Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity
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Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity
Herausgeber/Editor: CHRISTOPH MARKSCHIES (Heidelberg) Beirat/Advisory Board HUBERT CANCIK (Tübingen) • GIOVANNI CASADIO (Salerno) SUSANNA ELM (Berkeley) • JOHANNES HAHN (Münster) JÖRG RÜPKE (Erfurt)
19
Christa Frateantonio
Religiöse Autonomie der Stadt im Imperium Romanum Öffentliche Religionen im Kontext römischer Rechts- und Verwaltungspraxis
Mohr Siebeck
CHRISTA FRATEANTONIO, geboren 1960; Studium der Religionswissenschaft; 1990-2000 Verlagstätigkeit; 1998 Promotion; Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit einem Projekt über pagane Theologie des 2. und 3. Jh. n. Chr. im Sonderforschungsbereich Erinnerungs kulturen der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Gedruckt mit Unterstützung der Maria und Dr. Ernst Rink-Stiftung. ISBN 3-16-148200-X ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2003 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Druckpartner Rübelmann GmbH in Hemsbach auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Schaumann in Darmstadt gebunden.
Meiner Tochter Elena und meiner Mutter
Vorwort Die vorliegende Veröffentlichung ist die überarbeitete Fassung der im Jahr 1998 als Dissertation von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tübingen angenommene Untersuchung >Religiöse Autonomie der Stadt. Eine religionsgeschichtliche Studie zu antiken städtischen Religionen unter römischer Herrschaft. Vorworte geben nicht die Pflicht, sondern die sehr willkommene Gelegenheit, um allen am Zustandekommen des Werkes in angemessener Weise den gebührenden Dank abzustatten. An erster Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. Christoph Markschies (Heidelberg) nicht nur für die Aufnahme der vorliegenden Untersuchung in die Reihe Studien und Texte zu Antike und Christentum danken, sondern ebenfalls für seine fruchtbaren Anregungen, besonders für den vierten und letzten Teil der Arbeit. Mein Dank an Frau Prof. Dr. Renate Schlesier (vormals Paderborn, jetzt Berlin) richtet sich auf den Beginn des Projektes und die bei dem Wiedereinstieg in die Wissenschaft und die Erarbeitung des Themas gegebene gleichermaßen pragmatische wie fachliche Unterstützung und Ermutigung. Für die darauf folgende freundliche Aufnahme in Tübingen und die Übernahme der Gutachten danke ich Herrn Prof. Dr. Günter Kehrer (Tübingen) und Herrn Prof. Dr. H. Cancik (Tübingen). Herrn Prof. Dr. Cancik gilt darüber hinaus für die außerordentlich fachkundige und konsequente Betreuung, die stetige und vielfältige Förderung meiner wissenschaftlichen Aktivitäten und, last but not least, der finanziellen Ermöglichung meiner Studien meine tief empfundene Dankbarkeit. Meinen besonderen Dank möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. John Scheid (Paris) aussprechen, der mir die Ehre erwiesen hat, die vorliegende Untersuchung über einen maßgeblichen Zeitraum mit seinem anregenden und kritischen Interesse zu begleiten. Diese Art von Dank ist ebenfalls an Herrn Prof. Dr. Jörg Rüpke (Erfurt) zu richten. Für die fachliche und pragmatische Unterstützung bei der Abfassung der Dissertation ist Frau Dr. Mareile Haase (Erfurt) und Herrn Dr. Jochen
VIII
Vorwort
Derlien (Tübingen) zu danken, für die technische Erstellung der vor liegenden überarbeiteten Fassung Frau Meike Rühl (Gießen). Herrn Prof. Dr. Manfred Landfester (Gießen) danke ich für die Vermittlung eines Druckkostenzuschusses der Maria und Dr. Ernst Rink-Stiftung, dem Verlag Mohr Siebeck für die Publikation der vorliegenden Untersuchung und besonders Herrn Dr. Ziebritzki (Lektorat) und Frau König (Herstellung) für die fachkundige und zügige Abwicklung der Drucklegung. Gießen, im Juli 2003
Christa Frateantonio
Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung 1 Methodenprobleme: Systematische Terminologie und teleologische Religionsgeschichtsschreibung 1.1 Problemaufriss 1.2 Religiöse Toleranz in der Antike 1.3 Methodische Alternativen 1.4 Religiöse Autonomie als Selbstverwaltung lokaler Kulte 1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
VII 1 4 4 9 16 20 26
1.5.1 Selbstbeschreibungen von Civitas und Polis
26
1.5.1.1 Quellenkritische Anmerkungen
31
1.5.1.2 Religiöse Devianz und strain towards consistency
33
1.5.1.3 Forschung
36
1.5.2 Völker/Gentes
40
1.5.2.1 Juden
40
1.5.2.2 Ägypten
44
1.5.2.3 Sonstige Ethnien
45
2 Formen öffentlicher städtischer Religionen in römischer Perspektive 2.1 Sacra publica populi Romani 2.1.1 Konstituierung
48 50 51
2.1.2 Erweiterung
57
2.2 Sacra (publica) latinischer Städte
64
2.2.1 Integration albanischer und lavinischer sacra
65
2.2.2 Die sogenannten municipalia sacra italischer Städte
70
2.2.3 Bundesheiligtümer mit latinischen Städten
75
2.3 Sacra publica verbündeter und freier Städte
77
2.3.1 Außeritalische Gemeinden
79
2.3.2 Fallbeispiele
81
2.3.2.1 Pergamon
82
Inhaltsverzeichnis
X 2.3.2.2 Thugga
86
2.4 Sacra publica im Rahmen der deditio
88
2.4.1 Fallbeispiele
91
2.4.1.1 Capua
91
2.4.1.2 Syrakus und Ambrakia
91
2.4.1.3 Lokri
93
2.5 Sacra publica von Kolonien
95
2.5.1 Die (Sakral-)Verfassung von Urso 2.5.2 Sacra publica von Kolonien in Vorgängersiedlungen
97 104
2.5.2.1 Posidonia/Paestum
104
2.5.2.2 Korinth
106
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
110
2.6.1 Fragmentarische (Sakral-)Verfassungen von Municipien
111
2.6.2 Archäologisches Material
114
2.6.2.1 Augusta Treverorum
114
2.6.2.2 Vienna
115
2.6.2.3 Thugga
117
3 Die doppelte Öffentlichkeit städtischer Religionen in der römischen Rechts- und Verwaltungspraxis
121
3.1 Republik
124
3.1.1 Sacrilegium und crimen repetundarum
124
3.1.1.2 Verres
124
3.1.1.2 Vergehen anderer Beamter
129
3.1.1.3 Zusammenfassung
130
3.2 Kaiserzeit 3.2.1 Zum Problem der Rezeption römischer Sakralrechtsnormen in den Provinzen auf der Basis von Gaius, Institutiones 2,2-7 3.2.2 Verwendung der Begriffe sacra publica, loca sacra und sacrilegium in den Digesten
131
3.2.2.1 Vorüberlegungen 3.2.2.2 Zum >Fehlen< von Bestimmungen zu städtischen Priestern, Kalendern und Opfern in den Digesten
134 137 137 139
3.2.2.3 Sacra publica und loca sacra
142
3.2.2.4 Sacrilegium
149
3.3 Euergesie und städtische Kaiserkulte
153
3.3.1 Städtische Kaiserkulte
154
3.3.2 Kaiserliche Euergesie
156
Inhaltsverzeichnis
3.4 Vom >Reichsbürger< zur >Reichsreligion< durch die Constitutio Antoniniana? 4 Administrative und juristische Aspekte religiösen Wandels in der Spätantike 4.1 Öffentliche Kulte im Spannungsfeld der Christianisierung
XI
158 163 170
4.1.1 Quellen 4.1.2 Instrumentalisierung städtischer Kultstätten im Kontext des decianischen Opferediktes
170 173
4.2 Diskurse über den städtischen Religionsbegriff
177
4.2.1 Christlich
179
4.2.2 Pagan
180
4.3 Religiöser Wandel, religiöse Devianz, innerstädtische Unruhen: verwaltungsrechtliche Maßnahmen
185
4.3.1 Bischof Georgios
187
4.3.2 Kaiser Theodosius
191
4.3.3 Privilegierung und Degradierung von Städten
196
4.3.3.1 Maximinus Daia
199
4.3.3.2 Konstantin der Große
202
4.3.3.3 Julian
202
4.3.3.4 Nachjulianische Zeit
205
4.3.4 Verwaltung und Einsatz von Militär
206
4.3.4.1 Rom
210
4.3.4.2 Provinziale Städte
212
4.3.4.3 Akzeptanz der religionspolitischen Maßnahmen
213
4.4 Städtischer Episkopat und kaiserliche Religionspolitik
214
4.4.1 Bischof Eleusis
215
4.4.2 Bischof Pegasios
216
4.4.3 Bischof Marcellus
216
4.4.4 Sonstige Bischöfe
218
4.5 Ausblick: Religiöse Autonomie paganer und christlicher Städte.. 224 5 Ergebnisse 228 Bibliographie 231 Register 250
Einleitung Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Erkenntnisse der anti ken Sozialgeschichte, vor allem der Stadtgeschichte, über die politischen, administrativen und juristischen Strukturen des Imperium Romanum in die Analyse der Interferenzen zwischen römischer Herrschaft und religiösem Wandel der städtischen Kulte einzubeziehen. Eine der in diesem Zusam menhang wichtigsten althistorischen Erkenntnisse ist, dass das Imperium Romanum auf der administrativen Ebene formal bis in die Spätantike de zentral strukturiert war. Die Verwaltung lag zum großen Teil bei den Städten als >SelbstverwaltungseinheitenFremdherrschaft< stets gefährdeter Idealbegriff definiert, son dern als ein eigenständiges Konzept, das die Stadt in ihrer administrativen Funktion innerhalb des Imperium Romanum beschreibt. 62
JACQUES, Le privilege de liberte, 1984, XI. JACQUES, Le privilege de liberte, 1984, XVI. Vgl. auch SCHEID, 1998, Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit, 125; KOLB, Die Stadt im Altertum, 1984, besonders 170 f.; NÖRR, Imperium und Polis in der Hohen Prinzipatszeit, 1966, 115; DAHLHEIM, Die Funktion der Stadt im römischen Herrschaftsverband, 1982, besonders 18 und 58 f. 63
1.4 Religiöse Autonomie als Selbstverwaltung lokaler Kulte
25
Es ist nun zu bestimmen, welche Aspekte des althistorischen, von Jacques definierten politischen Autonomiebegriffs dem religiösen Auto nomiebegriff der Stadt analog sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bis in das 4. Jh. n. Chr. der pagane römische Staatskult auf das stadtrömische Territorium beschränkt blieb (Sacra publica populi Romani), während komplementär sämtliche von Rom beherrschten oder politisch kontrollier ten Städte ihre Kulte behielten und neu gegründete Kolonien mit eigenen Heiligtümern ausgestattet wurden (Sacra publica italischer und provinzialer Städte): insofern wurde Religion als lokale Angelegenheit in territori aler und adminsitrativ-rechtlicher Hinsicht gehandhabt, Religion im Impe rium Romanum war dezentral strukturiert. Innerhalb des lokalen bzw. regionalen Rahmens befand sich die Organi sation, Finanzierung und Verwaltung der Kulte unter der Kontrolle der einzelnen Stadträte. Die religiösen Kompetenzen zerfielen in verschiedene Kategorien. So wie die politische Autonomie kein zusammenhängender Komplex ist, sondern aus dem Ämterwesen, der Volksversammlung, dem Territorialrecht, dem Steuerwesen etc. bestand, so setzte sich die religiöse Autonomie der Stadt aus mehreren Komponenten zusammen. Eine Über sicht der städtischen religiösen Kompetenzen bietet Ch. Sourvinou-Inwood für den griechischen Bereich64, die in dieser Form auch für die römischen Städte zutreffen und folgendermaßen zusammengefasst werden können: Städtische Priester und Priesterinnen. In diesen Komplex gehören die Besetzung der Priestertümer unter Kontrolle der städtischen politischen Institutionen durch Wahl, Verkauf oder Vergabe an bestimmte Familien sowie gegebenenfalls die Besetzung der Ämter mit Personen des vorge schriebenen Geschlechts (männlich/weiblich und/oder aus bestimmten Fa milien der polis bzw. civitas). Finanzierung der Kulte. Hierzu zählen von den Städten bestellte Komi tees oder Beamtengruppen, die die Ausrichtung regelmäßiger und außeror dentlicher Opfer für die Stadt organisierten, die bauliche Instandhaltung der Heiligtümer überwachten (sc. Aufträge zur Erhaltung vergaben) und das Vermögen, Weihegeschenke und Grundbesitz der Tempel verwalteten.
64
Further Aspects of Polis-Religion, 1988, 259 ff.; What is Polis-Religion, 1990, 295 ff.
26
1 Methodenprobleme
Kriminalgerichtsbarkeit über Heiligtümer. Die städtischen Institutionen gaben Vorschriften über Verhaltensweisen in den Heiligtümern und sank tionierten Zuwiderhandlungen. Zutritts- und Verfügungsgewalt, d. h. das Verbots- bzw. Erlaubnisrecht des Zutritts für einzelne Personen und Städte. Kalender (Festzeiten). Die Stadt bestimmte ihren Kalender selbst d. h. fixierte besondere Tage als Festtage und sorgte gleichzeitig dafür, dass diese Festtage in der Gemeinde eingehalten wurden; eine Veränderung durch Streichung oder Ergänzung war grundsätzlich durch politischen Beschluss jederzeit möglich. Wann und wie innerhalb dieser Bereiche der städtischen religiösen Au tonomie seitens der Römer Herrschaftsinteressen aufkamen, die zu religiö sem Wandel führten, wird in Teil 3 und 4 der vorliegenden Untersuchung analysiert werden.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen Das Spektrum der Träger von Religion in der Antike reicht von der Privat religion eines Individuums bis zu öffentlichen Kulthandlungen für die Bürger einer Stadt oder Angehörige einer Stammesgemeinschaft. Das Feld zwischen diesen beiden Polen ist in Rom durch Kategorien wie Familie, Gens, Collegium etc. im zivilen, im militärischen Bereich durch Begriffe wie etwa Legion oder Cohors zu erfassen. Innerhalb bzw. durch diese Gruppen war Religion organisiert, oder anders ausgedrückt sie waren die Träger von Religion(en). Nur auf solche von den Römern wahrnehmbare Gruppen konnte sich politisches Handeln, sei dies nun im militärischen, administrativen oder juristischen Rahmen, richten und hat dieses Handeln seinerseits greifbare Spuren hinterlassen. 1.5.1 Selbstbeschreibungen von Civitas und Polis Die Stadt (civitasIpolis) nimmt unter den sozialen Gemeinschaften, die als Träger/Organisator von Religion in den antiken Quellen, namentlich der Literatur, Inschriften und juristischen Texten genannt werden, eine hervor ragende Stellung ein. Dieser Umstand verdankt sich in erster Linie der Tat sache, dass die überlieferten Quellen vor allem dem griechisch-römischen Kulturraum entstammen, der weitgehend von städtischen Gesellschaften
7.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
27
geprägt war bzw. von den Griechen und Römern durch Urbanisierung und Stadtgründungen geprägt wurde. Die antike Historiographie etwa weist politische und militärische Konflikte und Allianzen fast ausschließlich entweder als Konflikte und Allianzen zwischen Städten (Polybios 1,3,6; Cassius Dio, Fragm. 2,431-2; Thukydides 1,1) oder zwischen >Hegemonialmächten< und Städten aus (vgl. Herodot 1,5-6; Livius, praefatio, bes. 6 f.; Tacitus, hist. 1,2,1 f.; 1,4,1). Civitas bzw. polis waren das sozio-geographische, politische, rechtliche und kulturelle Milieu, in das die antiken Kulte integriert waren. Plutarch etwa konstatierte, dass ein Reisender wohl in Städte gelangen könne, die keine Mauern, keinen König, keine steiner nen Häuser, keine Schrift haben, die ohne Währung sind, wo man keine Vorstellung davon hat, was ein Theater oder Gymnasium ist - aber Städte ohne Kultplätze und Götter, ohne regelmäßigen Gottesdienst, ohne Ge lübde, ohne Orakel, ohne (Dankes-)Opfer oder (Abwehr-)Riten, habe kein Reisender jemals gesehen und werde sie auch in der Zukunft nicht sehen (Mor. 1125 E). Der Jurist Ateius Capito definierte religiosus als durch Städte vorgege bene sozio-politische Normen. Nach seiner Auffassung {De pontiflco iure 13 = de more et ritu) »werden religiös die genannt, die innerhalb der gött lichen Angelegenheiten gemäß den Gebräuchen der Stadt eine Auswahl getroffen haben zwischen dem, was zu tun und was nicht zu tun ist, und (sich) nicht in abergläubische Praktiken verwickeln«. Die rechtliche Ebene spiegelt sich ebenfalls bei Quintilian wieder, der die Kenntnis der Kult bräuche und des Sakralrechts der Stadt, in der ein Redner politisch aktiv sein will, für unabdingbar hielt. In der Institutio oratoria (12,3,1) heißt es: »Für diesen Mann (sc. den rhetorisch Ausgebildeten) ist auch die Kenntnis des bürgerlichen Rechtes wie auch der Sitten und Kultbräuche desjenigen Staatswesens notwendig, an dessen öffentlichem Leben er mitwirken will. Denn was für ein Ratgeber in öffentlichen Beratungen wird jemand sein können, der so viele Dinge, auf denen die bürgerliche Gemeinschaft vor allem beruht, nicht kennt?« Civitas und polis waren die primären sozio-politischen Gruppenver bände in der Antike, Sie waren gleichzeitig sporadische Kultgemeinschaf ten im Haus- und Stadtkult. Das Bürgerrecht einer Stadt zu besitzen oder dort sein ständiges Domizil zu haben, hatte zur Folge, dass man als Bürger oder Einwohner an den religiösen Festen teilnahm. Kaiser Gallienus soll allein aus dem Grund Bürger und Archon in Athen geworden sein, damit er
28
1 Methodenprobleme
an allen Kulten der Stadt teilnehmen konnte65. Ebenso galten dem Juristen Ulpian entweder die Heimatgemeinde oder der ständige Wohnort (domicilium) als die Orte, in denen die Bürger am öffentlichen religiösen Leben partizipierten: »Si quis negotia sua non in colonia, sed in municipio semper agit, in illo vendit emit contrahit, in eo foro balineo spectaculis utitur, ibi festos dies celebrat, omnibus denique municipii commodis, nullis coloniarum fruitur, ibi magis habere domicilium, quam ubi colendi causa deversatur« (Dig. 50,1,27,1). Auch Ciceros zweites Buch seiner Schrift De legibus ist ein prominen tes Dokument für die der griechisch-römischen Kultur eigene Vorstellung von der administrativen und rechtlichen Verankerung der kultischen Insti tutionen in der civitas (polis). Das Werk, von Cicero selbst in Zusammen hang mit Piatons Nomoi gebracht, die ihm als Vorbild dienten, wurde etwa um 52/51 v. Chr. abgefasst. Im zweiten Buch entwickelt Cicero als Teil der Staatsverfassung eine constitutio religionum (2,10,23). Nach der Ein stimmung durch Rückbesinnung auf sowie die Rückkehr nach Arpinum als Heimat, zu der Marcus durch die ererbten Familienkulte immer noch eine religiöse Bindung hat (2,1,3), folgt eine Darlegung der Beziehungen von göttlichen und menschlichen Gesetzen und über die Nützlichkeit der An nahme der Existenz von Göttern durch die Bürger für den Staat (2,4,1 ff.). Daran anschließend werden die leges de religione (2,7,18) als Kernstück des zweiten Buches im einzelnen aufgeführt. Diese Gesetze sind weniger wegen ihres Inhalts, der, wie Atticus nach der Aufzählung wohl zu Recht bemerkt, »sich nicht viel von den Gesetzen des Numa und den in Rom üb lichen Gebräuchen unterscheiden« (2,10,23), sondern wegen ihrer Aus richtung auf ein als Stadtstaat organisiertes Gemeinwesen von Interesse. Der soziopolitische Kontext, den Cicero (2,8,19) als Standort für öf fentliche Heiligtümer und Kulte bestimmt, ist die Stadt (bzw. Städte grundsätzlich). Daraus folgt u. a., dass die Vestalischen Jungfrauen das Feuer des Staatsherdes in der Stadt (Rom) für die Bürger hüten sollen (2,8,20) und die staatliche Vogelschau in der Stadt (Rom) und dem nahe gelegenen Umland stattfindet. Innerhalb dieses Territoriums werden auch feste Plätze zur Himmelsbeobachtung bestimmt und geweiht (templa liberata et effata, 2,8,21); der römische Senat entscheidet dann, welche prodi-
65
HA, Gallienus 11,3: Gallienus apud Athenas archon erat, id est summus magistratus, vanitate illa, qua et civis adscribi desiderabat et sacris omnibus interesse.
7.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
29
gia den haruspices zu Sühnung gemeldet werden (2,9,21). Der Text verweist darauf, dass im 1. Jh. v. Chr., nachdem Rom seinen politischen Machtbereich bereits über weite Teile des Mittelmeerbeckens ausgeweitet hatte, ein Politiker und Philosoph wie Cicero eine Staatsverfassung (hier Religionsgesetze) entwickelte, die über die Stadt Rom nur in der Weise hinauswiesen, als allenfalls an eine Art von >identischer Reduplikation< gedacht wird: Sein Konzept von Universalisierung bedeutet nicht Territo rialisierung und Expansion der römischen Stadt zu einer Über-(großen)Stadt mit einheitlicher Religion, sondern allenfalls die Modellhaftigkeit Roms, so wie Cicero es in seiner Verfassung entwirft, für jedes »gute und starke Volk«66. Auch in anderen Texten wird regionale bzw. lokale Religion zumeist als politisch-institutionelles Phänomen der Städte beschrieben und diskutiert. Die Schriftsteller verweisen durchgehend auf die Gefahr einer Unterwan derung durch fremde Elemente und behandeln deshalb häufig die Frage, wie man neues und zugleich potenziell gefährliches aus dem Kreis der ei genen Religion fernhalten kann. Die Duldung fremder Religionen und Kultbräuche - nicht nur bei den Römern - war um so restriktiver, je un mittelbarer sie den eigenen Stadtstaat betrafen oder zu betreffen schienen. So ließ Cicero Marcus sagen »die Verehrung von eigenen, neuen oder fremden Göttern schafft Verwirrung im Kult und bringt Zeremonien mit sich, die unseren Priestern unbekannt sind. Denn die von den Vätern über lieferten Götter soll man nur unter der Bedingung verehren, dass auch die Väter selbst diesem Gesetz gehorcht haben. Heiligtümer soll es meiner Ansicht nach in den Städten geben; ich kann mich nicht den persischen Magiern anschließen, auf deren Anraten Xerxes die Tempel Griechenlands in Brand gesteckt haben soll, weil sie hinter Mauern die Götter einschlös sen, denen doch alles offen stehen und unbehindert sein müsse und deren Tempel und Haus das ganze Weltall sei. Besser waren schon die Griechen und unsere Landsleute beraten, die, um die Frömmigkeit gegenüber den Göttern zu vermehren, wollten, dass sie in den gleichen Städten wie wir wohnten« (de legibus 2,25-26). 66 CANCIK, M. Tullius Cicero als Kommentator, 1995, 302. CANCIK/CANCIKLINDEMAIER, Patria - peregrina - universa, 1994, 66 f., lesen den Text, besonders Ciceros Bemerkung non enim populo Romano sed omnibus bonis flrmisque populis leges damus, vor dem Hintergrund einer philosophischen Universalisierung der römischen Religion.
30
/ Methodenprobleme
Die Einschränkungen der Bedingungen, unter denen Religion praktiziert und tradiert werden soll, gehen in verschiedene Richtungen: Zunächst spielt Cicero auf private Kulte an, die er, genauso wie »neue und fremde«, wenn nicht von der öffentlichen Religion ausgeschlossen, so doch zumin dest unter der Kontrolle der Priester wissen will (vgl. Piaton, Nomoi 10, 91 Od). Er beruft sich auf die religiösen Praktiken der Vorfahren, deren Fortführung ihm die beste Gewähr gegen Innovationen bieten. Eine weitere Beschränkung liegt in dem Ausschluss anikonischer Religion sowie tem pelloser extraurbaner Kulte, wie sie beispielsweise die von ihm genannten Perser ausübten. Dass es sich bei der grundsätzlich kritischen Einstellung gegenüber fremden, d. h. von außen in einen Stadtstaat eingeführten Kul ten, nicht um eine singulare Idee bei Cicero und Piaton handelt, zeigen weitere Beispiele. Nach Cassius Dio (52,36,1-2) erteilte Maecenas dem Augustus den Rat, Personen, die die Religion durch fremde Riten entstel len wollen, streng zu bestrafen. Als Grund gibt Maecenas an, dass Men schen, die in der Lage seien, andere zu veranlassen, neue Götter an Stelle der alten einzuführen, auch bewirken könnten, fremde Lebensformen an zunehmen und in deren Gefolge Verschwörungen und Parteiungen herbei führten. Dionysios v. Halikarnass stellt als eine der bemerkenswerten Ei genheiten Roms die Fähigkeit dar, sich einer inflationären Übernahme fremder Kulte zu enthalten und - falls durch Orakelspruch doch einmal ein Kultimport anstand - den neuen Kult in die eigenen Kulttraditionen einzu binden und fremdes dadurch weitgehend zu neutralisieren (2,19,2-3): »Bei ihnen wird man, obwohl auch ihre Sitten mittlerweile korrumpiert sind, keine ekstatischen Verzückungen, keine korybantischen Rasereien, keine Bettelei unter dem Vorwand der Religion, keinen bacchischen Lärm oder geheime Feiern, keine nächtlichen Wachen von Männern und Frauen ge meinsam in den Tempeln noch irgend etwas anderes dieser Art sehen; ... (3) Am meisten wunderte ich mich darüber, dass die Stadt der Römer, trotz vieler dort lebender Fremder, die ihre vaterländischen Götter nach heimi scher Sitte verehren, dennoch keine fremden Gewohnheiten , wie schon viele andere Städte, öffentlich nachahmte, sondern, wenn jemals aufgrund von Orakeln bestimmte religiöse Gebräuche eingeführt wurden, sie (sc. Rom) diese nach ihren eigenen Sitten feiert; ein Beweis ist der Kult der idäischen Großen Mutter«. Zweifelsohne idealisiert Dionysios die römi schen Verhältnisse aus ideologischen Gründen, doch wird deutlich, wie restriktiv Toleranz gegenüber fremden Religionen definiert war. Noch Ser-
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
31
vius schrieb in seinem Kommentar zu Vergils Aeneis, dass Athener und Römer stets darauf geachtet hätten, dass keine neuen Religionen eingeführt wurden und - falls nur der Verdacht bestand, dass dies doch geschah - die entsprechenden Personen aus der Stadt entfernt oder sogar mit dem Tode bestraft wurden67. 1.5.1.1 Quellenkritische
Anmerkungen
Es stehen eine Reihe von weiteren Texten zur Verfügung, die bisher je doch noch nicht unter dem Aspekt der administrativen und juristischen Stellung der städtischen Religionen im Imperium Romanum und dem da mit in Zusammenhang stehenden religiösen Wandel analysiert worden sind. Das in Frage kommende literarische Material besteht neben der be reits erwähnten Historiographie vor allem in Rechtsquellen, geographi schen Schriften sowie später den Kirchengeschichten. Es beleuchtet zudem Aspekte der städtischen Religion, die von archäologischem Material nicht bedient werden können. Zeitlich reichen die literarischen Zeugnisse, die speziell das Thema der städtischen Religionen berühren, vom 5. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr. Während sich die frühen Werke des griechischen Sprachraumes vor allem mit der mythischen Vorzeit einzelner Städte und ihrer Gründung durch Götter und Heroen befassen und für die vorliegende Untersuchung deshalb kaum relevant sind, ist besonders Pausanias eine wichtige und einzigartige literarische Quelle, die u. a. Inventare städtischer Kulte des 2. Jh. n. Chr. und Berichte des religiösen Euergetismus römi scher Herrscher - gelegentlich auch ihrer Übergriffe auf griechische Hei ligtümer - überliefert. Die römische Annalistik ist auf Rom zentriert und an der Entstehungsgeschichte anderer Städte nur interessiert, soweit sie in Zusammenhang mit Rom stand (vor allem Livius, Varro, Cicero, Tacitus, Aulus Gellius, Servius). Für italische und provinziale Städte ist man so auf mehr oder minder zufällige Erwähnungen angewiesen (z.B. Strabo, Schriften der Feldmesser), rhetorische Schriften (z.B. Quintilian, Rhetores minores latinii), juristische Sammlungen (Digesta, Codex Theodosianus und lustinianus) und Inschriften. Die Zufälligkeit und Lückenhaftigkeit der außerrömischen Überlieferung ist unter empirischen Gesichtspunkten ein Handicap, beleuchtet jedoch, wie die althistorische Forschung gezeigt hat, 67
Comm. in Verg. Aen. ed. DlEHL 8,187: cautum enim fuerat et apud Atheniensis et apud Romanos, ne quis novas introduceret religiones: unde et Socrates damnatus est et Chaldei vel Iudaei sunt urbe depulsi.
