Karl Kreuser / Thomas Robrecht (Hrsg.) Führung und Erfolg
Karl Kreuser Thomas Robrecht (Hrsg.)
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Karl Kreuser / Thomas Robrecht (Hrsg.) Führung und Erfolg
Karl Kreuser Thomas Robrecht (Hrsg.)
Führung und Erfolg Eigene Potenziale entfalten, Mitarbeiter erfolgreich machen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Susanne Kramer | Ulrike M. Vetter Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2171-0
Vorwort
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Vorwort Das vorliegende Buch ist ein Experimentier- und Arbeitsbuch und soll Anregungen und Handlungsimpulse im beruflichen Umgang mit Menschen bieten. Es ist gleichzeitig ein Lesebuch für Zeiten der Nachdenklichkeit. Dabei will es keine Rezepte geben, sondern zur Gestaltung von Prozessen der gewinnbringenden Zusammenarbeit beitragen. Unser Buch soll zu neuen Antworten verhelfen und zu neuen Fragen anregen. Denjenigen, die auf der Suche sind, kann es Sicherheit und Orientierung bieten, eine Balance zwischen Führungshaltung und Führungsmethoden zu finden. Anderen, die auf einem stimmigen Weg sind, kann es Bestätigung und Stärkung sein. Dieses Buch ist aus dem Wunsch entstanden, der von vielen unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Seminaren, Workshops und Beratungen immer wieder an uns herangetragen wurde: Ein Buch, das sich speziell an erfahrene Führungskräfte wendet. An Führungskräfte, die „mit allen Wassern gewaschen“ sind. Die, durch ihre Erfahrung bereichert, so schnell nicht aus dem Tritt kommen. Beim Schreiben haben wir schnell gemerkt, dass es nicht die Erfahrung allein ist, die Führungskräfte erfolgreich macht. Es ist vielmehr die wertegeleitete Überzeugung, aus der heraus Führungshandeln abgeleitet und Erfolg definiert wird. Erkenntnisse der Trend- und Zukunftsforschung zeigen, dass in der Optimierung von formalen Prozessen und Strukturen kaum noch Synergieeffekte zu erwarten sind. Durch Qualitäts- und Prozessmanagement sind die Grenzen der Verbesserung erreicht. Die meisten Forscher sind sich einig, dass die Mehrzahl der ungenutzten Potenziale im Menschen liegt. In den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Führungskräften. So bedeutet die Entwicklung als Führungskraft zweierlei: die Fähigkeit zum Erkennen, Fördern und Nutzen der Potenziale der Mitarbeitenden und gleichzeitig das Entdecken und Entfalten der eigenen Potenziale. Es gilt in jeder Hinsicht, auf noch verborgene Talente und Kompetenzen zu bauen. Kompetenzen verstehen wir hier als Dispositionen zu selbstorganisiertem Denken und Handeln. Sie sind eine Funktion aus Erfahrung, Wissen, Werten und Wille. Die beiden Komponenten „Erfahrung“ und „Wille“ können wir durch unsere Beiträge kaum verändern. Unser Anteil zielt auf die Vermittlung oder Auffrischung nützlichen Wissens und die Reflexion der eigenen Werteorientierung zu der Frage „Was lässt mich erfolgreich sein?“. Die Beiträge wurden von Partnerinnen und Partnern der Beratergruppe SOKRATeam verfasst. Wir alle sind erfahrene Trainer, Begleiter und Berater für Managemententwicklung und Veränderungsprozesse. Und wir alle haben reichlich eigene Führungserfahrung. So unterschiedlich die Perspektiven auch sind, so individuell die inhaltliche Herangehensweise, eines verbindet uns alle und gibt den notwendigen Zusammenhang: das gemeinsame Menschenbild und die Werteorientierung, die dahinterstehen. Damit wollen wir unser Kernanliegen zum Ausdruck bringen: unsere gemeinsame Überzeugung, dass der nachhaltige Erfolg von Führungskräften wesentlich davon abhängt, wie es ihnen gelingt, ihre Mitarbeitenden erfolgreich zu machen. Wir vergleichen berufliches Zusammenwirken mit
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Karl Kreuser und Thomas Robrecht Vorwort
Mannschaftssport. Der Erfolg jedes Teamkapitäns, jedes Mannschaftstrainers stellt sich nur dann ein, wenn alle auf Dauer ein gutes Spiel machen. Wir schreiben dieses Buch für Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter erfolgreich machen wollen. Für Führungskräfte, die einen bedeutenden Teil ihres eigenen Erfolgs darüber definieren, wie sie ihre Mitarbeitenden inspirieren, begleiten, steuern, fördern und auch fordern. Kurz: die es als eine ihrer wesentlichen Aufgaben begreifen, Dienstleister ihrer Mannschaft zu sein, damit diese ein gutes Spiel machen kann. So gesehen ist dieses Buch nicht nur ein „Führungskräftebuch“, sondern gleichzeitig ein „Mitarbeiterbuch“. Wir wissen, dass ein Buch zu solch komplexen Fragen nur bedingt Beiträge leisten kann. Deshalb wollen wir abschließend dazu ermuntern, eigene Formen zu finden und zu erproben, in denen Sie Ihre Potenziale erfolgreich freisetzen können. Nutzen Sie Coaching, Supervision, kollegiale Beratung oder andere Möglichkeiten, Ihr Führungshandeln und alles, was Sie bewegt, in fruchtbarer Form immer wieder in Frage zu stellen und neu zu konstellieren. So können Sie Erfolg erlangen. Lassen Sie sich überraschen, was Sie dabei noch entdecken werden! München, im März 2010
Karl Kreuser und Thomas Robrecht
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................. 5 Karl Kreuser und Thomas Robrecht Erfolgreiche Führungskräfte....................................................................................... 11 Führung und Erfolg.................................................................................................................11 Erfahrene Führungskräfte.......................................................................................................11 Neue Führungskräfte ..............................................................................................................12 Erfolgreiche Führungskräfte ..................................................................................................12 Zu diesem Buch........................................................................................................................13 Ideal und Wirklichkeit ............................................................................................................16 Handeln und Nachdenken .....................................................................................................16 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................17
Teil I: Grundlagen von Erfolg...........................................19 Thomas Robrecht Umgang mit Emotionen............................................................................................... 21 Emotionen sind allgegenwärtig .............................................................................................22 Die Gehirnetagen .....................................................................................................................22 Bedeutung für den Alltag .......................................................................................................24 Emotionen erkennen ...............................................................................................................24 Hilfreiches Perönlichkeitsmodell...........................................................................................26 Die alltägliche Emotionsleugnung ........................................................................................28 Das Eisbergmodell...................................................................................................................31 Heile Welt ohne Emotionen?..................................................................................................34 Fazit ...........................................................................................................................................35 Tipps für den Alltag ................................................................................................................35 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................37 Literatur und Quellen .............................................................................................................37
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Karl Kreuser Inhaltsverzeichnis
Karl Kreuser Konflikt und Führungsaufgaben ............................................................................... 39 Konflikt — was ist das eigentlich?.........................................................................................40 Der Blick auf die Führungsaufgabe.......................................................................................43 Führungsaufgaben im Konflikt..............................................................................................45 Mit Konflikten umgehen.........................................................................................................49 Fazit ...........................................................................................................................................56 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................57 Literatur und Quellen .............................................................................................................57
Andrea Gässler Auf dem Weg zum erfolgreichen Spitzenteam ....................................................... 59 Teamentwicklung als notwendige Führungsaufgabe.........................................................59 Wissenschaftlich „Hinter-Gründliches“ ...............................................................................60 Von Einzelbeziehungen zum Netzwerk ...............................................................................61 Führung ist Gestalten von Gruppenprozessen ....................................................................64 Erfolgreiche Führung ist Vertrauenssache ...........................................................................70 Haltung erzeugt Verhalten .....................................................................................................70 4-W-Feedback als wichtiges Führungsinstrument ..............................................................73 Führungsfähigkeiten als Voraussetzung ..............................................................................75 Zu guter Letzt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?..............................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Renata Bauer-Mehren Abschied und Trauerarbeit ......................................................................................... 76 Was ist Trauerarbeit?...............................................................................................................76 Wie sieht bewusste Trauerarbeit aus?...................................................................................76 Die Auseinandersetzung mit sich selbst...............................................................................76 Trauerarbeit für die Persönlichkeitsentwicklung ................................................................76 Trauer und Konflikt.................................................................................................................76 Trauerarbeit im betrieblichen Umfeld ..................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Inhaltsverzeichnis
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Teil II: Erfolge gestalten.................................................76 Thomas Robrecht Über Veränderungen.................................................................................................... 76 Veränderungen polarisieren...................................................................................................76 Das Haus der Veränderung....................................................................................................76 Die Arbeit mit dem „Haus der Veränderung“.....................................................................76 Eine Anregung zum Schluss ..................................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Claudia Stahr-Baugut Die Führungskraft als Personalentwickler .............................................................. 76 Personalentwicklung als Prozesses .......................................................................................76 Analyse des Entwicklungsbedarfs.........................................................................................76 Das Entwicklungsgespräch ....................................................................................................76 Potenzial und Leistung ...........................................................................................................76 Entwicklungsmöglichkeiten...................................................................................................76 Erfolgskontrolle........................................................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Ingrid Walter-Kühfuss Mentoring....................................................................................................................... 76 Ausgangssituation für Mentoring .........................................................................................76 Ziele von Mentoring ................................................................................................................76 Mentoring — ein Gewinn für alle Beteiligten ......................................................................76 Planung und Organisation eines Mentoring-Programms ..................................................76 Die Akteure beim Mentoring .................................................................................................76 Fazit ...........................................................................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
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Manola Kraus Inhaltsverzeichnis
Manola Kraus Business Coaching ........................................................................................................ 76 Der erste Kontakt .....................................................................................................................76 Das erste Treffen ......................................................................................................................76 Und so ging es weiter..............................................................................................................76 Nachtrag....................................................................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Angelika Härlin Feedback und Kommunikation als Führungsmittel .............................................. 76 Zur Einstimmung auf das Gespräch .....................................................................................76 Was ist ein Mitarbeitergespräch?...........................................................................................76 Hintergrundwissen und Forschungsergebnisse ..................................................................76 Feedback als Führungsmittel .................................................................................................76 Praktische Tipps für das Mitarbeitergespräch .....................................................................76 Feedback im Mitarbeitergespräch .........................................................................................76 Leitfaden für konstruktives Feedback: Das 4-W-Modell....................................................76 Auf einen Blick .........................................................................................................................76 Drei Fragen zum Weitermachen............................................................................................76 Literatur und Quellen .............................................................................................................76
Das Autorenteam .......................................................................................................... 76 Abbildungsverzeichnis................................................................................................ 76 Tabellenverzeichnis ..................................................................................................... 76 Stichwortverzeichnis.................................................................................................... 76
Erfolgreiche Führungskräfte
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Erfolgreiche Führungskräfte Karl Kreuser und Thomas Robrecht
Führung und Erfolg Um überhaupt von „Führung“ sprechen zu können, wird vorausgesetzt, dass es auf der anderen Seite etwas wie „Folge“ gibt. Folge kann durch formale Vorgaben, Kontrolle oder Druck erzwungen werden. Sie kann ebenfalls durch Rahmensetzungen hervorgerufen werden, die freiwillig und gern folgen lassen, also statt Druck eher eine Sogwirkung erzeugen. Niemand anders als die Mitarbeitenden können Auskunft darüber geben, ob sie den konkreten Rahmen, den die Führungskraft vorgibt, als Druck oder als Sog erleben. Nur sie können sagen, wie förderlich oder wie hinderlich sie tägliches Führungsverhalten für ihre Erfolge, ihre Arbeit und deren Bedingungen erfahren. Es ist die Gestaltung eines Möglichkeitsraumes, in dem Mitarbeitende ihre Kompetenzen einsetzen und ihre Potenziale und Talente entfalten können. Jede Art von Führungserfolg kann darauf zurückgeführt werden, wie „Erfolg“ definiert wird. Sind Karriere, Status, Einkommen und Dienstwagen die alleinigen Kriterien von Erfolg? Oder ist es vielmehr eine gelungene Balance zwischen eigenen Interessen der Führungskraft, zwischen Anliegen der Mitarbeitenden und zwischen Zielen des Unternehmens und seiner Kunden?
Erfahrene Führungskräfte Erfahrene Führungskräfte wollen Austausch oder Anregungen, die ihnen Mehrwert bringen. Der Zugewinn liegt dabei jenseits von hergebrachten Führungsseminaren und außerhalb der bekannten und gewohnten Methoden. Die Fragen sind seit den ersten Gehversuchen als Führungskraft andere geworden. Sie beziehen sich zum Teil auf konkrete Sachverhalte, für die es handfeste Tipps oder Auffrischung des Führungswissens braucht. Sie sind jedoch manchmal schwer zu formulieren. So wächst der Wunsch nach Erfahrungsaustausch und danach, das eigene tägliche Führungshandeln zu überprüfen oder die eigene Einstellung zu reflektieren. Je höher die erreichte Hierarchiestufe, desto schwieriger wird dieser Wunsch Erfüllung finden. Die Luft wird dünner, je weiter wir nach oben klettern. Es gibt weniger Gleichgestellte, und es ist nicht immer einfach, sich mit den wenigen Kollegen im eigenen Unternehmen, die sich auf gleicher Ebene befinden, über Fragen, die einen bewegen, über konkrete Probleme oder Zweifel auszutauschen. Auch im Freundes- oder Bekanntenkreis wird es nicht immer gelingen, nützlichen und tiefgründigen Austausch zu erhalten.
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Wir erleben ferner, dass die Fragen, die in diesem Zusammenhang auftreten, vielfach mit Sinnfragen verbunden sind. Das kann der Sinn der Arbeit an sich sein, das tägliche Streben und Verfolgen immer ehrgeizigerer Ziele. Oder das Hinterfragen des Sinns der eigenen Führungsaufgabe, des gelegentlich nur noch als nicht enden wollender Balanceaktes irgendwo zwischen Motivation und Sanktion erlebt wird. Oder der Sinn des Unternehmens mit seinen Strategien und Werten – den geschriebenen wie den tatsächlich gelebten. Wenn beruflich wie privat bereits viel erreicht wurde, die erste Hälfte des Lebens eine Phase des ständigen Aufbaus war, stellt sich die Frage, wie sich die nächsten 20 bis 25 Jahre bis zum Ruhestand entwickeln werden. Die Karriereleiter ist erklommen, das Eigenheim fast abbezahlt, die Kinder bald aus dem Haus. Und dann? Was lässt mich erfolgreich sein?
Neue Führungskräfte Führungskräfte, die neu in diese Aufgaben hineinwachsen, haben andere Anliegen: Oft bekommen sie die Führungsaufgabe übertragen, weil sie sich fachlich bewährt haben. Hier stellt sich die Frage, ob sie eher „oberste fachliche Instanz“ ihres Teams sein sollen oder ob die Aufgabe eher darin besteht, Fachleute zu koordinieren und zur Wirkung zu bringen. Der Wandel in der fachlich-methodischen Kompetenz besteht im Loslassen von inhaltlichen Fragen und in der Konzentration auf Prozesse steuernde Methoden. Hinzu kommt die Sicherheit in der Fachlichkeit bei gleichzeitiger Unsicherheit in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Das Verhältnis zwischen fachlich-methodischen Kompetenzen („das kann ich gut“) und sozial-kommunikativen Kompetenzen („da bin ich unsicher“) verändert sich: Wie gehe ich mit Mitarbeitenden um, die älter oder wesentlich länger im Unternehmen sind als ich? Wie begegne ich Mitarbeitenden, die bis gestern Kolleginnen und Kollegen auf gleicher Stufe waren – wenn ich nun auch Arbeitgeber- statt nur Arbeitnehmerinteressen zu vertreten habe? Wie finde ich die richtige Balance zwischen Distanz und Nähe? Wie gehe ich mit meiner Unsicherheit beim ersten Mitarbeitergespräch um? Wann und wie greife ich bei Konflikten ein? Auch neue Führungskräfte haben oft das Bedürfnis nach Austausch, den Wunsch nach Antworten. Und auch sie fühlen sich oft allein mit ihren Fragen, ihrem Bedürfnis nach Orientierung und etwas mehr Handlungssicherheit. Und nun? Was lässt mich erfolgreich sein?
Erfolgreiche Führungskräfte Der Erfolg einer Führungskraft hängt nicht von ihrer Erfahrung allein ab. Man kann jahrelang vergeblich auf der Suche sein und man kann von Anfang an erfolgreich sein. Der Unterschied besteht nicht in der Dauer der Tätigkeit, sondern in den Fragen, die man sich stellt, und in den Antworten, die man darauf findet und auch umsetzt. Es sei noch einmal an Kompetenz erinnert, die Funktion aus Erfahrung, Wissen, Wille und Werten. Das sind zugleich die Grundpfeiler von Erfolg. Wenn Führungserfahrung noch nicht verfügbar ist, kann Methodenwissen helfen, diese Lücke zeitweise zu überbrücken –
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dauerhaft ersetzen kann es Erfahrung nicht. Methoden sind „geronnene Erfahrungen“ anderer, die man nutzen kann, ohne die Erfahrung selbst gemacht zu haben. Sinngemäß besagt es: „In dieser Situation am besten so, weil es in solchen Situationen Erfolg versprechend ist, so vorzugehen.“ Erfahrung kann dabei Ressource sein, die Situation aus einer anderen Gelassenheit heraus zu betrachten. Sie hilft dann einzuordnen, ob „diese“ aktuelle Situation wirklich eine ist, die mit „solchen“ ähnlichen Situationen vergleichbar ist, und ob es weiterführt, eine bestimmte Methode anzuwenden. Die Frage ist, was Sinn macht, so und nicht anders zu verfahren. Im Unterschied zu fehlender Erfahrung, die gelegentlich durch Methoden überbrückt werden kann, können fehlender Wille und unreflektierte Werte nicht kompensiert werden. Letztlich kann man alle Fragen nach Erfolg auch darauf zurückführen, worin der Sinn – die Werte – der Führungsaufgabe gefunden werden. Eine Möglichkeit ist, einen erheblichen Teil des eigenen Erfolgs darin zu sehen, die Mitarbeitenden erfolgreich zu machen. Führen geschieht dabei weniger durch formalen Druck, sondern stattdessen mehr im Gestalten eines Rahmens der Arbeitsfähigkeit. Führungskräfte, die keinen hierarchischen Vorteil der Sanktion besitzen – so etwa typisch bei Führungsaufgaben in Projekten – haben in der Regel nur diese eine Chance. Erfolgreiche Führungskräfte begegnen ihren Mitarbeitenden menschlich auf Augenhöhe. Sie achten auf gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Vertrauen. Dabei hat Respekt nichts mit Unterwürfigkeit oder Willfährigkeit zu tun, es ist vielmehr die Würdigung der Werte des anderen. Vertrauen ist hier nicht zu verwechseln mit Blauäugigkeit, sondern die Zuversicht in die Kompetenzen und in die Verlässlichkeit anderer. Vertrauen bedeutet, sich verletzbar zu machen und darauf zu setzen, dass andere diese Verletzbarkeit nicht ausnutzen, sondern als Möglichkeitsraum für Erfolg begreifen. Vertrauen ist eine wertebasierte Haltung, um Freiräume zu eröffnen. Kontrolle ist eine nicht delegierbaren Führungsaufgabe, um zu sehen, ob und wie Mitarbeitende ihren Vertrauensbereich, ihre Freiräume nutzen. Beides durch „gut“ oder „besser“ zu vergleichen bedeutet, von Äpfeln und Birnen zu sprechen.
Zu diesem Buch Führung ist nicht statisch und kein Fixpunkt, der, einmal erreicht, auf Dauer Gültigkeit hat. Das Phänomen Führung ist eher ein dynamisches Gleichgewicht, das immer wieder erneut hergestellt werden muss. Unser Buch will kein umfassendes Kompendium über Führung sein. Es stellt schlaglichtartig einige praxisrelevante Perspektiven dar, die einladen, Zusammenhänge so zu betrachten, dass Neuartiges, Hilfreiches oder Nachdenkliches dabei sichtbar wird, und die dazu verhelfen sollen, erfolgreiches Führungshandeln immer wieder neu herzustellen. Jeder Beitrag in diesem Buch steht dabei für sich und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. So können je nach Bedarf einzelne Perspektiven bearbeitet werden, ohne das gesamte Buch lesen zu müssen. Jeder Aufsatz vermittelt Hintergrundwissen, um Zu-
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sammenhänge besser zu verstehen, und bietet daneben praktikable Tipps an, um Führungshandeln zu unterstützen. Dabei haben wir nicht den Anspruch auf Patentrezepte, die gibt es nicht. Wir wollen erprobte Handlungsanregungen aufzeigen, die durch die Praxis unserer Leserinnen und Leser relativiert werden müssen. Wir bieten also an, unsere Erfahrung mit Ihrer Erfahrung zu etwas Neuem zu verbinden. Veränderung wird immer dann möglich, wenn wir nicht noch mehr vom Gleichen tun, sondern stattdessen etwas anderes. Dabei wissen wir zuvor nicht, ob dieses andere erfolgreich sein wird oder nicht. Das erkennen wir erst, wenn wir es ausprobiert haben. So regen wir zu Handlungen an, die wir bewusst „Topfschlagen“ nennen: Es ist das Lernen aus Versuch und Irrtum. Sollte also der erste Versuch zur Veränderung noch kein Treffer sein, dann sollte das nicht verwirren oder zum Aufgeben veranlassen. Der Wille zur Veränderung wird uns zu immer neuen Versuchen anregen, bis wir einen „Treffer“ gelandet haben. Unsere Absicht ist, die „Trefferquote“ unserer Leserinnen und Leser zu beschleunigen und zu erhöhen. Wir wissen, dass es neben den von uns behandelten Inhalten noch viele andere gibt. Die Auswahl wurde auf die Themen fokussiert, nach denen wir am häufigsten gefragt werden. So hat uns der Alltag zur Schwerpunktsetzung verholfen. Wir haben die Beiträge in zwei Bereiche gegliedert:
I. Einstellung zum Erfolg entwickeln Zunächst wollen wir einige Sichtweisen darstellen, die grundlegend dazu dienen sollen, die eigene Einstellung als Führungskraft zu reflektieren. Letztlich ist es eine bestimmte Haltung, die es ausmacht, den eigenen Erfolg im Erfolg der Mitarbeitenden zu finden. Thomas Robrecht befasst sich mit Fragen im Umgang mit Emotionen. Über seine beiden Leitmodelle der „Gehirn-Etagen“ und des „Eisbergmodells“ findet er die Antwort, dass Emotionen im menschlichen Miteinander allgegenwärtig sind und durch herkömmliche Managementmethoden nicht ausreichend berücksichtigt werden. Zu starke Sachlichkeit kann sogar in Lösungsfallen führen. So gilt es, Emotionen ausreichend zu berücksichtigen, und dazu bietet dieser Beitrag zahlreiche Anregungen. Letztlich gilt es hier, eine Balance zu finden zwischen methodischen Hilfestellungen und einer förderlichen Einstellung, die es erlaubt, Emotionen gezielt zu nutzen. Denn: Verbieten lassen sich Emotionen nicht. Konflikt und Führungsaufgaben, der Beitrag von Karl Kreuser, geht auf eine normale Tatsache unter Menschen ein: den Konflikt. Neben einigen Erläuterungen dieses Phänomens konzentriert sich der Autor vor allem auf Führungsaspekte im Konflikt. In der Entkräftigung des „Mythos vom Konsens“ zeigt er, wie wichtig die Führungsaufgabe des Entscheidens gerade im Konflikt ist und umgekehrt, wie jede Entscheidung Konflikte auslösen kann. Den Abschluss bildet ein hilfreicher Blick in die Werkzeugkiste der Mediatoren, die auch Führungskräften das eine oder andere Werkzeug anbietet. Andrea Gässler widmet sich in ihrem Beitrag Auf dem Weg zum erfolgreichen Spitzenteam der Teamentwicklung als Führungsaufgabe. Sie vermittelt zunächst einen erklären-
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den Einblick in Erkenntnisse der Gruppenforschung und leitet daraus erste Empfehlungen ab. Am Modell der Gruppenphasen zeigt sie dann, dass das Führen eines Teams ein ständiger Prozess ist, in dem je nach Entwicklungsphase unterschiedliche Führungsinterventionen sinnvoll sind. Dieser Beitrag zeigt das Ineinandergreifen von Methoden, Haltung und Verhalten auf, das beim Führen und Entwickeln von erfolgreichen Teams hilfreich ist. Veränderungen sind im Beruf alltägliche Tatsache und ein Prozess aus Loslassen und Neubeginnen. In ihrem Beitrag Abschied und Trauerarbeit nutzt Renata Bauer-Mehren Erkenntnisse aus der Trauerarbeit, um Phänomene, die wir aus Veränderungsprozessen, Führungskräftewechseln oder Konflikten kennen, zu erklären. Es gelingt ihr damit, zunächst Verstehen und damit Verständnis für solche Situationen des Abschieds zu vermitteln, um dann sehr pragmatische Handlungsoptionen für unterschiedliche Situationen zu benennen.
II. Erfolge gestalten Dieser Teil führt konkrete Beispiele auf, wie Führungskräfte mit unterschiedlichen Mitteln des Förderns und Forderns in verschiedenen Situationen Rahmenbedingungen für Erfolge ihrer Mitarbeitenden gestalten können. Führen bedeutet ständige Auseinandersetzung mit Veränderung. Thomas Robrecht setzt sich in seinem Beitrag Über Veränderungen mit diesem Phänomen auseinander. In anregender Mischung aus Hintergrundwissen und praktischen Tipps vermittelt er die Aspekte, die Veränderung erfolgreich sein lassen: Zunächst ist es hilfreich zu erkennen, was bei Veränderungen mit den Menschen gerade passiert. Weiter braucht es erprobte Methoden, um Veränderungen zielführend und integrierend zu gestalten. Ferner bedarf es reflektierter Souveränität bei den Führungskräften, um in unsicheren Zeiten Orientierung geben zu können. Claudia Stahr-Baugut zeigt unter dem Titel Die Führungskraft als Personalentwickler Möglichkeiten auf, wie strategische Ziele und die Entwicklung der Mitarbeitenden für zukünftige Herausforderungen in Einklang gebracht werden können. Nach einer Einführung zu Chancen und Grenzen der Führungsaufgabe „Personalentwicklung“ skizziert sie den gesamten Prozess von der Bedarfsanalyse bis zur Ergebniskontrolle und gibt dabei Erläuterungen und benennt Arbeitshilfen. Über die beiden Aspekte von „Können“ und „Wollen“ gehen auch in diesen Beitrag die beiden Kompetenz-Faktoren von Wissen und Werten ein. Im Beitrag Mentoring stellt Ingrid Walter-Kühfuss ein Entwicklungsinstrument vor, das genutzt werden kann, um Kompetenzen zu erkennen und zur Wirkung zu bringen. Aktualität gewinnt der Beitrag durch den zunehmend einsetzenden „war for talents“ in manchen Bereichen, der es erfordert, ungenutzte Talente besser zu erkennen und zu nutzen. Das ist nicht nur eine Frage des Menschenbilds, sondern auch von betrieblicher Notwendigkeit. Die Autorin zeigt am Beispiel „Frauen in Führungspositionen“ umfassend, wie Mentoring als Entwicklungsinstrument installiert und genutzt werden kann. Manola Kraus setzt sich mit Business Coaching auseinander. An einem Beispiel aus ihrer Praxis schildert sie anschaulich die ersten Schritte eines typischen Coachingprozesses.
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Gleichzeitig beschreibt sie dabei immer wieder ihre eigenen Gedanken als Coach und gibt darüber hinaus zahlreiche Tipps, die helfen, eine gute Begleitung zu finden. Die Autorin will damit Führungskräfte ermutigen, Coaching als hilfreiche Ressource zu entdecken und dabei ein Qualitätsbewusstsein für diese Art von Dienstleistung zu entwickeln. In ihrem Beitrag über Feedback und Kommunikation als Führungsmittel vermittelt Angelika Härlin neben hilfreichem Hintergrundwissen über Kommunikation vor allem zahlreiche praktische Tipps und Checklisten zur Gesprächsführung. Am Beispiel des Mitarbeitergesprächs zeigt sie auf, dass gelungene Kommunikation gut durch Methoden unterstützt werden kann. Bereits in der Einleitung nimmt sie einen roten Faden auf, der sich durch ihren gesamten Beitrag zieht: die Bedeutung von Motivation und Haltung, die letztlich für den Erfolg eines Gesprächs stehen.
Ideal und Wirklichkeit Wir wissen sehr gut, dass Theorie und Praxis oft weit auseinander liegen und damit eine manchmal unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit entsteht. Wir beschreiben die Zusammenhänge so, wie wir sie uns ideal vorstellen. Nur durch das Wahrnehmen eines Unterschieds zwischen dem, wie es ist, und dem, wie es sein kann, wird Reflexion und Lernen, also Fortschritt möglich. Das Feststellen oder Beklagen von Tatsachen reicht uns nicht aus. Wir haben die Absicht, Veränderungen zu ermöglichen und Mut zu machen, sie zu beginnen. Dabei sind wir von Idealen getrieben, jedoch nicht blind für die Realität. Uns ist bewusst, dass das „miteinander Reden“ gelegentlich Grenzen hat, an denen dann andere Mittel erforderlich sind. Gleichzeitig sind wir überzeugt davon, dass diese Grenze durch Führen mit Herz und Verstand verschoben werden kann. Geht nicht – gibt’s nicht? Doch, das gibt es sehr wohl! Wir erleben in der Praxis täglich Grenzen und nicht Realisierbares. Zumindest wenn wir einschränken: „Es geht nicht so, wie wir es bisher versucht haben.“ Und ob es anders geht, können wir immer erst dann sagen, nachdem wir es redlich ausprobiert haben.
Handeln und Nachdenken Aus der Fülle unserer Themen haben wir eine Auswahl präsentiert. Wir wollen damit Zustimmung erzeugen, indem Sie als Leserinnen und Leser den einen oder anderen nützlichen Tipp in eigenes Führungshandeln umsetzen können. Wir wollen damit auch Widerspruch erzeugen, der die Leserinnen und Leser zum Nachdenken anregt. Zur Reflexion des eigenen Denken und Handelns mit dem Ziel, neue Perspektiven zu finden. Als eine Möglichkeit, Veränderungen zu beginnen, beenden wir jeden Beitrag mit drei Fragen zum Weitermachen. Diese Fragen können Sie nutzen, um Ihr Führungshandeln und Ihre Einstellung dazu zu hinterfragen. Wenn Sie etwas mutiger sind, können Sie diese Fragen
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Ihren Mitarbeitenden stellen. Was auch immer Sie an Antworten erhalten werden, unsere Fragen erzeugen keine neuen Probleme. Sie machen das, was ohnehin vorhanden ist, sichtbar, besprechbar und damit bearbeitbar. Denn eines gilt zwischen Menschen immer: Nur was klar kommuniziert ist, kann auch sinnvoll und lösungsorientiert bearbeitet werden. Das kann dann wie folgt aussehen, Sie können es hier gleich ausprobieren:
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Was hat bisher günstig dazu beigetragen, dass die Mitarbeitenden meiner Führung gern folgen? Woran kann man konkret erkennen, dass mir der Erfolg meiner Mitarbeitenden wichtig ist? Welche meiner vorhandenen Kompetenzen und Stärken kann ich noch ausbauen, damit meine Mitarbeitenden noch erfolgreicher werden?
Umgang mit Emotionen
Teil I: Grundlagen von Erfolg
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Umgang mit Emotionen Thomas Robrecht
Warum ist es sinnvoll, sich mit dem Thema „Emotionen im Berufsalltag“ zu befassen? Eigentlich ist es doch eher lästig und störend, wenn es auf dem Weg zum Ergebnis plötzlich emotional wird. Manche, die von Emotionalität „kalt erwischt“ wurden, entwickeln dabei eine unermessliche Sehnsucht nach vernünftigen Verhaltensweisen ihres Gegenübers. Da steigt der Wunsch nach kühlen Köpfen und sachlichen Diskussionen. Emotionen werden bestenfalls geduldet – aber auch nur dann, wenn es allgemein akzeptiert wird, dass sich jede als störend erlebte Emotion der Sachlichkeit unterzuordnen hat.
Sachlichkeit als Lösungsidee erweist sich oft als Lösungsfalle Hier zeigt sich der weit verbreitete Alleingültigkeitsanspruch der Sachlichkeit, der sich durch seine Existenz selbst erhält. Ein Beleg dafür ist die, in emotional geführten Diskussionen, früher oder später zu vernehmende Aussage: „So kommen wir nicht weiter – jetzt lassen Sie uns doch mal sachlich bleiben!“ Der erste Teil der Aussage ist meist zutreffend. Die Diskussion dreht sich im Kreis, es werden Nebenkriegsschauplätze eröffnet oder das Thema driftet in eine andere als die ursprünglich geplante Richtung ab. Diese Situation wird von allen Beteiligten meist als unbefriedigend erlebt. So wird der erste Teil der Aussage „So kommen wir nicht weiter“ als wahr erlebt. Diese Bewertung wird dann fast automatisch auf den zweiten Teil der Aussage übertragen. Und genau dort liegt eine häufig anzutreffende Lösungsfalle: das reflexartige Einfordern von Sachlichkeit als einziger Rettungsanker aus dem Teufelskreis emotional geladener Situationen.
Emotionen lassen sich nicht verbieten Wer solch eine Situation als „emotional aufgeladener Mensch“ schon einmal erlebt hat, weiß, wie schräg sich das anfühlt: Es ist vielleicht sachlich nachvollziehbar, aber die Emotionen beeindruckt das überhaupt nicht – sie rebellieren weiter. Sie werden nur unterdrückt, ähnlich einem Luftballon, der unter Wasser gedrückt wird. Das gleicht einem permanenten Balance- und Kraftakt. Doch sobald die Aufmerksamkeit oder die Kraft nachlässt, schnellt der Luftballon an die Oberfläche. Und das zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, den jeder vernünftig denkende Mensch als völlig unpassend und übertrieben erlebt. Dabei wird häufig übersehen, dass die aktuelle Situation die schlüssige Folge früherer unterdrückter Emotionen darstellt, also gleichsam das Emporschnellen des Luftballons, der unter Wasser gedrückt war.
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Die gezielte Nutzung von Emotionen ist der Schlüssel zur Innovation Das folgende Kapitel widmet sich dem Umgang mit Emotionalität. Es zeigt eine Alternative zum Alleingültigkeitsanspruch der Sachlichkeit auf. Durch diese Erweiterung der Wahlmöglichkeiten eröffnen sich nicht nur neue Handlungsräume, sondern es führt auch zur Kraftentfaltung des „Turboladers für Motivation“ als einer der Schlüssel zur Innovation. Im Folgenden nutze ich die Begriffe „Emotion“ und „Gefühl“ als Synonym.
Emotionen sind allgegenwärtig Werbeprofis nutzen längst Emotionen Marketingexperten wissen längst, dass Kaufentscheidungen mit Vernunft und Sachlichkeit wenig zu tun haben. So wird überall dort, wo es Werbung gibt, tief in die Emotionskiste gegriffen. Und auch Politiker nutzen bei ihren Reden emotional geladene Ausdrucksformen wie z. B. lautes Schreien, um so bei den Wählern erhöhte Aufmerksamkeit für ihre Botschaften zu erhalten. Diese Strategie setzen selbst schon Babys erfolgreich ein. Und auch bei vielen kleinen Alltagsereignissen wird es emotional: Ob ich mir gerade eine Beule ins Auto gefahren habe, mir einen Kaffee übers Hemd geschüttet habe oder mein Gegenüber beim Frühstück mies drauf war, all das beeinflusst meine eigene Stimmungslage.
Emotionen sind überlebenswichtiger Schutzreflex Noch deutlicher wird die eigene Emotionalität spürbar, wenn das Verhalten eines anderen Menschen bedrohlich wirkt. Je intensiver die Bedrohung erlebt wird, desto stärker werden wir von einem nicht mit dem Verstand beeinflussbaren Schutzreflex gesteuert: Wir reagieren mit Angriff, Flucht oder Unterwerfung. Diese drei Reflexe sind ein fest einprogrammiertes Notprogramm und dienen der Sicherung unseres Überlebens.
Die Gehirnetagen Ein kleiner Ausflug in die Neurologie Um nun den Umgang mit Emotionalität zu optimieren, ist ein kurzer Ausflug in die Architektur des Gehirns erforderlich. Diese ist grob vergleichbar mit einem Haus mit drei Ebenen. Je höher es hinaufgeht, desto komplexer werden die Aufgaben, die in den verschiedenen Etagen übernommen werden.
Umgang mit Emotionen
Abbildung 1
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Gehirnmodell
Gehirn Großhirn
Chef-Etage Rationales
limbisches System ReptilienHirn
Emotions-Etage Emotionales Selbstschutz-Etage Instinktives
Im Erdgeschoss: Das Reptiliengehirn steuert „das Krokodil in uns“ Das Erdgeschoss ist eine Art „Selbstschutz-Etage“. Dort befindet sich das Reptilienhirn. Es ähnelt dem Gehirn einer Schlange oder eines Krokodils. Das Reptiliengehirn ist hauptsächlich für die Art- und Selbsterhaltung zuständig, hat also die Aufgabe, das Überleben zu sichern. Mittlere Etage: Emotionsquelle Im mittleren Stockwerk befindet sich die Emotions- und Erinnerungsetage, das limbische System. Hier werden die Emotionen gesteuert (Angst, Trauer, Wut, Freude, Lust, Frust). Ihre Intensität entscheidet auch über die Nachhaltigkeit des Lernens: je höher die Aktivität in dieser Etage ist, desto stärker sind Erfahrungen im Gedächtnis verankert. Dadurch ist das limbische System der Ursprung der Motivation. Chef-Etage: Großhirn = Denkhirn Im oberen Stockwerk befindet sich das Großhirn. Es stellt gewissermaßen die Chef-Etage dar. Das Großhirn ist verantwortlich für Denken, Planen, Entscheiden, zielgerichtetes Handeln usw.
Emotionale Belastung blockiert den Zugang zur Chef-Etage Im entspannten Zustand sind alle Ressourcen verfügbar und die Ampel zur Chef-Etage steht auf Grün. Sobald sich die kleinste Bedrohung anbahnt, wird sofort das limbische System aktiviert. Mit steigender Bedrohung nehmen sich die Emotionen immer mehr Raum und das „Personal“ wandert aus der Chef-Etage nach unten ab: Nun steht die Ampel auf
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Gelb. Sobald die Bedrohung als existenziell erlebt wird, versammelt sich das gesamte Personal in der Selbstschutz-Etage, um alle verfügbaren Ressourcen dem Reptiliengehirn zur Wiederherstellung der inneren Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Das ist vergleichbar mit einer Mobilmachung beim Militär. Dabei ist es völlig irrelevant, ob die Bedrohung für andere Menschen nachvollziehbar ist. Entscheidend für dieses Zusammenziehen bzw. Konzentrieren der Kraft im Reptiliengehirn ist einzig und allein das individuelle subjektive Erleben. Diese Steuerungsfunktionen und Zusammenhänge der Mobilmachung sind so komplex und so schnell, dass eine spontane und bewusste Kontrolle dieser Reaktion nicht möglich ist. Das Großhirn ist dann abgeschaltet oder anders ausgedrückt: Die Ampel zur ChefEtage steht auf Rot.
Bedeutung für den Alltag Beachtung von Emotionen erleichtern den Zugang zu rationalen Fähigkeiten Hier zeigt sich die hohe Relevanz der Auseinandersetzung mit Emotionen. Wer sie missachtet, riskiert den Verlust rationalen Handelns als eine völlig natürliche Folge der „Mobilmachung“. Die Emotionen sind damit ein zuverlässiger erster Indikator für einen sich möglicherweise anbahnenden Kontrollverlust als Folge einer Eskalation. Wer die Signale der Emotionalität erkennen kann und ernst nimmt, kann irrationalen Verhaltensweisen erfolgreicher und wirksamer begegnen. Gleichzeitig kann so ungenutzte Motivation zur Entfaltung gebracht werden. Beides sind wichtige Bestandteile des Schlüssels zur Chef-Etage des Gehirns.
Das frühzeitige Erkennen emotionaler Veränderungen als Deeskalation Je mehr es mir gelingt, andere in ihrer Eigen-Art so zu lassen, wie sie sind, desto leichter fällt es, meine Aufmerksamkeit auf die Befindlichkeit und nonverbalen Signale meines Gegenübers zu richten. Je mehr ich auf die Befindlichkeit und nonverbalen Signale meines Gegenübers achte, umso leichter kann ich seinen emotionalen Pegel einschätzen. Je präziser ich diesen Pegel wahrnehme, desto konkreter werden die Möglichkeiten der Gesprächsführung, wie wir im weiteren Verlauf noch erörtern werden.
Emotionen erkennen Die eigene Art ist vertraut, die andere Art ist fremd Um nun der „inneren Mobilmachung“ vorzubeugen, muss ich zunächst erkennen können, in welchem emotionalen Zustand sich mein Gegenüber befindet. Wenn ich Seminarteilnehmern die Frage stelle, woran ich erkennen kann, dass mein Gegenüber gerade die Chef-
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Etage verlässt, ernte ich meist verwunderte Blicke: „Das sieht man doch gleich, wenn jemand emotional drauf ist!“, lautet meist die Antwort. Das ist jedoch nur teilweise richtig, denn es trifft nur auf einen Teil der Menschen zu. Es gibt auch Menschen, die äußerlich völlig ruhig sind, aber innerlich kochen. Andere wiederum wirken positiv locker und machen Witze, stehen aber innerlich kurz vor einer Panik.
Unterschiedlichkeit ist normal. Der Anspruch auf Gleichheit ist verrückt Genau diese Unterschiedlichkeit stellt eine weitere Hürde im Umgang mit Emotionen dar. Die eigene Art, mit Emotionen umzugehen, ist mir vertraut und selbstverständlich. Schließlich kenne ich mich schon mein ganzes Leben lang. Bereits als Kind habe ich den Umgang mit meinen Emotionen gelernt. Ich habe etwas von meinen Bezugspersonen nachgeahmt und verschiedenes andere ausprobiert, bis ich einen guten Weg gefunden hatte – ohne großartig darüber nachzudenken. Warum sollte ich das auch, schließlich hat es immer gut funktioniert. Umso mehr bin ich irritiert, wenn ich bei anderen Menschen anderen Strategien begegne. Automatisch und meist unbewusst stelle ich mir die Frage, ob ich irgendwie „falsch“ liege. Sollte ich dann dank eines gesunden Selbstwertgefühls zu der Erkenntnis gelangen, dass ich nicht falsch liege, folgt der Umkehrschluss, dass dann der andere wohl etwas falsch machen muss. Wenn mein Selbstwertgefühl nicht stark genug ist, verstärkt sich die Einschätzung, dass ich nicht „gut“ bin, weil ich nicht so bin wie der andere. Und schon sind wir wieder beim Alleingültigkeitsanspruch gelandet – in beiden Fällen mit schädlichen Nebenwirkungen auf die Stabilität und Belastungsfähigkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen.
Hilfreich: auf Körpersignale achten, besonders auf Veränderungen In Tabelle 1 sind einige äußere Signale aufgeführt, die Hinweise auf eine emotionale Anspannung geben können. Darüber hinaus kann jede Veränderung der Körpersprache oder Körperhaltung Indiz sein für eine ansteigende emotionale Belastung. Wenn Sie also eine Veränderung wahrnehmen wie z. B. Wippen mit Füßen, Wackeln mit Beinen, Vorbeugen oder Zurücklehnen des Oberkörpers, vermehrtes Räuspern, Veränderung der Hautfarbe, Spiel mit den Fingern oder mit Gegenständen usw., kann es sein, dass dies körperlicher Ausdruck einer steigenden Anspannung ist – insbesondere dann, wenn gerade um ein „heißes Eisen“ diskutiert wird. Widmen Sie also Ihre Aufmerksamkeit den nonverbalen Körpersignalen. Mit etwas Übung erhalten Sie dort viele Informationen. Hierzu eine kleine Übung: Nimmt Ihr Gegenüber eine bestimmte Körperhaltung ein, gehen Sie in die gleiche Haltung. Versuchen Sie zu spüren, wie sich das anfühlt. Je mehr Sie Ihrer Wahrnehmung trauen, desto höher wird Ihre Trefferquote sein.
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Hilfreiches Perönlichkeitsmodell Das Enneagramm bietet Orientierung Um das Normale dieser Unterschiedlichkeit besser zu verstehen, hilft ein Blick in das Persönlichkeitsmodell des Enneagramms. Es beschreibt drei grundlegende Strategien für den Umgang mit emotionalen Belastungssituationen. Je nach Situation hat jede Strategie Vorund Nachteile. Letzten Endes ist keine der Strategien besser oder schlechter – sie sind eben nur anders. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass jede von ihnen innerhalb der ersten sechs Lebensjahre geprägt wird. Diese Strategie begleitet uns das ganze Leben. Es kann sein, dass wir uns das eine oder andere von anderen Strategien aneignen, aber die Grundprägung bleibt erhalten. Doch schauen wir uns zunächst die drei Strategien in ihrer Reinkultur an: Sofern ein konstruktives Miteinander angestrebt wird, besteht die große Herausforderung nun in der Akzeptanz einer Koexistenz. Das erfordert ein Umwandeln des „Entweder-oderDenkens“ in ein „Sowohl-als-auch-Denken“. Die damit verbundene Verabschiedung vom Alleingültigkeitsanspruch des eigenen Umgangs mit Emotionen hat zwei Seiten:
Tabelle 1
Übersicht über das Enneagramm Reaktiv-emotional
Kompetenz betonend
Positiv eingestellt
Reaktion bei emotionalen Belastungen
„Jetzt reicht’s!“
„Logisch vorgehen“
„Halb so schlimm“
Abbau der Energie nach außen durch Reden, Schreien, Stampfen, Dampfablassen, Polarisieren
Schieben Gefühle möglichst beiseite, bemühen sich um Objektivität, Effizienz und Kompetenz, setzen auf Logik
Behalten auch in schwierigen Situationen ihre Zuversicht, leugnen gerne ihre Probleme, wollen es allen recht machen, verlieren sich dabei selbst
Typische Aussagen
Da schwillt mir der Kamm.
Das ist doch logisch.
Ach, das ist doch alles halb so wild.
Ich habe Wut im Bauch. Das bringt mich auf die Palme.
Erstens, zweitens, drittens. Jetzt wollen wir mal sachlich bleiben.
Das Leben ist viel zu kurz, um ein langes Gesicht zu machen. Wer weiß, wozu es gut ist...
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Reaktiv-emotional
Kompetenz betonend
Positiv eingestellt
Äußere Signale
Klarer und deutlicher Ausdruck der Emotionen – unmissverständlich
Verstärkte Bewegung der Schläfenmuskulatur, starrer werdender/ konzentrierter Blick, Stirnrunzeln
Verstärkung der Bewegung wie z. B. mit dem Stuhl wippen, Mund lächelt, aber die Augen nicht, tiefes Durchatmen
Selbstbeschreibung
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube – die meisten Menschen wissen sofort, wie es um mich steht. Gegenüber manchen Leuten muss ich natürlich zurückhaltend sein – dann brodelt es aber in mir. Ich möchte wissen, woran ich mit anderen Leuten bin und auf was und wen ich mich verlassen kann – mit mir dürfte kaum jemand Probleme haben. Wenn ich etwas als Unrecht ansehe, erwarte ich, dass sich andere ebenso davon betroffen fühlen. Ich kenne die Regeln, lasse mir aber nicht gerne vorschreiben, was ich tun soll. Meine Entscheidungen treffe ich lieber selbst.
Ich baue auf Logik und Selbstbeherrschung – mit Gefühlen kann ich weniger gut umgehen. Ich arbeite gern unabhängig, bin dabei effizient, aber manchmal nicht vor Perfektionismus gefeit. Wenn persönliche Konflikte oder andere Probleme auftauchen, halte ich meine eigenen Gefühle lieber heraus. Manchen Menschen komme ich zu distanziert vor, aber ich möchte nicht, dass mir meine emotionalen Reaktionen bei dem, was mir wirklich wichtig ist, in die Quere kommen. Wer mir auf den Zahn fühlen will, wird nicht gebissen, aber auch nicht viel über mich herausfinden.
Ich bin meist optimistisch. Mein Motto ist: Es wird schon alles gut werden. Ich kann mich mit allem Möglichen beschäftigen und finde fast immer etwas, wofür ich mich begeistern kann. Ich bin gern unter Leuten und freue mich, wenn ich andere Menschen aufmuntern kann. Wenn ich mich mal schlecht fühle, muss das nicht gleich jeder mitbekommen. Manchmal konnte ich meine positive Haltung jedoch nur dadurch bewahren, dass ich meine Probleme vor mir hergeschoben habe.
Einerseits ist es sehr entspannend und wohltuend, wenn mich andere Menschen in meiner Art, mit Emotionen umzugehen, so sein lassen können, wie ich bin. Andererseits können dann andere von mir die gleiche Akzeptanz erwarten. Doch der Alltag liefert zahllose Beweise dafür, dass dieser Anspruch gar nicht so einfach umzusetzen ist.
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Die alltägliche Emotionsleugnung Der Alltag: Emotionen werden aus- und weggeredet Wer sich mit dem Thema Emotionen bewusst auseinandersetzt, kann ein weiteres bemerkenswertes Phänomen beobachten. Es sind Sätze wie „Du musst doch keine Angst haben!“ oder „Sei doch nicht traurig!“ oder „Jetzt reg dich doch nicht auf!“ oder auch „Freue dich nicht zu früh, das dicke Ende kommt bestimmt!“. Sind Ihnen diese Sätze auch so vertraut, dass Sie sich wundern, warum etwas so Normales ein bemerkenswertes Phänomen sein soll?
Etwas Paradoxes Jetzt stellen Sie sich die folgende Situation vor: Person A hat richtig Angst vor der kommenden Prüfung. Da versucht Person B sie zu stärken: „Du brauchst doch keine Angst zu haben, du hast dich doch bestens vorbereitet!“, worauf Person A antwortet: „Ach ja, jetzt, wo du’s sagst, merke ich es auch. Ich habe gar keine Angst. Das war eine super Idee von dir, warum hast du mir das nicht schon viel früher gesagt?“ Das klingt doch wirklich richtig paradox – oder? Auch die Aufforderung, nicht traurig zu sein, hat noch niemanden wirklich aus seiner Trauer befreit. Und immer wieder gern genutzt ist die Aussage „Jetzt reg’ dich doch nicht auf!“ Das ist die sicherste Art, einen reaktiv-emotionalen Menschen auf die Palme zu bringen.
„Sind Indianer keine Menschen?“ Hierzu ein kleiner Dialog zwischen dem Vater und seinem fünfjährigen Sohn, der sich beim Spielen verletzt hat und weint. Das sagt der Vater zu ihm: „Nun weine nicht – ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Daraufhin schaut der Fünfjährige seinen Papa mit großen erstaunten Augen an und fragt: „Warum? Sind Indianer denn keine Menschen?“
Immer wieder versagt das Erfahrungslernen Diese Beispiele verdeutlichen das Phänomen: Wir versuchen, jemandem eine Emotion auszureden oder einen Gefühlsausdruck zu verbieten, obwohl die Erfahrung zeigt, dass dieser Versuch noch nie zum nachhaltigen Erfolg geführt hat. Das Gegenteil ist der Fall, nämlich eine Verstärkung der Emotion. Gefühle lassen sich nicht per Entscheidung, Anweisung oder durch Ignorieren beseitigen. Trotzdem wird es immer wieder versucht. Warum ist das so? Wieso zeigt sich bei diesem Thema immer wieder das Versagen des Erfahrungslernens?
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Emotionen sind ansteckend Die Antwort ist einfach: Es ist eine Selbstschutzreaktion vor unangenehmen Emotionen, denn diese sind ansteckend, wie die Neurologie belegt. Doch auch ohne wissenschaftliche Beweise kennen Sie das. Wenn jemand lacht oder weint, wütend, melancholisch oder optimistisch ist: Sie können sich dem Nachempfinden nicht völlig entziehen. Deshalb „funktionieren“ auch Filme oder Theateraufführungen. Was ein Zuschauer bei der Beobachtung eines Schauspiels erlebt, verdankt er seinen Spiegelneuronen. Das sind Nervenzellen im Gehirn, die durch Beobachtung und Wahrnehmung anderer Menschen in der Lage sind, die gesamte Palette menschlicher Gefühle zu imitieren: Freude und Trauer, Wut und Angst. Sie senden ein Feuerwerk an Impulsen, auf die auch der Körper reagiert z. B. mit einer Veränderung der Herzfrequenz oder mit Kribbeln im Bauch. So arbeiten die Spiegelneuronen bei der Beobachtung eines als spannend erlebten Fußballspiels kräftig mit und sorgen beim Zuschauer sogar für eine Imitation der Bewegungen wie z. B. Fußzuckungen. Wie stark diese Nachahmzellen ihre Wirkung entfalten, hängt von der Intensität des „gefesselt sein“ des Zuschauers ab. Und auch hier zeigt sich wieder das hohe Maß an Vielseitigkeit des menschlichen Erlebens: Was Person A berührt, mitreißt oder fesselt, lässt Person B völlig unberührt und kalt.
Erlebnisse der Kindheit sind prägend So groß die Vielfalt und Unterschiedlichkeit auch ist, gibt es doch eine große kulturelle Gemeinsamkeit: Vielen von uns wurde von Kindesbeinen an das Unterdrücken von Emotionen „eingetrichtert“. Als Folge davon ist das Wegreden-Wollen der Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit im Umgang mit Gefühlen, weil es nie anders gelernt wurde. Wenn ich dann einen Menschen weinen sehe, werde ich an meine eigenen traurigen Erfahrungen erinnert, die ich – meist unbewusst – wie einen Luftballon unter Wasser gedrückt habe, um sie nicht so sehr spüren zu müssen. Doch diese Erinnerung will ich nicht, deshalb versuche ich, mein weinendes Gegenüber, das zum Impulsgeber für meine eigenen Gefühle geworden ist, zu bewegen, mit den Impulsen aufzuhören, damit ich selber weniger leiden muss. Deswegen gelten tröstende Worte, mit denen versucht wird, Gefühle auszureden, viel mehr dem Trostgebenden als dem Trostsuchenden. Renata Bauer-Mehren vertieft dieses Thema in ihrem Beitrag über Abschied und Trauerprozesse.
Wichtig: Gefühle wahrnehmen, benennen und respektieren Wirkungsvoller und bewusster Trost achtet die Gefühle und geht ins Mitgefühl. Das hört sich dann etwa so an: „Ja, ich sehe, dass du leidest, und kann deinen Schmerz spüren, weil ich selber eine leise Ahnung davon habe. Ich kann dir jedoch deinen Schmerz nicht abnehmen. Ich kann nur da sein und dich halten, in der Hoffnung, dass es Dir etwas mehr Kraft gibt, vielleicht ein bisschen besser durch dein Leid hindurch gehen zu können.“
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So fremd oder befremdlich diese Worte auch klingen, sie geben einem Trauernden mehr Kraft, als die Aussage „Sei doch nicht traurig – alles wird wieder gut, du musst nach vorne blicken“.
