Hans-Georg Gadamer
Gesammelte Werke Band 7
Hans-Georg Gadamer
Griechische Philosophic HI Plato im Dialog
ART! BUS I...
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Hans-Georg Gadamer
Gesammelte Werke Band 7
Hans-Georg Gadamer
Griechische Philosophic HI Plato im Dialog
ART! BUS IN
Logik< als auch 2ur >Phanomenologie des GeistesGeschichtc des
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Auf clem Weg zu Plato
crscheinenden Geistes; dar. Gablers bekanntes Buch 1 bczeugt das durch ausfuhrlichc Ilhistration der Dialektik des BcwuBtseins aus den antiken Quell en, wie auch das neuere Buch von Wilhelm Purpus 2 , das damals im Zeitalter des Neukantianisinus das Hegelverstandnis ncu belebte. Es gehorte die gcwalttatige Abstraktionskraft Hegels dazu, in seiner >Logik< die Mctaphysik und in der >Phanomenologie des Geistes< lhrc Geschichte so ineinander zu spiegeln, daB die historisch-philosophische Forschung der Folgczeit standig beide Spiegelschriften zu entziffern b e m u h t geblieben ist. Dabei kam der Forschung der U m s t a n d zu Hilfe, daB Friedrich Schleiermacher, bei aller Nahc zu Fichte und zum deutschen Idealismus, iiber ungewohnliches philologisches Konnen und echten historischen Sinn verfiigte. So w u r d e Schleiermachcr nach beiden Richtungen hin produktiv. Es war scin Verdienst, das historische Denken gegeniiber der dogmatischen >doxographischen< Verfahrensweise des IB. Jahrhunderts zum Siege zu fiihren. Auf der anderen Seite hat er aber auch den schematischen Dogmatismus der Hcgelschen Dialektik aufgelockert. Es ist nicht von ungefahr, daB sich Dilthey, der eigentliche Begriinder der Geistesgeschichte, besonders an Schleiermacher angeschlossen hat. Im iibrigen blicb die philosophische Prasenz der Vorsokratiker in Deutschland weitgehend im Rahmen der sogenannten Problcmgeschichte, jencr durch die Spatform des deutschen Idealismus hindurchgegangenen Wiederaufnahme Kants, die man den Neukantianismus nennt u n d die in die Wirkungsgeschichte Hegels gehort. Aus dem Steinbruch der Hegelschcn Logik hat die Folgezeit all das abgebaut, was sie brauchcn konnte. Erst mit der Wende, die das Zeitalter des Liberalismus unter d e m Donner der Materialschlachten des Ersten Weltkrieges zu Endc gehen lieB, begann eine neue Prasenz der Vorsokratik, unter dem Vorzeichen des Lcbensbegriffs und im Geiste des historischen Dcnkens, das insbesondere von Wilhelm Dilthey gefordert wurde. Auf die Dauer war es die Wirkung Nietzsches. Z w a r blieben Nictzschcs eigene crste Schriften, >Die Geburt der TragodicDie Philosophie im tragischcn Zeitalter der Gricchen< im Banne der Schopenhauerschen Spatromantik. Doch wurde mit Nietzsche die Philosophic des Lebens der Grundtenor des zwanzigsten Jahrhunderts, u n d so begann der spate Nietzsche seine weltweitc Wirkung auszuiiben. N i c h t nur die klassischc Philologie w u r d e davon erreicht. Es w a r im besonderen Heideggers Erneuerung der Seinsfrage im
1 G E O R G A N D R E A S G A B L E R , Kritik des Bewul'tsems Eiiie Vorschulc zu Hegels Wissenschaft der Logik, Erlangen 1827. Neuausg. Leiden 1901. 2 W. PURPTJS, Zur Dialektik des Bewufitseins nach Hegel. Ein Beitrag zur Wurdigung der Phanomeiiologic des Geistes. Berlin 1908.
Parmenides oder das Diesseits des Scins 12
Horizont der Zeit, diehinter die Metaphysik zuruck und auf die griechischen Anfange hmlcnkte. Wie das aussah, wird ctwa in Heideggers Studien iiber Anaximander, Hcraklit und Parmenides deutlich. Auch in der ParmemdesForschung wirkt Nietzsches AnstoB bei Karl Reinhardt, bei Kurt Riezler, U v o Holscher - und bei Heidegger - fort. Die Uberlieferungslage erfordcrt insbesondere bei Heraklit, aber auch bei Parmenides den ganzen Einsatz historischen Denkens, und zwar nicht nur uin der Gewinnung zuverlassigerTextgrundlagen willcn, die niemals nur in den Zitaten bestehen, sondern vor allem auch fur die w o r t - und begriffsgeschichtliche Achtsamkeit, die notig isc, wenn man die anachronistischen Einwirkungen der aristotehschen und traditionellen Begriffssprache iiberwinden will. Die Vorsokratiker-Forschung, die vor allem H e r m a n n Diels dank seiner Editionstatigkeit Entscheidendes verdankt, reprasennert zugleich einc bcstiiumte Epoche der Forschung. Es ist der Einflufi der religionsgeschichtlichen Schule, die bis heute in der Anlage der Fraginente der Vorsokratiker nachwirkt. Auch die noch immer hochst lehrreiche Originalausgabe des Lehrgedichts des Parmenides von Diels 3 , init lhrem grofiartig gelehrtcn K o m m e n t a r , sucht uberall zunachst die Einwirkung der religiosen Dichtungen, die mit dem N a m e n des Epimemdes verbunden sind und die offenbar alle in der Nachfolge Hesiods stehen. Abcr diese Dichtungen hatten wohl auch schamanistische Pragungen und waren init den orphischen Seelenvvanderungsmvthen vertraut. Das bleibt eine grofie Unbekannte, deren Nachwirkung ebenso unbestreitbar wie nicht idcmifizierbar ist. So ftihrtc m a n etwa das P r o o m i u m und seine Schilderung, die Parmenides von seiner Fahrt iiber alle Stadte hinweg gibt, auf solche Vorbilder zuruck. Doch konnre selbst Diels sich nicht vcrbcrgen, »\vas ihn von allem diesem orphischen, pythagoreischen, ekstatischen We sen trennt, das ist sein Rationalisrnus, der nur noch die aufiere Form . . . der Mystik auf sich wirken laBt« 4 . Das ist im ganzen gut beschrieben, obwohl sonst in der damaligen Magna Graecia eine echte religiose G r u n d s t i m m u n g gut bezeugt ist. Freilich wissen wir allzuwenig, u m ermessen zu konnen, welche Rolle diese religiosen Bewegungen neben den offiziellen Kulten der olympischen Cotter spielten. jedenfalls wird m a n aber sagen durfen, daB die bei Parmenides zu fmdende Sprache die der homerischen u n d hesiodischen Verskunst ist und die eher wie bei H o m e r eine apollinische T o n u n g tragt. Wic die wissenschaftliche Prosa des 7. und 6. Jahrhunderts aussah, wissen wir freilich nicht.
3 H E R M A N N D I E L S , Pirmci-iides' Lehrgedicht, griechiseh und deutsch. Berlin 1 8 9 7 . Frag men tnunimer und Verszahl I M folgentlen nach der Ausgabe von D I F I . S / K K A N Z , Die Fragmente der Vorsokratiker (VS). 4 D I E L S , K o m m . S. 21.
Auf clem Weg zu Plato
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D a v o n ist nichts erhalten. Abcr wir besitzen von Anaximander einen feierlichen Satz, der dem Theophrast offenbar als ungewohnlich auffiel (VS 12 A 9). So darf m a n auf einen niichternen Stil der Lchrschrift des Anaximander schlieBen. Auch in dem Lehrgedicht des Parmenides ist wenig von rcligioscr Bewegung zu spiiren. Man kann nur mit Vorsicht die ungewissen Nachrichten iiber die orphischc B e w e g u n g nutzen und ebenso die Bezugnahme auf den Schamanismus. Immerhin hat inzwischen der religionsgeschichtliche Hintergrund der Kosmogonien des Orients seit D o d d s und U v o H o k c h e r an Substanz gewonnen 5 , und selbst von Pythagoras aus konnten Faden z u m Iran hiniiberlaufen, wie van der Waerden verniutet hat 6 . Jedoch, unser wirkliches Wissen a m die Gcsch.ich.te der griechischen Philosophie hangt ganz an Aristoteles. M a n fangt zwar im allgemeinen mit Thalc:-; an. Aber gerade darin folgt man auch nur Aristoteles. Er hatThales von Milet den ersten Philosophcn genannt, und gewiB mul:ite eine philosophisch motivierte Forschung die ionische Schule von Milet insgesamt was man im schulmeisterlichen Riickblick spater >SchuIei zu nennen pflegt als ein erstes Kapitel behandeln, vvenn wir nur mehr von ihr wufiten. In Wahrheit ist die originale Oberlicfcrung der friihenjahrhunderte, des 7. u n d des 6., auf wenige zerstreute Zitate und die aristotclischen Bcrichtc beschrankt. Die Berichte, die Aristoteles, vor allcni in der Einleitung zu seiner >Physik< und seiner >MetaphysikPhysiologen< der ionischen Schule fur ihn eine besondere Sache. Er sah sich als Gegenspieler gegenuber den pythagoreisch-mathematischen Tendenzen Piatos und muBte sich als Begrundcr der >Physik< in den ionischen Anfangen des griechischen D e n kens mehr als in alleni Spateren wiedererkennen. Das hatte seme schwerwiegende Folge. Wir konnen die Berichte, die Aristoteles gibt, nur mit aul3eriter Schwierigkeit von d e m unterscheiden, was in den originalen Intentionen der lonier tatsachlich gemeint gewesen war. Mit dem beginnenden 5. Jahrhundert wird die Sache aber anders. Da bildet sich die pythagoreische Tradition und macht sich gcltcnd. Sie nahm die Mathematik, die Zahlenverhaltnisse in den Himmelsbewegungen u n d in den theoretischen Grundlagen der Musik, zur Orientierung. Das entsprach
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E . R . D o n n s , T h e Greeks and the Irrational. Berkeley 1951. U v o HOI.SCHER, Anfangliches Fragen. Studien zur f'riihen griechischen Philosophie. Gottingen 1968. 6 B. L. VAN DEfi W A F R D E N , Erwachende Wissenschaft. Basel/Stuttgart 1956. D E K S . , Die Pythagoreer. Ziirich/Miinchen 1979. Vgl. dazu nieine Rezension in Ges. Werke Bd. 6, S. 312-318.
Parmenides oder das Diesseits des Scins
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nicht dem, was Aristoteles lm Begriff der Physis als den zuverlassigen Boden seines Philosophiercns festgelcgt hattc. Auch noch fur die fuhrenden Denkcr des beginnenden 5. Jahrhunderts neben Pythagoras, also vor all em fur Parmenides und Heraklit, gilt das gleichc. So konnten diesc Denker und ihre Lehrcn fur ihn nur am Rande auftauchen. Dcnn beidc, Parmenides und Heraklit, erfullcn nicht die Grundvoraussctzungen, die des Aristoteles cigene Frage lciten. Sie licgen im Begriff dcr >PhysisParmenidcs< trotz alletn in die Einleitung seiner Physikvorlesung aufzuliehmen. Es wurdc in Wahrheit lediglich eine hochzcremonielle Hinrichtung. Doch verdanken wir dcr A u f n a h m e der Parmenides-Kritik in die >Physik< des Aristoteles. da8 die Stcllungnahmen des Alexander wic des Simplicius erhalteu sind, die dcr Kommcncierung der aristotelischcn >Physik< folgcn. Insbesondere w a r e s dergliickliche Umstand, daB Simplicius bei dcr Auflosung der Akadennc ein altes Exemplar des Lehrgedichts des Parmenides vorfand und in Erkenntnis der Seltenheit des Textes ausfuhrliche Exzerpte anfertigte. Damit ist ein fur die gesamte Vorsokratik einmaliger Fall gegeben. Wir sind nicht allein auf Berichte, sci es kritische odcr rnehr biographische, angewiesen und auch nicht rtur auf vereinzeltc Zitate, sondern besitzen von dem ersten Teil des Lehrgedichts des Parmenides den Text fast ganz. Es 1st bedeutsam, daB es sich dabei u m Hexameter im Stile H o m e r s und Hcsiods handelt und iiberhaupt u m Verse, wie wir solcfie sonst nur noch von dem annahernden Zeitgcnossen Xenophanes besitzen. Von ihm hicB es, er sei dcr Lehrer des Parmenides gewesen. Das klingt freilich einigermaBcn phantastisch. Denn er war, wie die erhaltenen Stiicke aus seincn Elegicn zeigen, ein dichtcrisch nicht unbegabtcr Rhapsode, abcr gewiB nicht derBegriindcr der eleatischen Philosopliie. Das zu behaupten ist wohl nur dadurch zustande g e k o m m e n , daB Plato in seiner summarischen und hochst konstruktiven Obersicht im )Sophistes< (242c ff.) die eleatische Schule auf (Xenophanes und noch fruher< zuriickfiihrt. Wenn Xenophanes in irgend etwas Lehrer des Parmenides gewesen sein kann, so gewiBlich nicht wegen seiner Philosophic, sondern in seiner Kunst, Verse zu machen. Dann war er nicht einmal ein schlechter Lehrer. Wir erkennen heutc die Verse des Lehrgedichces des Parmenides als dichterisch gute Verse an. Auch dient uns Xenophanes als ein wichtiges Zeugnis u n d als eine Bestatigung, daB man an den H o f e n und in den Stadten des damaligen GroBgriechenlan-
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Auf clem Weg zu Plato
des fur die neue Wissenschaft Interessc hatte, die sich in Milet entwickclt hatte, u n d das so sehr, daB m a n sich sogar poetische Berichte iiber das Universum und iiber die N a t u r bci ihrcn Festgelagen durch Rhapsoden wie Xenophanes vortragcn lieB. Es ist strittig, o b Xenophanes wirklich ein Lehrgedicht >Ober die Natur< (natiirlich nicht unter diesem Titel) geschricbcn hat. Es ist nicht unmoglicli. GcwiB war das aber auch cine durchaus unselbstandige rhapsodische Vermittlung, wie sie im E e r u f soldier Sanger lag, die im allgemeincn sonst nur m y t h o l o g i s c h e T h e m e n u n d Heldensagen vortrugen. Jedenfalls steht fest, daB die spatcre Lehrschrift >Uber X e n o p h a nes . . .ErosDikeMoiraAnanke< und vielleicht sogar >AletheiaWie< entscheidend an. Da ist eine Gottin die Sprecherin, und zwar fur alles weitere, die auf die Sterblichen Riicksicht n i m m t u n d sich ihrcn Ansichtcn zuwendct. Das bedeutet keineswegs, daB in der breitausgefuhiten Schilderung der Weltordnung die eigentliche Botschaft der Gottin, auf der sie eingangs mit fcicrlicher Entschiedenheit bestanden hatte, die Vermeidung des >Nichtsaus den Zwci £ins< verstanden werden miiBte, und das ware dann das Eine, die Kugcl des Seins 11 . So zu dcnken ware die Lehre, die die Menschen eben nicht anzunehmen vermogen und was dem Horer des Gedichtes immcr wieder eingehammcrt wird. (So hat Simplicius in Phys. 31,7 verstanden!) Die Gottin hat alien Grund, diese Abweichung von der Wahrheit zu unterstreichen, die die Sterblichen offenbar nicht unterlasscn konnen, auch wenn sie sonst konsequent zu denken vermogen. Deshalb unterbricht sie ihren Bericht: >darin sind sie in die Irrc gegangennoetische< Sein auszeichnen, nun wohlsein zu lassen. Ich stelle vielmehr die Frage, ob man diesem anfanglichen Dcnken damit gerecht wird und dam it auch uns selbst gerecht wird, wenn wir sic nur im Lichte ihrer Wirkungsgeschichte sehen, die mit Plato und Aristoteles beginnt, und nicht vielmehr auch im Lichtc von Mciglichkeiten, die nicht zur Wirkung g c k o m m e n sind. GcwiB gehort die Wirkungsgeschichte z u m Bedeutungskreis des Gedankens, und das ist gerade bei Parmenides besondcrs aufschluBreich. Da sehen w i r j a , wie die Wirkungslinien nach zwei so verschiedenen Richtungen ausgegangen sind wie zu der Korpuskular-Theorie des 5. Jahrhunderts u n d der gleichzeitig aufkommenden Logos-Philosophie des ausgehenden 4. jahrhunderts, diein der Dialektik Platos und Aristoteles' zur Entfaltung k o m m e n . Beides muB man wohl im Augc behaltcn. So sehen wir, wie die elcatisclic Frage in der Tat die Tradition der Metaphysik eroffnet, u n d wir finden bei den antiken Kommentatoren, die in dieser Tradition scehen, das Lchrgedicht ganz selbstverstandlich durch die Unterscheidung des >noetischen< und des >aisthetischen< Seins rezipiert, der intelligiblcn und sensiblen Welt, u m mit Plotin oder Kant zu sprechcn. Wir fragen uns jedoch mit dem umgekehrten Interesse, ob etwa das Lehrgedicht der Sachc des Denkens nahcr ist, als die metaphysische Tradition aufnehmen konnte. Etwas noch nicht unterschieden zu haben, kann 11
So haben dem Sinn nach auch J.