32
1 Methodenprobleme
in hinreichend repräsentativer Weise die römische Herrschaft in Ad ministration und Recht. In spätantiken Werken erscheint das Thema der städtischen Religion vorrangig unter den sich ändernden Bedingungen der Herrschaft und Verwaltung einerseits sowie des religiösen Wandels in den Städten andererseits: Neben den Codices des Theodosius und Justinians, die Einblicke in administrative und rechtliche Maßnahmen der Kaiser ge ben, entstanden unter anderem in Verbindung mit den Auseinandersetzun gen zwischen Vertretern der >alten< (polytheistische Kulte) und >neuen< Religion (Christentum) eine Reihe von Schriften, die neben der kaiserli chen Religionspolitik gegenüber den Städten die religiösen Entwicklungen einzelner Städte zum Thema haben (vor allem Ammianus Marcellinus, Eunapius, Julian, Libanios, Zosimus, Augustinus, Eusebius, Sokrates, Sozomenos, Theodoret). Die Aufbereitung des archäologischen Materials unter lokalen Aspekten ist lückenhaft und zufällig. Über Paestum und Korinth etwa liegen zur Kultgeschichte neuere Grabungsbefunde vor, die bis in die römische Zeit reichen. Ältere Sammlungen, wie die Kultgesetze der griechischen Städte von F. Sokolowski68 und die auf Inschriftenanalysen beruhende Arbeit zu Kulten in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum von Toutain69 sind für die vorliegende Untersuchung hingegen nur bedingt hilfreich. So kolowski hat eine Materialsammlung für griechische Städte zusammenge stellt, in der die Inschriften römischer Zeit wenig berücksichtigt sind. Toutain hat das von ihm ausgewählte epigraphische Material unter solchen systematischen Aspekten gegliedert, die die Nutzung des Corpus eher er schweren als erleichtern: Neben der geographischen Ordnung nach Provin zen steht die Einteilung der Kulte in offizielle (griechisch-römisches Pan theon, Kaiserkult, römische Staatskulte), indigene (einheimische) und orientalische sowie ihre jeweilige Verbreitung innerhalb der von ihm als soziale Verbände klassifizierten Einheiten Militär, Einheimische, Städte, conventus, Vereine und bei Einzelpersonen. Archäologische Befunde, so68
Lois sacrees des Cites greques mit Supplementband, Lois sacrees de l'Asie mineure. SOKOLOWSKI hat die Kultgesetze nach Städten geordnet, bezieht aber archäologi sches Material zu städtischen Kulten nicht mit ein. 69 Les cultes pai'ens dans Tempire romain, 1906-1922. Als ein wichtiges Ergebnis sei ner Arbeit betrachtet TOUTAIN die - von ihm selbst nicht mehr umgesetzte - Erkenntnis, dass man eigentlich das epigraphische Material nach den sozio-politischen Einheiten hätte gesondert untersuchen müssen, um die Diffusion einzelner Kulte zu beschreiben.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
33
weit zu seiner Zeit vorhanden, berücksichtigt er, ebenso wie Sokolowski, nicht. In der Mehrzahl der Fälle gibt das archäologische Material aller dings, von einigen Ausnahmen abgesehen, die an entsprechender Stelle der vorliegenden Untersuchung Berücksichtigung finden werden, wenig unter dem Aspekt der Selbstbeschreibung der religiösen Gruppe(n) civitas und polis her; dies ändert sich erst in der Spätantike durch epigraphisches Ma terial sowie archäologisch nachweisbare Tempelzerstörungen oder ihre Transformation in Kirchen oder profane öffentliche Bauten. 1.5.1.2 Religiöse Devianz und strain towards consistency Die für die römische Herrschaft wichtige Aufrechterhaltung der stadtinter nen (Sakral-)Ordnung war dadurch möglich, dass die meisten der antiken poleis und civitates aufgrund ihrer Größe face to face societies waren. Dies führte dazu, dass religiöser Wandel bzw. religiöse Devianz auffallen musste oder konnte. Mitbewohner bzw. -bürger (Einwohner eines Viertels, familia/oikos etc.) bemerkten ohne weiteres etwa die fehlende Präsenz von Christen bei Festen, öffentlichen Kulthandlungen oder Prozessionen. Be sonders im Hinblick auf diese zum Teil schweren innerstädtischen religiö sen Konflikte seit dem 3. Jh. n. Chr. sollen im folgenden einige der Instan zen genannt werden, die Basis oder Bedingung von social control waren70. Dadurch soll außerdem verdeutlicht werden, dass, wie auch in anderen Gesellschaften, in den antiken Städten das existierte, was man in der So ziologie als eine >auf Kohärenz gerichtete Spannung< bezeichnet {strain towards consistency)11. Sie legte das jeweilige soziale System mehr oder minder dauerhaft auf eine bestimmte Linie fest, von der es nicht allzu weit abweichen durfte, ohne die Gefahr des Verfalls heraufzubeschwören. Übertragen auf die politischen Verhältnisse im Imperium Romanum be deutete dies, dass die Römer prinzipiell damit rechnen konnten, dass die Städte ihre soziale, politische und religiöse Ordnung aufrechterhielten. Die Selbstkontrolle versagte oder konnte in dem Augenblick versagen, in dem es zu einer Verschiebung des geltenden - in diesem Fall religiösen - Para digmas oder der religiösen Majoritäten in einer Stadt kam. 70
Mit BOUDON/BOURRICAUD, Soziologische Stichworte, 1992, 475 f. ziehe ich den englischen Begriff vor. Sie haben wohl zu Recht darauf hingewiesen, dass das deutsche Wort (soziale) Kontrolle eine vorwiegend negative Bedeutung hat, die vor allem mit Überwachung und Einschränkung assoziiert wird. 71 Boudon/Bourricaud, Soziologische Stichworte, 1992, 479.
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1 Methodenprobleme
Von den Metropolen abgesehen, kannten sich in der Regel aktive und passive Teilnehmer an kultisch-religiösen Ereignissen, die Präsenz von Fremden oder das Fehlen einzelner wurde ohne weiteres registriert, So hatte schon Piaton in seinen Nomoi die Kultfeiern und Opfermahle der Phylen als Mittel gesehen, um die Einwohner einer neu gegründeten Stadt sowohl möglichst rasch miteinander bekannt zu machen, als auch für einen ständigen sozialen Kontakt zu sorgen (Nomoi 828b ff). Unter diesem As pekt muss die Entscheidung, die Stadtgemeinden zum Ziel und Ausgangs basis des decianischen Opferediktes zu machen, nicht nur verwaltungs technische, sondern auch sozio-politische Gründe gehabt haben. Die Be wohner einer Stadt und besonders der einzelnen Viertel kannten häufig die Gewohnheiten ihrer Nachbarn genau. Bereits vor 249 n. Chr. hatte dem Bericht des Eusebius zufolge eine Volksmenge in Alexandria zwei ältere, offenbar stadtbekannte Christen ergriffen und zum Opfer gezwungen, nachdem ein Prophet der Stadt Unheil vorausgesagt hatte, welches nur durch verstärkte kultische Aktivitäten der Bürger abgewendet werden könne. Im Anschluss weitete sich der Vorfall zu einem Pogrom aus, indem alle, die in ihrer Nachbarschaft Christen kannten, in deren Häuser eindran gen, um von den Christen die Teilnahme am Opfer zu erzwingen (hist. eccl. 6,41,3 f. ed. Schwartz/Mommsen)72. Als kleinere soziale Einheiten innerhalb der Stadt, in denen social control wirksam war, ist die familia zu nennen. Ein Beispiel bietet Lactantius, de mortibus persecutorum 10 und 15 ed. Creed: Er berichtet, dass Diokletian zuerst alle in seinem Palast Anwesenden, dann sein Hausge sinde sowie seine Tochter Valeria und seine Frau Prisca zum Opfern gezwungen habe und anschließend den Opferzwang ausweitete, indem er die amtierenden Richter anwies, streitende Parteien opfern zu lassen, bevor ein Fall zur Verhandlung zugelassen wurde. Weitere Beispiele überliefern Eusebius (hist. eccl. 6,42,1 ed. Schwartz/Mommsen) und Cyprian (epist. 55,13 ed. Clarke): Der pater familias bzw. der patronus zwangen Sklaven und Pächter zum Opfern. Implizit ist vorausgesetzt, dass die Familienober häupter über religiöse Devianz innerhalb der von ihnen kontrollierten Kleingruppen unterrichtet waren.
72
Dazu auch PlETRl/GOTTLlEB, Christenverfolgungen zwischen Decius und Diokletian, 1996, 157.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
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Innerstädtische Medien von social control waren ferner u. a. Insignien und Trachten des öffentlichen Kultus: So entkam Domitian bekannterma ßen den Anhängern des Vitellius, indem er eine Leinenrobe, wie sie von den Opferdienern im Isiskult getragen wurde, anzog (Tacitus, hist. 3,74). Die Priesterschaften in Rom sowie allen anderen antiken Städten hatten spezielle Insignien und Gewänder, die sie während der Durchführung ihrer priesterlichen Amtshandlungen trugen (für Rom etwa Aulus Gellius, noct. att. 7,7,8 über die Arvalbrüder: ... cuius sacerdoti insigne est spicea Corona et albae infulae). In dichter Form gibt der Christ Tertullian in seiner Schrift de spectaculis eine Beschreibung, woran sich nicht nur die Geister von Christen und NichtChristen schieden, sondern wodurch sie auch rein optisch zu unterscheiden waren - oder zumindest zu unterscheiden sein sollten: Quaestoren, Magistrate, Flamines und Priester konnten es nach Überzeugung des christlichen Autoren unter keinen Umständen vermeiden, sich »in das Verbrechen der Idolatrie zu verstricken«: Mit der Amtsaus übung war das Anlegen von Purpurgewändern, Fasces, Kopfbinden, Krän zen und, was nach Tertullian besonders problematisch war, auch Reden (sc. über Götter), heilige Mahlzeiten sowie die »Anrufung von Dämonen« auf das engste verbunden (de spectaculis 12 ed. Turcan). Eine Kontrollme chanismus ergab sich daraus vor allem zunächst aus nicht-christlicher Sicht, da Christen nach ihren eigenen Maximen Idolatrie vermeiden soll ten. Hielten sie sich konsequent daran, wurde ihre christliche Religion sichtbar, weil sie sich nicht mehr in der festlich-religiösen städtischen Öf fentlichkeit zeigten (vgl. auch Origenes, contra Celsum ed. Borret 8,57; 75). Auch im Rahmen der christlichen Selbstausgrenzung von (polytheisti scher) Religion in der städtischen Öffentlichkeit ergaben sich Möglichkei ten, durch Nichtpräsenz von Personen auf ihre abweichende Religion (Christentum) Schlüsse zu ziehen: Tertullian nennt unter anderem das Auf stellen von Lampen vor den Türen und das Schmücken der Türpfosten mit Girlanden aufgrund öffentlicher religiöser Feiertage (de idololatria 15 ed. Waszink), auf das Christen seiner Ansicht nach verzichten sollten. Auch zahlreiche technische und handwerkliche Berufe, deren Haupterwerbs möglichkeiten in der Öffentlichkeit lagen, d. h. aus Mitteln der Stadtkassen oder Stiftungen reicher Bürger bezahlt wurden, waren theoretisch für Christen verschlossen, wollten sie sich nicht der Idolatrie schuldig ma chen: Tertullian nennt die Fabrikation von Götterbildern, den Bau an Tem peln und Altären, das Verfertigen von Baldachinen, das Schlagen von
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1 Methodenprobleme
Blattgold als Verzierung für Statuen, außerdem die Lieferung von Räu cherwerk und Opfertieren (de idololatria 11 ed. Waszink). 1.5.1.3 Forschung Die Verankerung der öffentlichen Religion in städtischen Institutionen wurde bereits von Forschern des 19. Jahrhunderts erkannt und vor allem von N.D. Fustel de Coulanges zum Gegenstand seiner bekannten Mono graphie La cite antique (1864) gemacht73. Fustel de Coulanges beschrieb und beschwor mitunter emphatisch - die sakrale Dimension Roms und der griechischen poleis, grundsätzlich jeder antiken Stadt: »Was Livius von Rom sagte, konnte jedermann auch von seiner Stadt behaupten; denn wenn sie nach den rituellen Bräuchen gegründet war, hatte sie schützende Gott heiten in ihren Bereich aufgenommen, die sich gleichsam in ihrem Boden eingewurzelt hatten, um ihn nicht mehr zu verlassen. Jede Stadt war ein Heiligtum; jede Stadt konnte heilig genannt werden.«74 Die Konsequenzen, die Fustel de Coulange aus der Beobachtung der rituellen Stadtgründung gezogen hat, standen weitgehend abseits der Forschungsinteressen der zeitgleichen altertumswissenschaftlichen Disziplinen, weshalb man u. a. seine Einschätzung der Sakralität der Städte als überzogen einstufte75. Zugleich damit wurden aber auch durchaus fruchtbare Ansätze seiner Be trachtung der antiken Religion als regionalem und territorial begrenztem Phänomen und der Städte als religiöser Gruppen, die in der neueren religi onswissenschaftlichen Forschung wieder eine Rolle spielen, nicht rezipiert. Von den modernen Forschungen sind vor allem diejenigen J. Scheids hervorzuheben, da er die rechtlich-administrativen Aspekte der städtischen Kulte als konstitutiv für die Analyse der Folgen der römischen Herrschaft ansieht: »Les religions du monde greco-romain etaient essentiellement communautaires, et en tant que telles, elles etaient toujours liees ä des groupes sociaux precis: la famille, le College, la cite et ses subdivisions. Autrement dit une pratique religieuse antique s'exercait toujours dans un cadre institutionnel precis. Comme toutes ces communautes, la cite est 73
Vgl. KEHRER, Civil Religion und Reichsreligion, 1997, 28, zur Bedeutung der Theorien über religiöse Dimensionen sozialer Gebilde in der Antike von FUSTEL DE COULANGES für seinen Schüler E. DURKHEIM und dessen Annahme, der Kern jeder Ge sellschaft sei religiös. 74 La cite antique = Der antike Staat (dt. Übers, von I.-M. KREFFT), 1981, 188. 75 MOMIGLIANO, Der antike Staat des Fustel de Coulanges, 1991, 192 ff.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
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celle qui a laisse les plus de traces archeologiques et epigraphiques. (...) C'est cite par cite que les pratiques religieuses doivent etre abordees, dans leur contexte historique et juridique. Et notamment, ä partir de la conquete, par rapport au cadre romain.«76 Diese Ausführungen sind für die vorlie gende Untersuchung insofern von besonderer Relevanz, als der institutio nelle Rahmen der römischen Herrschaft auf der Basis des antiken Stadt begriffes und die Auswirkungen provinzialer Administration und Recht sprechung auf die Entwicklung der städtischen lois sacrees untersucht wird. Bisher hat sich die religionswissenschaftliche Forschung unabhängig von der althistorischen Stadtgeschichtsforschung vorzugsweise auf das Phänomen der griechischen Stadtreligion gerichtet. Dabei wurde und wird kaum eigens nach dem Kontext von römischer Herrschaft und Kulten der politisch abhängigen Gemeinden gefragt, sieht man einmal von dem infla tionären Interesse am Kaiserkult ab. Teile des vorhandenen Materials wur den und werden auch z.T. bis jetzt bevorzugt nach Gottheiten und nicht nach Regionen, Städten oder Ethnien untersucht und auswertet. Ein Vor gehen, welches von den Althistorikern, die religionsgeschichtlich interes siert waren, übernommen wurde, so z.B. in verschiedenen, auf den ersten Blick wie städtische Religionsgeschichten anmutende Publikationen von M. LeGlay und anderen. In seinem Aufsatz La vie religieuse ä Lambese d'apres des nouveaux documents (1971) hat LeGlay das Material nach Gottheiten geordnet. Seine Auswahl der entsprechenden Kategorien er scheint heute unter hermeneutisehen Aspekten problematisch: Er unter teilte die Dokumente aus Lambaesis in divinites du pantheon offeiel, abstractions divinisees, divinites africaines und divinites etrangeres. Dieser Kategorisierung ist implizit diejenige der stadtrömischen Götter zugrunde gelegt77. So stehen nicht die Beziehungen der einzelnen Kultmonumente
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SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 42; Ders., Aspectes religieux de la municipalisation, 1999, besonders 381-387. 77 Nach dem gleichen methodischen Prinzip waren vor ihm ALFÖLDY, Geschichte des religiösen Lebens in Aquincum, 1961 und in seinem Gefolge BALLA, Zur Geschichte des religiösen Lebens von Savaria, 1967, vorgegangen. LEGLAY, Saturne Africain, 1961 und 1966, befasste sich mit nur einem Kult, hat die Monumente aber Stadt für Stadt geordnet. Das Defizit dieses Vorgehens liegt darin, dass das Verhältnis punischer und römischer Saturnkulte zueinander unklar bleibt und die lokalen Religionsgeschichten auf einen einzelnen Kult beschränkt bleiben.
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1 Methodenprobleme
zur Stadt Lambaesis, ihrer Kultgeschichte und religiösen Topographie im Zentrum der Untersuchung, sondern das - vermeintliche - Vorkommen sogenannter offizieller (= römischer), afrikanischer und fremder Gottheiten sowie vergöttlichter Abstracta in einer in diesem Kontext beliebig erschei nenden Stadt Nordafrikas. Ein weiterer Forschungszweig ist das bereits verschiedentlich genannte Konzept der lokalen bzw. regionalen Religion. Im Unterschied zu den an tiken Texten, die vielfach auf die territorialen und institutionellen Kompo nenten der städtischen Religion bezogen sind (s.u.), stehen hier jedoch em pirische Kategorien von Räumlichkeit im Vordergrund. Dazu gehören vor allem die Kategorie des Raumes als lebensweltlicher Aspekt verschiedener Religionen78, die Analyse spezieller lokaler Bedingungen universaler Schriftreligionen sowie Religionsgeschichten einer Region (Landschaft, Provinz, Stadt) als Summe aller dort neben- und nacheinander in Erschei nung tretenden Kulte/Religionen79. Ein anderes Beispiel für regionale Religionsgeschichte ist die Untersu chung von J. Rüpke zur antiken Großstadtreligion am Beispiel Roms, in der er auf das Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Religion unter dem Aspekt der Repräsentation und (Nicht-)Teilnahme der verschiedenen Bevölkerungsgruppen/-schichten eingeht80. Bei der Monographie von Beard, North und Price zu den Religionen Roms (6. Jh. v. bis 4. Jh. n. Chr.) handelt es sich formal ebenfalls um eine regionale Religionsge schichte. Die Aspekte, unter denen das Material aufgearbeitet wurde, kon zentrieren sich auf historisch fassbare politische und damit von den Auto ren verknüpfte religiöse Veränderungen innerhalb Roms; hierbei sind so wohl öffentliche wie private Religionen berücksichtigt81. Eine andere Perspektive für eine regionale Religionsgeschichte hat Bakker gewählt, der in seiner Studie über Ostia ausschließlich Zeugnisse privater Religiosität
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Dazu und zum folgenden KIPPENBERG, Lokale Religionsgeschichte, 1995, 16 f. Ein Beispiel für eine solche antike regionale Religionsgeschichte des westlichen Imperium Romanum ist etwa die Arbeit von AMES, Untersuchungen zu den Religionen in der Baetica in römischer Zeit, 1998. Sie geht der Frage nach, wie eine Provinz sich, reli gionswissenschaftlich betrachtet, als Region zwischen den vom Zentrum ausgehenden Einflüssen und den eigenen, aus ihrer geographisch-historischen Lage und ihren kultu rellen Substraten herrührenden Kräften, verhält und entwickelt. 80 RÜPKE, Antike Großstadtreligion, 1999. 79
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BEARD, NORTH, PRICE, Religions of Rome, 1998, XL
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vom 1. bis 4. Jh. n. Chr. untersucht82. Eine regionale Religionsgeschichte in größerem Umfang ist die Arbeit von Lepelley zu Nordafrika83. Er hat civitas für civitas das epigraphische Material der Spätantike analysiert und literarischen Berichten über die Christianisierung gegenübergestellt. Eine der neueren Arbeiten zu /?o//s-Religionen stammt von Parke. Er behandelt Athen bzw. die athenische Religion. Es geht vorrangig um die öffentlichen Kulte der Stadt bzw. die Entstehung des athenischen Pan theons und der athenischen Feste, ohne dass der Autor begründet, weshalb seine Darstellung mit dem 3. Jh. v. Chr. endet, d. h. die hellenistische Zeit kaum und die römische Zeit gar nicht bearbeitet84. Zu den frühen Arbeiten über die griechische Stadtreligion gehört der Aufsatz La ville dans la pensee religieuse hellenique (publiziert 1983), in dem J. Rudhardt die Stadt als religiöses Zentrum beschrieb und damit die bis dato begrenzte Deutung der Stadt als vor allem politisches Zentrum öffnen wollte. Er befasste sich in diesem Zusammenhang mit griechischen Stadtgründungsmythen, die er mit Stadtgründungsmythen aus dem Nahen Osten (Mesopotamien, Judäa) ver glich. Zu den kultischen Aspekten der griechischen Kolonisation im Westen erschien 1987 eine Monographie von I. Malkin, Religion and Colonization in Ancient Greece, in der der Autor die Gründungstopographie einzelner westgriechischer Städte rekonstruierte; außerdem behandelt er als eigene Themenkreise die Auswahl der in die Kolonien aus Griechenland expor tierten Kulte sowie die Kulte der jeweiligen Gründer (dazu auch 1984 W. Leschhorn, Gründer der Stadt). Ebenfalls in den 80er Jahren publizierte F. de Polignac einen Aufsatz mit dem Titel Argos entre centre et peripherie: Vespace cultuel de la cite grecque (1985), in dem er die kultische Integra tion des Territoriums (Peripherie) in das politische Zentrum durch Prozes sionen beschreibt. Stadtreligion als Kompensation für politische Entmün digung zur Zeit des Hellenismus ist das Thema einer weiteren Arbeit aus dem Bereich der griechischen Religionsgeschichte der Stadt von A. Swiderek (1990),85 in der sie sich kritisch mit Festugieres These über den von
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BAKKER, Living and working with the gods, 1994. LEPELLEY, Les cites de l'Afrique romaine au Bas-Empire, 2 Bde., 1979-1981. 84 PARKE, Athenian Religion, 1996. 85 La cite grecque et l'evolution de la mentalite religieuse dans les premiers temps de l'epoque hellenistique. 83
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1 Methodenprobleme
ihm angenommenen BedeutungsVerlust städtischer Religion auseinander gesetzt hat. 7.5.2 Völker/Gentes Neben civitas und polis erscheinen in den literarischen und Rechtstexten in erster Linie die Religionen von Völkern bzw. gentes. Gentes wurden als religiöse Gruppen wahrgenommen und infolgedessen Gegenstand oder Ziel administrativen und rechtlichen Handelns der Römer, soweit dies aus Gründen politisch-sozialer und/oder kultureller Normsetzung sowie Systemsfabilisierung geboten schien. 1.5.2.1 Juden Juden sowie Juden mit römischem Bürgerrecht nehmen seit spätestens dem 1. Jh. n. Chr. - mit einem Kulminationspunkt bezüglich der Regelungs dichte in der Spätantike - eine Ausnahmerolle unter denjenigen Völkern ein, die von den Römern administrativ in ihren Herrschaftsbereich einge gliedert waren. Der Umgang mit und die Einstellung zu den Juden in der Antike ist und wird weiterhin ausführlich in der Forschung erörtert86. Es ist von daher hier weder intendiert noch möglich, neue Aspekte der jüdisch römischen Beziehungen darzustellen. Aufgrund ihrer prominenten Stellung in antiken Texten und der Sekundärliteratur können sie hier jedoch nicht außerhalb der Betrachtung bleiben. Innerhalb der literarischen Überlieferung bezüglich der Wahrnehmung der Religion der Juden durch antike Autoren sind zwei Aspekte dominant: 1. Ein im Vergleich sowohl zu unserem heutigen als auch in der Antike theoretisch möglichen Wissensstand auffalliges Missverständnis grundle gender Bereiche des jüdischen Kultus. 2. Die u. a. durch solche Missver ständnisse bedingte, weitgehend negative Wertung der jüdischen Religion. Von den römischen Autoren schrieb zuerst Tacitus ausführlich über die Religion der Juden. Anders als beispielsweise bei dem Griechen Strabo lag hier jedoch kein enzyklopädisch-geographisch bedingtes Interesse vor, vielmehr hatte die Darstellung des Tacitus den Krieg von 66-70 n. Chr. als Hintergrund. Gekennzeichnet ist die Schilderung durch das Bild einer, nach antiken Maßstäben, Anti-Religion, die in der Feststellung kulminiert, dass bei ihnen alles profan sei, was bei den Römern heilig ist und anderer86
U. a. NOETHLICHS, Das Judentum und der römische Staat, 1996, als religiöse Minorität im Imperium Romanum.
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seits bei ihnen als erlaubt gelte, was die Römer als unrein ansähen (profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta: hist. 5,4,1). Tacitus kam zu diesem Verdikt, nachdem er Muster einer religiösen Degeneration festgestellt zu haben glaubte: Dass Moses neue Riten einführte, die im Gegensatz zu denen aller anderen Sterblichen standen, gehörte für ihn ebenso dazu wie die in seiner Dar stellung bewusste Abkehr von der ägyptischen Religion, die u. a. darin bestanden habe, dass man den Stier, den die Ägypter besonders verehrten, zum Opfertier auserkor (Tacitus, hist. 5,4,2); anders als die anderen be kannten Völker besäßen die Juden in ihren Städten weder Kultbilder (simulacra) noch Tempel (Tacitus, hist. 5,4,4)87. Vor dem Hintergrund des bereits vor Tacitus verbreiteten ausgespro chen negativen Image der Juden88 sind die Vertreibungen von Juden namentlich aus Rom unter Tiberius und Claudius zu sehen (Sueton, Tiberius 36; Claudius 4). In der nachmaligen römischen Provinz Judäa war das Zentrum des jüdischen Kultus, der Tempel in Jerusalem, von Titus im jü disch-römischen Krieg zerstört worden. Was danach noch an jüdischer Religionsausübung möglich war, wurde von den Römern wohl lediglich in Kauf genommen. Die späteren rechtlichen Regelungen hinsichtlich der Juden sind daher von Garnsey zu Recht nicht als Privilegierung qualifiziert worden, sondern als Konzessionen einer von politischem Kalkül geleiteten Herrschaftspolitik der Römer89. Für diese Politik exemplarisch ist eine Textstelle des Juristen Paulus (Sententiae 5,22,3-4). Er schreibt, dass römi schen Bürgern, die sich und ihre Sklaven nach jüdischem Ritus beschnei den ließen (d. h. Proselyten waren), die Deportation, den Juden, wenn sie ihre Sklaven anderer Nationalität beschneiden ließen, entweder die De portation oder sogar die Todesstrafe drohte; lediglich den geborenen Juden war die Beschneidung nicht untersagt. Diese Form der Duldung dürfte auf dem angesprochenen politischen Kalkül beruhen: Anders als bei den ersten nicht-jüdischen Christen, handelte es sich bei den Juden um eine ethnische Gruppe, von der jederzeit politische Unruhen ausgehen konnten, wie sich 87
Vgl. auch die Übersicht bei NOETHLICHS, Das Judentum und der römische Staat, 1996, 44 ff. 88 BALTRUSCH, Die Juden und das römische Reich, 2002, 123 hat daraufhingewiesen, dass bereits in der Oratio pro Flacco Cieros die jüdische Religion in Jerusalem als weit gehend inkompatibel mit dem »Glanz und der Dignität des Imperiums« angesehen wurde. 89 GARNSEY, Religious Toleration in Classical Antiquity, 1984, 10 f.
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1 Methodenprobleme
nach dem jüdisch-römischen Krieg im 1. Jh. n. Chr. und erneut im 2. Jh. n. Chr. für die Römer gezeigt hatte, als Hadrian in der von ihm auf dem Ter ritorium von Jerusalem gegründeten Kolonie Aelia Capitolinia einen Iupitertempel erbauen ließ: »Dieses Vorhaben führte zu einem Krieg von keiner geringen Bedeutung noch kurzer Dauer, da es die Juden für unan nehmbar hielten, dass Fremde in ihrer Stadt angesiedelt, und dazu fremde Kulte eingeführt werden sollten« (Cassius Dio 69,12,1-2). Ebenso wenig waren nach Auffassung der nicht-jüdischen Schriftsteller die Juden, die nicht in Judäa, sondern in der Diaspora lebten, zu einer kulturellen Integ ration fähig: Sie sonderten sich durch die Exklusivität ihrer Religion nicht nur von allen übrigen gentes ab, sondern bekehrten andere »zu ihrem Volk«90. Greifbar wird die den Juden unterstellte »mangelnde Integrationsbereit schaft und -fähigkeit« außerhalb Judäas prominent auf der Polis- respek tive Stadtebene. Wie Baltrusch in seiner jüngst erschienen Arbeit heraus gestellt hat91, übten Städte einen zweifachen Einfluss auf das Judentum selbst aus: Einerseits als Sitz von Diasporagemeinden, andererseits als »Fremdkörper« im Umkreis Judäas. In den aus jüdischer Sicht Diaspora gemeinden bildeten sie in hellenistischer und römischer Zeit eigene Politeuma, erhielten also in der Regel nicht das Bürgerrecht der Stadt, in der sie lebten92. Trotz einer angestrebten gesellschaftlichen Assimilation (u. a. Besuch von Fest- und Spielveranstaltungen, Hochzeit mit Nicht-Juden, Übernahme griechischer Umgangsformen) war damit eine komplette Integ ration ausgeschlossen und führte vielfach zu Konflikten zwischen jüdi scher Gemeinde und ihrem Sitz. Neben den weiter oben genannten Belegen für Rom93 ist das ägyptische Alexandria ein gut untersuchtes Beispiel für das - zumeist vergebliche - Ringen um »Systemkonformität« auf allen Seiten: So versuchten die Römer in der frühen Kaiserzeit die schwelenden und dann offen ausgebrochenen Konflikte zwischen der griechischen und jüdischen Bevölkerung zunächst zu neutralisieren. Dies, entgegen des Ver90
NOETHLICHS, Das Judentum und der römische Staat, 1996, 67, mit Belegen. BALTRUSCH, Die Juden und das römische Reich, 2002, 49 ff. 92 Für Alexandria vgl. auch MARKSCHIES, 1992, Valentinus Gnosticus? Untersuchun gen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, 319 f. 93 Zu Kyrene HAAS, Alexandria in Late Antiquity, 1997, 99 ff. und BALTRUSCH, Die Juden und das römische Reich, 2002, 120 f.; zu Rom Ders., ebenda 116 f. 91
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dachtes der griechischen Bevölkerung, nicht im Sinne einer Parteinahme, sondern der Beilegung einer stadtinternen stasis, welche als ordnungspoli tische Gefahr für eine Region wahrgenommen wurde, für deren Sicherheit und Ruhe die römische Herrschaft und Verwaltung nunmehr verantwort lich zeichnete94. Auf der polisinternen Ebene war einer der Auslöser für den Konflikt zwischen Griechen und Juden in Alexandria der Verdacht der Griechen, »die nicht poliskonformen patrioi nomoi der Juden.« 95 Neben tätlichen Angriffen sowohl auf Personen als besonders auch auf Kultge bäude des jeweiligen Gegners96 wurde die Auseinandersetzung um die >Kulturhoheit< in der Stadt auf beiden Seiten überdies auf der intellektuel len Ebene ausgefochten: Hier ist besonders die Produktion von Literatur zu nennen, die die Diskreditierung der Juden in Alexandria und Ägypten durch anti-jüdische Geschichtsschreibung (oder andere Formen der Pole mik) zum Ziel hatte sowie umgekehrt Apologien und Gegenentwürfe durch jüdische Gelehrte provozierte (v.a. Philo von Alexandrien)97 . Den Abschluss des Konfliktes bildete bekanntlich die Revolte 115 n. Chr. mit ei ner Emigrationswelle von alexandrinischen Juden nach Palästina, nachdem zuvor viele bei den Kämpfen umgekommen waren. Zwar existierte auch über das 2. Jh. n. Chr. hinaus weiterhin eine oder mehrere jüdische Ge meinden in Alexandria, doch war der Anteil an der Gesamtbevölkerung so gering geworden - man hatte sie überdies außerhalb der Stadtmauern ange siedelt - , dass sie fortan keine zu früheren Zeiten annähernd vergleichbare Rolle mehr im städtischen Leben spielten98. Und dies nicht nur in Alexand ria, sondern auch anderen Städten des römischen Herrschaftsbereiches, in denen vor den Aufständen zwischen 115 und 117 n. Chr. namhafte jüdi sche Bevölkerungsanteile existierten, wie besonders in Kyrene.