Erster Schritt: Gefühle nicht mehr aus- oder wegreden Für den Alltagsgebrauch reicht es völlig aus, wenn Sie dafür sorgen, dass Gefühle ihre Existenzberechtigung behalten dürfen: Verzichten Sie darauf, jemandem seine Gefühle ausreden oder wegreden zu wollen, egal ob es sich um Wut, Angst, Trauer oder Freude handelt. Damit sorgen Sie dafür, dass die Ampel zur Chef-Etage des Gehirns schneller wieder auf Grün umschalten kann und die Denk-Etage mit Leben gefüllt wird. Da schließt sich natürlich gleich die Frage an: Wie mache ich das konkret, dass Gefühle ihre Existenzberechtigung behalten? Vielleicht denken Sie nun, dass dies doch gar kein Problem sei. Doch die konkreten Alltagssituationen zeigen etwas anderes.
Ein typisches Beispiel Mitarbeiter: „Stellen Sie sich vor, was der Meier sich da wieder geleistet hat. Ich gehe zu ihm, um mir – wie immer – die Zahlen vom letzten Monat geben zu lassen. Da sagt der zu mir, er hätte Wichtigeres zu tun, als sich um meine Zahlen zu kümmern. Das sei ja sowieso nur Arbeitsbeschaffungsprogramm. So eine Frechheit, der hält sich wohl für etwas Besseres, der feine Herr. Rennt ja auch immer mit Krawatte rum. Da muss was passieren! So geht das nicht weiter!“ Chef: „Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Sie bekommen die Zahlen schon, ich kümmere mich darum.“
Oft ist normal ineffizient Wie bereits erwähnt, eine ganz normale Situation, die wir uns einmal genauer anschauen: Der Chef versucht, seinen aufgebrachten Mitarbeiter zu beruhigen, und lädt sich zusätzliche Arbeit auf, indem er die Zahlen besorgt. Daraus entstehen zwei Folgen: Erstens kann er damit rechnen, dass er auch in Zukunft die Zahlen besorgen wird, und zweitens wird sein Mitarbeiter mit dem Kollegen aus der Nachbarabteilung weiterhin aneinandergeraten. Bei weiterer Betrachtung lassen sich drei wichtige Aspekte erkennen: Der Chef hat versucht hat, den Ärger wegzureden: „Jetzt beruhigen Sie sich erst mal.“ Er hat auf die Tatsache, dass sein Mitarbeiter die Zahlen nicht erhalten hat, eine schnelle Lösung gefunden: „Ich kümmere mich darum.“ Er hat das, was sein Mitarbeiter als Frechheit bezeichnet hat und ihn emotional belastet, völlig ignoriert.
Chef-Reaktion blockiert die Chef-Etage seines Mitarbeiters Wie ergeht es da wohl dem aufgebrachten Mitarbeiter? Hat die Reaktion des Chefs dem Mitarbeiter geholfen, den Zugang zur Chef-Etage seines Gehirns zu finden? Mit Sicherheit
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nicht, denn beim Mitarbeiter steht die Ampel mindestens immer noch auf Rot-Gelb. Und das ist – wie bereits erwähnt – eine ganz normale Situation, geprägt von Hilflosigkeit im Umgang mit emotional geladenen Situationen.
Reduzierung auf den Inhalt ist Ausdruck von Hilflosigkeit Typische Folge der Hilflosigkeit im Umgang mit Emotionen ist die Begrenzung der Kommunikation auf den Inhalt der Botschaft. Dabei ist der Inhalt für den Ärger ziemlich bedeutungslos. Der Inhalt, in diesem Beispiel die Zahlen nicht bekommen zu haben, ist bestenfalls Auslöser des Ärgers, nicht aber die Ursache. Doch genau sie gilt es zu beleuchten, wenn der Umgang mit Emotionen hilfreich sein soll. Um nun der Ursache auf den Grund zu gehen, bietet das Eisbergmodell eine wirkungsvolle Navigationshilfe.
Das Eisbergmodell Von einem Eisberg sieht man etwa zehn Prozent, der Rest liegt unter Wasser im Verborgenen. Die zehn Prozent gibt es nicht ohne die 90 Prozent darunter, denn die 90 Prozent tragen den sichtbaren Teil, sie sind sozusagen die Basis. Die Spitze des Eisbergs, also der sichtbare Teil, ist „die Sache“. Direkt unter der Wasseroberfläche befinden sich die Gefühle. Dort gibt es vier menschliche Grundgefühle: Angst, Trauer, Wut und Freude. Alle weiteren Gefühle lassen sich auf eines der vier Grundgefühle zurückführen. Doch woher kommen die Gefühle? Wo liegen die Wurzeln, also die Ursache?
Die Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse Der Begründer der gewaltfreien Kommunikation, Marshall Rosenberg, hat einen sehr hilfreichen Satz geformt: „Die Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse.“ Ein Bedürfnis ist das Verlangen oder der Wunsch, einem empfundenen oder tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen. Damit gibt es also etwas, das Gefühle erzeugt. Das ist doch logisch, werden Sie jetzt vielleicht denken: Jemand macht etwas, dass ich nicht will, und ärgert mich damit. Jemand im Außen erzeugt ein Gefühl in meinem Inneren. Das kann leicht zum Trugschluss führen, dass mein Gegenüber mein „Gefühlsproduzent“ sei. Doch so einfach ist das nicht. Mein Gegenüber kann Impulsgeber sein und ein Gefühl in mir auslösen, die Wurzel des Gefühls und damit auch die Ursache und Verantwortung für dieses Gefühl liegt aber immer in mir.
Die Verantwortung für Emotionen liegt immer beim Emotionsbesitzer Gefühle sind ein Indikator für den Erfüllungsgrad von Bedürfnissen. Und wie sehr die Bedürfnisse erfüllt sein müssen, damit Glück und Zufriedenheit folgen, ist individuell völlig verschieden und damit höchst subjektiv. Wie sonst kann es sein, dass Person A auf eine Situation emotional reagiert und Person B diese Situation völlig kalt lässt?
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Abbildung 2
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Eisbergmodell
Die Sache GrundGefühle
Bedürfnisse und Werte
Angst
Trauer
Wut
Diese Gefühle sind Folge des Mangels an…
Sicherheit
Beziehung
Autonomie
Das wirklich Wichtige
Freude wenn Bedürfnisse und Werte befriedigt oder nicht bedroht sind
Hier unten spielt die Musik der Motivation, der Leidenschaft, der Innovation, der Nachhaltigkeit
Auch hier gibt das Enneagramm wieder hilfreiche Hinweise: Es beschreibt genau drei Grundbedürfnisse, die bei allen Menschen und in allen Kulturen vorhanden sind: Sicherheit, Beziehung und Autonomie. Ein Mangel an Sicherheit erzeugt Angst. Ein Mangel an Beziehung erzeugt Trauer. Ein Mangel an Autonomie erzeugt Wut. Und wenn alle Bedürfnisse befriedigt sind, stellt sich das vierte Grundgefühl ein: die Freude. Solange ein Mensch einen Mangel bei einem seiner Grundbedürfnisse erlebt, wird der größte Teil seiner Aufmerksamkeit auf die Beseitigung des Mangels gerichtet sein. Alles andere ist nebensächlich. Zu diesen Nebensächlichkeiten gehört z. B. die Erledigung der Arbeiten, für die der Arbeitnehmer sein Gehalt erhält. Manche Führungskräfte halten es für eine Art Naturgesetz, dass die Zahlung eines Gehalts selbstverständliche und hundertprozentige Leistungserbringung zur Folge hat. Sie wirken dann sehr irritiert, wenn ein emotional belasteter Mitarbeiter keine Höchstleistungen erbringt. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wird von einem Mitarbeiter Höchstleistung gefordert, bedarf es eines Umfelds, in dem die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihr (Mangel-)Erleben und ihre Anliegen nicht nur gehört werden, sondern auch ernst genommen werden. Das klingt ganz nach „heiler Welt“, die es so nicht gibt. Doch entscheidend für die Wirksamkeit ist nicht der Erfolg der Mangelbeseitigung, sondern vielmehr die Ernsthaftigkeit des Bemühens darum. Die Achtung des wirklich Wichtigen erhöht die Frustrationstoleranz. Erlebt ein Mensch, dass das ihm wirklich Wichtige von anderen Menschen ernsthaft geach-
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tet wird, erhöht sich seine Frustrationstoleranz bei Nichterfüllung des wirklich Wichtigen. So einfach ist das – wirklich so einfach …?
Bedeutung für die Alltagssituation Wenden wir uns wieder unserem aufgebrachten Mitarbeiter zu. Er ist verärgert bis wütend über die Frechheit des Kollegen. Welches Bedürfnis ist bei ihm nun „hungrig“? Würde man dem Kollegen diese Frage stellen, wäre er nicht in der Lage, sie zu beantworten, dafür ist seine emotionale Belastung viel zu hoch. Und selbst im entspannten Zustand ist es gar nicht so einfach, das zu benennen, was wirklich wichtig ist. Da ist es hilfreich, einen Menschen zu haben, der zuhören kann und das Gehörte mit eigenen Worten wiedergibt. Das ist sehr wirkungsvoll, um zu ergründen, um was es wirklich geht. Betrachten wir dazu noch einmal seine Worte: „Stellen Sie sich vor, was der Meier sich da wieder geleistet hat. Ich gehe zu ihm, um mir – wie immer – die Zahlen vom letzten Monat geben zu lassen. Da sagt der zu mir, er hätte Wichtigeres zu tun, als sich um meine Zahlen zu kümmern. Das sei ja sowieso nur Arbeitsbeschaffungsprogramm. So eine Frechheit, der hält sich wohl für etwas Besseres, der feine Herr. Rennt ja auch immer mit Krawatte rum. Da muss was passieren! So geht das nicht weiter!“
Zwischen den Zeilen liegt das wirklich Wichtige Lenken wir nun unsere Aufmerksamkeit weg vom Inhalt der Worte und hin zu der Botschaft, die zwischen den Zeilen steht. Dabei bieten die „Klingeltöne“ gute Orientierung. Klingeltöne werden ausgelöst von einer Wortwahl, die auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zum Inhalt hat. Oberflächlich betrachtet wirken sie wie scheinbar überflüssige Füllwörter. Doch sie enthalten die entscheidenden Hinweise auf das wirklich Wichtige: In diesem Beispiel könnte es sein, dass das Bedürfnis nach Autonomie und Gesehen werden des eigenen Ichs, der eigenen Persönlichkeit und Individualität hungrig ist. Ebenso könnte Trauer um den Verlust einer intakten Beziehung zum Kollegen, der sich einer Kooperation verweigert, ein Mangelerleben sein. Oder als dritte Möglichkeit ein Mangel an Sicherheit und Zuverlässigkeit, das durch die ausbleibende Zuarbeit des Kollegen ausgelöst wird. Es sind zwar nur Hypothesen, doch Tabelle 2 verdeutlicht, dass die Botschaft „Ich besorge Ihnen die Daten“ nicht nur völlig unzureichend ist, um den Zugang zur Chef-Etage des Gehirns wieder zu erreichen, sondern auch dem Wunsch des Gesehen-Werdens in keiner Weise entspricht. In jedem Fall steht fest, dass hier etwas, das dem Mitarbeiter wirklich wichtig ist, missachtet wurde. Und sicher ist auch, dass das wirklich Wichtige nicht die Zahlen sind.
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Tabelle 2
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Botschaften zwischen den Zeilen
Benutzte Worte
Mögliche Botschaft zwischen den Zeilen
Stellen Sie sich vor …
Ich will Deine ganze Aufmerksamkeit, damit Du wahrnimmst, wie verletzt und verärgert ich bin, denn ich brauche jemand zum Aussprechen.
… wieder geleistet hat …
Das, was ich erlebt habe, ist deshalb ganz besonders schlimm, weil es sich bereits mehrfach wiederholt hat.
… er hätte Wichtigeres zu tun …
Ich will, dass meine Arbeit auch als wichtig anerkannt wird und genauso wertvoll ist wie jede andere.
… hält sich wohl für etwas Besseres …
Ich werde nicht ernst genommen, werde respektlos behandelt und soll mich unterordnen. Und dagegen wehre ich mich, denn andere sollen wissen, dass ich auch wichtig bin.
Der feine Herr …
Er steht über mir oder stellt sich über mich, jedenfalls fühle ich mich da unterlegen.
… rennt auch mit Krawatte rum …
Auch mit nonverbalen Signalen stellt sich der Kollege über mich. Ich will aber mindestens gleiche Augenhöhe.
… so geht das nicht weiter …
Ich weiß mir nicht mehr zu helfen, das Ganze belastet mich. Ich möchte ein gutes Miteinander, aber ich weiß nicht wie. Ich fühle mich so klein und hilflos: Bitte hilf Du mir!
Der Umweg über die Würdigung der Emotionen ist die Abkürzung auf dem Weg zur Chef-Etage Welche Hypothese zutrifft, ist letztlich gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass durch die Benennung der Hypothese, also durch ihre Äußerung der Vermutung, wie Ihrem Gesprächspartner zumute ist, dem Wunsch nach dem subjektiven Gesehen-Werden-Wollen den Vorrang vor den objektiven Lösungsideen gewährt wird. Wenn in emotional geladenen Situationen die Objektivität wieder im Vordergrund stehen soll, führt kein Weg am würdigenden Umgang mit der Subjektivität vorbei: Das Subjektive ist das wirklich Wichtige. Und damit sind die „weichen Faktoren“ die wirksamsten.
Heile Welt ohne Emotionen? Nun könnte man auf die Idee kommen, möglichst emotionsfrei zu sein, um Störendes zu vermeiden und immer in der Chef-Etage wirken zu können. Doch diese auf den ersten Blick wünschenswerte Situation hat eine unübersehbare Nebenwirkung: Die Überbetonung der Rationalität erzeugt blutleere Handlungen und Ergebnisse, also solche ohne Leiden-
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schaft, ohne Herzblut, ohne Engagement und ohne Freude. Situationen ohne emotionale Beteiligung werden schnell vergessen und erzeugen kraftlose Handlungsimpulse. Wenn motivierte Mitarbeiter benötigt werden, wenn Innovationskraft freigesetzt werden soll, dann geht das nur in der Kombination von Chef-Etage mit Emotions-Etage. Wer Emotionen weghaben will, kann keine Höchstleistungen erwarten. Eine ausgewogene Balance zwischen Chef- und Emotions-Etage herzustellen bleibt eine permanente Herausforderung.
Fazit Wo ein respektvolles Miteinander angestrebt wird, führt kein Weg an der gezielten Auseinandersetzung mit Emotionen vorbei. Dabei gelten folgende Gesetzmäßigkeiten: ȭ
ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Emotionen sind völlig normal, allgegenwärtig und grundlegendes Merkmal des Menschseins. Daraus leitet sich auch eine grundsätzliche Existenzberechtigung der Emotionen ab. Emotionen sind subjektiv und lassen sich nicht mit objektiven Methoden oder rationalen Aspekten erfassen. Die Verantwortung für das Entstehen von Emotionen liegt immer beim „Besitzer“ der Emotion, genauso wie der Umgang damit. Der Auslöser kann im Außen liegen – die Ursache aber liegt immer im Innen. Nachhaltige und tragfähige Ergebnisse setzen Emotionsarbeit voraus. Emotionen sind Wegweiser zum wirklich Wichtigen. Kurzfristig betrachtet ist die Beachtung von Emotionen ein Umweg, langfristig betrachtet ist die Beachtung von Emotionen eine Abkürzung auf dem Weg zum Ziel. Situationen, die als bedrohlich erlebt werden, führen zur Aktivierung des Reptilienhirns. Die Chef-Etage ist dann leer. Situationen ohne emotionale Beteiligung werden schnell vergessen und erzeugen kraftlose Handlungsimpulse. Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit der Motivation liegt in einer ausbalancierten Dosierung von Emotionen.
Tipps für den Alltag Wenden wir uns nun dem praktischen Teil mit seiner konkreten Umsetzbarkeit im Alltag zu. Die folgenden Hinweise zielen darauf ab, zu einem konstruktiven Miteinander zu gelangen. Dabei gibt es zwei Perspektiven: den Umgang mit fremden und den eigenen Emotionen. Um jedoch mit Emotionen anderer zielorientiert umzugehen, braucht es zuerst den freien Zugang zur eigenen Chef-Etage des Gehirns.
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Was Sie für einen guten Zugang zu Ihrer Chef-Etage tun können Sorgen Sie zu allererst gut für sich. Bevor Sie also in einer emotional geladenen Situation zielgerichtet agieren können, versetzen Sie sich in einen Zustand, in dem Sie über Ihr vollständiges Handlungsrepertoire verfügen. Hier einige Perspektiven zur Senkung des eigenen Emotionspegels: ȭ
ȭ
ȭ ȭ
Körperlicher Spannungsabbau. Bauen Sie Ihre körperliche Spannung ab mit tiefem Durchatmen und Bewegung. Und wenn Sie sich gerade in einer Besprechung befinden, kann allein schon das An- und Entspannen der Gesäßmuskeln sehr hilfreich sein – und es ist völlig unauffällig machbar. Vorbereitende Fokussierung. Bereiten Sie sich so vor, dass Sie sich auch unter Anspannung leicht an das übergeordnete Ziel erinnern. Beantworten Sie sich die Fragen: Um welches Ziel geht es mir eigentlich? Was auf dem Weg ist mir dabei wichtig? Schreiben Sie sich die Antworten vorher auf. Eigene Interpretation erweitern. Suchen Sie nach dem Nützlichen des Unangenehmen: Was ist das Gute an dem, das Sie in der angespannten Situation belasset? Auf Gemeinsamkeit konzentrieren. Ihr Gegenüber sitzt im gleichen Boot wie Sie. Ihr Gegenüber arbeitet nicht in erster Linie gegen Sie, sondern nur für sich.
Erst wenn Sie den Zustand Ihrer vollen Handlungsvielfalt erreicht haben, werden die folgenden Tipps hilfreich sein:
Was Sie tun können, wenn Ihr Gegenüber die Chef-Etage verlassen hat ȭ
ȭ ȭ ȭ ȭ
ȭ
ȭ
Hören Sie aufmerksam zu. Unterlassen Sie jede Ihrer möglichen Gegen-Argumentationen. Sie können sicher sein, dass kein noch so logisch-rationales Argument geeignet ist, die Emotionalität Ihres Gegenübers zu beseitigen. Stellen Sie deshalb Ihre eigene Sichtweise (zunächst) zurück – Sie kommen damit sowieso nicht weiter. Achten Sie auf das, was zwischen den Zeilen steht („Klingeltöne“) und sprechen Sie ihre Vermutungen in wertschätzender Form aus. Konzentrieren Sie sich nicht so sehr auf den Inhalt der Aussagen Ihres Gegenübers, sondern auf die Befindlichkeit und benennen Sie sie. Finden Sie durch Nachfragen heraus, was Ihrem Gegenüber wirklich wichtig ist. Erlauben Sie sich selber, mit Ihren Vermutungen völlig daneben zu liegen und bleiben Sie so lange in der nachfragenden Haltung, bis Sie von Ihrem Gegenüber ein erleichtertes „Ja, genau so geht es mir“ hören. Erst wenn eine deutliche körperliche Entspannung Ihres Gegenübers sichtbar wird, haben Sie ein sicheres Zeichen dafür, dass Ihrem Gegenüber der Zugang zur ChefEtage wieder leichter fällt. Dann ist ihr Gegenüber in der Lage, seine Aufmerksamkeit Ihrer Sichtweise zu widmen – vorher nicht. Wenn Sie Verhaltensänderungen Ihres Gegenübers erreichen wollen, reden Sie nicht davon, was Ihr Gegenüber alles falsch macht. Reden Sie nur von Ihrem Erleben und davon, was das Verhalten bei Ihnen bewirkt. Nutzen Sie hier das 4-W-Modell für Feedback, wie im Beitrag von Angelika Härlin beschrieben.
Konflikt und Führungsaufgaben
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Bitten Sie bei Pauschalisierungen um Konkretisierung Vermeiden Sie „Ja, aber …“. Verwenden Sie stattdessen „Ja, und …“ Ignorieren Sie die Provokationen, Beleidigungen und Anschuldigungen, die außerhalb der Chef-Etage entstanden sind, die also jemand von sich gibt, der nicht bei sich, sondern außer sich ist.
Hier noch einmal der Hinweis: Damit diese Tipps funktionieren, tun Sie alles das, was Ihnen dazu verhilft, in Ihrer Chef-Etage zu bleiben. Nun wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung!
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen zunächst zur Selbstreflexion. Sobald Sie für sich klare Antworten gefunden haben, kann ein Austausch mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über diese Fragen zu weiteren hilfreichen Erkenntnissen führen: Warum befasse ich mich mit dem Thema „Emotionen“? Wodurch mache ich mir den Umgang mit Emotionen schwer? Was kann ich anders als bisher machen, um Emotionen positiv zu beeinflussen?
Literatur und Quellen Bauer, Joachim (2005). Warum ich fühle, was Du fühlst, München Berckhan, Barbara, May, Monica (2008). Sanfte Selbstbehauptung, München Gallen, Maria-Anne, Neidhard, Hans (1996). Das Enneagramm, Hamburg Gamber, Paul (1995). Konflikte und Aggressionen im Betrieb, München Hüther, Gerald (2006). Bedienungsanleiutung für ein menschliches Gehirn, Göttingen Kreuser, Karl, Robrecht, Thomas (2008). Mit Partnern gewinnen – Kooperation nachhaltig managen, Unterbernbach Riso, Richard, Hudson, Russ (2000). Die Weisheit des Enneagramms, München Rosenberg, Marshall (2002). Nonviolent Communication, Paderborn Schulz von Thun, Friedemann (2008). Miteinander Reden, Hamburg Thich NhӜt Hanh (2002). Ärger, New York, München
Konflikt und Führungsaufgaben
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Konflikt und Führungsaufgaben Karl Kreuser
Als Führungskraft begegnen Sie Konflikten immer wieder. So liegen Sie selbst gelegentlich mit Kunden, Mitarbeitenden, Kollegen oder Ihrem Chef im Clinch, sind also Konfliktpartei. Weiter kann es unter Mitarbeitenden zu Konflikten kommen und diese Auseinandersetzungen können lästig sein oder sogar zum Stillstand führen, wenn alle vorhandene Energie in die Pflege des Streits statt in die Arbeit investiert wird. In extremer Ausführung zeigen sich ungelöste Konflikte in Form von Mobbing. Es ist Ihre Aufgabe als Führungskraft, ein arbeitsfähiges Klima herzustellen und zu erhalten, genauso wie es Ihre Fürsorgepflicht ist, aktiv gegen Mobbing vorzugehen.
Führung ist Konfliktmanagement Durch Ihre Führungsentscheidungen werden Sie nicht nur Glückseligkeit verbreiten. Es gibt auch unliebsame Aufgaben, die verteilt, oder berechtigte Kritik und Grenzen, die benannt werden müssen. Ihre Aufgabe besteht also darin, bewusst Gegensätze zu schaffen und dann souverän mit den Folgen Ihrer Entscheidung umzugehen. Ihr Erfolg, Ihre Autorität und Glaubwürdigkeit liegen dabei im Wechselspiel von Polarisieren und Integrieren. Und obendrein: Auch Nicht-Entscheiden führt letztlich zu Konflikten.
Führung kann innere Konflikte erzeugen Zuletzt spüren Sie manchmal innere Konflikte. Rollenkonflikte der Führungskraft entstehen besonders dann, wenn „tragische Entscheidungen“ getroffen werden müssen. Beispiel kann die betriebsbedingte Entlassung von Mitarbeitenden sein, die man sehr schätzt und von deren Arbeit jeweils die Existenz einer Familie abhängt. Im Folgenden will ich zunächst einige Eigenarten des Phänomens „Konflikt“ erläutern, um das Verständnis zu fördern, was da genau passiert. Dann werde ich einige Anregungen zum Thema aus Sicht von Führung geben, um die Rolle der Führungskraft zu verdeutlichen. Den Abschluss bilden einige nützliche Überlegungen, Tipps und Vorgehensweisen, wie Führungskräfte bei äußeren Konflikten sinnvoll intervenieren können. Sollten Sie dabei ratlos sein oder sollten innere Konflikte zu sehr an Ihnen nagen, dann ziehen Sie als Alternative ein Coaching in Erwägung. Manola Kraus hat darüber einen informativen Beitrag zu diesem Buch verfasst. Wie man mit Konflikten anders und hilfreich umgehen kann, ist ein lebenslanges Lernthema. Wir können hier versuchen, einige wenige Aspekte zu betrachten. So kann ein kleiner Schritt in Richtung mehr Klarheit gelingen.
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Konflikt — was ist das eigentlich? Konflikte sind Risiko und Chance zugleich Wenn wir an Konflikt denken, fallen uns sicher einige Risiken oder Befürchtungen ein: Konflikte können eskalieren, die Stimmung kann eiskalt werden, Kluften können sich vertiefen, Gefühle wie Wut, Hilflosigkeit oder Enttäuschung tauchen auf, Menschen werden gemein oder brüllen lautstark und noch einiges andere mehr. Genauso können Konflikte Chancen enthalten: Nach einem reinigenden Gewitter sind Klärung und bessere Zusammenarbeit möglich, es werden mehr Perspektiven eines Problems sichtbar und bessere Lösungen möglich, das Verständnis für Anliegen und Sichtweisen der Gegenseite kann wachsen, der eigene Standpunkt wird deutlicher erkennbar und jede erfolgreiche Bewältigung von Konflikten stärkt Selbstbewusstsein und Beziehungen.
Konflikte sind Tatsachen und weder gut noch schlecht Diese Gegenüberstellung von Risiken und Chancen erlaubt ein erstes Fazit: Konflikte sind nicht gut oder schlecht, sie sind neutrale Tatsachen. Sie tauchen ganz normal auf, wenn Menschen miteinander umgehen und arbeiten. Es kommt immer darauf an, was man aus ihnen macht. Wären Konflikte schlecht, müssten sie vermieden, unterdrückt oder totgeschwiegen werden. Das kann man dann mit einem Dampfkochtopf vergleichen, bei dem es kein Sicherheitsventil gibt: Irgendwann wird der Druck so hoch, dass der Topf explodiert. Also brauchen wir angemessene Formen, um mit Konflikten umgehen zu können.
Es gibt hilflosen und hilfreichen Umgang mit Konflikten Was aber erzeugt dann das schlechte Gefühl, das viele von uns beschleicht, wenn wir an Konflikt denken? Es ist nicht der Konflikt an sich, sondern die Art und Weise, wie Menschen mit Konflikten umgehen. Dabei gibt es hilflosen, unangemessenen Umgang und hilfreichen, gewinnbringenden Umgang. Der Umgang mit Konflikten ist erlernbar und veränderbar. Konflikte werden durch Emotionen und Selbstschutz beherrscht. Das vernünftige Denken wird zurückgedrängt. Konflikte sind Konstellationen, an denen mehrere Parteien beteiligt sind. Dabei erscheinen mindestens einer Partei Zielsetzungen, Vorgehensweisen oder Wertevorstellungen unvereinbar. Gelegentlich merkt die andere Partei das anfangs nicht einmal. Weiter kommt es überhaupt nicht darauf an, ob die Anliegen wirklich unvereinbar sind. Es hängt nur davon ab, wie sie den Parteien subjektiv erscheinen, denn darauf reagiert das innere System. Thomas Robrecht hat in diesem Buch mit seinem Beitrag „Umgang mit Emotionen“ mit dem Etagenmodell des Gehirns sehr anschaulich beschrieben, was beim Konflikt geschieht: Alle inneren Mitarbeiter verlassen die Chef-Etage, um sich in der Emotions-Etage zu versammeln oder, bei steigender Eskalation der Konfliktes, in der Selbstschutz-Etage die allgemeine Mobilmachung auszurufen.
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Der Umgang mit Konflikten hat viele Wurzeln Wie wir mit Konflikten umgehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die bedeutendsten dabei sind: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
ȭ
ȭ ȭ ȭ
Bedeutung des Konfliktthemas und Folgen für die einzelnen Konfliktparteien bisherige Erfahrungen mit der Gegenpartei in angespannten Situationen und gegenseitiges Vertrauen Verhältnis zwischen den Konfliktparteien, dabei besonders die Rollen, in denen sie sich begegnen (z. B. Lieferant-Kunde oder Chef-Mitarbeitende) bisherige Erfahrungen mit Konflikten allgemein (wenn ich bislang meist Verlierer war, werde ich Konflikte eher vermeiden, statt sie beherzt anzugehen und zu lösen) äußere Situation, dabei besonders der Handlungsdruck, die verfügbaren Ressourcen und die Möglichkeiten, die Situation zu verlassen innere Situation im Team oder in der Abteilung. Andrea Gässler beschreibt dazu in diesem Buch einige nützliche Sichtweisen, die auch im Konflikt hilfreich sein können. allgemeine Situation und Vorgeschichte (gab es früher schon einmal Konflikte deshalb etc.). Auch anstehende gravierende Veränderungen können das Konfliktverhalten beeinträchtigen. Dazu verweise ich auf die Beiträge „Abschied und Trauerarbeit“ von Renata Bauer-Mehren und „Über Veränderungen“ von Thomas Robrecht in diesem Buch. subjektive Abschätzung über die Chancen der Lösbarkeit Wissen und Erfahrung über eigene Methoden und Möglichkeiten, mit Konflikten hilfreich umzugehen persönliche „Strick- und Tickmuster“ der einzelnen Beteiligten. Ständig wiederkehrendes, gleiches Konfliktverhalten verdichtet sich zu einem „Konfliktstil“, so wie jemand sich „typisch“ im Konflikt verhält und mit Konflikten umgeht, wie die Abbildung 3 (in Anlehnung an das Verhaltensgitter von Robert R. Blake und Jane Srygley Mouton) zeigt. Blau hinterlegt ist dabei aus unserer Natur ererbtes Konfliktverhalten (Programme aus der „Selbstschutz-Etage“), weiß hinterlegt aus unserer Sozialisation erlerntes Konfliktverhalten (Steuerung aus der „Chef-Etage“).
Wie Abbildung 3 zeigt, hängt das beobachtbare Konfliktverhalten davon ab, in welchem Verhältnis die eigenen und anderen Ziele und Bedürfnisse von den handelnden Personen jeweils gesehen werden. In der Regel gelingt es uns, im Bereich des gesellschaftlich akzeptierten „erlernten Konfliktverhalten“ zu handeln (Kompromiss, Problemlösung). Wird der Konflikt jedoch bei Erreichen einer individuell unterschiedlichen Grenze als zu intensiv erlebt, verfallen wir in eines der angeborenen, aus der Natur ererbten Verhaltensweisen. Durch Lernprozesse gelingt es, diese Grenze zu verschieben, also länger im Bereich des erlernten Konfliktverhaltens zu bleiben.
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Andere Bedürfnisse/Ziele ĺ
Abbildung 3
Konfliktverhalten
Problemlösen gemeinsame, kreative Zusammenarbeit. Trotz Widerständen und Rückschlägen wird eine für beide Seiten optimale Lösung angestrebt bzw. gefunden. Stellt sich Konflikten, wenn erforderlich.
Nachgeben/Unterwerfen auf eigene Ziele verzichten, Meinungsverschiedenheit nicht hochspielen, glätten, harmonisieren. Einlassen auf die Position des anderen, um die Beziehung nicht zu gefährden. Kompromiss Suche nach Kompromissen, Abrücken von Maximalforderungen auf beiden Seiten. Kompromiss kann Konfliktvermeidung („Kuhhandel“) oder Ergebnis von Verhandlung (=Problemlösen) sein. Flucht/Vermeidung Rückzug, gar nichts tun, Konflikt leugnen/ja nicht aufrühren. Berufen auf Regeln, Vorschriften, Traditionen. Eigene Ziele sind oft nicht bewusst, Bedürfnisse anderer erscheinen bedrohlich. Flucht aus der Situation.
Durchsetzen/Erzwingen Macht einsetzen, Ichoder-Du-Drohung, Pokerstrategie. Offener Machteinsatz oder verdeckte Konfliktstrategien. Angriff, sucht die Auseinandersetzung.
Eigene Bedürfnisse/Ziele ĺ
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Der Blick auf die Führungsaufgabe Entscheidung und Konflikt Als zentralen Punkt im Umgang mit Konflikten sehe ich die wesentliche Führungsaufgabe, Entscheidungen zu treffen. Zum einen schaffen Entscheidungen Klarheit, die helfen kann, Konflikten vorzubeugen oder in Konflikten Orientierung zu geben. Zum anderen erzeugen Entscheidungen Gegensätze, mit denen die Beteiligten dann umgehen müssen. In diesem Zusammenhang will ich zunächst einen Mythos betrachten und aufklären, der sich um das Thema Entscheiden rankt. Mythos: Entscheidungen müssen im Konsens getroffen werden!
Führungskräfte müssen Konflikte erzeugen Erst einmal eine seltsame Feststellung: „Es ist Aufgabe von Führungskräften, Konflikte zu erzeugen!“ Wie das? Führungskräfte kennen den Zwiespalt, es nie allen recht machen zu können. Es liegt also in der Natur der Aufgabe, Erwartungen zu erfüllen und zu frustrieren. Das ist nicht unanständig oder unfair, sondern gehört schlicht dazu, wenn eine Führungskraft ihre Aufgabe gut erledigen will. Jede Führungsaufgabe, so auch das Entscheiden, hat ihre Sonnenseiten und ihre Schattenseiten. So gehört dazu nicht nur das Recht, entscheiden zu dürfen, sondern auch die Pflicht entscheiden zu müssen. Das wird besonders in „tragischen Entscheidungen“ spürbar, etwa wenn es darum geht, Mitarbeitende betriebsbedingt zu entlassen. So kann man Führungsaufgaben als Prozess begreifen, in dem vor und nach Entscheidungen Integration der Beteiligten angesagt ist: ȭ ȭ ȭ
Erst integrieren (was ist aus verschiedenen Perspektiven wichtig, wenn ich entscheide), dann polarisieren (genau so machen wir es und nicht anders) und dann wieder integrieren (was brauchen die Beteiligten, um gut „mit“ zu können).
Entscheiden „für“ ist zugleich Entscheiden „gegen“ Das führungsspezifische Erfüllen und Frustrieren von Erwartungen geschieht durch Entscheidungen. Jede Entscheidung „für das eine“ ist gleichzeitig eine Entscheidung „gegen das andere“. Die Entscheidung fällt leicht, wenn zwischen gut und schlecht entschieden werden soll. In der Regel haben jedoch alle Alternativen ihre Vor- und Nachteile. Die Problematik, nicht entscheiden zu wollen, liegt dann häufig weniger im „Entscheiden für das Gute im einen“ als im „Entscheiden gegen das Gute im anderen“. Möglicherweise liegt die Schwierigkeit zu entscheiden manchmal weniger im Gegenstand der Entscheidung als in den tatsächlichen oder befürchteten Folgen. Etwa in dem „notwendigen Konflikt“, der durch die Entscheidung erzeugt wird, oder in der Situation, anderen in die Augen zu sehen und klar „Nein“ zu sagen.
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Kompromiss ist kein Kuhhandel Kompromisse, Entscheidungen für „beides“, sind bei knappen Ressourcen häufig nicht möglich. Typisch seien hier Verteilungskonflikte genannt. beispielsweise wenn sich zwei verdiente Mitarbeiter um eine Führungsposition bewerben oder wenn knappe Ressourcen oder Budgets verteilt werden. Kompromisse sind dann gut, wenn sie dauerhaft zur Problemlösung beitragen, ohne dass einer der Beteiligten sie bereut. Ansonsten sind es faule Kompromisse, Kuhhandel oder Mittel der Konfliktvermeidung.
Die Folgen der Entscheidung aushalten Wer diesen Zwiespalt nicht aushalten kann oder wer es immer allen recht machen will oder wer Angst vor den Folgen seiner Entscheidung hat, der wird entscheidungsunfähig werden. Wenn die Führungskraft nicht entscheidet, dann entscheiden irgendwann die Umstände. Hier noch einmal der Hinweis: Nicht mehr zu entscheiden würde genauso zu Konflikten führen. Wenn also Konflikt und Entscheidung eng verbunden sind, dann sollten Konflikte lieber durch Entscheidungen als durch Nicht-Entscheidungen getroffen werden. Das kennzeichnet Führung und grenzt sie von „Nicht-Führung“ ab.
Akzeptanz durch gemeinsame Entscheidungsfindung Jede Entscheidung ist ein Prozess, der sich aus der wesentlichen Phase der Entscheidungsfindung und der wesentlichen Phase des eigentlichen Treffens der Entscheidung zusammensetzt. Kennzeichen einer guten Entscheidung ist unter anderem, dass sie von den Betroffenen akzeptiert ist. Manchmal auch zähneknirschend, aber akzeptiert. Deshalb macht es Sinn, die wichtigsten von der Entscheidung betroffenen Interessengruppen zu kennen und deren Perspektive in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das kann nach meiner Erfahrung sehr gut zum Beispiel durch gemeinsame Problemdefinition, gemeinsame Ursachenfindung, gemeinsame Entwicklung von Lösungsalternativen oder das Abfragen von Kriterien für die Entscheidung erfolgen.
Entscheidung allein durch den, der die Verantwortung dafür trägt Gleichzeitig muss den Beteiligten klar sein, dass Entscheidungen im betrieblichen Kontext nicht per Mehrheiten getroffen werden. Ein Unternehmen ist keine Basisdemokratie! Entscheidungen treffen soll allein der, der die Verantwortung für die Entscheidung und ihre Folgen trägt. Jede Führungskraft ist verantwortlich für die Folgen von allem, was sie entscheidet, und von allem, was sie nicht entscheidet.
Verschiedene Grade der Integration fallweise nutzen Das Entscheidungskontinuum (Tabelle 3) zeigt die mögliche Bandbreite der Integration. Dabei ist wichtig, dass der Grad der Beteiligung auch wirklich vorhanden ist. Wenn die Führungskraft bereits „alles“ entschieden hat, wäre es nicht stimmig, etwa die Frage „was
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soll getan werden“ zu stellen. Je nach anstehender Entscheidung sollte die Integration von Fall zu Fall geändert werden.
Tabelle 3
Entscheidungskontinuum in Anlehnung an Johannes Steyrer
ich habe als Führungskraft entschieden ...
... und will mit Ihnen als Mitarbeiterin und Mitarbeiter besprechen
nichts
ob etwas getan werden soll
dass etwas getan werden soll
was getan werden soll
was getan werden soll
wer, wann, womit, ... etwas tut
alles
nichts, bitte tun!
Zur Entkräftigung dieses Mythos könnte folgende Regel dienen: Die Führungskraft integriert die Interessensgruppen sinnvoll in die Entscheidungsfindung und in die Umsetzung danach. Gleichzeitig trifft und verantwort sie die Entscheidung allein.
Führungsaufgaben im Konflikt Nach diesem kleinen Ausflug in die Welt des Entscheidens, das eine maßgebliche Funktion im Zusammenhang mit Konflikten hat, will ich den Blick nun den allgemeinen Aufgaben einer Führungskraft in Konflikten zuwenden. Dabei können vier Grundaufgaben ausgemacht werden. Auch hier gilt: Wenn Sie Ihre Grenzen spüren, zögern Sie nicht, sich fremden Rat oder fremde Hilfe zu holen.
Konflikte wachsen heran, wenn man sie lässt Konflikte tauchen nicht gleich mit aller Wucht auf. Sie entstehen langsam, entwickeln sich allmählich und eskalieren, wenn die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten keine Beachtung finden. In welchen Stufen ein Konflikt eskalieren kann, zeigt modellhaft die „Treppe in den Abgrund“ nach Friedrich Glasl, die ich um die wichtige Stufe „kein Konflikt“ erweitert habe:
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Abbildung 4
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„Treppe in den Abgrund“ nach Friedrich Glasl
kein Konflikt leicht Ärger Offener Streit Taten statt Worte schwer Image-Koalitionen Gesichtsverlust Eskalation Drohstrategien Gewalt Begrenzte Gewalt Zersplitterung „Totaler Krieg“
Konflikte rechtzeitig zum Thema machen Aus der „Treppe in den Abgrund“ lassen sich Führungsaufgaben ableiten. Konflikte eskalieren immer mehr, wenn sie unbearbeitet bleiben und sich frei entwickeln. Daher ist es wichtig, sie möglichst früh anzusprechen und zu bearbeiten. Führungskräfte sollten ein Gespür entwickeln, wann das Ansprechen zu früh ist und möglicherweise als Einmischung empfunden wird und ab wann ein weiteres Totschweigen als Wegschauen, als Vermeidungshaltung oder als Aussitzen von Schwierigkeiten gewertet wird. Hier gilt es, einen „goldenen Mittelweg der Rechtzeitigkeit“ zu finden. Auch dazu braucht es Entscheidungen, wann Konflikte angesprochen werden.
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Tabelle 4
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Merkmale der „Treppe in den Abgrund“ nach Friedrich Glasl
Stufe
Merkmale
Erste Wahrnehmung von Ärger
Man merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Es wird aber noch nicht angesprochen.
Offener Streit
Der Konflikt kommt auf den Tisch. Dabei kann es lautstark zugehen.
Taten statt Worte
Durch größer werdende Spannungen fällt es schwerer, den Konflikt anzusprechen. Es werden vollendete Tatsachen geschaffen. Körperliche Krankheitssymptome können auftreten.
Image-Koalition
Zur psychischen Entlastung und zur Vermeidung des eigenen Gesichtsverlusts werden Verbündete gesucht. Dritte können so ungewollt verwickelt werden.
Gesichtsverlust
Es wird geplant, wie der Gegner unter Druck gesetzt werden kann, wie man sich vor möglichen Angriffen schützt und wie man ihm einen Gesichtsverlust zufügen kann.
Drohstrategien
Der Konflikt wird zum alles beherrschenden Thema. Die Kooperationsbereitschaft reduziert sich immer mehr und es folgen Überlegungen, wie man dem Gegner „so richtig eins auswischen“ kann. Der Auslöser des Konflikts ist nicht mehr so bedeutend und tritt in den Hintergrund.
Konfliktparteien neigen zu verzerrten Wahrnehmungs- und Deutungsmustern. Dem Gegner werden schlimmere Absichten unterstellt, Begrenzte Gewalt als man selber hat. Die Drohstrategien werden nun (teilweise) umgesetzt. Zersplitterung
Offene Sabotage und Behinderung der gegnerischen Ziele. Massive Angriffe auf Personen der Gegenpartei, auch gegen tatsächliche oder vermeintliche Verbündete.
Totaler Krieg
Alles Bestreben richtet sich auf die psychische, physische, berufliche oder gesellschaftliche Zerstörung des Gegners, ohne Rücksicht auf eigene Verluste.
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Tabelle 5 Stufe
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Führungsinterventionen bei Konflikten Merkmale
Intervention der Führungskraft
kein
1. Aufgabe:
Konflikt
vorbeugen Erste Wahrnehmung von Ärger
leichter Konflikt
2. Aufgabe: Offener Streit
für Selbstlösung sorgen
Taten statt Worte Image-Koalition schwerer Konflikt
3. Aufgabe: Gesichtsverlust
für Fremdlösung sorgen
Drohstrategien Begrenzte Gewalt Gewalt
4. Aufgabe: Zersplitterung
Machteingriff
"Totaler Krieg"
1. Aufgabe: Gute Ausgangsbasis für den Umgang mit Konflikten schaffen Solange kein Konflikt erkennbar ist, können Prozesse, Schnittstellen oder Zuständigkeiten durch Organisationsentwicklung so geregelt werden, dass Unwuchten bearbeitet werden, bevor sie zu Konflikten eskalieren. Weiter kann durch den Aufbau einer stabilen Gesprächskultur und einer angemessenen Fehlerkultur ein Klima und gegenseitiger Umgang geschaffen werden, die eine gute Basis für hilfreichen Umgang mit Konflikten darstellen. Die Qualität von Gesprächs- oder Fehlerkultur zeigt sich nicht im freundlichen SmallTalk und ist nicht gleichzusetzen, sein Gegenüber in Watte zu packen oder ihm Honig um’s Maul zu schmieren. Die Qualität zeigt sich erst dann, wenn es gilt, kritische oder unangenehme Botschaften angemessen zu vermitteln. Dabei darf die Ehrlichkeit nicht unter der Freundlichkeit leiden und umgekehrt. Gute Anregungen dazu erhalten Sie durch den Buchbeitrag von Angelika Härlin.
2. Aufgabe: Eigenverantwortung der Konfliktparteien einfordern Der „leichte Konflikt“ erlaubt es den Konfliktparteien, ihn selbst zu lösen. Die Führungskraft sorgt dabei dafür, dass die Lösung angegangen wird und auf Dauer tragfähig ist. Ist die Führungskraft selbst Konfliktpartei, kann sie dazu die Gegenseite zum Gespräch einladen, den Konflikt direkt ansprechen und zur gemeinsamen Lösungssuche anregen. Handelt es sich um einen Konflikt unter Mitarbeitenden, dann kann die Führungskraft den Konflikt
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und die Auswirkungen auf die Arbeit ansprechen und die beiden Parteien auffordern, das unter sich abschließend zu regeln.
3. Aufgabe: Unterstützen der Konfliktparteien in der Lösungssuche Irgendwann ist der Konflikt so weit eskaliert, dass die Parteien Verbündete suchen. So können Teams in mehrere, sich „bekämpfende“, Teile zerfallen. Die Führungskraft muss in solchen Fällen darauf achten, neutral und allparteilich zu bleiben, und darf sich nicht offen oder unbewusst mit einer Partei verbünden, damit sie in ihrer Funktion umfassend handlungsfähig bleibt. In dieser Phase sind die Kontrahenten schon so tief in den Konflikt verstrickt, dass sie ihn nicht mehr aus eigener Kraft lösen können. Hier sorgt die Führungskraft für angemessene Unterstützung durch eine dritte Partei. Der „Dritte“ kann dabei die Führungskraft selbst sein (sofern nicht Konfliktpartei), ein interner Berater – etwa aus der Personalabteilung – oder ein externer Berater, zum Beispiel ein Moderator oder Teamcoach. Die Führungskraft muss sich dabei fragen, ob sie als neutrale Dritte geeignet und in der Lage ist oder doch besser ein interner beziehungsweise externer Berater herangezogen wird.
4. Aufgabe: Grenzüberschreitungen sofort unterbinden und sanktionieren Sobald seelische oder körperliche Gewalt auftaucht, enden alle Möglichkeiten der Gesprächsführung. Hier muss die Führungskraft in aller Entschiedenheit mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen intervenieren. Sie muss per Machteingriff solche Grenzüberschreitungen sofort und deutlich unterbinden.
Mit Konflikten umgehen Achten Sie auf Veränderungen, die Konflikte ankündigen können! Konflikte kündigen sich durch atmosphärische Veränderungen an. Wenn der sonst so ruhige Kollege plötzlich laut und aufbrausend wird oder der extrovertierte Kunde auf einmal nichts mehr sagt. Man spricht auch von „Temperaturveränderungen“. Konflikte können eiskalt sein, niemand spricht mehr mit dem anderen und der Kollege droht mit dem Anwalt, sobald man ihm freundlich „guten Morgen“ wünscht. Genauso können Konflikte überhitzt werden, wenn Streit, Brüllen und Türschlagen um sich greifen. Auch die Zunahme von Zwischenfällen, Fehlern oder Arbeitsunfällen, Veränderungen in Qualität oder Quantität der Arbeitsergebnisse sowie im Engagement der Mitarbeitenden können Indikatoren für Konflikte sein. Achten Sie auf solche Veränderungen, machen Sie aber nicht aus jeder Mücke einen Konflikt-Elefanten!
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Im Konflikt bleibt vieles unsichtbar – wie bei einem Eisberg Im Konflikt werden Handlungen sichtbar oder Aussagen hörbar. Was hinter diesen Handlungen oder Worten steckt, was sie antreibt und motiviert, bleibt zunächst einmal verborgen. Ein gutes Bild dafür ist das bei Thomas Robrecht beschriebene Eisbergmodell. Hier will ich das, was sichtbar oder hörbar ist, die Positionen der Konfliktparteien nennen. Verborgen bleiben die Interessen, die zu diesen sichtbaren Äußerungen führen, und die darunter liegenden Bedürfnisse und Motive der Kontrahenten. Sie sehen in Tabelle 6 einige Beispiele:
Tabelle 6
Positionen, Interessen und Bedürfnisse nach Thomas Robrecht
Situation
Positionen
Zwei Kinder streiten sich um eine Orange
„Ich will die Orange haben“
„Nein, ich will die Orange haben“
Mögliche Interessen Fruchtfleisch essen
Nahrungsaufnahme
Durst stillen
Nicht wieder den Kürzeren ziehen
Abrieb der Schale zum Kuchen backen Spaß an Auseinandersetzung
Zwei Sachbearbeiter streiten sich um die Arbeitsaufteilung
„Ich will Arbeit X machen“
„Nein, ich will Arbeit X machen“
Zuspätkommen bei einer Besprechung
„Ich will, dass wir pünktlich anfangen“ „Ich will über meine Zeit selbst bestimmen“
Mögliche Bedürfnisse
Im Kontakt sein Ernst genommen werden
Interessante Arbeit durchführen
Selbstverwirklichung
Pünktlich Feierabend beginnen
Nähe zur Familie
Regeln einhalten
Sicherheit und Orientierung
inneren Stress reduEigenen Arbeitsum- zieren fang reduzieren Selbstwertgefühl steigern Karrieresprung
Macht, Einfluss über andere ausüben Zeitdruck reduzieren
Sich stark fühlen Akzeptanz eigener Wertevorstellungen
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Der Kampf um Positionen schafft Gewinner und Verlierer, aber keine nachhaltige Lösung Sie können sich ausmalen, was passiert, wenn die Konfliktparteien sich ausschließlich die Positionen „um die Ohren hauen“. Vermutlich wird das Gespräch schnell emotional und laut und irgendwann wird sich der Stärkere durchsetzen. Es gibt einen Gewinner und einen Verlierer. Damit ist das Konfliktpotenzial jedoch nicht abgebaut. Besonders beim Verlierer. Der Konflikt geht meist beim nächstbesten Anlass in eine weitere Runde, von Lösung kann nicht die Rede sein.
Jeder Konflikt braucht seine eigene Bearbeitungsform Und das sind Ihre Karten, die da mit im Spiel sind: Überlegen Sie bei jedem Konflikt in Ihrem Bereich erneut, ob es wichtiger ist, eine bestimmte Lösung umzusetzen (egal ob sie allen gefällt), oder ob es wichtiger ist, die Einvernehmlichkeit unter den Konfliktparteien herzustellen (egal welche Lösung sie finden). Im ersten Fall entscheiden Sie, im zweiten Fall moderieren Sie! Vermischen Sie bitte dabei nichts, sonst wird es schräg und wirkt daneben.
Verwenden Sie die „Pinguin-Strategie“, sie verspricht bessere Lösungen Strebt man Lösungen an, die für beide Parteien annehmbar sind (man spricht dann von Win-Win-Lösungen), dann ist es erforderlich, die Teile des Eisberges, die unter Wasser liegen, einzubeziehen. Wie ein Pinguin sollte man gelegentlich abtauchen, um den unteren Teil des Eisberges zu untersuchen. In Angelika Härlins Beitrag finden Sie die WWWWRegel. Das dritte „W“ ist genau das: ein kurzes Abtauchen in die Ebene der Bedürfnisse und Werte. Das ist die Ebene dessen, was antreibt, was motiviert, was im Streitfall „wirklich wichtig“ ist. So können Sie mit der WWWW-Regel eigene Bedürfnisse schildern. Sie können die Regel auch umkehren und andere nach deren Bedürfnissen fragen. Ich kann das hier nur andeuten, es braucht etwas Übung, damit umzugehen. Es geht etwa so:
Tabelle 7
Das 4-W-Modell nach Angelika Härlin
W
Wahrnehmung
Wenn Du hörst, dass X so etwas sagt,
W
Wirkung
was macht das dann mit Dir? (oder: macht Dich das dann eher besorgt oder betroffen oder wütend?)
W
wirklich wichtig
was ist Dir in diesem Moment dabei wirklich wichtig?
W
Wunsch
was würdest Du Dir in diesem Fall wünschen?
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Der erfolgreiche Weg besteht, neben aller Methodik, im angemessenen Umgang mit Emotionen, weshalb ich noch einmal auf Thomas Robrechts Beitrag verweise.
Benutzen Sie eine Methode als „roten Faden“ in schwierigen Gesprächen! Aus dem Methodenset der Mediatoren stammt ein Modell, das der Strukturierung eines Konfliktgespräches dient. Dabei ist es unerheblich, ob Sie ein Lösungsgespräch als betroffene Konfliktpartei führen oder ob Sie als Führungskraft die Lösungssuche zweier streitender Mitarbeitenden moderieren.
Tabelle 8
Konfliktbegleitung Phase 1 nach Thomas Robrecht
Phase
Inhalte
Tipps für den Moderator
1. Rahmen
Voraussetzung 1: Freiwilligkeit aller Teilnehmenden
Wenn jemand zur Teilnahme gezwungen wird oder die Teilnehmenden den Moderator und die Gesprächsregeln nicht anerkennen, kann kein Klärungsgespräch durchgeführt werden. Dann braucht es eine Entscheidung der Führungskraft.
Voraussetzung 2: Akzeptanz des Moderators als neutraler, allparteilicher Vermittler durch alle Teilnehmenden Gesprächsregel 1: Der Moderator führt das Gespräch, die anderen folgen seinen Anweisungen Gesprächsregel 2: Ausreden lassen
Vergessen Sie für den Moment die Anstandsregel, dass man einen Sprechenden nicht unterbricht! Ihr Job ist nicht, höflich zu sein, sondern einen emotionalen Prozess zu leiten. Deshalb zögern Sie nicht, bei Regelverletzungen unverzüglich zu unterbrechen und auf die Regel hinzuweisen. Je emotionaler das Gespräch, desto deutlicher müssen die Führungsimpulse des Moderators sein.
Es kann passieren, wenn es in einer Phase konkret wird, dass Sie noch einmal in eine der vorangegangenen Phasen zurückfallen. Das kann vorkommen und ist normal, drehen Sie einfach noch eine Runde!
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Tabelle 9
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Konfliktbegleitung Phase 2 nach Thomas Robrecht
Phase
Inhalte
Tipps für den Moderator
2. Sichtweisen
Die Konfliktpartei haben hintereinander die Möglichkeit, ihre Sicht des Konflikts darzustellen, und werden nicht von den anderen unterbrochen
Diese Phase nennen die Mediatoren auch „kontrolliertes Auskotzen“. Hier können Emotionen hochkochen. Rechnen Sie damit, dass sich gelegentlich Emotionen gegen Sie als Moderator richten. Das ist nicht böse gemeint, sondern ein Zeichen von Unsicherheit, wenn die Streitenden nicht wissen, wohin mit ihrer Konfliktenergie.