CUOISSANT
und
MANSFF.LD
verstanden.
Parmenides oder das Diesseits des Scins
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auch heillen, Zusammengehoriges besser sehen. Es istjcdcnfalls kem Z w e i fcl, der Unterschied von >Noesis< und >Aisthesis< ist erst eine platonische Pragung. Das ist die wichtigste Voraussetzung z u m Verstandnis des Parmenides, daB es den Gegensatz von Nocsis und Aisthesis hier noch nicht gibt. Man darf sich nicht dadurch beirren lassen, daB in einem spatercn Z u s a m mcnhang (Fr. 7,4) das Sehen, das Horcn und die Z u n g e ausdrucklich verworfen werden und gegen sie der Logos aufgeboten wird. Die Stellc bcweist das Gcgcnteil. Die Ausdriicke zeigen, hier gibt es gerade keinen gemeinsam e n B e g r i f f , wie >AisthesisTheatetBenennung< des Nichts, von dem es heifit (Fr. 8,17), unnennbar zu sein (avuvvjiov). Die anderen Ausdriicke sind zwar bloflc N a m e n , aber nicht leer. Sie meinen etwas, abcr sie decken nicht alles, was damit gemeint ist. Das Nichts bleibt verdeckt, und wenn m a n das Benannte priift, stofit m a n ins Leere: ». . . Katinst du, bei den Gottern, d a v o n j e verstehen, was da gemeint ist?« (Plato, Soph. 243b). So ist es ein ungenauer Gebrauch solcher N a m e n . Aber solche ungenauen Vorstellungen lassen sich durch cin genaueres Denken ersctzen, und das lehrt die Gottin auch. Es ist die Lehre von Licht und Nacht. Sie sind >NamenDcnken< oder gar Denken im Unterschied zum Sehen des tleibhaft Gegebenen* (um mit Husserl zu reden). Es geht nicht um das, was man denken kann. Eine blofle Denkbarkcit kann im Lehrgedicht nicht gemeint sein. Besser ist es schon, weil es die Intentionen des Parmenides nicht so vollig verdeckt, vocivals >Erkennen< wiederzugeben. Darin liegt wenigstens i m m e r das Sein des Erkannten, sein Wirkhch- und Wahrsein. N u n haben wir inzwischen durch die sorgfaltigen w o r t - und begriffsgeschichtlichen Untcrsuchungcn von Kurt von Fritz gelernt, was der ursprungliche Anwendungsbereich und das Bedeutungsfeld von voe.lv eigentlich ist 1 7 . Dem urspriinglichcn Wortgcbrauch nach schcint voeiv ctwa so etwas zu sein wie das Wittern des Rehes, das etwas >ausmachtda ist etwasistNous< im fhyyavnv, in der Unmittelbarkeit des etwas Treffens u n d Anriihrens besteht, anders als wenn iiber etwas eine Aussage gcmacht wird. - Man sollte auch noch Anaxagoras in diese Reihe einfiigen u n d damit das bcgriffsgcschichtliche Resultat der von Fritzschen Untersuchungen fur die Begriffsbildung der Philosophie fruchtbar machen. Der N o u s wird ja bekanntlich, wie gerade die Kritik Platos im >Phaidon< lehrt, von Anaxagoras wie cin feinster, iiberall hin dringender, alles durchdringendcr Stoff gedacht. Er wittert sozusagen alles, weil er m allem gegenwiirtig ist, ohne je mit ihm vcrmischt zu sein. Auf alle Fallc lehrt diese Begriffsgeschichte, wie nahe es fur das anfangliche Denken sein mufite, wenn es die Denkentscheidung zwischen Scinsdenken 17
Jetzt in: U m die Begriffswelt der Vorsokratiker, a.a.O., S. 246-363.
Auf dem We g zu Plato
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und Nichts denken zu treffen hatte, sich das Sein als diese in sich voile homogene unverandcrhche Kugel des Seins vorzustellen, auf das m a n rnimer trifft, wenn man auf etwas trifft. Wir sind hier noch nicht im Bereich abstrakter Begriffsbildungen, sondern in emem anschauungskraftigen Den ken, in dem Worte der gelebten Sprache mit einem ncuen Denkgehalt aufgeladen werden. Es ist mythischc Rede, nicht nur wegen ihrer Versform, sondern wegen ihrer Bindung an Anschauung. Es ist fast so, wie wir es bei Plato als das Nebeneinandcr und Zueinander von Logos und Mythos kennen. Was in der Lime des eigenen Dcnkens und damit seiner rechenschaftsfahigen Aussage gelegcn ist und was sie dann doch ubersteigt, wird sozusagen in das Jenseits einer nur durch >MythosErzahlungi, heraufgerufenen und verge gen ward g ten Welt hinausgesprochen und hinausgehoben. So ist das >Denken des Seins* als die h o m o g e n e Kugel wie cine Herausstellung der unsagbaren Einsicht, daB das Nichts nicht ist. Der ganze. wie es scheint, liickenlos erhaltene Text, in dem die These des Seins als Extrapolation des Gedankens in eine beschrcibbare Wirklichkeit vollzogen wird. cmpfangt von da cm klares Prmzip der K o m position. Es sind allcs Zeichen, oi'flimti, die auf dem Wege zur Wahrheit abgesteckt sind. Man kann das schwerlich durch die an sich hubsche Parallele, die W. Brocker 1 8 beigebracht hat, verdriingen wollen. Eine mit Spriichen ausgestattete heilige StraBe - dafiir spricht im Lehrgedicht nichts, wohl aber, daB es schwer ist, den Weg einzuhalten und mcht unversehens ins Ungangbare abzuirren. Dafiir bedurfte der Verkchr in der damaligen Welt eben solcher Wegzeichen, wie wir sie im winterhchen Skigelande kennen. Das 6. und 7. Fragment zeigen es deutlich, daB die Sterblichen standig davon bedroht sind, von dem Wege der Wahrheit abzuweichen. Man mochte nun gern die Reihenfolgc der Zeichen priifen, die diesen Weg zur Aletheia sichcr markicren. Man fragt sich, ob es da cine vernunftige O r d n u n g gibt oder mehr eine rhapsodische Aufzahlung. N u n leuchtet ein, daB die starkste Verfiihrung zum Denken des Nichts darin liegt, wenn man die Frage des Entstehens stcllt. Wo k o m m t es her, wie ist es geworden, und wieso ist cs jetzt nicht mehr? Der Beginn mit diesem A r g u m e n t bestatige also, wie sich das Nichts in die Gedankeiifuhrung des Seins inimer einschleichen will und deshalb der ausfuhrlichsten Argumentation bedarf. Bei der Folge der iibrigen Zeichen, die sich daran anschliefien, wird m a n kaum von einer klaren Disposition sprechen wollcn. Wie die crstc Widerlegung des Entstehens sich in der Argumentation wiederholt, hat das Prinzip der Wicderholung in dieser rhapsodischcn Literatur iibcrhaupt cine wesentliche Funktion 1 9 . So werden wir auch hicr daran denken miissen. Die 18
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W . BROCKER,
Vgl. S. 44 f.
Die Geschichte der philosophic vor Sokrates. Frankfurt 1 9 6 5 , S , 6 0 . K o m m . S. 23fF. und meine Rctraktationen in Bd. 6 der Ges. Werke,
H . DIHLS,
Parmenides oder das Diesseits des Scins
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SchluBwendung des ganzen Fragmentes 8. von Vers 42 bis 49, wirkt cntschieden wie eine A u f n a h m e der bereits in Vers 26 bis 33 beschriebenen Zcichen. So ist das einzigc kompositorische Prinzip, das ich fur die Fortsctzung entdecken kann, daB die einandcr entsprechenden Stiickc eine einrahniende Funktion ausiiben. Was sic einrahmen, fordert besonderes Nachdenken. Es ist das Argument des >Noein< und des Seins. Aucb ragt dieses >Zeichen< dadurch heraus, daB es wie ein zusammenfassender SchluB (8,38 ff.) klingt, der viclcs zusammenfaBt, nicht wie bei >ungewordcn< und >unbewegt< (H,21). Darauf wird noch zuriickzukommen sein. Konnen uns die sonstigen Zitate aus dicscm Text weiterhelfcnr Kaum. Die uns crhaltcncn Bruchstiikke sind nur dort wirklich zuverlassig in ihrer Folge, wo sie das sorgfaltigc Exzerpt des Siniplicius darstellen. Dagegen ist der Platz, den die Fragmente 4 und 5 in unserer Zahlung gewonnen haben, recht ungewiB. Fragment 4 ist ein Zitat von Clemens. Mit der Ubereilung cines auf Dokumentation bedachten Kirchcnvaters sieht er in d e m ersten Vers das Wescn des Glaubens gcschildert. Das gibt uns gar keinen Anhalt, wohin das Ganze des Zitatcs gehort. So hat U v o Holscher in einer gehaltvollen Ncubchandlung 2 " des Lehrgedichtes das Fragment iiberhaupt aus dctn ersten Teil des Lehrgcdichtes herausnehmcn wollen und sieht darin den SchluB des Gcsaintwerkes. N u n handclt es sich bei dem Fragment u m ein aufforderndes Wort, das man mehr am Anfang crwartet. Es kann auch nicht iiberzeugend wcrden, wenn sich Holschcr auf die Parallele aus Einpedokles (VS 31 B 110) beruft, wo am SchluB der Horer sozusagen nochmals aufgefordert wird, das Gelcrntc zu beherzigen. Aber der Zusamnienhang mit Fragment 2 ist doch im Grunde nur sehr lose verstiindlich. Beidcs sind Aufforderungcn. GewiB ist es richtig, daB das Parm en ides-Fragment, das nach Siniplicius (Ft. 19) zum SchluB des Ganzen gehort, nicht wie ein SchluB klingt. Man rnuB aber beachten, daB das Zitat nicht aus dem Physikkommentar, der vor ihm lag. sondern aus 'De caelo< statnmt. Es ist doch u m vieles wahrscheinlicher, daB Siniplicius den tatsachlichen SchluB, der gewiB noch folgen mochte, nicht mitzitiert hat. Jedenfalls mochte ich das Fragment 4 lieber ungefahr an der Stelle las sen, an der es jetzt gezahlt wird. Dagegen ist mir das Fragment 3 iiberhaupt recht zweifelhaft geworden. D e r Satz ist schwer konstmierbar: To yap amb VOCH' imiv IL KUI shot »es ist dassclbe: tan voetv u n d eon elvai, dafi man v e r m m m t und daB da wirklich etwas ist, das man v c m i m m t . « Durch das if mi sind hier votiv und eivai aufs engste vcrbunden und diese Vcrbundenheit wird durch das zd amo ausgedriickt. 20 Parmenides, Voni Wcsen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch. Herausgegeben, ubersetzt und erlautert von U v o H O L S C H E R . Frankfurt 1%9.
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Auf dem We g zu Plato
N u n ist die Bezcugung dieses Textcs iiberhaupt nicht sehr gut. Es ist wieder der gelehrte Clemens, dem in diesem Falle Plotin und Proklos folgen. Aber bcide zitieren eigcntlich nur wegen des Unterschiedes von >Aisthesis< und >Noeingesetzt< ist, etwa wie in der stoischcn ai>yKaiathoKMan druckt sich unwillkurlich so aus, wie man nicht darf oder wie m a n sich allenfalls am U b e r g a n g zu dem zweiten Teil des Lehrgedichts ausdriikken kann. D o r t hat >Serzen< den guten Sinn von Festsctzung eincr N a m e n s konvention. Da kann man von >Setzen< reden. Aber bei einem Zeichen fur das Sein, das das Nichts ausschlieBt, zu folgern, daB hier ein Setzen von Sein stattfindet, ist die Sprache des deutschen Idealismus, die nicht hierher gehort. So hat man auch den Grundsatz >dasselbe ist Denken und Seinubcrzeugcnden Rede< genannt wird, die fiir die iibcrzeugende Suggestion neben dem Recht der Logik ihren Platz behauptet. Hier k o m m e n vor allcm philosophische Gesichtspunkte ins Spiel. Sie liegen insofern vor, als uberhaupt im Lehrgedicht aus sachlichcn Griinden die Begriffsbildung besonders beachtet werden muB. So habe ich die Leistung der Wortbildung no wv( als eine begriffsbildendc Tat ausgczeich.net. Wenn ich aber n u n genotigt werde, w ainn in ahnlichem Lichte zu sehen, wie neuerdings wieder Holscher und offenbar ihm folgend Jiirgcn Wiesner 2 2 mir zumutet, bin ich als Philologe doch erstaunt. Naturlich ist es richtig - wer wiirde ihm darin nicht folgen? - die A u f n a h m e des Lehrgedichts durch Mehssos als K o m m e n t a r heranzuziehen. Aber wofiir? Fiir diesen Wortgebrauch von >IdentitatSophistes< kenncn. Im Lehrgedicht n i m m t m a n Bezug auf Vers 8,29, weil auch dort am Versanfang lamov T' ev RAVRD'T das unvcrandcrliche Bleiben des Seins beschrcibt. Das soli stutzen, was m a n in Vers 8,34 finden mochte? D o r t ist es aber ein K e n n w o r t von ganz anderer Art, um das es geht, um das voeiv als Zcichen des Seins. GewiB konncn wir die dort betonte Untrennbarkeit des voeiv v o m Sein als Identitat beschreiben. Aber nun darin einen Verwcis auf Vers 8,29 zu sehen, verwechselt scmantischc Einheiten mit grammatischen u n d bedeutungsmafiigen Funktionszusammenhangen. Wir sind uns alle einig, und das ist seit langem, eben seit Plato, in dcr Bezugnahme auf die Eleaten iiblich, den Begriff der Identitat als ein iDenkgesetz< hier zu erkennen. Da bleiben jedoch die Heranziehungen des Sprachgebrauches v o n to avio fiir das Verstandnis der Texte des Lehrgedichtcs cin schlechter Zeuge, zu mind est wenn man Melissos zitiert. Nicht nur, daB das Wort dort gar nicht v o r k o m m t , sondern auch, w a r u m es nicht v o r k o m m t . Melissos konnte das Wort offenbar nicht der Reihe der Zeichen fur das Sein anreihen - ebensowenig wie das voeiv, das auch als Wort nicht v o r k o m m t ! 22 J. W I E S N E R , Uberlegungen zu Parmenides sur Parmcnide, II. Paris 1987, S. 170-190.
B8,34.
