Khaled Bagban Kombination und Wechselwirkung der Steuerung
GABLER RESEARCH
Khaled Bagban
Kombination und Wechselwi...
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Khaled Bagban Kombination und Wechselwirkung der Steuerung
GABLER RESEARCH
Khaled Bagban
Kombination und Wechselwirkung der Steuerung Eine relationale Analyse der Mehrwertschaffung im Konzern
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Jetta Frost
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Hamburg, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Nicole Schweitzer Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2574-9
Geleitwort Die Schaffung von Mehrwert gehört zu den zentralen strategischen und organisatorischen Aufgaben des Konzernmanagements. Es gilt, Ressourcen und Aktivitäten der unter dem Konzerndach summierten Konzerneinheiten so zu bündeln, dass mehr Wert entsteht als es die Summe ihrer einzelnen Wertbeiträge ergibt. Dies macht den sogenannten „Corporate Advantage“ aus, in dem häufig die Existenzberechtigung der Konzernorganisationsform gesehen wird. Gelingt es nicht, vorhandene Mehrwertpotenziale zwischen den Konzerneinheiten zu erschließen, so könnten diese auch als unabhängige Unternehmen am Markt agieren. Dagegen ist die Bündelung mehrerer Konzerneinheiten unter einem gemeinsamen Dach zunächst einmal mit zusätzlichem administrativen Aufwand und hohen Koordinationskosten verbunden. Sollen darüber hinaus kollektive Mehrwertpotenziale identifiziert und ausgenutzt werden, sind die Anforderungen an die organisatorische Steuerung hoch. Bislang dominierten in der Steuerungspraxis von Konzernen formale Controllinginstrumente. Sie fokussieren aber zu einseitig auf die einzelnen Wertbeiträge der möglichst autonom agierenden Konzerneinheiten und vermögen zu wenig die Interdependenzen, Interaktionen, Verflechtungen und Kooperationen zwischen diesen Einheiten abzubilden. Steuerung im Konzern zur Mehrwertschaffung muss daher das umfangreiche Repertoire organisatorischer und controllingspezifischer Steuerungsmechanismen und ihre Kombinationsmöglichkeiten ausschöpfen. Die Frage, in welcher Situation welche Kombination von Steuerungsmechanismen in der Konzernpraxis effektiv ist, wird in der vorliegenden Arbeit untersucht. Das besondere Erkenntnisinteresse besteht darin, die bisher in der Managementforschung kaum untersuchten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Steuerungsmechanismen zu explorieren. Khaled Bagban bereichert die Organisationsforschung überzeugend um die zwar schon seit langem geforderte, aber bisher nicht geleistete Untersuchung der Wechselwirkungen organisatorischer Steuerung sowohl theoretisch als auch empirisch. Die Forschungsstrategie der Arbeit folgt dem Ansatz, dass Organisationsforschung zwei Probleme zu lösen hat: Erstens das Analyseproblem, d.h. die Entwicklung theoriegeleiteter Analyseheuristiken und zweitens das Designproblem, d.h. die Ableitung von Strukturierungshilfen zur Lösung praktisch relevanter Gestaltungsprobleme. Das Analyseproblem löst er, indem er einen akkuraten theoretischen Bezugsrahmen zur Explikation organisatorischer Gestaltung entwickelt. Khaled Bagban zeigt genau auf, wo bisher die Lücken lagen und leistet eine innovative Verknüpfung zwischen verschiedenen Forschungstraditionen des Steuerungsphänomens. Empirisch elaboriert er diesen Bezugs-
V
rahmen sehr sorgfältig mittels Triangulation unterschiedlicher Forschungsmethoden, bei der qualitative Sub-Cases in einem internationalen Telekommunikationsunternehmen die hermeneutische Einheit bilden und durch eine (invertierte) Netzwerkanalyse gekonnt ergänzt werden. Das Designproblem löst Khaled Bagban, indem er reichhaltige Strukturierungshilfen für die Lösung praktischer Gestaltungsprobleme zur Verfügung stellt. Er zeigt, dass effektive Konzernsteuerung stets einer maßgeschneiderten Kombination von Steuerungsmechanismen bedarf, die bereichsübergreifende Interdependenzen und relationale Gestaltungsvariablen in Form von akteursbezogenen Charakteristiken einzubeziehen hat. Dies ermöglicht der Unternehmenspraxis das Ausloten eines Korridors an organisatorischen Lösungen.
Prof. Dr. Jetta Frost
VI
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die für die Publikation überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Sommersemester 2010 vom Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg angenommen wurde. Obgleich man beim Anfertigen einer solchen Arbeit oft auf sich allein gestellt ist, um Theorie und Empirie, Diskussionen und eigene Gedanken einem Ergebnis zuzuführen, bleibt sie nie das Werk eines Einzelnen. Geht man nach einigen Jahren des aktiven Berufslebens das Wagnis eines derart ergebnisoffenen Prozesses ein, reicht die eigene Motivation, so groß sie auch sein mag, nicht immer aus, um die erforderliche Kraft und Ausdauer dafür aufzubringen. Deshalb gehört es zweifellos zu meinen angenehmsten Pflichten, mich bei denjenigen Menschen zu bedanken, die mich in der Idee und Durchführung dieses Wagnisses bestärkt haben. An erster Stelle danke ich meiner akademischen Lehrerin Prof. Dr. Jetta Frost, die mit großem persönlichen Engagement, steter Gesprächsbereitschaft und konstruktiver Kritik entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Ebenso gilt mein Dank Prof. (em.) Dr. Lothar Streitferdt für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens sowie Prof. Dr. Wolfgang Drobetz, der als Vorsitzender der Prüfungskommission die zügige Abwicklung des Promotionsverfahrens unterstützt hat. Besonders danken möchte ich Dr. Rick Vogel, der diese Arbeit über die gesamte Distanz kritisch begleitet hat. Er hat es mir nicht nur durch seine beeindruckende Fachkompetenz ermöglicht, meine praxisgeprägten Gedanken in die wissenschaftliche Welt zu übertragen, sondern mir fortwährend moralischen Beistand in freundschaftlicher Verbundenheit geleistet. Guido Jonen stand mir mit außerordentlicher Steuerungsexpertise und langjähriger Managementerfahrung zur Seite und trägt so maßgeblichen Anteil am Erfolg dieses Forschungsprojekts. Ohne seine Unterstützung wären wesentliche Teile der Arbeit undenkbar gewesen. Großer Dank für wertvolle Anregungen und Hilfestellungen gebührt auch meinen „LehrstuhlKollegen“ Dr. Steffen Blaschke, Prof. Dr. Markus Göbel, cand. Dres. Heidi Günther, Fabian Hattke, Ingo Knuth und Claudia Queisser sowie Henning Beese, Hendrik Matenaar und Joanna Rowe.
VII
Die vorliegende Arbeit hätte nicht ohne die Unterstützung zahlreicher Experten aus dem Fallstudienkonzern entstehen können, die mir in den Interviews offen Rede und Antwort standen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist es mir leider nicht möglich, sie namentlich zu nennen; mein Dank fällt dadurch aber nicht geringer aus. Stellvertretend für meinen Arbeitgeber EGC Eurogroup Consulting AG danke ich Jörg Schnabel und Bettina Pelikan für die entgegengebrachte Flexibilität und die großzügige Unterstützung dieser Arbeit. Schließlich möchte ich im engsten Kreis zunächst meinen Eltern aufrichtigen Dank aussprechen, die mit der Forderung und Förderung meiner Ausbildung den Grundstein für diese Arbeit gelegt haben. Meinen Freunden und Verwandten schulde ich nicht nur Dank, sondern auch eine Entschuldigung dafür, dass die Beziehungen zu ihnen in der Vergangenheit stellenweise unter meiner Arbeit gelitten haben. Hans und Margret Timm standen meiner Familie und mir in dieser Zeit tatkräftig, liebevoll und unermüdlich zur Seite – mein Dank an sie ist nicht in Worte zu fassen. Den größten Anteil an praktischer, moralischer und menschlicher Unterstützung hat jedoch ohne Zweifel Dr. Frederike Timm geleistet. Sie hat mir nicht nur Kraft und Rückhalt gegeben, sich durch diverse inhaltliche und formelle Ratschläge aus ihrem eigenen Fachgebiet herausgewagt, sondern gemeinsam mit Caspar und Victor meinem Leben einen Sinn verliehen. Ihr ist diese Arbeit in Liebe gewidmet.
Khaled Bagban
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Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................XIII Tabellenverzeichnis...............................................................................................................XV 1
Einleitung ............................................................................................................................ 1 1.1
Problemstellung........................................................................................................... 1
1.2
Zielsetzung .................................................................................................................. 6
1.3
Forschungskonzeption............................................................................................... 11
1.4
Aufbau der Arbeit...................................................................................................... 15
2 Theoretische Begründung und Konzeption der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern..................................................................................... 17 2.1
Steuerungsansätze betriebswirtschaftlicher Teildisziplinen...................................... 17 2.1.1
Steuerung in der Controllingforschung ......................................................... 18 2.1.1.1
Steuerungsverständnis im koordinationsorientierten Controlling ..................................................................................... 20
2.1.1.2
Steuerungsverfahren....................................................................... 22
2.1.1.3
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen ...................... 24
2.1.1.4
Koordination als Gegenstandsbereich einer eigenständigen Teildisziplin „Controlling“?........................................................... 31
2.1.2 Steuerung in der Management Control-Forschung ....................................... 34
2.1.3
2.1.4 2.2
2.1.2.1
Steuerungsverständnis und Steuerungsverfahren........................... 34
2.1.2.2
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen ...................... 43
Steuerung in der Organisationsforschung ..................................................... 47 2.1.3.1
Steuerungsverständnis.................................................................... 49
2.1.3.2
Steuerungsverfahren....................................................................... 51
2.1.3.3
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen ...................... 54
Standortbestimmung: Synthese der multidisziplinären Erklärungsbeiträge zur Entwicklung einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption ........ 64
Steuerungsmechanismen und ihre Wirkungsweisen im Konzern ............................. 71 2.2.1
Ergebnissteuerung ......................................................................................... 73
IX
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.3
2.2.1.1
Bereichsspezifische und bereichsübergreifende Ergebniskontrollen als vertikale Formen der Ergebnissteuerung................. 73
2.2.1.2
Verrechnungspreise als horizontale Form der Ergebnissteuerung .......................................................................... 77
Verfahrenssteuerung...................................................................................... 81 2.2.2.1
Fallweise Verfahrenssteuerung ...................................................... 81
2.2.2.2
Generelle Verfahrenssteuerung ...................................................... 83
Steuerung durch Selbstabstimmung .............................................................. 85 2.2.3.1
Fallweise Selbstabstimmung .......................................................... 88
2.2.3.2
Themenspezifische Selbstabstimmung .......................................... 89
2.2.3.3
Institutionalisierte Selbstabstimmung ............................................ 89
Inputsteuerung............................................................................................... 91 2.2.4.1
Ressourcenausstattung durch Budgets ........................................... 93
2.2.4.2
Personelle Verflechtung ................................................................. 95
Mehrwertschaffung als Ziel der Konzernsteuerung .................................................. 99 2.3.1
Der organisationale Kontext einer mehrwertorientierten Konzernsteuerung........................................................................................ 101 2.3.1.1 Generische Mehrwertstrategien des Konzerns............................. 101
2.3.2
2.4
2.3.1.2
Zentralisation und Dezentralisation der Konzernorganisation..... 107
2.3.1.3
Unternehmenswertsteigerung durch Mehrwertschaffung ............ 112
Ressourcen und Aktivitäten als Potenziale für Konzernmehrwert.............. 120 2.3.2.1
Mehrwertschaffung durch konzernspezifische Ressourcenbündel......................................................................... 120
2.3.2.2
Arten von Mehrwert aus der ressourcen- und aktivitätenorientierten Perspektive............................................... 124
Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen im Konzern ......................... 132 2.4.1
2.4.2
Interdependenzformen und ihre spezifischen Mehrwertpotenziale ............ 134 2.4.1.1
Transaktionale Interdependenzformen ......................................... 136
2.4.1.2
Kooperative Interdependenzformen ............................................. 141
Theoriegeleitete Erklärungsansätze zur Steuerung von Interdependenzen ........................................................................................ 148 2.4.2.1
X
Effizienzorientierte Erklärungsansätze ........................................ 150
2.4.3
2.5
2.4.2.2
Effektivitätsorientierte Erklärungsansätze ................................... 152
2.4.2.3
Vergleich und Kritik der theoretischen Erklärungsansätze.......... 154
Empiriegestützte Erklärungsansätze zur Steuerung von Interdependenzen ........................................................................................ 157 2.4.3.1
Qualitative Auswertung von zehn Studien zur Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen in multidivisionalen Unternehmen ................................................... 159
2.4.3.2
Vergleich und Kritik der empirischen Erklärungsansätze............ 173
Zwischenergebnis: Konzeptioneller Bezugsrahmen zur empirischen Untersuchung der Kombinationsmöglichkeiten und Wechselwirkungen von Steuerungsmechanismen ......................................................................................... 180
3 Relationale Analyse der Kooperation und Steuerung im Konzern durch Triangulation qualitativer und quantitativer Methoden............................................ 186 3.1
3.2
Netzwerkanalyse zur relationalen Untersuchung der Kooperation und Steuerung im Konzern............................................................................................. 188 3.1.1
Der Netzwerkansatz in der Organisationsforschung................................... 189
3.1.2
Motivation und Charakterisierung der Netzwerkanalyse............................ 191
3.1.3
Terminologie und Methoden der Netzwerkanalyse .................................... 196
3.1.4
Kooperation und Steuerung als multiplexe Netzwerke im Konzern........... 204
Qualitative Analyse durch Fallstudienforschung .................................................... 206 3.2.1
Theorie-Elaboration als methodologische Basis ......................................... 208
3.2.2
Forschungsansatz: Einzelfallstudie mit eingebetteten Sub-Cases............... 212
3.2.3 Forschungsdesign: Forschungsprozess, Datenerhebung und Datenanalyse ............................................................................................... 215 3.2.4 4
Güte der Forschungsergebnisse................................................................... 227
Konzernsteuerung der TRICONNECT ............................................................................ 232 4.1
Vorstellung des Fallstudienkonzerns und Auswahl der Sub-Cases ........................ 232
4.2
Qualitative Einzelfallanalysen................................................................................. 236 4.2.1
4.2.2
Sub-Case I: Steuerung der konzernweiten Shared Services........................ 237 4.2.1.1
Analyse der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen............. 238
4.2.1.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 245
Sub-Case II: Steuerung des gemeinsamen Kundenservices........................ 253 4.2.2.1
Analyse der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen............. 254 XI
4.2.2.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 260
4.2.3 Sub-Case III: Steuerung des Multikanalvertriebs ....................................... 268
4.2.4
4.2.5
4.3
4.2.3.1
Analyse der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen............. 269
4.2.3.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 271
Sub-Case IV: Steuerung der gemeinsamen Marketingaktivitäten .............. 280 4.2.4.1
Analyse der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen............. 281
4.2.4.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 285
Sub-Case V: Steuerung des konzernweiten Produkt- und Innovationsmanagements ............................................................................ 294 4.2.5.1
Analyse der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen............. 295
4.2.5.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 298
Netzwerkanalyse der Kombinationsmöglichkeiten und Wechselwirkungen von Steuerungsmechanismen .................................................. 304 4.3.1
4.3.2
4.3.3
4.3.4
Steuerung unterschiedlicher Interdependenzformen................................... 305 4.3.1.1
Resultate der QAP-Analyse ......................................................... 305
4.3.1.2
Theoretische Validierung der Analyseergebnisse ........................ 308
Kombination der Steuerung ........................................................................ 312 4.3.2.1
Steuerungskombinationen bei unterschiedlichen Interdependenzformen.................................................................. 313
4.3.2.2
Interpretation der Ergebnisse ....................................................... 321
Relationale Gestaltungsvariablen im Fallstudienkonzern ........................... 330 4.3.3.1
Interessensdivergenz .................................................................... 331
4.3.3.2
Kognitive Distanz......................................................................... 334
Wechselwirkung der Steuerung .................................................................. 337 4.3.4.1
Resultate der quantitativen Ermittlung von Wechselwirkungsverhältnissen .................................................... 337
4.3.4.2
Interpretation der Ergebnisse und theoretische Einordnung der empirischen Untersuchungsergebnisse ........................................ 340
5 Schlussbetrachtung und Ausblick................................................................................. 353
Anhang .................................................................................................................................. 363 Literaturverzeichnis............................................................................................................. 369 XII
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Verfahren und Mechanismen der Konzernsteuerung.................................... 72
Abbildung 2:
Der organisationale Kontext der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern.................................................................................................. 100
Abbildung 3:
Ermittlung des optimalen Dezentralisationsgrads....................................... 111
Abbildung 4:
Zitationen von Thompson (1967) in internationalen Fachpublikationen.... 135
Abbildung 5:
Interdependenzformen, ihre Mehrwertpotenziale und daraus resultierende Koordinationsanforderungen ................................................. 147
Abbildung 6:
Konzeptioneller Bezugsrahmen der Arbeit ................................................. 181
Abbildung 7:
Dimensionen der betriebswirtschaftlichen Netzwerkforschung ................. 189
Abbildung 8:
Datentypen und Analysemethoden.............................................................. 193
Abbildung 9:
Soziomatrizen für asymmetrische und symmetrische Beziehungen ........... 201
Abbildung 10: Aufbau der qualitativen Untersuchung der Arbeit ...................................... 207 Abbildung 11: Anzahl der Interviews pro Sub-Case in der Explorationsphase.................. 220 Abbildung 12: Vorgehensweise der inhaltlichen Strukturierung und ihrer Verknüpfung mit der Netzwerkanalyse....................................................... 225 Abbildung 13: Untersuchungsrelevante Konzerneinheiten der TRICONNECT..................... 233 Abbildung 14: Totalnetzwerk der erhobenen Kooperationsbeziehungen ........................... 234 Abbildung 15: Visualisierung der Sub-Cases...................................................................... 235 Abbildung 16: Kooperationsnetzwerk im Sub-Case I......................................................... 237 Abbildung 17: Kooperationsnetzwerk im Sub-Case II ....................................................... 254 Abbildung 18: Kooperationsnetzwerk im Sub-Case III ...................................................... 268 Abbildung 19: Kooperationsnetzwerk im Sub-Case IV...................................................... 281 Abbildung 20: Kooperationsnetzwerk im Sub-Case V ....................................................... 295 Abbildung 21: Steuerungskombinationen bei sequentiellen Interdependenzen.................. 313 Abbildung 22: Steuerungskombinationen bei reziproken Interdependenzen...................... 314 Abbildung 23: Steuerungskombinationen bei gepoolten Interdependenzen ....................... 315 Abbildung 24: Steuerungskombinationen bei intensiven Interdependenzen ...................... 316 Abbildung 25: Sukzessive Reduktion der Beziehungsintensität im Steuerungsnetzwerk intensiver Interdependenzen ...................................... 317 Abbildung 26: Vergleich der Steuerungskombinationen bei unterschiedlichen Interdependenzformen................................................................................. 319
XIII
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Definitionen von Management Control............................................................... 36
Tabelle 2:
Beiträge der Controlling-, Management Control- und Organisationsforschung zur Entwicklung einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption ......................................................................................... 65
Tabelle 3:
Steuerungsverfahren, -mechanismen und -instrumente ...................................... 68
Tabelle 4:
Überblick über Steuerungsmechanismen und Instrumentenbeispiele................. 98
Tabelle 5:
Erklärungsbeiträge effizienz- und effektivitätsorientierter Ansätze zur Steuerung unterschiedlicher Interdependenzformen................................... 149
Tabelle 6:
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse empirischer Studien zur Steuerung von Interdependenzen ................................................................ 172
Tabelle 7:
Vergleich der Zusammenhänge zwischen Interdependenzformen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen ....................................................... 176
Tabelle 8:
Partielle Netzwerke der empirischen Untersuchung ......................................... 204
Tabelle 9:
Methodische Eckdaten zur Vorabexplorationsphase ........................................ 216
Tabelle 10: Methodische Eckdaten zur Explorationsphase.................................................. 218 Tabelle 11: Kategorien der qualitativen Analyse ................................................................. 224 Tabelle 12: Steuerungsinstrumente im Sub-Case I .............................................................. 244 Tabelle 13: Steuerungsinstrumente im Sub-Case II ............................................................. 259 Tabelle 14: Steuerungsinstrumente im Sub-Case III............................................................ 271 Tabelle 15: Steuerungsinstrumente im Sub-Case IV ........................................................... 284 Tabelle 16: Steuerungsinstrumente im Sub-Case V............................................................. 298 Tabelle 17: Resultate der QAP-Korrelation partieller Interdependenz- und Steuerungsnetzwerke......................................................................................... 306 Tabelle 18: Resultate der QAP-Korrelation partieller Steuerungsnetzwerke ...................... 339
XV
1 Einleitung 1.1 Problemstellung Die Bündelung wirtschaftlich und rechtlich eigenständiger Unternehmen zu Konzernen wird sowohl in der Organisationsforschung als auch in der Unternehmenspraxis häufig mit der Schaffung von Mehrwert begründet (z.B. Goold/Campbell/Alexander 1994; Ringlstetter 1995; Rodermann 1999; von Pierer 2003; Rosenkranz 2008; Frost/Morner 2010a). Wären keine Mehrwertpotenziale vorhanden, so die Grundannahme, könnten Konzerne in ihre Teileinheiten zerschlagen werden, und die dann zu bewertenden Einzelunternehmen würden in der Summe einen höheren Wert darstellen als im Verbund. Erst das kollektive Handeln versetzt sie in die Lage, mehr zu erwirtschaften als es ihnen als unabhängig am Markt agierende Unternehmen möglich wäre. Durch den koordinierten Einsatz komplementärer Ressourcen und Aktivitäten lassen sich einzigartige und schwer imitierbare Mehrwertpotenziale erschließen, die den Unternehmenswert des Konzerns steigern und nachhaltig verteidigungsfähige Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Marktteilnehmern erzeugen. Mehrwertschaffung wird damit zu einem Gestaltungsproblem der Konzernorganisation: Zur Erzielung eines „Corporate Advantage“ muss die Konzernführung den optimalen (De-) Zentralisationsgrad von Aufgaben- und Entscheidungskompetenzen im Unternehmen bestimmen. Trotz zahlreicher betriebswirtschaftlicher Konzepte, die zumeist für eine stärkere Dezentralisation plädieren, stellt die Gratwanderung zwischen Flexibilität und bereichsübergreifender Mehrwertschaffung für viele Konzerne nach wie vor ein ungelöstes Problem dar (z.B. Baum et al. 1994; Van Helden/Van der Meer-Kooistra/Scapens 2001; Frost/Morner 2010a: 33-53). Einerseits ermöglicht ein hoher Dezentralisationsgrad den Konzerneinheiten eine größere Marktnähe, kürzere Entscheidungsprozesse und eine stärkere Kundenorientierung, andererseits werden dadurch die Realisierung kollektiver Mehrwertpotenziale sowie die einheitliche Ausrichtung der Teileinheiten auf die übergeordneten Ziele des Konzerns gefährdet (Hungenberg 1995; Bassen 1998; St. John/Harrison 1999; Abernethy/Bouwens/van Lent 2004). Werden schlanke Strukturen mit autonomen Einheiten etabliert, so kann ferner vielfach der Kundenwunsch nach übergreifenden Lösungen, die eine Bündelung verteilter Kompetenzen und Ressourcen aus verschiedenen Geschäftsbereichen und damit Kooperation und Wissensaustausch zwischen ihren Mitarbeitern voraussetzen, nicht erfüllt werden. Zahlreiche Studien belegen die geringe Realisierungsquote vorhandener Mehrwertpotenziale in Konzernen (z.B. Porter 1987a; Goold/Campbell/Alexander 1994; Foss/Iversen 1997; Goold/Campbell 1998; St. John/Harrison 1999; Eisenhardt/Galunic 2000; Martin 2002), die für sie zu einem „Conglomerate Discount“ führen kann, welcher am Kapitalmarkt indiziert, dass das Gesamt-
1
unternehmen weniger wert ist als die Summe seiner Teile (z.B. Berger/Ofek 1995; Burch/Nanda 2003).1 Einer Untersuchung von Rodermann zufolge sind die wesentlichen Gründe für die unbefriedigende Mehrwerterschließung auf Unzulänglichkeiten innerhalb der Konzernsteuerung zurückzuführen. Als Hauptursachen identifiziert er die mangelhafte Koordination teileinheitenübergreifender Zusammenarbeit, die geringe Kooperationsbereitschaft zwischen ihren Organisationsmitgliedern sowie die vorrangige Verfolgung von bereichsindividuellen gegenüber kollektiven Zielen (Rodermann 1999: 177). Betrachtet man die gängige Steuerungspraxis in Konzernen, so lässt sich eine Dominanz formaler Controllinginstrumente konstatieren, auf deren Grundlage die Leistungen der Teileinheiten koordiniert und ihr wirtschaftlicher Erfolg bemessen werden (z.B. Bühner 1993; Hoffmann 1993; Mellewigt 1995; Ittner/Larcker 2001; Mellewigt/Matiaske 2001: 128-133; Merchant/Van der Stede 2007: 26). Laut einer Studie der Unternehmensberatung KPMG setzen derzeit rund 97 Prozent der DAX-100-Konzerne wertorientierte Spitzenkennzahlen zur Steuerung ihrer Organisationseinheiten ein (Aders/Hebertinger 2003: 6). Durch ihren Einsatz sollen modulare Teilbereiche mit einem isolierten Erfolgsausweis geschaffen werden, um diesen die Möglichkeit zu eröffnen, wie eigenständige Unternehmen am Markt zu agieren (Zenger/Hesterly 1997). Dahinter steht die Annahme, dass der Anstieg des Kapitalmarktdrucks dazu führt, dass jede einzelne Teileinheit ihren Beitrag zur Unternehmenswertsteigerung leisten muss (Rappaport 1981). Der Konzernwert ergibt sich demnach aus der Summe der Wertbeiträge der einzelnen Konzerneinheiten. In letzter Zeit wird jedoch zunehmend kritisiert, dass diese sogenannten „Mehrwert-Konzepte“ (Perlet/Müller 2004) ausschließlich auf eine unabhängige Leistungserbringung und Mobilisierung einzelner Einheiten fokussieren. Indem sie vom Grundsatz der Wertadditivität ausgehen (Günther 1997: 379), sind sie nicht in der Lage, diejenigen Wertbeiträge im Unternehmen abzubilden, die aus der Kooperation von Teileinheiten resultieren und das idiosynkratische Mehrwertpotenzial des Konzerns darstellen (z.B. Zimmerman 1997; Schmidt/Massmann 1999). Es wird bemängelt, dass derartige Controllinginstrumente „emphasize locally controllable measures and actions. But this emphasis encourages business units and functions to become silos that perform well on their local measures but fail to contribute to divisional and corporate synergies” (Kaplan/Norton 2006: 104).
Diese Kritik geht mit der Forderung einher, die Bandbreite der zur Verfügung stehenden Steuerungsmechanismen und ihrer Kombinationsmöglichkeiten auszuschöpfen, um Mehrwert 1
2
So weist Weiner (2005: 20) einen signifikanten Conglomerate Discount bei mehr als einem Drittel der DAX30-Konzerne nach. Die darunter befindliche Siemens AG wurde zeitweise mit einem Kursabschlag von bis zu 30% an der Börse gehandelt (Feldmayer 2005: 300).
aus der koordinierten Zusammenarbeit im Konzern zu realisieren (O’Donnell 2000; Wohlgemuth 2002: 6; Chenhall 2003; Scherm/Pietsch 2007: 213-214; Frost/Morner 2010a: 206). Dabei wird vor allem für ein verbessertes „Zusammenwirken von Controlling und Managemententscheidung“ (Perlet/Müller 2004: 1020) innerhalb der Konzernsteuerung plädiert. Die praktische Relevanz dieses Gestaltungsproblems zeigt sich am Beispiel des Konzerns TRICONNECT2. Die hohen Wachstumsraten im Telekommunikations- und Internetmarkt seit Anfang der 1990er Jahre führten zu einer starken Dezentralisation des Konzerns und einer weitgehend unabhängigen Leistungserbringung seiner Festnetz-, Mobilfunk- und Onlinesparten. Das strategische Konzernziel fokussierte dabei auf die bestmögliche Ausschöpfung der jeweiligen Marktpotenziale, um die führenden Wettbewerbspositionen nachhaltig zu sichern. Diesem Ziel entsprechend wurde ein Steuerungsmodell etabliert, das an den dezentralen Konzernstrukturen ausgerichtet war und insbesondere den Einsatz marktlicher Steuerungsinstrumente vorsah (TriConnect 2008a): Während konzerninterne Leistungsbeziehungen vornehmlich durch preisliche Mechanismen koordiniert wurden, erfolgte die Bemessung des wirtschaftlichen Erfolgs der TRICONNECT-Einheiten in erster Linie auf der Basis bereichsspezifischer und wertorientierter Kennzahlen (z.B. EVA, EBITDA). Dadurch sollte ihnen ermöglicht werden, eigenverantwortlich, kurzfristig und flexibel auf die dynamischen Marktentwicklungen zu reagieren, um den wachsenden Ansprüchen von Kunden und Aktionären gerecht zu werden. Die Branchenentwicklungen der Folgejahre, darunter besonders Marktsättigung und Produktkonvergenz, führten zur strategischen Neuausrichtung des Konzerns (TriConnect 2008b, 2010): Einerseits stieg der kapitalmarktseitige Druck auf das Unternehmen, die Kosten der konzerninternen Leistungserbringung zu reduzieren; andererseits setzte die Bereitstellung integrierter Produktlösungen eine enge und geschäftsfeldübergreifende Zusammenarbeit seiner Einheiten voraus, um Wettbewerbsvorteile gegenüber Einproduktanbietern zu erzielen. Zudem wurden die Organisationsstrukturen des Konzerns angepasst und das bestehende Steuerungsmodell um eine Vielzahl zusätzlicher Instrumente (z.B. Verfahrensvorgaben, Gremienmodelle, personelle Verflechtungen von Organisationsmitgliedern) erweitert. Die mit dem proliferativen Instrumenteneinsatz intendierte Erschließung vorhandener Mehrwertpotenziale blieb jedoch weitgehend aus (TriConnect 2008b), so dass die Erwartungen von Unternehmensführung und Anteilseignern nicht zufriedenstellend erfüllt werden konnten.
2
Sämtliche Namen und Unternehmensinformationen des Fallstudienkonzerns wurden anonymisiert.
3
Wenngleich TRICONNECT zweifelsohne ein besonderes Beispiel dieses Gestaltungsproblems liefert, belegen zahlreiche empirische Studien3, dass es keineswegs einzelfallspezifisch ist, sondern dass der simultane Einsatz eines breiten Spektrums an Steuerungsmechanismen eher die Regel, denn eine Ausnahme darstellt, häufig jedoch nicht zur Erreichung der damit verfolgten Mehrwertziele führt (z.B. St. John/Harrison 1999). „Simple observations and experiences in organizational life suggest that each of the specific mechanisms for coordination in each mode are used often, and in various combinations, to achieve integration of a collective set of activities” (Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976: 323; eigene Hervorhebung).
Steuerung im Konzern kann demnach als der zweckgebundene Einsatz unterschiedlicher Entscheidungsverfahren zur Organisation kollektiver Handlungen interpretiert werden (Frost 2005: 33) und geht damit über ein rein finanzorientiertes Steuerungsverständnis hinaus. Durch die eingesetzten Steuerungslösungen gilt es, sowohl die Koordination bereichsübergreifender Interdependenzen zwischen den Konzerneinheiten zu gewährleisten als auch die zielkonforme Einordnung der Verhaltens- und Handlungsweisen ihrer Organisationsmitglieder sicherzustellen. Die Erfüllung der vielfältigen Steuerungsanforderungen aus der konzerninternen Zusammenarbeit setzt somit einen aufeinander abgestimmten Einsatz unterschiedlicher Steuerungsmechanismen voraus. Folglich liegt die zentrale Herausforderung der Organisationsgestaltung in der Identifikation und Umsetzung effektiver Kombinationsmöglichkeiten zur Erreichung der Mehrwertziele des Konzerns. Richtet man den Blick auf die Literatur, so stellt sich heraus, dass es – obwohl Blau (1955) in diesem Zusammenhang bereits Mitte des letzten Jahrhunderts auf Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen hinwies, die die Gesamtwirkung der Steuerung beeinträchtigen – bis heute gänzlich an fundierten Forschungserkenntnissen über die Verträglichkeit und das Zusammenspiel einzelner Mechanismen innerhalb der Steuerung mangelt.4 Stattdessen ging man lange Zeit davon aus, Steuerungsmechanismen wirkten unabhängig voneinander und ließen sich somit additiv verwenden (z.B. Thompson 1967; Ouchi/Maguire 1975). In der Folge lag der Forschungsfokus auf der Entwicklung neuartiger Steuerungskonzepte, was zu einem breit gefächerten Sammelsurium unterschiedlichster Instrumente führte (z.B. Martinez/Jarillo 1989). Empirische Untersuchungen hierzu, die zumeist kontingenz- oder transaktionskostentheoretisch begründet waren, konzentrierten sich vor allem auf die Überprüfung der Einsatzbedingungen für eine effiziente Anwendung einzelner 3 4
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Vgl. hierzu exemplarisch die in Abschnitt 2.4.3.1 analysierten Studien. Vgl. hierzu auch die Kritik von Gencturk/Aulakh (1995); Bushman/Smith (2001); Grandori (2001c); Grandori/Soda (2006, 2009); Niggemann (2008).
Mechanismen, ohne jedoch die Wirkungszusammenhänge zwischen ihnen zu untersuchen (Langfield-Smith 1997; Chenhall 2003). Dabei konnte allerdings festgestellt werden, dass ein Wirkungszusammenhang zwischen den eingesetzten Steuerungsmechanismen bestehen muss, der einen Einfluss auf die zu steuernden Organisationsmitglieder ausübt: „Control mechanisms are related to each other in a number of ways. Control mechanisms may be substitutes for other controls, may add influence to other controls, and may at times reduce the effect of other controls” (Peterson 1984: 574).
Obwohl sich daraufhin diverse Autoren explizit mit der Untersuchung von Kombinationsmöglichkeiten und Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen auseinander setzten (z.B. Gencturk/Aulakh 1995; Grandori 2001c; Grandori/Soda 2006), existieren bislang kaum Erklärungsbeiträge hierzu:5 „Unfortunately, despite a wide range of theoretical approaches, the underlying mechanisms and logic responsible for success in organizations remain largely inexplicable” (Sluismans 2003: 1; eigene Hervorhebung).
Als Grund für den Mangel an empirischen Erkenntnissen wird oftmals die Komplexität des Steuerungsphänomens angeführt, die adäquater Analysetechniken bedarf, welche über traditionelle Forschungsmethoden der Wirtschaftwissenschaften hinausreichen (z.B. Gencturk/Aulakh 1995; Grandori/Soda 2006). Ohne jedoch die Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen dezidiert erklären zu können, lassen sich auch keine belastbaren Aussagen über die Effektivität kombinierter Steuerungslösungen treffen. Daher stellt die Frage, in welcher Situation welcher Mix aus Steuerungsmechanismen anzuwenden ist, noch heute „eine der spannendsten Fragen in der Organisationsforschung dar“ (Osterloh/Frost 2000: 486). Neben einer Reihe von Autoren (z.B. Gencturk/Aulakh 1995; Moores/Yuen 2001: 385; Frost 2005: 385; Lohmann 2009: 169-170) wiesen jüngst nicht nur Grandori und Soda auf dieses Forschungsdesiderat hin und forderten konsequenterweise „to study the interactions among mechanisms themselves, that is, their relations of complementarity, substitutability, preferential attachments and the like” (2006: 170; eigene Hervorhebung; ähnlich Frost/Morner 2010b: 32), auch Caglio und Ditillo (2008) kommen auf Basis einer Metaanalyse von 29 Studien zu dieser Feststellung und argumentieren, dass erst durch die Analyse ihrer Wirkungszusammenhänge
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Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.4.3.2.
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„a ‘combinative view’ of control solutions with various breadths could be developed, and a ‘grammar’ for distinguishing to what problems the different mechanisms can be selectively applied could be identified […] which would help in predicting what combinations of management control mechanisms and cost and accounting controls to expect, rather than simply considering them individually and separately, and learning them empirically and post hoc, as has been done thus far in the literature. The exploration of the potential blending of controls would also contribute to designing new or unusual combinations, without being forced to interpret them as ‘bad proxies’ of superior theoretical models“ (Caglio/Ditillo 2008: 892; eigene Hervorhebung).
Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass theoretisch relevantes und praktisch verwertbares Wissen über die Effektivität der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern erst dann generiert werden kann, wenn fundierte und empirisch gestützte Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen vorliegen. Demzufolge ist das originäre Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht in einer weiteren Ausdifferenzierung von Steuerungsinstrumenten und der Untersuchung effizienter Anwendungsmöglichkeiten begründet, sondern in der Identifikation organisatorischer Gestaltungsmuster für einen gezielten Einsatz kombinatorischer Steuerungslösungen, denn nur „the purposeful orchestration of coordination [mechanisms; K.B.] can significantly increase the potential of the corporation to realize substantial synergies” (Persaud/Kumar/Kumar 2002: 155; eigene Hervorhebung; ähnlich Pitt/Clarke 1999: 301).
1.2 Zielsetzung Vor dem dargestellten Hintergrund liegt das Ziel dieser Arbeit in der Exploration von Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen zur Explikation effektiver Steuerungskombinationen zur Mehrwertschaffung im Konzern. Aus dieser Zielsetzung lassen sich zwei Forschungsfragen formulieren, die der weiteren Untersuchung zugrunde liegen: 1. Welche Steuerungskombinationen werden in der Konzernpraxis eingesetzt, um Mehrwertpotenziale aus unterschiedlichen Interdependenzformen bereichsübergreifender Zusammenarbeit zu realisieren? 2. Wie lässt sich die Effektivität dieser Kombinationen durch die Wechselwirkungen zwischen den eingesetzten Steuerungsmechanismen erklären? Zur Entwicklung gestaltungsrelevanter Aussagen über eine „purposeful orchestration“ der Konzernsteuerung gilt es somit einerseits herauszufinden, welche Mechanismuskombination6
en die gesamtresultierende Steuerungswirkung erhöhen, weil sich diese Mechanismen gegenseitig bedingen, ergänzen oder komplementieren, andererseits dysfunktionale Wirkungszusammenhänge aufzudecken, die zu einer gegenseitigen Abschwächung, Verdrängung oder gar Substitution zwischen Steuerungsmechanismen führen und dadurch die Gesamtwirkung ihres additiven Einsatzes mindern. Die Effektivität der Kombinationen wird dabei aus ihrer Leistungsfähigkeit ermittelt, die spezifischen Steuerungsanforderungen unterschiedlicher Kooperationssituationen zu erfüllen. Demzufolge sind diejenigen Steuerungskombinationen effektiv, deren Einsatz bei den prinzipiell auch ungesteuert bestandsfähigen Konzerneinheiten mittelbar dazu führt, dass ein Wert generiert werden kann, der die Summe ihrer unabhängigen Einzelwertbeiträge übersteigt. Um problembezogene und gestaltungsorientierte Erklärungsbeiträge zur Konzernsteuerung entwickeln zu können, stellt die Berücksichtigung relevanter theoretischer Erkenntnisse eine Grundvoraussetzung dar. Gemäß dem Kompetenzansatz der neueren Theorien der Firma wird in der vorliegenden Untersuchung eine ressourcen- und aktivitätenorientierten Sichtweise (resource bzw. activity based view) auf die Zusammenarbeit im Konzern eingenommen. Sie bietet einen geeigneten Zugang zur Abgrenzung unterschiedlicher Mehrwertarten, die in der Literatur bislang nur unzureichend differenziert (Iversen 2000b) und stattdessen unter Begriffen wie „Synergien“, „Verbundvorteile“ oder „Kooperationseffekte“ subsumiert worden sind, ohne diese nach ihren spezifischen Merkmalen und den zugrunde liegenden Interaktionsformen zu unterscheiden (Rodermann 1999: 400-420; Kräkel 2002; Biberacher 2003: 9). Zudem weisen sowohl theoretische Arbeiten (z.B. Thompson 1967, 1974a, 1974b; Van de Ven/Ferry 1980; Grandori 2001a; Frost 2005) als auch empirische Untersuchungen (z.B. Chenhall/Morris 1986; Macintosh/Daft 1987; Martinez/Jarillo 1991; Bushman/Indjejikian/Smith 1995; Gencturk/Aulakh 1995; Keating 1997; St. John/Harrison 1999; O’Donnell 2000; Abernethy/Bouwens/van Lent 2004; Ambos/Schlegelmilch 2007) nach, dass die Effektivität der Steuerung maßgeblich von den zugrunde liegenden Ressourcen- und Aktivitäteninterdependenzen beeinflusst wird. Aus diesen Studien resultieren jedoch kaum detaillierte Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge zwischen unterschiedlichen Interdependenzformen, kombinatorischen Steuerungslösungen und bereichsübergreifender Mehrwertschaffung, so dass sich dadurch weder die Verträglichkeit noch die Effektivität unterschiedlicher Steuerungsmechanismen erklären lässt (Chenhall 2003; Mouritsen/Thrane 2006; Caglio/Ditillo 2008).
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Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass die vorliegende Arbeit zudem vom Grundgedanken des Konfigurationsansatzes6 der Betriebswirtschaftslehre geprägt ist (z.B. Lawrence/Lorsch 1967; Mintzberg 1979; Miller 1981, 1987, 1998; Grandori 1997b; ähnlich Frese 2005: 69-109), demzufolge „any multidimensional constellation of conceptually distinct characteristics that commonly occur together […] take their meaning from the whole and cannot be understood in isolation. Rather than trying to explain how order is designed into the parts of an organization, configuration theory tries to explain how order emerges from the interaction of those parts as a whole” (Meyer/Tsui/Hinings 1993: 1175-1178; eigene Hervorhebung).
Im Konfigurationsansatz wird die Entwicklung isolierter Gestaltungsprinzipien folglich für realitätsverkürzend und somit unzulässig erachtet. Mit dem Rückgriff auf diesen Ansatz wird allerdings nicht beabsichtigt, reduktionistische, einseitige und mechanistische Zusammenhänge zwischen Einsatzbedingungen und Gestaltungslösungen herzustellen, wie es als wesentliche Kritik am klassischen situativen Forschungsparadigma7 angebracht wird (z.B. Miller 1981; Drazin/Van de Ven 1985; Meyer/Tsui/Hinings 1993; Schreyögg 1995; Kieser 2006: 231-239). Vielmehr geht es darum, mit dem Bezug auf die Leitidee der situativen Bedingtheit der Steuerung und unter Berücksichtigung gestaltbarer Einflussfaktoren (relationale Gestaltungsvariablen), die die Interdependenzbeziehungen der Konzerneinheiten qualifizieren, Aussagen über die Effektivität der eingesetzten Mechanismuskombinationen zu treffen. Dabei gilt es vor allem diejenigen Wirkungen in Betracht zu nehmen, die von den eingesetzten Steuerungslösungen ausgehen und die Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder beeinträchtigen, um das Zusammenspiel der Steuerung nachzuvollziehen und erklären zu können, welche Mechanismuskombinationen „will, in a particular situation, under particular circumstances […] best contribute to the attainment of managerial goals“ (Stoner 1982: 54). Für die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Interdependenzen, Gestaltungsvariablen und Steuerung sowie des Wirkungsgefüges kombinatorischer Steuerungslösungen wird in der vorliegenden Arbeit ein relationaler Analyseansatz gewählt. Im Gegensatz zu traditionellen Verfahren der Organisationsanalyse stehen beim relationalen Ansatz nicht die diskreten Entitäten und ihre Attribute im Untersuchungsfokus, sondern die Beziehungen zwischen den Elementen sowie ihre spezifischen Beziehungsmerkmale (Bradbury/Bergmann Lichtenstein 6
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Für einen Forschungsüberblick über den Konfigurationsansatz in der Organisationstheorie sowie im Strategischen Management vgl. z.B. Ketchen/Thomas/Snow (1993); Meyer/Tsui/Hinings (1993); Ketchen et al. (1997); Moores/Yuen (2001); Sluismans (2003). Zur Kontingenztheorie vgl. z.B. Staehle (1999); Ebers (2004); Wolf (2005); Kieser (2006); Scherm/Pietsch (2007); Kieser/Walgenbach (2007); Macharzina/Wolf (2008).
2000; Scott 2005). Aktuelle Forschungsbeiträge zeigen, dass relationale Verfahren einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, die Grenzen traditioneller Ansätze der Organisationsgestaltung zu überwinden (Beekun/Glick 2001; Rank 2003; Wald 2003; Grandori/Soda 2006, 2009). Gestaltungsentscheidungen werden in der traditionellen Organisationsforschung üblicherweise auf der Ebene alternativer makrostruktureller Organisationsformen, wie beispielsweise der Funktional-, Divisional-, Prozess- oder Matrixorganisation, getroffen (Romanelli 1991; Williamson 1991; Pólos/Hannan/Carroll 2002; Grandori 2001c, 2004; Grandori/Furnari 2009). Erfolgt die Lösung von Gestaltungsproblemen jedoch lediglich durch eine Auswahl zwischen diesen diskreten Strukturalternativen, so besteht einerseits die Gefahr, dass die den Strukturen zugrunde liegenden Interaktions- und Steuerungsbeziehungen zwischen den Einheiten im Unternehmen unzureichend berücksichtigt werden und anderseits die Reichhaltigkeit der zur Organisation gehörenden Gestaltungselemente nicht differenziert genug erfasst wird (Grandori 2004: 52-53; Frost 2005: 282-283; Grandori/Furnari 2009; Miller/Greenwood/Prakash 2009; Frost/Osterloh/Weibel 2010).8 Die Unternehmenspraxis liefert zahlreiche Beispiele, in denen vergeblich versucht wurde, die Steuerung der intraorganisationalen Zusammenarbeit durch die Veränderung von Organisationsstrukturen zu verbessern, was sich auch am TRICONNECT-Konzern veranschaulichen lässt, der sich seit Jahren ohne großen Erfolg bemüht, auf diese Weise ein konzertiertes Vorgehen seiner Festnetz-, Mobilfunk- und Onlinesparten zu erreichen, um Wettbewerbsvorteile im zusammenwachsenden Telekommunikations- und Internetmarkt zu erschließen. In jüngster Zeit wird daher zunehmend konstatiert, dass „bei organisatorischen Gestaltungsentscheidungen das Augenmerk verstärkt auf die Beziehungen zwischen Organisationsakteuren, auf deren Prozesse der wechselseitigen Interaktionen und den damit verbundenen Rechten und Pflichten gelegt werden muss“ (Frost 2005: 284).
Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Arbeit die detailreicheren Ebenen der Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen zwischen Konzerneinheiten sowie der Mechanismen der Steuerung in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt (Grandori/Furnari 2008; Miller/Greenwood/Prakash 2009). Diese Vorgehensweise lässt eine genauere Spezifizierung organisatorischer Gestaltungsprobleme zu, indem sie „a more refined and micro-analytical view of organizational forms as particular combinations of coordination mechanisms“ (Grandori/Soda 2006: 151) ermöglicht.
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Zum Forschungsdesiderat mikroanalytischer Untersuchungen in konfigurationstheoretischen Studien vgl. exemplarisch Meyer/Tsui/Hinings (1993: 1186); Ketchen et al. (1997: 235).
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Als methodische Basis für die forschungspraktische Anwendung des relationalen Ansatzes wird die Netzwerkanalyse gewählt. Die Netzwerkanalyse stammt ursprünglich aus den Sozialwissenschaften und wurde erst seit Ende des letzten Jahrhunderts zur Untersuchung von Organisationen eingesetzt (z.B. Tichy/Fombrun 1979; Ghoshal/Barlett 1990; Kilduff 1990; Krackhardt/Brass 1994; Uzzi 1996, 1997; Milward/Provan 1998; Kogut 2000; Gittell/Weiss 2004; Schauwecker 2008). Seitdem hat sich der Netzwerkansatz zu einem etablierten Paradigma in der Organisationsforschung entwickelt (Nohria/Eccles 1992; Wald 2000; Kilduff/Tsai 2003; Stegbauer 2008; Grandori/Soda 2009). Während netzwerkanalytische Verfahren mittlerweile zum methodischen Standardrepertoire der angloamerikanischen Management- und Organisationsforschung zählen (Borgatti/Foster 2003; Brass et al. 2004), liegt diesbezüglich in der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Forschung dagegen ein erhebliches Defizit vor (Rank 2003: 32; Wald 2003: 3). Bei der Untersuchung organisatorischer Steuerungsphänomene hat die Netzwerkperspektive, national wie international, bislang kaum eine Rolle gespielt (Grandori/Soda 2006, 2009; Provan/Fish/Sydow 2007). Zwar wurden in der jüngeren Vergangenheit einige Arbeiten vorgelegt, die eine Verknüpfung netzwerkanalytischer Methoden mit Fragen der Mitarbeiterführung hergestellt haben, allerdings wird der Aspekt der strukturellen Einbettung von Organisationsmitgliedern in ein Geflecht von Interaktions- und Entscheidungsbeziehungen dabei weitgehend vernachlässigt (Wald/Weibler 2005; Wald 2008). Es wird jedoch vermutet, dass sich die Netzwerkeinbettung auf die Verhaltens- und Handlungsweisen von Organisationsmitgliedern auswirkt und ihre methodische Überprüfung daher einen essenziellen Beitrag zur Lösung von Gestaltungsproblemen leisten kann (Osborn/Hunt/Jauch 2002; Balkundi/Kilduff 2005). Infolgedessen sollen Netzwerkmethoden in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, um die Kooperations- und Steuerungsbeziehungen zwischen Konzerneinheiten mikroanalytisch zu untersuchen. Dadurch gilt es, Rückschlüsse auf einen aufeinander abgestimmten Einsatz der Steuerung zur Mehrwertschaffung zu ziehen und einen Beitrag zur Anreicherung vorhandener Forschungserkenntnisse zu leisten. Die Übertragung des Netzwerkansatzes ermöglicht jedoch nicht nur die Einnahme eines neuartigen Blickwinkels auf die Steuerung im Konzern, ihm kommt an dieser Stelle auch eine besondere Bedeutung zu, da bereits Georg Simmel (1908), als einer ihrer einflussreichsten Begründer, den hohen Stellenwert von Wechselwirkungen erkannte und darin den originären Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften sah.9 9
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Simmel beschreibt die Notwendigkeit zur Gründung einer eigenständigen Forschungsdisziplin Soziologie und der Entwicklung spezieller Methodiken damit, dass sich soziale und organisationale „Erscheinungen im ganzen auf drei prinzipielle Standpunkte hin ansehen [lassen; K.B.]: auf die individuellen Existenzen, die die realen Träger der Zustände sind; auf die formalen Wechselwirkungsformen, die sich freilich auch nur an individuellen Existenzen vollziehen, aber jetzt nicht vom Standpunkt dieser, sondern dem ihres Zusammen, ihres Miteinander und Füreinander betrachtet werden; auf die begrifflich formulierbaren Inhalte von Zuständen und Geschehnissen hin. […] Diese drei Gesichtspunkte verschlingen sich fortwährend, die methodische
1.3 Forschungskonzeption Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem Verständnis der Betriebswirtschaftslehre als anwendungsorientierte Wissenschaft (z.B. Thompson 1956; Ulrich 1981, 1995; Cummings 2007; Miller/Greenwood/Prakash 2009).10 Dabei soll der Grundsatz verfolgt werden, dass Organisationsforschung gleichermaßen die Handhabbarkeit theoretischer Konstrukte gewährleisten wie praxisrelevante Gestaltungsempfehlungen zur Verfügung stellen muss (z.B. Osterloh/Frost 2003; Grandori 2004; Frese 2005; Steinmann/Kustermann 2006). Gerade im Hinblick auf die Gestaltungsrelevanz wissenschaftlicher Aufsätze wird jedoch zunehmend kritisiert, die zeitgenössische Organisationsforschung habe „largely lost interest in studying design issues, just as these issues have become more complex and demanding” (Miller/Greenwood/Prakash 2009: 274). „Moreover, when organization design is examined, it is treated at such a level of abstraction and with such conceptual simplicity that it abuses the complexity of contemporary organizations; the notion of design is truncated to the point where it has become largely obsolete and of little relevance to the practitioner” (Miller/Greenwood/Prakash 2009: 273; ähnlich Cummings 2007: 357).
Aufbauend auf dieser wissenschaftlichen Grundposition kann eine Forschungskonzeption entwickelt werden, die die vorliegende Untersuchung leitet: Für eine anwendungsorientierte Wissenschaft sind Probleme der Unternehmenspraxis konstitutiv – sie bilden den Ausgangspunkt und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Mit der effektiven Kombination von Steuerungsmechanismen zur Mehrwertschaffung im Konzern wird auch in dieser Arbeit ein praktisches Unternehmensführungsproblem in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt. Um anwendungsbezogene Erkenntnisse und Problemlösungen entwickeln zu können, muss im Regelfall theoretisches und methodisches Wissen aus verschiedenen, auch interdisziplinären Quellen ausgewertet werden (Hungenberg 1995: 7). Zu diesem Zweck gilt es in der vorliegenden Arbeit, zum einen Erklärungsbeiträge unterschiedlicher Fachdisziplinen aufzunehmen, deren Gegenstand die Steuerung und Mehrwertschaffung in Organisationen darstellt, zum anderen mit dem Netzwerkansatz sowie der Fall-
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Notwendigkeit, sie auseinander zu halten, wird immer wieder von der Schwierigkeit, jedes in eine von dem andern unabhängige Reihe zu ordnen, und von der Sehnsucht nach einem, alle Standorte umfassenden Gesamtgebilde der Wirklichkeit gekreuzt. Und wie tief das eine, begründend oder begründet, in das andre hineinreicht, wird nie für alle Fälle festzulegen und deshalb bei aller methodischen Klarheit und Entschiedenheit der prinzipiellen Fragestellung die Zweideutigkeit kaum vermeidbar sein: daß die Behandlung des Einzelproblems bald in eine, bald in die andre Kategorie zu gehören scheint und selbst innerhalb der einen nicht immer gegen die Behandlungsweise der andern sicher abzugrenzen ist“ (Simmel 1908: 16). „[E]s ist der unmittelbare Zweck einer solchen Wissenschaft, dem Menschen ein wissenschaftlich fundiertes Handeln in der Praxis zu ermöglichen“ (Ulrich 1981: 10).
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studienforschung sozialwissenschaftliche Analysemethoden auf organisationale Kooperationsund Steuerungsphänomene zu übertragen. Anwendungsorientierte Forschung sollte es darüber hinaus ermöglichen, praktische Erkenntnisse aus dem relevanten Anwendungszusammenhang zu gewinnen und bei der Entwicklung von Gestaltungsempfehlungen zu berücksichtigen (Ulrich 1981: 4-5). Deshalb umfasst die vorliegende Arbeit neben einem theoretisch-konzeptionellen Teil auch eine empirische Untersuchung des Steuerungsphänomens im Konzern. Die Methoden, mit denen das empirische Wissen erschlossen wird, müssen dabei problemadäquat und abhängig vom zu erwartenden Erkenntniszuwachs bestimmt werden (Hungenberg 1995: 8). Für die Analyse von Organisationen lassen sich grundsätzlich qualitative von quantitativen Ansätzen unterscheiden (z.B. Tomczak 1992: 77). Aus den Forschungsfragen geht bereits hervor, dass eine detaillierte quantitative Untersuchung der interessierenden Sachverhalte nur eingeschränkt möglich ist: Zum einen existieren kaum Möglichkeiten, die Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerung, Interdependenzen und Mehrwertschaffung quantitativ zu erfassen, auf deren Basis sich die Effektivität der eingesetzten Kombinationslösungen beurteilen ließe11, zum anderen mangelt es an hinreichenden theoretischen Grundlagen, die eine Definition quantitativ überprüfbarer Forschungshypothesen ermöglichten. Diese Ausgangssituation würde daher lediglich eine Überprüfung theoretisch nicht fundierter „ad hoc Hypothesen“ zulassen (Schanz 1990: 141-142; Tomczak 1992: 79; Kromrey 2006: 90). Die Zielsetzung der empirischen Untersuchung ist somit weniger die Bestätigung bestehender Theorien als vielmehr die Identifikation bislang unbekannter Zusammenhänge zwischen Steuerung, Interdependenzen und Mehrwertschaffung im Konzern. Angesichts der bislang eher abstrakten Behandlung dieses Problemfelds und seiner vielschichtigen Problemstruktur erscheint ein vornehmlich qualitatives Vorgehen zweckmäßig. Bestandteil der vorliegenden Arbeit ist deshalb eine explorative Studie, die darauf abzielt, vorhandene Theoriekonstrukte zu präzisieren und zusätzliches Wissen über das untersuchte Phänomen zu generieren. Dabei wird mit der Exploration eine Forschungsstrategie zur Erschließung empirischen Wissens verfolgt, die ausdrücklich nicht darauf abzielt, a priori formulierte Hypothesen in einem repräsentativen Anwendungszusammenhang zu überprüfen (Lamnek 2005: 90). Vielmehr sollen auf einer dem Hypothesentest vorgelagerten Ebene empirischer Forschung zusätzliche, vornehmlich qualitative Informationen über den Untersuchungsgegenstand aufgedeckt und Anhaltspunkte über die praktische Relevanz bisheriger Erkenntnisse gewonnen und zur Theorieentwicklung verwendet werden (Hungenberg 1995: 10; Yin 2003; Hauschild 2006; Kromrey 2006: 548;
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Zur Problematik der quantitativen Ermittlung kollektiven Mehrwerts vgl. z.B. Hill/Hoskisson (1987); Zimmerman (1997); Biberacher (2003).
Eisenhardt/Graebner 2007). Dennoch wird bei der empirischen Untersuchung nicht gänzlich auf den Einsatz quantitativer Methoden verzichtet. Im Rahmen der Netzwerkanalyse wird das Netzwerk-Korrelationsverfahren der Quadratic Assignment Procedure (QAP; Hubert/Schulz 1976) genutzt, um die Zusammenhänge zwischen Interdependenzproblem und Steuerungslösung sowie das Wirkungsgefüge zwischen einzelnen Steuerungsmechanismen statistisch zu ermitteln.12 Während organisatorische Netzwerke in traditionellen Forschungsansätzen typischerweise aus Entitäten (Knoten, z.B. Unternehmen, Abteilungen, Mitarbeiter) bestehen, die hinsichtlich ihrer Beziehungen (Kanten, z.B. Ressourcentransfers, Kommunikation) analysiert werden, wird in der vorliegenden Arbeit zudem ein invertiertes Netzwerkmodell entwickelt, das sich aus Steuerungsmechanismen als Knoten zusammensetzen.13 Neuere Forschungsarbeiten zeigen, dass ein derart kombinierter Methodeneinsatz großes Potenzial zur Erklärung komplexer Sachverhalte in Organisationen besitzt (z.B. Creswell/Plano Clark 2007; Greene 2008; Miller/Greenwood/Prakash 2009; Teddlie/Tashakkori 2009).14 Der flankierende Einsatz quantitativer Methoden soll in der vorliegenden Arbeit jedoch vor allem dazu beitragen, die Belastbarkeit der qualitativ gewonnenen Erkenntnisse zu prüfen und damit die Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Generalisierbarkeit der empirischen Befunde zu erhöhen (Franke/Wald 2006). Auf der Grundlage eines konzeptionellen Vorverständnisses ist es somit möglich, reichhaltige Erkenntnisse aus dem praktischen Anwendungszusammenhang zu gewinnen und sie zur Theorie-Elaboration zu verwenden (Vaughan 1992; Yin 1981; Eisenhardt 1989b; Hauschildt 2006; Siggelkow 2007). Durch das theoriegeleitete Vorgehen und den kombinierten Methodeneinsatz gilt es schließlich, die empirischen Untersuchungsergebnisse in Propositionen zu überführen, die einerseits zur Anreicherung bestehender Forschungserkenntnisse beitragen und andererseits praxisrelevante Gestaltungsimplikationen für die Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern aufzeigen sollen. Das dargestellte Explorationsziel führt die Bestimmung des Forschungsansatzes zur Auswahl der Fallstudie (case study). Fallstudien lassen sich zur detaillierten Untersuchung eines oder mehrerer Einzelfälle in ihrer spezifischen Situation verwenden (Glaser/Strauss 1967; Eisen12
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Zur Anwendung der Quadratic Assignment Procedure auf organisatorische Fragestellungen vgl. z.B. neben Tsai (2002) und Wald (2003, 2005) insbesondere Grandori/Soda (2006), die auf diese Weise Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß an Unsicherheit und Mehrdeutigkeit der Zusammenarbeit und vier Steuerungsmechanismen innerhalb eines Produktionsunternehmens untersuchen. So legen auch Grandori und Soda die Entwicklung neuartiger Netzwerkmodelle nahe, mittels derer ermöglicht wird, „to consider mechanisms themselves as nodes […]. That would lead to a relational approach to organization and organization design in an even stronger sense than the one advanced here” (2006: 170). Unter dem Terminus „Mixed Methods“ erfreuen sich kombinierte Ansätze zunehmender Popularität, aus der sich mittlerweile ein eigenständiger, interdisziplinärer Forschungszweig herausgebildet hat; vgl. z.B. Tashakkori/Creswell (2007); Vitale/Armenakis/Feild (2008) sowie die Beiträge in dem seit 2007 erscheinenden Journal of Mixed Methods Research.
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hardt 1989b; Larsson 1993; Langley 1999; Lamnek 2005; Flyvbjerg 2006). Da sich die besonderen Charakteristika und Rahmenbedingungen von Organisationen nur schwierig über Unternehmensgrenzen hinweg vergleichen lassen, plädieren Vertreter der klassischen Fallstudienforschung zur Analyse komplexer Organisationsphänomene für die Durchführung von Einzelfallstudien (z.B. Dyer/Wilkens 1991). In dieser Arbeit wird die Einzelfallstudie gegenüber Mehrfachfallstudien vorgezogen, weil sie eine intensive Analyse der Steuerungs- und Kooperationsbeziehungen zwischen Konzerneinheiten unter Berücksichtigung eines gemeinsamen organisationalen Kontexts zulässt und auf diese Weise die Gefahr möglicher Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen minimiert. Das Untersuchungsobjekt der Fallstudie bildet das Unternehmen TRICONNECT, innerhalb dessen die Kooperations- und Steuerungsbeziehungen zwischen 29 Konzerneinheiten analysiert wurden. Zur Datenerhebung wurde auf das Verfahren der Expertenbefragung zurückgegriffen, bei dem es sich um ein persönliches Interview von Organisationsmitgliedern durch mündliche Befragung in teilstrukturierter Form handelt (Bogner/Menz 2005; Trinczek 2005). Die mündliche Befragung erschien sinnvoll, weil uneinheitliche Interpretationen der interessierenden Sachverhalte, insbesondere des Verständnisses von Steuerung, Interdependenz und Mehrwertschaffung, durch die Befragten wahrscheinlich waren. Durch die persönliche Anwesenheit des Forschers während aller Experteninterviews sollte sichergestellt werden, dass die Gesprächspartner eine Frage so verstehen, wie sie gemeint ist, und sich ihre Antworten in einen gemeinsamen Bezugsrahmen einordnen ließen (Gruenbaum 2007: 82). Die Teilstrukturierung der Befragung unterstützte dieses Ziel, indem sie dafür sorgte, dass die Informationen problemzentriert, systematisch und vollständig gewonnen werden konnten, den Beteiligten aber gleichzeitig den notwendigen Freiraum ließ, unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb der Interviews zu setzen. Ferner bot sie ihnen die Möglichkeit, individuell auf die Fragen zu reagieren und in den Antworten die eigene Sicht zu konkretisieren. Hierdurch wurde die Aktivität der Befragten gefördert und ihre Bereitschaft erhöht, auch „sensible“ Themenbereiche anzusprechen. Im Sinne einer offenen und flexiblen Theorieentwicklung (Glaser/Strauss 1967; Eisenhardt 1989b) war es dadurch außerdem möglich, praxisrelevante Einflussfaktoren der Steuerung zu identifizieren, die bis dato im Bezugsrahmen nicht berücksichtigt worden waren. Der empirischen Studie liegt eine Stichprobe von insgesamt 56 Interviews zugrunde, die in zwei Phasen15 durchgeführt worden sind. In der ersten Phase erfolgten Gespräche mit Füh15
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So plädieren auch Bradbury und Bergmann Lichtenstein für ein zweistufiges Vorgehen zur relationalen Analyse komplexer Organisationsprobleme: „Rather than developing a survey out of context, thereby assuming in advance what questions are meaningful, a researcher would be encouraged to begin with a small round of
rungskräften des Fallstudienkonzerns und externen Unternehmensberatern (Miller/Greenwood/Prakash 2009: 277), mittels derer die praktische Relevanz der Untersuchung sichergestellt, das Problemfeld abgegrenzt, die Forschungsfragen spezifiziert sowie der Interviewleitfaden abgeleitet werden konnten. Darüber hinaus ließen sich in dieser Interviewphase erste Fallbeispiele (Sub-Cases) identifizieren, die mit besonderen Steuerungsherausforderungen für den TRICONNECT-Konzern verbunden waren. In der zweiten Phase wurden jene Fälle einer detaillierten Analyse unterzogen, indem betroffene, d.h. steuernde und gesteuerte Mitarbeiter16 hierzu befragt wurden.17 Auf diese Weise ließen sich insgesamt 300 Kooperationsund 1.473 Steuerungsbeziehungen erheben, die die Datengrundlage für die Netzwerkauswertungen bildeten und in Verbindung mit den qualitativ gewonnenen Informationen sowie dem theoretischen Vorwissen zur Entwicklung analytisch generalisierbarer Aussagen eingesetzt wurden.
1.4 Aufbau der Arbeit Aus den Untersuchungszielen und der dargestellten Forschungskonzeption leitet sich folgender Aufbau der Arbeit ab: Nach den vorliegenden einleitenden Ausführungen umfasst Kapitel 2 den theoretischen und konzeptionellen Teil der Untersuchung. Die in der Literatur und Unternehmenspraxis inzwischen nahezu inflationäre und hochgradig heterogene Verwendung untersuchungsrelevanter Konstrukte und Terminologien erfordert eine präzise Abgrenzung und Einordnung der wichtigsten Ansätze zu Steuerung, Mehrwertschaffung und Interdependenzen. Im ersten Schritt soll hierzu der Gegenstand der Steuerung aus der Perspektive der Controlling-, Management Control- und Organisationsforschung rekonstruiert und ihre Erklärungsbeiträge in die weitere Untersuchung aufgenommen werden (Abschnitt 2.1). Zwischen diesen drei Disziplinen mangelt es bislang weitestgehend an einem konstruktiven Diskurs; wurden dennoch Bezüge aufeinander genommen, so erfolgte dies zumeist in kritischer Absicht. Durch
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interviews with informed research subjects, to identify their perspectives about what the core issues seem to be. Using these internally-generated perspectives, a more appropriately designed survey will likely collect richer and more complete data” (Bradbury/Bergmann Lichtenstein 2000: 561; eigene Hervorhebung). Das Spektrum der Interviewpartner umfasste leitende Mitarbeiter aus der Konzernzentrale, Führungskräfte der einzelnen Konzerneinheiten (u.a. Geschäftsführer, Chief Financial Officers, Chief Operating Officers), Bereichs- und Abteilungsleiter sowie Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen, die sich mit steuerungsrelevanten Fragestellungen im Fallstudienkonzern befassten (z.B. Konzernorganisation, Controlling, Prozessund Qualitätsmanagement). Die aufgezeichneten und transkribierten Gesprächsinhalte wurden nach Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008) strukturiert (Kodierung) und ausgewertet. Der Forschungsprozess und die Datenauswertung werden ausführlich in Abschnitt 3.2 dargelegt.
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die Verknüpfung dieser Einzelperspektiven gilt es, ein umfassenderes Verständnis der Steuerung in Organisationen zu entwickeln und darauf aufbauend ein konzerntypisches Repertoire an Steuerungsmechanismen abzuleiten (Abschnitt 2.2). Abschnitt 2.3 widmet sich dem Steuerungsziel der Mehrwertschaffung im Konzern. Die Analyse unterschiedlicher Mehrwertpotenziale erfolgt dabei aus einer ressourcen- und aktivitätenorientierten Sicht, die eine Spezifizierung des allgemeinen Mehrwertkonstrukts zulässt. Wie zu zeigen sein wird, setzt die Realisierung dieser Mehrwertpotenziale unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen Konzerneinheiten voraus, aus denen verschiedenartige Interdependenzsituationen resultieren. Um Lösungen für dieses Steuerungsproblem herauszuarbeiten, wird daraufhin der aktuelle Forschungsstand kritisch beleuchtet, indem die Erklärungsbeiträge von vier theoriegeleiteten Aufsätzen und zehn empirischen Studien ausgewertet und erörtert werden (Abschnitt 2.4). Abschnitt 2.5 führt die Beiträge aus der Literatur zur Steuerungs-, Interdependenz- und Mehrwertforschung schließlich zu einem gemeinsamen konzeptionellen Bezugsrahmen zusammen, der die empirische Untersuchung dieser Arbeit strukturiert. Kapitel 3 widmet sich dem methodischen Vorgehen zur Durchführung der empirischen Studie. Im Hinblick auf die relationale Analyse von Kooperation und Steuerung wird zunächst der Netzwerkansatz beschrieben (Abschnitt 3.1), daraufhin die qualitative Fallstudie als Explorationsmethode sowie der Forschungsprozess dieser Arbeit vertieft (Abschnitt 3.2). Die empirische Untersuchung der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern schließt sich in Kapitel 4 an. Nach einer kurzen Vorstellung des Fallstudienunternehmens (Abschnitt 4.1) erfolgt zunächst die qualitative Analyse und Interpretation von fünf Einzelfallbeispielen (Abschnitt 4.2) und dann die fallübergreifende Netzwerkanalyse (Abschnitt 4.3). Die auf Grundlage des kombinierten Methodeneinsatzes gewonnenen empirischen Untersuchungsergebnisse werden daraufhin theoretisch reflektiert und in Propositionen überführt, wodurch künftigen Forschungsvorhaben die Möglichkeit geboten werden soll, den Prozess der TheorieElaboration fortzusetzen. Kapitel 5 diskutiert rückblickend den Erkenntnisgewinn der vorliegenden Arbeit und bietet einen Ausblick auf zukünftige Forschungsmöglichkeiten.
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2 Theoretische Begründung und Konzeption der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern Das vorliegende Kapitel befasst sich mit der theoretischen Fundierung untersuchungsrelevanter Konstrukte und ihrer Integration in einen konzeptionellen Bezugsrahmen für die sich anschließende empirische Studie. Hierzu werden zunächst Erklärungsbeiträge aus unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen reflektiert, deren Forschungskern die Steuerung in Unternehmen bildet (Abschnitt 2.1). Da bislang kaum wechselseitige Bezüge zwischen der Controlling-, Management Control- und Organisationsforschung bestehen, erfolgt eine dedizierte Auseinandersetzung und Zusammenführung ihrer disziplinspezifischen Erkenntnisse zu einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption. Daran anknüpfend stellt Abschnitt 2.2 ein typisches Repertoire an Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen im Konzern vor. Abschnitt 2.3 rekonstruiert das besondere Konzernziel der Steuerung aus vier unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven: Dieses sind die strategische, die organisationale, die wertorientierte sowie die ressourcen- und aktivitätenbasierte Sichtweise kollektiver Mehrwertschaffung. In Abschnitt 2.4 werden die Zusammenhänge zwischen Interdependenzproblemen und Steuerungslösung theoretisch analysiert und der empirische Forschungsstand dazu ausgewertet. Schließlich fasst Abschnitt 2.5 die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen.
2.1 Steuerungsansätze betriebswirtschaftlicher Teildisziplinen Der Begriff der „Steuerung“ findet seinen Ursprung in der Kybernetik (Malik 2002: 22-26; Kirsch/Seidl 2004: 1366-1369; Frost 2005: 26). Sie erforscht die grundlegenden Konzepte zur Steuerung und Regulation von Systemen (Wiener/Walther 1952; Ashby 1964; Birnbaum 1989), verstanden als „geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können“ (Ulrich 1970: 105). Mit der stärkeren Verbreitung systemtheoretischer Ansätze erhielt der Steuerungsbegriff auch Eingang in die Wirtschaftswissenschaften (z.B. Kosiol/Szyperski/Chmielewicz 1965; Kirsch 1989: 37-40; Kirsch/Maaßen 1989a; Malik 2002: 25; Horváth 2009: 89-94). Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Wurzeln bezeichnen einige Vertreter der systemtheoretischen Organisationsforschung die Steuerung von Unternehmen aktuell noch als „Management-Kybernetik“ (z.B. Malik 2002: 76). Heute wird der Steuerungsbegriff in den Wirtschaftswissenschaften nahezu inflationär verwendet (Theuvsen 2001: 28; Küpper/Wagenhofer 2002; Frost 2005: 26). Die Auseinandersetzung mit der Steuerung von Unternehmen im Rahmen verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Fachdisziplinen führte zu einem sehr heterogenen Begriffs- und Funktionsverständnis. Steuerung wird dabei häufig als Synonym von Begriffen wie 17
„Führung“, „Management“, „Integration“, „Koordination“ und „Kontrolle“ verwendet (z.B. Mellerowicz 1963: 47; Kirsch/Seidl 2004: 1366; Bauer 2005: 51; Macharzina/Wolf 2008: 3540). Auch im internationalen Forschungsraum existieren bisher weder eine einheitliche Terminologie (z.B. „control“, „governance“, „coordination“) noch ein kongruentes Verständnis der Steuerung (z.B. Schwarz 2004). Daher sollen nachfolgend verschiedene Steuerungsansätze aus der Controllingforschung im deutschsprachigen und internationalen Forschungsraum sowie aus der Organisationsforschung vorgestellt werden. Das Erfordernis einer differenzierten Betrachtung der beiden Controllingansätze begründet sich in der Tatsache, dass sich Controlling und Management Control (Systems) hinsichtlich ihres Selbstverständnisses, ihrer Steuerungskonzeptionen sowie ihrer zugrunde gelegten Menschenbilder18 deutlich voneinander unterscheiden. Bei der Analyse dieser drei Teildisziplinen sollen neben dem fachspezifischen Steuerungsverständnis und den unterschiedlichen Ansätzen zur Klassifikation von Steuerungsverfahren auch die wesentlichen theoretischen Fundierungen sowie die darin getroffenen Verhaltensannahmen über die zu steuernden Organisationsmitglieder diskutiert werden. Der Abschnitt schließt damit ab, die Erklärungsbeiträge der einzelnen Disziplinen in eine Steuerungskonzeption aufzunehmen und der weiteren Untersuchung zugrunde zu legen.
2.1.1 Steuerung in der Controllingforschung Einleitend wurde dargelegt, dass das Controlling19 als Unternehmensfunktion samt seinem spezifischen Repertoire an Instrumenten, Methoden und Verfahren eine herausragende Stellung bei der Steuerung innerhalb von Konzernen einnimmt. Die Controllingforschung gilt dabei als „Derivat der Unternehmenspraxis“ (Franz 2004: 278; Horváth 2009: 21) und kann daher vor allem als anwendungsorientierte Wissenschaftsdisziplin aufgefasst werden (Weißenberger 2004: 291; Hahn/Hungenberg 2001: 265-268; Küpper 2009: 1-3). Betrachtet man die Entwicklungen in der deutschsprachigen Controllingforschung20 im Spiegel internationaler Fachpublikationen, so kann von einem „deutschen Sonderweg“ (Schwarz 2002: 52) 18
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Mit der „Zeichnung“ von Menschenbildern wird gemeinhin versucht, die komplexe Natur des Menschen zu beschreiben. Es handelt sich dabei um die Formulierung menschlicher Eigenschaftskomplexe, die dazu dienen soll, Rückschlüsse auf ihre Verhaltensbeeinflussung und Motivierbarkeit zu ziehen; vgl. z.B. Drumm (2004b: 497-502); Eigler (2004: 681). Der Begriff „Controlling“ lässt sich etymologisch auf das englische Wort „control“ bzw. auf das französische Wort „contrôle“ zurückführen. Zwar werden in der englischen Sprache heute weit mehr als 50 Bedeutungen des Wortes „control“ festgestellt (Rathe 1961), im organisatorischen Zusammenhang stellen die Begriffe „Kontrolle“ und „Steuerung“ aber zweifellos die dominierenden Interpretationen von „Controlling“ dar (Schwarz 2002: 13-16). Zur Entwicklung des Controllings in Deutschland seit 1970 vgl. z.B. Binder/Schäffer (2005); Schäffer/Binder/Gmür (2006); Weber/Schäffer (2006: 3-16).
gesprochen werden. International existiert keine vergleichbare und eigenständige Wissenschaftsdisziplin „Controlling“, wie sie hierzulande von führenden Wissenschaftlern interpretiert und legitimiert wird (z.B. Weißenberger 2004: 291).21 Aufgrund ihrer ausgeprägten Anwendungsorientierung weist die deutschsprachige Controllingforschung ein stark instrumentalistisch-technisches Selbstverständnis auf, so dass den wissenschaftlichen Zielen der Beschreibung und Erklärung von Controllingphänomenen im realen Unternehmenskontext bisher eine eher nachrangige Bedeutung eingeräumt wurde (z.B. Scherm/Pietsch 2004b: 9; Binder/Schäffer 2005). Es wird in diesem Zusammenhang kritisiert, „Controlling ist eine bedeutende Praxis ohne eine bedeutende Theorie“ (Kieser 2003: 17).
In den letzten Jahren ist in der deutschsprachigen Controllingforschung jedoch auch eine zunehmende theoretische Diskussion22 zu verzeichnen, aus der zahlreiche Controllingkonzeptionen hervorgegangen sind (Scherm/Pietsch 2004b; Schäffer/Binder/Gmür 2006). Trotz unterschiedlicher Aussfassungen über die Rolle des Controllings in Unternehmen, lässt sich eine weitgehende Übereinstimmung der Controllinginhalte zwischen den verschiedenen Autoren feststellen (Küpper 2004; Scherm/Pietsch 2004b; Schwarz 2004; Weber/Schäffer 2006: 16-24). Ein zentraler Aspekt der unterschiedlichen Controllingkonzeptionen ist Koordination (z.B. Becker 2003: 212; Franz 2004: 273). Mittlerweile gehört der koordinationsorientierte Controllingansatz daher zu den einflussreichsten Konzeptionen (Ahn 1999: 113; Pietsch/Scherm 2001: 207; Hirsch 2003; Schaefer/Lange 2004; Franz 2004: 275) und wird vom Großteil der Wissenschaftler in der deutschsprachigen Controllingforschung vertreten (z.B. Pfaff 2004; Ewert/Wagenhofer 2008; Horváth 2009; Küpper 2009).23 Aufgrund seines unmittelbaren Bezugs zu steuerungsrelevanten Frage- und Problemstellungen soll dieser Ansatz der nachfolgenden Analyse zugrunde gelegt werden.
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International werden die im deutschsprachigen Controllingkontext diskutierten Problemstellungen wie Planung, Kontrolle, Kostenmanagement oder interne Unternehmensrechnung schwerpunktmäßig in anderen Fachgebieten wie Management Accounting, Management Control, Cost Management oder Strategic Management behandelt (Weißenberger 2004: 292; Schwarz 2004: 45-47); vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 2.1.2. Zum Stand der theoretischen Diskussion im Controlling vgl. z.B. die Beiträge renommierter Controllingforscher in der Sammelrezension von Scherm und Pietsch (2004a) sowie Küpper (2009) Eine Untersuchung der meistzitierten Autoren der deutschsprachigen Controllingforschung im Zeitraum 1990 bis 2003 zeigt, dass die ersten fünf Plätze von Wissenschaftlern belegt werden, die sich dem koordinationsorientierten Ansatz zuordnen lassen (Schäffer/Binder 2008: 59). Die darunter befindlichen Autoren Weber und Schäffer haben nach 1998 den rationalitätssicherungsorientierten Controllingansatz entwickelt, der aber weitgehende Parallelen zum koordinationsorientierten Ansatz aufweist (Becker 2003: 8).
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2.1.1.1
Steuerungsverständnis im koordinationsorientierten Controlling
Im koordinationsorientierten Ansatz liegt die primäre Aufgabe des Controllings „in der ergebniszielorientierten Koordination von Planung und Kontrolle sowie Informationsversorgung“ (Horváth 2009: 123; eigene Hervorhebung).24
Das Controlling soll die Unternehmensführung bei der Koordination innerhalb und zwischen diesen drei Aufgabenbereichen unterstützen. Das Erfordernis einer eigenständigen Organisationsfunktion25 hierfür leiten die Vertreter des koordinationsorientierten Ansatzes aus der Komplexität und Dynamik der Umwelt sowie der Ressourcenabhängigkeit innerhalb des Unternehmens ab (Schmidt 1986: 50; Küpper 2009: 35). Dadurch kommt es zu einer Ausdifferenzierung von Führungsaufgaben, die durch das Controlling aufeinander abzustimmen sind (Küpper 2004).26 Zugleich geht damit die Schaffung von Interdependenzen zwischen Entscheidungen und Aktivitäten einher, denen im koordinationsorientierten Controllingansatz eine zentrale Bedeutung beigemessen wird: „Interdependenzen [stellen; K.B.] den zentralen Gegenstand einer Theorie des Controlling dar. Die Notwendigkeit einer Koordination entsteht immer dann, wenn Tatbestände nicht gemeinsam festgelegt werden, obwohl zwischen ihnen Interdependenzen bestehen. […] Somit kann die Analyse von Interdependenzen als theoretische, die Schaffung und Bewertung von Koordinationsinstrumenten als Gestaltungsaufgabe des Controlling verstanden werden“ (Küpper 2009: 67; eigene Hervorhebung).
Für die Notwendigkeit zur Koordination werden sachliche und personelle Gründe angeführt (Ewert/Wagenhofer 2008: 395; Küpper 2009: 35; Horváth 2004: 370): Während sich der sachliche Koordinationsbedarf aus vielfältigen Abhängigkeits- und Verbundbeziehungen zwischen den Ressourcen verteilter Organisationseinheiten ergibt, resultiert der personelle
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Zur Ergebnisziel- bzw. Wertorientierung des Controllings vgl. Abschnitt 2.3.1.3. Dem Controlling als Organisationsfunktion liegt der institutionelle Controllingbegriff zugrunde, während die Aufgaben und Tätigkeiten von Controllern den instrumentellen Controllingbegriff konstituieren. Diese sprachliche Differenzierung soll allerdings nicht weiter verfolgt werden, weil die Begriffe „Institution“ und „Instrument“ in dieser Arbeit noch anderweitig verwendet werden und eine Irritation des Lesers vermieden werden soll. Schmidt identifiziert hierzu vier unmittelbare Controllingziele: Das erste Ziel liegt in der Koordination der Unternehmensführung, die eine auf das Gesamtunternehmen bezogene interne Abstimmung, integrative Verknüpfung und Koordination von Planungs-, Entscheidungs-, Durchsetzungs- und Kontrollprozessen bezwecken soll. Zweitens gilt es, die Unternehmensführung durch die Delegation der Koordinationsaufgaben an das Controlling zu entlasten. Drittens soll jene durch laufende Routineberichterstattung, Analysen und Sonderuntersuchungen vom Controlling zielorientiert bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden. Und viertens soll das Controlling rationales Entscheidungsverhalten des Managements sichern, indem es ihm hierfür die notwendigen Entscheidungsgrundlagen bereit stellt. Durch die Verfolgung dieser vier unmittelbaren Controllingziele kann das Controlling mittelbar die Einhaltung und Verbesserung der Gesamtzielerreichung unterstützen (Schmidt 1986: 52-64).
Koordinationsbedarf aus der Tatsache, dass zumeist mehrere Personen mit unterschiedlichen Interessen und asymmetrischen Informationsständen an der Vorbereitung von Unternehmensentscheidungen und deren Umsetzung beteiligt sind (Ewert/Wagenhofer 2008: 395). Für die Lösung von sachlichen Koordinationsproblemen bietet das Controlling simultane Planungsansätze, mit denen nach Möglichkeit alle Unternehmensbereiche und ihre Abhängigkeiten erfasst werden sollen (Luhmer 2002: 1035). Als Beispiele solcher Ansätze können etwa die Modelle der simultanen Investitions-, Finanz-, Produktions- und Absatzplanung herangezogen werden. Diese setzen jedoch eine Komplexitätsreduktion voraus, da im Zuge der praktischen Anwendung ansonsten erhebliche Probleme der Informationsbeschaffung und der rechnerischen Lösung dieser Modelle entstehen (z.B. Küpper 2004; Pfaff 2004), weshalb zumeist heuristische Planungsverfahren hierfür genutzt werden. Ein solches Vorgehen impliziert jedoch, dass Unternehmen wie Monolithen agieren, d.h. eine zentrale Instanz entwickelt ein integriertes Planungsmodell, das anschließend durch die dezentralen Einheiten zu implementieren ist (Ewert/Wagenhofer 2008: 400). Deshalb stellt die Kontrolle der Planumsetzung eine zweite wesentliche Aufgabe zur Lösung sachlicher Koordinationsprobleme dar (Horváth 2009: 146-171). Zur Lösung personeller Koordinationsproblemen werden im Controlling vornehmlich finanzielle Anreizsysteme vorgeschlagen (z.B. Hofmann 2002; Weißenberger 2003; Eigler 2004; Hofmann/Daugart 2004; Pfaff 2004; Ewert/Wagenhofer 2008: 405). Das Controlling führt dabei die Performancemessung der dezentralen Unternehmensbereiche durch und liefert damit die Grundlage zur kontingenten Entlohnung (Incentivierung) ihrer Aufgaben- und Entscheidungsträger. Dadurch soll erreicht werden, dass diese ihre eigenen Interessen den Unternehmenszielsetzungen unterordnen (Hofmann 2002: 69). Den zahlreichen Vertretern des koordinationsorientierten Controllings zufolge stellt die Koordination von Interdependenzen zwischen Aufgaben und Entscheidungen also den Kern und die originäre Aufgabe des Controllings dar (Becker 2003: 11; Wall 2004: 393; Küpper 2009: 25-32). Die Suche nach einer Einordnung des Koordinationsbegriffs in der einschlägigen Controllingliteratur führt jedoch rasch zu der Einsicht, dass „Koordination“ oftmals nicht oder nicht hinreichend definiert, abgegrenzt und erläutert wird (Schwarz 2002: 54). So ist es beispielsweise erstaunlich, dass im Controllinglehrbuch von Küpper (2009), dem ein umfassender koordinationsorientierter Controllingbegriff zugrunde liegt, der Begriff „Koordination“ nicht explizit definiert wird (Franz 2004: 276). Ewert und Wagenhofer (2008: 395) rekurrieren bei ihrer Definition auf den Organisationsforscher Frese (1975a) und bezeichnen Koordination als die „Abstimmung von Einzelaktivitäten zur Erreichung übergeordneter Ziele“. In gleichartiger controllingunspezifischer Weise verwenden auch zahlreiche andere Autoren den Koordinationsbegriff (z.B. Schmidt 1986: 87; Horváth 1998: 114; Luhmer 2002: 1036; Becker 2003: 43). Gleichermaßen unbefriedigend sieht es beim 21
Steuerungsbegriff aus. Die Vertreter des systemtheoretisch fundierten koordinationsorientierten Ansatzes beschreiben Steuerung als regelnden Eingriff auf ein System: „[D]as Ziel wird dem System von außen gesetzt, Richtung und Art des Verhaltens werden von außen bestimmt“ (Horváth 2009: 80).27 Andere Autoren unterstreichen zwar die Bedeutung der Steuerung für das Controlling, reduzieren diese aber zumeist jedoch auf Weisungsmechanismen, indem Steuerung etwa interpretiert wird als „die Tätigkeit der Durchführungsveranlassung durch eine Führungskraft. Unterstellt wird ein abgeschlossener Planungs- bzw. Entscheidungsprozess, d.h. das Vorliegen einer nur noch von einem Dritten in die Realität umzusetzenden Handlungsalternative“ (Link 2002: 607-608). Häufig werden Koordination und Steuerung in der Controllingforschung aber auch synonym verwendet (z.B. Niggemann 2008). Speckbacher schreibt beispielsweise: „Im Sinne dieses allgemeinen Steuerungsbegriffes haben die dem Controlling üblicherweise zugeschriebenen Koordinationsaufgaben einen Steuerungscharakter“ (Speckbacher 2002: 870). Schwarz bezieht sich bei der Koordinationsfunktion auf die Abstimmung von Messgrößen und beschreibt Controlling als „die koordinierte Steuerung von Datenänderungen, um multiple Ziele (Mehrfachzielsetzungen) zu erreichen“ (Schwarz 2002: 55). Die Ausführungen verdeutlichen, dass selbst innerhalb einer Controllingkonzeption bislang noch kein einheitliches Verständnis von Koordination und Steuerung vorliegt, obwohl ihre Vertreter diese als zentralen Forschungsgegenstand und damit als Legitimationsgrundlage für eine eigenständige Teildisziplin Controlling reklamieren.28
2.1.1.2
Steuerungsverfahren
Die einschlägige Controllingliteratur bietet eine Vielzahl von Klassifikationssystemen zur Einordnung von Steuerungs- und Koordinationsinstrumenten (z.B. Hahn/Hungenberg 2001; Welge/Holtbrügge 2006; Küpper 2009; Horváth 2009). Der gemeinsame Ausgangspunkt aller dieser Klassifikationen ist, dass Unternehmen nur dann erfolgreich handeln können, wenn sie über ausreichend Informationsverarbeitungskapazitäten verfügen, um ihren Informationsver-
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Die Vertreter des systemorientierten Controllingansatzes unterscheiden zwischen dem Führungs- und dem Leistungssystem in Unternehmen. Die Kernaufgabe des Controllings liegt in der Steuerung innerhalb und zwischen den Teilsystemen des Führungssystems. Die Teilsysteme des Führungssystems umfassen nach Horváth (2009) das Planungs-, das Kontroll- und das Informationssystem. Küpper (2009) fügt diesen Teilsystemen noch das Organisations- und das Personalführungssystem hinzu. Diese werden aber von Horváth (2004) und anderen Wissenschaftlern abgelehnt, da ansonsten das Controlling letztendlich nicht mehr von der Unternehmensführung selbst abgrenzbar sei (z.B. Schneider 1997: 324; Link 2004; Wall 2004). Der Frage, ob Koordination einen hinreichenden Gegenstand zur Legitimation einer eigenständigen Forschungsdisziplin „Controlling“ bildet, widmet sich Abschnitt 2.1.1.4.
arbeitungsbedarf zu decken (Egelhoff 1991; Wolf 2000: 51; Dürrfeld 2003: 73). In der deutschsprachigen Controllingforschung ist die von Khandwalla (1975) vorgenommene Einteilung von Koordinationsinstrumenten besonders häufig anzutreffen (z.B. Hoffmann 1980: 338-358; Mellewigt/Matiaske 2001: 128; Weber/Schäffer 2006: 55-59; Macharzina/Wolf 2008: 470-471). Aufbauend auf den Arbeiten des Soziologen Leavitt (1965: 1144-1162) unterscheidet Khandwalla (1975: 140-154) strukturelle, personenorientierte und technokratische Koordinationsinstrumente und differenziert damit in erster Linie nach den Medien, die zur Koordination eingesetzt werden (Kieser/Kubicek 1992: 103). Während erstere den langfristig angelegten strukturellen Rahmen der Beziehungen zwischen der Unternehmensleitung und den dezentralen Einheiten vorgeben, dienen personenorientierte und technokratische Instrumente der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Beziehungen (Welge/Holtbrügge 2006: 163). Bei strukturellen Koordinationsinstrumenten findet eine Institutionalisierung von Koordinationsaufgaben in einer Organisationseinheit (z.B. Konzernzentrale) statt (Hoffmann 1980: 338). Personenorientierte Instrumente beruhen dagegen auf einer unmittelbaren persönlichen Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen Organisationsmitgliedern; dazu zählen insbesondere Weisungen sowie dezentrale Abstimmungsverfahren (Welge/Holtbrügge 2006: 182-183; Kieser/Walgenbach 2007: 109-115). Technokratische Koordinationsinstrumente hingegen sind „unpersönliche Regelungen und Festlegungen zur Steuerung von Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten“ (Theopold 1993: 199).
Diese können in grundstrukturpolitische Instrumente wie Entscheidungen über die Beteiligungshöhe und die gesellschafts- bzw. vertragsrechtliche Architektur des Konzerns sowie in ablaufpolitische Instrumente wie Unternehmenspläne, Bilanzen und Erfolgsrechnungen unterteilt werden (Mellewigt/Matiaske 2001: 128). Aus Sicht dieses Klassifikationsschemas lassen sich die im Controlling proklamierten Instrumente größtenteils den technokratischen Koordinationsinstrumenten zuordnen. Inhaltlich konsistent mit der Klassifizierung von Khandwalla nimmt Küpper eine Einordnung der Instrumente nach ihrem Koordinationszweck vor. Er unterscheidet zwischen isolierten und übergreifenden Koordinationsinstrumenten (Küpper 2009: 40-44). Erstere lassen sich bestimmten Koordinationszwecken zuordnen und sind nicht controllingspezifisch, sondern können auch für das Controlling genutzt werden. Die isolierten Koordinationsinstrumente umfassen:
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Organisationsinstrumente (z.B. Koordinationsorgane, Aufgaben- und Kompetenzverteilung, Standardisierung, formale Kommunikationsstrukturen) Personalführungsinstrumente (z.B. Vorgaben, Führungsgrundsätze, gemeinsame Wertvorstellungen) Planungsinstrumente (z.B. simultane Planungsmodelle, Planungsprozesse) Kontrollinstrumente (z.B. Überwachungssysteme, Abweichungsanalysen) Informationsinstrumente (z.B. Kosten- und Erlösrechnung, Informationsbedarfsanalysen, Berichtssysteme).
Die übergreifenden Koordinationsinstrumente lassen sich hingegen nicht einem bestimmten Koordinationszweck zuordnen und sind für Küpper deshalb controllingspezifisch. Durch ihren Einsatz soll die „Koordination der Führung und daher eine umfassende Steuerung der Unternehmung erreicht“ werden. Diese übergreifenden Koordinationsinstrumente umfassen: – – – –
Zentralistische Führungssysteme Budgetierungssysteme Kennzahlen- und Zielsysteme Verrechnungs- und Lenkpreissysteme.
Unabhängig davon, welches Klassifikationsschema der Einordnung zugrunde gelegt wird, fällt auf, dass die im Controlling diskutierten Steuerungsverfahren einen ausgeprägten instrumentellen Charakter aufweisen. Dies geht unmittelbar mit dem Selbstverständnis der deutschsprachigen Controllingforschung einher, welche vorrangig auf der Suche nach konkreten, anwendungsorientierten Lösungen ist (Wall 2002).
2.1.1.3
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen
Mit der geforderten Intensivierung der theoretischen Auseinandersetzung des Controllings (z.B. Kieser 2003; Scherm/Pietsch 2004a; Küpper 2009) wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Organisationstheorien herangezogen, um Controllingphänomene in der Unternehmensrealität zu erklären (Lang 2004a; Scherm/Pietsch 2004b; Schwarz 2004). Im koordinationsorientierten Controlling nehmen vor allem die Systemtheorie (z.B. Wiener 1948, 1950; Ulrich 1970; Malik 2002; Mayrhofer/Meyer/Majer 2004) und die Agencytheorie (z.B. Alchian/Demsetz 1972; Ross 1973; Fama 1980; Fama/Jensen 1983; Eisenhardt 1985, 1989a; Holmström/Milgrom 1991, 1994) eine führende Stellung ein. Die beiden Theorieansätze lassen sich unterschiedlichen Verhaltensparadigmen zuordnen, denen verschiedenartige Verhaltensannahmen über organisationale Akteure zugrunde liegen: Dem traditionellen und dem strukturell-funktionalistischen Paradigma (Süßmair 2000, 2004).29
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Süßmair (2000, 2004) unterscheidet darüber hinaus das subjektiv interpretative Paradigma, auf das an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll, da sich keiner der hier behandelten Steuerungsansätze dieser Perspektive zuordnen lässt; vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2.1.
