Elias Jammal (Hrsg.) Vertrauen im interkulturellen Kontext
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Elias Jammal (Hrsg.) Vertrauen im interkulturellen Kontext
VS RESEARCH Perspectives of the Other: Studies on Intercultural Communication Herausgegeben von Prof. Dr. Jürgen Henze, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Elias Jammal, Hochschule Heilbronn
Elias Jammal (Hrsg.)
Vertrauen im interkulturellen Kontext
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15965-2
Inhaltsverzeichnis Vorwort.................................................................................................................. 7 1
Einleitung...................................................................................................... 9
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Grundlegende Konzepte
Vertrauen und soziales Handeln Eine differentialpsychologische Perspektive Martin K. W. Schweer.......................................................................................... 13 Wie kann man Vertrauensbildungsprozesse in sprachlicher Interaktion beobachten und beschreiben? Dominic Busch..................................................................................................... 27 Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen Torsten M. Kühlmann .......................................................................................... 51 Reziprozität, Vertrauen, Interkultur. Kohäsionsorientierte Teamentwicklung in virtualisierten multikulturellen Arbeitsumgebungen. Jürgen Bolten ....................................................................................................... 69 3
Forschungsdesign und Methodik
Vertrauensaufbau in internationalen Geschäftsbeziehungen: Anregungen für ein akteursorientiertes Forschungsdesign Guido Möllering .................................................................................................. 95 Operationalisierung von Vertrauen im interkulturellen Kontext Julia F. Späth & Paulina Jedrzejczyk................................................................ 111 4
Kulturspezifische Studien
„Gemeinsam den Kopf hinhalten, falls etwas mal nicht gut gelaufen ist" - Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen Julia Bürger & Lucie Bouzková......................................................................... 133
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Inhalt
Relationship Management für Führungskräfte. Ein Modul für das interkulturelle Training deutscher und französischer Manager Robert Münscher................................................................................................ 151 Die Rolle von Vertrauen in sozialen Beziehungen – das Beispiel chinesischsprachiger Kulturräume Jürgen Henze ..................................................................................................... 193 Vertrauen und die Organisation von Heterogenität Beispiele aus der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Thomas Hüsken.................................................................................................. 213 Vertrauen in deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen Elias Jammal...................................................................................................... 235
Register .............................................................................................................. 257 Autorenverzeichnis ............................................................................................ 261
Vorwort Die Idee zu diesem Band ist auf einer Tagung zum Thema „Vertrauen im interkulturellen Kontext“ entstanden, die im Jahre 2006 an der Hochschule Heilbronn stattfand. Den Mitautorinnen und -autoren danke ich herzlich für ihre Unterstützung sowie für ihre Beiträge. Die Zusammenarbeit gestaltete sich stets fruchtbar und reibungslos. Das gewissenhafte Mitlesen und die Textformatierung verdanke ich Herrn Lars Geißel (Studiengang Internationale Betriebswirtschaft und Interkulturelle Studien an der Hochschule Heilbronn). Viele Studenten des Studiengangs haben als wissenschaftliche Hilfskräfte mitgewirkt. Ihre Mitwirkung hat zur Entstehung dieses Buchs wesentlich beigetragen. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung durch die Fakultät Wirtschaft 2 an der Hochschule Heilbronn wäre dieser Band nicht erschienen. Und schließlich: Die problemlose Zusammenarbeit mit dem VS Verlag ist besonders hervorzuheben.
Elias Jammal
Einleitung Das dreifache Ziel des Bandes besteht darin, grundlegende Konzepte, methodische Ansätze sowie dezidiert kulturspezifische Studien zum Vertrauensthema vorzustellen. Es wird stets versucht, primär die Perspektive des Anderen einzunehmen: Was bedeutet Vertrauen, wie entsteht Vertrauen und wie lässt es sich operationalisieren im interkulturellen Kontext? Im Zentrum der kulturspezifischen Beiträge stehen arabische, chinesische, tschechische und französische Perspektiven. Diesem dreifachen Ziel entsprechend, lassen sich die Beiträge drei Kategorien zuordnen: a.
Grundlegende Konzepte
Der Beitrag von Martin Schweer beleuchtet die differentialpsychologische Perspektive auf das Phänomen "Vertrauen". Im Zentrum seiner Überlegungen steht die differentielle Vertrauenstheorie mit den personalen Bedingungen (individuelle Vertrauenstendenz und implizite Vertrauenstheorie) und den situationalen Bedingungen (Grad der Symmetrie der Beziehungsstruktur, Grad der Freiwilligkeit der Beziehung, Grad der Möglichkeit zur offenen Kommunikation sowie zeitliche Dauer der Beziehung). Dominic Busch befasst sich mit der Frage: Wie kann man Vertrauensbildungsprozesse in sprachlicher Interaktion beobachten und beschreiben? Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Theorie der Performativität sozialen Handelns und er wirbt dafür, das Handeln der Akteure als Interaktion gesellschaftlich geteilten Wissens wahrzunehmen, womit interkulturelle Begegnungen die häufig in der Literatur aufgeführten Merkmale „Verunsicherung“ und „Unbekanntheit“ verlieren könnten. Torsten Kühlmann beschäftigt sich mit Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen. Er zeigt Möglichkeiten und Gefahren einer internationalen Unternehmenskooperation sowie Ansätze zu ihrer Bewältigung auf und erläutert drei Herangehensweisen an das Opportunismusrisiko, die sich ergänzen und bestärken: a) Schrittweiser Aufbau von Vertrauen aus der Kenntnis von Kontext und Person des Partners heraus; b) Einsatz von Kontrollmechanismen vor, während und nach der Kooperation; sowie c) Förderung hoher und symmetrischer Abhängigkeit der Partner.
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Einleitung
Jürgen Bolten blickt auf das Thema Vertrauen aus der Globalisierungsperspektive und beleuchtet dabei Voraussetzungen und Konsequenzen der Zweiten Moderne anhand der Begriffe Diversität und Virtualität in multikulturellen Teams. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Reziprozität. Sein Kulturbegriff basiert auf dem Kohäsionskonzept. b.
Forschungsdesign und -methodik
Guido Möllering gibt in seinem Beitrag zentrale Hinweise für Forschungen zum interkulturellen Vertrauen. Er schlägt ein offenes, induktives Forschungsdesign vor und erteilt statisch-strukturellen Erklärungen von Kultur und Vertrauen eine Absage. Favorisiert werden dynamisch-prozessuale Interpretationen. Die Fokussierung auf die Aktivität und Kreativität der Akteure wird empfohlen. Vier Ziele verfolgt der Beitrag von Julia F. Späth und Paulina Jedrzejczyk: a) Die Besonderheiten eines interkulturellen Kontexts bei der Erhebung von Vertrauen herauszustellen, b) die Möglichkeiten der Messung von Vertrauen im engen und weiten Sinne offen zu legen, c) am Beispiel der Vertrauenswürdigkeit die Bedeutung interkulturell gültiger Skalen aufzuzeigen und schließlich d) an einer dargelegten explorativen Studie ansetzend, Schritte zur Entwicklung von interkulturell validen Erhebungsinstrumenten vorzuschlagen. c.
Kulturspezifische Studien
Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen ist das Thema des Beitrags von Julia Bürger und Lucie Bouzková. Die Studie beruht auf 33 teilstrukturierten Interviews mit deutschen (n = 19) und tschechischen (n = 14) Mitarbeitern des oberen und mittleren Managements in 12 deutsch-tschechischen Unternehmen sowie auf 12 weiteren Interviews (5 deutsche, 7 tschechische) mit Führungskräften und Mitarbeitern, die regelmäßig zusammen arbeiten. Im Zentrum der Analyse stehen qualitative Beschreibungen der impliziten Vertrauenstheorien der befragten Personen auf Nationalitätenebene sowie deren Vorschläge für einen gelungenen Vertrauensaufbau. Robert Münscher stellt ausgewählte Ergebnisse eines Forschungsprojekts vor, für das zwischen 2005 und 2006 insgesamt 100 deutsche und französische Manager interviewt wurden. In offenen Leitfadeninterviews wurden sie gebeten, erstens die Entwicklung von Vertrauen zu ausgewählten Kollegen oder Geschäftspartnern nachzuzeichnen, zweitens Situationen des Vertrauensverlusts zu beschreiben und drittens darzustellen, wie sie selbst zeigen, dass man ihnen ver-
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trauen kann. Am Beispiel des Umgangs mit Absprachen und Regeln zeigt er auf, wie kulturelle Vertrauensmissverständnisse entstehen können. Im Zuge seiner Ausführungen erläutert er die Umrisse eines entsprechenden Trainings im deutsch-französischen Kontext. Dabei verweist er auf die Sensibilität des Themas Vertrauen und schlägt die Bezeichnung Relationship Management Training vor. Jürgen Henze Beleuchtet die chinesische Perspektive auf Vertrauen bzw. wie sich das soziale Konstrukt „Vertrauen“ („xinren“) in chinesischen Sprach- und Kulturgemeinschaften im Spiegel der internationalen Vertrauensforschung und vor dem Hintergrund erster indigener Theorieansätze darstellen lässt. Im Zentrum seiner Überlegungen stehen auch die Konstrukte „Guanxi“ und „Face“ bzw. „Facework“. Eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der entsprechenden Literatur kennzeichnet diesen Beitrag. Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich mit der arabischen Perspektive. In seiner organisationsethnologischen Perspektive geht Thomas Hüsken auf die Unterschiede zwischen formalen und informalen Organisationen ein und thematisiert Vertrauen im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit zwischen deutschen GTZ Mitarbeitern und den arabischen Counterparts in den Ländern Ägypten, Jemen und Jordanien. Er stellt die Ergebnisse seiner empirischen Studien vor. Dabei geht er auf die Berufsgruppe der Entwicklungsexperten ein und greift exemplarische Felder der Arbeitspraxis heraus, wie die Vorbereitung auf den Auslandseinsatz, die Arbeitsprozesse im Einsatzland, der Umgang mit der eigenen Agentur und das Management von Wissen. Elias Jammal stellt die Zwischenergebnisse des Forschungsprojekts „Determinanten deutsch-arabischer Vertrauensbildung“ vor. Basierend auf 80 Interviews mit deutschen und arabischen Fach- und Führungskräften in Ägypten, Katar, Libyen sowie den VAE*) und ausgehend von Schweers impliziter Vertrauenstheorie analysiert er vier arabische Begriffe für Vertrauen und erläutert zentrale Faktoren, die für den Vertrauensaufbau fördernd bzw. hemmend sind. Er identifiziert drei Prototypen für die Bildung von Vertrauenserwartungen aus der arabischen Perspektive und zeigt auf, dass es weniger Sinn macht, von einem fest umrissenen arabischen oder deutschen Vertrauenskonzept auszugehen.
*)
Die Interviews wurden von Bettina Köster, Irina Müller und Ulrike Schwegler durchgeführt. Letztere wirkte darüber hinaus bei der Projektkoordination und -durchführung mit. Ihnen allen sei an dieser Stelle besonders gedankt.
Vertrauen und soziales Handeln Eine differentialpsychologische Perspektive Martin K.W. Schweer „Es lohnt sich stets, das Wagnis des Vertrauens einzugehen.“
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Grundpfeiler der interdisziplinären Vertrauensforschung
1.1 Merkmale von Vertrauen Vertrauen ist ein Begriff, der sich im Alltagsleben großer Beliebtheit erfreut und dabei längst nicht auf den zwischenmenschlichen Bereich beschränkt bleibt; man hat – oder beklagt das fehlende – Vertrauen in die Zukunft, in die Parteien, in Produkte des alltäglichen Gebrauchs, auf Gott und weiteres mehr (Petermann 1996). Einigkeit besteht dahingehend, dass Vertrauen ein wünschenswerter Zustand ist und dass aktive Bemühungen unternommen werden müssen, um Vertrauen zu gewinnen – sei es in der Partnerschaft oder im Wahlkampf. In den wissenschaftlichen Analysen zum Vertrauen sind, ähnlich wie bei anderen Konstrukten auch, zum Teil sehr unterschiedliche Annäherungen an dieses Phänomen auszumachen. So finden sich verschiedenste Nominaldefinitionen darüber, was denn Vertrauen seinem Wesen nach sei. Eine frühe Definition von R. Schottlaender (1957) bestimmt Vertrauen als den Glauben an das Gute im Menschen. Nach Jackson (1980; zit. n. Petermann 1996: 15) zeichnet sich Vertrauen durch den Glauben daran aus, dass der Andere1 „für einen irgendwann das tut, was man für ihn getan hat“. Neuere Begriffsbestimmungen hingegen betonen insbesondere den Informationsaspekt; so ist beispielsweise für M. Platzköster (1990: 48) Vertrauen „der bewusste Verzicht auf Information zur Erhöhung der Erwartungssicherheit bei positiver Wertschätzung der Erwartung und einer ihr zugemessenen Eintretenswahrscheinlichkeit“. Doch ungeachtet der großen Bandbreite in den definitorischen Zugängen lassen sich verschiedene Aspekte herausarbeiten, die in der Diskussion mehrheitlich mit Vertrauen verbunden werden. Diese Bestimmungsstücke von Vertrauen lassen sich als „Eckpfeiler“ jedweder fundierten Auseinandersetzung mit dem
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Um die Lesbarkeit zu wahren, schließt – so weit nicht anders angegeben – die Verwendung der männlichen Form die weibliche ein.
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Vertrauensphänomen charakterisieren, sie sind die grundlegenden Merkmale von Vertrauen (Schweer 1996, 2006): a.
Risiko: Vertrauenshandlungen sind immer risikoreiche Handlungen (u.a. Boon & Holmes 1991; Ripperger 1998), eine Entscheidung gegen Kontrolle (Plötner 1995). Im Zuge der Entwicklung interpersonalen Vertrauens ist prinzipiell die Möglichkeit gegeben, einen gewährten Vertrauensvorschuss missbrauchen zu können. Vertrauen ist so gesehen zunächst einmal ein Wagnis, das durchaus vom Anderen enttäuscht werden kann. Wer also zum Beispiel einem anderen Menschen Persönliches erzählt, obwohl er diesen nicht gut kennt (und somit einen Vertrauensvorschuss liefert), riskiert damit, dass der Interaktionspartner das Vertrauen missbraucht und Gesprächsinhalte an Dritte weitergibt.
b.
Reziprozität: Aufgrund der so genannten Norm der Reziprozität innerhalb unserer gesellschaftlichen Tradition („Wie Du mir, so ich Dir.“, s.a. Gouldner 1984) erwarten Personen nach einer einseitigen Vertrauensvorleistung, dass der Interaktionspartner das entgegengebrachte Vertrauen erwidert und auf diese Weise seine eigene Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellt. Der Interaktionspartner erzählt beispielsweise seinerseits etwas Persönliches und löst damit eine Art reziproke Eskalation aus, als sich derjenige, welcher den Vertrauensvorschuss gab, nun wiederum verpflichtet fühlt, auf das erwiderte Vertrauen mit weiteren Vertrauenshandlungen zu reagieren. Interpersonales Vertrauen evoziert demnach im günstigen Falle immer neue Vertrauensbeweise und festigt auf diese Weise die Beziehung zwischen den Partnern.
c.
Zeit: Auch wenn für die Vertrauensentwicklung der Anfangskontakt eine prädeterminierende Funktion besitzt (s. Kap. 2.2), ist Vertrauen sicherlich nicht von Beginn an vorhanden, es muss sich über die Zeit etablieren. In der Regel entsteht eine vertrauensvolle Beziehung dadurch, dass einer der Interaktionspartner einen Vertrauensvorschuss gibt, ohne sich sicher sein zu können, ob das Vertrauen erwidert oder enttäuscht wird. Damit sich eine stabile Vertrauensbeziehung entwickeln kann, reicht jedoch eine singuläre Interaktionserfahrung mit dem Partner nicht aus. Die überdauernde Einstellung, dem Anderen vertrauen zu können, kann erst dann entstehen, wenn eine Reihe von (sich intensivierenden) Vertrauenshandlungen ausgetauscht worden sind (für Stufenkonzepte s. exemplarisch Shapiro, Sheppard und Charaskin 1992); erst dann können sich die Partner der Vertrauenswürdigkeit des jeweils Anderen subjektiv sicher sein („Prinzip der kleinen Schritte“; s. Neidhardt 1979).
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d.
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Bereichsspezifität: Der empirischen Befundlage ist deutlich zu entnehmen, dass Personen vertrauensvolle Beziehungen nicht in jedem Lebensbereich für gleichermaßen möglich erachten – grundsätzlich ist die Überzeugung, Vertrauen aufbauen zu können, im sozialen Nahraum (intime Partnerschaften, Eltern-Kind-Beziehung usw.) stärker ausgeprägt als beispielsweise in geschäftlichen Beziehungen oder zwischen Politikern und Wählern (Schweer 1997b, für eine Abgrenzung verschiedener Lebensbereiche s.a. Schweer & Thies 2003). Wie in Kap. 2 noch darzulegen sein wird, sind aber auch hier zum Teil erhebliche interindividuelle Unterschiede zu berücksichtigen.
1.2 Vertrauen als soziale Einstellung Vor dem Hintergrund der eigenen wissenschaftlichen Perspektive wird im Folgenden Vertrauen nicht nominal, sondern seinem psychologischen Konstruktcharakter gemäß als eine soziale Einstellung mit individuell unterschiedlicher Ausprägung aufgefasst (Schweer 1996). Soziale Einstellungen sind als hypothetische Konstrukte nicht direkt beobachtbar und messbar (wie beispielsweise die Körpergröße), sie müssen vielmehr über Zuordnungsregeln aus dem Verhalten erschlossen werden. Milton J. Rosenberg & Carl I. Hovland (1960) bestimmen soziale Einstellungen als komplexe intervenierende Variablen, die zwischen dem Einstellungsobjekt einerseits sowie der Wahrnehmung, Bewertung und dem offenen Verhalten dem Objekt gegenüber andererseits vermitteln. Vertrauen als soziale Einstellung hat also eine entsprechende Wahrnehmung und Bewertung eines Zielobjektes zur Folge und wirkt sich schließlich auf das offene Verhalten diesem Objekt gegenüber aus. In Anlehnung an das von Rosenberg & Hovland konzipierte DreiKomponenten-Modell der Einstellung lassen sich drei Aspekte von Vertrauen differenzieren (s.a. Schweer & Padberg 2002): a.
b.
c.
Kognitive Vertrauenskomponente: Gemeint ist das Wissen bzw. QuasiWissen über den Interaktionspartner („Ich weiß, dass ich meiner Freundin vertrauen kann.“). Affektive Vertrauenskomponente: Gemeint sind die positiven oder negativen Gefühle und Empfindungen, welche dem Interaktionspartner entgegengebracht werden („Ich fühle mich bei meiner Freundin sicher.“). Behaviorale Vertrauenskomponente: Gemeint ist das offene Verhalten, welches dem Interaktionspartner gegenüber gezeigt wird („Ich vertraue meiner Freundin sehr persönliche Informationen an.“)
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1.3 Sozialwissenschaftliche Vertrauenstheorien Interpersonales Vertrauen wird innerhalb der Sozialwissenschaften unter verschiedenen Perspektiven analysiert. Drei Ansätze, welche der Vertrauensforschung wichtige Impulse gaben, sollen im Folgenden kurz skizziert werden: zum einen der theoretisch orientierte soziologische Ansatz Niklas Luhmanns, zum anderen die empirisch orientierten sozialpsychologischen Arbeiten von Julian Rotter und Morton Deutsch. Niklas Luhmanns 1968 erstmals veröffentlichtes und auch heute noch viel beachtetes Buch „Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“ (2000; einen ähnlichen Zugang wählt Geramanis 2002) beschreibt einen funktionalistischen Zugang zum Vertrauensphänomen, denn nach Luhmann liegt die Bedeutung von Vertrauen im effektiven Umgang mit der vorhandenen Komplexität sozialer Wirklichkeit. Der Mensch ist im Unterschied zum Tier zukunftsoffen, er muss demnach sein Handeln auf künftige Ereignisse hin ausrichten. Die Zukunft jedoch „überfordert das Vergegenwärtigungspotential des Menschen“ (ebd.: 14), d.h. bei jeglichem geplanten Handeln muss einkalkuliert werden, dass dieses von außen behindert bzw. durchkreuzt werden kann. Die verfügbaren eigenen kognitiven Kapazitäten würden jedoch völlig überfordert, wenn der Mensch sämtliche etwaige Störeinflüsse in seiner Handlungsplanung mitdenken würde. Vertrauen reduziert nun diese Komplexität, als es die Freiheit der Anderen (partiell) ausblendet und damit eine, wenn auch riskante, Zukunftsplanung ermöglicht. Vertrauen schafft Handlungssicherheit und überhaupt mehr Raum für Handlungsmöglichkeiten, indem es Unsicherheiten in der Umwelt, die in der Realität nicht ausgeräumt werden können, im Bewusstsein neutralisiert. Oder in Luhmanns Worten (ebd.: 8f.): „Wo es Vertrauen gibt, gibt es mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, steigt die Komplexität des sozialen Systems, also die Zahl der Möglichkeiten, die es mit seiner Struktur vereinbaren kann, weil im Vertrauen eine wirksamere Form der Reduktion von Komplexität zur Verfügung steht.“ So hat beispielsweise der Vorgesetzte, der seinen Mitarbeitern vertraut, mehr Handlungsmöglichkeiten, da sich sein Handeln nun nicht mehr primär in der Kontrolle seiner Mitarbeiter erschöpft: Indem er vertraut, kann er sein Handeln verstärkt auf die inhaltliche Arbeit hin ausrichten. Ein anderes Beispiel betrifft den Straßenverkehr: Man fährt bei grünem Ampelzeichen, weil man darauf vertraut, dass die anderen Verkehrsteilnehmer bei „rot“ halten werden. Innerhalb der sozialpsychologischen Grundlagenforschung wird Vertrauen, je nach Akzentuierung personaler oder situationaler Merkmale, auf unterschiedliche Weise untersucht. Julian Rotter (1971, 1981) legt den Fokus auf personale Merkmale und bestimmt Vertrauen als eine stabile Persönlichkeitsdisposition.
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Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die von ihm konzipierte soziale Lerntheorie der Persönlichkeit. Danach wird die individuelle Persönlichkeit geprägt durch die jeweiligen Interaktionserfahrungen mit der Umwelt. Das heißt, ein Individuum zeigt insbesondere diejenigen Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit mit subjektiv positiven Konsequenzen verbunden waren. Auf diese Weise wird auch die Disposition, an andere Menschen eher vertrauensvoll heranzugehen, gelernt. Macht eine Person im Kindesalter in verschiedenen Situationen die Erfahrung, dass sich das Vertrauen in andere Menschen auszahlt, dann wird sie diese Erfahrungen verallgemeinern und folglich auf weitere, neuartige Situationen übertragen. Als Ergebnis dieses Lernprozesses entwickelt sich schließlich eine generalisierte, bereichsübergreifende Erwartungshaltung, dass „man sich auf das Wort, die Äußerungen, die Versprechen eines Menschen oder einer Gruppe verlassen kann“ (Rotter 1998: 23). Nach Rotter ist Vertrauen dabei aber keineswegs mit Naivität und pathologischer Leichtgläubigkeit gleichzusetzen. Vertrauensvolle Menschen unterscheiden sich von den misstrauischen nur dahingehend, ob und inwieweit sie bereit sind, einem Interaktionspartner einen Vertrauensvorschuss einzuräumen. Beim Anfangskontakt mit Fremden gewährt der Vertrauensvolle einen Vertrauensvorschuss („Ich werde ihm trauen, bis ich vom Gegenteil überzeugt bin.“), der Misstrauische hingegen verhält sich zunächst reserviert und abwartend („Ich werde ihm nicht trauen, bis ich ganz sicher bin, dass er vertrauenswürdig ist.“) (ebd.: 29). Um das generalisierte Vertrauen zu messen, entwickelte Rotter (1967) die „Interpersonal Trust Scale“ (ITS). Die ITS ist ein likert-skalierter Fragebogen mit 25 allgemein gehaltenen Aussagen wie „Die Menschen sind verlogener denn je.“, „Beim Umgang mit Fremden sieht man sich besser vor, bis ihre Vertrauenswürdigkeit bewiesen ist.“ oder „Die Justiz behandelt uns alle gleich und unvoreingenommen.“ Der individuelle Zustimmungsgrad wird dann als Indikator dafür verwendet, ob sich eine Person in einer neuartigen, mehrdeutigen oder unstrukturierten Situation eher vertrauensvoll oder misstrauisch verhält. Eine grundsätzlich andere Herangehensweise bei der Untersuchung von Vertrauen wählt Morton Deutsch (1958, 1973), der im Gegensatz zu Rotter Vertrauen nicht als Personvariable, sondern als Funktion situativer Bedingungen begreift – nicht die individuelle Disposition, sondern die Eigenschaften der jeweiligen Situation entscheiden darüber, ob eine Person vertraut oder misstraut. Vertrauen ist nach Deutsch folglich keine zeitlich überdauernde Persönlichkeitseigenschaft, sondern die Entscheidung für eine risikoreiche Handlung in einer Interaktionssituation, in welcher das Erreichen eines bestimmten Zieles abhängig ist vom eigenen Verhalten und dem Verhalten Anderer. Durch die eigene Bereitschaft zur Kooperation vertraue ich darauf, dass auch mein Gegenüber kooperieren wird, das Ausmaß der konkreten Kooperationsbereitschaft in einer spezifi-
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schen Interaktionssituation wird aber in dieser Konzeption durch situative Faktoren gefördert oder gesenkt. Deutsch hat Vertrauen als kooperatives Verhalten in so genannten „Gefangenen-Dilemma“-Situationen experimentell untersucht. Diese Experimentalsituationen sind so gestaltet, dass die beste Strategie für die eigene Person zugleich das schlechteste Gesamtergebnis darstellt; dem Risiko zur Optimierung des beiderseitigen Nutzens via Kooperation steht die Tendenz zum Wettbewerb entgegen (s.a. Schweer 1996). Deutsch hat nun diejenigen Merkmale der Situation ermittelt, die Vertrauen (im Sinne kooperativen Verhaltens) wahrscheinlicher machen. Folgende situativen Aspekte beeinflussen die Entscheidung für Kooperation versus Wettbewerb:
Möglichkeit zur Kommunikation (fördert den Austausch von Informationen und die Selbstoffenbarung im Hinblick auf eigene Intentionen und Erwartungshaltungen, auf diese Weise wird die Chance für Kooperation erhöht), die Höhe des Gewinns im Falle unkooperativen Verhaltens (je höher dieser Gewinn ausfällt, desto größer ist die Chance für Wettbewerb), Anwesenheit einer dritten Person, die von beiden Interaktionspartnern nicht gemocht wird (dies fördert den Zusammenschluss der beiden Interaktionspartner gegen den gemeinsamen Gegner und erhöht somit die Chance für Kooperation).
Die Entscheidung zur Kooperation ist immer risikoreich, weil ja stets in Rechnung gestellt werden muss, dass der Andere investiertes Vertrauen ausnutzen kann. Vertrauen ist nach Deutsch also gleichbedeutend mit einer risikoreichen Wahlentscheidung, bei der das Handlungsergebnis immer auch abhängig ist von der Entscheidung des Gegenübers, wobei dieser prinzipiell die Möglichkeit zur Täuschung besitzt (s.a. Petermann 1996).
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Die differentielle Vertrauenstheorie
Die einseitige Betrachtung von Vertrauen als personale (Rotter) oder situationale Variable (Deutsch) greift zur Erklärung dieses komplexen Phänomens und seiner Bedeutung für das soziale Miteinander zu kurz. In Anlehnung an das grundlegende Postulat von Kurt Lewin (1935) über die Determinanten des Verhaltens Verhalten = f {p,s} – und unter Bezug auf eine transaktionale Sichtweise sozialer Prozesse (für die diesbezügliche Diskussion im pädagogischen Feld s.a. Schweer & Thies 2000) muss von daher berücksichtigt werden, dass jegliches Verhalten aus dem Zusammenwirken personaler und situationaler Faktoren resultiert. Diesen Überlegungen folgend wird mit der differentiellen Perspektive (u.a. Schweer
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1997a, 2006) auf die Vertrauensprozesse signalisiert, dass es vermutlich keine generellen Faktoren gibt, die für alle Personen in allen Situationen die Entwicklung oder die Nicht-Entwicklung von Vertrauen prognostizieren lassen. Auch Vertrauen ist, wie jegliches menschliche Verhalten, stets das Ergebnis des Wechselspiels personaler und situationaler Faktoren. 2.1 Situationale Bedingungen Folgende Merkmale der Situation sind für den Vertrauensprozess von besonderer Bedeutung: a.
b.
Grad der Symmetrie der Beziehungsstruktur: Viele Beziehungen im Alltag sind durch ein formal festgelegtes Machtgefälle geprägt (z.B. VorgesetzterMitarbeiter-, Dozent-Student-Beziehung). Da einseitige Vorleistungen ein wichtiges Element von Vertrauen sind, solche Vertrauensvorschüsse jedoch stets mit einem Risiko für die vertrauende Person verbunden sind, erschwert eine asymmetrische Beziehungsstruktur die Entwicklung von Vertrauen. Machtungleichheit birgt die Gefahr, dass die Vorleistungen des Rangniedrigeren vom Ranghöheren mit höherer Wahrscheinlichkeit als strategisches Verhalten ausgelegt werden; d.h. der Ranghöhere ist eher geneigt zu glauben, dass der Rangniedrigere ihm nur etwas „vorspielt“, um auf diese Weise seine persönlichen Ziele zu erreichen. Deshalb sollten Vertrauensvorleistungen zunächst von Seiten der ranghöheren Person ausgehen (u.a. Schweer 1998a). Grad der Freiwilligkeit der Beziehung: Haben die Interaktionspartner freiwillig zueinander gefunden (z.B. im Sportverein) oder handelt es sich um eine „Zwangsgemeinschaft“ (z.B. Lehrer-Schüler-Beziehung)? Mangelnde Freiwilligkeit erschwert den Vertrauensprozess, da insbesondere im Falle negativer Interaktionssequenzen die Beziehung nicht problemlos beendet werden kann; vielmehr sind die Personen oftmals gezwungen, quasi gegen ihren Willen die Beziehung aufrecht zu erhalten. Typische kompensatorische Verhaltensstrategien sind dann Formen offener oder verdeckter Aggression, aber auch resignative Tendenzen können die Folge sein. So benimmt sich möglicherweise ein Schüler, der kein Vertrauen zu seinem Lehrer hat und sich in hohem Maße wünscht, nicht länger von diesem Lehrer unterrichtet zu werden, ablehnend und verschlossen; denkbar ist auch ein Arbeitnehmer, der Probleme mit seinem Vorgesetzten hat, aber aus Angst, den Job zu verlieren, seinen Ärger lieber in sich „hineinfrisst“ (zum Phänomen der „inneren Kündigung“ s. u.a. Höhn 1983; Litzke & Schuh 2007).
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c.
Grad der Möglichkeit zur offenen Kommunikation: Wie die Kommunikationsforschung zeigt, ist die Möglichkeit zur offenen Kommunikation eine wichtige Voraussetzung für die Vertrauensentwicklung (u.a. Baskin & Aronoff 1980). Im Erziehungsbereich, aber auch im Arbeitsleben sind die Kommunikationsstrukturen jedoch weitgehend festgelegt. Von daher bedarf es – und hier sind in erster Linie zunächst wieder die ranghöheren Interaktionspartner gefragt – in derartig reglementierten Beziehungen der Bereitschaft zur Ausbildung zusätzlicher Kommunikationswege mit eher informellem Charakter (Schweer 1998a). Zeitliche Dauer der Beziehung: Da sich Vertrauen – wie oben bereits erläutert – über die Zeit entwickelt, muss bei der Analyse stets berücksichtigt werden, ob die Beziehung auf einen längeren Zeitraum hin oder aber nur kurzfristig angelegt ist.
d.
2.2 Personale Bedingungen Zwei zentrale personale Einflussgrößen, welche den Prozess der Vertrauensentwicklung bestimmen, sind die individuelle Vertrauenstendenz und die implizite Vertrauenstheorie (Schweer 2006). Mit dem Konstrukt der individuellen Vertrauenstendenz wird der Überlegung Rechnung getragen, dass die vertrauensrelevanten Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht, sich nicht unmittelbar und direkt in Vertrauenshandlungen niederschlagen, sondern zunächst in der grundsätzlichen Überzeugung, anderen Menschen potenziell Vertrauen schenken zu können. Eine solche Überzeugung kann aber nun über verschiedene Lebensbereiche variieren, sie ist – anders als von Rotter konzipiert – nicht lebensbereichsübergreifend. Auch besteht eine solche Überzeugung unabhängig von der Tatsache, ob in einer konkreten Situation einem Interaktionspartner dann auch tatsächlich Vertrauen entgegengebracht wird. Die Ergebnisse diesbezüglicher empirischer Studien deuten darauf hin, dass die Vertrauenstendenz als eine Art Wahrnehmungsfilter fungiert, welcher die Wahrnehmung des Gegenübers subjektiv in eine erwartete Richtung lenkt: Personen mit stark ausgeprägter Vertrauenstendenz in einem bestimmten Lebensbereich nehmen in signifikant höherem Maße vertrauensfördernde Verhaltensweisen bei ihrem Gegenüber wahr. Dieser Effekt scheint bei jüngeren Menschen deutlich stärker ausgeprägt zu sein, was sich entwicklungspsychologisch mit dem Grad des kognitiven Entwicklungsniveaus erklären lässt (Schweer 1996). Allerdings sind hier noch weitere Studien erforderlich, um fundiertere Hinweise auf den Stellenwert der individuellen Vertrauenstendenz insbesondere auch im Erwachsenenalter zu erhalten.
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Auf der Basis einschlägiger Befunde aus dem Bereich impliziter Persönlichkeitstheorien (u.a. Bruner & Tagiuri 1954; Upmeyer 1985) wird ferner postuliert, dass interindividuelle Unterschiede dahingehend bestehen, wie sich in den subjektiven normativen Erwartungen ein Interaktionspartner verhalten sollte, damit man Vertrauen zu ihm fassen kann. Mit impliziter Vertrauenstheorie gemeint ist somit die Gesamtheit der normativen Erwartungen eines Individuums an das Verhalten anderer Personen im Hinblick auf eine positive Vertrauensentwicklung. Jeder Mensch besitzt insofern eine Vorstellung über den „Prototyp“ des „vertrauenswürdigen“ bzw. „vertrauensunwürdigen“ Interaktionspartners, wobei diese Vorstellungen je nach konkretem Lebensbereich variieren können – der vertrauenswürdige / vertrauensunwürdige Lehrer, der vertrauenswürdige / vertrauensunwürdige Ehemann, der vertrauenswürdige / vertrauensunwürdige Arzt usw. Verbunden mit solche Vorstellungen sind nun immer auch Annahmen darüber, wie man sich „solchen“ Personen gegenüber zu verhalten hat, man verfügt also über entsprechende Handlungsscripts für den Fall des Umgangs mit einem vertrauenswürdigen / vertrauensunwürdigen Interaktionspartner (Schweer 1997b; zum Konstrukt des Handlungsscripts s. u.a. Rosemann & Kerres 1986; Schweer 1998b). Vertrauen wird nun um so eher erlebt, je stärker die eigenen Erwartungen an eine „vertrauenswürdige“ Person mit deren wahrgenommenem Verhalten in Einklang stehen. Ein und dasselbe Verhalten kann demnach bei einer Person Vertrauenskonkordanz (Kompatibilität mit der impliziten Vertrauenstheorie) und bei einer anderen Person Vertrauensdiskordanz (Inkompatibilität mit der impliziten Vertrauenstheorie) auslösen. Auch hier zeigt sich wieder, dass unsere Wahrnehmung kein exaktes Abbild einer objektiven Wirklichkeit ist, sondern entscheidend durch unsere Vorannahmen und implizite Theorien geprägt wird. Vertrauenstendenz und implizite Vertrauenstheorie prädeterminieren als personale Einflussgrößen eine progressive bzw. retrogressive Vertrauensentwicklung. Neben diesen situationalen und personalen Faktoren spielt ferner die Qualität des Anfangskontaktes eine wichtige Rolle. Aus zahlreichen Untersuchungen zur sozialen Wahrnehmung (zusammenfassend für den Forschungsstand s. Forgas 1999) ist bekannt, wie massiv der erste Eindruck von einer Person das weitere Miteinander prägen kann. Dieser erste Eindruck kann das Ergebnis eigener oder vermittelter Erfahrungen sein und lenkt Wahrnehmung und offenes Verhalten in eine bestimmte, nämlich einstellungskonforme Richtung. Im Sinne eines zirkulären Kreislaufsystems reagiert der auf diese Weise Wahrgenommene mit eigenen Wahrnehmungen und Handlungen – positive Eindrücke evozieren positive Kreislaufprozesse, negative Eindrücke evozieren negative Kreislaufprozesse. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich im Rahmen einer Längsschnittstudie für den pädagogischen Bereich nachweisen ließ, dass Lernende, die zu Beginn einer Interaktionsbeziehung einen positiven Eindruck vom
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Lehrenden hatten, diesem Lehrenden auch im weiteren Beziehungsverlauf deutlich mehr Vertrauen entgegenbrachten als Lernende, deren erster Eindruck vom Lehrenden eher negativ ausfiel (Rosemann & Schweer 1995; Schweer 1996). Bereits kurze anfängliche Interaktionserfahrungen (hier operationalisiert durch den ersten Eindruck der Studierenden zu Semesterbeginn von einem Hochschullehrer) mit dem Ergebnis einer eher oberflächlichen Sympathie bzw. Antipathie haben entsprechende Folgewirkungen für den Prozess der Vertrauensentwicklung und das in einem späteren Beziehungsstadium erlebte Vertrauen (hier operationalisiert durch das Vertrauensurteil der Studierenden gegenüber dem Hochschullehrer am Semesterende). Zusammenfassend ist vor dem Hintergrund obiger Überlegungen also für die Qualität der Vertrauensentwicklung entscheidend: a. b. c.
die Qualität der Vertrauenstendenzen bei den Interaktionspartnern, die Kompatibilität der impliziten Vertrauenstheorien mit dem wahrgenommenen Verhalten des Interaktionspartners, die Grundeinstellung zum Interaktionspartner (Sympathie versus Antipathie) als Ergebnis des Anfangskontaktes.
2.3 Korrelate erlebten Vertrauens Vertrauen ist ein zentraler Bestandteil der Informationsverarbeitung und geht daher mit positiven Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen einher. Zum einen werden in höherem Maße eben solche Informationen aufgenommen, welche das vorhandene Bild über die Vertrauenswürdigkeit des Interaktionspartners bestätigen; zum anderen rufen die damit verbundenen Verhaltensweisen entsprechende Wahrnehmungs-, Erlebens- und Handlungsmuster beim Gegenüber hervor. Von daher zeigt sich in verschiedenen empirischen Studien (u.a. Goddard 2001; Hart & Hodson 2006; Schweer 1997c; Thies 2002, 2005) theoriekonsistent, dass erlebtes Vertrauen mit einer grundsätzlich positiveren Bewertung der Gesamtsituation korreliert und insbesondere auch mit den motivationalen Befindlichkeiten in Zusammenhang steht. Vertrauen ist also sicherlich mehr als „nur“ eine Variable des sozialen Klimas, über den Weg der Motivation, Anstrengungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit lässt sich dessen Relevanz auch für typische Leistungssituationen ausmachen.
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Perspektiven für die interkulturelle Kommunikation
Fragen der interkulturellen Kompetenz erfahren seit den letzten Jahren ein zunehmendes Maß an Beachtung; in der (post-)modernen Weltgesellschaft (s. zu diesem Begriff u.a. Wobbe 2000) wird die Beschäftigung mit diesen Fragen gleichsam zum Gebot der Stunde. Immer häufiger treten Personen aus verschiedenen Kulturkreisen in Kontakt miteinander, sei es aus persönlichen Motiven oder aber um beispielsweise eine Geschäftsverbindung einzugehen. Dabei treffen je nach kulturellem Kontext unterschiedliche Normen, Werte und Werthierarchien sowie differente gesellschaftliche Kommunikationsformen aufeinander (Neubauer 1999). Hieraus können sich eine Reihe von Missverständnissen im Umgang der Interaktionspartner miteinander ergeben, wodurch die Etablierung von Vertrauen behindert werden kann. Folgenschwer ist dann vor allem, wenn beide Seiten derartige Irritationen nicht ansprechen, sich also vielmehr auf ihre subjektive Wirklichkeitsauffassung verlassen; statt Vertrauen resultiert dann Misstrauen, die Interaktion wird unter Umständen erheblich beeinträchtigt, es kann etwa zum wirtschaftlichen Misserfolg oder gar zum Abbruch internationaler Beziehungen kommen. Allerdings existieren bislang kaum empirische Arbeiten, welche die Vertrauensbeziehungen vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Kontextes zum Gegenstand haben. Aus der Perspektive der differentiellen Vertrauenstheorie ergeben sich zwar keine Patentrezepte zum Aufbau interkulturellen Vertrauens, die Theorie macht aber die hohe Bedeutung automatisiert ablaufender Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse für das Interaktionsgeschehen evident. Eine diesbezügliche Sensibilisierung mit dem Ziel einer kritischen Reflektion des eigenen Erlebens und Handelns sowie eines intensiveren wechselseitigen Austauschs kann aber sicherlich viele typische Schwierigkeiten interkultureller Kommunikation bereits im Vorfelde vermeiden helfen (s.a. Schweer & Thies 2005). Das Bewusstmachen dieser alltäglichen Automatismen und Handlungsroutinen kann dazu beitragen, die eigene kognitive Komplexität (u.a. Harvey, Hunt & Schroeder 1961; Schroder, Driver & Steufert 1975) zu erhöhen und somit über ein höheres Maß an Unsicherheitstoleranz (s.a. Siebert 2006) zu verfügen im Sinne einer Offenheit dem Fremden gegenüber – die Wahrnehmung von Verhaltensmustern, die zunächst als inkongruent mit den eigenen kulturell „genormten“ Erwartungen scheinen, führen dann ggf. nicht automatisch zur Abwertung des Andern, vielmehr bewahrt man sich dem Interaktionspartner aus einer anderen Kultur gegenüber seine Offenheit. Diese Offenheit ermutigt den Partner möglicherweise seinerseits, eigene stereotype Sichtweisen zu verwerfen (oder sie zumindest für den Augenblick zu übergehen) und begründet damit im günstigen Falle eine positive Vertrauenseskalation (s. Kap. 1.1). Wenn interkultureller
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Austausch dann noch unter günstigen situativen Rahmenbedingungen stattfindet, also in einem möglichst offenen kommunikativen Raum mit der Gelegenheit zur informellen Kommunikation, dann sind die Ausgangsbedingungen zur Überwindung interkultureller Schranken günstig.
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Wie kann man Vertrauensbildungsprozesse in sprachlicher Interaktion beobachten und beschreiben? Dominic Busch
Einfach ein wenig mehr Vertrauen scheint man zu benötigen, um in sozialen Interaktionen die Schwierigkeiten meistern zu können, die aufgrund interkulturell bedingter Einflüsse auftreten können: So haben einschlägige Forschungsarbeiten in den vergangenen Jahrzehnten Interkulturalität als einen Problemgegenstand herauskristallisiert, dessen zentrale Charakteristik darin besteht, für potentielle Verunsicherung in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu sorgen. Gegenseitiges Vertrauen, das der Kooperativität des gemeinsamen Umgangs grundsätzlich förderlich sein kann, setzen die betroffenen Interaktanten in Reaktion auf ihre Verunsicherung sparsamer ein, was die Interaktion in der Folge zusätzlich erschweren kann. An dieser Stelle scheint die Suche nach Möglichkeiten zum Aufbau oder zur Wiederherstellung von Vertrauen in interkulturell bedingten Kontexten plausibel und legitim. Der Vertrauensbegriff wurde zwischenzeitlich aus unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Perspektiven mehrfach definiert und operationalisiert (Luhmann 2000 [1968]; Schweer 2003). Ergründet und definiert werden in diesen Arbeiten meist sowohl einerseits die Rolle und die Funktion von Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft als auch andererseits individuelle Motivationen für die Gewährung oder die Verweigerung von Vertrauen (vgl. Vertrauen als „Wahrnehmungsorientierung“, Graeff 2003: 352f). Während der Wert von Vertrauen als Grundvoraussetzung für konstruktive soziale Interaktionen meist mit Hilfe von soziologischen und sozialpsychologischen Herangehensweisen nachgewiesen wird, hat die sprachwissenschaftliche Forschung zur interkulturellen Kommunikation größtenteils Verfahren zur Beschreibung empirisch beobachtbarer Besonderheiten in interkulturell bedingten Kontexten hervorgebracht (für einen Überblick vgl. Busch 2007). Der vorliegende Beitrag soll dementsprechend der Fragestellung nachgehen, inwieweit und in welcher Form sich das Vorhandensein und das Fehlen von Vertrauen sowie Vertrauensbildungsprozesse in interkulturell bedingten Kontexten empirisch zeigen lassen. Versteht man Vertrauen als eine mentale Haltung, so kann sich diese folglich nur in daraus
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Dominic Busch
resultierenden Vertrauenshandlungen (Schweer 2003: 324) (Hervorh. d. Verf.) manifestieren.
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Vertrauen in interkulturellen Kontaktsituationen
Spricht man von Vertrauen in interkulturellen Kontexten als einem Spezifikum, so drängt sich die Frage auf, worauf in diesem Fall im Besonderen vertraut werden soll. Was kann erreicht werden, wenn Interaktanten in interkulturell bedingten (Wirtschafts-)kontexten einander vertrauen, und was kann verloren werden, wenn die Interaktanten einander nicht vertrauen? Wird bei dem Gedanken an die besondere Rolle von Vertrauen in interkulturellen Kontexten also ein bestimmtes Vertrauensobjekt implizit mitgedacht? Luhmann bezeichnet Vertrauen zunächst wertfrei als Mittel zur Reduktion von Komplexität, die von Individuen in ihrer sozialen Umwelt andernfalls nicht bewältigt werden könnte (vgl. Luhmann 2000 [1968]: 27ff). Einige der im Anschluss an Schweer (2003) publizierten Repliken verbinden ihren Vertrauensbegriff jedoch bereits mit einem Vertrauensobjekt im Sinne eines erwarteten zukünftigen Ergebnisses, auf dessen Eintreten sich das Vertrauenssubjekt, der Vertrauende, verlässt. So bezieht sich für Auhagen (2003) beispielsweise Vertrauen auf das Eintreten eines moralisch als allgemein positiv zu bewertenden Ergebnisses, dessen genaue Ausgestaltung jedoch nicht zwingend vom Vertrauenden vorgegeben werden muss. Aus ökonomischer Sicht grenzt Rippberger (1998: 38) das Objekt des Vertrauens nur geringfügig genauer ein: Vertraut werde demnach in ein wohlwollendes und kooperatives Verhalten des Vertrauenspartners. Als Bedingung für das Zustandekommen von Vertrauen nennen zahlreiche Autoren die Reziprozität des Vertrauensverhältnisses: Nur den Personen, die vertrauen, wird auch Vertrauen entgegengebracht und umgekehrt (vgl. Graeff 2003; Schweer 2003: 324). Fehlt Vertrauen in einer Austauschbeziehung, so muss es Luhmann zufolge beinahe zwingend zu Misstrauen kommen, da Misstrauen als „funktionales Äquivalent für Vertrauen“ fungiere (Luhmann 2000 [1968]: 92): Aufgrund eines Vertrauensverlusts würde die vormals qua Vertrauen reduzierte Komplexität der Umwelt zunächst wiederhergestellt, die jedoch für Individuen in der Interaktion nur schwer bewältigt werden könne. Als Reaktion darauf reduzieren Interaktanten die Komplexität in eine umgekehrt wertende Richtung: Misstrauisch unterstellen sie ihrem Partner eine größtmögliche Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit. Auch in den Sprachwissenschaften dominiert die Vorstellung von Vertrauen als einem Vertrauen in eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft von Interaktanten. So formulierte beispielsweise in der linguistischen Pragmatik Grice
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„cooperative principle“ (Grice 1975: 45) als Grundvoraussetzung sprachlichen und interaktiven Handelns. Demnach sind Interaktanten in einem Gespräch erst dann in der Lage, einzelne Äußerungen überhaupt adäquat zu deuten, wenn sie davon ausgehen können, dass ihr Gesprächspartner mit diesen Äußerungen zu einer kooperativen Verständigungsarbeit beitragen will. Dieser kulturuniversale Anspruch des Griceschen Kooperativitätsprinzips wurde in der Folge mehrfach in Frage gestellt (vgl. Allan 1991; Clyne 1994; Wierzbicka 1996) und verteidigt (vgl. Heringer 1994). Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation haben sich darüber hinaus vielfach auf die Suche nach kulturspezifischen Aspekten in der Kommunikation konzentriert (Knapp 1998; Müller-Jacquier 2000). Autoren aus diesen Bereichen unterstellen meist, dass Interaktanten in interkulturellen Kontaktsituationen Gefahr laufen, diese kulturspezifischen Besonderheiten nicht zu kennen, geschweige in der Interaktion erkennen und adäquat deuten zu können. In der Folge kann sich Misstrauen im Sinne Luhmanns einstellen, da die Interaktanten zumindest Irritationen wahrnehmen, aus der sie potentiell eher auf eine unkooperative Haltung ihres Gegenübers als auf interkulturell bedingte Missverständnisse (Busch 2003) schließen können. Mit dem Stereotypenbegriff scheint die Forschung zur interkulturellen Kommunikation darüber hinaus ein weiteres Äquivalent zur Vertrauensproblematik operationalisiert zu haben: Versteht man Vertrauen als eine mentale Einstellung zur Reduzierung von Komplexität, so könnte Misstrauen in interkulturellen Kontaktsituationen in Form von Stereotypen nachgewiesen werden (Allport 1954; Cauthen/ Robinson/ Kraus 1971; Thomas 2004). Sozialforscher halten die komplexitätsreduzierende Funktion von Stereotypen zwar zunächst wertfrei und stellen ihren wesentlichen Beitrag bei der Alltagsbewältigung heraus. In Intergruppenkontexten (Tajfel 1981), zu denen sich auch interkulturelle Kontaktsituationen rechnen lassen, tendieren Stereotypisierungen jedoch zu pejorativen Inhalten. Handreichungen zu konstruktiver interkultureller Kommunikation und interkultureller Kompetenz zielen daher nicht selten auf einen Abbau ethnisch motivierter Stereotype ab (Thomas 2004). Eine der weitreichendsten Operationalisierungen des Vertrauensbegriffs für das Forschungsfeld interkulturelle Kommunikation dürfte im Bereich der Sozialpsychologie von William Gudykunst vorliegen (vgl. Gudykunst 1985; Gudykunst 1993; Gudykunst 1995). Gudykunst formuliert das Ziel einer möglichst effektiven Kommunikation, die mittels eines kompetenten Umgangs mit Ängsten und Unsicherheiten („anxiety/uncertainty management (AUM)“ (Gudykunst 1993)) erreicht werden könne. Interaktionspartner sollten demnach die Gefahr des Eintretens von Missverständnissen minimieren können. Hierzu sollten sie nach Gudykunst (1993: 34) das eigene Verhalten und das ihres Gesprächspart-
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Dominic Busch
ners in einem gegebenen Kontext möglichst genau vorhersehen können. Interkulturelle Kontaktsituationen sind Gudykunst zufolge für die Interaktanten meist neu und unbekannt, so dass sie auch den Verlauf und den Ausgang derartiger Situationen weniger weit vorhersehen können als gewohnt. Gudykunst führt den Aspekt der Luhmannschen Komplexitätsreduzierung für interkulturelle Kontaktsituationen genauer aus: Ambiguitäten und Unsicherheiten begegneten Individuen Gudykunst zufolge, in dem sie Informationen sammelten (uncertainty reduction) und Spannungen und Ängste reduzierten (anxiety reduction) (Gudykunst 1993: 38-39). Im (intrakulturellen) Alltag werde dies mit Hilfe nicht weiter reflektierter Skripte und Rituale geleistet, die unter Umständen auch zu Abwehrhaltungen und einem Kommunikationsabbruch führen könnten. Eine wesentliche Rolle komme Gudykunst dabei der häufigen Verwendung von Kategorisierungen zu: “Another condition that contributes to being mindless is the use of categories. Categorization is often based on physical (e.g. gender, race) or cultural (e.g. ethnic background) characteristics, but we also can categorize others in terms of their attitudes (e.g. liberal, conservative) or approaches to life (e.g. Christian, Buddhist).” (Gudykunst 1993: 41)
Als Generalrezept empfiehlt Gudykunst Achtsamkeit (mindfulness) (1993: 40ff) im Sinne einer bewussteren Kommunikation, welche die Komplexität der Umwelt wahrnimmt und reflektiert. Auf diese Weise könne die Vorhersehbarkeit von Interaktion auch in interkulturell bedingten Kontexten wiederhergestellt werden, wodurch auch das menschliche Bedürfnis nach der Möglichkeit, Vertrauen zu können, hinreichend bedient werde (Gudykunst 1993: 44f).
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Kultur in der „interkulturellen Kommunikation“
Ein möglichst bewusstes und reflektiertes Handeln ist sicherlich und wahrscheinlich jedem Menschen in jeder Situation anzuraten und keinesfalls schädlich. Eine Beschreibung der Aspekte, die Vertrauen in interkulturell bedingten Kontaktsituationen in besonderem Maße erforderlich und zugleich besonders schwierig machen, scheint jedoch weiterhin auszustehen. Verantwortlich für diese Ungenauigkeiten erscheinen hier die erheblichen Schwierigkeiten der Forschung zur interkulturellen Kommunikation, wenn es darum geht, die Rolle, den Einfluss und die Funktion von Kultur in zwischenmenschlicher Interaktion zu identifizieren, zu isolieren und zu beschreiben. Wird die interkulturelle Forschung vor die Aufgabe gestellt nachzuweisen, wie ausgewählte soziale Phänomene, wie beispielsweise Vertrauen, in interkulturell be-
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dingten Kontexten modifiziert werden, so tun sich Einblicke in zentrale und offenbar bislang nur unbefriedigend beantwortete Fragestellungen des Fachs interkulturelle Kommunikation auf. 2.1 Probleme bei der Erfassung und Eingrenzung von Kultur Nachdem die Geistes- und Kulturwissenschaften im 20. Jahrhundert mehrere cultural turns (Bachmann-Medick 2006) durchlaufen haben, muss jedoch zumindest eingestanden werden, dass bereits eine Definition dessen, was Kultur eigentlich sein soll, ungeahnte Schwierigkeiten mit sich bringt, von denen hier nur einige kurz aufgezeigt werden sollen.1 Beliebt scheinen auf den ersten Blick analytische Herangehensweisen an Versuche, Kultur zu definieren. So führt beispielsweise Posner (2003: 49) in der Kultursemiotik Kultur als eine Zusammensetzung auf bereits bekannte Einzelteile – hier: Artefakte und Mentefakte – zurück, wohingegen konstruktivistische (Schmidt 1994), soziolinguistische (Gumperz 1982) und wissenssoziologische (Auer/ di Luzio 1992) Arbeiten Kultur als Zusammenspiel einzelner Elemente – hier: Kommunikationsangebote, Kontextualisierungshinweise, etc. – beschreibt. Beliebt erscheinen auch Modelle, in denen Kultur durch möglichst treffenden Metapher ersetzt, wie beispielsweise Kultur als Text (Geertz 1987) oder auch Hypertext (Altmayer 2004), bzw. Kultur als Kommunikation, als Differenz, als Diskurs oder als Wertesystem (Bachmann-Medick 2006: 10-29). Wenn jedoch die Kenntnis dieser einzelnen bereits für ein vollständiges Verständnis des Phänomens ausreicht, rückt auch die Isolierbarkeit interkulturell bedingter Aspekte zwischenmenschlicher Interaktion in Frage. Definitionen von Kultur kommen darüber hinaus nur selten ohne einen Rückbezug auf einen bestimmten Kontext aus, in dem sich Kultur wie definiert bemerkbar macht. So beschreiben einige Definitionen die Funktion und Rolle von Kultur für den Erhalt von Gesellschaften (Thomas 1991), teilweise sogar für einzelne Gesellschaftskreise (für westliche Gesellschaften vgl. Kluxen 1997). Insbesondere im Genre der Praxishandreichungen zur interkulturellen Wirtschaftskommunikation erscheint die Fokussierung einzelner Zielkulturen sehr beliebt (Schroll-Machl/ Novy 2002), aber auch die interpretative Forschung setzt meist auf Einzelfallstudien (Geertz 1987), so dass ein universaler Erklärungsanspruch kaum erhoben werden kann und auch nicht intendiert ist. Universale Definitionen von Kultur erscheinen demgegenüber, wenngleich häufig beansprucht (vgl. z. B. Hofstede 1980) und widerlegt (vgl. exemplarisch zum glei1
Für einen Überblick über Formen wissenschaftlicher Definitionen vgl. Gabriel, Gottfried (1995): "Definition". In: Blasche, Siegfried/Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Stuttgart/Weimar: Metzler: 439-442.
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Dominic Busch
chen Beispiel Marui/ Reinelt 1985) nur in den seltensten Fällen überzeugend begründbar (Fuchs 1997), bzw. überhaupt ideell zugänglich (für Probleme der interkulturellen Philosophie vgl. Brocker/ Nau 1997; für Probleme des Kolonialismus aus Sicht der Cultural Studies vgl. Bromley 1999). Beschreibungen interkulturell bedingter Einflüsse auf Interaktionen scheinen sich demzufolge einer Beliebigkeit aussetzen zu müssen, durch die jegliche Erklärungskraft wiederum zu schwinden scheint. Des Weiteren scheint sich Kultur meist nur „implizit“ (Gabriel 1995: 441) definieren zu lassen, da sie offenbar nur im Kulturvergleich, bzw. im Kulturkontakt überhaupt erst relevant und spürbar wird. Auf diese genannten Kontexte konzentrieren sich denn auch zahlreiche, sowohl etische (Hofstede 1980) als auch emische (Ertelt-Vieth 2005) Kulturmodelle, indem sie explizit mit Kriterien der Irritation und der Perspektivik arbeiten. Kultur scheint demnach grundsätzlich ihrer selbst zu bedürfen, um identifiziert werden zu können. Verwendet man derartige Definitionen zur Beschreibung eines Kontextes, in dem weitere Phänomene – wie hier beispielsweise Vertrauen – beschrieben werden sollen, so entzöge sich dieser Kontext permanent selbst seiner Grundlage. 2.2 Alternative Annäherung: Kultur als Thema in Diskursen Die Überlegungen im vorangegangenen Kapitel haben auf einige Schwierigkeiten bei der Definition von Kultur aufmerksam gemacht: Wenngleich zahlreiche Herangehensweisen an eine Definition vorgefunden und unterschieden werden können, scheint eine Definition, die allen Ansprüchen und Zielstellungen zugleich entspricht kaum beizubringen zu sein. Eines der größten Hindernisse bei diesem Unterfangen scheint in der Einsicht zu liegen, dass wir mit „Kultur“ ein Phänomen zu definieren versuchen, von dem wir – je nach theoretischer Sichtweise – auf irgendeine Weise permanent betroffen, daran beteiligt, umgeben, etc. sind, so dass wir uns nicht von ihm transzendieren, uns in eine Beobachterperspektive hineinbegeben können und uns dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand selbst entziehen können. Kultur scheinen wir demnach immer nur aus unserer eigenen kulturellen Perspektive heraus beschreiben zu können – und tun damit unseren eigenen Ansprüchen an eine Definition nicht genüge. Dennoch schiene es zu bequem, „Kultur“ als etwas abzutun, was einfach nicht beschreibbar ist. Schließlich kann zumindest konstatiert werden, dass „Kultur“ für zahlreiche westliche Gesellschaften ein Thema ist, über das es sich zu diskutieren lohnt. So scheint ‚Kultur’ ein wesentliches und gut verankertes Thema und ein Gegenstand gesellschaftlicher Diskurse zu sein. In zahlreichen gesellschaftlichen Kontexten, wie beispielsweise den Medien, der Wirtschaft und der Politik dient ‚Kultur’ immer wieder als Begründung für bestimmte beobach-
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tete Phänomene – und ist damit wesentlich an Prozessen sozialer Sinnstiftung beteiligt. Auf diese Weise verbleibt Kultur darüber hinaus nicht einfach im Bereich rein abstrakter Diskurse, sondern Kultur – oder besser: das, was sich Individuen einer Gesellschaft unter Kultur vorstellen – wird für diese Individuen damit unmittelbar handlungsrelevant. Der Konstruktionscharakter von Kultur ist dabei für die Kulturwissenschaften keine neue Erkenntnis: So zeigen die Cultural Studies, dass Grenzziehungen zwischen einzelnen Kulturen das arbiträre Ergebnis hegemonialer Diskurse sind (Hongladarom 2001; Johnson/ Michaelsen 1997). Da Beschreibungen einzelner Kulturen darüber hinaus immer nur perspektivisch formuliert werden können, muss auch der subjektive und konstruierte Charakter dieser Beschreibungen in der Forschung im Blick behalten werden (Altmayer 1997; Hu 2001). Für interaktionstheoretische Ansätze ist darüber hinaus klar, dass der Verlauf interkultureller Kontaktsituationen von den beteiligten Personen erst in der Situation selbst ausgehandelt wird (Auer/ di Luzio 1992; Gumperz 1978; Koole/ ten Thije 1994). Der an dieser Stelle vorgestellte Ansatz führt die Annahme der Konstruiertheit von Kultur darüber hinaus noch um einen weiteren Schritt aus. Dabei wird davon ausgegangen, dass sowohl Gruppen als auch Individuen eigene Vorstellungen davon, was Kultur ist, was sie beinhaltet, und wie sie sich auf eigene und fremde Interaktionen auswirkt, konstruieren. Zusätzlich kann angenommen werden, dass Individuen Konsequenzen für das eigene Handeln aus genau diesen Entwürfen ableiten. Beschreibungsansätze dazu, wie Diskurse über Kultur zustande kommen, welche Aussagen welcher Qualität diese Diskurse enthalten, und wie sie sich auf das Handeln von Individuen auswirken, lassen sich beispielsweise aus den Gender Studies auf den Forschungsbereich interkultureller Kommunikation übertragen. Sehr viel stärker als in der Forschung zur interkulturellen Kommunikation wird in den Gender Studies die diskursive Konstruiertheit des eigenen Forschungsgegenstands und deren Konsequenzen für die Forschung reflektiert (Hark 2001: 153). Dabei fokussieren sowohl die Gender Studies als auch die Forschung zur interkulturellen Kommunikation thematisch zentrierte Forschungsgegenstände, so dass eine kritische Abwägung der Möglichkeit eines Transfers von Theorien und Kategorien denkbar wird (Mae 2003: 195). Eine zentrale theoriebildende Position nehmen dabei in den Gender Studies die Arbeiten von Judith Butler (Butler 1990; Butler 1993) ein. In der Auseinandersetzung mit diskurstheoretischen Arbeiten Foucaults folgert Butler, dass die Vorstellung von einem biologischen Geschlecht des Menschen nicht die Basis ist, auf der soziale Konstruktionen von Geschlechtlichkeit aufbauen, sondern dass diese Vorstellung selbst ein Bestandteil sozialer Konstruktionen ist (Butler 1993: 4ff). Erst aus dem sozialen Akt des Bezeichnens des biologischen Geschlechts bezieht
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dieser Gegenstand gemäß Butler seine Existenz, weshalb Butler hier von einem performativen Akt spricht (Butler 1993: 10f). Damit entzieht sich der Forschungsgegenstand der Gender Studies jeder weiteren Zugänglichkeit und Konstruktion (Hark 2001: 153). Zumindest bedingt bietet sich eine Übertragung dieses Ansatzes auf die Konstruktion von Kultur und interkultureller Differenz an. Auch Kultur wird demnach erst im Diskurs über und die Auseinandersetzung mit Kultur geschaffen. Die Vorstellung einer bereits existenten Kultur, die dem Diskurs über Kultur vorgelagert ist und sich außerhalb dieses Diskurses befindet, ist demnach Bestandteil des Diskurses über Kultur selbst. Während sich Butler mit der hegemonialen Dichotomisierung zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft auseinandersetzt und diese (politisch) aufbrechen will, können im Bereich interkultureller Kommunikation vergleichbare Materialisierungen (Butler 1993: 4) (kultureller) Grenzziehungen auf der Grundlage hegemonialer Diskurse identifiziert werden (Ang/ St Louis 2005). Materialisierungen kommen dabei Butler zufolge durch eine permanente Wiederholung von Normen zustande. Butler begreift dieses Wiederholen von Normen als ein Handeln, das jedoch nicht statisch und immer gleich verläuft, sondern vielmehr auf der Grundlage einer gerinnenden Erinnerung: Das, was wiederholt werden soll, wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer ungenauer erinnert, so dass innerhalb der Materialisierung auch Prozesse des Wandels stattfinden. Butler nimmt hier Bezug auf Jacques Derridas Konzept der iterability (Butler 1993: 70ff), der Wiederholbarkeit, das dieser aus der Sprechakttheorie von Austin und Searle entwickelt hatte (Butler 1993: 224ff).
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Vertrauen in die Performativität von Kultur
Auf der Grundlage der im vorangegangenen Abschnitt skizzierten Überlegungen kann angenommen werden, dass Individuen Diskurse über Kultur rezipieren, verinnerlichen und qua situativer Performanz im Sinne einer Iteration der Diskurse reproduzieren, wobei ihnen in einem begrenzten Maße Möglichkeiten der Abweichung von einer reinen Zitation zugestanden werden können. Kultur erscheint aus dieser Sicht nicht mehr als ein bereits durch theoretische Konzepte vorgeprägter Begriff, sondern als eine subjektive Interpretation und Reproduktion interagierender Individuen. Eine solche Herangehensweise ermöglicht letztendlich auch eine präzisere Spezifizierung von Vertrauen, Vertrauensobjekten und Vertrauenshandlungen in interkulturell bedingten Kontexten. Eine besondere und spezifische Form des Vertrauens in diesen Kontexten kann dann darin bestehen, dass Interaktionspart-
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ner von einer gleichen oder zumindest ähnlichen Rezeption von Materialisierungen zur Rolle von Kultur ausgehen können. Eine Interaktion, die (zumindest situativ) frei von interkulturell bedingten Irritationen ist, kann dann dadurch zustande kommen, dass die Interaktionspartner diese geteilte Materialisierung der Rolle von Kultur in der Situation performativ weiter vollziehen. Möchte man performative Aspekte dieser Art in interkulturellen Kontaktsituationen identifizieren und beschreiben, so erfordert dies eine empirische Methode, die zunächst von keinem feststehenden Kulturbegriff ausgeht, bzw. Kultur als etwas begreift, was von Individuen selbst ausgestaltet wird, und die Möglichkeiten zur Kodierung performativer Aspekte bereithält. Im Hinblick auf Fragen nach der Rolle und der Relevanz von Kultur in Interaktionen erscheinen hier Identifizierungen von kulturell begründeten Kategorisierungen, insbesondere aber auch von damit verknüpften Handlungs- und Behandlungsoptionen sinnvoll. Verglichen mit ähnlich gelagerten Methoden zur qualitativen Analyse zwischenmenschlicher Interaktion erscheint an dieser Stelle die Membership Categorization Analysis (MCA) (Sacks 1974), die im Kontext der Ethnomethodologie (Garfinkel 1967) entwickelt wurde und in diesem Kontext lange Zeit im Schatten der sequenzorientierten Konversationsanalyse (CA) (Sacks/ Schegloff/ Jefferson 1974) stand, den genannten Kriterien in besonderem Maße gerecht zu werden. Das Modell der Membership Categorization diente Sacks zunächst im Sinne der Ethnomethodologie zur Beschreibung der Gesprächsorganisation auf einer (zumindest jedoch satzübergreifenden) Mikroebene. Das Modell sollte Formen der Konstruktion von Bedeutungen in Interaktionen abbilden und im Sinne der Ethnomethodologie ausschließlich mit dem generierten Material und ohne einen Einbezug (kulturellen) Kontextwissens von Seiten des Forschers arbeiten. Demnach ordnen Interaktanten im Gespräch Personen und Gegenstände unterschiedlichen (konstruierten) Kategorien zu (membership categorization). Indem es den Interaktanten gelingt, die getätigten und identifizierten Kategorisierungen einer übergeordneten Einheit (device) zuzuordnen, setzen sie die Kategorien qua Kontextwissen in eine sinnvolle Beziehung zueinander.2 Einzelnen Membership Categories (MC) innerhalb einer Device ordnen die Interaktanten zusätzlich prototypische Aktivitäten, so genannte Category-bound Activities (Sacks 1974: 221ff) zu, die die Zugehörigkeit zu einer Kategorie ausmachen und die von den Mitgliedern einer Kategorie erwartet werden kann. 2
So wird das viel zitierte Beispielsatzpaar „The baby cried. The mommy picked it up.“ von Sacks nur dadurch verständlich, dass Rezipienten qua Kontextwissen das Baby als Kind der Mutter identifizieren können und beide als Kategorien der übergeordneten Einheit Säuglingsbetreuung in der Familie zugeordnet werden können Sacks, Harvey (1974): "On the Analysability of Stories by Children". In: Turner, Roy (Hrsg.): Ethnomethodology. Selected Readings. Harmondsworth: Penguin: 216.
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Nach dem ethnomethodologischen Prinzip der Beschränkung auf Aussagen, die allein auf der Grundlage des untersuchten empirischen Materials getroffen werden können (Schegloff 1988: zufolge machen Deutungen auf der Grundlage von Kontextwissen höchstens Aussagen über die Weltdeutung der Forscher, nicht aber über die der Erforschten), können nicht explizit im Material geäußerte Phänomene wie beispielsweise der Einfluss von Kultur schlichtweg nicht erfasst und beschrieben werden. Kritiker dieser strengen Auslegung der Ethnomethodologie führen demgegenüber die Kulturgebundenheit sprachpragmatischer Äußerungsformen, wie beispielsweise sprachlicher Höflichkeit, ins Feld und weisen auf die ungenutzte Erklärungskraft der Theorie im Hinblick auf den Einfluss von Kultur auf interpersonale Interaktion hin (Kotthoff 1994). In der Nachfolge sind daraufhin zahlreiche Arbeiten erschienen, die mit Hilfe der Membership Categorization Analysis auch übergeordnete kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene beschreiben, die allein aus aufgezeichneten gesprächsanalytischen Daten nicht ersichtlich wären. Im Umkehrschluss wird hier zusätzlich davon ausgegangen, dass Individuen ohne eigenes kulturelles Wissen ebenfalls nicht in der Lage wären, Situationen im Sinne einer Membership Categorization Analysis zu deuten (Hester/ Eglin 1997; Jalbert 1999; Lepper 2000; Moermann 1988). In einem weiteren Schritt hat McIlvenny (2002) die MCA für eine Beschreibung der Konstruktion gesellschaftlicher Kategorien wie beispielsweise dem Geschlecht für sozialwissenschaftliche Fragestellungen wie die der Gender Studies fruchtbar gemacht. In diesem Kontext erweitern Stokoe und Smithson (2002: 101) das Konzept der Category-bound Activities, das Sacks als „inference-rich“ (Sacks 1992: 179) im Sinne einer expliziten Erweiterbarkeit konzipiert, zu so genannten „Category-bound Performances“: Indem die Interaktanten Handlungen ausführen, die mit der Zugehörigkeit zu bestimmten categories innerhalb einer device verbunden werden, vollziehen sie performative Handlungen, durch die diskursive Materialisierungen im Sinne Butlers weitergetragen werden.
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Analysebeispiel
Anhand eines exemplarischen Ausschnitts aus einer gesprächsanalytischen Studie wird im Folgenden gezeigt, wie die performative Konstruktion kultureller Einflüsse in Kontaktsituationen von Interaktionspartnern sichtbar gemacht werden kann. Unter Rückgriff auf das Modell der Membership Categorization Analysis wird gezeigt, wie die Interaktanten auch in potentiell für sie unbekannten Situationen Kontexte schaffen, in denen sie zumindest glauben, sich auf ein konstruktives Gelingen der Interaktion verlassen zu können.
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4.1 Sample Als Sample dienen Videosequenzen von Verkaufsgesprächen, die im Rahmen einer Vorstudie an Verkaufsständen auf einem Bazar am Rande der polnischen Stadt Subice an der Grenze zu Deutschland aufgezeichnet worden sind.3 Aufgrund des insbesondere in den 1990er Jahren eklatanten Wirtschaftsgefälles zwischen Deutschland und Polen entstanden in der Nähe zu deutsch-polnischen Grenzübergängen auf polnischer Seite zahlreiche Basare, auf denen Einzelhändler Waren aller Art an meist deutsche Kunden verkauften. Wenngleich sich die Preisniveaus beider Länder in den vergangenen Jahren immer weiter angeglichen haben, erfreut sich der Markt unter deutschen Kunden weiterhin großer Beliebtheit. Aus dem insgesamt ca. einstündigen Videomaterial der Vorstudie wird im Folgenden ein Verkaufsgespräch ausgewählt, in dem sich ein längeres Verhandlungsgespräch zwischen Verkäufer und Kunden entwickelt und das über die reine Transaktion von Waren und Geld hinausgeht. Während ähnlich gelagerte Studien beispielsweise innerhalb der Gender Studies bislang zumindest Gesprächsausschnitte zur Analyse ausgewählt haben, in denen bereits in der Vorauswahl erkennbar Membership Categories explizit oder implizit von den Interaktanten thematisiert worden sind (Stokoe/ Smithson 2002), wird auf diese Vorauswahl in der vorliegenden Studie explizit verzichtet: So formulierte Garfinkel das Prinzip der ethnomethodologischen Indifferenz (Garfinkel/ Sacks 1970: 345), nach der sich eine methodisch valide durchgeführte Studie durch die Identifizierung von Kategorien auszeichnet, die ohne eine entsprechende Vorauswahl an jeder beliebigen Stelle des Materials nachgewiesen werden können. In dem vorgestellten zweieinhalbminütigen Verkaufsgespräch kauft ein deutschsprachiges Ehepaar bei einem polnischsprachigen Verkäufer Gebäck. Das Verkaufsgespräch wird bis auf wenige polnischsprachige Einwürfe des Verkäufers auf Deutsch geführt. Die Videoaufzeichnung wurde offen durchgeführt, d.h. Verkäufer und Kunden konnten die Kamera und den Kameramann sehen, was sie im Gespräch auch explizit machen. Das Gespräch wurde nach den Richtlinien des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT) (Selting et al. 1998) und mit Hilfe der Transkriptionssoftware Exmaralda (Schmidt 2002) in Form eines Basistranskripts (Selting et al.: 96-101) verschriftlicht und wird im Anhang zu diesem Beitrag vollständig wiedergegeben.
