Christine Meinhardt-Remy Fernsehen und Ärger
VS RESEARCH
Christine Meinhardt-Remy
Fernsehen und Ärger Eine Studie ...
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Christine Meinhardt-Remy Fernsehen und Ärger
VS RESEARCH
Christine Meinhardt-Remy
Fernsehen und Ärger Eine Studie zu Ärger über Fernsehangebote und Situationen rund ums Fernsehen
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Hildesheim, 2008
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16840-1
Vorwort Wer sich ärgert, braucht zuweilen Menschen, die zuhören und Rat wissen. Wer eine Arbeit über Ärger schreibt, braucht dies erst recht. Den Menschen, die diese vom Fachbereich I Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim angenommene Dissertation gefördert, begleitet und gestützt haben, darf ich an dieser Stelle danken. Prof. Dr. Christel Hopf von der Universität Hildesheim hat die vorliegende Arbeit betreut und begutachtet. Sie hat die Spur in die Medienforschung gelegt, meine Ideen zu einem Promotionsthema kritisch diskutiert, schließlich die Idee, den Fernsehärger zu untersuchen, befürwortet und mich darin beraten. Sie bot mir als externer Doktorandin Termine, wenn ich sie brauchte, und den fruchtbaren Beratungsgesprächen habe ich immer sehr gerne entgegengesehen. So gerne hätte ich ihr meinen Dank für ihre immer wohltuend ruhige und geduldige Betreuung persönlich gesagt und mit diesem Buch überbracht. Sie verstarb im Jahr 2008, und so bleibt mir nur, meinen herzlichen Dank mit der Erinnerung an sie zu verbinden. Auch Prof. Dr. Dieter Ohr (FU Berlin) kennt die Geschichte dieser Arbeit von Beginn an. Er beriet mich in allen Fragen intensiv und stellte den Kontakt zu meinen ersten Befragten – Studierende der Universität Köln – her. Damit erleichterte er mir den Start in die Interviewphase. Hierfür und für seinen immer so wertvollen Rat, für allen motivierenden Zuspruch und nicht zuletzt für seine Bereitschaft, das Korreferat zu übernehmen, gilt ihm mein nachdrücklicher Dank. Ich verdanke ihm überaus viel. Ein weiteres Gutachten hat Prof. Dr. Werner Greve von der Universität Hildesheim verfasst. Es ist für mich nicht selbstverständlich, dass jemand spontan bereit ist, eine Arbeit zu begutachten, deren Verfasserin er kaum kennt. So gilt ihm mein besonderer Dank dafür, dass er sich der Arbeit eingehend angenommen hat. Seit einiger Zeit gibt es an der Universität Hildesheim das Margot-MöllerPromotionskolleg. Die Veranstaltungen am Kolleg waren für mich als externe Doktorandin sehr bereichernd und förderlich. Für alle Förderung durch die leitenden Personen wie auch durch die Mit-Promovierenden bin ich sehr dankbar. In Köln fand Prof. Dr. Wolfgang Jagodzinski (ZA Köln) Zeit für Gespräche über diese Dissertation, und er stellte mir für meine Interviews Räume der Kölner Universität zur Verfügung. Frau Putz von der ‚Programmdirektion Erstes Deutsches Fernsehen’ (München) gewährte mir vertrauensvoll Einblick in verschiedene Auswertungen der Zuschauerredaktion. Die Evangelische Kirchengemeinde in Alsfeld (Hessen) überließ mir für die Interviews Räume und half
6
Vorwort
kurzzeitig mit technischem Gerät aus. Bei Ihnen allen bedanke ich mich sehr herzlich. Bis hierher war schon häufiger von Interviews die Rede, und es ist an der Zeit, den zwanzig Befragten mein Dankeschön auszusprechen. Ohne sie hätte es die Arbeit in dieser Form nicht geben können. Ein Befund der Ärgerforschung ist, dass Humor den Ärger zum Erliegen bringen kann. Vielleicht haben wir auch deshalb während der Interviews viel gelacht. Dafür und für die Offenheit bedanke ich mich bei allen. Eine große Stütze fand ich während dieser Arbeit in Freunden. Dazu zählt PD Dr. Susanne Rippl (TU Chemnitz), die meine Thesen und Ausführungen immer sehr konstruktiv annotierte, dies zudem überaus flink – selbst in Zeiten ihres Umzugs. Sehr herzlichen Dank. Ferner erhielt ich hilfreiche Informationen durch Dr. Christian Seipel (Universität Hildesheim) und Dr. Hermann Dülmer (ZA Köln). Allen Freunden, auch jenen, die hier nicht namentlich erwähnt sind und die für ‘nicht-wissenschaftliche’ Abwechslung sorgten, sei sehr herzlich gedankt. Meine Arbeiten zur Vorbereitung der Drucklegung wurden von Frau Dorothee Koch vom VS Verlag unterstützt. Ich danke ihr für die unkomplizierte und immer herzliche Zusammenarbeit. Tiefer Dank gilt meiner Familie. Manchen Verzicht habe ich ihnen zugemutet. Vor allem jener Wegbegleiter hätte es manchmal leichter gehabt, der die Doktorandin hautnah erlebte: mein Mann, Peter Remy. Für seine Gedanken zu Fernsehärger, für seine Reisebegleitung, das geduldige Warten in Bibliotheken, das tröstende und das aufmunternde Wort, den guten Espresso … – Danke! Vielleicht mehr als man erwarten darf, jedenfalls mehr als ich zu wünschen gewagt hätte, hat er – mein Glück – gegeben.
Alsfeld, im April 2009
Christine Meinhardt-Remy
Inhalt I. AUSGANGSSITUATION 1
Einleitung............................................................................................ 15
1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2
Problemstellung ................................................................................................15 Ziele ..................................................................................................................17 Aufbau der Arbeit und Hinweise ......................................................................18 Aufbau der Arbeit .............................................................................................18 Hinweise zu den Kapiteln 11 und 12 ................................................................19
2
Stand der Forschung ......................................................................... 22
2.1 2.2 2.3
Fernsehärger – eine unerforschte Emotion? ......................................................22 Ärger rund ums Fernsehen................................................................................22 Fernsehinhalte und Ärger..................................................................................24
II. THEORETISCHE ZUGÄNGE UND BEZUGSRAHMEN 3
Fernsehnutzer und das Fernsehen – Theoretische Ansätze aus der Medienforschung .................................................................. 35
3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5
Aufbau und Zweck des Kapitels .......................................................................35 Uses and Gratifications Approach (UGA) ........................................................36 Grundzüge.........................................................................................................36 Gründe für die Medienzuwendung....................................................................40 Kritik.................................................................................................................42 Erweiterung durch den interpretativen Ansatz (‘Nutzenansatz’) ......................49 Parasoziale Interaktion und Beziehung .............................................................51 Grundzüge.........................................................................................................51 Ausgewählte Studienergebnisse........................................................................54 Kritik.................................................................................................................55 Soziale Vergleichsprozesse...............................................................................57
4
Ärger als Alltagsemotion – Theoretische Ansätze aus der Emotionsforschung............................................................... 60
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.6.1 4.6.2 4.7
Aufbau und Zweck des Kapitels und das Wort ‘Ärger’ ....................................60 Formen und Entstehung von Ärger ...................................................................61 Ärgerauslöser und soziale Kognitionen ............................................................65 Ärger und Handeln............................................................................................71 Ärger und subjektives Gefühl ...........................................................................76 Ärger und sinnverwandte Begriffe sowie Aggression.......................................82 Ärger und sinnverwandte Begriffe....................................................................82 Ärger und Aggression .......................................................................................84 Emotion und Interaktion ...................................................................................92
8
Inhalt
5
Alltags- und Medienemotionen: Theoretischer Bezugsrahmen dieser Arbeit ....................................................................................... 97
5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2
Theoretische Ausgangslage...............................................................................97 Alltags- und Mediensituationen und die Emotionen .........................................98 Fernsehärger als Alltags- und Medienemotion ...............................................101 Die subjektive und soziale Perspektive...........................................................101 Aktivität und Bewusstheit...............................................................................107
III. METHODE – INTERVIEW – DURCHFÜHRUNG 6
Methode ............................................................................................ 111
6.1
Qualitative Messung von Fernsehärger – Abgrenzung zu anderen Methoden...........................................................................................111 Validität ..........................................................................................................114 Begründung des qualitativen Vorgehens.........................................................117 Gründe auf Basis der Ärgerforschung.............................................................117 Gründe auf Basis der Fernsehforschung .........................................................118 Die Grounded Theory als Untersuchungsmethode..........................................119
6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4
7
Das Interview ................................................................................... 122
7.1 7.2
Das Leitfadeninterview – Vorzüge und Probleme ..........................................122 Das Interview – Aufbau, Dauer und Hilfsmittel .............................................123
8
Durchführung der Befragung......................................................... 128
8.1 8.2
Vorüberlegungen zu den Personenprofilen .....................................................128 Rekrutierung der Befragten, Orte und Zeitraum der Erhebung, Besonderheiten zum Interviewzeitpunkt........................................133 Die Forscherin und ihr Fernsehärger...............................................................135
8.3
9
Datenaufbereitung und Schritte der Analyse ................................ 136
9.1 9.2
Datenaufbereitung...........................................................................................136 Schritte der Analyse........................................................................................137
IV. ANALYSE UND ERGEBNISSE 10
Die Stichprobe .................................................................................. 141
10.1 10.2
Soziodemografische Daten .............................................................................141 Medienausstattung und Sehtyp .......................................................................145
11
Anlässe .............................................................................................. 147
11.1 11.2 11.2.1
Kapitelüberblick und Hinweise.......................................................................147 Fernsehangebote und Ärger ............................................................................148 Programmgestaltung .......................................................................................148
Inhalt
9
11.2.1.1 11.2.1.2 11.2.1.3 11.2.1.4 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.2.5 11.2.6 11.2.7 11.2.8 11.2.9
Werbung .........................................................................................................148 Sendungen fallen aus, weg oder werden wiederholt .......................................151 Angebotsextreme ............................................................................................152 Sendezeiten und Wochenendprogramm..........................................................153 Berichterstattung und Informationsdarbietung................................................155 Intimität und Erotik.........................................................................................159 Gewalt, Blut, Katastrophen.............................................................................164 Produktionsseite und Aspekte der Machart.....................................................166 Personen und Situationen................................................................................172 Sonstige Fernsehärgeranlässe und aversive Reize ..........................................178 Ärgerthemen und Anlässe ‘hinter’ den Themen im Überblick .......................181 Fazit ................................................................................................................183
11.3
Ärger in der Rezeptionssituation und durch Fernsehen im Allgemeinen...............................................................................................185 Störung der Rezeption.....................................................................................185 Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit .........................................................................187 Verstöße gegen Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘gemeinsamer Fernsehzeit’ .............................................................................190 Das eigene Fernsehverhalten ..........................................................................194 Störung einer Tätigkeit ...................................................................................196 Geringschätzung und Missachtung .................................................................197 Sonstige ..........................................................................................................201 Die Anlässe im Überblick und Fazit ...............................................................204
11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.7 11.3.8
12
Reaktionen........................................................................................ 206
12.1 12.2 12.2.1 12.2.1.1 12.2.1.2 12.2.1.3 12.2.1.4 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7 12.2.8
Begriffsklärung: Ärgerreaktion, -bewältigung und -ausdruck.........................206 Reaktionen auf Ärger über Fernsehangebote ..................................................208 Programmgestaltung .......................................................................................208 Werbung .........................................................................................................208 Sendungen fallen aus, weg oder werden wiederholt .......................................211 Angebotsextreme ............................................................................................212 Sendezeiten und Wochenendprogramm..........................................................213 Berichterstattung und Informationsdarbietung................................................215 Intimität und Erotik.........................................................................................218 Gewalt, Blut, Katastrophen.............................................................................224 Produktionsseite und Aspekte der Machart.....................................................225 Personen und Situationen................................................................................230 Sonstige ..........................................................................................................234 Die Reaktionen im Überblick und Fazit..........................................................235
12.3
Reaktionen auf Ärger in der Rezeptionssituation und durch Fernsehen im Allgemeinen ...................................................................243 Störung der Rezeption.....................................................................................243
12.3.1
10 12.3.2
Inhalt
12.3.4 12.3.5 12.3.6 12.3.7 12.3.8
Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit .........................................................................246 Verstöße gegen Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘gemeinsamer Fernsehzeit’ .............................................................................251 Das eigene Fernsehverhalten ..........................................................................254 Störungen einer Tätigkeit................................................................................257 Geringschätzung und Missachtung .................................................................259 Sonstige ..........................................................................................................263 Die Reaktionen im Überblick und Fazit..........................................................265
13
Vertiefungen..................................................................................... 271
13.1 13.1.1 13.1.2 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.3 13.3.1 13.3.2 13.4 13.4.1 13.4.2 13.5 13.6 13.7
Vergleich der Anlässe und Reaktionen ...........................................................271 Anlässe............................................................................................................271 Reaktionen ......................................................................................................273 Häufigkeit, Intensität und Dauer des Fernsehärgers........................................278 Ziel der Analyse und methodische Anmerkungen ..........................................278 Ärger über Fernsehangebote ...........................................................................280 Ärger rund ums Fernsehen..............................................................................295 Vergleich.........................................................................................................315 Über TV-Ärger sprechen ................................................................................323 Kennzeichen und Art der Kommunikation .....................................................323 Der Meinungsaustausch und das Gefühl danach.............................................328 Beschwerde an eine Fernsehanstalt.................................................................333 Gründe für oder gegen eine Beschwerde ........................................................333 Wer beschwert sich? – Soziale Merkmale ......................................................342 Die Rolle der sozialen Situation für Fernsehärger ..........................................343 Exkurs: Ärger und Spaß..................................................................................346 Exkurs: Fernsehgerät abschaffen ....................................................................358
14
Zusammenfassung und Schluss ...................................................... 361
12.3.3
Literatur ........................................................................................................... 371 Anhang ........................................................................................................... 389
Tabellen Fernsehen und Emotionen 1 Motive für die Medienzuwendung.............................................................................41 2 Ordnungsschema für Formen der Ärgerreaktion .......................................................91
Fernsehnutzung in Deutschland 3 Dauer der täglichen Fernsehnutzung im Jahr 2000..................................................129 4 Dauer der täglichen Fernsehnutzung im Jahr 2000 nach Altersgruppen..................130
Die Stichprobe 5 6 7 8 9 10
Alter der Befragten..................................................................................................141 Schulbildung der Befragten .....................................................................................141 Familienstand der Befragten....................................................................................142 Befragte mit Kind oder Kindern ..............................................................................142 Überblick über die Stichprobe .................................................................................144 Sehtyp......................................................................................................................146
Ärgeranlässe und Reaktionen 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Ärgerthemen beim Fernsehangebot .........................................................................181 Ärger durch formale u. inhaltliche Aspekte des TV-Angebots – explizite Anlässe.182 Ärgeranlässe in der Rezeptionssituation und durch TV im Allgemeinen ................204 Reaktionen bei Ärger über TV-Angebote........................................................ 237-238 Reaktionen bei Ärger über TV-Angebote mit Anzahl der Nennungen....................239 Reaktionen bei Ärger rund ums Fernsehen...................................................... 266-267 Reaktionen bei Ärger rund ums Fernsehen mit Anzahl der Nennungen..................268 Vergleich der Ärgeranlässe ............................................................................. 271-272 Vergleich der Reaktionen auf Fernseh-Ärger .................................................. 274-275
Häufigkeit – Intensität – Dauer des Fernsehärgers 20 Befragte oder Ereignisse – Beispiel zur Wahl der Datenbasis.................................279 21 Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote ........................................285 22 Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen ......................................301
Vergleiche 23 24 25 26
Übersicht über die Annahmen zu ‘Bildung¯Häufigkeit’ des TV-Ärgers ...............317 Übersicht über die Annahmen zu ‘Bildung¯Intensität’ des TV-Ärgers .................319 Übersicht über die Annahmen zu ‘Sehtyp¯Häufigkeit’ des TV-Ärgers.................320 Übersicht über die Annahmen zu ‘Sehtyp¯Intensität’ des TV-Ärgers ...................322
Beschwerde – Soziale Situation – TV-Abschaffung 27 28 29 30 31 32 33
Beschwerde .............................................................................................................333 Argumente für eine Beschwerde .............................................................................334 Argumente gegen eine Beschwerde.........................................................................336 Wer beschwert sich? – Soziale Merkmale ...............................................................342 Soziale Situation und Ärger.....................................................................................343 Ärgern, Schimpfen, Lästern vor dem Fernsehschirm – ein Genuss? .......................348 Fernsehgerät abschaffen ..........................................................................................359
12
Tabellen und Abbildungen
Tabellen im Anhang A1 A2 A3 A4 A5
Beispiele für die Kodierung der ‘Häufigkeit’ des Fernsehärgers.............................398 Beispiele für die Kodierung der ‘Intensität’ des Fernsehärgers ...............................399 Bildung ¯ Sehhäufigkeit ........................................................................................399 Ärger über TV-Angebote nach Bildung ..................................................................400 Ärger rund ums Fernsehen nach Bildung ................................................................400
Abbildungen Fernsehen und Emotionen 1 Circumplex Modell der Emotionen von Russel.........................................................79
Ärger über TV-Angebote 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote...............................................................281 Häufigkeit des Ärger über TV-Angebote nach Anlassart ........................................281 Intensität des Ärgers über TV-Angebote nach Anlassart.........................................283 Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote .......................284 Ärger über TV-Angebote nach Bildung ..................................................................286 Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote nach Bildung.........................................288 Intensität des Ärgers über TV-Angebote nach Bildung...........................................290 Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote nach Sehtyp ..........................................291 Intensität des Ärgers über TV-Angebote nach Sehtyp.............................................293
Ärger rund ums Fernsehen 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen.............................................................296 Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Anlassart ....................................297 Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Anlassart.......................................299 Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen .....................300 Ärger rund ums Fernsehen nach Bildung ................................................................302 Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Bildung.......................................305 Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Bildung.........................................308 Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Sehtyp ........................................310 Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Sehtyp...........................................312
Vergleiche 20 Vergleich der Häufigkeiten des Ärgers über TV-Angebote und Situationen rund ums Fernsehen.......................................................................315 21 Vergleich der Intensitäten........................................................................................316
Soziale Situation 22 Die Bedeutung der Anwesenheit anderer für die Wahrnehmung von Fernsehinhalten und das Erleben von Ärger.............................346
Abbildungen im Anhang A6 Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote .......................401 A7 Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen .....................402
TEIL I AUSGANGSSITUATION
1 Einleitung
1.1 Problemstellung „Streit ums Fernsehprogramm hat eine 84-jährige in Bad Hersfeld so in Rage gebracht, dass sie ihren drei Jahre jüngeren Lebensgefährten geschlagen hat. Sie wollte einen Krimi sehen, er einen anderen Film auf Video aufnehmen (…). Das Paar beschimpfte sich. Schließlich schlug die Frau auf ihren Partner ein. Der 81-jährige rief die Polizei. Die Beamten konnten schlichten. Das Pärchen will sich nun einen zweiten Fernseher kaufen.“ (Oberhessische Zeitung vom 13.8.2004)
Sicher ist: Fernsehen ruft Ärger hervor. Das Besondere daran: Fernsehen verkörpert eine doppelte Ärgerquelle. Der Ärger kann sich – wie der Zeitungsartikel eindrucksvoll zeigt – auf das Fernsehgerät beziehen und außerdem auf Fernsehinhalte. Zum Beispiel ärgern sich Zuschauer1 darüber, dass Moderatoren anzügliche Witze machen, und einige Moderatoren mussten sich dafür schon vor Gericht verantworten. Ob so oder so: Ärger ist stets ein Zeichen dafür, dass es um etwas subjektiv Wichtiges geht. Er ist – so eine weitere Besonderheit – nicht allein ein individuelles Phänomen, sondern Ärger ist auch eine soziale Emotion. Dies zeigt sich daran, dass es aus Sicht des Verärgerten meistens eine andere Person ist, die den Ärger provoziert, noch deutlicher zeigt es sich an den Folgen wie etwa an einem Streit oder einem Gerichtsprozess. Was ist nun wie wichtig, wenn Fernsehinhalte oder das Fernsehgerät zu Ärger führen? Was bedeutet Fernsehärger der einen oder anderen Art für das Subjekt und die Fernsehgemeinschaft? Diesen Fragen geht die vorliegende Arbeit nach, und sie hat ihre Gründe in folgender Situation. Fragen im Umgang mit Fernsehen bringen nicht nur ärgerreiche Konflikte in die Familien, sondern auch Pädagogen und Therapeuten sind beruflich damit befasst. Ebenso gelangt Ärger über Fernsehinhalte in die Öffentlichkeit. Die
1
Um das Lesen der Arbeit angenehmer zu gestalten, verwende ich die männliche und weibliche Form abwechselnd. In der Regel sind also beide Geschlechter gemeint, es sei denn, die Inhalte beziehen sich einzig auf einen Mann oder eine Frau. Dies wird dann freilich kenntlich gemacht.
16
1 Einleitung
Fernsehsender haben Zuschauerredaktionen2 für Lob und Kritik eingerichtet, und in Briefen, Anrufen oder E-Mails äußern Zuschauer unter anderem und nicht wenig Ärger. Ferner kommt es vor, dass Ärger über Fernsehinhalte über den Kreis der Familie hinaus ein Gesprächsthema unter Freunden und Kollegen ist. Ein bekanntes Beispiel aus den 1970er Jahren ist „Ekel Alfred“ in der Serie „Ein Herz und eine Seele“,3 das zudem Schlagzeilen in der Presse machte und dem Sender herbe Kritik einbrachte. Heute mögen es Stefan Raab, Harald Schmidt, Jürgen Fliege oder eine Sendung wie „Big Brother“ sein, worüber sich Zuschauer zuweilen ärgern, worüber man – vielleicht auch aufgrund des Ärgers – spricht, in der Zeitung berichtet, weswegen man an die Sender schreibt, Gerichtsprozesse anstrengt oder in der Wissenschaft forscht. Manch einer – und diese Gruppe scheint größer zu werden – schafft sein Fernsehgerät auch ab.4 In der Forschung ist unstrittig, dass Emotionen bedeutsam sind, man weiß, dass wir das Meiste erst wahr- oder zur Kenntnis nehmen, wenn wir es emotional qualifizieren.5 Dass dies auch für Fernsehen gilt, dass das Fernsehen also mit Fühlen verbunden ist, wird so auch in der Medienforschung kaum angezweifelt. Die Forschungslage zu Ärger über (1) das Objekt Fernsehen und über (2) die Inhalte ist unterschiedlich.6 (1) In der Medienforschung wurde ‘Ärger rund ums Fernsehgerät’ bisher nicht eigens untersucht. Belege dafür und Hinweise darauf, dass es diesen Ärger gibt, finden sich zwar in verschiedenen Studien. Es handelt sich allerdings um Studien aus Disziplinen wie etwa der Medienpädagogik oder der Biografieforschung, in denen Emotionen nicht systematisch untersucht wurden, weil die Studien emotions- oder ärgerunabhängige Fragen verfolgten. (2) In der Forschung zur Fernsehrezeption geht man seit den 1990er Jahren verstärkt dem emotionalen Erleben von Inhalten nach. Diese Studien nehmen immer mehrere Emotionen in den Blick, auch deshalb, weil beim Fernsehen mehrere Emotionen durchlebt werden, sie sich mischen und dabei mal die eine, mal die andere hervortritt. Aus diesen Studien liegen eine ganze Reihe wichtiger Befunde zu Ärger über Fernsehinhalte vor. INSGESAMT ist es so, dass man nur wenig über die Vielfalt der Anlässe für Fernsehärger weiß und darüber, was der Ärger subjektiv bedeutet und wie mit ihm umgegangen wird. Was völlig fehlt, sind Informationen, die sich aus dem 2
3 4 5 6
Ich danke an dieser Stelle einmal mehr sehr herzlich Frau Putz von der „Programmdirektion Erstes Deutsches Fernsehen“, die mir Einblick in einige Wochenprotokolle über Lob und Kritik gewährt hat. Zur Auseinandersetzung mit der Fernsehfamilie „Tetzlaff“ vgl. Georg Seeßlen (2001: 152160). Dies stellt Sicking (2000) in seiner Studie „Leben ohne Fernsehen“ fest. Vgl. etwa Ulich (1995: 38); Krotz (1993: 492). Vgl. ausführlich zum ‘Stand der Forschung’ Kapitel 2.
1 Einleitung
17
Vergleich der Ärgerformen – i.e. Ärger über Inhalte vs. Ärger rund ums Fernsehen – ergeben. Auch dies zu erhellen, scheint lohnend, weiß man doch, dass Medienkommunikation etwas anderes ist als interpersonale Kommunikation, und vielleicht ist Ärger über Fernsehinhalte etwas anderes als derjenige rund um das Fernsehgerät, vielleicht ist Ärger auch mehr als eine negative Emotion. Es kann festgestellt werden, dass das, was im Allgemeinen gilt, besonders für fernsehbezogenen Ärger zutrifft: Ärger ist nicht gleich Ärger, nur wissen wir empirisch kaum etwas darüber. Dies wiegt für Fernsehärger umso schwerer, wenn man bedenkt, dass das Medium Fernsehen mit Fernsehnutzungszeiten von täglich mehr als drei Stunden einen zentralen Platz im Alltag der Menschen hat. Die Untersuchung zu Fernsehärger in seiner doppelten Ausrichtung bietet also eine beachtliche Gelegenheit. Zum einen lässt sich etwas über zwei Ärgerarten – je für sich und beide im Verhältnis zueinander – erfahren. Zum anderen sind Hinweise auf die subjektive Bedeutung des Fernsehens erwartbar, wenn der Zugang über die emotionale Bewertung erfolgt. Dieser Weg wird hier für die Emotion Ärger eingeschlagen, und er ist mit Zielen verbunden, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden.
1.2 Ziele Das Ziel der Arbeit ist allgemein und konkret zugleich: Allgemein besteht es darin, dass Hypothesen zu Fernsehärger entwickelt werden sollen. Die Leitfrage lautet: Wie denken, handeln, fühlen Personen, wie ist deren subjektives Erleben, wenn sie sich über Fernsehen ärgern? Dabei werden zwei Arten des Fernsehärgers unterschieden, einerseits der Ärger über Fernsehinhalte (Medienemotion), andererseits der Ärger, der sich rund ums Fernsehen, also zum Fernsehen als Alltagsobjekt (Alltagsemotion) ergibt. Ich gehe von der Annahme aus, dass Fernsehen Ärger hervorruft, berücksichtige aber, dass auch das Gegenteil sein kann. Die Annahme ist heuristisch zu verstehen, sie wird nicht im Sinne einer Hypothese überprüft, denn die Arbeit hat den Charakter der Erkundung eines Gebiets. Für die Exploration ergeben sich die konkreten Ziele aus folgenden Fragen, die in dieser Arbeit zum großen Teil sowohl für die Medien- als auch für die Alltagsemotion gestellt werden:
Worüber, wie sehr, wie häufig und wie lange ärgern sich die Fernsehnutzer? Wie ist das emotionale Erleben, wenn Ärger in der Rezipientengemeinschaft, das heißt rund ums Fernsehen, entstanden ist? Wie ist es demgegen-
18
1 Einleitung über, wenn eine Fernsehfigur den Ärger hervorruft? Kann es bei Ärger über Medieninhalte sogar sein, dass Ärger mit Spaß verknüpft ist? Welche Rolle spielt die soziale Situation für Fernsehärger? Ist es dasselbe, ob jemand alleine oder zusammen mit anderen fernsieht? Wie sehr sind die Befragten mit dem jeweiligen Ärger beschäftigt? Sind Handlungsimpulse oder Handlungen mit dem Ärger verbunden? Werden zum Beispiel bei Ärger über Fernsehinhalte entlastende Gespräche gesucht? Werden Beschwerden an Fernsehsender gerichtet? Wird das Fernsehgerät gar abgeschafft?
Diese Fragen lassen sich zu folgenden Zielen zusammenfassen:
Es sollen Anlässe für Fernseh-Ärger zusammengetragen werden, und zwar von einem Medieninhalt abhängige wie auch davon unabhängige. Für beide Ärgerarten sollen individuelle Unterschiede im Erleben, Denken und Handeln7 exploriert und vor dem persönlichen und sozialen Hintergrund interpretiert werden. Fernsehärger der einen wie der anderen Art soll charakterisiert, seine Qualität bestimmt und seine Relevanz für das Medium sowie für den Befragten (Alltagsrelevanz) hypothetisch eingeschätzt werden. Diese nähere Bestimmung wird auch deshalb angestrebt, weil es nicht auszureichen scheint, Ärger allein als positive oder negative Emotion zu begreifen.
Zur Beantwortung der Untersuchungsfragen werden Leitfadeninterviews eingesetzt und analysiert. Von den Ergebnissen sollen zwei Forschungsdisziplinen profitieren – i.e. die Forschung zur Fernsehrezeption genauso wie die zu Ärger im Allgemeinen.
1.3 Aufbau der Arbeit und Hinweise 1.3.1 Aufbau der Arbeit Die Arbeit enthält vier Teile – I. Ausgangssituation, II. Theorie, III. Methode und IV. Analyse und Ergebnisse. In Kapitel 2, das noch zu TEIL I der Arbeit 7
In der Arbeit wird zwischen Sich-Verhalten und Handlung unterschieden. Für Handlung ist vor allem das Element der Intentionalität kennzeichnend. Andere handlungskonstituierende Merkmale sind etwa (partielle) Kontrolliertheit und Reflexivität (vgl. z.B. Lantermann 2000: 381; 1983: 249).
1 Einleitung
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gehört, wird der ‘Stand der Forschung’ skizziert. Ärger taucht in verschiedenen Studien der Medienforschung auf. Solche Befunde werden herausgefiltert und mit gleichzeitigem Verweis auf den Forschungsbedarf berichtet. In TEIL II, der der Theorie gewidmet ist, stellen die Kapitel 3 und 4 die theoretischen Zugänge zum Forschungsgegenstand ‘Fernsehärger’ dar. Kapitel 3 greift Ansätze aus der Medienforschung auf, Kapitel 4 solche aus der Emotionsoder Ärgerforschung. Mit Ärger hat sich insbesondere die Psychologie beschäftigt, einige Arbeiten stammen auch aus der Soziologie. Entsprechend dieser Forschungslage greife ich vorrangig auf die psychologische Forschungstradition zurück. Die Ansätze aus Kapitel 3 und 4 werden sodann in Kapitel 5 zusammengeführt. Hierbei entsteht kein theoretisches Modell, denn die Arbeit will nicht primär bestimmte theoretische und methodische Positionen exemplifizieren und deren Möglichkeiten und Grenzen diskutieren. Vielmehr versucht sie, den Gegenstand ‘Fernsehärger’ zu explorieren, und hierfür wird er unter Zuhilfenahme verschiedener Konzepte ansatzweise theoretisch eingegrenzt. Daher sind die Ausführungen in Kapitel 5 als ein theoretischer Bezugsrahmen für das Thema Fernsehärger zu verstehen (vgl. weiter dazu Punkt 5.1 ‘Theoretische Ausgangslage’). TEIL III stellt in den Kapiteln 6 bis 9 die Wahl und Begründung der Methode (Kap. 6), das Interview (Kap. 7), Einzelheiten zur Durchführung der Befragung (Kap. 8) und die Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviews (Kap. 9) dar. TEIL IV enthält in den Kapiteln 10 bis 13 die Ergebnisse. Kapitel 10 beschreibt die Stichprobe, Kapitel 11 die Ärgeranlässe und Kapitel 12 die Reaktionen der Befragten auf deren Fernsehärger. In Kapitel 13 werden diese Ergebnisse unter verschiedenen Blickwinkeln vertieft (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’), um dann in Kapitel 14 die Ergebnisse mit den Hypothesen zusammenzufassend und abschließend zu diskutieren. Die Kapitel 11 und 12 sind in ihrem Aufbau aufeinander abgestimmt. Dies hat verschiedene Folgen und Gründe, darunter den, dass der Leser sich besser orientieren kann. Der nächste Punkt erläutert und begründet die Vorgehensweise.
1.3.2 Hinweise zu den Kapiteln 11 und 12 Die Kapitel 11 (Anlässe) und 12 (Reaktionen) sind in ihrem Aufbau und bei der Wahl der Überschriften aufeinander abgestimmt, was sich äußerlich an gleich lautenden Überschriften zeigt. Dies ist nicht unproblematisch, so dass ich im Folgenden diese Systematik erläutern und begründen werde.
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AUFBAU UND ÜBERSCHRIFTEN. In Kapitel 11 behandle ich die Ärgeranlässe. Dabei geht es einerseits um den Ärger über Fernsehinhalte (Pkt. 11.2), andererseits um den Ärger rund ums Fernsehen (Pkt. 11.3). Kapitel 12 enthält die entsprechenden Reaktionen. Bei der Wahl der Überschriften ist es so, dass die faktischen Anlässe und Reaktionen aus den Kapitelüberschriften nicht direkt ersichtlich sind. Ich verdeutliche dies anhand des Ärgers über Fernsehinhalte. Dort gibt es zum Beispiel die Überschrift von Punkt ‘11.2.1.1 Werbung’: Wer sagt, sich über Werbung zu ärgern, der ärgert sich bei Lichte besehen eher nicht über Werbung als solche, sondern über die Unterbrechung, die mit Werbung einhergeht. Hinter dem Ärger über Werbung verbergen sich also Anlässe wie ‘die Störung beim Verfolgen eines Filmes’ und/oder ‘die Störung des Fernsehvergnügens’. Der Gliederungspunkt 11.2.1.1 ist dennoch mit ‘Werbung’ betitelt, und innerhalb des Abschnitts arbeite ich die jeweiligen Ärgeranlässe (wie z.B. Störung des Vergnügens) heraus. Diese ‘echten’ Ärgeranlässe fasse ich am Ende eines jeden Abschnitts zusammen, und ganz am Ende von 11.2 und 11.3 gibt es eine Übersicht über alle Anlässe. In der Übersicht versehe ich jeden Ärgeranlass (z.B. Störung des Vergnügens) mit dem Hinweis auf seine ‘mediale Ärgerquelle’ (z.B. Werbung). So bietet diese Übersicht nicht nur einen Überblick über die Ärgeranlässe, sondern man kann darin auch erfahren, in welchem Unterabschnitt oder in welchen Unterabschnitten der jeweilige Ärgeranlass zur Sprache kommt. Analog verfahre ich bei der Darstellung der Ärgerreaktionen. Hier steht – um im Beispiel zu bleiben – als Überschrift Werbung, die freilich keine Reaktion ist. Die Überschrift ‘Werbung’ deutet einzig darauf hin, dass man in diesem Kapitel die Reaktionen auf den Ärger findet, der mit Werbung zusammenhängt. Somit finden sich also in Kapitel 11 und 12 ähnlich lautende oder identische Überschriften, bei deren Wahl ich mich an den von den Befragten genannten Ärgeranlässen (z.B. Werbung, Erotik) orientierte. Ähnlich ist die Sachlage bei dem ‘Ärger in der Rezeptionssituation oder durch Fernsehen im Allgemeinen’. So sind zum Beispiel die Punkte 11.3.1 (Anlässe) und 12.3.1 (Reaktionen) mit dem Titel ‘Störung der Rezeption’ überschrieben. Mit dieser Überschrift ist zwar der Ärgeranlass erkennbar, nämlich die Rezeptionsstörung, aber im Kapitel Reaktionen benennt diese Überschrift nicht die Reaktion (das Verhalten oder die Handlung). Gleichwohl orientiere ich mich bei der Darstellung der Ergebnisse einmal mehr an den von den Befragten genannten Anlässen. BEGRÜNDUNG. Die Entscheidung für diese Art des Aufbaus und der Kapitelüberschriften hat verschiedene Gründe.
Ich habe in Kapitel 11 (Anlässe) die Abschnitte zum Ärger über Fernsehinhalte (Pkt. 11.2) nach den von den Befragten genannten Anlässen (z.B.
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Werbung) benannt, weil wohl die meisten Menschen – so vermutlich auch die Leserinnen und Leser – einen Fernsehinhalt wie etwa Werbung angeben würden, wenn man sie nach einem verärgernden Fernsehereignis fragte. Dass nun alle Überschriften aus Kapitel 11 zur Richtschnur für jene in Kapitel 12 (Reaktionen) wurden, hat auch einen praktischen Nutzen. So kann man nach dem Lesen eines Abschnittes aus Kapitel 11 ‘Anlässe’ sogleich den dazugehörigen Abschnitt aus Kapitel 12 ‘Reaktionen’ aufsuchen – und umgekehrt. Auch inhaltliche Aspekte bewogen mich, die Darstellung der Ergebnisse an dem jeweiligen Fernsehinhalt (z.B. Werbung) zu orientieren. Erstens können Personen nicht nur einen Grund, sondern verschiedene Gründe (Anlässe) für ihren Ärger (z.B. über Werbung) haben. Zweitens können die Reaktionsweisen vielfältig sein. Damit ist einerseits gemeint, dass sich verschiedene Personen bei demselben Ärgeranlass sehr unterschiedlich verhalten können (Vergleich über mehrere Personen hinweg). Andererseits kann es sein, dass eine Person auf einen Ärgeranlass nicht nur auf eine einzige Weise, sondern verschieden, vielleicht auch mit einem Verhaltensgemisch reagiert. Mit der gewählten Kapitelsystematik bleibt diese Vielfalt erhalten, sie würde sich weniger plastisch zeigen lassen, wenn man die Ergebnisse entlang der einzelnen Anlässe (z.B. ‘Störung beim Verfolgen eines Filmes’) oder Reaktionen (z.B. ‘das Fernsehgerät ausschalten’) berichtete. Darüber hinaus erhöht sich die Chance, spezifische Muster – sofern vorhanden – zu erkennen.
TEIL II THEORETISCHE ZUGÄNGE UND BEZUGSRAHMEN
2 Stand der Forschung
2.1 Fernsehärger – eine unerforschte Emotion? Zum Thema Fernsehärger gibt es keine Monographie, wohl aber Befunde und Hinweise aus verschiedenen Studien. Einerseits handelt es sich um eher zufällige Befunde oder Hinweise, die sich im Zuge von Untersuchungen ergeben haben, deren Fragestellung sich nicht auf Medien-Emotionen oder -Ärger beziehen. Andererseits liegen Ergebnisse zu Ärger aus emotionsbezogenen Studien der Medienforschung vor. Wenn im Folgenden Ergebnisse zu Fernsehärger berichtet werden, so kann es sich dabei nicht um einen vollständigen und systematisierten Überblick handeln. Dies hat mit der inzwischen großen Zahl von Studien zum Thema ‘Medien und Emotionen’ zu tun und mehr noch damit, dass die Fragestellungen und methodischen Ansätze stark divergieren und daher kaum zu systematisieren sind. Deshalb werden ausgewählte Befunde zusammengetragen, um so die Forschungslage zu skizzieren. Die Argumentation sollte in ihren Grundzügen dadurch nicht beeinträchtigt sein. Das Gros der Befunde stammt aus Studien, in denen das emotionale Erleben bei der Rezeption von Fernsehinhalten untersucht wurde. Emotionen, die es inhaltsunabhängig, also ‘rund ums Fernsehen’ gibt, sind nicht explizit untersucht. Dass es aber auch hier Emotionen, resp. Fernsehärger gibt, wird in verschiedenen Studien angedeutet oder festgestellt. Der Bericht soll mit Studienbeispielen, die ‘Ärger rund ums Fernsehen’ enthalten, beginnen.
2.2 Ärger rund ums Fernsehen Für die Darstellung des Forschungsstandes zum Thema ‘Ärger rund ums Fernsehen’ beziehe ich mich auf fünf Studien. (1) Andeutungen dahingehend, dass Fernsehen mit Ärger verbunden sein kann, lassen sich bereits in der frühen Fernsehforschung finden. Ein Beispiel hierfür ist die Studie von Maletzke aus dem Jahr 1959. Er untersucht, wie sich „Fernsehen im Leben der Jugend“ darstellt, und die Befragten geben neben positiven Eigenschaften negative an wie: „Seit wir Fernsehen haben … ist es bei uns
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nicht mehr so harmonisch; wenn da einer zwischenspricht, dann faucht der Alte gleich los. Seid ruhig! Fängt dann an zu schimpfen. Krach mit der Familie. Dann sagt die Mutter: Stör doch nicht immer!“ (Maletzke 1959: 171f.). Ärger wird hier indirekt artikuliert, das Konfliktpotential zeigt sich deutlich. Nun haben sich seit 1959 ‘die Zeiten geändert’. (2) Doch auch beim Blick in aktuellere Studien findet man ähnliche Äußerungen. Ausdrücklich kommt Ärger in einer medienbiographischen Studie zu „Fernsehen im Lebenslauf“ von Hackl (2001: 295; 242) zur Sprache. Einer ihrer Befragten ärgerte sich, wenn seine Familie Fernsehen wichtiger nahm als andere Freizeitaktivitäten. „Wenn der Kuhlenkampff da war, und da hast du mit keinem was ausmachen dürfen, weil jeder den Kuhlenkampff sehen wollte“. Darüber hinaus gibt es unter Hackls Befragten eine Frau, die sehr wenig fernsieht, deren Mann hingegen sehr viel. Ein Ehekonflikt folgt, und die Frau spricht davon, das Fernsehgerät manchmal gehasst zu haben. Die Ehe wurde geschieden, und die Befragte „meinte, das Fernsehen hätte die Familie auseinandergerissen (sic!)“. Fernsehen stiftet oder fördert hier den Konflikt. Damit zeigt sich, was bereits Maletzke (1959) benennt und später auch viele andere Studien – vor allem zum Thema ‘Fernsehen und Familie’ – feststellen: Fernsehen bietet nicht nur die Möglichkeit für Konflikte (vgl. z.B. Hurrelmann et al. 1996), sondern es kann zum Austragungsort für Paar- oder Familienkonflikte werden, das heißt über den Umgang mit den Medien können Konflikte ausgetragen werden, deren Ursache woanders liegt (vgl. Goodman 1983, zit. nach Barthelmes/Sander 1990: 398; dies. 1997). (3) Eine andere Ursache für Ärger benennen Barthelmes und Sander (1997: 133) in ihrer medienpädagogischen Studie zum Thema „Medien in Familie und Peer-group“. Eltern ärgerten sich, wenn Kinder Sendungen sahen, die die Eltern missbilligten. Eltern und Kinder stritten, und die Eltern ergriffen erzieherische Maßnahmen. (4) Mit ihrer Studie aus der Rezeptionsforschung untersuchen Thallmair und Rössler (2001), inwiefern es eine ‘Beziehung’ von über 50-jährigen Zuschauern zu Moderatoren von Talkshows gibt. Die Forscher formulieren ein Item, das sich auf die Rezeptionssituation bezieht. Das Item ist Bestandteil einer Skala und lautet: „Ich ärgere mich, wenn jemand anruft, während ich (Name des Showmasters, nach dem die Show benannt ist, z.B. Jürgen Fliege) sehe“. Konkret zu diesem Ärger liegen aus der Studie keine Informationen vor, weil das
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Die Quellenangabe nach Barthelmes und Sander (1990: 39): Goodman, Irene F. (1983): Television’s Role in Familiy Interaction. A Family Systems Perspective. Journal of Family Issues, 4, (2), 405-424.
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2 Stand der Forschung
Item Bestandteil einer Skala war. Was das Item indes zeigt, ist, dass Störungen bei der Rezeption wie zum Beispiel durch einen Anruf zu Ärger führen können. (5) Mit der Frage, warum oder um welcher Gratifikation (Belohnung) willen Rezipienten umschalten, setzen sich Walker und Bellamy (1991) auseinander. Nach zwei explorativen Studien formulieren sie sieben Gratifikationsdimension. Eine davon besagt, dass Rezipienten die Fernbedienung deshalb benutzen, weil man mit Umschalten andere Personen, die ebenfalls fernsehen, ärgern und Kontrolle oder Macht über sie ausüben kann. Dem einen kann das Umschalten zum Vergnügen gereichen, den anderen kann es ärgern. Aus Sicht des sich Ärgernden liegt dort also ein Ärgeranlass. Diese hier zusammengestellten Situationen zu Ärger rund ums Fernsehen sind exemplarisch, ihre Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Was die Informationen verbindet, ist, dass sie nicht das Resultat systematisch emotionsbezogener Erhebungen sind, sondern aus Studien stammen, die ärgerunabhängige Fragen verfolgten. Dort werden weder weitere Ärgeranlässe noch das emotionale Ärgergeschehen tiefer betrachtet. Deshalb erfährt man nur wenig über die Vielfalt der Anlässe, die Folgen oder das subjektive Erleben bei Fernsehärger. Die Befunde mögen also inhaltlich kaum eng auf Ärger bezogen sein, was die Beispiele aber umso mehr demonstrieren, ist die Bedeutung des Fernsehärgers und den dazugehörigen Forschungsbedarf.
2.3 Fernsehinhalte und Ärger Zu emotionalen Wirkungen von Medieninhalten hat die Forschung zum Themenkreis ‘Medien und Gewalt’ viele Beiträge geliefert. Dort arbeiten Forscher häufig mit erregungspsychologischen Konzepten, und sie fragen nach aggressionsfördernden Wirkungen von medialen Gewalt- und (aggressiven) Erotikdarstellungen. Diese Inhalte können nachweislich Ärger und Frustration weiter aufbauen und bedingt auch Aggression fördern. Bekannt ist auch, dass formale Elemente des Medienangebots wie Geräusche, Musik, die Schnittfolge, Zeitlupe, Weißblenden, eine aufdringliche Sprecherstimme, emotionale Darstellungen (s.u. Absatz ‘Ärger und Affektfernsehen’) eine physiologische Aktivierung bei Rezipienten bewirken und zu Gereiztheit oder Ärger führen können.9 Allerdings zielten die Studien nicht primär auf (neuere) Erkenntnisse darüber, wie Ärger
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Vgl. im Überblick Kunczik (1996, darin bsd. S. 60-160); vgl. auch Zillmann (1988); einen Überblick über formale und inhaltliche Merkmale bietet auch Bilandzic (2004: 93ff.). Zum Zusammenhang von Ärger und Aggression vgl. Abschnitt 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’.