In:
P. AUBENQUF
(Hrsg.), Etudes
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Auf d e m We g zu Plato
Fur einen Zeitgenossen des Anaxagoras, der Melissos war, ist das doch vielsagend. Sichcrlich ist daran nicht Simplicius schuld, daB er hicr etwas ausgelassen hatte. Auch Heidegger will sdbstverstandhch nicht das >Denkgesetz< der Identitat hier wiederfinden. Er redet von der Zwiefalt des Seins und konimt seinen eigenen Intuitionen dadurch nahcr, daB bei Parmenides unter den Zeichcn des Seins das >Noein< auftritt. Wenn man Melissos und Zenon ins Auge faBt, so wird der Unterschied sofort deutlich. Da geht es auf eimnal u m das Eine und das Viele. GewiB ist das eov emes und wird in Fragment 8,6 so genannt, aber in Gcscllschaft mit avvexic.! Das hat mit der Dialektik von dem Einen u n d dem Vielen nichts zu tun, die bei Zenon zum Thema wird und in der pythagoreischen Tradition vollends bei Plato den Begriff der Dialektik definiert. Melissos dagegen vermeidet es offenbar, vom voriv zu sprechen. Das einzige Zeichcn des Seins, das bei Parmenides so besonders ausgezeichnet ist, scheint nicht zu cxistieren. In diesem Argument ist ihm wohl noch zuvicl Zweiheit impliziert. So intercssiert lhn an dem ganzen Argument von Fragment 8,24ff. das voriv iiberhaupt nicht, sondern nur, daB es neben dem iov etwas andcres geben soli (aXXv napei, iov iovrot;). Es k o m m t ihm nur auf das Einssein des Seins an. Er wird wohl deshalb von Aristoteles als xpapriKOf; gescholten, weil er damit der Physik iiberliaitpt krin Recht liifit und sogar den Sinnen nachsagt, daB sie nicht richtig sehen und horen (was Parmenides im Lehrgedicht so nicht sagt). Die Untrennbarkeit von vt>m: und fivr/i, die in Wahrheit das Argument ausmacht, bestatigt sich auchim Fortgang: »Nicht ohne das Sciende wirst du das >Noein< finden.« Offenbar soli das ein Zeichen fur das Seicnde sein. Sein ist immcr, w o wirkliches Vernehmen sein kann u n d nicht etwa dieses hohle Nichts da sein soli. Die Konstruktion des Arguments blcibt schwicrig. Jedenfalls ist nicht das voelv das eigentlich Gesuchte. Auch hier geht es u m das ion und das iov. So scheint es mir recht kiinstlich, wenn die Erklarer fast alle Cibersetzen: >>Nicht ohne das Seiende wirst du das Denken finden, in dem es ausgesprochen ist.« Das Denken soil das Ausgesprochene sein? 1st nicht das Sein ausgesprochen, wenn gedacht wird - und in der Vemeinung (Fr. 2,7) das Nichtsein erkannt und ausgesprochen ware? Ist das nicht das notwendige Argument? Vollends, wenn m a n den Versbau ansieht. Da zeigt der Vers 8,35 durchaus nicht an, daB es einen Vorgriff auf Vers 8,36 geben wird. So versteht der Horer dieses wohlgebauten Hexameters unvermeidlich, daB das Seiti das Ausgesprochene ist. Der Horer wird das >in dem< (iv a) in ein em unbesrimmt temp oral en Sinne vcrstehen, das im Griechischcn ganz gcwohnlich ist, fast im Sinne von >wahrcnd< oder auch wie bei uns: >indem< w iov ausgesprochen ist, d. h. da
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ist. Der Sinn ist also, w o >Noein< ist, ist Scin da. Insofern sind >Noein< und Sein dasselbe, d. h. untrcnnbar. DaB Sein da ist, das ist es, w o r a u f e s bei alien dicseii Wcgzeichen a n k o m m t . Dazu pafit der ausdriickliche Fortgang mit TO vov. Davon wird gcsprochen und nicht etwa von votiv. Es geht u m das mit Hilfc des votiv gefundene, unveranderliche, anwcsende Sein. So sieht man sichja auch deswegen genotigt, u m Sinn in das Ganze zu bringen, vor.iv nicht mit >Denken< zu iibersetzcn, sondern mit >ErkennenAuf-es-StoBen< oder )Es-Ausniachcn< oder auch >VernehmenwahrgenommenScinOnoma< hat, weil das Genannte nicht wirklich v c r n o m m c n , nicht als Sein genommen werden kann. Denn Entstehcn und Vergehen usw. ftihren den Ungcdanken des Nichts n o t w e n dig mit sich u n d ebcnso das durch is ml Verbundene shm re nai ov\i. Dagegen wird m a n sich klarmachen miissen, daB das Setzen von N a m c n , mit dem der weitere Fortgang des zweiten Tcils des Lehrgedichtes seinen langen Lauf beginnt, etwas anderes ist als solche Benennungen, in dencn der Ungedanke des Nichts mitgetneint, wenn auch in gedankenloser Weise mit da ist. Die Bcgcgnung von Licht und Nacht ist kein Irrcn zwischen Scin und Nichts, sondern ist das Erscheinen von Scin, wie der Augenschein es zeigt, den man nicht verleugncn kann. Das Sein ist das Da, und >Da< hciBt die Erscheinung der Erscheinungen. Das klingt schon beinahe wie die voile Seinskugel, als die die Gottin das wahre Scin bcschrieben hat. Freilich, in den Ansichten der Sterblichen erscheint dieses Sein nicht. Diese Seinskugel ist nur die Extrapolation von An wesenheit iiberhaupt. DaB etwas >da< ist, ist die einzigc Erscheinung des Seins. Sie ist fiir die Sterblichen in der Vielheit der Erscheinungen und ihrer wechselhaften Gestalt durch Licht und Dunkel, Tag und Nacht differenziert, aber das meint durchaus nicht ein bestimmtes Etwas und nicht ein anderes, sondern daB iiberhaupt etwas ist. Was da durch Licht u n d Dunkel zur Erscheinung gcbracht ist, ist nicht eincs gegen das andere u n d ist nicht abgetrennt von ihm und ist auch, wenn es nicht mehr da ist (Fr. 4). Was da im Lichtc stcht, ist >ScinNichtst und des pq iov f u r iiberhaupt unbeschreitbar erklart. Sieht man mit den Augen der Gottin, und das sollte ein Leser dieses Textcs des Gedichtes eigentlich tun, gibt es nur einen einzigen Weg zur Wahrheit (Fr. 8,1), auf den die Gottin den Dichter weist und der ihn vor dem Weg ins Nichts bewahrt. Da muB man sich doch fragen, welchen Weg die Menschen denn nun wirklich gehen. Doch offenbar einen Weg, der zur Aletheia fuhren soli, aber einen nicht zum Zicle bringt, sondern immer wieder in die Irre fuhrt. Auf diesem Wege ist offenbar auch der Dichterdcnker gegangen und hat es >erfahrenc auf dem Weg iiber alle Stadte hinweg, bis ihn diese Fahrt zu d e m Palast der Gottin fiihrte und ihm das Tor zur Aletheia offnete. Und nun soil in der gottlichen Belehrung kein anderes Wort iiber den Weg gesagt worden sein, den alle gehen, die nicht von der Gottin Belehrung erhalten und deren Wege, wie die Gottin sagt, fernabvomVerkehrderMenschensind?(Fr. 1,27). N u n ist es freilich cine offene Frage, die in der Forschung noch immer nicht klar entschieden ist, ob nicht etwa das Fragment 6 eben die zu erwartende Schilderung des Weges des Irrcns enthalt. Zunachst war j a vor dem unbetretbaren Weg iiber das Nichts gewarnt w o r d e n (Fr. 6,2f.). In der Tat ist die ganze Vorkehrung des Lehrgedichtes in seinem ersten Teil der A u f g a be gewidmet, den Menschen vor der Abirrung v o n dem rechten Wege zur Aletheia zu bewahrcn. Ober den Weg des Nichts ist dabei kein Wort zu verlieren. Da ist nichts zu schildern (navantvOea aiapnov Fr. 2,6). Das ist kein Weg, den ein Mensch gehen kann, der zu einem Ziele
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k o m m e n will. D c r cinzigc Weg zur Aletheia, den die Gottin lehrt, ist aber so, dafi fiir ihn die Sterblichen einer besonderen Hilfc bediirfen. So gibt die Gottin eine ausflihrhche Beschreibung des Weges und fuhrt die Wegzeichen auf, die das Abirren v o m rechten Wege verhindern sollen. Das bedeutet doch, daB es fiir die iibrigcn Sterblichen nur so sein kann, daB man i m m c r wieder aufs ncue v o m Wege a b k o m m t und sich verirrt. N u n will m a n diesen von den Sterblichen standig gegangenen Weg, der ein Weg zur Aletheia sein soli, abcr me dahin fuhrt, in der Beschreibung des 6. Fragmentes nicht wiedererkennen. Es war dcr Vorschlag von Jacob Bernays 2 3 , dcr hier eine Polemik gegen Heraklit annahm. Er ist mit dieser A n n a h m e weitgehend durchgedrungcn. Er bcricf sich dabei auf einen Anklang des hier Gesagten an die heraklitischen Spriiche uber die Einheit der Gegensatze. Schlagendc Gegenbeweise sind freilich gegen diese Annahme nicht leicht zu erbringen. Wenn dort von den Sterblichen gesagt wird, daB ihncn, diesen Doppelkopfen, Sein und Nichtsein als dasselbe gilt und als nicht dasselbe, dann kann m a n darunter auch den Kern der Lehrc des Heraklit vcrstchcn wollcn, der gcrade im Gegensatz die wahre Einheit sieht. Allerdings scheint es mir eine Verkennung des Stils. Die angefuhrtc Stellc fuhrt cine abundierende Rede. Darin driickt sich bereits sprachlich aus, daB es nicht eine einheitliche Lehrmeinung ist, die Lehre von der Einheit der Gegensatze. Vielmehr wird durch diese Verse em Verhalten charakterisiert, das ein H i n und Herschwanken beschreibt. Zwischen der gedankenlosen Widerspruchlichkeit eines Verhaltens und auf dcr anderen Seite dem Gedanken der Einheit dcr Widerspriiche und Gegensatze besteht ein groBer Unterschied. Wer in der Gegensatzlichkeit und als ihren tiefercn Grund das Eine und Wahre, das ooyov, crkennt und wie Heraklit mit fast prophetischem Pathos behauptet, hat etwas ganz anderes im Auge. Es ist ein handgreiflich anderer Stil zwischen der epigram matischcn Knappheit hcraklitischer Satze und diesem Vers (6,8f.}: w iiefoiv ie KM OVK rival laviov vevvfiunai KOV laviov. Doch es ist nicht meine Absicht, die gesamte Kontroverse tiber den Bezug des Parmenides auf Heraklit neu aufzurollen. Mcin eigener Bcitrag ist ganz auf die Sachlogik gcgriindet, sowohl in dem besonderen Fall der in Fragment 6 iiberlieferten Verse wie auch fiir das allgemeine Problem der Sachbeziehung zwischen dem einen Sein und den vielen Ansichten dcr Stcrblichcn. N u n stcht das strittige Fragment 6 dcr Oberlieferung nach nicht allein. Es hat einen bestimmten Ort, der ebenso wie das folgende Fragment 7 dcr Abschrift des Simplicius e n t n o m m e n ist und einen cinheitlichen Z u s a m menhang darstellt. Dieser Oberlieferungstatsache mochte ich ein neues Gcwicht geben. » In: Rhcin. M a s . N . F. 7 (1850), S. 90-116.