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Dank gebührt an dieser Stelle Katarzyna Fus und Marcin Sikowski für die Bereitstellung der Aufnahme.
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Abbildung 1:
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Anordnung der Gesprächsteilnehmer im Transkriptausschnitt „Schlawiner“, zeitliche Position: 01:24 min.
4.2 Analyse und Interpretation Vertrauen in interkulturellen Kontaktsituationen – so wird im Rahmen der vorliegenden Studie unterstellt – manifestiert sich in der Konstruktion von Membership Categorization Devices auf der Grundlage diskursiv rezipierten individuellen Wissens über interkulturelle Kontaktsituationen unterschiedlicher Art. Je stärker sich die Interaktanten dabei auf hegemoniale Materialisierungen stützen können, desto mehr können sie auch darauf vertrauen, dass ihr Gegenüber im Sinne ähnlich gelagerter MCDs handelt. Am Ende der Analyse soll darüber hinaus überprüft werden können, ob das von den Interaktanten investierte Vertrauen gerechtfertigt war, bzw. ob es enttäuscht wurde. Letzteres wäre dann der Fall, wenn die beteiligten Individuen unterschiedliche Membership Categorization Devices konstruieren, die einander widersprechen oder zumindest nicht in hinreichendem Maße kongruent sind. Demnach erscheint zunächst eine Analyse der MCDs aus Sicht jedes einzelnen Aktanten erforderlich, deren Ergebnisse später miteinander verglichen werden können. Der männliche Kunde (vgl. D1 im Transkript) verwendet zahlreiche und vergleichsweise leicht erkennbare Kategorisierungen, indem er den Verkäufer (vgl. P1 im Transkript) auf unterschiedliche Weise betitelt: mein Freund (003), Schlawiner (033), Halunke (102). Diese Kategorisierung scheint entsprechend im Gesprächsverlauf immer pejorativer auszufallen. Aus der Kategorisierung entwickelt der Kunde darüber hinaus Aktivitäten und Eigenschaften (geschäftstüchtig, 032), die er dem Verkäufer zuschreibt und die er selbst auf dieser Grundlage vollziehen kann: Gegenüber einem Schlawiner und Halunken kann er als rechtschaffener Kunde den Verlauf des Geschäfts dirigieren und sowohl die
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Warenmenge als auch den Preis bestimmen. Er bestimmt die Form des gegenseitigen Umgangs, indem er den Verkäufer duzt und definiert auch interpersonale Grenzziehungen, indem er seine Einkaufstasche auf die Verkaufsauslage des Verkäufers legt. Von dieser Konstruktion der Situation erscheint der Kunde so überzeugt, dass er sich auch nach fünfmaligem Einfordern (Zeilen 115, 123, 127, 134,151) einer von ihm errechneten Wechselgeldsumme (fünfzig Cent) vom Nicht-Reagieren des Verkäufers kaum verunsichern lässt. Die weibliche Kundin (vgl. D2 im Transkript) nimmt zunächst kaum explizite Kategorisierungen vor. Nachdem sie die laufende Kamera entdeckt hat, bezeichnet sie sich und ihren Mann jedoch als Akteure vor einer laufenden Kamera. Die Handlungen der Kundin ergeben darüber hinaus ein stimmiges Bild aus Category-bound Activities, aus denen sich entsprechende Membership Categories rekonstruieren lassen. Den Verkäufer spricht sie im Stil des so genannten Foreigner Talks (Hinnenkamp 1987) (da hier zum Essen Pfannkuchen, 077) an, flirtet mit ihm, indem sie ihn auffordert, ihr einen Pfannkuchen zu schenken und als Dank eine Kusshand wirft. Gegen Ende der Sequenz stößt sie in Reaktion auf den Ausruf des Verkäufers einen Jubelruf (Zeile 164) aus. Der Verkäufer (vgl. P1 im Transkript) vollzieht in der Mitte des Gesprächs eine explizite Kategorisierung, bei der er sich und die Kundin der gleichen Kategorie zuordnet: Beide haben sich den Genuss eines Pfannkuchens, respektive eines Kaffees verdient (Zeile 075). Auch die Handlungen, die der Verkäufer vollzieht, ermöglichen bei gemeinsamer Betrachtung als Category-bound Activities Rückschlüsse auf zugrunde liegende Membership Categories: Ein deutlich überbetontes ja wirklich! (Zeile 021) deutet darauf hin, dass der Verkäufer vermutet, die Kundin ordne ihn einer Personenkategorie zu, der sie nicht trauen könne. Auch an dieser Stelle scheint der Verkäufer sich selbst eher mit seinen Kunden in die gleiche Kategorie einordnen zu wollen. Die auf diese Weise der Kategorie zugeschriebene Redlichkeit untermauert der Verkäufer, indem er sich mit der Kundin darüber zu verständigen versucht, dass überschüssiges Brot zuhause eingefroren werden könne (Zeile 027). Darauf deutet ebenso der freundschaftliche Handschlag hin, mit dem der Verkäufer die nach Wechselgeld ausgestreckte Hand des Kunden umzudeuten versucht (Zeilen 110, 118, 128). Markant erscheint darüber hinaus das gezielt eingesetzte Code-Switching des Verkäufers zwischen den Sprachen Deutsch und Polnisch. Während er mit den Kunden auf Deutsch kommuniziert, richtet er gelegentlich polnische Einwürfe an die Kunden – und geht offenbar davon aus, dass diese ihn in diesen Fällen nicht verstehen. Vermutet der Verkäufer, dass die Kunden ihn in eine Kategorie der Unehrlichen Verhandlungspartner einordnen, vor dem sie sich fürchten und dem sie nicht trauen können, so ironisiert er diese Befürchtung, indem er sie auf Polnisch mit Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber für die Filme-
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rei musst du dazuzahlen (Zeilen 60-62) bestätigt. Am Ende der Verkaufssequenz ruft der Verkäufer den Kunden odjazd (Abfahrt) (Zeile 159) zu und gibt damit noch einmal zu verstehen, dass er mit der gegenwärtigen Konstruktion der Situation nicht einverstanden ist. Da es ihm nicht gelingt, die von den Kunden getätigten und von ihm selbst vermuteten Kategorisierungen in seinem Sinne zu modifizieren, würde er die Interaktion gern schnellstmöglich beenden. Diese Äußerung, verbunden mit dem Imitieren des Pfeifens einer anfahrenden Lokomotive durch den Verkäufer (Zeile 162) wird von der Kundin aus Sicht ihrer eigenen Kategorisierungen fehlgedeutet: Sie fühlt sich gemeinsam mit ihrem Mann als Herrin über die Situation, in der sie vorrangig Spaß am Umgang mit einem aus ihrer Sicht ihr unterlegenen, unehrlichen Verkäufer haben kann (Zeile 164). Eine detaillierte Analyse dieses Gesprächsausschnitts kann an dieser Stelle sicherlich nur exemplarisch und kursorisch nachgezeichnet werden. Bereits dieser erste Blick auf das Transkript deutet jedoch darauf hin, dass Kunden und Verkäufer die Situation unter den Vorzeichen sehr unterschiedlicher Membership Categorization Devices konstruieren: Während sich die Device der beiden Kunden als Verhandeln ehrlicher Kunden mit einem nicht ernst zu nehmenden, wahrscheinlich unehrlichen Verkäufer bezeichnen ließe, das die Kunden aufgrund des niedrigen Geldbetrags und aufgrund der von ihnen angenommenen Kontrolle über die Situation in ihrer Groteskheit genießen können, wehrt sich der Verkäufer gegen diese Device, die er erkennt und die er durch die Device eines gleichberechtigten Handels ohne Feilschen austauschen möchte. Insbesondere die Beharrlichkeit und die Unbeirrbarkeit des Kunden, aber auch der Kundin deutet auf ihre enorme performative Verhaftung a priori zu der dargestellten Interaktion hin. Beide Kunden vertrauen dabei darauf, dass der Verkäufer diese Performanz mit ihnen vollzieht. Das Code-Switching des Verkäufers zeigt jedoch, dass dieser mit dem performativen Vollzug nicht einverstanden ist: In deutscher Sprache knüpft er an den Diskurs der Kunden an und versucht diesen zumindest leicht zu verändern, in polnischer Sprache drückt er seinen offenen Protest aus. Nicht zuletzt Aspekte wie der des Foreigner Talks und des CodeSwitching deuten außerdem darauf hin, dass alle Interaktanten die Situation unter kulturell bedingten Einflüssen sehen.
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Fazit
Im vorliegenden Beitrag wurde Kultur zunächst als ein diskursiv konstruiertes Thema definiert, das Individuen rezipieren und auf dessen Grundlage sie Optionen für das eigene Handeln ableiten. Im Sinne der Theorie der Performativität sozialen Handelns, das am Beispiel der Gender Studies und des Ansatzes von
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Judith Butler referiert wurde, kann auch im Hinblick auf den Einfluss von Kultur auf konkrete Interaktionen angenommen werden, dass Individuen handeln, indem sie rezipiertes Wissen über Kultur und den Umgang mit Kulturalität iterieren und zitieren. Interkulturelle Kontaktsituationen können auf diese Weise das häufig in der Forschungsliteratur unterstellte Merkmal der Unbekanntheit und der Verunsicherung durchaus verlieren: Je stärker die Interaktanten ihr Handeln als Interaktion gesellschaftlich geteilten Wissens wahrnehmen, desto mehr können sie auch auf den konstruktiven Verlauf der Interaktion in ihrem Sinne vertrauen. Wird derartiges Vertrauen in interkulturell bedingten Kontaktsituationen wie in dem hier vorgestellten Beispiel enttäuscht, so scheinen die getätigten Kategorisierungen unter den Interaktanten nicht geteilt zu werden. Das Modell der Membership Categorization Analysis bietet hier zugleich auch Anknüpfungspunkte für Didaktisierungen zu einer Förderung interkulturell kompetenten Umgangs: Bestehende Kategorisierungen sollten hier im Sinne einer Wiederherstellung von Komplexität zurückgenommen und durch zutreffendere – kooperativere – Kategorisierungen ersetzt werden können. Nach vergleichbaren Prinzipien gehen beispielsweise Ansätze aus der Konfliktmediation vor, deren Übertragung auf spontane interkulturell bedingte Kontexte überlegt werden kann (Busch 2005).
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Sprecher: D1 Kunde D2 Kundin P1 Verkäufer D3 Kundin P2 – Kameramann
001 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 017 018 019 020 021 022 023 024 025 026 027 028 029 030 031 032 033 034 035 036 037 038 039 040
P1 Verkäufer: D1 Kunde P1 Verkäufer: D2 Kundin: D1 Kunde: P1 Verkäufer: D1 Kunde: P1 Verkäufer: D2 Kundin: P1 Verkäufer:
D2 Kundin: P1 Verkäufer:
D2 Kundin: P1 Verkäufer: D2 Kundin: P1 Verkäufer: D2 Kundin: D1 Kunde: P1 Verkäufer:
D2 Kundin: D1 Kunde:
P1 Verkäufer:
D2 Kundin:
ja bittä, (---) ja, komm HER mein Freund was ist d= =OH; hallOho; hä:::; was ist DAS für brot mit KRÄUter KRÄUterbrot hm=hm kräuterbrot und wo haste zwiebelbrot? zwiebel diese RUNde oder diese vierecke; SOLche; ich nehm DAS; ja=a, EINmal, das ist zwiebeln und speck, zwiebeln und spe::ck? ja wirkLI:CH; aber DAS ist NUR zwiebel; () (solche)
Überlappungen und Simultansprechen schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Turns oder kurze, mittlere, längere Pausen von ca. 0.25 - 0.75 Sek.; bis ca. 1 Sek. Dehnung, Längung, je nach Dauer etc. Verzögerungssignale, sog. "gefüllte Pausen" silbisches Lachen, je nach Realisierung Beschreibung des Lachens Primär- bzw. Hauptakzent Tonhöhenbewegung am Einheitenende hoch steigend Tonhöhenbewegung am Einheitenende mittel steigend Tonhöhenbewegung am Einheitenende gleich bleibend Tonhöhenbewegung am Einheitenende mittel fallend Tonhöhenbewegung am Einheitenende tief fallend para- und außersprachliche Handlungen u. Ereignisse sprachbegleitende para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse mit Reichweite interpretierende Kommentare mit Reichweite unverständliche Passage je nach Länge vermuteter Wortlaut
Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen Torsten M. Kühlmann
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Einführung: Kooperationen in der internationalen Wirtschaft
Angesichts eines globalen Wettbewerbs, steigenden Kostendrucks, verkürzter Produktlebenszyklen und komplexer Herstellungsprozesse suchen mehr und mehr Unternehmen die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern, um langfristig zu überleben. Neben die traditionellen Exportaktivitäten treten grenzüberschreitende strategische Allianzen, Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures), Forschungsbündnisse oder Zuliefernetzwerke, um nur einige Formen der Unternehmenskooperation zu nennen (Contractor & Lorange 1988). Gemeinsam ist diesen Kooperationsformen, dass rechtlich selbständige Unternehmen vereinbaren, jeweils spezifische Aufgaben zu übernehmen und ihre Bearbeitung aufeinander abzustimmen. Jedes kooperierende Unternehmen steuert eigene Ressourcen und Kompetenzen bei. Die Vereinbarung ist zeitlich relativ überdauernd angelegt. Mit dem Eingehen einer Kooperation verbinden Unternehmen die Hoffnung, ihre Ziele besser als im Alleingang erreichen zu können. Die Chancen derartiger kooperativer Arrangements für die beteiligten Unternehmen bestehen vor allem in der Bündelung der Ressourcen zur Produktentwicklung, der Senkung von Herstellungskosten, der Ausweitung von Absatzmärkten oder der Überwindung von Marktzutrittsbarrieren (Barringer & Harrison 2000; Picot, Reichwald & Wigand 2003). Die Erfolgsbilanz von Unternehmenskooperationen ist bislang allerdings ernüchternd. Viele nationale wie internationale Kooperationen zeigen nicht die erwarteten Wettbewerbsvorteile, werden wieder beendet oder enden im Rechtsstreit. Der Prozentsatz gescheiterter Unternehmenskooperationen wird auf 50 % geschätzt (Das & Rahman 2001). Vor diesem Hintergrund wird das Eingehen von Kooperationen zu einem erklärungsbedürftigen Sachverhalt und die Managementforschung beschäftigt sich zunehmend mit den Bedingungen für ein Gelingen bzw. ein Scheitern kooperativer Arrangements zwischen Unternehmen (Das & Teng 1998; McEvily, Perrone & Zaheer 2003; Ring & van de Ven 1992, 1994; Wathne & Heide 2000; Weibel 2004). Bisher sind die vorliegenden theoretischen und empirischen Ana-
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lysen in der Hauptsache darauf beschränkt, Unternehmenskooperationen in einem einzelnen Land zu thematisieren. Studien zu den besonderen Risiken einer internationalen Kooperation sowie den Umgang mit diesen Risiken sind dagegen eher selten (Child & Möllering 2003; Endrissat & Kühlmann 2005; Geringer & Hebert 1989; Ripperger 1999).
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Ein historisches Beispiel zur internationalen Unternehmenskooperation
Die Möglichkeiten und Gefahren einer internationalen Unternehmenskooperation sowie Ansätze zu ihrer Bewältigung sollen zunächst anhand eines Beispiels aus dem mittelalterlichen Fernhandel illustriert werden. Im 11. Jahrhundert bildeten die an das Mittelmeer angrenzenden Länder einen Wirtschaftsraum, dessen Zentren durch rege Handelsbeziehungen miteinander verknüpft waren. Der Warentransport zu den auswärtigen Marktplätzen erfolgte vorrangig auf dem Seeweg. Dieser Handelsweg war aber riskant und beschwerlich. Die Wetterverhältnisse bestimmten, wann und in welchem Zustand die Waren am Zielort ankamen. Im Verlauf der Reise konnte sich die Marktsituation unvorhersehbar verändern. Während der Händler seine Waren begleitete, entgingen ihm andere Handelsgeschäfte, da er seine eigentliche Tätigkeit nicht ausüben konnte. Wie der Wirtschaftshistoriker Greif (1989) anhand überlieferter Geschäftsdokumente aus jener Zeit belegt, gelang es unter diesen Bedingungen der Gruppe der sog. „Maghreb-Kaufleute“ eine erfolgreiche Händlerkoalition zu begründen. Diese Händler jüdischer Herkunft waren ursprünglich im heutigen Bagdad tätig gewesen, bevor sie sich im Mittelmeerraum ansiedelten. Neben dem Handel auf eigene Rechnung übernahmen sie fallweise als Handelsagenten auch den Absatz der verschifften Waren nicht ansässiger Koalitionspartner auf ihrem Heimatmarkt gegen eine Provision. Dieser Handel auf fremde Rechnung war für beide Partner vorteilhaft. Ein Händler, der einen Vertreter an einem ausländischen Handelsort fand, musste nicht mehr selbst auf die lange Seereise gehen und konnte währenddessen seine Geschäfte am Heimatort weiter betreiben. Hatte der als Agent tätige Partner die gesandte Ware im Auftrag verkauft, erhielt der Händler von diesem den Erlös, abzüglich der vereinbarten Provision. Der als Agent tätige Händler verdiente nicht nur die Provision, sondern verfügte mit dem Auftraggeber auch über einen vertrauenswürdigen Partner, um eigene Waren auf dessen Heimatmarkt absetzen zu können. Die Geschäftsbeziehungen untereinander orientierten sich an folgenden Regeln (vgl. Lahno 2002):
Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen
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Jedes Mitglied beschäftigt nur andere Mitglieder als Geschäftspartner an ausländischen Marktplätzen. Es bezahlt für ihre Dienste eine überdurchschnittliche Prämie. In den Geschäftsbeziehungen untereinander hat jedes Mitglied ehrlich zu handeln. Jedes Mitglied ist gehalten, Informationen über Marktsituationen miteinander auszutauschen. Insbesondere ist es verpflichtet, Informationen über betrügerisches Handeln eines anderen Mitglieds weiterzugeben. Verstößt ein Mitglied gegen diese Regeln, müssen alle anderen Mitglieder ihre Geschäftsbeziehungen mit ihm beenden und dürfen sie auch künftig nicht mehr aufnehmen.
Mit diesem Regelwerk gelang es, eine stabile Ordnung herzustellen, in der es für alle Beteiligten ökonomisch vorteilhaft war, den Geschäftspartner in der Koalition nicht zu betrügen. Außerhalb der Koalition war es dagegen für einen Agenten, der die Geschäftsabwicklung für einen Händler im Ausland übernahm, verlockend, dessen niedrigen Informationsstand über die Marktsituation und den Zustand der eingetroffenen Waren opportunistisch zu nutzen. Der Handelsagent konnte etwa dem Händler einen niedrigeren Verkaufspreis berichten, als er tatsächlich erzielt wurde und den Differenzbetrag für sich vereinnahmen. Die Kontrollmöglichkeiten des auftraggebenden Händlers am entfernten Absatzmarkt waren gering. Selbst wenn der Händler sich ein Bild von der wirklichen Geschäftsabwicklung hätte machen können, wäre es im 11. Jahrhundert wenig aussichtsreich und langwierig gewesen, ein Gericht im Ausland anzurufen, um sich vom betrügerischen Agenten den erlittenen Schaden ersetzen zu lassen. Die Koalition und ihre Regeln boten dagegen die Möglichkeit, nicht nur das Geschäftsgebaren eines Partners mittels eines wirksamen Informationsaustausches zu kontrollieren, sondern auch opportunistisches Handeln durch Ausschluss aus der Koalition zu bestrafen. Dank des regen Briefverkehrs zwischen den in verschiedenen Ländern ansässigen Mitgliedern wurde der Versuch, einen Geschäftspartner zu übervorteilen, innerhalb der Gemeinschaft über kurz oder lang bekannt. Nur wer als ehrlicher Geschäftspartner bekannt war, konnte mit Aufträgen und Provisionen von den Koalitionsmitgliedern rechnen. Demzufolge durfte ein Händler Vertrauen haben, dass ein Koalitionsmitglied, das er häufig persönlich nicht oder nur flüchtig kannte, die ihm überlassenen Waren fachkundig und im Interesse des Lieferanten absetzen würde. Die Basis für die Bereitschaft, Waren einem Agenten anzuvertrauen, bildete das nüchterne Kalkül, dass es bei den oben beschriebenen Abmachungen für jeden Partner in der Koalition im eigenen Interesse lag, die geltenden Regeln der Zusammenarbeit zu befolgen und nicht opportunistisch zu handeln. Die zu erwar-
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tenden Einnahmen für einen vertrauenswürdigen Geschäftspartner aus weiteren Aufträgen überstiegen den Gewinn aus dem nur einmal möglichen Betrug. Unterstellte der auftraggebende Händler dieses Wissen sowie ein ökonomisches Eigeninteresse beim potenziellen Partner, konnte er von einem geringen Risiko, betrogen zu werden, ausgehen und dementsprechend auf einen hohen Gewinn aus dem Absatz seiner Waren hoffen. Der lang dauernde Erfolg dieser Händlerkoalition belegt, dass sich die Mitglieder tatsächlich des Wertes eines vertrauenswürdigen Handelns und der damit verbundenen Reputation bewusst waren. Ein ehrlicher Geschäftsgeber war die Regel, Betrug innerhalb der Koalition die Ausnahme (Greif 1989). Was verrät das historische Beispiel der Maghreb-Kaufleute über die Risiken einer grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehung und die Bemühungen, in dieser Situation dennoch erfolgreich Handel zu treiben? Noch heute bieten Informationsasymmetrien in internationalen Unternehmenskooperationen einen starken Anreiz, opportunistisch den eigenen Nutzen auf Kosten des Partners zu maximieren. Um dennoch die Vorteile einer internationalen Geschäftsbeziehung nutzen zu können, müssen Geschäftspartner sich gegen das Risiko, durch den ausländischen Geschäftspartner ausgebeutet zu werden, absichern. Im Fall der Koalition der Maghreb-Kaufleute gründete die Absicherung auf dem Wissen um die Handlungsregeln, die im sozialen Umfeld der Geschäftspartner galten und deren Nicht-Beachtung sanktioniert wurde. Ergänzt wurde der Umgang mit dem Risiko abmachungswidrigen Handelns eines Geschäftspartners durch die mittelbare Kontrolle seines Handelns durch Dritte. Ähnliche Mechanismen der Absicherung gegen das Risiko opportunistischen Handelns von Geschäftspartnern finden sich auch in dem grenzüberschreitenden Fernhandelsnetzwerk der Hansekaufleute zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert (Ewert & Selzer 2007). Hiervon ausgehend, setzt sich der Beitrag generell mit der Frage auseinander: Wie kann man mit einem anderen Unternehmen grenzüberschreitende wirtschaftliche Beziehungen aufbauen und aufrecht erhalten, dessen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft a priori nicht mit Gewissheit einzuschätzen sind und dessen Beitrag zur Beziehung kaum überwacht, geschweige denn erzwungen werden kann? 3
Das Risiko des Opportunismus in internationalen Geschäftsbeziehungen
Die Schwierigkeiten einer Unternehmenskooperation resultieren aus zwei Merkmalen, die in jeder intra- wie internationalen Geschäftsbeziehung enthalten
Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen
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sind: (1) Interdependenz der Partner und (2) Handlungsunsicherheit (Rousseau, Sitkin, Burt & Camerer 1998). Interdependenz kennzeichnet eine Kooperation, weil die Unternehmen zwar rechtlich unabhängig bleiben, sich wirtschaftlich jedoch in Abhängigkeit begeben. Die Ziele des einen Partners sind nur erreichbar, wenn der andere bei seinem Handeln die Interessen beider berücksichtigt. Diese wechselseitige Abhängigkeit tritt deutlich zutage, wenn Partner Investitionen und Vorleistungen tätigen, die sich nur bei Weiterbestehen der Beziehung rechnen. Häufig geben Partner im Verlauf der Kooperation wertvolles Know-How weiter, kaufen Maschinen, die nur für die verabredete Produktion genutzt werden können oder verzichten auf den Wettbewerb untereinander. Der Partner wird unter diesen Umständen mächtig genug, um dem Vertrauenden zu nützen oder zu schaden. Handlungsunsicherheit entsteht in einer Geschäftskooperation, da beiden Partnern Handlungsspielräume verbleiben. Ob diese Spielräume im Sinne der Partnerschaft ausgefüllt werden, kann der Kooperationspartner weder exakt überwachen noch erzwingen. Es gibt a priori keine Sicherheit, ob der jeweilige Partner einem schaden oder nützen wird. Ein zentrales Risiko ist der Opportunismus der Beteiligten, d.h. die beabsichtigte Maximierung des eigenen Vorteils auf Kosten des Partners. Nach der verbreiteten Definition von Williamson (1975: 9) beschreibt Opportunismus ein Handeln, das sich auszeichnet durch „… a lack of candor or honesty in transactions, to include self-interest seeking with guile“ (Williamson 1975: 9). Hinter dieser allgemeinen Begriffsbestimmung verbergen sich zahlreiche Erscheinungsformen, die einer Systematisierung bedürfen. So unterscheidet Williamson (1991) zwischen offensichtlichem und legalem Opportunismus. Erstgenannter bezieht sich auf den Verstoß gegen rechtsgültige Abmachungen. Legaler Opportunismus bezieht sich auf die Verletzung relationaler bzw. sozialer Verträge, d.h. die vertraglich nicht festgelegten wechselseitigen Vereinbarungen oder Erwartungen. Wathne & Heide (2000) differenzieren in aktive und passive Formen des Opportunismus. Bei aktivem Opportunismus werden Verbote, die sich aus Verträgen, Vereinbarungen, Erwartungen oder Normen ergeben, übertreten. Passiver Opportunismus zeichnet sich hingegen durch Unterlassung oder Nicht-Erfüllung kooperationsimmanenter Gebote aus. Endrissat & Kühlmann (2005) schlagen vor, zusätzlich den Grad der Offenheit, mit dem opportunistisch gehandelt wird, bei der Klassifikation zu berücksichtigen. Bei offen gezeigtem Opportunismus ist die Information über das Partnerhandeln frei zugänglich, sodass der Kooperationspartner den Opportunismus frühzeitig erkennen und relativ schnell gegen ihn vorgehen kann. Verdeckt gezeigte Opportunismusformen markieren hingegen eine Informationsasymmetrie
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zwischen den Kooperationspartnern. Der „geschädigte“ Kooperationspartner verfügt über weniger oder gar keine Hinweise auf das opportunistische Handeln des anderen. Sind die Kooperationspartner in verschiedenen Ländern angesiedelt, nimmt der Anreiz, opportunistisch zu handeln, wohl zu (Das & Rahman 2001). Der Aufbau einer persönlichen Beziehung und die Kontrolle des Handelns des Kooperationspartners sind kaum möglich. Schließlich besitzen rechtlich verbindliche Verträge aufgrund unterschiedlicher Rechtssysteme weniger Bedeutung. Die Vertragsgestaltung ist komplizierter und unvollständiger und die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche über die nationalen Grenzen hinweg zeitaufwändiger, kostspieliger und erfolgsunsicherer. Die Wahrscheinlichkeit, für opportunistisches Verhalten belangt zu werden, ist durch diese rechtliche „Grauzone“ vermindert. Eine der wenigen empirischen Untersuchungen zum Opportunismus in internationalen Unternehmenskooperationen bestätigt diese Vermutung (Lee 1998). Um angesichts der Konstellation Interdependenz und Handlungsunsicherheit die Vorteile einer internationalen Unternehmenskooperation nutzen zu können, wählen die Kooperationspartner verschiedene Wege, um Risiken zu begrenzen (McEvily, Perrone & Zaheer 2003).
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Vertrauen in den Kooperationspartner
Vertrauen ist ein Merkmal sozialer Beziehungen, das sich in den letzten Jahren zu einem Modethema der Sozialwissenschaften entwickelt hat. Entsprechend vielfältig ist das Angebot an Begriffsbestimmungen. Erst in Umrissen kristallisieren sich einige Kernbestandteile einer in den beteiligten Disziplinen weithin geteilten Definition heraus (McKnight & Chervany 2001; Möllering 2006; Rousseau, Sitkin, Burt & Camerer 1998). Wer vertraut, unterstellt, dass der Vertrauensnehmer fähig und bereit sein wird, auch die Interessen des Vertrauensgebers zu wahren. Der Vertrauende erwartet ein fachlich kompetentes und/oder wohlwollendes Handeln des Partners (Barber 1988; Mayer, Davis & Schoorman 1995; Schoorman, Mayer & Davis 2007; Seifert 2001; Shaw 1997). Die Erwartung eines wohlwollenden Partnerhandelns kann in unterschiedlichen Abstufungen auftreten. Im Minimalfall darf der Partner in der Kooperation seine Eigeninteressen verfolgen. Hierbei hat er allerdings darauf zu achten, dass er die Belange des Vertrauenden nicht schädigt. Im Maximalfall enthält die Erwartung zur Benevolenz des Partners an ihn die Aufforderung, seine eigenen Interessen denen des Vertrauenden unterzuordnen, d.h. altruistisch zu handeln (Osterloh & Weibel 2006; Seifert 2001). Obgleich
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der Vertrauende nur unvollständig über Handlungskompetenzen und -absichten des Partners informiert ist/wird, entscheidet er, sich über das mit einer möglichen Fehleinschätzung verbundene Risiko hinwegzusetzen. Derart bestimmt, kann sich Vertrauen auf Personen oder auch ganze Unternehmen richten. An dieser Stelle sei lediglich auf die Diskussion um Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen zwischen interpersonalem Vertrauen und Vertrauen in ein Unternehmen verwiesen (Currall & Inkpen 2002). Das Vertrauen muss nicht notwendigerweise dem Partner in seiner Gesamtheit entgegengebracht werden. Man kann einem anderen im Hinblick auf rechtzeitige Zahlungen vertrauen, nicht aber auf sein Geschick, einen Markt zu erschließen (Luhmann 2000; Mayer, Davis & Schoorman 1995). Gemäß der Entscheidung zu vertrauen, ist der Vertrauensgeber bereit, Vorleistungen zu erbringen und Kontroll- und Absicherungsmechanismen abzubauen. M.a.W., er verhält sich so, als ob es künftig nur ganz bestimmte Handlungsmöglichkeiten für den Kooperationspartner gebe. Vorleistungen können materieller und/oder immaterieller Natur sein: Investitionen, Know-How-Transfer, Einräumen von Exklusivrechten, Bereitstellung von Personal usw. Die im Vertrauen begründeten Vorleistungen sind riskant, da die Gefahren, die man vertrauensvoll vernachlässigt, nicht ausgeräumt sind. Derjenige, der vertraut, kann nicht ausschließen, dass das Handeln des Partners in der Zukunft nicht den gemachten Annahmen entspricht, das in ihn gesetzte Vertrauen somit getäuscht hat. Der Vertrauende ersetzt äußeres Risiko lediglich durch innere Sicherheit. Er liefert sich dem Vertrauensnehmer aus in der Erwartung, dass dieser nicht die Verletzbarkeit zu seinen Gunsten ausnutzt. Damit unterstützt Vertrauen insbesondere Formen der Geschäftsbeziehungen und der Zusammenarbeit, in denen der Leistungsaustausch der Partner nicht genau festgelegt ist, nicht exakt überwacht werden kann und nicht erzwingbar ist. Lässt man einmal „blindes Vertrauen“ außer Acht, so lässt sich Vertrauen anhand der Informationsquellen klassifizieren, die es begründen (Semlinger 2003). Zu unterscheiden ist, ob der Vertrauende aus dem Wissen, wie Geschäftspartner normalerweise in einem bestimmten Kontext handeln, Vertrauen ableitet oder aus der persönlichen Vertrautheit mit dem fraglichen Geschäftspartner. Vertrauen kann demnach zum einen auf dem generellen Wissen um die institutionelle und kulturelle Einbettung des Partners beruhen (= Kontextwissen), zum anderen auf den individuellen Erfahrungen mit diesem Partner: (= Personenwissen).
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Vertrauen
allgemeines Kontextwissen
Kulturelle Einbettung des Partners
Werte Normen
Abbildung 1:
spezifisches Personenwissen
Institutioneller Kontext des Partners
Regeln Anreize Sanktionen
Partnerverhalten in verschiedenen Situationen
Quellen des Vertrauens in den Geschäftspartner
4.1 Vertrauen aus Kontextwissen Die Kenntnis von Werten, Normen und Grundannahmen der sozialen Gruppen, denen sich ein Geschäftspartner zuordnen lässt, vermag Vertrauen zu begründen, sofern zwei Voraussetzungen gegeben sind (Semlinger 2003). 1.
2.
Die kulturellen Handlungsgrundlagen werden vom potenziell Vertrauenden als vertrauensförderlich eingeschätzt. Dies wird eher zu unterstellen sein in Kulturen, die Werte wie Fairness oder Solidarität betonen und weniger in Kulturen, die individuelle Nutzenmaximierung positiv bewerten (Doney, Cannon & Mullen 1998). Das Orientierungssystem der Kultur ist für den Geschäftspartner als verbindlich zu unterstellen.
Ergänzend zu oder anstelle des Wissens über die kulturelle Einbettung des Geschäftspartners kann auch der institutionelle Hintergrund, hier verstanden als Regelwerk der Handlungssteuerung, -überwachung und -sanktionierung in einer
Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen
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Gesellschaft, Vertrauen begründen. Für das Vertrauen in Geschäftsbeziehungen wichtige Teilbereiche des institutionellen Kontexts sind Rechtssystem und Berufsordnung. Während ein Rechtssystem stärker von der Unsicherheit entlastet, dass der Partner auch willens ist, Abmachungen einzuhalten, vermögen Berufsordnungen Unklarheiten zu der Leistungsfähigkeit oder fachlichen Kompetenz des Geschäftspartners zu reduzieren. Ob Vertrauen aus Kenntnissen über den institutionellen Kontext gefördert wird, hängt - wie im Falle des kulturellen Kontexts - davon ab, inwieweit Institutionen das Wohlverhalten von Geschäftspartnern zum einen einfordern und zum anderen absprachegemäßes Verhalten auch glaubwürdig absichern. Um Vertrauen abzusichern, müssen Institutionen über Mechanismen verfügen, die einen Regelverstoß aufdecken und mit spürbaren Nachteilen für den Vertrauensmissbrauch belegen. Kontextwissen vermittelt eine Vorstellung darüber, wie ein durchschnittlicher Partner in seinem institutionellen und kulturellen Kontext handeln wird. Es absorbiert Risiko, dass Vertrauen betrogen wird und ermöglicht somit vertrauensvolle Kooperation (Bachmann & Lane 1997; Luhmann 2000). Wer sich auf der Basis eines Kontextwissens entschließt, seinem Gegenüber zu vertrauen, tut dies nicht in der Gewissheit, aber in der mit guten Gründen gestützten Erwartung, dass sich der Geschäftspartner an den in Kultur und Institution niedergelegten Regeln des sozialen Umgangs orientieren wird. Ein historisches Beispiel für die Wirksamkeit des Vertrauens, das allein auf dem Wissen um den institutionellen Kontext der Geschäftspartner basiert, bildet die einleitend dargestellte Koalition der Maghreb-Händler. Vertrauen aus Kontextwissen spielt insbesondere in der Anfangsphase einer Beziehung eine Schlüsselrolle, wenn eigene Erfahrungen mit dem Partner noch nicht ausreichend vorliegen. 4.2 Vertrauen aus Personenwissen In Abgrenzung zum Vertrauen aus Kontextwissen ist Vertrauen aus Personenwissen bzw. persönlicher Vertrautheit an direkte Erfahrungen mit einem bestimmten Geschäftspartner geknüpft. Zentrale vertrauensrelevante Erfahrungsbereiche sind: Offenheit, Verschwiegenheit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit oder Glaubwürdigkeit. Sie konstituieren die Integrität des Vertrauensnehmers (Seifert 2001). Offensichtlich kann das Wissen über die vergangenen Handlungsweisen eines spezifischen Gegenübers aber nur begrenzt helfen, dessen künftiges Handeln vorherzusagen. Die situativen Handlungsmöglichkeiten und Grenzen können sich künftig ebenso ändern wie die handlungsleitenden Motive bzw. Ziele. Da der Vertrauende im Einzelnen nicht abschätzen kann, welche Handlungsalternativen mit welchem Nutzen dem Geschäftspartner in Zukunft zur Verfü-
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gung stehen werden, muss der Vertrauende sich hilfsweise auf die Erfahrungen aus sehr unterschiedlichen Situationen, insbesondere auch solchen, in denen der Anreiz zu opportunistischem Handeln des Partners hoch war, beschränken. Somit ist auch bei Vertrauen aus unmittelbarer Vertrautheit erwartungswidriges Handeln nicht auszuschließen, sondern allenfalls weniger wahrscheinlich. Um das verbleibende Restrisiko zu ertragen, ist Vertrauen gefordert. Offen kann in diesem Zusammenhang bleiben, ob Vertrauen sich über eine rationale Folgerung aus dem Kontextwissen und/oder der persönlichen Vertrautheit ergibt oder auf mehr oder weniger reflektierten Gefühlen gegenüber dem Vertrauensnehmer (Lahno 2002; Seifert 2001) beruht. Vertrauensvermittlung durch Kontextwissen und Personenwissen ergänzen und verstärken sich wechselseitig. Für die Moderne wird eine zunehmende Vorrangstellung des kontextgebundenen Vertrauens zu Lasten des Vertrauens aus persönlicher Vertrautheit konstatiert. Die Anonymität und das häufige Wechseln von Beziehungen machen den schrittweisen Aufbau von Vertrautheit schwerer möglich (Beckmann, Mackenbrock, Pies & Sardison 2005). 4.3 Das Vertrauensdilemma internationaler Geschäftsbeziehungen In internationalen/interkulturellen Geschäftsbeziehungen kommt dem wechselseitigen Vertrauen der Partner eine besondere Bedeutung zu. Anders als bei inländischen Geschäftsbeziehungen verlieren explizite vertragliche Abmachungen als ein funktionales Äquivalent von Vertrauen tendenziell an Effizienz, da unterschiedliche Rechtsordnungen involviert sind. Demzufolge ist die Vertragsgestaltung in einer grenzüberschreitenden Unternehmenskooperation komplizierter und unvollständiger. Auch die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche über die Grenzen hinweg ist zeitaufwändiger, kostspieliger und erfolgsunsicherer als innerhalb eines Landes. Räumliche Distanzen erschweren ebenso den persönlichen Kontakt der Unternehmensvertreter von Angesicht zu Angesicht wie auch die Kontrolle opportunistischer Handlungen beim Kooperationspartner:
Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen
Hoher Bedarf an vertrauensvollen Beziehungen
vs.
Große Schwierigkeiten, Vertrauen zu bilden
Verträge verlieren an Effizienz.
Man ist mit den Werten und Normen, denen das Handeln des Partners folgt, wenig vertraut.
Durchsetzen von Rechtsansprüchen im Ausland ist aufwändig und erfolgsunsicher.
Hinweise auf die Vertrauenswürdigkeit des Partners variieren zwischen Ländern.
Seltene persönliche Kontakte verringern die Chance, opportunistisches Verhalten des Partners zu entdecken.
Es fehlt an Wissen über die Institutionen im Partnerland, die über die Einhaltung der geschäftlichen Spielregeln wachen.
Abbildung 2:
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Das Vertrauensdilemma internationaler Geschäftsbeziehungen
Während einerseits - wie eben aufgezeigt - der Bedarf an vertrauensvoller Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Kooperationsformen zunimmt, ist andererseits die Vertrauensbildung zwischen Vertretern verschiedener Nationen/Kulturen erschwert. Man ist nicht mit den Spielregeln sozialer Interaktion und Kommunikation, denen der Geschäftspartner folgt, sowie den sie begründenden Werten, Normen und Grundannahmen vertraut. Entsprechend schwer fällt es, aus dem Handeln des Partners Hinweise auf seine Vertrauenswürdigkeit abzuleiten. Zudem mangelt es häufig an Kenntnissen über das Vorhandensein und die Wirksamkeit eines institutionellen Rahmens, der darüber wacht, dass die Regeln des sozialen Umgangs eingehalten werden (Gesetze, Verbände, Wirtschaftsverfassungen). In vielen Fällen ist auch die Reputation des Kooperationspartners unbekannt. Kurz, die oben beschriebenen Informationsgrundlagen für „nicht-blindes“ Vertrauen, d.h. Kontextwissen und Personenwissen stehen nur eingeschränkt zur Verfügung. Zusammenfassend erwächst aus der Notwendigkeit eines hohen Vertrauens bei gleichzeitiger Erschwernis seiner Herausbildung im internationalen/interkulturellen Kontext ein „Vertrauensdilemma“ (Ripperger 1999). Einen Weg aus dem Vertrauensdilemma weist die Aufforderung zum aktiven „Vertrautmachen“ (Möllering 2002, 2006; Mayerson, Weick & Kramer 1996). Am Anfang steht ein Vertrauensvorschuss, der dem Partner in einem eng begrenzten, nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül wenig riskanten Bereich der Zusammenarbeit eingeräumt wird. Förderlich ist hier und auf weiteren Stufen der Vertrauensbildung die wohl universal geteilte Norm der Wechselseitigkeit oder
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Reziprozität. Sie fordert dazu auf („Wie Du mir, so ich Dir“), in sozialen Beziehungen den Austausch von materiellem/immateriellem Nutzen langfristig ausgeglichen zu gestalten (Fehr & Gächter 2000). Bezogen auf das Vertrauen lässt sich dieses Prinzip adaptieren als: „Vertraust Du mir, werde ich mich als vertrauenswürdig erweisen!“ (Neuberger 2006; Schoorman, Mayer & Davis 2007). Indem der Vertrauende zu verstehen gibt, dass er vertraut, signalisiert er auch, dass er verletzbar ist. Darin ist die moralische Verpflichtung enthalten, diese mögliche Schädigung nicht geschehen zu lassen (Straub 2005). Werden die mit dem Vertrauensvorschuss verbundenen Erwartungen hier enttäuscht, dann geht der Vertrauensvorschuss wieder verloren. Im positiven Fall verfügt der Partner über erste Indizien, die das Risiko, auch bei umfangreicher Kooperation im Vertrauen getäuscht zu werden, tragbar erscheinen lassen. Wiederholte geschäftliche Transaktionen erweitern schrittweise das Wissen um die Kompetenzen und Intentionen des Geschäftspartners. Eigene Untersuchungen zum Vertrauen in internationalen Unternehmenskooperationen zeigen, dass die beteiligten Partner ein aktives Vertrauensmanagement betreiben. Eine häufig gewählte Vorgehensweise besteht darin, Individualität zu demonstrieren und somit stereotype Vorstellungen etwa zur Kategorie „deutscher Geschäftsmann“ oder „mexikanischer Unternehmer“ (Kühlmann 2004), die im jeweiligen Partnerland vorherrschen, zu relativieren. In deutschmexikanischen Geschäftsbeziehungen - so unsere Forschungsergebnisse - legen die deutschen Partner besonderen Wert auf die Pflege persönlicher Kontakte und gewähren dem Partner auch vertraglich nicht vorgesehene Unterstützung, was dem Stereotyp des unpersönlichen, auf Abmachungen pochenden deutschen Geschäftsgebers entgegenwirkt. Auf der anderen Seite sind mexikanische Partner bemüht, die Kooperationsvereinbarungen mit ihren Partnern genau einzuhalten und gewähren Einblick in die Unternehmensabläufe, was stereotypen Vorstellungen über unzuverlässiges oder korruptes Handeln im mexikanischen Geschäftsleben widerspricht. Mit der Entkräftung stereotyper Vorstellungen über den deutschen oder den mexikanischen Geschäftsmann wird wirkungsvoll persönliche Vertrautheit erzeugt.
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Kontrollmechanismen
Ein zweiter Ansatz der Unternehmenspraxis, mit der Gefahr der Ausbeutung in Kooperationen umzugehen, sieht vor, das Wohlverhalten der ausländischen Geschäftspartner zu kontrollieren. Hierbei werden unterschiedliche Wege beschritten, die sich grob in Voraus-Kontrolle und Begleit-Kontrolle einteilen lassen (Das & Rahman 2001).
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Die Voraus-Kontrolle zielt auf Abschreckung. Hierzu zählen etwa Verträge, Geschäftsordnungen oder Qualitätsstandards. Begleitende Kontrollmechanismen überprüfen die Planmäßigkeit sowohl des Ablaufs als auch der Ergebnisse der Geschäftsbeziehung. Hierunter fallen beispielsweise Qualitätskontrolle, Datenaustausch, Überweisung auf ein Treuhänderkonto, Überwachung des Zahlungsverkehrs oder gemischt besetzte Entscheidungskommissionen. Kritisch gegen die hier aufgezählten Möglichkeiten der Kontrolle lässt sich einwenden, dass vertragliche Vereinbarungen - wie oben bereits erwähnt - im internationalen Kontext oftmals weniger Bedeutung besitzen und die Kontrolle bzw. Überwachung des Partners über Landesgrenzen hinweg meist mit hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist (Geringer & Hebert 1989). Wenn man Vertrauen aus Kontext- und Personenwissen und Kontrolle von ihren Funktionen her vergleicht, wird deutlich, dass beide Mechanismen die Unzahl der Möglichkeiten, die ein Geschäftspartner im Handeln dem Partner gegenüber hat, im Bewusstsein des Vertrauenden und Kontrollierenden auf eine Anzahl wahrscheinlicher Aktionen beschränkt. Wer vertraut, hat Gründe zur Hand, die das Risiko, in seinem Vertrauen betrogen zu werden, vergleichsweise gering erscheinen lässt. Wer kontrolliert, muss begründet annehmen, dass die Kontrolle es dem Geschäftspartner ratsam erscheinen lässt, nur kooperationsförderliche Handlungsoptionen zu wählen. Zugleich ähneln sich Vertrauen und Kontrolle in der Gefahr, einer Täuschung zu unterliegen. Das Risiko, vom Geschäftspartner ausgebeutet zu werden, ist bestenfalls nur reduziert, aber nicht aufgehoben. Ein zentraler Unterschied zwischen Vertrauen und Kontrolle besteht hingegen in der Richtung der Annahmen zum Handeln des Gegenübers. Der Vertrauende macht positive Annahmen über Kompetenz und Motivation des Partners, wohingegen der Kontrollierende zunächst von einer Bedrohung durch den inkompetenten und/oder opportunistischen Partner ausgeht. Die Hoffnung auf Erfolg steht der Furcht vor Misserfolg gegenüber (Neuberger 2006). Vertrauen und Kontrolle sind keineswegs zwei sich ausschließende Ansätze, mit Dependenz und Handlungsunsicherheit in Unternehmenskooperationen umzugehen. Auch in einer Geschäftsbeziehung, in der Vertrauen aus Kontextund Personenwissen herrscht, verzichten Partner nicht auf Kontrollen (Kühlmann 2004). Wie in sozialen Beziehungen allgemein sind auch in Geschäftsbeziehungen Vertrauen und Kontrolle zugleich - wenngleich mit variierenden Gewichten anzutreffen. Kontrolle ermöglicht und stützt Vertrauen (Bachmann & Lane 1997; Inkpen & Currall 2004; Sjurts 1998). Aus letztgenannter Perspektive liegt Kontrolle auch im Interesse des Kontrollierten. Kontrolle weckt oft erst die Erwartung über kompetentes und wohlwollendes Partnerhandeln und damit die Bereitschaft zu vertrauensvollen Handlungen.
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Abhängigkeiten
Ein dritter Ansatz zur Sicherung kooperativen, nicht-opportunistischen Verhaltens von Geschäftspartnern setzt bei der Interdependenz der Partner an. Dieser Weg sucht die wechselseitige Abhängigkeit zu intensivieren und auszubalancieren. Entscheidend für das Ausmaß der Abhängigkeit von Geschäftspartnern ist, ob die Möglichkeit besteht, die aus der Geschäftsbeziehung erwartete Leistung durch andere Geschäftspartner ersatzweise erbringen zu lassen oder den eigenen Leistungsbedarf zu vermindern (Semlinger 2003). Die wechselseitige Abhängigkeit wird etwa durch die Vereinbarung einer exklusiven Geschäftsbeziehung erhöht. Die Partner verabreden, ihre bisherigen Geschäftsaktivitäten mit dritten Partnern abzubauen. Beispielsweise kann sich ein Unternehmen bereit erklären, seine Lieferverträge mit anderen Lieferanten zu kündigen und nur noch vom Partnerunternehmen die entsprechenden Produkte oder Dienstleistungen zu beziehen. Größere Exklusivität geht einher mit größerer Abhängigkeit vom verbleibenden Partner. Abhängigkeit schafft auch, wer steigende Gewinne aus einer fortdauernden Geschäftsbeziehung in Aussicht stellt. Die Geschäftspartner kooperieren zunächst nur in kleinerem Umfang, versprechen aber, das Auftragsvolumen bei vereinbarungsgemäßer Leistung schrittweise zu erhöhen. Einem vergleichsweise kleinen Gewinn aus möglichem opportunistischem Handeln in der Gegenwart steht hier ein hoher Kooperationsgewinn in der Zukunft gegenüber. Gelingt es, in Geschäftsbeziehungen eine hohe wechselseitige Abhängigkeit der Beteiligten herzustellen, hat jede Seite ein ähnliches Eigeninteresse, auch die Lage des jeweils anderen im eigenen Handlungskalkül zu berücksichtigen, um die Beziehung nicht zu gefährden. Unterstellt man sich wechselseitig eine rationale Kalkulation, die für kooperatives wie unkooperatives Handeln jeweils Höhe und Chance eines Gewinns mit der Höhe und der Wahrscheinlichkeit eines Verlusts gegeneinander abwägt, verspricht das Kooperieren den größeren Nutzen. Je höher die Abhängigkeit, desto abschreckender erscheinen die möglichen Verluste aus unkooperativem Handeln. Die Unsicherheit, ob der Partner an der Kooperation festhält, ist deutlich vermindert.
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Zusammenfassung
Alle drei Herangehensweisen an das Opportunismusrisiko - schrittweiser Aufbau von Vertrauen aus der Kenntnis von Kontext und Person des Partners heraus; Einsatz von Kontrollmechanismen vor, während und nach der Kooperation; Förderung hoher und symmetrischer Abhängigkeit der Partner - ergänzen und
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bestärken sich. Zweifellos profitiert eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung von einem Vertrauen aus Kontext- und Personenwissen. Angesichts des oben beschriebenen Vertrauensdilemmas im Austausch mit „Fremden“ sind aber weitere Wege zur Schaffung positiver Erwartungen in die Kompetenz und die Absichten des ausländischen Partners notwendig. Wechselseitige Kontrolle und die Herstellung von Abhängigkeit bilden nicht selten das Fundament für eine erfahrungsgestützte Vertrauensentwicklung. Auch ohne a priori bestehendes Vertrauen lassen sich internationale Unternehmenskooperationen derart gestalten, dass gute Gründe für die Erwartung bestehen, dass der Partner bereit und fähig ist, im Interesse der Kooperation und nicht allein im Eigeninteresse zu handeln.
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Torsten M. Kühlmann
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Reziprozität, Vertrauen, Interkultur. Kohäsionsorientierte Teamentwicklung in virtualisierten multikulturellen Arbeitsumgebungen. Jürgen Bolten
In vielen Industriezweigen beschreibt der „Arbeitstag 24“ heute bereits den Normalfall: Konstruktionszeichnungen werden beispielsweise nacheinander für jeweils acht Stunden an Standorten in den USA, in Europa und in Asien bearbeitet und schrittweise gen Osten weitergeleitet. Unter Ausnutzung von Zeitverschiebungspotentialen umrunden sie innerhalb von 24 Stunden einmal die Welt, ohne dass der Arbeitsprozess unterbrochen werden müsste. Entsprechende Verfahren der Arbeitsorganisation gelten z.B. für die Auftragsbearbeitung in international organisierten Dienstleistungsunternehmen wie Großbanken, Logistikbetrieben oder auch Medieneinrichtungen. Ressourcennutzung wird dabei primär zeitbezogen gedacht: Wettbewerbsvorsprung können diejenigen für sich verbuchen, die in der Lage sind günstige Standortfaktoren mit bestmöglicher Zeiteffizienz bei der Auftragsbearbeitung zu vernetzen. Gründe, sich dieser Entwicklung gegenüber skeptisch zu verhalten, gibt es sicherlich genug. Aber es ändert nichts daran, dass der „Arbeitstag 24“ sich in den vergangenen Jahren nach und nach als unverzichtbares Element des Globalisierungsgeschehens etablieren konnte. Ursachen und Wirkungen dieses Prozesses sind dabei eng verwoben. Hierzu zählen informations-, mobilitäts- und medientechnologische Entwicklungssprünge ebenso wie die rapide Beschleunigung weltpolitischer, ökonomischer, ökologischer und gesellschaftlicher Veränderungsdynamiken oder wie – auf der Mikroebene - die zunehmende Virtualisierung von Arbeitswelten. Gemeinsam ist diesen Entwicklungen, dass sie Prozesse der internationalen Zusammenarbeit sowohl fordern als auch fördern – allerdings unter der Prämisse eines optimalen Umgangs mit der Ressource „Zeit“. So werden strategische Allianzen unter dem Aspekt der Flexibilitätssicherung heute in der Regel kurzfristig und in ihrer Dauer limitiert geplant. Für die Personalorganisation folgt daraus, dass Kurzzeitentsendungen an die Stelle langfristiger Auslandsaufenthalte treten, dass die Zahl der „Vielflieger“ überproportional wächst (Harris 2005:
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Jürgen Bolten
278) und dass es zum Normalfall zählt, multikulturelle Teams für mehr oder minder stark virtuell geprägte Arbeitsumgebungen zusammenzustellen. Gerade angesichts der Intensität und zum Teil auch der Euphorie, mit denen derzeit vor allem bei großen Unternehmen ein entsprechender arbeitsorganisatorischer Kurswechsel hin zu (virtuellen) multikulturellen1 Teams2 vollzogen wird, wirken Befunde neuerer empirischer Untersuchungen zur Leistungsfähigkeit und zum Erfolg multikultureller Teams ernüchternd: Ihre Effizienz wird – in Abhängigkeit vom Virtualisierunggrad3 - durchweg schlechter bewertet als die Effizienz monokultureller Gruppen, wobei als Ursachen insbesondere Vertrauensmangel und Kommunikationsvermeidung genannt werden (u.a. Thomas 1999; Stumpf 2005; Köppel 2006/2008; Klein-Hitpaß/ Leibenath/ Knippschild 2006; Jedrzejczyk 2007). In zugespitzter Form, deswegen aber nicht unplausibel, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, „dass kulturelle Diversität die Zusammenarbeit in Teams“ erschwere „und sich belastend auf die Teammitglieder“ auswirke, wodurch insgesamt „die soziale Effektivität multikultureller Teams negativ“ beeinflusst werde (Jedrzejczyk 2007: 253). Derartige Befunde signalisieren vor allem interkulturellen Personalentwicklern dringenden Handlungsbedarf. Vor dem Hintergrund der nahe liegenden Fragestellung, ob und in welcher Weise eine Investition in multikulturelle virtua1
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„Multikulturell“ wird in diesem Zusammenhang als Strukturbegriff verwendet, „interkulturell“ als Prozessbegriff: Ein Team ist multikulturell strukturiert, wenn seine Mitglieder in unterschiedlichen und als solche zumindest partiell nicht ohne weiteres anschlussfähigen lebensweltlichen Netzwerkzusammenhängen sozialisiert sind. Es generiert Interkulturalität – als Prozess gedacht – sobald aus der Diversität der multi-kulturellen Handlungsvoraussetzungen der Einzelnen gemeinsam konstruierte bzw. akzeptierte Handlungskontexte erwachsen. Gelingt dies nicht, wird das Team den Schritt vom multikulturellen Nebeneinander zum interkulturellen Miteinander ebenfalls nicht schaffen. Eine explizite Unterscheidung zwischen „Team“ und „Arbeitsgruppe“ wird im Folgenden nicht vorgenommen, Zu den jeweiligen Definitionen vgl. entsprechende Beiträge in Stahl/ Mayrhofer/ Kühlmann (2005). Wenn der Gegenstandbereich der nachfolgenden Überlegungen auf „virtualisierte multikulturelle Arbeitsumgebungen“ bezogen wird, so ist mit „virtualisiert“ das gesamte Spektrum von Arbeitsbeziehungen gemeint, die nicht überwiegend face-to-face organisiert sind. Die Segmente dieses Spektrums unterscheiden sich eher graduell hinsichtlich der Quantität und der Modalität physischer Präsenz, wobei der Extremfall eines „virtuellen Teams“, das ohne jeglichen Präsenzkontakt arbeitet, faktisch kaum anzutreffen ist (vgl. Köppel 2006: 44). Durchzusetzen scheinen sich Mischformen, in deren Rahmen zum einen der zeitlich umfangreichere Teil der Teamarbeit an geographisch verstreuten Orten durchgeführt und via Medienkommunikation international vernetzt wird, wo darüber hinaus aber auch kontinuierlich Präsenztreffen der Teammitglieder anberaumt werden. Welche Ausprägung eine solche „blended virtuality“ im Einzelfall hat, wie „präsenznah“ die eingesetzten Kommunikationsmedien (Virtual Workroom, Web-Conferencing, Mail etc.) sind und welchen Umfang die Präsenztreffen einnehmen, scheint vor allem von Branche, Kostenfaktoren und Auftragstyp abzuhängen.
Kohäsionsorientierte Teamentwicklung in virtualisierten multikulturellen Arbeitsumgebungen
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lisierte Arbeitsumgebungen überhaupt noch lohnenswert sein kann, soll nachfolgend zunächst vor allem aus handlungstheoretischem Blickwinkel nach Zusammenhängen zwischen dem diagnostizierten „Vertrauensdilemma“ (Klein-Hitpaß/ Leibenath/ Knippschild 2006: 62) und kultureller Diversität (1) sowie zwischen dem „Vertrauensdilemma“ und Aspekten der Virtualisierung (2) gefragt werden. Als perspektivenreich könnten sich für die interkulturelle Personalentwicklung vor diesem Hintergrund kohäsionsorientierte Konzeptualisierungen erweisen (3).
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Lost in Diversity?
„Diversity“, im Deutschen zumeist im Sinne von „Verschiedenartigkeit“, „Vielfalt“ und „Heterogenität“ verstanden, zählt in den USA seit den siebziger Jahren zu den ‚mainstreams‘ sozialpolitischer Diskussionen. In Europa konnten entsprechende Bewegungen vor allem im Rahmen der Anti-Diskriminierungskampagnen (soziale Gleichstellungspolitik) in den achtziger Jahren Fuß fassen. Aus deutscher Sicht stellt – zumindest de iure – das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG 2006) einen zentralen Markstein der Diversity-Bemühungen dar. Zu den Besonderheiten dieser sehr stark an Differenzierungsmerkmalen orientierten Entwicklung (Schutz der Rechte des Einzelnen bzw. der Rechte von Gruppen in Bezug auf Gender, Alter, Religion, Sprache etc.) zählt – nicht ganz ohne Paradoxie – der Tatbestand, dass sie außerhalb des Globalisierungskontextes nur schwer vorstellbar wäre. „Diversity“ stellt die Antwort dar auf die Standardisierungsdynamik der Globalisierung und erweist sich damit als Platzhalter für jene „Bruch“-Metapher, die Ulrich Beck bevorzugt verwendet, wenn er die Veränderung von Denk- und Handlungsmustern auf dem 'Weg von der Ersten zur Zweiten Moderne' beschreibt: "Globalisierung stellt eine Grundprämisse der Ersten Moderne in Frage, nämlich die Denkfigur, die A.D.Smith 'methodologischen Naturalismus' nennt: Die Konturen der Gesellschaft werden als weitgehend deckungsgleich mit den Konturen des Nationalstaats gedacht. Mit Globalisierung in all ihren Dimensionen entsteht demgegenüber nicht nur eine neue Vielfalt von Verbindungen und Querverbindungen zwischen Staaten und Gesellschaften. Viel weiter gehender bricht das Gefüge der Grundannahmen zusammen, in denen bisher Gesellschaften und Staaten als territoriale, gegeneinander abgegrenzte Einheiten vorgestellt, organisiert und gelebt wurden. Globalität heißt: Die Einheit von Nationalstaat und Nationalgesellschaft zerbricht; es bilden sich neuartige Macht- und Konkurrenzverhältnisse, Konflikte und Überschneidungen zwischen nationalstaatlichen Einheiten und Akteuren einerseits, transnationalen Akteuren, Identitäten, sozialen Räumen, Lagen und Prozessen andererseits" (Beck 1997: 46f)
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Mit dem Zerbrechen der Einheit von Nationalstaat und Nationalgesellschaft werden automatisch auch alle anderen an Homogenitätsparadigmen orientierten Denkweisen in Frage gestellt, die -geprägt durch diese Einheitsvorstellungen und -zwänge - über Jahrhunderte hinweg Einfluss auf individuelle und soziale Selbstverständigungsprozesse genommen haben. Quer durch oft willkürlich gesetzte und aufmerksam gehütete bzw. verteidigte Grenzen hindurch werden plötzlich wechselseitige Zusammenhänge sichtbar oder geschaffen, die oberflächenstrukturell vielleicht Standardisierungseffekte auszulösen vermögen, die andererseits aber auch nur unter der Bedingung der Anerkennung von Vielfalt und Verschiedenheit funktionieren. Richard Münch zufolge führt dieser Prozess "von geschlossenen zu offenen Räumen, ebenso von konkreten zu abstrakten Identitäten, von exklusiven zu inklusiven Formen der Vergemeinschaftung, von homogenen Kollektiven zu differenzierten Netzwerken individueller Akteure" (Münch 2001: 291). Handlungstheoretisch impliziert dies bei wachsender Symbolkomplexität zunehmende Handlungskontingenz (Münch 1988: 85ff) – oder unter dem Blickwinkel der Globalisierung gedacht: je weiter Pluralisierung und Fragmentierung voranschreiten, desto ausgeprägter erscheint auch der Diversifizierungsgrad von ehedem als „homogen“ apostrophierten (oder tatsächlich so empfundenen) Kollektiven, und desto unkalkulierbarer bzw. kontingenter wird das Handeln der einzelnen Akteure. In der Entwicklung von der Ersten zur Zweiten Moderne verflüssigen sich Strukturen nach und nach zu Prozessen, weicht Steuerbarkeit eigendynamischem Wandel, löst sich die Zweiwertigkeit des Entweder – Oder auf in der Mehrwertigkeit des „Sowohl-als-Auch“: Ankerflächen des „Festen“, „Sicheren“ im Sinne des gotischen trauan als etymologischem Usprung von „Vertrautheit“ und „Vertrauen“ werden dabei immer kleiner, was nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen um den Kulturbegriff sehr anschaulich vor Augen führen: Ein übergeneralisierendes Kulturbegriffverständnis, das „Kultur“ z.B. primär in nationalstaatlichen Kollektiven oder in „Corporate Identities“ repräsentiert sieht, kann längst keinen Alleinverstretungsanspruch mehr geltend machen. Mit gleichem Recht werden deutlich diversifiziertere (und zumeist noch weiter diverzifizierbare) Kollektive der Mikro-Gruppenebene als „Kulturen“ bezeichnet. Wo „feste“ und in diesem Sinn vertraute Strukturen aufbrechen, geraten nicht nur (mehr oder minder zwanghaft als ‚homogen’ deklarierte) Räume in Fluss. Je diversifizierter und fragmentierter sich Lebensweltkonstruktionen präsentieren, desto multioptionaler und kontingenter sich das Tableau möglicher Lebensweltzugehörigkeiten gestaltet, desto mehr erhöht sich auch die Dynamik individuellen und sozialen Handelns. „Soziale Zeit“ (Luhmann 2004: 651) verringert sich in toto zwar nicht. Aber die Reziprozitätsbeziehungen, denen sie sich
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verdankt, werden selbst multipler, und so geht beispielsweise die über ITMedien geschaffene Omnipräsenz des Einzelnen letztlich zu Lasten der Intensität seiner Beziehungen. Sie unterliegen selbst dem ‚Zapping’, werden ‚flüchtig’ und büßen an Tragfähigkeit, an Vertrauen ein – denn: „Vertrauen braucht Dauer“ (Winand/Pohl 1998: 11). Ein mögliches Resultat fortschreitender Diversifizierung hat Robert D. Putnam unter dem Titel „Bowling Alone“ zusammengefasst. In seiner gleichnamigen Studie (Putnam 2000) geht Putnam von dem Befund aus, dass in USamerikanischen Bowling Centern die Zahl der Einzelspieler seit den achtziger Jahren überproportional zugenommen habe – und zwar zu Lasten der Ligaspieler. Volkswirtschaftlich gebe dies durchaus Anlass zu Besorgnis, da Ligaspieler aufgrund ihrer längeren (sozialen) Verweilzeit im Bowling Center dreimal so viel Pizza und Bier konsumierten wie Einzelspieler. Mit kritischem Blick auf die in den USA besonders in den 70er und 80er teilweise dogmatisch agierende Diversity-Bewegung setzt Putnam dem fragmentierungsbedingten „collapse of American community“– das Programm eines „revival of American community“ entgegen (Putnam 2000: 3), zu dessen Kernpunkten nicht von ungefähr der Vertrauensaufbau zählt (Putnam 2000) . Auch wenn Putnams Vorschläge, über den Hebel einer Verbesserung des „sozialen Kapitals“ zu einer Optimierung der volkswirtschaftlichen Finanzkapitalsituation zu gelangen, durchaus kontrovers diskutiert werden (vgl. Braun 2002), bleibt als eine Konsequenz aus seiner Studie festzuhalten, dass Fragmentierungsprozesse der „Zweiten Moderne“ in ihrer radikalsten Form in der Tat zu einer Gesellschaft von „Alleinbowlern“ führen können. Schafft man in dieser Situation keine gemeinsamen Ziele und Visionen, keine Vertrauensbasis, verkehren sich Reziprozitätsbeziehungen ins Negative4 und münden im schlimmsten Fall in ein ‚bellum omnium contra omnes’. Auch wenn es falsch wäre, diversity-Strategien – selbst in ihren dogmatischsten Varianten positiver Diskriminierung– als Hauptverantwortliche für soziale Fragmentierung benennen zu wollen: unbeteiligt sind sie nicht. Und zwar dort, wo sie – durchaus in guter Absicht – Vielfalt und Differenz im Sinne von Abgrenzungskategorien konstruieren, um auf diese Weise besser für die Gleichberechtigung des Einzelnen in Mikro-Kollektiven, für die von Mikro-Kollektiven in Meso-Kollektiven usw. eintreten zu können. Diese Betonung gleicher Gültigkeit kann allerdings, vor allem dort, wo sie sich mit falsch verstandener „political correctness“ verbündet, in Gleichgültigkeit münden: in ein Nebeneinander von Gleichberechtigten, die Reziprozität untereinander auf Oberflächenstrukturen eingrenzen, gerade damit sie die aus Gründen der „Diversity“ gezogenen Grenzen nicht verletzen. Vor dem Hintergrund des Zwangs zur Gleichbehandlung 4
„Negative Reziprozität“ wird hier im Sinne von M.Sahlins verstanden. Er grenzt sie ab gegen emotionale und kalkulatorische Reziprozität (vgl. u.a. Endress 2002).
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redet man lieber nicht oder zumindest nicht in diskursiver Form miteinander, um so zu vermeiden sich aufgrund unbedachter Äußerungen ‚political incorrect’ zu verhalten. Das gilt in Bezug auf Religion, Gender, Ethnizität ebenso wie für Alter oder Krankheit. „Lost in diversity“ wäre in diesem Sinne die Bezeichnung für eine Variante des „Bowling alone“, bei der sich in besonders deutlicher Weise Analogien zum Gefangenendilemma5 ergeben: Im Gegensatz zu dem in den 50er Jahren entwickelten und für die Vertrauensforschung immer noch zentralen spieltheoretischen Paradoxon findet Kommunikation zwischen den an Reziprozitätsbeziehungen Beteiligten hier zwar statt – ist aber im Wesentlichen durch Vermeidungsstrategien geprägt und zielt damit eher auf ein Neben- als ein Miteinander. Die im Gefangenendilemma erfolgreiche Strategie des tit-for-tat („wie du mir, so ich dir“) wird hier in der Regel ebenfalls gewählt, ist aber aufgrund des dem „Bowling alone“ inhärenten Vermeidungsverhaltens notwendigerweise durch Passivität charakterisiert und zementiert damit das Nebeneinander. Im Vergleich zum Gefangenendilemma erweisen sich die äußeren Zwänge, unter denen sich der einzelne „Bowler“ positionieren muss und unter denen er gleichsam mit sich selbst eine Wette auf einen für ihn günstigen Ausgang des titfor-tat schließt, als deutlich indirekter. Während die Gefangenen nicht kommunizieren dürfen, aber gerne aktiv werden würden, um ihr „Vertrauensdilemma“ zu beheben, entsteht das Vertrauensdilemma des „Bowlers“ durch eine Art selbstverschuldeter Passivität: Er hat formal zwar das Recht und die Möglichkeit zu kommunizieren, gelangt aber unter den Bedingungen der Diversity-Szenarien der ‚Zweiten Moderne’ schnell an Grenzen seines kommunikativen Handelns. Versteht man letzteres -ganz im Sinne des etymologischen Ursprungs von lat. communicare- als „etwas gemeinschaftlich machen“, sieht er sich nämlich mit zwei Problembereichen konfrontiert. Erstens ist die (vor allem informationstechnologisch hervorgebrachte) Vielfalt potentieller Reziprozitätsbeziehungen auf interpersonaler Ebene zu groß um „sichere“ Vertrauensentscheidungen treffen zu können; zweitens entpuppt sich das Diversity-Postulat als Gegenspieler des „Gemeinschaftlich Machens“ - zumindest dort, wo es Handlungsmaximen der „political correctness“ unterliegt. Versteht man Vertrauen als ein Risiko, das man eingeht, um Handlungsrisiken zu mindern, um Sicherheiten zu finden, so werden interpersonale Beziehungen dementsprechend schon aufgrund ihrer temporalen und qualitativen „Flüchtigkeit“ kaum zu den Favoriten eines „Bowlers“ zählen können, wenn es darum geht Handlungssicherheiten zu schaffen. Aber auch das von „interpersonalem Vertrauen“ häufig unterschiedene „Systemvertrauen“ bietet keine ernsthafte
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Vgl. zum Gefangenendilemma u.a. die Ausführungen bei Adloff/Mau 2005: 30ff
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Alternative in einem historischen Kontext, der gerade durch den Zerfall ehedem „fest“ umrissener Systeme charakterisiert ist.6 Was bleibt und in Globalisierungszusammenhängen vermutlich noch am stärksten risikominimierend wirkt, sind Formen „abstrakten Vertrauens“ in transnationale oder hybride Netze wie z.B. Pisa, internationale Flugsicherung, Navigationssysteme, Klimaschutz, Virenschutz, Qualitätsmanagement oder auch der Bologna Prozess. Im Vergleich zu (z.B. politischem) Systemvertrauen ist ein solches Netzwerkvertrauen deswegen abstrakt, weil es nicht mehr auf Kohärenz, auf Homogenitätsstrukturen und in diesem Sinn auf etwas Konkretes, Festes, Gestaltbares bezogen ist: Netzwerke sind im Gegensatz zu Systemen bewusst offen angelegt, durch eine hohe Eigendynamik charakterisiert und dementsprechend selbst an ihren Knotenpunkten noch permanentem Wandel ausgesetzt. In diesem Prozess bilden sich zwar auch Strukturen und Subsysteme – allerdings nicht unter den Bedingungen von Dauer und Kohärenz, sondern unter denen von „Flüchtigkeit“ und Kohäsion. Sie sind – wie etwa strategische Allianzen in der Wirtschaft7 – befristet angelegt, werden als „Knotenpunkte“ eines Netzes austauschbar und verlieren in diesem Moment an Konkretion. Dass sie dennoch vertrauenswürdig sind, lässt sich in Anlehnung an Ulrich Becks Entwurf einer Kritischen Theorie der „Weltrisikogesellschaft“ (Beck 2007: 334ff) nur mit der Komplexität von Reziprozitätsbeziehungen erklären, in die der (massen-)medialisierte „Bowler“ verflochten ist. Die Handlungsrisiken werden mit zunehmender Globalisierung selbst so komplex, dass Vertrauen zu konkreten Personen oder Institutionen allein nicht mehr ausreicht um in umfassender Weise risikominimierend zu wirken. Anders gesagt: die „Ausweitung der Vertrauensbasis ist stets dann notwendig und eine Chance, wenn die „zeitliche, räumliche und soziale Ausweitung von Interaktionen und systemischen Interdependenzen die Grenzen sozialer Bekanntschaften sprengt“, also die interagierenden Menschen einander unbekannt sind, „weil sie sich nicht zu Gesicht oder Gehör bekommen [...] oder kulturelle Unterschiede das gegenseitige Verstehen beschränken“ (Strasser, Voswinkel 1997: 220f). „Wessen Aufgabe ist es eigentlich, den Klimawandel aufzuhalten? Eine Zeitlang schien es, als sei dies eine Herausforderung, bei der alle anpacken müssen, alles als Individuen. Auf diese Weise verwandelte sich der Kampf gegen den Klimawandel in ein grünes Lebensstil-Muster (Fahrrad statt Auto, zu Hause wandern statt in den Urlaub fliegen). Aber Vorsicht, Klimawandel ist ein viel zu großes Problem, um allein 6 7
Zur Differenzierung zwischen personalem und systemischem Vertrauen und der faktischen „Gemengelage“ hin, die beide Aspekte verbindet, vgl. Winand/Pohl (1998: 7f) . Beispiel AutoEuropa
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von den versammelten Einzelnen – nach dem Motto‚Bus statt Auto’ (Jonathan Freedland) – bewältigt zu werden. Da sind Regierungen gefragt. Aber selbst die sind ‚individualisiert’ ziemlich hilflos“(Beck 2007: 120f).