Im traditionellen Paradigma dient das Controlling vornehmlich der vergangenheitsorientierten, gegenwartsbezogenen und vorausschauenden zahlenmäßigen Abbildung der internen Unternehmensabläufe (Schaefer/Lange 2004; Horváth 2009). Wechselseitige Beeinflussungsmöglichkeiten zwischen Akteuren, Unternehmen und Märkten werden kaum thematisiert – stattdessen als exogene Parameter außerhalb des Controllings betrachtet (Süßmair 2004: 641). Diese Sicht erleichtere die Abgrenzung relevanter Einheiten und erlaube so, mit Hilfe von mathematischen Modellen und Simulationen verlässlichere und detaillierte Entscheidungsgrundlagen zu generieren (Schwarz 2002: 69-74; Horváth 2009: 7778). Dabei wird eine prinzipielle Zielkongruenz zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensführung unterstellt. Verhaltensaspekte sind in diesem Sinne insofern relevant, als dysfunktionale Handlungsweisen mit Hilfe des Controllings aufgedeckt werden können, d.h. es bietet dem Management Kontrollinformationen und Hinweise auf eventuelle Verhaltensabweichungen (Süßmair 2004: 642). Nach der traditionellen Sicht liegt die Controllingaufgabe somit in der Bereitstellung von Instrumenten zur Unterstützung der Unternehmenszielerreichung. Die Zielformulierung sowie die Herstellung kausaler Zusammenhänge zwischen Zielerreichungsgrad und Leistungs- und Entscheidungsprozessen werden nicht als Controlling-, sondern als Managementaufgabe aufgefasst. Mitarbeiter gelten dabei als abstrakte Aufgabenträger, die sich in der Organisation weitestgehend rational und zweckgebunden verhalten. Der Aspekt der Verhaltensbeeinflussung wird daher nicht weiter behandelt. Neben Autoren wie Reichmann (2001), Coenenberg (2003), Kilger, Pampel und Vikas (2002) lässt sich insbesondere der systemtheoretisch fundierte Controllingansatz von Horváth (2009) dem traditionellen Verhaltensparadigma zuordnen (Süßmair 2004: 643). Die besondere Eignung des Systemansatzes wird von seinen Anhängern damit begründet, dass er die Analyse komplexer betrieblicher Zusammenhänge ermögliche, wie sie die Planung, Kontrolle und Informationsversorgung darstellten (z.B. Kirsch/Maaßen 1989b: 3-9; Horváth 2009: 73-94). Außerdem unterstütze er die Konzentration auf einzelne Dimensionen bzw. Teilsysteme (z.B. Führungssystem, Kontrollsystem), die bei der Untersuchung von Interesse sind (Mayrhofer/Meyer/Majer 2004: 784-797). Ferner biete dieser Theorieansatz einen geeigneten Bezugsrahmen für die Konzeption dieser Teilsysteme sowie für die Analyse und Gestaltung von Systemänderungen (Schwarz 2002: 64-74; Horváth 2009: 83). Allerdings wird auch auf seine Schwächen hingewiesen: So sei die Systemtheorie keine Theorie im realwissenschaftlichen Sinne und könne daher weder das Verhalten von Individuen erklären noch einen empirischen Erkenntnisgehalt nachweisen (z.B. Wall 2004). Auch Weber und Schäffer (2000: 110) argumentieren, dass der Systemansatz im Rahmen der koordinationsorientierten Controllingansätze keine Erklärungsfunktion besitzt und daher auch keine konkreten Hinweise liefert, um Merkmale realer Organisationen und das praktische Geschehen in Unternehmen zu erklären. Die postulierten Teilsysteme ließen sich ihrer Meinung nach in der Unternehmenspraxis nicht beobachten respektive voneinander abgrenzen. Eine 25
Zerlegung des Gesamtunternehmens ziehe künstliche Systemgrenzen und laufe letztendlich Gefahr, die Koordinationsprobleme des Controllings nicht adäquat zu beschreiben (Wall 2004: 395). Ewert bemerkt in diesem Zusammenhang kritisch: „Motivationen, Informationen, Verhalten, Entscheidungen und Ressourcenallokationen sind interdependent und letztlich endogen“ (Ewert 1992: 282; eigene Hervorhebung; ähnlich Osterloh/Frey/Frost 2001).
Wichtig seien aus diesen Gründen vorgelagerte Maßnahmen, z.B. wie die Entscheidungsrechte zu verteilen, die Leistungsmessung für die dezentralen Entscheidungsträger zu gestalten und die gemeinsam erwirtschafteten Ergebnisse auf die Akteure aufzuteilen sind. All diese Elemente werden im systemtheoretischen Ansatz allerdings nicht hinreichend thematisiert (Becker 2003; Wall 2004), weshalb im Folgenden auf die Systemtheorie und terminologie zugunsten einer „natürlicheren Variante“ des Controllings verzichtet werden soll. Das strukturell-funktionalistische Verhaltensparadigma, zu dem unter anderem Arbeiten von Ewert und Wagenhofer (2008) sowie Pfaff (1995, 1996) gezählt werden können, basiert vornehmlich auf den Annahmen der Neuen Institutionenökonomie (Süßmair 2004: 644). Die Neue Institutionenökonomie beschäftigt sich mit der ökonomischen Analyse von Institutionen als Instrument zur Koordination arbeitsteiligen Wirtschaftens (Ebers/Gotsch 2006: 247-248). Sie stellt das Koordinations- und Verhaltenssteuerungsproblem angesichts unvollkommener Information und vollständiger bzw. begrenzter Rationalität von Menschen in den Mittelpunkt der Analyse (Frost 2005: 56). Die normative Agencytheorie30 der Neuen Institutionenökonomie wird in der koordinationsorientierten Controllingkonzeption insbesondere dazu verwendet, um diejenigen Koordinationsprobleme zu analysieren, die sich auf personelle Gründe bzw. auf Verhaltensinterdependenzen zurückführen lassen (Weißenberger 1997; Hofmann 2002; Schweitzer 2002; Küpper 2004: 34, 2009: 82-94; Ewert/Wagenhofer 2008: 367-390). Die Agencytheorie versucht, mittels formal-analytischer Modelle herzuleiten, wie Steuerungsbeziehungen in Organisationen, genauer gesagt zwischen der Unternehmensführung (Prinzipal) und den nachrangigen Organisationsmitgliedern (Agenten), bei unterschiedlichen Bedingungen optimal zu gestalten sind (z.B. Alchian/Demsetz 1972: 779-783; Fama 1980: 292-297; Küpper 2004: 32; Ewert/Wagenhofer 2008: 367-369). Ihren Verfechtern zufolge eigne sich die Agencytheorie besonders für die detaillierte Analyse von Steuerungs-
30
26
In der Literatur nimmt der normative Ansatz gegenüber dem deskriptiven Ansatz eine dominierende Stellung ein (Süßmair 2004: 644). Zur Unterscheidung zwischen der normativen und der hier nicht weiter verfolgten deskriptiven Agencytheorie vgl. z.B. Eisenhardt (1989a: 58-60) sowie Ebers/Gotsch (2006: 258-277). Im Folgenden soll auf den Zusatz „normativ“ verzichtet werden.
problemen, weil sie Verhaltensbeziehungen „primär unter dem Aspekt der Beeinflussbarkeit des Agenten durch den Prinzipal analysiert [und daraus; K.B.] grundlegendere Erkenntnisse über die Steuerung von Beauftragten“ (Küpper 2009: 91-92) zulässt. Die Agencytheorie liefere wichtige Erklärungsbeiträge für die unterschiedlichen Gegenstandsbereiche des Controllings: Bei der Planung betrifft dies Nutzendeterminanten und Probleme der Dezentralisierung; bei Kontrollaufgaben spielt das Problem der Kontrolle des Agenten durch den Prinzipal eine wichtige Rolle; Koordinationsprobleme, die mit Informationsasymmetrien verbunden sind, sind für die Gestaltung der Informationsversorgung zentral; bei der Personalführung betont die Agencytheorie insbesondere die Steuerung über materielle Anreize. Aufgrund ihrer hohen Relevanz für das koordinationsorientierte Controlling sollen die Verhaltensannahmen der Agencytheorie im Weiteren ins Auge gefasst werden. Im Zentrum der Agencytheorie steht die Regelung von Austauschbeziehungen zwischen Akteuren durch Verträge (z.B. Alchian/Demsetz 1972: 777-778; Fama/Jensen 1983: 1-2; Hart/Moore 1988). Zur Realisierung seiner Ziele und Interessen überträgt der Prinzipal bestimmte Aufgaben und Entscheidungskompetenzen an den Agenten, welcher hierfür eine Vergütung erhält (Ross 1973: 134; Ebers/Gotsch 2006: 258-266). Diese Delegation ist aber mit Problemen verbunden („The Principal’s Problems“; Ross 1973): Je weniger Informationen dem Prinzipal über Motive, Handlungsmöglichkeiten und das tatsächliche Leistungsverhalten des Agenten zur Verfügung stehen, desto größer ist für ihn das Risiko, dass jener nicht vertragsgemäß handelt, sondern eigene Interessen zum Nachteil des Prinzipals verfolgt (Fama/Jensen 1983). Die Agencytheorie untersucht folglich Möglichkeiten zur vertraglichen Gestaltung der Beziehungen zwischen rationalen Akteuren unter den Bedingungen asymmetrischer Informationsverteilung und Interessensdivergenzen, wobei die erhöhte Risikoneigung des Agenten gegenüber derjenigen des Prinzipals betont wird (Ebers/Gotsch 2006: 259). Informationsasymmetrien vor Vertragsabschluss werden dabei mit der Problematik der „hidden characteristics“ beschrieben und konzentrieren sich auf ex ante verborgene Eigenschaften des Agenten, welche nach Vertragsabschluss zum Nachteil des Prinzipals wirken können (Süßmair 2004: 645). Hingegen wird die Problematik asymmetrischer Informationsverteilung nach Vertragsabschluss als „moral hazard“ bezeichnet und in drei Teilbereiche untergliedert (z.B. Holmström 1979, 1982; Alchian/Woodward 1987: 115-117; Ebers/Gotsch 2006: 263-264; Küpper 2009: 83-86): „Hidden action“ beschreibt das Problem, dass die Handlungen des Agenten nicht ständig vom Prinzipal überwacht werden können, „hidden information“ bezeichnet den Informationsvorsprung des Agenten im Rahmen seiner Aufgabendurchführung und „hidden intention“ bezieht sich auf die eigengünstige Ausnutzung von Vertragslücken durch den Agenten. Die Prinzipal-Agenten-Modelle in der deutsprachigen Controllingforschung beschäftigen sich vorwiegend mit der moral hazard-Problematik bei vorliegenden Interessens- bzw. Ziel27
divergenzen (z.B. Süßmair 2004: 645; Ewert/Wagenhofer 2008: 12). Nach Küpper (2009: 81) stellen Interessensdivergenzen und asymmetrische Informationsverteilung zwischen den Akteuren keine Ausnahme, sondern eher die Regel dar. Dabei werden divergente Interessenslagen entweder auf heterogene Präferenzstrukturen31 oder auf organisatorische Gegebenheiten zurückgeführt. Solange die Unternehmensführung über den gleichen Informationstand verfügt wie die dezentralen Entscheidungsträger, sind Interessensdivergenzen irrelevant – in diesem Falle lassen sich Ziele vorgeben und im Nachhinein überprüfen (Wagenhofer 1995: 83). Umgekehrt wäre asymmetrische Informationsverteilung bei völliger Interessensharmonie der Beteiligten bedeutungslos, und es müssten keine Verzerrungen befürchtet werden, die einer Überwachung bedürfen. Erst die gleichzeitige Existenz von Informationsasymmetrien und Interessensdivergenzen sowie die eingeschränkte Beobachtbarkeit der Handlungen des Agenten machen eine Verhaltenssteuerung notwendig (Pfaff 1996: 152). Entsprechend muss das Agentenverhalten durch geeignete Controllinginstrumente gesteuert werden, um ein unternehmenszielkonformes Handeln sicherzustellen (Pfaff 1995: 439). Die Agencytheorie beruht darüber hinaus auf der Annahme, dass die Gestaltung und Erfüllung von Verträgen durch das Verhaltensmuster einer beiderseitigen Nutzenmaximierung zwischen Prinzipal und Agent geprägt ist (Ebers/Gotsch 2006: 258-259; Scherm/Pietsch 2007: 58-59). Es wird unterstellt, dass sich Organisationen in Vertragsbeziehungen disaggregieren lassen. Sie werden somit als Austauschplatz von individuellen Nutzenfunktionen und Verträgen interpretiert (Alchian/Woodward 1987). Entwicklungsprozesse und Rahmenbedingungen von Unternehmen sind nach dieser Sicht irrelevant, weshalb die Agencytheorie zuweilen auch als „timeless“ und „placeless“ bezeichnet wird (Jacoby 1990: 319). Die organisatorischen Rahmenbedingungen der Steuerung bleiben somit weitestgehend unberücksichtigt (Perrow 1986). Süßmair bemerkt hierzu kritisch, der „Begriff der Emergenz, der dem Unternehmen einen eigenen Charakter zuschreibt sowie einen Steuerungskontext konstituiert, wird als Determinante der Verhaltensbeeinflussung […] nicht adressiert“ (Süßmair 2004: 647).
Dementsprechend wird menschliches Verhalten in der Agencytheorie strikt instrumentell und ohne ethische oder moralische Komponenten betrachtet (Perrow 1986). Lediglich Handlungsweisen, die zu Reputationsverlusten und folglich zu negativen Konsequenzen für die Akteure führen, werden ins Kalkül gezogen, sofern die Möglichkeit besteht, dass solch ein Verhalten aufgedeckt werden kann (Ebers/Gotsch 2006: 263-265). Unter der Prämisse der individuellen Nutzenmaximierung werden zwischen dem Prinzipal und dem Agenten 31
28
Präferenzen sind subjektive Nutzenordnungen und können die Ursache von divergenten oder gar konfliktären Interessen und Zielsetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren in Organisationen sein; vgl. hierzu Abschnitt 4.3.3.1 sowie weiterführend z.B. Grandori (2001a: 45-50); Frost (2005: 238-246).
meistens Zielkonflikte auftreten (Küpper 2004: 32). Mittels monetärer Anreizsysteme sind diese auszuräumen und erwünschtes Akteursverhalten herbeizuführen. An der strikten Fokussierung auf die extrinsische Motivierbarkeit32 in agencytheoretischen Controllingansätzen wird jedoch zunehmend Kritik geübt: „Indem sie den Agenten mit Geldlohn als einzigem Handlungsmotiv modelliert, schafft die normative Agency-Theorie ein ähnliches ‚a-soziales Wesen’ wie den neoklassischen ‚homo oeconomicus’: den Opportunisten, der sich […] immer und überall (böswillig) vor der Arbeit drückt, wenn er einen unbeobachteten Verhaltensspielraum vorfindet“ (Müller 1995: 69).
Des Weiteren wird kritisiert, dass die Verhaltenssteuerung durch monetär belegte Leistungsanreize (pay for performance) zu einem „Verdrängungseffekt“ führen kann, welcher in der Agencytheorie nicht berücksichtigt wird (Osterloh/Frey 2000; Frey/Jegen 2001; Frey/Osterloh 2002; Osterloh/Weibel 2008). Dabei wird die bereits vorhandene intrinsische Motivation der Organisationsmitglieder durch einen zusätzlichen, von außen kommenden extrinsischen Anreiz unterminiert oder gar verdrängt (Frost 2005: 265). Das Interesse der Akteure wird dadurch von den intrinsisch motivierenden Handlungen auf die extrinsische Belohnung gelenkt und führt im Ergebnis nicht nur zu zusätzlichen Kosten für das Unternehmen (Frey/Osterloh 1997: 317), die zusätzlichen monetären Anreize signalisieren den Akteuren zudem, dass ihre Handlungen selbst nicht wertvoll genug sind, wenn sie gesondert entlohnt werden müssen (Frost 2005: 267). Osterloh und Frey merken hierzu kritisch an, dass sich das agencytheoretische Postulat “what you get is what you paid for” bislang empirisch nicht belegen ließ: „Pay for performance does not lead to the expected alignment of the interest of managers with those of shareholders” (Osterloh/Frey 2004: 203).
Im Hinblick auf die Zielformulierung konzentriert sich die Agencytheorie auf solche Entscheidungssituationen, in denen die Akteursziele ex ante festgelegt sind. Einer begrenzten Rationalität dieser Akteure wird weder bei der Zielformulierung noch im Rahmen der Aufgabendurchführung Rechnung getragen (Süßmaier 2004: 648). Des Weiteren trifft die Agencytheorie keine Aussagen über Entscheidungssituationen, die von einer Ambiguität der Akteurspräferenzen gekennzeichnet sind (Ebers/Gotsch 2006: 276): Soziale, emotionale und kul32
„Motivation ist der Antrieb zum Handeln und umfasst jenen Teil des menschlichen Handelns, der ihm Richtung, Stärke und Dauer verleiht“ (Frost 2005: 247; unter Rekurs auf Weiner 1994: 11). Extrinsische Motivation erfolgt durch Transaktion und bezieht sich auf Merkmale, die außerhalb der Tätigkeit liegen und einer mittelbaren oder instrumentellen Bedürfnisbefriedigung dienen. Intrinsische Motivation erfolgt hingegen durch Transformation und liegt vor, wenn eine inhaltliche Kongruenz zwischen Mittel (Handlung) und Zweck (Handlungsziel) besteht, so dass das Ziel um seiner selbst Willen verfolgt wird. Organisationsmitglieder sind demnach intrinsisch motiviert, wenn die Handlungen ihnen Freude bereiten und sie ihre Handlungsweisen als selbstbestimmt empfinden; vgl. weiterführend z.B. Deci (1975); Burns (1977); Deci/Ryan (1985, 1993, 2000); Ryan/Deci (2000); Osterloh/Frey (2000); Frey/Osterloh (2002); Nerdinger (1995, 2003, 2004); Nerdinger/Horsmann (2004); Frost (2005); Franken (2007).
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turelle Bedürfnisse der Organisationsmitglieder werden somit ausgeblendet. Stattdessen verstricken sich die koordinationsorientierten Controllingkonzeptionen, denen eine agencytheoretische Fundierung zugrunde liegt, nach Kritikermeinung seit geraumer Zeit immer mehr in formal-analytischen Detailproblemen, wie z.B. die Suche nach „dem richtigen“ Diskontierungszinssatz oder „der richtigen“ Steuerungskennzahl. „Die Frage, ob sich durch die eingesetzten Kennzahlen die beabsichtigten Steuerungs- und Verhaltenswirkungen erzielen lassen, tritt dabei immer mehr in den Hintergrund“ (Littkemann/Derfuß 2004: 693).
Zusammenfassend lässt sich für die strukturell-funktionalistische Sichtweise festhalten, dass bei den Controllingkonzepten, die auf agencytheoretischen Annahmen aufbauen, der Versuch unternommen wird, soziale Prozesse in Organisationen auf Aspekte rational agierender und eigennütziger Akteure zu reduzieren. Damit wird eine Individualisierung sozialer Phänomene angestrebt, und ethische, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte in Organisationen werden weitestgehend außer Acht gelassen (z.B. Perrow 1986; Süßmair 2004: 649). Die formalanalytischen Modelle, die zur Abbildung komplexer Steuerungsprobleme genutzt werden, gehen von vereinfachten Annahmen über verhaltensdeterministische Größen und Informationsstände der Akteure aus und sind folglich auch nur unter diesen Prämissen lösbar. Kritiker der Agencytheorie ziehen daraus den Schluss: „Komplexe Beziehungen, wie sie in der Wirklichkeit sowohl zwischen Einzelpersonen als auch durch das Zusammenspiel von mehreren Personen und Gruppen bestehen, lassen sich mit [der Agencytheorie; K.B.] nicht ohne weiteres analysieren“ (Küpper 2009: 94). „Entweder sie beschränkt sich stärker auf Tendenzaussagen und wird damit ungenauer […] oder aber sie trifft strengere Annahmen, wodurch die Ergebnisse zwar an formaler Richtigkeit […], nicht aber an Realitätsgehalt gewinnen“ (Ebers/Gotsch 2006: 277).
Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass sich die Controllingforschung theoretischer und konzeptioneller Fundamente aus anderen Wissenschaftsdisziplinen bedient. Es stellt sich somit die Frage, welchen zusätzlichen Erkenntnisbeitrag das koordinationsorientierte Controlling zur Konzernsteuerung leisten kann.
30
2.1.1.4
Koordination als Gegenstandsbereich einer eigenständigen Teildisziplin „Controlling“?
Seit geraumer Zeit wird die Frage diskutiert, ob Koordination einen hinreichenden Forschungsgegenstand zur Konstitution einer eigenständigen Teildisziplin innerhalb der Betriebswirtschaftslehre bieten kann.33 Es wird zunehmend Kritik geübt, dass Koordination für die Etablierung einer eigenen Forschungsdisziplin „Controlling“ nicht ausreicht, weil sie seit jeher einen originären Untersuchungsgegenstand der Organisationsforschung darstellt (z.B. Pietsch/Scherm 2000; Wall 2000; Weber/Schäffer 2000). Vor allem wird jedoch bemängelt, dass es zwischen der Organisations- und der Controllingforschung bislang kaum einen konstruktiven Diskurs gegeben hat; wurde dennoch aufeinander Bezug genommen, so erfolgte dies zumeist in kritischer Absicht (z.B. Becker 2003; Kieser 2003; Wall 2004; Weber 2007). Obwohl die Notwendigkeit eines intensiven Austauschs zwischen der Controlling- und Organisationsforschung seit langem gefordert wird, besteht weiterhin eine „weitgehende wechselseitige Ignoranz“ (Becker 1999: 237) zwischen diesen beiden Forschungsdisziplinen. Daher wird postuliert: „Um folglich das Unternehmen zielorientiert steuern zu können, ist das wirkungsvolle Wechselspiel zwischen Organisation und [Controlling; K.B.] eine wichtige Voraussetzung. Im Laufe der Zeit haben sich jedoch aufgrund der gestiegenen Komplexität in der unterschiedlichen Aufgabenbearbeitung die beiden betriebswirtschaftlichen Teilgebiete immer weiter voneinander entfernt und mittlerweile herrscht oftmals sogar vollkommene Sprachlosigkeit untereinander“ (Littkemann/Derfuß 2004: 693; eigene Hervorhebung).
Infolgedessen blieben Potenziale zur gegenseitigen Befruchtung aus einem interteildisziplinären Dialog bislang weitestgehend ungenutzt. Kritisch zu beurteilen ist diese Entwicklung vor allem in Anbetracht dessen, dass die Controllingforschung über keine fachspezifischen Controllingtheorien verfügt, sondern sich Theorien anderer Wissenschaftsdisziplinen bedient (Küpper 2004). Die Tatsache, dass Koordination als Kern des Controlling angeführt wird, erweist sich aus zweierlei Hinsicht als problematisch. Erstens wird die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Anspruch und realer Unternehmenspraxis bemängelt (Wall 2004: 394): Auf der einen Seite steht die recht abstrakte Koordination zwischen Führungsteilsystemen und dem daraus resultierenden Anspruch des Controlling, der bisweilen als „Meta-Führung“ bezeichnet wird; auf der anderen Seite steht dem eine praktische Controllertätigkeit gegenüber, die damit kaum in Einklang zu bringen ist. Homburg merkt hierzu an, dass man in vielen Unternehmen Controllingbereiche beobachte, 33
Zu dieser Diskussion vgl. auch die Beiträge in den Sammelrezensionen von Weber und Hirsch (2002) sowie Scherm und Pietsch (2004a).
31
„die sich im Wesentlichen damit befassen, die gröbsten Defizite der internen Kosten- und Leistungsrechnung abzupuffern, die als Diskussionspartner über die Gestaltung von Führungssystemen für das Management nicht im entferntesten in Frage kommen (bisweilen spricht man von ‚Rechenknechten’) und die kaum in der Lage sind, zu zentralen strategischen Fragestellungen einen essenziellen Erkenntnisbeitrag zu leisten. Den Verantwortlichen solcher Funktionsbereiche dürften die Positionierungsansätze im akademischen Bereich einigermaßen praxisfremd vorkommen“ (Homburg 2001: 427).
Zweitens muss sich das Controlling von anderen Teilbereichen der Betriebswirtschaftslehre abgrenzen, um als eigenständige Wissenschaftsdisziplin anerkannt zu werden. Bisher wurde vor allem versucht, eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin „Controlling“ auf den Koordinationsbegriff zu stützen. Der renommierte Organisationsforscher und Nobelpreisträger Herbert Simon zeigt sich allerdings skeptisch, wenn „Koordination“ als zentrale begriffliche Grundlage einer Wissenschaft vorgetragen wird: „Coordination is a rather slovenly word, often abused in organizations. An experienced executive cringes when he or she learns that someone has been appointed to ‘coordinate’ a set of activities, since calling for coordination without specifying just what it means is simply a lazy way of passing off problems to someone else” (Simon 1991: 39).
Um den Koordinationsbegriff zu verwenden, müsste dieser also zunächst genau definiert und abgegrenzt werden. Es wurde bereits oben kritisiert, dass dies selbst bei Konzepten, denen ein umfassender koordinationsorientierter Controllingbegriff zugrunde liegt, oftmals nicht der Fall ist (vgl. auch Franz 2004: 276). Mangelt es jedoch an einer genauen Definition und Zuordnung des Koordinationsbegriffs, beinhaltet „das koordinationsorientierte Controllingverständnis […] damit das grundlegende logische Problem der Spezifizierung einer Funktion unter Rückgriff auf eine unspezifische Zielkategorie ‚Koordination’“ (Pietsch/Scherm 2000: 398-399). In diesem Zusammenhang kritisieren andere Autoren, dass Koordinationsprobleme bereits vielfach im Rahmen anderer Teildisziplinen untersucht wurden und äußern Zweifel, ob eine an der Koordination ausgerichtete Controllingkonzeption einen Untersuchungsgegenstand für eine eigenständige betriebswirtschaftliche Teildisziplin liefert (Wall 2000: 296-297; Weber 2002: 29; Pietsch 2003: 9; Becker 2004). So stellt Koordination nach Auffassung von Koontz, O'Donnell und Weihrich (1984: 52) „the essence of managership“ und damit ein zentrales Forschungsanliegen der Unternehmensführungslehre dar. Entschiedene Argumente gegen den koordinationsorientierten Ansatz trägt schließlich Becker vor, indem er bemerkt, die Controllingforschung bliebe
32
„den Nachweis eines tatsächlichen Koordinationsversagens der existierenden Konzeptionen bzw. Praktiken der Unternehmensführung schuldig. Sie kann die Notwendigkeit der Controllingfunktion nicht empirisch herleiten […] Diese Begründung führt in einen Widerspruch, weil die Controllingkonzeptionen selbst wiederum auf einem Modell plandeterminierter Unternehmensführung basieren, in dem kein theoretischer Ort für eine zusätzliche Koordinationsfunktion – neben den klassischen Managementfunktionen Planung, Organisation, Personaleinsatz Personalführung und Kontrolle – existiert“ (Becker 2003: 1-2).
Trotz der heftigen Kritik am koordinationsorientierten Controllingansatz liefert er wichtige Erkenntnisse für das Steuerungsverständnis dieser Arbeit. Im Besonderen sollen seine Beiträge hinsichtlich der controllingspezifischen Steuerungsinstrumente (z.B. Kennzahlensysteme, Budgets, Verrechnungspreise) in die weitere Untersuchung aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang plädiert auch Wall (2002: 67) für die stärkere Abgrenzung zwischen Controlling und Organisation(slehre) durch das zur Steuerung und Koordination eingesetzte Instrumentarium. Darüber hinaus kommt dem („Mehrwert-“) Konzept der wertorientierten Unternehmensführung des koordinationsorientierten Controllings eine hohe (praktische) Relevanz im Rahmen der Konzernsteuerung zu, die es im weiteren Verlauf der Untersuchung zu betrachten gilt (Abschnitt 2.3.1.3).
33
2.1.2 Steuerung in der Management Control-Forschung Die internationale Controllingforschung geht auf den Harvard-Professor Robert Anthony (1965) zurück. Mit seiner ersten Untersuchung über das Controlling von Forschungszentren (Anthony/Day 1952), die ursprünglich unter dem Begriff „Verwaltungskybernetik“ publiziert werden sollte, gilt er weltweit als wissenschaftlicher Wegbereiter des Controllings (Schwarz 2004: 47). Seither haben seine Arbeiten sowie die seines Harvard-Nachfolgers Robert Simons (1990) und die Arbeiten des durch Harvard geprägten Kenneth Merchant (1998) die Entwicklung des Controllings maßgeblich beeinflusst. Führende Vertreter des Controllings in Großbritannien wie Otley und Berry und in Frankreich wie Bouquin haben sich ebenfalls mit dieser Schule auseinandergesetzt und vertreten in den wichtigsten Punkten übereinstimmende Ansichten (Otley/Berry 1980; Otley 1994; Bouquin 1997, 2000). Aufgrund der wechselseitigen Beeinflussung dieser Wissenschaftler kann davon ausgegangen werden, dass sie jene internationale Gemeinschaft von Wissenschaftlern konstituieren, welche heute das Wissenschaftsgebiet der Management Control Systems formiert (Schwarz 2002: 45).34
2.1.2.1
Steuerungsverständnis und Steuerungsverfahren35
Im angloamerikanischen Sprachraum werden unter den Begriffen „Management Accounting“ und „Management Control“ zwei wesentliche Forschungsrichtungen innerhalb des Controllings unterschieden (Chenhall 2003: 129). Die Management Accounting-Forschung beschäftigt sich primär der Bereitstellung von Informationen zur Entscheidungsunterstützung in Unternehmen. So definieren etwa Horngren und Kollegen: „Management accounting measures and reports financial information as well as other types of information that are primarily intended to assist managers in fulfilling the goals of the organization” (Horngren et al. 2008: 5; ähnlich Wilson/Chua 1993: 16). Dabei lässt sich das Management Accounting in zwei miteinander verbundene Aufgabengebiete unterteilen (Sizer 1969: 18-19): Dem entscheidungsorientierten Rechnungswesen (decision accounting) und dem steuerungsorientierten Rechnungswesen (control accounting). Die im Rahmen des Management Accounting eingesetzten Instrumente entsprechen größtenteils den Instrumenten, wie sie auch in der einschlägigen deutschsprachigen Controllingliteratur (z.B. Hahn/Hungenberg 2001; Weber/ 34
35
34
Der maßgebliche Einfluss Anthonys zeigt sich darin, dass sich der von ihm geprägte Begriff der Management Control Systems durchgesetzt hat und bis heute selbst von Forschern verwendet wird, die sich ausdrücklich von einer systemtheoretischen Fundierung der Steuerung distanzieren (z.B. Simons 1990, 1995; LangfieldSmith 1997; Chenhall 2003; Henri 2006; Merchant/Van der Stede 2007; Chenhall/Euske 2007). Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesefreundlichkeit sollen das Steuerungsverständnis und die Steuerungsverfahren bei der Behandlung der verschiedenen Management Control-Konzepte gemeinsam vorgestellt werden.
Schäffer 2006; Horváth 2009; Küpper 2009) zu finden sind, z.B. Techniken der Kostenrechnung, Planung, Budgetierung und Verrechnungspreise (Wilson/Chua 1993; Horngren et al. 2008). Bei Management Control geht es dagegen um den Entwurf und die Nutzung von Planungsund Steuerungsinstrumenten auf der Ebene von strategischen Geschäftsbereichen und des Top-Managements (z.B. Simons 1995: 5; Anthony/Govindarajan 2001: 6-10). Diese werden in erster Linie dazu eingesetzt, um das Verhalten von Entscheidungsträgern zu beeinflussen (z.B. Abernethy/Brownell 1997). Sie bestehen vor allem aus Budgetierungs-, Planungs-, Leistungsmessungs- und -bewertungssystemen (Performance Management) sowie Anreizsystemen und umfassen neben formalen Steuerungsinstrumenten auch informalere Elemente wie Kommunikation und Partizipation (Langfield-Smith 1997).36 Weil sich die Teildisziplin Management Control stärker auf die Steuerung von dezentralen Entscheidungsträgern konzentriert und hierzu auch Instrumente des Management Accounting verwendet (Chenhall 2003: 129), soll diese Forschungsrichtung im Weiteren näher untersucht werden. Da das Steuerungsverständnis innerhalb der Management Control-Forschung variiert, werden zunächst unterschiedlich Definitionen vorgestellt (Tabelle 1), bevor die Grundzüge der in dieser Disziplin bedeutendsten Konzepte von Anthony (Anthony/Govindarajan 2001), Simons (1990, 1995) und Merchant (1985, 1998; Merchant/Van der Stede 2007) diskutiert werden.37 Wie zu zeigen gilt, vertreten diese Autoren zwar ähnliche Auffassungen über wesentliche Aspekte der Steuerung, jedoch kein einheitliches wissenschaftliches Konzept.
36
37
Nach dem Selbstverständnis der Fakultät „Accounting and Control“ der Harvard-Universität unterscheiden sich die Gebiete Management Accounting und Management Control wie folgt: „Management accounting encompasses the internal reporting systems for measuring product and customer profitability and operational performance at all levels of the organization. Management control systems research includes the design and use of planning and control systems at division and senior management levels. The systems are explicitly designed to maintain or alter behavior patterns in organizational activities. These systems include formal budgeting, planning, divisional performance measurement, evaluation and reward systems to convey information up and down the organization, but they also incorporate the impact of informal informing and control systems” (zitiert nach Schwarz 2002: 49). Auf die explizite Benennung der Ko-Autoren Govindarajan und Van der Stede soll ebenso zugunsten des Leseflusses verzichtet werden.
35
Autor
Definition
Anthony (1965)
„Management control is the process by which managers assure that resources are obtained and used effectively in the accomplishment of the organization’s objectives” (Anthony 1965: 17).
Anthony (1988); Anthony/Govindarajan (2001)
„Management control is the process by which managers influence other members of the organization to implement the organization’s strategies” (Anthony 1988: 10; Anthony/Govindarajan 2001: 6; eigene Hervorhebung; ähnlich Bouquin 2000).
Lowe (1971)
„A management control system might be briefly defined as a system of organizational information seeking and gathering, accountability, and feedback designed to ensure that the enterprise adapts to changes in its substantial environment and that the work behaviour of its employees is measured by reference to a set of operational sub-goals (which conform with overall objectives) so that the discrepancy between the two can be reconciled and corrected for” (Lowe 1971: 5).
Otley/Berry (1980)
“[T]he process of ensuring that the organisation is adapted to its environment and is pursuing courses of action that will enable it to achieve its purposes” (Otley/Berry 1980: 233)
Flamholtz/Das/Tsui (1985)
„Control systems are techniques and processes to achieve goal congruence and may be designed for all levels of behavioural influence: individuals, small groups, formal subunits and the organization as a whole” (Flamholtz/Das/Tsui 1985: 36).
Simons (1995, 2008)
„[M]anagement control systems are the formal, information-based routines and procedures managers use to maintain and alter patterns in organizational activities” (Simons 1995: 5).
Merchant (1998); Merchant/Van der Stede (2007)
„Management control includes all the devices or systems managers use to ensure that the behaviors and decisions of their employees are consistent with the organization’s objectives and strategies” (Merchant/Van der Stede 2007: 5).
Otley (1999)
„Management control systems provide information that is intended to be useful to managers in performing their jobs and to assist organizations in developing and maintaining viable patterns of behaviour” (Otley 1999: 364).
Tabelle 1: Definitionen von Management Control (Quelle: Eigene Darstellung)
Management Control Systems bei Robert Anthony Anthony (1965, 1988; Anthony/Govindarajan 2001) präsentiert einen praxisorientierten wissenschaftlichen Bezugsrahmen für die Untersuchung von Management Control, auf den sich auch heute noch viele Autoren zustimmend oder kritisch beziehen (z.B. Lorange/Scott Morton 1974; Otley/Berry 1980; Langfield-Smith 1997; Otley 1999, 2003; Bouquin 2000; Nilsson/Olve 2001; Schwarz 2002; Nilsson/Rapp 2005). Er geht davon aus, dass Planung und Kontrolle keine trennbaren Aktivitäten sind, sondern „planning is a part of the control process“ (Anthony 1988: 9). Diese Sichtweise impliziert, dass control die Bedeutung von Regelung bzw. Steuerung hat. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Arten von Planungs- und Steuerungsaktivitäten: Strategic Planning, Management Control und Task Control. Unter strategischer Planung wird der Prozess der Entscheidung über Ziele von Unternehmen und Strategien zur Erreichung dieser Ziele verstanden. Management Control 36
bezieht sich auf die Sicherstellung der Umsetzung dieser Strategien und Task Control auf die Sicherstellung einer effektiven und effizienten Durchführung der hierzu erforderlichen Aufgaben (Anthony/Govindarajan 2001: 9-12). Nach diesem Verständnis liegt der primäre Zweck der Steuerung in der Operationalisierung und Implementierung von Unternehmensstrategien. Ähnlich wie Lorange, Scott Morton und Ghoshal (1986: 10-12) geht Anthony dabei von einem Top-down-Prozess aus, bei dem die Unternehmensführung die strategischen Ziele zunächst festlegt und ihre Umsetzung durch die Organisationsmitglieder anschließend kontrolliert. Wissenschaftlich wird Anthonys Konzept unter Bezug auf die Kybernetik und die Systemtheorie eingeführt, wobei er in seinen Veröffentlichungen bis heute stets die Analogie zum Thermostat benutzt (Anthony/Govindarajan 2001: 2). Aus dem Vergleich seiner Definitionen von Management Control im Zeitverlauf wird deutlich, dass er seit 1988 verhaltenswissenschaftlichen Aspekten der Steuerung einen höheren Stellenwert einräumt. Allerdings wird dabei jedoch kritisiert, dass Anthony in seinen jüngeren Arbeiten Steuerung zunehmend auf Aspekte des Management Accounting begrenzt38: „[A]lthough Anthony had been very specific in suggesting that the basic source discipline for the study of control should be behavioural sciences, this very rapidly became narrowed to accounting” (Otley 1994: 290; ähnlich Langfield-Smith 1997: 208).
Levers of Control bei Robert Simons Simons (1990, 1995, 2000, 2005, 2008) zielt mit seiner sozialwissenschaftlich geprägten Definition von Management Control in erster Linie auf formale und informationsbasierte Steuerungsverfahren ab, durch die sich Verhaltensweisen von Akteuren in Organisationen beeinflussen lassen. Er geht dabei über die Ansätze des Management Accounting hinaus, indem er die Unternehmensführung als primären Anwenderkreis von Control Systems identifiziert. Dabei beschreibt er nicht nur zielorientierte Aktivitäten, die durch Führung „von oben“ beeinflusst und durchgesetzt werden, sondern misst auch denjenigen Verhaltensmustern eine hohe Bedeutung bei, die durch Kreativität „von unten“ entstehen: „Employees can surprise, and management control systems must accommodate intended strategies as well as strategies that emerge from local experience and independent employee initiatives“ (Simons 1995: 5).
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Schwarz (2002: 47) bezeichnet dies als „deutlichen Rückschritt“ und wirft Anthony und Govindarajan (1995) logische Inkonsistenzen und Eklektizismus in ihrem Konzept vor, indem sie Management Control seitdem als Teilfunktion des Management Accounting präsentieren.
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Vor diesem Hintergrund führt Simons die Notwendigkeit der Steuerung auf drei Problembereiche zurück: Erstens verfügt die Unternehmensführung über begrenzte Steuerungskapazitäten und ist deshalb auf die Mitwirkung aller Entscheidungsträger und Mitarbeiter im Rahmen der Informationsgewinnung und -verarbeitung angewiesen (Simons 1995: 16-17). Hierarchische Steuerungseingriffe sind jedoch erforderlich, um die knappen Informationsgewinnungs- und Informationsverarbeitungskapazitäten im Unternehmen zielgerichtet einzusetzen und dadurch eine maximale Wertschöpfung zu ermöglichen – Simons bezeichnet dies „maximizing return-on-management“. Zweitens geht mit der begrenzten Steuerungskapazität der Unternehmensführung und der Delegation von Steuerungsaufgaben an dezentrale Einheiten die Entstehung emergenter Strategien einher (Simons 1995: 20-21). Neben den von der Unternehmensführung intendierten Strategien erfordern diese nicht-antizipierten (bottom-up) Strategien eine Steuerung auf unterschiedlichen Ebenen des Unternehmens. Drittens führt die unverzichtbare Einbindung aller Mitarbeiter in den Steuerungsprozess zu den Erfordernissen, diese einerseits zu selbständigem Denken und Handeln zu befähigen und zu motivieren, andererseits die organisationalen Rahmenbedingungen zur Freisetzung ihrer Potenziale zu schaffen (Simons 1995: 21-28). Zur Lösung dieser drei Steuerungsprobleme entwickelt Simons sein Steuerungskonzept, das aus vier Teilsystemen (Levers of Control) besteht und die Unternehmensführung bei der Bewältigung der erforderlichen Steuerungsaufgaben unterstützen soll. Das Wertesystem (Beliefs System) definiert das Leitbild und legt auf diese Weise die Unternehmensgrundwerte fest, die den Leistungserstellungsprozess bestimmen sollen. Diese Grundwerte dienen zugleich als Referenzpunkte für mögliche Strategien und sollen bei der Identifikation möglicher Problemfelder sowie bei der Suche nach erfolgversprechenden Ansätzen zur Problemlösung helfen (Simons 1995: 36). Darüber hinaus soll das Wertesystem insbesondere zur Motivation der Mitarbeiter beitragen, innovative Wertschöpfungspotenziale aufzudecken und freizusetzen. Dagegen soll das Abgrenzungssystem (Boundary System) unternehmerische Risiken minimieren, indem es diejenigen Grenzen markiert, die von den Mitarbeitern bei der Umsetzung von Strategien und der Suche nach unternehmerischen Chancen nicht überschritten werden dürfen. Derartige Verbote sind seiner Auffassung nach erforderlich, weil: „Attempting to specify how individuals should perform their tasks ex ante precludes the invention of new opportunities that create value. On the one hand, then, the use of imprecise beliefs systems inspires unfocused search behaviours that risk dissipating the resources and energies of the firm. On the other hand, it is inappropriate for senior managers to specify in detail how participants should search for opportunity in the conduct of their work” (Simons 1995: 40).
Die Steuerungsbemühungen des Managements müssen sich daher notwendigerweise auch darauf beziehen, unzulässige Handlungsweisen zu bestimmen und diese an die Organisationsmitglieder zu kommunizieren. Das dritte Teilsystem ist das diagnostische Steuerungs38
system (Diagnostic Control System), das bei der erfolgreichen Implementierung der intendierten Strategien unterstützen soll. Die Steuerung erfolgt auf Basis vereinbarter Ziele zwischen dem Management und den Mitarbeitern. Hierzu werden kritische Leistungsvariablen (critical performance variables) eingeführt, die kontinuierlich von den Mitarbeitern zu berichten und durch das Management zu überwachen sind (Simons 2000: 226-227). Bei Abweichungen der Leistungswerte soll das Management eingreifen und entsprechende Anpassungsmaßnahmen einleiten. Auf diese Weise setzt das diagnostische Steuerungssystem in dreifacher Weise Steuerungskapazitäten für innovative Prozesse frei: Durch die Festlegung der kritischen Leistungsvariablen erfolgt erstens eine Konzentration auf die wesentlichen Treiber zur Umsetzung der intendierten Strategie (Simons 2000: 209). Als standardisiertes Medium entlastet es zweitens das Management von der ständigen persönlichen Veranlassung und Überwachung des Aufgabenvollzugs und beschränkt das Eingreifen auf Ausnahmefälle (management-by-exceptions). Drittens ermöglicht es den Mitarbeitern weitestgehende Autonomie bei der Wahl ihrer Mittel und Wege zur Zielerreichung und bietet ihnen dadurch Freiräume für kreatives Denken und Handeln (Simons 1995: 70). Um die Mitarbeiter zur innovativen Zielerreichung zu motivieren, sollen Anreize in Form von Incentives bereitgestellt werden. Ähnlich wie das Abgrenzungssystem wirkt das diagnostische Steuerungssystem somit einschränkend auf das Verhalten der Mitarbeiter, indem es ihre Kreativität und den Ressourceneinsatz auf die Erreichung intendierter und kontrollierbarer Ziele eingrenzt. Als viertes Teilsystem soll das interaktive Steuerungssystem (Interactive Control System) die kritische Reflektion der intendierten Strategien ermöglichen und vorausschauend bei der Suche nach neuen Wegen zur strategischen Positionierung in dynamischen Wettbewerbsumfeldern unterstützen. Die Suche nach erfolgversprechenden Strategien ist dabei gekennzeichnet von strategischen Unsicherheiten, die Simons definiert als „the emerging threats and opportunities that could invalidate the assumptions upon which the current business strategy is based“ (Simons 2000: 215). Den Ausgangspunkt für die Einschätzung strategischer Unsicherheiten bildet die intendierte Strategie. Die Unternehmensführung bestimmt die wichtigsten Unsicherheitsfelder, die Bestandteil der interaktiven Steuerung werden. Im Gegensatz zur diagnostischen erfolgt bei der interaktiven Steuerung ein regelmäßiger und persönlicher Austausch zwischen dem Management und nachrangigen Mitarbeitern, um gemeinsame Lösungsansätze und erfolgreiche Strategien zu erarbeiten. Bedeutsam an diesem Vorschlag ist die prozedurale und partizipative Ausgestaltung der Steuerung durch organisationsweite Dialogprozesse im Rahmen der Strategieentwicklung (Steinmann/Kustermann 1996: 271). Der Erfolg der interaktiven Steuerung hängt somit davon ab, ob und inwieweit es gelingt, die Mitarbeiter zu einer offenen und vorbehaltlosen Mitwirkung bei der Strategieentwicklung zu veranlassen. Im Unterschied zur diagnostischen Steuerung liegen bei der interaktiven Steuerung keine ex ante definierbaren Ziele vor, an denen die Einzelleistungen der Organisationsmitglieder gemessen und auf die hin Anreize ausgelegt 39
werden könnten. Daher schlägt Simons eine durch den Vorgesetzten durchgeführte subjektive Leistungsbeurteilung vor, die seiner Meinung nach aber mit Problemen verbunden ist, weil sie voraussetzt, dass diese sämtliche Handlungsfelder ihrer Mitarbeiter genau kennen und durchschauen können (Simons 1995: 117-119). Für das Verständnis des Steuerungskonzepts von Simons gilt, dass es keine allgemeingültigen Optimallösungen avisiert, sondern einen aus praktischen Erfahrungen und Beobachtungen gewonnenen Bezugsrahmen darstellt, der Gestaltungsempfehlungen zur Umsetzung der Steuerung in Unternehmen anbietet (Simons 1990, 2000; Widener 2007). Die Ausgestaltung der vier Teilsysteme ist danach kontingent und damit situationsbedingt im Einzelfall zu bestimmen. Dabei gebührt ihm zufolge keinem der Teilsysteme ein prinzipieller Vorrang; vielmehr ist ein optimales Zusammenspiel der einzelnen Teile anzustreben, um strategische Unsicherheiten zu reduzieren und die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu fördern (Simons 1995: 153, 2000: 229). Wie die Gestaltung dieses Zusammenspiels erfolgen kann, wird von ihm jedoch nicht näher beleuchtet. Management Control Systems bei Kenneth Merchant Auch im Steuerungskonzept von Merchant liegt der primäre Zweck der Steuerung in der Verhaltensbeeinflussung von Entscheidungsträgern zur Erreichung der Gesamtunternehmensziele (1998: 2). Dabei unterscheidet er die Formen der Steuerung nach dem zugrunde liegenden Steuerungsobjekt (object of control) in Ergebnis-, Verfahrens-, Selbst- und kulturelle Steuerung (Merchant/Van der Stede 2007: 16).39 Die Notwendigkeit der Steuerung ergibt sich nach Merchant aus drei Problembereichen: Erstens wird argumentiert, dass unbefriedigende Mitarbeiterleistungen daraus resultieren, dass es ihnen oftmals an einer klaren Orientierung (lack of direction) mangelt. Eine wesentliche Aufgabe der Steuerung liegt folglich darin, den Mitarbeitern genügend Informationen über die erstrebenswerten Unternehmensziele bereitzustellen und ihnen dadurch einen Rahmen zu bieten, an dem sie ihre Entscheidungen und Verhaltensweisen ausrichten können. Zweitens werden Motivationsprobleme angeführt, die aus unterschiedlichen Zielsetzungen zwischen dem Unternehmen und den Mitarbeiter entstehen können und sie davon abhalten, im Sinne des Unternehmens und stattdessen zugunsten ihrer eigenen Interessen zu handeln. Drittens werden limitierte Fähigkeiten der Organisationsmitglieder (personal limitations) angeführt, die es ihnen trotz gegebener Orientierung und Motivation erschweren, die Zielvorgaben zu erreichen. Hierzu zählen in erster Linie begrenzte kognitive Fähigkeiten der Mitarbeiter, aber auch mangelnde handwerkliche Begabungen.
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Mit dieser Klassifizierung orientiert Merchant sich an den organisatorischen Steuerungsmechanismen des Organisationsforschers William Ouchi (1979).
Ferner werden auch unzureichendes Wissen für die Aufgabenerfüllung sowie unstrukturierte Problemstellungen als Ursachen des Limitationsproblems genannt (Merchant/Van der Stede 2007: 8-11). Aus diesen Steuerungsproblemen leitet Merchant Anforderungen an eine adäquate Steuerung ab. Dabei sollen bestimmte Steuerungslösungen nur dann implementiert werden, wenn der daraus resultierende Nutzen für das Unternehmen die Kosten der Steuerung übersteigt. Ferner soll die Steuerung zukunftsgerichtet sein und vergangenheitsbezogene Informationen nur dann einbeziehen, wenn diese für künftige Handlungsweisen und Entscheidungen relevant sind. Bei der Ergebnissteuerung (result control) misst Merchant Anreizsystemen einen besonderen Stellenwert bei, durch die im Rahmen der Steuerung ein Ausgleich zwischen Individual- und Unternehmensinteressen erzielt werden kann. Zudem beeinflusst die Ergebnissteuerung das Akteursverhalten, indem sie ihnen die Konsequenzen ihres Handelns aufzeigt. Dadurch kann auf die persönliche Weisung verzichtet werden, „instead employees are empowered to take those actions they believe will best produce the desired results” (Merchant/Van der Stede 2007: 25).
Als „präventive“ Form der Steuerung kann die Ergebnissteuerung seiner Meinung nach maßgeblich dazu beitragen, die drei Steuerungsprobleme zu lösen (Merchant/Van der Stede 2007: 28-29): Erstens bieten klar artikulierte Zielerwartungen des Managements den Mitarbeitern einen Orientierungsrahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Zweitens können materielle Anreize dazu beitragen, mögliche Motivationsprobleme zu lösen und das Mitarbeiterverhalten auf die Unternehmensinteressen auszurichten. Drittens werden die Organisationsmitglieder durch die Zielvorgaben dazu motiviert, ihre eigenen Stärken zu identifizieren und in denjenigen Bereichen einzusetzen, in denen sie den größten Wertbeitrag für das Unternehmen und somit ihren eigenen persönlichen Erfolg vermuten. Viertens kann außerdem das Limitationsproblem mittels Ergebnissteuerung adressiert werden, weil sich diese auf Leistungsresultate bezieht und leistungsfähige Kandidaten für höherrangige und damit lukrativere Positionen anzieht. Als zweite Steuerungsform stellt die Verfahrenssteuerung (action controls) durch eine unmittelbare Einflussnahme auf Handlungen der Organisationsmitglieder sicher, dass sie bei der Aufgabendurchführung bestmöglich im Interesse des Unternehmens agieren. Merchant unterscheidet vier Formen der Verfahrenssteuerung: Verhaltensbeschränkungen (behavioral contraints) stellen die grundsätzlichen administrativen Regelungen und physischen Kontrollen dar, welche die Mitarbeiter von der Verfolgung unzulässiger Handlungsweisen bei der Aufgabendurchführung abhalten und sie vor Fehlverhalten schützen sollen. Durch den Einsatz von Verfahrensfreigaben (preaction reviews) gilt es vor Beginn der Aufgabe sicherzustellen, dass die von den Mitarbeitern gewählten Handlungsweisen den jeweiligen Problemstellungen angemessen und wirksam im Hinblick auf die Zielerreichung sind. Die dritte Form der Ver41
fahrenssteuerung erfolgt durch eine Übertragung der Aufgabenverantwortung (action accountability) an die Aufgabenträger. Hierzu sind jedoch die zulässigen und unzulässigen Verfahrensweisen im Vorwege eindeutig durch eine vorgesetzte Instanz festzulegen und an die Organisationsmitglieder zu kommunizieren. Außerdem sollen die Aufgaben kontinuierlich durch die Instanz überwacht und zielkonformes Verhalten der Mitarbeiter durch extrinsische Anreize belohnt bzw. unerwünschtes Verhalten sanktioniert werden. Als vierte Form zählt Merchant die redundante Aufgabenbesetzung mit mehreren Mitarbeitern (redundancy) zur Verfahrenssteuerung und begründet dies damit, dass dadurch zu einer verbesserten Aufgabenerfüllung beigetragen werden kann. Die verschiedenen Formen der Verfahrenssteuerung adressieren die drei genannten Steuerungsprobleme in unterschiedlicher Ausprägung (Merchant/Van der Stede 2007: 79-80). Während Verhaltensbeschränkungen nach Merchant insbesondere zur Lösung von Motivationsproblemen wirksam sind, können Verfahrensfreigaben und die Übertragung der Aufgabenverantwortung darüber hinaus auch zur Lösung von Orientierungs- und Limitationsproblemen eingesetzt werden. Die redundante Aufgabenbesetzung ist seiner Meinung nach aufgrund der damit einhergehenden Zusatzkosten nur begrenzt anwendbar, kann jedoch insbesondere zur Lösung von Motivations- und Limitationsproblemen eingesetzt werden. Allerdings begründet Merchant nicht, weshalb sich die Formen der Verfahrenssteuerung besonders zur Lösung der jeweiligen Steuerungsprobleme eignen. Die dritte Form der Steuerung stellt die Selbststeuerung (personnel control) dar, die an den „natürlichen“ Eigenschaften von Mitarbeitern ansetzt, sich selbst und sich gegenseitig zu überwachen und zu motivieren. Zur Operationalisierung der Selbststeuerung werden Mitarbeiterselektion und -platzierung, Training sowie Jobdesign und Ressourcenausstattung genannt (Merchant/Van der Stede 2007: 83-85), welche an den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Aufgabendurchführung ansetzen. Merchant empfiehlt ihren Einsatz vor allem zur Lösung von Steuerungsproblemen aus persönlichen Limitationen. Mitarbeiterselektion und -platzierung können darüber hinaus zur Lösung von Motivations- und Orientierungsproblemen eingesetzt werden; eine mangelnde Orientierung von Organisationsmitgliedern lässt sich zudem durch Trainingsmaßnahmen verbessern. Die vierte Grundform der Steuerung stellt schließlich die kulturelle Steuerung (cultural control) dar, die auf das Gruppenverhalten von Mitarbeitern abzielt. Ihre Verhaltensweisen werden dabei durch den Druck und die gegenseitige Überwachung innerhalb der Gruppe beeinflusst. Zu den wichtigsten Mechanismen der kulturellen Steuerung zählen Verhaltenskodizes (codes of conduct) sowie die Gruppenbelohnungen (group-based rewards). Dadurch kann eine emotionale Nähe zwischen unterschiedlichen Organisationsmitgliedern aufgebaut werden, die dazu beiträgt, die Leistungsfähigkeit von Individuen und Gruppen zu erhöhen. Während Gruppenbelohnungen zur Lösung aller drei Steuerungsprobleme eingesetzt werden können, sind Verhaltenskodizes nach Merchant insbesondere bei Orientierungs- und Limitationsproblemen effektiv (Merchant 1998: 130; Merchant/Van der Stede 2007: 90-91). 42
2.1.2.2
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen
Vergleicht man die vorgestellten Management Control-Ansätze mit den Controllingkonzeptionen aus dem deutschsprachigen Forschungsraum, so fällt auf, dass dem Aspekt der Verhaltensbeeinflussung international ein deutlich höherer Stellenwert beigemessen wird. Während hierzulande in den letzten Jahren jedoch eine intensivere theoretische Auseinandersetzung mit der Koordination und Steuerung zu verzeichnen ist, versteht sich die Management Control-Forschung seit jeher als praxisorientierte Wissenschaftsdisziplin und verzichtet daher weitgehend auf explizite theoretische Fundierungen zur Untersuchung und Erklärung von Steuerungsphänomenen.40 Nichtsdestotrotz soll nachfolgend der Versuch unternommen werden, die Steuerungskonzepte theoretisch einzuordnen und die Verhaltensannahmen, die diesen Ansätzen zugrunde liegen, herauszuarbeiten. Da in allen drei Ansätzen die Verhaltensbeeinflussung ein zentrales Element der Steuerung bildet, soll untersucht werden, wie diese aus Sicht ihrer Autoren erreicht werden kann, um daraus ableiten zu können, welche Verhaltensannahmen sie der Steuerung zugrunde legen. Aufgrund seines systemtheoretischen Ursprungs werden im Steuerungskonzept von Anthony Aspekte der Verhaltensbeeinflussung durch die Steuerung bis heute nur unzureichend behandelt. Zwar wird ihre Bedeutung in neueren Arbeiten explizit hervorgehoben, die Möglichkeiten hierfür jedoch auf Mechanismen der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung reduziert (Anthony/Govindarajan 2001: 59). Seinem Konzept liegt die Annahme zugrunde, dass grundsätzlich Informationsasymmetrien und divergente Interessenslagen zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitern vorliegen, die ohne steuernde Eingriffe dazu führen, dass sie von den Mitarbeitern zu ihren eigenen Gunsten ausgenutzt werden. Daher ist mittels Aufgabenüberwachung sowie Performance Management- und Anreizsystemen eine Kongruenz zwischen individuellen Akteurs- und kollektiven Unternehmenszielen herzustellen. Somit werden Motivationsprobleme bei Anthony ausschließlich durch extrinsische Anreize gelöst und Möglichkeiten zur intrinsischen Motivation von Organisationsmitgliedern weitestgehend außer Acht gelassen (Burns/Baldvinsdottir 2007: 118). Demgegenüber schreibt er Prinzipal-Agenten-Ansätzen eine vergleichsweise bedeutsame Rolle zu (Anthony/Govindarajan 2001: 522-527). Die Verhaltensannahmen der Agencytheorie wurden bereits im vorangegangenen Abschnitt beschrieben; sie bestimmen weitgehend auch Anthonys Steuerungsver40
Im Gegensatz dazu befasst sich Management Accounting seit längerem intensiv mit der theoriegeleiteten Untersuchung der Wirkung des Rechnungswesens auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern, aus der sich unter der Bezeichnung „Behavioral Accounting“ eine eigenständige Forschungsdisziplin entwickelt hat, die auf eine langjährige Tradition zurückblicken kann; vgl. z.B. Devine (1960); Hopwood (1972, 1974); Burchell et al. (1980) sowie für einen Überblick über die unterschiedlichen Teilforschungsrichtungen innerhalb des Behavioral Accounting z.B. Ferris (1988); Belkaoui (1989); Gillenkirch/Arnold (2008).
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ständnis. Seine explizite Bezugnahme auf die Agencytheorie ist auch ein Indiz dafür, dass sich das Konzept in weiten Teilen dem Management Accounting zuschreiben lässt, auf deren inhaltliche Parallelen zum koordinationsorientierten Controlling bereits oben hingewiesen wurde. In Simons Konzept liegt die primäre Steuerungsaufgabe in der Ausbalancierung von Spannungsfeldern zwischen den Interessen von Organisationsmitgliedern und den begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten der Unternehmensführung. Dabei misst er der intrinsischen Motivation von Mitarbeitern eine vergleichsweise hohe Bedeutung bei. Seine Annahmen über menschliche Verhaltensweisen leitet er vornehmlich aus empirischen Beobachtungen in Unternehmen ab (Simons 1990, 1995: 26). Organisationsmitglieder werden als „opportunity-seekers“ aufgefasst; ihre Handlungen leiten sich einerseits aus subjektiven Präferenzen und dem Bestreben nach persönlicher Bedürfnisbefriedigung ab, andererseits aus ihrem immanenten Wunsch, durch kreatives und innovatives Handeln zum Unternehmenserfolg beizutragen. Ein Verzicht auf hierarchische Steuerung würde dazu führen, dass die Eigeninteressen der Mitarbeiter die kollektiven Interessen der Organisation überwiegen und damit die Erreichung der Unternehmensziele gefährden (Simons 1995: 25). Simons geht davon aus, dass die Handlungsweisen der Organisationsmitglieder durch drei inhärente Bedürfnisse beeinflusst werden: Erstens besteht bei ihnen der Wunsch, richtig und ethisch korrekt zu handeln (desire to do right), zweitens streben sie danach, selbstbestimmte und auferlegte Ziele bestmöglich zu erreichen (desire to achieve and contribute) und drittens haben sie das Verlangen danach, ihre Neugier durch experimentelle und kreative Vorgehensweisen zu stillen (desire to create). Durch die Steuerung der Akteure sollen ihre individuellen Bedürfnisse in Einklang mit den Unternehmenszielen gebracht werden. Hierzu werden auch bei Simons vornehmlich Mechanismen der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung vorgeschlagen. Negative Konsequenzen, die für das Unternehmen aus der Verfolgung von Eigeninteressen der Organisationsmitglieder entstehen, sollen etwa durch Verhaltensregeln sowie durch Anreize bzw. Sanktionen für bestimmte Handlungsweisen innerhalb des Boundary Systems vermieden werden. Ferner wird zielabweichendes Verhalten innerhalb des Diagnostic Control Systems durch den Einsatz von Kennzahlensystemen aufgedeckt und extrinsische Anreize wie materielle Belohnungen oder Beförderungen verwendet, um divergente Interessenslagen zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensführung auszugleichen. Diese beiden Teilsysteme gehen somit von einem schädigenden Mitarbeiterverhalten aus und beschränken daher ihre Handlungsweisen, was sich negativ auf ihre intrinsische Motivation auswirkt. Die intrinsische Motivation soll stattdessen im Beliefs System etwa durch den Einsatz von Unternehmensverfassungen, Visionen und Leitbilder wie sowie in noch stärkerem Ausmaße im Interactive Control System gefördert werden, z.B. durch institutionalisierte vertikale Interaktionen zwischen dem Management und nachrangigen Mitarbeitern, regelmäßiges Feedback und Partizipation an Entscheidungsprozessen. Im Gegensatz zu seinem akademischen Lehrer 44
Anthony stellt Simons die intrinsische Motivation von Organisationsmitgliedern somit als explizite Steuerungsaufgabe heraus. Allerdings schränkt er die dafür in Frage kommenden Steuerungslösungen gleichermaßen auf ergebnis- und verfahrensorientierte Mechanismen ein. Eigeninteressen von Organisationsmitgliedern werden auch bei Simons thematisiert, jedoch nicht in der Ausprägung wie sie Anthonys Konzept zugrunde liegen, in welchem Interessensund Zieldivergenzen einen Grundtatbestand bilden, an dem sich die Steuerung auszurichten hat. Im Vergleich zu diesen beiden Steuerungskonzepten beschränkt sich Merchant nicht nur auf die Untersuchung der Auswirkungen der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern, sondern untersucht auch diejenigen der Selbstabstimmung und informaler Steuerungsverfahren. Die Handlungsweisen der Mitarbeiter werden ihm zufolge durch ihr Können und ihr Wollen bestimmt, auf die das Management durch präventive Steuerungseingriffe gezielt Einfluss nehmen kann. Entsprechend differenziert Merchant die Steuerung nach ihrer Wirkung zur Lösung von Orientierungs-, Motivations- und Limitationsproblemen. Er argumentiert, dass proaktive Steuerungseingriffe insbesondere dazu notwendig sind, um adäquate Voraussetzungen zu schaffen, damit die Mitarbeiter richtige Handlungs- und Verhaltensweisen wählen und zur Unternehmenszielerreichung beitragen können. Dabei legt Merchant besonderes Augenmerk auf die Fähigkeiten der Akteure, die durch das Orientierungs- und Limitationsproblem adressiert werden. Im Gegensatz dazu wird die Motivationsaufgabe der Steuerung nur sehr abstrakt behandelt. Dabei werden insbesondere Motivationsprobleme aufgrund von unterschiedlichen Interessenslagen zwischen Mitarbeitern und dem Management thematisiert, jedoch nicht axiomatisch vorausgesetzt. Zur Lösung von Motivationsproblemen schreibt Merchant extrinsischen Anreizen im Rahmen der Ergebnissteuerung einen besonderen Stellenwert zu. Außerdem kann fehlmotiviertes Mitarbeiterverhalten seiner Meinung nach durch die Verfahrenssteuerung verhindert werden, was von ihm jedoch nicht ausführlicher erläutert wird. Der intrinsischen Motivation wird somit zwar eine hohe prinzipielle Bedeutung eingeräumt, jedoch werden auch in diesem Fall die Wirkungsweisen der vorgeschlagenen Steuerungsinstrumente auf die Mitarbeiter nicht näher beschrieben. Überraschend ist dabei jedoch, dass Merchant den Instrumenten der Selbststeuerung und der kulturellen Steuerung insgesamt eine deutlich geringere Motivationswirkung zugesteht, als dies seiner Ansicht nach bei der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung der Fall ist. Die explizite Auseinandersetzung mit den Verhaltenswirkungen der Steuerung kann womöglich darauf zurückgeführt werden, dass auch Merchant seine Erkenntnisse über menschliche Verhaltensweisen primär aus empirischen
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Untersuchungen ableitet und in seinem Konzept daher weitgehend auf präskriptive Verhaltensannahmen verzichtet.41 Vergleicht man die hier dargestellten Steuerungsansätze noch einmal mit der koordinationsorientierten Controllingkonzeption, so fällt auf, dass die Management Control-Ansätze vornehmlich auf verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, deren Untersuchungsgegenstand „die verschiedenen Aspekte und Erscheinungsformen des menschlichen Verhaltens“ (Schanz 1993: 4522) sind. Dies umfasst sowohl das unbewusste Reagieren von Organisationsmitgliedern als auch das von ihren Bedürfnissen und ihrem Willen gelenkte Handeln. In den Verhaltenswissenschaften ist man dabei vor allem bestrebt, empirisch fundierte Erkenntnisse über Akteursverhalten in Organisationen zu gewinnen. Sie bilden deshalb einen Gegenpol zur normativen Agencytheorie (Küpper 2009: 94), was sich besonders in dem zugrunde gelegten Menschenbild widerspiegelt: Während in Prinzipal-AgentenModellen rationale und auf individuelle Ziele ausgerichtete Akteure unterstellt werden, orientiert man sich in den Verhaltenswissenschaften unmittelbar an der Unternehmensrealität. An die Stelle einer logisch überprüfbaren Ableitung von Aussagen aus formalen Modellen tritt die empirische Überprüfung realtheoretischer Aussagen über Beziehungen der beobachtbaren Wirklichkeit. Verhaltensbedingungen sind dabei zumeist nicht auf wenige und strenge Prämissen wie eine asymmetrische Informationsverteilung oder Interessensdivergenzen reduzierbar, auf deren Grundlage sich Erkenntnisse mit Hilfe quantitativ-analytischer Methoden ableiten ließen. Aus diesem Grund beruhen die Erkenntnisse weniger auf formalen Deduktionen, vielmehr hängt ihre Validität und Reliabilität vom Grad empirischer Bestätigung ab (Küpper 2004). Infolgedessen orientieren sich die dargestellten Konzepte der Management Control-Forschung stärker an der Praxis der Steuerung von Unternehmen und Organisationsmitgliedern und stellen sich damit unmittelbar dem Problem der empirischen Geltung, das in der Agencytheorie nur begrenzt beachtet wird (Ebers/Gotsch 2006: 277; Küpper 2004: 36).
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Vgl. hierzu beispielsweise die empirische Untersuchung von Merchant zur Steuerung von Profit Center Managern in multidivisionalen Unternehmen. Er stellt dabei fest, dass von fast allen untersuchten Unternehmen eine Steuerung der Manager durch materielle Anreize erfolgt und zieht daraus den Schluss, dass eine derartige Ergebnissteuerung wirksame Instrumente zur Lösung von Motivationsproblemen bietet (Merchant 1989: 209-227).
2.1.3 Steuerung in der Organisationsforschung Zur Untersuchung von Steuerungsphänomenen wird in der Organisationsforschung häufig auf einen institutionellen Vergleich zwischen Märkten und Unternehmen im Hinblick auf typische Interaktionsformen und Steuerungseigenschaften zurückgegriffen (z.B. Thompson 1967; Arrow 1969; Williamson 1973, 1975, 1979; Alchian/Woodward 1987; Ouchi 1980; Hesterly/ Liebeskind/Zenger 1990; Simon 1991; Jost 2000; Grandori 2004; Frost 2005). Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen Märkten und Unternehmen werden in dem Zitat von Ouchi deutlich: 42 „In a market relationship, the transaction takes place between the two parties and is mediated by a price mechanism in which the existence of a competitive market reassures both parties that the terms of exchange are equitable. In a bureaucratic relationship, each party contributes labor to a corporate body which mediates the relationship by placing a value on each contribution and then compensating it fairly. The perception of equity in this case depends upon a social agreement that the bureaucratic hierarchy has the legitimate authority to provide this mediation” (Ouchi 1980: 130; eigene Hervorhebung).
Demzufolge sind Interaktionen auf Märkten durch das Prinzip des Ressourcenaustauschs gekennzeichnet, wobei den Akteuren die Verfolgung individueller Interessen und Ziele sowie ein getrennter Ressourceneinsatz unterstellt wird (Frost 2005: 27). Die Steuerung marktlicher Austauschbeziehungen erfolgt dezentral durch Anpassung, d.h. ein Ressourcenaustausch kommt nur dann zustande, wenn die Akteure ihre Vorteile durch den Einsatz von Ressourcen größer einschätzen als die damit verbundenen Kosten (Simon 1991: 25). Individuell rationales Verhalten der Akteure führt dabei gleichzeitig auch zur kollektiven Rationalität, weil die Akteure nur dann interagieren, wenn jeder für sich eine optimale Tauschlösung realisieren kann und damit alle Beteiligten durch die Transaktion besser gestellt sind (Frost 2005: 28; Williamson 1981). Steuerung auf Märkten findet vornehmlich durch den Einsatz preislicher bzw. vertraglicher Mechanismen statt, durch den ein Interessensausgleich (Interessenstransaktion) zwischen den Teilnehmern erzielt werden kann (Frost/Osterloh/Weibel 2010). Im Gegensatz zu Märkten sind Interaktionen in Unternehmen durch das Prinzip des Ressourcenpooling gekennzeichnet. Demnach gründen oder schließen sich Menschen Unternehmen an, in denen sie mit anderen Akteuren kooperieren, um bestimmte Ziele besser zu erreichen als es ihnen im Alleingang möglich wäre (Frost 2005: 31). Neben der Transaktion von Interessen zeichnen sich Unternehmen vor allem durch die Möglichkeit der Interessenstransformation aus (Frost/Osterloh/Weibel 2010). Während auf Märkten jeder Akteur separat für 42
Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit Interaktionen und Steuerung auf Märkten und in Unternehmen sowie zu den Prinzipien des Ressourcenaustauschs und des Ressourcenpooling vgl. Frost (2005: 1353); Frost/Osterloh/Weibel (2010).
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sich alleine entscheidet, sind zur Steuerung des gemeinsamen Ressourceneinsatzes und der arbeitsteiligen Aktivitäten kollektive, d.h. für die involvierten Akteure gesamtheitlich getroffene Entscheidungen erforderlich. Aus dem Pooling von Ressourcen in Unternehmen und der gesteuerten Zusammenarbeit können die Akteure einen größeren Ertrag erwirtschaften als es die Summe ihrer Einzelbeiträge bei einer separaten Nutzung auf Märkten erbringen würde. Beim Prinzip des Ressourcenpooling liegt das Ziel der Kooperation von Akteuren damit in der Erschließung kollektiven Mehrwerts.43 In dieser Hinsicht besteht ein weiteres Differenzierungsmerkmal zwischen den beiden Institutionsformen: In Unternehmen führt der gemeinsame Ressourceneinsatz und die Zusammenarbeit zu vielfältigen Interdependenzbeziehungen zwischen den Akteuren. Auf Märkten sind derartige Interdependenzen zwischen den Marktteilnehmern hingegen weitestgehend entkoppelt. Mit anderen Worten, während in Unternehmen komplexere Formen der Interdependenz entstehen, lassen sich marktliche Interaktionen auf simplere, transaktionale Interdependenzformen im Rahmen des Ressourcenaustauschs reduzieren (z.B. Ouchi 1980: 130).44 Mit diesen Interdependenzen begründet Herbert Simon auch die Komplexität der Steuerung in Unternehmen; zugleich stellen sie für ihn aber auch ihren zentralen Vorteil gegenüber Märkten dar: „In general, the greater the interdependence among various members of the organization, the more difficult it is to measure their separate contributions to the achievement of the organizational goals. But of course, intense interdependence is precisely what makes it advantageous to organize people instead of depending wholly on market transactions“ (Simon 1991: 33).
Konzerne gelten als sogenannte „Hybride“ zwischen Märkten und Unternehmen, indem sie sowohl marktliche als auch unternehmenstypische Interaktions- und Steuerungsformen umfassen. Gegenüber den polaren Institutionsformen besitzen sie den Vorteil, sowohl die Potenziale des Ressourcenaustauschs als auch des Ressourcenpoolings durch die Steuerung zu erschließen. Daher wird die sogenannte M-Form (multi-divisional firm) von Williamson (1985: 279) auch als eine der signifikantesten organisatorischen Innovationen des zwanzigsten Jahrhunderts erachtet.45
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Die unterschiedlichen Arten von Mehrwert werden in Abschnitt 2.3.2 diskutiert. Die verschiedenen Interdependenzformen sind Gegenstand des Abschnitts 2.4. Aufgrund der Mischformeigenschaften von Konzernen soll nachfolgend die explizite Unterscheidung zwischen Steuerung auf Märkten und in Unternehmen aufgegeben, die Differenzierung zwischen marktlichen und unternehmensspezifischen Steuerungseigenschaften jedoch weiterhin aufrechterhalten werden.
2.1.3.1
Steuerungsverständnis
Grundlage organisatorischer Steuerung ist die Überlegung, dass das gesamte betriebliche Geschehen von Entscheidungen ausgeht (Frese 2005: 69). Das Erfordernis zur Steuerung von Organisationsmitgliedern resultiert aus der arbeitsteiligen Wahrnehmung von Aufgaben zur Realisierung von Spezialisierungsvorteilen (Milgrom/Roberts 1992: 25). Die Gesamtheit der zur Leistungserstellung notwendigen Tätigkeiten ist zu umfangreich, als dass sie einzelne Akteure vollständig überblicken respektive eigenständig ausführen könnten, so dass die Gesamtaufgabe auf mehrere Organisationsmitglieder aufzuteilen ist (Kieser/Walgenbach 2007: 7787). Genauer gesagt werden Aufgaben arbeitsteilig wahrgenommen, weil die begrenzte menschliche Problemlösungsfähigkeit aufgrund begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten die umfassende Bearbeitung komplexer und dynamischer Problemstellungen verhindert (March/Simon 1958: 162; Milgrom/Roberts 1992: 25-26; Frese 2005: 124-128; Frost 2005: 26). Jedes Organisationsmitglied kann im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung nur wenige Ziele und Handlungsalternativen gleichzeitig berücksichtigen, so dass die entstandenen Handlungsspielräume der Akteure durch geeignete Steuerungseingriffe aufeinander abzustimmen und auf das Gesamtziel des Unternehmens auszurichten sind (Kosiol 1962: 76). Zur Untersuchung von Steuerungsanforderungen unterscheidet die Organisationsforschung üblicherweise zwischen einem kognitiven und einem motivationalen Aspekt46 (z.B. Simon 1991; Milgrom/Roberts 1992: 25-29; Grandori 2001a: 21-51; Frese 2005: 146-153; Frost 2005: 4; Laux/Liermann 2005: 68-72; Picot/Dietl/Frank 2005: 5-21), womit drei Aufgaben47 organisatorischer Steuerung verbunden sind, die es nachfolgend zu beleuchten gilt.48 Der kognitive Aspekt der Steuerung adressiert die begrenzten Entscheidungskapazitäten von Akteuren, d.h. ihre eingeschränkten Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten und daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten (Frost 2005: 4). Hieraus ergibt sich erstens die Koordinationsaufgabe, bei der es darum geht, die Organisationsmitglieder mit den notwendigen Informationen und Entscheidungskompetenzen auszustatten, damit sie ihre fragmentierten, verteilten Wissensbestände abstimmen und zur Erreichung der Unternehmensziele einsetzen können. Zweitens resultiert daraus die Orientierungsaufgabe, bei der sich die Frage stellt, wie 46
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Mit dieser Unterscheidung werden erste Parallelen zwischen der Organisationsforschung und dem Steuerungsverständnis in der Management Control-Forschung deutlich. So orientiert sich bspw. Frese (2005: 180) bei seiner Definition von Steuerung am angloamerikanischen Begriff „control“ und bezieht sich dabei insbesondere auf das Steuerungsverständnis von Merchant; vgl. Merchant (1998); Emmanuel/Otley/ Merchant (1995). Umgekehrt wurde bereits oben auf Merchants Rückgriff auf das Steuerungsrepertoire des Organisationsforschers Ouchi (1979) hingewiesen. Flamholtz (1996) fügt diesen drei organisatorischen Steuerungsaufgaben noch die Funktion der Unterstützung der Strategieumsetzung zur Erreichung der Unternehmensziele hinzu. Diese wird in der vorliegenden Arbeit jedoch als übergeordnetes Ziel der drei aufgeführten Steuerungsaufgaben interpretiert und daher nicht gesondert erfasst. Vgl. nachfolgend Frost (1998, 2005); Grandori (2001a); Frese (2005); Picot/Dietl/Frank (2005).
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sich durch geeignete Organisationsstrukturen und Steuerungsmechanismen gewährleisten lässt, dass Risiken rechtzeitig erkannt, richtig interpretiert, in die Entwicklung von Handlungsalternativen integriert und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden (Frost 1998: 2-3). Die Steuerungsherausforderung besteht folglich darin, „dass ein Unternehmen als Komplex von Regeln, Unterscheidungen, Strukturen und Kommunikationsbeziehungen Handlungsfähigkeit (‚organizational action’) sicherstellen muss, obwohl […] seine Umwelt durch große Dynamik, Komplexität und Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist“ (Frost 1998: 93).49 Der motivationale Aspekt organisatorischer Steuerung berücksichtigt dagegen die Einsatzbereitschaft der Akteure zur Leistungserbringung. Daraus ergibt sich drittens die Motivationsaufgabe, das individuelle Verhalten der Organisationsmitglieder in Einklang mit den Erwartungen des Unternehmens zu bringen. Zur Lösung der Steuerungsaufgaben aus dem kognitiven und dem motivationalen Aspekt wird in der Organisationsforschung eine breite Palette von Steuerungsmechanismen50 vorgeschlagen. Wie in den zuvor diskutierten Teildisziplinen liegen auch in der Organisationsliteratur zahlreiche unterschiedliche Klassifikationsschemata vor, welche Steuerungsmechanismen nach unterschiedlichen Dimensionen einordnen, inhaltlich aber weitestgehend kongruieren (z.B. Simon/March 1958; Lawrence/Lorsch 1967; Ouchi 1979; Williamson 1996; Grandori 2001a: 91-98; Luhmer 2002: 1038-1041; Frese 2005: 180-200; Frost 2005: 305-349; Welge/Holtbrügge 2006: 163-185; Kieser/Walgenbach 2007: 108-137; Scherm/Pietsch 2007: 202-214; Thompson 1967; Galbraith 1973).51 Nach Frost (2005: 33) lassen sich organisatorische Steuerungsmechanismen als Entscheidungsverfahren zur Organisation kollektiver Handlungen definieren: Sie stecken die Handlungsspielräume der Akteure ab und gewährleisten erstens die Koordination arbeitsteiliger, interdependenter Aufgaben und Interaktionsbeziehungen im Unternehmen. Zweitens tragen sie dazu bei, das kollektive Handeln der Akteure auf ein Gesamtziel abzustimmen, und dienen drittens der gesamtzielkonformen
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Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Koordinations-, Orientierungs- und Motivationsaufgaben organisatorischer Steuerung vgl. Frost (1998, 2005). In der Organisationsliteratur werden diese auch als „Koordinationsinstrumente“, „governance mechanisms“ oder „control mechanisms“ bezeichnet; z.B. Ouchi (1979); Eisenhardt (1985); Grandori (2001a); Frost (2005); Kieser/Walgenbach (2007). So unterscheidet Ouchi (1979) beispielsweise nach der Institutionalisierung der Steuerung zwischen marktlichen, hierarchischen und informellen, sozialen Steuerungsmechanismen. Kieser und Walgenbach gehen bei ihrer Klassifikation hingegen von den Medien aus, mit denen die Koordination von Entscheidungen erfolgt und unterscheiden diese aus der Sicht der von den Koordinationsentscheidungen betroffenen Organisationsmitglieder (Kieser/Walgenbach 2007: 108-137). Die Autoren unterscheiden dabei insgesamt sieben Koordinationsmechanismen: Persönliche Weisung, Selbstabstimmung, Programme, Pläne, organisationsinterne Märkte, Organisationskultur und Rollenstandardisierung. Frese (2005: 180-200) nimmt dagegen eine Einordnung der Steuerungsmechanismen nach drei Dimensionen vor: Er unterscheidet hinsichtlich der Träger von Steuerungsmaßnahmen zwischen Selbst- und Fremdsteuerung, in Bezug auf die einzelnen Komponenten von Entscheidungen trennt er zwischen Handlungs- und Ergebnissteuerung und hinsichtlich der Normen, die der Beurteilung der Zielkonformität zugrunde liegen, differenziert er zwischen Plan- und Marktsteuerung.
Einordnung der motivationalen und kognitiven Verhaltens- und Handlungsweisen der Organisationsmitglieder. Diese Interpretation umfasst damit sowohl die Koordination von Entscheidungen über den Ressourcen- und Aktivitäteneinsatz als auch die Verhaltensbeeinflussung von Akteuren zur Erreichung der Unternehmensziele (Frost/Morner 2010a: 206).
2.1.3.2
Steuerungsverfahren
Die organisatorischen Steuerungsverfahren und ihre jeweiligen -mechanismen52 lassen sich nach zwei grundlegenden Regelungsbereichen unterscheiden (Frost 2005: 305-306): Erstens nach der Verteilung des Entscheidungsrechts; dazu gehören Kompetenzinhalt und Kompetenzspielraum. Je nach eingesetztem Steuerungsmechanismus wird bestimmt, wer welche Entscheidungen trifft und die daraus resultierenden Konsequenzen verantwortet, wer auf welche Weise die Aktivitäten anderer Organisationsmitglieder steuert und deren Leistungsbeiträge überwacht oder die Ergebnisse ihrer Handlungen überprüft, wer wem welche Kompetenzen übertragen darf, wer welche Ressourcen erhält und wer das Recht hat, sich den Residualerlös (z.B. die Kooperationsrente) bzw. Teile davon anzueignen. Zweitens unterscheiden sich die Steuerungsmechanismen nach Interaktionsbedarf und -richtung zwischen den Organisationsmitgliedern. Der Interaktionsbedarf steigt, je größer der Umfang an steuerungsrelevanten Informationen und Wissen ist, der zwischen den Organisationsmitgliedern ausgetauscht oder geteilt werden muss. Hinsichtlich der Interaktionsrichtung können vertikale, horizontale und laterale Steuerung unterschieden werden (Frese 1975b). Vertikale Steuerung beschreibt die Abstimmung der auf unterschiedlichen Hierarchieebenen verteilten Entscheidungen und ist dadurch gekennzeichnet, dass die hierarchisch vorgesetzte Instanz über umfangreichere Entscheidungskompetenzen verfügt und folglich Entscheidungen in ihrem Interesse gegenüber nachrangigen Organisationsmitgliedern durchsetzen kann, wenn eine Einigung zwischen diesen nicht möglich ist. Im Falle des Konzerns lässt sich dies an der Beziehung zwischen der Konzernzentrale und den Konzerndivisionen veranschaulichen, sofern zwischen diesen ein hierarchisches Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Horizontale Steuerung liegt bei einer Abstimmung zwischen Entscheidungsträgern vor, die auf der gleichen hierarchischen Ebene angesiedelt sind. Zum einen fallen hierunter die Beziehungen zwischen den Konzerndivisionen, zum anderen die Interaktionen zwischen den Divisionen und den in bestimmten Zentralbereichsmodellen hierarchisch gleichgestellten Zentralbereichen (Bassen 1998: 94). Horizontale Steuerung setzt folglich eine Gleichverteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen den Organisationsmitgliedern voraus. 52
Eine genauere Begriffsabgrenzung zwischen Steuerungsverfahren, Steuerungsmechanismen und Steuerungsinstrumenten erfolgt in Abschnitt 2.1.4.
51
Horizontale und laterale Steuerung werden in der Literatur oftmals als Synonyme verwendet (z.B. Jost 2000: 344). Laterale Steuerung lässt sich jedoch dadurch abgrenzen, dass dabei eine Abstimmung zwischen Organisationsmitgliedern erfolgt, die sich auf unterschiedlichen Hierarchieebenen befinden, wobei jedoch kein unmittelbares Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen ihnen besteht, so dass unmittelbare Weisungen und Anordnungen durch den hierarchisch höher gestellten Mitarbeiter nicht möglich sind.53 Je nachdem, wie die Entscheidungsrechte aufgeteilt und die Interaktionsbeziehungen ausgestaltet sind, lassen sich unterschiedliche Steuerungsverfahren differenzieren. Sie können in vier grundlegende Kategorien eingeordnet werden: Ergebnissteuerung, Verfahrenssteuerung, Steuerung durch Selbstabstimmung und Inputsteuerung. Da diese bereits zum Teil in den vorherigen Steuerungsansätzen erläutert worden sind und ihre Mechanismen an späterer Stelle in dieser Arbeit ausführlich behandelt werden, soll nachfolgend nur knapp auf die vier organisatorischen Steuerungsverfahren eingegangen werden. Die Ergebnissteuerung (Abschnitt 2.2.1) setzt am Output der Leistungserbringung von Organisationsmitgliedern an (z.B. Ouchi 1980; Eisenhardt 1985; Grandori 2001a) und lässt sich in vertikale und horizontale Ergebnissteuerung unterteilen (Frost 2005; Frost/Morner 2010a): Bei der vertikalen Ergebnissteuerung werden Ergebniserwartungen durch eine vorgesetzte Instanz formuliert und in Form von Zielvorgaben oder -vereinbarungen an die Organisationsmitglieder übermittelt. Nach der Aufgabenerfüllung wird deren Zielerreichungsgrad von der Instanz gemessen und kontingent belohnt bzw. sanktioniert. Während der Aufgabendurchführung obliegt es den Akteuren, eigenständig diejenigen Maßnahmen und Handlungsweisen zu bestimmen, die ihrer Ansicht nach bestmöglich zum Ziel führen. Die vertikale Ergebnissteuerung führt damit zu einem vergleichsweise geringen Interaktionsbedarf zwischen der Instanz und anderen Organisationsmitgliedern. Die horizontale Ergebnissteuerung erfolgt hingegen durch den Einsatz preislicher Mechanismen, anhand derer die Leistungsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten abgestimmt werden können. Je nachdem wie die Preise bestimmt werden (z.B. durch hierarchische Festlegung oder durch Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien), sind Entscheidungsrechte, Interaktionsbedarf und -richtung unterschiedlich ausgestaltet. Im Zuge der Verfahrenssteuerung (Abschnitt 2.2.2) erfolgt ein unmittelbarer Eingriff der vorgesetzten Instanz in den Leistungserstellungsprozess der Organisationsmitglieder. Sie lässt sich nach ihrer Dauerhaftigkeit und ihrem Partizipationsgrad differenzieren. Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit kann die generelle Verfahrenssteuerung, die zumeist sachorientiert und fach53
52
Ein Beispiel für laterale Koordination stellt die Abstimmung zwischen dem Marketingbereichsleiter und dem Angestellten der IT-Abteilung dar. Grundsätzlich verfügt der Marketingleiter über umfangreichere Entscheidungskompetenzen, kann Entscheidungen innerhalb der Interaktion aber nicht unmittelbar gegenüber dem Angestellten durchsetzen, zumeist jedoch mittelbar über dessen Vorgesetzten veranlassen.
basiert (z.B. durch Regeln oder Standardisierung) erfolgt, von der fallweisen, personenorientierten Verfahrenssteuerung (z.B. durch Weisungen und Autorität) unterschieden werden (z.B. Grandori 2001a: 113-132, 183-203; Frost 2005: 308-310; Kieser/Walgenbach 2007: 109-122). Der Partizipationsgrad legt dagegen fest, inwieweit die hierarchisch untergeordneten Organisationsmitglieder an der Verfahrensbestimmung mitwirken können. Die Verteilung der Entscheidungsrechte und des Interaktionsbedarfs hängen folglich maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung der Verfahrenssteuerung ab. Um volle Steuerungswirkung zu entfalten, setzt jene jedoch Verhaltenskontrollen voraus, anhand derer die Handlungsweisen der Organisationsmitglieder von der Instanz überprüft werden, so dass im Vergleich zur Ergebnissteuerung ein höherer Interaktionsbedarf anzunehmen ist. Ergebnis- und Verfahrenssteuerung gelten als formale Steuerungsverfahren, bei der die vorgesetzte Instanz dafür verantwortlich zeichnet, die Steuerungsaufgaben im Unternehmen durchzusetzen (z.B. Eisenhardt 1985; Martinez/Jarillo 1989; Dekker 2004). Die Steuerung durch Selbstabstimmung (Abschnitt 2.2.3) ist durch eine Delegation von Entscheidungsrechten an die von der Aufgabe betroffenen Organisationsmitglieder gekennzeichnet. Bei diesem Steuerungsverfahren erfolgt eine dezentrale, horizontale und wechselseitige Abstimmung der Organisationsmitglieder ohne Einmischung einer vorgesetzten Instanz (z.B. Kieser/Walgenbach 2007: 111-115). Es existieren verschiedene Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Selbstabstimmung, die sich hinsichtlich ihres Gegenstandsbereichs und Strukturierungsgrads unterscheiden. Das konstituierende Merkmal, das die Selbstabstimmung von der ergebnis- und verfahrensorientierten Steuerung abgrenzt, ist die Konsensbildung (z.B. Frost 2005: 204). Konsensbildung bedeutet, dass sich die beteiligten Organisationsmitglieder im Hinblick auf ihre Zielvorstellungen inhaltlich angleichen und gemeinsame Entscheidungen treffen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden. Selbstabstimmung setzt somit eine persönliche Interaktion zwischen Organisationsmitgliedern voraus und geht damit in der Regel mit einem hohen Interaktionsbedarf einher. Ein wesentlicher Aspekt bei der Steuerung durch Selbstabstimmung ist, dass die Interaktionsprozesse nicht auf einen unverbindlichen, ungeplanten Informationsaustausch reduziert werden dürfen (Frost/Morner 2010a: 217). Ebenso wie die Ergebnis- und Verfahrenssteuerung stellt die Selbstabstimmung ein offiziell vorgesehenes Steuerungsverfahren dar, deren Entscheidungen sowohl für die beteiligten Organisationsmitglieder als auch für ihre vorgesetzten Instanzen einen verbindlichen Charakter besitzen (Frost 2005: 336).54 Die Wirksamkeit der Selbstabstimmung hängt dabei maßgeblich davon ab, ob die involvierten Organisationsmitglieder über eine ausgewogene 54
Wenngleich die Selbstabstimmung und die Inputsteuerung in Teilen der Literatur als informale Steuerung beschrieben werden (z.B. Martinez/Jarillo 1989, 1991; Williamson 1996), soll aus den genannten Gründen (offizielles/verbindliches Entscheidungsverfahren) im weiteren Verlauf dieser Arbeit auf eine Unterscheidung zwischen formalen und informale(re)n Steuerungsmechanismen verzichtet werden.
53
und gleichwertige Kompetenzausstattung verfügen. Sind hierarchisch übergeordnete und damit weisungsberechtigte Mitarbeiter an den Selbstabstimmungsprozessen beteiligt, so liegen vertikale Interaktionsbeziehungen vor, in denen die Aspekte autoritätsbasierter Steuerung überwiegen und folglich die Wirksamkeit der Selbstabstimmung abschwächen können (z.B. Adler 2001). Die Inputsteuerung (Abschnitt 2.2.4) setzt an den Voraussetzungen der Leistungserstellung an und kann somit als ex ante Form der Steuerung interpretiert werden. Die Instanz ist dafür verantwortlich, adäquate Rahmenbedingungen für die Erreichung der Unternehmensziele zu schaffen. Dies kann sie entweder durch die Schaffung geeigneter struktureller Voraussetzungen oder durch eine angemessene Ausstattung mit materiellen und immateriellen Ressourcen zur dezentralen Aufgabenerfüllung erreichen (Frost/Morner 2010a: 208-212).
2.1.3.3
Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen
Trotz einer mittlerweile fast unermesslichen Anzahl konzeptioneller und empirischer Arbeiten zur Steuerung auf Märkten sowie innerhalb und zwischen Unternehmen hat sich in der Organisationsforschung bislang keine geschlossene und anerkannte Steuerungstheorie herausbilden können (Ouchi 1979; Eisenhardt 1985; Birnbaum 1989; Martinez/Jarillo 1989; Simon 1991; Milgrom/Roberts 1992; Grandori 2000, 2001a, 2004; Kirsch/Seidl 2004; Nooteboom 2004; Frost 2005; Grandori/Soda 2006). Da eine dedizierte Analyse der unterschiedlichen Theorien zu umfangreich wäre, als dass sie an dieser Stelle auch nur ansatzweise erfolgen könnte, gilt es, die hier interessierenden Erklärungsbeiträge zur Steuerung in Organisationen sowie die Annahmen über die Verhaltensweisen ihrer Mitglieder aus zwei übergeordneten Theorieperspektiven, den neueren Theorien der Firma (grand theories of the firm), zu untersuchen. Originärer Forschungsgegenstand von Theorien der Firma sind Fragen nach der Existenz, Größe und Ausdehnung von Unternehmen sowie in neueren Ansätzen Fragen nach ihren wettbewerbs- und erfolgsrelevanten Differenzierungsmerkmalen (z.B. Demsetz 1988; Foss 1993; von Krogh/Roos 1995; Langlois/Foss 1999; Dosi/Marengo 2000; Foss/Mahnke 2000; Grant 2002; Santos/Eisenhardt 2005; Dosi/Faillo/Marengo 2008). Dominiert werden die neueren Theorien der Firma durch zwei Perspektiven (Frost 2005): Die Governance-Perspektive, zu der organisationsökonomische Ansätze wie die Transaktionskostentheorie (z.B. Coase 1937; Williamson 1973, 1975, 1979, 1985, 1990, 2000; Picot 1982, 1985), die Agencytheorie (z.B. Alchian/Demsetz 1972; Ross 1973; Fama 1980; Fama/Jensen 1983; Eisenhardt 1985, 1989a; Holmström/Milgrom 1991, 1994) und der Property-Rights-Ansatz (z.B. Alchian/Demsetz 1973; Hart/Moore 1988, 1990, 1994) zählen, sowie die Kompetenz-Perspektive, zu denen ressourcenbasierte (z.B. Wernerfelt 1984; Prahalad/Hamel 1990; Barney 1991, 54
1996; Conner 1991; Grant 1991, 2002: 130-180) und wissensbasierte Ansätze (z.B. Kogut/Zander 1992, 1993, 1996; Dosi/Marengo 1994; Lawler 1994; von Krogh/Roos/Slocum 1994; Nonaka 1994; Teece/Pisano 1994; von Krogh/Roos 1995, 1996; Zander/Kogut 1995; Foss 1996a, 1996b, 1999a; Conner/Prahalad 1996; Spender 1996; Foss/Knudsen 1996; Grant 1996a, 1996b; Spender/Grant 1996; Nonaka/Takeuchi 1997; Eisenhardt/Santos 2002; Nonaka/Toyama 2003) gehören. Die jeweiligen Ansätze innerhalb einer Perspektive sind dadurch vereint, dass sie weitestgehend ähnliche Verhaltensannahmen über Menschen in Organisationen treffen, welche nachfolgend beschrieben werden sollen.55 Die Governance-Perspektive organisatorischer Steuerung In den Ansätzen der Governance-Perspektive stehen organisatorische Steuerungsprobleme angesichts unvollkommener Information, divergenter Interessen und vollständiger oder begrenzter Rationalität der Akteure im Mittelpunkt der Analyse (z.B. Williamson 1985; Milgrom/Roberts 1992; Frost 2005; Picot/Dietl/Frank 2005; Ebers/Gotsch 2006). Die Erklärungsansätze und Verhaltensannahmen der Agencytheorie wurden bereits im Rahmen des Steuerungsansatzes des koordinationsorientierten Controllings behandelt. Darin sind die Interaktionsbeziehungen durch eine asymmetrische Informationsverteilung und Interessensdivergenzen zwischen rationalen Akteuren (Prinzipal/Agenten) gekennzeichnet (Eisenhardt 1985). Die Aufgabe der Steuerung bildet die Reduktion der damit verbundenen Risiken des Prinzipals zur Erreichung seiner Ziele. Die Transaktionskostentheorie unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Verhaltensannahmen in drei wesentlichen Punkten von der Agencytheorie:56 Erstens wird den Akteuren nur begrenzte Rationalität unterstellt, was dadurch begründet wird, dass sie bei ihren Entscheidungen aufgrund limitierter Kapazitäten zur Informationsaufnahme und -verarbeitung jeweils nur wenige Ziele und Handlungsalternativen gleichzeitig berücksichtigen können (Simon 1955: 101; Picot 1999: 118-119; Ebers/Gotsch 2006: 279): „The capacity of the human mind for formulating and solving complex problems is very small compared with the size of the problems whose solution is required for objectively rational behavior in the real world – or even for reasonable approximation to such objective rationality” (Simon 1957: 198).