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und die Mediennutzung zusammenhängen. Spezifischere Ergebnisse liefern jüngere Studien. Einige von ihnen sollen im Folgenden dargestellt werden. ÄRGER DURCH FERNSEHNACHRICHTEN. Unz, Schwab und Winterhoff-Spurk (2002) untersuchen „emotionale Prozesse bei der Rezeption gewaltdarstellender Fernsehnachrichten“. Die Forscher wenden ein kognitiv-handlungstheoretisches Emotionsmodell aus der Psychologie im Feld der Medienforschung an. Zu Ärger und Wut ergaben sich folgende Befunde. In den Fernsehnachrichten gezeigte „vorsätzliche Gewalt an Menschen löst eher ein Cluster aus Wut, Ekel und Verachtung (sowie auch überdurchschnittlich viel Angst und Trauer) aus; diese Gewaltart wird als unangenehm, zugleich aber als wichtig und dringlich eingeschätzt. Ihre Verursachung wird bei anderen Personen gesehen, das Ereignis wird nicht für zufällig gehalten, es erscheint aber prinzipiell als kontrollierbar. Die Zuschauer können die Ereignisse nur schwer mit ihren Normen vereinbaren“ (Unz / Schwab / Winterhoff-Spurk 2002: 113). Ähnliche Ergebnisse berichtet auch Mangold (2000) aus seinem Experiment zu emotionalen Wirkungen von Gewalt in Fernsehnachrichten. Danach kovariieren Angst und Ärger mit der Gewaltart, das heißt: „Während Angst bei allen Gewaltbeiträgen annähernd gleich ausgeprägt ist, weist Ärger bei ‘höherer’ Gewalt (z.B. Flutkatastrophen, Anm. M.-R.) geringere, bei vorsätzlicher Gewalt dagegen stärkere Ausprägungen auf als Angst“ (Mangold 2000: 128). Diese Befunde spiegeln nun wesentliche Kennzeichen der Emotion Ärger/Wut wider, Kennzeichen, wie sie die Ärgerforschung zutage gefördert hat (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion…’). Die Ärger/Wut-Reaktion ergab sich hier freilich durch die Konfrontation der Rezipienten mit gewalthaltigen Inhalten in Fernsehnachrichten. Offen bleibt in diesen Studien, was dieser Ärger subjektiv bedeutet und auch, ob Zuschauer Handlungsimpulse empfinden oder (nicht offen-aggressive) Handlungen auf Fernsehärger folgen. Hinweise zu Reaktionen liefern andere Studien (s.u.). ÄRGER DURCH ‘AFFEKTFERNSEHEN’. Grundlagenarbeit zum Themenkreis ‘Medien und Emotionen’ leistete auch das Team um Gary Bente und Bettina Fromm (1997) im Rahmen einer Untersuchung zum „Affektfernsehen“. Mit Affektfernsehen im weiteren Sinne sind Talk-, Beziehungs-, Spielshows und Suchsendungen mit Themen wie Liebe, Verlust, Tod, Krankheit oder Sexualität gemeint. Die Sendungen kehren etwa Einzelschicksale und die Betroffenheit von Individuen heraus, bieten authentische Geschichten von nicht-prominenten Personen live dar, machen Privates öffentlich und betonen emotionale Aspekte stärker als eine sach-orientierte Darstellungsweise (vgl. Bente/Fromm 1997: 20). Ein Schwerpunkt der groß angelegten Studie lag darin, Aufschluss über die „sozioemotionale(n) Wirkungsdimensionen des Affektfernsehens“ (Feist/Bente/Hündgen 1997: 242) zu erhalten. Dazu sahen Probanden ausgewählte Sendungen und
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gaben anhand vorgegebener Antwortmöglichkeiten an, wie sie sich während des Beitrags fühlten, wie der Beitrag auf sie wirkte und wie sie ihn beurteilten. Daneben interessierte, ob die verbalisierten emotionalen Bewertungen mit körperlich nachweisbaren Prozessen einhergehen (z.B. Blutdruckmessungen). Die Ergebnisse belegen, dass es zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen bei der Rezeption der Sendungen kommt, so auch zu Ärger. Besonders Shows, in denen Beziehungskonflikte problematisiert wurden, riefen negative Gefühle hervor (vgl. dazu auch die Studie von Grimm 1995, s.u.). Wenn die Akteure auf dem Bildschirm die Grenzen zur Peinlichkeit im Kommunikationsverhalten nicht wahrten (Bente/Fromm 1997: 328), bewerteten die Zuschauer die Beiträge negativ(er). Die verbalen Bewertungen konnten mit psychophysiologischen Daten objektiviert werden. So ergaben sich signifikante Korrelationen zwischen systolischem Blutdruck und den Items „hat mich geärgert“ und „ist mir zu weit gegangen“ (Feist et al. 1997: 279). Ferner wurden die Probanden gefragt, ob sie die Sendungen unter normalen Rezeptionsbedingungen weiter ansehen würden. Wie erwartet zeigte sich, dass Beiträge, die besser gefallen, auch mit höherer Wahrscheinlichkeit weitergesehen würden. Interessant daran ist die Reihenfolge der Faktoren ‘Information’ und ‘Spannung’: Zuschauer verfolgen eine Sendung eher weiter, wenn sie Spannung bietet, erst danach rangiert der Faktor Information. Bente und Mitarbeiter setzten in ihrer Studie unter anderem Ausschnitte aus der Sendung „Nur die Liebe zählt“ ein, die von den Probanden schlecht beurteilt wurden (Feist et al. 1997: 264). Grimm, der schon 1994 diese Sendung für eine experimentelle Rezeptionsstudie auswählte, berichtet überdies, dass „Versuchspersonen gerade bei den gefühlsintensiven Passagen aggressive Schübe erlitten“ (Grimm 1995: 104), während er in seinen Experimenten mit Horror- und Gewaltfilmen keine Reaktionen wie Wut und Gewalt festgestellt hat. In den Studien des Teams um Bente und Fromm wie auch bei Grimm treten einige typische Kennzeichen von Ärger wie Grenzüberschreitungen, Norm-, Regelbrüche hervor (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion…’). Die Ergebnisse der Studien sind aufgrund ihrer Zielsetzungen nur zum Teil eng auf Ärger bezogen und gelten für die experimentellen Bedingungen. Hervorzuheben sind die signifikanten Korrelationen zwischen den verbalen Bewertungen und den psychophysiologischen Daten – ein Ergebnis, das die Wahl der Methode in der vorliegenden Fernsehärgerstudie unterstützt (vgl. Kap. 6 ‘Methode’). Zudem gibt es Hinweise darauf, welche Merkmale einer Sendung besonders dazu führen, dass sie weiterverfolgt würde, nämlich Spannung und Information. Was darüber hinaus und speziell bei Ärger folgt, wird mit der Studie nicht besagt. Dieser Frage geht die folgende Studie nach. REAKTION BEI FERNSEHÄRGER. Schon in der Fernsehmotivforschung, die unter anderem danach fragt, warum Menschen fernsehen, geben Befragte Motive
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wie Spannung und Information, Ablenkung und Unterhaltung an – die Forschung hat umfassende Motivkataloge erarbeitet (vgl. Pkt. 3.2 ‘Uses and Gratifications Approach’). Fahr und Böcking (2004; 2005) gehen nun den ‘Nicht-Nutzungsmotiven’ nach. Sie fragten, „warum Rezipienten konkrete Medienangebote vermeiden, genauer: bei welchen Inhalten sie wegschalten“ (Fahr/Böcking 2004). Wie die 264 befragten Zuschauer in den schriftlichen Interviews angeben, vermeiden sie eher Inhalte, die negative Emotionen, also auch Ärger, verursachen. Gemäß dem Faktor ‘Ärger, Wut, Reaktanz’ schalten Zuschauer „weg, wenn …mir die geäußerten Ansichten gegen den Strich gehen, …ich die Person nicht mag, …ich mich für dumm verkauft fühle, …die Personen offensichtlich keine Ahnung haben, …ich das Gefühl habe, man will mir Schuldgefühle einreden, …die Personen unangenehm sprechen“ (dies. 2005: 15). Die Autoren weisen darauf hin, dass es nicht alleine unangenehme Emotionen sind, weswegen Zuschauer wegschalten. So beeinflussen unangenehm erlebte Affekte zwar das Verhalten stark, insbesondere in Situationen, in denen Rezipienten eher wenig in das Mediengeschehen involviert sind. Aber allein aufgrund negativer Emotionen wie etwa Ärger wird nicht weggeschaltet. „Was genau für einen konkreten Umschaltvorgang verantwortlich ist, hängt von der aktuellen Rezeptionssituation, den Inhalten und der Persönlichkeit der Rezipienten ab“ (dies. 2005: 18). Persönlichkeitsmerkmale haben Fahr und Böcking anhand des Freiburger Persönlichkeits-Inventar erhoben. Es zeigen sich deutliche „Unterschiede im Vermeidungsverhalten. So schalten beispielsweise sehr sensible und altruistische Personen besonders häufig bei ekligen oder Dissonanz sowie Ärger erzeugenden Inhalten weg; sehr risikofreudige Personen dagegen vermeiden seltener eklige oder furchterregende Inhalte“ (dies. 2005: 20). Wie die Emotionsforschung zeigt – dies bedenken Fahr und Böcking –, gibt es neben Flucht- oder Vermeidungsreaktion weitere Möglichkeiten, mit unangenehmen Emotionen umzugehen. Was Ärger betrifft, kann man sich zum Beispiel distanzieren oder nach sozialer Unterstützung suchen, man kann versuchen, das Problem planvoll zu lösen, sich selbst zu kontrollieren, oder man beharrt auf seiner Position und versucht sie konfrontativ durchzusetzen, denkbar ist auch, dass man seine Position kritisch überdenkt und gegebenenfalls eigene Anteile am Konflikt zu sehen versucht, last not least kann der Ärger ausgehalten, unterdrückt werden (vgl. Laux/Weber 1990: 576; Weber 1994: 144ff., 164). Möglicherweise reagieren Rezipienten in der Rezeptionssituation auf die eine oder andere Weise, Fahr und Böcking können mit ihren Daten hierzu keine Aussagen machen. Im Sinne der Reaktion ‘Ärger aushalten’ äußert sich Suckfüll (2004). Sie spricht von einem Wechsel der Rezeptionsmodalität, das heißt, jemand sieht
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sich einen Medieninhalt weiter an, duldet diesen Inhalt, hält die begleitenden negativen Emotionen aus. Der Grund: Es könnte ein übergeordnetes Ziel geben wie etwa, dass Nachrichten nicht allein um der Information willen gesehen werden, sondern auch, weil man am nächsten Tag mitreden können möchte. Dies könnte erklären, warum ein Vermeidungsreflex wie das Wegschalten unterdrückt wird. Alles in allem kommen Fahr und Böcking (2005: 20) jedoch zu dem Schluss: „In subjektiv unangenehmen oder bedrohlichen Situationen heißt es dann erst einmal: Nichts wie weg!“ Die Ergebnisse dieser repräsentativen Studie passen zu folgenden Befunden: Die Ärgerforschung belegt, dass bei Ärger eine Gefühlsbalance gestört ist, und medienpsychologische Studien zeigen, dass Rezipienten ihre Gefühlsbalance erhalten wollen, wenn sie Medien rezipieren (vgl. Charlton 1997: 24; Zillmann 1988). Offen bleibt, wie Fernsehärger subjektiv empfunden wird. Was folgt daraus, wenn Rezipienten sich ärgern: Dranbleiben oder Abbrechen? Was geschieht mit dem emotionalen Erleben dann? Genauer: Wie ist das emotionale Befinden, nachdem der Rezipient weggeschaltet hat? Aber auch: Wie fühlt sich ein Rezipient, der trotz Ärger die Sendung weiter gesehen hat? Und (wie) gehen Rezipienten mit diesem Gefühl um? Reaktionen bei Ärger über Fernsehlieblinge und ungemochte Personen. Bente und Fromm (1997) finden klare Zusammenhänge dafür, dass Rezipienten das Verhalten der Bildschirmakteure bewerten und emotional beantworten. Speziell für Ärger über Medienakteure liefert die Studie keine Befunde. Da die Ärgerforschung lehrt, dass Ärger meist durch die tadelnswerte Tat einer anderen Person verursacht wird, könnte bei Bildschirmakteuren nicht die einzige, aber eine potentielle Quelle für Fernsehärger liegen, zumal die Medienforschung belegt, dass Fernsehen von Personen dominiert ist, dass Zuschauer die Bildschirmakteure wahrnehmen und beobachten und darüber hinaus auf sie Bezug nehmen. Das heißt, sie aktivieren Kognitionen, die sich auf das „spezifische (persönliche) Verhältnis zwischen Zuschauern und TV-Personen beziehen“.10 Ob Rezipienten auf Fernsehlieblingspersonen genauso reagieren wie auf Personen, die sie nicht durch Medien und nicht persönlich kennen, untersuchen Six und Gleich (2000). In ihrem Experiment ermittelten sie zunächst die Fernsehlieblingsperson der Probanden. Später erhielten die Probanden Informationen über ihren TV-Liebling und dieselbe Information über eine unbekannte Person. Die Informationen waren so konstruiert, dass sie Ärger oder Mitleid hervorrufen sollten. Die Probanden reagierten ähnlich wie es die Forschung für reale Interaktionen und Beziehungen (vgl. Six / Gleich 2000: 377) beschreibt. Bei Ärger 10
Gleich (1997: 154); vgl. auch Vorderer (1996a; 1996b; 1998); Vorderer/Knobloch (1996).
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rechtfertigten sie beispielsweise das Verhalten der Lieblingsfigur und kaum das der unbekannten Person. – Vielfach belegt sind empathische Reaktionen. So reagieren Rezipienten auf eine ihnen unsympathische (fiktionale) Medienfigur etwa mit Ärger, und wenn ihr Schlechtes widerfährt, kann es etwa zur Schadenfreude kommen (vgl. Zillmann / Knobloch 2000: 300). ÄRGER UND INFORMATIONSVERARBEITUNG. In der Liste der Studien zu ‘Medien und Emotionen’ soll ein Blick in die Forschung zu der Frage, welche Rolle Emotionen an der Einspeicherung von Medieninhalten spielen, nicht fehlen, wenngleich der Frage hier weniger inhaltliche und vielmehr methodische Relevanz zukommt (s.u.). Schlimbach (2007) gibt dazu jüngst einen Überblick, auf den ich hier zurückgreife. Sie berichtet (S. 63) von einer Studie von Englis (1990)11. Ausgehend von der Annahme, dass Emotionen Anpassungsmechanismen sind, die zwischen Umwelt und Anpassungsreaktion vermitteln, untersucht er, ob Werbespots bestimmte Emotionen auslösen und inwiefern sich diese auf die Erinnerung an die Werbeinhalte auswirken. Dabei teilt er Emotionen in zwei Gruppen: Zum einen sind dies Emotionen, die sich auf die Umwelt richten, zum anderen solche, die sich auf das Selbst, also nach innen richten. Seine Behauptung: Löst ein Werbespot umweltbezogene Emotionen wie etwa Ekel, Wut, Angst aus, so erinnern sich Probanden leichter an den Werbeinhalt als an Werbespot-Ereignisse, die Emotionen wie Freude oder Trauer auslösen. Er kann seine Hypothese bestätigen: Wut fördert die Erinnerung. Eine andere Untersuchung führt Naby (2003)12 durch. Sie untersucht, inwiefern sich Ärger und Angst auf die Programmwahl auswirken. Hier werden Ärger und Angst experimentell induziert. Das heißt, die Probanden sollen sich ein bestimmtes Ereignis zu Ärger oder Wut vorstellen und auf einer Skala die Intensität der jeweiligen Emotion angeben. Danach geht es darum zu erfahren, für welche nachfolgend angebotenen Informationen die Versuchspersonen empfänglich sind. „Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass diejenigen, bei denen Ärger ausgelöst wird, ein stärkeres Bedürfnis nach Information zu Vergeltungsmassnahmen haben, während sich bei diejenigen (sic!), bei denen Angst ausgelöst wird, ein stärkeres Bedürfnis nach Information zu Schutzmöglichkeiten zeigt“ (Schlimbach 2007: 67).
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Quellenangabe nach Schlimbach (2007: 316): Englis, B.G. (1990): Consumer emotional reactions to television advertising and their effects on message recall. In: Agres, S./Edell, J./Dubitsky, T. (Hrsg.): Emotion in advertising: Theoretical and practical explorations. New York: Quorum Books, 231-253. Quellenangabe nach Schlimbach (2007: 321): Naby, R.L. (2003): Exploring the framing effects of emotion – Do discrete emotions differentially influence information accessibility, information seeking, and policy preference? In: Communication Research, 30, 2, 224-247.
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Die Studien sind eher indirekt von Bedeutung für die Fernsehärger-Studie. Sie zeigen zum einen, dass bestimmte Medieninhalte Ärger auslösen können und dass Ärger insofern nachhaltig sein kann, als er zur Speicherung der Information beiträgt. Diese Feststellung ist gleichsam die Basis für die Fernsehärgerstudie. Zum anderen kann die emotionale Verfassung eines Rezipienten (z.B. wenn er im Alltag verärgert ist) die Wahl der Information steuern (vgl. auch Zillmann/Bryant 1994: 445). Hierin deutet sich eine Frage an, die die Fernsehärgerstudie berühren wird, nämlich inwiefern Fernsehen bei Ärger Ausgleich schafft. DIVERSE. Schließlich soll von einigen Studien berichtet werden, in denen von Ärger über Medien gesprochen wird. Da die Auswahl der Studien allein dem Kriterium folgt, dass Fernsehärger erwähnt wird, und da es sich deshalb nicht um eine systematische Zusammenstellung, sondern eher um Beispielstudien handelt, soll es bei drei Studien bleiben. Diese sind aber dann so gewählt, dass einmal mehr spürbar oder erkennbar wird, wie vielfältig die Orte oder Quellen für Fernsehärger sein können. (1) Berghaus und Staab (1995) führten eine Studie zur Rezeption von „Fernseh-Shows auf deutschen Bildschirmen“ durch. Darin zeigten sich Zuschauer verärgert, weil ihnen das Verhalten des Showmasters missfiel oder Kandidaten einer Show ohne entsprechende Leistung hohe Preise kassierten (dies. 1995: 16, 12). Ferner sagt eine Zuschauerin von Gesprächs-Shows: „‘Über einige [Gäste] ärgere ich mich auch, weil die manchmal komische Argumente bringen. Dann würde ich am liebsten dabei sein und mitdiskutieren.’ (DiplomDesignerin, 28 Jahre)“ (dies. 1995: 189; vgl. auch Berghaus, Hocker, Staab 1994). (2) Angela Keppler (1995) untersucht in ihrer Studie „Tischgespräche“ familiäre Kommunikation. Das Ziel ist, die gemeinschaftsbildende Rolle alltäglicher Kommunikationszusammenhänge zu beschreiben. Kepplers Untersuchung liegen Tonbandaufnahmen von Tischgesprächen zugrunde, wobei auch der „Gesprächsstoff der Medien“ vorkommt. Bei einem Gespräch in einer Wohngemeinschaft über die Verfilmung von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ fragte eine Frau eine andere, wie ihr der Film gefallen habe. Die Frau antwortet, dass sie sich „dann tota- also furchtbar geärgert“ habe etwa bei einer – obendrein überraschenden – Szene, in der ein Tier geschlachtet wurde (Keppler 1995: 256). (3) Michaela Maier führt eine Untersuchung „Zur Konvergenz des Fernsehens in Deutschland“ durch. Die Frage ist, ob sich öffentlich-rechtliche und private Sender in ihrem Angebot angleichen. Ein Teil der Studie besteht in einem qualitativen Interview, und eine Frage bezieht sich auf die Senderpräferenzen von Zuschauern. Für eine Befragte spielt bei der Wahl des Senders die Werbung eine bedeutende Rolle: „Das ist für mich ein wichtiges Kriterium, das regt mich so was von auf, wenn da ständig diese Werbung dazwischen kommt“ (Maier
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2002: 202). Durch die Ablehnung und den Ärger über die Werbung meidet die Befragte werbeintensive Sender eher. INSGESAMT lässt sich feststellen, dass man beim Durchforsten der verschiedensten Studien zu Medien nicht selten auf Fernseh- oder Medienärger mit seinen Reaktionen stößt. Die Befunde zu Fernsehärger sind bislang verstreut auf viele Studien. Es sind Befunde zu Ärger über Fernsehinhalte oder zu Ärger rund ums Fernsehen. Eine Zusammenführung oder gar Gegenüberstellung der Befunde liegt nicht vor. Aus der Ärgerforschung ist bekannt, dass die Zahl der Anlässe für Alltagsärger ins Unendliche ragt, ein endgültiges Ordnungsschema hierfür gibt es bislang nicht (vgl. Weber 1994: 140). Ähnlich verhält es sich für Ärgerreaktionen (vgl. Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’). Was für die Ärgerforschung im Allgemeinen forschungsdienlich ist, aber fehlt, sind situationsspezifische Untersuchungen zu Ärger, der Emotion, die nicht nur personintern, sondern auch als interpersonales und soziales Phänomen bedeutsam ist. Was für die Fernsehforschung im speziellen fehlt, sind Studien zu Fernsehärger. Beide Lücken soll die vorliegende Arbeit kleiner werden lassen, indem sie die Emotion Ärger für die ‘Situation Fernsehen’ in den Blick nimmt. Diese Situation wird im nächsten Abschnitt aus medientheoretischer Perspektive betrachtet.
3 Fernsehnutzer und das Fernsehen – Theoretische Ansätze aus der Medienforschung
3.1 Aufbau und Zweck des Kapitels Emotionen werden subjektiv erfahren, so auch Ärger, und in dieser Arbeit soll exploriert werden, wie sich Fernsehärger subjektiv darstellt. Die Untersuchung des Ärgers über Fernsehen bedarf daher einer (rezeptions-)theoretischen Rahmung mit Ansätzen, die vor allem die Sicht des Fernsehnutzers aufgreifen, und weniger solche, die fragen, wie die Inhalte und Merkmale der Medien ‘wirken’ könnten. Folgende Ansätze stellen das Subjekt in den Mittelpunkt: der Uses and Gratifications Approach (Pkt. 3.2) mit dessen Erweiterung, bezeichnet als Nutzenansatz (Pkt. 3.3). Während dort die Auffassung vom Rezipienten als aktiv Handelnden eher grundsätzlich dargelegt wird, sind die theoretischen Annahmen in dem Ansatz der Parasozialen Interaktion (Pkt. 3.4) enger geführt. Sie beziehen sich auf das Geschehen zwischen Rezipient und Medienfigur (und nicht: Medieninhalte allgemein). Schließlich wird die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Pkt. 3.5) aufgegriffen. Das Kapitel 3 hat eine doppelte Funktion: Erstens soll es die theoretischen Ansätze hinsichtlich des Konzepts ‘Fernsehärger’ darstellen, zweitens soll es über die Ansätze informieren. Daher werden sie ausführlicher dargestellt. Die Annahmen aller Ansätze werden mit ärgertheoretischen Überlegungen verbunden. Die jeweiligen Verbindungspunkte werden innerhalb der einzelnen Abschnitte benannt und mit gekennzeichnet, so dass auf ein Fazit am Ende des Kapitels verzichtet wird. In Kapitel 5 ‘..Bezugsrahmen..’ soll die Verknüpfung dann ausführlich erfolgen, wobei dort nicht ein theoretisches Modell, sondern ein Bezugsrahmen formuliert wird.
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3.2 Uses and Gratifications Approach (UGA) 3.2.1 Grundzüge Die Sicht des Fernsehnutzers berücksichtigt der Uses and Gratifications Approach (UGA), zu Deutsch Nutzen- und Belohnungsansatz. Seine Kernaussage ist, dass Rezipienten aktiv sind und gemäß ihren Wünschen Fernsehangebote auswählen. Der Ansatz sucht also nach Erklärungen dafür, wie Menschen Medien auswählen (Selektionsforschung), und er fragt beispielsweise: Welche Bedürfnisse, Motive, psychologische Faktoren können erklären, warum Rezipienten bestimmte Medien oder Medieninhalte auswählen? Spielt für die Gratifikation, die Rezipienten durch die Medienzuwendung erfahren, die soziale Situation (z.B. alleine oder zusammen mit anderen fernsehen) eine Rolle? Wie hängen soziale und psychologische Merkmale der Rezipienten mit deren Medienzuwendung zusammen? Die Fragen werden je nach Forschungsinteresse auf die Phase vor, während und nach der Rezeption bezogen. Zahlreiche Bedürfniskataloge und -dimensionen sind inzwischen erstellt worden (s.u. Pkt. 3.2.2 ‘Gründe für die Medienzuwendung’). Darunter zeigen sich auch affektive Bedürfnisse, das heißt etwa, Personen sehen fern, um angenehme emotionale Erfahrungen zu vermehren. In dieser Skizze des UGA deuten sich die ersten Schnittstellen zu Fernsehärger an, denn Aktivität, Bedürfnisse, Motive und der soziale Kontext sind auch für ihn von zentraler Bedeutung (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion…’). Um die Zielrichtung und Probleme des Ansatzes zu verdeutlichen, werden im Folgenden die theoretischen Grundzüge ausführlicher referiert und dabei die Verbindungspunkte zu den ärgertheoretischen Annahmen benannt. Der Schwerpunkt der Darstellung des UGA, der auf eine lange Forschungsgeschichte13 blickt und inzwischen stark ausdifferenziert ist, liegt auf der jüngeren Gratifikationsforschung. GRUNDANNAHMEN. „Was machen die Menschen mit den Medien?“14 ist die programmatische Frage des Uses and Gratifications Approach. Mit ihr richtete sich das Forschungsinteresse seit etwa 1970 – zwar nicht zum ersten Mal, aber jetzt nachhaltig – auf die Rezipienten. Zu der bis dahin dominierenden medien13
14
Seine wissenschaftshistorische Entwicklung soll und kann hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. Sie ist sehr vielfältig, ebenso die Zahl der Studien, die im Rahmen des Ansatzes durchgeführt wurden, und nicht alle sind relevant für diese Arbeit. Überblicke über den Ansatz geben zum Beispiel Schenk (1987), Bonfadelli (1999), Kunz (1995: 84-117). Katz (1959: 2); vgl. auch Katz/Foulkes (1962: 378); Palmgreen/Wenner/Rosengren (1985). Dieser Frage ging lange Zeit die Frage voraus: Was machen die Medien mit den Menschen?
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zentrierten Forschungsperspektive kam also die rezipientenorientierte, das heißt, man fasste Rezipienten nicht mehr einzig als passive Reizempfänger auf, die den Medien weitgehend hilflos ausgeliefert sind und im behavioristischen Sinne auf Medieninhalte bloß reagieren. Das Publikumsverhalten konnte also durch die Medieninhalte nicht genügend erklärt werden, auch nicht durch soziodemografische Merkmale und konsistenztheoretische Annahmen wie zum Beispiel jener, dass Rezipienten sich Inhalten zuwenden, denen sie vor der Rezeption zustimmen. Jetzt suchte man verstärkt nach subjektiven Aspekten dafür, warum Menschen bestimmte Medieninhalte auswählen. Die Mediennutzung wurde gleichsam als aktive Tätigkeit, die Nutzer als aktiv gesehen. Die Forscher, die sich mit dem Uses and Gratifications Appraoch beschäftigten, setzen inhaltlich unterschiedliche Schwerpunkte: stärker sozialpsychologische vertreten etwa Katz, Gurevitch, Blumler, McQuail, Brown, und eher soziologische vertreten besonders die schwedischen Forscher Rosengren und Windahl (vgl. auch Fromm 1999: 68). Katz (1968: 793ff.), der dem Ansatz entscheidende Impulse gab, nahm an, dass Rezipienten mit der Medienzuwendung einen Nutzen anstrebten. ‘Nutzen’ sei dabei wertfrei zu verstehen, da die Zuwendung zu ‘nutzlosen’ Informationen durchaus subjektiv nützlich sein könne, zum Beispiel dann, wenn Rezipienten einfach entspannen möchten. In dieser sozialpsychologischen Orientierung verknüpfte man die Gründe (Bedürfnisse, Motive) für die Medienzuwendung mit den Belohnungen (Gratifikationen), die die Zuschauer durch die Medienzuwendung zu gewinnen suchen. Die so verstandene Zuschaueraktivität, die in der Forschung bis dahin eher randständig behandelt wurde, rückte als eigenständige Variable ins Zentrum des Forschungsinteresses. Viele Studien zielten jetzt darauf, die durch die Medienrezeption befriedigten Bedürfnisse (Gratifikationen) zu erfassen. Rosengren und Windahl (1975) betonen dabei soziologische Aspekte der Mediennutzung. Sie schenken dem sozialen Kontext, den Problemlagen, in dem Mediennutzung stattfindet, größere Aufmerksamkeit und sehen die Medienzuwendung als kontextgebundenes Bedürfnis. Das heißt, Medien können für Rezipienten funktionale Alternativen darstellen, je nach dem, ob die sozialen Lebensbedingungen es einem Individuum ermöglichen, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Zum Beispiel kann Fernsehen die funktionale Alternative ‘Ersatz’ sein, wenn ein Bedürfnis im Alltag als nicht erfüllbar wahrgenommen wird. Das Motiv zur Fernsehnutzung ist dann z.B. die Suche nach der stellvertretenden Erfahrung. Die funktionale Alternative könnte auch Ergänzung sein (Motiv: Wirklichkeitsflucht; Kompensation). Eine weitere Alternative ist der Zusatz, das heißt, die Bedürfnisbefriedigung ist individuell und Milieu bedingt gegeben, und Fernsehen bietet eine zusätzliche Möglichkeit dazu (Motiv: Abwechslung; vgl. auch Teichert 1973: 361f.).
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Der Nutzen- und Belohnungsansatz stellt kein in sich geschlossenes Aussagengebilde dar, doch es gibt von allen Autoren geteilte Kernannahmen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:15
Zuschauer sind aktiv Handelnde, die die Medien zielgerichtet, selektiv und sinnhaft nutzen. Die Aktivität des Individuums ist von sozialen und psychologischen Faktoren beeinflusst. Medien können dazu dienen, Bedürfnisse zu befriedigen, und es sind die Rezipienten, die entsprechend ihren Bedürfnissen und unabhängig von Absichten der ‘Medien-Macher’ entscheiden, welche Medienangebote sie wählen. Rezipienten können aber auch andere Möglichkeiten nutzen, um den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden, das heißt, Medien konkurrieren mit anderen Quellen der Bedürfnisbefriedigung. Die Bedürfnisse sind dem Individuum bewusst oder zumindest bewusstseinsfähig. Mit anderen Worten: Das Individuum kann Bedürfnisse erkennen und benennen, wenn es gefragt wird, warum es sich für bestimmte Medieninhalte entschieden hat. Die Entscheidungen unterliegen einer Dynamik insofern, als sich die gegenwärtige Entscheidung auf die zukünftige auswirken kann. Wurde beispielsweise eine Gratifikation wahrgenommen, dann dürfte die zukünftige Entscheidung anders aussehen als wenn keine Belohnung wahrgenommen worden ist, und so können sukzessive Muster der Medienselektion entstehen.
DIFFERENZIERUNGEN. In den achtziger Jahren haben sich Schwerpunkte der Gratifikationsforschung herausgebildet. Zu diesen Differenzierungen zählen unter anderem sozialpsychologisch orientierte Arbeiten16, die sich mit der Diskrepanz zwischen gesuchten und erhaltenen Gratifikationen (Diskrepanzmodell) beschäftigt haben. GESUCHTE UND ERHALTENE GRATIFIKATIONEN (‘DISKREPANZMODELL’). Der Nutzen- und Belohnungsansatz wurde verfeinert, indem man „Uses“ und „Gratifications“ präziser fasste. Man unterschied zwischen gesuchten Gratifikationen (Gratifications sougth, GS) und die durch die Mediennutzung erhaltenen (Gratifications obtained, GO). Für Palmgreen (1984: 57) spiegeln sich in den 15 16
Vgl. Palmgreen/Wenner/Rosengren (1985); Blumler/Katz (1974); Katz/Blumler/Gurevitch (1974); Palmgreen 1984; Palmgreen/Rayburn II (1985). Dazu zählen auch Programmwahl-Modelle, mit denen sich zum Beispiel Webster und Wakshlag (1983) bezogen auf die Fernsehnutzung auseinandergesetzt haben.
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gesuchten Gratifikationen die Bedürfnisse oder Motive der Rezipienten, und darin drückt sich der motivationale Aspekt aus.17 Erhaltene Gratifikationen hingegen dürften für die künftige Erwartungshaltung gegenüber den Medien entscheidend sein, sind sie doch das, was Rezipienten tatsächlich durch die Mediennutzung erhalten oder zu erhalten meinen (GO). Stellt man die gesuchten und die erhaltenen Gratifikationen einander gegenüber, so offenbart das Ergebnis des Vergleichs, ob das (Medien-)Angebot den Wünschen der Mediennutzer entsprochen hat oder nicht.18 ERWARTUNGS-BEWERTUNGS-ANSATZ. Die Überlegungen, die Palmgreen (1984) mit dem GS-GO-Modell anstellte, wurden von Palmgreen und Rayburn II (1985) weiter differenziert und ein stattfindender Prozess formuliert. Zunächst beschrieben die Autoren näher, wodurch die gesuchten Gratifikationen bestimmt sind, nämlich durch Erwartungen (Vorstellungen) und Bewertungen gegenüber einem Objekt (z.B. des Mediums Fernsehen). Es folgt ein Verhalten wie zum Beispiel Fernsehen. Die während der Mediennutzung (in subjektiver Sicht) erhaltenen Gratifikationen wirken wiederum auf die Erwartungen und Bewertungen zurück. Dieser Prozess soll mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Bewertet ein Individuum die Information über politische Themen positiv, und erwartet es, dass die Fernsehnachrichten die Information bereitstellt, dann wird es sich wahrscheinlich dem Fernsehen zuwenden und die Fernsehnachrichten für sein Informationsbedürfnis nutzen. Durch das ausgeführte Verhalten, nämlich die Fernsehnachrichten anzusehen, nimmt das Individuum die erhaltene Gratifikation wahr wie etwa: Die Nachrichten haben dem Informationsbedürfnis entsprochen oder nicht. Diese Erfahrung wirkt nun wieder auf die Erwartungshaltung (Vorstellung) und Bewertung zurück. Dieser Modellvorstellung liegt – theoretisch gesprochen – der Gedanke zugrunde, dass „Personen ihre Handlungen wegen der von ihnen erwarteten Folgen (der Handlungen) ausführen, wobei diese Handlungsfolgen auch schon während des Handlungsvollzugs eintreten können“ (Vorderer 1992: 95f.). Dabei wird theoretisch eine gleich bleibende Handlungslogik unterstellt, das heißt, es werden diejenigen Medien und Medieninhalte ausgewählt, die eine bestmögliche Bedürfnisbefriedigung (Nutzen) erwarten lassen (vgl. Bilandzic 2004: 9). Damit wird rationales Handeln in Bezug auf Medien unterstellt, situative Faktoren bleiben dabei unberücksichtigt. Diese werden im ‘Nutzenansatz’ thematisiert (vgl. Pkt. 3.3). 17
18
Mit den Worten von Drabczynski (1982: 41) spiegelt sich in Gratifikationen „die direkte Antwort auf die Frage wider: Welchen Nutzen ziehen die Rezipienten aus den Medien und ihren Inhalten?“ Vgl. zum GS/GO-Modell z.B. Palmgreen (1984); Palmgreen/Rayburn II (1985); Schenk (1987: 389f.); Rosengren (1996: 17ff.).
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3.2.2 Gründe für die Medienzuwendung Eine beträchtliche Forschungswelle folgte auf die theoretischen Sichtweisen des Nutzen- und Belohnungsansatzes, und die Studien haben viele differenzierte Motivkataloge hervorgebracht. In frühen Arbeiten sah man in der Realitätsflucht – dem Eskapismus – ein grundlegendes Motiv, und so hat das ‘Escape’-Konzept eine besondere Rolle gespielt und im Laufe der Zeit verschiedene Prägungen angenommen (vgl. Schenk 1987: 380). Die Flucht aus dem Alltag und hinein in die Fernsehwelt fand je nach theoretischer Herkunft und historischem Hintergrund der Forscher wie auch der Auffassung davon, was Eskapismus inhaltlich bedeutet, unterschiedliche Begründungen. In den 1960er und 1970er Jahren erklärte man die Fernsehnutzung der Unterschicht damit, dass Zuschauer ihre entfremdeten Lebens- und Arbeitsverhältnisse, Routinen und Pflichten des Alltags für eine gewisse Zeit vergessen wollten. Allerdings hielt diese Sichtweise nicht stand, da nahezu alle gesellschaftlichen Schichten die Unterhaltungsangebote des Fernsehens eskapistisch nutzten (vgl. Schwab 2001: 63). Kulturtheoretisch orientierte Forscher gaben zu bedenken, dass Fernsehen dem reinen Vergnügen gezollt sein könnte (vgl. etwa Hepp 1998: 101ff.; Jäckel/Peter 1997: 55ff.). Die einzelnen Standpunkte sollen hier nicht vertieft, sondern angelehnt an Vorderer (1996a: 313) wie folgt resümiert werden. In neueren Studien findet sich inzwischen eher implizit die Annahme, dass Menschen auch deshalb fernsehen, weil sie aus der Realität flüchten möchten. Anders als früher wird dies jedoch kaum noch mit einem sozial bedingten Mangel erklärt. Die Aktivität Fernsehen wird also nicht mehr so sehr erklärt durch ein „Weg-von“, sondern eher durch ein „Hin-zu“, um etwa neue, abwechslungsreichere, ungezwungene und kontrollierbare Erfahrungen mit Hilfe der ‘Fernsehwelten’ machen zu können. Das Escape-Konzept erwies sich als nicht ausreichend (vgl. Schenk 1987: 397, 410), und so fanden viele Forscher neben der eskapistischen Mediennutzung weitere Gründe für die Medienzuwendung. In der nachstehenden Übersicht – Tabelle 1 – sind die Motive wiedergegeben, die empirisch bis heute am häufigsten ermittelt wurden und die mit Greenberg (1973, 1974), McQuail, Blumler und Brown (1972) sowie Palmgreen, Wenner und Rayburn II (1980) wiedergegeben werden können.
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Tabelle 1: Motive für die Medienzuwendung
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
Greenberg (1973, 1974)
McQuail, Blumler, Brown (1972)
Palmgreen, Wenner, Rayburn (1980)
Entspannung19 Geselligkeit20 Information Gewohnheit Zeitfüller Selbstfindung Spannung Eskapismus
1) Ablenkung/Zeitvertreib 2) Persönliche Beziehungen 3) Persönliche Identität 4) Kontrolle der Umgebung (z.B. Informationen über die „weite Welt“ besitzen)
1) Informationssuche 2) Nutzen für Entscheidungen 3) Unterhaltung 4) Nutzen für interpersonelle Kommunikation 5) Parasoziale Interaktion
Die Bedürfnisse und Motive lassen sich zu vier Klassen zusammenfassen (vgl. dazu etwa Bonfadelli 1999: 163):
die kognitive (z.B. das Wissen soll erweitert werden), die affektive (angenehme emotionale Erfahrungen werden etwa durch Ablenkung, Entspannung oder auch Spannung angestrebt), integrativ-habituelle (Bestätigung der eigenen Person) und sozial-interaktive (Wunsch nach sozialen Kontakten und deren Verbesserung, Medien liefern z.B. Themen für Gespräche und ermöglichen parasoziale Interaktionen, vgl. Pkt. 3.4 ‘ Parasoziale Interaktionen…’).
Emotionen tauchen in der Klassifizierung als affektive Bedürfnisse auf. Demgegenüber liegt dieser Arbeit die Sichtweise zugrunde, wonach den Emotionen die Bedürfnisse und Motive innewohnen, das heißt, durch Emotionen erhalten wir einen Hinweis auf die Bedürfnisse und Motive. Ärgert sich beispielsweise ein Rezipient darüber, dass eine Filmhandlung nicht fesselnd ist, dann zeigt sich darin der (vereitelte) Wunsch nach spannender Unterhaltung. Außerdem wird mit der separaten Betrachtung von Emotionen und insbesondere der gemeinhin negativen Emotionen wie Ärger der Blick insofern erweitert, als nicht mehr nur da19
20
Entspannung operationalisiert Greenberg (1974: 91; 1973; vgl. auch Schenk 1987: 393) interessanterweise mit Hilfe der Emotion Ärger. So sei Entspannung unter anderem dann gegeben, wenn Befragte angeben, dass sie fernsehen, „weil es mich beruhigt, wenn ich Ärger habe“. Geselligkeit beschreibt das ‘Nicht-allein-sein-wollen’. Davon ist parasoziale Interaktion (rechte Spalte der Tabelle 1) zu unterscheiden (vgl. Pkt. 3.4 ‘Parasoziale Interaktion und Beziehung’).
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nach gefragt wird, wie sich durch Fernsehen das emotionale Erleben verbessern lässt, sondern auch, welche Bedeutung der Emotion selbst zukommt. Was also bedeutet es, wenn man sich über Fernsehen ärgert? Die Arbeit geht dieser Frage nach.
3.2.3 Kritik Der Nutzen- und Belohnungsansatz hat viel Kritik nach und auf sich gezogen. Die Hauptkritikpunkte sind: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
Theorieschwäche und Empirismus Konservativismus Medien- und Inhaltsvergessenheit Instrumentell-utilitaristische Denkweise Aktive, rationale Rezipienten und deren Mediennutzungsmuster Methode
Die Punkte vier bis sechs sind für die Fernsehärgerstudie theoretisch bedeutsamer als die Punkte eins bis drei. Während diese um der Vollständigkeit willen, dabei aber dann eher knapp21 umrissen werden, erhalten die anderen mehr Raum. (1) Theorieschwäche und Empirismus. Es ist ein zentraler Einwand, dass der Nutzen- und Belohnungsansatz theorielos oder -schwach sei und theoretische Beliebigkeit fördere (vgl. zusammenfassend z.B. McQuail 1985; Merten 1984: 67). Damit ist zunächst gemeint, dass einzelne Begriffe wie etwa Bedürfnis, Motiv und Belohnung nicht deutlich voneinander abgegrenzt und psychologische und soziale Hintergründe von Bedürfnissen nicht klar genug bestimmt worden seien. Daneben wird am Konzept des aktiven Rezipienten kritisiert, dass es weit gefasst sei und theoretische Beliebigkeit insofern fördere, als im Grunde sämtliche Ansätze, die vom Konzept des aktiven Rezipienten ausgehen, dem Nutzenund Belohnungsansatz zugerechnet werden könnten (Merten 1984: 67). Bedenklich seien auch die zirkulären, funktionalistischen Argumentationsweisen, die mit einem Theoriemangel (ursächlich) in Verbindung gebracht werden. So fehle eine auf die Mediennutzung bezogene Theorie der Bedürfnisse, während gleichzeitig mit Bedürfnissen die Medienzuwendung erklärt werde und mit ihr wiederum Aussagen über die Bedürfnisse gemacht werden. Dies führt zu folgender Tautologie: Berichten etwa Rezipienten, dass der Medienkonsum eine Beloh21
Für eine ausführliche Diskussion vgl. Schenk (1987); Renckstorf (1973, 1989); Vorderer (1992); Kunz (1995); Bonfadelli (1999).
