fossiler durch nukleare Energie weltweit umstritten, in Deutschland politisch negativ entschieden; Kernfusion steht, wenn u¨ berhaupt, erst in 50 Jahren zur Diskussion. Die CO2 -R¨uckhaltung und Einlagerung in tiefe Schichten ist wohl grunds¨atzlich m¨oglich, aber technisch unerprobt. So wird neben drastischen Verbesserungen der Energieeffizienz v. a. eine rasche und weitgehende Substitution fossiler durch erneuerbare Energie als realistischer Weg beschritten: Der Anteil von Energie aus Sonne, Wasser, Wind und Biomasse am gesamten Prim¨arenergieeinsatz soll bis 2020 in der Europ¨aischen Union auf mindestens 20% erh¨oht werden, Deutschland soll seinen Anteil von 6,6% in 2007 auf 18% in 2020 erh¨ohen. Bei der Stromerzeugung hat Deutschland diesen Anteil von 18% erneuerbarer Energie schon 2007 erreicht, bis 2020 soll hier knapp ein Drittel erreicht werden, bis 2050 drei Viertel, v. a. durch Offshore-Windenergie. Damit ¨ entsteht ein zus¨atzlicher Ubertragungsbedarf im Hoch- und H¨ochstspannungsnetz.
1.1
Probleme fossiler Energietr¨ager: abnehmende Ressourcen, zunehmende politische Abh¨angigkeit, Klimawandel
In den letzten Jahrzehnten hat sich langsam und m¨uhsam gegen m¨achtige Interessen die Einsicht in wachsenden Kreisen der Bev¨olkerung und vieler maßgeblicher Politiker durchgesetzt, dass die Abh¨angigkeit von den fossilen Energietr¨agern wie Kohle, Erd¨ol und Erdgas so schnell wie m¨oglich verringert, l¨angerfristig weitgehend L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 1,
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1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
beendet werden muss. Seit Langem gibt es erhebliche Zweifel, ob ein vermehrter Einsatz von Kernenergie (Abschn. 1.2.3) bei der anstehenden Umwandlung des Energiesystems in Richtung Dezentralisierung, Sparsamkeit und Effizienz sinnvoll und hilfreich w¨are. ¨ Die Uberzeugungsarbeit von Wissenschaftlern, die den bereits erfahrbaren Klimawandel als u¨ berwiegend von Menschen verursachte Bedrohung der Lebensbedingungen aller Lebewesen, auch des Menschen, verdeutlichen konnten, haben schließlich in vielen L¨andern auch politische Mehrheiten, wenngleich noch knapp, f¨ur den erforderlichen Wandel geschaffen. Dazu haben auch angewandte Forschung und die Initiative innovativer Unternehmer bei der Nutzung erneuerbarer Energien erheblich beigetragen. Eine Entkopplung der gesellschaftlichen Wohlfahrt von dem Einsatz der zunehmend knapperen fossilen Ressourcen mit ihren bedrohlichen Folgewirkungen, die Zur¨uckdr¨angung der Kerntechnik, die untrennbar mit friedensbedrohendem milit¨arischen Einsatz verbunden ist (siehe Iran und Nordkorea) und mit ihren ¨ Jahrtausende weiterwirkenden radioaktiven Uberbleibseln unbeherrschbar bleibt: Das sind die Ziele, die eine weltweite intellektuelle Elite fordert und in den letzten Jahren ein St¨uck weit durchsetzen konnte. Das deutsche Erneuerbare-EnergienGesetz, das – trotz einiger wohl erforderlicher Korrekturen – weltweit als vorbildlich gilt, ist ein Ergebnis dieser Anstrengungen und steht als mittlerweile weitgehend unumstrittene Grundlage der weiteren Entwicklung auch im Zentrum dieses Buches. Es geht um drei miteinander eng verbundene Ziele: • Verringerung des menschengemachten Klimawandels als Folge der Immission von CO2 und anderer Treibhausgase; • Verringerung der Auswirkungen eines weiteren drastischen Preisanstiegs bei Erd¨ol und Erdgas, der aufgrund nicht nur kurzfristiger Spekulationen, sondern auch aufgrund einer echten Verknappung von g¨unstig gewinnbaren Ressourcen zu erwarten ist; • Verringerung der politischen Abh¨angigkeit von unberechenbaren Regimen und ¨ und Gasvorkommen politisch instabilen Regionen, in denen ein Großteil der Olliegen. Wer zum Problem des Klimawandels jenseits von Sensationsmeldungen, aber auch unverantwortlichen Beschwichtigungen seri¨ose und verst¨andliche wissenschaftliche Information sucht, der sei auf [Rahmstorf/Schellnhuber 2006] hingewiesen. Hier werden nicht nur die bereits eingetretenen Sch¨aden und die Vorboten weit drastischerer Sch¨aden beschrieben und beziffert, sondern auch die Strategien dargestellt, mit denen in einer sich anbahnenden globalen Zusammenarbeit die Katastrophen im Verlauf der n¨achsten Jahrzehnte zumindest begrenzt werden k¨onnen. Der Zielkatalog und das Maßnahmenb¨undel, die in der Nachfolge der RioKonferenz und des Kyoto-Protokolls von 1997 von internationalen und nationalen Regierungskommissionen entwickelt und schließlich durch den im Februar 2005 in Kraft getretenen Kyoto-Vertrag international verbindlich festgelegt wurden, werden weiter unten genauer dargestellt. Der Einsatz erneuerbarer Energien, nicht zuletzt der Windenergie, wird hier eine wichtige Rolle spielen.
1.1 Probleme fossiler Energietr¨ager
1.1.1
3
Energiepreisentwicklung
Zum Problem des Preisanstiegs von Erd¨ol und Erdgas zun¨achst ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte: In den ersten 30 Jahren nach dem Zweiten ¨ Weltkrieg konnte durch den extrem niedrigen Olpreis und die Erschließung neuer ¨ Olfelder weltweit der tr¨ugerische Eindruck einer unbeschr¨ankten Energief¨ulle entstehen. Damit wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren Folgen noch lange weiterwirken. Sowohl die Konsumgewohnheiten und Konsumerwartungen wie die entsprechenden technischen Standards in Architektur und Bautechnik, in Verkehrswesen und St¨adtebau, in der Technik im weitesten Sinne von Heizsystemen u¨ ber Automobile bis zur Beleuchtung sind bis heute stark von dieser Periode der sorglosen Energieverschwendung gepr¨agt. Der Energieaufwand f¨ur Raumheizung, der heute in Deutschland knapp ein Drittel des Endenergieverbrauchs ausmacht, k¨onnte mehr als halbiert werden, wenn Millionen von Wohnungen und Zehntausende von o¨ ffentlichen Geb¨auden, v. a. aus den 1950er und 1960er Jahren, energietechnisch auf den neuesten Stand gebracht w¨urden. Die Siedlungsstruktur, die sich – ganz von der selbstverst¨andlichen Benutzung des Privatautos durch einen Großteil der Bev¨olkerung gepr¨agt – fast u¨ berall in Westeuropa und erst recht in den USA entwickelt hat, ist hingegen kaum umkehrbar. Die energetischen Folgen k¨onnen auch durch Angebotsverdichtungen im Bereich des ¨ Offentlichen Nahverkehrs nur langsam gemildert werden. Insoweit kommt alternativen Antriebssystemen f¨ur Kraftwagen, die den CO2 -Ausstoß erheblich verringern, eine große Bedeutung zu. ¨ Die Olpreiskrisen der sp¨ateren 1970er Jahre haben zwar erstmals eine Gegenbewegung ausgel¨ost, denn immerhin vervierfachte sich der Roh¨olpreis pro barrel (159 Liter) von knapp 3 US$ in 1973 auf rund 12 US$ in 1974 und stieg dann schlagartig in 1979 auf rund 30 US$, vgl. Abb. 1.1. Doch sank er 1986 schlagartig wieder auf den Wert von 1978 und pendelte dann fast 15 Jahre lang bis 1999 um beruhigende Werte zwischen 10 und 20 US$. Erst seit 2000 gibt es deutlichere Preiserh¨ohungssignale: 2000 stieg der nominale Roh¨olpreis wieder auf gut 25 US$ an, und seit 2004 verdoppelte er sich schließlich bis Ende 2006 auf u¨ ber 60 US$. Ende 2007 erreichte er erstmalig 100 US$, stieg bis Mitte Juli 2008 auf fast 150 US$ an und sank dann wieder auf gut 100 US$. [US$ pro barrel] 120
?
100 80 60 40
Abb. 1.1 Roh¨olpreise 1973–2008 (nach [IEA 2008a, Part I, Tab. 1, S. 4])
20 0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
4
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Die nationalen Energiepreise sind nicht nur von den internationalen Roh¨olpreisen in US$ abh¨angig (Abb. 1.1), sondern auch von den Wechselkurs¨anderungen der nationalen W¨ahrung zum US$, von der nationalen Steuerpolitik, von der nationalen Inflation, also der durchschnittlichen Preissteigerung f¨ur alle G¨uter und Dienstleistungen etc. F¨ur dasVerbraucherverhalten relevant sind diese nationalen Energiepreise f¨ur die Endverbraucher unter Ber¨ucksichtigung der jeweiligen nationalen Inflation. Ein gutes Maß hierf¨ur ist der inflationsbereinigte Preisindex f¨ur Energie. Er wird jeweils berechnet mit den nationalen Preisen und Inflationsraten und gewichtet mit den nationalen Verbrauchsmengen. Abbildung 1.2 zeigt die Energiepreisentwicklung in der OECD, unterschieden in Haushalte und Industrie. Die OECD-L¨ander umfassen Europa inklusive T¨urkei, USA, Kanada, Mexiko, Japan, Korea und Australien. Wird der reale, also preisbereinigte Energiepreis f¨ur das Jahr 2000 auf 100% angesetzt, so ergibt sich folgendes Bild f¨ur die u¨ ber alle OECD-L¨ander und Energietr¨ager gewichtet gemittelten Energiepreise: Bereits 1978 lagen sie erstmals auf dem Niveau von 2000, stiegen dann bis 1981 um u¨ ber ein Drittel auf rund 140%, sanken bis 1985 wieder auf rund 130% ab und fielen dann schlagartig bis 1987 auf rund 100%, das Ausgangsniveau in 1978. Dann sanken sie langsam auf 90% und stiegen erst 2000 wieder auf 100% an. Erst seit 2002/2003 kam es zu drastischen Rohenergiepreiserh¨ohungen, zuerst bei Roh¨ol, vgl. Abb. 1.1, in der Folge auch bei Erdgas und Kohle, so dass der preisbereinigte Energiepreisindex Anfang 2008 wieder fast das H¨ochstniveau von 1982, n¨amlich rund 140% erreicht hat. Vielfach wird mit weiter steigenden Preisen gerechnet, aber auch ein Absinken ist nicht ganz auszuschließen. Die Energiepreise f¨ur die Industrie sind in der OECD in den Hochpreiszeiten etwas st¨arker gestiegen, weil die Haushaltspreise wegen des dort hohen festen Steueranteils am Endverkaufspreis weniger abh¨angig von der allgemeinen Rohenergiepreisentwicklung sind.
Preisindex [%] (Jahr 2000 = 100%) OECD - Haushalte OECD - Industrie
160 140
Abb. 1.2 Energiepreisentwicklung f¨ur Haushalte und f¨ur Industrie, OECD, preisbereinigt, 1978–2008 ([IEA 2008a, Part II, Tab. 2, S. 56/57]; Werte für 2008 sind f¨ur I/2008)
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120 100 80 1978
1983
1988
1993
1998
2003
2008
2013
1.1 Probleme fossiler Energietr¨ager Abb. 1.3 Energiepreisentwicklung f¨ur Haushalte und f¨ur Industrie, Deutschland, preisbereinigt, 1983–2008 ([IEA 2008a, Part II, Tab. 1, S. 56/57]; Werte für 2008 sind f¨ur I/2008)
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Preisindex [%] (Jahr 2000 = 100%) Deutschland - Haushalte Deutschland - Industrie
160
140
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120
100
80 1978
1983
1988
1993
1998
2003
2008
2013
Abbildung 1.3 zeigt die Energiepreisentwicklung in Deutschland, wiederum unterschieden in Haushalte und Industrie. Wird der reale, also preisbereinigte Energiepreis f¨ur das Jahr 2000 wieder auf 100% angesetzt, so ergibt sich ein a¨ hnliches Bild wie f¨ur den in Abb. 1.2 gezeigten OECD-Durchschnitt: Die Energiepreise sanken von 1981, dem ersten f¨ur Deutschland verf¨ugbaren Jahr f¨ur Industrie wie auch f¨ur Haushalte bis 1985 geringf¨ugig, dann aber schlagartig um ein gutes Drittel, und schwankten anschließend um ein konstantes Niveau. Seit 2002/2003 stiegen die inflationsbereinigten Energiepreise deutlich an, um Anfang 2008 fast wieder das H¨ochstniveau von 1982, n¨amlich rund 140%, zu erreichen. In Deutschland wird allgemein mit weiter steigenden Preisen gerechnet.
1.1.2 Abh¨angigkeit und Erpressbarkeit Europas Konkretes Anschauungsmaterial f¨ur die Abh¨angigkeit und Erpressbarkeit Europas wie Deutschlands liefern die letzten Jahre: • Das terroristische Drohpotenzial steigt zunehmend, insbesondere im gesamten Nahen Osten. Hier geht es nicht mehr um die Frage der H¨ohe von Energie- und Rohstoffpreisen, sondern um politisch-ideologische Machtanspr¨uche, u. a. im ¨ Zusammenhang mit der ungel¨osten Pal¨astinafrage: „Wie hoch muss der Olpreis steigen, bis die Existenz Israels zur Disposition steht?“ [Broder 2006, S. 67]. • Die milit¨arischen Eins¨atze vieler westlicher Staaten im Irak und in Afghanistan belegen nicht nur die Bedeutung des Nahen und Mittleren Ostens f¨ur die Energieversorgung der westlichen Industriestaaten, sondern auch das gewandelte Verst¨andnis von milit¨arischen Auslandseins¨atzen: Es geht nicht um konkrete Bedrohungen der Souver¨anit¨at einzelner Staaten, sondern um den Erhalt und die Erweiterung strategischer Einflusssph¨aren, insbesondere im Energiebereich.
6
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
¨ • Die Bombardierung oder Sprengung von Olquellen zeigen ebenso wie die Versuche, bombenf¨ahiges Spaltmaterial zu erlangen, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht nur der L¨ander des Nahen Ostens, sondern auch der westlichen Welt zunehmend gef¨ahrdet wird. • Die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa im Winter 2006/2007 zeigt, dass auch Konflikte zwischen Russland und seinen Nachbarn unmittelbare und sehr empfindliche Auswirkungen auf ganz Europa haben k¨onnen. Da nicht absehbar ist, wie diese bedrohlichen, politisch ausgel¨osten Verknappungen beendet werden k¨onnen, bleibt nur die Schlussfolgerung, die Energieund Rohstoffabh¨angigkeiten von diesen L¨andern zu verringern. Dies wird un¨ orderung ihren H¨ohepunkt terstrichen durch die starke Vermutung, dass die Olf¨ dauerhaft u¨ berschritten habe, und auch deshalb die Zeit f¨ur ein Umsteuern der Energieversorgungsstrukturen denkbar knapp sei [Hauke/Wiesmann 2007]. Doch abgesehen von diesen dramatischen Bedrohungen bleibt ja die Frage, wie lange noch Millionen Endverbraucher die u¨ berbordenden Gewinne der internationalen Energiekonzerne finanzieren sollen statt einer zukunftssicheren Energieversorgung.
1.2
Ziele und Maßnahmen zur L¨osung des Klimaproblems
Die wissenschaftlichen und politischen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte haben schließlich zur Festlegung v¨olkerrechtlich verbindlicher international abgestimmter Klimaschutzziele gef¨uhrt: Rio-Konferenz 1992 und Kyoto-Protokoll 1997, das 2005 in Kraft trat. Wichtige Verbraucherl¨ander, wie die USA, sind dieser Konvention allerdings bisher nicht beigetreten. Das von der UNO und den weltweiten wissenschaftlichen Dachorganisationen gest¨utzte, von den Mitgliedsregierungen getragene „Intergovernmental Panel on Climate Change“ hat diese Ziele seither pr¨azisiert [IPCC 2007a, 2007b]: Um die Erw¨armung des Erdklimas auf die m¨oglicherweise gerade noch tolerierbare Temperaturzunahme von global 2 ◦ C zu beschr¨anken, muss der menschengemachte Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosph¨are so eingeschr¨ankt werden, dass ein Wert von 450 ppm (Teile pro Million)1 nicht u¨ berschritten wird. Vor dem Jahr 1800 lag dieser Wert f¨ur viele Jahrhunderte bei 280 ppm und ist seither mit wachsender Anstiegsrate, insbesondere seit 1950, auf derzeit 370 ppm gestiegen. Es bleibt also ein nur geringer Spielraum von 70 bis 80 ppm und ein knappes Zeitfenster bis h¨ochstens zur Mitte dieses Jahrhunderts zur stabilen 1 Dieses f¨ ur kleine Beimengungen in Gasen oder Fl¨ussigkeiten gebr¨auchliche Maß ist wie folgt zu verstehen: 450 ppm CO2 in der Atmosph¨are bedeutet, dass auf 1 Mio. Molek¨ule des Grundstoffs, bei Luft also knapp 0,75 Mio. Stickstoff- und knapp 0,25 Mio. Sauerstoff-Molek¨ule, 450 KohlendioxidMolek¨ule entfallen.
1.2 Ziele und Maßnahmen zur L¨osung des Klimaproblems
7
Einhaltung der noch f¨ur zul¨assig gehaltenen Maximalkonzentration von 450 ppm; dies erfordert eine Halbierung der Kohlendioxid-Emissionen gegen¨uber dem Wert von 1990. Es bedarf demnach enormer politischer, wissenschaftlich-technischer und wirtschaftlicher Anstrengungen, um die erforderlichen Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Hier soll nur die technische Seite dieser m¨oglichen Maßnahmen knapp zusammengefasst werden, Verweise auf die F¨ulle von neuer Literatur, auch zu der politischen und wirtschaftlichen Umsetzung, finden sich in [Rahmstorf/Schellnhuber 2006]: (1) Effizienzsteigerungen und Einsparungen (Abschn. 1.2.1), (2) Ausbau nicht-fossiler Energiegewinnung, und zwar a. Erneuerbare und nachwachsende Energie (Abschn. 1.2.2), b. Nukleare Optionen (Abschn. 1.2.3), (3) Kohlendioxid-R¨uckhaltung (Sequestrierung) (Abschn. 1.2.4).
1.2.1
Effizienzsteigerungen und Einsparungen
Durch Effizienzsteigerung, so heißt es in den meisten zusammenfassenden Untersuchungen, k¨onnte in den entwickelten L¨andern, etwa in Westeuropa, bis zur H¨alfte des heutigen Prim¨arenergieeinsatzes eingespart werden, in Schwellenl¨andern vermutlich sogar noch mehr. Dies betrifft nahezu alle der oben schon erw¨ahnten Bereiche der Technik mit ungez¨ahlten technischen Einzelmaßnahmen der unterschiedlichsten Art: • Neubau und Nachr¨ustung aller Arten von Geb¨auden in Richtung Null-EnergieH¨auser; ¨ • kompaktere Siedlungsformen und Anbindung an den Offentlichen Nahverkehr; • neue Heizsysteme aller Art; • sparsamere Haushaltsger¨ate; • Automobile mit niedrigem Verbrauch, etwa Hybrid-Autos, deren Batterien mit Strom aus erneuerbaren Energien geladen werden; • neue, v. a. dezentrale Strom- und W¨armeerzeugungssysteme; • Kraftwerke mit erheblich h¨oherem Wirkungsgrad, etwa mit zweistufigen GasDampf-Turbinen; • energieeffiziente Beleuchtung, etwa durch Verbot des Verkaufs von herk¨ommlichen Gl¨uhbirnen (wie in EU und Australien) usw. Um all dies durchzusetzen, werden wohl Zuckerbrot und Peitsche erforderlich sein, d. h. monet¨are Anreize und preisliche Abschreckung, sanfte Leitlinien und strikte Normen bis hin zu Verboten. Bei lokal verorteten G¨utern wie Immobilien, aber auch Konsumg¨utern, Privatautos und dergleichen, kann dies im Prinzip durch Normensetzungen und fiskalische Instrumente auf jeweiliger Landesebene angestrebt werden. In anderen F¨allen, etwa der u¨ berf¨alligen Besteuerung von Flugbenzin, m¨usste zumindest eine EU-weite Regulierung erfolgen.
8
1.2.2
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Erneuerbare und nachwachsende Energie
Das Potenzial, die noch zu l¨osenden Probleme und die Grenzen des Einsatzes erneuerbarer Energie sind, nicht zuletzt veranlasst durch das deutsche Erneuerbare-EnergienGesetz und die darauf aufbauenden entsprechenden Gesetze, in vielen anderen L¨andern Gegenstand intensiver Forschung und Entwicklung2 . Neben dem Wind, dessen Nutzung im Folgenden detailliert behandelt wird, haben die verschiedensten Arten der Biomassenutzung weltweit, aber auch in Deutschland, vorl¨aufig noch das gr¨oßte Potenzial. Den „nachwachsenden Treibstoffen“ Bioethanol, vorwiegend ¨ aus Zuckerrohr oder Mais gewonnen, und Biodiesel aus verschiedenen Olpflanzen stellen zwei neue Studien [Fargione 2008, Scharlemann/Laurance 2008] allerdings ein durchgehend schlechtes Zeugnis aus: Zum Zwecke des Energiepflanzenanbaus gerodete W¨alder binden weit mehr CO2 als die neuen Pflanzungen, zudem wird beim Abfackeln der W¨alder viel CO2 freigesetzt und der Boden durch Erosion und N¨ahrstoffverarmung gef¨ahrdet, der Fl¨achenverbrauch ist hoch. Schließlich l¨asst die Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung auf bestehenden Anbaufl¨achen die Preise f¨ur Grundnahrungsmittel armer Bev¨olkerungen, etwa f¨ur Mais, massiv ansteigen: eine durchwegs negative Bilanz. Dagegen schneidet die Biogaserzeugung weit besser ab: Die Energieausbeute pro Ackerfl¨ache ist mehr als doppelt so hoch wie bei Biosprit, die Erzeugung erfolgt in Tausenden von dezentralen und unauff¨alligen Anlagen im Anbaugebiet, Monokultur sowie der Gebrauch von Kunstd¨unger und Pestiziden kann durch Mischpflanzungen vermieden werden. Das produzierte Biogas kann nach Vorbehandlung direkt in die Gasnetze eingespeist werden und so die Gasimporte vermindern [Schmack 2007]. Schließlich und f¨ur die Durchsetzung besonders wichtig: Der Produktionsprozess ist im Wesentlichen derselbe, der sich beim nat¨urlichen Zerfall von Pflanzenmasse im Boden abspielt. Der Bodenschlamm des G¨argef¨aßes enth¨alt als D¨unger alle Wertstoffe der Pflanzen in direkt verwertbarer Form: Stickstoff als Ammonium und in den Bakterien gebunden, alle Mineralien und die Humusbildner, die zur Bodenerneuerung unverzichtbar sind. Hier entsteht wirklich ein geschlossener o¨ kologischer Kreislauf, dem nur die Energie entzogen wird, die zuvor durch Sonneneinstrahlung den Pflanzen zugef¨uhrt wurde. Fotovoltaische Stromerzeugung ist mittlerweile nach intensivster Entwicklung und zunehmender großtechnischer Anwendung nicht mehr weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt. Noch 2006 wurde sie durch einen Einspeisepreis gef¨ordert, der beim mehr als F¨unffachen der Einspeiseverg¨utung f¨ur Windenergie lag. Seit 2009 liegt ihr Einspeisepreis nur noch beim gut Doppelten f¨ur Offshore-Windenergie. Die Kostenentwicklung der Halbleiter- und D¨unnschicht-Technik f¨ur die Mikroelektronik deutet darauf hin, dass – f¨ur viele u¨ berraschend – fotovoltaische Stromerzeugung bereits bis 2020 betriebswirtschaftlich konkurrenzf¨ahig mit herk¨ommlicher Stromerzeugung sein k¨onnte, insbesondere in sehr sonnenreichen L¨andern des Mittelmeerraums. In Deutschland war die fotovoltaische Stromerzeugung noch 2002 2 Eine vorz¨ ¨ ugliche Ubersicht u¨ ber Systemtechnik, Wirtschaftlichkeit und Umweltaspekte der erneuerbaren Energien gibt [Kaltschmitt 2006].
1.2 Ziele und Maßnahmen zur L¨osung des Klimaproblems
9
vernachl¨assigbar, 2007 waren es mit 3,5 TWh schon 0,6% der Stromnachfrage (Tab. 11.2, Z. 3.2), ein Wert, der in optimistischen Sch¨atzungen aus 2006 f¨ur 2010 prognostiziert worden war (Tab. 11.6, Nettostromerzeugung, Fotovoltaik). Aufgrund der erwarteten drastischen Kostensenkung d¨urften die hier f¨ur 2020 erwarteten 8 TWh weit u¨ berschritten werden. Auch der solarthermischen Stromerzeugung werden erhebliche Potenziale attestiert. Die solarthermische Nutzung zur W¨armeerzeugung steht wegen der stark gestiegenen Heiz¨ol- und Gaspreise bereits an der Wirtschaftlichkeitsschwelle, insbesondere wenn sie bei ausreichender Dachfl¨ache mit zur Heizungsunterst¨utzung projektiert wird. Vielf¨altige technologische Entwicklungen gibt es weiter im Bereich der Geothermie (oberfl¨achennah zur W¨armeerzeugung, aus gr¨oßeren Tiefen zur Stromerzeugung), der Nutzung der Wellen- und Gezeitenenergie und der Entwicklung so genannter Aufwindkraftwerke. Bereits Anfang der 1980er Jahre wurden Aufwindkraftwerke f¨ur heiße trockene Regionen projektiert, ein Versuchskraftwerk wurde damals in S¨udspanien fertig gestellt. F¨ur die W¨uste in Namibia wurde Anfang 2007 ein 400-MW-Projekt vorgestellt mit 7 km2 Glasdach und einem 1.500 m hohen Aufwindturm: Meerwasserentsalzung, Intensivlandwirtschaft und Stromerzeugung unter einem Dach – nur ein Ingenieurtraum? Diese so vielf¨altigen wie vielversprechenden Ans¨atze moderner „Ingenieurkunst“ sind nicht nur ein entscheidender Ansatz zur Bew¨altigung der Klimaprobleme, sondern durch ihren weitgehend dezentralen Charakter auch geeignet, die Partizipation an ihren Ertr¨agen auf eine sehr breite Basis zu stellen.
1.2.3
Nukleare Optionen
Ob der weitere Ausbau bzw. eine Wiederbelebung der Kernenergie einen wichtigen Beitrag zur CO2 -Vermeidung und zur Verringerung von problematischen Abh¨angigkeiten leisten kann und soll, ist a¨ ußerst umstritten. Fest steht, dass technisch und wirtschaftlich auch nach 50 Jahren Reaktorentwicklung zun¨achst nur der Leichtwasserreaktor herk¨ommlicher Bauart zur Verf¨ugung steht, in dem die von 0,7% im Natururan auf etwa 3% angereicherten spaltbaren Uran-235-Kerne gespalten werden. Andere Reaktortypen haben sich technisch, sicherheitstechnisch und kostenm¨aßig als a¨ ußerst problematisch erwiesen. Das gilt insbesondere f¨ur die Brutreaktoren, auf die einst so große Hoffnungen gesetzt wurden: Der bei ihrem Einsatz in 100-TonnenMengen umzusetzende erbr¨utete Brennstoff Plutonium ist der Bombenrohstoff schlechthin, dar¨uber hinaus a¨ ußerst toxisch und als hochaktiverAlphastrahler bestens auch sonst f¨ur Anschl¨age geeignet. Schließlich bleiben auch bei den konventionellen Reaktoren das Grund¨ubel der nirgends wirklich gesicherten Endlagerung der hochradioaktiven und langlebigen Endprodukte, wie des Plutoniums und anderer Transurane, und das ungel¨oste Problem der Sicherung der Reaktoren gegen terroristische Attacken, etwa durch gezielte Flugzeugabst¨urze.
10
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Wenn man dem gedanklichen Ansatz folgt, dass Atomkraftwerke einen nennenswerten Beitrag zur globalen CO2 -Begrenzung leisten sollen, die zudem schnell erfolgen muss, so ergeben sich neben den schon genannten zwei weitere, grundlegende Schwierigkeiten: • Die heutige Bedeutung der Kernenergie wird weit u¨ bersch¨atzt. Sie trug 2006 weltweit nur zu 6,2% zur Deckung des Prim¨arenergiebedarfs bei (in den OECDStaaten waren es 2007 10,6%), und zwar weltweit ausschließlich zur Stromerzeugung mit einem Anteil von 14,8% [IEA 2008b, S. 24.]. In 2030 werden es laut IEA nur noch knapp 5% sein [IEA 2008b, S. 6/7, S. 46], weil u. a. aufgrund fehlender Fertigungskapazit¨aten mehr vorhandene Atomkraftwerke stillgelegt als neu zugebaut werden [Atomkraft 2006, S. 327 ff.]. • Auch wenn der Preis des Natururans bei den Stromgestehungskosten derzeit noch eine vergleichsweise geringe Rolle spielt, so w¨are wegen der Beschr¨anktheit der Uranressourcen eine langfristige Nutzung auf hohem Niveau nur unter Einsatz von erbr¨utetem Plutonium darstellbar, also um den Preis des Einstiegs in die Br¨utertechnologie mit den oben skizzierten Risiken. Letztlich ist die Frage, ob die gesamtwirtschaftlichen Kosten, n¨amlich das Risiko und die gesellschaftlichen Konflikte beim weltweiten Bau von Hunderten neuer Kernkraftwerke, in einem vern¨unftigen Verh¨altnis stehen zu der damit erzielbaren Verminderung von Kohlendioxid bei der Stromerzeugung, wobei Kernkraftwerke eben nur Strom erzeugen, aber weder nutzbare W¨arme noch Treibstoffe und all das Andere, wof¨ur fossile Rohstoffe heute dienen. So viel zur Kernspaltung, doch wie steht es um die Kernverschmelzung? Seit 5 Jahrzehnten wird die Hoffnung gen¨ahrt, den Prozess der Kernfusion von Wasserstoff zu Helium auf der Erde zu z¨ahmen, statt der Wasserstoffbombe also den Fusionsreaktor mit fast unersch¨opflichen Ressourcen zu bauen und so die Energiequelle der Sterne zu erschließen, die seit gut 10 Milliarden Jahren den Kosmos zum Leuchten bringt. Trotz gewaltiger weltweiter Anstrengungen musste die vermutete Frist zur Einl¨osung dieser Erwartung seit 50 Jahren jedes Jahrzehnt um weitere 10 Jahre verl¨angert werden. Auch wenn die Weltgemeinschaft der Forscher nun mit dem Versuchsreaktor ITER in S¨udfrankreich mit einer Anfangsfinanzierung von rund 10 Mrd. € einen neuen heroischen Versuch unternimmt, wird man fr¨uhestens etwa im Jahr 2050 entscheiden k¨onnen, ob das dort verfolgte Konzept auch nur die Chance der Weiterentwicklung zu einem Kraftwerk bietet. Zwei ungel¨oste und vielleicht wirklich unl¨osbare Probleme stehen an: Die L¨osbarkeit des ersten Problems – die Stabilit¨at des Plasmaeinschlusses – mag durch ITER entschieden werden; das zweite Problem – die Festigkeit der „Ersten Wand“ – bleibt offen. Die beiden Probleme lassen sich wie folgt beschreiben: Im Inneren von Fixsternen, wie der Sonne, wird der „Rohstoff“, ein sehr dichtes und gut 10 Mio. ◦ C heißes Gemisch aus Wasserstoff-Atomkernen und Elektronen, genannt Plasma, durch das zentral nach innen gerichtete extrem starke Gravitationsfeld der riesigen Sonnenmasse zusammengehalten. Dennoch zeigen Sonnenflecken und die immer wieder auftretenden Eruptionen, erst recht die extremen zeitlichen Helligkeitsschwankungen mancher Fixsterne die Instabilit¨at dieser Feuerb¨alle an. Auf
1.2 Ziele und Maßnahmen zur L¨osung des Klimaproblems
11
der Erde aber haben wir es nicht – wie auf der Sonne – mit einem Feuerball von Billionen Tonnen Wasserstoff zu tun, in dem bei hoher Dichte schon oberhalb 10 Mio. ◦ C gen¨ugend Kerne verschmelzen, um das nukleare Feuer aufrecht zu erhalten. Im Fusionsreaktor muss vielmehr – mangels einer zentralen zusammenhaltenden Kraft – das Plasma aus einigen Hundert Gramm von schwerem und u¨ berschwerem Wasserstoff durch extrem starke Magnetfelder zu einem in sich verwundenen Schlauch zusammengepresst werden, in dem die Teilchen mit hoher Geschwindigkeit in einer Vakuumkammer umlaufen. In dem kleinen Plasmavolumen muss die Temperatur noch etwa auf das F¨unffache der Temperatur im Sonneninneren erh¨oht werden, bis der Energieertrag der dann fusionierenden Kerne den Aufwand f¨ur Kompression und Erhitzung u¨ bersteigt. Die Oberfl¨ache dieses Plasmaschlauchs, der nur durch das Magnetfeld der großen weit außen liegenden Spulen gegen den inneren Druck zusammengehalten wird, ist und bleibt trotz immer neuer Gegenmaßnahmen a¨ ußerst instabil: Jede kleinste Inhomogenit¨at schaukelt sich blitzschnell auf; das str¨omende Plasma erzeugt selbst Magnetfelder und reißt wie bei einem platzenden Ballon den Plasmaschlauch in Millionstel Sekunden weit auf, so dass der kostbare Brennstoff in das umgebende Vakuumgef¨aß ausstr¨omt. Wenn aber diese Instabilit¨aten doch irgendwann beherrscht und der Fusionsprozess aufrechterhalten werden kann, so entsteht pro Kernverschmelzung ein schnelles Neutron, das 80% der bei einer Fusion freigesetzten Energie tr¨agt. Da es keine Ladung tr¨agt, durchl¨auft dieses Teilchen unablenkbar und ungebremst das Magnetfeld, das die geladenen Plasmateilchen auf ihre Bahn zwingt und einschließt und trifft mit etwa einem Sechstel der Lichtgeschwindigkeit geraden Wegs direkt auf die Innenwand des Vakuumgef¨aßes. Erst durch den Zusammenstoß mit den Atomkernen dieser so genannten „Ersten Wand“ wird seine Energie letztlich in W¨arme umgesetzt und kann so nutzbar gemacht werden. Es ist aber bis heute noch kein Material f¨ur die Wand des Plasmagef¨aßes gefunden worden, das unter diesem Beschuss nicht nach kurzer Zeit por¨os wird und zerf¨allt. Außerdem entstehen durch den Neutronenbeschuss hochradioaktive Isotope, nicht viel weniger als bei der Kernspaltung im uranbetriebenen Reaktor, die bei jedem Auswechseln der Wand entsorgt werden m¨ussen. So bleibt die Kernfusion wohl bestenfalls eine Großtechnologie f¨ur das 22. Jahrhundert, falls wir es nicht doch vorziehen, die Fusionsenergie auch in Zukunft von dorther zu beziehen, wo sie noch einige Milliarden Jahre zuverl¨assig entsteht: von unserer Sonne.
1.2.4
Kohlendioxid-Ruckhaltung ¨
Eine Zukunftstechnologie, also die Entwicklung eines ganzen B¨undels von ineinandergreifenden technischen Maßnahmen, die in den n¨achsten 15 bis 25 Jahren weltweit zur Anwendung kommen k¨onnten, um das Klimaschutzziel zu erreichen, n¨amlich Stabilisierung der CO2 -Konzentration bei maximal 450 ppm, tr¨agt den Namen Kohlendioxid-R¨uckhaltung bzw. Kohlenstoff-Sequestrierung [Rahmstorf/Schellnhuber 2006, Kap. 5; Rentzing 2007]. M¨oglichst alle Großanlagen, bei
12
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
denen Kohle oder Kohlenwasserstoffe, wie Erd¨ol oder Erdgas, als Energietr¨ager eingesetzt werden, v. a. Braun- und Steinkohlekraftwerke, Hoch¨ofen und andere mit ¨ und Gaskraftwerke m¨ussen Kohle befeuerten Anlagen, aber schließlich auch Olhierf¨ur mit Rauchgask¨uhlung und CO2 -Abscheidung, z. B. durch Verfl¨ussigung, ausger¨ustet werden. Das komprimierte Kohlendioxid wird in Pipelines gesammelt und mit hohem Druck in tief liegende geologische Schichten verpresst, wo es f¨ur viele Jahrhunderte verbleiben soll. Dabei ergibt sich ein weiteres Risiko: Das wesentlich leichtere Methan (= Erdgas), selbst ein wirksames Treibhausgas, das typischerweise in den dar¨uber liegenden por¨osen Schichten liegt, wird ausgetrieben und bewirkt, wenn es nicht aufgefangen und gesammelt werden kann, seinerseits ¨ die Klimaerw¨armung. Andere Uberlegungen befassen sich mit dem Verpressen in Salzkavernen. Viele der einzelnen Schritte auf diesem Weg benutzen großtechnisch erprobte Verfahren; ob die Koordination gelingt und gen¨ugend gasdichte tiefe geologische Formationen erschlossen werden k¨onnen, ist freilich noch offen. Gleiches gilt f¨ur die Frage der Kosten, der infrastrukturellen Konsequenzen und der Notwendigkeit, das gelagerte Kohlendioxid f¨ur Jahrtausende von der Atmosph¨are fernzuhalten. China, das immerhin einem F¨unftel der Erdbev¨olkerung in den n¨achsten Jahrzehnten einen vielfach h¨oheren Lebensstandard als heute bieten will, und daf¨ur schon jetzt den Energieeinsatz enorm steigert, verf¨ugt u¨ ber zeitlich weit reichende Kohlevorr¨ate, aber wohl auch u¨ ber viele geeignete geologische Speicherm¨oglichkeiten.
1.3
Leitszenarien fur Energiestrukturen ¨ zukunftige ¨
1.3.1 Wie sind die Aussichten, die Energie- und Klimaziele zu erreichen? Der Weltklimarat hat Anfang Mai 2007 seinen dritten Bericht vorgelegt [IPCC 2007c]. Wie schon bei der Vorstellung der ersten beiden Berichte [IPCC 2007a, 2007b] wurde betont, dass v. a. schnell gehandelt werden m¨usse, wenn der weltweite Temperaturanstieg auf 2 ◦ C begrenzt werden soll – schnell und konsequent! Schon zuvor waren einige f¨uhrende weltwirtschaftliche Forschungsinstitute u¨ bereinstimmend zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Eine weltweit koordinierte Anstrengung von Staaten und St¨adten, Wirtschaftsunternehmen aller Art und einer ¨ organisierten Offentlichkeit kann den doppelten Umschwung – Energieeffizienz plus CO2 -R¨uckhaltung und erneuerbare Energie – bew¨altigen. Die Kosten dieser dritten industriellen Revolution k¨onnen, gemessen am Weltsozialprodukt, im 1%-Bereich liegen. Den umfangreichsten und viel beachteten Beleg daf¨ur lieferte im Oktober 2006 imAuftrag der britischen Regierung der fr¨uhere Vizepr¨asident der Weltbank, Sir Nicholas Stern [Stern 2006a, 2006b]. Dem Ausbau der Windenergie kommt dabei zumindest f¨ur die Stromerzeugung in vielen L¨andern, etwa den Nordseeanliegerstaaten, eine wesentliche Rolle zu.
1.3 Leitszenarien f¨ur zuk¨unftige Energiestrukturen
13
Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich am 9. M¨arz 2007 verpflichtend darauf, bis 2020 den Ausstoß der klimasch¨adlichen Treibhausgase in der Europ¨aischen Union im Vergleich zu 1990 um mindestens 20% zu verringern, und sogar um 30%, falls sich die anderen Industriel¨ander zu vergleichbaren Reduzierungen verpflichten. Der Anteil von Energie aus Sonne, Wasser, Wind und Biomasse am gesamten Prim¨arenergieeinsatz soll bis 2020 auf mindestens 20% erh¨oht werden. In Deutschland betrug der Anteil in 2007 6,6%3 , bei der Stromerzeugung 18% (Tab. 11.3), bis 2020 sollen es bei der Stromerzeugung 30% werden. Dies vermittelt einen Eindruck von der Gr¨oße der Aufgabe, die in relativ kurzer Zeit bew¨altigt werden muss. Ein wesentlicher Teil des Zuwachses an der Stromerzeugung, die 2006 in Deutschland 42%4 des Prim¨arenergieeinsatzes erforderte, soll durch Onshore-Windenergie und in Zukunft v. a. verst¨arkt durch die Nutzung von Offshore-Windenergie erreicht werden (Abschn. 7.1.1). Hier ergibt sich allerdings ein weites Feld von Problemen: Die Regionen, in denen derzeit die Windenergie auch ohne „Quersubventionierung“ genutzt werden kann, n¨amlich an den K¨usten und weit vor den K¨usten, liegen weit entfernt von den Schwerpunkten des Verbrauchs elektri¨ scher Energie. Daher entsteht ein hoher Bedarf an zus¨atzlicher Ubertragungsleistung u¨ ber Hoch- und H¨ochstspannungsleitungen, f¨ur die das jetzige Einspeisungs- und ¨ Ubertragungsnetz nicht ausgelegt ist (Abschn. 4.1.2; Abschn. 10.1.4). Es bleibt abzuwarten, ob in S¨uddeutschland Windenergieanlagen mit sehr hohen T¨urmen durchsetzbar sind und wirtschaftlich betrieben werden k¨onnen. In jedem Fall ist insbesondere f¨ur die geplanten großen Offshore-Windkraftwerke eine Erh¨ohung der ¨ Ubertragungsleistung von den K¨ustenregionen zu den Bev¨olkerungs- und Industriezentren erforderlich. Diese Erh¨ohung wird wohl wegen der Akzeptanzprobleme von neuen Freileitungstrassen nur von im Boden verlegten neuen Leitungssystemen mit sehr hohen Leistungen durchf¨uhrbar sein, etwa mit bipolaren Kabelsystemen f¨ur Wechselstrom oder mit Gleichstrom¨ubertragung in Erdkabeln oder in gasisolierten Rohrleitungen (Abschn. 4.3.2(1)). E.ON-Netz realisiert jedenfalls die Netzanbindung der ersten Offshore-Windkraftwerke durch Gleichstromleitungen (Abschn. 4.4.2; Abschn.10.3.2). Die Netzoptimierungen und Netzverst¨arkungen zum Zweck der Windenergieein¨ speisung sind zun¨achst in den windbeg¨unstigten, aber mit Leitungen hoher Ubertragungskapazit¨at wenig erschlossenen K¨ustengebieten durchzuf¨uhren; E.ON-Netz hat in Schleswig-Holstein schon eine Reihe derartiger Optimierungsmaßnahmen („Leitungsmonitoring“) durchgef¨uhrt. Im weiteren Verlauf des Windenergieausbaus wird die Fern¨ubertragung der im K¨ustenbereich oder weit vor den K¨usten erzeugten elektrischen Energie zun¨achst bis zu den Netzknoten am Festland und dann weiter zu den Verbrauchsschwerpunkten eines der vordringlichen Probleme darstellen. Aber 3
In 2007 waren es 992 PJ von insgesamt 13.878 PJ Prim¨arenergieverbrauch [Energiedaten 2008, Tab. 4: Prim¨arenergieverbrauch nach Energietr¨agern]. Hinweis: 1 PJ entspricht einem thermischen Energieinhalt von 0,278 TWhth . 4 In 2006 waren es 5.813 PJ von insgesamt 13.878 PJ Prim¨ arenergieverbrauch [Energiedaten 2008, Tab. 23: Einsatz von Energietr¨agern zur Stromerzeugung].
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1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
auch die Struktur des Kraftwerkssystems muss schrittweise angepasst werden, um den raschen Ausgleich f¨ur die stark fluktuierende Windenergie zu erm¨oglichen. Das weltweite Marktvolumen der erneuerbaren Energien wird sich bis zum Jahr 2020 auf j¨ahrlich bis zu 250 Mrd. € deutlich erh¨ohen [Dresdner Bank 2007], eine Versechsfachung gegen¨uber 2006. Insbesondere in Deutschland wird das Investitionsvolumen der erneuerbaren Energien schon in den n¨achsten Jahren deutlich anwachsen. Soll sich der Anteil der erneuerbaren Energiequellen, wie im Koalitionsvertrag 2005 vereinbart, schon bis zum Jahr 2012 auf 20% der Gesamtstromerzeugung erh¨ohen, so erfordert dies nach Einsch¨atzung der Dresdner-Bank¨ Okonomen Investitionen in Anlagen f¨ur erneuerbare Energien in H¨ohe von 70 Mrd. € pro Jahr. Gem¨aß der Allianz-Klima-Expertengruppe wird der M¨unchner Finanzkonzern bis zum Jahr 2010 bis zu 500 Mio. € in Projekte f¨ur erneuerbare Energien anlegen. Ein Großteil des Geldes soll in Windenergieprojekte investiert werden. Im Juni 2008 wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz (Abschn. 5.3.3) erneut novelliert, um den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis 2020 auf 25% bis 30% und danach kontinuierlich weiter zu erh¨ohen. Eine Quantifizierung des volkswirtschaftlichen Nutzens des Ausbaus der Windenergie, insbesondere durch Brennstoffeinsparung und CO2 -Vermeidung, wird in Abschn. 8.1 vorgenommen. Hinzu kommen qualitative Argumente wie verringerte Abh¨angigkeit von unsicheren Lieferl¨andern und erhebliche positive Arbeitsplatzeffekte. Dies gilt auch bei verringertem Wirtschaftswachstum („Finanzkrise Ende 2008“): Gerade Investitionen in den Klimaschutz sind sehr kosteneffektiv und kurbeln das Wirtschaftswachstum an bei gleichzeitiger Absenkung der Umweltbelastung.
1.3.2
Stromerzeugung in Deutschland bis 2050
Die Leitstudie 2008 des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit [BMU 2007a, 2008c] legt dar, wie die Zielsetzung der Bundesregierung, die Klimagasemissionen bis 2050 in Deutschland auf rund 20% des Werts von 1990 zu senken, grunds¨atzlich umgesetzt werden kann. Diese Zielsetzung soll ohne ¨ Nutzung der Kernenergie erreicht werden. Uber die verschiedenen Zwischenziele hinaus ist dieses langfristige Ziel (in allen Industriestaaten) zu erf¨ullen, wenn die CO2 -Konzentration in der Atmosph¨are den kritischen Wert von ca. 450 ppm nicht u¨ berschreiten soll. Dies entspricht einer mittleren globalen Temperaturerh¨ohung von weniger als 2 ◦ C gegen¨uber der Periode 1980 bis 1999. Abbildung 1.4 zeigt eine Projektion der installierten Kraftwerksleistungen in Deutschland nach Energiequellen und Kraftwerksarten bis 2050. Dabei ist ber¨ucksichtigt, dass wegen des steigenden Anteils von erneuerbarer Energien im konventionellen Teil der Stromversorgung ein erh¨ohter Regelbedarf entsteht, der vorzugsweise mit Gaskraftwerken abgedeckt wird. Bei den sp¨atestens ab 2040 geplanten sehr hohen Anteilen erneuerbarer Energien verschwindet die herk¨ommliche Grundlaststromerzeugung weitgehend, die verbleibenden fossil befeuerten Kraftwerke stellen dann ausschließlich die zu einer sicheren Stromversorgung erforderliche Ausgleichs-
1.3 Leitszenarien f¨ur zuk¨unftige Energiestrukturen
15
Abb. 1.4 Installierte Leistungen zur Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 ([BMU 2007a, S. 36; BMU 2008c])
und Reserveleistung zur Verf¨ugung. Eine wichtige Voraussetzung f¨ur die Umsetzung des in Abb. 1.4 gezeigten Umbaus ist auch, dass der Abbau der Kernkraftwerksleistung planm¨aßig erfolgt. Andernfalls ergeben sich Konflikte mit den Zubaupl¨anen f¨ur fossile Kraftwerke, wenn gleichzeitig am massiven Ausbau der erneuerbaren Energien festgehalten werden soll. Abbildung 1.5 zeigt eine Projektion der Entwicklung der gesamten Stromerzeugung inklusive fossile und nukleare Energietr¨ager in Deutschland bis zum Jahr 2050. Auch im Jahr 2020 dominiert noch die Kondensationsstromerzeugung mit 60% (2005 = 82%), fossile Brennstoffe stellen noch 67% des Stroms bereit. Die eigentliche strukturelle Umstellung der Stromversorgung, die zu einer Reduktion der Kondensationsstromerzeugung auf den f¨ur Regelungs- und Ausgleichszwecke erforderlichen Anteil f¨uhrt, ben¨otigt danach aber weitere 20 bis 30 Jahre.
[TWh/a] 600 Import Erneuerbare
500
Sonstige Erneuerbare
400
Windenergie
300
Kohle/Gas - KWK Erdgas/Öl - Kondensation Steinkohle - Kondensation Braunkohle - Kondensation
100 2050
2040
Kernenergie
0
2007 2010 2015 2020 2025 2030
Abb. 1.5 M¨ogliche Entwicklung der gesamten Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 ([BMU 2007a, S. 34; BMU 2008c])
200
16
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Im Jahr 2050 betr¨agt in diesem Szenario der Kondensationsstromanteil nur noch 5%, derjenige der fossil befeuerten Kraft-W¨arme-Kopplung 18%, die erneuerbaren Energien dominieren dann gem¨aß dieser Prognose die Stromversorgung mit 77% Anteil an der Bruttostromerzeugung. Aus Gr¨unden der Kostenoptimierung, aber auch um mit erneuerbaren Energietr¨agern Regelungs- und Reserveaufgaben u¨ bernehmen zu k¨onnen, stammen von den dann bereitgestellten rund 450 TWh/a Strom aus erneuerbaren Energietr¨agern nahezu die H¨alfte aus regelbaren Energiequellen wie Biomasse, Geothermie, solarthermischen Kraftwerken oder bedingt regelbaren Energiequellen wie Laufwasserkraftwerken. Auch der Offshore-Anteil der Windenergie zeigt eine g¨unstige Erzeugungscharakteristik, welche die Sicherung der Stromversorgung unterst¨utzen kann: gegen¨uber Onshore-Anlagen eine mehr als doppelt so große Jahresenergieerzeugung pro m2 Rotorfl¨ache und dies auch mit deutlich geringeren zeitlichen Schwankungen im Bereich von Stunden und Tagen. Wegen der zuk¨unftigen großen Bedeutung dieses Sektors werden die Pl¨ane und die zahlreichen noch offenen Probleme in einem eigenen Abschn. 7.2 dargestellt.