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Für eine ausführliche Analyse und Diskussion der beiden Theorieperspektiven und der jeweiligen Theorien vgl. im Besonderen hinsichtlich ihrer Erklärungsbeiträge zur organisatorischen Steuerung Frost (2005) sowie im Allgemeinen für eine Gegenüberstellung ihrer jeweiligen Erklärungsbeiträge zur Existenz von Firmen z.B. Foss (1993, 2000); von Krogh/Roos (1995); Langlois/Foss (1999); Williamson (1999); Foss/Mahnke (2000); Nooteboom (2004); Santos/Eisenhardt (2005). Ein weiterer Unterschied zwischen der Agencytheorie und der Transaktionskostentheorie besteht in den Verhaltensannahmen hinsichtlich der Risikoeinstellung von Akteuren. Während in der Agencytheorie unterstellt wird, der Prinzipal sei grundsätzlich risikoaverser als der Agent, geht man im Transaktionskostenansatz von einer Risikoneutralität der Akteure aus (Williamson 1990: 68).
55
Zweitens bestehen unterschiedliche Annahmen hinsichtlich der Vertragsgestaltung und dem Erscheinungszeitpunkt möglicher Ineffizienzen. Während in der Agencytheorie unterstellt wird, dass Verträge beim Abschluss vollständig ausgestaltet sind bzw. dass sie ohne zusätzliche Kosten ex post angepasst werden können, liegt der Transaktionskostentheorie die Annahme unvollständiger Verträge zugrunde (z.B. Williamson 1985, 2000: 605; Hart/Moore 1988: 756-757; Santos/Eisenhardt 2005: 492; Ebers/Gotsch 2006: 278). Die Steuerungsproblematik resultiert aus diesen vertraglichen Unvollständigkeiten bzw. zu hohen Kosten für eine vollständige Vertragsausgestaltung vor sowie nach Abschluss (Williamson 1985: 26-28). Drittens wird die Annahme divergenter Interessen durch die Opportunismusannahme im Transaktionskostenansatz verschärft. Jene besagt, Organisationsmitglieder verhielten sich grundsätzlich eigennützig und maximierten entsprechend ihrer jeweiligen individuellen Präferenzen ihren persönlichen Nutzen, indem sie die vorteilhafteste der sich ihnen bietenden Handlungsalternativen wählten (Williamson 1975b, 1985; Frost 2005: 56-57; Ebers/Gotsch 2006: 279). Der Wirtschaftsnobelpreisträger Oliver Williamson beschreibt Opportunismus als „die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. Häufig bedient sich der Opportunismus raffinierterer Formen der Täuschung. […] Allgemeiner gesagt, bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, insbesondere auf vorsätzliche Versuche irrezuführen, zu verzerren, verschleiern oder sonst wie zu verwirren“ (Williamson 1990: 54).57
Unvollständige Verträge lassen demnach Verhaltensspielräume offen, die aufgrund von Opportunismus zur Entstehung von Motivationslücken führen und die Steuerung arbeitsteiliger Aufgaben erschweren (Hart/Moore 1990). Diesen Vertragsbeziehungen liegen ökonomische Transaktionen zugrunde, welche den zentralen Steuerungsgegenstand in der GovernancePerspektive darstellen (Williamson 1985: 548; Frost 2005: 119). Unter einer Transaktion wird der „Prozess der Klärung und Vereinbarung eines Leistungsaustausches“ (Picot 1982: 269) verstanden. In der Governance-Perspektive strebt man danach, herauszufinden, welche Arten von Transaktionen in welchen ökonomischen Institutionen58 relativ am effizientesten abgewickelt und koordiniert werden können (Williamson 1991; Picot/Dietl/Frank 2005: 57). Die Maßgröße für den Vergleich der Vorteilhaftigkeit alternativer Institutionsformen – insbesondere Markt und Hierarchie – sind die Transaktionskosten (Williamson 1985; Milgrom/Roberts 1992: 29). Die Effizienz von Steuerungsverfahren hängt somit maßgeblich 57
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Williamson räumt zwar ein, dass sich nicht jeder Akteur grundsätzlich opportunistisch verhält, durch die Häufigkeit, mit der opportunistisches Handeln auftritt und durch die Schwierigkeit, dieses zu erkennen, sei es jedoch gerechtfertigt, diese Verhaltensannahme stets zu Grunde zu legen (Williamson 1975: 47). Ökonomische Institutionen sind „created entities within and through which people interact to reach individual and collective economic goals” (Milgrom/Roberts 1992: 19).
von ihrer Eignung ab, Transaktionskostenvorteile zu realisieren (Williamson 1991: 277; Frost 2005: 81; Santos/Eisenhardt 2005: 492). Im Mittelpunkt organisatorischer Steuerung stehen in der Governance-Perspektive die Bewältigung von Verhaltensunsicherheiten sowie die Gestaltung effizienter Vertragsstrukturen zur Abstimmung ökonomischer Aktivitäten (Frost 2005: 7). Vor diesem Hintergrund liegt die besondere Aufgabe der Unternehmensführung darin, angemessene Anreiz- sowie Kontrollmechanismen zu schaffen, um das Risiko zusätzlicher Transaktionskosten zu minimieren, die aus unerwünschten Verhaltensweisen der Akteure resultieren (Williamson 1991: 275). Damit konzentrieren die Erklärungsansätze der Governance-Perspektive die Steuerung von Interaktionsbeziehungen zwischen Organisationsmitgliedern auf Kosten- und Effizienzkalküle (Frost 2005: 115). Der Handlungsspielraum der Akteure kann durch Überwachung und Sanktionen derart eingeschränkt werden, dass sich unerwünschte Verhaltensweisen für sie nicht mehr lohnen würden. Die Lösung von Motivationsproblemen erfolgt damit ausschließlich mittels extrinsischer Anreize durch Gewährung von Ausgleichszahlung (Ebers/Gotsch 2006: 287). Die Bedeutung der intrinsischen Motivation von Organisationsmitgliedern wird in der Governance-Perspektive zwar eingeräumt, jedoch nicht weitergehend behandelt (z.B. Williamson 1975: 256). Es wird ferner davon ausgegangen, dass mit der Lösung von Motivationsproblemen zugleich auch die Koordinationsaufgabe der Steuerung erfüllt wird (Frost 2005: 229). Zugleich wird auch das Orientierungsproblem in der Governance-Perspektive der Motivationsaufgabe untergeordnet. Die Aufgabe der Steuerung beschränkt sich diesbezüglich auf die effiziente Beschaffung und Verarbeitung von Informationen zur Reduktion der Unsicherheit. Kognitive Aspekte wie unterschiedliche Wahrnehmungen oder Perspektivendifferenzen der Akteure spielen hingegen keine Rolle (Nooteboom 2004), und personengebundenes Wissen wird nicht von Informationen abgegrenzt.59 Stattdessen wird die Relevanz von Informationen ausschließlich nach formalen, quantifizierbaren Bewertungskriterien wie ihrem Beitrag zur Senkung von Transaktionskosten beurteilt. Steuerungsverfahren wie die Selbstabstimmung werden dagegen nur dann in Betracht gezogen, wenn dadurch die Interaktionseffizienz steigt und sich somit Transaktionskosten (z.B. aus Entwurf, Durchsetzung und Überwachen von Verträgen) senken lassen. Es wird argumentiert, dass eine konsensbasierte Entscheidungsfindung zwischen den Akteuren aufgrund ihrer Opportunismusneigung ohnehin nur schwer möglich sei (Frost 2005: 229). Auf diese Weise wird in der Governance-Perspektive jedoch das Potenzial organisatorischer Steuerung vernachlässigt, zur Verbesserung der Qualität der Interaktionsbeziehungen beizutragen. Stattdessen wird dafür plädiert, komplexere Interaktionsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten möglichst in eine Reihe unabhängiger Trans-
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Zur Unterscheidung von Informationen und Wissen vgl. z.B. Nonaka/Takeuchi (1997); Frost (2005: 154160).
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aktionen zu entkoppeln, um kostenminimale Steuerungslösungen realisieren zu können (Picot/Dietl/Frank 2005: 63; Frost 2005: 149). Durch Disaggregation von Organisationseinheiten bzw. Aufgaben in abgrenzbare Module und Konzentration auf die Ergebnissteuerung lassen sich die Koordinationskosten auf ein Minimum reduzieren (z.B. Zenger/Hesterly 1997). Opportunitätskosten einer solchen Dezentralisation (Autonomiekosten), z.B. aus einer fehlenden Abstimmung interdependenter Interaktionsbeziehungen, mangelnden Verfolgung der Gesamtunternehmensziele oder unzureichenden Realisierung von Verbundvorteilen, werden im Kostenkalkül der Governance-Perspektive genauso wenig berücksichtigt wie potenzielle strategische Wettbewerbsvorteile aus der bereichsübergreifend intensiven Zusammenarbeit von Organisationseinheiten (Frost 2005: 109). Die Kompetenz-Perspektive organisatorischer Steuerung Grundidee der Kompetenz-Perspektive ist es, die Entwicklung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens mit der Existenz unternehmensspezifischer Ressourcen- und Kompetenzbündel zu erklären (z.B. Wernerfelt 1984; Prahalad/Hamel 1990; Barney 1991, 1996; Grant 1991; Eisenhardt/Santos 2002; Nooteboom 2004). Während die Erklärungsbeiträge im ressourcenbasierten Ansatz (resource based view of strategy) verschiedene Arten von Ressourcen wie z.B. materielle und immaterielle, transferierbare und immobile Ressourcen sowie organisationale Kernkompetenzen hinsichtlich ihrer strategischen Relevanz für Unternehmen betrachten, konzentriert sich der wissensbasierte Ansatz (knowledge based view of strategy) – als eine Weiterentwicklung des ressourcenbasierten Ansatzes – auf die spezielle Ressource Wissen (z.B. Kogut/Zander 1992; von Krogh/Roos 1995, 1996; Spender 1996; Grant 1996a, 1996b; Foss 1996a, 1999a; Spender/Grant 1996; Eisenhardt/Santos 2002; Nooteboom 2004).60 Im Untersuchungsfokus der Kompetenz-Perspektive stehen folglich Prozesse der Generierung, des Austauschs sowie der Kombination von Ressourcen, Kompetenzen und Wissen in Organisationen. Die Steuerung ermöglicht dabei die Abstimmung und Integration unterschiedlicher Ressourcenbestände zur Organisation von kollektiven Leistungserstellungsprozessen. Damit rücken in den Ansätzen der Kompetenz-Perspektive die Kooperationsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten – im Unterschied zu den Transaktionsbeziehungen der Governance-Perspektive – in den Mittelpunkt der Analyse (Frost 2005: 133). Die heterogenen Unternehmensressourcen, die diesen Kooperationsbeziehungen zugrunde liegen, bilden das Potenzial für nachhaltige Wettbewerbsvorteile (Wernerfelt 1984; Barney 1991), das es durch den Einsatz und die geschickte Kombination von Steuerungsverfahren zu
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Die begriffliche und konzeptionelle Einordnung von Ressourcen, Kernkompetenzen und Wissen erfolgt in Abschnitt 2.3.2.
realisieren gilt, um sich erfolgreich von der Konkurrenz abzuheben.61 Dabei stehen die Koordinations- und Orientierungsaufgabe organisatorischer Steuerung im Vordergrund der Kompetenz-Perspektive, während Motivationsproblemen nur eine geringe Relevanz beigemessen wird (Frost 2005: 150). Stattdessen geht man implizit von einer selbstverständlichen Kooperationsbereitschaft der Organisationsmitglieder aus. Den opportunistischen Verhaltensannahmen der Governance-Perspektive wird in der Kompetenz-Perspektive mit dem Menschenbild des „benevolenten Kooperateurs“ (Dosi/Marengo 2000: 82; Osterloh/Frey/Frost 2001: 232) begegnet. Folglich liegen die Steuerungsaufgaben der Unternehmensführung darin, „to provide an institutional setting […] and simultaneous coordination across its various activities rather than to check opportunistic behavior or transform noncooperative to cooperative behavior” (Madhok 2002: 30).
Organisatorische Steuerungsprobleme resultieren demnach nicht – wie in der GovernancePerspektive unterstellt wird – aus mangelndem Wollen der Akteure, sondern sind Probleme mangelnden Könnens (Frost 2005: 122). Genauso wie in der Governance-Perspektive wird jedoch auch in der Kompetenz-Perspektive von einer begrenzten Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungskapazität von Organisationsmitgliedern ausgegangen (z.B. Nooteboom 2004; Frost 2005: 173). Aufgrund dieser begrenzten Kapazitäten verfügen die einzelnen Akteure nicht über eine vollumfängliche Umsicht aller unternehmensrelevanter Problemstellungen, sondern müssen sich auf diejenigen Ausschnitte konzentrieren, für die sie über entsprechende fachspezifische Kompetenzen verfügen. Im wissensbasierten Ansatz wird mangelndes Können vor allem auf kognitive Asymmetrien zwischen den Organisationsmitgliedern zurückgeführt (Nooteboom 2004; Eisenhardt/Santos 2002).62 Kognitive Asymmetrien unterscheiden sich von den Informationsasymmetrien in der Governance-Perspektive (Frost 2005: 173): Sie bedeuten nicht, dass die Akteure über unterschiedliche Informationsstände verfügen, welche sie in eigennützigem Interesse einsetzen oder zurückhalten, sondern dass individuelle Verhaltens- und Handlungsweisen von Organisationsmitgliedern durch unterschiedliche Umwelt- und Problemwahrnehmungen sowie durch ihre persönlichen Erfahrungen und Kenntnisse geprägt sind. „People observe, interpret and evaluate the world according to categories or mental frameworks of perception, interpretation and evaluation. […] They have been developed in interaction with the physical and social world” (Nooteboom 2004: 512).
61 62
Vgl. ausführlich Abschnitt 2.3.2. Zur „kognitiven Distanz“ als relationale Gestaltungsvariable vgl. weiterführend Abschnitt 4.3.3.2.
59
Derartige kognitive Asymmetrien erschweren folglich die Abstimmung heterogener und fragmentierter Wissensbestände zwischen den Akteuren. Die Gestaltungssaufgabe liegt dabei allerdings nicht in der vollständigen Auflösung kognitiver Asymmetrien. Denn einerseits würden dadurch Spezialisierungsvorteile der Arbeitsteilung schwinden, andererseits können strategische Wettbewerbsvorteile erst durch die Verknüpfung und Bündelung heterogener und komplementärer Wissensbestände erzielt werden. Stattdessen geht es darum, mittels geeigneter Steuerungslösungen eine kognitive „Anschlussfähigkeit“ zwischen den Organisationsmitgliedern herzustellen, um gegenseitiges Problemverständnis zu erzeugen und die wechselseitige Verständigung über die arbeitsteilige Aufgabenerfüllung zu erleichtern (Nooteboom 2000a: 155; Frost 2005: 176). Hierzu wird im wissensbasierten Ansatz ein breiter Einsatz unterschiedlicher Steuerungsverfahren vorgeschlagen (z.B. Capello 1999: 357358; Kogut 2000; Alavi/Leidner 2001: 120-121; Zahra/George 2002: 194; Eisenhardt/Santos 2002; Madhok 2006: 112-113): Während sich einerseits die generelle Verfahrenssteuerung eignet, weil in den Regeln und Verfahrensstandards kristallisiertes Wissen63 effizient ausgeschöpft werden kann, können die interaktiven und kommunikationsintensiven Selbstabstimmungsmechanismen andererseits wirkungsvoll zur Herstellung der Anschlussfähigkeit zwischen den Organisationsmitgliedern genutzt werden (Frost 2005: 291-292). Hingegen wird den Mechanismen der Ergebnissteuerung nur eine begrenzte Eignung zur Lösung von Koordinationsproblemen bescheinigt. Zwar seien sie in der Lage steuerungsrelevante Informationen in komprimierter Form abzubilden, jedoch ließe sich darin wettbewerbsrelevantes und komplexes Wissen nicht ausreichend berücksichtigen (Arrow 1962; Frost/Morner 2005). Im ressourcenbasierten Ansatz wird die Koordinationsaufgabe der Steuerung eine gleichermaßen hohe Bedeutung beigemessen wie im wissensbasierten Ansatz. Ihm zufolge entstehen strategische Wettbewerbsvorteile erst durch intensive Kooperationsformen im Unternehmen, welche zu Interdependenzen zwischen den verteilten Ressourcen und Kompetenzen führen und den Gegenstand organisatorischer Steuerungsbemühungen bilden (z.B. Wernerfelt 1984; Prahalad/Hamel 1990; Barney 1991, 1996). Jedoch wird am ressourcenbasierten Ansatz kritisiert, er sei zu wenig an den aktiven Prozessen der Ressourcengenerierung interessiert (z.B. Frost 2005: 152; Kraaijenbrink/Spender/Groen 2010) und leiste daher keine prospektiven Gestaltungsempfehlungen, welche Kooperationsformen geeignet sind, um strategisch relevante Ressourcenbündel zu entwickeln, respektive wie diese zu koordinieren sind (von Krogh/Roos 1995: 56-57):
63
60
Der Begriff des „kristallisierten Wissens“ wird in Abschnitt 2.2.2.2 näher behandelt.
„While numerous theories have been advanced over the past two decades about the sources of competitive advantage, many cluster around just a few loosely structured frameworks or paradigms. […] This [resource based; K.B.] perspective recognizes but does not attempt to explain the nature of the isolating mechanisms that enable entrepreneurial rents and competitive advantage to be sustained“ (Teece/Pisano/Shuen 1997: 509-510; eigene Hervorhebung).
Daher kann lediglich retrospektiv ermittelt werden, welche Ressourcen und Kompetenzen zum Unternehmenserfolg beigetragen haben. Um jedoch herauszufinden, welche Zusammenarbeitsformen das Unternehmen auch in Zukunft befähigen, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erzielen, müssten jedoch die zugrunde liegenden Ressourcen- und Kompetenzbündel sowie die Effektivität der Steuerung hinsichtlich der Realisierung dieser Potenziale näher untersucht werden. Bisher mangelt es im ressourcenbasierten Ansatz jedoch weitgehend an derartigen Erklärungs- und Gestaltungsansätzen (Frost 2005: 152; Kraaijenbrink/Spender/Groen 2010). Die Ausführungen zeigen, dass deutliche Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den Theorieansätzen der Governance- und der Kompetenz-Perspektive bestehen. Diese sollen nachfolgend hinsichtlich getroffener Verhaltensannahmen sowie Steuerungsaufgaben, Steuerungsverfahren, Steuerungszielen sowie dem jeweiligen Steuerungsgegenstand zusammenfassend gegenübergestellt werden. Vergleich der Perspektiven und Kritik Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Theorieansätzen liegt darin, dass organisatorische Steuerungsanforderungen in der Governance-Perspektive aus der Opportunismusannahme der Akteure resultieren, während in der Kompetenz-Perspektive implizit von einer benevolenten Kooperationsbereitschaft ausgegangen und das Erfordernis der Steuerung auf mangelndes Können der Organisationsmitglieder zurückgeführt wird. Folglich werden unterschiedliche Schwerpunkte im Hinblick auf die organisatorischen Steuerungsaufgaben gelegt: In der Governance-Perspektive steht die Lösung von Motivationsproblemen aufgrund von Verhaltensunsicherheiten im Vordergrund. Hierzu wird für den Einsatz der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung plädiert, weil diese im Vergleich zu interaktiven Steuerungsverfahren kosteneffizienter sind. Durch ihren Einsatz kann das Verhalten der Akteure restringiert und kontrolliert, ihre Handlungen kontingent entlohnt oder sanktioniert werden. Intrinsische Motivationsprobleme werden in den Ansätzen der Governance-Perspektive zwar eingeräumt, jedoch aufgrund ihrer Vielfalt und analytischen Komplexität nicht weiter untersucht (Williamson 1975: 256). Mit der Lösung von Motivationsproblemen geht auch die Erfüllung von Koordinationsanforderungen einher, während der Orientierungsaufgabe der Steuerung in der Governance-Perspektive kaum Bedeutung beigemessen wird (Frost 2005: 124). In der Kompetenz-Perspektive spielt das Motivationsproblem hingegen eine untergeordnete Rolle. Interessensdivergenzen und Zielkonflikte zwischen den Organisationsmitgliedern werden mit 61
den getroffenen Verhaltensannahmen kategorisch ausgeschlossen. Im Gegensatz zur Governance-Perspektive schenkt man extrinsischen Anreizen nur wenig Beachtung. Stattdessen wird von einer selbstverständlichen intrinsischen Motivation und hohen Kooperationsbereitschaft der Akteure ausgegangen. Zur Erfüllung der wichtigeren Koordinations- und Orientierungsaufgaben, die auf kognitive Aspekte zurückgeführt werden, schlägt man in der Kompetenz-Perspektive sowohl verfahrensorientierte als auch interaktive Steuerungsmechanismen vor, da diese den Wissenstransfer und -teilung zwischen Organisationsmitgliedern fördern. Das Steuerungsziel der Governance-Perspektive liegt in der Maximierung der Transaktionskosteneffizienz, während die Steuerung in der Kompetenz-Perspektive auf die Realisierung von Potenzialen aus strategisch relevanten Ressourcen und Kompetenzen zur Schaffung nachhaltig verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile abzielt. Die diversen Zielsetzungen haben unterschiedliche Implikationen für die Zusammenarbeit und deren Steuerung innerhalb von Unternehmen: In der Governance-Perspektive gilt es, Interdependenzbeziehungen zwischen Unternehmenseinheiten durch entsprechende Gestaltung der Organisationsstrukturen64 weitestgehend voneinander zu entkoppeln und in abgrenzbare Transaktionen zu überführen. In der Kompetenz-Perspektive formieren dagegen heterogene und fragmentierte Ressourcen-, Kompetenz- und Wissensbestände den Gegenstand der Steuerung. Erst durch ihre unternehmensspezifische Bündelung ist die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen möglich; und Bündelung setzt schließlich eine intensive Kooperation zwischen verschiedenen Organisationseinheiten voraus. Die Eignung unterschiedlicher Steuerungslösungen wird folglich nicht nach ihrer Effizienz, sondern in erster Linie nach ihrer Effektivität beurteilt, die resultierenden Ressourceninterdependenzen zu koordinieren und damit zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen beizutragen. Im ressourcenbasierten Ansatz liegen bislang allerdings nur wenig operationalisierbare und zukunftsgerichtete Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung der Steuerung bei unterschiedlichen Kooperationsformen vor, was von seinen Kritikern bemängelt wird. Eine zentrale Gemeinsamkeit zwischen der Governance- und der Kompetenz-Perspektive liegt darin, dass sie beide auf exogen eingeführten Verhaltensannahmen aufsetzen, die jedoch auf einer inhaltlich unterschiedlichen Motivation der Organisationsmitglieder beruhen (Frost 2005: 233). Exogen eingeführte Verhaltensannahmen sind „propositions that postulate the shape and content of some basic concepts to be used in a theory or model (as axioms and postulates in mathematics)” (Grandori 2001b: 37; eigene Hervorhebung). In beiden Theoriesträngen werden damit entweder opportunistische oder intrinsisch motivierte Verhaltensannahmen vorausgesetzt und durch Parolen wie „avoiding the negative“ bzw. „assuming the 64
62
Zur strukturellen Organisationsgestaltung vgl. Abschnitt 2.3.1.2.
positive“ ausgedrückt (Frost 2005: 232; Osterloh/Frey/Frost 2001: 233). Auf diese Weise reduzieren die Ansätze der Governance- und Kompetenz-Perspektive gleichermaßen die Komplexität menschlichen Verhaltens auf wenige charakterliche Grundeigenschaften, die den Einsatz bestimmter Steuerungslösungen determinieren.65 Wirkungszusammenhänge zwischen dem Einsatz bestimmter Steuerungsverfahren und den Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder werden dabei nicht beachtet. Frost fordert daher den Verzicht auf statische Annahmen und modellartige Komplexitätsreduktionen menschlicher Handlungsmuster und plädiert stattdessen für ein „creating the positive“: „‚Creating the Positive’ bedeutet, Motivation nicht auf eine exogen eingeführte Verhaltensannahme zu reduzieren, sondern als gestaltbaren Faktor zu berücksichtigen. Organisatorische Steuerung kann eine aktive Rolle bei der Ausdifferenzierung kognitiver und motivationaler Disposition von Organisationsmitgliedern übernehmen“ (Frost 2005: 235).
Wie die Endogenität von Verhaltensweisen bei der Gestaltung der Steuerung in Organisationen berücksichtigt werden kann, gilt es im weiteren Verlauf der Untersuchung herauszustellen.
65
Vgl. zu dieser Kritik auch die Ausführungen in Abschnitt 2.1.1.3.
63
2.1.4 Standortbestimmung: Synthese der multidisziplinären Erklärungsbeiträge zur Entwicklung einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption Welche Erkenntnisbeiträge liefern die vorgestellten Steuerungsansätze für die Untersuchung der Wirkungsweisen der Steuerung im Konzern? Tabelle 2 fasst die wesentlichen Elemente der vorgestellten Steuerungsansätze aus der Controlling-, der Management Control- und der Organisationsforschung zusammen. Aus ihrer Gegenüberstellung wird deutlich, dass zwischen den einzelnen Ansätzen trotz konzeptioneller Unterschiede zahlreiche Gemeinsamkeiten existieren. Allerdings gibt es auch zentrale Aspekte der Steuerung in Organisationen, die in keinem dieser Ansätze hinreichend behandelt werden. Hierzu zählen insbesondere die Effektivität der Steuerung zur Erreichung von Unternehmenszielen, die kombinatorische Anwendung unterschiedlicher Steuerungsmechanismen sowie die Wechselwirkungsverhältnisse zwischen einzelnen Steuerungsmechanismen.66 Diese Aspekte bilden das zentrale Forschungsanliegen der vorliegenden Arbeit, zu deren Untersuchung nachfolgend eine geeignete Steuerungskonzeption aus den diskutierten Ansätzen abgeleitet werden soll. Die einzelnen Elemente, die es der weiteren Untersuchung zugrunde zu legen gilt, sind durch entsprechende Unterstreichung in Tabelle 2 markiert. Da sie bereits in den vorherigen Abschnitten ausführlich erläutert worden sind, sollen im Folgenden lediglich die Gründe ihrer Aufnahme in die Steuerungskonzeption dargelegt werden.
66
64
Der empirische Forschungsstand hierzu wird in Abschnitt 2.4.3 beleuchtet.
Management Control-Forschung
Organisationsforschung
(koordinationsorientierter Ansatz; strukturellfunktionalistisches Paradigma)
(1) Anthony (2) Simons (3) Merchant
(A) Governance-Perspektive (B) Kompetenz-Perspektive
Ausdifferenzierung von Führungsaufgaben
(1) Ziel- und Interessensinkongruenz zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern
Disziplin Controllingforschung
Dimension Steuerungserfordernis
Verhaltens-, Entscheidungs- und Aufgabeninterdependenzen
(2) Spannungsfelder zwischen Mitarbeiterinteressen und Steuerungskapazitäten der Unternehmensführung (3) Orientierungs-, Motivationsund Limitationsprobleme der Mitarbeiter Steuerungsaufgaben
Koordinationsaufgabe
(1) Verhaltenssteuerung
Verhaltenssteuerung
(2) Verhaltenssteuerung und Förderung der Mitarbeiterpotenziale
Begrenzte Informationsaufnahme- und -verarbeitungskapazität der Akteure (A) Unvollständige Verträge Opportunismus (B) Kognitive Disposition Interdependenzen zwischen Ressourcen und Aktivitäten (A) Motivationsaufgabe (Koordinationsaufgabe) (B) Koordinationsaufgabe, Orientierungsaufgabe
(3) Prävention u. Lösung der drei Steuerungsprobleme Steuerungsziel
Unterstützung des Managements bei der Erreichung der Unternehmensziele
(1) Operationalisierung und Implementierung von Strategien (top-down)
Lösung von sachlichen und personellen Koordinationsproblemen und Prinzipal-Agenten-Problemen
(2) Ausbalancierung der Spannungsfelder zur Umsetzung intendierter und emergenter Strategien
(A) Maximierung der Transaktionskosteneffizienz (B) Schaffung von nachhaltig verteidigungsfähigen Wettbewerbsvorteilen
(3) Konsistenz zwischen Handlungen und Entscheidungen von Mitarbeitern und den Unternehmenszielen Steuerungsverfahren
Technokratische bzw. „übergreifende“ Koordinationsinstrumente Finanzielle Anreizsysteme
(1) Strategic planning, management und task control (2) Formale und informationsbasierte „levers of control“ (3) Result, action, personnel und cultural controls
Theoretische Fundierung
Agencytheorie (Systemtheorie)
(1) Management-Kybernetik, Agencytheorie (2) Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Verhaltensannahmen
Marktliche und organisationsspezifische Steuerungsmechanismen der Ergebnissteuerung, Verfahrenssteuerung, Selbstabstimmung (B) und Inputsteuerung (A) Transaktionskostentheorie, Agencytheorie (u.a.)
(3) Verhaltenswissenschaften
(B) Ressourcenbasierte und wissensbasierte Ansätze
Vollkommene Rationalität
(1) siehe links
(A) Opportunismus
Informationsasymmetrien
(2) Menschenbild des „opportunity seekers“
Interessensdivergenzen Individuelle Nutzenmaximierung Extrinsische Motivation
Interessensdivergenzen möglich aber nicht zwingend vorausgesetzt Extrinsische und intrinsische Motivation
Begrenzte Rationalität Informationsasymmetrien Extrinsische Motivation (B) Benevolente Kooperationsbereitschaft Kognitive Asymmetrien
(3) Weitgehender Verzicht auf axiomatische Verhaltensannahmen Dominanz extrinsischer Motivation
Tabelle 2: Beiträge der Controlling-, Management Control- und Organisationsforschung zur Entwicklung einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption (Quelle: Eigene Darstellung)
65
Steuerungserfordernis. Die Notwendigkeit der Steuerung im Konzern resultiert zum ersten aus den Interdependenzen zwischen den Ressourcen und Aktivitäten der dezentralen Konzerneinheiten. Den verschiedenen Interdependenzformen liegen unterschiedliche Mehrwertpotenziale zugrunde, die es durch die eingesetzten Steuerungsmechanismen zu realisieren gilt. Folglich stellen diese Kooperationsbeziehungen, in denen unterschiedliche Ressourcen und Aktivitäten der Konzerneinheiten eingesetzt werden, den Steuerungsgegenstand dieser Arbeit dar. Zum zweiten begründen (mögliche) Interessensdivergenzen und kognitive Asymmetrien zwischen verschiedenen Organisationsmitgliedern innerhalb vertikaler, horizontaler und lateraler Interaktionsbeziehungen einen Steuerungsbedarf.67 Insbesondere für die Erschließung kollektiver Mehrwertpotenziale spielen Interessensdivergenzen eine wichtige Rolle. Sie können vor allem dadurch entstehen, dass die Kooperation zur Mehrwertschaffung nicht zwangsläufig auch für jede einzelne Konzerneinheit profitabel sein muss. Vielmehr kann es gerade in Konzernen der Fall sein, dass Kooperationsbeziehungen zu Lasten einzelner Einheiten gehen, jedoch zu einer Gesamtergebnisverbesserung auf Konzernebene führen. Ferner gehen mit der Dezentralisation und Spezialisierung von Aufgaben im Konzern unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten zwischen den verteilten Organisationsmitgliedern einher, welche bei der Steuerung im Konzern zu berücksichtigen sind. Folglich werden sachliche und personelle Aspekte bei der Steuerung im Konzern einbezogen. Steuerungsaufgaben. Zur Lösung der sachlichen und personellen Problemstellungen muss die Konzernsteuerung zwei wesentliche Aufgaben erfüllen: Die Koordinations- und die Verhaltenssteuerungsaufgabe. Somit gilt es mittels (kombinierter) Steuerungslösungen, einerseits die Handlungsspielräume abzustecken und die Koordination arbeitsteiliger, interdependenter Aufgaben und Interaktionsbeziehungen zu gewährleisten, andererseits das kollektive Handeln der Akteure auf das Mehrwertziel des Konzerns abzustimmen und der gesamtzielkonformen Einordnung der motivationalen und kognitiven Verhaltens- und Handlungsweisen der Organisationsmitglieder der Konzerneinheiten zu dienen. Daran wird deutlich, dass das Steuerungsverständnis dieser Arbeit stark vom organisatorischen Ansatz der Steuerung geprägt ist. Jedoch geht aus den bisherigen Ausführungen hervor, dass diese Aufgaben auch in den Ansätzen der Controlling- und der Management Control-Forschung als zentrale Aspekte der Steuerung begriffen werden. Steuerungsziel. Das Ziel der Konzernsteuerung liegt in der Realisierung von Mehrwertpotenzialen aus der Zusammenarbeit von Konzerneinheiten. Die Möglichkeiten der ge67
66
Die praktische Relevanz von Interessensdivergenzen und kognitiven Asymmetrien als Einflussfaktoren der Konzernsteuerung wurde induktiv aus der empirischen Fallstudie ermittelt; zur Begründung, Methodik und theoretischen Einordnung vgl. die Abschnitte 2.5, 3.2 und 4.3.3.
meinsamen Nutzung, des Austauschs und der Bündelung und Rekombination heterogener Ressourcen und Aktivitäten bilden dabei den idiosynkratischen Wettbewerbsvorteil des Konzerns gegenüber anderen Organisationsformen. Die Steuerung muss daher eine Abstimmung von Entscheidungen von Organisationsmitgliedern über Einsatz und Verwendung dieser Ressourcen und ihre gezielte Ausrichtung auf die Mehrwertziele gewährleisten. In diesem Zusammenhang wurde bei der Diskussion der Kompetenz-Perspektive herausgestellt und kritisiert, dass aus dem ressourcenbasierten Ansatz bislang nur wenig prospektive Handlungsempfehlungen zur Koordination heterogener Ressourcen und Aktivitäten hervorgegangen sind. Mit der vorliegenden Arbeit soll ein Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke geleistet werden, indem konkrete Gestaltungsoptionen für die Steuerung ressourcen- und aktivitätsbasierter Kooperationsbeziehungen aufzuzeigen sind. Ansatzpunkt für die Ableitung von Gestaltungsempfehlungen sind die unterschiedlichen Interdependenzformen konzerninterner Zusammenarbeit. Diese gehen über die in der GovernancePerspektive postulierten Entkoppelung von Interdependenzbeziehungen zwischen Konzerneinheiten hinaus und betrachten vor allem intensive Formen der Zusammenarbeit, welchen in der Kompetenz-Perspektive das größte Potenzial zur Schaffung nachhaltig verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile zugeschrieben wird. Steuerungsverfahren. Die Controllingforschung ist durch ein stark anwendungsorientiertes und (daher) instrumentelles Steuerungsverständnis geprägt, während in den Management Control-Ansätzen zumeist von „control procedures“ gesprochen wird und in der Organisationsforschung von „Steuerungsmechanismen“ die Rede ist. Häufig werden die Begriffe „Steuerungsinstrument“, „Steuerungsverfahren“ und „Steuerungsmechanismus“ in der Literatur aber auch gleichgesetzt (z.B. Kieser/Walgenbach 2007: 108; Niggemann 2008: 10-11). Wurde auf eine trennscharfe Abgrenzung in dieser Arbeit bislang verzichtet, so ist an dieser Stelle eine Konkretisierung dieser Termini unabdingbar. Dem weiteren Verlauf dieser Untersuchung soll die in Tabelle 3 dargestellte Begriffsdifferenzierung zugrunde gelegt werden.
67
Steuerungsverfahren
…sind die Grundformen der Steuerung innerhalb und zwischen Organisationen. Sie orientieren sich an den unterschiedlichen Phasen der Leistungserstellung im Rahmen der Zusammenarbeit und lassen sich in vier Kategorien einteilen: -
Die Inputsteuerung (Synonyme bzw. Hyponyme, u.a.: „input control“, „social control“, „cultural control“) setzt an den Voraussetzungen der Leistungserstellung an.
-
Die Verfahrenssteuerung („action control“, „behavioral control“, „Prozesssteuerung“) setzt an der Aufgabendurchführung bei der Leistungserstellung an.
-
Die Selbstabstimmung („Selbstkoordination“, „Selbstorganisation“, „Selbststeuerung“, „mutual adjustment“) setzt ebenfalls an der Aufgabendurchführung bei der Leistungserstellung an. Die Ergebnissteuerung („result control“, „output control“, „diagnostic control“) setzt an den Zielen bzw. Ergebnissen der Leistungserstellung an.
Steuerungsmechanismen
…sind Entscheidungsverfahren zur Organisation kollektiver Handlungen, d.h. zur Lösung der drei o.g. Steuerungsaufgaben. Folgende Steuerungsmechanismen lassen sich unterscheiden: Mechanismen der Inputsteuerung: - Ressourcenausstattung - Personelle Verflechtung Mechanismen der Verfahrenssteuerung: - Generelle Verfahrenssteuerung - Fallweise Verfahrenssteuerung Mechanismen der Selbstabstimmung (Interaktion): - Fallweise Selbstabstimmung - Themenspezifische Selbstabstimmung - Institutionalisierte Selbstabstimmung Mechanismen der Ergebnissteuerung: - Bereichsspezifische Ergebniskontrollen (mit kontingenten Anreizen) - Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen (mit kontingenten Anreizen) - Verrechnungspreise
Steuerungsinstrumente
…sind die technischen und methodischen Hilfsmittel zur Operationalisierung der Steuerungsmechanismen. Aufgrund einer mittlerweile nahezu unermesslichen Anzahl an Instrumenten, werden nachfolgend nur einige Beispiele aufgeführt: -
Instrumente der Ergebniskontrolle: Kennzahlensysteme, Zielvorgaben, strategische Pläne, Benchmarks, Incentives
-
Instrumente der fallweisen Verfahrenssteuerung: Weisungen, Verhaltenskontrollen, Feedback
-
Instrumente der generellen Verfahrenssteuerung: Richtlinien, Regeln, Prozeduren, Standardisierung
-
Instrumente der Ressourcenausstattung: Budgets, Personalselektion, Training Instrumente der institutionalisierten Selbstabstimmung: Gremien, Steuerungskreise, Komitees
Tabelle 3: Steuerungsverfahren, -mechanismen und -instrumente (Quelle: Eigene Darstellung)
Da sich die Steuerungsmechanismen maßgeblich hinsichtlich ihrer Wirkungsweisen auf die zu steuernden Organisationsmitglieder unterscheiden, bilden sie die Analyseeinheit der Unter68
suchung. Die einzelnen Steuerungsinstrumente – insbesondere die spezifischen und in Konzernen dominierenden Instrumente des Controllings – lassen sich dabei eindeutig einem Mechanismus zuordnen. Sie unterscheiden sich zwar in ihrer jeweiligen technischen oder methodischen Ausprägung, jedoch nicht bedeutend im Hinblick auf ihre Steuerungswirkungen und Einsatzbedingungen.68 Theoretische Fundierung und Verhaltensannahmen. Die dargestellten Steuerungsansätze bedienen sich unterschiedlicher Theorien zur Erklärung der Steuerung in Unternehmen. Sie lassen sich drei wesentlichen Theoriezweigen zuordnen: der Governance-Perspektive (inkl. Agencytheorie) und der Kompetenz-Perspektive der neueren Theorien der Firma sowie den verhaltenswissenschaftlichen Theorien. Der zentrale Unterschied zwischen den Theorien der Firma und den Verhaltenswissenschaften liegt in der Einführung von Verhaltensannahmen über menschliche Akteure in Organisationen. Während die Theorien der Firma auf exogen eingeführten Verhaltensaxiomen beruhen, geht man in verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen von einem endogenen Verhalten der Organisationsmitglieder aus. Exogen eingeführte Annahmen reduzieren komplexe menschliche Handlungsmuster und engen damit die Realität sozialer Organisationen unnötig ein. Sie implizieren statische Verhaltensweisen und vernachlässigen die stimulierenden Wirkungen der Steuerung auf die Organisationsmitglieder (March/Simon 1958: 9-11). Der renommierte Organisationsforscher Richard Scott bemerkt hierzu: „[Z]wei Dinge gilt es zu beachten: Punkt eins, das Ausmaß an Interdependenz, Koordination oder Verkoppelung [hier: Mehrwertschaffung; K.B.] zwischen zwei organisationellen Untereinheiten ist Sache der Empirie und nicht der Theorie, der empirischen Bestimmung und nicht der Hypothesenbildung; Punkt zwei, ob eine engere oder lockerere Koordination […] für eine Organisation adaptiv ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab und ist ebenfalls eine Frage der Untersuchung und nicht des Vor-Urteils“ (Scott 1986: 333).
Um die Verhaltenswirkungen der Steuerung auf die Organisationsmitglieder hinreichend erfassen und auf diese Weise Rückschlüsse über die Wechselwirkungen einzelner Mechanismen ziehen zu können, stellt die Endogenisierung des Verhaltens eine Grundvoraussetzung dar. Deshalb soll im Rahmen der empirischen Exploration dieser Arbeit weitestgehend auf ex ante formulierte Verhaltensannahmen der unterschiedlichen Theorien verzichtet werden. Theoriegeleitete Verhaltensmaxime sollen jedoch dann herangezogen werden, wenn sie die aufgedeckten Verhaltensweisen erklären können. Dies gilt im Besonderen für die o.g. Inter-
68
Diese beiden Aspekte werden für die unterschiedlichen Steuerungsmechanismen in den Abschnitten 2.2 (Verhaltenswirkungen der Steuerung) und 2.4 (Koordinationswirkungen der Steuerung) ausführlich behandelt.
69
essensdivergenzen und kognitive Asymmetrien, für die die unterschiedlichen Theorie-Ansätze der Governance- und Kompetenz-Perspektive verschiedene Erklärungen anbieten. Diese Einflussfaktoren der Steuerung gilt es jedoch nicht in einem statisch, deterministischen Sinne, sondern als dynamische „Gestaltungsvariablen“ (Frost 2005: 287) zu interpretieren, die innerhalb von Kooperationsbeziehungen auftreten können, jedoch nicht zwangsläufig auftreten müssen und zudem durch die Steuerung veränderlich sind. Darüber hinaus sollen die Theorie-Ansätze herangezogen werden, um die Mehrwertschaffung im Konzern zu erklären (Abschnitt 2.4). Die Governance-Perspektive, in der das Steuerungsziel in der Maximierung der Transaktionskosteneffizienz liegt, kann jedoch keinen erkennbaren Beitrag zur Beantwortung der hier interessierenden Forschungsfragen leisten, weshalb sie bei der weiteren Analyse zu vernachlässigen ist. Von der Kompetenz-Perspektive ist hingegen ein größerer Erkenntnisgewinn zu erwarten: Durch eine ressourcen- und aktivitätenorientierte Betrachtung konzerninterner Zusammenarbeit lassen sich nicht nur Zusammenhänge zwischen Interdependenzformen und unterschiedlichen Mehrwertarten herstellen, sondern auch mikrofundierte Gestaltungsaussagen über den Einsatz von Steuerungsmechanismen zur Lösung der aus den Interdependenzen resultierenden Koordinationsprobleme ableiten, womit dem o.g. Postulat prospektiver Handlungsempfehlungen zur Erzielung und Verteidigung strategischer Wettbewerbsvorteile zu begegnen ist.
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2.2 Steuerungsmechanismen und ihre Wirkungsweisen im Konzern Aus der vorliegenden Steuerungskonzeption geht hervor, dass Steuerung zwei wesentliche Aufgaben zu erfüllen hat, um effektiv zur Mehrwertschaffung im Konzern beizutragen: Zum einen müssen die eingesetzten Steuerungsmechanismen die Koordination von interdependenten Aufgaben- und Leistungsbeziehungen gewährleisten, zum zweiten der gesamtzielkonformen Einordnung der Verhaltens- und Handlungsweisen von Organisationsmitgliedern dienen. Wenngleich die Autoren der vorgestellten Steuerungsansätze diesen beiden Aspekten unterschiedliches Gewicht beimessen, besteht in ihrer generellen Relevanz ein disziplinübergreifender Grundkonsens.69 Bevor die Zusammenhänge zwischen Mehrwertschaffung und Interdependenzformen sowie die daraus resultierenden Koordinationsprobleme behandelt werden (Abschnitt 2.4), soll an dieser Stelle besonderes Augenmerk auf die Einsatzbedingungen und Verhaltenswirkungen von Steuerungsmechanismen gelegt werden. Steuerungsmechanismen werden in der existierenden Literatur ausführlich diskutiert. Aus diesem Diskurs bildeten sich zahlreiche, teils sehr heterogene Klassifikationsansätze heraus (z.B. March/Simon 1958; Lawrence/Lorsch 1967; Thompson 1967; Galbraith 1973; Ouchi/Maguire 1975; Mintzberg 1979a; Ouchi 1979, 1980; Martinez/Jarillo 1989; Simons 1995; Flamholtz 1996; Williamson 1996; Grandori 1997b, 2001a; Anthony/Govindarajan 2001; Frost 2005; Weber et al. 2004; Weber/Schäffer 2006; Merchant/Van der Stede 2007; Horváth 2009; Küpper 2009). Anstelle einer erschöpfenden Erörterung dieser Ansätze gilt es nachfolgend diejenigen Steuerungsmechanismen in Betracht zu nehmen, die besondere Relevanz für die Mehrwertschaffung im Konzern besitzen.70 Da sich die Kritik an den bestehenden Typologisierungsansätzen insbesondere auf die unscharfe und teils inkonsistente Abgrenzung von Steuerungsmechanismen richtet (z.B. Grandori 1997b: 29-31; Martinez/Jarillo 1989), sollen die bisherigen Ausführung zu Steuerungsverfahren, ihren Mechanismen und Instrumenten im Folgenden präzisiert werden (Abb. 1). 69
70
Wie aus Schimanks Zitat hervorgeht, wird die Notwendigkeit der Steuerung auch in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften auf die Existenz von Aufgaben- und Verhaltensinterdependenzen in Organisationen zurückgeführt: „Governance ist eine analytische Perspektive, die ihren Gegenstand mit anderen etablierten sozialwissenschaftlichen Theorien teilt. Ihr Gegenstand sind Muster der Interdependenzbewältigung zwischen Akteuren“ (Schimank 2007: 29; eigene Hervorhebung). Die Bedeutung unterschiedlicher Mechanismen im Konzernkontext wurde dabei einerseits deduktiv aus vorhandenen theoretischen und empirischen Untersuchungen hergeleitet; vgl. zur Bedeutung unterschiedlicher Steuerungsmechanismen in Konzernen bzw. multidivisionalen Unternehmen z.B. Martinez/Jarillo (1989); Mellewigt/Matiaske (2001); Gomez/Sanchez (2005); Frost/Morner (2010a) sowie die in Abschnitt 2.4.3.1 diskutierten Studien. Andererseits ließen die Explorationsergebnisse der empirischen Untersuchung dieser Arbeit Rückschlüsse auf die Relevanz der identifizierten Steuerungsmechanismen im Fallstudienkonzern zu; vgl. Kapitel 4.
71
Steuerungsverfahren
Steuerungsmechanismen
Ergebnissteuerung
Verfahrenssteuerung
Selbstabstimmung
Inputsteuerung
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Generelle Verfahrenssteuerung
Fallweise Selbstabstimmung
Ressourcenausstattung (Budgets)
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Fallweise Verfahrenssteuerung
Themenspezifische Selbstabstimmung
Personelle Verflechtung
Verrechnungspreise
Abbildung 1:
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Verfahren und Mechanismen der Konzernsteuerung (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Frost 2005: 306)
Auf der ersten Stufe lassen sich vier Steuerungsverfahren voneinander unterscheiden:71 Während bei der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung die vorgesetzte Instanz (z.B. Konzernleitung) Verantwortung dafür trägt, die Steuerungsaufgaben bei den nachrangigen Organisationsmitgliedern durchzusetzen (Eisenhardt 1985), sind die Selbstabstimmung und Inputsteuerung dadurch konstituiert, dass die Instanz nicht unmittelbar in die Handlungen und Entscheidungen der Konzerneinheiten eingreift, sondern ihre Entscheidungsrechte an diese delegiert sowie adäquate Rahmenbedingungen und Voraussetzungen schafft, so dass die übergeordneten Unternehmensziele bestmöglich von ihren Mitgliedern erreicht werden können.72 Da die beiden letztgenannten Verfahren in Teilen der Literatur auch als informale bzw. subtile Steuerung bezeichnet werden (z.B. Martinez/Jarillo 1989; Williamson 1996; Merchant/Van der Stede 2007), gilt für das weitere Verständnis dieser Arbeit hervorzuheben, dass die Mechanismen der Selbstabstimmung und Inputsteuerung über die Prinzipien der informellen Organisation, wie sie maßgeblich von Barnard (1938) geprägt worden sind, hinausreichen (Göbel 1998: 181-182; Frost 2005: 336): Genauso wie die Ergebnis- und Verfahrenssteuerung stellen Selbstabstimmung und Inputsteuerung offiziell vorgesehene Steuerungsverfahren im Konzern dar, deren Entscheidungsergebnisse einen gleichermaßen verbindlichen Charakter für die beteiligten Organisationsmitglieder aufweisen. Die unterschiedlichen Steuerungsmechanismen werden durch Steuerungsinstrumente operationalisiert. Sie bilden den „Werkzeug- und Methodenkasten“ zur Umsetzung und Unterstützung der Konzernsteuerung. Die Steuerungsmechanismen bilden die relevante Analyseeinheit der vorliegenden Untersuchung und wurden bereits oben definiert als Entscheidungsverfahren zur Organisation kollektiver Handlungen. In diesem Zusammenhang wurde erläutert, dass diese Entscheidungskompetenzen der Organisationsmitglieder abstecken und sich 71 72
72
Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.2. Daher werden Selbstabstimmung und Inputsteuerung in der Literatur auch als Kontextsteuerung bezeichnet; vgl. z.B. Kirsch/Seidl (2004); Lang (2004b); Niggemann (2008).
nach zwei grundlegenden steuerungsrelevanten Regelungsbereichen unterscheiden lassen: Nach der Aufteilung der Entscheidungsrechte (Kompetenzinhalt und Kompetenzspielraum) und nach dem Interaktionsbedarf zwischen den beteiligten Akteuren (Grandori 2001a: 97; Frost 2005: 306). Für die Wahl der Steuerungsmechanismen als untersuchungsrelevante Analyseeinheit spricht zum einen, dass diese sich in ihren Anwendungsmöglichkeiten sowie ihren Wirkungsweisen eindeutig voneinander abgrenzen lassen (vgl. Abschnitt 2.1.4). Zum anderen verfügt diese Betrachtungsweise über eine Anschlussfähigkeit an über- und untergeordnete Konzepte (z.B. marktliche und organisatorische Steuerung, Steuerungsinstrumente). Auf diese Weise gilt es, zur Konsistenzsicherung der vorliegenden Steuerungskonzeption beizutragen.
2.2.1 Ergebnissteuerung Das sowohl in der Organisations- und Controllingliteratur als auch in der Unternehmenspraxis prävalente Steuerungsverfahren ist die Ergebnissteuerung (z.B. Bühner 1993; Hoffmann 1993; Mellewigt 1995; Ittner/Larcker 2001; Mellewigt/Matiaske 2001: 128-133; Merchant/Van der Stede 2007: 26). Sie setzt an den erbrachten Leistungen bzw. Ergebnissen der zu steuernden Akteure an. Grundvoraussetzung für ihren Einsatz ist jedoch, dass der Output der Leistungserbringung valide und zuverlässig gemessen und bewertet werden kann (Ouchi 1979; Simons 2000: 33). Die Verfechter dieses Steuerungsverfahrens argumentieren: „If you can’t measure it, you can’t manage it” (Garvin 1993: 78; Reichheld 1994: 15), woraus hervorgeht, dass sich die controllingspezifischen Steuerungsinstrumente weitestgehend der Ergebnissteuerung zuordnen lassen. Nach ihrer Wirkungsrichtung können drei Mechanismen der Ergebnissteuerung unterschieden werden: Bereichsspezifische und -übergreifende Ergebniskontrollen, die vorwiegend in vertikalen Steuerungsbeziehungen vorkommen und Verrechnungspreise, die insbesondere zur Steuerung horizontaler Leistungsbeziehungen zwischen verschiedenen organisatorischen Teileinheiten eingesetzt werden (Frost 2005: 314315).
2.2.1.1
Bereichsspezifische und bereichsübergreifende Ergebniskontrollen als vertikale Formen der Ergebnissteuerung
Bei Ergebniskontrollen werden Zielvorgaben bzw. Zielvereinbarungen zwischen der vorgesetzten Instanz und den nachrangigen Organisationsmitgliedern getroffen, nach denen sich die Akteure bzgl. ihrer Verhaltensweisen bei der Auswahl von Handlungsalternativen zu richten haben. Diese Vorgehensweise zeichnet sich durch eine hohe Delegation der Entscheidungsrechte an die Akteure aus, welche die vorgesetzte Instanz von der ständigen Über-
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wachung der Ausgabenausführung entlasten und den Interaktionsbedarf auf steuernde Eingriffe bei Zielbestimmung und bei Zielabweichungen reduzieren soll (Simons 1995: 70). Zugleich verfügen die Organisationsmitglieder dadurch über Handlungsspielräume, in denen sie die Vorgehensweisen zur Zielerreichung weitgehend selbständig bestimmen können. Die Zielvorgaben signalisieren ihnen dabei, welche Ergebnisse erstrebenswert sind und bieten ihnen somit einen Orientierungsrahmen für ihre Handlungen. „The organization does not dictate to employees what actions they should take; instead employees are empowered to take those actions they believe will best produce the desired results” (Merchant/Van der Stede 2007: 25).
Auf diese Weise verfügen die Akteure über ein hohes Maß an Situationskontrolle (Frost 2005: 322). Da Ergebniskontrollen sie dazu veranlassen, die Konsequenzen für die Ergebnisse ihrer Handlungen zu tragen, nehmen sie Einfluss auf ihr Verhalten (March/Simon 1958: 52-61). Durch die Verknüpfung der Ergebnisse mit kontingenten Anreizen sollen die Akteure dazu motiviert werden, wie eigenständige Unternehmer zu agieren und kreative Problemlösungsprozesse zu initiieren. Neben diesen extrinsischen Anreizen (high-powered incentives; Zenger/Hesterly 1997) kann jedoch auch die intrinsische Motivation der Akteure steigen, wenn sie das Gefühl haben, selbstbestimmt und kompetent agieren zu können (March/Simon 1958: 55-62; Simons 1995: 72-75; Frost 2005: 267). Zudem lässt sich dadurch die Ergebnisqualität erhöhen, da die Mitarbeiter bei der Entscheidungsfindung und der Auswahl von Verfahrensweisen zumeist über ein detaillierteres Problemverständnis und eine größere Marktnähe verfügen als die vorgesetzte Instanz (Hungenberg 1995: 103). Ergebniskontrollen können eingesetzt werden, wenn sich die direkten Handlungen der Organisationsmitglieder nicht beobachten und kontrollieren lassen, wohl aber die Resultate ihrer Handlungen (Ouchi 1979; Eisenhardt 1985; Feltham/Xie 1994). Hinsichtlich der Anwendbarkeit und Wirksamkeit von Ergebniskontrollen sind zwei grundlegende Voraussetzungen zu erfüllen: Messbarkeit des Zielerreichungsgrads und Zurechenbarkeit der erbrachten Leistungen (Frost 2005: 316).73 Die Messbarkeit des Zielerreichungsgrads setzt voraus, dass die vorgesetzte Instanz die gewünschten Ergebnisse ex ante kennt und daraus Beurteilungsgrößen ableiten kann (March/Simon 1958: 63; Simons 1995: 71-72). Aus diesen Zielen müssen den Mitarbeitern Aufgaben zugeteilt werden, bei denen sich das zu erreichende Ergebnis beobachten, messen und objektiv verifizieren lässt (Merchant/Van der Stede 2007: 32).74 Die
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Eine dritte Voraussetzung stellt die Manipulationsfreiheit von Ergebniskontrollen dar, welche an dieser Stelle jedoch als Bestandteil der beiden genannten Aspekte erachtet wird; vgl. weiterführend z.B. Merchant (1990). Damit ist gemeint, dass im Konfliktfall über das tatsächliche Ergebnis ein unparteiischer Dritter in der Lage ist, den Zielerreichungsgrad zu ermitteln (Simons 1995: 76; Frost/Vogel 2007: 393).
Akteure dürfen somit keine Zielungewissheit bei der Lösung ihrer Entscheidungsprobleme und der Bearbeitung ihrer Aufgaben haben. Ferner setzt die Messbarkeit des Zielerreichungsgrads voraus, dass eine Kongruenz zwischen den Unternehmenszielen und den verwendeten Messgrößen zur Ergebnisermittlung vorliegt (Feltham/Xie 1994). Die Zielvorgaben sind in Messgrößen zu überführen, die gesamtzielkonform sind und den Beitrag der Akteure zur Erreichung der übergeordneten Unternehmensziele vollständig abbilden (Merchant 1989: 24; Weber et al. 2004: 85). Allerdings können hierbei gerade in Konzernen Probleme auftreten, da der Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele umso schwieriger zu messen ist, je kleiner die betrachtete organisatorische Einheit wird (Zenger/Hesterly 1997: 213), d.h. je hierarchisch tiefer Ergebniskontrollen eingesetzt werden, desto komplizierter ist es, einen logisch kongruenten Zusammenhang zwischen den Gesamtzielen des Unternehmens und den einzelnen Zielvorgaben der Mitarbeiter herzustellen (Frost 2005: 319).75 Dies kann dazu führen, dass wichtige Aufgabenbestandteile der Mitarbeiter nicht durch die eingesetzten Messgrößen erfasst werden und stattdessen nur diejenigen Aufgabenbestandteile Berücksichtigung finden, die sich leicht messen lassen (Multitasking-Problem; Frey/Osterloh 2002: 19). Folglich besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter ihre Kräfte stärker auf die Lösung gut messbarer, aber womöglich unwichtigerer Aufgaben konzentrieren; der Zirkelschluss lautet dann: „Only what gets measured gets done“ (Russo/Harrison 2005; ähnlich Merchant 1990). Daneben hängt die Wirksamkeit von Ergebniskontrollen auch davon ab, ob der Zielerreichungsgrad den zu steuernden Akteuren zurechenbar ist, d.h. dass die erzielten Ergebnisse auch auf ihre geleisteten Anstrengungen zurückzuführen sind. Die Zurechenbarkeit der erbrachten Leistungen setzt ferner voraus, dass eine Anreizkompatibilität vorliegt und, dass das sogenannte „Controllability-Prinzip“ realisiert wird (Frost/Vogel 2007: 395). Anreizkompatibilität beschreibt das Ausmaß der Verträglichkeit von Zielen zwischen den ausführenden Organisationsmitgliedern und den Unternehmenszielen. Wird die Ergebnissteuerung mit kontingenten Anreizen verknüpft, so fordert das Prinzip der Anreizkompatibilität, dass ein Akteur nur dann eine höhere Belohnung erhält, wenn durch seine Handlungen auch der Zielerreichungsgrad des Unternehmens steigt. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet Anreizkompatibilität, dass „der Entscheidungsträger aus dem Belohnungssystem genau dann einen Vorteil erzielt, wenn er so agiert, dass auch die Instanz einen Vorteil nach Belohnung erzielt“ (Laux 2006: 28).76 Gemäß dem Controllability-Prinzip („Prinzip der Identität von Kompetenz und Verantwortung“) dürfen die Handlungsbeiträge der Akteure dagegen nur
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So können etwa Leiter von Geschäftsbereichen, die als Profit Center organisiert sind, an ihrem erwirtschafteten Ertrag gemessen werden, zumeist aber nicht deren Mitarbeiter, da eine detaillierte Aufschlüsselung ihrer Einzelbeiträge unter angemessenem Aufwand nicht mehr möglich ist (z.B. Merchant 1989). Zum Kriterium der Anreizkompatibilität im Konzern vgl. ausführlich Weißenberger (2003).
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nach solchen Zielen gesteuert werden, deren Erreichung sie eigenständig und umfassend beeinflussen können (z.B. Pelster 2007: 15-65; Horngren et al. 2008: 488-489). Bei der Entlohnung der Akteure dürfen folglich nur diejenigen Messgrößen einfließen, auf deren Ausprägungen sie maßgeblich Einfluss haben und die keinen exogenen Einfluss- oder Zufallsgrößen unterliegen (Diedrich 2002: 408). Je nachdem, ob die Zielvorgaben der Instanz einzelne oder mehrere organisationale Einheiten betreffen, lassen sich individuelle und kollektive Ergebniskontrollen unterscheiden. Während erstgenannte den Zielerreichungsgrad einzelner Akteure messen, beziehen sich kollektive Ergebniskontrollen etwa auf die Leistungsresultate von Arbeitsgruppen, Projekten, Prozessen, Abteilungen oder des Gesamtunternehmens. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass sich der Beitrag einzelner Akteure zur gemeinsamen Zielerreichung nicht eindeutig ermitteln lässt, was sie zu einem Trittbrettfahrerverhalten (free riding) motivieren und in der Konsequenz zur Minderung der Leistungsfähigkeit anderer Akteure innerhalb der Gruppe führen kann (z.B. Wagemann/Baker 1997; Zenger/Marshall 2000; Sundaramurthy/Lewis 2003; Rowe 2004; Autrey 2005; Guymon/Balakrishnan/Tubbs 2008). In der Regel erhalten die Organisationsmitglieder daher ein Set bestehend aus individuellen und kollektiven Zielvorgaben, welche die Grundlage ihrer Leistungsbemessung und kontingenten Entlohnung bildet (z.B. Mirrless 1976; Mookherjee 1984; Datar/Culp/Lambert 2001; Ittner/Larcker 2002; Nikias/Schwartz/ Young 2005). Analog hierzu lassen sich auf der Konzernebene bereichsspezifische und bereichsübergreifende Ergebniskontrollen unterscheiden (z.B. Bushman/Indjejikian/Smith 1995; Sarin/Mahajan 2001; Randel/Jaussi 2003). Erstere konzentrieren sich dabei auf die Leistungen einzelner Konzerneinheiten, letztere dagegen entweder auf die Resultate aus der unmittelbaren Zusammenarbeit zweier (bzw. mehrerer) Einheiten oder auf ihre mittelbaren Beiträge zum Gesamtkonzernergebnis (z.B. Abernethy/Bouwens/van Lent 2004). Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen eignen sich somit vor allem für Situationen, in denen die Leistungsbeiträge einzelner Einheiten am Gesamtergebnis nicht ermittelbar sind oder ihre interdependenten Ressourcen- und Leistungsbeziehungen die Zurechenbarkeit individueller Ergebnisse verhindern (z.B. Hofmann/Daugart 2004). Zusammenfassend stellen Ergebniskontrollen eine reaktive Form der Steuerung dar, bei der erst nach der Aufgabenerledigung ermittelt werden kann, ob die vereinbarten Ziele erreicht worden sind oder nicht.77 Der mit ihrem Einsatz verfolgten Absicht, den Organisationsmit-
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In der Literatur wird die Ergebniskontrolle daher auch als „ex post diagnostic control“ bezeichnet (z.B. Simons 1995: 59).
gliedern ausreichend Verantwortung zu übertragen, um effizient, flexibel, kreativ und kurzfristig agieren zu können, steht das Risiko gegenüber, dass sich die Aufmerksamkeit der Akteure auf die Erreichung von leicht messbaren und zumeist mit extrinsischen Anreizen belegten Ziele richtet und wichtige, aber nicht messbare Aufgaben von ihnen vernachlässigt werden (Simons 1995; Osterloh/Frey 2004; Merchant/Van der Stede 2007).
2.2.1.2
Verrechnungspreise als horizontale Form der Ergebnissteuerung
Die bereits von Schmalenbach (1947: 28) propagierte Übertragung des Marktes auf Unternehmen steht hinter der Steuerung von Konzerneinheiten durch Verrechnungspreise. Während Ergebniskontrollen vornehmlich zur Steuerung hierarchischer Steuerungsbeziehungen zwischen der Konzernleitung und den Konzerneinheiten eingesetzt werden, steht bei Verrechnungspreisen die Abstimmung von Entscheidungen zwischen dezentralen Einheiten im Vordergrund (z.B. Cook 1955; Hirshleifer 1956; Bierman 1959; Eccles/White 1988; Holmström/Tirole 1991; Grubert/Mutti 1991). Verrechnungspreise lassen sich definieren als „Wertansätze für innerbetrieblich erstellte Leistungen (Produkte, Zwischenprodukte, Dienstleistungen), die von anderen, rechnerisch abgegrenzten Unternehmensbereichen bezogen werden“ (Ewert/Wagenhofer 2008: 573). Schätzungen zu Folge werden heute rund zwei Drittel des weltweiten Handels zwischen miteinander verbundenen Unternehmen, also zwischen Mutter- und Tochter- bzw. Schwestergesellschaften, abgewickelt (Crüger/Ritter 2004: 497; Merchant/Van der Stede 2007: 279).78 Dieser Handel wird erst durch Verrechnungspreise ermöglicht. Dabei erfüllen sie vielfältige betriebswirtschaftliche Funktionen in Unternehmen, zu denen sich insbesondere die Erfolgsermittlung, die Koordinations- und Motivationsfunktion sowie die Steueroptimierungsfunktion zählen lassen (z.B. Hirshleifer 1956: 182-183; Grubert/Mutti 1991; Pfaff/Stefani 2006; Schultze/Weiler 2007; Ewert/Wagenhofer 2008: 575-581; Küpper 2009: 427-428).79 Im Hinblick auf die Steuerungsaufgaben im Konzern sollen Verrechnungspreise das Entscheidungsverhalten dezentraler Organisationsmitglieder beeinflussen und stellen daher heutzutage einen festen Bestandteil ihres Steuerungsrepertoires dar (Eccles/White 1988; Grubert/Mutti 1991; Holmström/Tirole 1991; Theisen 2000: 255; Wagenhofer 2002; Pfaff/Stefani 2006).
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Nach einer Umfrage werden bei 79% der 638 befragten US-amerikanischen Fortune 1000-Unternehmen Produkte zwischen den Organisationseinheiten transferiert und mittels Preismechanismen gesteuert (Anthony/Govindarajan 2001: 202). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll der Fokus auf die organisatorischen – und nicht die (bilanz-) rechnerischen – Dimensionen von Verrechnungspreisen gelegt werden.
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Verrechnungspreise schaffen zudem die formalen Voraussetzungen für die bereichsbezogenen Erfolgsrechnungen der Konzerneinheiten. Diesbezüglich wird durch ihren Einsatz einerseits beabsichtigt, den Ausweis eines Bereichserfolgs auch dann zu ermöglichen, wenn die Eigenverantwortung der Konzerneinheiten aufgrund von Leistungsverflechtungen reduziert wird, andererseits den bereichsübergreifenden Transfer und die gemeinsame Nutzung von Ressourcen zu koordinieren (Frost 2005: 326; Pfaff/Stefani 2006; Schultze/Weiler 2007). Durch den Verrechnungspreis entsteht quasi ein Entkoppelungseffekt, der einen getrennten Erfolgsausweis trotz bestehender Interdependenzen zulässt (Frese/Glaser 1980: 110). Für die liefernde Konzerneinheit stellt der Verrechnungspreis einen internen Erlös, für die beziehende Konzerneinheit die Kosten der Ressourcen- bzw. Leistungsnutzung dar. Der davon abhängige Bereichserfolg soll die Konzernleitung von der Steuerungsaufgabe entlasten. Da die Unternehmensleitung der Konzerneinheiten in der Regel auf Basis ihres Bereichserfolgs bewertet bzw. vergütet werden, ist es ihr ein wichtiges Anliegen, dieses Ergebnis zu maximieren. Die Höhe der Verrechnungspreise beeinflusst somit ihre Entscheidungen und stellt somit Motivation und Anreiz für sie dar (Sahay 2003: 177). Zudem wird in diesem Zusammenhang unterstellt, dass Verrechnungspreise – analog zum externen Handel von Ressourcen und Leistungen auf Märkten – alle entscheidungsrelevanten Informationen in komprimierter Form beinhalten (von Hayek 1945: 524-525), wodurch eine effiziente Koordination des internen Austausches ermöglicht und aufwändige Abstimmungsprozesse zwischen den Konzerneinheiten und der Konzernleitung reduziert werden sollen (Grandori 2001a: 99).80 Der Theorie und Praxis ist eine Vielzahl von Methoden zur Bestimmung von Verrechnungspreisen bekannt (z.B. Cook 1955; Eccles 1985; Anthony/Govindarajan 2001: 211-217; Grandori 2001a: 102-105; Kieser/Walgenbach 2007: 122-129; Merchant/Van der Stede 2007: 277283; Küpper 2009: 430-447), die sich nach drei verschiedenen Typen zusammenfassen lassen (Frost 2005: 325-334): Die erste Möglichkeit besteht darin, den Marktpreis, der für eine Leistung herrscht, die dem Zwischenprodukt bzw. der innerbetrieblichen Leistung äquivalent ist, als Ausgangsbasis zur Verrechnungspreisbestimmung zu verwenden. Die Verwendung von Marktpreisen ist jedoch an zwei wesentliche steuerungsrelevante Bedingungen geknüpft: Einerseits muss ein vergleichbarer Marktpreis existieren, dem vergleichbare Konditionen zugrunde liegen, d.h. die (Zwischen-) Produkte bzw. Leistungen müssen vollständig substituierbar sein. Andererseits muss zwischen den Konzerneinheiten das Prinzip der Transferautonomie erfüllt sein, d.h. sie müssen Wahlmöglichkeiten bei der Auswahl der Transaktionspartner sowie beim Leistungsspektrum haben, und es dürfen keine unternehmensinternen
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Für eine weiterführende Beschreibung der Steuerungswirkungen von Verrechnungspreisen vgl. z.B. Holmström/Tirole (1991); Grandori (2001a: 99-105); Frost (2005: 325-334); Ewert/Wagenhofer (2008: 575604); Küpper (2009: 427-447).
Kontrahierungszwänge bestehen (Cook 1955; Eccles/White 1988; Copeland/Koller/Murrin 2002: 366; Ewert/Wagenhofer 2008: 584; Horváth 2009: 530). Eine zweite Möglichkeit stellt die kostenorientierte Ermittlung von Verrechnungspreisen dar, bei der unterschiedliche Kostensätze als Basis für die Preiskalkulation (z.B. Vollkosten mit bzw. ohne Gewinnaufschlag und Grenzkosten) herangezogen werden (Cook 1955; Sahay 2003; Ewert/Wagenhofer 2008: 592-611; Küpper 2009: 433-440; Horváth 2009: 529-532).81 Bei der Anwendung kostenorientierter Verrechnungspreise können jedoch zum einen fehlende effizienzfördernde Anreize für die liefernde Konzerneinheit entstehen, wenn alle anfallenden Kosten den beziehenden Einheiten weiterverrechnet werden. Zum anderen bestimmt der Einsatz kostenorientierter Verrechnungspreise die Erlösseite der anbietenden Konzerneinheit und damit maßgeblich das Ergebnis, an dem sie gemessen wird, während sie für die beziehenden Konzerneinheiten nur ein kostenverursachendes Element unter mehreren darstellen (Sahay 2003). Sind die angesetzten Verrechnungspreise für die anbietenden Konzerneinheiten nicht kostendeckend, so schlägt sich dieses Defizit direkt in ihrem Bereichserfolg nieder. Kostenorientierte Verrechnungspreise haben darüber eine eingeschränkte Steuerungswirkung, weil das Konzerncontrolling in die Planung involviert werden muss, um die Kosten- und Erlöskurven der beteiligten Konzerneinheiten derart abzustimmen, dass diese im Ergebnis zu „echten Gewinnen“ führen, genauer gesagt werden die Erlöse extern am Markt realisiert und entstehen nicht durch eine unternehmensinterne Margenakkumulation. Damit werden aber die intendierten Koordinationswirkungen von Verrechnungspreisen erheblich gemindert, weil wiederum auf andere, autoritätsbasierte Steuerungsverfahren zurückgegriffen werden muss (Holmström/Tirole 1991: 203). Der Steuerungsaufwand, der durch die Einführung von Verrechnungspreisen gerade reduziert werden sollte, steigt durch die aufwändige Verrechnungspreisermittlung und Abstimmung mit den beteiligten Konzerneinheiten (Eccles 1985: 113116). Müssen erst Kriterien entwickelt werden, nach denen die anfallenden Kosten zu schlüsseln sind, so verlieren kostenorientierte Verrechnungspreise ihre Indikatorfunktion für den Ausweis des Bereichserfolgs und führen dazu, dass sie hauptsächlich nur noch bei langfristigen internen Leistungsbeziehungen eingesetzt werden. Zugleich schrumpfen die Vorteile des internen Marktes, da sie weder über die Flexibilität noch über die Anreizintensität marktlicher Tauschbeziehungen verfügen (Cook 1955: 88-91; Sahay 2003: 177-178; Frost 2005: 331). Bei Verrechnungspreisen als Verhandlungsergebnis verzichtet die Konzernzentrale hingegen weitestgehend auf Regeln zur Verrechnungspreisbestimmung zugunsten einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Konzerneinheiten (z.B. Eccles/White 1988). Voraussetzung hierfür ist ebenfalls, dass zwischen den verhandelnden Konzerneinheiten kein Kontrahierungszwang 81
Für eine marginalkostenorientierte Ermittlung von Verrechnungspreisen vgl. grundlegend Hirshleifer (1956).
79
besteht. Die Steuerungswirkung verhandlungsorientierter Verrechnungspreise hängt folglich davon ab, in welchem Ausmaß die Konzerneinheiten eigenständig verhandeln können und zu einem Konsens gelangen. Daran wird deutlich, dass verhandlungsorientierte Verrechnungspreise Elemente der Selbstabstimmung beinhalten (Grandori 1997b: 34). Auf diese Weise wird den Beteiligten einerseits freigestellt, wie sie zu ihren Verrechnungspreisen kommen, was den Aufwand, diese zentral festlegen zu müssen, erheblich reduziert. Die Konzerneinheiten genießen bei verhandlungsorientierten Verrechnungspreisen größtmögliche Autonomie; ihre Mitglieder können selbstbestimmt agieren und schöpfen daraus hohe Motivation. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die beteiligten Konzerneinheiten oftmals detaillierteres Wissen über die ausgetauschten Ressourcen und Leistungen besitzen als die Zentrale. Sie können folglich bessere Entscheidungen treffen, als wenn sie mit einem Verrechnungspreis konfrontiert sind, der von der schlechter informierten Konzernzentrale festgelegt wird. Da die Entscheidungen in diesem Fall nicht zentral getroffen werden, kann es andererseits jedoch zu Fehlentscheidungen aus Sicht des Gesamtkonzerns kommen. Es besteht die Gefahr, dass sich die verhandelnden Parteien auf den für sie bestmöglichen Preis einigen, der aus Konzernsicht jedoch nicht wertoptimal ist (Cook 1955: 93; Ewert/Wagenhofer 2008: 419). Dadurch ist die Koordinationswirkung verhandlungsorientierter Verrechnungspreise nicht bestmöglich erfüllt und erfordert wiederum einen flankierenden Einsatz autoritätsbasierter Steuerungsmechanismen, aus dem ein zusätzlicher Abstimmungsaufwand resultiert.82 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Verrechnungspreise nur dann ein geeignetes Steuerungsinstrument darstellen, wenn die zur Steuerung notwendigen Informationen effizient in Preisgrößen komprimiert werden können und zusätzliche marktliche Rahmenbedingungen wie beispielsweise Marktvergleichbarkeit und Transferautonomie im Konzern erfüllt sind. Darüber hinaus besteht bei Verrechnungspreisen ein Spannungsfeld zwischen ihrer Koordinations- und Motivationsfunktion. Soll eine gesamtzielkonforme Steuerung ermöglicht werden, bietet es sich an, dezentral vereinbarte bzw. marktorientierte Verrechnungspreise um zentrale autoritätsbasierte Steuerungsinstrumente zu ergänzen. Damit sind die Entscheidungsrechte nicht so dezentral ausgestaltet, wie durch die Ergebnissteuerung angestrebt wird. Während marktorientierte Verrechnungspreise darüber hinaus aufgrund unterschiedlicher Leistungskonditionen häufig nicht effizient ermittelt werden können, erzeugen sowohl kostenorientierte als auch verhandlungsorientierte Verrechnungspreise eine „AutonomieIllusion“ bei den Konzerneinheiten, die bei weitem nicht die gleiche Anreizintensität wie 82
80
Die unterschiedlichen Verfahren zur Verrechnungspreisbestimmung müssen nicht exklusiv, sondern können auch kombiniert angewendet werden; vgl. weiterführend z.B. Cook (1995: 92-93); Merchant/Van der Stede (2007: 283).
Marktpreise hat, weil solche Verrechnungspreise nicht exakt Aufschluss über das tatsächliche Leistungsverhalten dieser Einheiten geben (Frost 2005: 333-334; Merchant/Van der Stede 2007: 278).
2.2.2 Verfahrenssteuerung Bei Anwendung der Verfahrenssteuerung im Konzern schreibt die Instanz den Organisationsmitgliedern zulässige und unzulässige Vorgehensweisen vor und übt dadurch unmittelbaren Einfluss ihre Handlungen aus. Die Mechanismen der Verfahrenssteuerung lassen sich prinzipiell danach unterscheiden, ob sie personenorientiert oder sachorientiert ausgestaltet werden. Personenorientierte Verfahrenssteuerung erfolgt fallweise durch den Einsatz von Weisungen und Verhaltenskontrollen, während die sachorientierte Verfahrenssteuerung zumeist durch die Etablierung genereller Regelungen wie Verfahrensrichtlinien, Standards oder Programmen gekennzeichnet ist (z.B. March/Simon 1958: 55; Pugh et al. 1968: 72; Grandori 2001a: 113-118; Frost 2005: 310). Im Gegensatz zur Ergebnissteuerung handelt es sich bei den Mechanismen der Verfahrenssteuerung um eine ex ante Form der Steuerung, die imstande ist, ihre Koordinations- und Verhaltenswirkungen im Vorwege der Aufgabendurchführung zu entfalten. Bei der fallweisen Verfahrenssteuerung kann zusätzlich von einer ex nunc Steuerung gesprochen werden, da die Instanz die Möglichkeit besitzt, in die Aufgabendurchführung einzugreifen und Vorgehensweisen festzulegen, die ab diesem Zeitpunkt verbindlich für die Organisationsmitglieder sind.
2.2.2.1
Fallweise Verfahrenssteuerung
Bei Weisungen und Verhaltenskontrollen liegen die Entscheidungskompetenzen bei der Instanz, die für die Steuerung und Kontrolle der hierarchisch untergeordneten Akteure verantwortlich ist. Beide Instrumente sind durch unterschiedlich umfangreiche Entscheidungsrechte und vertikale Interaktionsbeziehungen gekennzeichnet, z.B. zwischen Mitgliedern aus der Konzernleitung und den Konzerneinheiten (Frost 2005: 308).83 Die fallweise Verfahrenssteuerung ist somit stets an eine unmittelbare persönliche Kommunikation zwischen den Organisationsmitgliedern gebunden, die durch einen vertikalen Kommunikationsfluss gekennzeichnet ist, bei der die Instanz ihre Interessen und Ziele gegenüber denen Akteuren durch-
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In den Ansätzen der Governance-Perspektive wird die Verfahrenssteuerung daher auch häufig mit überwachungs- und personenorientierter Autorität gleichgesetzt, die charakteristisch für die Institutionsform hierarchischer bzw. bürokratischer Unternehmen ist (z.B. Williamson 1973; Ouchi 1979; Eisenhardt 1985).
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setzt (Frost 2005: 308). Dabei kann die Instanz den Partizipationsgrad festlegen und auf diese Weise bestimmen, inwieweit die Organisationsmitglieder Einfluss auf den Verlauf und Ausgang der Entscheidungen nehmen können (March/Simon 1958: 90-93; Simons 1995: 95-107). Liegt ein hoher Partizipationsgrad vor, so integriert die fallweise Verfahrenssteuerung Elemente der Selbstabstimmung. In diesem Fall kann von einer vertikalen Abstimmung zwischen den Akteuren gesprochen werden, die allerdings nicht über die für die Selbstabstimmung typische Eigenschaft einer gleichwertigen Kompetenzausstattung zwischen den Beteiligten verfügt (Frost/Morner 2010a: 217-221). Anstelle einer Konsensfindung auf Augenhöhe liegt das „letzte Wort“ bei der partizipativen Verfahrenssteuerung stets bei der Instanz. Der effektive Einsatz der fallweisen Verfahrenssteuerung ist an zwei steuerungsrelevante Bedingungen geknüpft: Auf der einen Seite muss die zu steuernde Aufgabe programmierbar sein, d.h. die zu erbringende Leistung muss sich in sequentiell zu bearbeitende Schritte zerlegen lassen, bei der sich die Leistungen der Organisationsmitglieder beobachten lassen (Ouchi 1979: 843; Eisenhardt 1985: 135-136; Grandori 2001a: 114). Auf der anderen Seite verlangt die Verfahrenssteuerung der Konzernleitung ein hohes Maß an Transformationswissen ab, um die Zusammenhänge zwischen den Verhaltens- und Handlungsweisen der Organisationsmitgliedern und der erbrachten Leistung beurteilen zu können (Das/Teng 2001: 260; Merchant/Van der Stede 2007: 81). Bei der fallweisen Verfahrenssteuerung liegt zudem ein Spannungsfeld zwischen ihrer Koordinations- und Motivationswirkung vor: Sie bietet einerseits die Möglichkeit dysfunktionales Verhalten von Organisationsmitgliedern durch die Einschränkung von Handlungsspielräumen in Form einer engmaschigen Überwachung und Sanktionierung zu unterbinden. Andererseits kann sich die Anwendung hierarchischer Kontrollstrategien negativ auf die Motivation der Organisationsmitglieder auswirken, wodurch ihre Leistungspotenziale, kreative und innovative Lösungswege bei der Aufgabendurchführung einzuschlagen, systematisch unterminiert werden. Die fallweise Verfahrenssteuerung kann aber auch so ausgestaltet sein, dass nicht der Kontrollaspekt im Vordergrund steht, sondern das Feedback über die Leistungsbeiträge der Organisationsmitglieder. In Simons’ Terminologie wird dies als interaktive Steuerung bezeichnet und ist dadurch gekennzeichnet, dass bei ihrer Anwendung verteiltes und heterogenes Wissen von Organisationsmitgliedern unterschiedlicher Hierarchieebenen in die Entscheidungsfindung einfließen kann, um gemeinsam höherwertige Problemlösungen zu entwickeln: „[Interactive; K.B.] control systems stimulate search and learning, allowing new strategies to emerge as participants throughout the organization respond to perceived opportunities and threats” (Simons 1995: 91).
Nehmen Organisationsmitglieder die fallweise Verfahrenssteuerung als konstruktive Interaktion mit der Konzernleitung wahr, bei der sie regelmäßig Rückmeldungen über ihre 82
Leistungen erhalten, so kann ihre Bereitschaft steigen, sich pro-aktiv und kooperativ bei der Lösungsfindung einzubringen, und sie sich auf diese Weise stärker mit den Unternehmenszielen identifizieren (Frost 2005: 314). Zusammenfassend kann die fallweise Verfahrenssteuerung als sehr flexibler Steuerungsmechanismus erachtet werden, der es der Konzernleitung ermöglicht, koordinierend in die Aufgabendurchführung der Konzerneinheiten einzugreifen. Ihr zentraler Vorteil liegt darin, dass vor der Aufgabendurchführung lediglich Entscheidungskompetenzen zu vergeben sind, während die Inhalte der zu treffenden Entscheidungen ex ante nicht detailliert festgelegt werden müssen. Je nach konkreter Ausgestaltung, also ob als kontroll- oder interaktionsorientiertes Verfahren eingesetzt, und dem Grad der Partizipation der Organisationsmitglieder an den Entscheidungsprozessen kann es entweder motivationsfördernde oder -hemmende Wirkung bei ihnen erzeugen.
2.2.2.2
Generelle Verfahrenssteuerung
Die generelle Verfahrenssteuerung erfolgt sachorientiert und vorwiegend fachbasiert (Lawrence/Lorsch 1967: 34). Die Organisationsmitglieder kommunizieren zumeist nicht unmittelbar miteinander, vielmehr erfolgt die Vorgabe von zulässigen und unzulässigen Vorgehensweisen anhand dokumentierter Regeln, Programmen oder Verfahrensrichtlinien. Die generelle Verfahrenssteuerung führt somit zu einer Standardisierung der Aufgabenerfüllung, bei der kristallisiertes Wissen entsteht und in die Regelfindung eingebracht wird. Kristallisiertes Wissen ist eine organisationale Form der Speicherung und Übertragung von Spezialisten-Knowhow (z.B. Nonaka 1994; Osterloh/Frost 1998: 190; March 1999: 118). Die besonderen Möglichkeiten, Wissen durch die generelle Verfahrenssteuerung effizient weiterzugeben und dadurch Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder zu beeinflussen, gehen aus dem Zitat von Simon hervor: „If authority is used to transmit premises for making decisions rather than commands for specific behaviors, then many different experts can contribute their knowledge to a single decision. Information and policy rules can flow through the organization along many channels, serving as inputs – decision premises – for many organizational behaviors” (Simon 1991: 32).
Der Nutzen aus der Arbeitsteilung kann jedoch erst realisiert werden, wenn Spezialisten ihr Fachwissen in Regeln verfestigen können, ohne dass die übrigen Organisationsmitglieder im Detail wissen müssen, warum die Regeln genau so und nicht anders ausfallen. Ohne derartige Regeln müsste jedes Organisationsmitglied das gesamte erforderliche Wissen selbst aufbauen, und die Vorteile der interpersonellen Arbeitsteilung könnten nicht vollständig ausgeschöpft 83
werden (Frost 2005: 310). Zugleich entlastet die Standardisierung die Konzernleitung von wiederkehrenden Vorgaben und setzt somit Steuerungskapazitäten frei (Simons 1995: 39-47). Ferner kann dadurch Willkür bei den Organisationsmitgliedern im Rahmen der Aufgabendurchführung und Konfliktpotenzial reduziert und ihre wahrgenommene Fairness gesteigert werden, indem durch allgemeingültige Regeln der Grad der Objektivität erhöht wird (Frost 2005: 310). Die Einsatzbedingungen, an die die generelle Verfahrenssteuerung geknüpft ist, entsprechen weitestgehend denjenigen der fallweisen Form. Allerdings setzt die generelle Verfahrenssteuerung eine Aufgabenkonstanz voraus, bei denen die vorgesetzte Instanz die Aufgabenschritte vorgängig festlegen und Kriterien bestimmen kann, wann die Aufgabe als erfüllt gilt (March/Simon 1958: 55; Merchant/Van der Stede 2007: 81-83). Die wesentlichen Voraussetzungen für die effektive Nutzung der generellen Verfahrenssteuerung fassen Grandori und Soda (2006) wie folgt zusammen: „The most important prerequisite is that the central decision maker should know what the best actions are, an assumption that does not hold when competences are highly sophisticated, hence highly specialized and distributed; and decision making problems are difficult to solve (new knowledge should be produced, cause-effect relations between resource and activities are not known ex ante, relevant actions are to be discovered)” (Grandori/Soda 2006: 158).
Da im Vergleich zur fallweisen bei der generellen Verfahrenssteuerung in der Regel ein geringerer Partizipationsgrad der handelnden Akteure vorliegt – ausgenommen davon sind die o.g. Fachexperten, deren Wissen in die Regelfindung einfließt –, ist auch ihre Motivationswirkung als relativ geringer zu erachten. Durch die Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit kann bei ihnen das Gefühl entstehen, ihrer Flexibilität beraubt worden zu sein und nur wenig Raum für die eigene Lösungsentwicklung zu besitzen. Hieraus resultiert zudem das Risiko, höherwertige Lösungsansätze zur Problembewältigung bereits ex ante auszuschließen (Simons 1995: 40). Regeln und Verfahrensrichtlinien können umgekehrt aber auch motivationsfördernd wirken, indem sie dazu beitragen, die Unsicherheit der Organisationsmitglieder bei der Aufgabenerledigung zu reduzieren und ihnen somit einen Orientierungsrahmen zu bieten, an dem sie ihre Verhaltensweisen und Handlungen ausrichten können (Eisenhardt 1985; Merchant 1990; Simons 1995: 43; Kieser/Walgenbach 2007: 116). Neben dem Einsatz von Regeln und Standards kann die generelle Verfahrenssteuerung auch durch Verrechnungspreise erfolgen. Diese besondere Form der Verrechnungspreise wird in der Literatur auch als Lenkpreise bezeichnet (z.B. Wagenhofer 2004; Küpper 2009: 435). In-
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dem unterschiedliche Verfahren mit unterschiedlichen Preisen versehen werden, lässt sich das Verhalten der Organisationsmitglieder gezielt beeinflussen.84 Zusammenfassend kennzeichnen die generelle Verfahrenssteuerung eine geringerer Grad an Flexibilität und Partizipation der beteiligten Organisationsmitglieder gegenüber ihrer fallweisen Ausgestaltung und ferner das Erfordernis der Wissenskonzentration in der Konzernzentrale zur vorgängigen Bestimmung standardisierter Verfahrensweisen. Dem steht ein großes Effizienzpotenzial der generellen Verfahrenssteuerung gegenüber, da die einmal definierten Verfahren weitestgehend fix sind und den Interaktionsbedarf der Steuerung auf diese Weise reduzieren.
2.2.3 Steuerung durch Selbstabstimmung Neben den vorgestellten Formen hierarchischer Steuerung kann die Konzernsteuerung auch durch eine Selbstabstimmung derjenigen Organisationseinheiten erfolgen, die in ihrem Handlungs- und Entscheidungsverhalten aufeinander angewiesen sind. In diesem Falle werden die Entscheidungsrechte von der Konzernleitung an die Konzerneinheiten delegiert. Sie treffen ihre Entscheidungen jedoch nicht wie bei der Ergebnissteuerung autonom. Bei der Steuerung durch Selbstabstimmung erfolgt stattdessen eine dezentrale bzw. horizontale Interaktion der Organisationsmitglieder ohne Einmischung der vorgesetzten Instanz: An die Stelle der organisatorischen Gestaltung durch Weisung und Kontrolle tritt eine eigenverantwortliche Steuerung durch die betroffenen Organisationsmitglieder, mittels derer die Qualität, Flexibilität und Effizienz ihrer Entscheidungen erhöht werden soll (Scherm/Süß 2000: 82). In der Organisationsliteratur85 werden typischerweise drei Mechanismen der Selbstabstimmung unterschieden (z.B. Kieser/Walgenbach 2007: 112-115; Gebhardt 1996; Göbel 1998; Scherm/Pietsch 2007: 210): Fallweise, themenspezifische und institutionalisierte Selbstabstimmung. Das konstituierende Merkmal dieser Steuerungsmechanismen ist die Konsensbildung (Priem/Harrison/Muir 1995: 695). Selbstabstimmung kann folglich interpretiert werden als: 84
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Dies lässt sich am Beispiel der elektronischen Reisebuchung verdeutlichen: Die Buchung von Reisen über die elektronische Plattform ist in der Regel deutlich günstiger im Vergleich zu einer telefonischen Buchung, bei der ein Call Center-Agent die administrative Bearbeitung übernimmt. Dies veranlasst Organisationsmitglieder, die elektronischen Verfahren zu nutzen, um zusätzliche Kosten bei der Reisebuchung zu verhindern. Auch im Alltag werden Menschen in ihren Verhaltensweisen durch Preise gelenkt; Beispiele hierfür sind die Nutzung von günstigeren Außenparkplätzen an Flughäfen oder die Bevorzugung öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber Taxis zur Erreichung desselben Ziels. In der Management Control-Literatur werden Mechanismen der Selbstabstimmung zumeist nicht differenziert erfasst (z.B. Anthony/Govindarajan 2001; Merchant/Van der Stede 2007), während sie im Controlling lediglich als Bestandteil alternativer Steuerungsverfahren behandelt werden (z.B. Horváth 2009; Küpper 2009).
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„The task, after all, of a decision-making group is to produce consensus from the initial preferences of its members” (Whyte 1989: 41; eigene Hervorhebung).
Konsensbildung zeichnet sich dadurch aus, dass sich die beteiligten Organisationsmitglieder in ihren Interessen und Zielen einander inhaltlich angleichen. Genauer gesagt erfolgt bei der Selbstabstimmung eine Transformation der Akteursinteressen, während etwa bei der Ergebnissteuerung ein Interessensausgleich durch Transaktionsmaßnahmen wie Entschädigungsleistungen mittels monetärer Anreize stattfindet (z.B. Burns 1977; Frost 2005: 334). Ein wichtiges Element der Selbstabstimmung, sowohl zur Entscheidungsfindung als auch zur Konfliktlösung bei divergenten Interessen, sind Verhandlungen (z.B. Rubin/Brown 1975: 6-7; Strauss 1982: 357; Bazerman/Lewicki 1983: 51). Sie stellen zwar ein Instrument der fallweisen Selbstabstimmung dar, können aber auch in anderen Formen der Selbstabstimmung zur Anwendung kommen, sofern Konfliktpotenzial zwischen den Organisationsmitgliedern herrscht (March/Simon 1958: 129-130; Muthoo 2000: 146). Verhandlungen können dabei sowohl zu einer Transformation als auch zu einer Transaktion von Interessen zwischen den beteiligten Parteien führen.86 Grundsätzlich ist es möglich, die Selbstabstimmung allein der Eigeninitiative der Organisationsmitglieder zu überlassen. Damit ist sie jedoch nicht planbar, und es ist nicht sichergestellt, dass auf diesem Wege die übergeordneten Unternehmensziele erreicht werden (Scherm/ Pietsch 2007: 210). Wie bereits oben erwähnt, kann von der Selbstabstimmung als Steuerungsmechanismus dagegen nur dann gesprochen werden, wenn derartige Interaktionen zwischen Organisationseinheiten offiziell vorgesehen sind, und die konsensbasierten Entscheidungen einen verbindlichen Charakter aufweisen (Kieser/Walgenbach 2007: 112). Hierzu muss die Instanz die organisatorischen Voraussetzungen schaffen, um die Selbstabstimmung zwischen den dezentralen Organisationsmitgliedern bestmöglich zu unterstützen, d.h. sie nicht nur zu ermöglichen, sondern auch zu fördern. Mit anderen Worten sind der Steuerung durch Selbstabstimmung stets Maßnahmen der strukturellen Organisationsgestaltung vorgelagert. Diese erstrecken sich beispielsweise auf die Einrichtung von horizontalen Kommunikationskanälen, auf die Ausstattung von bestimmten Gremien mit Entscheidungskompetenzen und auf die Vorgabe von Anlässen für Koordinationsmaßnahmen bzw. die Spezifikation von abstimmungsbedürftigen Fragen und Problemstellungen. Wie nachfolgendes Zitat Mintzbergs verdeutlicht, stellt die Selbstabstimmung einen gleichermaßen essenziellen Steuerungsmechanismus in kleinen Unternehmen wie auch in großen, komplexen Organisationsformen wie dem Konzern dar:
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86
Zum Instrument der Verhandlung vgl. weiterführend z.B. Thompson (1967: 108-116); Grandori (2001a: 161178); Klein (2004); Merchant/Van der Stede (2007).
„Because it is such a simple coordinating mechanism, mutual adjustment is naturally used in the very simplest of organizations: for example, by two people in a canoe or a few in a pottery studio. Paradoxically, it is the only one that works under extremely difficult circumstances” (Mintzberg 1979a: 3).
Die bisherigen Ausführungen deuten bereits an, dass Selbstabstimmungsmechanismen an bestimmte Bedingungen geknüpft sind, um ihre Steuerungswirkung voll zu entfalten. Dabei sind drei Voraussetzung besonders relevant (Frost 2005: 338-339; Scherm/Süß 2001: 193-195; Grandori 2001a: 135-139): Erstens gilt es, die involvierten Organisationsmitglieder mit einer ausgewogenen, gleichwertigen Kompetenzverteilung auszustatten. Die wechselseitigen Abstimmungen müssen auf „Augenhöhe“ erfolgen, d.h. die Organisationsmitglieder müssen sich als ebenbürtige Interaktionspartner mit gleichen Entscheidungskompetenzen verstehen und entsprechend in den Selbstabstimmungsverfahren engagieren. Damit begrenzt diese Voraussetzung zugleich die mögliche Anzahl involvierter Organisationsmitglieder, da eine zu große Gruppe, bestehend aus Akteuren mit potenziell unterschiedlichen Zielen und Präferenzen die Konsensfindung erschweren würde. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass selbst bei langwierigen wechselseitigen Abstimmungsversuchen keine Einigung darüber zustande kommt, wer welche Aktivitäten ausüben soll (Laux/Liermann 2005: 99), so dass der Grundsatz gilt: „So viele Entscheidungsträger wie nötig, so wenige wie möglich“. Zweitens sollten die Organisationsmitglieder über ein verteiltes, komplementäres Wissen verfügen. Hätten sie alle das gleiche Wissen, wäre es ausreichend, wenn Entscheidungen nur von einer Person getroffen würden, da von der Gruppe kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ausgeht, der die Entscheidungsqualität erhöhen würde (Frost 2005: 339). Die kollektive Entscheidungsfindung kann jedoch dazu beitragen, das Risiko von Fehlentscheidungen zu reduzieren, weil: „Since not all group members make the same errors simultaneously, the majority judgment is better than the average judgement of individual members” (March/Simon 1958: 180-182).