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Die nicht der Abschrift des Simplicius e n t n o m m e n e n Stiicke sind in einem ganz andcren Grade fragmcntarisch, und wenn wir von dem P r o o m i u m absehen, ist ihre A n o r d n u n g und Eingliederung in den urspriinglichenText cine zweifelhafte Sache. N u n ist es aber mit der Stellung des Fragmentes 6 in dem Z u s a m m e n h a n g des Ganzen eine andere Sache. Da ist der sachliche Fortgang in der Abschrift des Simplicius w o h ] bezeugt. Z w a r ist die Lesung des Ein gangs verses von Fragment 7 selber kontrovers 2 4 . Erst der zweite Vers und seine Fortsetzung im dritten Vers sollte uns aufmerksam machen. Da heiBt es: »Du aber halte den Gedanken von diesem Weg des Suchens fern, und laB die Gewohnheit der vielen Erfahrung dich nicht auf diesen Weg notigen.« Es scheint mir unuberhorbar, daB in Fragment 6 der dritte und vierte Vers ganz ahnlich beschaffen ist. Da heiBt es: »Denn das ist der erste Weg des Suchens, von dem ich dich abhalte, und dann auch von dem, worauf die Sterblichen, die Nichtswissenden, einherwandeln.« Es ist der Stil der Wiederholung, den wir auch sonst beobachtet haben u n d der die Eindringlichkeit der Lehre ausmacht. Wenn wir nun auf den Fortgang sehen, der im einen und andcrcn Falle auf diese Ermahnung zu finden ist, dann muB man doch ebenfalls eine Entsprechung aimehmen. Es handelt sich hier also nicht u m cine sogenannte Parallele, vor deren Mifibrauch Peter Szondi 2 5 mit Recht g e w a m t hat, sondern u m ein viclfach nachweisbares stilistisches Kunstmittcl, eben die Wiederholung, woftir ich schon auf Diels in seinem alten K o m m e n t a r (S. 23ff.) hingewiesen habc, w o er Richtiges beobachtet hat. N u n ist uns in diesem besonderen Falle durch Platos >Sophistes< (237a) bezeugt, daB Parmenides immer wiedcr die Mahnung und die Warnung vor dem Weg des Nichts wiederholt habe. O b das nun auf die Wiederholungcn im Text des Lehrgedichts zuriickgcht oder einer mundlichen Uberlieferung, die dem cntspricht, tut nichts zur Sache. Jedenfalls muB es immer wicdcr AnlaB gegeben haben, vor der A n n a h m e des Nichts sich zu hiiten, ob die Warming nun ausdriicklich war oder nur implizitc ins Spiel kam. Wiesieht nun aber die zu crwartende Wiederholung in Fragment 7 aus? Da heiBt es, man solle nicht das ziellose Auge w a k e n lassen und das hallende Gehor und die Zunge. Vielmchr solle m a n mit dem Denken den noXvoiyni; EUyjoc beurteilen 2 6 . In diesem Z u s a m m e n h a n g meint das ganz gcwiB nicht 24
Wemi man beachtet, dafi Platos Text ovSirfttj bringt und durchaus nicht das heute im Text gangige Sapij, so mufi man zugleich sehen, daG es bei Plato kein Schreibfehler oder Gedacbtnisfehler war. Plato fiigt namlich das ihm fehlende Verbum. durchaus gegen den Vers, von sich aus ein: ipqot'r, >er sagtc. Immerbin k o m m t es zum Gliick auf die Lesart nicht an. 25 Z. 13. in: P. S Z O N D I , Schriften I. Frankfurt 1 9 7 8 , S. 280f, 26 Hier mufi ich die sonst treffliche Obersetzung H O L S C O T R S korrigieren. Die Wen-
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irgend eine philosophischc Lchrc eines anderen, sondcrn meint die Beirrung, die aus der G e w o h n u n g und Erfahrung fiir das Auge und das O h r und die Zunge, die redende, bcrcitct wird. Da scheint es schlagend, dafi davor gewarnt wird und i m m e r wieder die Anstrengung darauf geht, sich nicht durch den Augenschein beirren zu lassen. Es ist eben eine den Sterblichen als solchen standig drohende Beirrung. In beiden Fallen der nacheinander uberlieferten Passagen von Fragment 6 und Fragment 7 wird vor dem Weg des Nichts gerade deshalb i m m e r wieder gewarnt, weil die Sterblichen, ohne cs zu wollen, auf die Abirrung geraten, ohne es zunachst zu bemerken, daB ihr Weg nicht zum Ziele fuhrt, sondern nakivipuniK ist. So werden wir auf verschiedenen Wegen immer wieder auf das gleiche zuriickgefiihrt. Der Weg der Sterblichen ist ein gefahrdetcr. Die Gottin weist dem Denker den rechten Weg, tragt dem aber auch Rechnung, daB die Sterblichen d e m Augenschein folgen miissen, wenn sie nur ihr Denken dadurch nicht in ihrer Konsequenz bceintrachtigen wurden. Wir versuchen nun die Implikationen der sogenannten Begriffsbildung, die wir beobachtet haben, auf ihre philosophische Konsequenz zu bringcn. Dabei geht es heute vor allem um die Frage Heideggers, die er >den Schritt zurtick< nannte 2 7 . Er verstand darunter den Schritt hinter die Differenz von Sein u n d Seiendem und in der Richtung auf den urspriinglichen Sinn von Aletheia, d. h. von Unverborgenheit. N u n lehrt uns der Text, und darin sind alle Interprcten cinig, daB im Lehrgedicht das Sein als ein Seiendes geschildert wird. Von einer ontologischen Differenz, die etwa bei Aristoteles immerhin in Gestalt des ont.p ov f Phys. A3) artikuliert ist, findet sich nichts. Aber was bedeutet das fiir den Sinn von Aletheia? Eine solche D e n k k o n struktion auf semamischer Basis kann gewiBlich nicht in dem Gebrauch dieser Worte und in ihretn Textzusammenhang Bestatigung finden. Es istja gerade die semantische Isolicrung, mit deren Hilfe Heidegger den ahnungsvollen ftiickgriff auf eine U r e r f a h r u n g unternimmt, die aller sprachlichen Ubcrlieferung von Schrift u n d Text weit vorausliegt. Im besten Falle, der zuweilen eintritt, kann der sprachliche Z u s a m m e n h a n g wohl eine Bestatigung sein, u n d diese bcwirkt dami ein vertieftes Verstandnis des Textes. In solchen Fallen lernen wir Entscheidendes fiir das Verstandnis des griechischen Denkens. Gelegentlich kann auch die Etymologie in ahnlicher Weise dung kann nicht meinen >hart bestreitcnde Wider!egungDer Spruth des Anaximanden, sowie in Vortrage und Aufsatze >Logos (Heraklit)< u n d >Moira (Parmenides)NoeinSeinsgesetztes< Zeichen fur bloftc Aspekte des Seins gcbraucht. So ist der ganze zwcite Teil des Lehrgedichts auf einen solchcn Begriff des O n o m a gestutzt, der den Augcnschein bezeichncn und nicht das wahre Sein vernehmen soil. Ebcnso ist im ersten Teil der Begriff ovojia als Leer-Form sprachlichcr Bezeichnung allem nachgesagt, dem die Seinshaftigkeit des Noein abgeht. Das gilt dann, wie wir sahen, fur die konventionelle Rede von Werden und Entstchen, von >Sein und NichtseinSophistes< eingesetzt. Sic hat mit Entschiedenheit darauf bestanden, daB im O n o m a selbst, im N a m e n , immer schon die Zweiheit von Nennendem und Bcnanntem, und ebenso im rwiv, dem Vernehmen, die Zweiheit von Vemehnien und von Sein aufbricht. Dagegen ist das Lehrgedicht auf der Selbigkeit aufgebaiit, auf jencr Zwiefalt, die Sein und Vernehmen zu eincr unzertrennlichen Einheit eihebt. Parmenides richtet dabei den Blick lediglich auf die Wahrheit des Seins. Das Denken dessen, was ist, soil nur nicht in den leeren Ungedanken des Nichts verfallen. Nosiv heifit im Griechischen >im Sein aufgehcnParmer)ides< schildert. Parmenides und Zenon sind sich des Mifibrauches des dialektischcn Konncns, das mit den Eleaten anhob, wohl bewuBt, und doch bleiben sie d e m j u n g e n Sokratcs durchaus gewogen und ermuntern ihn. Dcr Frcmde aus Elea im >Sophistes< betont, dafi er kein Vatermorder sein wolle, wenn er auch dem Nichtscin - in Gestalt des hepov - Sein zuerkennt. Im Lehrgedicht des Parmenides wird der Schritt des Denkens, den Plato im >Sophistes< tut, nicht gctan. Aber wenn man mit Heidegger diesen Schritt zuruck geht, von Plato auf das Lehrgedicht, k o m m t m a n dem Anfang nahe, den Heidegger vom Ende her sucht. Der >Sophistcs< lehrt, dafi Plato selber an der Wahrheit des Parmenides festhalt. Das ist der Grund, w a r u m er den Fremden aus Elea sagen lafit, er wolle kein Vatermorder sein. U n d in der Tat, in Absetzung gegen die AnmaBung des Alleswissens, in der sich dcr Sophist vcrliert, bleibt das echte philosophische Gesprach dem Sein nahe, auch wenn es weifi, daB Denken und Vernehmen immcr auch Untcrschciden ist. In der Zwiefalt von Sein u n d >Noein< ist am Ende das >Da< des Seins gemeint und nicht diese oder jene Richtigkeit gedacht, und damit ist die ontologische Anerkennung des Augenschcins, von dem auch die Gottin Wahrcs wci/i, das Sein des Vielen bereits angelegt. Das hat Plato mit der besonderen Wiirdigung sagen wollcn, die Parmenides in seinen spaten Dialogen gcnicfit. Im Einen liegt schon das Viele, aber so, dafi alles Viele id kov ist. Die Dialektik k o m m t zu ihrcr Wahrheit in der Dihairesis, der inneren Logik des Dialogs. Das ist die Lehre des >Sophisteshistorischen Sinn< geschiirft hat, deutlicher sagen zu konnen. Heidegger hat schon im Anaximander-Aufsatz, dcr zur Zeit mciner ersten Arbeiten zu den Vorsokratikern noch nicht vorlag 2 9 , fur die Dcutung v o n iov und von rtv/a den homerischen Sprachgebrauch
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Vgl. Bd. 6 meiner Ges. Werke, Stell en register.
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herangezogen. Er hat die Charakteristik des wissenden Sehcrs zitiert, von dem es heifit, er wufite das Sciende, das Seinwerdcnde und das Gewesene. All das begegnet dort im epischen Sprachgebrauch fur die Viclzahl der viclcn seienden Dinge. Heidegger hat nun die tcmporale Dimension nicht nur aus dieser Charakteristik des Schers herausgehort, sondern auch aus der Sprachform des Partizipium, und hat den Zcitcharakter dessen, was wir das Zeitw o r t (Verbum) nennen, hcrvorgchoben. So gclang es ihm, die Bedeutung von Sein als Anwesenheit des Anwesendcn wiederzucrkennen. Das tritt vollcnds deutlich heraus, wenn nun Parmenides in diesem Zusammenhang den Singular zo tov einfiihrt. So etwas begegnet gewifi nicht in irgendeinem Texte der Pocsie und des Epos, und iiberhaupt nicht im Sprachgebrauch des auf der Himmelsfahrt iiber alle Stadtc vieles erfahrenden Manncs. Dazu b e d a T f es vielmehr der Wcisung durch die Gottin, die N a h e des Zeitwortes, das fur die Sterblichen Sein und das Wahre ist, machtvoll heraustrctcn zu lassen. Heidegger hat etwas davon bereits aus dem einzigartigen Anaximander-Zitat herausgelesen und es in kiihner Weise als >die Weile< extrapolicrt. Im Lehrgedicht des Parmenides steht es im Text. Dagegen sind die Denkperspektivcn, die Heidegger an aXtjdaa und b/lhj, Entbergung, Verbergung und Bergung gekniipft hat, durch den Text des Lehrgedichtes nicht zu belcgen. Heidegger hat daraus den SchluB gezogen, daB dieser Sinn von Aletheia, den er als >das Ercignis< gekennzeichnct hat, von den Griechen nie gedacht worden ist. Ich fiige hinzu: Auch der Gebrauch von TO avid ist bei Parmenides immer pradikativ. Wenn Heidegger darin die >Zwiefalt< des Seins erkennt, so licgt dies nicht an dem Ausdruck fur Selbigkcit, sondern in dem, was hier dasselbe ist: r.ivm und voelv. To tov ist, eben weil diese Wendung nie in wirklicher Rede begegnet, ein Schritt zum Begriff und laflt >Scin< als die Anwesenheit des Anwesenden herauskommen. Daher umfaBt sie als >Sein< auch die Anwesenheit des Abwcsenden. Genau diese Extrapolation lesen wir nun wirklich im Parmenides-Text als Fragment 4, wo wir >Abwesendcs< als gegenwartig vcrnchmen sollcn, so daB das Sciende v o m Seienden untrennbar und in der Weile der Zeit so gut wic in der Ausdchnung bis an alle Grenzen anwesend ist. (>Bis an alle Grenzenbis ins GrenzenloseWesende< (wie uns unsere Sprache zufliistert). Es kennt kein Nic und kein Nirgends. U m das Denken des Parmenides in seiner Anfanglichkeit bcwuBt zu erfassen, sahen wir uns zum Ruckgang auf die Wirkungsgeschichte seines Denkens verwiesen. Das bedcutete nicht cine kiinstliche Verfrenidung des Eigenen oder gar einen gewaltsamen Ausbruch und Flucht ins Fremde. Es verspricht vielmehr eine neue N a h e zum K o m m e n d e n . Was Heidegger
Parmenides oder das Diesseits des Scins
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>Oberwindung< oder >Verwindung< der Metaphysik oder gar das Ende der Philosophic genannt hat, vollzieht sich in Wahrheit ganz in solcher Nahe. GewiB ruckt in solcher Nahe viclcs zusammen, was das historische D c n ken der Modcrne wie eine groBe epische Geschichtserzahlung auseinanderzieht. Da ist der Anfang des Fragens, der in Thales cine erste >Lichtung< brachtc, da ist Parmenides' kiihnes Beharrcn auf deni, was allcin seiend ist und als Sein gelten kann. Ihm folgt Platos dialektische A u f n a h m e und Ausarbcitung dieser Frage, die hinter dem Metapherngestobcr von Idee und Teilhabe, von »Mimesis< und >Methexisdas Gute< proklamicrt und aus dem sich in der neuplatonischen Aufnahme Platos der Begriff der Transzendenz entwickelt hat, bedeutet in Wahrheit das Diesseits des Seins, das Plato und Aristoteles gedacht haben 1 ".
30 Dazu vgl. die Plato-Studien iSokrates" Frommigkeir des Nicht wissensPlato als PortratistVorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie* entnommen; Heraklitfragmente naeh der Zahlang von D I E L S / K R A N Z , D I E Fragmente der Vorsokrariker (VS).
Hegel u n d Heraklit
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Wort zu horcn bekamen als auch nachdem sic es gchort haben« (Fr. 1)? Von j e h c r h a t m a n sich bei diesem ersten Satz der Schrift des Heraklit gefragt, was hier >immer< ist, das Wort in seiner immergultigen Wahrheit oder das immerwahrende Unvcrstiindnis der Menschen. Aristoteles, der den Satz deshalb ziticrt, sah darin ein Problem der Interpunktion: vor dem Wort >immer< oder nach ihm, >immer giiltig< oder >inimer ohne VcrstandnishorcnRechtsphilosophie< bis zu der Provokation des Satzes verstiegen: »Was vernunftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernunftig.« N u r ein sehr hoher Begriff von Vernunft, nicht der der i m m e r beschrankten mcnschlichen Vcrniinftigkcit, die sich gegen die Gewalt unseres Wollens und Wimschens nur miihsam zu bewahren vermag, lafit mit dicscm Satz iiberhaupt einen Sinn verbinden. Dann freilich ist er vielleicht wahr, aber eben sub specie aeternitatis, nicht fiir uns und in den Mafien unscrcr Zcitlichkeit. So miissen wir uns fragen: Reden wir nicht von vcrgangenen Gestalten des Geistcs, von einem Hegel, den man bewundern mag, abcr dem man nicht tolgen kann, und von seinem ersten Initiantcn, Heraklit, den niemand verstand und niemand versteht? Oder finden wir in seinem Denken noch immer, und auch fiir uns, wic Hegel in seinen Vorlesungen gesagt hat, »die blcibendc Idee, wclchc in aller Philosophic bis auf den heutigen Tag dicsclbe ist«? Tatsachc isc, daB zwei grofie Denker nach Hegel, die beide Hegel be-
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k a m p f t e n , ohne sich je ganz von ihm frei zu machen, daB Nietzsche und daB Heidegger sich mit besonderer Entschiedenheit zu Heraklit bckannt habcn. D e r j u n g e Nietzsche sah Heraklit unter jcnen plastischen, aus Stein gehauenen Denkern im tragischen Zeitaker der Griechen als denjemgen, der die Rechtfertigung alles Werdens lehrte. Das war eine dem j u n g e n Nietzsche selbst damals noch verhiillte Antizipation seiner eigcncn Lehre von der Unschuld des Werdens und dem amor fati. Zugleich sah er in Heraklit, und das bereits in scinen eigenen Anfangen, das Ideal eines Einsamcn und U n a b hangigen, wie er selbst einer war. - U n d Heidegger: Uber dem Tursturz von Heideggers Hutte im Schwarzwald stand in eine Borkc gcritzt Heraklits Spruch »Alles steucrt der Blitz« - und das hieB: nicht das ewige Feuer, nicht der oberste Gott, der vom O l y m p herabdonnert, wenn etwas nicht nach seinem Willen getan werden mochte, vielmehr der Blitz, der einen Augenblick lang das uns ringsumgebende Dunkel aufreiBt, bevor es sich wieder zu einem um so tieferen Dunkel um uns schlieBt. Sind wir hier nicht, bei dem Wahrsager des europaischen Nihilismus, dieses unheimlichsten aller Gaste, wie bei dem Denker der Seinsvergessenheit, der im Nichts den uns gebliebcnen Schlcier des Seins und der die Verborgenheit des Gottlichen denkt, in der auBersten Feme von Hegels Idealismus des absoluten Geistes, eines Geistes, der geradezu verspricht, »das Vernichtigen des Nichtigen« 2 in sich selbst zu vollbringcii? Wer also war Heraklit? Und wer war Hegel, daB er in Heraklit den wahren A n f a n g der Philosophic sehen konnte? U n d wer sind wir, daB wir dicsen A n f a n g , wie ihn Hegel von der Vollendung aus zu dcnken u n t e m a h m , nicht g e n u g finden, sondem ein Urspriinglicheres und Anfanglicheres denken m o c h t e n , in dem sich noch anderes birgt als jenes Ende >des Logischcn< in der absoluten Idee? Befragen wir Hegels eigene Bezugnahme auf Heraklit. Sie hat eine doppelte Bezeugung, in seinen >Vorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie< und in seiner >Wissenschaft der Logikt. Doch ist diese Bezeugung in Wahrheit eine einzige. Hegels Aneignung der Geschichte der Philosophie ist ja nicht eine bloBe historische Abschwcifung, sondern vielm e h r die Durchdringung der sich in der Zeit entfaltenden Wahrheit selber. »Es ist dem Begriffedes Geistes gcmaB, daB die Entwicklung der Geschichte in die Zeit fallt« 3 - und die Geschichte der Philosophie ist »das Innerste der Weltgeschichte«. Hegels Behandlung Heraklits in seiner Geschichte der Philosophic bringt ein neues M o m e n t ein. Die seit Plato ubliche, Platos eigene Einsicht in Wahrheit nicht voll aussprcchende Gegeniiberstcllung der eleatischcn Ein2
Enzyklopadie, §386. Vorlesungen uber die Philosophie der Weltgeschichte Bd. I, hrsg. v. ). H a m b u r g 1955, S. 153. 3
HOFFMEISTFB.