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nung für sie sei, so wird diese Belohnung von den Forschern zurückgeführt auf ein Bedürfnis des Rezipienten. Umgekehrt gilt: Man geht von einem Bedürfnis aus, das ein Mediennutzer angibt, und schließt auf den Nutzen und die Belohnung durch Medien. In diesem Zusammenhang wird die Praxis der empirischen Erhebungen von Medienfunktionen und Nutzungsmotiven als theorieloser Empirismus kritisiert. Gegenpositionen. Anders als Merten hält der schwedische Forscher Windahl (1981: 174) mit Bezugnahme auf Blumler (1979) dem Ansatz zugute, dass er nicht auf eine einheitliche Theorie abziele, sondern als Schirm (umbrella) für verschiedene Ansätze zu verstehen sei und dass gerade darin seine eigentliche Stärke liege. Blumler und Katz (1974: 15) räumen ein, dass der Uses and Gratifications Approach weniger als Theorie und eher als eine ‘research strategy’ zu verstehen sei. Abgesehen davon wurde im Zuge der Diskussion des Ansatzes darauf hingewiesen, dass der Ansatz Züge soziologischer Handlungstheorien trägt (vgl. hierzu die Ausführungen zum Nutzenansatz, Pkt. 3.3). Was die Spezialisierungen des Uses and Gratifications Approach (s. Pkt. 3.2.1 ‘Grundzüge’) in den 1980er Jahren betrifft, zeigt Jäckel (1992), dass sowohl die Programmwahlmodelle als auch die Arbeiten, die sich mit gesuchten und erhaltenen Gratifikationen (GS/GO) beschäftigten, theoretisch getragen und dabei Parallelen zu ökonomischen Ansätzen erkennbar sind. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Ansatz kein einheitliches Theoriegebäude darstellt. Er enthält sozialpsychologische und soziologische, auch ökonomische Überlegungen. Eines ist den Denkrichtungen gemeinsam, nämlich dass sie danach fragen, welche Bedürfnisse die Rezipienten durch die Medien befriedigen wollen, also vor allem die Gründe für die Medienzuwendung thematisieren; zwischenzeitlich wird auch nach Gründen gegen die Mediennutzung gefragt, und hierfür wird die Berücksichtigung des emotionalen Erlebens als gewinnbringend erachtet. Mit der Fokussierung von Emotionen – wie es etwa in dieser Arbeit mit Fernsehärger geschieht – kommen emotionstheoretische Sichtweisen hinzu. Der UGA bietet dafür den Rahmen. (2) Konservatismus. Kritisiert wurde ferner, dass dem Uses and Gratifications Approach eine konservativ-restauratorische Haltung innewohne. Das heißt, der Ansatz rechtfertigt bestehende Zustände, indem die Medien das geben, was die Nutzer wollen. Denn wollten die Zuschauer das Angebot nicht, dann würden sie es nicht nutzen (vgl. McQuail 1985: 130f.). Diese Begründung setzt voraus, dass bestimmte Bedürfnisse bestehen, und sie führt dazu, dass sich jegliches Medienangebot legitimieren lässt. Das wiederum ist aus medienethischer und -pädagogischer Sicht (z.B. zu häufige Mediennutzung, Vielseher) problematisch. Sieht man ab von den Implikationen und
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Folgen dieser Begründung, und blickt man auf den Ansatz, so ist festzustellen, dass er gar nicht behauptet, Medien seien die einzigen und passenden Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Von Beginn an wurde die Medienzuwendung als eine von vielen Handlungsalternativen gesehen, und auch die Überlegungen zu gesuchten und erhaltenen Belohnungen drücken dies aus. Im Übrigen ist der Vorwurf des Konservatismus eine Frage des wissenschaftlichen Standpunktes: Wer die Wertfreiheit der Forschung vertritt, wird zurückweisen, das Medienangebot bewerten oder gar legitimieren zu wollen (vgl. dazu ausführlicher Vorderer 1992: 31; Suckfüll 2004: 31; Kunz 1995). (3) Individuumzentriertheit und Medien- und Inhaltsvergessenheit. Mit der Konzentration auf die Frage, wer warum und wie die Medien nutzt, rückte das Individuum ins Zentrum des Interesses und gleichzeitig gerieten zwei Aspekte in den Hintergrund: die Medienangebotsseite und die Medieninhalte. Dieses Problem, das verschiedentlich diskutiert wurde (vgl. Elliot 1974; Merten 1984), nennt Vorderer (1992: 32) die Medien- und Inhaltsvergessenheit und betont damit die Einseitigkeit des Ansatzes. Genauer: Was die Medienangebotsseite betrifft, werden zum Beispiel die Strukturen des Mediensystems oder die Entstehungsbedingungen von Medienprodukten kaum in Untersuchungen des Uses and Gratifications Approach einbezogen. Bezüglich der Medieninhalte fällt auf, dass sie recht grob kategorisiert sind, z.B. Information (Nachrichten), Gewalt, Unterhaltung. Da diese aber inhaltlich und formal variieren, dürfte es – so Vorderer (1992:33) – für die Rezipienten ein Unterschied sein, ob sie zum Beispiel einen fiktionalen (ästhetischen) oder einen pragmatischen Inhalt wahrnehmen. Deshalb sollten die Verstehensleistungen von Rezipienten häufiger sowie nach Medieninhalten differenziert erforscht werden. Weitere Verfeinerungen sind vorstellbar, so zum Beispiel nach spezifischen Sendern und Titeln (vgl. Kunz 1995: 113f.). Suckfüll (2004: 31) merkt an, dass inhaltliche und formale Elemente auch deshalb in die theoretische Modellierung integriert und prozessorientierte Sichtweisen eingenommen werden sollten, damit erkennbar wird, ob und warum die Mediennutzung aufrechterhalten, abgebrochen oder ein Angebot später wieder ausgesucht wird (vgl. ausführlicher Vorderer 1992: 32-34; Suckfüll 2004: 31-32). Was die Fernsehärgerstudie betrifft, ist denkbar, dass Aspekte der Medienangebotsseite von den Befragten thematisiert werden und sich so Anregungen für weitere Forschung ergeben. (4) Instrumentell-utilitaristische Denkweise. Der Uses and Gratifications Approach ist ein auf Motive bezogenes Forschungskonzept. Wenn mit ihm angenommen wird, dass Rezipienten die Medien absichtsvoll und zielgerichtet nutzen, dann fußt das – theoretisch gesprochen – auf einer instrumentellutilitaristischen Denkweise. Kulturtheoretiker halten utilitaristischen Theorietraditionen grundsätzlich entgegen, dass kulturelle Handlungen einen Sinn in sich
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haben können und der Sinn nicht erst in den Folgen und damit jenseits der Handlung zu suchen ist. So gesehen ist zum Beispiel denkbar, dass Rezipienten fernsehen, weil sie Freude daran oder Lust dazu haben, weil Fernsehen ein Kommunikationsvergnügen schlechthin ist und nicht, weil Fernsehen ein Mittel zum Zweck (z.B. Informationslieferant) ist.22 – Neben dieser grundsätzlichen Theoriedebatte kann gegen die instrumentell-utilitaristische Denkweise eingewendet werden, dass Menschen (hier: Rezipienten) nicht stets rational, etwa nach festgelegten Wertmaßstäben handeln. Damit ist der Grundgedanke des Ansatzes angesprochen, der im nächsten Schritt diskutiert wird. (5) Aktive und rationale Rezipienten und deren Mediennutzungsmuster. Die Kernannahme des Uses and Gratifications Approach ist, dass Rezipienten aktiv und rational mit Medien umgehen. Was dies jedoch konkret bedeutet, ist nicht leicht zu definieren, und eine Aktivität in dem Sinne, dass Rezipienten sich ihrer Beweggründe zur Mediennutzung stets bewusst sind, ist häufig in Frage gestellt worden. Ebenso häufig wurde die Art und Weise der empirischen Messung von Aktivität kritisiert.23 Zunächst soll es um die inhaltlichen Einwände gehen. Die Hauptvertreter des Ansatzes haben schon 1974 darauf hingewiesen, dass Rezeption beides sein kann: aktiv und passiv oder zufällig (Katz, Blumler, Gurevitch 1974: 30). Aber diese Position entkräftet die Vorwürfe gegen das Aktivitätskonzept freilich nicht. Zu klären bleibt, wie es zu der Aktivitätsbehauptung passt, dass Mediennutzung häufig unbewusst24 erfolgt, zufällig und gelegenheitsbestimmt25 oder – wie den Motivkatalogen zu entnehmen ist – auch aus Gewohnheit und insgesamt wohl eher passiv. Blumler (1979; vgl. auch Levy/Windahl 1984, 1985; Rubin 1986: 293) schlug in Anlehnung an Levy vor, die Zuschaueraktivität im theoretischen Modell nicht als Voraussetzung für die Medienselektion zu konzipieren, sondern sie als Variable zu behandeln. Eine solche Variable könnte je nach Rezipient, Medienangebot und Kommunikationssequenz unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Den Gedanken von Blumler aufgreifend gingen Levy und Windahl (1984; 1985) inhaltlich von drei verschiedenen Bedeutungen aus. Danach kann 22 23
24
25
Vgl. McQuail (1985: 129ff.); s. außerdem z.B. Vorderer (1992: 31); Stephenson, W. (1967): The Play Theory of Mass Communication, Chicago, zit. nach Vorderer (1992: 31). Vgl. zu beiden Kritikpunkten (die Literatur wird in zeitlicher Reihenfolge genannt): Elliot (1974); Swanson (1979); Barwise/Ehrenberg/Goodhart (1982); Webster/Wakshlag (1983); Merten (1984); Zillmann/Bryant (1985a); Rubin (1986); McQuail (1987); Schenk (1987: 420). Vgl. z.B. Zillmann und Bryant (1985b: 161), die nicht nur bestreiten, dass Rezipienten die Motive häufig bewusst sind, sondern für die Autoren dominieren geradezu die unbewussten Motive, wenn sich Rezipienten den Medien zuwenden. Vgl. Vorderer (1992: 34); Kunz (1995: 105).
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mit Rezipientenaktivität das nicht-zufällige Selektieren (selectivity) von Medienangeboten gemeint sein, ferner die Nützlichkeit (utility) für soziale und psychologische Zwecke sowie die Beteiligung am Medieninhalt (involvement)26. Die Autoren unterscheiden zusätzlich nach einer zeitlichen Dimension, das heißt nach dem Aktivsein vor, während und nach der Mediennutzung, und sie finden hierfür auch verschiedene Aktivitätsniveaus. Damit verstehen Levy und Windahl Aktivität als kontinuierliche Variable, sie relativieren so die Auffassung vom ‘superrationalen’, stets hoch-aktiven Rezipienten. Rubin unterscheidet (1984; 1986; 1994) instrumentelle und ritualisierte Medienselektion und vertritt die Meinung, dass nicht nur die instrumentelle, sondern auch eine ritualisierte (habituelle) Mediennutzung durchaus aktiv, zielgerichtet und initiativ ist. Während also instrumentelle Nutzer fernsehen, um zum Beispiel (gezielt) Informationen oder Rat zu erhalten, ist gewohnheitsmäßige Nutzung mit Gratifikationen verbunden wie Zeitvertreib, Entspannung, Eskapismus und so weiter. „Ritualized media use is using a medium more habitually to consume time and for diversion. It relates to greater exposure to and affinity with the medium. Ritualized use suggests utility but an otherwise less active or less goaldirected state“ (Rubin 1994: 427). Die Einteilung in instrumentelle und ritualisierte Mediennutzung ist problematisch. Erstens müssen die Konzepte einander nicht ausschließen. Denkbar ist, dass ein Rezipient sich gut unterhalten fühlen möchte, wenn er sich eine Informationssendung ansieht. Zweitens ist Aktivsein von weiteren Faktoren wie Zeit, Situation, aktuellem persönlichen Befinden oder Zustand abhängig, und so wie diese Faktoren veränderlich sind, ist auch Aktivität keine statische Größe, sondern eine veränderliche. Einiges davon bedenkend, merkt Rubin (1994: 427) später an, dass nicht alle Zuschauer zu jedem Zeitpunkt in gleicher Weise aktiv sind. Finn (1992) wiederum schlägt eine proaktive (mood management) und eine passive (soziale Kompensation) MediennutzungsDimension vor. Jäckel (1992) hat in jüngerer Zeit die Einwände gegen das Aktivitätskonzept mit theoretischer Argumentation geschwächt. Er greift die zwei von Rubin unterschiedenen Mediennutzungsmuster auf, argumentiert aus Sicht ökonomischer und interpretativer Handlungstheorien und leitet insbesondere für das Fernsehen her, dass darauf bezogene Aktivitäten nicht immer, aber häufig einer ‘Niedrigkostensituation’ zugerechnet werden können. Dies sind Situationen, die 26
Über diese drei Dimensionen hinaus nennen andere Autoren wie etwa Biocca (1988) weitere. So führt Biocca zusätzlich die Absicht (Intentionalität) und die Beeinflussungsresistenz an. Hinweis auf und Quelle zu Biocca zit. nach Vorderer (1992: 37): Biocca, F. A. (1988): Opposing Concepts of the Audience: the Active and Passive Hemispheres of Mass Communicaiton Theory. In: Anderson, J. (Ed.), Communication Yearbook 11. Newbury park, 51-80.
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nicht allzu risikoreich sind und in denen Menschen auf Entscheidungsroutinen zurückgreifen können. Für Entscheidungsroutinen ist kennzeichnend, dass man nicht völlig informiert sein muss, um Entscheidungen zu treffen. Jäckel zeigt, dass es unterschiedliche Strategien der Programmwahl und Medienzuwendung (z.B. die habituelle) gibt, und dass Rezipienten hierbei suboptimale Entscheidungen und Gratifikationen hinnehmen, weil die Folgekosten (z.B. nach einem langweiligen Film) gering sind, und deshalb völlige Informiertheit (z.B. über das gesamte Filmangebot) anzustreben zu aufwendig wäre. Wenn Rezipienten also nicht stets aktiv im Sinne von ‘völlig informiert’, ‘rational’ und ‘bewusst’ sind, so sind sie nach Jäckels Darlegungen aber immer noch aktiv. Jäckel (1992: 263) meint, die Kritik an der Überstrapazierung der Publikumsaktivität zurückweisen zu können, wenn – so sein Plädoyer – unterschiedliche, an der jeweiligen Situation (z.B. nebenbei Fernsehen, Zappen, Zeit vor oder während der Medienzuwendung) orientierte Auswahlroutinen in den Uses and Gratifications Approach integriert würden. Ein Hinweis, der im Grundsatz der Position von Katz, Blumler und Gurevitch im Jahre 1974 (S. 24) gleicht.27 Vielleicht ist die größte Übereinstimmung aller Standpunkte die, dass Aktivität ein variabler Faktor ist (vgl. Kunz 1995: 111). Er bezieht sich auf unterschiedliche Dimensionen28 und variiert in seinem Maß, oder mit Rubins (1994: 427) Worten: „All audience members are not equally active at all times“. Ob verärgerte Rezipienten aktiv oder passiv sind, ist in der vorliegenden Arbeit klar zu entscheiden: Rezipienten sind im verärgerten Zustand aktiv! Warum dies so ist, wird in den Kapiteln 4 (‘Ärger als Alltagsemotion…’) und 6 (‘Methode’) begründet. (6) Methode. Im Rahmen des Uses and Gratifications Approach wurden lange Zeit überwiegend standardisierte Fragebögen eingesetzt. Dieses Vorgehen setzt voraus, dass Rezipienten ihre Bedürfnisse benennen können und wollen. Dass Rezipienten ihre Beweggründe für die Medienzuwendung angeben können, entspricht der subjektmodelltheoretischen Annahme des Ansatzes. Doch die unterstellte Auskunftsfähigkeit ist in mehrfacher Hinsicht, wenn auch nicht grundsätzlich, fragwürdig:
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Sie bezogen sich allerdings auf die Frage, woraus Rezipienten Gratifikationen beziehen. Sie stellten fest, dass Gratifikationen nicht allein aus einem Medieninhalt erwachsen können, sondern auch aus der sozialen Situation während der Mediennutzung (vgl. Katz/Blumler/Gurevitch 1974: 24). Bilandzic (2004: 13) benennt die drei Dimensionen wie folgt: die kognitive (Informationsverarbeitung), die motivationale (gründlich überlegte Entscheidung) und Verhaltensaktivität (selektive Nutzung). Vgl. die vertiefte Diskussion der ‘aktiv-passiv-Debatte’ bei Bilandzic (2004: 11-19).
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3 Theorie Medienforschung Erstens sind sich Rezipienten ihrer Bedürfnisse nicht immer bewusst; Rezeption erfolgt nicht allein instrumentell, sondern zum Beispiel auch habituell oder eher zufällig (s.o. und Anm. 24). Außerdem werden Selektionsentscheidungen häufig erst während der Rezeption getroffen. So ist es in einer späteren Befragungssituation wohl nur bedingt möglich herauszufinden, warum jemand aus dem reichhaltigen Medienangebot nun gerade einen Film gewählt hat. Zweitens kann das Medienangebot bestimmte Bedürfnisse erst hervorrufen. Vorstellbar ist (dabei) auch, dass ein Angebot gewählt wird, ohne dass ihm eine spezielle Gratifikationssuche vorausging. Im Falle einer bereits stattfindenden Rezeption können Bedürfnisse währenddessen auch wechseln.
Stellt man zusätzlich zu diesen Möglichkeiten in Rechnung, dass Rezipienten sich eher wenig Gedanken über ihr Medienverhalten machen (vgl. Webster/Wakshlag 1983; vgl. Anm. 24), dann ist – alles in allem – damit zu rechnen, dass Befragte zu Rationalisierungen greifen. Konkret: Rezipienten denken über ihr Medienverhalten erst nach und versehen es erst dann mit Gründen, wenn sie (in einer Forschungsstudie) danach gefragt werden. Auch sozial erwünschte Antworten sind erwartbar, was freilich als Problem für alle Befragungen zu berücksichtigen ist. Hier ein Beispiel aus der Medienforschung: Ein Rezipient gibt an fernzusehen, weil er informiert sein will. Dass er mit der Medienzuwendung ‘eigentlich nur Zeit füllen will’, offenbart er nicht, weil dies in seiner Sicht kein gesellschaftlich anerkanntes Verhalten darstellt (vgl. Zillmann 1985: 226; Vorderer 1992: 34).
Zum Dritten wenden sich Personen in der Regel nicht aufgrund eines einzelnen Bedürfnisses den Medien zu, sondern häufig besteht ein BedürfnisMix. So könnte es sein, dass ein Mann eine Fernsehdiskussion sehen möchte. Dessen Ehefrau setzt sich dazu, sie ist zwar auch an der Sendung interessiert, in erster Linie aber daran, mit ihrem Mann zusammen zu sein. Wichtig für die Forschung ist daher, methodisch stärker zu berücksichtigen, was Katz, Blumler und Gurevitch (vgl. 1974: 24, vgl. Anm. 27) andeuteten, nämlich die Frage, worauf sich die Bedürfnisse beziehen – auf das Medium, den Medieninhalt und / oder die Situation? (vgl. Suckfüll 2004: 38).
Eine Methodenkritik wie hier überrascht nicht bei Forschungsgegenständen mit hohem Komplexitätsgrad, und bei der Mediennutzung handelt es sich zweifellos um ein komplexes Geschehen. Die Kritik ist inzwischen bei vielen Studienkonzeptionen bedacht worden, ungültig oder gar überwunden ist sie indes nicht.
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Die genannten Kritikpunkte relativieren sich in der Studie über Fernsehärger insofern, als Ärger im Allgemeinen deutliche Hinweise auf (blockierte) Bedürfnisse oder Motive enthält (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). Durch das Gespräch darüber können diese freigelegt werden. Die Diskussion wird in Kapitel 6 (‘Methode’) vertieft.
3.3 Erweiterung durch den interpretativen Ansatz (‘Nutzenansatz’) Die Person als aktiv Handelnde wurde in dem Uses and Gratifications Approach (UGA) zwar thematisiert, allerdings blieb die Facette des interpretativen Geschehens durch das Individuum unbeleuchtet. In diesem Sinne trieben in den 1970er Jahren die deutschen Wissenschaftler Will Teichert (z.B. 1972, 1973, 1975) und Karsten Renckstorf (z.B. 1973, 1977, zusammenfassend 1989; Renckstorf/Wester 2001) federführend den UGA voran. Ihre Überlegungen, die als Nutzenansatz29 bezeichnet wurden, können den interpretativen Theorierichtungen zugerechnet werden. Der Ausgangspunkt Renckstorfs (1977: 12) und ähnlich auch Teicherts (1973: 374ff.) ist, dass Medien Teil der symbolischen Umwelt und damit Teil des Alltagshandelns sind und der Umgang mit Medien „nicht länger als eine Art ‘Sonderfall’ menschlicher Aktivität“ anzusehen ist, sondern grundsätzlich als eine Art sozialen Handelns. Diese Sicht entspricht der publikumszentrierten Perspektive des Uses and Gratifications Approach, dessen Grundannahme, dass das Publikum aktiv ist, Renckstorf und Teichert also teilen. Was sie ablehnen ist die Art und Weise, wie Publikumsaktivität verstanden und begründet wurde, nämlich (handlungs-)theoretisch uneinheitlich und dabei dominiert von einer eher ‘mechanistischen’ Auffassung sozialen Handelns, das heißt einem Handeln nach ‘invarianten’ Regeln (vgl. Renckstorf 1977: 10f.). Diese in ihren Augen normative oder dispositionale Sicht menschlichen Handelns erweitern die Autoren durch das interpretative Verständnis sozialen Handelns, wonach „Situationen und Handlungen erst vom Handelnden ‘definiert’ werden – bevor Handeln möglich wird“ (Renckstorf 1977: 10). Eine Situationsdefinition erfolgt etwa durch Fragen wie: Wie ist die Situation? Was ist mir wichtig und zu entscheiden? Welche Möglichkeiten bestehen? Das Individuum bewertet eine konkrete Situation nach Maßgabe der persönlichen und sozialen Bedürfnisse sowie der gesellschaft29
Die Bezeichnung „Nutzenansatz“ ist nicht unproblematisch. So können zum Beispiel auch nutzlose Informationen subjektiv nützlich sein, zum Beispiel wenn es um Entspannung geht. Dies ist bereits bei den Grundannahmen zum ‘Uses and Gratifications Approach’ in Pkt. 3.2 angesprochen.
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lichen Vorgaben. Die Forscher übertragen also die Annahmen über Handelnde aus dem Symbolischen Interaktionismus in der Prägung der Chicago-School30 und auch der Schützschen Handlungstheorie31 auf den Rezipienten, nämlich dass „der Handelnde alle beteiligten Komponenten eines Aktes – die ‘Situation’, das ‘Objekt’, die ‘Handlung anderer’, die ‘eigene Handlung’ – mit ‘Bedeutung’ und ‘Sinn’ versehen, diese ‘interpretieren’ muß“ (Renckstorf 1989: 328f.). Handelnde unterscheiden, ob eine Aufgabe problematisch oder unproblematisch ist. Interpretiert ein Rezipient sie als unproblematisch, könnte er routinemäßig handeln. Zum Beispiel könnte er um 20 Uhr – eben wie immer – Nachrichten einschalten. Erweist sich die Situation als problematisch, weil etwa die Nachrichten wegen der Fußballweltmeisterschaft zeitlich verschoben sind, dann müssen Motive und Handlungsentwürfe gebildet werden, um dann Handlungen folgen zu lassen (z.B. die Nachrichten auf einem anderen Sender oder in der Halbzeit sehen oder ganz auf sie verzichten und etwas anderes tun). In der theoretischen Sicht des Nutzenansatzes sind also Rezipienten – einerlei ob sich die Interpretation auf die Medienselektion oder die Medieninhalte bezieht – mit Medien Handelnde, und Medieninhalte tragen keine eindeutigen Bedeutungen in sich, sie sind nicht Stimuli an sich. Vielmehr sind sie Angebote, die Zuschauer vor dem Hintergrund ihrer sozialen und persönlichen Situation interpretieren, sie versehen Inhalte mit Bedeutungen, die so auch identitätsrelevant sein können (vgl. Renckstorf 1973: 190; 1989).32 Wenn nun im Nutzenansatz vor allem die Annahme des aktiven Publikums mit handlungstheoretischen Annahmen des symbolischen Interaktionismus und der Handlungstheorie von Schütz verknüpft wird (vgl. Renckstorf 1973: 188), wird zugleich die Interpretationsleistung der Rezipienten betont, und nach Vorderer ist damit „die kognitive Konstruktivität der Rezipienten deutlicher akzentuiert“33 (Vorderer 1992: 24). Die kognitive Aktivität und die Handlung(spla30 31
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Vgl. Teichert (1973: 374). Die Chicago-School steht in der Nachfolge von George Herbert Mead (1998 [1934]); bedeutender Vertreter der Schule ist Herbert Blumer (1973). Vgl. Renckstorf 1989. Er bezieht sich auf verschiedene Arbeiten von Alfred Schütz, Peter L. Berger und Thomas Luckmann, z.B. Schütz (1932): Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Wien; Schütz/Luckmann (1979, 1984): Strukturen der Lebenswelt Bd. 1 (1979) und Bd. 2 (1984), Frankfurt; Berger/Luckmann (1990 [1969]): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt. Inwiefern Interpretationen offen sind, ist umstritten. Angela Keppler greift das Konzept des ‘Impliziten Lesers’ von Wolfgang Iser auf und spricht im Zusammenhang mit Medienrezeption vom ‘impliziten Zuschauer’, dem sie einen Interpretationsspielraum für mediale Text zuspricht (vgl. Keppler 1988; 1993, 1994, 1995). Daher seien – so Vorderer weiter – zum Beispiel Medienwirkungen auf empirischem Wege nur noch unter Einbeziehung der Interpretationsleistung des Rezipienten adäquat beschreib- und erklärbar (vgl. Vorderer 1992: 24).
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nung) sind auch zentrale Bestandteile von Emotionen, und so liegen hier zentrale Verknüpfungspunkte34 zu Emotionen, die im Nutzenansatz nicht explizit integriert sind. Konkret für Fernsehärger könnte man aus der oben beschriebenen Unterscheidung von problematischen und unproblematischen Situationen beispielhaft sagen, dass potenziell dort, wo Situationen problematisch werden, Ärger seine Quelle haben kann. Denn unter anderem dann, wenn eine zielführende Handlung gestört wird (z.B. der Wunsch, Nachrichten zu sehen wird aufgrund der Fußball-Live-Übertragung vereitelt), kann Ärger entstehen. An dieser Stelle setzt die Ärgertheorie ein. Ihr ist ein eigenes Kapitel (Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’) gewidmet, und danach – in Kapitel 5 ‘… Theoretischer Bezugsrahmen der Arbeit’ – werden die ärger- und rezeptionstheoretischen Überlegungen aufeinander bezogen. Zunächst soll ein weiterer Ansatz besprochen werden, der für Fernsehärger bedeutsam ist. Gemeint ist der Ansatz der ‘parasozialen Interaktion’. Er fußt ebenso wie der Nutzenansatz auf Annahmen aus dem Interpretativen Paradigma und richtet dabei sein Augenmerk explizit auf das Geschehen zwischen Rezipient und Medienfigur.
3.4 Parasoziale Interaktion und Beziehung 3.4.1 Grundzüge Fernsehen ist von Personen dominiert. Im ‘Nutzenansatz’ (vgl. Pkt. 3.3) zählen zur symbolischen Umwelt des Fernsehens mediale Dinge und Akteure. Explizit tritt der Gedanke der aktiven Interaktion des Zuschauers mit Fernsehakteuren in dem KONZEPT DER PARASOZIALEN INTERAKTION (PSI) hervor, das 1956 die Soziologen Donald Horton und R. Richard Wohl formulierten und das 1957 Horton zusammen mit Anselm Strauss erneut aufgriff.35 Lange Zeit blieb das Konzept wenig beachtet, erst seit den 1980er und 1990er Jahren setzte eine intensive Forschung dazu ein (vgl. Pkt. 3.4.2 ‘Ausgewählte Studienergebnisse’).36
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Freilich kann viel grundsätzlicher argumentiert werden, dass Menschen nicht nur rationale Wesen sind, sondern Emotionen immer auch Bestandteil des Menschen sind. Die Erstveröffentlichung des Konzeptes erfolgte durch Horton, Donald/Wohl, R. Richard (1956): Mass Communication and Para-Social Interaction, Journal of Psychiatry, 19, 215-229. Ein Nachdruck des Aufsatzes erschien 1986. Hierauf beziehen sich die Zitathinweise in dieser Arbeit. – Richard Wohl verstarb 1957 im Alter von 36 Jahren. Intensiv wird das Konzept in folgenden Veröffentlichungen behandelt: Vorderer gibt 1996 einen Sammelband heraus. Die Zeitschrift Medienpsychologie widmet dem Thema 1996 einen
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Ausgangspunkt im Konzept der PSI ist, dass Fernsehen die Illusion einer face-to-face Situation vermittelt. Zentral hierfür sei die direkte Adressierung des Publikums durch die im Fernsehen agierenden realen wie fiktionalen Akteure, so genannte Persona. „The more the performer seems to adjust his performance to the supposed response of the audience, the more the audience tends to make the response anticipated. This simulacrum of conversational give and take may be called para-social interaction“ (Horton/Wohl 1986: 186).
Konkret: Parasoziale Interaktion findet zum Beispiel statt, wenn Medienakteure ihre Zuschauer scheinbar direkt ansprechen („Guten Abend. Schön, dass Sie da sind!“) und Zuschauer sich so (ähnlich) verhalten, als seien sie persönlich gemeint. Zuschauer können mit einer Personenbeurteilung reagieren (z.B. „Der Moderator ist freundlich“), mit Verhaltensantizipationen, sozialen Vergleichen und anderen interaktionstypischen Aktivitäten. Als Folge der Interaktionen mit den Medienakteuren, besonders wenn sie regelmäßig und längerfristig stattfinden, könnten sich parasoziale Beziehungen (PSB) entwickeln, die immer wieder auch Ausgangspunkt für weitere PSI sein können. So gesehen bleibt PSI nicht unbedingt einmalig, und PSB kann als dynamischer Prozess mit einem Anfang, einem Verlauf und einem Ende gedacht werden, ein Prozess, in dem es immer wieder zu PSI mit denselben Medienpersonen kommt und in dem sich PSB nicht nur bildet, sondern auch verändern kann (vgl. Horton/Strauss 1957: 587; Gleich 1997: 71ff.). Horton und Wohl hatten bei der Idee der PSI auf der einen Seite vor allem das Kommunikationsverhalten von Darstellern wie Quizmaster, Ansager oder Interviewer im Blick und damit „a special category of ‘personalities’“, das heißt ein Darstellertypus, der außerhalb des Mediums nicht prominent ist (wie etwa Politiker), der somit nur im Rahmen des Mediums anzutreffen ist (Horton/Wohl 1986: 186f.). Auf der anderen Seite ging es ihnen um den einzelnen Zuschauer und nicht etwa um eine Zuschauergemeinschaft (vgl. Hippel 1993: 129). Als konzeptuellen Rahmen greifen Horton, Wohl und Strauss auf die Annahmen des Symbolischen Interaktionismus zurück, wenn sie beschreiben, wie Rezipient und Medienperson interpretativ aufeinander Bezug nehmen, interagieren (Horton/Wohl 1986: 190; Horton/Strauss 1957: 587). Dabei spielen sich die kommunikativen Handlungen überwiegend in der Vorstellung, im Kopf des Zuschauers ab (vgl. auch Gleich 1997: 50; Bente/Otto 1996: 225). Themenband (darin vor allem Gleich/Burst; Bente/Otto; Wulff). Ferner sind die Arbeiten von Hippel (1992, 1993) sowie Gleich (1997) einschlägig.
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Unterschied zwischen real-sozialer und para-sozialer Interaktion. Ein entscheidender Unterschied der PSI (und PSB) zu realen Begegnungen liegt den Autoren zufolge in der fehlenden Reziprozität. Das bedeutet, das Publikum kann frei entscheiden, welche Interaktionsangebote es annehmen möchte, aber die Interaktion ist „one-sided, nondialectical, controlled by the performer“ (Horton/Wohl 1986: 186), und die Beziehung ist nicht von beiden Beteiligten gestaltbar, sie beruht somit nicht auf Gegenseitigkeit. Mit anderen Worten: Auch wenn sich Medienperson und Rezipient so verhalten, als ob eine direkte Begegnung gegeben sei, so ist die Interaktion einseitig, denn in der Regel hört und sieht eine Medienfigur (z.B. ein Moderator) seine Rezipienten nicht. Dass Zuschauer sich in einer kommunikativen Situation ohne reales Gegenüber befinden, bringt ferner mit sich, dass sie anders als in unmittelbaren Begegnungen entlastet oder befreit von Verpflichtungen, Handlungszwängen oder Konsequenzen sind, der Rezipient kann sich jederzeit zurückziehen. PSI und PSB bleiben unverbindlich (Horton/Wohl 1986: 186, 194; vgl. auch die Diskussion von Gleich 1997: 46ff.; Vorderer/Knobloch 1996: 202f.). Hippel (1993: 138) sieht hier eine ‘paradoxe Doppeldefinition’: Im Phänomen des Parasozialen werden Beziehungen genauso erfahren wie soziale und auch ganz anders. Was PSI nicht ist. Zwei Abgrenzungen des PSI-Konzeptes sind erforderlich: Erstens verstehen die Autoren PSI nicht als pathologisches Phänomen, etwa im Sinne von Ersatz für reale Interaktion. Erst wenn PSI zum Ersatz für soziale Partizipation werde, sei sie als pathologische Form zu betrachten, um die es den Autoren aber nicht in erster Linie geht. Sie sehen PSI eher als Ergänzung zum sozialen Leben (Horton/Wohl 1986: 196; vgl. auch Hippel 1992: 137; Hippel 1993; Gleich 1997).37 Zweitens grenzen sie ihr Konzept der Parasozialen Interaktion deutlich von dem der Identifikation ab (Horton/Wohl 1986: 190). Innerhalb der parasozialen Interaktion mögen Zuschauer sich der medial vorgegebenen oder vermittelten Situation anpassen, mögen die jeweilige Perspektive der Akteure auf dem Bildschirm nachvollziehen, doch eine völlige Übernahme der fremden Position „can hardly be more than intermittent.“ Anders als bei der Indentifikation wird die Differenz von Medienfigur und Rezipient gerade nicht aufgehoben. Das Kommunikationsverhalten der Medienakteure, wie zum Beispiel das direkte Ansprechen der Zuschauer, „remind the spectator of his own independent identity. The
37
So fassen zum Beispiel Rosengren und Windahl (1975) im Rahmen des Uses and Gratifications Approach PSI als Äquivalent zu sozialen Interaktionen im Alltag auf, ähnlich auch Rubin/Perse/Powell (1985). Vorderer und Knobloch (1996) untersuchen empirisch: Sind „Parasoziale Beziehungen zu Serienfiguren: Ergänzung oder Ersatz?“
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only illusion maintained is that of directness an immediacy of participation“ (beide Zitate Horton/Wohl 1986: 190).
3.4.2 Ausgewählte Studienergebnisse Rubin, Perse und Powell (1985) entwickelten die so genannte Parasocial Interaction Scale und maßen damit zunächst die PSI mit Nachrichtensprechern. Die Skala ist methodisch nicht unumstritten geblieben, und die Kritik reichte bis dahin, dass gefragt wurde, ob die Skala überhaupt parasoziale Interaktion messe (vgl. etwa Hippel 1992: 141; Strange 1996: 174f.). Was den Anwendungsbereich des Instruments betrifft, so war er ausgedehnter als im ursprünglichen PSIKonzept vorgesehen. Das heißt, während die Urheber des Konzeptes vor allem Personality-Shows im Blick hatten (s.o.), wurden PSI und PSB jedoch auf fast alle Programmformen angewandt, so also auch fiktionale Angebote. Die Skala wurde dabei jeweils an die spezifische Fragestellung der Studien angepasst (vgl. Vorderer 1998). Die Studien sind sehr verschieden angelegt, und ihre Ergebnisse sind kaum miteinander vergleichbar. Auch allgemeingültige Aussagen sind kaum zu treffen, nur für zwei Befunde können allgemeine Formulierungen gewählt werden. Allgemeine Befunde. Zum einen findet sich bestätigt, dass Zuschauer parasozial interagieren. Zum anderen zeigt sich für PSB, dass ein höheres Alter,38 geringere Bildung und erhöhter Fernsehkonsum mit intensiveren PSB einhergehen. Was die Hinweise auf parasoziale Beziehungen betrifft, so scheint es die PSB zwischen Zuschauer und Fernsehakteur nicht zu geben (Vorderer 1998: 702). Allerdings sind die Befunde zu PSB mit theoretischen (s. Pkt. 3.4.3 ‘Kritik’) und – wie zu Beginn dieses Abschnittes berichtet – methodischen Einschränkungen aufzunehmen (vgl. auch Gleich 1997: 186ff.). Zu den Einzelergebnissen. Forscher des Uses and Gratifications Approach sahen die Möglichkeit, PSI als Bedürfnis, als funktionale Alternative zu (fehlenden) realen sozialen Interaktionen zu interpretieren, sozusagen PSI/PSB als Defizitausgleich oder Kompensation (vgl. Nordlund 1978; Rosengren/Windahl 1975). Im Sinne von PSI als funktionaler Alternative und damit als Defizitärmodell wurde auch der Frage nachgegangen, ob Einsamkeit mit PSI einhergeht. Der Zusammenhang kann nicht nachgewiesen werden (vgl. Rubin, Perse, Powell 1985; Fabian 1993). Die Frage, ob parasoziale Beziehungen als Ergänzung oder Ersatz fungieren, prüfen auch Gleich (1997) sowie Vorderer und Knobloch 38
Vgl. z.B. Vorderer und Knobloch (1996). Gleich (1997: 252) kann den Zusammenhang von Alter und PSI jedoch nicht belegen.
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(1996), und sie kommen zu verschiedenen Ergebnissen: Während Gleich (1997: 252) keine Hinweise darauf findet, dass Fernsehpersonen ein Ersatz für fehlende oder defizitäre Beziehungen sind, berichten Vorderer und Knobloch (1996) aus ihrer Untersuchung zur Serienlieblingsfigur, dass PSB für einige Zuschauergruppen ein Ersatz, für andere eine Ergänzung sind. Ob PSI/PSB mit einer Reduktion von Unsicherheit zusammenhängt, untersuchen Rubin, Perse und Powell (1985). Ihrer Studie zufolge ist die Unsicherheitsreduktion ein grundlegender Aspekt von PSI/PSB. Konkret: Rezipienten können zum Beispiel Medienfiguren beobachten oder sich mit ihnen vergleichen und so Unsicherheiten etwa in Bezug auf eigene Schwächen oder Verhaltensweisen reduzieren (vgl. zu sozialen Vergleichen Pkt. 3.5). Außerdem wurde das PSI/PSB-Konzept untersucht, indem Zuschauer zu ihren Lieblingsfiguren im Fernsehen befragt wurden (vgl. Gleich 1997; Gleich/Burst 1996) oder zu Figuren aus Seifenopern (vgl. etwa Rubin/Perse 1987; Visscher/Vorderer 1998; Vorderer 1996b; Vorderer/Knobloch 1996). Dabei ging es unter anderem um die Frage, wovon die Intensität der PSI/PSB zu den Figuren abhängt. So befragten Visscher und Vorderer (1998) Fans der Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Ziel war es herauszufinden, „von welchen Merkmalen einer Serie und von welchen Charakteristika ihrer Zuschauer es abhängt, ob die zu den Serienfiguren parasozialen Beziehungen mehr oder weniger intensiv ausfallen“ (Visscher/Vorderer 1998: 466). Für die Befragung gaben die Fans eine Figur an, mit der sie sich nach eigenen Aussagen am meisten beschäftigen. Die Ergebnisse seien grob zusammengefasst: Es ergaben sich hohe Werte für PSI/PSB, wenn die Serie als realitätsnah eingeschätzt wurde, wenn die Serienfigur positiv (z.B. attraktiv, erfolgreich) und gleichzeitig die eigene Person in der Selbstwahrnehmung eher negativ bewertet wurden (vgl. auch Vorderer 1998: 703f.). Die Ergebnisse weisen auf soziale Vergleiche mit Medienfiguren hin. Hierauf geht der Abschnitt 3.5 ‘Soziale Vergleichsprozesse’ ein. Gleich (1997) geht darüber hinaus der Frage nach, welchem Beziehungsgefüge im Alltag die Fernseh-Lieblingspersonen aus Sicht der Zuschauer am ehesten gleichkommen. Wie sich zeigt, sind die Lieblingsfiguren zwar nicht wie ‘gute oder beste Freunde’, aber sie sind vergleichbar mit ‘guten Nachbarn’ (Gleich 1997: 251; Gleich / Burst 1996: 192).
3.4.3 Kritik Auf drei Aspekte, die am Konzept von Horton, Wohl und Strauss besonders kritisiert wurden, sei eingegangen.
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y PSI und PSB sind keine Synonyme. Die Bezeichnungen PSI und PSB sind häufig begrifflich nicht klar getrennt worden. Erst in den neunziger Jahren setzte es sich durch, PSI für die Begegnung des Zuschauers mit dem Medienakteur während der Rezeption zu reservieren und PSB für die „über die einzelne ‘Begegnung’ hinausgehende Bindung des Zuschauers an eine“ Medienfigur (Vorderer 1998: 698, 702; vgl. ferner Gleich 1997; Vorderer 1996a, b, c; Krotz 1996b u.v.a.m.). y PSI bezieht sich auf Unterschiedliches – auf Schauspieler, dargestellte Figur, Typ. Am Beispiel von „Kommissar Schimanski“ – übernommen von Vorderer (1998: 698) – lässt sich nachvollziehen, worauf sich die Interaktion jeweils beziehen kann: Erstens kann dies der Schauspieler Götz George sein, zweitens die Figur (Charakter) „Kommissar Schimanski“, drittens der Typus „raubeiniger Polizist“. Denkbar ist freilich, dass sich die einzelnen interaktiven Bezugnahmen nicht so klar trennen lassen, dass sie sich mischen oder dass sie wechseln und auch, dass sich die Interaktionen gegenseitig beeinflussen. „Bei parasozialen Interaktionen und Beziehungen hat man es also mit vielschichtigen, möglicherweise mehrdimensionalen Phänomenen zu tun“ (Vorderer 1998: 698). y Ist PSI soziales Handeln? Es wurde häufig kritisiert, dass PSI keine Form des sozialen Handelns sei, da die scheinbare Interaktion selbstredend nicht reziprok ist, eben weil der Moderator oder Filmproduzent nicht auf den Zuschauer reagieren könne. Dagegen Ayaß: „Was Menschen tun, die Fernsehen produzieren oder rezipieren, ist Handeln, und in den meisten Fällen auch soziales Handeln“ (Ayaß 1993: 36). Das heißt, es ist seinem Sinn nach auf das Handeln oder Verhalten anderer ausgerichtet, wenn Fernsehnutzer sich mit Personen auf dem Bildschirm identifizieren, in Distanz zu ihnen treten und so fort. Diese Sichtweise stützt auch Bilandzic. Sie geht davon aus, dass „das Soziale mitgedacht ist und sich in der Ausformung der individuellen Interessen, Erwartungen und Motiven (sic!) (Gesprächsstoff, Nützlichkeit der Information im Beruf etc.) manifestiert“ (Bilandzic 2004: 55). Somit ist der soziale Aspekt durchaus gegeben, nur nicht die echte Reziprozität, wie sie Interaktionen kennzeichnet, in denen Personen einander real begegnen. Nicht also para-sozial sei die soziologisch angemessene Bezeichnung für die scheinbare Face-to-Face-Kommunikation, sondern ‘parainteraktiv’ (vgl. Ayaß 1993: 36). Hippl (1993) argumentiert: „Notwendig für das Vorliegen von Interaktion ist nicht eine physikalische Wechselwirkung, sondern das gegenseitige Aufeinander-Bezug-Nehmen von Personen, und dieses ist auch in Situationen möglich, in denen der einen Seite die Sicht auf die andere verwehrt bleibt“ (Hippl 1993: 129).
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INSGESAMT – dies zeigt die theoretische Diskussion wie auch die empirische Umsetzung – ist das Konzept Parasozialität nicht völlig geklärt (vgl. Vorderer 1998). Entscheidend für die Untersuchung von „Fernsehen und Ärger“ ist zunächst, dass Zuschauer auf Bildschirmakteure im Sinne von Interaktionen Bezug nehmen und damit die Emotionalität thematisierbar wird. Denn Interaktion ist immer auch ein emotionales Geschehen (vgl. Pkt. 4.7 ‘Emotion und Interaktion’), und konkret für Ärger ist gewiss, dass er gemäß der Ärgerforschung in der Regel durch das (Fehl-)Verhalten einer anderen Person hervorgerufen wird (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). Hierbei können soziale Vergleiche – mit Menschen im eigenen Umfeld genauso wie mit Medienfiguren – eine Rolle spielen. Der folgende Abschnitt geht darauf ein.
3.5 Soziale Vergleichsprozesse Medien ermöglichen soziale Vergleiche. In Studien des Uses and Gratifications Approach wurden die Bedürfnisse der Zuschauer, Fernsehen im Sinne von sozialen Vergleichen zu nutzen, kategorisiert als ‘Soziale Nützlichkeit’ (z.B. „ich kann meine Ideen mit denen im TV präsentierten vergleichen“) oder ‘Parasoziale Interaktion’ (vgl. im Überblick Gleich 1997: 90f.). Die Rolle von sozialen Vergleichen mit Medienfiguren und ob damit eine emotionale Wirkung zusammenhängt, untersuchten Mares und Cantor (1992). Hierfür griffen sie auf Festingers (1954) Theorie sozialer Vergleichsprozesse zurück. Die Theorie geht davon aus, dass Menschen ein Bedürfnis haben, die eigenen Einstellungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die eigene Position (Sozialstatus, Aussehen etc.) und das eigene Verhalten zu bewerten und gegebenenfalls zu verändern. Diesem Bedürfnis kommen Personen nach, indem sie sich mit anderen vergleichen. Die zu dieser Ausgangsposition entwickelten Annahmen Festingers sind erweitert und differenziert worden (vgl. im Überblick z.B. Herkner 1991: 453ff.). Hervorzuheben ist die Erweiterung der Theorie Festingers durch dessen Schüler, den amerikanischen Sozialpsychologen Stanley Schachter. Er wies nach, dass Personen sich auch sozial vergleichen, wenn es um Gefühle geht. Für die Vergleiche werden verschiedene Personen(gruppen) herangezogen: So beziehen sich die Vergleiche in der Regel auf Personen, die der eigenen Person ähnlich sind oder die in ähnlichen Lebenssituationen stehen, ferner auf solche, denen es besser geht sowie auf solche, denen es schlechter geht. Allerdings vergleichen sich Personen eher we-
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niger und nur bedingt39 mit anderen, wenn ein sehr großer Unterschied zwischen der eigenen und einer anderen Person wahrgenommen wird (Festinger 1954: 120). Dort, wo Vergleiche zu unähnlichen Personen stattfinden, können sie den Wunsch nach Selbstwertschutz oder -erhöhung bedienen: Wessen Selbstwert oder Gesundheit bedroht ist, könnte sich mit einer Person vergleichen, der es schlechter geht und könnte durch diesen ‘Vergleich nach unten’ Schutz finden und (so) eine Selbstwerterhöhung erleben. Hier knüpften Mares und Cantor (1992) an. Sie stellten für die Gruppe älterer Zuschauer die Behauptung Zillmanns (1988) in seiner Mood-ManagementTheorie in Frage, wonach Rezipienten generell positive Filme bevorzugen, um eine schlechte Stimmung zu vermeiden und gute zu erhalten oder herzustellen. Stattdessen nehmen die Forscherinnen an, dass ein positiver oder negativer Filmeffekt nicht allein von der Art des Films abhängt, dass also die Zusammenhänge komplexer sind, und sie sehen in sozialen Vergleichen eine Erklärung dafür, dass Rezipienten auch negative Programmangebote ansehen und sich danach durchaus besser fühlen. So untersuchten Mares und Cantor, mit welchen Emotionen ältere Menschen auf einen positiven und einen negativen Film zum Thema Alter reagieren. Die Filme hatten entweder einen isolierten und einsamen oder einen glücklichen und sozial integrierten alten Mann als Protagonisten. Vor der Filmvorführung wurde erhoben, ob die Experimentteilnehmer sich als einsam und/oder unglücklich einschätzten, ferner wie sie sich emotional fühlten und inwiefern sie an Filmen über ältere Menschen interessiert waren. Die Ergebnisse der Studie sprechen für die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse. Zunächst zeigte sich für die Programmwahl, dass „lonely, unhappy subjects gave higher ratings to negative programs and nonlonely subjects gave higher ratings to positive programs“ (Mares/Cantor 1992: 473). Was das emotionale Befinden nach der Filmvorführung betrifft, ging es den sich einsam fühlenden Menschen besser nach dem negativen Film als nach dem positiven, während es den sich nichteinsamen fühlenden Teilnehmern nach dem positiven Film besser ging als nach dem negativen (vgl. Mares/Cantor 1992: 474f.). Es lässt sich festhalten, dass die Rezipienten mit der Wahl des jeweiligen Filmes ihre Stimmung ‘managen’, und insofern findet ein Mood-Management statt. Der Weg der Stimmungsregulierung ist allerdings komplexer. Er erfolgt 39
„Goethals und Nelson zeigten Folgendes: Bei Einstellungen (Bewertungen) vergrößert Übereinstimmung mit ähnlichen Personen eher das Vertrauen in die «Richtigkeit» der Einstellung als Übereinstimmung mit unähnlichen Personen. Bei nicht wertbezogenen Meinungen dagegen ist es umgekehrt“ (Herkner 1991: 457f.; aus Herkner stammt auch folgender Literaturhinweis: Goethals, G.R./Nelson, R.E. (1973): Similarity in the influence process: The belief-value distinction. J. Pers. Soc. Psychol., 25, 177-122).