Idealerweise verfügt beim Selbstabstimmungsmechanismus also kein Organisationsmitglied allein genommen über ausreichend Kompetenz und Wissen zur Problemlösung. Drittens sollte es eine ausreichende Anzahl an Organisationsmitgliedern geben, die hinreichend konditionale Kooperationsbereitschaft besitzen (Taylor 1987: 64-67; Keser/van Winden 2000; Fischbacher/Fehr/Gächter 2001; Frey/Meier 2004), d.h. ihre Ziele und Interessen dürfen nicht grundlegend verschieden und unveränderlich sein (Marschak 1954: 188-190; March/Simon 1958: 59-61; Hill 1990: 504-506; Grandori 2001a: 144-146; Frost 2005: 339). Ein Konkurrenzdenken zwischen den Konzerneinheiten sowie ein dominierendes Interesse an der Erreichung individueller Ziele verhindern eine wirksame Selbstabstimmung (Priem/Harrison/Muir 1995: 691-696). Kann innerhalb der Abstimmungen aufgrund von Interessens- oder Zielkonflikten kein Konsens zwischen den Organisationsmitgliedern erzielt werden, so kann das Instrument der Eskalation von Entscheidungen genutzt werden. Eska87
lationen können dabei auf verschiedenste Ursachen zurückgeführt werden, wie z.B. Unsicherheit der Akteure, mangelndes Wissen in der Gruppe oder auf persönliche Animositäten oder kognitiven Asymmetrien zwischen einzelnen Mitgliedern (z.B. Whyte 1993: 431). Eskalationen setzen aber keine kollektiven Entscheidungsverfahren voraus, sondern können auch von einzelnen Entscheidungsakteuren ausgehen. Gruppenbasierte Entscheidungen gelten in der Regel jedoch als „eskalationsanfälliger“ als Einzelentscheidungen, was neben heterogenen Präferenzen und Problemwahrnehmungen der Akteure insbesondere auf eine mangelnde oder übertriebene Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung innerhalb der Gruppe zurückzuführen ist: „Groups are thought to be more prone to escalation than individuals because group membership leads to a diminished sense of responsibility which in turn encourages ‘gung-ho’ attitudes to risk-taking” (Drummond 1996: 6).
Bei Eskalationen im Konzern werden die jeweiligen übergeordneten Instanzen bis letztlich hin zur Konzernleitung konsultiert, um zwischen den Organisationsmitgliedern zu vermitteln (z.B. per Schiedsspruch). Die Instanzen verfügen dabei in der Regel aber auch über die Kompetenz, von den Positionen der Mitglieder abzuweichen und alternative Entscheidungen in eigenem Interesse durchzusetzen (Scherm/Süß 2001: 195-196). Im Eskalationsfall liegt somit nur eine begrenzte Selbstabstimmung vor, welche durch den Weisungsmechanismus ersetzt wird. Ein vergleichbarer Fall liegt vor, wenn die vorgesetzte Instanz personell in die Selbstabstimmung zwischen den Organisationseinheiten eingebunden ist und ihre Stimme ein höheres Gewicht als die der anderen Organisationsmitglieder hat. So kann sie maßgeblich auf die Entscheidungsfindung Einfluss nehmen, was einen Verstoß gegen die Voraussetzung der gleichwertigen Kompetenzausstattung bei der Selbstabstimmung darstellen würde. Neben diesen konstituierenden Merkmalen der Selbstabstimmung sollen im Folgenden die besonderen Eigenschaften ihrer einzelnen Mechanismen erläutert werden.
2.2.3.1
Fallweise Selbstabstimmung
Bei der fallweisen Selbstabstimmung erfolgt die Interaktion zwischen den Organisationsmitgliedern nach eigenem Ermessen. Daher sind in diesem Falle keine ex ante spezifizierten Regelungen für die Interaktion erforderlich. Sie kann jedoch strukturell dadurch begünstigt werden, dass die Einhaltung hierarchischer Kommunikationswege nicht zwingend vorgeschrieben wird (Scherm/Süß 2001: 194), so dass es nicht gegen Regeln verstößt, wenn sich die Mitarbeiter unterschiedlicher Organisationseinheiten abseits der formalen Berichtswege miteinander in Verbindung setzen. Entsteht ein Bedarf zur wechselseitigen Abstimmung und ge88
meinsamen Entscheidungsfindung zwischen den Konzerneinheiten, so können ihre Organisationsmitglieder ad hoc interagieren, was etwa in Form spontaner Bilateral- oder Gruppenmeetings erfolgen kann. Darüber hinaus setzt die fallweise Selbstabstimmung eine hinreichende Kenntnis der Mitarbeiter über die Organisationsstrukturen des Konzerns voraus, d.h. die Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen der Organisationsmitglieder müssen im Unternehmen bekannt sein, damit betroffene und entscheidungsrelevante Akteure identifiziert und kontaktiert werden können. Bei der fallweisen Selbstabstimmung kann ferner eine hohe intrinsische Motivation der Organisationsmitglieder der Konzerneinheiten sowie ein ausgeprägtes Interesse an der Erreichung der übergeordneten Konzernziele unterstellt werden, da derartige Abstimmungen nicht obligatorisch vorgeschrieben sind und die Akteure ihre Entscheidungen somit auch autonom treffen könnten, ohne die Auswirkungen auf andere Einheiten und den Gesamtkonzern zu berücksichtigen (Kieser/Walgenbach 2007: 112).
2.2.3.2
Themenspezifische Selbstabstimmung
Bei der themenspezifischen Selbstabstimmung ist für die Konzerneinheiten dagegen a priori festgelegt, in welchen Situationen eine unmittelbare Abstimmung mit anderen Einheiten erforderlich ist. Ob ein abstimmungsbedürftiges Problem vorliegt oder nicht, hängt also nicht mehr vom Ermessen einzelner Organisationsmitglieder, sondern von generellen Regelungen ab (Scherm/Süß 2001: 194). Damit wird deutlich, dass der themenspezifischen Selbstabstimmung Elemente der generellen Verfahrenssteuerung vorgelagert sind – durch Einsatz von Regeln wird die Selbstabstimmung zur Pflicht. Dadurch soll das Risiko für den Konzern gemindert werden, dass notwendige Abstimmungen zwischen den Konzerneinheiten unterbleiben, weil deren Erfordernis von den Betroffenen nicht erkannt oder in ihrem eigenen Interesse verhindert wird. Die themenspezifische Selbstabstimmung weist somit einen höheren Strukturierungsgrad als die fallweise Interaktion auf. Der Freiraum zur Selbstabstimmung besteht aber weiterhin in der Weise, dass die Organisationsmitglieder eigenständig festlegen können, wie diese Abstimmung zwischen ihnen erfolgt (Scherm/Pietsch 2007: 211). Beispiele für themenspezifische Selbstabstimmungen stellen die Interaktion zwischen Fach- und Personalabteilung bei der Einstellung neuer Mitarbeiter oder gemeinsame Foren zwischen dezentralen IT-Bereichen bei der Anschaffung neuer Softwaresysteme dar.
2.2.3.3
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Selbstabstimmung kann schließlich auch in institutionalisierter Form erfolgen. Um eine konsensorientierte Abstimmung zwischen unterschiedlichen Konzerneinheiten zu ermöglichen,
89
muss die Unternehmensführung auch in diesem Fall die notwendigen strukturellen Voraussetzungen schaffen und die dezentralen Organisationsmitglieder mit ausreichend Entscheidungskompetenzen ausstatten. Die Operationalisierung dieser Interaktionsform kann beispielsweise vollzogen werden, indem Gremien, Steuerungskreise, Komitees, Ausschüsse oder Task Forces dauerhaft bzw. über einen bestimmten Zeitraum und zweckgebunden eingerichtet sowie etwa durch Vorgabe von Satzungen, Interaktions- und Eskalationsregeln, Stimmrechten formalisiert werden. Durch die Bestimmung einer Agenda kann die Konzernleitung dabei Einfluss auf die zur Abstimmung stehenden Entscheidungen nehmen. Allerdings müssen die involvierten Organisationsmitglieder weiterhin gleichberechtigt bleiben, so dass auf Vetorechte durch die vorgesetzte Instanz oder zwischen den Konzerneinheiten zu verzichten ist, um den Steuerungscharakter der Selbstabstimmung aufrechtzuerhalten (Scherm/Süß 2001: 195; Kieser/Walgenbach 2007: 114). Ist die Konzernleitung in die institutionalisierte Interaktion eingebunden und verfügt dabei über größere Entscheidungsrechte als die Organisationsmitglieder, so würde die Selbstabstimmung einer hierarchischen Steuerung weichen, bei der die Konzerneinheiten lediglich eine beratende Funktion innehaben (Scherm/Pietsch 2007: 113). Nimmt die vorgesetzte Instanz dagegen eine moderierende und mediatorische Rolle innerhalb der Interaktion wahr, kann sie die Konsensfindung zwischen den Beteiligten fördern und dabei ihr Wissen und ihre Problemumsicht einbringen, um zur Erhöhung der Entscheidungsqualität beizutragen. Zusammenfassend lässt sich schließen, dass die Konzernleitung im Falle der Selbstabstimmung ihre Entscheidungsrechte weitestgehend an die Konzerneinheiten überträgt. Während die fallweise Selbstabstimmung vergleichsweise geringe Anforderungen an die Konzernleitung stellt, erfordern die themenspezifische und institutionalisierte Selbstabstimmung die Schaffung struktureller Voraussetzungen sowie den Einsatz von Regeln und Verfahrensrichtlinien, um ihre Effektivität im Hinblick auf die Erreichung der Konzernziele zu gewährleisten. Die Steuerung durch Selbstabstimmung trägt somit zur Entlastung der Konzernleitung von fallweisen Regelungen und Verfahrenskontrollen bei und reduziert ihren Steuerungsaufwand. Wie am Beispiel verhandlungsbasierter Verrechnungspreise dargelegt, lassen sich Aspekte der Selbstabstimmung prinzipiell in ergebnis- und verfahrensorientierte Steuerungsverfahren integrieren; auf gleiche Weise können auch Ergebniskontrollen sowie die Verfahrenssteuerung interaktive bzw. partizipative Elemente umfassen, indem Ziele und Vorgehensweisen lateral oder vertikal zwischen den Beteiligten verhandelt werden bzw. sich die Organisationsmitglieder dezentral einigen und als Abstimmungsergebnis an die Konzernleitung übermitteln. Weitere Vorteile der Selbstabstimmung gegenüber der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung liegen vor allem in der Möglichkeit, den auftretenden Koordinationsbedarf zwischen 90
Konzerneinheiten kurzfristig und flexibel zu decken. Zudem lässt sich eine positive Motivationswirkung auf die Organisationsmitglieder erzielen, die durch den hohen Partizipationsgrad und der damit verbundenen Identifikationsmöglichkeit mit dem Entscheidungsergebnis entsteht (March/Simon 1958: 70). Dabei können die Organisationsmitglieder ihre Kreativität, Intuition, Selbständigkeit, Kritikfähigkeit und Lernbereitschaft als akteursgebundene Fähigkeiten einbringen, die durch die persönliche Interaktion zusätzlich gefördert wird (Ulrich 1991: 56-58; Kleinschmidt/Pekruhl 1994). Zugleich wird auch die wahrgenommene Fairness der Organisationsmitglieder erhöht, weil sie unmittelbar in die Entscheidungsfindung eingebunden sind (Frost 2005: 340). Ferner kann ihre Kooperationsbereitschaft und ihr Engagement gesteigert werden, wenn sie das Gefühl haben, einen relevanten Beitrag zur Problembewältigung zu leisten, von dem die gesamte Gruppe profitieren kann. Darüber hinaus kann die Selbstabstimmung zu qualitativ besseren Entscheidungsergebnissen führen, denn: „Wo die Sachkompetenz liegt, da wird auch die Entscheidung getroffen; viele Köpfe denken mit“ (Göbel 1998: 278). Diesen vielfältigen Vorteilen der Selbstabstimmung stehen zwei wesentliche Nachteile gegenüber: Erstens sind solche Mechanismen sehr kommunikations- und zeitintensiv und mit entsprechenden Koordinationskosten verbunden, wobei insbesondere die institutionalisierte Interaktionsform über einen sehr hohen Bedarf an Steuerungskapazität verfügen kann (Kieser/Walgenbach 2007: 115). Zweitens besteht bei der Selbstabstimmung die Gefahr pathologischer Entscheidungen, bei denen die Entscheidungen entweder durch eine überhöhte Risikoeinstellung der Beteiligten geprägt sind – die Verantwortung wird diffus auf die Gruppe verteilt, und es gibt folglich keinen dedizierten Verantwortlichen, der die Konsequenzen aus der Entscheidung trägt – oder durch übertriebenes Gruppendenken (esprit de corps), bei der die Konsensfindung über der Entscheidungsqualität steht (Drummond 1996: 6; Göbel 1998: 280-285; Grandori 2001a: 139-141; Frost 2005: 340).
2.2.4 Inputsteuerung Das vierte Steuerungsverfahren dieser Arbeit stellt die Inputsteuerung dar, die an der Schaffung der notwendigen Voraussetzungen ansetzt, um die Organisationsmitglieder zu befähigen, optimale Entscheidungen im Sinne des Konzerns zu treffen. Durch die Ausstattung der Konzerneinheiten mit verschiedenartigen Inputs kann die Unternehmensleitung mittelbar Einfluss auf die getroffenen Entscheidungen der dezentralen Organisationsmitglieder nehmen. In der Literatur zur Controlling-, Management Control- und Organisationsforschung liegen bisweilen nur sehr wenige Arbeiten vor, in denen die Inputsteuerung explizit als Entscheidungsverfahren behandelt wird. Stattdessen wird sie zumeist recht abstrakt definiert, was eine Abgrenzung von anderen Steuerungsverfahren erschwert: 91
„Input control is the use of control mechanisms to manage resources acquired by the firm; it focuses on human, material and financial resources flowing into the firm” (Cardinal/Sitkin/ Long 2004: 414).
Nach dieser generischen Definition dient die Inputsteuerung der Schaffung von Voraussetzungen im Konzern, indem die Unternehmensführung den Teileinheiten verschiedenartige Ressourcen bereitstellt. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, welche besonderen Eigenschaften sie als Steuerungsverfahren kennzeichnen. Für eine Abgrenzung von anderen Steuerungsverfahren gilt es daher, zunächst auf Beiträge aus dem Human Resource Management zurückzugreifen, um auf ihrer konzeptionellen Grundlage konzernspezifische Gestaltungsoptionen der Inputsteuerung abzuleiten. Im Human Resource Management wurde der von Jaeger und Baliga (1985) maßgeblich geprägte Begriff der Inputsteuerung (input control) von Snell (1988, 1991, 1992) aufgegriffen und weiterentwickelt.87 Aus dieser Perspektive bezieht sich die Inputsteuerung einerseits auf die Auswahl geeigneter Mitarbeiter (Personalselektion) und andererseits auf Maßnahmen ihrer Aus- und Weiterbildung (Personalentwicklung), die maßgeblich zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Unternehmen beitragen können: „Input control regulates the antecedent conditions of performance – the knowledge, skills, abilities, values, and motives of employees” (Snell 1992: 297). „Rigorous selection and training help to socialize employees to ensure they have requisite abilities as well as understand and internalize the values and goals of the organization. In this way they are likely to act in the interest of the firm on their own” (Snell/Youndt 1995: 713).
Eine derartige Interpretation zielt vorrangig auf die Verhaltensbeeinflussung von Organisationsmitgliedern durch Selektions- und Trainingsmaßnahmen ab, vernachlässigt dabei jedoch die Koordinationsaufgabe der Steuerung. Koordination wird in diesen Ansätzen nicht als Aufgabe der Inputsteuerung aufgefasst, sondern anderen, zumeist ergebnis- bzw. verfahrensorientierten Steuerungsmechanismen zugewiesen (Snell 1992: 297; Hamilton/Kashlak 1999: 169-170; Cardinal/Sitkin/Long 2004: 414). Darüber hinaus existieren in der Literatur auch andere Steuerungsinstrumente, die der Inputsteuerung zugeschrieben werden. Diese umfassen beispielsweise die Clan-Kontrolle oder die Sozialisation durch organisationale Routinen (z.B. Ouchi 1977, 1979, 1980; Peterson 1984; Eisenhardt 1985; Hamilton/Taylor/Kashlak 1996; Volkmar 2003; Frost/Morner 2010a). Letztere wirken zwar zweifelsohne auf das Entscheidungsverhalten der Organisationsmitglieder, stellen jedoch emergente Eigenschaften der informellen Organisation dar, bei denen die Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder in 87
92
Snell orientiert sich bei der Entwicklung seines HR-spezifischen Ansatzes der Inputsteuerung an alternativen Steuerungskonzeptionen und lehnt sein Konzept vor allem an die Arbeiten von Ouchi (1977), Merchant (1985) und Eisenhardt (1985) an; vgl. Snell/Youndt (1995: 715-716).
erster Linie von ihren Erfahrungen und Erlebnissen innerhalb des Unternehmens sowie der Zusammenarbeit mit anderen Konzerneinheiten geprägt werden (Barnard 1938; Göbel 1998; Rank 2003). Sie fungieren als personenübergreifende Problemlösungsheuristiken, die von den Organisationsmitgliedern im Zeitverlauf erlernt und wie selbstverständlich gehandhabt werden, ohne dass eine dezidierte Kommunikation zwischen ihnen erfolgt (Frost 2005: 343). Weil sie nur sehr bedingt durch die Konzernleitung gestaltbar sind, und es sich zudem nicht um offiziell vorgesehene und verbindliche Entscheidungsverfahren handelt, werden derartige Steuerungsinstrumente an dieser Stelle nicht weiter verfolgt.
2.2.4.1
Ressourcenausstattung durch Budgets
Aus den vorangehenden Ausführungen wird deutlich, dass sich die existierenden Ansätze zur Inputsteuerung nur beschränkt eignen, um daraus Gestaltungshinweise für den effektiven Einsatz von Steuerungsmechanismen im Konzern abzuleiten. Dennoch bilden sie eine wichtige Grundlage zur Entwicklung von Kriterien, welche die Inputsteuerung als ein Entscheidungsverfahren kennzeichnen sowie eine Identifikation und Zuordnung von Steuerungsinstrumenten ermöglichen. Hierzu gilt es zunächst, die Inputsteuerung von den anderen Steuerungsverfahren dadurch abzugrenzen, dass es sich bei dieser per definitionem um eine ex ante Form der Steuerung handelt (z.B. Snell 1992; Flamholtz 1996). Ihr genereller Vorteil liegt damit in ihrer präventiven Wirkung, durch die sich eventuelle Probleme im Vorwege der Zusammenarbeit vermeiden lassen. Daran zeigt sich jedoch auch, dass die Inputsteuerung nach Beginn der Aufgabendurchführung nicht mehr angewendet werden kann, um korrigierend einzugreifen und stattdessen alternativer Steuerungsverfahren bedarf. Die Ressourcenausstattung, die in den unterschiedlichen Ansätzen als Mechanismus der Inputsteuerung angeführt wird (z.B. Simons 1995; Cardinal/Sitkin/Long 2004; Frost/Morner 2010a), bedarf zur Einordnung als Entscheidungsverfahren einer weiteren Spezifizierung. Zunächst stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Ressourcen grundsätzlich geeignet sind, um eine koordinierende und verhaltensbeeinflussende Wirkung auf die Organisationsmitglieder der Konzerneinheiten zu entfalten.88 Im Konzern kann die Unternehmensführung zum einen durch den Einsatz von Humanressourcen Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen, indem sie geeignete Mitarbeiter selektiert und in den dezentralen Einheiten platziert. Als immaterielle Ressourcen sind insbesondere das Wissen sowie die Erfahrungen und Fähigkeiten der Mitarbeiter von besonderer Relevanz für die Steuerung (z.B. Lawler
88
Zu den unterschiedlichen Ressourcenarten vgl. Abschnitt 2.3.2.
93
1994; Foss 1996b; Grant 1996a; Langlois 1996). Hinsichtlich materieller Ressourcen bietet sich eine Konzentration auf finanzielle Ressourcen an, welche sich in materielle Ressourcen wie Produktionsanlagen transformieren lassen. Die Ausstattung der Konzerneinheiten mit finanziellen Ressourcen erfolgt im Konzern in der Regel durch die Zuweisung von Budgets (z.B. Emmanuel/Otley/Merchant 1995: 160-182). Diese werden in der Literatur einerseits als Instrument der Inputsteuerung (z.B. Flamholtz 1996; Dugdale/Lyne 2006), andererseits aber auch als Instrument der Ergebnissteuerung angeführt (z.B. Simons 1995; Anthony/Govindarajan 2001; Merchant/Van der Stede 2007). Der für die Zuordnung entscheidende Unterschied liegt dabei in der Art der Verwendung und Kontrolle von Budgets. Sind diese an eng definierte Ziele geknüpft, so können sie mit Ergebniskontrollen gleichgesetzt werden. In diesem Fall liegt das Augenmerk der Konzernleitung auf dem Grad der Zielerreichung mittels der Budgetverwendung. Werden Budgets jedoch ohne einen expliziten Zielerreichungsgrad bereitgestellt, der kontinuierlich überwacht und anschließend einem Soll-Ist-Vergleich unterzogen wird, sind sie als Mechanismus der Inputsteuerung zu interpretieren. Dies ist beispielsweise bei Forschungs- und Innovationsprojekten der Fall, in denen zwar eine grundsätzliche Zielrichtung (z.B. in der Krebsforschung) vorgegeben werden kann, es im Vorwege jedoch nicht möglich ist, die angestrebten Ergebnisse der Forschungsaktivitäten und das gewünschten Zielniveau detailliert zu bestimmen. Stattdessen existieren ex ante nur wenige Kriterien, wann das Problem als gelöst gilt. Diese müssen im Laufe des Problemlösungsprozesses erst generiert werden, weil Suchraum und Umfang möglicher Alternativen unbekannt sind (Frost/Morner 2010a: 208). Daher eignet sich die Inputsteuerung gerade in solchen Fällen als Steuerungsverfahren: „Innovative potential can be managed by controlling the antecedent conditions, in particular by selecting a broad range of scientific specialities while ensuring that scientists maintain close ties with the scientific community” (Cardinal 2001: 23; eigene Hervorhebung).
Da sich derartige Aktivitäten zumeist über einen längeren Zeitraum erstrecken, könnten Kriterien – selbst wenn sie von Vornherein bestimmbar wären – kurz- und mittelfristig nicht zur Erfolgskontrolle und Evaluierung verwendet werden. Bei solchen Zusammenarbeitsformen kommt erschwerend hinzu, dass sich kaum ermitteln lässt, welche Organisationseinheit welchen Anteil an den Forschungsergebnissen hatte und nach welchen Kriterien die Forschung zu bewerten ist, die zu ihnen führte. Daraus kann abgeleitet werden, dass sich die Inputsteuerung insbesondere in solchen Situationen eignet, in denen Ergebnisse schwer messbar und auf die Organisationsmitglieder zurechenbar sind. Cardinals Zitat weist aber auch noch auf eine weitere Eigenschaft der Inputsteuerung hin: Sie wird nur in den seltensten Fällen als alleiniges Steuerungsverfahren eingesetzt. Vielmehr bildet sie die grundlegende Voraussetzung für andere Verfahren, wie bereits im Falle der institutionalisierten Selbstabstimmung erläutert wurde. Es ist daher zunächst davon auszugehen, dass die Inputsteuerung stets durch 94
andere Steuerungsverfahren zu ergänzen ist, bevor es ihre tatsächlichen Wechselwirkungsbeziehungen empirisch festzustellen gilt. Neben der Inputsteuerung durch Budgets soll nachfolgend mit der personellen Verflechtung von Mitarbeitern ein weiterer Steuerungsmechanismus beschrieben werden, der gerade in Konzernen besondere Relevanz besitzt.
2.2.4.2
Personelle Verflechtung
Die personelle Verflechtung stellt insbesondere bei bereichsübergreifenden Kooperationsbeziehungen einen sehr bedeutsamen Mechanismus der Konzernsteuerung dar (z.B. Lawrence/Lorsch 1967; Bühner 1991; Hoffmann 1993; Mellewigt 1995; Adler 1995; Grandori/Soda 1995; Hamilton/Taylor/Kashlak 1996; Kumar/Seth 1998; O’Donnell 2000; Mellewigt/ Matiaske 2001; Donada/Nogatchewksy 2006; Cäker 2008). Damit ist eine integrative Verknüpfung von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Konzerneinheiten gemeint, wobei neben einer horizontalen bzw. lateralen Verflechtung zwischen Konzerneinheiten auch eine vertikale Verflechtung von Mitarbeitern aus der Konzernzentrale und den Konzerneinheiten denkbar ist. Werden Mitarbeiter aus der Konzernzentrale in die Konzerneinheiten integriert, so setzt dieser Steuerungsmechanismus jedoch eine gleichwertige Kompetenzausstattung zwischen den Akteuren voraus. Verfügen die Mitarbeiter der Konzernzentrale hingegen über umfangreichere Entscheidungsrechte als die Mitarbeiter der Konzerneinheiten, können sie auf diese Weise einen unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidungsprozesse nehmen, und es handelt sich somit weniger um eine Input-, als vielmehr um eine Verfahrenssteuerung (z.B. Weisungen). In umgekehrter Richtung können auch Mitarbeiter der Konzerneinheiten in die Konzernzentrale integriert werden und dadurch an den für sie relevanten Entscheidungsprozessen teilnehmen, wobei dieselben Voraussetzungen hinsichtlich der Kompetenzverteilung zu erfüllen sind, sofern von einer Inputsteuerung gesprochen werden soll. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so können Entscheidungen in ähnlich interaktiver Weise getroffen werden, wie sie im Rahmen der Selbstabstimmung beschrieben worden sind. Als Differenzierungsmerkmal dieser beiden Verfahren kann jedoch ein Bündel von Eigenschaften herangezogen werden, das der personellen Verflechtung inhärent ist und sie von der Selbstabstimmung abgrenzt: Zunächst besteht darin ein Unterschied, dass bei der Inputsteuerung dedizierte Organisationsmitglieder im Vorwege bestimmt und mit entsprechenden Handlungsund Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden. Bei der Selbstabstimmung können prinzipiell beliebige Organisationsmitglieder aus den Konzerneinheiten entsandt werden und auch stellvertretend füreinander an der gemeinsamen Entscheidungsfindung teilnehmen. In dieser Hinsicht ist die personelle Verflechtung zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass die 95
dedizierten Mitarbeiter kontinuierlich für bestimmte Belange auf der organisatorischen Schnittstelle89 zwischen Konzerneinheiten verantwortlich sind und hierfür über ein spezialisiertes Wissen verfügen. Während die Selbstabstimmung dagegen ihr Potenzial gerade bei komplementären Wissensständen vieler Organisationsmitglieder entfalten kann, verfügen ausgewählte Mitarbeiter im Rahmen der personellen Verflechtung zumeist über gleichartiges Fachwissen zu bestimmten Aufgabenkomplexen, jeweils aus der Perspektive ihrer Konzerneinheit. Durch die Interaktion dieser spezialisierten Akteure ist es möglich, kurzfristige Entscheidungen zu treffen und flexibel auf mögliche Veränderungen ihrer Zusammenarbeit zu reagieren. Molleman bemerkt hierzu: „Moreover, it is likely that, by performing this type of integrated job, workers will gain better insights into the way the different processing steps influence each other. The worker will be able to observe and correct deviations at an earlier stage, which will improve quality” (Molleman 1998: 119).
Die personelle Verflechtung setzt jedoch keinen organisatorischen Transfer von Mitarbeitern voraus. Sie kann beispielsweise durch die Etablierung von Business Liaison-Rollen, Relationship Manager oder Single Points of Reference operationalisiert werden (Galbraith 1973: 50; Mintzberg 1979a: 161; Grandori 2001a: 346). Die Mitarbeiter können dabei physisch in ihren Konzerneinheiten verbleiben, vielmehr geht es darum, dass sie für bestimmte Entscheidungsfelder innerhalb der Kooperationsbeziehungen verantwortlich zeichnen und mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet sind, um diese eigenständig und ohne Einbezug der vorgesetzten Instanz zu treffen. Die Interaktion der Mitarbeiter darf jedoch nicht ausschließlich ad hoc bzw. bedarfsweise erfolgen, vielmehr müssen sie dauerhaft oder über einen gewissen Zeitraum für diese Aufgaben zugeteilt werden. Schließlich stellt die Konsensfindung zwar ein wünschenswertes, jedoch kein charakteristisches Merkmal der personellen Verflechtung dar. Können sich die dedizierten Mitarbeiter nicht einigen, so erfolgt in der Regel eine Eskalation an die Instanzen beider Konzerneinheiten. Neben ihrer Koordinationswirkung kann die personelle Integration auch verhaltensbeeinflussend auf die Organisationsmitglieder wirken. Durch die vertikale Verflechtung kann ein gemeinsames Problemverständnis zwischen den Mitgliedern aus der Konzernzentrale und den Konzerneinheiten erzeugt und ihre unterschiedlichen Sichtweisen in die Entwicklung beiderseits tragfähiger Lösungen einfließen. Dies kann zugleich ihrer Motivation förderlich sein,
89
96
In der Literatur wird die personelle Verflechtung häufig auch mit dem Begriff des Integrations- oder Schnittstellenmanagements gleichgesetzt; vgl. hierzu weiterführend z.B. McCann/Galbraith (1981); Ancona/Caldwell (1992); Hitt/Hoskisson/Nixon (1993); Brockhoff/Hauschildt (1993); Adler (1995); Kahn (1996); Weinkauf et al. (2005).
wenn sie unmittelbar an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind und ihre jeweiligen Ansichten und Präferenzen einbringen können. Gleiches gilt für die Verflechtung zwischen Konzerneinheiten, bei der ein gemeinsames Problemverständnis zwischen den Organisationsmitgliedern entwickelt und in bereichsübergreifend tragfähige und befriedigende Lösung überführt werden kann: „The purpose of lateral integrating mechanisms is to develop in subsidiaries managers an understanding of the role of their particular subsidiary and, more important, the role of other subsidiaries, in meeting overall corporate goals” (O’Donnell 2000: 532).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Inputsteuerung einen essenziellen Steuerungsmechanismus für Konzerne darstellt, der im Vorwege der Zusammenarbeit die notwendigen Voraussetzungen schafft, damit Entscheidungen im Sinne des Konzerns getroffen werden können. Während bei der Selbstabstimmung eine lose Koppelung von Entscheidungsträgern vorliegt, erfolgt bei der personellen Verflechtung eine echte strukturelle Integration von Mitarbeitern zwischen den Konzerneinheiten. Die wenigen Erkenntnisse aus der Literatur legen ferner nahe, dass die Inputsteuerung zumeist nicht exklusiv angewendet wird, sondern nach Aufgabenbeginn in der Regel einen flankierenden Einsatz weiterer Steuerungsmechanismen nach sich zieht, den es empirisch zu prüfen gilt. Tabelle 4 fasst die Ausführungen dieses Abschnitts zusammen und bietet einen beispielhaften Überblick über Instrumente der unterschiedlichen Steuerungsmechanismen sowie Referenzen zur weiterführenden Literatur.
97
Steuerungsverfahren Ergebnissteuerung
Verfahrenssteuerung
Selbstabstimmung
Inputsteuerung
Charakterisierung
Steuerungsmechanismen
Steuerungsinstrumente (Beispiele)
Referenzen
Steuerung durch Zielvorgaben und marktliche Preismechanismen.
Bereichsspezifische und übergreifende Ergebniskontrollen
-
Verrechnungspreise
- Marktpreise - Vollkostenpreise - Verhandlungspreise
Cook (1955); Eccles (1985); Ouchi (1979); Eisenhardt (1985); Merchant (1985, 1990); Holmström/ Tirole (1991) Simons (1995); Zenger/ Hesterly (1997); Anthony/Govindarajan (2001); Frost (2005); Merchant/Van der Stede (2007); Horváth (2009); Küpper (2009).
Generelle Verfahrenssteuerung
-
Fallweise Verfahrenssteuerung
-
Fallweise Selbstabstimmung
- Ad hoc Meetings - Verhandlungen
Themenspezifische Selbstabstimmung
-
Communities of practice Messen Mitzeichnungsrechte Projektgruppen
Institutionalisierte Selbstabstimmung
-
Gremien Komitees Steuerungszirkel Ausschüsse
Ressourcenausstattung
- Vertriebsbudgets - Forschungsbudgets - Materielle/immater-ielle Ressourcen
Personelle Verflechtung
-
Steuerung durch Bestimmung zulässiger und unzulässiger Vorgehensweisen-
Steuerung durch Delegation von Entscheidungskompetenzen zur dezentralen, wechselseitigen und konsensbasierten Abstimmung.
Steuerung durch Schaffung struktureller Voraussetzungen und Ressourcenausstattung im Vorwege der Aufgabendurchführung.
Kennzahlensysteme Pläne Zielvereinbarungen Anreizsysteme (pay for performance; high powered incentives; group rewards) - Business Cases - Benchmarking
Regeln Richtlinien Programme Standard operating procedures - Lenkpreise
March/Simon (1958); Thompson (1967); Ouchi (1980); Eisenhardt (1985), Simons (1995); Grandori (2001a); Frost (2005); Merchant/Van der Stede (2007).
Weisungen Verhaltenskontrollen Feedback Pre-action reviews
Business Liaison Schnittstellenkoordinator Relationship Manager Single Point of Reference - Linking pins
Thompson (1967); Mintzberg (1979a); Göbel (1998); Dietrich (2001); Grandori (2001a); Scherm/Süß (2001); Frost (2005); Kieser/Walgenbach (2007); Scherm/Pietsch (2007).
Lawrence/Lorsch (1967); Likert (1967); Galbraith (1973); Mintzberg (1979a); McCann/ Galbraith (1981); Hamilton/Taylor/Kashlak (1996); Ancona/Caldwell (1992); Brockhoff/Hauschildt (1993); Kahn (1996); Cardinal/Sitkin/ Long (2004); Frost/ Morner (2010a).
Tabelle 4: Überblick über Steuerungsmechanismen und Instrumentenbeispiele (Quelle: Eigene Darstellung)
98
2.3 Mehrwertschaffung als Ziel der Konzernsteuerung Die vorgestellten Mechanismen bilden ein Repertoire, aus dem sich Organisationen bedienen können, um durch die Steuerung ihrer Einheiten zur Erreichung der Unternehmensziele beizutragen. Im Konzern liegt dieses Steuerungsziel in der Schaffung von Mehrwert. Als Potenziale für Konzernmehrwert wurden oben die verteilten und heterogenen Ressourcen- und Kompetenzbündel seiner organisatorischen Teileinheiten identifiziert. Ihre Realisierung setzt die Zusammenarbeit dieser Einheiten, die zu Interdependenzen zwischen ihren dezentralen Ressourcen und Aktivitäten führt, sowie zielkonformes Handeln ihrer Organisationsmitglieder voraus. Erst wenn es durch den abgestimmten Einsatz von Steuerungsmechanismen gelingt, die bereichsübergreifende Nutzung, den Austausch und die gemeinsame Entwicklung neuer Ressourcen zu koordinieren und zugleich die Verhaltensweisen der beteiligten Akteure auf die Unternehmensziele auszurichten, lassen sich nachhaltige und verteidigungsfähige Wettbewerbsvorteile für den Konzern erzielen. Die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber alternativen Institutionsformen setzt jedoch voraus, dass ein konzernspezifischer Mehrwert existiert, der aus seiner besonderen organisatorischen Konfiguration resultiert. Anstelle der Konzernorganisationsform sind – unter Beibehaltung einer identischen Eigentümerstruktur und eines identischen Leistungsprogramms – idealtypischerweise zwei organisatorische Alternativkonstellationen denkbar: Einerseits könnte der Konzern zu einem großen, z.B. funktional gegliederten Einheitsunternehmen zusammengeführt werden, andererseits auch in viele kleine, voneinander unabhängige Einzelunternehmen fragmentiert werden, zwischen denen entweder keine oder rein marktliche Austauschbeziehungen bestehen. Die Schaffung von Mehrwert gegenüber diesen Strukturalternativen stellt eine der zentralen Aufgaben der Konzernleitung dar (Goold/Campbell/Alexander 1994; Steidl 1999). Dies gilt insbesondere insofern, dass der organisatorische „Überbau“ der Konzernzentrale einen zusätzlichen Kostenblock generiert, den Einheitsunternehmen oder losere Verbünde unabhängiger Unternehmen in dieser Form nicht zu tragen haben (Hungenberg 1992: 351). Zudem stehen den Overhead-Kosten der Zentrale keine unmittelbaren Erlöse gegenüber, die sie selbst am Markt erwirtschaftet. Ihre Existenzberechtigung resultiert folglich daraus, dass sie für die Gestaltung eines angemessenen organisationalen Kontextes sorgt und damit die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit der Konzerneinheiten respektive ihrer Steuerung schafft, um die vorhandenen Mehrwertpotenziale bestmöglich zu erschließen. Dieser organisationale Kontext wird durch konzerninterne und -externe, marktorientierte Rahmenbedingungen konstituiert (Abbildung 2). Der intraorganisationale Kontext der Mehrwertschaffung umfasst mit der Konzernstrategie und der Konzernstruktur zwei Ebenen, in denen die Ressourcen und Aktivitäten der Teileinheiten als Potenziale zur Mehrwerterschließung eingebettet sind. Diese Ebenen existieren jedoch nicht unabhängig voneinander, vielmehr 99
haben Gestaltungsentscheidungen auf der einen Ebene unmittelbare Auswirkungen auf die andere Ebene.90 Der intraorganisationale Kontext ist von einer dritten Ebene umgeben, die das übergeordnete Ziel der Unternehmenswertsteigerung des Konzerns abbildet. Vielfach sind Konzerne kapitalmarktorientierte Unternehmen und stehen im Wettbewerb um Finanzmittel mit anderen Marktteilnehmern. Um ihre langfristige finanzielle Liquidität zu sichern, sind sie ihren Anteilseignern gegenüber verpflichtet, den Unternehmenswert kontinuierlich zu steigern und ihnen dadurch eine attraktive Verzinsung auf ihr bereitgestelltes Kapital zu bieten. Potenzielle Anleger und Ratingagenturen konzentrieren sich bei ihren Anlageentscheidungen auf sogenannte „Spitzenkennzahlen“, um die Unternehmen am Kapitalmarkt miteinander vergleichen und bewerten zu können. Diese kapitalmarktorientierten Kennzahlen werden in letzter Zeit zunehmend auch für die Steuerung innerhalb von Unternehmen eingesetzt (z.B. Aders/Hebertinger 2003; Biberacher 2003).
Unternehmenswertsteigerung Strategie Struktur Ressourcen & Aktivitäten
Abbildung 2:
Der organisationale Kontext der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern (Quelle: Eigene Darstellung)
Gegenstand des vorliegenden Abschnitts ist daher zunächst die Untersuchung der drei Ebenen des organisationalen Kontextes der Mehrwertschaffung sowie ihrer wechselseitigen Bezüge und Implikationen für die Konzernsteuerung (Abschnitt 2.3.1). Diese differenzierte Analyse der Mehrwertschaffung aus unterschiedlichen Blickwinkeln trägt zum einen dazu bei, einen 90
Die Abhängigkeit zwischen den einzelnen Ebenen wird auch an den Leitsätzen unterschiedlicher Organisationstheorien wie „structure follows strategy“, „strategy follows structure“ oder „strategy follows resources“ deutlich.
100
Bezug zwischen den unterschiedlichen Mehrwertansätzen aus der Literatur zur Konzernstrategie (2.3.1.1), zur Konzernorganisation (2.3.1.2) und zum wertorientierten Konzerncontrolling (2.3.1.3) herzustellen, an dem es bislang weitgehend mangelt.91 Zum zweiten erfolgt an dieser Stelle eine ressourcen- und aktivitätenorientierte Analyse der Mehrwertschaffung im Konzern (Abschnitt 2.3.2), die dazu beitragen soll, das in der Literatur sowie Unternehmenspraxis mannigfaltig und inflationär verwendete Mehrwertkonstrukt zu präzisieren. Hierbei wird jedoch nicht beabsichtigt, den zahlreich vorhandenen Definitionen von Mehrwert bzw. ihrer speziellen Erscheinungsformen noch eine weitere hinzuzufügen. Vielmehr geht es darum, eine konzeptionelle Einordnung verschiedener Mehrwertarten vorzunehmen, die es erlaubt, unterschiedliche Formen konzerninterner Zusammenarbeit nach ihren idiosynkratischen Mehrwertpotenzialen zu differenzieren und den daraus resultierenden Interdependenzproblemen effektive Steuerungslösungen gegenüberzustellen.
2.3.1 Der organisationale Kontext einer mehrwertorientierten Konzernsteuerung Im Hinblick auf das Ziel der Mehrwertrealisierung gilt es nachfolgend, den durch die Unternehmensführung gestaltbaren strategischen, organisationalen und wertorientierten Kontext der Konzernsteuerung zu analysieren.
2.3.1.1
Generische Mehrwertstrategien des Konzerns
Die Bestimmung der Konzernstrategie bildet den Ausgangspunkt zur Mehrwertschaffung im Konzern. Die Konzernleitung legt dadurch fest, ob und wie ihre Teileinheiten zusammenarbeiten, um den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern. Hierzu kann sie zwischen verschiedenen generischen Mehrwertstrategien92 auswählen. Aus den zahlreichen strategischen Ansätzen zur Mehrwertschaffung durch die Konzernleitung (corporate parenting) in der Literatur (z.B. Porter 1987a; Chandler 1991; Hungenberg 1992; Goold/Campbell/Alexander 1994; Ringlstetter 1995; Bowman/Helfat 2001; Grant 2002; Goold/Campbell 2002; Hill/Jones
91
92
Diesbezüglich plädieren auch Mellewigt und Matiaske für eine integrative Betrachtung, die „hilfreich wäre, um die komplexen Beziehungen zwischen Strategie, Struktur und Umwelt von Konzernen abbilden zu können“ (Mellewigt/Matiaske 2001: 139). Der Zusatz „generisch“ soll auf ihre Abgrenzung von funktionalen Strategien wie z.B. Produkt-, Marketing-, Vertriebs-, Innovations-, Einkaufs- oder IT-Strategie hinweisen.
101
2008; Frost/Morner 2010a)93 lassen sich drei Grundformen extrahieren:94 Dieses sind die Mobilisierungs-, die Spezialisierungs- und die Synergiestrategie, deren Ziele und Inhalte zunächst beschrieben werden sollen, bevor ihre Implikationen für die Steuerung im Konzern zu erörtern sind. Das Ziel der Mobilisierungsstrategie95 liegt in der Optimierung der Leistungsfähigkeit einzelner Konzerneinheiten durch einen effektiveren und effizienteren Ressourceneinsatz (z.B. Porter 1987a; Ringlstetter 1995; Steidl 1999; Backmann 2001; Resch 2005). Dieses Ziel kann auf zwei Wegen erreicht werden: Durch Binnen- und Außenmobilisierung. Bei der Binnenmobilisierung wird die Steigerung der Effizienz innerhalb der Konzerneinheiten beabsichtigt. Sie zeichnet sich durch eine hohe Eingriffstiefe der Konzernleitung in das operative Geschäft der Konzerneinheiten aus. Eine Binnenmobilisierung kann beispielsweise erfolgen, indem die Konzernleitung die Geschäftsprozesse und Organisationsstrukturen der Konzerneinheiten anpasst. Der Zweck derartiger Eingriffe liegt in der Freisetzung überschüssiger Ressourcen (organisational slack) innerhalb der Konzerneinheiten. Durch den Abbau bzw. die Verhinderung des Aufbaus von Slack-Ressourcen96 soll die Effizienz innerhalb der Konzerneinheit und dadurch der Gesamtwert des Konzerns gesteigert werden. Bei der Außenmobilisierung wird hingegen die Steigerung der Effektivität des Ressourceneinsatzes im Konzern angestrebt, indem die Konzernleitung über die Verteilung knapper Ressourcen zwischen unterschiedlichen Konzerneinheiten entscheidet. Die Effektivität des Ressourceneinsatzes lässt sich erhöhen, wenn Konzerneinheiten mit geringen Ertragsaussichten finanzielle Ressourcen entzogen werden können, um sie denjenigen Konzerneinheiten zuzu-
93
94
95 96
Da die einzelnen Strategiekonzepte in den untersuchungsrelevanten Aspekten inhaltlich weitgehend kongruent sind, soll auf eine vergleichende Darstellung dieser Ansätze verzichtet werden; vgl. hierzu weiterführend z.B. Steidl (1999: 79-85); Backmann (2001: 4-8); Resch (2005: 46-50); Knoll (2008: 47-54). Neben den hier dargestellten drei Grundformen findet sich u.a. bei Porter (1987a: 49-52); Hungenberg (1992: 348); Goold/Campbell/Alexander (1994: 219-242) und Ringlstetter (1995: 105-117) mit dem Portfoliomanagement bzw. Corporate Development eine weitere Mehrwertstrategie, die sich auf die strategische Gestaltung des Unternehmensportfolios durch Akquisitionen und Desintegration von Unternehmensteilen bezieht, jedoch über die an dieser Stelle betrachteten Überlegungen zur Organisationsgestaltung hinausgeht. Vgl. ähnlich Timmermann (1988: 100-104), der die Strategie des Portfoliomanagements verwirft, was er damit begründet, dass diese unter der Annahme funktionierender Kapitalmärkte keinen konzernspezifischen Strategieansatz zur Mehrwertschaffung durch die Konzernleitung darstellt. Die Mobilisierungsstrategie wird in der Literatur auch als „stand-alone influence“ oder „Intrapreneurshipstrategie“ bezeichnet (z.B. Goold/Campbell/Alexander 1994: 78; Frost/Morner 2010a: 105). Slack-Ressourcen bezeichnen diejenigen Ressourcen, welche über das zur Zielerreichung notwendige Maß in den Konzerneinheiten vorhanden sind; vgl. weiterführend z.B. Penrose (1959: 67-71); Cyert/March (1963: 47); Galbraith (1973: 30-31); Pfeffer (1981: 103-105); Weidermann (1984: 18-21); Scharfenkamp (1987: 2228); von Siemens (1997: 31-33); Backmann (1999).
102
weisen, die aus Sicht der Konzernleitung über höhere Erfolgschancen verfügen (Ringlstetter 1995: 100).97 Das Ziel beider Varianten der Mobilisierungsstrategie liegt also in der Einzeloptimierung von Konzerneinheiten und folglich in der Maximierung ihrer individuellen Wertbeiträge (Frost/Morner 2010a: 106). In Anbetracht dessen erfolgt die Steuerung der Konzerneinheiten in erster Linie durch den Einsatz ergebnisorientierter Mechanismen, auf deren Grundlage die Konzernleitung ihre Allokations- und Restrukturierungsentscheidungen trifft (z.B. Porter 1987a: 52-53; Martinez/Jarillo 1989: 492; Goold/Campbell/Alexander 1994: 102). Die weitgehende Unabhängigkeit der Konzerneinheiten von der Konzernleitung sowie von anderen Einheiten soll zu einer hohen operativen Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit auf Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsbedingungen führen. Im Gegensatz zur Konzernstrategie der Mobilisierung setzen die Spezialisierungs- und Synergiestrategie eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Konzerneinheiten voraus, um Mehrwert zu schaffen; sie können daher als kollektive Mehrwertstrategien bezeichnet werden. Mit der Spezialisierungsstrategie98 zielt die Konzernleitung darauf ab, Spezialisierungsvorteile durch eine organisatorische Konzentration von Wertschöpfungsaktivitäten zu realisieren (z.B. Steidl 1999: 56-57; Frost/Morner 2010a: 112-117). In Konzernen werden Funktionen und Aufgaben typischerweise in Shared Service Center innerhalb von Zentralbereichen oder in Competence Center innerhalb von Organisationseinheiten zusammengeführt, auf die andere Konzerneinheiten zugreifen können. Beispiele hierfür sind eine zentrale Beschaffung, Rechtsabteilung, PR-Bereiche oder ein übergreifender IT-Support. Durch die Zusammenlegung vormals verteilter Aufgaben- und Funktionsbereiche sollen Spezialisierungsvorteile in Form von Skalen- und Verbundeffekten realisiert werden (Frost/Morner 2010a: 112). Skaleneffekte (economies of scale) treten im Einproduktfall auf und stellen Kostenersparnisse dar, die entweder infolge von Fixkostendegressionen oder Lernkurveneffekten die durchschnittlichen Gesamtkosten der Konzerneinheiten reduzieren (Rodermann 1999: 152-160). Verbundeffekte (economies of scope) resultieren hingegen nicht aus einer Steigerung der Abnahmemenge, sondern aus dem Einsatz gleichartiger Ressourcen für die Erstellung verschiedener Produkte bzw. Leistungen.99 Durch die Erzielung von Skalen- und Verbundeffekten lässt sich somit 97
98
99
Die Reallokation von Ressourcen wird in der Literatur gemeinhin im Hinblick auf finanzielle Ressourcen diskutiert (z.B. Porter 1987b: 35), kann aber grundsätzlich alle Arten von Ressourcen umfassen, deren Einsatz nicht an eine Konzerneinheit gebunden ist. Die Spezialisierungsstrategie wird in der Literatur auch als „functional and service influence“, „activity sharing“ oder „Aufgabenzentralisierung“ bezeichnet (z.B. Porter 1987a: 55; Goold/Campbell/Alexander 1994: 187). Als Ursache liegt den Verbundeffekten zugrunde, dass einige Ressourcen (z.B. Produktionsfaktoren) nicht in beliebige Einheiten teilbar sind, so dass bei der Beschaffung derartiger Ressourcen Überkapazitäten geschaffen werden, die anderen Konzerneinheiten zugute kommen können (Baumol/Panzar/Willig 1988: 71).
103
Mehrwert aus Effizienzpotenzialen für den Gesamtkonzern schaffen (Foss/Iversen 1997: 2; Frost/Morner 2010a: 114). Darüber hinaus werden in der Literatur noch Spezialisierungsvorteile aus Transfereffekten angeführt, die aus der Übertragung von Gütern und Leistungen zwischen den Konzerneinheiten entstehen und bei Produkterstellung anderer Einheiten eingesetzt werden können (Foss/Iversen 1997). Sie resultieren beispielsweise aus dem Transfer von Best Practices zwischen Konzerneinheiten, bei der die empfangende Konzerneinheit von dem Wissen der abgebenden Einheiten profitiert (Szulanski 1996). Durch den Transfer entstehen für den Konzern endogene Wachstumspotenziale, weil die benötigten Ressourcen weder extern akquiriert noch intern neu generiert werden müssen, sondern immer wieder teileinheitsübergreifend angewendet werden können (Frost/Morner 2010a: 114-115). Mit der Synergiestrategie100 verfolgt die Konzernleitung die Absicht, Leistungsbeziehungen zwischen den Konzerneinheiten aufzubauen und ihre bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern (z.B. Porter 1987a; Ropella 1989; Reißner 1992; Ehrensberger 1993; Goold/Campbell/Alexander 1994; Gleissner 1994; Ringlstetter 1995; Foss/Iversen 1997; Steidl 1999; Rodermann 1999; Iversen 2000b; Backmann 2001; Martin 2002; Biberacher 2003; Knoll 2008; Frost/Morner 2010a). Die Zusammenarbeit kann insofern einen Mehrwert für den Gesamtkonzern erzeugen, da sie nicht zwangsläufig zur Leistungserstellung der einzelnen Konzerneinheiten notwendig ist. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass die einzelnen Konzerneinheiten prinzipiell auch ohne die Zusammenarbeit mit anderen Einheiten bestandsfähig wären. Die Kooperation der Konzerneinheiten stellt somit ein fakultatives Koordinationspotenzial dar, das zur Gesamtwertsteigerung des Konzerns genutzt werden kann (Steidl 1999: 58). Als Voraussetzung für die Realisierung von Synergien im Konzern wird häufig ein hoher Verwandtschaftsgrad zwischen den Ressourcen und Aktivitäten der Konzerneinheiten angeführt (z.B. Chatterjee/Wernerfelt 1991; Harrison et al. 1991; Robins/Wiersema 1995). Diese auch als „relatedness“ oder „Ähnlichkeit“ bezeichnete Eigenschaft ergibt sich aus gleichartigen strategischen Anforderungen der Konzerneinheiten.101 Sie bildet dabei sowohl das Potenzial zur Mehrwertschaffung durch die Zusammenarbeit der Konzerneinheiten als auch das Risiko einer Wertvernichtung bei einem zu geringen Verwandtschaftsgrad zwischen ihnen ab (Goold/Campbell/Alexander 1994: 140-146, 304-352). Häufig beruht sie auf identischen Beschaffungs- und Absatzmärkten, ähnlichen Geschäftsmodellen oder einer hohen Management- und Ressourcenverwandtschaft der Konzernein-
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101
Die Synergiestrategie wird in der Literatur auch als „Synergiemanagement“, „linkage influence“ oder „transferring skills“ bezeichnet (z.B. Porter 1987a: 53; Goold/Campbell/Alexander 1994: 187; Gleissner 1994: 26; Ringlstetter 1995: 99). Zum Einfluss des Verwandtschaftsgrads von Ressourcen auf die Realisierung von Synergien vgl. Rodermann (1999: 85-89) sowie die dort durchgeführte Metaanalyse empirischer Studien.
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heiten. Diese Eigenschaften können dazu beitragen, Kundenbedürfnisse durch bereichsübergreifend erbrachte Komplettlösungen umfassend zu erfüllen (Ringlstetter 1995: 91; Frost/Morner 2010a: 94-101).102 Der Begriff der „Synergie“, der dieser Mehrwertstrategie zugrunde liegt, lässt sich etymologisch auf das griechische Wort „synergo“ (syn: „zusammen“ und ergo: „Arbeit“) zurückführen und bedeutet wörtlich Mitarbeit bei der gemeinsamen Verrichtung von Aufgaben bzw. sinngemäß das Zusammenwirken von mehreren Aufgabenträgern (z.B. Goold/Campbell 1998: 133; Sandler 1991: 8). Synergiekonzepte bilden mittlerweile einen festen Bestandteil des Strategischen Managements und lassen sich auf Igor Ansoff zurückführen, der Mitte des letzten Jahrhunderts einen auf Synergien ausgerichteten Ansatz der Corporate Strategy entwickelte. Er beschreibt Synergiepotenziale darin als Möglichkeit für Unternehmen, aus dem Zusammenwirken seiner organisatorischen Einheiten einen höheren Wert (Return on Invest) zu erzielen, als es die Summe der Einzelwerte seiner Teileinheiten darstellt („2+2>4“; Ansoff 1965: 75). Seither haben sich zahlreiche Arbeiten mit der Synergieproblematik befasst und Ansoffs Konzept weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Arbeit von Porter (1987a) zu nennen, der Ansoffs Ideen mit dem Konzept der Wertschöpfungskette verknüpft und auf diese Weise eine Differenzierung unterschiedlicher Synergiepotenziale nach Organisationsfunktionen ermöglicht (Porter 1999: 409-412). Die zahlreichen Weiterentwicklungen dieser beiden Ansätze führten im Zeitverlauf jedoch zu einer Verwässerung von Begrifflichkeiten und wissenschaftlicher Konzepte103, indem plötzlich alternative Mehrwertarten wie Skalen- und Verbundeffekte mit Synergien gleichgesetzt wurden.104 Kritisiert wird vor diesem Hintergrund:
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So wird das Beispiel eines Konzerns angeführt, „in dem nicht nur eine Teileinheit Verkehrssysteme produzieren und verkaufen, sondern eine andere auch die Finanzierung sicherstellen sollte. Eine dritte Teileinheit sollte schließlich den Betrieb übernehmen“ (Ringlstetter 1995: 91). Für einen Überblick über unterschiedliche theoretische und heuristische Synergiekonzepte vgl. z.B. Rodermann (1999); Biberacher (2003: 12-28); Wöginger (2004: 55-81); Weiß (2008: 30-56). Für eine Darstellung von mehr als 150 Interpretationsversuchen des Synergiebegriffs in der Literatur vgl. Rodermann (1999: 400420). Vgl. hierzu z.B. Panzar/Willig (1981: 4); Bailey/Friedlander (1982: 1025); Ropella (1989: 234); Rodermann (1999: 162); Biberacher (2003: 22). In einigen Arbeiten wird die Spezialisierungsstrategie daher auch als „identitäre“ Spezialform der Synergiestrategie interpretiert (z.B. Ringlstetter 1995; Steidl 1999; Martin 2002).
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„Synergy is a concept fraught with ambiguity about its sources and effects, perhaps as a consequence of previous literature on the subject not distinguishing between these” (Iversen 2000b: 1; ähnlich Copeland/Koller/Murrin 2002: 153).105
Zudem führten massenhaft gescheiterte Realisierungsversuche in der Praxis106 dazu, dass man sich sowohl in der Forschung als auch Unternehmenspraxis zunehmend auf „Synergien“ im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen und -aufkäufen (Mergers & Acquisitions) konzentrierte (z.B. Ehrensberger 1993; Rodermann 1999; Wöginger 2004; Hofmann 2004), jenen aus der laufenden Zusammenarbeit im Unternehmen dagegen nur wenig Aufmerksamkeit schenkte (z.B. Steidl 1999; Biberacher 2003). Aufgrund der dargelegten begrifflichen und konzeptionellen Unschärfen soll im Rahmen der nachfolgenden Betrachtungen (Abschnitt 2.3.3.2) von der allgemeinen Synergiekonzeption und -terminologie Abstand genommen werden, stattdessen spezifische Mehrwertarten nach den Formen bereichsübergreifender Zusammenarbeit aus einer mikroanalytischen Ressourcen- und Aktivitätenperspektive herausgearbeitet werden. Die drei generischen Mehrwertstrategien werden in der Unternehmenspraxis nur selten exklusiv bzw. in Reinform durch die Konzernleitung eingesetzt. Wie die empirischen Studien von Schmidt (1993) und Biberacher (2003) zeigen, wendet ein Großteil der untersuchten deutschen Konzerne Kombinationen dieser idealtypischen Mehrwertstrategien an. So kommt Schmidt (1993: 89-90) zu dem Ergebnis, dass von den insgesamt 75 befragten Konzernunternehmen 85% die Synergie- und 76% die Spezialisierungsstrategie als überwiegend oder teilweise verfolgte Mehrwertstrategie wählen. Gleichzeitig gaben 53% der Konzerne an, die Mobilisierung als überwiegend oder teilweise verfolgte Strategie bei ihren Tochtergesellschaften einzusetzen. Biberacher (2003: 229) kommt bei seiner Untersuchung von 40 Konzernen zu einem ähnlichen Ergebnis und weist nach, dass insgesamt 68% der befragten Unternehmen die Synergie- und Spezialisierungsstrategie107 und 56% die Mobilisierungsstrategie verfolgen.108 Aus den Studienergebnissen geht zwar hervor, dass diese Konzerne verschiedene Mehrwertstrategien gleichzeitig verfolgen, dabei darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass eine Realisierung derart hybrider Ansätze problemlos möglich ist. Dies gilt zwar im Falle der Spezialisierungsstrategie, die grundsätzlich parallel zu den beiden anderen Strategien an-
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Diese Situation lässt sich auch treffend mit einem Zitat Poppers kennzeichnen, der feststellt, dass „die Trivialität und Vagheit des Satzes, daß das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, anscheinend selten bemerkt wird“ (Popper 1987: 65). Vgl. hierzu z.B. Goold/Campbell/Alexander (1994); Rodermann (1999). Biberacher hat bei seiner Erhebung die Spezialisierung nicht als eigenständige Mehrwertstrategie, sondern als Sonderform der Synergiestrategie erhoben (2003: 228). Weitere empirische Untersuchungen, welche auf die Verfolgung hybrider Mehrwertstrategien bei USamerikanischen Großunternehmen hinweisen, finden sich z.B. bei Haspeslagh (1982) sowie Porter (1987a).
106
wendbar ist; allerdings kann eine gleichzeitige Verfolgung der Mobilisierungs- und Synergiestrategie zu Komplikationen führen, da diese unterschiedliche Quellen von Mehrwert betreffen: Während bei der Mobilisierung auf die Verbesserung der individuellen Leistungsfähigkeit einzelner Konzerneinheiten abgezielt wird, wird mit der Synergiestrategie die Verbesserung der Zusammenarbeit mehrerer Einheiten beabsichtigt. Demzufolge ergeben sich aus der Mobilisierungsstrategie andersartige Steuerungsaufgaben für die Konzernleitung, als sie zur Umsetzung der Synergiestrategie vonnöten sind (Weiß 2008: 14): Werden die Eingriffe der Konzernleitung bei der Mobilisierungsstrategie weitgehend auf die Vorgabe und Kontrolle finanzieller Ergebnisziele beschränkt, so führt eine gleichzeitige Forderung nach der Realisierung von Synergien zu einer Reduktion der Autonomie und Handlungsflexibilität der Konzerneinheiten. Da diese bei der Mobilisierungsstrategie jedoch nur für die Ergebnisse ihrer eigenen Entscheidungen verantwortlich gemacht werden können, begrenzt die Synergiestrategie die Möglichkeiten ihrer unabhängigen Bewertung. Dies wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Ursache- und Wirkungszusammenhänge von Synergien kaum zu ermitteln sind und damit eine kosten- und leistungsgerechte Zurechnung von Synergieeffekten zumeist unmöglich ist (Hill/Hoskisson 1987: 334; Zimmerman 1997: 102).109 Die dargestellten Ansätze bilden den strategischen Kontext zur Mehrwertschaffung im Konzern. Die Wahl der Mehrwertstrategie wirkt sich maßgeblich auf die organisatorische Gestaltung der Aufgaben- und Entscheidungsstrukturen im Konzern aus, die es nachfolgend zu beleuchten gilt.
2.3.1.2
Zentralisation und Dezentralisation der Konzernorganisation
Im Kern organisatorischer Gestaltung geht es um die Frage nach Zentralisation und Dezentralisation von Aufgaben- und Entscheidungskompetenzen. Sie tritt immer dann auf, wenn Aufgaben im Unternehmen nicht an einer Stelle erfüllt werden können, sondern auf mehrere Aufgabenträger verteilt werden müssen und dadurch Abhängigkeiten zwischen ihnen entstehen. Wie für viele der grundlegenden betriebswirtschaftlichen Termini gibt es auch für das Begriffspaar „Zentralisation“ und „Dezentralisation“ eine Vielzahl uneinheitlicher Definitionen in der Literatur (z.B. Bleicher 1966; Picot 1993; Hungenberg 1995: 44; Ringlstetter 1997: 99-104; Bassen 1998; Drumm 2004a; Frese 2005: 233; Käfer 2007;
109
Aufgrund dieses Problems wird in der Literatur auch von einer „Unvereinbarkeit“ bzw. „Widersprüchlichkeit“ von Mobilisierungs- und Synergiestrategie gesprochen (z.B. Ringlstetter 1995: 118-124; Frost/Morner 2010a: 125).
107
Frost/Morner 2010a: 33-39).110 Aus den unterschiedlichen Konzepten lassen sich jedoch zwei Gruppen von Ansätzen destillieren, die Zentralisation und Dezentralisation in unterschiedlicher Weise begrifflich konkretisieren (Hungenberg 1995: 45): Erstens sind dies Ansätze, die das Begriffspaar dazu verwenden, um das Problem der Aufgabenverteilung auf Organisationseinheiten zu beschreiben. Nach dieser Auffassung bezeichnet Zentralisation die Zusammenfassung gleichartiger Aufgaben innerhalb einer Organisationseinheit und Dezentralisation die Verteilung gleichartiger Aufgaben auf mehrere unterschiedliche Einheiten (z.B. Nordsieck 1934; Kosiol 1962; Bleicher 1966; Picot/Dietl/Frank 2005: 64). Die zweite Gruppe betriebswirtschaftlicher Ansätze konzentriert sich bei der Definition von Zentralisation und Dezentralisation auf die Zuordnung von Entscheidungskompetenzen auf die hierarchisch über- und untergeordneten Führungsebenen in Unternehmen (z.B. Mellerowicz 1961; Gutenberg 1962; Hungenberg 1995; Drumm 2004a; Frese 2005: 233). In diesen Ansätzen wird das allgemeine organisatorische Zuordnungsproblem von Aufgaben begrifflich und konzeptionell von dem speziellen Zuordnungsproblem von Entscheidungsaufgaben getrennt.111 Eng verbunden mit den beiden Ansätzen der Zentralisierung und Dezentralisierung von Aufgaben und Entscheidungen sind die Prinzipien der (Leistungs-) Autarkie und der (Entscheidungs-) Autonomie (Ringlstetter 1995: 42-53; Steidl 1999: 45-51). Die Autarkie beschreibt die Eigenschaft einer Konzerneinheit, Aufgaben eigenständig und unabhängig von anderen Konzerneinheiten zu erfüllen. Der Autarkiegrad spiegelt damit das horizontale Abhängigkeitsverhältnis einer Konzerneinheit zu anderen Konzerneinheiten im Hinblick auf ihre Leistungsbeziehungen wider. Eine Konzerneinheit gilt dann als vollkommen autark, wenn sie über keinerlei Leistungsbeziehungen zu anderen Konzerneinheiten verfügt.112 Dies bedeutet, dass die Konzerneinheit die zur Leistungserstellung notwendigen Ressourcen von externen Quellen bezieht und ihre erbrachten Leistungen auch vollständig über konzernexterne Märkte absetzt. Umgekehrt ist diejenige Konzerneinheit vollkommen inautark, die ausschließlich nur konzerninterne Leistungsbeziehungen unterhält. Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen somit, dass der Grad der Autarkie von Konzerneinheiten aus der Entscheidung der Konzern110
111 112
Dem Wortstamm nach kann Zentralisation als Bewegung zu einem Zentrum hin bzw. Konzentration eines Merkmals in einem Zentrum und Dezentralisation als Verteilung eines Merkmals über mehrere Einheiten beschrieben werden; vgl. z.B. Hungenberg (1995); Bassen (1998). Der Duden definiert Zentralisation als „organisatorische Zusammenfassung gleichartiger Aufgaben, Arbeitsplätze u.a. nach bestimmten Merkmalen zu einem einheitlichen Komplex“ (Scholze-Stubenrecht et al. 1997: 858). So bezeichnet z.B. Mellerowicz (1961: 18) die allgemeine Zuordnung von Aufgaben auch als „(De-) Konzentration“ und die spezielle Zuordnung von Entscheidungsaufgaben als „(De-) Zentralisierung“. Die Autarkie der Konzerneinheiten wird in diesem Zusammenhang nur aus der Binnenperspektive des Konzerns heraus betrachtet, um das Verhältnis der Konzerneinheiten zueinander abbilden zu können. Aus einer externen Perspektive lässt sich die Autarkie einer Konzerneinheit bspw. anhand der Abhängigkeit von externen Lieferanten und Abnehmer bemessen; so wäre eine Konzerneinheit hochgradig inautark, wenn sie von einem einzigen mächtigen Lieferanten oder Kunden abhängig ist (Steidl 1999: 46).
108
leitung für die Verfolgung einer bestimmten Mehrwertstrategie resultiert. Aus organisatorischer Sicht determiniert die Wahl der Mehrwertstrategie die Form und die Intensität der Interdependenzen zwischen den Konzerneinheiten (Ringlstetter 1995: 47).113 Bei der Mobilisierungsstrategie sind die Konzerneinheiten weitgehend autark und damit unabhängig in ihrer Leistungserbringung. Zwischen den Konzerneinheiten bestehen keine Interdependenzen, oder sie werden weitestgehend durch die Konzernleitung unterbunden. Hingegen sind die Konzerneinheiten bei der Spezialisierungs- und Synergiestrategie auf eine Zusammenarbeit angewiesen und damit weitgehend inautark. In der Konsequenz erhöhen sich bei den kollektiven Mehrwertstrategien gegenüber der Mobilisierung die Anforderungen an die Konzernleitung, die interdependenten Leistungsbeziehungen zum Zwecke der Mehrwertschaffung zu koordinieren (Porter 1987a; Campbell/Goold/Alexander 1994). Im Gegensatz zur Autarkie wird die Autonomie der Konzerneinheiten nicht von ihren horizontalen Leistungsbeziehungen bestimmt, sondern von der vertikalen und horizontalen Verteilung von Entscheidungskompetenzen im Konzern. Die Autonomie beschreibt somit den Grad der Eigenständigkeit einer Einheit gegenüber der Konzernleitung (vertikale Autonomie) sowie gegenüber anderen Konzerneinheiten (horizontale Autonomie) hinsichtlich der Möglichkeit, unabhängig Entscheidungen treffen zu können.114 Für den Grad der Autonomie einer Konzerneinheit ist daher die Verteilung von Weisungs- und Entscheidungsrechten im Konzern ausschlaggebend. Diese hängt wiederum ebenfalls von der ausgewählten Mehrwertstrategie ab: Bei der Mobilisierung wird der Einheit prinzipiell weitgehende Entscheidungsautonomie gewährt. Die Konzernleitung greift nur dann in die Entscheidungen der Konzerneinheit ein, wenn dadurch entweder Effizienzsteigerungen innerhalb der Einheit möglich sind (Binnenmobilisierung), oder wenn sie Mehrwertpotenziale durch die Reallokation von Ressourcen zwischen den Einheiten identifiziert (Außenmobilisierung). Dadurch reduziert sie die vertikale Entscheidungsautonomie der zu mobilisierenden Konzerneinheit. Da die Spezialisierungs- und Synergiestrategien Leistungsbeziehungen zwischen den Konzerneinheiten voraussetzen, erfordern sie neben einer zentralen Koordination durch die Konzernleitung auch eine intensive Abstimmung von Entscheidungen zwischen den Konzerneinheiten. Hierdurch wird der Grad der vertikalen und horizontalen Entscheidungsautonomie der Konzerneinheiten im Vergleich zur Mobilisierungsstrategie erheblich reduziert.
113 114
Eine ausführliche Behandlung unterschiedlicher Interdependenzformen erfolgt in Abschnitt 2.4.1. Ringlstetter grenzt die Autonomie auf die vertikale Verteilung von Entscheidungskompetenzen zwischen der Konzernleitung und den nachgelagerten Konzerneinheiten ein und bezeichnet die horizontale Autonomie als Derivat der vertikalen Autonomie, da „solche Abstimmungsnotwendigkeiten nicht selten aufgrund entsprechender Vorgaben der Konzernleitung [entstehen; K.B.]“ (Ringlstetter 1995: 43). Allerdings unterminiert eine derartig reduzierte Betrachtung der Autonomie die Potenziale der Selbstabstimmung, wie sie in Abschnitt 2.2.3 beschrieben wurden.
109
Es zeigt sich, dass die Parameter Autarkie und Autonomie folglich nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern dass die Intensität der Leistungsbeziehungen und die daraus resultierenden Interdependenzen zwischen den Organisationseinheiten Auswirkungen auf die Verteilung der Entscheidungskompetenzen im Konzern haben.115 Aus den strategischen Mehrwertzielen ergibt sich somit die Aufgabe für die Unternehmensführung, bei der Gestaltung der Konzernorganisation für einen optimalen Ausgleich116 zwischen Dezentralisation und Zentralisation der Leistungsautarkie und Entscheidungsautonomie zu sorgen, um die vorhandenen Mehrwertpotenziale bestmöglich zu erschließen. Wie zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis zeigen, stellt dieser Ausgleich die Konzernleitung vor große Herausforderungen bei der Organisationsgestaltung.117 Konzernen wird daher „häufig zugeschrieben, dass sie im Zeitablauf zwischen eher zentralen und eher dezentralen Organisationsstrukturen pendeln“ (Bassen 1998: 1).
Das Ziel der Gestaltungsaufgabe liegt also in der Ermittlung des optimalen Dezentralisationsgrads, um die Vorteile, die aus einer Zentralisation resultieren, mit denen der Dezentralisation zu vereinen und die jeweiligen Nachteile, die mit diesen Strukturalternativen einhergehen, zu minimieren. Im Konzern entstehen Zentralisationsvorteile durch den verstärkten Einfluss der Konzernleitung auf ihre Teileinheiten, wodurch sie Mehrwertpotenziale identifizieren und deren Realisierung bei den dezentralen Einheiten veranlassen kann. Die hierfür erforderlichen Eingriffe der Konzernleitung gehen in der Regel allerdings erstens mit höheren Koordinationskosten aus den vertikalen und horizontalen Abstimmungen im Konzern einher. Sie reduzieren zweitens die Flexibilität der Konzerneinheiten und können drittens die Motivation der Organisationsmitglieder zu eigenständigem Handeln mindern. Im Ergebnis wird dadurch der Gesamtnutzen der Zentralisation gesenkt (z.B. Bassen 1998: 48-53). Dezentralisationsvorteile entstehen hingegen durch die Erhöhung der Flexibilität, Reaktionsgeschwindigkeit und Produktivität der Konzerneinheiten. Sie sind allerdings mit höheren Autonomie- bzw. Autarkiekosten verbunden, die auch als Opportunitätskosten der Nicht-Realisierung von Mehrwertpotenzialen interpretiert werden können. Die Gestaltungsziele Zentralisation und 115 116
117
Vgl. auch Fuchs-Wegner und Welge (1974: 166), die eine hohe Entscheidungsautonomie von Konzerneinheiten als Folge geringer Interdependenzen zu anderen Einheiten auffassen. In der Governance-Perspektive wird dieses Optimum etwa auf diejenige Gestaltungslösung zurückgeführt, die mit minimalen Transaktionskosten im Unternehmen verbunden ist; dagegen wird in der KompetenzPerspektive die Effektivität der Ressourcenverwendung als Bewertungskriterium verwendet; vgl. Abschnitt 2.1.3. Frost/Morner (2010a: 40-53) verdeutlichen diesen Sachverhalt am Beispiel des Unternehmens Hewlett Packard, dessen Organisationsstrukturen in den letzten Jahrzehnten „Pendelbewegungen“ zwischen Dezentralisation und Zentralisation aufweisen. Weitere prominente Praxisbeispiele stellen etwa die Dezentralisation des Bayer-Konzerns im Jahre 2002 (Käfer 2007: 271-296) sowie die sukzessive (Re-) Zentralisation der Deutschen Telekom AG seit 2005 dar (VWD 2005; Hofer/Louven/Fröndhoff 2006; Louven 2009; Wendel 2009).
110
Kosten der Dezentralisation
Dezentralisation sind somit konfliktär: Die Realisierung von Zentralisationsvorteilen bedingt einen geringeren Erreichungsgrad von Dezentralisationsvorteilen und vice versa (z.B. Bamberg/Coenenberg/Krapp 2008: 42-51). Auf Grundlage dieser Überlegungen lassen sich zwei Kostenverläufe ableiten: Die Kurve der Autonomie- bzw. Autarkiekosten und die der Koordinationskosten. Die Autonomie- bzw. Autarkiekosten steigen in Abhängigkeit vom Dezentralisationsgrad, während die Koordinationskosten demgegenüber sinken. Der optimale Dezentralisationsgrad von Entscheidungen und Aufgabenausführung liegt somit im Minimum der Gesamtkostenkurve, die sich aus der Addition beider Kurven ergibt (Abbildung 3).
Gesamtkosten Koordinationskosten Autonomie-/ Autarkiekosten
0
Optimum
1
Dezentralisationsgrad Abbildung 3:
Ermittlung des optimalen Dezentralisationsgrads (schematisch; Quelle: Eigene Darstellung nach Frese 2005: 146)
An der bisherigen Diskussion zeigt sich, dass dieser optimale Dezentralisationsgrad von der Mehrwertstrategie determiniert wird. Aber auch in umgekehrter Richtung können interdependente Aufgaben und Entscheidungen die Wahl der Mehrwertstrategie beeinflussen: Bestehen intensive Kooperationsbeziehungen zwischen den Konzerneinheiten, so sollte sich die Konzernleitung entweder für eine adäquate Strategie zur Schaffung von Mehrwert aus der Zusammenarbeit seiner Einheiten entscheiden oder durch entsprechende Gestaltung der Konzernorganisation für eine Auflösung dieser Verflechtungen sorgen, um die Einheiten unabhängig voneinander mobilisieren zu können. In diesem Zusammenhang können sich 111
allerdings Probleme bei der Quantifizierung von Kosten und Vorteilen der Dezentralisierung ergeben, welche die Ermittlung der Beiträge der Konzerneinheiten zur Unternehmenswertsteigerung erschweren; sie liegen nachfolgender Betrachtung zugrunde.
2.3.1.3
Unternehmenswertsteigerung durch Mehrwertschaffung
Die Wahl der Mehrwertstrategie und die organisatorische Gestaltung von Entscheidungs- und Aufgabenstrukturen dienen dem übergeordneten Konzernziel der Maximierung seines Unternehmenswertes. Durch die Optimierung der Wertbeiträge der Konzerneinheiten gilt es, den höchstmöglichen Unternehmenswert für interne und externe Anteilseigner des Konzerns (Shareholder Value) sowie für zusätzliche Anspruchsgruppen wie z.B. Mitarbeiter und Lieferanten (Stakeholder Value) zu generieren (Ballwieser 2004; Palli 2004: 131). Mit der wachsenden Bedeutung wertorientierter Konzepte zur Unternehmensführung (Value Based Management) in den letzten 20 Jahren nahm auch der Einsatz von erfolgs- bzw. wertorientierten Controllingkennzahlen wie beispielweise Return on Invest (ROI), Economic Value Added (EVA) oder Earnings Before Interests, Taxes, Depreciation and Amortization (EBITDA) innerhalb der Unternehmenssteuerung drastisch zu.118 Anhand dieser Kennzahlen sollen die jeweiligen Beiträge von Organisationseinheiten zur Unternehmenswertsteigerung ermittelt und daraufhin ihr wirtschaftlicher Erfolg beurteilt werden.119 Alle Ansätze zur Ermittlung der Unternehmenswertsteigerung – unabhängig davon, ob es sich um residualgewinnbasierte, ertrags- oder liquiditätsorientierte Konzepte handelt – beruhen dabei letztendlich auf der Berechnung der Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals (Eigenkapitalrendite; Günther 1997: 7-11). Im Hinblick auf die Steuerung in Unternehmen gründen die wertorientierten Controllingansätze vornehmlich auf der Agencytheorie und ihren spezifischen Verhaltensannahmen, wie sie in Abschnitt 2.1.1.3 behandelt worden sind (z.B. Weber et al. 2004: 199-205). Aspekte der Verhaltenssteuerung von Akteuren werden im wertorientierten Controlling als mehrstufige Prinzipal-Agenten-Beziehungen interpretiert: Auf der ersten Stufe treten die Anteilseigner als Prinzipal über die Konzernleitung als Agenten auf, welche von ihnen mit der Durchsetzung ihrer Interessen (Maximierung der Eigenkapitalrendite) beauftragt worden sind. Auf der 118
119
Vorreiter der wertorientierten Unternehmensführung war die Shareholder Value-Analyse nach Rappaport (1986), deren wesentlicher konzeptioneller Beitrag in der Identifikation von „Werttreibern“ des Unternehmenswertes besteht. Neben einer Reihe weiterer Finanzkennzahlen werden insbesondere Cash Flow-bezogene Größen wie bspw. Discounted Cash Flow, Cash Flow Return on Invest, Cash Value Added und Market Value Added als Indikatoren der Wertschaffung eingesetzt. Zu ihrer Praxisrelevanz sowie für eine Übersicht der wichtigsten Konzepte vgl. Hahn/Hintze (2006) und ausführlich z.B. Klien (1995); Günther (1997); Landsmann (1999: 117-161); Hachmeister (2002); Biberacher (2003: 436-461); Ballwieser (2004); Palli (2004); Weber (2004: 43-84); Weber/Schäffer (2006: 170-180); Küpper (2009: 280-281).
112
nächsten Stufe stellt die Konzernleitung den Prinzipal über ihre Bereichs- oder Divisionsleiter (Agenten) dar. Auf der übernächsten Stufe sind diese wiederum Prinzipal über ihre Abteilungsleiter usw. Charakteristikum dieser mehrstufigen Steuerungsbeziehungen ist, dass es den jeweiligen Agenten aufgrund ihres Informationsvorsprungs möglich ist, eigene Interessen zu verfolgen, die denen der Prinzipale entgegenstehen. Die Lösung von Prinzipal-AgentenProblemen erfolgt durch die Verknüpfung der wertorientierten Kennzahlenziele mit kontingenten Anreizen zur Motivation der Agenten. Damit soll bezweckt werden, dass die Agenten ihre eigenen Interessen unterordnen und durch konforme Handlungsweisen zum übergeordneten (Prinzipal-) Ziel der Unternehmenswertsteigerung beitragen. Um Motivationswirkung zu entfalten, müssen die Kennzahlen folglich zielkongruent und maßgenau sein (z.B. Fischer 1999: 24-25; Weber et al. 2004: 84-92). Zielkongruenz wurde oben damit beschrieben, dass die Steuerungsgrößen die Organisationsmitglieder in die richtige Richtung motivieren müssen. Im Hinblick auf die Mehrwertschaffung heißt dies, dass sich nicht nur ein höheres individuelles Erfolgsniveau der einzelnen Konzerneinheiten im Anreizsystem widerspiegeln muss, sondern auch, dass die Interdependenzbeziehungen zu anderen Einheiten darin Berücksichtigung finden müssen (Biberacher 2003: 435). Die Maßgenauigkeit hingegen zielt darauf ab, das der Prinzipal-Agenten-Beziehung anhaftende Problem der „hidden action“ (vgl. Abschnitt 2.1.1.3) zu mildern, welches bei der Zusammenarbeit von Konzerneinheiten von besonderer Bedeutung ist und erfordert, dass die Zielgrößen im Idealfall so zu definieren sind, dass sie die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse reflektieren, d.h. die Erfolgswirksamkeit der Kooperationsbeziehungen eindeutig abbilden können und frei von Ermessensspielräumen sind. Im Zuge der Verbreitung wertorientierter Ansätze wurde vor allem der Kennzahl EVA120 besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Der EVA wurde zu Beginn der 1990er Jahre von der Unternehmensberatung Stern Stewart & Co. entwickelt und wird aufgrund seiner Namensgebung weitläufig als „Mehrwert-Konzept“ interpretiert (z.B. Perlet/Müller 2002: 1027; Weber et al. 2004: 115-116). Dieser Entwicklung lag die Absicht zugrunde, das Ziel der Unternehmenswertsteigerung für die Eigenkapitalgeber durch eine einzige, periodische Kennzahl zu operationalisieren (Stern/Chew 1992; Stern/Stewart 1994). Neben seinem originären Zweck, die Wertentwicklung am Kapitalmarkt zu kommunizieren und unternehmensübergreifend vergleichbar zu machen, wurde der EVA jedoch auch zunehmend für die Erfolgsmessung und Steuerung einzelner Geschäftsbereiche innerhalb von Unternehmen gefordert (Stern/Shiely/Ross 2001). Mittlerweile stellt der EVA die von den DAX-100 Unternehmen
120
Für eine ausführliche Diskussion des EVA-Einsatzes in der Unternehmenspraxis vgl. Chew (1998: 242-365).
113
meistverwendete Spitzenkennzahl zur Unternehmenssteuerung dar (Aders/Hebertinger 2003).121 Der EVA ist eine residualgewinnbasierte Kenngröße, nach der Mehrwert definiert wird als Differenz zwischen der Kapitalrendite – ausgewiesen als bereinigtes operatives Betriebsergebnis (net operating profit after taxes, NOPAT) – und den nach Risikogesichtspunkten zugewiesenen Gesamtkapitalkosten (z.B. Coenenberg/Salfeld 2003: 265-266; Perlet/Müller 2002: 1028).122 Der EVA einer Periode t lässt sich somit durch folgende Formel ausdrücken (z.B. Weber et al. 2004: 55; Biberacher 2003: 446):
–
NOPATt Investiertes Kapitalt-1 · Gesamtkapitalkostensatz t
=
EVAt
Aufbauend auf der Prämisse der Wertadditivität sieht das EVA-Konzept vor, Konzerne in einzelne Organisationseinheiten zu disaggregieren und ihren Beitrag zur Wertschaffung durch einen isolierten Erfolgsausweis zu bewerten (Zimmerman 1997: 99; Günther 1997: 379; Stern/Shiely/Ross 2002: 10). Um nachhaltig zur Unternehmenswertsteigerung beizutragen, müssen die einzelnen Organisationseinheiten dem Ansatz zufolge auf Dauer einen positiven EVA erwirtschaften. Bei der Erfolgsbewertung anhand des EVA-Konzepts geht es somit stets um die Frage, inwieweit eine Steigerung des EVA zwischen zwei Perioden erreicht werden konnte. Die relevante Kennzahl ist der sogenannte ǻEVA (z.B. Coenenberg/Salfeld 2003: 266):
–
EVAt EVAt-1
=
ǻEVAt
Den Erfindern des Konzepts nach eigne sich der EVA besonders zur Steuerung multidivisionaler Großunternehmen wie Konzernen, da es angeblich die Fähigkeit des Managements zur 121
122
Laut einer im Jahre 2003 durchgeführten Studie der Unternehmensberatung KPMG verwenden 97% der DAX-100 Unternehmen eine am Unternehmenswert orientierte Kennzahl. Dabei wurde der EVA von 54% der Unternehmen als Spitzenkennzahl eingesetzt und verzeichnete im Vergleich zum Jahre 2000 (39%) einen deutlichen Anstieg. Im Vergleich wurden im Jahre 2003 Cash Flow-basierte Kennzahlen von 21% (bzw. 10% in 2000) und renditeorientierte Kennzahlen (RoI, RoE, RoCE etc.) von 16% (bzw. 37% in 2000) der Unternehmen als Spitzenkennzahl eingesetzt (Aders/Hebertinger 2003). Zu diversen Möglichkeiten der Ermittlung des EVA vgl. z.B. Günther (1997: 233-238); Biberacher (2003: 444-458); Coenenberg/Salfeld (2003: 264-267); Weber (2004: 55-72).
114
Wertschaffung abzubilden vermag und damit folglich auch zu einer leistungsgerechten Entlohnung herangezogen werden könne (Stern/Shiely/Ross 2001; Perlet/Müller 2002).123 Diese Aussage ist aus zwei Gründen jedoch äußerst kritisch zu beurteilen: Erstens wird Mehrwert im EVA-Konzept ausschließlich als die Steigerung des Wertbeitrags einer Konzerneinheit zwischen zwei Perioden betrachtet (ǻEVA). Die Interdependenzen zwischen den Einheiten führen jedoch dazu, dass ein ausschließlich auf die Optimierung der Einzelwertbeiträge ausgerichtetes Kennzahlensystem nur einen Teil der tatsächlichen Wertschaffung der Konzerneinheiten abbildet. Demzufolge eignet sich das Konzept zweitens nicht gleichermaßen für sämtliche Mehrwertstrategien im Konzern. Während sich der EVA als Steuerungskennzahl für Konzerneinheiten, bei denen die Konzernleitung eine Mobilisierungsstrategie verfolgt und damit die Maximierung ihrer individuellen Wertbeträge beabsichtigt, prinzipiell anbietet, eignet sich das Konzept dagegen nicht bei der Spezialisierungs- oder Synergiestrategie. Dies liegt daran, dass die „vielfältigen Vorteile interner Beziehungen im EVA-Konzept bzw. in den Unternehmen, die dieses Konzept anwenden, vom Konstruktionsprinzip her keine Rolle [spielen; K.B.], soweit sie die Grenzen der EVA-gemäß abgegrenzten Teilunternehmen übergreifen. Verbundeffekte werden im Rechnungswerk und folglich auch im Anreizsystem nicht erfasst, und es würde sich für einen Abteilungsleiter nicht lohnen, sie zu nutzen oder auszubauen. […] Gibt es potentielle Synergien, verführt das angeblich am stärksten dem Aktionärsinteresse entsprechende Organisations- und Steuerungssystem dazu, diese ungenutzt zu lassen“ (Schmidt/Maßmann 1999: 11).
In Konzernen, in denen Kooperationseffekte aus der Zusammenarbeit zwischen Konzerneinheiten einen wesentlichen Treiber des Unternehmenswertes darstellen, eignet sich eine ausschließliche Erfolgsmessung und Steuerung dieser Einheiten auf der Basis des EVA-Ansatzes damit nicht. Die Aussage, dass der EVA in der Lage ist, die gesamte Wertschaffung von Organisationseinheiten abzubilden ist unzutreffend und seine Bezeichnung als „MehrwertKonzept“ daher irreführend (Weber et al. 2004: 116). Diese Kritik wird auch durch die Ergebnisse der in jüngster Zeit vermehrten Untersuchungen zum Synergiecontrolling gestützt (z.B. Hofmann 2005; Weber/Roventa 2006; Wala/Messner 2007; Niggemann/Gleich/Wald 2008). So untersucht Biberacher (2003: 433-463) im Rahmen seiner Konzeption eines Synergiecontrollings die Eignung wertorientierter Steuerungsgrößen zur Messung und Bewertung von Kooperationseffekten zwischen disaggregierten Unternehmensbereichen. Er kommt zu der Erkenntnis, dass sich weder der EVA-Ansatz noch alternative wertorientierten Ansätze (z.B. Discounted Cash Flow, Market Value Added und Cash 123
Für Praxisbeispiele des Einsatzes wertorientierter Controllingkonzepte in deutschen Konzernen (z.B. Lufthansa AG, Deutsche Telekom AG, EnBW AG, METRO Group AG, Heidelberger Druckmaschinen AG, und DELTON AG) vgl. Claassen/Hentschel (2003); Eick/Kerkhoff (2003); Wagner/Straube (2003); Jendrock (2004); Steinke/Beißel (2004); Körber (2006); Meyer (2006); Schweickart/Töpfer (2006).
115
Value Added) eignen, um Mehrwerteffekte aus der Zusammenarbeit von Organisationseinheiten zu messen und zu bewerten (Biberacher 2003: 447, 460). Die These der Erfinder des EVA-Konzepts, die Ermittlung der Wertbeiträge auf Basis des EVA sei bis auf die kleinste operative Organisationseinheit – bei einer entsprechenden Gestaltung der Unternehmensstruktur und des Controllings – kein Problem (Stern/Shiely/Ross 2002: 10), kann im Falle von Kooperationseffekten im Konzern somit nicht gehalten werden. Die Anwendung des EVAAnsatzes impliziert, dass die Gesamtleistung des Konzerns lediglich aus der Summe der Einzelwertbeiträge der Konzerneinheiten besteht und betrachtet diese Konzerneinheiten als alleinstehende und unabhängige Einzelunternehmen. Dies trifft allenfalls im Falle der Mobilisierungsstrategie zu, jedoch nicht bei der Verfolgung von Mehrwertstrategien, die kollektives Handeln im Konzern vorsehen. Der renommierte Management Accounting-Forscher Jarold Zimmerman kritisiert daher vehement:124 „Such a practice effectively assumes there are no synergies among the different units – that is, no joint costs or shared benefits that make the firm worth more than the sum of its parts. To the extent this assumption is false and there are valuable synergies, divisional measures can be highly misleading indicators of value added and provide the wrong incentives for divisional managers. But if there are no synergies, it raises doubt about the wisdom of including the different divisions under the same corporate umbrella“ (Zimmerman 1997: 99).
Gleichermaßen gilt dies auch für die Steuerung von Konzerneinheiten auf Grundlage ihrer EBITDA-Ergebnisse. Der EBITDA ist eine ertragsorientierte Kennzahl und beziffert den Jahresüberschuss vor Steuern, Zinsergebnis, außerordentlichem Ergebnis und Abschreibungen des Unternehmens. Er ist international weitverbreitet und gilt neben dem EVA als eine der aussagekräftigsten Erfolgskennzahlen, um die operative Ertragskraft von Unternehmen und ihrer Teileinheiten zu beurteilen. Da Unternehmen international unter unterschiedlichen steuerrechtlichen Gesetzgebungen bilanzieren, wird anstelle des EBITDA oftmals lediglich der EBIT als Kennzahl für Unternehmensvergleiche herangezogen. Der Zusammenhang zwischen EBIT und EVA lässt sich durch folgende Formel ausdrücken (z.B. Günther 1997: 233-238; Weber et al. 2004: 64-68; Meyer 2006: 652):
124
Für eine kontroverse Diskussion zwischen Jarold Zimmerman und Joel Stern zur (Nicht-)Eignung des EVAAnsatzes für die Steuerung multidivisionaler Unternehmen im Rahmen des von Stern Steward & Co. veranstalteten EVA-Roundtable vgl. Chew (1998: 263-266).
116
–
Nettoumsatzt Betriebskostent
= –
EBITt Steuernt
= –
NOPATt Investiertes Kapitalt-1 · Gesamtkapitalkostensatzt
=
EVAt
Die Ausführungen verdeutlichen, dass sich weder das EVA-, das EBITDA- noch andere wertbzw. erfolgsorientierte Controllingkonzepte eignen, um explizit diejenigen Mehrwerteffekte zu ermitteln, die sich aus der Zusammenarbeit von Konzerneinheiten ergeben. Zwar beeinflussen Kooperationseffekte mittelbar die Ergebnisse der Konzerneinheiten, jedoch lassen sich die Ursache/Wirkungsbeziehungen für den (Miss-) Erfolg der Einheiten anhand dieser Kennzahlen nicht erfassen. Die Aussage, ob die Steuerung der Kooperationsbeziehungen erfolgreich war, ließe sich hingegen nur treffen, wenn im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswerts eine Rechnung ohne gesteuerte Kooperation mit einer Rechnung mit gesteuerter Kooperation verglichen würde. Die auf diese Weise ermittelte Differenz würde den Mehrwert der Steuerung in dieser Periode abbilden. Zimmerman schlussfolgert hieraus: „And that is ultimately the conundrum that you have with EVA or any other performance measure. You can allocate costs down to the penny, and they will be right in an arithmetic sense. But they don’t tell you anything about the real economic profitability of producing that joint product. Neither EVA nor any accounting system is set up to handle this kind of problem that arises from synergies” (Zimmerman 1998: 264).
Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass die Annahme, sämtliche Wertbeiträge von Organisationseinheiten ließen sich durch den Einsatz wertorientierter Unternehmensführungskonzepte bei einer entsprechenden Gestaltung der Organisationsstrukturen und der Controllinginstrumente exakt ermitteln, im Falle der Spezialisierungs- und Synergiestrategie falsch ist. Die Entwickler derartiger Steuerungskonzepte gehen von der vereinfachenden Prämisse der Wertadditivität einzelner Einheiten aus und unterminieren somit kollektive Mehrwertpotenziale aus der Kooperation zwischen Unternehmenseinheiten, die dazu führen, dass der Konzern als Ganzes gerade mehr wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Unter einer Anpassung der Strukturen an ein wertorientiertes Konzept verstehen die Autoren allein die strikte Disaggregation von Organisationseinheiten und Kompetenzen (Stern/Shiely/Ross 2002: 68-70). Eine derartige Organisationsgestaltung mag zwar aus Sicht des EVA für die Zurechnung des investierten Kapitals oder die Ermittlung der Kapitalkosten wünschenswert 117
sein. Sie lässt jedoch außer Acht, dass nicht die Mehrwertstrategie dem Controlling zu folgen hat, sondern dass die Aufgabe des Controllings in der Bereitstellung adäquater Instrumente zur rechnerischen Ermittlung von Mehrwerteffekten liegt. Ein mehrwertorientiertes Controlling muss daher dafür Sorge tragen, dass aus der Zusammenarbeit von Konzerneinheiten resultierende Kooperationseffekte beispielsweise durch Verrechnungspreise oder andere vorgegebene Aufteilungssystematiken auf alle beteiligten Einheiten aufgeteilt werden, oder dass durch entsprechende Anreizsysteme das Interesse, bereichsindividuelle Wertsteigerungen auf Kosten anderer Konzerneinheiten zu realisieren, aufgehoben oder zumindest gemindert wird (Biberacher 2003: 435). Die Ermittlung von Ursachen und Wirkungen kollektiver Mehrwerteffekte in Unternehmen und die Entwicklung darauf ausgerichteter Steuerungskonzepte stellen das Controlling als Organisationsfunktion und als Wissenschaftsdisziplin bis heute jedoch noch vor große Schwierigkeiten (z.B. Günther 1997: 379; Biberacher 2003: 458; Baum/Coenenberg/Günther 2007: 307-308). So ist es (nicht) verwunderlich, dass, obwohl der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Heinrich von Pierer in seinem Vorwort zum Controlling-Lehrbuch von Coenenberg und Salfeld (2003) Synergien als wesentlichen Werttreiber zur Steigerung des Unternehmenswerts benennt125, die Autoren bei der Entwicklung ihres wertorientierten Unternehmensführungskonzepts die Synergieproblematik fast gänzlich außer Betracht lassen.126 Andere Autoren wie Römer (2008) sprechen aufgrund der schwierigen Ermittelbarkeit von Kooperationseffekten durch Controllingkennzahlen sogar von einem „Trugbild der Synergie-Effekte“ und bezweifeln damit – streng nach dem Motto „you can only manage what you can measure“ – grundsätzlich die Existenz kollektiven Mehrwerts in Unternehmen. Führt man diesen Gedanken aus organisationstheoretischer Sicht weiter, so würde Unternehmen als Ressourcenpools die Existenzberechtigung gegenüber Märkten entzogen werden. Aufgrund der beschriebenen Unzulänglichkeiten wertorientierter Konzepte zur Ermittlung kollektiver Mehrwertpotenziale und der darauf basierenden Steuerung von Kooperationsbeziehungen zu ihrer Realisierung soll Mehrwertschaffung im Nachfolgenden aus einer ressourcen- und aktivitätsorientierten Perspektive betrachtet werden. Diese Sichtweise kann dabei als geeigneter Zugang dienen, um sich dem Phänomen der Mehrwertschaffung im Konzern zu nähern. Die generischen Strategien führen aus dieser Perspektive immer dann zur Schaffung des angestrebten Mehrwerts, wenn es durch sie gelingt, die für den Gesamtkonzern 125 126
„Synergiemanagement ist ein wichtiger Teil unserer wertorientierten Strategie und eines unserer größten Erfolgspotenziale“ (von Pierer 2003: VII). Synergien werden bei Coenenberg und Salfeld nur kurz erwähnt, in diesem Zusammenhang jedoch als „kosteneffiziente Zusammenlegung zentralisierbarer Leistungsbereiche einzelner Geschäftsfelder“ (Coenenberg/ Salfeld 2003: 76) definiert und können somit der Spezialisierungsstrategie zugeschrieben werden; vgl. hierzu auch die Kritik an existierenden Synergiedefinitionen in Abschnitt 2.3.1.1.