An dieser Stelle können wir mit einem Zwischenresümee zur Eingangsfrage zurückkehren: Die Diversität multikultureller Teams birgt unter den Handlungsbedingungen der „Zweiten Moderne“ anscheinend vor allem dann Vertrauensprobleme und Kooperationshemmnisse, wenn sie, „political correct“ und aus Angst vor der Verletzung von Gleichheitsgrundsätzen die diskursiv„gemeinschaftliche“ Konstruktion eines Miteinander verhindert. Kulturelle Vielfalt realisiert sich unter der Prämisse friedlicher bzw. politisch korrekter Koexistenz. Vielfalt wird nicht zusammengeführt, sondern in der Form eines Nebeneinander zementiert. Die Partner multikultureller Reziprozitätsbeziehungen sind in diesem Sinne „lost in diversity“, was wiederum dazu verleitet, sich auf die Rolle eines Einzelspielers zurückzuziehen. „So bedingen Versachlichung der Interaktion und Individualisierung der Lebenswege einander“ (Strasser/ Voswinkel 1997: 222). Zusätzlich belastet wird der Aufbau interpersonaler Vertrauensbeziehungen dadurch, dass vor dem Hintergrund zunehmender transnationaler Vernetzungen das risikominimierende Potential personalen oder auch konkret-systemischen Vertrauens vielfach nicht mehr wirkungskräftig genug erscheint. Prägnantes Beispiel sind in diesem Zusammenhang transnationale Evaluations- und Zertifizierungsaktivitäten als „eine besondere Form des Drittvertrauens“ (Strasser/ Voswinkel 1997: 228) , die gegenwärtig in fast allen Wirtschaftssektoren einschließlich der Bildungs’industrie’ als Maßnahmen zur Vertrauensbildung eingesetzt werden: Die Vielfalt von Produkten und Dienstleistungen ist im Kontext der Globalisierung sichtbar geworden, in ihrer Verknüpfung aber gleichzeitig für den einzelnen Nutzer und Konsumenten undurchschaubar. Vertrauen in konkrete Personen, Institutionen und Systeme besteht grundsätzlich auch weiterhin, erweist sich in systemüberschreitenden, globalen Zusammenhängen allerdings als wenig tragfähig, weil es nur punktuelle Gültigkeit besitzen kann. Vertrauen in transnational konstruierte, für den Einzelnen aber abstrakte, Netzwerke, vermittelt dagegen zumindest vordergründig das Gefühl einer weitreichenderen Risikominimierung. An dem „lost in diversity“-Szenario ändert dies hingegen nichts. Im Gegenteil: Je größer die Wirkungsmacht ist, die abstraktem Vertrauen zugeschrieben wird, desto größer scheint die Gefahr, dass der Einzelne – quasi schicksalsergeben - in einer Haltung sozialer Passivität erstarrt und dementspre-
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chend nur noch schwer zu einem aktiven „Gemeinschaftlich Machen“ motivierbar ist8.
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Lost in Virtuality?
So wie multikulturelle Arbeitsgruppen, die ihre Diversität als Neben- und nicht als Miteinander gestalten, dazu neigen Risikominimierung eher über abstrakte statt über konkrete Vertrauensbeziehungen zu realisieren, trifft ähnliches zu, wenn Arbeitsumgebungen Virtualisierungsprozessen ausgesetzt sind: Virtualisierung kann interpersonales Vertrauen schwächen, weil mit dem face-to-faceKontakt auch der Konkretisierungsgrad der Reziprozitätsbeziehung sinkt. Da Risiken jedoch auf irgendeine Weise abgefedert werden müssen, befördern Virtualisierungsprozesse gleichzeitig den Aufbau abstrakter Vertrauensstrukturen. Im Hinblick auf die Zusammenarbeit virtueller multikultureller Teams verdoppelt sich auf diese Weise die Gefahr des Rückzugs auf abstrakte Vertrauenspositionen. Bezogen auf konkrete Reziprozitätsbeziehungen bedeutet das automatisch auch eine Rücknahme von persönlicher Einsatz- und Verantwortungsbereitschaft. Dass die Leistungsergebnisse der Teams dementsprechend nicht optimal ausfallen, liegt auf der Hand. Die sog. „Neuen Medien“ wie Email, Mobile Phone, Virtual Conferencerooms, Voice over IP oder elektronischen Plattformen nehmen in diesem Zusammenhang eine durchaus ambivalente Rolle ein. Einerseits stellen sie wesentliche Instrumente dar, um überhaupt virtuelle Arbeitsumgebungen schaffen zu können, andererseits bieten sie, wie die Entwicklung des Web 2.0 zeigt – durchaus auch das Potential, um die gegenüber face-to-face-Situationen größere personale Distanz und Abstraktheit virtueller Kontexte zu minimieren. Im ersten Fall generiert man über eine Inszenierung der Vielfalt individueller Handlungsmöglichkeiten zwar eine weitgehend raum- und zeitunabhängige Arbeitsumgebung, geht damit aber auch das Risiko ein, dass ein Miteinander, ein „Gemeinschaftlich Machen“ in der erwünschten Form nicht realisiert wird. Es bestehen beispielsweise Ängste, aus Gründen unzureichender Fremdsprachenkenntnis oder mangelnder Plausibilität in Bezug auf die Handlungen des virtuellen Interaktionspartners nicht „political correct“ agieren zu können, Grenzverletzungsge8
Zumal dann, wenn ihm bei der Nichtbeachtung von Diversity-Grenzen rechtliche Sanktionen drohen. In diesem Sinn ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006 (AGG) einer Münze mit zwei Seiten vergleichbar: Die Einhaltung von Vorgaben des Diversity Managements beinhaltet aus wirtschaftlicher Sicht zum einen Wettbewerbsvorteil, andererseits impliziert die Nichteinhaltung auch einen Wettbewerbsnachteil, da diejenigen, die sich nicht diversity-konform verhalten, mit empfindlichen finanziellen Strafen rechnen müssen und folglich im Wettbewerb zurückgeworfen werden.
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bote der Diversity-Politik zu missachten oder auch selbst das Gesicht zu verlieren. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Das mit konkretem Vertrauen verbundene Risiko wird als relativ hoch eingeschätzt, weil der virtuelle Interaktionspartner nicht berechenbar genug erscheint, weil die virtuelle Beziehung selbst zu wenig Plausibilitätsreserven und damit zu wenig Vertrautheit bietet. Zum Zweck der Minimierung eigener Handlungsrisiken erscheint abstraktes Vertrauen „sicherer“. Das wiederum fördert ein sozial eher passives Verhalten, so dass sich im Extremfall zum „lost in diversity“ ein „lost in virtuality“ gesellt. Prognosen für eine effektive multikulturelle Teamarbeit fallen vor diesem Hintergrund nicht sonderlich positiv aus, weil die intrinsische Motivation der Beteiligten schwindet, gemeinsam etwas zu schaffen, das im Resultat mehr ist als die Summe der Einzelleistungen.
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„Blended“ Ending?
Die zweite Perspektive, nämlich die Verwendung Neuer Medien zur Minderung oder besser: zur Konkretisierung virtueller Distanz, ist ‚globaliserunghistorisch’ Teil einer Paradigmenverschiebung, die sich seit Beginn des 21.Jahrhunderts beobachten lässt, und die im Resultat für die künftige Gestaltung virtueller multikultureller Teamarbeit in Lösungen zu münden scheint, die am besten unter den Stichworten „Blended Diversity“ bzw. „Blended Virtuality“ zusammengefasst werden können. Die aktuelle Paradigmenverschiebung markiert gleichzeitig den Beginn der dritten Phase des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses:
I Kohärenzphase
II Differenzphase
III Kohäsionsphase
70er/80er Jahre
80er/90er Jahre
90er/00er Jahre
Standardisierung
Fragmentierung
Modularisierung
Abbildung 1:
Phasen des aktuellen Globalisierungsprozesses
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Während die zweite Phase in vielen Bereichen durch Gegenreaktionen auf die durch Homogenitäts- und Kohärenzzwänge bestimmte Standardisierungseuphorie des ersten Globalisierungsanschnitts charakterisiert war, dabei aber mit ihren eigenen Differenzierungspostulaten („Diversity!“, „Lokalisierung!“, „Individualisierung!“ etc.) nur in das andere Extrem geschwenkt war und mit den Fragmentierungsfolgen sicherlich keinen Mehrwert zu schaffen vermochte, versucht man in der aktuellen dritten Phase die bisherigen Schwächen konstruktiv zu wenden. Zu den Vorreitern zählt zweifellos Robertsons Theorie der „Glokalisierung“ (Featherstone/ Robertson 1995: 25ff), in der die beiden ersten Globalisierungsphasen gleichsam als Zentrifugal- und Zentripetalkräfte eines Prozesses verstanden und „dialektisch“ (Beck 1997: 91) auf einander bezogen werden. Eine ähnliche Denkweise liegt zahlreichen aktuellen Formen der Wirklichkeitskonzeptualisierung zugrunde. Belege hierfür sind u.a. im Bildungsbereich das „Blended Learning“, im Marketing der Wandel von der Sortiments- und Markenfragmentierung zur Sortiments- und Markenmodularisierung (i.S. von „Produktfamilien“9); in der Organisationsentwicklung ist es der Wandel des Diversity-Managements vom „Diskriminierung-und-Fairness-“ und „Marktzugangs-und-Legitimitäts“-Paradigma zum „Lern-und-Effektivitäts“-Paradigma (Agars/Kottke 2004: 61). Viele weitere Beispiele ließen sich aufführen – gemeinsam ist ihnen das Bestreben, die Gegenläufigkeit der beiden ersten Globalisierungsphasen „aufzuheben“, zu mischen, Grenzziehungen zu verwischen und damit vielleicht auch die (eindeutig westliche oder zumindest monotheistisch begründete) Zweiwertigkeit der Globalisierunglogik in eine mehrwertige (eher in östlichem Denken verankerte) „Fuzzy Logik“ zu überführen. Dass die Vertrauensthematik sich gerade seit der Jahrtausendwende zu einem überaus präsenten Schwerpunkt soziologischer und psychologischer Forschungen entwickelt hat (vgl. Thomas 2004: 19), ist vor diesem Hintergrund selbst Ausdruck eines am Ende der zweiten Globalisierungsphase vielfach als übermächtig empfundenen abstrakten Vertrauensnetzes: Man realisiert und kritisiert inzwischen, dass die – durchaus in guter Absicht – initiierten Maßnahmen der Risikominimierung von Gleichstellungsregelungen über Qualitätssicherungsgebote bis hin zu Gesundheitsvorsorgemaßnahmen den Einzelnen zwar zu schützen vorgeben, gleichzeitig aber auch zu Lasten seiner Handlungs- (und zum Teil auch Denkfreiheit) gehen. Ob die dritte Globalisierungsphase zur Entwicklung eines „Blended Trust“ führen wird, lässt sich schwer abschätzen. Welche Form eine solche Mischung von abstraktem und personalem Vertrauen annehmen könnte, kann man derzeit vermutlich am besten an Web 2.09
Als Beispiel lässt sich eine Publikumszeitschrift wie der „Stern“ anführen, unter dessen „Familientitel“ inzwischen nicht nur diverse eigenständige Print-Produkte wie „View“, „Gesund leben“, „Neon“ etc. firmieren, sondern auch Web- und TV-Angebote.
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Realisationen wie Blogs, Wikis oder den unzähligen Internetbörsen zur individuellen Produktbewertung ablesen: Der Einzelne ist nicht mehr „lost in diversity“ bzw. „lost in virtuality“, sondern akzeptiert Diversität und macht sich gleichzeitig mediale Virtualität zu eigen, um auf diesem Wege aktiv in Kommunikationsprozesse einzugreifen und sich am Aufbau interpersonaler Vertrauensbeziehungen (in abstrakten Kommunikationsumgebungen) zu beteiligen. Das Ziel ist nicht „Einheit in der Vielfalt“ zu finden, sondern „Gemeinsamkeiten“ unter Wahrung der Vielfalt – auch wenn diese „fits“ nur von kurzer Dauer oder bewusst befristet sind. Genau diese Freiwilligkeit, Kontingenz und Eigendynamik unterscheidet Kohäsion als Merkmal der dritten Globalisierungsphase von den Synthese- bzw. Differenzierungszwängen der beiden ersten Phasen.
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Let’s talk: Vertrauensbildungsprozesse in der interkulturellen Teamentwicklung für virtualisierte Arbeitsumgebungen
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich sowohl (a) in theoretischer Hinsicht wie auch (b) aus der Perspektive der Konzeptualisierung von Maßnahmen der interkulturellen Teamentwicklung zu prüfen, inwieweit der Kohäsionsaspekt für die Verbesserung interkultureller Teamzusammenarbeit in virtualisierten Arbeitsumgebungen fruchtbar gemacht werden kann. a.
Blended Trust?
Der Kohäsionsbegriff konnte sich in den vergangenen Jahren als wichtiger Bestandteil sozialwissenschaftlicher und nicht zuletzt auch interkultureller Theoriebildungen etablierten (u.a. Hansen 2000; Rathje 2004), obwohl er ursprünglich aus der Physik stammt und dort vor allem bei der Erklärung von Oberflächenspannung (z.B. von Wassermolekülen) verwendet wird. Gerade für Fragestellungen der dritten Globalisierungsphase bieten sich hier gute Anknüpfungspunkte, weil Oberflächenspannung ebenfalls ein „Gemeinsames“ (Wasserspiegel) schafft, ohne dabei das Einzelne (Molekül) aufzulösen oder zu integrieren. Allenfalls ist der Zusammenhalt der Moleküle befristet (z.B. bis zum Eintreten einer Störung wie einem Stein, der ins Wasser geworfen wird): Sie gehen auseinander, um als Moleküle einen neuen Zusammenhalt zu „suchen“. Transferiert man dieses physikalische Geschehen auf soziale Vernetzungs- und Vertrauensbildungsprozesse, ist der Aspekt der Oberflächenspannung durchaus wörtlich und theoretisch ernst zu nehmen: Oberflächenspannung entsteht – physikalisch wie sozial – nur durch Nähe. Interpersonale Nähe wiederum ist nur auf der
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Grundlage von Reziprozität10 denkbar, und Reziprozität ist ihrerseits Voraussetzung um Vertrautheit generieren zu können. Vertrautheit basiert aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht auf einem Codeinventar, über das die am Reziprozitätsprozess Beteiligten gemeinsam verfügen, über das sie sich verständigen und – zunächst „an der Oberfläche“ – gemeinsame Bedeutungen, Handlungsroutinen und Plausibilitäten erzeugen. Dieses oberflächenstrukturell „Gemeinsame“ kann freilich sehr unterschiedliche Qualitäten besitzen: z.B. als ‚von außen’ vorgegebene Arbeitsrichtlinie, als lingua franca, die in dem einen Fall lediglich Verständigung, im anderen bereits Verstehen ermöglicht oder als etwas Neues, das von den Interaktanden in oben dargelegtem Sinn von communicare „gemeinschaftlich“ hervorgebracht worden ist. Mit zunehmender Dauer der Reziprozitätsbeziehung nehmen in der Regel auch die Vertrautheitsmerkmale zu. Dass aus Vertrautheit Vertrauen erwachsen kann11, ist allerdings kaum außengesteuert denkbar. Es beruht auf dem Willen und der „Wahl“ der Beteiligten (Strasser/Voswinkel 1997: 218): „Der Aufbau von Vertrauen erfordert in der Regel eine gewisse Beziehungsdauer. Mit ihrer Ausweitung steigt daher die Chance erlebtes Vertrauen als Vertrauensverstärker zu nutzen. Die Freiwilligkeit innerhalb einer Beziehung ist vor allem dann bedeutsam, wenn (noch) keine Vertrauensbasis etabliert ist. Erzwungener Fortbestand hat dann oft kompensatorisches Verhalten zur Folge, die dann leicht eine negative Vertrauensdynamik in Gang setzt.“ (Winand/Pohl 1998:11)
Erst wenn eine Reziprozitätsbeziehung von den Beteiligten gleichermaßen gewollt ist, wenn Bereitschaft, Motivation und Neugierde zu ‚gemeinschaftlicher’ Arbeit bestehen, wenn Synergien gegenüber dem Output des „Bowling alone“ einen offenkundigen Mehrwert versprechen, dann wird auch ein Misslingensrisiko in Kauf genommen und durch interpersonales Vertrauen ‚gedeckt’. Das Risiko des Scheiterns ist unter Kohäsionsbedingungen freilich deutlich höher als unter den Bedingungen kohärenzorientierten Organisationsstrukturen, wie sie für die erste Globalisierungsphase noch typisch waren: Ein (freiwilliger) Zusam10
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Luhmann (2004: 651) beschreibt in diesem Sinn Reziprozität als Grundbedingung zur Schaffung „sozialer Zeit“. Aus globalisierungshistorischer Perspektive nicht uninteressant ist die Tatsache, dass „Reziprozität“ erst seit Mitte der neunziger Jahre als Forschungsthema wieder deutlich an Präsenz gewonnen hat, wobei methodisch auch hier die Zielsetzung im Vordergrund steht, die Kontradiktion von kollektivistischen und individualistischen Theorietraditionen zu überwinden (vgl. Adloff/ Mau 2005: 10). Die Unterscheidung zwischen „Vertrauen“ und „Vertrautheit“ hat Luhmann in prägnanter Weise formuliert: „Vertrautheit ist eine unvermeidbare Tatsache des Lebens; Vertrauen ist eine Lösung für spezifische Risikoprobleme. Jedoch muss Vertrauen in einer vertrauten Welt erlangt werden“ (Luhmann 2001: 144).
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menhalt von Einzelnen ist „flüchtiger“ als ein (zwanghafter) Zusammenschluss zu einem Ganzen. Überträgt man das Modell auf Vertrauensbildungsprozesse in multikulturellen Teams, die in überwiegend virtuellen Arbeitsumgebungen interagieren, verschärft sich die Problematik in zweifacher Hinsicht: Erstens ist die Reziprozitätsbeziehung aufgrund ihrer primär virtuellen Realisierung (z.B. via IT-Medien) deutlich indirekter und flüchtiger als es bei überwiegendem face-to-face-Kontakt der Fall ist. Zweitens wird der (schon aus diesem Grund erschwerte) Aufbau von Vertrautheitskonventionen und -merkmalen nochmals dadurch erschwert, dass die unter Umständen sehr unterschiedlich verlaufenen Sozialisationsprozessse von Mitgliedern multikultureller Teams eventuell nur in rudimentärer Form erlauben, bei der gemeinsamen Arbeit und der dabei permanent geforderten Interpretationsleistung der Einzelnen auch auf gemeinsame Wissensvorräte zurückzugreifen. Oder wie Beck – wenn auch eher mit Blick auf weltgesellschaftliche Zusammenhänge – konstatiert: „diese faktische gemeinsame Gegenwart fußt nicht auf einer gemeinsamen Vergangenheit und garantiert keinesfalls eine gemeinsame Zukunft“ (Beck 2007). Gerade für multikulturelle virtuelle Teams ist das gemeinsame Erschaffen von Plausibilität, Normalitätsroutinen und Zukunftsvisionen unerlässlich, weil nur so Vertrautheitsszenarien entstehen können, die über eine gewisse Dauer hinweg sukzessive zur Verdichtung der „Oberflächenspannung“ beitragen. Auf diese Weise wird nicht nur die Handlungskoordination und damit die Tragfähigkeit der einzelnen Reziprozitätsbeziehung verbessert, sondern es entwickelt sich auch eine Handlungskontinuität, die dafür sorgt, dass sich nach und nach Tiefenstrukturen herausbilden können, die dem flüchtigen Zusammenhalt aktueller Reziprozität „Festigkeit“ durch die Möglichkeit des Rekurses auf einen gemeinsamen Interpretationsvorrat verleihen. In dieser Phase des „Gemeinschaftlichmachens“ ist das aufgebaute Vertrautheitsniveau so tragfähig, dass die Beteiligten es wagen können, das „Risiko Vertrauen“ einzugehen: Das mehr oder minder unverbindliche Nebeneinander der Multikulturalität wandelt sich zum interkulturellen Miteinander, zum interkulturellen ‚Zusammenhalt’. Koordination und Kontinuität als die entscheidenden Faktoren dieses Prozesses werden aus kulturtheoretischer Perspektive zu Recht als Grundpfeiler der Konstitution von Kultur verstanden (Assmann/Assmann 1994: 114). In diesem Sinn markieren „Interkulturen“ (Bolten 1993: 270), auch wenn sie selbst im Wesentlichen als tiefenstrukturell schwach verankerter Prozess zu verstehen sind, potentiell stets den Beginn der Entstehung von Kulturen. Wo die an „Interkulturen“ Beteiligten gemeinschaftlich und synergetisch etwas „Eigenes“ hervorbringen, das in der Ausgangssituation nicht erkennbar war, ist der Übergang
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von Vertrautheit zu interpersonalem Vertrauen und zugleich der Ursprung einer eigenständigen gemeinsamen Kultur markiert. Wie sich diese Kultur entwickelt, ob sie komplexere Tiefenstrukturen auszubilden und andere Reziprozitätsnetzwerke an sich zu binden vermag, oder ob sie nach einiger Zeit als inaktiver „Knotenpunkt“ in Vergessenheit gerät, ist umso schwerer voraussehbar, desto vielfältiger die Netzwerkimpulse und desto höher die Reziprozitätsdynamiken sind. Die Vielfalt der Schnittstellen für potentielle Kohäsionsmöglichkeiten hat sowohl auf individueller Mikro-, als auch auf institutioneller Makroebene quantitativ zu einer so undurchschaubaren Komplexität geführt, dass der Schutz vor den damit verbundenen Risikopotentialen auch künftig nur im Rückzug auf Formen abstrakten Vertrauens bestehen kann. „Vertrauen in einer komplexen und dynamischen Gesellschaft kann daher nicht mehr nur auf Vertrautheit beruhen“ (Strasser/Voswinkel 1997: 220), sondern generiert sich als eine Art „blended trust“ im Kraftfeld von zentrifugal wirkendem abstrakten Vertrauen und zentripetal wirkendem interpersonalen Vertrauen. Derartige Kraftfelder eines „blended trust“ sind für das Handeln in Globalisierungskontexten bestimmend. Sie entscheiden darüber, wie sich Schließungsund Öffnungsbewegungen in sozialen Handlungsfeldern zueinander verhalten und welches Mischungsverhältnis resultiert: Überwiegen die zentrifugalen Kräfte, wird der Einzelne im Sinne unseres ‚Bowlers’ „flüchtig“, er wird aufgrund von Omnipräsenzzwängen weggezogen von sich bietenden Schnitt- und „Anker“stellen. Überdies lässt er die soziale Nähe nicht zu, die notwendig ist, um eine Kohäsion, Zusammenhalt und damit den Aufbau von Interkulturen zu initiieren. Überwiegen hingegen die zentripetalen Kräfte, tritt der umgekehrte Fall ein: Der Einzelne kapituliert vor der sich bietenden Vielfalt, bindet sich an eine Schnittstelle, assimiliert sich, ignoriert „diversity“ und sucht nach ‚geschlossenen’, dauerhaften Kohärenzstrukturen, die es allerdings zumindest in Globalisierungszusammenhängen faktisch nicht mehr gibt. Beide Extrempositionen sind für sich genommen nicht kohäsionsfähig: Zentrifugales Handeln ist an Gleichzeitigkeit, „Omnipräsenz“ Dynamik und „Flüchtigkeit“ ausgerichtet, also an Merkmalen, die eher für virtuelle Umgebungen charakteristisch sind, die Koordination aber nicht Kontinuität bewirken. Umgekehrt intendiert zentripetales Handeln primär Kontinuität und scheitert an Koordinationsaufgaben, wenn die damit verbundene Vielfalt zu komplex ist – auch, wenn es z.B. darum geht die „diversity“ multinationaler Teams anzuerkennen und zu wahren. Assmanns These, dass sich erst im Zusammenspiel von Koordination und Kontinuität die Voraussetzungen erfüllen, damit eine eigenständige und lebensfähige „Kultur“ entstehen kann (Assmann/Assmann 1994: 114f), ist damit bestätigt. Gleichzeitig dürfte damit – zumindest handlungstheoretisch – widerlegt
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sein, dass multikulturelle Teams und virtualisierte Arbeitsumgebungen per se nicht zusammen passen. Im Gegenteil: Gerade wenn die Mitglieder eines multikulturellen Teams global verstreut arbeiten, stellen virtuelle Szenarien jene Gleichzeitigkeit her, die überhaupt erst koordiniertes Handeln ermöglicht. Kontinuität als zweite Bedingung für die Schaffung einer – in diesem Fall arbeitsoder teambezogenen und zudem mehr oder minder virtuellen – „Kultur“ entsteht dann dadurch, dass die Beteiligten von der virtuellen Koordination ihrer vielfältigen Standpunkte zur Kooperation gelangen, zu einem gewollten Miteinander, das vor allem dann nach Wiederholung und Dauer verlangt, wenn der output für alle Beteiligten einen Mehrwert darstellt. b.
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Wie lassen sich solche Prozesse, wie wir sie hier aus handlungstheoretischer Perspektive zu erfassen versucht haben, in der Praxis fördern und begleiten? Aus Sicht der interkulturellen Personalentwicklung bieten sich als Maßnahmeninstrumente insbesondere Coachings an, weil sie prozessbegleitend on the job stattfinden und auf diese Weise auch am unmittelbarsten Beobachtungen und Analysen ermöglichen. Wie für den kohäsionsorientierten Prozess Freiwilligkeit eines der wichtigsten Merkmale darstellt, so gilt gleiches um so mehr für die Metaebene des Coachings. Gerade kohäsionsorientierte Coachingmaßnahmen müssen von allen Beteiligten gewünscht und akzeptiert sein, um den Teamprozess fördern zu können. Ist dies nicht der Fall, kann sich das Coaching störend und letztlich kontraproduktiv auf die Teamentwicklung auswirken. Im Rückgriff auf die Kernaspekte unserer Überlegungen zum kohäsionsorientierten Handeln lassen sich für die Konzeptualisierung entsprechender Teambuilding- und Coachingmaßnahmen eine Reihe von Zielorientierungen ableiten, die in die Betreuung und Moderation multikultureller Teams in virtualisierten Arbeitsumgebungen einfließen sollten. Der Übersichtlichkeit halber unterscheiden wir zwischen (a) Prozessanstoß (b) Team-Koordination (c) Prozesskontinuität und (d) Nachhaltigkeit. Es handelt sich hierbei nicht um ein Phasenmodell: Jeder der vier Aspekte kann – wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung – in allen Phasen eines Teamprozesses eine Rolle spielen: (a) Von „Prozessanstoß“ sprechen wir, wenn sich das einem Teamprozess zugrunde liegende Kräftespiel in existentieller Weise verändert. Abgesehen von der Phase der Teamgründung geschieht dies vor allem dann, wenn es um die Einbindung neuer oder phasenweise inaktiver Mitglieder geht, oder wenn die sich Reziprozitätsdynamik zwischen einzelnen Teammitgliedern suboptimal entwickelt hat. Interkulturelles Teambuilding/ Coaching kann mit Hilfe ver-
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schiedener Maßnahmen bei der Initiierung von Kohäsionsbildungsprozessen unterstützend wirken. Hierzu zählen
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ein offizielles Kick-off(-again), bei dem alle Mitglieder anwesend sind (vgl. Köppel 2006: 328ff). Auch im Fall einer vollständig virtuell konzipierten Arbeitsumgebung sollte dieser (Wieder-)Anstoß im Rahmen eines face-toface-Treffens stattfinden. Virtuelle Formen der Begegnung (z.B. WebConferencing) stellen – schon wegen der fehlenden physischen Nähe – eine deutlich größere Hemmschwelle dar, wenn es darum geht, den ersten Schritt vom Neben- zum Miteinander zu gehen und „affektives Vertrauen“ aufzubauen (Maznevski/ Davison/ Barmeyer 2005: 97). Förderung der (Selbst-)Motivation der einzelnen Mitglieder zur (virtualisierten) Teamarbeit durch Hinweise auf die grundsätzlichen Mehrwertpotentiale einer multikulturellen und dementsprechend durch Vielfalt geprägten Wissensbasis (einen guten Überblick über entsprechende Forschungsergebnisse vermittelt Jedrzejczyk 2007: 44ff). Förderung der Initiativbereitschaft der einzelnen Mitglieder. Vor allem für virtualisierte Arbeitsumgebungen gilt: Je mehr Mitglieder bereit sind Impulse nicht nur aufzunehmen und zu verarbeiten, sondern selbst zu versenden, desto höher wird die Eigendynamik des Teamprozesses und desto symmetrischer gestaltet sich der Teamzusammenhang.12 Unterstützung von Maßnahmen, die der Entstehung von Wiedererkennbarkeit, von Handlungsroutinen und damit von Vertrautheit dienen (vgl. Stumpf 2005: 128ff). Hierzu zählt nicht zuletzt, dass die Bedingungen für eine optimale kommunikative und insbesondere sprachliche Handlungsfähigkeit des Teams gemeinsam erarbeitet und z.B. in einer Zielvereinbarung festgehalten werden. Auf diese Weise kann kommunikativem Vermeidungsverhalten vorgebeugt werden. Zur Orientierung des Coaches, um Diagnosen zum Status quo des Teamprozesses durchführen zu können: Bereitstellung von Instrumenten zur Beschreibung der Prozessdynamiken, die den Teambildungsprozesse bestimmen. Als methodisch hilfreich erweisen könnte sich hier eine Übertragung des von Rathje (2004: 223) erarbeiteten Interdependenzmodells der vier
Bezogen auf die Coachingmethode ist dieser Aspekt zweifellos sehr „westlich“ gedacht. In Abhängigkeit von der Teamzusammensetzung kann ein weitgehender Verzicht auf Hierarchien durchaus kontraproduktiv wirken. Bei der Konzeptualisierung interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen ist es daher unerlässlich deren eigene Kulturspezifik zu thematisieren und bewusst zu halten. Die Zusammenarbeit mehrerer Coaches bietet in diesem Sinn überhaupt erst die Chance, wirklich interkulturelle Konzeptualisierungen interkultureller Coachings zu entwickeln.
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Dynamiken interkultureller Unternehmenskulturen (Anpassung – Abwehr – Integration – Hybridisierung). (b) Team-Koordination erfolgt im Wesentlichen unter synchronen Gesichtspunkten. Wichtig sind:
Sicherstellung eines entsprechend den Gegebenheiten bestmöglichen Funktionierens von Kommunikationsnetzwerken und -instrumenten, mit deren Hilfe das Team virtuell verbunden ist (u.a. Auswahl der für das Netzwerk optimalen und hinsichtlich ihrer Komplexität angemessenen Kommunikationstechnologie) Gewährleistung eines möglichst hohen Grades von Gleichzeitigkeit und Multisensualität z.B. durch die Verwendung synchroner, nicht nur auf Schrift oder Audio eingegrenzter Medien (z.B. Virtual Classrooms, Telekonferenzen, soweit dies von den Gegebenheiten her realisierbar ist). Initiierung und Unterstützung eines Informationsflusses, der sich durch eine hohe aber dennoch angemessene Impulsquantität13 sowie durch eine über die Netzwerkknoten hinweg gleichmäßig verteilte Informationsdichte auszeichnet. Unterstützung bei der Aufgabenstrukturierung (Maznevski/ Davison/ Barmeyer 2005: 105). Permanente „Rufbereitschaft“ eines E-Coaches, der im optimalen Fall sowohl die Kompetenzen eines Prozessmoderators als auch die eines Systemadministrators in sich vereinigt.
(c) Um Kontinuitäts- und Vertrauensbildungsprozesse in multikulturellen Teams positiv verstärken zu können, ist auch aus der Coaching-Perspektive eine Kontinuität der Prozessbegleitung wesentlich: Ein Coach, der mit der „Historizität“ eines Teams aus eigener Erfahrung vertraut ist, kann dessen Stärken und Schwächen einschätzen und sein (im Prozess erworbenes) Wissen für die Moderation von Synergiebildungen nutzbar machen. Für das Verhältnis von Coach und Coachee gilt die bereits erwähnte Maxime „Vertrauen braucht Dauer“ folglich genau so wie für das Verhältnis der Coachees untereinander. Kontinuitätsstiftend wirken hierbei alle Maßnahmen, die das besagte „Gemeinschaftlichmachen“ i.S. von „communicare“ befördern. Hierzu zählen u.a. 13
Loose/ Sydow (1994: 184). thematisieren in diesem Kontext den Zusammenhang. zwischen Vertrauensbildung und „Netzwerkdichte“: „Eine erste strukturelle Bedingung, die Vertrauensbildung im Netzwerk stimulieren kann, ist die Häufigkeit und Offenheit interorganisationaler Kommunikation“. Verf. stellen damit einen Zusammenhang zwischen Vertrauensbildung und „Netzwerkdichte“ her.
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Die gemeinsame Erarbeitung von für alle Beteiligten verbindlichen Reziprozitätsregeln, von Zielvereinbarungen, von Visionen. Auf diese Weise wird Zukunft – auch wenn sie befristet ist – in verbindlicher Form als Handlungsziel für alle konstruiert. Die Speicherung von gemeinsam erarbeiteten Ideen, Visionen – auch wenn sie zunächst nicht weiterverfolgt werden, sowie von Dokumentationen (Bilder, Videos, Protokolle etc.) gemeinsamer Meetings: Für die Erarbeitung eines solchen „Archivs“ hilfreich ist die Verwendung von Wissensmanagementsystemen, die interaktiv konstruiert sind und auf Formen des textprocessing zielen wie z.B. Internet-Plattformen mit Wikis, Linkings, „Visitenkarten“, Foto-Galerien und Videocast-Uploadmöglichkeiten (vgl. Bolten 2007). 14 Gespeicherte Dokumente werden als Zeugnisse einer gemeinsamen Vergangenheit wiederverwendbar, wenn die Diversität der Gruppe in aktuellen Teamprozessen einmal dazu führen sollte, dass gemeinsame Handlungsgrundlagen kurzfristig zu verschwimmen drohen. Die bewusste Pflege des „sozialen Gedächtnisses“ eines Teams, indem gemeinsam erbrachte Leistungen nachhaltig dokumentiert und damit als Bestandteile einer Tiefenstruktur ‚fest verankert’ werden (z.B. der Hinweis auf erarbeitete Produkte oder erworbene Auszeichnungen in Bannern bzw. in Mail-Signaturen). Förderung der Kommunikationsfähigkeit: Virtuelle Kommunikation unterliegt anderen Regeln als face-to-face-Kommunikation, und wer dies nicht gewohnt ist, kann Kontinuitäts- und Vertrauensbildungsprozesse ungewollt empfindlich stören.15 Förderung von metakommunikativen Prozessen: Die Kommunikation über Kommunikations- und Handlungsprozesse ist bei multikulturell zusammengesetzten Teams gleichermaßen wichtig und heikel. Wichtig, weil die semantischen Schemata, mit denen die einzelnen Teammitglieder Wirklichkeitskonstruktionen vornehmen, aufgrund der unterschiedlichen Sozialisationsverläufe zum Teil deutlich voneinander abweichen werden, und nur eine Thematisierung dieser Differenzen Missverständnisse verhindern kann. Heikel, weil das Thematisieren von Nicht-Verstandenem oder NichtVerständlichem immer auch Mut erfordert, weil man damit ein Risiko eingeht. Allerdings dokumentiert sich gerade auf diese Weise Vertrauen, handelt es sich doch in oben ausgeführter Bedeutung von „Vertrauen“ um ein Beispiel hierfür ist eine Plattform, die für indisch-deutsche Arbeitsgruppen der IT-Technologie entwickelt worden ist: www.interkulturelles-portal.de/indien Typische Kontinuitätsstörungen in der Forumskommunikation entstehen z.B. immer dann, wenn ein Autor seinen Beitrag mit der Äußerung eines abgeschlossenen Standpunkts statt mit einer Frage beendet.
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Risiko, das zum Zweck der Risikominimierung eingesetzt wird. Bei der Konzeptualisierung von Maßnahmen, die auf die Realisierung von Metakommunikation zielen, ist in ganz besonderer Weise die Kulturspezifik metakommunikativer Praxis zu berücksichtigen: Metakommunikation selbst gibt es überall, aber die Realisation ist unterschiedlich; vor allem, was den Grad der Direktheit betrifft, der metakommunikativem Handeln zugrunde liegt. Metakommunikation jedoch nicht schon deswegen als „vertrauensmindernd“ deklariert werden, weil das Risiko besteht, das situationsspezifisch angemessene Maß an Direktheit zu verfehlen (Köppel 2006: 335ff). Sie bleibt für den Prozess von entscheidender Bedeutung. Eher lenkt dies den Blick auf eine methodologische Herausforderung, die von der interkulturelle Personalforschung bislang noch nicht hinreichend diskutiert worden ist: Es geht um die Frage der Interkulturalität interkultureller Personalentwicklungsmethoden, darum, inwieweit Methoden des Coachings – und dazu zählen metakommunikative Interventionen – gemeinsam mit den Beteiligten „ausgehandelt“ werden müssen, dürfen und können. Unterlässt man eine solche Diskussion, läuft das Coaching (und gleiches gilt für interkulturelle Training) Gefahr, aus unbedachtem Ethnozentrismus heraus zu misslingen. Initiiert man eine solche Diskussion mit den Coachees, könnte das zu einer Überforderung führen und als unangemessen zurückgewiesen werden. Von daher spricht vieles dafür, multikulturelle Gruppen nicht monokulturell zu betreuen, um auf diese Weise eine „gemeinschaftliche“ Methodenformulierung seitens der Coaches zu ermöglichen. Unterstützung von Maßnahmen, die dazu dienen, innerhalb des Teams zumindest ansatzweise eine Vertrautheit mit den „Lebensgeschichten“ und lebensweltlichen Sozialisationskontexten der einzelnen Mitglieder zu gewinnen. Dies gilt in makro- wie in mikrokultureller Hinsicht und kann landeskundliche Informationen genauso einschließen wie persönliche Geschichten. Hierfür eigenen sich z.B. Themenforen, die mit dem Arbeitsprojekt in einem weiteren Zusammenhang stehen, und den Einzelnen die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Standpunkte und Erfahrungen zu äußern und zur Diskussion zu stellen. Ziel ist es, Diversität bewusst zu halten und Einblick in die Kulturspezifik des Denkens und Handelns der Interaktionspartner zu gewinnen.16 Identifikation und Focussierung von Synergiepotentialen (vgl. Köppel 2006: 384).
Dies gilt unter anderem z.B. auch in Hinblick auf Thematisierungen der Kulturgebundenheit von „Reziprozität“ (vgl. Adloff/Mau 2005: 19) oder „Vertrauen“ (vgl. u.a. Winand/Pohl 1998: 11; Thomas 2004: 27 ; Möllering/ Stache 2007: 21).
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(d) Während Teamkoordination und Kontinuitätssicherung gleichermaßen Bedingungen wie Funktionsweisen einer Team-Interkultur darstellen und von daher größte Zurückhaltung in Bezug auf Außen-Interventionen geboten sein sollte, ist dies in Phasen des Prozess-Anstoßes und der Nachhaltigkeitssicherung in weniger ausgeprägter Form der Fall. Insbesondere die Nachhaltigkeitssicherung stellt eine Aufgabe dar, die für die Teammitglieder selbst schon deswegen eine untergeordnete Rolle spielt, weil sie nach Abschluss eines Projekts in der Regel andere Aufgaben in anderen Teams oder zumindest in veränderten Teamkonstellationen erhalten. Dennoch: im Verlauf des Teamprozesses ist bei geglückter Kohäsion und bei entsprechender Dauer eine (Inter)kultur mit eigenständigen Tiefenstrukturen und interpersonalen Vertrauenspotentialen entstanden, die vermutlich weit über das Projektende hinaus lebensfähig sein könnte. In der Regel werden die besonders aktiven Netzverbindungen aber nur noch begrenzte Zeit in eher inoffizieller Form weitergeführt, verlieren dann an Impulskraft und geraten nach und nach aus dem Blickfeld der Aktualität. Dass sie dennoch im ‚sozialen Gedächtnis’ der Teammitglieder verankert bleiben, belegen Begegnungen, die nach vielen Jahren „schlafender“ Reziprozität auf dem gleichen Vertrauensniveau wieder einsetzen, auf dem die Teamarbeit beendet wurde. Mit zunehmender Veränderungsdynamik und Pluralisierung der Arbeitsbeziehungen wird die Wahrscheinlichkeit, dass Mitglieder eines aufgelösten Teams – in welcher Rolle auch immer – zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammenarbeiten immer größer. In diesem Sinne sind Unternehmen gut beraten ein NachhaltigkeitsCoaching zu institutionalisieren, das entsprechende Ressourcen in transparenter Weise systematisiert. Dazu zählt z.B. eine aktive Einbindung der Team„Alumnis“ in die Unternehmenskommunikation – selbst dann, wenn sie nicht mehr Mitglied des Unternehmens sind. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den in diesem Beitrag vorgestellten Ideen zu einem kohäsionsorientierten Coaching um eine Skizze handelt, die vor allem eine Diskussion über mögliche neue methodische und methodologische Neuorientierungen der interkulturellen Personalentwicklung anregen möchte. Dabei geht es zum einen um die beschriebenen inhaltlichen Aspekte, unter denen die Kohäsions- und die Vertrauensthematik zweifellos einen prominenten Platz einnehmen. Es geht aber auch um die Frage, wie eine interkulturelle Entwicklung von Methoden interkultureller Trainings und Coachings konzeptualisiert und praktiziert werden kann. Vor allem in asiatischen Fachdiskursen wird sehr deutlich und teilweise auch kritisch auf die „westlich“ geprägte Kulturspezifik interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen hingewiesen (vgl. Sinha u.a. 2002). Dies sicherlich zu Recht, spiegelt doch letztlich der interkulturelle Methodenmain-
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stream relativ genau die beschriebene Paradigmenentwicklung des – zumindest westlich initiierten – aktuellen Globalisierungsprozesses. Die erste, standardisierungs- und kohärenzorientierte Phase fand ihren Widerhall in makrokulturellnationalstaatlich ausgerichteten Auslands-Vorbereitungstrainings, die vorwiegend mit Übergeneralisierungen z.B. im Rahmen von „Kulturdimensionen“ arbeiteten. Verwendet wurden (und werden) derartige Modelle, weil sie komplexitätsreduzierend arbeiten und die Wirklichkeit internationalen Handelns klar strukturieren. Damit soll die Legitimität „landeskundlicher“ Vorbereitungstrainings nicht in Frage gestellt werden, aber vielfach haftet ihren Übungstypen ein generalisierender Charakter an, der Homogenität suggeriert, wo sie gar nicht mehr existiert und – konstruktivistisch gewendet – gerade dadurch die Überwindung von Stereotypen behindert. Das in diesem Zusammenhang häufig geäußerte Trainerargument, jeder wisse ja, dass in Trainings beschriebene Nationaleigenschaften oder andere Formen makrosozialer Kategorisierung („Dimensionen“) nicht so ernst genommen werden dürften, letztlich das Gegenteil von dem, was es intendiert – oder es zieht die Glaubwürdigkeit der Trainings in Zweifel. Mit dem ersten Paradigmenwandel der Globalisierung, hin zur DiversityPhase, entwickelten sich aus der Kritik an der Stereotypen- und Vorurteilsgenerierung der Dimensionen-Trainings methodische Positionen, die entgegengesetzte Blickrichtungen einnahmen und sich auf mikrokulturelle Aspekte focussierten: Im Mittelpunkt standen diskursanalytische Untersuchungen multikultureller Kleingruppen oder interkulturelle Fallstudien. Beide waren (und sind) an Fragen der „diversity“ interessiert und lenkten ihr Interesse vor allem auf konkrete interkulturelle Missverständnissituationen. Damit wurde das Strukturdenken der ersten Phase sukzessiv von Prozessanalysen abgelöst. Gegenstand waren allerdings in der Regel interkulturelle Missverständnisse, die – sofern ihre deren Thematisierung den Schwerpunkt interkultureller Trainings darstellt – dazu verleitet, interkulturelles Handeln generell als problematisch einzuschätzen und selbst eine defensive Position einzunehmen (vgl. Schlamelcher 2003: 77). Eine solche Bowler- Haltung erweist sich ebenso wie die auf ein „Nebeneinander“ zielende Blickrichtung kulturvergleichender Studien als kontraproduktiv, wenn es – nahe liegender Weise konstruktiv - um interkulturelles Teambuildung geht. Vieles deutet derzeit darauf hin, dass das westlich-monotheistische „Entweder-Oder“-Denken in der dritten Globalisierungsphase einem asiatischen „Sowohl-als-auch“ weichen könnte. Das würde an dem angedeuteten methodologischen Grundproblem interkultureller Personalentwicklung allerdings nicht viel ändern. Viel versprechend wäre es hingegen zu überlegen, wie ein Prinzip des „Sowohl ‚Entweder-Oder’ als auch ‚Sowohl-als-auch’“ in konkrete interkulturelle Methodenüberlegungen transferiert werden könnte. Immerhin ist der oben beschriebene Ausgleich zwischen zentrifugalen und zentripetalen Kraftrichtun-
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gen anscheinend ja auch und gerade dadurch erreichbar, dass ein Oszillieren zwischen Öffnung und Schließung, Standardisierung und Differenzierung, abstraktem und personalem Vertrauen stattfindet, dass zweiwertige und mehrwertige Logiken in kohäsiver Weise „gemeinschaftlich“ existieren können.
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Vertrauensaufbau in internationalen Geschäftsbeziehungen: Anregungen für ein akteursorientiertes Forschungsdesign Guido Möllering
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Einleitung: Positive Wendung des Vertrauensdilemmas?
Ein typisches Merkmal von Vertrauen ist, dass wir es häufig dann besonders brauchen, wenn es schwer zu erlangen ist. Internationale Geschäftsbeziehungen stellen geradezu den klassischen Fall dar, in dem dieses „Vertrauensdilemma“ (Kühlmann 2004: 69) auftritt (vgl. z.B. auch Child 1998; Zaheer/ Zaheer 2006). In einem kulturell und institutionell unvertrauten Kontext wäre es besonders wichtig Verwundbarkeit und Ungewissheit durch Vertrauen aufzuheben, doch gerade dort fällt das nicht leicht. Nach Niklas Luhmann (1989: 20) „ist Vertrauen nur in einer vertrauten Welt möglich“ und braucht Anhaltspunkte für die eigentliche Vertrauensleistung: die überzogene Erwartung einer positiven Zukunft. Diese Anhaltspunkte sind in der Fremde und in Fremden schwerer zu erkennen. Folgt daraus unweigerlich ein internationale Geschäftsbeziehungen hemmendes Misstrauen oder können wir trotz widriger Umstände Vertrauen aufbauen? Womöglich steckt in dem Vertrauensdilemma sogar eine strategische Chance im betriebswirtschaftlichen Sinne (Barney/ Hansen 1994): Wer das Dilemma auflösen und vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen über kulturelle und institutionelle Grenzen hinweg schaffen und erhalten kann, der hat einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz, die mit ihren internationalen Partnern mangels Vertrauen scheitert. Dies könnte zum Beispiel zumindest teilweise erklären, warum einige deutsche Firmen Rückverlagerungen aus dem Ausland vornehmen, andere jedoch nicht (vgl. Schulte 2002). Gibt es Unternehmen, die international besonders vertrauensfähig sind und dadurch mehr von der Globalisierung profitieren können als andere? Hinter dieser vordergründig betriebswirtschaftlichen Frage verbirgt sich ein allgemeines Erkenntnisinteresse: Wir möchten nicht nur verstehen, wodurch Vertrauen erschwert wird, sondern auch, mit welchen Mitteln es (dennoch) erreicht wird. Dieser Beitrag geht davon aus, dass die Erforschung von Vertrauen in internationalen, interkulturellen Kontexten neue Impulse braucht. Dabei handelt es sich um ein altes, klassisches Thema: Was unterscheidet uns von Fremden? Wie
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gehen wir mit Fremden um? Wie können wir sie verstehen? Wie verhalten wir uns in der Fremde? Von St. Ambrosius (4. Jh. n. Chr.) soll der Ratschlag stammen, dass man sich an die Sitten vor Ort anpasse: Si fueris Romae, Romano vivito more; si fueris alibi, vivito sicut ibi. Aus vielerlei Gründen ist dieser Rat heute vielleicht nicht völlig obsolet, jedoch zunehmend unbefriedigend. Zeitgemäßer erscheint ein Ansatz, der die Kreativität der Beteiligten betont, durch die sie die kulturelle und institutionelle Unvertrautheit, Unsicherheit und Komplexität gemeinsam reduzieren, anstatt sie einseitig zugunsten der lokalen ‚Leitkultur‘ aufzulösen oder vor kulturellen Unterschieden zu kapitulieren. Im Folgenden werden Anregungen für eine diesem Ansatz entsprechende Forschung gegeben. Es wird ein offenes, induktives Forschungsdesign favorisiert sowie eine Abkehr von statisch-strukturellen Erklärungen hin zu dynamischprozessualen Interpretationen. In zwei größeren Abschnitten wird zunächst die Vermeidung konzeptioneller Schließung bei den Grundbegriffen Kultur, Institution, Vertrauen und Erfolg empfohlen und anschließend die Fokussierung auf die Aktivität und Kreativität der Akteure angeregt, bevor zum Schluss die möglichen Beiträge einer derartigen Forschung resümiert werden.
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Vermeidung konzeptioneller Schließung bei den Grundbegriffen
Uneinheitliche oder gar konkurrierende Begriffsdefinitionen sowie die sich daraus ergebenden Probleme der Validität und Vergleichbarkeit empirischer Ergebnisse werden oft als ein Manko der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung betrachtet. Für das vorliegende Thema wäre es jedoch geradezu absurd anzunehmen, dass Konstrukte wie Kultur, Institution, Vertrauen und Erfolg universell definierbar und messbar sind. Denn selbst wenn man hier prinzipiell eine Einigung zwischen verschiedenen Forschungsdisziplinen herstellen könnte, so müssten die Forscher immer noch dafür offen bleiben, dass die von ihnen untersuchten Akteure eben kein einheitliches Verständnis der vier genannten Konstrukte haben. Genau darin liegt in der Praxis ein Konfliktpotential – und auch ein Konfliktlösungspotenzial – während in der Theoriebildung dementsprechend ein Grounded Theory-Ansatz à la Glaser und Strauss (1967) angebracht erscheint. Unsere unweigerlich in vielerlei Hinsicht vorgeprägten Konzepte und Analyserahmen müssen zumindest ein Maß an Offenheit aufweisen, das empirische Bedeutungsunterschiede zulässt, erkennt und nutzt. Wie können wir Kultur, Institutionen, Vertrauen und Erfolg mit den Augen des Betrachters sehen?
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2.1 Kultur: Wertvorstellungen, Bedeutungssysteme, Handlungsrepertoires Was ist Kultur? Anstatt zu versuchen, eine eindeutige Antwort zu geben, können wir – gerade in frühen Phasen eines Forschungsprojektes – davon profitieren, verschiedene Perspektiven auf Kultur nebeneinander zu stellen, zu hinterfragen und in Beziehung zu setzen. Eine erste, nach wie vor weit verbreitete Perspektive richtet den Blick mit Max Weber und Talcott Parsons auf die in einer Gesellschaft vorherrschenden Wertvorstellungen, an denen sich interessengeleitetes Handeln orientiert. Für Clifford Geertz (1973) hingegen werden Kulturen vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder auf ein gemeinsames Bedeutungssystem zurückgreifen, also Ereignissen und Symbolen den gleichen Sinn zuordnen. Ann Swidler (1986) wiederum meint, dass man Kultur als typisches Handlungsrepertoire verstehen sollte: Gewohnheiten, Fähigkeiten, Stil. Sind diese drei Perspektiven vereinbar? Einerseits nein, denn wir können von einer bestimmten Handlung nicht ohne Weiteres auf ihren Sinn und die mit ihr verfolgten Werte schließen und wir können umgekehrt auch nicht Werte identifizieren und dann annehmen, dass sie überall den gleichen Sinn haben und mit den gleichen Handlungen zum Ausdruck gebracht werden. Andererseits sind die drei Perspektiven genau deshalb vereinbar, weil sie erst gemeinsam das Zusammenspiel von Werten, Bedeutungen und Handlungen in interkulturellen Kontexten analysierbar machen. Wenn sich Kulturen begegnen stellt sich die Frage, wie stark sie sich in ihren Wertvorstellungen, in ihren Bedeutungssystemen und in ihren Verhaltensmustern unterscheiden. Verschiedene Konstellationen sind denkbar. Man vertritt sehr ähnliche Werte (z.B. Ehrlichkeit), versteht aber nicht, welchen Sinn das für die andere Seite hat (z.B. Schutz des Einzelnen vs. Schutz der Gemeinschaft), und auch nicht, welches Verhalten der andere (noch) als ehrlich einstuft und welches nicht (z.B. Schweigen und Lügen). Oder man verhält sich ganz ähnlich (z.B. Vertragsunterzeichnung), misst dem aber einen unterschiedlich Sinn bei (z.B. Eingehen einer Verpflichtung vs. Eingehen einer Beziehung) und strebt einerseits nach Wohlstand und andererseits nach Sicherheit. Es gilt, den Blick sowohl dafür zu schärfen, wo die Unterschiede liegen, also auch dafür, wo Kulturen bereits nah beieinander liegen und es entsprechende Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte gibt. 2.2 Institutionen: Vielfalt und Verlässlichkeit von Regeln Wenn in internationalen Geschäftsbeziehungen Akteure aus verschiedenen Kulturen miteinander zu tun haben, dann ist auch der institutionelle Kontext dieser Beziehungen und Begegnungen von enormer Bedeutung (Ayios 2004). Zwei grundsätzliche Aspekte sind hier besonders von Belang: Erstens ist damit zu
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rechnen, dass die Beteiligten die relevanten Institutionen mit ihrer Vielfalt von Regeln unterschiedlich gut kennen und durchschauen und dass für diejenigen, die sich in einen fremden institutionellen Kontext begeben, die subjektiv wahrgenommene Ungewissheit und Verwundbarkeit steigt. Zweitens interessieren uns in der Forschung häufig die sogenannten Transformationsgesellschaften in Asien (Child 1998; Humphrey 1998) und Osteuropa (Ayois 2004; Welter 2004), wo auch objektiv aus verschiedenen Gründen die Verlässlichkeit so mancher Institutionen für Fremde wie Einheimische oftmals eher gering ist. Wir sollten daher in empirischen Forschungen über internationale, interkulturelle Beziehungen stets auch im Blick haben, wie die Beteiligten zum jeweiligen institutionellen Kontext stehen. Um dies tun zu können, brauchen wir einen Institutionsbegriff, der – wie der Kulturbegriff – zunächst lieber nicht zu eng gefasst werden sollte, selbst wenn daraus Abgrenzungsprobleme gerade auch zwischen Institution und Kultur resultieren. Im Kern sind Institutionen relativ stabile und selbstverständliche Regelsysteme (Jepperson 1991), die jedoch eine Reihe unterschiedlicher Merkmalsausprägungen aufweisen können, welche in den verschiedenen Strömungen der institutionalistischen Theorien jeweils mehr oder weniger stark betont werden (vgl. DiMaggio/ Powell 1991; Scott 2001; Lounsbury 2006). Institutionelle Regeln können bewusst geschaffen und institutionalisiert werden oder eher emergieren. Sie können formalisiert oder eher informell sein (North 1990) und explizit oder eher implizit gelten. Sie können ganze Gesellschaften betreffen oder nur Teile davon (Felder). Ferner können sie durch Sanktionen (Legitimität; Ressourcen) durchgesetzt werden oder sich eher Dank ihrer Selbstverständlichkeit reproduzieren und durch mehr oder weniger bewusste Nachahmung verbreiten (Isomorphismus; vgl. DiMaggio/ Powell 1983). Nach Richard Scotts (2001) Drei-Säulen-Modell ruhen Institutionen auf einer regulativen, normativen und kulturell-kognitiven Säule. Jede Säule impliziert eigene Grundlagen, Mechanismen und Logiken. Empirisch stellt sich jeweils die Frage, welche der Säulen am stärksten trägt. Konzeptionell ist daran problematisch, dass die normative und die kulturell-kognitive Säule der Institutionen weitgehend den Begriff der Kultur einschließen, während es umgekehrt auch Definitionen von Kultur gibt, die Institutionen subsumieren. Wenn wir uns jedoch in der Empirie an der einfachen Frage orientieren, welche Regeln – im weitesten Sinne – in einer Geschäftsbeziehung für die Beteiligten mehr oder weniger relevant, bindend und verlässlich sind, dann gewinnen wir zumindest einige zusätzliche Beobachtungen und Erklärungsansätze. Am deutlichsten wird dies in interkulturellen Beziehungen, wo für beide Seiten der unsichere institutionelle Kontext ein Problem darstellt (z.B. Child 1998; Ayios 2004; Möllering/Stache 2007). Dort fehlt es nämlich nicht an Kultur, sondern an bestimmten
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verlässlichen Regeln, die in Scotts Modell überwiegend zur regulativen Säule zu rechnen wären. Mit den Begriffen Kultur und Institution bringen wir letztlich zum Ausdruck, dass wir verstehen wollen, woran sich die Akteure orientieren, wenn sie miteinander in Interaktion treten, und wie ihre Beziehung sozial eingebettet ist (Zukin/DiMaggio 1990). Dazu müssen wir die Perspektive der Akteure einnehmen, um dann wiederum nachvollziehen zu können, inwieweit die Akteure tatsächlich sehr unterschiedliche, kulturell und institutionell geprägte Perspektiven auf ihre kurzfristige Begegnung oder länger andauernde Beziehung haben. 2.3 Vertrauen: Vernunft, Routinen, Erfahrungen und der ‚Leap of Faith‘ Auch in der Vertrauensforschung wird nach wie vor heftig um Definitionen gerungen. Eine gewisse Einigkeit besteht jedoch darin, dass Vertrauen eine positive Erwartungshaltung und die Bereitschaft zur Verwundbarkeit bezeichnet (Mayer et al. 1995; Rousseau et al. 1998). In einem umfassenden, integrativen und zugleich offenen Begriffsverständnis können wir Vertrauen als einen fortlaufenden Prozess verstehen, im Zuge dessen – aufbauend auf Vernunft, Routinen und Erfahrungen – die nicht reduzierbare Verwundbarkeit und Ungewissheit gegenüber anderen aufgehoben werden, als ob sie zum Guten gelöst worden seien, wodurch eine positive Erwartung gegenüber den Handlungen und Intentionen mehr oder weniger spezifischer anderer erreicht und aufrechterhalten werden kann (Möllering 2006). Die Kernaussage ist hier, dass Vertrauen auf eine Vielfalt von Grundlagen – „gute Gründe“ (Baier 2001: 43) – rekurriert, letztlich aber erst durch das Aufheben von Ungewissheit entsteht. „Aufheben“ (Hegel 1973: 94) bezeichnet hierbei ein gleichzeitiges Negieren und Aufbewahren. Und die guten Gründe für oder wider Vertrauen variieren je nach Kontext und Situation, müssen also in der Forschung jeweils empirisch ermittelt werden. Die Gefahr einer unangemessenen konzeptionellen Schließung ist gerade beim Thema Vertrauen sehr hoch. Es dominieren Rational Choice-Ansätze, die Vertrauen als eine Frage der Vernunft betrachten – als (begrenzt) rationale Entscheidung des Vertrauensgebers. Ob vertraut wird oder nicht, hängt demnach von dem Nutzen und den Interessen der Akteure ab und von ihrer Fähigkeit, vertrauenswürdige Interaktionspartner anhand bestimmter Kriterien zu erkennen und von vertrauensunwürdigen Interaktionspartnern zu unterscheiden. Zu diesen Kriterien zählen nach einem weit verbreiteten Modell zum Beispiel Kompetenz, Wohlwollen und Integrität des Vertrauensnehmers (Mayer et al. 1995). In diesem Verständnis ist Vertrauen einer Wette ähnlich – ein kalkuliertes Risiko mit positivem Erwartungswert. Die Empirie kann genau hier (kritisch) ansetzen: Was sind die Interessen der beteiligten Akteure? Welchen Nutzen
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erwarten sie für sich selbst und für andere? An welchen Merkmalen erkennen sie Vertrauenswürdigkeit? Mit welcher Wahrscheinlichkeit erwarten sie ein bestimmtes Verhalten der anderen? Gerade in neuen internationalen, interkulturellen Geschäftsbeziehungen in einem fremden Kontext stößt die Vernunft in diesem kartesianischen Sinne schnell an Grenzen, weil Interessen, Nutzen und Vertrauenswürdigkeit schwer durchschaubar und noch schwerer prognostizierbar sind. Dennoch müssen Nutzenkalküle in der Forschung beachtet werden, zumal in der Analyse von Geschäftsbeziehungen, die ja einen ökonomischen Kern und entsprechend rationalistische Ziele (Umsatz, Gewinn) haben. Dies sollte jedoch nicht die einzige Perspektive bleiben. Eine zweite, soziologisch-institutionalistische Perspektive lenkt das Augenmerk darauf, dass Vertrauen häufig eher routinemäßig geschenkt wird und in vielen Situationen praktisch selbstverständlich ist. Vertrauen basiert hier im weitesten Sinne auf Routinen, und das Vertrauen stiftende an Routinen ist eben, dass man ihnen folgt, ohne sie zu hinterfragen, selbst wenn dies prinzipiell möglich wäre. Man orientiert sich an den legitimen Regeln und Rollen, die alle Beteiligten kennen, handelt angemessen, so wie andere es auch tun würden, und geht insbesondere davon aus, dass sich die Interaktionspartner ebenso ‚normal‘ verhalten werden. In diesem Ansatz spielen die oben bereits diskutierten Institutionen eine große Rolle, sodass auch von institutionsbasiertem Vertrauen gesprochen werden kann (vgl. insbes. Zucker 1986). Bei der empirischen Untersuchung von Vertrauen sollte diesem Ansatz entsprechend zum Beispiel ermittelt werden, welche Regeln für den Umgang mit der gegenseitigen Ungewissheit und Verwundbarkeit gelten, welchen Routinen man folgt, was als selbstverständlich erachtet wird, welche Rollenerwartungen die Akteure haben und ob sie andere nachahmen. Erneut begegnen wir hier dem Vertrauensdilemma in internationalen Geschäftsbeziehungen, da Regeln, Routinen und Rollen als Vertrauensgrundlage gerade in diesen Beziehungen meist weniger gut etabliert sind. Umso wichtiger ist es, diese Aspekte zu untersuchen. Vernunft und Routinen sind eher statische Grundlagen für Vertrauen. Wenn man Vertrauen stärker prozessual betrachtet, dann sind die Erfahrungen, die der Vertrauende in der Interaktion macht und aus denen er lernt, die vielleicht wichtigsten Grundlagen für Vertrauen, die in der Empirie unbedingt erfasst werden müssen (vgl. Überblick bei Möllering 2006). Vertrauen erscheint hier als das Ergebnis von Reflexivität. So kann der Vertrauensaufbau mit kleinen Schritten beginnen, ohne sich dabei bereits auf Vernunft und Routinen stützen zu können. Der Lernprozess führt zu Vertrauensbeziehungen, die an bestimmte Interaktionspartner gekoppelt sind, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Zugleich ermöglicht er Erfahrungen im Sinne von Verallgemeinerungen, die der Vertrau-
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ende in unvertrauten Situationen nutzt, um sich vertraut zu machen und vorläufige Erwartungen zu bilden. In der empirischen Forschung sollten dazu folgende Fragen gestellt werden: Wie machen die Akteure neue Erfahrungen? Welchen Bezug stellen sie zwischen Vergangenheit und Zukunft her? Welche Rolle spielen bewusstes (oder unbewusstes) Experimentieren und Lernen für die Akteure? Inwieweit ermöglichen Dritte das Sich-Einlassen auf Neue(s)? Bilden sich Vertrauensnetzwerke zufällig und von selbst oder eher absichtsvoll und durch Investitionen in Beziehungen? In internationalen Geschäftsbeziehungen können die Beteiligten ja ganz unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie man Vertrauen prozessual aufbaut. Und das kann dann zum Beispiel der Grund dafür sein, warum sich potenzielle Partner zwar vertrauen möchten, dies aber nicht erreichen. Die Bedeutung von bisherigen und neuen Erfahrungen der Akteure zu verstehen, ist also ein wichtiges Element in der Forschung. Vertrauen braucht Grundlagen, und es ist daher nötig, Vernunft, Routinen und Erfahrungen als Quellen ‚guter Gründe‘ zu untersuchen. Damit ist jedoch das wesentliche Merkmal von Vertrauen noch nicht erfasst: Vertrauen muss stets über gute Gründe hinausgehen und Ungewissheit aufheben. Um überhaupt von Vertrauen sprechen zu können, ist es notwendig, dass dieses Vertrauen zumindest theoretisch auch enttäuscht werden kann, obwohl der Vertrauende genau das nicht erwartet. Er bleibt also verwundbar und hat trotz aller Vernunft, Routinen und Erfahrungen keine Gewissheit, dass sein Vertrauen honoriert wird, glaubt aber dennoch daran. Erst diese positiven Erwartungen trotz Verwundbarkeit und Ungewissheit können als Vertrauen bezeichnet werden. Entscheidend ist mithin das Aufheben von Ungewissheit. Das „Aufheben“ hat in diesem Zusammenhang – wie bereits erwähnt – eine Doppelbedeutung: Es ist im hegelianischen Sinne ein Negieren und Aufbewahren zugleich. Der Vertrauende überwindet die Ungewissheit, indem er sie ausblendet oder eine positive Fiktion kreiert. Doch er eliminiert die Ungewissheit nicht, denn die Zweifel bleiben latent. Sie können zurückkehren und die positiven Erwartungen können revidiert werden. In diesem Sinne rückt Vertrauen begrifflich deutlich in die Nähe von Glauben (Simmel 1989). Es impliziert einen Leap of Faith, das heißt eine Art Sprung, der eine Grundlage braucht, aber an sich nicht vollständig begründbar ist (Möllering 2001). Dieser Vertrauenssprung führt erst zu dem eigentlichen Vertrauen. Er ist umso wichtiger, je weniger Vernunft, Routinen und Erfahrungen dem Vertrauenden zur Erwartungsbildung zur Verfügung stehen. In der empirischen Forschung müsste man entsprechend die sehr schwer zu beantwortende Frage stellen: Wann hören die Akteure auf, weiter nach guten Gründen zu suchen, und heben ihre verbleibende Ungewissheit und Verwundbarkeit auf? Also: Wie gehen sie überhaupt mit Ungewissheit und Verwundbar-
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keit um? Welche Fiktionen und Als Ob-Konstruktionen bilden sie? Gibt es einen Punkt, an dem sie dem Motto ‚Just do it!‘ folgen? Auch diese Fragen können nicht allgemeingültig beantwortet werden, sondern müssen in empirischen Untersuchungen aus der Akteursperspektive angegangen werden. Das hier umrissene Vertrauenskonzept hat den Vorteil, dass es einerseits als allgemeiner Bezugsrahmen für die Analyse von Vertrauen in allen Kulturen gedacht ist, dass es allerdings andererseits nicht auf eine einheitliche Operationalisierung oder gar Messung hinausläuft, sondern vielmehr für bestimmte Aspekte sensibilisiert und Fragen generiert, die in jeder Kultur gestellt werden und dort dann sehr unterschiedlich beantwortet werden können. Wir wollen ja eben nicht den Fehler machen anzunehmen, dass Vertrauen überall das gleiche bedeutet. Man kann aber schon davon ausgehen, dass es um ein universelles Problem geht, nämlich die Erlangung positiver Erwartungen gegenüber anderen, trotz der Ungewissheit und Verwundbarkeit ihnen gegenüber. 2.4 Erfolg: Vielerlei Ziele und Ansprüche Ganz besonders in der Forschung zum Thema internationale Geschäftsbeziehungen liegt der Grund für die Beschäftigung mit Vertrauen in dem Interesse, erklären zu können, warum manche Beziehungen erfolgreicher sind als andere. Allein schon der Vollständigkeit halber sei hier daher noch ergänzt, dass auch der Begriff des Erfolgs ganz im Auge des Betrachters liegt und nicht allgemeingültig definiert werden kann. In der empirischen Forschung sollte man also ermitteln, was die Akteure unter Erfolg verstehen, anstatt zum Beispiel mit einem universellen Rentabilitätskonstrukt anzurücken. Wenn Erfolg allgemein die Beziehung eines Ergebnisses zu dem verfolgten Ziel bezeichnet, dann ergibt sich schon aus der Vielfalt der Ziele, die in internationalen Geschäftsbeziehungen verfolgt werden können, die Notwendigkeit einer sehr offenen Erfolgsdefinition. Die Ziele ändern sich mit dem Stadium und der Form der Internatonalisierung von Unternehmen. Auch für spezielle Beziehungsformen, wie zum Beispiel internationale Joint Ventures, gibt es mehrere mögliche Erfolgsvariablen (vgl. z.B. Geringer/Hébert 1991) und selbst innerhalb eines Joint Ventures sind die von den Partnern verfolgten Ziele meist nicht voll kongruent (Beamish/Delios 1997). Die eine Seite legt etwa großen Wert auf Rentabilität, während die andere Seite vor allem Know-how erlangen will. Mal geht es um Marktzugang, mal um Kosteneinsparungen, und dann wieder um beides gleichzeitig. Und manchmal ist es schon ein großer Erfolg, wenn eine erste Beziehung überhaupt überlebt, während in anderen Fällen jede Beziehung im Vergleich zu anderen Beziehungen bewertet wird. Es gilt also für Forscher – wie
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auch für Geschäftsleute – möglichst unvoreingenommen zu verstehen, was Erfolg jeweils konkret bedeutet.