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über Umwege: Nicht ein positiver Film führt immer zur positiven Stimmung, sondern stimmungsbeeinflussend sind auch – so im Falle der Studienteilnehmer – soziale Vergleiche des Rezipienten mit dem Protagonisten, und dieser kann nicht trotz, sondern gerade wegen seiner negativen Filmrolle eine positive Stimmung bei den Rezipienten bewirken (vgl. auch Vorderer 1998: 695). Ärger kann über verschiedene Wege entstehen, Vergleiche mit Personen können dabei eine Rolle spielen. So könnte etwa folgende Konstellation bestehen: Eine Rezipientin ist Sozialpädagogin, und sie sieht eine Sendung zum Thema ‘Erziehung’, in der eine Medienfigur – ebenfalls Sozialpädagogin – als Expertin für Erziehungsfragen auftritt. Durch ihren Vergleich mit der Medienfigur könnte sich die Rezipientin darüber ärgern, dass die ‘Fernsehpädagogin’ inhaltlich oberflächlich bleibt und obendrein mehr Geld mit ihren Ratschlägen verdient, als die Rezipientin bei ihrer alltäglichen Arbeit mit Klienten. Diesem Ärger, der im Zuge des Vergleichs entstanden ist, liegen verschiedene Ärgerthemen oder Auslöser zugrunde, wie etwa eine wahrgenommene Ungerechtigkeit. Wahrnehmungen wie diese sind zentral für Ärger und somit für diese Arbeit, aber sie allein rufen nicht unbedingt Ärger hervor. Es ist an der Zeit, die Ärgerauslöser und Mechanismen, die bei der Entstehung und bei entstandenem, das heißt bei bestehendem Ärger bedeutsam sind, zu besprechen. Das folgende Kapitel hat dies zum Ziel.
4 Ärger als Alltagsemotion – Theoretische Ansätze aus der Emotionsforschung
4.1 Aufbau und Zweck des Kapitels und das Wort ‘Ärger’ Ärger und Wut zählen zu den recht gut erforschten Emotionen. Mit Ärger hat sich insbesondere die Psychologie40 beschäftigt, einige Arbeiten stammen aus anderen Disziplinen wie etwa der Soziologie41. Entsprechend dieser Forschungslage greife ich vorrangig auf die psychologische Forschungstradition zurück. ZWECK. Einige Abschnitte sind ausführlicher, weil das Kapitel einen doppelten Zweck verfolgt. Zum einen soll es ärgertheoretische Hintergrundinformationen allgemeiner Art bieten, zum anderen soll es die für diese Arbeit relevanten (ausgewählten) ärgertheoretischen Ansätze hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Konzept ‘Fernsehärger’ darstellen. Diese Bezüge werden innerhalb aller Abschnitte heraus gearbeitet und mit gekennzeichnet, so dass auf ein Fazit am Ende des Kapitels verzichtet wurde. Kapitel 5 ‘Bezugsrahmen’ geht auf die Verknüpfung ausführlich ein. AUFBAU DES KAPITELS. In Abschnitt 4.2 ‘Formen und Entstehung von Ärger’ werden zunächst verschiedene Ärgerformen benannt und dann emotionspsychologische wie -soziologische Sichtweisen zu Ärger umrissen. Die einen sind stärker auf das Geschehen im Individuum gerichtet, die anderen eher auf soziale Interaktionen. Subjektorientiert sind die Sichtweisen in den Abschnitten 4.3 bis 4.5. Zur Sprache kommt dort, wie sich soziale Kognitionen (Pkt. 4.3) für Ärger darstellen, wie Ärger und Handeln zusammenhängen (Pkt. 4.4) und welche Überlegungen es zum subjektiven Gefühl oder Erleben (Pkt. 4.5) bei Ärger gibt. Die drei Themenschwerpunkte können in dreifacher Hinsicht theoretisch verortet werden. 40
41
Die Literatur zur Emotionsforschung ist umfangreich. Daher sei hier einzig auf einige einschlägige Arbeiten verwiesen, in denen es explizit um Ärger geht: Averill (1982; 1983); Hodapp (2000); Weber (1994); Selg (1992). Denzin (1980, 1983); Hochschild (1990); Kahle (1981); Kemper (1978, 1981); Vester (1991). Einen Überblick bietet Flam (2002). Ferner taucht Ärger auch in Veröffentlichungen der Philosophie auf, die für die Diskussion hier allerdings nicht zentral sind.
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Erstens bezeichnen sie einen Teil der Vorgänge, die zu Ärger führen (Ärgerentstehung). Zweitens sind sie Bestandteil von Emotionen, und drittens können sie auch als Folge von Emotionen (Ärger) aufgefasst werden. In dieser Arbeit geht es nicht um die Frage des Zusammenspiels der Mechanismen bei der Entstehung von Fernsehärger, sondern um die Frage, wie Personen denken, handeln und fühlen, wenn sie sich über Fernsehen ärgern, wenn der Ärger also bereits entstanden ist. So gesehen liegt der theoretische Ort bei den Bestandteilen und in gewissem Sinne auch bei den Folgen von Ärger. Um die Emotion Ärger inhaltlich-begrifflich zu präzisieren, gibt Abschnitt 4.6.1 zunächst eine Übersicht über ‘sinnverwandte Begriffe’ von Ärger. In Punkt 4.6.2 werden ‘Ärger und Aggression’ in ihrer Beziehung zueinander dargestellt und zugleich voneinander abgegrenzt und andere als aggressive Ärgerreaktionen erwähnt. Die Beschäftigung mit ärgeraffinen Begriffen und mit Aggression ist nicht nur theoretisch, sondern auch methodisch (Interviewführung und -auswertung) bedeutsam, da sie zur Klärung des Konzepts ‘Ärger’ beiträgt. Aggression ist überdies eine Reaktionsform, die zum Beispiel häufig Gegenstand von Studien zu ‘Medien und Gewalt’ war. Wie ‘Emotion und Interaktion’ zusammenhängen, wird schließlich in Abschnitt 4.7 erörtert. Diese Auseinandersetzung ist erforderlich, da Ärger nicht allein als eine intrapsychische, sondern auch als soziale Emotion aufgefasst werden kann, die sich in der Interaktion vollzieht und dort zum Tragen kommt. SPRACHGEBRAUCH: ‘ANGER’ – ÄRGER ODER WUT. Zu einem sehr großen Teil sind es englische und amerikanische Veröffentlichungen, die zur Ärgerforschung vorliegen. Das Wort ‘Anger’ ist nicht eindeutig zu übersetzen. Mal lässt es sich mit Ärger, mal mit Wut übersetzen, gelegentlich steht es auch für Zorn. Die deutsche Sprache hingegen unterscheidet den Ärger von der Wut42 (und dem Zorn). Für den sprachlichen Ausdruck in dieser Arbeit bedeutet das, dass häufiger die Worte ‘Ärger und Wut’ zugleich geschrieben stehen. Dies ist zwar etwas umständlich, aber präzise.
4.2 Formen und Entstehung von Ärger Ärger wird häufig intensiv und negativ erlebt, und er gilt als unlustbetonte Emotion. Er wird, wie jede andere Emotion, personintern erlebt, doch er ist auch als soziale Emotion zu sehen, weil er auf andere gerichtet ist, das heißt, Ärger wird 42
Die Unterscheidung des Ärgers von der Wut ist bislang noch spekulativ. Wut wird als die intensivere Variante von Ärger angesehen, d.h. die Erregung ist höher als bei Ärger. Zu weiteren Merkmalen der Wut (und des Zorns) vgl. Pkt. 4.6.1 ‘Ärger und sinnverwandte Begriffe’.
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in den meisten Fällen durch das Verhalten einer anderen Person ausgelöst.43 Drei SPEZIELLERE FORMEN des Ärgers sind die folgenden: Die Form des Beobachtungsärgers bezieht sich auf die Situation, in der eine Person (nur) Zeuge ist, wie ein anderer Mensch regelwidrig behandelt wird. Bei Objektärger richtet sich der Ärger auf Objekte (z.B. der defekte Computer) und bei Selbstärger auf uns selbst. Alle drei Formen sind für Fernsehärger denkbar, der Beobachtungsärger, weil wir das Geschehen im Fernsehen beobachten, der Objektärger, weil das Fernsehgerät und sein Zubehör defekt sein können, und der Selbstärger, weil wir wieder einmal zu viel Zeit vor dem Fernsehschirm verbracht haben. Einerlei, welche Ärgerform es ist, es ist immer Ärger. Die Entstehung von Ärger, oder allgemeiner: von Emotionen, ist ein komplexes Geschehen, und es gibt hierfür unterschiedliche Erklärungsansätze. Im Folgenden werden ausgewählte emotionspsychologische und soziologische Sichtweisen grob skizziert. ENTSTEHUNG VON ÄRGER AUS EMOTIONSPSYCHOLOGISCHER SICHT. An der Entstehung und Manifestation von Emotionen sind körperliche und geistige Prozesse beteiligt. Es sind vor allem die Forscher Schachter und Singer (1962), die in den sechziger Jahren mit ihren Experimenten diese Position stärkten und die soziale Bedingtheit und Manipulierbarkeit von Emotionen in den Blick rückten (vgl. Scherer 1996: 311). In ihrer sogenannten Zwei-Faktoren-Theorie gingen sie davon aus, dass die beiden Faktoren ‘physiologische Erregung’ und ‘Kognition’ erforderlich seien, um eine Emotion zu identifizieren und zu differenzieren. Genauer: Wenn jemand eine unspezifische physiologische Erregung wahrnimmt, so ist diese zunächst emotionsunspezifisch, erst eine situationsspezifische Kognition führt zu einer bestimmten Emotion. Die Experimente und Ergebnisse der beiden Forscher hatten enormen Einfluss in der Forschung. Zu den zentralen Fragen zählten: Ist es wirklich so, dass jede Erregung unspezifisch ist?44 Löst eine Emotion eine Kognition aus, oder ist es umgekehrt? Wie hängt Emotion mit 43
44
Neben Ärger gibt es weitere, auf andere gerichtete Emotionen, die deshalb als sozial bezeichnet werden. Dies sind etwa Mitleid oder Dankbarkeit, mit denen sich Weiner beschäftigt hat (vgl. Reisenzein et al. 2003). Zum Beispiel geben Schneider und Scherer (1988: 275) zu bedenken: „Wenn eine unspezifische Erregung je nach Art der vorliegenden Umweltsituation völlig unterschiedlich gedeutet werden kann, so müsste es ebenso viele Emotionsarten wie Interpretationsmöglichkeiten geben“. Inzwischen konnte gezeigt werden, dass es durchaus emotionsspezifische körperliche Aktivationen oder Reaktionen gibt (vgl. Scherer 1996: 324; Levenson/Ekman/Friesen 1990: 372; Berkowitz 1999: 412f.). So ist etwa eine erhöhte Hauttemperatur spezifisch für Ärger (vgl. Weber 1994: 18). Daneben gilt auch, wie etwa Mees (1985: 18) anmerkt, dass nicht jede Emotion von körperlichen Reaktionen begleitet ist (z.B. Vertrauen). Für eine Übersicht und Diskussion der Zwei-Faktoren-Theorie vgl. Meyer et al. (2001); Reisenzein et al. (2003); Scherer (1996); Mitmansgruber (2003); Schneider/Scherer (1988).
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Handeln oder mit körperlichem Ausdruck zusammen? Wie werden Emotionen erlebt? Durch die Folgeforschung hat sich die inzwischen weithin akzeptierte Vorstellung entwickelt, Emotionen als ein Syndrom von Komponenten anzusehen. Fünf Komponenten werden diskutiert und hier dargestellt mit Beispielen für Ärger (vgl. Weber 1994):
die physiologische Komponente, z.B. die Hormonausschüttung, Herzklopfen; die expressive Komponente (Mimik, Körperhaltung), z.B. der grimmige Blick; die motivational-aktionale Komponente, z.B. ich werde ihn bestrafen; die subjektiv-erlebnisbezogene Komponente, z.B. das ist mir unangenehm; die kognitive Bewertung oder Einschätzung, z.B. jemand ist ungerecht.
Das Syndrom mit seinen Komponenten trägt folgende Kennzeichen: Beim Zusammenspiel der Komponenten handelt es sich um interdependente Teilprozesse, und es ist beinahe unmöglich, eine Reihenfolge der einzelnen Komponenten zu bestimmen. Die Komponenten können unabhängig voneinander variieren; alle Komponenten sind gleich wichtig. Aber es müssen nicht alle oder eine bestimmte Anzahl von Komponenten vorhanden sein, damit eine Emotion existiert. Beispielsweise erleben Menschen Ärger auch ohne die expressive Komponente wie die Zornesfalte.45 Das Komponentenmodell betrachtet Emotionen auf der individuellen Ebene, sieht Emotionen als individuellen Prozess, das heißt, es hat seinen Schwerpunkt beim Individuum. Die Interaktionsebene rückt weniger in den Blick, auch wenn Ärger und andere Emotionen durchaus als interpersonale Emotionen gesehen werden.46 Innerhalb der Emotionspsychologie haben sich die kognitiven Ansätze zu einer dominanten Theorierichtung entwickelt. Sie erachten kognitive Bewertungen als beinahe entscheidend47 dafür, welche Emotion eine Person identifiziert 45
46
47
Vgl. zu den Kennzeichen des Komponentenmodells Weber (1994: 14); Pekrun (1988: 98). Für eine Besprechung vgl. auch Mees (1991: 185ff.); Bergknapp (2002: 56f.), der einen guten Überblick über die wesentlichen Kritikpunkte liefert. In strukturationstheoretischen Modellen wie zum Beispiel im Modell von Mees (1991) wird eine exklusiv interpersonale Perspektive eingenommen. Die soziale Dimension des Ärgers wird in Punkt 4.7 für die Frage des Zusammenhangs von ‘Emotion und Interaktion’ aufgegriffen. Hier ließe sich ein Widerspruch vermuten: Auf der einen Seite nimmt man für das Komponentenmodell an, dass die Komponenten nicht miteinander konkurrieren und für sie eine Reihenfolge nicht angegeben werden kann. Auf der anderen Seite behaupten einige Kognitionstheoretiker, dass vor allem oder zuerst kognitive Prozesse entscheidend dafür seien, welche Emotion identifiziert wird. Es handelt sich bei diesen Positionen nicht um theorieinhärente Widersprüche, sondern um separierte Standpunkte, denn nicht alle Emotionsforscher teilen die Annah-
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und erlebt (vgl. ausführlicher Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’). Dabei bewertet das Individuum eine Situation immer vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrung. Persönliche Erfahrungen haben ihre Geschichte, so daß emotionale Bewertungsprozesse als Resultat historischer, biographischer, und sozialer Abläufe gelten können, mit anderen Worten: Emotionen wurzeln im kulturellen und biologischen Erbe des Menschen.48 Hierin klingen soziologische Aspekte der Emotion(sgenese) an. ENTSTEHUNG VON EMOTIONEN – EINE SOZIOLOGISCHE SICHT. Die zum Teil umstrittene Idee des Syndroms (Komponenten) findet sich auch in einer weniger etablierten Definition von Emotionen wieder, die Emotionen als soziale Konstruktionen ansieht, als Kulturprodukt sozusagen. Bekannt geworden ist die konstruktivistische Definition von Averill (1980), der mit seiner Arbeit „Anger and Aggression“ bedeutend zur Ärgerforschung beigetragen hat. Er definiert Emotion als „eine vorübergehende soziale Rolle (ein sozial konstituiertes Syndrom), welche die Situationseinschätzung des Individuums einschließt und eher als Passion (passion)49 statt als Aktion aufgefasst wird“ (Averill 1980: 312, Übersetzung zit. nach Otto et al. 2000: 16). Wie in der Emotionspsychologie werden auch im sozial-konstruktivistischen Modell Emotionen als multikomponentielle Phänomene betrachtet, allerdings im Lichte kultureller Mechanismen. Deutlich wird dies daran, dass Averill Emotionen als soziale Rolle begreift. Anerkennend, dass Emotionen angeboren sein können,50 seien Emotionen sozio-kulturell überformt, eingeübt, erlernt, so etwa das Wissen darum, wie eine auslösende Situation zu interpretieren ist und welcher Stellenwert der emotionalen Reaktion im Rahmen einer sozialen Interaktion beizumessen ist (vgl. Zentner/Scherer 2000: 155f.). Zum Beispiel könnte eine Situation an einem Arbeitsplatz so aussehen: Ein Angestellter ärgert sich, weil ein Vorgesetzter ungerecht war. Warum war dieser ungerecht, fragt sich der Angestellte (Kognition, Situationseinschätzung); gegenüber Vorgesetzten, so hat er gelernt, vermeidet man abschätzige Worte, schlägt keine Türen (Verhalten); wahrt einen freundlichen Blick (Ausdruck) und so weiter. Kurz: Emotionen werden auch hier in Komponenten differenziert und dabei ergänzt um Überle-
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men des Komponentenmodells, und so argumentieren sie gemäß ihrem theoretischen Ansatz. Vgl. auch Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’. Vgl. Lazarus/Averill/Opton jr. (1977: 190); Frijda (1986). Zur Auffassung, Emotionen würden passiv erfahren, sie hätten Widerfahrnischarakter vgl. Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’. Einige sozial-konstruktivistische Positionen bestreiten den biologischen Ursprung von Emotionen. So behauptet etwa Harrè, Emotionen seien genuin soziale Produkte. Vgl. Harrè, R. (1986): An outline of the social constructionist viewpoint. In: Harrè (Ed.): The social construction of emotions. Oxford: Blackwell, 2-14, zit. nach Bergknapp (2002: 28).
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gungen, wie Rollenvorschriften Einfluss nehmen auf die Form und Gestalt einzelner Komponenten. Insofern ist die sozial-konstruktivistische Auffassung als Ergänzung zu emotionspsychologischen Sichtweisen zu verstehen, denn sie steht weder (zwingend) im Widerspruch zur Emotionspsychologie, noch verkörpert sie eine eigenständige Emotionstheorie (vgl. Zentner/Scherer 2000: 160). Nach Otto, Euler und Mandl (2000: 16) stellt die Auffassung der sozialen Konstruktion von Emotionen einen künftigen Forschungsschwerpunkt dar. IN DIESER ARBEIT wird Ärger als multikomponentielle und im kulturellen und biologischen Erbe wurzelnde Emotion verstanden. Gemäß der SyndromIdee ergeben sich für Ärger die physiologische, expressive, kognitive, motivational/aktionale und subjektiv-erlebnisbezogene Komponente (vgl. Hodapp 2000: 199). Nun ist es nicht das Ziel der Arbeit, das Zusammenspiel dieser Komponenten zu untersuchen und die Prozesse, die ablaufen, wenn Fernsehärger entsteht. Sondern die Arbeit setzt dort an, wo Ärger bereits entstanden ist. Das heißt, es interessiert hier, warum sich jemand im Zusammenhang mit Fernsehen ärgert, wie das subjektive Gefühl dabei ist und ob oder welches Handeln mit Fernsehärger einhergeht. Es geht also um die Emotionserfahrung ‘Fernsehärger’, die nicht mit dem Emotionsprozess gleichgesetzt werden kann (vgl. Kuhl 1983: 18), der – um die Syndrom-Auffassung mit anderen Worten auszudrücken – das gesamte emotionale (Hintergrund-)Geschehen ausmacht, das heißt bewusste, unbewusste, körperliche, geistige und andere Mechanismen (Komponenten) bei der Emotionsentstehung oder -entwicklung umfasst. Die Fernsehärgerstudie ist vor allem an der Sicht des Individuums interessiert und nicht etwa an Vorgängen in einer Gruppe von Rezipienten. Für dieses theoretische und empirische Interesse werden sowohl die expressiven Ausdrucksformen von Ärger, wie zum Beispiel Veränderungen in der Mimik oder der Körperhaltung, die Messung physiologischer Aktivierungen sowie interaktionsanalytische Verfahren im Hintergrund bleiben (vgl. Kap. 6 ‘Methode’). Besonders relevant sind hingegen Ansätze zur kognitiven, subjektiv-erlebnisbezogenen und motivational-aktionalen Komponente. Auf die theoretischen Standpunkte hierzu wird im Folgenden ausführlicher eingegangen und ihre Bedeutung für das Thema Fernsehärger jeweils benannt.
4.3 Ärgerauslöser und soziale Kognitionen Jemand drängelt sich an der Kasse vor, jemand kommt zehn Minuten zu spät und lügt, jemand stellt Fragen im spannendsten Moment des Krimis – dies sind Beispiele für Situationen, die ärgerträchtig sind, weil jemand (kognitiv) einschätzt, dass hier etwas nicht ist, wie es sein soll. Die meisten Emotionsforscher akzeptieren, dass Kognitionen in einer konkreten Situation entscheidend zur Emoti-
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onsentstehung beitragen (vgl. Reisenzein 2000: 133). Kognitionstheoretiker wie etwa Frijda (1986, 1988, 1993); Frijda et al. (1989), Lazarus (1982; 1991), später Smith und Lazarus (1993), Oately (1992), das Team Ortony, Clore und Collins (1988), Roseman (1984) und Scherer (1984, 1990, 1993, 1996, 1998) formulieren sog. Appraisal-Theorien. Darin gehen die Autoren, wenn auch auf je verschiedene Weise, davon aus, dass besonders Bewertungen (appraisal) oder Einschätzungen einer Person gegenüber einem Objekt (ein Gegenstand, ein Ereignis, eine Person) zur Qualität und Intensität der Emotionen gehören. Bewertet wird in einem kontinuierlichen Prozess, das heißt, (erste) Eindrücke können korrigiert werden, es kommt zu Neubewertungen (re-appraisals) und dadurch gegebenenfalls zu veränderten Emotionen. KOGNITIONEN. Stand im behavioristischen Paradigma das beobachtbare Verhalten im Zentrum, so greifen Kognitionstheorien die im Individuum ablaufenden kognitiven Prozesse wie die des Wahrnehmens, Denkens, Lernens, Sprechens und des Gedächtnisses (Erinnern) auf. Dabei liegt den kognitiven Theorien in der Regel das Bild eines Menschen zugrunde, der in seiner sozialen und kognitiven Entwicklung ausgereift ist (vgl. Weber 1994: 28). Kognitionen lassen sich als bewusste und unbewusste Prozesse auffassen. Sie vermitteln zwischen Reiz und Reaktion, zwischen Person und Umwelt, sie spiegeln, wie eine Person eine Situation einschätzt (z.B. jemand ist ungerecht). Forgas hebt die Rolle sozio-kultureller Faktoren in individueller Kognition hervor. Er plädiert dafür, Kognitionen nicht zu sehen als eine einzig innerpersonal51 ablaufende Analyse von „social domains, but as a field genuinely devoted to the study of a field of the relationships between individual cognition and socio-cultural representations“ (Forgas 1983: 129). ÄRGERSPEZIFISCHE BEWERTUNGEN. Für Ärger spielt die jeweilige Situation eine erhebliche Rolle. Das wird durch viele kognitive Ansätze52 und klassische Ärgeruntersuchungen53 deutlich, und auch, dass bestimmte Bedingungen einer Situation Ärger eher fördern als andere. Beispielsweise zählen Selbstwertverlet51
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Kognition wird häufig, so auch bei Forgas (1983: 129), mit Informationsverarbeitung gleichgesetzt, was den Begriff nach Dörner und Stäudel (1990: 295) verwische, da Informationsverarbeitung viel allgemeiner sei als Kognition. Die Autoren empfehlen, kognitive Prozesse von jenen der Informationsverarbeitung abzugrenzen. Sie verweisen auf den ursprünglichen Sinn des Begriffs Kognition, der sich „auf die Gedächtnismodelle (bezog), die sich Menschen von der Welt machen, und auf die Prozesse, mit denen Menschen solche Modelle erstellen und modifizieren, also auf Denken und Lernen“ (vgl. Dörner/Stäudel 1990: 294). Siehe die zu Beginn dieses Abschnitts genannten Ansätze, und für einen Überblick außerdem Scherer (1990); Izard (1999), Reisenzein et al. (2003); Mitmansgruber (2003); Ulich (1995). Vgl. Averill (1982, 1983); Verres/Sobez (1980); klassische Studien sind etwa (auch) die von Hall (1899), Gates (1926), Dembo (1931), Meltzer (1933) – diese klassischen Studien und weitere Arbeiten fasst Fichten (1992: 97ff.) sehr informativ zusammen.
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zungen zu den häufigsten Anlässen für Ärger. So kommt es, dass Ärger oft als eine soziale und situationsspezifische Emotion beschrieben wird. Nun gibt es bis heute keine empirisch überprüfte Taxonomie ärgerauslösender Situationen.54 Das liegt zum einen daran, dass grundsätzlich alles Ärger auslösen kann, wie daran, dass es schwierig ist, „Situationsparameter von subjektiven Einschätzungen bzw. Kognitionen einer Situation abzugrenzen“ (Steffgen 1993: 11). Kognitive Definitionsansätze begegnen diesem Problem, indem sie annehmen, dass spezifische Bewertungsmuster (Appraisalmuster) mit spezifischen Emotionen korrespondieren. Zum Beispiel nimmt Scherer (1984) an, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit dann Wut entsteht, wenn ein Ereignis als neu, wenig angenehm, nicht dienlich, fremd verursacht, beeinflussbar und normunverträglich eingeschätzt wird.55 Wie Appraisals zustande kommen oder in welchen Schritten sich die Bewertungen vollziehen, wird von den einzelnen Autoren unterschiedlich gesehen, konkret für Ärger sind es vor allem drei Bewertungen, die in fast allen Ansätzen genannt werden: „1) Ein Ereignis richtet sich gegen eigene Bedürfnisse/Motive. Ein Handlungsziel wird als blockiert wahrgenommen. 2) Es wird jemand / etwas als verantwortlich erkannt. 3) Es erfolgt eine Schuldzuschreibung. Der Schuldige hat dabei gegen eigene oder soziale Normen / Regeln verstoßen“ (Steffgen 1993: 12). Mit den Worten Webers wird Ärger also „ausgelöst durch die Bewertung, dass irgendetwas meinen Bedürfnissen und Motiven zuwiderläuft und dem Urteil, dass an diesem Zustand (in der Regel) ein anderer Mensch schuld ist, der mit seinem Verhalten gegen Standards und Normen verstößt“ (Weber 1994: 34).56
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Vgl. Weber (1994: 138ff.), die eine Annäherung an ein Ordnungsschema versucht und in ihrer „Tabelle 5-1: Ärgerauslösende Tatbestände für den Modellfall ‘ein anderer Mensch löst meinen Ärger aus’“ (Weber 1994: 140) ordnet. Die Zuordnungen sind zum Teil spekulativ. Scherer vertritt einen Komponenten-Prozess-Ansatz, wonach ein Individuum verschiedene Prüfschritte (stimulus-evaluation-checks) durchläuft, an dessen Ende eine Emotion steht. Zu diesen Schritten gehört die Einschätzung, ob eine Situation neu, angenehm, zu bewältigen und normverträglich ist, ob sie intern oder extern (fremd) verursacht wurde und einen Bezug zu den eigenen Zielen hat. Vgl. Scherer (1984, 1993); in deutscher Übersetzung Schneider/Scherer (1988). Mees (1985: 7) analysiert die alltagssprachliche Verwendung der Gefühlswörter und findet heraus, dass es bei Ärger nicht immer zu einer Ursachenzuschreibung kommen muss. Wer „Ärger (dar-)über“ äußert, charakterisiere zunächst nur die Zielbehinderung an sich, ohne spezifizierende Ursachenzuschreibung. Um die Ursache geht es bei der Redewendung „Ärger auf“.
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Diese kognitiven Dimensionen bei Ärger werden in einzelnen Ansätzen noch spezifisch ergänzt. So sind nach Schneider und Scherer (1988: 280) die emotionalen Reaktionen und deren Intensität zusätzlich davon abhängig, ob eine Person meint, die Probleme bewältigen, beeinflussen und kontrollieren (Bewältigungspotenzial) oder sich selbst der Situation anpassen (Anpassungsfähigkeit) zu können. Sich einer Situation anzupassen könnte eine Person dann erwägen, wenn sie zu der Einschätzung kommt, zu wenig Machtpotenzial zu besitzen, um ein Ereignis kontrollieren, verändern zu können. Der Begriff Macht bedeutet in der Psychologie verschiedenes. So können etwa Muskelkraft, Reichtum oder Attraktivität Machtquellen sein (vgl. Schneider/Scherer 1988: 280). Bei Roseman (1984) findet sich Macht explizit als eine kognitive Bewertungsdimension. Roseman (1984: 27) versteht darunter vor allem Stärke, das heißt, eine Person empfindet dann Ärger, wenn sie sich gegenüber dem Verursacher als machtvoll, als in der Position des Stärkeren sieht. Wenn keine Stärke empfunden würde, sei Abneigung das erlebte Gefühl. Dagegen sprechen jedoch Alltagserfahrungen sowie empirische Studien (vgl. etwa Averill 1982), denn zum Beispiel kann sehr wohl mit Ärger reagieren und aufbegehren, wer sich von Höherrangigen ungerecht behandelt fühlt. Für Novaco (1976: 1126) ist es sogar eine wesentliche Funktion von Ärger, dass er zum Handeln wie etwa gegen Mächtige mobilisiere. Ähnlich weisen Schneider und Scherer (1988: 280) darauf hin, dass sich „bestimmte Situationen auch mit geringer Macht völlig kontrollieren“ lassen. Roseman (1984: 28) differenziert weiter in moralische Macht, das bedeutet, Ärgerliche sehen sich lediglich als die moralisch Stärkeren, wenn sie der Meinung sind, dass sich andere fehl verhalten. Ob Roseman ihrem Strukturmodell der Emotionen grundsätzlich moralische Macht zugrunde legt, und wodurch sich das Gefühl der Stärke speist, wird nicht ganz deutlich, ihre Begriffe (z.B. auch ‘Legitimation’) sind nicht ganz klar definiert (vgl. auch Weber 1994: 32). Mit Macht als soziologischer Kategorie – im Sinne Max Webers verstanden als die Durchsetzung der eigenen Ziele, auch gegen den Willen anderer – argumentiert der Soziologe Kemper (1978; 1981). Er geht davon aus, dass Emotionen von sozialen Strukturen bestimmt werden, genauer: von Status und Macht. Dabei sieht er Machtverlust eher mit Furcht (anstatt mit Ärger) verbunden, das heißt, es wird ein Mangel an eigener Macht oder ein Übermaß der Macht bei einer anderen Person wahrgenommen. Statusverlust, das heißt, der Verlust des erreichten, erwarteten, gewünschten Status sei die grundlegende Bedingung für Wut; hier bleibt die Anerkennung oder Unterstützung durch andere versagt (vgl. Kemper 1981: 147, 139). Schließlich sollen zwei konkrete Bedingungen für Ärger erwähnt werden. Sie hängen mit der Schuldhaftigkeit des Verhaltens zusammen – eine Kognition, die wesentlich bei der Ärgerentstehung ist (s.o.). Zunächst geht es um die Bedin-
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gung der ‘Vermeidbarkeit’ von Vorfällen. Ärgert sich zum Beispiel ein Autofahrer nur bei der Einschätzung, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre? Wohl kaum. Wie sich zeigt, entsteht Ärger sowohl dann, wenn ein Fehlverhalten vermeidbar gewesen wäre, als auch dann, wenn es unvermeidbar gewesen wäre. Sodann – dies ist die weitere Bedingung – kann ähnlich gefragt werden, ob sich eine Person nur dann ärgert, wenn ein Fehlverhalten als ungerechtfertigt bewertet wird, oder auch, wenn es als gerechtfertigt angesehen wird. Ärgert sich der Mitarbeiter also nur dann, wenn er ungerechtfertigt als unpünktlich gerügt wird? Studienergebnisse zeigen, dass beide Bewertungen Ärger auslösen können. Schuldhaftes Fehlverhalten ist somit nicht die „conditio sine qua non des Ärgers“ (Weber 1994: 137). EINWÄNDE GEGEN KOGNITIVE ANSÄTZE.57 Gegen kognitionstheoretische Annahmen wird mitunter eingewendet, dass die kognitiven Bewertungsdimensionen nicht immer eine spezifische Emotion exakt vorhersagen können. Wer urteilt, dass ihm etwas Schlechtes widerfährt und eine andere Person daran schuld ist, der kann neben Ärger auch mit Angst, Neid oder anderen Emotionen reagieren (vgl. Weber 1994: 35f.). Darüber hinaus kann eine Ärgerreaktion trotz willkürlichen, ungerechtfertigten und Schaden verursachenden Verhaltens sehr schwach ausfallen oder sogar ganz ausbleiben. Das ist dann möglich, wenn die Provokation verfremdet oder ihr der Ernst genommen wird, indem man sie zum Beispiel zugleich als übertrieben und lächerlich bewertet (vgl. Weber/Piontek 1995: 78). Hier und bisher geht es um Ärger, der in sozialen Situationen entsteht. Das heißt, die kognitiven Dimensionen Motiv-Inkongruenz / Bedürfnisblockade, Normverstoß und besonders die Verantwortungszuschreibung wurden aus der Analyse sozialer Ärgersituationen gewonnen. Daneben kommen aber andere Ärgerformen vor. So gibt es den Ärger über sich selbst und den Sachtückenärger, d.h. Ärger über Objekte (z.B. ein defektes Gerät). Bei Selbst- und Objektärger ist es nicht ohne weiteres vorstellbar, dass jemand sich selbst oder ein Objekt eines Normverstoßes bezichtigt und sich oder dem Objekt zuschreibt, (dafür) die Verantwortung zu tragen, es sei denn, dass – wie im Falle des Objektärgers – Objekte mit menschlichen Eigenschaften versehen werden. Tendenzen zu Personifizierungen von Objekten hat Averill (1983: 1149; vgl. auch Frijda 1993: 363) festgestellt. Wer ein Objekt wie etwa ein defektes Gerät (z.B. Kopierer) personifiziert, kann ihm Schuld vorwerfen, die Schuld nämlich, dass es nicht so funktioniert wie angenommen wird, dass es in dieser Welt zu funktionieren habe (vgl. Weber 57
Es gibt recht verschiedene Einwände gegen kognitive Einschätzungstheorien, und sie können nicht allesamt hier diskutiert werden. Einen Überblick geben Reisenzein, Meyer und Schützwohl (2003: 158ff.).
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1994: 124f.). So gesehen sind die Mechanismen bei Objekt- und sozialem Ärger ähnlich.58 Bei einer anderen Gruppe von Anlässen ist es ebenso schwierig oder unmöglich, einer anderen Person vorzuwerfen, sie hätte Schaden zugefügt, Regeln verletzt oder fahrlässig gehandelt. Gemeint sind Ärgernisse, das heißt „Reize, Objekte, Gewohnheiten von anderen (diese Zwanghaftigkeit!), ihre äußere Erscheinung (diese vergammelte Strickjacke!) oder ihre Eigenschaften (diese Arroganz)“ (Weber 1994: 125). Wenn mit diesen Anlässen nun Abneigung, Gereiztheit oder Ärger einhergehen, so ist das keine Schuld des anderen, sondern eine höchst persönliche Eigenheit des Betrachters (vgl. Weber 1994; vgl. zu Ärgernis genauer Pkt. 4.6.1 ‘Ärger und sinnverwandte Begriffe’). Auf Selbst- und Objektärger wie auf Ärgernisse treffen also die kognitionstheoretisch gewonnen Dimensionen für Ärger, nämlich Motiv-Inkongruenz/Bedürfnisblockade, Normverstoß, nur bedingt zu. Daher müssen für diese Ärgerformen, was die Dimensionen betrifft, Ausnahmen gelten. Ob mit diesen oder ohne diese Ausnahmen – der Vorwurf an Kognitionstheorien, sie könnten Emotionen nicht exakt vorhersagen, bleibt. Was aber auch bleibt, ist deren hohe Bedeutung für Emotionen. Und da es IN DIESER ARBEIT nicht um die Vorhersage von Ärger geht, sondern um den entstandenen Ärger, sind die Dimensionen Richtung weisend. Ein weiterer, oft vorgebrachter Einwand gegen kognitive Ansätze ist, dass Emotionen plötzlich auftreten, einer Person widerfahren, m. a. W. die Person entscheidet sich nicht für eine Emotion, sie erlebt sie passiv (vgl. etwa Averill 1982; Brandtstädter 1985). Deshalb kann Emotionen ein kognitiver Prozess nicht vorausgehen. Deutlich wird dies an Äußerungen wie „Die Wut kochte in mir hoch“. Das Sequenzenproblem ist bis heute ungelöst, und möglicherweise ist nicht zu entscheiden, was zuerst gegeben ist: die Kognition oder die Emotion. Montada sieht keinen Widerspruch zwischen kognitiven Emotionsmodellen und der Erfahrung, dass Emotionen plötzlich auftreten, „wenn Kognitionen als konstituierende und damit notwendige Elemente komplexer Gefühle angesehen werden, wie Brandtstädter (1985) das tut. Dann widerfahren uns eben Kognitionen, drängen sich auf, unkontrolliert, automatisch, werden ungeprüft für wahr gehalten“ (Montada 1989: 296; vgl. auch Lantermann 2000: 391). Kognitive Denkmodelle sind in ihrer Erklärungskraft freilich begrenzt. Dies schmälert jedoch nicht ihren Wert, und so stellen sie den Kern vieler Arbeitsdefinitionen von Emotion dar; (denn) auf empirischer Ebene konnte gezeigt wer58
Darauf weist deRivera hin. Vgl. deRivera, Joseph (1981): The Structure of Anger. In: ders. (Ed.), Conceptual encounter. Washington, DC: University Press of America, 35-81, zit. nach Bergknapp 2002: 70.
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den, dass kognitive Bewertungen auf das emotionale Erleben und Handeln einen systematischen Einfluss haben. Ein heuristischer Wert der Kognitionstheorien liegt grundsätzlich darin, dass Informationen und Argumente zugänglich werden, subjektive Gründe lassen sich erfahren und überprüfen (vgl. Montada 1989: 296). IN DIESER ARBEIT sollen Kognitionen den Weg eröffnen zu den spezifischen Gründen für Fernsehärger sowie dem subjektiven Erleben und Handeln. Dabei ist es nicht das Ziel herauszufinden, wie diese Kognitionen zustande kommen oder sich verändern, das heißt, im Vordergrund stehen nicht Fragen zum Bewertungsprozess. Ohne auszuschließen, dass sich Erkenntnisse hierzu ergeben können, ist die Frage nach den Ärgergründen eher eine Frage nach dem Bewertungsergebnis (vgl. Mitmansgruber 2003: 60). Kognitive Prozesse sind also emotionswirksam. Ebenso sind sie – darüber besteht weitgehend Einigkeit – handlungsleitende Prozesse, mit anderen Worten: „Die Ergebnisse einer kognitiven Situationsbeurteilung sind verhaltenswirksam“ (Heckhausen 2003: 112; vgl. auch Dörner/Stäudel 1990: 295). Der nächste Abschnitt informiert über das Zusammenspiel von Emotion, resp. Ärger, und Handeln.
4.4 Ärger und Handeln Der Kunde hätte den Vordrängler an der Kasse am liebsten beschimpft und ihn aufgefordert, sich gefälligst in der Reihe einzuordnen; der Unpünktliche zieht viel sagende Blicke auf sich, so dass er sich entschuldigt; der Krimisehende sagt mit grimmiger Miene „pscht“ zu der Person, die ihn anspricht und beim Verfolgen des Filmes stört. Kurz: Wer sich ärgert, handelt auch häufig, so kennt man es aus dem Alltag. Auch in der Wissenschaft wird Emotionen ein verhaltensleitender Einfluss zugeschrieben (vgl. Averill 1982; Weber 1994). Welches Verhalten mit Fernsehärger einhergeht, wird so auch Gegenstand der Fernsehärgerstudie sein (Teil IV der Arbeit). Dazu bedarf es eines genaueren Blicks auf den Zusammenhang von Emotion und Handeln, darauf, wie er theoretisch (und weniger in der alltäglichen Sicht) gefasst wird. Die theoretischen Ansätze, die sich bevorzugt mit Fragen zur motivationalaktionalen Komponente der Emotionen befassen, gehen davon aus, dass Emotionen Handlungsimpulse und differenzierte Verhaltenstendenzen hervorrufen. Häufig liegt dieser Annahme eine funktionalistische Sichtweise zugrunde, das heißt, die Reaktionstendenzen dienen der Anpassung, der adaptiven Handlungsregulation, dem Überleben des eigenen Organismus. Zum Beispiel kann die Angst vor dem verletzenden Biss eines Hundes einen Fluchtimpuls auslösen.
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Nach Scherer (1990: 14f.) lassen sich zwei Hauptgruppen von Theorien unterscheiden: a. b.
Die psychoevolutionäre Theorietradition (vgl. Plutchik 1984; BischofKöhler 1985). Die motivationspsychologisch und handlungstheoretisch orientierten Ansätze (vgl. Frijda 1986, 1988, 1993, et al. 1989; Buck 1985; Leeper 1948; zum Zusammenhang Emotion und Handeln vgl. auch Brandtstädter 1985; Fuchs 1985; Lantermann 1983, 2000).
zu a: PSYCHOEVOLUTIONÄRE THEORIE. Plutchik gilt als bedeutender Vertreter für die psychoevolutionäre Emotionstheorie. Danach sind Emotionen, so auch Ärger, ein Teil eines phylogenetisch erworbenen Reaktionsprogramms. Das Programm besteht aus einem Reiz (Hindernis), einer Kognition (Feind), einer Emotion (Ärger, Wut), einem Verhalten (beißen, schlagen) und einer Wirkung (Hindernisbeseitigung, Zerstörung). Plutchik (1984) kommt zu dieser Auffassung, indem er acht Basisemotionen59 postuliert, darunter Ärger, und ihnen jeweils Überlebensfunktionen oder Anpassungsaufgaben zuordnet. Die zwischen Reiz und die Reaktion vermittelnden Kognitionen stehen allein im Dienst der Überlebensfunktionen. Dem Ärger weist Plutchik als Anpassungsaufgabe die Zerstörung zu, aggressive Reaktionen werden bei Ärger also zum biologisch adaptiven Verhalten. An Plutchiks Sicht vom Automatismus zwischen Emotion und Verhalten ist unter anderem kritisiert worden, dass die Zuordnungen der Reaktionen zum Reiz zu starr seien (vgl. etwa Ulich 1995: 127 ff.; Weber 1994: 36; Kuhl 1983: 8). Für Ärger zeigt sich das darin, dass Plutchik soziale Weiterentwicklungen der Ärgerreaktionen unbeachtet lässt,60 wenn er einzig die aggressiven Verhaltensweisen als biologisch-funktional ansieht.
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Es gibt keinen Konsens darüber, dass es Basisemotionen, auch Grund- oder Primäremotionen genannt, gibt. Merkmale der Basisemotionen sind, dass sie ursprünglich, d.h. angeboren, und kulturinvariant sind. Biologische Ansätze betonen außerdem die adaptive Funktion von Emotionen (z.B. Überlebenssicherung). Gemäß einigen psychologischen Ansätzen gehen Basisemotionen nicht aus anderen Emotionen hervor, aus ihnen können aber andere, nicht-basale Emotionen abgeleitet werden. Für eine Diskussion vgl. etwa Schmidt-Atzert (1996, 2000); Meyer et al. (1999); Mitmansgruber (2003: 27ff.); Ekman (1994, 1999); Panksepp (1994); Averill (1994a); Ortony/Turner (1990). Zum Beispiel gibt es die – auch gesetzliche – Vereinbarung, wonach man die Zimmertür des Chefs nicht zuschlägt oder zuschlagen darf. Zu sozialen Ausformungen von Emotionen vgl. etwa Averill (1982); Hochschild (1990).