118
respektive seinen einzelnen Konzerneinheiten verfügbare Ressourcenbasis zu erweitern und dadurch den Unternehmenswert zu steigern. Um das in den wertorientierten Ansätzen vernachlässigte Problem kollektiver Mehrwertschaffung näher zu analysieren, wird der Fokus der nachfolgenden Ausführungen auf die Konzernstrategien der Spezialisierung und Synergie gelegt. Hinsichtlich des organisationalen Kontextes ist dabei von folgender Grundsituation auszugehen: Durch die strukturelle Konfiguration werden einerseits Ressourcen in Konzerneinheiten zusammengeführt, andererseits aber durch die Aufgabendezentralisation voneinander getrennt (Nadler/Tushman 1988: 86). Erfolgt im Rahmen der Organisationsgestaltung eine derartige Dezentralisation, so ist es kurzfristig nicht möglich (bzw. nicht sinnvoll), die auf diese Weise getrennten Ressourcen mittels Verflechtungsleistungen wieder zu integrieren. An genau diesem Punkt setzt die Steuerung zur Mehrwertschaffung an: Es geht darum, durch fakultative Koordinationsleistung die den einzelnen Konzerneinheiten zugängliche Ressourcenbasis mittels eines „Leveraging“ (Hansen/Peytz 1991: 129; Hamel/Prahalad 1993: 78) zu erweitern und auf diesem Wege einen Mehrwert für den Gesamtkonzern zu generieren. Welche Interdependenzformen aus der Zusammenarbeit zur Realisierung unterschiedlicher Mehrwertarten resultieren, und welche Steuerungslösungen in der Literatur unterbreitet werden, um die damit verbundenen Koordinationsprobleme zu lösen, sind Bestandteile des Abschnitts 2.4.
119
2.3.2 Ressourcen und Aktivitäten als Potenziale für Konzernmehrwert Die Orientierung des strategischen Ziels der Unternehmenswertsteigerung an der Ressourcenbasis des Konzerns ermöglicht eine umfassendere Analyse der Mehrwertschaffung, als es mit wertorientierten Ansätzen möglich ist. Ressourcenbasierte Ansätze gehen über die reine Ergebniswirkung von Kooperation und Steuerung hinaus und stellen ihre Wirksamkeit in Bezug auf materielle und immaterielle Ressourcen, die für den Konzern verfügbar gemacht werden, jedoch weder explizit in der Konzernbilanz erscheinen noch in Form von Dividendenzahlungen an die Anteilseigner ausgeschüttet werden, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Aus dieser Perspektive liegt das Steuerungsziel in der nachhaltigen Steigerung des Konzernwerts durch die Ausweitung seiner verfügbaren Ressourcenbasis. Dementsprechend stehen nicht finanzielle Zielgrößen im Mittelpunkt ressourcenorientierter Ansätze, sondern die ökonomische Rente127 (z.B. Schoemaker 1990; Conner 1991; Peteraf 1993; Amit/Schoemaker 1993; Collis/Montgomery 1997: 38-40; Madhok/Tallman 1998; Mahoney 2001). Der Vorteil der Rentenbetrachtung liegt darin, dass die bilanztechnische Definition von Gewinnen nicht hinreichend präzise ist, um sämtliche Wertsteigerungspotenziale im Unternehmen zu berücksichtigen (Grant 1991: 134). Dies liegt daran, dass durch Wettbewerbsvorteile begründete Gewinnpotenziale nicht zwangsläufig auch kurzfristig realisiert werden müssen, wenn sie langfristig einen höheren Gesamtgewinn für den Konzern versprechen. Wenn Konzerneinheiten beispielsweise im Zuge einer Penetrationsstrategie durch niedrigere Preise kurzfristig auf einen Teil ihres Gewinns verzichten, dann erfasst die Rente dennoch die gestiegenen Marktanteile und das daraus resultierende Wertpotenzial, das sich durch eine rein finanzielle Betrachtung nicht erfassen ließe. Insofern ermöglichen Renten neben der Feststellung erzielter Wettbewerbsvorteile auch die Berücksichtigung von Mehrwertpotenzialen – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Realisierung (Madhok/Tallman 1998: 326; Rodermann 1999: 279).
2.3.2.1
Mehrwertschaffung durch konzernspezifische Ressourcenbündel
Der ressourcenbasierte Ansatz wird mittlerweile von zahlreichen Autoren als geeigneter Ausgangspunkt zur Erklärung der Mehrwertschaffung in Unternehmen gewählt (z.B. Ringlstetter 1995; Foss/Iversen 1997; Rodermann 1999; Steidl 1999; Biberacher 2003; Hofmann 2004; 127
In der Literatur finden sich zahlreiche Rentendefinitionen, wie z.B. „the excess amount earned by a factor over the sum necessary to induce it to do its work” oder „the excess earnings over the amount necessary to keep the factor in its present occupation” (Wessel 1967: 1222). Für einen Überblick über unterschiedliche Renten-Konzepte vgl. z.B. Shepherd (1970); Schoemaker (1990); Amit/Schoemaker (1993).
120
Weiß 2008; Frost/Morner 2010a). Organisationstheoretisch ist der Ansatz im Resource Based View begründet.128 Basierend auf den Vorarbeiten von Penrose (1955, 1959) wurde das strategische Konzept des Resource Based View (resource based view of strategy) von Wernerfelt (1984) entwickelt, erfuhr jedoch erst mit dem Kernkompetenzansatz von Prahalad und Hamel (1990) den Durchbruch in Theorie und Praxis (Wernerfelt 1995: 171; Foss 1999b). Das Konzept betrachtet Unternehmen nicht aus einer produkt- oder marktorientierten Sichtweise, sondern im Hinblick auf die zur Wertschöpfung eingesetzten Ressourcen im Unternehmen (z.B. Penrose 1959; Wernerfelt 1984; Barney 1991). Damit beruht der ressourcenbasierte Ansatz auf einer nach innen orientierten Betrachtung von Unternehmen, ohne seine Außenbeziehungen und seine Positionierung im Marktumfeld zu berücksichtigen (z.B. Collis 1991: 50; Amit/Schoemaker 1993: 40). Seinem Kernargument folgend kann ein Unternehmen nur dann dauerhaft Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Marktteilnehmern realisieren, wenn es Asymmetrien in der wettbewerbsrelevanten Ressourcenausstattung der einzelnen Marktteilnehmer gibt, die auch nachhaltig von ihm verteidigt werden können (z.B. Wernerfelt 1989: 4; Barney 1991: 101; Rühli 1994: 46-47). In der Literatur finden sich zahlreiche uneinheitliche Definitionen und Kategorisierungsansätze für unterschiedliche Ressourcenarten (z.B. Chatterjee/Wernerfelt 1991: 34-35; Grant 1991: 118, 2002: 130-175; Amit/Schoemaker 1993: 35; Collis/Montgomery 1995: 119-120, 1997: 27-37; Teece/Pisano/Shuen 1997: 516; Eisenhardt/Martin 2000: 1105). Nach Wernerfelt werden Ressourcen verstanden als „anything which could be thought of as a strength or weakness of a given firm” (1984: 172; ähnlich Itami/Roehl 1991: 54). Eine Präzisierung dieser recht abstrakten Definition findet sich bei Barney: „[F]irm resources include all assets, capabilities, organisational processes, firm attributes, information, knowledge, etc. controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve its efficiency and effectiveness” (Barney 1991: 101).
In Anlehnung an Barneys Interpretation bietet sich im Hinblick auf anschließende Analyse ihrer spezifischen Mehrwertarten die Unterscheidung zwischen materiellen, finanziellen und immateriellen Ressourcen129 an (Chatterjee/Wernerfelt 1991: 35-36): Materielle Ressourcen sind tangible Güter, die durch die räumliche Ausdehnung und die physische Identifizierbarkeit sowie die Möglichkeit der Akkumulation gekennzeichnet sind. Beispiele materieller Res-
128 129
Zu den Verhaltensannahmen im Resource Based View vgl. Abschnitt 2.1.3.3; zur Kritik vgl. z.B. Kraaijenbrink/Spender/Groen (2010). Damit geht das Ressourcenverständnis weit über das traditionelle Verständnis der Produktionsfaktoren hinaus, das sich auf objektbezogene und dispositive Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoffe beschränkt (Gutenberg 1983: 1-2). Die Vertreter des ressourcenbasierten Ansatzes sind sich einig, dass diese traditionellen Ressourcen nur generische Produktionsfaktoren darstellen, die über Märkte handelbar sind und daher nicht das Potenzial zur Entwicklung strategischer Wettbewerbsvorteile bieten (z.B. Frost 2005: 137).
121
sourcen sind Produktionsanlagen, Gebäude, Rohstoffe und Transportmittel. Finanzielle Ressourcen stellen die liquiden Finanzmittel des Unternehmens dar und umfassen z.B. seinen freien Cash Flow, ungenutzte Kreditlinien, zugängliches Eigenkapital und risikobehaftete Kredite. Immaterielle Ressourcen markieren hingegen physisch nicht greifbare, intangible „Güter“ wie etwa Markenimage, Innovationsfähigkeit und Reputation eines Unternehmens sowie das Wissen und die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter (Hall 1992, 1993). Diese Ressourcenarten werden nach ihren Eigenschaften untersucht, dem Unternehmen strategisch-relevante Wettbewerbsvorteile zu generieren, die sich von Wettbewerbern nicht oder nur unter hohem Aufwand nachahmen lassen (Conner 1991: 121). Im Sinne eines Potenzials ermöglichen Ressourcen somit zukünftiges Handeln im Unternehmen und stehen auf diese Weise für die Mehrwertschaffung und Wertsteigerung des Konzerns. Aus der Ressourcenperspektive lassen sich Konzerne dabei als besondere Organisationsform interpretieren, die durch ihre divisionsübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten spezifische und strategisch relevante Ressourcenbündel erstellen können, welche in dieser Form von anderen Unternehmen nicht spontan nachvollziehbar sind und darum einen hohen Grad an Nachhaltigkeit versprechen (Black/Boal 1994: 135). Die Existenz konzernspezifischer Ressourcenbündel stellt vor diesem Hintergrund zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dar, um Mehrwertpotenziale aus der gesteuerten Zusammenarbeit von Konzerneinheiten zu erschließen und daraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Zudem ist es vonnöten, dass die eingesetzten Ressourcen über eine Reihe wettbewerbsrelevanter Charakteristika verfügen, die in der Literatur häufig mit den Adjektiven „einzigartig“, „schwer imitierbar“ und „überlegen“ beschrieben werden (z.B. Rodermann 1999: 290). Diese Notwendigkeit beruht im Wesentlichen auf zwei Grundannahmen: Basis für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen ist erstens die Heterogenität und zweitens die Immobilität der Ressourcen, über die die konkurrierenden Unternehmen verfügen (Barney 1991; Rasche/Wolfrum 1994). Wäre die Ressourcenausstattung homogen, so könnten Strategien eines Unternehmens von der Konkurrenz übernommen werden, und Wettbewerbsvorteile ließen sich für keines der Unternehmen realisieren. Wären die zur Zielverfolgung eingesetzten Ressourcen dagegen nicht immobil („klebrig“), so könnte die heterogene Ressourcenausstattung durch eine Akquisition dieser Ressourcen durch die Konkurrenz zügig ausgeglichen werden – Wettbewerbsvorteile erwiesen sich in dieser Situation als nur sehr kurzfristiger Natur (Peteraf 1993: 182). Folglich liegt es auf der Hand, dass nicht alle verfügbaren oder akquirierbaren Ressourcen eines Konzerns dazu geeignet sind, auf ihnen eine längerfristig stabile asymmetrische Ressourcenausstattung gegenüber Konkurrenzunternehmen zu gründen. Vielmehr identifiziert Barney (1991: 105-112) vier Eigenschaften
122
strategischer Relevanz, über die Ressourcen notwendigerweise verfügen müssen, um dauerhaft verteidigungsfähige Wettbewerbsvorteile zu ermöglichen:130 Um eine Ressource als strategisch relevant einordnen zu können, muss diese in erster Linie einen wertstiftenden Charakter am Markt besitzen, d.h. ein Ressourcenbündel ist nur dann wettbewerbsrelevant, wenn sich daraus Leistungen mit einem einzigartigen Zusatznutzen entwickeln lassen, für den die Kunden bereit sind, zu zahlen (Rasche 1994: 89).131 Zweitens muss das Kriterium der Knappheit erfüllt sein. Die Ursache für die Ressourcenknappheit kann entweder darin liegen, dass sie nicht am Markt gehandelt wird oder, dass sie ihre Einzigartigkeit aus der Kombination mit anderen Ressourcen bezieht. Ihr Knappheitsgrad steht damit in engem Zusammenhang mit der Frage, ob sich die Ressourcen grundsätzlich über Märkte handeln lassen bzw. ob ein entsprechender Markt hierfür tatsächlich existiert (Barney 1986: 1231; Dierickx/Cool 1989: 1505-1506). Das Kriterium der Knappheit wird somit vor allem von unternehmensspezifischen Ressourcen erfüllt, da diese nicht allen Marktteilnehmern zur Verfügung stehen, sondern im Unternehmen selbst erzeugt werden und damit schwer transferierund handelbar sind (Frost/Morner 2010a: 71). Selbst wenn eine Ressource als wertstiftend und knapp angesehen werden kann, besteht weiterhin die Gefahr, dass ihr Wert durch Imitation bzw. Eigenaufbau durch andere Marktteilnehmer schnell erodiert. Daher muss zusätzlich das Kriterium der Nicht-Imitierbarkeit erfüllt sein, das sich aus drei Quellen speisen kann (Barney 1991: 107-111; Rasche 1994: 70-78): Nicht- (oder nur sehr schwer) imitierbar sind zum einen solche Ressourcen, die in der Unternehmenshistorizität begründet sind. Die historische Entwicklung eines Unternehmens bedingt die Entstehung idiosynkratischer Spezifika und Fähigkeiten wie beispielsweise organisationalen Routinen132, die – wenn überhaupt – ohne diesen zeitlichen Vorlauf nur unzureichend imitierbar sind. Eine zweite Quelle der Nicht-Imitierbarkeit stellen Unklarheiten über Kausalzusammenhänge (causal ambiguity) dar, in denen es für Konkurrenten nicht möglich ist, zu erklären, welche genaue Kombination bzw. Transformation von Ressourcen zu den erwünschten Wettbewerbsvorteilen führt (z.B. Dierickx/Cool 1989; Foss/Iversen 1997: 9). Selbst wenn diese Kausalzusammenhänge nachvollziehbar wären, bestünde zum dritten eine Imitationshürde darin, dass der Wettbewerbsvorteil auf einer Kombination aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen basiert, die in ihrer Komplexität von der Konkurrenz nicht kopiert werden kann. Diese drei Quellen begründen, weshalb strategisch relevante Ressourcenbündel besonders schwer zu „isolieren und 130 131
132
Zu den Eigenschaften strategischer Ressourcen vgl. ähnlich z.B. Reed/DeFillippi (1990); Collis (1991); Grant (1991); Amit/Schoemaker (1993). Dieses Kriterium ist den nachfolgenden Kriterien logisch vorgelagert, wodurch verhindert werden soll, dass vom Konzern Ressourcen akkumuliert werden, die zwar die nachfolgenden Kriterien alle erfüllen, aber dennoch nicht zur Verbesserung der Marktposition beitragen. Zum Begriff und Wesen organisationaler Routinen vgl. z.B. Grandori (2001a: 185); Frost (2005: 145-152, 342-345).
123
emulgieren“ sind, nämlich weil sie in der Tiefenstruktur des Unternehmens eingebettet sind und erst dort ihren spezifischen Wert entfalten (Frost/Morner 2010a: 73).133 Als vierte Eigenschaft strategisch relevanter Ressourcen muss schließlich das Kriterium der Nicht-Substituierbarkeit erfüllt sein. Dies ist dann der Fall, wenn keine anderweitigen, strategisch äquivalenten Ressourcen existieren, mit denen sich die gleiche Wettbewerbsstrategie verfolgen lässt. Erfüllen Ressourcen diese vier Bedingungen, werden sie zu Kernkompetenzen des Unternehmens (Prahalad/Hamel 1990; Prahalad 1993), und es kann folglich davon ausgegangen werden, dass sie einen Beitrag dazu leisten können, einen Wettbewerbsvorteil zu begründen, der auf einer längerfristig stabilen Ressourcenasymmetrie zwischen Wettbewerbsunternehmen beruht und daher auch nachhaltig verteidigungsfähig bleibt (Javindan 1998).
2.3.2.2
Arten von Mehrwert aus der ressourcen- und aktivitätenorientierten Perspektive
Sind die Eigenschaften strategischer Relevanz erfüllt, so können aus den verschiedenen Ressourcenarten unterschiedliche Formen von Mehrwert abgeleitet werden. Dabei lassen sich finanzielle Ressourcen bereits vorab aus den weiteren Betrachtungen ausschließen, weil diese keine strategische Relevanz besitzen (Lawler 1994: 5). Finanzielle Ressourcen ermöglichen keine Wettbewerbsvorteile, die auf die Kriterien Knappheit, Nicht-Imitierbarkeit und NichtSubstituierbarkeit zurückgeführt werden können, sondern bilden lediglich eine Vorstufe zu strategisch relevanten Ressourcen, wenn sie in materielle und immaterielle Ressourcen umzuwandeln sind (Steidl 1999: 137).134 Entsprechend konzentrieren sich die relevanten Ressourcenarten auf materielle und immaterielle Ressourcen.135 Im Hinblick auf die mehrwertorientierte Analyse von Ressourcen bedarf es im Bereich der immateriellen Ressourcen jedoch einer weiteren Differenzierung (Weiß 2008: 84). Hierfür wird im Folgenden ihre Bindung an materielle Güter und an Mitarbeiter zur Unterscheidung herangezogen, um immaterielle Ressourcen von personengebundenen Fähigkeiten abgrenzen zu können (Hall
133
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Hierin liegt ein weiterer Vorteil der ressourcenorientierten Betrachtung von Mehrwert, denn derartige Ressourcenbündel sind aus einer „Außenperspektive“ lediglich über ihre ökonomischen Auswirkungen, nicht jedoch in ihren wettbewerbsrelevanten Eigenschaften erkennbar und deshalb nicht in bilanziellen Kenngrößen erfassbar. Zwar werden Mehrwertpotenziale finanzieller Ressourcen auch noch in der zeitgenössischen Literatur diskutiert (z.B. Liebeskind 2000; Martin 2002; Biberacher 2003: 65-67; Besanko et al. 2007; Knoll 2008: 3847), allerdings gilt zu berücksichtigen, dass derartige Effekte nur bei ineffizienten Finanzmärkten von Bedeutung sind, die heute nicht mehr Grundlage strategischer Überlegungen sind. So auch Porter: „Zudem sind die Geld- und Kapitalmärkte bereit und in der Lage, jede aussichtsreiche Unternehmensstrategie zu finanzieren; kleine und mittlere Betriebe brauchen keine vor Liquidität strotzende Konzernmutter mehr“ (Porter 1987b: 51). Zur strategischen Relevanz materieller und immaterieller Ressourcen vgl. z.B. Steidl (1999: 137-144).
124
1992: 136-138, 1993: 608-609; Lawler 1994). Aus der Unterscheidung dieser Ressourcenarten sowie den verschiedenen Formen der Ressourcenverwendung lassen sich insgesamt fünf Arten kollektiven Mehrwerts im Konzern ableiten; diese sind:136 (1)
Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung materieller Ressourcen
(2)
Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer immaterieller Ressourcen
(3)
Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer personengebundener Fähigkeiten
(4)
Mehrwert aus vertikalen Komplementaritäten
(5)
Mehrwert aus horizontalen Komplementaritäten.
Die aufgeführten Mehrwertarten aus der Ressourcenperspektive sind dabei konsistent mit den kollektiven Mehrwertarten aus der Strategieperspektive. Dabei lassen sich die ressourcenorientierten Mehrwertformen nicht nur den Konzernstrategien der Spezialisierung und Synergie zuordnen, sie erweitern darüber hinaus auch den strategischen Betrachtungswinkel, indem sie Aussagen über die zugrunde liegende Ressourcenart und die notwendige Form der Zusammenarbeit zwischen Konzerneinheiten zulassen.137 Bei der folgenden Diskussion gilt es, Komplementaritäten ausführlicher zu behandeln, weil diese im Vergleich zu den anderen Mehrwertarten in der Literatur bislang kaum berücksichtigt worden sind. (1) Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung materieller Ressourcen Der Mehrwert aus einer bereichsübergreifenden Nutzung materieller Ressourcen lässt sich der Spezialisierungsstrategie zugeordnen und umfasst hauptsächlich die weiter oben beschriebenen Skalen- und Verbundeffekte. Der resultierende Mehrwert drückt sich in einer Sub-Additivität der Kosten für den Konzern aus, die durch Kapazitätsauslastungs-, Betriebsgrößen- und Lernkurveneffekte entstehen (Rodermann 1999: 152-165). Materielle Ressourcen müssen über drei Eigenschaften verfügen, um ein kollektives Mehrwertpotenzial darzustellen; dieses sind ihre Zugänglichkeit sowie ihre multiple und nicht-rivalisierende Nutzbarkeit (Steidl 1999: 147-151). Konzerneinheiten müssen prinzipiell Zugang zur Ressource haben, 136 137
Nach Weiß (2008: 87-102) sowie Foss/Iversen (1997); Iversen (1999, 2000a, 2000b); Kräkel (2002). Ferner lassen sich diejenigen Mehrwertpotenziale, die aus der Mobilisierungsstrategie resultieren, durch Einnahme einer ressourcenorientierten Sichtweise detaillieren. Aufgrund des interessierenden Untersuchungsgegenstandes werden die teilkonzernindividuellen Mehrwertpotenziale an dieser Stelle nicht weiter spezifiziert; vgl. hierzu weiterführend z.B. Ringlstetter (1995: 99-105); Steidl (1999: 124-163); Resch (2005: 102119).
125
um sie für sich nutzen zu können. Die multiple Nutzbarkeit bewertet, in welchem Ausmaß eine Ressource gleichzeitig und wertstiftend in verschiedenen Konzerneinheiten eingesetzt werden kann, ohne dass sich die Einheiten dadurch gegenseitig negativ beeinträchtigen (Itami/Roehl 1991: 122-123). Die nicht-rivalisierende Nutzbarkeit von Ressourcen beschreibt hingegen die Eigenschaft, bei der (multiplen) Nutzung durch die Konzerneinheiten nicht abgenutzt bzw. aufgebraucht zu werden (Frost/Morner 2010a: 148). Neben der bereichsübergreifenden Nutzung materieller Ressourcen besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit ihres Transfers zwischen verschiedenen Konzerneinheiten. Da es sich bei dieser Art übergreifend nutzbarer Ressourcen aber in der Regel um größere Produktionsanlagen, Maschinen oder ITSysteme handelt und ferner eine Übertragung der Ressourcen zu potenziellen Flexibilitätseinschränkungen bei der abgebenden Einheit führt, kann dieser Transferaspekt bei der Mehrwertbetrachtung vernachlässigt werden. (2)
Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer immaterieller Ressourcen
Aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer immaterieller Ressourcen lässt sich neben Skalen- und Verbundeffekten auch Mehrwert aus Transfereffekten erzielen. An materiell gebundene, immaterielle Ressourcen, wie z.B. Lizenzen oder Nutzungsrechte an Maschinen und Anlagen, können dabei als Bestandteil der mit ihnen verbundenen Güter betrachtet werden und übernehmen damit auch die Eigenschaften der ihnen zugeordneten materiellen Ressourcen (Ehrensberger 1993: 200-201). Bei materiell ungebundenen, immateriellen Ressourcen wie z.B. Markenimage oder Kundenbeziehungen kann zur Mehrwertschaffung die Eigenschaft der erweiterbaren Kapazität genutzt werden (Foss/Iversen 1997: 6). Diese ermöglicht aufgrund der einfachen Duplizierbarkeit die multiple und nichtrivalisierende Nutzung sowohl in der abgebenden als auch in der empfangenden Konzerneinheit. Bedingung für den Transfer von immateriellen Ressourcen ist allerdings ihre Kodifizierbarkeit bzw. Materialisierbarkeit; beispielsweise können technische Innovationen nur in Form von dokumentierten Fachspezifikationen zwischen Unternehmensbereichen übertragen werden (Weiß 2008: 90). Bei derartigen immateriellen Ressourcen ist folglich ein echter multiplikativer Transfer respektive eine Überführung in einen konzern-öffentlichen Zustand möglich (Steidl 1999: 152; Frost/Morner 2005, 2010a: 151). (3)
Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer personengebundener Fähigkeiten
Schwieriger gestaltet sich hingegen die Mehrwertschaffung durch die bereichsübergreifende Nutzung und den Transfer personengebundener Fähigkeiten. Fähigkeiten (capabilities bzw. competencies) beschreiben immaterielle „Assets“, die an Mitarbeiter gebunden sind oder diesen zumindest zugeordnet werden können (z.B. Hall 1993; Langlois 1994; Langlois/Foss 126
1999; Eisenhardt/Martin 2000; Tripsas/Gavetti 2000). Nach Grant entfalten sie ihre Wirkung jedoch erst aus der Verbindung mit anderen materiellen und immateriellen Ressourcen: „capabilities involve complex patterns of coordination between people and between people and other resources“ (Grant 1991: 122). Die Bindung von Fähigkeiten an Mitarbeiter beschränkt sie kapazitativ und behindert ihre direkte Übertragung, da sie oftmals implizites Wissen138 voraussetzt, das zumeist nicht effizient explizierbar und damit übertragbar ist (Nonaka/Takeuchi 1997: 74-75). Neben der Gebundenheit von Wissen an individuelle Personen kann es auch an Organisationen gebunden sein und beispielsweise aus Verfahrensregeln und Vorgehensweisen bestehen, die sich „eingespielt“ haben und ohne explizite Abstimmung zwischen den Organisationsmitgliedern ablaufen (Mayer-Haßelwander 2000: 172-176; Grandori 2001a: 187-189; Frost 2005: 342-345). Die Übertragung von nicht-kodifizierbaren, personengebundenen Fähigkeiten bedarf damit folglich immer auch der Einbindung der betroffenen Mitarbeiter, während organisationale Fähigkeiten zumeist weder übertragbar noch marktfähig sind, wodurch diese Ressourcenart aber gleichzeitig das Potenzial eines wichtigen, strategischen Alleinstellungsmerkmals birgt.139 Komplementaritäten Neben den bisher dargestellten Mehrwertformen existiert eine weitere Quelle des Mehrwerts in der Komplementarität von Ressourcen und Aktivitäten. Das Konzept der Komplementarität geht ursprünglich auf Edgeworth (1925) zurück und wurde bereits in den Arbeiten von Penrose (1959), Richardson (1972) und Williamson (1985) als Potenzial zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen identifiziert. Eine intensive Berücksichtigung erreichte das Konzept aber erst durch die Arbeiten von Milgrom und Roberts (1992, 1995) sowie Foss und Iversen (1997; Iversen 2000a, 2000b); insbesondere durch seine Erklärungsbeiträge zu hohen Wachstumsraten von strategischen Allianzen zwischen Unternehmen mit unterschiedlicher Ressourcenund Kompetenzausstattung (z.B. Harrison et al. 2001; Lin/Yang/Arya 2009). Im Konzept der Komplementaritäten stehen nicht die gemeinsame Nutzung und der Austausch von Ressourcen zwischen Konzerneinheiten im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern positive Interaktionseffekte innerhalb der Kooperationsbeziehungen zwischen Konzerneinheiten, die auf einer symbiotischen Verbindung ihrer Ressourcen und Aktivitäten beruhen 138
139
Implizites ist personengebundenes Wissen und dadurch zum einen kapazitativ begrenzt, zum zweiten nur schwer formalisierbar und dadurch bedingt vermittelbar. Zumeist ist es verborgenes und nicht artikulierbar Wissen, das mit den damit verknüpften Aufgaben von Mitarbeitern innerhalb eines spezifischen Handlungskontextes begründet ist (Frost 2005: 156). Explizites Wissen stellt hingegen formulierbares und reproduzierbares Wissen dar, welches relativ problemlos verbal oder schriftlich vermittelt werden kann. Zur Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen vgl. weiterführend z.B. Polanyi (1985); Nonaka (1994); Lam (2000); Von Krogh/Ichijo/Nonaka (2000); Osterloh/Frost (2002); Frost (2005: 156-158). Zu den Möglichkeiten und Grenzen des Transfers von Fähigkeiten und Wissen vgl. weiterführend z.B. Polanyi (1985: 25-32); Nonaka/Takeuchi (1997: 73-87); Osterloh/Frost (2002); Frost (2005: 158-167).
127
(Weiß 2008: 59). Auf diese Weise stellt das Konzept der Komplementaritäten neben Unternehmensressourcen auch die Aktivitäten zwischen Unternehmensbereichen in den Betrachtungsmittelpunkt. Diesem Ansatz folgend wird in der vorliegenden Arbeit die Analyse der Mehrwertschaffung aus der Ressourcensicht um die Perspektive der Aktivitäten von Konzerneinheiten (bzw. ihrer Organisationsmitglieder) erweitert.140 Milgrom und Roberts beschreiben komplementäre Aktivitäten zwischen zwei organisatorischen Einheiten wie folgt: „[…] a group of activities is strongly complementary when raising the levels of a subset of activities in the group greatly increases the returns to raising the levels of other activities” (Milgrom/Roberts 1992: 109).
Komplementaritäten charakterisieren folglich Effekte zwischen unterschiedlichen Aktivitäten, die sich gegenseitig beeinflussen und dadurch zur Erhöhung des Gesamtnutzens beitragen können. Die mathematische Definition der Komplementarität beschreibt einen gesteigerten Nutzen aus einer Aktivität eines Elementes x, das aufgrund der Steigerung der Aktivitäten eines zweiten Elements y erzielt werden kann (Milgrom/Roberts 1995: 184; Topkis 1995, 1998: 43-44). Im Konzernkontext bedeutet dies, dass eine Anpassung der Aktivität A einer Konzerneinheit dazu führen kann, dass die Effizienz der Aktivität B einer anderen Konzerneinheit steigt, indem entweder die Aufwände für die Aktivität B reduziert werden oder der Output aus der Aktivität B steigt. Das Konzept von Milgrom und Roberts setzt dabei jedoch eine Symmetrie zwischen den Aktivitäten zweier Einheiten voraus, d.h. dass der Gesamtnutzen in jedem Fall steigt, unabhängig von der Wahl der zu steigernden Aktivität (1995: 183). Im Hinblick auf die Mehrwertschaffung aus der Zusammenarbeit verschiedener Organisationseinheiten kann eine derartige Symmetrie allerdings nicht vorausgesetzt werden, da es in der Konzernpraxis durchaus der Fall sein kann, dass eine Anpassung der Aktivitäten einer Einheit zur Nutzensteigerung einer anderen Einheit führt, was in umgekehrter Richtung jedoch nicht zwangsläufig zutreffen muss.141 Ein weiterer zentraler Unterschied zu den drei zuvor genannten Mehrwertarten besteht darin, dass Komplementaritäten keine Ähnlichkeit der eingesetzten Ressourcen und Aktivitäten voraussetzen, sondern dass sich insbesondere heterogene Ressourcen und Aktivitäten von Konzerneinheiten ergänzen und auf diese Weise den Nutzen aus der Zusammenarbeit steigern (z.B. Richardson 1972: 889; Harrison et al. 2001: 680). Komplementär verbundene
140
141
Für die explizite Aufnahme von Aktivitäten in Synergiekonzepten plädieren zahlreiche Autoren; vgl. z.B. Rodermann (1999: 132); Grandori (2001a: 244); Kräkel (2002); Weiß (2008: 56). Auch die gegenwärtigen Bemühungen um die Etablierung des sog. activity based view of strategy als eigenständiges Forschungsfeld weisen auf die enorme Bedeutung der Aktivitätenperspektive hin; vgl. z.B. Johnston/Melin/Whittington (2003); Whittington (2003); Schmid (2005); Jarzabkowski/Balogun/Seidl (2007). Zur Begründung einer asymmetrischen Nutzenverteilung bei der Zusammenarbeit von Organisationseinheiten vgl. auch Foss/Iversen (1997: 7-8); Rodermann (1999: 229); Weiß (2008: 98-99).
128
Ressourcen sind dabei von hoher strategischer Relevanz, da diese nicht auf einer Steigerung der Effizienz bei der Nutzung von Ressourcen beschränkt bleiben, sondern auch die Bildung neuer Ressourcen durch Rekombination vorhandener Ressourcen ermöglicht (Foss/Iversen 1997: 10). Durch die konzernspezifischen Ressourcenkombinationen wird dabei vor allem das Risiko der Imitierbarkeit durch andere Marktteilnehmer reduziert (Iversen 2000b: 8). Nach Foss und Iversen (1997; Iversen 1999, 2000a, 2000b) lassen sich horizontale von vertikalen Komplementaritäten unterscheiden, die sie wie folgt definieren: „Optimization of the fit among sequentially performed activities (Vertical complementarities) […] Combination of the outputs of mutually adjusted activities to achieve superior functionality of the combined output (Horizontal complementarities)“ (Iversen 2000b: 3; eigene Hervorhebung).
(4) Mehrwert aus vertikalen Komplementaritäten Im Konzern entsteht ein Mehrwert aus vertikalen Komplementaritäten durch die Abstimmung und Anpassung von chronologisch aufeinanderfolgenden Aktivitäten unterschiedlicher Teileinheiten innerhalb einer gemeinsamen Wertschöpfungskette (Richardson 1972: 889). Im Gegensatz zu Mehrwertformen aus der gemeinsamen Nutzung und dem Transfer von Ressourcen werden hier die verteilten Aktivitäten aufeinander abgestimmt, ohne dass die Konzerneinheiten dieselben Ressourcen nutzen (Foss/Iversen 1997: 7-8). Vertikale Komplementaritäten beziehen sich somit nicht direkt auf die den Aktivitäten zugrunde liegenden Ressourcen, sondern auf die Abläufe und die Ergebnisse der verteilten Aktivitäten. Dabei kann die Anpassung der Aktivitäten zu Veränderungen der genutzten Ressourcen führen; die veränderten Ressourcen werden aber weiterhin innerhalb der jeweiligen Aktivitäten der Konzerneinheiten eingesetzt (Weiß 2008: 96). Die Abstimmung zwischen den Konzerneinheiten ermöglicht eine gegenseitige Unterstützung und trägt zur Vermeidung von Mehraufwand bei, die aus der Notwendigkeit zur Überarbeitung der Zwischenergebnisse der vorgelagerten Konzerneinheit durch die nachgelagerte Einheit entsteht (Porter 1996: 73; Iversen 2000b: 2-3). Vertikale Komplementaritäten können damit zur Effizienzsteigerung einer Wertschöpfungskette beitragen, indem Aktivitäten auf die Anforderungen der nachfolgenden Wertschöpfungsstufe angepasst werden (Foss/Iversen 1997: 11; Iversen 1999: 3; 2000: 3). Damit lassen sich aus vertikalen Komplementaritäten sub-additive Kooperationsrenten erschließen, aus denen dem Konzern ein Mehrwert entsteht. Vertikale Komplementaritäten können am folgenden Beispiel des Lufthansa-Konzerns verdeutlicht werden: Am Wertschöpfungsprozess der Passagierbewirtung auf Flugreisen sind Mitarbeiter der Konzerneinheiten „LSG Sky Chefs“ beteiligt, welche die Speisen herstellen und anliefern und Mitarbeiter der „Passage Airline Gruppe“, die sie in Empfang nehmen, vorbereiten und den Passagieren servieren (Lufthansa 2008). Nur durch die Steuerung der einhei129
tenübergreifenden Aktivitäten und der eingesetzten Ressourcen kann sichergestellt werden, dass die gegenseitigen Anforderungen den jeweiligen Organisationsmitgliedern bekannt sind und damit der für den Konzern bedeutsame Gesamtprozess der Passagierbewirtung effizient und einwandfrei verläuft. (5) Mehrwert aus horizontalen Komplementaritäten Der Konzernmehrwert aus horizontalen Komplementaritäten resultiert aus der Koordination unterschiedlicher Konzerneinheiten zur Kombination von heterogenen Aktivitäten im Hinblick auf die Erreichung eines gemeinsamen Aufgabenziels (Iversen 2000a: 8). Horizontale Komplementaritäten hängen dabei nicht von einem sequentiellen Ablauf der verteilten Aktivitäten ab, sondern verlaufen zumeist zeitlich parallel, was ihre Steuerung erschwert (Foss/Iversen 1997: 15). Durch die Integration der unterschiedlichen Aktivitäten und Ressourcen der Konzerneinheiten zu einer Gesamtlösung lässt sich ein zusätzlicher Wert generieren, der über die Werte der einzelnen Elemente hinausreicht. Strategische Wettbewerbsvorteile ergeben sich im Falle horizontaler Komplementaritäten im Gegensatz zu den vier zuvor genannten Mehrwertarten aus der Tatsache, dass sie nicht auf die potenzielle Steigerung der Effizienz von Ressourcen und Aktivitäten abzielen und damit auf sub-additiven Kooperationsrenten beruhen, sondern eine Entwicklung neuer Ressourcenbündel ermöglichen und dadurch zur Erzielung super-additiver Kooperationsrenten für den Konzern beitragen (Foss/Iversen 1997: 5; Frost/Morner 2010a: 180). Beispiele für horizontale Komplementaritäten lassen sich innerhalb unterschiedlicher Organisationsfunktionen finden (z.B. Varadarajan 1986; Iversen 1999: 22-24; Weiß 2008: 59-62); so etwa im Marketing (Übertragung eines Markenimages auf neue Produkte, spillover), im Vertrieb (Cross-Selling) oder in der Produktentwicklung (z.B. Softwarepakete). Weitaus größere Potenziale für horizontale Komplementaritäten birgt jedoch die funktionsübergreifende Zusammenarbeit von Organisationseinheiten, wie z.B. die Kooperation zwischen Forschung & Entwicklungs-, Produktions- und Marketingabteilungen im Rahmen des Innovationsmanagements.142 Dabei ermöglicht z.B. der bereichsübergreifende Einsatz komplementärer Wissensbestände die gemeinsame Entwicklung kreativer Lösungen, welche über Lösungsansätze der einzelnen Bereiche hinausgehen (Antonelli et al. 2008: 482). Hieran zeigt sich, dass die Nutzung komplementären Wissens von hoher strategischer Relevanz ist, dessen besonderes Wertpotenzial in einem innovativen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb begründet ist. Durch die unternehmensspezifische Bündelung verteilter Wissensbestände weist es zugleich einen hohen Grad der Knappheit und Nicht-Substituierbarkeit auf. Darüber hinaus
142
Vgl. hierzu das empirische Fallbeispiel in Abschnitt 4.2.5.
130
besteht bei horizontalen Komplementaritäten ein geringes Nachahmungsrisiko der Aktivitäten- und Ressourcenkombinationen durch Wettbewerber (z.B. Harrison et al. 2001: 681). Aus dem Vergleich der wertorientierten und der ressourcenbasierten Ansätze zur Unternehmenswertsteigerung werden zentrale Unterschiede sichtbar. In den wertorientierten Konzepten liegt das Ziel der Steuerung in der faktischen Realisierung von Mehrwert. Die Unternehmenswertsteigerung geht dabei unmittelbar mit der Erzielung periodischer Gewinne einher. Dies kann entweder durch Kostenreduktionen und der damit verbundenen Effizienzsteigerung (Spezialisierungsstrategie) oder durch die Erhöhung der Umsätze von Konzerneinheiten (Synergiestrategie) erfolgen. In den wertorientierten Spitzenkennzahlen finden Kooperationseffekte aufgrund ihrer anspruchvollen rechnerischen Ermittelbarkeit keinen expliziten Eingang, sondern werden mit Einführung der komplexitätsreduzierenden Prämisse der Wertadditivität kategorisch vernachlässigt. Folgte man dieser Grundannahme, so wären Kooperationsbeziehungen zwischen Teileinheiten nur dann von Vorteil, wenn sich dadurch ihre individuellen Ergebnisse unmittelbar verbessern, ungeachtet jedoch der übergeordneten Ergebnisauswirkungen ihrer Zusammenarbeit für den Konzern. Ressourcenbasierte Ansätze orientieren sich hingegen nicht an finanzwirksamen Ergebnisgrößen, sondern betrachten die Erzielung ökonomischer Renten. Damit berücksichtigen sie nicht nur kurzfristig realisierte Unternehmenswertsteigerungen, sondern auch Mehrwertpotenziale, die dem Konzern zu einem langfristigen strategischen Wettbewerbsvorteil verhelfen können. Die Steuerung ist demnach effektiv, wenn sie dazu beiträgt, die verfügbare Basis strategisch relevanter Ressourcen zu erweitern. Im Gegensatz zur Strategie- und Strukturperspektive ermöglicht die Ressourcenorientierung eine fein-granulare, mikroanalytische Betrachtung der Mehrwertschaffung im Konzern (Grandori 2004; Grandori/Soda 2006). Durch die Analyse der eingesetzten Ressourcen und Aktivitäten sowie ihrer Beziehungen lassen sich unterschiedliche Arten von Mehrwert identifizieren. Die Realisierung dieser Mehrwertpotenziale – und damit die Erzielung sub-additiver oder super-additiver Kooperationsrenten – setzt unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit im Konzern voraus und führt zu verschiedenartigen Interdependenzsituationen zwischen seinen Teileinheiten. Die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Mehrwertarten, Interdependenzformen und Steuerungsmechanismen sind daher Gegenstand des folgenden Abschnitts.
131
2.4 Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen im Konzern Die Erschließung der verschiedenen Arten kollektiven Mehrwerts setzt unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit im Konzern voraus. Je nachdem, wie die Konzerneinheiten kooperieren – ob sie Ressourcen und Aktivitäten teilen und gemeinsam nutzen, sie transferieren und austauschen oder sie zusammenführen und kombinieren –, entstehen unterschiedliche Interdependenzformen zwischen ihnen. Der Begriff der „Kooperation“ wurde im bisherigen Verlauf nicht definiert und erfährt in der Literatur bisweilen eine unterschiedliche Interpretation.143 Im Sinne seiner etymologischen Herkunft soll „Kooperation“ (lat. „cooperatio“: Zusammenwirkung, Mitwirkung) in dieser Untersuchung synonym zum Begriff der „Zusammenarbeit“ verwendet werden.144 Die Termini „Kooperationsbereitschaft“ und „kooperatives“ Verhalten sollen hingegen die motivationalen Eigenschaften der Organisationsmitglieder kennzeichnen. Als konditional kooperationsbereit gelten Akteure, wenn sie unter gewissen Bedingungen bereit bzw. hinreichend motiviert sind, ihre eigenen Interessen an diejenigen anderer Akteuren anzugleichen, um das gemeinsame Kooperationsziel zu erreichen (z.B. Keser/van Winden 2000; Fischbacher/Fehr/Gächter 2001; Frey/Meier 2004; Gächter 2006). Die in den Theorie-Ansätzen der Kompetenz-Perspektive unterstellte benevolente Kooperationsbereitschaft kann hingegen als eine vollständige intrinsische Akteursmotivation zur Zusammenarbeit – unter allen Umständen und ohne etwaige Gegenleistungen – verstanden werden (z.B. Bassen 1998: 75; Dosi/Marengo 2000: 82; Osterloh/Frey/Frost 2001: 232; Frost 2005: 339). Aus der Steuerungskonzeption dieser Arbeit geht hervor, dass sich die Wirksamkeit von Steuerungsmechanismen zum einen nach ihrer Leistungsfähigkeit bemisst, die arbeitsteiligen Aktivitäten zwischen den Konzerneinheiten zu koordinieren, d.h. die interdependenten und heterogenen Ressourcen und Aktivitäten sowie die sich überschneidenden Entscheidungsfelder zwischen den verteilten Organisationsmitgliedern aufeinander abzustimmen und auf das Gesamtziel des Konzerns auszurichten (Frese 2005: 136-146). Zum zweiten lässt sie sich daraus ermitteln, ob es durch ihren exklusiven oder kombinierten Einsatz mit anderen Mechanismen gelingt, zielkonforme Handlungs- und Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder innerhalb dieser Kooperationsbeziehungen herzustellen. Im Ergebnis leitet sich die Effektivität der Steuerung folglich daraus ab, inwiefern sie dazu beiträgt, diese beiden Aufgaben zu lösen und
143 144
So wird der Kooperationsbegriff beispielsweise in spieltheoretischen Ansätzen verwendet, um die Kooperationsbereitschaft der Akteure auszudrücken. In gleicher Weise interpretiert auch Grandori den Begriff der Kooperation als „to operate together“ (Grandori 2001a: 244, 440).
132
dadurch mittelbar zur Realisierung vorhandener Mehrwertpotenziale im Konzern beizutragen (Gencturk/Aulakh 1995: 762). In diesem Zusammenhang wurden Argumente gegen die axiomatische Einführung von Verhaltensannahmen angebracht und stattdessen für eine Endogenisierung von Verhaltensweisen plädiert (Abschnitt 2.1.4). Ein derartiges Vorgehen ermöglicht es, die Wirkungen, die von der Steuerung auf die Organisationsmitglieder ausgehen und dadurch ihre Handlungen beeinflussen, unvoreingenommen und explorativ im Rahmen der empirischen Untersuchung zu erfassen. Im Gegensatz zu Verhaltensweisen stellen Interdependenzen exogene Einflussfaktoren der Steuerung dar, die oben durch folgende Grundsituation beschrieben wurde: Die Interdependenzformen können zwar ex ante durch die makrostrukturelle organisatorische Gestaltung der Aufgaben(de)zentralisation von der Konzernleitung verändert werden, jedoch nicht durch den Einsatz von Steuerungsmechanismen während der laufenden Kooperation von Konzerneinheiten und ihren Organisationsmitgliedern. Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus der folgenden Ausführungen zunächst auf der Untersuchung unterschiedlicher Formen von Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten und ihrer spezifischen Mehrwertpotenziale (Abschnitt 2.4.1). Durch die Verknüpfung dieser beiden Konstrukte kann zugleich ein Beitrag zur aktuellen Forschungsliteratur geleistet werden, in der Interdependenzformen und Mehrwertarten bislang weitestgehend unabhängig voneinander betrachtet worden sind und daher kaum Erkenntnisse über ihre Zusammenhänge vorliegen.145 Daraufhin gilt es, die Erklärungsbeiträge theoriegeleiteter Konzepte zur Steuerung unterschiedlicher Interdependenzformen zu analysieren, an die sich diesbezüglich die Diskussion des derzeitigen Standes empirischer Studien im Kontext multidivisionaler Unternehmen anschließt (Abschnitt 2.4.2). Wie darzulegen sein wird, blieben trotz der Tatsachen, dass Interdependenzen in der Literatur als einer der wichtigsten Gestaltungsfaktoren der Steuerung aufgefasst werden (Puranam/Goetting/Knudsen 2010) und hierzu bereits eine Vielzahl empirischer Untersuchungen vorliegt, zentrale Fragen bislang weitgehend unbeantwortet. Ferner gilt es zu zeigen, dass die Studien nachweisen können, dass Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Steuerungsmechanismen simultan einsetzen, um die Koordinationsanforderungen zu erfüllen, die aus den Interdependenzen im Unternehmen resultieren (Abschnitt 2.4.3). Jedoch mangelt es an Beiträgen, welche Steuerungskombinationen erfolgreich eingesetzt werden können. In diesem Zusammenhang wird auch angenommen, dass Wechselwirkungen zwischen den Mechanismen existieren, wenngleich trotz expliziter Absichten einiger Autoren, diese Wirkungszusammenhänge zu konkretisieren und zu erklären, bislang weder theoretische noch empirische Erkenntnisse darüber vorliegen.
145
Zum Zusammenhang zwischen Interdependenzformen und Synergien vgl. auch Iversen (2000a); Niggemann (2008: 104-112); Frost/Morner (2010a: 184-189).
133
2.4.1 Interdependenzformen und ihre spezifischen Mehrwertpotenziale Sämtliche Formen der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Unternehmen sind dadurch konstituiert, dass unterschiedliche Organisationsmitglieder an der Nutzung, dem Austausch oder der gemeinsamen Erstellung von Ressourcen und Aktivitäten partizipieren und dadurch wechselseitige Abhängigkeiten, sogenannte Interdependenzen (lat. „inter“: „zwischen“; „dependere”: „abhängig sein”), zwischen ihnen entstehen (z.B. Lawrence/Lorsch 1967; Pfeffer 1972; Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976; Pfeffer/Nowak 1976; Baliga/Jaeger 1984; Ghoshal/Nohria 1989; Gupta/Govindarajan 1986, 2000; Simon 1991; Provan 1993; Hirst/Yetton 1999; Abernethy/Lillis 2001; Tomkins 2001; Dekker 2004; Guymon/Balakrishnan/Tubbs 2008). Anders ausgedrückt bedeutet das: „What these various types of interdependence have in common is that each describes the degree to which the task requires collective action“ (Wageman 1995: 146; eigene Hervorhebung).
Im Konzern sind Organisationsmitglieder insofern interdependent, als sie durch ihre eigene Aufgabendurchführung und Entscheidungsfindung Einfluss auf die Akteure anderer Konzerneinheiten ausüben. Diese Interdependenzen bilden damit Problem und Notwendigkeit der Steuerung von Kooperationsbeziehungen ab, um das Ziel Konzernmehrwert zu erreichen und auf diese Weise nachhaltige strategische Wettbewerbsvorteile zu schaffen (z.B. Adler 1995: 160; Saxton 1997: 443-444; Gulati/Singh 1998: 781-785; Dekker 2003: 3).146 Die grundlegende Arbeit zur Ausdifferenzierung unterschiedlicher Interdependenzformen innerhalb von Unternehmen geht auf den Organisationssoziologen James Thompson (1967) zurück und wurde jüngst insbesondere von Anna Grandori weiterentwickelt (Grandori/Soda 1995; Grandori 1997a, 2001a: 242-249). Die beiden Autoren unterscheiden Interdependenzformen nach den zugrunde liegenden Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen innerhalb von arbeitsteiligen Aufgaben zwischen organisatorischen Einheiten.147 Daneben existiert eine Vielzahl weiterer Klassifikationsansätze, die Interdependenzen nach unterschiedlichen Kriterien wie bspw. den Charakteristika der ausgetauschten Ressourcen (z.B. McCann/Ferry 1979: 114), dem Interdependenzgrad von Organisationseinheiten (z.B. Kelley/Thibaut 1978; Victor/Blackburn 1987) oder nach sich überlappenden Entscheidungsfeldern (z.B. Wageman 1995; Frese 2005: 255-263; Laux/Liermann 2005: 191-193; Ewert/Wagenhofer 2008: 395407; Küpper 2009: 67-94) differenzieren. 146
147
Vgl. auch die in Abschnitt 2.4.3.1 behandelte Studie von Martinez und Jarillo (1991), in der die Autoren die Auswirkungen der Wahl einer Mehrwertstrategie auf die Entstehung von Interdependenzen zwischen Organisationseinheiten untersuchen. Für ähnliche Ansätze zur Unterscheidung von Interdependenzformen vgl. z.B. Van de Ven/Delbecq/Koenig (1976); Van de Ven/Ferry (1980: 166); McCann/Galbraith (1981).
134
Der weiteren Untersuchung wird das Interdependenzkonzept Thompsons zugrunde gelegt, weil es einerseits einen geeigneten Bezugrahmen zur Analyse der Zusammenhänge zwischen Kooperationsformen, Mehrwertarten und Steuerungslösungen bietet, andererseits die vergleichsweise höchste Beachtung in der zeitgenössischen Organisationsforschung gefunden hat und somit einen Anschluss an bestehende Studien erlaubt. Abbildung 4 bietet einen Überblick über Aufsätze zur Organisationsgestaltung in führenden Fachzeitschriften (Administrative Science Quarterly, Organization Science, Strategic Management Journal, Academy of Management Journal und Academy of Management Review), deren Autoren sich auf Thompsons Interdependenzkonzept beziehen und spiegelt damit seine hohe wissenschaftliche Relevanz wider.148
100
Prozent
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60
40
20
0 1967
1971
1975
1979
1983
1987
1991
1995
1999
2003
2007
Jahr Abbildung 4:
Zitationen von Thompson (1967) in internationalen Fachpublikationen (Quelle: Puranam/Goetting/Knudsen 2010: 31)
Aufbauend auf Thompsons Konzept lassen sich nach Grandori (2001a: 242-244) transaktionale und kooperative149 Interdependenztypen voneinander abgrenzen. Während sich transakti-
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149
Die Grafik gibt den Anteil der Publikationen wieder, die a) Thompson (1967) zitieren, die Wörter b) „interdependence“ und c) „organization(al) structure“ oder „organization(al) design“ enthalten an denjenigen Aufsätzen, die nur b) und c) erfüllen (Puranam/Goetting/Knudsen 2010: 6). Unter „cooperative interdependences“ versteht Grandori (2001a: 244) Zusammenarbeitsformen, „that involve unified efforts, aligned behaviors, or common action” und leitet diesen Begriff ab „from the etymology of the word: ‘cooperate’ or ‘to operate together’”. In diesem Zusammenhang weist die Autorin darauf hin, dass der Begriff „cooperative“ in der Organisationsforschung zwar belegt ist, indem er gewisse Verhaltensweisen und
135
onale Interdependenzen durch einen Austausch von Ressourcen und Aktivitäten auszeichnen, sind kooperative Interdependenzen durch den Beitrag, die kollektive Nutzung oder die gemeinsame Entwicklung von Ressourcen und Aktivitäten gekennzeichnet. Die jeweiligen Ausprägungen dieser Interdependenztypen sollen nachfolgend im Hinblick auf besondere Charakteristika der zugrunde liegenden Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen, spezifische Mehrwertpotenziale sowie den aus ihrer Realisierung resultierenden Koordinationsanforderungen untersucht werden.
2.4.1.1
Transaktionale Interdependenzformen
Transaktionale Interdependenzen im Konzern fokussieren auf Austauschbeziehungen, bei denen ein Transfer von Ressourcen oder Aktivitäten zwischen den Konzerneinheiten stattfindet. Eine transaktionale Interdependenzsituation liegt vor, wenn Ressourcen oder Aktivitäten über eine technisch-separierbare Schnittstelle zwischen zwei organisatorischen Einheiten übermittelt werden (Williamson 1981: 552; Grandori 2001a: 242). Voraussetzung für transaktionale Interdependenzen ist, dass die Ressourcen bzw. Aktivitäten derart entkoppelt bzw. modularisiert werden können, dass eindeutig bestimmbar ist, wer ihr Sender und wer ihr Empfänger ist. Transaktionale Interdependenzen gibt es in sequentieller und reziproker Form (Thompson 1967: 54-55). (I)
Sequentielle Interdependenzen
Charakterisierung sequentieller Interdependenzen Sequentielle Interdependenzen resultieren aus Kooperationsbeziehungen, in denen eine einseitige, serielle Verknüpfung von Ressourcen und Aktivitäten besteht. Die Aufgaben der Organisationseinheiten verlaufen dabei chronologisch, was dazu führt, dass die zeitlich nachgelagerten Ressourcen und Aktivitäten von den vorgelagerten abhängig sind, dies jedoch nicht in umgekehrter Richtung der Fall ist (z.B. Baliga/Jaeger 1984: 32). Mit anderen Worten werden die Aufgabenergebnisse einer Organisationseinheit zu einer zweiten Einheit transferiert und stellen den notwendigen Input für die Leistungserstellung dieser Einheit dar, ohne den sich deren Aufgaben nicht verrichten ließen (Thompson 1967: 54). Eine typische Eigenschaft sequentieller Interdependenzen ist, dass sie zumeist in eine längere Kette von Transaktionen (z.B. in einer Wertschöpfungskette) eingegliedert sind (Dekker 2003: 18). Durch die Präferenzen von Akteuren beschreibt (vgl. hierzu die einleitenden Ausführungen in diesem Abschnitt), von denen sich Grandori jedoch ausdrücklich distanziert (2001a: 440). Geachtet dessen, soll auf eine alternative Bezeichnung kooperativer Interdependenzen in der vorliegenden Arbeit verzichtet werden.
136
serielle Aneinanderkettung der Output-Input-Beziehungen ist ihr ein prozessualer Charakter inhärent, der sie von anderen Interdependenzformen abgrenzt. In der Unternehmenspraxis finden sich zahlreiche Beispiele sequentieller Interdependenzsituationen, z.B. im Rahmen von Produktionsprozessen in der Automobilbranche, bei denen eine Organisationseinheit die Karosserie des Kraftfahrzeugs erstellt und eine zweite Einheit ihre Lackierung übernimmt. Während letztere davon abhängig ist, dass die Karosserie rechtzeitig und einwandfrei angeliefert wird, um diese lackieren zu können, ist es für die Einheit, die die Karosserie produziert, unerheblich, wann und wie sie lackiert wird. Wie das Beispiel zeigt, handelt es sich bei sequentiellen Interdependenzen um unidirektionale und damit asymmetrische Abhängigkeitsbeziehungen, bei denen die Leistungsergebnisse der vorgelagerten Einheiten typischerweise gut beobachtbar und leicht messbar sind (Thompson 1967: 54).150 Spezifische Mehrwertpotenziale sequentieller Interdependenzen Bei sequentiellen Interdependenzen liegen Mehrwertpotenziale aus vertikalen Komplementaritäten sowie aus dem Transfer immaterieller Ressourcen vor. Vertikale Komplementaritäten können durch die Anpassung der Aufgabenergebnisse der vorgelagerten Einheit auf die Anforderungen der nachgelagerten Einheit entstehen. Durch die Übertragung (kodifizierbarer) immaterieller Ressourcen wie beispielsweise Kundendaten oder Fachspezifikationen lassen sich Transfereffekte erzielen, indem nachfolgende Einheiten diese Ressourcen nicht erneut generieren müssen, sondern diejenigen der vorgelagerten Einheit wiederverwenden können. Durch die Steuerung von sequentiellen Interdependenzbeziehungen können folglich Effizienzsteigerungen, also sub-additive Kooperationsrenten realisiert werden. Besondere Koordinationsanforderungen sequentieller Interdependenzen Im Hinblick auf die Realisierung der Mehrwertpotenziale aus sequentiellen Interdependenzen ergeben sich drei wesentliche Koordinationsanforderungen: Zum ersten muss durch die Koordination der arbeitsteiligen Aufgaben sichergestellt werden, dass die Anforderungen der nachgelagerten Einheit der vorgelagerten Einheit bekannt sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie diese bestmöglich erfüllen kann. Zum zweiten sollten die eingesetzten Steuerungsmechanismen bei der Überwachung und Kontrolle der Aufgabenergebnisse unterstützen, um auf diese Weise die Ursachen für mögliche Fehler und Probleme frühzeitig zu lokalisieren. Zum dritten muss es im Rahmen der Steuerung den Organisationsmitgliedern möglich 150
Genau genommen handelt es sich bei der sequentiellen Interdependenz damit nicht um eine „Interdependenz“, sondern lediglich um eine „Dependenz“. Diese begriffliche Unterscheidung soll im Folgenden allerdings in Anlehnung an die Terminologie Thompsons (1967) und der darauf aufbauenden Arbeiten unberücksichtigt bleiben.
137
sein, sich bei Fehlern und Problemen auch spontan untereinander abzustimmen, um kurzfristig und flexibel darauf zu reagieren und gemeinsame Lösungen entwickeln zu können, die für beide Einheiten umsetzbar und tragfähig sind. (II) Reziproke Interdependenzen Charakterisierung reziproker Interdependenzen Auch bei reziproken Interdependenzen steht der Transferaspekt von Aufgabenbestandteilen im Vordergrund. Sie entstehen, wenn innerhalb der Kooperationsbeziehungen ein wechselseitiger, simultaner Austausch von Ressourcen und Aktivitäten vorliegt (Gulati/Singh 1998: 796). Der Output einer Organisationseinheit stellt dabei zugleich den Input einer zweiten Organisationseinheit dar; in umgekehrter Richtung fließen die Aufgabenergebnisse der zweiten Einheit als Input in die Leistungserstellung der ersten Einheit ein: „Under conditions of reciprocal interdependence, each unit involved is penetrated by the other” (Thompson 1967: 55).
Diese Situation ist gekennzeichnet durch eine symmetrische Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Konzerneinheiten, bei denen die ausgetauschten Leistungsbestandteile grundsätzlich abgrenzbar und dadurch auch messbar bzw. beobachtbar sind (Frost 2005: 304). Dabei können die Austauschbeziehungen auf gemeinsam genutzten materiellen und immateriellen Ressourcen basieren, welche die Einheiten zur Durchführung ihrer jeweiligen Aktivitäten nutzen. Damit beinhaltet die reziproke Interdependenz sowohl Aspekte der gepoolten als auch der sequentiellen Interdependenz, die entscheidenden Kriterien aber, welche sie zusammengenommen eindeutig von anderen Interdependenzformen abgrenzen, sind erstens die Wechselseitigkeit der Abhängigkeitsbeziehung, d.h. die Reziprozität der Ressourcen und Aktivitäten zwischen den Konzerneinheiten, zweitens ihre Transaktionseigenschaften und drittens die zeitliche Parallelität der Aufgabendurchführung (Thompson 1967: 55). Das vierte wesentliche Differenzierungsmerkmal reziproker Interdependenzen ist, dass im Rahmen der Zusammenarbeit kein gemeinsames Aufgabenziel vorliegt. Wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht, können beteiligten Einheiten durchaus verschiedene Ziele verfolgen, bei der ihre Ressourcen und Aktivitäten aber dennoch voneinander abhängig sind. Der maßgebliche Unterschied zwischen reziproken und sequentiellen Interdependenzen ist dabei nicht nur die Symmetrie der Abhängigkeiten, sondern vielmehr die Unvorhersehbarkeit dieser wechselseitigen Transferbeziehungen und das damit einhergehende Risiko von (Folge-) Fehlern, was mit erhöhten Anforderungen an die eingesetzten Steuerungsmechanismen einhergeht:
138
„What complicates and makes the effective coordination mechanisms qualitatively different is not the bidirectionality of the relationship per se, but the non-predictability of the relationship and the need to resolve new problems” (Grandori 2001a: 243; eigene Hervorhebung; ähnlich Puranam/Goetting/Knudsen 2010: 7).
Als Beispiel reziproker Interdependenzen kann die Kooperationsbeziehung zwischen der Entwicklung von IT-Produkten (Software Development) sowie ihrer Wartung und Pflege (Software Maintenance) dienen. Die entwickelten IT-Systeme stellen den Input für die Wartungsarbeiten dar. Im Rahmen der Wartung und Pflege werden Softwarefehler behoben und kleinere Systemanpassungen durch Veränderungen am Quellcode vorgenommen. Der veränderte Quellcode wird wiederum im Rahmen der Erstellung von Softwareupdates und Releaseupgrades durch die IT-Entwicklung verwendet. Eine unkoordinierte Vorgehensweise könnte zusätzliche Nacharbeiten und Folgefehler für beide Einheiten bedeuten. Spezifische Mehrwertpotenziale reziproker Interdependenzen Wie bei sequentiellen existieren auch bei reziproken Interdependenzen Mehrwertpotenziale aus vertikalen Komplementaritäten und aus dem Transfer immaterieller Ressourcen. Grundsätzlich sind bei diesen beiden Interdependenzformen auch Mehrwertpotenziale aus der gemeinsamen Nutzung bzw. aus dem Transfer von materiellen Ressourcen möglich. Die eingesetzten Ressourcen müssten aber die Eigenschaften der Abgrenzbarkeit und Übertragungsfähigkeit besitzen, um zwischen den Organisationseinheiten transferiert werden zu können. Wie im vorherigen Abschnitt erläutert wurde, handelt es sich bei gemeinsam genutzten materiellen Ressourcen häufig um Produktionsanlagen oder Maschinen, welche nicht über die genannten Eigenschaften verfügen. Deshalb spielen diese Mehrwertpotenziale eine untergeordnete Rolle bei transaktionalen Interdependenzformen. Neben diesen Mehrwertarten existieren bei reziproken Interdependenzen zusätzliche Mehrwertpotenziale aus der gemeinsamen Nutzung und dem Transfer und personengebundener Fähigkeiten. Dies kann am obigen Beispiel der Softwarebereitstellung verdeutlicht werden. Die Einheiten nutzen dieselben Programmierzeilen zur Entwicklung und Instandhaltung der Software. Die Behebung von Fehlern in der Software erfordert neben dem Austausch von Programmierzeilen auch den Austausch von Wissen über die Zusammensetzung der Software. Dabei reicht es nicht aus, das kodifizierte Wissen in Form des Quellcodes zu transferieren, vielmehr ist es erforderlich, bei den unterschiedlichen Aktivitäten auch auf die spezifischen Fähigkeiten der Organisationsmitglieder zugreifen zu können. Spezifische Fähigkeiten bestehen in diesem Beispiel in der Weise, als die Entwickler über ein umfangreiches Programmierverständnis verfügen, das über den reinen Quellcode hinausgeht, während die Mitarbeiter aus der Wartung und Pflege die Anforderungen und Probleme der IT-Nutzer auf der Fachseite genau kennen. Dieses Wissen muss wechselseitig zwischen den Einheiten ausgetauscht werden, damit die jeweils anderen Einheiten im Rahmen ihrer jeweiligen Aktivitäten 139
darauf zugreifen können. In diesem Aspekt besteht der wesentliche Unterschied zwischen reziproken und intensiven Interdependenzen: Während in reziproken Beziehungen Wissen und Fähigkeiten transferiert und ausgetauscht werden, um sie auch in den jeweils anderen Einheiten einsetzen zu können, geht es bei intensiven Interdependenzen darum, komplementäre Ressourcen und Aktivitäten zur Erfüllung eines übergeordneten und gemeinsamen Aufgabenziels zusammenzuführen. Die Ausführungen verdeutlichen somit für reziproke Interdependenzen, dass auch ihnen das Mehrwertpotenzial sub-additiver Kooperationsrenten zugrunde liegt. Wie obiges Beispiel veranschaulicht, kann im Falle der IT-Entwicklung und IT-Wartung kein Mehrwert superadditiver Kooperationsrenten realisiert werden, da die Zusammenarbeit in erster Linie darauf abzielt, ihre Effizienz zu erhöhen. Dabei kann jedoch davon ausgegangen werden, dass reziproke Interdependenzen über ein größeres Effizienzpotenzial verfügen als sequentielle, da die Einheiten im Rahmen ihrer Leistungserbringung wechselseitig voneinander abhängig sind und sich somit Effizienzen auf beiden Seiten durch die Koordination erschließen lassen. Innovative und strategisch relevante Funktionalitäten werden durch das dargestellte Kooperationsbeispiel zwischen IT-Entwicklung und IT-Wartung nicht entwickelt. Um etwa Technologie- und Prozessoptimierungspotenziale zu realisieren, müssten komplementäre Wissensbestandteile der IT- sowie der Fachbereichseinheiten zusammengeführt und kombiniert werden, was eine intensivere Kooperationsform voraussetzt, wie noch zu zeigen sein wird. Besondere Koordinationsanforderungen reziproker Interdependenzen Hinsichtlich der Realisierung von Mehrwertpotenzialen aus vertikalen Komplementaritäten sowie aus dem Transfer immaterieller Ressourcen, entstehen bei reziproken Interdependenzen weitestgehend ähnliche Koordinationsanforderungen wie im sequentiellen Fall. Allerdings liegen bei reziproken Interdependenzen nicht einseitige, sondern wechselseitige Anforderungen zwischen den Konzerneinheiten vor, die es durch die Koordination aufeinander abzustimmen und anzupassen gilt. Wie des Weiteren aus Grandoris (2001a: 243) obigem Zitat hervorgeht, stellen die Unvorhersehbarkeit zusätzlich auftretender Problemstellungen sowie mögliche Leistungsabweichungen erhöhte Koordinationsanforderungen hinsichtlich der Kontrolle und Überwachung des gegenseitigen Aktivitäten- und Ressourceneinsatzes, um die Effizienz der Zusammenarbeit zu gewährleisten (Gulati/Singh 1997: 796). Um in diesem Zusammenhang gravierende Folgefehler zu vermeiden, stellen reziproke Interdependenzen daher besondere Anforderungen hinsichtlich der Geschwindigkeit und Flexibilität der Koordination. So sind beispielsweise generelle Verfahrensregeln in diesem Fall nur begrenzt geeignet, weil sie sich typischerweise nicht kurzfristig an mögliche Veränderungen der Rahmenbedingungen anpassen lassen.
140
Schließlich resultieren zusätzliche Koordinationsanforderungen aus den Mehrwertzielen der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer personengebundener Fähigkeiten. Die Bindung dieser Fähigkeiten an Organisationsmitglieder und ihre kapazitative Begrenztheit erschweren einen multiplikativen Transfer zwischen den Konzerneinheiten. Im Rahmen der Koordination ist vielmehr die persönliche Einbindung dieser Organisationsmitglieder zu gewährleisten, damit sie ihre Fähigkeiten und ihr Wissen bestmöglich auf die Mitglieder anderer Konzerneinheiten übertragen können.
2.4.1.2
Kooperative Interdependenzformen
Im Unterschied zu transaktionalen steht bei kooperativen Interdependenzformen nicht der Transfer-, sondern der Transformationsaspekt der Zusammenarbeit im Vordergrund. Die Transformation von Ressourcen und Aktivitäten gilt zugleich als wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen den Institutionsformen Unternehmen (Ressourcenpooling) und Märkten (Ressourcenaustausch).151 Gelingt es durch den Einsatz von Steuerungsmechanismen, die kooperativen Interdependenzen im Unternehmen zu koordinieren, so kann ein Mehrwert aus der Konzernorganisationsform gegenüber austauschbasierten Zusammenarbeitsbeziehungen auf Märkten realisiert werden (Simon 1991: 33). Kooperative Interdependenzen im Konzern beruhen dabei entweder auf einem mittelbar gemeinsam genutzten Ressourcen- bzw. Aktivitätenpool oder auf einer unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Konzerneinheiten, bei der sie ihre Ressourcen und Aktivitäten bündeln, um ein gemeinsames Aufgabenziel zu erreichen. Je nachdem, ob es sich um eine mittelbare oder unmittelbare Form der Zusammenarbeit zwischen den Konzerneinheiten handelt, wird zwischen gepoolten und intensiven Interdependenzen unterschieden. (III) Gepoolte Interdependenzen Charakterisierung gepoolter Interdependenzen Gepoolte Interdependenzen entstehen, wenn mehrere Konzerneinheiten ähnliche Ressourcen und Aktivitäten in einem organisatorischen Pool aggregieren und diese fortan gemeinsam nutzen (Grandori 2001a: 244). Thompson charakterisiert gepoolte Interdependenzen als Situationen,
151
Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.
141
„in which each part renders a discrete contribution to the whole and each is supported by the whole” (Thompson 1967: 54). “[B]ut there need be no specific beneficiary for its contributions nor need its members know the specific sources of its benefits. A member contributes to an undifferentiated system and collects from that system, and in some cases has no personal acquaintance with those on whom he depends, or who depend on him” (Thompson 1974b: 8).
In Konzernen findet ein derartiges Pooling vor allem in Form von Shared Service Centern statt. Derartige Organisationseinheiten entstehen, indem die Ressourcen und Aktivitäten aus den dezentralen Konzerneinheiten herausgelöst und künftig allen Einheiten an einem zentralen Punkt – häufig etwa in der Konzernzentrale – zur Verfügung gestellt werden.152 Es findet fortan keine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen den leistungsabnehmenden Konzerneinheiten statt, sondern es liegen nur noch Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen zwischen ihnen und der bereitstellenden Pooleinheit vor. Damit existieren auch keine direkten Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Konzerneinheiten; sie sind vielmehr indirekt über die Pooleinheit miteinander verbunden. Diese indirekte Verbundenheit kann sich in unterschiedlicher Weise manifestieren, was positive als auch negative Auswirkungen auf die Konzerneinheiten zur Folge haben kann. Positive Auswirkungen können z.B. dadurch entstehen, dass der individuelle Erfolg einer Konzerneinheit seine Möglichkeiten erhöht, zum Ressourcenpool beizutragen. Zudem kann eine hohe Nachfrage einer Konzerneinheit nach einer Poolressource zu einer Ausweitung des Ressourcenpools führen und dadurch Skalenund Verbundeffekte ermöglichen. Diesen Vorteilen können jedoch Nachteile gegenüberstehen, die sich aus der hierzu notwendigen Vereinheitlichung bzw. Standardisierung der Poolressourcen bzw. -aktivitäten ergeben. Waren diese vor der Zentralisierung noch in der Verfügungsgewalt der jeweiligen Konzerneinheiten, so können ihre bereichsspezifischen Anforderungen durch die Standardisierung künftig möglicherweise nicht mehr voll erfüllt werden – sie müssen sich von nun an auf die übergreifenden Nutzungsbedingungen des Pools einlassen. Ferner können negative Auswirkungen in gepoolten Interdependenzsituationen entstehen, wenn der Pool kapazitativ nicht erweiterbar ist und die Ressourcen bzw. Aktivitäten dadurch knapp sind. In diesem Zusammenhang besteht das Risiko der Übernutzung des Pools durch einzelne Konzerneinheiten, wodurch die Aufgabendurchführung anderer Einheiten beeinträchtigt werden würde (Thompson 1974b: 8). Gepoolte Interdependenzen im Konzern unterscheiden sich in zwei wesentlichen Aspekten von sequentiellen und reziproken Interdependenzen. Das erste Abgrenzungsmerkmal besteht darin, dass bei gepoolten Interdependenzen in der Regel nicht nur zwei Organisationseinheiten zusammenarbeiten (1/1-Beziehung), sondern mehrere Einheiten die Ressourcen und Aktivitäten der Pooleinheit beanspruchen (1/n-Beziehungen). Zum zweiten müssen bei ge152
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Spezialisierungsstrategie in Abschnitt 2.3.1.1 sowie zur Zentralisation von Aufgaben in Abschnitt 2.3.1.2.
142
poolten Interdependenzen keine seriellen oder wechselseitigen Output-Input-Beziehungen zwischen den Konzerneinheiten entlang ihrer Wertschöpfungskette(n) bestehen, wie es bei den transaktionalen Interdependenzformen der Fall ist. Häufig handelt es sich beim Pooling vielmehr um Ressourcen und Aktivitäten von eher nachrangig strategischer Relevanz, die durch eine geringen Aufgaben- und Informationskomplexität gekennzeichnet sind und sich somit relativ einfach und problemlos spezifizieren und beobachten lassen (Frost 2005: 304). Dies lässt sich am Beispiel einer zentralen Reisekostenabrechnung verdeutlichen, die hinsichtlich ihrer Aufgabeninhalte weitestgehend homogen und damit einheitenunspezifisch ist, vergleichsweise unkompliziert und nachvollziehbar verläuft und keinen unmittelbaren Bestandteil der Wertschöpfung der Konzerneinheiten darstellt, ihre Ergebnisse für ihre Mitarbeiter dennoch von Belang sind.153 Spezifische Mehrwertpotenziale gepoolter Interdependenzen Die Ausführungen legen nahe, dass die Mehrwertpotenziale bei gepoolten Interdependenzen insbesondere in der bereichsübergreifenden Nutzung materieller und immaterieller Ressourcen liegen. Darüber hinaus kann Mehrwert auch aus der bereichsübergreifenden Nutzung von personengebundenen Fähigkeiten resultieren, insbesondere dann, wenn spezialisiertes Wissen zur Aufgabendurchführung erforderlich ist. Da der Transformationsaspekt bei gepoolten Interdependenzen im Vordergrund steht, sind Transfereffekte nicht spezifisch für derartige Zusammenarbeitsformen. Die Koordination gepoolter Interdependenzen kann folglich zu subadditiven Kooperationsrenten führen. Besondere Kooperationsanforderungen gepoolter Interdependenzen Die wesentliche Aufgabe der Koordination gepoolter Interdependenzsituationen liegt in der Auflösung des Spannungsfelds zwischen bereichsspezifischen Anforderungen an die Poolressourcen bzw. -aktivitäten und ihrer Vereinheitlichung zur Erzielung von Effizienzpotenzialen aus der Zusammenarbeit. Im Rahmen der Koordination müssen die fachlichen Anforderungen der abnehmenden Konzerneinheiten aufgenommen und richtig interpretiert werden, um das Kosten-/Nutzenverhältnis ihrer Umsetzung für den Gesamtkonzern ermitteln zu können. Folgt man der Annahme Thompsons (1967: 55) und anderer Autoren (z.B. Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976; Van de Ven/Ferry 1980), so gehen gepoolte Interdependenzsituationen mit dem vergleichsweise niedrigsten Komplexitätsgrad einher und stellen damit nur geringe Koordinationsanforderungen. Ob dieser Sachverhalt auch innerhalb der Konzernorganisationsform zutrifft, gilt es im empirischen Teil dieser Arbeit zu prüfen. 153
Die genannten Eigenschaften sind zwar idealtypisch für Poolressourcen, sie sind jedoch nicht obligatorisch, da in Konzernen oftmals auch Steuer-, Rechts- und Regulationsabteilungen oder IT- und Netzwerkinfrastruktur-Bereiche in Pooleinheiten zusammengefasst werden, die nicht über diese Charakteristika verfügen.
143
(IV) Intensive Interdependenzen „It is suggested that a new type of intensive interdependence has emerged“ (Thompson 1974b: 6).
Lange Zeit wurden bei der Untersuchung von Abhängigkeitsbeziehungen in Unternehmen lediglich die drei zuvor genannten Interdependenzformen betrachtet. Sie gehen auf Thompsons frühe Monographie (1967) zurück, die, wie oben erwähnt, als eine der bedeutendsten und meistzitierten Veröffentlichungen in der internationalen Organisationsforschung gilt (vgl. auch Gmür/Thomae 2002; Gmür 2003, 2007). Die meisten Autoren beziehen sich noch heute zustimmend auf Thompsons Konzept, wenn sie Interdependenzen und ihre Auswirkungen innerhalb und zwischen Organisationen untersuchen. Ungeachtet jedoch der Tatsachen, dass sich bereits in Thompsons frühen Arbeiten erste implizite Hinweise auf eine andersartige Interdependenzform finden lassen (Thompson/Bates 1957: 341; Thompson 1967: 17-18), auch andere Organisationsforscher die Evidenz einer zusätzlichen, eigenständigen Interdependenzform nachweisen (z.B. Hickson/Pugh/Pheysey 1969: 380-381; Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976: 324-326),154 und dass Thompson in seinen beiden posthum veröffentlichten Arbeiten (1974a, 1974b) diese vierte Form explizit proklamiert, unterscheidet ein Großteil zeitgenössischer Wissenschaftler noch immer lediglich zwischen sequentiellen, reziproken und gepoolten Interdependenzen (z.B. Baliga/Jaeger 1984; Chenhall/Morris 1986: 18; Macintosh/Daft 1987: 50; Emmanuel/Otley/Merchant 1995: 280; Wageman 1995: 146; Adler 1995: 148; Ringlstetter 1997: 4-6; Hirst/Yetton 1999: 206; Iversen 1999: 7-8; Dekker 2004: 30; Gerdin 2005: 101-102; Niggemann 2008: 104-108).155 Erst durch die Arbeiten von Van de Ven und Ferry (1980), Tesluk et al. (1997) und insbesondere Grandori (2001a: 244-250) stieg das wissenschaftliche Interesse an der intensiven Interdependenzform (vgl. auch Kyu Kim 1988; Frost 2005; Caglio/Ditillo 2008). Charakterisierung intensiver Interdependenzen Intensive Interdependenzen liegen in Situationen vor, in denen verschiedene Organisationseinheiten zeitlich parallel zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Problemlösung hervorzubringen (Grandori/Soda 2006: 154). Die Transformationsleistung besteht darin, dass die beigetragenen heterogenen Ressourcen bzw. Aktivitäten der Konzerneinheiten zusammengeführt
154
155
So definieren etwa Van de Ven, Delbecq und Koenig diese Interdependenzform als „team workflow” und charakterisieren damit „situations where the work is undertaken jointly by unit personnel who diagnose, problem-solve and collaborate in order to complete the work. In team work flow, there is no measurable temporal lapse in the flow of work between unit members, as there is in the sequential and reciprocal cases; the work is acted upon jointly and simultaneously by unit personnel at the same point in time” (Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976: 325). Vgl. hierzu auch die empirischen Untersuchungen zur Steuerung von Interdependenzen in Abschnitt 2.4.3.1.
144
und kombiniert werden und dadurch neuartige oder andersartige Ressourcen bzw. Aktivitäten im Konzern entstehen. Charakteristisch für intensive Interdependenzbeziehungen ist somit die unmittelbare Zusammenarbeit von Konzerneinheiten zur Erreichung eines übergeordneten Aufgabenziels. Dabei ist einerseits keine Konzerneinheit in der Lage, das Ziel im Alleingang zu erreichen, andererseits würde der Ausfall einer Einheit die Erfüllung der Gesamtaufgabe gefährden. Thompson definiert intensive Interdependenzsituationen wie folgt: „Intensive interdependence involves the development of repertoires of skills and knowledge, and the selection and application of these as appropriate to particular purposes and at particular times and places. In this case, each unit performs its special portion of a total system, not in accordance with standardized routine or prescheduled sequence, but according to the dictates of the event which calls for adjustment of each of the units to others as they receive feedback of results from on-going activities” (Thompson 1974b: 8; eigene Hervorhebung).
In intensiven Interdependenzsituationen lassen sich die einzelnen Leistungsbeiträge der beteiligten Einheiten aufgrund der hohen Aufgabenkomplexität – die zumeist aus der Veränderlichkeit und Unvorhersehbarkeit der Aufgaben- und Problemstellungen sowie der Heterogenität der konzerneinheiten- bzw. fachspezifischen Ressourcen, Aktivitäten und Fähigkeiten resultiert – so gut wie nicht beobachten und spezifizieren (Simon 1991: 33; Osterloh/Frey 2004: 194; Frost 2005: 305). Im Gegensatz zu transaktionalen Interdependenzen findet auch kein Transfer abgrenzbarer Ressourcen zwischen Organisationseinheiten statt, vielmehr komplementieren sich diese im Rahmen der Zusammenarbeit und fließen direkt in die Problemlösung ein. Beispiele für intensive Interdependenzen stellen die gemeinsame Leistungserbringung von Ärzteteams bei chirurgischen Operationen, das Zusammenwirken von Musikern in einem Orchester oder die Interaktion von Vorstandsmitgliedern zur Entwicklung der Konzernstrategie dar. In allen diesen Situationen sind ein aufeinander abgestimmter Einsatz und eine Transformation heterogener und komplementärer Ressourcen, Aktivitäten und Fähigkeiten unterschiedlicher Akteure und nicht zuletzt ein kooperatives Verhalten der Beteiligten zur Erreichung desselben Aufgabenziels notwendig. Spezifische Mehrwertpotenziale intensiver Interdependenzen Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass das Mehrwertpotenzial intensiver Interdependenzen in horizontalen Komplementaritäten liegt. Das Ziel der Steuerung ist damit die Erzielung super-additiver Kooperationsrenten (Frost/Morner 2010a: 180), die sich durch die koordinierte Zusammenarbeit der Konzerneinheiten realisieren lassen. Darüber hinaus kann bei intensiven Interdependenzen ein Mehrwert aus der bereichsübergreifenden Nutzung und dem Transfer personengebundener Fähigkeiten erschlossen werden, wenn die eingesetzten Steuerungsmechanismen gewisse Anforderungen erfüllen. Intensive Interdependenzen ver145
fügen somit als einzige Interdependenzform über das Mehrwertpotenzial super-additiver Kooperationsrenten, die darüber hinaus noch durch sub-additive Kooperationsrenten sublimiert werden. Gelingt es durch den Einsatz von Steuerungsmechanismen, die heterogenen und komplementären Ressourcen und Aktivitäten der Konzerneinheiten zu koordinieren und die Verhaltensweisen ihrer Organisationsmitglieder zielkonform einzuordnen, können im Konzern innovative Ressourcenbündel entwickelt und daraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile generiert werden. Damit wird deutlich, dass intensive Interdependenzen über erhebliche Mehrwertpotenziale verfügen, die ihnen ihren besonderen Charakter und eine außerordentliche strategische Relevanz für Konzerne verleihen. Besondere Koordinationsanforderungen intensiver Interdependenzen Mit diesen weitreichenden Mehrwertpotenzialen gehen jedoch auch immense Anforderungen an das zur Koordination eingesetzte Steuerungsrepertoire einher. Die Hauptanforderungen intensiver Interdependenzsituationen liegen darin, (1.) die Zusammenführung der heterogenen Ressourcen und Aktivitäten der Konzerneinheiten sowie die spezifischen Fähigkeiten der Organisationsmitglieder zu ermöglichen und zu unterstützen. Diese setzen eine unmittelbare persönliche Kommunikation und Interaktion der Beteiligten voraus, die durch adäquate Steuerungsmechanismen unterstützt werden muss. Darüber hinaus behindern die für intensive Interdependenzen charakteristischen Eigenschaften der schwierigen ex ante Spezifizierbarkeit von Teilzielen und die mangelnde Vergleichbarkeit der Leistungsbeiträge von Konzerneinheiten (2.) die Kontrolle von Einzelergebnissen und (3.) die verursachungsgerechte Zuordnung der Aufgabenresultate. Die Unterschiedlichkeit und Veränderlichkeit der Aufgaben, die unzureichende Abgrenzbarkeit der eingesetzten Ressourcen und Aktivitäten sowie die mangelnde Beobachtbarkeit der Aufgabendurchführung erschweren (4.) die Bestimmung dezidierter Vorgehensweisen zur Zielerreichung. Aus diesen Gründen stellen intensive Interdependenzen im Vergleich zu den drei anderen Interdependenzformen die höchsten Anforderungen an die Steuerung (Grandori 2001a; Frost 2005), weshalb – wie zu zeigen sein wird – einzelne Steuerungsmechanismen nicht ausreichen, um derartige Situationen effektiv zu koordinieren.
146
Abbildung 5 fasst die Ausführungen dieses Abschnitts zusammen. Interdependenztypen
Transaktionale Interdependenzformen Sequentielle Reziproke Interdependenzen Interdependenzen
Kooperative Interdependenzformen Gepoolte Intensive Interdependenzen Interdependenzen Ökonomische Rente
Mehrwertarten Bereichsübergreifende Nutzung materieller Ressourcen
Ŷ
Ŷ
Bereichsübergreifende Nutzung immaterieller Ressourcen
Ŷ
Ŷ
Ŷ
Ŷ Ŷ
Bereichsübergreifende Nutzung personengebundener Fähigkeiten Bereichsübergreifender Transfer personengebundener Fähigkeiten
Ŷ
Ŷ
Vertikale Komplementaritäten
Ŷ
Ŷ Ŷ
Superadditive Kooperationsrente
Horizontale Komplementaritäten
Sub-additive Kooperationsrente
Bereichsübergreifender Transfer immaterieller Ressourcen
Resultierende Koordinationsanforderungen
Abbildung 5:
Interdependenzformen, ihre Mehrwertpotenziale und daraus resultierende Koordinationsanforderungen (Quelle: Eigene Darstellung)
147
2.4.2 Theoriegeleitete Erklärungsansätze zur Steuerung von Interdependenzen Im Folgenden sollen ausgewählte theoretische Erklärungsbeiträge zur Steuerung organisationaler Interdependenzen vorgestellt und diskutiert werden. Die Auswahl umfasst neben den grundlegenden Arbeiten von Thompson (1967, 1974a, 1974b) die Beiträge von Van de Ven und Ferry (1980), Grandori (2001a) und Frost (2005), da diese Autoren alle vier Ausprägungen organisationaler Interdependenzen behandeln und ihre Gestaltungimplikationen für die Steuerung in Organisationen untersuchen. Beim Vergleich dieser Ansätze liegt der Fokus auf den Steuerungsmechanismen, die von den jeweiligen Autoren zur Erfüllung der beschriebenen Koordinationsanforderungen vorgeschlagen werden. Tabelle 5 stellt die Lösungsansätze der unterschiedlichen Autoren zusammenfassend dar. Ein zentraler Unterschied zwischen den vier Ansätzen besteht hinsichtlich ihres Erklärungsziels, das sich entweder an der Effizienz oder der Effektivität der Steuerung orientiert und auf ihre organisationstheoretische Fundierung zurückzuführen ist. Bei der Diskussion der effektivitätsorientierten Ansätze sollen die bereits in Abschnitt 2.2 analysierten Verhaltenswirkungen der einzelnen Steuerungsmechanismen um die Untersuchung ihrer Koordinationswirkungen in unterschiedlichen Interdependenzsituationen erweitert werden.
148
Interdependenzen Konzepte
Æ Erklärungsziel
Transaktionale Interdependenzformen Sequentielle Interdependenzen
Reziproke Interdependenzen
Kooperative Interdependenzformen Gepoolte Interdependenzen
Intensive Interdependenzen
(Bemessungsgrundlage) Thompson (1967, 1974a, 1974b)
Æ Koordinationseffizienz (Koordinationskosten) Van de Ven/Ferry (1980)
Æ Koordinationseffizienz (Koordinationskosten)
Grandori (2001a)
Æ Koordinationseffektivität (Entscheidungsqualität)
Frost (2005)
Æ Koordinationseffektivität (Entscheidungsqualität)
- Generelle Verfahrenssteuerung (schedules) - Fallweise Verfahrenssteuerung (permissions)
- Selbstabstimmung (mutual adjustment)
- Generelle Verfahrenssteuerung (standardization)
- Selbstabstimmung (mutual adjustment)
- Generelle Verfahrenssteuerung (standardization, rules, policies, procedures) - Bereichsspezifische Ergebniskontrollen (performance reports)
- Bereichsspezifische Ergebniskontrollen (performance reports) - Fallweise Selbstabstimmung (personal discussions) - Themenspezifische Selbstabstimmung (group meetings) - Personelle Verflechtung (admistrative and technical support staff)
- Generelle Verfahrenssteuerung (rules, policies, procedures)
- Institutionalisierte Selbstabstimmung (standing committees) - Themenspezifische Selbstabstimmung (task forces)
- Verrechnungspreise (transfer prices) - Generelle Verfahrenssteuerung (programming) - Fallweise Verfahrenssteuerung (hierarchical decision-making)
- Personelle Verflechtungen (liaison roles) - Fallweise Verfahrenssteuerung (authority by exception)
- Verrechnungspreise (Gebühren, Warteschlangen; fees, queues) - Fallweise Verfahrenssteuerung (monitoring, supervisory hierarchy)
- Institutionalisierte Selbstabstimmung (group decision making) - Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen (incentive schemes)
- Generelle Verfahrenssteuerung (Regeln, Standards) - Fallweise Verfahrenssteuerung (Weisung) - Bereichsspezifische Ergebniskontrollen (Zielvorgaben) - Verrechnungspreise - Selbstabstimmungsmechanismen (Interaktion)
- Ergebniskontrollen (Zielvorgaben) - Verrechnungspreise - Selbstabstimmungsmechanismen (Interaktion)
- Ergebniskontrollen (Zielvorgaben) - Verrechnungspreise - Selbstabstimmungsmechanismen (Interaktion)
- Selbstabstimmungsmechanismen (Interaktion)
Tabelle 5: Erklärungsbeiträge effizienz- und effektivitätsorientierter Ansätze zur Steuerung unterschiedlicher Interdependenzformen (Quelle: Eigene Darstellung)
149
2.4.2.1
Effizienzorientierte Erklärungsansätze
Die Ansätze von Thompson sowie Van de Ven und Ferry lassen sich der Kontingenztheorie zuordnen, deren Ziel die Untersuchung situativer Einflussfaktoren (Kontingenzen) zur Erkärung effizienter Organisationsstrukturen bildet (z.B. Staehle 1989; Kieser/Walgenbach 2007: 207-208; Ebers 2004; Wolf 2004; Kieser 2006; Scherm/Pietsch 2007: 208; Macharzina/Wolf 2008: 73).156 Bei Thompson sowie Van de Ven und Ferry stellen Interdependenzen einen solchen Kontingenzfaktor dar. Folglich geht ihnen es darum, möglichst effiziente Steuerungslösungen zur Koordination unterschiedlicher Interdependenzsituationen zu identifizieren. In diesem Punkt besteht eine Parallele zwischen der Kontingenztheorie und den Organisationstheorien der Governance-Perspektive: Die Ansätze beurteilen die Eignung der Steuerung in erster Linie nach Effizienzkriterien. Dies hat zwei bedeutsame Konsequenzen für den Einsatz von Steuerungsmechanismen. Erstens liegt das Augenmerk bei der Effizienzbeurteilung auf den Kosten der Koordination. Dabei werden jedoch die Opportunitätskosten der Autonomie bei der Auswahl der Steuerungsmechanismen weitestgehend vernachlässigt.157 In der Folge bedeutet das, dass die Effektivität der Steuerung zur Realisierung der Mehrwertpotenziale aus den unterschiedlichen Interdependenzsituationen bei der Auswahl der Steuerungsmechanismen nicht berücksichtigt wird. Zweitens folgt daraus, dass der Einsatz mehrerer Steuerungsmechanismen zur Lösung der Koordinationsaufgaben nicht in Frage kommt, da ein kombinierter Einsatz per se nicht kosteneffizienter sein kann als ein exklusiver Einsatz. Dies wird insbesondere an den Ausführungen von Thompson deutlich, der lediglich (die effizientesten) Einzellösungen zur Koordination unterschiedlicher Interdependenzformen vorschlägt.158 Dabei korreliert die Komplexität der Interdependenzform – die bei gepoolten Interdependenzen am niedrigsten ist, sukzessive bei sequentiellen und reziproken Interdependenzen ansteigt und im intensiven Fall vergleichsweise am höchsten ist (Thompson 1967: 55, 1974b; Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976: 325) – mit den Aufwänden und damit verbundenen Kosten der Steuerung. Dabei wird angenommen, jedoch nicht weiter ausgeführt, dass die Koordinationskosten bei Steuerungsverfahren mit einem geringen personellen Interaktionsbedarf wie der generellen Verfahrenssteuerung relativ am niedrigsten und bei interaktiven Formen, bei denen in der Regel mehrerer Organisationsmitglieder in die Ent-
156
157 158
„Although he did not use the term, Thompson can be thought of as one of the founding fathers of contingency theory” (Scott 2003: ix). Van de Ven und Ferry (1980: 6-21) entwickeln einen eigenständigen Ansatz (Organizational Assessment Framework), der jedoch weitestgehende Parallelen zur Kontingenztheorie aufweist und dieser daher zugeordnet werden kann. Zu den Kosten der (De-) Zentralisation von Entscheidungen vgl. die Ausführungen in Abschnitt 2.3.1.2. In diesem Zusammenhang wird kritisiert: „Thompson overstated the effect of interdependence on the boundaries of efficient organizational units, stating that, ceteris paribus, reciprocal interdependence should lead to integrating activities into one unit” (Grandori 2001a: 440).
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scheidungsprozesse involviert sind, tendenziell am höchsten sind, wenngleich eingestanden wird, dass „measurement of such costs is far from perfect“ (Thompson 1967: 53).159 Van de Ven und Ferry entschärfen die alleinige Fokussierung auf die Koordinationskosten, indem sie sich bei zunehmendem Komplexitätsgrad der Interdependenzen für den Einsatz zusätzlicher Mechanismen aussprechen: „[T]hese methods of coordination are additive rather than substitutive linkage mechanisms that an organization will use to deal with increases [of complexity; K.B.] in work flow interdependence“ (Van de Ven/Ferry 1980: 249).