1.3.3
Regenerative Stromerzeugung in Deutschland bis 2050
Abbildung 1.6 zeigt in einer Ausschnittsvergr¨oßerung aus Abb. 1.4 nur die installierten Leistungen zur regenerativen Stromerzeugung in Deutschland bis 2050. Da Windenergie den gr¨oßten Beitrag liefern soll, sind die Annahmen f¨ur ihren weiteren Ausbau von besonderem Einfluss. Der Einstieg in die Offshore-Nutzung hat sich gegen¨uber fr¨uheren Annahmen um mehrere Jahre verz¨ogert. Mit einem
[GW] 140 Import Erneuerbare
120 Photovoltaik
100 Geothermie
80 Laufwasser
60 Biomasse Wind offshore
20 2050
2040
Wind onshore
0
2007 2010 2015 2020 2025 2030
Abb. 1.6 Installierte Leistungen zur regenerativen Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 ([BMU 2007a, S. 36; BMU 2008c])
40
1.3 Leitszenarien f¨ur zuk¨unftige Energiestrukturen
17
Leistungsausbau auf u¨ ber 1 GW k¨onnte bis 2011 der Einstieg in eine energiewirtschaftlich relevante Nutzung beginnen, 2020 k¨onnten 10 GW erreicht werden. Voraussetzung f¨ur diese Ausbaudynamik ist allerdings eine erfolgreiche Demonstration der ersten Offshore-Windparks und eine Verg¨utungsregelung f¨ur die Offshore-Windenergie, die diesen Einstieg und den nachfolgenden stetigen Ausbau attraktiv genug f¨ur die potenziellen Investoren machen. Die im Dezember 2006 in ¨ Kraft getretene Ubertragung der Verantwortung f¨ur die Seekabelanbindungen der ¨ Offshore-Windparks auf die Ubertragungsnetzbetreiber [IPlanBG 2006a] und die Kosten¨uberw¨alzung auf die Gesamtheit aller Netznutzer [EnWG 2008, § 17 Abs. 2a] sind dabei wichtige Schritte. F¨ur die Nutzung der Windenergie an Land wird sowohl von einem weiteren Neubau auf den derzeit ausgewiesenen, aber noch nicht genutzten Fl¨achen als insbesondere auch von einem nennenswerten Beitrag des Repowering ab etwa 2010 ausgegangen. Das Wort Repowering bezeichnet eine erhebliche Leistungserh¨ohung durch den Ersatz von bestehenden Windenergieanlagen durch Anlagen mit h¨oheren T¨urmen und insbesondere gr¨oßeren Rotorfl¨achen und damit wesentlich h¨oheren installierten Leistungen im Bereich von 3 MW bis 6 MW je Anlage. Durch Zubau und Repowering soll die onshore insgesamt installierte Leistung auf gut 25 GW in 2010 und gut 27 GW in 2020 erh¨oht werden. Onshore und offshore w¨aren dann in 2020 rund 37 GW Windleistung installiert. Aus Windenergie w¨urden dann rund 82 TWh/a produziert, gut 15% der f¨ur 2020 prognostizierten deutschen Stromnachfrage. Ab 2009 wurden die EEGMindestverg¨utungen f¨ur Windenergie deutlich angehoben (Abschn. 5.3.3). Es wird erwartet, dass dadurch die Ausbaugeschwindigkeit der Windenergie gegen¨uber den offiziellen Sch¨atzungen etwas beschleunigt wird. Das Gesamtpotenzial der installierten Windgeneratorleistung wird im Endausbau auf 70 GW gesch¨atzt, davon je 35 GW onshore und offshore, bei einem Gesamtpotenzial der Windenergieproduktion von rund 200 TWh, n¨amlich 68 TWh onshore und mit 135 TWh doppelt so viel offshore wegen der dort deutlich h¨oheren und gleichm¨aßigeren Windgeschwindigkeiten [BMU 2008b, S. 44]. Abbildung 1.7 zeigt die m¨ogliche Entwicklung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energietr¨agern in Deutschland bis 2050; sp¨atestens dann soll das gesamte Potenzial der Windenergie in H¨ohe von rund 200 TWh genutzt sein. Von 63,5 TWh/a im Jahr 2005 kann nach dieser konservativen Prognose der Beitrag der erneuerbaren Energietr¨ager zur Stromerzeugung bis 2010 auf 92 TWh/a und bis 2020 auf 156 TWh/a steigen. Der Prognosewert f¨ur 2010 wurde bereits 2007 mit 91,2 TWh erreicht [Energiedaten 2008, Tab. 22]. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von mindestens 30% an der Bruttostromerzeugung zu erreichen, w¨are v. a. dann gef¨ahrdet, wenn das Erneuerbare-Energien-Gesetz grunds¨atzlich in Frage gestellt werden sollte (Kap. 5). Von Bedeutung ist weiter, dass die Klimaschutzziele nur dann erreicht werden, wenn die Senkung des Bruttostromverbrauchs um 11% bis 2020 erreicht wird, keine zus¨atzlichen Kohlekraftwerke u¨ ber die heute schon im Bau befindlichen hinaus errichtet werden, und die Stilllegung alter ineffizienter Anlagen
18
1 Abkehr von fossilen Brennstoffen: Probleme, Ziele und L¨osungsans¨atze
Abb. 1.7 Entwicklung der regenerativen Stromerzeugung in Deutschland bis 2050 ([BMU 2007a, S. 34; BMU 2008c])
[TWh/a] 600 500 Import Erneuerbare
400
Photovoltaik Geothermie
300
Laufwasser
200
Biomasse Wind offshore
100
2050
2040
2007 2010 2015 2020 2025 2030
Wind onshore
0
erfolgt, sobald die vorgesehene Lebensdauer erreicht sein wird. Die entscheidenden Vorgaben, n¨amlich Ausstieg aus der Kernenergienutzung und Klimaschutzziele k¨onnen dann gleichzeitig eingehalten werden. Vor diesem Hintergrund des globalen Denkens und notwendigerweise lokalen Handelns wird in diesem Buch die stark wachsende Windenergieproduktion, das „Flagschiff“ der erneuerbaren Energien detailliert beschrieben sowie Analysen und Vorschl¨age zu ihrer Integration in die bestehende Energieversorgung vorgestellt.
Literatur [Atomkraft 2006] Mythos Atomkraft. Hrsg. von der Heinrich-B¨oll-Stiftung, Berlin, 2006. [BMU 2007a] Leitstudie 2007 – Ausbaustrategie Erneuerbare Energien, Aktualisierung und Neubewertung bis zu den Jahren 2020 und 2030 mit Ausblick bis 2050. Nitsch J in Zusammenarbeit mit der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung des DLR – Institut f¨ur Technische Thermodynamik, Stuttgart. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, Februar 2007, aktualisiert im September 2008 [BMU 2008c]. http://www.erneuerbare-energien.de/files/pdfs/allgemein/ application/pdf/leitstudie2007.pdf (abgerufen am 2.7.2008). [BMU 2008b] Erneuerbare Energien in Zahlen – Internet Update. Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, Juni 2008. http://www.erneuerbare-energien. de/files/erneuerbare energien/downloads/application/pdf/broschuere ee zahlen.pdf (abgerufen am 23.08.2008). [BMU 2008c] Leitstudie 2008 – Ausbaustrategie erneuerbare Energien vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzziele Deutschlands und Europas. Nitsch J in Zusammenarbeit mit der Abt. Systemanalyse und Technikbewertung des DLR – Institut f¨ur Technische Thermodynamik, Stuttgart. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, September 2008. http://www.bmu.de/ erneuerbare energien/downloads/doc/42383.php (abgerufen am 16.10.2008).
Literatur
19
[Broder 2006] Broder H M: Hurra, wir kapitulieren! wjs-Verlag, Berlin, 2006. [Dresdner Bank 2007] Dresdner Bank rechnet mit Investitionsboom bei erneuerbarer Energie. Studie: bis zu Versechsfachung des Marktvolumens m¨oglich. News vom 29. M¨arz 2007. http://www.wind-energie.de/de/aktuelles/article/dresdner-bank-rechnet-mit-investitionsboombei-erneuerbarer-energie/145/ (abgerufen am 7.9.2008). [Energiedaten 2008] Energiedaten – Zahlen und Fakten. Nationale und Internationale Entwicklung. Gesamtausgabe der Energiedaten. Datensammlung des Bundesministeriums f¨ur Wirtschaft und Technologie, Berlin, 2008. http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/ energiestatistiken.html (abgerufen am 6.9.2008). [EnWG 2008] EnWG – Gesetz u¨ ber die Elektrizit¨ats- und Gasversorgung. http://bundesrecht. juris.de/enwg 2005/index.html (abgerufen am 7.9.2008). [Fargione 2008] Fargione J et al.: Land Clearing and the Biofuel Carbon Debt. Science, published Online 7 February 2008. ¨ In: Bl¨atter [Hauke/Wiesmann 2007] Hauke R, Wiesmann O: Peak-Oil: Der globale Krieg ums Ol. f¨ur deutsche und internationale Politik, Nr. 7/2007, S. 837 ff. [IEA 2008a] Energy Prices and Taxes, quarterly Statistics. International Energy Agency, OECD, Paris, 2008. [IEA 2008b] Key World Energy Statistics. International Energy Agency, OECD, Paris, 2008. http://www.iea.org/textbase/nppdf/free/2008/key stats 2008.pdf (abgerufen am 6.9.2008). [IPCC 2007a] Working Group I Report: The Physical Science Basis. Summary for Policy Makers. Intergovernmental Panel on Climate Change, Paris, 2 February 2007. http://www. ipcc.ch/SPM2feb07.pdf. [IPCC 2007b] Working Group II Report: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Summary for Policy Makers. Intergovernmental Panel on Climate Change, Brussels, 6 April 2007. http://www.ipcc.ch/SPM13apr07.pdf. [IPCC 2007c] Working Group III Report: Mitigation of Climatic Change. Summary for Policy Makers. Intergovernmental Panel on Climate Change, Bangkok, 4 May 2007. http://www. ipcc.ch/SPM040507.pdf. [IPlanBG 2006a] Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren f¨ur Infrastrukturvorhaben (Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz). Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, Drucksache 764/06, 3.11.2006; unver¨andert akzeptiert durch Bundesratsbeschluss vom 24.11.2006. http://www.buzer.de/gesetz/7500/index.htm (abgerufen am 30.06.2008). [Kaltschmitt 2006] Kaltschmitt M, Streicher W, Wiese A (Hrsg.): Erneuerbare Energien – Systemtechnik, Wirtschaftlichkeit, Umweltaspekte. 4. Aufl., Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York, 2006. [Rahmstorf/Schellnhuber 2006] Rahmstorf S, Schellnhuber H J: Der Klimawandel. Beck-Verlag, M¨unchen, 2006. [Rentzing 2007] Rentzing S: Die Kohle-W¨ascher. In: neue energie, Bundesverband WindEnergie e.V. – BWE, Osnabr¨uck, Heft 5/2007, S. 24–30. [Scharlemann/Laurance 2008] Scharlemann J, Laurance W: How Green Are Biofuels? Science 4, January 2008, vol. 319, no. 5859, S. 43–44. [Schmack 2007] Insight Schmack Biogas. VDI-Nachrichten 02.02.2007, Nr. 5, S. 17. [Stern 2006a] Stern N: Die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels. Zusammenfassung der Schlussfolgerungen, 30. Oktober 2006. http://ukingermany.fco.gov.uk/resources/ de/news/2006/10/13436 (abgerufen am 17.10.2008). [Stern 2006b] Stern N: Stern Review Report on the Economics of Climate Change. HM Treasury, London, 2006. Hard copy Cambridge University Press 2007. http://www.hm-treasury. gov.uk/6520.htm (abgerufen am 17.10.2008).
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Teil I
Grundlagen der Erzeugung und ¨ Ubertragung von Windenergie
In diesem Teil I werden zuerst die physikalisch-technischen Grundlagen dargestellt (Kap. 2). Anschließend wird der Wind als stochastische Energiequelle beschrieben (Kap. 3). Schließlich werden Probleme der Versorgungssicherheit bei Windenergieeinspeisung erl¨autert und L¨osungen vorgestellt (Kap. 4).
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Kapitel 2
Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
Wie fast alle auf der Erde verf¨ugbaren Energieformen ist auch Windenergie eine abgeleitete Form von Sonnenenergie. Die unterschiedliche Erw¨armung der Erdatmosph¨are durch die Einstrahlung der Sonne auf verschiedene Gebiete der Erdoberfl¨ache f¨uhrt zu Dichte- und Druckunterschieden, die in fluktuierenden Luftstr¨omungen auf allen L¨angen- und Zeitskalen von Metern bis zu Tausenden von Kilometern und von Sekunden bis zu Wochen und Monaten ihren Ausgleich suchen. Das Leistungsangebot des Windes steigt mit der dritten Potenz der momentanen Windgeschwindigkeit. Tats¨achlich l¨auft eine große Windenergieanlage erst bei 3 bis 5 m/s an, erreicht dann Nennleistung bei 12 bis 14 m/s und wird bei etwa 25 m/s sturmabgeschaltet. Dabei wird maximal eine elektrische Energieausbeute von vier F¨unftel des theoretischen H¨ochstwerts einer idealen Windenergieanlage realisiert. Der tats¨achliche Jahresenergieertrag an einem Standort steigt etwa mit dem Quadrat des dort gegebenen Jahresmittelwerts der Windgeschwindigkeit. Op¨ timierung des Energieertrags und Vermeidung von Uberlastung werden bei großen Anlagen durch eine der jeweiligen Windgeschwindigkeit entsprechende Einstellung des Anstellwinkels der Rotorbl¨atter erreicht.
2.1
Globale und lokale Luftzirkulation in der Atmosph¨are – Klima und Wetter
Die erste Ursache aller Winde ist die Einstrahlung von Sonnenenergie, die die Erdoberfl¨ache und die dar¨uber liegenden Luftschichten unterschiedlich erw¨armt – am ¨ st¨arksten in der Aquatorzone, am wenigsten nahe den Polen; außerdem werden die großen Kontinentalfl¨achen v.a. bei Tag in der warmen Jahreszeit st¨arker erw¨armt als ¨ die Ozeane. In der Aquatorzone steigt die warme und deshalb relativ leichtere Luft bis in große H¨ohen (10 km und mehr) und str¨omt dort (also am unteren Rand der ¨ Stratosph¨are) beiderseits des Aquators jeweils zu den Polen. In dem so entstehenden ¨ G¨urtel tiefen Luftdrucks am Aquator str¨omt aus den bodennahen Schichten k¨uhlere Luft aus den mittleren Breiten nach.
L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 2,
23
24
2.1.1
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
Regul¨are und chaotische Str¨omung
¨ Ohne die Effekte der Erdrotation w¨urde sich aufgrund von „Heizung“ am Aquator und „K¨uhlung“ an den Polen auf beiden Halbkugeln ein verh¨altnism¨aßig einfaches globales Bild einer typischen Konvektionsstr¨omung ergeben: „Unten“, d.h. in den ersten Kilometern u¨ ber der festen Oberfl¨ache (Troposph¨are) fließt sie von h¨oheren ¨ Breiten und den Polen zum Aquator, dort steigt die erw¨armte Luft auf und fließt „oben“, d.h. oberhalb gut 10 km (Stratosph¨are) zur¨uck zu h¨oheren Breiten und zu den Polen, wo die abgek¨uhlte Luft wieder nach unten sinkt. Durch die Erdrotation, die geografische Verteilung von Ozeanen und Kontinenten und die davon bestimmten Klimazonen und großr¨aumigen Wettergebiete wird dieses einfache regul¨are, d.h. zeitlich station¨are Str¨omungsbild wesentlich ver¨andert: Die globalen Str¨omungen werden nun irregul¨ar, zeitlich nicht station¨ar und zerfallen in regionale und lokale Wirbel – chaotische Bewegung im Wortsinn der Theorie des deterministischen Chaos. Dies kommt so zustande: Die durch die Drehung von West nach Ost bedingte momentane lineare Geschwin¨ digkeit von festen Punkten auf der Erdoberfl¨ache ist am Aquator (ca. 40.000 km in 24 h) am gr¨oßten (1.667 km/h), und f¨allt bis zu den Polen mit wachsendem geografischem Breitengrad ϕ wie cos ϕ auf Null ab. Ein Luftvolumen, das sich, sagen wir von den Kanarischen Inseln auf ca. ¨ 30 ◦ n¨ordlicher Breite zum Aquator „angesaugt“ genau nach S¨uden hin in Bewegung setzt, ist weiter s¨udlich zu langsam gegen¨uber der dort h¨oheren West-OstDrehgeschwindigkeit eines Punktes auf der festen Erdoberfl¨ache. Das genannte Luftvolumen kommt dieser schnelleren Bewegung der festen Erdoberfl¨ache als Gegenwind von Nordosten her entgegen – eine einfache Erkl¨arung f¨ur die zwischen 30 ◦ n¨ordlicher Breite und 30 ◦ s¨udlicher Breite das ganze Jahr u¨ ber wehenden sehr stetigen kr¨aftigen Passat-Winde: Nordost-Passat n¨ordlich, S¨udost-Passat s¨udlich des ¨ Aquators. ¨ Weiter entfernt vom Aquator werden die Windverh¨altnisse dann noch komplexer, indem sie zus¨atzlich von der Verteilung von Kontinenten und Ozeanen und vom regionalen Klima und Wetter bestimmt werden. Auf der n¨ordlichen Halbkugel folgt auf den subtropischen Sch¨onwetterg¨urtel die „gem¨aßigte Zone“ mit im Bereich des Atlantiks u¨ berwiegenden, wenn auch stark schwankenden Westwinden. F¨ur Europa bestimmend sind n¨amlich die Druckverh¨altnisse u¨ ber dem o¨ stlichen Atlantik, wo das ¨ Druckgef¨alle nun nicht mehr zum Aquator hin verl¨auft, sondern von dem typischen kanarischen Hoch zum Islandtief, also – anders als im Passatg¨urtel – von S¨uden nach Norden. Luftmassen werden hier also zu h¨oheren geografischen Breiten transportiert, wo ihre mitgebrachte West-Ost-Geschwindigkeit h¨oher ist als die von Punkten der Erdoberfl¨ache – sie wehen diesen Punkten also von Westen her entgegen; so entstehen bei den genannten typischen Lagen von Hochdruck- und Tiefdruckgebieten die u¨ berwiegenden Westwinde. Dies ist ein Ergebnis der „Tr¨agheit der Bewegung“: Jeder K¨orper, auch ein Luftvolumen, beh¨alt seine Geschwindigkeit nach Richtung und Gr¨oße bei, solange nicht eine reale physische Kraft auf ihn einwirkt. Insgesamt ergibt sich als Folge dieser Tr¨agheit auf der n¨ordlichen Halbkugel stets eine Ablenkung nach rechts,
2.1 Globale und lokale Luftzirkulation in der Atmosph¨are – Klima und Wetter
25
sodass Hochdruckgebiete, von denen Luft abstr¨omt, im Wesentlichen von einem Wirbel im Uhrzeigersinn umstr¨omt werden, Tiefdruckgebiete aber gegen den Uhrzeigersinn; auf der S¨udhalbkugel jeweils umgekehrt. Diese sehr großr¨aumigen Wirbel, Tausende von Kilometern im Durchmesser, sind instabil gegen¨uber der Abspaltung von kleineren Wirbeln, die nach Westen driften und als „Tief“ oder als „Sturmtief“ h¨aufig das Wetter in Westeuropa bestimmen, wobei sie selbst wiederum in immer kleinere instabile turbulente Str¨omungen zerfallen und damit eine pr¨azise kleinr¨aumige Wettervorhersage sehr erschweren. Kasten 2.1: Mathematische Beschreibung der Str¨omungen in einem rotierenden Bezugssystem Zur mathematischen Beschreibung der Str¨omungen in einem rotierenden Bezugssystem wird neben den Druckkr¨aften die oben beschriebene Wirkung der Rotation der Erde als „Scheinkraft“ eingef¨uhrt unter der Bezeichnung Corioliskraft. Das Zusammenwirken dieser Kr¨afte in den physikalischen Gesetzen von Aerodynamik und Thermodynamik ergibt a¨ ußerst komplexe Bewegungsgleichungen f¨ur die Luftstr¨omungen. Aus diesen werden f¨ur die globalen Bewegungen mit entsprechenden Vereinfachungen die mathematischen Klimamodelle hergeleitet (Kasten 2.2). F¨ur den einfachsten Fall einer regionalen Str¨omung (bei zeitlich konstantem, linearem und großr¨aumigem Luftdruckgef¨alle) ergibt sich als L¨osung der Bewegungsgleichung der so genannte geostrofische Wind, der sich in der Tat unter solchen Umst¨anden oberhalb der von Bodenrauigkeit gest¨orten untersten Luftschicht, also viele Hunderte bis etwa tausend Meter u¨ ber dem Meer oder u¨ ber flachen Ebenen, ausbildet. Wenn sich n¨amlich das Gleichgewicht zwischen der Nord-S¨ud-Komponente der Druckkraft und der Corioliskraft eingestellt hat, str¨omt die Luft nicht etwa parallel zum Druckgef¨alle, sondern quer dazu, also ann¨ahernd parallel zu den Isobaren, den Linien konstanten Luftdrucks, außer dort, wo diese Linien exakt nord-s¨udlich verlaufen. Dieser zeitlich sehr gleichm¨aßige geostrofische Wind erreicht typischerweise Geschwindigkeiten von 50 m/s bis 100 m/s. Die Tendenz zu sehr hohen T¨urmen (deutlich u¨ ber 100 m) f¨ur neue große Windenergieanlagen entspringt dem Bestreben, diesem stetigen Luftstrom n¨aherzukommen, um so eine hohe, gleichm¨aßige Energieausbeute zu erzielen. In der planetaren Grenzschicht oder Peplosph¨are – den unteren 1,5 km bis 2 km der Erdatmosph¨are – wird der Wind durch die Bodenreibung gebremst. Hier weht er nicht parallel zu den Isobaren, sondern eher in Richtung zum tieferen Luftdruck, wodurch sich die Tiefdruckgebiete nach einigen Tagen auff¨ullen. Die Ablenkung des Windes wird dabei zum Boden hin st¨arker und nimmt von oben gesehen die Form einer Spirale, der so genannten Ekman-Spirale, an (vergleiche Ekman-Spirale im Bereich Meeresstr¨omung). Wird der Wind, wie hier beschrieben, durch Reibung oder andere Einfl¨usse (so genannte ageostrophische Komponenten, z.B. der Wirbeldichte) beeinflusst, spricht man von ageostrophischen Winden.
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2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
Kasten 2.2: Klimamodelle und Chaostheorie Aus der Kombination der Formeln f¨ur die Druck- und f¨ur die Scheinkr¨afte und f¨ur ihre Wirkung auf das globale Str¨omungssystem entstehen die mathematischen Klimamodelle. Das einfachste Klimamodell, das die globale Str¨omung mit der notwendigen Mindestzahl von nur drei zeitabh¨angigen Variablen beschreibt, wurde von dem amerikanischen Physiker Edward N. Lorenz vor gut 40 Jahren per Computer durchgerechnet mit dem damals u¨ berraschenden ¨ Ergebnis, dass das System auf minimale Anderungen der Anfangsbedingungen nach einer simulierten Laufzeit von wenigen Tagen mit einem g¨anzlich verschiedenen zeitlichen Verlauf reagiert. Dies war die Endeckung der „sensitiven Abh¨angigkeit von den Anfangsbedingungen“. Ein Wissenschaftsjournalist hat die Tragweite dieser Entdeckung des drastischen Einflusses winziger Ver¨anderungen mit dem Bild des „Schmetterling-Effekts“ zu verdeutlichen versucht: Es k¨onnte „eines Falters Fl¨ugelwehen“ an einem Punkt der Erde dar¨uber entscheiden, ob Tage sp¨ater in einem anderen Kontinent ein großer Wirbelsturm eintritt oder nicht. Der „Lorenz-Attraktor“, das ist die Bahn, die die drei Zustandsvariablen des von Lorenz untersuchten Klimamodells in einem abstrakten dreidimensionalen Zu¨ standsraum in der Zeit durchlaufen, hat u¨ brigens selbst entfernte Ahnlichkeit mit einem Schmetterling: Die Bahn uml¨auft in zahllosen eng benachbarten Schlingen eineArt von „Auge“, um unvermittelt zu a¨ hnlichen Schlingen um ein anderes „Auge“ u¨ berzugehen. Die Koordinaten jeden Punkts auf dieser Kurve stellen die Werte der drei Zustandsvariablen dar, etwa Temperaturverteilung, Druckverteilung und Geschwindigkeitsverteilung, die das globale Klima zu einer gegebenen Zeit charakterisieren. Eine solche unendlich lange, beinahe raumf¨ullende Zustandskurve, die sich nirgends selbst schneidet, wird als „Seltsamer Attraktor“ bezeichnet. Derartige „Seltsame Attraktoren“ sind charakteristisch f¨ur die Eigenschaften all der komplexen Systeme, die in den letzen 40 Jahren nach der Pionierarbeit von Lorenz in der „Chaosforschung“ untersucht worden sind. Der große franz¨osische Mathematiker, Astronom und Wissenschaftstheoretiker Henri Poincar´e (1854-1912), also f¨unf Jahre vor Edward Lorenz Geburt gestorben, hat in seiner genialen, dreib¨andigen „Himmelsmechanik“ (¨uber die Planetenbewegung) bereits 1892 wesentliche Elemente der Chaostheorie vorweggenommen, doch wurde dieser Teil seiner Arbeiten eigentlich erst nach 1960 (wieder-)entdeckt. Er ist also ein Vorl¨aufer, aber kein Mitbegr¨under der Chaosforschung. W¨ahrend Lorenz zur Berechnung seines Attraktors ein Großrechner zur Verf¨ugung stand, benutzte Poincar´e alle analytischtheoretischen Methoden der Mathematik und Physik. Zu seiner Zeit Ende des 19. Jahrhunderts verstand die Bedeutung und Reichweite seiner Theorie wohl kaum jemand, 1925 einige wenige (Birkhoff-Poincar´e-Theorem), heute ist seine Theorie und ihre Weiterentwicklung Gegenstand von Oberseminaren,
2.1 Globale und lokale Luftzirkulation in der Atmosph¨are – Klima und Wetter
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die eine Elite von Studenten besuchen; sie werden anschließend entweder verr¨uckt oder Mathematik-Professoren. Das Lorenz-Modell gilt als Musterbeispiel f¨ur deterministisches Chaos. Dies weist auf ein wichtiges praktisches Problem f¨ur die Nutzung der Windenergie hin: Eine zuverl¨assige Voraussage der Windverh¨altnisse an einem bestimmten Ort in Europa ist selbst bei Vorliegen aktueller Messwerte von vielen Wetterstationen nur f¨ur Stunden, maximal f¨ur etwas u¨ ber einen Tag m¨oglich.
2.1.2 Wind und Windenergie Wie fast alle auf der Erde verf¨ugbaren Energieformen ist also auch Windenergie eine abgeleitete Form von Sonnenenergie. Wie gerade beschrieben, f¨uhrt die unterschiedliche Erw¨armung der Erdatmosph¨are durch die Einstrahlung der Sonne auf verschiedene Gebiete der Erdoberfl¨ache zu Dichte- und Druckunterschieden, die in fluktuierenden Luftstr¨omungen auf allen L¨angen- und Zeitskalen von Metern bis zu Tausenden von Kilometern und von Sekunden bis zu Wochen und Monaten ihren Ausgleich suchen. In den unteren Luftschichten von Metern bis zu Kilometern u¨ ber der Erdoberfl¨ache u¨ berlagern (unter dem Einfluss von Bodenreibung und Bodenrauigkeit) immer kleinere turbulente Windfelder die großr¨aumigen Str¨omungen, wobei im Mittel der Betrag der Windgeschwindigkeit von oben nach unten abnimmt und direkt am Boden den Wert Null erreicht. F¨ur die Windenergienutzung ist die Zunahme der an einem bestimmten Standort zu erwartenden Windgeschwindigkeit mit der H¨ohe u¨ ber dem Erdboden entscheidend. F¨ur diese Abh¨angigkeit der mittleren Windgeschwindigkeit von der H¨ohe gibt es physikalische Modelle unterschiedlicher Komplexit¨at, in die u.a. die Topografie des Standorts, die Bodenrauigkeit der Umgebung und die typische atmosph¨arische Temperaturschichtung eingehen. F¨ur die Windenergienutzung zu bevorzugende Standorte sind offensichtlich Standorte geringer Bodenrauigkeit, also im Meer oder unmittelbar an einer flachen K¨uste, große, wenig bewaldete Ebenen im Flachland, ¨ in gewissem Maß auch H¨ugel- oder Bergkuppen und Gebirgsp¨asse, bei deren Uberoder Durchstr¨omen die Luftbewegung beschleunigt wird. Einerseits nimmt die mittlere Windgeschwindigkeit mit der H¨ohe zu, gleichzeitig nimmt die mittlere St¨arke der turbulenten Schwankungen ab. Daher – und von der wachsenden Knappheit sehr guter Standorte in Deutschland – r¨uhrt die Tendenz der letzten Jahre, Anlagen mit immer h¨oheren T¨urmen zu errichten (Abschn. 9.1). Doch sind auch bei solchen Anlagen mit Turmh¨ohen von gut 100 m und mehr noch starke turbulente Schwankungen von St¨arke und Richtung des Windes im Minutenbereich die Regel. Die von der Windturbulenz herr¨uhrenden mechanischen Dauerwechselbelastungen der Anlagen sind der Lebensdauer der betroffenen
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2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
Bauteile abtr¨aglich. Die durch die starken turbulenten Windschwankungen bewirkten Leistungsschwankungen der einzelnen Windenergieanlagen im Minutenund Stundenbereich werden allerdings durch das Zusammenschalten der Anlagen eines gr¨oßeren Windparks weitgehend ausgeglichen. Im Gegensatz dazu sind die Schwankungen im Bereich von vielen Stunden oder gar Tagen raum-zeitlich wenig korreliert und k¨onnen deshalb selbst durch das großr¨aumige Zusammenschalten von Windparks in großen Regionen nur teilweise ausgeglichen werden. Insbesondere gibt es in mittleren geografischen Breiten immer wieder ausgepr¨agte l¨angere großr¨aumige Windflauten, w¨ahrend derer auch die Summe der Energieproduktion aller Anlagen in Westeuropa auf niedrige Werte sinken kann. Schließlich gibt es von Jahreszeit zu Jahreszeit einen typischen Jahresgang, aber auch ziemlich unregelm¨aßige großr¨aumige Variationen von Jahr zu Jahr, bei denen schließlich der elfj¨ahrige Sonnenfleckenzyklus eine Rolle spielt sowie Effekte des Klimawandels durch „nat¨urliche“ Einfl¨usse, z.B. Vulkanismus, und durch menschliche Einwirkungen wie CO2 -Emission etc. Diese stochastischen Schwankungen der Windgeschwindigkeit und der m¨oglichen Windenergieproduktion k¨onnen mathematisch beschrieben und modelliert werden (Abschn. 3.1).
2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie Die mechanische und damit die elektrische Energie, die der Windstr¨omung durch eine Windenergieanlage entzogen werden kann, wird bestimmt durch die Bewegungsenergie, die in dem Windfeld enthalten ist. Die lokale r¨aumliche Dichte der Bewegungsenergie (kinetische Energie Ekin ) ist durch das Quadrat der momentanen lokalen Windgeschwindigkeit vmom gegeben gem¨aß der Formel Ekin /V = ρ/2 ∗ v2mom J/m3 , mit ρ: = Massendichte der Luft (1,225 kg/m3 auf Meeresh¨ohe bei 15 ◦ C), V: = Volumen.
2.2.1
Umwandlung Stufe 1: Von der Luftstr¨omung zur Drehung der Turbinenwelle
Mit dem Luftvolumen V str¨omt die Bewegungsenergie des Windes mit der Geschwindigkeit vmom durch ein senkrecht zur Windrichtung stehendes Fl¨achenelement F. Die Fl¨achendichte Pkin /F der Leistung dieser Energiestr¨omung ist also Pkin /F = vmom ∗ ρ/2 ∗ v2mom W/m2 .
2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie
29
Eine große Windturbine mit einer Rotorfl¨ache F (z. B. von 10.000 m2 entsprechend einem Rotordurchmesser von 113 m) und einer bestimmten Umlaufzeit T (z.B. einige Sekunden) mittelt bei der Energieaufnahme zeitlich u¨ ber T und r¨aumlich u¨ ber F. Maßgeblich f¨ur die Energieproduktion ist also nicht der punktuelle Wert vmom der Windgeschwindigkeit an einem bestimmten Punkt zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern der raum-zeitliche Mittelwert vF,T u¨ ber die Rotorfl¨ache und u¨ ber die Umlaufzeit. Diese vF,T , ab hier einfach als v(t) bezeichnet, bestimmt also an einem gegebenen Standort das zeitliche Verhalten der Energieproduktion einer Windenergieanlage. Ziel beim Entwurf einer Windturbine, deren Rotor eine bestimmte Fl¨ache F u¨ berstreicht, muss es sein, einen m¨oglichst hohen Anteil der Leistung der Windstr¨omung in mechanische Leistung der Turbinenwelle umzuwandeln. Entgegen einer naiven Erwartung zeigt die Str¨omungslehre, dass zum Erreichen dieses Ziels die u¨ berstrichene Fl¨ache nicht etwa m¨oglichst dicht, sondern vielmehr m¨oglichst wenig mit Rotorbl¨attern best¨uckt sein sollte. So wirkt etwa das typische, aus WesternSpielfilmen wohl bekannte Windrad mit vielen, als Blechscheiben ausgebildeten Speichen, das vielerorts bis heute zum Wasserpumpen dient, fast wie ein massives Hindernis, das mehr umstr¨omt als durchstr¨omt wird und deshalb einen sehr geringen Umwandlungswirkungsgrad aufweist. Den h¨ochsten Wirkungsgrad weisen propellerartige Turbinen auf mit zwei oder drei sehr schmalen Rotorfl¨ugeln. Diese zeigen im Querschnitt ein a¨ hnliches Profil wie Flugzeugfl¨ugel und sind in sich so verdrillt, dass sie bei jedem Abstand von der Turbinenachse bei Nenndrehzahl den optimalen Anstellwinkel zu der in Folge der Drehung resultierenden Anstr¨omung der Luft zeigen. Eine so gebaute Windturbine kommt einer idealen Windturbine relativ nahe, die n¨amlich bei gegebener Fl¨ache des Rotors den theoretisch erreichbaren maximalen Anteil der Windstr¨omung in mechanische Leistung umwandelt. F¨ur dieses theoretische Maximum hat Albert Betz schon vor gut 80 Jahren eine ber¨uhmte Formel hergeleitet [Betz 1926]: den Betz schen Wirkungsgrad von 16/27 = 59,3%. Eine auf das Wesentliche vereinfachte Herleitung dieses Ergebnisses geht wie folgt: Da die Luft nach dem Durchstr¨omen der Windturbine ja nicht „stehen bleiben“ kann, sondern mit einer endlichen Geschwindigkeit vnach weiterstr¨omen muss, kann offenbar nicht die gesamte kinetische Energie der anstr¨omenden Luft auf die Rotorbl¨atter der Windturbine u¨ bertragen werden, sondern nur ein Anteil E = ρ/2 ∗ v2vor − v2nach . Damit alle Luft tats¨achlich abstr¨omt, muss allerdings (bei konstanter Luftdichte) der Str¨omungsschlauch, der auf die Rotorfl¨ache trifft, sich dort so aufweiten, dass seine Querschnittsfl¨ache nach der Turbine im Verh¨altnis Fnach / Fvor = vvor / vnach vergr¨oßert ist1 . F¨ur die Durchstr¨omung der Ebene, in der die Rotorfl¨ache liegt, kann der Mittelwert zwischen der Geschwindigkeit vvor des ungest¨orten Windfelds vor 1
F * v [m3 /s] ist das pro Sekunde transportierte Luftvolumen, das vor und nach dem Durchstr¨omen der Turbine ann¨ahernd gleich groß ist.
Abb. 2.1 Betz scher Leistungsbeiwert einer Windenergieanlage (Betz scher Leistungsbeiwert einer idealen Windturbine in Abh¨angigkeit der Windgeschwindigkeit nach der Turbine (vnach ) im Verh¨altnis zur Windgeschwindigkeit vor der Turbine (vvor ) [Kaltschmitt (2006), S. 282])
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung 0,7 maximaler Leistungsbeiwert (16/27 bzw. 0,593)
0,6 Leistungsbeiwert Cp,th
30
0,5 0,4 maximaler Leistungsbeiwert cp,max
0,3 0,2 0,1 0
0
1/3
1
der Turbine (d. h. vvor ≈ vmom ) und der Abwindgeschwindigkeit vnach ein St¨uck weit nach der Turbine wie folgt angesetzt werden: vmittel = 1/2 ∗ (vvor + vnach ) . F¨uhrt man die Variable x = vnach /vvor ein, das ist der Bruchteil, auf den die Windgeschwindigkeit durch die Wechselwirkung mit der Turbine abgebremst wird, so ergibt sich2 durch einfache Rechnung aus den drei obigen Formeln dieses Abschnitts: 3 ∗ 1/2(1 + x − x2 − x3 ). PTurb. /F = ρ/2 ∗ vvor Diese Fl¨achenleistung einer idealen Windturbine mit homogener turbulenzfreier Durchstr¨omung ist in Abb. 2.1 als Funktion von x = vvor /vnach gezeigt. Eine einfache Rechnung zeigt das in Abb. 2.1 dargestellte Ergebnis: Es sei die Leistung der ungest¨ort anstr¨omenden Luft gegeben durch P0 = ρ/2 ∗ v3vor ∗ F [W] . Die Leistung der idealen Windturbine erreicht ihr Maximum von 16/27 ∗ P0 , wenn die Anstr¨omgeschwindigkeit vvor in der Windturbine auf vnach = 1/3 ∗ vvor abgebremst wird. Die ideale Windturbine kann also nach Betz 16/27 ≈ 59% der Leistungsdichte des anstr¨omenden Windes in mechanische Energie an der Turbinenwelle umwandeln. Der in einer realen Windturbine tats¨achlich umgewandelte Bruchteil wird als Leistungsbeiwert cP bezeichnet. F¨ur eine reale Turbine ergibt sich ein Leistungsbeiwert cP , der stets deutlich kleiner ist als der Betz sche Maximalwert cP,max . 2 als Obergrenze, d.h. unter Vernachl¨ assigung von Energieverlusten durch Luftreibung und sich abl¨osende Luftwirbel.
2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie Abb. 2.2 Leistungsbeiwert von Enercon-70m/2,3MW und Enercon-82m/2MW ([Enercon 2006, S. 6/7])
31
effektiver Leistungsbeiwert cp-ges [-] 0,5
Enercon-70m/2,3MW Enercon-82m/2MW
0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0
5
10 15 20 Windgeschwindigkeit [m/s]
25
30
Bei einer gegebenen technischen Ausf¨uhrung h¨angt er stark von der tats¨achlichen Momentangeschwindigkeit ab: cP = cP (vmom ) . Er erreicht aber bemerkenswerter Weise bei modernen Windturbinen ein Maximum von etwa 80% des Betz schen Idealwerts. Damit betr¨agt die Leistung an der Turbinenwelle einer Windenergieanlage mit einer Rotorfl¨ache F = π ∗ r2 (r = effektive Fl¨ugell¨ange) P = cP (vmom ) ∗ ρ/2 ∗ v3mom ∗ F [W] . Um die elektrische Leistung am Generatorausgang zu erhalten, ist diese Zahl noch mit dem leistungsabh¨angigen Wirkungsgrad η(P) des Generators (und ggf. des Getriebes) zu multiplizieren: Pel = η (P) ∗ cP (v) ∗ ρ/2 ∗ v3mom ∗ F [W] . η ∗ cP wird h¨aufig als effektiver Leistungsbeiwert ceff oder als Gesamtwirkungsgrad cPges bezeichnet. Der Leistungsbeiwert (= Gesamtwirkungsgrad) von 3 großen Windenergieanlagen der neuesten Generation (die auch den Abb. 2.4 und 2.5 zugrunde liegen) ist in Abb. 2.2 beispielhaft dargestellt. Der Leistungsbeiwert ist, wie erl¨autert, die bei Windgeschwindigkeit v gemessene Fl¨achenleistung der Windenergieanlage dividiert durch die Leistungsfl¨achendichte ρ/2 ∗ v3 der ungest¨orten Luftstr¨omung dieser Geschwindigkeit. Der Leistungsbeiwert erreicht tats¨achlich in einem relativ breiten Bereich um 9 m/s mit 0,5 mehr als 80% des Betz schen Idealwerts.
2.2.2
Umwandlung Stufe 2: Von der Turbine bis zum Drehstromausgang einer Windenergieanlage: die Leistungskennlinie
Eine Windenergieanlage findet auch an guten Standorten ein Windfeld vor, das st¨undlich oder t¨aglich zwischen Flaute, Wind, Starkwind und Sturm hin und
32
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
her wechseln kann. Die Umwandlung und der Leistungsbeiwert moderner großer Windenergieanlagen werden dabei so geregelt, dass drei Ziele erreicht werden: • Bei gegebener Gr¨oße von Turbine und Generator soll die Jahresenergieerzeugung am jeweiligen Standort m¨oglichst groß sein. ¨ • Eine mechanische und elektrische Uberlastung der Anlage – insbesondere bei Starkwind oder Sturm – muss ausgeschlossen werden. • Bei laufendem Generator muss an den elektrischen Ausgangsklemmen stets dreiphasiger Wechselstrom mit der exakten Frequenz von – in Deutschland – 50 Hz in das Stromnetz eingespeist werden und, wenn m¨oglich, auch in der vom Netz ben¨otigten Phasenlage, d. h. Bereitstellung von kapazitiver oder induktiver Blindleistung. Wie moderne große Anlagen diese Ziele durch eine Kombination von mechanischen und elektrischen Maßnahmen erreichen, soll hier nur knapp und vereinfacht dargestellt werden. F¨ur die komplizierten str¨omungstechnischen und elektrotechnischen Einzelheiten sei auf die Spezialliteratur verwiesen3 . Die ersten beiden Ziele – Optimierung des Energieertrags und Vermeidung ¨ von Uberlastung – werden v.a. durch Regelung des Leistungsbeiwerts der Turbine erreicht. Bei großen Anlagen, vorzugsweise heute mit Horizontalachse und drei Rotorbl¨attern gebaut, geschieht diese Regelung durch eine der jeweiligen Windgeschwindigkeit entsprechende Einstellung des Blattanstellwinkels, siehe Abb. 2.3. Das Bild ist so zu verstehen, dass die Achse der Turbine nach oben zeigt, der Anstr¨omung mit der Windgeschwindigkeit vWi entgegen. Der Anstellwinkel α, den das Blattprofil mit der effektiven Richtung der Windanstr¨omung des Rotorblattes bei ruhendem oder drehendem Rotor bildet, wird als „pitch“ bezeichnet, daher die Bezeichnung „pitch control“. Die zweite Teilfigur in Abb. 2.3 zeigt unter dem Titelwort „Anfahren“ die Situation, die der auf ein Rotorblatt wirkenden Kraft den Namen (dynamische) Auftriebskraft gibt: Der a¨ hnlich geformte Tragfl¨ugel eines Flugzeugs, das sich gegen die ruhende Luft bewegt, erf¨ahrt bekanntlich eine Auftriebskraft, die dem Gewicht des Flugzeugs entgegenwirkt und dieses in der Luft h¨alt. Bei der Windenergieanlage u¨ bt die bewegte Luft, d.h. der Wind, eine Kraft FA auf den noch ruhenden Rotorfl¨ugel aus, die diesen in Drehrichtung des Rotors in Bewegung setzt. Sobald sich der Rotor mit der Nenndrehzahl von u¨ blicherweise T = 0,2 bis 0,5 Umdrehungen pro Sekunde dreht, ergibt sich die effektive Anstr¨omgeschwindigkeit vA aus der (vektoriellen) Zusammensetzung von Windgeschwindigkeit vWi und (negativer) Eigengeschwindigkeit -vu des Rotors. Die dritte Teilfigur in Abb. 2.3 zeigt den Blattanstellwinkel f¨ur den Fall, dass die Windgeschwindigkeit kleiner ist als die Nennwindgeschwindigkeit, die vierte Teilfigur f¨ur den Fall Windgeschwindigkeit gr¨oßer Nennwindgeschwindigkeit. Bei Windgeschwindigkeiten unterhalb der Nennwindgeschwindigkeit ergibt sich eine effektive Anstr¨omrichtung, die einen „flachen“ Anstellwinkel erfordert, nicht weit aus der Ebene des vom Rotor 3 Siehe etwa [Kaltschmitt 2006, Kap. 6; Heier 2005; Gasch/Twele 2005; Sathyajith 2006] und die dort zitierte weiterf¨uhrende Literatur.
2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie
33
Abb. 2.3 Regelung des Leistungsbeiwerts durch Blattanstellwinkelverstellung (Str¨omungsverh¨altnisse am Rotorblatt im Stillstand (Fahnenstellung, z. B. bei Sturm), beim Anfahren sowie beim Betrieb unterhalb und oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit [Kaltschmitt 2006, Abb. 6.22, S. 320])
u¨ berstrichenen Kreises herausgestellt, wie in der dritten Teilfigur in Abb. 2.3 dargestellt. Arbeit leistet nur die Komponente einer Kraft, die parallel zur Bewegungsrichtung des angetriebenen K¨orpers wirkt (Arbeit = Kraft ∗ Weg), hier also die Komponente von FA in Richtung der Drehbewegung des Rotorfl¨ugels, also der Vektor FA,t , tangential zu dem Kreis, den die Fl¨ugelspitze beschreibt. Die effektive Anstr¨omung des Fl¨ugels, der Anstellwinkel und die Kr¨afte bei wachsender Windgeschwindigkeit sind in den beiden rechten Teilfiguren von Abb. 2.3 dargestellt: Der Anstellwinkel wird bei drehendem Rotor und wachsender Windgeschwindigkeit immer steiler gestellt, so dass die Tangentialkraft FA,t gerade den zum Antrieb des Stromgenerators jeweils erforderlichen Wert erreicht. Die zur treibenden Kraft senkrechte Komponente FA,s ist ein reiner Windwiderstand, den die tragenden Elemente Rotorfl¨ugel, Rotorlager und Turm aufnehmen m¨ussen, so wie eine Br¨ucke die senkrecht zum Verkehr wirkende Schwerkraft der Fahrzeuge aufnimmt. Kleine, einfache Anlagen ohne den komplizierten Mechanismus zur PitchVerstellung der Rotorfl¨ugel arbeiten mit starrer Blattlagerung. Bei hoher Windgeschwindigkeit reißt dann die glatte Umstr¨omung des Profils an der Hinterkante ab und geht in Turbulenz u¨ ber. Dabei verschwindet die das Blatt antreibende Tangentialkraft FA,t nahezu, die Turbine kommt zum Stillstand – „stall“ – durch die so genannte „stall-control“. Es bleibt aber eine hohe Windwiderstandskraft FA,s , die der Rotor und ¨ der Turm aufnehmen muss. Ubrigens: Auch f¨ur zuk¨unftige, extrem große Anlagen
34
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
mit Rotordurchmessern von u¨ ber 150 m wird u¨ ber L¨osungen ohne Pitch-Verstellung der Rotorfl¨ugel nachgedacht. Mit von Null zunehmender Windgeschwindigkeit geht eine pitch-geregelte Windenergieanlage durch 4 Betriebszust¨ande: (A) Unterhalb einer Anlaufgeschwindigkeit reicht die Antriebskraft FA nicht aus, um die Reibungs- und Tr¨agheitskr¨afte der Anlage zu u¨ berwinden, die Turbine steht still. (B) Beim Erreichen der Anlaufgeschwindigkeit wird der Anstellwinkel, wie in der zweiten Teilfigur von Abb. 2.3 gezeigt, so gestellt, dass die Auftriebskraft genau in Drehrichtung zeigt. Die Anlage l¨auft an, bis sie die Nenndrehzahl erreicht, bei großen Anlagen 10 bis maximal 30 Umdrehungen pro Minute, n¨amlich so, dass die Geschwindigkeit der Blattspitze nicht wesentlich u¨ ber 100 m/s hinausgeht, also unter einem Drittel der Schallgeschwindigkeit bleibt, um nicht zu viel pfeifende Ger¨ausche zu erzeugen. Bei Nenndrehzahl muss der Anstellwinkel, wie in der dritten Teilfigur gezeigt, sehr viel flacher gestellt werden, damit das Blatt bei der resultierenden schr¨agen Anstr¨omung die maximale Auftriebskraftkomponente FA,t in Drehrichtung erf¨ahrt. In diesem Betriebszustand – zwischen gut 4 m/s und der Nennwindgeschwindigkeit, bei der die installierte Nennleistung des Generators erreicht wird, je nach Standortg¨ute 12 m/s bis 15 m/s – wird die Anlage so gefahren, dass der Leistungsbeiwert immer die schon oben erw¨ahnten 80% des Betz schen Leistungsbeiwerts erreicht, also fast die H¨alfte der Str¨omungsleistung des Windes in elektrische Energie umgewandelt wird. Da die Str¨omungsleistung des Windes aber mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit zunimmt (Abschn. 2.2.1) und der Leistungsbeiwert der Anlagen in diesem Bereich zwischen Anlauf- und Nennwindgeschwindigkeit mittels der Pitch-Regelung auf einen fast konstanten Wert von knapp 0,5 gestellt werden kann, steigt auch die abgegebene Leistung einer solchen Anlage in diesem Bereich etwa mit v3 an, siehe Abb. 2.3, um kurz vor Erreichen der Nennleistung in diesen S¨attigungswert einzum¨unden. (C) Die Wahl der Generatornennleistung, genauer gesagt der spezifischen Fl¨achenleistung in Watt pro m2 Rotorfl¨ache, wird vom Kosten-Nutzen-Optimum bestimmt (Abschn. 9.4.1) und h¨angt wesentlich vom Standort ab: Wo hohe Windgeschwindigkeiten h¨aufiger sind, lohnt sich ein Generator samt Antriebsstrang und elektrischen Zusatzger¨aten mit h¨oherer Nennleistung. Bei einer bestimmten Nennwindgeschwindigkeit, die u¨ blicherweise zwischen 10 m/s und 14 m/s liegt, wird diese Nennleistung erreicht. Bei einer weiteren Erh¨ohung der Windgeschwindigkeit wird im Betriebszustand „Nennleistung“ der Anstellwinkel wieder steiler gestellt, siehe vierte Teilfigur ganz rechts in Abb. 2.3. Damit wird die abgegebene Leistung in einem breiten Bereich von der Nennwindgeschwindigkeit bis zur Sturmabregelung oder -abschaltung oberhalb etwa 25 m/s bis 30 m/s auf dem Wert der Nennleistung gehalten, wie in Abb. 2.4 zu sehen ist. (D) Bei sehr hohen Windgeschwindigkeiten wird der Anstellwinkel, wie in Abb. 2.3 ganz links gezeigt, in die „Fahnenstellung“ gebracht und dieAntriebskraft auf die
2.2 Von der Bewegungsenergie des Windes zur elektrischen Energie Abb. 2.4 LeistungGeschwindigkeit-Kurven von Enercon-70m/2,3MW, Enercon-82m/2MW und Repower-126m/5MW (nach [Enercon 2006, S. 6/7] und nach [Repower 2006, S. 7])
35
Leistung [kW] 5.000 Repower-126m/5MW
4.000
Enercon-70m/2,3MW
3.000
Enercon-82m/2MW
2.000 1.000 0 0
5
10 15 20 Windgeschwindigkeit [m/s]
25
30
Achse damit auf Null gebremst. Die Tangentialkomponente der Auftriebskraft FA,t ist in der „Fahnenstellung“ Null, die Axialkomponente, d.h. der Windwiderstand, den die Windenergieanlage erf¨ahrt, gering, da ja dem Sturm gerade die „windschnittige“ Form entgegengestellt wird. Die Stellung „Fahne“ ist genau genommen nur f¨ur einen Blattabschnitt mit einem bestimmten Abstand von der Turbinenachse definiert. Der Blattquerschnitt ist n¨amlich l¨angs des Blattes verdrillt, um so im Bereich der h¨aufigsten Windgeschwindigkeit, die meist etwas unterhalb der Nennwindgeschwindigkeit liegt, u¨ berall l¨angs des Rotorblattes den optimalen Anstellwinkel zu erreichen – also nahe dem Blattfuß steil, fast wie im Betriebszustand „Anlaufen“, da hier die lineare Umlaufgeschwindigkeit gering ist, aber nahe der Blattspitze flach, da hier die Anstr¨omung wegen der hohen Umlaufgeschwindigkeit nur einen kleinen Winkel mit der u¨ berstrichenen Fl¨ache bildet. Um das Biegemoment, also Kraft mal Abstand vom Fußpunkt, gering zu halten, wird man bei Sturm das Blatt so stellen, dass der a¨ ußere Blattabschnitt die Stellung „Fahne“ einnimmt. Der gemessene Verlauf der erbrachten Leistung von drei großen Windenergieanlagen der neuesten Generation ist als Funktion der Windgeschwindigkeit in Abb. 2.4 beispielhaft wiedergegeben. Deutlich sind im Verlauf der Kurven in Abb. 2.4 die vier schon vorher beschriebenen Betriebszust¨ande zu sehen: (A) Stillstand; Anfahren erst bei etwa 3 m/s. (B) Anstieg der Leistung; zun¨achst mit v3 im Bereich bis nahe zur Nennwindgeschwindigkeit von 12 m/s (Enercon-82m/2MW), 14 m/s (Repower-126m/5MW) bis 15 m/s (Enercon-70m/2,3MW), dann Abbiegen zur Nennleistung durch Steilerstellen des Anstellwinkels des Rotorfl¨ugels. (C) Allm¨ahliche Abregelung des Leistungsbeiwerts im Bereich bis etwa 25 m/s, um in diesem ganzen Bereich gerade die Nennleistung zu erzielen. ¨ (D) Schrittweise Abregelung bis auf Null bei Uberschreiten der Sturmgrenze u¨ ber 25 m/s.