In dieser Phase geht es um die Darlegung der Sichtweisen, noch nicht um deren Diskussion oder um Lösungssuche
Es macht oft Sinn, bei dem zu beginnen, der emotional am meisten geladen ist, um Dampf abzulassen. Die Ruhigeren können es besser aushalten, erst einmal zuzuhören. Vermeiden Sie, wenn es emotional hoch hergeht, dass die Parteien direkt miteinander sprechen. Erklären Sie das etwa so: „Ich will zunächst die Situation aus Sicht beider kennen lernen. Deshalb erzählen Sie nacheinander mir, wie Sie das sehen ...“. Erinnern Sie zwischendrin bei Bedarf: „Erzählen Sie es mir, nicht ihm/ihr!“ Durch die Fokussierung auf sich vermindern Sie das Risiko, dass die Kontrahenten aufeinander losgehen oder in ein Streitgespräch verfallen. Wenn es nicht anders geht, dann führen Sie diese Phase ausnahmsweise zunächst getrennt durch, bis so viel Dampf abgelassen ist, dass Sie mit beiden Parteien weiterarbeiten können.
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Tabelle 10
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Konfliktbegleitung Phase 3 nach Thomas Robrecht
Phase
Inhalte
Tipps für den Moderator
3. Klärung
In dieser Phase geht es immer noch nicht um Lösungen, sondern um die Darstellung von Wünschen, Angeboten und Lösungskriterien
Fragen Sie nach den Einzelthemen, die bearbeitet werden müssen, um zu einer Lösung zu gelangen. Fragen Sie die Parteien, was ihnen wichtig ist für eine Lösung (egal wie diese aussieht). Wenn sinnvoll, dann fragen Sie die Parteien, wo sie in ihren Anliegen Übereinstimmungen sehen. Gemeinsames herauszustellen stärkt die Situation. Es ist hilfreich, diese Phase z. B. am Flipchart zu visualisieren. Das konzentriert die Gedanken und niemand hat das Gefühl, dass etwas ihm/ihr Wichtiges vergessen wird.
Wenn Sie hier gelandet sind, dann ist erfahrungsgemäß schon so viel Druck abgebaut, dass Sie wesentlich ruhiger weiterarbeiten können. Zumindest meistens.
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Tabelle 11
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Konfliktbegleitung Phase 4 nach Thomas Robrecht
Phase
Inhalte
Tipps für den Moderator
4. Lösung
Hier wird in mehreren Schritten nach Lösungsideen gesucht und eine einvernehmliche Lösung gefunden
Teilen Sie diese Phase in drei Abschnitte:
Die Tragfähigkeit der Lösung wird überprüft
Sammeln von Lösungsvorschlägen Diskutieren und Besprechen der Ideen Festlegen auf eine einvernehmliche Lösung Malen Sie nach der Festlegung auf eine Lösung den Teufel an die Wand (man nennt das „loop of understanding“). Fragen Sie zum Beispiel: „Was können wir tun, damit diese Lösung versagt?“ Sie erkennen dadurch sehr klar entweder direkt oder zwischen den Zeilen, wie tragfähig die Lösung ist und wie ernst es die Parteien damit meinen.
Jetzt kann es noch einmal anstrengend werden: Gelegentlich kommt eine gewisse Euphorie auf, wenn nach langem Ringen eine gemeinsame Lösung gefunden wurde, die man anfangs ohnehin für unmöglich gehalten hat. Dieser „Glücksmoment der guten Absichten“ lässt manche glauben, auf konkrete und verbindliche Maßnahmen zur Realisierung verzichten zu können.
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Tabelle 12
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Konfliktbegleitung Phase 5 nach Thomas Robrecht
Phase
Inhalte
Tipps für den Moderator
5. Vertrag
Schaffen von Verbindlichkeit
Unterstützen Sie die Parteien, möglichst eine schriftliche Vereinbarung zu treffen, aus der hervorgeht, WAS macht WER ab/bis WANN, um die gefundene Lösung in die Realität umzusetzen.
Vorsehen von Review und Kontrolle
Schaffen Sie Verbindlichkeit, indem beide Parteien den Vertrag unterschreiben. Vereinbaren Sie einen Termin zum Review, an dem die Beteiligten beurteilen, wie tragfähig die Lösung ist und wie gut und konsequent sie in die Realität umgesetzt wurde. Je reibungsloser die Parteien in dieser Phase arbeiten, desto größer ist die Chance, dass der Konflikt wirklich gelöst wurde.
Fragen Sie die Beteiligten zum Abschluss: „ ... und, wie war ich?“ Aus den Antworten können Sie für das nächste Mal lernen.
Fazit Mein kleiner Ausflug ins Reich der Konflikte endet hier. Ich habe das Thema durch die Brille einer Führungskraft betrachtet. Mein persönliches Fazit an dieser Stelle ist Folgendes: Führung begegnet ganz automatisch dem Phänomen Konflikt auf vielfältige Weise. Sei es, dass Konflikte eine normale Begleiterscheinung menschlichen Miteinanders sind, oder sei es, dass die Führungsaufgabe „Entscheiden“ immer wieder Konflikte erzeugt. Deshalb braucht die Führungskraft ein wenig Hintergrundwissen, um einordnen zu können, was da gerade abgeht, wenn Menschen anfangen, sich seltsam zu verhalten. Sie braucht Klarheit in ihren Entscheidungen sowie in ihrer Rolle und Verantwortung, um handlungsfähig zu sein. Schließlich braucht sie erprobtes Handwerkszeug, um Ergebnisse und Lösungen zu erzielen.
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Gleichzeitig hat eine Führungskraft sehr viele andere Dinge zu erledigen. Deshalb ist es gut, erkennen zu lernen, wo die eigenen Möglichkeiten enden und der Einsatz professioneller Konfliktbegleitung angezeigt ist. Der für mich hilfreichste Punkt bleibt dieser: Konflikte sind nicht gut oder schlecht. Sie sind einfach. Es kommt auf den Umgang damit an und Umgang mit Konflikten kann man lernen.
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: In welchen Situationen sind meine Entscheidungen hilfreich für meine Mitarbeitenden? Welche Stärken und Kompetenzen haben wir, um mit Konflikten gewinnbringend umzugehen? Was könnte dazu beitragen, dass wir auch in schwierigen Situationen lösungsorientiert und gleichzeitig fair miteinander umgehen?
Literatur und Quellen Blake, Robert R., Mouton, Jane Srygley (1964): The Managerial Grid: The Key to Leadership Excellence, Houston Fisher, Roger, Ury, William, Paton, Bruce (1984/1996). Das Harvard-Konzept, Frankfurt Glas, Friedrich (1990). Konfliktmanagement, Bern Kreuser, Karl, Robrecht Thomas (2008). Mit Partnern gewinnen, Kühbach Kreuser, Karl (2010, in Druck). Tolerieren, Unterscheiden, Verändern!, Heidelberg Redlich, Alexander (1996/1997). Konfliktmoderation, Hamburg Robrecht, Thomas (2003). Mediationsausbildung, unveröffentlichte Teilnehmerunterlagen, Hohenstaufen Rosenberg, Marshall B. (2001/2003). Gewaltfreie Kommunikation, Paderborn Simon, Fritz B. (2007). Einführung in die systemische Organisationstheorie, Heidelberg Steyrer, Johannes (1996) Theorien der Führung. In: Kasper/Mayrhofer (Hrsg), Personalmanagement: Führung und Organisation, S. 203-205, Wien Varga von Kibéd, Matthias (2000/2009). Ganz im Gegenteil, Heidelberg
Auf dem Weg zum erfolgreichen Spitzenteam
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Auf dem Weg zum erfolgreichen Spitzenteam Andrea Gässler
Teamentwicklung als notwendige Führungsaufgabe Eine im Januar 2010 veröffentliche Studie, die im Sommer 2009 von der Unternehmensberatung Kienbaum und Harvard Business Manager durchgeführt wurde, belegt: 69% der befragten Top-Führungskräfte aus verschiedenen Unternehmen stufen die Bedeutung der Unternehmenskultur für den wirtschaftlichen Erfolg mit hoch bzw. sehr hoch ein. Dies ist dort sogar mit Zahlen einer anderen Studie ergänzt: Untersuchungen der Harvard-Professoren John Kotter und James Heskett zeigen, dass Unternehmenskulturen, die den Fokus auf Führung, Mitarbeiter, Kunden, und Eigentümer richten, über einen Zeitraum von 11 Jahren ihren Gewinn um 756% steigern konnten – im Vergleich zu anders ausgerichteten Vergleichsunternehmen, die nur ein Wachstum von 1 % aufzeigen. Allerdings entsteht Unternehmenskultur als Basis für einen solchen Unternehmenserfolg nicht am Reißbrett. Es reicht auch nicht, Hochglanzbroschüren des Firmenleitbilds zu verteilen. Eine förderliche Unternehmenskultur wird gestaltet und geschaffen durch Führungskräfte unterschiedlicher Ebenen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Führungskräfte begreifen ihre Führungsaufgabe auch als eine an vereinbarten Werten orientierte Teamentwicklungsarbeit! Ein Umsetzungsbeispiel: Mit einfachen und klaren Worten hörte ich neulich einen Bereichsleiter zu seinen Abteilungsleitern so sprechen: „Ohne Euch bin ich nicht erfolgreich und Ihr seid nicht erfolgreich ohne mich.“ Er eröffnete damit eine Veranstaltung, bei der ich ihn und sein Team als Coach dabei unterstützen sollte, über ihre Zusammenarbeit zu reflektieren und nach Wegen zu suchen, wie sie gemeinsam noch besser werden können. Er fuhr fort: „ … und dazu erhoffe ich mir von Euch offene und klare Informationen darüber, was ich an meinem Führungsverhalten verbessern und was ich beibehalten sollte.“ Dieser Bereichsleiter spricht aus, was ich in meiner Praxis als Führungskräfte-Coach und Teamentwicklerin schon oft erlebt habe: Führungskräfte suchen den Austausch mit ihrem Team einmal nicht über die Ziele und Aufgaben und Ergebnisse, sondern über das Thema „Führung und Zusammenarbeit“. Sie möchten die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit fördern, bei der es allen leicht fällt, „Klartext“ miteinander zu reden. Feedback-Nehmen und Feedback-Geben ist eines der Mittel dazu. Das Ziel: Stärken der Einzelnen und in der Zusammenarbeit entdecken und existierende oder mögliche Problem- und Konfliktfelder in der Zusammenarbeit ansprechen und klären.
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Führungsaufgabe Teamentwicklung Nur: Dieser „Team-Zustand“ fällt nicht einfach so vom Himmel. Dafür haben dieser Bereichsleiter und seine Mitarbeiter Zeit und Energie aufgewendet. Diese Führungskraft hat wahrscheinlich auch verstanden, dass sie die Entwicklung von Einzelnen hin zu einem erfolgreichen Team bewusst steuern kann und dies eine ihrer kontinuierlichen Führungsaufgaben ist. Sie möchten wissen, wie das gehen könnte? Sie möchten überprüfen, inwieweit Sie diese Führungsaufgabe bereits in Ihr Handeln integriert haben? Mit diesem Beitrag möchte ich Sie bei Ihrer Führungsarbeit inspirieren. Vielleicht fallen Ihnen beim Lesen Anregungen auf, die Sie in Ihre Führungspraxis integrieren wollen, oder Sie entwickeln zusätzliche eigene Ideen und sind bestärkt auf Ihrem Weg, den Sie bereits eingeschlagen haben: sich als „der Teamentwickler/die Teamentwicklerin Ihrer Mannschaft“ zu begreifen.
Wissenschaftlich „Hinter-Gründliches“ Zufallsfund in der Führungsforschung Führungsforschung reicht nur einige Jahrzehnte zurück. Eines der wichtigsten Experimente auf diesem Gebiet brachte eine Zufallserkenntnis zutage. George Elton Mayo untersuchte von 1927 an in einer Elektroartikelfabrik in den USA die Beziehung zwischen physikalischen Arbeitsbedingungen und der Produktivität der Beschäftigten. Ein Ergebnis war: Verbesserte man die Arbeitsbedingungen (z. B. Lichtverhältnisse) in der Versuchsgruppe, so stieg deren Arbeitsleistung. Sehr überraschend aber war es für die Versuchsleiter, dass die Arbeitsleistung weiterhin auf hohem Niveau blieb, obwohl man die ursprünglichen Bedingungen wieder herstellte. Wie konnte das sein?
Die Entdeckung: Der „Menschliche Faktor“ Die Ursache fand Mayo in der veränderten Einstellung der Arbeiter dieser Gruppe: Die „Arbeitsmoral“, d. h. das Interesse an der Arbeit und an der Zusammenarbeit, war deutlich höher. Interviews ergaben folgende Gründe dafür: Die Mitglieder dieser Gruppe fühlten sich wertgeschätzt, weil sie an dieser Untersuchung teilnehmen durften und weil sie die besondere Aufmerksamkeit der Versuchsleiter genossen, die Interesse an ihnen und ihren Arbeitsbedingungen hatten. Sie fühlten sich beobachtet und erlebten, dass man ihre individuellen und gemeinsamen Bedürfnisse ernst nahm.
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Die Erfolgsfaktoren in der Führung Diese bahnbrechenden Ergebnisse machten die Bedeutung von Prozessen kleinerer Gruppen deutlich, die sie innerhalb einer formellen Struktur und Organisation wie einer Fabrik hatten. In der Folge und bis heute ist es erwiesen, dass Führungsarbeit auch bedeutet, die sozialen und psychischen Bedürfnisse der Mitarbeiter als Individuen und im Gruppenzusammenhang zu berücksichtigen. Sie sind neben den Bedürfnissen nach motivierenden Zielen und günstigen Rahmenbedingungen die entscheidenden Erfolgsfaktoren, die es ermöglichen, Menschen in Organisationseinheiten zu Spitzenteams zu entwickeln.
Von Einzelbeziehungen zum Netzwerk Ziele der Teamentwicklung Diese Erkenntnis fordert m. E. von Führungskräften, aus Einzelbeziehungen ein Netzwerk von Arbeitsbeziehungen zu bilden. Idealtypisch könnte das Ziel und Ergebnis dieses Führungsprozesses dann so aussehen:
Abbildung 5
Teamzustand in Spitzenteams
Alle Mitglieder des Teams haben zueinander direkten Kontakt und lösen miteinander gemeinsame Aufgaben – nicht nur fachlich-inhaltliche, sondern auch Aufgaben, die übergeordneter Natur sind und die zum einen die Arbeitsbeziehungen entwickeln und zum anderen die gemeinsamen Ziele und Ergebnisse erreichen lassen. Aufgaben, die für jedes einzelne Teammitglied und die Führungskraft nützlich sind, die die vertrauensvolle Zusammenarbeit fördern und die ein Klima von Geben und Nehmen gestalten, sind dafür sehr geeignet.
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Tipps, um die Vernetzung der Teammitglieder zu ermöglichen ȭ
ȭ ȭ ȭ
ȭ
„Entdecken“ Sie Ihre Mitarbeiter in ihren fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, damit Sie Ideen entwickeln können, wie alle Teammitglieder sich gegenseitig unterstützen können. Fragen Sie Ihre Teammitglieder auch danach, welchen Beitrag zum Ganzen sie sich selbst vorstellen können. Fragen Sie sich selbst, was Sie von Ihren Teammitgliedern lernen wollen und was diese von Ihnen lernen können. Vergeben Sie an zwei oder mehr Teammitglieder gemeinsame teaminterne Aufgaben, deren Ergebnisse für alle Teammitglieder, für Sie selbst und das Erreichen der gemeinsamen Teamziele bedeutend sind. Stellen Sie sicher, dass nicht immer dieselben Mitarbeiter diese Projekte übernehmen: Stellen Sie hin und wieder neue Projektgruppen zusammen, so dass alle Mitarbeiter sich kennenlernen können.
„Projekte“ fördern außerdem die Zusammenarbeit, fordern zur Positionierung heraus und ermöglichen Kontakt und den Aufbau von persönlichen Beziehungen. Sie können aber auch Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit aufzeigen und fordern deshalb die Teammitglieder und Sie als Führungskraft im konstruktiven Umgang mit Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit. Damit „trainieren“ Sie eine wichtige Fähigkeit auf dem Weg zum Spitzenteam: die Problemlösungskompetenz des Einzelnen und des Teams. Nachfolgend Beispiele für Führungsimpulse, die die Zusammenarbeit und die Beziehungen untereinander fördern:
Beispiele für die Integration von Einzelleistungen ȭ ȭ ȭ ȭ
Ein Teammitglied hat z. B. herausragende EDV-Kenntnisse und könnte die anderen damit unterstützen. Ein anderer Mitarbeiter ist gut in der Gestaltung von Texten und könnte zunächst die Besprechungsprotokolle gestalten. Ein weiterer könnte hin und wieder an Ihrer Stelle die Moderation der Besprechungen übernehmen. Und was können Sie Ihren Teammitgliedern anbieten?
Beispiele für gemeinsame teaminterne Projekte ȭ ȭ ȭ
Darstellung des Teams auf der Intranet-Seite des Unternehmens Optimierung eines bestimmten Arbeitsprozesses Zusammentragen und Strukturierung der teameigenen Informationen (Wissensdatenbank)
Ihre Zusammenarbeitsprozesse und damit Ihre Ergebnisse können so optimiert werden. Wichtig dabei ist, dass diese Nutzung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen jedes Einzelnen nicht dazu führt, dass jeder seine spezifischen Kompetenzen für sich exklusiv reserviert. Sonst käme es zu Rollenfestschreibungen und die Chance wäre vertan, dass
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Sie selbst und die Teammitglieder voneinander lernen und alle ihre Kompetenzen erweitern könnten.
Empfehlungen ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Machen Sie deutlich, dass Sie dies auch als eine Aktion des VoneinanderMiteinander-Lernens begreifen. Kündigen Sie an, dass diese „Teamrollen“ und Zuständigkeiten nach Absprache auch wechseln können und eine Lernchance für jeden bedeuten. Erläutern Sie Ihre Ziele mit diesen Maßnahmen so, dass individueller und gemeinsamer Nutzen jedem deutlich wird. Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, sich gegenseitig Unterstützung zu holen und zu geben. Führen sie öfter gemeinsame Besprechungen durch, in denen alle nach möglichen Synergiefeldern suchen, die die Abläufe vereinfachen und gegenseitige Inspiration fördern können.
Ineffektive Teamzustände Mit einem solchen Vorgehen und einer dafür notwendigen Führungs-Haltung lösen Sie sich in Ihrer Führungspraxis von eher leiterzentrierten Formen des Kontakts, wie diesen:
Tabelle 13
Ineffektive Teamzustände Hierarchiebetonte Teamstruktur Teammitglieder haben keinen Kontakt und Bezug zueinander. Einzige Bezugsperson von allen ist die Führungskraft. Nähe zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist unterschiedlich ausgeprägt. Zentralistische Teamstruktur Teammitglieder haben auch hier keinen Kontakt und Bezug zueinander. Einzige Bezugsperson von allen ist die Führungskraft. Nähe zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist ähnlich ausgeprägt. Kontakt zu anderen Teammitgliedern läuft ausschließlich über den Kontakt zur Führungskraft
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Partielle Vernetzung Teammitglieder haben zu manchen anderen Kontakt und Bezug. Bezugsperson von allen ist die Führungskraft. Nähe zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ist ähnlich ausgeprägt. Mancher Kontakt untereinander ist nur über die Führungskraft und andere Teammitglieder möglich.
Es ist nachvollziehbar, dass diese Teamzustände sehr gute Ergebnisse eher behindern als fördern. Diese Formen der Zusammenarbeit findet man zwar eher in Anfangssituationen vor, z. B. bei Neugründung eines Teams oder nach Führungsübernahme, aber leider auch noch oft genug bei schon länger bestehenden „älteren“, wenig entwickelten Teams oder während Veränderungsprozessen.
Führung ist Gestalten von Gruppenprozessen Modelle sind Navigationshilfen Die eigene Führungspraxis und die Zusammenarbeit reflektieren und (mit-) gestalten zu können, setzt Wissen und Erfahrung um Gruppenprozesse voraus. Da wir seit unserer Geburt in Gruppen leben, können wir getrost darauf vertrauen, dass wir darüber eine Menge wissen! Nur: Es geht darum, unser Wissen und Können bewusster zu nutzen – ob als Teammitglied oder als Führungskraft. Eine große Hilfe dabei können Modelle sein, wie ich sie in meinen TeamentwicklungsWorkshops manchmal nutze. Sie sind wie eine Landkarte, die uns Orientierung geben kann: bei der Planung unserer Reise genauso wie bei der Durchführung und bei der kontinuierlichen Reflexion. Natürlich sind sie nicht die Landschaft selbst. Diese ist weitaus komplexer, bunter, vielfältiger. Und dennoch bieten uns Modelle durch ihre Vereinfachung die Möglichkeit, die wesentlichen Faktoren der „Landschaft“ wahrzunehmen und in einen gemeinsamen Austausch darüber zu treten. Dies erweitert in jedem Falle die subjektiven, manchmal einseitigen Sichtweisen. Von diesen Modellen gibt es einige, die sich in den Grundzügen durchaus ähneln – beschreiben sie doch wahrnehmbare Phänomene von Gruppenentwicklungen, die wie ein Naturgesetz erscheinen mögen.
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Teamphasenmodell als Reflexionshilfe Ich bevorzuge bei meiner Arbeit mit Führungskräften und ihren Teams eine Grafik, die auf der x-Achse den Zeitverlauf, auf der y-Achse die Arbeitsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit der Teammitglieder zu konstruktiver Zusammenarbeit, beschreibt. Abbildung 6 zeigt die zeitliche Entwicklung der Arbeitsfähigkeit einer Gruppe in vier Phasen, wobei die Wendepunkte in der Differenzierungsphase Störungen bzw. Problemsituationen und deren erfolgreiche Bewältigung bezeichnen:
Abbildung 6
Teamphasen in Anlehnung an Karlheinz A. Geißler
Differenzierung
Arbeit
Abschluss/ Trennung
Arbeitsfähigkeit
Orientierung
Zeit
Empfehlungen ȭ
ȭ
ȭ
Eine erste Anwendungsmöglichkeit des Modells besteht darin, dass Sie selbst überprüfen, welche Phänomene der einzelnen Phasen Sie bei sich selbst und welche Sie bei Ihren Teammitgliedern wahrnehmen. Ein nächster Schritt könnte sein, Ihre Mitarbeiter in die Teamdiagnose einzubeziehen. Dabei erfahren Sie etwas über die Perspektiven Ihrer Mitarbeiter und überprüfen so Ihre eigenen Hypothesen. Durch die Identifizierung gemeinsamer und unterschiedlicher Sichtweisen können Sie dann gemeinsame Handlungsbedarfe identifizieren und Optimierungsmaßnahmen ableiten.
Nutzen Sie die folgende Beschreibung der Phänomene gleich während des Lesens, um sich über den momentanen Entwicklungsstand Ihres Teams ein erstes subjektives Bild zu machen.
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Phänomene der einzelnen Teamphasen I. Orientierungsphase ȭ Vorfreude, Unsicherheit, Hoffnungen und/oder Befürchtungen ȭ Höflicher, vielleicht eher vorsichtiger Umgang miteinander ȭ Zunächst vielleicht noch wenig gegenseitiges Vertrauen ȭ Hypothetische Euphorie und/oder abwartende bzw. skeptische „Schauen wir mal“Haltung ȭ Neugierde auf „Wer ist hier dabei?“ und „Was kann hier jeder Einzelne?“ ȭ Suche nach Gemeinsamkeiten ȭ Erste Arbeitsstrukturen und Regelwerke entstehen (häufig unbewusst) II. Differenzierungsphase ȭ Erste Vertrauensbildung zwischen Einzelnen ȭ Persönliche Standortbestimmungen: „Wer kann’s hier besser als ich?“ ȭ Rollendifferenzierung bzgl. Normen: „Wer darf hier was und wer nicht?“ und Aufgaben: „Wer macht hier was?“ ȭ Macht- und Statuskämpfe ȭ Konflikte und Spannungen untereinander ȭ Bewusste oder unbewusste Klärungen und Auseinandersetzungen mit der Führungskraft ȭ Erste Erfahrungen mit Problem- und Konfliktlösungen – daraus bewusste und unbewusste Regelbildungen ȭ Erfolgreiche Konfliktbewältigungsmechanismen und förderliche Reflexions- bzw. Kritikkultur können sich entwickeln, wenn die Führungskraft die Auseinandersetzung darüber fördert III. Arbeitsphase ȭ Ziele und Ergebnisse werden erreicht ȭ Sachaufgaben werden zuverlässig erledigt ȭ Regeln und Vereinbarungen werden eingehalten ȭ Jetzt erst volle Vielfalt aller Kompetenzen der Teammitglieder ȭ Fehler zu machen ist jetzt erlaubt – konstruktive Kritik hilft beim VoneinanderLernen ȭ Lust auf „Neues miteinander lernen“ und höchstes Maß an Kreativität – jetzt kann das Team auch komplexe und bisher unbekannte Problemstellungen erfolgreich bewältigen ȭ Wir-Gefühl wird erlebt und Identitätsbildung als Gruppe ist abgeschlossen ȭ Vernetzung mit der restlichen Organisation (bereichsübergreifende Zusammenarbeit) und darüber hinaus (Kooperation zwischen Organisationen) ist jetzt erst wirklich gut möglich ȭ Umgekehrt kann starkes Wir-Gefühl und Abgrenzung nach außen zur Ausgrenzung durch die restliche Organisation führen und Ziele bzw. der Gruppenauftrag durch die Organisation können aus dem Blickfeld geraten (Gruppenzugehörigkeit und -identität als alleiniger Selbstzweck)
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IV. Abschluss- und Trennungsphase ȭ Orientierung auf Nachfolgendes (neue Ziele, neue Strukturen, neue Menschen etc.) ȭ Ambivalenz von Freude und Trauer ȭ Individualismus wächst wieder ȭ Nachlassende Loyalität zu Menschen und gemeinsamen Zielen und Werten ȭ Regelverfall ȭ Ambivalenz zwischen Gemeinsamkeit erhalten und Trennung vom Gemeinsamen wird erlebt ȭ Trennung von einzelnen Menschen und Aufhebung einzelner oder mehrerer gewohnter Strukturen, Aufgaben und Abläufe ȭ Weniger Selbst-Reflexion, konstruktive Kritik und Bereitschaft zum Lernen ȭ Sicherung der Gruppenergebnisse und des Transfers zunehmend schwieriger (z. B. Übergabe- und Nachfolgeregelungen, Projektdokumentationen etc.) Wenn Ihnen nun einige dieser Phänomenen bekannt vorkommen, wird Ihnen die nachfolgende Tabelle 14 bei Ihren Überlegungen helfen, welche Führungsziele und -aktivitäten nützlich sind, damit Sie Ihr Team zum Spitzenteam entwickeln können. Einige beispielhafte Empfehlungen sind aufgeführt. Andere fallen Ihnen vielleicht zusätzlich ein, wenn Sie überlegen, welche Maßnahmen speziell für Sie und Ihr Team aus den Führungszielen derzeit abgeleitet werden könnten.
Tabelle 14
Führungsziele und -aktivitäten in den vier Phasen
Phase
Inhalte Führungsziele
Führungsaktivitäten, z. B.
Orientierungsphase
Abschied vom Alten nehmen
Orientierung geben z. B. über die Menschen, die Ziele, die Aufgaben, die Strukturen, die Abläufe und Arbeitsweisen, die Rahmenbedingungen (Ich-Wir-SacheUmfeld)
Vorbereitung auf das Neue Kontakt herstellen und Kennenlernen fördern Vertrauen und Zutrauen gewinnen
Unsicherheiten entdecken und erfragen Vertrauensbildende Maßnahmen und Verlässlichkeit auf die Führungskraft bzw. die Einzelnen unter Beweis stellen Feedbackkultur entwickeln Feedbackinstrumente (z. B. 4-W-Feedback) anwenden
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Phase
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Inhalte Führungsziele
Führungsaktivitäten, z. B. Vertrauensvorschuss für die Führungskraft annehmen und/oder Vertrauen sich durch Transparenz und Authentizität erarbeiten
Differenzierungsphase
Kennenlernen und Kontakt intensivieren Konflikte erkennen, zulassen und klären Eskalation der Konflikte vorbeugen Unterschiedlichkeit erlauben und zielführend einsetzen
Möglichkeiten schaffen, dass der Einzelne zeigen kann, was er „drauf hat“ Möglichkeiten schaffen zur Auseinandersetzung und Beziehungsklärung Konstruktives (bestätigendes und veränderndes) Feedback-Geben und Feedback-Nehmen (siehe 4-W-Feedback) Darauf achten, dass jeder seinen Platz in der Gruppe findet und Wertschätzung erfährt für seinen Beitrag Enge Strukturen (z. B. Arbeitsteilung) verhindern Klärungsprozesse – deshalb weniger Struktur vorgeben Rolle der Leitung klären, d. h. Leitungskonflikte aktiv und konstruktiv gestalten – sie dienen als Modell für Konfliktklärungen zwischen den Einzelnen
Arbeitsphase
Ziele erreichen Ergebnisse erbringen Wertschöpfung optimieren Bereichsübergreifende Zusammenarbeit fördern Teamergebnisse nach außen kommunizieren und vertreten
Wenig Steuerung und Lenkung nötig Auf Selbststeuerungskräfte vertrauen und Selbstorganisation zulassen Koordination der Einzelnen im Team Koordination des Teams mit anderen Teams
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Phase
Inhalte Führungsziele
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Führungsaktivitäten, z. B. Moderation und Coaching als Führungsmethoden anwenden Controlling i. S. v. Überprüfung und Sicherstellung der Ergebnisse und Ziele Transfer- und Ergebnissicherung
Abschlussund Trennungsphase
Ergebnisse für Folgeprojekte / Gesamtorganisation sichern
Wieder mehr Struktur und Steuerung hilfreich und nötig
Erfolge würdigen und Dank und Anerkennung für Leistung aussprechen
Zeit und Raum geben für Reflexion und Abschluss der Transfersicherung
Menschen und Ziele loslassen und „wertschätzend“ verabschieden
Teamerfolge benennen und gemeinsam Gelerntes für jeden Einzelnen und für Nachfolgeteams sichern Trennung und Abschied für jeden Einzelnen und für sich selbst aktiv gestalten Selbst auch loslassen, z. B. von Ansprüchen an Qualität der Ergebnisse Phänomene das Abschlusses auch bei sich selbst wahrnehmen und „mildern“
In der Praxis ist oft kaum zu unterscheiden, in welcher Phase ein Team sich ganz genau befindet. Tatsächlich halten Sie sich und Ihre Teammitglieder womöglich in unterschiedlichen Phasen gleichzeitig auf. Werden um Sie herum z. B. die Unternehmensstrukturen verändert, könnten Sie Phänomene der Anfangs- oder der Abschlussphase entdecken. Gleichzeitig löst das vielleicht aber auch Konflikte bei Ihnen und im Team aus. „Sind das nicht eher Zeichen einer Differenzierung?“, werden Sie sich fragen. Darüber hinaus wird jedes einzelne Teammitglied vielleicht eine unterschiedliche Sichtweise haben. Sich auf eine zu einigen, wäre hierbei gar nicht hilfreich. Besser ist es, die unterschiedlichen Einschätzungen transparent zu machen und miteinander zu übersetzen in: „Was braucht jeder Einzelne von uns, um gut oder besser zusammenarbeiten zu können?“ Die Hinweise in Tabelle 14 können helfen, miteinander darüber ins Gespräch zu kommen.
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Erfolgreiche Führung ist Vertrauenssache Der Weg zum Spitzenteam Das übergeordnete Führungsziel einer bewussten Teamprozess-Gestaltung ist ein Zuwachs an Vertrauen und Arbeitsfähigkeit. Die Wahrscheinlichkeit wird größer sein, dass die Fertigkeiten und Kompetenzen aller Teammitglieder – auch die der Führungskraft – für die Arbeit der Gruppe und das gemeinsame Ziel genutzt werden können. So werden Sie mit Ihrem Team zusammen Höchstleistungen und sehr gute Ergebnisse erzielen. Dies bedeutet, besonders der Anfangs- und der Differenzierungsphase höchste Aufmerksamkeit zu widmen und diese sehr bewusst zu gestalten. Hier legen Sie den Grundstein für die Entwicklung einer konstruktiven Teamkultur. Wie Margerison und McCann mit den Ergebnissen ihrer Management-Forschung eindrücklich nachgewiesen haben, unterscheidet Spitzenteams von anderen Teams u. a. ein hohes Maß an gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen, eine konstruktive Feedbackkultur und wertschätzende Konfliktklärungskompetenz. Höchstleistungen und Spitzenergebnisse sind Ihr Lohn für diese Investition in die Entwicklung nützlicher Zusammenarbeitsformen. Außerdem sind Sie und Ihr Team dann gut gerüstet für Zeiten, in denen einmal nicht alles „glatt läuft“ und es darum geht, Krisen miteinander zu meistern oder Veränderungen zu gestalten. Diese Umgangsformen, Kompetenzen und Haltungen sind aber nicht von Anfang an automatisch vorhanden. In meinen Coachings und Team-Workshops höre ich von Führungskräften oft, sie würden zu „vertrauensbildenden Maßnahmen“ greifen. Dann stelle ich immer mal die Frage: „Und wie machen Sie das ganz konkret? Wie bauen Sie Vertrauen zueinander auf, wie bringen Sie Ihr Team dazu, arbeitsfähig zu sein und konstruktive Zusammenarbeitsformen zu entwickeln?“ Oft schaue ich dann zunächst in ratlose Gesichter.
Haltung erzeugt Verhalten Ihre innere Haltung steuert automatisch Ihr Verhalten. Deshalb sind meiner Erfahrung nach Verhaltensänderungen nicht wirklich trainierbar, sondern ein Ergebnis aus Selbstund Fremdreflexion und der daraus resultierenden inneren Haltungsänderung. Wenn Sie also Vertrauen zu Ihren Teammitgliedern haben oder haben wollen, wird Ihre Absicht Ihr Verhalten steuern, z.B. so:
Empfehlungen ȭ ȭ
Gehen Sie mit Offenheit und Transparenz auf Ihre Mitarbeiter zu. Schaffen Sie genügend Kontaktmöglichkeiten: Zu Ihnen und zu den anderen Teammitgliedern aus dem Wissen heraus: Erst Kontakt ermöglicht Vertrauensbildung.
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ȭ ȭ ȭ ȭ
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Überprüfen Sie Ihre eigene Haltung gegenüber den Einzelnen – auch Andersdenkenden – immer wieder auf Respekt und Interesse an deren Denkwelten. Seien Sie allem Fremden gegenüber eher neugierig als ablehnend: Vielleicht können Sie etwas Neues lernen. Versetzen Sie sich in den anderen hinein und sehen Sie die Welt mit seinen Augen. Erbitten Sie sich regelmäßig Feedback für Ihr Führungshandeln und bieten Sie Ihr Feedback an.
„Johari-Fenster“ als Navigationshilfe Joseph Luft und Harry Ingham erläutern mit ihrem „Johari-Fenster“, wieso vertrauensvolle und wertschätzende Arbeitsbeziehungen erst entwickelt werden müssen und nicht selbstverständlich sind. Wie nützlich hierbei das gegenseitige Feedback-Geben und FeedbackNehmen sind, wird dabei transparent. Abbildung 7 zeigt das Johari-Fenster.
Abbildung 7
Johari-Fenster nach Joseph Luft
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Bedeutung der Quadranten Quadrant I, der „Bereich der freien Aktivität“, liefert Informationen über Verhaltensweisen und Motivationen, die einem selbst und anderen bekannt sind. Quadrant II, der „Bereich des blinden Flecks“, beinhaltet Informationen über uns selbst, die uns nicht bekannt sind und die wir von anderen erfahren könnten, z. B. durch Feedback. Quadrant III, der „Bereich des Vermeidens oder Verbergens“, beinhaltet alle diejenigen Informationen über uns selbst, die wir gut kennen, aber anderen gegenüber nicht oder noch nicht offenbaren. Dazu gehören z. B. unsere Absichten, Motive, Eigenheiten, Vorlieben etc. Quadrant IV ist der „Bereich der unbekannten Aktivität“. Weder wir selbst noch andere bemerken zunächst bestimmte Verhaltensweisen und Motive, die uns aber dennoch steuern und typisch sind für uns. Erst im Laufe der Zeit erkennen wir manchmal, dass sie die ganze Zeit schon existierten und die Beziehungen beeinflusst haben.
Notwendigkeit, Vertrauen und Zusammenarbeitsfähigkeit entwickeln Was sagt nun dieses Modell über die „Führungsaufgabe Teamentwicklung“ aus? Zu Beginn ist die Interaktion zwischen Menschen relativ oberflächlich – evtl. sogar geprägt von Angst und Bedrohung oder der Sehnsucht nach Harmonie und damit der Vermeidung von Konflikten. Es reicht schon aus, dass irgendeine Neuerung passiert: Ein neues Teammitglied stößt dazu, ein bisheriges Mitglied scheidet aus, die Führungskraft wechselt, die Bereichs- und Abteilungsstrukturen verändern sich etc. Dies hat die Konsequenz, dass individuelle Kompetenzen und Andersartigkeiten eher verdeckt sind, so dass sowohl Synergien als auch mögliche Konfliktfelder womöglich nicht erkennbar werden.
Abbildung 8
Johari-Fenster in ineffektiven Teams
Manche Teams kommen aus diesem Zustand nie heraus und bleiben mittelmäßig oder gar erfolglos.
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Empfehlungen Ihr Ziel in Ihrer Führungsaufgabe sollte sein, Bedingungen und Interaktionen zwischen Ihnen und den Teammitgliedern und unter diesen so zu gestalten, dass der Bereich der freien Aktivität größer wird:
Abbildung 9
Johari-Fenster in Spitzenteams
4-W-Feedback als wichtiges Führungsinstrument Eine Möglichkeit, wie Sie das tun können, erläutern Angelika Härlin und Karl Kreuser in ihren Beiträgen in diesem Buch. Das „4-W-Feedback“ hilft dabei dem Feedback-Nehmer, Informationen über sich zu bekommen, die ihm vielleicht noch verborgen sind (Quadrant II seines Johari-Fensters: „Der blinde Fleck“). Das können Kompetenzen sein, über die er sich gar nicht so bewusst ist. Oder es sind Verhaltensweisen, Eigenheiten, die für die Zusammenarbeit mit diesem Feedback-Geber eher förderlich oder eher hinderlich sind. Der Feedback-Geber umgekehrt deckt etwas noch Verborgenes über sich selbst auf (Quadrant III seines Johari-Fensters): ȭ ȭ
ȭ ȭ
Seine subjektive Wahrnehmung des anderen (1. W = Wahrnehmung), seine persönliche Reaktion darauf: Hypothesen, die im Kopf entstehen und oft zu Unterstellungen mutieren, Emotionen, die als „Herzensergie“ oft genug unausgesprochen bleiben, und Handlungen, deren Absicht nicht deutlich ist (2. W = Wirkung), was ihm dabei wirklich wichtig ist, d. h. worauf er Wert legt (3. W = Werte)) und welcher subjektive Wunsch (psycho-)logisch daraus resultiert (4. W = Wunsch).
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Abbildung 10
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Prozess des Feedback-Gebens und Feedback-Nehmens aus zwei Perspektiven
Wichtig dabei sind wertfreie Ich-Botschaften. Es geht darum, dass der Feedback-Geber etwas über sich veröffentlicht, was vorher in der Arbeitsbeziehung noch nicht sichtbar wurde (er noch vor dem anderen verborgen hat). Es geht auf keinen Fall darum, den anderen zu bewerten oder zu beurteilen. Denn unsere selektive Wahrnehmung und unsere Reaktionen darauf haben mehr mit uns als mit dem anderen zu tun. Feedback hat damit keinerlei Allgemeingültigkeit, sondern soll die bilateralen Arbeitsbeziehungen vertrauensvoll weiterentwickeln.
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Außerdem wird deutlich, dass Sie als Führungskraft sich selbst sehr gut kennen sollten, damit Sie qualifiziertes 4-W-Feedback geben können. Nur wer formulieren kann, was in ihm selbst vorgeht (Kopf, Herz und Hand), ist wirklich hilfreich als Feedback-Geber. Gleichzeitig können Sie diese für viele Menschen neue Art von Sprache „vormachen“ und Ihre Teammitglieder können von Ihnen dabei lernen. Die Vergrößerung des Quadranten I durch das 4-W-Feedback in beide Richtungen (zu Quadrant II und zu Quadrant III hin) lässt zunehmend mehr Vertrautheit und Offenheit unter Ihnen und allen Teammitgliedern entstehen. Außerdem bindet der Bereich des Verbergens und Vermeidens weniger Energie und Aufmerksamkeit, die stattdessen der konstruktiven Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. Jeder kann nun erst von jedem lernen, sich konstruktiv vernetzen bzw. den anderen unterstützen. Jetzt sind die Türen offen, miteinander zum Spitzenteam zu werden.
Empfehlungen ȭ ȭ ȭ
ȭ ȭ
Geben Sie sich selbst die Chance, Feedback-Geben und Feedback-Nehmen zu lernen und zu üben. Ziehen Sie einen Team-Coach hinzu, der dies mit Ihnen und Ihrem Team einübt. Ermuntern Sie Ihre Mitarbeiter, Ihnen Feedback zu geben: Bestätigendes Feedback (Das 4.W heißt dann „Weiter so und beschreibt konkrete Verhaltensweisen …“) genauso wie Veränderungsfeedback (hier nennt das 4.W einen Veränderungswunsch, der sich auf Verhalten und nicht auf Persönlichkeit bezieht). Schaffen Sie regelmäßig Feedback-Situationen – es braucht Übung und sollte zur Selbstverständlichkeit und zur Gewohnheit werden. Planen Sie dafür Zeit ein.
Führungsfähigkeiten als Voraussetzung Führungsfähigkeiten „Linking Skills“ Margerison und McCann erläutern in ihrem Modell des Team-Management-Systems (TMS), dass es beim Führen immer auch um das Handhaben von Unterschiedlichkeit geht. Es braucht jemanden, der die Menschen und die Aufgaben zusammenbringt. Sie nennen das „Linking Skills“ und beschreiben damit Verhaltensweisen, die helfen, die Zusammenarbeit zu entwickeln und die Fähigkeiten der einzelnen Teammitglieder zu entfalten. Es werden folgende „Linking Skills“, d. h. Fähigkeiten, Menschen und Aufgaben zu verbinden, unterschieden (in Klammern stehen Fragen, die Sie sich selbst – und im Rahmen eines Feedbackgesprächs Ihrem Team – zur Überprüfung stellen können): ȭ ȭ
Aktives Zuhören (Hören Sie zu, bevor Sie entscheiden? Stellen Sie sicher, dass Sie den anderen richtig verstanden haben?) Kommunizieren (Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter regelmäßig die richtigen
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ȭ ȭ
ȭ
ȭ
ȭ
ȭ
ȭ ȭ
ȭ
und wichtigen Informationen rechtzeitig bekommen und verstehen?) Problemlösung und Beratung (Sind Sie für die Probleme Ihrer Mitarbeiter ansprechbar und gehen auf sie ein? Sorgen Sie für nachhaltige Lösungen?) Das Team entwickeln (Inwieweit kümmern Sie sich darum, dass die Gleich- und die Andersartigkeit Ihrer Teammitglieder zur Synergie führt statt zum Konflikt? Gibt es vertrauensvollen und wertschätzenden Umgang unter den Teammitgliedern und mit Ihnen?) Die Arbeit sinnvoll verteilen (Verteilen Sie die Arbeit entsprechend der Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter? Berücksichtigen Sie dabei auch, dass Ihre Mitarbeiter sich dabei persönlich und fachlich weiterentwickeln können?) Zwischenmenschliche Beziehungen gestalten und entwickeln (Inwieweit gelingt es Ihnen, Achtung, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen unter Ihren Teammitgliedern zu fördern? Was genau tun Sie dafür?) Delegieren (Können Sie Aufgaben delegieren, die Sie nicht notwendigerweise selbst tun müssen? Inwieweit gelingt es Ihnen, auch Aufgaben zu delegieren, die Sie selbst sehr gut oder sehr gerne tun, die aber für das jeweilige Teammitglied eine willkommene Herausforderung oder Lernchance sind?) Qualitätsstandards definieren (Gehen Sie dabei mit gutem Beispiel voran und vereinbaren – nicht verordnen! – Sie mit dem Team hohe Qualitätsnormen für die Arbeit?) Ziele setzen (Entwickeln Sie mit dem Team gemeinsame Ziele? Inwieweit fördern Sie die kontinuierliche Leistungsverbesserung?) Schnittstellen „managen“ (Wie gelingt es Ihnen, die Teammitglieder zu koordinieren und nach außen in die Organisation hinein oder zum Kunden hin zu repräsentieren?) Entscheidungen gemeinsam finden (Inwieweit beteiligen Sie Ihre Teammitglieder an der Lösung zentraler Probleme?)
Zu guter Letzt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Anders als in diesem Sprichwort empfehle ich Ihnen, den bewussten und den unbewussten Lernprozessen in Ihrem Team sehr viel Aufmerksamkeit zu widmen. Alle vier Teamphasen gestalten Sie mit Ihrem Team nicht nur einmalig, sondern immer wiederkehrend, bei jeder Veränderung im Innen und im Außen. Und jeder positive Abschluss hat positive Auswirkung auf den nächsten Anfang und die weitere Entwicklung Ihrer Zusammenarbeit und Ihren Erfolg und den des Teams. Was Sie hier an Zeit in die Entwicklung und Gestaltung der gewünschten Umgangs- und Zusammenarbeitsformen investieren, kommt Ihnen und Ihren Mitarbeitern später hundertfach zugute in Form von Problemlösungsfähigkeiten und Spitzenleistungen von Ihnen und Ihren Mitarbeitern.
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Das Fragezeichen hinter das Sprichwort ist ganz bewusst gesetzt! Ich gehe davon aus, dass man Team-Führung und die Entwicklung von Spitzenteams lernen kann. Dabei hilft es, wenn Sie als Führungskraft folgende Voraussetzungen erfüllen: ȭ ȭ ȭ ȭ
kontinuierliche Reflexions- und Veränderungsbereitschaft – auch in Bezug auf Ihre „Führungsaufgabe Teamentwicklung“ Mut zur Authentizität Wertschätzende Haltung sich selbst und anderen gegenüber Lernfähigkeit und die Bereitschaft, sich dazu Unterstützung zu holen (z. B. durch Einzel- und Team-Coaching)
All’ dies wünsche ich Ihnen und hoffe, dass meine mit diesem Beitrag verknüpfte Absicht sich erfüllt: Sie haben nützliche Anregungen daraus für sich und Ihr Führungshandeln entnehmen können! Viel Erfolg beim Umsetzen und Weiterlernen!
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Welche meiner (Führungs-) Verhaltensweisen fördert und unterstützt meine Mitarbeiter? Welche eher nicht? Welche Verhaltensweisen von mir und von Teammitgliedern bezüglich Zusammenarbeit schätzen meine Mitarbeiter? Welche finden sie eher hinderlich? Was hätte ich als Führungskraft schon längst tun oder lassen sollen in Bezug auf Führung und Zusammenarbeit?
Literatur und Quellen Geißler, Karlheinz (1995). Lernprozesse steuern, Weinheim Leitl, Michael und Sackmann, Sonja (2010). Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor. In: Harvard Business Manager, Heft 1/2010 Luft, Joseph (1991). Einführung in Gruppendynamik, Stuttgart Margerison, Charles J. und McCann, Dick (1995). Team Management, Practical New Approaches, Gloucestershire
Abschied und Trauerarbeit
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Abschied und Trauerarbeit Erkenntnisse aus der Trauerarbeit zur Würdigung und zum Loslassen, um Neues beginnen zu können Renata Bauer-Mehren
Was ist Trauerarbeit? Trauer dient der Verlustbewältigung Trauer gehört zum Menschsein wie alle anderen Gefühle und beschreibt die notwendige Verarbeitung eines realen Verlustes, die Verabschiedung von einem Lebenskonzept, von einem Wunsch, oder davon, eine Sehnsucht nicht erfüllt zu bekommen.
Der Schutzreflex vor Schmerzen kapselt unerträgliche Gefühle ein Da dieses Gefühl aber als sehr schmerzhaft erlebt wird, beginnt ein Mechanismus einzusetzen, der zunächst vor der Macht der Gefühle schützt und damit bis zu einem gewissen Grad Handlungsfähigkeit gewährleistet. Der Schmerz und die Ohnmachtsgefühle werden eingekapselt, eingeschlossen und nur so weit zugelassen, wie es für den Einzelnen erträglich ist. Dieses Filtern ist ein sehr gesunder und normaler Vorgang.
Das Eingekapselte arbeitet im Unterbewussten weiter … … und verbraucht viel Kraft Wird aber diese schützende Reaktion auf das Verlustereignis konserviert, das heißt beibehalten und noch verfestigt, dann blockiert diese eingeschlossene Trauer einen Teil der Lebenskraft und arbeitet im Unterbewussten weiter. Wenn die Bereitschaft, sich mit diesen abgewehrten Gefühlen auseinanderzusetzen, nicht gegeben ist, werden sie noch mehr abgewertet und verdrängt, bis hin zur Abspaltung der „unerwünschten“ Gefühle, so dass der Mensch einen Teil seiner Persönlichkeit und seiner Empfindungen auslagert oder in sich selbst dissoziiert. Er ist dadurch nicht im Vollbesitz seiner Kraft und reagiert im Inneren wie im Äußeren oft unverständlich. Hier ist Trauerarbeit angezeigt.
Das Achten von Gefühlen bedeutet das Achten des Menschseins Das Wahrnehmen aller Gefühle, besonders der unangenehmen und schmerzlichen, dient also der Öffnung aller Kraftquellen und der Stabilisierung der Persönlichkeit. Wenn die Ge-
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fühle gelebt und erlebt werden dürfen, wird das Menschliche geachtet. Wer das nicht bei sich selbst tut, – wie kann er das bei einem anderen? Die Auseinandersetzung mit sich selbst bedeutet also auch das Anerkennen des anderen und führt zu einem verständnisvollen Umgang mit ihm.
Das Zulassen von Trauer eröffnet Kraftquellen Trauerarbeit heißt, die schmerzhaften, eingeschlossenen Gefühle zuzulassen, sie noch einmal zu durchleben und damit die bisher nicht zugänglichen Kraftquellen zu öffnen. Die Angst, dass in dem Eingeschlossenen womöglich etwas lauert, was nicht gut tut, mich vielleicht im schlimmsten Fall sogar „umbringt“, ist eine Phantasie. Nicht die real wahrgenommenen, sondern die abgewehrten Gefühle werden in der Phantasie zu Monstern, zu überdimensionierten Vorstellungen von Schrecklichem und nicht Ertragbarem. Das, was erlebt wurde, ist das Schlimmste, und das hat man bereits überlebt! Schlimmer kann das Reale nicht sein, die Phantasie und die Angst vergrößern das Monster und machen es scheinbar unerträglich. Diese übergroße Angst verhindert, sich dem damals Erlebten zu stellen, den Schmerz zu spüren und ihn als eine Realität anzuerkennen. Die Angst vor dem Freisetzen unangenehmer Gefühle ist schlimmer als die Realität.
Trauerarbeit ist „Not wendend“ Trauerarbeit heißt, das Erlebte noch einmal in dem jetzigen Bewusstsein zu erschließen, anzunehmen und umzuwandeln. Das ist ein Prozess, der notwendig ist, weil er die innere Not wendet. Nur wer den Mut aufbringt, sich dem Schlimmen im Erlebten zuzuwenden, kann zu einer Erfahrung und Erkenntnis gelangen, die ihn in seiner Persönlichkeit stärkt und ihn sogar bereichert. Menschen, die durch Trauerprozesse hindurchgegangen sind und nicht an ihnen vorbei, gelangen zu einer Art Lebensweisheit.
Trauer und Freude sind untrennbar Jorgos Canacakis, der Begründer der modernen Trauerarbeit und Leiter der Akademie für Menschliche Begleitung AMB©, nennt das den „Trauerdurchgangsprozess“, der zu einer Lebensfördernden Trauer verhilft, indem er die Lebenshindernde Trauer umwandelt, denn Trauer selbst ist als Gefühl niemals vollständig zu eliminieren. Der Gegenpol zur Trauer ist die Freude. Beide sind wie die zwei Seiten einer Medaille, sie gehören wie Geschwister zusammen und sind nicht voneinander zu trennen. Wer also Freude erleben will, weiß, dass dazu auch als Gegenpart die Trauer gehört. Nur dadurch, dass ich weiß, wie sich Trauer anfühlt, kann ich Freude empfinden und umgekehrt. Nur im Bewusstsein der anderen Seite – wie bei Tag und Nacht – erlebe ich das Ganze.
Abschied und Trauerarbeit
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Zwei Trauerformen So können Verhaltensmuster und Handlungsformen erkennen lassen, ob jemand seine Trauer in eine lebensfördernde Trauer umwandeln konnte, oder ob er in der lebenshindernden Trauer verharrt. Ein paar Beispiele als Gegensätze:
Tabelle 15
Lebenshindernde und Lebensfördernde Trauer
Lebenshindernde Trauer
Lebensfördernde Trauer
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Misstrauen, Angst
ȭ
Vertrauen
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Eifersucht, Neid
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Großzügigkeit
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bewerten, abwerten
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keine Bewertung
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Verwicklung
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Entwicklung
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stagnieren, erstarren
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in Fluss bringen
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retten wollen/müssen
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unterstützen
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den eigenen Platz nicht kennen
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Selbstbewusstheit
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Vogel-Strauß-Taktik
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Verantwortung übernehmen
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bedauern
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dem anderen sein Los lassen
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beleidigt sein
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mein Los annehmen
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perfekt sein wollen
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Stärken und Schwächen annehmen
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Weigerung, das Schicksal anzunehmen
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anerkennen, was ist (war)
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Anklage gegen Eltern, Vorgesetzte usw.
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Aussöhnung
Trauerarbeit ist die Weichenstellung vom Jammern zum Handeln Das Durchgehen durch die Trauer ist also der Prozess, der das Leben, die Lebendigkeit fördert. Das bedeutet aber Arbeit, sowohl auf der körperlichen als auch auf der seelischen Ebene, daher der Begriff „Trauerarbeit“. Es ist anstrengend, manchmal mühsam und häufig regt sich auch der Widerstand: Ich wollte das so nicht und niemand kommt, um mich zu retten. Hier ist der Zeitpunkt der bewussten Entscheidung: Entweder ich stelle mich dem Mühsamen oder ich entscheide mich für das Jammern und Wehklagen. Das ist eine Verhaltensform, die sehr oft anzutreffen ist und die darin gipfelt, dass andere für mein Unheil, mein Unglück verantwortlich gemacht werden.