Dennoch geht es auch ihnen in erster Linie darum, geeignete Steuerungslösungen auf Grundlage von Effizienzüberlegungen zu identifizieren. Das Erklärungsziel dieser beiden Ansätze führt dazu, dass über die angenommenen Effizienzeffekte hinaus keinerlei Aussagen über die Wirkungsweisen der vorgeschlagenen Steuerungsmechanismen getroffen werden. So empfehlen Van de Ven und Ferry bei zunehmend komplexeren Interdependenzformen zwar einen additiven Einsatz von Steuerungsmechanismen, allerdings erörtern und begründen sie dies nicht näher. Vielmehr ergibt sich die Einsatzreihenfolge von Steuerungsmechanismen aus ihrer Effizienzreihenfolge, d.h. wenn ein Mechanismus nicht ausreicht, um die Koordinationsanforderungen zu erfüllen, so folgt ihm der nächsteffizienteste Mechanismus. In diesem Zusammenhang treffen die Autoren auch keinerlei Aussagen hinsichtlich der Verträglichkeit der einzelnen Mechanismen, sondern gehen implizit von einer Kompatibilität zwischen ihnen aus und unterstellen damit, dass ein vermehrter Einsatz von Steuerungsmechanismen zwangsläufig auch zu einer verbesserten Lösung von Koordinationsproblemen führt.
159
Dabei gilt zu berücksichtigen, dass ein Vergleich von Koordinationskosten unterschiedlicher Steuerungsmechanismen nicht über Tendenzaussagen hinaus möglich ist, da sie sowohl von der organisationalen Situation als auch der jeweiligen Ausgestaltung der Mechanismen abhängen. So ist es durchaus möglich, dass die Kosten zur Verfahrensregelung oder Verrechnungspreisbestimmung aufgrund der notwendigen Einbindung von Experten die Kosten der Selbstabstimmung übersteigen.
151
2.4.2.2
Effektivitätsorientierte Erklärungsansätze
Bei Grandori und Frost liegt das Untersuchungsziel in der Erklärung der Effektivität der Koordination von Interdependenzen aus einer ressourcenorientierten Sicht.160 Auch sie interpretieren Interdependenzformen als kontingenten Gestaltungsfaktor der Steuerung. Allerdings erfolgt die Auswahl einer Steuerungslösung nicht aus Kostenüberlegungen, sondern aufgrund ihrer Wirksamkeit, die interdependenzspezifischen Koordinationsanforderungen zu erfüllen und auf diese Weise die Entscheidungsqualität zu optimieren. Die unterschiedlichen Zielsetzungen zwischen diesen und den beiden vorherigen Ansätzen schränken ihre Vergleichbarkeit ein. Während die Ansätze von Thompson und Van de Ven und Ferry kaum Begründungen für ihre Lösungsvorschläge liefern, die über Effizienzannahmen hinausreichen, sind die Koordinationskosten bei Grandori und Frost von nachrangiger Bedeutung: Die Ineffizienz der Steuerung wird in ihren Ansätzen als Folge ihrer Ineffektivität interpretiert. Dies führt bei ihnen zu einem umfangreicheren Repertoire geeigneter Steuerungslösungen, für das die Autorinnen nachfolgende Begründungen für ihre Gestaltungsempfehlungen leisten.161 Ihren Ansätzen zufolge eignen sich Verrechnungspreise in Interdependenzsituationen, in denen die Leistungsbestandteile bzw. -ergebnisse der Konzerneinheiten eindeutig spezifiziert und ermittelt werden können und sich diese Informationen komprimiert in Preisgrößen abbilden lassen (Frost 2005: 333). Dies ist insbesondere bei transaktionalen Interdependenzformen der Fall, in denen modulare Ressourcen und Aktivitäten zwischen den Konzerneinheiten transferiert werden. Sind diese Eigenschaften gleichermaßen in gepoolten Interdependenzsituationen erfüllt, lassen sich auch hier Verrechnungspreise zur Koordination verwenden (Grandori 2001a: 244). Bei intensiven Interdependenzen sind diese Bedingungen dagegen nicht erfüllt, stattdessen sind sie von hoher Informationskomplexität geprägt, weshalb sich Verrechnungspreise dafür nicht eignen. Ergebniskontrollen sind hinsichtlich ihrer Koordinationswirkung an ähnliche Voraussetzungen wie Verrechnungspreise gebunden (Frost 2005: 315-323): Zum einen müssen Ziele ex ante vollständig definierbar sein, um entsprechend operationalisierbare Steuerungssignale in Form von Zielvorgaben zu entwickeln und diese an die Organisationsmitglieder zu übermitteln. Zum zweiten muss der Zielerreichungsgrad den kooperierenden Einheiten eindeutig zurechenbar sein. Den Organisationseinheiten müssen abgrenzbare Aufgaben zugeteilt werden, bei denen das zu erreichende Ergebnis gemessen und intersubjektiv verifiziert werden kann, d.h. im Konfliktfall sollte eine dritte, unparteiische Einheit (z.B. die Instanz) in 160
161
Zwar integrieren Frost (2005) und Grandori (2001a) auch Theorien der Governance-Perspektive, ihr Fokus liegt jedoch eindeutig auf den ressourcen- bzw. wissensbasierten Ansätzen der Kompetenz-Perspektive; vgl. Abschnitt 2.1.3.3. Vgl. hierzu auch die in Abschnitt 2.2 diskutierten Einsatzbedingungen von Steuerungsmechanismen.
152
der Lage sein, das tatsächliche Ergebnis zu ermitteln. Zum dritten ist eine Kongruenz zwischen den Unternehmenszielen und den genutzten Ergebniskontrollen notwendig. Für die Zielvorgaben müssen Beurteilungsgrößen herangezogen werden, die gesamtunternehmenskonform sind und dabei die Leistungsbeiträge der interdependenten Einheiten zur Zielerreichung hinreichend erfassen. Zum vierten dürfen die Ressourcen- und Aktivitätenbeiträge der Konzerneinheiten nicht willkürlich, sondern nur nach solchen Zielen gesteuert werden, deren Erreichung sie eigenständig und umfassend beeinflussen können (z.B. Diedrich 2002; Ewert/Wagenhofer 2008: 336-337). Empirische Untersuchungen weisen in diesem Zusammenhang nach, dass der Erfüllungsgrad dieser vier Voraussetzungen in der Regel höher ist, je geringer der Interdependenzgrad zwischen Organisationseinheiten ist (z.B. Zenger/Marschall 2000; Bushman/Smith 2001; Huddart/Liang 2005). Liegen in sich abgeschlossene Aufgaben innerhalb einer Einheit vor, lassen sich die Leistungsbeiträge ihrer Organisationsmitglieder präzise ermitteln und der Grad der Zielerreichung ihnen vollständig zugerechnen. Je höher der Interdependenzgrad einer Einheit jedoch ist, desto mehr können potenzielle Störgrößen (noise factors) auftreten und die Ermittlung und Zurechnung der einzelnen Leistungsbeiträge erschweren (z.B. Keating 1997; Ittner/Larcker 2001; Nagar 2002). In sequentiellen, gepoolten und reziproken Interdependenzsituationen sind die vier genannten Voraussetzungen zumeist erfüllt, so dass sich hierfür der Einsatz bereichsspezifischer Ergebniskontrollen anbietet. Hingegen sind die einzelnen Leistungsbeiträge der beteiligten Organisationseinheiten im Falle intensiver Kooperationsbeziehungen nur schwer ermittelbar, und weil die Zusammenarbeit der Einheiten zu einem kollektiven Gesamtergebnis führt, bietet sich ein Einsatz gemeinsamer Ergebniskontrollen für diese Interdependenzform besonders an (Grandori 2001a: 244-245). Die generelle Verfahrenssteuerung eignet sich für Interdependenzsituationen, in denen keine eindeutigen Ergebniskontrollen möglich sind, sich aber die Vorgehensweisen und Leistungsbeiträge der Organisationsmitglieder vor der Aufgabendurchführung bestimmen lassen, während dessen beobachtet und nach Beendigung bewertet werden können (Frost 2005: 311-312). Ferner müssen die Kooperationsbeziehungen weitestgehend konstant, d.h. durch eine geringe Veränderlichkeit der Aufgaben- und Problemstellungen gekennzeichnet sein. Daher bietet sich die generelle Verfahrenssteuerung aus Sicht der effektivitätsorientierten Ansätze besonders bei sequentiellen Interdependenzen an, während die genannten Einsatzbedingungen bei reziproken und intensiven Kooperationsformen nur teilweise bzw. nicht erfüllt sind (Grandori 2001a: 242-244). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so kann auf die koordinationsaufwändigere fallweise Verfahrenssteuerung zurückgegriffen werden, deren spezifischer Vorteil darin liegt, dass sie flexibel ausgestaltet werden kann, weil lediglich Handlungs- und Entscheidungskompetenzen durch die Instanz vorzugeben sind, während die -inhalte noch nicht ex ante detailliert werden müssen, sondern während der Zusammenarbeit an die jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst werden können (Frost 2005: 311). Da die 153
fallweise Verfahrenssteuerung aber umfangreiche Fachkenntnisse zur Beurteilung von Ursache-/Wirkungsbeziehungen zwischen Handlungen und Ergebnissen sowie ausreichende Steuerungskapazitäten bei der Instanz voraussetzt, und intensive Interdependenzformen gerade durch heterogene und komplementäre Ressourcen und Aktivitäten, die zudem noch zeitlich parallel eingesetzt bzw. zusammengeführt werden, charakterisiert sind, eignet sich diese Konstellation den beiden Autorinnen zufolge nicht (Grandori 2001a: 112-124; Frost 2005: 312). Die Effektivität der Selbstabstimmung wird bei Frost und Grandori im Allgemeinen als sehr hoch eingestuft. Ihre unterschiedlichen Mechanismen eignen sich aufgrund ihrer immanenten Steuerungseigenschaften bei allen Interdependenzformen. Dabei wird jedoch auf den mit der Selbstabstimmung verbundenen – und im Vergleich zu anderen Mechanismen – sehr hohen Koordinationsaufwand hingewiesen (Grandori 2001a: 144-146; Frost 2005: 342). Demzufolge sollte die Selbstabstimmung insbesondere in denjenigen Fällen genutzt werden, in denen alternative Mechanismen nicht geeignet sind, um die Koordinationsanforderungen vollumfänglich zu erfüllen. Dies ist aufgrund der spezifischen Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen besonders bei intensiven Interdependenzen der Fall. Selbstabstimmungsmechanismen setzen jedoch eine konditionale Kooperationsbereitschaft der Organisationsmitglieder voraus, weshalb eine prinzipielle Wirksamkeit im Hinblick auf die Koordinationsziele und damit ihre Eignung nicht allgemeingültig angenommen werden kann (Grandori 2001a: 141-146; Frost 2005: 339). Bei reziproken Interdependenzen schlägt Grandori mit liaison roles ein Instrument der personellen Verflechtung vor, da sich wechselseitige Ressourcenaustauschbeziehungen und zeitlich parallelisierte Aktivitäten nicht durch Verfahrensstandards oder permanente Aufgabenüberwachung effektiv koordinieren lassen (Grandori 2001a: 243-245). Vielmehr sind Mechanismen erforderlich, die sowohl eine ad hoc als auch kontinuierliche Kommunikation und Interaktion zwischen Organisationsmitgliedern mit spezialisierten Fähigkeiten erlauben und diese mit ausreichenden Kompetenzen ausstatten, um kurzfristig und flexibel darüber zu entscheiden.
2.4.2.3
Vergleich und Kritik der theoretischen Erklärungsansätze
Die Ausführungen zeigen, dass die beiden Autorengruppen aufgrund ihrer unterschiedlichen Erklärungsziele teils sehr heterogene Gestaltungsempfehlungen zur Lösung von Interdependenzproblemen unterbreiten. Während in den Effizienzansätzen „so wenig Koordination wie möglich und so viel wie nötig“ postuliert wird, liegt die organisatorische Gestaltungsaufgabe in den Effektivitätsansätzen in einer bestmöglichen Erfüllung sämtlicher Koordinationsanforderungen. Dabei basieren die Effizienzansätze auf ceteris paribus-Annahmen und konzentrieren sich bei der Wahl von Koordinationslösungen ausschließlich auf den 154
Kontingenzfaktor der Interdependenz. Sowohl bei Thompson als auch bei Van de Ven und Ferry erfolgt daher eine monokausale Ableitung effizienter Koordinationsmechanismen auf der Basis der jeweiligen Interdependenzform.162 Die Relevanz zusätzlicher Kontingenzfaktoren, welche die Effizienz der Koordinationsmechanismen beeinträchtigen, wird zwar von ihnen eingeräumt, ihr Bezug zu den unterschiedlichen Interdependenzformen und Steuerungslösungen allerdings nicht näher betrachtet (Thompson 1967: 51-57; Van de Ven/Ferry 1980: 245-250). Im Gegensatz dazu erweitern die Autorinnen der effektivitätsorientierten Ansätze den Betrachtungshorizont und integrieren zusätzliche Einflussfaktoren wie Aufgabendynamik, Informationskomplexität und Mitarbeitermotivation in ihre Ausführungen (Grandori 2001a: 245-249; Frost 2005: 287-305). Dies wird bei Grandori damit begründet, dass: „Although it is an intermediate and composite variable, even interdependence by itself is not sufficient to explain, except partially, the observed effective forms of coordination” (Grandori 2001a: 245).
Eine derartige Analyseheuristik ist jedoch mit der Gefahr verbunden, dass sich die Wirksamkeit der Steuerungslösungen nicht mehr ausschließlich auf die jeweilige Interdependenzform zurückführen lässt. Mit anderen Worten lässt sich nicht erklären, ob ein Mechanismus effektiv ist, weil er das spezifische Interdependenzproblem löst, oder weil er andere Einflussgrößen verändert und dadurch mittelbar positiv auf die Zusammenarbeitsbeziehungen einwirkt. Dem Nachteil dieses Vorgehens steht jedoch ein essenzieller Vorteil gegenüber, der in den Effizienzansätzen vernachlässigt wird: Die jeweilige Interdependenzform ist nur eine Dimension der Zusammenarbeit, die es zu koordinieren gilt. Kooperationsbeziehungen zwischen Konzerneinheiten, ihren Mitgliedern, ihren materiellen und immateriellen Ressourcen, Aktivitäten und Fähigkeiten werden aber gerade durch zusätzliche Einflussfaktoren qualifiziert, welche die Komplexität von Organisationen ausmachen und damit maßgeblich die Effektivität von Steuerungslösungen beeinträchtigen (z.B. Ouchi 1980; Eisenhardt 1985; Oliver 1990; Grandori/Soda 1995, 2006; Smith/Carroll/Ashford 1995; Grandori 1997a, 1997b; 2001a: 245-250; Frost 2005: 287-302; Caglio/Ditillo 2008; Berry et al. 2009: 15). Folglich reicht es auch nicht aus, die interdependenten Kooperationsbeziehungen zu koordinieren: Sie müssen gesteuert werden. In der Steuerungskonzeption dieser Arbeit wurde bereits verdeutlicht, dass Steuerung über die reine Koordinationsaufgabe hinausgeht und auch die Verhaltensbeeinflussung von Organisationsmitgliedern unter Berücksichtigung ihres Könnens und Wollens umfasst. Folglich stellt sich die Frage: Welche Steuerungsmechanismen sind bei welchen Interdependenzformen unter welchen qualifizierenden Einflussfaktoren effektiv? 162
Zu dieser Kritik vgl. weiterführend die Abschnitte 1.2, 2.5 und 4.3.3.
155
Weder die effizienz- noch die effektivitätsorientierten Ansätze sind in der Lage, befriedigende Antworten auf diese Frage zu bieten. Dies ist kaum verwunderlich, da alleine die Anzahl möglicher qualitativer Einflussfaktoren nahezu unermesslich ist. Die Analyse der Wirkungsbeziehungen zwischen diesen Einflüssen würde die Untersuchung zusätzlich erschweren und zu einer unbeherrschbaren Komplexität führen (Gerdin 2005: 120). Stattdessen hätte ein derartiger Versuch womöglich zur Folge, dass sich durch die Vielzahl der Einflussgrößen mit potenziell gegenläufigen Effekten letztlich keine aussagefähigen Zusammenhänge mehr erkennen ließen: „However, context has so many relevant dimensions that often work in opposing directions that the establishment of an integrated contingency theory seems all but impossible” (Berry et al. 2009: 15).
Nichtsdestotrotz kann es gelingen, den Einfluss ausgewählter Faktoren auf die unterschiedlichen Interdependenzsituationen zu untersuchen, um daraus Gestaltungsempfehlungen abzuleiten.163 Wie die Identifikation von steuerungsrelevanten Einflussgrößen und die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen diesen und der Steuerung unterschiedlicher Interdependenzformen erfolgen kann, soll bei der Entwicklung des konzeptionellen Bezugsrahmens dieser Arbeit näher beschrieben werden (Abschnitt 2.5). Schließlich gilt auch für Grandori und Frost, dass sie keine Aussagen über die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen treffen. Zwar plädieren sie für einen kombinierten Einsatz von Steuerungsmechanismen („combinations of mechanisms are superior to one-sided solutions“; Grandori 2001a: 212; ähnlich Frost 2005: 282), gehen jedoch in ihren Ausführungen nicht weiter darauf ein, welche speziellen Mechanismuskombinationen zu empfehlen sind, weil diese über eine gegenseitige Anschlussfähigkeit verfügen, sich sinnvoll ergänzen und somit dazu beitragen können, die Gesamteffektivität der Steuerung zu erhöhen (Grandori/Soda 2006: 170). Da sich die theoriegeleiteten Erklärungsansätze zudem nicht explizit auf die spezifische Konfiguration und den organisationalen Kontext von Konzernen beziehen, gilt es, den Fokus der nachfolgenden Auswahl empirischer Untersuchungen zur Erklärung der Steuerung von Interdependenzbeziehungen auf intraorganisationale Kooperationsformen in konzernähnlichen Institutionen (multi-divisional-firms bzw. multi-business-firms) zu legen.
163
Vgl. hierzu auch die empirische Untersuchung von Grandori und Soda (2006), in der die Autoren den Einfluss der strategischen Relevanz von Ressourcen (Knappheit, Nicht-Substituierbarkeit und NichtImitierbarkeit) und Unsicherheit auf die Steuerung unterschiedlicher Kooperationsformen analysieren.
156
2.4.3 Empiriegestützte Erklärungsansätze zur Steuerung von Interdependenzen Die grundlegende Arbeit von Thompson zog eine hohe Anzahl empirischer Untersuchungen nach sich, in denen die Zusammenhänge zwischen Interdependenzen und Steuerungsmechanismen analysiert worden sind. Im Nachfolgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse ausgewählter Studien und ihre untersuchungsrelevanten Erklärungsbeiträge zusammenfassend dargestellt werden.164 Aufgrund der Fülle von Arbeiten konzentriert sich die Auswahl auf diejenigen Untersuchungen, die sich explizit mit den Zusammenhängen zwischen bereichs- oder unternehmensübergreifenden Kooperationsbeziehungen, Interdependenzen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen befassen. Folgende Kriterien wurden der Auswahl zugrundegelegt: Erstens wurden diejenigen Studien aus der Analyse ausgegrenzt, die sich mit alternativen Kooperationsformen zwischen rechtlich-eigenständigen Unternehmen wie bspw. Joint Ventures, virtuelle Unternehmen, strategische Allianzen oder Outsourcing-Beziehungen befassen (z.B. Pfeffer 1972; Pfeffer/Nowak 1976; Kyu Kim 1988; Geringer/Hebert 1989; Provan 1993; Provan/Gassenheimer 1994; Kumar/Seth 1998; Tomkins 2001; Huddart/Lian 2005; Dekker 2004; Mahama 2006; Mouritsen/Thrane 2006; Gulati/Sytch 2007; Kamminga/Van der MeerKooistra 2007; Boland/Sharma/Afonso 2008; Vélez/Sánchez/Álvarez-Dardet 2008; Luo 2008; Vosselman/Van der Meer-Kooistra 2009). Die Kooperationsbeziehungen in derartigen Institutionen unterscheiden sich zu sehr von der Konzernorganisationsform (z.B. hinsichtlich gemeinsamer Zielsetzungen oder der Dauer der Zusammenarbeit), dass daraus relevante Erkenntnisse für die Steuerung im Konzern zu erwarten wären. Zweitens wurden diejenigen Arbeiten ausgeschlossen, in denen entweder die Analyseeinheit der Steuerung oberhalb der Ebene der Steuerungsverfahren lag, oder in denen explizit nur einzelne Mechanismen untersucht worden sind, sofern in diesen Studien keine zusätzlichen Erklärungsbeiträge für die hier interessierenden Forschungsfragen identifizierbar waren (z.B. Birnberg 1998; Bushman et al. 2004; Håkansson/Lind 2004; Guymon/Balakrishnan/Tubbs 2008; Hartmann/Slapnicar 2009). Drittens mussten die Studien mit dem zugrunde liegenden Interdependenzkonzept dieser Arbeit vereinbar sein, d.h. es mussten zumindest konkrete Hinweise über die Form der Interdependenzen vorliegen und damit eine Anschlussfähigkeit der verwendeten Interdependenzkonstrukte gegeben sein, um sowohl eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit den bisherigen theoretischen Ausführungen dieser Arbeit als auch mit anderen Studien zu gewährleisten (z.B. McCann/Ferry 1979; Gupta/Govindarajan 1986; Ghoshal/Nohria 1989; Adler 1995; 164
Für Metaanalysen empirischer Publikationen zum Zusammenhang zwischen Interdependenzen, weiteren Kontingenzfaktoren und Steuerung in alternativen Institutionsformen vgl. auch Hirst/Yetton (1999); Ireland/Hitt/Vaidyanath (2002); Van der Meer-Kooistra/Vosselman (2006); Caglio/Ditillo (2008).
157
Janz/Colquitt/Noe 1997; Bushman/Smith 2001; Van Helden/Van der Meer-Kooistra/Scapens 2001; Abernethy/Lillis 2001; Tsai 2002; Rivkin/Siggelkow 2003). Als viertes Auswahlkriterium diente schließlich die Aktualität der Studien. Aus der Recherche wurden diejenigen Arbeiten ausgegrenzt, die nicht binnen der letzten 25 Jahre veröffentlicht worden sind (z.B. Hickson/Pugh/Pheysey 1969; Ouchi/Maguire 1975; Van de Ven/Delbecq/ Koenig 1976; Hall et al. 1977; Baliga/Jaeger 1984). Dies erschien sinnvoll, weil sich seitdem bedeutsame Veränderungen von organisationalen Kontextbedingungen, neuartige Unternehmensführungskonzepte und technische Innovationen (z.B. IT-gestützte Kennzahlensysteme) herausgebildet haben, welche die Wirkungsweisen und Kombinationsmöglichkeiten von Steuerungsmechanismen maßgeblich beeinflussen können. Die Berücksichtigung dieser vier Auswahlkriterien führte zu einer Stichprobe von insgesamt zehn Studien, die zwischen 1986 und 2007 publiziert worden sind.165 Als Literaturquelle wurden internationale Fachzeitschriften der Organisations-, Strategie-, Management Controlbzw. Management Accounting-Forschung herangezogen.166 Da die Forschungsfragen innerhalb dieser Studien zumeist jedoch weiter gefasst waren, als hier von Interesse, werden nachfolgend nur die für die vorliegende Untersuchung relevanten Bestandteile dieser Arbeiten qualitativ ausgewertet. Diese werden nach vier Vergleichskriterien untersucht: Interdependenzformen, Steuerungsmechanismen, Theoriefundierung sowie die verwendete Analysemethode.167 Sie werden in chronologischer Reihenfolge ihrer Veröffentlichung diskutiert, da sich die Autoren z.T. auf die Ergebnisse vorheriger Untersuchungen stützen. Vorausblickend gilt es, auf die besondere Relevanz der Studie von Gencturk und Aulakh (1995) hinzuweisen, da sie als einzige Arbeit das Forschungsziel der Erklärung von Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen expliziert sowie auf die Studie von St. John und Harrison (1999), die Steuerungskombinationen zur Mehrwertschaffung betrachten.
165
166
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Es gilt jedoch zu anzumerken, dass die Ergebnisse der aus der detaillierteren Analyse ausgeschlossenen Studien dennoch berücksichtigt worden sind, sofern sie einen erkennbaren Erkenntnisbeitrag für die vorliegende Arbeit leisteten. Die an dieser Stelle behandelten Studien wurden in den folgenden Fachzeitschriften publiziert: Accounting, Organizations & Society (AOS), Accounting Review (AR), Journal of Accounting & Economics (JAE), Journal of International Business Studies (JIBS) und Strategic Management Journal (SMJ). Die in den Studien verwendete Analysemethode wird in Tabelle 6 dargelegt.
158
2.4.3.1
Qualitative Auswertung von zehn Studien zur Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen in multidivisionalen Unternehmen
(A) Chenhall/Morris (1986; AR): „The Impact of Structure, Environment, and Interdependence on the perceived Usefulness of Management Accounting Systems” In einer Befragung von 68 Entscheidungsträgern in 36 multidivisionalen australischen Produktionsunternehmen untersuchen Chenhall und Morris den Zusammenhang zwischen dem Dezentralisierungsgrad der Unternehmen, unterschiedlichen Interdependenzformen zwischen ihren Divisionen und dem Einsatz ergebnisorientierter Steuerungsverfahren (Management Accounting Systems; MAS). Angelehnt an Thompson (1967) unterscheiden sie zwischen gepoolten, sequentiellen und reziproken Interdependenzen. Zwar beschränken sich die Autoren bei ihrer Analyse auf die Beschaffenheit der durch die Steuerungssysteme bereitgestellten Steuerungsinformationen, jedoch lassen sich daraus Erkenntnisse für den Einsatz von Ergebniskontrollen bei den unterschiedlichen Interdependenzformen ableiten. Theoretisch ist ihre Untersuchung im Kontingenzansatz begründet. Ihre Untersuchung zeigt, dass in Unternehmen, in denen die Zusammenarbeit der Organisationseinheiten durch transaktionale Interdependenzformen gekennzeichnet ist, verstärkt finanzielle und nicht-finanzielle bereichsspezifische Kennzahlen zur Steuerung ihrer Geschäftsbereiche eingesetzt werden. Dabei unterscheiden sie jedoch nicht weiter zwischen sequentiellen und reziproken Interdependenzbeziehungen ihrer Einheiten. Bei gepoolten Interdependenzen kommt bereichsspezifischen Ergebniskontrollen hingegen eine nachrangige Rolle zu (Chenhall/Morris 1986: 22-30). Andere Steuerungsverfahren werden im Rahmen der Studie nicht untersucht, jedoch weisen Chenhall und Morris abschließend explizit auf die Notwendigkeit der Untersuchung der Wirksamkeit alternativer Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen hin: „[M]ore refined theoretical linkages and […] most importantly, the effects of different types of MAS on managers performance should be investigated. It is hoped that such approaches will enhance our abilities to understand what types of MAS are appropriate in different situations, and as a result, to improve the likelihood that MAS will help managers improve their performance and that of their organizations” (Chenhall/Morris 1986: 31; eigene Hervorhebung).
Aus dem Zitat geht hervor, dass Chenhall und Morris die Bedeutung von Auswirkungen der Steuerung auf die Leistungsfähigkeit und das Verhalten von Organisationsmitglieder herausstellen und weisen somit bereits im Jahre 1986 darauf hin, dass ein ergänzender und aufeinander abgestimmter Einsatz unterschiedlicher Steuerungsmechanismen zu einem verbesserten Zielerreichungsgrad von Kooperationsbeziehungen in Unternehmen beitragen kann.
159
(B) Macintosh/Daft (1987; AOS): „Management control systems and departmental interdependencies” Macintosh und Daft untersuchen den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von bereichsspezifischen Kennzahlen (statistical reports; Ergebniskontrollen), Prozessvorgaben (standard operating procedures; generelle Verfahrenssteuerung) sowie Budgets (operating budgets; Ressourcenausstattung) und unterschiedlichen Interdependenzformen zwischen insgesamt 90 Geschäftsfeldern in 20 US-amerikanischen und kanadischen Industrie- und Handelsunternehmen. Die Kooperationsbeziehungen zwischen den Geschäftsfeldern unterscheiden sie nach gepoolten, sequentiellen und reziproken Interdependenzen. Ihre Studie basiert ebenfalls auf dem Kontingenzansatz. Die Autoren finden heraus, dass in gepoolten Interdependenzsituationen vornehmlich die generelle Verfahrenssteuerung eingesetzt wird, während ein moderat negativer Zusammenhang zum Einsatz von Budgets besteht und Ergebniskontrollen deutlich negativ mit dieser Interdependenzform korrelieren. Bei sequentiellen Interdependenzen besteht kein statistischsignifikanter Zusammenhang zur generellen Verfahrenssteuerung; hingegen kommt Ergebniskontrollen eine hohe und Budgets eine moderate Bedeutung zu. Auch im Falle reziproker Interdependenzbeziehungen spielen bereichsspezifische Ergebniskontrollen eine wichtige Rolle bei der Koordination der Zusammenarbeit zwischen den Einheiten. Dabei eignen sich die Kennzahlen jedoch nicht zur Messung und Überwachung der gemeinsamen Leistungsergebnisse, was die Autoren auf die hohe Komplexität reziproker Interdependenzen zurückführen. Kennzahlensysteme sind ihrer Meinung nach nicht in der Lage, diese Komplexität hinreichend abzubilden bzw. mögliche Probleme während der Zusammenarbeit ex ante zu berücksichtigen (Macintosh/Daft 1987: 57-58). In dieser Hinsicht besteht ein wesentlicher Unterschied zu der Studie von Chenhall und Morris, in der die Bedeutung von Ergebniskontrollen bei reziproken Interdependenzen aufgrund des hohen Bedarfs an Information über die komplexen Kooperationsbeziehungen hervorgehoben wird (Chenhall/Morris 1986: 22). Ferner entdecken Macintosh und Daft einen negativen Zusammenhang zwischen der Verfahrenssteuerung sowie einen moderat negativen Zusammenhang zwischen Budgets und reziproken Interdependenzen. Die Autoren räumen bei dieser Interdependenzform hingegen der Selbstabstimmung eine höhere Bedeutung als den untersuchten Steuerungsmechanismen ein, ohne diese jedoch explizit empirisch erfasst zu haben: „Although we did not test directly, the requisite coordination and control seems to be achieved through personal interaction, frequent communication, and mutual adjustment by the various managers and employees involved“ (Macintosh/Daft 1987: 57).
Wirkungsbeziehungen zwischen den betrachteten Steuerungsmechanismen werden in der Studie von Macintosh und Daft nicht untersucht.
160
(C) Martinez/Jarillo (1991; JIBS): „Coordination Demands of International Strategies“ In ihrer Untersuchung von 50 Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen analysieren Martinez und Jarillo basierend auf der Kontingenztheorie die Zusammenhänge zwischen Mehrwertstrategien, Interdependenzen und dem Einsatz formaler und informaler Steuerungsverfahren (subtle mechanisms). Dabei unterscheiden die Autoren zwischen drei möglichen Strategien, die Headquarters bei den Tochtergesellschaften verfolgen können und leiten daraus den Grad der Interdependenzen zwischen den Unternehmenstöchtern ab. Bei „autonomen“ Tochtergesellschaften verfolgt das Headquarter eine Mobilisierungsstrategie168, aus der keine Interdependenzbeziehungen zwischen dem fokalen Unternehmen und anderen Einheiten resultieren. Bei „aktiven“ und „rezeptiven“ Tochtergesellschaften nutzt das Headquarter eine kollektive Mehrwertstrategie, welche die Zusammenarbeit der Einheiten erfordert und zu Interdependenzen zwischen ihnen führt. Während die Zusammenarbeit von aktiven Tochtergesellschaften in einem hohen Interdependenzgrad resultiert, beschränkt sich die Interdependenz rezeptiver Einheiten auf eine einseitige Abhängigkeit von anderen Einheiten. Die Autoren charakterisieren die jeweiligen Interdependenzformen nicht nach ihren spezifischen Beziehungseigenschaften, sondern ordnen diese lediglich nach ihrem Komplexitätsgrad; folglich kann nicht abgeleitet werden, ob es sich bei aktiver Zusammenarbeit um reziproke oder intensive und bei rezeptiver Zusammenarbeit um sequentielle oder gepoolte Interdependenzen handelt. Allerdings lässt sich annehmen, dass bei aktiven bzw. rezeptiven Kooperationsbeziehungen eine der genannten Interdependenzformen vorliegt. Darüber hinaus wird die Schaffung kollektiven Mehrwerts ausschließlich aus der Strategieperspektive betrachtet und ihre finanziellen bzw. ressourcenbezogenen Implikationen nicht weiter untersucht. Die formalen Steuerungsmechanismen umfassen bei Martinez und Jarillo Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen, Formalisierung durch Regeln und Prozeduren, Planung durch Zielvereinbarung sowie Ergebnissteuerung durch Kennzahlen und Verhaltenskontrollen. Informale Steuerungsmechanismen beinhalten vertikale Interaktionsbeziehungen zwischen den Leitern der Tochtergesellschaften und dem Headquarter sowie horizontalen Interaktionen zwischen den Einheiten (Selbstabstimmung) und darüber hinaus informelle Kommunikationsstrukturen und die Schaffung einer gemeinsamen Unternehmenskultur (Martinez/Jarillo 1991: 431-432, 1989: 491). Die Autoren entdecken einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen der verfolgten Mehrwertstrategie und der Steuerungsintensität, die sie nach der Anzahl eingesetzter unter-
168
Martinez und Jarillo verwenden die Begriffe „Mobilisierungsstrategie“ und „kollektive Mehrwertstrategien“ nicht explizit, jedoch lassen sich die von den Autoren unterschiedenen „corporate strategies“ diesen Kategorien zuordnen.
161
schiedlicher Steuerungsmechanismen bemessen. In Tochtergesellschaften, bei denen die Mobilisierungsstrategie verfolgt wird, werden vergleichsweise weniger formale und informale Steuerungsmechanismen eingesetzt als bei den kollektiven Mehrwertstrategien. Bei letzteren erfolgt hingegen der Einsatz eines breiten Spektrums formaler und informaler Steuerungsmechanismen (Martinez/Jarillo 1991: 439-441). Dabei werden zur Steuerung rezeptiver Einheiten im Durchschnitt mehr Mechanismen als bei aktiven Tochtergesellschaften eingesetzt. Allerdings wird die Einsatzhäufigkeit der unterschiedlichen Mechanismen nicht dediziert untersucht, sondern lediglich nach formalen und informalen Steuerungsverfahren unterschieden. Dabei stellen die Autoren fest, dass „the subtle mechanisms of coordination seem to play a serious role once the formal ones have been put in place, as the need for coordination increases” (Martinez/Jarillo 1991: 441; eigene Hervorhebung).
Wie diese wichtige Rolle zu verstehen ist, und welche Kombinationsmöglichkeiten und wechselseitigen Auswirkungen zwischen Steuerungsmechanismen möglich sind, werden in der Studie von Martinez und Jarillo jedoch nicht näher behandelt. (D) Gencturk/Aulakh (1995; JIBS): „The Use of Process and Output Controls in Foreign Markets” Gencturk und Aulakh untersuchen den Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad zwischen 78 Organisationseinheiten von 42 multinationalen Unternehmen sowie dem Einsatz von Ergebnis- und Verfahrenssteuerung. Der Interdependenzgrad bemisst sich bei ihnen nach der Anzahl gemeinsam durchgeführter Marketingaktivitäten zwischen den Unternehmen, ohne dass die Kooperationsbeziehungen nach der Form ihrer Interdependenzen differenziert werden (Gencturk/Aulakh 1995: 762-763). Gencturk und Aulakh greifen das Postulat vorheriger empirischer Arbeiten auf und bestimmen die Analyse der Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen als explizites Untersuchungsziel ihrer Studie, indem sie argumentieren, dass „a discrete choice between process and output controls does not provide a clear understanding of how management exercises either type of control over specific activities. […] The argument advanced in this study is that there is no one best formal control type; no universalistic control choices will result in optimal outcomes for all managers in all foreign markets. Rather, complementarity or consistency of the formal controls is deemed necessary for good performance“ (Gencturk/Aulakh: 758-759; eigene Hervorhebung).
Als theoretische Grundlage bedienen sich die Autoren des Kontingenzansatzes, wobei hinsichtlich der Steuerung auch Aspekte der Transaktionskosten- und Agencytheorie in die Untersuchung einfließen. 162
Neben der Identifikation eines positiven Zusammenhangs zwischen dem Interdependenzgrad von Organisationseinheiten und ihrem relativen Unternehmenserfolg (ermittelt auf Basis finanzieller Ergebniskennzahlen) finden Gencturk und Aulakh heraus, dass der Einsatz von Steuerungsverfahren maßgeblich vom Grad horizontaler Interdependenzen abhängt. Dabei nimmt der Einsatz der Verfahrenssteuerung deutlich und der Einsatz der Ergebnissteuerung moderat mit steigendem Interdependenzgrad der Einheiten zu. Durch Anwendung multipler und hierarchischer Methoden der Regressionsanalyse gelingt es ihnen zu zeigen, dass die Steuerung der Interdependenzbeziehungen maßgeblich zum Unternehmenserfolg der Einheiten beiträgt. Allerdings kommen Gencturk und Aulakh im Laufe ihrer Untersuchung zu der Erkenntnis, dass die verwendeten quantitativen Methoden nicht ausreichen, um der Komplexität von Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen gerecht zu werden: „While the ultimate goal of different formal controls may be the attainment of an organization's performance goals, the nature of their relationships appears to be more complex than previously envisioned. Hence, managers need to be cognizant of the natural but potentially counterproductive tendency to justify and evaluate a particular control in terms of its presumed effect on unit's performance“ (Gencturk/Aulakh 1995: 779; eigene Hervorhebung).
Die Ergebnisse ihrer Studie gehen in diesem Punkt damit nicht über Andeutungen einer grundsätzlichen Existenz von Wirkungszusammenhängen zwischen Steuerungsmechanismen hinaus, die den Zielerreichungsgrad interdependenter Zusammenarbeit maßgeblich beeinflussen. Aufgrund der Unzulänglichkeiten quantitativer Verfahren plädieren sie für den Einsatz geeigneterer Theorieansätze und Untersuchungsmethoden zur Analyse der Effektivität sowie der komplexen Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen im Hinblick auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen (Gencturk/Aulakh 1995: 780). Bezug nehmend auf existierende Erkenntnisse stellen Gencturk und Aulakh zwei Aspekte für künftige Forschungsvorhaben heraus, die ihrer Ansicht nach essenziell sind, um anwendungsrelevante Gestaltungshinweise für die Steuerung von multidivisionalen Unternehmen ableiten zu können. Der erste, methodische Aspekt betrifft den Einsatz relationaler Verfahren (dyadic perspective) bei der Untersuchung von Interdependenz- und Steuerungsbeziehungen. Der zweite, konzeptionelle Aspekt zielt auf die Erweiterung der Ergebnis- und Verfahrenssteuerung um die Betrachtung von Steuerungsverfahren, durch die Entscheidungskompetenzen an die dezentralen Organisationsmitglieder delegiert werden: „[P]rocess and output controls have been conceptualized and measured in several different ways in the extant literature. Future research is encouraged to measure the different types of control using multiple approaches to capture the complexity of these control mechanisms. Finally, we strongly encourage future research to adopt a dyadic perspective and examine exercise of formal controls in MNCs […] and on the determinants and consequences of different control types in particular” (Gencturk/Aulakh 1995: 780).
163
(E) Bushman/Indjejikian/Smith (1995; JAR): „Financial accounting information, organizational complexity and corporate governance systems” Bushman, Indjejikian und Smith untersuchen den Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad strategischer Geschäftseinheiten und dem Einsatz von bereichsspezifischen und gesamtunternehmensbezogenen Ergebniskennzahlen als Bemessungsgrundlage für die Anreizgestaltung in 246 multidivisionalen Großunternehmen unterschiedlicher Industrien. Interdependenzen werden aus dem produktbezogenen und regionalen Diversifikationsgrad abgeleitet; d.h. je delokalisierter die Einheiten und/oder unterschiedlicher ihre Produkte, desto höher ist ihr Interdependenzgrad. Die Autoren gründen ihre Untersuchung agencytheoretisch und kommen zu dem Ergebnis, dass in Unternehmen, in denen ein hoher Interdependenzgrad zwischen den Geschäftseinheiten besteht, verstärkt Gesamtunternehmenskennzahlen zur Steuerung eingesetzt werden, während Unternehmen mit weitgehend autarken Geschäftsbereichen eher bereichsspezifische Kennzahlen verwenden (Bushman/Indjejikian/Smith 1995: 124-126).
(F) Keating (1997; JAE): „Determinants of divisional performance evaluation practices” Keating untersucht den Zusammenhang zwischen Interdependenzen und dem Einsatz von Ergebniskontrollen und damit verknüpften Anreizmechanismen zur Steuerung von Geschäftsbereichsleitern in 78 multidivisionalen Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Interdependenzformen werden dabei nach der Richtung der Abhängigkeiten zwischen den Geschäftsbereichen unterschieden in: Einheiten, in denen die Handlungen und Entscheidungen von Managern sich auf die Ergebnisse anderer Einheiten auswirken, doch in umgekehrter Richtung independent sind und Einheiten, deren Ergebnisse von den Handlungen und Entscheidungen von Managern anderer Einheiten abhängen, jedoch nicht umgekehrt. Aus dieser Sicht lässt sich lediglich konstatieren, dass einseitige Abhängigkeitsbeziehungen, welche kennzeichnend für sequentielle und typischerweise auch für gepoolte Interdependenzen sind, zwischen den Geschäftsbereichen vorliegen. Die untersuchungsrelevanten Ergebniskontrollen werden differenziert nach bereichsspezifischen und gesamtunternehmensbezogen Kennzahlen. Keating kommt zu dem Ergebnis, dass Unternehmen zur Steuerung derjenigen Geschäftsbereiche, deren Resultate von den Ergebnissen anderer Geschäftsbereichen abhängig sind, vermehrt Gesamtunternehmenskennzahlen einsetzen. Hingegen werden bei Geschäftsbereichen, die unabhängig von den Ergebnissen anderer Geschäftsbereichen sind, aber Einfluss auf deren Ergebnisse haben, vor allem auf Basis von Kennzahlen gesteuert, die nur ihren eigenen Bereich betreffen (Keating 1997: 266). Die Untersuchung basiert auf der Arbeit von Bushman, Indjejikian und Smith (1995) und ist agencytheoretisch fundiert.
164
(G) St. John/Harrison (1999; SMJ): „Manufacturing-based relatedness, synergies, and coordination” St. John und Harrison untersuchen die Zusammenhänge zwischen dem Verwandtschaftsgrad von Ressourcen, dem Einsatz unterschiedlicher Steuerungsmechanismen und der Realisierung von Synergien zwischen 466 Organisationseinheiten in 31 Produktionsunternehmen. Die Autoren betrachten Kooperation und Synergien aus einer ressourcenorientierten Sicht, differenzieren die Ressourcenbeziehungen zwischen den Einheiten jedoch nicht nach den zugrunde liegenden Interdependenzformen. Da sie sich jedoch zum einen auf die gemeinsame Nutzung gleichartiger Ressourcen mit dem Ziel der Realisierung von Kosteneinsparungspotenzialen, zum anderen auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen durch Ressourcenkombinationen beziehen (St. John/Harrison 1999: 131), ist anzunehmen, dass es sich dabei um gepoolte bzw. intensive Interdependenzen zwischen den Organisationseinheiten handelt.169 St. John und Harrison kommen zu dem Ergebnis, dass der Verwandtschaftsgrad der eingesetzten Ressourcen und die gemeinsame Nutzung dieser Ressourcen allein genommen nicht ausreichen, um Synergien zwischen den Einheiten zu erschließen, sondern maßgeblich von der Auswahl und dem Einsatz adäquater Steuerungsmechanismen abhängen (St. John/Harrison 1999: 141-142; ähnlich Hoskisson 1987: 640-641; Saxton 1997: 444; Ireland/Hitt/Vaidyanath 2002: 439). Die Autoren entdecken, dass erfolgreiche Unternehmen (high performers) – diejenigen mit einer überdurchschnittlichen Umsatzrendite – verstärkt ein Repertoire bestehend aus unterschiedlichen Steuerungsmechanismen einsetzen, um Synergiepotenziale zu realisieren. Dieses umfasst Instrumente der Ergebnissteuerung (z.B. bereichsspezifische und gesamtunternehmensbezogene Kennzahlen und Anreizsysteme), der Verfahrenssteuerung (z.B. gemeinsame Produktionspläne und -verfahren), der Selbstabstimmung (z.B. bilaterale Planungsrunden und Komitees) sowie der Inputsteuerung (z.B. LiaisonRollen). Welche konkreten Steuerungslösungen genutzt werden, weil sie effektiv zur Synergieerschließung sind, wird von St. John und Harrison allerdings nicht näher untersucht: Sie differenzieren weder zwischen den einzelnen Steuerungsverfahren noch ihren instrumenten, sondern untersuchen lediglich die Zusammenhänge zwischen der Steuerungsintensität – also ob ein oder mehrere Steuerungsmechanismen genutzt werden – und dem Unternehmenserfolg. Die Ergebnisse ihrer Studie beschränken sich infolgedessen auf Häufigkeitsaussagen, dass ein Großteil erfolgreicher Unternehmen kombinierte Lösungen zur Steuerung ihrer Kooperationsbeziehungen einsetzen, um Mehrwert zu realisieren, während weniger erfolgreiche Unternehmen (low performers) dies nicht tun (St. John/Harrison 1999: 140):
169
Zum Zusammenhang zwischen Mehrwertarten und Interdependenzformen vgl. Abschnitt 2.3.2.2.
165
-
53% der high performers setzen Kombinationen von Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen zwischen ihren Einheiten ein;
-
80% der high performers, die Synergien als explizites strategisches Ziel angeben, setzen Kombinationen von Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen zwischen ihren Einheiten ein;
-
94% der low performers verzichten gänzlich auf den Einsatz dezidierter Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen zwischen ihren Einheiten;
-
84% der low performers, die Synergien als explizites strategisches Ziel angeben, verzichten gänzlich auf den Einsatz dezidierter Mechanismen zur Steuerung bereichsübergreifender Kooperationsbeziehungen zwischen ihren Einheiten.
Der hohe Abstraktionsgrad ihrer Untersuchung lässt somit keine Rückschlüsse auf die Wirkungsweisen der eingesetzten Steuerungsmechanismen hinsichtlich der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen durch einzigartige Ressourcenbündel zu, woraus St. John und Harrison schlussfolgern: „Furthermore, the combination must be properly coordinated so that the value is realized. […] The causal relationship is very unclear, however. […] Clearly there is a need for further study of synergy and coordination” (St. John/Harrison 1999: 130-142).
(H) O’Donnell (2000; SMJ): „Managing foreign subsidiaries” O’Donnell untersucht den Zusammenhang zwischen Interdependenzen und dem Einsatz von Mechanismen der Inputsteuerung (z.B. personelle Verflechtung von Mitarbeitern unterschiedlicher Einheiten und Ressourcenausstattung) sowie der Selbstabstimmung (z.B. Entscheidungsgremien und ad hoc-Abstimmungen)170 in 89 Ländergesellschaften multinationaler Konzerne (multinational corporations; MNC). Sie unterscheidet dabei einerseits zwischen vertikalen Interdependenzen, die aus den Beziehungen zwischen der Konzernzentrale und den dezentralen Einheiten resultieren, sowie horizontalen Interdependenzen, die aus der Zusammenarbeit zwischen den Konzerneinheiten entstehen; andererseits werden je nach Steuerungsrichtung vertikale und laterale Mechanismen voneinander unterschieden. Hingegen werden die spezifischen Charakteristika der Kooperationsbeziehungen werden bei O’Donnell jedoch nicht differenziert. Sie betrachtet stattdessen lediglich die Existenz von Interdependenzen, die als Folge des länderübergreifenden vertikalen und horizontalen Ressourcentransfers bzw. -austauschs aufgefasst werden, was als Indiz für transaktionale 170
Zwar betrachtet O’Donnell (2000) auch weitere Steuerungsmechanismen wie bspw. die Ergebnissteuerung mit kontingent-verknüpften Anreizen und die Verfahrenssteuerung durch Verhaltenskontrollen; deren Zusammenhänge zu Interdependenzen werden im Rahmen der Studie allerdings nicht näher untersucht und daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.
166
Interdependenzformen interpretiert werden kann (O’Donnell 2000: 21). Ferner werden die Eigenschaften der transferierten Ressourcen nicht näher beschrieben, aus der sich ableiten ließe, um welche Formen von Zusammenarbeit es sich zwischen der Konzernzentrale und ihren Einheiten handelt. Somit bleibt offen, ob sich die Autorin etwa auf die Nutzung von Shared Service Centern bezieht, die aufbauorganisatorisch in der Konzernzentrale zusammengefasst sind, oder ob es sich dabei z.B. um komplexe Wissensaustauschbeziehungen zwischen der Konzernführung und dem Management der einzelnen Ländergesellschaften handelt. O’Donnell kommt zu dem Ergebnis, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Interdependenzen von Konzerneinheiten und dem Einsatz der genannten Steuerungsmechanismen vorliegt. Bestehen vertikale bzw. horizontale Interdependenzen, geht dies mit einem vermehrten Einsatz vertikaler bzw. lateraler Steuerungsmechanismen einher. Bestehen hingegen keine Interdependenzen, so werden auch weniger Steuerungsmechanismen eingesetzt. Die erhobenen Steuerungsmechanismen werden zwar benannt, jedoch nicht einzeln ausgewertet, sondern lediglich entsprechend ihrer Steuerungsrichtung aggregiert. Der hohe Aggregationsgrad der Untersuchung hinsichtlich Interdependenzen und Steuerungsmechanismen lässt folglich nur Tendenzaussagen über ihre Beziehungszusammenhänge zu. Die Autorin schließt daraus, dass eine reichhaltigere Erklärung der Auswirkungen von Interdependenzen auf die Effektivität der Steuerungsmechanismen einer detaillierten Analyse auf der Untersuchungsebene unterschiedlicher Interdependenzformen und Steuerungsmechanismen bedarf: „Future studies should incorporate some of these different types of interdependencies and examine the different mechanisms that are needed to manage them” (O’Donnell 2000: 543).
Für die Untersuchung der Steuerungsbeziehungen innerhalb der multinationalen Konzerne bedient sich O’Donnell einer agencytheoretischen und einer ressourcenorientierten Fundierung und stellt beim Vergleich dieser Ansätze fest, dass
167
„a number of conceptual difficulties are encountered when agency theory is used to model the management of foreign subsidiaries. Many of these problems are related to the assumptions on which agency theory is grounded. Thus, it is not surprising that several of the hypotheses based on agency theory were not supported by the data collected in this study. However, much more support was found for the hypotheses based on a [resource-based; K.B.] view of the MNC as an interdependent network of subunits“ (O’Donnell 2000: 542).
Ihre empirischen Beobachtungen stützen damit die Kritik der vorliegenden Arbeit an den axiomatisch eingeführten Verhaltensannahmen und dem Menschenbild eigennütziger Akteure in der Agencytheorie.171
(I)
Abernethy/Bouwens/van Lent (2004; AR): „Determinants of Control System Design in Divisionalized Firms” Abernethy, Bouwens und van Lent untersuchen die Zusammenhänge zwischen dem Inderdependenzgrad von Geschäftsbereichen und dem Einsatz bereichsspezifischer und gesamtunternehmensbezogener Steuerungskennzahlen in 78 multidivisionalen Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Sie greifen auf das o.g. Interdependenzkonzept von Keating (1997) zurück und unterscheiden somit lediglich zwischen Kooperationsbeziehungen, in denen eine fokale Organisationseinheit von den Aktivitäten anderer Einheiten abhängig ist, sowie Situationen, in denen andere Einheiten von den Aktivitäten der fokalen Einheit abhängig sind (Abernethy/Bouwens/van Lent 2004: 553-554). Die Tatsache, dass Abhängigkeiten in umgekehrter Richtung ausgeschlossen werden, lässt vermuten, dass es sich dabei um sequentielle oder gepoolte Interdependenzen handelt. Die Studie basiert auf dem Kontingenzansatz und greift auf Verhaltensannahmen aus der Agencytheorie zurück. Die Autoren finden heraus, dass bei zunehmenden Auswirkungen der Aktivitäten einer fokalen Division auf das Ergebnis anderer Divisionen vermehrt gesamtunternehmensbezogene Kennzahlen anstelle von bereichsspezifischen Kennzahlen zur Steuerung der fokalen Division eingesetzt werden. Damit widersprechen ihre Ergebnisse denjenigen aus Keatings Studie, denenzufolge bei einer solchen Interdependenzsituation bereichsspezifische anstelle von gesamtunternehmensbezogenen Kennzahlen eingesetzt werden (Keating 1997: 266). Dies führen Abernethy und Kollegen darauf zurück, dass der Aussagegehalt bereichsspezifischer Kennzahlen bei einem hohen Interdependenzgrad sinkt und sich die tatsächlichen Wertbeiträge der kooperierenden Bereiche durch diese nicht adäquat beurteilen lassen (Abernethy/Bouwens/van Lent 2004: 562). Bei der Steuerung von Divisionen, deren Ergebnisse von den Aktivitäten anderer Einheiten abhängen, werden dieser Studie zufolge hingegen nicht
171
Vgl. zu dieser Kritik die Ausführungen in Abschnitt 2.1.1.3.
168
gesamtunternehmensbezogene, sondern bereichsspezifische Steuerungskennzahlen eingesetzt. Da das gewählte Untersuchungsdesign keine Antworten auf diese für sie unplausiblen Zusammenhänge zulässt, fordern die Autoren, dass „further theoretical and empirical research is required to fully understand the impact of alternative forms of interdependencies on performance measurement choice” (Abernethy/Bouwens/ van Lent 2004: 562).
(J)
Ambos/Schlegelmilch (2007; SMJ): „Innovation and Control in the multinational firm“
Auf dem Kontingenzansatz aufbauend untersuchen Ambos und Schlegelmilch den Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad und dem Einsatz unterschiedlicher Verfahren zur Steuerung ausländischer Forschungs- & Entwicklungseinheiten (F&E) von 49 deutschen Unternehmen. Die Autoren unterscheiden drei Formen von Interdependenzen: Einseitige Abhängigkeiten, bei denen entweder (1.) eine fokale Einheit von den Aktivitäten anderer Einheiten abhängig ist, oder (2.) bei denen andere Einheiten von den Aktivitäten der fokalen Einheit abhängig sind sowie (3.) wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den verteilten F&E-Einheiten. Mit einseitigen Abhängigkeiten können folglich gepoolte oder sequentielle, mit wechselseitigen hingegen reziproke oder intensive Interdependenzen gemeint sein, was sich jedoch nicht eindeutig bestimmen lässt. Da die Zusammenarbeit bei der Forschung und Entwicklung typischerweise eine gemeinsame Nutzung personengebundener Fähigkeiten sowie eine enge Zusammenarbeit zur Erreichung eines gemeinsamen (Innovations-) Ziels voraussetzt, lassen sich hierbei intensive Interdependenzen annehmen.172 Hinsichtlich der Steuerungsverfahren unterscheiden die Autoren Zentralisierung, Verfahrenssteuerung und Sozialisation. Die Zentralisierung bemisst sich dabei nach dem Grad der Entscheidungsautonomie der einzelnen Einheiten, Überwachung und Supervision durch die vorgesetzte Instanz, zentraler Planung sowie Berichterstattung von Kennzahlen an die Instanz. Verfahrenssteuerung erfolgt durch den Einsatz standardisierter Prozesse und Prozeduren sowie genereller Regelungen. Im Rahmen der Sozialisation untersuchen die Autoren gemeinsame Unternehmenskultur, Einsatz von Mitarbeitern der Unternehmenszentrale in den ausländischen F&E-Einheiten, Personaltransfers zwischen den Einheiten, Teilnahme an gemeinsamen Trainings sowie gemeinsame Teams und Task Forces (Ambos/Schlegelmilch 2007: 479).173
172 173
Für die Zusammenhänge zwischen Ressourcenarten und Interdependenzformen vgl. Abschnitt 2.3.2. In Anlehnung an die Steuerungskonzeption der vorliegenden Arbeit können die Instrumente der Zentralisierung der Ergebniskontrolle sowie der fallweisen Verfahrenssteuerung zugeordnet werden. Die Instrumente
169
Ambos und Schlegelmilch entdecken einen positiven Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad der F&E-Einheiten sowie dem Einsatz der unterschiedlichen Steuerungsverfahren (Ambos/Schlegelmilch 2007: 481). Bei zunehmendem Interdependenzgrad nimmt der Mechanismeneinsatz aller drei Steuerungsverfahren zu. Die Ergebnisse der Studie verbleiben jedoch auf einem hohen Abstraktionsniveau, da die Autoren nicht näher ausführen, was sie unter einem hohen Interdependenzgrad verstehen, d.h. es wird zwischen den drei betrachteten Interdependenzarten keine ordinale Beziehung hergestellt, aus der der relative Interdependenzgrad abzuleiten wäre. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass wechselseitige Interdependenzen über einen höheren Grad als einseitige verfügen, jedoch lässt sich der Grad einseitiger Interdependenzen nicht aus der Interaktionsrichtung ermitteln. Ferner unterliegen die jeweiligen Mechanismen der drei Steuerungsverfahren keiner differenzierten Analyse. Es folgen demnach keine Erklärungen, welcher Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Interdependenzformen und den eingesetzten Steuerungsmechanismen besteht. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Ambos und Schlegelmilch schließen sich den vorherigen Arbeiten jedoch in dem Punkt an, dass bei ausgeprägten Interdependenzen einzelne Mechanismen nicht ausreichen, um die Koordinationsanforderungen zu erfüllen, sondern einen kombinatorischen Einsatz multipler Steuerungsmechanismen erfordern. Da ihre Untersuchung jedoch keine Hinweise auf konkrete Wirkungszusammenhänge zwischen den Steuerungsmechanismen gibt, empfehlen die Autoren, dass „further studies should consider treating these modes as complementary, not substitutes” (Ambos/Schlegelmilch 2007: 484). Die Annahme einer prinzipiellen Anschlussfähigkeit zwischen Mechanismen wurde jedoch bereits weiter bezweifelt. Tabelle 6 bietet einen zusammenfassenden Überblick über die wesentlichen Ergebnisse der zehn analysierten Studien.
der Verfahrenssteuerung bei Ambos und Schlegelmilch entsprechen der generellen Verfahrenssteuerung, und die Sozialisationsinstrumente lassen sich der Selbstabstimmung sowie der Inputsteuerung zuweisen.
170
Autor (Jahr) Untersuchungsziel
Stichprobe
Theoretische Fundierung
Analysemethode
(A)
Chenhall/Morris (1986)
Zusammenhang zwischen gepoolten, sequentiellen und reziproken Interdependenzformen und dem Einsatz von Ergebniskontrollen
36 multidivisionale australische Produktionsunternehmen
Kontingenztheorie
Regressionsanalyse
(B)
90 strategische Geschäftsfelder 20 USamerikanischer Produktions- und Handelsunternehmen
Kontingenztheorie
Korrelationsanalyse
50 spanische Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien
Kontingenztheorie
Hauptkomponentenanalyse (principle component analysis)
- Bei zunehmendem Interdependenzgrad eines Tochterunternehmens steigt der Einsatz formaler und informaler Steuerungsmechanismen. - Sind formelle Mechanismen einmal eingeführt, so steigt damit zugleich die Relevanz des Einsatzes informaler Steuerungsmechanismen.
Gencturk/Aulakh (1995)
Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad und dem Einsatz von Ergebniskontrollen sowie genereller und fallweiser Verfahrenssteuerung
78 Organisationseinheiten von 42 multinationalen Unternehmen
Kontingenztheorie
Multiple und Hierarchische Regressionsanalyse
(E)
- Bei gepoolten Interdependenzen werden insbesondere Prozeduren und Kennzahlen eingesetzt. - Bei sequentiellen Interdependenzen erfolgt die Steuerung vornehmlich durch Kennzahlen und z.T. Budgets. - Reziproke Interdependenzen werden durch den Einsatz von Kennzahlen gesteuert.
Martinez/Jarillo (1991)
Zusammenhang zwischen verfolgter Mehrwertstrategie, Interdependenzgrad und dem Einsatz „formaler“ und „informaler“ Steuerungsmechanismen
(D)
- Bei sequentiellen und reziproken Interdependenzen werden Kennzahlen zur Steuerung der Zusammenarbeit eingesetzt. - Bei gepoolten Interdependenzen sind Kennzahlen von nachrangiger Bedeutung.
Macintosh/Daft (1987)
Zusammenhang zwischen gepoolten, sequentiellen und reziproken Interdependenzformen und dem Einsatz von Ergebnis-, Verfahrens- und Inputsteuerung
(C)
Ergebnisse
- Die Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen trägt maßgeblich zum Unternehmenserfolg bei. - Mit zunehmendem Interdependenzgrad nimmt sowohl der Einsatz von Ergebniskontrollen als auch der generellen und fallweisen Verfahrenssteuerung zu. - Quantitative Methoden sind für die Analyse komplexer Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsmechanismen nur beschränkt geeignet.
Bushman/Indjejikian/Smith (1995)
Zusammenhang zwischen Interdependenzgrad und dem Einsatz von bereichsspezifischen, gesamtunternehmensbezogenen Ergebniskontrollen sowie Anreizmechanismen
246 US-amerikanische Fortune 500Unternehmen
Agencytheorie
OLSRegressionsanalyse (ordinary least squares)
- Bei zunehmendem Interdependenzgrad von Geschäftsbereichen werden verstärkt Gesamtunternehmenskennzahlen zur Steuerung eingesetzt. - Bei geringem Interdependenzgrad von Geschäftsbereichen erfolgt die Steuerung vornehmlich durch bereichsspezifische Kennzahlen.
171
Autor (Jahr) – Fortsetzung Untersuchungsziel
Stichprobe
Theoretische Fundierung
Analysemethode
(F)
Keating (1997)
Zusammenhang zwischen Interdependenzgrad und Einsatz von Ergebniskennzahlen und Anreizsystemen zur Steuerung von Geschäftsbereichsleitern
78 Unternehmen bzw. Geschäftsbereiche unterschiedlicher Industrien
Agencytheorie
Regressions- und Korrelationsanalyse
(G)
466 Kooperationsbeziehungen von Geschäftsbereichen mit Ressourcenverwandtschaft in 31 Produktionsunternehmen
Resource Based View
Paarvergleichsanalyse (paired comparison ttest)
89 multinationale Töchter US-amerikanischer Unternehmen verschiedener Industrien
Agencytheorie; resource based view
Multiple Regressionsund Korrelationsanalyse
- Zwischen der Existenz sequentieller und reziproker Interdependenzen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen der Selbstabstimmung und Inputsteuerung besteht ein positiver Zusammenhang. - Die Agencytheorie eignet sich nur begrenzt als theoretisches Fundament zur Erklärung der Verhaltenssteuerung.
Abernethy/Bouwens/van Lent (2004)
Zusammenhang zwischen Interdependenzgrad von Divisionen und dem Einsatz von bereichsspezifischen bzw. gesamtunternehmensbezogenen Ergebniskontrollen
78 Divisionen von Unternehmen unterschiedlicher Industrien
Kontingenztheorie
Korrelations- und OLSRegressionsanalyse
(J)
- Verwandtschaftsgrad und bereichsübergreifende Nutzung von Ressourcen reichen nicht aus, um kollektive Mehrwertpotenziale zu realisieren. - Mehrwertschaffung hängt maßgeblich vom Einsatz geeigneter Mechanismen ab. - Erfolgreiche Unternehmen setzen eine Vielzahl unterschiedlicher Steuerungsverfahren zur Steuerung der Zusammenarbeit von Geschäftsbereichen ein. - Erfolgreiche Unternehmen nutzen Kombinationen von Steuerungsmechanismen. - Minder erfolgreiche Unternehmen verzichten auf die explizite Steuerung von bereichsübergreifenden Kooperationsbeziehungen.
O’Donnell (2000)
Zusammenhang zwischen transaktionalen Interdependenzformen und dem Einsatz von Selbstabstimmung und Inputsteuerung
(I)
- Bei einem hohen Abhängigkeitsgrad von Geschäftsbereichen vom Ergebnis anderer Geschäftsbereiche werden verstärkt Gesamtunternehmenskennzahlen und weniger bereichsspezifische Kennzahlen zur Erfolgsmessung und Incentivierung von Geschäftsbereichsleitern verwendet. - Bei niedrigem Interdependenzgrad werden bereichsspezifische Kennzahlen eingesetzt.
St. John/Harrison (1999)
Zusammenhang zwischen der Realisierung kollektiver Mehrwertpotenziale aus gepoolten und intensiven Interdependenzformen und dem Einsatz von Ergebnis-, Verfahrens-, Inputsteuerung und Selbstabstimmung
(H)
Ergebnisse
- Divisionen, deren Aktivitäten einen Einfluss auf andere Einheiten haben werden vermehrt durch gesamtunternehmensbezogene Kennzahlen gesteuert. - Divisionen, die von den Aktivitäten anderer Divisionen abhängig sind, werden hingegen vermehrt durch bereichsspezifische Kennzahlen gesteuert.
Ambos/Schlegelmilch (2007)
Zusammenhang zwischen dem Interdependenzgrad von F&E-Einheiten und dem Einsatz von Ergebnis-, Verfahren-, Inputsteuerung und Selbstabstimmung
134 ausländische Forschungs- und Entwicklungseinheiten von 49 deutschen Unternehmen
Kontingenztheorie
Korrelations- und Regressionsanalyse
- Bei zunehmendem Interdependenzgrad Unternehmen steigt der Einsatz von Mechanismen der unterschiedlichen Steuerungsverfahren. - Die eingesetzten Mechanismen sind nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig.
Tabelle 6: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse empirischer Studien zur Steuerung von Interdependenzen (Quelle: Eigene Darstellung)
172
2.4.3.2
Vergleich und Kritik der empirischen Erklärungsansätze
Im Folgenden gilt es, den Erkenntnisgewinn aus den vorgestellten Studien zusammenzufassen und daraufhin ihren Beitrag zur Beantwortung der hier interessierenden Forschungsfragen zu untersuchen: Welche Rückschlüsse lassen sich aus den empirischen Untersuchungen über die Effektivität der Steuerung von Interdependenzen im Konzern ziehen? Welche Impulse liefern die Studien für die Realisierung von Mehrwertpotenzialen aus der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit von Organisationseinheiten? Wo besteht ein Grundkonsens zwischen den unterschiedlichen Autoren und wo liegen widersprüchliche Ergebnisse zwischen ihnen vor? Welche Bezüge lassen sich dabei zwischen den theoriegeleiteten und empiriegestützten Erklärungsansätzen herstellen? Welche Annahmen über die Zusammenhänge zwischen Interdependenzen und Steuerung gelten als hinreichend validiert und können der weiteren Analyse zugrunde gelegt werden? Welche Aspekte blieben dagegen in den vorhandenen Untersuchungen unerforscht und bedürfen einer intensiveren Berücksichtigung? (1) Eine zentrale Erkenntnis der empirischen Untersuchungen ist, dass Interdependenzen zwischen organisatorischen Einheiten einen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Steuerungslösungen haben. Unabhängig von den zugrunde liegenden Interdependenz- oder Steuerungskonzepten, den gewählten Analyseeinheiten und der theoretischen Perspektive weisen sämtliche Untersuchungen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Grad bzw. der Form der Interdependenzen und dem Einsatz bestimmter Steuerungsverfahren nach. Damit bestätigen die empirischen Befunde die Annahme: Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Organisationseinheiten stellen einen bedeutsamen Einflussfaktor für die Auswahl von Steuerungsmechanismen dar. (2) Während das spezifische Ziel der Steuerung im Großteil der Studien nur implizit behandelt wird, zeigen die Arbeiten von Martinez und Jarillo (1991) sowie St. John und Harrison (1999), dass durch den Einsatz von Steuerungsmechanismen Mehrwertpotenziale in multidivisionalen Unternehmen realisiert werden können. Allerdings verharren diese Arbeiten auf einem hohen Abstraktionsniveau und konkretisieren weder die unterschiedlichen Mehrwertarten und ihren Bezug zu den verschiedenen Interdependenzformen, noch bieten sie anwendungsorientierte Gestaltungshinweise, welche Steuerungsmechanismen Unternehmen effektiv zur Mehrwertschaffung einsetzen können. Dennoch lässt sich schließen: 173
Die Realisierung von Mehrwertpotenzialen hängt maßgeblich vom Einsatz geeigneter Steuerungsmechanismen zur Koordination interdependenter Organisationseinheiten ab. (3) Nur wenige Studien differenzieren die unterschiedlichen Interdependenzformen hinreichend. Die Vielzahl der Arbeiten nutzt den Interdependenzgrad oder unterscheidet in binärer Weise174 zwischen der Existenz und Abstinenz von Interdependenzen. Bei der Betrachtung von Interdependenzen werden Ressourcen (bzw. Güter, Produktionsfaktoren) und Aktivitäten (bzw. Leistungen, Aufgaben) nicht voneinander unterschieden. Dies gilt nicht nur für die an dieser Stelle diskutierten empirischen Untersuchungen; Caglio und Ditillo stellen dieses Defizit auch bei ihrer Analyse anderer Studien, deren Forschungsgegenstand die Steuerung interorganisationaler Kooperationsformen (z.B. Joint Ventures, Allianzen, Virtuelle Unternehmen) bildet, fest und kritisieren: „The conceptualization of interdependence adopted in the literature is either very general or constrained to a specific dimension without the authors’ considering the potential multidimensionality of this variable when applied to inter-firm relationships” (Caglio/Ditillo 2008: 876).
Die intensive Interdependenzform wird dabei in keiner dieser Studien175 explizit untersucht, was womöglich auf ihre mangelnde Berücksichtigung in der theoretischen Literatur oder ihre schwierige Operationalisierbarkeit in (quantitativ) empirischen Untersuchungen zurückzuführen ist.176 Hieraus lässt sich folgern: Die Auswirkungen unterschiedlicher Interdependenzformen auf die Steuerung sind in empirischen Studien bislang unzureichend untersucht worden; dies trifft insbesondere auf die intensive Interdependenzform zu. (4) Aufbauend auf Thompsons Annahme, die Interdependenzformen lassen sich ordinal nach ihrem Komplexitätsgrad anordnen, lässt sich eine weitestgehende Übereinstimmung zwischen unterschiedlichen Studien konstatieren (Martinez/Jarillo 1991; Gencturk/Aulakh 1995; St. John/Harrison 1999; Ambos/Schlegelmilch 2007):
174 175
176
Hierzu zählen insbesondere auch die aus der Analyse ausgeschlossenen Studien; vgl. die einleitenden Ausführungen dieses Abschnitts. Dies trifft bis auf die Untersuchung von Kyu Kim (1998) sowie Gulati und Sytch (2007) auch auf die anderen exkludierten Studien zu. Caglio und Ditillo bemängeln dies auch im Hinblick auf die Steuerung interorganisationaler Arrangements und fordern: „this type of [intensive; K.B.] interdependence needs to be explicitly recognized and analysed independently from workflow interdependence“ (Caglio/Ditillo 2008: 877). Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.4.1.2.
174
Mit steigendem Interdependenzgrad steigt auch die Anzahl eingesetzter Steuerungsmechanismen. Diese Erkenntnis kann jedoch nicht uneingeschränkt für die nachfolgende Untersuchung verwendet werden, da sie impliziert, dass ein vermehrter Einsatz von Steuerungsmechanismen zu einer verbesserten Lösung der Koordinationsprobleme führt. Damit wird eine Kompatibilität von Steuerungsmechanismen unterstellt, die durch die Forschungsergebnisse jedoch nicht fundiert werden konnte und daher bislang unbeantwortet blieb. (5) Die empirischen Untersuchungsergebnisse weisen jedoch unzweifelhaft nach, dass Unternehmen mehrere Steuerungsmechanismen simultan einsetzen, um die bereichsübergreifenden Interdependenzen ihrer Einheiten zu koordinieren, woraus geschlossen werden kann: Zur Bewältigung der aus den unterschiedlichen Interdependenzsituationen resultierenden Koordinationsprobleme werden zumeist Steuerungskombinationen gegenüber Einzellösungen präferiert. Diese Erkenntnis wird anhand von Tabelle 7 verdeutlicht, die einen Überblick über die Studienergebnisse hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Interdependenzformen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen bietet. Bei der Auswahl der Arbeiten wurde besonderes Augenmerk auf eine weitestgehende Anschlussfähigkeit und Vergleichbarkeit ihrer verwendeten Konzepte und Analyseeinheiten gelegt. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass eine vollkommene Vergleichbarkeit aufgrund der Diversität der Ansätze nicht herzustellen ist. Dennoch lassen sich aus der Gegenüberstellung zentrale Gemeinsamkeiten aber auch Widersprüchlichkeiten zwischen den jeweiligen Ergebnissen der hier behandelten Studien erkennen. Aus der Tabelle geht hervor, dass die Autoren der Studien z.T. sehr heterogene Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Interdependenzformen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen feststellen. Dies wird insbesondere im Falle gepoolter Interdependenzen deutlich, bei denen aus den Erhebungen ein sehr divergentes Bild über die eingesetzten Steuerungslösungen entsteht. Auffällig hierbei ist, dass in den untersuchten Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Mechanismen zur Steuerung eingesetzt wird. Vergleicht man die empirischen Erkenntnisse mit den theoriegeleiteten Erklärungsansätzen, so deutet sich bereits ein Widerspruch an, da in letzteren jeweils nur der Einsatz weniger Steuerungsmechanismen für diese vermeintlich simple Interdependenzform vorgeschlagen werden. Den Gegenpol hierzu bilden intensive Kooperationsbeziehungen, bei denen die Ergebnisse der Unter-
175
suchungen einheitlich darauf hinweisen, dass bei einem sehr hohen Interdependenzgrad der Einsatz der unterschiedlichen Steuerungsmechanismen signifikant zunimmt (vgl. Punkt 4).177 Interdependenzformen Steuerungsmechanismen
Sequentielle Interdependenz
Reziproke Interdependenz
Gepoolte Interdependenz D°; E; F°; G* C*; A; J°* I° B
Intensive Interdependenz
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Ÿ: A; B; D°; E; I° Ź: C*; F°; J°*
Ÿ: A; C*; J°* Ź: B; D°
Ÿ: Ź: Ż: ź:
Ÿ: C*; G*; J°* Ź: D°
Gemeinsame Ergebniskontrollen
Ź: J°*; F° ź: I°
Ÿ: E; J°*
Ÿ: G*; I° Ź: J°* Ż: F°
Ÿ: E; G*; J°*
Generelle Verfahrenssteuerung
Ź: C*; D*°; J°*
Ÿ: C*; D*°; J°* ź: B
Ÿ: B; G* Ź: C*; D*°; J°*
Ÿ: C*; D*°; G*; J°*
Fallweise Verfahrenssteuerung
Ź: C*; D*°; J°*
Ÿ: C*; D*°; J°*
Ÿ: G* Ź: C*; D*°; J°*
Ÿ: C*; D*°; G*; J°*
Fallweise Selbstabstimmung
Ÿ: H* Ź: C*; J°*
Ÿ: B; C*; H*; J°*
Ÿ: G* Ź: C*; J°*
Ÿ: C*; G*; J°*
Themenspezifische Selbstabstimmung
Ÿ: H* Ź: C*; J°*
Ÿ: B; C*; H*; J°*
Ÿ: G* Ź: C*; J°*
Ÿ: C*; G*; J°*
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Ÿ: H* Ź: C*; J°*
Ÿ: B; C*; H*; J°*
Ÿ: G* Ź: C*; J°*
Ÿ: C*; G*; J°*
Personelle Verflechtung
Ÿ: H* Ź: C*; J°*
Ÿ: C*; H*; J°*
Ÿ: G* Ź: C*; J°*
Ÿ: C*; G*; J°*
Budgets
Ÿ: H* Ź: B; C*
Ÿ: C*; H*; J°* Ż: B
Ź: C* Ż: B
Ÿ: C*
A: Chenhall/Morris (1986); B: Macintosh/Daft (1987)‡; C: Martinez/Jarillo (1991)†; D: Gencturk/Aulakh (1995)†; E: Bushman/Indjejikian/Smith (1995)†; F: Keating (1997)†; G: St. John/Harrison (1999)†; H: O’Donnell (2000)†; I: Abernethy/Bouwens/van Lent (2004)†; J: Ambos/Schlegelmilch (2007)†. † In der Studie wurde nicht explizit nach den vier Interdependenzformen differenziert bzw. ein alternatives -konzept (z.B. Interdependenzgrad) zugrunde gelegt ‡ Das Steuerungsverfahren der Selbstabstimmung wurde nicht explizit erhoben Verrechnungspreise wurden in keiner dieser Studien behandelt Ÿ Hohe Relevanz des Steuerungsmechanismus für Interdependenzform bzw. deutlich positive Korrelation Ź Mittlere Relevanz des Steuerungsmechanismus für Interdependenzform bzw. moderat positive Korrelation Ż Geringe Relevanz des Steuerungsmechanismus für Interdependenzform bzw. moderat negative Korrelation ź Keine Relevanz des Steuerungsmechanismus für Interdependenzform bzw. deutlich negative Korrelation * Steuerungsmechanismen wurden nicht differenziert analysiert, sondern unter dem entsprechenden Steuerungsverfahren subsumiert ° Betrachtung der Veränderung der Relevanz des Steuerungsmechanismus in Abhängigkeit des relativen Interdependenzgrads (relativer Interdependenzgrad: gepoolt < sequentiell < reziprok < intensiv)
Tabelle 7: Vergleich der Zusammenhänge zwischen Interdependenzformen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen (Quelle: Eigene Darstellung) 177
Da die Ergebnisse der Studien und die Interpretationsansätze ihrer Autoren bereits erläutert worden sind, soll an dieser Stelle auf einen ausführlicheren Vergleich verzichtet werden.
176
(6) Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist, dass keine der empirischen Untersuchungen hinreichende Erklärungen leistet, in welcher konkreten Konstellation die identifizierten Steuerungsmechanismen von den Unternehmen eingesetzt werden: Differenzierte Erkenntnisse über den simultanen Einsatz von Steuerungsmechanismen sowie die Effektivität kombinatorischer Steuerungslösungen lassen sich aus den existierenden Studien nicht gewinnen und werden von zahlreichen Autoren als Forschungsdesiderat herausgestellt. In den meisten Fällen ist der Grund für dieses Defizit darin zu vermuten, dass die gewählte Analyseeinheit der Steuerungslösungen nicht hinreichend detailliert ist bzw. die jeweiligen Instrumente und Mechanismen nicht einzeln, sondern aggregiert erhoben und auf der Ebene der Steuerungsverfahren ausgewertet worden sind, so dass Aussagen über den simultanen Einsatz unterschiedlicher Mechanismen folglich nicht möglich sind. Allerdings verzichten die Verfasser der Studien diesbezüglich auch gänzlich auf Erklärungshinweise auf der Ebene der Steuerungsverfahren und bekunden – zumeist schlussbetrachtend – lediglich Beobachtungen eines parallelen Einsatzes (z.B. Macintosh/Daft 1987; Martinez/Jarillo 1991; Gencturk/Aulakh 1995; St. John/Harrison 1999; Ambos/Schlegelmilch 2007). (7) Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass mögliche Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen mit den bisherigen Studien nicht zu erklären sind.178 Zwar wird von verschiedenen Autoren auf die Existenz von Wechselwirkungen hingewiesen, die die Effektivität von Steuerungskombinationen beeinträchtigen (z.B. Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976; Chenhall/Morris 1986; Martinez/Jarillo 1991; St. John/Harrison 1999; O’Donnell 2000; Ambos/Schlegelmilch 2007), jedoch werden diese aufgrund ihrer schwierigen Ermittelbarkeit nicht weiter untersucht. Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen wurden bislang nicht empirisch untersucht und erklärt. (8) In diesem Zusammenhang ist die Studie von Gencturk und Aulakh (1995) von herausragender Relevanz für das weitere Untersuchungsvorhaben. Darin formulieren die Autoren zwar die Analyse von Wirkungszusammenhängen zwischen Steuerungsmechanismen als explizites Ziel ihrer Studie, kommen allerdings zu der Erkenntnis, dass die verwendeten quantitativen Analysemethoden nicht ausreichen, um der Komplexität derartiger Wirkungsverhält178
Zu dieser Kritik vgl. auch Bushman/Smith (2001: 322); Gerdin (2005: 199-200); Grandori/Soda (2006: 170; 2009: 490); Caglio/Ditillo (2008: 892).
177
nisse gerecht zu werden. Stattdessen plädieren sie in ihrem Resümee für den (ergänzenden) Einsatz adäquater Methoden, anhand derer die Reichhaltigkeit der Beziehungen zwischen den eingesetzten Steuerungsmechanismen und ihre Auswirkungen auf die Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder erfasst und erklärt werden können (ähnlich Smith/Carroll/Ashford 1995: 19-20). Die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsmechanismen, Interdependenzformen und Verhaltensweisen von Organisationsmitgliedern lassen sich nicht hinreichend durch quantitative Analysemethoden erklären, sondern bedürfen eines ergänzenden Einsatzes qualitativer Methoden. (9) Wie bereits bei der Diskussion der theoriegeleiteten Erklärungsansätze herausgestellt wurde, bilden Interdependenzen zwischen den Ressourcen und Aktivitäten von Konzerneinheiten lediglich eine Determinante für die Gestaltung der Steuerung, die Kooperationsbeziehungen im Konzern werden jedoch durch zusätzliche qualitative Einflussgrößen beeinträchtigt. Der überwiegende Teil der behandelten Studien ist in der Kontingenztheorie begründet, deren Ziel oben als Gestaltung effizienter Organisationen unter Berücksichtigung situativer Rahmenbedingungen beschrieben wurde. Obwohl die empirischen Untersuchungen auf dieser Theorie basieren, wird der Effizienz der Steuerungslösungen kaum Beachtung geschenkt. Vielmehr unterstellen die Autoren diese implizit, bleiben jedoch den Nachweis ihrer tatsächlichen Effizienz schuldig. Stattdessen nutzen sie den Grundgedanken der Kontingenztheorie, demzufolge Gestaltungslösungen nicht universell anwendbar, sondern unternehmensindividuell abzuleiten sind. In dieser Hinsicht beschränken sich die hier diskutierten Studien jedoch ausschließlich auf die (quantitative) Erfassung der Zusammenhänge zwischen Interdependenzen und dem Einsatz von Steuerungsmechanismen mit dem Ziel, ex ante formulierte Hypothesen zu testen. Ein Erkenntnisgewinn über die Effektivität der Steuerung von Interdependenzen wird von den Autoren nicht angestrebt. Otley und Berry bemängeln in diesem Zusammenhang an empirischen Untersuchungen, die auf dem Kontingenzansatz aufbauen, dass „it is notable that very few studies follow through their chain of logic to establish the circumstances in which one form of organisation is more effective than another, rather than stopping short at observing that it exists” (Otley/Berry 1980: 233-234).
Diesbezüglich wird auch die Herstellung monokausaler Zusammenhänge in kontingenztheoretischen Arbeiten kritisiert (z.B. Child 1972; Gresov/Drazin 1997; Caglio/Ditillo 2008: 878; Berry et al. 2009). Derartige Ansätze reduzieren die Komplexität der Organisation, indem sie sich auf wenige Einflussgrößen der Steuerung konzentrieren, diese als statisch auf-
178
fassen und weitere Kontextfaktoren unter Einsatz von ceteris paribus-Annahmen unberücksichtigt lassen: „One key characteristic of the literature is that the identification of variables is typically based on the assumption that they are related to each other in a one-to-one manner” (Gerdin 2005: 100). „Rather, different control mechanisms available in the control package may well combine in different ways in a particular context. […] However, to my knowledge, [such a perception; K.B.] is rarely the case in accounting-control research” (Gerdin 2005: 120; eigene Hervorhebung).
Die weiter oben formulierte Kritik an den theoriegeleiteten Erklärungsansätzen gilt gleichermaßen für die empirischen Arbeiten auf diesem Forschungsgebiet. Daraus lässt sich für den weiteren Verlauf dieser Arbeit folgern: Neben der Interdependenzform werden Koordinationsbeziehungen situationsbedingt durch zusätzliche Gestaltungsvariablen beeinflusst, welche die Wirksamkeit der Steuerungskombinationen maßgeblich beeinträchtigen, sich in umgekehrter Wirkungsrichtung jedoch auch durch die eingesetzten Steuerungsmechanismen verändern lassen. Die Diskussion der theoretischen und empirischen Beiträge zeigt, dass bislang kaum gesichertes Wissen über die gestaltungsrelevanten Einflussfaktoren der Steuerung bereichsübergreifender Interdependenzen zur Mehrwertschaffung im Konzern (bzw. in vergleichbaren Organisationsformen) vorliegt. Wie bei der folgenden Entwicklung des konzeptionellen Bezugsrahmens zu zeigen sein wird, erfolgt daher eine explorative Bestimmung dieser Einflussgrößen, weil (auch) die Frage nach Gestaltungsrelevanz „Sache der Empirie und nicht der Theorie, der empirischen Bestimmung und nicht der Hypothesenbildung [ist; K.B.]“ (Scott 1986: 333). Bei der Auswahl der Studien wurde besonders Augenmerk auf die Ähnlichkeit der untersuchten Institutionsformen gelegt. Ihre Stichproben umfassen entweder multidivisionale oder multinationale Großunternehmen, so dass sich eine weitgehende Vergleichbarkeit hinsichtlich der internen und externen Rahmenbedingungen mit denjenigen der Konzernorganisationsform herstellen lässt. Schließlich sollen die an dieser Stelle diskutierten theoretischen und empirischen Arbeiten als Vergleichsbasis für die nachfolgende Studie herangezogen werden, um zur Gütesicherung der Forschungsergebnisse der vorliegenden Untersuchung beizutragen (Abschnitt 4.3.1.2).
179
2.5 Zwischenergebnis: Konzeptioneller Bezugsrahmen zur empirischen Untersuchung der Kombinationsmöglichkeiten und Wechselwirkungen von Steuerungsmechanismen Die bisherigen Analyseergebnisse zu Steuerung (Abschnitte 2.1, 2.2), Mehrwertarten (2.3) und Interdependenzformen (2.4) sollen im Folgenden in einen konzeptionellen Bezugsrahmen integriert werden, der die weitere Untersuchung anleitet. Bei einem konzeptionellen Bezugrahmen handelt es sich grundsätzlich um eine grafische Anordnung der zu untersuchenden theoretischen Konstrukte und ihrer Beziehungen zueinander (Wolf 2005: 30). Er ist als vorläufiges Erklärungsmodell zu begreifen, das den weiteren Forschungsprozess strukturiert (Kirsch 1971: 241-243; Welge 1980: 61). Der konzeptionelle Bezugsrahmen unterstützt die Reflektion empirischer Befunde mit bereits gesichertem Wissen und ermöglicht eine Rückbindung der Explorationsergebnisse in die Theorie. Dabei handelt es sich nicht um ein strenges Hypothesensystem, das es zu testen und zu validieren gilt, sondern vielmehr um einen Forschungsplan, der im Zuge der weiteren Untersuchung angepasst und verfeinert werden kann. Er dient somit „der Systematisierung, Ordnung und geistigen Durchdringung der den jeweiligen Untersuchungsbereich charakterisierenden Ursachen, Gestaltungen und Wirkungen, aber auch der Erleichterung der Kommunikation der erfolgten Forschungsbemühungen und -ergebnisse, […] die irgendwann einmal Bestandteil von Modellen bzw. Theorien werden könnten“ (Wolf 2005: 30).
In der vorliegenden Arbeit erfolgt die Konstruktion des Bezugsrahmens mit der Absicht, Kombinationsmöglichkeiten der Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern zu identifizieren, deren Effektivität es anhand der Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen zu erklären gilt. Da die einzelnen Konstrukte und ihre Bezüge zueinander bereits in den vorangegangen Abschnitten ausführlich behandelt worden sind, erfolgt die Darstellung des konzeptionellen Bezugsrahmens an dieser Stelle in verkürztem Umfang. Sie dient dazu, die Nachvollziehbarkeit des Untersuchungsprozesses zu gewährleisten und die Wahl der Analysemethoden zu begründen.
180
Konzernsteuerung Steuerungsverständnis: Steuerungserfordernis, -aufgaben, -ziele Steuerungsverfahren und -mechanismen Ergebnissteuerung
Verfahrenssteuerung
Selbstabstimmung
Inputsteuerung
• Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
• Generelle Verfahrenssteuerung
• Fallweise Selbstabstimmung
• Bereichübergreifende Ergebniskontrollen
• Fallweise Verfahrenssteuerung
• Themenspezifische Selbstabstimmung
• Ressourcenausstattung durch Budgets
• Institutionalisierte Selbstabstimmung
• Verrechnungspreise
Kollektive Mehrwertpotenziale • Bereichsübergreifende Nutzung materieller Ressourcen • Bereichsübergreifende Nutzung und Transfer immaterieller Ressourcen • Bereichsübergreifende Nutzung und Transfer personengebundener Fähigkeiten • Vertikale Komplementaritäten • Horizontale Komplementaritäten
• Personelle Verflechtung
Interdependenzformen • Sequentielle Interdependenzen • Reziproke Interdependenzen • Gepoolte Interdependenzen • Intensive Interdependenzen
Relationale Gestaltungsvariablen
Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern
Kombination
Abbildung 6:
Wechselwirkung
Konzeptioneller Bezugsrahmen der Arbeit (Quelle: Eigene Darstellung)
In Abschnitt 2.1 wurden verschiedene Steuerungsansätze betriebswirtschaftlicher Teildisziplinen diskutiert und ihre Erklärungsbeiträge zu einer untersuchungsleitenden Steuerungskonzeption zusammengeführt. Steuerung im Konzern wird dabei als das Zusammenwirken zwischen Controlling-, Management- und Organisationsfunktion verstanden und umfasst zwei wesentliche Aufgaben: Sie dient erstens der Koordination bereichsübergreifender Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten und zweitens der gesamtzielkonformen Einordnung der Handlungs- und Verhaltensweisen ihrer Organisationsmitglieder. Hinsichtlich der Bedeutung dieser beiden Aspekte besteht ein interdisziplinärer Grundkonsens. Im Rahmen der Diskussion der drei Steuerungsansätze wurden auch ihre 181
theoretischen Fundierungen erörtert. Die behandelten Controllingansätze ließen sich dabei der Governance-Perspektive der neueren Theorien der Firma zuordnen. Da diese Theorien jedoch vornehmlich auf die Erklärung der Effizienz von Steuerungslösungen abzielen und aufgrund ihrer Konstruktionslogik keinen Erkenntnisgewinn über die Effektivität von Steuerungskombinationen erwarten ließen, wurden sie nicht weiter verfolgt. Die Theorien der Kompetenz-Perspektive orientieren sich zwar an der Effektivität der Steuerung, leisten hierzu jedoch kaum gestaltungsrelevante Erklärungsbeiträge. Dennoch bieten sie ein geeignetes Fundament für eine umfassende Analyse unterschiedlicher Mehrwertarten aus der Zusammenarbeit im Konzern. Beide Theorie-Perspektiven gründen auf axiomatischen Verhaltensannahmen von Akteuren. Um die Steuerungswirkung auf die Organisationsmitglieder unvoreingenommen und dezidiert analysieren zu können, wurde entgegen diesen Ansätzen für eine Endogenisierung von Verhaltensweisen plädiert. Aufbauend auf den Beiträgen der unterschiedlichen Forschungsdisziplinen wurde in Abschnitt 2.2 ein konzernspezifisches Steuerungsrepertoire vorgestellt und die Bedingungen für einen wirksamen Einsatz von Steuerungsmechanismen aufgezeigt. Das Repertoire umfasst insgesamt zehn Mechanismen, welche die relevante Analyseeinheit zur Untersuchung der Steuerung bilden, weil sie sowohl einen Anschluss an übergeordnete Konzepte ermöglicht als auch eine eindeutige Zuordnung von Steuerungsinstrumenten zulässt. In den Abschnitten 2.3 und 2.4 wurden unterschiedliche Zusammenarbeitsformen im Konzern untersucht. Die Einnahme der Ressourcen- und Aktivitätenperspektive ermöglichte dabei zunächst eine Differenzierung verschiedenartiger Mehrwertpotenziale aus der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Darüber hinaus konnten die Ressourcen- und Aktivitätenbeziehungen zwischen Konzerneinheiten nach unterschiedlichen Interdependenzformen untersucht und ein Bezug zwischen diesen und den verschiedenen Mehrwertarten hergestellt werden. Die sich daran anschließende Analyse empirischer Studien zeigte zum einen, dass neben teils gegensätzlichen Untersuchungsergebnissen zentrale Fragen über die Zusammenhänge zwischen Interdependenzen, Mehrwertschaffung und Steuerung bislang unbeantwortet blieben und einen zusätzlichen empirischen Forschungsbedarf herausstellen. Zum anderen ergaben sich daraus wichtige Erkenntnisse über die Eignung empirischer Analysemethoden zur Untersuchung komplexer Steuerungsphänomene. Sowohl die theoriegeleiteten als auch die empirischen Arbeiten zur Interdependenzforschung boten Hinweise darauf, dass zusätzliche Einflussfaktoren die Kooperationsbeziehungen qualifizieren und damit die Wirksamkeit von Steuerungslösungen maßgeblich beeinträchtigen können. Bislang existieren jedoch nur wenige empirische Untersuchungen, die über die Betrachtung monokausaler und deterministischer Zusammenhänge zwischen Interdependenzen und Steuerung hinausgehen. Diesbezüglich ist eine wachsende Kritik an der Kontingenz182
theorie zu verzeichnen (z.B. Miller 1981; Meyer/Tsui/Hinings 1993; Schreyögg 1995; Kieser 2006: 231-239): Zum ersten wird bemängelt, dass sie die Komplexität organisationalen Handelns durch den Einsatz von ceteris paribus Prämissen unnötig reduziert. Zum zweiten wird beanstandet, dass sich die Untersuchungen auf die Ermittlung der Einsatzhäufigkeit von Steuerungsverfahren beschränken und sich daraus kaum gestaltungsrelevante Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Effektivität gewinnen lassen. Zum dritten bestehen Einwände gegen die in der Kontingenztheorie angenommene Statik der untersuchten Einflussfaktoren. Aufgrund dieser Kritik soll in der vorliegenden Untersuchung auf den Grundgedanken des Konfigurationsansatzes179 zurückgegriffen werden, der als Weiterentwicklung der klassischen Kontingenztheorie gilt (Miller 1981), indem er sich von reduktionistischen und einseitiglinearen Wirkungszusammenhängen zwischen Einflussfaktor und Gestaltungslösung distanziert und das Zusammenspiel zwischen unterschiedlichen Gestaltungselementen in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt (Meyer/Tsui/Hinings 1993; Sluismans 2003):180 „These [interactions; K.B.] among the elements are the essence of configuration. […] Configuration, in this sense, can be defined as the degree to which an organization’s elements are orchestrated and connected […] Competitive advantage may reside in the orchestrating theme and integrating mechanisms that ensure complementarity among a firm’s […] skills, resources and its decision-making processes” (Miller 1998: 507-509).
Folglich leitet sich die (situative) Wirksamkeit von Steuerungslösungen aus der zugrunde liegenden Interdependenzform und zusätzlichen Einflussgrößen (relationale Gestaltungsvariablen) ab. Die Identifikation steuerungsrelevanter Gestaltungsvariablen erfolgt dabei jedoch nicht deduktiv aus der Theorie, sondern stellt einen Bestandteil der explorativen Untersuchung dar. Durch das induktive Vorgehen kann sichergestellt werden, dass diese Faktoren tatsächlich eine Relevanz im Fallstudienkonzern besitzen (Bradbury/Bergmann Lichtenstein 2000). Dabei wird der Gestaltungsvariabilität dieser Faktoren besondere Bedeutung beigemessen. Im Hinblick auf die Forschungsfragen gilt es zu untersuchen, wie diese Faktoren die Interdependenzbeziehungen qualifizieren, und welche Auswirkungen sich daraus auf den effektiven kombinatorischen Einsatz sowie die Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen ergeben. Die Faktoren sind variabel, weil es durch den Einsatz geeigneter Steuerungslösungen gelingen kann, sie in ihrer Ausprägung zu verändern. Die identifizierten Gestaltungsvariablen und die wechselseitigen Zusammenhänge zur Steuerung
179
180
Zum Konfigurationsansatz und seiner Abgrenzung von klassischen situativen Forschungsparadigma vgl. weiterführend z.B. Lawrence/Lorsch (1967); Mintzberg (1979); Miller (1981, 1987, 1998); Meyer/Tsui/Hinings (1993); Grandori (1997b); Sluismans (2003). Vgl. hierzu auch die einleitenden Ausführungen in Abschnitt 1.2.