36 Abb. 2.5 Fl¨achenleistung in Abh¨angigkeit von der Windgeschwindigkeit
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung Leistung pro Rotorfläche [W/m2] 600 500 400 300 Repower-126m/5MW
200
Enercon-70m/2,3MW
100
Enercon-82m/2MW
0 0
5
10 15 20 Windgeschwindigkeit [m /s]
25
30
Abbildung 2.5 zeigt die gemessene Leistung pro Rotorfl¨ache in Abh¨angigkeit von der Windgeschwindigkeit f¨ur die drei Beispielanlagen. Die Generatorleistung pro Rotorfl¨ache, hier 385 W/m2 (Enercon-82m/2MW), 400 W/m2 (Repower126m/5MW) und 600 W/m2 (Enercon-70m/2,3MW) wird oft als spezifische Fl¨achenleistung bezeichnet. Diese Fl¨achenleistung-Geschwindigkeit-Kurven zeigen im Vergleich, wie je nach Standort und Turmh¨ohe (also Nabenh¨ohe) die Generatorleistung und die Rotorfl¨ache (gegeben durch die Fl¨ugell¨ange) gew¨ahlt werden: Bei bester Windlage, wo Geschwindigkeiten bis 15 m/s h¨aufig und l¨anger erreicht werden, sind die Mehrkosten f¨ur Verst¨arkungen des Generators und der Rotoren durch den h¨oheren erzielbaren Jahresenergieertrag gerechtfertigt. Bei windschw¨acheren Standorten hingegen werden die L¨ange der Rotorbl¨atter und damit die Rotorfl¨ache vergr¨oßert. Entsprechend hat die f¨ur windschw¨achere Gebiete ausgelegte Enercon-82m/2MW eine spezifische Fl¨achenleistung von knapp 400 W/m2 , die f¨ur Starkwindgebiete vorgesehene Windenergieanlage Enercon-70m/2,3MW dagegen 600 W/m2 . Im Gegensatz dazu hat die ebenfalls f¨ur windstarke Gebiete, insbesondere auch f¨ur Offshore-Standorte angebotene Repower-126m/5MW mit 126 m Rotordurchmesser und 5 MW installierter Leistung nur eine spezifische Fl¨achenleistung von rund 400 W/m2 , eine Leistung, die erst bei 15 m/s erreicht wird. Offensichtlich machen sich hier die absoluten Beschr¨ankungen f¨ur die auf See installierbare Generatorgr¨oße bemerkbar: Probleme der mechanischen Stabilit¨at des Turms, seiner Fundierung am Meeresboden und maximale Traglasten von Installationsschiff und -kran erzwingen eine absolute Beschr¨ankung des Gondelgewichts und damit der Generatornennleistung. Die Wahl der kostenoptimalen spezifischen Fl¨achenleistung wird also f¨ur den Windenergieanlagenbetreiber von der Windgeschwindigkeitsverteilung, der Einspeiseverg¨utung sowie den spezifischen Generatorkosten in €/W bestimmt (Abschn. 9.4.1). Sie bestimmt ihrerseits den Ausbaubedarf des Netzes, in das eingespeist wird: Durchwegs hohe spezifische Fl¨achenleistungen erh¨ohen den Regel-, Reserveund Leitungsbedarf.
2.3 Regelung und Netzeinspeisung
2.3
37
Regelung und Netzeinspeisung
Die rasche Verstellbarkeit des Anstellwinkels jedes einzelnen der (heute bei fast allen Anlagen drei) Rotorfl¨ugel um ihre L¨angsachse – so genannter „pitch-control“ – erm¨oglicht es n¨amlich, diese Anlagen der neuesten Generation mit einem Leistungsbeiwert von etwa 0,4 bis maximal 0,5 u¨ ber einen großen Windgeschwindigkeitsbereich zu betreiben: von ca. 5 m/s (etwas gr¨oßer als die Anlaufwindgeschwindigkeit) bis zum Erreichen der Nennleistung bei 12 m/s bis 15 m/s (Nennwindgeschwindigkeit). Ist bei weiter wachsender Windgeschwindigkeit die Volllast, also die elektrische Maximalleistung des installierten Generators erreicht, so wird die Anlage zur¨uckgeregelt, um den Generator nicht zu u¨ berlasten. Auff¨allig ist, dass die gezeigten Enercon-Anlagen schon bei weniger als 2 m/s anlaufen, da die Enercon-Anlagen ohne ein starke Reibungskr¨afte verursachendes Getriebe auskommen (das zudem schwer und st¨orungsanf¨allig ist). Bei diesen getriebelosen Enercon-Anlagen wird zun¨achst nicht Drehstrom mit 50 Hz erzeugt, vielmehr liefert ein vielpoliger Ringgenerator Wechselstr¨ome, deren Frequenz mit der Rotordrehzahl variiert. Durch Gleichrichtung und anschließend elektronisch gesteuerte Wechselrichtung wird die Energie phasenrichtig in 50 Hz Drehstrom umgewandelt [Gasch/Twele 2005, Kap. 13, 1.3; ausf¨uhrlich in Heier, 2005, Kap. 4]. Mit dieser kurzen Beschreibung der getriebelosen Windenergieanlagen, die trotz variabler Drehzahl des Rotors stets Drehstrom exakter Frequenz und Phase erzeugen, ist einer der zahlreichen Wege skizziert, um dieses dritte in Abschn. 2.2.2 genannte Ziel, n¨amlich „Stromproduktion mit konstanter Frequenz“ zu erreichen. ¨ Einen vollst¨andigen Uberblick u¨ ber die Vielzahl von Generatortypen und leistungselektronischen Wandlern, die zur Verf¨ugung stehen, um die Netzanforderungen zu erf¨ullen, enth¨alt die schon genannte Literatur. Die Starkstromtechnik und v. a. die Leistungselektronik haben nicht zuletzt wegen der Herausforderungen durch die Windenergie in den letzten 10 Jahren eine solch rapide Entwicklung genommen, dass die einzelne Windenergieanlage, aber auch ganze Windparks mit Dutzenden von Anlagen systemanalytisch als eine Art von „black box“ behandelt werden k¨onnen: Vorne kommt der fluktuierende Wind hinein, hinten kommt phasenrichtiger, spannungsund frequenzstabiler 50-Hz-Drehstrom heraus. Einige vor wenigen Jahren noch als gravierend angesehene Probleme seien hier exemplarisch benannt. All diese Probleme sind inzwischen bei neuen Anlagen jedenfalls ab 2003 nach Einf¨uhrung der neuen Netzanschlussregeln [VDN 2004] weitgehend gel¨ost: • Regelung: Die Leistungsabgabe kann sekundenschnell nach den Erfordernissen des Einspeisenetzes herunter- und wieder heraufgeregelt werden. • Anlagenschutz: Eine Netzst¨orung, etwa ein Kurzschluss, wirkt sich wegen der zwischengeschalteten Leistungselektronik, etwa eine Gleichrichter-Wechselrichter-Kette, nicht gef¨ahrdend auf den Generator aus. • Stabilit¨at: Netzunterbrechungen im Bereich von Sekunden, etwa zur L¨oschung von Blitz¨uberschl¨agen, gef¨ahrden die Frequenz und Phase der Anlage nicht. • Wiederhochfahren des Netzes nach „black out“: Anlagen des neuen Typs k¨onnen in einem abgetrennten Teilnetz wieder hochgefahren werden.
38
2 Physikalisch-technische Grundlagen der Windenergienutzung
• Kompensation, Blindleistungserzeugung: Anlagen mit Gleichstrom-Zwischenkreis k¨onnen so gesteuert werden, dass dem Netz sowohl kapazitive wie induktive Blindleistung zur Verf¨ugung gestellt wird. ¨ ¨ • Gefahr von Uberlastung des u¨ bergeordneten Ubertragungsnetzes, insbesondere bei Starkwindspitzen und Schwachlast: Bei den seltenen kurzen simultanen Spitzen der Erzeugung eines Großteils der in ein 380-kV-H¨ochstspannungsnetz einspeisenden Windenergieanlagen k¨onnen diese auf die zul¨assige Leistung zur¨uckgefahren werden. Noch eine Bemerkung zu der raschen Regelbarkeit moderner Anlagen mit Hilfe der Anstellwinkelverstellung: Regel- und Reserveenergie: Wegen der sehr raschen Regelbarkeit k¨onnen Windenergieanlagen so gefahren werden, z.B. einige Prozent unterhalb der momentan maximal erzielbaren Leistung, dass kleine kurzzeitige Schwankungen des Windangebots oder der Stromnachfrage ausgeglichen werden k¨onnen. Es ist also leicht m¨oglich, eine Windenergieanlage so zu fahren, dass sie negative Regelenergie durch kurzfristiges Herunterregeln zur Verf¨ugung stellen kann. Sie kann aber grunds¨atzlich auch positive Regelenergie zur Verf¨ugung stellen, falls sie im zeitlichen Mittel nicht mit 100% der momentan m¨oglichen Leistung gefahren wird, sondern nur mit z.B. 95%. Die dann momentan ungenutzten 5% Leistung stehen somit als positive Regelenergie f¨ur den Fall einer Nachfragespitze oder eines Erzeugungsausfalls an anderer Stelle zur Verf¨ugung.
Literatur [Betz 1926] Betz A: Windenergie und ihre Ausnutzung durch Windm¨uhlen, 1926. Nachdruck, ¨ Okobuch Verlag, 1994. [Enercon 2006] Windenergieanlagen – Produkt¨ubersicht. Enercon GmbH, Aurich, 10/2006. http://www.enercon.de/www/de/broschueren.nsf/vwwebAnzeige/95BBD95599625504C12571 94002816F0/$FILE/Produktuebersicht.pdf. [Gasch/Twele 2005] Gasch R, Twele J: Windkraftanlagen – Grundlagen, Entwurf, Planung und Betrieb. 4. Auflage, Teubner-Verlag, Wiesbaden, 2005. [Heier 2005] Heier S: Windkraftanlagen – Systemauslegung, Netzintegration und Regelung. 4. u¨ berarbeitete und aktualisierte Auflage, Teubner-Verlag, Stuttgart, 2005. [Kaltschmitt 2006] Kaltschmitt M, Streicher W, Wiese A (Hrsg.): Erneuerbare Energien – Systemtechnik, Wirtschaftlichkeit, Umweltaspekte. 4. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York, 2006. [Repower 2006] Das 5-Megawatt-Kraftwerk mit 126 Meter Rotordurchmesser. Repower Systems AG, Hamburg-Husum, 2006. http://www.repower.de/fileadmin/download/produkte/RE PP 5M de.pdf (abgerufen am 02.06.2008). [Sathyajith 2006] Sathyajith M: Wind Energy Fundamentals – Resource Analysis and Economics. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York, 2006. [VDN 2004] EEG-Erzeugungsanlagen am Hoch- und H¨ochstspannungsnetz. Leitfaden f¨ur Anschluss und Parallelbetrieb von Erzeugungsanlagen auf Basis erneuerbarer Energien an das Hoch- und H¨ochstspannungsnetz in Erg¨anzung zu den NetzCodes. Verband der Netzbetreiber e.V. – VDN beim VDEW, Berlin, August 2004. http://vdn-archiv.bdew.de/global/ downloads/Publikationen/Fachberichte/RL EEG HH 2004-08.pdf (abgerufen am 6.1.2008).
Kapitel 3
Wind als stochastische Energiequelle
Die Windst¨arke und damit die m¨ogliche Windenergieproduktion in Nordwesteuropa zeigt einen irregul¨aren zeitlichen Verlauf mit sehr großen und raschen Fluktuationen, der durch statistische Gr¨oßen wie H¨aufigkeitsdichten, Verteilungsfunktionen oder „Leistung-Dauer-Kurven“ charakterisiert werden kann. Wenn man die Leistung-Dauer-Kurve einer gegebenen Anlage in einer Standortregion bestimmt hat, so ist die dort erzielbare Jahresenergieproduktion gleich der Fl¨ache unter dieser Kurve. Teilt man diese Jahresenergieproduktion durch die installierte Generatornennleistung, so erh¨alt man die „Volllaststundenzahl“. Sie betr¨agt f¨ur gr¨oßere Anlagen auf dem heutigen Stand der Technik im Binnenland rund 1.500 Stunden, an der K¨uste rund 2.000 Stunden, offshore k¨onnten 4.000 Stunden erreicht werden; eine Erh¨ohung der T¨urme auf 150 m k¨onnte im Binnenland Werte von u¨ ber 2.000 Stunden erbringen. Beim realen Zeitverlauf der Stromerzeugung eines großen Windparks, einer ganzen Region oder aller Windenergieanlagen in Deutschland zeigt sich gegen¨uber einer Einzelanlage eine deutliche Gl¨attung der starken Fluktuationen im Minutenund Stundenbereich. Doch auch im deutschlandweiten oder sogar nordwesteuropaweiten Verbund wirken sich großr¨aumiger Schwachwind und Flauten u¨ ber Tage und in seltenen F¨allen u¨ ber Wochen auf den Energieertrag aus und m¨ussen durch Regel- und Reservekraftwerke ausgeglichen werden.
3.1
Statistische Beschreibung von Windgeschwindigkeiten
Wie im letzten Kapitel beschrieben und erl¨autert, folgen die Klimaerscheinungen, also das Wetter und damit auch der Wind, einem a¨ ußerst irregul¨aren, „chaotischen“ zeitlichen Verlauf. Dies gilt global, regional und lokal und v. a. in mittleren und h¨oheren geografischen Breiten. Dessen physikalisch-meteorologische Ursachen sind zwar heute gut erforscht, aber eben deshalb wissen wir genau, dass und warum Wettervorhersagen nur mit bescheidener Genauigkeit, nur als Wahrscheinlichkeitsaussagen und nur f¨ur Stunden oder bestenfalls Tage m¨oglich sind. L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 3,
39
40
3 Wind als stochastische Energiequelle
F¨ur die Nutzung der Windenergie sind zwei Arten von Daten u¨ ber die irregul¨aren Schwankungen des Windes hilfreich: • Statistische Daten, wie gemessene H¨aufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit, und die Kenntnis der Rechenverfahren, mit denen sich daraus Erwartungswerte wie etwa der Jahresmittelwert der Windenergieerzeugung einer Anlage oder eines Windparks in einer Standortregion ermitteln lassen. Zudem k¨onnen so Daten f¨ur einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Optimierungen der Windenergieerzeugung gewonnen werden (Kap. 9 bis Kap. 12). • Typische Realzeitverl¨aufe von Minuten-, Stunden- und Tagesmittelwerten, die die Amplituden und Steilheiten der zeitlichen Anstiege und Abf¨alle der Windenergieproduktion erkennen lassen, mit denen ein Stromversorgungssystem fertig werden muss, in das hohe Anteile von Windenergieanlagen einspeisen (Abschn. 3.2). Daraus resultierende Probleme werden anschließend skizziert (Abschn. 3.3). Betrachtet man eine Menge von gemessenen Zahlenwerten einer schwankenden „stochastischen“ Variablen, etwa die 6 ∗ 8.760 gemessenen 10-Minuten-Mittelwerte der Windgeschwindigkeit einer Messstation in den 8.760 Stunden eines Jahres als statistische Gesamtheit, so lassen sich viele wichtige quantitative Aussagen u¨ ber diese Gesamtheit aus der H¨aufigkeitsdichte der gemessenen Werte ableiten. So wird zur Ermittlung der in einem Jahr zu erwartenden Energieausbeute einer Windenergieanlage an einem gegebenen Standort (und f¨ur viele a¨ hnliche mit der Windenergie verkn¨upfte technische und wirtschaftliche Fragen) als Ausgangsbasis die H¨aufigkeitsdichte der Windgeschwindigkeit an diesem Ort benutzt, wie hier und in weiteren Teilen dieses Buches gezeigt wird. Eine H¨aufigkeitsdichte gibt an, in welchem Bruchteil aller F¨alle der Messwert der schwankenden Gr¨oße in einem bestimmten Intervall der m¨oglichen Messwerte liegt. Die messtechnische Ermittlung einer solchen Dichte wird im Folgenden anhand der Abb. 3.1 erl¨autert. Da der Rotor einer Windenergieanlage r¨aumlich u¨ ber seine Rotorfl¨ache F und zeitlich u¨ ber eine typische Umlaufdauer T von einigen Sekunden mittelt, braucht man genau genommen die Statistik dieser Raum-Zeit-Mittelwerte vF,T des Betrags der Geschwindigkeit, im Folgenden stets ohne weiteren Zusatz mit v bezeichnet. Die an einem Messturm in Nabenh¨ohe des Rotors einer Windenergieanlage gemessene oder mit standort- und wetterabh¨angigen Parametern auf Nabenh¨ohe umgerechnete statistische Verteilung von v wird u¨ blicherweise als gute Ann¨aherung an die Verteilung der f¨ur die Energieerzeugung der Windenergieanlage relevanten Gr¨oße vF,T benutzt. Diese Verteilung als Ergebnis einer (wenn m¨oglich mehrj¨ahrigen) Messkampagne wird durch eine „Dichte“ f(v) der relativen H¨aufigkeit der Geschwindigkeit v oder durch die zugeh¨orige Verteilungsfunktion F(v), das Integral der Dichte, wiedergegeben. Diese charakterisiert das Windfeld am Standort und etwa in Nabenh¨ohe u¨ ber Grund der typischen Windenergieanlage. Abb. 3.1 zeigt das Ergebnis einer solchen Messkampagne an der FINO1-Forschungsplattform, ca. 45 km n¨ordlich von Borkum, gemessen in 100 m H¨ohe u¨ ber der offenen Nordsee in den Jahren 2004 und 2005.
3.1 Statistische Beschreibung von Windgeschwindigkeiten Abb. 3.1 Windgeschwindigkeiten in der Nordsee – FINO1-Forschungsplattform 2004–2005 (nach [Neumann/Riedel 2006, Fig. 1])
41
Häufigkeit [%] 9% 8%
Messwerte Weibull-Dichte
7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% 0
2
4
6
8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Windgeschwindigkeit [m/s]
Das in Abb. 3.1 gezeigte Stufendiagramm entsteht, indem der jeweils gemessene 10-Minuten-Mittelwert einem der relevanten Windgeschwindigkeitsintervalle zugeordnet wird; in diesem Fall 30 Windgeschwindigkeitsintervalle, n¨amlich von 0 m/s bis 1 m/s, 1 m/s bis 2 m/s, . . . 29 m/s bis 30 m/s. Die Zahl der j¨ahrlichen Eintr¨age in einem bestimmten Intervall, geteilt durch die Zahl der 10-Minuten-Mittelwerte eines Jahres (6 pro Stunde mal 8.760 Stunden pro Jahr), multipliziert mit 100 ergibt die prozentuale relative H¨aufigkeit. So ersieht man aus Abb. 3.1, dass die Windgeschwindigkeit am Messpunkt in 0,5% aller Messzeitr¨aume zwischen 0 m/s und 1 m/s betrug, in ca. 8,5% dieser Zeitintervalle lag der 10-Minuten-Mittelwert zwischen 9 m/s und 10 m/s, aber nur in etwa 1% zwischen 20 m/s und 21 m/s und extrem selten oberhalb von 30 m/s. Solche Messergebnisse lassen sich gut approximieren durch eine zweiparametrige Standardverteilung, die so genannte Weibull-Dichte. Diese Dichtefunktion ist in Abb. 3.1 als durchgezogene Kurve eingezeichnet und ist, anders als die so genannte Normalverteilung (Gauß-Verteilung), asymmetrisch in Bezug auf das Maximum, das in diesem Fall 9 m/s betr¨agt: Bei kleinen Geschwindigkeiten steigt die Verteilung steil an, oberhalb vom Maximum f¨allt sie exponentiell ab. Die mathematische Formel f¨ur diese Kurve lautet: f(v; A, k) = k/A ∗ (v/A)k−1 ∗ exp{−(v/A)k } mit exp: Exponentialfunktion und, f¨ur den FINO1-Standort, A = 11, 2 m/s, k = 2,26. Die gestufte Kurve zeigt, wie oben beschrieben, die Aufteilung der gemessenen H¨aufigkeiten auf die Geschwindigkeitsintervalle, die durchgezogene glatte
42
3 Wind als stochastische Energiequelle
Tab. 3.1 Windgeschwindigkeiten an der K¨uste und im Binnenland – Weibull-Parameter f¨ur 2004/2005 (zu Z. 1: [Neumann/Riedel 2006]; zu Z. 2 bis Z. 4: [Meier 2006]) (1)
(1a)
(1b)
(2)
(3a)
Standort
H¨ohe u¨ . NN
Messh¨ohe
φ Windgeschwindigkeit
Weibull-Parameter
FINO1, 45 km n¨ordlich von Borkum Unmittelbare Nordseek¨uste 100 km s¨udlich der K¨uste Mittelgebirge
[m] 0 5 50 565
[m] 100 100 100 100
[m/s] 9,9 7,2 6,7 5,9
(3b)
A
k
[m/s] 11,2 8,1 7,6 6,7
[-] 2,26 2,74 2,25 2,21
Kurve zeigt hingegen die beste Approximation durch eine einfache mathematische Funktion, eben die Weibull-Dichte f(v). Das Integral der Dichte f(v), die Weibull-Verteilung F(v), normiert auf F(0) = 0, gibt die H¨aufigkeit an, mit der die gemessene Geschwindigkeit einen Wert kleiner oder gleich v annimmt. Dabei wird im Folgenden die H¨aufigkeit statt in Prozent der gew¨ahlten Zeitintervalle des Jahres mittels Multiplikation mit 8.760/100 durch den Anteil (dimensionslose Zeitvariable) t = n/8.760 ausgedr¨uckt, wobei n die Zahl der Jahresstunden angibt, w¨ahrend derer die gemessene Geschwindigkeit im Intervall von Null bis v liegt. f(v;A,k) wurde von Weibull (1887–1979) so gew¨ahlt, dass sich f¨ur die Verteilungsfunktion F die folgende einfache Funktion ergibt: t = F (v; A, k) = 1 − exp − (v/A)k . Die Geschwindigkeit-Dauer-Kurve ergibt sich aus der Umkehrfunktion der Verteilungsfunktion F(v;A,k), n¨amlich F−1 (t;A,k): v = F−1 (t; A, k) mit der obigen Zeitvariablen t = n / 8.760. Tabelle 3.1 macht Angaben zu den Windgeschwindigkeiten an der K¨uste und im Binnenland f¨ur 2004/2005 und zu den resultierenden Weibull-Parametern. Die Gr¨oße der Parameter h¨angt auch von ihrem nahen Umfeld (Bewuchs etc.) ab. ¨ Uber die genannten Informationen hinaus enthalten die statistischen Verteilungen der Windgeschwindigkeit, etwa eine Weibull-Verteilung, allerdings keine Hinweise darauf, wie sich das Verhalten des Windes in Realzeit abspielt, also z. B. dar¨uber, wie oft und wie rasch die Geschwindigkeit von einem Wertintervall zu einem anderen wechselt, ob also die Geschwindigkeit 10 mal im Jahr f¨ur 24 Stunden mehr als 18 m/s betr¨agt, oder 240 mal f¨ur 1 Stunde oder 960 mal f¨ur 15 Minuten. Der Verlauf der
3.1 Statistische Beschreibung von Windgeschwindigkeiten Abb. 3.2 GeschwindigkeitDauer-Kurve der FINO1Forschungsplattform 2004– 2007 ([FINO 2008])
43
Windgeschwindigkeit [m/s] 30 2007
25
2006 2005
20
2004 15 10 5 0 0
2.000
4.000 6.000 Stunden pro Jahr
8.000 8.760
Geschwindigkeit-Dauer-Linie w¨are in jedem dieser drei F¨alle im Bereich oberhalb von 18 m/s der gleiche. Ebenso gleich w¨are die Gesamtenergie, die ein Windpark in jedem der F¨alle w¨ahrend der insgesamt 240 Stunden ins Netz einspeisen k¨onnte. F¨ur viele andere grundlegende technisch-wirtschaftliche Entscheidungen im Zusammenhang mit Windenergie bietet aber gerade die Verteilungsfunktion, gegeben etwa durch die standortspezifischen Weibull-Parameter A und k, kombiniert mit Leistung-Geschwindigkeit-Kurven der in Frage kommenden Windenergieanlagen (Abb. 2.4) und anderen technischen Daten eine hinreichende Entscheidungsgrundlage. Abbildung 3.2 zeigt beispielhaft die Geschwindigkeit-Dauer-Kurve der FINO1Forschungsplattform f¨ur die Jahre 2004 bis 2007, gemessen in der f¨ur OffshoreWindenergieanlagen typischen Nabenh¨ohe von 100 m1 . Die Kurve in Abb. 3.2 gibt f¨ur jeden Bruchteil t von Jahresstunden die Geschwindigkeit v an, die w¨ahrend dieser relativen Dauer t mindestens zu erwarten ist. Die Jahresdurchschnittswindgeschwindigkeiten betrugen: • • • •
9,76 m/s in 2004, 9,98 m/s in 2005, 9,88 m/s in 2006, 10,34 m/s in 2007.
So betrug am FINO1-Standort von 2004 bis 2007 die Windgeschwindigkeit durchschnittlich: 1 [FINO 2008]; bei fehlenden Werten wurde die H¨ aufigkeit jeder Windgeschwindigkeitsklasse (0 m/s bis 1 m/s, 1 m/s bis 2 m/s etc.) um den jeweiligen Fehlanteil erh¨oht; der Anteil fehlender Werte betrug 2,1% in 2004, 5,0% in 2005, 0,6% in 2006, 9,0% in 2007.
44
3 Wind als stochastische Energiequelle
• f¨ur u¨ ber 5.000 Stunden im Jahr mindestens 9 m/s; das ist etwa die Geschwindigkeit, bei der moderne große Windturbinen (Abb. 2.4) die halbe Nennleistung des angetriebenen elektrischen Generators erreichen; • f¨ur knapp 3.000 Stunden mehr als 12,5 m/s; das ist etwa die Geschwindigkeit, bei der moderne große Windturbinen die volle Nennleistung des angetriebenen elektrischen Generators erreichen; • aber nur f¨ur wenige Stunden im Jahr mehr als 25 m/s; das ist etwa die Geschwindigkeit, bei der u¨ blicherweise die Sturmabschaltung der Anlagen zu greifen beginnt. Mit anderen Worten: An diesem Offshore-Standort w¨urde eine große Windenergieanlage knapp 3.000 Stunden im Jahr mit Nennleistung, weitere 2.500 Stunden mit mehr als halber Nennleistung ins Netz einspeisen. Dabei sind Abschattungseffekte und technisch bedingte Ausf¨alle noch nicht ber¨ucksichtigt (Abschn. 3.2.3).
3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort: Leistung-Dauer-Kurven, Volllaststunden F¨ur die technisch-wirtschaftlich optimale Auslegung der einzelnen Windenergieanlagen f¨ur einen bestimmten Standort oder nach der H¨ohe des vom Erneuerbare¨ Energien-Gesetz geforderten optimalen (nicht maximalen!) Ausbaus des Ubertragungsnetzes sind die H¨aufigkeiten und Erwartungswerte der Windenergieproduktion und die daraus resultierende Nutzen-Kosten-Struktur maßgeblich. Solche statistische Angaben u¨ ber das Windenergieangebot sind im letzten Jahrzehnt f¨ur alle in Frage kommenden Standortregionen gemessen und zusammengetragen worden.
3.2.1
Leistung-Dauer-Kurve
Eine Geschwindigkeit-Dauer-Kurve, wie etwa in Abb. 3.2 gezeigt, gibt f¨ur jede Dauer, d. h. jede Zahl t von Jahresstunden an, welche Geschwindigkeit f¨ur diese Dauer t mindestens herrscht. Eine Kurve, die zu jeder Dauer t (auf der horizontalen Achse) die Leistung P (auf der vertikalen Achse) angibt, die f¨ur diese Dauer von einer oder mehreren Anlagen mindestens abgegeben wird, heißt dementsprechend Leistung-Dauer-Kurve dieser Anlagen; Jahresgangdauerlinie ist eine andere h¨aufig verwendete Bezeichnung f¨ur diese Beziehung zwischen Leistung und Dauer. Tr¨agt man umgekehrt die Dauer t (etwa die Zahl der Jahresstunden) nach oben auf, und die Leistung P, die f¨ur diese Dauer mindestens erreicht wird, nach rechts, so erh¨alt man die Dauer-Leistung-Kurve, die in Abschn. 8.3 zur Berechnung der o¨ konomischen Gr¨oße „Grenznutzen-Kurve“ herangezogen wird. Da die Leistungsabgabe – alles andere gleich gelassen – der Rotorfl¨ache F proportional ist, wird f¨ur den Vergleich verschiedener Standortregionen und je daf¨ur
3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort
45
ausgelegte Windenergieanlagen zweckm¨aßiger Weise von der Leistung pro Rotorfl¨ache, kurz Fl¨achenleistung, gemessen in W/m2 , ausgegangen. Schließlich kann man zur Charakterisierung eines Standorts und eines dort eingesetzten Anlagentyps die (mindestens verf¨ugbare) Leistung P als Bruchteil p der insgesamt installierten Generatorleistung PNenn , also p = P/PNenn , und die Dauer in Stunden so antragen, wie in den normierten Leistung-Dauer-Linien der Abb. 3.3, 3.5 und 3.7 gezeigt. Ist eine Windenergieanlage oder ein Windpark oder die Anlagen einer ganzen Regelzone erst einmal in Betrieb, so l¨asst sich die zugeh¨orige Leistung-Dauer-Kurve aus den Protokollen der Leistungseinspeisung der Anlagen a¨ hnlich ermitteln, wie die Verteilungsfunktion der Windgeschwindigkeit aus der Gesamtheit der gemessenen Werte (Abschn. 3.1). Das Verfahren wird in Kasten 3.1 beschrieben.
Kasten 3.1: Ermittlung der Leistung-Dauer-Kurve bestehender Windenergieanlagen An bestehenden Anlagen kann die Leistung-Dauer-Kurve ermittelt werden, indem die an der Sammelschiene laufend gemessene momentane Leistung, gemittelt je u¨ ber z. B. 10 Minuten, in beispielsweise 100 Intervalle von 0% bis 100% der Generatornennleistung eingeordnet und registriert wird und so die H¨aufigkeit des Auftretens der verschiedenen Leistungswerte bestimmt wird. Indem man die registrierten H¨aufigkeiten f¨ur alle Intervalle ab einer bestimmten Leistung P aufsummiert, erh¨alt man die H¨aufigkeit und daraus (bei 10-Minuten-Mittelwerten mittels Division durch 6) die Dauer, d. h. die Zahl der Stunden, f¨ur die die Leistung den Wert P mindestens erreicht. P u¨ ber diese Stundenzahl t aufgetragen ergibt also genau die gesuchte Kurve, n¨amlich die Leistung-Dauer-Kurve, je nachdem in Gesamtleistung (kW oder MW), in Fl¨achenleistung (W/m2 ) oder in Prozent der installierten Generatorleistung.
Ein anderes Problem ist die Prognose der Leistung-Dauer-Kurve f¨ur eine geplante Anlage an einem Standort, f¨ur den die H¨aufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit, etwa gemessene oder gesch¨atzte Weibull-Parameter, bekannt ist sowie die Leistungskurve P(v) der vorgesehenen Windenergieanlage, wie sie etwa in Abb. 2.3 vorliegt. Das in Kasten 3.2 zur Ermittlung dieser zu erwartenden Fl¨achenleistungDauer-Kurve angegebene Verfahren l¨asst sich allerdings nur auf eine einzelne Anlage oder einen kleinen Windpark mit sehr homogenem Windfeld anwenden. Bei Windenergieanlagen an sehr verschiedenen Standorten erreichen die Windgeschwindigkeit und damit die Windleistung meist nicht gleichzeitig hohe Werte. Kasten 3.2: Numerische Berechnung der Fl¨achenleistung-Dauer-Kurve Im Folgenden werden – auch f¨ur noch nicht errichtete Anlagen etwa im Offshore-Bereich – die Dauerlinien der Fl¨achenleistung, d. h. p = P/F [W/m2 ]
46
3 Wind als stochastische Energiequelle
gegen die Stundenzahl t, aus den Weibull-Parametern einer Region und den in der fr¨uheren Abb. 2.4 angegebenen Fl¨achenleistung-GeschwindigkeitKurven p(v) der untersuchten Anlagen berechnet. Diese vom Hersteller gelieferten Kurven geben die Fl¨achenleistung der Anlagen als Funktion der Windgeschwindigkeit v an. Die Weibull-Dichte der Geschwindigkeit mit den Parametern A und k ordnet jeder Geschwindigkeit v eine relative H¨aufigkeit f(v; A, k) zu. Mit dieser H¨aufigkeit erzeugt dann die betrachtete Windenergieanlage gem¨aß ihrer Leistungskurve genau die Fl¨achenleistung p(v) = P(v)/F. Durch Diskretisierung des relevanten Geschwindigkeitsintervalls, etwa von 0 m/s bis 30 m/s, in Nviele St¨utzpunkte vn , n = 1 . . . N, entstehen N-viele Paare {p(vn ) := pn ; f(vn ; A, k) := fn }. Diese Paare liefern ein Diagramm der H¨aufigkeitsdichte der Fl¨achenleistung a¨ hnlich der in Abb. 3.1 gezeigten H¨aufigkeitsdichte der Windgeschwindigkeit. Indem die Paare nach steigender Fl¨achenleistung von p = 0 bis p = pNenn geordnet, die zugeordneten relativen H¨aufigkeiten fn von oben, d. h. von pNenn her, bis zu einem bestimmten pm summiert werden und diese Summe mit 8.760 h multipliziert wird, entstehen die geordneten Paare
29 pm , 8.760 ∗ fn := tm , m = 1 . . . N. n=m
Diese Zahlenpaare besagen, dass f¨ur die Dauer von tm Stunden im Jahr mindestens die Fl¨achenleistung pm zur Verf¨ugung steht. Die n-vielen St¨utzstellenpaare (pm , tm ) approximieren also den gesuchten Zusammenhang: Tr¨agt man die Leistung nach oben und die Dauer nach rechts auf, so entsteht die Leistung-Dauer-Kurve, auch Jahresgang-Dauer-Linie genannt. Anders aufgetragen, n¨amlich die Dauer nach oben und die Leistung nach rechts, spricht man von einer Dauer-Leistung-Kurve (Abschn. 8.3.2). Die Leistung-Dauer-Kurven enthalten in komprimierter Form alle Angaben, die zur Beurteilung eines Standorts und einer Windenergieanlage erforderlich sind, insbesondere die f¨ur die Systemoptimierung ben¨otigte Grenznutzenkurve. Der Hauptteil III dieses Buches ist den Optimierungsfragen gewidmet, dort findet sich in Kap. 8 die Ableitung der Grenznutzenfunktion einer fluktuierenden Energiequelle aus ihrer Leistung-Dauer-Kurve. Beispiele f¨ur die Ermittlung von zu erwartenden Leistung-Dauer-Kurven sind in den folgenden Abb. 3.3 bis 3.5 wiedergegeben. Abbildung 3.3 zeigt die Leistung-Dauer-Kurven von Einzelanlage, Windparkgruppe und deutschlandweiter Einspeisung, in denen zwecks Vergleichbarkeit nicht die naturgem¨aß extrem unterschiedliche absolute Leistung, sondern die auf die jeweils installierte Leistung bezogene „normierte Leistung“ P/Pnenn angetragen ist.
3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort Abb. 3.3 Normierte Leistung-Dauer-Kurven von Einzelanlage, Windparkgruppe und deutschlandweiter Einspeisung (nach [Windenergiereport 2005, S. 64, Abb. 37])
47
p = Windleistung P pro installierte Windleistung PNenn 1,0 0,8
Einzelanlage Windpark Deutschland
0,6 0,4 0,2 0,0 0
2.000
4.000 6.000 Stunden pro Jahr
8.000 8.760
Eine Gruppe von Anlagen, die auf einen Windpark verteilt sind, oder die Gesamtenergieproduktion der Anlagen einer ganzen Region zeigen ein deutlich anderes Verhalten als eine Einzelanlage. Die in Abb. 3.3 mit „Deutschland“ bezeichnete Kurve zeigt, dass f¨ur etwa 3.000 Stunden 20% der insgesamt in Deutschland installierten WindenergieanlagenNennleistung erreicht werden und nur f¨ur wenige Stunden etwas u¨ ber 80%. Die Kurve „Einzelanlage“ weist allerdings aus, dass an einem einzelnen guten Standort 80% der Nennleistung f¨ur immerhin 1.000 Stunden erzielt werden. Schaltet man dagegen beispielsweise 100 Einzelanlagen zu einem Windpark zusammen, so ist die Nennleistung zwar das Hundertfache der Einzelanlage, es ist aber wegen der r¨aumlichen Inhomogenit¨at des Windes auch bei Starkwind a¨ ußerst unwahrscheinlich, dass alle 100 Anlagen in demselben Moment mit Nennleistung fahren; deshalb f¨allt die Kurve „Windpark“ vom H¨ochstwert, n¨amlich der insgesamt installierten Leistung, sehr schnell ab. Dieser Effekt der Ungleichzeitigkeit gilt erst recht f¨ur alle u¨ ber Deutschland verteilten Anlagen und erkl¨art den Verlauf der zugeh¨origen Kurve und auch das langsame Auslaufen bei großen Stundenzahlen: Irgendwo in Deutschland weht fast immer genug Wind, so dass mindestens einige Turbinen anspringen. Abbildung 3.4 zeigt Leistung-Dauer-Kurven f¨ur drei verschiedene Anlagen in jeweils ganz unterschiedlich windreichen Regionen, in denen zwecks Vergleichbarkeit nicht die naturgem¨aß extrem unterschiedliche absolute Leistung, sondern die auf die jeweilige Rotorgr¨oße bezogene „normierte Leistung“ pro Rotorfl¨ache angetragen ist. Es ist auch ohne Berechnung des Integrals mit bloßem Auge zu sehen, dass die Fl¨ache unter der „Offshore“-Kurve reichlich doppelt so groß ist wie die Fl¨ache unter der Kurve f¨ur die Anlage im Mittelgebirge bei gleicher installierter Fl¨achenleistung von 400 W/m2 . Diese Fl¨ache ist aber, wie gleich im folgenden Abschn. 3.2.2 hergeleitet wird, proportional zu dem an einem bestimmten Standort mit einer bestimmtenAnlage erzielbaren Jahresenergieertrag. Deshalb k¨onnen solche
48 Abb. 3.4 Fl¨achenleistungDauer-Kurven, berechnet f¨ur drei Regionen mit je einer anderen Windenergieanlage
3 Wind als stochastische Energiequelle Windleistung P pro Rotorfläche F [W/m2] 600 500
Offshore (Repower126m/5,0MW)
400
Küste (Enercon70m/2,3MW)
300
Mittelgebirge (Enercon82m/2,05MW)
200 100 0 0
2.000
4.000 6.000 Stunden pro Jahr
8.000 8.760
Fl¨achenleistung-Dauer-Kurven einzelner Anlagen zur Optimierung der technischen Auslegung von Anlagen f¨ur einen bestimmten Standort dienen. Abbildung 3.5 zeigt beispielhaft die gemessene Leistung-Dauer-Kurve der Windenergieeinspeisung f¨ur die Vattenfall-Regelzone 2005–2007. F¨ur die installierten Leistungen wurden dabei nicht die Werte am Jahresende, sondern zur Jahresmitte verwendet; damit wird sichergestellt, dass dem Jahresmittel angemessene korrekte Werte bestimmt werden. Insbesondere werden dann starke Windenergieeinspeisungen zu Jahresbeginn auch bei – wie bisher u¨ blich – starken Erh¨ohungen der installierten Leistung in der zweiten Jahresh¨alfte angemessen ber¨ucksichtigt. p = Windleistung P pro installierte Windleistung PNenn 1,0 Vattenfall 2007 Vattenfall 2006 Vattenfall 2005
0,8 0,6
Abb. 3.5 LeistungDauer-Kurven der Windenergieeinspeisung – Beispiel: VattenfallRegelzone 2005–2007 ([Vattenfall 2007]; zu installierten Windleistungen zur Jahresmitte [DEWI 2008])
Während 2.000 Stunden wurden in 2006 27% der Nennleistung der installierten Windenergieanlagen eingespeist.
0,4 0,2 0,0 0
2.000
4.000 6.000 Stunden pro Jahr
8.000 8.760
3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort
49
Eine Folge der Fluktuation des Windes auf allen, auch auf sehr langen Zeitskalen, zeigt sich in der Variation des j¨ahrlichen Energieertrags von einem Jahr zum anderen. Dieser Tatbestand stellt sich deutlich in den entsprechenden Leistung-Dauer-Kurven dar. Beispiel (in der Abb. 3.5 gepunktet eingezeichnet): W¨ahrend 2.000 Stunden wurden in der Vattenfall-Regelzone im Jahr 2006 27% der Nennleistung der installierten Windenergieanlagen eingespeist, im windstarken Jahr 2007 aber 31%. 2005 hatte Deutschland einen Ertrag von 89% des langj¨ahrigen Durchschnitts eines Windjahres, 2006 90%, 2007 104% [BWE 2008d].
3.2.2
Jahresenergieproduktion und Volllaststunden
Abbildung 3.6 zeigt eine typische Leistung-Dauer-Kurve, in der, wie in Abb. 3.4, die auf die Rotorgr¨oße bezogene Leistung pro Rotorfl¨ache angetragen ist. Anhand vonAbb. 3.6 sollen Jahresenergieproduktion und Volllaststunden erl¨autert werden: • Es gilt bekanntlich: Energie = Leistung mal Dauer. W¨urde die Anlage f¨ur eine Dauer von 6.000 Stunden stets genau die Leistung von 150 W/m2 erbringen, die restlichen Stunden aber 0 W/m2 , wie in dem gepunktet in Abb. 3.6 eingezeichneten Rechteck angedeutet, so w¨are die Jahresenergieproduktion pro m2 installierter Rotorfl¨ache 6.000 h ∗ 150 Wh = 900 kWh, also gleich der Fl¨ache des gepunkteten Rechtecks. H¨angt aber wie bei der Windenergierzeugung die Dauer t von der H¨ohe P der Leistung ab, so gilt immer noch, dass die Fl¨ache unter der
Abb. 3.6 Fl¨achenleistungDauer-Kurve – schematisch
50
3 Wind als stochastische Energiequelle
Dauerlinie der Fl¨achenleistung2 die Jahresenergieproduktion Ea /F der untersuchten Windenergieanlage in kWh pro m2 Rotorfl¨ache angibt. F¨ur die Fl¨ache unter der in Abb. 3.6 gezeigten Dauerlinie ergeben sich ebenfalls ungef¨ahr 900 kWh/m2 pro Jahr. Multipliziert mit der Rotorfl¨ache der Anlage ergibt sich die absolute Jahresenergieproduktion in kWh. • Die Jahresenergieproduktion geteilt durch die Nennleistung ergibt die Gr¨oße Volllaststunden3 . Die Zahl der Volllaststunden (immer bei Einsatz moderner Windenergieanlagen mit ihrem hohen Wirkungsgrad ermittelt) charakterisiert das Ertragspotenzial des Standorts: An heute durchaus genutzten Binnenstandorten erzielt man 1.500 Volllaststunden und mehr4 , d. h. die Jahresenergieeinspeisung ist so hoch, als ob die untersuchte Anlage dort w¨ahrend mindestens 1.500 Stunden ihre Nennleistung ins Netz eingespeist h¨atte. An guten K¨ustenstandorten werden 2.000 und mehrVolllaststunden erreicht. F¨ur einen k¨ustenfernen OffshoreStandort kann dagegen aus den FINO1-Daten auf rund 4.000 Volllaststunden geschlossen werden (Abschn. 3.2.3). ¨ • Wird die Einspeisung, etwa wegen begrenzter Ubertragungsleistung des Hochspannungsnetzes, auf eine Leistung PGrenz beschr¨ankt, so ist die schraffierte kleine Fl¨ache links oben in Abb. 3.6 ein Maß f¨ur die dadurch „ausgesperrte“ Energie.
3.2.3
Theoretisch versus tats¨achlich zu erwartende Volllaststunden
Abbildung 3.7 zeigt beispielhaft die Leistung-Dauer-Kurve der Windenergieeinspeisung f¨ur eine simulierte Einspeisung einer Repower-126m/5MW am FINO1Standort f¨ur die Jahre 2004 bis 2007. Die zugrunde liegende WindgeschwindigkeitDauer-Kurve wurde bereits in Abb. 3.2 dargestellt. F¨ur die Simulation wurden die Leistungsdaten der Windenergieanlage Repower-126m/5MW (Abb. 2.4) verwendet. Theoretisch werden also an einem FINO1-Standort • f¨ur 3.000 Stunden mehr als 98% der installierten Nennleistung und • f¨ur u¨ ber 5.000 Stunden mindestens 50% der installierten Nennleistung erzeugt. Die errechnete Leistung-Dauer-Kurve einer Einzelanlage kann allerdings nur unter stark idealisierenden Bedingungen auch f¨ur einen Windpark, z. B. mit insgesamt 400 MW installierter Leistung aus 80 Anlagen der 5-MW-Klasse, zugrunde gelegt werden. In dreierlei Hinsicht sind von der daraus ermittelten Grenznutzenkurve Abstriche zu machen: 8760 Also das Integral Ea /F = 1/F ∗ 0 P(t) dt[kWh/m2 ]. 3 T achenleistung von 388 W/m2 voll = Ea / PNenn ; im Beispiel von Abb. 3.6 mit einer installierten Fl¨ ergibt sich Tvoll = 2.320 h (= 900 kWh/m2 / 0,388 kWh/m2 ). 4 Bei Erh¨ ohung der Masten kann im Binnenland der Jahresenergieertrag um rund 1% pro 1 m Masterh¨ohung und damit auch die Zahl der Volllaststunden deutlich erh¨oht werden [Enercon 2008a]. 2
3.2 Windenergieproduktion an einem gegebenen Standort Abb. 3.7 Leistung-DauerKurven der Windenergieeinspeisung – Beispiel: simulierte Einspeisung einer Repower-126m/5MW am FINO1-Standort 2004–2007 (zu Windgeschwindigkeiten siehe Abb. 3.2, zur Leistungskennlinie der Repower-126m/5MW siehe Abb. 2.4)
51
p = Windleistung P pro installierte Windleistung PNenn 1,0 0,8
Während 3.000 Stunden wurden 98% der installierten Nennleistung der Windenergieanlagen eingespeist.
0,6
2007 2006 2005 2004
0,4 0,2 0,0 0
2.000
4.000 6.000 Stunden pro Jahr
8.000 8.760
(1) Abschattung Der Parkwirkungsgrad ist kleiner als 100%, weil sich die Anlagen wechselseitig abschatten. Ein 400-MW-Windpark z. B. hat bis zu 10 hintereinander stehende Reihen von Anlagen. Die einzelnen Anlagen stehen in einem Abstand von 5 bis 10 Rotordurchmessern zur n¨achsten Anlage; die in Windrichtung stehenden Anlagen schatten die dahinter stehenden Anlagen ab. Bei Windgeschwindigkeiten im ungest¨orten Luftfeld, die deutlich oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit liegen, erhalten auch bei Abschattung die meisten Anlagen noch Nennwind und k¨onnen trotz der Abschattung mit Nennleistung produzieren. Bei einem Abstand der Anlagen von 5 Rotordurchmessern resultiert f¨ur einen 400-MW-Windpark aus der Abschattung laut Modellberechnungen [dena 2008a] eine Verringerung der durchschnittlichen Leistung aller Anlagen von rund 12%, bei 7 bzw. 9 Rotordurchmessern sind es nur noch 8% bzw. 6%.
(2) Zeitversetzte Produktion Die einzelnen Anlagen produzieren bei Durchgang einer B¨oe zeitversetzt. Die Anlagen stehen durchschnittlich rund 1 km voneinander entfernt, einzelne Windparks mehrere Dutzend Kilometer. Bei fluktuierenden Winden produzieren die einzelnen Anlagen insbesondere bei Windgeschwindigkeiten etwas oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit zeitversetzt um einige Minuten bis zu mehreren Stunden. Leistungen bei und etwas unterhalb der Nennleistung kommen deshalb etwas seltener vor als in Abb. 3.7 gezeigt, Leistungen deutlich unterhalb der Nennleistung entsprechend h¨aufiger. Die Effekte einer zeitversetzten Produktion k¨onnen insbesondere dann bedeutend werden, wenn mehrere Windparks u¨ ber eine gemeinsame „Steckdose“ an das Netz angeschlossen werden, weil dann bei wachsenden Abst¨anden zwischen den Windparks die zeitliche Korrelation sinkt.
52
3 Wind als stochastische Energiequelle
Die Effekte k¨onnen in theoretischen Modellen abgesch¨atzt werden. In erster Absch¨atzung kann vielleicht von einer Reduzierung der Einspeisung etwas oberhalb bis etwas unterhalb der Nennleistung von 5% ausgegangen werden; dieser Wert m¨usste noch durch detaillierte theoretische Modelle untersucht werden.
(3) Technische Verfugbarkeit ¨ Jede Anlage hat technisch bedingte Ausfallzeiten. Die technisch bedingten Nichtverf¨ugbarkeiten von Windenergieanlagen im echten Offshore-Bereich sind noch weitgehend unbekannt und derzeit kaum absch¨atzbar. Insbesondere Inspektion, Wartung und Reparatur stellen bisher wegen der extrem schwierigen Wetterverh¨altnisse ungel¨oste Probleme dar. Erste Erfahrungen von k¨ustennahen Offshore-Anlagen an der englischen Ostk¨uste (Abschn. 9.3) deuten auf jedenfalls anf¨angliche Ausfallraten von weit u¨ ber 10% hin insbesondere in Starkwindzeiten, da hier nicht nur die Schadensh¨aufigkeit zunimmt, sondern auch die Erreichbarkeit der Anlagen deutlich eingeschr¨ankt ist. Eine Ber¨ucksichtigung von technischen Ausfallzeiten von mindestens 10% nach erfolgreicher Anlagenerprobung erscheint angemessen. Die genaue Gr¨oße der drei Effekte ist von entscheidender Bedeutung f¨ur die Bestimmung der Leistung-Dauer-Kurve eines Windparks und kann letztlich erst nach einigen Jahren Betriebszeit genauer bestimmt werden. Die Effekte von Parkwirkungsgrad und Gleichzeitigkeit werden bei Windgeschwindigkeiten im ungest¨orten Luftfeld deutlich oberhalb der Nennwindgeschwindigkeit von rund 14 m/s immer kleiner, der Effekt der Nichtverf¨ugbarkeit nimmt in diesem Bereich zu, so dass sich in erster Absch¨atzung u¨ berproportionale Ab- und Zunahme aufheben. Geht man von einer Reduzierung von insgesamt 15% aus, was zu einer entsprechenden Verschiebung der Kurve in Abb. 3.7 nach links f¨uhrt, so k¨onnen am FINO1-Standort erzeugt werden: • f¨ur rund 2.500 Stunden mehr als 98% der installierten Nennleistung und • f¨ur knapp 4.500 Stunden mindestens 50% der installierten Nennleistung. Mit anderen Worten: An diesem Offshore-Standort wird eine große Windenergieanlage rund 2.500 Stunden im Jahr mit Nennleistung, weitere knapp 2.000 Stunden mit mehr als halber Nennleistung ins Netz einspeisen. Die Volllaststundenzahl liegt dann etwas unter 4.000.