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So BALTRUSCH, Die Juden und das römische Reich, 2002, 121 f. BALTRUSCH, Die Juden und das römische Reich, 2002, 122. 96 HAAS, Alexandria in Late Antiquity, 1997, 101. 97 Zu den auf dem Boden von Schriften ausgetragenen griechisch-jüdischen Auseinandersetzungen in Alexandria im 1 Jh. n. Chr. ausführlich DAWSON, Allegorical Readers and Cultural Revision in Ancient Alexandria, 1992, 113 ff. 98 HAAS, Alexandria in Late Antiquity, 1997, 102; MARKSCHIES, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Frag menten Valentins, 1992, 320. 95
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1.5.2.2 Ägypten Ägyptische Religion und aus Ägypten importierte Kulte sind ein ebenfalls in der Forschung breit diskutiertes Thema, dem hier wie im Fall der For schungen zur jüdischen Religion in der Antike nichts neues hinzugefügt werden kann. Die Berichte und damit verbundenen Wertungen antiker Autoren der Religion der Ägypter sind, anders als bei den Juden, disparat. Das Spektrum reicht von enthusiastischer Bewunderung für beispiellose Frömmigkeit und Ehrfurcht vor dem Alter der kultischen Einrichtungen (Herodot 2,58; Isokrates, Busiris 24 f.; 28; Macrobius, Saturnalien 1,7,14) über eine eher nüchterne, um die Erklärung der Kuriosität des Tierkultes bemühte Darstellung (Strabo 17,1,22), bis hin zu dessen offener Ableh nung (Lukian, de sacrificiis 14). Dieses Bild findet seinen Niederschlag in einer uneinheitlichen und z. T. widersprüchlichen Behandlung der ägyptischen Religion durch und in Rom selbst: Erwähnungen der ägyptischen Religion durch römische oder der römischen Sicht verpflichtete Autoren, wie Sueton oder Cassius Dio, betreffen in der Regel die Schilderung konkreter Ereignisse wie z.B. den Beschluss der öffentlichen Rezeption des Isiskultes in Rom (Cassius Dio 47,15,4) oder die Vertreibung von Personen aus Rom, die »Zeremonien nach ägyptischem Ritus« als Privatleute ausgeübt hatten (Sueton, Tiberius 36; Tacitus, ann. 2,85). Nur wenige Jahre zuvor hatte Augustus die Er richtung von Privatheiligtümern innerhalb des Pomeriums verboten (Cassi us Dio 53,2,4), seiner persönlichen Ablehnung des ägyptischen Tierkultes verlieh er Ausdruck, indem er sich bei seinem Aufenthalt in Ägypten mit dem Hinweis darauf weigerte, den heiligen Stier Apis zu sehen, dass er es »gewohnt sei, Götter zu verehren, aber kein Vieh« (Cassius Dio 51,16,5). Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass die Vorstellungen der Rö mer von ägyptischer Religion - und dies ist durchaus eine Parallele zu den Kenntnissen über die jüdische Religion - eher diffus waren. Im Unter schied zur jüdischen schien die ägyptische Religion jedoch durch die Hellenisierung bzw. Romanisierung einzelner Kulte, besonders der Isis und des Sarapis, akzeptabel für die Römer zu sein: Wie Merkelbach in seiner Monographie Isis regina - Zeus Sarapis gezeigt hat, wurde die kaiserzeit liche Isis- und Sarapisreligion, anders als die jüdische, als »unpolitisch« angesehen". Die Teilnahme an ägyptischen Kulten in Rom und griechiMERKELBACH, Isis regina - Zeus Sarapis, 1995, 306.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
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sehen Städten beruhte auf der freien Wahl des einzelnen, wenn nicht sogar Städte die Kulte offiziell adaptierten und in diesem Zuge als eigene assi milierten (vgl. Pausanias zu Tithorea: 10,32,13-18). Zur Ausübung des Kultes waren in der Kaiserzeit außerhalb Ägyptens weder im privaten noch öffentlichen Kontext die Anwesenheit von Ägyptern erforderlich100, ledig lich Kenntnisse im Zusammenhang mit der Kultpraxis, die überdies lokal variierte. Zu einer auf die ethnische Gruppe Ägypter bezogenen Politik kam es infolgedessen nicht, zumal Elemente der ägyptische Religion nicht durch Ägypter selbst den Weg in die griechischen und römischen Städte gefunden hatten, sondern von Bürgern der entsprechenden Städte impor tiert worden waren. Anders als bei der jüdischen Religion wurde zwischen Kulten in Ägypten und Kulten aus Ägypten differenziert. 1.5.2.3 Sonstige Ethnien Der Niederschlag und damit die Beachtung, die Religionen anderer ethni scher Gruppen in den literarischen Quellen gefunden haben, ist im Ver gleich zu Judäa und Ägypten wesentlich geringer. Im Falle literarischer Erwähnungen handelt es sich um Gruppen, deren einziges gemeinsames Merkmal ist, dass sie keine Mittelmeeranrainer waren und infolgedessen vor allem im Zuge der Romanisation (Hellenisierung) der Randgebiete des heutigen Europa zur Kenntnis genommen wurden. Dort, wo griechische und auch römische Autoren über die Religion die ser ethnischen Gruppen schreiben, bleiben die Beschreibungen der Autoren entweder den Topoi des Exotismus (Strabo 3,3,5: Lusitaner; 3,4,16: Keltiberer; Macrobius, Sat. 1,19,5: Accitani) oder des >Barbarentums< (Lucian, de sacrifieiis 13: Skythen; Cicero, de divinatione 1,1,2; Tertullian, apol. 9,2 ed. Becker) verhaftet oder sind, wenn einzelne Schriftsteller doch ein mal aus persönlichem Interesse oder Erfahrung detailliertere Auskünfte geben, durch Projektionen eigener religiöser Erfahrungsschemata termi nologisch verunklart, wie z.B. bei Caesar (bell. Gall. 6,13). Er bediente sich der lateinischen, d. h. römischen Terminologie und projizierte damit zugleich römische Rechtsvorstellungen von Religion, die er bei den Gal liern wiedererkannt zu haben glaubte101. 100
Vgl. WITT, Isis in the Ancient World, 1997, 96 für die athenischen adeligen Isispriester. 101 Sed de his duobus generibus alterum est druidum, alterum equitum. Uli rebus divinis intersunt, sacrificia publica ac privata procurant, religiones interpretantur: ad hos
1 Methodenprobleme
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Schwierig zu interpretieren sind vor diesem Hintergrund die Aussagen des Sueton, Claudius habe die Religion der Druiden den römischen Bür gern verboten (Sueton, Claudius 5) oder des Strabo, der als einen positiven Effekt der römischen Herrschaft über die gallischen Kelten angibt, die Römer hätten sie der Menschenopfer und der Divination an menschlichen Körpern »entwöhnt« (Strabo 4,4,5). Hinzuweisen ist in diesem Zusam menhang auch auf Tacitus, Agricola 21,1 zur Urbanisierung eines Teiles der britannischen Stämme: namque ut homines dipersi ac rüdes eoque in bella faciles quieti et otio per voluptates adsuescerent, hortari privatim, adiuvare publice, utfora templa delubra extruerent .... Die Kultorganisa tion nach dem Vorbild Roms wurde demnach als Teil einer Zivilisations form begriffen. Hinzuweisen ist ferner auf migrierende religiöse Spezialisten besonde rer Herkunft, die Divination betrieben. Je nach Status werden sie entweder als Experten, d. h. im Rahmen der staatlich sanktionierten Einbindung bei besonderen Anlässen hinzugezogen oder aber in den Fällen, wo sie als nicht offiziell legitimierte Anbieter für Privatpersonen auftreten, vom städtischen Territorium vertrieben. Neben den oben bereits erwähnten Ausweisungen von Juden und der Zerstörung privater ägyptischer Kult stätten sind hier besonders die im privaten Rahmen agierenden Wahrsager aus Etrurien (haruspices, harioli)102 sowie die sogenannten Chaldäer zu nennen. Nach antiker Auffassung (so z.B. Diodorus Siculus 2,29,2-4) han-
magnus adulescentium numerus disclipinae causa concurrit, magnoque hi sunt apud eos honore. (...) si qui aut privato aut populus eorum decreto non stetit, sacrificiis interdicunt. Haec poena apud eos est gravissima. (...) Hi certo anni tempore in finibus Carnutum, quae regio totius Galliae media habetur, considunt in loco consecrato. Ganz ähnlich etwa auch Tacitus, Germania 9: Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare fas habent; Herculern et Martern concessis animalibus placant. pars Sueborum et Isidi sacriflcat. (...) ceterum nee cohibere parietibus deos neque in ullam humani oris speciem assimulare ex magnitudine caelestium arbitrantur; lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident. (10) Auspicia sortesque ut qui maxime observant. (...) mox, si publice consultetur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater familiae precatus deos caelumque suspiciens ter singulos tollit, sublatos secundum impressam ante notam interpretatur. 102
Vgl. FRATEANTONIO, S.V. Haruspices IL, DNP 5, 1998, 167-168; Dies., s.v. Harioli,
D N P 5 , 1998,
158.
1.5 Soziale und administrative Morphologie antiker Religionen
47
delte es sich um Angehörige einer in Babylon ansässigen Priesterkaste, die dort mit staatlichen bzw. offiziellen Divinationsakten, besonders der Astrologie, betraut gewesen sein sollen. Der Ursprung dieser Priesterkaste aus dem Volk der Chaldaioi ist historisch nicht zweifelsfrei rekonstruier bar. Valerius Maximus (1,3,3) berichtet von einer ersten durch den Senat veranlassten Vertreibung von Chaldäern aus Rom im Jahr 139 v. Chr. Auf grund der literarischen Bezeugungen ist schwer zu entscheiden, ob der Begriff Chaldäer Synonym für tatsächlich aus Babylon stammende Spezia listen der Divination oder von dem ethnisch-geographischen Bezug losge löst und damit eher Synonym für >Magier< oder >Zauberer< war. Die Kon texte, in denen Chaldäer in lateinischen Texten erscheinen, implizieren stets die Ausübung staatsgefährdender privater bzw. verbotener Divination (z. B. Tacitus, ann. 2,27; 12,22; Cod. Theod. 9,16,4).
2 Formen öffentlicher städtischer Religionen in römischer Perspektive Die religiöse Autonomie der Städte im Imperium Romanum ist Folge der institutionellen Kontinuität der traditionellen antiken städtischen Religion: In den Schriften der antiken Autoren wird deutlich, dass der Prozess der römischen Herrschaftsausweitung zu den Konsequenzen in Beziehung ge setzt wurde, die diese Expansion auf die Kulte der a) politisch abhängigen, b) verbündeten und freien oder c) unterworfenen Gemeinden haben konnte. Es handelt sich dabei im wesentlichen um eine terminologische Abgren zung der stadtrömischen Kulte von den nicht-römischen, deren Grundlage von den antiken Autoren in der territorialen Bindung der einzelnen Stadt religionen gesehen wurde. Rom wurde weder zum sakralen Mittelpunkt noch kultischem Zentrum des Reiches. Die Gründe hierfür sind von römi scher Seite in der terminologisch greifbaren Abgrenzung der römischen Kulte von anderen zu sehen, der eine territoriale Bindung und Begrenzung der Kulte auf den Bereich der urbs entsprach: Die sacra publica populi Romani setzte man in ihrer Entstehung mit der Gründung der Stadt Rom als Einrichtung der öffentlichen Kulte an. Auf der Ebene der Territorialität ist von einer Kontinuität der stadtrömischen Religion bis in das 4. Jh. n. Chr. auszugehen. Der Kultbestand {sacra publica) wurde nur nach innen, d. h. innerhalb der Stadt erweitert. Rom nahm weder formal noch faktisch andere Städte religiös bzw. kultisch in die eigenen Grenzen auf noch wurde eine territoriale Ausdehnung der stadtrömischen Kulte vollzogen. Komplementär zum Begriff ihrer sacra publica populi Romani setzten die Römer die Existenz von sacra publica für andere Städte voraus bzw. gingen davon aus, dass andere Städte öffentliche Kulte besaßen. In welcher Weise diesen Verhältnissen auf der administrativ-juristischen Ebene Rech nung getragen wurde, deutet sich bereits in republikanischer Zeit in der Behandlung der italischen Gemeinden an. Die hier von den Römern gefun denen Herrschaftsprinzipien wurden später weitgehend auch auf die Städte in den Provinzen angewandt. Eine religiöse Ausnahmerolle besaßen ledig-
2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
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lieh die latinischen Gemeinden, mit denen die Römer gemeinsame Bun desheiligtümer hatten und für die z. T. eigene römische bzw. sogenannte latinische Priestertümer eingerichtet wurden, die man gelegentlich auch mit Provinzialen besetzte. In Analogie zum politischen Status, den Rom anderen Städten zubil ligte, lassen sich, bezogen auf die verschiedenen Stadtstatus, gruppenspezi fische Gemeinsamkeiten feststellen, wie Rom die sacra publica anderer Gemeinden einstufte: Die Heiligtümer verbündeter und freier Städte ge nossen offenbar von Anfang an einen besonderen Rechtsschutz: Römische Amtsinhaber etwa sollten aus den Heiligtümern keine Kultbilder und Bau teile wegnehmen. Die Heiligtümer blieben grundsätzlich weiter unter Auf sicht und Kontrolle der Stadt; römische Herrschaft lässt sich im Rahmen der städtischen Religion nur soweit dokumentieren, als vor allem die Kai ser entweder in den Rahmen des städtischen Kultes integriert wurden oder aber selbst städtische Heiligtümer begünstigten. Die sacra publica unterworfener Städte konnten de iure (Kriegsrecht) ohne weiteres von römischen Militärs ausgeraubt oder zerstört werden. Die Auflösung einer Gemeinde hatte normalerweise auch das Ende der Nut zung der Kultstätten zur Folge. Wenn eine Stadt sich jedoch vor der Erobe rung bzw. Unterwerfung zur Übergabe (deditio) entschloss, konnte sie mit der Restituierung oder Verschonung der Heiligtümer rechnen, die explizit Teil der Übergabeformel waren. Öffentliche Kulte (sacra publica) waren von Kriegshandlungen unmittelbar betroffen, indem etwa Kriegsmaschinen auf öffentliche Sakralbauten gleich wie auf andere wichtige öffentliche repräsentative Bauten der Stadt gerichtet wurden. In Kolonien als neu gegründeten Städten siedelten die Römer eigen ständige (nicht politisch unabhängige) populi an, die eigene sacra publica erhielten. Hierfür ist die Verfassung von Urso ein wichtiges Dokument; die Verfassung kann darüber hinaus nicht in ihren Einzelheiten, d. h. vor allem in der Auswahl der Kulte und Priestertümer und der Platzierung der öf fentlichen Heiligtümer, auf alle römischen Kolonien übertragen werden. Koloniegründungen erfolgten nur sehr selten auf einer kulturellen tabula rasa wie das nordafrikanische Timgad, wo man >kleine Kopien< Roms hätte bauen können - was im übrigen dort nicht geschah. Die Römer grün deten gelegentlich Kolonien in bereits gebauten Städten, bereits dort vor handene Kultbauten konnten so durchaus eine Rolle bei der Auswahl der Gottheiten der neuen Stadt spielen.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
Das gemeinsame Merkmal der sacra publica von Municipien und Titularkolonien (Stämme, Siedlungen oder Städte) ist in erster Linie, dass vor handene Kulte ä la romaine organisiert wurden. Diese Stadttypen weisen ansonsten untereinander eine außerordentliche Varianz auf: Bei älteren und etablierten Städten, denen lediglich ein Titel verliehen wurde, war es nicht erforderlich, öffentliche Kulte zu gründen, in anderen Fällen, wie z.B. bei den Treverern oder Allobrogern, die in präurbanen Siedlungsformen leb ten, führte hingegen die Verleihung des Titels eines Municipiums oder einer Kolonie überhaupt erst zur Stadtwerdung (materialiter) und damit zur Einrichtung öffentlicher städtischer Kulte und Kultbauten. Die erhalte nen Fragmente von Municipalverfassungen sind wegen dieser Unter schiede nur bedingt auf andere oder gar alle anderen Gemeinden mit diesem Status zu übertragen. Grundsätzlich sagen sie nur konkretes über die Finanzierung der öffentlichen Religion aus (Kulte, Opfer, Spiele, Mahlzeiten).
2.1 Sacra publica populi Romani Die Bezeichnung sacra publica populi Romani ist der lateinische zusam mengesetzte und seit republikanischer Zeit verwendete Begriff für die Ge samtheit der öffentlichen römischen Kulte Roms. Es handelt sich um einen komplexen Terminus, dessen Übersetzung ins Deutsche oder eine andere europäische Sprache kaum möglich ist: Sacrum umfasste, vor allem in Verbindung mit verschiedenen Verben, ein Bedeutungsfeld der römischen Religion, dessen Kohärenz durch nichtlateinische Worte zwangsläufig verloren gehen müsste. Die Bedeutung von sacra/sacrum insgesamt war grundsätzlich religiös bzw. kultisch, im Falle des Zusatzes publica/publicum zudem juristisch konnotiert1. Die öffentlich-rechtlichen Implikationen der sacra publica populi Romani werden im folgenden im Zentrum der Darstellung stehen: Sie fungierten später als Modell für die Diffusion römischen Sakralrechtes in den Provinzen. Neben den juristischen Aspekten wurde sacra bzw. sacrum im sonsti gen Sprachgebrauch im Sinn von opfern, als sacra facere, sacra celebrare 1
Zu den begrifflichen Konnotationen der sacra privata SlRKS, Sacra, Succession and the lex Voconia, 1994.
2.1 Sacra publica populi Romani
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gebraucht (vgl auch Varro, Antiquitates rer. div. 1,9 (31): quos deos publice sacra ac sacrificia colere et facere quemque par sit; HA, Pescennius Niger 6,7: sacra quaedam in Gallia ... consensu publico celebranda; Livius 1,20,1: sacra obibat), zur Bezeichnung von Kulten, so z.B. sacra Isidis für den Isis-Kult und besondere Gottesdienste sowie seclusa sacra für Mysterien-Kulte (HA, Antoninus Caracalla 9,10: sacra Isidis Romam deportavit; Festus, p.466: seclusa sacra dicebantur, quae Graeci mysteria appellant; Sueton, 6,34,4 (div. Nero): Graeciae et Eleusinis sacris ... Interesse non ausus est; HA, Antoninus Elagabalus 7,1: Matris etiam deum sacra accepit et tauroboliatus est). In Inschriften erscheint sacra/sacrum häufig als Zusatz zum Gottesnamen und zur Benennung des Heiligtums (Tempel, Altar oder Bild/Statue: ILS 6805: Neptuno Aug. sacr. seniores et plebs Titulit. aere conlato fontem (Sicca Veneria, NO-Afrika); ILS 6808: Aug. sacrumpro salute imp. Caes. divi M. Antonini Pii Germ. Sarm.ßl., ... s(ta)tuam ex HS IUI mil. ... posuit, Henschir Debbik, Nordafrika; ILS 6847: Fortunae Aug. sacr. dedicante L. Novio Crispino leg. Aug. pr. pr. C. Antonius C. f. col. Alexander Antiochia, curiae Hadrianae felici veteranorum (leg. III) Aug., ob honorem flaminat. perpet. quod se in absentem contuler. promissa statua ex HS IUI m.n. ampliata pecunia fecit, Lambaesis, Nordafrika). Die Vielschichtigkeit des sacra-Begriffs zeigt sich auch in dem zusammengesetzten Begriff sacra publica populi Romani: In der Tabula Heracleensis sind damit sowohl die römischen Kultstätten- und handlungen als auch die zugehörigen Prozessionen gemeint (FIRA I Nr. 13, Z. 62-63); Bei Cicero (de harusp. resp. 6,12) und Festus (p. 245) be deutet sacra publica staatliche, d. h. öffentliche Opfer pro salute populi Romani. 2.1.1 Konstituierung Im römischen Recht wurde zwischen privaten und öffentlichen res sacrae differenziert, der eine Unterscheidung von öffentlichem und privatem Kult zugrunde lag. Dies war allerdings keine Besonderheit der römischen Kulte, sondern war allen Stadtstaaten des griechisch-römischen Kulturkreises eigen. Zur Schaffung eines öffentlichen Kultes (sacrum publicum) nach römischem Sakralrecht gab es das Verfahren der Weihung unter Beteili gung eines Magistraten cum imperio und eines pontifex. Der älteste Beleg des römischen Rechtsaktes des in sacrum dedicare ist durch ein Fragment des Kommentars des Juristen Gaius zu den Zwölftafelgesetzen überliefert
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
(Dig. 44,6,3 = Crawford Bd. 2, 720): »Die in Streit befangene Sache dür fen wir nach dem Zwölftafelgesetz nicht für gottesdienstliche Zwecke wei hen, sonst erleiden wir die Strafe des doppelten Wertersatzes. Doch findet sich nichts darüber ausgedrückt, ob dieses Doppel der Staatskasse oder dem Gegner zu leisten ist.«2 Gegenstände einer Dedikation bzw. Konsekration waren »Gebäude, Altäre, Götterbildnisse, Grundstücke, Geld sowie anderes, was einer Gott heit konsekriert werden kann« (Festus p. 321). Eine der für das Privatrecht erheblichen rechtlichen Konsequenzen einer offiziellen Konsekration in der Zeit des sogenannten Klassischen Juristenrechts war, dass zum sacrum geweihte Sachen nicht stipuliert werden konnten (Dig. 45,1,83 (5) Paulus: sacram vel religiosam rem vel usibus publicis in perpetuum relictam (ut forum aut basilicam) aut hominem liberum inutiliter stipulor; Dig. 45,1,91 (1) Paulus: Sed si sit rem in rebus humanis, sed dari non possit, utfundus religiosusputa vel sacerfactus ... culpa in hunc modum diiudicantur, ut, si quidem ipsius promissoris res vel tempore stipulationis vel postea fuerit et quid eorum acciderit, nihilo minus teneatur, idemque fiat et si per alium, posteaquam ab hoc alienatus sit, id contigerit. Dig. 45,1,137 (6) Venuleius: cum quis sub hac condicione stipulatio sit, si rem sacram aut religiosum Titius vendiderit vel forum aut basilicam et huiusmodi res, quae publicis usibus in perpetuum relictae sunt; ubi omnino condicio iure impleri non potest vel id facere ei non lieeat, nullius momenti fore stipulationem, proinde ac si ea condicio, quae natura impossibilis est, inserta esset). Ebenso war der Verkauf ausgeschlossen, was besonders für Grundstücke galt, da sie sich nicht nur außerhalb des öffentlichen, sondern auch des privaten Rechtes befanden, d. h. als im Besitz der Götter stehend angesehen wurden. (Dig. 18,1,6 Pomponius: Sed Celsus filius ait hominum liberum scientem te emere non posse nee cuiuscumque rei si scias alienationem esse: ut sacra et religiosa loca aut quorum commercium non sit, ut publica, quae non in pecunia populi, sed in publico usu habeantur, ut est Campius Martius; Dig. 18,1,22 Ulpianus: Hanc legem venditionis >si quid sacri vel religiosi est, eius nihil veniU, supervacuam non esse, sed ad mo2 Rem de qua controversia estprohibemur in sacrum dedicare: alioquin duplipoenam patimur, nee immerito, ne lieeat eo modo duriorem adversarii eondieionem facere. Sed duplum utrum fisco an adversario praestandum sit, nihil exprimitur: fortassis autem magis adversario, ut id veluti solacium habeat pro eo, quodpotentiori adversario traditus est.
2.1 Sacra publica populi Romani
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dica loca pertinere. ceterum si omne religiosum vel sacrum vel publicum veniret, nullam esse emptionem; vgl. auch 18,1,4; 18,1,24;18,1,51;18,1,62 (1) Modestinus: Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet emptio non teneat, ex empto tarnen adversus venditorem experietur, ut consequator quod interfuit eius, ne deciperetur\ vgl. außerdem Dig. 18,1,72(1)). Götter waren keine Rechtspersonen strictu sensu, denn sie unterzeich neten keine Verträge oder dergleichen. Deshalb handelte es sich bei der Dedikation oder Konsekration stets um einen einseitigen Rechtsakt aus menschlicher Sicht, der zur Folge hatte, dass die konsekrierten Gegenstän de oder Immobilien einen eigenen Rechtskomplex bildeten (Quintilian, Inst. orat. 2,4,34: nam et genera sunt tria, sacri, publici privati iuris; Macrobius, Sat. 3,3,2: sacrum est, ut Trebatius libro primo de religionibus refert, quicquid est quod deorum habetur). Der Rechtsakt der Dedikation/Konsekration - beide Begriffe wurden synonym gebraucht3 - musste öffentlich sein, damit die juristischen Folgen eintraten: »Heilige Sachen sind solche, welche öffentlich und nicht privat heilig gesprochen worden sind; wenn sich also jemand privat etwas ge weiht hat, so ist das nicht heilig, sondern profan« (Dig. 1,8,6 (3) Marcianus: Sacrae autem res sunt hae, quae publice consecratae sunt, non private: si quis ergo privatim sibi constituerit sacrum, sacrum non est, sed profanum. Vgl. auch Festus, p. 321: Gallus Aelius ait sacrum esse, quocumque modo atque instituto civitatis consecratum sit, sive aedis, sive ara, sive Signum, sive locus, sive pecunia, sive quid aliud, quod dis dedicatum
3
WlSSOWA, Religion und Kultus, 385, hat als ein mögliches Unterscheidungskrite rium genannt, dass Konsekrationen immer öffentliche Akte gewesen seien, während Dedikationen sowohl private als auch öffentliche Weihungen sein konnten; vgl. auch Ders., s.v. Consecratio, RE 4, 899. MUTEL, Reflexions sur quelques aspects de la condition juridique des temples en droit romain classique, 1971, hat versucht nachzuweisen, dass hinter beiden Begriffen ursprünglich verschiedene juristische Konzepte standen, deren Unterschied sich vor allem darin zeigte, dass die dedicatio von den Magistraten und die consecratio von den Pontifices durchgeführt wurde; dies ändert jedoch nichts daran, dass in den Quellen spätestens seit dem 1. Jh. v. Chr. beide Begriffe in einer nicht mehr unter scheidbaren Weise verwendet wurden und juristisch die gleichen Konsequenzen aus drückten. Dazu SAUMAGNE, , La >Lex de dedicatione aedium< (450/304) et la >divinitas Christiechte< Stadtgründung vorstellen konnte (Ci cero, de harusp. resp. 7,13; Livius 1,32,2; 2,2,1). Bei der Analyse von Li-
6
Cum Caeritibus hospitium publice fieret, quod sacra populi Romani ac sacerdotes recepissent beneficioque eius populi non intermissus honos deum immortalium esset. Vgl. auch Livius 5,40,7-10.
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
vius, dessen Darstellung der Entstehung Roms die ausführlichste erhaltene Quelle dieser römischen Sichtweise ist, wird auch ohne weiteres deutlich, wie er dem antiken Stadtgründungsschema folgt und sich nicht an rekon struierbare Entwicklungen hält, wie sie durch die religionshistorische und philologische Forschung ermittelt werden konnten7. In der livianischen Darstellung der Gründung Roms ist von sacra publica zuerst unter König Numa die Rede, wo es heißt (1,20,6): »Auch alle übrigen staatlichen und privaten Kulthandlungen unterwarf er den An ordnungen dieses Pontifex; es sollte eine Instanz geben, an die das Volk sich mit Fragen wenden konnte, und keine Bestimmung des Sakralrechts sollte durch Vernachlässigung der angestammten und Übernahme fremder Zeremonien durcheinandergebracht werden.«8 Numa galt demnach als Be gründer des göttlichen Rechts der staatlichen römischen Kulthandlungen und Kultstätten im territorial-administrativen Sinn (Livius 1,42,4: auctor divini iuris). Dem von Livius ausgestalteten Gründungsschema entspricht weiter, dass Numa durch Offenbarung der Göttin Egeria diejenigen Gottesdienste und Kulte einrichtete, die den Göttern am liebsten gewesen sein sollen und jedem Gott eigene Priester gab (1,19,5: Eius se monitu, quae acceptissima dis essent sacra, instituere, sacerdotes cuique deorum praeficeref. Dies waren der Überlieferung zufolge im einzelnen der Flamen Dialis, die Fla mines des Mars und Quirinus (1,20,2), die vestalischen Jungfrauen (1,20,3), die Salier des Mars Gradivus (1,20,4) sowie schließlich die Pontifices (1,20,5) waren. Den Pontifices soll Numa anschließend schriftliche Anweisungen übergeben haben, mit welchen Opfertieren, an welchen Ta gen, und vor welchen Tempeln zu opfern war und woher man das Geld zur Bestreitung dieser Kosten nehmen sollte (1,20,5)10. Zu eigens für den öffentlichen Kult geweihten Orten, loca sacra, wurden der Jupiter EliciusAltar auf dem Aventin (1,20,7), ein bei Livius nicht näher lokalisierter 7
Ausführlich dazu BEARD/NORTH/PRICE, Religions of Rome, 1998, besonders 13 ff.