Hegel und Heraklit
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heitslehre und der Lehre Heraklits v o m standigen FlicBen aller Dinge ist von Hegel formlich utngckehrt worden, und zwar nicht aus Griindcn historischer Chronologie, sondern aus logischen Griinden. Die Wahrheit des Werdens ist f u r Hegel eben nicht ein niedcrcr Aspekt, der durch den tiefen Einblick, den Parmenides in die Wahrheit des Seins tat, und durch das platonischc Denken, das im mm'c or der Ideen in seine Wahrheit gclangt, iibcrwunden wurde. Die Wahrheit des Werdens ist in Hegels Augcn vielmehr die hohcre Wahrheit gegeniiber der abstrakten Identitat des werdeloscn Seins, das das Nichts ganz von sich ausschlicBt. So zitiert denn auch Hegel Heraklit dort als einen Zeugen, wo er am Anfang seiner Logik den paradoxen Satz verteidigt, daB Sein und Nichts dasselbe sind. Dieser Satz ist in Wahrheit die grofitdenkbare Herausforderung des gesunden Menschen verstandes und eben deshalb die scharfste Profilierung der vom philosophischen Denken vcrlangten lAnstrengung des B eg riffs >. Sein ist nicht etwas, was ist, und Nichts ist nicht etwas, was nicht ist. Beidc meinen nicht >etwasleereGedankcndingeder Sachc sclbst< in der ihr eigenen Dialektik zu folgen, in vicr langen Antnerkungen verteidigt, die alle bereits in der ersten Auflagc der Logik von 1812 stehen. Das ist bczeichnend. Dieser groBc A u f w a n d dient dem Ziele, dem Werden den Rang der ersten Wahrheit zuzuerkennen, eincr Wahrheit, die sich als Entstehen wic als V e r g e h e n - u n d i m m e r als beides-bewahrhcitct. Man darf geradczu vermutcn, daB Heraklit (und niemand anderer) hinter der U m f o r m u n g steht, die Hegel seiner als >Logik< cntwickelten Kategorienlchre gegeben hat, indem er sic mit Sein, Nichts u n d Werden einleitete. Der Anfang der Logik mit dem Sein u n d dem Nichts statt mit dem Etwas (= Dasein) istjedenfalls nicht ohne Blick auf das Denken Heraklits entstanden. Hegel geht dabei v o n der aristotelischen Formulierung des hcraklitischen Prinzipes aus: »Das Sein ist nicht mehr als das Nichtsein« oder "Sein und Nichts sind dasselbe«. Er halt das fur originalc heraklitische Satzc. Fiir das Baugcsetz heraklitischcr Scntcnzen hatte er keinen wirklichcn Smn. Z w a r fiihrt er seine Dunkelheit nicht wie Cicero auf Absicht zuriick, doch folgt er immerhin dem Aristoteles unci seiner eigenen Abneigung gegen die Dunkelheit in Heraklit, wenn er Mangel darm sieht und von Heraklit sagt: »Scine Dunkelheit ist wohl mehr Folgc von vernachlassigter Wortfuhrung und der unausgcbildctcn Sprache.« U n s lagc cs nahcr, die cinzigartige Kunst heraklitischer Wortfiigung u n d den Tiefsinn von Heraklits Metaphorik zu b e w u n d e m , wic cs iibngens das ganze spatere Altertum tat.
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Indes, das ist bei Hegel kein zufalliges Verkcnnen oder die Folgc dessen, daB die philologische Fors chung gewiB erst in unserem Jahrhundert des Forinaspektes solcher Texte voll gewahr geworden ist. Es zeigt sich darin vi el mehr Hegels eigene zwiespaltige Stellung zwischen Selbstsein und SelbstbewnBtsein, Leben und Denken. Auf dem Grande des SelbstbewuBtseins sucht er das Selbstsein des Lcbendigen auszumachen, und gleichwohl will er den Fortgang vom objektiv Logischcn zum subjektiv Logischen durch die dialektischc Zuspitzung zu Widcrspriichen >beweisenDai gestellt werden muB. Das Ausdriicklichmachen der implizitcn Dialektik des Spekulativen ist in seinen Augcn gcradczu die Form des philosophischen Beweiscs. Der Satz »Sein und Nichts sind dasseJbe« mill) durch den Satz erganzt werden »Sein und Nichts ist nicht dassclbc«. N u r so wird das Resultat, das Werden, in Satzen erkennbar ausgedriickt. So erklart sich wohl, w a r u m Hegel der Sprachkunst Heraklits kcinc Aufmerksamkeit widmet. Der spckulative Sinn dieser Gedanken entgeht ihm durchaus nicht. Er will im Grunde nichts anderes als die implizite Dialektik, die er in Heraklits Satzen wahrnimmt, ausdriicklich machen. Mit Recht begreift er die Einheit der Gegensatze, die Heraklit in zahlloscn Variationen aufspiirt, als die U n t r c n n barkeit des Gegensatzlichen u n d erkennt darin die dialektische Struktur von Bewegung, Werden, ProzeB. Das Eine Heraklits ist cin spekulatives Prinzip. Das Eine, das die Gegensatze vercint, »ist nicht das Abstraktc, sondern die Tatigkeit, sich zu dirimieren; das tote Unendliche (sc. Anaximanders) ist eine schlechtc Abstraktion gegen diese Tiefc, die wir bei Heraklit sehen«. Heraklit erkennt als erster die Dialektik des Ganzen und der Tcile, die Einheit des Ganzen mit alien seinen Teilen, die eben deshalb nicht so sehr Bestandtcilc sind (ju'py) als vielmehr Glieder ( j i f f y ) . Seit Heraklit ist dies ein
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Kcrnstiick aller Dialcktik des Begriffs, bei Plato und Aristoteles so gut wie bei Kant oder Hegel. N o c h bei Plato begegnct wie eine Formcl plpi} « wn ptArj4. Auch das Feuer Hcraklits kann daher nicht als toter Bestandteil oder uberhaupt als Erstes verstandcn wcrdcn. Hegels Abstraktionskraft befreit die Fcucrlehre des Heraklit von der aristotelischen Auffassungsform des Feuers als cincs Elements. »Heraklit konnte nicht mchr in der Weise eines Ersten, woraus das Andere auch hervorgehe, Wasser oder Luft als absolutes Wesen aussprcchcn, indem er Sein als dasselbe mit Nichtsein dachte«, und das heifit als den »Proze8«. Das — und nicht ein erstes Sein — ist fur ihn das Feuer, »diese absolute Unrulie, absolutes Aufldscn von Bestehen - das Vergehen von anderen, aber auch seiner selbst; es ist nicht bleibend«. Im konscqucntcn Festhalten an dieser Einsicht erkcnnt Hegel vor aller quellenkritischen Technik, die erst die moderne Philologie entwickelt hat, daB der Wcltcnbrand, dcr seit Aristoteles und vor allem von den Stoikern aus Heraklits Sentenzen herausgelesen w u r d e und der das besonderc Licbhngskind dcr christh'chen Vater werden sollte, uberhaupt keine heraklitische Lehre sein kann. Alles in allem begreift man, was Heraklit fiir Hegel so anziehend machte. Hier ist alles spekulativ, eine Dialektik, die nicht der auBeren Reflexion verdankt wird, welche unter verschiedenen Gcsichtspunktcn von auBen her an cine Sache herantritt u n d ihre Widerspriiche aufzeigt - es ist die Bewcgung der Sache selbst, ihre Lcbcndigkcit, ihre >Reflexion in sichobjektivBegriffVerstandcsdenkens< darm gesehen hatte. Das Sein, das lin Logos gesammcke Eine, das die Menschen nic verstehen, weil sie ihren wachcn Traumen der Begierde, des Intcresses, der Illusion von Herrschaft und Gewinn nachjagen, ist in sich selbst Zwiespalt u n d Streit. Es gibt sich und cs entzicht sich, und es ist nicht cine Einschrankung seines Seins als U n verb org enheit oder Entbcrgung, daB es sich auch verbirgt, sondern es zeigt sich als sciend gerade dadurch, daB es sich zugleich zuriickhalt. & V O K xpvincodm f iXci (Fr. 123) ist wie eine Formel der nachhegelschen Einsicht, die als erstcr Schelling als den Gegenhalt des nie erhellten Grundes allcr Realitat geahnt hat. Heidegger hat geradezu von der Obcrflachlichkeit der Griechen gesprochen, weil sie, die Spateren, Plato und Aristotelcs, das Sein als das Ausgesagte, als den Logos verstanden und damit die Oberflache und die AuBerung fur das Wahre nahmen. Dagegen sucht Heidegger die Anfanglichkeit Heraklits zu denken, indem er von der urspriinglichen Erfahrung von Entbergung, die zugleich Verbergung einschlieBt, ausgeht - so wie das Aufgehen der wachsendcn Pflanze zugleich die Wurzcln in die dunkle Erde treibt. Streit und Wider streit von Kricg und Frieden, Mangel und ObcrfluB, ja von Streit und Recht sind cin und dasselbe. Der >Kricg< ist der Vater von allem: Heidegger deutet dies als einen Ausdruck oder Nachhall urgricchischer Seins erfahrung von Entbcrgung und Verbergung. So ist Heidegger dem Tiefsinn Heraklits einen Schritt weit niiher gekommen, indem er ihn zum Zcugcn einer fernen Vorzeit und Vorgeschichte ernennt, auf die kaum seine Satze, vielmehr nur die Wurzeln der Worte Riickschlusse erlauben. Er erkennt in den Worten >Urworte(, die Urartikulation einer Wekerfahrung wiedcr, wie sie im >Wortschatz< einer Sprache aufgehauft ist. Heraklit selber freilich war wohl cher ein spater Denker, in einer uberreifen, iiberreichcn Handcls- und Hafenstadt im bliihenden Wohlstande griechischer Kolomalzcit zu Hause u n d hat weit mehr die Menschen gemeint und lhre lllusionen und das Ratsel, das wir als die sterblichen und glcichwohl denken den Wcscn uns sind, als daB er diese ursprachliche Artikulation des Seins in sein Denken heraufhob. Machen wir die Probe, indem wir em Ratselwort Heraklits zum AbschluB vor uns hinstellcn. Es lautet (in der Bereinigung, die ich daran vornehmen zu mussen glaube): »Der Mensch ziindct in der Nacht ein Licht an fur sich selbst, wenn das Augenlicht geloscht ist: lebend riihrt cr an den Toten, erwacht riihrt er an den Schlafenden.« (Fr. 26). Wir fragen uns, was in diesen riitselhaftcn Antithescn und Analogien gesagt ist. Da ist alles incinander verflochten, Lcben und Tod, Wachcn und Schlaf, Nacht und Tag, Licht und Dunkel, Anziinden und Ausloschcn der Lichter. Alles ist mehrdeutig, cntspricht sich und entspricht sich nicht. Wird da ein Licht angcziindct oder geht es von selber an? Wird da ein Licht ausgeloscht oder geht es von selber
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aus? Was geht da aus? Augenlicht, das erhscht? Wie hangt das mit dem A m Leben-sein und mit dem Wachsein zusammen? Alles ist dunkel und bczichungsvoll. N u r ems scheint klar: Wie hier das Sich-selber-Anziinden von Licht mit dem Bei-sich-Sein zusatnmengedacht ist, blitzt fur einen Augcnblick >Sein< als >Da< auf. Es ist etwas von Bezug auf sich selbst in allem darin. So ist Hegel frcilich nicht so fern, sein Ansichsein und scin Fiirsichsein, und vollends Plato nicht. Im >Charmides< (169a) wiinscht sich Sokratcs einen wunderbaren Mann herbei, der mi Wcscn der >Dynamis< solchcn Selbstbezug zu denken vermochte 5 . Es ist cine Welt griechischen Selbstseins, die sich hier offnet. Selbstbewegung des Lebcndigen, das nicht gcschoben und gestoBen wird, sondern von sich aus sich bewegen kann, in der Warme, die plotzlich wie von sclber zur Flammc aufschlagt, wenn das Holzscheit im Kamin Feuer fangt, in der Sclbstempfindung, die von alien unseren E m p f i n dungen und Wahrnchmungen unabtrennbar ist und ihnen als ihre Moglichkeit vorausliegt, und am Ende im Wissen, das so ist, daB es immer zugleich scin eigenes Wissendsciti weiB. Allerdings steht hier nichts von jenem neuen Primat des SelbstbewuBtseins gegeniiber dem WeltbewuBtscin im Blick, nichts von jener U m k c h m n g und Verkehrung von WeltbewuBtscin und SelbstbewuBtscin, die das modernc Denken auszeichnet und die erst mit dem modcrnen Wisscnschafrs gcdanken und semtm Primat der Mcthode, mit dem Primat der GewiBheit gegeniiber der Wahrheit zur Herrschaft gelangt ist. Gerade deshalb erkennt sich Hegel darin, der iiber den >subjcktiven Idealismus< hinausdrangt, und Heidegger, der iiber alles >BcwuBtsein< hinaus in der Differenz das Sein sucht. Auch wenn Heraklit von den Grenzcn der Seele spricht, die m a n nic bis zum Ende zu durchschreiten vermoge (Fr. 45), ist das gewiB ein grofier Schritt in cine uns vertraute Richtung, und doch offnen sich dem denkenden Blick auch hier nicht so schr die Labyrinthe der Seele oder die weitcn Reiche der Inncrlichkeit, die Schatzhauser des Gedachtnisscs, von den en die gottsuchende Seele eines Augustin so suggestiv zu sprechen weiB. Die Seele bei Heraklit steigt aus dem Feuchtcn auf wie Dunst und vcrliert sich in der Hellc wie der Glast im Blau des sudhchcn Himmels. Er sagt von sich selbst: »Ich habe mich selbst gesucht« (Fr. 101) - aber man darf wohl hinzunehmen, daB er sich auf dieser Suchc im UnermeBlichen verlor. Denn was ist dies UnfaBliche, Unermefiliche, bei dem es Grenzen nicht zu geben scheint? Auch wir wissen es nicht zu sagen, was dieses Beisichsein ist, das das wache mcnschliche Leben auszeichnet. Es tragt sein standiges Hinausdenken, das keine Grcnze kennt und fur das daher das Ende, der Tod, etwas zutiefst U n v e r standliches bleibt. 5
Vgl. dazu meinen Aufsatz >Vorgestalten der ReflexioiK, in Bd. 6 der Gcs. Werke, S. 116-128.