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zu b: MOTIVATIONSPSYCHOLOGISCHE UND HANDLUNGSTHEORETISCHE ANSÄTZE. Der holländische Emotionspsychologe Frijda (1988; et al. 1989) gilt als ein Vertreter einer Forschungsrichtung, die Plutchiks Überlegungen zum Teil ablehnt, zum Teil differenziert. Welche Emotion sich einstellt, hängt neben Kognitionen auch und besonders ab von der subjektiv wahrgenommenen Veränderung der Motivation, der Tendenz, auf bestimmte Art und Weise zu reagieren. Frijda wählt hierfür den Begriff Handlungsbereitschaft61 und definiert sie als „the individual’s readiness or unreadiness to engage in interaction with the environment“ (Frijda et al. 1989: 213). Dabei sind die (Wechsel in) Handlungsbereitschaften/ -tendenzen („changes in action readiness“, „action tendencies“) und Kognitionen häufig eng aufeinander bezogen. Das heißt, nicht nur Einschätzungen („Appraisals“, Kognitionen) können bestimmte Emotionen definieren, sondern auch Handlungsbereitschaften, und zwar zum Teil gemeinsam mit Ereignisbewertungen, zum Teil von ihnen unabhängig: „Specifically, we feel a particular emotion either because of the particular appraisal or because of the particular change in action readiness, or because of both“ (Frijda et al. 1989: 225). Die Handlungstendenz ist nicht dasselbe wie eine konkrete Handlung, vielmehr bereitet sie die Handlung vor. Ob die Handlung dann ausgeführt wird oder nicht, hängt von weiteren Faktoren (z.B. der Situation, des Subjekts) ab. Frijda, der nicht einzig von Basisemotionen ausgeht, formuliert 17 Handlungsbereitschaften. Ärger ist mit Antagonismus verknüpft, mit ‘Moving against’ (Frijda et al. 1989: 220; 223), um ein Hindernis zu beseitigen, um Widerstand zu leisten und Kontrolle wiederzugewinnen. Dabei umfasst Frijda mit Antagonismus – anders als Plutchik – aggressives sowie nicht aggressives Verhalten. Frijda bedenkt, dass es auch Emotionen gibt, für die keine Handlungstendenzen gefordert werden können. Dort, wo das zutrifft, formuliert er „action modes“ (z.B. die Passivität bei Zufriedenheit; vgl. Weber 1994: 40). Ähnlich führen Mees (1985:13 f.; 1991: 187) sowie Ortony et al. (1988) aus, dass Emotionen handlungsneutral sein können und dass es fragwürdig ist, jeder Emotion eine zwingende Handlungstendenz zuzuschreiben. So gebe es Gefühle, die ohne Handlungsbereitschaften erfahrbar seien, oder Gefühle, die nicht unbedingt mit einer Handlungstendenz verknüpft sind, so sei etwa das Glücksgefühl handlungsneutral. Bei Glück oder Freude bestehe eine Kongruenz zwischen Ist und Soll, so dass es keine Handlungsnotwendigkeit gebe, da per definitionem Handeln darauf ziele, eine Inkongruenz zu reduzieren. Bei Ärger liegt in der Regel eine Störung des Gleichgewichts vor, und eine Handlungstendenz wird häufig postuliert (vgl. Weber 1999: 142). Dies muss 61
Frijda knüpft begrifflich an Arnold (1960) an, die den Terminus ‘Handlungstendenz’ eingeführt hat.
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nicht zwingend in eine Angriffs- oder Kampfhandlung münden. Zum Beispiel gibt es Menschen, die ihren ärgerbedingten (aggressiven) Handlungen oder Handlungsimpulsen nicht nachgeben (vgl. Schwenkmezger et al. 1992; Kuhl 1983: 5). Ferner kann Ärger konstruktives Verhalten nach sich ziehen (vgl. Novaco 1976: 1125; Weber 1999: 142; vgl. auch Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’). Nach Mees (1991: 187) sind wahrgenommene Handlungsbereitschaften oder konkrete Handlungen nicht konstitutive Elemente der Art einer Emotion, das heißt, Emotionen implizieren nicht notwendigerweise bestimmte Handlungen, sie schließen andererseits aber gewisse Handlungen aus (Mees 1985: 15). So passt es zu Ärger, wenn die Worte stocken oder – umgekehrt – lautstark herausdrängen. Lächeln hingegen ist eher unwahrscheinlich, und wenn es zusammen mit Ärger auftritt, dann wohl eher trotz und nicht aus Ärger und eher mit bitterem Beigeschmack (vgl. Mees 1985: 15). Die verschiedenen emotionspsychologischen Standpunkte tendieren weitgehend zu der Annahme, dass mit der Emotion die Richtung, nicht aber ein spezifisches Verhalten festgelegt ist. Weber hebt hervor, dass diese Annahme Raum lässt „für flexibles, situationsangemessenes Verhalten und damit auch für die individuelle und soziale Ausgestaltung emotionalen Verhaltens“ (Weber 1999: 140). Das vereinbart sich zugleich mit empirischen Forschungsergebnissen über Ärger. Danach motiviert er tendenziell dazu, eine wahrgenommene Störung zu beseitigen. Dies kann durch aggressive wie auch nicht-aggressive Verhaltensweisen geschehen (z.B. mit dem Verursacher reden), das heißt, Ärger kann Aggression nach sich ziehen, muss es aber nicht (vgl. Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’, dort auch Ärgerreaktionen in Tabelle 2). Aus soziologischer Sicht ist die Automatizitätsunterstellung von Emotion und Verhalten nicht aufrecht zu erhalten. Nach Averill (1982) und ähnlich auch Hochschild (1990) überformen sozio-kulturelle Faktoren das konkrete Verhalten, weil – verkürzt wiedergegeben – normkonformes wie normwidriges Fühlen und regelgeleitetes Handeln gelernt werden: Zum Beispiel kann man Gefühle empfinden, aber man drückt sie nicht aus (vgl. Beispiel in Anm. 60), und umgekehrt lässt sich durch ein bestimmtes Verhalten vortäuschen, Emotionen wie etwa Verärgerung zu empfinden. Es sind unter anderem soziale und kulturelle Besonderheiten, die das Verhalten regeln können, und
von Gefühlsregeln (Feeling-Rules) spricht die Soziologin Hochschild (1979). Diese Regeln schreiben vor, welche Emotion überhaupt in einer bestimmten Situation durch die Person auszuwählen oder nicht auszuwählen ist.
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Ekman, dessen Arbeiten vor allem den ausdruckstheoretischen Ansätzen zuzurechnen ist, geht von Regeln der Darbietung (Display-Rules) (vgl. Ekman 1988, Psychologie Heute 2001: 37) aus. Personen erlernen diese Regeln und wissen dann, wie eine Emotion situationsadäquat (mimisch) ausgedrückt wird. Wie wird also in einer konkreten Situation die Emotion (mimisch) geäußert? Wer darf wann wem gegenüber welches Gefühl mit welcher Intensität zeigen? Soll ich also meine Emotion zeigen, und wenn ja: wie?
Während die Darbietungsregeln an den angeborenen Gefühlen anknüpfen und den Emotionsausdruck an soziale Normen anpassen, sind die Gefühlsregeln radikaler. Ihnen liegt der Gedanke von sozial konstruierten Emotionen zugrunde (vgl. Weber 1994: 23).
Weber formuliert bezogen auf Ärger mit Bewältigungsregeln ein weiteres, die Darbietungs- und Gefühlsregeln ergänzendes Regelset. Diese Regeln „legen für einen umschriebenen Kontext den Umgang mit Ärger fest, beispielsweise den Ärger nicht an Kindern, alten oder kranken Menschen auszulassen; in der Öffentlichkeit nicht loszuschreien; (…) aus einer Konferenz nicht wegzulaufen. Bewältigungsregeln können auch die Form von Ratschlägen annehmen (wenn wütend, zähle bis zehn; laufe um den Block; schlafe eine Nacht darüber). Zu den allgemeinen Regeln können solche hinzukommen, die ich persönlich als besonders wichtig erachte, beispielsweise Konflikte zu vermeiden oder mich um jeden Preis selbst zu behaupten. Wenn ich Ärger bewältige, kann die Befolgung allgemeiner oder persönlicher Regeln zu einem übergeordneten Ziel werden“ (Weber 1994: 183f.).
IN DIESER ARBEIT werden die Reaktionen auf Fernsehärger in den Interviews thematisiert. Als theoretische Voreinstellung62 wähle ich die in der Emotionspsychologie offene Sichtweise, wonach auf Emotionen (hier: Fernsehärger) nicht (automatisch) eine spezifische Klasse von Handlungen folgt und dass der Fernsehärger zugleich einige (Nicht-) Handlungen wahrscheinlicher macht als andere. Für den Tatbestand, dass Handlungen auftreten, ist die theoretische Position nicht in der Weise streng gedacht, dass zuerst die Emotion gegeben ist und dann die Reaktion. Vielmehr wird gesehen, dass Emotion und Reaktion immer auch rückgekoppelt sein und einander beeinflussen können. In dieser Arbeit wird es 62
Zu den Begriffen ‘Handeln’ und ‘Verhalten’ vgl. Anm. 7, und zum Begriff ‘Reaktion’ vgl. Pkt. 12.1. ‘Begriffsklärung: Ärgerreaktion, -bewältigung, -ausdruck’.
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wichtig sein, nicht nur Hinweise auf konkrete Verhaltensweisen oder Handlungen, sondern auch auf die Handlungsbereitschaft, den Handlungsimpuls zu erhalten. Der Blick richtete sich in der Medienforschung (nämlich) bisher vornehmlich auf das medieninduzierte aggressive Verhalten als bereits massiver Reaktion, so dass andere Verhaltensformen oder -absichten im Hintergrund blieben und damit auch deren Bedeutung wenig erforscht ist.
4.5 Ärger und subjektives Gefühl Die Begriffe Emotion und Gefühl können unterschieden werden. Ärger ist eine Emotion, und im Alltag wird er häufig als Gefühl bezeichnet. Es gibt in der Wissenschaft einen Konsens darüber, die Begriffe ‘Emotion’ und ‘Gefühl’ nicht synonym zu gebrauchen. Mit Emotion ist ein hypothetisches Konstrukt gemeint, „das als solches nicht direkt beobachtbar ist, sondern auf das aus einer Anzahl von Indikatoren und ihrer Interaktionen rück geschlossen wird“ (Scherer 1996: 298). Emotion kann somit als Oberbegriff betrachtet werden, das subjektive Gefühl hingegen als eine Komponente des Emotionskonstrukts (vgl. Pkt. 4.2 ‘Formen und Entstehung von Ärger’), als innerlich bewusst erlebte Eindrücke über den jeweiligen Gefühlszustand, die das Subjekt verbal mit ‘ärgerlich’, ‘freudig’, ‘stolz’ usw. umschreibt (vgl. Schneider/Scherer 1988: 271; SchmidtAtzert 1996: 18). Das heißt, eine Emotion ist mit einem entsprechenden Gefühl oder Erleben verknüpft, das ausdrückt, wie sich eine Emotion ‘anfühlt’, wie es ist oder erlebt wird, sich zu ärgern oder zu ängstigen – auf diese Weise wird Gefühl im Sinne des emotionalen Erlebens verstanden.63 Scherer schlägt vor, die Gefühlskomponente als „monitoring system“ (1984: 303), „als Reflexion der Veränderungen anzusehen, die während einer Emotionsepisode in allen Komponenten auftreten“ (1996: 322). So gesehen schließt das Erleben alle anderen Komponenten einer Emotion mit ein: Neurophysiologie, Kognition, Motivation/Aktion, Ausdruck. Mit diesem Erleben als innerem Zustand ist nicht verbunden, dass die Person die Komponenten jeweils bewusst analysiert. Bewusste Wahrnehmungen mögen durchaus gegeben sein, gemeint ist aber der „komplexe unanalysierte Zustand als Einheit“ (Fiehler 1990: 54).
63
Andere Bedeutungen beinhaltet der Begriff Gefühl – und darin zeigt sich seine Vagheit – in folgenden Beispielen: das Gefühl als körperliche Empfindung (z.B. ein Gefühl im Bein; ich fühle meinen Herzschlag); ein Gefühl als vager Eindruck (z.B. „ich hab so ein Gefühl, als ob…“), sich krank fühlen; ein samtiges Gefühl wahrnehmen und so weiter (vgl. Fiehler 1990: 116; Averill 1994b: 379).
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SUBJEKTIVES ERLEBEN IN DER FORSCHUNG. Unbestritten ist, dass das emotionale Erleben sehr vielfältig ist. Doch es ist bisher wenig untersucht. Zum einen ist es nicht einfach, Ordnung in das umfangreiche Gefühlsvokabular zu bringen (vgl. Schmidt-Atzert 1996: 86f.; Fiehler 1990: 54f.). Zum anderen steht das subjektive Erleben als ‘Forschungsgegenstand’ je nach Ansatz eher am Rande, spielt je nach Ansatz eine unterschiedlich wichtige Rolle. So gibt es Untersuchungen, a.
b.
die das subjektive Gefühl nicht ausschließlich, sondern zusammen mit Fragen betrachten, die dem jeweiligen emotionstheoretischen Ansatz (z.B. kognitive, physiologische, ausdrucksorientierte Richtungen etc.) eigen sind. In der ansatzspezifischen Perspektive besteht die Neigung, das subjektive Gefühl als Begleiterscheinung oder verschmolzen mit bestimmten Komponenten zu sehen; die das subjektive Gefühl zum eigenständigen Forschungsschwerpunkt erheben. Das heißt, es geht darum, Gefühlskategorien oder -dimensionen zu erarbeiten und die Alltagssprache zu analysieren.
zu a: Gefühl im Licht emotionstheoretischer Ansätze. Folgende Auffassungen begreifen das subjektive Gefühl eher als Begleiterscheinung oder als verschmolzen mit bestimmten Komponenten: Einigen ausdruckstheoretischen Ansätzen zufolge drückt sich das (angenehme oder unangenehme) Erleben eines Reizes in der Mimik aus.64 In physiologischen Ansätzen wird das Erleben verknüpft mit körperlichen Erregungsmustern oder Veränderungen; für Ärger sind dies etwa hohe Muskelspannung, erhöhte Atem- und Herzfrequenz, Unruhe, Schwitzen. Das heißt, das Erleben ist bestimmt von körperlichen Vorgängen.65 In der handlungstheoretischen Sicht von Frijda (z.B. et al. 1989, s. Pkt. 4.4 ‘Ärger und Handeln’) sind Emotionen vor allem bewusst erlebte Handlungstendenzen, und viele kognitive Ansätze sehen Kognitionen (‘positiv’, ‘negativ’, ‘ich bin bedroht’) als wesentlichen Bestandteil des Erlebens. Weber (1994: 41) kritisiert, dass die genuin subjektiven Gefühlsqualitäten ‘positiv/negativ’ in kognitive Klassifikationen eingegangen sind, wo sie nicht hingehörten. Aus einer ebenfalls kognitiven Perspektive diskutiert Clore (1994) einen weiteren Aspekt subjektiven Erlebens. Gemeint ist die erlebte Intensität einer Emotion, die – so die Hypothese – mit der Wichtigkeit der subjektiven Ziele und Belange einer Person variiere. So würde 64 65
Vgl. etwa die Arbeiten von Ekman, z.B. 1984; ein Gespräch mit Paul Ekman in Psychologie heute (2001). Vgl. als bedeutenden Vertreter dieser Theorierichtung William James (1884; 1894); Überblicke zu Feedbacktheorien geben z.B. Meyer et al. (2001); Izard (1999); Ulich (1995).
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sich zum Beispiel umso intensiver und gegebenenfalls auch zeitlich länger ärgern, wer ein in seiner Zielhierarchie vergleichsweise wichtiges Ziel vereitelt sähe. Es liegen zu der Hypothese nur wenige Studien vor, und deren Ergebnisse sprechen für die Annahme. Ergänzend sei eine Beobachtung von Ekman und Friesen (1975, zit. nach Weber 1994: 41)66 berichtet. Sie meinen, dass Ärger auch positiv erlebt werden kann. „Hedonistisch getönt ist dabei nicht die Erleichterung, die sich einstellt, wenn eine Ärgerepisode endet – nein, es handele sich dabei um das genuine Vergnügen am Ärgerlichsein“ (Weber 1994: 41; vgl. Pkt. 13.6 ‘Exkurs: Ärger und Spaß’). INSGESAMT bleibt bei diesen Betrachtungen die Kenntnislage zum subjektiven Erleben unübersichtlich. Es gibt Versuche, die vielfältigen Gesichtspunkte zum emotionalen Erleben zu reduzieren und zu systematisieren, indem zum Beispiel die Alltagssprache (Wortwahl, Gefühlsmetaphern) analysiert wird oder (globale) Gefühlskategorien und/oder Dimensionen gebildet werden. zu b: Gefühlskategorien / Dimensionen. Einer der ersten, der Dimensionen benannte, war 1874 Wilhelm Wundt (vgl. etwa Schneider/Scherer 1988: 276; Weber 1994: 42; Traxel / Heide 1961: 181). Er ging davon aus, dass sich fast jedes Gefühl in einem dreidimensionalen Raum durch die Gegensatzpaare (Dimensionen) „Lust-Unlust“, „Erregung-Beruhigung“ und „Spannung-Lösung“ beschreiben lasse. Allerdings ordnete er den Dimensionen nicht Einzelgefühle zu. In späteren Arbeiten anderer Forscher finden sich besonders die ersten beiden Dimensionen von Wundt wieder, also „Lust-Unlust“ und „Erregung-Beruhigung“, die auch als „unangenehm-angenehm“ und „aktiv-passiv“ bezeichnet werden. Recht bekannt geworden67 ist das Circumplex-Modell, das Russell (1980; 1978) durch die Verknüpfung des kategorialen und des dimensionalen Ansatzes entwarf. Das heißt, Versuchspersonen sollten 28 Wörter auf acht Emotionskategorien verteilen (z.B. wurde ‘angry’ der Kategorie ‘Distress’ und/oder ‘Excitement’ zugewiesen). Danach waren die Kategorien kreisförmig anzuordnen. In einer Folgestudie ermittelte er Ähnlichkeiten zwischen Emotionen. Aufgrund der Studienergebnisse reduzierte Russel emotionales Erleben auf zwei Dimensionen, nämlich unangenehm-angenehm und aktiv-passiv. Mit diesen beiden Dimensionen schlägt Russel ein kreisförmiges Emotionsmodell vor, und auf dem Emoti66 67
Ekman, Paul / Friesen, Wallace V. (1975): Unmasking the face: A guide to recognizing emotions from facial clues. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall. Es kann hier kein erschöpfender Überblick über die vorliegenden Klassifikationsversuche gegeben werden. Für Überblicke vgl. zum Beispiel Schmidt-Atzert (1996: 86-102); Izard (1999); Traxel und Heide (1961).
4 Theorie Ärgerforschung
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onskreis ordnet er einzelne Emotionen an. Sein Modell ist – leicht modifiziert68 – in Abbildung 1 zu sehen. Abbildung 1: Circumplex Modell der Emotionen von Russell (1980) (Ausschnitt; modifiziert) aktiv / Erregung ängstlich angespannt verärgert
erregt entzückt
froh
unangenehm
angenehm
traurig zufrieden gelangweilt müde passiv / Ruhe
Russell sortiert Ärger in den Quadranten ‘unangenehm-erregt’, wobei er eine hohe Ausprägung von ‘erregt’, und eine niedrige von ‘unangenehm’ annimmt. Empirische Studien bestätigen diese Zuordnung nicht, ‘Sich ärgern’ wird als deutlich unangenehmer und weniger erregt eingeschätzt als es im Russelschen Circumplex-Modell abgebildet ist. KRITIK. Grundsätzlich lassen sich emotionale Zustände mit den beiden bipolaren, voneinander unabhängigen Dimensionen beschreiben (vgl. SchmidtAtzert 2000: 43). Gleichwohl liegen darin auch einige Schwächen. Zum einen ist der Begriff der Erregung mehrdeutig, er kann sich auf Grade der Wachheit/Müdigkeit anstatt auf Erregung/Ruhe beziehen. Ferner sind diese Dimensionen als solche nicht emotionsspezifisch. Auch Gemälde oder Tiere lassen sich durch sie beschreiben. Die Dimensionen sagen über Emotionen also nur wenig aus, und so reichen die beiden Dimensionen im Russelschen Modell nicht aus, 68
Die Modifikation des Modells erfolgte auch unter Berücksichtigung von Schneider/Scherer (1988: 276f.) und Schmidt-Atzert (1996: 93).
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wenn es darum geht, Emotionen zu differenzieren. Zum Beispiel sind die sehr verschiedenen Emotionen Angst und Ärger dicht beieinander platziert. Last not least wird die kreisförmige Anordnung nicht immer bestätigt (vgl. für eine Diskussion Schmidt-Atzert 1996: 89, 94; ders. 2000: 39-43; Scherer 1996: 322f.). Anders als in den Arbeiten, die emotionales Erleben durch zwei oder drei Dimensionen beschreiben wollten,69 gingen Bartlett und Izard (1972) vor. Sie untersuchten das subjektive Erleben von acht Grundemotionen, indem sie Versuchspersonen anwiesen, sich eine Situation in Erinnerung zu rufen, in der sie eine bestimmte Emotion stark empfunden hatten. Das jeweilige subjektive Erleben sollten die Befragten auf Schätzskalen mit acht Dimensionen angeben: Wie aktiv (1), bedacht (2), angespannt (3), impulsiv (4), kontrolliert (5), selbstsicher (6), extravertiert (7), und angenehm (8) sie bei Ärger dachten, sich fühlten und verhielten wurde wie folgt bewertet: Hohe Werte (+) für: + Impulsivität + Aktiviertheit + Selbstsicherheit + Extraversion + Anspannung + Bedachtsamkeit
Niedrige Werte (–) für: – Angenehmheit – Kontrolliertheit
Aus Izards späterer Sicht, bei der er sich weitgehend auf diese Werte stützt, wird Ärger/Zorn (anger) als relativ unangenehm und begleitet von starker Impulsivität erlebt, und „die Kombination von Muskelspannung (Stärke), Selbstbewusstsein und Impulsivität macht die Bereitschaft des Individuums verständlich, zuzuschlagen oder sich in einer anderen Art motorischer Aktivität zu engagieren“ (Izard 1999: 371). Weber (1994: 43) merkt an, dass in den hohen Werten für Impulsivität und Bedachtsamkeit ein Widerspruch liegt. Erwähnt sei schließlich der Vorschlag, Emotionen durch die Dimensionen ‘positiver/negativer Affekt’ zu beschreiben (Watson/Clark/Tellegen 1988). Abgesehen davon, dass sich einige methodische Probleme ergaben (vgl. SchmidtAtzert 2000: 42), überschneidet sich positiver/negativer Affekt inhaltlich mit dem Erleben angenehm-unangenehm. Ferner räumen Watson und Clark ein, dass ihre Dimensionen global und weitere Unterteilungen sinnvoll seien (Wat-
69
Vgl. auch die Arbeiten von Traxel und Heide (1961) oder Daly, Lancee und Polivy (1983). Letztere ergänzten Russels Modell um die Dimension der Erlebnistiefe. Ärger ist in deren Studie nicht systematisch analysiert.
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son/Clark 1992). Insofern stellt die Sichtweise von Watson und Kollegen keine Alternative dar. Alltagssprache. Ein sehr wichtiger Zugang zu Gefühlszuständen ist die Art und Weise, wie wir über Emotionen reden. Der Emotionswortschatz hat große Beachtung gefunden.70 In allen sprachbasierten Analysen finden sich nach Weber (1994: 45; 1999: 140f.) für Ärger die Merkmale der Aktiviertheit und der motorischen Unruhe (z.B. ‘in die Luft gehen’, ‘krabbelig werden’) sowie Gefühle von Kontrollverlust und Anspannung (z.B. ‘der Geduldsfaden reißt’) und teilweise auch die Merkmale der Stärke und Macht (Zitate in Klammern entnommen aus Dornseiff 1970: 318). Diese Merkmale zeigen sich auch in den Ärgermetaphern, die der ungarische Linguist Kövecses (1986; vgl. auch Lakoff/Kövecses 1983) in der angloamerikanischen Sprache fand. Die Metaphern beinhalten vor allem die mit Hitze und Druck verbundene Körperlichkeit,71 so könnte man an das Geschehen in einem Behälter denken, wenn wir zum Beispiel ‘vor Wut kochen’, ‘Dampf ablassen’ oder spüren, wie sich ‘der Ärger langsam aufbaut’ (vgl. Lakoff/Kövecses 1983; Mees 1992: 76f.; Bergknapp 2002: 52f.). „Widersprüchlich sind die Aussagen, wie angenehm/unangenehm Ärger erlebt wird. Es hat aber den Anschein, als könne er eine ebenso genußvolle wie quälende Erfahrung sein“ (Weber 1994: 46). Ähnlich sieht Izard (1999) – wenn auch unter einem anderen Aspekt –, dass bestimmte Gefühle wie etwa Zorn nicht kategorisch als negativ oder schlecht bezeichnet werden können. „Zorn korreliert manchmal mit Überleben und noch häufiger mit der Verteidigung und Aufrechterhaltung von persönlicher Integrität und dem Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit“ (Izard 1999: 25). FERNSEHÄRGER. Ein Ziel dieser Arbeit ist es, dem subjektiven Erleben von Fernsehärger nachzugehen. Wie die Ausführungen zeigen, kann das subjektive Erleben verschiedene Facetten haben, und sie sind nicht leicht aufzuspüren. Erleben ist komplex, es lässt sich analytisch differenzieren in verschiedene Aspekte, die allerdings keine eigenständigen Entitäten sind. Solche Aspekte sind etwa Kognitionen, Intentionen, Motivationen, Impulse, bestimmte Empfindungen und so fort (vgl. Fiehler 1990: 53). Ferner kann Erleben aus Handlungen resultieren, diese begleiten oder auslösen. Insgesamt ist das Erleben permanent 70
71
Für einen sehr guten Überblick vgl. Fiehler (1990: 17f.,115f.). Erwähnt sei beispielhaft Dornseiff (1970: 301-338), der für den deutschsprachigen Raum Wörter und Redeweisen zu Erlebensformen und Emotionen zusammengestellt hat. Die Bildlichkeit und idiomatischen Wendungen wurden für die deutsche Sprache von Steinig (1981) und für den englischamerikanischen Wortschatz von Lakoff und Kövecses (1983), Kövecses (1986), Davitz (1970), Davitz und Mattis (1964) betrachtet. Daraus kann man freilich nicht auf die tatsächlichen physiologischen Vorgänge schließen.
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am Werk, „zeitlich variiert lediglich die Art des Erlebens und seine Intensität“ (Fiehler 1990: 53). Angesichts all dessen konzentriert sich diese Arbeit darauf zu erfahren, ob Fernsehärger als belastend erlebt wird, ob er angenehm sein und Spaß machen kann und ob und mit welchen Handlungen oder Handlungsabsichten er einhergeht. Auch die Angaben zur Intensität des Fernsehärgers werden untersucht.
4.6 Ärger und sinnverwandte Begriffe sowie Aggression 4.6.1 Ärger und sinnverwandte Begriffe Der Begriff Ärger steht im allgemeinen Sprachgebrauch in einer Reihe von Begriffen, die ähnlich oder synonym verwendet werden (vgl. Fichten 1992: 96), und dies könnte sich auch im Interview zu Fernsehärger zutragen. Damit wird das methodische Problem der ‘Kommunikation in der Forschungssituation’ und das, wie Ärger valide durch eine Befragung erfasst wird, berührt (vgl. dazu Pkt. 6.2 ‘Validität’). Da die ärgeraffinen Begriffe zugleich ein präziseres Verständnis von Ärger und seinen Variationen liefern, sollen sie nicht erst im Methodenteil (Kap. 6), sondern in diesem Abschnitt besprochen werden. Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, dass die ausgewählten Begriffe in dieser Arbeit ausgeschlossen werden sollen oder dass sie etwas anderes sind als Ärger. Sie alle stehen mit Ärger in Verbindung, sei es, dass sie ihn fördern, sei es, dass sie ihn variieren. Folgende Begriffe werden häufig mit Ärger gleichgesetzt oder sinnverwandt benutzt: y Enttäuschung y Frustration y Empörung y Ärgernis y Gereiztheit y Wut y Zorn y Hass. Es gibt darüber hinaus freilich noch viele ärgernahe Emotionswörter72 mehr, doch es soll hier bei den Wörtern mit vergleichsweise großen Affinitäten bleiben. Die inhaltlichen Abgrenzungen sind nicht als vollständig oder gar endgültig zu verstehen, da klar abgegrenzte Definitionen (noch) nicht vorliegen. Freilich mindern diese Einschränkungen nicht den Nutzen. Der Nutzen besteht also in der Präzisierung des Ärgerbegriffs. Betrachten wir die Begriffe im Einzelnen. ENTTÄUSCHUNG. Hier bleibt ein erwünschtes Ereignis entgegen der Erwartung aus. Ärger kann, muss aber nicht auf eine Enttäuschung folgen (vgl. Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’). 72
Dies sind etwa Eifersucht, Neid, Abneigung und so fort.
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FRUSTRATION. Frustration entsteht durch Ereignisse, die uns an der Befriedigung eines Bedürfnisses oder am Erreichen eines Zieles hindern. Die Blockierung einer Handlung zeigt sich zum Beispiel in Misserfolg, Konflikt, Ablenkung, Barrieren (vgl. Hodapp et al. 1993: 14). Frustrationen haben eine Erregung und (dann) häufig auch einen emotionalen Zustand zur Folge, so etwa Ärger (vgl. Verres / Sobez 1980: 150). EMPÖRUNG. Das wahrgenommene Handeln einer anderen Person ruft Empörung hervor. Dieses Handeln wird als Verstoß gegen eine subjektiv bedeutsame moralische73 Norm bewertet, und es besteht eine Handlungs-, d.h. Auflehnungstendenz. Zwei hervorstechende Unterschiede zu Ärger seien benannt: Erstens kann eigenes Handeln nicht zum Objekt der Empörung werden, zweitens gelten bei Ärger auch subjektiv gesetzte Normen (vgl. zu Empörung Neppl und Boll 1991; Montada 1989). ÄRGERNIS (ENGL. ANNOYANCE) / GEREIZTHEIT (ENGL. IRRITATION). Etymologisch wird Ärgernis (als ‘objektiver Tatbestand’) „entweder i. S. von ‘kleiner Ärger’ verwendet oder i. S. von ‘öffentliches Ärgernis (erregen)’, also konsensbezogen“ (Mees 1991: 136). Das englische Wort ‘Annoyance’ kann mit Ärgernis übersetzt werden. Mit ‘Ärgernis’ ist es zwar nicht adäquat, wohl aber annähernd gut ins Deutsche übersetzt. Gelegentlich wird Annoyance auch mit Gereiztheit übersetzt, wofür m. E. im Englischen eher das Wort ‘Irritation’ steht. ‘Annoyers’ sind aversive Reize unterschiedlichster Art, zum Beispiel physikalische Reize (helles Licht, Gerüche, Geräusche) oder soziale Reize (äußere Erscheinung, Manieren von Personen). Ärgernis ist bislang nur zirkulär definiert: Ärgernisse sind Dinge oder Geschehnisse, die Ärger oder Gereiztheit erzeugen können (vgl. Weber 1994: 120, 126; vgl. dazu auch Averill 1983). Averill (1982) versuchte, Ärger und Gereiztheit empirisch zu unterscheiden. Es zeigte sich, dass sich die Konzepte überlappen. Gereiztheit scheint im Vergleich zu Ärger allerdings weniger intensiv und zeitlich kürzer erlebt zu werden und in geringerem Maße mit einer Schuldzuschreibung und mit einem Handlungsimpuls verbunden zu sein (vgl. Averill 1982: 229-252). Weber (1994: 126) schlägt daher vor, „Ärger für ‘Schuldfälle’ zu reservieren und die Ärgernisse dem verwandten aber eben nicht identischen Zustand der Gereiztheit zuzuschlagen“. WUT. Die Unterscheidung des Ärgers von der Wut ist bislang noch spekulativ. Wut wird als die intensivere Variante von Ärger angesehen, das heißt, die 73
Moralische Normen sind weitgehend äußerlich vorgeschrieben und nicht von einem Subjekt willkürlich bestimmbar. „Ein Beispiel: ‘Du darfst nicht stehlen, und zwar nicht, weil ich es nicht gut finde, sondern weil es gegen ein allgemeines, höheres Gebot verstößt, wenn du stiehlst’“ (Neppl/Boll 1991: 92).
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Erregung ist höher als bei Ärger. Für die Wut wird darüber hinaus angenommen, dass die Situation als neu bzw. persönlich relevanter und dringlicher beurteilt wird. Anders als Hass (s.u.) kann Wut als momentane Reaktion auf eine aktuelle Störung verstanden werden (vgl. Montada 1989: 301). Dabei wird die Macht, Änderungen zu bewirken, subjektiv als größer eingeschätzt als bei Ärger (vgl. Scherer 1984). Für Ärger und Wut erscheint es zweckmäßig, einen nahtlosen Übergang anzunehmen, also von einem Ärger/Wut-Affekt zu sprechen (vgl. Selg 1992: 190; vgl. auch Weber 1994: 13). ZORN. Zorn kann ebenso wie Wut als die intensivere Variante von Ärger angesehen werden. Die Etymologie benennt allerdings einige Unterschiede zur Wut. Bei Zorn ist die aktionale und expressive Komponente stärker betont als bei der Wut, und Zorn gilt als weniger irrational, vielfach sogar als gerecht (vgl. Bergknapp 2002: 75). Es gibt die ungeklärte Annahme, dass es Zorn ist (und nicht Wut oder Ärger), der bei Verletzung von Normen und Regeln entsteht. HASS. „Hass kann aus Wut hervorgehen“ (Bergknapp 2002: 9374). Er ist allerdings „weniger eine kurzzeitige Gefühlsregung als vielmehr eine überdauernde intensive Einstellung gegen etwas oder jemand“ (Selg et al. 1997: 10). Hass ist mit einer Schädigungsabsicht verknüpft. Das aus Hass folgende (feindselige) Verhalten enthält also eine aggressive Komponente, während Ärger auch frei von aggressiven Verhaltenstendenzen sein kann (vgl. Steffgen 1993: 13; Bergknapp 2002: 93; Montada 1989: 301). Im nächsten Abschnitt wird dieser Zusammenhang aufgegriffen.
4.6.2 Ärger und Aggression Im Alltag wie in der Wissenschaft kommt es vor, dass Ärger und Aggression nicht voneinander unterschieden werden. Auch wenn eine Verbindung oder Verwandtschaft zwischen Ärger und Aggression besteht (s.u. in diesem Abschnitt), so handelt es sich doch um unterschiedliche Konzepte. Sie sollen im Folgenden geklärt werden. Dies geschieht nicht allein um der theoretischen Klarheit willen, sondern auch, weil im Interview nach Reaktionen auf Fernsehärger gefragt werden wird. Aggression könnte eine solche sein. Betrachten wir also die Begriffe und wie sie zusammenhängen. ÄRGER, AGGRESSION, AGGRESSIONSKLASSEN. Aggression ist ein Verhalten, nicht aber – wie Ärger – eine Emotion. Aggressives Verhalten dient dem Zweck, 74
Bergknapp bezieht sich dabei auf folgende Quelle: Haubl, R. (2000): Über Hass, Neid und Gewaltbereitschaft. ZDF-Nachtstudio (Hrsg.): Große Gefühle. Bausteine menschlichen Verhaltens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 47-75.
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Schaden anzurichten oder schädigende Reize gegen einen Organismus/-ersatz auszuteilen. Ferner ist Aggression dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten als gerichtet interpretiert werden kann (vgl. Selg 1992: 190). Es zeigen sich verschiedene Facetten von Aggressionen, für die Feshbach (1964) und Fürntratt (1974) drei Aggressionsklassen bildeten. Diese lassen sich nach ihrer Motivation unterscheiden, und in zwei der drei Klassen ist Ärger involviert: y Feindselige (hostile) Aggression. Unbill wird erfahren; dem Provokateur soll geschadet oder Schmerz zugefügt werden. Feindseligkeit ist intrinsisch motiviert, ärgerliche Gefühle sind beteiligt, aber im überwiegenden Maße auch Einstellungen und Motive, die die Zerstörung von Objekten und die Verletzung von Personen beinhalten und somit eine destruktive Komponente (vgl. Schwenkmetzger et al. 1992: 10; Selg 1992: 191; Steffgen 1993: 13). So ist feindselige Aggression darauf gerichtet, dem Provokateur zu schaden (vgl. Hilke/Kempf 1982: 117; Weber 1994: 150). y Expressive Aggression. Expressive Handlungen streben danach, eine Störung zu beseitigen, eine Spannung aufzuheben. Ärger ist insofern beteiligt, als er die Aggression bedingt haben kann oder das aggressive Verhalten begleitet. Die expressive Aggression kann ungerichtet sein. Für den impulsiven, ungerichteten Ärger-/Wut-Ausbruch schlägt Selg (1992: 190) vor, ihn nicht als Aggression sondern als Ausdrucksverhalten einzustufen, solange er ungerichtet ist. Grundsätzlich kann ein Ausdrucksverhalten in eine gerichtete, i.e. intrinsisch motivierte Handlung (ein Motiv ist etwa Vergeltung) und damit in eine Aggression übergehen. y Instrumentelle Aggression. Aggression wird als Mittel (Instrument) eingesetzt, um ein nicht-aggressives Ziel wie etwa Anerkennung oder Besitz (z.B. durch einen Banküberfall) zu erreichen, wenn ein anderer Weg zur Problemlösung nicht gesehen wird. Das Ziel liegt dabei außerhalb der aggressiven Handlung (extrinsische Motivation), wobei Schädigungen oder Schmerzzufügungen nicht angestrebt, aber auch nicht unbedingt vermieden werden (so im Beispiel des Bankräubers). Zur instrumentellen Aggression zählen ferner Verhaltensweisen, die auf Schutz oder Schadensabwendung zielen. Bei instrumenteller Aggression ist Ärger nicht von vornherein eingebunden (Weber 1994: 55). Wer zum Beispiel eine Bank überfällt, tut dies in der Regel nicht, weil er sich über die Bank ärgert. „Eine instrumentelle Aggression kann sogar mehr furcht- als ärger/wutbegleitet sein“ (Selg 1992: 191). Neben diesen Unterscheidungen können Aggressionen auch nach anderen Kriterien unterteilt werden. So fragen Berkowitz und Zillman (vgl. Bierhoff und
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Wagner 1998: 6) danach, ob eine Aggression provoziert oder unprovoziert erfolgt, offen oder defensiv ausgeführt wird.75 VERBINDUNG ZWISCHEN ÄRGER UND AGGRESSION. Wie sich bei den soeben berichteten Aggressionsklassen zeigte, können Ärger und Aggression in einer Verbindung stehen, müssen es aber nicht. Es gibt Aggression ohne sowie mit Ärger, und es gibt Ärger ohne und mit darauf folgender Aggression. In theoretischen Ansätzen zur Aggressionsforschung wurden Ärger und seine Bezüge zur Aggression lange Zeit nicht gesehen oder ausgearbeitet. Instinkt- und triebtheoretische Erklärungsansätze (z.B. von Konrad Lorenz oder Sigmund Freud) begreifen Aggression als ein angeborenes Instinkt- oder Triebgeschehen; Ärger wird beiläufig erwähnt, aber theoretisch nicht integriert oder ausdifferenziert. Eine weitere, sehr einflussreiche Aggressionstheorie ist die FrustrationsAggressions-Theorie (F-A-Theorie), die Dollard, Doob, Miller, Mowrer und Sears (Yale-Gruppe) 1939 in die Diskussion bringen. Zu diesem Zeitpunkt sind in der F-A-Theorie behavioristische Denkweisen deutlich erkennbar, Gedanken im Sinne der (kognitiven) Lerntheorie deuten sich an,76 werden aber erst später vor allem durch Berkowitz und Bandura (s.u.) expliziert; Hinweise auf Ärger enthält die Theorie 1939 nicht. Zur Theorie: In der F-A-Therorie von 1939 standen zwei frustrationstheoretische Grundannahmen, die mehr als zwei Jahrzehnte vorherrschten: „1. Aggression ist stets eine Folge von Frustration 2. Frustration führt stets zu einer Form der Aggression. Als Frustration gilt dabei die Störung einer bestehenden zielgerichteten Aktivität; als Aggression gilt jede Verhaltenssequenz, die auf die Verletzung einer Person oder eines Ersatzobjektes abzielt“ (Übersetzung nach Selg et al. 1997: 23). Die Grundannahmen der Yale-Gruppe haben sich in dieser strengen Form nicht halten lassen. Abgesehen davon, dass Frustration (Störereignis) nicht Frustriertsein bedeutet und die Begriffe nicht voneinander unterschieden wurden (vgl. Selg et al. 1997: 23) ist „Frustration (…) weder notwendig noch hinreichend für Aggression“ (Mees 1992: 36). So geht zum Beispiel instrumenteller Aggression keine Frustration voraus, und es gibt Frustration ohne Aggression, zum Beispiel dann, wenn eine frustrierte Person die Frustration als unbeabsichtigt oder gerechtfertigt ansieht (vgl. Heckhausen 2003: 320). Das heißt zugleich, dass auch andere Mög75 76
Als eine tendenziell ‘nicht offene Aggression’ kann beispielsweise das Schweigen angesehen werden. Hierzu ist in der Forschung noch wenig bekannt (vgl. Micus 2002). Sie betreffen besonders die Dauerwirkungen von Aggressionsreaktionen (vgl. Kornadt 1982: 87).
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lichkeiten, auf Frustration zu reagieren, ins Spiel kommen. Eine Möglichkeit ist Ärger, und es war besonders77 Berkowitz, der 1962 die F-A-Hypothese erweiterte (vgl. zusammenfassend Berkowitz 1989), indem er in die Sequenz der YaleGruppe Frustration Æ Aggression zwei intervenierende Variablen einfügte: Frustration Æ Anger (Ärger/Wut/Zorn)78 « auslösende Reize Æ Aggression. ‘Anger’ ist als antreibende Variable zu verstehen, die auslösenden Reize als richtunggebende Variable. Berkowitz (1962) nahm also an, dass auf Frustration eine interpretationsabhängige emotionale Reaktion wie etwa Ärger/Wut folge. Ärger ist zwar eine sehr entscheidende, das heißt notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für aggressives Verhalten. Zu welchem spezifischen Verhalten die frustrierende Blockade führt, hängt nämlich weiter von den auslösenden Reizen (in der Situation) ab. Aggressionsfördernd sind diese Reize, wenn sie als mit der Ärgerquelle (Verursacher) direkt oder indirekt (z.B. Gedanken) zusammenhängend empfunden werden. Berkowitz revidierte seine Sicht, Reize als zwingende Variable für Aggression anzusehen, indem er die Mechanismen bei instrumenteller Aggression berücksichtigte. Es bedarf also der Reize nicht unbedingt, um aggressiv zu handeln. Kommt es zu einer aggressiven Handlung, so kann sie nach Berkowitz (1962: 32) durch die Stärke des Ärgers und durch Hinweisreize mit aggressionsthematischem Inhalt (z.B. man sieht sich durch den Anblick von Waffen provoziert) intensiviert werden. Die auf Frustration folgende emotionale Reaktion hielt Berkowitz für angeboren, und er schloss auch eine angeborene Beziehung zwischen Ärger/Wut und dem aggressiven Verhalten nicht aus. Allerdings billigt Berkowitz den modifizierenden Einfluss von Lernerfahrungen und den Bedingungen einer Situation zu. Wird die Situation (überhaupt) als frustrierend interpretiert? Gibt es in der Situation Hinweisreize, die mit Aggression verknüpft sind (z.B. Waffen) und aggressives Verhalten begünstigen? Welche alternativen Reaktionstendenzen auf 77 78
Als namhafter Aggressionsforscher, der ebenso den Ärger bedachte, muss Buss (1961) erwähnt werden. Berkowitz nimmt alternativ zu ‘Anger’ auch Furcht als Reaktion auf Frustration an. Zu Furcht kann es kommen, wenn eine Bedrohung als zu groß erscheint oder wenn erwartet wird, dass auf das eigene aggressive Verhalten eine großen Schaden anrichtende Gegenaggression folgt. Allerdings kann Furcht auch in Aggression münden, nämlich dann, wenn ein Entkommen aus einer aversiven Situation nicht auf andere Weise möglich ist (vgl. Berkowitz 1999: 422). – Da hier die Verbindung zu Ärger interessiert, werden die Überlegungen zu Furcht nicht weiter verfolgt.