3.3
Extreme zeitliche Schwankungen der Windgeschwindigkeit und der Windenergieproduktion
Die extremen zeitlichen Schwankungen der Windgeschwindigkeit auf allen Zeitskalen von Sekunden bis zu Jahren lassen sich am zeitlichen Verlauf der Energieproduktion von Windenergieanlagen an einem gegebenen Standort
3.3 Extreme zeitliche Schwankungen der Windgeschwindigkeit
53
ablesen. Beispiele hierf¨ur zeigen die folgenden Abbildungen. F¨ur die Planung der zuk¨unftigen Kraftwerksstruktur, etwa f¨ur die Fragen der ben¨otigten Regel- und schnellen Reserveenergie, sind diese in Realzeit dargestellten Fluktuationen der Windenergierzeugung im Maßstab von Stunden und Tagen entscheidend.
3.3.1
Einzelanlage versus Windpark
InAbb. 3.8 ist der 10-Minuten-Mittelwert der momentanen elektrischen Leistungsabgabe als Bruchteil der installierten Generatorleistung u¨ ber der Zeitachse an 10 Starkwindtagen aufgetragen, oben f¨ur eine Einzelanlage, unten f¨ur einen Windpark. In der oberen Kurve ist zu erkennen, dass bei einer Einzelanlage die abgegebene Leistung bei Erreichen der Generatornennleistung begrenzt, ja scharf abgeschnitten wird, entsprechend den typischen Leistung-Geschwindigkeit-Kurven der Anlagen. Der f¨ur die Elektrizit¨atsversorgung und den jeweiligen Netzbetreiber tats¨achlich relevante Fall ist in der unteren Kurve dargestellt: das 10-Minuten-Mittel der Summe der Leistungen einer Gruppe von Windenergieanlagen, die elektrisch zu einem Windpark von in diesem Fall 72,7 MW Nennleistung zusammengeschlossen sind. Deutlich verringert ist durch die Mittelung u¨ ber einige Quadratkilometer das Ausmaß der sehr kurzfristigen Schwankungen; die Plateaus bei Erreichen der Nennleistung sind verschwunden, da offensichtlich bei einem fl¨achenm¨aßig großen Windpark alle Einzelanlagen nur sehr selten ihre Spitzenleistung gleichzeitig erreichen. Dies zeigt auch, dass der Park und die einzelnen Windenergieanlagen optimal ausgelegt
Abb. 3.8 Zeitlicher Verlauf der Leistung einer Einzelanlage und einer Windparkgruppe an der K¨uste an 10 Starkwindtagen ([Windenergiereport 2005, S. 61, Abb. 34])
54
3 Wind als stochastische Energiequelle
sind: Eine H¨oherdimensionierung der Generatornennleistung h¨atte, zumindest an diesen Starkwindtagen, kaum zus¨atzlichen Energieertrag erbracht. Hingegen sind die extremen steilen Anstiege und Abf¨alle (50% der Nennleistung in zwei bis drei Stunden) und die pl¨otzlichen totalen Flauten von u¨ ber 24 Stunden Dauer auch in der Summenkurve und gerade in dieser Starkwindperiode vorhanden und m¨ussen im Stromnetz durch Regel- und Ausgleichsenergie, d. h. durch schnelle Reservekraftwerke und Energiespeicher kompensiert werden. Auch verlaufen diese sehr starken, nur kurzzeitig, etwa f¨ur Stunden oder bestenfalls etwa einen Tag ann¨ahernd prognostizierbaren zeitlichen Schwankungen des Windenergieangebots ziemlich unkorreliert zu dem bekannten Tages-, Wochen- und Jahresgang der Nachfrage nach elektrischer Energie. Ein Gegenbeispiel ist Kalifornien, wo Tagesgang und Spitzenlast der Stromnachfrage stark mit dem Meer-Land-Wind der heißen Tage in der warmen Jahreszeit korreliert sind, da dann sowohl die Stromnachfrage (insbesondere f¨ur Klimaanlagen) und auch der Wind von der starken Erw¨armung der kalifornischen Hochebene verursacht sind [Jarass 1976].
3.3.2
Energieproduktion aller deutschen Windkraftwerke
Solche Schwankungen werden auch dann nicht weiter ausgeglichen, wenn man den Zeitverlauf der gesamten Energieproduktion aller deutschen Windenergieanlagen in einer nicht untypischen Woche oder u¨ ber mehrere Monate betrachtet, siehe Abb. 3.9 und 3.10. Abbildung 3.9 vermittelt einen guten Eindruck von den drastischen Schwankungen des Windenergieangebots. Am 12. Mai 2008 stieg die Windenergieeinspeisung innerhalb weniger Stunden von 0,3 GW auf 2,8 GW, und fiel dann am 14. Mai wieder innerhalb eines halben Tages auf 0,2 GW. Man betrachte etwa den steilsten Abfall am 14. Mai von 1,8 GW auf 0,8 GW in nur 4 Stunden; bei ann¨ahernd konstanter Stromnachfrage musste also windbedingt Reserveenergie von 1 GW mobilisiert werden. Abbildung 3.10 zeigt den zeitlichen Verlauf der rechnerisch summierten Leistung aller von der Statistik erfassten Windenergieanlagen in Deutschland im ersten Halbjahr 2008. [GW] 3,0 2,5 2,0
Abb. 3.9 St¨undliche Mittelwerte aller deutschen Windenergieanlagen – Beispiel: Mai 2008 (nach [Windenergiereport-REISI 2007])
1,5 1,0 0,5 0,0 09. Mai 10. Mai 11. Mai 12. Mai 13. Mai 14. Mai 15. Mai 16. Mai
3.3 Extreme zeitliche Schwankungen der Windgeschwindigkeit
55
[GW] 22,4 installierte Leistung am 01.01.2008 20 15 10 5 0 01. Jan
31. Jan
01. Mrz
31. Mrz
30. Apr
30. Mai
29. Jun
Abb. 3.10 Tagesmittelwerte aller deutschen Windenergieanlagen – Beispiel: Januar–Juni 2008 (nach [Windenergiereport-REISI 2007])
Dargestellt sind die Tagesmittelwerte der Leistung in GW. Selbst diese durch Mittelwertbildung und Aufsummierung bereits gegl¨attete Abbildung vermittelt noch einen Eindruck von den seltenen scharfen Spitzen des Windenergieangebots: Nach der rechnerischen Summierung der jeweils u¨ ber einen Tag gemittelten Leistung der in 2008 in Deutschland operierenden Windenergieanlagen ergeben sich immer noch an einigen wenigen Tagen erstaunlich steile, wenngleich kurze Maxima, die 70% der installierten Leistung erreichen oder sogar momentan kurz u¨ bersteigen. Die starke Variation der Windenergieproduktion auf der langen Zeitskala, d. h. von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr wird deutlich in der Abb. 3.11. Die maximale Windenergieproduktion wird im Januar 2007 mit knapp 8 TWh erreicht, im Januar 2006 betrug sie nur rund 2 TWh, etwa so hoch wie im generell windschwachen Juni. Die Fl¨achenleistung schwankt zwischen 160 W/m2 (also 40% der typischen installierten Fl¨achenleistung von 400 W/m2 ) in ertragsstarken Monaten und nur etwa 20 W/m2 oder 5% in ertragsschwachen Monaten [neue energie 2006, S. 105]. Diese starken Schwankungen von Jahr zu Jahr m¨ussen bei allen Betrachtungen der langfristigen Wirtschaftlichkeit von Investitionen f¨ur Windenergie ber¨ucksichtigt werden.
Abb. 3.11 Windenergieproduktion pro Monat in Deutschland 2006–2008 ([BDEW 2008])
[TWh] 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Jan Feb Mär Apr Mai Jun
2006 2007 2008
Jul Aug Sep Okt Nov Dez
56
3 Wind als stochastische Energiequelle
Literatur [BDEW 2008] EEG-Monatsprognosen – Prognosedaten und vorl¨aufige Ist-Werte. Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. – BDEW, Berlin, 2008. http://www.bdew. de/bdew.nsf/id/DE EEG-Monatsprognosen (abgerufen am 13.8.2008). [BWE 2008d] Statistik Center. Bundesverband WindEnergie e.V. – BWE, Osnabr¨uck, 2007. http://www.wind-energie.de/de/statistiken/ (abgerufen am 3.5.2008). [dena 2008a] Integration Erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung im Zeitraum 2015–2020. Konsortium DEWI / EnBW TNG / E.ON Netz / EWI / ISET / RWE TSO Strom/ VE-T. Zwischenbericht. Durchgef¨uhrt im Auftrag der Deutschen Energieagentur – dena, Berlin, 13. M¨arz 2008. Abschn. 7.1.4, Parkwirkungsgrad, Abb. 7.1.5. [DEWI 2008] Ender C: Windenergienutzung in Deutschland – Stand 31.12.2007. DEWI Magazin Nr. 32, Februar 2008, S. 32–46, Deutsches Windenergie-Institut – DEWI, Wilhelmshaven. http:// www.dewi.de/dewi/fileadmin/pdf/publications/Magazin 32/05.pdf (abgerufen am 3.5.2008). [Enercon 2008a] Leistungst¨arkste Turbine der Welt bei Emden errichtet. In: Windblatt 07/2008, S. 6 ff. http://www.enercon.de/www/de/windblatt.nsf/vwAnzeige/5E4606B6DF14DCE4C12573 B400460FB7/$FILE/WB-0801-dt.pdf (abgerufen am 1.2.2008). [FINO 2008] FINO Datenbank – Forschungsplattformen in Nord- und Ostsee (FINO). Deutsches Windenergie Institut – DEWI, gemessen im Auftrag des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Projekttr¨ager PTJ, Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie – BSH, Hamburg. http://www.bsh.de/de/Meeresdaten/Beobachtungen/ Projekte/FINO/index.jsp. [Jarass 1976] Jarass L: Comparison of Saisonal and Daily Structures of Wind Energy Production and Pacific Gas & Electricity (San Francisco) Energy Production. In: Decision-Making in International Development, Subgroup Energy Sources, ed. Lusignan B, Stanford University, Cal./USA, May 1976. [Meier 2006] Meier H: Messungen von Weibull-Parametern A und k f¨ur 360 ◦ Windrose f¨ur 100 m H¨ohe u¨ ber Grund. Aufwind Schmack, Regensburg, 2006. [neue energie 2006] Bundesverband WindEnergie e.V. – BWE, Osnabr¨uck, Heft 11/2006. [Neumann/Riedel 2006] Neumann T, Riedel V: FINO1 Platform – Update of the Offshore Wind Statistics. DEWI Magazin Nr. 28, Februar 2006, S. 60, Deutsches Windenergie-Institut – DEWI, Wilhelmshaven. http://www.dewi.de/dewi neu/deutsch/themen/magazin/28/12.pdf. [Vattenfall 2007] EEG-Anlagenstammdaten, Jahresabrechnungen, Angaben j¨ahrlich seit 2000. Vattenfall Europe Transmission GmbH, Berlin. http://www.vattenfall.de/www/trm de/trm de/ 717435eeg/717494eeg-j/index.jsp (abgerufen am 14.10.2007). [Windenergiereport 2005] Windenergiereport 2005. Institut f¨ur Solare Energieversorgungstechnik e.V. – ISET, Universit¨at Kassel, 2006. Erscheint seit 1999 j¨ahrlich; einige Daten sind online abrufbar unter REISI, Windmonitor: http://reisi.iset.uni -kassel.de/pls/w3reisidad/www reisi page.show menu?p name=132019&p lang=ger. [Windenergiereport-REISI 2007] Windenergiereport-REISI. Institut f¨ur Solare Energieversorgungstechnik e.V. – ISET, Universit¨at Kassel, 2007. http://reisi.iset.uni-kassel.de/pls/ w3reisiwebdad/www reisi page new.show page?page nr=353 (abgerufen am 13.08.2008).
Kapitel 4
Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
¨ Bei der Ubertragung von elektrischer Energie aus Wind kann man die Entsorgungssicherheit im o¨ ffentlichen Netz sehr viel kleiner halten als die Versorgungssicherheit der Stromverbraucher, weil man die Einspeisung der Windenergieanlagen im Netzst¨orfall kurzfristig zur¨uckregeln kann im Gegensatz zur Nachfrage der ¨ Stromverbraucher. Bei einer windbedingten Erh¨ohung der Ubertragungsleistung des Netzes ist nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Leitungsneubau nur dann wirtschaftlich zumutbar, wenn die kosteng¨unstigeren L¨osungen Netzoptimierung (z. B. durch Temperaturmonitoring) und Netzverst¨arkung (z. B. durch Hochtemperaturseile) nicht ausreichen. Bei einem Neubau von 110-kV-Hochspannungsleitungen sind grunds¨atzlich Erdkabel gegen¨uber Freileitungen zu bevorzugen, weil sie schneller realisierbar sind, geringere Umweltbelastungen verursachen und nicht nennenswert teurer sind. Insgesamt liegen die windenergiebedingten Netzausbaukosten auch f¨ur die H¨ochstspannungsfern¨ubertragung onshore im Bereich von 10% der Investitionskosten der Windenergieanlagen. Mittelfristig ist allerdings ein aufw¨andiges großr¨aumiges Verbundnetz erforderlich, das insbesondere die neuen OffshoreWindparks der Nordsee-Anrainerstaaten untereinander und mit den Verbrauchsschwerpunkten verbindet.
4.1
Stromnetze und Windenergie
Es ist Ziel der Bundesregierung, die Windenergieeinspeisung deutlich zu erh¨ohen, von rund 23 GW installierter Windleistung in 2008 auf u¨ ber 35 GW in 2020 (Abschn. 1.3.3; Abschn. 7.1). F¨ur diesen massiven Ausbau der Windenergie ist wegen der starken Konzentration des Ausbaus im Norden und Osten Deutschlands und der starken Fluktuation der Windenergie eine Neukonzeption und Verst¨arkung des Stromnetzes erforderlich.
L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 4,
57
58
4.1.1
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
¨ Trennung von Stromerzeugung, Ubertragungsnetzbetrieb und Stromverkauf
Der Zustand der Stromnetze, Zugang und Nutzung, die sich mit der Art der Stromerzeugung historisch entwickelt haben und ihre Weiterentwicklung, spielen eine zentrale Rolle f¨ur den weiteren Ausbau der Windenergie – onshore wie offshore. F¨ur die erforderlichen Anpassungsprozesse ist von Bedeutung, dass in Deutschland die Eigent¨umer der u¨ bergeordneten Stromnetze im Wesentlichen (noch?) identisch sind mit den Eigent¨umern der Großkraftwerke auf fossiler oder nuklearer Basis. Die daraus resultierenden Probleme sind schon seit vielen Jahren Gegenstand kritischer Betrachtung [Hennicke 1985, S. 124 ff.]. Von Bedeutung ist auch die in Deutschland u¨ ber Jahrzehnte gewachsene monopolistische Struktur der Energie-, speziell der Stromversorgung auf der Grundlage eines Systems geschlossener Versorgungsgebiete und auf der Basis langj¨ahrig abgeschlossener Demarkationsvertr¨age zwischen den Versorgungsunternehmen und ebenso langfristig abgeschlossener Konzessionsvertr¨age zwischen den Kommunen und dem dann „zust¨andigen“ Versorger [Ewer 2002, S. 392 ff.]. Dieses System der Regionalmonopole unter der wohlwollenden Rechtsaufsicht der jeweiligen Bundesl¨ander ist grundlegend durch EU-Richtlinien1 ge¨andert worden. Die Umsetzung in Deutschland erfolgte durch eine umfassende Abl¨osung des alten Energiewirtschaftsgesetzes von 1935 durch das Energiewirtschaftsgesetz 1998, das seit 2005 nochmals mehrfach wesentlich neu geregelt wurde [EnWG 2008]. Dabei wurde eine eigentumsrechtliche, zumindest aber eine organisatorische Trennung von Erzeugung, Netzbetrieb und Verkauf umgesetzt („unbundling“). Mit Blick auf die Stromversorgung war und ist entscheidend, dass das Stromnetz als so genanntes „nat¨urliches Monopol“ der Eigent¨umer dennoch von Dritten diskriminierungsfrei sowohl f¨ur die Einspeisung als auch f¨ur die Durchleitung genutzt werden kann. Wie problematisch die Durchsetzung entsprechender Regelungen ist, zeigten in der Folge die Auseinandersetzungen u. a. um die so genannten „Verb¨andevereinbarungen“ [Verb¨andevereinbarung 2001, Verb¨andevereinbarungChronik 2005]. Dieser Ansatz einer Selbstregulierung der Energiewirtschaft gen¨ugte nicht den Liberalisierungsanforderungen und wurde nicht nur von den Stromverbrauchern, sondern auch von den Wettbewerbsh¨utern abgelehnt. Anfang 2007 legte die EU-Kommission umfangreiche Untersuchungen u¨ ber die Wettbewerbssituation im Strommarkt vor, zeigte die Wettbewerbshemmnisse auf, die zwangsl¨aufig durch das gleichzeitige Eigentum an weiten Teilen der Erzeugung und dem Stromnetz bestehen [Linsmeier/Haman 2007], und initiierte erneut eine intensive Debatte u¨ ber die nach ihrer Meinung erforderliche eigentumsrechtliche Entflechtung („ownership unbundling“) zwischen Stromnetz und Stromerzeugung; das Europ¨aische Parlament fasste entsprechende Beschl¨usse. Seit Mitte 2008 wird
1 Erstmals durch „Richtlinie (96/92/EG) betreffend gemeinsame Vorschriften f¨ ur den Elektrizit¨atsbinnenmarkt“ vom 19.12.1996, aktuell durch [EU-Elektrizit¨atsbinnenmarkt 2003; EUStromhandel 2003]; vgl. hierzu auch [Zenke 2005, S. 5 ff.].
4.1 Stromnetze und Windenergie
59
intensiv die Gr¨undung einer Deutschland Netz AG diskutiert, an der die bisherigen Eigent¨umer nur noch Minderheitsanteile halten w¨urden.2
4.1.2 Ausbau der Stromnetze erforderlich Die Verfolgung der EU-Klimaziele und die Ausweitung des intereurop¨aischen Stromhandels haben Konsequenzen f¨ur die zuk¨unftige Entwicklung der Stromnetze [EWIS 2007, www.ucte.org]: Sie m¨ussen sowohl f¨ur die vermehrte Einspeisung fluktuierender erneuerbarer Energie (Abschn. 10.3; [Netze 2007]) als auch f¨ur verst¨arkten grenz¨uberschreitenden Stromaustausch zwischen den Mitgliedsl¨andern ausgebaut werden. Insbesondere die Kuppelstellen zwischen den jeweiligen nationalen Stromnetzen sind Engp¨asse. Abhilfe soll geschaffen werden z. B. durch das Programm „Transeurop¨aische Netze“ oder das Projekt „DISPOWER“ (www.dispower.de). Andererseits stellt sich die Frage, wer die Netzausbaukosten f¨ur einen verst¨arkten europ¨aischen Stromhandel tragen soll, die insbesondere bei einer f¨ur erforderlich ¨ gehaltenen Verkabelung neuer Ubertragungsleitungen einen betr¨achtlichen Umfang erreichen k¨onnen. Soll z. B. momentan billiger polnischer Strom durch Deutschland nach Westeuropa transportiert werden, w¨are es sicher nicht angemessen, die hierf¨ur erforderlichen Netzausbaukosten den deutschen Stromverbrauchern aufzuhalsen. Die Windenergie spielt eine entscheidende Rolle als „Antriebsmotor“, weil sie vergleichsweise schnell ausbaubar ist und relativ kosteng¨unstig relevante Anteile des gesamten elektrischen Energieverbrauchs in Deutschland abdecken kann, a¨ hnlich in den Niederlanden und D¨anemark und anderen Nordsee- und AtlantikAnliegerl¨andern. Bei Starkwind wird die Gesamtleistung der ins Verbundnetz einspeisenden Windenergieanlagen nach den Pl¨anen der Bundesregierung schon 2025 etwa ein Drittel der gesamten in Deutschland installierten Kraftwerksleistung erreichen (Abschn. 1.3.2; Abb. 1.4) und bei gleichzeitiger Schwachlast, etwa am Wochenende, nachts oder in der w¨armeren Jahreszeit die gesamte Stromnachfrage und mehr abdecken k¨onnen. Die rasche Entwicklung der Windenergie, die schon 2008 zu einer Einspeisung bis zu einem Drittel der gesamten deutschen momentanen Stromnachfrage f¨uhrte bei zuk¨unftig weiter steigenden Anteilen, wirft v¨ollig neue Probleme der Energie¨ubertragung auf: • Die besten Erzeugerstandorte liegen in Deutschland weit von den Verbrauchsschwerpunkten entfernt. • Die H¨ohe der Erzeugung unterliegt extremen kurzfristigen und nur f¨ur kurze Zeit voraussagbaren Schwankungen. 2 Auf Druck der EU-Kommission hat E.ON-Netz Ende Februar 2008 den Verkauf seines Stromnetzes beschlossen, Mitte Juli 2008 hatten außer der kleinen Energieversorgung Baden-W¨urttemberg die anderen drei großen Netzbetreiber RWE, E.ON und Vattenfall ihr Interesse erkl¨art, ihre Stromnetze in eine einheitliche Netzgesellschaft einzubringen, ggf. mit weiteren in- und ausl¨andischen Beteiligungen, zumindest aber eine einheitliche deutschlandweite Regelzone zu organisieren.
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
Entsprechend kommen dem Stromnetz hinsichtlich Windenergie drei durchaus verschiedene Aufgaben zu: • Zum einen auf regionaler Ebene der Anschluss von Onshore-Windparks, also Gruppen von Anlagen mit typischen Gesamtleistungen von 10 MW bis 100 MW, ¨ in der Regel auf der Spannungsebene 110 kV, und die Ubertragung der Leistung, soweit sie nicht in der Region verbraucht wird, zu den n¨achsten Knotenpunkten des 380-kV-Fern¨ubertragungsnetzes. Da das 110-kV-Netz insbesondere in den d¨unn besiedelten K¨ustenregionen in der Vergangenheit eher schwach ausgebaut war, sind hier Verst¨arkungen und in Einzelf¨allen auch zus¨atzliche Leitungen erforderlich. • Die Netzanbindung der projektierten und genehmigten großen OffshoreWindparks (Abschn. 6.3; Abschn. 10.3.2), die voraussichtlich ab etwa 2010 sukzessive mit Leistungen von jeweils 400 MW und mehr in Betrieb gehen sollen und u¨ ber Gleichstrom-See- und Erdkabel von bis zu 200 km L¨ange an das 380-kV-H¨ochstspannungsnetz angebunden werden m¨ussen. Durch eine ¨ Anderung des Energiewirtschaftsgesetzes in § 17 (2a) sind seit Ende 2006 die Betreiber der k¨ustennahen H¨ochstspannungsnetze gesetzlich verpflichtet, diese Netzanbindungen zu erstellen. • Schließlich entsteht durch die Konzentration der Windenergieerzeugung an den K¨usten und in Zukunft noch mehr vor den K¨usten ein deutlicher Mehrbedarf an Fern¨ubertragungsleistung im H¨ochstspannungsnetz in Richtung S¨uden. Die H¨ohe der daraus resultierenden Maxima der Windenergieeinspeisung und ihre geografische Konzentration l¨angs und vor den deutschen K¨usten erfordern entsprechende Anpassungen im Bereich der Stromnetze. Diese prinzipiell anerkannte Notwendigkeit f¨uhrt schon heute zu zahlreichen Konflikten und gerichtlichen Streitf¨allen. Widerstreitende Interessen und gegens¨atzliche Rechtspositionen zwischen mindestens vier Interessengruppierungen drohen die Entwicklung um Jahre zu verz¨ogern: • Die Betreiber von Windenergieanlagen bestehen auf ihrem im ErneuerbareEnergien-Gesetz begr¨undetenAnspruch auf Ert¨uchtigung des Stromnetzes, sodass erneuerbare Energien bevorzugt und ohne Beschr¨ankung eingespeist werden k¨onnen. Potenziellen Investoren f¨ur erneuerbare Energien drohen n¨amlich erhebliche Finanzierungsprobleme, wenn nicht die Frage der netztechnischen Einspeisung gekl¨art ist. • Gebietsk¨orperschaften, St¨adte und Gemeinden und immer mehr B¨urger widersetzen sich, z. B. in Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren einer weiteren Verdrahtung der Landschaft durch die Ausf¨uhrung der Netzverst¨arkungen in Form von neuen Freileitungen, wie sie von den Netzbetreibern geplant und beantragt werden. • Die Netzbetreiber bestehen auf ihren Freileitungsplanungen unter Verweis auf h¨ohere Kosten und technische Probleme beim Einsatz von Erdkabeln, obwohl diese zumindest auf der 110-kV-Spannungsebene und f¨ur Leitungsl¨angen bis zu 30 km hinsichtlich Technik und Versorgungssicherheit den Freileitungen
¨ 4.2 Ubertragungsleistung und Versorgungssicherheit
61
gleichwertig sind und die m¨oglichen geringen Mehrkosten durch die raschere Durchsetzbarkeit mehr als aufgewogen werden (Abschn. 4.3.2). • Die deutschen Netzbetreiber fordern den Bau von langen neuen H¨ochstspannungsFern¨ubertragungsstrecken als u¨ berschwere 380-kV-Freileitungen, obwohl ihre Notwendigkeit, v. a. aber ihre Streckenf¨uhrung durch teilweise besonders wertvolle Landschaften sehr umstritten ist und von der Bev¨olkerung und den betroffenen Gebietsk¨orperschaften fast einhellig abgelehnt wird. Technische Alternativen, wie Hochtemperaturseile mit Temperaturmonitoring auf bestehen¨ den Trassen, Verkabelungen oder H¨ochstspannungs-Gleichstrom-Ubertragung ¨ (HGU) in Rohrleitungen, werden nun schrittweise angegangen, unterst¨utzt durch in 2008 beschlossene gesetzliche Regelungen zum Netzausbau (Abschn. 6.3). Diese Konflikte sowie Kriterien zu ihrer volkswirtschaftlich optimalen Aufl¨osung werden in Kap. 8 und schwerpunktm¨aßig in Kap. 10 wieder aufgegriffen. Dabei ist aber zu beachten, dass es bei der „Netzfrage“ von Beginn an nicht nur um die Integration der Windenergie ging. Mehr oder weniger verdeckt ging und geht es dabei auch um die netztechnischen Folgen der beabsichtigten Ausweitung des europ¨aischen Stromhandels und damit verbunden die netztechnischen Folgen des beabsichtigten Zubaus vieler neuer konventioneller Kraftwerke – in Deutschland und Europa. Den Autoren kommt es vor allem darauf an, die Aspekte darzulegen, zu diskutieren und mit konstruktiven Vorschl¨agen zu begleiten, die auch im Wortsinn windbedingt sind.
4.2
¨ Ubertragungsleistung und Versorgungssicherheit
Zu Recht spielen Fragen der Versorgungssicherheit in der ganzen Diskussion um den erforderlichen Ausbau der Stromnetze eine wesentliche Rolle. Nicht zuletzt die Ereignisse im November 2005, wo reihenweise Strommasten im M¨unsterland im Netzgebiet der RWE Westfalen-Weser-Verteilnetz GmbH umknickten [Stromausfall 2005; Stromausfall 2006], und die Systemst¨orung am 4.11.2006, ausgel¨ost durch das Abschalten einer 380-kV-Freileitung u¨ ber die Ems im E.ON-Netzgebiet [Bundesnetzagentur 2007], zeigen dies in aller Deutlichkeit. Beide Ereignisse hatten nichts mit der Windenergie zu tun, sondern beruhten im ersten Fall auf einem extremen Wetterereignis, n¨amlich Eislast und Nassschnee auf den Leiterseilen, und auf unzu¨ reichender Abstimmung zwischen den Ubertragungsnetzbetreibern im zweiten Fall. Durch die grunds¨atzlich geforderte „(n-1)-Sicherheit“ beim Netzbau und das technische Regelwerk verschiedener einzuhaltender DIN-Normen ist das deutsche Stromnetz im Vergleich zu anderen L¨andern relativ sicher ausgelegt.
4.2.1
Zuverl¨assige Versorgung von Stromverbrauchern: das (n-1)-Kriterium
Die hohe Sicherheit und Zuverl¨assigkeit der Stromversorgung, die den Stromkunden in Deutschland zur Verf¨ugung steht, wird v. a. dadurch erreicht, dass eine
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
hinreichende Redundanz der technischen Einrichtungen gegeben ist, die jeden Kunden u¨ ber die Zwischenstufen des Nieder-, Mittel- und Hochspannungsnetzes mit dem H¨ochstspannungsnetz verbinden, in das die Großkraftwerke einspeisen. F¨ur das Maß der Vielfachheit der Betriebsmittel, die eine Gruppe von Verbrauchern mit dem u¨ bergeordneten Netz verbinden, wird in der Regel das (n-1)-Kriterium angewendet: F¨allt von n-vielen Betriebsmitteln, die im ungest¨orten Fall zur Verf¨ugung stehen, eines durch eine St¨orung aus, so m¨ussen die verbleibenden (n-1)-vielen Betriebsmittel die Stromnachfrage immer noch uneingeschr¨ankt decken k¨onnen. Der Ausfall ¨ eines Transformators oder eines Ubertragungssystems darf also zu keinen f¨ur den Verbraucher sp¨urbaren Versorgungsunterbrechungen f¨uhren. Im Folgenden werden zur Erl¨auterung Beispiele aus der s¨udth¨uringischen Re¨ gion verwendet. Abb. 4.1 gibt einen Uberblick u¨ ber die dort auf der H¨ochstspannungsebene verwendeten Leitungen.
(1) Versorgung durch eine Stichleitung: striktes (n-1)-Kriterium Zweifellos muss f¨ur Verbindungen, die nur eine Stichleitung darstellen, im St¨orfall durch ein zweites System die Versorgung gew¨ahrleistet sein, also das (n-1)-Kriterium strikt eingehalten werden. Beispiel: Die derzeit bestehende 2 ∗ 380-kV-Verbindung von Goldisthal u¨ ber Altenfeld nach Remptendorf ist eine Stichleitung. Das Pumpspeicherwerk Goldisthal verf¨ugt u¨ ber Generatoren mit einer Nennleistung von gut 1 GW [Goldisthal 2007]. Die zwei Stromkreise der 2 ∗ 380-kV-Verbindung nach Remptendorf haben eine thermische Grenzlast von je 1,8 GW; damit ist die Ver- und Entsorgung des Pumpspeicherwerks Goldisthal auch bei Ausfall eines der beiden Stromkreise gesichert.
(2) Versorgung durch ein vermaschtes System: angepasstes (n-1)-Kriterium Weniger klar ist die Situation f¨ur ein vermaschtes System, z. B. die Verbindungen, die von Streumen im Nordosten nach Remptendorf im Zentrum der Abb. 4.1 f¨uhren: Durchwegs zweisystemige 380-kV-Leitungen verbinden diese zwei Umspannwerke, zum einen u¨ ber R¨ohrsdorf, zum andern u¨ ber Vieselbach, insgesamt also mindestens vier 380-kV-Systeme sowie 220-kV-Leitungen und angrenzende Netzmaschen. ¨ Welche Ubertragungsleistung kann durch diese vier Systeme (n-1)-gesichert transportiert werden? • Wird jede Leitung f¨ur sich betrachtet, dann w¨aren insgesamt zwei Systeme, also ¨ eine Ubertragungsleistung von 3,6 GW (n-1)-gesichert. • Werden beide Leitungen, da Teil einer Masche, zusammen gesehen, dann ¨ w¨aren insgesamt drei Systeme, also eine Ubertragungsleistung von 5,4 GW (n-1)-gesichert. Dabei ist die seit 2009 in die gr¨oßere Masche RagowLauchst¨adt-Vieselbach eingef¨ugte 380-kV-Leitung Lauchst¨adt-Vieselbach noch unber¨ucksichtigt.
¨ 4.2 Ubertragungsleistung und Versorgungssicherheit
63
Wolmirstedt Raum Magdeburg
Rogow/Spree Preilack/ Jänschwal
Raum Halle Bad Lauchstädt
Streumen 220
E.ONNetz (Hessen)
Vattenfall (Thüringen)
Pulgar
Eula
bisher 220 220
Vieselbach Mecklar
Bärwalde/ Boxberg
Eisenach
Raum Dresden
Röhrsdorf
Altenfeld
Nordböhmen
Goldisthal
Remptendorf Vattenfall (Thüringen) E.ON-Netz (Bayern) Redwitz
Mechlenreuth 380-kV-Leitung mit 2 Systemen
Oberhaid Grafenrheinfeld Raum Schweinfurt
Würgau
Bestand in Bau
Kriegenbrunn Raum Nürnberg
geplant Doppellinien: 4 Systeme
Abb. 4.1 Stromnetz in Th¨uringen (nach [Jarass/Obermair 2008, Abb.2.1])
Vattenfall geht f¨ur eng vermaschte Systeme von einer zul¨assigen Belastung von 70% der thermischen Grenzlast aller vorhandenen Stromkreise aus: „Die Belastung jedes Systems sollte grunds¨atzlich 50% nicht u¨ bersteigen, allerdings sind aufgrund der engen Vermaschung des Netzes auch lokale Belastungen von ca. 70% zul¨assig. So ist sichergestellt, dass beiAusfall eines Systems andere Systeme die Last u¨ bernehmen und kurzfristig mit 100% Auslastung betrieben werden k¨onnen, bis das andere Sys¨ tem wieder einsatzf¨ahig ist. Ubersteigt die Belastung den zul¨assigen Wert dauerhaft, kann die Versorgungssicherheit gef¨ahrdet sein.“ [Vattenfall 2007a]. Im genannten Beispiel w¨aren das 70% von 7,2 GW, also rund 5 GW.
64
4.2.2
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
¨ Ubertragung von Windenergie durch ein vermaschtes System : modifiziertes (n-1)-Kriterium
Im o¨ ffentlichen Netz, das der Stromversorgung dient, gelten zumindest in Deutschland extrem hohe Standards der Versorgungssicherheit: Nicht nur Krankenh¨auser und Industriebetriebe, sondern auch private Haushalte k¨onnen damit rechnen, dass j¨ahrlich h¨ochstens wenige Male und nur f¨ur durchschnittlich 20 Minuten pro Jahr die Stromversorgung ausf¨allt, abgesehen von zum Gl¨uck bisher a¨ ußerst seltenen extremen Wetterereignissen oder Schaltfehlern. Allerdings h¨aufen sich in den letzten Jahren Netzausf¨alle wegen mangelnder Wartung und zunehmender Schaltfehler in den immer komplexeren Netzsystemen, verst¨arkt durch h¨aufigere extreme Wetterbedingungen. Ist diese hohe Versorgungssicherheit auch f¨ur den Abtransport von Windenergie erforderlich und sinnvoll? • Die Versorgung der Verbraucher muss ohnehin wegen des stark stochastischen Anfalls der Windenergie, z. B. in Zeiten einer deutschlandweiten Windflaute, durch den konventionellen Kraftwerkspark und weitere M¨oglichkeiten im bestehenden Versorgungssystem sichergestellt werden. • Moderne Windenergieanlagen sind – im Gegensatz zu großen thermischen Kraftwerken – problemlos und ohne jede technische Gef¨ahrdung kurzfristig ¨ abregelbar, falls dem Netz eine Uberlastung droht. Wenn also eine wesentlich f¨ur den Windenergieabtransport genutzte Leitung tats¨achlich einmal ausf¨allt, so a¨ ndert sich also f¨ur den Verbraucher nichts. Bei der Entsorgung, also dem großr¨aumigen Abtransport von Windenergie, kann man also die Entsorgungssicherheit sehr viel kleiner halten als die Versorgungssicherheit. Ausschließlich f¨ur den Abtransport von Windenergie gebaute Stromleitungen brauchen nicht mit den extrem hohen Verf¨ugbarkeiten von Versorgungsleitungen ausgelegt zu werden. Zwar fließt durch diese Leitungen u. U. aus physikalischen Gr¨unden bei Windflaute auch Strom in entgegengesetzter Richtung zu Verbrauchern, doch w¨urden diese Verbraucher auch ohne die zus¨atzlich geschaffene Leitung versorgt. D. h., f¨ur den Abtransport der Windenergie reichen Entsorgungsleitungen in einem Umfang aus, dass jedenfalls im ungest¨orten Regelfall die Windenergie abtransportiert werden kann. Bei einer der seltenen Netzst¨orungen wird dann eben die Windenergieproduktion vor¨ubergehend heruntergefahren, ohne dass dadurch in irgendeiner Weise die Versorgungssicherheit der Stromverbraucher beeintr¨achtigt w¨urde [ECOFYS 2006), S. 20]. Dies wurde vom Verband der Netzbetreiber noch 2006 energisch bestritten, der auf einem jederzeit (n-1)-gesicherten Abtransport der Windenergie beharrte [VDN 2006, S. 9, 4.4(2)]. Zusammenfassend schreibt dazu Brakelmann [Brakelmann 2006b, S. 2]: „Die Stromnetze im Europ¨aischen Verbund werden im Allgemeinen (n-1)-sicher ausge¨ legt, was aber nicht heißen muss, dass in jede neue Trasse zwei Ubertragungssysteme ¨ gelegt werden m¨ussen. Entscheidend ist, dass bei Ausfall eines Ubertragungssystems dessen Funktion vom Gesamtnetz u¨ bernommen werden kann. Von daher k¨onnte f¨ur die betroffenen Trassen (n-1)-Sicherheit bei einsystemiger Ausf¨uhrung auch
¨ 4.2 Ubertragungsleistung und Versorgungssicherheit
65
dann gegeben sein, wenn die technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, im St¨orungsfall Windenergieanlagen entsprechend der Ausfallleistung abzuschalten oder herunterzuregeln.“
4.2.3 Anschluss von Windparks an das H¨ochstspannungsnetz Die Betreiber von Windenergieanlagen bauen u¨ blicherweise nur eine Leitung, meist Erdkabel, zur Anbindung an den n¨achsten Netzknotenpunkt des o¨ ffentlichen Net¨ zes mit einer Ubertragungsleistung in H¨ohe der installierten Generatorleistung. F¨allt diese „Entsorgungsleitung“ aus, wird der Windpark bis zum Abschluss der Leitungsreparatur abgeschaltet. Bei Leitungen an Land sind n¨amlich die Ausfallwahrscheinlichkeiten so niedrig und die typischen Reparaturdauern so kurz, dass im Durchschnitt nur f¨ur wenige Stunden im Jahr die Erzeugung abgeschaltet werden muss, und die Betreiber der Windenergieanlagen deshalb aus Kostengr¨unden windparkintern und zur Anbindung der Windparks an den n¨achstgelegenen Verkn¨upfungspunkt mit dem o¨ ffentlichen Netz ausnahmslos nur Einfachleitungen bauen. Aus demselben Grund k¨onnten auch neue, d. h. zus¨atzliche 110-kV-Leitungen des Netzes der o¨ ffentlichen Stromversorgung, die f¨ur den Anschluss von Windparks an das H¨ochstspannungsnetz erforderlich werden, grunds¨atzlich mit nur einem Leitungskreis (=1 System mit 3 Phasen) gebaut werden. Gerade bei Erdkabeln w¨urde die Ausf¨uhrung mit nur einem System, also drei Einzelkabel statt sechs Erdkabel f¨ur zwei Systeme, auch erhebliche Kosten einsparen, da bei Erdkabeln, im Gegensatz zu Freileitungen, zwei Systeme fast doppelt so viel wie ein System kosten. Aus Gr¨unden des Landschaftsschutzes und wegen der erheblich geringeren Widerst¨ande seitens der betroffenen Bev¨olkerung und daher rascherer Durchsetzbarkeit ist eine Erdkabelausf¨uhrung in jedem Fall sinnvoll. Doch haben die Netzbetreiber bisher gerade in solchen F¨allen trotz vorhersehbarer massiver Widerst¨ande stets Freileitungen mit zwei Stromkreisen vorgesehen, die bisher meist nicht u¨ ber das Planungsstadium hinausgekommen sind. ¨ Kasten 4.1: Beispiel zur Ubertragung von Windenergie bei Starkwind Angenommen wird ein k¨ustennaher Bereich des 110-kV-Netzes in einer Region mit einer maximalen Stromnachfrage von 120 MW, in den Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt 200 MW einspeisen: Maximale Stromnachfrage 120 MW, Niedrige Stromnachfrage 80 MW (z. B. nachts und sonntags), Windproduktion bei Starkwind 200 MW (unkorreliert mit der Last), Windproduktion bei Schwachwind 0 MW. Zur Versorgung der Stromkunden ist – unabh¨angig von der erst in den letzten Jahren installierten Windleistung – in diesem Netzbereich mindestens eine
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
2∗120-MW-Versorgungsleitung vorhanden, da nur so die maximale Nachfrage von 120 MW (n-1)-gesichert befriedigt werden kann, selbst wenn gleichzeitig u¨ berhaupt keine Windenergieproduktion zur Versorgung der Nachfrage zur Verf¨ugung steht. Die 200-MW-Windenergieproduktion bei Starkwind k¨onnte also bei niedriger Nachfrage sogar (n-1)-gesichert abtransportiert werden: 80 MW werden direkt an die Verbraucher geliefert, 120 MW werden an die n¨achste 110/380-kV-Umspannstation zum großr¨aumigen Weitertransport geliefert. Sobald allerdings weiter Windenergieanlagen zugebaut werden, m¨usste bei ¨ Uberschreiten der 200-MW-Windenergieproduktion eine kurzfristige Abschaltung eines Teils der Windenergieanlagen bei Ausfall einer der beiden Leitungen sichergestellt sein. Erst bei einem massiven weiteren Zubau von Windenergieanlagen u¨ ber 320 MW (= 2∗120 MW + 80 MW) hinaus w¨are eine Netzverst¨arkung unabdingbar, in einem ersten Schritt z. B. durch Temperaturmonitoring und Neubeseilung mit Hochtemperaturseilen (Abschn. 4.3.1), in einem zweiten Schritt dann ggf. durch einen Leitungsneubau (Abschn. 4.3.2). Es ist bei allen Beteiligten – Windenergieanlagenbetreibern, Netzbetreibern, Aufsichts- und Genehmigungsbeh¨orden und dem zust¨andigen Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – unbestritten, dass eine m¨oglichst ¨ umgehende Vergr¨oßerung der zul¨assigen Ubertragungsleistung des 110-kV-Netzes v. a. in einigen k¨ustennahen Gebieten unabdingbar ist f¨ur einen weiteren Anstieg der Windenergienutzung: • Zum einen zur EEG-konformen Einspeisung des Windenergieleistungsangebots von bereits arbeitenden Windenergieanlagen und damit zur Verringerung von netzbedingten Einspeiseengp¨assen insbesondere bei Starkwind und Schwachlast [E.ON-Netz 2006c, Tab. Erzeugungsmanagement], • zum anderen, um genehmigte Ausbauantr¨age und Repowering in diesen Regionen erfolgreich EEG-konform ohne netzbedingte Einspeiseengp¨asse realisieren zu k¨onnen, • und schließlich ist eine drastische Verringerung netzbedingter Einspeiseengp¨asse eine notwendige Voraussetzung f¨ur weitere Ausbauplanungen in diesen Regionen. Bereits Mitte 2006 waren in den von netzbedingten Einspeiseengp¨assen besonders betroffenen Landkreisen Nordfriesland, Dithmarschen und Ostholstein Windenergieanlagen mit einer Nennleistung von insgesamt rund 1,5 GW am Netz, ein Zuwachs von rund 80% in nur vier Jahren [E.ON-Netz 2006d], die Ausbauplanung f¨ur Windenergie f¨ur 2010 von rund 2,7 GW Nennleistung wurde schon 2008 fast erreicht. Bis Ende 2007 ist die installierte Windleistung in Schleswig-Holstein auf 2,5 GW gewachsen (Abb. 7.2), die Gebietsschwachlast betr¨agt nur rund 1,2 GW, ¨ die resultierende Uberschusswindleistung von 1,3 GW muss weitr¨aumig abgef¨uhrt werden. Obwohl die starken Zuw¨achse der Windenergieeinspeisung seit L¨angerem absehbar waren und die Pflicht der Netzbetreiber zur vorrangigen Abnahme und
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
67
¨ Ubertragung des gesamten Stroms aus erneuerbaren Energien durch das EEG bereits ¨ Mitte 2004 gesetzlich geregelt wurde, ist die Vergr¨oßerung der Ubertragungsleistung des 110-kV-Netzes in diesen besonders betroffenen Regionen bis 2009 noch nicht in Gang gekommen. So wurde z. B. das Planfeststellungsverfahren f¨ur den Bau einer dringend ben¨otigten 110-kV-Leitung in Nordfriesland, die den Einspeisepunkt Breklum an der Nordsee mit dem etwa 30 km entfernten 380/110-kV-Umspannwerk Flensburg verbinden soll, erst am 15.12.2005 eingeleitet. Die Leitung wurde als Freileitung beantragt, obwohl bei dieser Ausf¨uhrung nach allgemeiner Einsch¨atzung wegen der Einspr¨uche von B¨urgern und Gemeinden mit einer Verz¨ogerung des Baus der Leitung von vielen Jahren zu rechnen ist, wenn eine Freileitung u¨ berhaupt je durchgesetzt werden kann [Jarass/Obermair 2005b, S. 399 und die dort zitierten Belegstellen]. Die von den Betreibern der Windenergieanlagen vorgeschlagene Ausf¨uhrung als Erdkabel w¨urde das Verfahren sicher wesentlich beschleunigen, wird aber von E.ON-Netz wegen Mehrkosten der Investition nachhaltig zur¨uckgewiesen. Die beiden anderen 110-kV-Planungen in Dithmarschen und Ostholstein sind ebenfalls als Freileitung geplant und stoßen vor Ort ebenfalls auf massive Widerst¨ande. ¨ Zur Uberbr¨ uckung zwischenzeitlicher Engp¨asse im Stromnetz kann laut Erneuerbare-Energien-Gesetz auch Windenergieanlagen vor¨ubergehend die Netzein¨ speisung verwehrt werden, um in der Ubergangszeit bis zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen im Netzbereich einen weiteren Zubau von Windenergieanlagen zu erm¨oglichen. Diese Regelung brachte aber auch neuartige Unsicherheiten bei Planung und Betrieb von Windenergieprojekten ein, da insbesondere der Umfang der Verg¨utungsausf¨alle, die aus dem Erzeugungsmanagement herr¨uhren, nur schwer prognostiziert werden konnten. Durch die Reform des Erneuerbare-EnergienGesetzes wurden diese Unsicherheiten beseitigt, da ab 1.1.2009 Windenergie auch dann verg¨utet werden muss, wenn sie wegen eines momentanen Netzengpasses nicht eingespeist werden kann [EEG 2008, § 12(1) iVm § 9(3)]. Der f¨ur das n¨achste Jahrzehnt geplante Aufbau zahlreicher leistungsstarker Offshore-Windparks wird jedenfalls Verst¨arkungen einiger 380-kV-Verbindungen insbesondere in Norddeutschland erforderlich machen. So wird in der denaNetzstudie [dena 2005a] f¨ur die Netzintegration von zus¨atzlich 25 GW Windenergie der Neubau von insgesamt 850 km 380-kV-Leitungen v. a. in Norddeutschland, aber auch einiger Querverbindungen in Zentral- und S¨uddeutschland f¨ur erforderlich erachtet. Bei dieser Absch¨atzung blieben allerdings – neben anderen systematischen Defiziten – die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen zur Netzoptimierung und zur Netzverst¨arkung, etwa durch Temperaturmonitoring und Hochtemperaturseile, unber¨ucksichtigt (Abschn. 10.3.4).
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes ¨ Eine Erh¨ohung der Ubertragungsleistung im bestehenden Netz kann auf allen Spannungsebenen je nach Bedarf in drei aufeinander folgenden Stufen von jeweils h¨oherem Kostenaufwand erreicht werden, so wie von E.ON-Netz schon
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
2006 programmatisch vorgesehen [Leitungsmonitoring 2006; Jarass/Obermair 2007; Jarass/Obermair 2008a]: • Netzoptimierung des bestehenden Systems, z. B. durch Erh¨ohung der verwendeten Spannung, durch Regelung des Lastflusses mittels Querregler oder durch Nutzung meist vorhandener Netzreserven durch Einsatz von Leitungsmonitoring (Abschn. 4.3.1(1)); • Netzverst¨arkung von bestehenden Leitungen, insbesondere bei Freileitungen, indem z. B. herk¨ommliche Leiterseile durch Hochtemperaturleiterseile ersetzt werden (Abschn. 4.3.1(2)), am besten in Kombination mit Leitungsmonitoring. Falls Netzoptimierung und Netzverst¨arkung nicht ausreichen: • Neubau einer kompletten Stromleitung (Abschn. 4.3.2); ein Neubau ist auf 110kV-Niveau im Regelfall als Erdkabel kosteng¨unstig ausf¨uhrbar zur Vermeidung langer Gerichtsverfahren mit den Anliegern von Freileitungstrassen; f¨ur den Neubau von 380-kV-Trassen gibt es seit 2009 Vorgaben zur Teilverkabelung [ELAG 2008, § 2]. ¨ F¨ur eine Erh¨ohung der Ubertragungsleistung des betroffenen Stromnetzes („Netzausbau“) sollten also zuerst die kosteng¨unstigen M¨oglichkeiten genutzt werden, dann erst die teureren. Dieses Prinzip war bisher schon allgemein („kosteng¨unstig“) gesetzlich vorgegeben. Netzoptimierung vor Netzverst¨arkung vor Neubau ist seit 2009 nun explizit gesetzlich festgelegt [EEG 2008, § 5(4), § 9(1)].
4.3.1
Erh¨ohung von Versorgungssicherheit ¨ und Ubertragungsleistung ohne Netzneubau: Leitungsmonitoring und Hochtemperaturseile
Netzoptimierung, z. B. durch Behebung von Engp¨assen im Umspannwerk-Bereich oder durch besseres Abstimmen vorhandener Leitungssysteme wird seit L¨angerem in Deutschland praktiziert. Jedenfalls in Deutschland relativ neue Technologien sind das Freileitungsmonitoring sowie der Einsatz von Hochtemperaturseilen, die deshalb beide im Folgenden genauer dargestellt werden sollen [Jarass/Obermair 2008, Kap. 5 und die dort zitierte Literatur].