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Eine letzte Grenze nicht so sehr griechischen Lebensgefuhls als alien menschlichen, rationalcn Wissenkonncns scheint sich hier abzuzeichncn. In alle die ratsclhaften Entsprechnngen, die bei Heraklit begegnen, ragt wie ein lctztes, unlosbares, sich selbst auflosendcs Ratsel der Bezug des Lebens auf den Tod hinein, und zwar so, als ob es einen Ruck w e g v o m Tod in das Leben gabc wie v o m Schlafin das Wachsein und wic v o m Wahn d e r T r a u m e in die Wahrheit des Tages. Der Tod, davortoc, das hell aufklingcndc Wort fur Tod und Vollcndung, soil wie ein bloBer PoS im pulsenden R h y t h m u s des Lebens begegnen? N u r die eine Richtung, die auf das Totsein hin, ist doch die (iberzeugende Lebenslinie unserer Zeitlichkcit. Bei Heraklit klingt cs anders. Auch in Platos >PhaidonErsten Philosophie< auf den sich selbst denkenden N o u s durchaus nicht verkannt hatte. Gegen-
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iiber der Intentionalitat des BewuBtseins, das immer BewuBtsein von etwas ist, besitzt die Reflexivitat des SelbstbewuBtseins sekundaren Charakter. Der Primat des SelbstbewuBtseins kann nur geltend gemacht werden, wenn m a n dem Ideal der GewiBheit, besser noch, dem Ideal einer methodischen Vergewisserung der Realitatsgcltung mathematischer Konstruktion, wie sie scit Galilei das Wcsen der neuzeitlichen Naturwissenschaft ausmacht, einen absoluten Vorrang zuerkennt. Der Gott der aristotelischen Ontotheologie, so sehr er als das iprimum movens< und als bestandigc Sclbstgegenwartigkeit das hochste Seicnde ist, hat keincswcgs die Funktion, die menschliche Erkenntnis zu begriinden oder zu sichern. Die Struktur der Selbstheit weist in andere Z u s a m m e n h a n ge als a u f j e n e s >fundamentum inconcussum*, als welches das SelbstbewuBtsein gegen alle Skepsis standhalt. Wenn etwas unserem modernen Nachdenken iiber die Ratsel des SelbstbewuBtseins wahrhaft zu Hilfe k o m m e n kann, ist es doch wohl die Tatsachc, daB die Gricchcn weder einen Ausdruck fur das Subjekt oder die Subjektivitat noch einen Ausdruck fur das BewuBtsein u n d den Begriff des Ich besesscn haben. So sehr sie im offenen Blick auf das sich Zeigende am Ende das Wunder des Denkens selber mit in den Blick nahmen - cinc Zentralstcllung des SelbstbewuBtseins ist von ihnen nicht, auch nicht von Aristoteles, behauptet worden. U m sich von dicscn modernistischen Perspektiven zu befreien, sieht man sich in die geschichtliche Dimension zuriickgcwicsen, die von Descartes auf Augustin, von Augustin auf Plato fiihrt. N u n mochte ich zeigen, daB sie von Plato noch welter zuriickvcrfolgt werden muB, namlich auf Heraklit. Es stellt sich die Frage, ob man Heraklit iiberhaupt von diesem Problemzusammenhang des SelbstbewuBtseins aus sehen darf oder ob scin Denken nicht eher auf einen anderen Weg weist, die Stellung des Menschen in der Welt zu denken. Heraklit genieBt einen besonderen Ruhm. Er vcrdankt das nicht n u r seiner schon crwahnten sprichwortlichen Dunkelheit und nicht nur dem Gebrauch, den bereits Plato von seinem N a m c n gcmacht hat, nicht zuletzt auch seiner Prasenz in Hegel, der am Ende des ganzen Gedankenweges der abendlandischen Metaphysik sagte, es gebe keinen Satz des Heraklit, den er mcht in seine Logik aufnehmen konnte. Auf Nietzsches radikalen Extremismus wie auf Heidcggers Einsicht in das Ende und in den Anfang der Metaphysik iibte Heraklits Denken vollends eine besondere Anziehung aus. Wer einmal in Heidcggers H u t t e in Todtnauberg, oben im Schwarzwald, gewesen ist, sah dort iiber der Eingangstiir auf eine Borke geritzt den Hcraklit-Satz » Alles steuert der Blitz« 2 , ein seltsamer, tiefanriihrender Satz - und cin offensichtliches Paradox. Anstelle der ruhigen Hand,
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Fr. 64: w Se navia oiaxUct Kipmn-oc.
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die das Schiff durch die Wogcn steuert, tritt der Blitz, dcr plotzlich aufzuckt und verlischt. M a n kann iiber den Sinn dieses Satzes riitseln. aber die bis heutc herrschende Deutung, den Blitz als das Attribut der alles steuernden Gottheit anzusehen, hort an dem Paradox vorbei, das bei Heraklit gcwiB nicht uberhort werden darf. Die besondere Faszination, die von Heraklit ausgeht, hangt nicht zuletzt an dcr paradoxen und dialektischen Struktur solcher Siitze. Die spekulative Gespanntheit seines Denkens fuhrt ihn immer wiedcr zu auBerst zugespitzten Formulierungen. Sic alle sind wie der eine Satz von dem ewig flieBendcn FluB, in den man nie wie in den glcichen hineinsteigen kann - und aus dem die Scclen aufdampfen (Fr. 12). N u n konncn wir uns freilich als zu bistorischer Kritik erzogenc m o d e r a e Forschcr nicht unmittelbar auf cine naive Idcntifikation mit der Sagkraft solcher Satze cinlassen. Wir miissen uns auf die j e weil igen Bedingungen der Obcrlieferung konzentrieren, die uns die Zugangc zu denTexten, die wir als Bruchstiickclesen, offnen. Wir wissen inzwischen allzu gut, was Zitatcsind, was man mit Zitaten machen kann, wic man Zitatc miBbrauchcn, ihren Sinn bis zur Unauffindbarkcit vcrstecken kann. So ist Heraklit-Forschung cine hermeneutischc Aufgabe von besondcrer Art. M a n muB sich bestandig fragen: wie deckt man auf, wie tragt man ab, was uns durch die zitierenden Autoren an Vorverstandnis suggcricrt wird, und mit welchcn Mitteln k o n ncn wir zu cinem historisch angemessenen und dennoch philosophisch aussagekraftigen Verstandnis Hcraklits und seiner Siitzc gclangcn? Einen gewissen Vorrang sollte nun, meine ich, von vornherein unser altester Zeuge beanspruchcn konncn, und das ist Plato. Seine Schriften sind dcr erste philosophischeText uberhaupt, den wir vollstandig besitzen. Alles fruhere sind Fragmente, das hciBt Zitatc oder Sammlungen von Zitaten aus spateren Schriftstellern, die zwar Heraklits >Buch< noch kannten, aber es cben zu ihren Zwecken heranzogen. Das hat natiirlich auch Plato gctan, daB er mit seinen Bczugnahmen auf Heraklit sein eigenes Denken instrumentierte. Abcr er bleibt unser altester Zeuge. Die platonischcn Dialoge ergeben nun ein eigentumhch zwiespaltiges Bild von Heraklit. Auf der einen Seite wird Heraklit hier als der Urhebcr und als Symbol einer Wcltsicht gebraucht, die von der bleibenden Selbigkeit des Wesens d c r D i n g e , v o m >EidosTheatet< alle bisherigen Denker, von H o m e r bis Protagoras (mit dereinzigen Ausnahme des Parmenides), als Heraklitccr bczcichnet (Theat. 152e). Fur jemanden, der die platonische Art kennt, heiBt das, daB Heraklit hier zu cinem T y p u s stilisiert ist, der nicht notwendig mit dem iibercinstimmt, was Plato selber in Heraklit gesehen hat - oder gar, was Heraklit wirklich gesagr und gcwollt hat. Was alles Plato da als Herakliteer zusammenfaBt! Heraklit stcllt hier lediglich eine Arc von Gegentypus dar. Was unter seinen N a m e n gcstellt ist,
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soil mit Nachdruck auf den Ausnahmefall hinzeigcn, den in Platos Augen der groBe Eleat als Vorliiufcr seines eigenen Eidos-Denkens reprascntiert. Wenn wir im platonischen Werk die anderen Hinweise auf Heraklit ins Auge fassen, sieht die Sache aber auf einmal ganz anders aus. Da wird an einer beruhmten Stelle des >Sophistes(, in der wir die Wurzel all unserer gclehrtcn Kenntnis von den vorsokratischen Lehren erblicken miisscn (Soph. 242cff.), iiber die Fruheren gesagt, daB die einen so und so Vieles als das wahrc Seiende gelehrt hatten, andere dagegen nur Eines. Die ionischen und die sizilischcn Musen aber hatten es fiir kliiger gehalten, das Eine und das Viclc zusammenzuflechten. — Mit den >ionischcn Musen< ist ohne Zwcifel Heraklit gemeint. Von diesen ionischen Musen, die aus Heraklit sprechcn, hciBt es nun, sic hatten scharfer gedacht als die sizilischen, indem sic nicht nur das Nacheinander von Vielheit und Einheit, von Wcltperioden der Zerstreuung u n d solchen des Wiederzusammengehcns in die Einheit gelehrt hatten, wie das Lehrgedicht des Etnpedokles in den Augen Platos getan hat. Die scharferc These ist das Zuglcich des Einen und des Viclen, das Zugleich des Sich-Zerstreucns und des Sich-Vereinigens. Das wird hier Heraklit zugeschrieben, daB das Eine u n d das Viclc nicht nacheinander, sondern in eincm die ganze Wahrheit des Seins seien. Dazu laBt Plato den Fremdcn aus Elea einen Satz des Heraklit zitieren. Er begegnet bei Plato noch einmal und wird dort von dem Arzt Eryximachos zitiert (Symp. 187a). Die gcnauc Formulierung des Satzes ist ungewiB, wie bei den meisten griechischen Zitaten, Es gehorte ja zur Eleganz des Schrcibens, daB man moglichst nicht ein wortliches Zitat brachte, sondern es in den eigenen Gedankcngang einbaute — cine der Hauptschwierigkeiten, die uns die griechischen Texte bcrciten, zu erratcn, w o wirklich ein Zitat beginnt und wieweit eine Anpassung an den eigenen Gedankengang vorliegc 1 . Der durch Plato lcgirimierte Satz hciBt: fiiayepdjisvov art avjiyspeiai (Soph. 242e). Ihm etitspricht: w ev yap yi/ot otayfpd/t-rvov avid avw ovpyipiubai iionrp (tppoviav IO&V u mi Xvpac; (Symp. 187a; vgl. Fr. 51 und Fr. 8). Das hieBc auf deutsch: »das Eine, das sich in sich selbst auseinanderstellt, fiigt sich i m m e r mit sich selbst zusammen.« Eine hochst paradoxe dialektischc Formulierung. Heraklit liebt es, fur solche Paradoxe Beispiele zu geben. So fahrt er hier im >Symposion< fort: »wie die Harmonie des Bogens und der Lcier.« Ahnlich ist etwa: »Der Gerstentrank, den man nicht umriihrt, zersetzt sich.« 4 Heraklit hat seine eigentliche Weisheit, sein oofdv, in vielen solchen Beispielen illustriert. Die gleiche Wendung, die im >Sophistes< begegnet (242e), wird im >Symposion< (187a) dem Arzt Eryximachos in den M u n d gelegt, und das ist bedeutsam. 1 4
Die Stoiker naimten diese Anpassung ovwtKetvvv. Fr. 125: xai I T O T O tirimaim (firi) win'r^voi,.
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Sein U n v e r s t a n d n i s f u r die spckulativc Einheit des Entgegengesetzten w i r d durch die A r t karikiert, wie der Arzt an Heraklit hochmiitigc Kritik iibt. Die >SophistesTheatet< die Herakliteer eingefuhrt werden, spricht dafur, daB Plato iiberhaupt erst die G e g c n k o n s t r u k t i o n des universalen FlieBens, wic ich meine, errichtet hat, u m sein D e n k e n des dSoc zu profilieren. Viclleicht w a r er auch in Kratylos oder anderen >echtcn< Heraklit e e m der Lehre selbst schon begegnet. Das scheint m i r indirekt aus der A r t hervorzugehen, wie i m >Theatet< das cleatische T h c m a aufgeschoben wird. Da wird nicht n u r s p a n n u n g s w e e k e n d auf das eleatische D e n k e n u n d liisbcsondere auf den >Sophistes< vorverwicsen. N o c h dcutlicher spricht, meine ich, die Begriindung, w a r u m Sokrates die Lehre des Parmenides hier beiseite laBt: »weil sonst das, u m dessen willen wir in unserer U n t e r r e d u n g u n t c r -
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Plato, Krat. 402a:
idv avrov...\ und mit ofTenkundigem Nachdruck Heraklit,
Fr. 12: uvuqioim lotoiv avrolo iv k^tfimmmiv in pa xv/i hepa vSaia crii/ipci.. .
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wegs sind, das Wesen der Erkenntnis, ununtersucht bleiben w u r d c « 6 - a l s ob ohne das eleatische Denken Erkenntnis uberhaupt verstandlich ware. O f f e n knndig ist das doch gerade die Lehre, die Theatet aus dem Gcsprach mit Sokrates zu ziehen hat, und deshalb geht die Gcsprachsfiihrung am nachsten Tagc in die Hand des Fremden aus Elea iiber. Erst in diesem Gesprach iiber den Sophistcn wird Theatet lernen, was Erkenntnis ist: nicht unmittelbare Evidenz, sondern XoytK. Aber ob Heraklit selber das auch erst zu lernen gehabt hatte? Die ProzeBtheoric, die Sokrates im > Theatet' aus der Flufilehre entwickelt, hat ihre starkste Stutze in Heraklits Satz von den immer neuen Wassern, die durch die gleichen Strome flicficn. Abcr das scheint ganz woandcrs hin zu zielen: » Auch die Seelen damp fen aus dem Feuchten auf« (Fr. 12) - und cbcn dcren Logos scheint unergriindlich (Fr. 45). Das schcint Heraklits tiefsinnige Ahnung zu sein, und eben das ist es, was das Fnteresse der Neuzcit besonders auf sich zieht. Hier schcint die Struktur des SclbstbcwuBtseins impliziert - und in Wahrheit ist der Logos als Weltprinzip gedacht. Hegel ante diem. Wie paBt das aber zu dcr sonstigen Oberlieferung? N u n ist diese bekanntlich von Aristoteles entscheidend gepragt. Er ist die Hauptqucllc fiir unser Wissen iiber die Vorsokratiker uberhaupt. Abcr bei Aristoteles sieht die Sache, was Heraklit betrifft, ganz schlimm aus. Aristoteles crzahlt uns, offenkundig wegen dcr paradoxen Formulierungcn Hcraklits werde von manchen behauptet, er habc das Grundprinzip aller Erkenntnis, den Satz des Widerspmchs, nicht fiir giiltig gehalten (Met. r 3, l(l05bi 4 ). Das konntc in den Augen des Aristoteles keine Empfehlung sein, auch wenn er diese polemische Behauptung offenbar selber nicht ganz ernst m m m t . Schwerer wiegt, daB sein cigcntliches Hauptanliegcn mit Heraklit auBerordentlich schlccht verbindbar ist, die Physik. Das wird noch sehr zu bedenken sein. Die leitendc Perspektive des Aristoteles, die er in der D u r c h m u s t c r u n g der Vorsokratiker bestatigt sieht und die er gegen den Pythagoreismus Platos geltend macht, ist nicht so sehr das in Zahlen u n d Proportionen geordnete Gefuge des Alls als die Seinsverfassung von >Natur< (yvoic), sich von sich aus zu bewegen: Die Anschauung von der N a t u r des All lehrt, daB es sich selbst halt, sich selbst bewegt und ordnet, in sich selbst im Gleichgcwicht ist. So entwickelt sich in seinen Augen die griechische Kosmologie als die Wahrheit, die den ursprunglich rcligiosen und mehr und mchr durch wissenschaftliche Beobachtung gestiitzten Kosmogonien der Sites ten Dcnkcr zugrunde liegt. Die Welt bedarf keincs Atlas, der sie tragt. Sie halt sich selbst und halt sich selbst in O r d n u n g . (So noch im >Phaidon D e n k e n * gebraucht, nicht voeiv und vuik ist, sondern ypovrh- und xfptivqmc;. 