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Trauer hat tiefe Wurzeln Natürlich haben wir alle Trauererfahrungen gemacht. Sehr früh schon und nicht selten auch schon im Mutterleib. Wie wir heute aus der pränatalen Psychologie wissen, hat der Mensch bereits Empfindungen mit den ersten Zellteilungen. Aus der systemischen Psychologie wissen wir auch, dass schwere Schicksale und nicht verarbeitete Trauer bis hin zu den Enkeln und Urenkeln weiter wirken. Menschen mit diesen Biografien fühlen sich meist belastet und können für sich keine rechte Lebensfreude entwickeln. Sie fühlen sich im Leben benachteiligt, sie meinen, dass ihnen nichts so recht gelänge, und oft werden sie auch krank.
Wie sieht bewusste Trauerarbeit aus? Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse Wichtig ist zunächst, anzuerkennen: „Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse“ (Marshall Rosenberg). Gefühle zeigen auf, wo Bedürfnisse nicht erfüllt worden sind und wo es ein Defizit oder Vakuum gibt. Es gibt bei allen Völkern, in allen Religionen drei Grundbedürfnisse: Autonomie, Sicherheit und Beziehung. Die Gefühle, die sich einstellen, wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt sind, sind Wut/Ärger bei nicht vorhandener Autonomie, Angst/ Unsicherheit bei fehlender Sicherheit und Trauer/Enttäuschung bei dem Verlust von Beziehung. Näheres beschreibt Thomas Robrecht in seinem Beitrag über Emotionen mit dem Eisbergmodell.
Unbefriedigte Bedürfnisse sind lebenswichtiger Antrieb Es ist eine Utopie zu glauben, dass wir gleichzeitig alle diese Grundbedürfnisse zu 100 Prozent befriedigen könnten. Wäre das der Fall, dann wären wir ohne Sehnsüchte und Wünsche, die aber die Triebfeder für das Vorwärtskommen sind, für das Leben schlechthin. Keine Wünsche mehr zu haben bedeutet Stagnation, Stillstand, also Tod. Es ist wichtig für unser Lebendigsein, immer noch etwas erreichen zu wollen, sich für etwas, das unserer Meinung nach noch nicht vorhanden ist, einzusetzen, Ziele und Visionen zu haben. Ohne diese würden wir eher willenlos dahinvegetieren. Wenn mein Bedürfnis zum Beispiel nach Beziehung nicht erfüllt ist, werde ich traurig. Ich möchte mich geliebt und geborgen fühlen. Dieses Gefühl wird sehr früh erfahren – eben schon mit der Zeugung: Bin ich willkommen oder unerwartet, eher eine Störung? Später dann: Wird mein Bruder bevorzugt oder soll ich vielleicht Bedürfnisse meiner Eltern erfüllen? usw. Natürlich sind diese Empfindungen subjektiv und können nicht mit Worten oder Beteuerungen, dass das ganz und gar nicht so gewesen sei, ausgeredet werden. Viel mehr gilt es jetzt, das Gefühl anzuerkennen und zu merken, dass hier etwas fehlt.
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Unbewusste Schuldzuweisungen sind ein häufiges Phänomen Als Kind musste ich mir Verhaltensmuster zulegen, die entweder meine Bedürfnisse erfüllen halfen – z. B. fordert das Kind die Aufmerksamkeit ein und wird damit vielleicht lästig (was natürlich wiederum Auswirkungen hat) oder es trauert so, dass es somatisiert, vielleicht auch wirklich krank wird, damit es gesehen wird. Am häufigsten anzutreffen ist, dass es auch später noch Schuldzuweisungen gibt, die aber unbewusst sind: Mir hat niemand in der Not geholfen, ich bin immer allein gewesen mit meinen Nöten, Mama und Papa haben sich nicht um mich gekümmert. Das ist so eine Art von Be-leid-igtsein, mich im Leid zu fühlen.
Erster Einblick in das Kindheitserleben der Autorin Ich selbst habe das so erlebt und lange geglaubt, ein ungewolltes Kind zu sein. Das hat mir meine Mutter auch bestätigt, denn sie war voller Sorge, wie das gehen könnte: Es war Krieg, der Vater war an der Front, es gab schon zwei Geschwister, kranke Eltern – wie hätte sie sich auf das kommende Kind aus vollem Herzen freuen können? Dann später, als ich schon auf der Welt war, musste sie für die Familie, die aus der Heimat vertrieben worden war, sorgen mit nächtlichem Kartoffelklauen, mit Betteln und Heimarbeit – wer wollte einer solchen Mutter einen Vorwurf machen, dass sie ihr Kind nicht „richtig“ und rund um die Uhr umsorgt und geliebt hätte?
Wir sind trotz Defizite erwachsen geworden — und mancher Mangel bohrt immer noch in uns Wir sind alle, trotz großer und kleiner Defizite, erwachsen geworden. Kinder, denen zu viel fehlt, deren Bedürfnisse in alle Richtungen fast gar nicht beachtet werden, sterben meist. Diese Defizite aber sind es, die immer noch in vielen von uns grummeln. Sie werden im Erwachsenenalter dann auf Partner, Arbeitskollegen oder Freunde übertragen: Sie sollen das Defizit von damals auffüllen, endlich satt machen und eine „Befriedigung = Befriedung“ herstellen. Niemand kann das. Das ist wohl die erste wichtige Erkenntnis: Das, was war, gilt es, ohne Schuldzuweisung zu betrauern, anzuerkennen und sich damit zu versöhnen, dass das, was war, nicht mehr zu ändern ist.
Als Erwachsener kann ich bewusster mit Mangelerlebnissen aus der Kindheit umgehen Jetzt im Erwachsensein kann ich mich darum kümmern, dass ich die Aufmerksamkeit und die Liebe bekomme, die ich brauche. Einfordern kann ich sie niemals. Auch das muss gelernt werden und dass ich dann, wenn ich meinen Wunsch nicht erfüllt bekomme, auch wieder trauern darf. Der andere ist nicht schuld, dass ich traurig bin, er ist lediglich der Auslöser, der mir bewusst macht, dass mir hier etwas fehlt. Ich bin selbst verantwortlich dafür, ob ich mir dann von jemand Anderem die Liebe und Anerkennung hole oder ob ich in der erlebten Zurückweisung „meine Wunden lecke“ und mich selbst bemitleide und den
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anderen für mein Leiden verantwortlich mache. Da ist wieder das Beleidigtsein und den anderen für meine Not verantwortlich machen. Ich entscheide mich entweder für Verschiebung auf andere oder Verantwortung für mich selbst. Diese Entscheidung sollte eine bewusste sein – die meisten Menschen entscheiden sich jedoch eher unbewusst.
Die Auseinandersetzung mit sich selbst Es erfordert Mut Das Wissen über diese ersten Defizite liegt nicht immer gleich obenauf, es muss bewusst gemacht werden und braucht den Mut, dem Unangenehmen, dem Schmerzlichen zu begegnen. „Erst wenn du das Weiße im Auge des Ebers siehst, kannst du ihn bannen“ (Artemis-Mythos). Das heißt, ich darf der Angst nicht ausweichen, ich muss mich ihr stellen.
Wirksam ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie Das geschieht in der ehrlichen Beschäftigung mit der eigenen Biografie, manchmal auch sogar mit der der Vorfahren. Dazu gibt es verschiedene Verfahren und Vorgehensweisen. Auf jeden Fall ist es gut, einen Begleiter zu haben, der die schwierigen Passagen mit durchgeht. Das kann ein Therapeut, ein Coach, ein guter Freund sein. Wichtig ist, dass ich die Erlösung der Verstrickungen will, weil ich jetzt für mich selbst die Verantwortung übernehme und nicht in dem kindhaften Fordern oder in dem pubertären Anspruch, andere für mein Leiden verantwortlich zu machen, verharre. Erwachsenwerden, persönliche Entwicklung findet dann statt, wenn ich erkenne, dass allein ich verantwortlich für die Gestaltung meines Lebens bin. Da, wo das Schicksal eingreift, bin ich ohnmächtig, und nur dann, wenn ich nicht autonom bin und selbst bestimmen kann, muss ich mit Demut annehmen, was größer ist als ich. Diese innere Haltung und damit persönlichen Halt erreiche ich durch die Trauerarbeit.
Trauer und Abschied sind alltäglich Im täglichen Leben ist auf allen Ebenen Trauern und Abschiednehmen angebracht. Jeden Abend gibt es einen Tag zu verabschieden, der so, wie er war, unwiederbringlich vorbei ist. Selbst wenn wir das nicht so stark wahrnehmen, weil das eine alltägliche Erfahrung ist, so ist doch in der seelischen Reaktion eine Verzögerung festzustellen: Wir merken das am besten, wenn der Urlaub zu Ende geht – die Seele ist meist noch dort, am Meer, in den Bergen, da, wo ich eben noch war, auch wenn der Körper schon wieder hier in der Arbeit, im Alltag ist. Jeder Tag ist auch ein Abschied im Hinblick auf mein gesamtes Leben – ich bin mit dem beendeten Tag einen Tag näher an meinem Tod. Im Laufe des Lebens nehme ich Abschied von Stationen: Kindsein, Jugend, erste Liebe, Partnerschaft, Elternschaft, Berufstätigkeit, immer wieder gibt es Bekanntes und Bewährtes zu verabschieden, um sich dem Neuen zuzuwenden. Es gibt auch die Abschiede aus den verschiedenen Behausungen, aus der Hei-
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mat, Abschiede von Ideen und Zielvorstellungen. All diese Abschiede nehmen wir wie selbstverständlich, häufig mit der Aufmunterung: Das kann doch alles nur besser werden. Wer hier verleugnet, dass es doch auch ein bisschen mulmig ist, wenn man das Neue vor sich sieht, selbst wenn es das größere Haus, die besser bezahlte Arbeit oder die passendere Partnerin ist. Oft wird das Neue höher eingeschätzt als das, was ich aufgebe; wahrscheinlich um die Unsicherheit nicht spüren zu müssen.
Bewusstes Loslassen bewirkt Entwicklung Hier ist das Würdigen und Wertschätzen des Gewesenen ganz wichtig, auch wenn es, wie z. B. bei einer Scheidung, sehr schmerzhaft ist und mit viel Trauer einhergeht. Wenn hier die volle Anerkennung all dessen, was war, nämlich des Guten wie des Schlechten, gelingt, dann gelingt auch das Loslassen. Dann kann ich dem anderen sein Los lassen und auch mir mein Los lassen, also all das sein lassen und zulassen, was schicksalhaft in unserem Leben wirkt. Loslassen heißt, nicht mehr in Vorwürfen und Schuldzuweisungen verstrickt zu sein, nicht mehr in dem Rätseln „Warum muss ausgerechnet mir das so passieren?“. Loslassen heißt: sich versöhnlich zeigen mit allem, was war, und es abzuschließen, abzurunden. Alles, was ich erlebt und empfunden habe, bleibt mir ja als eine wertvolle Erinnerung, die Lebensweisheit schenkt und mich in meiner Persönlichkeit stärkt und weiterbringt.
Trauerarbeit für die Persönlichkeitsentwicklung Entwicklung erfordert den Mut, Vertrautes loszulassen Das, was neu ist, scheint meist interessanter als das Alte, das Bekannte. Das Neue macht neugierig und Neugier gehört zum Menschen und seiner Entwicklung. Ohne die Neugier gäbe es kein Vorwärtsschreiten, es bliebe alles beim Alten, beim Gewohnten. Genau da ist aber auch die Schwierigkeit für viele Menschen: Alles Gewohnte ist bequem, weil bekannt, und alles Ungewohnte macht zunächst einmal unsicher. Zur Bereitschaft, sich weiter zu entwickeln, gehören also eine Portion Mut und das Wissen, dass eine Zeit lang die Unsicherheit vorherrscht, bis in dem Neuen der Halt gefunden ist. Die Angst, den Halt mit der Aufgabe des Bekannten zu verlieren, ist sehr häufig anzutreffen. Neues anzupacken schließt ja auch ein Risiko mit ein. Außerdem gilt es, sich von dem Gewohnten, dem Bekannten zu lösen. Loslassen birgt immer auch die Vorstellung von Verlust in sich: Wenn ich etwas loslasse, verliere ich es. Darin ist die Angst versteckt, den Halt zu verlieren, das, was mich bisher nicht losgelassen hat oder was ich nicht losgelassen habe, hat mich auch ein Stück gehalten. Hier hilft die Idee, dass das, was einmal besessen wurde, was einmal erlebt wurde, bleibt – als Erinnerung, als Erfahrung.
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Altes würdigen, um Neues anzupacken Menschen sollten beides in sich vereinen: Stabilität durch inneren Halt und die Risikobereitschaft, Neues auszuprobieren – das heißt, ständig im Prozess zu sein: (lat. procedere = vorwärts schreiten). Bevor aber ein neuer Schritt getan werden kann, bevor eine bekannte Position, Sichtweise aufgegeben werden kann, braucht es die Verabschiedung und Würdigung des Bisherigen. Das sollte ganz bewusst und am besten rituell geschehen. Allzu oft schlittern wir in das Neue, ohne es zu merken, und wundern uns, dass das Neue nicht so richtig gelingt. Wenn zum Beispiel in einer Firma eine neue Stelle besetzt wird, gibt es möglicherweise sogar ein Abschiedsfest/-essen für den scheidenden Kollegen. Das ist ein Ritual, die Frage ist jedoch, ob es als solches auch wahrgenommen wird.
Rituale haben Tiefenwirkung … Rituale dienen dazu, dass auf einer tieferen Bewusstseinsebene das Gewesene integriert werden kann und dass alles Bisherige abgeschlossen, abgerundet wird. Das ist wichtig, da sonst an die Erinnerung Energien gebunden sind, sei es, dass noch ein Ärger über den Kollegen/die Kollegin vorhanden ist, oder dass die Traurigkeit über den Weggang wirkt. Meist werden diese Gefühle nicht als solche wahrgenommen und schon gar nicht in den Zusammenhang gebracht. In unserer schnelllebigen und sachlich orientierten Denkwelt glauben die wenigsten Menschen, dass es wichtig sei, innezuhalten.
… und verhelfen zum Innehalten Innehalten heißt: im Inneren das zu halten, was mich betrifft, und Halt zu machen. Halt machen heißt tatsächlich eine Weile stehen bleiben, um Zeit zu haben, das Geschehene als wertvolle Erfahrung zu integrieren. Dazu gehört die Würdigung des Gewesenen, und, sich Zeit zu nehmen, um auf das zu schauen, was war. Das kann keinesfalls ganz schnell gehen und darf nicht übergangen werden. Es bedarf einer Zeit, sich zu besinnen und zu erinnern, um dann das, und sei es ein noch so unglückliches Ereignis, als eine Erfahrung und Bewusstseinserweiterung in sich aufzunehmen. Alles, was mich betrifft, was auf mich trifft, hat eine Bedeutung für meinen persönlichen Prozess. So sind die Begriffe sich einlassen, zulassen und loslassen die Voraussetzung dafür, Gelassenheit zu entwickeln. Gelassenheit bedeutet, dass ich in mir ruhe und aus all meinen Erfahrungen schöpfen kann.
Abschied braucht Inszenierung Eine Abschiedsfeier sollte also immer die Gelegenheit bieten, Ungesagtes und Unerledigtes anzusprechen. Auf jeden Fall braucht es einen Raum für die Zurückgebliebenen, um die Situation für sich abzurunden. Erst dann ist Platz für etwas Neues.
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Abschiede brauchen eine ihnen eigene Inszenierung. Je besser sie gestaltet sind, je länger Zeit ist, sich zu verabschieden, desto besser kann das Neue etabliert werden. Zu jedem Abschied gehört Trauer. Scheiden heißt sich trennen oder getrennt werden – auch wenn damit sogar eine Erleichterung eintritt. Zunächst einmal werde ich von einem mir bekannten Zustand getrennt. Dieser gab Halt, nun beginnt Unsicherheit, das Loslassen macht zunächst instabil. Wer das nicht wahrhaben will, geht über den wichtigsten Schritt, das Innehalten, hinweg.
Jeder Abschied erinnert an die Urtrauer Bei jeder Trennung werden wir mit der Urerfahrung der „Trennung vom Paradies“, von dem symbiotischen Zustand im Mutterleib konfrontiert. Es wird uns bewusst, dass es einen Zustand gab, in dem wir uns aufgehoben und verbunden fühlten. Jorgos Canacakis nennt das die „Urtrauer“, die Trauer darüber, dass wir uns abgekoppelt, getrennt fühlen von dem Allumfassenden, dem Universum. Jeder kennt dieses Gefühl auch als Melancholie. So wird die Geburt eben als ein Verlust erlebt: die Trennung von einem symbiotischen, paradiesischen Zustand in eine individuelle, eigenständige Lebensform. Nicht umsonst schreit das Baby, wenn es „auf die Welt kommt“, und eben nicht nur, weil es damit die Lungenbläschen aktiviert. Der Mensch ist so von Anbeginn mit dem Gefühl der Trauer vertraut. Er setzt ihm aber Kraft, Neugier und Freude entgegen, um eine Balance herzustellen. Freude und Schmerz sind die einander bedingenden Komponenten, die gleichwertig und gleichzeitig das Leben bestimmen.
Kaum Raum für Trauer in unserer Fun-Gesellschaft Dadurch aber, dass wir in unserem Denken und Fühlen die Trauer ausklammern, entsteht ein Ungleichgewicht. Eine „Fun-Gesellschaft“, in der das Leben stets „happy“ und „light“ verläuft, muss die Beschäftigung mit der Trauer abwehren. Trauer, Angst und Wut werden ja auch häufig als „negative“ Gefühle bezeichnet. Gefühle selbst sind jedoch weder positiv noch negativ, sie sind wertneutral. In ihrem angenehmen oder unangenehmen Empfinden werden sie gewertet, und das, was unangenehm ist, wird abgewertet. Dem Abgewerteten wird keine Achtung mehr entgegengebracht, das heißt auch, die unangenehmen Gefühle werden außer Acht gelassen und können nicht verarbeitet werden. Dabei sind sie doch der wertvolle Hinweis, dass bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt sind und dass es jetzt die Aufgabe ist, sich um die Erfüllung zu kümmern oder sich von der Idee, dem Wunsch nach Erfüllung zu verabschieden. Der Abschied ist die Abrundung mit dem Bewusstsein, dass dieses Bedürfnis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt wird, und dass dies als Realität anerkannt wird. Trauer ist hier wiederum die natürliche Reaktion auf den Verlust, sie ist gleichsam der Balsam, mit dem der Schmerz erträglicher wird. Durch Trauer entsteht Heilung – denn jeder Verlust wird wie eine Wunde, ein Beschädigtsein erlebt, oder auch als eine Kränkung.
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Auch am Grab fällt Trauer schwer So erlauben wir uns wie selbstverständlich trauern zu dürfen, wenn jemand stirbt. Aber auch da gibt es Sätze, die die Trauer leichter machen wollen, die vermeintlich Trost spenden sollen: „Es geht ihm/ihr doch jetzt besser!“ „Jetzt hat er/sie keine Schmerzen mehr!“ Ein Geistlicher sagte zu einer trauernden Witwe: „Sie haben so viele Jahre zusammengelebt – gönnen Sie ihm denn jetzt etwa das Himmelreich nicht, wenn Sie so untröstlich sind?“
Trauer gehört nicht zu den Toten, sondern zu den Lebenden Beim Trauern geht es nicht um den, der gegangen ist, nicht um das, was verloren ist – es geht einzig und allein um den, der zurückbleibt, um den, der etwas, das er sich gewünscht hat, nicht bekommt. Deshalb sind Trostworte, die sich nicht auf den Trauernden beziehen, unangemessen. Es gibt sowieso keinen Trost, es sei denn, die gewünschte Situation wird wieder hergestellt. Trost, den die nicht Betroffenen geben, ist im Grunde eine Abwehr: Sie wollen sich nicht mit dem Schmerz des anderen abgeben, weil sie in der Konfrontation mit dem Trauernden an den eigenen, nicht integrierten Schmerz erinnert werden. Sie wollen den Schmerz „weg trösten“. Dasein und Zuhören ist das einzige adäquate Verhalten, einem Trauernden beizustehen und ihm allenfalls so alltägliche Dinge wie einkaufen, versorgen der Kinder usw. abzunehmen.
Trauer ist das Auseinandersetzen mit den eigenen Gefühlen Auch die Art und Weise, wie jemand trauert, ist individuell und es gibt keine eindeutigen Signale dafür. Selbst wenn jemand zum Tanzen geht und sich amüsiert, ist das kein Zeichen des „nicht Trauerns“. Das, was in der Trauerverarbeitung wichtig ist, ist das sich Auseinandersetzen mit den eigenen Gefühlen, das sich Äußern. Sich Äußern heißt nach außen bringen, sichtbar machen – nicht verstecken oder verdrängen. Auf welche Weise das jemand macht, ist seine individuelle Verarbeitungsstrategie, auch wenn diese manchmal für andere nicht nachvollziehbar ist.
Trauer und Tränen gehören zusammen Für Kolleginnen und Kollegen, für Freunde und Bekannte heißt das, nicht zu urteilen und den Trauernden so anzunehmen, wie er gerade ist, ihn aber auch dabei zu unterstützen, das Unfassbare fassbar zu machen, die Erschütterung in Stabilisierung umzuwandeln. Das bedarf großer Feinfühligkeit und auch der Bereitschaft, sich mit dem Schmerz, eben auch mit dem eigenen, auseinanderzusetzen. Der Gedanke, den Trauernden nicht an seinen Schmerz erinnern zu wollen, indem man einfach darüber hinweggeht, ihn angeblich „schont“, ist nur eine Ausrede – jeder Trauernde ist noch immer autonom genug zu sagen, wann und wo er darüber sprechen will. Sollte es so sein, dass eine Tränenflut ausgelöst wird, so ist auch das eher ein gutes Zeichen, denn die Tränen sind Seelenhygiene und wenn die Tränen so unter der Oberfläche sitzen, dann ist es eher wie eine Erlösung, wenn sie fließen dürfen. Trauer und Tränen zurückhalten ist, als wollten Sie einen aufgeblasenen Luft-
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ballon unter die Wasseroberfläche drücken. Wer kann das wie lange ohne größte Anstrengung?
Trauernde können sich nicht „zusammenreißen“ Wichtig für Teams und Gruppen ist es zu wissen, dass ein akut Trauernder gerade nicht mehr so ist, wie die Gruppe ihn kennt – er ist in gewisser Weise ver-rückt, aus seinem gewohnten Standpunkt und Alltag weg gerückt. Das heißt für alle Beteiligten, sich darauf einzustellen, dass es nicht so wie bisher läuft, alle müssen sich darauf einstellen und sich neu organisieren. Die Vorstellung, man müsse sich zusammenreißen und funktionieren wie bisher, ist nicht nur unmenschlich, sie ist auch nicht durchführbar – ein Trauernder ist in einer Ausnahmesituation und darf Verrücktheiten für sich beanspruchen. Wie lange er in diesem Zustand bleibt, hängt ab von der Verarbeitung und Umwandlungsmöglichkeit seiner Gefühle und Bedürfnisse. Es ist auch nicht gesagt, dass Reaktionen nach einer bestimmten Zeit nicht mehr auftreten. Auch nach vielen Jahren können sich Auswirkungen in Form von posttraumatischen Belastungsstörungen zeigen.
Trauer und Konflikt Unbearbeitete Trauer ist der Nährboden für Konflikte Konflikte sind die Kinder der nicht integrierten Trauer. Eine besondere Form von nicht verarbeiteter Trauer sind Konflikte. Konflikte entstehen dann, wenn zwei (oder mehrere) sich widersprechende Ideen oder Vorstellungen aufeinanderprallen. Es ist wie der Zusammenstoß zweier Fahrzeuge, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Hier gibt es einen Crash, einen Stau. Es entsteht Chaos – ein Gefühlschaos. Je nach Persönlichkeitsstruktur gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, aus dem Chaos herauszukommen: Aggression, Rückzug oder Standhalten. Das sind die uns schon in der Vorzeit mitgegebenen Strategien, die im sogenannten „Reptiliengehirn“ gespeichert sind. Welche der drei Strategien ich wähle, ist von vielen weiteren Erfahrungen abhängig, meist sind sie unbewusst und sehr früh angelegt. Sie gehen auf Defizite zurück, die im Kleinkindalter bis ca. sechs Jahre erfahren und als Überlebenshilfe eingesetzt wurden.
In Konflikten erleben wir schmerzhafte Erinnerungen an unerfüllte Bedürfnisse Da die Defizite und unerfüllten Wünsche von damals nicht betrauert, nicht integriert werden konnten, sind sie immer noch schmerzhaft spürbar. Jeder spätere Konflikt erinnert an das nicht Erfüllte von damals und will es im Nachhinein lösen – es soll endlich die Befriedung stattfinden, das Befriedigen der Bedürfnisse von damals. Da das aber nicht geht, weil die Zeit nicht zurückgedreht werden kann und ich niemals das Defizit von damals ausglei-
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chen kann, bleibt es wie ein Signal im Unterbewussten und „klingelt“ sozusagen immer dann, wenn es neu angetriggert wird: „hier musst du zu deinem Recht kommen, hier musst du dich wehren“ (Aggression), oder „hier musst du wieder in den Rückzug gehen“ (es hat ja doch keinen Zweck), oder „du bleibst und diskutierst, überzeugst und verhandelst“ (Standhalten) – wenn es jetzt gelingt, „Recht zu bekommen“, dann tritt so etwas wie Genugtuung ein, eine Rehabilitierung der alten Gefühle von damals. Sie werden sich beim nächsten Konflikt wieder einstellen, denn sie melden sich so lange, bis sie als nicht mehr erfüllbar betrauert und integriert werden.
Zweiter Einblick in das Kindheitserleben der Autorin Zur Veranschaulichung gebe ich ein Beispiel meiner eigenen frühkindlichen Erfahrung: Ich muss wohl ein sehr lebhaftes Kind gewesen sein, das immer neugierig in Bewegung war. Deshalb musste mich meine Mutter mit einem „Halfter“ an das Bettchen binden, damit ich nicht, wenn sie wieder zum Essen besorgen unterwegs war, Dummheiten machen konnte. Das stand meinem Bedürfnis nach Freiheit, selbst erkunden, nach Autonomie natürlich empfindlich entgegen und ich entwickelte riesige Wut und Kraft, die es mir ermöglichten, mitsamt dem Bettchen durch den Raum zu rutschen, um so dem Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen. Diese Erfahrung, nicht selbst bestimmen zu können, wohin ich gehe, hat mich sehr früh gelehrt, Strategien zu entwickeln, wie ich mir selbst helfen kann. Die Strategie lautet: „Ich muss stark sein.“ So hat immer alles zwei Seiten: Ich bin dadurch natürlich jemand geworden, der sich sehr gut selbst helfen kann, aber die Wut über die Ungeheuerlichkeit, dass ich eingeschränkt wurde, sitzt immer noch in allen meinen Zellen. Die melden sich und klingeln sofort, wenn mich heute jemand einschränken will – das ist genau der Punkt, an dem ich in Konflikt mit anderen kommen kann.
Die Bewusstheit über meine Prägung sorgt für Entspannung Da ich aber jetzt weiß, woher dieses heftige Bedürfnis kommt, und da ich auch weiß, dass diese Einschränkung von damals nicht rückgängig gemacht werden kann, bin ich großzügiger geworden. Heute brauche ich nicht mehr den heftigen Kampf, es darf jetzt auch gemäßigt zugehen. Wichtig ist, dass ich die Erinnerung dieser kindlichen Erfahrung jetzt betrauert und integriert habe: Es waren damals schwierige Zeiten für alle Menschen und die Ängste und Sorgen lagen ja auch spürbar in der Luft. Das bekommt ein Kind, das die Erlebnisse und Empfindungen noch nicht rational einordnen und verarbeiten kann, als Prägung mit. Erst ab etwa sechs Jahren kann eine verstandesmäßige Zuordnung erfolgen. Das, was vorher erlebt wurde, bleibt aber in eingekapselter, unverarbeiteter, nicht integrierter Form abgespalten in der Wahrnehmung bestehen. Gerade die Konflikte dienen dazu, aufmerksam zu machen, dass ein seelischer Zustand noch nicht ausgeglichen wurde. Jeder Konflikt ist also eine Alarmglocke, die auftönt, um alte Muster zu befriedigen und zu rehabilitieren. Meine Konflikte sind mein Entwicklungswegweiser.
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Vergangenes kann nicht ungeschehen gemacht werden, es kann nur integriert werden Wenn nun ein Konflikt ein früheres Erleben revidieren soll und das das Bestreben in der Austragung des Konflikts ist, wird das nicht gelingen. Die früheren Erfahrungen sind vorbei und als solche nicht revidierbar. Hier setzt die Trauerarbeit an: Das, was war, ist vorbei und kann nur als eine wichtige Erfahrung integriert werden. Bedürfnisse und Sehnsüchte, die an das Erleben geknüpft sind, müssen verabschiedet werden, damit sie nicht immer wieder neue Revisionsversuche antreiben und eigentlich nie zu einem inneren Frieden führen. Trauer darüber, dass es so war, wie es war – ohne Schuldzuweisung an jemand anderen – wendet die Not und den Schmerz in eine Lebensfördernde Trauer. Anerkennung dessen, was war, heißt auch Abschied zu nehmen von der Idee, es hätte doch bitte anders sein mögen, um dann anzunehmen, dass es doch letzten Endes gut ausgegangen ist: Die Defizite haben mich nicht umgebracht!
Konflikte haben drei Ebenen: Sachebene, Beziehungsebene und persönliche Ebene Thomann und Prior zeigen in ihrer „Klärungshilfe 3“ deutlich auf, dass sich Konflikte auf drei Ebenen bewegen: auf einer Sachebene, auf einer Beziehungsebene und auf der persönlichen Ebene. Wenn alle drei Ebenen gut geklärt werden können, gibt es eine hohe Zufriedenheit und Nachhaltigkeit. Auf der persönlichen Ebene findet eine „Entbindung“ statt, nämlich die Entkoppelung eines alten, frühkindlichen Lebensthemas von dem gerade erlebten Konflikt. Dazu braucht es den qualifizierten Klärungshelfer, den Mediator. Er leistet gewissermaßen „Hebammenarbeit“, denn er hilft dabei, die symbiotische Verbindung zu dem nicht integrierten früheren Erleben zu trennen. Das ermöglicht es, die Konfliktsituation ohne „Nabelschnur“ zu erkennen und den momentanen Konflikt in seiner realen Dimension zu bearbeiten. Konflikte sind also auch der „Schlüssel zu Lebensthemen“ (Verena Kast). Verena Kast ist Trauerexpertin und sieht den Trauerprozess als einen kreativen, schöpferischen Prozess. Schöpferisch auch insoweit, als jede Geburt ein neues Geschöpf hervorbringt. So können nach dem Bewusstwerden der Zusammenhänge neue und andere Lösungen geschaffen werden, die zu einer Befriedigung auch der ursprünglichen Bedürfnisse führen, allerdings nur in dem Rahmen, in dem es heute möglich ist, alte Defizite aufzufüllen oder eine alte Sehnsucht „nachzunähren“. Eine alte Wunde oder Narbe, ein alter Schmerz bleibt immer. Nachnähren bedeutet hier, die alte Wunde anzuerkennen, sie liebevoll und versöhnlich zu integrieren – sie gehört zu meinem Leben und ist jetzt die Quelle meiner Erfahrung und Lebensweisheit.
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Trauerarbeit im betrieblichen Umfeld Ich möchte nun auf einige Fragen eingehen, die auch im betrieblichen Umfeld auftauchen können: 1.
Wie gehe ich als Leiter/als Kollege/als Kollegin mit trauernden Mitarbeitern um?
2.
Wie gehen wir im Team damit um, wenn ein Kollege/eine Kollegin stirbt?
3.
Wie gehen wir mit dem Suizid eines Kollegen/einer Kollegin um?
4.
Wie können strukturelle und räumliche Veränderungen im Betrieb begleitet werden?
5.
Wie kann sich ein neuer Leiter/Leiterin im Team einbringen?
6.
Wie wird ein neuer Mitarbeiter/Mitarbeiterin integriert?
7.
Wie wird eine betriebliche Kultur eingeführt und erhalten?
8.
Welchen Stellenwert haben Konflikte und wie werden sie gelöst?
9.
Welchen Stellenwert haben Gefühle und Beziehungen in dem Betrieb?
10. Welche Normen und Werte spielen eine Rolle? Bei all diesen Fragen werden Sie immer wieder auf das Phänomen Trauer und Abschied stoßen. Alle Fragen setzen ein hohes Bewusstsein voraus, dass es um zwischenmenschliche und individuelle Verlusterfahrungen geht, die nicht immer gleich zu sehen sind. Wichtig ist, vorsichtig zu sein mit vorgefertigten Meinungen oder gar Urteilen, besonders da, wo sich Unterschiedlichkeiten auftun. Wenn meine eigene Erfahrung und meine eigene Haltung zu den Dingen in der Welt der Maßstab sind, an dem ich all die anderen Menschen messe, so ist das bestimmt nicht förderlich, weder für eine gute Zusammenarbeit, noch für eine effektive Mitarbeit.
1. Wie gehe ich als Leiter/als Kollege mit trauernden Mitarbeitern um? ȭ
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Zuhören heißt, ohne Ratschläge, ohne Trostworte dabei sein und immer wieder die Geschichte über das Geschehene anhören. Ein Trauernder muss hundertmal und öfter sagen dürfen, was geschehen ist. Praktische Hilfen im Alltag, die Konzentrationsfähigkeit ist meist eingeschränkt, das Verrücktsein anerkennen, es läuft nicht so wie bisher Trauer äußert sich individuell, manche wollen sich mit Arbeit ablenken, andere können nicht arbeiten. Erschöpfungsphasen treten nicht unbedingt unmittelbar auf, sie können auch eine spätere Folge sein. Verständnis: Ein Trauernder braucht davon sehr viel, da er sich meist selbst nicht mehr versteht, deshalb auch möglichst wenige Erwartungen von außen, dass er so wie gewohnt funktioniert. Angebote zur Verarbeitung, z. B. Trauerbegleitung, Trauerseminar.
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2. Wie gehen wir im Team damit um, wenn ein Kollege/eine Kollegin stirbt? ȭ
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Betroffenheit der Kolleginnen und Kollegen im Team muss Platz haben, es braucht Möglichkeiten zur Aussprache, viel erzählen, was mit dem/der Verstorbenen erlebt wurde, Lustiges und Schweres gleichermaßen, auch Kontakt zu den Angehörigen, sie wissen meist nichts von dem, wie der/die Verstorbene von den Kollegen gesehen wurde – das rundet auch ihr Bild ab. Ritual zur Verabschiedung (nicht nur am Friedhof, auch im Büro), Foto, Kerze am Schreibtisch, Würdigung der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters durch die Teamleitung. Stützung der unmittelbar Betroffenen im Team, je nach Nähe (s. o. ) Wenn die Stelle neu besetzt wird: Was von der gewohnten Situation im Büro darf/soll bleiben, was wird liebevoll geändert? Den/die Neue(n) urteilsfrei integrieren, aber durchaus von dem Verstorbenen erzählen.
3. Wie gehen wir mit dem Suizid eines Kollegen/einer Kollegin um? ȭ
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Hier ist die Auseinandersetzung der Gruppe mit dem Tabuthema Suizid besonders wichtig, professionelle Hilfe eines Kriseninterventionsteams oder Trauerbegleiters ist dringend anzuraten. Verarbeitung der Aggression gegen die Hinterbliebenen (auch Kollegen sind Hinterbliebene), die Arbeitsfähigkeit ist meist eingeschränkt, das Unfassbare muss fassbar gemacht werden. Die Frage nach dem „Warum hat er das gemacht?“ muss verabschiedet werden, da es keine eindeutige Antwort darauf gibt. Auch hier gilt wie bei 2.: Rituale, besonders Aussöhnung mit dem Aggressiven, Schuldgefühle ansprechen. Besondere Achtsamkeit mit den Angehörigen und direkt Betroffenen Veränderungen am Arbeitsplatz sehr sensibel angehen, vor allem mit den unmittelbar betroffenen Kolleginnen und Kollegen.
4. Wie können strukturelle und räumliche Veränderungen im Betrieb gut begleitet werden? ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
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Transparenz und Aufklärung der notwendigen Veränderungen. Mitbestimmung bei nicht vorgeschriebenen Veränderungen. Ausgleich bei angemeldeten und gefühlten Verlusten (z. B. Fensterplatz). Genügend Zeit, sich von dem alten Zustand zu verabschieden (Achtung bei krankem Personal oder Urlaub!). Umgewöhnungsphase einkalkulieren und nach einiger Zeit Vor- und Nachteile ansprechen, Lösungsvorschläge im Team erarbeiten, wenn nachgebessert werden muss. Liebgewonnenes von früher mit in das Neue integrieren.
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5. Wie kann sich ein neuer Leiter/Leiterin im Team einbringen? ȭ
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Vorsicht und Rücksicht im wahrsten Sinn! Vor-Sicht: Wie will ich in der Zukunft leiten? Rück-Sicht: Was und wie hat das Team bisher gearbeitet? Wie können wir beides miteinander verbinden? Ist der ehemalige Teamleiter gut verabschiedet worden? Abschiedsarbeit ist auch Erinnerungsarbeit: Wie hat er was gemacht? Würdigen, bevor der neue Leiter etwas Neues einführt. Welche Erwartungen haben die Mitarbeiter? Mitarbeiter einbeziehen, nachfragen, Klarheit des eigenen Handelns, Kommunikationskultur einführen bzw. neu gestalten.
6. Wie wird ein neuer Mitarbeiter/Mitarbeiterin integriert? ȭ ȭ ȭ ȭ
Viel Möglichkeit geben zu erzählen, wie es bisher war (Trauerverarbeitung). „Pate/Patin“ mit Geduld – sich heimisch fühlen braucht Zeit! Informationen über die Teamkultur: Wie machen wir hier was? Möglichkeit geben zum Austauschen.
7. Wie wird eine betriebliche Kultur eingeführt und erhalten? ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Beziehungsklärung der Mitarbeitenden, Supervision. Kommunikationsstrukturen miteinander besprechen und festlegen. Rituale im Alltag, Feste und zwanglose Treffen (Stammtisch). Beschwerde-Kultur (auch mal nur jammern dürfen). Feste Teambesprechungszeiten, es geht hier nicht nur um Sachthemen, sondern vor allem um die Beziehungen in der Gruppe und um die Reflexion des Wir-Gefühls in der Gruppe, auch um Identifikation mit dem Betrieb, das muss regelmäßig angesprochen und überdacht werden (z. B. kollegiale Supervision).
8. Welchen Stellenwert haben Konflikte und wie werden sie gelöst? ȭ ȭ ȭ ȭ
Konflikte als konstruktiven Beitrag zu Zufriedenheit ansehen. Offene Gesprächskultur und Konfliktbearbeitung. Mediation (Weiterbildung im Team) von innen und von außen. Coaching der Mitarbeiter – Persönlichkeitsentwicklung, eigene Trauerverarbeitung.
9. Welchen Stellenwert haben Gefühle und Beziehungen in dem Betrieb? ȭ ȭ ȭ ȭ
Bewusstheit aller Beteiligten, dass es niemals nur reine Sachthemen gibt. Sie sind immer unter- oder überlagert von Beziehungs- oder persönlichen Themen. Bereitschaft, Supervision und Teambesprechungen als wichtigen Beitrag zur „Betriebshygiene“ anzusehen. Andersartigkeit akzeptieren und Regeln für den Umgang damit einführen. Privates (selektiv) gehört auch in den beruflichen Kontext, damit das Verhalten eines Mitarbeiters verstanden werden kann.
Abschied und Trauerarbeit
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10. Welche Normen und Werte spielen eine Rolle? ȭ ȭ
Austausch darüber ist immer wieder notwendig, da sich Normen auch ändern können. Werte als Basis immer wieder reflektieren und die Handlungsweisen daran anpassen, kritische Betrachtung derselben – sind sie zeitgemäß oder müssen sie ergänzt oder umformuliert werden? Trauerarbeit: Altes verabschieden und würdigen und Neues ergänzen.
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen zunächst zur Selbstreflexion. Sobald Sie für sich klare Antworten gefunden haben, kann ein Austausch mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über diese Fragen zu weiteren hilfreichen Erkenntnissen führen: Was genau tun Sie, um sich vor dem Schmerz zu schützen, den Trauer in Ihnen auslöst? Was könnten Sie anders tun? Welchen Preis zahlen Sie für die Veränderung der 2. Frage oder das Beibehalten der 1. Frage?
Literatur und Quellen Canacakis, Jorgos (1992). Ich sehe deine Tränen, Stuttgart Canacakis, Jorgos (2007). Ich begleite dich durch deine Trauer, Stuttgart Janus, Ludwig (1997). Wie die Seele entsteht, Heidelberg Kast, Verena (2004). Schlüssel zu den Lebensthemen, Konflikte anders sehen, Freiburg Kopp-Breinlinger, Karina, Rechenberg-Winter, Petra (2004). In der Mitte der Nacht beginnt ein neuer Tag – mit Verlust und Trauer leben, München Müller, Monika, Schnegg, Matthias (1999). Unwiederbringlich – Vom Sinn der Trauer, Freiburg Otzelberger, Manfred (1999). Das Trauma der Hinterbliebenen, Erfahrungen und Auswege, Berlin Rosenberg, Marshall B. (2001). Gewaltfreie Kommunikation, Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen, Paderborn Thomann, Christoph, Prior Christian (2007). Klärungshilfe 3, Das Praxisbuch, Hamburg
Teil II: Erfolge gestalten
Über Veränderungen
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Über Veränderungen Thomas Robrecht
Veränderungen polarisieren Wer sich mit dem Thema „Veränderungen“ bewusst auseinandersetzt, hat meist einen ganz konkreten Grund dafür. Entweder geht es um die Suche nach Möglichkeiten, wie Widerstände gegen Veränderung bewältigt werden können, oder es geht um das Bewahren von Vorhandenem und damit meist auch um das Verhindern von Veränderungen. Dabei sind Veränderungen ein sicherer Indikator für (Weiter-)Entwicklung. Das klingt so lange positiv, wie die Richtung der Weiterentwicklung für das Erreichen der eigenen Ziele als förderlich angesehen wird. Sobald es jedoch konkurrierende oder gar sich gegenseitig ausschließende Ziele gibt, sehen sich zwei scheinbar unvereinbare Lager gegenüber. Meist warten beide Seiten nur auf den richtigen Moment, um den Gegner auszutricksen oder mittels geschickter Argumentation das Falsche, Unzulängliche oder Schlechte der anderen Position zu beweisen. Häufig werden Stereotype bemüht, bei denen Veränderer und Bewahrer schnell identifiziert sind und gegenseitig mit negativen Attributen belegt werden. Es kommt zu wechselseitigen Vorwürfen, bei denen sich jede Seite selber auf der Höhe wertvoller Einstellung sieht und der jeweiligen anderen Seite den Aufenthalt im Abgrund verdammenswerter Fehlhaltung vorwirft. Das, was der einen Seite wichtig und wertvoll ist, wird von der jeweils anderen Seite in einer entwertend wirkenden Übertreibung dargestellt. Durch diese Polarisation werden Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen immer mehr auf ein „entweder-oder“ und damit auf zwei Pole reduziert. Diese Eingrenzung von Handlungs- und Möglichkeitsräumen schließt alle anderen Möglichkeiten aus. Kein „wedernoch“ und kein „sowohl-als auch“ ist denkbar. Und das verschärft und stärkt die Polarisation. Am Ende gibt es ein Ergebnis, das weder für nachhaltige Zufriedenheit sorgt noch die Zukunftsfähigkeit stärkt. Die Angst vor dem Verlust des Haltgebenden übernimmt die Regie des Geschehens und lässt damit den Möglichkeitsraum auf einen Punkt zusammenschrumpfen. Damit wird der Weg zu kreativen Lösungswegen unsichtbar und als nicht existent definiert. Ein Punkt ist ja schließlich keine Fläche.
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Abbildung 11
Bewahren
Rigider SicherheitsFetischismus
Werte und Befürchtungen
Höhe wertvoller Einstellung
Abgrund verdammenswerter Fehlhaltung
Verändern
Verantwortungsloser Leichtsinn
Logik von Veränderungsprozessen Veränderungen sind kein punktuelles Ereignis, das mittels Schalterumlegen einfach passiert, sondern es ist eine Folge von vielen kleinen Einzelschritten, eingebunden in eine Vielzahl unterschiedlichster Einflussgrößen. Damit handelt es sich um einen Prozess. Ein Wesensmerkmal von solchen Prozessen ist ihre Eigenart, dass sie keiner linearen Logik folgen, sondern einem komplexen Zusammenspiel von miteinander vernetzten Faktoren. Deshalb lässt sich auch keine Veränderungs-Prozesskette definieren, bei der jeder Schritt mit seinem Beginn und seinem Ende vorhersagbar wäre. Veränderungsprozesse erfordern von ihren Begleitern und Gestaltern den Mut, einen Schritt zu tun und erst nach dem Erreichen des neuen Standpunkts eine Bewertung vorzunehmen. Das ist ein Risiko, weil niemand eine Erfolgsgarantie bieten kann. Doch es gibt keinen Schatten ohne Licht: Die Kehrseite des Risikos ist die Chance, Neues zu entdecken.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe. So prallen zwei Gegenpole aufeinander: Argument begegnet Gegenargument, Euphorie trifft auf Depression, Optimismus findet Pessimismus, Veränderer ziehen Bewahrer an – es ist ein schier unendliches Meer voller Polarität, das sich aus sich selbst heraus nährt. Oft wird darum gestritten, wer mit seiner Sicht der Dinge recht hat. Letzten Endes finden beide Seiten Beweise dafür, dass sie recht haben. Das ist eine Folge von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
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Mit dieser energieverschwenderischen Normalität beschäftigen sich seit vielen Jahren zahllose Wissenschaftler und Forscher. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „Wie können Veränderungen in konstruktive und Ressourcen schonende Bahnen gelenkt werden?“ gibt es viele Antworten, von denen hier die wesentlichen Gemeinsamkeiten zusammengefasst sind. Dazu werden die Fragen beantwortet: ȭ ȭ ȭ ȭ
Was genau passiert in Veränderungen? Welcher inneren Logik folgen solche Prozesse? Was ist wann machbar und was nicht? Welche persönlichen Fähigkeiten und Kompetenzen sind hilfreich?
Ein auffälliges Merkmal in Veränderungsprozessen ist die Vielfalt an differierenden Bewertungen der Situation durch die Betroffenen. Wer in solchen Situationen nach Orientierung für stimmige Handlungen sucht, dem kommt vielleicht das Gelassenheits-Gebet des deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr in den Sinn: Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Konflikte gehören zu Veränderungsprozessen Eine natürliche Begleiterscheinung von Veränderungsprozessen sind Konflikte. Jede Veränderung – und erscheint sie als noch so erforderlich und positiv, hat immer auch eine Schattenseite. Je nachdem, aus welcher Perspektive sie betrachtet wird, lässt sich jeder Veränderung etwas Positives und etwas Negatives abgewinnen. Deshalb bilden Veränderungsbefürworter und Veränderungsgegner immer eine Einheit, bei der das eine nicht ohne das andere existieren kann. Das ist eine Art „Grundgesetz systemischer Logik“. Wer hier versucht, Konflikte zu vermeiden oder zu ignorieren, missachtet diese Logik und macht damit sich und anderen das Leben unnötig schwer. Hier ist Konfliktkompetenz wichtig. Das bedeutet, den potenziellen Problemen proaktiv zu begegnen mit dem zitierten „Mut, die Dinge zu ändern“. Hinzu kommt, dass es in Veränderungsprozessen immer Situationen gibt, die als unerfreulich und unangenehm erlebt werden und die es gleichzeitig auszuhalten gilt. „Da führt kein Weg vorbei – da muss man durch“, lautet der passende Slogan. Dafür ist die zuvor erwähnte Gelassenheit erforderlich.
Es gibt kein Gift – die Dosis macht’s Und dann gibt es da den ganz schmalen Grat zwischen „blockierend“ oder „förderlich“, der „das eine vom anderen unterscheidet“. Denn jede Fehldosierung, also ein Zuviel und ein Zuwenig kann blockierend wirken. Wann wird also das „Verändern wollen“ zur vergebenen Liebesmüh‘ und wann führt „Gelassenheit“ zur unterlassenen Hilfestellung? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst Klarheit über das „Wozu“ erforderlich.
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ȭ ȭ ȭ
Wozu dient die Veränderung? Worin besteht ihr Nutzen und für wen? Wer bemerkt woran, dass die Veränderung erreicht wurde?
Erst die Antworten auf diese Fragen sind der Maßstab, an dem „blockierend“ oder „förderlich“ gemessen werden kann. Sobald sich Veränderungsbefürworter und -gegner auf die gemeinsame Suche nach Antworten begeben, ist eine der größten Hürden bereits geschafft: Das in den Dialog treten über unterschiedliche Wertelandschaften und der Austausch über die verschiedenen Ängste und Sorgen. Denn an der Oberfläche wird – für alle leicht erkennbar – zwar gegen etwas gekämpft, aber die Frage, für was gekämpft wird, ist meist viel schwerer zu beantworten. Die meisten Menschen können in schwierigen Situationen sehr schnell sagen, was sie nicht wollen. Doch fragt man sie, was sie stattdessen wollen, ist entweder temporäres Grübeln die Folge oder das „Zurück-haben-wollen“ des vertrauten Alten. Jedenfalls ist die Fähigkeit der Menschen, eine neu gestaltete und wünschenswerte Zukunft spontan zu benennen, eine seltene Ausnahme.
The Four Rooms Of Change Wieso es so schwierig ist, einen liebgewonnenen Standpunkt zu Gunsten eines Neuen zu verlassen, hat in den 90er Jahren der schwedische Psychologe und Therapeut Claes F. Janssen mit seinem Modell „The Four Rooms Of Change“ beschrieben. Dabei benennt er vier Stationen, die bei jedem Entwicklungsprozess durchlaufen werden. Und jeder Übergang von einer zur nächsten Station führt durch Konflikte – ohne ihre Bewältigung gibt es keine Entwicklung. Raum der Selbstzufriedenheit Ausgangspunkt in diesem Modell ist der Zustand der Selbstzufriedenheit. Alles läuft bestens und in geregelten Bahnen, es gibt nur Bekanntes und Vertrautes und nichts Störendes, das irgendwelche Pläne durchkreuzen würde. Umgestaltungen gibt es zwar, aber sie sind punktgenau geplant und lassen sich auch exakt nach Plan umsetzen. Das ist ein Zustand, nach dem sich so gut wie jeder Mensch in seinem Innersten sehnt. Die Welt ist in Ordnung, verlässlich, planbar und problemlos gestaltbar, befindet man sich im Raum der Selbstzufriedenheit. Raum der Ablehnung Wenn sich nun irgendeine Veränderung anbahnt – meist ausgelöst durch äußere Umstände – so erzeugt dies Widerstand. Warum sollte man einem Veränderungsimpuls folgen, wenn doch alles in bester Ordnung ist? Hier werden tausend Gründe gegen eine Veränderung gefunden, und damit die besten Argumente und logische Erklärungen, warum alles beim Alten bleiben soll. In diesem „Etwas-nicht-wollen“ hat das problemorientierte Denken seinen Ursprung. Es werden zahllose Hindernisse und Probleme entdeckt und negativ bewertet nach dem Motto „Ich wusste ja gleich, dass es nicht geht!“. Die Chancen einer möglichen Veränderung können hier nicht erkannt werden. Stattdessen werden die Risiken als riesig
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angesehen. Wer etwas nicht will, findet Gründe – und befindet sich damit im zweiten Raum, dem Raum der Ablehnung. Hier wird das Alte und Vertraute gegen alle „Veränderungsangriffe“ verteidigt. Raum der Verwirrung Sollte sich nun – meist durch zunehmenden inneren oder äußeren Druck bewirkt – irgendwann die Erkenntnis verbreiten, dass sich eigentlich doch etwas ändern müsste, ist zunächst Ratlosigkeit die Folge. Bekannte Lösungswege versagen entweder oder sie führen wieder zurück zum Ausgangspunkt – jedenfalls ist das neue Land außer Sicht. Erschwerend kommt hinzu, dass es in diesem Raum ganz viel Trauer gibt, weil nun der Verlust des Alten bewusst wird. Dabei ist nicht die Trauer das Problem, sondern die Hilflosigkeit im Umgang damit. Das zeigt sich immer dann, wenn versucht wird, das unangenehme Gefühl der Trauer zu umgehen, zu beschwichtigen oder zu ignorieren. An dieser Klippe erleiden die meisten Schiffbruch: In der Missachtung von Trauer liegt die häufigste Ursache des Scheiterns von Veränderungsprozessen. Hier empfehle ich den Beitrag von Renata Bauer-Mehren: „Abschied – Erkenntnisse aus der Trauerarbeit zur Würdigung und zum Loslassen, um Neues beginnen zu können“. Sie finden darin eine klare und ungewohnte Denkwelt, die ebenso hilfreich wie wichtig ist für die wirksame und heilsame Gestaltung von Veränderungsprozessen. Wenn die Menschen nach Fusionen oder Umstrukturierungen immer wieder von der „guten, alten Zeit“ reden, haben sie noch nicht loslassen können, weil sie sich nicht richtig verabschiedet haben und über den Verlust nicht trauern konnten oder nicht trauern durften. Jedenfalls ist das Geländer, das zuvor immer guten Halt gab, plötzlich weggebrochen oder hat sich allmählich in Luft aufgelöst. Die Hände greifen ins Leere und das ist nicht nur schrecklich unangenehm, sondern auch beängstigend. Diesen Zustand auszuhalten, ist eine enorme Herausforderung. Es gibt Menschen, die dieser Herausforderung nicht gewachsen sind und dann doch wieder auf das Alte und Vertraute zurückgreifen, obwohl es ausgedient hat. Im ungünstigsten Fall hat es einen Absturz zur Folge und im günstigsten Fall wird eine Stagnation erreicht. Das ist wie ein Verbleib in der Sackgasse. Wenn Menschen den Mut aufbringen, durch diese Unsicherheit hindurch zu gehen, finden sie den befreienden Ausweg. Das erfordert zwei bis drei Verhaltensweisen, die für unsere Kultur ziemlich untypisch sind, weil sie die größten Zumutungen darstellen: ȭ ȭ ȭ
Das Aushalten und Zulassen von temporärer Lösungslosigkeit Das Aushalten und Zulassen von Emotionen Beides zusammen, um zum Trauern innezuhalten
Das sind wichtige Voraussetzungen, um diesen dritten Raum, den Raum der Verwirrung, irgendwann hinter sich lassen zu können. Die Beachtung dieser Punkte ist die wirksamste Kraftquelle für die Neugestaltung.