8
Cetera quoque omnia publica privataque sacra pontifices scitis subiecit, ut esset, quo consultum plebes veniret, ne quid divini iuris neglegendopatrius ritusperegrinosque adsciscendo turbaretur. 9
Zur varronischen Rekonstruktion der Gründungstopographie Roms H. CANCIK, Rome as a Sacred Landscape, 1985/1986, 250-265. 10
Quibus hostiis, quibus diebus, ad quae templa sacra fierent sumptus pecunia erogaretur.
atque unde in eos
2.1 Sacra publica populi Romani
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Hain der Camenen (1,21,3) sowie eine Reihe weiterer, ebenfalls nicht ge nau beschriebener Plätze, die später zusammen mit den Kulthandlungen von den Pontifices als >Argei< bezeichnet worden seien. Der Bestand städ tischer Kultstätten vor Numa beschränkte sich nach Livius auf den AraMaxima-Altar des Hercules (1,7,10, von Euander dediziert) und das dann von Numa geweihte Jupiter-Feretrius-Heiligtum auf dem Kapitol11. 2.1.2 Erweiterung Im Verlauf der Stadtgeschichte gab es Veränderungen und Erweiterungen des Bestandes städtischer römischer Kulte und Kultstätten. Von besonde rem Interesse für die vorliegende Untersuchung sind diejenigen >neuen< sacra publica populi Romani, die Folge einer Immobiliarkonsekration wa ren. Grundsätzlich konnten Veränderungen und vor allem Erweiterungen (=Vermehrung) der römischen Heiligtümer während der Zeit der Republik durch Feldherrenvotum in Rom, auf Initiative des Senats bei Vorzeichen oder Katastrophen sowie durch Entscheidung des Feldherrn während der Schlacht mit Beschluss der Evokation fremder Götter vorgenommen wer den. Obschon das Verfahren des Votums erst seit republikanischer Zeit durch Dedikationsinschriften und die römischen Festkalender sicher nach weisbar ist12, führten die Römer es auf Romulus zurück (Livius 1,12,6). Dabei kommen hier für die Frage nach der Erweiterung des Kultbestandes allein die während des Krieges durch Feldherren abgegebenen Vota in Be tracht, weil nur sie die dauernde Verehrung einer Gottheit zur Folge hatten und in Zusammenhang mit der Konstituierung eines neuen Tempels stan den. Daneben konnten auch einmalige Opfer, Teile der Beute, Spiele und ähnliches mehr gelobt werden; dies zog aber keine Erweiterung des Kult bestandes nach sich13. Wenn möglich, dedizierte der Feldherr, der das Votum abgegeben hatte, den Tempel, Altar, Hain etc. selbst, da dies als außerordentliche Ehre galt. Das ist durch zahlreiche Streitigkeiten belegt, von denen Livius anlässlich ungeklärter Weihungssituationen berichtet. So sollen Freunde des Konsuls 11
WISSOWA, Religion und Kultus, 385. Livius 23,30,13 f.; MOMMSEN, Römisches Staatsrecht, Bd. III. 2, 1887, 1050; WISSOWA, s.v. Dedicatio, RE 4, 2357. 13 Davon wurden außerdem die Amtsvota unterschieden, die keine Etablierung von Heiligtümern nach sich zogen. Vgl. ElSENHUT, s.v. Votum, RE Suppl. 14, 964. 12
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
Valerius, der mit seinem Kollegen Horatius um die Dedikation des noch von Tarquinius gelobten Jupitertempels gelost haben soll, sich »mehr, als angebracht war, darüber geärgert haben, dass die Weihe eines so berühm ten Tempels dem Horatius übertragen wurde« (Livius 2,27,5-6) und ver sucht haben, durch die Überbringung einer Todesnachricht aus seiner Familie die Weihe ungültig zu machen14. In der Regel beantragte der Kon sul durch einen vorhergegangenen Senatsbeschluss die Wahl von duoviri aedi dedicandae beim Volk mit der Maßgabe, dass derjenige, der den Tempel gelobt, oder wenn bis zur Fertigstellung längere Zeit vergangen war, sein Sohn nicht nur in die Kommission zu wählen, sondern nament lich mit der Durchführung der Dedikation zu beauftragen war15. Im Vergleich dazu ist das Verfahren der Evokation historisch nachweis bar wesentlich seltener zur Anwendung gekommen. Das populärste Bei spiel ist die Evokation der Juno Regina aus Veji im Jahr 396 v. Chr. durch den Diktator Camillus (Livius 5,21,2 ff). Wissowa vermutete die Evoka tion auch für die capenatische Göttin Ferona, den Vortumnus aus Volsinii und die Göttinnen Juno Quiritis und Minerva aus Falerii. Dies ist aller dings nicht nachzuweisen. Seine Vermutung gründete Wissowa auf die Existenz von Heiligtümern und Kult für die genannten Gottheiten in Rom. Es handelt sich dabei um Kulte, für die keine Rezeptionsüberlieferung vorliegt. Die Annahme, dass es sich um durch Evokation nach Rom ge langte Kulte handelt, ist daher nicht zwingend, sondern eher spekulativ. Denkbar sind ebenso gut Feldherrenvota, wie von Livius 32,30,10 und 34,53,3 für die Juno Sospita Mater Regina aus Lanuvium berichtet wird, der von dem Konsul C. Cornelius Cethegus vor dem Kampf mit den Insubrern ein Tempel gelobt worden war16.
14 Zu den ebenfalls prestigeträchtigen Restaurierungen BEARD/NORTH/PRICE, Religions of Rome, 1998, 124 f.
bedeutender
Tempel
15 Zur dedicatio in republikanischer Zeit ZlOLKOWSKI, The Temples of mid-republican Rome and their historical and topographical Context, 1992, 219 ff., zum votum und der Bestätigung durch den Senat ORLIN, Temples, Religion and Politics in the Roman Republic, 1997, 35 ff. und 190 f. 16
LATTE, Römische Religionsgeschichte, 189 f. hat vermutet, dass der Kult der Feronia durch Freigelassene nach Rom gelangt und später staatlich geworden sei. Wenn es solche Rezeptionsformen gegeben hat, fanden sie jedenfalls keinen Eingang in die offi zielle Überlieferung.
2.1 Sacra publica populi
Romani
59
Die durch Aktivitäten des Senats in der Republik veranlasste Aufnahme von weiteren sacra, also die Institutionalisierung von neuen Kulten, ge schah in erster Linie im Zusammenhang mit der Entsühnung von prodigia publica oder anderen Katastrophen sowie der Befragung des sibyllinischen Orakels durch die späteren Quindecimviri. Die ebenfalls seit dem 3. Jh. v. Chr. befragten Haruspices schlugen im Unterschied zu ihnen niemals die Einführung einer neuen Gottheit oder Kulthandlung vor17. Als exempla risch für die Beratungstätigkeit der Quindecemvirn kann die Einfuhrung des Mater-Magna-Kultes gelten, der zugleich das zeitlich späteste Zeugnis für die auf diese Weise in die sacra publica populi Romani gelangten Kulte ist18. Durch das gleiche Verfahren, d. h. Vorzeichen und den darauf folgen den Beschluss des Senats, das Orakel durch die Quindecemviri befragen zu lassen, dem danach erfolgten Vorschlag der Einführung des Gottes mit Kult und Tempel vom Kollegium sowie der abschließenden Sanktionie rung durch den Senat, waren auch Ceres und Aesculapius in den stadtrömi schen Kultbestand aufgenommen worden. Der Senat verlor seine Kompetenzen zur Konstituierung von weiteren sacra publica in der Kai serzeit nicht formal, trat aber faktisch kaum noch als Initiator in Erschei nung. Eines der wenigen Beispiele für die Konstituierung öffentlicher sacra in Rom während der Kaiserzeit durch den Senat ist durch die Res gestae des Augustus überliefert19. In der Kaiserzeit war die Initiative zur Aufnahme und Konstituierung weiterer sacra in Rom faktisch vom Princeps als Inhaber der höchsten Amtsgewalt ausgegangen20, wenngleich es wohl bis in die späte Zeit bei 17
MACBAIN, Prodigy and Expiation, 1982, 48 f. Unter prodigia publica wurden dem nach alle unerbetenen Vorzeichen verstanden, die die Pontifices als solche akzeptierten. MACBAIN hat gezeigt, dass dies nicht ausschließlich auf den ager Romanus (im religiö sen Sinn) beschränkt war, sondern in Krisenzeiten auch solche Prodigien in Rom ent sühnt wurden, die bei den geographisch nahegelegenen Nachbarn bzw. Verbündeten gemeldet wurden (Italien, Sardinien, Sizilien). 18 WISSOWA, Religion und Kultus, 317; LATTE, Römische Religionsgeschichte, 258, beide basierend auf Livius 29,10,4-11. 19
Res gestae 11: Aram Fortunae Reducis ante aedes Honoris et Virtutis ad portam Capenam pro reditu meo senatus consacravit, in qua pontifices et virgines Vestales anniversarium sacrificium facere iussit eo die, quo consulibus Q. Lucretio et M. Vinicio in urbem ex Syria redier am, et diem Augustalia ex cognomine nostro appellavit. 20 Siehe jetzt auch BEARD/NORTH/PRICE, Religions of Rome, 1998, 252.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
der Aufnahme neuer Götter in den römischen Götterkreis und damit auch der Divinisierung von Kaisern der formellen Mitwirkung des Senats be durfte. Chronologisch geordnete Überblicke sämtlicher römischen sacra publica (Tempel und bedeutende Altäre) bieten die Anhänge bei Wissowa und Latte sowie die neuen Arbeiten von Orlin und Ziolkowski21. Auf der Ebene der territorialen Bindung der sacra publica populi Romani an das stadtrömische Gebiet kann man eine Kontinuität des städti schen Religionsbegriffs ohne Einschränkungen bis in das 4. Jahrhundert n. Chr. annehmen. Die einmal geschaffenen Kultstätten wurden in ihrem Be stand erhalten und nur innerhalb der Stadt durch neue Kulte erweitert22. Gleichwohl beeinflussten die politischen Veränderungen, die der Principat mit sich brachte, die Ausrichtung der öffentlichen Kulte. In diesen Bereich fällt unter anderem nach Wissowa die »öffentliche Stellung des kaiserlichen Privatkultes.«23 Damit meint er die Überführung sowohl von Orakelsammlungen als auch Kultobjekten in in solo privato stehende Hei ligtümer der Kaiser. Augustus hatte die sibyllinischen Orakel in seinen vormals privaten Apolltempel schaffen lassen und diesen dann nach der Konsekration zum Mittelpunkt der unter Leitung der Quindecemvirn ste henden Zeremonien nach griechischem Ritus gemacht. Das Problem der öffentlichen Stellung kaiserlicher Religion stellt sich auch bei der Dedikation beweglicher Sachen, wie z.B. die von Sueton berichteten Weihungen Neros, der eines seiner Gedichte in Gold schlagen ließ und anschließend im Kapitol konsekrierte (6,10,2; vgl. auch 6,12,4: Konsekration der Haare seiner ersten Rasur). Zu diesen Fragen existiert m. W. noch keine Untersu21
Religion und Kultus, 594-597. Die überarbeitete und aktualisierte Fassung bei LATTE, Römische Religionsgeschichte, 415-418, enthält die Tempel der divinisierten Kaiser nicht, jedoch in Ergänzung der Liste WISSOWAS bedeutende Altäre seit der Repu blik. Für die republikanische Zeit vgl. jetzt die Übersichten bei ZlOLKOWSKl, The Temples of mid-republican Rome and their historical and topographical Context, 1992, 7-187 und ORLIN, Religion and Politics in the Roman Republic,1997, 199-207. Hierher gehören auch die Kaisertempel: Cassius Dio 52,22,1; Sueton, Vespasian 8,9,1; Augustus, Res gestae 4,19. In allen Fällen berichten die Autoren von der Konsekration bzw. Dedikation von Kaiser- und Göttertempeln durch die Kaiser, ohne dass ein Unterschied in ihrer Rechtsstellung explizit deutlich gemacht wird. Die öffentliche Stellung der Kaiser tempel ist durch Vermerk des Dedikationstages in den römischen Kalendern bezeugt, vgl. WISSOWA, Religion und Kultus, 79. 22
Vgl. auch BEARD/NORTH/PRICE, 1998, 156 f.
23
Religion und Kultus, 75.
2.1 Sacra publica populi Romani
61
chung. Die Historia Augusta (Heliogabal 3,4 ed. Magie) berichtet, dass Elagabal den heiligen Stein der Mater Magna, das Feuer der Vesta, das Palladium, die Ancilia der Salier und weitere öffentliche Kultobjekte in den vom ihm gebauten Tempel des Deus Sol Elagabal bringen ließ. Doch sind die beiden letzten Beispiele nicht unbedingt signifikant für die Ent wicklung des stadtrömischen Kultes in der Kaiserzeit, sondern Ausnah men. Zudem wurden die Maßnahmen Elagabals nach der damnatio memoriae weitgehend rückgängig gemacht. Die inhaltliche Verschiebung der Ausrichtung der sacra publica populi Romani zeigt sich vor allem auf der Ebene der öffentlichen Kulthandlun gen: Eine Reihe der für das Wohl des römischen Volkes (pro salute populi Romani) durchgeführten Zeremonien und Opfer fand in der Kaiserzeit für das Wohl des Kaisers statt (pro salute imperatoris)24. Besonders konturiert ist diese Veränderung in der Auseinandersetzung um den Viktoria-Altar. Symmachus (Relatio 3,13 ed. Klein) sprach im Hinblick auf die stadtrömi schen Heiligtümer und Kulthandlungen von den »Heiligtümern eurer Stadt« (sc. der römischen Kaiser), während Ambrosius (epist. 18,22 ed. Klein) die Position der Heiden hinsichtlich des Zwecks des stadtrömischen öffentlichen Kults mit »euch (sc. die Kaiser) schützt er, von uns wird er durchgeführt« paraphrasierte. Die stadtrömischen Heiligtümer und Kulte waren mithin nach wie vor in der urbs lokalisiert, dabei jedoch - in einer von den genannten Quellen nicht explizit erläuterten Weise - auf den Kai ser und dessen Wohlergehen eingeengt. Diesen Verhältnissen in der Spätantike war eine Entwicklung vorausge gangen, die mit der Etablierung des Principats eingesetzt hatte. Seit dem 1. Jh. n. Chr. hatten die Kaiser Aufgaben zur Bewahrung der öffentlichen Heiligtümer Roms an sich gezogen und ihren Beamten übergeben, wäh rend dieser Aufgabenbereich in republikanischer Zeit von verschiedenen römischen Amtsinhabern verwaltet worden war: Die Aedilen besaßen die polizeiliche Aufsicht über die sacra publica (aedes und loca sacra: Varro, de ling. lat. 5,81; Livius 25,1,10; Festus p. 13 s.v. aediles; Dion. Hai. 6,90,3), die Zensoren und Praetoren stellten Beschädigungen und Verfall der Gebäude fest und beaufsichtigten die erforderlichen Reparaturen (Li vius 42,3,7: Ad id censorem moribus regendis creatum? cui sarta tecta
24
SYME, 1980, Some Arval Brethren, 97 f.; LlEBESCHUETZ, Continuity and Change in Roman Religion, 1979, 197 f.
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2 Formen öffentlicher städtischer
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exigere sacris publicis et locare tuenda more maiorum traditum esset, eum per sociorum urbes diruentum templa nudantemque tecta aedium sacrarum vagaril), zu deren Durchführung Beamte mit Spezialauftrag durch den Se nat bestellt wurden. Aulus Gellius (noct. att. 2,10,2) nennt einen curator restituendi Capitolii, Livius (25,7,5-6) berichtet, dass nach einer Feuers brunst in Rom vom Stadtpraetor Wahlversammlungen nach der Entschei dung des Senats und im Einverständnis mit dem Volk abgehalten wurden. Man wählte ein Fünfmännerkollegium zur Instandsetzung der Mauern und Türme und zwei Dreimännergremien, von denen das eine die Tempelgeräte zusammenzusuchen und zu registrieren hatte, das andere für den Wieder aufbau der Tempel der Fortuna und der Mater Matuta innerhalb der Porta Carmentalis sowie des Tempels der Göttin Spes außerhalb des Tores zu ständig war (Comitia deinde a praetore urbano de senatus sententia plebis scitu sunt habita, quibus creati sunt quinqueviri muris et turribus reficiendis et triumviri bini, uni sacris conquirendis donisque persignandis, alteri reßciendis aedibus Fortunae et matris Matutae intra portam Carmentalem et Spei extra portam. Vgl. auch Sueton 1,15, div. Julius: Primo praeturae die Quintum Catulum de refectione Capitoli ad disquisitionem populi vocavit rogatione promulgata, qua curationem eam in alium transferebat)25. In der Kaiserzeit wurden diese Aufgaben der republikanischen Beamten nach und nach durch die kaiserlichen curatores aedium sacrarum bzw. operum publicorum wahrgenommen26. Die Kaiser traten gelegentlich auch selbst als Initiatoren von umfangreicheren Restaurierungen auf. Augustus (Res gestae 4,20) erwähnt in dem Bericht über seine Initiative zur Wiederherstellung von insgesamt 82 reparaturbedürftigen Heiligtümern in Rom, dass er als Konsul durch den Senat eigens autorisiert war; bei späteren Restaurierungen durch die nachfolgenden Kaiser werden keinerlei 25
Ausführlich zum Zusammenwirken der einzelnen Beamten Cicero, Verres, 1,130148; KOLB, Die kaiserliche Bau Verwaltung in der Stadt Rom, 1993, 47. Zu den religiösen Kompetenzen des Senates in der Republik auch BEARD, Priesthood in the Roman Republic, 1990, 30 f. und TALBERT, The Senate of Imperial Rome, 1984, 386-391, der hauptsächlich die zeremoniellen Aufgaben der Senatoren darstellt. In einer amerikani schen Dissertation aus dem Jahr 1987, Senatus et Religio, untersucht D E TREVILLE die Rolle des Senats im Staatskult zur Zeit der Republik; seine Rolle und Mitwirkung bei der Institutionalisierung von neuen Kulten findet dabei jedoch keine Berücksichtigung. 26
CHASTAGNOL, La Prefecture urbaine ä Rome sous le Bas-Empire, 1960, 45 f. und 468, Appendix D3 und KOLB, Die kaiserliche Bauverwaltung in der Stadt Rom, 1993, 110 ff.
2.1 Sacra publica populi Romani
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Ermächtigungen mehr erwähnt (Sueton 7,8,5, Vespasianus; 8,8,4, Titus; CIL VI 934 bezeichnet Vespasian als conservator caerimoniarium publicarum et restitutor aedium sacrarum. Ähnlich auch CIL VI 962 über Trajan) 27 . Ohne Zweifel haben die hier skizzierten Veränderungen der Zuständigkeiten für die stadtrömischen Kulte zu einer partiellen Verschie bung des >Charakters< der römischen Religion geführt. Diese Problematik ist jedoch nicht, wie bereits oben angedeutet, Gegenstand der vorliegenden Untersuchung28. Der politisch-geographische Rahmen für die römischen Kulte blieb bis in das 4. Jh. n. Chr., als dem römischen Kult sowohl die Finanzierung als auch die politische Unterstützung durch die Kaiser entzogen wurde, das städtische Territorium29. Man kann diesen Befund auch negativ formulie ren und damit das Fehlen einer religiösen Integration der nach und nach in die römische Bürgerschaft aufgenommenen Einzelpersonen und Gruppen konstatieren, sofern sie nicht in Rom lebten. Die sacra publica Roms stellten ein geopolitisches Kontinuum dar, das nicht analog zur territoria len Herrschaftsausweitung geändert bzw. angepasst wurde. Deutlich wird dies etwa an der Besetzungspolitik der römischen Kaiser in Bezug auf die Priesterkollegien Roms, in die im Laufe der Zeit provinziale Senatoren kooptiert wurden, ohne dass es zu einer inhaltlichen oder geographischen Veränderung der Kompetenzen der Priestertümer kam30. Zu beobachten ist die territoriale Kontinuität auch an der Aufrechter haltung ältester Stadtumgehungsrituale bis mindestens ins 3. Jh. n. Chr., die eine Idealgrerize des alten ager Romanus nachzeichneten31. Der einzige explizite Reflex römischer Schriftsteller auf die römische Herrschaftsaus weitung, die Konsequenzen innerhalb der Stadt zeigte, war die Feststellung der Rezeption fremder Kulte. Besonders pointiert ist dieser Vorgang in der bekannten Festusstelle (p. 237) zu den nach Rom importierten sogenannten peregrinen Kulten formuliert worden: Peregrina sacra appellantur, qua 27
Zu den Restaurierungen am Ende des 3. Jh. n. Chr. LATTE, Römische Religionsge schichte, 360 und LlEBESCHUETZ, Continuity and Change in Roman Religion, 1979, 236 f. 28 Dazu BEARD/NORTH/PRICE, Religions of Rome, 1998. 29 CANCIK, Nutzen, Schmuck und Aberglaube, 1986, besonders 66. 30 SCHUMACHER, Die vier hohen Priesterkollegien unter den Flaviern, den Antoninen und den Severern (69-235 n. Chr.), 1978, 804 ff. 31 SCHEID, Les sanctuaires de confins dans la Rome antique, 1987, besonders 595.
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aut evocatis dis in oppugnandis urbibus Romain sunt conata, aut quae ob quasdam religiones per pacem sunt petita, ut ex Phrygia Matris Magnae, ex Graecia Cereris, Epidauro Aesculapi: quae coluntur eorum more, a quibus sunt accepta.
2.2 Sacra (publica) latinischer Städte Die gesonderte Behandlung der sacra einzelner latinischer Städte ist aus drei Gründen erforderlich: 1. Einige latinische Gemeinden nahmen auf grund ihrer (z.T. von Rom konstruierten) religionsgeschichtlichen Verbin dungen zu Rom eine Sonderrolle ein, insofern sie im Rahmen der Ausbildung der römischen Entstehungs- und Gründungsmythologeme vir tuell und kultpraktisch Teil der römischen Religion waren. Daraus fol gende Ausnahmeregelungen wurden bei anderen italischen und provinzialen Städten nicht wiederholt. 2. In der Frühphase der römischen Herrschaftsausweitung gab es Bundesheiligtümer, die Rom mit latinischen Gemeinden teilte. Auch hierbei handelt es sich um eine später mit anderen Städten nicht wiederholte Ausnahme. 3. In der Forschung wird davon aus gegangen, dass Modalitäten und Modelle der Herrschaft, die später in den Provinzen zur Anwendung kamen, in der Frühphase der römischen Expan sion ausgebildet wurden32. Es ist anzunehmen und zu überprüfen, ob dies für den Bereich des Kultes und der Religion ebenfalls zutrifft. Im Zusammenhang mit der Sonderstellung der latinischen Gemeinden ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Forschung notwendig, soweit sie sich mit dem Problem der Rechtsstellung der Kulte der italischen Städte befasst hat. Denn es wurden von der Rechtsstellung der sacra eini ger latinischer Gemeinden auf die sacra aller italischen Städte und Völker übertragbare Regeln von Mommsen, Wissowa, Latte und Humbert abge leitet. Aus der Tatsache, dass die römischen Pontifices in der Kaiserzeit formal, der Kaiser faktisch (als Oberpontifex) das Ernennungsrecht für die römischen Priestertümer der latinischen Gemeinden Alba, Lavinium, Caenina, der Cabenses und Suciniani, Lanuvium und Tusculum hatten, wurde geschlossen, dass dies für alle italischen Gemeinden gegolten habe. Mit den latinischen Priestertümern sind diejenigen Priestertümer gemeint, die
Zuletzt LINTOTT, Imperium Romanum: Politics and Administration, 1993, 129 f.
2.2 Sacra (publica) latinischer Städte
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in Rom für die politisch untergegangenen Gemeinden Alba, Caenina, der Cabenses und Suciniani bestanden sowie für die der noch fortbestehenden Städte Lavinium, Lanuvium und Tusculum, welche im Unterschied zur ersten Städtegruppe außerdem noch eigene, von Rom unabhängige Kulte und Priestertümer unterhielten. Diesen Gemeinden sollen deshalb eigene Abschnitte gewidmet sein. 2.2.1 Integration albanischer und lavinischer sacra Mommsen hat aus dem Ernennungsrecht der Pontifices für die seit der Kaiserzeit inschriftlich nachgewiesenen Priestertümer von Alba, Lavinium, Caenina, der Cabenses und Suciniani gefolgert, dass ihnen (sc. den Ponti fices) die Aufrechterhaltung der bürgerlich untergegangenen, aber sakral rechtlich fortdauernden - und zwar nicht nur der genannten - Gemeinden überwiesen worden sei. Bei späteren Eroberungen und Unterwerfungen sei es dann üblich geworden, die Kulte bzw. die Götter der Städte durch evocatio nach Rom zu überführen oder der Oberaufsicht der Pontifices zu un terstellen; für die Fortführung der sacra untergegangener Städte sei die evocatio der Juno Regina aus Veji »paradigmatisch.«33 In dieser Auffas sung, d. h. der Annahme, die Römer hätten sich als sakrale Rechtsnachfol ger aller von ihnen eroberten latinischen Gemeinden gesehen, sind ihm Wissowa und Latte weitgehend gefolgt34. Allerdings hatte schon Latte festgestellt, dass zu dieser Beurteilung eigentlich nicht passt, dass gerade die Kulte dieser Städte eine cura durch Rom genossen, während eine ganze Reihe anderer untergegangener latinischer Gemeinden davon nicht betrof fen waren. Er hat das dadurch zu erklären versucht, dass während der Re publik dieser Zweig der sakralen Fürsorge früh vernachlässigt und unter Augustus dann nur die noch bestehenden Verbindungen erneuert und nun mit entsprechenden Priestertümern eingerichtet worden seien35.
33
MOMMSEN, 1887, Römisches Staatsrecht, Bd. IL 1, 26 f. und Bd. III. 1, 579. WISSOWA, Religion und Kultus, 44 und 519; LATTE, Römische Religionsge schichte, 405 f. 35 Römische Religionsgeschichte 405. Die Priestertümer: Alba Longa (zu Bovillae) CIL VI 2161 und 2168, CIL IX 1595, albanische pontifices; CIL VI 2170, CIL XIV 2947, Salier; CIL VI 2127 und CIL XIV 2410, virgo Vestalis; Lauro-Lavinium: CIL X 797, CIL XIV 390, 391 und 4672; Caenina: CIL V 4059, 5128, CIL VI 1598, CIL IX 4885 und 4886, CIL X 3704, CIL XI 2699 und 3103, CIL XII 671; Cabenses: CIL VI 2021 und 2174; Suciniani CIL V 6992 und 7814, CIL VI 2178-2180. 34
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Eine eingehendere Analyse vor allem der literarischen Zeugnisse lässt jedoch den exemplarischen oder paradigmatischen Charakter der genann ten Priestertümer für eine Übernahme der sacra aller latinischen bzw. itali schen Städte durch Rom zweifelhaft erscheinen und legt eher die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um historisch begründete Sonderfälle handelte. In der Rede des Camillus gegen den Umzug der Römer nach Veji heißt es (Livius 5,52,8): »Jene (sc. die Vorfahren) haben uns einige Kulte hin terlassen, die auf dem Albaner Berg und in Lavinium zu vollziehen sind; es galt als ein Frevel, Kulte aus den Städten der Feinde nach Rom zu uns zu übertragen. Werden wir sie da etwa von hier nach Veji in die Stadt der Feinde übertragen, ohne Schuld auf uns zu laden?«36 Es ging darum, dass die Römer in diesen Städten Opfer darbrachten {sacra facere), weil die Überführung oder Verlegung der Kulte (sacra transferre) nach Rom - wo bei nicht ganz eindeutig ist, ob sich das nur auf die Handlungen oder auch die Stätten des Kultes bezog - wegen religiöser Bedenken nicht möglich war. Soweit zu erkennen, lagen diese in der Tatsache begründet, dass es sich um die sacra feindlicher Städte gehandelt hatte. Zu diesen besaß Rom besondere Beziehungen, da die Römer die Entstehung ihrer eigenen Stadt in direkten Zusammenhang mit diesen beiden >Mutterstädten< brachten37. Bezeichnend dafür ist, wie Livius die Art der kriegerischen Auseinander setzung beschreibt (1,23,1-2): »Auf beiden Seiten bereitete man sich mit aller Energie auf den Krieg vor, einen Bürgerkrieg sozusagen, ja fast einen Krieg zwischen Vätern und Söhnen - denn beide waren Nachkommen der Trojaner: Lavinium leitete seinen Ursprung von Troja her, Alba von Lavi nium und die Römer von einem Spross des albanischen Königshauses.«38 36
//// sacra quaedam in monte Albano Lavinique nobis facienda tradiderunt. An ex hostium urbibus Romam ad nos transferri sacra religiosum fuit, hinc sine piaculo in hostium urbem Veios transferemusl 37
Varro, de ling. lat. 5,144: Hoc (sc. Lavinium) a Latinifilia, quae coniuncta Aeneae, Lavinia, appellatum. Hinc post triginta annos oppidum alterum conditur, Alba; id ab sue alba nominatum. Haec e navi Aeneae cum fugisset Lavinium, triginta parit porcos; ex hoc prodigio post Lavinium conditum annuis triginta haec urbs facta, propter colorem suis et loci naturam Alba Longa dicta. Hinc mater Romuli Rhea, ex hac Romulus, hinc Roma. Vgl. auch Livius 1,1,10-11; 1,3,3; 1,6,3. 38
Et bellum utrimque summa ope parabantur, civili simillimum bello, prope inter parentes natosque, Troianam utramque prolem, cum Lavinium ab Troia, ab Lavinio Alba, ab Albanorum stirpe regum oriundi Romani essent.
2.2 Sacra (publica) latinischer
Städte
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Während Lavinium später ein foedus mit Rom abschloss39, wurde Alba völlig zerstört, auf Anweisung des Königs Tullus jedoch mit Ausnahme der Tempel (Livius 1,29,5). Das Volk der Albaner soll dann politisch, wie zuvor von dem König angekündigt (Livius 1,28,7), vollkommen in den römischen populus integriert worden sein, indem die angesehensten Ge schlechter der Albaner in den Senatorenstand aufgenommen und die übri gen Neubürger entweder bereits bestehenden oder einer der zehn ihretwegen neu gegründeten Legionen zugeteilt wurden (Livius 1,30,1-3). Zugleich wurde es anscheinend für selbstverständlich gehalten, dass die albanischen Römer< ihren sakralen Pflichten in Alba weiterhin nachka men, wenn auch nur gewissermaßen aus Sicht ihrer Götter. Anlässlich ei nes am Albaner Berg vorgefallenen Prodigiums soll in Anwesenheit einer römischen Gesandtschaft dort eine Stimme vernommen worden sein, die gesagt habe, die Albaner sollten nach dem Ritus ihrer Väter ihre Opfer vollziehen. Sie hätten diese schon ganz in Vergessenheit geraten lassen, als haben sie mit ihrer Heimat auch ihre Götter hinter sich gelassen und ent weder römische Kulte angenommen oder hätten, was immer wieder vor komme, mit ihrem Schicksal hadernd die Verehrung der Götter ganz aufgegeben40. Möglicherweise war dies der Anlass dafür, dass die Römer auf dem Albaner Berg später den Tempel des Jupiter Latiaris an der Stelle erbauten, wo sich zuvor der heilige Hain befunden hatte, und damit die sakralpolitische Nachfolge Alba Longas als Sitz des latinischen Bundes festes des Latiars antraten, wie Wissowa meinte41; Livius gibt darauf aber keinen direkten Hinweis. Die Fortführung der rein albanischen sacra durch Rom bestand vielmehr in der Übertragung des Vestakultes nach Bovillae, wo er durch in Rom ernannte vestalische Jungfrauen und >albanische< Pontifices und Salier fortgeführt wurde, die aus Rom kamen und sich ver mutlich nur während der Durchführung der Kulthandlungen in Bovillae
39 Livius 8,11,15. Das foedus wurde jährlich erneuert. Dazu HUMBERT, Municipium et civitas sine suffragio, 1978, 267 f. 40 Ut patrio ritu sacra Albani facerent, quae velut dis quoque simul cum patria relictis oblivioni dederunt et aut Romana sacra susceperant autfortunae, utfit, obirati cultum reliquerant deum. Livius 1,31,1. 41
Religion und Kultus, 40 und 124 f. Den Tempelbau setzt er aufgrund des archäologischen Befundes unter der tarquinischen Dynastie, also im 6. Jh. v. Chr. an.