(1) Freileitungsmonitoring Die europ¨aische Norm DIN EN 50182, die 2001 als Deutsche Norm die vorherige DIN 48204 abl¨oste, listet in ihrem informellen Teil u. a. die Dauerstrombelastbarkeitswerte f¨ur verschiedenste Leiterseilausf¨uhrungen auf. Die DIN EN 50182 besteht aus einem f¨ur alle die Norm anwendenden europ¨aischen L¨ander verbindlichen normativen Teil und einem von Land zu Land unterschiedlichen informellen Teil, der auf nationaler Ebene ohne langwierige Einigungsverfahren mit den anderen Staaten ge¨andert werden kann. Damit die zul¨assige Seiltemperatur von typischerweise 80 ◦ C
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
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und/oder der zul¨assige Seildurchhang in keinem Fall u¨ berschritten werden k¨onnen, wurde in DIN EN 50182 die maximale Stromdichte [A/mm2 ] f¨ur einen gegebenen Seiltyp statisch f¨ur sehr hohe Lufttemperaturen bei faktischer Windstille, also f¨ur extrem seltene Bedingungen, festgelegt: • Lufttemperatur TLuft 35 ◦ C in Seilh¨ohe, • Windgeschwindigkeit vquer 0,6 m/s senkrecht zur Leitungsrichtung, • 100% Sonneneinstrahlung. Diese Norm musste grunds¨atzlich auch eingehalten werden, wenn die Wetterbedingungen eine sehr viel h¨ohere Stromdichte und damit einen sehr viel h¨oheren Stromtransport ohne Gef¨ahrdung der Transportsicherheit zulassen w¨urden. Bereits 1995 wurden die unterschiedlichen Belastbarkeiten von Leiterseilen in Abh¨angigkeit von Lufttemperatur und Windgeschwindigkeit dargestellt und darauf hingewiesen, dass eine Windgeschwindigkeit von 10 m/s die Dauerstrombelastbarkeit unter sonst unver¨anderten Bedingungen fast verdoppeln w¨urde [Handschin 1995, Tab. S. 40; Handschin 2000]. Es handelt sich also um langj¨ahrig vorhandenes Wissen, das auch den Netzbetreibern bekannt war und ist. Sp¨ater wurde in detaillierten Untersuchungen der Zusammenhang zwischen Umgebungstemperatur, Windgeschwindigkeit und zul¨assige Leitungsbelastung untersucht, und dabei wur¨ den betr¨achtliche Ubertragungspotenziale festgestellt [Brakelmann 2005, Kap. 6]. Diese Absch¨atzungen werden durch neue Untersuchungen der dena-II-Netzstudie best¨atigt, vgl. Abb. 4.2. Die f¨ur herk¨ommliche Leiterseile maximal zul¨assige Leitertemperatur von 80 ◦ C wird im gezeigten Beispiel nur bei den extremen NormWetterbedingungen von 35 ◦ C und 0,6 m/s Windgeschwindigkeit quer zum Leiterseil erreicht (Punkt 1 in Abb. 4.2). Ohne Leitungsmonitoring ist die Ber¨ucksichtigung
Leitertemperatur [°C]
90 3
1
80 70 60 50
2
40 30 50
75
100
125
150
Strom [%] 35°C 0,6m/s
20°C 0,6m/s
20°C 2,0m/s
10°C 2m/s
Abb. 4.2 Leitertemperatur in Abh¨angigkeit der Strombelastung f¨ur vier verschiedene Varianten der Umgebungsbedingungen ([dena 2008a, S. 151])
70
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
dieses Extremwerts durchaus gerechtfertigt, weil an wenigen Stunden im Hochsommer derartige Wettersituationen tats¨achlich vorkommen [Jarass/Obermair 2007, S. 98, Tab. 6.10]. Sinkt die Umgebungstemperatur von 35 ◦ C auf 20 ◦ C und steigt die Windgeschwindigkeit von 0,6 m/s auf 2,0 m/s, so sinkt die Leitertemperatur von 80 ◦ C auf unter 50 ◦ C (Punkt 2 in Abb. 4.2). Die Stromst¨arke kann dann auf 150% der Ausgangsstromst¨arke erh¨oht werden, ohne dass die Leitertemperatur den kritischen Wert von 80 ◦ C u¨ berschreitet (Punkt 3 in Abb. 4.2). Eine Umsetzung dieser Erkenntnisse war schwierig, weil viele Netzbetreiber unsicher waren, ob Freileitungsmonitoring nicht im Widerspruch zur DIN EN 50182: 2001-12 „Leiter f¨ur Freileitungen“ st¨unde. Deshalb stellte am 20.09.2004 das ¨ Wirtschaftsministerium des Landes Schleswig-Holstein einen Antrag auf Anderung dieser Norm, der auf der K421-Sitzung am 10./11.11.04 m¨undlich von Staatssekret¨ar ¨ W. Voigt vorgetragen und begr¨undet wurde. Es bestand Ubereinstimmung, dass die Ber¨ucksichtigung von Klimabedingungen grunds¨atzlich durch die Norm abgedeckt ist [Leitungsmonitoring 2007e, S. 7]. Seitdem kann Freileitungsmonitoring zur wetterabh¨angigen Steuerung der zul¨assigen Leitungsbelastung als vereinbar mit der DIN EN 50182 gelten. ¨ Ziel des „Temperaturmonitoring“ an Freileitungen ist es, eine Uberlastung von Freileitungsseilen bei hohem Lastfluss und geringer K¨uhlung auszuschließen. Maßgebend f¨ur die K¨uhlung sind die Anstr¨omgeschwindigkeit der Umgebungsluft ¨ und deren Temperatur. Eine durchschnittlich deutlich h¨ohere Ubertragungsleistung der Netze kann erreicht werden durch eine von der lokalen Windgeschwindigkeit und der Umgebungstemperatur abh¨angigen Nutzung der vorhandenen Stromnetze statt, wie bisher, einer klimaunabh¨angigen Begrenzung. Hohe Windgeschwindigkeiten und damit hohe Windleistungen kommen typischerweise bei unter 10 ◦ C vor, und somit sind Freileitungen im Mittel gerade bei hoher Windenergieeinspeisung erheblich u¨ ber die Norm belastbar [Jarass/Obermair 2007, Tab. 8.1]. Nichtsdestotrotz kommt es manchmal im Sommer bei Starkwind zu sehr hohen Temperaturen von rund 30 ◦ C, durchaus in der N¨ahe der in der DIN-Norm f¨ur Hochspannungsleitungen ber¨ucksichtigten maximal 35 ◦ C. Deshalb ist es unabdingbar, zur temperaturabh¨angigen Steuerung der tats¨achlichen Belastung von Hochspannungsleitungen, wenn schon nicht die Seiltemperatur, so zumindest an repr¨asentativen Punkten in jeder Region die Lufttemperatur zu u¨ berwachen und mit der Windenergieproduktion zu korrelieren. Besonders versorgungssicher kann diese Steuerung durch Freileitungsmonito¨ ring durchgef¨uhrt werden, also durch eine laufende Uberwachung („online“) der Temperatur der Leiterseile selbst, nicht nur der Umgebungstemperatur, was in fast allen Betriebsf¨allen eine weitere Erh¨ohung der tats¨achlich u¨ bertragbaren Leistung erm¨oglicht [E.ON-Netz 2006e, Temperaturmonitoring 2006]. Bereits 2004 wurden alle Details der Netzoptimierung und Netzverst¨arkung zur Vermeidung eines Netzneubaus erl¨autert und ihre Auswirkungen quantifiziert [Brakelmann 2004, S. 18–23; ECOFYS 2006, Teil I, Abschn. 2.3, Tab. S. 23]. Abbildung 4.3 zeigt schematisch die Reduzierung der Einspeisebeschr¨ankung f¨ur Windenergie durch Freileitungsmonitoring.
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
Windenergieeinspeisung
71
verbleibende Ausperrung mit Freileitungsmonitoring mit Freileitungsmonitoring: maximale Windenergieeinspeisung bei dynamischer Belastungsgrenze
150%
ohne Freileitungsmonitoring: maximale Windenergieeinspeisung bei statischer Belastungsgrenze
100% Ausperrung ohne Freileitungsmonitoring mögliche Windenergieerzeugung Zeit
Abb. 4.3 Reduzierung der Einspeisebeschr¨ankung f¨ur Windenergie durch Freileitungsmonitoring – Schema (nach [Leitungsmonitoring 2007e, S. 27])
¨ Dem Netzbetreiber entstehen neben der erh¨ohten Ubertragungsleistung weitere sicherheitstechnische und wirtschaftliche Vorteile: • erh¨ohte Betriebssicherheit, weil kritische Situationen rechtzeitig erkannt werden; • sofortige Erkennung von Eislast am Seil; • sichere Kontrolle des Seildurchhangs etwa bei Kreuzungen mit Straßen und Wasserwegen; ¨ • Anderung der Lastverteilung seltener erforderlich, dadurch verminderter Einsatz von Regelenergie. ¨ Freileitungsmonitoring-Systeme mit Ubertragung in die zust¨andige Netzleitstelle sind u. a. in den USA auf der Hoch- und H¨ochstspannungsebene seit Jahren im Einsatz. Eine Verst¨arkung der u¨ brigen Netzkomponenten, z. B. temperaturfeste Seilklemmen und entsprechende Dimensionierung und Steuerbarkeit des zul¨assigen H¨ochststroms von Schaltern, Sicherungen, Drosseln etc., ist unabdingbar zur Nutzung des Leitungsmonitorings. ¨ Auch bei 380-kV-Freileitungen ist die Ubertragungsleistung durch die thermische Grenzlast begrenzt, also durch die Stromdichte, bei der die Leiterseile sich unzul¨assig erw¨armen w¨urden. Deshalb ist grunds¨atzlich auch im 380-kV-Netz ¨ durch Temperaturmonitoring eine deutliche Erh¨ohung der Ubertragungsleistung in den meisten Stunden des Jahres erreichbar, soweit die u¨ brigen Komponenten des Netzes dies zulassen; andernfalls m¨ussten Schalter, Transformatoren etc. ausgewechselt oder verst¨arkt werden, Maßnahmen, die auch bei Neubau einer Leitung in
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
vielen F¨allen durchgef¨uhrt werden m¨ussten [Brakelmann 2004, S. 17–23]. E.ONNetz hat entsprechend seit 2007 Vorbereitungen f¨ur Temperaturmonitoring auch bei 380-kV-Leitungen getroffen. Bei Freileitungsmonitoring von u¨ berregionalen 380-kV-Leitungen ist eine Echtzeitmessung an der Leitung f¨ur eine volle Auslastung der Leitungen bei voller ¨ Ubertragungssicherheit unabdingbar. Bei Freileitungsmonitoring durch Nutzung von Wetterstationen m¨ussen gerade in stark bewaldeten und inhomogenen Gebieten erhebliche pauschale Sicherheitsabschl¨age angesetzt werden, die zwar deutlich niedriger sind als ohne Freileitungsmonitoring, aber deutlich h¨oher als bei Freileitungsmonitoring mit Echtzeitmessung an der Leitung. Freileitungsmonitoring erh¨oht bei sehr langen, von den Windenergieanlagen weit ¨ entfernt stehenden 380-kV-Leitungen die Ubertragungskapazit¨ at nicht mehr so stark wie bei nahe den Windparks befindlichen 110-kV-Leitungen, weil dann starke Einspeisungen der Windenergieanlagen einerseits und Wind bzw. niedrige Temperatur entlang der gesamten Leitung andererseits deutlich geringer zeitlich korreliert sind. Im Klartext: Wenn an der K¨uste Starkwind bei niedrigen Temperaturen herrscht bei entsprechend hoher Windenergieeinspeisung, kann es im Einzelfall im deutschen Mittelgebirge durchaus windstill und sehr warm sein, so dass in diesem Fall durch Temperaturmonitoring keine nennenswerte Erh¨ohung der Fern¨ubertragungsleistung erm¨oglicht werden kann. Mittlerweile liegen detaillierte Untersuchungen zu dieser wichtigen Frage vor [Lange/Focken 2008, S. 6]: „. . . die Strombelastbarkeit liegt im Mittel erheblich u¨ ber dem Normwert, wenn eine hohe Windeinspeisung vorliegt. . . . Die kritischen Abschnitte der Freileitungen („Hotspots“), bei denen lokale Effekte die Strombelastbarkeit stark mindern k¨onnen, stellen einen Engpass dar, wenn die Strombelastbarkeit der gesamten Leitung erh¨oht werden soll. Daher liegt es nahe, ¨ mindestens f¨ur diese Abschnitte eine Uberwachung der Leiterseiltemperatur, d. h. ein Temperaturmonitoring, einzusetzen, wie es beispielsweise an einzelnen Leitungen im E.ON-Netzgebiet schon der Fall ist. Dar¨uber hinaus w¨are f¨ur Hotspots mit sehr ung¨unstigen Bedingungen, z. B. lange Waldschneisen mit hohem und dichtem Baumbestand, auch der Einsatz von Hochtemperaturleiterseilen zu pr¨ufen, die dauerhaft mit einer h¨oheren Temperatur als die von der Norm vorgesehenen 80 ◦ C betrieben werden k¨onnen.“
(2) Netzverst¨arkung durch Hochtemperaturseile Die u¨ bliche Auslegung f¨ur Hoch- und H¨ochstspannungsfreileitungen sieht Betriebstemperaturen von etwa 75 ◦ C im Normalbetrieb und bis zu 100 ◦ C f¨ur k¨urzere ¨ Spitzenlasten vor. Bei Uberschreiten dieser Temperaturen werden die zul¨assigen Durchh¨ange u¨ berschritten und damit der minimale Bodenabstand nicht sicher eingehalten, v. a. aber altern die Seile, der permanente Durchhang nimmt zu, die Reißfestigkeit nimmt ab. Heute bieten die großen Hersteller Seile an, die durch Materialwahl, Aufbau und Vorbehandlung die oben genannten Temperaturen auf deutlich u¨ ber 120 ◦ C im Dauerbetrieb und auf u¨ ber 200 ◦ C f¨ur k¨urzere Spitzenlast steigern lassen, ohne
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
73
dass die Mindestabst¨ande zum Erdboden unterschritten werden, v. a. aber ohne die Langzeitstabilit¨at der Seile zu beeintr¨achtigen. Auch fast alle Hochtemperaturseile bestehen wie die Standard-Aluminium-StahlSeile (Al/St) aus einer Stahlseele, die mit einem dickeren Mantel aus vielen Aluminiumadern zu einem Seil verdrillt sind. Bei den Hochtemperaturseilen werden aber Material und Aufbau anders gew¨ahlt: • Die Seele besteht aus einem Seil aus hochtemperaturfestem Stahl, oder, f¨ur kurze Strecken, einer thermisch noch st¨arker belastbaren Legierung. • Der Mantel besteht aus thermisch vorbehandelten und mechanisch vorgestreckten Aluminiumadern und ist so aufgebaut, dass die mechanische Zugspannung des Seils ausschließlich von der relativ erm¨udungsfreien Stahlseele getragen wird. ¨ • Der Ubergang der durch den Stromfluss im gesamten Querschnitt erzeugten W¨arme an die Seiloberfl¨ache wird optimiert, indem z. B. die einzelnen Aluminiumadern nicht als Dr¨ahte mit kreisf¨ormigem Querschnitt ausgebildet sind, sondern mit trapezf¨ormigem Querschnitt, so dass die Adern sich fl¨achenm¨aßig ber¨uhren. Hochtemperaturseile werden seit 1969 eingesetzt [Hochtemperaturseile 2007a, S. 42]. Nach einer Befragung durch den zust¨andigen Verband Conseil International ´ des Grands R´eseaux Electriques (CIGRE) mit Antworten von 71 Energieversorgungsunternehmen aus 15 L¨andern werden bei fast 85% der Unternehmen die g¨angigen Al/St-Seile verwendet, aber in wachsendem Umfang in vielen L¨andern auch Hochtemperaturseile. Die langj¨ahrigen Erfahrungen in einigen L¨andern zeigen, ¨ dass das Seilzubeh¨or („Armaturen“), wie Klemmen, Ubergangsverbindungen, Isolatoren und Aufh¨angungen, der thermischen Mehrbelastung unver¨andert oder mit geringf¨ugigen Modifikationen gewachsen ist. In Japan, das mit extremer Bev¨olkerungsdichte und hoher Industrialisierung eine besonders hohe Dichte des Energiebedarfs bei a¨ ußerst beschr¨ankten naturr¨aumlichen Ressourcen aufweist, sodass neue Leitungen kaum mehr durchsetzbar sind, sind etwa 70% des Bestands an Hoch- und H¨ochstspannungsleitungen mit einer Gesamtl¨ange von 39.900 km mittlerweile mit Hochtemperaturseilen bespannt, weitere 4.000 km sind projektiert [Hochtemperaturseile 2007a, S. 32]. In den USA sind nach Sch¨atzungen rund 10.000 km installiert [Hochtemperaturseile 2007b, Tab. 2, p. 35]. Hochtemperaturseile sind also weltweit erprobte Technologie und werden mittlerweile auch in Deutschland verst¨arkt eingesetzt, wie die dena-II-Netzstudie ausf¨uhrt: • „Bei einem Betrieb bei 150 ◦ C k¨onnen mit TACSR-Leitern bis zu 150% des Betriebsstromes eines Standard-Aluminium-Stahl-Leiters, bei 80 ◦ C betrieben, erreicht werden. TACSR-Leiter sind in Deutschland erprobt und eingesetzt.“ [dena 2008a, S. 138 f.]. • „Bei einem Betrieb bei 150 ◦ C k¨onnen mit GTACSR-Leitern bis zu 150% des Betriebsstromes eines Standard-Aluminium-Stahl-Leiters, bei 80 ◦ C betrieben, erreicht werden. GTACSR-Leiter sind weltweit erprobt und eingesetzt. In Deutschland werden derzeit die ersten Leitungen mit GTACSR ausger¨ustet.“ [dena 2008a, S. 140 f.].
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
Bei einem m¨oglichen Dauerbetrieb bei 150 ◦ C kann schon mit den preisg¨unstigeren der verf¨ugbaren Hochtemperaturseile die Grenzlast eines 380-kVSystems von den heute zul¨assigen 1,8 GVA pro System auf fast 3 GVA (also auf das gut Eineinhalbfache) gesteigert werden, beim Einsatz hochfester St¨ahle auch mehr. Kurzzeitige Belastungen bis zu nahezu 200 ◦ C Betriebstemperatur und damit Belastungen oberhalb 4 GVA sind m¨oglich. Die M¨oglichkeit einer erheblichen kurzzeitigen Zusatzbelastung ist besonders f¨ur den Abtransport von Windenergie wichtig: Im St¨orungsfall f¨uhren daraus resultierende erhebliche Zusatzbelastungen zu keinerlei Versorgungsproblemen, innerhalb weniger Minuten kann die Windenergieeinspeisung so reduziert werden, dass auch bei anhaltender St¨orung ein weiterer St¨orfall sicher beherrscht werden kann. Damit ist das Gesamtsystem (n-1)-sicher, auch wenn im Normalfall alle vorhandenen ¨ Leitungen voll mit Windenergie ausgelastet sind, vgl. hierzu auch die Uberlegungen zur (n-1)-sicheren Auslegung von H¨ochstspannungsnetzen (Abschn. 4.2). ¨ Doppelte Ubertragungsleistung bedeutet, dass durch die Leitung auch ein doppelt so starker Strom fließt; doch die Leitungsverluste steigen mit dem Quadrat der Stromst¨arke. W¨urde die bei Umr¨ustung einer Leitung auf Hochtemperaturseile und Leitungsmonitoring m¨ogliche doppelte Stromst¨arke stattdessen auf zwei herk¨ommliche Leitungen verteilt, so h¨atten diese Leitungen jeweils ein Viertel des Verlusts der Hochtemperaturleitung, beide Leitungen zusammen also halb so viele Verluste. Anders ausgedr¨uckt: Gegen¨uber zwei Leitungen mit je einfacher Stromst¨arke, die damit die gleiche Transportleistung aufweisen wie die Hochtemperaturleitung, hat die Hochtemperaturleitung also die doppelten Verluste. Die h¨oheren Leitungsverluste pro u¨ bertragene Kilowattstunde, die also bei den hohen zul¨assigen Strombelastungen von Hochtemperaturseilen mit Freileitungsmo¨ nitoring auftreten, fallen bei u¨ berwiegender Ubertragung von Windenergie allerdings weniger ins Gewicht: Wegen der stark schwankenden Einspeisung f¨allt die Auslegungsleistung der Leitung nur in 20% bis 30% der Jahresstunden an. Damit treten die gerade bei Vollauslastung starken Verluste der Hochtemperaturleitung nur selten auf, ¨ und wenn sie auftreten, steht ein großes Uberangebot an Windenergie zur Verf¨ugung, so dass keine erh¨ohte Produktion der konventionellen Kraftwerke und damit auch kein zus¨atzlicher CO2 -Ausstoß zur Kompensation der Verluste n¨otig ist. Die genaue H¨ohe des zus¨atzlichen Verlusts der Hochtemperaturleitung und ihr monet¨arer Wert kann nur f¨ur jeden Einzelfall auf der Basis der voraussichtlichen Lastdauerlinie der Leitung und der daraus resultierenden Vollverluststunden bestimmt werden, tritt aber bei u¨ berwiegendem Windenergietransport gegen¨uber den Vorteilen deutlich in den Hintergrund.
(3) Kostenvergleich: Optimierung und Netzverst¨arkung versus Netzneubau Das in den USA verwendete Hochtemperaturseil ACSS mit EHS-Stahlseele soll gut das Doppelte der herk¨ommlichen Al/St-Seile kosten [Jarass/Obermair 2008, Tab. 5.3, Zeile 2.1.a]. Die reinen Seilkosten der herk¨ommlichen Leitungen machen rund 20%
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
75
der gesamten Investitionskosten f¨ur eine 380-kV-Leitung aus3 . Die Verdoppelung der Seilkosten f¨ur Hochtemperaturseile erh¨oht also die gesamten Investitionskosten der Leitung auf etwa 120% bis 125% der herk¨ommlichen Leitung, zus¨atzlich fallen f¨ur Echtzeit-Freileitungsmonitoring noch rund 10% an [Jarass/Obermair 2008, Abschn. 5.3.4]. Alles in allem resultieren gut 30% Mehrinvestitionen f¨ur eine Erh¨ohung der Transportkapazit¨at um 60% bis 100%; Hochtemperaturseile kosten also pro GW weniger als die H¨alfte eines Leitungsneubaus. Selbst wenn f¨ur den Einsatz solcher hochbelastbarer Spangen im Gesamtsystem zus¨atzliche Investitionen erforderlich sind (z. B. f¨ur Transformatoren mit Schr¨agregelung, neue Schalter, st¨arkere Drosseln etc.), so sind schon die einzelwirtschaftlichen Kosten einer solchen Netzverst¨arkung jedenfalls wesentlich geringer als die von Neubaustrecken. Rechnet man die sozialen Kosten der Landschaftsinanspruchnahme und die un¨ubersehbaren Kosten jahrelanger verwaltungsgerichtlicher Auseinandersetzungen um Neubaustrecken hinzu, so bleibt unverst¨andlich, warum Netzbetreiber in Deutschland nicht st¨arker den international erprobten Weg der Netzverst¨arkung u¨ ber Optimierung und Verst¨arkung der bestehenden Leitungen gehen.
4.3.2
Netzneubau: Freileitung versus Erdkabel
¨ Eine Erh¨ohung der Ubertragungsleistung in Schleswig-Holstein war angesichts dynamischer Entwicklungsziele f¨ur den Ausbau der Windenergie schon Ende der 1990er Jahre ins Auge gefasst worden. Der zust¨andige Regionalversorger SCHLESWAG AG k¨undigte im September 2001 den Bau von drei neuen 110-kVFreileitungen an, die in drei bis vier Jahren fertig gestellt werden sollten, mit deren Bau aber in 2008 noch nicht einmal begonnen worden ist. Dies war zugleich auch der Beginn einer bis heute andauernden h¨ochst kontroversen Diskussion u¨ ber die technische Ausf¨uhrung derartiger Leitungsverst¨arkungen. Nicht die Notwendigkeit der Netzverst¨arkungsmaßnahmen steht dabei in Frage, sondern diskutiert wird dar¨uber, ob diese Leitungsverst¨arkungen nicht besser in einem ersten Schritt als kosteng¨unstige Netzoptimierung und Netzverst¨arkung und dann erst als Neubau ausgef¨uhrt werden sollen, und ob ein Neubau als Freileitung oder als technisch a¨ quivalentes Erdkabel ausgef¨uhrt werden sollte. ¨ Die regionalen Ubertragungsnetze werden in Deutschland fast ausschließlich ¨ als 110-kV-Netze betrieben (Hochspannungsnetz), die u¨ berregionale Ubertragung geschieht heute immer st¨arker auf der 380-kV-Ebene (H¨ochstspannungsnetz). F¨ur beide Spannungsebenen sind bis heute Freileitungen vorherrschend. Im 110-kVBereich werden insbesondere in sensiblen Regionen mehr und mehr auch Erdkabel eingesetzt, so wie es im Mittelspannungsbereich schon seit Langem u¨ blich ist. 3 Bei Investitionskosten von 0,7 Mio. €/km f¨ ur eine 2 ∗ 380-kV-Leitung werden als Kosten f¨ur Beseilung (Seile, Lieferung der Seile, Isolatoren und Armaturen, Seilzug, Schutzger¨uste, Rollenleine etc.) 0,175 Mio. €/km angegeben [H¨ochstspannungsnetz 2005, S. 60]. Die reinen Seilkosten d¨urften damit bei etwa 0,14 Mio. €/km oder rund 20% der gesamten Investitionskosten liegen.
76
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
Kunststoffisolierte VPE-Kabel (vernetztes Polyethylen) sind weltweit der bew¨ahrte technische Standard. Im 380-kV-Bereich hingegen sind bisher Erdkabel nur im innerst¨adtischen Bereich auf kurzen Strecken im Einsatz. Erfahrungen bei verschiedenen Projekten in Deutschland belegen, dass die Realisierung der Infrastrukturverbesserung in Gestalt von Freileitungsbauten im Hoch- und H¨ochstspannungsnetz auf erhebliche Widerst¨ande st¨oßt: bei den Naturschutzverb¨anden ebenso wie generell in der Bev¨olkerung. Diese Widerst¨ande f¨uhren zu zeitlich erheblichen Verz¨ogerungen bei der Umsetzung als notwendig erkannter Maßnahmen. Dabei muss betont werden, dass sich der Widerstand in aller Regel nicht gegen Leitungen als solche richtet, sondern gegen Freileitungen. Erdkabell¨osungen, die den gleichen Zweck erf¨ullen, werden durchweg als notwendig akzeptiert.
(1) Technische Aspekte einer Verkabelung Im Mittel- und Hochspannungsbereich bis 110 kV werden seit Jahren immer mehr Kabel mit Verlegung in innerst¨adtischen Tunneln oder in Kabelgr¨aben von typischerweise 1,5 m Tiefe eingesetzt. Die Erschließung von innerst¨adtischen Zonen, von Neusiedlungen und von kleinen Ortschaften erfolgt ganz u¨ berwiegend mit Kabeln auf der Spannungsebene 20 kV, der „Verteilungsebene“. Dabei kommen heute ausschließlich Kabel mit Kunststoffisolierung zum Einsatz, so genannte VPE-Kabel. VPE steht f¨ur „vernetztes Polyethylen“, ein relativ preiswerter Kunststoff mit hervorragenden mechanischen (hohe Biegsamkeit) und elektrischen Eigenschaften (hohe Durchschlagsfestigkeit, geringe elektrische Verluste, geringe Alterung). Im Nieder- und Mittelspannungsbereich entstehen auch netztechnisch gegen¨uber Freileitungen kaum zus¨atzliche Probleme. Bei den u¨ berwiegend kurzen Abst¨anden zwischen Einspeise- und Ausspeisepunkt (von einigen km bis etwa 20 km) spielen die im Folgenden v. a. f¨ur die H¨ochstspannungsebene diskutierten Fragen des hohen kapazitiven Belags keine wesentliche Rolle. Hinsichtlich der Investitionskosten sind Kabel bis 20 kV den Freileitungen vergleichbar, hinsichtlich Verwaltungsaufwand, Transportverlusten, Versorgungssicherheit und Akzeptanz der Anlieger der Freileitung deutlich u¨ berlegen. Erdkabel sind deshalb heute im Neubau Standard im Mittelspannungsbereich. ¨ Schon auf der 110-kV-Hochspannungsebene der Ubertragungsleitungen mit typischen Leitungsl¨angen oberhalb von 20 km ist die Lage eine andere; zum Ver¨ gleich von Freileitungen und Kabel im Ubertragungsnetz, v. a. hinsichtlich der ¨ Ubertragung von Windenergie, sind in letzter Zeit eingehende Untersuchungen vorgenommen worden [Brakelmann 2004; Brakelmann 2005; Jarass/Obermair 2005a; Jarass/Obermair 2005b]. Das Ergebnis l¨asst sich in knapper Form zusammenfassen: Werden 110-kV-Kabel mit L¨angen u¨ ber etwa 20 km in einem vermaschten Netz parallel zu Freileitungen eingesetzt, so fließt wegen der weitaus niedrigeren Impedanz der Kabel (eine Art von „Wechselstromwiderstand“) immer der gr¨oßere
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
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Teil des Stroms u¨ ber das Kabel und nicht u¨ ber die parallel geschaltete Freileitung. Deshalb sind je nach Struktur des Netzes in den relevanten Maschen mehr oder minder aufw¨andige Maßnahmen zur „Impedanz-Anpassung“, etwa durch L¨angsdrosseln zu treffen, u. U. sogar sehr teure Spezialtransformatoren mit Schr¨agregelung einzusetzen. Erst bei sehr hohem Kabelanteil in einem Netz muss eine durchg¨angige, aufw¨andige Systemumstellung zu „starrer Sternpunkterdung“ durchgef¨uhrt werden. ¨ An einem Ubergang von Freileitung zu Kabel und wieder zu Freileitung „auf ¨ freier Strecke“ entsteht meist ein hoher Aufwand f¨ur Uberspannungsschutz: Bei einem Blitzeinschlag in die Freileitung kann sich der Spannungspuls zwischen den ¨ Ubergangsstellen so aufschaukeln, dass ein Durchschlag der Isolation des Kabels ¨ ¨ wegen Uberspannung erfolgen kann. Durch Uberspannungsableiter und verst¨arkten Blitzschutz der Freileitung (z. B. zwei Erdseile statt einem Erdseil u¨ ber den spannungsf¨uhrenden Seilen) l¨asst sich dieses Risiko zwar vermindern, dennoch warnen die Fachleute vor derartigen „Zwischenverkabelungen“, die die H¨aufigkeit und Reparaturdauer von St¨orungen (z. B. f¨ur das Auswechseln des „durchgebrannten“ Kabelabschnitts) erheblich erh¨ohen. Jede Leitung stellt einen „Kondensator“ dar, eine Art von Ladungsspeicher, der bei Wechsel- bzw. Drehstrombetrieb in der Sekunde 100 mal geladen und wieder entladen wird. F¨ur die H¨ohe dieses unvermeidbaren Ladestroms, der Blindstrom genannt wird, da er keine Leistung zum Verbraucher transportiert, ist die „Kapazit¨at“ des Kondensators maßgeblich. Diese Kapazit¨at ist pro L¨angeneinheit bei einem VPE-Kabel 10 bis 20 mal gr¨oßer als bei einer gleichwertigen Freileitung. Weiterhin ist bei gegebener Kapazit¨at der Blindstrom bei 380 kV rund 3,5 mal so groß wie bei 110 kV. Ab einer so genannten „Grenzl¨ange“ wird der Blindstrom, der fließt, auch wenn vom Verbraucher am anderen Ende der Leitung kein Ampere abgenommen wird, ebenso groß wie der thermische Grenzstrom. Ein Kabel dieser L¨ange w¨are also durch diesen periodischen Lade- und Entladestrom schon v¨ollig ausgelastet und k¨onnte nicht zus¨atzlich Wirkstrom transportieren. Die elektrische Energie, die w¨ahrend der ersten Viertelperiode des 50-Hz-Stroms von 1/200 Sekunde vom Kraftwerk in einen Kondensator, hier also das Kabel, hineinfließt, fließt allerdings in der n¨achsten Viertelperiode wieder heraus, wenn am Kabelende kein Verbraucher eingeschaltet ist. Deshalb ist dieser periodische Vorgang von Laden und Entladen mit keinem Energieverbrauch verbunden, außer den „Reibungsverlusten“, die beim Hin- und wieder Zur¨uckfließen des Stroms aufgrund des elektrischen Widerstands in der Leitung selbst entstehen. F¨ur ein Standard-110-kV-VPE-Kabel mit 240 mm2 Leiterquerschnitt betr¨agt die Grenzl¨ange ca. 190 km, der elektrische Verlust betr¨agt im Leerlauf etwa 3,5 MW, das ist immerhin u¨ ber 3% der thermischen Grenzleistung, die ein kurzes Kabel dieses Typs u¨ bertragen k¨onnte [Jarass 1981, S. 171]. Bei 150 kV ist die Grenzl¨ange nur noch 140 km, bei 380 kV nur noch 50 km; bei gr¨oßeren Querschnitten, z. B. 1.200 mm2 , noch k¨urzer. Beispiel: Bei 110 kV k¨onnte ein VPE-Kabel bei z. B. 145 km L¨ange nur noch ¨ maximal 70% der thermischen Grenzleistung ohne Uberlastung als Wirkleistung u¨ bertragen. Auch deshalb muss bei l¨angeren Kabelleitungen schon im 110-kVNetz alle 25 km bis 30 km der kapazitive Blindstrom durch die entgegengesetzte induktive Wirkung von Drosseln kompensiert werden, was nicht nur teuer ist,
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
sondern aus technischen Gr¨unden auf einer Strecke nicht mehrmals m¨oglich ist, weil sonst Oberwellenresonanzen resultieren mit hohen Spannungsspitzen die – a¨ hnlich wie bei Zwischenverkabelungen – die Isolation durchschlagen k¨onnen. Auch deshalb wird E.ON-Netz die Anbindung der ersten Offshore¨ ¨ vornehmen Windparks durch Hochspannungs-Gleichstrom-Ubertragung (HGU) (Abschn. 10.3.2). Die offizielle St¨orungsstatistik4 zeigt, dass die Versorgungssicherheit der Verbraucher durch den Einsatz von Erdkabeln nicht vermindert, sondern im Gegenteil erh¨oht wird: Bei heutiger Kabel- und Kabelverlegungstechnik ist, v. a. im l¨andlichen Bereich, in dem die windbezogenen Leitungen u¨ berwiegend verlaufen, die St¨orungsh¨aufigkeit a¨ ußerst gering und die Reparaturdauer im Durchschnitt kurz genug, um Kabelleitungen versorgungssicherer als Freileitungen zu machen. F¨ur H¨ochstspannungsleitungen von gr¨oßerer L¨ange kommen zur Verlegung unter der Erde oder unter dem Meeresgrund wohl nur zwei neuartige technische L¨osungen in Frage: • Bipolarkabel nach Brakelmann [Brakelmann 2006a; Brakelmann 2006b] kompensieren mit Hilfe von Spezialtransformatoren und dreimal je zwei entgegengesetzt gepolten Kabeln pro Stromkreis statt drei Einfachkabeln die kapazitiven Effekte und vermeiden damit die daraus resultierenden Probleme wie Blindstrom, extremen Kurzschlussstrom etc. ¨ (Hochspannungs-Gleichstrom-Ubertragung) ¨ • HGU in erdgebundenen gasgef¨ullten Stahlrohren mit Innenleiter f¨ur Spannungen von 300 kV bis 600 kV vermeiden naturgem¨aß die Probleme der Wechselstrom- bzw. Drehstromtechnik und k¨onnen bei 600 kV wohl pro Rohrleiter etwa ebenso viel Grenzleistung u¨ bertragen wie ein Stromkreis einer typischen 380-kV-Drehstromleitung. Welche Mehrkosten sich aus einer geeigneten Verkabelung bzw. Verrohrung ergeben, wird von den erforderlichen Umplanungen und technischen L¨osungen im Einzelnen abh¨angen. Es gibt noch wenig großtechnische Erfahrungen mit Zwischenverkabelungen von 380-kV-Leitungen in vermaschten Netzen. Bei der ¨ anstehenden Realisierung der neuen H¨ochstspannungsleitungen f¨ur die Ubertragung von Offshore-Windenergie wird sich zeigen, ob in besonders sch¨utzenswerter Landschaft oder nahe an Siedlungen Teilverkabelungen in Drehstromtechnik sinnvoll sind oder ob sinnvoller Weise solche Leitungen nicht besser von vorneherein als Ganzes mit Gleichstromkabeln ausgef¨uhrt werden m¨ussen.
4
[Verf¨ugbarkeitsstatistik 2005, S. 16–22]. Die St¨orungsh¨aufigkeit von Erdkabeln ist im Mittelspannungsbereich halb so hoch wie bei Freileitungen, die Unterbrechungsdauer je St¨orung etwas geringer. Die so genannte „M¨unsterland-St¨orung“ durch einen großfl¨achigen Ausfall von Freileitungsmasten wurde in dieser offiziellen Statistik nicht ber¨ucksichtigt. Sie ist „auf ein extremes Einzelereignis zur¨uckzuf¨uhren, so dass eine Aufnahme insbesondere in einen langfristigen Kennzahlenvergleich ungerechtfertigt erscheint“. [Verf¨ugbarkeitsstatistik 2005, S. 7].
¨ 4.3 Windbedingte Erh¨ohung der Ubertragungsf¨ ahigkeit des Stromnetzes
79
(2) Umweltaspekte von Freileitung versus Erdkabel Zu den umweltbezogenen Vor- und Nachteilen von Freileitung versus Erdkabel: • Offensichtlich ist die Umweltbelastung durch Erdkabel imVergleich zu Freileitungen in fast allen F¨allen vernachl¨assigbar gering. Weder der Vogelflug noch die landschaftlich-¨asthetische Qualit¨at wird durch Erdkabel beeintr¨achtigt. • Ob die elektromagnetischen Felder unter Freileitungen, die bis zu einem Abstand von einigen Masth¨ohen messtechnisch gerade noch nachweisbar sind, irgendeine biologische Wirkung haben, ist bis heute a¨ ußerst umstritten. Fest steht jedenfalls, dass die elektromagnetischen Felder u¨ ber Erdkabeln schon im Abstand weniger Meter auf extrem niedrige Werte abgefallen sind. • Eine geringf¨ugige Erw¨armung und Austrocknung des Bodens u¨ ber einem mit Dauerstrom belasteten Erdkabel l¨asst sich durch geeignete Verlegung jedenfalls vermindern. Die von Bebauung, tiefwurzelnden Pflanzen und hochwachsenden B¨aumen freizuhaltende Fl¨ache ist bei Kabelausf¨uhrung mit 4 m bis 6 m wesentlich schm¨aler als bei 110-kV-Freileitungen mit 20 m bis 40 m. In beiden F¨allen muss eine Zufahrtstrasse f¨ur Reparaturen freigehalten werden. • Erdkabel haben gegen¨uber Freileitungen aufgrund der W¨armekapazit¨at des umgebenden Mediums (Magerbeton und/oder Erdreich) eine f¨ur Stunden bis ¨ ¨ wenige Tage reichende Uberlastkapazit¨ at, was bei der Ubertragung der stark fluktuierenden Windenergie von besonderem Vorteil ist. Freileitungen sind gegen¨uber Erdkabeln in zweifacher Hinsicht h¨ohere externe Kosten zuzuschreiben: • Durch Landschaftsbeeintr¨achtigungen, die v. a. in K¨ustenlandschaften, Erholungsgebieten und wenig industrialisierten Regionen stark ins Gewicht fallen und erheblichen Widerstand in der Bev¨olkerung hervorrufen; dies wiederum f¨uhrt zu • langwierigen und kostentr¨achtigen Genehmigungsverfahren, die u¨ berdies die durch die Leitung angestrebte Einspeisung von Windenergie und den damit erzielbaren volkswirtschaftlichen Nutzen um Jahre blockieren [Jarass/Obermair 2005c, S. 49–51]. Untersuchungen zur Quantifizierung von Landschafts- und Umweltbelastungen von Freileitungen haben soziale Kosten von 0,1 Mio. €/km bis 0,3 Mio. €/km Freileitung5 je nach Bauausf¨uhrung und Art der durchschnittenen Landschaft ergeben, dagegen vernachl¨assigbare soziale Kosten f¨ur VPE-Erdkabel, sofern sie nicht durch Naturschutz- oder Feuchtgebiete verlegt werden. Hinzu kommen weitere Vorteile der Erdkabel: Zwar ist die biologische Wirkung von Magnetfeldern, insbesondere auf den Menschen, ein Feld komplexer wissenschaftlicher Fragen mit sehr kontroversen Antworten. Gerade deshalb ist es sehr vern¨unftig, niedrige Grenzwerte festzulegen und generell technische L¨osungen zu w¨ahlen, bei denen das Magnetfeld mit der Entfernung rasch abnimmt. Dies ist bei 5 Barwert in heutigen Preisen f¨ ur die gesamte Lebensdauer der Leitungen; zum Grundprinzip [Jarass 1989, S. 67; Apfelstedt 1996], zu den Zahlenwerten [Jarass/Obermair 2005c, S. 48/49].
80
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
Erdkabeln, nicht aber bei Freileitungen der Fall: In einigen Metern Entfernung von der Kabeltrasse ist – bei je gleicher u¨ bertragener Leistung – das Magnetfeld eines Erdkabels schon schw¨acher als in etwa 100 m Entfernung von einer Freileitung. Aus den genannten Gr¨unden erh¨oht sich der Druck der o¨ ffentlichen Meinung zur generellen Ausf¨uhrung von Hochspannungsleitungen durch Erdkabel, v. a. auf Strecken erh¨ohter Umweltsensibilit¨at. So empfahl z. B. die EU-Kommission schon im Dezember 2003 [EU 2003], an sensiblen Stellen den Leitungsbau wegen der naturschutzrechtlichen Widerst¨ande gegen Freileitungen durch Einsatz von Erdkabeln zu beschleunigen. Zudem betonte sie f¨ur den Fall einer generellen Politik der Verkabelung die positiven Wirkungen f¨ur „. . . the likely beneficiaries: utilities, their customers, local residents and the wider community“.
(3) Wirtschaftliche Aspekte von Freileitung versus Erdkabel Seit Jahren wird sehr kontrovers diskutiert, ob der Neubau von Leitungen zu einem erheblichen Anteil mit Erdkabeln statt Freileitungen ausgef¨uhrt werden kann und soll. Bis auf wenige – innerst¨adtische – Ausnahmen war es in Deutschland in der Vergangenheit u¨ blich, im Hoch- und H¨ochstspannungsnetz den Netzausbau in Form von Freileitungen auszuf¨uhren. Erdkabel seien im Vergleich viel zu teuer und ggf. auch technisch nicht gleichwertig zu realisieren – so hieß und heißt es v. a. auf der Seite der Netzbetreiber. Das Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat die wesentlichen Argumente zu Netzausbau durch Freileitungen und Erdkabel zusammengestellt [BMU 2006a]. Die langfristigen gesamtwirtschaftlichen Kosten von 110-kV-Kabeltrassen liegen je nach lokalen Bedingungen und entsprechender Ausf¨uhrung nicht wesentlich u¨ ber denen von Freileitungen [Jarass/Obermair 2007, Abschn. 3.2.2]. Hierbei spielt zus¨atzlich eine Rolle, dass das Planungs- und Genehmigungsverfahren f¨ur Freileitungen heute durch Einspr¨uche bis hin zu Gerichtsverfahren mit entsprechenden wirtschaftlichen Verlusten um Jahre verz¨ogert wird, teilweise sogar u¨ berhaupt nicht zum Abschluss gebracht werden kann, was f¨ur Erdkabel nicht der Fall ist [Jarass/Obermair 2005a, Jarass/Obermair 2005b]. Bei den laufenden Kosten fallen ¨ neben den u¨ blichen Uberwachungsund Wartungskosten v. a. die Kosten ins Gewicht, die durch die unvermeidlichen elektrischen Verluste (Ohm scher Widerstand) der Leitungen entstehen. Diese Verluste sind stark vom mittleren Auslastungsgrad der Leitungen und von seiner zeitlichen Variation abh¨angig. Beim Vergleich der betriebswirtschaftlichen Kosten gehen neben den h¨oheren Investitionskosten der Kabel ihre deutlich niedrigeren Verlustkosten wegen des bei ¨ gleicher Ubertragungsleistung um einen Faktor 3 bis 4 niedrigeren Ohm schen Widerstands mit ein. Je nach Zahl der so genannten „Vollverluststunden“ kommt man so zum Ergebnis, dass der Barwert der Kosten inklusive Betriebs- und Verlustkosten einer 2 ∗ 110-kV-Freileitung trotz der deutlich niedrigeren Investitionskosten nicht wesentlich niedriger ist als der eines zweisystemigen Erdkabels. Eine entsprechende Absch¨atzung des Verh¨altnisses der Kosten von Freileitung und Erdkabel findet sich in Tab. 4.1.
4.4 Netzanbindung der Offshore-Windparks
81
Tab. 4.1 Investitions- und Vollkosten von Erdkabeln als Vielfaches der Kosten von Freileitungen ([Brakelmann 2006a, S. 2])
Spannung 380 kV 110 kV
Investitionskosten-Faktor
Vollkosten-Faktor
1 System 2 bis 4 1,5 bis 2,0
1 System 1,5 bis 3 0,9 bis 1,8
2 Systeme 4 bis 7 2,5 bis 4,0
2 Systeme 2 bis 3,5 1,2 bis 2,5
In alle Kostenvergleiche geht ein, dass die elektrischen Verluste bei Freileitungen wegen der geringeren erforderlichen Leiterquerschnitte und des daraus resultierenden h¨oheren elektrischen Widerstands weitaus h¨oher sind als bei gleich leistungsf¨ahigen Erdkabeln. F¨ur die kalkulatorischen Verlustkosten ist es entscheidend, ob sie unter betriebswirtschaftlichen Aspekten mit den normalen Gestehungskosten des Netzbetreibers (z. B. mit 3,5 ct/kWh bis 6 ct/kWh) oder aber unter energiepolitischen Gesichtspunkten nach EEG als „verlorene Windenergie“ (z. B. mit 7,5 ct/kWh) bewertet werden [Brakelmann 2006b]. Am 12. Dezember 2007 hat der nieders¨achsische Landtag das „Gesetz u¨ ber die Planfeststellung f¨ur Hochspannungsleitungen in der Erde (Nieders¨achsisches Erdkabelgesetz)“ verabschiedet [Erdkabelgesetz 2007]. Mitte 2008 wurde von der Bundesregierung ein Energieleitungsausbaugesetz (ELAG) beschlossen [ELAG 2008], das ebenfalls explizit eine Verkabelung von 380-kV-Strecken erm¨oglicht und die Mehrkosten auf alle Netzbetreiber umlegt (Abschn. 6.3.3).
4.4 4.4.1
Netzanbindung der Offshore-Windparks ¨ Ubernahme der Netzanbindung ¨ durch die Ubertragungsnetzbetreiber
¨ Die Ubertragung der offshore gewonnenen elektrischen Energie muss u¨ ber Entfernungen von 100 km und mehr erfolgen. Zuerst am Meeresgrund bis zur K¨uste, dann weiter an Land bis zur Einspeisung in das H¨ochstspannungsnetz. Dabei sollen bereits nach 2012 Leistungen von mehreren GW aus den Nordseeregionen vor den Ost- und den Nordfriesischen Inseln u¨ bertragen werden. ¨ Urspr¨unglich bestand Ubereinstimmung darin, dass die Netzanbindung der Offshore-Windparks durch die Planer bzw. Investoren vorzunehmen und durch die festgelegte Einspeiseverg¨utung zu finanzieren ist. Dies f¨uhrte dazu, dass jedes Projekt seine eigene Netzanbindung zum Festland geplant hatte. Optimierung gab es lediglich aufgrund der naturschutzfachlich vorgegebenen Eingriffsminimierung durch eine gewisse parallele Trassierung der erforderlichen Seekabel. Das „Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz“ hat den Netzbetreibern die Netzanbindung der Offshore-Windparks als neueAufgabe auferlegt [IPlanBG 2006a; EnWG, § 17 Abs. 2a]. Damit ist erstmals eine Optimierung der Netzanbindungen der verschiedenen Offshore-Windparks m¨oglich. Die damit verbundene Idee eines
82
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
den K¨usten vorgelagerten Netzes, an dessen Netzknoten die einzelnen OffshoreWindparks angebunden werden, kann auf dieser Grundlage nun umgesetzt werden. Wurden bei den bisherigen Planungen jeweils eigene Leitungen vom Netzknoten an Land zu den verschiedenen Offshore-Windparks vorgesehen, so ist auf der heutigen rechtlichen Grundlage die Anbindung mehrerer Offshore-Windparks u¨ ber nur eine Kabelanbindung mit deutlich h¨oherer Kapazit¨at zul¨assig und geboten. Hierdurch k¨onnen nicht nur die volkswirtschaftlichen Kosten reduziert, sondern auch die Auswirkungen auf Natur und Umwelt verringert werden. ¨ Die Ubernahme der Netzanbindungskosten durch die k¨ustenseitig anliegenden ¨ Ubertragungsnetzbetreiber f¨uhrt zu einer doch betr¨achtlichen finanzkalkulatorischen Entlastung der Windparkprojekte in einer Gr¨oßenordnung von 20% bis 25%. Diese Regelung galt urspr¨unglich allerdings nur f¨ur Offshore-Windparks, mit deren Errichtung bis Ende 2011 begonnen wird, sie ist 2008 bis Ende 2015 verl¨angert worden [EnWG 2008, § 118 (7)].
4.4.2
Umsetzung der Offshore-Netzanbindung in der Nordsee
¨ ¨ Die Ubergabe sowie Ubernahme der bisherigen Netzanbindungsplanungen durch ¨ die Ubertragungsnetzbetreiber gegen Kostenerstattung [EnWG 2008, § 17 (2a)], ¨ die konzeptionelle systemtechnische Uberpr¨ ufung und Optimierung und schließlich der Bau der Seekabelanbindungen zu den Netzknoten an Land werden in der gebotenen Geschwindigkeit nur gelingen, wenn alle Akteure zielf¨uhrend miteinander kooperieren. Hierzu finden so genannte Offshore-Foren statt, auf denen die ¨ Ubertragungsnetzbetreiber zusammen mit den Windparkplanern die Umsetzung besprechen. Die Anbindung von Windparks mit installierten Leistungen von 400 MW und mehr in Entfernungen von 60 bis u¨ ber 100 km von der K¨uste zzgl. Anbindung an die im Hinterland liegenden 380-kV-Umspannwerke mit Gesamtl¨angen von 150 bis u¨ ber 200 km stellt sowohl hinsichtlich der einsetzbaren technischen Mittel als auch hinsichtlich der Kosten unvergleichlich gr¨oßere Anforderungen als die vorher beschriebenen Onshore-Anbindungen. Um Leistungen dieser Gr¨oßenordnung mit Seekabeln der gr¨oßten g¨angigen Leiterquerschnitte – etwa 1.200 mm2 bis 1.600 mm2 – zu u¨ bertragen, sind jedenfalls Spannungen u¨ ber 110 kV erforderlich. In der ersten Stufe werden 150 kV verwendet, ab 2011 sollen 300 kV verf¨ugbar sein. F¨ur das Versuchsfeld Alpha-Ventus n¨ordlich von Borkum (Abb. 4.4), dessen Anschluss bereits in 2008 sichergestellt sein musste, wurde allerdings durchg¨angig Wechselstromtechnik eingesetzt genauso wie f¨ur die beiden kleinen k¨ustennahen Windparks Riffgat und Nordergr¨unde. F¨ur den Einzel-Windpark Butendiek, westlich von Sylt geplant, wird als Option eine separate Anbindung in reiner 170-kVWechselstromtechnik diskutiert bis zur Einspeisung in das 380-kV-Umspannwerk Jardelund nahe Flensburg. Bei diesen Spannungen sind herk¨ommliche Drehstrom-Kabel-Systeme ohne a¨ ußerst aufw¨andige Blindstromkompensation nur u¨ ber k¨urzere Distanzen verwend-
4.4 Netzanbindung der Offshore-Windparks
83
Abb. 4.4 Lage und Trassenverlauf des Offshore-Clusters Borkum 2 ([E.ON-Netz, 2007b])
bar (Abschn. 4.3.2(1)). Auf l¨angeren Strecken w¨aren mehrfach Kompensationsspulen (auf Plattformen oberhalb des Wassers?) erforderlich. E.ON-Netz schließt deshalb eine Drehstroml¨osung f¨ur eine l¨angere See¨ubertragung aus technischen und aus Kostengr¨unden ausdr¨ucklich aus und w¨ahlt eine H¨ochstspannungs-Gleichstrom¨ Ubertragung vom Typ HVDC. Eine Alternative w¨are der Einsatz von bipolaren Drehstromkabeln [Brakelmann 2006d, Brakelmann/Jensen 2008]. Abbildung 4.4 zeigt beispielhaft Lage und Trassenverlauf des Offshore-Clusters Borkum 2, an dessen Beispiel die technische Umsetzung der Netzanbindung erl¨autert werden soll. Netzanbindung des Offshore-Clusters Borkum 2: • • • •
Auftragnehmer ABB als Generalunternehmer f¨ur den Leitungsbau; Auftragsvolumen u¨ ber 300 Mio. €; ¨ 400-MW-HVDC-Ubertragungssystem (HVDC Light); 155-kV-Offshore-AC-Netz zur Anbindung der Einzelanlagen an die OffshorePlattform mit AC/DC-Umformer und Schaltanlage; • Seekabel 128 km (8,4 km im Wattenmeer, Norderney und Ems), Landkabel 75 km; • 380-kV-Anschluss an das Netz der E.ON im Umspannwerk Diele; • geplante Inbetriebnahme 24 Monate nach Vertragsunterzeichnung im September 2009. Abbildung 4.5 zeigt die Netzanbindungssystematik f¨ur den Offshore-Cluster Borkum 2. Auf weiteren Offshore-Foren soll so Windpark f¨ur Windpark die Umsetzung der Netzanbindung realisiert werden.