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Raum der Erneuerung Wer den Raum der Verwirrung in einer Entwicklungen fördernden Richtung verlassen hat, gelangt in den Raum der Erneuerung. Hier ist die Überzeugung anzutreffen: „Wer etwas will, findet Wege.“ Menschen in diesem Raum sind proaktiv und kreativ. Das Denken und Handeln sind geprägt vom Pioniergeist, Unbekanntes zu entdecken, um die eigene Welt ein Stück besser zu gestalten. Menschen, die etwas wollen, denken automatisch lösungsorientiert. Sie entdecken zwar auch Hindernisse und Probleme, aber sie bewerten diese nicht so negativ. Weil sie etwas wollen, denken sie eher „Irgendwie wird es trotzdem gehen!“ Außerdem ist im Raum der Erneuerung auch viel Kooperationsbereitschaft vorhanden. Das zügige Erreichen der langersehnten Ergebnisse erhält mehr Aufmerksamkeit als die Sicherung der Pfründe.
Entwicklung als ein natürlicher Kreislauf Nachdem die Erneuerung gelungen ist, gelangt man wieder in den Raum der Selbstzufriedenheit. Damit beginnt ein neuer Kreislauf mit einem neuen Veränderungszyklus. Es gibt viele Analogien dazu, wie die vier Jahreszeiten oder auch die vier Gruppenentwicklungsphasen, wie im Beitrag von Andrea Gässler beschrieben. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass es sich um völlig natürliche Prozesse handelt, deren Existenz sich nicht leugnen lässt. Wer sie ignoriert, produziert oder verschärft Probleme.
Das Haus der Veränderung Nun stellt sich natürlich die Frage nach dem Nutzen dieses Modells und seiner Handlungsorientierung. Damit haben sich auch Nick Fry und Peter Killing befasst in „Strategic Analysis and Action“. Sie haben die vier Räume in ihr „Change House“, das „Haus der Veränderung“ transportiert. Dort gibt es zusätzlich noch einige Fallgruben mit blockierenden Wirkungen. Sonnenbalkon So gibt es zum Raum der Selbstzufriedenheit auch einen Sonnenbalkon, der unter keinen Umständen verlassen werden will. Alles ist absolut gut und angenehm und nichts bringt einen aus der Ruhe. Veränderungsimpulse werden ignoriert und die Dinge einfach „ausgesessen“ oder der Kopf in den Sand gesteckt. Dort befindet man sich in einer Scheinwelt von „Alles ist wunderbar, sicher, in Ordnung“. Kerker der Ablehnung Auch im Raum der Ablehnung gibt es eine Fallgrube: den Kerker der Ablehnung. Dort verhalten sich Menschen nach dem Motto: „Ich lasse mir doch von den Tatsachen meine schönen Vorurteile nicht kaputt machen!“ Sie sind in ihrer ablehnenden Haltung so gefangen, dass sie selber darüber verwundert sind, und können und wollen das aber nicht zugeben. Denn zu wissen, wer schuld ist, wer was alles falsch gemacht hat und wo die ei-
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gentlichen Ursachen liegen, bietet einen unverzichtbaren Halt. Deshalb ist dieses „Wissen“ auch von einem dogmatischen Alleingültigkeitsanspruch getragen, der keine andere Perspektive zulassen kann, weil sie Halt gefährdend wäre. So werden Menschen im „Kerker der Ablehnung“ zu Gefangenen ihrer eigenen Überzeugungen und Sichtweisen. Tür in die falsche Richtung Der Raum der Verwirrung bietet gleich zwei Fallgruben. Eine davon ist die Tür in die falsche Richtung. Durch diese Tür gehen all diejenigen, für die das Aushalten von temporärer Lösungslosigkeit unerträglich ist. So bietet diese Tür zwar eine Flucht aus der Verwirrung, doch leider führt sie ins Leere und bietet keine Entwicklungs-Chance. Keller der Paralyse Die zweite Fallgrube ist die Paralyse, bei der ein Zustand der Ohnmacht und Lähmung erreicht wird. Menschen in diesem Raum sind geplagt von einer übermächtigen Angst vor dem Neuen und Unbekannten. Horrorphantasien wachsen und führen zur Handlungsunfähigkeit. Und wenn es doch einmal Bewegung gibt, dann nur auf der Stelle oder alles dreht sich im Kreis.
Durchhaltevermögen ist wichtig Die Zustände im Raum der Verwirrung sind besonders instabil. Das zeigt sich nicht nur an der Anzahl von Fallgruben. Hier findet auch eine grundlegende Weichenstellung statt, die über Gelingen oder Scheitern entscheidet. Durchhaltevermögen und das VerschmerzenKönnen von Rückschlägen ist hier die Erfolgsvoraussetzung. Denn wenn etwas Neues ausprobiert wird, zu dem es noch keine Erfahrungswerte gibt, gehört temporäres Scheitern in diesem „Lernen durch Versuch und Irrtum“ zu den völlig natürlichen Begleiterscheinungen. Das ist gar nicht so einfach auszuhalten, insbesondere dann, wenn die Vergangenheit – als man sich noch im Raum der Selbstzufriedenheit aufhielt – erfolgsgeprägt war. Hier kann jeder erwachsene Mensch von Kleinkindern lernen, die das Gehen erlernen: Bei ihren zahllosen Versuchen fallen sie immer wieder hin und stehen immer wieder auf – bis sie es endlich können. Leider verlieren viele Erwachsene diese Ausdauer.
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Haus der Veränderung
Haus der Veränderungen Raum der SelbstSonnen- zufriedenheit balkon
Raum der Erneuerung
Raum der Ablehnung
Raum der Verwirrung
Kerker der Ablehnung
Tür in die falsche Richtung
Kerker der Paralyse
Domino-Effekt von Krisen Und schließlich gibt es noch eine weitere Perspektive, die den Blick auf die Vernetzung von Systemen richtet: Wer einen gelungenen Veränderungsprozess durchlaufen hat, ist häufig Auslöser eines neuen Veränderungsprozesses an einer anderen Stelle. Wenn unser Kleinkind das Gehen gelernt hat, folgt daraus für die Eltern die nächste Herausforderung, alles Greifbare in Sicherheit zu bringen. Was hier für die Familie gilt, ist in der Berufswelt nicht viel anders. Wenn beispielsweise ein Konzernvorstand bei der Suche nach dem Weg aus der Krise im Raum der Erneuerung gelandet ist, werden dort die Weichen für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit gestellt, Entscheidungen getroffen und Maßnahmen beschlossen. Diese lösen für die unteren Leitungsebenen, die sich vielleicht im Raum der Selbstzufriedenheit befinden, einen Veränderungsprozess aus, bei dem sie irgendwann (hoffentlich) auch im Raum der Erneuerung landen. Dort werden auch Entscheidungen getroffen, die auch wieder Veränderungsimpuls für andere sind. So bewirkt jede Veränderung einen DominoEffekt. Die in 2008 und 2009 überdeutlich sichtbar gewordene Finanz- und Wirtschaftskrise bietet dafür ein besonders anschauliches globales Beispiel.
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Die Arbeit mit dem „Haus der Veränderung“ Welche Handlungsorientierung lässt sich aus dem Haus der Veränderung ableiten? Hier gibt es für jeden Raum unterschiedliche Empfehlungen. Um diese gezielt zu nutzen, ist es zunächst erforderlich zu erkennen, in welchem Raum sich der Veränderungsprozess befindet. Doch zuvor einige unumstößliche Grundgesetze in Veränderungsprozessen: ȭ ȭ ȭ ȭ
Alle Räume werden nacheinander gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen. Kein Raum kann übersprungen werden. Jeder hat sein eigenes Tempo (es befinden sich nicht alle Beteiligten im gleichen Raum). Es werden nicht alle Beteiligten mitkommen (oder genauer: Es wird nicht genügend Zeit zur Verfügung stehen, um alle Widerstände nachhaltig aufzulösen!), und manche fallen auch zurück.
Wer hier nach dem Pareto-Prinzip arbeiten kann, das besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Arbeitseinsatzes erreicht werden, hat es deutlich leichter als jemand, der ein 100-prozentiges Ergebnis anstrebt.
Verhaltensweisen und Phänomene im Raum der Selbstzufriedenheit Menschen in diesem Raum ignorieren die Außenwelt. Sie ruhen sich auf dem Erreichten aus und schenken weder dem Markt noch der Konkurrenz Aufmerksamkeit. Gehaltserhöhungen gibt es aus Gewohnheitsrecht. Sie überhören Warnsignale und berufen sich auf Regeln und Vorschriften. Sie besitzen kein Gefühl der Dringlichkeit und beschäftigen sich ausschließlich mit dem Tagesgeschäft. Sie sehen keine Veranlassung, über die Zukunft nachzudenken. Für sie ist es selbstverständlich, dass alles, so wie es ist, für immer erhalten bleibt. Realistisches Ziel: Interesse für Neues wecken Wer erwartet, dass Menschen in diesem Raum die Notwendigkeit einer Veränderung akzeptieren können, wird gegen Windmühlen ankämpfen. Wer jedoch die Mitarbeiter dazu bringt, über Veränderung nachzudenken, hat schon viel erreicht. Hier hilft es sehr, die Aufmerksamkeit auf ungenutzte Potenziale statt auf Defizite zu lenken. Auch wenn es faktisch keinen Unterschied macht, so ist die Entdeckung ungenutzter Potenziale viel attraktiver als die Beseitigung von Defiziten. Wer einen Zustand bemängelt, den andere als perfekt erlebten, erzeugt zwangsläufig Widerstand und wird zum „Nestbeschmutzer“. Deshalb ist es wirksamer, wenn das Neue eine Sogwirkung erzeugt, die Neugier weckt. Damit wird aus dem Schreckgespenst einer unbequemen Veränderung ein attraktiver Zustand, über den das Nachdenken als lohnenswert erscheint.
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Verhaltensweisen und Phänomene im Raum der Ablehnung Vergangenheit und Gegenwart werden gegen Veränderungen heftig verteidigt. Dabei kann es aggressiv zugehen. Tabuthemen drängen sich immer mehr in den Vordergrund, die jedoch mit viel Krafteinsatz weiter unterdrückt werden. Es werden die schuldigen Täter gesucht, gefunden und an den Pranger gestellt. Menschen im Raum der Ablehnung erleben sich als die armen Opfer und glorifizieren das Gewesene. Realistisches Ziel: Nachdenken und Altes hinterfragen Es ist nicht möglich zu erwarten, dass in diesem Raum die nächsten Schritte klar erkannt werden oder die Mitarbeiter verstehen, was getan werden muss und welchen Beitrag sie leisten sollen. Wer erreicht, dass die Mitarbeiter begreifen, dass sich etwas verändern muss, ist auf einem guten Weg. Würdigen Sie das Alte und benennen Sie die Licht- und Schattenseiten gleichermaßen. Machen Sie kein Hehl daraus, dass es Verluste geben wird, und benennen Sie diese möglichst konkret. Geben Sie Zeit zum Betrauern dieser Verluste. Unterbinden Sie Schuldzuweisungen und zeigen Sie die komplexe Vernetzung von Zusammenhängen und Einflussgrößen auf. Verdeutlichen Sie immer wieder den Zweck und Nutzen der Veränderung. Bieten Sie noch keine detaillierten Lösungen an, aber suchen Sie nach kleinen und schnellen Erfolgen als „Mutmacher“.
Verhaltensweisen und Phänomene im Raum der Verwirrung Hier treffen Sie auf geballtes irrationales Verhalten – das ist völlig normal in diesem Raum, in dem die Ampel zur Chef-Etage häufig auf Rot steht (siehe dazu die Gehirnetagen im Beitrag „Umgang mit Emotionen“). Menschen sind frustriert, depressiv, zornig, ziehen sich zurück, werden sehr langsam oder verlieren sich im Aktionismus zahlreicher (Projekt)Gruppen, in denen vieles besprochen und weniges bearbeitet wird. Verlust der Selbstachtung und gebetsmühlenartige Schuldzuweisungen sind Ausdruck hoher Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Jetzt wird die Sehnsucht nach wirksamen und nachhaltigen Lösungen zunehmend spürbar. Realistisches Ziel: Neuorientierung und Lösungsvorschläge Wer von Menschen in diesem Raum erwartet, dass sie nur nach vorne schauen und nicht über „die guten alten Zeiten“ reden, verlangt zu viel. Wer erreicht, dass Mitarbeiter verstehen, was getan werden muss, und sie dabei ihre Rolle und Verantwortung annehmen, ist auf einem guten Weg. Wichtig ist hier, dass es eine Vision und Gesamtausrichtung gibt. Dabei sind zwei Faktoren unverzichtbar: Leuchtturm und Leitplanken. Der Leuchtturm dient als Wegweiser, der allem Handeln als Orientierung dient. Es ist eine Art übergeordnete und unumstößliche Wegweisung, die nicht verhandelbar ist und deren Missachtung sanktioniert wird. Die Leitplanken begrenzen den für die Erneuerung unverzichtbaren (Gestaltungs-)Freiraum. Der Umgang mit Subjektivität steht hier im Mittelpunkt: Werte und Prinzipien, die
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einerseits zu Austausch und Feedback zwingen und andererseits den Mitarbeitern die Beeinflussung und Freiraum ermöglichen, wie sie den Leuchtturm erreichen. Dafür ist der offene Austausch von positiven und negativen Gefühlen genauso wichtig wie die Ermutigung zu Experimenten und die gleichzeitige Erhöhung der Fehlertoleranz. Damit werden nach und nach die neue Ausrichtung von Systemen und Prozesse unterstützt und das Arbeitsumfeld verbessert.
Verhaltensweisen und Phänomene im Raum der Erneuerung Menschen akzeptieren mehr Verantwortung, sie kommunizieren, hören einander zu, lernen, vertrauen, delegieren, gehen Risiken ein, neue Energie und Begeisterung macht sich breit, sie sind flexibel, kreativ, verbessern sich ständig, setzen sich neue Ziele, schauen mit einer positiven und konstruktiven Grundhaltung in die Zukunft. Realistischer Ziel: Mit Freude und Überzeugung Verbesserungen einführen Wer erwartet, dass alle den Wandel mit vollziehen, wird enttäuscht. Wem es gelingt, dass Mitarbeiter verstehen, dass es immer Veränderungen geben wird, und wer weiterhin Mitarbeiter zu ständigen Verbesserungen motiviert, hat hier das Optimum erreicht. Nun können endlich anspruchsvolle Ziele gesetzt werden. Zur Stärkung dienen Vergleiche mit anderen Abteilungen oder Wettbewerbern. Befragungen der Kunden sind probate Mittel der Evaluation genauso wie der Einsatz von (360°-) Feedback. Um zu ständigem Lernen und eigenverantwortlicher Entwicklung anzuregen, ist das Einüben von Perspektivwechsel hilfreich. Es können auch Außenseiter ins Unternehmen geholt werden, um Perspektivvielfalt zu erzeugen. Und schließlich dient das Feiern von Erfolgen der Pflege der Gestaltungsmotivation und damit des Erfolgsmotors.
Bedeutung für Führungskräfte Einer Führungskraft, die sich im Raum der Erneuerung am wohlsten fühlt, fällt jedes ungenutzte Potenzial sofort ins Auge. Sie wird ungeduldig, wenn sie auf die Zurückhaltung ihrer Mitarbeiter trifft. Oft hört sie den Vorwurf, sie sei auf der Überholspur und würde dabei so stark vorauspreschen, dass alle anderen nicht mehr nachkämen. Selbst wenn dieser Vorwurf berechtigt ist, folgt daraus noch lange keine Notwendigkeit, irgendwelche Ziele aufzugeben. Es gilt eher, das Tempo so anzupassen, dass die Mitarbeiter die Chance haben, der Führungskraft zu folgen. Es ist normal, dass eine Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern ein paar Schritte voraus ist – sonst wäre sie wahrscheinlich keine Führungskraft. Grundsätzlich hilfreich Es gibt einige Fähigkeiten und Kompetenzen, die speziell in Veränderungsprozessen besonders wirkungsvoll und nützlich sind. Wer darüber verfügt, kann nicht nur sich und anderen das Leben leichter machen, sondern wird auch viel leichter die Prozess-Dynamik handhaben können. Hilfreich dafür ist:
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Aktives Zuhören: Befindlichkeiten wahrnehmen, Unausgesprochenes besprechen. Empathie: Sich auf sein Gegenüber einlassen und Eigenes zeitweise zurückstellen. Verstehen, was dem Gegenüber wirklich wichtig ist. Refraiming: Sinnzusammenhang durch Perspektivvielfalt erweitern. Ambiguitätstoleranz: Widersprüche und temporäre Lösungslosigkeit aushalten können. Prozesskompetenz: Lösungsfallen umgehen, Zeit zur Entwicklung geben, in unsicheren Situationen sicher handeln. Klare Kommunikation: Zielführend in der Sache und wertschätzend zu den Menschen. Selbst-Bewusstheit: Den Halt in sich finden – „Fels in der Brandung“ sein, eskalationsfördernde Projektionen unterbinden. Selbst-Beherrschung: Eigenes Reptilienhirn vor Fremdstimulation schützen.
Eine Anregung zum Schluss Sie haben nun einiges über Veränderungsprozesse erfahren und kennen hilfreiche Wegweiser für den Umgang mit Widerständen gegen Veränderungen. Das bietet Ihnen eine Orientierung im Umgang mit schwierigen Menschen. Bei all diesen Erkenntnissen bleibt zu bedenken, dass es immer ziemlich leicht ist, „den Splitter im Auge das Gegenübers“ zu erkennen. Richtig schwierig wird es erst dann, wenn es gilt, den „Balken im eigenen Auge“ zu erkennen. Denn man sieht ja nichts, weil da schließlich der Balken im Weg ist. Deshalb lohnt sich immer wieder ein Blick in den Spiegel. Er hilft zu erkennen, wo die eigenen blinden Flecken liegen. Wer dazu einen kritischen und wertschätzenden Freund an seiner Seite hat, sollte ihn einmal fragen: „Welchen Beitrag leiste ich dazu, dass die Menschen um mich herum so schwierig sind?“ Und auch wer keinen Begleiter an seiner Seite hat, kann sich diese Frage jederzeit selber stellen. Falls Sie keine Antwort auf diese Frage finden, dann fragen Sie doch einmal die vielen schwierigen Menschen um Sie herum. Wahrscheinlich wird ihre Antwort Sie überraschen …
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Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Was wäre anders, wenn wir ab sofort nichts mehr verändern würden? Welche Stärken und Ressourcen habe ich, um meine Mitarbeitenden erfolgreich durch Veränderungsprozesse zu führen? Was brauchen meine Mitarbeitenden, um sich gut auf Veränderungen einlassen zu können?
Literatur und Quellen Cohn, Ruth, Terfurth, Christina (1997). Lebendiges Lehren und Lernen, Stuttgart Doppler, Klaus, Lauterburg, Christoph (1998). Change Management, Frankfurt Fry, Nick, Killing, Peter (2000). Strategic Analysis and Action, London Janssen, Claes F. (1996). The Four Rooms of Change, Stockholm Kotter, John P. (2009). A Sense of Urgency, New York Kruse, Peter (2004). Erfolgreiches Management von Instabilität, Offenbach Nöllke, Matthias (2005). So managt die Natur, Freiburg Redlich, Alexander (1997/2009). Konfliktmoderation, Hamburg Schneider-Landolf, Mina, Spielmann, Jochen, Zitterbarth, Walter (2009). Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI), Göttingen Watzlawick, Paul (1983). Anleitung zum Unglücklichsein, München
Die Führungskraft als Personalentwickler
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Die Führungskraft als Personalentwickler Personalentwicklung als Führungsaufgabe – Chancen und Grenzen Claudia Stahr-Baugut Als Personalentwicklerin und Beraterin verschiedener Unternehmen erlebe ich jeden Tag, wie wichtig die kontinuierliche persönliche und fachliche Entwicklung der Mitarbeiter für deren Motivation und die Erreichung der Ziele eines Unternehmens sind. Genauso erlebe ich Ratlosigkeit und den Wunsch nach praxistauglichen Instrumenten und Hilfestellungen, um das zu tun, was als wichtig erkannt wurde: als Führungskraft die Personalentwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv gestalten. Unabhängig davon, ob Sie in einem kleinen Betrieb mit wenigen Mitarbeitern oder in einem Großkonzern arbeiten: Kein Personaler und kein externer Berater hat so viele relevante Informationen über die Fähigkeiten und die Fertigkeiten Ihrer Mitarbeiter und so viele Möglichkeiten, diese zu fördern, wie Sie als direkte Führungskraft. Sie haben – je nach Führungsspanne – ein mehr oder weniger konkretes Bild über die Fähigkeiten, das Wissen und die Motivation Ihrer Mitarbeiter. Personalentwicklung umfasst sämtliche Maßnahmen zur Erhaltung, Förderung und Wiedergewinnung der beruflichen Qualifikation und stellt nicht nur den gegenwärtigen Erfolg und die Effizienz von Menschen, Teams und Organisationen sicher, sondern trägt auch dazu bei, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens zukünftig bei veränderten Anforderungen selbstbewusst und motiviert arbeiten. Im Folgenden will ich Ihnen einige Sichtweisen und Handwerkzeuge vermitteln, die Ihnen bei dieser Führungsaufgabe nützlich sein können. Zunächst müssen im Unternehmen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt sein, damit Sie erfolgreich Personalentwicklung betreiben können: ȭ
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Die Unternehmensziele und Strategien werden klar und einheitlich kommuniziert, damit alle Personalentwicklungsmaßnahmen auf die Ziele des Unternehmens hin ausgerichtet werden können. Die Abläufe und verwendeten Instrumente werden von Fachleuten für Personalentwicklung und Führungskräften gemeinsam entwickelt, um ihre Akzeptanz zu erhöhen und um sicherzustellen, dass sie für die Zielgruppe verständlich und leicht anwendbar sind. Die Führungskräfte übernehmen Verantwortung für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter. Die Personalentwicklungs-Abteilung unterstützt die Führungskräfte dabei. Personalentwicklungsmaßnahmen sind ein wichtiges Mittel für Unternehmen, ihre Ziele zu erreichen. Entsprechend werden die Führungsaufgaben priorisiert. Andere Führungsaufgaben werden zu Gunsten von Maßnahmen zur Personalentwicklung zurückgestellt oder delegiert.
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Claudia Stahr-Baugut
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Die Führungskräfte werden durch Maßnahmen wie Coaching oder Training unterstützt, um die Anwendung von Personalentwicklungsinstrumenten zu üben und die eigene Wahrnehmung zu reflektieren.
Diese Voraussetzungen können Sie als Führungskraft – je nach Unternehmen – bedingt selbst beeinflussen. Sie können sich Informationen über Ziele und Strategien beschaffen, andere Aufgaben delegieren und zum Beispiel Fachliteratur zum Thema lesen. Das Leistungsverhalten des Mitarbeiters hängt von drei Komponenten ab: ȭ ȭ
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Können: Sie machen sich ein Bild über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Mitarbeiters wegen der Verhaltensweisen, die Sie bei ihm beobachten. Dürfen: Der Mitarbeiter zeigt möglicherweise bestimmte Verhaltensweisen nicht, weil sie auf seiner Position nicht gefordert werden oder weil er sie aufgrund bestimmter Prozesse nicht zeigen „darf“. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter den ganzen Tag Ware einräumen muss, wird er nicht aktiv verkaufen. Wollen: Vielleicht zeigt der Mitarbeiter bestimmte Verhaltensweisen nicht, weil er sie nicht zeigen will. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter nicht aktiv verkauft, kann die Führungskraft ihm Verkaufstechniken beibringen und ihm Anweisungen geben, dass er verkaufen soll – wenn er es selbst nicht will, wird er es langfristig nicht tun.
Ein Bild macht das Zusammenspiel dieser Komponenten deutlich: Bei einer Seerose ist das, was sichtbar ist, nur ein Teil des Ganzen. Der Teil der Seerose, den wir sehen, weil er über Wasser ist, ist die Blüte und entspricht dem beobachtbaren Verhalten.
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Seerose als Symbol des Verhaltens
Unter der Oberfläche ist bei der Seerose der Stiel – das Dürfen des Mitarbeiters. Beides ist flexibel und erlaubt etwas Bewegung. Wenn die Seerose oder der Mitarbeiter zu stark be-
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wegt werden soll, stoßen beide schnell an ihre Grenzen. Bei der Seerose ist die Beweglichkeit durch die Wurzel begrenzt, beim Mitarbeiter durch das Wollen. Wollen Sie als Führungskraft jährliche Entwicklungsgespräche mit Zwischenkontrollen führen, auf beobachtetem Verhalten basierend Rückmeldung geben, regelmäßige Teambesprechungen und eventuell aufkeimende Konflikte moderieren, um nur einige Beispiele für Maßnahmen zur Personalentwicklung zu nennen, müssen Sie andere Aufgaben, die bisher Ihr Selbstverständnis als Führungskraft ausgemacht haben, abgeben. Ansonsten werden Sie Personalentwicklung immer als lästiges Übel ansehen und allenfalls halbherzig betreiben können.
Abbildung 14
Einschätzung des Leistungsverhaltens auf drei Ebenen
Wenn Sie es als eine wichtige Führungsaufgabe ansehen, Mitarbeiter persönlich und fachlich weiterzuentwickeln, werden Sie auf jeden Fall eines haben: die besten Mitarbeiter. Haben Sie erst einmal den Ruf einer Führungskraft, bei der sich Mitarbeiter weiterentwickeln und viel Neues lernen können, eilt er Ihnen voraus und zieht motivierte und lernfreudige Mitarbeiter an. In einer Umgebung, in der Entwicklung gefördert wird, können sie ihr Potenzial voll entfalten. Was Sie sehen, ist das Verhalten, das „Können“ Ihrer Mitarbeitenden, symbolisch die Blüte der Seerose. Das „Dürfen“ ist ein definierter Freiraum, der einerseits Beweglichkeit erlaubt, andererseits auch Grenzen hat. Die Beweglichkeit ist notwendig, damit die Blüte sich den Schwankun-
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Claudia Stahr-Baugut
gen des Wasserspiegels – bildhaft dem Auf und Ab im Alltag – angleichen kann, ohne abzureißen. Zugleich begrenzt es die Möglichkeiten des Mitarbeiters. Das ist im Bild der Stiel der Seerose. Das „Wollen“ gibt der gesamten Pflanze Halt wie eine Wurzel. Ein „entwurzelter“ Mitarbeiter, der selbst nicht will, ist nicht führbar und nicht entwickelbar.
Personalentwicklung als Prozesses Der Prozess systematischer Personalentwicklung läuft in unterschiedlichen Phasen ab. Zuerst erfassen Sie den Entwicklungsbedarf Ihrer Mitarbeiter. Bevor Sie Maßnahmen zur weiteren Entwicklung Ihrer Mitarbeiter planen, müssen Sie zum einen herausfinden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für die erfolgreiche Übernahme bestimmter Aufgaben notwendig sind, und zum anderen, inwieweit die einzelnen Mitarbeiter die Anforderungen bestimmter Positionen erfüllen. Dann vereinbaren Sie gemeinsam mit dem Mitarbeiter Ziele und Maßnahmen, kontrollieren deren Durchführung, Erfolg und die Umsetzung in der Praxis.
Abbildung 15
Phasenmodell Personalentwicklung nach Manfred Becker
Bedarf analysieren
Transfer sichern
Erfolg kontrollieren
Ziele setzen
Messlatten festlegen
Maßnahmen durchführen
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Analyse des Entwicklungsbedarfs Betrachten Sie zuerst die Anforderungen in Ihrem Bereich, um zu klären, was Ihre Mitarbeiter können und wissen sollten, um diese erfolgreich zu erfüllen. Dabei müssen Sie sowohl die Aufgaben im Auge haben, die für den kurzfristigen Erhalt und Erfolg des Unternehmens entscheidend sind, als auch die zukünftigen Aufgaben, die auf das Unternehmen vermutlich zukommen. Diese Zukunftsprognose leitet sich unmittelbar aus der Strategie des Unternehmens ab. In vielen Unternehmen gibt es sogenannte Anforderungsprofile oder Kompetenzmodelle für unterschiedliche Hierarchieebenen, auf die die Führungskräfte zur Ermittlung des Entwicklungsbedarfs ihrer Mitarbeiter zurückgreifen können. Leitfragen für die Anforderungsanalyse: ȭ Welche unterschiedlichen Aufgabenbereiche gibt es? ȭ Was sind die Ziele, die mit diesen Aufgaben im Unternehmen verbunden sind? ȭ Welche Tätigkeiten sind notwendig, um diese Ziele zu erreichen? ȭ Welches Wissen/Fähigkeiten und Fertigkeiten braucht ein Mitarbeiter für die erfolgreiche Erledigung dieser Aufgaben?
Fallbeispiel In einer Bankfiliale gibt es drei verschiedene Aufgabenbereiche: ȭ
ȭ ȭ
Mitarbeiter an der Servicetheke empfangen die Kunden, beraten sie bei einfachen Themen, wie dem Ausfüllen von Formularen, vereinbaren Termine mit Bankberatern zu komplexeren Themen, zum Beispiel Baufinanzierung. Berater zu allgemeinen Bankthemen, wie Kontoeröffnung. Berater zu speziellen Themen, zum Beispiel Geldanlage.
Als Mitarbeiter an der Servicetheke sind Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sowie Entlastung der Fachberater von einfachen Vorgängen ihre vorrangigen Aufgaben. Die Servicetheke ist der erste Anlaufpunkt für Kunden. Dort werden sie begrüßt, bekommen Orientierung und Unterstützung bei einfacheren Themen und werden gegebenenfalls an einen Spezialisten weitergeleitet. Die Kunden sollen sich willkommen fühlen und Vertrauen empfinden. Der Mitarbeiter an der Servicetheke soll die Kunden aktiv ansprechen, freundlich begrüßen und einfache Fragen beantworten. Um diese Aufgaben erfolgreich zu erledigen, sollte der Mitarbeiter möglichst freundlich sein, auf Menschen offen zugehen und den Kontakt zum Kunden positiv gestalten können. Er sollte mit den Formularen und Automaten der Bank ausreichend vertraut sein und die Prozesse, einschließlich zeitlicher Abläufe der Bank, kennen, damit er verbindlich Auskunft geben kann. Außerdem sollte er guten Kontakt zu den Kollegen haben und auch sie freundlich ansprechen. Für den Erfolg auf den beiden anderen Positionen ist Freundlichkeit auch wichtig, jedoch nicht in der hohen Ausprägung. Fachliches Wissen sowie Kenntnisse und Fertigkeiten zum Thema Führen eines Beratungsgesprächs und langfristige Kundenbindung sind in den anderen Positionen für den Erfolg ausschlaggebend.
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Claudia Stahr-Baugut
Die Anforderungen für die Tätigkeit an der Servicetheke könnten zum Beispiel folgendermaßen lauten: ȭ
Freundlichkeit, Kontaktfähigkeit sucht Blickkontakt, lächelt, grüßt Kunden, wirkt authentisch, respektvoll gegenüber allen Kunden Kommunikative Fähigkeit hört aktiv zu, stellt sich sprachlich auf Kunden ein, erklärt Dinge so, dass das Gegenüber sie versteht, fragt angemessen nach Organisationsfähigkeit schreibt sich Dinge auf, kann Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden, setzt klare Prioritäten, hält Zusagen ein Technisches Verständnis kann alle Automaten bedienen, beherrscht Online-Banking, kennt alle Formulare und weiß, wann welches benötigt wird
ȭ
ȭ
ȭ
Die Anforderungen sollten so formuliert sein, dass sie beobachtbares Verhalten beschreiben. Um Mitarbeiter zu entwickeln, sollten Sie sich vorher genau überlegen, woran Sie als Führungskraft erkennen, ob der Mitarbeiter entsprechende Fähigkeiten und Fertigkeiten hat, und woran Sie später erkennen, dass er sich weiterentwickelt hat.
Ausprägung
Abbildung 16
Ausprägung der Anforderungen
9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Einschätzung durch ...
Kontakt- Kommunikation Organisation technisches fähigkeit Verständnis
Wenn Sie eine genaue Vorstellung davon haben, wie der „ideale“ Mitarbeiter für eine bestimmte Aufgabe sein sollte und wie er sich verhalten sollte, können Sie aufgrund konkreter Verhaltensbeobachtungen feststellen, inwieweit Ihr realer Mitarbeiter diesem Wunschprofil entspricht. So können Sie ein Stärken/Schwächen-Profil erstellen.
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Praxistipp: Soziale Wahrnehmung Oft beruhen diese Einschätzungen aber auf den Phantasien und subjektiven Eindrücken, die der Mitarbeiter bei der Führungskraft ausgelöst hat. Bei der Personenwahrnehmung, der sogenannten sozialen Wahrnehmung, ist der Einfluss von Gefühlen, Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnissen besonders deutlich. ȭ
ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Wahrnehmungsverzerrungen sind bei der sozialen Wahrnehmung häufig. Unsere Wahrnehmung von anderen Personen wird durch unsere eigene Persönlichkeit, unsere Erfahrungen und unsere Stimmung beeinflusst und ist damit subjektiv. Hier einige Beispiele: Vorurteile = vorgefasste Ansichten gegenüber Personen oder Dingen, häufig als feindliche Haltung gegenüber einer sozialen Gruppe verwendet. „Logischer“ Fehler = Auf der Basis vermuteter Zusammenhänge werden falsche Schlussfolgerungen gezogen. Stereotype = Bilder, die wir über Menschen im Kopf haben, verfälschen unsere Wahrnehmung. Sympathie/Antipathie = Menschen, die uns sympathisch sind, beurteilen wir genauer und fairer als Menschen, denen gegenüber wir Abneigung empfinden. Halo-Effekt = Der Gesamteindruck oder hervorstechende Einzelmerkmale „überstrahlen“ andere Bereiche der Persönlichkeit oder der Leistung. Tendenz zur Mitte = Sehr positive oder sehr negative Beurteilungen werden vermieden. Dadurch verliert die Beurteilung ihre Aussagefähigkeit.
Es gibt Mittel und Wege, diese Einflüsse zu vermindern: ȭ Machen Sie sich vor der Einschätzung anderer Personen bewusst, wie Sie zu dieser Person stehen, welche Erfahrungen Sie mit ihr gemacht haben und inwieweit Ihre eigene Persönlichkeit, Ihre Vorlieben und Abneigungen Ihre bisherige Wahrnehmung beeinflusst haben. ȭ Konzentrieren Sie sich auf beobachtbare Verhaltensbeispiele. Haben Sie konkrete Anhaltspunkte für Ihre Einschätzung oder beruht sie eher auf Ihren Vermutungen und Phantasien über diese Person. ȭ Je mehr Informationen aus unterschiedlichen Blickrichtungen die Führungskraft über den Mitarbeiter sammelt, desto näher kommt sie der Realität. Fragen Sie andere Führungskräfte, die den entsprechenden Mitarbeiter kennen, nach deren Einschätzung dieser Person. Dieses Vorgehen nennt man Mehraugenprinzip. ȭ Eine weitere wichtige Informationsquelle ist natürlich der Mitarbeiter selbst. Seine eigene Einschätzung der Stärken und Schwächen und seine Ideen und Motivation zur Weiterentwicklung sind ausschlaggebend für den Erfolg der geplanten Maßnahmen.
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Das Entwicklungsgespräch Ein geeigneter Einstieg in den Entwicklungsprozess ist ein Gespräch unter vier Augen, in dem Sie zunächst transparent machen, was das Ziel der Maßnahme ist und wie sie weiter vorgehen möchten. Wichtig bei der Einführung solcher Personalentwicklungsmaßnahmen ist, dass die Führungskraft dem Mitarbeiter glaubhaft deutlich machen kann, dass Personalentwicklung keine Personalbeurteilung mit disziplinarischen Folgen für den Mitarbeiter ist. Die Einschätzung der Fähigkeiten durch den Vorgesetzten verunsichert Mitarbeiter zuerst. Nur wenn Sie das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen können und die Chancen von Personalentwicklung betonen, kann wirkliche Entwicklung stattfinden. Um offen über Schwächen zu reden und neue Verhaltensweisen auszuprobieren, brauchen die Mitarbeiter Sicherheit und Vertrauen. In diesem Gespräch erfragen Sie die eigene Einschätzung des Mitarbeiters und schildern Ihre Einschätzung. Die Führungskraft kann dem Mitarbeiter zur Vorbereitung auf das Entwicklungsgespräch die Anforderungen erläutern und ein Profil zur Selbsteinschätzung aushändigen. Anschließend werden Selbst- und Fremdeinschätzung in eine gemeinsame Grafik übertragen.
Ausprägung
Abbildung 17
Vergleich von Selbst- und Fremdbild
9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Einschätzung durch die Führungskraft
Einschätzung durch den Mitarbeiter Kontakt- Kommunikation Organisation technisches fähigkeit Verständnis
Die Grafik in Abbildung 20 macht deutlich, dass sich der Mitarbeiter in diesem Fall positiver einschätzt als seine Führungskraft. Besonders in der Anforderung „Organisationsfähigkeit“ schätzt sich der Mitarbeiter positiv ein. Lediglich sein technisches Verständnis bewertet er schlechter. Wenn die Abweichung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung groß ist, besteht Klärungsbedarf. Sie sollten in einem solchen Fall klären, woran der Mitarbeiter seine Organisationsfähigkeit erkennt. Kann der Mitarbeiter konkrete Situationen schildern, in denen er
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diese Fähigkeit gezeigt hat? Wenn ja, sind Ihnen diese Verhaltensweisen bisher entgangen? Vielleicht ist die Ursache für die Diskrepanz das unterschiedliche Verständnis von „Organisationsfähigkeit“. Sie sollten mit konkreten Verhaltensbeschreibungen deutlich machen, wo Sie Entwicklungsbedarf sehen. Durch die Verhaltensbeschreibung ist gleichzeitig ein mögliches Ziel der Entwicklungsmaßnahmen vorgegeben. Hat der Mitarbeiter zum Beispiel bisher zu viele Vorgänge gleichzeitig angefangen und parallel bearbeitet, so dass er oft wichtige Details vergessen oder Vorgänge nicht abgeschlossen hat, dann kann ein Ziel der Entwicklungsmaßnahme sein, Prioritäten zu setzen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und klare Entscheidungen zu treffen. Der Mitarbeiter und die Führungskraft erkennen, dass das Ziel erreicht ist oder zumindest näher rückt, wenn der Mitarbeiter zum Beispiel eine Liste mit Aufgaben anlegt, die er in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht hat und die er der Reihe nach bearbeitet, d. h., er beginnt die folgende Aufgabe erst, wenn die vorangegangene abgeschlossen ist. Bei unvorhergesehenen Zusatzaufgaben entscheidet er flexibel und sinnvoll, was er zuerst erledigt. SMARTe Entwicklungsziele: S
spezifisch
M
messbar
A
akzeptabel
R
realistisch
T
terminiert
Entwicklungsziele sollten auf jeden Fall SMART formuliert sein. Ein spezifisches Ziel ist möglichst konkret formuliert, so dass der Mitarbeiter weiß, was zu tun ist. Für ein messbares Ziel sind bestimmte Kriterien definiert, anhand derer Mitarbeiter und Führungskraft einschätzen können, ob das Ziel erreicht wurde. Das Ziel sollte vom Mitarbeiter akzeptiert werden können und auch wirklich (realistisch) bis zu einem klar festgelegten Zeitpunkt (terminiert) erreichbar sein. Wenn der Mitarbeiter Ihre Einschätzung und die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung nachvollziehen kann, wird auch er die Entwicklungsmaßnahmen umsetzen wollen. Sie können den Mitarbeiter bei der Definition und Formulierung der Ziele und geeigneter Entwicklungsmaßnahmen unterstützen. Je mehr der Mitarbeiter seine eigenen Vorstellungen und Ideen dabei einbringen kann, desto mehr kann er sich mit seinem Entwicklungsplan identifizieren und wird ihn auch einhalten.
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Tabelle 16
Claudia Stahr-Baugut
Leitfaden für ein Entwicklungsgespräch
Schritt
Mögliche Inhalte und Fragen
Gesprächsphasen
Einführung
Atmosphäre schaffen
Phase I (Kontaktphase):
Ablauf und Zeiten absprechen
Herstellen einer guten Atmosphäre Auf die Gesprächshaltung achten (mit welchem Gefühl gehe ich in das Gespräch?) Freundliches entspanntes Klima durch SmallTalk, ein Getränk etc. Phase II (Zielsetzung): Ziel und Dauer des Gespräches nennen Überblick über den Verlauf Nach Themen des Mitarbeiters fragen Bei Zeitmangel: Gemeinsam Prioritäten festlegen
Klärung der Sichtweisen und Abgleich Selbstbild und Fremdbild
Welche Beiträge können Sie leisten, um die Ziele des Arbeitsbereichs zu erreichen? Welche Möglichkeiten sehen Sie, Ihre Leistung zu steigern oder zu erhalten? Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Aufgabenbereich?
Phase III (Erläuterung und Besprechung der Themen): Zunächst beschreibt der Mitarbeiter seine Sichtweise/Standpunkt des Themas. Wo sieht er seine Stärken? Was läuft nicht so gut? Danach beschreibt die Führungskraft ihre Sicht des Themas Wichtig hierbei: Konkret bleiben, an Beispielen belegen
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Schritt
Mögliche Inhalte und Fragen
Gesprächsphasen
Weiterentwicklung
Welche Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen sind erforderlich oder denkbar, um Ergebnisse oder Verhalten zu steigern?
Festlegung der weiteren Vorgehensweise zwischen Führungskraft und Mitarbeiter Wichtig hierbei: Lösungen gemeinsam erarbeiten – der Mitarbeiter identifiziert sich mit der Lösung stärker, wenn er sie mit initiiert hat und sich für sie einsetzt. Ziele und Maßnahmen schriftlich festhalten!
Maßnahmen und Ziele
Ziele vereinbaren Maßnahmen festlegen, um die oben besprochenen Ergebnisse umzusetzen Folgetermin vereinbaren, an dem besprochen wird, wie der momentane Stand ist
Abschluss
Kurzer Rückblick: „Wie war das Gespräch aus unserer Sicht?“ Verabschiedung
Mitarbeiter noch einmal die vereinbarten Ziele/Maßnahmen zusammenfassen lassen Chance zur Auflösung von evtl. Missverständnissen
Phase IV (Zusammenfassung): Fokus auf die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft Für das Gespräch bedanken!
Potenzial und Leistung Wie realistisch formulierte Ziele sind, hängt auch davon ab, ob der Mitarbeiter das Potenzial hat, diese Fähigkeit zu entwickeln. Der Begriff „Potenzial“ bezeichnet die Möglichkeiten, die eine Person hat, um sich weiterzuentwickeln. Die aktuelle Leistung eines Mitarbeiters können Sie mittels beobachtbarer und damit messbarer Verhaltensweisen beurteilen. Das Potenzial Ihrer Mitarbeiter schätzen Sie ein, indem Sie Schlussfolgerungen aus seinen bisher gezeigten Verhaltensweisen ziehen. Zum Beispiel können Sie aus der beobachteten Fähigkeit eines Mitarbeiters, eine Projektgruppe zu leiten, schlussfolgern, dass er Führungsfähigkeiten hat und ein geeigneter Team-
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Claudia Stahr-Baugut
leiter wäre. Die Leistung eines Mitarbeiters können Sie in der konkreten Situation selbst aufgrund beobachtbarer Verhaltensweisen und Arbeitsergebnisse beurteilen. Je nach Leistung und Potenzial ergeben sich unterschiedliche Gruppen von Mitarbeitern und unterschiedliche Entwicklungsmaßnahmen: ȭ
ȭ ȭ
ȭ
ȭ
Den größten Effekt haben Personalentwicklungsmaßnahmen bei Mitarbeitern, die Potenzial haben, aber momentan noch nicht die erwartete Leistung zeigen. Gründe hierfür können fehlende Motivation, mangelndes Wissen oder Fertigkeiten oder Ähnliches sein. Mitarbeiter, die hohe Leistung zeigen, jedoch eher geringes Potenzial für weitere Aufgaben, brauchen vor allem Anerkennung für das, was sie leisten. Mitarbeiter mit hoher Leistung und hohem Potenzial brauchen Anerkennung, neue Herausforderungen, entweder in Form von Spezialaufgaben oder Führungsaufgaben. Ziel ist, das Potenzial möglichst gut zu nutzen und sogenannte „High Potentials“ ans Unternehmen zu binden. Mitarbeiter mit besonders hohem Potenzial müssen ihre Fähigkeiten gewinnbringend für das Unternehmen einsetzen können, wenn nötig in einer anderen Abteilung, wenn das Unternehmen auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben will. Mitarbeiter mit niedriger Leistung und niedrigem Potenzial gibt es in beinahe jedem Unternehmen. Ziel von Maßnahmen ist hier die Schadensbegrenzung.
Entwicklungsmöglichkeiten Zur Entwicklung von Mitarbeitern sind, je nach Zielsetzung und Budget, vielfältige Maßnahmen geeignet. Sie sollten sich als Führungskraft zuerst überlegen, ob der Mitarbeiter bestimmte Verhaltensweisen nicht oder nicht ausreichend zeigt, weil ȭ ȭ ȭ
ihm Wissen oder Fertigkeiten fehlen (Können), er bisher nicht die Möglichkeit hatte, dieses Verhalten zu zeigen (Dürfen), er nicht motiviert ist (Wollen).
Um das realistisch zu beurteilen, suchen Sie Anhaltspunkte in Form von konkreten Situationen und beobachtbaren Verhaltensweisen, die Ihnen Rückschlüsse erlauben, z. B. hat der Mitarbeiter in einer anderen Situation das Verhalten in der gewünschten Ausprägung gezeigt, fehlt ihm nicht das Können, sondern eher das Dürfen oder Wollen in seiner jetzigen Situation. Kompetenzmodelle unterscheiden in der Regel zwischen drei Komponenten: ȭ ȭ ȭ
Fachliches Wissen (sogenannte harte Faktoren) Soziale Fähigkeiten (sogenannte weiche Faktoren) Aktivitätskomponente oder Motivation
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Zur Entwicklung dieser drei Komponenten sind unterschiedliche Maßnahmen geeignet. Die Tabelle 15 gibt einen groben Überblick über gängige Personalentwicklungsmaßnahmen, ihre Ziele und einige Vor- und Nachteile der jeweiligen Methode.
Tabelle 17
Übersicht Personalentwicklungsmaßnahmen
Maßnahme
Mögliche Ziele
Nutzen
Aufwand
Einarbeitungsprogramme
Erlernen von neuen Fertigkeiten und Wissen, Motivation
Mitarbeiter sind flexibel einsetzbar
Einarbeitung kostet Zeit, stört den Arbeitsablauf
Führungsnachwuchs-programme
Entwicklung von Führungspotenzial, Entwicklung einer unternehmensweiten Führungskultur
Bindung von Potenzialen, Entwicklung der Führungskräfte hat hohen Effekt, auch auf Mitarbeiterebene
Kostet Zeit und Geld, demotiviert, wenn keine Führungspositionen zur Verfügung stehen
Austauschprogramme
Erlernen von neuen Fertigkeiten und Wissen, Förderung von Potenzial, Motivation
Förderung von Kooperation und bereichsübergreifendem Denken, Kennenlernen neuer Aufgabenfelder
Austauschmitarbeiter bringen geringere Leistung
Job Rotation, Enrichment, Enlargement
Erlernen von neuen Fertigkeiten und Wissen, Förderung von Potenzial, Motivation
Arbeitszufriedenheit steigt, Absentismus und Krankenstand sinkt
Zunächst Reibungsverluste durch Einarbeitung und gruppen-dynamische Prozesse
Lernen durch Lehren, Schulung, E-Learning, Fachliteratur
Wissensvermittlung
Teilnehmer haben gleichen Informationsstand, große Gruppen möglich
Passive Vermittlung theoretischer Inhalte. Praxistransfer muss sichergestellt werden
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Claudia Stahr-Baugut
Maßnahme
Mögliche Ziele
Nutzen
Aufwand
Training und Moderation von Lehrgängen
Erlernen von neuen Fertigkeiten und Wissen, Motivation
Reflexion des eigenen Verhaltens und praktische Erfahrungen in geschütztem Umfeld, Erfahrungsaustausch
Kosten,
Supervision
Motivation
Erfahrungsaustausch, Druckabbau, Bearbeitung individueller Fragestellungen
Kosten
Coaching
Förderung von Potenzial, Motivation
Individuelle Fragestellungen werden bearbeitet, neue Einsichten in eigenes Verhalten, Förderung der Problemlösefähigkeit
Kosten
Mediation in Konfliktfällen
Förderung der Kooperation, Motivation
Konfliktfähigkeit wird gefördert, Prozessverluste minimiert
Kosten für externen Mediator
Praxistransfer muss sichergestellt werden
Welche Personalentwicklungsmaßnahmen Sie gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter auswählen, ist außer vom Ziel und Budget auch von individuellen Vorlieben und Erfahrungen abhängig. Für Lernen allgemein gilt, dass es umso wirkungsvoller ist, je mehr Sinne beim Lernvorgang angesprochen werden. Je mehr eigene praktische Erfahrungen der Mitarbeiter während des Lernprozesses machen kann, desto wahrscheinlicher ist, dass er das Erlernte in sein eigenes Verhaltensrepertoire übernimmt. Personalentwicklungsmaßnahmen sind erst dann erfolgreich abgeschlossen, wenn der Mitarbeiter das Gelernte dauerhaft am Arbeitsplatz anwendet. Um diesen Transfer des Gelernten in die Praxis zu gewährleisten, tun Sie und Ihr Mitarbeiter gut daran, sich zunächst auf ein oder zwei Entwicklungsziele zu konzentrieren und diese nachhaltig zu verfolgen.
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Erfolgskontrolle Wenn Ihr Mitarbeiter und Sie zu Beginn des Entwicklungsprozesses ein oder zwei spezifische, messbare, akzeptable, realistische und terminierte Entwicklungsziele formuliert haben und geeignete Entwicklungsmaßnahmen zur Erreichung der Ziele gewählt haben, sind die besten Voraussetzungen für erfolgreiche Personalentwicklung gegeben. Sind dann zum definierten Zeitpunkt die spezifischen Kriterien messbar, setzt zum Beispiel der Mitarbeiter ab 01.01.20... sinnvolle Prioritäten und schließt wichtige Aufgaben in einer angemessenen Zeit ab, haben Sie und Ihr Mitarbeiter Ihr Entwicklungsziel erreicht. Sie sollten jedoch mit der Erfolgskontrolle nicht bis zum vereinbarten Termin warten, sondern immer wieder, wenn sich die Gelegenheit bietet, auf beobachtbare Verhaltensweisen achten, die darauf hinweisen, dass der Mitarbeiter dem Ziel nähergekommen ist oder nicht. Auch ein Zwischengespräch unter vier Augen, in dem Sie den momentanen Stand der Entwicklung besprechen können, ist sinnvoll. So stellen Sie sicher, dass ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Sie ihrem Ziel näherkommen. geeignete Maßnahmen zur Erreichung des Ziels vereinbart haben. das Potenzial zur Erreichung des Ziels beim Mitarbeiter vorhanden ist. das formulierte Ziel immer noch akzeptabel und realistisch ist. Sie motiviert den gewählten Weg weitergehen können. Sie gegebenenfalls ein neues Ziel oder einen anderen Weg wählen können.
Falls die gewählten Maßnahmen nicht sofort erfolgreich sind, sollten Sie und Ihr Mitarbeiter sich nicht entmutigen lassen. Wer etwas Neues ausprobiert, hat oft erst einmal mit Leistungseinbußen zu kämpfen. Die folgende Lernkurve in Abbildung 21 zeigt einen typischen Leistungsverlauf während des Erlernens neuer Verhaltensweisen. Am Anfang des Lernprozesses steht zunächst ein Leistungseinbruch, da neues Verhalten Aufmerksamkeit benötigt, die nicht auf die Arbeit verwendet werden kann, das heißt, eingeübte Abläufe, die automatisch ablaufen, werden durch effektivere, aber ungeübte Verhaltensweisen ersetzt und die Leistung sinkt ab. Wenn der Mitarbeiter trotz des vermeintlichen Misserfolgs an der neuen Verhaltensweise festhält, kommt es anschließend, wenn er Routine entwickelt hat, zu einer deutlichen Leistungssteigerung.
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Claudia Stahr-Baugut
Abbildung 18
Leistungsverlauf beim Lernen in Anlehnung an Peter Kruse
Leistung
Zeit
Personalentwicklung ist eine Investition in einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren, den Unternehmen hierzulande haben: die Mitarbeiter – eine Investition, die sich auszahlt. Sie führt zu einer Leistungssteigerung, die sich in Umsatzzahlen und Unternehmensgewinnen niederschlägt. Nur Mitarbeiter, die sich entwickeln können, bringen ihre Stärken in die tägliche Arbeit ein und sind die besten Mitarbeiter.
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Kennen Sie und Ihre Mitarbeitenden die derzeitigen und zukünftigen Anforderungen? Haben Ihre Mitarbeitenden den Eindruck, dass Sie deren Talente und Stärken ausreichend kennen? Werden Ihre Mitarbeitenden gemäß den strategischen Anforderungen und entsprechend ihrer Talente und Stärken angemessen gefördert?
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Literatur und Quellen Becker, Manfred (2005). Systematische Personalentwicklung, Planung, Steuerung und Kontrolle im Funktionszyklus. Stuttgart Berger, Lance A., Berger, Dorothy R. (2004). The Talent Management Handbook, New York Buckingham, Marcus, Clifton, Donald O. (2007). Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt!, Frankfurt Kruse, Peter (2004). Erfolgreiches Management von Instabilität, Offenbach Schuler, Heinz (2007). Organisationspsychologie, Bern
Mentoring
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Mentoring Ingrid Walter-Kühfuss
Ausgangssituation für Mentoring Mentoring ist ein hochwertiges Entwicklungsinstrument, um Potenziale von Frauen und Männern zur Wirkung zu bringen. Ich werde das Instrument speziell am Beispiel von Frauen beschreiben. Die Veränderungsdynamik in unserer Arbeitswelt hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und erfordert von Führungskräften ein hohes Maß an Engagement und einen breiten Fächer an fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenzen. Organisationen haben in der Zwischenzeit erkannt, dass diese Vielfalt an Führungskompetenzen nur durch eine höhere Einbindung von qualifizierten Frauen ins Management zu bekommen ist. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das Personalentwicklungsinstrument „Mentoring“ eine nachhaltige Maßnahme, um mehr Frauen für höhere Managementfunktionen zu gewinnen. Indem sowohl ihre Kompetenzen als auch ihr Selbstvertrauen, ihr Mut und ihre Eigeninitiative gestärkt und weiterentwickelt werden. Deshalb liegt der Schwerpunkt in meinem Beitrag auf der Beschreibung von Mentoring-Programmen für Frauen. Ergänzt wird dies durch eigene Erfahrungen. Ich habe vor einigen Jahren als Mentee an einem Mentoring-Programm teilgenommen. Dieses wurde von der Organisation FIV, Frauen in Verantwortung, durchgeführt. Ein Zusammenschluss baden-württembergischer Unternehmen und einiger frauenpolitisch sehr engagierter Frauen (mehr unter: www.frauen-aktiv.de). Gleichwohl das Instrument natürlich auch für die Förderung und Unterstützung für Männer in der Karriereentwicklung angewandt werden kann. Der Beitrag orientiert sich an folgenden Fragestellungen: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Was ist unter Mentoring zu verstehen? Welche Ziele sind damit verbunden? Was unterscheidet Mentoring von Coaching? Wer kann davon alles profitieren? Wie erfolgen die Planung und Organisation eines Mentoring-Programms? Welche Verbindlichkeiten müssen vereinbart werden? Wie erfolgt die Auswahl der Mentorinnen, Mentoren und Mentees?