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Fokussierung auf die Aktivität und Kreativität der Akteure
Neben das Plädoyer für konzeptionelle Offenheit in der Erforschung von Vertrauen in internationalen Geschäftsbeziehungen, wodurch ja prinzipiell die Komplexität des Forschungsdesigns unermesslich steigen und geradezu kontraproduktiv werden kann, wird in diesem Abschnitt nun der selektive Aufruf gestellt, dass wir unsere Untersuchungen darauf fokussieren sollten, wie Akteure aktiv und kreativ mit dem Vertrauensdilemma umgehen. Produktive Forschung besteht demnach weniger darin, diverse Kulturen und Gesellschaften sowie die Unterschiede zwischen ihnen verallgemeinernd zu beschreiben und – à la Hofstede (1980) – zu kategorisieren, sondern darin, zu zeigen, wie Akteure reagieren, wenn sie trotz der Unterschiede interagieren sollen oder wollen. Der Leitgedanke ist, dass es den Akteuren möglich ist, Barrieren zu überwinden, auch wenn das nicht immer gelingt. Analog zum Aufbau des vorigen Abschnitts werden die folgenden Überlegungen wieder an den zentralen Begriffen Kultur, Institution, Vertrauen und Erfolg festgemacht. 3.1 Umgang mit kulturellen Unterschieden: Autologie der Kultur? Die empirische Forschung zum interkulturellen Management im Allgemeinen und zum interkulturellen Vertrauensaufbau im Besonderen arbeitet oft mit festen Kulturtypologien, die dann Nationalitäten zugeordnet werden (vgl. Hall 1976; Hofstede 1980; angewendet u.a. von Adair/ Brett 2005; Branzei et al. 2007). Die Kultur wirkt dabei wie ein Korsett, mit dem man zwar kulturspezifische Unterschiede im Vertrauen zu erklären vermag (Doney et al. 1998; Johnson/Cullen 2002), aus dem die Akteure aber kaum rauskommen können. Andererseits wird durchaus der Eindruck vermittelt, dass es möglich und nötig ist, sich kulturell anzupassen (z.B. Newman/Nollen 1996): Si fueris Romae... Dies passt gut zu Ann Swidlers (1986) Idee der kulturell geprägten Handlungsrepertoires. Akteure sind in diesem Konzept, wie schon Harold Garfinkel (1967) betonte, keine kulturellen Dummköpfe, sondern können ihr Repertoire anpassen und erweitern. Wenn wir diesen Gedanken weiterverfolgen, dann ist die spannendste Frage, wie Akteure reflexiv mit Kultur umgehen. Davon ausgehend, dass der Umgang mit Kultur ebenfalls kulturell geprägt ist, müssen wir den Begriff der Kultur auf sich selbst beziehen und kommen zu der folgenden, bisher noch zu wenig untersuchten Autologie: Welche kulturellen Unterschiede gibt es im Umgang mit
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kulturellen Unterschieden? Stichworte wie Gastfreundschaft, Toleranz und Ausländerfeindlichkeit deuten an, worum es dabei geht. Von der Autologie gelangt man wiederum zu der Frage, inwieweit einzelne Akteure die Möglichkeit haben, ihre eigene Kultur zu verstehen, zu hinterfragen und andere Kulturen ebenfalls zu verstehen und sich auf sie einzulassen. Die Art von Verhalten, die wir genauer erforschen sollten, taucht anschaulich in einer Studie über deutsch-mexikanische Kooperationen auf: „Beide Seiten verhalten sich demnach, als ob sie das beim Partner unterstellte Heterostereotyp ‚des‘ Deutschen bzw. ‚des‘ Mexikaners widerlegen möchten. Die deutschen Geschäftspartner legen besonderen Wert auf die Pflege enger, freundschaftlicher Beziehungen, während die mexikanische Seite nachdrücklich Kompetenz, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit demonstriert.“ (Kühlmann 2004: 73)
Die Akteure haben hier also eine Vorstellung davon, welche kulturellen Unterschiede bestehen und welches Verhalten hilft, sie zu überwinden (vgl. auch Ayios 2004; Bürger 2004; Möllering/Stache 2007). Diese Reflexivität gegenüber Kultur könnte der Schlüssel zum Vertrauensaufbau sein, den wir suchen. 3.2 Umgang mit unsicheren Institutionen: Beziehungsspezifische Regeln? Auch dem institutionellen Kontext sind Akteure nicht passiv ausgeliefert, sondern können zum einen institutionellen Wandel mehr oder weniger beeinflussen (vgl. DiMaggio 1988; Emirbayer/Mische 1998) und zum anderen auf der Beziehungsebene stabilisierende Regeln schaffen. John Humphrey (1998: 236f) konstatiert für Länder wie Indien: „Firms in those countries cannot wait for an institutional framework to develop.“ Also werden die Akteure aktiv und führen zum Beispiel Managementsysteme ein, die Klarheit schaffen (Child/Möllering 2003), oder sie nutzen persönliche Netzwerke, in denen man sich auf gegenseitige Unterstützung verlassen kann (Ayios 2004; Radaev 2005). Dieser Bereich, in dem die Akteure institutionelle Lücken und Unsicherheiten durch eigene Arrangements kompensieren wollen, ist höchst brisant, da er immer auch ein Abdriften in die Illegalität und das subversive, opportunistische Ausnutzen von chaotischen Zuständen bedeuten kann: Mafia, Korruption und so weiter (Gambetta 1993). Umso wichtiger ist die systematische Erforschung nicht nur der institutionellen Zustände in verschiedenen Ländern, sondern auch der Mittel und Wege, mit denen Akteure darauf reagieren. In der Ukraine zum Beispiel gibt es große Unterschiede darin, wie deutsche Unternehmen zur Korruption stehen und auf welchen Wegen sie versuchen, mit der ukrainischen Seite irgendwie ‚geregelte‘ Geschäftsbeziehungen zu unterhalten (Möllering/Stache 2007). Wir brauchen empirische Forschungsprojekte, die uns tiefere Einblicke in
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die Praktiken des Beziehungsmanagements unter ungünstigen institutionellen Umständen geben – und diese auch mit den Praktiken in institutionell stabilen Kontexten vergleichen. Besonders interessant wird es, wenn Akteure aus einem stabilen Kontext kommend auf andere Akteure treffen, die einen unsicheren institutionellen Kontext gewohnt sind (Child 1998; Humphrey 1998; Ayois 2004 Möllering/Stache 2007). Wie reagieren sie? 3.3 Umgang mit Vertrauensbarrieren: Aktiver Vertrauensaufbau? Wenn Partner in internationalen Geschäftsbeziehungen gemeinsam daran arbeiten, kulturelle und institutionelle Barrieren zu beseitigen, so ist schon das allein ein Beitrag zum Vertrauensaufbau, denn sie reduzieren damit ja das Problem des Vertrauensdilemmas. Ganz allgemein ist die Idee des aktiven Vertrauensaufbaus (Child/ Möllering 2003) nicht unproblematisch und es sollte noch weiter empirisch untersucht werden, was es mit den sogenannten vertrauensbildenden Maßnahmen auf sich hat (Bürger 2004; Kühlmann 2004). Hier trifft nämlich die zum Beispiel von Jon Elster (1983) vertretene Meinung, dass Vertrauen nicht aktiv herbeigeführt werden kann, sondern sich quasi als Nebenprodukt erfolgreicher Interaktionen entwickeln muss, auf die von Anthony Giddens (1996) ins Spiel gebrachte Vision des „aktiven Vertrauens,“ an dem die Beteiligten ganz bewusst arbeiten müssen. Praktisch lassen sich die beiden Positionen verbinden, wenn wir davon ausgehen, dass man Vertrauen wollen muss, es aber nicht kurzfristig erzwingen kann. Wie gehen Akteure mit diesem Punk um? Was ist der typische Verlauf von Vertrauensbeziehungen (Lewicki et al. 2006) und wie gestalten ihn die Beteiligten? Einige der kreativen Aktivitäten zum Vertrauensaufbau, die in der empirischen Forschung genauer identifiziert werden könnten, leiten sich aus dem oben skizzierten Vertrauenskonzept ab. Um die Vernunft als Vertrauensgrundlage zu stärken, könnten die Akteure entsprechende Anreizstrukturen schaffen und außerdem dafür sorgen, dass der Vertrauensgeber verlässliche Signale der Vertrauenswürdigkeit empfängt, ohne dabei jedoch ein Maß an Kontrolle einzuführen, das als mangelnde Vertrauensbereitschaft empfunden wird. Um Vertrauen durch Routinen zu stützen, könnten die Akteure sich auf regelmäßige Treffen einigen und andere Anlässe für den gegenseitigen Austausch schaffen, damit wechselseitige Offenheit und Unterstützung zur Gewohnheit und Selbstverständlichkeit werden. Um aber gleichzeitig auch neue Erfahrungen miteinander zu machen und nicht nur bekante Verhaltensmuster zu wiederholen, lassen sich die Akteure vielleicht auch immer wieder neue Projekte einfallen, die sie zusammen ausprobieren können, während andere Projekte weiterlaufen. Sie erweitern damit stetig die Vertrauensbasis, und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn in einem
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Bereich ein Problem auftritt, nicht gleich die gesamte Beziehung in Frage gestellt wird. Dies alles sind spekulative Ideen, was die Akteure tun könnten, um Vertrauen aufzubauen. Ob sie das auch tun, wie sie es genau anstellen und ob sie damit erfolgreich sind, sollte Gegenstand qualitativer Forschungen sein. Daran kann sich dann die Frage anschließen, ob der Erfolg von internationalen Geschäftsbeziehungen maßgeblich vom aktiven Vertrauensaufbau der Akteure, von bereits vorhandenem oder nebenbei entstandenem Vertrauen oder von ganz anderen Faktoren (Geringer 1991) abhängt. 3.4 Umgang mit Zielambiguität: Transparente Erfolgsvorstellungen? Erfolg in internationalen Geschäftsbeziehungen kann vieles bedeuten. Wir wissen aber wenig darüber, wie die Akteure mit dieser Mehrdeutigkeit umgehen. Auch in diesem Punkt lohnt sich daher eine empirische Forschung, die zum Beispiel untersucht, ob und unter welchen Umständen die Beteiligten bereit sind, ihre Erfolgsvorstellungen dem anderen transparent zu machen. Wie gehen sie gegebenenfalls dabei vor? Welche Art von Kommunikation über Erfolg fördert womöglich sogar den Vertrauensaufbau? In deutsch-ukrainischen Geschäftsbeziehungen zeigte sich, dass die Ungewissheit über die (wahren) Ziele des anderen Vertrauen behindert, während klärende Gespräche über die Ziele die Beziehung stärken (Möllering/Stache 2007). Eine hohe Zielkongruenz ist zwar förderlich (Beamish/Delios 1997), aber unter Umständen gar nicht nötig, so lange genügend Transparenz herrscht und die Ziele der Beteiligten nicht zu stark miteinander konkurrieren. Letzteres betrifft die Frage, ob tatsächlich eine Kooperations- oder doch vor allem eine Konkurrenzbeziehung zwischen den ‚Partnern‘ besteht. Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz ist in Geschäftsbeziehungen normal (vgl. Sydow 2006; Schreyögg/Sydow 2007), doch wie gehen die Akteure aktiv und kreativ damit um? Wie und wie oft ermitteln sie überhaupt den Erfolg? Versprechen sie sich langfristige Reziprozität oder kurzfristige Verteilungsgerechtigkeit? Vertrauen gilt als erfolgsförderlich und Erfolg ist sicherlich ebenso vertrauensförderlich. Doch dieser Zusammenhang ließe sich gewiss noch durch empirische Forschungen präzisieren. Ist es letztlich der faire, offene Umgang mit dem Thema Erfolg und die Transparenz hinsichtlich der jeweiligen und gemeinsamen Ziele der Partner, was Vertrauen stärkt? Und wirkt sich Vertrauen positiv auf den Erfolg aus, weil es die Unsicherheit und Verwundbarkeit hinsichtlich der späteren Verteilung des in der Beziehung erzielten Ergebnisses aufhebt und somit Ressourcen für einen produktiven Zweck verfügbar macht, die sonst für die
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gegenseitige Kontrolle verwendet würden? Die Antworten müssen wir wiederum bei den Akteuren selbst und in ihren Praktiken im Umgang mit Vertrauen und Erfolg suchen.
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Resümee: Akteure ins Zentrum der interkulturellen Forschung
In diesem Beitrag wird die Besinnung auf die Akteursperspektive in der empirischen Forschung mittels konzeptioneller Offenheit und Fokussierung auf den praktischen Umgang mit dem Vertrauensdilemma in internationalen Geschäftsbeziehungen propagiert. Damit soll jedoch keineswegs die Einbettung der Akteure geleugnet werden. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, zu entdecken, dass gerade in strukturell widersprüchlichen Situationen, wo verschiedene Kulturen und Institutionen in ihrer Wirkung miteinander konkurrieren und wo die Ungewissheit und Verwundbarkeit der Akteure nicht bereits stark reduziert ist, der Aufbau von erfolgreichen, vertrauensvollen Beziehungen durch kreatives Handeln möglich ist. In einfachen Worten: Es kommt immer darauf an, was die Akteure daraus machen. Und noch mehr als die Frage, warum sie unter widrigen Umständen scheitern, interessiert uns die Frage, warum sie manchmal unter den gleichen Umständen Erfolg haben. Die Art von empirischer Forschung, die hier empfohlen wird, ist keineswegs neu, sondern lässt sich letztlich auf Methoden der Ethnografie zurückführen. Die Fragen, die hier aufgeworfen werden, wurden ebenfalls schon in dem einen oder anderen Forschungsprojekt bearbeitet und sind damit nicht unbedingt hochgradig originell. Die Vermutungen und Annahmen, die in diesem Beitrag vorkommen, sind nicht vollkommen gesichert, sondern diskussions- und erforschungswürdig. Dennoch können wir die hier angestellten Überlegungen und vorgeschlagenen Konzepte dazu nutzen, unsere Forschungsprojekte über internationale Geschäftsbeziehungen kritisch zu hinterfragen: Wie groß ist unsere konzeptionelle Offenheit? Wie sehr bemühen wir uns um eine Akteursperspektive? Wie können wir unsere Forschungsdesigns noch bereichern?
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Operationalisierung von Vertrauen im interkulturellen Kontext Julia F. Späth Paulina Jedrzejczyk
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Problemstellung und Zielsetzung
Angesichts der Problematik einer Operationalisierung von Vertrauen im intrakulturellen Kontext stellt die Messung von Vertrauen im inter-kulturellen Kontext eine spezielle Herausforderung dar, die im Folgenden aus der Sicht der Vertrauensforschung und der Kulturforschung untersucht wird. Vertrauen umfasst die Bereitschaft eines Vertrauensgebers, sich in einer ungewissen Situation gegenüber einem Vertrauensnehmer verwundbar zu machen (vgl. Deutsch 1962; Zand 1972; Mayer et al. 1995; Gillespie 2003b). Diese positive Erwartungshaltung wird durch die individuelle Vertrauensneigung des Vertrauensgebers sowie dessen Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Interaktionspartners beeinflusst und wirkt sich insbesondere auf das kooperative und kontrollierende Verhalten gegenüber dem Vertrauensnehmer aus. Die Besonderheit eines interkulturellen Kontexts ergibt sich aus der Tatsache, dass zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen Unterschiede bezüglich der Wertevorstellungen, Wahrnehmung und Beurteilung von Sachverhalten sowie des Benehmens bestehen (vgl. Triandis 1994; Adler 1997; Hofstede 1997; Hambrick et al. 1998). Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass in einer interkulturellen Interaktionssituation graduelle Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung einzelner Determinanten von Vertrauen existieren und sich Vertrauen in unterschiedlichen Verhaltensweisen zeigt. Es ist ferner anzunehmen, dass Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer ein unterschiedliches Verständnis von Vertrauen besitzen, wenn sie von verschiedenen Kulturen geprägt sind. Auf der Basis eines interdisziplinären Vertrauensverständnisses verfolgt dieser Beitrag das Ziel
Möglichkeiten der Messung von Vertrauen im engen und weiten Sinne offenzulegen, Besonderheiten eines interkulturellen Kontexts bei der Erhebung von Vertrauen herauszustellen,
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am Beispiel der Vertrauenswürdigkeit die Bedeutung interkulturell gültiger Skalen aufzuzeigen und von der dargelegten explorativen Studie ausgehend, Schritte zur Entwicklung von interkulturell validen Erhebungsinstrumenten vorzuschlagen.
Konzeptualisierung interpersonellen Vertrauens
Vertrauen lässt sich in empirischen Untersuchungen nicht unmittelbar erfassen. Latente Konstrukte wie Vertrauen können zu ihrer Messung jedoch in theoretisch postulierte Teilmerkmale zerlegt werden. Diese dienen als Basis für die Angabe von messbaren Ereignissen oder der Formulierung von einzelnen Fragen, d.h. den Indikatoren, die das Vorliegen des Sachverhalts anzeigen.1 Voraussetzung für die Operationalisierung von Vertrauen ist daher eine Bedeutungsanalyse des Konstrukts, um Aufschluss über seine Bedingungen und Elemente zu liefern. Sie soll zunächst in knapper Form dargelegt werden. 2.1 Notwendige Bedingungen für Vertrauen Vertrauen ist ein soziales Phänomen, das eine Beziehung zwischen einem Vertrauensgeber (Vertrauenssubjekt) und einem Vertrauensnehmer (Vertrauensobjekt) in einem sozialen Kontext impliziert. Zur Präzisierung des Vertrauensbegriffs kann die Semantik von Nooteboom herangezogen werden, in der vier grundlegende Elemente hervorgehoben werden: „Someone has trust in something, in some respect and under some conditions“ (Nooteboom 2002: 8). Nooteboom charakterisiert Vertrauen als ein ‚four-place-predicate’ und unterscheidet damit nicht nur zwischen Vertrauenssubjekt und Vertrauensobjekt, sondern unterstreicht die Bedeutung des Verhaltensaspekts und der Rahmenbedingungen der Interaktion. Er stellt heraus, dass einem Vertrauensobjekt nicht ausnahmslos vertraut wird, sondern nur hinsichtlich bestimmter verhaltensrelevanter Aspekte und unter bestimmten Bedingungen. Dem Vertrauensnehmer werden durch den Vertrauensgeber bestimmte positive Absichten und Handlungen in einer konkreten Situation zugeschrieben. Der Fokus organisationswissenschaftlicher Vertrauensliteratur liegt dabei zumeist auf Vertrauen in die Kompetenz und/oder die Intention einer anderen Person, d.h. das Können und Wollen eines Vertrauensnehmers aus Sicht des Vertrauensgebers. Ersteres bezieht sich auf die Fähigkeit des Vertrauensobjekts, erwartungskonform zu handeln und letzteres auf die Absicht des Vertrauensobjektes, seine 1
Opp weist darauf hin, dass ein grundsätzliches Problem der Operationalisierung darin besteht, dass Begriffe oft unklar oder in verschiedener Bedeutung verwendet werden (Opp 1999: 58).
Operationalisierung von Vertrauen im interkulturellen Kontext
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Fähigkeit auch entsprechend einzusetzen (vgl. Nooteboom 2002: 49 ff). Die Konditionalität bzw. Kontingenz von Vertrauen impliziert, dass durchaus einer Person hinsichtlich bestimmter Aspekte in einigen Situationen vertraut wird, in anderen Situationen jedoch nicht. In der Vertrauensliteratur besteht eine gewisse Übereinkunft darüber, dass Vertrauen nur Relevanz besitzt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Vertrauen zeigt sich in Situationen, die durch Abhängigkeit eines Vertrauensgebers von einem Vertrauensnehmer gekennzeichnet sind und in denen etwas für den Vertrauensgeber „auf dem Spiel steht“ (Möllering/ Sydow 2005: 70), d.h. in Umgebungen der Ungewissheit und Verwundbarkeit. Die Ungewissheit einer Vertrauenssituation liegt in dem nicht vollständig vorhersagbaren Verhalten des Vertrauensnehmers, denn ein Vertrauensnehmer hat grundsätzlich die Freiheit, dem Vertrauensgeber zu schaden. Weder die Manifestation noch das Honorieren von Vertrauen können forciert oder garantiert werden (vgl. Möllering 2003: 5). Die Verwundbarkeit in einer Vertrauenssituation ergibt sich aus der spezifischen Problemstellung, mit der ein Vertrauensgeber konfrontiert ist. Verwundbar sein heißt, dass etwas Bedeutendes verloren gehen kann (vgl. Zand 1972; Boss 1978). Disziplin- und theorieübergreifend kann konstatiert werden: Wenn eine Person in einer Situation nicht verwundbar ist, besitzt auch Vertrauen keine Relevanz. Die Verwundbarkeit eines Vertrauensgebers wird in der Literatur daher nicht nur als notwendige Antezedenzbedingung, sondern vielfach auch als zentrales Element des Vertrauenskonstrukts angesehen (vgl. Mayer et al. 1995; Rousseau et al. 1998; Gillespie 2003b; Möllering 2006). 2.2 Interdisziplinäres Vertrauensverständnis Grundsätzlich kann zwischen Definitionen differenziert werden, die Vertrauen als einen psychologischen Zustand beschreiben, und denen, die Vertrauen als ein Entscheidungsverhalten verstehen (vgl. Costa 2004). Trotz der unterschiedlichen Perspektiven sind diese Definitionsansätze von Vertrauen kompatibel. Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Annahme, dass sich Vertrauen auf der Basis individueller Attributionen von Intentionen und Motiven bildet, die dem Verhalten eines Vertrauensnehmers zugesprochen werden (vgl. Wrightsman 1991; Costa 2000). Die Attributionen eines Vertrauensgebers werden sowohl durch kognitive als auch affektive Prozesse geprägt: „As recent research has demonstrated, one not only ’thinks’ but also ’feels’ trust“ (Costa 2004: 612). Mangels einer universell akzeptierten Definition des Vertrauensbegriffs wird diesem Beitrag ein interdisziplinäres Vertrauensverständnis zugrunde gelegt, welches Rousseau et al. auf der Basis einer Literaturanalyse so formulieren: „Trust is a psychological state comprising the intention to accept vulnerability
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based upon positive expectations of the intentions or behavior of another“ (Rousseau et al. 1998: 395). Diese Aussage vereint theorieübergreifend zentrale Teilaspekte des Vertrauensphänomens:
Vertrauen ist ein psychologischer Zustand, der sowohl kognitive als auch affektive Prozesse impliziert.2 Vertrauen umfasst die Bereitschaft eines Vertrauensgebers, sich in einer spezifischen Situation gegenüber dem Vertrauensnehmer verwundbar zu machen.3 Die Intention, Verwundbarkeit zu akzeptieren, basiert auf einer positiven Erwartungshaltung hinsichtlich der Absichten und des Verhaltens des Vertrauensnehmers.4
Vertrauen in einen spezifischen Interaktionspartner ist nicht statisch, sondern Ergebnis eines (Lern-)Prozesses. Vergangene positive und negative Erfahrungen mit Menschen im Allgemeinen und mit dem Interaktionspartner im Speziellen determinieren Vertrauen in neuen Situationen. Als vertrauensrelevante Rahmenbedingungen in Arbeitsbeziehungen lassen sich daher grundsätzlich Erstbegegnungen von wiederholten Begegnungen unterscheiden. In Erstbegegnungen liegen keine Informationen über den Interaktionspartner aus persönlicher Erfahrung vor, sondern höchstenfalls Rollenerwartungen oder Berichte aus dritter Hand. Besteht jedoch eine Beziehungshistorie, so besitzen Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer Informationen über einander. Diese Informationen aus vergangenen und laufenden Interaktionen können der Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit oder -unwürdigkeit des Interaktionspartners zugrunde gelegt werden und reduzieren die Ungewissheit in einer spezifischen Situation. Erstmalige Begegnungen implizieren daher aufgrund eines Informationsdefizits größere Ungewissheit für den Vertrauensgeber im Vergleich zu wiederholten Begegnungen, welches sich negativ auf das Vertrauen auswirkt.5 Wie im folgenden Abschnitt zu den Besonderheiten eines interkulturellen Kontexts näher erläutert wird, stellt der Umgang mit Ungewissheit ein gesellschaftliches Grundproblem dar, das kulturspezifisch variiert (vgl. Hofstede 1997). Aus diesem Grund sollte bei der Analyse von Vertrauen im interkulturellen Kontext insbesondere den Rahmenbedingungen der Interaktion (z.B. Be2 3 4 5
Zur kognitiven und affektiven Dimension von Vertrauen vgl. Lewis/Weigert 1985; McAllister 1995; Nooteboom 2002; Schoorman et al. 2007. Vgl. hierzu Zand 1972; Mayer et al. 1995; Bigley/Pearce 1998; Gillespie 2003b. Vgl. hierzu Boon/Holmes 1991; Lewicki/Bunker 1995 und 1996; Mayer et al. 1995; Rousseau et al. 1998; Möllering 2006. Vgl. dazu die empirischen Befunde in Späth 2008.
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kanntheit oder Unbekanntheit des Interaktionspartners) größte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da sie als Charakteristika der Situation die Risikowahrnehmung des Vertrauensgebers beeinflussen.
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Besonderheiten eines interkulturellen Kontexts
Kultur stellt ein Wert- und Orientierungssystem dar, welches das Wahrnehmen, Werten und Handeln von Menschen beeinflusst (vgl. Triandis 1994; Thomas 1996; Adler 1997; Hofstede 1997). Bei der Beschreibung des Einflusses der Kultur auf Menschen greifen Forscher auf unterschiedliche Metaphern zurück. Triandis argumentiert, dass „culture imposes a set of lenses for seeing the world“ (Triandis 1994: 25) und weist darauf hin, dass Kultur im Laufe der primären und sekundären Sozialisation erlernt wird. Sozialisation ist „ein sozialer Lernprozeß, der das Hineinwachsen in soziale Beziehungsnetze (...) ermöglicht“ (Wiswede 1992: 2270). Dieser beinhaltet Kenntnis und Beachtung sozialer Wertevorstellungen und Normen sowie das Erlernen von Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und sozialen Gegebenheiten. Die tiefe Verankerung der kulturellen Werte verleiht ihnen eine dauerhafte Gültigkeit, denn „[e]inmal erlernte kulturelle Elemente lassen sich kaum verändern oder ganz beseitigen“ (Jahnke 1996: 108). Da sich Gesellschaften unter unterschiedlichen, z.B. klimatischen, geopolitischen, historischen und religiösen Bedingungen entwickeln, können unterschiedliche Wertesysteme und Handlungsmuster ihr Überleben sichern. Triandis erläutert dies in seiner Definition von Kultur: „Culture is a set of human-made (…) elements that in the past have increased the probability of survival and resulted in satisfactions for the participants in an ecological niche, and thus became shared among those who could communicate with each other because they had a common language and they lived in the same time and place“ (Triandis 1994: 22). Für die weiteren Ausführungen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Kulturen neben universellen, also in allen kulturellen Gruppen vorkommenden Elementen (etics) auch kulturspezifische Phänomene (emics) aufweisen. Gelegentlich stellen die emischen Faktoren eine kulturspezifische Variation eines universellen Elementes dar. Triandis veranschaulicht diesen Sachverhalt an einem Beispiel: „all humans experience social distance from out-groups (an etic factor). That is, they feel closer to their family and kin and to those whom they see as similar to them than to those whom they see as different. But the basis of social distance is often an emic attribute: In some cultures, it is based only on tribe or race; in India, caste and ideas about ritual pollution are important” (Triandis
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1994: 20). Selbst universelle Phänomene können sich in ihrem Wesen von Kultur zu Kultur unterscheiden. So fanden beispielsweise Farh et al. heraus, dass das Konstrukt des Organizational Citizenship Behavior (OCB)6 unterschiedliche Dimensionen in der westlichen und in der chinesischen Kultur aufweist (vgl. Farh et al. 1997).
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Messung von Vertrauen in interkulturellen Beziehungen
Historisch haben sich unterschiedliche Wege zur Erhebung von Vertrauen herausgebildet. Allerdings besteht eine fehlende Kongruenz zwischen den Forschungsbemühungen zur Definition und denen zur Operationalisierung von Vertrauen (vgl. Gillespie 2003a: 7; Lewicki et al. 2006: 1014). In empirischen Vertrauensstudien werden vielfach Instrumente eingesetzt, welche die charakteristischen Merkmale von Vertrauen ignorieren. Als problematische Verfahren zur Messung interpersonellen Vertrauens sind die folgenden Vorgehensweisen hervorzuheben:
Die Gleichsetzung generalisierten Vertrauens mit spezifischem Vertrauen, d.h. der Schluss von der Vertrauensneigung einer Person auf situationsspezifisches Vertrauen gegenüber einem konkreten Vertrauensnehmer. Der Schluss von der Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit einer Person auf das Vertrauen in einer spezifischen Situation. Der Rückschluss auf Vertrauen durch Beobachtung von Handlungen und Entscheidungen, die auf Vertrauen beruhen, jedoch auch durch andere Faktoren bedingt sein können, wie beispielsweise kooperatives Verhalten und Kontrollreduktion. Die Verwendung von 1-Item-Skalen, die direkt nach dem Vertrauen fragen. Ihr besonderer Wert liegt im Einsatz zur Konstruktvalidierung.
4.1 Vertrauen im engen und weiten Sinne Eine Möglichkeit, den oben genannten Defiziten zu begegnen, besteht darin, zentrale Bestandteile des Vertrauensphänomens zu erfassen und diese zu einem multidimensionalen Konstrukt zusammenzuführen. Costa erfasst in dieser Weise die Vertrauensneigung eines Vertrauensgebers, die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers und die Manifestationen von Vertrauen als miteinander in Beziehung stehende Komponenten eines komplexen Kon6
OCB bezeichnet individuelles Verhalten am Arbeitsplatz, das Mitarbeiter aus eigenem Antrieb erbringen und das der Organisation nützlich ist, d.h. freiwilliges Arbeitsengagement.
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strukts. Hier kann von Vertrauen im weiten Sinne gesprochen werden, da affektive, kognitive und Verhaltens-Komponenten zu einem einzigen Konstrukt zusammengefügt werden. „The conceptualization of trust as a multi-component construct, suggests in the first place, that trust can be measured in terms of different components and that these converge to the same general meaning - trust“ (Costa 2000: 116).7 Die Itemwerte der so gemessenen Indikatoren werden zu einem Gesamtwert ‚Vertrauen’ addiert. Bei dieser Vorgehensweise ist kritisch anzumerken, dass Kausalitäten zwischen den einzelnen Komponenten ignoriert werden und Vertrauen selbst letztlich nicht erhoben wird, sondern seine Determinanten und Wirkungen. Eine andere Möglichkeit, Vertrauen zu erheben, besteht darin, ein Instrument einzusetzen, das Vertrauen klar von seinen direkten Einflussfaktoren und Verhaltenswirkungen abgrenzt. Skalen, welche die Bereitschaft einer Person messen, sich gegenüber einer konkreten Person in einer ungewissen Situation verwundbar zu machen, fokussieren daher auf Vertrauen in einem engen Sinne. Das ‚Behavioural Trust Inventory’ (BTI) von Gillespie erhebt in dieser Weise Vertrauen als Verhaltensintention in hierarchischen als auch gleichrangigen Arbeitsbeziehungen anhand von zehn Items (vgl. Gillespie 2003a, 2003b). Besondere Bedeutung erlangt das BTI dadurch, dass zwei zentrale Dimensionen von Vertrauen abgedeckt werden. Zum einen die Bereitschaft, sich auf Fähigkeiten, Wissen, Urteile oder Taten des Interaktionspartners zu verlassen (reliance) und zum anderen die Bereitschaft, sich hinsichtlich sensitiver, arbeitsbezogener und persönlicher Informationen zu öffnen (disclosure). Zusammengenommen ergeben beide Dimensionen das Vertrauen in einen spezifischen Interaktionspartner. Es handelt sich bei diesem Inventar um ein valides und reliables multidimensionales Instrument.8 Abbildung 1 verdeutlicht die beiden unterschiedlichen Erfassungsmöglichkeiten des Vertrauensphänomens und die damit einhergehenden engen und weiten Vertrauensverständnisse. Wird das Ziel verfolgt, ein komplettes Bild des Vertrauensphänomens in interkulturellen Interaktionsbeziehungen zu erhalten, so empfiehlt es sich, klar zu unterscheiden zwischen
den Determinanten von Vertrauen, insbesondere der Vertrauensneigung des Vertrauensgebers und der Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers, Vertrauen im engen Sinne, d.h. der Bereitschaft, verwundbar zu sein, den Verhaltenswirkungen von Vertrauen, wie eine offene und ehrliche Kommunikation oder eine Reduktion der Kontrollintensität durch einen Vertrauensgeber.
7 8
Vgl. dazu kritisch Scott III 1980: 811. Zur deutschen Übersetzung des BTI und internen Konsistenz der Skala vgl. Späth 2008.
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Determinanten Vertrauensneigung des Vertrauensgebers
Mediator
Wirkungen
Vertrauen als Bereitschaft, verwundbar zu sein
Vertrauenshandlungen
Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensgebers
Vertrauen im engen Sinne Vertrauen im weiten Sinne
Abbildung 1:
Enges und weites Verständnis von Vertrauen
Aus den Darlegungen zu den Besonderheiten des interkulturellen Kontexts ergeben sich wichtige Implikationen für die Erhebung von Vertrauen in unterschiedlichen Kulturen. Angesichts der Tatsache, dass sich Forscher unterschiedlicher kultureller Herkunft mit dem Konzept Vertrauen auseinandersetzen, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um ein universelles Konzept handelt. Ob dieses in allen Kulturen die gleichen Komponenten und Dimensionen umfasst, muss zunächst geklärt werden. Im Rahmen der vorangehenden Begriffsanalyse wurde als zentrales Element interpersonellen Vertrauens die Verwundbarkeit eines Vertrauensgebers hervorgehoben. Angesichts der beschriebenen interkulturellen Unterschiede ist anzunehmen, dass Vertreter unterschiedlicher Kulturen ihre Bereitschaft, verwundbar zu sein, auf einer nicht vollständig gleichen Grundlage treffen. Es ist folglich zu erwarten, dass sich vor allem die Determinanten von Vertrauen von Kultur zu Kultur unterscheiden werden. Möglichkeiten der Operationalisierung der Vertrauensneigung und der Vertrauenswürdigkeit als zentrale Einflussfaktoren interpersonellen Vertrauens sollen daher im Folgenden aufgezeigt werden. 4.2 Messung der Vertrauensneigung Vertrauensneigung bezeichnet die generelle Bereitschaft einer Person zu vertrauen (vgl. Mayer et al. 1995; Costa 2000). Es handelt sich um eine situationsüberdauernde, relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft. Mayer et al. heben hervor, dass sich Menschen in ihrer Vertrauensneigung unterscheiden und verweisen unter anderem auf unterschiedliche kulturelle Hintergründe bzw. sozioökonomische Einflussfaktoren (vgl. Mayer et al. 1995). Die Befunde des World
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Value Surveys unterstreichen diese Annahme: Das Item ‚Most people can be trusted’, welches im weitesten Sinne die Vertrauensneigung misst, weist länderspezifisch deutliche Unterschiede auf (vgl. Inglehart et al. 2004). Eine weit verbreitete Skala zur Messung der generellen Bereitschaft zu vertrauen ist die ‚Interpersonal Trust Scale’ (ITS) von Rotter, deren praktische Einsatzmöglichkeit jedoch mit 25 Items, ohne die zusätzlichen Distraktoren, begrenzt ist (vgl. Rotter 1967, 1971). Die ITS misst die „expectancy held by an individual or a group that the word, promise, verbal or written statement of another individual or group can be relied upon“ (Rotter 1967: 651). Die Items beziehen sich auf individuelle oder generelle Erwartungen in verschiedenen Lebenssituationen. Insbesondere richten sich die Fragen auf die Glaubwürdigkeit sogenannter ‚sozialer Agenten’, wie beispielsweise Lehrer, Politiker und Eltern, sowie auf optimistische Annahmen über die Zukunft unserer Gesellschaft. Ein jüngeres Instrument zur Messung der Vertrauensneigung stellt die Skala von Costa dar (vgl. Costa 2000). Diese wurde auf der Grundlage von explorativen Interviews, Literaturrecherchen und Expertenurteilen konzipiert. Die einzelnen Items basieren auf der ‚Philosophies of Human Nature Scale’ (PHNS) von Wrightsman, ein umfassendes theorie- und empiriebasiertes Instrument zur Erhebung der „expectancies that people have about the ways in which other people generally behave“ (Wrightsman 1991: 385). Auf der Basis der revidierten Subskala ‚Beliefs That People Are Conventionally Good’ der PHNS9 bzw. der Subskala ‚Trust’ der RPHNS10 entwickelte und validierte Costa damit ein sieben Items umfassendes reliables Instrument zur Messung der Vertrauensneigung (vgl. Costa 2000).11 Die Vertrauensneigung als generelle Disposition eines Menschen zu vertrauen besitzt eine zentrale Bedeutung für Vertrauen, wenn der Interaktionspartner unbekannt oder unvertraut ist, so wie dies insbesondere in interkulturellen Interaktionssituationen der Fall ist. Wenn ein potentieller Vertrauensgeber sich jedoch ein (Vor-)Urteil über den Interaktionspartner bilden kann, sei es aus persönlicher Erfahrung oder auf der Basis von Informationen Dritter, tritt als Vertrauensdeterminante die Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers hinzu (vgl. Mayer 1995; Späth 2005, 2008). 4.3 Messung der Vertrauenswürdigkeit Menschen suchen nach guten Gründen zu vertrauen und Indikatoren der Vertrauenswürdigkeit liefern dem Vertrauensgeber eine vernünftige Basis für Vertrauen. 9 10 11
Vgl. zu den Subskalen der PHNS Wrightsman 1992: 305. Vgl. zu den Subskalen der RPHNS Wrightsman 1991: 392 f. Zur deutschen Übersetzung und Reliabilität der Skala vgl. Späth 2008.
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Charaktereigenschaften und Handlungen des Interaktionspartners liefern dann die Grundlage dafür, dass diese Person als vertrauenswürdig wahrgenommen wird. Es existieren unzählige Auflistungen für die Indikatoren der Vertrauenswürdigkeit und sich daran anschließende Versuche, die Indikatoren zu operationalisieren, zu messen und zu validieren.12 Zu den umfassendsten Inventaren gehören die ‚Conditions of Trust’ von Butler. Er identifiziert insgesamt zehn Bedingungen bzw. Ursachen für Vertrauen in eine bestimmte Zielperson: Erreichbarkeit, Kompetenz, Konsistenz, Diskretion, Fairness, Integrität, Loyalität, Offenheit, Verlässlichkeit und Zugänglichkeit (vgl. Butler 1991: 648).13 Die größte Popularität erlangten hingegen die drei Faktoren der Vertrauenswürdigkeit aus dem ‚Modell organisationalen’ Vertrauens von Mayer et al. (vgl. Mayer et al. 1995). Mayer et al. nehmen an, dass Fähigkeit, Wohlwollen und Integrität eines Vertrauensnehmers als Antezedenzbedingungen in ihrer Kombination einen großen Teil des Vertrauens in eine Person erklären (vgl. Mayer et al. 1995: 717). Es handelt sich hier um drei Wahrnehmungsperspektiven, aus denen der Vertrauensgeber den Vertrauensnehmer betrachtet. Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen dem ‚Conditions of Trust Inventory’ von Butler und den ‚Factors of Trustworthiness’ von Mayer et al. werden in der folgenden Abbildung 2 aufgezeigt. Als ein reliables und in der Betriebswirtschaft weit verbreitetes Instrument zur Messung der Vertrauenswürdigkeit in Arbeitsbeziehungen ist auf die Skala von Mayer und Davis zu verweisen (vgl. Mayer/ Davis 1999). Sie misst mit insgesamt 17 Items die Wahrnehmung der Fähigkeit, des Wohlwollens und der Integrität des Interaktionspartners.14 Diese Faktoren der Vertrauenswürdigkeit stehen miteinander in Beziehung, können jedoch unabhängig voneinander variieren. Empfindet ein Vertrauensgeber, dass der Interaktionspartner hinsichtlich einer der drei Faktoren nur eine geringe Ausprägung besitzt, so beeinträchtigt dies das Vertrauen.
12 13 14
Vielfach zitierte Übersichten dazu bieten Mayer et al. 1995: 718 und Meifert 2003: 62. Butler erweiterte und validierte die Liste von Vertrauensbedingungen, die von Jennings und Gabarro in den 1970er Jahren identifiziert wurden (vgl. Jennings 1971; Gabarro 1978). Zur deutschen Übersetzung und Reliabilität der Skala vgl. Späth 2008.
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Vertrauensbedingungen nach Butler
Faktoren der Vertrauenswürdigkeit nach Mayer et al.
Kompetenz
Fähigkeit
Loyalität Offenheit Zugänglichkeit Erreichbarkeit
Wohlwollen
Integrität Diskretion Fairness Verlässlichkeit Konsistenz
Integrität
Abbildung 2:
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Indikatoren der Vertrauenswürdigkeit
Vorausgehend wurde erläutert, dass Vertrauenswürdigkeit eine Determinante von Vertrauen in wiederholten Beziehungen darstellt. Es ist anzunehmen, dass ein Vertrauensobjekt in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Attribute aufweist, um als vertrauenswürdig wahrgenommen zu werden. So ist vorstellbar, dass in kollektivistischen Kulturen diejenigen Menschen als besonders vertrauenswürdig angesehen werden, die ihren Bezugsgruppen gegenüber (z.B. der Familie, dem Arbeitsteam, dem Unternehmen) eine bedingungslose Loyalität zeigen. In Kulturen mit stark ausgeprägter Unsicherheitsvermeidung dürfte die Konsistenz des Verhaltens eine große Rolle spielen, weil jede unerwartete Veränderung zur Quelle von Unsicherheit und somit zu einer Belastung wird und sich negativ auf die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers auswirken könnte. Auch das Ausmaß, zu dem die Ungleichverteilung von Macht erwartet und akzeptiert wird, kann Einfluss auf die Beurteilung von Vertrauenswürdigkeit der Vertrauensobjekte haben. Es ist denkbar, dass in Kulturen, die große Machtunterschiede erwarten und akzeptieren, die Zugänglichkeit eines Vorgesetzten von seinen Mitarbeitern als Zeichen der Schwäche gedeutet wird und zu einer negativen Beurteilung dessen Vertrauenswürdigkeit führt. Es ist weiterhin zu erwarten, dass Mitglieder einer maskulinen Kultur einen Mann nur dann als vertrauenswürdig einschätzen, wenn er die in einer Gesellschaft als maskulin angesehenen Eigenschaften aufweist. Auf der Grundlage solcher Überlegungen nehmen wir an, dass Vertrauen zwar ein etisches Konstrukt darstellt, seine Determinanten jedoch emische Ele-
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mente aufweisen. Diese Feststellung hat weit reichende Konsequenzen für die Operationalisierung von Vertrauen im interkulturellen Kontext. Da anzunehmen ist, dass das Konstrukt in verschiedenen Kulturen unterschiedlich konzeptualisiert wird, können die in einem Kulturkreis entwickelten Erhebungsinstrumente nicht einfach in anderen Kulturkreisen eingesetzt werden. Die Überprüfung der interkulturellen Validität von Skalen stellt demzufolge eine notwendige Bedingung für deren Einsatz im interkulturellen Kontext dar. Im Folgenden möchten wir mit einem Beispiel darstellen, wie methodisch vorgegangen werden kann, um eine Skala im interkulturellen Kontext zu validieren.
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Beispiel zur methodischen Vorgehensweise
Anlass für die folgende explorative Untersuchung war die Suche nach einer Skala zur Messung der Vertrauenswürdigkeit, die in einer kulturell diversen Probandengruppe eingesetzt werden sollte. Da eine Vielzahl aktueller Skalen zur Erhebung der Vertrauenswürdigkeit entweder aus einer theoretischen Kategorisierung der von Butler postulierten Bedingungen oder aus empirischen Faktorenanalysen dieser Bedingungen entstanden ist, fragten wir uns, ob ein in den USA entwickeltes Messinstrument auch in einem interkulturellen Kontext gültig ist. Es interessierte, ob abhängig von der kulturellen Herkunft einer Person, unterschiedliche Aspekte der Vertrauenswürdigkeit mit Vertrauen in Arbeitsbeziehungen in Zusammenhang gebracht werden. Insgesamt wurden 122 Teilnehmer unterschiedlicher kultureller Herkunft gebeten, die 10 Bedingungen für Vertrauen nach Butler sowie zwei Distraktoren gemäß ihrer Wichtigkeit für Vertrauen in Arbeitsbeziehungen in eine Rangordnung zu bringen. Mit dieser Fragestellung wurde bewusst offen gelassen, ob es sich um Aspekte der Vertrauenswürdigkeit einer anderen Person handelt oder ob diese Aspekte mit der eigenen Vertrauenswürdigkeit assoziiert werden. Da angenommen wird, dass sich Vertrauen spiralförmig verstärkt (vgl. Zand 1972), ist davon auszugehen, dass beide Attributionen, nämlich die eigenen als auch die fremden Verhaltens, sich auf das Vertrauen in einer Interaktionsbeziehung zwischen Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer auswirken. Die Untersuchungsteilnehmer wurden nach ihrer kulturellen Herkunft in vier Gruppen unterteilt: Deutschland (n= 64), Polen (n= 17), ehemalige UDSSR (n= 25) und China (n= 16). Innerhalb der Gruppen wurde aus den vergebenen Rängen für jede Vertrauensbedingung das arithmetische Mittel gebildet. Die Balkendiagramme in Abbildung 3 zeigen die Ergebnisse. Bei der Interpretation der Ergebnisse legten wir besonderes Augenmerk auf die Aspekte, die in allen Gruppen eine hohe Wertung erhielten, d.h. stark mit Vertrauen in Arbeitskolle-
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gen assoziiert wurden, als auch auf die, die eine geringe Wertung erhielten, d.h. nur wenig mit Vertrauen assoziiert wurden. Überdies interessierte uns, ob bedeutende Unterschiede in der Rangordnung zwischen den vier Gruppen bestehen. Die explorative Untersuchung weist darauf hin, dass unter den zehn ‚Conditions of Trust’ sowohl etische, kulturübergreifende als auch emische, kulturspezifische Indikatoren zu finden sind:
Übereinstimmend wurden in allen vier Gruppen zwei Aspekte der Vertrauenswürdigkeit besonders stark in Verbindung mit Vertrauen in Arbeitsbeziehungen gebracht: Vertrauen wurde in allen Kulturgruppen mit den Bedingungen der Integrität und Verlässlichkeit assoziiert. Die niedrigsten Rangplätze gemäß ihrer Bedeutung für Vertrauen erhielten übereinstimmend in allen vier Gruppen die Indikatoren Zugänglichkeit und Erreichbarkeit. Die größten Unterschiede hinsichtlich ihrer Relevanz bestanden zwischen der Bedeutung von Kompetenz, Loyalität und Fairness. In drei der vier Gruppen wurde diesen Aspekten sehr hohe Bedeutung zugemessen. Den Indikatoren Loyalität und Fairness wurden in der Gruppe ‚ehemalige UDSSR’ im Vergleich nur sehr niedrige Ränge vergeben. Der Kompetenz wurde in der Gruppe ‚China’ ein auffallend niedriger Rangplatz eingeräumt.
Angesichts des explorativen Charakters der vorliegenden Studie sowie des geringen Stichprobenumfangs sind für die Forschung an Vertrauen im interkulturellen Kontext weniger die konkreten Befunde, sondern vielmehr die methodischen Implikationen dieser Untersuchung von Bedeutung.
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Ergebnisse der explorativen Untersuchung
Abbildung 3:
Integrität
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Implikationen
Die vorliegenden Ausführungen zielen darauf ab, Operationalisierungsmöglichkeiten von Vertrauen im interkulturellen Kontext aufzuzeigen. Aus der Sicht der Vertrauensforschung wird dabei argumentiert, dass Vertrauen ein multidimensionales Konstrukt darstellt, welches sowohl über seine Determinanten und Wirkungen als auch direkt als Bereitschaft, verwundbar zu sein, gemessen werden kann. Die Erkenntnisse der interkulturellen Forschung weisen darauf hin, dass, aufgrund der zwischen Kulturen bestehenden Unterschiede, abstrakte Phänomene in verschiedenen Kulturen unterschiedlich konzeptualisiert werden. Angesichts dieser Unterschiede können die in einem Kulturkreis entwickelten Skalen nicht problemlos in einem anderen Kulturkreis eingesetzt werden. Diese Überlegungen legen den Schluss nahe, dass die Überprüfung der interkulturellen Validität von Erhebungsinstrumenten eine notwendige Bedingung für deren Einsatz im interkulturellen Kontext darstellt. Einen methodischen Annäherungsversuch an diese Problematik stellt die in dem vorangehenden empirischen Teil beschriebene explorative Untersuchung dar. Es wurde dabei überprüft, ob Instrumente zur Erhebung der Vertrauenswürdigkeit, die auf die zehn ‚Conditions of Trust’ von Butler zurückzuführen sind, in einer kulturell diversen Probandengruppe eingesetzt werden können. Ganz konkret ging es um die Frage, ob Mitglieder unterschiedlicher Kulturen die gleichen Aspekte der Vertrauenswürdigkeit als bedeutsam für ihre Vertrauensvergabe in Arbeitsbeziehungen erachten. Wie die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, variiert die relative Bedeutung der Ursachen für Vertrauen von Kultur zu Kultur. Hinsichtlich der hier zur Validierung des Erhebungsinstruments eingesetzten Vorgehensweise ist limitierend hervorzuheben, dass die betrachteten Items zur Messung der Vertrauenswürdigkeit nach Butler im nord-amerikanischen Raum ihren Ursprung haben, so dass die Versuchspersonen aus anderen Kulturkreisen durch die Vorgaben der einzuordnenden Dimensionen in das westliche Konzept von Vertrauen gezwängt werden. Folglich kann angesichts des Mangels an Erkenntnissen bezüglich der Konzeptualisierung der Vertrauenswürdigkeit in anderen Kulturkreisen die gewählte Vorgehensweise nur einen rein explorativen Charakter haben. An dieser Kritik ansetzend, sollen abschließend Richtlinien für die Entwicklung einer interkulturell gültigen Skala zur Messung der Vertrauenswürdigkeit herausgestellt werden. Zur Entwicklung eines interkulturell validen Erhebungsinstruments ist in einem ersten Schritt das zu untersuchende Phänomen aus der Perspektive der relevanten Kulturen zu betrachten. Damit bezieht der Forscher zunächst eine emische Perspektive, um Verständnis dafür zu entwickeln, wie das Phänomen
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innerhalb der Kulturen konzeptualisiert wird. Dies kann beispielsweise mit Hilfe einer qualitativen Analyse realisiert werden. Anhand von Literaturanalysen, Interviews etc. wird so überprüft, welche Begriffe oder Phänomene mit Vertrauenswürdigkeit in unterschiedlichen Kulturkreisen assoziiert werden. Dabei werden Ursachen für Vertrauen identifiziert, die in den zu betrachtenden Kulturen relevant sind. Eine solche Vorgehensweise wird in der Literatur als ‚combined emic-etic’ bezeichnet und als ‚Best Practice’ empfohlen (vgl. Schaffer/Riordan 2003). Um schließlich zentrale Aspekte der Vertrauenswürdigkeit zu ermitteln, kann das in der zuvor dargestellten explorativen Untersuchung beschriebene Verfahren eingesetzt werden. In einem zweiten Schritt sind die in beiden Kulturen identifizierten Vertrauensbedingungen miteinander zu vergleichen, um Übereinstimmungen und Differenzen zu identifizieren. Auf dieser Grundlage werden die universellen (etischen) und die kulturspezifischen (emischen) Dimensionen des Konstrukts ermittelt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse erlauben dem Forscher in einem dritten Schritt sowohl kulturspezifische als auch universelle Skalen zur Messung der Vertrauenswürdigkeit zu entwickeln. Eine Skala, die im interkulturellen Kontext eingesetzt wird, sollte jedoch nur die universellen Aspekte des zu betrachtenden Phänomens beinhalten. Der Versuch, emische Aspekte im Kontext anderer Kulturen zu erheben, ist zum Scheitern verurteilt, da die Items dort auf Unverständnis und/oder Ablehnung stoßen würden. Die auf diese Weise entwickelten Erhebungsinstrumente sind in Voruntersuchungen zu testen. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei die Skalierungsäquivalenz erhalten, da in interkulturellen Studien vielfach Instrumente in Form von Likert-Skalen oder semantischen Differentialen zum Einsatz kommen. Schaffer und Riordan weisen darauf hin, dass „[i]n validating the survey instrument, researchers must also be concerned with (…) whether respondents perceive and interpret rating-scale intervals in the same manner” (Schaffer/Riordan 2003: 191). Die am häufigsten im Zusammenhang mit interkultureller Forschung betrachtete Problematik betrifft dabei die uneinheitliche Interpretation des Skalenmittelpunktes. Vor allem Probanden aus kollektivistischen Kulturen tendieren dazu, Extremantworten zu vermeiden15 oder den Items, unabhängig von deren Inhalt, generell zuzustimmen (vgl. Schaffer/Riordan 2003: 191).
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Triandis et al. führen dies auf kulturelle Normen zurück, welche in asiatischen Kulturen eine gewisse Bescheidenheit und Zurückhaltung diktieren (vgl. Triandis et al. 1990).
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Zur Sicherung der Äquivalenz in interkulturellen Studien wird daher der Einsatz von Skalen empfohlen, die individuell für jede kulturelle Gruppe entwickelt wurden (vgl. Adler 1983: 39).16 Zusammenfassend werden in Abbildung 4 die drei zentralen Schritte zur Gewährleistung der interkulturellen Validität von Erhebungsinstrumenten in ihrer Vorgehensweise dargelegt. Schritt 1 Wie wird das Konstrukt in den zu untersuchenden Kulturkreisen konzeptualisiert? Sichtung von historischer, religiöser und schöner Literatur aus Kultur A und B Analyse von Fachliteratur aus Kultur A und B Interviews mit Vertretern der Kulturen A und B Überprüfung der relativen Bedeutung der identifizierten Dimensionen innerhalb beider Kulturen
Schritt 2 Welche Dimensionen des Phänomens sind universell und welche kulturspezifisch? Vergleich der identifizierten Dimensionen Ermittlung der Überschneidungen und Differenzen
Schritt 3 Entwicklung einer interkulturell gültigen Skala Entwicklung von Items auf der Basis der identifizierten Dimensionen Pre-Test des entwickelten Instrumentariums an einer Stichprobe mit Vertretern beider Kulturen Überprüfung der Skalierungsäquivalenz
Abbildung 4:
Entwicklung eines interkulturell validen Erhebungsinstruments
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Allerdings kann auch ex-post unter Verwendung der Kovarianz-Struktur-Analyse und der Probabilistischen Testtheorie (Item-Response-Theory) überprüft werden, inwieweit die Items gleiche Wirkung in allen kulturellen Gruppen entfalten. Zur Beschreibung beider Methoden vgl. u.a. Schaffer/Riordan 2003: 193ff.
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„Gemeinsam den Kopf hinhalten, falls etwas mal nicht gut gelaufen ist" - Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen Julia Bürger & Lucie Bouzková
1
Einleitung
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Vertrauen zwischen deutschen und tschechischen Mitarbeitern (Fach- und Führungskräften) in deutschtschechischen Unternehmen. Zwischen Deutschland und Tschechien gibt es seit vielen Jahren eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit. Viele deutsche Unternehmen haben im Laufe der letzten 15 Jahre Standorte oder Tochterunternehmen in Tschechien aufgebaut bzw. erworben. Von den Mitarbeitern dieser Unternehmen wird auf beiden Seiten eine intensive und möglichst reibungslose Zusammenarbeit erwartet. Um dies umzusetzen, müssen die Mitarbeiter allerdings ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen aufbauen. Dies sei nicht einfach zu erreichen, sagen die in der hier dargestellten Studie befragten Praktiker, Vertrauen sei jedoch die ‚Basis’ für Erfolg. Die große Auswirkung von Vertrauen auf die tägliche Arbeit beschreibt ein tschechischer Manager folgendermaßen: „Vertrauen – das ist der wichtigste Punkt. Die deutsche Firmenleitung muss Vertrauen zum tschechischen Management haben und glauben, was wir sagen. Davon hängt es ab, wie viel Entscheidungsfreiraum und Autorität das tschechische Management bekommt.“ (Interview Cz5)
Diese Aussagen gaben u.a. den Ausschlag dafür, dass im Rahmen eines Projektes, das die Personalführung in deutsch-tschechischen Unternehmen untersuchte1, das Thema Vertrauen aufgenommen und durch eine weitere Unter1
Projekt „Analyse und Lösungsmöglichkeiten kulturell bedingter Probleme der Personalführung in deutsch-tschechischen Gemeinschaftsunternehmen“; gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst im Rahmen des Forost-Forschungsverbundes. Das Projekt war ein Gemeinschaftsprojekt der Wirtschaftsuniversität Prag (Prof. Ivan Nov, Hana indeláová, Martin Luke) und der Universität Regensburg (Prof. Dr. Alexander Thomas, Julia Bürger).
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Julia Bürger/ Lucie Bouzková
suchung (Bouzková 2005) ergänzt wurde. Bisher wurde das Thema Vertrauen in deutsch-tschechischen Arbeitsbeziehungen nicht untersucht. Die hier vorgestellten Ergebnisse stellen daher eine erste Annäherung an den Themenkomplex dar. Vertrauen wird dabei aus der Perspektive der interkulturellen Psychologie betrachtet und bezieht sich auf interpersonales Vertrauen, insbesondere auf Merkmale für Vertrauenswürdigkeit bei einem Kollegen/Mitarbeiter, innerhalb eines Unternehmens/einer Unternehmensgruppe. Die Untersuchung wurde mit qualitativen Forschungsmethoden durchgeführt.
2
Vertrauen im interkulturellen Kontext
Einhergehend mit der zunehmenden Globalisierung wird die Frage nach Vertrauen in internationalen oder interkulturellen Geschäfts- und Arbeitsbeziehungen immer häufiger gestellt (z.B. Child 2001; Parkhe 1998). Die Vertrauensforschung in interkulturellen Kontexten entwickelt sich allerdings erst innerhalb des letzten Jahrzehnts (z.B. P. Doney et al. 1998). Empirische Arbeiten hierzu gibt es insgesamt nur wenige mit sehr unterschiedlichem Fokus und unterschiedlicher Methodik (z.B. Kühlmann & Schuhmann 2002;Li et al. 2006; Willinger et al. 2003). Zur Betrachtung des Konzepts ‚Vertrauen’ wurde in dieser Untersuchung die ‚Differentielle Vertrauenstheorie’ von M. Schweer (1997; vgl. Schweer & Thies 2003) als Referenzmodell gewählt und mit den Annahmen der interkulturellen Psychologie verknüpft. Diese Theorie bildet einen Rahmen für den Vertrauensentwicklungsprozess zwischen Individuen. Sie basiert auf den beiden Grundannahmen der ‚individuellen Vertrauenstendenz’ und der ‚impliziten Vertrauenstheorie’, und verknüpft damit personale und situative Variablen. Die individuelle Vertrauenstendenz beinhaltet die Überzeugung einer Person, inwieweit Vertrauen in einem spezifischen Lebensbereich, hier also in Arbeitsbeziehungen, tatsächlich möglich ist. Für das vorliegende Forschungsprojekt ist v.a. die zweite Grundannahmen, die ‚implizite Vertrauenstheorie’ von Bedeutung. Sie umfasst die individuellen und lebensbereichsspezifischen normativen Erwartungen an einen vertrauenswürdigen Interaktionspartner (Schweer & Thies 2003: 9), d.h. die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die der ‚Prototyp des vertrauenswürdigen Menschen’ in dem jeweiligen Lebensbereich haben bzw. zeigen sollte. Eine positive Vertrauensentwicklung findet statt, wenn es zu einer Übereinstimmung zwischen normativer Erwartung an den Interaktionspartner und der tatsächlichen Realität kommt. Schweer spricht in diesem Falle von Vertrauenskonkordanz. Vertrauensdiskordanz entsteht, wenn die normativ erwarteten Eigenschaften oder Verhaltensweisen beim Interaktionspartner nicht wahrgenom-
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men werden, woraus sich eine negative Vertrauensentwicklung ergeben kann. „Die impliziten Vertrauenstheorien variieren analog zur Vertrauenstendenz sowohl über verschiedene Lebensbereiche [...] zum anderen aber unterscheiden sich die impliziten Vertrauenstheorien von Individuen im Hinblick auf ein und denselben Lebensbereich.“ (Schweer & Thies 2003: 10). Dieses Rahmenmodell wurde deshalb für die vorliegende Untersuchung gewählt, da sie keine Vorgaben macht, aus welchen Komponenten ‚Vertrauenswürdigkeit’ (= die implizite Vertrauenstheorie) zusammengesetzt ist. Sie ist daher für eine explorative Untersuchung besonders geeignet. Dennoch soll kurz dargestellt werden, welche Indikatoren für Vertrauenswürdigkeit in der allgemeinen Forschungsliteratur diskutiert werden. Es wurden immer wieder Versuche unternommen, die wesentlichen Indikatoren von bzw. Erwartungen an vertrauensvolles Verhalten zu systematisieren und zu einer einheitlichen Vorstellung zu kommen (z.B. D. Rousseau et al. 1998). So schlagen R. C. Mayer, J. H. Davis & F. D. Schoormann (1995) in ihrem Modell die Faktoren ‚Competence’ (Fachkompetenz), ‚Benevolence’ (Wohlwollen) und ‚Integritiy’ (Integrität) als wesentliche Merkmale des ‚Trustees’ vor. Zu fast demselben Ergebnis kommen D. H. McNight & N. L. Chervany (2002), die aufbauend auf einer umfangreichen interdisziplinären Literaturzusammenstellung ein Modell vorschlagen, das dem Modellbestandteil der ‚Trusting Beliefs’ die Merkmale ‚Competence’, ‚Benevolence’, ‚Integrity’ und ‚Predictability’ zuordnet. Neubauer (1997) fasste die in der Literatur zu findenden Bestimmungsmerkmale für Vertrauen in der Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter folgendermaßen zusammen:
Kompetenz: Inwieweit werden dem Anderen entsprechende Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zugeschrieben, die zur Erfüllung der Aufgabe notwendig sind (fachliche Kompetenzen, Teamfähigkeit etc.)? Wohlwollen (Motivationale Komponente): Inwieweit kann man annehmen, dass die andere Person einem Gutes tun will (Unterstützung, Hilfe, Schaden abwenden)? Konsistenz (Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit): Es geht um die Frage, wieweit eine Person in ihrem Verhalten konsistent ist und inwieweit sie ihre geäußerten Absichten in die Tat umsetzt, so dass ihr Verhalten leichter vorhergesagt werden kann. Offenheit und Ehrlichkeit: Bereitschaft, Ideen und Informationen ohne Einschränkung oder Hintergedanken an die andere Person weiterzugeben.
Alle diese Systematisierungen weisen Ähnlichkeiten auf, keine hat sich jedoch in der Forschungsliteratur durchgesetzt. Dies mag daran liegen, dass die konkreten
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Julia Bürger/ Lucie Bouzková
Aspekte der ‚Vertrauenswürdigkeit’ eben je nach Kontext unterschiedlich ausfallen und eine jeweils andere Systematisierung sinnvoll erscheinen lassen. Aus einer interkulturellen Perspektive stellt sich die Frage, inwieweit die implizite Vertrauenstheorie eines Individuums durch seine Kultur beeinflusst ist und ob man diese auf einer Gruppenebene (d.h. die implizite Vertrauenstheorie deutscher/tschechischer Fach- und Führungskräfte) beschreiben kann. Von Interesse ist auch, welche Aspekte in interkulturellen Begegnungen zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Dabei beruht das hier verwendete Kulturverständnis auf der Definition von Thomas (1993), nach der... Kultur [...] ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem [ist]. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft usw. tradiert. Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft. (Thomas 1993: 380).
Durch die Kultur bekommen also die Bestandteile und Ereignisse der Umwelt für das Individuum, für Gruppen, Organisationen, Nationen usw. eine Ordnung, einen Sinn, eine Funktion und werden greifbar. Kulturen besitzen fließende Grenzen und ein Mensch wird im Laufe seines Lebens von unterschiedlichen Kulturen bzw. Subkulturen geprägt. Je nachdem, wo man die Grenzen einer Kultur setzt, kann man von Familienkulturen, Berufskulturen, Unternehmenskulturen, Nationalkulturen usw. sprechen. Je größer die Einheit ist, die man als Kultur bezeichnet, um so allgemeiner ist eine Aussage, die man über diese Kultur treffen kann. Wird von Kulturunterschieden gesprochen (z.B. bei der Gegenüberstellung von ‚Kulturstandards’), so beziehen diese sich auf eine Art ‚Erwartungswert’ der Kultur, von der einzelne Mitglieder mehr oder weniger stark abweichen (Bürger 2005). Wichtig für das Verständnis interkultureller Begegnungen ist, dass die eigenkulturellen Besonderheiten normalerweise nicht bewusst reflektiert werden, andere Personen, auch Angehörige anderer Kulturen, aber anhand dieser nicht bewusst reflektierten eigenkulturellen Besonderheiten bewertet werden. Entsprechend verhält es sich auch mit den Inhalten der impliziten Vertrauenstheorie. Implizite Theorien sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie in der Regel nicht explizit, also rational, kognitiv kontrolliert verfügbar sind, da die zu ihrer Entwicklung erforderlichen Prozesse nicht bewusstseinspflichtig sind (Bürger & Thomas 2007: 180). Wenn eine Person im Laufe ihres Lebens eine implizite Vertrauenstheorie entwickelt, ist es naheliegend, dass diese von den in ihrer Kultur geltenden Werten und Normen abhängt. Es wird daher angenommen, dass...
Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen
1.
2.
3
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... Vertrauen zwar eine universell verbreitete Grundkonstante im menschlichen Zusammenleben ist, aber verbale und nonverbale Zeichen, Symbole und Verhaltensweisen des Vertrauens bzw. Vertrauensaufbaus kulturspezifisch ausgeprägt sind. ... man Fremden eher misstraut als Mitgliedern der eigenen Kultur oder bekannten Personen. Fremde müssen sich das Vertrauen erst ‚verdienen’. Dies können sie aber nur, wenn sie diejenigen Verhaltensweisen zeigen, die den kulturspezifischen Erwartungen der Interaktionspartner entsprechen – oder diesen zumindest nicht vollkommen entgegen laufen. (vgl. Bürger & Thomas 2007: 175).
Ziele der Untersuchung
Das Hauptziel der Untersuchung ist es, anwendungsbezogene Ergebnisse zur Verbesserung deutsch-tschechischer Arbeitsbeziehungen zu generieren, die im Rahmen der Personalentwicklung eingesetzt werden können. Im Zentrum der Analyse stehen daher qualitative Beschreibungen der impliziten Vertrauenstheorien der befragten Personen auf Nationalitätenebene sowie deren Vorschläge für einen gelungenen Vertrauensaufbau, denn: „Will man das Vertrauen von Individuen gewinnen, muss man zunächst eruieren, welche Erwartungen diese haben, aber auch, ob man selbst gewillt und in der Lage ist, ihren Erwartungen zu entsprechen“ (Schweer & Thies 2003: 11). Die Zielgruppe sind deutsche und tschechische Fachkräfte aller Ebenen, die innerhalb eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe zusammenarbeiten, unabhängig davon, ob diese Zusammenarbeit an ein und demselben Ort oder über die Grenze hinweg erfolgt.
4
Datenerhebung
4.1 Datenquellen Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse zu Vertrauen in deutsch-tschechischen Beziehungen beruhen auf 2 unterschiedlichen Datenquellen. a.
Im Rahmen einer Studie zum Personalmanagement in deutsch-tschechischen Unternehmen wurden 33 teilstrukturierte Interviews mit deutschen (n = 19) und tschechischen (n = 14) Mitarbeitern des oberen und mittleren Managements in 12 deutsch-tschechischen Unternehmen (9 Industrieunternehmen, 3 Finanz- und Dienstleistungsunternehmen) geführt. Am Ende der
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b.
Julia Bürger/ Lucie Bouzková
Interviews wurden den Interviewpartnern (Ip) zusätzlich Fragen zum Thema Vertrauen gestellt. Die Interviews mit deutschen Ip wurden von einer deutschen Forscherin, die Interviews mit tschechischen Ip von 2 tschechischen Forschern in der jeweiligen Muttersprache erhoben Um die Vertrauensaspekte, insbesondere die Reziprozität der Vertrauensbeziehung im Detail zu analysieren, wurde in einem mittelständischen deutsch-tschechischen Industrieunternehmen eine weitere Studie durchgeführt, die ausschließlich auf das Thema Vertrauen fokussierte. Dabei wurden 12 weitere Interviews (5 deutsche, 7 tschechische) mit Führungskräften und Mitarbeitern geführt, die regelmäßig zusammen arbeiten. Diese Interviews untersuchten zusätzlich zur impliziten Vertrauenstheorie die individuelle Entwicklung der einzelnen deutsch-tschechischen Vertrauensbeziehungen (Dyaden). Alle 12 Interviews wurden von einer bilingualen tschechischen Forscherin erhoben.
4.2 Datenerhebung Bei den Interviews handelt es sich um teilstrukturierte Interviews. Im Interviewablauf wurden den Interviewpartnern (Ip) zunächst Fragen zum allgemeinen Verständnis von Vertrauen gestellt, um anschließend konkret auf das Vertrauen zwischen deutschen und tschechischen Mitarbeitern im Unternehmen einzugehen. Dazu wurden kontrastierende Fragen gestellt, bei denen die Ip Verhaltensweisen beschreiben sollten, die ‚vertrauenswürdige’ und ‚weniger vertrauenswürdige’ Vorgesetzte/ Kollegen/ Mitarbeiter unterscheiden. Darüber hinaus wurde die critical incident technique (Flanagan 1954) angewandt, um Vertrauen im deutsch-tschechischen Kontext anhand von Beschreibungen konkreter Verhaltensweisen, durch die Vertrauen aufgebaut bzw. verspielt wurde, näher zu beleuchten.
5
Ergebnisse
5.1 Die implizite Vertrauenstheorie deutscher und tschechischer Ip Die Interviewdaten (Datenquellen a+b) wurden anhand der Technik der Zusammenfassung der qualitativen Inhaltsanalyse nach P. Mayring (2003) ausgewertet. Die Kategorien der impliziten Vertrauenstheorie wurden zusätzlich drei Ebenen zugeordnet:
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1. 2. 3.
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Vertrauensmerkmalen auf der Sach- und Aufgabenebene Vertrauensmerkmalen, die von beiden Ebenen beeinflusst sind Vertrauensmerkmalen auf der Person- und Beziehungsebene
Da die Ergebnisse der Kulturstandardforschung (vgl. Schroll-Machl 2001) im Bereich von deutsch-tschechischen Wirtschaftskooperationen eine deutliche Sachorientierung bei deutschen Mitarbeitern und eine stärkere Personorientierung bei tschechischen Mitarbeitern postulieren, kann durch die Zuordnung zu den drei oben genannten Ebenen eine derartige Tendenz in der impliziten Vertrauenstheorie analysiert werden. Die Zuordnung zu den Ebenen erfolgte anhand der Beschreibungen von Verhaltensweisen und Situationen, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Kategorie genannt wurden. Beispielsweise wurde eine Aussage „wenn er seine Arbeit immer rechtzeitig erledigt [+ Verhaltensbeispiel]“ der Sach- und Aufgabenebene zugeordnet, während eine Aussage „wenn er sich merkt, was mir persönlich gefällt, was ich gerne mag [+ Verhaltensbeispiel]“ der Person- und Beziehungsebene zugeordnet wurde. Diese Zuordnung ermöglicht es, die in den Situations- und Verhaltensbeispielen aufgetretenen Unterschiede auch auf einer abstrakten Ebene (vgl. Tab. 1) darstellen zu können. Tabelle 1 enthält die Merkmale zur Ausprägung der impliziten Vertrauenstheorie von deutschen und tschechischen Ip. Generell kann bei der Beschreibung der impliziten Vertrauenstheorien für deutsche und tschechische Ip festgestellt werden, dass die Ip beider Nationen vergleichbare Kategorien nennen, dass aber Unterschiede in ihren konkreten Verhaltensbeispielen auftauchen. Diese Unterschiede können zum Großteil mit existierenden Forschungsergebnissen zu kulturellen Ausprägungen in Deutschland und Tschechien erklärt werden. Wenn dies der Fall ist, wird in der nachfolgenden Beschreibung darauf eingegangen.
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Julia Bürger/ Lucie Bouzková
Deutsche Ip Sach- und Aufgabenebene
Tschechische Ip Mitarbeiter/Kollegen:
Zuverlässigkeit/ Verantwortungsübernahme
Fachliche Qualifikation (Kompetenz)
Hilfsbereitschaft, Flexibilität und Engagement (arbeitsbezogen)
Vorgesetzter:
Direkte und offene Kommunikation
Sehr hohe Zuverlässigkeit
Fachliche ‚Unübertroffenheit’,
Ehrlichkeit
Sach- und Aufgabenebene mit Einfluss der Personund Beziehungsebene
Mitarbeiter/Kollegen: Loyalität (gegenüber Kollegen und der Firma)
Zuverlässigkeit Hilfsbereitschaft, Persönlicher Einsatz, (für Arbeit und Kollegen) Loyalität (gegenüber Kollegen) Offene Kommunikation (prozessbezogen) Vorgesetzter: Offene Kommunikation (prozessbezogen)
Person- und Beziehungsebene
Sympathie
Mitarbeiter/Kollegen/ Vorgesetzter: Freundlicher Umgang Einfühlsamkeit Vorgesetzter: Autorität (Charakterstärke, Strenge)
Tabelle 1: Faktoren der impliziten Vertrauenstheorie bei deutschen und tschechischen Ip (abgeändert nach Bouzková 2005) Die wesentlichen Erkenntnisse über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der impliziten Vertrauenstheorie deutscher und tschechischer Ip werden im Folgenden kurz zusammengefasst (für eine ausführliche Beschreibung vgl. Bouzková 2005; Bürger & Thomas 2007):
Die impliziten Vertrauenstheorien bestehen bei den deutschen Ip aus deutlich mehr und differenzierteren Erwartungen auf der Sach- und Aufgaben-
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ebene. Für die Person- und Beziehungsebene wurden dagegen eher allgemein gehaltene Aussagen über Sympathie „die Chemie muss stimmen“ (Interview D13, S. 26), aber keine konkreten Verhaltensbeispiele genannt. Die Erwartungen der tschechischen Ip verteilen sich demgegenüber gleichmäßig über die drei Ebenen, wobei hier v.a. eine starke Vermischung von Aufgaben- und Beziehungsebene zu verzeichnen ist. Dieses Ergebnis könnte mit dem in der Kulturstandardforschung beschriebenen Phänomen der stärkeren Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben bei deutschen Arbeitnehmern und einer deutlicheren Diffusion zwischen Arbeits- und Privatleben bei tschechischen Arbeitnehmer (vgl. Schroll-Machl 2001) erklärt werden. Auf tschechischer Seite ergibt sich eine Trennung zwischen den erwarteten Verhaltensweisen bei Kollegen/Mitarbeitern einerseits und Vorgesetzten andererseits. Deutsche Ip äußern hierbei keine wesentlichen Unterschiede. Dieses Ergebnis könnte man zum einen mit einer in tschechischen Firmen stärker ausgeprägten Hierarchieorientierung bzw. autoritärerem Führungsverhalten erklären (vgl. Reber et al. 2000; Mal 2002). Andererseits kann dies aber auch mit dem Erhebungskontext in deutsch-tschechischen Unternehmen zusammenhängen, in denen Deutsche so gut wie nie tschechische Vorgesetzte haben und die entsprechenden Inhalte der Vertrauenstheorie somit weniger zugänglich waren. Die Ergebnisse zeigen, dass die unter Punkt 2 beschriebenen Indikatoren für Vertrauenswürdigkeit (z.B. Mayer et al., 1995; Neubauer 1997) sowohl bei deutschen als auch bei tschechischen Ip in ihren Vertrauenstheorien vertreten sind. Dies gibt einen Hinweis darauf, dass es kulturvergleichend betrachtet grundlegende Vertrauenskomponenten gibt. Dennoch zeigen die Ergebnisse auch Unterschiede in Bezug auf vertrauenswürdiges Verhalten bzw. bezüglich des Übergangs zwischen Vertrauenswürdigkeit und Misstrauen förderndem Verhalten. Interessant ist dabei, dass die Komponente ‚Fachkompetenz’ nur von tschechischen Ip genannt wird. Dies hängt in den tschechischen Interviews mit der Erfahrung zusammen, dass Kollegen ihre Stelle eben nicht aufgrund ihrer Kompetenz oder Ausbildung, sondern eher über Beziehungen erhalten hatten (vgl. Bouzková 2005). Die deutschen Ip haben keine derartigen Erfahrungen berichtet und gehen davon aus, dass eine Person eine Stelle nur bekommt, wenn sie die fachliche Kompetenz besitzt. Daher wird ‚Fachkompetenz’ nicht als Merkmal vertrauenswürdiger Kollegen gesondert hervorgehoben. Die vertrauensrelevanten Kategorien ‚Zuverlässigkeit’, ‚Ehrlichkeit’, ‚Offene Kommunikation’, ‚Hilfsbereitschaft’ sowie ‚Loyalität’, sind Merkmale, die sowohl von tschechischen als auch von deutschen Ip genannt werden. Die präzise Beschreibung vertrauensstabilisierender bzw. auch Misstrauen
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erregender Verhaltensweisen, die mit diesen Kategorien assoziiert werden, weisen jedoch - manchmal sehr feine - Unterschiede zwischen deutschen und tschechischen Ip auf. Doch auch diese feinen Unterschiede werden im alltäglichen Zusammenleben handlungswirksam und wirken eindrucksbildend. Dies soll am Beispiel ‚Offene Kommunikation’ verdeutlicht werden: Für die Mehrheit der befragten deutschen Ip beinhaltet der Aspekt ‚Offene Kommunikation’, dass sowohl positive als auch negative (arbeitsbezogene) Ereignisse diskutiert bzw. darüber Rückmeldungen gegeben werden. Ehrlichkeit/Transparenz ist in diesem Sinn von zentraler Bedeutung, da die deutschen Ip häufig von Vertrauensverlusterlebnissen berichteten, in denen ihnen problematische Entwicklungen im Arbeitsprozess von tschechischen Kollegen nicht mitgeteilt wurden. Für tschechische Ip ist eine offene Kommunikation in Bezug auf arbeitsbezogene Probleme ebenfalls ein Zeichen für Vertrauenswürdigkeit. Für sie ist es jedoch nicht von so zentraler Bedeutung, dass Fehlentwicklungen offen angesprochen werden, d.h. es kommt in einem solchen Fall nicht zu Vertrauensverlust. Tschechische Ip zeigen deutlich mehr Toleranz, wenn personengebundenes Fehlverhalten nicht offen kommuniziert wird. Es ist bei diesen vielmehr so, dass es dann zu einer negativen Vertrauensentwicklung (gerade gegenüber Deutschen) kommt, wenn diese Toleranz nicht gezeigt wird (Teil der Kategorie ‚Loyalität’). In diesem Fall könnte ein unterschiedlicher Umgang mit Konflikten (Kulturstandard Konfliktvermeidung; vgl. Schroll-Machl 2001) bzw. eine eher indirekte Kommunikation (‚high context communication’; vgl. Hall & Hall 1990) bei den tschechischen Ip als Erklärung herangezogen werden. Bei der Dateninterpretation sind die Spezifika der befragten Gruppe und deren Auswirkung auf die Ergebnisse zu beachten, wie es sich bei der Unterscheidung zwischen Vorgesetzten/Kollegen auf tschechischer Seite oder der Nichtexistenz der Komponente „Fachkompetenz“ auf deutscher Seite zeigt. Darüber hinaus kommen die Ip in den meisten Fällen aus Industrieunternehmen, hauptsächlich aus dem Maschinenbau, Automobil- und Automobilzuliefererbereich. Die berichteten Inhalte der Ip aus dem Dienstleistungsbereich (n=8) weisen zwar keine deutlich anderen Kategorien auf, dennoch sollten Generalisierungen auf andere Bereiche nur vorsichtig vorgenommen werden. 5.2 Unterstützung des Vertrauensaufbaus Die im vorhergehenden Kapitel aufgezeigten Merkmale der impliziten Vertrauenstheorie zu kennen, kann beim Vertrauensaufbau bereits sehr hilfreich
Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen
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sein. Welche Möglichkeiten die befragten Ip zur Verbesserung der Vertrauensbeziehungen sehen, beschreibt dieses Kapitel. Insgesamt beziehen sich die in den Interviews genannten Vorschläge zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung entweder auf eine stärkere Berücksichtigung der kulturspezifischen Aspekte der impliziten Vertrauenstheorie der jeweils anderen Seite oder sie zielen auf den Abbau des - von tschechischer Seite noch viel deutlicher wahrgenommenen – ungleichen Machtverhältnisses und den damit einhergehenden Umständen in deutsch-tschechischen Unternehmen ab. Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Vorschläge der Ip für Angehörige der eigenen und der anderen Nationalität zeigt Tabelle 2.