84
4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung OWP1
OWPn Robuste Technik für den Hochseeeinsatz
Ebene 3
...
OWP-MS-Schaltanlage OWP-HS-Schaltanlage
Standardisierte Netzanbindung durch: Einhaltung der Netzanschlussregeln Übertragungssystem zur Entkopplung vom Onshore-Netz Übertragungssystem ist unabhängig vom Windenergieanlagen-bzw. Generatortyp
Ebene 2 E.ON-HS-Schaltanlage
Lange Übertragungsdistanzen möglich Flexibles und modulares Design: Verkürzte Realisierungsdauer
Ebene 1
...
E.ON-Übertragungssystem: - HVDC - HVAC
Große Bandbreite der Übertragungsleistung Hohe Zuverlässigkeit
Ebene 0
Abb. 4.5 Netzanbindung f¨ur den Offshore-Cluster Borkum 2 ([E.ON-Netz, 2007b])
4.4.3
Netzintegration der Windenergie in Europa – Europ¨aisches Offshore-Supergrid
Die Integration großer Mengen an Windenergie gewinnt nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europ¨aischer Ebene immer mehr an Bedeutung [EWEA 2005; Offshore-Windenergienutzung 2007, S. 22/23]. Das liegt zum einen daran, dass das deutsche Stromnetz Teil des europaweiten UCTE-Verbundnetzes ist; zum anderen werden auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten immer mehr Windenergieanlagen installiert. Als Folge kann ein windenergiebedingter Leistungsausgleich u¨ ber die Staatsgrenzen hinweg technisch und wirtschaftlich vorteilhaft sein. Vor der Liberalisierung der Stromm¨arkte in Europa waren aber die Kuppelstellen, die die nationalen Netze untereinander verbinden, nur f¨ur geringe Leistungen ausgelegt. Der wachsende Stromhandel u¨ ber L¨andergrenzen hinweg sowie die steigende Windenergieeinspeisung f¨uhren daher heute immer h¨aufiger zu Netzengp¨assen zwischen den Staaten. Der irische Stromversorger Airtricity hat bereits vor einigen Jahren die Idee eines Europ¨aischen Offshore-Supergrids entwickelt [Airtricity 2007]. Abb. 4.6 zeigt eine Skizze eines derartigen Netzes. Das Offshore-Supergrid basiert auf der Kombination zweier neuartiger, aber erprobter Technologien: große Offshore-Windturbinen und Hochspannungs-Gleich¨ strom-Ubertragung mit Umformern. Nach Angaben von Airtricity zeichnet sich das Offshore-Supergrid durch folgende Vorteile aus: • Das Offshore-Supergrid ist als ein unterseeisches HochspannungsleitungsNetzwerk geplant. Es k¨onnte schlussendlich die Ostsee, die Nordsee, die Irische ¨ See, den Armelkanal, den Golf von Biscaya und das Mittelmeer umspannen.
4.4 Netzanbindung der Offshore-Windparks
85
Abb. 4.6 Europ¨aisches Offshore-Supergrid – voller Ausbau ([Airtricity 2007])
• Das Offshore-Supergrid dient auch als Netzkupplung zwischen den Nationalm¨arkten und hilft damit bei der Schaffung eines funktionierenden Elektrizit¨atsbinnenmarktes. Dies wird europ¨aischen Verbrauchern in Hinsicht auf st¨arkeren Wettbewerb, niedrigere Preise und verbesserte Versorgungssicherheit zus¨atzliche Vorteile verschaffen. • Da zu jeder Zeit in das Offshore-Supergrid Strom eingespeist wird, kann im Idealfall der Bedarf der einzelnen L¨ander kontinuierlich gedeckt werden. Das Offshore-Supergrid wandelt den Wind also in eine kontinentale Ressource um, und erm¨oglicht es allen Mitgliedsstaaten an dieser enormen Energieressource zu ihrem gegenseitigen Vorteil teilzuhaben. Dies wird von den Mitgliedsstaaten durch Zusammenarbeit in der Nutzbarmachung ihrer gemeinsamen Windressourcen und die Umwandlung dieses kostenfreien Energierohstoffs in eine verl¨assliche und vorhersehbare Stromquelle erreicht. • Schließlich kann mittels des europaweiten Offshore-Supergrids auch die Speicherkapazit¨at von sehr großen Wasserkraftwerken, beispielsweise in Norwegen, zur Bereitstellung von Reserveleistung f¨ur die Windenergie genutzt werden. Die Umsetzung einer Verbindung zwischen Offshore-Windenergie und großen Speicherkraftwerken in den Alpen und mittelfristig auch in Norwegen mittels einer ¨ ¨ wurde vom WirtschaftsminisH¨ochstspannungs-Gleichstrom-Ubertragung (HGU) ter des Landes Schleswig-Holstein bereits 2007 vorangetrieben. Auf der Basis eines ¨ 2008a; kritisch hierzu HGU ¨ 2008c] von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens [HGU schlug er vor, dass Bund und L¨ander gemeinsam in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur die netztechnischen und wirtschaftlichen Fragen weiter abkl¨aren und das weitere Vorgehen, insbesondere zur Federf¨uhrung und weiteren gutachterlichen Un¨ 2008b]. In mehreren terst¨utzung seitens der Bundesregierung vereinbaren [HGU
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
Sitzungen der beteiligten L¨ander- und Bundesministerien wurde klargestellt, dass die im Gutachten vorgeschlagene Beschr¨ankung einer solchen Leitungsverbindung nur auf den Austausch von Windenergie aus Schleswig-Holstein und Wasserenergie aus der Schweiz nicht ad¨aquat ist, sondern vielmehr eine Verbindung zwischen einem Einspeisepunkt nahe der Nordsee und einem Auspeisepunkt in S¨uddeutschland als erster Schritt sinnvoll erscheint. Im September 2008 legte Greenpeace eine detaillierte Studie zu den M¨oglichkeiten und Grenzen einer Vernetzung der Windenergie in Westeuropa vor [Greenpeace 2008]. Das Konzept von Greenpeace sieht ein Verbundnetz von Offshore-Windparks vor, das sich u¨ ber die sieben Nordsee-Anrainerstaaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, D¨anemark und Norwegen erstrecken soll. Das Netz wird in die u¨ brige Stromversorgung integriert. So k¨onnen windschw¨achere Perioden durch andere Energiequellen ausgeglichen werden, beispielsweise durch die Wasserkraft in Norwegen. Insgesamt soll die Netzl¨ange etwa 6.200 km betragen. Die Kosten werden sich dabei auf 15 Mrd. € bis 20 Mrd. € belaufen; eigentlich eine große Summe, bezogen auf die gewonnene Energie und die Erh¨ohung der Gleichm¨aßigkeit jedoch nicht u¨ berm¨aßig groß. Gerade die Einspeisung großer Mengen an Strom aus Offshore-Windenergieanlagen wird erheblichen Einfluss auf die Leistungsfl¨usse im Verbundnetz der UCTE (Union for the Coordination of Transmission of Electricity) haben. Vor dem Hintergrund aktueller Ausbauszenarien f¨ur die On- und Offshore-Windenergie in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten hat der Verband der europ¨aischen Netzbetreiber ¨ (ETSO) zusammen mit der UCTE und den nationalen Ubertragungsnetzbetreibern Anfang 2006 die Arbeit an der European Wind Integration Study (EWIS) aufgenommen und Anfang 2007 einen ersten Bericht ver¨offentlicht [EWIS 2007]. Die EWIS-Studie untersucht technische und regulatorische Fragestellungen, die mit der Netzintegration von erneuerbaren Energien, v. a. der Windenergie, bis zum Jahr 2015 im Zusammenhang stehen. Das Ziel der weiteren Arbeiten ist es, kurzfristig ¨ die von den Ubertragungsnetzbetreibern erkannten Schwierigkeiten bei der Netzintegration der Windenergie zu u¨ berwinden und langfristig ein europaweit abgestimmtes Konzept zu entwickeln.
Literatur [Airtricity 2007] Vorschlag f¨ur ein Europ¨aisches Offshore Supergrid. Airtricity, Ireland, undatiert, ca. 2007. http://airtricity.com/ireland/media cter/documents forms/corporate documents/ Supergrid% 20V1.4%20(printed).pdf. [Apfelstedt 1996] Apfelstedt G, Jarass L, Obermair G M: Die Umweltvertr¨aglichkeitspr¨ufung von Hochspannungsleitungen. In: Handbuch der Umweltvertr¨aglichkeitspr¨ufung (HdUVP), Storm P-C und Bunge Th (Hrsg.), Schmidt-Verlag Berlin Bielefeld M¨unchen, 19. Lieferung, V/1996. [BMU 2006a] Netzausbau durch Freileitung und Erdkabel. Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, September 2006. [Bundesnetzagentur 2007] Bericht der Bundesnetzagentur (BNetzA) zum Stromausfall vom 4. November 2006, Abschnitt Rechtsprechung und Gesetzgebung. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen (et), D¨usseldorf, Heft 5/2007, S. 107 f.
Literatur
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
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4 Versorgungssicherheit im Stromnetz bei hoher Windenergieeinspeisung
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Teil II
Windenergieausbau
In diesem Teil II wird zuerst das Erneuerbare-Energien-Gesetz als Maßnahme zur systematischen Ber¨ucksichtigung von externen Kosten erl¨autert (Kap. 5). Anschließend werden die f¨ur den Windenergieausbau erforderlichenVerwaltungsverfahren vorgestellt (Kap. 6). Schließlich werden die derzeitige und die zuk¨unftige Windenergieerzeugung in Deutschland, Europa und weltweit beschrieben (Kap. 7).
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Kapitel 5
Systematische Berucksichtigung von externen ¨ Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinen Kernregelungen der festen Einspeiseverg¨utungen und der Abnahmeverpflichtung des erzeugten Stromes ist o¨ konomischer Garant f¨ur den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Angesichts der Verh¨altnisse in der deutschen Stromwirtschaft mit dem massiven Angebotsdruck eines oligopolistisch organisierten und weitgehend abgeschriebenen Großkraftwerksparks war und ist dieser Ansatz des Gesetzgebers ohne ernsthafte Alternative. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat sich mittlerweile zum Exportschlager entwickelt, a¨ hnliche Gesetze wurden in vielen L¨andern eingef¨uhrt, die ebenfalls den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Die garantierte Einspeiseverg¨utung f¨ur Windenergie liegt schon heute deutlich unter den dadurch vermiedenen volkswirtschaftlichen Kosten fossiler Energieerzeugung, in denen neben den weiter steigenden Brennstoffkosten v. a. die externen Kosten durch CO2 - und Schadstoffemissionen bewertet werden m¨ussen. Der ge¨ plante Ubergang von fester Einspeiseverg¨utung und Abnahmeverpflichtung hin zum Verkauf der Windenergie an der Stromb¨orse ist ebenso risikoreich wie die Einf¨uhrung eines Quotensystems: Eine reine B¨orsenverg¨utung w¨urde Windenergie im Mittel weit unter ihrem gesamtwirtschaftlichen Nutzen verg¨uten und zuk¨unftig den Zubau von Windenergieanlagen unwirtschaftlich machen, wie das Beispiel D¨anemark zeigt.
5.1
Berucksichtigung der externen Kosten ¨ der konventionellen Stromerzeugung
Beherrschendes Ziel der anstehenden großen Transformation des Energiesystems ¨ ist die drastische Verringerung des Einsatzes der fossilen Energietr¨ager Kohle, Ol und Erdgas zugunsten der erneuerbaren Energien. Die langfristigen Perspektiven werden hierbei so eingesch¨atzt, dass erneuerbare Energien bis 2050 die H¨alfte der gesamten Energieversorgung (Strom-, W¨arme- und Kraftstoffmarkt) und zwei Drittel der Stromversorgung bestreiten k¨onnen [BMU 2006d].
L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 5,
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94
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
F¨ur eine solche Neuausrichtung der Energietechnik und Energiewirtschaft gibt es drei parallel gerichtete zwingende Ursachen: • Eine massive Reduktion der CO2 -Emissionen ist zur Verlangsamung des bedrohlichen Klimawandels unabdingbar. • Ebenso dringend sollten die durch andere Luftschadstoffe aus fossiler Energie verursachten Gesundheits- und Materialsch¨aden sowie land- und forstwirtschaftliche Ertragsverluste weiter erheblich verringert werden. • Die Endlichkeit der Vorr¨ate und die geopolitische Lage f¨uhren zu einem immer weiteren Anstieg der fossilen Energiepreise und damit zu wachsender wirtschaftlicher Instabilit¨at; die Abh¨angigkeit v. a. von Erd¨ol, Erdgas und auch Kohle muss deshalb entscheidend verringert werden. Die genannten sch¨adlichen Wirkungen, die durch den Umbau des Energiesystems vermieden werden sollen, oder – weil eher absch¨atzbar – die Aufwendungen, ¨ die zu dieser Vermeidung erforderlich sind, werden von Okonomen als „externe Kosten“ oder gleichbedeutend als „soziale Kosten“ des Energiesystems bezeichnet und monet¨ar zu beziffern versucht. Der Begriff „externe Kosten“ verweist darauf, dass solche Kosten in der unmittelbaren Wirtschaftsbeziehung weder beim Hersteller oder Lieferanten noch beim K¨aufer des fraglichen Gutes, im hier relevanten Fall also beim K¨aufer und Nutzer einer Energiedienstleistung [Jarass 1988], anfallen. Sie belasten vielmehr einen dazu u¨ berwiegend „externen“ Kreis von Betroffenen, etwa die „Allgemeinheit“, im Fall des Klimawandels letztlich die gesamte Biosph¨are. 2006 wurde im Auftrag des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine umfassende Untersuchung zu den externen Kosten der Stromerzeugung vorgelegt [Krewitt/Schlomann 2006]. Obwohl die zitierten Absch¨atzungen f¨ur die externen Kosten der Sch¨aden der Emission einer Tonne CO2 extrem weit zwischen 15 €/to und 280 €/to auseinanderklaffen bei einem zentralen Sch¨atzwert von 70 €/to, geben die Autoren doch einen Konsens an u¨ ber den Mindestbetrag an externen Kosten, den man der Erzeugung einer Kilowattstunde elektrischer Energie aus fossilen Energietr¨agern zuschreiben muss: 6 ct/kWh bis 8 ct/kWh bei Erzeugung aus Kohle, 3 ct/kWh aus modernen Gaskraftwerken. Hierbei sind v. a. die Klimasch¨aden ber¨ucksichtigt, weitere noch unzureichend quantifizierbare Kosten kommen hinzu. Demgegen¨uber werden die externen Kosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien mit weniger als 0,5 ct/kWh sehr niedrig abgesch¨atzt (Abschn. 8.1). Seit Pigou vor 100 Jahren den Begriff der externen Kosten eingef¨uhrt hat und Kapp dazu in den 1950er Jahren umfangreiches empirisches Material vorgelegt hat, gilt die „Reinternalisierung“ dieser Kosten als geeignete Maßnahme ein volkswirtschaftliches Optimum zu erreichen [Obermair/Jarass 2006]. Reinternalisierung der externen Kosten bedeutet die Setzung solcher Rahmenbedingungen, dass der Teil der Kosten einer wirtschaftlichen Aktivit¨at, welcher derzeit als soziale Kosten einer ¨ anonymen Offentlichkeit aufgeb¨urdet ist, nun wieder den Akteuren dieser unmittelbaren Wirtschaftsbeziehung als den Verursachern monet¨ar zurechenbar angelastet wird.
5.1 Ber¨ucksichtigung der externen Kosten der konventionellen Stromerzeugung
5.1.1
95
F¨orderung der erneuerbaren Energien
Die F¨orderung der erneuerbaren Energien – bisher im Wesentlichen beschr¨ankt auf den Strommarkt – erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Wie die bisherigen Ausf¨uhrungen gezeigt haben, spielen dabei v. a. ordnungspolitische Maßnahmen in verschiedenen Rechtsbereichen eine wichtige Rolle. Aber nicht von ungef¨ahr wird in der o¨ ffentlichen Diskussion um die Erfolge der erneuerbaren Energien in Deutschland stets auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz Bezug genommen. Es liegt auf der Hand, dass in marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften die finanziellen Rahmenbedingungen eine herausragende Rolle spielen. Dies war im ¨ Ubrigen schon in den Monopolzeiten der Stromversorgung so. Es stellt sich die Frage, ob z. B. ohne die monet¨ar wirksamen Sonderregelungen der R¨uckstellungspraxis, wie der Begrenzung der Versicherungspflicht, jemals in Deutschland ein Atomkraftwerk errichtet worden w¨are. Der u. a. im Zusammenhang mit der Wettbewerbsentwicklung abgeschaffte „Kohlepfennig“ ist ein weiteres Beispiel gezielter finanzieller Eingriffe in das Marktgeschehen. Diese historische Entwicklung ist auch insoweit von Bedeutung, weil sie in Deutschland zu einem faktischen Erzeugungsmonopol auf der Basis fossil oder atomar betriebener Großkraftwerke gef¨uhrt hat. Unter Marktgesichtspunkten entstand insoweit das Problem, dass jede neue Stromerzeugungsanlage stets gegen einen weitgehend abgeschriebenen Großkraftwerkspark konkurrieren musste. Damit ist schon seit vielen Jahren klar, dass ohne politische Eingriffe in das Marktgeschehen die Implementierung erneuerbarer Energien von vornherein ohne jede Chance war – es sei denn als individueller teuer bezahlter Spaßfaktor. Deshalb wurden im Verlauf der Jahre Gesetze erarbeitet f¨ur den Vorrang erneuerbarer Energien als wirkungsvolles und effizientes Instrument zum Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien auf dem Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem. Zur Verringerung der volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung werden auch ihre langfristigen externen Effekte ber¨ucksichtigt. Dar¨uber hinaus soll ein Beitrag zur Vermeidung von Konflikten um fossile Energieressourcen geleistet sowie die Weiterentwicklung der Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien gef¨ordert werden. Die schrittweise eingef¨uhrten Kernelemente der im Folgenden beschriebenen Gesetze sind: • der vorrangige Anschluss von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und aus Grubengas an die Netze der allgemeinen Elektrizit¨atsversorgung; ¨ • die vorrangige Abnahme und Ubertragung dieses erneuerbar erzeugten Stroms; • eine f¨ur in Betrieb genommene Anlagen in der Regel u¨ ber 20 Jahre konstante, an den Kosten orientierte Verg¨utung dieses Stroms durch die Netzbetreiber; • der bundesweite Ausgleich der abgenommenen Strommengen und der entsprechenden Verg¨utungssummen; • die Weitergabe der Differenzkosten f¨ur Strom aus erneuerbaren Energien an die Endverbraucher.
96
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
5.1.2
Zum Charakter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Rolle der F¨orderinstrumente
Das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 und das Erneuerbare–Energien-Gesetz von 2000 waren stets erheblichen Angriffen hinsichtlich ihrer verfassungs- wie europarechtlichen Konformit¨at ausgesetzt. In einer ganzen Reihe von Verfahren bis zum BVerfG/BGH einerseits und dem EUGH andererseits ist die Sache eindeutig entschieden [Ewer 2002, S. 405 ff.]. Danach handelt es sich bei beiden Gesetzen weder um eine – wom¨oglich gar ungerechtfertigte – Subvention oder Beihilfe noch um eine verfassungsrechtlich bedenkliche Einschr¨ankung von Eigentum (Art. 14 GG) oder Berufsaus¨ubungsfreiheit (Art. 12 GG). Dies zu betonen, erscheint v. a. deswegen erforderlich, weil der in der o¨ ffentlichen Debatte oft erhobene Vorwurf der „teuren Subvention“ nicht nur die Bereitschaft hemmt, aktiv zum Klimaschutz beizutragen, sondern auch den Blick auf den tats¨achlich fortschrittlichen Charakter des EEG als o¨ kologisch wie o¨ konomisch wirksames Umweltgesetz moderner Art verstellt: In den ersten Verfahren Mitte der 1990er Jahre wurde gegen das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 das Argument der Unverh¨altnism¨aßigkeit ins Feld gef¨uhrt und auch vorgetragen, dass die Energieversorgungsunternehmen f¨ur den verdr¨angten Strom z. B. aus Kohlekraftwerken eine Entsch¨adigung erhalten m¨ussten. Hinsichtlich der Frage der Verh¨altnism¨aßigkeit entstand daraufhin die gefestigte Rechtsmeinung, dass das Stromeinspeisungsgesetz erstens in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers falle und zweitens die Unverh¨altnism¨aßigkeit erst dann in Betracht zu ziehen sei, wenn etwa das Energieversorgungsunternehmen Gefahr liefe, aufgrund des Stromeinspeisungsgesetzes Konkurs anmelden zu m¨ussen. Die hierin liegende Ironie wurde zugespitzt durch den kolportierten Satz eines Richters in Richtung Energieversorgungsunternehmen: „Meine Herren, der Sinn des Gesetzes liegt darin, dass sich etwas a¨ ndert!“ Hinsichtlich des allgemein sehr negativ besetzten Vorwurfes der Subvention ist festzuhalten: Das EEG regelt im Kern die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten, indem es die Netzbetreiber zur Aufnahme des von den Betreibern produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien verpflichtet. Eine Subvention oder Sonderabgabe ¨ w¨urde monet¨are Transfers von der oder zu der Offentlichen Hand voraussetzen. Genau an dieser Voraussetzung fehlt es aber. Was zun¨achst formalistisch erscheint, wird deutlicher, wenn man den Regelungsansatz von Stromeinspeisungsgesetz und EEG vor dem Hintergrund des Verursacherprinzips betrachtet. Verursacher des Klimaproblems sind nicht – wie es landl¨aufig auf den ersten Blick erscheint – die Verbraucher, sondern Verursacher sind diejenigen, die durch ihre spezifische Art der Stromerzeugung durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe das CO2 in die Atmosph¨are emittieren. Deshalb sind folgerichtig die so genannten „Normadressaten“ des Gesetzes auch letztlich die zur Aufnahme des regenerativ erzeugten Stromes verpflichteten Netzbetreiber. Sie k¨onnen die zu zahlenden Verg¨utungen zwar auf die Strompreise u¨ berw¨alzen – und tun dies auch – aber der Markt entscheidet erst in diesem zweiten Schritt, ob das vollst¨andig gelingt.
5.1 Ber¨ucksichtigung der externen Kosten der konventionellen Stromerzeugung
97
Und ein dritter wesentlicher Gedanke ist von Bedeutung: Schon in den Diskussionen um das Stromeinspeisungsgesetz unter dem Eindruck der Klima-EnqueteKommission des Deutschen Bundestages in den Jahren 1988/1989 und st¨arker noch bei den Diskussionen um das EEG wurde v¨ollig zu Recht vertreten, dass die gegen¨uber den herk¨ommlichen Marktpreisen erh¨ohten Einspeiseverg¨utungen ihre Berechtigung haben, weil dabei sehr viel geringere externe Kosten bei der Stromerzeugung entstehen. Die gesetzlich festgeschriebenen erh¨ohten Einspeiseverg¨utungen seien insoweit zum großen Teil nur eingepreiste vermiedene externe Kosten. Auch dieser Gesichtspunkt der Internalisierung externer Kosten weist das EEG als ein sehr modernes, und grunds¨atzlich den tats¨achlichen Notwendigkeiten angepasstes Regelwerk aus [Hohmeyer 2002]. Angesichts der Notwendigkeit, den Ausbau der erneuerbaren Energien systematisch voranzutreiben, scheint ein grundlegender Blick auf die Instrumente ebenso erforderlich wie auf die Erfolgsfaktoren. Dabei zeigt sich zum einen, dass die F¨ulle der verschiedenen Instrumente ebenso groß ist wie die F¨ulle der Erfolgsfaktoren. Zum anderen aber zeigen sich bei n¨aherer Untersuchung sehr große Unterschiede in den Ergebnissen. Eine vergleichende europ¨aische Studie kommt hinsichtlich der Windenergie in Deutschland zu folgenden zentralen Schlussfolgerungen [Reiche 2003]: • Das EEG ist mit den Einspeiseverg¨utungen f¨ur einen festgelegten Zeitraum entscheidender Motor, der f¨ur Investitionssicherheit und Planbarkeit sorgt. • Die grundlegenden Genehmigungsverfahren haben sich v. a. hinsichtlich ihrer Zeitdauer als erfolgreich herausgestellt. • Der eindeutig geregelte Netzzugang ist im Ergebnis als wesentlicher Erfolgsfaktor zu bezeichnen. • Der Entwicklungsstand der Technologie und der generelle Zustand des Stromnetzes haben sich positiv auf die Integration der Windenergie ausgewirkt. • Die Entwicklung der Richtlinien zur F¨orderung der erneuerbaren Energien in der EU wirken als unterst¨utzender Faktor. Die Ausdifferenzierung der Vorschriften, die die Aufnahme der erneuerbaren Energien in das Stromnetz regeln, die Ert¨uchtigung der Stromnetze selber und die Verg¨utungsregelungen basieren wesentlich auf den in der Umsetzung des EEG gemachten Erfahrungen [EEG-Erfahrungsbericht 2007]. Der Weg vom Stromeinspeisungsgesetz von 1991 bis zum EEG 2008 ist gepr¨agt durch den Versuch, in der Umsetzungspraxis des Ausbaus der erneuerbaren Energien gemachte Erfahrungen wo n¨otig gesetzlich zu normieren. Die hier insbesondere f¨ur die Windenergie bedeutsamen dargestellten Entwicklungsschritte zeigen zweierlei: Die bisherigen Ergebnisse („Windweltmeister Deutschland“) weisen einerseits auf die Richtigkeit des gew¨ahlten Rechtsrahmens hin, andererseits zeigen die
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5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Nachsteuerungsbem¨uhungen und hier die oft vorhandenen zeitlichen Befristungen die Schwierigkeit, der tats¨achlichen Dynamik gerecht zu werden.
5.2 Vom Stromeinspeisungsgesetz 1991 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000/2004 5.2.1
Das Stromeinspeisungsgesetz 1991
¨ Der erste, hinsichtlich der Okonomie bedeutende Eingriff war die Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes (StrEG), das 1991 in Kraft trat. Dieses Gesetz umfasste vier Paragrafen und hatte auf einer Seite Platz. Die beiden entscheidenden Regelungen waren die Abnahme- und Verg¨utungspflicht des § 2 f¨ur die im jeweiligen Versorgungsgebiet eines Energieversorgungsunternehmens errichteten Anlagen und die Verg¨utungsregelung des § 3, die sich – unterschiedlich nach der Art der genutzten erneuerbaren Energie – auf einen Prozentsatz des durchschnittlich bezahlten Endverbraucherpreises je Kilowattstunde bezog. Wesentliche Bedeutung erlangte diese Regelung v. a. bei der Windenergie. Die im Nachbarland D¨anemark w¨ahrend der 1980er Jahre gemachten Erfahrungen, der damit auch verbundene technische Entwicklungsstand und das im Vergleich der erneuerbaren Energien niedrigste Niveau der Stromgestehungskosten durch Windenergieanlagen sind die entscheidenden Einflussfaktoren. Gleichwohl war es – in Deutschland – noch u¨ blich, aus o¨ ffentlichen Mitteln Investitionskostenzusch¨usse in unterschiedlicher H¨ohe zu zahlen. Einen weiteren Schritt in der Entwicklung brachte das Jahr 1996. Die mittlerweile boomende Errichtung von Windenergieanlagen – v. a. an den windstarken K¨ustenstandorten – f¨uhrte dazu, dass aufgrund einer fehlenden Ausgleichsregelung bei den betroffenen Energieversorgungsunternehmen eine merkbare Erh¨ohung der Strombeschaffungskosten zu verzeichnen war. Nach langen Diskussionen f¨uhrte dies schließlich zur Einf¨uhrung des so genannten „doppelten Deckels“ auf Betreiben der K¨ustenl¨ander [EEG 1996]. Dieser besagte, dass die Zahlungsverpflichtung des aufnehmenden Energieversorgungsunternehmens auf 5% der bezogenen oder selbst erzeugten Strommenge im Versorgungsgebiet begrenzt wurde. F¨ur dar¨uber hinausgehende Mengen wurde das vorgelagerte Verbundunternehmen ausgleichspflichtig. Aber auch hier galt die Grenze von 5% der bezogenen bzw. selbst erzeugten Strommenge. In der besagten Bundesratsinitiative vom Juni 1996 wurde mit Blick auf die „Deckelung“ der Gesetzgeber in der Begr¨undung schon aufgefordert, rechtzeitig Vorsorge f¨ur den Fall zu treffen, dass auch der „zweite Deckel volllaufen“ sollte. Gleichzeitig erinnerte der Bundesrat in einer gesonderten Entschließung daran, das in der Endphase der Novellierung befindliche Baugesetzbuch dahingehend zu a¨ ndern, vermittels der Privilegierung im § 35 Baugesetzbuch einen Genehmigungsstau bei der Errichtung von Windenergieanlagen zu verhindern. Wie schon erw¨ahnt, zeigte das Stromeinspeisungsgesetz von 1991 seine Wirkung bei der Entwicklung der Windenergie – trotz der vielf¨altigen Versuche, die positiven
5.2 Vom Stromeinspeisungsgesetz 1991 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000/2004
99
Auswirkungen des Gesetzes durch eine F¨ulle von Prozessen zu Fall zu bringen, sei es im Bereich der erforderlichen Netzanschl¨usse, sei es in dem langj¨ahrigen Versuch, das Stromeinspeisungsgesetz verfassungs- und europarechtlich zu Fall zu bringen [Ewer 2002, S. 403 ff. sowie die dort angegebenen Quellen]. Nach dem Wechsel der Bundesregierung 1998 hatte das Energiethema einen besonders hohen Stellenwert: Dies illustrieren am markantesten das Atomausstiegsgesetz [Atomausstieg 2002] und das im Folgenden genau beschriebene ErneuerbareEnergien-Gesetz.
5.2.2
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2000
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 wird im historischen R¨uckblick als einer der gr¨oßten politischen Erfolge der seinerzeitigen rot-gr¨unen Bundesregierung eingesch¨atzt [EEG 2000]. Dabei sollte aber nicht u¨ bersehen werden, dass der Gesetzentwurf nicht von der Regierung, sondern von den beiden, die Bundesregierung tragenden Fraktionen eingebracht und dann verabschiedet wurde. Da der Ausbau der erneuerbaren Energien partei¨ubergreifend als ein ganz wesentlicher Schritt im Zusammenhang mit der Reduktion der Treibhausgase angesehen wurde, lassen sich mindestens drei wesentlicheArgumente f¨ur die Notwendigkeit des EEG festhalten: • Die grundlegende Erforderlichkeit eines Gesetzes, das in den Markt eingreift, ergab sich aus den mit der beginnenden Liberalisierung zun¨achst stark fallenden Stromerzeugerpreisen. • Der so genannte „doppelte Deckel“ des Stromeinspeisungsgesetzes von 1991 bedeutete, dass in relativ kurzer Zeit das formalrechtliche Ziel erf¨ullt und keinerlei Anreiz mehr vorhanden gewesen w¨are, weiter in den Ausbau erneuerbarer Energien zu investieren. • Bei der konkreten Ausgestaltung der Verg¨utung nach dem Stromeinspeisungsgesetz von 1991 zeigte sich, dass das Gesetz fast nur bei der Windenergie gegriffen hatte. Dies h¨angt mit den gravierenden Kostenunterschieden bei den unterschiedlichen erneuerbaren Energien zusammen. ¨ Die wesentlichen Anderungen des EEG 2000 gegen¨uber dem Stromeinspeisungsgesetz von 1991 bestehen in Folgendem: • Erweiterter Pflichtenkatalog der Netzbetreiber. Zur schon vorhandenenAbnahmeund Verg¨utungspflicht traten Netzanschlusspflicht, unverz¨uglicher Netzausbau und Offenlegung der Netzdaten hinzu [EEG 2000, § 3]. • Klarstellung der Kostenpflicht des Netzanschlusses f¨ur den Betreiber der Anlage und Kostentragung des ggf. erforderlich werdenden Netzausbaus durch den Netzbetreiber [EEG 2000, § 10 Abs. 1] und Einrichtung einer Clearingstelle beim Bundeswirtschaftsminister im Falle von Streitigkeiten [EEG 2000, § 10 Abs. 3]. • Ersetzung der H¨arteklausel („doppelter Deckel“) durch die gesetzliche Festlegung [EEG 2000, § 9], nach dem die Mindestverg¨utung f¨ur einen Zeitraum von 20
100
•
• • •
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Jahren ab Inbetriebnahme der Anlage zu zahlen ist. F¨ur die Windenergie wurden dabei zwei Verg¨utungsstufen festgelegt. Differenzierte Festlegung der Mindestverg¨utungen, unterschieden nach der Art der erneuerbaren Energien [EEG 2000, §§ 4–8], wobei bei der Windenergie die Differenzierung durch das so genannte Referenzertragsmodell (Anhang EEG) und erstmalig eine Verg¨utung der Offshore-Windenergie festgelegt wurde f¨ur Anlagen, die bis zum 31.12. 2006 ans Netz gehen, [EEG 2000, § 7 Abs. 1]. Erstmalige Einf¨uhrung einer j¨ahrlichen Degressionsregelung bei den Verg¨utungen aus Windenergie (minus 1,5%/a) und Fotovoltaik (minus 5%/a). ¨ Bundesweite Ausgleichsregelung als Pflicht f¨ur die Ubertragungsnetzbetreiber [EEG 2000, § 11 iVm § 3]. ¨ Offnung des EEG insbesondere auch f¨ur Investitionen durch Stadtwerke und Vorlage eines regelm¨aßigen Erfahrungsberichtes [EEG 2000, § 12].
Mit diesen Regelungen l¨oste das EEG einen systematischen und bis heute anhaltenden Boom bei den erneuerbaren Energien aus. Durch die differenzierten Mindestverg¨utungss¨atze, die jetzt 20 Jahre gezahlt werden m¨ussen, entstand die erforderliche Investitionssicherheit bei Anlagenherstellern und Betreibern. Durch den Pflichtenkatalog der Netzbetreiber wurde der Raum f¨ur Streitigkeiten im Einzelfall verengt, und durch den Belastungsausgleich wurden die Mehrkosten der erneuerbaren Energien volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sinnvoll auf alle gleichm¨aßig umgelegt. Durch die Degressionsregelungen schließlich wurde ein Ansatz gew¨ahlt, Mitnahmeeffekte aufgrund des technischen Fortschritts zu begrenzen und damit systematisch zur Verbilligung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien beizutragen.
5.2.3
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2004
Die dynamische Entwicklung bei der Biomassenutzung, der Fotovoltaik und v. a. der Windenergie mit den vielf¨altigen Offshore-Planungen f¨uhrten zu neuerlichem Nachbesserungsbedarf. Dar¨uber hinaus wurde im EEG 2004 ausdr¨ucklich auch Bezug genommen auf die Umsetzung der entsprechenden Richtlinie [EU¨ Erneuerbare 2001]. Die wichtigsten Anderungen betrafen: • Weitere Ausdifferenzierung der Verg¨utungsregelungen [EEG 2004, §§ 6–11]. • Erstmalige Einf¨uhrung einer Degressionsregel bei der Biomasse von minus 1,5%/a [EEG 2004, § 8(5)]. • Erstmalige Einf¨uhrung eines Verg¨utungsausschlusses f¨ur Windenergieanlagen, die nicht vor Inbetriebnahme gutachterlich nachgewiesen haben, dass sie am geplanten Standort mindestens 60% des Referenzertrages erzielen k¨onnen [EEG 2004, § 10(4)]. • Erh¨ohung der Degression bei der Windenergie auf 2%/a, beginnend onshore ab dem 1.1.2005, bei der Offshore-Windenergie ab dem 1.1.2008 [EEG 2004, § 10(5)].
5.3 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008
101
• Einf¨uhrung einer Verg¨unstigungsregel f¨ur das Repowering f¨ur Anlagen, die vor dem 31.12.1995 im selben Landkreis in Betrieb gegangen sind und deren Leistung mindestens verdreifacht wird [EEG 2004, § 10(2)]. • Einf¨uhrung einer differenzierten Offshore-Verg¨utung, bestehend aus einer Basisverg¨utung von 6,19 ct/kWh und einer Erh¨ohung um 2,91 ct/kWh f¨ur die Dauer von 12 Jahren, die sich je nach Zunahme der Entfernung zur K¨uste und der Vergr¨oßerung der Wassertiefe verl¨angert; Erh¨ohung f¨ur Anlagen, die bis zum 31.12.2010 in Betrieb genommen werden. • Weitere Pr¨azisierungen und Pflichtenklarstellungen im Bereich der Stromnetze [EEG 2004, §§ 12, 13, 15], Pr¨azisierungen der bundesweiten Ausgleichsregelung [EEG 2004, § 14], Einf¨uhrung eines H¨arteausgleichs f¨ur energieintensive Unternehmen [EEG 2004, § 16], Einf¨uhrung eines Herkunftsnachweises sowie Doppelvermarktungsverbotes [EEG 2004, §§ 17, 18], Verlagerung der Clearingstelle zum Bundesumweltminister [EEG 2004, § 19] sowie Vorlage eines Erfahrungsberichtes u¨ ber das EEG bis zum 31.12.2007.
5.3 5.3.1
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008 Der EEG-Erfahrungsbericht von November 2007
Die gesetzlich vorgegebenen EEG-Erfahrungsberichte sind ein Beispiel f¨ur außergew¨ohnliche Transparenz im Bereich der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Dies reicht von der Darstellung der dynamischen Entwicklung in den einzelnen Sparten u¨ ber die auftauchenden Probleme bis hin zu den differenzierten Herleitungen und Darstellungen derVerg¨utungss¨atze, derVerg¨utungssummen und der Differenzkosten. Diese Entwicklungen werden im Folgenden dargestellt [EEG-Erfahrungsbericht 2007, S. 38–40]. Die durchschnittliche Verg¨utung nach EEG entwickelte sich von 8,5 ct/kWh im Jahr 2000 auf 10,9 ct/kWh im Jahr 2006, siehe Tab. 5.1. Mit dem rasanten Anstieg des Ausbaus der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung stiegen die EEGVerg¨utungen von rund 1,2 Mrd. € in 2000 auf rund 5,8 Mrd. € in 2006 stark an, siehe Tab. 5.2, und u¨ bertrafen damit die Erwartungen im Rahmen der EEG-Novelle 2004 erheblich (damalige Erwartung: 3,8 Mrd. € Verg¨utungsvolumen in 2010), insbesondere wegen des st¨arkeren Wachstums der EEG-Strommenge [Bundesnetzagentur 2008a]. Bei Kostenbetrachtungen zum EEG sind aber nicht allein die Verg¨utungszahlungen maßgeblich, sondern auch die in § 15 EEG legal definierten Differenzkosten. Sie geben den Wert an, der sich aus dem Unterschied zwischen den von den Energieversorgungsunternehmen an die Anlagenbetreiber gezahlten Verg¨utungen und dem durchschnittlichen Strombezugspreis des Energieversorgungsunternehmens ergibt, der ohnehin von jedem Stromverbraucher u¨ ber die Stromrechnung h¨atte gezahlt werden m¨ussen. Die Differenzkosten werden in der Praxis
102
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Tab. 5.1 Entwicklung der durchschnittlichen EEG-Verg¨utung 2000–2006 ([EEG-Erfahrungsbericht 2007, S. 39, Tab. 4.3]) (1) Wasserkraft [ct/kWh] 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
7,21 7,25 7,25 7,24 7,32 7,35 7,45
(2) Deponie-, Kl¨ar-, Grubengas [ct/kWh]
(3) Biomasse
(4) Geothermie
(5) Windenergie [ct/kWh]
(6) Solare Strahlungsenergie [ct/kWh]
(7) Durchschn. EEGVerg¨utung [ct/kWh]
[ct/kWh]
[ct/kWh]
7,04 6,99 7,01
9,62 9,51 9,49 9,38 9,70 10,80 12,27
9,10 9,10 9,09 9,06 9,02 8,96 8,90
51,05 50,79 50,43 49,11 50,83 52,96 53,01
8,50 8,69 8,91 9,16 9,29 10,00 10,88
15,00 15,00 12,50
in Form der EEG-Umlage von den Energieversorgungsunternehmen u¨ ber den Strompreis auf den Stromkunden u¨ berw¨alzt. Die Entwicklung der Differenzkosten ergibt sich aus Tab. 5.3. Im Jahr 2006 betrugen sie etwa 3,3 Mrd. €. 2007 lagen sie aufgrund des erheblichen Ausbaus der erneuerbaren Energien noch deutlich dar¨uber, etwa bei 4,7 Mrd. €; dem liegt ein Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch von rund 14,5% zugrunde. Die vom Stromverbraucher zu zahlende EEG-Umlage verteilt sich auf die einzelnen Verbraucher unterschiedlich. Dabei h¨angen die absolute und auch die relative Belastung maßgeblich von der H¨ohe des Stromverbrauchs bzw. der Stromintensit¨at ab. Im Durchschnitt lag die EEG-Umlage f¨ur die nicht u¨ ber § 16 EEG beg¨unstigten Stromverbraucher im Jahr 2006 bei etwa 0,7 ct/kWh. Die durch derartige Erhebungen hergestellte Transparenz findet man in dieser Form im konventionellen Stromerzeugungssektor nicht. Trotz der zweifellosen gesellschaftlichen und politischen Wertsch¨atzung der Entwicklung der
Tab. 5.2 Entwicklung des EEG-Verg¨utungsvolumens 2000–2006 ([EEG-Erfahrungsbericht 2007, S. 39, Tab. 4.4]) (1) Wasserkraft
(2) Deponie-, Kl¨ar-, Grubengas [Mio. €] [Mio. €]
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 ∗
∗ 396 ∗ 442 ∗ 477 ∗ 428
338 364 367
182 219 196
inkl. Werte f¨ur Sp. (2).
(3) Biomasse
(4) Geothermie
(5) Windenergie
[Mio. €]
[Mio. €]
0 0 0
75 140 232 327 509 795 1.337
[Mio. €]
(6) Solare Strahlungsenergie [Mio. €]
(7) Summe EEGVerg¨utung [Mio. €]
687 956 1.435 1.696 2.301 2.441 2.734
19 39 82 154 283 679 1.177
1.177 1.577 2.226 2.604 3.612 4.498 5.810
5.3 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008
103
Tab. 5.3 Entwicklung der EEG-Differenzkosten 2000–2006 ([EEG-Erfahrungsbericht 2007, S. 39, Tab. 4.5]) (1) Wasserkraft
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
(3) Biomasse
(4) Geothermie
(5) Windenergie
[Mio. €]
(2) Deponie-, Kl¨ar-, Grubengas [Mio. €]
[Mio. €]
(6) Solare Strahlungsenergie [Mio. €]
(7) Durchschn. EEGVerg¨utung [Mio. €]
[Mio. €]
[Mio. €]
282 295 329 253 200 180 149
0 0 0 0 105 103 73
59 105 177 224 352 521 857
0 0 0 0 0 0 0
530 703 1.080 1.144 1.540 1.428 1.379
19 37 78 144 266 631 1.079
889 1.139 1.664 1.765 2.464 2.863 3.537
erneuerbaren Energien entsteht so der doch seltsame Eindruck einer Rechtfertigungsnotwendigkeit. Zentrales Anliegen des EEG-Erfahrungsberichts ist es, nachvollziehbare, auch durch Kosten-Nutzen-Betrachtungen unterlegte Begr¨undungen f¨ur die breiten Raum einnehmenden Vorschl¨age zur Anpassung der Verg¨utungss¨atze zu liefern: „Falls der nach EEG verg¨utete Strom derzeit vollst¨andig fossil erzeugten Strom verdr¨angt, k¨onnen die 2006 durch erneuerbare Energien im Strombereich vermiedenen externen Kosten auf mindestens 3,4 Mrd. € gesch¨atzt werden. Diese liegen in einer gleichen Gr¨oßenordnung wie die EEG-Kosten im gleichen Zeitraum von rund 3,3 Mrd. € und zeigen, dass sich die F¨orderung der erneuerbaren Energien u¨ ber das EEG schon allein durch die hierdurch vermiedenen externen Kosten rechnet. Hinzu kommen die zahlreichen weiteren Vorteile der erneuerbaren Energien in strategischer und wirtschaftspolitischer Hinsicht.“ [BMU 2007b, S. 28].
5.3.2
Erneuerbare Energien verringern die B¨orsen-Strompreise
Abbildung 5.1 zeigt die grunds¨atzliche Wirkungsweise des B¨orsenpreisSenkungseffekts. Durch die Einspeisung an erneuerbaren Energien sinkt die durch konventionelle Kraftwerke abzudeckende Nachfrage. Dies f¨uhrt dazu, dass das letzte, teure Grenzkraftwerk, das den B¨orsenpreis bestimmt, nicht mehr eingesetzt werden muss. Deshalb sinkt der B¨orsenpreis und damit der Preis, der f¨ur die gesamte Nachfrage zu bezahlen ist. Die Untersuchung f¨uhrte zu folgendem Ergebnis: Der B¨orsenpreis-Senkungseffekt oder „Merit-Order-Effekt“, der durch die Einspeisung erneuerbarer Energien bewirkt wird, hat zu einer Preisd¨ampfung in der Gr¨oßenordnung von 5 Mrd. € gef¨uhrt. Dieser Preisd¨ampfungseffekt hat ann¨ahernd das gleiche Volumen wie die gesamte Differenz der erh¨ohten Einspeiseverg¨utungen aller erneuerbaren Energien im Verh¨altnis zum durchschnittlichen Spotmarktpreis.
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Abb. 5.1 Wirkungsweise des B¨orsenpreis-Senkungseffekts ([Sensfuss/Ragwitz 2007, S. 2])
Euro/MWh
104
N2
N1
Angebot
Merit-Order-Effekt
ΔP (Preiseffekt)
Preis
Merit-Order-Effekt Marktwert Erneuerbare Energien
Nachfrage
MW
Andererseits m¨ussen indirekte Kosten f¨ur den Umbau der Versorgungsinfrastruktur ber¨ucksichtigt werden [Erdmann 2008] z. B. f¨ur den windbedingten Netzausbau, f¨ur die Netzanbindung der Offshore-Windkraftwerke und f¨ur den Einsatz von Regelund Reservekraftwerken, die pro Kilowattstunde mehr Brennstoff ben¨otigen als die bisher eingesetzten Grundlastkraftwerke (Abschn. 11.2).
5.3.3
¨ Anderungen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2008
Gest¨utzt auf die Umsetzung der EU-Richtlinie zur F¨orderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizit¨atsbinnenmarkt [EU-Erneuerbare Energien 2006] und den EEG-Erfahrungsbericht 2007 hatte die Bundesregierung durch Kabinettsbeschluss am 5. Dezember 2007 eine erneute Novellierung des EEG vorgelegt und als Regierungsentwurf am 18.2.2008 als Grundlage f¨ur das weitere parlamentarische Verfahren in den Bundestag eingebracht [EEG-Regierungsentwurf 2008]. Die o¨ ffentliche Klimadebatte, die Kontroversen um die Biomasse- wie Solarenergienutzung und nicht zuletzt die massiv gestiegenen Kosten bei den Windenergieanlagen f¨uhrten schließlich auch im Bereich der Verg¨utungen zu erheblichen Verbesserungen gegen¨uber dem Regierungsentwurf [EEG-Umweltausschuss 2008; EEG-Vergleich 2008]. Die im EEG-Erfahrungsbericht 2007 gemachten Vorschl¨age f¨ur die zuk¨unftigen Verg¨utungss¨atze sind insbesondere auch bei der Windenergie im Gesetzgebungsverfahren noch einmal erheblich nachgebessert worden. Das Gesetz trat mit Wirkung zum 1.1.2009 in Kraft [EEG 2008]. Es besteht aus sieben Teilen mit insgesamt 66 Paragrafen. Es umfasst dar¨uber hinaus f¨unf Anlagen, die weitere Details kl¨aren sollen. Folgende Neu- bzw. erg¨anzende Regelungen sind neben den neuen Verg¨utungss¨atzen f¨ur die Windenergie von besonderer Bedeutung: • Erheblich ausdifferenzierte Netzanschlussvorschriften und Erweiterung der Netzkapazit¨aten einschließlich Einspeisemanagement [EEG 2008, §§ 5 bis 15]. • Entwicklung des Stromnetzes in der Abfolge Optimierung, Verst¨arkung und Ausbau [EEG 2008, § 9].
5.4 Zuk¨unftige Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
105
• Bedingungen f¨ur das Einspeisemanagement [EEG 2008, § 11] und erstmalig ein Entsch¨adigungsanspruch f¨ur Anlagenbetreiber [EEG 2008, § 12(1) iVm § 9(3)], die vom Einspeisemanagement betroffen sind. • Erstmalige Regelung der Bedingungen der Eigenvermarktung [EEG 2008, Teil 3 des Gesetzes; Abschn. 5.4.2]. Bei den EEG-Verg¨utungss¨atzen f¨ur die Windenergie l¨asst sich feststellen, dass durch die Festlegungen die Onshore- wie die Offshore-Entwicklung grunds¨atzlich sichergestellt wurde: • Die Onshore-Anfangsverg¨utung wird auf 9,2 ct/kWh angehoben (f¨ur mindestens 5 Jahre), die Grundverg¨utung betr¨agt dann je nach Standortreferenz 5,02 ct/kWh. • F¨ur Onshore-Repowering-Projekte kommt ein Zuschlag von 0,5 ct/kWh w¨ahrend der Zeit der Anfangsverg¨utung hinzu. • Onshore-Neuanlagen erhalten dar¨uber hinaus einen neu eingef¨uhrten Systemdienstleistungsbonus von 0,5 ct/kWh, bis 2011 nachger¨ustete Altanlagen von 0,7 ct/kWh. • Offshore-Projekte erhalten eineAnfangsverg¨utung von 13 ct/kWh (f¨ur mindestens 12 Jahre); hinzu kommt ein „Starterbonus“ von 2 ct/kWh bei Inbetriebnahme bis zum 31.12.2015. Die Grundverg¨utung betr¨agt hier 3,5 ct/kWh. • Die j¨ahrliche Degression wurde f¨ur den Onshore-Bereich von 2%/a auf 1%/a gesenkt, beginnend 2010, f¨ur den Offshore-Bereich wurden 5%/a beibehalten, beginnend 2015. Es l¨asst sich festhalten, dass durch dieseAnpassung derVerg¨utungen ein ansonsten drohender „Fadenriss“ bei der Entwicklung der Windenergie grunds¨atzlich vermieden wurde. Wie lange die Regelungen allerdings tragen, wird einerseits abh¨angen von z. B. der Rohstoff- und Anlagenpreisentwicklung und andererseits von der Realisierungsgeschwindigkeit der Netzanbindungen und der Umsetzungsbereitschaft der Offshore-Projektinvestoren.