13 K A I I N , S. 21 tut das inzwischen, wie ich bemerke. Ich stimmc ihm ganz zu, daB das nicht bedeutet, da(i Heraklit ohne die ionische Kosmologie denkbar ware. Sie ist gegenwartig und stehrim Bliek, abcr so, daB die Kritik an der m>.\iyiAetnahcraklitisch< im Sinne des >KratylosTheatet< (156c ff.) das >Sein< deutet. Die >KratylosBios< fur Leben und fur den Bogcn. Im Worte schon ist die Einheit der Gegensatze darin. Das ist gewiB der Grund, w a r u m Heraklit Wortspiele besonders liebt. Sie crlaubcn ihm, seine eigenc Wahrheit im Wortlaut einzufangen und den eingeebneten, gedankenlosen Urngang mit der Sprachegleichsam aufzustoren. Ein anderes Beispiel, das so mit dem Wortc spielt, u m die darin verhullte Wahrheit zu bekraftigen, ist das Fragment 114 19 , w o der Gleichklang von >gemcinsam< (fi>v6v) u n d >mit Vernunft< (fi'v v&?) das Wortspiel ausmacht, und damit wird etwas gesagt. Die Vernunft ist nicht nur alien gemeinsam, sondem auf Vernunft beruht alles, was gemeinsam ist. Anderes mag fur uns unkenntlich sein. So vcrmute ich aufgrund der Zitatc bei Aristoteles 2 0 und der /yv^c-Spiclcreien des Pausanias und Eryximachos im )Symposion< - und auf dem Hintergrund des hesiodischen Vorbildcs (Op. 20ff.) - , daB Heraklit ahnlich mit ipicK u n d tpic, gespielt hat - im Blick auf den >licbcnden Streit<siv Simpeitv 'imotov mi xppa&v o j c e y c D a s klingt hochst konvcntionell, wie eine Ansage im Stile umfassendcr iuzophj. Heraklit verspncht, »alles auseinandcrzusetzcn, wic es sich verhalt«. Wie sieht abcr dieses Auscinandersetzen in Wahrheit aus? Der Leser des Buches sieht es, der Horer des Logos hort cs. Es ist gcrade nicht Unterscheiden, sondern in allem Unterschiedenen das Eine Gewahren: Das ist die heraklitische Botschaft. Was die anderen fiir verschieden halten, wie Hesiod Tag u n d Nacht, ist in Tat u n d Wahrheit eins und dasselbe. Die heraklitische Lehre wird standig in dieser Weise formulicrt: tv u) ooyvv30. Ich halte das fur den eigcntlichen und urspriinglichen Satz, der von Heraklit in seinem Buchc anscheinend mehrfach wiederholt worden ist. Es kann nach dieser Formel ev id ooifov verschieden weitergehen: »es will und will nicht mit dem N a m e n des Zeus genannt werden« (Fr. 32), oder: »das ist die Einsicht" (yvdftti Fr. 41). Auch in Fragment 50 steckt irgendwie unsere Formel >Eins ist das Wcisedas Weise< erscheint. Dcr Besitz des N e u t r u m stellt einen der genialen Vorziigc des Griechischcn fur die Abstraktion des Denkens dar. Das haben Reinhardt und Snell uns sehen gclehrt. Wir kennen solchen Gebrauch des N e u t r u m in ahnlichcr Weise aus der deutschen Dichtung, vor allem seit Goethe und Holderlin, die >das Gottliche< oder >das Rcttcndc< im Gedicht gebrauchen. Wenn dergleichen in cinem Gedicht begegnet, wird es nicht als ein bestimintes Seiendes vers tan den 3 2 . Von solchetn N e u t r u m gcht vielmehr eine Seinsgegenwart aus, die den ganzen Raum crfullt. >Das LInheimlichedas Rettendcdas Gottlichei oder >das Heiligefor ever true< verstehe, sondern als >ever prescnt< (und damit >true0 - >prcsentv( fnoiqnr mix; Si iXtvdcpovt,. 61
Fr. SO: eiSevai Si x/jij -ibv noXr.pov eovra {IJVOV, rari Sita/i- rpiv... KAHN, S. 205 f. bat sehr schon gezeigt, wie Heraklit die homerisehe und archilochische Aussage iiber den Krieg iiberbietet. Er hort aach richtig den Anklang an den Einleitungssatz des Ganzen heraus. Dagegen sehe ich den Anklang an den uns nur zufallig bckannten Satz des Anaximander nicht. D o r t k o m m t ja nicht, wie bei Anaximander, Dike als Strafgewalt vor, sondern wie der Streit als das Gemeinsame (furor) ins Spiel. Das ist das, was die Ahntingslosen (am:t/iowir) immer wieder verkennen. 62
Herakli t-S tudi cn
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weisheit zu machcn, scheitcrt daran, daB Heraklit den Anspruch erhebt, das Eine zu denken, und damit Weisheit nicht Eingeweihten, sondern alien Menschen zumutet. Wie vertragt sich aber all das mit der Feuerkosmologie? M a n mufi bei dieser Frage nicht nur Heraklits Stil u n d Platos Heraklit-Charakteristik 1111 Auge behaltcn, sondern auch polemischc Bezugnahmen auf die milesischen Lehren in Rechnung stellen. Z w a r w a r der Anspruch auf paradoxe Aufklarung, den das P r o o m i u m erhebt, stets auf das Verhalten der Menschen im ganzen bezogen, Aber es sieht doch so aus, daB die Sache hier eine besondcre Wcndung n i m m t . Auch diese neue Wissenschaft wird konsequentcrweise einer Art Aufklarung unterzogcn werden miissen. Wenn wir bisher die all gem eine Anweisung des P r o o m i u m s befolgten und nichts voraussetzten, was nicht die alltagliche Erfahrung die Menschcn lehren sollte und in Wahrheit doch nicht lehrt, miissen wir uns jetzt fragen, wie Heraklit die neue Aufklarung insgesamt, welche die Milesier, aber auch die Pythagoreer und Manner wie Xenophanes verbreiteten, kntisiert und scinen Einsichten einpaBt. Das bedcutet kein Vcrlassen unseres Grundsatzes. Denn cs sind nicht besondere Erkenntnisse, die er z u m T h e m a macht, sondern die neue Weise, die Welt zu sehen, Aoyv denkend. Der mctcorologische ProzcB liegt aller Beobachtung offen zutage. Auch muB sich jedermann fragen, wieweit die Entmythologisicrung des mythischen Weltbildcs und die Rezeption des kosmogonischen Schcmas solche Fragen unausweichlich macht wie die nach dem Anfang und ob nicht solche Prozesse der Weltwerdung immer wieder und uberall in Gang k o m m c n konnen. Die spatere Korpuskulartheorie und vollcnds die Atomistik haben so gedacht und im G r u n d c f u r j e d e s denkende BewuBtsein vcrstandlich gedacht. Ich meine also, dafi Heraklit durchaus nicht als ein Fortsetzer der ionischen Kosmogonie gesehen werden darf und diese in Kosmologie iiberfuhrt. Dafiir macht er doch ofters zu naive Beobachtungcn oder A n w e n d u n g c n , die nur bedeuten konnen, daB die Bezugnahme auf die kosmologischen Dinge fur ihn von sekundarer Bedeutung sind. Wenn Heraklit auf die kosmogonische Erkenntnis seiner ionischen Nachbarn Bezug n i m m t , scheint seine Absicht nicht zu sein, mit den grofien Forschcrn und Encdeckern aus Milet in Wettbewerb zu treten. Was cr beansprucht, ist iiberhaupt nicht, neue Kunde von uberall herbeizuzichen, sondern die in allem Augenscheinlichen oder sonst wie Bekanntcn verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen. Das ging aus dem Einleitungssatz hcrvor, der geradezu mit dem Paradox einer alien sichtbaren, doch uberall verkanntcn Wahrheit spiclt. So werden wir schon aus diesem Grundc mit der Deutung der Feuerkosmologie als einer >Kosmologie< nicht allzuwcit k o m men. Die gequaltcn Versuche der spatcren Doxographen, die iibcrlieferten Satze Heraklits dem kosmologischen Schema oder gar der von Empedokles
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eingefiihrten und von Plato oder Aristoteles ausgearbeiteten Elcmentenlehre einzupassen, konnen einen nicht ermutigen. £ s handelt sich u m einige wenige kosmologische Satze von hochst paradoxer Gestalt. Da ist Fragment 30 s 3 , das in der gesamtcn fruhen Uberlieferung kosmologischen Denkens ohnehin cinzig zu sein scheint. Ich glaube nicht, daB man darin eine Zuriickweisung ionischer Kosmogonie sehen darf, wie neuerdings vcrsucht worden ist. Als ob die lonicr mit lhrer Kosmogonie etwas anderes gelehrt hatten als eben dies, daB kein Gott und kein Mensch diese Weltordnung eingerichtet hat. Heraklits Satz klingt in seinem ersten Teil eher wie eine positive Bczugnahme auf die lonisclic Physislehre. Etwas anderes an diesem Satz klingt aber sofort heraklitisch, und das ist die Bctonung, daB diese O r d n u n g diesclbe fur alle (oder von allem) ist. Wenn dieser Textteil echt ist, laBt er einen an die warnenden Aussagen iiber die U n vernunft der Menschen denken, die wie Traumendc ein jedcr sich seine eigene Welt aufbaucn (vgl. Fr. 89). Das Wesentliche an dem Satz ist offenbar, daB die Erwartung einer unveranderlichen Weltordnung ausgerechnet dem unruhigsten allcr Elementc, dem Feucr, zugeschrieben werden soil. D e m ewig Lebendcn, und das heiBt dem immer ruhelosen Feuer, wird das aufgebiirdet, was sonst das groBe Gleichgewicht der Wcltvision des Anaximander von sich aus cmhielt, namlich MaB zu ha ken bzw. MaB immer wieder herzustellen. Dies MaB wird hier als Sich-Entziinden und Verloschen des Feuers geschildert - ein scltsames Gegeneinander von maBhaft Geordnetem und explosiv Plotzlichem. Dabei ist offenkundig, daB Entziindcn und Verloschen cben das Plotzliche symbolisicren, durch das Heraklits Weltvision inspiriert war. U n d doch ist ebensowenig zweifelhaft, daB Heraklit die MaBhaftigkcit alles Geschehens ebenfalls voraussetzt u n d dieselbe nur neu intcrpretieren will. Insofern geht es nicht darum, die angebliche Kosmologie in bloBe Symbolik aufzulosen. Es geht vielmehr darum, in Heraklit cine neue A n t w o r t auf die E r f a h r u n g des Seins des Ganzen zu entdecken. Das scheint mir das in Fragment 30 aufgegebene Ratscl zu meinen. Wenden wir uns nun dem weiteren Tcxte von Clemens zu, so kann m a n doch k a u m bezweifeln, daB der Folgesatz, also Fragment 31 6 4 , unmittelbar an unseren Satz anschliefit (»Feuers Wandlungen. . .«). Dann diirfte aber diese Wendung nvpbc, ipoitai denselben unuberhorbaren Ton des Paradoxes tragen, der den ersten Satz als ein Paradox erscheinen licB. Alles sind Ausschlage unruhigen Feuers. Es ist also nichts mit dem ionischen vollto-
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Fr. 30: xriopuv uivdr, xdv arfijov anovimv, oiki: HI; Httiv ovzt avd/xinav inotrjoer, ffAA'^v £rr? xai fiw» xai loitn nip actfaw, iua&fitvov phpo *«» inooptwifttvOM psipa. 64 Fr. 31: nvptK ipuiiai nparov BuXaoaa, DaXaoo7/c; Si io ju:v rjfitav yip zS Si rfpiov itfiijozijp ...
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nenden Ausgleichsgeschehen, in dem alle Gegensatzc fur ihr Vorwiegen jeweils Strafe u n d BuBe zahlen. GewiB konnten auch die Wendepunkte des Sonnenlaufs mitklingcn, sofern alle Wechsel - auch die des Jalireslaufs der Sonne - und alle U m k e h r etwas Plotzliches an sich haben, wie das in dem griechischen Ausdruck zponai gelegen ist. Aber es bleibt doch der Zusammenhang mit d e m vorangegangenen Satz bestimmend. Daher muB der Fortgang von dort her vcrstanden werden: Was geschieht im Entziinden und im Erloschcn? Kahn hat richtig bemerkt, daB im folgcndcn die Atmosphare, die Luft, fehlt 6 5 , das heiBt das, was der ionischen kosmischen Weisheit offenbar gerade das Wesentliche war und die Anschauungsgrundlage bot (Thales, Anaximenes). Ebenso scheint er mir recht zu haben, daB hier z u m Feuer sein auBerster Gegensatz, das Meer, als sein anderes genannt wird. Z u m Himmelsfeuer trite das Weltcnmcer als sein auBerster Gegenspieler. Das timmer Lebendige< ( I J O W O V Fr. 30) gehort offenbar mit Entflammen und Verloschen zusammen. Das mufi den Leitfaden der Interpretation bilden. Selbst wenn man alle spateren Unterscheidungen von Feuer und Licht und Warme fernh'alt, die sich vielleicht schon dem Unterschied von Sinnlichcm und Geistigem nahern und ihn iibcrspielen, wird schon aus obigem Satz klar, daB das Feuer nicht ein sichtbares Element ist, sondern im Gcgenteil das gegeniiber allem Bestand sicli bestandig Wandelnde. Das gerade ist seine Lebendigkeit, daB cs gleichwohl Bins ist - wie alles Lebendige. Auch das Feuer ist nach MaBen aufflammend und nach MaBen verloschend - wie ctwa auch der Lebens rhythm us von Wachen und Schlaf. So stellt das Feuer die universale Struktur alles Seins dar. Das crklart bestens das Fragment 90 66 : »Alles ist austauschbar gegen Feuer und Feuer gegen alles«, heiBt es i m Vcrglcich des Feuers mit dem Gold. U n d ahnlich wie Fragment 88: Alles wandelt sich wie Feuer; es schlagt aus wie die Flamme und sinkt zusammen im Verloschen. Feuer wandelt sich auch, wenn es mit Rauchcrwerk vcrmengt wird« (Fr. 67). Der Ton liegt stets auf dem Einen, das das Wahre u n d Weise ist, hinter all den vermeintlichen Unterschicdcn, ob diese n u n die Gegensatze und ihre Verwandlung ineinander oder die Relativitat u n d der Umschlag der Aspekte sind. Das Wandelbare selbst ist das Eine. So crklart sich, meine ich, am leichtesten das kosmologische Zeugnis iiber die Wandlungen. die i/mnm. Vielleicht heiBt das hier nicht >WendepunkteEkpyrosisWipa yapMyti, on •m. iti'p vno tov faoixofmvt;Xdyov xai dtov la ai'fuHivii/ St' (dpiKipiinf/iai ci( vypbv "> uxon£p)ia 1 ijc Hiaxooprjcre zM;, o aiX f:i SaXauoav, t-K 8i• n/vtov nidtf ytverm yrj nai ovpavbc xai la epntpu^iificva. onw St ufiXtv ara\apf)(n£ cat xai ixnvpomm, aaipix lovmv S^Xt/i...