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Frustration sind dem Individuum verfügbar? Gibt es (auch) Faktoren in der Situation oder Person, die eine Aggression hemmen? – Was zu diesem Zeitpunkt trotz der lerntheoretischen Zusatzannahmen in seinen Überlegungen bleibt, ist die konzeptionell sehr enge (kausale) Verknüpfung von Frustration, Ärger und Aggression, eine Konzeption, der Denkspuren der klassischen Konditionierung und somit eine Schub-Auffassung (push) des Verhaltens innewohnt (vgl. Heckhausen 2003: 320). Berkowitz wird seine Annahmen später überarbeiten (s.u.). Die enge Verzahnung der Frustration und Aggression, wie sie die YaleGruppe vertrat, bestritt in den siebziger Jahren auch Bandura (1973). Er war am Paradigma des instrumentellen Lernens orientiert, und begründete die sozialkognitive Lerntheorie (Lernen am Modell) – ein Ansatz, der die Diskussion um die F-A-Theorie bedeutend bereicherte. Ausgangspunkt in Banduras Konzeption sind nicht Frustrationen, sondern – ganz unspezifisch – aversive Ereignisse.79 Darauf folgt eine Erregung (arousal), die jedes Verhalten intensivieren kann. Offen ist, welches Verhalten folgt, offen ist, welche Emotion erlebt wird. Erst durch eine subjektive Interpretation wird die Erregung mit einer Emotion etikettiert, wobei persönliche und situative (Kontext-)Faktoren auf das Interpretationsergebnis einwirken. Wird also zum Beispiel die Situation ärgerspezifisch interpretiert, so wird die Erregung nachträglich mit Ärger etikettiert, wobei die (Intensität der) Erregung das folgende Verhalten beeinflussen kann. Ob mit aggressivem Verhalten reagiert wird, ist beeinflusst von der Lerngeschichte. Lerntheoretisch betrachtet ist Aggression überwiegend erlernt, und zwar so wie jedes andere Verhalten (z.B. Fahrradfahren, Schreiben, Sprechen) auch. Selbst die Bereitschaft zu Aggression, die Lust dazu oder auch der Drang danach werden als vornehmlich gelernt angesehen; angeborene Komponenten werden eingeräumt, spielen aber eine geringe Rolle. Für das Erlernen aggressiven Verhaltens ist es wesentlich, ob und wie häufig ein Individuum mit aggressivem Verhalten erfolgreich ist, scheitert oder dafür belohnt wird. Hierbei sind nicht nur die eigenen positiven oder negativen Erfahrungen maßgebend, sondern auch die beobachteten Reaktionen eines Modells zum Beispiel in Familie, Peer-Group oder Medien.80 Das heißt, fördernd für aggressives Verhalten sind aggressive Vorbilder (Modelle). Je nach Lerngeschichte sind also bei einer Ärger/Wut-Interpretation viele Reaktionen möglich, neben Aggression zum Beispiel konstruktives Problemlösen, Rückzug, Traurigkeit. Aggression ist somit eine Verhaltens79
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Dabei weist Bandura darauf hin, dass das aversive Ereignis nicht aktuell gegeben sein muss. So kann etwa ein Ärger/Wut-Affekt auch dadurch ausgelöst werden, dass man sich an ein vergangenes Ereignis erinnert, es sich vergegenwärtigt (vgl. Bandura 1973: 73; Selg 1992: 195). Vgl. z.B. Bandura und Walters (1971); Bandura (1973); für eine Übersicht vgl. Hilke/Kempf (1982); Selg (1992: 198f.), Selg et al. (1997: 27ff.); Micus (2002).
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möglichkeit unter vielen, sie wird um so eher gewählt, je dominanter eine Person sie im Leben erfahren hat und je weniger sie die Anreize der vorweggenommenen Folgen als ungünstig einschätzt. Hier zeigt sich eine theoretische Facette, die sich an einer anreiztheoretischen Zug-Konzeption (pull) des Verhaltens orientiert (vgl. Heckhausen 2003: 321); mit anderen Worten: Das Verhalten wird nicht als triebbestimmt aufgefasst, sondern Handelnde fühlen sich von einem (attraktiven) Ziel angezogen. Die Funktion von Aggressionen ist in lernpsychologischer Perspektive nicht adaptiv (s. Pkt. 4.4 ‘Ärger und Handeln’), sondern darauf gerichtet, einem affektbedingten Spannungsabbau zu dienen oder einen Ärgeranlass zu beseitigen (vgl. Selg et al. 1997: 36f.). Während Berkowitz dem Ärger eine sehr, wenn auch nicht alles entscheidende Vermittlungsposition zwischen Frustration und Aggression zuweist, ist in Banduras Überlegungen zur F-A-Theorie Ärger nicht zentral. Ärger kann auf die durch aversive Ereignisse hervorgerufene Erregung folgen, und er kann zu Aggression führen, aber eben: er kann. Berkowitz (1989) hat sein ‘Emotions-Verhaltensmodell’ überarbeitet und darin den linear-kausalen Zusammenhang von Ärger hin zu Aggression weiter aufgeweicht. Jetzt geht er nicht mehr davon aus, dass eine Zielblockade (Frustration) negative Emotionen (wie z.B. Ärger) nach sich zieht, sondern die Ausgangsgröße ist – wie bei Bandura – ein aversives Ereignis. Dazu zählen alle negativen Ereignisse inklusive unangenehme Bedingungen wie etwa Schmerz, schlechte Gerüche, Hitze, Kälte, Lärm, die keine Frustrationen darstellen, aber ebenso und nachweislich Ärger und bedingt auch aggressive Tendenzen begünstigen können.81 Nach Berkowitz folgt nun auf ein aversives Ereignis ein negativer Affekt, der mit einem Syndrom aggressions- oder fluchtbezogener Reaktionstendenzen verknüpft ist. Anger und Fear sind in ‘rudimentärer’ Form Teile des Syndroms. Als deutlich differenzierte Gefühle entstehen Anger oder Fear sowie daraufhin ein konkretes Verhalten erst nach weiteren kognitiven Korrektur- und Interpretationsprozessen. In dieser überarbeiteten theoretischen Konzeption, die Berkowitz (1989; 1999) als „kognitiv-neoassoziationistisch“ bezeichnet, geht Ärger der Aggression nicht mehr voraus, sondern Ärger verläuft parallel zu Aggression, er wird zur affektiven und kognitiven Begleiterscheinung. Ärger ist also ausgeklammert, und es ist ein negativer Affekt, der zu Aggression führen kann. Abgesehen davon, dass Berkowitz offen lässt, was unter einem negativen Affekt verstanden werden 81
Berkowitz belegt den Einfluss von Bedingungen wie Kälte usw. in eigenen Studien; auch andere Autoren stellen fest, dass Lärm, klimatische Bedingungen und andere Faktoren Ärger provozieren. Einschlägige Studien bespricht Schmidt-Atzert (1996: 31ff.); s. auch Herkner (1991: 423f.).
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soll, bilden negative Affekte und Aggression konzeptionell eine Einheit. Dasselbe gilt für Ärger und Aggression, da Berkowitz zufolge die Aggressionstendenzen zu Ärgergefühlen führen. An dieser Auffassung kritisiert Weber (1999: 142), dass „die sinnvolle theoretische und empirische Differenzierung zwischen Ärger und Aggression von vornherein verhindert“ werde.82 Dass Ärger und Aggression aber als überwiegend unabhängige Konstrukte konzipiert werden können, führt Weber (1999) aus. Gegen die Sicht des Ärgers als rein atavistischer Kampfemotion nennt sie beispielsweise die begründeten Hinweise sozial-konstruktivistischer Ansätze, die die soziale und kulturspezifische Ausformung von Emotionen betonen. „Ärger ist im allgemeinen mit einer erhöhten physiologischen Aktivierung verbunden, die zwar das Verhalten beeinflussen kann, jedoch nicht zwangsläufig zu aggressivem Verhalten führt. Auch die dem Ärger zugeordnete Handlungsbereitschaft, Widerstand zu zeigen und aufzubegehren, bedeutet nicht, daß dies in destruktiv aggressiver Form geschieht, ebenso wird dem Ärger ein konstruktives Verhaltenspotential zugeschrieben“ (Weber 1999: 142). EMPIRISCHE BEFUNDE. Diese Position unterstreichen die Ergebnisse aus der Untersuchung von Averill,83 die eine der gründlichsten Ärgerstudien ist. Eine Teilgruppe der Stichprobe, 160 Personen, sollte ihre Erfahrungen mit Ärger beschreiben. Zu den häufigsten Ärgerreaktionen zählten nicht-aggressive Formen wie ‘sich beruhigen’ oder ‘mit Dritten über den Anlass sprechen’. 82% der Befragten verspürten einen Impuls zu verbaler oder symbolischer (z.B. Zuwendung entziehen) Aggression, aber nur 49% gaben dem Impuls nach. Von körperlich aggressiven Impulsen berichteten 40% der Befragten, während sich 10% auf physische Weise wehrten. Dazu gehörten am häufigsten Bestrafungen von Kindern (z.B. Klaps), die verbunden waren mit der Absicht, abzuschrecken und nicht zu verletzen. 19% der Befragten gaben an, völlig erwartungswidrig gehandelt zu haben, indem sie sich zum Beispiel extra freundlich gegenüber dem Ärgerverursacher gaben. Zu ähnlichen Ergebnissen wie Averill kommen auch aktuellere Studien. Das heißt, aggressive Ärgerreaktionen werden nicht häufiger festgestellt als nichtaggressive (vgl. etwa die Studien von Weber & Piontek 1995; Whitesell & Harter 1996; Weber 1999). Dass Ärger nicht zwangsläufig in Aggression münden muss, wird auch mit Blick auf das Ordnungsschema der Ärgerreaktionen von 82
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An der Konzeption von Berkowitz wurden weitere Schwächen gesehen. So deckt Weber Tautologien auf (vgl. Weber 1994: 60), und ich stimme Selgs (1992: 194) Wahrnehmung zu, dass Berkowitz „begrifflich wenig prägnant“ ist. Vgl. auch andere Kritikpunkte in Selg et al. (1997: 24). Vgl. Averill (1982: 191ff.); Auszüge aus der Gesamtstudie finden sich in Averill (1983: 1146ff.).
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Weber (1994: 164, vgl. folgende Tabelle 2) deutlich. Sie unterscheidet friedfertige und antagonistische Reaktionen. Mit der Ordnungskategorie ‘antagonistisch’ erfasst sie nicht allein aggressive Reaktionen, sondern weitere, die ohne Schädigungsabsicht sind und ein „Gegensein“ beinhalten, wie etwa Depression oder Selbstvorwürfe. Außerdem ordnet sie die Reaktionen danach, wie ein Individuum einer Ärgersituation begegnet (s. Tabelle 2, linke Spalte ‘Engagement’). Das Schema enthält freilich nicht alle empirisch erhobenen Reaktionen, und die Reaktionen Sport und körperliche Bewegung, Entspannung, Rückzug, Ärger überspielen konnten nicht eindeutig zugeordnet werden, da die Zuordnung von dem Einzelfall abhänge (Weber 1994: 164). Tabelle 2: Ordnungsschema für Formen der Ärgerreaktion (Weber 1994: 164; leichte Formulierungsänderungen, ohne Sinn zu verändern) Engagement Antagonismus Friedfertig Offene und direkte Körperlicher Angriff Beherrschter Ausdruck Auseinandersetzung verbaler Angriff Klärendes Gespräch Gemeinsames Problemlösehandeln Indirekte oder ver Angriff gegen Dritte Gespräche mit Dritten schobene Auseinan- Gewalt gegen Sachen Sachbezogene Problemdersetzung Indirekte Angriffe auf inangriffnahme und Bestrafung von Umleitung in produktive anderen Arbeiten Internalisierte Aus Rachegedanken Situationsanalysen einandersetzung Abwerten des anderen Perspektive des anderen Brüten übernehmen Selbstvorwürfe Akzeptieren/Hinnehmen Selbstmitleid Verzeihen Wunsch- und Tagträume Auseinandersetzung Depression Passiv bleiben wird vermieden Selbstaggression Ärger unterdrücken, Selbstgefährdung wegstecken Ablenkung Bagatellisieren Situation verfremden, umdeuten Humor Halten wir fest: Bevor aggressiv gehandelt wird gibt es offenbar häufig eine Zensur, vielleicht auch eine Hemmung, die wohl sehr wesentlich auf (Lern-)
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Erfahrungen mit Ärger oder Aggressionen beruhen. Ob es zu Aggression kommt, hängt also nicht allein und zwingend von einer Frustration, einer Erregung84 als solcher oder der Emotion Ärger ab, sondern genauso gut von anderen Emotionen und Faktoren und ganz entscheidend von der Entwicklung eines Menschen, von seiner Lerngeschichte, Situationsbeurteilung und seinen Selbstkontrollmöglichkeiten.85
4.7 Emotion und Interaktion Ärger ist – so wurde zu Beginn des Kapitels festgestellt – eine soziale Emotion, das heißt, sie entsteht in der Interaktion. Es ist unbestritten, dass soziale Interaktion immer auch ein emotionales Geschehen ist (vgl. etwa Badura 1990: 317). Zu klären ist somit nicht, dass Emotionen für Interaktionsprozesse von zentraler Bedeutung sind, sondern es ist zu klären, wie Emotionen auf der Interaktionsebene konzeptionell verortet werden können. Theorien wie der Symbolische Interaktionismus, der in der Prägung der Chicagoer School auch rezeptionstheoretisch (vgl. Punkte 3.3 ‘..Nutzen-ansatz..’, 3.4 ‘Parasoziale Interaktion’) und für diese Arbeit von Bedeutung ist (vgl. Kap. 5 ‘Bezugsrahmen’), hat Emotionen eher vernachlässigt (vgl. Fiehler 1990: 24, vgl. auch Denzin 1980: 251). Eine konzeptionelle Verknüpfung von Interaktion und Emotion schlägt nun Fiehler vor. Sie wird hier übernommen und für Fernsehärger präzisiert. Fiehler (1990) weist darauf hin, dass Emotionen sowohl innerindividuelle als auch soziale Phänomene sind. Sodann richtet er sein Augenmerk auf die intersubjektive Komponente, nimmt also eine interaktive und soziale Sicht auf Emotionen ein und untersucht die Rolle von Emotionen in der Interaktion. Er fragt: Mit welchen kommunikativen Verfahren werden Emotionen manifestiert, gedeutet und prozessiert? (vgl. Fiehler 1990: 44). Wie ist deren sozialer Charakter oder wie sind Emotionen sozial geformt? (vgl. Fiehler 1990: 2). In diesen Fragen tauchen die Begriffe Interaktion und Kommunikation auf.86 Für sie ist zentral, was auch für Emotionen zentral ist, nämlich Bewertungen (Appraisal, Kognitionen). Genau hierin, das heißt in BEWERTUNGEN, sieht Fiehler die konzeptionelle Verbindung zwischen Interaktion, Kommunikation und Emotionen. 84 85 86
Vgl. dabei die Erregungs-Transfer-Hypothese von Zillmann (1983). Mehr dazu in Anmerkung 88. Vgl. Selg et al. (1997: 25); für eine ausführliche Diskussion vgl. Selg (1992: 190-206), Selg et al. (1997); Weber (1994, 1999). Diese schwer gegeneinander abgrenzbaren Begriffe sollten – so Fiehler (1990: 28) – kompatibel konzeptualisiert sein. Bei der Art, wie er die Begriffe aufeinander abstimmt, kann Interaktion als der Oberbegriff angesehen werden.
4 Theorie Ärgerforschung
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INTERAKTION. Nach Fiehler ist Interaktion kein Selbstzweck, sondern sie dient dazu, dass Menschen spezifische Zwecke und Ziele realisieren können. Wenn Menschen zur Erreichung der Zwecke und Ziele interagieren, müssen sie vielfältige Aufgaben erfüllen. Vier grundlegende Interaktionsaufgaben bestehen nach Fiehler (1990: 29) darin, dass Akteure:
eine soziale Beziehung, wechselseitige soziale, je unverwechselbare Identitäten, eine gemeinsame soziale Situation und Handlungszusammenhänge (Tätigkeiten, Gespräche etc.).
prozessieren und konstituieren müssen. Aufgaben wie diese stehen nicht in einer strengen Reihenfolge, sondern zwischen ihnen bestehen Beziehungen, sie überschneiden sich, kurz: Es handelt sich um eine komplexe Aufgabenhierarchie. Bei der Bearbeitung der Aufgaben spielen Prozesse der BEWERTUNG und STELLUNGNAHME eine zentrale Rolle, und diese wiederum sind ebenfalls Aufgaben, die individuell oder interaktiv gelöst werden können. Fiehler (1990: 30) verdeutlicht seine Überlegungen am Beispiel der Konstitution und Prozessierung einer sozialen Beziehung. Er sieht drei Teilaufgaben: Aufgabe (1)
Selbstrepräsentation t Ist für die Konstitution und Prozessierung der eigenen Identität relevant Aufgabe (2) Bewertung der Selbstrepräsentation der anderen Person (z.B. ‘Spiel dich nicht so auf.’) t Betrifft die Prozessierung der Identität der anderen Person Aufgabe (3) Bewertung der Stellungnahme der anderen Person zur eigenen Selbstpräsentation (z.B. ‘es enttäuscht mich, daß du mir das nicht zutraust.’) t -- wie bei Aufgabe 1 -Es sind also wechselseitige Stellungnahmen oder Bewertungen der präsentierten sozialen Identitäten, die eine soziale Beziehung herstellen oder beleben. Was ein Individuum somit zu tun hat, ist Aufgaben der Bewertung und der Stellungnahmen zu lösen. Zur Lösung dieser Aufgaben können Personen sich unterschiedlicher Verfahren bedienen. Eines dieser Verfahren sind EMOTIONEN.87 „Das, was 87
Andere Verfahren zur Lösung von Bewertungsaufgaben sind etwa „kognitiv gesteuerte Entscheidungsprozesse oder Prozesse der Präferenzbildung. Die genannten Verfahren haben unterschiedliche Domänen, können aber auf vielfältige Weise zusammenwirken“ (Fiehler 1990: 31).
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4 Theorie Ärgerforschung
wir alltagsweltlich als Emotionen oder emotionale Prozesse bezeichnen, läßt sich – nach seiner Funktion betrachtet – als ein spezifisches Verfahren zur Lösung solcher Aufgaben der Bewertung und Stellungnahme auffassen“ (Fiehler 1990: 31). Ein Teil der Interaktionsaufgaben wird also durch Emotionen gelöst. Begreift man Emotionen als spezifische Lösungsverfahren von Bewertungsaufgaben, so bringt es als eigenständige Größe wiederum Aufgaben mit sich, und Fiehler unterscheidet fünf Typen von Emotionsaufgaben (vgl. Fiehler 1990: 31f.): (1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Typisierung der emotionalen Qualität der gegenwärtigen sozialen Situation t die soziale Situation steht im Zentrum: die Deutung ihrer emotionalen Qualität und das emotionale Erleben der Interagierenden in ihr. Konkreter: Was ist das für eine Situation? Wie wird die emotionale Qualität der Situation bewertet und erlebt? Ist die Situation beängstigend, heiter, neutral? Wie erlebe ich sie – empfinde ich in ihr nichts Besonderes? Wechselseitige Darstellung der eigenen momentanen emotionalen Befindlichkeit (und ihrer Bezugspunkte, das sind z.B. die andere Person, ihre Handlungen, dritte Personen, erinnerte oder antizipierte Situationen und Ereignisse etc.) t soziale Situation steht im Zentrum (siehe bei 1). Wechselseitige Deutung der momentanen emotionalen Befindlichkeit der anderen (und ihrer Bezugspunkte) t soziale Situation steht im Zentrum (siehe bei 1). Typisierung der Emotionalität der beteiligten Personen t die Personen mit ihren emotionalen Qualitäten stehen im Zentrum. Z.B. erfreut, ängstlich, verärgert. Typisierung der emotionalen Qualität der Beziehung zwischen den Interagierenden t Emotionale Qualität der Beziehung steht im Zentrum.
Für Fiehler sind dies also „Emotionsaufgaben der Interaktion“. Als Zusammenfassung bis hierher ergibt sich, dass „die Beteiligten bei der Konstitution und Prozessierung der sozialen Beziehung, ihrer Identität, der sozialen Situation und der Handlungszusammenhänge zugleich auch immer Aufgaben der Bewertung und Stellungnahme zu lösen haben und daß ein Teil dieser Aufgaben auf emotionaler Ebene, durch emotionale Prozesse gelöst wird. Die Emotionen als spezifische Lösungsverfahren für Bewertungsaufgaben bringen ihrerseits wiederum für die Interaktionsbeteiligten spezifische Emotionsaufgaben mit sich. … Sie stellen sich im Verlauf der Interaktion immer wieder von neuem, und jede Aktivität der Beteiligten kann daraufhin analysiert werden, ob und was sie beiträgt zur Bewältigung jeder der fünf Aufgaben“ (Fiehler 1990: 33).
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KOMMUNIKATION. Um zu klären, welche Rolle die Kommunikation von Emotionen im Interaktionsprozess spielt, differenziert Fiehler den Kommunikationsbegriff. Wird er im Allgemeinen aufgefasst als Austausch von Informationen, so fügt Fiehler hinzu, dass es zugleich BEWERTUNGEN sind, die kommuniziert werden. So hat „Kommunikation mindestens zwei prinzipiell gleichberechtigte Aspekte (…): die Verständigung über Sachverhalte und die Verständigung über Bewertungen. Parallel zum Austausch über ein Thema werden auch immer Bewertungen kommuniziert“ (Fiehler 1990: 36). So seien Sachverhalte immer bewertete Sachverhalte. Nun stellen nach Fiehler Emotionen eine spezifische Form von Bewertungen dar; entsprechend erfolgt die Verständigung über Bewertungen zu einem Teil in Form der Kommunikation von Emotionen (vgl. Fiehler 1990: 28; s. auch S. 35f.). Im Rahmen der Interaktion sind zwei Fälle der Emotionskommunikation zu unterscheiden. Zum einen kann über Emotionen kommuniziert werden, das heißt, es werden Emotionen und das Erleben explizit thematisiert. Zum anderen – das Häufigere – kann über einen anderen Gegenstand kommuniziert werden und „daneben und zugleich kommunizieren wir – durch die Art, wie wir über das Thema kommunizieren – Emotionen, oder genereller: Bewertungen. Sie haben die Funktion bewertender Stellungnahmen zum Thema, aber auch zu weiteren Aspekten der Situation: zu anderen Personen, ihren Handlungen, zu uns selbst etc.“ (Fiehler 1990: 37). Im Verlauf eines Gesprächs kann es dazu kommen, dass die Emotion zu dominieren beginnt und so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass sie ins Bewusstsein der Gesprächspartner tritt. Dies geschieht besonders ab einer bestimmten Emotionsintensität oder Unerwartetheit und hängt freilich von weiteren Faktoren ab wie kontextspezifische Emotionsregeln, persönliche Disposition und so fort. Wird die Emotion dann sogar selbst zum Gesprächsgegenstand, dann herrscht der Bewertungsaspekt gegenüber dem thematischen Aspekt vor. Dies zeigt sich zum Beispiel in Streit- oder Konfliktgesprächen. A: B: A:
„Du hast schon wieder die Zahnpastatube offen gelassen.“ „Ich hatte Wichtigeres zu tun.“ „Also, diese Antwort ist ja wohl-, also das ärgert mich jetzt auch noch…“
Sprecher B hat sich verteidigt und zugleich das Anliegen von Sprecher A abgewertet. Hätte sich Sprecher B stattdessen zum Beispiel entschuldigt, dann wären die Bewertungen von A und B nicht voneinander abgewichen, sie hätten übereingestimmt. Auf diese Weise hätte ein Einvernehmen über die Bewertungen bestanden, und der Bewertungsaspekt wäre nicht in den Vordergrund getreten. – Aber auch auf eine andere Weise können sich Bewertungen vor den Informationsaspekt schieben. Zum Beispiel bei der Rede über das Wetter.
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4 Theorie Ärgerforschung A: B:
„Schönes Wetter heute!“ „Ja, wirklich! Herrliches Wetter!“
In diesem Fall interessiert nicht die Information über das Wetter, die allen zugänglich ist, sondern dieser Austausch von Wörtern drückt eine geteilte (freudige) Bewertung aus, wodurch eine Gemeinsamkeit hergestellt wird (phatische Kommunikation). Da Kommunikation häufig solche Varianten enthält, könnte man mit Fiehler (1990: 39) fast sagen, „daß die gemeinschaftsstiftende Funktion des Bewertungsaspekts – in gewisser Hinsicht – Voraussetzung ist für den Austausch (relevanter) Informationen“. Abschließend seien Fiehlers Ziel und Argumentation zu Kommunikation zusammengefasst. Fiehlers Ziel besteht darin, den Stellenwert der Kommunikation von Emotion adäquat zu bestimmen. Er tut dies, indem er den Kommunikationsprozess konzeptualisiert als unauflösliche Einheit zweier Aspekte: der der Information und der der Bewertung. „Die Aspekte sind systematisch gleichwertig, in je konkreten Situationen kann aber für die Interagierenden der eine oder der andere Aspekt dominant sein. Information und Bewertung sollen … als interdependente Grundfunktionen von Kommunikation angesehen werden“ (Fiehler 1990: 38). So gesehen sind Emotionen – als spezifisches Verfahren für Bewertungsaufgaben – keine selbständige Entität, sondern ein Aspekt des komplexen Interaktions- und Kommunkationsprozesses (vgl. Fiehler 1990: 37). Präzisierung für (Fernseh)-Ärger. Ärger, (auch) in der Argumentation von Fiehler vor allem zu verstehen als eine spezifische Bewertung des Tuns oder Lassens einer anderen Person, spielt eine wichtige Rolle für die Lösung von interaktionsspezifischen Aufgaben (vgl. auch Bergknapp 2002: 307). Das kann weitgehend auch für Fernsehärger angenommen werden. Für Ärger über TVAngebote ist die Besonderheit – das thematisiert etwa der Ansatz der Parasozialen Interaktion (vgl. Pkt. 3.4) –, dass die Bezugnahmen einseitig sind – das heißt, der Rezipient kann auf eine Medienfigur reagieren, während das Umgekehrte in der Regel nicht gilt. Umso interessanter ist die Frage, welche Rolle Fernsehärger für Fernsehnutzende spielt. Bevor dieser Frage empirisch nachgegangen wird, werden im nächsten Kapitel theoretische Elemente aus Medien- und Emotionsforschung verbunden und so ein Bezugsrahmen für diese Arbeit formuliert.
5 Alltags- und Medienemotionen: Theoretischer Bezugsrahmen dieser Arbeit
5.1 Theoretische Ausgangslage In den beiden vorstehenden Kapiteln wurden theoretische Zugänge dargestellt, die sich einerseits mit der fernsehenden Person (Kap. 3), andererseits mit der Emotion Ärger oder der sich ärgernden Person (Kap. 4) beschäftigen. Das Thema Fernseh-Ärger führt nun die Medien- und die Emotionsforschung zusammen. Dabei ist das Thema nicht begrenzt auf Fragen danach, inwiefern Fernsehinhalte zu Ärger führen, sondern es geht auch um Ärger in der Rezeptionssituation, an der mehrere Menschen beteiligt sind und ferner um Ärger über Fernsehen als Objekt in einer Gemeinschaft (Freunde, Ehe, Familie usw.). Somit berührt die Studie ‘Fernsehärger’ mehrere Themenfelder und unterschiedliche Forschungsdisziplinen wie etwa die Medienpsychologie oder Medienpädagogik (‘Fernsehen und Familie’), hier und da auch die Medienwirkungsforschung. Vor allem aufgrund dieser Reichweite der Untersuchung würde es das Maß der Arbeit übersteigen, ein theoretisches Modell entwickeln zu wollen. Das Thema Fernsehärger kann indes in einer multidisziplinären Grundorientierung bearbeitet werden, die bis zu einem gewissen Grad ein pragmatisches Vorgehen nahe legt. Das heißt, es werden verschiedene theoretische Sichtweisen herangezogen, die für Alltags- und Mediengefühle relevante Konstrukte enthalten, und mit diesen Ansätzen wird ein theoretischer Rahmen gegeben. Solche Ansätze wurden in Kapitel 3 und 4 besprochen. Sie erfassen einerseits je eigene Untersuchungsaspekte, können andererseits aber auch punktuell verknüpft werden. Der Blick jedes Ansatzes wird also eingenommen sowie über die jeweiligen Grenzen hinaus freigegeben. Die Verknüpfung der Ansätze, die in Punkt 5.3 (‘Fernsehärger als Alltags- und Medienemotion’) dargestellt wird, erfolgt entlang verschiedener Kriterien und Grundpositionen. Diese ergeben sich aus der Auseinandersetzung mit den in Kapitel 3 und 4 dargestellten theoretischen Forschungsansätzen wie folgt:
Das Subjekt interpretiert und bewertet seine Umgebung (Personen/Situationen) kognitiv.
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5 Theoretischer Bezugsrahmen Das Subjekt erlebt und bewertet seine Umgebung (Personen/Situationen) emotional (innerpersonal; subjektorientierte Sichtweise von Ärger). Das Subjekt ist bei Fernsehärger aktiv. Das Subjekt bezieht sich bei Fernsehärger auf seine Bedürfnisse und Motive (Kognition, Verhalten/Handeln, subjektives Erleben). Das Subjekt kann, muss aber nicht, seine kognitiv-emotionalen Bewertungen bei Fernsehärger nach außen tragen (interpersonale, soziale Perspektive von Ärger; Verhalten/Handeln).
Dies sind zentrale Kriterien des Bezugsrahmens, der im Folgenden formuliert wird. Da bei der Darlegung des theoretischen Rahmens und der empirischen Analyse begrifflich zwischen Alltags- und Mediengefühlen unterschieden wird, geht es zunächst um diese Begriffsbildung.
5.2 Alltags- und Mediensituationen und die Emotionen Im Folgenden wird sowohl von Alltags- und Mediensituation als auch von Alltags- und Medienemotion die Rede sein. Gegen die begriffliche Unterscheidung könnte eingewendet werden, dass Mediensituationen und -emotionen solche des Alltags sind. So richtig dieser Einwand ist, so ist doch die begriffliche Abgrenzung hilfreich und erforderlich. Denn sicher ist – wie dieser Abschnitt zeigen wird –, dass sich Alltags- und Rezeptionssituationen in bestimmten Merkmalen unterscheiden. Dass sich auch Alltags- und Medienemotionen unterscheiden, bezeugen erste Hinweise (vgl. etwa Mangold/Unz/Winterhoff-Spurk 2001; vgl. in Kap. 2 ‘Stand der Forschung’ den Punkt 2.3 ‘Fernsehinhalte und Ärger’). Insgesamt ist in vielerlei Hinsicht offen, ob oder inwiefern medial und nichtmedial bedingte Emotionen verschiedenartig sind. Im Folgenden werden die besonders markanten Kennzeichen, die Situationen im Alltag von jenen in der Rezeption trennen, herausgearbeitet, dabei werden Bezüge zu Emotionen berichtet und die begriffliche Unterscheidung für Fernsehärger präzisiert. y Persönliche Relevanz + Kontrollierbarkeit der Situation. Besonders die kognitive Emotionsforschung (Appraisal-Ansätze) weist darauf hin, dass Emotionen, resp. Ärger, in hohem Maße davon abhängen, wie Personen situative Ereignisse bewerten (vgl. Kap. 4). Eine Person schätzt ein (appraisal), inwiefern die Ereignisse sie persönlich betreffen und für die eigenen Ziele relevant sind. Die unmittelbare persönliche Betroffenheit ist durch einen – räumlich entfernten – Medieninhalt in der Regel nicht gegeben. Suckfüll (2004: 195) geht für fiktive Medienereignisse davon aus, dass sich ein Rezipient erst mit dem Geschehen auf dem Bildschirm vergleichen muss, damit es persönlich relevant
5 Theoretischer Bezugsrahmen
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werden kann. Nun gibt es freilich auch nicht-fiktive Medieninhalte. So oder so ist zu prüfen, ob sich Rezipienten bei Fernsehinhaltsärger unmittelbar betroffen fühlen. – In der Begrifflichkeit von Vorderer ist die affektive Beteiligung des Zuschauers an Medieninhalten entweder ego- oder sozioemotional. Ein Rezipient reagiert egoemotional, wenn er den Medieninhalt zur eigenen Person in Beziehung setzt, während sich Sozioemotionen durch das Mitfühlen und Miterleben der Emotionen der Medienfigur ergeben (vgl. Vorderer 1998: 691). Eine ähnliche Unterscheidung, mit allerdings einer anderen Begriffsbildung, trifft auch Scherer. Er unterscheidet Emotion und Kommotion (Mit-Emotion). Emotionen werden erlebt, wenn ein Rezipient eine Mediendarbietung selbst bewertet. Um Kommotionen handelt es sich, wenn Rezipienten die Emotionen der Medienfiguren auf dem Bildschirm miterleben oder sich von diesen anstecken lassen (vgl. Scherer 1998: 280ff.). Wie sehr ein Medieninhalt persönlich bedeutsam wird, oder inwiefern sich der Zuschauer auf die mediale Situation einlässt, differiert von Zuschauer zu Zuschauer, während es allen Zuschauern grundsätzlich möglich ist, Einfluss zu nehmen: Zu jeder Zeit ist es möglich, umzuschalten oder das Gerät abzuschalten. Ein Rezipient kann also eine Rezeptionssituation verlassen oder seinen Gefühlen freien Lauf lassen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen – etwas, das in Alltagssituationen nicht grundsätzlich möglich ist (siehe auch Punkt 3.4 ‘Parasoziale Interaktion’). y Formale Gestaltungsmittel. Mediendarbietungen werden – den Geboten der medialen Darstellungsmöglichkeiten unterliegend – inhaltlich komprimiert hergestellt, das heißt, das, worüber zum Beispiel in Nachrichten berichtet wird, ist immer eine Auswahl. Diesen unumgänglichen Auswahlentscheidungen stehen Gestaltungsmittel zur Seite, die besondere Effekte erzeugen können, so auch emotionale. Solche Mittel sind zum Beispiel Kameraperspektiven (z.B. Großaufnahmen, Vogel- oder Froschperspektive), Musik, Sprache, Stimme, Schnitt und so fort (vgl. Mangold 2000: 134f.; Frey 1999; Bilandzic 2004: 100f.). Der Unterschied zu Alltagssituationen liegt auf der Hand: Hier kommen keine technischen Mittel zum Einsatz, um emotionale Effekte zu erzielen. y Emotionen variieren mit der Dynamik der Mediendarbietungen -- Phänomen der Mehrfach-Gefühle. Das Geschehen auf dem Fernsehschirm ist in der Regel gekennzeichnet durch eine schnelle und kontinuierliche Abfolge von Bildern und szenischen Arrangements mit Informationen fiktiver wie nicht-fiktiver Art. Dadurch können vielfältige Gefühle hervorgerufen werden, wobei gesehen werden muss, dass Rezipienten nicht affektneutral sind, wenn sie sich den Medieninhalten zuwenden. Die durch die Medieninhalte bedingten Emotionen oder emotionalen Veränderungen können unterschiedlich intensiv sein, bewertet und erlebt werden. Hinzu kommt, dass verschiedene Gefühle gleichzeitig auftreten
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5 Theoretischer Bezugsrahmen
oder sich überlagern können. Zuweilen ist es also nicht eine einzelne Emotion, die erlebt wird, sondern es ist ein ‘Emotionsmix’ (vgl. Mangold 2000: 130; Mangold/Unz/Winterhoff-Spurk 2001: 165). Auch in Alltagssituationen unterliegen Emotionen einer dauerhaften Wandlung und Mischung (vgl. Lazarus, Averill, Opton 1977: 195; Scherer 1996: 299), wobei eine Emotion hervortritt oder dominiert. Allerdings sind in realen Situationen die Mischemotionen seltener, und im Alltag wechseln – anders als in Fernsehdarbietungen – die Situationen gewöhnlich nicht so schnell. y Paradoxe Misch-Emotionen. Nun stehen bei einem ‘Emotions-Mix’ einige Emotionen stärker im Vordergrund als andere, und dies gilt für Alltags- und Rezeptionssituationen gleichermaßen. Für die Medienrezeption wurde überdies das Paradoxon beobachtet, dass Mediennutzer es genießen können, belastende Emotionen wie zum Beispiel das Traurig-Sein zu erleben. In der Literatur finden sich verschiedene Begründungsversuche: Zum einen schlägt Zillmann (1983) vor, dass das Leiden ausgehalten wird, weil eine Erleichterung durch das positive Ende des Films eintritt.88 Dies setzt freilich voraus, dass Rezipienten um das positive Ende sicher wissen, und es umfasst nicht den Fall eines negativen Filmausgangs – ein Argument, das die Annahme Zillmanns schwächt. Einen weiteren Einwand bringt Vorderer vor, der zu Zillmanns These ein Rezeptionsexperiment durchführte. Seine Ergebnisse sprechen eher dafür, dass „Rezipienten nicht die Auflösung der Belastung, sondern das Erlebnis der Belastung selbst genießen“ (Vorderer 1997: 251). Möglicherweise stehe für einige Rezipienten die Gelegenheit, körperliche und emotionale Erfahrungen zu machen, im Mittelpunkt (vgl. Vorderer 1997: 252). Eine (andere) Erklärung für das „sad film paradoxon“ versucht Oliver (1993). Sie nimmt an, dass Rezipienten die einzelnen rezeptionsbegleitenden Emotionen am Ende der Rezeption bewerten und zusammenfassen zu einer Metaemotion. Werden die ausgelösten Einzelemotionen insgesamt als angenehm bewertet, so fühlt sich der Rezipient gut unterhalten (Metaemotion), 88
Und das positive Ende wird intensiver erlebt, als hätte es die Belastung im Film nicht gegeben. Hiervon geht Zillmann (1983) im Rahmen der Excitation-Transfer-Theorie aus. Die Theorie ist in der psychologischen Aggressionsforschung beheimatet und wurde von Zillman in die Medienforschung eingeführt. Die Theorie besagt, dass unspezifische, nicht bewusst kontrollierbare Anteile von Emotionen wie Erregung (excitation) über die Auslösesituation hinaus (abgeschwächt) erhalten bleiben und in eine neue Situation getragen (Transfer) werden können. Solche (Erregungs-) Reste gehen dann in die Interpretation der neuen Situation ein, können dort zum Erregungsverstärker werden. War also die Erregung durch die belastende Filmgeschichte groß, so mischen sich in die Erleichterung über das entlastende Filmende die Erregungsreste aus der Belastungsphase, so dass am Ende die Entlastung intensiver ausfällt, als dann, wenn es keine oder eine geringere Belastung zuvor gegeben hätte (vgl. Vorderer 1997: 247). Die Theorie von Zillman hat begrenzte Erklärungskraft. Vgl. zur Diskussion z.B. Selg (1992: 195); Schmidt-Atzert (1996: 59); Bente/Fromm (1997: 42).
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auch dann, wenn belastende Medieninhalte überwogen haben (vgl. auch Wünsch 2002: 22). Aus identitätstheoretischer Sicht werden belastende Inhalte deswegen gewählt oder ausgehalten, weil sie der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität oder der Bewältigung der Lebensprobleme dienen (vgl. Mikos 1994, 1996, 1997; Neumann-Braun/Schneider 1993; Mares/Cantor 1992; Vorderer 1996a: 321f., 1996b; vgl. auch Punkt 3.5 ‘Soziale Vergleichsprozesse’). Fernsehärger als Alltags- und Medienemotion. Das Gesagte spricht für die begriffliche Zweiteilung, die für Fernsehärger nun wie folgt lautet: Ärger durch Medieninhalte wird als Medienemotion verstanden, und der Ärger rund ums Fernsehen als Alltagsemotion. Die Situationen können sich freilich überschneiden, wenn zum Beispiel durch einen ärgerevozierenden Inhalt zugleich Ärger in der Gruppe der Rezipienten entsteht. Man stelle sich vor, ein Rezipient ärgert sich über einen Bericht zum Thema ‘Verhalten von Autofahrern’ (Medienärger) und äußert dies lautstark gegenüber seiner ebenso fernsehenden Ehefrau. Diese wiederum stimmt ihrem Mann nicht zu, stattdessen gibt sie ihm zu erkennen, dass sie sein Fahrverhalten verschiedentlich nicht billigt. Ein Streit entfacht (Alltagsärger). Hier können sich also die Medienemotion und die Alltagsemotion ‘Fernsehärger’ mischen. In einem anderen Sinne war weiter oben von dem Phänomen der MehrfachGefühle die Rede. Danach können verschiedene Gefühle gleichzeitig auftreten und einander überlagern. So verstandene Mischemotionen können freilich auch bei Fernsehärger bestehen. Gemeint ist also,89 dass Fernsehärger zusammen mit anderen Emotionen (z.B. Ekel, Traurigkeit) auftreten kann, er muss nicht in seiner Reinform vorliegen. Wichtig FÜR DIESE ARBEIT ist, dass Rezipienten bei einem Emotionsgemisch den Ärger identifizieren (vgl. Kap. 6 ‘Methode’). Bei der Datenanalyse wird darauf geachtet, ob Befragte Hinweise auf andere Emotionen wie etwa Freude oder Ekel geben.
5.3 Fernsehärger als Alltags- und Medienemotion 5.3.1 Die subjektive und soziale Perspektive Ärger kann in einer subjektorientierten und intersubjektiven oder interaktionalen Perspektive betrachtet werden. Dabei steht die Annahme, dass Fernsehärger 89
Gemeint ist nicht, dass sich die Alltagsemotion ‘Fernsehärger’ und die Medienemotion ‘Fernsehärger’ mischen.
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subjektiv erfahren wird, nicht im Widerspruch dazu, dass Ärger eine eminent soziale Emotion ist (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). Beide Sichtweisen – Fernsehärger als innerpersonales sowie als soziales Phänomen – liegen dieser Arbeit zugrunde. Hinzu kommt eine weitere, nämlich die, dass Fernsehärger als Alltags- und als Medienemotion gesehen werden kann. Alle genannten Sichtweisen sind theoretisch zu umfassen. Das geschieht, indem ich einen theoretischen Rahmen aus medien- und emotionstheoretischen Ansätzen bilde, die eine Subjektorientierung aufweisen. Dieser Schwerpunkt wird gesetzt, weil Emotionen subjektiv erfahren werden, an das Subjekt also gebunden sind und nur durch dessen Sicht die Fernsehärger-Erfahrung beleuchtet werden kann. Die soziale Dimension, die bei Ärger meist mit-besteht, kann in dem Bezugsrahmen mit den Überlegungen Fiehlers (1990) berücksichtigt werden. Er hat Emotionen konzeptuell auf der Interaktions- und Kommunikationsebene verortet (vgl. Pkt. 4.7 ‘Emotion und Interaktion’). Indem nun die Ansätze zueinander gerückt und partiell auch miteinander verflochten werden, finden die Emotionen von Subjekten in den rezeptions- und sozialpsychologischen Ansätzen ihren Platz. Die Schritte werden jetzt im Einzelnen besprochen. EMOTIONSRELEVANTE ANSÄTZE AUS DER MEDIEN- UND SOZIALFORSCHUNG. In Kapitel vier wurden einige emotionsrelevante und am Individuum orientierte Ansätze oder Konstrukte aus der Medien- und Sozialforschung vorgestellt. Es sind dies der Nutzen- und Belohnungsansatz mit seinen Weiterentwicklungen, das Konzept der Parasozialen Interaktion und die sozialpsychologische Theorie sozialer Vergleichsprozesse. Der Uses and Gratifications Approach (Nutzen- und Belohnungsansatz) fragt danach, was das Subjekt mit den Medien macht, und er betont damit die Aktivität der Rezipienten. Nun ist dieser Ansatz eher im normativen Paradigma mit einer messenden Methodik beheimatet (vgl. Krotz 2001: 74; 1996b: 82), und so dominierten lange Zeit Studien, die theoretisch von Entscheidungs- und Auswahlmodellen getragen waren und empirisch vor allem Motive der Mediennutzung und -rezeption erhoben („Ich sehe fern, weil…“). Das heißt, die Aktivität des Rezipienten bezog sich vor allem auf das Auswählen und Selektieren von Medienprodukten. Belegt wurden für die Medienzuwendung auch affektive Bedürfnisse, doch konkreter wurden Emotionen kaum bearbeitet. Alles in allem maß man also hauptsächlich die Selektionsaktivität und weniger die Interpretationsaktivität der Mediennutzer.90 Die empirische Lage änderte sich auch nicht nennenswert durch Ausarbeitungen im Rahmen des so genannten ‘Nutzenan90
Vgl. Krotz (1996a: 55; 2001: 74). Friedrich Krotz hat die Verknüpfung handlungstheoretischer Sichtweisen mit Ansätzen der Mediennutzung und -rezeption intensiv diskutiert. Für eine ausführliche Diskussion vgl. ferner die Arbeiten von Krotz (1992, 1993, 1994, 1996b, 1997).