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aufhielten42. Der Sinn dieser Maßnahmen dürfte ein ähnlicher wie bei Lauro-Lavinium gewesen sein (s.u.), d. h. die Pflege der >ursprünglichen< sacra Roms zu erhalten, also den Entwurf eines bestimmten Bildes der Vergangenheit auch rituell abzusichern. Der Grund der kultischen Aktivitäten der Römer in Lavinium war nach Varro (de ling. lat. 5,144)43 der von dort über Alba nach Rom gelangte Vesta- und Penatenkult. Bis zum 1. Jh. v. Chr. brachten die römischen Konsuln oder Praetoren dort jährlich ein Opfer dar44. Wohl unter Augustus war es dann zur Einrichtung eines ritterlichen Priesteramtes gekommen, das, wie bereits gesagt, formal den Pontifices unterstand, faktisch jedoch vom Kaiser als Oberpontifex verliehen wurde, und dessen Aufgabenbe reich in der Durchführung dieser Opfer bestand, die dann als sacra principia populi Romani Quiritum nominisque Latini, quae apud Laurentis coluntur (CIL X 797) bezeichnet wurden. Zur politischen Geschichte und Entstehung der Doppelgemeinde LauroLavinium sind verschiedene Meinungen vorgetragen worden, die vor allem in der Frage auseinandergehen, ob (Lauro) Lavinium bis in die Kaiserzeit eine freie Gemeinde war und folglich sein Bündnis mit Rom immer wieder erneuern konnte, wie inschriftlich bezeugt (CIL X 797), oder zum Municipium geworden und damit die jährliche Erneuerung politisch eine Farce war bzw. rein sakralen Charakter hatte. Wissowa nahm an, dass Lavinium nach dem Latinerfrieden 338 v. Chr. als politische Gemeinde aufgehört hatte zu existieren und seine sacra auf das benachbarte Laurentum überge gangen waren45. Demgegenüber meinte Latte, der Laurentes vico Augustano (CIL XIV p. 183) sei erst unter Augustus geschaffen und diesem die Pflege der lavinischen Kulte unterstellt worden. Zudem sei - in wel-
42 THOMAS, L'institution de l'origine, 1990, 149 f. Ob diese Funktionen mit denen der gens Julia zu tun hatten, ist unsicher. CIL 1.2 1439 dokumentiert die Dedikation eines Altars für Vediovis durch die gens Julia in Bovillae im 1. Jh. v. Chr. 43 Oppidum quod primum penates nostri. 44
conditum in Latio stirpis Romanae,
Lavinium:
nam ibi
Servius, Aen. ed. DlEHL 2,296: cum consules et praetores sive dictator abeunt magistratu Lavini sacra Penatibus simul et Vestae faciunt. Valerius Maximus 1,6,7; LATTE, Römische Religionsgeschichte, 295 mit Anm. 5 glaubt, dass diese Opfer erst seit dem 3. Jh. v. Chr. durchgeführt worden sein können, da es die ausgebildete Aeneaslegende voraussetze. 45 Religion und Kultus, 520.
2.2 Sacra (publica) latinischer
Städte
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eher Form auch immer - eine vor dieser Zeit bestehende Gemeinde durch die Lex Iulia de munieipalibus ohnehin zum Municipium geworden und es daher staatsrechtlich eigentlich nicht möglich gewesen, das foedus aus re publikanischer Zeit in der Kaiserzeit zu erneuern. Latte ging davon aus, dass die Konsequenz dieser Lex Iulia de munieipalibus war, dass alle itali schen Städte das römische Bürgerrecht mehr oder weniger annehmen mussten. Durch sein Verständnis der Lex Iulia kommt Latte zu einem of fensichtlichen Widerspruch, den er durch einen fiktiven, d. h. »rein sakra len Charakter« des Bündnisses erklären muss46. Im Unterschied dazu tendieren aktuellere Untersuchungen dazu, eine Doppelgemeinde schon für die republikanische Zeit anzunehmen, die ihren Sonderstatus als freie Gemeinde bis in die Kaiserzeit bewahrte47. Zu die sem Befund passt außer den Inschriften, von denen keine den Zusatz Mu nicipium enthält (CIL XIV), Strabo 5,3,5, der ausdrücklich von zwei verschiedenen Städten, Laurentum und Lavinium sowie ihrer Berühmtheit als Ursprungsort römischer Kulte berichtet, die Aeneas dort geschaffen haben soll. Deren Überreste (Haine) konnten, sofern sie die Verwüstungen der Samnitenkriege überstanden hatten, noch im 1. Jh. n. Chr. besichtigt werden. Diesen >musealen< Charakter der Gegend bewahrte man anschei nend bis in die Kaiserzeit. Die im Hinblick auf die Abgrenzung der heili gen Bezirke (loca sacra) bedeutende alte Vermessung wurde noch von Vespasian, Trajan und Hadrian bestätigt, wobei das Territorium in Kleinstparzellen aufgeteilt wurde, die von Landverteilungen stets ausge nommen waren48. Es lassen sich so zwei Ebenen fassen, auf denen die historisch-mythi schen Beziehungen zwischen Rom und Lavinium sakralrechtlich zum Aus46
Römische Religionsgeschichte, 407.
47
GALSTERER, Herrschaft und Verwaltung im Republikanischen Italien, 1976, 87 f.; SALMON, The Making of Roman Italy, 1982, 55. Siehe auch Polybios 3,22,11 (Lauren tum) und Dion. Hai. 6,61,3 (Laurentum und Lanuvium). 48
Liber coloniarum I (Campania), p. 234: Laurum Lavinia lege et consecratione veteri manet. ager eius ab imppp. Vespasiano Traiano et Adriano in lacineis est adsignatus. iter populo non debetur. Die Bewahrung der alten Vermessung für Lauro-Lavinium aus religiösen Gründen war schon von RUDORFF, Die gromatischen Institutionen 1852/1967, 278 vermutet worden und wird auch von THOMAS, L'institution de l'origine, 1990, 170 wieder betont. THOMAS nennt Lavinium daselbst auch eine »cite symbolique«, deren Funktion über weitere Strecken in der Aufrechterhaltung der juristischen Qualität einer Stadt bestanden habe.
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2 Formen öffentlicher städtischer
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druck kamen: Zum einen durch die Einrichtung eines jährlichen Opfers, das auf Staatskosten von den höchsten Beamten und später durch eigens dazu bestellte Priester dargebracht wurde, zum anderen durch die Bewah rung der alten Vermessungen (lex et consecratio vetus) dieses Gebietes. Die Überlieferungslage zur Geschichte Caeninas, den Cabenses und Suciniani ist wesentlich ungünstiger, da sich überhaupt keinerlei Hinweise auf eine Pflege ihrer sacra durch Rom während der Republik ergeben. Die Vermutung von Latte, dass diese Priestertümer im Rahmen der Reorgani sation des Latinerfestes am Albaner Berg durch Augustus mit dem alleini gen Zweck einer stellvertretenden Teilnehmerschaft geschaffen wurden, hat daher einiges für sich49. Im Titel des cabensischen Amtes ist das auch evident: CIL VI 2021 nennt sacerdotes Cabenses feriarum Latinarum montis Albani, CIL VI 2174 sacerdotes Cabenses montis Albani. 2.2.2 Die sogenannten municipalia sacra italischer Städte Die Folgerungen, die aus der Existenz römischer Priestertümer für Lanuvium und Tusculum in der Kaiserzeit gezogen wurden50, reichen unter schiedlich weit. Mommsen nahm an, dass die Kulte aller von ihm als Halbbürgergemeinden bezeichneten italischen Städte, der latinischen so wie der »verschiedener Nationalität« unter Aufsicht der römischen Pontifi ces gestanden hätten. Neben den Inschriften stützte er sich auf Festus (p. 157)51 und Ovid (fasti 3,87 ff. und 6,57 ff.) wo sich die seiner Ansicht nach nicht von der pontifikalen Oberaufsicht zu trennende Kenntnis der Kalen der der Städte Alba, Anagnia, Aricia, Cures der Sabiner, Falerii, Ferentium, Lanuvium, Lavinium, Laurentum und Tusculum zeigt52. Diese Städte sind der Ansicht Mommsens nach alle irgendwann Halbbürgergemeinden 49
Römische Religionsgeschichte, 405. Nach Plinius (nat. hist. 3,68) hatten neben anderen diese untergegangenen Gemeinden noch bzw. schon vor der Reorganisation das Recht des carnem petere ex sacris Monte Albani cum Romanis (Varro, de ling. lat. 6,25). 50
Lanuvium: CIL V 6992 und 7814, CIL IX 4206-4208 und 4399, CIL X 4590, CIL XI 3014; der Titel in allen genannten Inschriften ist sacerdos (Lanuv.); Tusculum: CIL V 27 und 5036, CIL VI 217 und 2177, CIL IX 2565; Titel in diesen Inschriften ebenfalls sacerdos (Tusc). 51 Municipalia sacra vocantur, quae ab initio habuerunt ante civitatem Romanam acceptam; quae observare eos voluerunt pontifices, et eo more facere, quo adsuessent antiquitus. 52
MOMMSEN, 1887, Römisches Staatsrecht, Bd. IL 1, 27 und Bd. III. 1, 579 f.; so auch HUMBERT, Municipium et civitas sine suffragio, 1978, 267 f.
2.2 Sacra (publica) latinischer
Städte
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gewesen, worunter er und die Althistoriker seiner Zeit die municipia sine suffragio verstanden, Städte, deren Bürger Abgaben an Rom leisteten, aber kein politisches Stimmrecht dort hatten. Auf die Problematik dieses Argu mentes werde ich weiter unten eingehen. Zudem zog er Tacitus ann. 3,71 heran, der über den Fortuna Equestris Tempel in Antium bemerkte, »dass der gesamte Gottesdienst in den italischen Städten mitsamt den Tempeln und Götterbildern der Rechts- und Machtbefugnis Roms unterstehe.« 53 Ob man diese Stelle als Beleg für die Oberaufsicht der Römer oder ihrer Pontifices über die Kulte aller italischen Städte werten kann, ist fraglich: Der Anlass für die Feststellung, alle Zeremonien, Bildnisse und Tempel seien römischen Rechts und unter römischer Herrschaft {iuris atque imperii Romani), war die Frage, ob das Votum der römischen Ritter für die Ge sundheit der Kaiserin in dem Tempel der Fortuna Equestris rechtsgültig eingelöst werden konnte. Es gab zwar eine Reihe von Fortunaheiligtümern in Rom, jedoch keines, in dem Fortuna das Epitheton besaß, an das die Ritter ihr Votum gerichtet hatten: Erst »darauf wurde die in den Bereich der Religion fallende Frage aufgeworfen (sc. während einer Sitzung des Senats), in welchem Tempel man das Geschenk aufstellen müsse, das für die Genesung der Augusta die römischen Ritter der Fortuna Equestris ge lobt hatten. Denn hatte auch diese Göttin viele Heiligtümer in Rom, so trug doch keines dort einen solchen Beinamen« (Tacitus, ebenda). Daraufhin kam man auf den Tempel in Antium. Die zu dieser Gelegenheit erfolgte Feststellung des imperiums der Römer kann ebenso gut darauf abgezielt haben, dass nicht um eine Genehmigung der Antiaten bei der Aufstellung des Bildes nachgesucht werden musste und auch für zukünftige und ver gleichbare Fälle Vorsorge getroffen wurde. Wissowa, Latte und später auch Humbert sahen die Existenz der Priestertümer für Lanuvium und Tusculum im Zusammenhang mit denen der politisch erloschenen Gemeinden Alba, Lavinium, Caenina, der Cabenses und Suciniani, wobei der Unterschied zwischen beiden Gruppen ihrer Ansicht nach darin bestand, dass die Kulte der fortbestehenden Städte eine doppelte Pflege erhalten hätten: Einmal durch die Municipien selbst und außerdem durch Rom, da auch in diesen Fällen bei der >Inkorporation< die Verpflichtung zur Bewahrung der sacra auf Seiten der Römer entstanden
53
Cunctas caerimonias Italicis in oppidis templaque et numinum efßgies iuris atque imperii Romani esse.
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2 Formen öffentlicher städtischer
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sei. Sie nahmen auf Grund der Festusstelle (p. 157) an, dass der Kreis der Priestertümer, d. h. die römische Aufsicht sich folglich auf eine größere Anzahl von Städten erstreckt haben muss54. Gegen die Mutmaßung, es habe neben Lanuvium und Tusculum noch weitere römische Priestertümer - hier gleichzusetzen mit der pontifikalen Aufsicht - für latinische oder italische Gemeinden gegeben, lässt sich zu nächst einmal das gleiche Argument, das Latte schon für Alba, Lavinium, Caenina etc. vorgebracht hatte, geltend machen. Wie bei jenen sind die Priestertümer für Lanuvium und Tusculum mehrfach bezeugt, wohingegen es keinen Hinweis - weder in der Republik, noch in der Kaiserzeit - auf die Existenz weiterer solcher Ämter für andere Städte oder Völker Italiens gibt. Die weiter oben erwähnte Festusstelle als Indiz dafür zu werten, dass die römischen Pontifices die Aufsicht über die sacra aller latinischen oder sogar italischen Municipien hatten, ist aus verschiedenen Gründen proble matisch. So ist nicht klar, ob Festus einige bestimmte, als bekannt voraus gesetzte Municipien meinte oder alle Municipien. Wollte er sacra municipalia als Kultgruppe, wie z.B. die sacra peregrina der Ceres und der Mater Magna (p. 237) innerhalb der sacra Romana näher beschreiben, indem er feststellte, dass diese schon vor Aufnahme der entsprechenden Gemeinden bestanden und die Pontifices darauf achteten, dass diese Kult handlungen aufrechterhalten (observare) und in der Weise durchgeführt wurden, wie von alters her gewohnt (eo more facere, quo adsuessent antiquitus)! Oder sollte damit ausgesagt werden, dass sämtliche Kulte jeder Stadt unter die Aufsicht der Pontifices kamen, sobald diese zum Municipium wurde? In diesem Fall ist auffällig, dass eine solche Funktion der Pontifices dann nicht anders als durch Festus überliefert ist. Dort, wo Funktionsbeschreibungen vorliegen, beschränken sie sich auf ihre Aufga ben für die römischen Kulte55.
54
WISSOWA, Religion und Kultus, 44 und 521; LATTE, Römische Religionsge schichte, 406 f. 55
Vgl. auch Dion. Hai. 2,73,2 und Cicero, de leg. 2,(8)20 und 2,(12)30. Ihr sporadi sches Mitwirken bei Kulthandlungen außerhalb Roms (z.B. Servius, Aen. ed. DlEHL 7,678 in Praeneste) und vor allem die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Entsühnung von Prodigien müssen nichts über eine generelle Oberaufsicht sagen. Systematisch ge ordneter Überblick bei BEARD, Priesthood in the Roman Republic, 1990, 20, Tab. l.A, die das Problem der latinischen Priestertümer allerdings bewusst ausgeklammert hat.
2.2 Sacra (publica) latinischer Städte
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Neben diesen Überlegungen ist zu berücksichtigen, dass das Institut des Municipiums ein politisches Herrschaftsm/Yte/ war, wobei im 4. Jh. v. Chr. und auch später noch zwischen municipia optimo iure und municipia sine suffragio unterschieden wurde. Das Unterscheidungsmerkmal war be kanntlich, dass die Bürger der Municipien mit vollem Recht (oppida civium Romanorum) durch Einschreibung in die römischen Tribus und die Möglichkeit zur Bekleidung römischer Magistraturen am politischen Le ben in Rom partizipieren konnten, während die anderen municipes auf die Funktion des munera capere, also die Erbringung von finanziellen und militärischen Leistungen beschränkt blieben56 - im einen wie im anderen Fall ging es um Anschluss an oder Ausschluss von Politik und Herrschaft, nicht von Kult oder Religion. Dort, wo Livius über municipale Kulte be richtet, wird ausdrücklich hervorgehoben, wenn es davon Ausnahmefälle wie Lanuvium gab. Als 306 v. Chr. die Anagnier und andere Städte, die Krieg gegen Rom geführt hatten, zu municipia sine suffragio geworden waren, beließ man ihnen gerade die Magistraturen, die zur Aufrechterhal tung und Durchführung ihrer sacra erforderlich waren57. Lanuvium hinge gen wird ausdrücklich als Sonderfall hervorgehoben, als es 338 v. Chr. zum Latinerfrieden kam (Livius 8,14,2-5)58. Aufgrund der Vereinbarung mit Lanuvium wurde in dem dortigen Heiligtum der Juno Sospita von den jeweils amtierenden römischen Konsuln alljährlich ein Opfer dargebracht (Cicero, pro Murena 90). Diese Aufgabe war in der Kaiserzeit dann wahr scheinlich, ähnlich wie bei Lauro-Lavinium, auf das Amt des sacerdos Lanuvinis übertragen worden59. Dazu aber jetzt ausfuhrlich SCHEID/GRANINO-CECERE, Les sacerdoces publics equestres, 1999, 97 ff. 56 GALSTERER, Herrschaft und Verwaltung im Republikanischen Italien, 1976, 66 f. und SALMON, The Making of Roman Italy, 1982, 46 f. 57 Livius 9,43,24: data concilia conubiaque adempta et magistratibus praeterquam sacrorum curatione interdictum. 58 Lanuvinis civitas data sacraque sua reddita, cum eo ut aedes lucusque Sospitae Iunonis communis Lanuvinis municipibus cum populo Romano esset. Aricini Nomentanique et Pedani eodem iure quo Lanuvini in civitatem accepti. Tusculanis servata civitas quam habebant, crimenque rebellionis a publica fraude in paucos auctores versum. 59 Diese Opfer hatten mit der Rezeption des Kultes der Juno Sospita von Lanuvium im Jahr 197 v. Chr. durch Votum des Konsuls C. Cornelius Cethegus nichts zu tun. LATTE, Römische Religionsgeschichte, 168 meint, Rom habe diesen Kult auf mehrfache Weise zum Staatskult gemacht. Durch eigenen Tempelkult, das Opfer der Konsuln in
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Religionen
Welcher Art mögliche religiöse Vereinbarungen in dem vermutlich durch foedus zustande gekommenen Anschluss Tusculums an Rom wa ren60, lässt sich weniger klar bestimmen, da die spätere Annalistik bemüht war, diesen Anschluss als einseitiges Diktat der Römer bzw. als römischen Sieg darzustellen. Es wäre möglich, dass religiöse Abmachungen im Zu sammenhang mit der Rezeption des Castor und Pollux-Kultes Tusculums standen, von dem der römische ein Filialkult war61. Von den bisherigen quellenkritischen Argumenten abgesehen, gibt es noch einen weiteren Grund, der gegen die Annahme spricht, Rom habe die cura für die Kulte oder Heiligtümer aller italischen Städte über die ge nannten Fälle hinaus gehabt. Zum einen ging es bei den geschilderten Ak tivitäten der Römer ohnehin nur um die Schaffung von Priestertümem oder Beteiligung an den sacra mit der Konnotation von Opfern oder Kulthand lungen und nicht um die sacra im materiellen Sinn, also Tempel, Altäre, Bildnisse und dergleichen. Es wäre aber zu erwarten, dass bei einer sol chen Oberaufsicht über die Kulthandlungen und deren Erhaltung oder Kontrolle durch die Pontifices auch aktive Maßnahmen der römischen Verwaltung zur Bewahrung und Erhaltung der Kultstätten ergriffen wur-
Lanuvium und die Ernennung des lanuvinischen Flamens. Nach Cicero war der lanuvinische Kult von Rom jedoch unabhängig. Pro Milo 27 (vgl. auch 45 f.) heißt es: Interim cum sciret Clodius - neque enim erat difficile scire - iter solemne, legitimum, necessarium ante diem XIII Kalendas Februarias Miloni esse Lanuvium ad flaminem prodendum, quod erat dictator Lanuvii Milo, (...). Milo besaß zwar das römische Bürgerrecht, stammte zugleich aber auch aus Lanuvium. wo er Inhaber der lanuvinischen Magistratur des dictator war. In dieser Eigenschaft und nicht als >Römer< ernennt er den lanuvini schen ßamen. 60 61
So GALSTERER, Herrschaft und Verwaltung im Republikanischen Italien, 1976, 65.
WISSOWA, Religion und Kultus, 47 datiert die Rezeption anlässlich der Legende am Lacus Regillus (Dion. Hai. 6,13; Valerius Maximus 1,8,1; Cicero, de nat. deorum 2,2,6 und 3,5,11) in das zweite Jahrzehnt der Republik hinauf. Die Hauptargumente für die Rezeption aus Tusculum, wo er Hauptkult war, sind die Lage des römischen Tempels intra pomerium, sowie die Tatsache, dass er nicht den XV viri s.f unterstellt war, was eine »griechische« Rezeption ausschloss. Als weiteres Indiz gelten die Münzen des L. Servius Sulpicius Rufus, die anlässlich der Erinnerung an die angebliche Eroberung Tus culums geprägt wurden und das Castor-und-Pollux-Emblem trugen (LATTE, Römische Religionsgeschichte, 174; PETERSON, The Cults of Campania, 1919, 27). Welche Funkti onen der sacerdos für Tusculum aus republikanischer Zeit in der Kaiserzeit übernahm, bleibt ungewiss.
2.2 Sacra (publica) latinischer Städte
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den. Von Ausnahmen abgesehen, bei denen es sich um Beneficien der Kai ser handelte, war dies jedoch nicht der Fall62. 2.2.3 Bundesheiligtümer mit latinischen Städten Wie bereits Cancik festgestellt hat, haben die Römer die ihnen aus ihrer eigenen republikanischen Geschichte und den religiösen Organisationen der Griechen sehr wohl bekannte Konzeption des sakralen Bundes nicht für die Provinzen genutzt63. Die Einrichtung sakraler Bündnisse blieb auf latinische Gemeinden beschränkt und sie nehmen deshalb eine Sonderrolle gegenüber anderen italischen und provinzialen Städten ein. Eines der Heiligtümer, das die Römer mit ihren latinischen Verbündeten gemeinsam hatten, war das der Diana auf dem Aventin. Es soll ein Filial kult der Diana von Aricia gewesen sein, deren Heiligtum nach Cato (orig. fr. 58 Peter) ursprünglich der Sitz des Bündnisses war. Mitglieder waren neben Rom und Aricia Tusculum, Lanuvium, Laurentum, Cora, Tibur, Suessa Pometia und Ardea. Sherwin-White hält es für wahrscheinlich, dass zu der Zeit, als die beteiligten populi ihre Feste noch in Aricia abhielten, der Bund zwar ein Zusammenschluss der bedeutendsten latinischen Ge meinden, jedoch von »rein sakralem Charakter« war64. Es ist allerdings eher fraglich, ob eine solche Trennung in sakrale und politische Bündnisse wahrscheinlich ist. Erst in der späteren Überlieferung bei Livius und Dionysios von Halikarnass zu dem Dianaheiligtum auf dem Aventin tritt der politische Aspekt in den Vordergrund. Nach Livius (1,45,2) war es König Servius, der den Bau initiierte: »Bereits zu dieser Zeit war das Heiligtum
62
CIL X 6422, Restaurierung des Circealtars in Circeii ex auctoritate imp. et decreto collegii XV virum s f., durch deren Promagister im Jahr 213 n. Chr. Als ausgesprochener Fehltritt wird von Sueton (div. Claudius 5,25,5) die von Claudius veranlasste Reparatur des Venus-Erycina-Heiligtums in Sizilien dargestellt, da sie aus Mitteln des römischen Staatsschatzes erfolgte. Von den Kaisern privat finanzierte oder finanziell unterstützte Restaurierungen waren hingegen übliches beneficium. Dazu MACMULLEN, Paganism in the Roman Empire, 1981, 102. 63 CANCIK, Die >Repraesentation< von >Provinzen< (nationes, gentes) in Rom, 1997, 141 f. CANCIK hat in diesem Zusammenhang u. a. darauf hingewiesen, dass es weder pan-römische Feste noch Kultzentren im Westen gab. 64 SHERWIN-WHITE, The Roman Citizenship, 1973, 13. AMPOLO, Boschi sacri e culti federali, 1993, 161 f. hat neuerdings die Ansicht vertreten, der lucus Dianius und der nemus Arcicium seien zwei verschiedene Heiligtümer; kultischer Mittelpunkt des latini schen Bundes sei der lucus Dianius gewesen.
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der Diana (sc. Artemis) von Ephesos allgemein bekannt. Es hieß, es sei von den Städten Kleinasiens gemeinsam errichtet worden. Diese Einmü tigkeit und die gemeinsame Verehrung der Götter lobte Servius ungemein im Kreise der vornehmsten Latiner, mit denen er ganz bewusst offizielle und als Privatmann gastrechtliche Beziehungen und Freundschaften ge knüpft hatte. Dadurch, dass er den gleichen Gedanken immer wieder vor brachte, erreichte er schließlich, dass die latinischen Völker gemeinsam mit dem römischen Volk in Rom ein Dianaheiligtum errichteten«. In dieser Darstellung geht die Einigung Roms und der latinischen Völ ker von Rom aus; von dem aricianischen Vorläufer ist nicht mehr die Rede. Gleichwohl wird deutlich, dass es sich um einen Verband anschei nend noch gleich starker Partner gehandelt hatte. Dieses Bild vermittelt auch Dionysios von Halikarnass, der die Bundes- und Festordnung in situ selbst besichtigt hatte. Sie evozierte in seiner Vorstellung das Schema ei nes bouleuterions, eines Zusammenschlusses von Gleichen (4,26,1-5: isopol i toi). Das andere Bundesheiligtum war das des Jupiter Latiaris auf dem Mons Albanus. Bis zum 6. Jh. war Alba Longa für die Verwaltung des Heilig tums bzw. des heiligen Hains verantwortlich gewesen. Welche latinischen Gemeinden in dieser Zeit und später genau beteiligt waren, ist nicht über liefert: Es existiert eine unvollständige Liste bei Plinius (nat. hist. 3,69), in der die im 1. Jh. v. Chr. bereits nicht mehr bestehenden Städte aufgeführt werden. Dionysios von Halikarnass (4,49,2) berichtet, dass bei der Neu gründung des Latiars durch Tarquinius Superbus die Anzahl der an den feriae latinae teilnehmenden Gemeinden 47 betragen haben soll. Eine politische Bedeutung hatte das Heiligtum und das dort jährlich stattfin dende Opfer insofern, als zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten ein heiliger Friede herrschte, der für die Mitglieder der Gemeinschaft galt. Latte ver mutete einen durch etruskisches Vorbild vermittelten griechischen Einfluss bei der gesamten Institution65. Der Gottesfrieden und die Opfergemein schaft weisen seiner Ansicht nach starke Parallelen zur Amphiktyonie der Griechen auf. Die Gründung beider Heiligtümer und entsprechender Bündnisse, seien diese nun »rein sakraler« oder sakraler und politischer Art, fiel in eine frühe Zeit der römischen Geschichte, d. h. in das 6. und 5. Jh. v. Chr. In
Römische Religionsgeschichte, 145.
2.2 Sacra (publica) latinischer
Städte
11
dieser Zeit kann noch nicht von römischer Herrschaftsorganisation gespro chen werden. Es handelte sich wohl eher darum, dass die Römer sich poli tisch mit den anderen Latinern arrangierten. Auch wenn Rom der Sitz des Bundesheiligtums der Diana wurde und die Nachfolge des zerstörten Alba Longa in der Verwaltung des Latiars antrat, blieben beide Kultstätten Bun desheiligtümer. An diesen hatten nur Rom und die latinischen Gemeinden Rechte, wie zum Beispiel das ius ex Albano Monte ex sacris carnempetere cum Romanis (Varro, de ling. lat. 6,25). Außerdem verbanden die Römer und die latinischen Gemeinden politische Rechte, die den Latinern einen Sonderstatus unter den Verbündeten Roms verliehen. Es handelte sich um die Elemente des in späterer Zeit als latinisches Recht bekannt gewordenen Privilegienkomplexes von conubium, commercium, ius migrandi und ius suffragii.