Nach wie vor sind Frauen in verantwortungsvollen Positionen unterpräsentiert. In BadenWürttemberg sind beispielsweise nur 18 Prozent der Führungskräfte Frauen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben traditionellen Rollenerwartungen und Geschlechterrollenbildern, die trotz sich verändernder Lebens- und Karriereplanung von Frauen weiterhin bestehen, verhindern Diskriminierungsmechanismen in den Organisationen (z. B. in der Einund Aufstiegspolitik) die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen und auf
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Ingrid Walter-Kühfuss
allen Ebenen. Jenseits von Qualifikation und Doppelorientierung (Beruf und Familie) existieren unsichtbare Hindernisse. Andererseits fehlen Frauen die wichtigen Kontakte, denn informelle Netzwerke und Kontakte (wie die berühmten Old-Boy-Networks), zu denen Frauen keinen Zugang haben, bieten Männern Unterstützung in der Karriereplanung und ihrem beruflichen Weiterkommen. Dies verdeutlicht, dass Erfolg nicht nur eine Sache der Qualifikation und des Einsatzes ist, sondern dass auch die Einführung in die richtigen (wichtigen) Kreise und das Herstellen von Kontakten durch einen etablierten und erfahrenen Förderer ebenso wichtig sind. Da Frauen an diesen Ritualen nur selten teilhaben können, bleiben ihnen somit wichtige Zugänge verschlossen. Darüber hinaus neigen Frauen auf Grund ihrer Sozialisation im Gegensatz zu Männern dazu, ihre Leistungen und Qualifikationen weniger herauszustellen, so dass nur wenige sichtbar sind. Um Frauen mit ihren Leistungen und Kompetenzen in Unternehmern sichtbar zu machen, ist Mentoring eine sehr hilfreiche und unterstützende Strategie. Erfahrungen mit Mentoring-Programmen für Frauen in verschiedenen europäischen Ländern und in den USA bestätigen dass diese auf eine sehr individuelle Beziehung aufbauende Personalentwicklungsmaßnahme die Karrierechancen von Frauen in Organisationen und im Management signifikant verbessern, wie Christa van Winsen in ihrem Buch High Potentials beschreibt. Mentoring kann in jeder Branche und in jeder Größe eines Unternehmens durchgeführt werden. Beispielsweise nahmen an einem wissenschaftlich begleitenden Pilotprojekt Organisationen vom kleinsten Handwerkbetrieb bis hin zu einer Großbank teil. Ebenso kann auch die Altersstruktur von Mentees, bis zu einer gewissen Altersgrenze, gemischt sein. In meinem Mentoring-Projekt waren sowohl 25-jährige als auch 40-jährige Frauen dabei.
Definition von Mentoring Der Begriff des Mentors kommt bereits in der griechischen Sagenwelt vor, als König Odysseus in den Troyanischen Krieg zog und die Erziehung seines Sohnes Telemachos an Mentor, seinen Vertrauten, übertrug. Mentor war für Telemachaos die Vaterfigur, Vertrauter und Lehrer. Dieses Prinzip gilt auch noch heute: Lernende und lebenserfahrene Menschen bilden zusammen ein Tandem. Mentoring ist ein Instrument der Personalentwicklung, bei dem eine Nachwuchskraft (Mentee) Unterstützung und Rat durch eine Mentorin oder Mentor erhält. Diese sind in der Regel erfahrene Personen, die den Mentees in einem begleitenden und beratenden Prozess ihre Unterstützung zukommen lassen und ihnen bei Entscheidungen mit ihrem persönlichen Wissen und Erfahrungen zur Seite stehen. Über einen längeren Zeitraum finden Gespräche zwischen einer Beraterin oder einem Berater (Mentorin/Mentor) und einer Ratsuchenden/einem Ratsuchenden (Mentee) statt, in denen sowohl Fragen aus dem Alltag als auch allgemeine Themen bearbeitet und reflektiert werden. Damit verbunden ist das Ziel, sowohl die persönliche Weiterentwicklung zu unterstützen als auch die Förderung der Karriere.
Mentoring
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Mentoring ist eine Personalentwicklungsstrategie, die in formalisierter Form gut ausgebildeten und aufstiegsorientierten Frauen eine den „Old-Boys-Networks“ ähnliche hilfreiche Unterstützung in der beruflichen Entwicklung bieten kann. In Unternehmen sind die meisten Mentoring-Programme auf die Entwicklung junger Führungskräfte sowie auf die Weitergabe von Wissen der älteren Generation an die jüngere ausgerichtet. Dabei ist das Mentoring-Konzept zunächst geschlechtsneutral. Spezifische Mentoring-Programme für Frauen ermöglichen es, Kompetenzen von weiblichen Beschäftigten deutlich sichtbar und nutzbar zu machen. Mentoring-Programme helfen, Beschäftigte entsprechend ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen einzusetzen und Frauen langfristig den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern. Mit der Durchführung eines Mentoring-Programms sind sowohl für die Mentorinnen und Mentoren als auch für die Mentees bestimmte Ziele verbunden. Diese sind von zentraler Bedeutung und bilden eine klare Struktur und Orientierung für die Umsetzung des Instruments.
Ziele von Mentoring ȭ ȭ ȭ
Stärkung der weiblichen Kultur im Management durch Vermittlung der Riten und Normen der Organisationskultur. Erweiterung der Führungskompetenzen von Frauen in Unternehmen und Organisationen. Karriereorientierte Beratung – vor allem im Hinblick auf die Verbesserung der Aufstiegschancen von Frauen in gehobene Fach- und Führungspositionen.
Ziele der Mentees ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Stärkung und Entwicklung persönlicher individueller Kompetenzen und Fähigkeiten. Spiegelung und Kommentierung: Reflexion der bisherigen Laufbahn und Planung weiterer Schritte. Förderung des Selbstvertrauens und der Selbstsicherheit – insbesondere im Hinblick auf die Doppelverantwortung von Beruf und Familie. Entwicklung von fördernden Kontakten und Aufbau eines entsprechenden Netzwerks. Klärung von Karrierezielen. Kennenlernen von verschiedenen Strategien zum Erreichen der beruflichen und persönlichen Ziele. Kompetenter Umgang mit Widerständen in der beruflichen Entwicklung.
Ziele für die Mentorin/Mentor ȭ
Anstöße für die eigene Reflexion des eigenen Führungsverhaltens.
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ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Freude an der Vermittlung von Erfahrungswissen. Austauschmöglichkeit mit anderen Mentorinnen und Mentoren im eigenen und auch externen Unternehmen (je nach Durchführungsart von Mentoring). Vorleben und Verdeutlichung guter Führung. Vertrautmachen mit den Herausforderungen auf höheren Führungsebenen. Aufspüren von Potenzialen. Reflexion eigener Denk- und Handlungsmuster.
Mentoring in Abgrenzung zu Coaching Der Grundgedanke von Coaching ist das Anregen der eigenen Lösungsfindung durch die Klienten, ohne inhaltliche Ratschläge zu erteilen. Mentoring dagegen sieht das Einbringen inhaltlicher Lösungsideen durch die Mentorin/den Mentor konzeptionell ausdrücklich vor. Die Unterschiede zwischen Mentoring und Coaching sind in Tabelle 18 gegenübergestellt.
Tabelle 18
Abgrenzung von Coaching zu Mentoring
Coaching
Mentoring
Der Coach nimmt die Rolle des Beraters/Begleiters ein. Coaches sind professionelle Beraterinnen und Berater und benötigen interdisziplinäre Fähigkeiten, z. B. wirtschaftswissenschaftliches und psychologisches Know-how etc.
Mentorin/Mentor nimmt die Rolle des Vorbilds und Vertrauten ein und ist kein Profi in Sachen Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation.
Entwicklung der allgemeinen und persönlichen Handlungs- und Lösungskompetenz
Bearbeitung von konkreten und spezifischen Praxissituationen aus dem Arbeitsalltag.
Coach arbeitet mit verschiedenen Methoden und Interventionstechniken, um den zu Beratenden zu unterstützen und für das Problem eigene Lösungsvorschläge zu entwickeln.
Mentorin/Mentor unterstützt eher mehr in inhaltlichen Fragestellungen, indem sie/er fachliche Kompetenz, Erfahrungen und Wissen in den Beratungsprozess einbringt.
Unterstützung und Begleitung vor allem von Fragestellungen aus dem interpersonalen Lern- und Entwicklungsprozess.
Unternehmerspezifische Handlungs- und Lösungskompetenzen werden vermittelt und der Aufbau von Kontaktnetzwerken sowohl innerhalb als auch außerhalb der Organisation unterstützt.
Mentoring
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Coaching
Mentoring
Coachingsitzungen können sowohl in Zweiergesprächen als auch in Gruppen durchgeführt werden.
Mentoring wird in einer 1:1-Beziehung durchgeführt.
Coachingprozess ist eher mittelfristig angelegt.
Mentoringprogramme sind eher längerfristig angelegt.
Mentoring — ein Gewinn für alle Beteiligten Unmittelbare Erfolge von Mentoring in Zahlen oder Fakten sind nur schwer nachweisbar. Denn über Mentoring hinaus entscheiden natürlich noch andere Faktoren darüber, ob eine Führungsposition erreicht wird oder nicht. Und dennoch gibt es für alle Beteiligten „Gewinne“. So liegt beispielsweise ein wesentlicher Erfolg von Mentoring darin, dass engagierte weibliche Nachwuchsführungskräfte die Möglichkeit erhalten, ihre Potenziale sichtbar zu machen, und in das Blickfeld der Vorgesetzten und Verantwortlichen in Personalentscheidungen zu rücken. Im Rahmen meines Mentoring-Programms habe ich beobachtet, dass nach Abschluss des Programms rund ein Viertel der Frauen den nächsten Karriereschritt vollzogen haben. Eine Kollegin wurde mit dem Programm so vorbereitet, dass sie eine Leitungsposition im mittleren Management ausfüllt und für ca. 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Personalverantwortung übernommen hat. In einem anderen Fall hat das Mentoring dazu geführt, dass der Einstieg in eine personalpolitische Maßnahme die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichte. Mein eigener Gewinn war vor allem die Begleitung und Unterstützung für den Wechsel aus dem Non-Profit-Bereich in ein Wirtschaftsunternehmen. Durch den Erfahrungsaustausch mit meiner Mentorin, die selbst in einem Wirtschaftsunternehmen tätig war, konnte ich von ihren Erfahrungen im Umgang mit Führungskräften und Geschäftsführern profitieren und diese gewinnbringend in meine neue Tätigkeit einbringen. Regelmäßige Reflexionsgespräche unterstützten mich konstruktiv in meinen Plänen und Vorhaben und führten zu einer Stärkung meines Selbstbewusstseins und einer zielorientierten Umsetzung meiner Karriereentwicklung.
Gewinn für Mentees Für die Mentees liegt vor allem der Gewinn darin, dass sie verstärkt ihre Kompetenzen und Fähigkeiten erkennen und diese gezielter für ihre Karriereentwicklung einsetzen. Das bestätigen auch immer wieder diverse Auswertungen von Mentoring-Programmen. Ein weiterer zentraler Erfolg von Mentoring ist die Netzwerkbildung, welche – wie eingangs erwähnt – für das berufliche Vorankommen einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Oftmals, dies kann ich aus meinen eigenen Erfahrungen bestätigen, bestehen die Netzwerke, die sich während eines Mentoring-Programms bilden, über die Laufzeit des Programms hinaus. Dadurch sind ein weiterer gegenseitiger Austausch und Unterstützung gewährleis-
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tet. Wir treffen uns immer wieder in regelmäßigen Abständen zu einem gemeinsamen Abendessen oder unterstützen uns bei wichtigen Entscheidungen wie z. B. Jobwechsel, nächster Karriereschritt, Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc. Eine weitere besondere Funktion von Mentoring ist das Erhalten von informellem Wissen, das „nirgendwo“ niedergeschrieben ist und häufig nur persönlich weitergegeben wird. Unter dem Aspekt von Wissensmanagement betrachtet, erlangt damit Mentoring somit eine besondere Bedeutung für den Erhalt und Transfer von Kontext und Erfahrungswissen im Sinne von „Knowledge-Management“.
Gewinn für die Mentorin/den Mentor Nicht nur die Mentees erzielen einen Gewinn durch Mentoring, sondern auch für die Mentorinnen und Mentoren ist ein solches Programm eine gewinnbringende Angelegenheit: ȭ ȭ ȭ
ȭ
ȭ
In der Rolle als Mentorin oder Mentor besteht die Gelegenheit, das persönliche Verhalten und das Führungsverhalten zu reflektieren und zu verbessern. Mentoring beinhaltet die Chance, die spezifischen Fähigkeiten eines Coachs zu trainieren und anzuwenden. Die Mentoring-Beziehung wird häufig als Gewinn gesehen, weil oft positives Feedback an Mentorinnen und Mentoren weitergegeben wird und individuelle Lerneffekte erreicht werden, die wiederum an andere weitergeben werden können. Mentorinnen und Mentoren erhalten im Austausch mit Mentees Ideen und Anregungen, sich mit neuen Aspekten wie z. B. Mann-Frau-Beziehung in Organisationen zu befassen. Interessant ist für Mentorinnen und Mentoren zudem, Einblicke in andere Organisationen zu erhalten, dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein Mentee aus einer anderen Organisation kommt (= Cross-Mentoring).
Mentoring – ein Erfolgsfaktor für ein Unternehmen Ein Mentoring-Programm ist eine gewinnbringende und zugleich kostengünstige Strategie, um Fähigkeiten und Kompetenzen von Nachwuchskräften, vor allem von weiblichen, sichtbar zu machen und sie gezielt und effektiv weiterzuentwickeln. Damit können Unternehmen, die einem verstärkten Fachkräftemangel gegenüberstehen, aus einem eigenen Potenzial von Nachwuchskräften schöpfen. So können folgende Ziele erreicht werden: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Entwicklung der Motivations- und Leistungsfähigkeit von Nachwuchskräften. Karriereförderung vor allem für Frauen. Festgefahrene Strukturen werden aufgebrochen, um innovative Wege zu gehen, und Impulse für Kulturveränderungen in Unternehmen werden angestoßen. Generationsbedingte und hierarchische Barrieren werden überwunden und führen zu einer besseren Kommunikation. Positiver Zugewinn als attraktiver Arbeitgeber.
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Bevor jedoch die „Früchte“ von Mentoring geerntet werden können, sind verschiedene Überlegungen und Schritte notwendig, um eine erfolgreiche Einführung und Umsetzung von Mentoring zu gewährleisten. Haben Sie sich als Führungskraft entschlossen, das Thema in Ihrem Unternehmen voranzutreiben, und die Entscheidung für Mentoring ist gefallen, so ist die Bearbeitung von verschiedenen Fragen im Vorfeld hilfreich. Diese sind in der folgenden Checkliste beispielhaft zusammengefasst. ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Welche Ziele möchten wir im Unternehmen mit einem Mentoring-Programm erreichen? Welche finanziellen und persönlichen Ressourcen stehen zur Verfügung? Wer übernimmt die Verantwortung und Steuerung des Programms? Welche Zielgruppe ist vorgesehen? Wie soll die Auswahl der Mentees und Mentorinnen und Mentoren erfolgen? Wie viele Tandems sollen gebildet werden? Wie kommen Mentees und Mentorin/Mentor zusammen (= Matching)? Führen wir internes oder externes Mentoring (Cross-Mentoring) durch? Qualifizierendes Rahmenprogramm ja oder nein? Soll die Durchführung mit einer externen Beratung oder in Eigenregie durchgeführt werden?
Für die Durchführung von Mentoring-Programmen gibt es kein Patentrezept. Mentoring ist eine flexible Personalentwicklungsstrategie, die in unterschiedlicher Weise umgesetzt werden kann. Jede Organisation muss für sich entscheiden, welche Vorgehensweise sinnvoll ist, welche Zielgruppen sie ansprechen möchte und welche Ziele sie erreichen möchte. Mentoring-Programme können sowohl innerhalb einer Organisation durchgeführt werden, dies wird als internes Mentoring bezeichnet. Kommen Mentorin/Mentor und Mentee aus unterschiedlichen Unternehmen, versteht man darunter das Cross-Mentoring. Welche Form in welchem Unternehmen Sinn macht und welche Vor- und Nachteile damit verbunden sind, davon mehr im nächsten Abschnitt.
Cross-Mentoring oder internes Mentoring? Für ein internes Mentoring eignen sich generell nur große Organisationen. Im internen Mentoring kommen Mentorin/Mentor und Mentee aus dem gleichen Unternehmen. Dabei können Mentee und Mentorin/Mentor im gleichen Arbeitsbereich arbeiten – jedoch nicht im direkten Arbeitsverhältnis (Vorgesetzter und Mitarbeiterin). Dies würde den Prinzipien einer Mentoring-Beziehung widersprechen (siehe erster Abschnitt). Daher ist oftmals das interne Mentoring für kleine und mittelständische Unternehmen eher weniger geeignet, da in kleineren Organisationseinheiten die Arbeitsbeziehungen und die Überschneidungen zu eng sind und die Gefahr besteht, dass Mentoring von unterschiedlichen Interessen überlagert wird.
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Für die Durchführung eines Cross-Mentoring-Programms sprechen die folgenden Vorteile: ȭ ȭ ȭ ȭ
Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch mit anderen Unternehmen ist für alle Beteiligten vorhanden. Cross-Mentoring ermöglicht auch Nachwuchsführungskräften aus kleinen und mittelständischen Unternehmen die Teilnahme an einem Mentoring-Projekt. Unternehmen können das Programm für die Bildung von Kooperationen und Netzwerkbildung nutzen. Cross-Mentoring führt zu mehr Offenheit in den Gesprächen zwischen Mentorin/Mentor und Mentee, da der gemeinsame Unternehmenskontext fehlt.
Häufig besteht bei Verantwortlichen die Befürchtung der Abwerbung von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Durch die Teilnahme an einem Cross-MentoringProgramm lernen Mentees andere und möglicherweise auch attraktivere Unternehmen kennen. Um dies zu vermeiden, wird häufig bei Cross-Mentoring eine Vereinbarung über ein zeitlich begrenztes Abwerbeverbot geschlossen. Unabhängig davon, ob internes Mentoring oder Cross-Mentoring durchgeführt wird, ist es wichtig, dass das Programm mit der Unternehmensstrategie und den Zielen im Einklang steht und das Konzept von der obersten Hierachieebene unterstützt wird. Dies kann beispielweise erreicht werden durch Anwesenheit bei der Auftakt- oder Abschlussveranstaltung eines Mentoring-Programms und des Bereitstellen entsprechender finanzieller und personeller Ressourcen. Als weiteres spielt eine gute Informations- und Kommunikationspolitik für die Akzeptanz bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das Projekt eine ebenso wichtige Rolle. Die vorzeitige sowie rechtzeitige Einbindung von Betriebsrat und Beauftragter für Chancengleichheit ist ein weiterer Erfolgsfaktor.
Planung und Organisation eines Mentoring-Programms Bei der Planung eines Mentoring-Programms kann es sehr hilfreich sein, auf die Erfahrungen von anderen Organisationen zurückzugreifen, ebenso eine Auswahl von Fachliteratur. Je nach Vorkenntnissen in der Organisation ist zu entscheiden, ob und in welchem Umfang für die Konzeptionierung, die Steuerung und Koordination externe Beraterinnen und Berater hinzugezogen werden. Wird Mentoring innerhalb einer Organisation durchgeführt, obliegt die Projektsteuerung meistens der Personalentwicklung. Eine größere Herausforderung ist die Durchführung eines Cross-Mentorings, wenn Mentorinnen, Mentoren und Mentees aus verschiedenen Organisationen kommen. In diesem Fall werden häufig externe Beraterinnen und Berater engagiert. Ob externe Beratung hinzugezogen wird, ist nicht zuletzt auch abhängig von den finanziellen Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Bei einem begrenzten Budget ist zu entscheiden, wo und in welcher Weise eine externe Beratung hinzugezogen wird. Hier kann eine punktuelle Beteiligung (z. B. Supervision für die Mentorinnen und Mentoren) hilfreich sein.
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Für die Durchführung sollte mehr als ein Jahr Laufzeit eingeplant werden, da es doch eine Zeitlang braucht, bis man sich als „Tandem“ eingespielt hat. Dies bestätigen auch meine eigenen Erfahrungen. Mit einem offiziellen Startschuss wird ein wichtiger Grundstein für das Gelingen des Mentorings geschaffen. Im Anschluss arbeiten die Tandems in Eigenregie und können den Zeitpunkt für eine Beendigung selbst festlegen. In manchen Organisationen erfolgt ein gemeinsamer Abschluss in einem feierlichen Rahmen. Mein Mentoring-Programm war auf 15 Monate festgelegt, dies erwies sich im Verlauf des Programms als sehr passend. Erfreulicherweise bin ich in der Zwischenzeit im gleichen Frauennetzwerk wie meine Mentorin aktiv. Nach Festlegung des organisatorischen Rahmens (Internes oder Cross-Mentoring) geht es im Weiteren darum, ein inhaltliches Konzept zu entwickeln. Darin sollte die Vorbereitung und Begleitung der Mentorin/Mentors und des Mentee einen wichtigen Stellenwert haben. Dies kann durch einen gemeinsamen Workshop oder in beratenden Einzel- oder Tandemgesprächen erfolgen. In der Durchführung bietet ein Leitfaden für die Mentorinnen, Mentoren und die Mentees eine gute Orientierung. Inhalte könnten beispielsweise sein: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
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Definition und Zielsetzung von Mentoring Formen von Mentoring Leitfaden für das erste Gespräch Vorschlag für eine Vereinbarung Beschreibung von begleitenden Maßnahmen, beispielsweise Seminare und Workshops zu relevanten Themen wie Frauen und Führung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc. Termine von wichtigen Eckdaten und Veranstaltungen Fragebogen für die Auswertung Literaturhinweise
Ablauf eines Mentoring-Programms Für die Identifikation mit dem Mentoring-Projekt sind gemeinsame Veranstaltungen mit den Mentorinnen und Mentoren und den Mentees sehr förderlich. Ein ganz besonderer Stellenwert kommt dabei der Auftaktveranstaltung zu, die in einem entsprechenden Rahmen gefeiert werden sollte. Die Veranstaltung kann genutzt werden, um Mentoring als Personalentwicklungsinstrument vorzustellen und die Beteiligten (Mentorinnen und Mentees) auf ihre Rollen vorzubereiten, sowie die Verantwortung der Unternehmen herauszustellen. Die Auftaktveranstaltung kann auch genutzt werden, um das „Matching“ beziehungsweise die Tandembildung durchzuführen. Die „Halbzeit-Veranstaltung“ bietet eine ideale Möglichkeit, um erste Erfahrungen auszuwerten, und die Tandems haben die Möglichkeit, von ihren Erfolgen und bisherigen positiven Entwicklungen zu berichten. Erste Veränderungen und eventuelle Korrekturmaßnahmen können an die Projektverantwortlichen weitergegeben und eingeleitet werden. Wird das Projekt ausgewertet oder wissenschaftlich begleitet, so ist dieser Termin ideal, um erste Ergebnisse zu präsentieren.
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Tabelle 19
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Schritte und Inhalte eines Mentoring-Programms
Schritte
Inhalte
1. Schritt: Auftaktveranstaltung
Vorstellung des Programms
Zu dieser Veranstaltung sind alle Beteiligten, Unterstützer und Förderer des Mentoring-Programms eingeladen.
Zielsetzung
2. Schritt: Tandembildung-„Matching“
Welche Mentorin/Mentor bildet mit welchem Mentee ein Tandem?
3. Schritt: Vereinbarungsphase
Im ersten gemeinsamen Gespräch ist es sinnvoll:
Vorgehensweise
Themen, Ziele, Spielregeln, Termine für die Arbeitsphase festzulegen. 4. Schritt: Arbeitsphase
Möglich ist es in dieser Phase, eine „Halbzeitveranstaltung“ durchzuführen, in der erste Erfahrungen ausgetauscht werden können. 5. Schritt: Abschlussveranstaltung
Regelmäßige Treffen und Gespräche zwischen Mentorin/Mentor und Mentee auf der Grundlage eines Entwicklungs- und Zielplans Spontane und situationsbezogene Unterstützung in Konflikt- und Krisensituationen Auszeichnung und Dankeschön für die Mentorinnen und Mentoren
Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung steht Auswertung der Erfahrungen aller Beteiligdie Auswertung des Programms. Daran sollte vor allem auch die Unternehmensfüh- ten rung teilnehmen. Schlussfolgerungen/Konsequenzen für kommende Mentoring-Programme ziehen.
Mit der Abschlussveranstaltung werden gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt. Zum einen wird hier geprüft, ob die gesteckten Ziele erreicht werden konnten oder nicht und welche Erfolge gefeiert werden können. Ein guter Einstieg in die Veranstaltung ist, wenn die Tandems ihre Ergebnisse präsentieren. Diese Veranstaltung bietet auch den feierlichen Rahmen, für die Verleihung der Zertifikate oder Teilnahmebestätigung der meist einjährigen Personalentwicklungsmaßnahme. Sind weitere Mentoring-Projekte geplant, so bietet es sich hier auch an, Verantwortliche und Interessierte einzuladen. Einen festlichen Abschluss schafft die Vorstellung oder das Engagement einer Künstlerin/Kabarettistin mit ihrem spe-
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ziell auf das Thema abgestimmten Programm. So bleibt dieser Abend noch lange in guter und positiver Erinnerung. Einen ebenso positiven Effekt – vor allem im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung – haben begleitende Fortbildungsangebote sowohl für Mentees als auch für Mentorinnen und Mentoren. Für die gegenseitige Kontaktaufnahme und Netzwerkbildung bieten sich regelmäßige Treffen (z. B. Stammtisch) an. Diese Maßnahmen werden vorzugsweise in der Arbeitsphase parallel angeboten.
Begleitende Weiterbildungsangebote im Mentoring-Programm Ein hoher qualitativer Erfolgsfaktor und ein idealer Vernetzungsfaktor sind begleitende Weiterbildungsangebote in Form von Seminaren und Workshops zu relevanten Themen wie beispielsweise Frauen und Führung. In kleineren Unternehmen (in denen Anzahl der Mentees ggf. zu gering ist für eine Seminargruppe) kann dieses Rahmenprogramm alternativ mit der Teilnahme an Seminaren in öffentlichen Bildungseinrichtungen durchgeführt werden. Das Angebot von begleitenden Seminaren und Workshops trägt zum einen zur Weiterqualifizierung der Mentees bei und fördert den gewünschten Austausch und die Netzwerkbildung. Dies ist vor allem bei Cross-Mentoring notwendig, wenn es darum geht, Mentorinnen, Mentoren und Mentees aus anderen Unternehmen kennenzulernen und sich auszutauschen. Bei der Auswahl von entsprechenden Weiterbildungsangeboten ist es wichtig, dass die Inhalte sich an den Zielen des Mentoring-Programms orientieren und eng mit dem Prozess verbunden sind. Die Themen sollten unmittelbar und konkret im Mentoring-Prozess umgesetzt werden. Je nach Thema und Zielsetzung der begleitenden Maßnahmen muss überlegt werden ob die Zielgruppen Mentorin/Mentor und Mentee gemeinsam oder getrennt teilnehmen. Geht es um den Austausch von Erfahrungen und Fragestellungen die sich aus dem Führungsalltag ergeben, ist dies eher ein Angebot ausschließlich für Mentorinnen und Mentoren. Für Mentees bietet die Teilnahme am Mentoring-Programm neue Erfahrungen, zu dem ein vertrauensvoller Austausch unter „Gleichen“ ebenfalls hilfreich ist. Gemeinsame Workshops hingegen intensivieren den Austausch zwischen den Tandems und die Mentees profitieren von den reichhaltigen Erfahrungen der Mentorinnen und Mentoren. Dies gilt auch in umgekehrter Weise - Mentorinnen und Mentoren lernen von den Sichtweisen und Wahrnehmungen der Mentees. Darüber hinaus ermöglichen gemeinsame Veranstaltungen eine geschlechterdifferenzierte Blickwinkelerweiterung. Beispielsweise dann, wenn Fragestellungen über Rollenwahrnehmung und Führungsverständnis in geschlechtgemischten (z. B. Mentor-Mentee) Arbeitsbeziehungen reflektiert werden. So bringt ein gegengeschlechtlicher Mentor andere Erfahrungs- und Wahrnehmungshintergründe in den Arbeitskontext mit rein, als eine gleichgeschlechtliche Mentorin. Aus den Erläuterungen wird deutlich, dass beide Formen Vor- und Nachteile beinhalten. Deshalb ist es sinnvoll, und dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, sowohl ge-
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meinsame als auch homogene Angebote zu planen. In gemeinsamen Angeboten ist es effektiv zielgruppenorientierte Arbeitsphasen durchzuführen. So können in homogenen Arbeitsgruppen spezifische und tiefer gehende Themen und Fragestellungen bearbeitet werden, während im Plenum gemeinsame Aspekte oder allgemeine Informationen besprochen werden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass ein Mentoring-Programm ohne ein qualifizierendes Rahmenprogramm möglich ist, allerdings ist es mit begleitenden Weiterbildungsmaßnahmen nachhaltiger und effektiver.
Die Akteure beim Mentoring An der Planung, Durchführung und Auswertung eines Mentoring-Programms sind mehrere Akteure beteiligt. Die Hauptakteure sind die Mentees und die Mentorinnen und Mentoren. Eine tragende Rolle spielt jedoch auch die Personalentwicklung, die hauptsächlich für die Planung und Begleitung des Programms verantwortlich ist.
Auswahl der Mentees Welche Zielgruppe und welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem MentoringProgramm in der Organisation teilnehmen, sollte klar festgelegt werden. Dies kann beispielsweise in einem Mitarbeiter- oder in einem Entwicklungsgespräch besprochen werden. Ist die Struktur in der Gruppe zu heterogen, kann dies zu Interessenkonflikten führen, sowohl in der inhaltlichen Begleitung durch die Mentorin/Mentor als auch bei der Festlegung der Qualifizierungswünsche der Mentees. Deshalb sollte die Beteiligung der Mentees nicht dem Zufall überlassen werden, sondern durch ein Auswahlverfahren oder ein Mitarbeiter- oder Entwicklungsgespräch (siehe Beitrag „Feedback und Kommunikation als Führungsmittel“ von Angelika Härlin) festgelegt werden. Ebenso können auch Mitarbeiterinnen angesprochen werden, deren Potenzial bereits erkannt ist und durch ein Mentoring-Programm systematisch weiterentwickelt werden soll. Damit sich sowohl der finanzielle als auch der personelle Einsatz lohnt, sollten die Mentees einige Voraussetzungen mitbringen, wie beispielsweise: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Wille und die Fähigkeit, Macht und Risiko zu akzeptieren. Mut zum Ausprobieren und auch die Akzeptanz von Fehlern. Sich der eigenen beruflichen und persönlichen Ziele bewusst zu sein. Bereitschaft, mit der Mentorin/dem Mentor Entwicklungsperspektiven zu erarbeiten. Und nicht zuletzt das echte Interesse zur Weiterentwicklung sowohl in fachlicher als auch in sozialer und persönlicher Hinsicht. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn es darum geht, das Feedback der Mentorin/ dem Mentor zu akzeptieren und nicht als persönlichen Angriff zu verstehen.
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Auskunft über die Eignung für das Programm kann ein Fragebogen geben, der vom Mentee ausgefüllt werden muss. Dieser kann beispielsweise folgende Punkte beinhalten: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Informationen über die Person. Beschreibung des beruflichen Werdegangs wie beispielsweise das Abfragen von Führungserfahrung. Berufliche und persönliche Ziele (kurz-mittel-langfristig). Stärken/Schwächenprofil des Mentees. Motivation für die Teilnahme am Mentoring-Programm. Erwartungen an das Mentoring und an die Mentorin/den Mentor
Die Bearbeitung der letzten Fragen ergibt aufschlussreiche Informationen, die für das „Matching“ (Tandembildung) hilfreich sein können. Dafür gibt es unterschiedliche Varianten und Herangehensweisen.
Auswahl von Mentorinnen und Mentoren Neben den persönlichen Fähigkeiten einer Mentorin/eines Mentors sind auch rein formale Voraussetzungen für eine qualitativ gute Tandembeziehung wichtig. Rein formale Voraussetzungen für Mentorin/Mentor sind dabei: ȭ ȭ
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sollte in der Organisationshierarchie zwei Stufen höher eingestuft sein als sein Mentee. sollte eine anerkannt fähige Führungskraft sein und über gute Beziehungen und Kontakte zu Entscheidungsträgern innerhalb und außerhalb einer Organisation verfügen. darf nicht in direkter Vorgesetztenlinie zum Mentee stehen.
Hinter diesen formalen Anforderungen stehen vor allem die Annahmen, dass beispielsweise eine firmenintern angesehene Führungskraft über Kompetenz und sehr gute Einflussmöglichkeiten besitzt, von denen ein Mentee großen Nutzen haben kann. Weiterhin verfügt die Mentorin/der Mentor in einer bestimmten Position auch über ein großes tragfähiges Netzwerk, das einem Mentee wertvolle Türen öffnen kann. Und es ergibt sich aus der Zielsetzung von Mentoring selbst, dass die vertrauensvolle und unterstützende Funktion einer Mentorin/eines Mentors mit der Führungsfunktion in Konflikt geraten kann, die auch bewerten oder sanktionieren muss. Deshalb kann eine Führungskraft nicht die Rolle einer Mentorin/eines Mentors einnehmen.
Persönliche und soziale Voraussetzungen für die Rolle als Mentorin/Mentor: ȭ ȭ
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langjähriges Erfahrungswissen besitzen. über die Bereitschaft verfügen, einen jüngeren Menschen über einen gewissen Zeitraum in seiner beruflichen und persönlichen Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Zugang zu wichtigen Netzwerken und Kontakten besitzen.
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erfahren und bereit sein, Fehler des Mentees zu akzeptieren und als Entwicklungspotenzial zu sehen. offen und neugierig sein, auch selbst durch die Mentee Neues zu lernen und auszuprobieren und dies als wichtigen Aspekt in der Beziehung zu erkennen.
Rolle der Personalentwicklung In ihrer Rolle als Berater und Projektsteuer initiiert die Personalentwicklung ein MentoringProgramm, schafft geeignete Strukturen und entwickelt entsprechende Begleitmaßnahmen. Sie sucht sich entsprechende Unterstützer (Unternehmensführung) in der Organisation und „treibt“ das Projekt voran. Ihr obliegt vor allem die Aufgabe der Projektsteuerung. Das heißt, sie plant und begleitet das Projekt von Anfang bis Ende. Sie ist Ansprechpartner für die Mentorinnen und Mentoren sowie die Mentees und führt je nach Prozessverlauf Korrekturmaßnahmen das laufende Mentoring-Programm durch. Die Rolle der Personalentwicklung ist vergleichbar mit einem Platzwart auf einem Fußballfeld. Jemand, der dafür sorgt, dass die beteiligten Akteure ihr „Spiel“ gut auf einem „Spielfeld“ umsetzen können, indem der Boden (= Strukturen, Rahmenbedingungen) gut vorbereitet ist, und auch dafür sorgt, dass dies so bleibt. Sie kümmert sich darum, dass auch während des „Spiels“ (regelmäßige Gespräche, Begleitmaßnahmen) alles gut funktioniert. Sie fungiert als Ansprechpartnerin für alle Beteiligten. Bei Unstimmigkeiten zwischen Mentorin/Mentor und Mentee nimmt sie eine beratende und vermittelnde Rolle ein. Je nach Umfang und Größe des Projekts können diese Aufgaben mit einer externen Beratung umgesetzt werden (siehe Abschnitt: Planung und Organisation eines Mentoring-Programms).
Das „Matching“ — die Tandembildung Eine der spannendsten und gleichzeitig auch das Brisanteste ist die Zusammenführung von Mentorin/Mentor und Mentee oder das „Matching“. Dazu gibt es verschiedene Varianten und Herangehensweisen. Ich selber habe es so erlebt, dass die Projektleitung eine aus ihrer Sicht für mich passende Mentorin ausgewählt hat und wir uns in einem ersten Kennenlerngespräch miteinander bekannt gemacht haben. 1. Variante Die/der Mentee wählt ihre Mentorin/ihren Mentor selbst aus – dies ist der einfachste Fall. Dabei können persönliche Faktoren wie Charisma, Sympathie, soziales Engagement, Souveränität ebenso wie Fachkompetenz, Erfahrungen im Ausland oder andere besondere Eigenschaften eine Rolle spielen. 2. Variante Die/der Mentee sucht sich ihre/seine Mentorin/ihren/seinen Mentor selbst aus (intern oder extern).
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3. Variante Die Projektleitung sucht, so wie ich dies erlebt habe, aufgrund des vorliegenden Profils ein passendes „Tandem“ aus. Beim internen Mentoring sind die Personen häufig bekannt, so dass ein persönlicher Eindruck unterstützend ist. Insgesamt zeigt die Erfahrung, dass die Zusammenführung von Mentorinnen, Mentoren und Mentees häufig unkomplizierter ist als gedacht. Voraussetzung sollte sein, dass die gegenseitigen Erwartungen zusammenpassen und auch die Chemie zwischen Ihnen und Ihrer Mentorin/Mentor stimmt. Auswertungen von Mentoring-Projekten kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Fachkompetenz der Mentorinnen und Mentoren für die Mentees nicht die ausschlaggebenden Faktoren sind, sondern vielmehr folgende Fähigkeiten wie beispielsweise: ȭ ȭ ȭ ȭ
konstruktive Kritik üben potenzielle Hilfestellung und Erfahrungswissen über die Karriereentwicklung weitergeben können Motivationsfähigkeit und Vorbildcharakter besitzen Fähigkeit zur Selbstreflexion
Kurzum Fähigkeiten, die mehr im sozialen und persönlichen Profil eines Menschen liegen. Gerde dies sollte bei der Auswahl von entsprechenden Mentorinnen und Mentoren beachtet werden.
Vereinbarungen und Spielregeln Eine Formalisierung des Mentorings durch das Festlegen von Verantwortlichkeiten und fixen Terminen erhöht die Verbindlichkeit und die Verantwortung für den MentoringProzess. Gerade in der Anfangsphase, wenn Mentorin/Mentor sich noch nicht so gut kennen, ist dies besonders wichtig. Für die Beteiligten erleichtert es den späteren Abstimmungsprozess und schafft eine gute Vertrauensbasis. Als Grundlage für die persönliche und sehr vertraute Beziehung zwischen Mentorin/Mentor und Mentee ist es wichtig, folgende Punkte verbindlich zu regeln und einzuhalten: ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
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In welchem Rhythmus und mit welchem Zeitfenster möchten wir uns treffen? Wie oft werden wir uns insgesamt treffen? In welcher Form finden die Treffen statt (persönlich oder telefonisch)? Wie gehen wir mit Terminänderungen um? Wo treffen wir uns? Wie gehen wir mit Vertraulichkeit um? Hier kann beispielsweise die Regel vereinbart werden, dass alles Gesprochene im Raum bleibt, oder was darf an wen weitererzählt werden? Was darf auf keinen Fall im Mentorin-Prozess passieren? Wie beenden wir unsere Mentoring-Beziehung?
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Fazit Mentoring ist eine effiziente, wirkungsvolle und flexible Methode, um vor allem weibliche Nachwuchs-Führungskräfte gezielt und individuell zu fördern. Bei einer professionellen Vorgehensweise profitieren Mentees, Mentorinnen und Mentoren und Unternehmen gleichermaßen. Durch die kleine Einheit der Zweierbeziehung zwischen Mentorin/Mentor und Mentee ist Mentoring gerade auch für kleinere und mittlere Unternehmen ein sehr gutes Instrument, um Führungskräfte zu qualifizieren und zu fördern. Dies bestätigen auch immer wieder verschiedene Untersuchungen. Ich hoffe, dass Sie durch den Beitrag neugierig geworden sind und Sie sich intensiver mit Mentoring auseinandersetzen und dieses lebendige Personalentwicklungsinstrument in ihrer Organisation einführen. Probieren Sie es einfach aus. Sie werden von dem Ergebnis überrascht sein.
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Angenommen, Sie hätten die Möglichkeit zur Durchführung eines MentoringProgramms: Welche Mitarbeiterin/welcher Mitarbeiter könnte welchen Nutzen daraus ziehen? Welchen Nutzen und Zielsetzung könnte ein Mentoring-Programm für Ihr Unternehmen haben und was würde sich in der Führungs- und Unternehmenskultur verändern? Was befähigt Sie, die Rolle der Mentorin/des Mentors zu übernehmen, und welchen Gewinn würden Sie für sich daraus ziehen?
Literatur und Quellen Bröckermann, Rainer, Vorgrüggen-Müller, Michael (Hrsg.) (2008). Handbuch Personalentwicklung, Stuttgart. Jung, Ann (2004). 30 min. für ein erfolgreiches Mentoring, Offenbach Kutzschenbach, Claus von (2005). Frauen, Männer, Management, Leonberg Westerholt, Birgit (1998). Frauen können führen, Weinheim und Basel Winsen, Christa van (1999). High Potentials – Wie komme ich in die Führungsauswahl – Mentoring und Coaching, Regensburg
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Business Coaching Am Anfang stand die Empfehlung Manola Kraus Sie führen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst (zukünftig) führen? Sie überlegen, wie Sie diese Führungskräfte in ihrer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung bedarfsgerecht und erfolgversprechend unterstützen können? Sie haben selbst schon einmal mit dem Gedanken gespielt, „sich coachen zu lassen“? Vielleicht wissen Sie schon bereits einiges über Coaching und fragen sich nur, wie fange ich es an? Wie komme ich an einen für mich passenden Coach? Für Sie alle schreibe ich diesen Beitrag. Möge es Ihnen bei Ihrer Entscheidungsfindung für ein Coaching helfen. Dabei möchte ich mich auf drei Fragestellungen konzentrieren und diese anhand eines Beispiels aus meiner Coachingpraxis behandeln: 1. Wie kommt ein erster Kontakt z. B. zwischen einer interessierten Führungskraft (Coachee/Klientin) und einer Coach (bzw. einem Coach) zustande? (Der Einfachheit halber wird im weiteren Verlauf nur noch von der Klientin und der Coach die Rede sein.) Hier schildere ich Ihnen eine Situation am Beispiel einer Klientin. Natürlich habe ich Namen und sonstige Merkmale so verändert, dass keine Rückschlüsse gezogen werden können, wer diese Klientin im realen Leben ist. 2. Was passiert bei einem Erstkontakt? An dieser Stelle teile ich Ihnen meine Gedanken, meine Werkzeuge und mein Vorgehen mit (in den Kästen). 3. Was können Sie tun und was sollten Sie wissen, um sich für ein Coaching entscheiden zu können? Dazu habe ich Tipps für Sie geschrieben (im Text mit blauer Linie links). Warum wähle ich diese Form? Coaching ist für viele Menschen nicht immer so durchschaubar bzw. konkret. Es ist vielmehr ein komplexer Prozess, der sich auf mehren Ebenen sowohl bei den Coachingklienten wie auch den Coachs abspielt. Mit dieser Darstellung hoffe ich, mehr Transparenz für Sie liebe Leserinnen und Leser zu schaffen. Und hier gleich ein erster Tipp: Tipp: Bestehen Sie auf Vertraulichkeit! Im Coachingprozess muss jederzeit Verschwiegenheit gewährleistet sein. Das beinhaltet alles, was die Coach über die Klientin und das Unternehmen erfährt. Es geht also um das Sicherstellen einer „geschützten Atmosphäre“, in der die Klientin alles ausdrücken kann, was ihr für die Klärung von Anliegen wichtig ist. Eine entsprechende Abmachung zwischen Auftraggeberin, z. B. Personalverantwortlichen, und der Coach, sollte vertraglich geregelt sein. 4. Ein kurzer Abriss des weiteren Coachingverlaufes verschafft Ihnen einen Einblick in die weitere Vorgehensweise sowie in die Arbeitsergebnisse meiner Klientin.
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Der erste Kontakt „Hallo Frau Kraus, in den nächsten Tagen wird sich Frau Sandra Klar bei Ihnen melden, um einen Kennenlerntermin zu vereinbaren. Frau Klar ist Anfang 30 und hat im Frühjahr des Jahres die Abteilungsleitung mit 12 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen übernommen. Zur Reflexion des Starts und zur weiteren Begleitung möchte sie gerne ein Coaching in Anspruch nehmen …“ Diese E-Mail erhalte ich von einer Personalentwicklerin eines großen Versicherungskonzerns, für den ich seit mehreren Jahren regelmäßig Managementcoachings durchführe. Tipp: Erkundigen Sie sich in Ihrem Unternehmen (im Bereich Personal, Personalentwicklung), ob Coaching als Personalentwicklungsmaßnahme gefördert wird und welche Informationen es dazu gibt. In der Regel verfügen die Unternehmen über einen sog. Coachingpool, in dem ausgewählte Coachs, mit den für das Unternehmen passenden Profilen vorhanden sind. Lassen Sie sich für Sie passende Coachs empfehlen und achten Sie darauf, dass Sie die Möglichkeit haben, weitere Coachs kennen zu lernen, Ein Kennenlerngespräch von ca. einer Stunde wird in der Regel ohne Kosten für Sie oder das Unternehmen angeboten. Nach zwei Wochen klingelt das Telefon. Frau Klar ist am Apparat. Atemlos entschuldigt sie sich, dass sie sich erst jetzt melde, aber gerade das sei typisch, denn vor lauter Arbeit komme sie zu sonst nichts und ob ich denn jetzt Zeit für sie hätte … Noch habe ich außer „wie schön, dass Sie sich melden“ nichts weiter gesagt. Ich höre zu, ermuntere sie zum Weiterreden. Sie schildert mir, dass sie gerade eine Führungsposition übernommen hat und wie chaotisch dies abgelaufen ist und mit welchen Problemen sie bisher zu kämpfen hatte. Nach ca. zehn Minuten höre ich sie förmlich Luft holen, während sie sagt, „so, jetzt wissen Sie, warum ich Sie gerne kennen lernen möchte!“ Wir vereinbaren einen Termin drei Wochen später. Ich vergewissere mich, dass dieser Zeitpunkt für sie passt: „Gibt es in den nächsten Wochen besondere Themen und Herausforderungen, mit denen Sie rechnen oder die auf Sie zukommen könnten?“ Frau Klar verneint und klingt plötzlich sehr souverän: „Nein, im Augenblick läuft alles eigentlich ganz gut, das Schlimmste habe ich hinter mir!“ Tipp: Für die Vorbereitung und das erfolgreiche Umgehen mit neuen Situationen oder Herausforderungen ist eine professionelle Begleitung durch ein Coaching eine sinnvolle Maßnahme. Nutzen Sie das Coaching für eine persönliche Begleitung, die mit Ihnen die Herausforderungen in der neuen Situation klärt, Verhaltensweisen und Wirkungen reflektiert und neue Perspektiven für Ihr Denken und Handeln ermöglicht.
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Weitere typische Anlässe für ein Executive oder Business Coaching: ȭ
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Reflexion und Weiterentwicklung des eigenen Führungsverhaltens; Reflexion und Umsetzung von Managementverständnis und -aufgaben; Persönliche Motivation und Identifikation mit der Führungsaufgabe Die ersten 100 Tage im Job (als Führungskraft) Persönliche Stärkenprofile/Schwächenprofile kennen Definition von Entwicklungsfeldern/Planung von Maßnahmen Kommunikationsprobleme und Konflikte bewältigen Mitarbeiter führen – Teams steuern Interne und externe Kooperation und Zusammenarbeit gestalten Change-Projekte und Veränderungen im Unternehmen planen und umsetzen Strategieentwicklung und Erfolgskontrolle gestalten Qualitätsprozesse, Zielmanagement und Evaluation Persönliche Arbeitsorganisation, Zeit- und Selbstmanagement Projekte managen/Projektverantwortung Berufliche und persönliche Entwicklungsziele
Frau Klar schildert mir bereits in diesem Telefonat deutlich, was sie bewegt, welche Themen anstehen und was sie sich wünscht, so dass ich ihr anbiete, den Vorbereitungsbogen, den ich normalerweise erst beim Kennenlerntermin aushändige, schon jetzt zuzuschicken. Begeistert stimmt sie zu und betont, wie sehr sie sich auf das Kennenlernen freut. Vorbereitung seitens des Coachees und des Coaches Die Coachees, die sich für ein Coaching nach dem persönlichen Kennenlernen entscheiden, erhalten einen Vorbereitungsbogen. Die Fragen dienen dazu, sich mental auf das Coaching vorzubereiten und um die persönlichen Erwartungen zu formulieren und zu beschreiben. Aus den Antworten der Coachees können potenzielle Entwicklungsfelder sichtbar gemacht und hilfreiche Fragestellungen für den weiteren Prozess entwickelt werden. Eventuell ergeben sich daraus auch schon geeignete Ansätze für den Einstieg ins Coaching. Sie bilden auch die spätere Grundlage für das Entwickeln einer persönlichen Ziellandschaft. Ich weise Frau Klar darauf hin, dass das Kennenlerngespräch dazu dient, sich einen Eindruck zu verschaffen, ob und wie man zusammenarbeiten kann. „Ja, ja“, stimmt sie zu, „aber die Personalentwicklerin im Unternehmen hätte schon genau überlegt, wen sie ihr empfehlen würde, und da hätte sie großes Vertrauen.“ Ohne Vertrauen geht es nicht! Manchmal passiert es tatsächlich, dass bereits im Vorfeld durch Empfehlungen oder am Telefon eine solch vertrauensvolle Stimmung entsteht, dass potenzielle Coaching-Klienten gar nicht mehr das Bedürfnis zeigen, sich möglicherweise noch anders zu entscheiden. Es ist, als ob sie bereits mit dem, was und wie sie sich am Telefon offenbaren, eine „unausgesprochene Entscheidung“ getroffen haben. Hier
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ist es wichtig, dass der Coach noch einmal deutlich macht, dass alles, was bereits gesprochen und ggf. notiert wurde, selbstverständlich vertraulich bleibt. Deshalb sage ich zu Frau Klar: „Wie schön, dass Sie schon solch ein Vertrauen zu mir haben. Das freut mich sehr. Und ich bin gespannt, wie es Ihnen geht, wenn wir uns persönlich kennen lernen. Sie wissen, dass Sie danach neu entscheiden können, ob sie mit mir als Coach zusammenarbeiten wollen.“ Jetzt merke ich doch ein wenig Erleichterung in ihrer Stimme. „Ja, das ist schon gut so. Ich will auch selber entscheiden können!“ Ich verabschiede mich und merke, wie auch Frau Klar das Gespräch nun gut beenden kann. Anliegen und erste Entscheidung Ein Kennenlernen, ob am Telefon oder auch in einem persönlichen Treffen, dient in erster Linie dazu, sich einen ersten Eindruck von dem möglichen Coachee und dessen Anliegen zu verschaffen. Es gilt herauszufinden, ob in einem Coaching hierfür Lösungsansätze erarbeitet werden können und welche weiteren Möglichkeiten es sonst noch gibt. Manchmal stellt sich heraus, dass andere Methoden eher zielführender wären, wie z. B. Beratung, Mediation, Seminarbesuch, moderiertes Gespräch, Teamcoaching etc.! Stellt sich heraus, dass Klientenanliegen gut im Coaching bearbeitet werden können, werden Zielvorstellungen und Inhalte formuliert sowie der zeitliche Rahmen besprochen und die finanzielle Investition geklärt. Parallel entscheiden potenzieller Coachee und Coach, ob sie sich menschlich verstehen und sich vorstellen können, miteinander zu arbeiten (Sympathiefaktor).
Das erste Treffen Drei Wochen später. An der Tür steht eine junge Frau, groß, dunkelblonde, lässig im Nacken verknotete Haare, graues Kostüm, weiße Bluse. Sie lächelt und ihre großen graugrünen Augen blitzen neugierig. Ich begrüße sie und sie schüttelt mir mit festem Händedruck meine Hand. Sympathisch, dynamisch und offen wirkt sie in ihrem Auftreten. Ich bitte sie in den Raum und biete ihr den vorbereiten Platz an. Coachingumgebung Mein Coachingraum wirkt fast wie ein Wohnzimmer – warme Farben, ein paar ausgewählte Bilder von befreundeten Künstlerinnen und eine Zweiteilung des Raumes in einen in „Esstisch-Manier aufgestellten Tisch“, an dem es sich für „Tischarbeiten“ gut ausbreiten lässt sowie ein „Coaching-Eck“. Ein Flipchart und die Moderationswand zum Arbeiten im Blick, hinter der Moderationswand Fernseher und Videoausrüstung und gleichzeitig die Möglichkeit, den Blick über den ganzen Raum und nach draußen schweifen zu lassen. In der Coachingpraxis sollen Sie sich natürlich bewegen und in einer angenehmen Atmosphäre gut arbeiten können. Oft beziehe ich auch Küche und Balkon mit ein, um z. B. eine Pause einzulegen oder um Abstand nehmen zu können.