Für Deutsche
Vorschläge deutscher Ip
Vorschläge tschechischer Ip
Mehr in die persönlichen Beziehungen investieren
Faire und gleiche Behandlung beider Nationalitäten
Sich gegenüber der Firmenleitung auf die Seite der tschechischen Kollegen stellen
Positive Beziehungen aufbauen, die über den Arbeitsbereich hinaus gehen
Von Firmenseite mehr Möglichkeiten zum gegenseitigen Kennen lernen schaffen (v.a. bei der Zusammenarbeit unterschiedlicher Standorte)
Niemals die Ideen eine tschechischen Kollegen als „eigene“ präsentieren
Absolute Transparenz der Firmenziele und der Erwartungen an einzelne Mitarbeiter Tschechische Kollegen immer in die Entscheidungsfindungen einbeziehen
Für Tschechen
Absprachen und Termine unbedingt einhalten Größere Offenheit gegenüber deutschen Kollegen
Unbedingt auch problematische und negative Themen mit deutschen Kollegen besprechen Niemals ein Versprechen geben, das man nicht einhalten kann (auch wenn es nur so dahin gesagt wurde)
Tabelle 2: Vorschläge zum Vertrauensaufbau in deutsch-tschechischen Arbeitsbeziehungen Allerdings wird die Frage, was getan werden kann, um Vertrauen aufzubauen, von den meisten Ip zunächst mit einer Aufzählung begonnen, was keinesfalls
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passieren darf bzw. was dem Vertrauensaufbau zwischen deutschen und tschechischen Kollegen im Weg steht. Viele tschechische Ip äußern dabei die Meinung, dass deutsche Kollegen und Vorgesetzte bereits großes Misstrauen gegenüber Tschechen mitbringen (v.a. hinsichtlich ihrer Kompetenz). Sie finden es wenig vertrauensförderlich, dass die deutschen Kollegen ständig alles, was ihre tschechischen Kollegen tun, kontrollieren und diese manchmal so behandeln, als hätten sie von Nichts Ahnung. Als Folge ziehen sich die tschechischen Ip zurück und vermeiden den Kontakt mit deutschen Kollegen. Die deutschen Ip wiederum empfinden ihre tschechischen Kollegen häufig als sehr verschlossen. „Mit dem Vertrauen tue ich mir schwer (...) Irgendwie hat man bei denen immer das Gefühl, dass noch was anderes im Hintergrund läuft. Also wenn einen einer gar nicht direkt ins Gesicht blickt, so als hätte er was zu verbergen...“ (Interview D8: 18). Deutsche Expatriates, die bereits längere Zeit in Tschechien leben, berichten von Vorurteilen und negativen Gefühlen der Tschechen gegenüber Deutschen, die allerdings nie direkt geäußert werden. Dies verunsichert einige deutsche Ip und führt dazu, dass diese noch distanzierter auftreten. Die Reaktionen der Ip auf die aus ihrer Sicht nicht vertrauenswürdigen Verhaltensweisen der anderen Seite belasten das Vertrauensverhältnis weiter, denn der Rückzug der tschechischen Ip verstärkt bei den Deutschen den Eindruck, dass die tschechischen Kollegen etwas zu verbergen hätten. Die Distanz der deutschen Ip wiederum verstärkt bei den tschechischen Kollegen das Gefühl, dass Deutsche an einer freundlichen Zusammenarbeit nicht interessiert sind. Um solche Teufelskreise zu durchbrechen, schlagen die Ip auf beiden Seiten vor, dass man sich viel mehr Zeit füreinander nehmen müsste bzw. diese Zeit auch seitens der Vorgesetzten bzw. der Firmenleitung zur Verfügung gestellt werden sollte, um zu verhindern, dass sich das zu Beginn häufig vorhandene latente Misstrauen nicht noch weiter verstärkt. Sehr oft wird auch das asymmetrisches Machtgefälle zwischen Deutschen und Tschechen im Unternehmen, das aus Sicht der tschechischen Ip selbst dann bestehen bleibt, wenn die Kollegen offiziell die gleiche Hierarchieebene bekleiden, als Vertrauenshemmnis thematisiert. Viele Ip berichteten aber auch von Ereignissen, die positive Vertrauensentwicklungen zur Folge hatten. Beispielsweise sagt ein deutscher Ip, als er um Vorschläge zum Vertrauensaufbau gebeten wird, lächelnd: „Gemeinsam den Kopf hinhalten, falls etwas mal nicht gut gelaufen ist, ist eine schöne vertrauensbildende Maßnahme,“ (Interview D15: 28) Er berichtet, dass sein tschechischer Kollege ihm Vertrauen entgegen bringt, seit er sich mit ihm gemeinsam für einen Fehler verantwortlich gezeigt hat.
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„Sonst lief das bei uns im Unternehmen immer so: Die Deutschen beschuldigen die Tschechen, die Tschechen die Deutschen und keiner will es gewesen sein. Aber damals habe ich unserem Vorgesetzten gesagt, dass ich da genauso mit dran schuld bin. War ich nämlich auch. Seitdem haben X (Name des tschechischen Kollegen) und ich ein wirklich gutes Verhältnis. Ja, das Vertrauen ist gewachsen.“ (Interview D15: 28/29).
Überrascht zeigen sich einige deutsche Ip auch darüber, wie positiv es sich auf die Beziehung zu tschechischen Kollegen auswirkt, wenn sie einige Sätze tschechisch lernen oder sich für tschechische Themen interessieren. Als Folge funktioniere auch die Zusammenarbeit wesentlich besser. Ein deutscher Ip baut mit der Zeit ein recht stabiles Vertrauensverhältnis zu tschechischen Mitarbeitern und Kollegen auf, indem es ihm gelingt, das eigene Bedürfnis nach Kontrolle und das Bedürfnis seiner tschechischen Kollegen nach einer guten und freundschaftlichen Beziehung miteinander zu verbinden: „Ich bin der totale Kontrollfreak. Ich muss immer genau wissen, was Sache ist. Schließlich trage ich ja auch die Verantwortung. Aber es muss ja nicht wie Kontrolle aussehen (...) Also ich mache jeden Tag meine Runde, gehe bei allen vorbei und frage, wie es läuft, wie es ihnen so geht. Dafür muss man sich die Zeit nehmen, auch mal für einen privaten Ratsch. So bekomme ich ziemlich schnell mit, wenn etwas nicht richtig läuft, ohne dass ich da ständig oberlehrerhaft rumrenne und an den Leuten rumkritisiere. So habe ich mit der Zeit eine gute Vertrauensbasis geschaffen.“ (Interview D9: 5).
5.3 Vertrauensentwicklungen in einem Fallunternehmen In einem mittelständischen Industrieunternehmen wurden zusätzlich die konkreten Vertrauensbeziehungen zwischen 5 deutschen und 7 tschechischen Angehörigen des Unternehmens untersucht (Datenquelle b). Insbesondere wurde analysiert, wie die Ip an die Arbeitsbeziehung mit den jeweils anderskulturellen Partnern herangehen und wie sich die Vertrauensbeziehungen im Laufe der Zeit entwickeln. Dafür wurde das zwischen den Partnern bestehende Vertrauen aus den Interviewdaten auf einer Skala mit drei Stufen eingeschätzt: Stufe 1: Misstrauen Stufe 2: Unsicherheit und Ambivalenz im Vertrauen Stufe 3: Vertrauen Hierbei wurden wiederum unterschiedliche Tendenzen bei deutschen und tschechischen Ip festgestellt:
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Bei den deutschen Ip im Fallunternehmen zeigt sich, dass sie ihre Arbeitsbeziehungen mit tschechischen Kollegen entweder mit einem hohen Maß an Vertrauen beginnen, ganz im Sinne des Zitates „Ich bin eine Person, die generell an das Gute im Menschen glaubt“ (Interview D3: 41). Oder sie gehen die Beziehung ‚neutral’ an, d.h. auf der Stufe Unsicherheit und Ambivalenz im Vertrauen. Im Gegensatz dazu misstrauen zu Beginn alle tschechischen Ip ihren deutschen Arbeitskollegen/Vorgesetzten. Sie führen als Gründe die anfänglich unangenehmen Arbeitsbedingungen an, die die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen und Vorgesetzten mit sich brachte. Die deutschen Ip berichten zwar auch, dass die Kontakte zu den tschechischen Kollegen in einer eher angespannten Atmosphäre begannen. Diese Umstände hätten sich jedoch nicht auf das Vertrauen in die tschechischen Kollegen ausgewirkt. Vielmehr beeinflusst die Vertrauensentwicklung der deutschen Ip langfristig, wenn tschechische Kollegen Zuverlässigkeit und Verantwortung zeigen und offen über positive und auch negative Arbeitsereignisse kommunizieren, d.h. wenn die Erwartungen auf der Sach- und Aufgabenebene der impliziten Vertrauenstheorie von tschechischer Seite erfüllt werden (vgl. 5.1). Das anfängliche Misstrauen der tschechischen Ip könnte darauf zurückgeführt werden, dass sie die angespannte Atmosphäre als einen vertrauenshemmenden Faktor wahrgenehmen. Hierbei wurden ihre Erwartungen im Bezug auf einen freundlichen Umgang untereinander, ein Aspekt der impliziten Vertrauenstheorie der tschechischen Ip, nicht erfüllt. Die Bedeutung der Person- und Beziehungsebene für die Vertrauensbildung der tschechischen Ip zeigt sich auf lange Sicht darin, dass das Vertrauen in deutsche Kollegen/Vorgesetzte in mehreren Fällen starken Schwankungen unterliegt. Hohes Vertrauen wird den deutschen Ip vor allem dank ihrer fachlichen Kompetenz entgegengebracht, d.h. wenn sie die Erwartungen der tschechischen Ip auf der Sach- und Aufgabenebene erfüllen. Dagegen verursacht die mangelnde Beziehungspflege fast aller deutschen Ip in diesem Unternehmen bei den tschechischen Arbeitskollegen regelmäßig Vertrauenseinbrüche. Im Folgenden wird eine konkrete Vertrauensbeziehung zwischen einer tschechischen Mitarbeiterin (CZ1) und ihrem deutschen Vorgesetzten (D5) dargestellt: Auch wenn D5 streng ist und dies bei CZ1 am Anfang zu Verunsicherungen führt, erfüllt D5 die Erwartungen von CZ1 an einen guten Chef auf der Sach- und Aufgabenebene. Er ist zuverlässig, fachlich hervorragend und übernimmt Verantwortung. Auf dieser Ebene beschreibt sie ihn als vertrauenswürdige Person. „Am Anfang fand ich ihn so streng, er hat alles kontrolliert, hat alles durchgesucht, ständig nachgehackt, wollte alles wissen. Dann habe ich aber gesehen, dass er vor allem sehr aufrichtig ist und seine Arbeit sehr ernst nimmt. (...) Ihm kann man schon vertrauen, er ist der richtige Geschäftsführer, fachlich super kompetent, kann moti-
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vieren. Er macht es oft mit Druck, aber das schadet ja hin und wieder nicht.“ (Interview Cz1; Übersetzung L. Bouzková).
Bezogen auf die Person- und Beziehungsebene erfüllt D5 auch einige Erwartungen von CZ1, z.B. ist er hilfsbereit, versucht sich in kollektive Problembesprechungen einzubringen und geht im Allgemeinen mit seinen Mitarbeitern freundlich um. Trotzdem schwankt das Vertrauensverhältnis von CZ1 zu D5, da er aus ihrer Sicht viel zu streng und hart mit seinen Mitarbeitern umgeht, v.a. wenn diese einen Fehler gemacht haben. So wird er häufig laut und verzeiht es nicht, wenn von den Mitarbeitern nicht immer absolute Transparenz (Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit) gezeigt wird. „Er kann auch irgendwie freundlich und nett sein. (...) ja, manchmal rastet er aber total aus. Er ist dann wie besessen (...) Er regt sich dann auf und hört nicht auf. Bei mir macht er es nicht, aber bei den Kollegen, wenn sie einen Fehler machen, oder ihn nicht über einen Fehler sofort informieren, die überführt er dann richtig und hört nicht auf und hört nicht auf. Wir sitzen im Nebenzimmer, hören also alles und dann läuft er durch unser Büro hin und her und schreit die Jungs an. Da ist sein Verhalten unheimlich. Ich denke dann, dass er unberechenbar ist. Und ich habe dann auch Zweifel an ihm, weil ich nicht weiß, wann er wieder so ausrastet. Ich denke auch, nie einen Fehler machen zu dürfen, sonst gehöre ich eines Tages auch dazu. Das belastet mich. (…) also ich kann nicht sagen, dass ich ihm deshalb gar nicht vertrauen würde, er ist schon ein guter Chef, aber das Vertrauen geht dann nach unten. Er ist dann eben unberechenbar und unheimlich. Da zweifle ich an ihm schon und weiß nicht, wozu er so fähig wäre. (...) also das sind die Situationen, eben wenn jemand einen Fehler macht und noch schlimmer, wenn er es nicht gleich sagt, dass er einen Fehler gemacht hat." (Interview Cz1; Übersetzung L. Bouzková).
In diesem Bereich würde es sich auf das Vertrauen von CZ1 zu D5 positiv auswirken, wenn D5 mehr Nachsicht und Toleranz gegenüber Schwächen der tschechischen Mitarbeiter zeigen würde. Nach Ansicht von D5 sollte ein vertrauenswürdiger Mitarbeiter sich folgendermaßen verhalten: „(…) damit ich vertrauen kann, ist wichtig, wenn jemand ein Problem hat, dass er das offen und artikuliert äußert. (…) auch Loyalität zum Unternehmen gehört dazu und seine Arbeit tun, so das ganze Paket, was dazu gehört. Dass er sich einfach für unsere Ziele, für das Unternehmen einsetzt.“ (Interview D5).
D5 hat zu CZ1 Vertrauen. Er beschreibt sie als zuverlässig und verantwortungsbewusst. Ihre Kommunikation zeichnet sich durch Offenheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit aus. Sie ist eine Mitarbeiterin, die ihre Arbeit macht, wie es sich
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D5 vorstellt. Sie erfüllt seine Erwartungen bezüglich der Sach- und Aufgabenebene völlig. „(…) sie ist eine Mitarbeiterin, zu der ich volles Vertrauen habe. Da weiß ich, dass ich sie nicht kontrollieren muss und ich kann mich verlassen. Sie macht ihre Arbeit gut, das Ding, das läuft einfach bei ihr. Wenn sie mit einer Frage kommt, weiß ich, dass sie schon alle Möglichkeiten ausprobiert hat (…) sie kommt nicht mit Kleinigkeiten zu mir, übernimmt Verantwortung für ihre Sache.“ (Interview D5).
CZ1 wird auch als freundliche Person beschrieben, doch nach Meinung von D5 hat dies nichts mit Vertrauen in einen Mitarbeiter zu tun. „(…) sie ist eine sympathische Person und ich arbeite gern mit ihr zusammen. Also da gibt es schon andere, mit denen ich eher ungern arbeite, aber das hat keinen Einfluss auf das Vertrauen in der Arbeit. Sie arbeitet so, wie ich es mir vorstelle, deshalb vertraue ich ihr. Z.B. derjenige, mit dem ich ungern zusammen arbeite, macht seine Sache auch gut und ich vertraue ihm auch. Das ist kein Einfluss.“
An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass es für beide Seiten hinsichtlich einer positiven Vertrauensentwicklung von Bedeutung ist, wenn der Partner seine ‚Arbeit versteht’, d.h. wenn die Erwartungen auf der Sach- und Aufgabenebene erfüllt sind. Bei der tschechischen Ip ist zusätzlich eine Forderung auf ‚mehr Menschlichkeit’ zu verzeichnen, damit ihr Vertrauen in den deutschen Partner tatsächlich stabil ist. Diese Erwartung auf der Beziehungsebene deckt sich nicht mit der Erwartung von D5, der eine gute Beziehung für Vertrauen in Arbeitsangelegenheiten als nicht ausschlaggebend betrachtet. Für ihn ist dies ein angenehmer Nebeneffekt, während es für CZ1 ein für Vertrauen unabdingbarer Faktor ist. Wäre D5 nicht der Vorgesetzte sondern ein Kollege, wären die Erwartungen von CZ1 auf der Person- und Beziehungsebene an ihn sogar noch größer. Ein ähnlicher Trend zeigt sich in mehreren deutsch-tschechischen Arbeitsbeziehungen im Fallunternehmen. Die tschechischen Ip entwickeln häufig aufgrund einer mangelnden Erfüllung ihrer Erwartungen auf der Person- und Beziehungsebene erst gar kein Vertrauen zu den deutschen Ip oder verlieren es mit der Zeit. Die deutschen Ip dagegen verlieren ihr Vertrauen dann, wenn es Probleme im Arbeitsbereich gibt und sie mangelnde Ehrlichkeit oder Kompetenz der tschechischen Ip dafür verantwortlich machen. Es kommt auch mehrmals vor, dass die deutschen Ip Vertrauen in ihre tschechischen Kollegen/Mitarbeiter haben, aber nicht wissen, dass dies nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht und ihnen ihr tschechisches Gegenüber ambivalent gegenüber steht oder gar misstraut. Es entsteht der Eindruck, dass die deutschen Ip im Fallunternehmen auf der Person- und Beziehungsebene tatsächlich weniger Erwartungen an ihre tschechi-
Interpersonales Vertrauen in deutsch-tschechischen Unternehmen
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schen Kollegen haben und derartige Verhaltensweisen deshalb bei diesen auch nicht suchen bzw. nicht erkennen. 6
Zusammenfassung
Ausgehend von der Annahme, dass Vertrauen eine wesentliche Rolle in der interkulturellen Zusammenarbeit spielt, dieser Vertrauensaufbau jedoch für Unternehmensmitarbeiter eine große Herausforderung darstellt, wurden die impliziten Vertrauenstheorien deutscher und tschechischer Kollegen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Exploration der Vertrauenserwartungen fremdkultureller Kollegen wertvolle Implikationen für den deutsch-tschechischen Arbeitsalltag liefern kann. Die Komponenten für vertrauensvolles Verhalten im Arbeitskontext weisen zwischen deutschen und tschechischen Unternehmensmitarbeitern Ähnlichkeiten auf einer abstrakten Ebene auf, wohingegen sich bedeutende Unterschiede auf der Verhaltensebene zeigen. Aus diesen Unterschieden und aus den Vorschlägen der befragten Mitarbeiter wurden Vorschläge für den Vertrauensaufbau zwischen deutschen und tschechischen Unternehmensmitarbeitern erarbeitet. Die Beschreibung konkreter Vertrauensbeziehungen in einem Fallunternehmen zeigt unterschiedliche Seiten, die bei der Vertrauensentwicklung zu berücksichtigen sind. Literatur Bouzková, Lucie (2005): Vertrauensentwicklung in der beruflichen Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Tschechen. Universität Regensburg: Unveröff. Diplomarbeit Bürger, Julia (2005): Aufbau Interkultureller Kompetenz am Beispiel deutschtschechischer Unternehmen. In: Koch (2005): 11-27 Bürger, Julia / Thomas, Alexander (2007): Effektive Personalführung in der deutschtschechischen Wirtschaftskooperation. München: forost-Arbeitspapier Nr. 40 Child, John: Trust – The fundamental bond in global collaboration. In: Organizational Dynamics 29. 2001. 274-288 Doney, Patricia M. / Cannon, Joseph P. / Mullen, Michael R.: Understanding the influence of national culture on the development of trust. Special Topic forum on Trust in and between Organizations. In: Academy of Management Review 23. 1998. 601620 Flanagan, John C.: The Critical Incident Technique. In: Psychological Bulletin 51. 1954. 327-358 Hall, Edward T. / Hall, Mildred R. (1990): Understanding Cultural Differences. Yarmouth /Main: Intercultural Press Koch, Eckart (Hrsg.) (2005): Osterweiterung der EU – neue Chancen für interkulturelle Kooperation. München/ Mering: Rainer Hampp
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Julia Bürger/ Lucie Bouzková
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Relationship Management für Führungskräfte Ein Modul für das interkulturelle Training deutscher und französischer Manager Robert Münscher
Die Geschichte von den Konzepten A und B Ein deutscher Manager eines internationalen Industriekonzerns berichtet: Ich dachte eine Zeit lang, ich hätte da eine gewisse Vertrauensbasis geschaffen. Ich musste dann aber feststellen – und das habe ich aber eben bei den Kollegen in Frankreich generell festgestellt: Ein Vertrauen wie ich es hier in Deutschland in Kollegen haben kann […] kann ich [mit diesem französischen Kollegen] nicht entwickeln – weil für ihn eine Vereinbarung heute die Basis für einen weiteren Kompromiss morgen darstellt. Also wenn ich mit diesem Kollegen etwas vereinbare, dann gilt das heute, und morgen wird das Ding interpretiert, sind die Rahmenbedingungen geändert, und dann gilt das nicht mehr. Und mit der Art und Weise umzugehen, fällt uns Deutschen – und mir auch – relativ schwer. [DF-01]
Ein französischer Manager desselben internationalen Industriekonzerns berichtet: Es waren angespannte Zeiten in dem Projekt. Daher wollte ich zur Auflockerung einen kleinen Scherz machen, aber einen ironischen Scherz. Und mein deutscher Kollege hat das nicht kapiert. Ganz im Gegenteil: Er hat das als einen Versuch aufgefasst, die Aufteilung der Zuständigkeiten, die wir beschlossen hatten, zu hintertreiben bzw. aufzukündigen. Und da habe ich dann verstanden, dass es gefährlich ist, mit den deutschen Kollegen ironische Scherze machen zu wollen, und dass ich das lieber nur mit meinen französischen Kollegen machen sollte, denn wir sind es gewohnt, ironische Kommentare zu machen. Ich werde Ihnen kurz die Geschichte zusammenfassen: Wir waren in dem Projekt gerade dabei, auf eine Ausschreibung zu reagieren. Dazu hatten wir für den Kunden zwei Vorschläge entwickelt, die wir das Konzept A und das Konzept B genannt hatten. Konzept A wurde von meinen Kollegen in Bremen entwickelt. Bremen fängt ja nun mit B an, aber ich war hier in Aquitanien, und wir sollten das B entwickeln. Und dann hatte ich meinem deutschen Kollegen eben so in dem Stil geschrieben: „Das geht so nicht. Das ist doch unlogisch. Wir sollten besser mein Konzept das ‘Konzept A’ nennen, und du solltest besser deins das ‘Konzept B’ nennen! Wir müssen das doch irgendwie etwas logischer, etwas kartesianischer machen.“
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Er hat dann tatsächlich gedacht, dass ich mich auf die alphabetische Reihenfolge beziehe, also A ist ja vor B. Er hat gedacht, ich wollte mich vor ihn drängen. Aber es war ja einfach nur Humor – in Bezug auf das Konzept A der Bremer und mein Konzept B hier in Aquitanien. Wir hatten uns da Emails geschrieben, und er hat wirklich sehr heftig reagiert: „Aber nein! Wir hatten doch entschieden, dass ich das Konzept A mache. Damit sollte doch völlig klar sein, dass wir das nicht noch einmal in Frage stellen! Ich weiß wirklich nicht, was du damit jetzt sagen willst!“ Ich wollte wirklich nur ein bisschen die Atmosphäre auflockern. Aber das ist überhaupt nicht bei ihm angekommen. […] Ich wollte damit ja nicht erreichen, mehr Zuständigkeiten in dem Projekt oder mehr Arbeitspakete für mein Team gegenüber seinem Team zu bekommen. Er hat es als Rivalität aufgefasst, als einen Versuch, die Machtbalance zu ändern. Dabei war es einfach nur so ein Witz nebenbei. […] – Deshalb rate ich meinen Mitarbeitern auch immer, dass sie besser auf Humor, auf ironischen Humor, verzichten sollen. [FD-18, F1]
Wortbruch versus Humorlosigkeit? Was steht hinter diesen beiden Berichten? Wie kann man solche Missverständnisse und Schwierigkeiten verstehen, und wie könnte man ihnen in Trainingsmaßnahmen begegnen? – Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Forschungsprojekt, in welchem der Autor zwischen 2005 und 2006 insgesamt 100 deutsche und französische Manager ausführlich zu Erfahrungen mit dem Aufbau und Verlust von Vertrauen zu Kollegen und Geschäftspartnern interviewte.1 Darauf aufbauend entwickelt der Beitrag eine Argumentation in drei Schritten: 1.
Im beruflichen Alltag von Führungskräften kann es zu Vertrauensmissverständnissen kommen. Insbesondere kann es Missverständnisse geben, durch die das Vertrauen in einen Kollegen oder Geschäftspartner verloren geht oder gar nicht erst aufgebaut wird, obwohl es durchaus gerechtfertigt wäre, dem jeweiligen Kollegen oder Partner zu vertrauen.2 Um solche Missverständnisse erkennen und beschreiben zu können, ist es hilfreich, sich einen systematischen Überblick über die ‘Vertrauensindikatoren’ von Führungskräften zu verschaffen.
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Die vollständigen Ergebnisse werden in der Dissertationsschrift des Autors veröffentlicht. In diesem Artikel verweisen die Angaben nach Zitaten auf die Kodierungen der Transkripte im Forschungsprojekt. Französische Zitate wurden ins Deutsche übersetzt. Daher verweist bei französischen Zitaten zusätzlich die Zählung F1, F2, F3 etc. auf die französischen Originalzitate, die im Anhang aufgeführt sind. Das umgekehrte Vertrauensmissverständnis wäre, dass man zu unrecht glaubt, einem Kollegen oder Geschäftspartner vertrauen zu können. Dies kann schwerwiegende Konsequenzen haben, und vielleicht ist dieser Fall uns daher auch präsenter. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich jedoch auf Vertrauensmissverständnisse, die den Vertrauensaufbau behindern.
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Relationship Management für Führungskräfte
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Vertrauensmissverständnisse entstehen insbesondere in der interkulturellen Zusammenarbeit von Führungskräften. Um solche interkulturellen Vertrauensmissverständnisse vermeiden zu können, helfen Erkenntnisse über kulturelle Unterschiede im Umgang mit Vertrauensindikatoren und über die Wirkung solcher Unterschiede in der interkulturellen Zusammenarbeit. Dies zeigt exemplarisch eine Diskussion von Kulturunterschieden in dem für Vertrauen kritischen Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln. Trainingsmaßnahmen können Führungskräfte darin unterstützen, ihr persönliches Beziehungsmanagement zu verbessern, um insbesondere in der interkulturellen Zusammenarbeit mit Kollegen oder Geschäftspartnern den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen zu fördern und möglichen Vertrauensmissverständnissen vorzubeugen. In einem ‘Relationship Management Training’ können Führungskräfte ihr persönliches Beziehungsmanagement dahingehend entwickeln, dass sie aktiv die Voraussetzungen für die Entstehung von Vertrauen verbessern und Vertrauensmissverständnisse früh erkennen und aus dem Weg räumen.
Vertrauensindikatoren und Vertrauensmissverständnisse
1.1 Der Vertrauensdeal und das Vertrauensdilemma Vertrauen zwischen Kollegen oder Geschäftspartnern – was ist das eigentlich? Zum einen muss man sich vergegenwärtigen, dass sich der Begriff Vertrauen auf unterschiedliche Dinge beziehen kann, nämlich auf Überzeugungen, auf Absichten und auf tatsächliches Handeln: Jemandem vertrauen kann bedeuten ihn für vertrauenswürdig halten, oder bereit sein, ihm gegenüber vertrauensvoll zu handeln oder ihm gegenüber tatsächlich vertrauensvoll handeln. In allen drei Fällen geht es aber letztlich um den gleichen logischen Kern: Wenn ich jemandem vertraue, dann heißt das, dass ich mich trotz gewisser Risiken (nämlich der potentiell negativen Konsequenz, dass der andere nicht in meinem Sinn handelt) von diesem anderen abhängig mache (also z.B. auf bestimmte Kontrollmöglichkeiten verzichte) – und dass ich dabei dennoch ein subjektives Gefühl von Sicherheit habe (McKnight & Chervany 2001, 1996; Rousseau et al. 1998). Eine Vertrauenssituation wäre zum Beispiel, dass ein Qualitätschef einem erfahrenen Ingenieur glaubt, dass dessen Aussage, alles sei in Ordnung, tatsächlich stimmt – obwohl es ihn den Job kosten könnte, falls der Ingenieur ihm nicht die Wahrheit sagt. Vertrauen heißt, dass er deshalb keine schlaflosen Nächte verbringt. Wann und warum gehen Manager das Risiko ein, einander zu vertrauen? Warum interessiert uns Vertrauen in beruflichen oder geschäftlichen Beziehun-
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Robert Münscher
gen? Wenn es darum geht, gemeinsam berufliche Zwecke oder Geschäfte zu realisieren, dann gibt es dabei eine Reihe möglicher ‘Vertrauensdeals’. Einer der grundlegenden Vertrauensdeals des beruflichen Alltags lautet: Tausche Kontrollverzicht gegen Ressourcengewinn. Ökonomen sprechen hier von gesenkten ‘Transaktionskosten’. Wenn man einem Partner vertraut, dann macht man sich zwar in gewisser Weise von ihm abhängig, aber man gewinnt gleichzeitig die Zeit und Energie, die man ansonsten für die Kontrolle des Partners benötigen würde (James 2002; Ripperger 1998).3 Aus diesem Blick auf Vertrauen kann man folgern: Da Führungskräfte ohnehin knappe Zeitbudgets haben, sollten sie diese möglichst umfassend über ‘Vertrauensdeals’ aufbessern. Das Problem besteht nun darin, dass jeder Vertrauensdeal ein Risiko beinhaltet: Man kann einem Partner vertrauen, aber man kann nie absolut sicher wissen, wie der andere sich verhalten wird. Vertrauen kann auch enttäuscht werden. Daher rührt das grundlegende Vertrauensdilemma: Wer immer allen vertraut, wird zwar in allen möglichen Fällen den beschriebenen Ressourcengewinn realisieren (neben anderen möglichen positiven Konsequenzen von Vertrauen), aber er wird zwangsläufig auch gelegentlich oder sogar oft enttäuscht werden. Wer dies konsequent vermeiden will, der muss ganz auf Vertrauen verzichten. Er wird dann jedoch auch keine Transaktionskosten einsparen. 1.2 Vertrauensindikatoren und Generalisierungsprozesse Was führt uns aus dem Dilemma hinaus? Ein Weg führt über ‘Vertrauensindikatoren’. Wir haben die Fähigkeit einzuschätzen, wann und in Bezug auf was wir einem anderen vertrauen können – und wann besser nicht. Wenn man Manager fragt, woran sie merken, dass sie einem Kollegen oder Geschäftspartner vertrauen können, dann können sie das meistens spontan nicht so richtig erklären. Sehr häufig verweisen sie zunächst einmal auf ihr Bauchgefühl. Sie würden das einfach spüren, die Chemie stimme. Das ändert sich aber, wenn man eine Weile mit ihnen über Vertrauen redet und ihnen durch viele detaillierte Nachfragen hilft, in der Erinnerung zu kramen, wie sich denn mit einem ganz bestimmten Kollegen das Vertrauen entwickelt hat. Dann zeigt sich, dass die Manager neben der Sympathie noch auf eine ganze Reihe anderer Faktoren achten, wenn sie einschätzen, ob sie einem Kollegen oder Geschäftspartner vertrauen können. Und das ist schließlich auch sehr plausibel, denn man weiß, dass Sympathie nicht immer der alleinige Grund sein sollte, jemandem zu vertrauen.
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In den Interviews wurden darüber hinaus weitere positive Effekte von Vertrauen beschrieben.
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Die Informationen, welche Manager für die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit von Kollegen oder Geschäftspartnern heranziehen, nenne ich ‘Vertrauensindikatoren’4. Es sind Anzeichen für die Vertrauenswürdigkeit des anderen. Ob ich dem Kollegen vertrauen kann, merke ich daran, wie er sich in unserer gemeinsamen Zusammenarbeit verhält. Meistens sehe ich das direkt in der Zusammenarbeit. Möglich ist aber auch, dass mir andere Kollegen berichten, wie sich der Kollege ihnen gegenüber verhält. Oder andere Kollegen erzählen mir Dinge, die mir Rückschlüsse auf das Verhalten des Kollegen erlauben. Ein Vertrauensindikator ist beispielsweise das Einhalten von Zusagen oder Absprachen. Wenn mir ein Geschäftspartner etwas zusagt, dann merke ich normalerweise, ob er diese Zusage einhält oder nicht. Es kann aber auch sein, dass er seine Zusage nur scheinbar eingehalten hat, und ich das über andere Kollegen erfahre. Und vor allem dann, wenn ich den Geschäftspartner noch nicht so lange kenne, ist es für mich auch interessant zu erfahren, ob er gegenüber anderen seine Zusagen einhält oder nicht. Ein anderes Beispiel für einen Vertrauensindikator ist das Helfen im Notfall. Wenn ich in einen Notfall gerate, eine Situation nicht allein bewältige, und mir ein anderer helfen könnte, hilft er mir dann? Wenn jemand in einer solchen Situation für mich da ist (oder eben nicht), dann fördert dies mein Vertrauen in ihn (oder eben nicht). Aber sind das nicht eigentlich ganz unterschiedliche Arten von Vertrauen: mein Vertrauen, dass der andere seine Zusage einhält, und mein Vertrauen, dass der andere mir im Notfall hilft? Was ist denn nun eigentlich das grundlegende Vertrauen, auf das man achten sollte? Wichtig ist, sich grundsätzlich zu vergegenwärtigen, dass das Vertrauen zwischen Kollegen oder Geschäftspartnern im Allgemeinen ein Bezugsobjekt bzw. eine Hinsicht hat: A vertraut B hinsichtlich C. Wenn ein Manager seinem Mitarbeiter zwar vertraut, dass der ihm nicht den Geldbeutel aus der Aktentasche klaut, heißt das noch lange nicht, dass er ihm auch vertraut, mit Informationen vertraulich umzugehen oder eine Aufgabe selbständig zu bearbeiten. Allerdings schließen sich die verschiedenen Hinsichten, in welchen man vertrauen kann, selten logisch gegenseitig aus. Unsere Erfahrung mit Kollegen oder Partnern zeigt uns vielmehr, dass und inwiefern die verschiedenen Hinsichten des Vertrauens oft zusammen gehen. Beispielsweise könnte ein Manager die Erfahrung gemacht haben, dass er Mitarbeitern, denen er im Hinblick darauf vertrauen kann, dass sie mit Informationen vertraulich umgehen, auch im Hinblick darauf vertrauen kann, dass sie keine Geldbeutel klauen und möglicherweise noch im Hinblick auf weitere Aspekte. Das heißt, es finden hier Generalisierungsprozesse statt. Wenn A merkt, dass er einem B in einer oder mehreren Hin4
Im Englischen spricht man von ‘trust cues’. Vgl. den Ansatz von Bacharach & Gambetta (1997), welche Vertrauensbeziehungen mithilfe der Signalisierungstheorie analysieren.
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sichten vertrauen kann, dann ist es möglich, dass er dieses Vertrauen noch auf weitere Hinsichten ausdehnt. Man kann sagen, dass A sein Vertrauen in B mehr oder weniger stark über verschiedene C hinweg generalisiert. Der Begriff ‘Generalisierung’ bezieht sich hier nicht auf Rotters (1971) Konzept des generalisierten Vertrauens, welches die Tendenz beschreibt, auf der Basis früherer Erfahrungen leichter oder weniger leicht überhaupt Vertrauen zu schenken. Ich beziehe den Begriff ‘Generalisierung’ auf eine konkrete Vertrauensrelation und ihre Entwicklung. ‘Vertrauensrelation’ fasse ich dabei so weit, dass darunter auch die Begegnung mit einem Passanten fällt, den ich nach dem Weg frage. Ihm vertraue ich in bestimmten Hinsichten (z.B. dass er offen ist, Auskunft zu geben; dass sein Ratschlag korrekt ist; dass er mir kein Messer entgegenhält etc.). Gleichzeitig vertraue ich ihm aber in anderen Hinsichten möglicherweise nicht (z.B. dass ich ihm mein Gepäck anvertrauen kann; dass ich mich von ihm führen lassen würde etc.). Auch wenn es eine kurze und wenig intime Vertrauensrelation ist, lässt sich genauso die Frage nach ihrer Entwicklung stellen. Diese kurze Beziehung verläuft von der Auswahl eines Passanten über das Ansprechen des Passanten, seine ersten Reaktionen, seine Formulierung eines Ratschlags, sein Verhalten während des kurzen Gesprächs usw. Auch hier sind Generalisierungsprozesse möglich. Man denke an einen freundlichen älteren Herrn, der nicht nur Bescheid weiß, sondern Zusatzinformationen gibt, kurz über sich erzählt, zu verstehen gibt, dass er Zeit hat, und der sich offensichtlich für den Fremden interessiert – und dem ich schließlich mein Gepäck anvertraue. Genauso finden im beruflichen Kontext Generalisierungen statt, wenn anhand von Informationen bezüglich einiger Vertrauensindikatoren das Vertrauen auf Bereiche ausgedehnt wird, in Bezug auf die es eigentlich (noch) keine Einschätzungsbasis gibt. Insgesamt tendieren Menschen dazu, ihr Vertrauen in andere Personen zu generalisieren, wenn es aus bestimmten Gründen nicht nahe liegt zu differenzieren: wenn sie keine Zeit oder Ressourcen haben, wenn die dazu nötigen Informationen nicht verfügbar sind oder wenn sie schlicht kein Bewusstsein von der Möglichkeit haben, dass man differenzieren könnte. Dies beschreiben beispielsweise eine Reihe kognitiver Prozesse der Personenwahrnehmung (z.B. Stereotypisierungen oder der Halo-Effekt5). Die beschriebene Generalisierungstendenz lässt sich als adaptive kognitive Heuristik verstehen, d.h. als ein Schlussmuster, das auf Basis weniger verfügbarer Informationen in den meisten
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Der Halo-Effekt der Personenwahrnehmung beschreibt, wie einzelne wahrgenommene Eigenschaften von Personen zu einem Gesamteindruck führen, d.h. andere beobachtbare Eigenschaften der Person ‘überstrahlen’. McKnight & Chervany (1998) beschreiben den Einfluss weiterer kognitiver Prozesse der interpersonale Wahrnehmung auf die Entstehung von Vertrauen.
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Fällen zuverlässige Schlüsse ermöglicht (vgl. Gigerenzer 2007; Gigerenzer & Selten 2001; Gigerenzer & Todd 1999; Barkow, Cosmides & Tooby 1992). Fassen wir diesen Ansatz zusammen: Was leistet das Bauchgefühl? Manager verfügen in einer neuen Kollegen- oder Geschäftsbeziehung zunächst nur über relativ begrenzte Informationen über den jeweils anderen. Dennoch stellt sich das Vertrauensdilemma, und sie müssen also auf Basis weniger Informationen die Vertrauenswürdigkeit des anderen einschätzen. Dazu scannen sie in ihrer Interaktion mit dem anderen dessen Verhalten auf vertrauensrelevante Informationen (Vertrauensindikatoren). Auf Basis dieser Informationen fällen Sie Urteile über die Vertrauenswürdigkeit des anderen in bestimmten Bereichen, welche Sie dann auf andere Bereiche generalisieren. All dies leistet – vielfach unbewusst – das Bauchgefühl. 1.3 Vertrauensprofile und Vertrauensmissverständnisse Nun ergibt sich aber ein Problem: Woher weiß ich, dass die Aspekte, auf welche ich bei meinem neuen Kollegen achte, auch aus seiner Sicht wichtig sind und mir also eine angemessene Basis für Generalisierungen bieten? In meinem Forschungsprojekt zeigte sich, dass die interviewten Manager oft ‘LieblingsVertrauensindikatoren’ haben, die sie aus verschiedenen Winkeln beleuchten und auf die sie in unterschiedlichen Falldarstellungen wiederkehrend Bezug nehmen. Allerdings sind es längst nicht immer die gleichen Lieblingsindikatoren. Während ein Manager-1 die Vertrauenswürdigkeit neuer Partner vor allem daran festmacht, dass dieser seine Zusagen einhält, ist einem Manager-2 für diese Einschätzung viel wichtiger, ob ihm sein neuer Kollege in schwierigen Situationen mit Rat und Tat zur Seite steht. Interessanterweise führen die interviewten Manager stets aus, wie sie sich auch selbst bemühen, gerade den eigenen Lieblingskriterien zu genügen, um ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen. Man könnte daher von unterschiedlichen ‘Vertrauensprofilen’ einzelner Leute sprechen.6 Daraus ergibt sich für einen Manager jedoch das folgende grundlegende Problem: Vielleicht urteilt er über den neuen Kollegen anhand von Verhaltensweisen, die aus dessen Sicht gar nicht besonders wichtig, sondern eher irrelevant erscheinen. Wenn der Manager auf dieser Basis sein Vertrauen generalisiert, entsteht möglicherweise ein Vertrauensmissverständnis. Er hält den Kollegen 6
Dies entspricht der „impliziten Vertrauenstheorie“ im Ansatz von Martin Schweer, welche ein „subjektives ‘Wissen’ über den Prototyp des ‘vertrauenswürdigen’ bzw. des ‘vertrauensunwürdigen’ Interaktionspartners in einem bestimmten Lebensbereich umfasst“ (Schweer & Thies 2003: 8). Ich richte den Fokus auf den ‘Lebensbereich’ der beruflichen Zusammenarbeit von Führungskräften, insbesondere in interkulturellen Interaktionssituationen.
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insgesamt für nicht vertrauenswürdig, obwohl er ihm eigentlich in vielfacher Hinsicht vertrauen könnte. Die Einschätzung beruht auf einer unterschiedlichen Gewichtung, wie relevant bestimmte Verhaltensweisen für Vertrauen sind, und auf einer Generalisierung aufgrund weniger Interaktionen. Manager-2 ist möglicherweise voll guten Kooperationswillens und bemüht sich, stets mit Rat und Tat parat zu stehen. Jedoch hat er nicht besonders präzise darauf geachtet, welche seiner Aussagen und Kommentare von Manager-1 als Zusagen verstanden werden konnten, da er hier eher einen ‘lockeren’ Ansatz vertritt. Währenddessen beginnt Manager-1 schon, auf Basis mehrerer aus seiner Sicht nicht eingehaltener Zusagen zu generalisieren. Der gegenseitige Vertrauensaufbau wird durch ein ‘Vertrauensmissverständnis’ erschwert. 1.4 Forschungsprojekt Teil-1: Vertrauensindikatoren von Managern Wo und wann läuft man Gefahr, in derartige Vertrauensmissverständnisse zu geraten? Wie kann man sie aufdecken, und wie könnte man ihnen durch Trainingsmaßnahmen vorbeugen? Das genannte Forschungsprojekt widmete sich diesen Fragen unter der zusätzlichen Annahme, dass solche Vertrauensmissverständnisse insbesondere in der interkulturellen Zusammenarbeit zu erwarten sind. Daher wurden zur Hälfte deutsche und zur anderen Hälfte französische Führungskräfte interviewt. Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen gehören zu den schwergewichtigsten innerhalb der EU,7 gleichzeitig legt die Literatur zu deutsch-französischen Managementbeziehungen nahe, dass es kulturelle Unterschiede gibt, welche die Zusammenarbeit erheblich beeinträchtigen können (Barmeyer 2000, 1996; Davoine 2002; Pateau 2000, 1999, 1998; Seemann 2000). Durch das skizzierte Vorgehen konnten zwei wesentliche Ergebnisse gewonnen werden. Erstens konnte eine detaillierte und handlungsorientierte Systematik der Vertrauensindikatoren von Führungskräften entwickelt werden. Zweitens konnten kulturelle Unterschiede im Hinblick auf die Relevanz der einzelnen Vertrauensindikatoren und in Bezug auf das Verständnis dieser Vertrauensindikatoren herausgearbeitet werden. Im Abschnitt 1.4 werde ich Methodik und Stichprobe des Forschungsprojekts beschreiben und die Systematik der Vertrauensindikatoren umreißen. Die kulturellen Unterschiede behandelt dann Abschnitt 2.
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Deutschland und Frankreich erwirtschaften 50% des BIP der Euro-Zone und sind füreinander weltweit jeweils der Haupthandelspartner (Französische Botschaft in Deutschland 2006, 2007).
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1.4.1 Methodik und Stichprobe des Forschungsprojekts Für das Forschungsprojekt wurden zwischen 2005 und 2006 insgesamt 100 deutsche und französische Manager in offenen Leitfadeninterviews gebeten, erstens die Entwicklung von Vertrauen zu ausgewählten Kollegen oder Geschäftspartnern nachzuzeichnen, zweitens Situationen des Vertrauensverlusts oder des fehlenden Aufbaus von Vertrauen zu beschreiben und drittens darzustellen, wie sie selbst zeigen, dass man ihnen vertrauen kann.
Abbildung 1:
Forschungsinteresse der Interview-Leitfragen
Forschungsdesign: Für die Untersuchung wurden vier Teilgruppen gebildet (s. Abb.2). In zwei deutschen und zwei französischen Gruppen gibt es jeweils zum einen die bi-kulturell erfahrenen Manager, die von Beziehungen zu Kollegen der anderen Nationalität berichten, und daneben die Kontrollgruppe der Manager, die von Interaktionen innerhalb ihrer eigenen Kultur berichten.
Abbildung 2:
Forschungsdesign
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Dieses Design bietet für eine kulturvergleichende Studie verschiedene Vorteile. Man kann nicht nur die Aussagen deutscher und französischer Manager insgesamt vergleichen, sondern darüber hinaus untersuchen, inwiefern es von Einfluss ist, dass sich Manager in der interkulturellen Zusammenarbeit aktiv auf ihre Kollegen oder Geschäftspartner einstellen. Das heißt es wird möglich, den Schritt vom Kulturvergleich zur interkulturellen Studie zu gehen. Man kann prüfen, ob im Kulturvergleich (mono-kulturelle Gruppen) gefundene Unterschiede in der interkulturellen Zusammenarbeit (bi-kulturelle Gruppen) überhaupt von Bedeutung sind – was nicht der Fall sein muss. Zweitens kann untersucht werden, ob es den umgekehrten Effekt gibt, nämlich dass in der interkulturellen Interaktion Unterschiede gefunden werden, ohne dass diese im Vergleich der Einzelkulturen eine Rolle spielen. Dies könnte auch darauf hindeuten, dass die Kulturen sich in ihrem Umgang mit der interkulturellen Situation unterscheiden, also dass beispielsweise Vertreter der einen Kultur ihren Umgang mit Vertrauen stärker anpassen als es Vertreter der anderen Kultur tun. Stichprobe: Die Studie wurde in Kooperation mit einer Reihe deutscher und französischer Industriekonzerne und Dienstleistungsunternehmen durchgeführt. Die Teilnehmer sind Führungskräfte und arbeiten in jeder Teilgruppe zur Hälfte in der Industrie und zur Hälfte im Dienstleistungsbereich. Darüber hinaus wurde die Zusammensetzung der Teilgruppen dahingehend kontrolliert, dass sie im Hinblick auf die Firmenzugehörigkeit, die Altersklasse und das Geschlecht der Teilnehmer jeweils vergleichbar sind. Methodik: Die durchschnittlich einstündigen Interviews wurden aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Durch eine induktive Kategorienbildung wurde aus den beschriebenen Aspekten vertrauenswürdiger und nicht vertrauenswürdiger Kollegen und Geschäftspartner ein konsistentes System von Vertrauensindikatoren herausgearbeitet.8 Damit wurde das Gesamtmaterial kodiert, um die Häufigkeiten, mit welchen die einzelnen Vertrauensindikatoren in den einzelnen Teilgruppen auftauchen, zu bestimmen und quantitative Vergleiche anstellen zu können. Zusätzlich wurden alle Kommentare der Interviewpartner zu Vertrauensaufbau und kulturellen Unterschieden systematisch erfasst, qualitativ ausgewertet und zur Interpretation der quantitativen Unterschiede herangezogen. 1.4.2 Systematik der Vertrauensindikatoren von Managern Was braucht man, um Vertrauensmissverständnisse beschreiben zu können und entsprechende Trainingsmaßnahmen zur Vorbeugung bzw. zum Umgang mit 8
Methodisch orientierte sich die induktive Kategorienbildung an Früh 2001; Mayring 2007, 2001, 1994; Mayring & Gläser-Zikuda 2005 und Srnka & Köszegi 2007.
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ihnen zu entwickeln? Günstig wäre es, wenn man einen möglichst differenzierten Überblick darüber hätte, welche Vertrauensindikatoren Managern wichtig sind. Dies liefert die entwickelte handlungsorientierte Systematik der Vertrauensindikatoren. Diese unterscheidet und beschreibt insgesamt 60 Vertrauensindikatoren in zwölf Handlungsfeldern, welche auf einer handlungsorientierten Ebene definiert und durch Zitate illustriert sind. Die Gruppierung der Vertrauensindikatoren in zwölf vertrauenskritische Handlungsfelder folgt einer praxisorientierten Perspektive. Jedes Handlungsfeld umfasst eine Reihe strukturell ähnlicher Interaktionsaufgaben oder herausforderungen, welche sich Kollegen oder Geschäftspartnern typischerweise in der Zusammenarbeit stellen: Wenn zwei Manager zusammenarbeiten, dann müssen sie beispielsweise Absprachen treffen oder auch damit umgehen, dass Absprachen nicht immer eingehalten werden können. Sie müssen auch für sich klären, wann und inwiefern sie für einander disponibel sind oder sich unterstützen. Und wenn sie aus verschiedenen Kulturen stammen, müssen sie einen Weg finden, mit dieser kulturellen Verschiedenheit umzugehen. Insgesamt kann man untergliedern in sechs stärker aufgabenorientierte, sechs eher beziehungsorientierte und zwei interkulturelle Handlungsfelder. Bereiche
Bsp. für ein Handlungsfeld A. Aufgabenorientierte – Umgang mit Handlungsfelder Absprachen/ Regeln B. Beziehungsorientierte Handlungsfelder
–
Kooperatives Verhalten
C. Interkulturelle Handlungsfelder
–
Umgang mit kultureller Differenz
Bsp. für entsprechende Vertrauensindikatoren – Absprachen treffen / Regeln vereinbaren – Zusagen/Absprachen einhalten … – Entgegenkommen / disponibel sein – Helfen / Rat geben … – Kulturelle Differenz akzeptieren – Fremdsprachenkompetenz und -anwendung …
Tabelle 1: Beispiele vertrauenskritischer Handlungsfelder
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Vertrauensmissverständnisse in der interkulturellen Zusammenarbeit
2.1 Forschungsprojekt Teil-2: Interkulturelle Vertrauensmissverständnisse? Eine Ausgangsüberlegung des Forschungsprojekts war, dass gerade die systematische Untersuchung von Vertrauensaufbau und -verlust in der interkulturellen Zusammenarbeit Ansatzpunkte für ein besseres Verständnis von Vertrauensmissverständnissen liefern würde. Diese Annahme hat sich in der Studie bestätigt. Die Forschungsergebnisse ermöglichen es, für die Konstellation der deutsch-französischen Managementbeziehungen wahrscheinliche Vertrauensmissverständnisse zu bestimmen, ihre Hintergründe näher zu beleuchten und sie durch reale Berichte deutscher und französischer Manager zu illustrieren. Die Ergebnisse gliedern sich wie folgt:
Im Vergleich der deutschen mit der französischen Stichprobe wurden bei einer Reihe von Vertrauensindikatoren signifikante Unterschiede in Bezug darauf gefunden, wie häufig sie in den Darstellungen der interviewten Manager auftauchen (Signifikanzen auf 0.05-Niveau ermittelt durch ChiQuadrat-Test). Durch eine systematische Auswertung der Kommentare der Interviewpartner zu Vertrauensaufbau und kulturellen Unterschieden (>100 A4-Seiten) vor dem Hintergrund der einschlägigen Forschungsliteratur zu deutschfranzösischen Managementbeziehungen konnten diejenigen kulturellen Unterschiede herausgearbeitet werden, welche speziell für Vertrauensaufbau ins Gewicht fallen. Für einige Vertrauensindikatoren wurden in den Interviews authentische Darstellungen von Situationen des Vertrauensverlusts gefunden, die sich als deutsch-französische Vertrauensmissverständnisse rekonstruieren lassen. Da in den Interviews auch gezielt danach gefragt wurde, wie man einem Kollegen oder Partner zeigen kann, dass er einem vertrauen kann, konnte auch ein Set teilweise äußerst kreativer interkultureller Strategien des Vertrauensaufbaus bzw. der Vermeidung solcher Vertrauensmissverständnisse zusammengestellt werden.
Im Folgenden sollen die Ergebnisse der kulturvergleichenden Auswertung exemplarisch in einem der zwölf vertrauenskritischen Handlungsfelder, nämlich dem Umgang mit Absprachen/Regeln, etwas ausführlicher dargestellt werden. Darauf aufbauend werde ich im letzten Abschnitt skizzieren, wie diese Ergebnisse in ein Trainingsmodul ‘Deutsch-französisches Relationship Management’ einfließen können.
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2.2 Das vertrauenskritische Handlungsfeld ‘Umgang mit Absprachen/Regeln’ Das Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln beruht darauf, dass Führungskräfte in der beruflichen Zusammenarbeit laufend koordinieren müssen, wer was wann macht. Dazu können sie zwar oft auf projekt-, unternehmens- oder branchenspezifische Regeln oder Prozeduren zurückgreifen, aber auch dann müssen für viele konkrete Arbeitsschritte einzelne Absprachen getroffen werden. Nach den Darstellungen der interviewten Manager fungieren folgende vier Aspekte des Umgangs mit solchen Regeln oder Absprachen als Vertrauensindikatoren. Vertrauensindikator 1. Absprachen treffen / Regeln vereinbaren 2. Zusagen/Absprachen einhalten 3. Bei Nicht-Einhalten von Zusagen informieren und Erklärung geben 4. Absprachen/Regeln flexibel handhaben
Erläuterung Kann ich mit dem anderen Dinge klären und Absprachen treffen / Regeln vereinbaren? Hält der andere gegebene Zusagen oder getroffene Absprachen dann auch tatsächlich ein? Informiert mich der andere, wenn er eine Zusage nicht einhalten kann (und gibt er mir eine Erklärung dafür)? Zeigt der andere die Bereitschaft, Absprachen oder Regeln auch einmal flexibel zu handhaben?
Tabelle 2: Indikatoren im Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln Die Koordination der Tätigkeiten unterschiedlicher Leute in der schnellen Welt des beruflichen Alltags ist aufwändig und fehleranfällig. Im besten Fall funktioniert alles reibungslos und kostet mich wenig Zeit und Energie. Hier wird nun der beschriebene ‘Vertrauensdeal’ deutlich: Vertrauensvoll zu handeln bedeutet, Zeit zu gewinnen, indem man auf Kontrolle verzichtet. Man tauscht einen Ressourcengewinn (von Zeit, Koordinations- oder Kontrollaufwand) gegen eine Abhängigkeit (der andere gewinnt den Handlungsspielraum zu verhindern, dass tatsächlich alles reibungslos funktioniert). Von herausragender Wichtigkeit dafür, ob ein Kollege oder Geschäftspartner als vertrauenswürdig eingeschätzt wird, ist die Frage, inwiefern er sich an Absprachen hält bzw. ob er seine Zusagen einhält. (2. Zusagen/Absprachen einhalten). Allerdings zeigen sich in den Darstellungen der interviewten Manager weitere vertrauensrelevante Aspekte des Umgangs mit Absprachen. Dabei ist insbesondere aus der Perspektive des Kulturvergleichs höchst interessant, dass die Vorstellungen darüber, wie man mittels Absprachen die Koordination sichern und Zeit- oder Ressourcengewinne erzielen kann, durchaus unterschiedlich sind
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und sich teilweise sogar widersprechen können. So kann man z.B. darauf setzen, die Zusammenarbeit über Regeln und Absprachen zu koordinieren (1. Absprachen treffen / Regeln vereinbaren), oder stattdessen darauf, dass man bestehende Regeln oder Absprachen situativ anpasst (3. Absprachen/Regeln flexibel handhaben). 2.3 Quantitative Auffälligkeiten des Kulturvergleichs Gibt es signifikante Unterschiede im Hinblick darauf, wie häufig die einzelnen Vertrauensindikatoren in den Darstellungen der deutschen Manager im Vergleich zu den französischen Managern auftauchen?
Der Vertrauensindikator 1. Absprachen treffen / Regeln vereinbaren taucht signifikant häufiger bei den deutschen Managern auf. In den Teilgruppenvergleichen ist der Effekt im Vergleich der monokulturellen Gruppen nicht signifikant. Wenn man die bi-kulturellen Teilgruppen vergleicht, bleibt er nur knapp unter der Signifikanz auf 0.05-Niveau. Das deutet darauf hin, dass es sich um einen Unterschied handelt, der insbesondere in der interkulturellen Interaktion zum Tragen kommt. Beim Vertrauensindikator 4. Absprachen/Regeln flexibel handhaben ist der Unterschied im Gesamtvergleich zwischen Deutschen und Franzosen zwar nicht signifikant. Es gibt jedoch eine Signifikanz im Vergleich der monokulturellen mit der bi-kulturellen französischen Teilgruppe: Auf diesen Vertrauensindikator verweisen diejenigen französischen Manager, welche von der Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen berichten, signifikant häufiger als ihre Kollegen, die aus der rein französischen Zusammenarbeit berichten. Sie nennen als Vertrauensgrund, dass bestimmte deutsche Kollegen die Bereitschaft gezeigt haben, Absprachen oder Regeln auch einmal flexibel zu handhaben, und als Vertrauenswarnung, dass bestimmte deutsche Kollegen genau dazu nicht bereit waren. Es scheint sich also um einen Aspekt zu handeln, der für französische Manager insbesondere in der interkulturellen Zusammenarbeit ins Blickfeld gerät.
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In weiteren Vergleichen der Teilgruppen zeigen sich auch im Hinblick auf die anderen Vertrauensindikatoren des Handlungsfelds Umgang mit Absprachen/Regeln noch weitere quantitative Auffälligkeiten, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. 2.4 Qualitative Auffälligkeiten des Kulturvergleichs Für die qualitative Auswertung wurden zwei Arten von Interviewaussagen systematisch miteinander verglichen: einerseits die Interviewpassagen, die als Vertrauensindikatoren des Handlungsfelds 'Umgang mit Absprachen/Regeln' kodiert wurden, andererseits diejenigen Stellen, in welchen sich die in der deutsch-französischen Zusammenarbeit erfahrenen Interviewpartner dazu äußern, wie sich der deutsche und der französische Umgang mit Absprachen und Regeln ihrer Erfahrung nach unterscheiden. Auf diese Weise ließen sich drei Aspekte kultureller Differenz herausarbeiten.9 Für diese Aspekte möchte ich nun erläutern, inwiefern sich die Sicht der französischen Manager von derjenigen der deutschen Manager unterscheidet: 1. Absprachen haben für französische Manager offenbar in anderer Weise Verbindlichkeit als für deutsche Manager. 2. Französische Manager kommunizieren beim Treffen von Absprachen anders als deutsche Manager. 3. Die hierarchische Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter beeinflusst französische Manager im Umgang mit Absprachen anders als deutsche Manager. Diese drei Aspekte und ihren Einfluss auf die Vertrauensentwicklung werde ich nun genauer beschreiben. Abschließend werde ich jeweils berichtete Situationen des Vertrauensverlusts darstellen, welche sich als kulturelle Vertrauensmissverständnisse rekonstruieren lassen. 2.4.1 Die Verbindlichkeit von Absprachen Absprachen – und Ähnliches gilt für Regeln – haben für die interviewten deutschen und französischen Manager in unterschiedlicher Weise Verbindlichkeit. Für die deutschen Manager haben Absprachen in stärkerem Maße eine überdauernde Gültigkeit. Daher bemühen sie sich, bei unvorhergesehenen Entwicklungen im Verlauf der Zusammenarbeit auf die Einhaltung der Absprachen hinzuarbeiten. Weil sie sich daher auf Absprachen eher verlassen können, sinkt der Koordinationsbedarf in Bezug auf das, was abgesprochen ist. Er erhöht sich allerdings für den Fall, dass sie Absprachen verändern wollen. 9
Die Ergebnisse wurden mit der Literatur zur deutsch-französisch vergleichenden Forschung abgeglichen (vgl. Verweise in Abschnitt 1.4), sowie mit den deutschen und französischen Teildaten aus umfassenderen kulturvergleichenden Studien zu Organisation und Management (insbesondere House et al. 2004 und Chhokar et al. 2007).
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Für die französischen Manager sind Absprachen in stärkerem Maße dafür offen, an die Entwicklung der Dinge angepasst zu werden. Neue Entwicklungen oder Gegebenheiten nach dem Moment der Absprache können dazu führen, dass die Verbindlichkeit der Absprache sinkt. Daher muss diese ggf. erneuert oder aktualisiert werden. Entsprechend gibt es einen leicht erhöhten Koordinationsbedarf in Bezug auf das, was abgesprochen ist. Gleichzeitig ist es aber leichter, flexibel auf unvorhergesehene Entwicklungen zu reagieren.10 Die beiden Vertrauensindikatoren 1. Absprachen treffen / Regeln vereinbaren und 4. Absprachen/Regeln flexibel handhaben bieten eine Möglichkeit, die beiden Pole dieser Unterschiedsdimension zu erfassen. Wie beschrieben, taucht der erste Vertrauensindikator in den Darstellungen der deutschen Manager signifikant häufiger auf als in den Darstellungen der französischen Manager. Der zweite Vertrauensindikator taucht insbesondere in den Darstellungen der französischen Manager auf, die von Beziehungen zu deutschen Kollegen berichten (vgl. Abschnitt 2.3). 2.4.1.1 Zitate Betrachten wir zunächst einige Zitate zur deutschen Sicht auf die Verbindlichkeit von Absprachen. Wenn für den anderen Absprachen nicht verbindlich sind, dann ist das, wie ein deutscher Manager berichtet, „so eine Sache, wo ich sagen muss: das ist extrem vertrauensgefährdend“ [DD-21]. D:
Wenn jemand nach einer Vereinbarung kommt und sagt: „Hier, wir haben das zwar vereinbart, allerdings ist das nicht so, wie ich es wollte. Ich hätte jetzt gerne noch das und das und das dazu.“ […] Das ist dann so ein Punkt, wo man sagt: In diese Person habe ich sicherlich beruflich kein Vertrauen. [DD-21]
Auch einigen französischen Managern fällt auf, dass Absprachen für ihre deutschen Kollegen eine andere Verbindlichkeit haben. Ein französischer Manager berichtet: „Wenn man etwas zusagt, dann habe ich den Eindruck, dass man sich gegenüber einem Deutschen stärker verpflichtet als gegenüber einem Franzosen“ [F2]. Das betrifft gerade auch Terminzusagen: F:
Wenn man beispielsweise sagt: „Zu diesem Termin werde ich das und das liefern.“ Ein Franzose wird sich sagen: „Ok, das heißt jetzt, dass ich die Sache etwa in dieser Zeit bekomme.“ Das sieht man in der täglichen Arbeit. Wenn ich in Deutschland etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt verlange, dann ist das immer, oder zumindest
10
Zur unterschiedlichen Verbindlichkeit von Absprachen für Deutsche und Franzosen vgl. Pateau 1999 sowie die Ergebnisse zur Kulturdimension der Unsicherheitsvermeidung in den Studien von Hofstede 1997 und House et al. 2004 bzw. Chhokar et al. 2007.
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sehr häufig, dann auch da. In Frankreich ist es anders: Wenn man den Kollegen nicht vor dem entsprechenden Meeting noch einmal dran erinnert [relancer], dann kann man praktisch sicher sein, die Sachen nicht wie verlangt zu bekommen. Entweder fehlt was, oder es kommt nicht rechtzeitig, oder es ist nicht das, was man verlangt hat. Da gibt’s viele Möglichkeiten… [F2]
Der deutsche Umgang mit Absprachen wird von den französischen Managern teilweise positiv bewertet: „Ich habe den Eindruck, dass man Deutschen leichter vertrauen kann – insofern die, wenn sie sagen, dass sie etwas tun, das dann auch tun. Und da sind sie sehr konsequent, also das ist dann genau so, wie das vorher ausgemacht worden war“ [F3]. Teilweise sehen sie es aber auch negativ für den Arbeitsprozess, dass die Deutschen zu sehr auf Absprachen oder Regeln beharren: „Man verliert diesen Ideenreichtum, weil der Deutsche den Franzosen bremst, wenn er Ideen außerhalb der Regeln bzw. Absprachen entwickelt“ [F4]. Betrachten wir im Vergleich einige Zitate zur französischen Sicht auf die Verbindlichkeit von Zusagen. Ein französischer Manager beschreibt den Umgang mit einer nicht eingehaltenen Zusage eines Zulieferers: „Man sagt: ‚Ah, du warst zu spät! Ok, das machst du aber nicht noch mal! Blablabla.’ Dann sagt der französische Zulieferer: ‚Hey, komm, ich lad dich zum Mittagessen ein, und dann besprechen wir das, ok?’ In so eine Art von Beziehung kommt man mit Deutschen nicht“ [F5]. Umgekehrt wird aber auch vom Kunden erwartet, dass er eine Anpassung von Zusagen toleriert. F:
Da kann ich leichter mal die Richtung ändern. Der französische Kunde akzeptiert ziemlich leicht, dass man etwas morgen anders macht, als man gestern gesagt hat – vorausgesetzt man erreicht das Ziel. Man hat das Recht, die Richtung zu ändern, der akzeptiert das viel eher. Er akzeptiert auch leichter Widersprüche – sobald er sieht, dass man trotzdem weiterhin aufs Ziel zugeht. […] Man kann leichter sagen: „Hören Sie mal, wir sind zwar in diese Richtung gestartet, aber ich glaube, das ist nicht die richtige. Wir werden jetzt in diese andere Richtung weiter machen…“ Die französischen Kunden akzeptieren Änderungen leichter. [F6]
Es geht in Frankreich auch teilweise darum, Absprachen erst nachträglich im Verlauf der weiteren Zusammenarbeit genauer zu präzisieren und zu interpretieren. Ein französischer Manager bemerkt dazu: „Es gibt die Tendenz, dann zu denken, dass das, was der andere verlangt hat, gar nicht genau das ist, was er eigentlich will. Dann sagt man sich unter Umständen: ‚Nein, das ist nicht das, was er wirklich will. Da muss er sich geirrt haben’“ [F7]. In Frankreich gibt es auch die Variante, erst einmal ‘ja’ zu sagen, um Zeit zu gewinnen und sich die Sache in Ruhe zu überlegen. Wenn es darum geht,
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Vertrauen zu deutschen Kollegen aufzubauen, dann kann das allerdings „tödlich“ sein: F:
Der Respekt vor einer Entscheidung, das ist ein wichtiger Punkt. Wenn Sie [in Deutschland] eine Entscheidung getroffen haben, dann akzeptieren Sie sie und setzen sie um. Wohingegen wir Franzosen die Tendenz haben, ‘ja’ zu sagen, um Zeit zu gewinnen und um morgen sagen zu können: „Nachdem ich das alles noch mal durchdacht habe, bin ich doch nicht einverstanden.“ […] Mir ist klar geworden, dass es in Deutschland besser ist, sich Zeit zu nehmen und zu sagen: „Ich kann das im Moment nicht entscheiden, aber ich entscheide das am Soundsovielten und dann sage ich Ihnen Bescheid“ – als die Entscheidung zu treffen, um Zeit zu gewinnen, so wie es ein Franzose machen würde. Das ist wirklich tödlich! Damit kann man wirklich großes Missfallen erzeugen. [F8]
2.4.1.2 Kulturelles Vertrauensmissverständnis Vor dem Hintergrund der Darstellungen des letzten Abschnitts wird folgender vertrauenskritischer Vorfall, den ein französischer Top-Manager aus seiner Zusammenarbeit mit seinem deutschen Counterpart berichtet, als kulturelles Vertrauensmissverständnis nachvollziehbar. F:
Es gab da ein wichtiges Problem. Aber er sagte zu mir: „Nein, ich habe jetzt ein Treffen mit einem Journalisten.“ Ich sagte zu ihm: „Ja, aber der Journalist da, der ist doch jetzt nicht wichtig. Wir haben hier ein echtes Problem!“ Er sagte mir: „Nein, ich habe da ein Treffen vereinbart, also mache ich das. Ich mache das sehr schnell, aber ich mache das.“ Also er war so ein bisschen so: ‘Ich kann da jetzt nicht drauf eingehen. Ich habe ein Treffen vereinbart, also gehe ich da jetzt nicht drauf ein.’ Und das, das ist sehr deutsch. Der Franzose würde da ganz im Gegenteil sagen: „Gut, dann schicken Sie doch bitte den Journalisten zu jemand anderem, ich habe da ein wichtigeres Problem.“ [F9]
Die beschriebene Situation lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Der französische Manager erwartet in dieser Situation von seinem deutschen Kollegen, dass er die Zusage nicht einhält, weil es etwas Wichtigeres gibt – d.h. dass er mit seiner Zusage flexibel umgeht und das Interview mit dem Journalisten absagt oder delegiert. Aus Sicht des deutschen Managers erfordert bzw. rechtfertigt es diese gleiche Situation aber offenbar nicht, dass er sich über die gegebene Zusage zum Interview hinwegsetzt.
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2.4.2 Die Kommunikation beim Treffen von Absprachen Es ist ein sehr wichtiger und auch in der Literatur vielfach beschriebener Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Kommunikationsstil, dass Franzosen sich tendenziell indirekter und weniger explizit ausdrücken (Helmolt 1997; Helmolt & Müller-Jacquier 1991; Pateau 1999). Das betrifft insbesondere Aspekte der interpersonalen Abstimmung wie Vorschläge, Anweisungen oder Widerspruch und Kritik. Dieser Unterschied kann zu dem grundlegenden kommunikativen Missverständnis führen, dass bisweilen auf deutscher Seite nicht (vollständig) ankommt, was auf französischer Seite in einer indirekteren Ausdrucksweise formuliert wird.11 Im Zusammenhang mit Absprachen führt dies an zwei Stellen zu einem Potential für Missverständnisse: Zum einen betrifft es den Abstimmungsprozess vor einer Absprache. Dabei kann dem deutschen Manager entgehen, was sein französischer Kollege, der sich höflich-indirekt ausdrückt, eigentlich genau will. Entsprechend kann es ihm entgehen, wenn ihm der französische Kollege während der Diskussion signalisiert, dass der Diskussionsverlauf nicht seinen Vorstellungen entspricht. In diesem Fall geht der Deutsche, wenn es anschließend darum geht, Absprachen zu treffen, möglicherweise von falschen Vorraussetzungen aus. Ein zweites Missverständnispotential betrifft das eigentliche Treffen von Absprachen: Dabei kann dem deutschen Manager entgehen, dass sein französischer Kollege am Ende der gemeinsamen Diskussion der vorgeschlagenen Absprache eine höflich-indirekte Absage erteilt. Der deutsche Manager freut sich, dass die Sachen geklärt sind und eine Vereinbarung getroffen wurde, wohingegen der französische Manager davon ausgeht, klar gemacht zu haben, dass er (noch) nicht einverstanden ist bzw. dass er die Frage lieber aufschieben möchte. Im System eines indirekten Kommunikationsstils können Dinge völlig klar formuliert sein, während sie mit dem Empfangssensorium eines direkteren Kommunikationsstils bestenfalls nebulös, gegebenenfalls aber auch gar nicht empfangen werden. Neben Unterschieden in der Direktheit des Kommunikationsstils haben sich in der Studie zwei weitere Quellen für Vertrauensmissverständnisse in Bezug auf die Kommunikation zwischen deutschen und französischen Managern gezeigt, auf die an dieser Stelle nur kurz verwiesen werden soll: Erstens finden sich Kommentare und Missverständnisse zur Frage des Zusammenhangs zwischen der Wichtigkeit einer Absprache und der Notwendigkeit, diese Absprache 11
Der Unterschied kann in umgekehrter Perspektive zu dem kulturellen Missverständnis führen, dass direktere deutsche Formulierungen auf französische Manager unbeabsichtigterweise kalt, unhöflich oder sogar aggressiv wirken können und sie u. U. auf eine ablehnende Haltung des deutschen Gesprächspartners schließen lassen.