2.3 Sacra publica verbündeter und freier Städte Grundsätzlich stellt ein Bündnis der Stadt Rom mit anderen Städten ein in Italien erprobtes und später auch in den Provinzen angewandtes Herr schaftsmittel dar. Die Bündnisse der Römer mit italischen Gemeinden sind, wie eben dargelegt, von den Bündnissen mit latinischen zu trennen: Die Römer besaßen nur mit einigen verbündeten latinischen Gemeinden ge meinsame Heiligtümer, nicht jedoch mit anderen verbündeten italischen Städten. Als wichtigster Grund für diesen Unterschied ist wohl der spora dische Charakter der nicht-latinischen Bündnisse zu sehen. Die konkreten kurzfristigen politischen und/oder militärischen Erfordernisse der römi schen Bündnispolitik besonders in Kriegssituationen führten zu keinen Dauerbündnissen wie mit den Latinern. Politische Bündnisse mit Städten, die außerhalb Latiums lagen, ging Rom erst ein, als seine Herrschaft in Mittelitalien schon gefestigt war. Aus Sicht der Römer hat sich offenbar kein Anlass ergeben, enge und auf Dauer angelegte Bündnisse durch ge meinsame Heiligtümer und regelmäßig stattfindende Opfer zu entfernt ge legenen Gemeinden zu etablieren. Kult und Religion waren nur in wenigen Fällen Gegenstand und Teil der foedera, die Rom mit seinen socii hatte. Doch gibt es Hinweise darauf, dass eine verbündete Stadt bzw. ihre Heiligtümer nicht in dem Masse wie andere Städte den Übergriffen römischer Beamter ausgesetzt sein sollten.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
Diese Vermutung wird durch eine Episode nahegelegt, die bei Livius überliefert ist. In der Nähe von Kroton lag ein Juno-Lucina-Heiligtum, die zentrale Kultstätte für die in der Umgebung wohnenden populi. Es verfügte über bedeutende Tempelschätze (Livius 24,3,3). Im Jahr 173 v. Chr. hatte der römische Zensor Q. Fulvius Flaccus die Dachziegel dieses Tempels abdecken lassen, um damit einen von ihm gelobten Fortunatempel in Rom zu schmücken. Livius beschreibt die Reaktionen der Bruttier und der Rö mer auf dieses Vorgehen: In den Augen der Bruttier handelte es sich um ein sacrilegium (d. h. Tempelraub). Allein seine Position als Repräsentant des mächtigen Rom hielt die Bruttier davon ab, das Abdecken des Tempels zu verhindern (Livius 42,3,3). In Rom selbst gab es zunächst keine offi zielle Reaktion. Nach Bekanntwerden des Herkunftsortes der Ziegel, die in Rom als Schiffsladung angekommen waren, wurde die ganze Angelegen heit Stadtgespräch. Im Senatsgebäude gab es Missfallensäußerungen von nicht namentlich genannten Senatoren. »Von allen Seiten« d. h. von den anwesenden Senatoren wurde schließlich gefordert, die Konsuln sollten die Sache auf die Tagesordnung setzen, was auch geschah (Livius 42,3,4-5)66 . Aus dem Bericht des Livius geht nicht eindeutig hervor, um welches vom Senat durchgeführte rechtliche Verfahren es sich handelte. Es hatte eine relatio gegeben (42,3,10), nach der eine sententia durch den Senat erfolgte. Das Abdecken der Ziegel durch Q. Fulvius Flaccus wurde als piaculum eingestuft und dementsprechend gesühnt. Zudem beschloss man, die Ziegel unverzüglich zurück zu transportieren. Der Zensor wurde nicht persönlich belangt, sondern der Vorfall wie eine Verfehlung des römischen Volkes behandelt (42,3,9: obstringere religione populum Romanum ruinis templorum). Insgesamt scheint es sich bei dem geschilderten Verfahren um eine Hilfskonstruktion gehandelt zu haben. Das Repetundenverfahren existierte noch nicht und wäre ohnehin nicht zur Anwendung gekommen, da Flaccus 66
Vgl. auch SCHEID, Le delit religieux dans la Rome tardo-republicaine, 1981, 140: »Ainsi Fulvius se trouvait marque par son impiete comme Plinius et Pyrrhus; leur echec ou leur folie, leur mort deshonorante, qu'il s'agisse d'une invention ou d'une reinterpretation de faits reellement advenus, sont lä pour signaler au public l'exclusion sociale qui frappe celui qui se trouve contamine par une impiete.« 141: »D'une part la cite repare et expie le delit religieux qu'elle avait commise involotairement. D'autre part eile juge les coupables du delit pour la violation des ordres, pour un Amtsverbrechen, et non pas pour leur impiete«.
2.3 Sacra publica verbündeter und freier Städte
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kein Amt in einer Provinz ausgeübt und in dieser Eigenschaft auch keine Verfehlung begangen hatte. Die Bruttier selbst hatten ihn außerdem nicht in Rom angeklagt - dafür gab es keine Prozessgrundlage. Bleibt die im Vorfeld der Senatssitzung geäußerte Kritik an dem Zensor: An erster Stelle wird die Erhabenheit des beschädigten Tempels genannt (42,3,6), die Flaccus missachtet und sich dadurch als pietätloser als zwei der ärgsten Feinde Roms, Pyrrhos und Hannibal, die den Tempel unversehrt ließen, gezeigt habe. Die nächsten Kritikpunkte wurden mit den Amtsaufgaben und der dignitas des römischen Zensorenamtes verbunden. Die Pflicht des Zensors sei es, die Sitten im Sinne des römischen mos maiorum zu lenken. In die sem Fall bedeutete das, die Ausbesserung der Dächer an den öffentlichen Heiligtümern Roms zu überwachen und für ihre Instandhaltung zu sorgen, anstatt »durch die Städte der Bundesgenossen zu ziehen, ihre Heiligtümer zu zerstören und die Dächer ihrer Tempel abzudecken« (42,3,7). Der Vor wurf eines Mangels an dignitas, Würde, wurde aus dem Grundsatz abge leitet, dass die Häuser von Bundesgenossen von römischen Amtspersonen nicht zerstört werden sollten; in gleichem wenn nicht größeren Maße gelte dieses Prinzip für die Tempel der Götter (42,3,8). Hieran schließt sich endlich die Feststellung des religiösen Fehl Verhaltens von Flaccus: Es gab einen Tempel der Juno Lucina auch in Rom. Die damit gleichbedeutende Anwesenheit dieser Göttin in Rom schloss es nach damaliger Ansicht aus, ihr, die in Bruttium die gleiche war wie in Rom, dort etwas wegzunehmen, um es einer anderen Göttin (sc. dem von Flaccus gelobten Fortunatempel) andernorts zu weihen (42,3,9). Bis auf das piaculum kam keines der übrigen Argumente in der Sitzung zur Sprache oder wurde Gegenstand der Erörterung. Man kann daraus fol gern, dass solche Verfehlungen so selten vorkamen, dass sich keine eigene Anklageform daraus entwickelte oder/und Fragen des Kultus betreffende Angelegenheiten nicht Gegenstand von foedera waren. Eine Bevorzugung der Verbündeten durch Rom war, dass die Römer zuweilen einen Teil der Beute an Waffen und sonstige Beutestücke, wie z. B. nach dem Samnitenkrieg ad templorum locorumque publicorum ornatum den Verbündeten und ihren eigenen Kolonien abtraten (Livius 10,46,7). 2.3.1 Außeritalische
Gemeinden
Das Spektrum der Möglichkeiten von Verfassungstypen, welche freie Städte außerhalb Italiens besaßen oder besitzen konnten war insgesamt
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
breiter als in Italien. Wenn auch in vielen Fällen freie oder verbündete Städte griechische poleis waren und daher für griechische Städte typische oder übliche sakrale Institutionen besaßen, so fallen hierunter auch Ge meinden beispielsweise des punischen, syrischen oder ägyptischen Kultur kreises. Die Gemeinsamkeit der freien und verbündeten Städte im Imperium Romanum bestand nicht in einer für freie und/oder verbündete Städte signifikanten Ähnlichkeit in der Kultpraxis - außer bei den griechi schen Städten. Sie bestand vielmehr in der Abwesenheit unmittelbarer Konsequenzen auf die städtischen Kulte bzw. der >fehlenden< Übernahme einer römischen Verfassung und damit römischer Sakralrechtsnormen. Eines der in der Sekundärliteratur häufig angeführten Zeugnisse für den Rechtszustand der freien und in der Regel zugleich peregrinen Städte ist der Briefwechsel zwischen Trajan und Plinius. Plinius hatte sich mit einer Anfrage (epist. 10,49) an den Kaiser gewandt, durch die er Klarheit zu schaffen versuchte, ob ein Heiligtum - es handelte sich um den MaterMagna-Tempel von Nikomedien - »ohne Verletzung der Religion verlegt werden kann« (... salva religione posse transferri). Er war auf diese Frage gekommen, weil sich vor Ort keine Stiftungsurkunde finden ließ, aus der hätte entnommen werden können, ob a) die Verlegung des Tempels recht lich unbedenklich war und/oder b) wie die (erneute) Weihe rechtsgültig vorzunehmen war. Der im Kontext dieses Kapitels relevante Teil der Ant wort Trajans ist die Feststellung, dass Plinius dieses Problem nicht zu be schäftigen habe, da es sich um einen fremden Stadtstaat handele, für den die römischen Weihevorschriften nicht maßgeblich seien67. Die peregrinen Gemeinden konnten die Weihung von Kultstätten demzufolge nach wie vor als interne Angelegenheit betrachten; dieser Status quo wurde jedenfalls von Trajan bestätigt. Sowohl die freien Städte als auch die Römer selbst waren sich stets bewusst, dass genauso wie in Italien auch in den Provinzen zur politischen Freiheit die städtischen Heiligtümer gehörten. In seiner Rede Deprovinciis consularibus (4,7) hielt Cicero dem Caesoninus Calventius als politisches Fehlverhalten vor, dass dieser die Stadt Byzantion, eine »wegen ihrer au ßerordentlichen Verdienste um Rom vom Senat und römischen Volk als frei erklärte Stadt«, ihrer Götter- und Kultbildnisse vollständig beraubt
67
Epist. 10,50: ... nee te moveat, quod lex dedicationis nulla reperitur, cum solum peregrinae civitatis capax non sit dedicationis, quaefit nostro iure.
2.3 Sacra publica verbündeter und freier Städte
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habe. Der Abtransport von Götter- und Kultbildnissen aus den Heiligtü mern unfreier Gemeinden Achaias und des übrigen Griechenlands durch Caesoninus Calventius wurde hingegen zwar als moralisch verwerflich, jedoch >politisch nicht unkorrekt< qualifiziert. Pausanias gibt den Grund für den Status von Abai (Phokis) als freie Stadt damit an, dass die Römer das dort situierte Apollorakel bzw. den Gott sehr geachtet hätten (10,35,2): »Die Behandlung, die der Gott (sc. Apollo) in Abai von den Persern er fuhr, stand im Gegensatz zu der Ehre, die ihm die Römer entgegenbrach ten. Während nämlich die Römer Abai Freiheit von (ihrer) Verwaltung gaben, weil die Einwohner den Apollo so sehr verehrten, brannte Xerxes, wie andere es auch taten, das Heiligtum in Abai nieder. ... (4) Neben dem großen Tempel ließ der Kaiser Hadrian später sogar einen weiteren, klei nen Tempel bauen«. Neben den literarischen Zeugnissen sollten auch ar chäologische Befunde Aufschluss darüber geben, in wieweit freie oder verbündete Städte und ihre Heiligtümer entweder einen besonderen Schutz genossen und wie selbständig die Organisation dieser Städte blieb. 2.3.2 Fallbeispiele Die Auswahl an freien und mit Rom verbündeten Städten, deren Kultge schichte zumindest ansatzweise dokumentiert ist, ist sehr begrenzt. Mit Pergamon und Thugga sind zwei in der Forschung prominent untersuchte Gemeinden gewählt worden. Freilich lässt sich in beiden Fällen trotz einer vergleichsweise günstigen Grabungssituation keine lückenlose Dokumen tation der Kulte in römischer Zeit erstellen. Zum einen sind nicht alle Funde entsprechend publiziert, zum anderen ist die Überlieferung und Er haltung der archäologischen Monumente nicht unbedingt repräsentativ, sondern wohl eher von Zufälligkeiten geprägt; eine heute getroffene These kann jederzeit durch Neufunde eine Bestätigung aber auch Relativierung erfahren. Die folgenden und in späteren Kapiteln angestellten Überlegun gen zu Fallbeispielen städtischer Kulte mögen daher als Versuch genom men werden, sowohl die auf schriftlichen Quellen beruhenden Überlegungen zu veranschaulichen und zu verifizieren, als auch die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, die die Lückenhaftigkeit des Materials mit sich bringt.
2 Formen öffentlicher städtischer
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Religionen
2.3.2.1 Pergamon Pergamon ist eine archäologisch erforschte und dokumentierte Stadt grie chischen TypsFreiheitGerichtssprengelf(ectus) c(oloniae) G(enetivae) I(uliae) quicumque erit, is suo quoque anno mag(istratu) imperioq(ue) facito curato, quod eius fleri poterit, u(ti) r(ecte) f(actum) <e(sse)> v(olet) s(ine) d(olo) m(alo) mag(istri) adfana templa delubra, que ad modum decuriones censuerint, suo quque anno fiant equ[e] d(ecurionum) d(ecreto) suo quoque anno ludos circenses, sacr[i]ficia pulvinariaque facienda curent, que fajd modum quitquit de iis rebus, mag(istris) creandis, [lujdis circensibus faciendis, sacrificiis procu[rJandis, pulvinaribus faciendis decuriones statuerint decreverint, ea omnia ita fiant. deque iis omnibus rebus quae s(upra) s(criptae) s(unt) quotcumque decuriones statuerint decreverint, it ius ratumque esto, ... 114
Vgl. auch Vitruv, de architectura 1,7: Divis angiportis etplateis constitutis arearum electio ad opportunitatem et usum communem civitatis est explicanda aedibus sa-
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
praktisch nicht vorhandenen archäologischen Befundes unklar, ob Kult plätze aus einer bestehenden Vorgängersiedlung (vgl. Plin. nat. hist. 3,12; Strabo 3,141) umgewidmet oder Plätze neu bestimmt wurden. Aus Ab schnitt LXX geht hervor, dass auf Kosten der amtierenden Duoviri für Ju piter, Juno und Minerva sowie weitere, namentlich nicht näher bestimmte Götter ludi scaenici abzuhalten sind (ebenso von den Aedilen, vgl. LXXI). Daraus kann man auf ein Capitolium und einen entsprechenden Kult schließen. Der Venus waren Spiele im Circus oder auf dem Forum der Stadt gewidmet (LXXI). Das lässt die kultische Anwesenheit dieser Göttin durch Heiligtum und/oder Altar vermuten. Sie war wohl schon deshalb kultisch präsent, weil sie als Venus Genetrix, mythische Stammmutter der Aeneaden, für deren Nachkommen sich die Julier hielten, auch Caesars besondere Schutzgöttin war115, die der Kolonie den Namen gegeben hatte: Colonia Genetiva Iulia sive Ursonensis. Die Informationen, welche die lex über die einzelnen Amtshandlungen der Priester gibt, sind sehr knapp und gehen auf die sakralen Funktionen nicht ein. Möglicherweise inaugurierten die kolonialen Auguren - jeden falls wohl bis in spätrepublikanische Zeit116 - sakrale und politische Stät ten der neu zu gründenden Stadt (Cicero, de leg. agr. 2,31; polemische Übertreibung der Zahl der Auguren: ebd. 2,96). Weitere Aufgaben nach dem Gründungsakt waren die Einholung von Auspizien und damit zusammenhängende, in der Verfassung nicht erläu terte jurisdiktioneile Kompetenzen. Augures und pontifices traten gemein sam bei der Durchführung von öffentlichen Opfern der Kolonie in ebenfalls nicht weiter spezifizierter Form in Aktion (LXVI). Die Bestim mung pontifikaler Tätigkeiten darüber hinaus ist spekulativ. Es gibt es ein Zeugnis für ihre rituelle, mit der stadtrömischen identische Funktion in einer Inschrift aus Dalmatien (FIRA III, No. 74, römische Kolonie Salona, 137 n. Chr.), laut der ein Pontifex dem weihenden Magistrat die korrekten
cris, foro reliquisque locis communibus. aptae templis areae sunt distribuendae. 115 116
... Ceterisque diis ad sacriflciorum
rationes
W1SS0WA, Religion und Kultus, 77, 292 f.
BEHRENDS, Bodenhoheit und privates Bodeneigentum im Grenzwesen Roms, 1992, 230, hat die Vermutung ausgesprochen, dass die Durchführung der Koloniegrün dung in der Kaiserzeit ganz in der Hand der Agrimensoren gelegen habe.
2.5 Sacra publica von Kolonien
103
Worte bei der Weihung eines Jupiteraltares vorsprach117. Ein anderes Bei spiel für die Anwendung römischen Sakralrechtes auf dem Territorium römischer Kolonien - allerdings ohne Beteiligung eines pontifex - ist in der thuggensischen Weihinschrift eines Saturntempels zu sehen (ILAfr. 558). Ein duovir der Kolonie Karthago weihte für den pagus römischer Bürger in Thugga im 1. Jh. n. Chr. den Tempel zum sacrum {publicum). Der pagus gehörte verwaltungsrechtlich damals noch zu Karthago und deshalb wurden offizielle Weihungen von den zuständigen städtischen Be amten vorgenommen118. Aus der Verfassung von Urso geht weiter hervor, dass augures und pontifices sowie die römischen Priester, in Kollegien organisiert, frei vom Militärdienst und anderen öffentlichen Diensten sein sollten. Sie durften zu bestimmten Gelegenheiten die toga praetexta anziehen und unter den De curionen bei Spielen und Gladiatorenkämpfen sitzen (LXVI). Die Kolle gien der augures und pontifices bestanden aus mehr als drei Mitgliedern. Wenn die Zahl auf drei gesunken war, mussten neue Mitglieder kooptiert oder gewählt werden (LXVII). Die entsprechende Versammlung bei Ko optation oder Zuwahl wurde vom amtierenden duovir oder praefectus ein berufen und geleitet (LXVIII). Augures und pontifices waren wie die Decurionen verpflichtet, mindestens fünf Jahre vor der Amtsübernahme ihr Domizil in der Stadt oder nicht weiter als eine Meile davon entfernt zu haben (XVI). Haruspices schließlich sind ohne die Nennung spezieller Amtspflichten als subalterne Beamte der duoviri in Abschnitt LXII ge nannt. Dass Details der Verfassung von Urso nicht ohne weiteres auf die Gründung anderer oder gar aller Kolonien übertragen werden können, zei117
[L. Aelio Caesare II P. Coelio BJalbino Vibullio Pio cos. [VII idus] Octobres. / [C. Domitius Valens Ilvir i(ure) d(icundo) praejeunte C. Iulio Severo pontif(ice), / [legem dixit in ea verba quae infra] scripta sunt: / [Iuppiter optime maxime, quandoque tibi] hodie hanc aram dabo dedicaboque, ollis leg(ibus) /[ollisque regionibus dabo dedicaboque, quas hie] hodie palam dixero, uti infimum solum huius arae est: / [si quis hie hostia sacrum faxit, quod magmentum n]ec protolla it circo tarnen probe factum esto: ceterae / [leges huic arae eaedem sunto, quae arae Dianae sunt i]n Aventino monte dictae. Hisce legibus hisce regionib(us) / [sie uti dixi hanc tibi aram, Iuppiter optime maxime, do] dico dedicoque, uti sis volens propitius mihi collegisqu[e] / meis decurionibus colonis incolis coloniae Martiae Iuliae Salonae, coniugibus liberisque nostri[s]. 118 CHRISTOL, Remarques sur une inscription de Thugga, 1991, 617; CHASTAGNOL, La civitas de Thugga d'Auguste ä Marc Aurele, 1997, 52 f.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
gen vor allem diejenigen Kolonien, von denen nur Grabungsbefunde und keine Verfassungen bekannt sind. Die folgenden Beispiele sollen verdeut lichen, dass man zwar annehmen muss, dass eine neu gegründete Kolonie eigene öffentliche Kultstätten (sacra publica) erhielt, doch scheint es kei neswegs gesichert, dass die Römer auf einen bestimmten Kanon offizieller römischer Gottheiten fixiert waren. Die Beispiele Posidonia/Paestum und Korinth zeigen die Möglichkeit, dass vorrömische Kult- bzw. Tempelbau ten übernommen werden konnten. Dabei ist anhand des archäologischen Materials nicht immer eindeutig zu klären, welche Rolle eine mutmaßliche Einführung des römischen Ritus bei der baulichen Umgestaltung dieser Bauten spielte. 2.5.2 Sacra publica von Kolonien in Vor ganger Siedlungen 2.5.2.1
Posidonia/Paestum
Die latinische Kolonie Paestum wurde im Jahr 273 v. Chr. in der griechi schen Stadt Posidonia gegründet (Velleius Paterculus 1,14,7; Livius, epit. 14)119. Posidonia war zum Zeitpunkt der Gründung der latinischen Kolonie in baulicher Hinsicht eine intakte Stadt und mit allen für die Bedürfnisse einer Bevölkerung erforderlichen öffentlichen Bauten ausgestattet: agora mit bouleuterion sowie verschiedene inner- und außerstädtische Heiligtü mer. Als eine der ersten baulichen Maßnahmen unmittelbar nach Gründung der römischen Kolonie wurde trotzdem zuerst das vormalige Areal der agora im südlichen Bereich durch die Anlage eines Forums mit entspre chenden Anliegerbauten überbaut und damit das griechische Stadtzentrum neu ausgerichtet120. Ebenfalls in die Zeit der Koloniegründung fallt der
119
GRECO und THEODORESCU haben die Grabungen teilweise in den vergangenen Jahren publiziert, PEDLEY widmete Paestum in jüngerer Zeit eine eigene Monographie. 120 GRECO/THEODORESCU, Poseidonia - Paestum, 1990, 95 f.; PEDLEY, Paestum, 1990, 115 f. Die Autoren sind sich uneinig, ob im Rahmen der Verbauung der griechi schen Agora ein vormaliges Gymnasion oder ein Heiligtum überbaut wurde. In einer älte ren Publikation von 1983, Continuite et discontinuite dans l'utilisation d'un espace public: l'exemple de Poseidonia-Paestum, 103, hatten sie in Bezug auf die Umgestaltung des Zentrums von Posidonia die Meinung vertreten: »Cela nous permet de conclure que la deduction de la colonie latine a implique en premier Heu la destruction de l'edifice public le plus Charge de signification dans la vie politique de la cite soumise, destruction pratiquement contemporaine de la creation ex novo d'un autre espace public, le forum
2.5 Sacra publica von Kolonien
105
Bau eines zentralen Heiligtums mit einem großen Wasserbassin, nach Vermutung von Greco der Venus Verticordia/Fortuna Virilis121. Weitere Heiligtümer Posidonias blieben in modifizierter Form in Gebrauch: Ein Teil des Grundstücks des innerstädtischen Heratempels I wurde durch den Bau des Forums beansprucht, blieb aber ansonsten äußerlich erhalten122. Den Heratempel II richtete man auf das Forum aus, indem eine Verbin dungsstrecke zwischen Forum und Tempel eingerichtet und mit kleineren Altären bestückt wurde123. Den älteren großen Altar vor dem Tempel hatte man durch einen kleineren ersetzt, im Zentrum des Kultes stand nach Aus sage von Pedley weiterhin Hera »or rather Juno, as she now became.«124 Wenn Juno in dem Heratempel seit dem 3. Jh. v. Chr. verehrt wurde, lässt dies jedoch m. E. eher die Vermutung zu, dass Venus dann auch nach rö mischem Ritus verehrt und der Heratempel folglich nunmehr zum Venus tempel wurde125. Aus dem Fund zweier großer Kalkblöcke mit der Inschrift IOVEI [M]ENERVAE im vormaligen Athenaion Posidonias wurde ohne zwingenden Grund geschlossen, dass dieser Bau in ein Capitolium umge wandelt wurde126. Die oder eine mutmaßliche Sukzession von Göttinnen im außerstädti schen, 450 m. östlich des Südtores gelegenen sogenannten Santa VeneraHeiligtums ist derzeit nicht zu bestimmen. Es ist zunächst schon einmal unklar, welche Göttin dort in vorrömischer Zeit verehrt wurde. Auf eine
adapte aussi bien au modele architectural qu' ä une disposition urbanistique conforme au nouvel ordre impose par les Colons«. 121 GRECO, Un santuario di etä repubblicana presso il foro di Paestum, 1985, 232. Das Heiligtum wurde in späterer Zeit nach Ansicht des Autors in ein >Caesareum< unter Bei behaltung des Venus/Fortunakultes umgebaut. Kritisch zu dieser Interpretation PEDLEY, Paestum, 1990, 122 f. 122 PEDLEY, Paestum, 1990, 125, setzt die Umwidmung des Heiligtums für Venus auf grund der Votive unmittelbar nach der Koloniegründung an. 123
PEDLEY, Paestum, 1990, 125.
124
PEDLEY, Paestum, 1990, 125.
125
TORELLI, Paestum romana, 1988, 97, hat vermutet, dass Griechisch auch nach De duktion der römischen Kolonie anlässlich religiöser Zeremonien gesprochen worden sei. 126 AVAGLIANO, I santuari, 1988, 377, ohne Angabe einer Datierungsmöglichkeit; PEDLEY, Paestum, 1990, 125, hat zudem darauf hingewiesen, dass in dem Heiligtum außerdem in vorrömischer Zeit Aphrodite verehrt wurde. Das schließt er aus Votivfunden. Dieser Aphroditekult sei in römischer Zeit durch einen Venuskult abgelöst worden, denn Votive für Venus wurden ebenfalls in situ gefunden.
2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
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weibliche Gottheit schloss man vor allem aus den Votiven (Idole, dem Ty pus Aphrodite ähnlich, Gewichte von Webstuhlen^ in anderen süditalischen Heiligtümern von Frauen weiblichen Gottheiten votiert), ferner aus der Tatsache, dass die umfangreichen Baumaßnahmen des 1. Jh. n. Chr. von zwei Frauen gestiftet wurden, die dort eventuell auch Priesterinnen wa ren127. Sehr wahrscheinlich ist aufgrund der bisherigen Grabungen, dass das Heiligtum vom 6. Jh. v. bis zum 3. Jh. n. Chr. ununterbrochen in Be trieb war. Dies legen ständige Ausbesserungs- respektive Instandhaltungs arbeiten und durchgehende Votivfunde nahe. Im 1. Jh. n. Chr. wurden dann größere Umbauten ausgeführt. Sie betrafen den Ausbau einer bestehenden Halle, in die mehrere Kultnischen zugleich eingebaut wurden. Gleichzeitig baute man ein größeres Wasserbassin, das optisch auf die Halle ausgerich tet war128. Die Maßnahmen legen eine Modifizierung oder Erweiterung des Rituals nahe, ohne das zu sagen ist, worin dieser Wandel bestanden hat. Pedley schloss auf der Grundlage eines 1984 im Areal des Heiligtums ge fundenen voluminösen Tongefäßes mit der Aufschrift centurio et servi Veneris, dass die in römischer Zeit verehrte Göttin Venus war. Das legen auch Funde von verschiedenen - zwar kopflosen aber vom Typus her doch als Venus zu identifizierenden - Statuen nahe, die 1957, als der italienische Archäologe Sestieri erste Grabungen durchgeführt hatte, ans Licht gekommen waren129. 2.5.2.2 Korinth Ein zu Paestum annähernd paralleler Fall der Nutzung der griechischen Vorgängersiedlung und der damit verbundenen Integration von Heiligtü mern in die römische Stadtplanung ist Korinth. Die Gründung stand im Kontext der Versorgung von Veteranen durch Caesar und Augustus, als nach den römischen Bürgerkriegen die Entlassung und anschließende Ver sorgung einer großen Zahl von Soldaten anstand. Zu diesem Zweck nutze man teilweise ehemaliges Feindesland, zum Teil wurde auch Land aufge kauft, auf dem man die Veteranen ansiedelte130. Es wird heute nicht mehr allgemein angenommen, dass Korinth von L. Mummius 146 v. Chr. völlig 127
PEDLEY, Paestum, 1990, 132.
128
PEDLEY, Paestum, 1990, 132.
129
PEDLEY, Paestum, 1990, 161 f.
130 VITTINGHOFF, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und
Augustus, 1952,23 f.