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satzes’, in dem die Annahmen des Interpretativen Paradigmas mit der Prämisse, dass Rezipienten aktiv sind, zusammengeführt sind (vgl. Pkt. 3.3 ‘Erweiterung durch interpretativen Ansatz…’). Anhand der Emotion Ärger lässt sich verdeutlichen, wie die Interpretationsaktivität über die Selektionsaktivität hinausreicht und wie zentral sie bei Ärger ist. Befragt man Fernsehnutzer, worüber und warum sie sich über Fernsehen ärgern, dann sind Antworten denkbar, dass Rezipienten sich ärgern, weil sie für ihr Bedürfnis nach Entspannung kein passendes Filmangebot finden. In diesem Beispiel ist die Selektionsaktivität angesprochen und damit besonders die Frage nach einem Motiv für die Fernsehnutzung. Motive wie Entspannungssuche und viele andere mehr hat der Uses and Gratifications Approach zutage gefördert, und diese Erkenntnisse sind für Fernsehärger bedeutsam, da blockierte Motive bedeutend zur Ärgerentstehung beitragen. Anders als es in Studien des Nutzenund Belohnungsansatzes häufig der Fall ist, zielt die Frage nach Fernsehärger aber nicht allein darauf, Auskunft über ein (vereiteltes) Motiv bei der Selektion zu erhalten. Vielmehr soll das breite Spektrum der Anlässe oder Motive für Fernsehärger beleuchtet werden. Darunter können Anlässe sein, die sich auf einen Medieninhalt oder auf eine (nicht erhaltene) Gratifikation beziehen (z.B. der Spielfilm war schlecht; die Dokumentation zu Pinguinen enthielt zwar viele schöne Bilder, aber zu wenig Information), oder solche, die unabhängig von Inhalten in der Phase vor, während oder nach der Rezeption liegen (z.B. Streit bei der Entscheidung für das gemeinsame Programm; Konflikte beim Aushandeln von Fernsehzeiten mit den Kindern). Vermittelt über die Frage nach der Emotion Fernsehärger, reicht der Blick also über die Selektion oder auch die Nutzungssituation hinaus. IN DIESER ARBEIT wird es somit auf die Interpretationsaktivität der Befragten ankommen, und sie liegt bei der Emotion Fernsehärger beinahe in der Natur der Sache. So sind es vor allem die kognitiven Forschungsansätze, an denen sich ablesen lässt, wie sehr die Entstehung von Ärger von der Interpretationsaktivität abhängt (vgl. Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’ und weiter unten). Aus diesem Grund wird für die Fernsehärgerstudie den handlungstheoretisch interpretativen Theorien, die Eingang in die Rezeptionsforschung fanden, Raum gegeben. Subjektive Interpretationen hebt im Rahmen des Uses and Gratifications Approach der sog. ‘Nutzenansatz’ hervor. Angelehnt an diesen Ansatz werden in dieser Arbeit die Fernsehnutzung und -rezeption als soziales Handeln verstanden, ein Handeln, das im Sinne des Symbolischen Interaktionismus der Chicagoer School und der Schützschen Handlungstheorie durch Bedeutungszuweisungen und Interpretationen gekennzeichnet ist und hinter dem kommunikative Erfahrungen, Erwartungen und Absichten stehen (vgl. Krotz 1996a: 55; Renckstorf/Wester 2001: 158; Pkt. 3.3 ‘Erweiterung durch interpretativen An-
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satz’). Das heißt, Zuschauer interpretieren ihre symbolische Umwelt interaktiv vor dem Hintergrund ihrer sozialen und persönlichen Lebenssituation. Mit diesen Annahmen aus dem Interpretativen Paradigma ist es möglich, Fernsehnutzung und -rezeption weit zu fassen. Das heißt, potenziell sind all jene fernsehbezogenen Aktivitäten angesprochen, die in der Phase vor, während und nach der Rezeption liegen. Dabei können es solche sein, die völlig unabhängig von Medieninhalten sind, als auch solche, die sich auf einen Medieninhalt beziehen (s.o.). Somit könnte Fernsehärger als Alltagsemotion sowie Fernsehärger als Medienemotion einen Platz darin finden, wobei der emotionale Aspekt im Folgenden noch stärker akzentuiert und – wenn möglich – integriert wird. Leitlinie ist dabei der gesicherte Befund, dass „ohne emotionale Qualifizierung das meiste von unseren Meinungen und unserem Wissen psychisch irrelevant wäre“ (Ulich 1995: 37). INTEGRATION VON EMOTION. Der ‘Nutzenansatz’ betont mit den Annahmen aus dem Interpretativen Paradigma das kognitive Geschehen, Emotionen werden nicht ausdrücklich behandelt. Kognitionen sind jedoch nie eigenständig, bestenfalls sind sie ein dominanter Aspekte eines psychischen Gesamtprozesses. Genau hier, das heißt bei den Kognitionen, liegt die Brücke zu den Emotionen. Denn Emotionen entstehen nicht nur im Zuge eines wie auch immer gearteten psychischen Gesamtprozesses, sondern an ihrer Entstehung sind Kognitionen sehr wesentlich beteiligt, dies gilt freilich auch für die Handlungs-, Gefühls-, Ausdrucksund Aktivationskomponente (vgl. Kap. 4). Bindet man diese über die Kognition hinausgehenden Vorgänge theoretisch ein, so ist verankert, dass eine Person nicht allein kognitiv, sondern (zugleich) emotional (aktiv) ist. Dies kann im Allgemeinen gelten, soll hier jedenfalls speziell für Situationen gültig sein, in denen eine Person mit Fernsehen in Berührung kommt. Zu klären ist, welche der fünf Emotionskomponenten (i.e. die physiologische, expressive, kognitive, motivational-aktionale und subjektiv-erlebnisbezogene Komponente) wie in der Fernsehärgerstudie theoretisch (1) gefasst und (2) gefüllt sind. (1) Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Komponenten erstens ein Teil der Vorgänge sind, die zu Emotionen (hier: Fernsehärger) führen, zweitens Bestandteile oder drittens auch die Folge von Emotionen (hier: Fernsehärger) sein können. Die Fernsehärgerstudie verfolgt nicht das Ziel, die feinen, teils bewussten, teils unbewussten Prozesse der Emotionsentstehung oder -weiterentwicklung zu analysieren, sondern die Untersuchung setzt dort an, wo Fernsehärger bereits entstanden ist. Es geht also darum, die bewussten Gründe für Fernsehärger, das subjektive Erleben und das korrespondierende Handeln oder Verhalten zu thematisieren und zu verstehen. Daher liegt das Augenmerk auf den Komponenten Kognition (Pkt. 4.3), Handlung (Pkt. 4.4) und Gefühl (Pkt.
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4.5), und sie werden hier als Bestandteile oder auch Folge von Fernsehärger aufgefasst. (2) Zu den Komponenten (a) Kognition, (b) Handlung und (c) Gefühl lassen sich aus den emotionstheoretischen Erkenntnissen folgende Kernaussagen für Fernsehärger übernehmen: (a) In Anlehnung an kognitionspsychologische Arbeiten kann angenommen werden, dass ein Subjekt dann Fernsehärger erlebt, wenn es zu der Bewertung kommt, dass eigene Bedürfnisse oder Motive, also ein Handlungsziel blockiert werden. Für die Behinderung wird eine andere Person als verantwortlich oder schuldig erkannt, zugleich verstößt diese Person gegen eigene oder allgemeine Standards und Normen. Hinsichtlich der Frage des Zusammenhangs von (b) ‘Fernsehärger und Handeln’ wird angenommen, dass TVÄrger zum Handeln motivieren kann, dass er danach strebt, eine Störung zu beseitigen.91 Der handlungstheoretische Hintergrund ist gleichsam durch die interaktionstheoretischen Annahmen wie sie dem Nutzenansatz zugrunde liegen gegeben. Bevor diese Annahmen bei den Ausführungen zur sozialen Dimension im nächsten Absatz weiter verfolgt werden, soll die (c) Gefühlskomponente erwähnt sein. So wird unter dem Blickwinkel des subjektiven Gefühls gefragt, ob Fernsehärger als belastend, nicht belastend oder gar freudvoll erlebt wird. Unabhängig davon, wie die Antwort ausfällt, dürfte sie immer auch damit zusammenhängen, wie sich Fernsehärger zwischen verschiedenen Personen – also intersubjektiv – niederschlägt. Kommen wir also zur sozialen Dimension, die Ärger innewohnt. DIE SOZIALE DIMENSION VON ÄRGER ODER EMOTION UND INTERAKTION. Die Emotion Fernsehärger kann über das individuelle Erleben hinausgehen. Hiefür genügt bereits der anderen zugeworfene grimmige Blick, deutlicher zeigt es sich etwa dann, wenn eine fernsehende Person andere anwesende Personen auffordert, dass sie nicht reden, sondern ruhig sein sollen. In diesem Fall handelt es sich um die Alltagsemotion Fernsehärger, die in die Fernsehgemeinschaft hineinragt, und der soziale Aspekt von Fernsehärger tritt hervor. Weiter oben wurden Emotionen als innerpersonale Phänomene mit den Annahmen des Symbolischen Interaktionismus verknüpft, und an dieser Stelle soll darauf eingegangen werden, wie Personen ihre Emotionen (hier: Fernsehärger) nach außen tragen, intersubjektivieren. Dort, wo das Subjekt aufgrund des Fernsehärgers handelt, können vor allem handlungstheoretische Argumentationsweisen greifen. Die handlungstheoretischen Ansätze enthalten – wie gesagt – nicht 91
Wie weiter oben (vgl. die Punkte 4.4 ‘Ärger und Handeln’ und 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’) dargelegt, soll einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass auf Ärger eine Handlung folgen kann, nicht aber muss. Zudem muss keine kausale Verkettung vorliegen im Sinne von: ‘Erst der Ärger, dann die Handlung’.
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zwingend und ausdrücklich die emotionale Perspektive. Fiehler (1990) hat in seiner Konzeptualisierung die Emotionen auf der Interaktionsebene verortet. Er macht deutlich, dass Emotionen immer auch in der Interaktion gegenständlich sind und dass sie mit-kommuniziert werden. Dabei verbindet er seine Annahmen mit denen aus dem Symbolischen Interaktionismus. Die Ausführungen von Fiehler sollen hier nicht wiederholt werden, sie finden sich ausführlich in Punkt 4.7 ‘Emotion und Interaktion’. Was die Konzeptionalisierung für die Studie zu Fernsehärger wertvoll macht, ist, dass er den sozialen Aspekt von Ärger lebendig werden lässt, ihn also in der Kommunikation und Interaktion sichtbar macht und sich dabei auf denselben theoretischen Grund – i.e. Annahmen aus dem Interpretativen Paradigma – wie diese Arbeit stellt. Somit vereinbaren sich Fiehlers Überlegungen mit denen des Nutzenansatzes, und sie erweitern ihn. Dasselbe gilt für das Konzept der parasozialen Interaktion (PSI) und Beziehung (PSB) (vgl. Pkt. 3.4), das auch wieder weitgehend auf Annahmen des Symbolischen Interaktionismus basiert. Mit dem Konzept wird explizit die Interaktion mit Fernsehakteuren, das heißt das Verhältnis von Rezipienten und den auf dem Bildschirm handelnden Personen, betrachtet. Fernsehärger als soziale Emotion kann hier deutlich zum Zuge kommen, denn Ärger gilt ja deshalb als soziale oder interpersonale Emotion, weil bei Ärger ein Subjekt meistens das Tun oder Lassen einer anderen Person bewertet, und Fernsehen ist von Personen dominiert, und Zuschauer bewerten Medienfiguren, nehmen sozial auf sie Bezug. Da soziale Interaktion immer auch ein emotionales Geschehen ist (vgl. Fiehler 1990; Banse 2000), tritt die Emotionalität also im Konzept der Parasozialität besonders hervor, so dass das Konzept von speziellem heuristischem Wert bei der Untersuchung von Fernsehärger ist. Im Zuge von Parasozialen Interaktionen können soziale Vergleiche gezogen werden, und es ist denkbar, dass hierbei Ärger auftritt. Soziale Vergleichsprozesse spielen also möglicherweise eine erhebliche Rolle für Ärger, und so dient die Theorie Festingers für diese Fälle als heuristisches Konzept (vgl. Strange 1996: 177; Mares / Cantor 1992; Vorderer 1996a). Die Hintergrundannahmen der drei Konzepte – Nutzenansatz, Parasozialität, Soziale Vergleiche – erfüllen zwei Voraussetzungen. Erstens sind die Ansätze, obgleich kognitiv orientiert, vereinbar mit dem Bild eines emotionalen Fernsehnutzers. Das wurde in diesem Abschnitt gezeigt. Zweitens passen sie zu der Auffassung, dass Fernsehnutzer aktiv sind – eine Position, um die es in der Vergangenheit beträchtliche Auseinandersetzungen gab (vgl. Pkt. 3.2.3 ‘Kritik’). Aus diesem Grund wird der Frage, wie die Konzepte Aktivität und Bewusstheit für Fernsehärger verstanden werden können, ein eigener – der nächste – Punkt gewidmet.
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5.3.2 Aktivität und Bewusstheit Im Uses and Gratifications Approach ging man von einem aktiven, sinnhaft handelnden Rezipienten aus – eine Kernannahme, die schwierig zu definieren war und entsprechend kontrovers diskutiert wurde (vgl. Pkt. 3.2.3 ‘Kritik’). Vereinfacht gesagt beschränkte sich Aktivität im Nutzen- und Belohnungsansatz auf das Selektionsverhalten der Rezipienten („Ich sehe fern, weil…“). Weiter gefasst ist das Aktivitätskonzept im Sinne von Interpretationsaktivität. Um sie ging es, als man Rezipientenhandeln mit Annahmen des Symbolischen Interaktionismus zu fassen versuchte – so geschehen in dem so genannten Nutzenansatz; der vorige Abschnitt 5.3.1 ist darauf eingegangen. Bilandzic (2004: 17) zieht aus der Diskussion des Aktivitätsbegriffs den Schluss, dass Aktivität auf drei Dimensionen stattfinden kann: Kognition, Motivation und Verhalten. Dabei handele es sich nicht um eine Dichotomie ‘aktiv vs. passiv’, sondern jede Dimension liege auf einem Kontinuum zwischen den Polen Aktivität und Passivität und müsse getrennt definiert werden. Für DIESE ARBEIT ergeben sich folgende Betrachtungsweisen. Die grundsätzliche Position besteht darin, dass Rezipienten beim Fernsehen zwischen den Polen aktiv und passiv pendeln. Diese allgemeine Sichtweise wird in Bezug auf Fernsehärger präziser. Hierfür gilt, dass verärgerte Fernsehnutzer aktiv sind. Dies ist fraglos für kognitive und motivationale Prozesse gegeben, und häufig auch mit einem Verhalten oder einem (intentionalen) Handeln. Mit einfachen, und von der Ärgerforschung bestätigten Worten: Wer sich ärgert, fühlt sich aktiv; ein Motiv wurde als blockiert wahrgenommen, und der Ärger bindet die Aufmerksamkeit. Ein Beispiel könnte bei Fernsehärger sein: Wer sich darüber ärgert, dass ein Produkt mit falschen Versprechungen beworben wird, wird aufgerüttelt, verfolgt die Werbesendung aufmerksamer, fühlt sich aktiv; das Motiv, wahrheitsgemäß informiert werden zu wollen, wird vereitelt. Mit dem Konzept der Aktivität hängt die Frage nach der Bewusstheit zusammen, das heißt, ob es Rezipienten stets bewusst ist, warum sie fernsehen, warum sie sich für diese und nicht für jene Sendung entscheiden und so fort. Es besteht Einigkeit darin, dass völlige Bewusstheit nicht unterstellt werden kann. Der generelle Standpunkt IN DIESER ARBEIT ist, dass Rezipienten mal mehr und mal weniger bewusst dem Medium begegnen. Was die Bewusstheit bei Fernsehärger betrifft, so gehe ich davon aus, dass es einer verärgerten Person nicht immer bewusst ist, wodurch ihr Ärger en detail zustande gekommen ist, denn im Alltag erfolgen Wahrnehmungen und Handlungen aufgrund allgemeiner und gängiger Konzeptualisierungen (vgl. Fiehler 1990: 27). Betrachtet man außerdem allein die Erkenntnisse aus der kognitiven Emotionsforschung, dann zeigt sich, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um Ärger – und so
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vermutlich auch Fernsehärger – auszulösen (vgl. Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’). So entsteht Ärger unter anderem auf dem Wege komplexer kognitiver Vorgänge, wenngleich meistens sehr schnell. Dazu passt die Auffassung Averills (1982), wonach die Ärgermotive nicht im aktuellen Ärgererleben, sondern erst durch nachträgliche Reflexion bewusst werden. Sobald also Ärger spürbar auftritt, weist dies auf ein mehr oder weniger bewusstes Motiv und bestimmte Bedeutungszuweisungen hin, und ist Ärger ‘gegenständlich’, so lässt sich darüber mit großer Wahrscheinlichkeit reden. Um die dem Fernsehärger zugrunde liegenden Beweggründe und Bedeutungen erfassen und verstehen zu können, bedarf es also der Auskunft der verärgerten Fernsehnutzer. Subjektive Situationsdefinitionen, Sinn- und Bedeutungszuweisungen müssen artikuliert werden. Dies passt auf theoretischer Ebene zu einer handlungstheoretisch interpretativen Sicht des Subjekts oder subjektiven Handelns. Im Symbolischen Interaktionsimus Meadscher Provenienz (vgl. Abschnitt 3.3 ‘Erweiterung durch interpretativen Ansatz’) sind Annahmen tragend, wonach das Subjekt seine symbolische Umwelt ständig interpretiert und konstruiert, somit auch eine mit Fernsehen versehene Umwelt. Diese Interpretationstätigkeit wurde weiter oben (vgl. Pkt. 5.3.1 ‘Die subjektive und soziale Perspektive’) mit der emotionalen Aktivität verbunden, was bedeutet – und hier schließt sich der Kreis –, dass das Subjekt aktiv ist. Übertragen auf die Fernsehforschung heißt das: Die Rezipienten, zumal die verärgerten, sind aktiv.
TEIL III METHODE INTERVIEW DURCHFÜHRUNG
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6.1 Qualitative Messung von Fernsehärger – Abgrenzung zu anderen Methoden Mit der Entscheidung für die theoretischen Modelle ist die Auswahl der Methode verbunden. In Teil II der Arbeit lag der Schwerpunkt auf theoretischen Ansätzen, die das Subjekt zentrieren, und empirisch sollen subjektive Sicht-, Erlebenssowie Handlungsweisen bei Fernsehärger exploriert werden. So spielen in dieser Arbeit qualitative Interviews eine hervorgehobene Rolle, quantitative Daten werden in geringem Umfang erhoben. Der empirische Zugang zu Emotionen über verbale Daten ist freilich nur ein methodischer Weg. Andere Methoden zur Untersuchung von Emotionen sind zum Beispiel die Beobachtung realer Situationen, die Aufzeichnung (z.B. im Laborexperiment) des motorisch-expressiven Ausdrucks (Mimik, Gestik, Stimme) oder die Messung physiologischer Reaktionen. In der Emotionsforschung ist unstrittig: ‘Keine Emotion ohne Erregung’. Daher wird dort in der Regel besonders den physiologischen Parametern hohe Bedeutung beigemessen, da ohne deren Einbeziehung der Sachverhalt verkürzt und „eine gute Chance vergeben wird, die komplizierten Zusammenhänge zwischen Emotion, Kognition und Erregung weiter empirisch aufzuklären“ (Bente et al. 1992: 187). In diesem Abschnitt begründe ich,
warum speziell für mein Vorgehen das qualitative Leitfadeninterview die am besten geeignete Methode ist und der der Beobachtung sozialer Situationen, der Messung des motorisch-expressiven Ausdrucks und der Erhebung physiologischer Daten überlegen ist.
Die danach folgenden Abschnitte gehen darauf ein,
wie Ärger mit dem Interview valide erfasst wird, wie zentral dabei Erkenntnisse aus der Ärgerforschung sind, wie diese und wie Erkenntnisse aus der Fernsehforschung das qualitative Vorgehen bedingen.
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BEOBACHTUNG – ERHEBUNG PHYSIOLOGISCHER PARAMETER – MESSUNG DES MOTORISCH-EXPRESSIVEN AUSDRUCKS sind in der Emotionsforschung methodische Mittel, die im Labor und bedingt auch im Feld einsetzbar sind. Diese Verfahren wurden für die vorliegende Fernsehärgerstudie, die fernsehbezogene Ärgeranlässe und deren subjektive Verarbeitung in den Blick nimmt (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’), ausgeschlossen. Vor allem die folgenden Argumente führten zu dieser Entscheidung und leiten die Wahl der Methode. y Die Beobachtung von Emotionen in natürlichen Situationen setzt voraus, dass sich Möglichkeiten dazu bieten. Dies ist besonders für Ärgerepisoden schwierig, da gerade sie meistens nicht in der Öffentlichkeit stattfinden (vgl. Averill 1982: 149; Fichten 1992: 90), Fernsehärger ist da wohl keine Ausnahme, zumal das Fernsehen „für die allermeisten Menschen ein ‘Zu-Hause-Medium’ ist“ (Berg/Ridder 2002: 78). Davon abgesehen wäre bei der Vielfalt der vorstellbaren Situationen, die Anlass zu Fernsehärger geben können, mit einer Beobachtungsstudie die angestrebte Untersuchungsbreite hinsichtlich der Ärgeranlässe erheblich beschnitten worden. Hinzu kommt, dass Beobachtungsdaten allein nicht den adäquaten Zugang zum subjektiven Erleben von Fernsehärger und damit die gewünschte Untersuchungstiefe geboten hätten. Auch eine Kombination mit einer Befragung wäre problematisch gewesen. Denn Felduntersuchungen, die mit einer Befragung zu Emotionen einhergehen, sind damit konfrontiert, dass ein Zugang zu den Befragten im Augenblick der Emotionsentstehung und des Emotionserlebens schwierig ist. Eine Befragung würde eine (Rezeptions-)Situation stören, was obendrein nicht immer möglich ist. Denn zum Beispiel wollen oder können Befragte nicht einfach die emotionalisierende Situation verlassen – die Rezeptionssituation eingeschlossen. Dies ist ein Grund, warum viele Emotionsstudien durch einen indirekten Zugang, d.h. über erinnerte Emotionen, ihren Gegenstand erfassen (vgl. Käsermann 1995: 21; zum Problem der Erinnerung s. Pkt. 6.2 ‘Validität’). y Eine Laborstudie zu Fernsehärger könnte sich gut für Verlaufsanalysen eignen, und zwar hinsichtlich emotionaler Reaktionen im Verlauf von Fernsehinhaltsrezeptionen oder in anderen, experimentell angelegten Fernsehärgersituationen. Methodisch bieten sich Aufzeichnungen des motorisch-expressiven Ausdrucks sowie die Erfassung physiologischer Parameter an. Der Einsatz technischer Geräte wie etwa zur Messung physiologischer Daten hat den Vorteil, dass unwillkürliche physiologische Veränderungen (z.B. Hautleitfähigkeit, Puls- oder Herzschlagfrequenz, Pupillenweite, Muskelspannung, Atmung), die ansonsten nicht beobachtet oder bewusst erlebt und verbalisiert werden können, abbildbar sind und Indikatoren für Emotionen darstellen können. Mit physiologischen Daten lassen sich recht genau Änderungen in der Aufmerksamkeit und Aktivierung erfassen, und zwar zeitgenau zu einem bestimmten Ereignis – sei es wäh-
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rend der Rezeption, sei es in anderen Laborsituationen. Die technischen Geräte sind zwar inzwischen so entwickelt, dass leichter Messungen außerhalb des Labors durchgeführt werden können (vgl. die Studie von Myrtek/Scharff/Brügner 1997), doch das ist immer noch selten, immer noch sind Studien mit Messungen von unwillkürlichen Körperreaktionen an das Labor gebunden. Probleme eines physiologischen Zugangs liegen also in der Forschungspraxis und nicht zuletzt darin, dass die Interpretationen der apparativ gewonnen Daten umstritten sind. So können Forschungsartefakte auftreten, weil Probanden Messgeräte oder Sender am Körper tragen (vgl. dazu z.B. Gehrau 2002: 27-41; Wallbott/Scherer 1985: 85-86; Suckfüll 2004: 212-217). Abgesehen von diesen Problemen und solchen, die speziell mit Laborstudien einhergehen (z.B. Reduktion sozialer Faktoren, forschungsethische Fragen hinsichtlich der Emotionsinduktion) spricht im Falle von Fernsehärger gegen eine solche Untersuchung vor allem, dass Kenntnisse vorliegen müssten, die ich erst gewinnen möchte, so zum Beispiel Informationen über Auslöser von Fernsehärger (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’). Die verbalen Aussagen sind bei den genannten methodischen Wegen – mehr oder weniger – von Bedeutung, wenn nicht sogar Voraussetzung (vgl. Tischer 1993: 18). Das heißt, Beobachtetes oder Gemessenes spricht häufig nicht für sich, es wird auf verbale Daten (Gefühlswörter) von Probanden bezogen und umgekehrt. Das heißt nicht, dass der verbale Zugang den anderen Verfahren immer vorzuziehen ist. So lassen sich beispielsweise Rezeptionsverläufe mit Befragungen nicht angemessen abbilden, denn Befragungen sind immer retrospektiv (vgl. Mangold/Unz/Winterhoff-Spurk 2001: 166). Aber besonders subjektive Sicht- und Erlebensweisen – um die es hier vor allem geht – kommen in Beobachtungs- wie auch in technischen Messdaten weniger (ausführlich) zur Geltung als in einer offenen Befragung. Dasselbe gilt für ein standardisiertes Interview – zusätzlich deshalb, weil es ein hohes Maß an Bewusstheit bei den Befragten voraussetzt, weil es eher summarische Bewertungen (z.B. von Medienangeboten) erfasst, weil es zuweilen Bedeutungsfestlegungen enthält, die das befragte Subjekt anders füllen mag als die interviewende Person. So bleibt besonders für die Phase der Exploration von Fernsehärger der offene verbale Zugangsweg (vgl. Schmidt-Atzert 1996: 86f.). Freilich gibt es Einwände gegenüber einem Vorgehen, das sich auf emotionale Selbstzeugnisse stützt. Die Kritik betrifft die Validität qualitativ erhobener Befragungsdaten. Dass die verbalen Fernsehärgerauskünfte valide sein werden, begründe ich im nächsten Schritt.
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6.2 Validität Mit der Annahme, dass das qualitative Interview tatsächlich Fernsehärger erfasst (Validität), ist die Voraussetzung verknüpft, dass Befragte die Experten ihrer Emotionen sind und wirklich fühlen, was sie angeben; nur sie haben Zugang zu ihren Erfahrungstatbeständen. Kritiker hinterfragen, dass Befragte aufrichtig antworten, dass Befragte die Situationen zum Interviewzeitpunkt ‘richtig’ in Erinnerung rufen können und die Erlebnisse sprachlich adäquat umsetzen können. Dieser Kritik wird mit folgenden Standpunkten und Hinweisen begegnet: GLAUBWÜRDIGKEIT. Offen erhobene verbale Daten stehen also der kritischen Frage gegenüber, ob Befragte ehrlich antworten, ihre Angaben authentisch und hinsichtlich des Interviewthemas nicht absichtlich verzerrt oder verfälscht sind. Da dies durchaus möglich ist, ist bereits während des Interviews darauf zu achten, dass Forschende und Beforschte sicherstellen, einander verstanden zu haben (kommunikative, dialogische Validierung, vgl. Bortz/Döring 2002: 328). Ähnlich und pragmatisch argumentieren auch Meuser und Nagel (1991). Wenn ein Interview eine Stunde oder länger dauert, „ist eine gezielte und perfekt konstruierte Täuschung allerdings nur äußerst schwierig durchzuhalten (…) es ist höchst unwahrscheinlich, daß die Forscherin nicht hellhörig wird – in der Regel bereits während des Interviews, so daß sie gezielte Fragen anbringen kann, spätestens aber bei der Auswertung“ (Meuser/Nagel 1991: 467). Bei der Auswertung werden die Interviewtexte auf Widersprüche und Konsistenzen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede geprüft. Außerdem werden Extremfälle einbezogen, um den Forschungsbereich maximal zu variieren (vgl. Pkt. 6.4 ‘Grounded Theory’).92 Was den Ärger betrifft, so liegen aus der Forschung bereits einige Kriterien vor, die für Ärger spezifisch sind, anhand derer er erkennbar wird (vgl. Pkt. 6.3.1 ‘Gründe auf Basis der Ärgerforschung’). Dieses Vorwissen kann im Interview wie auch bei der Datenauswertung (z.B. bei der Kategorienbildung) orientierungsstiftend sein, ohne es zum einzigen Maßstab zu erheben (vgl. zum Prinzip der Offenheit Pkt. 6.4 ‘Grounded Theory’). Eine weitere Position gegen die Annahme, dass die verbalen Daten sozial erwünscht oder verzerrt sein könnten, ist weniger theoretisch, sondern eher empirisch gewonnen. So zeigt sich in jüngeren Untersuchungen im Allgemeinen und in Befragungen zu Ärger im Besonderen, dass Befragte aufrichtig, bereitwillig und ernsthaft über ihre Erfahrungen reden (vgl. Wallbott/Scherer 1985: 87). Beispielsweise stellt Weber für Selbstaussagen zu Ärgerreaktionen fest, dass 92
Vgl. ausführlicher zur Validitätsdiskussion etwa Bortz/Döring (2002); Kleining (1982: 247f.); Flick et al. (1995); Glaser/Strauss (1979: 96ff.); Steinke (1999: z.B. die Seiten 72-80); Strauss/Corbin (1996).
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Befragte in hohem Maße zugestehen, ihren Ärger durch aggressive Reaktion loswerden zu wollen. Sie wertet dies als ein Zeichen dafür, dass die Antworten vermutlich nicht allzu geschönt sind (vgl. Weber 1994: 154). ERINNERUNG – FÄHIGKEIT ZUR SELBSTREFLEXION UND KOMMUNIKATION. Die sprachlichen Mitteilungen über Emotionen, die in einem Interview zu einer zurückliegenden Situation gegeben werden, sind freilich nicht die Emotionen selbst. Vielmehr wird mit Gefühlswörtern eine Beschreibung gegeben, die einerseits auf einer Interpretation zur Emotion beruht, andererseits auf Erinnerung. Dabei sind die Situations- und Emotionsbeschreibungen davon abhängig, wie gut Befragte sich selbst reflektieren, sich erinnern und sprachlich ausdrücken können. Entsprechend sind die Beschreibungen durch Erinnerungen und die sprachliche Umsetzung des Subjektes gefiltert. Dieser Tatbestand findet sich durch die theoretische Haltung getragen und verfochten, dass Erlebnisse und Erzählungen immer subjektive Konstruktionen und keine ‘objektiven’ Tatbestände sind, dass „psychologisch eine ‘Situation’ nie von der wahrnehmenden und agierenden ‘Person’ getrennt werden kann“.93 Auch in dieser Arbeit gilt, dass nicht objektive Tatbestände erfasst werden, sondern – worauf sich die Suche ohnehin richtet – subjektive Wahrnehmungen und Darstellungen (vgl. Wallbott/Scherer 1985: 8587; Fichten 1992: 95-96; Tischer 1993: 13-19). Nun mag es für die Forschungsarbeit besser sein, wenn ein Ereignis und somit die Erinnerung daran ‘frisch’ ist. Aber auch wenn sie es nicht ist, kann die Befürchtung, dass Studienergebnisse durch Erinnerungsfehler oder Verzerrungen unbrauchbar würden, vernachlässigt werden. Wie sich in Studien zur kognitiven Emotionsforschung zeigt, erbringen Studien in realen Situationen „ganz ähnliche Ergebnisse (…) wie (…) Untersuchungen von erinnerten oder hypothetischen Situationen“ (Reisenzein et al. 2003: 159). Dazu passt die Feststellung, dass „nicht nur Ereignisse selbst, sondern auch ihre verbale oder mentale Rekapitulation (…) in der Lage (ist), Emotionen auszulösen. Die Emotion wird nicht nur erinnert, sondern erlebensmäßig präsent“ (Fiehler 1990: 243). Was nun die Erinnerung im Kontext Fernsehen94 betrifft, könnte sich mitunter als positiv erweisen, dass das Fernsehen ein Alltagsgegenstand ist. So ist denkbar, dass es kurz vor dem Interviewzeitpunkt Ärger gegeben hat oder auch, dass das Fernsehen sogar häufiger (denselben) Ärger erzeugt. So gesehen könn93
94
Das Zitat stammt von Wallbott/Scherer (1985: 87). Die Autoren referieren darin die Auffassung von Endler, N.S. und Magnusson, D. (1974): Interactionism, trait psychology, and situationism. Reports from the Psychological Laboratories, No. 418, Universität Stockholm. Das Problem der Erinnerung tritt in anderer Art, das heißt nicht bezogen auf Emotionen, sondern auf folgende Interviewfrage auf: Was sehen Sie mit Interesse? Welche TV-Angebote mögen Sie nicht? Wie dem Problem begegnet wurde, wird am Ende von Pkt. 6.3.2 ‘Gründe auf Basis der Fernsehforschung’ geschildert.
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ten einige Ärgerepisoden recht aktuell und interviewzeitnah, somit präsent oder leicht(er) zu erinnern sein. Was die Erinnerung speziell an Fernsehinhalte betrifft, weisen Studien darauf hin, dass zum Beispiel schockierende, oder allgemeiner ausgedrückt: stark emotionalisierende Inhalte (z.B. Ermordung eines Politikers) besser als emotional weniger intensive Inhalte in Erinnerung gerufen werden können. Neben der Intensität einer Emotion oder emotionsträchtigen Situation scheint auch die thematische Zentralität des Filmmaterials für die zu behaltende Episode recht bedeutsam zu sein (vgl. Klauer 2000). Es ist demgegenüber vorstellbar, dass Befragte Fernsehärger nicht erwähnen, wenn ihm ein in subjektiver Sicht vergleichsweise geringwertiger Anlass zugrunde lag oder wenn er im Verlauf der Rezeption nur kurz auftrat. Gilt also auf der einen Seite, dass eine Emotion um so eher bewusst wird, je intensiver sie ist, so gilt umgekehrt: Je flüchtiger eine Emotion ist, je weniger haftet sie im Bewusstsein. Vor allem hinsichtlich der Erfassung flüchtiger oder wenig intensiver Emotionen (hier: Fernsehärger) sind an die Methoden sowie die theoretischen Ansätze besondere Anforderungen gestellt. Denkbar wäre, Methoden zu kombinieren wie etwa Verlaufsstudien (Labor; vgl. Pkt. 6.1 ‘Qualitative Messung von Fernsehärger...’) mit offenen Befragungen. Das qualitative Interview, wie es für die Fernsehärgerstudie eingesetzt wird, muss nicht ungeeignet sein, wenn man auf der Basis kognitionspsychologischer Ansätze argumentiert (vgl. Mangold et al. 2001: 166ff.). Gleichwohl könnte das qualitative Interview in dieser Arbeit für flüchtigen (und so ggf. weniger bewussten) Fernsehärger an eine Grenze stoßen, da im Interview allein der bewusste Ärger zur Sprache kommen kann. Die methodische Stärke der qualitativen Befragung für die Fernsehärgerstudie liegt in der Möglichkeit zur ‘freien’ Sammlung von Fernsehärger-Erfahrungen, gleichsam darin, dass mit diesem methodischen Vorgehen die subjektiven Sichtweisen und Sinngehalte in ihren Feinheiten zum Ausdruck kommen können und so das Forschungsanliegen (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’) am besten bedient wird. Für die Studie zu Fernsehärger ist hilfreich, dass – wie eingangs erwähnt – bei der Analyse und Ärgeridentifikation einige Kriterien herangezogen werden können, die für Ärger spezifisch sind. Diese Kriterien dienen nicht nur der Datenauswertung, sondern sie sind zugleich ein Argument für das qualitative Vorgehen. Der folgende Punkt greift beides auf.
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6.3 Begründung des qualitativen Vorgehens 6.3.1 Gründe auf Basis der Ärgerforschung Erkenntnisse aus der Ärgerforschung liefern nicht nur die Auswertung unterstützende ärgerspezifische Kriterien (s.o. Pkt. 6.2 ‘Validität’), sondern sie sprechen auch für das qualitative Vorgehen. Gemeint ist der Befund, dass Ärger eine begründungsgestützte und subjektabhängige Emotion ist. Dabei handelt es sich nicht um analytisch getrennte Eigenschaften, auch wenn sie jetzt separat besprochen werden. y Begründungsgestützt. Die Kognitionspsychologie weist nach, dass Ärger mit (spezifischen) Bedeutungszuweisungen verknüpft ist. So entsteht er gemäß Appraisalansätzen zumeist situativ und zwar im Wesentlichen, wenn das Tun eines anderen Menschen oder etwas als tadelnswert eingeschätzt wird oder ein Ereignis sich gegen eigene Bedürfnisse oder Motive richtet. Hierfür wird jemand oder etwas als verantwortlich etikettiert und zugleich geurteilt, dass gegen soziale oder eigene Normen oder Regeln verstoßen wurde (vgl. Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognitionen’). Deshalb wird es für die Untersuchung von Fernsehärger nicht genügen festzustellen, dass Befragte sich eigenen Angaben zufolge ärgern. Vielmehr wird es darauf ankommen, dass ärgerspezifische Begründungen erkennbar werden. Ein offenes Befragungsverfahren bietet eine angemessene Möglichkeit, die spezifischen Begründungen aufzuspüren. y Subjektabhängigkeit. Die Emotion Ärger ist sowohl von der Person als auch von der Situation abhängig. So können zwei Personen in derselben Situation sein, und eine der beiden Personen ärgert sich, die andere hingegen nicht (z.B. über die berühmte Fliege an der Wand). Neben Anlässen, die im Allgemeinen mit hoher Wahrscheinlichkeit Ärger hervorrufen (z.B. Verstöße gegen allgemeine Normen), gibt es solche, die stärker subjektabhängig sind. So oder so variieren die Bedeutungszuweisungen und das Ärgererleben mit dem Subjekt. Ein offenes Befragungsverfahren wird der Subjekt- und Situationsgebundenheit meines Erachtens am ehesten gerecht. Zum einen besteht die Chance, neben Anlässen, die beinahe jeden Menschen verärgern würden, auch solche einzufangen, die stärker an das Individuum gebunden sind. Zum anderen lassen sich die subjektiven Interpretationen, das Erleben und die Handlungsweisen bei Fernsehärger ausführlich zur Sprache bringen. y Begriffsgebrauch. Untersuchungen ergaben, dass Befragte den Begriff ‘Ärger’ nicht einheitlich anwenden und zusammen mit oder alternativ zu Begriffen wie Enttäuschung, Empörung oder Wut gebrauchen, und zwar weitgehend unabhängig von der Kompetenz des Sprechers (vgl. Fichten 1992: 96; vgl. Punkt 4.6.1 ‘Ärger und sinnverwandte Begriffe’). In der Art des Gebrauchs drücken
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sich graduelle Unterschiede aus, oder auch, ob tatsächlich Ärger gemeint ist. In einem nicht vollständig standardisierten Interview kann der Vagheit alltagssprachlicher Emotionswörter (vgl. Neppl/ Boll 1991: 86) entgegengewirkt werden, es lässt sich nachfragen oder der gemeinte Inhalt klären.
6.3.2 Gründe auf Basis der Fernsehforschung Wie die Fernsehforschung zeigt, haben sich die Angebote der Fernsehanstalten und das Fernsehverhalten der Zuschauer verändert (vgl. in jüngeren Arbeiten etwa Berg/Ridder 2002: 39ff.; Maier 2002), so dass sich ein qualitatives Vorgehen wie folgt begründet: y Vielfältige Rezeptionsweisen. Aus der Rezeptionsforschung wissen wir, dass Rezipienten in Befragungssituationen ihr Fernsehverhalten häufig als ein sehr vernünftiges und zielgerichtetes formulieren. Man kann darin eine Tendenz zu sozial erwünschtem Antwortverhalten vermuten, da ein extensiver, willkürlicher oder zielloser Fernsehkonsum gesellschaftlich nicht anerkannt ist (vgl. Vorderer 1992: 34, 96). Demgegenüber ist aber auch möglich, dass erstens die Angaben von Befragten durchaus deren Selbsteinschätzung entsprechen. Zweitens sind Motive nicht immer bewusst, und Befragte sind zuweilen nicht in der Lage, die Motive zu benennen, so dass sie zu (nachträglichen) Rationalisierungen greifen. Oft wird man sich erst im Laufe eines Gesprächs über das eigene Fernsehverhalten klar, so dass in dieser Arbeit das qualitative Interview dem standardisierten vorgezogen wird. Hinzu kommt, dass eine Emotion wie Ärger ein Motiv in sich birgt, und ein offenes Interview über die Emotion kann auch hinsichtlich der Rezeptionsweisen Motive freilegen. Eine andere Möglichkeit, warum Rezipienten ihr Fernsehverhalten in standardisierten Befragungen in einer Weise beschreiben, die aus Sicht der Interviewerin ‘vernünftig’ und vielleicht ‘unrealistisch’95 klingt, hängt mit dem Verb ‘fernsehen’ zusammen. Für Befragte ist der Begriff „Fernsehen“ inhaltlich das, was sie regelmäßig und gezielt sehen (Serien, Nachrichten), oder das, was sie in voller Länge sehen. Dazu zählt nicht das zufällige und oft unbewusste ‘Nebenbeisehen’, das ‘Mitsehen’ oder ‘Nur-mal-Reinsehen’. Diese Fragmente könnten 95
Dabei kann es sowohl unrealistisch sein, wenn Rezipienten einen (zu) niedrigen Fernsehkonsum angeben, als auch, wenn er (zu) hoch eingeschätzt wird. So lag, wie Keppler (1995: 216f.) von einer Studie berichtet, „ein klarer Trend zur Überschätzung des eigenen Fernsehkonsums vor“. Hierfür werde ein Mangel des Bewusstseins für die Vielfalt der Aktivitäten vermutet, die beim Fernsehen stattfänden. ‘Fernsehen’ sei immer eine Mixtur aus Zuschauen und NichtZuschauen.
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mit Ärger besonders in Verbindung stehen, etwa wenn eine Sendung früher häufiger gesehen wurde, aber aktuell in voller Länge als unerträglich empfunden wird. So wird auch diese Seite des Fernsehverhaltens im Rahmen des qualitativen Interviews thematisiert etwa durch die Frage: „Wo sehen Sie nur mal so rein?“ (vgl. Staab/Hocker 1994: 164; 166). Da Fernsehen mithin ein halb-bewusstes Geschehen ist und Rezipienten sich nicht immer auf Anhieb an gesehene Sendungen erinnern, stelle ich bei jedem Interview eine Programmzeitschrift zur Verfügung und bereite Kärtchen vor. Auf diesen Kärtchen stehen verschiedene Sendungstypen oder Genre (z.B. Comedy, Dokumentationen). So haben die Befragten die Möglichkeit, mit den Kärtchen zu arbeiten und die Zeitschrift als Erinnerungshilfe zu nutzen. y Pauschale Antworten konkretisieren. Wenn es um Bewertungen von Sendungen geht, so zeigt sich in Studien der Medienforschung, dass Befragte pauschal antworten, zum Beispiel „Werbung ist blöd“, „Die Sendung ist peinlich“. Um diese pauschalen Aussagen differenzieren zu können – so sie denn mit Ärger verknüpft sind –, setze ich das offene Interview als Mittel der Wahl ein.
6.4 Die Grounded Theory als Untersuchungsmethode Die Fragestellung dieser Arbeit werde ich mit Hilfe einer Befragung untersuchen, deren Herzstück eine qualitatives Interview ist. Meine Vorgehensweise orientiere ich weitgehend an dem Forschungsprogramm der Grounded Theory, das auf die Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss zurückgeht. Allerdings liegt der Dissertation nicht die anfängliche Fassung des Forschungsprogramms zugrunde, sondern die weiterentwickelte Form von Strauss (19982) und Strauss und Corbin (1996). Die Grounded Theory ist ein Analysemodus bzw. -stil, der darauf ausgelegt ist, eine Theorie zu generieren und zu überprüfen (vgl. Strauss 19982: 19). Das bedeutet, vorab gebildete Hypothesen und Theorien werden nicht mithilfe empirischer Daten geprüft, sondern es sind die erhobenen Daten, die zur Grundlage für die zu entwickelnde Theorie werden. Am Ende also eines schrittweisen Erhebungs- und Analyseprozesses soll eine in diesen Daten verankerte (grounded), dicht konzeptualisierte Theorie stehen. Glaser und Strauss unterscheiden zwei Theoriearten: erstens die gegenstands- oder bereichsbezogene Theorie, die sich auf einen klar abgegrenzten Untersuchungsbereich (z.B. berufliche Ausbildung) bezieht; zweitens eine formale Theorie. Diese wird für ein formales oder konzeptuelles Forschungsgebiet entwickelt (z.B. Sozialisation). Durch den Vergleich mehrerer bereichsbezogener Theorien kann eine allgemeine, d.h. formale Theorie entwickelt werden (vgl. Glaser/ Strauss 1979: 91f.; Strauss 19982: 303ff.;
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Strauss/Corbin 1996: 17f.). Leitidee und Absicht ist, dass die Theorie Entdeckungen und Einsichten vermitteln sollte und möglichst viele Aspekte eines Untersuchungsgegenstandes erhellt. Die Grounded Theory, verstanden als qualitative Methodologie, ist dort anwendbar, wo komplexe Sachverhalte in ihrer Tiefe analysiert werden sollen, wo es also darum geht, den Alltag und die Lebenswelt von Individuen zu verstehen (vgl. Stauss/Corbin 1996: 22 f.; Wiedemann 19952: 444). DIE VORLIEGENDE DISSERTATION beschäftigt sich mit einem abgegrenzten Bereich, dem Fernsehärger. Dabei ist die Arbeit auf die Exploration und Hypothesenbildung ausgerichtet. Die Grounded Theory kann mit ihren Techniken und Verfahren hierfür sehr gut eingesetzt werden (vgl. Strauss/Corbin 1996: 17), da sie eine permanente Hypothesenbildung im Verlauf des Forschungsprozesses fordert. Diese Hypothesen können – so das Fernziel, aber nicht das Ziel dieser Arbeit (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’) – zu einer Theorie verdichtet werden (s. übernächsten Absatz zu Prinzip der Offenheit). Das Forschungsprogramm der Grounded Theory umfasst den gesamten Forschungsprozess: die Planung, die Auswahl der Untersuchungseinheiten, die Datenerhebung und Auswertung. Es formuliert einerseits keine strengen, standardisierten methodischen Regeln, sondern eher Leitlinien, die immer auch entsprechend der Erfordernisse der jeweiligen Studie einzusetzen und zu gestalten sind. Andererseits müssen bestimmte Operationen durchgeführt werden. Dazu zählen zum Beispiel das Kodieren und Vergleichen, das Anfertigen von Memos und eines Analyseschemas (Kodierparadigma) und das theoretische Sampling, das heißt ein sukzessives, dem Prozess der Theoriebildung angepasstes Sampling. Ziel ist es, eine Schlüsselkategorie zu erarbeiten, die „alle übrigen Kategorien am ehesten zusammenhält“ (Strauss 19982: 45). Ausgangspunkt für die qualitative Forschung ist das PRINZIP DER OFFENHEIT, denn Verstehen und Entdecken verlangen Offenheit. So forderten die Vertreter der Grounded Theory anfänglich, dass sich Forschende einem Untersuchungsgegenstand ohne vorstrukturierende Konzepte oder Theorien nähern sollten. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die gefundenen Daten vorschnell unter bekanntes Wissen subsumiert und möglicherweise der Blick zum Beispiel für Neues verstellt wird.96 So wichtig Offenheit ist, so unstrittig ist es in der Wissenschaft, dass es völlige Offenheit nicht geben kann (vgl. Hopf 1979: 27; 1993: 13), und sie ist in der qualitativen Forschung auch nicht das Ziel (vgl. 96
Hoffmann-Riem (1980: 343) formuliert ähnlich wie Glaser und Strauss: „Das Prinzip der Offenheit besagt, dass die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat“.