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schriftlich zu fixieren (und sei es per Email). Wenn man sich auf der Skala der Wichtigkeit bzw. des inhaltlichen Stellenwerts von Absprachen im beruflichen Alltag nach oben bewegt, dann ist auf deutscher Seite früher der Punkt erreicht, wo die Absprache schriftlich fixiert wird. Beispielsweise beschreibt ein französischer Manager einen Fall von Vertrauensverlust, in welchem ein geführter Mitarbeiter auf deutscher Seite grundlegende Anweisungen nicht ausführte, weil er noch auf die schriftliche Version wartete. – Zweitens gibt es eine Reihe von ‘falschen Freunden’, d.h. Begriffen aus dem Businessalltag der Manager, welche sowohl im Deutschen als auch im Französischen (als auch im Englischen als der gemeinsamen Konzernsprache) vorkommen, welche aber jeweils in anderer Bedeutung verwendet werden. Es finden sich Darstellungen von Vertrauensverlust, wo Absprachen auf solche mehrdeutigen Begriffe Bezug nahmen, und deshalb aus Sicht der einen Seite nicht erfüllt wurden.12 2.4.2.1 Zitate Ein deutscher Manager beschreibt, wie ihm oft erst nach einer Weile klar wird, wenn hinter einem französischen ‘Ja’ tatsächlich ein indirektes ‘Nein’ steckt: D:
Ich denke gerade bei Franzosen ist eine gewisse Gefahr am Anfang, dass die immer schnell „oui, oui“ sagen, und aber eigentlich gar nicht ‘ja’ meinen, sondern nach dem Motto: „Na ja, wir wollen den nicht vor den Kopf stoßen und also sagen wir: ‚Wir tun’s.’“ Aber so hintenrum merkt man dann erst, dass es doch eigentlich nicht ihr Interesse ist. [DF-08]
Ein weiterer deutscher Manager, der bei einem französischen Kollegen Schwierigkeiten hat herauszuhören, was dieser genau meint, hat sich Rat bei anderen französischen Kollegen geholt: D:
Meine anderen französischen Kollegen haben mir gesagt: „Pass bei dem auf. Das ist für uns ein typischer Franzose. Der ist ein Diplomat. Und der Diplomat, der sagt etwas in einer Art und Weise, dass derjenige, zu dem er was sagt, sich eigentlich ganz gut fühlt. Pass aber auf, was er sagt. Und wie er es sagt. Wenn du das alles zusammen nimmst – was er sagt, wie er es sagt und zu welcher Zeit er wie und was sagt – dann kommst du möglicherweise irgendwann zu der Erkenntnis, dass er dir diplomatisch zu erzählen versucht, dass du ein Idiot bist. Aber das sagt er nicht offen – ‚Du bist ein Idiot!’ – so wie es andere dann prompt gesagt hätten – vielleicht etwas
12
Beispiele für solche ‘falschen Freunde’ sind die Begriffspaare ‘Konzept/concept’, ‘Modifikation/modification’, ‘Kompetenz/competence’ (jeweils deutsch vs. französisch u. englisch). Nähere Ausführungen finden sich in der Dissertationsschrift des Autors.
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freundlicher, aber im Endeffekt genau so. Aber er sagt das eben nicht. Er sagt: ‚Du bist ein wunderbarer Kerl!’, und meint aber, ‚Du bist ein Idiot!’“ [DF 23]
Auch die Mitteilung, dass eine Absprache nicht eingehalten werden kann oder nicht mehr gilt, wird in Frankreich oft indirekt formuliert. Ein französischer Manager beschreibt, wie man das beispielsweise anhand ausweichender Antworten erkennen kann: F:
Wenn man beispielsweise so vage, unklare Antworten bekommt, so Antworten, wo man nicht genau weiß, ob das jetzt ‘ja’ oder ‘nein’ oder ‘vielleicht’. Dann ist das ein Zeichen, dass sich die Situation beim anderen möglicherweise geändert hat. Zumal wenn das jemand ist, bei dem man gewohnt ist, dass er einem sonst immer klare und präzise Antworten gibt. Und dann plötzlich sind die Antworten nicht mehr so klar und präzise. Plötzlich gibt er einem so ein bisschen ausweichende Antworten. Er weicht Fragen aus und redet so ein bisschen um den heißen Brei herum. [F10]
2.4.2.2 Kulturelles Vertrauensmissverständnis Die Argumentation des letzten Abschnitts und die zitierten Kommentare der deutschen und französischen Manager lassen die folgende Darstellung eines deutschen Managers als kulturelles Vertrauensmissverständnis verständlich werden. D:
Er schaut Ihnen ins Gesicht, und sagt lächelnd: „Das ist wunderbar! Wunderbare Idee! Großartig!“, und macht dann was völlig anderes. Und das ist dann über die Zeit immer deutlicher geworden. Und das ist über viele Ereignisse hinweg immer das Gleiche gewesen, dass er sich anders verhalten hat, als er sich offen – dem Anschein nach – so gezeigt hat. Das heißt also, er hat ‘ja’ gesagt, hat aber ‘nein’ gemeint. Oder er hat ‘ja’ gesagt, aber dann gemeint: „Dir werde ich es schon zeigen. Und dieses Ja, das hält genauso lange an, wie ich brauche, um aus der Tür raus zu gehen.“ […] In seine Äußerungen kann man nicht Vertrauen haben, weil er das sagt, aber jenes meint. Das zeigt sich nicht sofort, weil er zunächst mal ‘ja’ sagt: „Ja wunderbar! Prima!“. Aber hinterher, im Umsetzen dessen, was wir vereinbart haben, zeigt sich, dass er einen völlig anderen Weg eingeschlagen hat, als den, den wir ursprünglich vereinbart haben. Und das ist so ein Fall, wo ich sage: Da hat sich nie Vertrauen entwickelt. [DF-23]
Die beschriebene Situation lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Der deutsche Manager hat wiederholt den Eindruck, dass sein französischer Kollege ihm zustimmt bzw. sich mit ihm auf bestimmte Dinge einigt („was wir vereinbart haben“), sich aber anschließend anders verhält. Aus Sicht des deutschen Managers hält sich der Franzose nicht an Absprachen. Dabei rekonstruiert der deut-
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sche Manager selbst, dass sein französischer Kollege zwar ‘ja’ sagt, aber ‘nein’ meint – ein Klassiker der interkulturellen Kommunikation, der hier seine hinderliche Wirkung auf den Aufbau gegenseitigen Vertrauens zwischen Kollegen offenbart. „Wunderbare Idee“ kann durchaus bedeuten, dass der Betreffende die Idee gerade nicht wunderbar findet. 2.4.3 Der Einfluss der Hierarchieorientierung auf das Treffen von Absprachen In vielen Darstellungen der interviewten Manager zeigt sich ein kultureller Unterschied in Bezug auf die hierarchische Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. In vielen französischen Unternehmen sind die Hierarchien in einigen Hinsichten steiler als in Deutschland. Es ist in höherem Maße akzeptiert, dass viele Arten von Entscheidungen von Vorgesetzen getroffen werden, ohne Mitarbeiter ‘offiziell’ in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Auch werden Mitarbeitern in vielen Kontexten weniger Entscheidungsbefugnisse übertragen als dies in deutschen Unternehmen der Fall ist. Es bestätigt sich hier ein Kulturunterschied, der als gut belegt gelten kann und in einer Reihe anderer Studien beschrieben wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer ‘höheren Hierarchieorientierung’ (Gmür 1999; Pateau 1999; House et al. 2004). Welchen Einfluss hat dieser Kulturunterschied auf die Entstehung von Vertrauen, wenn wir das Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln betrachten? Die typische Situation, in der entsprechende Vertrauensmissverständnisse entstehen können, ist die Vereinbarung von Absprachen am Ende von geschäftlichen Treffen. Die deutschen Manager gehen davon aus, dass ihr französischer Gesprächspartner über größere Entscheidungsbefugnisse verfügt, als dies tatsächlich der Fall ist. Sie diskutieren mit ihm und verhandeln eine Absprache, aber es ist ihnen nicht bewusst, dass die Zusage des französischen Kollegen häufig unter einem ‘Chef-Vorbehalt’ steht, auch wenn der Kollege dies nicht explizit erwähnt. Dass die Hierarchie unpassende Zusagen, die auf niedererer Ebene gegeben wurden, einfach suspendiert, kann in französischen Unternehmen sehr viel leichter passieren als in deutschen Unternehmen – sogar, wenn es sich um schriftliche Absprachen handelt. Aus französischer Sicht erscheinen die realen Entscheidungsbefugnisse des französischen Meetingteilnehmers ebenso wie die Möglichkeit des Vetos der Hierarchie viel selbstverständlicher, weswegen sie teilweise in solchen Fällen nicht die Notwendigkeit sehen, den deutschen Partner noch einmal separat darüber zu informieren, wenn eine ‘Absprache’ durch ein Veto der Hierarchie hinfällig wird. Dies kann aus deutscher Sicht dann leicht als ein Brechen von Zusagen interpretiert werden.13 Ein weiteres kulturel13
Wenn Franzosen die deutschen Kollegen über ein Veto der französischen Hierarchie informieren, dann kann ein weiterer Kulturunterschied hineinspielen: Der Vertrauensindikator Gegen
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les Vertrauensmissverständnis kann entstehen, wenn der französische Manager sich am Ende des Meetings bemüht, die entsprechende Frage offen zu lassen, weil er ein Veto seines Chefs voraussieht und Rücksprache nehmen möchte. Auf deutscher Seite kann dies zu dem Eindruck führen, dass sich mit dem französischen Kollegen keine Absprachen treffen lassen (vgl. o. die höhere Relevanz des Vertrauensindikators 1. Absprachen treffen / Regeln vereinbaren für die deutschen Manager). 2.4.4 Zitate Deutsche Manager beschreiben ihre Erfahrungen, dass Zusagen oder auch Unterschriften von französischen Kollegen unter Umständen nichts gelten, wenn die französische Hierarchie ihr Veto einlegt. Der Kollege wird dann „einfach zu Hause overruled“ [DF-21]. Das bestätigt ein französischer Manager: „Dass im Meeting Zusagen gegeben wurden, aber man es später doch anders gemacht hat, weil die Chefs sich eingemischt haben – das habe ich schon öfter beobachtet.“ [F11]. Um von deutscher Seite aus die Verbindlichkeit einer französischen Zusage einschätzen zu können, muss man daher auch einschätzen, ob die entsprechenden Inhalte der Zusage auf dem hierarchischen Level des Gesprächspartners tatsächlich entschieden werden können. D:
In dem Moment wo ich sage: Ich unterschreibe da irgendwas, was mit Schedule bzw. Zeitplan oder auch mit Kosten zu tun hat, muss ich merken: Da ist er der falsche Level. Dann ist selbst sein Chef der falsche Level in Frankreich. Das kann er mir zehn Mal unterschreiben. Wenn sein oberster Chef ‘nein’ sagt, dann gilt die Unterschrift nicht. [DF-21]
Wenn in Deutschland etwas unterschrieben ist, „dann ist das nach außen hin unterschrieben. Da kriegt der Kollege vielleicht intern einen auf den Deckel, dass er das unterschrieben hat, aber im Normalfall würde die Firma nicht die Unterschrift eines Mitarbeiters zurücknehmen“ [DF-21]. Nicht so in Frankreich: „Das passiert mit französischen Kollegen laufend. Das ist keine einmalige Geschichte. Da kriegen Sie dann einfach zwei Tage später eine Email: ‚Wir haben das alles nicht so gemeint.’ Punkt, aus“ [DF-21]. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Verbindlichkeit von Zusagen, die unterhalb der Vorstandsebene gegeben wurden – selbst wenn sie schriftlich fixiert wurden. Ein Manager berichtet, dass selbst direkt unterhalb der Ebene des Konzernvorstands „teilweise Franzosen ankommen und sagen: ‚Was ist denn Widerstand zu seiner Überzeugung stehen spielt in den Darstellungen der deutschen Manager eine größere Rolle als in den Berichten der französischen Interviewpartner.
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schon ein Vertrag?’ Da fallen Sie als Deutscher vom Stuhl. Aber in Frankreich ist das so.“ Demgegenüber sei in Deutschland die „Unterschriftenregelung schon sehr, sehr einbetoniert“ [DF-21]. Eine besondere interkulturelle ‘Vertrauensfalle’ entsteht nun dadurch, dass französische Manager diese Zusammenhänge voraussetzen und daher ihre deutschen Kollegen unter Umständen gar nicht informieren, wenn eine Vereinbarung aufgrund des Vetos der Hierarchie nicht eingehalten werden kann. Sie gehen unter Umständen einfach davon aus, dass den Deutschen auch klar ist, dass man eine „unsinnige Entscheidung“ getroffen hat, die ohnehin „politisch nicht vertretbar“ ist und über die man also nicht weiter reden muss: F:
Die Falle besteht darin, dass der Franzose dem Deutschen nicht unbedingt sagt, dass er seine Meinung geändert hat. Denn wenn man eine Entscheidung getroffen hat, die – in Anführungszeichen ‘politisch nicht vertretbar’ ist, dann geht er davon aus, dass der Deutsche das auch gemerkt hat, dass er auch mit seinem Chef gesprochen hat. Das nimmt er einfach an. Das ist zwar nicht so, aber so denkt der Franzose. Er denkt sich: Der wird sicher auch merken, dass das eine unsinnige Entscheidung war und dass man da nicht mehr darüber reden braucht. Und das merkt der Deutsche einfach nicht. Der Deutsche versteht überhaupt nicht, warum der Franzose einige Wochen später nicht macht, was vereinbart war, obwohl er es zugesagt hatte. Und das, das schafft enorme Probleme. […] Das ist nicht aus Boshaftigkeit, dass der Franzose das nicht sagt. Das ist, weil er nicht daran denkt, es zu sagen. Denn für ihn ist das klar. Das ist logisch, dass das Blödsinn war. Also redet man nicht weiter darüber, denn man hat schon genug Blödsinn geredet. [F12]
2.4.5 Kulturelles Vertrauensmissverständnis Im Folgenden gebe ich die Darstellung eines deutschen Managers wieder. Er berichtet von einem Vorfall in einem französischen Konzern, der sein Vertrauen in einen französischen Kollegen zerstörte. Vor dem Hintergrund des letzten Abschnitts, der die in deutschen und französischen Unternehmen unterschiedliche Hierarchieorientierung und ihren Einfluss auf den Umgang mit Absprachen diskutierte, lässt sich der Vorfall als kulturelles Vertrauensmissverständnis interpretieren. D:
Also das habe ich hier in Frankreich erlebt. Da hatten wir etwas vereinbart, diese Person und ich, eine gemeinsame Vorgehensweise in einem Meeting. Und in diesem Meeting HÄLT diese andere Person sich nicht daran! Zu seinem eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ein Wort reden – wenn ich das vermeiden kann. […] Wir hatten das vorher quasi abgesprochen. Der hat sich mit mir geeinigt. Und dann hat er wohl später noch von seiner Vorgesetzten Vorgaben bekommen – was auch immer – und in diesem gemeinsa-
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men Meeting dann (das war mit uns beiden und einer anderen Partei) hat er das, was wir vereinbart hatten, einfach nicht gemacht. Er hat genau das Entgegengesetzte gemacht. […] Das hat er mir nicht irgendwie vorher noch kommuniziert. Das habe ich dann in dem Meeting mitbekommen. Dieser Mensch, der hatte nicht die Gradlinigkeit, das vorher mit mir abzusprechen. Oder er hat einfach nur das getan, was sein Boss – also wir waren in zwei verschiedenen Direktionen – vertreten hat. […] Ich habe ihn dann danach darauf angesprochen: Sagt er: „Ja, aber die…“ Ich: „Wir hatten das vereinbart, wieso…?“ – „Also, ja,…“ Und dann: „Das hat mir aber jemand anders gesagt.“ – Seine Vorgesetzte hatte ihm was anderes gesagt. Die hatte ihm gesagt, das Thema anders anzugehen. Es gibt ja manchmal gegenläufige Interessen zwischen verschiedenen Abteilungen. – Und der war einfach nicht gradlinig genug, „nein“ zu sagen, oder das mit mir zu regeln vorher. […] Etwas Vereinbartes, als Team Vereinbartes, hat er einfach nicht respektiert. […] Also, da hab ich überhaupt kein Vertrauen mehr zu diesem Menschen! Da kann man nichts anvertrauen, nichts vereinbaren – für mich ist die Person erledigt. [DF-17]
Der Vorfall lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Während für den Franzosen trotz der Diskussion mit dem Deutschen klar war, auf welche Linie er durch die Vorgaben seines Chefs festgelegt ist, hatte der Deutsche erstens den Eindruck, sie hätten sich gemeinsam in der Diskussion auf ein anderes Vorgehen geeinigt. Zweitens hätte er (darum) erwartet, dass der französische Kollege ihm zumindest Bescheid sagt, wenn er nach Rücksprache mit seinem Chef doch sein ursprüngliches Vorgehen wählt. Vor diesem Hintergrund ist es nun interessant zu fragen, inwiefern interkulturell erfahrene Manager aktiv mit diesen Unterschieden umgehen, wenn es darum geht, Vertrauen aufzubauen. 2.5 Deutsch-französische Strategien des Vertrauensaufbaus Neben theoretischen Überlegungen auf Basis der gefundenen quantitativen und qualitativen Unterschiede liefert meine Studie auch einen empirischen Ansatzpunkt zur Frage interkultureller Strategien des Vertrauensaufbaus, nämlich mit den Antworten auf die dritte Interviewleitfrage: Wenn Sie in einer neuen und für Sie wichtigen beruflichen bzw. geschäftlichen Beziehung ihrem Kollegen bzw. Geschäftspartner zeigen wollen, dass er Ihnen vertrauen kann – wie machen Sie das? Was antworten hier die bi-kulturell erfahrenen Manager in Bezug auf ihre Zusammenarbeit mit Kollegen oder Geschäftspartnern aus dem anderen Land? Es gibt Antworten, die ganz klar auf kulturelle Verschiedenheit Bezug nehmen, und sich daher als interkulturelle Strategien des Vertrauensaufbaus begreifen lassen. In den Antworten der französischen Manager spielt das Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln eine große Rolle, wohingegen es auf deutscher
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Seite weniger prominent auftaucht. In den Darstellungen der interviewten Manager wurden hier also mehr ‘französisch-deutsche’ Strategien gefunden. Allerdings gehen auch die französischen Manager meiner Stichprobe nur auf manche der beschriebenen Unterschiede ein, während andere unberücksichtigt bleiben. Insgesamt bieten sich also eine Reihe konkreter Ansatzpunkte, um in Trainingsmaßnahmen konkrete Handlungsoptionen zu diskutieren. Betrachten wir einige der auf französischer Seite gefundenen Strategien. Die französischen Manager gehen in ihren ‘Vertrauensmaßnahmen’ gegenüber deutschen Kollegen auf zwei der oben beschriebenen Kulturunterschiede ein: zum einen auf den höheren Stellenwert, welchen die Deutschen dem Vertrauensindikator Absprachen treffen / Regeln vereinbaren beimessen, und zum zweiten auf das andere Verständnis der Deutschen in Bezug auf die Verbindlichkeit von Absprachen oder Regeln. 2.5.1 Strategien in Bezug auf den Stellenwert von ‘Absprachen treffen’ Ein französischer Manager beschreibt, wie er sich in der Zusammenarbeit bewusst zurück nimmt und sich Zeit lässt, bis Dinge hinreichend geklärt sind, bis Zustimmungen gegeben und Vereinbarungen getroffen sind. Seine eigentliche Präferenz wäre, unabhängig von der definitiven Klärung mancher Aspekte schon früher mit der Durchführung bestimmter Arbeitsschritte zu beginnen. Das Abwarten der Klärung fällt ihm schwer, aber er betrachtet es als notwendige und sinnvolle Strategie des Vertrauensaufbaus gegenüber deutschen Kollegen. F:
Das kann schon etwas schwer fallen, Antworten abzuwarten, die Zustimmung verschiedener Leute abzuwarten. Vielleicht sagt man sich: „Ja, wir, wir würden das etwas schneller angehen.“ […] Man weiß, dass es in Deutschland Dinge gibt, wo man einen Konsens braucht. Das heißt, die Leute haben das Bedürfnis, dass man vorher eine Zustimmung erreicht. Man muss versuchen so etwas zu entwickeln, und man darf nicht versuchen, einfach schnell irgendwie das Maximum rausholen zu wollen. [F13]
Ein französischer Manager beschreibt, wie er sich bemüht, in der Zusammenarbeit mit seinem deutschen Kollegen die Dinge zu klären, Absprachen zu treffen und sich gemeinsam auf Vorgehensregeln zu einigen. F:
Wenn man mit [meinen deutschen Kollegen] die Sachen abspricht, eine Vereinbarung trifft oder etwas im Hinblick auf Prozesse oder Prozeduren verabredet, dann läuft das hinterher sehr gut, das funktioniert sehr gut. Ich glaube, für die deutsche Kultur muss man wirklich darauf achten, […] dass die Sachen definiert, verschriftlicht und gemeinsam vereinbart sind. [FZ-14]
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2.5.2 Strategien in Bezug auf die Verbindlichkeit von Absprachen/Regeln Ein französischer Manager beschreibt, wie er bewusst auf den etwas flexibleren Umgang mit Regeln verzichtet, den er eigentlich vorziehen würde. F:
Man muss in der Lage sein, sich zu sagen: Ich arbeite mit einem Deutschen. Also muss ich eine gewisse Zahl von Organisationsregeln und Prozeduren einhalten, auch wenn mir einige nicht gefallen. Gut, ich passe mich an, und wir arbeiten zusammen. [F15]
Ein anderer französischer Manager beschreibt, wie er sich bemüht, genau den Rahmen bzw. die vereinbarten Vorgehensweisen der deutschen Kollegen einzuhalten. F:
Ich achte darauf, in der Zusammenarbeit mit Deutschen genau ihren Rahmen einzuhalten. Wenn sie beispielsweise eine Art und Weise festgelegt haben, wie man mit Unfällen umgeht, oder wenn sie gesagt haben: „Das muss innerhalb von 48 Stunden passieren“ oder „Das muss per Fax gemacht werden“ oder „Das muss vertraglich geregelt werden“ etc., dann werde ich alles tun, um das auch so zu machen, wie das festgelegt wurde. Das heißt, ich entspreche ihren Erwartungen. Wohingegen ich bei einem Franzosen, wenn es einen Unfall gibt, einfach anrufe: „Das läuft nicht gut hier!“ Ich achte nicht auf die Vorgehensweise, die der andere am Anfang einmal festgelegt hat – indem er gesagt hat: „Sie müssen das so machen.“ Darauf achte ich nicht. Mit den Deutschen, da arbeite ich gemäß unseres Bezugsrahmens. Ich respektiere den Rahmen, den sie uns gegeben haben, weil ich auf diese Weise sicher sein kann, keinen Fehler zu machen. Vielleicht wäre es in so einem Fall zwar besser, sie anzurufen, aber das weiß ich nicht. Wenn man den anderen noch nicht gut kennt, […] muss man schon die Regeln respektieren, die festgelegten Regeln. [F16]
2.6 Rückblick In den vorausgehenden Abschnitten habe ich das vertrauenskritische Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln beschrieben und deutsch-französische Unterschiede in diesem Bereich vorgestellt. In Abschnitt 2.3 habe ich entsprechende quantitative Auffälligkeiten des Kulturvergleichs dargestellt, also kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Häufigkeit, mit welcher die Vertrauensindikatoren des Handlungsfelds Umgang mit Absprachen/Regeln in den Darstellungen deutscher und französischer Manager auftauchen. In Abschnitt 2.4 habe ich zusätzlich drei qualitative deutsch-französische Unterschiede in Bezug auf das Verständnis bzw. den Umgang mit Absprachen beschrieben, die aus den Darstellungen der interviewten Manager herausgearbeitet wurden: in Bezug auf die Verbindlichkeit von Absprachen, die Kommunikation beim Treffen von Abspra-
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chen und den Einfluss der Hierarchieorientierung auf das Treffen von Absprachen. Diese Unterschiede wurden jeweils durch Interviewzitate illustriert und durch ein Beispiel eines vertrauenskritischen Vorfalls ergänzt, der sich als deutsch-französisches Vertrauensmissverständnis interpretieren lässt. Abschließend wurden in Abschnitt 2.5 empirisch gefundene Strategien des interkulturellen Vertrauensaufbaus vorgestellt. Auf dieser inhaltlichen Materialbasis möchte ich nun beschreiben, wie man entsprechende Trainingsmaßnahmen gestalten kann.
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3.1 Schwierigkeiten des interkulturellen Vertrauensaufbaus In den vorausgehenden beiden Abschnitten habe ich zunächst einen Zugang zum Phänomen des Vertrauensmissverständnisses skizziert und anschließend am Beispiel des Umgangs mit Absprachen ausgeführt, wie kulturelle Unterschiede zu solchen Vertrauensmissverständnissen führen können. Bevor ich nun meinen Ansatz vorstelle, wo entsprechende Trainingsmaßnahmen ansetzen könnten, möchte ich zunächst noch einmal zusammenfassend diskutieren, was die besonderen Schwierigkeiten des Vertrauensaufbaus in der interkulturellen Zusammenarbeit sind. Aus einer logisch-analytischen Perspektive ist mein Vertrauen in einen anderen dann gerechtfertigt, wenn ich eine hinreichend gute Informationsbasis dafür habe, den anderen für vertrauenswürdig zu halten. Um eine solche Einschätzungsbasis zu gewinnen, lassen sich eine Vielzahl an Vertrauensindikatoren heranziehen. Praktisch hat allerdings jeder – gemäß seiner individuellen Erfahrungen und persönlichen Neigungen – sein eigenes Gewichtungsprofil dieser Vertrauensindikatoren: Unterschiedlichen Leuten sind die einzelnen Vertrauensindikatoren unterschiedlich wichtig. Dass dies so ist, weiß man aus Erfahrung, und man hat gelernt, sich darauf einzustellen. Die meiste einschlägige Erfahrung im Umgang mit anderen hat man jedoch in seiner eigenen Kultur, und daher entstehen Vertrauensmissverständnisse auch innerhalb einer Kultur weniger leicht als in der interkulturellen Zusammenarbeit. Vertrauen funktioniert also wesentlich über Einschätzungssicherheit: Man glaubt zu wissen, dass der andere bestimmte Dinge tun bzw. nicht tun wird. Diese Einschätzungssicherheit ist beispielsweise dann höher, wenn man von Ähnlichkeiten zwischen sich und dem anderen weiß. Dies können gemeinsame Sichtweisen, Werte, Verhaltensgewohnheiten, Biographien etc. sein. In der Zusammenarbeit mit Kollegen, die in einer anderen Kultur groß geworden sind,
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weiß man hingegen von vornherein, dass bestimmte Ähnlichkeiten nicht vorliegen. Man hat (bisweilen) ein unspezifisches Gefühl, dass man sich in der Interpretation des Verhaltens des anderen vielleicht nicht so sicher sein kann, wie innerhalb seiner eigenen Kultur. Eine der fehlenden Ähnlichkeiten, die vielen Leuten zunächst weniger bewusst ist, betrifft den Umgang mit Vertrauensindikatoren. In interkulturellen Situationen ist die Entstehung von Vertrauen nicht nur deshalb erschwert, weil man in mancher Hinsicht unsicher ist, wie man das Verhalten des anderen interpretieren kann, sondern auch, weil man nicht intuitiv weiß, was Faktoren sind, die Vertrauen fördern. Woran kann ich erkennen, ob ich diesem Kollegen vertrauen kann? Worauf wird dieser Kollege achten um einzuschätzen, ob er mir vertrauen kann? Aus diesem Grund kann eine interkulturelle Situation von vornherein durch ein höheres ‘Grundmisstrauen’ gekennzeichnet sein, das sich darüber hinaus noch über eventuell vorhandene negative Stereotypen verstärken kann. Nun ist aber die Entstehung von Vertrauen kein ‘bewusstseinspflichtiger’ Prozess. Die interviewten Manager berichten, dass sie im beruflichen Alltag nicht darüber nachdenken, ob sie jemandem vertrauen können oder nicht. Vertrauen entsteht einfach – oder eben nicht. Die entsprechenden kognitiven Einschätzungsprozesse verlaufen weitgehend unbewusst. Die Manager können auch ihre Vertrauensindikatoren nicht spontan äußern. Wenn man sie danach fragt, verweisen sie oft zunächst einmal auf ihr Bauchgefühl. Aber auch wenn sie es nicht gleich explizieren können, können sie in der Praxis doch sehr gut einschätzen, wann sie vertrauen können und wann nicht. Eine Erfahrung der interkulturellen Zusammenarbeit kann jedoch sein, dass dieses Bauchgefühl hier plötzlich nicht mehr so verlässlich funktioniert, wie man es gewohnt ist. Man sieht sich daher gezwungen sein erprobtes Bauchgefühl anzupassen bzw. zu erweitern. Man muss dazu lernen, wie Vertrauen in der Zusammenarbeit mit Kollegen aus der anderen Kultur entsteht, wann man hier einem anderen vertrauen kann und wann nicht. Das eigene über viele Erfahrungen gewachsene Bauchgefühl anzupassen, ist aber deshalb schwierig, weil einem eben nicht bewusst ist, wie dieses Bauchgefühl genau funktioniert. In der interkulturellen Zusammenarbeit fängt man also praktisch, wie man es als Kind in der eigenen Kultur getan hat, wieder neu an zu lernen: Man verallgemeinert von einzelnen Erlebnissen und bildet Hypothesen. Allerdings kann eine solche Hypothesenbildung auch zunächst schief gehen und zu vorschnellen Verallgemeinerungen führen, die erst durch die Erfahrungen eines kontinuierlicheren Umgangs mit Kollegen der anderen Kultur korrigiert werden. Erinnern wir uns an die zur Einleitung des Beitrags zitierten Darstellungen eines deutschen und französischen Managers, der Geschichte von den Konzepten A und B. Beide berichten uns eine relativ klare Hypothese zum Umgang
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mit der anderen Kultur. Der Deutsche merkt an, dass er zu seinem französischen Kollegen nicht in der Weise Vertrauen haben kann, wie er es gewohnt ist, denn der Franzose hält keine Vereinbarungen ein. Der Franzose hingegen glaubt gelernt zu haben, dass er im Umgang mit Deutschen tunlichst auf Humor verzichten sollte. In einem anderen Fall berichtete mir ein französischer Manager von zwei Erlebnissen mit deutschen Kollegen, aus welchen er für sich eine sehr deutliche Schlussfolgerung gezogen hatte: F:
In Deutschland kann man natürlich schon eine freundschaftliche Beziehung zu einem Kollegen haben. Aber wenn man im Büro ist [gilt das nicht]. Falls einem irgendwann einmal ein Fehler unterläuft oder falls er irgendwie einmal die Gelegenheit hat, Sie fertig zu machen, dann wird er das tun, so als ob Sie nicht sein Freund wären. Er wird sich nicht genieren, das zu tun. […] Ich glaube, dass Sie hier in Deutschland, was das Berufliche angeht, niemandem blind vertrauen können. Falls es je irgendwann eine Möglichkeit geben sollte, dass sich eine Situation von der Person, der sie vertrauen, zu ihrem Vorteil ausnutzen lässt, tja, dann glaube ich, wird sie das tun, ohne Zweifel. [F17]
Wie also kann man die Entstehung von Vertrauen in interkulturellen Situationen erleichtern? Wenn die individuelle Vertrauenstheorie der Leute implizit ist und ihre Einschätzungsprozesse unbewusst ablaufen, erscheint dies zunächst sehr schwierig. Die eben zitierten Beispiele weisen jedoch eine Richtung: Der Weg führt darüber, die Leute erstens beim Explizieren und Kennenlernen ihrer eigenen Vertrauenstheorie zu unterstützen und Ihnen zweitens die andersartigen Vertrauenstheorien anderer Leute sowie deren interne Logik und mögliche Missverständnisse aufzuzeigen. Wenn man diejenigen Aspekte und Kategorien bewusst macht, die das eigene individuelle Bauchgefühl konstituieren, dann kann man darauf aufbauend die interkulturelle Bedeutsamkeit einzelner Faktoren und ihre Anfälligkeit für interkulturelle Missverständnisse verdeutlichen. Dies kann helfen, die Ausbildung eines interkulturellen Bauchgefühls mitsamt der in diesem Prozess notwendigen Korrekturen und Anpassungen zu beschleunigen. 3.2 Konzeption eines Relationship Management Trainings Auf der Basis der Ergebnisse des beschriebenen Forschungsprojekts wurde ein Set von Trainingsmodulen zum Deutsch-französischen Relationship Management entwickelt. Ziel ist es, die Trainingsteilnehmer in die Lage zu versetzen, interkulturelle Vertrauensmissverständnisse zu erkennen, ihnen vorzubeugen und falls nötig, sie auszuräumen. Diese Module können sowohl in ein umfassenderes deutsch-französisches interkulturelles Managementtraining integriert werden als auch als eigenständige Trainingsmaßnahmen durchgeführt werden. Grundlage
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der einzelnen Trainingsmodule sind die Forschungsergebnisse des Kulturvergleichs in den zwölf vertrauenskritischen Handlungsfeldern (vgl. o.). Für das Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln habe ich im zweiten Abschnitt dieses Beitrags die Forschungsergebnisse des Kulturvergleichs zwischen deutschen und französischen Managern vorgestellt und illustriert. Dies liefert die inhaltliche Basis für das entsprechende Trainingsmodul. Im letzten Teil dieses Beitrags werde ich nun – auch auf der Basis meiner Erfahrungen im interkulturellen Training – eine entsprechende Trainingskonzeption skizzieren. Was braucht man also für ein Interkulturelles Relationship Management Training? 1.
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Wenn man ein erprobtes Bauchgefühl für die interkulturelle Zusammenarbeit ‘einsatzfertig’ machen will, ist es günstig zu verstehen, wie es eigentlich genau bisher innerhalb der eigenen Kultur funktioniert. Dazu hilft es, sich zu vergegenwärtigen, wie die eigenen Gewichtungen der Vertrauensindikatoren aussehen und auf welche anderen Vertrauensindikatoren andere Manager möglicherweise achten. Wenn man die Ausbildung des interkulturellen Bauchgefühls unterstützen will, kann man Wissen über Kulturunterschiede vermitteln oder vorhandene Hypothesen über Unterschiede durch weitere Beispiele untermauern und falls nötig korrigieren. Eine wichtige Umsetzung des Bauchgefühls in der Interaktion sind emotionale Wertungen (z.B. ungutes Gefühl, Ablehnung, oder auch Zustimmung, Anerkennung). Der natürlichen Tendenz, auf kulturelle Andersartigkeiten mit Ablehnung zu reagieren, kann man begegnen, indem man die möglichen Vorteile dieser Andersartigkeit aus der eigenen Perspektive heraus rekonstruiert. Schließlich hat das Bauchgefühl grundlegenden Einfluss auf viele Aspekte des eigenen Handelns. Es bestimmt beispielsweise mit, ob ich mich in meinem Handeln vertrauensvoll öffne oder eher misstrauisch verschließe. Was das Bauchgefühl dabei allerdings am besten kann, ist, eingeübte Verhaltensweisen zu ‘triggern’, d.h. in bekannten Situationen bekannte Verhaltensschemata auszulösen und ablaufen zu lassen. Für die interkulturelle Zusammenarbeit kann es nicht nur hilfreich sein, das eigene Spektrum an Verhaltensweisen zu erweitern, sondern auch, manchen bekannten aber weniger präsenten Vorgehensweisen zu neuer Aufmerksamkeit und möglicherweise neuen Einsatzbereichen zu verhelfen.
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3.2.1 Anleitung zur Rekonstruktion des eigenen Bauchgefühls Ein erster Schritt für eine gezielte Verbesserung des Relationship Management besteht darin, sich darüber klar zu werden, was man denn bisher mehr oder weniger intuitiv tut, um seine beruflichen Beziehungen zu pflegen. Worauf achte ich besonders? Was ist mir besonders wichtig? Und in Bezug auf welche Aspekte bin ich eher nachsichtig und gleichgültig? Was ist mein persönliches Vertrauensprofil? Auf dieser Grundlage lässt sich zum einen grundsätzlich identifizieren, in welche Arten von Vertrauensmissverständnisse ich leichter geraten kann als in andere, und zum zweiten lässt sich im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit einer anderen Kultur feststellen, welche Kulturunterschiede mir eher einen Streich spielen könnten als andere. Von großem Nutzen ist hier die entwickelte handlungsorientierte Systematik der Vertrauensindikatoren von Managern. Sie dient dazu, das eigene Vertrauensprofil zu bestimmen und eigene Vertrauenserlebnisse systematisch zu rekonstruieren. Zudem können Vertrauensmissverständnisse beschrieben und durch Beispiele aus der Studie illustriert werden. Mit der Anleitung zur Rekonstruktion des eigenen Bauchgefühls geht das Trainingsmodul über die klassischen interkulturellen Trainingsansätze hinaus und liefert einen wichtigen Baustein für ein bewusstes interkulturelles Relationship Management. 3.2.2 Vermittlung von Wissen über Kulturunterschiede Einen wichtigen Stellenwert hat die Vermittlung von Wissen speziell über vertrauenskritische kulturelle Unterschiede. Hier gilt es zum einen, an den bereits vorhandenen interkulturellen Erfahrungen anzusetzen – möglichst aus dem beruflichen Kontext und am besten aus dem Zielkulturraum – und die vorhandenen Hypothesen über Unterschiede und den Umgang mit ihnen herauszuarbeiten. Zum anderen geht es darum, einen Überblick über die in der Forschung bekannten Unterschiede zu geben und dabei deren spezifische Relevanz für die Entstehung von Vertrauen aufzuzeigen. Insbesondere konkrete Beispielfälle aus dem Managementalltag ermöglichen es, die Entstehung von Vertrauensmissverständnissen anschaulich zu vermitteln. Das Wissen über Kulturunterschiede, beispielsweise über die unterschiedliche Interpretation von Terminzusagen, kann wichtige Anhaltspunkte für das Verhalten in der interkulturellen Zusammenarbeit liefern: D:
Wenn er mir sagt, ich kriege es am Montag, dann kann ich ja Vertrauen haben, dass ich es kriege. Dann weiß ich im Hinterkopf: „Na, ich kriege es nicht am Montag, aber bis nächsten Freitag habe ich es.“ Das ist ja auch in dem Sinne ein Vertrauen. […] Ich kann schon das Vertrauen gewonnen haben, dass ich mich auf ihn verlassen
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kann. Zwar nicht auf jedes Wort, nicht, aber das kann ich, glaube ich, bei niemanden. [DF 21]
Was das obige Zitat allerdings auch zeigt, ist eine gewisse Gelassenheit des zitierten Managers gegenüber dem Verhalten seines französischen Partners. Er stellt sich auf die andersartigen Umgang mit den Terminzusagen ein, ohne dass ihm das besonders viel auszumachen scheint. Es regt ihn nicht (mehr) auf. Kann man eine solche Einstellung im Training vermitteln? 3.2.3 Unterstützung positiver Rekonstruktionen der anderen Sichtweise Eine wichtige und oft vernachlässigte Komponente im interkulturellen Training betrifft den emotionalen Umgang mit Unterschieden. Was hilft es mir, bestätigt und durch Beispiele untermauert zu bekommen, dass ich in der Zusammenarbeit mit Franzosen möglicherweise auf einen anderen Umgang mit Terminzusagen treffe, wenn ich das völlig unmöglich finde und so nicht arbeiten möchte? Grundsätzlich gibt es drei Ansatzpunkte: Erstens kann ich versuchen, meinen Partner auf Linie zu bringen und meine Vorstellungen durchzusetzen. Zweitens kann ich versuchen, mich mit dem Partner auf eine Kompromissvariante zu einigen. Drittens kann ich auf ihn eingehen und mich ihm anpassen, wie es der zitierte Manager tut. (Den Wechsel des Geschäftspartners klammere ich hier einmal aus.) Welche der Optionen erscheint nun aussichtsreich, wenn es darum geht, Vertrauen aufzubauen? Sicherlich nicht die erste, welche dazu führen würde, dass gleich eine Reihe beziehungsbezogener Vertrauensindikatoren dagegen sprechen würden, mir zu vertrauen. Die zweite sollte nicht unversucht bleiben, setzt aber bereits die dritte in Teilen voraus, denn für einen Kompromiss muss ich mich zumindest teilweise anpassen. Allerdings hatten wir hier das Problem, dass ich mich möglicherweise nicht anpassen möchte. Was dann? Was ein interkulturelles Relationship Training leisten sollte, ist, noch über die Vermittlung von Unterschieden (und Handlungsstrategien, vgl. u.) hinaus zu zeigen, wie sich bei den thematisierten Kulturunterschieden die jeweils andere Sichtweise positiv rekonstruieren lässt. Dabei geht es darum, die Hintergründe und Logik der anderen Vorgehensweise auf Basis der eigenen Wertmaßstäbe zu rekonstruieren und verständlich werden zu lassen. Ziel ist ein ‚Aha, ja, ok, dann kann ich das nachvollziehen’ der Teilnehmer. Dies liefert ihnen eine wesentliche Hilfestellung dazu, auch einmal in Bezug auf eine Andersartigkeit, die man eigentlich ablehnt, eine akzeptierende Einstellung wie der oben zitierte Manager einzunehmen. Gerade im Fall interkultureller Vertrauensmissverständnisse ist es unabdingbar, eine Rekonstruktion der Perspektive des anderen zu entwickeln. Anson-
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sten stehen die Chancen schlecht, Vertrauen wieder aufzubauen, ohne es herbeizaubern zu müssen. Die positive Rekonstruktion der Sichtweise des anderen hilft, die „Tatsachen abzuschwächen“, wie ein Manager berichtet: F:
Also es ist wirklich so, dass wenn man es schafft, hinterher zu verstehen, warum sie so gehandelt haben, dann kann das so ein bisschen die Tatsachen abschwächen. Aber wenn es einem nicht gelingt, sich zu erklären, warum die Leute so gehandelt haben, dann denkt man: Das sind einfach Leute, die nicht ihr Wort halten. Dann ist es schwieriger, wieder Vertrauen aufzubauen. [F18]
Eine Arbeit an gewachsenen Einstellungen und Bewertungsmaßstäben ist unter Umständen ungeheuer schwierig. Sie ist tendenziell einfacher, je mehr Erfahrungen die Trainingsteilnehmer bereits in der Zusammenarbeit mit Kollegen der anderen Kultur bzw. in interkulturellen Kontexten insgesamt haben. Und sie wird erleichtert, indem man authentische Zitate von Managern der anderen Kultur heranzieht, welche anschaulich und eindringlich ihre eigene Sichtweise der Dinge schildern. Wenn man systematisch versucht, die möglichen Vorteile einer alternativen Vorgehensweise aus der eigenen Perspektive heraus zu rekonstruieren, dann hat man im Hinblick auf interkulturelle Handlungsstrategien einen weiteren Vorteil: Man erarbeitet sich nämlich automatisch einen Zugang zum interkulturellen Synergiepotential. Es wird deutlich, wie man die unterschiedlichen Präferenzen oder Herangehensweisen sinnvoll kombinieren kann, um nicht gegeneinander sondern zusammen auf das gemeinsame Ziel hinzuarbeiten. Es wird leichter, anstatt Kompromisse finden zu müssen, Win-Win-Situationen zu schaffen. 3.2.4 Diskussion interkultureller Handlungsstrategien Ein Training, das Handlungsstrategien ausklammert, schickt die Teilnehmer mit einer Transferaufgabe nach Hause, die äußerst schwer im beruflichen Alltag umzusetzen ist. Im Idealfall können Strategien hingegen nicht nur vermittelt werden, sondern sogar im Training diskutiert, adaptiert und erprobt werden. Durch die systematische Erhebung nicht nur monokultureller sondern gerade auch interkultureller Strategien, wie man den Vertrauensaufbau unterstützen kann, liefert das beschriebene Forschungsprojekt hierfür eine gute Grundlage. Sowohl die empirisch gefundenen Strategien – einige Beispiele für das Handlungsfeld Umgang mit Absprachen/Regeln wurden in Abschnitt 2.5 skizziert – als auch weitere auf der Basis der gefundenen Kulturunterschiede entwickelte Strategien können im Training vorgestellt werden, um ihre Anwendung in einzelnen Handlungssituationen zu diskutieren und zu erproben.
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3.3 Zur Bezeichnung ‘Relationship Management Training’ In diesem Beitrag spreche ich von ‘Relationship Management Training’. Sozialwissenschaftler, die sich für Vertrauen als Forschungsgegenstand interessieren, vergessen leicht, dass sie diese offene Forscherperspektive in anderen Kontexten nicht unbedingt so wiederfinden. Ich möchte abschließend erläutern, warum es mir gerade auch vor dem Hintergrund von einhundert Stunden Interview und Einblick darin, wie Führungskräfte über das Thema Vertrauen reden und denken, nicht sinnvoll erscheint, die hier skizzierten Trainingsmaßnahmen als ein ‘Vertrauenstraining’ zu bezeichnen. Vertrauen ist eine äußerst sensible Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen. Denn jedes Vertrauen beinhaltet zugleich das Risiko, dass das Vertrauen enttäuscht werden kann. Wer zugibt, sich für Vertrauen zu interessieren, der interessiert sich möglicherweise auch dafür, ob man Vertrauen manipulieren kann. Allein schon das Interesse für kulturelle Unterschiede und die Bereitschaft, sich gegebenenfalls auf die kulturelle Andersartigkeit eines Kollegen oder Geschäftspartners einzustellen, gerät leicht unter Manipulationsverdacht. In der Durchführung des beschriebenen Forschungsprojekts erwies es sich als sehr wichtig, ausführlich über das Forschungsziel des Projekts zu kommunizieren, kulturelle Vertrauensmissverständnisse aufzudecken und zu verstehen. Insbesondere die dritte Interviewleitfrage (in Kurzform: Wie zeigen Sie, dass man Ihnen vertrauen kann?) erforderte eine große Sorgsamkeit der Formulierung. Es kann relativ schwierig sein, den an sich natürlichen Sachverhalt zu thematisieren, dass man in einer beruflichen Beziehung aufrichtig und ehrlich daran interessiert sein kann, Vertrauen aufzubauen. D:
Ich bin ein bisschen erschrocken, als ich Ihr Papier gelesen habe, über Ihren Begriff ‘Vertrauensmanagement’. […] Also ‘Vertrauensmanagement’ ist für mich ein Begriff, der passt irgendwie nicht so richtig zusammen. Denn Vertrauen kann [man nicht managen]. Also ich kann jedenfalls mein Vertrauen nicht managen. Ich kann eine Verbindlichkeit, eine Verlässlichkeit oder was nicht alles noch dazu gehört, kann ich versuchen zu leben. Oder ich kann versuchen, das rauszukitzeln bei anderen Leuten. Aber ich kann es nicht managen. Also das ist für mich ein Konflikt im Begriff. [DD-13]
F:
Ich habe da keine eigentliche Strategie. Ich werde das dem anderen nicht zeigen. Denn nach einer solchen Logik zu handeln, heißt, dass ich ein strategisches Interesse habe, das zu tun. Also bin ich nicht mehr vertrauenswürdig, wenn ich das mache! […] Wenn ich mich so verhalte, wenn ich strategisch das, das und das tue, damit er mir vertraut, dann wird der andere das interpretieren: „Soso, der macht also strategische Aktionen, der will mich bestimmt feuern!“ oder „Der will mich ausschalten und unschädlich machen!“ oder „Der hat sonst irgendwas vor!“ Das verschlimmert
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gleich die Ausgangssituation. Deshalb denke ich, dass man da so nicht rangehen sollte. [F19] F:
Ich suche nicht das Vertrauen des anderen. Das heißt ich denke, es ist am anderen zu sehen, ob er mir vertrauen kann oder nicht. Aber ich kümmere mich nicht darum, das Vertrauen eines anderen aktiv zu suchen. Das ist meine Antwort. Ich suche nicht das Vertrauen anderer Leute. Der andere schenkt mir Vertrauen oder nicht. Ich mache nicht irgendwelche Sachen, um sein Vertrauen zu erlangen. [F20]
Dass manche Manager auf die Frage des Vertrauensaufbaus sensibel reagieren, ist verständlich, schließlich sind die Themen der Intrige, Manipulation etc. kein dem beruflichen Alltag völlig fernes Gebiet. Wer sich daher auf den Standpunkt stellt, dass ein Kollege oder Geschäftspartner die Frage, ob er mir vertraut, völlig allein entscheidet, und ich dazu nichts beitrage, der hat es einfacher, jeglichen Manipulationsverdacht von sich weisen. Ich schlage daher vor, im Zusammenhang mit den beschriebenen Trainingsmaßnahmen von ‘Relationship Management Training’ zu sprechen. Einerseits trifft dies inhaltlich sehr gut die beschriebene Konzeption, denn es geht darum, die eigene Gestaltung seiner beruflichen Beziehungen zu verbessern, um insbesondere in der interkulturellen Zusammenarbeit möglichen Vertrauensmissverständnissen vorzubeugen und den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen zu fördern. Zum anderen ist die Begrifflichkeit des Relationship Management ein im Businesskontext etablierter Begriff (insbesondere in den Kombinationen ‘Customer Relationship Management’ oder ‘Supplier Relationship Management’ und in der Positionsbezeichnung ‘Relationship Manager’), der einen Rahmen skizziert, in welchem man sich um verbesserte Beziehungen bemühen ‘darf’. Mit der Bezeichnung ‘Relationship Management Training’ können wir schon auf begriffliche Weise klarer machen, dass es nicht darum gehen kann und auch nicht darum gehen soll, das Vertrauen anderer zu manipulieren. Ein Vertrauen eines Anderen in mich kann und wird immer nur autonom bei diesem Anderen entstehen. Die Lebensweisheit, dass wir dabei aber auch gelegentlich mit Vorurteilen und Missverständnissen zu kämpfen haben – zumal in der interkulturellen Zusammenarbeit – legt es allerdings nahe, Forschungserkenntnisse darüber der Praxis in Trainingsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Im vorliegenden Beitrag habe ich versucht zu umreißen, wie sich zu diesem Zweck interessante Trainingsmaßnahmen entwickeln lassen.
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Anhang: Französische Originalzitate Die Zählung F1, F2, F3… entspricht der Zählung der Zitate in diesem Beitrag. Die Verweise nach jedem Zitat beziehen sich auf die Kodierungen der Transkripte im Forschungsprojekt.
F1: C’était un moment on avait des relations un peu tendues. J’ai voulu mettre de l’humour, mais l’humour du second degré. Et mon interlocuteur en Allemagne n’a pas du tout compris. Il l’a pris au contraire comme une volonté de saper, de détruire le partage des responsabilités qu’on avait. Et donc c'est là que j’ai compris que c'était très dangereux de vouloir faire de l’humour au deuxième degré avec mes interlocuteurs allemands, qu’il fallait que je le réserve à mes collègues français avec lesquels j’ai l’habitude de discuter au deuxième degré. Je vais essayer de raconter l’histoire simplement. On était en train de répondre à un appel d’offre pour un client, et donc on proposait un concept A, et un concept B. Le concept A était développé par mes collègues de Brême. Brême commence par B. Et moi j’étais en Aquitaine et je développais le concept B. Et j’avais écrit un mail à mon interlocuteur Allemand : « Ça ne va pas du tout. C'est pas logique. Mon concept à moi, je ferais mieux de l’appeler A, et puis le tien tu ferais mieux de l’appeler B. Il faudrait en revenir à quelque chose de plus logique, de plus cartésien » Il a perçu en fait que je voulais me référer à l’ordre alphabétique, A étant avant B. Il a pensé que je voulais passer avant lui. Alors que c'était juste de l’humour entre le concept A à Brême et moi qui développais le concept B en Aquitaine. Et on a échangé ça par mail, et il a réagit très violemment en disant : « Mais non, on avait décidé que j’avais le concept A et donc il n’est pas question de revenir là-dessus. Je ne comprends pas ce que tu veux dire… ». C'était juste comme ça pour essayer de détendre l’atmosphère. Et c'est pas du tout passé. […] Je ne cherchais pas à prendre plus de responsabilités ou à mettre plus en avant le travail fait par mon équipe par rapport au travail fait par son équipe. Il avait vu ça comme une rivalité, ou une volonté de prise de pouvoir, alors que c'était juste… une blague en passant… […] Donc je recommande aussi à mes collaborateurs d’éviter l’humour, le deuxième degré, de plutôt l'éviter. [FD-18] F2: Quand vous donnez [une promesse]… J'ai l'impression que qu'on s’engage, qu'on s’engage plus vis-à-vis d’un Allemand que vis-à-vis d'un Français. Par exemple [si je dis]: « A telle date, je remets telle chose». Le Français va dire : « Ok, ça veut dire qu’àpres à peu près cette période-là, j'ai la chose ». Et ça se voit dans le travail de tous les jours. Quand je demande quelque chose en Allemagne pour telle date, c'est toujours là, ou très souvent là. En France, si vous ne relancez pas la personne avant le rendez-vous, vous êtes quasiment sûr de ne pas avoir les choses comme il faut. Alors soit il manque des choses, soit elles ne sont pas là à l’heure. Soit ce n'est pas ce que vous avez demandé. Enfin, il y a plein de choses, mais… [FD-23]. F3: Je crois que ça justement c'est un des points forts des Allemands. Enfin moi, j'ai l'impression qu'on peut avoir facilement confiance en eux, dans la mesure où, quand ils disent qu'ils font quelque chose, ils le font. Et que c'est fait rapidement. Et c'est très carré. Enfin c'est bien conforme à ce qui a été dit à un moment donné. - Alors que nous, des fois, c'est un petit peu moins rigoureux. [FD-02]
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F4: On perd cette richesse puisque l'Allemand va freiner le Francais quand il développe des idées hors la procédure. [FD-18] F5 : On dit : « Ah, tu as été en retard! Bon, ne recommences pas, lalala.». Et puis le fournisseur français va dire : « Ben tiens, je t’invite à déjeuner, on va discuter du problème, etc…" - On ne va pas rentrer dans cette relation là au niveau de l’Allemand. [FF-16] F6 : Et puis je peux changer de trajectoire plus facilement. Le client français accepte assez facilement qu'on fasse différemment le lendemain que ce qu'on a dit la veille. Pourvu que globalement, on arrive à l’objectif. On a le droit de changer de trajectoire, il accepte beaucoup plus facilement ça. Il accepte plus facilement des contradictions. Du moment qu'il voit que l'on continue quand même vers l’objectif. […] Vous pouvez plus facilement lui dire : « Ecoutez, on est parti dans une direction, je ne pense pas que ce soit la bonne. On va aller dans une autre direction… » Les clients français acceptent plus facilement les changements. [FD-05] F7: Souvent, on a tendance à croire que ce qu'il demande, ce n'est pas tout à fait ce qu'il veut. Nous, on pense ça, c'est-à-dire on se dit : « Non, ce n'est pas ça qu'il veut vraiment. Il a dû se tromper. Et puis, il en demande trop. » Vous voyez ? [il rit] C'est très français, ça. Et ça, c'est un gros défaut. [FD-11] F8: Le respect de la décision, ça c’est aussi un point important. [En Allemagne,] si vous avez pris la décision, vous l’acceptez et vous l’appliquez. Alors que nous, Français, on a tendance à dire "oui" pour gagner du temps, et pour pouvoir le lendemain, dire : « tout compte fait, je ne suis pas d’accord ». […] Je m’en suis rendu compte aussi : en Allemagne, il vaut mieux prendre du temps et dire : « je ne peux pas prendre de décision actuellement, mais je prend une décision jusqu’à cette date, et je vous la donnerai à cette date », que prendre la décision pour gagner du temps, ce que va faire un Français… Alors là, c’est mortel !! C’est mortel ! Ca créé vraiment des malaises. [FD-24] F9: Il y avait un problème important. Il me disait : « Non, mais j’ai rendez-vous avec un journaliste ». Je lui disais : « Oui, mais le journaliste, là, il n’est pas important, on a vrai problème ». Il me dit : « Non, mais j’ai un rendez-vous, donc je le ferai, je le ferai rapidement, mais je le ferai. » Donc lui était : « Je ne vais pas bouger. J’ai un rendez-vous, je ne bouge pas. » Et ça c'est très allemand. Le Français, lui, au contraire, il dit : « Bon allez, passez le journaliste à quelqu'un d’autre, j’ai un problème plus important » [FD-09] F10: C'est des réponses vagues, par exemple. Des réponses vagues où vous ne savez pas exactement si c'était oui ou non ou peut-être. Ça c'est un signe qu’en fait la situation a peut-être changé chez la personne. Si, si c'est quelqu'un en qui vous êtes habitué à ce qu'il vous donne des réponses claires. Vous aviez l’habitude que la personne vous donne toujours des réponses claires et précises. Et tout d'un coup, les réponses ne sont plus claires et précises. Tout d’un coup il vous donne des réponses un peu fuyantes. La personne évite vos questions, tourne autour. [FD-01] F11: Des engagements qui aient été pris en réunion, et après ça a été fait autrement – parce que les chefs s’en étaient mêlés – ça je l’ai déjà observé plusieurs fois. F12: Le piège qu’il y a c’est que le Français ne va pas nécessairement dire à l’Allemand qu’il a changé d’avis. Parce que si on a pris une décision, qui est entre guillemets « politiquement non défendable », il part du principe que l’Allemand aussi comprendra ça aussi de son côté, parce qu’il parle aussi avec son chef. Sous-entendu. Ce n’est pas le cas, mais c’est ce qu’il pense, le Francais. Donc de toutes façons, il comprendra lui aussi que c’était une décision idiote et que ce n’est même pas la peine d’en parler. Et ça, le collègue Allemand, il comprend pas du tout. Le collègue Allemand, il ne comprend pas du tout pourquoi, des semaines après, le collègue Français il ne fait pas son action, alors qu’il s’était engagé. Et ça ça crée d’énormes problèmes. […] Ce n’est pas par méchanceté qu’il ne le dit pas. C’est qu’il ne le pense pas. Parce que c’est logique. C’est logique que c’était « con » entre guillemets… Donc on ne va pas en parler parce que de toutes façons on a dit assez de « conneries » là-dessus… [FD-17]
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F13: C'est vrai que ça peut nous paraître difficile de, d’attendre des réponses, d’attendre l’accord de plusieurs personnes. Peut être, on va se dire : « Oui, nous, ça irait plus vite." […] On sait qu'en Allemagne, il y a des choses dans lesquels il y a besoin d'un consensus. C'est-àdire que les gens ont besoin d’être d'accord avant. […] Il faut chercher à construire plutôt que d’obtenir au maximum rapidement quelque chose. [FD-11] F-14: A partir du moment où, avec [mes collègues allemands], on a agréé, on a construit, et on est arrivés d’accord sur des principes en termes de « process » et de « procédures » réciproques, derrière, ça marche très bien, ça fonctionne très bien. Je pense que pour la culture allemande, il faut vraiment […] que les choses soient définies, écrites, et agréées ensembles. [FD13] F15: [Il faut] être capable de dire : « Je travaille avec un Allemand. Donc il faut que je respecte un certain nombre de règles d’organisation, de procédures, même si certaines ne me plaisent pas. » Il faut être capable de dire : « Bon, je m’adapte et on travaille ensemble ». [FD-08] F16: Je vais le faire de manière de respecter le cadre avec eux. Si par exemple, ils ont défini une manière de traiter un accident, s'ils ont dit, par exemple : « ça doit être avec 48 heures de délai, ça doit être fait par fax, ça doit être fait dans la cadre d’un contrat » etc., je vais tout faire pour bien respecter ce qui a été défini à un moment. C'est-à-dire, je vais répondre à leur attente. Alors qu’avec les Français, il y a un accident, on appelle. « Oui, ça ne marche pas bien ». Je ne fait pas attention à la manière que la personne avait fixée au début – en me disant : « Vous devriez faire comme ça. » Je ne vais pas y faire attention. – Avec les Allemands, je vais travailler en fonction de notre référentiel. Je vais bien respecter le cadre qu'ils ont imposé, comme ça je suis sûr de ne pas faire d’erreurs. Peut-être que ce serait mieux de les appeler à ce moment-là, mais je ne le sais pas. Si on ne connaît pas bien la personne […] il faut bien respecter les règles, les règles déposées. [FD-11] F17: En Allemagne, vous pouvez très bien avoir des liens d’amitié avec un collègue. Mais quand vous êtes au bureau : Si jamais vous faites une connerie ou si jamais il a la possibilité de vous rentrer dedans, il vous rentrera dedans comme si vous n’étiez pas son ami. Il ne se gênera pas pour le faire. […] Je crois que du point de vue professionnel, en tous cas ici en Allemagne, vous ne pouvez pas accorder votre confiance aveuglément à quelqu’un. Si jamais il y a la possibilité, à un moment où un autre, d’utiliser une situation qui serait plus positive pour la personne à qui par exemple vous donnez confiance, eh bien je pense qu’il le ferait, sans aucun doute. [FD-26] F18: Effectivement, si après on arrive à comprendre pourquoi ils ont agi comme ça, bon, ça peut atténuer, ça peut atténuer les faits. Mais quand on n’arrive pas à expliquer pourquoi les gens ont agi comme ça, on pense c'est simplement parce que c'est des gens qui n'ont pas de parole. Là, c'est plus difficile de rétablir la confiance. [FD-15] F19: Je n’ai pas de stratégie particulière. Je ne vais pas lui montrer. Car si je vais dans une logique comme ça, c’est que j’ai un intérêt stratégique de le faire. Alors je ne suis plus plus digne de confiance si je fais ça. D’accord ? […] Si j’ai un comportement comme ça – si je vais faire stratégiquement ça, ça, ça pour qu’il ait confiance – l’autre il va interpréter « tiens, il fait des actions stratégiques pour me saquer, ou pour me casser ou pour faire autre chose… ». Ça empire la situation à l’arrivée. C’est pour ça que je pense qu’il ne faut pas y aller comme ça. [FD-17] F20: Je ne cherche pas la confiance, moi. Je ne cherche pas la confiance. Donc c'est-à-dire que c'est à LUI de voir s’il a confiance en moi ou pas. Mais je ne suis pas en train de rechercher la confiance de quelqu'un. Donc ma réponse est là. Je ne cherche pas la confiance des gens, donc il me donne sa confiance ou pas. Je ne fais pas des actions pour obtenir sa confiance. [FF-16]
Die Rolle von Vertrauen in sozialen Beziehungen – das Beispiel chinesischsprachiger Kulturräume1 Jürgen Henze
Mit dem folgenden Beitrag gehen wir der Frage nach, wie sich das soziale Konstrukt „Vertrauen“ (xinren) in chinesischen Sprach- und Kulturgemeinschaften im Spiegel der internationalen Vertrauensforschung und vor dem Hintergrund erster indigener Theorieansätze darstellen lässt.2 Dabei greifen wir Beiträge aus stärker auf Asien bezogenen Forschungsrichtungen auf, die vor dem Hintergrund sehr differenzierter internationaler (westlicher) Forschungsfelder zwar nur vergleichsweise geringen Raum einnehmen, in ihrer Entwicklung aber in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen und teilweise die Paradigmenbildung der westlichen Forschung zumindest ansatzweise beeinflussen konnten (Henze 2007; Tan/Chee 2005; Wu et al. 2006; Kim 2002). Die Analyse umfasst in einem ersten Schritt die Darstellung von Konzepten zur Beschreibung interpersonaler Kommunikation, vorzugsweise in China. Dabei geht es um Definitions- und Prozesslandschaften der individuellen Konstruktion des Selbst, seiner relationalen Orientierung auf Andere und die damit verbundene Einbettung in Beziehungs- und Netzwerkkreise (Bond 1991, 1996). Vor dem Hintergrund dieses Ensembles der Einbettung des Selbst wird die Kategorie Vertrauen in emischer und etischer Perspektive eingeführt und mögliche weitergehende Forschungsfragen entwickelt.
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Mit der Bezeichnung chinesischsprachige Kulturräume werden hier nationalstaatliche Konfigurationen chinesischsprachiger Gemeinschaften (China, Taiwan, Singapur) verstanden, aber auch solche sozialen Gemeinschaften, die als „Chinese communities“ weltweit in varianten, aber tendenziell ähnlichen sozialen Beziehungsmustern leben. Die Darstellung versteht sich als erster Versuch zur Sichtung des einschlägigen englischsprachigen sozialwissenschaftlichen Schrifttums, speziell mit einer Fokussierung auf China, Hong Kong und Taiwan. Die weitergehende Analyse chinesischsprachiger Quellen ist als Kooperationsprojekt mit dem Intercultural Institute der Shanghai International Studies University (SISU) geplant.
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Face und die Bedeutung von Facework
Unbeschadet nationalstaatlicher Grenzen scheint für weite Teile des asiatischen Kulturraums als basale Charakteristik menschlicher Kommunikation zu gelten, das sie den Prinzipien von Gegenseitigkeit (mutuality), Respekt und Aufrichtigkeit (honesty) folgen sollte. Die Folie, vor der sich diese Prinzipien realisieren können, stellt eine besondere sozialräumliche Konfiguration des Selbst (self): Ein Selbst, das relational, gleichsam als gespiegeltes Selbst nur aus der Perspektive von Interdependenz, von Vernetzung mit dem Anderen zu verstehen, zu beschreiben und zu erfahren ist (Hwang 2000, 2001). Während das Selbst als etisches Konstrukt gilt, muss die sozialräumliche Konfiguration als emische Kategorie akzeptiert werden, die einerseits für weite Teile Asiens erklärungswirksam zu sein scheint, andererseits Raum lässt für regionale Varianz in der Bedeutungszuweisung und alltäglichen Performanz (Markus/Kitayama 1991, 1998; Matsumoto 1994; Wong 2005). Für unseren Zusammenhang ist bedeutsam, dass Face als etisches Konstrukt in emischer Anverwandlung zu verstehen ist (Chang/Holt 1994; Hwang 1997-8; Jia 1997-8; Kim/Nam 1998). Weidemann hat unter Verweis auf die Arbeiten von Brown und Levinson (1978), Goffman (1955) und Ting-Toomey (1988) drei zentrale Herkunftslinien des Facekonzeptes aufgezeigt: 1.
2.
3.
Einerseits in der Referenz auf Sprechaktanalysen, damit auf die politeness theory und, so sei hinzu gefügt, auf theoretische Explikationen zum Impressionsmanagement (impression management), andererseits in der Anknüpfung an Konzepte der Sozialpsychologie und – in schwächerer Ausprägung – der Soziologie zur Konstruktion des Selbst. Darüber hinaus hat das Facekonzept Eingang gefunden in westliche kommunikationstheoretische Modelle. Schließlich verweist die Autorin auf die Arbeiten von asiatischen, vorzugsweise chinesischen Wissenschaftlern unterschiedlicher disziplinärer Zugehörigkeit, die sich vor allem der Frage widmen, inwieweit Face ein emisches Konstrukt, damit ein konstitutives Element von Kommunikation in Asien darstellt (Weidemann 2004: 85).
Der emische Aspekt des Konzeptes von Face als für chinesische Gemeinschaften typische Form relationaler Beziehungskonstruktion ist gerade von Hwang und Ho immer wieder betont und mit den Begriffen individual-in-relations und Chinese relationism erschlossen und historisch mit der konfuzianischen Soziallehre und –ethik in Beziehung gesetzt worden, um so die Unterscheidung vom individuellen Selbst westlicher Prägung zu ermöglichen (Ho 1994; Hwang 2001).
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Als Übereinkunft der internationalen Forschung kann daher postuliert werden, dass `Gesicht` als soziales Konstrukt im Spiegel des relationalen Selbst (in der Referenz auf Andere) entsteht und verhandelt wird und auf moralische Integrität, Fähigkeiten, Status und Kultur(niveau) einer Person verweist. Ting-Toomey hat die Komplexität dieser Form von Selbstkonstruktion und die damit verbundenen regulativen Prinzipien sehr konzise beschrieben und sieht Face als „an individual´s claimed sense of favorable social self-image in a relational and network context. Facework is defined as clusters of communicative behaviors that are used to enact self-face and to uphold, challenge/threaten, or support the other person´s face. Face is a cluster of identity- and relational-based issues that simmers and surfaces before, during and after the conflict process. Face is associated with respect, honor, status, reputation, credibility, competence, family/network connection, loyalty, trust, relational indebtedness and obligation issues. It has … simultaneous affective (e.g. feelings of shame and pride), cognitive (e.g. calculating how much to give and receive face) and behavioural layers. Facework refers to specific verbal and non-verbal messages that help to maintain and restore face loss and to uphold and honor face gain.” (Ting-Toomey/Kurogi 1998: 190)
Es muss vor diesem Hintergrund der Kombination von Selbst und Face überraschen, dass die chinesische Sprache ursprünglich keinen genuinen Term für „Kommunikation“ kannte, darauf haben Gao und Ting-Toomey (1998) verwiesen. Hintergrund dafür scheint die bereits skizzierte Konstruktion des Selbst als interdependente, relationale Entität zu sein, die in der Referenz auf den Anderen nicht einfach „kommuniziert“, sondern sich der komplexen Optionen eines variablen Kommunikationsstils (intuitiv, emphatisch, still, zurückhaltend und subtil) bedient. Die Fähigkeit zu sprechen (nengshuo oder huishuo) bedeutet mehr, als nur kommunizieren und ist nur wenigen vorbehalten. Die üblichen Begriffe wie „austauschen“ (jiaoliu), „verbreiten“ (chuanbo) oder „verbinden/vernetzen“ (goutong) stellen in ihrer Gesamtheit sicher ein Abbild der Begriffswelt von Kommunikation, am deutlichsten scheint goutong mit seiner Netzwerkkonnotation dem gängigen Kommunikationsbegriff zu entsprechen. Weitere Kernelemente chinesischer Kommunikation – man könnte hier auch von Kommunikationstheorie sprechen – stellen vier Modi bzw. Prinzipien situationsbezogener Kommunikation, die mit den oben genannten Begrifflichkeiten in Beziehung stehen: a) der Modus der impliziten Kommunikation (hanxu), verbal und non-verbal; b) das Prinzip der „auf (Zu)Hören“ zentrierten Kommunikation (tinghua); c) das Prinzip der an Höflichkeit ausgerichteten Kommunikation (keqi), die auf die Vermeidung von Disharmonie im Kommunikationsakt abzielt und d) die prinzipielle Unterscheidung bzw. den Modus der insider versus outsider Kommunikation (zijiren versus wairen), bei der je nach Bezugs-
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gruppe – und damit auch je nach hierarchischer Relationierung des Anderen – mit unterschiedlichen Sprechakt- und Handlungsoptionen operiert werden kann (Gao/Ting-Toomey 1998: 37ff.). Mit den so skizzierten Begriffsfeldern wird deutlich, wie sehr das chinesische Selbst erst durch den Akt der Vernetzung mit dem Anderen/den Anderen zur Person und das Ich im Wir als Voraussetzung seiner sozialen Identität angesehen wird. Damit ist zugleich eine Komplexität an Kommunikation geschaffen, die den Rahmen intra- und inter-kultureller Kommunikation absteckt: Die Kenntnis von Implikationen für Verhalten, die sich als Folge derart konfigurierter Kommunikationslandschaften ergeben, stellen eine Art Kernkompetenz zum angemessenen Umgang mit Angehörigen des chinesischen Kulturraumes. Dieses Wissen ist gleichsam die unabdingbare Voraussetzung für den Umgang mit Vertrauen, seine Anbahnung, Verstetigung, Pflege und Sicherung der Nachhaltigkeit.
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Guanxi – ein Leben in Beziehungspflege
Beziehungen aufbauen, Beziehungen pflegen und Beziehungen nutzen – so wäre ein grundlegendes Muster der Lebensorientierung für den chinesischen Alltag zu skizzieren. Der Term guanxi (interpersonal relationship) beschreibt als semantische Konstruktion, was in der chinesischen Vorstellung von Welt eine zentrale Rolle spielt: die Trennung sozialer Räume und Gemeinschaften in Innen und Außen, damit gleichzeitig auch die Rahmenbedingungen des Übergangs von Außen nach Innen. Guan bedeutete ursprünglich eine Tür und schloss diejenigen ein, die im Raum durch die Tür von anderen außerhalb getrennt waren. Der Begriff stand auch für Gefälligkeiten gegenüber einer anderen Person (innerhalb des abgeschotteten Raumes). In Verbindung mit xi, einem Zeichen für Verwandtschaft oder Genealogie, ebenso für das sich „an etwas anbinden“ und die Erweiterung von Beziehungen betreiben (Luo 2007), kennzeichnet guanxi: „Beziehungen auf Gegenseitigkeit, also solche, die wechselseitige Verpflichtungen beinhalten. Idealerweise sind diese Beziehungen zudem von gegenseitigem Wohlwollen und persönlicher Zuneigung geprägt.“ (Chen 2004: 62)
Damit geht guanxi über das hinaus, was im Deutschen ganz allgemein unter Beziehungen verstanden wird, und mit Blick auf China schnell in der Dualität von Beziehungen und Korruption gesehen, damit also wesentlich geschlossener verwendet wird als im chinesischen Verständnis:
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„Broadly, guanxi means interpersonal linkages with the implication of continued exchange of favors. Guanxi is therefore more than a friendship or simple interpersonal relationship; it includes reciprocal obligations to respond to requests for assistance. Unlike inter-firm networking in the West, however, this reciprocity is implicit, without time specifications, not necessarily equivalent, and only socially binding.” (Luo 2007: 2).