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Tipp: Achten Sie darauf, dass Sie sich in der Coachingumgebung wohl fühlen. Es ist hilfreich, wenn Sie das Coaching außerhalb des Unternehmens des Coachee durchführen. Frei von Ablenkungen aus dem Büroalltag können Sie sich besser Ihren Anliegen und dem Coaching widmen. Außerdem kann Ihr Coach jederzeit auf das reagieren, was Sie aktuell mitbringen und brauchen, weil sie alles, was sie dafür benötigt, in ihrer Praxis hat. Zurück zu Frau Klar. Sie tritt ein, bleibt stehen und nimmt erst einmal den ganzen Raum ins Visier. Ich frage sie, ob sie gut hergefunden und wie lange sie für den Weg von der Firma hierher gebraucht hat. Sie antwortet lebhaft, durchquert mit großen Schritten den Raum und nimmt Platz. Sie nimmt ihre Tasche auf den Schoß, kramt eine Weile darin herum und zieht ein Taschentuch hervor. Sie putzt sich die Nase, dann blickt sie mich erwartungsvoll an. Vor einigen Tagen hat sie mir ihren ausgefüllten Vorbereitungsbogen gefaxt. Ich bedanke mich bei ihr dafür und erläutere ihr kurz, wie wir beide jetzt vorgehen werden. Ich vergewissere mich, dass sie die Zeit, die ich angekündigt habe, auch mitgebracht hat. Sichtlich entspannt lehnt sie sich zurück. Zunächst erkläre ich Sandra Klar, wie ich als Coach vorgehe. Sie kennt bereits mein Coachingprofil aus dem firmeneigenen Coachingpool, in dem Kerndaten, Erfahrungen, Ausund Weiterbildungen sowie mein Coachingansatz beschrieben sind, und sie hat sich auch meine Homepage angesehen. Trotzdem frage ich sie, ob es etwas gibt, was sie gerne noch wissen möchte oder braucht. Tipp: Wenn Sie sich für ein Coaching entscheiden, sollten Sie vorab um ein Profil Ihrer Coach bitten. Achten Sie auf fachlich fundierte und erfahrene Begleitung. In diesem Profil sollten neben den Kontaktdaten und persönlichen Angaben folgende Fragen beantwortet sein: — — — — — — — — —
Seit wann als Coach tätig? Welche formale Ausbildung(en)? Ggf. welche Zusatzausbildungen? Spezieller Erfahrungshintergrund (z. B. Coachingprojekte, Führung in Linienfunktion, Projektarbeit, innerbetriebliche Berufserfahrungen) Branchenerfahrungen Zielgruppen für das Coaching Coachingschwerpunkte/thematische Schwerpunkte? Welche Definition für Coaching, welche Werteorientierung und Haltung? Informationen zu Konditionen und zum Vorgehen im Coaching ggf. Referenzen
Dann erkläre ich, dass wir über ihr Anliegen, Terminplanung und Honorarfrage sowie Stornobedingungen sprechen und ggf. eine Coachingvereinbarung schließen werden. Die Vereinbarung beinhaltet die genannten Punkte und darüber hinaus auch die Prinzipien (z.
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B. Freiwilligkeit, Verschwiegenheit gegenüber Dritten) und Grenzen im Coaching (keine Rechtsberatung, keine Therapie). Freiwilligkeit als Coachingprinzip Ein wesentliches Prinzip ist die Freiwilligkeit im Coaching. Hier erfahre ich, ob die Klientin Initiatorin und aus freien Stücken hier ist oder ob sie von jemanden dazu veranlasst wurde. Entscheidend ist, dass die Klientin ein Thema hat, für das sie von sich aus hier ist, sonst lehne ich das Coaching ab.
Abbildung 19
Auszug aus einer Coachingvereinbarung
Coaching ist eine individuelle Form der personenzentrierten Beratung und Betreuung auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens. Voraussetzungen: 1. Freiwilligkeit Das Coaching muss von Ihnen freiwillig gewünscht sein. Es besteht Ihrerseits ein begründetes Interesse an einer Beratungsbeziehung. 2. Diskretion Die im Coaching thematisierten Inhalte bleiben vertraulich und dienen auf keinen Fall zu Ihrer Beurteilung Dritten gegenüber. Im Coaching müssen auch heikle und sonst eher verschwiegene Themen angesprochen werden können. 3. Persönliche Akzeptanz Das Vertrauen zwischen dem Coach und dem Coaching-Partner sowie die gegenseitige Akzeptanz müssen von beiden Parteien gegeben sein.
Sandra Klar ist mit dem Vorgehen einverstanden und hat zunächst keine weiteren Fragen an mich. So bitte ich sie zu erzählen, wie es ihr im Augenblick geht, und darum, ihre Anliegen noch einmal persönlich zu schildern. Es gehe ihr gut im Augenblick, jetzt hätte sie erstmals Zeit, sich diesem Prozess wirklich zu widmen. Vorher hätte sie gar keine Zeit gehabt, das Coaching anzugehen. Dies wäre ihr bei der Beantwortung der Fragen im Vorbereitungsbogen gekommen und überhaupt denke sie, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt. Im Übrigen wäre das ihre freie Zeit, in der sie sich endlich um sich selbst kümmern könne. Sandra Klar schildert, dass sie 13 Kolleginnen bzw. Kollegen hat, die wie sie Abteilungsleiter unter ihrer Chefin seien. Jedoch nur zwei Kolleginnen wären, wie sie selbst auch, keine Fachkräfte. Denn, erklärt sie, bisher sei es in ihrem Unternehmen den besten Fachkräften vorbehalten gewesen, Führungskraft zu werden. Mit der neuen Strategie würden nun ganz
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gezielt Führungskräfte eingestellt, die sogar eher fachfremd, dafür aber für Führungsaufgaben ausgebildet worden wären. „Meine zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden das natürlich gar nicht toll, denn für die sind nur die jenigen gute Führungskräfte, die auch Spitzenkenntnisse im Fachbereich hätten. Sie können sich vorstellen, Frau Kraus, wie die auf mich reagieren!“, fügt sie bekümmert an. „Wie reagieren Ihre Mitarbeiterinnen denn?“, frage ich sie ganz ruhig. Die ersten kämen um sechs Uhr morgens und einige, die in Teilzeit arbeiten, würde sie manchmal nur kurz am Tag sehen. Und alle verlangen, dass sie Entscheidungen in Fachfragen trifft. Immer wieder reagierten einige Mitarbeiter unwillig, wenn sie dann lediglich mit ihnen klärt, wie sie selbst zu einer guten Entscheidung kämen. Natürlich fühle sie sich verantwortlich für die fach- und sachgerechte Entscheidung, aber sie verfüge nun mal nicht über das erforderliche Detailwissen. Ihre Mitarbeiter seien doch die Experten und sie sehe ihre Aufgabe darin, diese zu selbstbestimmter und guter Arbeit zu führen. Freilich hätte sie sich auch fachlich schlaugemacht und in ihrem Traineeprogramm hätte sie auch das ganze Metier kennengelernt. Aber eben nicht in der Tiefe wie die jeweiligen Mitarbeiter. Sie sei überzeugt, dass das Unternehmen mit der neuen Strategie auf einem guten Wege sei, aber ihre Leute und auch andere Führungskräfte würden es sie doch merken lassen, dass sie keine Expertin ist. Anfangs wäre ihr das gar nicht so aufgefallen, aber dann gab es Chaos und auch Widerstand, mit dem sie schwer umgehen konnte. Sie merke, dass sie es allen recht machen wolle und dass ihr das nicht gut gelingt. Und das mache sie wahnsinnig. Sie fühle sich zerrissen und müde, hätte Wut und Ärger verspürt und sich schlichtweg hilflos gefühlt. Bei dieser Beschreibung treten plötzlich Tränen in ihre Augen. Sie blickt mich an und hält zum ersten Mal inne. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie ohne Unterbrechung ca. zehn Minuten lang gesprochen. Sandra Klar sitzt nun seltsam starr auf ihrem Stuhl. Sie blickt mich mit verschwommenem Blick an. Mühsam hält sie die Tränen zurück. Ich spüre, dass sie mit ihren Gefühlen kämpft und noch Zeit braucht, um sich wieder zu fassen. Teilnahmsvoll sage ich: „Ja, und jetzt sind sie auch wieder da, diese Gefühle!“ „Ja, genau“, sagt sie mit weinerlich klingender Stimme. Sie schluchzt kurz auf. Dann festigt sich ihre Stimme wieder: „Und das ärgert mich auch! Ich war fast soweit aufzugeben. Ich wollte alles hinschmeißen, aber die wussten schon, dass ich das nie machen würde.“ „Hmmm, die wussten das schon?“, frage ich sie. „Wer wusste was genau?“ Jetzt lacht sie. „Wissen Sie, meine Chefin hat mich sozusagen empfohlen bekommen. Ich habe einen Mentor, meinen ehemaligen Chef, der mich seit vielen Jahren fördert und der dafür gesorgt hat, dass ich diese Stelle übernehmen kann. Im Übrigen war meine Chefin auch einmal eine Mitarbeiterin von ihm. Und da ist auch Frau P. aus der Personalentwicklung, die mich während meiner Zeit im Führungskräftenachwuchsprogramm betreut und das Ihrige dazu getan hat. Ich gebe nie auf, ich bin jemand, der sich durchbeißt, egal wie schwierig eine Situation ist. Das wissen beide. Und auch meine jetzige Chefin. Eigentlich
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komme ich oft mit Fragen zu ihr und dann merke ich, dass ich die Antworten schon längst mitgebracht habe. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, dass sie Antworten geben und ich von diesen Antworten profitieren kann. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie glaubt, ich bräuchte ihre Hilfe. Sicher hat mein Mentor ihr gesagt, ich würde jede Situation meistern, so wie er mich kennt.“ Nach dieser langen – fast trotzig vorgebrachten – Erklärung frage ich: „Sie möchten auch mal die Erfahrung machen, dass Ihnen geholfen wird? Dass Sie sich Rat holen können?“ „Ja“, Sandra Klar nickt bestimmt! „Dann könnte ich meine Lösungen überprüfen und muss mich nicht fragen, ob ich vielleicht etwas nicht berücksichtigt habe“, erwidert sie. „Ich will immer alles bedacht haben und habe Angst, irgendetwas vergessen zu haben.“ Ich frage sie, was dann in solchen Situationen passiert – also wenn sie eine Entscheidung trifft und die Angst kommt, nicht alles berücksichtigt zu haben. „Na ja“, erwidert sie. „Nach außen hin eigentlich nichts. Ich mache schon gute Erfahrungen mit dem, was ich tue. Nur innerlich bin ich angespannt. Aber meine Führungskraft hat gemerkt, dass es mir nicht gut dabei geht, und hat wohl deshalb dem Coaching zugestimmt.“ Wichtig ist neben dem Wissen zu Zahlen, Daten, Fakten das Bewusstsein des emotionalen Erlebens. Bewusste Gefühle sind hilfreich Die Beschreibung ihrer Situation notiere ich mir im Geiste. Sicher werden die verschiedenen Gefühle, die sie zum Ausdruck gebracht hat, in weiteren Sitzungen wieder spürbar werden. Dann macht es Sinn, sich näher damit auseinanderzusetzen. Für eine stabile Führungspraxis ist es notwendig, sich über die Wirkungen (Empfindungen, Gedanken, Handlungen etc.), die eine bestimmt Situation auslöst, bewusst zu werden und hilfreiche Strategien zu entwickeln, sie auszuprobieren und die daraus gewonnenen Erfahrungen wiederum zu reflektieren. Eine Dreiviertelstunde ist vorbei und ich möchte noch ein paar wichtige Fragen im Vorfeld klären. Gleichzeitig ist es natürlich spannend, bereits im ersten Gespräch so viele Hinweise für „Themen“ zur Bearbeitung zu bekommen. „Frau Klar, ich habe noch ein paar Fragen an Sie, um herauszufinden, wer alles ein Interesse an diesem Coaching haben könnte. Sind Sie bereit dazu?“ Sandra Klar strafft ihre Schultern und nickt. Sie wirkt wieder stabiler. Ihr Blick ist klar auf mich gerichtet. Ich frage sie also nacheinander folgende Fragen, die sie sehr konzentriert und nach einigem Nachdenken beantwort. „Frau Klar, können Sie mir bitte nochmals sagen, wie es dazu gekommen ist, dass wir heute hier zusammensitzen?“ „Wer hatte die Idee? Wer ist Initiator?“ „Wer wurde sonst noch kontaktiert?“ „Mit welchem Ergebnis oder welcher Entscheidung?“ „Laufen andere Lö-
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sungsprozesse zu Ihrem Vorhaben?“ „Wer ist die oder der Entscheider/in für den geplanten Prozess?“ Anfangs fällt es Sandra Klar leicht, diese Fragen zu beantworten. Bei der Frage, wer die Entscheidung für das Coaching getroffen hat, hält sie inne und überlegt: „Das ist eine interessante Frage“, meint sie. „Hmmm, eigentlich ich! Aber das kommt wohl darauf an, wer bezahlt?“ „Ja, das muss ich wohl noch klären! Morgen habe ich ein Gespräch mit meiner Führungskraft, da werde ich das ansprechen.“ Ich erläutere ihr, dass diese Klarheit sehr hilfreich für den Prozess ist. Wenn jemand anderes entscheidet, dass das Coaching stattfinden soll oder nicht, sind damit Interessen und Vorstellungen verbunden, die es zu klären gilt. Und es hat Auswirkungen auf die Motivation, die Arbeitsweise und auch auf den Erfolg. Tipp: Sie wollen, dass Ihnen das Coaching hilft, Ihre Ziele zu erreichen! Ohne eigenes Interesse und Vorstellungen für eine Zusammenarbeit im Coaching ist der Erfolg gefährdet. Das Auseinandersetzen mit eigenem und fremdem Verhalten und den daraus resultierenden (Aus-) Wirkungen sowie Problembearbeitungen mit gewünschten Veränderungen und Lernen finden nur statt, wenn Sie es wollen! Wir klären in einer nächsten Frage: „Wer hat alles ein Interesse an Ihrer Weiterentwicklung als Führungskraft? Was glauben Sie?“ Systemische Perspektive Die systemische Perspektive befasst sich damit, wie das Umfeld die Veränderungen beim Coachee wahrnimmt und mit ihnen umgeht. Systemische Fragen ziehen das Beziehungsgeflecht des Coachees in das Coaching mit ein: „Wer ist im beruflichen oder/und privaten Umfeld interessiert an einer Veränderung? Wer nicht?“. „Wer hat welches Interesse an welchen Veränderungen“; „Wer würde alles eine Veränderung des Klienten erkennen und woran?“ und „wie würde sich diese Person dann verhalten“? „Welche Auswirkungen hätte das wiederum auf den Klienten?“ Diese Vorgehensweise unterstützt eine „Problemorientierung, die löst“, bzw. ein „lösungsorientiertes Vorgehen“. Zunächst ist sie fast entgeistert ob dieser Frage. Für einen Augenblick ist sie ratlos. Dann fasst sie sich wieder: „Außer mir? Hmmm, da muss ich echt überlegen!“ Nach und nach kommen einige Personen ins Gespräch. Zunächst ist da ihre Chefin, die aber ohne ihren Mentor aus dem Unternehmen, den sie bereits vorher erwähnte, selbst wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen wäre, sie als Führungskraft zu engagieren, meint sie! Wir klären, welche Gründe ihre Chefin möglicherweise hatte, ihr das Coaching vorzuschlagen: ȭ
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Frau B. ist aufgefallen, dass es mir nicht gut geht – es ist ihr wichtig, dass ich erkenne, warum das so ist und Ansätze entwickle, damit umzugehen. Sie will, dass es mir wieder gut geht. Sie will stabile und gute Leistung von mir.
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Sie will, dass ich lerne, mit den Herausforderungen meiner Gruppe und der damit verbundenen Führungsaufgabe gut umzugehen. Sie kann sich einen Wechsel der Führungskraft nicht schon wieder leisten (innerhalb der letzten fünf Jahre gab es für diese Abteilung drei Führungskräftewechsel!). Sie glaubt daran, dass ich es schaffe, die bisher schlechte Performance der Gruppe in eine gute Performance zu wandeln. Sie will einer von mir gewünschten Projektleitung für ein großes und wichtiges Unternehmensprojekt erst zustimmen, wenn sie das Gefühl hat, ich kann meine Führungsarbeit gut leisten.
Weiter fallen ihr der ehemalige Chef und Mentor ein. Indirekt hätte auch Frau P. aus der Personalentwicklung ein Interesse daran. Auf meine Frage, ob es auch in ihrem privaten Umfeld jemand gibt, der ein Interesse an ihrer persönlichen Weiterentwicklung haben könnte, nennt sie ihren Ehemann: „Mit ihm habe ich natürlich über das Coaching gesprochen. Er findet es gut, wenn ich das mache. Er meint, ich müsse von der hohen Erwartungshaltung mir gegenüber runterkommen. Eigentlich will er einfach, dass es mir besser geht.“ Plötzlich verdüstert sich ihre Miene: „Und wissen Sie, wer definitiv kein Interesse daran hat, dass ich gut bin?“ Fragend schaue ich sie an und weiß im gleichen Augenblick die Antwort: „Meine lieben Führungskräfte-Kollegen und Kolleginnen“ schnaubt sie fast verächtlich! „Die meisten jedenfalls freuen sich doch über jede Situation, in der ich etwas noch nicht weiß oder nicht kann!“ Interessen und Auswirkungen Im nächsten Schritt kläre ich mit ihr, wie die genannten Interessen und Gründe der Personen auf sie wirken. Wie bewertet die Klientin die Gründe der anderen Personen? Welche Gefühle, Gedanken, Fragen, Hypothesen, Aktionen, Handlungen entstehen daraus? Schließlich soll die Klientin ihre eigenen guten Gründe für eine Weiterentwicklung im Rahmen eines Coachings herausfinden, die durchaus ihre Ursache in dem Wollen und den Wünschen anderer relevanter Bezugspersonen haben können. Sich diese bewusst zu machen ist hilfreich, um eigenverantwortlich und selbstbewusst Entscheidungen z. B. für Ziele und Maßnahmen treffen zu können. Bereits im Vorbereitungsbogen erklärt Sandra Klar, dass sie gerne wieder Projektarbeit machen möchte. Ich frage sie, ob das etwas ist, was wir im Coaching näher klären oder bearbeiten sollten? Ja, sicher, das sei ihr ganz wichtig, klärt sie mich auf. Ihr wäre klar, warum ihre Chefin ihr mitgeteilt hätte, sie müsse erst einmal in die Führungsaufgabe hineinwachsen, bevor sie ein Projekt bekäme. Sie hätte ab Januar ein Projekt in Aussicht. Bis dahin, also in etwa neun Monaten, möchte sie sich Zeit geben, ihre Abteilung so gut in den Griff zu bekommen, dass sie auch das Projekt nebenher machen könne.
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Ich frage weiter: „Angenommen, Sie haben Ihr Ziel „Meine Mitarbeiterinnen akzeptieren und respektieren mich als Person und als ihre Führungskraft“ erreicht, woran würden Sie und auch Ihre Mitarbeiterinnen das konkret erkennen?“ „Ich strahle Sicherheit aus, insbesondere in Besprechungssituationen. Die Mitarbeiter würden einheitlich nach den definierten Qualitätskriterien arbeiten. Ich würde mit den Mitarbeitern weniger unterschiedlich kommunizieren. Einige würde ich viel mehr einbinden als andere, da diese einen anderen Horizont haben. Alle würden erkennen, was wichtig ist und danach handeln.“ „Und“, fügt sie hinzu, „ich kann dann auch gut zu meinen Entscheidungen stehen und fühle mich auch nach den Entscheidungen gut.“ Bisher würde sie sich oft fragen, ob sie richtig entschieden habe, und dann vor lauter Sorge, sie hätte irgendetwas nicht ausreichend berücksichtigt, Entscheidungen wieder rückgängig machen. Das käme bei den Mitarbeitern nicht gut an. „Ach ja“, sagt sie weiter, „und ich merke es daran, dass die Mitarbeiter eigenständig denken und handeln können.“ Einen kurzen Augenblick wirkt sie sehr nachdenklich. Dann sackt sie merklich im Stuhl zusammen. Ihre Hand reibt mehrmals über den Tisch. Ihr Blick ist gesenkt. Vom Augenblick ihres Kommens, der Begrüßung, über den Moment der Tränen in ihren Augen bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich mehrmals an ihrer Körperhaltung ihre jeweilige Stimmung deutlich spüren. Gerade eben saß sie noch aufrecht und lächelnd am Tisch und schien sich wohl zu fühlen. Sie richtet sich leicht wieder auf und sagt zögerlich und leise „Dann möchte ich, dass wir in jedem Fall noch ein Thema aufnehmen. Ich bin Anfang 30, habe vor vier Wochen geheiratet und wir leben jetzt zusammen. Ich möchte ein Kind, aber das geht jetzt keinesfalls. Das weiß ich, wie soll ich das unter einen Hut bringen?“ Ihre Stimme wird wieder fester: „Wir müssen das sehr strategisch angehen, nicht? Am besten, wenn ich mich unentbehrlich gemacht habe“, stellt sie fest! „Daran muss ich aber noch arbeiten. Das geht jetzt auf gar keinen Fall!“ Den letzten Satz spricht sie wieder sehr bestimmt und mit aufrechtem Kopf. Mittlerweile sind 75 Minuten vergangen. An diesem Punkt, frage ich sie, ob sie für ihre Entscheidung, mit mir im Coaching zusammenzuarbeiten, noch etwas bräuchte. Was ihr in unserer Zusammenarbeit wichtig sei, was ich noch wissen müsse? Es gehe ihr gut mit mir, sagt sie und sie hätte das Gefühl, dass wir bereits mitten im Coachingprozess wären. Ich bestätige dies und stelle für mich fest, dass mir die Klientin weiterhin sehr sympathisch ist, dass sie mich interessiert und ich gerne mit ihr arbeiten möchte. Ich teile ihr genau das mit und dass ihre Anliegen und Themen gut in einem weiteren Coaching bearbeitet werden können. Sandra Klar strahlt: „Schön, dann lassen Sie uns die Sache zusammen angehen!“ Nun muss noch geklärt werden, was jede von uns für eine gute Zusammenarbeit noch braucht, wo die Grenzen liegen und welche Risiken bestehen könnten. Ich erkläre, dass Coaching ein Prozess ist, der auch ein gewisses Risiko birgt. Es könnten Themen und Situationen entstehen, die zunächst als schwierig oder unangenehm empfunden werden können.
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Und dass wir nie konkret vorher wissen, wie das Umfeld auf unsere persönliche Entwicklung reagiert. Sandra Klar nickt nachdenklich. „Ja“, sagt sie. „Das gehört wohl dazu. Aber mit Ihnen kann ich ja dann auch wieder darüber reden, nicht?“ Ich erinnere sie daran, dass sie diejenige ist, die die Themen im Coaching entscheidet. Tipp: Im Coaching werden die Ziele und Themen bearbeitet, die Sie einbringen und die Ihnen wichtig erscheinen. Gleichzeitig kann es aber sein, dass eine Auseinandersetzung mit tiefer liegenden oder weiteren Themen nötig ist, ohne die das ursprüngliche Anliegen nicht ausreichend bearbeitet werden kann. Die Coach wird dazu Feedback geben und Vorschläge machen, die Sie wiederum annehmen oder ablehnen können. Damit wirklich Neues entsteht – sei es in der Art und Weise zu empfinden, zu denken oder zu handeln – braucht es manchmal den Mut, auch heikle oder verschwiegene Themen anzusprechen. In den letzten zehn Minuten sprechen wir noch über die bereits mit dem Unternehmen vereinbarten Konditionen, ihre finanzielle und zeitliche Investition und den Starttermin. Ich bitte sie darum, mir in zwei Tagen Bescheid zu geben, wie sie sich entschieden hat, was sie zunächst irritiert: „Sie habe sich schon längst für das Coaching mit mir entschieden“, meint sie. Ich antworte, dass ich mich darüber freue und dass es trotzdem gut ist, wenn sie mir in zwei Tagen noch mal ganz offiziell Bescheid gebe. So könne sie auch noch mit ihrer Chefin über dieses Treffen sprechen und die Frage klären, wer sonst noch entscheidet. „OK, einverstanden“, stimmt Sandra Klar nun zu. „Dann kann ich nach diesem Gespräch auch gleich die Coachingvereinbarung unterschreiben und Ihnen zuschicken.“ Beim Abschied dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Ach wissen Sie was? Ich werde meine Chefin fragen, woran sie denn merken würde, dass ich meine Ziele erreiche.“ Verschmitzt lächelt sie und sagt: „Das wird sie erstaunen. Sie und ich werden vielleicht zum ersten Mal das Gefühl haben, das ich die Antworten vorher nicht alle kenne – sondern wirklich was Neues erfahren.“ „Und noch etwas“, fügt sie hinzu: „Am Anfang hatte ich die Empfehlung und das Angebot zum Coaching. Jetzt aber weiß ich, dass ich es will und was ich will!“
Und so ging es weiter Es sind knapp zwölf Monate vergangen. In diesem Zeitraum hatten wir insgesamt zehn Treffen. Sandra Klar hat mittlerweile eine Projektleitung innerhalb eines groß angelegten Veränderungsprojektes im Unternehmen übernommen. 30 Prozent ihrer Arbeitszeit sind für das Projekt veranschlagt, mit 70 Prozent ihrer Arbeitskapazität leitet sie ihre Gruppe. Bis zum Projektstart hatte sie das Team knapp neun Monate geführt. Bereits fünf Monate nach ihrem Antritt im Mai und nach drei Coachingtreffen gehörte ihr Team mit zu den Besten im Haus. Der gravierende Rückstand vom Mai des Jahres (3.900 Akten) konnte Anfang Oktober auf null Akten Rückstand abgearbeitet werden. Ihre Mitar-
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beiterInnen konnten darüber hinaus aktiv anderen Bereichen Kapazitäten zur Abarbeitung von Akten im Rückstand anbieten. Innerhalb des Teams kam es zu einer Arbeitszeitaufstockung in acht Fällen. Noch im Mai des Jahres hatten zehn von zwölf MitarbeiterInnen eine befristete Arbeitszeitreduzierung von 38 auf 35 Stunden beantragt, die außerdem Überstunden und Samstagsarbeit ausschloss. Diese MitarbeiterInnen bekundeten, nach Auslaufen des befristeten Vertrages wieder auf 38 Stunden Arbeitszeit aufzustocken. Sie gaben an, dass ihnen die Arbeit sehr viel Spaß mache und sie sich jetzt wieder viel wohler fühlen. Im Juli und September des Jahres wurde je eine neue qualifizierte Mitarbeiterin eingestellt. Diese konnten gut in die bestehende Gruppe integriert werden. Das von Sandra Klar empfundene distanzierte Verhältnis zwischen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihr veränderte sich. Sie gab an, dass sie freundlicher gegrüßt, ihr persönlich Erlebtes erzählt und sie in laufende Gespräche mit einbezogen werde. Sandra Klar erhält auf dem Mitarbeiterfest erstmals von einzelnen Mitarbeitern ausgesprochen positives Feedback. Sie sei ein Vorbild und sie würden sich sehr wohl fühlen. Es würde toll sein, wenn sie noch recht lange ihre Führungskraft bliebe. Auch von Ihrer Chefin kommt positives Feedback. MitarbeiterInnen hätten ihr gesagt, dass sie sehr zufrieden seien mit ihrer Führungskraft Sandra Klar. Besondere Zufriedenheit äußerte die Chefin über die verbesserte Arbeitsqualität der Gruppe. Die Fehlerhäufigkeit minderte sich bis Jahresende drastisch. Im November dieses Jahres sank die Fehlerquote in der Bearbeitung der Fälle auf zwei Prozent im Vergleich zu 20 Prozent im Mai. Neben der Arbeit an Führungsthemen (Führungsethik, Führungsverhalten, Teamentwicklung etc.) arbeiteten wir an persönlichen Themen. Sandra Klar wurde sich bewusst, dass ihre Antreiber „Sei perfekt“ und „Mach schnell“ zwar durchaus nützlich für ihre bisherige Berufsentwicklung waren, jedoch in zwischenmenschlichen Beziehungen und in Bezug auf ihr persönliches Wohlempfinden Probleme verursachten. Diese wollte sie gerne lösen. Es galt zunächst herauszufinden, welche hilfreichen Aspekte beizubehalten sind, und wo und in welcher Weise es veränderte oder neue Einstellungen braucht. „Ich bin gut so, wie ich bin“ und „Ich darf mir die Zeit nehmen, die es braucht“ lauteten z. B. zwei ihrer neuen Glaubensätze. Nach einigen Wochen üben und reflektieren, stellte sie fest, „ich fühle mich positiver gestimmt“, „ich empfinde mich gelassener im Umgang mit Menschen und Zeit“, und die „Ergebnisse und Erfolge stimmen trotzdem“. Die Zusammenarbeit mit ihren Führungskräfte-Kolleginnen und Kollegen – ein weiteres Problemfeld für Sandra Klar – verbesserte sich allmählich. Diese hatte sie über lange Monate als ihr feindlich gestimmt und abwertend empfunden. Als jüngst eingestellte Führungskraft, an Alter jüngste und eine der wenigen Führungskräfte, der besondere Aufgaben und Projekte übertragen wurden, unterlag sie mit ihrem Auftreten und Vorstellungen bestimmten Dynamiken, die sie nahezu erbittert bekämpfte. Ihren Ärger und ihre Enttäuschung brachte sie in unsere Treffen mit.
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Hier arbeiteten wir im Wesentlichen an der Wahrnehmung meiner Klientin, ihren Gefühlen und an dahinterliegenden Anliegen und Bedürfnissen (die ihrigen wie auch hypothetisch die der Kollegen). Sandra Klar lernte diese anzuerkennen, in ihre Denkwelt zu integrieren und Probleme mit KollegInnen in „neuem Licht“ zu betrachten. Dies hatte zur Folge, dass sie in ihren starken Emotionen gelöster wurde und diese besser artikulieren konnte. Mit einem Leitfaden übten wir, ihre Anliegen für die Arbeit mit den KollegInnen hilfreich zu formulieren und wertschätzendes Feedback zu geben. Innerhalb eines halben Jahres wurden die Anliegen im Zusammenhang mit Führungskräfte-KollegInnen immer seltener, bis auf eine Person, mit der sie auch heute gelegentlich „Themen“ hat. Ende November erhielt sie die Zusage für die Projektleitung. Die Mitteilung löst im Team zunächst Bestürzung aus. Die Befürchtung, dass sie nicht mehr für sie da sein wird, wurde thematisiert. Sandra Klar teilte mit, dass im Rahmen der Mitarbeitergespräche Entwicklungspotenziale und weiterreichende Kompetenzen besprochen werden. Jede/r solle sich vorab überlegen, wo und wie er sich weiterentwickeln kann und will. Es soll eine zusätzliche fachliche Führung eingeführt werden. Etwa zu diesem Zeitpunkt führten wir auch das gemeinsame Midterm-Feedback durch. Sandra Klar erfuhr konkrete Hilfestellung seitens ihrer Chefin, nachdem sie ihre Anliegen für die Planung der Mitarbeitergespräche und der Projektzeit selbst zum Thema machte. Sandra Klar lernte, wenn sie wirklich Hilfe brauchte und sie es von sich aus ansprach, bekam sie diese auch von ihrer Führungskraft. Die Gespräche mit den MitarbeiterInnen verliefen zeitlich planmäßig und wurden von Sandra Klar als erfolgreich bewertet. Alle hätten sich Gedanken zur Weiterentwicklung gemacht und einige seien bereit gewesen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Allerdings wäre es nicht leicht gewesen, die fachliche Führung zu benennen, da es zwei Mitarbeiterinnen gab, die diese gerne übernehmen wollten. Im Coaching klärten wir noch einmal intensiv die relevanten Kriterien für diese Aufgabe und die Potenziale und Voraussetzungen der zwei Bewerberinnen. Am Folgetag hatte sie eine Entscheidung gefällt, die sie den beiden Mitarbeiterinnen kommunizierte. In einer kurzen Notiz per E-Mail an mich schrieb sie, dass es Schwierigkeiten bereitet hätte, diese eine Mitarbeiterin enttäuschen zu müssen. Wir widmeten uns diesen Themen „Enttäuschen – Nicht Erfüllen von Erwartungen – unpopuläre Entscheidungen treffen müssen“ im nächsten Coaching, in dem wir „beide Seiten der Medaille“ einer erfolgreichen Führung reflektierten, an zentralen Managementaufgaben und wiederum an neuen hilfreichen Haltungen und Verhaltensweisen der Führung arbeiteten. In weiteren Sitzungen setzte sich Sandra Klar mit ihren persönlichen Grundenergien und Strategien im Konfliktverhalten und mit dem Erarbeiten hilfreicher Wege zur Konfliktbearbeitung auseinander. Dies half meiner Klientin, aktiver mit Konfliktsituationen umzugehen und auftretende Probleme zu lösen. Tipp: Ein guter Coach sorgt für ein regelmäßiges Feedback zum Coachingprozess. Am Ende einer jeden Sitzung sollte Zeit eingeplant sein, über das persönliche Befinden, das
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Vorgehen und über wesentliche Erkenntnisse der jeweiligen Sitzung zu sprechen. Als Coach merke ich, ob ich die Klientin gut gehen lassen kann oder ob sie noch etwas braucht und was wir für das nächste Mal berücksichtigen wollen. Das Abschlusscoaching fand ziemlich genau ein Jahr nach der ersten Sitzung statt. Am Flipchart vor mir arbeitete eine zielstrebige, an Erfahrung reicher gewordene und zufriedene junge Frau an ihrer persönlichen Zielskalierung. Abschluss des Coachings und Zukunftsfragen Wo befinde ich mich in der Zielerreichung heute? Und wie geht es mir dabei? Was hat mir dabei geholfen? Wie kann ich das sicherstellen? Diese Fragen werden am Ende jedes Treffens und zum Abschluss des Coachings intensiv besprochen und ggf. auch visualisiert. Darüber hinaus ist es wichtig, Zukunftsfragen zu klären und aufbauend auf den bereits erworbenen Fähigkeiten und Stärken, Wege und Hilfestellungen sowie potenzielle weitere Entwicklungsfelder zu skizzieren. In einem zweistündigen Abschlussgespräch nach den zehn erfolgten Treffen klärten wir diese Fragen. Sandra Klar ist traurig, dass die regelmäßigen Coachings zu Ende sind. Gleichzeitig fühlt sie sich sicher und gestärkt für die nächsten Monate. „Am besten hat es mir gefallen, mich mit Ihnen über meine Gedanken, meine Befürchtungen, meine Handlungen auszutauschen. Wo hat man so was schon im Berufsalltag. Sie waren für mich ein kritischer Spiegel und wertvolle Impulsgeberin. Ich habe mich sowohl in meinen beruflichen wie auch persönlichen Anliegen gut aufgehoben gefühlt. Und ich bin überaus zufrieden mit dem, was ich erreicht habe.“ Mit einem Abschiedsritual beenden wir ganz offiziell das bisherige Coaching mit der Haltung: „Ich würdige, was gewesen ist, und bin offen für das, was kommt. Dabei habe ich alles, was ich brauche, um mit gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen hilfreich umgehen zu können.“ Check-the-Coach Über das persönliche Feedbackgespräch hinaus, bitte ich die Klientin um eine formale Rückmeldung, die sie mir einige Wochen nach Beendigung des Coachings zusendet. Dafür nutze ich einen sogenannten „Check-the-Coach“-Fragebogen, in dem alle Aspekte eines erfolgreichen Coachings aufgeführt sind. Als Coach erhalte ich so wertvolle Hinweise und Anregungen für meine Arbeit. Wir vereinbaren, dass sich Sandra Klar in ca. drei bis sechs Monaten für ein „Transfercoaching“ und einem weiteren Termin für das Transfergespräch mit ihr und der Führungskraft meldet. Wir sind beide schon neugierig, wie die Ergebnisse aus dem Coaching im Alltag weiterhin spürbar bzw. welche Wirkungen auf wen beobachtbar sind. Tipp: Sichern Sie den Erfolg des Coachings auch langfristig! Um die Effektivität des Coachings zu überprüfen, empfiehlt es sich, nach einem gewissen Zeitraum sogenannte
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Transfercoachings wahrzunehmen, um den mittel- und langfristigen Nutzen des Coachings zu überprüfen und ggf. weitere Themen und Anliegen zu besprechen.
Nachtrag Es ist ein Jahr vergangen. Ich erhalte eine ausführliche Weihnachtsmail. Sandra Klar schreibt, welche besonderen Ereignisse sich zugetragen haben und wie es weiter geht. Unter anderem ist sie in freudiger Erwartung eines Kindes, und hat den Plan, ab September wieder in die Arbeit zurückzukehren. Sie beschreibt, dass und wie sie die eigene Abteilung zum Jahresende auflösen musste und dass ab Anfang des neuen Jahres neue größere Abteilungen entstehen. Sandra Klar findet es sehr schade, „... die ganze Arbeit in der Abteilung (Teambildung, Arbeit an Produktivität und Qualität) hat sich letztlich zumindest innerhalb dieser Abteilung nicht rentiert, dabei hat die Erfolgskurve immer gut nach oben gezeigt. Naja, ich hab viel gelernt, das ist auf jeden Fall sicher.“ Sie schreibt weiter, wie ihr die im Zeitraum des Coachings erlernten Sicht- und Verhaltensweisen sowie ihre kontinuierlichen Führungserfolge in diesem Jahr auch bei der schwierigen Aufgabe „Auflösung der eigenen Abteilung innerhalb zwei Monaten“ geholfen habe. Sie finde, sie habe sich bewährt, wenn auch mit Blessuren und traurigen Momenten. Nicht zuletzt deshalb habe sie die feste Zusage ihres dann neuen Chefs, nach der Babypause wieder eine Führungsstelle zu erhalten. Ihr neuer Chef ist ihr ehemaliger Mentor und Chef aus frühren Jahren, der sie aufmerksam während ihrer Entwicklungszeit beobachtet hat und überzeugt ist, eine fähige Mitarbeiterin und Führungskraft für seinen Bereich gewinnen zu können. Wertschätzung und Erfolg Über diese Rückmeldung habe ich mich sehr gefreut. Es ist ein seltenes und wertvolles Geschenk, ein Jahr später Rückmeldung zu erhalten. Das zeugt von Vertrauen (welches ja Voraussetzung für das Coaching war) und bietet eine Gelegenheit der Qualitäts- und Erfolgskontrolle der Maßnahmen (denn für mich ist die langfristige Wirkung wichtiger als die kurzfristige Euphorie der Klienten). Liebe Leserin, lieber Leser, viele solcher spannenden Entwicklungen und Erlebnisse habe ich im Laufe meiner Praxis erfahren und begleiten können. Vielleicht hat Ihnen diese Geschichte meiner Klientin anregende oder wiedererkennende Momente beschert. Vielleicht habe ich Ihnen mit diesen Ausführungen für Ihre Coachingentscheidung helfen können. Das würde mich sehr freuen. Nachstehend finden Sie hilfreiche Fragen zum Nachspüren und Nachdenken sowie verwendete und weiterführende Literatur zum Thema. Mit den besten Wünschen für Ihre persönliche und berufliche Entwicklung!
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Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Woran werden Sie heute und zukünftig erkennen, dass ein Coaching für Sie nützlich wäre? Welchen inneren oder äußeren Widerständen könnten Sie dabei begegnen und wer könnte Ihnen helfen, diese zu überwinden? Was wäre für Sie/für andere ein erstes Anzeichen für eine positive Entwicklung?
Literatur und Quellen Backhausen, Willhelm, Thommen, Jean-Paul (2006). Coaching: Durch systemisches Denken zu innovativer Personalentwicklung, Wiesbaden Bayer, Hermann (2008). Die 4-Level-Evaluation der Ergebnis- und Prozessqualität im Coaching in: OSC Zeitschrift 15 2:207-222 Deutscher Bundesverband Coaching e. V. (DBVC). Coachingdefinitionen DIN Deutsches Institut für Normung e. V.. PAS 1029 Kompetenzfeld Einzel-Coaching, 2008, Berlin (siehe Anhang) Radatz, Sonja (2007). Coachinggrundlagen für Führungskräfte: Mit Coaching neue Weichen in der Führung stellen, Wien Rauen, Christopher (2008). Coaching, Göttingen Schulz von Thun, Friedemann, Fischer-Epe, Maren (2004). Coaching: Miteinander Ziele erreichen, Reinbek bei Hamburg
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Feedback und Kommunikation als Führungsmittel Angelika Härlin „Ich sehe meine Mitarbeiter doch jeden Tag. Warum dann noch ein formelles Einzelgespräch?“ Seit Jahren führe ich Seminare zum Thema „Mitarbeitergespräche“ durch. Immer wieder lassen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Beginn durchblicken, dass sie institutionalisierte Mitarbeitergespräche eher als lästige Pflicht betrachten. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema führt jedoch am Ende oft zu dem Fazit: „Ich freue mich jetzt richtig auf das Mitarbeitergespräch und bin gespannt, wie es laufen wird.“ Mich würde es freuen, wenn es Ihnen am Ende der Lektüre auch so geht.
Zur Einstimmung auf das Gespräch „Anruf vom Chef“ – Gedanken und Gefühle vor dem Start Das Gespräch beginnt schon vor dem Gespräch. „Frau Schmidt, Herr Wesel, Sie sollen mal kurz zum Chef kommen!“ Auf die Frage, welche Reaktion diese Aufforderung vermutlich bei den angesprochenen Mitarbeitern auslöst, höre ich in meinen Trainings fast niemals die Antwort: „Vermutlich Neugier?“ oder „Vermutlich Freude – sicher will er ihnen sagen, wie zufrieden er mit dem Projektstart ist?“ Stattdessen die Mutmaßung: „Wahrscheinlich Erschrecken – Was will er von mir?“ „Habe ich etwas falsch gemacht?“ oder: „Muss das jetzt sein?“ In den meisten Unternehmen gilt die ungeschriebene Regel: „Nichts gesagt ist genug gelobt.“ Es wird sich also eher um eine Sachfrage, ein Ärgernis oder eine Alltäglichkeit als um ein überraschendes Lob handeln, wenn Chefs ihre Mitarbeiter außerhalb fester Gesprächstermine zu sich bitten. Das bevorstehende Gespräch unbekannten Inhalts erzeugt deshalb bei vielen Mitarbeitern einen eher negativen Erwartungsdruck, eine innere Anspannung, die das Gespräch dann verständlicherweise unterschwellig beeinflussen.
Entspannen Sie sich. Bereiten Sie sich inhaltlich vor. Angespannt sind jedoch vermutlich auch Sie als Führungskraft vor Mitarbeiterjahresgesprächen, falls Sie selbst (noch) keine Übung oder keine guten Erfahrungen damit gemacht haben oder Ihnen das Gespräch mit einem schwierigen Mitarbeiter bevorsteht. Vielleicht sehen Sie auch keinen Sinn in dieser Form des Gesprächs: „Ich sehe meine Mitarbeiter doch jeden Tag. Warum dann noch ein formelles Einzelgespräch?“, „Wozu ein Mitarbeiterge-
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spräch? Als ob wir nicht schon genug zu tun hätten!“ All das klingt plausibel und nachvollziehbar, ist für den Gesprächserfolg aber keine förderliche Einstellung. Zurückhaltung, Skepsis, Anspannung auf beiden Seiten sind das emotionale Polster, auf dem Sie womöglich mit Ihren Mitarbeitern in das Mitarbeitergespräch hineinschlittern würden. Ich möchte Sie ermutigen, stattdessen eine Haltung der Gelassenheit und Zuversicht zu entwickeln und sich so vorzubereiten, dass das Gespräch ein Gewinn für beide Seiten werden kann.
Was ist ein Mitarbeitergespräch? Ihr Arbeitsalltag beinhaltet vielfältige und selbstverständliche Gesprächskontakte mit Ihren Mitarbeitern; Mitarbeitergespräche im weitesten Sinn. Wir beschäftigen uns hier mit der institutionalisierten Form des Mitarbeitergesprächs, die seit Jahren als Führungsinstrument in Organisationen eingeführt ist. Viele der dargestellten Anregungen werden Sie das ganze Jahr über brauchen und einsetzen können. Denn das Jahresgespräch lebt vom Kontakt zu Ihren Mitarbeitern während des Jahres. Abhängig von Ihrem Unternehmen kennen Sie das Mitarbeitergespräch (Mitarbeiterjahresgespräch, Personalgespräch): ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
als Leistungsbeurteilungsgespräch, als Zielvereinbarungs- und Zielerreichungsgespräch, als Argumentationsbasis für die variable Vergütung, das Leistungsentgelt, als Personalentwicklungsgespräch als Vier-Augen-Gespräch „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, als Kombination mehrerer dieser Elemente. Wir werden uns hier mit dem VierAugen-Gespräch beschäftigen, ohne Bezug auf Zielvereinbarung und Vergütung.
Schwerpunkte Im formellen Mitarbeitergespräch liegt der Fokus nicht auf den Tagesaktualitäten mit ihren emotionalen und sachlich bedingten Höhen und Tiefen. Hier werfen Sie als Chef und Mitarbeiter vielmehr in aller Ruhe einen umfassenden Blick – bildlich gesagt von außen oder von oben – auf Ihre Zusammenarbeit und das Arbeitsumfeld. Der Blick auf die Mitarbeiter: Ausgewogenheit ist wichtig Dabei spielen das Geben und Annehmen von Feedback eine entscheidende Rolle. Nicht nur was negativ, störend und veränderungsbedürftig ist, sondern auch, was Sie beide als positiv und erfreulich erlebt haben, soll im offenen Dialog zur Sprache kommen. Gute Leistungen erwarten Sie mit Recht und selbstverständlich von den Mitarbeitern. Deshalb bleiben sie im Alltag meist unerwähnt. Doch wo die erwartete Leistung ausbleibt, geraten Arbeitsprozesse aus dem Ruder, und darüber wird dann meist sehr viel gesprochen. Im Mitarbeitergespräch haben Sie die Gelegenheit, Anerkennung und Würdigung „normaler“ oder überdurchschnittlich guter Leistungen ins rechte Licht zu rücken und wertzu-
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schätzen. Sie werden bei Leistungsdefiziten Vorschläge erarbeiten, wie die Arbeit wieder „rund“ läuft, Handlungsalternativen entwickeln und individuelle Ziele ableiten.
Der Blick auf die Führungskraft: Anregungen positiv aufnehmen Als Führungskraft hören Sie vermutlich selten ganz offen, wie Ihr Führungsverhalten von den einzelnen Mitarbeitern erlebt wird: was sie wirklich an Ihnen schätzen, was sie nicht an Ihnen verstehen und was sie ärgert. Das Mitarbeitergespräch schafft Raum für persönliche Rückmeldungen. Nehmen Sie das Feedback möglichst gelassen und wohlwollend an. Auch wenn Sie nicht alles erfahren werden, was die Mitarbeiter über Sie denken, Sie erhalten so hoffentlich überraschende, nützliche Hinweise bezogen auf Ihr Handeln und Ihre Wirkung sowie über das Verhältnis der Mitarbeiter zu Ihnen. Dieses kostbare Wissen gilt es, gut zu behandeln, und die Mitarbeiter, die sich trauen, Ihnen eine ehrliche Rückmeldung zu geben, nicht durch beleidigte oder verständnislose Reaktionen zu verschrecken, oder, schlimmer noch, Ihren Ärger später an ihnen auszulassen.
Der Blick auf die Sache: Gute Ideen werden gerettet Retten Sie verschüttete Anregungen und Ideen vor dem Verlust. Im Mitarbeitergespräch spielen auch Sachaspekte eine wichtige Rolle: Arbeitsabläufe, das Zustandekommen von Ergebnissen und das Zusammenspiel der Kräfte. Der klare Blick darauf kann für Sie ans Tageslicht befördern, was Einzelne oder alle Mitarbeiter oft gedacht, aber noch nicht ausreichend angesprochen oder angepackt haben. Hier ist Platz für den Austausch. Auch Sie selbst werden sich auf Dinge besinnen, die im Tagesgeschäft keinen Raum fanden, langfristig jedoch wichtig sind. Das Mitarbeitergespräch rettet auf allen Seiten Anregungen, Ideen und Denkanstöße vor dem Verlorengehen. Das Mitarbeitergespräch wird so im Idealfall zur „Königsdisziplin positiver Führung“ (Kienbaum 2003). Das klingt gut, doch damit es funktioniert, bedarf es der Wertschätzung und des Vertrauens. Beides ist abhängig von der Qualität des Kontakts und der Kommunikation.
Der Nutzen von Mitarbeitergesprächen Auf dem Hintergrund eines „vorgeschriebenen“ Gesprächsrahmens können alle Beteiligten allmählich neue Routinen in der Gesprächskultur entwickeln. Hier haben sie Gelegenheit, sich besser kennen und verstehen zu lernen, sich aufmerksam zuzuhören, konstruktives Feedback „nach den Regeln der Kunst“ zu trainieren und im Arbeitsalltag kontinuierlich fortzusetzen. Ich wünsche Ihnen, dass der gegenseitige konzentrierte Austausch nicht nur Ihnen als Führungskraft gut tut und Ihre Führungsqualität erhöht, sondern sich auch in Haltung und Arbeitsqualität der Mitarbeiter niederschlägt. Viele Untersuchungen belegen, dass die gelungene Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ein wichtiges Fundament ist für:
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Arbeitszufriedenheit Vertrauen Motivation Zielorientierung Gute Ergebnisse Weniger Fehlzeiten
Wenn Führungskräfte über Fehlzeiten, Demotivation, mangelnde Arbeitsbereitschaft, Leistungsabfall, wenig Zusammenhalt im Team oder innere Kündigung ihrer Mitarbeiter klagen, stelle ich immer wieder fest, dass sie seit Jahren keine regelmäßigen Mitarbeitergespräche mehr durchgeführt oder diese noch gar nicht eingeführt haben. Diese Beobachtung und ein entsprechender Zusammenhang werden von vielen Trainerkollegen bestätigt und vermutet.
Beobachtungen zum Thema Lob, Anerkennung und Kritik: Nicht jedes Lob motiviert. Halten Sie sich an die Regeln für konstruktives Feedback! Viele Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer vermissen gerade in angespannten Zeiten das Gespräch mit ihren Vorgesetzten. Sie haben den Eindruck, dass diese sie nicht ausreichend informieren, sich nicht für sie als Menschen interessieren, sondern als austauschbare Rädchen im Arbeitsprozess betrachten. Vielleicht ist dem gar nicht so, und Sie sind selbst nicht glücklich darüber, dass Ihnen keine Zeit zum Führen bleibt. Vielleicht erhalten sie selbst auch wenig Anerkennung für das, was sie tun? Ein Betriebsleiter stellte nach einer Feedbackübung im Seminar betroffen fest, dass er seit über 20 Jahren von Mitarbeiterseite kein direktes Lob mehr gehört hatte. Das war in der Hierarchie so nicht vorgesehen. Er war sichtlich gerührt und erfreut darüber. Doch wo auch immer die Ursache liegt: Umfrageergebnisse zeigen, dass sechs von zehn befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lob und Anerkennung für die von ihnen geleistete Arbeit fehlen, was starke Auswirkungen in Richtung Demotivation hat. (Interview mit Marco Link vom Gallup-Institut, Süddeutsche Zeitung vom 24.10.2004) Jeder zweite Deutsche berichtet dagegen von Glückserlebnissen, wenn er gelobt wird oder eine Würdigung erfährt. Missverstehen Sie den deutlichen Ruf nach mehr Anerkennung jedoch nicht so, dass Sie als Vorgesetzte/r Ihre Mitarbeiter nun permanent loben sollten. „Mitarbeiter können sehr wohl entscheiden, ob nur die Schulterklopf-Maschine angeschmissen wird oder ob das Lob berechtigt und ernst gemeint ist.“ (Link, 2004) Die Mitarbeiter wissen vermutlich auch sehr genau, was weniger gut gelaufen und ebenfalls angesprochen werden sollte. Einseitigkeit ist in keiner Richtung angebracht, vielmehr eine glaubwürdige umfassende Würdigung des vergangenen Jahres.
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Hintergrundwissen und Forschungsergebnisse Vier Bereiche der Kommunikation Kommunikation ist viel mehr als Sprechen und Zuhören. Das ist Ihnen gewiss klar, doch vielleicht ist auch einiges neu, was hier unter dem Begriff „Kommunikation“ verstanden wird. Wir unterscheiden vier Unterbereiche: Verbale Kommunikation betrifft alles, was durch Wörter und Sätze vermittelt wird. Nonverbale Kommunikation ist die oft unbewusste Mitteilung an einen anderen Menschen durch die Körpersprache, z. B. Mimik, Gestik, Haltung, die Nähe oder Distanz, Zugewandtheit oder Abgewandtheit. Paraverbale Kommunikation betrifft die Betonung, die Lautstärke, das Tempo des Sprechens, aber auch Seufzen, Lachen, Gähnen, Schluchzen als Begleiterscheinungen von Äußerungen. Sie hat wie die nonverbale Kommunikation starken Einfluss darauf, wie eine Botschaft beim Gegenüber ankommt und interpretiert wird. Extraverbale Kommunikation findet statt über Kleidungsstil, Make-up, Geruch, Äußerlichkeiten. Welchen Raum wählen Sie für den Gesprächspartner? Haben Sie Getränke vorbereitet oder nicht? Läutet während des Gesprächs permanent Ihr Handy? All das hat ebenfalls oft mehr Einfluss auf die Entwicklung des Gesprächs und kommt stärker als Botschaft an, als uns bewusst ist.
Was bedeutet eigentlich „Kommunikation“? Kommunikation besteht aus dem Austausch vielfältiger „Botschaften“, „Informationen“ oder „Nachrichten“ zwischen zwei oder mehreren Personen, die man als „Sender“ und „Empfänger“ bezeichnet. Sie ist ein zirkulärer Prozess, ein Kreislauf, dessen Qualität davon abhängt, wie unmissverständlich die Nachricht gesendet und wie aufmerksam sie aufgenommen wird. Fühlen Sie sich als Empfänger gut oder schlecht behandelt, klar oder unklar angesprochen, werden Sie entsprechend reagieren, ebenso wie als Sender, wenn Sie sich richtig oder falsch verstanden fühlen. Senden, Empfangen, Reagieren bedingen einander und beeinflussen einander fortwährend gegenseitig, ohne dass uns immer bewusst ist, was Aktion und was Reaktion ist. Ein komplizierter und komplexer Prozess! Wie oben beschrieben, vermitteln wir Nachrichten nicht nur mit Wörtern oder Sprache, sondern auch in Form von Schweigen, einem ungewöhnlichen Outfit, einem aufdringlichen Parfum oder einem überraschend freundlichen Lächeln, oft unbewusst und ungewollt. Viele Signale hin und her gesendet nehmen Einfluss auf unsere Einstellung und unser Kommunikationsverhalten dem anderen gegenüber. Dabei kommt den nonverbalen Signalen eine besondere Bedeutung zu.
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Angenommen, Sie glauben gleich zu Beginn des Mitarbeitergesprächs zu hören, dass jemand an die Tür klopft, und runzeln ärgerlich die Stirn. Ihre Mitarbeiterin, die das Klopfen nicht gehört hat, sieht die steile Falte zwischen Ihren Augen und liest heraus: „Der ist aber schlecht gelaunt“, reagiert mürrisch und unfreundlich. Was wiederum bei Ihnen Unmut hervorruft. „Was hat sie denn, das fängt ja gut an!“ und reagieren Ihrerseits gereizt. Schnell kann so eine winzige Wahrnehmung, bevor ein Wort gesprochen wurde, zu gegenseitigem „Sich-Aufschaukeln“ und zunehmendem Ärger führen. Ein „Teufelskreis“ nimmt seinen Anfang. An jeder Haltestelle im Kommunikationsprozess lauern Fußangeln durch missverständliche oder falsche Signale, Unaufmerksamkeit und Fehlinterpretationen, und zugleich Chancen zur Verständigung, wenn Sie wissen, worauf Sie achten müssen. Gehen Sie möglichst schnell auf die Metaebene, wenn das Gespräch eine unerwünschte Wendung nimmt. Das heißt, gehen Sie nicht weiter auf den Inhalt ein, sondern beschreiben Sie, was Sie stört, ablenkt oder irritiert, so dass auch der Gesprächspartner sich damit auseinandersetzen und sein Verhalten neu justieren kann. ȭ ȭ ȭ
Machen Sie sich die Vielfalt der kommunikativen Ausdrucksmittel bewusst. Sprechen Sie möglichst zeitnah an, was Sie stört oder ablenkt. Sprechen Sie aber auch an, wenn das Gespräch angenehm verläuft und es mit dem Verstehen und Verstanden-Werden gut klappt.