183
werden im Rahmen des empirischen Teils dieser Arbeit theoretisch reflektiert (Abschnitt 4.3.3). Während die Effektivität von exklusiven und kombinierten Steuerungslösungen durch ihre Leistungsfähigkeit beschrieben wurde, zur Realisierung vorhandener Mehrwertpotenziale im Konzern beizutragen, wurden ihre Wechselwirkungen bislang nicht differenziert genug behandelt. Bevor dies erfolgt, gilt zu betonen, dass die Beurteilung der Effektivität des Steuerungseinsatzes nicht unter quantitativen, sondern unter qualitativen Gesichtspunkten erfolgt. Die obigen Ausführungen zum wertorientierten Controlling zeigten bereits, dass es bislang an Ansätzen zur rechnerischen Ermittlung von kollektiven Mehrwerteffekten mangelt, auf deren Grundlage sich quantitativ-überprüfbare Aussagen ableiten ließen. Daher liegt der Analysefokus auf der Beurteilung ihrer Wirksamkeit hinsichtlich der Erfüllung der Steuerungsanforderungen, die sich aus den vielfältigen Koordinations- und Verhaltenssteuerungsaufgaben bei der Mehrwertrealisierung im Konzern ergeben. Da sich auch diese weder quantifizieren noch hinreichend beobachten lassen, werden die aus der qualitativen Erhebung gewonnenen Informationen als Beurteilungsmaßstab herangezogen. Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen lassen sich grundsätzlich nach zwei Wirkungsrichtungen einordnen (z.B. Van de Ven/Delbecq/Koenig 1976: 329; Van de Ven/Ferry 1980: 249; Grandori/Soda 2006: 170): Aus dem Einsatz von Steuerungsmechanismen können entweder funktionale oder dysfunktionale Effekte zwischen ihnen entstehen. Funktionale Effekte treten auf, wenn der kombinierte Mechanismeneinsatz zu einer Erhöhung der intendierten Steuerungswirkung führt im Vergleich zum exklusiven Einsatz des jeweiligen Mechanismus. Dysfunktionale Effekte resultieren hingegen in einer Minderung der Gesamtwirkung einer Steuerungskombination im Vergleich zur Einzelnutzung. Diese beiden Kategorien lassen sich weiter differenzieren. Unter funktionalen Effekten sollen im weiteren Untersuchungsverlauf folgende Wirkungsverhältnisse zwischen Steuerungsmechanismen subsumiert werden: -
Ergänzungswirkung, weil ein exklusiver Einsatz eines Mechanismus nicht ausreicht, um die Steuerungsanforderungen vollumfänglich zu erfüllen. Komplementärwirkung, weil der Einsatz eines Mechanismus einen anderen voraussetzt bzw. ihn nach sich zieht oder weil sich zwei Mechanismen gegenseitig begünstigen oder verstärken (d.h. aus AĹ folgt BĹ; keine Symmetriebedingung).
Bei funktionalen Effekten kann folglich eine Verträglichkeit bzw. Kompatibilität zwischen den Mechanismen angenommen werden, die zu einer verbesserten Lösung der situations-
184
bedingten Steuerungsanforderungen führt. Unter dysfunktionalen Effekten sollen hingegen folgende Wirkungsverhältnisse zusammengefasst werden: -
Verdrängungswirkung, weil der Einsatz eines Mechanismus den Einsatz eines anderen Steuerungsmechanismus reduziert. Substitutionswirkung; weil der Einsatz eines Mechanismus einen anderen Mechanismus ersetzt.
Dysfunktionale Effekte resultieren aus einer Unverträglichkeit bzw. Inkompatibilität zwischen den Steuerungsmechanismen in einer spezifischen Steuerungssituation. Ob funktionale oder dysfunktionale Effekte vom Einsatz der Steuerungsmechanismen ausgehen, lässt sich somit nicht allgemeingültig beurteilen, sondern hängt von den o.g. Charakteristika der jeweiligen Kooperationsbeziehung ab. Hingegen kann eine Unabhängigkeit von Steuerungsmechanismen aufgrund der gewählten Analyseeinheit zur Untersuchung der Kooperationsbeziehungen ausgeschlossen werden. Die Ressourcen- und Aktivitäteninterdependenzen zwischen den Konzerneinheiten bilden diese Analyseeinheit. Lägen keinerlei Wirkungsbeziehungen zwischen den Mechanismen vor, so würde ein multipler Einsatz unterschiedlicher Mechanismen keinen zusätzlichen Nutzen aufweisen und zu einer ineffizienten Steuerung führen. Diesbezüglich lässt sich festhalten, dass mit dem simultanen Einsatz unterschiedlicher Mechanismen bei der Organisationsgestaltung ex ante beabsichtigt wird, die resultierende Gesamtwirkung der Steuerung im Konzern zu erhöhen. Folglich stellt sich also nicht die Frage, ob Wirkungsbezüge zwischen den eingesetzten Mechanismen vorliegen – dass sie existieren, wurde bereits in den vorgestellten empirischen Studien zur Interdependenzforschung nachgewiesen –, sondern wie ein simultaner Einsatz zur Lösung der beiden beschriebenen Steuerungsprobleme beitragen kann.
185
3 Relationale Analyse der Kooperation und Steuerung im Konzern durch Triangulation qualitativer und quantitativer Methoden Zur Untersuchung und Erklärung der komplexen Beziehungsmuster zwischen Kooperation und Steuerung zur Mehrwertschaffung im Konzern werden sowohl qualitative, quantitative als auch visuelle Analysemethoden eingesetzt. Kombinierte Methoden (Mixed Methods) gewinnen zunehmend an Bedeutung in der Wissenschaft, aus der sich jüngst auch ein eigenständiger und disziplinübergreifender Forschungszweig herausgebildet hat (z.B. Jick 1979; Tashakkori/Teddlie 2003; Johnson/Onwuegbuzie 2004; Mason 2006; Tashakkori/Creswell 2007; Creswell/Plano Clark 2007; Greene 2008; Kelle 2008; Teddlie/Tashakkori 2009).181 Ihr besonderes Potenzial wird damit begründet, dass sie den Wissenschaftler in die Lage versetzen, die Vorteile beider Verfahren zu verknüpfen und damit ihre jeweiligen Nachteile wechselseitig auszugleichen (Erickson/Kaplan 2000: 831; Johnson/Onwuegbuzie 2004: 24; Vitale/Armenakis/Feild 2008: 88). Während an quantitativen Untersuchungen kritisiert wird, sie würden die Reichhaltigkeit von Organisationen nicht hinlänglich erfassen, indem sie ex ante Hypothesen über die Zusammenhänge zwischen ausgewählten Variablen formulieren – unter den gewählten Prämissen ließen sich zwar Theoriekonstrukte testen und validieren, ihre praktische Relevanz bleibt jedoch häufig fraglich –, lautet der Vorwurf an qualitative Verfahren, dass sie zumeist subjektiven Interpretationen unterliegen, ihnen in der Regel eine geringere Stichprobe zugrunde liegt und die Ergebnisse derartiger Untersuchungen zwar im Einzelfall Bestand haben mögen, jedoch keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit stellen dürfen (z.B. Morgan/Smircich 1980; Guba/Lincoln 1994; Newman/Benz 1998; Tsang/Kwan 1999; Jensen/Rodgers 2001; Tashakkori/Teddlie 2003; Mason 2006; Mingers 2006; Kelle 2008: 25-57).182 Mit dem kombinatorischen Methodeneinsatz beabsichtigt die vorliegende Arbeit eine gründliche Analyse (thick description) der Wirkungsweisen der Steuerung im organisationsspezifischen Kontext. Zur Erhöhung der Objektivität und Validität der qualitativen Analyseergebnisse sowie zur Identifikation statistisch signifikanter Zusammenhänge zwischen den Unter181 182
Vgl. hierzu auch die Beiträge in dem seit 2007 erscheinenden Journal of Mixed Methods Research. In diesem Zusammenhang wird im Hinblick auf den reichhaltigen Kontext organisationaler Phänomene an quantitativen Ansätzen vor allem kritisiert: „Too often analysts make overtures to social context – often as an independent variable – with no empirical warrant whatsoever, […] without empirical specification or description just what these social ‘things’ might amount to in the situation being examined. While a singular definition of context may not be possible those empirical manifestations that one chooses to consider must be demonstrated if context is to be brought on board in service to analysis. Context is better understood as an occasioned phenomenon, built up (or down) across the real-time, situational circumstances in question” (Holstein/Gubrium 2004: 308-309).
186
suchungselementen erfolgt anschließend die Anwendung quantitativer Methoden. Im Hinblick auf das Forschungsinteresse wird dabei eine relationale und mikroanalytische Perspektive auf die Konzernorganisation eingenommen: Im Betrachtungsfokus stehen die Kooperations- und Steuerungsbeziehungen zwischen den einzelnen Konzerneinheiten, die es auf der Analyseebene der Ressourcen- und Aktivitäteninterdependenzen bzw. der eingesetzten Steuerungsmechanismen zu untersuchen gilt. Im Folgenden sollen der Netzwerkansatz als relationale Analysemethode (3.1) sowie die Fallstudie als qualitative Forschungsmethode (3.2) in ihren untersuchungsrelevanten Grundzügen vorgestellt und ihre konkrete Anwendung auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit begründet und beschrieben werden.
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3.1 Netzwerkanalyse zur relationalen Untersuchung der Kooperation und Steuerung im Konzern Mit der Netzwerkanalyse wird ein Ansatz zur Untersuchung von Kooperations- und Steuerungsbeziehungen gewählt, dessen Ursprung in den Sozialwissenschaften liegt. Erste Wurzeln netzwerkanalytischen Denkens lassen sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachweisen. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die Arbeit von Georg Simmel (1908), der in der Untersuchung von Wechselwirkungen den originären Gegenstand der Soziologie sah. Dieser Gegenstand ist darin begründet, die „Erscheinungen aus dem Wechselwirken und dem Zusammenwirken der Einzelnen zu verstehen, aus der Summierung und Sublimierung unzähliger Einzelbeiträge, aus der Verkörperung der sozialen Energien in Gebilden, die jenseits des Individuums stehen und sich entwickeln. […] Diese Wechselwirkungen entstehen immer aus bestimmten Trieben heraus oder um bestimmter Zwecke willen [und; K.B.] bewirken es, daß der Mensch in ein Zusammensein, ein Füreinander-, Miteinander-, Gegeneinander-Handeln, in eine Korrelation der Zustände mit anderen tritt, d.h. Wirkungen auf sie ausübt und Wirkungen von ihnen empfängt. Diese Wechselwirkungen bedeuten, daß aus den individuellen Trägern jener veranlassenden Triebe und Zwecke eine Einheit […] wird. Denn Einheit im empirischen Sinn ist nichts anderes als Wechselwirkung von Elementen“ (Simmel 1908: 3-5).
Zahlreiche Vertreter aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen wie den Verhaltenswissenschaften, der Sozialpsychologie und der Anthropologie griffen den Netzwerkgedanken in der Folge auf und entwickelten ihn zu einer interdisziplinären Forschungsrichtung, die mittlerweile in verschiedenen Wissenschaftsbereichen fest verankert ist. Insbesondere die Verknüpfung sozialwissenschaftlicher Theorien und Anwendungen mit Methoden und Verfahren aus der Mathematik, Statistik und Informatik führten dazu, dass der Netzwerkansatz rasch Verbreitung in den unterschiedlichen Disziplinen fand (Krempel 2008): „The fact that so many researchers, from such different disciplines, almost simultaneously discovered the network perspective is not surprising. Its great utility, and the problems that can be answered with it are numerous, spanning a broad range of disciplines” (Wasserman/Faust 2008: 10).
Auch in der Betriebswirtschaftslehre stellt der Netzwerkansatz ein mittlerweile etabliertes Forschungsparadigma dar (z.B. Tichy 1981; Nohria/Eccles 1992; Bacharach/Andrews/Knoke 1999; Carley 1999; Weyer 2000; Stegbauer 2008a), den es nachfolgend einzuordnen gilt.
188
3.1.1 Der Netzwerkansatz in der Organisationsforschung Die zunehmende Beliebtheit des Netzwerkansatzes in der zeitgenössischen Organisationsforschung führte zu einer inzwischen nahezu unüberschaubaren Anzahl an Veröffentlichungen zu „Netzwerkorganisationen“ und „Organisationsnetzwerken“.183 Dabei lässt sich sowohl eine große Heterogenität der konzeptionellen Ansätze, der herangezogenen theoretischen Begründungen, als auch der methodischen Vorgehensweisen der Autoren konstatieren (Nohria/Eccles 1992; Sydow/Windeler 2000; Wald 2008). Die Folge dieser Heterogenität ist, dass sich die Forschungsergebnisse in vielen Fällen nur bedingt miteinander vergleichen lassen (z.B. Provan/Fish/Sydow 2007). Bevor die Netzwerkanalyse als Untersuchungsmethode dieser Arbeit vorgestellt werden soll, gilt es sie zunächst aufgrund der inzwischen inflationären und oftmals metaphorischen Verwendung des Netzwerkbegriffs, vom Netzwerkkonzept und der Netzwerktheorie abzugrenzen, welche die weiteren Dimensionen innerhalb der betriebswirtschaftlichen Netzwerkforschung darstellen (Abbildung 7).
konzeptionelle Dimension
183
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Abbildung 7:
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Netzwerkorganisation
Dimensionen der betriebswirtschaftlichen Netzwerkforschung (Quellen: Sydow 1992: 119; Rank 2003: 34)
Für einen Meta-Überblick über Arbeiten zur organisatorischen Netzwerkforschung vgl. z.B. Tichy (1981); Sobrero/Schrader (1998); Adler/Kwon (2002) Borgatti/Foster (2003); Smith-Doerr/Powell (2005); Provan/Fish/Sydow (2007).
189
Aus konzeptioneller Sicht184 werden Organisationsformen als Netzwerke bezeichnet, zu denen sich zumeist rechtlich unabhängige Unternehmen bzw. Unternehmensteile zusammenschließen, um Vorteile aus der Zusammenarbeit im Verbund zu realisieren. Während in der Literatur vielfältige Formen von Netzwerkausprägungen beschrieben werden (z.B. Virtuelle Netzwerke, Joint Ventures, Strategische Allianzen), existiert bislang keine einheitliche Auffassung darüber, was genau unter einer Netzwerkorganisation zu verstehen ist (z.B. Sydow 1992: 60-61; Kilduff/Tsai 2003: 35-65; Rank 2003: 33; Smith-Doerr/Powell 2005; Provan/Fish/Sydow 2007). Stattdessen wird das Netzwerk als Organisationstyp mit den beiden grundlegenden Institutionsformen Markt und Hierarchie in Verbindung gebracht. Die verschiedenen Ansätze interpretieren die Netzwerkorganisation entweder als Zwischen- bzw. Hybridform innerhalb des Markt-Hierarchie-Kontinuums oder autark neben Markt und Hierarchie.185 Von der konzeptionellen Ebene ist eine theoretische abzugrenzen. Diese sogenannten Netzwerktheorien haben vielfach die Erklärung der Entstehung netzwerkartiger Organisationsformen zum Gegenstand (z.B. Jones/Hesterly/Borgatti 1997; Kilduff/Tsai/Hanke 2006; Stegbauer 2008a; Money 1998; Ahuja 2000; Wald 2000; Jansen/Wald 2007). Wie im Falle der heterogenen Netzwerkkonzepte ist anzumerken, dass Netzwerktheorien – zumindest bislang – keine in sich geschlossenen und allgemein anerkannten Theoriekonstrukte darstellen. Stattdessen wird zur Begründung von Netzwerkorganisationen eine Vielzahl unterschiedlicher wirtschafts-, sozial- und politikwissenschaftlicher Theorien herangezogen (z.B. Sydow 1992; Provan/Milward 1995; Oliver/Ebers 1998; Rank/Wald 2000; Adler/Kwon 2002; SmithDoerr/Powell 2005; Jansen/Wald 2007).186 Obwohl sich der Begriff der Netzwerktheorie in zahlreichen Veröffentlichungen finden lässt, bleibt somit unklar, was genau darunter zu verstehen ist. Es ist daher zu anzunehmen, dass es sich dabei um die Gesamtheit aller zur Erklärung des Netzwerkphänomens herangezogenen Theorien handelt, wenngleich sich aus der Literatur keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür finden lassen (Jones/Hesterly/Borgatti 1997; Rank 2003: 36). 184 185
186
Einige Wissenschaftler sprechen anstelle der konzeptionellen Dimension auch von einer phänomenologischen Dimension des Netzwerkansatzes; vgl. z.B. Sydow (1992: 119); Wald (2008). Diverse Autoren weisen darauf hin, dass die Diskussion um eine Verortung von Netzwerken – ob nun eher zwischen oder neben Markt und Hierarchie – vorwiegend analytischer Natur ist. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass auch marktliche Austauschbeziehungen hierarchische Charakteristika aufweisen, während umgekehrt in Hierarchien auch marktliche Elemente vorzufinden sind; vgl. z.B. Perrow (1967, 1986); Kappelhoff (2000) und Frost (2005). Grandori und Soda (1995: 184) bezeichnen die Diskussion um Netzwerke als intermediäre oder eigenständige Form daher als „metaphysisch“ und unnötig. Oliver und Ebers identifizieren bei ihrer Metaanalyse von 158 Fachpublikationen zur Verwendung theoretischer Konzepte für die Erklärung interorganisationaler Netzwerke insgesamt 17 verschiedene theoretische Ansätze. Ihre Untersuchung liefert zwar eine Rangliste der am häufigsten verwendeten Theorien, weist aber keine eindeutige Dominanz theoretischer Konzepte nach (Oliver/Ebers 1998: 555-560).
190
Als dritte Dimension des betriebswirtschaftlichen Netzwerkansatzes bildet die Netzwerkanalyse einen eigenständigen Forschungsbereich zur methodischen Untersuchung von Netzwerkstrukturen in Organisationen (z.B. Tichy/Fombrun 1979; Tichy/Tushman/Fombrun 1979; Carley/Krackhardt 1997; Krackhardt/Carley 1998; Kilduff/Tsai 2003; Scott 2005; Wassermann/Faust 2008). In dieser Hinsicht eignet sich der Einsatz quantitativer und visueller Analysetechniken zur Deskription von Netzwerken, zur Überprüfung von Hypothesen und zur Reduktion komplexer Netzwerkstrukturen auf leicht interpretierbare Grundmuster (Wald 2000: 703; Smith-Doerr/Powell 2005; Krempel 2008). Dabei kommt eine Vielzahl diverser Methoden in Betracht, wobei sich die Netzwerkanalyse von anderen statistischen Verfahren abzugrenzen ist, die in der Literatur zur Untersuchung von Netzwerkstrukturen vorgeschlagen werden. Netzwerkdaten zeichnen sich durch eine Reihe von Charakteristika aus, die sie von anderen empirischen Daten unterscheiden; diese sollen im weiteren Verlauf genauer beschrieben werden.
3.1.2 Motivation und Charakterisierung der Netzwerkanalyse „Is a Network Perspective a Useful Way of Studying Organizations?“ (Nohria 1992: 1).
So lautete vor fast zwanzig Jahren die Einleitung eines Sammelbandes zu Netzwerken und Organisationen. Betrachtet man die seitdem rapide ansteigende Anzahl internationaler Arbeiten, die den Netzwerkansatz zur Erklärung von Organisationsphänomenen heranziehen, so lässt sich die Frage aus heutiger Sicht eindeutig bejahen. Der Netzwerkansatz hat sich seither zu einem etablierten Paradigma der Organisationsforschung entwickelt (z.B. Borgatti/Forster 2003; Kilduff/Tsai 2003; Brass et al. 2004; Provan/Fish/Sydow 2007; Stegbauer 2008a). Während in der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Forschung bislang jedoch ein erhebliches Defizit festzustellen ist, gehören netzwerkanalytische Verfahren inzwischen zum methodischen Standardrepertoire der angloamerikanischen Management- und Organisationsforschung (Rank 2003: 32; Wald 2003: 3; Brass et al. 2004). Sowohl in der nationalen als auch in der internationalen Forschung zur Steuerung und Koordination in Organisationen haben netzwerkanalytische Verfahren bisweilen allerdings kaum Beachtung gefunden (Borgatti/Foster 2003; Provan/Fish/Sydow 2007; Wald 2008). Erst jüngst wurden einige Arbeiten vorgelegt, die eine Verknüpfung netzwerkanalytischer Methoden mit steuerungsrelevanten Fragestellungen hergestellt haben (z.B. Wald/Weibler 2005; Grandori/Soda 2006). Zumeist wird darin jedoch der im Netzwerkansatz akzentuierte Aspekt der strukturellen Einbettung von Elementen in ein Geflecht aus wechselseitigen Wirkungsbeziehungen ver-
191
nachlässigt (Wald 2008).187 Dem Grundgedanken des Netzwerkansatzes zufolge, dürfen Wirkungsweisen, die von einzelnen Elementen ausgehen, nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen stets in Bezug zu anderen Elementen gesetzt werden. Obwohl nur „few empirical examinations exist exploring how activities occurring within a network are managed and coordinated“ (Provan/Fish/Sydow 2007: 503-504), weisen die vorhandenen Untersuchungen eindeutig darauf hin, dass sich die Netzwerkeinbettung von Akteuren auf ihre Interaktionsbeziehungen auswirkt und Methoden der Netzwerkanalyse daher einen wichtigen Beitrag zur Erklärung organisatorischer Steuerungsphänomene leisten können (z.B. Osborn/Hunt/Jauch 2002; Balkundi/Kilduff 2005). Trotz der Vielfalt an Untersuchungen zu Netzwerken und Organisationen lässt sich für alle theoretischen, konzeptionellen und methodischen Arbeiten eine gemeinsame Basis feststellen: Aus der Netzwerkperspektive steht das Muster der Beziehungen zwischen den Akteuren im Netzwerk und weniger ihre individuellen Merkmale im Betrachtungsmittelpunkt (Jansen 2006: 18; Wald 2008: 494). Es geht damit in erster Linie um die Struktur des Netzwerkes, die Position einzelner Akteure im Netzwerk sowie die Auswirkungen dieser strukturellen Einbettung auf ihre Handlungsmöglichkeiten und -ergebnisse. Granovetter (1985) hat in diesem Zusammenhang den Begriff der „structural embedded action“ geprägt, demzufolge die Einbettung von Akteuren in Netzwerken eine Auswirkung auf ihr Handeln hat. Dieser Effekt wird als Netzwerkeffekt bezeichnet. Netzwerke beeinflussen z.B. den Zugang und die Qualität von entscheidungsrelevanten Informationen, können den Wissenstransfer zwischen Akteuren fördern, zum Aufbau von Vertrauen zwischen ihnen führen sowie wirksame Anreiz- und Sanktionsmechanismen herausbilden (z.B. Fombrun 1983; Brass 1984; Ibarra 1993; Ahuja 2000; Kogut 2000; Reagans/McEvily 2003; Wald/Jansen 2007; Boone/Ganeshan 2008; McDowell/Voelker 2008). Akteure, die über eine gute strukturelle Einbettung verfügen, profitieren davon und können soziales Kapital188 generieren. Eine mangelhafte Einbettung hingegen kann für die betreffenden Akteure mit Nachteilen wie erhöhten Transaktionskosten oder einem schlechteren Zugang zu Informationen und Ressourcen verbunden sein (z.B. Burt 2000; Gulati/Dialdin/Wang 2002; Borgatti/Forster 2003: 995; Ibarra/Kilduff/Tsai 2005). Dementsprechend legt die Netzwerkanalyse im Unterschied zu herkömmlichen Verfahren der empirischen Sozialforschung den Schwerpunkt der Analyse nicht auf die Organisations187
188
Die mangelhaften Forschungsbemühungen hinsichtlich der Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Kooperation, Steuerung und Netzwerkeinbettung werden auch von den Autoren unterschiedlicher Metaanalysen zu Publikationen über Netzwerke und Organisationen kritisiert (z.B. Borgatti/Foster 2003; Brass et al. 2004). Zum Begriff des sozialen Kapitals vgl. weiterführend z.B. Coleman (1988); Putnam (1995); Nahapiet/ Ghoshal (1998); Portes (1998); Tsai/Ghoshal (1998); Burt (2000); Onyx/Bullen (2000); Adler/Kwon (2002); Maurer/Ebers (2006).
192
einheiten selbst, die mit bestimmten Individualmerkmalen beschrieben werden, sondern auf die zwischen den Einheiten existierenden Relationen. Dies hat besondere methodische Implikationen: Während sich Individualmerkmale oder Eigenschaften von Akteuren mit Hilfe attributiver Daten erheben und messen lassen (z.B. Umsatz, Gewinn oder Größe der Organisationseinheit), können die Beziehungen zwischen den Akteuren hingegen nur unter Verwendung relationaler Daten analysiert werden. Nach Scott (2005: 2) beziehen sich attributive Daten auf Merkmale, Meinungen und Verhaltensweisen von Akteuren, für die sich insbesondere Verfahren der Variablenanalyse eignen. Unter relationalen Daten versteht er hingegen „contacts, ties and connections […] which relate one agent to another and so cannot be reduced to the properties of the individual agents themselves” (Scott 2005: 3). Seiner Auffassung nach stellt die Netzwerkanalyse das angemessene Verfahren zur Untersuchung von Beziehungen zwischen den Akteuren dar (Abbildung 8).
Art der Untersuchung
Quellen
Datentypen
Analysemethoden
Befragung
Interview, Fragebogen
relational
Netzwerkanalyse
Ethnografische Untersuchung
Beobachtung
ideell
typologische Analyse
Dokumentenforschung
Texte, Dokumente
attributiv
Variablenanalyse
Abbildung 8:
Datentypen und Analysemethoden (Quelle: Eigene Darstellung nach Scott 2005: 3)
Aus der Tatsache, dass es sich bei Kooperations- und Steuerungsbeziehungen im Konzern um relationale Daten handelt, wird ein erstes zentrales Motiv für die Auswahl der Netzwerkanalyse als Untersuchungsmethode deutlich. Das zweite Motiv leitet sich aus ihren Möglichkeiten ab, eine mikroanalytische Betrachtungsperspektive bei der Untersuchung von Unternehmen einzunehmen und daraus Erkenntnisse für die Organisationsgestaltung zu generieren. Dieses Motiv ist erklärungsbedürftig: Gestaltungsentscheidungen in der Organisationsforschung werden üblicherweise auf der Ebene alternativer makrostruktureller Organisationsformen wie beispielsweise der Funktional-, Divisional-, Prozess- oder Matrixorganisation getroffen. Zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis zeigen jedoch, dass der Erfolg makrostruktureller Gestaltungsbemühungen (z.B. durch Reorganisations-, Outsourcing- oder Business Process Reengineering-Maßnahmen) ausbleibt, weil diese zumeist rein formal erfolgen und hierarchisch durchgesetzt werden (top-down) und damit die tatsächlichen Beziehungen und Verflechtungen im Unternehmen vernachlässigen (Eccles/Nohria 2003: 122). 193
Es wird kritisiert, die Resultate derartigen Organisationsgestaltens „reichen von Verwirrung, explodierenden Kosten und unvollständigen Strukturen bis hin zu gravierenden Störungen im Betriebsablauf“ (Bravard/Morgan 2009: 332). Im Konzern legt die Konzernleitung die Organisationsstrukturen fest, die darauf abzielen, die Erreichung der Gesamtziele bestmöglich zu unterstützen. Derartige Organisationsstrukturen stellen im Prinzip eine Soll-Organisation dar, die vorgibt, wie die Beziehungen zwischen den Organisationseinheiten gestaltet werden sollten (Wald 2005: 162). Häufig werden diese Regelungen in Form von Organigrammen publiziert und somit den Organisationsmitgliedern öffentlich bekannt gemacht. Aus jenen lassen sich jedoch nur die Über- und Unterordnungsverhältnisse zwischen den Organisationseinheiten und damit die hierarchischen Weisungsbefugnisse unter ihren Mitgliedern festhalten. Die Beziehungen zwischen den Einheiten werden bildlich gesprochen nur ansatzweise durch die Verbindungslinien im Organigramm abgebildet; aus ihnen ist weder ersichtlich, welche Interaktionsformen zwischen ihnen bestehen, noch welche Verfahren für ihre Steuerung eingesetzt werden (Frost 2005: 282).189 Die makrostrukturelle Betrachtung und Gestaltung von Organisationen birgt somit die Gefahr, dass unzureichend auf die den Strukturen zugrunde liegenden tatsächlichen Handlungen der Organisationsmitglieder fokussiert wird, und folglich „the problem of balancing individual and collective action through structure is an eternal one” (Eccles/Nohria 2003: 120).
Im Gegensatz hierzu ermöglicht die Netzwerkanalyse, die tatsächlich realisierten Kooperations- und Steuerungsbeziehungen zwischen den Organisationseinheiten zu identifizieren und auf diese Weise ein reales Bild der Konzernorganisation zu zeichnen. Diese Ist-Organisation unterscheidet sich von der makrostrukturellen Organisationsform zum einen dadurch, dass es sich weniger um bewusst geschaffene als vielmehr um gewachsene Strukturen handelt. Sie spiegelt die tatsächlich im Konzern ablaufenden Prozesse und Beziehungen zwischen den Organisationseinheiten wider, weshalb sie auch als „the company behind the chart“ bezeichnet
189
So auch Mintzberg und Van der Heyden, die anstelle von Organigrammen für die Verwendung netzwerkähnlicher „Organigraphen“ plädieren und dies anhand eines illustrativen Beispiels erläutern: „The fact is, organizational charts are the picture albums of our companies, but they tell us only that we are mesmerized with management. No wonder they have become so irrelevant in today’s world. With traditional hierarchies vanishing, and newfangled – and often quite complex – organizational forms taking their place, people are struggling to understand how their companies work. What parts connect to one another? […] Organigraphs don’t eliminate the little boxes altogether. But they do introduce new components called hubs and webs – forms that we believe reflect the varied ways people organize themselves at work today“ (Mintzberg/Van der Heyden 1999: 87-88; eigene Hervorhebung). „Ask for a picture of the place, […] you’ll be handed the company's org chart, with its orderly little boxes stacked atop one another. The org chart would show you the names and titles of managers, but little else about the company […]. Indeed, using an org chart to ‘view’ a company is like using a list of municipal managers to find your way around a city“ (Mintzberg/Van der Heyden 1999: 87).
194
wird (Krackhardt/Hanson 1993). Zum anderen ist es durch den Einsatz von Netzwerkmethoden möglich, die Grenzen makrostruktureller Organisationsgestaltung zu überwinden, die mit Begriffen wie Dichotomie und Determinismus umschrieben werden (Frost 2005: 283; Grandori/Soda 2006: 151): Dichotomie bedeutet, dass makrostrukturelle Organisationsformen in der Regel als polarisierende Alternativen dargestellt werden (z.B. Markt/Unternehmen, flexible/bürokratische Organisation) und dadurch die Reichhaltigkeit der zur Unternehmung gehörenden Gestaltungselemente nicht hinreichend differenziert erfasst wird. Determinismus meint, dass jeder dieser Organisationsformen spezifische Steuerungseigenschaften (z.B. marktlich/hierarchisch, formal/informal) zugeschrieben werden, wodurch sich jedoch nicht erklären lässt, wie Kombinationen unterschiedlicher Steuerungsmechanismen innerhalb einer Strukturausprägung wirken (Frost 2005: 283). Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass derartige Ansätze „essentially treat the organization as a ‘black box’. Only the starkest of distinctions are made between types. These definitions may be appropriate for the purposes that they are used but do not provide much help in understanding the problems of current organizations” (Miller/Greenwood/Prakash 2009: 275).190
Um anwendungsorientierte Gestaltungslösungen entwickeln zu können, bedarf es daher einer Betrachtung von „much more fine-grained organization mechanisms and a ‘grammar’ for distinguishing to what problems they can be selectively applied“ (Grandori 2004: 53).
Übertragen auf die vorliegende Arbeit bedeutet das, dass es durch den Einsatz netzwerkanalytischer Verfahren gilt, eine detailreichere Untersuchungsperspektive einzunehmen, um daraus differenzierte Gestaltungsempfehlungen für den Einsatz der Steuerung bei unterschiedlichen Kooperationsformen im Konzern abzuleiten. Ein weiteres Motiv für die Auswahl der Netzwerkanalyse liegt in dem von Simmel beschriebenen Potenzial sozialwissenschaftlicher Verfahren zur Erklärung von Wechselwirkungen zwischen den Gestaltungselementen einer Organisation. Neben den Zusammenhängen zwischen Interdependenzformen und der Steuerungen lässt sich vor allem das hier interessierende Wirkungsgefüge zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen durch den Einsatz von Netzwerkmethoden analysieren. Daran angelehnt kann die Verwendung der Netzwerkanalyse schließlich damit begründet werden, dass sie ein breites Spektrum an Verfahren und Maßgrößen bietet, die eine die Reduktion der inhärenten Komplexität der Be190
Vgl. zu dieser Kritik auch Romanelli (1991); Williamson (1991); Pólos/Hannan/Carroll (2002); Grandori (2004); Grandori/Furnari (2009).
195
ziehungsgeflechte ermöglicht und auf diese Weise neuartige Erkenntnisse für die Organisationsgestaltung im Konzern verspricht.
3.1.3 Terminologie und Methoden der Netzwerkanalyse Im Folgenden sollen die wesentlichen konzeptionellen und methodischen Grundlagen der Netzwerkanalyse einer kurzen Betrachtung unterzogen werden, da diese für die sich anschließende empirische Untersuchung der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen im Fallstudienkonzern unerlässlich sind. Die Ausführungen erfolgen dabei pragmatisch im Hinblick auf das Untersuchungsziel und umfassen eine Klärung relevanter Begriffe und Notationen sowie der verwendeten Maßzahlen zur Netzwerkanalyse.191 Netzwerk-Terminologie Allgemein sind Netzwerke definiert als eine abgegrenzte Menge von Akteuren und die zwischen ihnen verlaufenden Beziehungen (z.B. Jansen 2006: 58). Formal umfasst ein Netzwerk N damit eine Menge von n Akteuren; somit gilt N = {1, 2, 3, …, n}. Die Akteure eines Netzwerks werden in der Literatur auch als Knoten oder Elemente (nodes) bezeichnet, ihre Beziehungen werden auch Kanten (ties) genannt (z.B. Scott 2005; Wasserman/Faust 2008).192 Unter dem Akteursbegriff lassen sich in Organisationen sowohl individuelle Organisationsmitglieder subsumieren als auch korporative Akteure wie Abteilungen, Divisionen oder ganze Unternehmen (Borgatti/Forster 2003: 992). Allerdings können sich Netzwerke auch aus andersartigen Elementen, wie z.B. Ereignissen, Produktionsmaschinen und Dokumenten oder wie in der vorliegenden Untersuchung aus Steuerungsmechanismen, zusammensetzen. Beziehungen in Netzwerken lassen sich dagegen hinsichtlich ihres Inhaltes, ihrer Gerichtetheit und ihrer Intensität unterscheiden. Als Beziehungsinhalte in Organisationen können beispielsweise die Kommunikation, Ressourcenflüsse oder finanzielle Verflechtungen zwischen den Akteuren unterschieden werden.193 Während in Fällen wie der Informationsübermittlung die Richtung der Beziehung zwischen zwei Akteuren eindeutig feststellbar ist (Akteur i überträgt Informationen an Akteur j), sind andere Beziehungsinhalte wie gemeinsame Meetings richtungslos bzw. ungerichtet. Ungerichtete Beziehungen werden auch als symmetrische Beziehungen, gerichtete entsprechend als asymmetrische Beziehungen bezeichnet. Die Intensität 191
192 193
Für eine ausführlichere und umfassende Darstellung netzwerkanalytischer Methoden vgl. z.B. Pappi (1987); Weyer (2000); Kilduff/Tsai (2003); Scott (2005); Trappmann/Hummell/Sodeur (2005); Hollstein/Straus (2006); Jansen (2006); Wasserman/Faust (2008). Diese Bezeichnungen orientieren sich an der Veranschaulichung von Netzwerken in Soziogrammen bzw. alternativen grafischen Netzwerkdarstellungen. Für Klassifikationen von Beziehungsinhalten in Netzwerken vgl. z.B. Jansen (2006: 59); Wasserman/Faust (2008: 18).
196
der Beziehungen kann beispielsweise nach ihrer Häufigkeit, ihrer Wichtigkeit für die Akteure oder nach quantifizierbaren Größen (z.B. Geldeinheiten) bestimmt werden. Oft sind Netzwerkdaten jedoch nur dichotom erhoben, d.h. eine Beziehung zwischen zwei Akteuren ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden (Jansen 2006: 59). Entsprechend handelt es sich um binäre Daten, deren Werte eine null oder ein eins einnehmen können. Werden jedoch die Intensitäten unterschieden, dann können die Daten mit beliebigen Werten zwischen null und unendlich gewichtet werden. Existieren innerhalb eines Netzwerks mehrere Beziehungen unterschiedlichen Inhalts, so liegt Multiplexität vor. Während sich inhaltsgleiche, uniplexe Beziehungen zwischen Akteuren, in einem Totalnetzwerk darstellen lassen, erfordern multiplexe Beziehungen eine Abbildung der unterschiedlichen Inhalte in mehreren Partialnetzwerken (Weyer 2000: 47; Kilduff/Tsai 2003: 33). Aus forschungspraktischer Sicht erscheint die Untersuchung von totalen Netzwerken wenig realistisch, da bereits in sehr kleinen Netzwerken die Erfassung aller tatsächlichen Beziehungen kaum mehr möglich ist. Daher ist es üblich, Netzwerke im Hinblick auf einen bestimmten Beziehungsinhalt zu konkretisieren und sie partiell darzustellen (Scott 2005: 29). Im Falle multiplexer Beziehungen stellt sich unmittelbar die Frage nach der Vergleichbarkeit der Strukturen in den Partialnetzwerken. So ließe sich beispielsweise innerhalb von Organisationen untersuchen, ob sich Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen zwischen den Akteuren weitgehend decken bzw. überlappen. Dieser Sachverhalt der Vergleichbarkeit von Strukturen wird mit Hilfe des Merkmals der strukturellen Äquivalenz beschrieben. Netzwerkbeziehungen sind dann strukturell äquivalent, wenn die Beziehungen von Akteuren hinsichtlich unterschiedlicher Inhalte identisch bzw. gleichartig sind (Rank 2003: 54).194 Besteht das Netzwerk aus mehr als zwei Akteuren, können indirekte Beziehungen zwischen ihnen existieren. Während direkte Beziehungen unmittelbare Verbindungen zwischen zwei Akteuren darstellen, können die Akteure auch indirekt über Dritte miteinander verbunden sein. Dieses Phänomen tritt insbesondere in Freundschaftsbeziehungen auf, ist aber auch typisch für Organisationen. Beispielsweise können die Akteure eines mehrstufigen Produktionsprozesses indirekte Beziehungen aufweisen; auch im Falle der Lieferantenbeziehungen sind die abnehmenden Akteure indirekt miteinander verbunden.195 194
195
Strukturelle Äquivalenz kann sich aber auch auf die Positionen von Akteuren innerhalb eines Netzwerks beziehen. Demnach sind Akteure strukturell äquivalent, wenn sie über identische Beziehungen zu anderen Akteuren im Netzwerk verfügen (Trappmann/Hummell/Sodeur 2005: 103). Stellen beispielsweise zwei Lieferanten ihre Leistungen und Produkte denselben Abnehmern zur Verfügung, so besetzen diese beiden Akteure strukturell äquivalente Positionen im Netzwerk. Unmittelbar in Zusammenhang mit der Frage nach direkten oder indirekten Beziehungen steht das Konzept der Entfernung von Akteuren. Diese drückt sich in der Pfaddistanz aus, welche sich aus der Anzahl der zwischengeschalteten Akteure ergibt, die auf dem kürzesten Pfad (geodesic distance) zwischen zwei Akteuren liegen. Die Pfaddistanz dij kann durch die Summe der Kanten berechnet werden, die zwischen zwei Akteuren
197
Analyseebenen in Netzwerken Aufbauend auf den grundlegenden Begriffen „Akteure“ und „Beziehungen“ lassen sich bei der Netzwerkanalyse fünf typische Analyseebenen unterscheiden (z.B. Raider/Krackhardt 2002; Scott 2005; Jansen 2006; Wasserman/Faust 2008). Wenngleich nicht jede dieser fünf Ebenen von gleicher Relevanz für die vorliegende Untersuchung sind, sollen sie der Vollständigkeit halber dennoch kurz beschrieben werden. Für jede dieser Ebenen lässt sich eine Vielzahl struktureller Merkmale anhand von Netzwerkmaßen ermitteln. Die Dyade bildet die kleinste mögliche Einheit der Netzwerkanalyse und besteht aus zwei Akteuren i und j und ihren Beziehungen rij. Meist steht jedoch nicht die Dyade selbst im Interesse der Analyse, vielmehr wird das Gesamtnetzwerk in alle möglichen Dyaden zerlegt. Das Gesamtnetzwerk kann dann mit Hilfe einer Verteilung seiner Dyaden auf unterschiedliche Strukturmerkmale hin analysiert werden.196 Eine Triade ist ein Netzwerk mit drei Knoten, d.h. die Netzwerkanalyse erstreckt sich auf drei Akteure und deren Beziehungen zueinander. Die Triade repräsentiert die kleinstmögliche Ausprägung einer kohäsiven Gruppe und kann damit als fundamentale Einheit netzwerkartiger Strukturen erachtet werden (Krackhardt 1999a, 1999b). Triaden unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von Dyaden. Während in dyadischen Beziehungen Konflikte zu einer Polarisierung der Ansichten führen, kann der dritte Akteur in Triaden vermittelnd auf die Beziehung zwischen den beiden Akteuren einwirken: „The appearance of the third party indicates transition, conciliation, and abandonment of absolute contrast” (Simmel 1964: 145). Ebenso werden Gruppenentscheidungen sowie der Druck, der von einer Mehrheit ausgeht, erst durch die Existenz von mindestens drei Akteuren wirksam. Allerdings haben die Auswirkungen des Austritts von Akteuren aus Triaden weniger Gewicht als in Dyaden, weil das Netzwerk in seinem Bestand dadurch nicht gefährdet ist (Johanson 2000: 399). Wie im Falle der Dyaden steht bei der Netzwerkanalyse auch hier nicht die Triade im Mittelpunkt des Interesses, vielmehr lassen sich im Rahmen einer Analyse des Gesamtnetzwerks die einzelnen Triaden nach deren Strukturmerkmalen unterscheiden und messen.197 Eine dritte Analyseebene bilden (Sub-) Gruppen in Netzwerken, die sich nicht nur durch die Anzahl der Akteure von Dyaden und Triaden (dies lässt sich beliebig fortsetzen für Quadrupel, Quintupel usw.; allgemein: k-Tupel) unterscheiden, vielmehr impliziert der Gruppen-
196
197
i und j liegt; im Falle direkter Beziehungen zwischen den Akteuren gilt dij = 1 und bei indirekten Beziehungen gilt 1 < dij < N-1 (Scott 2005: 68). Je kürzer die Pfaddistanz zwischen zwei Akteuren, desto weniger störungsanfällig ist ihre Beziehung und desto schneller werden beispielsweise Informationen oder Ressourcen zwischen ihnen übertragen. Auch die Frage, ob es mehrere Pfade gibt, ist für die Robustheit der Beziehung zwischen zwei Akteuren relevant – je mehr Pfade existieren, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Informationen oder Ressourcen überhaupt nicht ankommen (Jansen 2006: 97). Zur Pfaddistanz vgl. weiterführend z.B. Kilduff/Tsai (2003: 73-76); Wasserman/Faust (2008: 161-163). Nach ihren Strukturmerkmalen können im Rahmen des sogenannten Dyadenzensus symmetrische und asymmetrische Dyadenbeziehungen sowie Dyaden, bei denen die Akteure in keiner Beziehung zueinander stehen, unterschieden werden; vgl. z.B. Jansen (2006: 60-61); Wasserman/Faust (2008: 510-514). Zum sogenannten Triadenzensus vgl. z.B. Jansen (2006: 62-64); Wasserman/Faust (2008: 564-576).
198
begriff eine inhaltliche Abgrenzung, Zusammengehörigkeit oder Ähnlichkeit der zur Gruppe gehörenden Akteure (Jansen 2006: 66). Hierzu werden in der Netzwerkanalyse vorrangig die relationalen Merkmale der Akteure herangezogen. Zur Abgrenzung derartiger Netzwerkgruppen lassen sich zwei grundlegende Herangehensweisen unterscheiden. Zum einen können Akteure in einer Gruppe zusammengefasst werden, die untereinander enge Beziehungen unterhalten; dieser Fall wird in der Netzwerkanalyse als Clique bezeichnet. Zum zweiten können diejenigen Akteure gruppiert werden, die ähnliche Außenbeziehungen zu allen anderen Akteuren im Netzwerk haben, wobei in diesem Fall eher von Blöcken und weniger von Gruppen gesprochen wird (Jansen 2006: 66; Wasserman/Faust 2008: 19). Ego-zentrierten Netzwerke stellen die vierte Ebene der Netzwerkanalyse dar. Diese Netzwerke setzen sich aus einem fokalen Akteur (Ego) und einer Mehrzahl weiterer Akteure (Alteri) sowie den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen zusammen. Damit sich ein Netzwerk herausbilden kann, ist es notwendig, dass auch die Beziehungen zwischen den Alteri erhoben werden (Pappi 1987: 20-25). Ego-zentrierte Netzwerke stellen eine besondere Form persönlicher Netzwerke dar, bei denen – im Gegensatz zu Gesamtnetzwerken, für die spezielle Analyse- und Erhebungstechniken notwendig sind – die Daten mit herkömmlichen Umfragemethoden erhoben werden. Die Erhebung von ego-zentrierten Netzwerken kann auf zwei Wegen erfolgen. Das Netzwerk kann zum einen aus der Perspektive des Egos erhoben werden, wobei sich allerdings Gültigkeitsprobleme ergeben können, da die Aussagen des Egos über Beziehungen zwischen den Alteri nicht richtig sein müssen und bei dieser Methode nur schwer überprüfbar sind. Zum zweiten lassen sich aus den Daten von Gesamtnetzwerken jederzeit ego-zentrierte Netzwerke für jeden einzelnen Akteur ableiten. Schließlich besteht die Möglichkeit, die Netzwerkanalyse auf das Gesamtnetzwerk auszurichten. Neben den akteurbezogenen Maßgrößen lassen sich auch auf der Ebene des Gesamtnetzwerks einfache Maßzahlen, aber auch komplexe Strukturmuster ermitteln. Zumeist setzt die Analyse letzterer allerdings eine vorherige Analyse auf der Ebene von Gruppen oder Blöcken voraus (McGrath/Krackhardt/Blythe 2003: 39-41). Ein zentrales Problem bei der Untersuchung von Gesamtnetzwerken stellt die Abgrenzung des Netzwerks dar (z.B. Jansen 2006: 71). Die Analyse von Strukturen ist nur dann möglich, wenn die im Hinblick auf die Fragestellung relevanten Beziehungen sowie Akteure auch erfasst worden sind. Der erste Schritt zur Abgrenzung des Netzwerks ist die Beantwortung der Frage, welche Akteure dazugehören und welche nicht. In einem zweiten Schritt ist dann zu entscheiden, welche Beziehungsinhalte für das abgegrenzte Akteursset untersucht werden sollen. Als mögliche Kriterien können im Allgemeinen z.B. die Organisationsgrenzen, gemeinsame Absatzmärkte
199
oder geografische Grenzen herangezogen werden.198 Daneben können für das gleiche Akteursset mehrere Beziehungen multiplexen Inhalts parallel erhoben und in partiellen Netzwerken ausgewertet werden. Im Falle der vorliegenden Arbeit sind dies die Interdependenzund Steuerungsbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Konzerneinheiten. Darstellungsformen von Netzwerken Im Hinblick auf die Darstellung von Netzwerken existieren zahlreiche Möglichkeiten, von denen sich zwei durch Relevanz für die vorliegende Untersuchung auszeichnen: Soziogramme und Soziomatrizen. Das Soziogramm geht auf Jacob Moreno (1934, 1954) zurück und ermöglicht eine grafische Darstellung von Netzwerken. In Netzwerkgraphen werden die Akteure als Knoten (Punkte) und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen als Linien bzw. bei gerichteten Beziehungen als Pfeile dargestellt. Soziogramme eignen sich insbesondere für kleine Netzwerke, die aus einer „überschaubaren“ Anzahl an Akteuren und Beziehungen bestehen. Die Vorteile soziometrischer Darstellungs- und Analyseverfahren liegen in der vergleichsweise einfachen Handhabung sowie der visuellen Erfassbarkeit des Netzwerks (Freeman 2000). Allerdings lassen sich auch diverse Nachteile von Soziogrammen anführen. Zunächst existieren keine einheitlichen Regeln, nach denen die Anordnung der Punkte im Soziogramm zu erfolgen hat. Dies führt dazu, dass spezifische Netzwerke auf sehr unterschiedliche Art abgebildet werden können, was deren Vergleichbarkeit erheblich einschränkt (McGrath/Krackhardt/Blythe 2003). Zwar lassen sich zur Bestimmung der Netzwerkposition der Akteure verschiedene Algorithmen verwenden (Fruchterman/Reingold 1991; Kamada/Kawai 1989, 1991; Borgatti/Everett 2000, 2005), dennoch ist ein visueller Vergleich von Netzwerken, selbst wenn sie über einen hohen strukturellen Äquivalenzgrad verfügen, kaum möglich. Darüber hinaus ist die grafische Abbildung sehr großer Netzwerke durch Soziogramme praktisch unmöglich, weil bei einer großen Anzahl an Akteuren und Beziehungen selten noch von einer übersichtlichen Darstellung gesprochen werden kann. Schließlich sind die Graphen im Fall von bewerteten Beziehungen nicht oder nur bedingt in der Lage, die Intensität, Frequenz oder Multiplexität der Beziehungen zwischen den Akteuren abzubilden (Rank 2003: 62-63). Als Indikator für die Beziehungsintensität lässt sich zwar das Kantengewicht (Linienstärke) verwenden, visuelle Muster lassen sich jedoch zumeist nur im Falle kleiner und mittlerer Netzwerke erkennen (Barrat et al. 2004; Opsahl et al. 2008; Opsahl/Panzarasa 2009). Aus diesen Gründen wird für die Analyse größerer Netzwerke in der Regel auf die Netzwerkdarstellung in Form von Soziomatrizen zurückgegriffen. Dabei handelt es sich um eine zwei-
198
Die Abgrenzungskriterien, die der empirischen Netzwerkanalyse dieser Arbeit zugrunde liegen, werden in Abschnitt 4.1 beschrieben.
200
dimensionale Matrixdarstellung, bei der die sendenden Akteure i in den Zeilen und die empfangenden Akteure j in den Spalten stehen.
N1
A1
A2
A3
A4
N2
A1
A1 A2
1
0 -
1 1
1 0
A1 A2
1
-
A3 A4
1 0
0 1
1
0 -
A3 A4
0 1
1 0
Abbildung 9:
A2
A3
A4
1
-
Soziomatrizen für asymmetrische und symmetrische Beziehungen (Quelle: Eigene Darstellung)
Da es sich um dasselbe Akteursset handelt, sind Soziomatrizen stets quadratisch. Weil die Akteure keine Beziehungen zu sich selbst unterhalten können, bleibt die Hauptdiagonale der Matrix leer (formal gilt xii = 0). Im Falle ungerichteter Beziehungen ist die Matrix symmetrisch bezüglich ihrer Hauptdiagonalen (xij = xji). Daher ist es ausreichend und üblich, lediglich die Felder unterhalb der Hauptdiagonale zu befüllen. Während sogenannte Adjazenzoder Berührungsmatrizen (Abbildung 9) lediglich dichotome Beziehungen abbilden, bei denen binäre Werte (0, 1) indizieren, ob eine Beziehung zwischen den Akteurspaaren vorliegt, können Soziomatrizen auch bewertete Beziehungen abbilden. Daher sind Soziomatrizen auch die gängigste Form der Darstellung von Netzwerken. Allerdings ist auch hierbei der Nachteil zu nennen, dass Partialnetzwerke jeweils einer eigenen Matrix bedürfen, so dass multiplexe Beziehungen in der Matrixdarstellung kaum abbildbar sind (Scott 2005: 19-26; Jansen 2006: 99-102; Wasserman/Faust 2008: 81-84). Netzwerkmaße und Netzwerkkorrelation auf Basis der Quadratic Assignment Procedure Eine weitere Möglichkeit, Sachverhalte in Netzwerken abzubilden, ist die Verwendung netzwerkanalytischer Maßzahlen. Diese Maßzahlen lassen sich aus den Soziomatrizen errechnen und können sowohl auf der Ebene einzelner Akteure ansetzen als auch Teile des Netzwerks sowie das Gesamtnetzwerk charakterisieren.199 Bei den Maßzahlen auf der Akteursebene stellt sich insbesondere die Frage nach der Einordnung der Akteure in das Netzwerk. Von Interesse ist somit die Position einzelner Akteure innerhalb des Netzwerks im Vergleich zu allen anderen Akteuren. Der Degree bildet dabei den Grad der Verbundenheit eines Akteurs mit anderen Akteuren im Netzwerk ab. Er errechnet sich über die Anzahl der Beziehungen, welche der Akteur zu anderen Akteuren unter-
199
Aufgrund ihrer untergeordneten Relevanz für die vorliegende Untersuchung werden Degree, Akteurszentralität, Netzwerkdichte und Netzwerkkohäsion hier nur knapp behandelt; vgl. weiterführend z.B. Scott (2005); Jansen (2006); Wassermann/Faust (2008).
201
hält.200 Der Degree ist gleichzeitig schon ein einfaches Maß für die Zentralität von Akteuren.201 In der Literatur wird eine Vielzahl unterschiedlicher Zentralitäts- und Prestigemaße diskutiert,202 wobei insbesondere das von Freeman (1979) entwickelte Zentralitätskonzept eine hohe Berücksichtigung in netzwerkanalytischen Arbeiten findet.203 Auf der Ebene des Gesamtnetzwerks stellt die Netzwerkdichte eine wichtige Maßzahl zur strukturellen Analyse von Netzwerken dar, die sich zugleich als Indikator für die Kohäsion des Netzwerks heranziehen lässt.204 200
Ein „beziehungsloser“ Akteur verfügt über einen Degree von Null. In persönlichen Netzwerken (z.B. Freundschaftsnetzwerke oder Schulklassen) deutet ein geringer Degree auf Außenseiter hin. In Konzernen kann ein Nulldegree einer Teileinheit in einem Kooperationsnetzwerk beispielsweise als Indiz für die Verfolgung der Mobilisierungsstrategie interpretiert werden. 201 Der Zentralität (bzw. Prestige) liegt das Konzept der Prominenz von Akteuren zugrunde, wonach ein Akteur prominent ist, wenn er an vielen Beziehungen im Netzwerk beteiligt ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Akteur alle anderen Akteure mit einer möglichst geringen Anzahl direkter und indirekter Beziehungen erreichen kann, wobei direkte Beziehungen eine höhere Zentralität bewirken als indirekte. Dahinter steht die bereits erwähnte Annahme, dass prominente Akteure einen besseren Zugang zu Netzwerkressourcen haben. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Zentralität eines Akteurs in einzelnen Partialnetzen wie auch im Gesamtnetzwerk positiv korreliert ist mit seinem Maß, Einfluss auf die Handlungsweisen anderer Akteure und auf Entscheidungen im Netzwerk auszuüben (z.B. Fombrun 1983; Krackhardt 1990; Brass/Burkhardt 1992; Ibarra/Andrews 1993). 202 Für eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Maßzahlen zur Bestimmung von Zentralität und Prestige vgl. z.B. Brass/Burkhardt (1992: 194-196); Scott (2005: 82-99); Trappmann/Hummell/Sodeur (2005: 25-69); Jansen (2006: 127-162); Wasserman/Faust (2008: 169-219). 203 Freeman (1979) unterscheidet drei Maßgrößen zur Ermittlung der Zentralität von Akteuren im Netzwerk: Die degree-basierten Zentralität ergibt sich aus der Anzahl der direkten Beziehungen eines Akteurs. Wird darüber hinaus noch die Gerichtetheit im Falle asymmetrischer Beziehungen in dieses Zentralitätskonzept einbezogen, lassen sich die indegree- und outdegree-basierte Zentralität von Akteuren messen; vgl. z.B. Jansen (2006: 104). Die closeness-basierte Zentralität ergibt sich hingegen als Summe der kürzesten Pfade eines Akteurs zu allen anderen Akteuren und drückt damit die Nähe des Akteurs zu den anderen Akteuren aus. Damit werden nicht nur direkte Beziehungen, sondern auch indirekte Beziehungen zwischen den Akteuren bei der Ermittlung seiner Netzwerkposition berücksichtigt. Freeman (1979: 226) interpretiert die closenessbasierte Zentralität in zweifacher Hinsicht: Einerseits kann sie als Maß für die Effizienz des Netzwerks, andererseits als Maß für die Unabhängigkeit seiner Akteure herangezogen werden. Während das Effizienzmaß den Umfang angibt, in dem ein Akteur alle anderen Akteure auf kürzestem Wege erreichen kann, drückt das Unabhängigkeitsmaß aus, dass ein Akteur umso weniger auf Intermediäre angewiesen ist, je näher er zu den anderen Akteuren steht. Die betweenness-basierte Zentralität stellt schließlich das Maß dar, in dem ein Akteur selbst als Intermediär auf den kürzesten Pfaden zwischen anderen Akteuren liegt. In diesem Fall kommt dem Akteur eine wichtige Vermittlerrolle zu, wenn es um Ressourcen- oder Kommunikationsflüsse geht. Aus seiner intermediären Position ergeben sich damit wichtige Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten über andere Akteure. Daher wird die betweenness-basierte Zentralität auch als „Maß der Monopolisierung der Informations- und Ressourcenkontrolle durch herausragend zentrale Akteure“ bezeichnet (Jansen 2006: 141). 204 Unter Köhasion wird der Zusammenhalt der Akteure im Netzwerk verstanden. Kohäsion stellt damit ein typisches relationales Datum dar, das auf den Beziehungen von Akteuren beruht, selbst aber kein Attribut dieser Akteure darstellt (Jansen 2006: 37). Die Netzwerkdichte (density) kann genauso wie die akteurbezogenen Netzwerkmaße aus den Soziomatrizen errechnet werden. Allgemein wird die Dichte definiert als das Verhältnis der im Netzwerk tatsächlich vorhandenen Beziehungen zu den möglichen Beziehungen (Scott 2005: 71). Somit gibt die Dichte den Grad der Verbundenheit zwischen den Netzwerkakteuren an. Aus ihrer Definition ergibt sich unmittelbar, dass ihr Wert zwischen null und eins liegen muss. Sind alle Akteure des Netzwerks direkt miteinander verbunden, so ergibt sich eine maximale Dichte von ǻ = 1; sind alle Akteure unverbunden gilt für die Dichte ǻ = 0. Neben der Dichte des Gesamtnetzwerks lassen sich auch partielle Dichten auf der Ebene von Subgruppen, also für Teile des Netzwerks, ermitteln. Im Falle kleinerer (Partial-) Netz-
202
Ein besonderes Netzwerkmaß stellt die Quadratic Assignment Procedure-Correlation (QAPKorrelation) dar. Sie geht auf Hubert zurück (Hubert/Schulz 1976; Hubert 1987) und gilt als eine der bedeutendsten Weiterentwicklung des Ansatzes von Katz und Powell (1953), die als erste einen Konformitätsindex entwickelten, um die Zusammenhänge zweier Soziomatrizen zu analysieren. Die QAP-Korrelation kann dazu verwendet werden, um die strukturelle Äquivalenz zwischen Netzwerken eines identischen Akteurssets zu ermitteln. Dadurch ist es möglich, statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen zwei Soziomatrizen zu identifizieren (z.B. Mantel 1967; Hubert/Schulz 1976; Dow/Cheverud/Friedlaender 1987; Hubert 1987; Krackhardt 1987, 1992; Wasserman 1987; Arabie/Hubert 1992; Simpson 2001; Borgatti/Everett/Freeman 2002). Hierzu führt der QAP-Algorithmus die Berechnung der Ähnlichkeit zweier Netzwerkmatrizen in zwei Schritten aus. Zunächst wird der Korrelationskoeffizient nach Pearson (P) zwischen den entsprechenden Zellen der beiden Soziomatrizen berechnet. Dieser Wert wird verglichen mit einem alternativen Wert, der im zweiten Schritt durch die zufällige Permutation der Zeilen und Spalten einer der beiden Matrizen entsteht, wobei dieser Vorgang mehrere hundert bis tausend mal wiederholt wird (Rank 2003: 193). Die Zufallspermutation bildet dabei die Basis für die Signifikanzschätzung der Korrelation.205 Bei einem Signifikanzwert (p) kleiner 0,05 kann von einer hochsignifikanten Korrelation ausgegangen werden; d.h. es bestehen deutliche Zusammenhänge zwischen den Zellenwerten der Soziomatrizen, die nicht auf einem Zufall basieren (Borgatti/Everett/Freeman 2002).
205
werke kann bei einem Dichtewert von ǻ 0,4 von einem kohäsiven Netzwerk gesprochen werden (Jansen 2006: 95). Mit steigender Größe der Netzwerke muss die Dichte allerdings grundsätzlich abnehmen, was durch die begrenzten „Beziehungskapazitäten“ der Akteure begründet ist. So kann in einem Netzwerk mit elf Personen, wie beispielweise einer Fußballmannschaft, ein Akteur durchaus noch mit allen zehn anderen Akteuren direkte Beziehungen unterhalten. Ein Netzwerk von 100 Personen, wie beispielsweise ein Fußballverein, würde aber 99 Beziehungen für einen Akteur bedeuten, welche seine zeitlichen und sozialen Kapazitäten übersteigen würden. Ein weiterer Einflussfaktor für die Netzwerkdichte sind die Beziehungsinhalte des Netzwerks; so sind beispielsweise Bekanntschaftsnetzwerke typischerweise dichter geknüpft als Freundschaftsnetzwerke. Im Falle des Kooperationsnetzwerks kann das Dichtemaß beispielsweise als Indikator herangezogen werden, ob es sich dabei eher um einen losen Verbund einzelner Konzerneinheiten innerhalb eines Portfolios handelt oder um einen integrierten Konzern, bei denen die Einheiten über zahlreiche Verflechtungen untereinander gekennzeichnet sind. Für die weiterführende Beschreibung und formale Herleitung der QAP-Netzwerkkorrelation vgl. z.B. Hubert/Schulz (1976); Hubert/Baker (1978); Dow/Cheverud (1985); Dow/Cheverud/Friedlaender (1987); Wasserman (1987); Burkhardt et al. (1998); Borgatti/Everett (2000); Simpson (2001); Commander (2005); Loiola et al. (2007).
203
3.1.4 Kooperation und Steuerung als multiplexe Netzwerke im Konzern In der vorliegenden Arbeit werden Methoden der Netzwerkanalyse zur Untersuchung der Kooperations- und Steuerungsbeziehungen im Fallstudienkonzern eingesetzt. In einem ersten Schritt lassen sich dabei Kooperation und Steuerung als Totalnetzwerke multiplexen Inhalts unterscheiden. In diesen Netzwerken stellen die Konzerneinheiten die Akteure und ihre Kooperations- bzw. Steuerungsbeziehungen die Verbindungen zwischen ihnen dar. Im zweiten Schritt werden aus den beiden Totalnetzen partielle Netzwerke nach den jeweiligen Beziehungsinhalten extrahiert. Das Kooperationsnetzwerk wird dabei nach den unterschiedlichen Interdependenzformen der ressourcen- und aktivitätenbasierten Zusammenarbeit von Konzerneinheiten differenziert, so dass sich daraus insgesamt vier partielle Interdependenznetze ergeben. Das Steuerungsnetzwerk wird nach den eingesetzten Steuerungsmechanismen innerhalb einer Kooperationsbeziehung zwischen zwei Konzerneinheiten analysiert, was zu insgesamt zehn partiellen Steuerungsnetzen führt. Tabelle 8 gibt einen Überblick über die partiellen Netzwerke der empirischen Untersuchung. Partielle Netzwerke Interdependenznetzwerke
Steuerungsnetzwerke
Sequentielle Interdependenz
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Reziproke Interdependenz
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Gepoolte Interdependenz
Verrechnungspreise
Intensive Interdependenz
Generelle Verfahrenssteuerung Fallweise Verfahrenssteuerung Fallweise Selbstabstimmung Themenspezifische Selbstabstimmung Institutionalisierte Selbstabstimmung Budgetausstattung Personelle Verflechtung
Tabelle 8: Partielle Netzwerke der empirischen Untersuchung (Quelle: Eigene Darstellung)
Um die Zusammenhänge zwischen den Interdependenzformen und dem kombinatorischen Einsatz von Steuerungsmechanismen zu untersuchen (1. Forschungsfrage), werden zunächst sowohl die QAP-Korrelation als auch visuelle Netzwerkmethoden genutzt. Um die Effektivität der genutzten Steuerungskombinationen durch die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Mechanismen erklären zu können (2. Forschungsfrage), gilt es anschließend, die partiellen Steuerungsnetzwerke anhand der QAP-Korrelation zu analysieren. Dabei werden die innerhalb der jeweiligen Kooperationsbeziehungen eingesetzten Steuerungsmechanismen in Bezug zueinander gesetzt. Positive (negative) Korrelationswerte indizieren dabei ein funktionales 204
(dysfunktionales) Wirkungsverhältnis zwischen zwei Mechanismen. Für die Interpretation der visuellen und quantitativen Netzwerkergebnisse werden zudem die qualitativen Erkenntnisse der Fallstudienuntersuchungen sowie theoretisches und empirisches Wissen aus der Literatur206 herangezogen. Die Ausführungen dieses Abschnitts zeigen, dass die Auswahl der im Einzelnen anzuwendenden Analysemethoden maßgeblich von der Art des Netzwerks, der Analyseebene und den interessierenden Beziehungsinhalten abhängen, welche die Forschung anleiten. Die dargestellten Grundlagen der Netzwerkanalyse konzentrierten sich an dieser Stelle auf die in der vorliegenden Untersuchung eingesetzten Verfahren. Diese grundlegenden Ausführungen werden im weiteren Verlauf der Untersuchung um spezielle Aspekte der Netzwerkanalyse ergänzt. Zur Erfassung der für die Netzwerkanalyse erforderlichen Daten lassen sich prinzipiell sowohl quantitative als auch qualitative Erhebungsverfahren verwenden (z.B. Franke/Wald 2006; Hollstein 2006). In der vorliegenden Arbeit wurde mit der Fallstudienforschung eine qualitative Analysemethode gewählt, deren Vorzüge und Verknüpfung mit dem Netzwerkansatz Bestandteile des nachfolgenden Abschnitts sind.
206
Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2 und in Abschnitt 4.3.3.
205
3.2 Qualitative Analyse durch Fallstudienforschung Wie im Falle der Netzwerkanalyse wurde auch mit der qualitativen Fallstudienforschung eine Methode sozialwissenschaftlicher Provenienz gewählt, die in den Wirtschaftswissenschaften erst jüngst etabliert wurde und zunehmend an Bedeutung gewinnt (z.B. Mintzberg 1979b; Abernethy et al. 1999; Siggelkow 2007; Miller/Greenwood/Prakash 2009).207 Sie eignet sich insbesondere für die Exploration208 komplexer und neuartiger Phänomene (z.B. Eisenhardt 1989b; Porter 1991; Ghoshal/Barlett 1994; Brown/Eisenhardt 1995, 1997; Sofaer 1999; Yin 2003; Eisenhardt/Graebner 2007; Santos/Eisenhardt 2009). Gegenüber rein quantitativen Analyseverfahren besitzen qualitative Methoden den Vorteil, dass sie „are likely to be particularly valuable where existing theories are inadequate or incomplete, or explain only a sub-set of the phenomena of interest. In such way, the use of case-based methods can provide a more holistic approach” (Otley/Berry 1994: 47).
Die bisherigen Ausführungen weisen auf derartige Defizite hin: Während aus den Theorien der Governance- und Kompetenz-Perspektive nur wenig anwendungsrelevante Hinweise zur organisatorischen Gestaltung der Konzernsteuerung hervorgehen (Miller/Greenwood/Prakash 2009; Kraaijenbrink/Spender/Groen 2010) und Kombinationsmöglichkeiten sowie Wechselwirkungen zwischen Steuerungsmechanismen bislang gänzlich unerforscht blieben, führten empirische Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen Interdependenzen und Steuerungslösungen teils zu gegensätzlichen Ergebnissen. Erweitert man diese Konstrukte um das Ziel der Mehrwertrealisierung im Konzern sowie die Verknüpfung unterschiedlicher Steuerungsperspektiven betriebswirtschaftlicher Teildisziplinen, so wird die Komplexität und Novität des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit deutlich. Bei der qualitativen Fallstudienforschung geht es somit nicht darum, ex ante formulierte Hypothesen in einem repräsentativen Anwendungsbezug zu testen.209 Genauso wenig erfolgt
207
208 209
Im Vergleich zum quantitativen spielt das qualitative Forschungsparadigma in der deutschsprachigen und internationalen Organisations- und Controllingforschung jedoch eine untergeordnete Rolle. So ergab eine Untersuchung relevanter deutscher Fachzeitschriften (Die Betriebswirtschaft, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung und Zeitschrift für Betriebswirtschaft), dass lediglich 5 Prozent der Beiträge qualitative Forschungsmethodiken verwenden (Schäffer/Brettel 2005: 44). Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in internationalen Fachpublikationen (Academy of Management Journal, Administrative Science Quarterly, Organization Science und Journal of Management); vgl. Larsson/Löwendahl (1996); Shields (1997: 10-11); Scandura/Williams (2000); Burns/Vaivio (2001); Cassell et al. (2006). Zwar besitzen auch andere Forschungsansätze ein gewisses exploratives Potenzial, in den Sozialwissenschaften wird diese Eigenschaft aber gerade bei Fallstudien als zentral angesehen (Kromrey 2006: 526-552). Während einige Autoren auch auf die Möglichkeit qualitativer Studien zum Hypothesentest hinweisen (z.B. Eisenhardt 1989b; Jensen/Rodgers 2001; Yin 2003), wird andernorts kritisiert, dass ein derartiges Vorgehen jedoch bei unzureichenden theoretischen Grundlagen, für die sich qualitative Forschungsmethoden gerade anbieten, lediglich eine Überprüfung nicht fundierter „ad hoc Hypothesen“ zulässt (z.B. Schanz 1990: 141; Tomczak 1992: 79; Kromrey 2006: 90).
206
jedoch ein rein induktives Vorgehen ohne jegliche theoretische oder konzeptionelle Vorstellung über das zu untersuchende Phänomen. Vielmehr sollen die qualitativ gewonnenen Informationen dazu verwendet werden, ein differenziertes und fundiertes Problemverständnis über den Forschungsgegenstand zu entwickeln und zusätzliche Erkenntnisse zu generieren, um zur Anreicherung und Weiterentwicklung theoretischen Wissens beizutragen (Morgan/Smircich 1980; Kromrey 2006).
Güte der Forschungsergebnisse: Validität, Reliabilität, Generalisierbarkeit Forschungsdesign: Forschungsprozess, Datenerhebung und Datenanalyse Forschungsansatz: Fallstudien Methodologische Basis: Theorie-Elaboration
Abbildung 10: Aufbau der qualitativen Untersuchung der Arbeit (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung 10 gibt die Struktur dieses Abschnitts wieder. Aufbauend auf der TheorieElaboration als methodologischer Basis der qualitativen Untersuchung (Abschnitt 3.2.1) wird mit der Fallstudie ihr spezifischer Forschungsansatz vorgestellt (3.2.2). Daran schließt sich das Forschungsdesign an, das den Forschungsprozess, die Datenerhebung und die Datenanalyse umfasst sowie die Verknüpfung der qualitativen Untersuchung mit der Netzwerkanalyse beschreibt (3.2.3). Schließlich werden die Kriterien beschrieben, die zur Sicherstellung der Güte der Forschungsergebnisse aus der empirischen Untersuchung dieser Arbeit herangezogen worden sind (3.2.4).
207
3.2.1 Theorie-Elaboration als methodologische Basis Die Wahl einer geeigneten Basis zur Untersuchung sozialer und organisatorischer Phänomene leitet sich aus der erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Grundposition des Forschers ab (z.B. Scherer 2003, 2006). Diese bestimmt, „welche Methoden man akzeptiert, um zu wissenschaftlich anerkannter Erkenntnis zu gelangen“ (Lamnek 1988: 50). Dabei lassen sich zwei polare epistemologische und ontologische Positionen voneinander unterscheiden (Burrell/Morgan 1979; Morgan/Smircich 1980): Die objektivistisch-positivistische und die subjektivistisch-interpretative Grundposition. Nach den Vertretern des objektivistischen Paradigmas ist die soziale und organisationale Welt objektiv gegeben, konkret und real (z.B. Morgan 1980; Morgan/Smircich 1980; Smircich 1983; Alvesson 2003). Sie wird durch beobachtbare Kausalzusammenhänge zwischen ihren konstituierenden Elementen repräsentiert, deren Systematisierung und Überprüfung das Ziel wissenschaftlichen Forschungsstrebens bilden. Aus einer subjektivistischen Sicht dagegen ist die soziale und organisationale Wirklichkeit nicht objektiv gegeben und messbar, sondern wird durch die Wahrnehmung, Bedeutungszuschreibung und wechselseitige Interpretation der Situation durch ihre Mitglieder konstruiert (z.B. Scherer 2003; Holstein/Gubrium 2005; Kincheloe/McLaren 2005; Schmid 2005: 65-66; Kromrey 2006: 63-68). Die methodologische Basis der vorliegenden Untersuchung stellt die Theorie-Elaboration nach Diane Vaughan (1992) dar. Sie lässt sich auf dem Kontinuum zwischen der objektivistischen und subjektivistischen Sicht einordnen und basiert auf der viel beachteten Grounded Theory von Glaser und Strauss (1967). Glaser und Strauss wenden sich bewusst gegen die beiden polaren Grundpositionen, indem sie einerseits argumentieren, dass eine objektivistische Sichtweise die Distanz zwischen Theorie und Empirie sowie zwischen Feld und Forscher, dessen Sicht der sozialen Realität stets nur unzureichend, unvollständig und vorläufig sein kann, vergrößert. Sie setzen sich mit ihrer Methode daher dafür ein, neue Theorien zu entdecken, die unmittelbar in den empirischen Daten und Einsichten verankert („grounded“) sind und in einem iterativen Prozess zwischen Datenerhebung und -analyse entwickelt werden. Anstelle wissenschaftlicher Monologe auf Basis „weltfremder“ Theorien fordern sie einen aktiven Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis (Schmid 2005: 67). Andererseits rückt ihre Forschungsmethode von einer umfassenden, jedoch ausschließlich deskriptiven Erfassung von Gegenstandsbereichen einer subjektivistischen Sicht ab und sieht die Ableitung allgemeinerer Gesetzmäßigkeiten als zentrales Ziel wissenschaftlicher Forschung (Strauss/Corbin 1996: 7). Die Theorie-Elaboration unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht maßgeblich von der Grounded Theory. Vaughan beschreibt sie als
208
„the process of refining a theory, model, or concept in order to specify more carefully the circumstances in which it does or does not offer potential for explanation” (Vaughan 1992: 175; eigene Hervorhebung).
Theorie-Elaboration setzt damit stets an theoretischem oder konzeptionellem Vorwissen an, um bestehende Konstrukte zu spezifizieren und weiterzuentwickeln.210 Hingegen zielt der traditionelle Ansatz der Grounded Theory weitestgehend auf ein rein empirisches Vorgehen fernab jeglicher Basisannahmen oder Bezugsrahmen ab, um unabhängige und neuartige Theorien entwickeln zu können (Glaser 1992).211 Zum zweiten grenzt sich die Theorie-Elaboration durch eine explizite Konzentration auf den Forschungsansatz der Fallstudie ab, während für Glaser und Strauss grundsätzlich auch andere qualitative Verfahren in Frage kommen (Strauss/Corbin 1997). Nach Vaughan (1992: 175) haben Fallstudien zudem drei wesentliche Funktionen zu erfüllen, um einen Beitrag zur Theorieentwicklung zu leisten: 1. Sie müssen hinreichend Relevanz zur Beantwortung der übergeordneten Forschungsfragen besitzen; 2. Sie müssen sich hinsichtlich ihres inhaltliches Umfangs und ihrer inhärenten Komplexität unterscheiden; 3. Sie sollten unterschiedliche Funktionsbereiche innerhalb von Unternehmen abdecken (z.B. Controlling, Organisation, Produktentwicklung). Dabei plädiert Vaughan dafür, die einzelnen Teile innerhalb einer Fallstudie zunächst unabhängig voneinander zu behandeln. Dadurch soll ihrer Einzigartigkeit Rechnung getragen und ihre idiosynkratischen Details hinreichend erfasst werden, um den höchstmöglichen Erkenntnisgewinn für die Theorie zu generieren. Im Verlauf der Untersuchung sollen die Einzelergebnisse sukzessive integriert werden, um theoretisches Vorwissen kritisch zu reflektieren:
210
211
In der Psychologie bedeutet Elaboration „neue Wissensstrukturen in bestehende Strukturen einzubauen. […] Ein wesentlicher Prozess der Elaboration besteht darin, dass der Lerner sich die Bedeutung der neuen Information erarbeitet. Je intensiver der Lerner über neue Informationen nachdenkt und Beziehungen zu Bekanntem herstellt, desto nachhaltiger werden die neuen Wissenstrukturen mit bestehenden Gedächtnisstrukturen verknüpft. […] Eine wichtige Erkenntnis der Psychologie ist, dass insbesondere Neuheit und Ungewissheit als Eigenschaften von Informationen elaborative Prozesse anregen“ (Satow 2006: 46-47). Strauss und Corbin (1996) haben den ursprünglichen Ansatz der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1967; Glaser 1992) weiterentwickelt und erlauben es dem Forscher, theoretische Annahmen oder Beziehungen in die empirische Untersuchung einzubringen.
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„[T]he data can contradict or reveal previously unseen inadequacies in the theoretical notions guiding the research, providing a basis for reassessment or rejection; the data can confirm the theory the data also can force us to create new hypotheses, adding detail to the theory, model, or concept, more fully specifying it. Because more than one theoretical notion may be guiding an analysis, confirmation, fuller specification, and contradiction all may result from one case study” (Vaughan 1992: 175; eigene Hervorhebung).
Durch die Anwendung der Theorie-Elaboration sollen somit gegenstandsbezogene und nachvollziehbare Theorien entwickelt werden, die als Vorstufe der angestrebten formalen Theorien mit vergleichsweise hoher Generalisierbarkeit und mittlerer Reichweite gelten (Glaser/ Strauss 1967: 79-99; Eisenhardt 1989b; Vaughan 1992; Langley 1999). Aufgrund ihrer weder rein objektivistischen noch rein subjektivistischen Grundposition sowie der Offenheit zu bestehenden theoretischen Erkenntnissen wird die Theorie-Elaboration als geeignete methodische Basis für die vorliegende Arbeit erachtet. Im Sinne des einleitend erhobenen Postulats der Anwendungsorientierung betriebswirtschaftlicher Forschung und den Zielen dieser Untersuchung kann die Wahl der Theorie-Elaboration als methodologische Basis damit wie folgt begründet werden:212 1. Ihre Theorieorientierung ermöglicht es, die theoretische Sensibilität des Forschers zu erhöhen und die empirische Untersuchung zu inspirieren, vorzustrukturieren und zu leiten (Strauss/Corbin 1990: 25-38). Dabei lassen sich die Konstrukte des konzeptionellen Bezugsrahmens einsetzen und im Laufe der Untersuchung weiterentwickeln. Auf diese Weise können auch zusätzliche Gestaltungsfaktoren, die im Bezugsrahmen a priori nicht erfasst worden waren, sich aber bei der Datenerhebung als bedeutend herausstellten, in die Lösungsvorschläge einfließen (Vaughan 1992: 176-177; Meredith 1998: 445; Yin 2003: 45). Aus den empirisch gewonnenen Ergebnissen lassen sich Propositionen über effektive Kombinationsmöglichkeiten und Wechselwirkungen der Steuerung herausarbeiten und mit existierenden Konzepten in Bezug setzen, um zum Prozess der Theorieentwicklung beizutragen. 2. Ihr explorativer Charakter eignet sich besonders dafür, Problembereiche sowie gestaltungsrelevante Einflussfaktoren der Steuerung im spezifischen Kontext des Konzerns zu identifizieren und daraus situative Gestaltungsoptionen zu entwickeln (Eisenhardt 1989b; Vaughan 1992: 175). Dieser Eigenschaft kommt vor allem dann besondere Bedeutung zu, wenn die Grenzen zwischen untersuchtem Phänomen und organisatorischem Kontext nicht evident sind (Eisenhardt/Graebner 2007: 25).
212
Nachfolgend in Anlehnung an Lamnek (2005: 242-270) und Schmid (2005: 67-68).
210
3. Ihr prozessualer Charakter unterstützt eine sukzessive Fallbearbeitung und ermöglicht so eine kontinuierliche Reflektion der Zwischenergebnisse mit theoretischem Wissen (Atteslander 2008: 51; Santos/Eisenhardt 2009: 648). Dadurch bieten sie dem Forscher die Möglichkeit, im Laufe der Untersuchung gezielt Schwerpunkte zu setzen, bis eine theoretische Sättigung der einzelnen Aspekte erreicht ist. 4. Ihr feldnaher Charakter erlaubt es dem Forscher, die gegenwärtige Steuerungspraxis im Konzern unmittelbar und realitätsnah zu erfassen und detailgenau zu analysieren (Yin 2003: 13). Dies spielt insbesondere bei der Untersuchung der Verhaltenswirkungen, die von den eingesetzten Steuerungsmechanismen auf die Organisationsmitglieder ausgehen, eine bedeutsame Rolle. 5. Ihr interpretativer Charakter ermöglicht es schließlich, sowohl die Perspektive der von der Forschungsproblematik betroffenen Organisationsmitglieder als auch die Sicht des Wissenschaftlers und sein theoretisches Vorverständnis in die Lösungsentwicklung einzubeziehen (Atteslander 2008: 298). Zugleich bietet sie den Beteiligten die Möglichkeit, problemrelevante Erfahrungen und Wissen über den Untersuchungsgegenstand auszutauschen. Qualitative Forschung auf Basis der Theorie-Elaboration eignet sich damit gerade für eine mikroanalytische Nahaufnahme komplexer Kooperations- und Steuerungsprobleme im Konzern, weil sie eine detailgetreue und kontextsensitive Analyse der Unternehmenspraktiken ermöglicht, zu der rein-quantitative Verfahren mit ihrer standardisierenden und realitätsverkürzenden Ausrichtung nicht in der Lage wären (Vaughan 1992: 182-184; Walter-Busch 1996: 53-56). Die vordefinierten Hypothesen quantitativer Untersuchungen sind zumeist derart stark verdichtet und abstrakt, dass sie nur über eine vergleichsweise geringe Praxisnähe und -tauglichkeit verfügen (z.B. Guba/Lincoln 1994; Newman/Benz 1998; Holstein/Gubrium 2004). Mintzberg beschreibt diesen Sachverhalt wie folgt: „For while systematic data create the foundation for our theories, it is the anecdotal data that enable us to do the building. Theory building seems to require rich description, the richness that comes from anecdote. We uncover all kinds of relationships in our ‘hard’ data, but it is only through the use of this ‘soft’ data that we are able to ‘explain’ them, and explanation is, of course, the purpose of research” (Mintzberg 1979b: 587; eigene Hervorhebung).
Das eher induktive Verfahren der Theorie-Elaboration fördert somit zugleich die praktische Relevanz und Validität sowie die Nachvollziehbarkeit der theoretischen Aussagen, da sie unmittelbar mit Hilfe der empirischen Daten abgeleitet und untersucht werden (Eisenhardt 1989b). Die befragten Praktiker werden auf diese Weise von reinen Datenlieferanten zu kompetenten Interaktionspartnern, deren Wissen in die Theorieentwicklung einfließen kann (Lamnek 2005: 353). Darüber hinaus ermöglicht die Offenheit und Flexibilität der Theorie211
Elaboration, die vorläufigen Annahmen des konzeptionellen Bezugsrahmens zu hinterfragen und mit dem empirischen Erkenntniszuwachs weiterzuentwickeln.
3.2.2 Forschungsansatz: Einzelfallstudie mit eingebetteten Sub-Cases Aus der erläuterten methodologischen Basis leitet sich der Forschungsansatz der Fallstudie (case study) ab. Der Einsatz von Fallstudien ist ein in der empirischen Organisationsforschung zunehmend etablierter Forschungsansatz (z.B. Eisenhardt 1989b; Pettigrew 1990; Leonard-Barton 1990; Larson 1992; Weick 1993; Larsson 1993; Larsson/Löwendahl 1996; Tripsas/Gavetti 2000; Alvesson 2003; Maurer/Ebers 2006; Ravasi/Schultz 2006; Cassell et al. 2006; Siggelkow 2007; Santos/Eisenhardt 2009), durch den ein weitgehend ungeklärter Sachverhalt in seiner Ganzheit und Komplexität sowie unter Berücksichtigung seines spezifischen Kontexts untersucht werden soll (Yin 1981, 1994, 2003; Stake 2005; Christianson et al. 2009).213 Der Vorteil von Fallstudien besteht darin, dass durch den induktiven und interpretativen Zugang zum Untersuchungsfeld praktisch relevante, empirisch valide und datenbasierte Aussagen unterstützt werden können (Eisenhardt 1989b, 1991; Larsson/Löwendahl 1996; Siggelkow 2007). Im Gegensatz zu großzahligen Studien richtet sich der wissenschaftliche Anspruch nicht auf statistische Häufigkeitsaussagen, vielmehr sollen Fallstudien eine reichhaltige Erfassung der relevanten Aspekte und ihrer Zusammenhänge unter Verwendung verschiedener Datenquellen ermöglichen (Larsson 1993; Schmid 2005: 70; Flyvbjerg 2006; Weick 2007). Anhand von idealtypischen oder ungewöhnlichen realen Fällen lassen sich vor allem Fragen (wer, wie, was, warum?) nach den konkreten Formen und Ursachen sozialer Phänomene beantworten (Miles/Huberman 1994: 10; Yin 2003: 21-22; Siggelkow 2007). Bei der Durchführung von Fallstudien sind neben der spezifischen Forschungsfrage zunächst drei generelle Fragen in Bezug auf die Untersuchungseinheit, die Anzahl der zu untersuchenden Fälle sowie der Untersuchungszeitraum zu klären (Yin 2003: 22-45). Ein Fall ist ein beobachtbares Phänomen in einem eingrenzbaren Kontext (Miles/Huberman 1994: 25). Er entspricht der Untersuchungseinheit, die wiederum die analytische Ebene der Fallstudie festlegt. In der vorliegenden Arbeit stellt die bereichsübergreifende Zusammenarbeit im Konzern das Untersuchungsobjekt dar. Die Kooperations- und Steuerungsbeziehungen zwischen den 213
Auch in der Controlling- und Management Control-Forschung wird zunehmend auf Fallstudien zurückgegriffen, um Steuerungsprobleme zu analysieren: „Im Gegensatz zu einer schriftlichen Fragebogenerhebung ermöglichen Fallstudien einen tieferen Einblick in die ‚Controllerwirklichkeit’. Komplexe Fragestellungen […] lassen sich nur auf dem Wege von Fallstudien detailliert erklären“ (Weber 2008: 60); zum qualitativen Forschungsparadigma innerhalb der Management Control-Forschung vgl. z.B. Scapens (1990); Otley/Berry (1994).
212
Konzerneinheiten, d.h. die zugrunde liegenden Interdependenzformen und eingesetzten Steuerungsmechanismen, bilden die Untersuchungseinheiten. Hinsichtlich der Anzahl lassen sich Einzelfallstudien (single case studies) von vergleichenden Fallstudien (multiple case studies) unterscheiden (Yin 2003: 39-53). Die Einzelfallstudie versucht meist anhand extremer, kritischer oder besonderer Fälle vorhandene Theoriekonstrukte in Frage zu stellen oder unerforschte Phänomene aufzudecken (Stake 2005; Siggelkow 2007). Durch die Konzentration auf weniger Fälle mit einer höheren Untersuchungsintensität kann ein ganzheitliches Verständnis komplexer Untersuchungsgegenstände und deren Einbettung in einen sozialen Handlungskontext erreicht werden (Eisenhardt 1989b; Haag 1994: 271; Göbel 2009: 249). Handelt es sich um ein Phänomen, zu dem Forscher bislang noch keinen Zugang hatten und dessen Untersuchung einzigartige Erkenntnisimplikationen verspricht, so bietet sich eine Einzelfallstudie an (Yin 2003: 42; Stake 2005). Mittels Mehrfachfallstudien können hingegen übergreifende Beziehungsmuster identifiziert und Forschungsbefunde durch Gegenüberstellung der Fälle kritisch hinterfragt und ausdifferenziert werden (Eisenhardt 1991). Sie versprechen eine bessere Vergleichbarkeit von Ergebnissen und werden von ihren Befürwortern als vertrauenswürdiger, überzeugender und robuster angesehen, da sie eine bessere Ableitung generalisierbarer Ergebnisse ermöglichen (Eisenhardt 1989b: 541; Larsson 1993; Miles/Huberman 1994: 29; Eisenhardt/Graebner 2007).214 Dem wird engegengesetzt, dass mehrere Fälle oftmals nicht so intensiv erhoben werden wie nur ein Fall (Braunschmidt 2005: 74), weshalb die Vertreter der klassischen Fallstudienforschung215 der Ansicht sind, dass es von Vorteil ist, nur einen einzigen Fall, und diesen dafür gründlich und umfassend zu erheben, da die Entdeckungen und Ergebnisse besser zum Verständnis eines Phänomens und zur Theorieentwicklung beitragen: „But unlike Eisenhardt, who primarily argues for comparisons across organizational contexts, the classical case study researchers tend to focus on comparisons within the same organizational context. The most critical trade-off facing the researcher in this regard is between the deep understanding of a particular social setting and the benefits of comparative insights. Thus, the more contexts a researcher investigates, the less contextual insight he or she can communicate” (Dyer/Wilkens 1991: 614).
Um vom Einzelfall zu abstrahieren und die Generalisierbarkeit der Erkenntnisse zu erhöhen, zugleich aber die Reichhaltigkeit des organisatorischen Kontextes zu bewahren, werden bei 214
215
Zwar plädiert Eisenhardt aufgrund ihrer umfangreicheren Datenbasis und besseren Vergleichbarkeit für die Durchführung multipler Fallstudien, räumt Einzelfallstudien mit mehreren eingebetteten Sub-Cases jedoch selbige Vorteile ein: „With fewer than 4 cases, it is often difficult to generate theory with much complexity, and its empirical grounding is likely to be unconvincing, unless the case has several mini-cases within it“ (Eisenhardt 1989b: 545). Vgl. z.B. Mintzberg (1979b); Vaughan (1992); Dyer/Wilkens (1991) sowie die dort zitierten Verfasser von Einzelfallstudien.
213
der vorliegenden Untersuchung mehrere Fallstudienbeispiele innerhalb eines Fallstudienkonzerns („embedded sub-cases“, „cases-in-the-case“, „mini-cases“) untersucht (Eisenhardt 1989b: 545; Yin 2003: 42-46; Stake 2005: 451). Auf diese Weise lässt sich das komplexe Zusammenspiel zwischen der Steuerung der geschäftsbereichsübergreifenden Zusammenarbeit, unterschiedlichen Interdependenzformen und Mehrwertschaffung detailliert erheben und auswerten. Zugleich ermöglichen die eingebetteten Sub-Cases eine fallübergreifende Vergleichbarkeit der Wirkungsweisen der eingesetzten Steuerungsmechanismen, so dass sich von Wirkungsunterschieden, die möglicherweise auf unterschiedliche organisatorische Rahmenbedingungen zurückzuführen wären, absehen lässt. Ferner bietet der Einblick in die Steuerungspraxis eines führenden Telekommunikationskonzerns eine seltene Gelegenheit, wertvolle Erkenntnisse für die Wissenschaft zu erschließen, und rechtfertigt nach Siggelkow (2007) allein genommen schon die Fokussierung auf einen einzigen Fall. Neben der Anzahl lassen sich Fallstudien nach ihrem Untersuchungszeitraum unterscheiden. Während bei einer Längsschnittuntersuchung ein komparativ-statischer Vergleich des Untersuchungsobjekts über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird, um Zeitreihen und Trends aufzudecken, erfolgt die Analyse bei der Querschnittsuntersuchung zu einem bestimmten Zeitpunkt (Pettigrew 1990; Erdfelder et al. 1996: 539; Jensen/Rodgers 2001: 237-239). Um die Steuerung der geschäftsbereichsübergreifenden Zusammenarbeit im Konzern differenziert zu erfassen, enthält der Bezugsrahmen bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente, deren Ausprägungen und Wirkungszusammenhänge im Fallstudienunternehmen detailliert erhoben werden sollen. Eine Untersuchung, wie sich die einzelnen Elemente im Zeitablauf verändern, würde möglicherweise zusätzliche Erkenntnisse offenbaren, stünde jedoch in keinem vertretbaren Verhältnis zur damit einhergehenden Komplexitätssteigerung, die eine übersichtliche und nachvollziehbare Darstellung erschwert. Aus diesen Gründen fiel die Entscheidung auf eine zeitpunktbezogene Querschnittsuntersuchung.
214
3.2.3 Forschungsdesign: Forschungsprozess, Datenerhebung und Datenanalyse Auf Grundlage der Theorie-Elaboration und des Fallstudienansatzes kann nun im Forschungsdesign das konkrete Vorgehen von der Definition der Forschungsfrage über die Datenerhebung und -analyse bis zur Ableitung der Forschungsergebnisse beschrieben werden (Yin 2003: 21-28; Kromrey 2006: 71-80). Forschungsprozess Im Sinne der in der qualitativen Sozialforschung geforderten Offenheit und Flexibilität war der Forschungsprozess durch ein starkes iteratives Vorgehen geprägt, durch das die Forschungsfragen, Methoden und der Feldzugang im Laufe der Studie schrittweise entwickelt worden sind. Den Ausgangspunkt einer jeden empirischen Untersuchung bildet die Spezifizierung der Forschungsfrage. Sie definiert die analytischen Konstrukte der Studie, bestimmt die Wahl geeigneter Methoden und fokussiert das weitere Vorgehen (Yin 2003: 5-7). Die Forschungsfrage kann einerseits vor Beginn der Studie deduktiv aus der Fachliteratur abgeleitet werden oder andererseits während der Studie induktiv aus dem empirischen Material entwickelt werden (Eisenhardt 1989b: 536). In der vorliegenden Arbeit wurde eine Kombination aus Induktion und Deduktion gewählt. Dabei erfolgte die Erhebung und Analyse der Daten zum Teil parallel, so dass gezielt Einfluss auf den weiteren Untersuchungsverlauf genommen werden konnte (Kromrey 2006: 207-209). Der Forschungsprozess lässt sich in zwei Phasen einteilen. In der Vorabexploration (September 2008 - April 2009) ging es zunächst darum, die praktische Relevanz der theoretisch deduzierten Forschungsfragen zu überprüfen (Bradbury/Bergmann Lichtenstein 2000: 561). Hierzu wurden insgesamt 18 narrative Interviews mit Experten aus dem Fallstudienkonzern durchgeführt.216 Der Expertenkreis umfasste zum einen Mitarbeiter aus dem Controlling- und Organisationsbereich der Konzernzentrale sowie Vertreter aus den strategischen Geschäftsbereichen der TRICONNECT. Zum anderen wurden externe Unternehmensberater aus drei Beratungsgesellschaften befragt, die mit der Durchführung eines Projekts zur Optimierung der Konzernsteuerung beauftragt worden waren. Zusätzlich galt es in dieser Phase, erste Fachgespräche mit Wissenschaftlern durchzuführen, um bereits frühzeitig die empirischen Erkenntnisse einzuordnen und kritisch zu reflektieren. Tabelle 9 gibt die wesentlichen Rahmeninformationen der Vorabexplorationsphase wieder. 216
Von diesen 18 Experteninterviews wurden insgesamt 16 auf einem Tonbandgerät aufgezeichnet, so dass sich der Forscher während des Gesprächs vollständig auf den Interviewpartner konzentrieren konnte und die Inhalte anschließend weiterverwendet werden konnten. Auf Basis der Aufzeichnungen wurden die wichtigsten Gesprächsergebnisse schriftlich protokolliert und fallweise den Interviewpartnern zum Zwecke der Abstimmung übermittelt.