Als Voraussetzung zum Aufbau von guanxi gilt, dass die betroffenen Personen über ähnliche oder gleiche Identifikationsmerkmale, damit also über eine gemeinsame Beziehungsbasis (guanxi base) verfügen müssen, deren Bedeutung im Zeitlauf und kontextabhängig variieren kann. Zu den wichtigsten Referenzgrößen gehören traditionell (a) regionale Herkunft und Dialekte, (b) Verwandtschaftslinien, (c) die Arbeitsumgebung, (d) besuchte Bildungseinrichtungen, (e) wirtschaftliche und soziale Vereinigungen (inkl. Freizeiteinrichtungen) – kurz, Stationen der individuellen Biographie, die von mindestens einer weiteren Person an einem Schnittpunkt geteilt werden, sei es direkt durch eigene Verflechtung oder durch die Verflechtung eines Dritten. Beziehungen erscheinen hierarchisiert, soweit sie sich auf die engeren Familienmitglieder (jiaren) beziehen, kommt ihnen die höchste Priorität zu. Von nachgeordneter Bedeutung erscheinen Personen, die zwar als „Bekannte“ (shouren) klassifiziert werden, aber nicht zum inneren Kern der Familie gehören, etwa Nachbarn, Dorfmitglieder, Freunde, Kollegen, Schüler- und Studierendengemeinschaften. Eine dritte Gruppe (shengren) umfasst eher lockere Bekanntschaften und Fremde. Die Kultivierung von Beziehungen, ihre Nutzung und die Sicherung ihrer Stabilität stellen für jedes Mitglied der chinesischen Gesellschaft eine unabdingbare Voraussetzung für gesellschaftlichen Erfolg, damit auch eine permanente Herausforderung dar. Um eine Vorstellung über die komplexe Struktur von guanxi zu gewinnen, sei zunächst auf einige Charakteristika verwiesen, die als Konsens der internationalen Forschung gelten (Luo 2007):
Guanxi sind übertragbar: Wenn A sich durch guanxi mit B auszeichnet, und B ist ein Freund von C, dann kann A durch B bei C eingeführt werden, oder umgekehrt C durch B bei A. Guanxi sind reziprok, gleichsam latente Austauschbeziehungen über Zeit Guanxi sind Beziehungen im Sinne von entgrenzten, fluiden Optionen auf Austausch. Guanxi sind im Ansatz utilitaristisch konfiguriert und damit nicht auf affektiv-emotionalen Voraussetzungen gegründet. Guanxi sind kontextgebunden, das erschwert ihre jeweils adäquate Nutzung in Austauschprozessen.
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Guanxi sind Langzeit orientierte Netzwerke ohne zeitliche Befristung, jede Beziehung ist wie ein Kapitalstock zu sehen, der im Zeitablauf gebildet, vermehrt, gehalten oder verloren wird. Guanxi sind personengebunden, nur in begrenztem Maße institutionsbezogen.
Die Komplexität dieses sozialen Konstruktes wird deutlich, wenn wir nach den Prozess steuernden Regulativen fragen, die Aufbau, Pflege und Sicherung der Nachhaltigkeit von guanxi kennzeichnen. Im Kern basieren die angesprochenen Prozesse auf der Kombination von mindestens drei relationalen Prinzipien der interpersonalen Kommunikation und Beziehungsarbeit, Prinzipien, die im chinesischen Kontext als zentrale affektiv-emotionale Dimensionen interpersonaler Beziehungen verankert sind: (a) das mit ganqing (Gefühl, feeling) umschriebene „Fühlen“ von Nähe, von guter Atmosphäre, Zuneigung, auch Freundschaft/Hilfsbereitschaft; (b) das mit renqing (human feeling) und (c) mit bao (reciprocity) umschriebene „menschliche Gefühl“ gegenüber dem Anderen, verbunden mit der Bereitschaft zum reziproken Austausch von Hilfe und Gefälligkeiten (Gao/Ting-Toomey 1998: 24ff.). Diese affektiv-emotionale Triade aus ganqing, renqing und bao ist in deutscher Sprache nur schwer so zu übersetzen, dass die darin unterschiedlich verkapselten Bilder von „Gefühl(en)“ der chinesischen „Gefühlswelt“ entspricht. Es sollte aber für unseren Zusammenhang klar geworden sein, dass guanxi nur über die Verknüpfung der drei Prinzipien zu verstehen und zu praktizieren sind und dass es personenbezogene, physische Nähe voraussetzende und Austausch basierte Handlungsmuster zur Grundlage hat. Um nun den Zusammenhang von guanxi und Vertrauen darstellen zu können, sei hier das Modell der Differenzierung von Netzwerkradien bei Luo vorgestellt: Danach können die sozialen Beziehungen einer Person in Form von (konzentrischen) Kreisen abgebildet werden, bei denen zwischen dem Kern (familiale Beziehungensnetze), einer intermediären Ebene und der Perpherie unterschieden und für jede Zone eine andere Qualität des Beziehungsnetzes unterstellt wird.
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Abbildung 1:
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Framework of Network Circle Differentiation and Favor Exchange (Luo 2005: 439)
Als basale Formen von Vertrauen unterscheidet Luo partikulares und allgemeines Vertrauen. Partikulares Vertrauen existiert nur in partikularen dyadischen Beziehungen und ist in Abbildung 1 mit der Fläche beschrieben, die zwischen den familialen Kernbeziehungen (familial ties) und den äußeren, eher schwächeren Vertrauensfeldern liegt, mit denen aber bereits die Ebene des generellen Vertrauens erreicht wird. Die Form des Vertrauens, um die es hier vorrangig geht, wird mit der – als durchlässig dargestellten – Fläche der familiar ties dargestellt, für die gilt, dass Vertrauen auf der Grundlage von bao, von reziproken Austauschprozessen mit Langzeit-Orientierung entsteht und gepflegt wird. Im Unterschied zu den dabei auf Austausch zentrierten Orientierungen der beteiligten Personen markiert der innere Kreis der Abbildung die ursprünglich mit guanxi markierte Dimension der gegenseitigen Absicherung und Unterstützung in der Kernfamilie und engeren Verwandtschaft (kinship) ohne direkte Erwartung derartiger Austauschverhältnisse. Schließlich visualisiert die periphere Fläche (weak ties, rule of fairness) die eher schwächeren Vertrauensnetze, in denen Vertrauen „based on general ethical principles of fairness and the conservative process of repeated exchange“ (Luo 2005: 438) generiert wird.
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Darstellungen dieser Art, in denen interpersonale Beziehungslandschaften in Form von Netzwerkkreisen dargestellt werden, sind nicht unüblich und gehen auf das Stein-im-Wasser Bild des Soziologen Fei Xiaotong zurück, mit dem er bereits 1948 die differenten Selbstkonstruktionen der westlichen und chinesischen Gesellschaft beschrieben hatte: „Individuals in a Western society of individualism are akin to wooden sticks, which may be bound together by their social organization in a bundle. The structure of Chinese society is like ripples caused by throwing a stone into a pond. Each person is situated at the center of a set of concentric rings of water, which extend to the edges of that person´s social influence. No matter when and where one finds oneself, one is always situated at the center of this flexible social network.” (Hwang 2000: 156f.)
In der individuellen und kollektiven Vorstellung eines guanxi Netzwerks erscheint die Konstruktion als dreidimensionaler Raum, in dem die Beziehungen in unterschiedlichen Abständen zum gedachten Selbst positioniert und damit auch von unterschiedlicher Qualität, Intensität und Tragfähigkeit sind. Abbildung 2 verdeutlicht diesen Zusammenhang am Beispiel einer Person (eines Selbst) X im Zentrum und den diversen Beziehungs-Selbst im gedachten Raum. Je geringer die Entfernung zum guanxi Partner, je höher (intensiver, tragfähiger) die Beziehungsqualität. Die Positionen der Partner im guanxi Netzwerk können sich verändern, damit unterliegt auch die jeweilige Beziehungsqualität einer positiven oder negativen Dynamik über Zeit. Allerdings sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine Hilfskonstruktion zur Verdeutlichung von Komplexität handelt, die Idee möglichst „messbarer“ Qualitäten in Beziehungsnetzwerken erscheint uns eher fragwürdig.
Abbildung 2:
Person X´s guanxi net (Chen/Chen 2004: 312)
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Nach Chen/Chen ergibt sich die Qualität von guanxi aus der Beziehung zwischen Vertrauen (xin) zum und Empfindung (qing, Gefühl, Emotion) für den Vertrauenspartner. Dabei sollen für das Konstrukt Vertrauen die beiden Faktoren Kompetenz (ability) und Aufrichtigkeit/Ehrlichkeit (sincerity) eine zentrale Rolle spielen und für das Konstrukt Emotion die Bereiche Gefühl/Empfindung (affection) und Freundschaft/freundschaftliche Verbundenheit zum gegenseitigen Nutzen (obligation). Abbildung 3 verdeutlicht diese Faktorenanordnung.3
Abbildung 3:
Guanxi quality: Trust (xin) and feeling (qing) (Chen/Chen 2004: 313)
Chen/Chen interpretieren den Prozess der Entwicklung von Beziehungsnetzwerken (guanxi) als einen sequenziell verlaufenden, dabei die drei Grundphasen Initiierung, Ausprägung und Nutzung umfassenden Prozess (Tabelle 1): In der ersten Phase geht es um die Identifikation gemeinsamer guanxi Basen, die eine Art kollektive Identitätsversicherung stellen, in deren Verlauf sich die Vertrauenspartner durch gegenseitige „Öffnung“ der Persönlichkeiten näher kommen. Die sich anschließende Phase der Ausprägung einer qualitativ verstärkten Beziehung wird nach dem Prinzip der dynamischen Reziprozität zu emotionalaffektiven oder stärker rational instrumentellen Austauschprozessen führen. 3
Trust (xing) müsste in korrekter Umschrift als xin geschrieben werden.
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Schließlich wird mit dieser Phase die Plattform für eine längerfristige Beziehungslage entwickelt, in der der Austausch von Gefälligkeiten zur Voraussetzung einer stabilen Beziehung gehört, die ihrerseits im zeitlichen Verlauf eine kritischen Würdigung (auf ihre intakte Reziprozität) durch die Beziehungspartner erfahren wird. Im Extremfall kann die Beziehung ad hoc beendet werden, wenn einer der Partner den Nutzen der Beziehung in Frage stellt und für sich die Nutzlosigkeit der Beziehung festgestellt hat. Guanxi stages Initiating
Guanxi objectives
Interactive activities
Operating principles
Setting up bases
Familiarizing
Building
Enhancing quality
Using
Getting benefits re-evaluating guanxi quality
Expressive & instrumental transactions Exchanging favors
Mutual self-disclosure Dynamic reciprocity Long-term equity
Tabelle 1: A process model of guanxi building (Chen/Chen 2004: 310) Die modelltheoretischen Überlegungen von Chen/Chen verdeutlichen die komplexe Struktur chinesischen Beziehungsdenkens und eröffnen eine Vorstellung über die Bedeutung, die einer aktiven Beziehungsarbeit in allen Bereichen des Lebens zukommt. Trotz des scheinbar so einleuchtenden Modells sei angemerkt, dass wir es hier lediglich mit einem heuristischen Modell zu tun haben, zu dem umfangreiche empirische Überprüfungen noch ausstehen.
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Von der Beziehungspflege zum Vertrauen – oder umgekehrt?
Die internationale Forschung hat sich dem Phänomen der Vertrauensbildung und –sicherung in China, Singapur und Hong Kong in den letzten Jahren verstärkt unter grundlagentheoretischer Perspektive genähert (Li 2007, 2007a; Luo 2002; Luo 2005; Fryxell/Dooley/Li 2004; Wong/Tjosvold 2006; Chen/Chen 2004), und damit die wenigen eher anwendungsorientierten Studien zum Zusammenhang von Vertrauen und wirtschaftlicher Transaktionsleistung in chinesischen Unternehmenskontexten (etwa in joint venture) deutlich bereichert. Im Gegensatz zu derartigen Studien, die eher die interpersonale Kommunikation in wirtschaftlichen Handlungsfeldern thematisieren (Casimir et al. 2006; Koch/Koch 2007), existiert seit einigen Jahren ein besonderer interdisziplinärer
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Forschungszweig mit empirischen Arbeiten zu China. In ihnen werden Strukturen und Prozesse von Vertrauen und Vertrauensbildung in Teilen der chinesischen Bevölkerung untersucht und zu einer Gesamtschau vermuteter Vertrauenslagen gegenüber der Kommunistischen Partei, der zentralen und regionalen Machtorgane und den lokalen, speziell ländlichen Leitungskadern zusammengeführt (Schubert 2006). Untersuchungen dieses Typs stehen mehrheitlich im Zusammenhang mit Betrachtungen zum Wertewandel im Zuge von Modernisierung und Globalisierung, wie auch zu gesellschaftlichen Transitions- und Transformationsprozessen, den sich daraus ergebenden Möglichkeiten zu weitergehenden Demokratisierungsprozessen und dem Entstehen zivilgesellschaftlichen Ordnungen (civil society), in der die Kategorie Vertrauen in ganz besonderer Weise verortet ist (Lo/Otis 2003; Tang 2004).4 Trotz aller Vielfalt der so skizzierten Forschungslandschaft findet sich die Kategorie Vertrauen überwiegend als kognitives und affektiv-emotionales Konstrukt, als Einstellung (trust-as-attitude) oder Handlungsoption (trust-as-choice) dargestellt. Als Konsens erscheint die bekannte Definition von Rousseau, danach ist Vertrauen „a psychological state comprising the intention to accept vulnerability based upon positive expectations of the intentions or behaviors of another“ (Rousseau et al. 1998: 395).
Vertrauen setzt die Bereitschaft zur Akzeptanz des Risikos unter den Bedingungen von Unsicherheit voraus und entfächert sich in vier Dimensionen (Li 2007: 424): 1. 2. 3. 4.
Die Ungewissheit des Vertrauensgebers über die Verlässlichkeit des Vertrauensnehmers, die Verletzbarkeit des Vertrauensgebers durch Abhängigkeit, die Erwartung des Vertrauensgebers auf Vertrauenswürdigkeit des Vertrauensnehmers und die Bereitschaft des Vertrauensgebers zum Vertrauen (als Absicht oder Wunsch Vertrauen in den anderen zu setzen).
Nach Li (2007) stellen von diesen vier Dimensionen die Ungewissheit (uncertainty) und Verletzbarkeit (vulnerability) notwendige und hinreichende Voraussetzungen der Vertrauensentwicklung, während die Erwartung (expectation) und
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Für eine Einführung in die unterschiedlichen Verwendungszusammenhänge und Definitionslandschaften von „Vertrauen“ siehe Thomas (2004).
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Bereitschaft (willingness) notwendige und ausreichende Funktionen des Vertrauens markieren.5 Für Möllering macht „das Aufheben von Ungewissheit den Kern des Vertrauens“ (Möllering 2006: 2) aus und markiert einen Prozess, „im Zuge dessen – aufbauend auf Vernunft, Routinen und Reflexivität – die nicht reduzierbare Verwundbarkeit und Ungewissheit gegenüber anderen aufgehoben wird“ (Möllering 2006: 3). Für ihn stellt China ein Regionalbeispiel, bei dem etwa die Unsicherheit für ausländische Manager hoch erscheint angesichts mangelnder Transparenz, fehlender Routinen und eingeschränkter Reflexivität aufgrund in der Regel fehlender Erfahrungen im Land. Als mögliche strategische Maßnahme empfiehlt er eine aktive Vertrauensentwicklung durch die Stärkung interpersonaler Beziehungen und durch die Absicherung von institutionellen Strukturen zur Erhöhung von Kontextvertrauen (Child/Möllering 2003). Untersuchungen wie die von Child/Möllering haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie markieren zugleich den Übergang von vorrangig an Fragen der Bedeutung von Beziehungen (guanxi) interessierten Studien hin zu solchen, die Vertrauen als eigene Variable der Beziehungsentwicklung interpretieren und in der Prozessentwicklung zu rekonstruieren suchen (Kiong/Kee 1998). Ein besonders interessantes Beispiel dieser Forschungsrichtung findet sich bei Kriz/Fang, die nach den Voraussetzungen für Erfolg im chinesischen Wirtschaftssystem fragen und dabei auch Beratungswissen für international agierende Manager generieren möchten (Chen/Tjosvold 2007). Ihre Arbeit basiert auf Feldstudien, die in den Jahren 1995 bis 1999 in diversen Regionen Chinas (Beijing, Shanghai, Xiamen, Guangzhou, Nanjing und Hong Kong) mit chinesischen, australischen und skandinavischen Unternehmen zu „business marketing negotiations and joint venture operations“ (Fang/Kriz 2000) in unterschiedlichen Industriebereichen durchgeführt wurden. In ihrer modelltheoretischen Konstruktion von guanxi stehen Kriz/Fang durchaus in der Tradition der hier bereits entwickelten Grundmodelle der Beziehungsnetzwerke und Beziehungsarbeit. Was sie allerdings von anderen Autoren unterscheidet ist die These, dass wirtschaftlicher Erfolg in China in zunehmendem Maße von Vertrauen abhängt und nicht von Beziehungen, die in sich zwar das Potenzial des qualitativen Umschlags in Vertrauen tragen, aber nicht automatisch in Vertrauensbeziehungen umschlagen müssen. Vertrauen, hier verstanden als deep trust (xinren), wirkt im Zeitablauf des Entstehens als Verstärker für die Ausbildung von tragfähigen, nachhaltigen Beziehungsnetzwerken. Beziehungen (guanxi) stellen das Eintritts-
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Der Versuch von Li (2007) zu einer interdisziplinären Typologie von Vertrauen stellt einen der anspruchsvollsten Versuche zur vergleichend-systematischen Rekonstruktion von Vertrauen.
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tor für die Entwicklung von Vertrauen, nicht umgekehrt, Abbildung 4 verdeutlicht diesen Zusammenhang.
Abbildung 4:
Nexus between guanxi and xinren (Kriz/Fang 2003)
Das Fazit der Autoren lautet: „…success in China is built on interpersonal xinren (deep trust) and not, as most are suggesting, on guanxi (connections, personal contacts, relationships). This paper suggests that guanxi tends to open the door but it is xinren that helps make the deal. Business has adapted the construct into a connection that may or may not lead to a deeper relationship. This view deviates from the traditional familial nested aspect of deep relationships leading to connections” (Kriz/Fang 2003).
Wenn wir Kriz/Fang in ihren Überlegungen folgen, dann sollte die Entwicklung von Vertrauen auch abhängig sein von der Art der guanxi Basis der Vertrauenspartner, denn die Identität stiftenden Beziehungsgrundlagen (guanxi bases) sind in der Regel hierarchisch bewertet, es gibt höherwertige und „normale“ Basen. Hierzu liegen allerdings noch keine referenzfähigen Forschungsergebnisse vor. Einen weiteren Aspekt der auf Asien zentrierten Vertrauensforschung stellt die Frage nach der wahrscheinlichen regionalen, also intra-kulturellen Differenz der interpersonalen und institutionalen Vertrauenskonstruktion, etwa in der VR
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China. Hierzu lassen sich derzeit keine repräsentativen Aussagen treffen, bestenfalls Vermutungen. Zu den wenigen verfügbaren Untersuchungen gehört die Arbeit von Ke/Zhang, die unter dem Titel „Trust in China: A Cross-Regional Analysis“ eine – methodisch nicht unbedingt überzeugende – Einschätzung der Vertrauenslandschaft in China erstellen: Sie hatten bei einer Befragung von über 15000 „top managers of enterprises“ nach den fünf vertrauenswürdigsten Regionen Chinas gefragt und auf der Basis von etwa 5000 Antworten einen regionalen Vertrauensindex konstruiert, der im Kern lediglich nicht näher definierte Vertrauensbekundungen von Person A gegenüber einer Region X dokumentiert (Ke/Zhang 2003). Trotz aller Vorbehalte ist es interessant, dass derartige regionale „Vorurteile“ Einfluss haben könnten auf die Ausprägung interpersonaler und interregionaler Vertrauensnetze.
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Fazit: von der Beziehungsforschung zur Vertrauensforschung
Vor dem Hintergrund der hier dargestellten Forschungslandschaft lässt sich erwarten, dass die klassische Analyse von interpersonalen Netzwerken (guanxi) in chinesischen Gemeinschaften in Zukunft verstärkt durch Untersuchungen zum Thema „Vertrauen“ abgelöst wird. Dies begünstigt einerseits die Übernahme westlicher Modelle der Rekonstruktion von Vertrauen als Prozess, andererseits werden die westlichen Ansätze um dynamische Elemente zu erweitern sein, da nur so die Komplexität der heute schon vorhandenen emischen Ansätze aufgefangen werden kann. Dies gilt nicht zuletzt für die Bereitstellung von Beratungswissen im internationalen Raum - einige Beispiele sollen das verdeutlichen. Kühlmann hat in seinen Untersuchungen zur grenzüberschreitenden Unternehmenskooperation am Beispiel deutscher und mexikanischer Kooperationspartner Befunde vorgestellt, die durchaus für den chinesischen Raum vermutet werden könnten: Danach wird ein hohes Vertrauensniveau „durch ein aktives Vertrauensmanagement garantiert“, der Prozess der Vertrauensbildung „ist nicht an vertrauensbildende Einzelaktionen geknüpft, sondern resultiert aus einem kontinuierlichen Handlungsstrom, der Vertrauen gegenüber dem Partner signalisiert bzw. eigene Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellt….Vertrauenswürdige Kontaktpersonen alleine reichen nicht aus, um Vertrauen in das Unternehmen als Ganzes aufzubauen. Vielmehr müssen in den Beziehungen zum Partnerunternehmen alle Aktivitäten die Erwartung des Kooperationspartners stärken, dass man willens und fähig ist, dessen Interessen zu berücksichtigen.“ (Kühlmann 2004: 81).
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Die mit diesem Befund ausgewiesene Bedeutung des dyadischen Charakters von Vertrauen und den damit gegebenen Prozessanforderungen entsprechen dem, was wir am Beispiel der Konstruktion des Selbst und seinen relationalen Bezügen für China postuliert hatten.6 Durchaus vergleichbare Ergebnisse bieten die Arbeiten von Dolles zur deutsch-japanischen und deutsch-chinesischen Unternehmenskooperation, in denen auch die Frage nach dem Entwicklungszusammenhang des Übergangs von interpersonalem zu interorganisationalem Vertrauen aufgeworfen wird (Dolles 2002; Dolles/Wilmking 2005). Hierzu sind die Befunde nicht eindeutig, eine Vermutung – die gerade auch für China gilt – lautet, dass es die personalen Vertrauensbestände sind, die die Voraussetzung für Vertrauen in Organisationen schaffen. Soweit es die möglichen Elemente der Konstruktion von Vertrauen betrifft, erscheint die Forschungslage ebenfalls uneindeutig: Vertrauen kann sich (a) auf die vermutete oder bekannte Kompetenz des Vertrauensnehmers beziehen, (b) auf die Leistungsbereitschaft, (c) die Kommunikation oder etwa die (d) Verlässlichkeit und Verschwiegenheit (Lo 2004: 48). Die Liste ließe sich ergänzen um stärker affektiv-emotionale Kategorien wie Wohlwollen, Hilfsbereitschaft und Harmonieorientierung, wir hatten bei der Darstellung von guanxi darauf verstärkt hingewiesen. Die in der Literatur verwendeten Unterscheidungen von Vertrauensarten erscheinen uns nur bedingt aussage- und erklärungsfähig für China: Kalkulatorisches Vertrauen (calculative trust), kognitives Vertrauen (cognitive trust) und normatives Vertrauen (normative trust) mögen als analytische Trennung sinnvoll erscheinen, sie finden sich aber in der Komplexität des chinesischen Vertrauensund Beziehungskonstruktes permanent miteinander verwoben, gleichsam als konstante sowohl-als-auch Relation (Dolles/Wilmking 2005). Dies gilt auch für die von Möllering beschriebene Dualität von Vertrauen und Kontrolle, die einen wichtigen Aspekt der chinesischen Vertrauens- und Beziehungskonzeption darstellt und in der konkreten Ausformung durch die in der jeweiligen Beziehung angelegte Hierarchie variabel gestaltet wird (Möllering 2005). Es bleibt daher zu wünschen, dass die bereits sichtbaren ersten Versuche genuin chinesischer Modellbildung – etwa auch im Bereich der Persönlichkeitspsychologie (Cheung et al. 2001; Liu/Friedman/Chi 2005) – im Zuge intensivierter internationaler Kooperation an Publizität gewinnen und die vorhandenen Erklärungswelten bereichern können (Kulich 2006; Kulich/Posser 2007).
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Es wäre zu prüfen, inwieweit chinesische Vertrauenskonzeptionen nicht als triadische Konstrukte anzusehen sind, da die Ungewissheitsreduktion beim Vertrauensaufbau vorrangig durch den Rückgriff auf Vergewisserungspartner, also auf Dritte erfolgt, über die Informationen und Einschätzungen zum Vertrauensnehmer eingeholt werden.
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Vertrauen und die Organisation von Heterogenität Beispiele aus der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Thomas Hüsken
Vorwort Die Geschichte der Wissenschaften ist stets auch eine Geschichte der Begriffe und ihrer Konjunkturen. Ähnlich wie zuvor die Begriffe Kultur und Identität erlebt gegenwärtig der Begriff Vertrauen eine bemerkenswerte Renaissance. Vertrauen gilt als Schlüssel zur Stabilisierung sozialer, politischer, ökonomischer und rechtlicher Beziehungen zwischen Menschen, in Organisationen und Gesellschaften. Wie gewöhnlich reüssieren bestimmte Autoren mit groß angelegten Tableaus und kündigen grundlegende Paradigmenwechsel an. So etwa Francis Fukuyama in seinem Beitrag „Trust: The Social Virtues and The Creation of Prosperity“(1995), indem Vertrauen als zentrale zivilisatorische Kategorie aufgebaut wird. Auch in der Ethnologie werden neuerdings Forschungsvorhaben verfolgt, welche die Rolle von Vertrauen bei der Rekonstruktion von Gesellschaft und Zivilität nach Konflikten und Kriegen untersuchen.1 Im vorliegenden Sammelband wird die Rolle von Vertrauen insbesondere in internationalen und interkulturellen Arbeitsprozessen beleuchtet. Vertrauen ist zweifellos ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens. Wir sprechen von Vertrauen meist in einem moralischen Sinne. In zwischenmenschlichen Beziehungen verknüpfen wir den Begriff mit Vorstellungen von emotionaler Sicherheit und moralischer Richtigkeit. In Bezug auf Institutionen und Verfahren steht Vertrauen für Vorstellungen von Verläßlichkeit und Legitimität. Elias Jamals Studie über Vertrauen in deutsch-arabischen Geschäftsbeziehungen zeigt uns, dass dieses Verständnis von Vertrauen im Kulturvergleich recht ähnlich ist. Die Unterschiede bestehen in den sozialen, politischen, rechtlichen, ökonomischen und kulturellen Ressourcen, auf welche die handelnden Akteure zurückgreifen können um Vertrauen herzustellen. Sie sind damit weniger das Ergebnis kultureller Differenz und unterschiedlicher Weltverständnisse,
1
Zum Beispiel die Baseler Ethnologen Till Förster und Gregor Dobler.
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Thomas Hüsken
als vielmehr das Ergebnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Strukturen. Aus der Perspektive einer empirischen Wissenschaft wie der Ethnologie ist Vertrauen, ähnlich wie der Begriff der Freundschaft, eine Kategorie, die erkenntnistheoretisch einige Schwierigkeiten bereitet. Und ich will nicht verschweigen, dass ich bezweifele ob sie als alleinstehender analytischer und explikativer Begriff verwendet werden kann. In ethnologischer Perspektive entsteht Vertrauen im Prozess sozialer Handlungen und nimmt hier eine spezifische Rolle und Funktion ein. In diesem Sinne folgt meine Argumentation der klassischen Studie „Vertrauen“ von Niklas Luhmann aus dem Jahre 1968. Gegenüber der auf rationalem Kalkül beruhenden Handlung beinhaltet Vertrauen eine Erweiterung. Vertrauen in eine Person oder eine Institution ermöglicht dem Handelnden eine höhere Toleranz gegenüber Unsicherheit und erweitert damit seine Handlungsmöglichkeiten. In diesem Sinne ist sie sicher ein „Mechanismus zur Reduktion von Komplexität“ (Luhmann 2000: 27f). Vertrauen ist jedoch nicht blind. Auch wenn es eine spezifische, bei Luhmann „riskant“ genannte Vorleistung beinhaltet, zu deren Zeitpunkt der Handelnde noch nicht wissen kann ob sie honoriert wird, beruht sie doch auf einer durch Erfahrung begründeten Annahme, daß Interaktionen einen positiven Verlauf nehmen werden. Das Risiko der Vorleistung (Luhmann ebenda) wird durch die Einbettung in einen erkennbaren und auch kalkulierbaren Erfahrungshorizont moderiert. Beim Umgang mit dem Begriff Vertrauen gilt, was für die sozialanthropologische Forschung seit den Tagen von Malinowski eine gute Tradition hat: Der Blick auf die ‚Praxis’ hinter dem ‚Konstrukt’. Professionelle Interaktionen, um die es in diesem Sammelband geht, sind in der Regel in bürokratische Kontexte eingebettet. Der Charakter dieser Kontexte ist für den Verlauf von Interaktionsprozessen und die Dimension Vertrauen von entscheidender Bedeutung. Aus ethnologischer Perspektive muss der Blick jedoch noch weiter gefasst werden. Nicht nur formelle Strukturen, Funktionen und Prozesse innerhalb und zwischen komplexen (bürokratischen) Organisationen werden untersucht, sondern auch vom rational bürokratischen Organisationsprinzip abweichende und in diesem Sinne informelle Organisationsformen werden betrachtet. In der Welt der Entwicklungszusammenarbeit, um die es in diesem Artikel geht, können sich diese informellen Organisationsformen innerhalb und zwischen Bürokratien bilden oder aber von außen als andere nicht bürokratische Formen der sozialen, politischen und ökonomischen Organisation auftreten. Der Artikel gliedert sich wie folgt. Zunächst werde ich auf die organisationsethnologische Perspektive eingehen, so wie ich sie innerhalb der ‚Berliner
Vertrauen und die Organisation von Heterogenität
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Schule’ bei Georg Elwert kennengelernt habe und selber heute vertrete.2 Hierbei wird insbesondere auf das Verhältnis von formaler und informaler Organisation eingegangen. In diesem Kontext wird dann auch die Rolle von ‚Vertrauen’ thematisiert. Im Anschluss werde ich meine Überlegungen durch die Ergebnisse empirischer Forschungen in Programmen und Projekten der GTZ in Ägypten, Jemen und Jordanien fundieren.3! Dabei wird zunächst auf die Berufsgruppe der Entwicklungsexperten eingegangen. Danach werden exemplarische Felder der Arbeitspraxis herausgegriffen, wie die Vorbereitung auf den Auslandseinsatz, die Arbeitsprozesse im Einsatzland, der Umgang mit der eigenen Agentur und das Management von Wissen.
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Formale Organisation, Moralökonomie und Vertrauen
In den letzten Jahren sind in Berlin die Grundsteine für eine Sozialanthropologie von Organisationen gelegt worden. Georg Elwert hat in seinem Beitrag „Selbstveränderung als Programm und Tradition als Ressource“ (2000) Untersuchungen zur Moral- und Gabenökonomie bei Siemens vorgelegt. Ich selbst habe in meiner Studie „Stamm der Experten (2006) versucht, diese Perspektive auf die Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungsexperten auszudehnen. Das besondere Interesse der ethnologischen Organisationsforschung an Informalität (im oben definierten Sinne) wurzelt in der politischen Anthropologie und der Wirtschaftsanthropologie. Die Auseinandersetzung mit politischer Organisation und Herrschaft jenseits (formeller) Staatlichkeit durch Fortes und Evans-Pritchard (1940) in „African Political Systems“ und natürlich das wirtschaftsanthropologische Paradigma der Einbettung der Ökonomie in ‚das Soziale’ bei Karl Polanyi (1968), spielen hier eine besondere Rolle. Die Auseinandersetzung mit komplexen, bürokratischen Institutionen und Organisationen, Unternehmen und Industriebetrieben hat in der Ethnologie eine gewisse Tradition. Neben den Untersuchungen der Manchester School, die bei ihren Feldforschungen in Industriebetrieben die Konfliktlinien zwischen Arbeiterschaft und Unternehmensführung beleuchteten, sind insbesondere die Beiträge von Mary Douglas (1987) „How Institutions think“ und Clifford Geertz’ Ausführungen zu Organisationen als „systems of shared values“ in „The Interpretation 2 3
Vgl. Hüsken 2004. Die Ausführungen stützen sich auf quantitatives und qualitatives empirisches Material. Das quantitative Material wurde durch einen standardisierten Fragebogen, der im Jahre 2003 per EMail an 64 Experten in sämtlichen GTZ-Projekten in Ägypten, Jordanien und dem Jemen verschickt wurde, erhoben. Das qualitative Material basiert auf teilnehmender Beobachtung und qualitativen Befragungen in den Jahren 1999 bis 2002 und 2006.
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of Cultures“ (1973) bekannt geworden. Im Kontext der Auseinandersetzung mit der Entwicklungszusammenarbeit widmet sich die ethnologische Organisationsforschung (in Deutschland) vor allem historischen und rezenten Prozessen der Übertragung des Weberschen Organisationsmodells4 der rationalen Bürokratie auf die Gesellschaften der sogenannten ‚Dritten Welt’ Die These der ethnologischen Organisationsforschung besteht in der Behauptung einer Inkompatibilität des formalen Organisationsmodells mit den soziokulturellen Gegebenheiten in den Ländern der ‚Dritten Welt’. Die kulturelle Inkompatibilität führe zu Phänomenen der Ineffektivität (von Organisationen), der Illegalität und der Verstärkung von Informalität.5 Der vorliegende Artikel teilt die These von der kulturellen Inkompatibilität nicht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die produktive Organisation von Heterogenität letztlich alle Gesellschaften vor ähnliche Herausforderungen stellt. Dabei ist das sogenannte westliche Organisationsmodell längst globalisiert und auch lokal angeeignet. In diesem Kontext ist nicht das Scheitern dieses Modells das wissenschaftlich interessante Untersuchungsfeld, sondern die Analyse der Beziehung zwischen formeller und informeller Organisation. Auf der Ebene der formalen Organisation geht es dabei um die Frage der Legitimierung und rechtlichen Absicherung von Institutionen und Verfahren zur zivilen Aushandlung unterschiedlicher Ideen und Interessen.6 Die informelle Dimension wird als eigenständiges Ordnungssystem verstanden. Sie wird durch eine spezifische Form der Reziprozität, die wir Moralökonomie nennen, strukturiert. 4
5 6
Das klassische Bild einer Organisation besteht aus einer spezifischen Struktur und ihren Funktionselementen, in denen rationale, arbeitsteilige Prozesse zur Lösung von Aufgaben und Erreichung von Zielen ablaufen. Die reinste Form einer rational auf ihre Ziele ausgerichteten Organisation postulierte Max Weber (1920) am Beispiel der formalen Organisation der Bürokratie. Je nach Typ und Rolle bearbeiten Organisationen verschiedene Aufgaben und verfolgen unterschiedliche Ziele. Verwaltungen sollen soziale Ordnung herstellen und spielen eine spezifische Rolle bei der Herausbildung und Sicherung der (rationalen bürokratischen) Herrschaftsstruktur des modernen Staates (Vgl. Weber 1980: 574f). Das Ziel eines Unternehmens hingegen besteht in der Gewinnerzielung. Die ‚bürokratische Maschine’ mit einer klaren Zuordnung von Struktur, Funktion und Ziel wurde zum weltweiten Vorbild für die Koordination der Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen. Dies galt und gilt auch für die deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Vgl. Rottenburg 1994 und 2002. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als zentrale Erfolge im Prozess der Zivilisierung Europas dürfen dabei durchaus als Orientierungsmuster fungieren, wenn klar bleibt, dass dieser „Zivilisierungsprozess“ bereits das Ergebnis einer verwobenen Moderne ist, zu der im Osten wie Westen, Norden wie Süden wichtige Beiträge geleistet worden sind. Die Thematisierung der vielfältigen Rückkoppelungen, die im Kontext des Kolonialismus und über diesen hinaus das kulturelle Selbstverständnis und die soziale, politische und ökonomische Realität Europas mindestens genauso geprägt haben, wie sie den Osten und Süden transformierten. Es geht also keinesfalls um die (Re)Etablierung eines normativen und moralischen Monismus a là „von Europa lernen, heißt siegen lernen“.
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In jeder Organisation verlaufen informelle Prozesse der sozialen Integration, der Kommunikation, der Arbeitsteilung und des Austausches, die mit der formellen Struktur auf spezifische Weise verflochten sind. Informalität zieht sich wie das Geflecht eines Pilzes durch eine Organisation. Dieses Geflecht ist unter der Oberfläche verborgen und nicht auf den ersten Blick sichtbar. Dennoch ist es den handelnden Subjekten bekannt. Jedes Mitglied einer Organisation erlebt sich als Teil einer formellen und als Teil einer informellen Ordnung. Formelle und informelle Beziehungen in Organisationen sind deshalb keine getrennten Welten, sondern sie überschneiden und durchqueren einander.7 Auch die Organisationssoziologie unterscheidet zwischen der formellen Struktur und der informellen Struktur von Organisationen. Bei Niklas Luhmann (1964) werden informelle Praktiken, die neben den formalen Strukturen und Normen der bürokratischen Verwaltung und Arbeitsorganisation verlaufen als „brauchbare Illegalität“ (Luhmann 1964: 304-314) bezeichnet. Das Interesse der ethnologischen Organisationsforschung geht jedoch über diese Definition von Informalität als Randphänomen hinaus. Die formale Organisation wird durch gesatzte Ordnungen stabilisiert. Im Idealfall bietet sie den Akteuren Rechtsicherheit und Teilhabemöglichkeiten. Sie hält aber auch Erzwingungs- und Sanktionsmöglichkeiten bereit. Die informelle Organisation basiert auf einer Form des Austausches, den man Gaben- oder Moralökonomie nennen kann. Die Wirtschaftsanthropologie, insbesondere Karl Polanyi (1968) und Marshall Sahlins (1965), hat stets die Einbettung wirtschaftlichen Handelns in die soziale Organisation einer Gesellschaft und in ihre normativen und moralischen Kategorien konstatiert. Das substantivistische Paradigma der Ökonomie als „instituted process“ und der gleichermaßen prägende Begriff der „embeddedness“ (Polanyi 1968) sind in ähnlicher Weise von anderen Autoren, besonders prominent von James Scott in seinem Buch „The Moral Economy of the Peasant“ (1976), unter dem Stichwort „Moralökonomie“ diskutiert worden. Elwert hat den Begriff der Moralökonomie in seinem Beitrag „Märkte, Käuflichkeit und Moralökonomie“ (1985) auch auf marktwirtschaftlich organisierte Ökonomien ausgedehnt und in die Organisations- und Unternehmensforschung eingebracht. Die Moralökonomie basiert auf einer Gabenökonomie. Die Gabenökonomie ist eine geldlose Wirtschaft, die an moralischen Normen und dem Gewinn von Ansehen orientiert ist. Wegen dieser Normorientierung wird sie Moralökonomie genannt.8 In der Gabenökonomie spielt die Gegenseitigkeit
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Vgl. Rottenburg 1994. Vgl. Elwert 2000: 72.
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der Leistungen, die Reziprozität, eine wichtige Rolle.9 Eine typische Form stellt die ausgeglichene Reziprozität dar. Sie kann als eine Form des Austausches verstanden werden, die ich ‚Gefälligkeitsbanken’ nenne. Die Währung dieser Banken sind Informationen, Hilfeleistungen und Gefälligkeiten. Man zahlt Informationen und Gefälligkeiten ein und darf diese abheben. In Netzwerken10 ist der Prozess des Einzahlens und Abhebens nicht auf zwei Tauschpartner begrenzt. Hier können Tauschbeziehungen komplexere Formen annehmen. Die Gefälligkeitsbanken sind ein Mechanismus der informellen sozialen Integration. Die moralische Verpflichtung zur Gegenseitigkeit schafft ein Netz sozialer Beziehungen mit Rechten und Pflichten. Der bewährte Tauschpartner erhöht sein soziales Prestige und erweitert seine Handlungsmöglichkeiten. Die Gefälligkeitsbanken spielen auch bei der Integration von Fremden eine wichtige Rolle. Entweder bietet sich der Fremde durch eine Gefälligkeit als Tauschpartner an, oder ein Netzwerk bietet durch eine Gefälligkeit die Gelegenheit zur Gegenleistung. Neben Integration und Ordnung schaffen die moralökonomischen Beziehungen Zugehörigkeit und Identität und vermitteln den Handelnden ein Bewußtsein der moralischen Richtigkeit. Auf der anderen Seite liegt den Gefälligkeitsbanken auch ein nutzenorientiertes Kalkül zugrunde. Vertrauen basiert hier auf einer durch soziale Erfahrungen begründeten Annahme, daß Leistungen honoriert werden und weniger auf der (Selbst)Verpflichtung sich sozial und moralisch richtig zu verhalten. Neben dem Modell der Gefälligkeitsbank existieren auch interpersonelle Netzwerke mit generalisierter Reziprozität. Der Austausch von Informationen und Gefälligkeiten ist hier nicht auf eine direkte und vergleichbare Gegenleistung abgestellt. Die Information oder die Gefälligkeit wird auf diese Weise zur Gabe. Die Gabe ist eine Leistung, deren Gegenleistung für den Gebenden erst in der Zukunft erfahren wird. Der Gebende hält dieses „Risiko“ aus und ist auch bereit eine geringere oder keine Gegenleistung zu erhalten, weil er Teil einer dichten sozialen und moralischen Gemeinschaft ist. Typische Beispiele für diese Form der Beziehung sind Familien und Verwandschaftsgruppen. Im Kontext von Organisationen werden diese moralischen Gemeinschaften von interpersonalen Netzwerken repräsentiert, die sich in langen Jahren etabliert haben. Grundlage dieser Erfahrungen können gemeinsame Ausbildungszeiten (Schule oder Univer9
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In seinem Aufsatz „On the Sociology of Primitive Exchange“ (1965) unterscheidet Marshall Sahlins zwischen generalisierter, ausgeglichener und negativer Reziprozität. Der vorliegende Artikel lehnt sich in veränderter Form an die Definitionen Sahlins an. Netzwerke, formelle wie informelle, werden eine Variante der sozialen Organisation verstanden. Sie bestehen aus individuellen oder korporativen Akteuren, die durch mindestens eine Beziehungsform miteinander verbunden sind. Netzwerke dienen dem sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Austausch, der Arbeitsteilung, der Wahrnehmung von Interessen und der Erreichung von Zielen.
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sität) und Arbeitserfahrungen sein. Für Entwicklungsexperten, die fern ihrer Heimat, in zunächst unbekannten und turbulenten Umwelten agieren, bilden gemeinsam durchstandende Konflikte und Schwierigkeiten eine solche Grundlage. Die Beziehungen der Akteure gehen in der Regel über die Arbeitswelt hinaus und reichen in die private Sphäre hinein. Sie erfahren damit eine erhebliche soziale, moralische und emotionale Stabilisierung. Vertrauen ist hier nicht nur auf begründete Erwartungen geknüpft sondern Teil der moralischen Ordnung einer Gemeinschaft. Die Moralökonomie verfügt über keine formellen Erzwingungsinstanzen. Ihre Kontrollmechanismen basieren auf der Zuweisung von Prestige oder Schande. Elwert (2000) spricht von der Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Personen vom gabenökonomischen Austausch. Dieser Ausschluss kann als Reaktion auf die Verletzung der Regel der Gegenleistung bestehen. Der Ausschluss aus einem gabenökonomischen Netzwerk kann die Form von Informationsschranken annehmen. Schranken, Gruppengrenzen und die Zuweisung von Schande nehmen einzelnen Akteuren die Möglichkeit zur Teilhabe und beschneiden damit soziale Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten. Jenseits offizieller Normen und formeller Verfahren bietet die moralökonomisch stabilisierte Informalität Spielräume für die genannten interpersonellen Netzwerke und ihre Handlungsziele. Sie ermöglicht Abkürzungen, wo die formelle Hierarchie schnelle Kommunikations- und Entscheidungsprozesse verhindert. Ein klassischer Fall dieser Abkürzung von Arbeitsprozessen ist der berühmte ‚kleine Dienstweg’ in Verwaltungen, das ‚Kamingespräch’ unter Führungskräften oder der ‚Flurfunk’ als Form der informellen Information. Auf diese Weise können die handelnden Akteure Formen der Innovation, Variation und Improvisation in formelle Arbeitsprozesse einbringen ohne diese grundsätzlich in Frage zu stellen. Moralökonomische Netzwerke können jedoch auch Barrieren ausbilden und die Basis eines verdeckten und defensiven Widerstandes werden, wenn sich Mitarbeiter unter Druck gesetzt fühlen. Wo die formelle Organisation versagt oder brüchig wird, sind moralökonomische Netzwerke eine Domäne der Selbstorganisation und Selbsthilfe. Organisationen sind natürlich keine macht- und herrschaftsfreien Räume. Im Kontext marktwirtschaftlich organisierter Gesellschaften ist der Kampf um Macht und Einfluss (in Organisationen) Teil einer allgemeinen Wettbewerbslogik. Es ist deshalb nicht überraschend, dass verschiedene Netzwerke und moralische Gemeinschaften innerhalb von Organisationen um Prestige und Einfluss konkurrieren. Im Idealfall reguliert die gesatzte Ordnung den Wettbewerb durch die Gewährleistung einer formalisierten und verbindlichen Konfliktregulierung nach rechtstaatlichem Vorbild. Fehlt diese Regulierung werden die Konflikte informell ausgetragen. Die Organisationen werden dann von einer Ordnung
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bestimmt, in der die moralökonomischen Beziehungen unter dem Paradigma strategischer Interessen gestaltet werden. Es entsteht eine polyzentrische Ordnung klientelistisch organisierter Klane und strategischer Netzwerke und Gruppen11, die um die Herrschaft innerhalb einer Organisation konkurrieren. Nicht selten sind Venalität und Korruption12 Kennzeichen dieser Ordnung. In anderen Varianten führt eine spezifische Verflechtung formeller und informeller Praktiken zu de facto Regimen, die nach außen weiter im Gewand und mit dem Anspruch einer legitimen formellen Organisation auftreten. Im Kontext der Debatte um die Zukunft von Staatlichkeit in der sogenannten Dritten Welt wird hier auch der Begriff der „Schatteninstitution“ (Lund 2006) verwendet. Schatteninstitutionen findet man jedoch auch, wie die gegenwärtige Debatte über die Korruptionsaffäre bei Siemens zeigt, im Herzen der sogenannten westlichen Moderne. Komplexe Organisationen müssen für ihre Selbsterhaltung sowohl Kontinuität als auch Wandel organisieren. Die Tradition fungiert als Ort der Reproduktion, in der die Rechtssicherheit und Moralökonomie eine zentrale Rolle spielen. Wandel steht für die Fähigkeit zur „Selbstveränderung“ (Elwert 2000: 70). Selbstveränderung beinhaltet die Neuaushandlung der Kontrolle und Verwendung von Ressourcen. Sie betrifft aber auch die Organisation arbeitsteiliger Prozesse und damit die Herrschaftsverhältnisse innerhalb einer Organisation. Diese Prozesse haben eine formelle und informelle Dimension und sie sind politisch brisant. Je weniger formell institutionalisiert und moralökonomisch eingebettet die mit Transformations- und Innovationsprozessen verbundene Konfliktregulierung ist, desto mehr gefährden sie die Integrität einer Organisation. Hierzu gehört insbesondere die institutionelle Trennung von Tradition und Innovation. In Organisationen in denen beide Bereiche ineinander übergehen, breitet sich Unsicherheit aus. Die Mitarbeiter sehen sich mit einem „Veränderungstrudel“ (Elwert 2000: 87) konfrontiert, in dem sie nicht mehr wissen, was gilt und was verändert werden muss. Im Idealfall bilden Rechtssicherheit und Moralökonomie den Grundpfeiler des moralisch-ethischen Gebäudes, das ein „Klima von Treu und Glauben“ (Weiss 1994: 6) in Organisationen etabliert. Für die Menschen, die Organisationen prägen und von ihnen geprägt werden, schaffen Moralökonomie und Rechtssicherheit notwendige Räume der „Vorhersehbarkeit“ (Elwert 2000: 81), die für 11
12
„Strategische Gruppen bestehen aus Personen, die durch ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung oder Erweiterung ihrer gemeinsamen Aneignungschancen verbunden sind. Diese Appropriationschancen beziehen sich nicht ausschließlich auf materielle Güter, sondern können auch Macht, Prestige, Wissen oder religiöse Ziele beinhalten. Das gemeinsame Interesse ermöglicht strategisches Handeln, d.h. langfristig ein ‚Programm’ zur Erhaltung oder Verbesserung der Appropriationschancen zu verfolgen. (Evers/Schiel 1988: 10). Unter Korruption verstehe ich, in Anlehnung an die Definition von Transparency International den „Mißbrauch anvertrauter Macht“.
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ihre Bereitschaft die Legitimität eines organisatorischen Arrangements zu verinnerlichen, unabdingbar ist. Im Folgenden möchte ich, vom Idealfall ausgehend, einen Blick auf die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit werfen.
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Hybride Experten
Die Sozialanthropologie der Entwicklung13 hat die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit auf Programm oder Projektebene als „Vermittlung zwischen strategischen Gruppen“ (Bierschenk, Elwert, Kohnert 1993: 38) beschrieben. Thomas Bierschenk (1992) identifizierte die Vielfalt divergierender Gruppeninteressen als eigentliche Grundproblematik der Projektpraxis. Diese Praxis sei durch einen „Kampf um Perspektiven, Interpretationen und Zukunftsentwürfe, um materielle Ressourcen und politische Macht, der das strategische Handeln von sozialen Gruppen bestimmt, die im Umfeld eines Entwicklungshilfeprojektes jeweils ihre eigenen Interessen entwerfen und verfolgen“ (Bierschenk 1992: 130) gekennzeichnet. An diesem Wettbewerb nehmen formelle wie informelle Akteure teil. Neben den formell durch Regierungsverhandlungen und Abkommen regulierten Interaktionen existieren informelle Aushandlungsprozesse, deren Regeln und Abläufe vielgestaltig sind. Abhängig von den beteiligten Akteuren und ihren jeweiligen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Interessen unterscheiden sie sich von Programm zu Programm oder Projekt zu Projekt. Beziehen wir neben der Welt der Programme und Projekte auch die Zentralen von Entwicklungsagenturen, sowie zuständige Ministerien auf Geber- und Nehmerseite mit ein, dann erhöht sich die Heterogenität der Akteure, die Divergenz der Interessen und Logiken und auch der Pluralismus unterschiedlicher formeller und informeller Verfahren erheblich. Im (Selbst)Verständnis deutscher Entwicklungsexperten gehört die Moderation und Organisation gesellschaftlicher Wandlungsprozesse zu den Kernaufgaben der Entwicklungszusammenarbeit. In jüngerer Zeit soll, besonders für islamisch geprägte Gesellschaften, ein interkultureller Dialog über Werte und Weltsichten initiiert werden. Nimmt man dieses Selbstverständnis ernst, wird schnell klar, mit welcher Komplexität wir es zu tun haben. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Entwicklungsexperten als zentrale Akteursgruppe. Die kritische sozialwissenschaftliche Begleitung der Entwicklungszusammenarbeit hat die Kompetenz der Entwicklungsexperten für die Steuerung der hochkomplexen Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung häufig in Frage gestellt. Betke, Clauß et al. (1978) haben sich in der Arbeit „Partner, Pläne, Projekte“ mit 13
Vgl. Hüsken 2004.
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der selektiven und eindimensionalen, an die Oberschichten des Einsatzlandes angebundenen, Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität durch die Entwicklungsexperten beschäftigt. Elwert hat in der mit Kretschmer (1991) vorgelegten Evaluierung „Mit den Augen der Beniner - eine Evaluation von 25 Jahren DED in Benin“, die Perspektive der Zielgruppen auf Expertentum und Expertenarbeit herausgearbeitet und das Phänomen der Abschottung von Entwicklungsexperten (1992) gegenüber der sie umgebenden gesellschaftlichen Realität beschrieben. Lachenmann (1991) hat die spezifische Realitätskonstruktion eines Expertendiskurses am Beispiel der EZ thematisiert. Sie versucht zu zeigen, wie der technokratische Entwicklungsdiskurs „Systeme des Nichtwissens“ schafft, weil er auf der Kompartimentalisierung des Expertenwissens beruht und an den institutionellen Eigeninteressen der Geberinstitutionen und ihrer Counterparts orientiert ist. Die Wissenskultur der Expertengemeinschaft tritt nicht in Austausch mit dem lokalen Wissen, bzw. Alltagswissen, der Zielgruppen. Die Thematisierung der diskursiven Macht des Entwicklungsdiskurses spielt auch bei anderen Kritikern der Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle. Besonders pointiert erfolgt dies bei Escobar (1995), der die diskursive Produktion einer von Unterentwicklung geprägten Dritten Welt und die Inszenierung des Entwicklungsgedanken als die vermeintliche Lösung des Dilemmas, beschreibt. Die genannten Überlegungen treffen sicher einen Komplex von herausragender Bedeutung. Ihnen unterliegt aber auch die Vorstellung vom Entwicklungshilfediskurs als eine machtvolle, kohärente Formation, die ihre Realitätskonstruktion den tatsächlichen Verhältnissen überstülpen kann. Der Technokratismusvorwurf impliziert darüber hinaus die Existenz des Entwicklungsexpertentums als einer geschlossenen Berufsgruppe mit einer mit einer einheitlichen oder ähnlichen Ausbildung, einer spezifischen Berufsethik und Weltsicht. Meine Forschungen zeigen, dass von dieser machtvollen Kohärenz des Entwicklungsdiskurses und seiner Praxis in den Projekten und Programmen der deutschen staatlichen EZ keine Rede sein kann. Ebenso wenig kann man sie als geschlossene Berufsgruppe mit einer geschlossenen technokratischen Weltsicht bezeichnen. Lebenswege und Lebensentwürfe, Ausbildungshintergründe und Weltsichten sind Teil des globalen Fluxus. Für Entwicklungsexperten gilt, was Salman Rushdie (1992) mit seiner „Wal-Metapher“ in Bezug auf intellektuelle Diskurse im Kontext der Globalisierung formuliert hat.14 Projektexperten befinden sich nicht in einem geschützten Raum, wie einst Jona im Inneren des Wals, der durch eine übersichtliche und gut organisierten Entwicklungsagentur und ihre entwicklungsbereiten Partner gebildet wird. Vielmehr sind sie in eine stürmische See 14
Vgl. Rushdie (1992): 128f.
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geworfen, deren Wogen und Strömungen aus kulturellen Normen und Identitätskonstruktionen im Fluxus, unvollkommenen oder im Umbruch befindlichen institutionellen Umfeldern, sowie komplexen sozialen, politischen und ökonomischen Interessengeflechten und strategisch operierenden Akteuren bestehen. Die Wahl des Begriffs „hybride Experten“ geschieht nicht ohne Ironie. Der Begriff der Hybridität gilt als Chiffre einer ‚Gegenglobalisierung’ und ist gleichzeitig ein postmodernes Etikett für Migrantenmilieus und transnationale Diasporagemeinschaften. Gelegentlich bezeichnet er auch die ganze Dritte Welt. Auf Entwicklungsexperten ist er bisher nicht angewendet worden. Sie stehen gewissermaßen auf der anderen Seite des Zaunes. Als Teil des „Developmentarism“ á la Escobar (1995) repräsentieren sie die hegemoniale Macht des Westens. Die Wahl des Begriffes ‚hybride Experten’ soll an dieser Stelle schon andeuten, dass dieser Allgemeinplatz nicht geteilt wird. Demgegenüber steht die in der Forschung stark vernachlässigte Gruppe der lokalen Experten. In „Stamm der Experten“ (Hüsken 2006) habe ich versucht zu zeigen, dass lokale Experten ebenso ‚postmoderne und hybride Geschöpfe’ sind wie ihre deutschen Kollegen. Beide Seiten teilen diese fundamentale Globalisierungserfahrung. Unterschiedliche Logiken und Handlungsstrategien resultieren hier nicht primär aus kultureller Differenz sondern sind vielmehr Ausdruck unterschiedlicher Interessen der Organisationen, Netzwerke und Umfelder zu denen die jeweiligen Experten gehören. Dieter Weiss hat im Rückblick auf das britische Empire vom Wertekonsens der Kolonialbeamten als Grundpfeiler der englischen Herrschaft gesprochen.15 Einen Wertekonsens dieser Art gibt es in der Welt der Projektexperten nicht. Moralökonomische Beziehungen und institutionelle Arrangements unterliegen beständigen politischen, verwaltungstechnischen und personellen Transformationen, welche die Fähigkeit zur kontinuierlichen, situativen Neuorientierung und Aushandlung erfordert. Auf der Suche nach Lösungen müssen sich die Experten überwiegend auf ihre Selbstorganisationsfähigkeit verlassen, da die genannten Herausforderung weder Teil einer systematischen Vorbereitung noch einer regelhaften Prozessbegleitung sind.16 Die Vorbereitung auf den Auslandseinsatz und besonders die Orientierung vor Ort sind deshalb abhängig von der individuellen Selbstorganisationsfähigkeit und den moralökonomischen Ressourcen eines Experten. Auf Seite der lokalen Experten findet, wenigstens in den von mir untersuchten Ländern, keinerlei Vorbereitung oder Begleitung der gemeinsamen Arbeit statt. Es fehlt ein gemeinsamer, verbindlicher formaler 15
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„Schon das britische Empire wurde durch einen Wertekonsens der Cricket-Felder von Eton zusammengehalten, denn das Dampfschiff von Burma nach Whitehall brauchte in einer Richtung mehrere Wochen.“ (Weiss 1994: 11). Zum Problem der Vorbereitung auf den Auslandseinsatz siehe Hüsken 2006: 184f
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Referenzrahmen. In der Praxis setzen sich deshalb Regime durch, die durch eine Verflechtung von informellen und formellen Praktiken gekennzeichnet sind. Zwar bietet dies Spielräume für Kreativität, Innovationen und Variation, birgt jedoch auch die Gefahr eines Abgleitens in Aktionismus und Eklektizismus. Diese Tendenz wird durch den Tatbestand verstärkt, dass größere interpersonale Netzwerke mit einer funktionierenden Moralökonomie aufgrund der Heterogenität der Experten, entsandter wie lokaler, fehlen. Die existierenden Netzwerke sind häufig kleinteilige Formationen, die auf wenige Personen beschränkt sind. Ihre Kontinuität und Stabilität wird darüberhinaus, wenigstens bei den entsandten Experten, durch eine scharfe Konkurrenz, verursacht durch eine Personalpolitik der kurzfristigen Verträge und unsicheren Zukunftsperspektiven, erschwert. Vertrauen ist in solchen turbulenten Umwelten eine knappe soziale Ressource.
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Organisation von Heterogenität in turbulenten Umwelten17
Es ist bereits gesagt worden, dass die Arbeit der Entwicklungsexperten Moderation und Organisation sozialer, politischer und ökonomischer Interessen besteht. Der langjährige GTZ-Experte Christian Vogt hat schon 1991 darauf hingewiesen, dass sie dies mit unklarem Mandat, ohne Rückversicherung und echte Erzwingungsinstanzen tun18. Als erfahrener Praktiker zielt er auf die politische und institutionelle Dimension der Zusammenarbeit ab und bewegt sich deutlich jenseits von Scheindebatten über den „clash of cultures“. Die unter dem Schlagwort „good governance“ mit dem Aufbau und der Effizierung von staatlichen Institutionen beschäftigten Projekte und Programme sind sozial, politisch und ökonomisch hoch brisante Unterfangen. Die staatlichen Institutionen und Counterpartabteilungen, in denen die Projekte angesiedelt sind, reagieren auf Veränderungspolitiken nicht selten mit Widerstand. In Ländern wie Ägypten und Jordanien ist der öffentliche Sektor von Privatisierungs-, Deregulierungs- und Sparpolitiken betroffen. Die hier beschäftigten Eliten und auch das mittlere Management kämpfen um ihr Überleben. In den Ministerien, Behörden und Durchführungsorganisationen dominieren dehalb Machterhaltungspolitiken und Überlebensstrategien gegenüber Gestaltungsmaximen. Nicht selten verbirgt sich hinter der staatlichen Fassade ein informelles Regime strategischer Gruppen und Netzwerke, die eigene Ziele verfolgen. Strategische Rentierstaaten, wie Ägypten, können sich darüber hinaus auf dem inoffiziellen ‚Markt der Entwicklungsangebote’ aus 17 18
Der Begriff „turbulente Umwelten“ ist aus den Publikationen und Vorträgen des Entwicklungsökonomen Dieter Weiss übernommen. Vgl. Vogt-Moritz (1991).
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einem reichhaltigen Sortiment bedienen. Die Bereitschaft, echte Veränderungsprozesse einzugehen, wird dadurch nicht immer gefördert. Die lokalen Institutionen von Zielgruppen bestehen aus einer schlecht funktionierenden Verwaltung und einer Fülle informeller und neotraditionaler Regelsysteme. In Bezug auf staatliche Politiken, in deren Kontext die Projekte der GTZ auftreten, reagieren die Zielgruppen häufig mit defensiver Kommunikation19 aufgrund spezifischer Erfahrungen mit staatlicher Willkür oder Ignoranz aber auch mit reiner Interessenpolitik, die am akuten Problemdruck und nicht an den Konzeptionen der Projekte orientiert ist.20 Die Machtverhältnisse im Umfeld von Projekten sind polyzentrisch und vielgestaltig. Sie variieren nach Situation, Kontext und Akteuren. Projekte sind nicht in erster Linie mächtige externe Interventionen, vielmehr werden sie auf spezifische Weise in laufende Prozesse und Strukturen verflochten und eingebunden. Diese Prozesse und Strukturen werden von den gesellschaftlichen Dynamiken der Einsatzländer bestimmt und nicht von den Projekten oder den Projektexperten gesetzt. Die Rolle lokaler „Entwicklungsmakler“ (Bierschenk 1998), Lokalpolitiker oder einflussreicher Unternehmer wird für die Projektexperten häufig erst in der Praxis der Projekte erkennbar. Die Offenlegung dieser Machtverhältnisse und Interessenkonstellationen im Planungsprozess der Projekte ist ausgesprochen schwierig und aus diplomatischen Gründen auch nicht ohne weiteres möglich. Wie Rottenburg (2002) gezeigt hat, übergehen Geber- und Empfängerseite diese politische Dimension gerne zugunsten eines Diskurses über technische Machbarkeiten. In Umkehrung des formal gesetzten Ablaufes beginnen die eigentlichen Aushandlungsprozesse in den Projekten immer dann, wenn ‚die Verträge unterschrieben’ sind. Die formelle Rechtssicherheit des „pacta sunt servanda“ gilt also nicht. Projektexperten werden – nolens volens – zu Akteuren in lokalen politischen Arenen. Ändern sich die politischen Konstellationen in diesen Arenen, dann ändern sich auch die Bedingungen der Projektarbeit. Auf der Suche nach Legitimation, emotionalem Schutz und Handlungssicherheit müssen sich die Experten vor allem auf ihre Selbstorganisationsfähigkeit verlassen. Nicht selten wird die Stabilisierung der „Balance of Power and Interests“ zwischen den verschiedenen strategischen Akteuren des Projektumfeldes zur Hauptaufgabe der Arbeit. Als Moderatoren und Berater fehlen ihnen dabei jedoch echte Erzwingungsinstanzen. Lediglich Exit Optionen, wie das Schließen eines Projektes durch das Länderbüro (als Steuereinheit der Programme und Projekte) stehen zur Verfügung.21 Exit Optionen sind jedoch keine effek19 20 21
Vgl. Spittler (1982). Vgl. Hüsken/ Roenpage (1998). Eine andere exit-option besteht im Abziehen des entsandten Experten. Eine Praxis, die von den meisten Experten gescheut wird, weil sie negative Auswirkung auf ihre Karriere befürchten.
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tiven Steuerinstrumente. Sie stehen am Ende eines (Eskalations)Prozesses. Sie bieten dann zwar Schutz, beinhalten jedoch auch eine Offenlegung von Konflikten, welche die Beziehung zwischen Entwicklungsagentur und Partnerland erschweren können. Moralökonomische Beziehungen zwischen Projektexperten, Mitarbeitern von Counterpartagenturen und Zielgruppen werden durch verschiedene Einflussfaktoren erschwert. Hierzu gehört die utilitaristische Logik der Aneignung: wo EZ-Projekte als „Beute“ (Beck 1991) gelten, ist die Etablierung einer vertrauenstiftenden Moralökonomie schwierig. Nicht selten trägt auch die Kurzfristigkeit der Verträge und die damit verbundene geringe Verweildauer der Experten einer Etablierung vertrauensvoller Beziehungen entgegen. Im Kontext autoritärer Regime kommt noch dazu, dass von staatlicher Seite ein intensiver Kontakt zwischen entsandten und lokalen Experten häufig nicht gewünscht wird. Dort wo der Aufbau moralökonomischer Beziehungen dennoch gelingt, sind sie das Ergebnis der Selbstorganisationsfähigkeit bestimmter interpersonaler Konstellationen. Allianzen und Bünde zwischen lokal Mächtigen, staatlichen Angestellten und Projektexperten können im Sinne der Projektziele durchaus effektiv sein.22 Ihre Ziele, Strategien und Handlungen können jedoch auch andere Richtungen annehmen. Insbesondere die Bünde zwischen Experten und lokalen (nichtstaatlichen) Machthabern können zu einer spezifischen Variante intermediärer Herrschaft führen, die auch als „parasouveräne Entwicklungsherrschaft“ (Klute / v. Trotha 1999) beschrieben worden ist. 3.1 Die eigene Agentur Der Umgang mit der eigenen Agentur und dem zuständigen Ministerium ist für die Entwicklungsexperten komplex, widersprüchlich und brisant. Die Dauerreform in der deutschen EZ hat zu einer Aufhebung der institutionellen Trennung von Tradition und Innovation geführt. Die Entwicklungsexperten in den Agenturzentralen sehen sich mit einem „Veränderungsstrudel“ konfrontiert, in dem sie nicht mehr wissen, was gilt und was verändert werden muss. Dieter Weiss (1991) hat am Beispiel Ägyptens gezeigt, wie sich unvollständig implementierte Reformpolitiken in massive Entwicklungsblockaden verwandeln können. Es gehört zur Ironie der Geschichte der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, dass dieser eigentlich für die „zu Entwickelnden“ reservierte Problemkomplex zum Charakteristikum der eigenen Agenturen geworden ist. Der ständig wachsenden politischen Komplexität der Aufgaben, etwa in Ländern wie Afghanistan, steht weder eine klare Konzeption noch eine systematische und 22
Vgl. Hüsken 2006:192f.
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abgestimmte, inhaltlich kohärente Form des Aufbaus von Kompetenzen in den Bereichen Management, Politik und interkulturelle Kompetenz gegenüber. Dies gilt in noch stärkerem Maß für die Prozessbegleitung und Supervision der Arbeit. Zwar fehlt es nicht an Initiativen, diese sind jedoch fragmentiert und über die gesammte Organisation verteilt. Experten der Inlandszentralen und Experten im Ausland agieren in mehrfach verschiedenen Logiken. Während in den Zentralen konzeptionell gearbeitet wird und ein nicht geringer Teil der Bemühungen auf die Beschaffung von Mitteln und das Besetzen strategisch bedeutsamer Positionen ausgerichtet ist, müssen die Auslandskräfte für vorzeigbare Ergebnisse sorgen. Eine kohärente Verknüpfung dieser Logiken ist schwer und bisher nicht gelungen. So kann es, zugespitzt formuliert, vorkommen, dass ein Projekt noch im Bereich nachhaltige Wüstenlandwirtschaft arbeitet, während in der Zentrale schon lange nicht mehr über ländliche Entwicklung sondern über den Aufbau von Zivilgesellschaft im Jemen diskutiert und geplant wird. Die Beziehungen zwischen der Zentrale und den Projekten sind auch deshalb durch Unsicherheit und Interessenkonflikte gekennzeichnet. Der Antagonismus zwischen „drinnen“ (Zentrale) und „draussen“ (Projekte) repräsentiert eine politisch aber auch emotional aufgeladenen Konkurrenz um Macht, Zuständigkeiten und knappe Budgets. Ein wichtiges formelles Element zur Stabilisierung des Verhältnisses zwischen einer Organisation und ihren Mitarbeitern ist der Arbeitsvertrag. Formell regelt der Arbeitsvertrag die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters. Er trägt dazu bei, die Hierarchie, die funktionale Differenzierung und die arbeitsteilige Ordnung innerhalb einer komplexen Organisation zu sichern. Der Arbeitsvertrag vermittelt dem Individuum Zugehörigkeit und Teilhabe an einer Institution. Ein Arbeitsvertrag hat aber auch eine informelle Dimension: er weist Status und Prestige zu und vermittelt emotionale und psychische Sicherheit. Beide Aspekte des Arbeitsvertrages, der formelle wie der informelle, generieren für die menschlichen Akteure in der Summe Vorhersehbarkeit. Die Mitarbeiter verfügen über einen verlässlichen formellen Referenzrahmen, eine Form von Rechtssicherheit, der auch für die informelle soziale Organisation, die Moralökonomie, bedeutsam ist. In der Vergangenheit bildeten auch in der GTZ unbefristete Arbeitsverträge (als Langfristrecht) ein Teil des Fundamentes der Vorhersehbarkeit. Heute ist der Anteil der Projektexperten mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag stark geschrumpft. In den untersuchten Ländern lag er unter 10%.23 Entwicklungsexperten können heute, im Gegensatz zu früher, keine langfristige Existenzsicherung durch hohe steuerfreie Einkommen und unbefristete Arbeitsverträge betreiben. Die Unsicherheit der Weiterbeschäftigung wiegt die Privilegien des Experten23
Eine genauere Angabe ist nicht möglich, da viele Experten keine genauen Aussagen machen wollten.
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tums auf. Ein auslaufender, projektbezogener Vertrag bedeutet zunächst einmal das Ende des Anstellungsverhältnisses. An die Stelle eines Langfristrechtes tritt eine halbformelle Routine, die von den Projektexperten als „Türklinkenputzen in Eschborn“ bezeichnet wird. Das Türklinkenputzen ist Teil der Bewerbung für ein neues Projekt. Die Projektexperten empfinden den ‚Zwang’ zum antichambrieren und zur Selbstvermarktung als symbolische und faktische Demütigung und Herabsetzung. Die empfundene Herabsetzung oder das Erlebnis der vermeintlichen Abhängigkeit von den „Bürokraten“ in der Zentrale führt zu einer selektiven, negativen Wahrnehmung und einer Kultur des Mißtrauens. 3.2 Der Umgang mit Wissen Neuere Beiträge, wie der von Kaiser (2003) herausgegebene Band „Weltwissen, Entwicklungszusammenarbeit in der Weltgesellschaft“ weisen in eine Richtung, die konzeptionell interessant erscheint. Die Entwicklungszusammenarbeit wird hier als Instrument zur Globalisierung von Wissensbeständen verstanden. Den Entwicklungsexperten vor Ort kommt eine spezifische Rolle als „brooker“ und „Wissensvermittler“ (Evers, Kaiser, Müller 2003: 45) zu. Wissensmanagement im Sinne der Etablierung von technologischen und interpersonellen Netzwerken zum Austausch und zur Weiterentwicklung von globalem Wissen, gilt als zentrale Aufgabe der Projektarbeit. Für die Planung, Durchführung und die Kontrolle von Projekten liegen verbindliche Managementwerkzeuge und Verfahrensroutinen vor. Das Projektzyklusmanagement, die zielorientierte Projektplanung ZOPP und neuerdings AURA24 befriedigen aus der Sicht der Projektexperten jedoch in erster Linie die administrativen Bedürfnisse der Vertragspartner GTZ-Zentrale, BMZ und der zuständigen staatlichen Institution des Empfängerlandes. Die Bereiche „Interkulturelle Kompetenz, Management und Politik“, die in der Entwicklungszusammenarbeit immer wieder als Schlüsselqualifikationen für Führungskräfte in der Entwicklungszusammenarbeit thematisiert werden, sind nicht verbindlich verregelt. Sie sind jedoch, wie oben gezeigt, mit den Herausforderungen der Arbeitsprozesse in den Projekten verknüpft. Dieses spezifische Erfahrungswissen zirkuliert in der Welt der Entwicklungsexperten vor allem in informellen Netzwerken. Die interpersonellen Netzwerke und Klane innerhalb derer Informationen und Wissen zirkulieren, bestehen aus: Projektkollegen; Gutachtern mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat; lokalen Projektassistenten, die gerne an Nachfolgeprojekte weitergereicht werden; ehemaligen Kollegen und Kommilitonen, die in der Zentrale oder in anderen Projekten, in zu24
AURA steht seit 2003 für eine Form des Auftragsmanagement der GTZ. Es beinhaltet eine Neuorientierung bei der Formulierung der beabsichtigten Wirkungen eines Projektes sowie Vereinfachungen des organisatorischen Ablaufs.
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ständigen Ministerien, privaten Consultingagenturen und Universitäten tätig sind. Das Wissen über soziale, politische, ökonomische und kulturelle Charakteristika des Einsatzlandes stammt ebenfalls aus diesen Netzwerken. Es wird nur selten durch die Rezeption neuerer wissenschaftlicher Literaturen, aktueller Konzeptpapiere aus der Zentrale, oder den Zugang zu intellektuellen Zirkeln im Einsatzland ergänzt. Zwar können die informellen Netzwerke im Einzelfall durchaus effektive und flexible Kanäle zur Wissensgewinnung darstellen. Ihre Effektivität und Verlässlichkeit bleibt jedoch an spezifische Personen- und Interessenkonstellationen gebunden. Lösen sich diese Konstellationen auf, verschwindet auch das angesammelte Wissen. Auf diese Weise entsteht eine Situation, die durch partikulare informelle Netzwerke des Wissens gekennzeichnet ist, in denen die einzelnen Aktivitäten unabhängig voneinander laufen und in Konkurrenz- oder Konfliktsituationen auch als Informationsschranken verwendet werden können. Die Fähigkeit zu einer systematischen formellen Selbstinformation25 ist damit erheblich eingeschränkt. Durch die umstrittene Praxis der (Selbst)Evaluierung von Projekten durch andere Projektexperten wird darüberhinaus eine Informalisierung wichtiger formeller Kontrollmechanismen befördert. Ein Blick auf die Praxis zeigt, dass diese so wichtige Domäne der Selbstinformation von klientelistischen Netzwerken durchzogen ist. Zu ihrer Selbsterhaltung errichten diese Netzwerke Informationsschranken über tatsächliche Tatbestände und Herausforderungen. Die formelle und moralökonomische Einbettung von Wissen wird von einer Kultur des Mißtrauens überlagert.