Kommunikation als Führungsmittel Führungsaufgaben bestehen zu 90 Prozent aus Kommunikation. Die Wirkung ist entscheidender als Ihre gute Absicht. Achten Sie deshalb immer auf die Reaktionen Ihrer Mitarbeiter und ändern Sie ggf. Ihr Kommunikationsverhalten. Als Führungskraft verbringen Sie einen ganz wesentlichen Teil Ihrer Arbeitszeit mit Kommunikation. Sicher haben Sie sich schon ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Deshalb möchte ich Ihnen hier gerne anhand von zwei Seminarbeispielen aufzeigen, was gute Kommunikation der Führungskraft aus Sicht der Mitarbeiter (nicht) ist. Beispiel 1: Ein Abteilungsleiter erzählt im Seminar, wie enttäuscht er über das Ergebnis eines 360 Grad-Feedbacks, bezogen auf seinen Führungsstil sei. Er setze als Einziger nach wichtigen Meetings seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer gleich über die relevanten Inhalte in Kenntnis. Dennoch hätten diese übereinstimmend festgestellt, er kommuniziere zu wenig mit ihnen. Bei weiterem Befragen stellt sich heraus, dass er seine Mitteilungen immer als unpersönliche und unkommentierte E-Mail verfasst oder unkommentiert ausgedruckt verteilen lässt. Die Mitarbeiter vermissen den persönlichen Kontakt und Austausch darüber. Was Sie daraus lernen können? 1. Kommunikation ist nicht Information. 2. Kommunikation lebt von Austausch und persönlichem Kontakt. Nur so wird für die Mitarbeiter wirklich deutlich, was für Sie als Chef wichtig ist, was nicht und worauf Sie besonderen Wert legen
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sollten. Nur so können Sie überprüfen, ob Ziele und Aufgaben wirklich verstanden worden sind und ob die Mitarbeiter sich daran halten oder nicht. Beispiel 2: Ein anderer Abteilungsleiter hatte sich in einem Kommunikationsseminar davon überzeugen lassen, dass es wichtig sei, persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern zu pflegen. Sehr enttäuscht kam er einige Wochen später in das Aufbauseminar zum Thema „Umgang mit Konflikten“. Er hatte festgestellt, dass seine neu eingeführten morgendlichen Rundgänge durch die Büros und sein freundlicher SmallTalk von den Mitarbeitern mit großer Zurückhaltung und Einsilbigkeit honoriert wurden. Eine Teilnehmerin reagierte auf seinen Bericht mit dem spontanen Ausruf: „Die haben Angst! Die fühlen sich doch kontrolliert! Sie wissen doch gar nicht, warum Sie plötzlich dauernd bei Ihnen auftauchen.“ Was Sie daraus lernen können? 1. Betrachten Sie Kommunikation nicht als Pflichtübung. 2. Zeigen Sie echtes Interesse an einzelnen Mitarbeitern. 3. Warten Sie auf Gelegenheiten für persönlichen Kontakt und Austausch. 4. Teilen Sie mit, was Ihre Absicht ist, wenn Sie Ihr Verhalten den Mitarbeitern gegenüber plötzlich ändern.
Feedback als Führungsmittel Feedback ist eine Orientierungshilfe auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel. Mit Rückmeldung sind alle Reaktionen vom Gegenüber auf das Verhalten und Senden von Informationen gemeint. Eine solche sinnlich wahrnehmbare Reaktion wird in der Kommunikation auch Feedback genannt. Beide Begriffe beinhalten eine Art subjektiven Spiegel, das Echo der anderen für das eigene Auftreten und Verhalten. „Feedback ist wie Champagner: Man sollte ihn trinken, solange er perlt.“ (Spruch in einem ICE-Zug) Feedback in der Führung ist nach vielen Befragungen eines der stärksten Mittel der Mitarbeiterbeeinflussung. Das wird vor allem dort deutlich, wo überdurchschnittliche Fehlzeiten und Leistungsdefizite mit massiven Feedbacklücken begründet werden. Feedback ist Ihre Antwort auf ein wahrgenommenes oder nicht wahrgenommenes Mitarbeiterverhalten. Damit steuern Sie das Erreichen von Zielen, feuern an und machen Mut, in der bisherigen oder einen anderen Form fortzufahren, werben um Verständnis für die eigenen Reaktionen und helfen, wenn nötig, beim Korrigieren des Verhaltens oder setzen notwendige Grenzen. Feedback bietet erste Ansatzpunkte für die Lösung von Problemen und Konflikten. Dabei ist von großer Bedeutung, wie die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter zu Ihnen steht, in welcher Form Sie Feedback geben und was Sie selbst von Feedback halten.
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Selbstverständlich reicht es nicht aus, einmal im Jahr ein Feedback zu geben. Feedback sollten Sie das ganze Jahr über situativ einsetzen. „Ertappen Sie Ihre Mitarbeiter bei einer guten Tat und sagen Sie es ihnen sofort.“ (mündliches Zitat Reiner Czichos) Sprechen Sie auch Kritik zeitnah an.
Über die Akzeptanz von positivem Feedback Positives Feedback bestätigt ein beobachtetes Verhalten und heißt es gut. Positives Feedback wird verständlicherweise als wünschenswerter angesehen als negatives. Der Grund: „Menschliches Verhalten ist von dem Ziel geleitet, positive Reaktionen von anderen Personen zu erhalten, um den eigenen Selbstwert zu erhöhen und positive Selbstwertgefühle zu erreichen. Sie haben ein Bedürfnis nach Selbstwert.“ (Rogers 1954) „Positiv“ betrifft sowohl die Formulierung als auch den Inhalt. Beispiel: Es ist besser zu sagen: „Es freut mich, dass Sie Ihren Quartalsbericht so pünktlich abgeben“ als zu sagen: „Schön, dass Sie den Quartalsbericht jetzt endlich nicht mehr auf den letzten Drücker abgeben.“ Zeigen Sie Begeisterung und Freude über gute Leistungen und Ergebnisse. Ein stark bewertendes, positives persönliches Feedback wird als besonders glaubwürdig eingeschätzt. Hierzu ein Beispiel: „Ich finde es großartig, wie schnell Sie sich mit der neuen Aufgabe vertraut gemacht haben. Die Ergebnisse sind ja auch schon ganz hervorragend! Ich bin wirklich ganz begeistert.“ Positives Feedback wird als glaubwürdiger eingestuft, wenn es spezifisch und konkret ist. Es reicht nicht zu sagen: „Sie wissen doch, wie zufrieden ich mit Ihnen bin.“ Womit genau sind Sie zufrieden (vgl. 4-W-Modell)? Positives Feedback beeinflusst Verhalten mehr als negatives. Bauen Sie auf Anerkennung. Positives Feedback schafft emotionale Sicherheit im Kontakt zwischen den Gesprächspartnern.
Loben Sie nach dem 4-W-Modell Lob und Anerkennung wecken allerdings leider auch manchmal Misstrauen. Viele Menschen können mit Anerkennung nicht so gut umgehen, wie die oben genannten Forschungsergebnisse glauben lassen. Zu oft haben sie erlebt, dass ein Lob als „Motivationsmasche“ oder Aufhänger für eine nachfolgende Kritik oder eine unliebsame Aufgabe missbraucht wird. Die Kunst besteht darin, positives Feedback glaubwürdig zu geben (vgl. das 4-W-Modell für konstruktives Feedback).
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Über die Akzeptanz von negativem Feedback Vorbemerkung: Mit „negativem Feedback“ ist ein Feedback gemeint, das gezeigtes Verhalten in Frage stellt oder ablehnt. Kritisches Feedback in diesem Sinn ist absolut notwendig. Was Form und Akzeptanz betrifft, so gilt es, einige Hürden und formale Hinweise zu bedenken. Denn negatives Feedback bewirkt eher defensive Reaktionen als Verhaltensänderungen. Sachlichkeit statt Emotionen Negatives Feedback wird als glaubwürdiger eingestuft, wenn es minimal bewertend ist. Nehmen wir das Beispiel von oben. Wie käme es wohl an, wenn Sie sagen würden: „Ihre Ergebnisse sind einfach hundsmiserabel. Ich finde es absolut untragbar, wie lange Sie brauchen, um hier irgendetwas zu kapieren. Das dauert ja eine Ewigkeit, bis Sie sich hier einarbeiten.“ Natürlich steht es Ihnen frei, so zu reden. Doch die gewünschte Verhaltensänderung tritt erfahrungsgemäß aufgrund eines solchen Feedbacks meist nicht ein. Und um die geht es Ihnen doch, oder? Information statt Bewertung Negatives Feedback wird als glaubwürdiger eingestuft, wenn es stark informativ ist. Beispiel: „Sie arbeiten jetzt, soweit ich weiß, seit drei Monaten mit dem neuen Programm. Ich stelle fest, dass Sie sehr häufig Hilfe von Kollegen brauchen, die die Arbeit dann auch oft für Sie mitmachen. Es hat auch schon Reklamationen gegeben, weil Sie Daten falsch eingetragen haben. Die bringen dann alles durcheinander und wir verlieren viel Zeit. Sie werden verstehen, dass ich damit nicht zufrieden bin. Mir ist es wichtig, dass Sie alle nötige Hilfe bei der Einarbeitung brauchen. Was brauchen Sie an konkreter Unterstützung von mir oder anderen, damit Sie möglichst bald alleine und fehlerfrei arbeiten?“ Dieses Hintergrundwissen führt Sie nun direkt zur praktischen Umsetzung mit vielen Details, die Sie ggf. an Ihre Situation anpassen werden.
Praktische Tipps für das Mitarbeitergespräch Planung und Vorbereitung Organisatorisches: Sorgen Sie für eine angenehme Gesprächsatmosphäre ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Sorgen Sie dafür, dass Anliegen, Inhalt und Form der institutionalisierten Mitarbeitergespräche allgemein bei den Mitarbeitern bekannt sind. Setzen Sie das Gespräch mindestens einmal pro Jahr an. Planen Sie die Termine rechtzeitig für sich ein. Bedenken Sie den höheren Zeitbedarf (mindestens 60 Minuten), bauen Sie Pufferzonen für sich ein. Reservieren Sie einen ruhigen Raum, schalten Sie Störungen aus.
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Laden Sie die Mitarbeiter/in rechtzeitig ein, mindestens 14 Tage vor Gesprächsbeginn. Geben Sie mit der Einladung einen Vorbereitungsbogen an die Mitarbeiter/in (s. Formblatt weiter hinten). Bereiten Sie sich selbst rechtzeitig vor (s. Formblatt weiter hinten, Vorbereitungsbogen für die Führungskraft).
Gesprächsinhalte auf einen Blick: Gesprächsinhalte festlegen und eingrenzen ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Arbeitsumfeld, Rahmenbedingungen Zusammenarbeit und Führung Die eigene Rolle und das Leistungsverhalten Erörterung dessen, was gut läuft und wo es Verbesserungsbedarf gibt Klärung von Fragen zur beruflichen Förderung und persönlichen Entwicklung Vereinbarung von Arbeits- und persönlichen Zielen Geben und Annehmen von persönlichem Feedback
Durchführung Im Folgenden finden Sie einzelne Elemente gelungener Gesprächsführung, danach einen Leitfaden durch das gesamte Mitarbeitergespräch. Praxistipps für gelungene Kommunikation (wenn Sie der „Sender“ sind) ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
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Stimmen Sie sich innerlich positiv ein. Sprechen Sie möglichst oft aus der Sicht des Mitarbeiters. Achten Sie auf Sprache und Körpersprache. Tun Sie alles, um Spannung aus dem Gespräch zu nehmen. Gestalten Sie das Gespräch möglichst partnerschaftlich. Überlegen Sie, wie Sie auftreten wollen: eher konventionell oder eher leger. Denken Sie nicht nur an die Ärgernisse, sondern an die erfreulichen Seiten der Mitarbeiterin, des Mitarbeiter, die/den sie gerade zum Gespräch erwarten. Ich ahne, wie schwer Ihnen das im Einzelfall fallen mag. Versuchen Sie dann, eine Haltung neutraler Offenheit einzunehmen und sich von Ihren negativen Gefühlen nicht schon vor dem Gespräch bestimmen zu lassen. Begrüßen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handschlag, falls Sie sich am Tage noch nicht gesehen haben, und einem freundlichen Gesicht. Ignorieren Sie zu Gesprächsbeginn unbedingt, wenn Ihr Gegenüber unfreundlich oder mürrisch wirkt. Lassen Sie sich davon nicht anstecken, warten Sie erst einmal ab. Bleiben Sie zuvorkommend und freundlich. Setzen Sie sich möglichst über Eck, nicht verschanzt hinter dem Schreibtisch. Schaffen Sie einen guten Start, geben Sie die Richtung an und führen Sie aktiv in das Gespräch ein. Sprechen Sie eine klare, einfache, verständliche Sprache. Sprechen Sie in kurzen knappen Sätzen.
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Machen Sie Pausen. In Gesprächsübungen habe ich Führungskräfte beobachtet, die zu Gesprächsbeginn gefühlte zehn Minuten auf ihre Mitarbeiter eingeredet haben. Vielleicht um das Gespräch möglichst schnell hinter sich zu bringen? Oder weil sie es so gewohnt waren? Geben Sie Ihrer Mitarbeiterin, Ihrem Mitarbeiter stattdessen Gelegenheit, immer wieder Stellung zu beziehen. Bringen Sie Beispiele und Vergleiche aus der Welt der Mitarbeiter. Stellen Sie Dinge aus Ihrer Sicht als Führungskraft, aber auch aus der Perspektive der Mitarbeiter dar. Achten Sie darauf, ob Sie in der richtigen Lautstärke und langsam genug sprechen. Hören Sie auf Ihren Tonfall. Schauen Sie Ihren Gesprächspartner an. Halten Sie Blickkontakt. Bleiben Sie ruhig, gelassen und zugewandt. Beobachten Sie, wie der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin reagiert. Ist die Reaktion anders als erwartet, wiederholen Sie ganz ruhig, was Sie sagen wollten.
Feedback im Mitarbeitergespräch Praxistipps für Sie als Feedbacknehmer ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
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Hören Sie genau hin. Stellen Sie Fragen, statt zu kontern. Achten Sie darauf, was Ihr Gegenüber tatsächlich gesagt hat. Achten Sie darauf, ob Sie in das Gehörte etwas hinein interpretieren, was gar nicht gesagt worden ist. Klären Sie Unklares durch offene und geschlossene Fragen. Beispiel für „offene Fragen“ (Fragen mit einem Fragewort, wenn Sie Informationen überprüfen oder mehr wissen wollen): Was genau meinen Sie? Was gefällt Ihnen nicht an diesem Vorschlag? Beispiel für geschlossene Fragen (Fragen, die man nur mit JA oder NEIN beantworten kann, wenn Sie ein klares Ergebnis haben wollen): Passt das so? Ist das auch in Ihrem Sinn? Können wir das Ziel so festhalten? Wenn Sie das Gehörte überrascht, ärgert, empört, gehen Sie nicht gleich in die Offensive. Stellen Sie stattdessen Fragen, um besser zu verstehen, was der andere meint. Hören Sie aktiv zu: 1. Nehmen Sie genau auf, was der Mitarbeiter Ihnen sagt. 2. Fassen Sie das Gehörte mit eigenen Worten zusammen. 3. Klären Sie, ob sie/er das so gemeint hat. 4. Sprechen Sie an, wenn Sie für den Gesprächsverlauf wichtige Gefühle beim Gegenüber wahrnehmen und hinterfragen sie diese. Sie helfen ihm dadurch, seine
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Gefühle selbst wahrzunehmen, sie zu bestätigen oder zu korrigieren. Beispiel: „So ganz einverstanden scheinen Sie noch nicht zu sein.“
Praxistipps für Sie als Feedbackgeber ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Geben Sie aufmerksam, konkret und zugewandt Feedback. Konzentrieren sich in Gedanken vorher voll auf Ihre/n Gesprächspartner/in. Bereiten Sie sich auf das Feedback schriftlich vor. Stützen Sie das Feedback auf konkrete Beobachtungen, selbst Gehörtes und eigene Erlebnisse. Beschreiben Sie Verhaltensweisen und Verhaltensmuster. Erfassen Sie beobachtete Folgen und Auswirkungen des beobachteten Verhaltens. Bringen Sie Beispiele. Klopfen Sie Ihre Beobachtungen auf die positiven Aspekte, die Stärken hin ab. Legen Sie ihn oder sie nicht auf Eigenschaften fest. Teilen Sie Ihre Wahrnehmungen konkreter Verhaltensweisen gelassen, ruhig und ohne bewertende Zusätze mit. Schildern Sie die Auswirkung und beschreiben Sie die Wirkung. Schildern Sie vor allem Ihre Gefühle in Form einer „Ich-Botschaft“. Wenden Sie sich im Gespräch Ihrem Gegenüber voll zu, halten Sie Blickkontakt und achten Sie darauf, wie Ihre Worte ankommen. Achten Sie darauf, dass Ihr Gegenüber nicht zu früh den Gesprächsfaden an sich reißt. Geben Sie ihm aber auch Gelegenheit, seine Sicht der Dinge darzustellen. Lassen Sie dem Gesprächspartner die Möglichkeit, sich selbst anders zu sehen, als Sie ihn sehen. Zeigen Sie auf, worauf Sie Ihre Sichtweise begründen. Gehen Sie davon aus, dass Menschen ihr Verhalten grundsätzlich ändern können. Zeigen Sie ihr oder ihm auf, welchen Nutzen ihnen eine Verhaltensänderung bringen könnte. Stellen Sie bei eindeutigen Verstößen gegen Regeln klar, was die Folgen einer Nicht-Beachtung von Regeln sind, und seien Sie konsequent.
Praxistipps für positives Feedback Handeln Sie nach dem Motto: Stärken zu stärken hilft Schwächen zu schwächen. ȭ ȭ ȭ
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Beginnen Sie Ihr Feedback möglichst mit den positiven Aspekten. Nehmen Sie damit Spannung aus dem Gespräch und schaffen Sie so eine gute Ausgangslage. Wenn Sie eine Anerkennung aussprechen, lassen Sie diese uneingeschränkt stehen. Machen Sie danach eine Pause. Fügen Sie dem positiven Feedback nicht gleich ein „aber ...“ hinzu! Machen Sie sich klar: Viele Mitarbeitende haben keine Ahnung, wie (positiv) sie von ihren Chefs gesehen werden.
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Gestalten Sie die Anerkennung genauso konkret wie negative Kritik, beschreiben Sie die Wirkung und Auswirkung von positivem Verhalten und sagen Sie, warum Ihnen das wichtig ist.
Praxistipps für Sie als Feedbacknehmer Geben Sie den Mitarbeitern Starthilfe für ihr Feedback an Sie. Es ist für Ihre Mitarbeiterin und Ihren Mitarbeiter sehr schwer, auf die Aufforderung zu reagieren: „Jetzt geben Sie mir doch bitte auch mal Feedback.“ Wundern Sie sich nicht, wenn dann nichts kommt. Ungeübte Mitarbeiter sind hier ohne Ihre Hilfe überfordert. Bereiten Sie Ihren Mitarbeitern inhaltlich den Weg für das Vorgesetzten-Feedback, z. B. indem Sie sagen: „Ich habe Ihnen gerade ein Feedback gegeben, wie ich die Zusammenarbeit mit Ihnen empfinde. Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, was Sie mir, bezogen auf unsere Zusammenarbeit, sagen wollen?“ oder: „Gibt es etwas, was Ihnen die Zusammenarbeit schwer macht und was Sie sich anders wünschen? z. B.: Ich habe selbst den Eindruck, dass ich manchmal sehr kurz angebunden oder barsch im Ton bin. Empfinden Sie das auch so?“ Sorgen Sie aber auch für die Ihnen zustehende Anerkennung. Auch Ihnen tut es gut, zumindest einmal im Jahr zu hören, was Mitarbeiter an Ihnen schätzen. „Womit geht es Ihnen gut, was meine Führung betrifft? Was sollte ich beibehalten oder vielleicht noch mehr als bisher machen?“ Wandeln Sie diese Vorschläge für sich passend ab. ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ ȭ
Hören Sie dann ruhig, zugewandt und gelassen zu. Unterbrechen Sie nicht. Warten Sie, bis Ihr Gegenüber fertig ist. Gestehen Sie der Feedbackgeberin/dem Feedbackgeber zu, dass sie/er Sie anders sieht, als Sie gedacht und vermutet hatten. Stellen Sie bei Nicht-Verstehen Fragen. Bitten Sie um Beispiele, wenn Sie das Feedback nicht nachvollziehen können. Reagieren Sie nicht mit Abwehr oder Rechtfertigung. Sie dürfen gerne in Form einer „Ich-Botschaft“ mitteilen, wenn Sie sich über ein gutes Feedback freuen oder angenehm überrascht sind. Bedanken Sie sich in jedem Fall für das Feedback, lassen es in sich wirken und zerpflücken es nicht.
Was tun, wenn die „Schwächen“ zu überwiegen scheinen? Beschreiben Sie die Folgen und Auswirkungen von „Schwächen“ statt charakterliche Mängel. Machen Sie Verbesserungsvorschläge und Zielvorschläge. ȭ
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Nach positiven Verhaltensweisen suchen. Vielleicht liegen die Stärken ja in einem Bereich, der Ihnen nicht so wichtig ist, von anderen aber geschätzt wird und für die Abteilung nützlich ist. Finden Sie heraus, ob die beobachtete „Schwäche“ nicht die Übertreibung einer Stärke ist und filtern Sie diese heraus.
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Zeigen Sie auf, wie aus der Schwäche eine Stärke werden kann. Beispiel: „Sie arbeiten in allem sehr genau. Das schätze ich sehr. Manchmal werden Sie allerdings dadurch mit wichtigen Dingen nicht fertig. Setzen Sie Prioritäten. Achten Sie darauf, dass Sie wichtige und dringliche Aufgaben möglichst immer zuerst abarbeiten.“ „Sie wissen sehr genau, worauf es ankommt und sind sehr schnell. Manchmal kommen die Langsameren im Team damit nicht zurecht und fühlen sich überfahren. Legen Sie zwischendurch einen langsameren Gang ein. Vergewissern Sie sich, ob die anderen Ihnen folgen können.“ Zeigen Sie auf, wie eine Stärke in einem anderen Bereich eine Schwäche aufheben kann. Beispiel: „Im Kontakt mit Ihren Kunden sind Sie immer richtig gut drauf. Setzen Sie Ihre fröhliche Art doch auch intern, im Kontakt mit den Kollegen ein!“ Bewerten Sie negatives Verhalten nicht als Hinweis auf schlechte Eigenschaften oder Charakterfehler. Hüten sie sich vor Formulierungen wie: „Sie sind so unsicher, Sie sind arrogant, ein Sturkopf. Sie sind eben sehr empfindlich.“ Sprechen Sie negatives Verhalten offen und ohne Schnörkel an. Halten Sie sich an das 4-W-Modell für konstruktives Feedback. Interpretieren Sie das negative Verhalten nicht, unterstellen Sie nichts. Hüten Sie sich vor Formulierungen wie: „Es fehlt Ihnen vermutlich an Selbstbewusstsein“, oder: „Sie halten sich anscheinend für etwas Besseres!“? oder: „Sie sind nicht teamfähig“. „Sie haben wohl nie verkraftet, dass Sie nicht Chef geworden sind“. Lassen Sie das alles bitte weg. Selbst wenn Ihre Vermutungen richtig sein sollten, im Mitarbeitergespräch führen Sie eher zu Zerwürfnissen als zum besseren Verständnis. Analysieren Sie nicht! Vermeiden Sie Vermutungen wie: „Sie hatten wohl eine schlechte Kindheit?“ Beschreiben Sie vielmehr die Folgen, die Wirkung des beobachteten Verhaltens, die Ihnen als Führungskraft Sorge machen und missfallen, z. B. Reaktionen von Kunden oder Kollegen.
Was tun bei Meinungsunterschieden? Vertreten Sie sich und Ihre Sichtweise, und seien Sie hellhörig für die Sichtweise des Gegenübers. ȭ ȭ
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Belegen Sie Ihre Sichtweise. Sprechen Sie dabei von sich selbst und Ihren eigenen Beobachtungen. Verschanzen Sie sich nicht hinter dem, was andere behauptet haben, was Sie selbst aber nicht erlebt oder nicht überprüft haben. Vermeiden Sie Sätze wie: „Die anderen sagen auch ...“, „Alle finden, dass Sie ...“ „Jemand hat mir zugetragen, dass Sie ...“ Selbst wenn es so wäre, die Mitteilung darüber ist kontraproduktiv. Sagen Sie, warum Ihnen ein bestimmtes Verhalten wichtig ist und welche Werte Sie damit erhalten wollen. Zeigen Sie dadurch, dass es Ihnen nicht um das Kritisieren als Selbstzweck, sondern um gemeinsame Ziele geht. Lassen Sie keine Vergleiche mit anderen Mitarbeitern zu und wehren Sie sich gegen
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Unterstellungen wie: „Der ... macht das doch auch, da sagen Sie nichts!“ Weisen Sie darauf hin, dass Sie mit jedem Mitarbeiter sprechen werden. Machen Sie nach einzelnen Ausführungen unbedingt eine Pause, warten Sie die Reaktion ab! Hören Sie die Sicht des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin an und hören Sie aktiv zu, wenn er/sie anderer Meinung ist als Sie. Stellen Sie Rückfragen (offene Fragen), um sicherzustellen, was der Mitarbeiter genau meint, wenn er Ihrer Meinung nicht zustimmt: Wann? ... wobei? ... Was genau sehen Sie anders? Wie erklären Sie sich, dass ...? Worauf führen Sie zurück dass ...?
Leitfaden für konstruktives Feedback: Das 4-W-Modell Zur Gestaltung eines fairen, fundierten und damit konstruktiven Feedbacks ist der folgende Leitfaden sehr hilfreich. Das haben zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vielen Jahren immer wieder bestätigt. 1.
Ich beschreibe meine Wahrnehmung ohne Bewertung oder Deutungen. ȭ ȭ ȭ
„Ich habe gehört, wie Sie ...“ „Ich habe die Beobachtung gemacht, dass ...“ „ Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass Sie ...“
2. Ich teile mit, wie es auf mich wirkt und was dabei in mir vorgeht Gedanken, Gefühle, Reaktionen, Handlungen. ȭ ȭ
„Das macht mich besorgt/betroffen/wütend.“, „Das löst bei mir aus.“ „Das freut mich.“, „Das betrachte ich als große Verbesserung.“
3. Ich lasse wissen, was mir grundsätzlich wichtig ist in Bezug auf die konkrete Situation. Ich erwähne die damit zusammenhängenden Werte. ȭ ȭ
„Mir ist wichtig, dass Sie das neue Programm bald beherrschen, das verbessert die Stimmung im Team.“ „Mir liegt viel daran, dass wir neben der vielen Arbeit den guten Draht zueinander nicht verlieren.“
4. Ich sage, was ich mir wünsche, und will erfahren, wie der/die andere das sieht. ȭ ȭ ȭ ȭ
„Für mich wäre es hilfreich, wenn Sie ...“ „Könnten Sie bitte mehr ... weniger ...?“ „Können Sie das unbedingt beibehalten?“ „Es wäre schön, wenn Sie auch in Zukunft ...“ „Haben Sie selbst einen Vorschlag?“, „Wie sehen Sie das?“
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Auf einen Blick
Tabelle 20
Das Mitarbeitergespräch in fünf Phasen
Inhalte und Ziele
Phasen
Begrüßung, Anwärmen, etwas Persönliches
1. Gesprächseröffnung
„SmallTalk“ – kurz und knapp Ziel: Möglichst freundliche Atmosphäre schaffen
Überblick über Themen, Sinn und Zweck und Dauer des Gesprächs 2. Orientierung Wie gehen wir vor? Spielregeln, Vertraulichkeit Ziel: Konzentration auf das Wesentliche Arbeitsziele und Aufgaben: Besonderheiten und/oder Veränderungen?
3.a Rückblick auf das Umfeld
Erfolge und Abweichungen analysieren Allgemeine Erwartungen darstellen Ziel: Sach- und Aufgabenorientierung als Basis Möglichst mit positivem Rückblick beginnen Gute Ergebnisse und Stärken hervorheben
3.b Feedback mit Vorschlägen
Verhalten mit negativen Folgen ruhig und sachlich ansprechen Verbesserungsvorschläge erarbeiten Unterstützungsmöglichkeiten erarbeiten oder anbieten Feedback für die Führungskraft erbitten Ziel: Konstruktives, ermutigendes Feedback Entwicklungspotenziale und persönliche Zielvorstellungen
3.c Ausblick
Leistungskriterien erstellen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten erörtern Erwartungen und allgemeine Zielvorstellungen erarbeiten Ziel: Gemeinsame Zielvorstellung entwickeln Maßnahmenplan zur Zielerreichung erstellen, d. h. Meilensteine definieren, evtl. Fortbildungsmöglichkeiten, neue Arbeitsfelder
4. Vom Reden zum Tun
Ziel: Gemeinsam erarbeitete Vereinbarung Frage nach Zufriedenheit mit Ergebnis, Abschied, Dank Ziel: Erfreulicher Gesprächsabschluss
5. Gesprächsabschluss
Feedback und Kommunikation als Führungsmittel
Tabelle 21
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Gesprächstechniken im Mitarbeitergespräch
Gesprächstechniken
Phasen
Ich-Botschaften
1. Gesprächseröffnung
Blickkontakt Strukturierter kurzer Überblick, evtl. mit kleiner Skizze oder schriftlichen Stichworten
2. Orientierung
Offene Fragen nach Ergänzungen Evtl. Verständnisfragen stellen Offene und geschlossene Fragen Aktiv zuhören,
3.a Rückblick auf das Umfeld
Ich-Botschaften, Feedback mit 4-W-Modell Sachliche Darstellung von Beobachtungen; Beispiele Offene und geschlossene Fragen Aktiv zuhören
3.b Feedback mit Vorschlägen
Ich-Botschaften, Feedback mit 4-W-Modell Sachliche Darstellung von Beobachtungen; Beispiele Anschauliche, bildliche Darstellung des Zielzustands
3.c Ausblick
Verständnisfragen, offene und geschlossene Fragen Fokussierung und Zusammenfassung Maßnahmenplan durch Selbstdarstellung und aktives Zuhören erstellen
4. Vom Reden zum Tun
Verständnisfragen, offene und geschlossene Fragen Fokussierung und Zusammenfassung
5. Gesprächsabschluss
Die folgenden Formblätter sind aus zahlreichen, meist hausinternen Leitfäden zur Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen entwickelt worden. (z. B. Hofbauer und Winkler, 1999) Mit ihrer Hilfe können Sie sehr leicht eigene Arbeitsmittel entwickeln, die Ihren Anforderungen entsprechen.
Situatives Feedback Manchmal sitzen im Seminar Teilnehmer vor diesem Blatt und wissen nicht, was sie schreiben sollen. Aus diesem Grund ist es gut, wenn Sie während des Jahres besonders Bemerkenswertes zu Ihren Mitarbeitern kurz festhalten. Dann können Sie es im Jahresgespräch in Summe ansprechen. Das ermöglicht einen guten Überblick und ein ausgewogenes Feedback. Geben Sie Feedback aber auch immer unmittelbar und direkt.
182
Tabelle 22 Datum
Tabelle 23
Angelika Härlin
Situatives Feedback während des Jahres Anerkennung/ Negative Kritik
Nutzen/ Negative Auswirkung
Das ist mir positiv/negativ aufgefallen
So wirkt es sich auf mich/auf andere aus
Konkreter Vorschlag
Angesprochen am
Das soll der Mitarbeiter dafür tun Das werde ich dafür tun
Vorbereitungsfragen für die Führungskraft
Die nachfolgenden Fragen sind als Anregung gedacht. Sie werden nach Bedarf ergänzt oder abgewandelt. Allgemeine Fragen zum Arbeitsfeld
ȭ
Was sind die spezifischen Merkmale und Anforderungen, auf die es am Arbeitsplatz der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters ankommt?
Rückblick: Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsergebnisse
ȭ
Wie kam sie/er mit den Arbeitsabläufen zurecht?
ȭ
Was möchten Sie bei ihr/ihm positiv hervorheben und anerkennen?
Feedback und Kommunikation als Führungsmittel
183
Die nachfolgenden Fragen sind als Anregung gedacht. Sie werden nach Bedarf ergänzt oder abgewandelt. Fortsetzung Rückblick
Zusammenarbeit/Verhältnis zueinander
Förderung und Entwicklung des Mitarbeiters
ȭ
Was waren ihre/seine Stärken, was soll so bleiben?
ȭ
Welche Verhaltensweisen waren förderlich? Beispiele und Beobachtungen dazu?
ȭ
Wo lagen Schwachpunkte? Welche Stärken hat sie/er bisweilen übertrieben eingesetzt? Welche Verhaltensweisen waren eher hinderlich?
ȭ
Welche (Aus-)Wirkungen haben Sie beobachtet?
ȭ
Welche zusätzlichen Aufgaben hat sie/er übernommen?
ȭ
Wie werden Sie von der/dem Mitarbeiter informiert, so dass Sie die für den Arbeitsbereich relevanten Daten rechtzeitig und umfassend erhalten?
ȭ
Wie schätzen Sie Klima, Freundlichkeit und Offenheit des Umgangs miteinander ein?
ȭ
Inwieweit werden Entscheidungen von ihr/ihm getragen?
ȭ
Inwieweit können Sie sich auf die Loyalität der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters verlassen?
ȭ
Wie zufrieden sind Sie mit der Leistungsbereitschaft und Motivation der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters?
ȭ
Wie wünschen Sie sich die zukünftige Zusammenarbeit? Welche förderlichen Verhaltensweisen schlagen Sie vor?
ȭ
Welche Vorschläge können Sie machen, um Ihre Mitarbeiterin/ihren Mitarbeiter bei der Erfüllung ihrer/seiner Aufgaben zu beraten und zu unterstützen?
ȭ
Ist die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter entsprechend ihrer/seiner Fähigkeiten und Kenntnissen optimal eingesetzt?
ȭ
Welche Entwicklungsmaßnahmen sollten initiiert werden, um mittelfristige Perspektiven zu realisieren? (Weiterbildung, Qualifizierung am Arbeitsplatz, Übernahme spezieller Aufgaben, Mitarbeit bei übergreifenden Projekten etc.)
ȭ
Welche konkreten Erwartungen an das Verhalten der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters haben Sie zukünftig?
ȭ
Warum ist Ihnen das wichtig?
184
Angelika Härlin
Die nachfolgenden Fragen sind als Anregung gedacht. Sie werden nach Bedarf ergänzt oder abgewandelt. Konkrete Schritte/ Vorschläge für die Zielvereinbarung
Tabelle 24
ȭ
Welche Möglichkeiten zur Erzielung besserer Ergebnisse sehen Sie bei Ihrer Mitarbeiterin/Ihrem Mitarbeiter?
ȭ
Welche Verbesserungen durch organisatorische, strukturelle oder technische Änderungen schlagen Sie vor?
Vorbereitungsfragen für die Mitarbeitenden
Die Fragen sind als Anregung für Sie gedacht. Sie können Sie jederzeit ergänzen oder abwandeln. Der Fragebogen wird nicht abgegeben, er bleibt bei Ihnen. Rückblick: Ziele, Arbeitsschwerpunkte und Arbeitsergebnisse
Zusammenarbeit mit der Führungskraft und dem sozialen Umfeld?
ȭ
Was hat Ihnen im vergangenen Jahr bei Ihrer Tätigkeit besonders Freude gemacht? Was liegt Ihnen?
ȭ
Welche zusätzlichen Aufgaben haben Sie übernommen?
ȭ
Was möchten Sie Ihrer Führungskraft gegenüber positiv hervorheben? Worauf sind Sie stolz?
ȭ
Was war schwierig?
ȭ
Worauf führen Sie das zurück?
ȭ
Was machen Sie weniger gerne?
ȭ
Wie zufrieden waren Sie mit den Arbeitsergebnissen?
ȭ
Wie waren Sie mit den Arbeitsabläufen zufrieden?
ȭ
Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Ihrer Führungskraft?
ȭ
Wie zufrieden sind Sie mit der Anerkennung Ihrer Leistung und der Akzeptanz Ihrer Person durch die Führungskraft?
ȭ
Wie zufrieden sind Sie mit dem Freiraum/Gestaltungsspielraum für das eigene Handeln?
ȭ
Wie werden Sie von der Führungskraft informiert, so dass der Arbeitsbereich ausreichend durchschaubar ist?
ȭ
Erhalten Sie Rückendeckung durch die Führungskraft?
Feedback und Kommunikation als Führungsmittel
185
Die Fragen sind als Anregung für Sie gedacht. Sie können Sie jederzeit ergänzen oder abwandeln. Der Fragebogen wird nicht abgegeben, er bleibt bei Ihnen. ȭ
Wie werden Sie an den Arbeitsbereich betreffenden Entscheidungen beteiligt?
ȭ
Wie zufrieden sind Sie mit dem Arbeitsklima?
ȭ
Mit welchen Bereichen arbeiten Sie zusammen? Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenarbeit?
ȭ
Welche Anregungen haben Sie bezogen auf die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen?
ȭ
Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrer derzeitigen Aufgabe?
ȭ
Welche Entwicklungsmaßnahmen sollten initiiert werden, damit Sie Ihre mittelfristigen und langfristigen beruflichen Pläne umsetzen können?
ȭ
Welche zukünftigen Einsatzbereiche kommen für Sie noch in Frage?
ȭ
Welche Fort- und Weiterbildungsvorschläge haben Sie?
Ausblick
ȭ
Welche Anregungen, bezogen auf Ihre Aufgaben, haben Sie?
Planung/Zielvorstellungen
ȭ
Welche neuen Aufgaben würden Sie reizen?
ȭ
Welche Aufgaben sollten sich ändern?
ȭ
Wo könnten Sie entsprechend Ihrer Fähigkeiten besser oder anders als bisher eingesetzt werden?
ȭ
Welche sonstigen Vorschläge, Wünsche, Anregungen haben Sie, die für Ihre Arbeit oder Ihren Bereich wichtig wären?
Förderung und Entwicklung
186
Angelika Härlin
Drei Fragen zum Weitermachen Nutzen Sie diese Fragen, um sich selbstkritisch zu prüfen oder um sich Rückmeldung für Veränderung und Lernen von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbitten: Welche grundsätzliche innere Einstellung habe ich zu Mitarbeiter/in ... und welche vermute ich bei ihr oder ihm? Worauf muss ich deshalb unbedingt achten? Was würde fehlen (mir/dem Unternehmen/den Kollegen), wenn sie/er morgen kündigen würde?
Literatur und Quellen Berckhan, Barbara (2003) Keine Angst vor Kritik, München. Fengler, Jörg (1998). Feedback geben – Strategien und Übungen, Weinheim und Basel Hofbauer, Helmut, Winkler, Brigitte (1999). Das Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument, München und Wien Jöns, Ingela, Bungard, Walter (Hrsg.) (2005). Feedbackinstrumente im Unternehmen, Wiesbaden. Kienbaum, Jochen (2003). Königsdisziplin Mitarbeitergespräch, Handelsblatt vom 14.11.2003 Kratz, Hans-Jürgen (2005). 30 Minuten für richtiges Feedback, Offenbach. Link, Marco (2004). Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 24.10.2004, München Proske, Hailka, Reiff, Eva (2008). Zielvereinbarungen und Jahresgespräche, Planegg. Reber, Carsten (2007). Führungsfeedback, Saarbrücken Schneider, Thomas, Weber, Matthias (2004). Das Mitarbeitergespräch. Einführung eines Führungsinstruments in einem mittelständischen Unternehmen. Wartenberg
Das Autorenteam
187
Das Autorenteam Renata Bauer-Mehren ist Leiterin des Münchner Instituts für Trauerpädagogik (M.I.T.). Mit ihrem umfassenden Wissen, ihrer Erfahrung und ihrem Einfühlungsvermögen berät sie Menschen und Organisationen in Lebenskrisen. Sie arbeitet als Trauerbegleiterin mit Schwerpunkt Suizid, als Supervisiorin, Mediatorin und Ausbilderin für Mediation sowie als systemischer Coach.
Andrea Gässler ist Gründerin und Leiterin der AG Personal- und Organisationsentwicklung in Beuerberg südlich von München. Als Coach, Trainerin und Mediatorin begleitet und unterstützt sie seit 1987 Führungskräfte und Mitarbeiter bei ihren Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Führungskompetenz und Führungsverhalten, Teamentwicklung und Teamerfolgsstrategien sowie Konfliktklärung und -bewältigung sind ihre Schwerpunkte.
Angelika Härlin ist Inhaberin von AH-Seminare in Puchheim bei München. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Mediatorin, Coach und Trainerin. Mit der Vermittlung von Fachwissen und Handlungsanregungen macht sich Angelika Härlin vor allem für mehr Menschlichkeit und einen respektvollen Umgang miteinander im Berufsleben stark.
188
Angelika Härlin Das Autorenteam
Manola Kraus ist Inhaberin und Geschäftsführerin von VISION + SUPPORT, einem Münchner Institut für Personal- und Organisationsentwicklung, wo sie als systemische Beraterin, Mediatorin und Coach arbeitet. Die Sozialpädagogin mit Zusatzstudium in Personalund Organisationsentwicklung und Ausbildungen in Beratung, Training und Coaching, hat sich darauf spezialisiert, Führungskräfte mit hoher Verantwortung in Fragen der beruflichen und persönlichen Entwicklung zu begleiten.
Karl Kreuser ist geschäftsführender Gesellschafter von SOKRATeam. Mit seinem Hintergrund als systemischer Organisationsberater und Mediator ist er Spezialist für Führungs- und Managemententwicklung sowie für Veränderungsprozesse.
Thomas Robrecht ist Gesellschafter von SOKRATeam und Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Mediation. Seine Arbeitsgebiete sind Mediation in Veränderungsprozessen, werteorientierte Management-Ausbildung, Qualifizierung betriebsinterner Konfliktmoderatoren sowie Team-, Führungskräfte- und Kulturentwicklung.
Das Autorenteam
189
Claudia Stahr-Baugut ist selbstständige Beraterin und Trainerin und als Partnerin für SOKRATeam tätig. Die Diplom-Psychologin (Schwerpunkt Arbeits- und Betriebsorganisation) hat eine Zusatzausbildung als systemische Organisationsberaterin und begleitet Veränderungs- und Entwicklungsprozesse in großen und mittelständischen Unternehmen. Auch in der Personalauswahl und Potenzialerkennung mittels Interview und Assessment Center hat sie langjährige Erfahrung.
Ingrid Walter-Kühfuss ist seit mehr als fünf Jahren als selbstständige Beraterin und Coach für Führungskräfte mit den Kernkompetenzen Projekt- und Changemanagement tätig. Sie coacht und berät Frauen in Führungspositionen, wenn es darum geht, weitere verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen oder den nächsten Karriereschritt zu tun.
Dank Elke Molkow hat uns bei der Entstehung dieses Buches freundlich und kritisch begleitet. Für ihre Geduld, ihre Anmerkungen und Ideen danken wir ihr. Die Autorinnen und Autoren
Tabellenverzeichnis
191
Abbildungsverzeichnis Alle Abbildungen stammen von den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge. Abbildung 1
Gehirnmodell ................................................................................................... 23
Abbildung 2
Eisbergmodell .................................................................................................. 32
Abbildung 3
Konfliktverhalten............................................................................................. 41
Abbildung 4
„Treppe in den Abgrund“ nach Friedrich Glasl.......................................... 46
Abbildung 5
Teamzustand in Spitzenteams ....................................................................... 61
Abbildung 6
Teamphasen in Anlehnung an Karlheinz A. Geißler.................................. 65
Abbildung 7
Johari-Fenster nach Joseph Luft..................................................................... 71
Abbildung 8
Johari-Fenster in ineffektiven Teams ............................................................ 72
Abbildung 9
Johari-Fenster in Spitzenteams ...................................................................... 73
Abbildung 10
Prozess des Feedback-Gebens und Feedback-Nehmens aus zwei Perspektiven..................................................................................... 74
Abbildung 11
Werte und Befürchtungen .............................................................................. 76
Abbildung 12
Haus der Veränderung ................................................................................... 76
Abbildung 13
Seerose als Symbol des Verhaltens................................................................ 76
Abbildung 14
Einschätzung des Leistungsverhaltens auf drei Ebenen ............................ 76
Abbildung 15
Phasenmodell Personalentwicklung nach Manfred Becker....................... 76
Abbildung 16
Ausprägung der Anforderungen .................................................................. 76
Abbildung 17
Vergleich von Selbst- und Fremdbild ........................................................... 76
Abbildung 18
Leistungsverlauf beim Lernen in Anlehnung an Peter Kruse ................... 76
Abbildung 19
Auszug aus einer Coachingvereinbarung.................................................... 76
192
Angelika Härlin
Tabellenverzeichnis Alle Tabellen stammen von den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge. Tabelle 1
Übersicht über das Enneagramm ....................................................................... 26
Tabelle 2
Botschaften zwischen den Zeilen........................................................................ 34
Tabelle 3
Entscheidungskontinuum in Anlehnung an Johannes Steyrer....................... 45
Tabelle 4
Merkmale der „Treppe in den Abgrund“ nach Friedrich Glasl ..................... 47
Tabelle 5
Führungsinterventionen bei Konflikten ............................................................ 48
Tabelle 6
Positionen, Interessen und Bedürfnisse nach Thomas Robrecht.................... 50
Tabelle 7
Das 4-W-Modell nach Angelika Härlin ............................................................. 51
Tabelle 8-12
Konfliktbegleitung Phasen 1 bis 5 nach Thomas Robrecht ............................. 52
Tabelle 13
Ineffektive Teamzustände ................................................................................... 63
Tabelle 14
Führungsziele und -aktivitäten in den vier Phasen ......................................... 67
Tabelle 15
Lebenshindernde und Lebensfördernde Trauer............................................... 76
Tabelle 16
Leitfaden für ein Entwicklungsgespräch........................................................... 76
Tabelle 17
Übersicht Personalentwicklungsmaßnahmen .................................................. 76
Tabelle 18
Abgrenzung von Coaching zu Mentoring......................................................... 76
Tabelle 19
Schritte und Inhalte eines Mentoring-Programms ........................................... 76
Tabelle 20
Das Mitarbeitergespräch in fünf Phasen............................................................ 76
Tabelle 21
Gesprächstechniken im Mitarbeitergespräch.................................................... 76
Tabelle 22
Situatives Feedback während des Jahres........................................................... 76
Tabelle 23
Vorbereitungsfragen für die Führungskraft...................................................... 76
Tabelle 24
Vorbereitungsfragen für die Mitarbeitenden.................................................... 76
193
Stichwortverzeichnis A
F
Anforderung 113 ff., 143, 182 Anforderungsanalyse 117 Anforderungsprofil 117
Fähigkeit 5, 24, 62, 76, 101, 109, 113 ff., 133 ff., 145, 161, 183 ff. Feedback 36, 59, 68, 71 ff., 109, 142, 158, 160, 165 ff., 171 ff. 4-W-Modell 36, 51, 67 f., 73, 75, 172, 178 ff. Feedbackgeber 73 ff., 176 f. Feedbacknehmer 175, 177 Ich-Botschaft 74, 176 f., 181 Johari-Fenster 71 ff. Negatives Feedback 173 Positives Feedback 136, 159, 172, 176 Rückmeldung 115, 161 f., 167, 171 Situatives Feedback 182 Fertigkeit 70, 113 ff., 124 ff. Freude 87 Führung 11, 13, 39, 44, 56, 59, 61, 64, 70, 77, 134, 151, 160, 167, 171, 174, 177 Folge 11 Frauen und Führung 139 ff. Freiwilligkeit 52, 152 Führungsaufgabe 13, 39, 43 ff. 60, 113, 124, 153, 170 Führungskraft 5 f., 11 ff., 32, 39, 43 ff., 75 ff., 109, 113 ff., 131 ff., 143, 146 ff., 180, 184 Zusammenarbeit 5, 40, 59 ff., 92, 149, 155, 159, 166, 174, 177, 183 f.
B Bedürfnis 31ff., 45, 50 f., 60 f., 82 f., 87, 89 ff., 119 Belastung 23 ff., 33 Beziehungsebene 91
C Coaching 6, 39, 69, 77, 94, 114, 131, 134, 147 ff. Beratung 150 Coach 59, 75, 84, 134, 147 ff. Coachee 147 ff. Coachingpool 148, 151 Coachingprozess 135, 147, 157, 160 Coachingvereinbarung 151, 158 Kollegiale Beratung 6 Supervision 6, 94, 126, 138 Systemische Perspektive 155 Teamcoaching 49, 77, 150
E Eisbergmodell 31, 50, 82 Emotion 21 ff., 40, 52 f., 73, 82, 103, 160, 173 Enneagramm 26, 32 Entscheidung 27 f., 39, 43 ff. 52, 56, 76, 81, 84, 106, 121, 132, 149 ff., 183 f. Entscheidungskontinuum 44, 45 Erfahrung 5, 12, 23, 41, 44, 80, 84 ff., 119, 126, 131 ff., 139 ff., 154 Erfolg 5 f., 11 f., 21, 28, 39, 69, 76, 97, 113, 116, 132, 140, 155, 159, 162, 180 Erwartung 43, 94, 119, 160, 165, 180
G Gefühl 22, 26 ff., 40, 54, 79 ff., 86 ff., 103, 153 ff., 179 Gehirnmodell 22 Chef-Etage 23 ff., 30, 33 ff., 40 Emotionsetage 23 Erinnerungs-Etage 23 Selbstschutz-Etage 23 f., 40 Grundgefühl 31
194
Angst 23, 28 ff., 72, 80 ff., 99, 105, 154 Ärger 47, 82, 86, 153, 159, 170 Freude 23, 29 ff., 35, 67, 80, 109 Trauer 23, 28 ff., 67, 79 ff., 87 ff., 103 Wut 23, 26, 29 ff., 40, 82, 87, 90, 153
H Haus der Veränderung 104, 107 Ablehnung 102 ff., 108 Erneuerung 104, 106, 109 Falsche Richtung 105 Neuanfang 108 Paralyse 105 Selbstzufriedenheit 102, 104 ff. Sonnenbalkon 104 Verwirrung 103 ff., 108
I Integrieren 43, 86, 91, 93 Interesse 11, 45, 50, 107, 137, 155 f.
Angelika Härlin Stichwortverzeichnis
L Lösung 30, 40, 48, 51, 54 ff., 76, 91, 94, 108, 122 f., 154, 171 Lösungsfalle 21, 110 Lösungsidee 21 Lösungslosigkeit 103, 105, 110
M Mediatorin/Mediator 91, 126 Mentoring 131 ff. Mentorin/Mentor 132 ff., 153 ff., 162 Mentoring-Konzept 133 Mentoring-Programm 131 ff. Mentoring-Projekt 132, 138 ff. Mitarbeitergespräch 12, 142, 165 ff. Durchführung 116, 133, 174 Gesprächstechniken 52, 181 Vorbereitung 120, 148, 173 Moderatorin/Moderator 49, 52 ff., 122 ff. Motivation 12, 22 ff., 35, 113, 119, 124 ff., 143, 149, 155, 168, 183
K Karriere 11, 132 Karriereplanung 131 f. Kommunikation 31, 110, 134, 136, 142, 165, 167, 169, 170 f., 174 Metaebene 170 Kompetenz 5, 12 f., 26 f., 62, 66, 70 ff., 101, 109, 131 ff., 143, 160 Konfliktkompetenz 101 Problemlösungskompetenz 62 Prozesskompetenz 110 Konflikt 12, 27, 39 ff., 66 ff., 72, 76, 89 ff., 101 f., 115, 140, 143, 149, 171 Führungsaufgaben 45 Kompromiss 44 Konfliktkompetenz 101 Konfliktmanagement 39 Konfliktstil 41 Konfliktverhalten 41 f., 160 Mediation 94, 126, 150 Mediatorin/Mediator 91, 126 Treppe in den Abgrund 45 ff.
N Netzwerk 61, 132, 135, 143 Kooperation 33, 66, 125 f., 149 Old-Boys-Networks 132
P Personalentwicklung 113 ff., 153, 156 Entwicklungsbedarf 116 f., 121 Entwicklungsgespräch 115, 120, 142 Entwicklungsziel 121, 126 f., 149 Erfolgskontrolle 127 Maßnahmen 113, 120 ff., 183, 185 Strategie 133, 137 Persönlichkeitsmodell 26 Polarisieren 26, 43, 99 Position 50 f., 86, 99, 114, 116, 143 Potenzial 5, 107, 109, 115, 123 ff., 160 Problemorientierung 155
195
Stichwortverzeichnis
R Reflexion 5, 16, 64, 69, 94, 126, 133 f., 148 f. Respekt 13, 71 Ritual 86, 93 f.
Trauerformen 81 Verlust 33, 82, 85, 87, 99, 103, 108 Würdigung 34, 79, 86, 93, 103
U Unterschiedlichkeit 25 ff., 62, 68, 75
S Sachebene 91 Sachlichkeit 21 f., 173 Strategie 149
T Talent 5, 128 Team Arbeitsbedingungen 60 Arbeitsleistung 60 Linking Skills 75 Spitzenteam 59, 62, 67, 70, 75 Teamentwicklung 59 ff., 72, 77, 159 Teamphasen 65, 76 Arbeit 66, 68 Differenzierung 65 f., 70 Orientierung 66 f. Trennung 67 Teamphasenmodell 65 Transfer 69, 126, 136 Trauer 23, 28 ff., 67, 79 ff., 103 Abschied 29, 41, 67, 69, 79 ff. 103, 180 Loslassen 12, 79, 85, 87, 103 Suizid 92, 93 Trauerarbeit 79 ff.
V Veränderung 14 ff., 41, 70, 76, 92 f., 99 ff., 139, 149, 155, 180 Prozessgestaltung 64 Veränderungsprozess 5, 64, 100 ff. Vernunft 22 Vertrauen 13, 41, 66 ff., 76, 81, 120, 149 ff., 162, 167, 168 Vertraulichkeit 145, 147, 180
W Wert 5, 12 f., 51, 92, 95, 108, 151, 179 Einstellung 11, 60, 99, 159, 166, 169 Haltung 25, 27, 36, 63, 70 f., 77, 84, 92, 104, 119, 151, 160, 166, 167, 169 Kultur 92, 94, 103, 133 Wille 5, 14 Wissen 5, 41, 84 f., 105, 113, 117, 124 ff., 154, 167 Wut 87
Z Ziel 12, 36, 61, 66 ff., 82, 99, 107ff., 113 ff., 155 f., 171 f., 180 f., 184