5.4
5.4.1
Zukunftige Weiterentwicklung des ¨ Erneuerbare-Energien-Gesetzes Reine B¨orsenvergutung ¨ verhindert Zubau von Windenergieanlagen – Beispiel D¨anemark
In D¨anemark wird und muss ein wachsender Anteil der d¨anischen Windenergieproduktion an der B¨orse verkauft werden, weil seit rund 1999 neue Windenergieanlagen keine Mindestpreise mehr garantiert bekommen, sondern nur noch einen staatlichen ¨ Zuschuss von 1,35 ct(10 Ore)/kWh. Zudem fallen immer mehr a¨ ltere Anlagen aus der fr¨uheren staatlichen F¨orderung durch Mindestpreise heraus und m¨ussen ebenfalls ihre gesamte Produktion an der B¨orse anbieten. Der wachsende Teil der d¨anischen Windenergie an der skandinavischen Stromb¨orse beeinflusste bereits 2006 bei sehr starker Windenergieeinspeisung und
106
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
gleichzeitig relativ geringer Nachfrage die dortigen Spotmarktpreise in einer systematischen Art und Weise: Bei hoher Windenergieproduktion sanken die Preise bis auf 0 ct/kWh, bei wenig Wind stiegen die Spotmarktpreise dann wieder auf das normale Niveau oder sogar noch st¨arker. Im Folgenden wird ein Beispiel aus dem Jahr 2006 f¨ur die Spotmarktpreise an der skandinavischen Stromb¨orse Nordpool f¨ur die Netzregionen D¨anemark West (J¨utland) und D¨anemark Ost (Seeland inklusive Kopenhagen) f¨ur ausgew¨ahlte Zeitr¨aume [Nordpool 2008] wiedergegeben: • Seit 2001 haben sich die durchschnittlich bezahlten Strompreise etwa verdoppelt. • Die Durchschnittspreise schwanken stark von Tag zu Tag. Zum einen sind, wie erwartet, die Preise am Wochenende meistens niedriger, aber nicht immer. Zum anderen gibt es nachfragestarke Wochentage, wo insbesondere in der windstarken West-Netzregion (v. a. J¨utland) die Preise deutlich niedriger als sonst liegen, u¨ brigens auch deutlich niedriger als in der Ost-Netzregion. • Bei starker Windenergieeinspeisung sinken die Spotpreise an der Stromb¨orse auf 0 ct/kWh. Der Großteil der konventionellen Stromerzeugung ist in D¨anemark aber davon unbetroffen, weil deren Produktion nicht u¨ ber die Stromb¨orse gehandelt wird, sondern u¨ ber langfristige Liefervertr¨age bezahlt wird und es in D¨anemark – im Gegensatz zu Deutschland – keinen Einspeise- und Verbrauchsvorrang f¨ur erneuerbare Energien gibt. F¨ur die Windenergie in D¨anemark f¨uhrte das bereits 2006 und seitdem in wachsendem Maße zu dramatischen Verg¨utungsverlusten und letztlich zur Unrentabilit¨at des Neubaus von Windenergieanlagen. Entsprechend wurden in den letzten Jahren in D¨anemark fast keine Windenergieanlagen mehr zugebaut.
5.4.2
Eigenvermarktung der Windenergie durch die Windmuller ¨
Seit 2006 wurden erstmalig Zeitscheiben von Windenergie in kleinem Umfang an der Leipziger B¨orse verkauft. Soweit man am Vortag sehr sicher sein konnte, am n¨achsten Tag zu Hochpreiszeiten („peak“) eine bestimmte Menge Windenergie zu produzieren, wurde diese Windenergie am Spotmarkt in Leipzig verkauft und nicht an den o¨ rtlichen Netzbetreiber zu EEG-Mindestverg¨utungss¨atzen. Physikalisch a¨ ndert sich nichts, der an der B¨orse verkaufte Windstrom fließt wie der EEG-Strom ins Netz des o¨ rtlichen Netzbetreibers. W¨ahrend aber die Mehrkosten des EEG-Stroms auf alle Endkunden umgelegt werden, geht die Rechnung f¨ur den B¨orsenstrom an den K¨aufer an der B¨orse, der dann auch u¨ ber den Strom zum Zeitpunkt der Produktion verf¨ugen kann. Ist die Windprognose allerdings zu optimistisch gewesen, so muss am n¨achsten Tag zu den dann aktuellen (meist deutlich h¨oheren) Regel- und Reservepreisen dazugekauft werden. Das EEG 2008 r¨aumt nun in § 17 allgemein den Betreibern von Windenergieanlagen die M¨oglichkeit ein, die Windenergie an der B¨orse zu verkaufen („Eigenvermarktung“). Anlagenbetreiber sind danach berechtigt, den in ihrer Anlage erzeugten Strom kalendermonatlich an Dritte zu ver¨außern, wenn sie dies dem Netzbetreiber vor Beginn des jeweils vorangegangenen Kalendermonats angezeigt haben.
5.4 Zuk¨unftige Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
107
In dem Fall entf¨allt nun aber derVerg¨utungsanspruch nach dem EEG f¨ur den gesamten angezeigten Kalendermonat. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Option greift. Der Zeitraum von einem Monat erscheint akzeptabel hinsichtlich der damit verbundenen Vermarktungsrisiken, ist aber sehr verwaltungsaufw¨andig. Grunds¨atzlich aber ist der optionale Ansatz – der konsequenter Weise im § 56 durch ein Doppelvermarktungsverbot erg¨anzt wird – eine sinnvolle Erg¨anzung des EEG.
5.4.3 Vermarktung des EEG-Stroms ¨ durch den Ubertragungsnetzbetreiber Bis 2008 war in einer bundesweiten Ausgleichsregelung festgelegt worden, dass „Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen, die Strom an Letztverbraucher liefern“, den EEG-Strom entsprechend der tats¨achlichen EEG-Einspeisung von den EEGStromproduzenten anteilig abzunehmen haben [EEG 2004, § 14, Abs. 3]. Letztverbraucher, wie z. B. große Industrieunternehmen, die Strom nicht von einem Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen, sondern direkt von einem Dritten, z. B. von einem Kraftwerk, beziehen, waren Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen gleichgestellt. Ein Beispiel: Ein Industriebetrieb in Rheinland-Pfalz, der mit einem ostdeutschen Braunkohlekraftwerk einen Direktliefervertrag u¨ ber z. B. 600 MW Grundlast abgeschlossen hatte, musste bei einem EEG-Stromanteil von z. B. 20% im Durchschnitt 120 MW EEG-Strom tats¨achlich abnehmen. Der Industriebetrieb hatte dann nur zwei Alternativen: Entweder er bezog nur noch 480 MW vom Braunkohlekraftwerk, was dem Liefervertrag widersprach, oder er musste die 120 MW EEG-Strom u¨ ber die Stromb¨orse verkaufen. Deshalb war der Industriebetrieb wie auch jedes andere an Letztverbraucher liefernde Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen gut beraten, bei Liefervertr¨agen von vorneherein die Abnahmeverpflichtung von EEG-Strom zu ber¨ucksichtigen. Dies soll ab 2009 grundlegend ge¨andert werden: „Die Bundesregierung wird erm¨achtigt, eine Rechtsverordnung . . . zur Weiterentwicklung des bundesweiten Ausgleichsmechanismus insbesondere mit folgendem Inhalt zu erlassen: ¨ 1. Die Ubertragungsnetzbetreiber werden von der Verpflichtung entbunden, den (EEG-)Strom . . . an die ihnen nachgelagerten Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen durchzuleiten. ¨ 2. Die Ubertragungsnetzbetreiber werden verpflichtet, den (EEG-)Strom effizient zu vermarkten. . . . 4. Die Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen, die (EEG-)Strom an Letztverbraucher liefern, werden von der Verpflichtung entbunden, den Strom . . . anteilig abzunehmen und zu verg¨uten.“ [EEG 2008, § 64, Abs. 3; EEG-Umweltausschuss 2008, S. 14]. Weiterf¨uhrung des Beispiels: Damit ist der Industriebetrieb nicht mehr verpflichtet, EEG-Strom anteilig abzunehmen, sondern kann grunds¨atzlich die volle
108
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
¨ Menge Braunkohlestrom beziehen. Ahnliches gilt f¨ur alle anderen an Letztverbraucher liefernde Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen. Damit wird grunds¨atzlich die f¨ur EEG-Strom verbleibende Nachfrage massiv verringert. Ungekl¨art ist dabei, was mit dem EEG-Strom passiert, der bei dem zur Vermark¨ tung verpflichteten Ubertragungsnetzbetreiber verbleibt. Eigentlich gilt n¨amlich der Einspeisevorrang f¨ur EEG-Strom weiter; dieser Einspeisevorrang gilt ja nicht nur bei einem Leitungsengpass, sondern gilt f¨ur das gesamte Stromversorgungssystem. D. h., die konventionellen Kraftwerke m¨ussen in jedem Fall heruntergeregelt werden, wenn EEG-Strom zur Verf¨ugung steht, auch wenn ihre Grenzkosten, n¨amlich Kosten f¨ur Brennstoff, Wartung und v. a. Regelung f¨ur das Herunter- und sp¨ater wieder Herauffahren niedriger sind als die aktuellen B¨orsenpreise f¨ur EEG-Strom. Sollte es allerdings den konventionellen Kraftwerken erlaubt werden, mit voller Leistung auch bei massiver EEG-Einspeisung voll weiter zu produzieren, dann ¨ w¨urden große Probleme resultieren: Der Ubertragungsnetzbetreiber w¨urde dann h¨aufig nur einen sehr niedrigen B¨orsenpreis f¨ur den EEG-Strom erzielen, viel niedriger, als wenn – wie bisher – die an Letztverbraucher liefernden Elektrizit¨atsversorgungsunternehmen den EEG-Strom u¨ bernehmen und vermarkten m¨ussten. Damit wird k¨unstlich eine sehr hohe Differenz zwischen EEG-Einspeisepreis und an der Stromb¨orse erzieltem Verkaufserl¨os kreiert und damit eine scheinbar sehr hohe F¨orderung durch das EEG ausgewiesen und so das EEG eventuell in Misskredit gebracht.
5.4.4
¨ Ubergang von der EEG-Mindestvergutung ¨ zur Stromb¨orse risikoreich
Zuk¨unftig wird das EEG gerade bei windg¨unstigen Standorten eine immer geringere Rolle spielen, hingegen der Preis an der Leipziger Stromb¨orse eine immer gr¨oßere. Dies r¨uhrt zum einen von den kontinuierlich sinkenden EEG-Verg¨utungen f¨ur Neuanlagen her, zum anderen von den bereits seit 2004 stark ansteigenden Preisen f¨ur Strom an der deutschen Stromb¨orse in Leipzig. Bei weiter steigenden Preisen wird also immer st¨arker Windenergie nicht mehr zu den Mindestverg¨utungss¨atzen eingespeist, sondern – jedenfalls in Hochpreiszeiten – direkt an der Stromb¨orse angeboten. Insbesondere bei weiter steigenden B¨orsenpreisen wird also grunds¨atzlich ein immer gr¨oßerer Teil der erneuerbaren Energien nicht mehr die EEG-Mindestverg¨utung nutzen, sondern am Markt zu Markt- bzw. B¨orsenpreisen gehandelt werden. Dieser Preis wird aber bei wachsendem Anteil der Windenergie immer st¨arker von der momentanen Windenergieeinspeisung dominiert und bei sehr starker Windenergieeinspeisung wahrscheinlich sehr niedrig sein, vgl. Kasten 5.1.
Kasten 5.1: Sturme wirbeln Stromm¨arkte durcheinander ¨ Strom beziehen und daf¨ur auch noch Geld bekommen? Ein sch¨oner Gedanke, und an der Leipziger Energieb¨orse EEX k¨onnte er bald Realit¨at werden [Handelsblatt 2008]. Seit April 2008 k¨onnen H¨andler
5.4 Zuk¨unftige Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
109
am Spotmarkt der Energieb¨orse EEX in Leipzig Strom auch zu negativen Preisen einkaufen. Die B¨orse kommt damit dem Wunsch von Kraftwerksbetreibern nach. Diese haben zunehmend Probleme mit den Schwankungen bei der Windenergieproduktion. Durch den Boom fließt an st¨urmischen Tagen zu viel Strom ins Netz. Die vielen neuen Windenergieanlagen in Deutschland wirbeln den Strommarkt kr¨aftig durcheinander. Bei einer installierten Leistung von inzwischen mehr als 22 GW ist die Energieproduktion immer st¨arker vom Wetter abh¨angig. Schon jetzt sinkt der Strompreis gelegentlich auf Null – immer dann, wenn starker Wind und geringe Nachfrage aufeinander treffen. Das ist v. a. nachts und am Wochenende der Fall. Negative Preise jedoch waren bislang technisch nicht m¨oglich. Die großen Energiekonzerne k¨onnen nun besser mit den kurzfristigen Elektrizit¨ats¨ubersch¨ussen kalkulieren. „Es kann f¨ur einen Kraftwerksbetreiber billiger sein, dem Abnehmer des Stroms Geld zu bezahlen, als ein Kraftwerk kurzfristig herunter zu fahren“, sagt ein Sprecher des Stromkonzerns RWE. Denn die bestehenden Großkraftwerke seien f¨ur den Ausgleich der zunehmend auftretenden Schwankungen der Stromerzeugung nicht geschaffen. Die Produktion der Atomkraftwerke l¨asst sich nicht kurzfristig drosseln, auch bei Kohlekraftwerken f¨uhrt eine stark schwankende Erzeugung zu st¨arkerer Materialbelastung und damit zu h¨oheren Betriebskosten. F¨ur Strom aus Kraftwerken mit sehr hohen Anfahr- und Abfahrkosten und niedrigen variablen Produktionskosten k¨onnen die Grenzkosten in bestimmten Stunden negativ werden. Der erste negative Preis an der EEX d¨urfte da nur noch eine Frage der Zeit sein. Je mehr Windenergie produziert wird, desto st¨arker sinken die Großhandelspreise an der Leipziger Stromb¨orse [WPD 2006a; May 2006]. Dieses offensichtliche Ergebnis wird auch durch zwei neue Studien best¨atigt [Bode/Groscurth 2006]1 . Durch wachsende Windenergieeinspeisung werden also die B¨orsenpreise, jedenfalls bei Starkwind, immer st¨arker gesenkt, wodurch die Verbraucher beg¨unstigt werden. Nach Angaben der Wissenschaftler erbringen Deutschlands Windenergieanlagen Einsparungen in H¨ohe von weit u¨ ber 1 Mrd. € pro Jahr. V. a. die industriellen Stromverbraucher profitieren so von der Windenergie, da in ihrer Stromrechnung der Großhandelspreis st¨arker ins Gewicht f¨allt als beim Haushaltskunden. Wenn aber Windenergie zuk¨unftig – nach einem m¨oglichen Auslaufen des EEG – immer st¨arker nur noch u¨ ber den B¨orsenpreis honoriert wird, dann wird der Großteil der Windenergieeinspeisung zu sehr niedrigen B¨orsenpreisen entgolten; das w¨are der Tod des Baus von Windenergieanlagen und des Repowering, wie die d¨anische Erfahrung zeigt. Mit dann schrumpfendem Windenergieanteil h¨atten 1
Eine weitere, bereits im Fr¨uhjahr 2006 abgeschlossene Studie haben die Energiewirtschaftler der Universit¨at Duisburg-Essen im Auftrag der E.ON-Energie AG erstellt. Einige Zahlen wurden im Juli 2006 in einem Fachbeitrag f¨ur die Zeitschrift Energiewirtschaftliche Tagesfragen ver¨offentlicht. Die Studie wurde nicht ver¨offentlicht.
110
5 Systematische Ber¨ucksichtigung von externen Kosten: Erneuerbare-Energien-Gesetz
Verbraucher immer weniger Vorteile durch Windenergie, und die windenergiebedingte Umweltentlastung w¨urde ebenfalls wieder geringer werden. Dieser anhand des Beispiels D¨anemark vorhersehbare Marktzyklus mit seinen in zweifacher Hinsicht a¨ ußerst negativen Folgen kann durch eine geeignete Fortschreibung des EEG verhindert oder zumindest ged¨ampft werden.
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111
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Kapitel 6
Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
Die auch im weltweiten Vergleich beeindruckende Windenergieentwicklung in Deutschland war nur m¨oglich durch zielf¨uhrende Rechtsnormensetzung, gerade auch im Bereich der Genehmigungsverfahren und der Fl¨achenausweisungen. Die rapide Entwicklung des Onshore-Windenergieausbaus mit rund 24 GW installierter Leistung Ende 2008 zeigt dies ebenso wie der Offshore-Windenergieausbau, der nach aufw¨andigem Genehmigungsverfahren f¨ur die ersten 8 GW seit 2009 anl¨auft. Verschiedenste Interessengegens¨atze wurden soweit u¨ berwunden, dass der Rechtsrahmen auch f¨ur den windenergiebedingten Ausbau der Stromnetze und f¨ur die kostenaufw¨andige Offshore-Netzanbindung mittels H¨ochstspannungsseekabeln geschaffen werden konnte. Die so erreichbaren positiven Gesamtwirkungen des Ausbaus der Windenergie belegt nicht zuletzt die wirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein, dem Pionierland der Windenergie.
6.1 Windenergieausbau onshore Das Zeitalter der modernen Windenergieanlagen in Deutschland begann o¨ ffentlich und damit auch politisch merkbar gleichsam mit einem Paukenschlag: 1983 wurde im Kaiser-Wilhelm-Koog an der schleswig-holsteinischen Westk¨uste der „GROWIAN“ (GROsse WIndenergieANlage) errichtet [GROWIAN 1983]. Ausgelegt als 2-Fl¨ugler mit 100 m Nabenh¨ohe, zwei 50-m-Rotorbl¨attern aus einer Stahl-Kunststoff-Konstruktion und einer Leistung von 3 MW war das Produkt aus dem Hause MAN, das von der Kernforschungsanlage J¨ulich im Auftrag des Bundesministers f¨ur Forschung und Technologie realisiert wurde, seiner Zeit zu weit voraus. Sehr schnell zeigten sich eine Reihe von Problemen, u. a. Haarrisse in der Nabe, die letztlich zur Stilllegung f¨uhrten, bevor u¨ berhaupt belastbare Ergebnisse erzielt werden konnten. Bereits zuvor, systematisch aber nach dieser Zeit wurden – angeregt durch den massiven Ausbau der Windenergie in D¨anemark – v. a. in den schleswigholsteinischen Landkreisen Dithmarschen und Nordfriesland, aber auch im nieders¨achsischen Ostfriesland durchg¨angig an windstarken K¨ustenstandorten mehrere Hundert Windenergieanlagen der Leistungsklassen 30 kW bis 150 kW L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 6,
113
114
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
errichtet [Tacke 2003; Heier 2007]. Da die Windenergienutzung immer mit Fl¨acheninanspruchnahme verbunden ist, ging diese Entwicklung in der Region nicht streitfrei vonstatten. Klagen gegen die Windenergieanlagen h¨auften sich. Dies gipfelte schließlich in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.7.1994, das generell den Windenergieanlagen die Privilegierung mangels zwingenden Standortbezugs absprach [§ 35Abs. 1 BauGB; Ewer 2002, S. 410 ff.]. Mit dieser Entscheidung war die Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich nur noch als so genannte Nebenanlage im Rahmen eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes zul¨assig [§ 35 Abs. 1 Satz 1 BauGB]. Dies auch nur dann – so die darauf folgende Rechtsprechung – wenn die Stromerzeugung durch die Windenergieanlagen auch zu mehr als 50% vom Betrieb selber verbraucht wird. Damit war eine Weiterentwicklung der Windenergienutzung im Sinne wachsender Anlagengr¨oßen de facto unterbunden. Als Konsequenz wurde daraufhin das Baugesetzbuch ge¨andert: In das am 1.1.1997 in Kraft getretene novellierte Baugesetzbuch wurde ein neuer Privilegierungstatbestand eingef¨uhrt. Danach waren Vorhaben privilegiert, wenn es „der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dient“.
6.1.1
Eignungs߬achen und Genehmigungsverfahren
Weil durch diesen neuen Privilegierungstatbestand der gesamte Außenbereich dem Grunde nach f¨ur die Nutzung der Windenergie ge¨offnet war, hatte der Gesetzgeber einen so genannten Planungsvorbehalt eingef¨uhrt [§ 245 b BauGB, BGBl I 1996, S. 1189 ff.]. Die Wahrnehmung dieses Planungsvorbehalts f¨uhrte zur „Zur¨uckstellung der Entscheidung u¨ ber die Zul¨assigkeit von Windenergieanlagen“ bis l¨angstens 31.12.1998. Damit wurde den Landesplanungsbeh¨orden, v. a. aber den Gemeinden, die M¨oglichkeit er¨offnet, den Außenbereich hinsichtlich der (planungsrechtlichen) Zul¨assigkeit von Windenergieanlagen zu ordnen. Dies wurde in Schleswig-Holstein, und in der Folge auch von den meisten anderen Bundesl¨andern, von Ende 1996 bis Ende 1997 konsequent umgesetzt. Im Folgenden wird das Beispiel Schleswig-Holstein dargestellt; in den anderen Bundesl¨andern erfolgte eine a¨ hnliche Entwicklung, wobei oft auf die schleswig-holsteinische Praxis und Erfahrung in entsprechenden Bund-L¨ander-Gremien und interministeriellen Arbeitsgruppen zur¨uckgegriffen wurde. Ergebnis in Schleswig-Holstein waren die so genannten „Teilregionalpl¨ane Windenergie“: In einem aufw¨andigen und h¨ochst arbeitsintensiven Prozess unter Beteiligung der Gemeinden und aller relevanten Verb¨ande wurde – auch unter Einbeziehung der Stromwirtschaft und anderer betroffener oder ber¨uhrter Interessengruppen, wie z. B. der Bundeswehr, die gesamte Landesfl¨ache u¨ berplant. Ziel war, Eignungsr¨aume bzw. Vorrangfl¨achen f¨ur die Windenergienutzung auszuweisen. Mit dieser Ausweisung war zugleich verbunden, dass die Errichtung von Windenergieanlagen auf anderen Außenbereichsfl¨achen außerhalb der so festgelegten Eignungsgebiete planungsrechtlich in der Regel untersagt war, mit den Ausnahmen „Bestandsschutz“ und „Zielabweichungsverfahren“. Im weiteren Verlauf wurden
6.1 Windenergieausbau onshore
115
die „Teilregionalpl¨ane Windenergie“ als Eignungsgebiete f¨ur Windenergienutzung in die Regionalpl¨ane (der Planungsr¨aume I bis V) u¨ bernommen. Planungsrechtlich haben sie den Status von Zielen der Landesplanung. In dem damaligen historischen Kontext war der Gesamtprozess hochgradig von verschiedenen Interessenkonflikten gepr¨agt: Innergemeindlich gab es Bef¨urworter wie Gegner der Windenergie, was sich nicht zuletzt an der Eigentumsstruktur an den konkret planerisch vorgesehenen Fl¨achen manifestierte. Eine weitere Konfliktebene war die zwischen Landwirten als potenzielle Betreiber und den Windenergieverb¨anden auf der einen Seite und verschiedenen Umweltschutzverb¨anden auf der anderen Seite: W¨ahrend ersteren die beabsichtigten Ausweisungsfl¨achen oft viel zu klein waren, waren letzteren die Fl¨achen viel zu groß. Eine dritte Konfliktebene war die der anderen Nutzungs- und Schutzinteressen, z. B. die Frage, welche Abgrenzung zu den Richtfunkstrecken der Bundeswehr vorzunehmen sei. Und schließlich spielte der seinerzeitige Regionalversorger SCHLESWAG AG als Betreiber des Stromnetzes eine entscheidende Rolle. Bei der Planung war insoweit eine wesentliche Gesch¨aftsgrundlage die Lage der potenziellen Fl¨achen zu den vorhandenen Umspannwerken. Dieser Planungsprozess f¨uhrte jedenfalls im Ergebnis zur Ausweisung von knapp 170 Eignungsgebieten bzw. Eignungsfl¨achen, die knapp 1% der Landesfl¨ache ausmachten. In einer Art Zwischenergebnis sind f¨ur die Bewertung zwei gegens¨atzliche Gesichtspunkte von Bedeutung: • Knapp ein Prozent der Landesfl¨ache bedeutet im Umkehrschluss, dass 99% der Landesfl¨ache nicht f¨ur die Windenergienutzung zur Verf¨ugung stehen. Diese Tatsache hat sich immer wieder als wichtig in den Debatten u¨ ber eine zu dichte Nutzung der Landschaft f¨ur Windenergieanlagen erwiesen. Dar¨uber hinaus zeigt die Windenergieentwicklung in Schleswig-Holstein (Abb. 7.2; Tab. 7.2) und die Absch¨atzung, dass auf den vorhandenen Fl¨achen zwischen 3,5 bis 4 GW installierbar sind, welche Potenziale gleichwohl erschlossen werden k¨onnen. • Die oben genannten historisch wie interessenbezogenen Konflikte haben in der Ausgestaltung der konkreten Fl¨achen selber in vielen F¨allen zu einer Art Flickenteppich gef¨uhrt, der in Verbindung mit den noch zu diskutierenden Abstandsregelungen ein effizientes Repowering erheblich erschwert. Die konkrete Genehmigung von Windenergieanlagen bzw. Windparks erfolgt nach Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes [BImSchG 2007; BImSchGKommentar 2008] in Verbindung mit dem Umweltvertr¨aglichkeitspr¨ufungsgesetz [UVPG 2007, Anlage 1, Abschn. 1.6.1 bis 1.6.3] bzw. den Eingriffsregelungen der verschiedenen Landesnaturschutzgesetze. Abb. 6.1 zeigt die je nach Projektgr¨oße unterschiedlich differenzierten Verfahrensschritte.
6.1.2
Planungserlasse und Fl¨achenoptimierung
Bei der Umsetzung der Windenergieplanungen zeigt sich bereits fr¨uh, dass allein die rechtsf¨ormlichen Verfahren sowohl von vielen vor Ort Betroffenen als insbesondere
116
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
Windfarmen mit 6 oder mehr Windkraftanlagen Windfarmen mit 3 bis weniger als 6 Windkraftanlagen gemäß Gesetz über d. Umweltverträglichkeit (UVPG) Nr.1.6.1 Anlage 1 UVPG
bei 20 und mehr WKA generelle UVP-Pflicht
Nr.1.6.2 Anlage 1 UVPG 6-19 WKA allgemeine UVPVorprüfung des Einzelfalles
3-5 WKA standortbezogene UVP-Vorprüfung des Einzelfalles
1-2 WKA > 50m Gesamthöhe außerhalb einer Windfarm
"SCREENING"
Neugenehmigung
"SCREENING"
Nr.1.6.3 Anlage 1 UVPG
UVP-PFLICHT (Öffenflichkeit über UIG informieren)
KEINE UVP-PFLICHT (aktive öffentliche Bekanntgabe)
UVP-PFLICHT (Öffenflichkeit über UIG informieren)
KEINE UVP-PFLICHT (aktive öffentliche Bekanntgabe)
Antragstellung: Vereinfachtes Genehmigungsverfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung (3 Monate nach Vollständigkeit der Antragsunterlagen) Beteiligung von betroffenen Fachbehörden und Trägern öffentlicher Belange (TÖB) ggf. Beteiligung von Naturschutzverbänden
Beteiligung von betroffenen Fachbehörden und Trägern öffentlicher Belange (TÖB)
Genehmigungsbescheid Zustellung an Antragsteller und Einwender Rechtsmittel = Widerspruch/Klage
Erläuterungen:
Abb. 6.1 Ablauf des Genehmigungsverfahrens f¨ur Windenergieanlagen gem¨aß Bundesimmissionsschutzgesetz ([StUA 2007])
6.1 Windenergieausbau onshore
117
auch von den Gemeinden als nicht als ausreichend empfunden wurden. Wichtigstes Argument war, dass die Umsetzung von Windenergieplanungen m¨oglichst nach einheitlichen Planungskriterien im ganzen Land erfolgen soll. In Schleswig-Holstein wurde daraufhin bereits 1995 ein Planungserlass von der Landesregierung herausgegeben, der im Jahr 2003 erg¨anzt wurde [Planungserlass 2003]. Diese Art der praktischen Umsetzung wurde nachfolgend auch von vielen anderen Landesregierungen u¨ bernommen. Der Rechtscharakter der Planungserlasse hat im Wesentlichen die Bedeutung von Empfehlungen, die bei den konkreten Einzelplanungen zu ber¨ucksichtigen sind. Sie behandeln folgende inhaltlichen Bereiche: • Die Zul¨assigkeit von Windenergieanlagen (innerhalb der Eignungsgebiete, außerhalb der Eignungsgebiete, als Nebenanlagen und im Innenbereich). • Abst¨ande zwischen Windenergieanlagen und anderen Fl¨achennutzungen. • H¨ohenbeschr¨ankungen. • Ausgleichsmaßnahmen f¨ur den Eingriff in Natur und Landschaft. Ausl¨oser f¨ur diese zweite Generation der Planungserlasse war die Erkenntnis, dass aufgrund der Weiterentwicklung der Windenergieanlagen-Gr¨oßenklassen in den Megawatt-Bereich die in den 1990er Jahren noch erfolgte H¨ohenbegrenzung auf 100 m Fl¨ugelspitzenh¨ohe nicht mehr haltbar war. Diese – im Grundsatz positive – Weiterentwicklung, die bereits als wesentlichen Motivationshintergrund das anstehende Repowering im Blick hatte, f¨uhrte allerdings dazu, dass angesichts der Dynamik der Windenergieanlagen-Entwicklung auch neue Probleme auftraten: • Beleuchtungspflicht von Anlagen, die eine Fl¨ugelspitzenh¨ohe von 100 m u¨ berschreiten. • Vergr¨oßerung der Abst¨ande von Windenergieanlagen insbesondere zu den st¨adtebaulichen Klassifizierungen „Einzelh¨auser und Siedlungssplitter“, „l¨andliche Siedlungen“ sowie „st¨adtische Siedlungen, Ferienhaus/Wochenendhausgebiete und Campingpl¨atze“. Waren im Bezugserlass von 1995 die Abst¨ande zu den drei genannten Kategorien noch mit 300 m, 500 m und 1000 m empfohlen, so wurden diese Abst¨ande im Jahr 2003 auf 3,5 mal H¨ohe, 5 mal H¨ohe und 10 mal H¨ohe vergr¨oßert, wobei mit H¨ohe die Fl¨ugelspitzenh¨ohe gemeint ist. Eine Windenergieanlage mit 150 m Fl¨ugelspitzenh¨ohe hatte demzufolge zur Grenze einer st¨adtischen Siedlung einen Abstand von 1.500 m einzuhalten [Planungserlass 2003]. Es zeigte sich schnell – und diese Frage ist auch f¨ur die zuk¨unftige Weiterentwicklung von Bedeutung – dass bei den vorgegebenen Fl¨achen der ausgewiesenen und in den Regionalpl¨anen verankerten Eignungsr¨aumen f¨ur eine optimale Ausnutzung Grenzen erreicht werden, die den ganzen, durchaus erw¨unschten Prozess des Repowering erheblich bremsen k¨onnen. Bei der objektiv begrenzenden Fl¨achenfrage spielt auch noch ein anderer Gesichtspunkt eine Rolle, der f¨ur das Repowering von Bedeutung ist. De facto existieren drei unterschiedliche Gebietskategorien:
118
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
• Ausgewiesene Eignungsgebiete, in denen letztlich Beschr¨ankungen f¨ur ein optimiertes Repowering nur durch die vorgegebene Gr¨oße und die Rechtsnormen des Bundesimmisionschutzgesetzes [BImSchG 2007] gelten. • Ausschlussfl¨achen, d. h. alle Fl¨achen außerhalb der ausgewiesenen Eignungsgebiete, in denen Windenergienutzung grunds¨atzlich nicht m¨oglich ist. • Bestandsschutzgebiete, d. h. bereits vor Ausweisung von Eignungsgebieten mit Windenergieanlagen bebaute Gebiete, in denen ein Repowering mit Einschr¨ankungen und zus¨atzlichen Verfahrensschritten m¨oglich ist [Regionalplan 1998]. Das Problem des Repowering in Bestandsschutzfl¨achen soll beispielhaft an folgendem Regelungswiderspruch dargestellt werden: Eine der Einschr¨ankungen des Repowering im Bestandsschutz besagt, dass „. . . die bisherige Anschlussleistung von Windparks an das Stromnetz nicht wesentlich erh¨oht wird“. In der Praxis bedeutet dies, dass nur eine Erh¨ohung der Anschlussleistung auf gut 150% zul¨assig w¨are. Gleichzeitig verlangte aber der § 10 Abs. 2 des [EEG 2004] mindestens eine Verdreifachung der installierten Leistung, wenn die Verg¨unstigung bei der Repowering-Verg¨utung greifen soll. Genau die geforderte Verdreifachung der Leistung in Verbindung mit den vergr¨oßerten Abstandsregelungen ist es auch, die bei gegebener Fl¨achengr¨oße dazu f¨uhrt, dass in vielen Einzelf¨allen ein diesen Anforderungen entsprechendes Repowering nicht umsetzbar bzw. erheblich erschwert ist. Neben diesen grundlegenden Problemen erscheinen weitere konkrete Praxisprobleme als von eher untergeordneter Bedeutung. Es muss aber festgehalten werden, dass sie im Ergebnis erheblich dazu beitragen, die Umsetzung von Repowering-Projekten zu erschweren: • Exakte Abgrenzung der Eignungsraumfl¨achen in den Planzeichnungen („Dicke des Bleistiftstrichs“). • Bauordnungsrechtliche Bestimmung des Bauk¨orpers einer Windenergieanlage: Ist der Bauk¨orper im Wesentlichen der Turm der Windenergieanlage, oder ist die Bauk¨orpergrenze die mitgemessene horizontale Rotorblattl¨ange – wie in Schleswig-Holstein praktiziert? Dies ist deswegen von Bedeutung, weil die Abstandsberechnungen von der Bauk¨orpergrenze her erfolgen. • Die Frage, ob die Fl¨ugelspitze u¨ ber z. B. die Eignungsraumgrenze hinausreichen darf. • Generell die in den L¨andern unterschiedlich gehandhabte Frage der Grenzbebauung. • „Pufferzone“ bzw. flexible Handhabung der Eignungsraumgrenzen. Den Problemen beim Umsetzungsprozess des Repowering versuchen einige L¨ander durch Flexibilisierung der Normen Rechnung zu tragen. Das Land Schleswig-Holstein z. B. beabsichtigt, im Rahmen der Neufassung des Landesentwicklungsplanes sowohl eine Arrondierung der vorhandenen Eignungsfl¨achen zu erm¨oglichen als auch die derzeitige Leistungsbegrenzung beim Repowering auf den Bestandsschutzfl¨achen entfallen zu lassen [Landesentwicklungsplan 2009, S. 90– 93]. Gleichzeitig soll der Planungserlass u¨ berarbeitet werden und hinsichtlich der
6.2 Windenergieausbau offshore
119
zu ber¨ucksichtigenden Abst¨ande usw. an die durch das BImSchG vorgegebenen Grenzen herangef¨uhrt werden.
6.2 Windenergieausbau offshore Offshore-Windenergie kann in Deutschland nennenswert nur in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee vorangetrieben werden. Insoweit sind v. a. die Aktivit¨aten und Verfahrensregeln des zust¨andigen Bundesamtes f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg von Bedeutung.
6.2.1
Genehmigungsverfahren des Bundesamtes fur ¨ Seeschifffahrt und Hydrographie
Grundlage f¨ur die Genehmigung von Anlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone sind das aus dem Jahr 1982 stammende Seerechts¨ubereinkommen der Vereinten Nationen und das darauf fußende nationale Seeaufgabengesetz (SeeAufgG). Darauf wiederum beruht die Seeanlagenverordnung (SeeAnlV), die das konkrete Genehmigungsverfahren regelt. ¨ In einer groben Ubersicht besteht das Offshore-Windpark-Genehmigungsverfahren, das vom Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) durchgef¨uhrt wird1 , in der Abarbeitung folgender Schritte: • Errichtung und Betrieb von Anlagen in der ausschließlichen Wirtschaftszone, die wirtschaftlichen Zwecken dienen, bed¨urfen nach § 2 SeeAnlV einer Genehmigung durch das BSH. • Vor Erteilung einer Genehmigung ist die Zustimmung der o¨ rtlich zust¨andigen Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nach § 6 SeeAnlV einzuholen. • § 3 SeeAnlV f¨uhrt abschließend die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen in Form von Versagungsgr¨unden auf: Eine Genehmigung ist zu versagen, wenn die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeintr¨achtigt oder die Meeresumwelt gef¨ahrdet wird, ohne dass dies durch Befristung, Bedingungen oder Auflagen verh¨utet oder ausgeglichen werden kann. • § 3 SeeAnlV r¨aumt kein Ermessen ein. Insoweit handelt es sich um eine so genannte „gebundene Entscheidung“: Wenn keiner der beiden genannten Versagensgr¨unde vorliegt, besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Genehmigung. Die Ablaufphasen des Genehmigungsverfahrens sind ebenso aufw¨andig wie transparent: • Pr¨ufung eines eingereichten Antrages auf hinreichende Bestimmtheit und Detail¨ lierung mit der M¨oglichkeit der Uberarbeitung. 1 [BSH 2007a]; die Zust¨ andigkeit des Bundesamtes f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 iVm § 1 Nr.10a SeeAufgG.
120
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
• Gleichzeitig erste Beteiligungsrunde der betroffenen Tr¨ager o¨ ffentlicher Belange durch Information und Gelegenheit zur Stellungnahme. • Beteiligungsrunde nach Auswertung der ersten Stellungnahmen in erweitertem Kreis, d. h. konkret unter Einbeziehung der Interessenverb¨ande sowie Beteiligung ¨ der Offentlichkeit durch Auslegung der Antragsunterlagen. • Bereits in dieser fr¨uhen Phase erfolgt eine Beteiligung der zust¨andigen Bundesl¨ander, die im K¨ustenmeer (d. h. innerhalb der 12-sm-Zone) f¨ur die Genehmigung der stromabf¨uhrenden Kabelsysteme zust¨andig sind. • Nach der zweiten Beteiligungsrunde findet eine Antragskonferenz statt. Hier geht es um die Vorstellung des Projektes durch den Antragsteller, die Diskussion etwaiger entgegenstehender Belange und konkurrierender Nutzungen sowie die Festlegung des Untersuchungsrahmens zur Ermittlung m¨oglicher Auswirkungen auf die marine Umwelt, die die Pflicht zur Vorlage einer Umweltvertr¨aglichkeitsstudie zur Folge hat. Verpflichtend ist auch die Vorlage einer Risikoanalyse bzgl. Kollisionsh¨aufigkeiten. • Nach Vorlage der Unterlagen beim BSH werden diese an die Tr¨ager o¨ ffentlicher Belange und Verb¨ande versandt mit der erneuten Gelegenheit zur Stellungnahme. • ImAnschluss daran findet ein Er¨orterungstermin statt und eine erneute Beteiligung ¨ der Offentlichkeit durch Auslegung der Unterlagen im BSH und der M¨oglichkeit zur Stellungnahme. • Dann pr¨uft das BSH abschließend, ob die Voraussetzungen f¨ur die Genehmigung vorliegen. Parallel dazu pr¨uft die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) die Zustimmungsf¨ahigkeit im Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Wenn dem Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) mehrere Antr¨age f¨ur die Nutzung desselben Standortes vorliegen, wird nach § 5 SeeAnlV zuerst u¨ ber den Antrag entschieden, der als erstes genehmigungsf¨ahig ist. Eine Genehmigungsf¨ahigkeit ist erreicht, wenn alle f¨ur die Entscheidung ben¨otigten Unterlagen bei der Genehmigungsbeh¨orde vorliegen. Ein Genehmigungsbescheid wird erteilt, wenn Genehmigungsbeh¨orde (BSH) und Zustimmungsbeh¨orde (WSD) positiv entschieden haben. Ein wichtiger Bestandteil der Genehmigung sind die Nebenbestimmungen, die zum Großteil standardisiert bei allen Genehmigungen formuliert sind. Dabei handelt es sich v. a. um: • die Befristung der Genehmigung auf 25 Jahre, • die Bestimmung, dass 2,5 Jahre nach Erhalt des Genehmigungsbescheides mit der Errichtung der Anlagen begonnen sein muss. Zudem die Umsetzung einer Reihe von Auflagen, betreffend: • • • • •
einen sicheren Baubetrieb, Baugrunderkundung nach dem Stand der Technik, Konstruktion der Windenergieanlagen mit Einhaltung des Standes der Technik, Vorlage eines Schutz- und Sicherheitskonzeptes, Ausr¨ustung der Windenergieanlagen mit Lichtern, Radar und automatischem Identifizierungssystem (AIS),
6.2 Windenergieausbau offshore
121
• Verwendung m¨oglichst vertr¨aglicher Stoffe und blendfreier Anstriche, • Verwendung kollisionsfreundlicher Fundamente, • Schallminimierung w¨ahrend der Errichtung und beim Betrieb der Windenergieanlagen, • Nachweis einer Bankb¨urgschaft zur Absicherung der R¨uckbaukosten. Als letzter Schritt wird dann die Entscheidung u¨ ber den Antrag in den Nachrichten f¨ur Seefahrer (NfS) und zwei u¨ berregionalen Tageszeitungen bekannt gemacht, im Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie o¨ ffentlich ausgelegt und den Tr¨agern o¨ ffentlicher Belange wie Interessenverb¨anden zugesandt. Das Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie ist ebenfalls zust¨andig f¨ur die Genehmigung der Seekabelanbindung in der ausschließlichen Wirtschaftszone. Die Genehmigung des weiteren Leitungsbaus, d. h. die Seekabelfortf¨uhrung im K¨ustenmeer und die Stromableitung an Land bis zur Einbindung in den geeigneten Netzknoten, obliegt den zust¨andigen Landesbeh¨orden – bis auf die im Einzelfall in der Regel erforderliche „Strom- und schifffahrtspolizeiliche Genehmigung“, f¨ur die wiederum die Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) zust¨andig ist. Auf Landesebene wiederum waren und sind – z. T. zwischen den hier betroffenen Bundesl¨andern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern unterschiedlich ausgestaltet und gehandhabt – folgende Verfahren in summarischer Darstellung von Bedeutung: • Raumordnungsverfahren (praktiziert in Niedersachsen und MecklenburgVorpommern), • gew¨asserschutzrechtliche Zulassung, • Befreiung von Verboten der Nationalparkgesetze (in Niedersachsen und Schleswig-Holstein), • naturschutzrechtliche Eingriffsregelung. Nachdem in einer Grundsatzdiskussion 2003 im „St¨andigen Ausschuss Offshore¨ Windenergie“ die Uberlegung, angesichts der Komplexit¨at und der Verfahrensf¨ulle m¨oglicherweise die Seeanlagengenehmigung mit einer Konzentrationswirkung nach dem Muster der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung auszustatten, nicht weiterverfolgt wurde, war klar, dass es darauf ankommen w¨urde, eine verbindliche und transparente Kooperation zwischen dem Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie und den Landesbeh¨orden zu organisieren. Dies wurde in der Folge praktiziert und unterst¨utzt durch „Runde Tische“, die insbesondere f¨ur solche F¨alle ein geeignetes Vorgehen darstellten, wo es um eine notwendige B¨undelung der Interessen unterschiedlicher Vorhabentr¨ager ging, gleichwohl aber eine Eingriffsminimierung – wie z. B. bei der Querung der Nationalparke – von vornherein absehbar war. Allerdings plant die Bundesregierung die Einf¨uhrung eines Planfeststellungsverfahrens mit Konzentrationswirkung f¨ur den Bereich des K¨ustenmeers und der landseitigen Anbindung der Offshore-Windenergie [Bundesregierung 2007, S. 13]. Es wird sich noch zeigen, ob und in welcher Weise der bisher erreichte – und in vielen F¨allen bereits weit gediehene – Verfahrensstand durch den Umstand beeinflusst wird, dass nunmehr die Verantwortung f¨ur die Leitungsanbindung
122
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
¨ auf die Ubertragungsnetzbetreiber mit dem Inkrafttreten des Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes verlagert worden ist. Soweit es die Rechtsgrundlagen, die Ausgestaltung der Genehmigungsverfahren und die Ausdifferenzierung inhaltlicher Fragen und Probleml¨osungsans¨atze betrifft, so ist festzuhalten, dass innerhalb weniger Jahre ganz erhebliche Fortschritte gemacht worden sind. Das gilt f¨ur die so genannten Standarduntersuchungskonzepte, z. B. Auswirkungen von Offshore-Windenergieanlagen auf die Meeresumwelt, oder Mindestanforderungen f¨ur Gr¨undungen von Offshore-Windenergieanlagen ebenso wie f¨ur die erforderliche Anpassung der Seeanlagenverordnung und auch die Durchf¨uhrung der Verfahren im Einzelfall. Seit dem 12. Juni 2007 gilt auch das Konzept der „Standard Konstruktion“ einschließlich der Gew¨ahrleistung der Zertifizierung von Anlagen und Bauteilen [BSH 2007b]. Perspektivisch ist zudem mit der Festlegung von Grunds¨atzen und Zielen der Raumordnung auf dem Meer und der Festlegung von Eignungsr¨aumen auf der Bundesebene ein grunds¨atzliches Instrumentarium vorhanden, auch nach der Realisierung der bisher genehmigten Projekte, weitere Ausbaustufen zu entwickeln. Die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung der komplexen Verfahrenssituation – insbesondere auch die Kooperation zwischen den Beh¨orden des Bundes und der L¨ander – zeigen bei allen z. T. erheblichen Konflikten im Einzelfall, dass Rechtsrahmen und Verfahrensabwicklung durch die Genehmigungsbeh¨orden des Bundes und der L¨ander nicht urs¨achlich sind f¨ur die eingetretenen Verz¨ogerungen. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der erw¨ahnten Nebenbestimmung, dass innerhalb von 2,5 Jahren nach Erteilung der Genehmigung mit der Errichtung der Anlagen begonnen werden muss: Eine zunehmende Zahl von Genehmigungsinhabern wird beim Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie vorstellig, um zu kl¨aren, ob und wie diese Nebenbestimmung verl¨angert oder ge¨andert werden kann.
6.2.2
Eignungsgebiete und Raumordnung in der ausschließlichen Wirtschaftszone
Die Diskussion um die Entwicklung und Nutzung der Offshore-Windenergie war und ist stets begleitet von Auseinandersetzungen um den Schutz der empfindlichen nat¨urlichen Meereslebensr¨aume in Nord- und Ostsee. Hinzu kommen die Auseinandersetzungen um m¨ogliche Nutzungskonflikte. Fischerei, Milit¨ar und Rohstoffexploration sind solche Beispiele. Am wichtigsten sind die grunds¨atzlich vorrangig zu ber¨ucksichtigenden Belange der Berufs- oder Großschifffahrt. Dies begr¨undete schon fr¨uhzeitig die Forderung nach einer Raumordnung auch in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone. Das Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie hatte in Abstimmung mit dem Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bereits Ende 2005 Eignungsgebiete in Nord- und Ostsee in einem Umfang von knapp 700 km2 festgelegt [BSH 2005]. In der Nordsee wurde ein gr¨oßeres Seegebiet („N¨ordlich Borkum“) als Eignungsgebiet ausgewiesen, vgl. Abb. 6.2. In der Ostsee wurden zwei kleinere Seegebiete („Kriegers Flak“ und „Westlich Adlergrund“) als Eignungsgebiete ausgewiesen, vgl. Abb. 6.3.
6.2 Windenergieausbau offshore
Abb. 6.2 Eignungsgebiete in der Nordsee ([BSH 2007c])
Abb. 6.3 Eignungsgebiete in der Ostsee ([BSH 2007d])
123
124
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
Nach langen Vorarbeiten und Diskussionen wurden diese Eignungsgebiete durch das Bundesamt f¨ur Seeschifffahrt und Hydrographie als so genannte Vorranggebiete u¨ bernommen [BSH 2008c] und durch zwei weitere Fl¨achenvorschl¨age in der Nord¨ see erg¨anzt („Ostlich Austerngrund“ und „S¨udlich Amrumbank“). Urspr¨unglich war 2005 auch noch beabsichtigt, ein gr¨oßeres Gebiet westlich von Sylt als Eignungsgebiet zu pr¨ufen. Ein Vorranggebietsvorschlag ist daraus 2008 nicht geworden. Nach ¨ der im Herbst 2008 durchzuf¨uhrenden Offentlichkeitsbeteiligung und der danach erfolgenden Beschlussfassung ist beabsichtigt, die Verordnung im Jahr 2011 zu u¨ berpr¨ufen. Durch diese Verordnung scheint das erste Etappenziel der Bundesregierung, bis 2020 rund 10 GW Offshore-Windenergieleistung zu installieren, gesichert. Zwar wird am Ziel, bis 2030 rund 25 GW Offshore-Windenergieleistung zu installieren, festgehalten, aber genau f¨ur diese zus¨atzlichen Leistungspotenziale reichen die jetzigen Vorschl¨age f¨ur Vorrangfl¨achen ersichtlich nicht aus: • Es ist vor dem Hintergrund raumordnerischer Grunds¨atze und Prinzipien nicht nachvollziehbar, wieso nur eine erste Etappe und nicht das planerische Gesamtziel raumordnerisch umgesetzt werden soll. • Durch die ausdr¨ucklich formulierte Ausschlusswirkung der Vorranggebiete droht ein Planungsstopp f¨ur eine ganze Reihe von weiteren Projekten, die außerhalb der vorgeschlagenen Vorranggebiete bereits in Angriff genommen wurden. Es muss daher gekl¨art werden, wie die drohenden planerischen, genehmigungsrechtlichen und investiven Fadenrisse vermieden werden k¨onnen. Die erforderlichen sehr hohen Investitionen von Herstellern und Zulieferern der Windindustrie und der maritimen Wirtschaft f¨ur den Auf- und Ausbau der Fertigungskapazit¨aten werden nur get¨atigt, wenn eine kontinuierliche Auslastung im Sinne der Realisierung des Gesamtzieles von 25 GW erwartet werden kann. Die durch das EEG 2008 erreichte Statusverbesserung im europ¨aischen Wettbewerb k¨onnte durch eine unzureichende Raumordnung in der ausschließlichen Wirtschaftszone wieder verspielt werden.