2.5 Sacra publica von Kolonien
107
zerstört wurde. Die archäologischen Grabungsarbeiten der letzten Jahre haben vielmehr ergeben, dass die Stadt vermutlich auch während ihrer po litischen Auflösung (146 v. Chr. bis zur Zeit um Caesars Tod, also etwa 100 Jahre lang) bewohnt war131. Den Schilderungen antiker Autoren, die Korinth als Paradigma der >völligen Zerstörung< beschrieben, ist daher mit Skepsis zu begegnen132. Das Territorium von Korinth war nach 146 v. Chr. z. T. an die polis Sikyon gegeben, zur Hauptsache aber römischer ager publicus geworden, so dass der Ansiedlung von Veteranen und Freigelas senen (Caesars und/oder des Augustus) nichts entgegenstand. Unter Caesar oder kurz nach seinem Tod wurde die Stadt neu besiedelt und erhielt den Namen Colonia Laus Iulia Corinthus. Als Hauptbauphase der römischen Kolonie Korinth ist zuletzt die au gusteische Zeit bestimmt worden, da nach neuesten archäologischen Er kenntnissen das Forum von Korinth im für diese Zeit typischen sogenannten italischen Stil gebaut wurde133. Die umstrittene Identität des sogenannten Tempels E wurde dementsprechend als Capitolium bestimmt; Forum und Capitolium (Tempel E-Bezirk) seien in ihrer übergeordneten Konzeption eindeutig westlichen, d. h. italischen, in Griechenland nicht heimischen Vorstellungen entsprungen134. Von Interesse ist zudem der den Charakter der Vorgängertempel modifizierende Gebrauch der korinthi schen Heiligtümer. Der Apolltempel blieb weiterhin (oder wurde erneut?) dem Gott geweiht, allerdings, in den Worten von Williams »redesigned in the Roman style«: Der Eingang wurde von der Südostecke des Temenos an das Westende verlegt, entsprechend der Hauptaltar versetzt. Die Säulen aus 131
WILLIAMS, The Refounding of Corinth, 1987, 26; WILLIS, Corinthusne deletus est?, 1991,238. 132 Der Mythos von der völligen Zerstörung verdichtete sich z. B. in der Begriffsbil dung Corinthium aes, einer besonderen Bronzeart, deren Legierung geheimgehalten wurde; ihr waren Gold und Silber zugesetzt. Die späteste antike Erklärung bietet Orosius 5,3,6: »Da wegen der Menge und der Mannigfaltigkeit der Statuen und Götterbilder bei jenem Brand der Stadt (sc. Korinth) Gold, Silber, Erz und zugleich alle Metalle zu einem vermischt zusammenflössen, entstand eine neue Art Metall. Deshalb spricht man bis zum heutigen Tage, sei es von einem Original, sei es eine Nachahmung, von korinthischem Erz und korinthischen Gefäßen«. 133 BÖRKER, Forum und Capitolium von Korinth, 1990, 9. 134 WILLIAMS, The Refounding of Corinth, 1987, 29, sah die Hauptbauphase vor 38/39 n. Chr. und hat sich dafür ausgesprochen, den Tempel E der Octavia, auf jeden Fall aber dem Kaiserkult zuzuschreiben.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
dem Inneren des Tempelgebäudes entfernte man, so dass aus einem ehe mals zweigeteilten Kultraum nun ein einziger entstand135. Nicht zu beweisen ist die Interpretation, die Williams zur Umgestaltung des Aphroditekultes durch die Römer gegeben hat. Auf der Basis der Analyse von in römischer Zeit geprägten Münzen, welche Aphrodite und ihr Heiligtum auf der Erhebung Akrokorinths zeigen, zog er zwei Schluss folgerungen: 1. Der Vorgängerbau wurde nicht umgebaut, sondern durch einen kompletten Neubau ersetzt. 2. In Verbindung mit dem Neubau des Tempels wurde auch das Kultbild selbst ikonographisch verändert. Ältere Darstellungen zeigen Aphrodite als bewaffnete Göttin, die Schutzherrin der Stadt war. Auf den römischen Münzen hingegen gebraucht Aphrodite den Schild als Spiegel, in dem sie sich selbst betrachtet. Nach Ansicht von Williams reflektiert diese Umgestaltung die neue, von den Römern be stimmte Identität der Stadt: Das griechische Korinth habe als unabhängiger Stadtstaat aufgehört zu existieren und benötigte deshalb nach seiner Auf fassung auch keine kriegerische Schützerin mehr. Als >Liebesgöttin< der römischen Kolonie habe sie die Ansprüche der Kolonisten nach politischer Opportunität und ökonomischer Prosperität erfüllt136. Nimmt man jedoch die Ausführungen des Pausanias über die Korinther im 2. Jh. n. Chr. hinzu, tun sich m. E. andere Aspekte einer Identitätskonstruktion vor Ort auf: Zunächst berichtet er von der Zerstörung Korinths und der anschließenden Wiederbesiedlung mit Kolonisten durch Caesar (2,1,2). Doch scheinen sich die ehedem >römischen Korinthen etwa nach 200 Jahren die griechische Phase und Geschichte der Stadt weitgehend angeeignet und einverleibt zu haben: Von Einheimischen, mit denen er spricht, erfahrt er nicht nur von >neuen MythenPatchwork-Kulte< (patreische, kalydonische, römische und Elemente der Mysterien) gebraucht. Mit Patrai ist ein den Verhältnissen in Posidonia/Paestum und Korinth ähnliches Muster der wechselseitigen Gräzisierung römischer Religion und die ser vorangehenden römischer Inbesitznahme griechischer Kultstätten zu sehen. 138 COURTOIS, Timgad: Antique Thamugadi, 1951, 60 ff. 139 Am Stadtrand 400 m. nördlich der Thermen gelegen. Von COURTOIS, Timgad: Antique Thamugadi, 1951, 88, wurde die Identifizierung des Tempels als Saturnheilig tum erstmals angenommen und bestätigte sich durch spätere Grabungen; vgl. LEGLAY, Saturne Africain, 1966, 126 f.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien Neben den Municipien Italiens gab es Städte, die den Titel Municipium oder Kolonie, d. h. ohne die Ansiedlung von Neubürgern trugen140, quantitativ am häufigsten in den westlichen Provinzen, besonders in Gal lien, Nordafrika und Spanien. Es handelte sich jeweils um Statuserhöhungen, die als Belohnung für politisch und/oder militärisch opportunes Verhalten in der Mehrzahl von Caesar und Augustus veranlasst worden waren. Zudem gibt es eine Reihe inschriftlich bezeugter Titelver leihungen aus späterer Zeit141. Unter religions- und herrschaftspolitischen Aspekten sind Municipien und Titularkolonien einerseits wegen der von ihnen übernommenen römi schen Sakralrechtsformen, andererseits wegen der damit verbundenen Fixierung der Kulte als städtische Kulte, die unter die Regie und Kontrolle der bestehenden vorrömischen politischen Instanzen gestellt wurden, von Bedeutung. Alle betreffenden Städte - dies gilt allerdings in sehr unter schiedlich ausgeprägter Form - waren zu dem Zeitpunkt, als sie eine Sta tuserhöhung erfuhren, bereits eigenständige politisch-religiöse Gemein schaften, die dann jeweils römische Verfassungen erhielten. In den unterschiedlichen Graden von Komplexität und Differenzierung der politisch-sozialen Organisation liegt zugleich ein wichtiger Grund da für, dass man nur von einer partiellen Einheitlichkeit der Einzelverfassun gen ausgehen kann. So ist nicht anzunehmen, dass etwa eine Stadt wie das spanische Gades, eine tyrrhenische Gründung ca. des 8. Jh. v. Chr., seit dem 3. Jh. v. Chr. mit den Römern verbündet und seit Caesar municipium optimo iure (Plinius, nat. hist. 4,119; Strabo 3,5,3), erst der Einrichtung und Organisation politischer und religiöser Institutionen bedurfte, um eine Stadt römischen Rechts werden zu können. Bei anderen politischen Ver-
140
Diese Definition von Titularkolonie gibt SHERWIN-WHITE, The Roman Citizenship, 1973, 352; vgl. auch SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 42; PELLETIER, Vienne antique, 1982, 78. 141 Allgemein: VITTINGHOFF, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus, 1952, 37 f.; zu Spanien besonders GALSTERER, Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der iberischen Halbinsel, 1971, der die Verleihung des latinischen Rechtes an alle spanischen Städte unter den Flaviern untersucht hat. Zu Nord afrika KOLB, 1984, Die Stadt im Altertum, 220 f.; die zeitlichen Schwerpunkte der Municipalisierung waren unter Augustus, den Flaviern, Hadrian und den Severern.
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
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bänden, wie z.B. den Treverern oder den Allobrogern, die in präurbanen Streusiedlungen lebten, brachte die Erhebung in den Municipal- oder (Titular-) Koloniestatus demgegenüber überhaupt erst die Siedlungsform Stadt mit sich. Sie fungierte als administratives Zentrum des zugehörigen Territoriums und hatte die Etablierung eines Stadtrates und städtischer Ma gistraturen zur Voraussetzung142. Eine weitere Spielart eines vor-municipalen (-kolonialen) Stadttyps war die Erhebung ehemals subalterner Verwaltungs- und Gebietskörperschaf ten (z.B. Veteranensiedlungen oder pagi) in den Rang eigenständiger Städte (Municipien oder Kolonien), bei denen - der äußeren Form nach zumeist eine gut ausgestattete bauliche und administrative Infrastruktur sowie die Kenntnis und Anwendung römischer Sakralrechts formen bereits vorhanden war. 2,6.1 Fragmentarische (Sakral-) Verfassungen von Municipien Wie bei den bisher angesprochenen Städtetypen steht einer umfassenden vergleichenden Analyse die disparate Quellensituation im Weg: Wohl sind einige, sich z. T. gegenseitig ergänzende Fragmente von Municipalverfassungen erhalten, jedoch werden darin in insgesamt nur vier Abschnitten Fragen des Kultes abgehandelt (Irni und Tarent). Hinzu treten eine größere Anzahl von Inschriften aus fast allen westlichen Provinzen und vereinzelte literarische Erwähnungen, die über Statuserhöhungen für einige Städte Aufschluss geben und (seltene) archäologische Grabungsbefunde zu ein zelnen Gemeinden. Solange keine nach Orten gesonderte Sammlung ein schlägiger archäologischer (Inschriften, Grabungen) und literarischer Quellen (Autoren, Rechts- und Verwaltungstexte) vorliegt, können Aussa gen über die >religionsgeschichtlichen Städtetypen< Municipium und Titularkolonie nur vorläufig und hypothetisch sein. Die weiter unten herangezogenen Städte können demnach nur bedingt exemplarisch für an dere Gemeinden sein. Fragmente von Municipalverfassungen sind erhalten von den spani schen Städten Irni, Malaca und Salpensa, die sogenannte tabula Siarensis aus der Nähe von Utrera sowie aus dem süditalischen Tarent. Insgesamt vier Abschnitte dieser leges, und zwar derjenigen von Irni und Tarent
142
Zu Augusta Treverorum J. SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 53.
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
betreffen den Kult bzw. seine Kosten. Eine Interpretation der Fragmente aus Irni und Tarent ist aus mehreren Gründen nicht unproblematisch. Zu erst stellt sich die Frage, ob es neben den überlieferten Abschnitten weitere gegeben hat, die etwa die Einrichtung von Priestertümern, (weiteren) Kult stätten oder deren Umgestaltung in römischem Stil und die Änderung des Kalenders (Festtage) behandelten. Logisch sind zwei Möglichkeiten denk bar: Entweder die betreffenden Abschnitte sind verloren oder es gab sie überhaupt nicht143. Alle sich hieran anschließenden Überlegungen müssen letztendlich spekulativ bleiben. Zieht man beispielsweise den Index der Priesteramtsbezeichnungen von CIL II (Spanien) heran, so fällt auf, dass es nur drei sicher nachweisbare augures in Spanien gegeben hat144, etwa 30 pontifices, aber ca. öOflamines (ohne provinziale). Von den pontifices sind wiederum gut ein Drittel durch entsprechende Zusätze als Priestertümer des Kaiserkultes gekennzeichnet. Die einzig halbwegs seriöse Aussage, die man aufgrund dieser Zahlenverhältnisse machen kann, ist, dass - aus wel chen Gründen auch immer - dem Titel flamen in Spanien der Vorzug ge geben wurde und wahrscheinlich nicht alle spanischen Municipien augures und pontifices besaßen, hier also nicht durchgehend die römische Termi nologie für Priestertümer und damit auch entsprechende Funktionen einge setzt wurden. Der Abschnitt LXXVII der Verfassung von Irni trägt den Titel De inpensis in sacra ludos cenasque faciendas. Darin wird das Verfahren zur Budgetierung der in der Überschrift angesprochenen Posten der öffentli chen Kulte/Opfer, Spiele und Mahlzeiten unter Einschluss einer Prioritäts klausel festgelegt. Die obersten Magistrate (Ilviri) haben eine Versammlung der Decurionen oder Conscripti (in die Bürgerlisten einge143
GALSTERER hat beide Möglichkeiten in Erwägung gezogen: In seiner 1987 erschienenen Publikation: La loi municipale des Romains: Chimere ou realite?, 185, hat er die Vermutung ausgesprochen, dass die lex von Irni im vorderen - verlorenen - Teil weitere Bestimmungen zum religiösen Bereich enthalten haben könnte, so z. B. hinsicht lich der Priestertümer. In einer späteren Publikation, Municipium Flavium Irnitanum, 1988, 80, hat er die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass in der Verfassung von Irni keine Anweisungen zur Organisation öffentlicher Kulte gegeben wurden; auch hat er, ebenda 83, daraufhingewiesen, dass keine Priester in der Verfassung erwähnt werden, sondern die kultischen Veranstaltungen der Stadt in das Ressort der öffentlichen Beamten fallen. 144
GALSTERER, Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der iberischen Halbinsel, 1971,59.
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
113
schriebene stimmberechtigte Bürger) einzuberufen und ihnen zur Abstim mung vorzulegen, wie die Kosten insgesamt veranschlagt werden müssen. Ein Mehrheitsbeschluss galt für die nachfolgende Zeit als rechtsverbind lich!45. In einem ausführlicheren Abschnitt (LXXIX) ist das Verfahren zur An weisung von Geldern geregelt: Zuerst werden wieder öffentliche Kulte/Opfer, Spiele und Mahlzeiten genannt; hinzu kommen Beträge für die Besoldung niederer Beamter, Gesandtschaften, den Bau und die In standhaltung öffentlicher Gebäude sowie die Bewachung von Tempeln und religiösen Monumenten. Ebenfalls werden eigens die Beträge genannt, die erforderlich sind, damit die Beamten der Stadt im Namen der municipes opfern können. Wiederum sollen, um diesen Etat zu verabschieden, die Decurionen (oder Conscripti) einen Mehrheitsbeschluss fassen und zwar unmittelbar nachdem das vorliegende Gesetz ausgehändigt bzw. übergeben wurde146. Das ältere Fragment der lex municipalis aus Tarent (ILS 6086, Z. 8-14) schreibt, die Priorität der Regelung vor anderen Angelegenheiten betref fend, ein hinsichtlich der Finanzierung des Kultes analoges Verfahren vor147. Außerdem ist in diesem Fragment ein Passus enthalten, der den 145
Duumviri, qui in eo municipio iure dicundo praeeunt, fprimo quoque tempore] ad decuriones conscriptove referunto quantum in inpensas sacrorum et quantum in cenas, quae municipibus aut decurionibus conscriptisve communibus dentur, eroge(n)tur, quantumque maior pars eorum censuerit, tantum eroganto uti quod recte factum esse volent. 146
Qu(o min)us quantae pe(c)uniae in sacra ludos cenas quibus decuriones cons(cr)ipti municipesv(e vo)cantur, aera apparitoria legationes opera ei(us) municipi [facienda (re)ficienda, [aedium sacrarum monumentorumque custodiam (habend)am], cibaria vestitum emptionesque eorum qu(i) municipibus (s)erviant, item in eas res quae Ilviris aedilibus quaes(to)ribus [sacrorum faciendorum municipum nomine] item ofßcioru(m), quae honoris eius nomine qu(em) quis inierit expugnari debebunt, de is ad decurion(e)s conscriptosve referatur, dum ne ad minorem partem eorum referatur, quantasque pecunias in easdem res decuriones con(s)cript(i)ve post hanc legem datam erogandas, etiam si neque iurati neque per tabellam sententis latis, censueri(n)t, erogentur, h(a)c l(ege) nihilum mi(nus rogatur). 147 IIHvir aedilisque quei h. I. primei erunt quei eorum Tarentum venerit, is in diebus XX proxumeis quibus post h. I. datam primum Tarentum venerit facito quei pro se praes stat praedes praediaque ad IIHvir det. quod satis sit, quaepecunia publica sacra religiosa eius municipi ad se in suo magistratu pervenerit, eam pecuniam municipio Tarentino salvam recte esse futuram, eiusque rei rationem redditurum ita utei senatus censuerit.
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2 Formen öffentlicher städtischer Religionen
Diebstahl und die Zweckentfremdung von pecunia sacra und religiosa ausdrücklich untersagt (Z. 1-4). Die Frage nach dem in den Verfassungen möglicherweise geregelten oder veranlassten (Um-)Bau von Heiligtümern und einer Abänderung der religiösen Festtage könnte nur durch die Ana lyse des archäologischen Materials beantwortet werden148. Für Irni und Tarent selbst ist ein solches Vorgehen nicht möglich. Von Irni liegen keine einschlägigen Grabungsbefunde vor und die Informationen, die über die tarentinischen Kulte zur Verfügung stehen, stammen vor allem aus vorrö mischer Zeit149. Die Grabungsmöglichkeiten in Tarent selbst sind zudem durch Siedlungskontinuität sehr eingeschränkt150. Der Blick auf andere, archäologisch besser dokumentierte Städte ist deshalb unvermeidlich. Es bleibt dabei allerdings zu bedenken, dass es neben ganz allgemeinen Pa rallelen im Rahmen der städtischen Kultorganisation viele Einzelfälle gab, die nicht auf andere Municipien oder Titularkolonien zu übertragen sind. 2.6.2 Archäologisches
Material
2.6.2.1 Augusta Treverorum Die bei Scheid zugrunde gelegten systematischen Überlegungen (s.u.) kann man auch für andere Municipien und Titularkolonien übernehmen. Dies gilt jedoch nicht für die Besonderheiten der treverischen Kulttraditionen, die so wohl nur für Augusta Treverorum gültig waren151. Scheid hat als Kriterien für die Untersuchung der Kultdokumente genannt: 1. Die Be stimmung des Status der Heiligtümer und Kulte als Öffentliche (d. h. Aus scheidung der privaten). Es ist davon auszugehen, dass nicht nur die
148
SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 44. PUGLIESE CARRATELLI, Per la storia dei culti di Taranto, 1971, 133-146. Der Au tor vermutet aufgrund literarischer Belege, dass es eine Kontinuität der tarentinischen Kultstätten, vor allem des Apollon Hyäkinthos, gegeben hat. 150 GRECO, DU territoire ä la cite: le developpement de Tarente, 1992, 107 f. 151 Vgl. zur Frage der Varianz der einzelnen städtischen Kulte auch DEBORD, Aspects sociaux et economiques de la vie religieuse, 1982, 258, der nach der Untersuchung der einzelnen Finanzierungsmodelle der Kulte und Heiligtümer Anatoliens zu dem Ergebnis kommt, dass »chaque cite a son propre Systeme de contröle de la vie materielle des sanctuaires et en particulier de gestion de leurs finances; les noms et les attributions des magistrats varient beaucoup selon les lieux et les epoques et il serait quelque peu artificiel de vouloir rassembler systematiquement sous une meme rubrique des donnees fort diverses sous le pretexte d'une identite de denomination«. 149
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
115
politischen Institutionen, sondern auch die kultischen nunmehr in römi schen Rechtsformen organisiert wurden, die Götter also im »institutionel len Sinn« römisch wurden152. 2. Die Einbeziehung der in Frage kommenden Heiligtümer auch auf dem zugehörigen Territorium der Titularkolonie, um die kultische Organisation der Gesamtgemeinde zu erfas sen, die in vielen Fällen nicht allein auf ein städtisches Zentrum begrenzt war153. Demnach lebten in dem Zeitraum vor dem unmittelbaren Kontakt mit den Römern die gentilizisch organisierten Treverer in präurbanen Struktu ren, d. h. auf einem Terrain, das mehrere Siedlungsagglomerate und öf fentliche, nicht befestigte Kultplätze aufwies. Seit der Verleihung des Kolonietitels unter Claudius wurden diese Streusiedlungen einzelner Ge schlechter entweder zugunsten eines Umzugs in das neue städtische Zent rum und der Übernahme politischer Institutionen nach dem Muster römischer Kolonien aufgegeben oder erhielten den Status der dem Haupt ort administrativ untergeordneten viel oder pagi mit curialer Funktion. Entsprechend wurden im neuen Stadtzentrum Tempelkulte eingerichtet und ältere Gentilkulte zu Kulten der vici/pagi transformiert (genii pagi)154. Von den drei Tempeln der Stadt selbst ist nur einer mit einiger Wahrscheinlich keit identifiziert, und zwar der des Mars Lenus, dessen Priestertum, ein Flaminat, auch inschriftlich überliefert ist (CIL XIII 4030). Welche Gott heiten in der großen und wahrscheinlich bedeutenden Anlage des Tempel bezirks Altbachtal und im Heiligtum am Herrenbrünnchen (Podiums tempel) verehrt wurden, ist nicht geklärt. 2.6.2.2 Vienna Parallelen zu der hier skizzierten Entwicklung lassen sich für die Allobroger aufzeigen, die im Gebiet der (in römischer Zeit sogenannten) Gallia
152
SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 45 f. SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 44. 154 SCHEID, Sanctuaires et territoire dans la Colonia Augusta Treverorum, 1991, 51 und 53 f. Diese Entwicklung gilt nur für die Treverer, die die nordwestlichen Gebiete des Territoriums bewohnten und Bewohner der späteren colonia waren. Daneben gab es ei nen Teil der Bevölkerung, die im südlichen Gebiet der Treverer siedelte und aus unbe kannten Gründen sich entweder selbst von der Romanisation ausschloss oder von den Römern nicht mit einbezogen wurde. Zur Kontroverse um diese civitas SCHEID, ebenda, 42. 153
116
2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
Narbonensis in z.T. befestigten oppida siedelten. Einem der Hauptorte, Vienna, wurde unter Caesar der Titel einer latinischen, 16/15 v. Chr. oder unter Claudius155 der Titel einer römischen Kolonie verliehen. Hauptheilig tum und -Siedlung der in vorrömischer Zeit in Vienna siedelnden Allobroger war der heute Saint-Blandine genannte Hügel, auf dem eine Reihe sogenannter Feuerböcke (Opferstätten) gefunden wurden156. Die Besied lung des Hügels wurde im Zuge der Umwandlung in eine latinische Kolo nie aufgegeben, die dort ansässigen Allobroger zogen in die in unmittelbarer Nähe im Aufbau befindliche neue Stadt. Obwohl durch Siedlungskontinuität systematische Grabungen nur be grenzt möglich sind, konnte das Stadtzentrum der antiken Stadt ungefähr lokalisiert werden. Als zentrale städtische Heiligtümer werden ein Tempel für Augustus und Livia sowie der Matrae, gallisch-keltische Muttergott heiten in latinisierter Namensform, vermutet157. An weiteren Tempelkulten sind ein Heiligtum des Mars sowie (eventuell) der Kybele zu nennen, die im Gebiet der (neuen) Stadt standen158. Pelletier hat festgestellt, dass sich 155 Zeitpunkt der Verleihung des Titels einer latinischen Kolonie war nach PELLETIER, Vienne antique, 1982, 77, unter Caesar. Die Datierung der Verleihung des Titels der römischen Kolonie ist umstritten. FREI-STOLBA, Zum Stadtrecht von Vienna, 1984, 94, hat die Verleihung des Kolonietitels in die Zeit des Kaisers Claudius datiert, PELLETIER, Decouvertes archeologiques et histoire ä Vienne (France) de 1972 ä 1987, 1988, 37, hat demgegenüber die Ansicht vertreten, Vienna sei von Augustus (16/15 v. Chr.) der Titel einer römischen Kolonie verliehen worden. GASCOU, Cesar a-t-il fonde une colonie ä Vienne?, 1999, 165 plädiert neuerdings für die Gründung einer latinischen Kolonie um 28/27 v. Chr. unter Augustus. 156
PELLETIER, Vienne antique, 1982, 50.
157
PELLETIER, Vienne antique, 1982, 387 f.
158
PELLETIER, Vienne antique, 1982, 414, zum Marstempel, der durch sekundäre Do kumente nach Ansicht des Autors erschlossen werden kann. Pelletier vermutet ihn im heutigen Viertel Saint-Andre-le-Haut. Dort fand man (möglicherweise zu einem Tempel gehörige) Säulen, Kapitelle, Fragmente von Architraven und Friesen, Bein und Fuß einer Kolossalstatue sowie einen dem Mars geweihten Altar in der Nähe eines Grundstücks, welches in einer Vermessungsurkunde aus dem Jahr 542 n. Chr. durch non longe a loco qui dicitur Martis lokalisiert wird. Die Zuweisung des >quartier cultuel< unter dem mit telalterlichen Hospital an Kybele ist weniger eindeutig (433 ff.). Mit Sicherheit kann nur gesagt werden, dass im 1. Jh. v. Chr. hier ein Tempel gebaut und im 1. Jh. n. Chr. erwei tert wurde; anlässlich des Ausbaus legte man dann offensichtlich ein kleines Theater (für Mysterienspiele?), ein Wasserbecken (von PELLETIER als >Taufbecken< gedeutet) und Wohnräume an. PELLETIER begründet die Zuweisung des Heiligtums an Kybele mit ei nem in dem Theater gefundenen Inschriftenfragment DEND (= Dendrophori) sowie mit
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
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im Zuge der Etablierung Viennas als städtisches Zentrum der colonia die politisch wichtigsten und einflussreichsten Familien der Allobroger dort ansiedelten und die (neugeschaffenen) höchsten Magistraturen und Priestertümer bekleideten159. In welcher Weise die z.T. weiterbestehenden allobrogischen Siedlungen auf dem großflächigen Territorium der civitas Vienna administrativ an das neue Zentrum angebunden wurden, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, da die archäologischen Befunde noch nicht entsprechend aufgearbeitet worden sind. Doch spricht z.B. die Existenz von ausschließlich aus dem Umland stammenden sacerdotes des Mars - im Unterschied zu den urbanen flamines, die zugleich städtische Magistratu ren inne hatten - einiges dafür, dass es in Analogie zu Augusta Treverorum verwaltungsmäßige Substrukturen möglicherweise in Form von viel und pagi gab. Doch ist dies vorerst nur eine These und bedarf weiterer Untersuchungen und Grabungen160. 2.6.2.3 Thugga Im Vergleich zu den Titelverleihungen an Augusta Treverorum und Vienna, die die urbane Organisation der Gemeinden und ihrer Kulte über haupt erst in Gang setzten, war die Ausgangslage in Thugga gänzlich an ders: Die punische civitas hatte bereits etwa fünf Jahrhunderte bestanden, der administrativ von Karthago abhängige pagus römischer Bürger bei Thugga gut zwei Jahrhunderte, bevor beide 205 n. Chr. zum munieipium Septimium Aurelium liberum (CIL VIII 26547) fusioniert wurden und da mit die Statuserhöhung zweier verschiedener Personenverbände realisiert
Fundstücken aus anderen Stadtvierteln Viennas (Reliefs und figürliche Darstellungen von Attis und Kybele, vier Inschriften). Zudem vermutet PELLETIER noch einen Apolltempel aufgrund von insgesamt fünf Marmorreliefs mit Darstellungen mythologischer Szenen, die seiner Ansicht nach auf den Kult bezogen sind. Einen möglichen Standort des Tem pels vermag er nicht anzugeben. Einen in der Nähe des städtischen Theaters gefundenen Gebäudegrundriss (13,95 x 8,80 mit Cella 11,70 x 2,50) hält PELLETIER - in Analogie zu der Anlage in Nimes - für ein (bacchisches) Stibadeion. 159 PELLETIER, La bourgeoisie municipale ä Vienne sous le Haut-Empire, 1989, 306 f.; Ders., Vienne antique, 1982, 418 f. 160 PELLETIER, Vienne antique, 1982, 421. Der Autor hat die Kultzeugnisse der civitas Vienna, anders als SCHEID, nicht unter dem Aspekt ihrer Präsenz in der gesamten Gemeinde dargestellt, sondern sich a) auf die Kulte der Stadt konzentriert und b) diese Kulte nach Gottheiten geordnet, ohne dass es hierfür überzeugende methodische Gründe gibt.
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2 Formen öffentlicher städtischer
Religionen
worden war. Im Jahr 261 erfolgte die Erhebung in den Rang einer Kolonie latinischen Rechts161 (CIL VIII 26582: colonia Licinia Sept. Aur. Alexandriand). Über die Einzelheiten und den konkreten Anlass der Konstituierung des Municipiums ist, wie bei den meisten Städten dieses Typs, nichts bekannt. Es liegt weder eine Verfassung vor, noch hat ein antiker Schriftsteller die ses Ereignis einer Erwähnung für wert befunden162. Aus den archäologi schen Resten Thuggas und den Inschriften wird immerhin deutlich, dass in der Municipal- und Koloniezeit nicht nur die (neu eingerichteten) municipalen Ämter der Hviri, quaestores und aediles von Angehörigen des ehe maligen pagus und der civitas bekleidet wurden163, sondern dass zwei, eventuell auch drei neue städtische Tempel in dieser Zeit entstanden: Ein Q. Gabinus Rufus Felix stiftete zwischen 222 und 235 n. Chr. (unter Severus Alexander) anlässlich seiner Wahl zum flamen perpetuus einen großen Caelestistempel164; 261 n. Chr., also im Jahr der Verleihung des Kolonieti tels, stiftete Botria Fortunata, ebenfalls flaminia perpetua, einen Tellustempel165. Möglicherweise aus der Anfangszeit des Municipiums stammt ein dem Pluto zugeschriebener Tempel, doch ist hier weder die Datierung noch die Gottheit gesichert166. In Anbetracht der Bautätigkeiten und der Tatsache, dass sowohl der vormalige pagus, als auch die ehemalige (peregrine) civitas über mehrere Tempel verfügten, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die alten und neuen Tempel zueinander standen, d. h. ob die älteren Heiligtümer gleichrangig - dies gilt besonders für die punischen Tempel - als öffentli che städtische Tempel neben den Neubauten weiter bestanden. Im Bereich des pagus standen im römischen Architekturstil gebaute, von Privatleuten
161
Dazu jetzt BESCHAOUCH, Thugga, une cite de droit latin sous Marc Aurele, 1997,
67 ff. 162
Literarische Erwähnung des vorrömischen Thugga bei Diodorus Siculus und Ptolemaios und dann erst wieder in frühbyzantinischer Zeit durch Prokop, der Thugga als Gründung Justinians anfuhrt (Festung); zu den literarischen Zeugnissen siehe DESANGES, Thugga dans les sources litteraires, 1997. 163 POINSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 12 ff.; z. B. CIL VIII 26482, 26525 (decuriones), 26617, 26559 (Ilviri). 164 P0INSS0T, Les ruines de Dougga, 1958, 42. 165 PoiNSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 45. 166 P0INSS0T, Les ruines de Dougga, 1958, 62.
2.6 Sacra publica von Municipien und Titularkolonien
119
gestiftete, folgende Tempel (nach der Chronologie ihrer Fertigstellung): Tempel der Pietas Augusti, Saturntempel (beide erste Hälfte des 1. Jh. n. Chr.)167, Tempel der Concordia, des Frugifer und des Liber Pater (gebaut zwischen 128 und 138 n. Chr.)168, Minervatempel (gebaut zwischen 138 und 161 n. Chr.)169, Capitolium (gebaut 166/7 n. Chr.)170 sowie ein Merkurtempel (gebaut zwischen 180 und 192 n. Chr.)171. Es finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass diese Tempel nach der Erhebung zum Municipium nicht weiter benutzt wurden; ebenso wenig ist allerdings ein neuer >offizieller< Status der Heiligtümer dokumentiert. Von den punischen Heiligtümern wurde das Baalheiligtum bereits in der Zeit vor der Erhebung von pagus und civitas zum municipium gemeinsam umgebaut. Die Ausgrabung des Saturntempels hat ergeben, dass das vor malige Heiligtum des Baal mit einem Tempel für Saturn überbaut wurde172; der letzte Teil der Bauinschrift, aus der hervorgeht, dass pagus und civitas den Umbau gemeinsam veranstalteten oder doch zumindest finanziell ermöglichten, wirft bei dem derzeitigen Stand der Forschung noch einige Probleme auf173: Als Datum der Dedikation ergibt sich das Jahr 194/5 n. Chr., also gut 10 Jahre vor Konstituierung des Municipiums. Die m. E. größte Schwierigkeit ergibt sich aus der Nennung des ordo decurionum in der Inschrift, auf dessen decretum sich die Weihung des Tem167
LEGLAY, Saturne Africain, Monuments, Bd. 1, 1961, 212 f. POINSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 52. 169 POINSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 69. 170 POINSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 35 und SCHALLES, Forum und zentraler Tempel im 2. Jahrhundert n. Chr., 1992. 209. SCHALLES bringt den Bau des Capitoliums, welcher von ihm aufgrund der Stiftungsinschrift ebenfalls in das Jahr 166/7 n. Chr. da tiert wird, irrtümlich mit einer von ihm nicht näher bezeichneten »Statuserhöhung des aus civitas libera und pagus bestehenden Ortes« zusammen. 171 POINSSOT, Les ruines de Dougga, 1958, 33. 172 LEGLAY, Saturne Africain, Monuments, Bd. 1, 1961, 215 f.; PENSABENE, II tempio di Saturno ä Dougga e tradizioni architettoniche d'origine punica, 1990, 255 f. 173 Der Text lautet (LEGLAY, Monuments, No. 5): Pro salute Imperatoris Caesaris Lucii Septimii Severi Pertinacis Augusti, Parthici Arabici, Partici Adiabenici, pontificis maximi, tribuniciae potestatis III, consulis II, patris patriae et Decimi Clodii Septimii Albini Caesaris et luliae Domnae Augustae, matris castrorum opus templi Saturni quod Lucius Octavius Victor Roscianus [. ] ex summa honoris [. ] taxatis sestertiis quinquaginta milibus nummum mumumentum (sie!) cum aediculis suis adperßciendum id opus sestertiis centum milibus nummum legavit; qua summa ab heredibus induta (soluta?) et publice inlata, pagus et civitas Thuggensis decreto decurionum dedieavit. 168
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pels gründet. Der pagus kann zu diesem Zeitpunkt noch keinen eigenen ordo decurionum gehabt haben. Theoretisch in Betracht kommen deshalb entweder der ordo von Karthago, zu dem der pagus von Thugga zu dieser Zeit administrativ gehörte, oder der Rat der civitas Thugga, wobei dann angenommen werden muss, dass die punischen Thuggenser sich zur Be nennung ihres Rates und des Weiheaktes der lateinischen Terminologie bedienten174. Für den zuletzt genannten Vorschlag würde sprechen, dass sich das Baalheiligtum auf dem Territorium der civitas befand und diese demnach wohl auch die Verfügungsgewalt darüber besaß. Weiter stellt sich die Frage nach einem mit diesem - von einem Bewoh ner des pagus finanzierten - Umbau verbundenen Wechsel vom punischen zum römischen Ritus. So wie der Saturntempel nach dem Umbau gestaltet war, kann das punische Ritual nicht mehr praktiziert worden sein (römi scher Grundriss mit punischem Dekor)175. Ob man in dem Bau des oben genannten Caelestistempels (222/235 n. Chr.) eine ähnliche Romanisation eines punischen Vorgängerkultes sehen kann, bleibt unklar und hängt ganz davon ab, ob man der Vermutung von Poinssot zustimmt, dass es einen Tanitkult in der alten punischen Siedlung gab.