215
Erhebungszeitraum
September 2008 - April 2009
Interviewtechnik
Offenes, narratives Interview
Anzahl der Interviews
18
Anzahl der Interviewpartner
20
- Interne Mitarbeiter
10
- Externe Unternehmensberater
10
Interviewdauer (ca. Durchschnitt)
30 - 90 Minuten (60 Minuten)
Ergebnissicherung
Tonbandaufzeichnungen Gesprächsprotokolle Projektdokumentationen
Tabelle 9: Methodische Eckdaten zur Vorabexplorationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
Neben der Entwicklung eines empirischen Grundverständnisses konnten im Rahmen der Vorabexploration Problembereiche der Steuerung im Fallstudienkonzern identifiziert werden.217 Als erstes zentrales Problem stellte sich die bereichsübergreifende Realisierung von „Synergien“ heraus. Aufgrund hoher Wachstumsraten im Telekommunikationsmarkt agierten die strategischen Geschäftsfelder des Fallstudienkonzerns in der Vergangenheit weitestgehend unabhängig voneinander. Die Konzernleitung verfolgte dabei zumeist eine Mobilisierungsstrategie, was zu einer rein finanzorientierten Ergebnissteuerung dieser Einheiten führte. Lagen damals konzerninterne Leistungsverflechtungen vor, so wurden diese vornehmlich durch interne Märkte und preisliche Mechanismen koordiniert. Die zunehmende Marktsättigung sowie die Konvergenz von Festnetz-, Mobilfunk- und Internetprodukten führten jedoch zu Umsatzrückgängen für den Konzern und damit zur Notwendigkeit, interne Kooperationsrenten aus der Zusammenarbeit seiner Teileinheiten zu erschließen, um die Wettbewerbsposition nachhaltig zu sichern (TriConnect 2008a, 2008b). In der Konsequenz führte dies einerseits zu einer zunehmenden Zusammenführung ehemals dezentralisierter Funktionen in Shared Service Center (Spezialisierungsstrategie); andererseits wurde die geschäftsfeldübergreifende Produktentwicklung und Marktbearbeitung (Synergiestrategie) als explizites strategisches Ziel vom Konzernvorstand verabschiedet (TriConnect 2010). Diese erste praktische Problemstellung führte dazu, dass die Mehrwertschaffung als spezifisches Steuerungsziel in den Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung gerückt wurde. Zweitens stand der Fallstudienkonzern vor dem Problem, dass trotz eines simultanen Einsatzes zahlreicher unterschiedlicher Steuerungsinstrumente (u.a. Kennzahlensysteme, Anreizmechanismen, Top-Management Reports, Prozessstandards, Abstimmungsboards, Mit217
Zu den praktischen Problemstellungen im Fallstudienkonzern vgl. auch die einleitenden Ausführungen in Abschnitt 1.1.
216
zeichnungsrechte) die Steuerung der Konzerneinheiten respektive ihrer Kooperationsbeziehungen aus Sicht der Unternehmensführung nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen führte. Aus diesem Grund beauftragte der Konzernvorstand das o.g. Projekt („Agenda 2009 Developing an Integrated Corporate Control Concept“), das geschäftsfeldübergreifend und unter Beteiligung von mehr als 150 internen und externen Projektmitarbeitern über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren durchgeführt wurde (TriConnect 2008a, 2008b). Dieses zweite Praxisproblem führte zur Fokussierung der Forschungsfragen auf die Wechselwirkungen der Steuerung, um Gestaltungshinweise über effektive Kombinationsmöglichkeiten von Steuerungsmechanismen zur Realisierung der Mehrwertpotenziale im Konzern zu entwickeln. Neben der Überprüfung der praktischen Relevanz und der daraus resultierenden Spezifizierung der Forschungsfragen konnten die Expertengespräche der Vorabexplorationsphase dazu genutzt werden, Extremfälle als potenzielle Sub-Cases zu identifizieren und Ansprechpartner aus den beteiligten Konzerneinheiten zu benennen. Als extrem wurden diejenigen Kooperationsbeziehungen erachtet, deren Steuerung aus Sicht der Vertreter aus der Konzernzentrale besonders anspruchsvoll bzw. problematisch erschien, und die ihrer Meinung nach über besondere Mehrwertpotenziale verfügten. Nach der Identifikation dieser potenziellen Sub-Cases wurden erste Gespräche mit Mitarbeitern der beteiligten Konzerneinheiten und o.g. Unternehmensberatern geführt. Dadurch konnten die subjektiven Einschätzungen der Mitarbeiter aus der „steuernden“ Konzernzentrale mit denen aus den „gesteuerten“ Konzerneinheiten sowie mit der neutralen externen Sichtweise abgeglichen und die Relevanz der Fallbeispiele überprüft werden.218 Schließlich waren die Ergebnisse der Vorabexploration auch für die Auswahl der Netzwerkanalyse verantwortlich. Für die mikroanalytische und relationale Untersuchung von Kooperation und Steuerung sprach dabei vor allem die Tatsache, dass der Fallstudienkonzern in der Vergangenheit zahlreiche aufbauorganisatorische Restrukturierungsmaßnahmen durchgeführt hatte, deren erhoffter Erfolg bis zum Studienbeginn weitgehend ausblieb. So konnte neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn durch die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden auf den Untersuchungsgegenstand der Steuerung auch die praktische Relevanz dieses Vorgehens sichergestellt werden.
218
Die Zwischenergebnisse unterlagen einer Abstimmung mit dem verantwortlichen Betreuer aus dem Fallstudienkonzern (Mitglied der Geschäftsführung der Konzernzentrale und des Steuerungskomitees des o.g. Projekts) und der wissenschaftlichen Betreuerin dieses Forschungsvorhabens, so dass die Sub-Cases I, II und III (Abschnitte 4.2.1, 4.2.2 und 4.2.3) festgelegt und das weitere Vorgehen daraufhin strukturiert werden konnten.
217
In der Explorationsphase wurden weitere 38 Interviews mit Mitarbeitern des Fallstudienkonzerns durchgeführt. Neben der Identifikation von zwei zusätzlichen Sub-Cases219 wurden darin die Daten für die qualitative Fallstudienanalyse sowie für die quantitative und visuelle Netzwerkanalyse erhoben und ausgewertet. Tabelle 10 fasst die wesentlichen Rahmeninformationen der Explorationsphase zusammen. Das Vorgehen in dieser Phase wird nachfolgend ausführlich beschrieben. Erhebungszeitraum
Juni 2009 - November 2009
Interviewtechnik
Teilstrukturiertes Interview
Anzahl der Interviews
38
Anzahl der Interviewpartner
44
- Interne Mitarbeiter
44
- Geschäftsführung, Chief Financial Officer, Chief Operating Officer, Senior/ Executive Vice President
12
- Bereichs-, Abteilungs-, Stabsleiter, Vice President
23
- Fach-, Projektmitarbeiter
9
Interviewdauer (ca. Durchschnitt)
60 - 120 Minuten (90 Minuten)
Ergebnissicherung
Tonbandaufzeichnungen Interviewtranskripte Gesprächsprotokolle Projektdokumentationen Fachspezifikationen Organigramme
Tabelle 10: Methodische Eckdaten zur Explorationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
Datenerhebung Da bei Fallstudien eine ganzheitliche und reichhaltige Betrachtung der untersuchten Phänomene im Vordergrund steht, werden bei der Datenerhebung in der Regel mehrere Methoden kombiniert (Denzin 1978: 28; Patton 1987: 60-61, 1999; Lamnek 2005: 299). Diese Methodentriangulation – definiert als „the combination of methodologies in the study of the same phenomenon” (Denzin 1978: 291) – fördert die Güte der erhobenen Daten in dreifacher Weise (Mathison 1988: 16-17; Seale 1999: 472-475; Yin 2003: 97-106; Schmid 2005: 86): Erstens trägt sie dazu bei, ein vollständiges Bild der Untersuchungseinheit zu erhalten, da Informatio219
Dieses sind die Sub-Cases IV und V (Abschnitte 4.2.4 und 4.2.5).
218
nen, die mit Hilfe einer Methode nicht gewonnen werden konnten, durch eine andere Verfahrensweise verfügbar gemacht werden können. Zweitens lassen sich wissenschaftliche Artefakte und subjektive Fehlinterpretationen vermeiden, indem Unzulänglichkeiten, die durch den Einfluss des Forschers oder des Interviewpartners entstanden sind, durch andere Methoden aufgedeckt und behoben werden können (Lamnek 2005: 299). Insbesondere, wenn Informationen teilweise retrospektiv erhoben werden, kann eine unvollständige oder verzerrte Darstellung durch den Interviewten mittels einer Befragung weiterer Personen und durch den Einsatz weiterer Erhebungstechniken (z.B. Dokumentenanalyse) erkannt werden. Drittens entspricht die Kombination verschiedener Methoden mehreren „Messungen“ des gleichen Phänomens aus unterschiedlichen Blickwinkeln und fördert damit auch die Konstruktvalidität der Fallstudie (Eisenhardt 1989b: 538). In der vorliegenden Arbeit erfolgte die Datenerhebung durch (1.) teilstrukturierte Experteninterviews im Fallstudienkonzern, (2.) Auswertung von unternehmensinternen und -externen Sekundärinformationen und (3.) Befragung akademischer Fachvertreter und zusätzlicher Branchenexperten. Die Anwendung dieser Techniken erfolgte in unterschiedlicher Intensität, wobei Interviews als kommunikative und interaktive Erhebungsmethode der größte Stellenwert beigemessen wurde. In den beiden Forschungsphasen wurden insgesamt 56 Interviews mit 64 Gesprächspartnern durchgeführt.220 Die befragten internen Mitarbeiter stammten aus 36 unterschiedlichen Konzerneinheiten.221 Die Interviews wurden vom Forscher selbst in den Firmenräumen des Fallstudienkonzerns durchgeführt.222 In 48 Interviews erfolgten Einzelbefragungen, und in acht Fällen wurden zwei Gesprächspartner gemeinsam befragt. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte iterativ und kumulativ nach dem SchneeballPrinzip223 und im Sinne eines theoretischen Samplings nicht statistisch repräsentativ, sondern problemorientiert und konzeptgetrieben (Miles/Huberman 1994: 29; Strauss/Corbin 1996: 150). Im Vordergrund stand dabei, möglichst aussagekräftige Informationen über die Koope-
220 221
222
223
Da einige Interviewpartner zweimal befragt wurden bzw. an den Gesprächen mit anderen Experten teilgenommen haben, beläuft sich die Gesamtzahl unterschiedlicher Personen auf 53. Neben den Interviewpartnern aus den 29 Konzerneinheiten, deren Kooperationsbeziehungen die Sub-Cases bilden, nahmen an den Gesprächen Mitarbeiter aus folgenden Organisationseinheiten teil: Konzernorganisation, Strategisches Konzerncontrolling, Controlling Konzernzentrale und Shared Services, Divisionscontrolling, Mergers & Acquisitions, Strategisches Projektmanagement und Divisionsprojektmanagement. In der Explorationsphase wurde ein Interview telefonisch durchgeführt, da der Gesprächspartner nicht am Hauptstandort des Fallstudienkonzerns beortet war und eine gesonderte Anreise unter Kosten-/ Nutzenaspekten nicht zu rechtfertigen war. In der Vorabexplorationsphase erfolgten aus selbigem Grund drei Folgeinterviews telefonisch, nachdem die Personen jedoch vorab bereits persönlich befragt worden waren. Das Schneeball-Prinzip stellt ein Auswahlverfahren dar, bei dem die ersten Interviewpartner aufgrund ihres Bezugs zum Untersuchungsgegenstand gezielt ausgesucht werden und diese dann weitere Gesprächspartner benennen (Schnell/Hill/Esser 2008: 300).
219
rations- und Steuerungsbeziehungen der Konzerneinheiten zu gewinnen; zugleich sollten aber auch Kontextinformationen erhoben werden, um gestaltungsrelevante Einflussfaktoren der Steuerung zu identifizieren (vgl. Abschnitt 4.3.3). Hierzu wurden zwei Arten von Interviewpartnern befragt: Mitarbeiter aus der Konzernzentrale und solche aus den kooperierenden Konzerneinheiten (Brown/Eisenhardt 1997). Grundsatz hierbei war es, Vertreter aus sämtlichen Organisationseinheiten zu befragen, deren Kooperations- und Steuerungsbeziehungen einen Sub-Case konstituieren.224 Die Erhebung dieser Informationen erfolgte dabei teilweise auch Sub-Case übergreifend, d.h., innerhalb eines Interviews wurden nicht nur die spezifischen Daten eines Sub-Cases erhoben, sondern auch zusätzliche Informationen über andere Beziehungen der Konzerneinheiten, die einem anderen Sub-Case zuzuordnen waren.225 Auf diese Weise bildete sich ein Netzwerk an Kooperations- und Steuerungsbeziehungen heraus, mit dessen Hilfe weitere beteiligte Konzerneinheiten und Interviewpartner identifiziert werden konnten. Abbildung 11 gibt einen Überblick über die Anzahl der Interviews pro SubCase, die in der Explorationsphase durchgeführt worden sind.
7
Sub-Case I
13
Sub-Case II 8
Sub-Case III Sub-Case IV
10 5
Sub-Case V übergreifend
3
Abbildung 11: Anzahl der Interviews pro Sub-Case in der Explorationsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
224
225
Lediglich innerhalb des ersten Sub-Cases wurde auf eine vollständige Expertenbefragung aller Konzerneinheiten verzichtet, welche die Leistungen der Shared Service Center in Anspruch nehmen. Neben den Interviewpartnern aus den Shared Service Centern wurden jedoch auch Vertreter aus der Konzernzentrale sowie vereinzelt auch Mitarbeiter aus den abnehmenden Konzerneinheiten befragt. Aus diesem Grund beläuft sich die Summe der Interviews pro Sub-Case auf 46 (Abbildung 12).
220
Den Interviewpartnern wurden teilweise gleiche Fragen zum Untersuchungsgegenstand gestellt, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihren Standpunkt zu vermitteln und Problembereiche zu benennen. Diese Vorgehensweise bot dem Forscher einen differenzierten Einblick in die Kooperations- und Steuerungspraxis des Fallstudienkonzerns. Die Kombination unterschiedlicher Einzelperspektiven und Betrachtungsebenen im Sinne einer Perspektiventriangulation war wichtig, um mögliche Verzerrungen durch die Befragten zu erkennen (Jick 1979: 603-604; Mathison 1988: 14-15; Bacharach et al. 1996: 484). Die Experteninterviews der zweiten Phase dieser Studie erfolgten in teilstrukturierter Form. Ähnlich zum problemzentrierten Interview (Witzel 2000; Mayring 2002: 67-72; Lamnek 2005: 364) wurde damit eine mittlere Variante zwischen einem narrativen und einem stark strukturierten Interview gewählt. Bei der teilstrukturierten Form der Befragung handelt es sich um Interviews, die aufgrund vorbereiteter und vorformulierter Fragen stattfinden, wobei die Abfolge der Fragen offen ist. Wie beim narrativen Interview besteht dabei die Möglichkeit, Themenbereiche, die sich aus dem Gespräch ergeben, aufzunehmen und sie von den Antworten ausgehend weiter zu verfolgen (Atteslander 2008: 124). Diese Interviewtechnik ermöglichte einerseits eine Orientierung der Gespräche an den theoretischen Konstrukten des konzeptionellen Bezugsrahmens, andererseits bot sie den Interviewpartnern viel Freiraum, individuell auf die Fragen zu reagieren und in den Antworten ihre eigene Sicht darzustellen (Mayring 2002: 66-67; Lamnek 2005: 335). Zugleich konnten so die o.g. Gestaltungsfaktoren identifiziert werden, die für die Beantwortung der Forschungsfragen Relevanz besitzen, im Bezugsrahmen bis dato jedoch noch nicht erfasst worden waren. Bei der Durchführung der Befragungen wurde ein Gesprächsleitfaden als Orientierungsrahmen eingesetzt, um die Interviews grob zu strukturieren und eine vollständige Beantwortung der wichtigsten Untersuchungsfragen zu unterstützen. Der Gesprächsleitfaden (Anhang I) gliederte sich in vier grobe Fragenblöcke, wobei pro Themenbereich häufig eine generelle Einleitungsfrage genügte, um das Gespräch zu beginnen, auf die dann konkretere Fragen zur Klärung oder Vertiefung folgten:226
226
Schmid (2005: 88-89) nennt drei Prinzipien, die sich auch bei der Interviewführung im Rahmen dieser Studie bewährt haben: (1.) Aufbau einer offenen Gesprächssituation durch eine prägnante Einführung zur Studie, zum Forschungsinteresse und zu den bereits geführten Interviews, durch einfache Einstiegsfragen sowie durch den Hinweis auf die Anonymisierung der Daten; (2.) ansprechende Interviewgestaltung durch Visualisierung der Sachverhalte und Bereitstellung relevanter Informationen aus vorherigen Befragungen; (3.) Vervollständigen der benötigten Informationen durch hartnäckiges Abfragen von Fakten, durch Erfragen von zusätzlichen Dokumenten (z.B. Projektinformationen, Organigramme, Berichte) sowie durch eine zirkuläre Wiederholung von Fragen zu gleichen Sachverhalten, wenn diese nicht hinreichend beantwortet worden waren.
221
1. Einführung: Persönlicher Hintergrund des Interviewpartners, Aufgaben- und Kompetenzbereich, hierarchische Position, organisatorische Zuordnung u.a. 2. Kooperationsbeziehungen: Ziele und Inhalte der Zusammenarbeit, beteiligte Konzerneinheiten, Aufgaben- und Kompetenzverteilung, eingesetzte Güter und Leistungen (Ressourcen- und Aktivitäteninterdependenzen), Rahmenbedingungen, Hindernisse, Problembereiche und kritische Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit u.a. 3. Steuerung der Kooperationsbeziehungen: Einsatz von Steuerungsinstrumenten, Berichtswege, Ziel- und Verfahrensbestimmung, Motivations- und Anreizsysteme, Rolle der Instanz bzw. Konzernzentrale, Rolle der Controlling- bzw. Organisationsfunktion, Rahmenbedingungen, Hindernisse, Problembereiche und kritische Erfolgsfaktoren der Steuerung u.a. 4. Abschluss: Zusätzliche relevante Aspekte aus Sicht des Interviewten, Benennung weiterer Konzerneinheiten, Gesprächspartner und Fallstudienbeispiele u.a. Bei der Gesprächsführung wurde weitgehend auf wissenschaftliche Fachtermini verzichtet, um die Gesprächspartner zu ermuntern ihre unternehmensspezifischen Ausdrücke zu verwenden (Buckley/Chapman 1997: 289). Entsprechend der Grundsätze einer offenen und flexiblen Theorieentwicklung wurde der Gesprächsleitfaden im Laufe des Forschungsprozesses weiterentwickelt (Eisenhardt 1989b; Lamnek 2005: 350-367). Erstens galt es, die Interviewfragen an den jeweiligen Gesprächspartner (z.B. Zentrale/Konzerneinheit) und die spezifische Kooperationssituation anzupassen, zweitens im Verlauf der empirischen Untersuchung bereits hinreichend geklärte Fragen auszuschließen und erste Forschungserkenntnisse in die Interviews zu integrieren.227 Die Interviews wurden auf einem Tonbandgerät aufgezeichnet und vollständig wörtlich transkribiert (Mayring 2002: 89- 94; Höld 2007: 660). Durch die Transkription entstand eine vollständige Textfassung des verbal erhobenen Materials, welche rund 800 Seiten (DIN-A4) umfasst und die Grundlage für die interpretative Auswertung bildete. Zusätzlich wurden in einer Interviewdatenbank wesentliche Rahmeninformationen dokumentiert und in einem Interviewlogbuch inhaltliche und methodische Überlegungen sowie informelle Gespräche vor oder nach dem aufgezeichneten Interview festgehalten (Yin 2003: 105-106; Lamnek 2005: 616). Schließlich kamen vereinzelt auch Postskripte zum Einsatz, in denen zusätzliche untersuchungsrelevante bzw. interviewbezogene Aspekte aus den Befragungen aufgenommen wurden (Witzel 2000).
227
So wurden beispielsweise die identifizierten Gestaltungsfaktoren in späteren Interviews explizit abgefragt, um ihre tatsächliche Relevanz zu prüfen.
222
Als zweite Methode der Datenerhebung wurden unternehmensinterne und -externe Dokumente gesammelt und ausgewertet. Interne Dokumente umfassten beispielsweise Organigramme, Gremienlandschaft, Verfahrens- und Projektdokumentationen, Projektdokumente sowie Methodenrichtlinien. Sie wurden dem Forscher entweder von den Interviewpartnern zur Verfügung gestellt oder waren im Intranet des Unternehmens verfügbar. Externe Dokumente beinhalteten öffentlich zugängliche Informationen über den Fallstudienkonzern wie Jahresabschlüsse, Lageberichte, Bilanzen, Unternehmensdarstellungen, Internetpräsenzen sowie Medien- und Presseberichte. Diese Sekundärdaten stellten eine wichtige Ergänzung dar, um die Primärdaten zu überprüfen und zu vervollständigen. Schließlich wurden Kontakte des Forschers zu Branchenexperten und zusätzlichen Mitarbeitern des Fallstudienkonzerns genutzt, um die Forschungsergebnisse zu diskutieren und die Belastbarkeit der Aussagen zu überprüfen. Wenngleich diese Gespräche eher informeller Natur waren, so leisteten sie dennoch einen wichtigen Beitrag zur Qualität der Ergebnisse. Die teilstrukturierten Experteninterviews bildeten jedoch die zentrale Erhebungsmethode des triangulativen Vorgehens, welche durch die Dokumentenanalyse und zusätzliche Expertengespräche ergänzt und validiert worden sind. Datenanalyse Die Analyse und Auswertung des erhobenen Interviewmaterials unterlag der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008). Der Analyseprozess erfolgte dabei teilweise parallel zur Datenerhebung, was zu einer offenen und flexiblen Theorieentwicklung beitrug (Santos/Eisenhardt 2009: 648), zugleich aber zu Beginn der Untersuchung die analytische Komplexität erhöhte, da sich die Daten erst im Laufe der Studie verdichten und in Bezug setzen ließen. Bei der Inhaltsanalyse lassen sich induktive von deduktiven Techniken der Kategorienbildung unterscheiden. Die Entscheidung, ob deduktive oder induktive Kategorienbestimmung angewendet wird, leitet sich zum einen aus den Forschungszielen der Arbeit und der methodologischen Basis der empirischen Untersuchung ab; zum anderen wird sie durch die (Nicht-) Existenz theoretischer und konzeptioneller Grundlagen determiniert. In der vorliegenden Arbeit wurde eine Kombination dieser Techniken gewählt. Im Falle der Interdependenzformen, Mehrwertarten und Steuerungsmechanismen konnte auf entsprechende Konstrukte zurückgegriffen werden (vgl. die Abschnitte 2.2, 2.3 und 2.4), weshalb sich hierfür die deduktive Vorgehensweise anbot. Im Gegensatz dazu bot sich ein theoriegeleitetes Vorgehen zur Identifikation der relationalen Gestaltungsvariablen aufgrund der hohen Anzahl möglicher Einflussfaktoren sowie ihrer tatsächlichen Relevanz nicht an, wie bereits oben argumentiert wurde. Da Wechselwirkungen in der Literatur bislang ebenfalls nicht behandelt worden sind, wurde auch hierfür ein induktives Vorgehen für die Bestimmung ihrer Kategorien genutzt. Während die deduktiven Kategorien bereits zu Beginn der Datenanalyse feststanden, wurden die induktiven 223
Kategorien während des Auswertungsprozesses mehrfach angepasst, was ebenfalls ein Indiz für ihre höhere Flexibilität gegenüber der deduktiven Vorgehensweise ist. Deduktive Kategorienbildung
Induktive Kategorienbildung
Interdependenzformen
Steuerungsmechanismen
Rel. Gestaltungsvariablen
Wechselwirkungen
Sequentielle Interdependenz
Spezifische Ergebniskontrollen
Interessensdivergenz
Funktionale Effekte
Reziproke Interdependenz
Übergreifende Ergebniskontrollen
Kognitive Asymmetrie
Dysfunktionale Effekte
Gepoolte Interdependenz
Verrechnungspreis
Intensive Interdependenz
Generelle Verfahrenssteuerung
Mehrwertarten
Fallweise Verfahrenssteuerung
Gem. Nutzung von Ressourcen
Fallweise Selbstabstimmung
Transfer von Ressourcen
Themenspezifische Selbstabst.
Nutzung/Transfer p. Fähigkeiten
Institutionalisierte Selbstabst.
Vertikale Komplementaritäten
Budgetausstattung
Horizontale Komplementaritäten
Personelle Verflechtung
Tabelle 11: Kategorien der qualitativen Analyse (Quelle: Eigene Darstellung)
Nachdem die Kategorien feststanden (Tabelle 11), erfolgte die Analyse und Auswertung des Datenmaterials durch die Methode der inhaltlichen Strukturierung (Mayring 2008: 82-85), die darauf abzielt, bestimmte Strukturen aus den erhobenen Daten herauszufiltern, indem das Kategoriensystem (Anhang II) an das Material herangetragen wird. Alle Textpassagen, die durch die Kategorie angesprochen werden, werden aus dem Material regelgeleitet extrahiert und ihr zu geordnet. Hierzu müssen a priori eindeutige Kriterien bestimmt werden, wann ein Textbestandteil einer bestimmten Kategorie zuzuordnen ist (Kromrey 2006: 326-336; Mayring 2008: 83). Hierzu wurde zunächst eine Definition der Kategorien vorgenommen, die regelt, welche inhaltlichen Anforderungen ein Textbestandteil erfüllen muss, um ihr zugewiesen zu werden. Zweitens galt es konkrete Textstellen anzuführen, die unter eine Kategorie fallen und als Ankerbeispiele für diese gelten. Um eine eindeutige Zuordnung zu ermöglichen und Abgrenzungsprobleme zwischen Kategorien zu vermeiden, wurden schließlich Kodierregeln formuliert. Durch einen ersten Materialdurchlauf erfolgte die Probe, ob die Kategorien sowie die Definitionen, Ankerbeispiele und Kodierregeln für die Datenauswertung geeignet waren. Nachdem das Kategoriensystem fertig gestellt worden war, ließen sich die „Fundstellen“ aus den Interviewtranskripten extrahieren und kategorienweise zusammenfassen. Dabei bot die eingesetzte Software ATLAS.ti (ATLAS 2005) zahlreiche Hilfsinstrumente (z.B. Suchfilter, Tabellen, Visualisierungsmöglichkeiten), die den Prozess der inhaltlichen Strukturierung erleichterten (vgl. auch Mayring 2008: 103-108).
224
Theoriegeleitete Kategorienbestimmung (Deduktion)
Materialorientierte Kategorienbestimmung (Induktion)
Kategoriensystem: Kategoriendefinition Ankerbeispiele Kodierregeln
Anpassung des Kategoriensystems 1. Materialdurchlauf:
Konzeption der Netzwerkanalyse:
Fundstellenbezeichnung
Analyseebenen Netzwerkelemente
2. Materialdurchlauf:
Extraktion der Netzwerkdaten:
Extraktion und Zuordnung der Fundstellen
Kooperations- und Steuerungsbeziehungen
Datenauswertung: Deskriptive Analyse und Interpretation der Sub-Cases
Durchführung der Netzwerkanalyse Visualisierung und quantitative Analyse
Ergebnissicherung: Zusammenfassung Theorievergleich Propositionen
Abbildung 12: Vorgehensweise der inhaltlichen Strukturierung und ihrer Verknüpfung mit der Netzwerkanalyse (Quelle: Eigene Darstellung)
225
Die Auswertung der Daten erfolgte in zwei Schritten: Erstens durch eine fallspezifische qualitative Analyse und Einzelinterpretation der Sub-Cases und zweitens durch eine fallübergreifende Netzwerkanalyse und Interpretation, wobei die Untersuchungsergebnisse beider Schritte bestehenden Erkenntnissen aus der Literatur gegenübergestellt worden sind (Eisenhardt 1989b; Brown/Eisenhardt 1997). Die Aufteilung der Studie in insgesamt fünf Sub-Cases diente der Reduktion der Untersuchungskomplexität und der Entwicklung eines differenzierten Verständnisses über die Zusammenarbeit und Steuerung im Fallstudienkonzern. Hierzu wurden diejenigen Kooperationsbeziehungen zwischen Konzerneinheiten zu einem Sub-Case zusammengefasst, denen derselbe Kooperationsgegenstand zugrunde lag. Um die Vorteile einer reichhaltigen und kontextsensitiven Untersuchung qualitativer Studien ausschöpfen zu können, erfolgte zunächst die deskriptive Analyse und Interpretation dieser Sub-Cases. Dabei wurden die Interpretationen des Autors anhand von Beispielzitaten der Interviewpartner selektiv plausibilisiert (Flick 1995: 169).228 Die verdichtete Darstellung des Interviewmaterials trug dazu bei, prägnante und in den Daten verankerte Ergebnisse zu entwickeln. Entgegen der methodentypischen Paraphrasierung von Textstellen (Mayring 2008: 89) wurden die (anonymisierten) Aussagen der Interviewpartner in ihrem originalen Wortlaut zitiert, um die Interpretationen des Autors transparent und nachvollziehbar für andere Wissenschaftler zu gestalten (Lamnek 2005: 407). Als letzter Schritt erfolgte die Zusammenführung der Ergebnisse aus der qualitativen Datenanalyse und der Netzwerkanalyse, die eine fallübergreifende Interpretation und Einordnung in die bestehende Forschungsliteratur ermöglichte. Ähnliche oder gleichartige Aussagen in der bisherigen Forschung trugen dazu bei, die Glaubwürdigkeit und Generalisierbarkeit der Studienergebnisse zu erhöhen. Gegensätzliche Aussagen konnten dazu genutzt werden, um die vorläufigen Ergebnisse zu hinterfragen und weiterzuentwickeln sowie bestehende Konstrukte um die Erkenntnisse dieser Studie zu erweitern. Hierzu wurden die Untersuchungsergebnisse in Propositionen verdichtet und damit der wissenschaftlichen Diskussion und künftigen Forschungsvorhaben zugänglich gemacht.
228
Die „selektive Plausibilisierung wird vorgenommen, indem möglichst viele, teils auch umfangreichere Zitate und authentische Formulierungen aus dem Forschungsmaterial in den Text der Ergebnisdarstellung einfließen, so dass Rezipientinnen und Rezipienten die Deutungen anhand der originalen Zitate nachvollziehen können, ohne auf das Forschungsmaterial direkt zugreifen zu müssen“ (Schacht/Peez 2002: 20).
226
3.2.4 Güte der Forschungsergebnisse „Eines der ungelösten Probleme qualitativer Forschung ist die Darstellung von Ergebnissen und der Prozesse, die zu ihnen geführt haben“ (Flick 1995: 169).
Jedem Leser einer wissenschaftlichen Arbeit stellt sich mitunter die Frage, wie der Autor von hunderten von Seiten von Transkripten, Dokumenten, Protokollen und Memos zu relativ wenigen theoretischen Aussagen gelangt ist. Beim Forschungsansatz der Fallstudie im Rahmen der Theorie-Elaboration kann dem Wissenschaftler daher leicht der Vorwurf gemacht werden, dass die Daten überinterpretiert wurden und die Ergebnisse die organisationale Realität nur unvollständig oder verzerrt erfassen (Bain 1929: 154; Kelle 2008: 29). Um die Güte des Forschungsprozesses beurteilen zu können, sind daher generelle Kriterien vonnöten, die die verschiedenen Aspekte der eingesetzten Methoden erfassen und vergleichbar machen (Glaser/Strauss 1967: 8; Lincoln/Guba 1985: 290; Miles/Huberman 1994: 277-280; Steinke 2000; Yin 2003: 33-39; Lamnek 2005: 142-187; Kromrey 2006: 200-205, 259-262). Diese Kriterien dienen „als Zielvorgaben und Prüfsteine einer beliebig angewandten Forschungsmethode, an denen der Grad der Wissenschaftlichkeit dieser Methode gemessen werden kann“ (Lamnek 2005: 142). Im Folgenden sollen die für die vorliegende Arbeit relevanten Gütekriterien und qualitätssichernde forschungsmethodische Techniken dargestellt werden, dieses sind die Konstruktvalidität, interne Validität, Reliabilität und Generalisierbarkeit (externe Validität). Konstruktvalidität Die Konstruktvalidität bezieht sich auf die Bestimmung geeigneter Maße, um die interessierenden Konstrukte akkurat zu erfassen (z.B. Cook/Campbell 1979: 60-63; Bagozzi/Li/Phillips 1991). Dieses Kriterium umfasst somit die Spezifizierung der Elemente des Bezugsrahmens sowie die Herstellung eines Zusammenhangs zu den Forschungsfragen, die es während der Datenerhebung und der Entwicklung des Kategoriensystems zu berücksichtigen gilt. Zur Sicherung der Konstruktvalidität wurden an dieser Stelle vier Techniken eingesetzt:229 1. Vor der Datenerhebung wurde eine theoriegeleitete Spezifikation interessierender Konstrukte vorgenommen. Neben der Feststellung der wissenschaftlichen Relevanz der Forschungsfragen wurde die praktische Relevanz der Untersuchungsbestandteile innerhalb der Vorabexplorationsphase gewährleistet (Bradbury/Bergmann Lichtenstein 2000: 561).
229
Nachfolgend in Anlehnung an Denzin (1978); Patton (1987); Mathison (1988); Eisenhardt (1989b); Miles/ Huberman (1994); Abernethy et al. (1999); Yin (2003); Lamnek (2005); Schmid (2005); Mayring (2008).
227
2. Während der Datenerhebung erfolgte eine Methoden- und Perspektiventriangulation, indem drei Erhebungsmethoden kombiniert und mehrere Interviewpartner mit unterschiedlichen Einzelperspektiven (verschiedene Konzerneinheiten, Konzernzentrale, Controlling, Organisation) und Betrachtungsebenen (Geschäftsführung, Bereichsleiter, Fachspezialisten) befragt wurden, um eine möglichst umfassende Sicht auf die Untersuchungsprobleme zu erhalten und etwaige Verzerrungen zu minimieren. 3. Der Anfertigung ausführlicher Fallstudiendeskriptionen und Nutzung wortgetreuer Interviewzitate, die zumindest die selektive Plausibilität der vorgenommenen Interpretationen gewährleisten sollen, lag die Absicht zugrunde, eine geschlossene Argumentationslinie von den Daten zu den Propositionen zu etablieren (Yin 2003: 105). Zudem wurde ein einheitlicher Bezugsrahmen für die Sub-Case-spezifische und -übergreifende Analyse eingesetzt, der es dem Leser erleichtern sollte, die theoretischen Ableitungen bis in jede Fallstudie zurückzuverfolgen (Schmid 2005: 96). 4. Schließlich erfolgte eine Diskussion der Konstrukte, Kategorien und Zwischenergebnisse mit leitenden Angestellten des Fallstudienkonzerns, Wissenschaftlern und Branchenexperten (Vaughan 1992: 197-199). Diese kommunikative Validierung trug dazu bei, die Angemessenheit des Vorgehens sowie die Nachvollziehbarkeit und Relevanz der Untersuchungsbestandteile zu erproben (Steinke 2000). Interne Validität Die interne Validität bezieht sich auf die Gültigkeit der aufgestellten Kausalzusammenhänge und damit auf deren intersubjektive Überprüfbarkeit und Zuverlässigkeit (Lincoln/Guba 1985: 290-291; Miles/Huberman 1994: 279; Yin 2003: 36; Lamnek 2005: 150). Sie eignet sich prinzipiell jedoch nur begrenzt als Gütekriterium für qualitative Falluntersuchungen, da keine exakten Ursache-Wirkungsbeziehungen gemessen werden können und bei Fallstudien die Entwicklung von tendenziellen Aussagen im Vordergrund steht (Abernethy et al. 1999: 20). Allerdings konnten die in Abschnitt 2.4.3 vorgestellten Studien zum einen nachweisen, dass Interdependenzformen einen zentralen Einflussfaktor der Steuerung darstellen; zum anderen deuteten ihre Untersuchungsergebnisse eindeutig auf die prinzipielle Existenz von Wechselwirkungsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen hin. In dieser Arbeit trug zudem der Vergleich zwischen den Einzelergebnissen der Sub-Cases dazu bei, übergreifende Beziehungsmuster zu identifizieren. Darüber hinaus diente die Rückkoppelung der entdeckten Kausalzusammenhänge im Rahmen der kommunikativen Validierung zur Erfüllung dieses Kriteriums. Da es sich insbesondere bei den Wissenschaftlern um erfahrene Organisationsforscher handelte, konnte die inhaltliche Konsistenz, theoretische Relevanz und empirische Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse überprüft werden. Durch die ausführliche Darstellung der Analyse- und Interpretationsergebnisse erfolgte außerdem eine argumentative Validierung in dieser Arbeit (Lamnek 2005: 156). Die Datenana228
lyse, die bewusst nicht reduktiv, sondern explikativ erfolgt, soll so dokumentiert werden, dass die Erklärungen der dargestellten Kausalzusammenhänge intersubjektiv nachvollziehbar bleiben (Schmid 2005: 98). Aus diesem Grund galt es, bei der Diskussion der Ergebnisse die Annahmen und mögliche Widersprüchlichkeiten der Dateninterpretationen weitgehend offen zu legen. Zudem wurde bei der Argumentation Wert auf eine verständliche und nachvollziehbare Ausdrucksweise gelegt, die durch grafische Darstellungen unterlegt und in Tabellen zusammengefasst wurde. Nicht zuletzt trugen die quantitativen Auswertungsmethoden der Netzwerkanalyse zur Erfüllung des Kriteriums der internen Validität bei. Durch die Ermittlung der Signifikanzwerte (p 2%
Beziehungsintensität > 1%
Beziehungsintensität > 0%
Abbildung 25: Sukzessive Reduktion der Beziehungsintensität im Steuerungsnetzwerk intensiver Interdependenzen (schematisch; Quelle: Eigene Darstellung)
247
Die hier beschriebene Reduktion der Beziehungsintensität (relative Einsatzhäufigkeit der Steuerungskombinationen) erfolgt dabei schrittweise um einen Prozentpunkt; vgl. Abbildung 25.
317
Zusammenfassend lässt sich aus der visuellen Datenanalyse intensiver Interdependenzen feststellen, dass sehr vielfältige Kombinationen von Mechanismen eingesetzt werden. Je nachdem, welche Beziehungsintensität der Betrachtung zugrunde gelegt wird, lassen sich unterschiedliche Steuerungslösungen erkennen. In Abbildung 26 sind die unterschiedlichen Netzwerke der eingesetzten Steuerungskombinationen nochmals gegenübergestellt. Zur Komplexitätsreduktion enthalten die Netzwerke lediglich diejenigen Mechanismuskombinationen, die vergleichsweise häufig zur Steuerung der Kooperationsbeziehungen im Fallstudienkonzern eingesetzt worden sind. Für eine bessere Vergleichbarkeit der Steuerungslösungen bei unterschiedlichen Interdependenzformen sind die Mechanismen im Netzwerk zirkulär nach ihren Steuerungsverfahren angeordnet.
318
319
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Themenspezifische Selbstabstimmung
Fallweise Selbstabstimmung
Fallweise Verfahrenssteuerung
Personelle Verflechtung
Budgets
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Fallweise Selbstabstimmung
Fallweise Verfahrenssteuerung
Themenspezifische Selbstabstimmung
Abbildung 26: Vergleich der Steuerungskombinationen bei unterschiedlichen Interdependenzformen (Quelle: Eigene Darstellung)
Personelle Verflechtung
Budgets
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Generelle Verfahrenssteuerung
Verrechnungspreise Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Verrechnungspreise Generelle Verfahrenssteuerung
Intensive Interdependenzen
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Fallweise Selbstabstimmung
Fallweise Verfahrenssteuerung
Themenspezifische Selbstabstimmung
Reziproke Interdependenzen
Personelle Verflechtung
Budgets
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Themenspezifische Selbstabstimmung
Fallweise Selbstabstimmung
Fallweise Verfahrenssteuerung
Generelle Verfahrenssteuerung
Institutionalisierte Selbstabstimmung
Personelle Verflechtung
Budgets
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Verrechnungspreise Generelle Verfahrenssteuerung
Verrechnungspreise
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Gepoolte Interdependenzen
Sequentielle Interdependenzen
Der Vergleich dieser Kombinationen zeigt Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten bei der Steuerung der verschiedenen Interdependenzformen. Die Ergebnisse decken sich dabei mit den Analyseresultaten des Einzeleinsatzes von Steuerungsmechanismen im vorherigen Abschnitt. Sie bieten jedoch einen differenzierteren Einblick, welche Steuerungsmechanismen simultan eingesetzt werden. So ergaben sich beispielsweise im Falle intensiver Interdependenzen acht positive Korrelationswerte, aus denen insgesamt 28 dyadische Kombinationsmöglichkeiten resultieren. Die visuelle Analyse zeigt jedoch, dass tatsächlich nur neun dieser 28 Kombinationen vornehmlich eingesetzt werden. Ferner lässt diese Analysetechnik Rückschlüsse auf den simultanen Einsatz von mehr als zwei Steuerungsmechanismen innerhalb der Kooperationsbeziehungen zu. Der Vergleich zwischen den transaktionalen Interdependenzformen zeigt, dass in sequentiellen Abhängigkeitsbeziehungen vor allem Kombinationen von ergebnis- und verfahrensorientierten Steuerungsmechanismen genutzt werden, die teils um die themenspezifische Selbstabstimmung ergänzt werden, während das Schwergewicht im reziproken Fall im kombinatorischen Einsatz von interaktiven und inputorientierten Mechanismen liegt, die mit bereichsübergreifenden Ergebniskontrollen verknüpft werden. Betrachtet man dagegen gepoolte Interdependenzen, so werden die Resultate aus der QAPAnalyse bekräftigt, da die fünf positiv korrelierten Steuerungsmechanismen nicht einzeln, sondern gemeinsam Anwendung finden. Dieses Ergebnis erscheint zunächst überraschend, da in der Literatur weitläufige Einigkeit darüber besteht, dass derartige Kooperationsbeziehungen die vergleichsweise simpelste Interdependenzform darstellen und infolgedessen eines geringen Einsatzes von Steuerungsmechanismen bedürfen, wobei insbesondere die effizienzorientierten Ansätze in diesem Fall geschlossen für eine exklusive Anwendung gering aufwändiger Verfahren wie Standardisierung und generellen Regelungen plädieren (Thompson 1967; Van de Ven/Ferry 1980; vgl. auch Grandori 2001a). Vergleicht man die gepoolte mit der sequentiellen Interdependenzform so wird deutlich, dass ähnliche Kombinationsmuster zwischen ihnen vorliegen. Die beiden Triaden zur Steuerung gepoolter Kooperationsbeziehungen finden sich auch bei der gepoolten Situation wieder, sie werden in diesem Fall einerseits um die institutionalisierte Selbstabstimmung erweitert. Andererseits wird die themenspezifische Interaktion mit der generellen Verfahrenssteuerung verknüpft. Schließlich lässt sich bei intensiv-interdependenten Kooperationsformen feststellen, dass ein breiter Einsatz unterschiedlicher Mechanismen aller vier Steuerungsverfahren stattfindet. Auch dieses Ergebnis scheint bisherigen Annahmen der Literatur gegenüberzustehen, in der sich bei dieser Interdependenzform vor allem Hinweise auf die Anwendung der Selbstabstimmung finden lassen, der Verfahrenssteuerung jedoch eine untergeordnete Relevanz beigemessen wird (Thompson 1967; Van de Ven/Ferry 1980; Frost 2005). Zudem empfiehlt einzig Grandori in diesem Fall den Einsatz kollektiver Anreizsysteme (2001a: 244-245). 320
4.3.2.2
Interpretation der Ergebnisse
Dieser Abschnitt diskutiert die Resultate der vorangegangenen quantitativen und visuellen Analyse der Konzernsteuerung unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus den qualitativen Einzelfalluntersuchungen sowie der Erkenntnisse aus der Steuerungs- und Interdependenzforschung (vgl. Abschnitte 2.1, 2.2 und 2.4). Dabei liegt der Untersuchungsfokus in diesem Abschnitt auf der Effektivität der Steuerungskombinationen im Hinblick auf die Erfüllung der spezifischen Koordinationsanforderungen unterschiedlicher Interdependenzsituationen (vgl. ausführlich Abschnitt 2.4.1). In diesem Zusammenhang gilt es, die qualitativ gewonnenen Erkenntnisse über die unterschiedlichen Mehrwertarten der verschiedenen Interdependenzformen zu berücksichtigen (vgl. Abschnitte 2.3 und 4.2). Die Erkenntnisse werden dabei in erste Propositionen überführt. Sequentielle Interdependenzen. Bei sequentiellen Interdependenzen handelt es sich um Kooperationsbeziehungen, in denen Ressourcen und Aktivitäten einseitig zwischen Konzerneinheiten transferiert werden. In der vorliegenden Untersuchung wurden drei besondere Koordinationsaufgaben herausgearbeitet, die es zu lösen gilt: Erstens müssen die Anforderungen einer sequentiell nachgelagerten Einheit der vorgelagerten Einheit eindeutig bekannt sein, so dass sich diese von ihr erfüllen lassen. Zweitens sind die Überwachung und Kontrolle der Ergebnisse der vorgelagerten Einheiten durch die eingesetzten Steuerungsmechanismen zu unterstützen. Drittens muss es den Organisationsmitgliedern möglich sein, sich über ablaufbezogene Fehler und Probleme bei der Zusammenarbeit abzustimmen, um diese kurzfristig zu lösen. An den empirischen Analyseergebnissen zeigt sich, dass in sequentiellen Anhängigkeitsbeziehungen bereichsspezifische Ergebniskontrollen, Verrechnungspreise, generelle Verfahrenssteuerung und themenspezifische Selbstabstimmung simultan eingesetzt werden. Dabei werden lediglich die beiden letztgenannten nicht miteinander kombiniert, während sie mit den anderen beiden jeweils triadisch verknüpft sind.248 Da in sequentiellen Interdependenzsituationen asymmetrische Transaktionen eindeutig spezifizierbarer und abgrenzbarer Ressourcen und Aktivitäten stattfinden, eignen sich sowohl bereichsspezifische Ergebniskontrollen als auch Verrechnungspreise. Diese können wirkungsvoll zur Koordination der Leistungsbeziehungen eingesetzt werden und verfügen zudem über eine vergleichsweise hohe Steuerungseffizienz, sofern sich die Preise ohne großen Aufwand bestimmen lassen und die Instanz ihre Eingriffe auf Ergebnisabweichungen im Sinne eines 248
Zwar zeigten die Analyseresultate, dass bestimmte Mechanismuskombinationen in seltenen Fällen eingesetzt werden, jedoch sollen im Weiteren nur die signifikanten Untersuchungsergebnisse berücksichtigt und auf Nennung von Einzelfällen verzichtet werden.
321
management-by-objectives beschränkt. Durch den Verrechnungspreis entsteht quasi ein Entkoppelungseffekt zwischen den Konzerneinheiten, der trotz ihrer Leistungsverflechtungen einen getrennten Erfolgsausweis zulässt und eine Ergebnissteuerung durch die Konzernleitung ermöglicht. Ferner können bereichsspezifische Ergebniskontrollen (z.B. Key Performance Indicators) auch von den nachgelagerten Konzerneinheiten genutzt werden, um die Leistungen der vorgelagerten Einheiten zu überwachen und bei Abweichungen zu reagieren. Da die nachgelagerte Einheit jedoch in ihrer Aufgabendurchführung hochgradig von den Outputs der vorgelagerten Einheit abhängig ist, reichen die aufgeführten ex post Kontrollen nicht aus, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Aus diesem Grund stellt die generelle Verfahrenssteuerung eine notwendige Ergänzung dieser beiden Mechanismen dar. Zum einen können die Anforderungen der nachgelagerten Einheiten in den Regelungen dokumentiert werden; zum anderen kann die Konzernleitung dadurch den Handlungsspielraum zur Erreichung der Ziele für alle beteiligten Einheiten auf zulässige Verfahrensweisen einschränken. Des Weiteren sind die beiden Mechanismen der Ergebnissteuerung um interaktive Verfahren zu ergänzen, um kurzfristige dezentrale Abstimmungen zwischen den Konzerneinheiten zu ermöglichen. Hierzu werden diese im Fallstudienkonzern mit der themenspezifischen Selbstabstimmung kombiniert. Bei dieser Form der Interaktion ist es den Konzerneinheiten von vornherein festgeschrieben, zu welchen Anlässen eine Abstimmung erforderlich ist. Gleichzeitig ist es ihren Organisationsmitgliedern überlassen, ihre fachlichen Anforderungen abzustimmen und verbindliche Entscheidungen im Konsens – unter Beachtung der zulässigen Verfahrensweisen – zu treffen. Aus diesen Ausführungen wird zugleich ersichtlich, weshalb auf eine explizite Kombination zwischen themenspezifischer Selbstabstimmung und genereller Verfahrenssteuerung verzichtet werden kann. Dieser Interaktionsform sind Elemente der Verfahrenssteuerung inhärent: Es liegen eindeutige Regeln vor, wann und wie die Abstimmung zu erfolgen hat, d.h. die generelle Verfahrenssteuerung ist der themenspezifischen Selbstabstimmung vorgelagert bzw. stellt eine notwendige Voraussetzung für sie dar. Auch für die negativ mit sequentiellen Interdependenzen korrelierten Steuerungsmechanismen lassen sich vor diesem Hintergrund plausible Erklärungen finden. Da die Transferbeziehung asymmetrisch und eindeutig spezifizierbar ist, einheitenindividuelle Ziele ex ante bestimmt und ihr Erreichungsgrad nach der Aufgabenerledigung gemessen sowie eindeutig zugerechnet werden kann, ist ein Verzicht auf bereichsübergreifende Ergebniskontrollen und Budgets möglich. Da zudem geregelt ist, in welchen Situationen eine Abstimmung, an der zumeist nur zwei unmittelbar verflochtene Konzerneinheiten beteiligt sind, erforderlich ist, sind fallweise und institutionalisierte Interaktionsformen obsolet. Schließlich bestätigten die qualitativen Einzelfalluntersuchungen die potenziellen Mehrwertarten, welche sequentiellen Interdependenzen im Konzern zugrunde liegen. Das Ziel der Steuerung liegt in diesem Fall in der Realisierung von sub-additiven Kooperationseffekten, 322
die vornehmlich durch den koordinierten Transfer immaterieller Ressourcen und personengebundener Fähigkeiten sowie durch vertikale Komplementaritäten entstehen (vgl. Sub-Cases I, II). Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich zur ersten Proposition zusammenfassen:
Proposition 1: Bei sequentiellen Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten können bereichsspezifische Ergebniskontrollen, Verrechnungspreise, generelle Verfahrenssteuerung und themenspezifische Selbstabstimmung effektiv kombiniert werden, um Mehrwert in Form von sub-additiven Kooperationsrenten zu schaffen.
Reziproke Interdependenzen. Reziproke Interdependenzen stellen ähnliche Steuerungsanforderungen wie im ersten Fall transaktionaler Beziehungen. Da hierbei jedoch ein wechselseitiger Transfer von Ressourcen und Aktivitäten stattfindet, müssen die Anforderungen der Konzerneinheiten gegenseitig bekannt sein. Die Komplexität der Zusammenarbeit ist vergleichsweise höher, weil das Risiko gravierender Folgefehler besteht, was zu erhöhten Flexibilitäts- und Geschwindigkeitsanforderungen an die in Frage kommenden Steuerungslösungen führt. Die Analyseresultate weisen eine Kombination zwischen den Steuerungsmechanismen der themenspezifischen und fallweisen Selbstabstimmung sowie der personellen Verflechtung nach, wobei die letzteren beiden simultan mit bereichsspezifischen Ergebniskontrollen eingesetzt werden. Dabei korreliert die personelle Verflechtung sehr deutlich mit reziproken Interdependenzen, während sie bei andersartigen Interdependenzformen nicht signifikant ist. Dieser Mechanismus ist dadurch charakterisiert, dass Mitarbeiter auf der organisatorischen Schnittstelle zwischen den Konzerneinheiten die Steuerungsaufgaben weitestgehend übernehmen. Sie verfügen über ähnliches bzw. gleichartiges Wissen und Fähigkeiten – jeweils aus der Perspektive ihrer Einheit – und stimmen sich dezentral über die Zusammenarbeit ab. Zumeist stellen diese Experten auch die Ansprechpartner für weitere Mitarbeiter aus anderen Konzerneinheiten dar (z.B. „single point of reference“, „relationship manager“), was ebenfalls die Verknüpfung der personellen Verflechtung mit den Selbstabstimmungsmechanismen erklärt. Umgekehrt lässt sich konstatieren, dass die Selbstabstimmung allein genommen nicht ausreicht, um die Anforderungen reziproker Interdependenzen vollumfänglich zu erfüllen. Zwar kann sie häufig auch kurzfristig zu Abstimmungszwecken genutzt werden, jedoch zeigen die Ausführungen, dass in derartigen Situationen eine dauerhafte und strukturell etablierte Lösung über Vorteile gegenüber freiwilligen und spontanen oder regelgebundenen Interaktionen verfügt. Zugleich ist die personelle Verflechtung dadurch gekennzeichnet, dass die 323
dedizierten Mitarbeiter über hinreichend Fachwissen verfügen, während sich komplementäres Wissen bei Bedarf durch die Abstimmung mit anderen Mitarbeitern erschließen lässt. Daher ist es möglich, durch den Einsatz der personellen Verflechtung auch auf eine (aufwendige) Institutionalisierung der Selbstabstimmung zu verzichten. Da sich die Leistungen der Konzerneinheiten wechselseitig bedingen, bietet sich darüber hinaus die Etablierung gemeinsamer Ergebniskontrollen an, die durch bereichsübergreifende Zielvorgaben oder Kennzahlensysteme entweder auf der Ebene der personell verflochtenen Mitarbeiter oder der Teileinheiten operationalisiert werden können. Auf diese Weise lässt sich das kollektive Aufgabenresultat durch die Instanz bewerten und mit kontingenten Anreizen hinterlegen. Da ferner auch der Ressourceneinsatz und die Aktivitäten dieser Einheiten in hohem Maße voneinander abhängig sind sowie sich nur ungenau planen und überwachen lassen, eignet sich die generelle Verfahrenssteuerung nur sehr bedingt, während die fallweise Form umfangreiche Steuerungskapazitäten der Instanz beanspruchen und entsprechendes Expertenwissen voraussetzen würde. Auch bei reziproken Interdependenzen konnten die theoretisch hergeleiteten Mehrwertarten, wie sie auch bei sequentiellen Beziehungen beschrieben worden sind, im Fallstudienkonzern nachgewiesen werden (vgl. Sub-Cases I, II, IV), was sich in folgender Erkenntnis zusammenfassen lässt.
Proposition 2a: Bei reziproken Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten können personelle Verflechtung, bereichsübergreifende Ergebniskontrollen sowie fallweise und themenspezifische Selbstabstimmung effektiv kombiniert werden, um Mehrwert in Form von subadditiven Kooperationsrenten zu schaffen.
Wenngleich sich bei der Netzwerkanalyse keine statistisch signifikanten Resultate für den Einsatz bereichsspezifischer Ergebniskontrollen nachweisen ließen, so zeigen jedoch die qualitativen Einzelfalluntersuchungen, dass diese auch bei reziproken Interdependenzbeziehungen genutzt werden. Da sich auch in der Literatur Hinweise dafür finden lassen, gilt es die Proposition 2a zu erweitern. Insbesondere zur Erfüllung des Controllability-Prinzips, nach dem die Handlungsbeiträge von Organisationsmitgliedern nur nach solchen Maßstäben beurteilt werden sollten, deren Erreichung sie eigenständig und umfassend erreichen können, erscheint eine zusätzliche Berücksichtigung individueller Ergebnisse notwendig. Wie in den nachfolgenden Abschnitten jedoch noch zu zeigen sein wird, können aus ihrem Einsatz negative Konsequenzen aus der Verhaltenswirkung, die durch individuelle Ergebniskontrollen
324
hervorgerufen wird, resultieren, weshalb an dieser Stelle zunächst nur folgende Erweiterung vorgenommen werden soll:
Proposition 2b: Bei reziproken Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten können zusätzlich bereichsübergreifende und bereichsspezifische Ergebniskontrollen effektiv kombiniert werden, um Mehrwert in Form von sub-additiven Kooperationsrenten zu schaffen.
Gepoolte Interdependenzen. Aus der Analyse der Steuerung gepoolter Interdependenzbeziehungen ergibt sich ein kontraintuitives Bild: Wird dieser Kooperationsform in der Literatur nur wenig Komplexität zugeschrieben – zumeist wird sie nicht explizit für alternative Organisationskonfigurationen untersucht, sondern lediglich auf Einzelunternehmen bezogen –, so zeigen sich im Falle des Konzerns besondere Herausforderungen, denen durch den simultanen Einsatz einer Vielzahl unterschiedlicher Mechanismen begegnet wird. Die zentrale Problemstellung bei dieser Interdependenzform wurde mit der Bewältigung des Spannungsfeldes zwischen den individuellen Ansprüchen der leistungsabnehmenden Konzerneinheiten und den begrenzten Möglichkeiten der Pooleinheit beschrieben, diese vollständig zu erfüllen, ohne dadurch die übergeordneten Mehrwertziele des Konzerns zu gefährden. Auf den ersten Blick liegen zunächst nur unmittelbare Abhängigkeitsbeziehungen zwischen der Pooleinheit und den Leistungsempfängern vor. Bei näherer Betrachtung jedoch ergibt sich die besondere Komplexität aus der mittelbaren, indirekten Abhängigkeit zwischen den zumeist sehr zahlreichen Konzerneinheiten, was dazu führt, dass einzelne Mechanismen zur Steuerung derartiger Situationen nicht ausreichen. Im Fallstudienkonzern wird daher eine Kombination aus fünf Mechanismen unterschiedlicher Steuerungsverfahren eingesetzt. Die Möglichkeiten des kombinierten Einsatzes von bereichsspezifischen Ergebniskontrollen, Verrechnungspreisen, genereller Verfahrenssteuerung und themenspezifischer Abstimmung wurden bereits für sequentielle Abhängigkeiten beschrieben und lassen sich gleichermaßen auf gepoolte Interdependenzsituationen übertragen. Allerdings existieren in diesem Fall teils abweichende Gründe für den Einsatz dieser Mechanismen. Während Verrechnungspreise ebenfalls einer effizienten und nachfrageorientierten Koordination dienen sowie Ergebniskontrollen zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Pooleinheiten genutzt werden sollen, wird die generelle Verfahrenssteuerung vor allem eingesetzt, um die Nutzungsbedingungen der Poolressourcen und -aktivitäten einheitlich im Konzern zu definieren. Dahinter steht die o.g. Absicht der Konzernleitung, Spezialisierungsvorteile zu erschließen, weshalb zugleich fallweise Abstimmungen, aus denen möglicherweise Abweichungen von den Standardverfahren resultieren könnten, bei dieser Interdependenzform zu vermeiden sind (P=-0,33). So 325
zeigt z.B. das Fallbeispiel der C-HRS, dass dadurch eine dezentrale Einigung zwischen den Einheiten auf einen „angemessenen Verrechnungspreis“ zu befürchten wäre, aus der sich zwar für einzelne Konzerneinheiten eine Erfolgsverbesserung erzielen ließe, die jedoch mittelbar zulasten anderer Leistungsabnehmer gehen und damit zu einer Verschlechterung des Gesamtkonzernergebnisses führen würde. Vor diesem Hintergrund ist zum einen die Erweiterung der Steuerungskombination (gegenüber der sequentiellen Interdependenzform) um die institutionalisierte Interaktion zu erklären, die dazu genutzt werden kann, dass sich die Konzerneinheiten hinsichtlich ihrer spezifischen Anforderungen abstimmen sowie den Verrechnungspreis verhandeln können. Im Rahmen dieser Selbstabstimmung kann ein für alle Einheiten akzeptables Preis-/Leistungsniveau bestimmt werden, wobei die Einbindung der Konzernzentrale von Vorteil sein kann, weil sie dadurch erstens zwischen verhandelnden Parteien vermitteln und zweitens die finanziellen Auswirkungen für den Konzern darstellen kann. Zum anderen lässt sich damit auch die triadische Verbindung zwischen der institutionalisierten und themenspezifischen Selbstabstimmung sowie der generellen Verfahrenssteuerung nachvollziehen: Beide Interaktionsmechanismen können genutzt werden, um Verfahrensänderungen (bzw. Notwendigkeiten, z.B. aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen) wechselseitig zu kommunizieren und gemeinsam darüber zu entscheiden, was wiederum Auswirkungen auf die eingesetzten Ergebniskontrollen zur Folge haben kann.249 Diese Ausführungen lassen sich zur folgenden Proposition verdichten:
Proposition 3: Bei gepoolten Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten können bereichsspezifische Ergebniskontrollen, Verrechnungspreise, generelle Verfahrenssteuerung sowie themenspezifische und institutionalisierte Selbstabstimmung effektiv kombiniert werden, um Mehrwert in Form von sub-additiven Kooperationsrenten zu schaffen.
Die Korrelationsresultate weisen ferner einen positiven Zusammenhang zwischen gepoolten Interdependenzen und Budgets nach. Der Einsatz dieses Inputsteuerungsmechanismus eignet sich vor allem in denjenigen Fällen, in denen Ergebnisse ex ante nicht festgelegt werden können oder sich die Nutzung von Ressourcen und Aktivitäten nicht verursachungsgerecht zu-
249
In dieser Hinsicht gilt anzumerken, dass die drei aufgeführten ergebnis- bzw. verfahrensorientierten Mechanismen vergleichsweise effizient sind, während interaktive Verfahren prinzipiell mit einem sehr hohen Steuerungsaufwand einhergehen. Letzteres lässt sich für gepoolte Interdependenzsituationen allerdings relativieren, da institutionalisierte Abstimmungen im Fallstudienkonzern in der Regel seltener zum Tragen kommen (z.B. quartalsweise oder halb-jährlich) als bei anderen Interdependenzformen.
326
ordnen lassen. Da diese Kriterien hierbei in der Regel jedoch erfüllt sind, kann die Steuerung durch Verrechnungspreise und Ergebniskontrollen zumeist präziser sein und damit besser zur Erreichung der Mehrwertziele genutzt werden. Ferner kann den Ausführungen der qualitativen Untersuchung entnommen werden, dass in Einzelfällen Organisationsmitglieder innerhalb der Einheiten eingesetzt werden, um die Zusammenarbeit zu koordinieren. Dabei handelte es sich zumeist um Ansprechpartner innerhalb des Pools, welche mehrere Leistungsempfänger betreuten (z.B. Sales Account Manager). Dies lässt sich zwar als lose Form der personellen Verflechtung auffassen; in Anbetracht dessen, dass es sich bei gepoolten Interdependenzen jedoch zumeist um unkritische Ressourcen und Aktivitäten mit vergleichsweise geringer Komplexität und strategischer Relevanz handelt, ist diesem Steuerungsmechanismus hierbei ebenfalls eine nachrangige Bedeutung zuzuschreiben. Intensive Interdependenzen. Der intensiven Interdependenzform wird in der Literatur die höchste Komplexität zugeschrieben, die den behandelten empirischen Studien nach mit einer Zunahme sämtlicher Steuerungsverfahren einhergeht. Die Anforderungen resultieren erstens aus der Notwendigkeit der Zusammenführung und Bündelung heterogener Ressourcen und Aktivitäten, zweitens aus der Schwierigkeit ein genaues Zielniveau im Vorwege der Zusammenarbeit zu definieren, drittens aus Problemen bei der leistungsgerechten Zuordnung von Ergebnissen und Identifikation von Fehlerursachen sowie viertens aus der eingeschränkten Bestimmbarkeit zielkonformer Vorgehensweisen. Um diese Anforderungen zu erfüllen, werden auch im Fallstudienkonzern zahlreiche Steuerungsmechanismen eingesetzt. Die visuelle Analyse zeigt dabei, dass fünf Mechanismen besonders häufig in Kombination auftreten. Zunächst lässt sich anhand obiger Ausführungen die Dominanz bereichsübergreifender gegenüber individuellen Ergebniskontrollen erklären: Während sich das kollektive Ergebnis zumeist auch bei intensiver Zusammenarbeit messen und bewerten lässt (z.B. Misserfolg einer Kampagne), ist ihre Zurechnung auf die unterschiedlichen Organisationseinheiten oftmals nicht möglich (z.B. falsche Marketingstrategie, Vertriebsschwächen, Produktunzulänglichkeiten). Da kein abgrenzbarer Leistungstransfer stattfindet, eignen sich auch Verrechnungspreise nicht bei dieser Kooperationsform. Den Selbstabstimmungsmechanismen kann allerdings eine sehr hohe Relevanz nachgewiesen werden, wobei die institutionalisierte Interaktion vergleichsweise am höchsten mit intensiven Interdependenzen korreliert. Sie ist erforderlich, um die Kommunikation und damit die Übertragung von komplementären Fähigkeiten und Wissen der Mitarbeiter zu unterstützen, welche den zentralen Vorteil interaktiver Verfahren darstellen. Hingegen ist die personelle Verflechtung nicht signifikant nachzuweisen, was darauf zurückgeführt werden kann, dass bei diesem Mechanismus zumeist zwei Organisationsmitglieder mit gleichartigem und nicht viele Mitarbeiter mit heterogenem Wissen die Steuerungsaufgaben übernehmen. Darüber hinaus ist bei intensiver Zusammenarbeit die Entscheidungsfindung im Konsens von essenzieller Be327
deutung, was auch den Zusammenhang mit der fallweisen Verfahrenssteuerung, die in diesem Falle zumeist durch die Eskalation instrumentalisiert ist, erklärt. Zugleich muss die Instanz mittels genereller Regelungen für adäquate Rahmenbedingungen für eine wirksame institutionalisierte und themenspezifische Selbstabstimmung sorgen. Der Einsatz von Budgets ist zwar bei beiden kooperativen Interdependenzformen signifikant, jedoch zeigt die visuelle Analyse nur im intensiven Fall eine mittlere Kombinationshäufigkeit mit den fünf genannten Steuerungsmechanismen. Die Daten bestärken die Annahme, dass diese Form der ex ante Steuerung hochrelevant bei intensiven Interdependenzen ist (P=0,43), jedoch allein genommen nicht ausreicht, um die Mehrwertpotenziale zu erschließen, die in diesem Fall vor allem in horizontalen Komplementaritäten liegen und damit zu superadditiven Kooperationsrenten führen können (vgl. Sub-Cases III, IV, V). Diese Erkenntnisse werden abschließend in folgender Proposition zusammengefasst:
Proposition 4: Bei intensiven Interdependenzen zwischen Konzerneinheiten können Budgets, bereichsübergreifende Ergebniskontrollen, generelle und fallweise Verfahrenssteuerung sowie fallweise, themenspezifische und institutionalisierte Selbstabstimmung effektiv kombiniert werden, um Mehrwert in Form von sub-additiven und super-additiven Kooperationsrenten zu schaffen.
Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass in den unterschiedlichen Interdependenzsituationen verschiedenartige Bündel von Steuerungsmechanismen effektiv zur Mehrwertschaffung im Konzern eingesetzt werden können. Die Effektivität bezieht sich hierbei vor allem auf die Koordinationswirkung der Steuerung zur Abstimmung des verteilten Ressourcen- und Aktivitäteneinsatzes der Konzerneinheiten. In den Abschnitten 2.4 und 2.5 wurde jedoch dargelegt, dass die Interdependenzbeziehungen zwischen Organisationseinheiten und ihren -mitgliedern durch zusätzliche Einflussfaktoren qualifiziert werden, welche die Gesamtwirkung der eingesetzten und kombinierten Steuerungsmechanismen maßgeblich beeinflussen können. In diesem Zusammenhang wurde gegen axiomatische Verhaltensannahmen, wie sie den Theorien der Governance- und Kompetenz-Perspektive zugrunde liegen, argumentiert und stattdessen für die Endogenisierung von Verhaltens- und Handlungsweisen der Akteure durch die Steuerung plädiert. Darüber hinaus wurde der Kritik an den kontingenztheoretischen Untersuchungen mit der Annahme der Gestaltungsvariabilität begegnet, derzufolge Einflussfaktoren nicht nur unidirektional die Wahl der Steuerungsmechanismen determinieren, sondern auch in umgekehrter Richtung durch diese verändert werden können. Schließlich wurde gegenüber einer theoriegeleiteten Bestimmung von Ein328
flussfaktoren ein induktives Verfahren bevorzugt, um die im Fallstudienkonzern tatsächlich relevanten Größen identifizieren und ihre Zusammenhänge zur Steuerung analysieren zu können. Die entdeckten Faktoren wurden bereits im Rahmen der Sub-Cases fallweise beschrieben und interpretiert. Im folgenden Abschnitt sollen sie übergreifend betrachtet werden, da sie im Hinblick auf die Verhaltenswirkungen zum einen für die Beurteilung der Effektivität der Mechanismuskombinationen, zum anderen für die Erklärung von Wechselwirkungen der Steuerung bedeutsam sind.
329
4.3.3 Relationale Gestaltungsvariablen im Fallstudienkonzern Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, stellen Interdependenzformen eine zentrale Determinante der Steuerung im Konzern dar. Der situative Kontext von Konzernen, in dem sich die organisatorischen Gestaltungsaufgaben vollziehen, wird jedoch durch zusätzliche Faktoren konstituiert, welche die Interdependenzbeziehungen zwischen den Konzerneinheiten qualifizieren. In diesem Zusammenhang wird postuliert, dass „the mere existence of (opportunity for) transactional or resource-based relations does not discriminate much among superior coordination mechanisms. Other variables qualifying the ‘nature’ of the relations are needed” (Grandori/Soda 2006: 154).
Insbesondere im Rahmen kontingenztheoretischer Untersuchungen ist in der jüngsten Vergangenheit eine Vielfalt möglicher Einflussfaktoren organisatorischen Gestaltungshandelns untersucht worden.250 Auch die hier interessierende Frage nach den Einflussfaktoren der Steuerung wurde in allgemeiner Weise in einer Reihe derartiger Untersuchungen behandelt.251 Die Ergebnisse sind trotz der Vielzahl von Untersuchungen unvollständig, heterogen und teilweise widersprüchlich (Otley/Berry 1980: 233; Caglio/Ditillo 2008: 866; Berry et al. 2009: 15). Es kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass es einen allgemein akzeptierten Katalog von Gestaltungsbedingungen für die Steuerung bereichsübergreifender Zusammenarbeit im Konzern gibt. Auch in der vorliegenden Arbeit kann die Frage nach den Einflussfaktoren auf die Ausgestaltung von Steuerungsbeziehungen nicht vollumfänglich und abschließend beantwortet werden – schon der Versuch würde den Umfang der Arbeit bei weitem sprengen. Zudem erscheint es zweifelhaft, ob durch eine detaillierte und differenzierte Betrachtung aller möglichen Einflussfaktoren überhaupt signifikante Aussagen gewonnen werden können, die einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Ausprägungen der Einflussfaktoren und der Effektivität von Steuerungslösungen aufzeigen. Wahrscheinlich wird es eher so sein, dass durch die Vielzahl der Einflussfaktoren mit potenziell gegenläufigen Effekten letztlich keine aussagefähigen Zusammenhänge mehr erkennbar wären (Berry et al 2009: 15).
250
251
Für einen Meta-Überblick über kontingenztheoretische Untersuchungen aus der Organisations- und Management Control-Forschung vgl. z.B. Wollnik (1980); Oliver (1990); Langfield-Smith (1997); Chenhall (2003); Caglio/Ditillo (2008). Über die in Abschnitt 2.4.3 behandelten empirischen Studien hinaus vgl. z.B. Thompson (1967; 1974a); Richardson (1972); Ouchi (1979, 1980); Van de Ven/Delbecq/Koenig (1976); Van de Ven/Ferry (1980); Garnier (1982); Eisenhardt (1985b); Simons (1990, 1995, 2000, 2005, 2008); Grandori/Soda (1995, 2006, 2009); Grandori (1997a, 1997b, 2001, 2004); Birnberg (1998); Gulati/Singh (1998); Gupta/Govindarajan (2000); Anthony/Govindarajan (2001); Ittner/Larcker (2001); Speklé (2001); Dekker (2003, 2004); Sundaramurthy/Lewis (2003); Henri (2006); Mahama (2006); Van der Meer-Kooistra/Vosselmann (2006); Merchant/Van der Stede (2007); Grandori/Furnari (2008).
330
Aus diesen Gründen wurde im Rahmen der qualitativen Fallstudienanalyse ein induktives Vorgehen gewählt, um gestaltungsrelevante Einflussfaktoren im untersuchten Konzern zu identifizieren. Diese „relationalen Gestaltungsvariablen“252 umfassen erstens Interessensdivergenz und zweitens kognitive Distanz zwischen Organisationsmitgliedern. Sie wurden bereits ansatzweise im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Erkenntnisbeiträgen der Governance- und Kompetenz-Perspektive behandelt (vgl. Abschnitt 2.1). Dabei zeigte die Diskussion, dass diesen beiden Faktoren je nach Theorieperspektive eine unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben wird: Während in der Governance-Perspektive – und hierzu gehören auch die vorgestellten Controllingkonzepte – eigennützige oder gar opportunistische Akteure unterstellt werden, gehen die Ansätze der Kompetenz-Perspektive vom Menschenbild benevolenter Kooperateure aus und fokussieren stattdessen auf das Können der Organisationsmitglieder. Um die Zusammenhänge zwischen den Gestaltungsvariablen und der Steuerung analysieren und daraufhin die Wechselwirkungen des kombinatorischen Mechanismeneinsatzes erklären zu können, soll bei den nachfolgenden Ausführungen theoretisch gesichertes Wissen eingebunden und im Rahmen der Interpretation der quantitativen Resultate berücksichtigt werden.
4.3.3.1
Interessensdivergenz
Das Ausmaß an Konvergenz oder Divergenz von Interessen zwischen Organisationsmitgliedern stellt die erste untersuchungsrelevante Variable zur Gestaltung der Steuerung im Konzern dar. Interessensdivergenzen resultieren aus unterschiedlichen Zielvorstellungen aufgrund unterschiedlicher Präferenzstrukturen der Organisationsmitglieder. Jeder Akteur besitzt eine individuelle Präferenzstruktur, die es ihm ermöglicht, unterschiedliche Handlungsalter252
Dabei wird der Begriff der „relationalen Gestaltungsvariable“ gewählt, weil diese sich einerseits auf die Kooperationsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten beziehen. Andererseits soll dadurch zum Ausdruck kommen, dass es sich bei den Einflussfaktoren nicht um einseitig-deterministische Größen handelt, so wie es als wesentliche Kritik am kontingenztheoretischen Ansatz formuliert ist (z.B. Miller 1981; Kieser 2006: 231239; Scherm/Pietsch 2007: 41-42). Kritisiert wird dabei insbesondere, dass die Einflussfaktoren im Kontingenzansatz als gegebene, unveränderbare „Daten“ betrachtet werden, wodurch dem Management ein weitreichendes Anpassungsverhalten in der Interaktion mit diesen situativen Rahmenbedingungen unterstellt und seine Möglichkeiten zur Einflussnahme auf diese unterschätzt wird (Child 1972). Gestaltungsvariablen wirken hingegen auf die Ausgestaltung der Steuerungsbeziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern ein, wobei dieses Verhältnis nicht als einseitige Anpassung ohne Wahlmöglichkeit betrachtet werden darf. Vielmehr nehmen Gestaltungsvariablen und Steuerungsmechanismen wechselseitig Bezug aufeinander: So wie unterschiedliche Ausprägungen von Gestaltungsvariablen zur Auswahl bestimmter Steuerungsmechanismen führen, besteht auch in umgekehrter Richtung ein Wirkungsgefüge, bei dem auch Steuerungsmechanismen auf die Gestaltungsvariablen einwirken und diese verändern können (Frost 2005: 288).
331
nativen und Ziele bezüglich ihrer Konsequenzen miteinander zu vergleichen und Entscheidungen zu treffen, die seinen subjektiven Nutzen maximieren. Dahinter steht die motivationstheoretische Annahme, dass Menschen danach streben, Ziele zu erreichen, um ihre Bedürfnisse, Wünsche und Emotionen gemäß ihrer Präferenzordnung zu erfüllen (Frost 2005: 240-242). In der einschlägigen Steuerungsliteratur blieben Interessensdivergenzen als Gestaltungsvariable bislang jedoch weitgehend unberücksichtigt oder wurden nur abstrakt behandelt (z.B. Hill 1990: 500; Grandori 1997a: 906-907, 2001a: 245; Caglio/Ditillo 2008: 893). Während sie in der Kompetenz-Perspektive unbeachtet bleiben, indem den Akteuren eine selbstverständliche Kooperationsbereitschaft unterstellt wird, werden sie in den Ansätzen der GovernancePerspektive als unwiderrufliche Ausgangstatbestände interpretiert, und es wird dafür plädiert, ihnen durch Einschränkungen des Handlungsspielraums der Akteure durch Weisungen und Verhaltenskontrollen oder durch extrinsisch-motivierte Transaktionsmaßnahmen wie monetäre Entschädigungsleistungen zu begegnen, um somit für einen Ausgleich von Interessen sorgen (Gulati/Singh 1998: 782-784; Frost 2005: 293). Dadurch werden die Möglichkeiten der Transformation von Interessen, d.h. die inhaltliche Veränderung der Präferenzen der Organisationsmitglieder innerhalb einer gewissen Bandbreite („Akzeptanzzone“), z.B. durch konsensbasierte Selbstabstimmung, in derartigen Ansätzen kategorisch unterminiert. Einen geeigneten theoretischen Zugang zur Untersuchung motivationaler Disposition bieten die Arbeiten des Informationsökonomen Jacob Marschak (1954, 1955). Er typologisiert drei Formen der Zusammenarbeit zwischen Organisationsmitgliedern, die durch unterschiedliche Präferenzstrukturen gekennzeichnet sind und das Kontinuum des Ausmaßes von Interessensdivergenzen abstecken: „Teams“, „Foundations“ und „Coalitions“ (Marschak 1954: 189-190). Innerhalb von Teams liegen weitestgehend homogene Präferenzstrukturen zwischen den Organisationsmitgliedern vor. Die Teammitglieder sind dabei typischerweise zwar in unterschiedlichen Organisationsbereichen tätig, jedoch sind ihre Handlungen und Entscheidungen voneinander abhängig. Für derartige Situationen schlägt Marschak (1955: 128) den Einsatz übergreifender Ergebniskontrollen und konsensbasierte Selbstabstimmungsmechanismen vor. Im Gegensatz zu Teams sind Foundations durch heterogene Präferenzstrukturen der beteiligten Organisationsmitglieder gekennzeichnet. Jedoch ist es im Vorwege der Zusammenarbeit möglich, die Vorgehensweisen zur Verteilung von Entscheidungskompetenzen und Ressourcen zwischen den Akteuren festzulegen (Marschak 1954: 196). Dies kann z.B. auf der Basis der individuellen Präferenzstrukturen in Bezug auf bestimmte Ressourcen unter Abwägung der Gesamtunternehmensziele erfolgen. Die heterogenen Präferenzen der Organisationsmitglieder können zu Interessenskonflikten zwischen ihnen führen. Innerhalb der Selbstabstimmung kann es zu intensiven Verhandlungen kommen, die nicht zwangsläufig in einem Konsens zwischen den Organisationsmitgliedern enden müssen. Daher erfordern 332
Foundations den Einsatz von Steuerungsmechanismen, die über die im Falle von Teams geeigneten Verfahren hinausgehen. Marschak empfiehlt hierfür den zusätzlichen Einsatz von generellen Regeln und Verhaltenskontrollen. Auch Coalitions sind durch heterogene Präferenzen der Organisationsmitglieder gekennzeichnet. Allerdings lassen sich die individuellen Präferenzstrukturen und der Zusammenhang zu dem Gesamtnutzen der Zusammenarbeit ex ante nicht spezifizieren. Daher können auch die Verfahrensweisen zur Entscheidungs- und Aufgabenverteilung im Vorwege der Zusammenarbeit nicht festgelegt werden. Aus diesen Gründen bieten sich nach Marschak ergebnisorientierte Mechanismen zur Steuerung der Zusammenarbeit in Coalitions an (1954: 189190; ähnlich Grandori 1997a: 908). Dabei liegt die Steuerungsaufgabe der Unternehmensleitung darin, individuelle und gruppenbasierte Ziele für die Organisationsmitglieder zu definieren und diese mit kontingenten Anreizen zu verknüpfen. Interessensunterschiede werden dann durch die Ausgleichszahlungen gesteuert und damit quasi entschädigt, aber nicht aufgelöst. Überträgt man Marschaks Konzept auf die vorliegende Untersuchung, so lassen sich die drei Formen zunächst hinsichtlich der angenommenen Kooperationsbereitschaft ihrer Akteure unterscheiden. Demnach setzt sich das Team aus Organisationsmitgliedern zusammen, die über eine homogene Präferenzordnung verfügen und in benevolenter Weise kooperieren. Den Gegenpol hierzu bilden Coalitions, in denen heterogenen Interessen mit Transaktionsmaßnahmen begegnet werden kann. Zwischen diesen beiden Polen befinden sich Foundations, in denen die Mitglieder zwar potenziell unterschiedliche Interessen verfolgen, jedoch konditional kooperationsbereit sind. Damit führt Marschak genauso wie die Vertreter der Governance- und Kompetenz-Perspektive axiomatische Verhaltensannahmen ein, die er jedoch differenzierter untersucht. Zudem nimmt auch er im Rahmen seiner Unterscheidung eine Einordnung in diskrete Strukturalternativen vor, die er mit dichotomen und deterministischen Merkmalen belegt.253 Trotzdem lassen sich einige Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit ableiten, indem Marschak geeignete Steuerungsmechanismen für die unterschiedlichen Formen der Kooperationsbereitschaft vorschlägt. Folgt man seinen Ausführungen, so eignen sich bei konvergenten Interessen der simultane Einsatz von bereichsübergreifenden Ergebniskontrollen und Selbstabstimmungsmechanismen, bei konditionalveränderlichen Interessen eine Kombination aus Selbstabstimmung und Verfahrenssteuerung sowie bei divergenten Interessenslagen sowohl bereichsspezifische als auch -übergreifende Ergebniskontrollen. Diese Erkenntnisse sollen der Analyse der Wechselwirkungen zwischen
253
Zur Kritik an dichotomisierenden und deterministischen Organisationsgestaltungsansätzen vgl. Abschnitt 3.1.2.
333
Steuerungsmechanismen als theoretische Grundlage und Orientierungshilfe bei der Interpretation der Wechselwirkungen der Steuerung dienen. Dabei gilt jedoch weiterhin der Grundsatz, dass Interessensdivergenzen auftreten können, jedoch keinen grundsätzlichen Tatbestand darstellen, und durch die Steuerung verändert oder erst erzeugt werden können.
4.3.3.2
Kognitive Distanz
In den Ansätzen der Kompetenz-Perspektive wird der kognitiven eine höhere Relevanz als der motivationalen Disposition im Rahmen der Steuerung in Organisationen beigemessen (z.B. Amin/Cohendet 2000; Nooteboom 2000a, 2000b; Wuyts et al. 2005; Frost/Morner 2010b). Ihre Beiträge wurden bereits in Abschnitt 2.1.3.3 erläutert und sollen im Folgenden im Hinblick auf die Interpretation der Verhaltensweisen von Akteuren und Wechselwirkungen der Steuerung weitergeführt werden. Kognitive Distanzen zwischen Organisationsmitgliedern resultieren aus ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interpretationen der Umwelt. Die individuellen Erfahrungen der Akteure aus der Interaktion im Unternehmen und in ihrem sozialen Umfeld führen zu verschiedenartigen kognitiven Strukturen.254 Kognitive Strukturen umfassen: „[A] broad range of mental activity, including proprioception, perception, sense making, categorization, inference, value judgments, emotions, and feelings, which all build on each other” (Nooteboom et al. 2007: 1017).
Dadurch verfügen die Organisationsmitglieder über jeweils spezifisches Fachwissen und dementsprechend auch über unterschiedliche Problemlösungskontexte. Entscheidungsprobleme erweisen sich dabei nicht als etwas Gegebenes, sondern müssen von den Akteuren zunächst als solche wahrgenommen und als bedeutend interpretiert werden (Frost 2005: 290291). Je größer das Ausmaß kognitiver Distanz zwischen den Organisationsmitgliedern ist, desto weniger haben sie einheitliche Vorstellungen über die als relevant zu erachtenden Probleme und Ereignisse sowie mögliche Lösungsansätze (z.B. Ringlstetter 1997: 10; Amin/ Cohendet 2000: 97). Im Hinblick auf die bereichsübergreifende Zusammenarbeit im Konzern besteht bei unterschiedlichen kognitiven Strukturen der Organisationsmitgliedern ein Spannungsfeld zwischen der Beibehaltung kognitiver Asymmetrien einerseits und dem Erfordernis der Schaffung kognitiver Nähe andererseits, das es durch die Steuerung aufzulösen gilt (Nooteboom 2000b: 918; 254
In der Literatur wird dies auch mit dem Begriff der „absorptiven Kapazität“ beschrieben, durch die Menschen Realität konstruieren, indem sie ihre gesammelten Erfahrungen und fachspezifischen Kenntnisse kognitiv verarbeiten (vgl. z.B. Cohen/Levinthal 1990; Nooteboom et al. 2007).
334
Frost 2005: 291; Frost/Morner 2010b). Das heißt, einerseits müssen die unterschiedlichen Wissensbestände und Fähigkeiten der Akteure aufrechterhalten und aufeinander abgestimmt werden, um neues Wissen und innovative Lösungen zu entwickeln (Boschma 2005: 63-64; Cohen/Levinthal 1990: 129; Nooteboom et al. 2007: 1017), was insbesondere zur Erschließung von Mehrwertpotenzialen aus horizontalen Komplementaritäten beitragen kann. Andererseits müssen fachliche Verständigungsprobleme ausgeräumt werden, die aus den unterschiedlichen kognitiven Strukturen zwischen den Organisationsmitgliedern resultieren. Um derartige Probleme zu bewältigen, sind vor allem Steuerungslösungen notwendig, die wechselseitige Kommunikations- und Interaktionsprozesse zur Entwicklung intersubjektiver Bedeutungsinhalte fördern (Frost 2005: 291). Sie sollen die Herstellung kognitiver Nähe zwischen den Organisationsmitgliedern ermöglichen, welche eine bereichsübergreifende Nutzung und Bündelung ihrer komplementären Wissensbestände und Fähigkeiten erlaubt und dadurch die Zusammenarbeit zwischen ihnen fördert (Knoben/Oerlemans 2006: 77). Nooteboom (2000a: 155, 2000b: 917-922) bezeichnet dies als „bridging“ und meint damit, dass durch die Steuerung eine Anschlussfähigkeit zwischen den unterschiedlichen kognitiven Strukturen der Organisationsmitglieder hergestellt werden muss, um die Unternehmensziele bestmöglich zu erreichen.255 Daraus geht hervor, dass es sich bei der kognitiven Distanz nicht um einen unidirektionale Determinante, sondern – wie bereits im Falle der Interessensdivergenzen – um eine Gestaltungsvariable der Steuerung handelt, die Auswirkungen auf die Effektivität unterschiedlicher Mechanismen hat und umgekehrt durch diese (positiv) beeinflusst werden kann. So setzen einige Steuerungsmechanismen die kognitive Nähe zwischen den Organisationsmitgliedern voraus. Fehlende kognitive Nähe, etwa zwischen Mitarbeitern der Konzernleitung und der untergeordneten Einheiten, kann dazu führen, dass die Mechanismen der Verfahrenssteuerung nicht effektiv verwendet werden können. Die Konzernleitung muss über ein gleichwertiges Wissen wie die zu steuernden Organisationsmitglieder der Konzerneinheiten verfügen, um beurteilen zu können, ob diese die angefallenen Problemstellungen richtig bearbeitet haben. Sie muss über alle entscheidungsrelevanten Informationen verfügen und die Ursache-Wirkungszusammenhänge zwischen den Vorgehensweisen der Akteure und der Problemlösung beurteilen können (Merchant/Van der Stede 2007: 76). Auch die Ergebnissteuerung setzt ein gewisses Maß an kognitiver Nähe zwischen der Konzernleitung und den Mitgliedern der Konzerneinheiten voraus. Die Konzernleitung muss einerseits in der Lage
255
Frost beschreibt diese Steuerungsherausforderung wie folgt: „Es geht nicht darum die kognitiven Asymmetrien umfassend zu reduzieren, sondern Überlappungen zu schaffen, damit genügend Raum für spezialisierte Suchheuristiken bleibt und dennoch ein gemeinsames Problemverständnis die umfassende Ausschöpfung des Wertpotentials der komplementären Wissensbestände ermöglicht“ (Frost 2005: 292; eigene Hervorhebung).
335
sein, zwar ambitionierte jedoch realistischerweise erreichbare Ziele festzulegen, andererseits beurteilen können, ob die Ergebnisse der Konzerneinheiten im Hinblick auf die Zielerreichung auf deren Anstrengungen oder aber auf exogene, nicht durch ihre Handlungen beeinflusste Faktoren wie beispielsweise Marktentwicklungen zurückzuführen sind (Simons 1995: 59-60; Anthony/Govindarajan 2001: 445; Frost 2005: 321). Die Selbstabstimmung kann sich bei kognitiven Distanzen zwischen Organisationsmitgliedern hingegen als sehr effektiv erweisen, indem sie dazu beiträgt, heterogenes Wissen zusammenzuführen und dadurch kreative Lösungsprozesse anzustoßen. Darüber hinaus stellt sie eine Voraussetzung dar, um organisationale Handlungsfähigkeit trotz eines hohen Ausmaßes kognitiver Distanz herzustellen, weil sie interaktive Lernprozesse fördert und eine gemeinsame Wissensbasis schafft (Morone/Taylor 2004: 328; Frost 2005: 340). Im Falle der personellen Verflechtung muss ferner durch die Selektion geeigneter Mitarbeiter sichergestellt werden, dass diese über hinreichend fachliches und gleichwertiges Wissen verfügen, um die Steuerungsaufgaben effektiv zu lösen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass ergebnis- und verfahrensorientierte Steuerungsmechanismen ein hinreichendes Maß an kognitiver Nähe bei der Instanz voraussetzen, während die Mechanismen der Selbstabstimmung und die personelle Verflechtung dazu beitragen können, derartige Symmetrien zu erzeugen und zu fördern. Die Kombination dieser Steuerungsverfahren kann somit einen enormen Beitrag leisten, kognitive Distanzen zwischen Akteuren abzubauen, wobei zu berücksichtigen gilt, dass heterogene Wissensstände eine notwendige Bedingung zur Schaffung von Mehrwert und zur Erzielung nachhaltig verteidigungsfähiger Wettbewerbsvorteile darstellen.
336
4.3.4 Wechselwirkung der Steuerung Den abschließenden Bestandteil der vorliegenden Arbeit bildet die empirische Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Steuerungsmechanismen. In Abschnitt 4.3.2 wurden die im Fallstudienkonzern eingesetzten Steuerungskombinationen analysiert, vor dem Hintergrund ihrer Effektivität zur Lösung von Koordinationsproblemen diskutiert und in Propositionen zusammengefasst. Da das Steuerungsverständnis dieser Arbeit über die Koordination von Ressourcen- und Aktivitäteninterdependenzen zwischen Konzerneinheiten hinausreicht und die Einordnung der Verhaltens- und Handlungsweisen von Organisationsmitgliedern berücksichtigt, gilt es die Wirkungsweisen der eingesetzten Mechanismen diesbezüglich zu untersuchen. Die Effektivität von Steuerungskombinationen kann auf diese Weise sowohl im Hinblick auf ihre Koordinations- als auch Verhaltenswirkung erklärt werden. Da die Koordinationswirkungen bereits interdependenzspezifisch und die Verhaltenswirkungen einzelfallweise analysiert und interpretiert worden sind, erfolgt an dieser Stelle eine gesamthafte und übergreifende Untersuchung von Wirkungszusammenhängen der Steuerung im Fallstudienkonzern. Dabei wird erneut das Verfahren der QAP-Korrelation genutzt, diesmal um die partiellen Steuerungsnetzwerke miteinander zu vergleichen und signifikante Wirkungsverhältnisse zwischen den einzelnen Mechanismen zu ermitteln. Dabei indizieren positive Korrelationskoeffizienten ein funktionales, negative ein dysfunktionales Wirkungsverhältnis zwischen zwei Steuerungsmechanismen.256 Um die Güte und Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse zu erhöhen, gilt es im Rahmen der Interpretation der QAPResultate auf die Befunde der qualitativen Einzelfallanalysen sowie die theoretischen Konstrukte des konzeptionellen Bezugsrahmens (Abschnitt 2.5) dieser Arbeit zurückzugreifen.
4.3.4.1
Resultate der quantitativen Ermittlung von Wechselwirkungsverhältnissen
Die Resultate der QAP-Analyse der zehn partiellen Steuerungsnetzwerke sind in Tabelle 18 dargestellt. In diesem Abschnitt sollen zunächst die wichtigsten Ergebnisse erläutert werden, bevor ihre Interpretation erfolgt. Bei bereichsspezifischen Ergebniskontrollen weisen die Analyseresultate einen deutlich positiven Zusammenhang zu Verrechnungspreisen (P=0,66) und genereller Verfahrenssteuerung (P=0,66) sowie eine negative Korrelation zur fallweisen Selbstabstimmung (P=-0,21) nach. 256
Zu den Wechselwirkungsformen vgl. Abschnitt 2.5.
337
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen sind hingegen stark positiv korreliert mit dieser Interaktionsform (P=0,83) sowie auch mit der themenspezifischen Selbstabstimmung (P=0,53), der fallweisen Verfahrenssteuerung (P=0,52) und der personellen Verflechtung (P=0,49); jedoch besteht ein negativer Zusammenhang zu Verrechnungspreisen (P=-0,41). Verrechnungspreise sind darüber hinaus auch negativ mit den fallweisen Ausprägungen der Verfahrenssteuerung und Selbstabstimmung korreliert (P=-0,17; P=-0,35), während ein positiver Zusammenhang zur generellen Verfahrenssteuerung besteht (P=0,62). Die generelle Verfahrenssteuerung ist darüber hinaus deutlich positiv mit der institutionalisieren Selbstabstimmung (P=0,78) und der fallweisen Verfahrenssteuerung (P=0,51) sowie auffällig negativ mit der personellen Verflechtung korreliert (P=-0,27). Die fallweise Verfahrenssteuerung ist zusätzlich positiv mit den interaktiven Steuerungsmechanismen, die im Falle der institutionalisierten Selbstabstimmung am stärksten ausgeprägt ist (P=0,61), und Budgets korreliert (P=0,49). Bei der fallweisen Selbstabstimmung liegt weiterhin ein deutlich positiver Zusammenhang zur themenspezifischen Selbstabstimmung sowie zur personellen Verflechtung vor (P=0,67; P=0,55). Schließlich zeigen die Korrelationswerte deutlich positive Zusammenhänge zwischen der themenspezifischen bzw. institutionalisierten Selbstabstimmung und Budgets (P=0,54 bzw. P=0,50). Insgesamt resultieren aus dieser QAP-Analyse 29 positive und sechs negative Korrelationswerte, während zehn Korrelationen statistisch nicht signifikant waren (p0,05). Aus diesen Ergebnissen lassen sich bereits bestimmte Wirkungszusammenhänge zwischen den Steuerungsmechanismen erkennen, welche nachfolgend interpretiert und theoretisch reflektiert werden sollen.
338
339
0,42***
Institutionalisierte Selbstabstimmung
0,23*
0,17
0,49***
0,19*
0,53***
0,83***
0,52***
0,08
í 0,41***
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
0,29**
í 0,01
0,35**
0,14
í 0,35***
í 0,17*
0,62***
Verrechnungspreise
0,44***
í 0,27***
0,78***
0,27**
í 0,08
0,51***
Generelle Verfahrenssteuerung
0,49***
í 0,03
0,61***
0,34***
0,30***
Fallweise Verfahrenssteuerung
0,23*
0,55***
0,09
0,67***
Fallweise Selbstabstimmung
Tabelle 18: Resultate der QAP-Korrelation partieller Steuerungsnetzwerke (Quelle: Eigene Darstellung)
* p < 0,05; ** p < 0,01; *** p < 0,001
Budgets
í 0,01
0,24*
Personelle Verflechtung
í 0,21*
0,26***
Fallweise Verfahrenssteuerung
Themenspezifische Selbstabstimmung
0,66***
Generelle Verfahrenssteuerung
Fallweise Selbstabstimmung
0,66***
í 0,04
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Verrechnungspreise
Bereichsübergreifende Ergebniskontrollen
Bereichsspezifische Ergebniskontrollen
Steuerungsmechanismus
0,54***
0,47***
0,48***
Themenspezifische Selbstabstimmung
0,50***
í 0,20*
Institutionalisierte Selbstabstimmung
0,07
Personelle Verflechtung
Budgets
4.3.4.2
Interpretation der Wechselwirkungen und theoretische Einordnung der empirischen Untersuchungsergebnisse
Die QAP-Resultate der Wechselwirkungszusammenhänge zwischen Steuerungsmechanismen stützen die bisherigen Erkenntnisse aus der qualitativen, einzelfallbezogenen Untersuchung der vorliegenden Arbeit und sollen im Folgenden dazu genutzt werden, die Effektivität der im Fallstudienkonzern eingesetzten Steuerungskombinationen zu erklären (2. Forschungsfrage). Durch die einzelfall- und interdependenzformunabhängige Betrachtung der Konzernsteuerung lassen sich übergreifende Beziehungsmuster zwischen den Steuerungsmechanismen identifizieren. Wie in Abschnitt 4.3.1 gilt es, die Ergebnisse dieser QAP-Analyse vorhandenen Erkenntnissen über die Verhaltenswirkungen der Steuerung257 gegenüberzustellen und schließlich in Propositionen zu überführen, um eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand zu unterstützen. Zunächst weisen die Analyseresultate deutliche Zusammenhänge zwischen Mechanismen der Ergebnissteuerung und der Selbstabstimmung nach. Dabei fällt insbesondere auf, dass bereichsspezifische Ergebniskontrollen und Verrechnungspreise negativ mit der fallweisen Selbstabstimmung korreliert sind (P=-0,21; P=-0,35), während im Falle bereichsübergreifender Ergebnissteuerung ein stark positiver und hochsignifikanter Zusammenhang hierzu besteht (P=0,83; p