4
Schluss
Die Sozialanthropologie von Organisationen stellt die Frage nach der Organisation heterogener Identitäten und widerstreitender Interessen. Auf der Suche nach Orientierung richtet sie den Blick auf formelle und informelle Strukturen, Funktionen und Prozesse, welche strategisches Handeln in „Verständigungshandeln“ (Bierschenk, Elwert, Kohnert, 1993: 28) umwandeln können. Dieser Prozess kann auf Dauer nicht ohne die Ausprägung demokratisch legitimierter, rechtsstaatlich abgesicherter und moralökonomisch stabilisierter Institutionen und Verfahren funktionieren. Wenn diese formellen und informellen Rahmenbedingungen gesetzt sind, entsteht Vorhersehbarkeit als elementare Voraussetzung für eine Kultur des Vertrauens. Im Gegensatz zu anderen Beiträgen geht es dabei nicht um eine Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit westlicher Verhandlungs- und Organisationsmodelle. Diese Modelle sind global 25
Unter „Selbstinformation“ (Elwert 2000:70f) wird die Fähigkeit zum Sammeln, Auswerten und Austauschen von Wissen über die eigene Organisation, ihre Aufgaben und Ziele verstanden.
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angeeignet und im Falle der arabischen Welt auch eigenständig entwickelt worden. Ihre Umsetzung scheitert nicht an kulturellen Dimensionen, sondern in erster Linie am politischen Willen der beteiligten Akteure. Die oben geschilderten Beispiele aus der Praxis zeigen aber auch wie komplex die Herausforderungen sind. Die internationale EZ hat im Laufe ihrer kurzen Geschichte ständig an Interventionstiefe zugelegt. Angefangen hat sie mit der Übertragung des Know-hows der Industrieländer, heute beschäftigt sie sich mit der (Re)konstruktion ganzer Gesellschaften und Kulturen.26 Diesen wahrhaft titanischen Aufgaben stehen jedoch keine geeigneten Machtmittel oder Instrumente gegenüber. Veränderungen der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen in den Partnerländern können von der EZ nicht diktiert sondern nur verhandelt werden. Die Regierungen vieler Partnerländer haben die politische Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe professionalisiert. Sie können darüberhinaus auf einen Markt der Entwicklungsangebote zurückgreifen, dessen Anbieter wenig koordiniert handeln und zudem realpolitischen Interessen der Gebernationen unterworfen sind. Wir sprechen ja auch deshalb von Entwicklungspolitik. Zu ihr gehört von Interessen geleitetes Handeln und strategisches Kalkül genauso wie normativ orientiertes Handeln. Die Entwicklungsethnologen Frank Bliss und Michael Schönhuth haben 2002 acht „Ethische Leitlinien für die entwicklungspolitische Praxis“ formuliert.27 Beide Autoren verstehen ihren Regelkanon als Orientierungshilfe und Handlungsanweisung für Gutachter und Projektexperten zur Lösung von Loyalitätskonflikten, die sich aus dem Spannungsfeld der Interessen von Auftraggebern, Zielgruppen und der internationalen Öffentlichkeit ergeben.28 Die Autoren argumentieren hier nicht nur als Wissenschaftler sondern auch als Gutachter der EZ. Ihre Überlegungen zeigen wie groß das Bedürfnis nach moralischer Orientierung und institutioneller Handlungssicherheit in den Arenen der Projektarbeit ist. Die Herausbildung demokratisch abgestimmter, rechtssicherer Verfahren für die Entwicklungszusammenarbeit kann mit den Partnerländern nur dialogisch in einem langfristigen Prozess ausgehandelt werden. Mindestens für die eigenen entsandten Experten besteht jedoch die Möglichkeit, ein rechtssicheres und effektives Managementsystems zur Vorbereitung und Prozessbegleitung zu erarbeiten, das auch als stabile Basis für moralökonomische Beziehungen fungiert. Nur mit einer solchen rechtlichen und moralischen Sicherheit im Rücken wären 26 27
28
Vgl. Claus 2001: 321. Diese ethisch-moralische Leitkultur der Entwicklungsethnologie operiert mit acht spezifischen Definitionen von Entwicklung, Respekt, Partizipation, Offenlegung, Ganzheitlichkeit, unbeabsichtigten Wirkungen, Datenschutz, Grenzen der Schweigepflicht. Vgl. Bliss/ Schönhuth 2002: 4.
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die Ansprüche und die hochgesteckten Ziele der Entwicklungszusammenarbeit überhaupt zu rechtfertigen. Nicht Expertise und Know-How ist hier das Problem. Es mangelt auch nicht an Initiativen, wie die Entstehungsgeschichte dieses Artikels zeigt, die mit einer dieser Initiativen verknüpft ist.29 Allerdings ist die Problemidentifikation nicht immer mit einer konkreten Problemlösungsstrategie verknüpft. Die geschilderten Probleme sind allgemein bekannt ohne dass systematische, kohärente Änderungsmaßnahmen ergriffen werden. Entwicklung ist also nicht nur das, was stets die ‚Anderen’ zu leisten haben. Entwicklung bedeutet ebenso Organisationsentwicklung der eigenen Agenturen. Auch die Arbeiten des Entwicklungsökonomen Dieter Weiss sind von dieser an Institutionen, Verfahren und Moralökonomie orientierten Perspektive geprägt.30 In Weiss Beiträgen geht es um die Eröffnung von institutionell und moralökonomisch abgesicherten Spielräumen, in denen sich kreative Intelligenz als Voraussetzung für Problemerkennung und die Entwicklung innovativer Problemlösungsansätze entfalten kann. Was bei Weiss für Kreativität gilt, trifft uneingeschränkt auch auf Vertrauen zu.
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29
30
Hierbei handelt es sich um den von Elvira Ganther und Elias Jammal konzipierten Workshop über „Interkulturelles Management in islamischen Ländern“ der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im November 2007 an dem ich das Impulsreferat zum Thema „Islamisch-westlicher Kulturdialog in der Praxis. Interkulturelles Wissen nutzen, Interkulturelle Kompetenz aufbauen“ halten durfte. Vgl. Weiss 1994.
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Folgen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika. Frankfurt/ Main: Campus: 7-39. Bierschenk, Thomas (1998): Lokale Entwicklungsmakler. Entwicklungshilfe schafft neue Formen des Klientelismus in Afrika. In: Entwicklung und Zusammenarbeit 39, 12: 322-324. Claus, Burghard (2001): Kultur und Entwicklung in den Partnerländern als Element der Entwicklungszusammenarbeit. In: Steffen Wippel und Inse Cornelssen (Hg.), Entwicklungspolitische Perspektiven im Kontext wachsender Komplexität. Festschrift für Prof. Dr. Dieter Weiss, Forschungsbericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Band 128. München, Bonn, London: Weltforum. 301-324. Douglas, Mary (1987): How Institutions think. London: Wesley. Elwert, Georg (2000): Selbstveränderung als Programm und Tradition als Ressource. In: Beate Hentschel (Hg.): Verborgene Potentiale. München, Wien: Hauser: 67-94. Elwert-Kretschmer, Karola / Elwert, Georg (1991): Mit den Augen der Beniner, eine Evaluation von 25 Jahren DED in Benin, Afrika Spektrum 3, 1991, 26, S. 335-350. Elwert, Georg (1985): Märkte, Käuflichkeit und Moralökonomie. In: Burkhart Lutz (Hg.), Soziologie und gesellschaftliche Entwicklung. Verhandlungen des 22. Deutschen Soziologentages in Dortmund 1984. Frankfurt/ Main, New York: Campus. Escobar, Arturo (1995): Encountering development. The making and unmaking of the Third World. Princeton: Princeton University Press. Evers, Hans-Dieter und Schiel, Tilman (1988): Strategische Gruppen: Vergleichende Studien zu Staat, Bürokratie und Klassenbildung in der Dritten Welt. Berlin: Reimer. Fortes, Meyer, Evans-Pritchard, Edward (1940): African Political Systems. London: Oxford University Press. Fukuyama, Francis (1995): Trust: The Social Virtues and The Creation of Prosperiy, NewYork, Simon and Schuster. Geertz, Clifford (1973): The Interpretation of Cultures. New York. Hüsken, Thomas/ Roenpage, Olin 1998, Jenseits von Traditionalismus und Stagnation. Analyse einer beduinischen Ökonomie in der Westlichen Wüste Ägyptens. Münster: LIT. Hüsken, Thomas (2004): „Georg Elwert und die Berliner Schule der skeptischen Sozialanthropologie“. Ecker, Julia (Hg.) Anthropologie der Konflikte. Georg Elwerts konflikttheoretische Thesen in der Diskussion, Bielefeld: Transcript: 315-330. Hüsken, Thomas (2006): Der Stamm der Experten, Rhetorik und Praxis des interkulturellen Managements in der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, Bielefeld: Transscript. Klute, Georg / Trutz v. Trotha (1999): „Parasouveränität. Gedanken über einen Typus intermediärer Herrschaft“, Vortrag, gehalten auf der Tagung ‚Macht und Herrschaft‘ der Sektion Entwicklungssoziologie und Sozialanthropologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Marburg vom 10. - 12. Juni 1999. Lachenmann, Gudrun (1991): Systems of ignorance. Alltags-/ Expertenwissen. Wissenssoziologische Aspekte im Kulturvergleich. Sozialanthropologische Arbeitspapiere Nr. 38. Berlin: Hans Schiler.
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Vertrauen in deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen Elias Jammal
1
Einleitung
Studien und Theoriebildungen zum Thema „Vertrauen im interkulturellen Kontext“ liegen bisher nur vereinzelt vor. Bezieht man das Thema auf den arabischen Raum, so lassen sich gar keine Forschungen im deutschsprachigen Raum finden. Mit diesem Beitrag wird somit wissenschaftliches Neuland betreten. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf dem von der Landesstiftung Baden-Württemberg geförderten Forschungsprojekt des Orient Instituts für Interkulturelle Studien (OIS) an der Hochschule Heilbronn. Das dreijährige Projekt begann im Januar 2006 und es befindet sich nun am Ende des zweiten Jahrs. Das Projekt untersucht folgende Fragestellungen: Existieren Unterschiede hinsichtlich Vertrauenssemantik und Vertrauensgenese zwischen deutschen und arabischen Fach- und Führungskräften sowie zwischen den arabischen Fach- und Führungskräften selbst (bezogen auf die vier Länder Ägypten, Katar, Libyen und die VAE)? Und wenn ja, welche und wie lassen sich diese erklären?
Gemäß Möllerings Empfehlungen (vgl. den Beitrag in diesem Band), wurden dem Projekt keine universellen und statischen Konzepte von Kultur und Vertrauen zugrunde gelegt. Vielmehr dienten unterschiedliche Ansätze als Orientierung zur Entwicklung des Leitfadens für die Interviews (siehe unten). Maßgeblich waren dabei die Ansätze von Torsten Kühlmann und Martin Schweer (vgl. die Beiträge in diesem Band). Hilfreich waren die Ausführungen Kühlmanns zum Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle sowie zur Notwendigkeit der Berücksichtigung von Erwartungserwartungen und wie die Geschäftspartner darauf reagieren. Schweers Überlegungen zur impliziten Erwartungstheorie haben sich als hilfreich zum Verstehen der Vertrauensgenese erwiesen. Für die Analyse der Interviews war es allerdings erforderlich, implizite Prototypen als implizite Leitbilder oder -konzepte für eine vertrauenswürdige Person zu verstehen und sie
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von konkreten impliziten Erwartungen in einem bestimmten Kontext zu unterscheiden. Anzumerken ist, dass die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität erheben, sondern vielmehr zur Gewinnung neuer Einsichten dienen und somit zur Klärung von Phänomenen im Zusammenhang der Vertrauensbildung in deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen hilfreich sein können. Die bisherigen Ergebnisse sind lediglich Teilergebnisse. Der Auswertungsprozess der Interviews ist noch nicht abgeschlossen. Ausgeklammert wurde bislang die Rolle der Sprache und eine Diskursanalyse steht ebenfalls noch aus (vgl. die Ausführungen von Dominic Busch in diesem Band). Diese Auslassung ist schwerwiegend: Das Sprechen über Vertrauen kann auch im Sinne diskursiver Interkulturalität betrachtet und analysiert werden (vgl. Müller-Jacquier 2000; Thije, J.D. ten 2002).
2
Das Forschungsprojekt
2.1 Datenquellen Neben Literaturstudium sowohl in Deutschland als auch in den o.g. vier Ländern wurden ca. 90 Tiefeninterviews - nach einem pre-getesteten Interviewleitfaden durch Projektmitarbeiter und externe Interviewexperten in den vier Ländern durchgeführt (in deutscher und arabischer Sprache). Die Interviews wurden transkribiert und die Transkriptionen wurden zweifach überprüft. Verwertbar waren am Ende 80 Interviews mit je 10 Deutschen und 10 Arabern in einem Land. Die Interviewpartner (Ip) waren durchweg in leitenden Positionen und sie arbeiteten überwiegend in Multinational Companies (MNC) in den Branchen Anlagentechnik/Maschinenbau/Elektrotechnik. Die Mitarbeiterzahl der Unternehmen bzw. Unternehmensvertretungen oder Niederlassungen / Tochtergesellschaften im jeweiligen Land variierte stark (von 4 bis 500).
Vertrauen in deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen
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Nachfolgende Tabelle enthält die Fachrichtung der deutschen Ip: Land Ägypten Katar Libyen VAE Gesamt
Diplomingenieur 1 4 4 1 10
Wirtschaftswissenschaftler 5 4 1 7 17
Jurist 1 0 1 1 3
Geisteswissenschaftler 2 1 2 0 5
Sonstiges 1 1 2 1 5
Tabelle 1: Fachrichtung der deutschen Ip Der Altersdurchschnitt bei den deutschen Ip lag höher als bei den arabischen Ip (deutsche Ip: Ägypten 48, Katar 42, Libyen 44 und VAE 36. Die arabischen Ip: Ägypten 44, Katar 37, Libyen 38 und VAE 34). Bis auf Katar lag der Frauenanteil unter den deutschen Ip deutlich höher als bei den arabischen Ip (deutsche Ip: Ägypten 50%, Katar 21%, Libyen 40% und VAE 60%. Arabische Ip: Ägypten 11%, Katar 29%, Libyen 33% und VAE 22%). Bei der Frage nach einer Auslandsvorbereitung der deutschen Ip ergab sich folgendes Bild: Land Ägypten Katar Libyen VAE Gesamt
Anzahl der deutschen Ip, die eine Auslandsvorbereitung erhielten 1 1 3 0 5
Tabelle 2: Auslandsvorbereitung der deutschen Ip Von den insgesamt 40 deutschen Ip hatten damit lediglich 5 Personen (12,5%) eine Auslandsvorbereitung erhalten. Dies deckt sich mit den Ergebnissen aus früheren Studien des OIS überein (vgl. Jammal 2003). Vermutlich ist dieses Ergebnis darauf zurückzuführen, dass Angebote in Deutschland für interkulturelle Vorbereitungen auf Einsätze im arabischen Raum noch rar sind. Dies ändert sich aber, wenn auch nur langsam. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Ip in den vier Ländern ist wie folgt:
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Land Ägypten Katar Libyen VAE Gesamtdurchschnitt
Elias Jammal
Aufenthaltsdauer in Jahren 3,5 3,5 4 2,2 3,3 Jahre
Tabelle 3: Aufenthaltsdauer der Ip Zu jedem Land wurden von den Interviewern Daten zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur gesammelt und in einem Länderprofil zusammengefasst sowie kommentiert. Des Weiteren wurde zu jedem Land ein Bericht erstellt, in dem die Interviews und deren Rahmenbedingungen kommentiert wurden. 2.2 Datenerhebung Als Methode der Datenerhebung wurde das teilstrukturierte, problemzentrierte Interview gewählt, das sich an das Verfahren der „Grounded Theory“ anlehnt (siehe unter 2.3). Wie bereits erwähnt, sollte durch die empirische Forschung zweierlei erreicht werden: einerseits sollte die Semantik des Vertrauens in deutscharabischen Kooperationen ermittelt und andererseits sollten die Prozesse der Vertrauensbildung identifiziert werden. Um sich dem ersten Ziel der Forschungsarbeit (Erfassung der Semantik des Vertrauens) zu nähern, wurde nach drei unterschiedlichen Merkmalen gefragt. Erstens nach dem, was Vertrauen „eigentlich ist“, also dem Wesen des Vertrauens (vgl. Nuissl 2002), zweitens, nach den konstituierenden Merkmalen von Vertrauen, also Interdependenz und Risiko (vgl. Möllering 2006) und drittens, nach dem Phänomen des „Sich Verlassens“. Für das zweite Ziel (Vertrauensgenese, d.h. Identifizierung der Prozesse der Vertrauensbildung) wurden drei Merkmale erfasst: a) die Erwartungen und Erwartungs-Erwartungen an den Kooperationspartner (vgl. Schweer 2003); b) das Phänomen des aktiven Vertrauens (vgl. Child und Möllering 2003); c) Kein Vertrauen bzw. Misstrauen.
Vertrauen in deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen
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2.3 Datenaufbereitung*) Die der Datenaufbereitung zugrunde liegende Grounded Theory (vgl. hierzu Lamnek 2005; Strübing 2004; Kelle 2005; Strauss und Corbin 1996) betont drei systematische Kodierungsschritte:
das offene Kodieren, das axiale Kodieren das selektive Kodieren.
Das offene Kodieren dient dazu, die Daten aufzubrechen. Hierzu wurden zunächst alle Interviews durchgearbeitet. Die vertrauensrelevanten Aussagen wurden in Sinneinheiten zergliedert, mit kurzen Anmerkungen und vor allem aber mit Begriffen („Kodes“) versehen. Die Namen der Kodes stammen grundsätzlich aus zwei Quellen. Einerseits wurden sie den Aussagen der IP entnommen und andererseits aus Vertrauensansätzen abgeleitet, hauptsächlich von Torsten Kühlmann, Guido Möllering und Martin Schweer. Martin Schweers „Eckpfeiler jedweder fundierten Auseinandersetzung mit dem Vertrauensphänomen“ waren hierbei entscheidend: Risiko, Reziprozität, Zeit und Bereichsspezifität (vgl. den Beitrag von Martin Schweer in diesem Band). In einem zweiten Schritt erfolgte das axiale Kodieren. Ziel des axialen Kodierens ist die Verfeinerung und Differenzierung der Kodes, die beim offenen Kodieren entstanden sind. Zunächst wurden hierfür die Kodes und Kategorien ausgewählt, die im Hinblick auf die Fragestellung aussagekräftig sind. Das axiale Kodieren ist nach Strauss und Corbin (1996) ein komplexer Prozess deduktiven und induktiven Denkens. In der vorliegenden Forschung wurden die markanten und für die Fragestellung zunächst relevant erachteten Kodes näher betrachtet und durch Prozesse des Vergleichs und der Kontrastierung zu einander in Beziehung gesetzt. Durch einen systematischen Vergleich konnten auf diese Weise Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen den Kodes identifiziert und größere Kategorien gebildet werden. Je nach Forschungsfrage zeigen sich bereits beim offenen Kodieren und beim axialen Kodieren bestimmte Themen bzw. Kategorien – für die Beantwortung der Forschungsfragen – zentraler und aussagekräftiger als andere Themen. Um die zentralen Themen näher zu erforschen, kann ein beachtlicher Teil des Materials nach Strübing (2004) rekodiert werden, um die Beziehung der gegenstandsbezogenen Konzepte zu den Kernkategorien zu erarbeiten, um sodann eine theoretische Schließung herbeizuführen. *)
Einige Passagen in diesem Abschnitt habe ich aus dem Bericht meiner ehemaligen Mitarbeiterin Ulrike Schwegler übernommen. Ihr danke ich dafür.
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Die zentralen Themen bzw. zentralen Kategorien, die beim offenen und axialen Kodieren hervortreten, wurden beim selektiven Kodieren weiter ausgewählt und integriert. In der vorliegenden Arbeit wurden so zunächst die Aussagen ausgewählt, die sich auf die zentralen Forschungsfragen beziehen. Das waren die Kodes, die sich auf die Semantik bzw. das Wesen des Vertrauens beziehen und die Kodes, die sich auf die Genese des Vertrauens konzentrieren. Als unterstützendes Verfahren zum systematischen Umgang mit den Daten wurde der Prozess des systematischen Vergleichens herangezogen. Bereits beim offenen Kodieren, aber auch beim axialen Kodieren wurden Memos und erste Annahmen formuliert. Beim selektiven Kodieren wurden anschließend diese ersten Hypothesen weiter ausgearbeitet, dokumentiert und kontinuierlich im Projektteam diskutiert.
3
Das Sprechen über Vertrauen und der Interviewkontext
Vertrauen, so scheint es, gehört zu den Dingen, die erst dann Aufmerksamkeit und Nachdenken evozieren, wenn sie nicht mehr das leisten, was sie leisten sollen, also wenn sie zerbrechen. Der Begriff ist für die meisten Ip nicht leicht zu definieren. Die Interviewpartner antworteten häufig auf die Frage, was sie unter Vertrauen verstehen, mit „Vertrauen ist Vertrauen“. Die Antwort einer deutschen Ip aus Ägypten mag illustrieren, wie schwierig es wohl für die meisten Ip war, Vertrauen begrifflich zu fassen und wie sie auf Metaphern zurückgreifen: „Vertrauen ist für mich wie eine Wolke. Also, wie etwas was einfach da ist, wie, wie Luft oder so, ja? Und das man auch einfach braucht, ja? In dem Augenblick, wo ich’s nicht mehr habe, merke ich auch, dass es mir schwer fällt mit Menschen umzugehen“.
Kontextuelle Schwierigkeiten des Sprechens über Vertrauen ergeben sich vor allem im Falle solche Länder, in denen aufgrund politischer, institutioneller und rechtlicher Faktoren oder aufgrund der Arbeitsmarktsituation ein gewisses Maß an Misstrauen die Geschäftsbeziehungen prägt. So heißt es bei einem deutschen Ip in Libyen: „Das sind die Strukturen hier dieses Landes, die hart kommunistischen. Die haben hier was aufgebaut, so ne Schnüffelbehörde, die sammeln alles, registrieren alles, was du machst. Die sagen sich aber auch leben und leben lassen. Aber wenn dann irgendwelche kritischen Dinge kommen, dann holen sie dein File raus, sagen sie, schau mal, da hast du das und das. Schon meine Residenz hier ist kritisch“.
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Die deutschen Geschäftspartner in Katar beklagen sich zum einen über die Unsicherheit der Rechtssprechung: „Obwohl das katarische Recht eine Mischung, ich würde mal sagen aus englischem und französischem Recht ist, was für Deutsche natürlich durchaus nachvollziehbar ist, auf der ganzen kommerziellen Seite eher französisch, aber sonst zivilrechtlich und strafrechtlich eher britisch, ist es doch, wenn es dann im Endeffekt angewandt wird, sehr auf die Scharia zurückzuführen … man sitzt dann vor Gericht und hat mit einem Richter zu tun und denkt, das kann doch nicht wahr sein, was der gerade redet. Ich hab doch hier Verträge und Statuten und Haftungsbeschränkungen und Gesellschafterverträge und dann sagt der aber, islamisches Recht sagt dieses und jenes“.
Zum anderen sehen sie in der Praxis des Einbehaltens des Reisepasses des deutschen Geschäftspartners durch den einheimischen Sponsor in Katar ein klares Misstrauenssignal: „Wenn Sie in Deutschland jemandem sagen, dass wenn er nach Katar geht, um da zu leben und zu arbeiten, auf sein Grundrecht der freien Bewegung verzichten muss. Dann sagt er erst mal, na, dann gehe ich da nicht hin ... Natürlich die Pässe. Das ist immer eine Frage des Vertrauens“.
Und nicht zuletzt wird Misstrauen unter den Geschäftspartnern in Dubai als Ergebnis des landesspezifischen Geschäftsumfeldes gesehen: „Es ist nicht so wie früher, dass ich gesagt habe, ich vertraue jemand von Anfang an. Und wenn er mich dann betrügt, vertraue ich ihm nicht mehr. Also, mittlerweile bin ich am Stand, ich vertraue niemanden, bis er mir beweist, dass ich ihm vertrauen kann. Ja, aber das ist meine persönliche Meinung, über Dubai. Weil man kann niemand vertrauen. Das ist einfach nur eine "Community" , wo.... es ist so ein Kommen und Gehen. Menschen haben hier keine Wurzeln und deswegen auch keine Verantwortung. Also, sie zeigen dem Land über keine Verantwortung. Letztendlich, weil sie hier niemals ihr Leben verbringen würden“.
Ein arabischer Ip in Dubai meint dazu: „I don’t recommend that she trusts anybody. Because it is a cosmopolitan place, there are so many fake people here“.
Hinzu kommt als Rahmenbedingung für die Interviews, dass interorganisationale Geschäftsbeziehungen zwischen den deutschen und arabischen Ip durch Unvertrautheit und selteneren Kontakt (als im Falle intraorganisationalen Beziehun-
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gen) gekennzeichnet sind. Eine Vertrautheit muss sich erst bilden und das wiederum scheint dazu zu führen, dass in diesem Kontext mehr von Voraus- und Begleit-Kontrolle (siehe den Beitrag von Kühlmann in diesem Band) als von Vertrauen die Rede ist. Intraorgainsationale Geschäftsbeziehungen hingegen sind durch häufigen Kontakt gekennzeichnet, was wiederum zum langsamen Vertrauensaufbau beiträgt - sei es durch dosierte Reziprozität oder durch BegleitKontrolle (siehe unten), womit ein Zuwachs an Vertrautheit einhergeht.
4
Begriffstheoretische Eingrenzung
Das Wort Vertrauen ist als Wort seit dem 16. Jahrhundert bekannt (althochdeutsch: "fertruen"; mittelhochdeutsch: "vertruwen") und geht auf das gotische "trauan" zurück. Das Wort "trauen" gehört zu der Wortgruppe um "treu" = "stark", "fest", "dick" (vgl. Frevert 2003). Ein flüchtiger Blick auf die inzwischen zahlreichen Definitionen von Vertrauen zeigt, dass die zwei Begriffe Sich-verlassen-auf (so z.B. im Konzept der sozialen Lerntheorie der Persönlichkeit von Rotter, siehe Thomas 2004) und Anvertrauen implizit oder explizit häufig vorkommen (Baier 2001). Daher wird nachfolgend auf die arabischen Begriffe für Sich-verlassen-auf, Vertrauen und Anvertrauen eingegangen. Für das häufig in Definitionen auftauchende „Sich-verlassen-auf“ gibt es im Arabischen den Begriff "I'timad". I´itimad hat die Struktur: A verlässt sich darauf, dass B mit einem konkreten Sachverhalt C angemessen umgeht (vgl. Baier 2001). Beispiel: Person A verlässt sich darauf, dass Person B die Arbeit (C) termingerecht, sprich angemessen, erledigt. Im Arabischen gibt es im engen Sinne zwei Begriffe, die mit dem deutschen Begriff „Vertrauen“ übersetzt werden: 1.
2.
Thiqa (das meist gebräuchliche Wort). Es bedeutet wie bei I´itimad sich auf jemand verlassen und es hat die dreifache Struktur von I´timad, jedoch mit dem Unterschied, dass das Sich-verlassen-auf von Zuversicht begleitet ist. Wie im deutschen Begriff bedeutet Thiqa auch sich binden, fest machen, eine feste Basis geben. Als Verb besagt Thiqa Konsolidierung von Beziehungen und Herstellung fester Bindungen, so z.B. durch Gaben und Gegengaben, seien es materieller oder emotionaler Art. "Tawakkul" (Die Ausführungen zu diesem Begriff wurden teilweise von Frau Prof. Susanne Enderwitz auf der Tagung zum Thema Vertrauen in Heilbronn im Jahre 2006 vorgetragen - unveröffentlichtes Manuskript): Die dem Verb zugrunde liegende Wurzel taucht 44mal im Koran auf und hat die
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Bedeutung von "sich überantworten" (istaslama ilayhi), "sich stützen auf/abhängig sein von" (i'tamada 'alayhi) oder "einem anderen" als "Wakil" (Hüter, Beschützer) "vertrauen" (waThiqa bihi). "Wakil", ist derjenige, auf den sich "Tawakkul" richtet. Im Koran geht es bei diesem Begriff stets um das Vertrauen des Menschen zu Gott. Im heutigen Sprachgebrauch ist Wakil auch derjenige, der eine Institution vertritt und mithin die Rechte und Pflichten derselben übernommen hat. So gibt es den Wakil Al wizara (Staatssekretär) oder den Firmen - Wakil (das ist z.B. der Peugeot-Agent). Anvertrauen findet sich im arabischen Begriff „Amana“. "Amana" ist eine Substantiv-Ableitung, sie hat ebenfalls die dreifache Struktur (A-B-C), bezieht sich jedoch primär auf den Umgang mit dem anvertrauten Gut (wadi'a) in dem Sinne, dass der andere das Gute in rechten Händen weiß. Das Wort "Amana" kommt im Koran 6mal vor. Aber nur einmal bezieht sich "Amana" auf die direkte Beziehung zwischen Gott und den Menschen (Sure 33/72). Amin ist derjenige, der mit ihm anvertrauten Gütern ehrlich bzw. aufrichtig umgeht. Dabei geht es nicht mehr um den Umgang mit einem bestimmten Gut, sondern um den Umgang mit anvertrauten Gütern schlechthin. Amana ist für die arabischen Ip maßgeblich Ehrlichkeit („honesty“) bzw. Aufrichtigkeit. Nach Rosen ist Amin primär eine Persönlichkeitseigenschaft (vgl. Rosen 2000). Demzufolge ist Amin derjenige, der aufrichtig ist und diese Aufrichtigkeit im Umgang mit anvertrauten Gütern wird als Persönlichkeitseigenschaft gesehen. Das mit Amana bzw. Aman verwandte Wort „Iman“ meint darüber hinaus Glaube an Gott und die Gemeinschaft der Gläubigen sind die Mu´uminin. Im weltlichen Kontext taucht das Wort Amin aber auch in den Begriffen Schatzmeister, Bürgermeister, Kämmerer etc. auf.
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Vertrauenssphären
Sowohl die deutschen als auch die arabischen Ip unterscheiden zwischen zwei Sphären des Vertrauens: Zum einen Vertrauen im privaten und zum anderen Vertrauen im geschäftlichen Kontext: “There is a difference between …business trust and private trust”.
Ein deutscher Ip in Katar unterscheidet ebenfalls zwischen den zwei Vertrauenssphären und kommt dabei auf das Verhältnis zwischen Vertrauen und Vertrautheit zu sprechen:
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„Das ist eine geschäftliche Beziehung … Inwieweit das mit Vertrauen zu tun hat, das weiß ich nicht, keine Ahnung. Sie können zu jemand, den Sie nicht kennen, nur sehr schlecht großes Vertrauen aufbauen“.
Die bei Luhmann (vgl. Luhmann 2000) zu findende Beziehung zwischen Vertrautheit und Vertrauen (wonach Vertrauen ein gewisses Maß an Vertrautheit voraussetzt), wird auffallend häufig bei den Ip in Dubai und Katar thematisiert. In diesen beiden Fällen sind die geschäftlichen Beziehungen überwiegend interorganisational geprägt und der geschäftliche Kontext ist von Undurchsichtigkeit und Heterogenität des hohen Anteils nicht einheimischer Arbeitskräfte gekennzeichnet. Hierbei spielt die hohe Fluktuationsrate der ausländischen Arbeitskräfte eine Rolle. Hinzu kommt eine Goldgräberstimmung, die den schnellen Profit zur Maxime erhebt. Letzteres beruht auf dem wirtschaftlichen Boom, so z.B. durch die immensen Renten aus dem Gasgeschäft in Katar. Wie oben dargelegt wurde, berichten deutsche Ip in Dubai, man sei anfangs nicht vorsichtig gewesen, was sich aber durch die Erfahrung geändert hätte. Kontrolle wird somit als notwendig für geschäftliche Vertrauensbeziehungen angesehen. Auch die arabischen Ip in Dubai unterstreichen die Notwendigkeit von Vorsicht und Kontrolle (siehe auch die Zitate oben): „In each country you have to be cautious, if you are new, so by default your reaction will be to examine the trust first of all, but see Dubai because it’s a very open city, and you can see over hundred and twenty nationalities“.
Im intraorganisationeln Kontext wird der Unterschied zwischen den zwei Vertrauenssphären differenziert betrachtet. Geschäftliches Vertrauen ist zum einen auf die verschiedenen Rollen der Person beschränkt, während privates Vertrauen die ganze Person betrifft. Zum anderen: Im Unterschied zum privaten Vertrauen ist geschäftliches Vertrauen von Vorsicht und Kontrolle gekennzeichnet (wobei das Ausmaß der Kontrolle zeitlich variieren kann, siehe weiter unten): „Das unterscheidet sich insofern, als dass ich im Beruf mehr aufpasse, was meine Rolle ist und mehr darauf achte, dass ich irgendwie noch zwei Jahre erfolgreich irgendwie hier diesen Job machen möchte, ohne dass irgendwer einen schlechten oder falschen Eindruck von mir hat. Und ich hab auch gesehen, dass ich vorsichtig sein muss, nicht zu schnell freundschaftlich oder zu nett mit Leuten umzugehen. Also, so, wie ich normalerweise in Deutschland mit Kollegen umgehen würde, das wird hier… einfach falsch interpretiert. Und das ist was, was ich im Beruf eine ganz andere Stellung wahren muss, eine ganz andere Autorität wahren muss. Und im Privaten ist es easy, weil die Leute, die ich im Privaten kenne … da hab ich überhaupt gar nicht diese Rolle und ich habe die Verpflichtung nicht. Ich kann viel eher ich selbst
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sein und auch, wo es um ganz andere Themen geht und eben nicht um Position und Stellung und Rolle, sondern wo ich einfach ich selbst bin“. „Also, für mich ist das nicht dasselbe [Vertrauen und sich verlassen auf]…Vertrauen ist irgendwie tiefer, oder geht irgendwie weiter. Also, ist viel bedingungsloser. Und das verlassen? Also, ich verlasse mich dann auf andere, wenn einigermaßen überschaubar ist, worum es geht. Und das heißt genau genommen, dass ich denen nicht vertraue, weil ich ja immer noch die Kontrolle haben will. Oder wenigstens einen Überblick haben will über das was jetzt als nächstes passiert“.
In der Hauptsache einige der arabischen Ip in Libyen und Katar unterscheiden darüber hinaus zwischen Geschäft und Familie. Die Kategorie „privat“ stellt eine prinzipiell offene Kategorie dar und aufgenommen in den privaten Kreis kann potenziell eine Vielzahl an Personen. Die Familie hingegen ist eine fixierte Kategorie. Eine Aufnahme ist nicht ohne weiteres möglich: “There is a difference between rely and trust. You rely on someone that he does something for you. But you trust him - trust is a big, big meaning and has a lot of meanings. To trust a person, I would say, sorry, I don’t have anyone to trust except my parents and my brother … Trust is different than rely. Rely is business, but trust, I will never give it to anyone except my parents and my brother”.
Einige arabische (vor allem in Ägypten und Libyen) sowie deutsche Ip unterstreichen die Notwendigkeit von privaten Beziehungen (auch zur Familie) als Bedingung für „echtes“ Vertrauen im geschäftlichen Bereich: “You cannot understand a person without a relation with his family and his private life”.
Diese Verknüpfung findet sich in den Aussagen der arabischen Ip in Dubai so gut wie gar nicht. Im Gegenteil: Sie legen Wert auf die Trennung zwischen der privaten und der geschäftlichen Sphäre: „You should be professional, you can’t talk about private things, or involve your private manners into work, so it is better to be professional and no private“. “I would define it business oriented trust. Relatives or people you are close to - is something and business is something. You have to separate it. You have to be practical not emotional … you cannot run a business with your emotions”.
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Erwartungen, Erwartungserwartungen und die autologische Perspektive
Die autologischen Perspektive kann durch die Frage charakterisiert werden: Welche kulturellen Unterschiede gibt es im Umgang mit kulturellen Unterschieden? (Vgl. den Beitrag von Guido Möllering in diesem Band). Generell kann festgestellt werden, dass der Aufbau von „initial Trust“ (vgl. McKnight 1996) bei den arabischen Ip durch positive stereotypische Erwartungen („deutsche“ Eigenschaften) begünstigt wird. Die positiven Zuschreibungen der arabischen Ip beziehen sich auf Verlässlichkeit, Kompetenz, hohe Produktqualität, Pünktlichkeit etc. Auf die Frage, was die Deutschen von ihnen erwarten würden, antworten die arabischen Ip überwiegend mit: “Respect of deadlines, punctuality and reliability”. “Doing my business properly. Giving back the information, carrying the right information back to them, be honest and give respect”.
Zu den Erwartungserwartungen der arabischen Ip: Es wird wohl von einem eher negativ gefärbten Bild der deutschen Ip ausgegangen und es lassen sich zwei Reaktionsmuster darauf in den Interviews identifizieren: Kritik und Selbstkritik. Zur Kritik: Wie den nachfolgenden Aussagen zu entnehmen ist, bemängeln einige arabische Ip – vor allem in Dubai - bei den Deutschen eine Übertreibung in der Geradlinigkeit, Ernsthaftigkeit und in der Überzeugung von der Richtigkeit eigener Konzepte, Methoden etc. (siehe oben). „They [the Germans] are very serious business oriented people, they want to get things done, they want exactly what you are supposed to give them and they expect themselves to give you the same. But they are very active“. “It is known about German people that - being straight, sometimes in the business they are being over- straight, if you want ... They rather have it done this way. They are not very much human, have not very much of humor, they don’t really joke about things and sometimes I mean, they are over-serious if you want”.
Zur Selbstkritik: Andere arabische Ip – vor allem in Ägypten und Libyen - versuchen, angenommene stereotypische Vorstellungen der deutschen Ip von ihnen zu korrigieren. Dieser Reaktionstypus lässt sich z.B. am Begriff „Inshallah“ (= so Gott will) verdeutlichen: Einige arabische Ip gehen davon aus, dass die deutschen Ip das Konzept nicht gerade schätzen und inkorporieren diese Beurteilung in einer Selbstkritik:
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“These German managers we have in our trainings seem to be a little bit helpless about the expression “Inshallah” … [The Germans] have for everything a deadline, even before you read it, you get the deadline and they say stick to the deadline. I mean in general, in all third world, that is why we are behind you. Because we don’t respect time. This is one thing. Here we say “inshallah”.
Die deutschen Ip gehen von positiven Erwartungen der arabischen Ip aus, die sich mit den o.g. stereotypischen Vorstellungen der arabischen Ip von ihnen decken und sie sind der Ansicht, dass eine Erfüllung der Stereotypischen Erwartungen genau das ist, was die arabischen Ip von ihnen erwarten. „Ich kann hier keinen arabischen Vertreter hinschicken. Die Erwartungshaltung ist einfach anders. Ich glaube, das hängt aber auch mit unserem Kundenkreis zusammen, weil die erwarten halt eine gewisse Qualität, die wir bringen. Und assoziieren damit, dass dann auch ein Deutscher hier sein muss, oder sollte. Sagen wir es mal so“. „Sie erwarten sicherlich Pünktlichkeit. Pünktlichkeit ist ganz wichtig. Ja, und dann natürlich Kompetenz, und dass wir gut organisieren können, das hat man ja bei der WM gesehen“. „Aber von den Deutschen wird so was aber eben auch erwartet, gute Qualität und dass sie zu ihrem Wort stehen und ja, das ist so das Hauptthema“. „Eigentlich sollten die Deutschen mehr deutsch sein, also das was man von ihnen erwartet, also nicht immer versuchen, sich zu verbiegen für den anderen und sie sollten deutsch sein für das wofür wir Deutsche im Ausland stehen, ob gerechtfertigt oder nicht“.
Den deutschen Ip sind dabei die Schwierigkeiten bewusst, die damit verbunden sind. M.a.W.: Wird die Erwartungserwartung bei den deutschen Ip reflektiert, so zeigt sich darin ein Problem für sie: „Sie erwarten, … dass wir uns sehr deutsch verhalten, auf der einen Seite. Andererseits auch aber diese kulturellen Unterschiede verstehen. Also man ist immer so auch... zum schmalen Pfad zwischen Verständnis für die Kultur, andererseits aber auch unsere tradierten Formen weiterzugeben. Was Pünktlichkeit angeht, Struktur und… aber auch Zuverlässigkeit. Auch, das zu liefern, was wir versprechen. Und das sind Tugenden, die man uns zuschreibt, ja, und sie dann auch erwarten“.
Eine Selbtskritik ist bei den deutschen Ip allerdings nicht festzustellen. Zum Zusammenhang der Erwartungen mit Vertrauen heißt es:
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„Vertrauen kommt von dem, was ich leiste, was die von uns erwarten ... und wenn ich in dieses Schema passe, dann hab ich gute Karten ... dass wir typisch deutsch sind, das ist gut“.
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Der Stellenwert von Zeit, Kulturverstehen und Respekt
Alle Ip betonen, dass Vertrauen Zeit benötigt: „trust comes after time“. „Aber [Vertrauen] braucht Zeit, das kann man nicht gleich am Anfang haben“.
Auffallend in den Interviews ist des Weiteren die Häufigkeit des Vorkommens der zwei Begriffe „Kultur“ und „Respekt“. Hauptsächlich nimmt der Begriff „Respekt“ bei den arabischen Ip in ALLEN vier Ländern eine besondere Stellung ein. Ebenso wie die arabischen Ip betonen die deutschen Ip die Notwendigkeit, die jeweilige Kultur zu verstehen (Häufigkeit der Nennung: deutsche Ip 103, arabische Ip 119): „Also das Bilden von Vertrauen, ist ganz stark von kulturellen oder von persönlichen Vorstellungen anhängig. Wie man sich tatsächlich jemandem nähert“.
Wie viele andere auch, bringt ein deutscher Ip diesen Sachverhalt kurz und knapp auf den Punkt: „… interkulturelles Wissen ist schon wichtig“.
Gleiches wird von den arabischen Ip hervorgehoben: „When it comes to a good cooperation. It is a little bit like that, that the two sides… understand the way they think. And the mentality of each one of them. This is the most difficult thing, to understand each culture“. “It’s a different culture that people has to be prepared”. “It’s unlike going to a German city to develop a branch of the company, that’s completely different. Here you are developing a relation with the culture. You are developing a relation with a different country”. “Every country, every culture has its own way of doing things”.
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“Qatar is Qatar and Germany is Germany. So, there is supposed to be a difference. And some people they cannot adjust themselves - so they cannot survive here. Of course you are supposed to know more about the moral and the culture and about how people are thinking here”.
Bei dem Begriff „Respekt“ zeigen sich jedoch Unterschiede: Die Häufigkeit der Nennung bei den arabischen Ip ist ungefähr doppelt so hoch (69) wie bei den deutschen Ip (33). Analysiert man die Aussagen der arabischen Ip in Bezug auf „Respekt“, so zeigt sich a) ein hoher Stellenwert des Respekts für die Vertrauensbildung und b) dass ihre Erwartungen, von den deutschen Geschäftspartnern Respekt zu bekommen, auffallend häufig enttäuscht werden: „Trust is a heavy word … If I am in this company and I have different nationalities working with me, first of all, the respect from my side should be there to each one of them. I should not look at the nationalities. Second thing, I should apply and implement the team spirit with all of them. I should respect each one of them and socialize with each one of them. I should give the best of mine, when it comes to me, to my colleges. Here I will have a kind of trust or a kind of respect from my side to my colleges. And in the way I do respect my colleges and the way they should socialize with me, they can feel I have their trust“. “… they [the Germans] respect only [in] the German way and they don’t respect ... (laughing). You know, this is one problem. If you suggest something which is not matching with the German systems, they are a little bit afraid”.
Auf die Frage, was ein arabischer Ip einem deutschen empfehlen würde, der nach Libyen entsandt werden soll, antwortete er: “…respect our culture. If you live in a place like this, you should respect people. That’s it”.
Die weiteren Interviewanalysen werden den Respektfaktor noch konkretisieren müssen.
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Vertrauen: Annäherung an eine kulturspezifische Typologie
Der meist gebrauchte arabische Vertrauensbegriff in den Interviews mit den arabischen Ip ist Thiqa, gefolgt von Amana, wenn es um Ehrlichkeit bzw. Aufrichtigkeit im Umgang mit anvertrauten Gütern geht. In den Erläuterungen der
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arabischen Ip taucht immer wieder der Begriff I´itimad auf. Der Begriff Tawakul kommt so gut wie gar nicht vor. I´itimad wird von den arabischen Ip zum einen verwendet, wenn von „initial trust“ (vgl. McKnight 1996) bzw. wenn von den Anfängen einer Vertrauensbeziehung die Rede ist. Zum anderen wird I´itimad im Sinne von Verlässlichkeit verstanden, teilweise aber auch von Thiqa unterschieden: „If you rely on a person, it means that you have something to do and you ask him to do these things. They work and they do it. I can say this person is reliable. But to trust a person is different“.
Amana bezeichnet für die arabischen Ip eher solides und persönliches Anvertrauen im Sinne von Ehrlichkeit bzw. Aufrichtigkeit des anderen. Dabei gilt die Amana-Zuschreibung (dass jemand Amin - ehrlich - ist) als Ideal oder Prototyp die Amana innerhalb des engen Freundeskreises oder innerhalb des engen Familienkreises: „No, Amana is different [than Thiqa], that’s honesty… if you are honest then there is trust. It is the same word as well when it comes to private trust. You trust your brother, you trust your father, your friend“.
Es lassen sich folgende Konzepte von Vertrauen aus den Interviews rekonstruieren:
Vor allem in Dubai wird unter Vertrauen hauptsächlich Verlässlichkeit verstanden, die durch gelungene direkte Reziprozität (Vgl. Stegbauer 2002) zustande kommen kann: „[Trust is] to be reliable, and to reciprocate, cause if I trust you I am giving you… I expect you to treat me at the same level“. Die normativen Erwartungen an eine vertrauenswürdige Person sind hier auf die Geschäftssphäre begrenzt und der Prototyp (als Leitbild- oder -konzept) ist Verlässlichkeit. Vertrauen impliziert für viele der arabischen Ip in Ägypten, Libyen und zum Teil in Katar nicht nur Verlässlichkeit durch gelungene Reziprozität, sondern auch eine emotionale Komponente: „You know [trust is] just more of a result and feelings … It’s a mix between results that have been done; ok there is this person which you have in mind as a character that can do things. So you can rely on him or her. Ok, and the other one … you can feel it, you can feel that you can trust a person. Just something inside that says it’s all right …“. Der Prototyp in diesem Fall ist Vertrauen zwischen Freunden, welches auf die Geschäftssphäre übertragen wird.
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Zwar kann man beide Vertrauensbegriffe (Verlässlichkeit durch Reziprozität auf der einen und als Gefühl auf der anderen Seite) im Sinne von Schweers impliziter Vertrauenstheorie als normative Erwartungen an eine vertrauenswürdige Person verstehen. Jedoch ergeben sich Unterschiede in Bezug auf den Prototyp, der zur Bildung von normativen Erwartungen als Leitbild oder Ideal dient. Während bei einigen der arabischen Ip das Vertrauen zwischen Freunden als Prototyp für das Vertrauen im geschäftlichen Kontext dient, findet sich bei anderen - vor allem in Libyen und Katar - das Vertrauen in der Familie als Prototyp für das Vertrauen im geschäftlichen Kontext. In dem einen Fall wird die emotionale Komponente von Vertrauen der Freundschaft entlehnt, im anderen der Blutsverwandtschaft im engen Familienkreis. Es lassen sich entsprechend drei Vertrauenstypen aus den Interviews wie folgt beschreiben: Typ 1 von Thiqa: Schiere Verlässlichkeit Vertrauen (Thiqa) ist hier eigentlich I´itimad (Verlässlichkeit) durch dosierte und gelungene direkte Reziprozität (ein wohl überlegtes Verhalten des „give and take“). Voraus- und Begleit-Kontrolle sind wichtig und eigentlich handelt es sich dabei um „controlled exposure“: Man fängt in kleinen Schritten der Reziprozität in eingegrenzten Bereichen an. Dieser Vertrauenstypus ist eng mit Kontrolle verflochten, wobei diese abnehmen kann, je mehr die Reziprozität gelingt und die Vertrautheit wächst. Vor allem bei interorganisationalen Beziehungen handelt es sich bei der Kontrolle um Voraus-Kontrolle. Es wird strikt zwischen der privaten und der Geschäftssphäre getrennt. Vertrauen, das über Verlässlichkeit hinaus geht, wird für das geschäftliche Miteinander nicht gewünscht. Der Prototyp für Vertrauen im Geschäftskontext ist hier die schiere Verlässlichkeit im Geschäftskontext. Kommt es im laufe der Zusammenarbeit nicht zur erwarteten Verlässlichkeit, so werden die Erwartungen enttäuscht. Auch darüber berichten arabische und deutsche Ip. Typus 1 findet sich bei den deutschen Ip in allen vier Ländern. Bei den arabischen Ip taucht er sehr häufig in Dubai und teilweise in Katar auf. Typ 2 von Thiqa: Vertrauen ist Verlässlichkeit, Amana und ein Vertrauensgefühl - Freundschaft Thiqa ist zwar auch hier I´itimad durch gelungene Reziprozität, jedoch wird darüber hinaus eine Amana-Zuschreibung und ein Gefühl erwartet und angestrebt, welches die Beziehung zu einer Vertrauensbeziehung werden lässt. Dafür dient das Vertrauen zwischen Freunden als Prototyp. Begleit-Kontrolle ist zwar ebenfalls wichtig, jedoch wird die Kontrolle mit der Zeit nicht nur durch gelun-
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gene Reziprozität, sondern durch die Herstellung von Beziehungen abgebaut. Die eigene Verletzbarkeit wird somit weitgehend in Kauf genommen (vgl. den Beitrag von Möllering in diesem Band). Das Leitbild besteht darin, dass auf beiden Seiten eine Amana-Zuschreibung und ein Vertrauensgefühl entstehen. Im Unterschied zum ersten Typus richtet sich der Vertrauensaufbau auch auf die Herstellung von Beziehungen. Vertrauen ist hier also Verlässlichkeit mit Zuversicht auf eine Amana-Zuschreibung und auf ein Gefühl, ähnlich dem Gefühl zwischen Freunden. Gelingt die Reziprozität und stellen sich die AmanaZuschreibung und ein entsprechendes Gefühl ein, dann ist der Geschäftspartner ein Freund. Es kommt also zu einer Übertretung von der Geschäftssphäre in die Privatsphäre. Viele Aussagen der arabische Ip legen die Vermutung nahe, dass eine Enttäuschung der Erwartungen nicht nur durch misslungene Reziprozität oder durch andere handlungsbezogene Gründe zustande kommen kann, sondern auch durch eine Übertragung eines idealisierten Prototyps von Vertrauen unter Freunden auf die Geschäftssphäre. In solchen Fällen misslingt die Vermittlung zwischen Erwartung und „Realität“ weil der Prototyp überzogen, bzw. der Geschäftssphäre unangemessen ist. Typus 2 taucht bei den arabischen Ip vor allem in Ägypten und teilweise in Katar auf, bei den deutschen nur teilweise in allen vier Ländern, wenn auch weniger häufig in Dubai. Typ 3 von Thiqa: Echtes Vertrauen und unechtes Vertrauen Dieser Typ ist auf den ersten Blick kaum vom zweiten Typ zu unterscheiden. Auch hier wird Verlässlichkeit angestrebt und ein Vertrauensgefühl sowie eine Amana-Zuschreibung erwartet und gewünscht. Im Ergebnis scheint es jedoch beim Typ 3 durchweg auf eine misslungene Vermittlung zwischen Prototyp und „Realität“ hinauszulaufen, die sich darin ausdrückt, das zwischen echtem und unechtem Vertrauen unterschieden wird. Vertrauen in der Geschäftssphäre ist unechtes, Vertrauen innerhalb der engen Familie ist echtes Vertrauen. Abgesehen von der Enttäuschung ist unechtes Vertrauen die schiere Verlässlichkeit. Der Grund für das Scheitern scheint der Prototyp zu sein, der in der AmanaZuschreibung und im Vertrauensgefühl besteht. Der Prototyp entstammt nämlich der engen Familie. Ein aktiver Vertrauensaufbau scheitert an der Unerreichbarkeit des Prototyps. Es liegt auf der Hand, dass der arabische Geschäftsmann zum deutschen Geschäftspartner kein Vertrauensgefühl und keine AmanaZuschreibung entwickeln kann, welches dem halbwegs nahe kommt, was durch die Blutsverwandtschaft gegeben ist. Mithin scheitert es an der Vermittlung zwischen Prototyp und Geschäftssphäre. „Echtes“ Vertrauen bleibt dann der Familiensphäre vorbehalten, so denn es so tatsächlich existiert.
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Typ 3 taucht am häufigsten bei den arabischen Ip in Libyen und zum Teil in Katar auf. Bei den deutschen Ip ist er überhaupt nicht zu finden. 9
Fazit, offene Forschungsfragen und Ausblick
Die Forschungsfrage nach der Vertrauenssemantik und Vertrauensgenese kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur teilweise und noch nicht abschließend beantwortet werden. Bislang wurde die deutsche Perspektive weitgehend ausgeblendet. Alle Ip unterscheiden zwischen zwei Sphären des Vertrauens, nämlich zwischen der geschäftlichen und der privaten Sphäre. Letztere ist durch einen größeren Geltungsumfang sowie durch Rollenunabhängigkeit gekennzeichnet. Die arabischen Ip Dubai und teilweise in Katar legen Wert auf eine vollständige Trennung zwischen den beiden Sphären. Jedoch kommt es bei den impliziten Prototypen einer vertrauenswürdigen Person zu einer Vermischung der Sphären. Respekt wiederum stellt sich bei allen arabischen Ip als eine Grundvoraussetzung zur Entwicklung von Vertrauen dar. Das Kulturverstehen ist für alle Ip ein entscheidender Aspekt der Vertrauensbildung. Die Bedeutung der Zeit für die Entwicklung von Vertrauen wird von allen Ip betont. Positive Erwartungserwartungen erleichtern den Vertrauensaufbau. Dies ist gegenüber den deutschen Geschäftspartner weitgehend gegeben. Allerdings wirkt eine wahrgenommene Übertreibung der deutschen Geschäftspartner in Bezug auf ihre Geradlinigkeit, Ernsthaftigkeit und Überzeugung von der Richtigkeit eigener Konzepte, Methoden etc. hemmend auf die Vertrauensentwicklung, insbesondere bei den arabischen Ip in Dubai. In der interorganisationalen Zusammenarbeit in Katar und Dubai ist Voraus- und Begleitkontrolle stärker vorhanden als in der intraorganisationalen Zusammenarbeit. Das Einbehalten des Reisepasses der deutschen Geschäftspartner durch die einheimischen Sponsoren in Katar (siehe oben) stellt eine Praxis des Misstrauens dar und verhindert eine Vertrauensentwicklung zum Thiqa hin. Unklare oder als bedrohlich wahrgenommene institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen beeinträchtigen somit den Vertrauensaufbau in negativer Weise. Basierend auf der impliziten Vertrauenstheorie sowie auf der Unterscheidung zwischen impliziten konkreten Erwartungen und impliziten Prototypen lassen sich drei Typen von Thiqa identifizieren, die sich in den Prototypen unter-
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scheiden: Typ 1 hat zum Prototyp die schiere Verlässlichkeit, Typ 2 Verlässlichkeit, Amana-Zuschreibung und ein der Freundschaft entlehntes Vertrauensgefühl und Typ 3 unterscheidet zwischen echtem und unechtem Vertrauen aufgrund der Übertragung eines Prototyps auf die Geschäftssphäre, der im engen Familienkreis seine Geltung hat. Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Idealisierung bei der Bildung normativer Erwartungen bzw. die Übertragung von Prototypen aus der Privatsphäre auf die Geschäftssphäre eine wichtige Rolle spielt. Dies ist in der Forschung bislang vernachlässigt worden. Über mögliche Gründe der Idealisierung und Sphärenvermischung sowie der misslungenen Vermittlung wird noch nachzudenken sein. Es gilt nun, die aufgestellte Typologie zu validieren, womit sich eine genauere Begrifflichkeit einstellen soll. Darauf aufbauend wird ein Vertrauenstraining entwickelt, das auf den empirischen Befunden basiert. Denn allzu oft finden sich interkulturelle Trainings, die einem Karl-May-Effekt - so möchte ich es nennen - unterliegen. Man erdichtet eine Realität, in der DER arabische Führungsstil, Konfliktmanagementstil etc. postuliert wird. Die vorläufigen Ergebnisse haben hoffentlich gezeigt, dass es zum einen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Vertrauenskonzepten der deutschen und arabischen Ip gibt. Zum anderen ist klar erkennbar, dass es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den arabischen Ip bzw. zwischen den vier Ländern bestehen. Wenn von interkulturellen Unterschieden in Bezug auf Vertrauen die Rede sein soll, dann bestehen sie nach dem derzeitigen Stand der Ergebnisse a) in dem Stellenwert des Respekts für den Vertrauensaufbau, b) in der Bildung von Prototypen bzw. in der Idealisierung von Erwartungen an eine vertrauenswürdige Person und c) in der Vermischung der privaten Sphäre (vor allem der engen Familie) und der Geschäftssphäre. Dies gilt jedoch nicht für alle vier Länder in gleichem Maße. Idealisierungen und Sphärenvermischung finden sich nicht in Dubai, jedoch verstärkt in Libyen (Familie) und Ägypten (Freundschaft) sowie teilweise in Katar (Familie und Freundschaftssphäre). Aber auch bei einigen deutschen Ip lässt sich eine Vermischung der Freundschaftssphäre mit der Geschäftssphäre feststellen. Die Familie spielt bei ihren Ausführungen zum Vertrauensaufbau jedoch überhaupt keine Rolle.
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Register
Amana, 243, 250, 252 ff. Ambrosius, 96 Asien, 69, 98, 193 f., 205 Auslandsvorbereitung, 237 Bao, 198 f. Behavioural Trust Inventory, 117 Blended Trust, 79 f., 83 Category-bound Activities, 35 f., 39 China, 122 f., 194, 196, 202, 203 ff. Coaching, 85 f., 89 Communicare, 74, 81, 86 Conditions of Trust Inventory, 120 Diversity, 71, 73 f., 78 ff., 83 Emisch, 32, 115, 122 f., 126 f., 193 f., 206 Entwicklungsexperten, 11, 215, 219 ff. Erfahrung, 21, 57, 59 ff. 86, 88, 99 ff., 105, 114, 119, 135, 141, 152, 155 f. 166, 174, 179 ff., 204, 214, 218, 225, 228, 244 Erhebungsinstrument, 10, 112, 122, 126 ff. Erwartung, 14, 21, 23, 55 ff., 59, 62 f., 95, 99 ff., 119, 134, 136 f., 141, 143, 146 ff., 178, 199, 203, 219, 235 f., 238, 246 ff. Erwartungserwartungen, 235, 245 f., 253 Erwartungshaltung, 17 f,, 99, 111, 114, 246 Etisch, 32, 121, 123, 193 f. Face, 11, 194 f. Fähigkeit, 99, 113, 120 f., 154, 195, 220, 223, 229
Familie, 35, 121, 197, 245, 251 ff. Forschungsdesign, 10, 95 f., 159 Fragmentierung, 72 f. Frankreich, 151 ff. Freundschaft, 198, 201, 214, 251 ff. Ganqing, 198 Gefälligkeitsbanken, 218 Gefühl, 76, 144, 153, 178, 181, 198, 201, 250 f Geschäftsbeziehung, 54, 63 ff., 98, 156 Globalisierung, 71 ff., 90, 95, 134, 203, 222, 228 Grounded Theory, 96, 238 f. Guanxi, 196 ff. Handeln, 9, 13, 16, 30, 33, 34, 40, 53 ff., 72, 83 f., 88, 90, 97, 107, 115, 136, 153, 181, 220 f., 229, 230 Heterogenität, 71, 213, 216, 221, 224, 244 I´itimad, 242, 250 ff. Illegalität, 104, 216 f. Implizite Vertrauenstheorie, 10, 20 f., 134 ff. Informationsasymmetrie, 55 Institution, 59, 96, 98 f., 103, 214, 227 f., 243 Integrität, 59, 99, 120 ff., 135, 195, 220 Interkulturelle Handlungsstrategien, 184 Interorganisational, 207, 242, 244, 251, 254 Interpersonal Trust Scale, 17, 119
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Intraorganisational, 242, 254 Joint Venture, 51, 102, 203 Kodierung, 35, 189, 239 Kohäsion, 75, 80, 83, 89 Kommunikation, 9, 18 , 20, 27 ff., 34, 61, 74, 86 f., 106, 118, 140 f., 147, 168 ff., 177, 193 ff., 203, 207, 217, 225 Interkulturelle Kommunikation, 23, 29, 31 Konkurrenz, 95, 106, 224, 227, 229 Kontextwissen, 35 f., 57 ff. Kontrolle, 9, 14, 16, 40, 51, 54, 56, 60, 63, 65, 105, 107, 145, 154, 163, 207, 220, 228, 236, 244 f., 251 Konzeptualisierung, 71, 79 f., 84, 88, 112, 126 Kooperation, 9, 17 f., 28, 51 f., 54 ff., 84, 104, 106, 139, 160, 206 f., 238 Kultur, 10, 23, 30 ff., 40, 58 f., 72, 82 f., 96 ff., 102 ff., 115 f., 119, 122, 126, 128, 136 f., 159 f., 176 ff., 184, 195, 213, 228 f., 235, 238, 247 f. Kulturunterschied, 172 Kulturverstehen, 248, 253 Membership Categorization Analysis, 35 f., 41 Messung, 10, 102, 111 f., 116, 119 ff., 126 f. Moralökonomie, 215 ff., 224, 226 f., 231 Netzwerkkreise, 194, 200 Offenheit, 23, 55, 59, 86, 96, 103, 105, 107, 120, 135, 143, 147 Operationalisierung, 102, 111 f., 116, 119, 122 Opportunismus, 9, 51, 54 ff.
Register
Performativität von Kultur, 34 Personenwissen, 57, 59 ff. Philosophies of Human Nature Scale, 119 Pluralismus, 221 Polen, 37, 123 Prototyp, 11, 21, 134, 235, 250 ff. psychologischer Zustand, 114 Rational Choice, 99 Rechtssicherheit, 220, 225, 227 Reflexivität, 100, 104, 204 Relationship Management Training, 11, 153, 178, 181, 185, 187 Renqing, 198 Reputation, 54, 61 Respekt, 168, 194, 248 ff., 253 Reziprozität, 10, 14, 28, 62, 69, 73, 81 f., 89, 138, 201 ff., 216, 218, 239, 250, 258 ff. Routine, 82, 99ff, 105, 204, 228 Selbst, 194 ff., 200, 207 Skalierungsäquivalenz, 127 f. Sozialanthropologie von Organisationen, 215, 229 Soziale Einstellung, 15 Thiqa, 242 f., 250 ff. Transparenz, 106, 142 , 147, 204 Tschechien, 133 ff. Typologie, 250, 254 Ungewissheit, 96, 98 ff., 106 f., 113 f., 203 f. Verfahren, 28, 116, 127, 214, 216, 219, 221, 229 f., 238, 240 Verlässlichkeit, 97 f., 120, 123, 135, 185, 203, 207, 229, 246, 250 ff. Vertrauen, 13 ff.., 27 ff., 34, 38, 41, 51 ff., 91, 95, 96, 99 ff., 111 ff., 126 f., 133 ff.,144 ff., 152 ff.,
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166 ff., 213 ff., 218 f., 224, 231, 235 ff Echtes Vertrauen, 252 f. Interpersonales Vertrauen, 10, 14, 16, 77, 81, 133 f. Unechtes Vertrauen, 252 f. Vertrauensaufbau, 10 f., 73, 95, 100, 103 ff., 137, 143 f., 149, 158 ff., 175 ff., 184, 186, 242, 252 f., 255 Vertrauensbedingung, 127 Vertrauensbeziehung, 14, 23 80, 100, 105, 138, , 143, 145 f., 149, 203, 244, 250, 252 Vertrauensbildung, 11, 27, 61 f., 76, 80, 146, 202 f., 206, 237 f., 249, 253 Vertrauensdeal, 154, 163 Vertrauensdilemma, 60 f., 65, 71, 74, 95, 100, 103, 105, 107, 153 f., 157 Vertrauensindikator, 152 ff., 160 ff., 173, 176 ff.
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Vertrauensmissverständnis, 11, 152 f., 157 f., 160, 162, 165, 168 f., 171 f., 174, 177 f., 180, 182 f., 185f. Vertrauensneigung, 111, 116 ff. Vertrauensprofil, 157, 181 f. Vertrauenstheorie:, 9 ff., 16, 18, 20 ff., 134 ff., 146, 149, 180, 251, 254 Vertrauensverlust, 10, 28, 141, 159, 162, 165, 169 f. Vertrauenswürdigkeit, 10, 14, 17, 22, 61, 100, 105, 111 ff., 116 ff., 126 f., 134 ff., 141 f., 155, 157 , 203 Verwundbarkeit, 95, 98 ff., 106 f., 113 f., 118, 204 Vielflieger, 69 Virtualisierung, 69, 71 Vorhersehbarkeit, 30, 220, 227, 229 Wettbewerbsvorteil, 51, 95 Wohlwollen, 28, 56, 99, 120, 135 f., 196, 207 Xinren, 11, 194, 204 f.
Autoren
Jürgen Bolten, Prof. Dr., habilitierte in Germanistischer Sprachwissenschaft und leitet seit 1992 das Fachgebiet Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Universität Jena. Forschungsschwerpunkte: Interkulturelle Personalentwicklung, Kommunikative/ Kulturelle Stilforschung, Theorien interkulturellen Handelns. Für seine Entwicklungen im Bereich des interkulturellen E-Learnings wurde er 2006 mit dem Deutschen Bildungspreis ausgezeichnet. Neueste Buchpublikation: Einführung in die interkultuelle Wirtschaftskommunikation. Vandenhoeck & Ruprecht UTB 2007. Lucie Bouzková hat Diplompsychologie und Interkulturelle Handlungskompetenz an der Universität Regensburg studiert. Bereits seit 10 Jahren lebt und arbeitet sie abwechselnd in Deutschland und Tschechien. Sie führt als freiberufliche Trainerin in beiden Ländern interkulturelle und soft skills Trainings durch. Zu ihren Themenbereichen gehört Cultural Awareness, Deutsch-tschechische Zusammenarbeit, Change management, Verhandeln, Mitarbeiterführung, Teambuilding usw. Julia Bürger, Dr., studierte Psychologie an der Universität Regensburg und an der Wesleyan University, Middletown, Connecticut. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der interkulturellen Psychologie, der Sozialpsychologie und des Internationalen Managements. Seit 2006 lebt sie in Cork, Irland und beendet dort ihren PhD zum Thema „Theory and Practice of Intercultural Learning in Bicultural Encounters.“ Letzte Publikation: Bürger, Julia/ Thomas, Alexander (2007). Erfolgreiche Personalführung in der deutsch-tschechischen Wirtschaftskooperation. München: forost Arbeitspapiere Nr. 41. Dominic Busch, Dr., hat Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) studiert. Seit 2006 ist der Juniorprofessor für Interkulturelle Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). In seiner Forschung fokussiert er gegenwärtig Fragen interkultureller Kommunikation in Grenzregionen, Konstruktionen interkultureller Kompetenz als berufsqualifizierendes Merkmal sowie Fragen nach theoretischen Konstruktionen zur Beschreibung der Wirkung von Kultur auf individuelles Handeln. Letzte Publikation: Busch, D. (2007). Welche interkulturelle Kompetenz macht beschäftigungsfä-
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Autoren
hig? Interculture Journal, 6(3), 5-32: http://www.interculture-journal.com [Zugriff: 25.01.2007]. Jürgen Henze, Prof. Dr., Studium der Chemie, Sozialwissenschaften und Pädagogik an der Ruhr-Universität Bochum, Staatsexamen für Gymnasien. 1985 Promotion. Seit 1993 Professor für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Vergleichende Bildungsforschung zum Wandel von Bildungssystemen in Asien (Schwerpunkt: China), nicht-westliche Ansätze interkultureller Kommunikation und Kompetenz, Theorie und Praxis kultureller Sensibilisierung. Letzte Publikation: „Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz: Nicht-westliche Perspektiven“. In: Jürgen Straub/Arne Weidemann/Doris Weidemann (Hrsg.). Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Stuttgart-Weimar: Metzler 2007. S. 304-311. Thomas Hüsken, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Facheinheit für Ethnologie der Universität Bayreuth. Die Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit liegen in der politischen Anthropologie und der Sozialanthropologie der Entwicklung und von Organisationen. Sein regionaler Schwerpunkt ist der Mittlere Osten und Nordafrika. Letzte Publikation: „Der Stamm der Experten“ (2006) eine Studie zur Rhetorik und Praxis des interkulturellen Managements in Projekten der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Elias Jammal, Dr. phil, Professor für interkulturelle Studien und interkulturelles Management mit dem regionalen Fokus auf den arabischen Raum an der Hochschule Heilbronn. Forschungsschwerpunkte: Vertrauen in deutsch-arabischen Kooperationen sowie interkulturelles Training. Leiter des Orient Instituts für Interkulturelle Studien (OIS) und Studiendekan der Magisterprogramme „International Business and Intercultural management“ sowie „International Tourism Management“. Letzte Veröffentlichung: Interkulturelle Kompetenz im Umgang mit arabischen Geschäftspartnern. Ein Trainingsprogramm. 2007. Transcript Verlag. Paulina Jedrzejczyk, Dr., geboren 1974 in Jaroslaw (Polen), kam 1994 nach Deutschland wo sie Wirtschaftspädagogik an der Universität Mainz studierte (Abschluss 2000). Promotion 2007. Mitarbeit bei diversen Projekten für die Deutsche Lufthansa AG in Frankfurt und in London sowie bei MCIWorldCom und Heimann Optoelectronics. Seit Oktober 2007 Vertretungsprofessorin an der Fachhochschule Wiesbaden, Schwerpunkt Organisation und Personal. Letzte Veröffentlichung: Multikulturelle Teams in Organisationen. Eine experimentelle
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Untersuchung des Problemlöseverhaltens unter Wettbewerbsbedingungen, Frankfurt am Main et al.: Peter Lang 2007. Torsten M. Kühlmann, Dr. rer. pol., Professor und Inhaber des Lehrstuhls Personalwesen und Führungslehre an der Rechts-und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth. Forschungsschwerpunkte: Internationale Personalarbeit; Kooperation und Führung in multinationalen Teams; grenzüberschreitender Transfer von Managementpraktiken; Opportunismus, Vertrauen und Kontrolle in internationalen Geschäftsbeziehungen und Netzwerken. Vorstandsmitglied des „Betriebswirtschaftlichen Forschungszentrums für Fragen der mittelständischen Wirtschaft“ an der Universität Bayreuth, der Stiftung „Internationale Unternehmensführung“, des „Instituts für Internationale Kommunikation“, sowie von „forarea - Kompetenznetzwerk für Interkulturelle Kommunikation“. Letzte Buchpublikation: Deutsche in der Fremde – Assimilation – Abgrenzung – Integration (gemeinsam mit Bernd Müller-Jacquier). Röhrig Universitätsverlag 2007. Guido Möllering, Dr., hat betriebswirtschaftliche Studiengänge in Münster, Portsmouth und Cambridge absolviert und wurde 2003 an der Universität Cambridge im Fach Management Studies promoviert. Seit 2005 arbeitet er am MaxPlanck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln zu den Themen Marktkonstitution, Vertrauen und Zwischenbetriebliche Beziehungen. Sein Buch Trust: Reason, Routine, Reflexivity erschien 2006 bei Elsevier. Robert Münscher studierte Analytische Philosophie, Psychologie und Romanistik in Heidelberg und Bielefeld. Für seine Promotion im Fach Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth bei Prof. Dr. Torsten Kühlmann führte er ein Forschungsprojekt zur Vertrauensentwicklung in deutsch-französischen Geschäftsbeziehungen durch. Seit 2003 ist er Geschäftsführer von JHRM Interkulturelle Trainings in Stuttgart. Zudem arbeitet er seit 2007 als Projektleiter in der Abteilung Weiterbildung und Beratung des CSI Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen der Universität Heidelberg. Martin K.W. Schweer, Univ.-Prof., seit 1998 Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie an der Hochschule Vechta, Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) sowie von Challenges -- Arbeitsstelle für sportpsychologische Beratung und Betreuung, Direktor des Instituts für Soziale Arbeit, Angewandte Psychologie und Sportwissenschaft (ISPS) und stellvertretender Direktor des Zentrums für Alter und Gesellschaft (ZAG). Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schule und Organisation und sportpsycho-
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logische Beratung und Betreuung unter besonderer Berücksichtigung des Vertrauensphänomens." Letzte Veröffentlichung: Schweer, Martin (2006): Vertrauen. In: Detlef H. Rost (2006): Handbuch Pädagogische Psychologie (2., überarb. und erw. Ausgabe) (S. 848-852). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Julia F. Späth, Dr., studierte nach einer Ausbildung zur Hotelkauffrau Wirtschaftspädagogik mit den Schwerpunkten Betriebswirtschaftslehre und Englisch. Seit Juli 2001 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation der Universität Mainz; 2007 Promotion. Lehraufträge an der Warsaw School of Economics, Polen und der University of Finance and Economics Dalian, China.Forschungsschwerpunkte: Vertrauen, Organisational Behaviour, verhaltenswissenschaftliche Entscheidungsforschung Letzte Veröffentlichung: Interpersonelles Vertrauen in Organisationen. Eine empirische Untersuchung der Einflussfaktoren und Verhaltenswirkungen. Frankfurt am Main et al.: Peter Lang 2008.