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Die Anschauung, die dem ganzen Text zugrunde liegt, ist am ehesten durch des Simplicius' Begriff des fipamiK&v (des >AktivenTod' erschcint, laBt sich vcrstehen. D e m ruhelosen Leben des Ozeans gegeniiber ist das feste Land wie etwas Totes. So scheint mir, daB Heraklit mit seiner Fcucrlchre die ionische Kosmogonie gleichsam hintcrfragt hat. Nicht Wandlungen des Wassers (Thalcs) oder der Luft (Anaxiniencs), sondern Feuers Wandlungen sind es, was diese beschreibt. Das wird sozusagen mit provokatorischcr Emphasc in diesem iiberliefcrtcn Text gesagt. Wenn wir nun bedenken, wic ddXaooa in dieser Zeit fast ein Sarnmclw o r t fiir das Fiussige, FlieBendc, Stromendc, Ruhelose ist (a KaXt:i ddXaoom', sagt Clemens), so schlicBt sich die ganze FluBlehre ohne Z w a n g an. Von hier aus ist nun ein letzter Schritt zu tun. Es ist gewiB cine schwierige Frage, wie sich der kosmische Aspekt der Feuerlehrc - mag sie auch noch so metaphorisch verstanden sein - mit den hcraklitischen Aussagcn iiber die Seele verkniipft. Auch ist darauf hinzuweisen, daB das Grundzeugnis dcr FluBlehre von Eusebios allcin wegen des Bczuges auf die y » x j zitiert wird, die molhinKij avadvftiaoK sei (Fr. 12). Die stoischc Interpretation, die die FluBlehre mit der Seelcnlchrc aufgrund dcr eigenen Pneumalehrc zusammenschlieBt, schcint eine allzu unsichere Basis. Daher mochte ich vorziehen, auch hier von Texten auszugchen, in denen unmittelbar Beobachtungen zu Wort k o m m e n , die cs erlauben, die Fcucrlchre Heraklits in einen Sachzusammenhang zu riicken, der in sich selber eindetitig auf >Psychisches< gcht. Das war mimerhin ein Rcsultat unserer Skcpsis gegen das kosmologische Schema der Doxographie, daB das Feuer fiir Heraklit weniger die Erfahrung s welt verstandlich machcn undbeschreiben soli, wie etwas aus anderem wird. Es geht vielmehr u m das eigentliche Ratsel des Denkens, das im Feuer liegt. Die Entstehung von Feuer wie das Erloschen von Feuer sind >ontologisch< gleich ratselhaft. Wo k o m m t es her, w o geht es hin? Mag das Verloschen n o c h - i n Glut und Asche - sichtbar versinken, abcr w o k o m m t es her? Was ist dieses plotzliche Aufflammen? Ich meinc, Heraklit suchte nicht so sehr eine Erkliirung dafur, als daB cr darin das ganze Geheimnis des aetfaov erkannte. Das Feuer als ein Element neben die >andercn< Elemente zu stellen, ist uberhaupt ein absurdes Paradox. Es ist die Lebendigkeit selbst, die sich als ruhelose Sclbstbewegung manifestiert. Das eigentliche Ratsel des Seins ist nicht, wie sich im Wcchscl des Geschehens die gleiche O r d n u n g des Ganzen erhalt, sondern daB dieses Wechsclsein selber statthat. Das hat Heraklit als das Eine in alien Gegensatzen crkannt, die Einheit des in Gegensatzen 68
S. oben A n m . 8.
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Gespannten. Das bestatigt die unzweideutige Aussage Platos, mit der er die >gespannten ionischen* Muscn gegen die >sizilischcn< abhebt. Das beschrcibt zugleich das Baugesctz jener Satze, die wir aufgrund ihrer Familienahnlichkeit Heraklit zuordnen mochten, Nicht, wie das Eine in das Andere iibergeht, sondern daB cs auch ohne U b e r g a n g das Andere ist, ist die >eine Weisheitt Heraklits. O h n e Ubergang, plotzlich wic der Blitz - das ratselhafte kt,riiipvqc, in Platos >Parmenidcs< (156d) k o m m t einem in den Sinn 6 9 , das in den eleatischen Antithesen keinen rcchten Platz findet, sowie das jieianeoovia (Fr. 88). Der raumliche Ausdruck solchcr iibergangslosen Andersheit ist das A n einanderriihren ('anisndm) — das Schliissclwort des tiefsinnigen Fragments 26: »Der Mensch in der Nacht ziindet sich ein Licht an, wenn die Augen erloschen sind. Lebend riihrt er an den Totcn, erwacht riihrt er an den Schlafenden. « 70 Der Satz gibt vielc Ratsel auf. DaB zwischen den beiden Bedeutungen von anuiv, >anziinden< und >anriihrenAnziinden< heiBt >anriihrendawic cin Toter< schlaft. Es ist etwas Geheimnisvolles in der Plotzlichkeit dieses Umschlags, wenn der Einschlafende mit einem Schlage >\veg< ist. Auch fur den Bcginn des >Todcsschlafs< gilt das, wenngleich das ein endgiiltiger Umschlag ist. Soweit scheint mir der cpigrammatisch verkiirzte Text nicht nur heraklitisch zu klingen, sondern auch Heraklits wiirdig zu scin. An etwas, was jeder jederzeit beobachten kann, ohne sich etwas dabei zu denken (anripmrnv iowatn acyidyujvai), an Wachsein und Schlaf bcgrcift cr das Eine Weise (cv aotpov) von Tod und Leben. Was aber will der erste Satz des Fragments sagen (avftpwnoc; anreiai.. J? GewiB, daB der Mensch das Feuer »beherrscht« und sich selber Licht macht, ist eine alteste Erfahrung der Menschheit, die im Prometheus-Mythos ihren Niederschlag gefunden hat. GewiB auch, daB das Anziinden oder Anbrennen etwas Wunderahnliches bleibt. Auch versteht man, das Anziinden der Kerze oder der Ollampc bcwcist die Selbigkeit des Brennenden und Brennbarcn, so daB alles Feuer ist. Aber ist das alles, cine Entsprechung zwischen dem naturhaften Erloschen und Sichcntziinden mit Schlaf und Wachen, Tod und Leben und der >Kunst< des Feuergebrauchs? Clemens zitiert das Ganze u m des Erwachens und Erwcckens willcn u n d hat iiberhaupt v o m christlichcn Glaubcn an die Auferstehung aus die christliche Verhcifiung im Blick. Dafiir muBte der offenbar authentisch ziticrtc Satz des Heraklit etwas umgemodelt werden, so daB der Satz avdpzcnoqsv svippovj] ipaoc, anuim cavii) entweder im stoischen Sinne zu verstehen ist oder durch Clemens mit Hilfe des offenbaren Einschubs auodavwv in chnstlichen Bezug geriickt wird. Das erlaubt dem christlichcn Autor, in emppovq (der >WohlgesinntenLicht zu machern. Das paBt nicht zu der Situation des Schlafers. Auch scheint es mir abwegig, cine solche allgemeine Aussage iiber >den Menschcn* auf das Traumleben zu beziehen, wie vicle Interprctcn hier im Hinblick auf das anoo/teotkk dtpeit, annehmen. Als o b wir unscrc Traume so bcherrschten wie das Feuer, das wir anziinden, und dann wiirde der Nachdruck des »sich selber« (iavzw) unverstandlich! Z w a r setzt Heraklit die Traumwclt und Wahnwelt oft der gemeinsamen Welt des
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Tages und dcr Vernunft cntgegen. Aber falls der Zusatz anoofteadek ofiK wirklich zu haltcn ist - und er wcist ixnmerhin durch semantischen Kontrast zu >ausloschen< auf das >Anziindem hin - , muB er cine besondcre Pointe haben. Die erloschencn Augen - wenn das wirklich im Satz des Heraklit stand - geben der Nacht not wen dig einen nietaphorischcn Sinn. Die Nacht, in der wir dank dem Licht, das wir uns anziinden, nicht traumen, sondern sehen - das ist, was wir alle tun, wenn >der Mensch* crwacht! Nicht das Traumen, sondern das Aufgehen dieses inncren Lichts, das wir Denken oder BewuBtsein nennen, ist >des Menschcn< wirkliche Besonderheit (vgl. etwa Fr. 11671). O b der Zusatz anonf)ioi)(K %'t'K nun hcraklitisch ist oder von einem guten Rater des herakhtischen Riitsels als Aufldsungshilfe bcigegebcn worden ist - er trifft den Sinn 7 2 . So empfangen wir von hier eine unerwartcte Verstarkung, das Entflammen, die Selbstbewegung und die >Seelc< zusammenzudenken. Was auch immer yn>x>] mi friihen griechischen Denken gewesen sein mag, die Reihe der Aussagen, die bei Heraklit iiber die »Sccle< gemacht werden, zwingt uns, in lyvyrj nicht nur das belcbende Etwas zu sehen, das mit dem letzten Atemzug entweicht. Die sokratisch-platonischen Anklangc sind uniiberhorbar, wenngleich Pythagoras und der aus dem Rad dcr Geburten rettendc Weg der Anamnesis schon dort mitgespiclt haben mag. Geht man davon aus, daB nicht das Licht des Traumcs, sondern die Helligkcit, die wir >BewuBtsein< nennen, hier gemeint ist - und sie ist ja wirklich, wie das schlagartige Erwachen aus dem Schlaf, ein >Zu-sichKommen< (iaviu!), D a n n gewinnt der heraklitische Logos erst seine voile Aussagekraft: Das nvp fpovipov, das da aufflammt, wenn einer >zu sich* k o m m t (bei manchcn Schlafern dauert das cine Weilc!), ist nicht Vereinzclung, wenn einer aus der Nacht auftaucht, sondern der Weg zurTeilhabe am gemeinsamen Tage und der gemeinsamen Welt. Sie wird im tfpovnx u n d im \oyoPhysik der Seele< noch immer zu wortlich - und auch wieder nicht wortlich genug, wenn er von anmv den wortlichen Sinn v o n ianriihrein ganz ausscheidet, der in dem einleitenden Satz unentbehrlich ist. 72
HOLSCKER
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A b e r o b das nicht vielleicht oftcrs an der triviahsierenden Zitierung liegt? Ich gebc ein Beispiel, an dem sich die Abtragung solcher Trivialisicrnng in zwci Schritten vorfuhren laBt. Es ist das Fragment 46: vjv it ohjow ispav vooov i:.\t )t Kcti z7/v bpuaiv i/ifvdiodat, »das Wahnen nannte er Fallsucht und das Sehen triigerisch«. DaB man die Aussage iiber die oh}otvoraussehen< bei H o m e r nahe, oiquix, als >Wahn(, wahnhafte Selbstsicherhcit, blinden O p t i m i s m u s zu verstehen. Von da ergibr sich als das bevorzugte Objekt wahnhaftcr Selbstsichcrheit das eigene Selbst. So versteht sich o'iipnc; als Selbstcinschatzung. Will nun Heraklit wirklich den frostigen Scherz mit der Fallsucht machen, wenn er oh/OK mit ihr vergleicht? Gerade wenn man den >tcchnisch< gewordenen Ausdruck fur die Epilcpsie, die hcilige Krankhcit zu sein, im Auge behalt, sollte man nicht zuviel Gewicht auf das >Fallen< als solches legen. Die iheilige Krankheit< der Fallsucht enthalt vielmehr die Konnotation, daB ihr gegeniiber f r o m m e Scheu und Schonung des von ihr Hcungesuchten geboten ist. Einen von ihr zu Fall Gebrachtcn zu berauben oder sonstwie zu schadigen ware gcradezu cin Sakralvergchen. N u n denke ich, Heraklit will hier etwas Wichtiges sagen. Das M o m e n t von Scheu und Schonung k o m m t auch der Meinung zu, die alle Mcnschen von sich selbst haben. Ein M o m e n t des Wahns, der blinden Selbstschonung, liegt i n j e d e m Mcnschen. Man mag es eine Krankheit nennen. Mit Selbstkritik und Vernunft, mit Hilfc der alien gemeinsamen Vernunft dariiber hinw e g z u k o m m e n wiirde zu einer richtigeren, gesunden Sclbstcinschatzung fiihren, rriimcrliin verlangt diese >Krankhcit< - sowcit sie eine ist - eine gewisse Schonung. O h n e eine (noch so bescheidene) Meinung von sich selber zu haben, kann niemand aushalten. Joseph Conrad hat in 'Lord Jim< die Lebenstragodic einesjungen Mannes beschriebcn, der schuldhaft diese Meinung von sich selbst ganz cingebiiBt hat. Der paradoxe Satz will gewiB nicht zur Schonung von Illusionen iiber sich selbst aufrufen. Aber Heraklit sieht die Macht der Illusionen, die cm jeder " So begegnet in Fragment 131 das Wort in dem hier zu erwartenden Verstandnis: (rXcyt: lip;) vh(Oi\ nfjoKoiiJ^ echtester Gnomenstil ubrigens. Auch sonst ist es als >alt< bezeugt: Joh. Damaso., Sacra par. 693e (vgl. M O N D O L P O / T A F A N , Eraclito. Tesdmonianze e Imitazioni. Firenze 1972, S. 221 f ) , etwa auch bei Euripides Fr. 270: SdkijOK, ahnlich wie Heraklit Fr. 17 HOKEOVUI. Natiirlich belegt das nicht den Wortgebrauch von OHJ<JK (und C o r p . Hipp. IX, 230 Littre ist auch kein wirkliches Zeugnis).
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iiber sich selbst hat, rich tig - so wie er rich tig sieht, dafi das mcnschliche Schicksal nicht durch die gottliche Fiihrung eines >Daimon* gepragt wird, sondern durch die eigenc Fiihrung des Lcbens (>Ethos>l ojkwvvai jiaMov rj nvpKartjv' z//i'tieo'iqoiv iepav vooov ehyf ... Vielleicht ist es so. Das, wie so vielcs andere, entsprachc gewiB dem tiefen Blick des Seelenkenners Heraklit. Es ist unverkennbar, dafi sein Dcnkstil weit mehr der Pragnanz u n d Scharfc gnomischer Spruchweisheit nahesteht als ionischer Wissenschaft. Die kritische Konfrontation mit dieser, die in der Fcuerlehre ihren Ausdruck hat, lafit crstaunliche Aussagen iiber die >Psychc* und ihren >Logos< zustandc k o m m e n . DaB der Logos der Seele »sich selbst vermehrt** 74 , muB - meine ich - mit all den Aussagen zusammengesehen werden, die cine verborgene Einheit hinter dem Gegensatzlichen als das >Einc Weise< auszeichnen. Man darf hier nicht im post-cartcsischen Stile die >substanzielle< Unterscheidung des AuBeren und eincs Inneren voraussetzen - man muB die schlichteste Beobachtung darin erkennen, daB yvyjl > Leben* ist und daB das Lebendigc im Unterschied zu allem S u m m e ist, das deshalb mehr wird, weil etwas dazugekommen ist, >sich< vermchrt, >sich< entfaltet, >sich* bewegt und am Ende >sich< sucht. Dieses >sichUmschlag< eines und desselben steckt, setzt Heraklit dem milcsischen Gegensatzdenken entgegen. Das Sich-Entzunden des Feuers, das Sich-Bewcgen des Lebendigen, das Zu-sich-Kommen des Erwachenden und das SichDenken des Denkcns sind Manifestationen des einen Logos, der i m m e r ist. Das geheimnisvolle >sich< ist cs, dem der ganze Tiefsinn Heraklits gilt. In unnachahmlicher Weise halt er da die einzige Mitte, die der Reflexivitat des SelbstbewuBtseins im neuzeitlichcn Denken verlorengegangen ist: amrtat cuviit. Ist cs anziindend - >fiir sich selbst*? - oder ist cs >von selber* entflammend wie das Scheit Holz im Kamin? Das nicht zu wissen, ist das »allein Weise**. Man versteht von da aus, wie die platonische Frage nach dem Einen u n d Vielen sich in den >gespannten< Musen Ioniens wicdererkennen konnte. Heraklits Vision schautc, wie es scheint, Lebendigkeit, BewuBtsein und Sein zusammen. - Es war eben diese Aufgabe, das so Getrennte zusammen zu denken, vor die sich Plato gestellt sah. D e r >Phaidon* erzahlt anschaulich diese Geschichte, die mit dem Naturprinzip der > Seele* anfangt, daB das >Leben* doch nicht ohne die R u n d u n g zum Kreislauf scin kann. Deshalb erneuert die Natur in rhythmischer Wiederkehr i m m e r wieder das Leben, so daB kein Tod fur es ist. Aber das ist nur em Aspekt von Leben und Sccle. Da 7A
Fr. 115: yvx>!EuthyphronApologie< und der >KritonPhaidonSymposiom, die >Politeia< und der >PhaidrosNomoi( darstellt. Indessen, es ist fur den heutigen Menschen, der ebensosehr von der christlichen Oberlicferung wie von der tnodernen Aufklarung seine Pragung empfangen hat, nicht ganz leicht zu vcrstchcn, wie sich die sokratische Forderung der Rechenschaftsgabc mit der religiosen Tradition Athens vcrtrug, die der gesamten Rechtsordnung als Grundlagc diente. DaB es hier Spannungen gab, versteht sich. Aber deren Bedeutung zu erniessen, verlangt eine allgemcine Erortcrung des Verhaltnisses von Religion und A u f klarung im Ganzen der griechischen Geschichte. Das ist eine Aufgabe, bei der sich der philosophische Interpret nicht als Forscher zu Worte mcldcn kann. Seine Aufgabe kann nur sein, das, was er aus der Forschung aufgenomnien hat, unter die Gesichtspunktc seiner Fragestellung zu riicken. Diese Fragestellung bietet d e m Ganzen der vorangehenden wie der folgcnden Studien zur gricchischcn Philosophie den hermencutisch.cn Lcitfaden. U m uns die Schwierigkeit der Aufgabe, die auch dann noch dem Philosophen bleibt, klar zu machen, mochte ich als erstes die Ausdriickc untersuchcn, die unscr T h e m a bezeichnen. "Was bedeutet auf gricchisch >ReligiositatRehgion