174
Dies erscheint - wenigstens theoretisch - möglich, da in einer Inschrift aus der 1. Hälfte des 2. Jh. n. Chr. die civitas Thugga schon einmal mit dem lateinischen Formular Reparaturarbeiten an dem Saturntempel des pagus dokumentiert hatte (LEGLAY, Monu ments, No.3: Saturno Augusto sacrum civitas Thuggensis templum vetustate consumptum sua pecunia restituit idemque dedicavii) und in der Inschrift CIL VIII 26517 das puni sche politische Amt des sufes in einer lateinischen Inschrift wiedergegeben wird: sufes (Herum), qui a civitate et plebe suffragio creatus est. Vgl. dazu auch CHASTAGNOL, La civitas de Thugga d'Auguste ä Marc Aurele, 1997, besonders 52 ff. 175 PENSABENE, II tempio di Saturno ä Dougga e tradizioni architettoniche d'origine punica, 1990,271.
3 Die doppelte Öffentlichkeit städtischer Religionen in der römischen Rechts und Verwaltungspraxis Die Frage nach der Diffusion des römischen Sakralrechts außerhalb Roms stellt sich im Zusammenhang mit der religiösen Autonomie der Städte als dezentral strukturierte und organisierte Religionen als eine Frage nach den Zielen der Provinzialadministration und vor allem der Rechtsprechung. Neben den italischen Gemeinden waren die Städte in den seit dem 3. Jh. v. Chr. von den Römern geschaffenen provinciae Verbreitungsgebiete des römischen Sakralrechts (außerhalb Roms). Die einzelnen Provinzen er scheinen dabei nicht als in sich geschlossene Territorien (>LänderFreunde der Götter< Garanten des Sakralrechts zu sein. Die u. a. mit diesem Anspruch verbundene kaiserliche Euergesie gegen über den Städten hatte vielfach die Einrichtung städtischer Kaiserkulte als Dankesbezeugung zur Folge und kann als rechtliche Reziprozität beschrie ben werden: Die Kaiser wurden in das lokale Pantheon kultisch integriert, oft zum Dank für Rechtsprivilegien (Steuerbefreiung; Stiftungen an Tem pel). Die städtischen Kaiserkulte zeigen die dezentrale Religionsstruktur und religiöse Autonomie in pointierter Weise auf: Bei der Einrichtung von Kaiserkulten handelte es sich zwar um ein sehr verbreitetes, aber kein ein-
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3 Die doppelte Öffentlichkeit städtischer Religionen
heitliches oder zentralisiertes religiöses Phänomen, das jedoch in der überwiegenden Zahl der Fälle städtisch organisiert war. Die Persistenz lokaler Rechte und Sakralrechte (Dezentralität) wurde auch durch die Constitutio Antoniniana, der allgemeinen Bürgerrechts Ver leihung unter Caracalla, nicht aufgegeben oder aufgehoben. Es handelte sich um die Verleihung eines Personenrechtsstatus, dessen Verleihung keine Konsequenzen auf die lokale Bindung der Religion hatte oder eine Auflösung der römischen Religion bei gleichzeitiger Integration aller peregrinen Kulten in die römischen gehabt hätte.
3.1 Republik Obschon sich in der späten Republik und frühen Kaiserzeit Überschnei dungen feststellen lassen, kann man insgesamt konstatieren, dass in der Zeit der Expansion des römischen imperium die Provinzen vorwiegend als Beuteland betrachtet wurden. Dem gegenüber gingen die Bemühungen der römischen Kaiser cum grano salis in die Richtung einer >gutenguten< Administration in der Kaiserzeit RlCHARDSON, Roman Provincial Administration, 1984, 66. PONTENAY DE FONTETTE, Leges Repetundarum, 1954, 142, zur Differenz republikanischer und kaiserzeitlicher Verwaltungsziele.
3.1 Republik
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fernt hatte bzw. durch Beauftragte entfernen ließ. Von besonderem Inte resse in Ciceros Rede sind vor allem drei Punkte: 1. Die Schilderungen der einzelnen Übergriffe des Statthalters an sich, 2. die - z.T. recht unter schiedlichen - Reaktionen der betroffenen Gemeinden auf den Diebstahl von Tempelgut und 3. Die prozess- und strafrechtliche Kategorisierung solcher Übergriffe von Beamten seitens der römischen Zentrale. In die Kategorie >Diebstahl von Tempelgut< (sacrilegium) fielen die Handlungen des Verres freilich nur aus Sicht der sizilischen Städte. Das Delikt, weswegen Verres vor Gericht gezogen werden sollte, war das crimen repetundarum, die Erpressung von Untertanen und Bundesgenossen durch römische Amtspersonen, nicht sein Übergriff auf das Göttergut3. Streng genommen waren, jedenfalls in republikanischer Zeit, nur Fälle justiziabel, wenn Konsekrationen nach römischem Recht durch römische Beamte im Spiel waren. Die von Cicero angeführten Übergriffe auf das Tempelgut werden infolgedessen in der Mehrzahl entweder als Pekulat (Raub an staatseigenem Gut) oder als Erpressung der Bevölkerung dekla riert, da Verres in vielen Fällen die Herausgabe von Statuen und Tempel schmuck durch Zwang oder die Androhung von Zwangsmaßnahmen herbeigeführt hatte4. Im einzelnen nennt Cicero folgende Fälle: Segesta (Cicero, Verres 2,4,74-89). In Segesta hatte Verres sich für eine eherne Artemis-/Dianastatue interessiert. Er verlangte von den Segestanern, dass sie das Bildnis losmachen, d. h. wohl von der Verankerung auf seinem Sockel entfernen sollten. Daraufhin erklärte man ihm, sie seien an der Erfüllung seines Wunsches durch »äußerste (religiöse) Ehrfurcht vor den Gesetzen und Gerichten« {cum summa religione tum summo metu legem, 2,4,75) gehindert. Verres übte daraufhin solange Druck auf einzelne Ratsmitglieder aus, bis schließlich vom Stadtrat ein öffentlicher Auftrag zur Entfernung der Statue von ihrem Postament ausgeschrieben wurde. Keiner der Segestaner hatte selbst Hand an das Kultbild legen wollen. Agrigent (2,4,93-95). Zunächst ließ Verres aus dem Aesculapius/Asklepiosheiligtum eine Kultstatue Apolls stehlen; die obersten Beamten Agrigents erteilten daraufhin, aber wohl auch, weil die Bevölkerung des halb in Aufruhr war (commota civitas), den städtischen Aedilen und Quaestoren den Auftrag, die städtischen Heiligtümer besonders bei Nacht
PONTENAY DE FONTETTE, Leges Repetundarum, 1954, 95 ff. MOMMSEN, Römisches Strafrecht, 1899, 763, mit Anm. 3.
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■? Die doppelte Öffentlichkeit städtischer
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verschärft zu bewachen. Dessen ungeachtet versuchten Sklaven des Verres kurz darauf, eine Statue des Hercules/Herakles aus dem gleichnamigen Tempel zu entwenden, indem sie zunächst die Tür des Heiligtums aufbra chen und sich dann bemühten, das Bildnis nach dem Losmachen aus der Befestigung mit Hebeln zu entfernen. Nachdem die aufgestellten Wachen zuvor zunächst erfolgreich von den Sklaven des Verres vertrieben worden waren, liefen schließlich aus dem umliegenden Vierteln die Einwohner zusammen und steinigten die Eindringlinge, denen es jedoch gelang, zwei kleinere Statuen zu entwenden. Nach dem Bericht Ciceros haben die Be wohner Agrigents zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst, dass es sich nicht um Feinde oder Diebe, sondern um Sklaven des Praetors gehandelt hatte, welche die »heimischen Götter« stehlen wollten5. Assoros (2,4,96). Das Muster des Tempelraubes ist ähnlich wie in Agrigent beim Hercules-/Heraklestempel: Verres schickte zwei seiner Unterge benen zum außerhalb der Stadt gelegenen Chrysasheiligtum von Assoros, damit sie von dort eine marmorne Kultstatue des Flussgottes entfernen sollten. Die Gemeinde hatte jedoch ein zweifaches Schutzsystem, dass den Raub zumindest der Kultstatue verhinderte. Zum einen gab es eigens Tem peldiener und Wächter. Diese riefen durch ein Signal mit einem Hörn die in der Umgebung wohnende Bevölkerung herbei, nachdem sie bemerkten, dass die Tempeltüren aufgebrochen wurden. Wächtern und Assorinern ge meinsam gelang es, die Diebe gewaltsam zu vertreiben, die allerdings eine kleine Erzstatue aus dem Heiligtum entwenden konnten. In der Darstellung Ciceros hatte Verres ursprünglich vorgehabt, von den Assorinern auf offi ziellem Wege die Herausgabe der Marmorstatue zu verlangen, davon aber aufgrund der Befürchtung, es könne eine Unruhe in der Bevölkerung geben (Heiligkeit des Bildnisses), abgesehen. Engyon (2,4,97). Zu der kleinen civitas gehörte ein Heiligtum der »Mütter« (Plutarch, Marcellus 20), nach Cicero der Mater Magna. Aus diesem Tempel hatte Verres außer mehreren großen Hydrien mit Treibar beiten verzierte Panzer und Helme weggenommen, welche P. Scipio dort zum Schmuck {ad ornamentum) des Tempels konsekriert hatte. Von den Reaktionen der Bewohner berichtet Cicero nichts; möglicherweise hatte es
5
Interea ex clamore fama tota urbe percrebuit expugnari deos patrios, non hostium adventu necopinato neque repentino praedonum impetu, sed ex domo atque cohorte praetoria manum fugitivorum instructam armantamque venisse.
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kein größeres Aufsehen gegeben, weil offenbar keine Kultgegenstände entwendet wurden. Catina (2,4,99-101). Im Ceres-/Demeterheiligtum der Stadt befand sich ein sehr altes Kultbildnis der Ceres/Demeter. Es wurde angenommen, Ver res habe es von einigen seiner Sklaven bei Nacht stehlen lassen. Eine Wa che beim Tempel gab es nicht. Die Stadt verließ sich darauf, dass das Heiligtum von den Bewohnern und Besucherinnen vorschriftsmäßig fre quentiert wurde: Männern war der Zutritt verboten. Der Diebstahl des Kultbildes war von den Priesterinnen, die im Heiligtum wohnten, bemerkt worden; gemeinsam mit den >Verwalterinnenrichtigen< Täter berichtet Cicero jedenfalls nichts. Melita (2,4,103). Die civitas Melita, eine Insel, besaß ein altes, extraurbanes Juno-/Hefaheiligtum. Daraus ließ Verres geweihte Elfenbeinzähne sowie verschiedene elfenbeinerne ornamenta, darunter auch eine Victoria/Nikestatue durch seine Sklaven wegnehmen. Von einer Strafverfolgung vor Ort sah die Gemeinde ab. Statt dessen schickte die Stadt später Ge sandte nach Rom, die in dem Prozess gegen Verres aussagen sollten, dass ihr Tempel durch Verres beraubt worden sei (2,4,104). Henna (2,4,109-113). Aus den Tempeln der Stadt Henna entwendete Verres insgesamt vier Götterstatuen, davon drei Kultbilder: Aus dem Ce6
Cicero nennt sacerdotes Cereris atque illius fani antistitae, maiores natu, probatae ac nobiles mulieres (2,4,99). FUHRMANNS Übersetzung mit >Vorsteherinnen< scheint nicht hinreichend präzise. Offensichtlich war der Kult selbst von Priesterinnen vollzogen worden, wohingegen die finanzielle und organisatorische Verwaltung in den Händen vornehmer Bürgerinnen lag, deren Funktionen vielleicht denen der tamiai griechischer Heiligtümer vergleichbar waren (vgl. Ps.-Aristoteles, Athenaion Politeia 7,3; 8,1).
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res-/Demeterheiligtum eine Marmorstatue der Ceres/Demeter (Kultbild), aus dem Libera-/Eleutheriaheiligtum ebenfalls eine Marmorstatue (Kult bild) sowie ein Kultbild aus Erz. Außerdem wurde eine Victoria/Nike vom Vorplatz des Ceres-/Demeterheiligtums von einer Monumentalstatue der Ceres/Demeter demontiert. Zum genauen Tathergang finden sich in Ciceros Darstellung keine Angaben, dafür aber die Reaktionen der Gemeinde. In der Angelegenheit wurde erst gar nicht ermittelt, weil bekannt war, dass der Praetor Verres die Statuen entwendet hatte. Statt dessen wurde Cicero bei seinem Besuch in Sizilien bzw. Henna von einer Abordnung von Demeter-/Cerespriesterinnen und Bürgern aufgesucht, die ihn baten, bei der Wiederbeschaffung der Bildnisse behilflich zu sein (2,4,111). Später, als sich abzeichnete, dass Cicero für die Sizilier einen Repetundenprozess ge gen Verres führen wollte, hatten die Hennenser dann eine Gesandtschaft zu Verres geschickt, um von ihm die Herausgabe der Kultbilder zu fordern. Wäre er ihrem Wunsch nachgekommen, hätte die Stadt davon abgesehen, Zeugen beim Prozess gegen ihn aussagen zu lassen (2,4,113). Syrakus (2,4,120-132). In Syrakus ließ Verres ebenfalls aus mehreren Heiligtümern Tempelinventar entfernen. Im einzelnen handelte es sich um Gemälde aus dem Minerva-/Athenatempel, von dessen Türen er zudem Elfenbeinverzierungen abmontieren ließ (2,4,122; 124), das Kultbild des Paian aus dem Aesculapius-AAsklepiostempel (2,4,127), das Kultbild des Heros Aristaeios aus dem Liberheiligtum und des Jupiter Imperator/Zeus Urios aus dem gleichnamigen Tempel (2,4,128) sowie Tempelinventar aus allen Tempeln der Stadt (Mischkrüge und andere Gefäße; 2,4,131). Wie die Bewohner von Henna hatten die Syrakusaner zunächst nichts unter nommen, Cicero aber dann bei seinem Besuch der Stadt gebeten, ihnen bei der Wiederbeschaffung der Bildnisse behilflich zu sein. Unter anderem überreichte man ihm dazu einen Rechenschaftsbericht der syrakusanischen Beamten, die mit der Verwaltung der Inventare der einzelnen Tempel be auftragt gewesen waren. Darin waren nach den Namen der Beamten dieje nigen fehlenden Kultbilder und ornamenta, für welche die Beamten zuständig und damit auch rechenschaftspflichtig waren, aufgelistet. Ihrer Bitte, für den Verlust der Stücke aufgrund der bekannten Vorfälle nicht haftbar gemacht zu werden, war von den zuständigen Behörden entspro chen worden (2,4,140).
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3.1.1.2 Vergehen anderer Beamter Wie repräsentativ das Verhalten des Verres für andere Statthalter in re publikanischer Zeit war, lässt sich kaum ermitteln, da keine vergleichbaren Quellen für andere Fälle vorliegen. Die grundsätzliche Möglichkeit, einen Beamten wegen des crimen repetundarum anzuklagen, hatte seit dem 2. Jh. v. Chr. bestanden. Zuerst im Jahr 171 v. Chr. war ein solches Verfahren zunächst als Zivilprozess vom Senat zugunsten von spanischen socii gegen mehrere Statthalter zugelassen worden (Livius 43,2). Die lex Acilia von 123/22 v. Chr. machte eine Klage de repetundis zum Strafverfahren, wel ches durch ein in Rom eingerichtetes ständiges Geschworenenkollegium geführt wurde7. Die bekannten Fälle, in denen es zu einem Prozess kam, sind in Relation zu der Zahl der Beamten, ihrer Amtszeiten und der Pro vinzen auffallend gering; Pontenay de Fontette zählte einschließlich der Kaiserzeit 12 Verfahren8. Über die Gründe dieser günstigen Quote kann man nur spekulieren. Entweder waren die römischen Beamten in den Pro vinzen gewöhnlich zurückhaltender als Verres, die Städte der Provinzen konnten sich nur selten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen oder man hielt einen Protest von vornherein für wenig aussichtsreich. Von den be kannten Fällen standen drei mit städtischen Heiligtümern in Zusammen hang, wobei in zwei Fällen die Statthalter in Tempeln deponierte Gelder weggenommen hatten (Claudius Pulcher in der Provinz Asia, 51 v. Chr.9 und Paedius Blaesus in Cyrene, 1. Jh. n. Chr.10). Im dritten Fall gab es kei nen Repetundenprozess. Die Pergamener hatten sich lediglich erfolgreich in Rom darüber beschwert, dass eine Freigelassener Neros Kultbilder und Gemälde aus ihrer Stadt entfernt hatte11. Wenn es Parallelen zum Verhalten des Verres gab, so haben diese Fälle wohl großenteils nicht zu Repetundenprozessen geführt. Cicero selbst macht in seiner Rede gegen Verres eine Anspielung darauf, dass nicht nur Verres, sondern auch andere Statthalter, besonders im griechischen Raum, die Mitnahme von Kultbildern als reguläre Verkäufe deklarierten (2,4,7
KUNKEL, S.V. Quaestio, RE 24, 720-786.
8
PONTENAY DE FONTETTE, Leges Repetundarum, 1954, 91 f. und 100 ff.
9
Cicero, ad Farn. 8,8,2; dazu ViDAL, Le depöt in aede, 1965, 558. 10 Tacitus, ann. 14,18; vgl. ROBINSON, Blasphemy and Sacrilege in Roman Law, 1973,362. 11 Tacitus, ann. 16,23; ROBINSON, Blasphemy and Sacrilege in Roman Law, 1973, 362.
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3 Di-e doppelte Öffentlichkeit städtischer Religionen
133 f.). Dabei deutet er an, dass diese sogenannten Verkäufe von Kult bildern seitens der Städte keinesfalls freiwillig erfolgten und sie anschließend versuchten, ihre eigenen Kultbilder zurückzukaufen. Häufiger dürfte der Tempelraub im Rahmen militärischer Auseinander setzungen und politischer Spannungen gewesen sein, ohne dass doch die betroffenen Städte unmittelbar darin verwickelt sein mussten. So berichtet Pausanias, dass Sulla im Krieg gegen Mithridates seine Kriegskasse durch Weihegeschenke und Schätze der Heiligtümer von Olympia, Epidauros und Delphi auffüllte, um seine Soldaten bezahlen zu können, dann aller dings zum Ausgleich die Hälfte des thebanischen Territoriums an die ein zelnen Heiligtümer verteilte (9,7,4-6). Auch Caesar hatte in Gallien in Vorbereitung seines Feldzuges die Votivgaben fast sämtlicher gallischer Heiligtümer an sich genommen12. Eine andere Qualität hatten >Vergehen< der Kaiser selbst: Caligula etwa nahm aus Thespiae ein Kultbild des Eros mit, offenbar einfach nur des halb, weil es ihm gefiel. Dasselbe Bildnis war dann von Claudius den Thespiern zurückgegeben und von Nero bei seinem Besuch der Stadt wie derum mit nach Rom genommen worden, wo es bei dem Brand der Stadt den Flammen zum Opfer fiel (Pausanias 9,27,3)13. Die neue Qualität dieser Art von Vergehen gründet darin, dass es über dem Kaiser nunmehr keine Instanz gab, von der die Städte ihre Statuen oder Votive hätten zurückfor dern, d. h. einen Repetundenprozess hätten anstrengen können. 3.1.1.3 Zusammenfassung Will man zu einer etwas allgemeineren Beurteilung der genannten Zeug nisse einschließlich der Verrinen des Cicero kommen, so können folgende Punkte zusammenfassend festgehalten werden: 1. Es ergeben sich keine Hinweise, dass es zu den unmittelbaren Aufga ben der Statthalter in republikanischer Zeit gehörte, administrative oder sonstige Aufgaben für die städtischen Heiligtümer zu übernehmen. Viel mehr war dieser Bereich nach wie vor dezentral bzw. autonom geregelt. Die städtischen Gremien und Beamten verwalteten ihre Heiligtümer nicht nur weiterhin eigenständig (z.B. Rechenschaftspflicht städtischer Beamter 12
ROBINSON, Blasphemy and Sacrilege in Roman Law, 1973, 362. Vgl. auch Sueton, Caligula 4,57,1: Olympiae simulacrum Iovis, quod dissolvi transferrique Romam placuerat, tantum cachinum repente edidit, ut machinis labefactis opifices diffugerint. 13
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für Tempel und Inventare, Organisation der Bewachung von Kultstätten), sondern waren auch für kriminelle Delikte, die im Zusammenhang mit städtischen Kultstätten verübt wurden, zuständig und urteilten diese nach lokalen Rechtsnormen ab (Berührungsverböte für bestimmte Kultbilder, Verbot des Betretens von Kultstätten durch Männer im Demeterkult etc.). 2. Die Beamten der Provinzialverwaltung - besonders der republikani schen Zeit - konnten das ihnen verliehene imperium demgegenüber in der Weise ausdehnen, dass sie die ihnen unterstehenden Gemeinden zur Be reitstellung und Schaffung persönlichen Reichtums veranlassen konnten. Dabei gab es aus Sicht der Provinzialstatthalter grundsätzlich keinen Un terschied zwischen sakralen und profanen Wertgegenständen: Eine solche Unterscheidung konnte nur für die einzelne Gemeinde relevant sein, der Kultplätze und zugehöriges Inventar als sakral galten. Wenn auch, wie schon die Pleminius-Affäre gezeigt hat, die Entwendung von Gegenstän den aus Heiligtümern fremder Gemeinden durch römische Beamte von den Römern für moralisch verwerflich gehalten wurde, musste stets eine un mittelbare Betroffenheit der römischen Verhältnisse nachgewiesen oder konstruiert werden (Verstrickung in religiöse Schuld gegen eine auch in Rom verehrte Gottheit, Konsekrationen durch römische Beamte mit imperium o.a.), um entsprechenden Beschwerden seitens der Gemeinde nach kommen zu können. Dieses wohl zunächst bewusst in einer juristisch administrativen Grauzone gehaltene mögliche Verhalten (>BeutelandRechtssicherheit< städtischer Heiligtümer (sacra publica) stand im Kontext der Besserstellung der Städte des Imperium Romanum seit Beginn des Principat unter Augustus insgesamt: Verwaltung und Rechtsprechung wurden seit Augustus zur Domäne kaiserlicher Poli tik. In seinen Res gestae (24) hatte Augustus sich programmatisch nicht nur als Restitutor der stadtrömischen Tempel, sondern auch und im beson deren der Heiligtümer der kleinasiatischen Provinz proklamiert18. Die neuerdings direkt dem Kaiser unterstehenden Beamten waren dem Kaiser gegenüber besonders zu einer >guten< Amtsführung verpflichtet. Für die senatorischen Provinzen gab es diese unmittelbare Form der persönli chen Verpflichtung der Beamten dem Kaiser gegenüber nicht, doch be stand hier wohl ein politischer Konsens, von den Grundsätzen der kaiserlichen Verwaltungsmaximen möglichst wenig abzuweichen19. Es kann damit nicht die Behauptung aufgestellt werden, dass die Administra tion in der Kaiserzeit frei von Eigeninteressen der Beamten oder Kaiser 17
DAHLHEIM, Die Funktion der Stadt im römischen Herrschafts verband, 1982, 16 f.; zur Entwicklung vgl. NÖRR, Origo. Studien zur Orts-, Stadt- und Reichszugehörigkeit in der Antike, 1963, 567 ff. 18 Wie SCHEER, Res gestae divi Augusti 24, 1995, besonders 212 ff., herausgestellt hat, versuchte Augustus sich gegen Antonius, den er implizit als pietätlosen Tempelräu ber klassifizierte, als Wohltäter und >Freund der Götter< zu profilieren. 19 RlCHARDSON, Roman Provincial Administration, 1984, 66 ff.
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3 Die doppelte Öffentlichkeit städtischer
Religionen
selbst gewesen sei. Es handelte sich um eine relativ uneigennützige, d. h. zweckrationale und auch auf die Belange der Städte bzw. Provinzen ausge richtete Administration im Vergleich zur republikanischen Zeit. Um mögliche Veränderungen im Rahmen der Intensivierung der römi schen Herrschaftspraxis und die Verbreitung des römischen Sakralrechts in Städten des Imperium Romanum beurteilen zu können, stehen neben den genannten Rechts- und Gesetzestexten (Codices, Gesetzessammlungen)20 literarische und inschriftliche Zeugnisse zur Verfügung, die durch die Kai ser oder Provinzialbeamte geschaffene Einzel- und Präzedenzfälle doku mentieren. Zur Analyse der Rechtstexte ist vorab zu bemerken, dass es sich hier um einen ersten Ansatz handelt, die genannten Aspekte einer Untersuchung zu unterziehen. Die Aus- und Bewertung von Rechtsquellen ist vor allem deshalb problematisch, weil die religionsgeschichtlich rele vanten Stellen der Digesten von der rechtsgeschichtlichen und religions wissenschaftlichen Forschung bisher nicht aufgearbeitet worden sind. 3.2.1 Zum Problem der Rezeption römischer Sakralrechtsnormen in den Provinzen auf der Basis von Gaius, Institutiones 2,2-7 In seinen Institutiones schrieb der Jurist Gaius einen viel zitierten und dis kutierten Passus über die Geltung des römischen Sakralrechts in den Pro vinzen. Wegen seiner im Vergleich zu den weiter unten besprochenen Rechtstexten der Digesten wesentlich größeren Prominenz wird er eigens diskutiert. Der Text enthält mehrere Unklarheiten und in ihrer Bedeutung umstrit tene Wendungen, so dass die behauptete Relevanz für die Geltung und Dif fusion des römischen Sakralrechts in den Provinzen in Frage gestellt werden muss. Der Passus lautet (Inst. 2,2-7a): Summa itaque rerum divisio in duos articulos diducitur: nam aliae sunt divini iuris, aliae humanis. (3) Divini iuris sunt veluti res sacrae et religiosae. (4) Sacrae sunt quae diis superis consecratae sunt; religiosae quae dis Manibus relictae sunt. (5) Sed sacrum quidem hoc solum existimatur quod ex auctoritate populi Romani consecratum est, veluti lege de ea re lata aut senatusconsulto facto. ... (7) Sed in provinciali solo placet plerisque solum religiosum nonfieri, quia in eo solo dominium populi Romani est vel Caesaris, nos autem pos20
Eine allgemeine Geltung antiker Rechtstexte in allen Regionen des Imperium Romanum, auch und vor allem wenn sie in Sammlungen publiziert wurden, wird heute nicht mehr angenommen.
3.2 Kais erzeit
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sessionem tantum vel usufructum habere videmur; utique tarnen etiamsi non sit religiosum, pro religiosum habetur. (7a) Item quod in provinciis [non] ex auctoritate populi Romani consecratum est, proprie sacrum non est, tarnen pro sacro habetur21. Während der erste Teil dieser Ausführungen unproblematisch ist, be reiten vor allem 7 und 7a Verständnisschwierigkeiten. Diese liegen auf der sprachlichen und - damit verbunden - auf der inhaltlichen Ebene: Die Wendungen hoc solum22, in provinciis sowa
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in Satz 7a23 sowie die von Wis-
vorgeschlagene Tilgung des non vor ex auctoritate populi Romani
haben zu Komplikationen in der Deutung geführt. Wissowa hat die Til gung des non unter Hinweis auf Plinius epist. 10,49 und 10,50 in Betracht gezogen, weil Trajan dem Plinius auf seine Anfrage mitgeteilt habe, dass der Verlegung des Magna-Mater-Tempels in Nikomedien keine religiösen Bedenken entgegen stünden25. Von David und Nelson wurde bezweifelt, ob diese Stelle zur Interpreta tion der Gaiusstelle überhaupt herangezogen werden dürfe, da sie nicht auf alle Arten von Provinzialland bezogen sei, sondern auf ein Terrain, das im
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»Die oberste Einteilung der Sachen wird daher auf zwei Teile zurückgeführt: denn die einen sind göttlichen Rechts, die anderen menschlichen Rechts. Göttlichen Rechts sind die geweihten und die dem Totenkult zugehörigen Sachen. Geweihte sind die den Göttern der Oberwelt konsekrierten, religiosus die den Göttern der Unterwelt überlassenen. Aber geweiht wird etwas durch die Rechtsanschauung lediglich, wenn es durch Autorisation des römischen Volkes konsekriert ist, z.B. durch ein darüber erlassenes Gesetz oder einen Volksbeschluss. ... Aber im Provinzialland wird nach der Ansicht der Mehr zahl der Boden nicht religiosus, weil an dem Land das Eigentum dem römischen Volk oder dem Kaiser zusteht und wir nur Besitz oder Nießbrauch daran zu haben scheinen, jedenfalls wird dennoch ein solcher Ort, wenn er auch nicht religiosus ist, wie religiosus behandelt. Ebenso ist, was in den Provinzen [nicht] auf Autorisation des römischen Vol kes konsekriert ist, nicht wirklich geweiht, aber dennoch wie etwas Geweihtes behan delt«. 22 NELSON/DAVID, Gai institutionum commentarii, 1960, 231, unter Hinweis auf den Rechtshistoriker REINACH. DAVID und NELSON stimmen der Interpretation REINACHS,
hoc solum sei hier nicht mit »dies allein«, wie sonst üblich, zu übersetzen, sondern mit »dieses Grundstück« nicht zu. Zu solch einer Schlussfolgerung reiche das Argument von REIN ACH, dass auch die folgenden drei Paragraphen von Grund und Boden handelten, nicht aus. 23 JONES, >In eo solo dominium populi romani est vel Caesaris