6.3 6.3.1
Stromnetzausbau und Verwaltungsverfahren Gesetzliche Vorgaben zur Verkabelung von H¨ochstspannungsleitungen
In Deutschland war es – von Ausnahmen abgesehen – in der Vergangenheit stets u¨ blich, im Hoch- und H¨ochstspannungsnetz Freileitungen zu errichten. Der zunehmende Widerstand gegen diese Art des Stromtransports in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten f¨uhrt in Verbindung mit der Summe aller Verfahrensvorschriften und Beteiligungsrechte zwangsl¨aufig zu einer langj¨ahrigen Zeitspanne, bevor mit einer Umsetzung rechtssicher begonnen werden kann. Planungsbeschleunigungen mit den erheblichen erforderlichen Zeitgewinnen lassen sich aufgrund des europ¨aischen wie deutschen Rechts kaum erzielen, es sei denn zu
6.3 Stromnetzausbau und Verwaltungsverfahren
125
Lasten massiver Einschr¨ankungen der Beteiligungsrechte und der Rechtswege. Dies d¨urfte weder politisch gewollt noch durchsetzbar sein. M¨ogliche Alternativen, etwa Verweise auf M¨oglichkeiten wie europ¨aische Netzplanung, Rechtsschutzkonzentration, Parallelverfahren, Trassengenehmigungsgesetz oder die Verbesserung der Verfahrenstransparenz a¨ ndern daran unter Zeitgesichtspunkten, wo es auf tats¨achliche Echtzeitgewinne immer st¨arker ankommt, nur wenig [Salje 2006]. Seit L¨angerem erh¨oht sich der Druck der o¨ ffentlichen Meinung zur generellen Ausf¨uhrung von Hochspannungsleitungen durch Erdkabel, v. a. auf Strecken erh¨ohter Umweltsensibilit¨at (Abschn. 4.3.2). So empfahl z. B. die EU-Kommission schon im Dezember 2003, an sensiblen Stellen den Leitungsbau wegen der naturschutzrechtlichen Widerst¨ande gegen Freileitungen durch Einsatz von Erdkabeln zu beschleunigen [EU 2003]. Der nieders¨achsische Landtag hat Ende 2007 das Nieders¨achsische Erdkabelgesetz beschlossen [Erdkabelgesetz 2007]. Danach d¨urfen H¨ochstspannungsleitungen in einem Abstand von 200 m zu Einzelwohngeb¨auden bzw. 400 m zu Wohnsiedlungen zuk¨unftig nur noch als Erdkabel ausgef¨uhrt werden. Zudem wird die Querung von Landschaftsschutzgebieten ausgeschlossen. Mit diesen Neuregelungen m¨ussen die bisherigen Planungen f¨ur die Freileitungen in Niedersachsen durch den Netzbetreiber u¨ berpr¨uft und ggf. angepasst werden – sei es durch eine neue und in aller Regel aufw¨andigere Trassenfindung oder durch einen ggf. h¨aufigen Wechsel von Erdkabelund Freileitungsabschnitten. Dabei stellt sich die Frage, ob ein solcher mehrfacher Wechsel bei einer Leitungstrasse sowohl netztechnisch wie kostenm¨aßig umsetzbar ist. Das neue Gesetz wird im ersten Schritt zu Verz¨ogerungen f¨uhren. Andererseits wird die nunmehr vorgesehene (Teil-)Verkabelung die o¨ ffentliche Akzeptanz der Projekte erh¨ohen und u¨ berhaupt erst erm¨oglichen. Die Bundesnetzagentur sieht st¨arker die Nachteile als die Vorteile einer Verkabelung von H¨ochstspannungsleitungen [Bundesnetzagentur 2008c, S. 38]: „Mit einer Verkabelung neuer Verbindungsleitungen ist . . . keine wesentliche Beschleunigung des Netzausbaus zu erwarten. Vielmehr entstehen durch die notwendig werdende Abgrenzung von Kriterien f¨ur eine Verkabelung weitere Diskussionspunkte. Abgesehen davon w¨urden durch eine solche Verkabelung die Kosten f¨ur den Netzausbau deutlich ansteigen.“ Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz hat in Bezug auf die Wind¨ energie neben der neuen Verantwortlichkeit der Ubertragungsnetzbetreiber f¨ur die Offshore-Netzanbindung (Abschn. 10.3.2) auch festgelegt, dass im 20-kmK¨ustenbereich Mehrkosten von Erdkabell¨osungen als unabweisbar auf die Netznutzungsentgelte umgelegt werden k¨onnen [§ 21a Abs. 4 Satz 3 EnWG]. F¨ur diese Regelung stand nicht zuletzt der lang andauernde Konflikt um die Ausf¨uhrung der 110-kV-Leitung Breklum-Flensburg Pate (Abschn. 10.3.1). Dies hat nicht zu einem Einlenken des Netzbetreibers gef¨uhrt, obwohl sein zentrales Argument in der Debatte, n¨amlich eventuelle Mehrkosten bei der Realisierung eines Erdkabels tragen zu m¨ussen, damit entkr¨aftet ist. Trotz aller gegenteiligen Beschl¨usse von den Kommunen u¨ ber die Kreise bis hin zum schleswig-holsteinischen Landtag h¨alt er an seiner Freileitungsplanung fest. Die Neuregelung gelte nur f¨ur Offshore-Anbindungen, und ¨ im Ubrigen handele es sich nur um eine Kann-Bestimmung.
126
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
Die Beispiele werfen insoweit die Frage auf, ob nicht unter konsequentem gesamtwirtschaftlichen Blickwinkel und unter Ber¨ucksichtigung der gebotenen z¨ugigen Erschließung der mit der Windenergie verbundenen volkswirtschaftlichen Innovationspotenziale nur die Realisierung der erforderlichen Netzverst¨arkungen auf der Basis technisch angemessener Erdkabell¨osungen den notwendigen qualitativen Zeiteinsparungssprung bewirken kann.
6.3.2
Leitlinien fur ¨ transeurop¨aische Energienetze 2007
In den Leitlinien f¨ur transeurop¨aische Energienetze wird im Anhang eine Netzverst¨arkung im Bereich der geplanten 380-kV-S¨udwest-Kuppelleitung als erforderlich aufgef¨uhrt [EP 2007, Art. 6 (1)]. Dabei bleibt allerdings offen, in welcher technischen Ausf¨uhrung diese Netzverst¨arkung durchgef¨uhrt werden soll: Netzoptimierung, Netzverst¨arkung, Netzneubau als Freileitung oder als Erdkabel. In den Leitlinien f¨ur „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ wird u. a. gefordert, das Vorhaben m¨usse „potenziell wirtschaftlich tragf¨ahig“ sein. Weiterhin heißt es dort: „Die Bewertung der wirtschaftlichen Tragf¨ahigkeit st¨utzt sich auf eine KostenNutzen-Analyse, die alle Kosten und Nutzeffekte ber¨ucksichtigt, auch die mittelund/oder langfristigen und solche, die mit Umweltaspekten, der Versorgungssicherheit und dem Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zusammenh¨angen.“ Bisher wurde z. B. von Vattenfall f¨ur die Freileitungsplanung einer 380-kV-S¨udwest-Kuppelleitung durch S¨udth¨uringen eine derartige Kosten-NutzenAnalyse nicht vorgelegt. ¨ Ubrigens wird in diesen Leitlinien f¨ur eine grunds¨atzlich vergleichbare Netzverst¨arkung zwischen S¨udbayern und S¨udtirol eine Verkabelung entlang des geplanten Brennerbasistunnels im Rahmen des europ¨aischen Vorrangvorhabens „H¨ochstspannungsleitung Brennerbasistunnel“ vorgeschlagen. Sollte eine Leitung in dieser Trasse nach Nutzung von Leitungsoptimierung und -verst¨arkung erforderlich sein, so w¨are diese Leitung sinnvoller Weise als Kabel in der Trasse der ab 2010 in Bau befindlichen ICE-Trasse auszuf¨uhren. Allerdings sind die f¨ur die ICETrasse erforderlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren schon seit l¨angerer Zeit abgeschlossen.
6.3.3
Energieleitungsausbaugesetz 2008
Insgesamt ist festzuhalten, dass die fehlende Transportkapazit¨at von der K¨uste nach S¨uden und mittelfristig zwischen den neuen europ¨aischen Offshore-Windparks ein Engpass f¨ur die weitere Entwicklung des Windenergieausbaus ist. Diese Situation wird versch¨arft durch die Absicht der EU, den Stromhandel europaweit zu verst¨arken, und die erhebliche Anzahl neuer geplanter fossiler Großkraftwerke an der deutschen K¨uste. Auch nach Auffassung der Bundesregierung machen der z¨ugige Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung, der verst¨arkte grenz¨uberschreitende Stromhandel und neue konventionelle Kraftwerke
6.4 Fallbeispiel Schleswig-Holstein
127
den raschen Ausbau des H¨ochstspannungsnetzes in Deutschland dringend erforderlich. Mit dem Energieleitungsausbaugesetz von 2008 wird die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der dort genannten 41 als vordringlich eingestuften Leitungsbauvorhaben verbindlich festgestellt [ELAG 2008]. Mit dem Gesetz werden also ¨ die von den vier Ubertragungsnetzbetreibern angezeigten Maßnahmen – alle in Freileitungsausf¨uhrung – ohne ergebnisoffene Alternativenpr¨ufung vorab als notwendig eingestuft. Das „Ob“ eines Vorhabens ist damit den Planungs- und Genehmigungsbeh¨orden vorgegeben, da die im Gesetz benannten Projekte vom Gesetzgeber als energiewirtschaftlich notwendig festgelegt werden. Ferner wird der Rechtsweg f¨ur die vordringlichen Vorhaben auf eine Instanz verk¨urzt. Die im Gesetz genannten Trassen st¨utzen sich wesentlich auf Vorgaben der vorher schon erl¨auterten Leitlinien f¨ur transeurop¨aische Energienetze sowie der denaI-Netzstudie (Abschn. 10.3.4). Es wird wohl den Gerichten u¨ berlassen bleiben, zu pr¨ufen, ob der Gesetzgeber ohne Einzelfallpr¨ufung bez¨uglich Notwendigkeit, Umweltbelastung und Alternativen bestimmte Leitungen und ihre Lage und Ausf¨uhrung vorgeben darf, ohne dabei andere gesetzliche Vorgaben zu verletzen. Die dena-I-Netzstudie ber¨ucksichtigte jedenfalls in mehreren Bereichen weder den Stand der Technik noch geltendes Recht und kann deshalb sicher nicht als Beleg f¨ur die Notwendigkeit der im Gesetz aufgef¨uhrten Leitungen dienen (Abschn. 10.3.4). Der Einsatz von Erdkabeln im deutschen H¨ochstspannungsnetz soll im Rahmen von vier Pilotprojekten erm¨oglicht werden. Zudem besteht nun explizit die M¨oglichkeit, realisierbare Netzplanungen auf der Basis moderner ¨ Ubertragungstechnologien wie Gleichstrom-Erdkabel und bipolare DrehstromErdkabel vorzulegen und umzusetzen. Ein Großteil der bisher geplanten und letztlich wohl ohnehin unrealisierbaren Freileitungsplanungen w¨urde so obsolet. Damit w¨urde f¨ur die Windenergieinvestoren die Planungssicherheit deutlich erh¨oht und eine wesentliche Grundlage f¨ur den weiteren Ausbau insbesondere der Offshore-Windenergie gelegt.
6.4 6.4.1
Fallbeispiel Schleswig-Holstein Praxiserfahrungen im Windland Schleswig-Holstein
Global denken und in diesem Fall regional handeln wurde in Schleswig-Holstein mit dem Ausbau der Windenergie konsequent praktiziert. Es begann Ende der 1980er Jahre noch mit dem Ruch von Spinnern und T¨uftlern. Trotz aller Hemmnisse und nat¨urlich auch vorhandener Probleme hat sich Schleswig-Holstein in den darauf folgenden zwei Jahrzehnten einen auch international anerkannten Ruf als „Muster-Windland“ erworben [Voigt 2006]. Die dynamische Entwicklung in Schleswig-Holstein wird sehr gut sichtbar in Abb. 6.4. Ende 2007 drehten sich in Schleswig-Holstein 2.565 Windenergieanlagen. Sie wiesen eine installierte Leistung von 2.423 MW auf. Die Windenergieanlagen produzierten im Jahr 2007 u¨ ber 4 TWh Strom und deckten damit weit u¨ ber 30% des
128
6 Windenergieausbau und Verwaltungsverfahren
2500
Anzahl und MW
2000
1500
1000
500
0 1 ? 5 bis 13
0,5 0,3 bis 0,5 ?
162
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
werden. Insgesamt ergeben sich als Untergrenze der Monetarisierung der externen Kosten 6 ct/kWh. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Windenergieproduktion, also die Summe aus vermiedenen einzelwirtschaftlichen und externen Kosten, betr¨agt also mindestens rund 13 ct/kWh.
8.1.4 Abgeltung des volkswirtschaftlichen Nutzens durch die EEG-Mindesteinspeisevergutung ¨ Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (Kap. 5) legt normativ die Verg¨utung fest, die f¨ur eingespeiste erneuerbare Energie dem Anlagenbetreiber von dem zur Abnahme gesetzlich verpflichteten Netzbetreiber zu entrichten ist, f¨ur Onshore-Neuanlagen in 2008 rund 5 ct/kWh f¨ur 20 Jahre zzgl. mindestens die ersten 5 Jahre ein Zuschlag von gut 4 ct/kWh. F¨ur Offshore-Windenergie werden zumindest in den ersten 12 Jahren nach der Inbetriebnahme bis zu 15 ct/kWh verg¨utet, anschließend nur noch 3,5 ct/kWh. Zudem brauchen die Betreiber der Windenergieanlagen die Kosten f¨ur Netzanbindung und Weiterleitung nicht zu tragen, diese werden vielmehr von den Netzbetreibern aufgebracht und auf die Stromkunden umgelegt. Im Prinzip kann diese normativ festgelegte, d. h. nicht explizit an einen gemessenen oder messbaren Nutzen gebundene Verg¨utung f¨ur Windenergie (und die u¨ brigen vom EEG erfassten regenerativen Energien) als Abgeltung des in diesem Abschnitt beschriebenen volkswirtschaftlichen Nutzens interpretiert werden. Dabei ist vermittels der Umlegung der bezahlten Verg¨utungen auf die Stromkunden letztlich die Gesellschaft als Ganzes Kostentr¨ager, der eben auch der Nutzen der vermiedenen volkswirtschaftlichen Kosten der nicht-erneuerbaren Energieerzeugung zugute kommt. Die deutlich h¨ohere gesetzliche Verg¨utung f¨ur Windenergie, die offshore gewonnen wird, zeigt allerdings, dass die Verg¨utung als eine Art von Anreizfinanzierung auch die Kosten der Anlagenbetreiber ber¨ucksichtigen muss, die zweifellos offshore ganz erheblich h¨oher liegen werden als onshore. Dem erwarteten gr¨oßeren volkswirtschaftlichen Nutzen dieser Offshore-Anlagen tr¨agt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass die Verpflichtung zum Bau der Seekabelanbindung vom OffshoreWindpark im Meer bis zum geeigneten Netzknoten an der K¨uste und weiter bis zum bestehenden H¨ochstspannungsnetz den Netzbetreibern u¨ bertragen wurde, die die entstehenden Kosten auf die Strompreise umlegen k¨onnen (Abschn. 10.1.1). Letztlich muss offensichtlich die H¨ohe der Verg¨utung f¨ur die verschiedenen Formen erneuerbarer Energieerzeugung so gesetzt werden, dass die Investoren f¨ur ihre Investitionen die f¨ur die entsprechende Risikoklasse typische Mindestrendite erzielen und damit zum angestrebten gesellschaftlichen Nutzen beitragen, wie er in § 1 EEG als Zweck benannt wird.
8.2
Grenznutzen und Grenzkosten
Viele erneuerbare Energiequellen, insbesondere der Wind, aber auch die Sonneneinstrahlung auf fotovoltaische Kraftwerke und die Wasserkraft in Laufwasserkraft-
8.2 Grenznutzen und Grenzkosten
163
werken, unterliegen starken zeitlichen Schwankungen mit oft sehr ausgepr¨agten, sehr kurzen Maxima des nat¨urlichen Angebots. Dies hat Konsequenzen sowohl f¨ur die technische wie f¨ur die wirtschaftliche Optimierung der Erzeugungssysteme, insbesondere der Windenergieanlagen. Mit der Turmh¨ohe und der Fl¨ugell¨ange der Windenergieanlagen, aber auch mit der Generatorleistung, von der das Einsetzen der Herunterregelung der Turbine bestimmt wird, w¨achst die mechanische Dauerwechselbelastung aller Bauteile stark an. Dies f¨uhrt zu einer technischen Grenze f¨ur die Gr¨oße der einzelnen Windenergieanlage. Mit den derzeit verf¨ugbaren Materialien und technischen M¨oglichkeiten d¨urften Anlagen mit gut 120 m Rotordurchmesser, Turmh¨ohen bis zu 150 m und Generatornennleistungen im Bereich von bis zu 7,5 MW auf absehbare Zeit diese Grenze markieren. Warum aber auch die wirtschaftlich optimale Auslegung der Anlagen f¨ur solche fluktuierende Quellen ein Problem darstellt, l¨asst sich recht einfach erkl¨aren: Bei einer Vergr¨oßerung von Turbine und Generator u¨ ber ein f¨ur den Standort vern¨unftiges Maß hinaus gewinnt man nur in den wenigen Stunden des Jahres, in denen das nat¨urliche Angebot eine hohe Spitze erreicht, eine insgesamt sehr geringe zus¨atzliche Menge an Energie. Der zus¨atzliche Nutzen wird also bei einer laufenden Erh¨ohung der installierten Leistung immer kleiner, was mit dem Ausdruck „abnehmender Grenznutzen“ beschrieben wird. Die anfallenden zus¨atzlichen Kosten f¨ur eine Erh¨ohung der installierten Leistung sinken dagegen nicht mit wachsender Anlagengr¨oße, die Grenzkosten nehmen also nicht mit wachsender installierter Leistung ab, sondern eher zu, da ab einer gewissen Gr¨oße dann eben auch die statischen Strukturen wie Fundament und Turm u¨ berproportional st¨arker ausgelegt werden m¨ussen. Es gibt also einen Punkt, wo sich (monet¨ar bewerteter) zus¨atzlicher Nutzen und zus¨atzliche Kosten aufwiegen: Das ist das Optimum. Doch wie bestimmt man dieses „vern¨unftige Maß“ der Investition quantitativ? Die Antwort auf diese Frage gibt ein zentraler Satz der Wirtschaftstheorie: Das Optimum des Ertrags ist bei der H¨ohe der Investition erreicht, bei welcher der • Grenznutzen, das ist die Steigerung des Bruttoertrags bei einer (infinitesimal kleinen) Erh¨ohung der Investition, gleich groß ist wie die • Grenzkosten, also die Zunahme der Kosten durch diese Erh¨ohung der Investition. Dieser Satz ist ein Spezialfall des „Pareto-Optimums“ der neoklassischen Gleichgewichtstheorie. Ein Pareto-Optimum in Bezug auf eine o¨ konomische Variable ist ¨ dann erreicht, wenn durch eine (infinitesimale) Anderung dieser Variablen kein Marktteilnehmer schlechter gestellt wird als zuvor. Zur mathematischen Herleitung siehe Kasten 8.1. Kasten 8.1: Definitionen und Rechenschritte fur ¨ die Optimierung Optimierung ist die Ermittlung oder tats¨achliche Durchsetzung des (dynamischen) Gleichgewichtszustands eines Systems, bei dem eine Zielfunktion
164
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
(z. B. der Ertrag eines Unternehmens oder einer Volkswirtschaft) als Funktion des Faktoreinsatzes (z. B. der Produktionsfaktoren Arbeit oder Kapital) den g¨unstigsten Wert erreicht. Dabei sind im allgemeinen Fall außer der Maximierung der Zielfunktion auch noch Nebenbedingungen einzuhalten (wie etwa ein von der allgemeinen Konkurrenz diktiertes Lohnniveau oder ein vom internationalen Kapitalmarkt vorgegebenes Renditeniveau der Investoren). Der einfachste Fall f¨ur die mathematische Behandlung eines solchen Optimierungsproblems ist dann gegeben, wenn der Ertrag Y (etwa der Ertrag eines Investors) als Differenz von Nutzen N und Kosten C nur von einem Faktor, etwa der H¨ohe des Kapitaleinsatzes K abh¨angt (oder nur diese Abh¨angigkeit von Interesse ist). Es ist dann also Y(K) = N(K) − C(K).
(8.1)
Wie u¨ blich notieren wir die Ableitung einer Funktion nach einer ihrer Variablen, hier also nach der H¨ohe des Kapitaleinsatzes K, durch die tief gestellte Variable. Der Grenznutzen NK , d. h. die Erh¨ohung des Nutzens bei einer (infinitesimalen) Erh¨ohung von K, ist damit NK := dN(K) / dK.
(8.2)
Entsprechend sind die Grenzkosten CK := dC(K) / dK.
(8.3)
Die u¨ bliche Annahme positiven, aber abnehmenden Grenznutzens, die auch bei den sp¨ateren Anwendungen im Bereich der Windenergie zutrifft, ist mit dieser Notierung gegeben durch NK > 0, NKK < 0.
(8.4)
Zutreffend ist weiterhin oft, auch in den sp¨ateren Windenergieanwendungen, die Annahme weitgehend konstanter Skalenkosten, d. h., die Kosten nehmen ungef¨ahr proportional mit dem Kapitaleinsatz K zu: C(K) ≈ c ∗ K, wobei c ≈ CK ; c ist ungef¨ahr konstant.
(8.5)
Nun zur Durchf¨uhrung der Optimierung: Eine Funktion einer Variablen hat bekanntlich dort ein Extremum, wo ihre Ableitung nach dieser Variablen den Wert Null annimmt: Y(K) = maxK , wennYK = 0.
(8.6)
Damit aber eine Investition u¨ berhaupt erfolgt, muss außerdem die Nebenbedingung erf¨ullt sein, dass die Rentabilit¨at r des eingesetzten Kapitals, also die
8.2 Grenznutzen und Grenzkosten
165
Gr¨oße r = Y/K, zumindest im Maximum von Y(K) bei (Y*, K*) den in der gegebenen Risikoklasse markt¨ublichen Wert rmin erreicht oder u¨ berschreitet. Damit ist das Optimierungsproblem definiert: Y(K) = maxK , mit der NebenbedingungY/K ≥ rmin .
(8.7)
Daraus folgt: YK = NK − CK = 0, also NK = CK : Grenznutzen = Grenzkosten. (8.8) Wie in Abb. 8.3 grafisch gezeigt, bestimmt demnach der Schnittpunkt der Grenznutzenkurve NK (K) mit der Grenzkostenkurve CK (K) ≈ c, hier vereinfachend einer Konstanten c gleichgesetzt, den Optimalwert K* der Investition; genau dort liegt der Optimalwert Y* =Y(K*) des Ertrags der Investition. Zudem muss der Gesamtnutzen im Optimum K*, n¨amlich N(K*), gr¨oßer sein als die zugeh¨origen Kosten C(K*); andernfalls w¨are die gesamte Investition volkswirtschaftlich nicht wirtschaftlich. Wenn der Gesamtnutzen im Optimum so groß ist, dass die Rentabilit¨at, also r* =Y*/K*, den Wert rmin erreicht oder u¨ berschreitet, also r* ≥ rmin , dann ist die Investition auch einzelwirtschaftlich rentabel, und es wird sich ein Investor finden.
Abbildung 8.3 zeigt schematisch Nutzen N und Kosten C als Funktion des Kapitaleinsatzes K, sowie Grenznutzen NK und Grenzkosten CK . Sie stellt den mathematischen Zusammenhang in Kasten 8.1 grafisch dar: • Die Nutzenkurve N steigt bei zunehmendem Kapitaleinsatz K an, aber mit abnehmender Steigung. Ihre Ableitung, n¨amlich die Grenznutzenkurve NK , ist also fallend („abnehmender Grenznutzen“) und geht bei großem Kapitaleinsatz gegen Null. • Die Kostenkurve C steigt ann¨ahernd linear mit dem Kapitaleinsatz K an. Ihre Ableitung CK ist also ann¨ahernd eine Konstante c („konstante Skalenkosten“). • Der Nettoertrag Y als Differenz von Nutzen N und Kosten C hat sein Maximum Y* genau dort, wo Grenznutzen NK und Grenzkosten CK einander gleich sind. Der Schnittpunkt der Kurven NK und CK bestimmt also das Optimum K* des Kapitaleinsatzes. Zusammenfassend kann man sagen: • Der Grenznutzen einer Investition ist die Steigerung des Nutzens pro Erh¨ohung der Investition. • Die Grenzkosten einer Investition sind die zus¨atzlichen Kosten pro Erh¨ohung der Investition. • Das Optimum des Ertrags einer Investition liegt vor, wenn Grenznutzen und Grenzkosten gleich groß sind, soweit bei dieser Investition der Gesamtnutzen
166
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
Nutzen, Kosten [ ] Nutzen N
Kosten C = c * K Nettoertrag Y = N – C Grenzkosten CK = c
Y*
Grenznutzen NK
K*
Kapitaleinsatz K [ ]
Abb. 8.3 Nutzen und Kosten als Funktion des Kapitaleinsatzes (Die durchgezogenen Linien zeigen schematisch Nutzen N und Kosten C als Funktion des Kapitaleinsatzes K sowie den resultierenden Nettoertrag Y = N − K. Die beiden gestrichelten Linien zeigen den Grenznutzen NK und die Grenzkosten CK . Das Maximum Y* des Nettoertrags Y(K) liegt bei dem Kapitaleinsatz K*, bei dem die Grenzkostengerade CK = c die Grenznutzenkurve NK schneidet.)
N, gegeben durch die Fl¨ache unter der Grenznutzenkurve NK bis zu K*, gr¨oßer ist als die Gesamtkosten. ¨ F¨ur ein System zur Erzeugung (Kraftwerke) und Ubertragung (Stromleitungen) von elektrischer Energie ist die sowohl technisch als auch o¨ konomisch entscheidende Gr¨oße die maximale Leistung Pmax , die erzeugt und gesichert u¨ bertragen werden kann. Pmax ist also gegeben als die kleinere der zwei Gr¨oßen • Nennleistung der installierten Generatoren PNenn , • thermische Grenzlast der u¨ bertragenden Leitungen PGrenz . Die von einem solchen System, also etwa einem Windpark in einer gegebenen Region mit einem gegebenen oder noch auszubauenden Leitungsnetz erzielbare maximale Leistung Pmax h¨angt mit dem erforderlichen Kapitalaufwand K funktional zusammen, und es gilt ann¨ahernd (wenn man von der St¨uckelung der typischen Generatorgr¨oßen und Leitungsst¨arken absieht), dass maximale Leistung Pmax und Kapitalaufwand K einander proportional sind: Pmax proportional K. Im Folgenden werden deshalb die Nutzen-Kosten-Kurven als Funktion der erzeugbaren und/oder der u¨ bertragbaren elektrischen Leistung P dargestellt anstelle der im allgemeinen volkswirtschaftlichen Kontext verwendeten Variablen Kapitaleinsatz K.
8.3 Grenznutzenkurve einer zeitlich fluktuierenden Quelle wie der Windenergie
8.3
8.3.1
167
Grenznutzenkurve einer zeitlich fluktuierenden Quelle wie der Windenergie Monetarisierung des Nutzens
Der gesellschaftliche Nutzen der Windenergie wird zwar theoretisch mit den vermiedenen einzelwirtschaftlichen und externen Kosten begr¨undet, praktisch aber im Wesentlichen mit der vom Gesetzgeber festgesetzten EEG-Mindestverg¨utung f¨ur die eingespeiste Energie gleichgesetzt (Abschn. 8.1.4). Damit wird der gesamtwirtschaftliche Nutzen einer Windenergieanlage eindeutig kalkulierbar: Er ist proportional zum Energieertrag E, der in einem typischen Jahr erzielt und ins Netz eingespeist werden kann. Der Nutzen ist leicht zu monetarisieren, solange eine einheitliche Verg¨utung pro Kilowattstunde (also, wie im EEG 2008, unabh¨angig von der momentanen Stromnachfrage) f¨ur eine Anlage gegebenen Inbetriebnahmedatums bezahlt wird. Der Nutzen ergibt sich dann als N = m ∗ E [€/a] mit m : Verg¨utung pro Kilowattstunde [€/kWh], E : Energieertrag pro Jahr [kWh/a]. Die relevante unabh¨angige Variable, von der der erzielte Nutzen an einem gegebenen Standort entscheidend abh¨angt, ist die maximale Leistung Pmax , die vom Generator der Windenergieanlage bzw. in einem Windpark von der Summe der Ge¨ neratoren erzeugt und vom Netz am Ubergabepunkt aufgenommen werden kann. Je nachdem welche Gr¨oße diese Leistung begrenzt, ist also die maximale Leistung Pmax mit der Nennleistung Pnenn der einspeisenden Windgeneratoren oder mit der Grenzleistung des Leitungsnetzes PGrenz zu identifizieren. Die maximale Leistung Pmax , die ja ihrerseits in der Tat ann¨ahernd proportional ist zur H¨ohe K der Kapitalinvestition des Windenergieanlagenbetreibers und des Netzbetreibers, tritt im Folgenden an die Stelle der Variablen K im vorherigen Abschn. 8.2. Damit ist die Nutzenfunktion gegeben durch N = N(Pmax ) mit Pmax : maximale Leistung [kW], die vom Generator erzeugt und ¨ vom Netz am Ubergabepunkt aufgenommen werden kann. Die Ableitung der Nutzenfunktion N(P) nach der Leistung P, wie u¨ blich als NP notiert, also NP := dN(P)/dP, gibt den Zuwachs an Nutzen pro Erh¨ohung der maximal einspeisbaren Leistung an und stellt damit die Grenznutzenfunktion dar. Im Folgenden wird gezeigt, dass die f¨ur die Optimierung ben¨otigte Grenznutzenkurve sich aus dem Jahresgang der Leistung eines Windparks (oder von anderen stochastischen Energiequellen wie fotovoltaische Anlagen oder kleinen Laufwasserkraftwerken) an einem gegebenen Standort herleiten l¨asst. Dies geschieht in zwei Schritten.
168
8.3.2
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
Prinzip der Erstellung einer Dauer-Leistung-Kurve
Als erstes wird aus dem gemessenen zeitlichen Verlauf der Windgeschwindigkeit an einem gegebenen Standort mittels der Leistungskurve der dort geplanten Windenergieanlage oder aus der Leistung einer bereits bestehenden Windenergieanlage die Dauer-Leistung-Kurve f¨ur eine Windenergieanlage an diesem Standort erstellt. Abbildung 8.4 erl¨autert das zugrunde liegende Prinzip. Sie zeigt – stark vereinfacht – den zeitlichen Verlauf der Windenergieproduktion eines k¨ustennahen Windparks an 10 windstarken Tagen, wie er schon in Abb. 3.8 gezeigt wurde. Die schraffierte Fl¨ache unter dieser Kurve entspricht als Produkt von Leistung p und Dauer t der Energieproduktion pro installiertem kW w¨ahrend der erfassten Periode von 240 h vom 22.12.2004 bis zum 31.12.2004; Multiplikation mit der installierten Nennleistung PNenn ergibt die gesamte Energieproduktion. Diese Energieproduktion multipliziert mit der gesetzlichen Einspeiseverg¨utung in €/kWh ergibt die gesetzlich anerkannte Untergrenze des volkswirtschaftlichen Nutzens der Einspeisung von Windenergie w¨ahrend der betrachteten Periode. In der Abb. 8.4b wird die Abb. 8.4a um 90 ◦ gedreht gezeigt: Hier sind nun die Tage von oben nach unten angetragen – f¨ur das Folgende denke man nun an die 365 Tage eines gegebenen Jahres statt der 10 Tage in Abb. 8.4a – und nach rechts die Leistung, d. h. die jeweiligen 10-Minuten-Mittelwerte der abgegebenen Leistung P des Windparks als Bruchteil p = P/PNenn der insgesamt installierten Leistung PNenn des Windparks. Folgt man den vertikalen Geraden, die zu den verschiedenen Werten von p geh¨oren, so sind f¨ur p = 0,2; 0,4; 0,6; 0,8 und 1,0 die Abschnitte gestrichelt eingezeichnet, wo die Leistungskurve rechts von der jeweiligen p-Geraden verl¨auft. Diese Abschnitte bedeuten also Zeitintervalle, in denen die Leistung mindestens den Wert P = p ∗ PNenn erreicht. Die Summe der L¨angen dieser gestrichelten Linienabschnitte f¨ur ein gegebenes p ergibt die Dauer T, f¨ur die die Leistung P = p ∗ PNenn erreicht oder u¨ berschritten wird. In Abb. 8.4c wird f¨ur jeden Wert von p = Windleistung P pro installierte Leistung PNenn diese Summe T der Dauern als Funktion von p aufgetragen, hier etwa als Zahl der Stunden des betrachteten Zeitraums von 240 h, in der sp¨ateren Abb. 8.5 als Zahl der Stunden des dort betrachteten Jahres. Diese Kurve gibt also f¨ur jede Leistung P bezogen auf die installierte Generatornennleistung PNenn die Dauer, d. h. die Zahl der Stunden an, w¨ahrend derer aufgrund der Windverh¨altnisse am Standort mindestens die Leistung P = p ∗ PNenn erreicht wird. Aufgrund der beschriebenen Konstruktion der Abb. 8.4c ergibt sich, dass die schraffierte Fl¨ache in Abb. 8.4c gleich ist der schraffierten Fl¨ache in Abb. 8.4b. Beide Fl¨achen sind proportional der im betrachteten Zeitraum erzeugten Energie und damit proportional zum wirtschaftlichen Nutzen des Windparks in der kurzen Starkwindperiode von 10 Tagen, die hier zur Verdeutlichung der Berechnungsweise beispielhaft herangezogen wurde. In Abb. 8.4d werden die Werte l¨angs der vertikalen Achse aus Abb. 8.4c nun mit einer typischen EEG-Einspeiseverg¨utung von 0,075 €/kWh multipliziert. Die schraffierte Fl¨ache unter dieser Kurve multipliziert mit der installierten Leistung
8.3 Grenznutzenkurve einer zeitlich fluktuierenden Quelle wie der Windenergie
169
a Leistung eines Windparks als Funktion der Zeit t = 0...240 h p = Windleistung P pro installierte Leistung PNenn 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0
22.12. 23.12. 24.12. 25.12. 26.12. 27.12. 28.12. 29.12. 30.12. 31.12.
t [h] 24
48
72
96
b wie Bild a, aber um 90
0
120
144
168
192
216
240
gedreht t [h]
22.12
24
23.12
48
24.12
72
25.12
96
26.12
120
27.12
144
28.12
168
29.12
192
30.12
216
31.12
240
0,0
0,2 0,4 0,6 0,8 p = Windleistung P pro installierte Leistung PNenn
1,0
c resultierende Dauer-
d mit 0,075 €/kWh bewertete
Leistung-Kurve
Dauer-Leistung-Kurve
Dauer T [kWh/kW=h]
[ /kW]
240
18
200
15
150 10 100 5 50 0 0,0
0,2 0,4 0,6 0,8 p = Windleistung P pro installierte Leistung PNenn
1,0
Abb. 8.4 Erstellung einer Dauer-Leistung-Kurve
0 0,0
0,2 0,4 0,6 0,8 p = Windleistung P pro installierte Leistung PNenn
1,0
170
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
gibt die Verg¨utungssumme in den 10 betrachteten Tagen bei unbegrenzt m¨oglicher Erzeugung und Einspeisung an.
8.3.3
Dauer-Leistung-Kurve und Grenznutzen-Leistung-Kurve
F¨ur die Bewertung des volkswirtschaftlichen Nutzens eines Windparks mit gegebener Auslegung an einem bestimmten Standort ist offensichtlich eine kurze Periode mit spezifischen Windbedingungen nicht repr¨asentativ. Vielmehr ist die statistische Verteilung der potenziellen Einspeisung mindestens eines ganzen Jahres (besser von mehreren Jahren) heranzuziehen. Eine nach demselben Verfahren wie in den Abb. 8.4a–c f¨ur ein ganzes Jahr erzeugte Dauer-Leistung-Kurve muss demgem¨aß als Ausgangspunkt1 zur Ermittlung des volkswirtschaftlichen Gesamtnutzens N und der Grenznutzenfunktion Np (p) dienen. Eine solche Kurve f¨ur ein ganzes Jahr f¨ur einen Windpark an der K¨uste mit sehr leistungsstarken neuen Anlagen ist exemplarisch in Abb. 8.5a skizziert. Wie schon erl¨autert, ist die gesamte schraffierte Fl¨ache unter der Dauer-LeistungKurve in Abb. 8.5a proportional zur Energieeinspeisung des Windparks bei unbeschr¨ankter Einspeisung (kWh pro installierter Nennleistung in kW). Die Kurve in Abb. 8.5b ist identisch mit der in Abb. 8.5a, aber durch die Bewertung der erzeugten Energie mit der geltenden EEG-Verg¨utung (im Beispiel 0,075 €/kWh) wird die schraffierte Fl¨ache unter der Kurve proportional zum j¨ahrlichen monet¨aren Nutzen in € pro installierter Nennleistung. Wird die Einspeisung allerdings begrenzt, z. B. bei p = 0,9, wie in den Abb. 8.5a– c eingezeichnet, so kann eine Menge an Energie nicht eingespeist werden, die der doppelt schraffierten Fl¨ache rechts unten in den Abbildungen entspricht. Erh¨oht man nun die Grenzleistung um ein kleines p, wie in der Ausschnittsvergr¨oßerung in Abb. 8.5c dargestellt, so ist der zus¨atzliche Nutzen N die senkrecht schraffierte Fl¨ache, das Produkt aus der H¨ohe des Streifens, n¨amlich m∗T(pGrenz ), und seiner Breite, n¨amlich der zus¨atzlich m¨oglichen Einspeiseleistung p. Teilt man die Gr¨oße dieser Fl¨ache durch p, so erh¨alt man den Grenznutzen N/p bei einer Erh¨ohung von p auf p + p. Dieser Quotient ist aber gerade die H¨ohe des Streifens. Der Grenznutzen als Funktion der relativen Leistung p ist demnach durch die H¨ohe des Streifens, d. h. durch den Wert der durch die Kurve dargestellten Funktion an der Stelle p = P/PNenn gegeben. Kurz gesagt: Bei einer Erh¨ohung der Grenzleistung um ein kleines p entspricht der zus¨atzliche Energieertrag der Fl¨ache eines Streifens der Breite p und H¨ohe der Kurve an der Stelle PGrenz , hier p = 0,9. Die H¨ohe der Kurve gibt also gerade die zus¨atzliche Einspeiseverg¨utung pro zus¨atzlich m¨oglicher Einspeisung 1 In der Literatur, z. B. in [Windenergiereport 2005], wird die Leistung-Dauer-Kurve f¨ ur verschiedene Jahre angegeben, um das statistische Verhalten der Windenergieproduktion einer Standortregion zu charakterisieren (Abschn. 3.2). Mathematisch gesprochen ist die Leistung-DauerKurve, n¨amlich Leistung als Funktion der Dauer, die Inverse der in Abb. 8.4c und im Folgenden gezeigten Dauer-Leistung-Kurve, die die Dauer als Funktion der Leistung angibt.
8.3 Grenznutzenkurve einer zeitlich fluktuierenden Quelle wie der Windenergie
171
Abb. 8.5 Herleitung der Grenznutzen-Leistung-Kurve aus einer Dauer-Leistung-Kurve – schematisch
172
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
p an: Das ist genau die Definition des Grenznutzens. Die gesuchte monet¨are Grenznutzen-Leistung-Kurve ist also nichts anderes als die gemessene oder berechnete Dauer-Leistung-Kurve der Anlagen, wie in Abb. 8.5a gezeigt, bewertet mit der Einspeiseverg¨utung, wie in Abb. 8.5b gezeigt. Die gesuchte monet¨are Grenznutzenkurve, etwa f¨ur einen gegebenen Windpark f¨ur ein gegebenes Jahr, geht also aus der Dauer-Leistung-Kurve hervor durch eine Umskalierung der vertikalen Achse von „Dauer“ auf „€/kW“. In diesem Sinne stellt die Dauer-Leistung-Kurve die energetische Grenznutzen-Leistung-Kurve dar, die durch Bewertung der Energieerzeugung mittels der EEG-Einspeiseverg¨utung zur monet¨aren Grenznutzen-Leistung-Kurve, kurz Grenznutzenkurve wird.
Kasten 8.2: Mathematische Herleitung der Grenznutzenfunktion Die Dauer-Leistung-Kurve stellt die Funktion T = T(p) dar, wobei p = P/PNenn die Leistung relativ zur installierten Nennleistung angibt und T die Dauer in Stunden, f¨ur die mindestens diese Leistung erbracht wird. Kann jede Leistung bis PNenn , also bis p = 1, eingespeist werden, so gilt f¨ur die eingespeiste Energie 1 E=
T(p) dp,
p=0
d. h., die Fl¨ache unter der Dauer-Leistung-Kurve ergibt die eingespeiste Energie. Wird die Leistungseinspeisung aber – etwa durch die Grenzleistung der Netzanbindung – auf ein pGrenz = PGrenz /PNenn begrenzt, so ist die eingespeiste Energie gegeben durch p Grenz
E(pGrenz ) =
T(p) dp. p=0
Der monet¨are Nutzen bei einer (konstanten) Einspeiseverg¨utung von m €/kWh ist also p Grenz m∗T(p) dp. N(pGrenz ) = p=0
Die Ableitung von N(pGrenz ) nach der Grenzleistung pGrenz , also die Grenznutzenfunktion Np (p) ist dann gleich dem Integranden, also gleich Np (p) = m∗T(p) [€/kW].
Literatur
173
8.3.4 Anwendung der Grenznutzenfunktion Die Ermittlung der Grenznutzenfunktion ist nun aber keinesfalls ein Selbstzweck, vielmehr ist sie – wie im obigen Abschn. 8.2 ausf¨uhrlich dargestellt – immer dann sinnvoll, ja sogar notwendig, wenn es um die einzelwirtschaftliche oder gesamtwirtschaftliche Optimierung des Mitteleinsatzes geht. Dabei wird der Gleichgewichtspunkt bestimmt, bei dem die Grenznutzenkurve und die Grenzkostenkurve sich schneiden. Ein Optimum liegt vor, soweit bei dieser Investition der Gesamtnutzen N, gegeben durch die Fl¨ache unter der Grenznutzenkurve NK bis zu K* in Abb. 8.3, gr¨oßer ist als die Gesamtkosten. Drei Klassen von Optimierungsfragen werden in den folgenden Kapiteln behandelt: • Kap. 9: Welches ist die optimale technische Auslegung der Anlagen eines Windparks in einer bestimmten Standortregion? • Kap. 10: Wie hoch ist die optimale St¨arke der Netzanbindung, insbesondere das Maß des volkswirtschaftlich zumutbaren Ausbaus des H¨ochstspannungsnetzes zur Fern¨ubertragung von Windenergie? • Kap. 11/12: Welche Zusammensetzung des Gesamtsystems von Kraftwerken – inklusive Pumpspeicherwerke und anderer Speicher – muss l¨angerfristig erreicht werden, damit die Zielvorgabe der Bundesregierung f¨ur eine massive Erh¨ohung des Beitrags erneuerbarer Energien zur Stromversorgung realisiert werden kann?
Literatur [Apfelstedt 1996] Apfelstedt G, Jarass L, Obermair G M: Die Umweltvertr¨aglichkeitspr¨ufung von Hochspannungsleitungen. In: Handbuch der Umweltvertr¨aglichkeitspr¨ufung (HdUVP). Storm P-C und Bunge Th (Hrsg.), Schmidt-Verlag Berlin Bielefeld M¨unchen, 19. Lieferung, V/1996. [BMU 2007] Erneuerbare Energien in Zahlen – Internet Update. Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, November 2007. http://www.erneuerbareenergien.de/files/erneuerbare energien/downloads/application/pdf/broschuere ee zahlen.pdf (abgerufen am 11.2.2008). [EEG 2004] Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) vom 21 Juli 2004. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004, Teil I, Nr. 40, ausgegeben zu Bonn am 31 Juli 2004, S. 1918–1930. http://www.gesetze-iminternet.de/eeg 2004/ (abgerufen am 9.9.2008). [EEG 2008] Gesetz f¨ur den Vorrang Erneuerbaren Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG). Verabschiedet vom Deutschen Bundestag, 6.6.2008. http://www.bmu.de/erneuerbare energien/downloads/doc/40508.php (abgerufen am 9.9.2008). [EEG-Stromerzeugung 2006] Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Entwicklung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 und finanzielle Auswirkungen. Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 2006. http://www.bmu.de/ files/pdfs/allgemein/application/pdf/prsentation ergebnisse.pdf. [Jarass 1989] Jarass L, Nießlein E, Obermair G M: Von der Sozialkostentheorie zum umweltpolitischen Steuerungsinstrument – Boden- und Raumbelastung von Hochspannungsleitungen. Nomos-Verlag, Baden-Baden, 1989.
174
8 Grundlagen der Optimierung: Nutzen versus Kosten
[Jarass/Obermair 2007] Jarass L, Obermair G M: Wirtschaftliche Zumutbarkeit des Netzausbaus f¨ur Windenergie. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums f¨ur Umwelt, Naturschutz ¨ und Reaktorsicherheit. Uberarbeiteter Schlussbericht, 30.3.2007. http://www.JARASS.com, Energie, A. B¨ucher und umfangreiche Gutachten. [Krewitt/Schlomann 2006] Krewitt W, Schlomann B: Externe Kosten der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Vergleich zur Stromerzeugung aus fossilen Energietr¨agern. Gutachten im Rahmen von Beratungsleistungen f¨ur das Bundesministerium f¨ur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. DLR, Stuttgart, Fraunhofer Institut System- und Innovationsforschung, Karlsruhe, 6.4.2006. http://www.erneuerbare-energien. de/files/erneuerbare energien/downloads/application/pdf/ee kosten stromerzeugung.pdf. [Windenergiereport 2005] Windenergiereport 2005. Institut f¨ur Solare Energieversorgungstechnik e.V. – ISET, Universit¨at Kassel, 2006. Erscheint seit 1999 j¨ahrlich; einige Daten sind online abrufbar unter REISI, Windmonitor. http://reisi.iset.uni-kassel.de/pls/ w3reisidad/www reisi page.show menu?p name=132019&p lang=ger.
Kapitel 9
Optimierung von Windenergieanlagen
Seit 1980 wurden die Windenergieanlagen drastisch vergr¨oßert: Die typischen Turmh¨ohen stiegen von 30 m auf bis zu 120 m, wodurch wesentlich h¨ohere und gleichm¨aßigere Windgeschwindigkeiten genutzt werden k¨onnen. Die installierte Generatornennleistung stieg von rund 30 kW auf mittlerweile bis zu 6.000 kW. Der Rotordurchmesser stieg von rund 15 m auf bis zu 127 m, was die f¨ur die j¨ahrliche Windenergieproduktion entscheidende Rotorkreisfl¨ache von knapp 200 m2 auf u¨ ber 12.000 m2 erh¨ohte. Der j¨ahrliche Energieertrag pro Anlage stieg von etwa 0,035 GWh auf bis zu 20 GWh. Die Stromgestehungskosten konnten so bis 2005 etwa halbiert werden. Seit 2006 steigen allerdings die spezifischen Investitionskosten der Windenergieanlagen wegen der stark gestiegenen Rohstoffpreise und der wachsenden internationalen Nachfrage nach Windenergieanlagen. Es bleibt zudem abzuwarten, ob die offshore mindestens doppelt so hohen Investitionskosten durch die dort deutlich h¨oheren Windertr¨age voll ausgeglichen werden k¨onnen. Windenergie ist in jedem Fall von allen erneuerbaren Energien (mit Ausnahme der Wasserkraft) am kosteng¨unstigsten und lag 2008 bei den einzelwirtschaftlichen Kosten nicht mehr wesentlich u¨ ber dem Niveau neuer thermischer Kraftwerke. Eine Verringerung der spezifischen Fl¨achenleistung (W/m2 ), d. h. kleinerer elektrischer Generator in sonst unver¨anderter Windenergieanlage, verringert die j¨ahrliche Energieerzeugung nur geringf¨ugig, f¨uhrt aber zu einer geringeren mechanischen Belastung der Anlage, einer deutlich h¨oheren Volllaststundenzahl und einer deutlich besseren Prognostizierbarkeit der Windenergieproduktion.
9.1
Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung
F¨ur die technisch-wirtschaftlich optimale Auslegung der einzelnen Windenergieanlagen f¨ur einen bestimmten Standort sind die H¨aufigkeiten und Erwartungswerte der Windenergieproduktion und die daraus resultierende Nutzen-Kosten-Struktur maßgeblich. Solche statistische Angaben u¨ ber das Windenergieangebot sind im letzten Jahrzehnt f¨ur alle in Frage kommenden Standortregionen gemessen und L. Jarass et al., Windenergie, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85253-7 9,
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9 Optimierung von Windenergieanlagen
Abb. 9.1 Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung seit 1980 ([BWE 2008a, Technik, Folie 2])
zusammengetragen worden (Abschn. 3.1). Der nachfolgende Abschnitt gibt einen ¨ Uberblick u¨ ber die Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung, also die Ergebnisse der Optimierung der Windenergieanlagen. Abbildung 9.1 veranschaulicht die Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung von neu installierten Windenergieanlagen. Seit 1980 sind die Windenergieanlagen zur Senkung der Stromerzeugungskosten drastisch vergr¨oßert worden: • Die Generatornennleistung stieg von 30 kW auf bis zu 6.000 kW. • Der Rotordurchmesser stieg von 15 m auf bis zu 127 m, die u¨ berstrichene Rotorfl¨ache entsprechend von knapp 200 m2 auf u¨ ber 12.000 m2 . • Die Fl¨achenleistung, also die installierte Leistung pro Rotorfl¨ache, stieg von unter 200 W/m2 auf deutlich u¨ ber 400 W/m2 . • Die Turmh¨ohe stieg von 30 m auf 120 m, wodurch wesentlich h¨ohere und gleichm¨aßigere Windgeschwindigkeiten genutzt werden k¨onnen. • Der j¨ahrliche Energieertrag pro Anlage stieg von etwa 0,035 TWh auf bis zu 20 TWh. Bei den jeweils neuen Windenergieanlagen stieg also in 25 Jahren die Nennleistung auf das 200fache, die u¨ berstrichene Rotorfl¨ache auf das 65fache, die Turmh¨ohe auf das 4fache, der j¨ahrliche Energieertrag pro Anlage auf das 500fache. Tabelle 9.1 zeigt die im Jahr 2008 gr¨oßten kommerziell verf¨ugbaren Windenergieanlagen der Welt. Bereits 2009 sollen die ersten 6-MW-Anlagen auf den Markt kommen. Je sechs der 5-MW-Anlagen von Repower und von Multibrid werden 2009 im Versuchsfeld Alpha-Ventus n¨ordlich von Borkum in der Nordsee installiert. Hunderte von vergleichbaren Windenergieanlagen wurden von Privatinvestoren zur
9.1 Entwicklung von Rotordurchmesser und installierter Leistung
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Tab. 9.1 Die gr¨oßten Windenergieanlagen der Welt 2008 ([BWE 2008a, Technik, Folie 3])
Nennleistung [MW] Rotordurchmesser [m] Nabenh¨ohe [m] Installierte Anlagen [–]
Enercon
Enercon
Repower
Multibrid
E112 4,5 114 112 5
E127 6 127 135 1
5M 5 126 120 1
M5000 5 116 103 1
Installation ab 2010 geordert, noch bevor die Windenergieanlagen ihre nachhaltige Zuverl¨assigkeit unter Beweis stellen konnten. Der Marktf¨uhrer Enercon konzentriert sich auf die Weiterentwicklung von Onshore-Anlagen: • Mitte 2007 Fertigstellung der Enercon-112m/6MW mit 160 m Turmh¨ohe in Brandenburg; • Ende November 2007 Bau der leistungsst¨arksten Anlage der Welt mit 127 m Rotordurchmesser und 6 MW installierter Leistung, Nabenh¨ohe 135 m [Enercon 2008a] auf dem Rysumer Nacken nahe Emden; erwartete Stromerzeugung ca. 20 GWh pro Jahr. Wie bei technischen Entwicklungen u¨ blich, wurden meist nicht sofort die Prototypen mit den jeweils maximal m¨oglichen Werten realisiert, sondern zun¨achst bew¨ahrte Anlagen der jeweils vorherigen Generation. Diese zeitliche Verz¨ogerung zeigt Abb. 9.2: Die Entwicklung der durchschnittlich installierten Leistung einer Windenergieanlage hat sich seit 1987 von rund 0,03 MW in 1987 auf 0,12 MW in 1992 vervierfacht, bis 2004 nochmals verzehnfacht auf 1,2 MW. Seit 2005 stieg sie nur noch gering an, erst nach großr¨aumiger Einf¨uhrung der neuen 6-MW-Anlagen onshore und offshore ist mit einer weiteren deutlichen Erh¨ohung zu rechnen. Abbildung 9.3 zeigt die Entwicklung der Rotordurchmesser als Anteil der einzelnen Rotorklassen an der j¨ahrlich neu installierten Leistung. Dadurch werden die
[MW] 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6
Abb. 9.2 Durchschnittlich pro Windenergieanlage installierte Leistung 1987– 2007 (nach [DEWI 2008, S. 41])
0,4 0,2 0,0 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007
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[%] 100 90
Rotordurchmessergruppen Group of Rotor Diameters 60,1 - 90 m
80 70 60 50
32,1 - 48 m 22,1 - 32 m
40 30 20
>90,1 m