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Steinke 1999: 36). Was das theoretische oder auf persönlicher Erfahrung basierende Vorverständnis betrifft, ist es also „falsch zu glauben, wir könnten den Suchprozess mit einer ‘tabula rasa’ beginnen, gewissermaßen vorurteilslos“ (Kleining 1982: 231). Hinzu kommt, dass Vorwissen den Blick sogar schärfen oder sensibilisieren kann. Diese Sichtweise teilen Strauss und Corbin, wenn sie in ihrer späteren Arbeit von theoretischer Sensibilität sprechen (Strauss/Corbin 1996: 25ff.). Sie meinen damit die Fähigkeit des Forschers, sensibel für die Feinheiten in der Bedeutung von Daten zu sein. Dies bezieht sich zum einen auf das Vorwissen, das aufgrund persönlicher oder beruflicher Erfahrung (vgl. für die Fernsehärgerstudie Pkt. 8.3 ‘Die Forscherin und ihr Fernsehärger’) oder des Literaturstudiums (vgl. für die Fernsehärgerstudie Teil II der Arbeit) bestehen kann. Zum anderen bezieht sich theoretische Sensibilität auf den Forschungsprozess. Strauss (19982) und Strauss und Corbin (1996) formulieren denn auch Hinweise, „wie man Datenmaterial theoriegeleitet interpretiert“ (vgl. Strauss 19982: 19), ohne das Prinzip der (theoretischen) Offenheit preiszugeben. Festzuhalten bleibt – dies ist zugleich die Position IN DIESER ARBEIT –, dass der Weg somit nur in dem Bestreben bestehen kann, das Vorwissen in Frage zu stellen, und zwar im Prozess des Forschens. Dabei muss für den qualitativen Forschungsprozess, bei dem schrittweise Daten erhoben und analysiert werden, zweierlei gesehen werden: Erstens wird der qualitative Forschungsprozess nicht nur mit Vorannahmen gestartet, sondern er selbst ist zu verschiedenen Zeitpunkten begleitet von Hypothesenbildungen, kommt ohne sie auch nicht aus, wenn Begriffe, Interpretationen oder theoretische Annahmen formuliert, geprüft und geklärt werden sollen. Zweitens schränken andere Aspekte die Offenheit ein, so etwa die Wahl der Methode, die forschende und die befragte Person und nicht zuletzt die Interaktionssituation. Die Vorgehensweise bei der UNTERSUCHUNG VON FERNSEHÄRGER versteht sich somit auch als theoriegeleitet, sie folgt überwiegend den Empfehlungen der Autoren der Grounded Theory, nur in einigen Punkten weicht sie von ihnen ab. Die jeweiligen Schritte werden in den Kapiteln acht und neun verdeutlicht.
7 Das Interview
7.1 Das Leitfadeninterview – Vorzüge und Probleme Wie oben begründet, setzte ich zur Untersuchung von Fernsehärger nur wenige standardisierte Fragebögen ein, und ein qualitatives, teilstandardisiertes Interview bildet den Kern der Studie. Bevor die Themenkomplexe des Interviews (vgl. Pkt. 7.2 ‘Interview…’) dargelegt werden, gehe ich in diesem Abschnitt darauf ein, wie das Interview zu Fernsehärger entstanden ist, welche Vorteile das offene, teilstrukturierte Interview geboten hat und welchen Nachteilen zu begegnen war. ENTWICKLUNG DES INTERVIEWS. Der Fragenkatalog entstand nicht allein durch das Literaturstudium, sondern vielfältige Erfahrungen und Beobachtungen regten zu den Fragen an. Abgesehen von eigenen Erfahrungen gab es Gespräche über Fernsehärger im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis, fernsehbezogene Wortwechsel oder Auseinandersetzungen konnte ich auch beim Warten an Kassen, auf Zugfahrten oder an Nebentischen in Cafés oder Restaurants auffangen. In einem Fall war es sogar umgekehrt: In einem Café hörte ein Tischnachbar dem Gespräch zu, das eine Kollegin und ich über meine in Planung stehende Studie zu Fernsehärger führten. Als der Gast das Café verließ wandte er sich an mich: „Kleiner Tipp: Schaffen Sie Ihr Fernsehgerät ab! Das habe ICH gemacht, seitdem gibt es keinen Ärger mehr. Wenn Sie das auch machen, haben Sie vielleicht viel Arbeit gespart!“ Ich entwickelte nun doch einen Fragenkatalog, den ich dann in drei Probeinterviews einsetzte. Anschließend überarbeitete ich das Interview, korrigierte und ergänzte es, und es erwuchs daraus das Interview für diese Studie. INTERVIEWSTRUKTUR. Das Interview konzipierte ich als Leitfadeninterview. Das heißt, ihm liegt eine Struktur zugrunde, da bestimmte Fragen oder Fragenkomplexe um der Zielsetzung der Studie willen angesprochen werden mussten. Die Fragen im Leitfaden waren überwiegend ausformuliert. VORTEILE EINER INTERVIEWSTRUKTUR. Was die ausformulierten Fragen betrifft, so waren die Formulierungen als Entlastung gedacht und nicht dazu, dass die Fragen nur so und nicht anders hätten gestellt werden dürfen. Ein Vorteil von ausformulierten Fragenlisten liegt darin, dass keine Fragen vergessen werden und dass der Leitfaden die Interviewerin bei der Suche nach Übergängen und
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Frageformulierungen oder Anknüpfungspunkten unterstützt. Dass diese Unterstützung gewünscht war, liegt an den vielfältigen Anforderungen in einer Interviewsituation (vgl. Hopf 1978). So müssen Interviewende während des Gesprächs zuweilen sehr schnell Entscheidungen treffen: Welche Frage ist jetzt von Bedeutung? Welche Erzählung sollte unbedingt vertieft werden? Wie kann unangenehmen oder schwierigen Situationen begegnet werden? und so fort. – Ein weiterer Vorteil einer Interviewstruktur ergibt sich hinsichtlich der Auswertung. Mit einem Gesprächsleitfaden ist anders als bei einem völlig offenen, unstrukturierten Interview die Möglichkeit zu einer Vergleichbarkeit der Daten erhöht. EINWÄNDE GEGEN EINE INTERVIEWSTRUKTUR. Gegen eine Interviewstrukturierung kann eingewendet werden, dass sie einem offenen Verfahren geradezu widerspricht. Denkbar ist ferner, dass man in der Interviewführung zu sehr den Fragen verhaftet bleibt („Leitfadenbürokratie“, Hopf 1978: 101ff.) und so den Befragten zu wenig Raum oder Gelegenheit für Erzählungen gibt. UMGANG MIT DEN EINWÄNDEN. Ich versuchte, diesen Problemen durch eine bestimmte Art der Handhabung des Interviews zu begegnen. Erstens plante ich – auch bei den Terminabsprachen mit den Befragten – einen genügend großen Zeitrahmen ein, so dass zeitliche Enge nicht zum schnellen ‘Abarbeiten’ der Fragen oder zum Verzicht auf Fragen verführen oder nötigen konnte. Zweitens führte ich das Interview mit einer inneren Haltung durch, die offen war für unerwartete, nicht-antizipierte Aspekte oder Schwerpunktsetzungen von Befragten. Ich hielt also nicht starr am Ablauf des Fragenkataloges fest, sondern ging auf die thematische Orientierung der Befragten ein. Wollten diese beispielsweise zuerst über Fernsehärger in der Familie reden, oder umgekehrt zuerst über Ärger bezüglich einiger Fernsehinhalte (z.B. Werbung), so versuchte ich, dem jeweiligen Impuls oder Themenangebot zu folgen.
7.2 Das Interview – Aufbau, Dauer und Hilfsmittel Das Interview enthält sieben Teile und ist insgesamt für etwa eineinhalb bis zwei Gesprächsstunden angelegt. Da das Interview aufgezeichnet werden sollte, setzte ich als Hilfsmittel ein kleines Diktiergerät mit separatem Tischmikrofon ein. Außerdem stellte ich eine aktuelle Fernsehzeitschrift zur Verfügung sowie vorbereitete Kärtchen, auf denen Sendungstypen oder Genres (z.B. Dokumentation, Krimi, Comedy) vermerkt waren. Wie die Fernsehzeitschrift und Kärtchen verwendet werden konnten, wird unter Nummer IIIb berichtet. Der Interviewleitfaden, der sich in Anhang II befindet, setzt sich aus folgenden Teilen zusammen.
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I Angaben zur Person / Soziodemografie. Alter, Geschlecht, Schulabschluss, Beruf, Anzahl der Personen im Haushalt, Haushalt (z.B. Haushalt der Herkunftsfamilie, Eigenheim, Wohngemeinschaft etc.), Wohnort (Großstadt, Dorf, Kleinstadt), Nebenberufliche Aktivitäten, Hobby / Interessen / Freizeitgestaltung, Berufswunsch. II Aktuelles und allgemeines Befinden. Unmittelbar nach den Angaben zur Person, also noch bevor es um weitere Fragen, vor allem um jene zum Fernsehärger gehen sollte, erfasste ich mit Hilfe von Skalen, wie sich die Befragten „im Moment fühlen“ und wie sie sich „im Allgemeinen fühlen“. Diese Fragen hielt ich für erforderlich, da das subjektive Befinden zum Zeitpunkt des Interviews einen Einfluss auf die Antworten zum Fernsehärger haben kann (vgl. auch Fichten 1992: 99, 102). Nun kann die Frage nach dem subjektiven Befinden als relativ persönlich empfunden werden. Auch wenn ich versuchte, gleich zu Beginn des Kennenlernens eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, ging ich davon aus, dass zu diesem frühen Interviewzeitpunkt die Befragten etwas befangen sein konnten. Deshalb verwendete ich Skalen und informierte die Befragten darüber, dass sie über das Befinden nicht reden müssten, wohl aber könnten. Manche Befragte sprachen entweder sofort beim Ausfüllen der Skalen über die Gründe ihres Befindens, manche im Verlauf oder am Ende des Interviews, andere füllten stillschweigend die Skala aus. III (a) Medienausstattung – (b) Fernsehverhalten und -situation. zu (a) Um Informationen über die Medienausstattung zu erhalten, wurden Angaben über die Empfangsmöglichkeit (Kabel- oder Satellitenanschluss) und die Anzahl der Fernsehgeräte im Haushalt erhoben. Ich erfragte den jeweiligen Standort des Gerätes/der Geräte in der Wohnung oder im Haus. Weiter interessierte, ob Befragte ein Fernsehgerät für sich allein besitzen (z.B. im eigenen Zimmer) und ob es ein gemeinsames Fernsehgerät für alle im Haushalt lebenden Personen gibt. zu (b) Die Daten zum Fernsehverhalten und zur Fernsehsituation konnten teilweise ‘abgefragt’ werden, teilweise sollte ein ausführliches Gespräch entstehen. Ich bat um Angaben zur Sehdauer (Täglich, jeden zweiten, dritten Tag usw.; durchschnittliche Anzahl der Stunden; Tageszeit). Gefragt habe ich außerdem danach, wie die soziale Situation beim Fernsehen üblicherweise ist (z.B. ob jemand eher alleine oder zusammen mit anderen fernsieht) und wie diesbezüglich die ‘Wunschsituation’ ist. Der Hintergrund für diese Frage ist die Annahme, dass für ein Individuum eine Situation nicht allein aus dem tatsächlich Beobachtbaren, Gegenwärtigen besteht. Vielmehr gehört zu einer Situation auch all das, was das Individuum ausmacht (i.e. dessen Geschichte) und was für das Individuum von Bedeutung ist (vgl. etwa Krotz 1997: 80).
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Weitere Auskünfte zum Fernsehverhalten bezogen sich darauf, ob Befragte das Fernsehgerät laufen lassen und gar nicht hinsehen, ob sie selbst den Fernseher einschalten oder ob das normalerweise eine andere im Haushalt lebende Person tut, ob es Nebentätigkeiten beim Fernsehen gibt (z.B. bügeln). Schließlich fragte ich, in welche Sendungen Befragte ‘nur mal so ‘reinsehen’, was sie mit Interesse oder regelmäßig sehen, und was sie nicht interessiert. An dieser Stelle konnten Befragte auf die zu Beginn dieses Abschnitts erwähnte Fernsehzeitschrift und die Kärtchen zugreifen, auf die ich verschiedene Sendungstypen oder Genres (z.B. Comedy, Dokumentationen) geschrieben hatte. So hatten die Befragten die Möglichkeit, mit den Kärtchen zu arbeiten und diese sowie die Zeitschrift als Erinnerungshilfe zu nutzen. Die Fragen zu Medienausstattung und Fernsehverhalten sollten nicht allein Transparenz für die Forscherin bringen, sondern auch die Befragten für das Thema sensibilisieren, ist doch bekannt, dass man häufig erst über sein Fernsehverhalten Klarheit erlangt, wenn man darüber nachdenkt und redet (vgl. auch Pkt. 6.3.2 ‘Gründe für das qualitative Interview auf Basis der Fernsehforschung’). Die Fragen boten so auch für einige Befragte eine Einstiegsmöglichkeit in das Thema Fernsehärger. Andere folgten dem oben geschilderten Ablauf und warteten auf den Erzählanstoß. Hierfür konnte ich entweder an ÄrgerAndeutungen anknüpfen, die Befragte bei den bis dahin besprochenen Fragen gemacht hatten. Wenn das nicht der Fall war, fragte ich danach, ob es ÄrgerSituationen gegeben habe, die mit Fernsehen zusammenhängen, und ich bat um entsprechende Situationsschilderungen. Damit war ich beim Kernstück des Interviews angelangt, zum Einsatz kamen die offenen Fragen zum Fernsehärger. Für diesen Teil der qualitativen Befragung erarbeitete ich einen Interviewleitfaden, allerdings nicht mit dem Ziel, die Fragen starr ‘abzuarbeiten’ und einer „Leitfadenbürokratie“ (Hopf 1978: 101) zu erliegen, sondern ihn flexibel, das heißt angepasst an die Gesprächssituation zu handhaben. Dabei ging es darum, mithilfe der Fragen Impulse zu geben, ferner das Interview offen zu halten für Aspekte, die Befragte benennen und die nicht im Interviewleitfaden enthalten sind (vgl. dazu ausführlich Pkt. 7.1 ‘Das Leitfadeninterview – Vorzüge und Probleme’). LEITFADEN zu den FERNSEHÄRGER-FRAGEN: IV y Auslöser für Fernsehärger und ihre Situationen. Der Leitfaden zum Fernsehärger enthält Fragen zu verschiedenen Ärgersituationen und deren Konstellationen. Im Interview sollten die jeweiligen Situationscharakteristika exploriert werden (vgl. Wallbott/Scherer 1985). Ich ging davon aus, dass sich Ärger einerseits unabhängig von Inhalten zwischen den Nutzern (z.B. wann dürfen die Kinder fernsehen?) entspinnen kann, andererseits kann er beim gemeinsamen Fernsehen in der Gemeinschaft der Rezipienten entstehen (z.B. kann man sich
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auf eine Sendung einigen?), und last not least kann Ärger durch Fernsehinhalte (z.B. Filme, Dokumentationen, einzelne Figuren) ausgelöst werden. So fragte ich danach, wie es zu (einem bestimmten) Fernsehärger kommt, wie er erlebt wird (z.B. als unangenehm, als Zumutung), wie intensiv und anhaltend er ist und ob aktiv Lösungen herbeigeführt werden (s. u. Reaktionen). Da Ärger eine soziale Emotion ist, dürfte – so meine Vermutung – die soziale Situation vor dem Bildschirm von Bedeutung sein. Um zu erfahren, ob diese soziale Situation eine Rolle dafür spielt, dass Fernsehinhalte verärgern, lautet eine Frage: „Ärgern Sie sich eher, wenn sie alleine fernsehen oder wenn weitere Personen im Raum sind?“. Außerdem war mir wichtig zu erfahren, ob die soziale Situation selbst zu Ärger führt. Im Fragenkatalog notierte ich einige mir bekannte Anlässe für Fernsehärger (z.B. Zappen, Switchen; Dazwischenreden, Nebengeräusche mit Chipstüten usw.). Diese Notizen dienten dazu, Anlässe anzusprechen, sofern Befragte von sich aus keine erwähnen konnten oder auf Anhieb nicht allzu viel zu berichten wussten. Um über dieses Thema in ein Gespräch münden zu können, bat ich darum, dass man mir die Ärger-Situation schildern möge, fragte, wie die befragte Person die Situation erlebe, und wie sie darauf reagiere. y Reaktionen auf Fernsehärger (a) ohne und (b) mit Medieninhaltsbezug. zu (a) Leitfragen zur Reaktion auf Fernsehärger, der sich nicht auf Inhalte bezieht, lauteten: „Was denken Sie, wenn Sie sich über Fernsehen ärgern?“ Und: „Gibt es etwas, das Sie dann tun?“ Zwar lässt sich Denken97 auch als Tun begreifen, allerdings wird Denken im Alltag wohl nicht als Tun aufgefasst. Deshalb wurden beide Fragen gestellt. Da es vorstellbar ist, dass Befragten eine Antwort schwer fällt, notierte ich ein Beispiel, das ich bei Bedarf geben wollte: „Reden Sie zum Beispiel später mit jemandem darüber?“ Erfragt habe ich ferner: „Was geschieht mit dem Ärger dann?“ Im Hintergrund stand hier der Gedanke, ob der Ärger einfach vergessen wird oder ob es nötig ist, aktiv zu werden, um ihn vergessen oder verbannen zu können? zu (b) Bei Ärger über Fernsehinhalte kamen zunächst dieselben Fragen wie unter (a) zur Sprache, außerdem solche Fragen, die sich speziell auf den Umgang mit dem Medium Fernsehen bezogen, sofern die Befragten es nicht bereits angesprochen hatten: „Schalten Sie um, aus oder die Sendung in Zukunft nicht mehr ein? Haben Sie schon einmal überlegt, das Fernsehgerät abzuschaffen? Wenn ja, wie kam / kommt das? Wenn nein, warum nicht? Meinen Sie, dass man die Inhalte hinnehmen oder erdulden muss? Haben Sie schon einmal einen Beschwer97
Wie bedeutsam das Denken ist, hält Micus in Anlehnung an Bandura fest. Sie bezieht es auf das physiologische Spannungsniveau, das „nicht nur durch das bestimmt wird, was man tut, sondern auch durch das, was man denkt“ (Micus 2002: 154).
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debrief geschrieben? Wenn ja, wie kam/kommt das? Wenn nein, warum nicht? Beschimpfen Sie schon einmal den Moderator?“ Im bejahenden Fall könnte sich eine hedonistische Seite von Ärger zeigen. Ob bejahend oder verneinend – beides habe ich im Gespräch vertieft. Sonstiges. Weiter interessierte mich, ob Ärger dadurch kleiner oder größer werden kann, dass Befragte fernsehen und ob Fernsehen in irgendeiner Form eine Hilfe bei Ärger sein kann. V Fernsehmotive. Nach dem Gespräch zu Fernsehärger füllten die Befragten eine Skala zu Fernsehmotiven („Warum sehen Sie fern?“) aus, die ich von Uli Gleich (1997) übernommen hatte. Die Skala wurde nicht für die gesamte Stichprobe ausgewertet, sondern allein bei der Auswertung der Einzelinterviews herangezogen. VI Ein Nachgespräch gab Gelegenheit zu Lob, Kritik und weiteren Gedanken, die Befragte gerne noch aussprechen wollten. Geschenk. Zuletzt überreichte ich ein Geschenk als Dank für die Teilnahme am Interview (vgl. ausführlicher 8.2 ‘Rekrutierung der Befragten….’).
8 Durchführung der Befragung
8.1 Vorüberlegungen zu den Personenprofilen Die Stichproben qualitativer Studien sind in der Regel nicht repräsentativ im statistischen Sinn. Wichtig ist, „dass die im Untersuchungsfeld tatsächlich vorhandene Heterogenität in den Blickpunkt gerät“ (Kelle/Kluge 1999: 99) und die Varianz des Untersuchungsfeldes abgebildet wird. Nur so können bei der späteren Auswertung die einzelnen Fälle systematisch kontrastiert werden, deren Divergenzen und Ähnlichkeiten hervortreten. Die Vertreter der Grounded Theory (vgl. Pkt. 6.4) schlagen mit dem ‘theoretischen Sampling’ ein sukzessives Auswahlverfahren vor. Das heißt, es wird weder eine Zufallsstichprobe gezogen, noch ein Stichprobenplan festgelegt. Vielmehr werden während der gesamten Auswertungsarbeiten, beginnend bei der Analyse der ersten Fälle, Kriterien für die Auswahl der weiteren Fälle bestimmt (vgl. z.B. Strauss 19882: 55f.; siehe auch Wiedemann 1952: 440ff.). Dabei richten sich die Kriterien für die Fallauswahl nach den zentralen Konzepten und Hypothesen der sich entwickelnden Theorie. Der Prozess endet, wenn eine theoretische Sättigung erreicht ist, neue Fälle also theoretisch keinen Zugewinn mehr bringen, die Theorie nicht weiter verdichten. Das ‘theoretische Sampling’ empfiehlt sich besonders dann, wenn zu Beginn eines Forschungsvorhabens ein geringes theoretisches Vorwissen verfügbar ist, die Studie explorativen Charakter hat und ein zeitlich offenes Untersuchungsdesign möglich ist. Wenn hingegen das theoretische Vorwissen umfangreicher ist, dann lassen sich die Kriterien für die Stichprobe vorher bestimmen, die Personenprofile vor der Erhebung festlegen und die Daten nach der Erhebung analysieren. Dieses Vorgehen wird auch als ‘selektives Sampling’ bezeichnet (vgl. Kelle/Kluge 1999: 47). Diese Konventionen berücksichtigend, wurde für DIE VORLIEGENDE UNTERSUCHUNG ein Mittelweg gefunden. Da die Forschung zur Emotion Ärger wie auch zur Fernsehrezeption jeweils über einen reichen Fundus an Erkenntnissen verfügt, konnten einige Kriterien für die Stichprobe bereits vor, andere erst während der Erhebungsphase bestimmt werden. So legte ich das Sample in zwei Schritten fest. Zuerst wählte ich Studierende im Hauptstudium für die Befragung aus, denn sie gehören zu einer Altersgruppe, für die ein zeitlich relativ hoher Fernsehkonsum festgestellt wird (vgl. Berg/Ridder 2002: 200; vgl. Tabelle 4).
8 Durchführung der Befragung
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Dies gilt zwar auch für Senioren und Jugendliche, doch Studierende sind rein praktisch leichter zu erreichen (z.B. an der Universität). Außerdem erhoffte ich, durch Studierende vielfältige Anstöße und Kriterien für die weitere Forschung zu erhalten, da Studierende im Hauptstudium über eine vergleichsweise gute sprachliche Basis verfügen dürften und verschiedene Lebensformen kennen (z.B. in Wohngemeinschaften) mit vermutlich facettenreichen Erfahrungen bezüglich des Mediums Fernsehen. So befragte ich zuerst Studierende (vgl. 8.2 ‘Rekrutierung…’), und nach der vorläufigen Analyse dieser Interviews wurden die Kriterien für die weiteren Befragten wie folgt festgelegt. Die soziodemografischen Merkmale Bildung, Beruf bzw. Berufstätigkeit und Familienstand sollten variieren. Ein variierender FAMILIENSTAND bildet gleichsam verschiedene familiäre Konstellationen und damit die vielfältigen Interaktionsmuster der Befragten ab (z.B. mit oder ohne Kinder). Insbesondere in den sozialen Situationen mit den darin Handelnden liegen die Bedingungen für Ärger verborgen, tritt Ärger doch bevorzugt in sozialen Situationen auf. Mit dem Grad der formalen BILDUNG und dem BERUF bzw. der BERUFSTÄTIGKEIT gehen verschiedene Nutzungsformen und -motive des Fernsehens einher. Gemäß der repräsentativen Langzeitstudie ‘Massenkommunikation’ wird das Fernsehen besonders stark von den Nichtberufstätigen genutzt (Berg/Ridder 2002: 70). Daneben attestieren formal niedriger Gebildete „dem Fernsehen als Nutzungsmotiv eine stärkere Informationsbreite als die formal höher Gebildeten. Gleichzeitig bestätigen sie auch deutlicher die Alltagsrelevanz (sich nicht allein fühlen, im Alltag zurechtfinden)“ (Berg/Ridder 2002: 79). Dazu passt, dass die Nutzungsdauer mit ansteigendem Bildungsgrad sinkt, oder konkreter: Höher Gebildete sahen im Jahr 2000 täglich weniger fern als Personen mit einem niedrigeren Bildungsniveau. Die folgende Tabelle spiegelt die Befunde: Tabelle 3: Dauer der täglichen Fernsehnutzung im Jahr 2000 (durchschnittlich) alte Bundesländer neue Bundesländer 201 Minuten 222 Minuten 169 Minuten 198 Minuten 141 Minuten 152 Minuten berufstätig 156 Minuten 166 Minuten nicht berufstätig 220 Minuten 238 Minuten x1 niedrig = bis 1995 Volksschule o. Lehre, ab 2000 Volks-/Hauptschule x2 mittel = bis 1990 VS m.L., 1995 VS m.L./Mittlere Reife; ab 2000 weiterführende Schule ohne Abitur, Mittlere Reife x3 hoch = bis 1990 Mittelschule u. mehr, ab 1995 Abitur, Hochschulreife, Studium Quelle: Berg/Ridder 2002: 200 Bildung
niedrigx1 mittelx2 hochx3
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8 Durchführung der Befragung
Das ALTER drückt zweierlei aus: Zum einen meint es das Lebensalter eines Menschen, womit ein lebensgeschichtlicher Aspekt angesprochen wird. Zum anderen ist mit dem Alter die Verortung in einen gesellschaftlichen Kontext und so mit einer zeitgeschichtlichen Perspektive verknüpft, was etwa bei Kohortenuntersuchungen bedeutsam ist. In dieser Studie richtet sich die Aufmerksamkeit auf den lebensgeschichtlichen Aspekt. Menschen verschiedenen Alters bewegen sich in verschiedenen Lebenszusammenhängen, die teilweise mit ganz bestimmten ‘Entwicklungsaufgaben’ verbunden sind (vgl. Charlton/Neumann-Braun 1992: 54). Zum Beispiel kann der Beruf junge Menschen anders fordern als die berufserfahrenen Älteren, jüngere Eltern stehen vor anderen Aufgaben als ältere und so fort. Was zum Ärger veranlasst und wie er erlebt wird, hängt so auch von dem augenblicklichen Lebensalltag mit seinen Ereignissen ab oder davon, wie wichtig ein Ereignis im Vergleich zu anderen eingeschätzt wird. Je nach Lebensalter kann dies sehr variieren. Gut belegt ist die altersabhängige Fernsehnutzung, und zwar sowohl bei den Nutzungsfunktionen als auch bei der Fernsehdauer (vgl. Berg/Ridder 2002). Zunächst zu den Funktionen: „Jüngere betonen die Unterhaltungsfunktion, Ältere die Informationsfunktion stärker (…). Bei den 14-29-Jährigen spielen Unterhaltung und Eskapismus (entspannen, Spaß, Alltag vergessen, auch Gewohnheit) eine deutlich überdurchschnittliche Rolle. Informationsmotive (…) bleiben wichtig, das Zustimmungsniveau liegt aber unterhalb der Werte für den Durchschnittsseher. 30-49-Jährige geben bei allen Motiven für das Fernsehen durchschnittliche bis unterdurchschnittliche Bewertungen ab. (…) Durchschnittliche Zustimmung erfahren nur die drei ‘Spitzenreiter’ (…) Information, Spaß, Entspannung. Bei den ab 50-Jährigen dagegen sind die Zustimmungswerte für Informationsmotive leicht bis deutlich überproportional stark ausgeprägt. Für diese Altersgruppe hat das Fernsehen als ganz überwiegende Funktion den Informationsaspekt“ (Berg/Ridder 2002: 79).
Was den Fernsehkonsum betrifft, ermitteln Berg/Ridder (2002: 198) folgende Werte: Tabelle 4: Dauer der täglichen Fernsehnutzung im Jahr 2000 nach Altersgruppen (durchschnittlich, Mo-So, BRD) 14-19 Jahre 20-29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre 60 Jahre u. älter Quelle: Berg/Ridder 2002: 198
198 Minuten 168 Minuten 156 Minuten 160 Minuten 179 Minuten 225 Minuten
8 Durchführung der Befragung
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Dieses Muster der Fernsehnutzung im Lebensverlauf zeigt sich auch in anderen Studien (vgl. Überblick bei Peiser 1996: 132). Da sich also mit dem Alter unter anderem die Fernsehnutzung ändert, war für die Stichprobe ein möglichst breites Altersspektrum anzustreben. Allerdings habe ich Rentnerinnen, Rentner und Jugendliche nicht in die Stichprobe aufgenommen, denn diese bilden spezielle Gruppierungen, die je eigene Annahmen mit theoretischen Grundlegungen verlangen. Dies hätte den Rahmen dieser Studie überdehnt. Der Befund, dass gerade in diesen Gruppen viel ferngesehen wird, gilt häufig auch für Personen, die nicht berufstätig sind. Mit ihnen lässt sich das Merkmal „Vielsehen“ erfassen; so geschehen in der vorliegenden Stichprobe. Bei der Verteilung des GESCHLECHTS sollten Frauen und Männer jeweils in ausreichender Zahl zu Wort kommen. Die Ärgerforschung konnte bislang keine eindeutigen Geschlechtsunterschiede für die Art und Weise nachweisen, wie Frauen und Männer Ärger empfinden, ihn ausdrücken und mit ihm umgehen. „Frauen reagieren nicht ‘netter’ auf Ärger, sie reagieren überhaupt kaum anders als es die Männer tun“ (Weber 1994: 265). Zu diesem generellen Ergebnis kommt in einer jüngeren Studie auch Micus (2002: 232).98 Grundsätzlich bleibt vorstellbar, dass dieses generelle Ergebnis im Licht einer spezifischen Situation anders sein könnte. Die Studie Massenkommunikation (Berg/Ridder 2002) zeigt für das Medium Fernsehen, dass Frauen pro Tag durchschnittlich fünfzehn bis zwanzig Minuten länger fernsehen als Männer, die Unterschiede in der Nutzungsdauer sind somit eher mäßig. Ferner unterscheiden sich Frauen und Männer kaum in ihren Nutzungsmotiven. Anders wird das Bild hinsichtlich der Programmpräferenzen: Keine nennenswerte Unterschiede sind zu ermitteln, wenn man Frauen und Männer nach ihren Vorlieben zu den Großgruppen (z.B. Serien, Spielfilme, Information) befragt (vgl. Berg/Ridder 2002). Unterschiede zeigen sich erst mit Blick auf die speziellen Inhalte. So bevorzugen Frauen „Spielfilme und Serien, die zwischenmenschliche Beziehungen und Gefühle in den Mittelpunkt stellen und zum Teil an Alltagsproblemen anknüpfen, und in zweiter Linie Talkshows zu allgemein-menschlichen Problemen, die ebenfalls Bezüge zum Zwischenmenschlichen und zu Alltagsproblemen haben. Die Favoriten von Männern sind vor allem actionorientierte Spielfilme und Serien, in denen der Kampf zwischen Gut und Böse im Mittelpunkt steht, ferner Politische Magazine und (…) Sportübertragungen. Sexfilme werden ebenfalls deutlich öfter von Männern als von Frauen gerne gesehen, allerdings geben nur kleine (männliche) Minderheiten dieses Genre an“ (Röser/Kroll 1995: 28; ähnlich auch Goetz 1999: 52). Diese 98
Allerdings konnte Micus für den Umgang mit Aggressionen zwei eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern finden (vgl. Micus 2002: 232).
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8 Durchführung der Befragung
Ergebnisse spiegeln die Sichtweisen der befragten Personen wider, ihre Auskünfte beziehen sich nicht auf eine Rezeptionssituation mit mehreren beteiligten Personen. Auch wenn also die Nutzungsmotive und -dauer sowie die allgemeinen Programmpräferenzen bei Frauen und Männern einander ähneln, so kann es in der Fernsehsituation gleichwohl zu Ärger kommen, sind doch zum Beispiel die inhaltlichen Wünsche verschieden. Denn häufig sehen Paare oder Familienmitglieder gemeinsam fern, so dass sich die Gruppe zum Beispiel auf ein Programm einigen muss. In der britischen Untersuchung von Morley (1986) beklagen Frauen, dass deren Männer oder Kinder über das Programm entscheiden oder über die Fernbedienung verfügen. Für den deutschen Sprachraum bestätigen Hurrelmann, Possberg und Nowitzky (1988),99 dass sich die familiären Rollenbeziehungen bei der Programmauswahl abbilden. Ferner konnten Unterschiede für die Art und Weise, wie Frauen und Männer mit Medienangeboten umgehen, benannt werden. Für die Rezeptionsweisen von Serien zeigt sich, „dass Frauen die Serien eher auf die Realität bezogen als Männer“ (Holtz-Bacha 1995: 277f.; vgl. z.B. auch Cornelißen 1994). Außerdem fanden Studien zur medialen Gewalt geschlechtsabhängige Unterschiede für junge Frauen und Männer: „Mädchen reagieren tendenziell auf den Mörder – trotz Angst und Schrecken – eher mit Mitleid, Jungen weniger. Mädchen erleben eher Angst und Schrecken und nicht Wut und Ärger angesichts männlicher Gewalt und sexistischer Diskriminierung“ (Luca 1998: 48; vgl. auch Röser/Kroll 1995: 95; Goetz 1999). Ärger trat aber bei einigen Mädchen auf, die den Film „Pretty woman“ sahen. Sie ärgerten sich über „den Zwang, sich schönmachen zu müssen“ (Luca 1998: 137). Potenziell liegen also sowohl in der Fernsehsituation mit den darin Handelnden als auch in Medieninhalten Anlässe für Ärger. Die männlichen und weiblichen Sicht- und Reaktionsweisen von Erwachsenen sollen in dieser Arbeit beleuchtet werden, wobei außerdem die Dynamik zwischen den Handelnden interessiert. NATIONALITÄT. Die Stichprobe war von vornherein auf Deutsche eingegrenzt. Personen anderer Nationalität habe ich nicht einbezogen, um die Stichprobe nicht durch kulturell bedingte Einflüsse zu verzerren.100
99
Zit. nach Holtz-Bacha (1995: 272), die sich auf folgende Quelle beruft: Hurrelmann, Bettina / Possberg, Harry/Nowitzky, Klaus (1988): Familie und erweitertes Medienangebot. Düsseldorf: Presse- und Informationsamt der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. 100 Eine der Befragten ist zwar russlanddeutscher Abstammung (Kasachstan). Allerdings hat die 24-Jährige eine deutsche Mutter, ist zweisprachig aufgewachsen und lebt seit neun Jahren in Deutschland.
8 Durchführung der Befragung
133
8.2 Rekrutierung der Befragten, Orte und Zeitraum der Erhebung, Besonderheiten zum Interviewzeitpunkt Vor der Rekrutierung der Befragten entwarf ich ein Informationsblatt (s. Anhang I). Um die Emotion Fernsehärger zu explorieren, bedarf es nicht nur der Informationen darüber, ob oder warum sich jemand ärgert, sondern auch der Angaben dazu, ob oder warum sich jemand nicht ärgert. Deshalb waren auf dem Informationsblatt Personen angesprochen, die sich über Fernsehen ärgern sowie Personen, die dies nicht tun. Die REKRUTIERUNG DER BEFRAGTEN erfolgte in zwei Städten und auf verschiedenen Wegen: a) Bestehende Kontakte zur Universität Köln101 konnten genutzt werden, um Studierende für die Befragung zu gewinnen. Das heißt, der Dozent eines Forschungsseminars (Hauptstudium) versandte eine E-Mail an die Teilnehmenden des Seminars. Die E-Mail (s. Anhang I) enthielt meine Projektbeschreibung und die Modalitäten zur Befragung. Interessierte nahmen über E-Mail Kontakt zu mir auf, ihre Teilnahme war somit freiwillig. Unter den Interessierten war ein Student, der nicht dem Forschungsseminar angehörte. Er erfuhr durch einen Teilnehmer des Seminars von meiner Studie und bat um Teilnahme an der Befragung. b) In meinem Wohnort Alsfeld (Kleinstadt in Hessen; ländlicher Raum) nutzte ich das Schneeballverfahren zur Rekrutierung von Befragten. Die Suche über soziale Netzwerke bringt Vor- und Nachteile mit sich. Als Vorteil erweist sich, dass Zielpersonen bereitwillig an der Befragung teilnehmen, weil man einander kennt oder über Dritte bekannt ist und dadurch der Interviewerin eher fraglos Vertrauen entgegenbringt. Ein Nachteil kann sein, dass die Befragten hinsichtlich einiger soziodemografischer Daten kaum variieren. Dieses Problem konnte ich umgehen, indem ich mir bekannte Personen ansprach, die beruflich mit vielen Menschen arbeiten (z.B. Lehrkräfte, Berufsbetreuerin, soziale Hilfskräfte, Arzt, Friseurin, Pfarrer). So erhielt ich Kontakt zu Menschen, die mir persönlich unbekannt waren, die sozial sehr unterschiedlich situiert sind und die wiederum weitere Kontakte herstellten. Persönlich bekannt waren mir drei Befragte. Das Problem von Fremdheit und Vertrautheit stellt sich hier in besonderer Weise, verfügte ich doch über ein Kontextwissen, das ich in anderen Interviews erst erarbeiten musste, um die
101 An dieser Stelle danke ich einmal mehr sehr herzlich Prof. Dr. Jagodzinski und Prof. Dr. Dieter Ohr. So wurde die Befragung möglich und erleichtert, da beide mir Räume für die Interviews bereitstellten und Prof. Dr. Ohr mir bei der Rekrutierung der Befragten sehr half.
134
8 Durchführung der Befragung
Befragten zu verstehen.102 Da mein Kontextwissen und die damit verbundenen Interpretationen die subjektive Sicht der befragten Person verfehlen können, versuchte ich umso mehr, mir vor den Interviews soweit wie möglich über mein Kontextwissen Rechenschaft abzulegen, es nicht als eindeutige Erkenntnisse über die zu befragende Person aufzufassen. Während des Interviews überlegte ich an entsprechenden Gesprächsstellen, welche Fragen ich an eine mir unbekannte Person richten würde. Nun hätte ich mit einer Frage Befremden ausgelöst, wenn die Befragte annehmen konnte, dass ich die Antwort aufgrund des gegenseitigen Bekannt-Seins kennen müsste. So ging es im Interview darum, die Frage zu stellen, ohne Befremden auszulösen und so das Kontextwissen gemeinsam mit den mir bekannten Befragten zu erarbeiten. Auf diese Weise setzte ich mein Kontextwissen nicht als sozusagen gesicherten Datenbestand voraus. Alle Befragten in und um Alsfeld erhielten – wie die Studierenden in Köln – vor den Interviewterminen das Informationsblatt (s. Anhang I). Auch die Teilnahme der Befragten um die und in der hessische/n Kleinstadt war freiwillig. ORTE DER DURCHFÜHRUNG. Die Kölner Universität stellte mir freundlicherweise einen Raum zur Verfügung, in dem ich die Studierenden befragen konnte. Alle weiteren Interviews in meinem Wohnort führte ich bei den Befragten oder bei mir zu Hause durch wie auch in einem Raum, der mir von der Evangelischen Kirchengemeinde Alsfeld zur Verfügung gestellt wurde. Bei der Vereinbarung des Interviewtermins ließ ich die Befragten über den Ort des Treffens entscheiden. ZEITRAUM DER ERHEBUNG. Die etwa eineinhalb- bis zweistündigen Interviews wurden allesamt von der Verfasserin durchgeführt und auf Band aufgezeichnet. Der Zeitraum der Erhebung erstreckte sich über ein Jahr (Juni 2002Juni 2003), in dem ich insgesamt 20 Interviews für die Hauptuntersuchung103 führte: Köln (Juni 2002) 5 Alsfeld/Hessen (Okt. 2002-Juni 2003) 15 20 BESONDERHEITEN ZUM INTERVIEWZEITPUNKT IN KÖLN. Zeitgleich mit den Befragungsterminen in Köln fand die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Außergewöhnliche Ereignisse wie dieses führen nicht nur viele Menschen vor den Fernsehbildschirm, sondern in dieser Zeit gegebenenfalls auch vermehrt. So war es 102 Zum Problem von Kontextwissen als Fehlerquelle bei der Datengewinnung und -analyse vgl. etwa Deppermann (2001: 89). 103 Vor der Hauptuntersuchung führte ich drei Probeinterviews in meinem Wohnort in Hessen durch.
8 Durchführung der Befragung
135
erwartbar, dass sich Befragte im Interview auf das Großereignis beziehen würden. Jedenfalls gab es den Bezug bei der Terminvereinbarung. Selbstverständlich berücksichtigte ich die Zeiten der Spielübertragungen im Fernsehen. GESCHENK. Am Ende eines jeden Interviews bedankte ich mich bei den Befragten mit einem Geschenk. Die Kölner Studierenden wie auch einige andere Befragte erhielten einen Kinogutschein. Bei den übrigen Befragten orientierte ich mich bei der Auswahl eines Geschenkes an bevorstehenden Feiertagen wie Weihnachten und Ostern oder an Hinweisen, die Befragte zu ihrer Person (z.B. Berufstätigkeit, Hobby) bei der Terminabsprache gaben.
8.3 Die Forscherin und ihr Fernsehärger Es ist zweifelsfrei belegt, dass das Verhalten der forschenden Person (Versuchsleiter, Interviewer etc.) das Ergebnis der Studie beeinflussen kann. Die unterschiedlichen Fehler- und Einflussquellen, die bei der forschenden Person liegen können, sind in der Literatur ausführlich diskutiert (vgl. etwa Bortz/Döring 2002: 86-89). Deshalb gehe ich hier einzig auf das Faktum ein, dass Fernsehärger eine der Forscherin bekannte Emotion ist. Mit dieser Überschneidung des Erfahrungsraumes zwischen Interviewerin und Befragten kann einhergehen, dass die Interviewerin die eigenen Fernsehärger-Erfahrungen insofern überträgt oder zugrunde legt, als sie vorschnell die Antworten der Befragten im Sinne von ‘verstanden’ einordnet und ihnen nicht weiter nachspürt, weil die Antworten sich mit den eigenen Ansichten zu decken scheinen. Auch wenn Befragte Aussagen zu Fernsehärger machen, die (tendenziell) mit den Erfahrungen der Interviewerin übereinstimmen, so können sie doch jeweils mit unterschiedlichen Interpretationen, Erlebens- und Verhaltensweisen verbunden sein. Umso wichtiger ist es, durch eine gründliche Selbstbefragung eine Distanz zum Untersuchungsfeld herzustellen (vgl. Kelle/Kluge 1999: 30). So habe ich mir vor Beginn der Befragung Rechenschaft vor allem über all jene Fragen zu Ärger abgelegt, die ich den Befragten zu stellen beabsichtigte und habe im Interview dort weiter gefragt, wo die Antworten mit den eigenen übereinzustimmen schienen.
9 Datenaufbereitung und Schritte der Analyse
9.1 Datenaufbereitung Notizen vor und nach den Interviews. Vor und nach den Interviews protokollierte ich Informationen zur Art und Weise der Kontaktaufnahme, zur Terminierung, zur Interviewsituation und dem -verlauf (z.B. Störungen), zur Anonymisierung und sonstigen Gegebenheiten. Transkription.104 Die Interviews wurden mit Hilfe eines Aufnahmegerätes aufgezeichnet und alle Bänder von mir vollständig transkribiert. Die Bänder schrieb ich in der Regel unmittelbar nach der Durchführung des Interviews oder ohne größere zeitliche Verzögerung ab. Das Transkript enthält sämtliche sprachliche Einzelheiten wie etwa Versprecher, Wortwiederholungen, Pausen, Lachen, Stöhnen, Räuspern, Husten. Auch Worte wie ‘mhm’, ‘äh’ und ‘aha’ wurden übernommen. In der späteren Analyse wurden sie hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bedeutung und nicht mit Blick auf ihre semantische oder linguistische Struktur berücksichtigt. Ferner wurden nonverbale Äußerungen (z.B. rollt die Augen) sowie Störungen oder Pausen (z.B. Türklingeln) vermerkt. Auf Anführungszeichen wurde im Transkript verzichtet, da es sich bei dem gesamten Interview um wörtliche Rede handelt. Demgegenüber werden im Text der vorliegenden Arbeit die Interviewausschnitte in doppelte Anführungszeichen gesetzt und bis auf einige kürzere Zitate optisch vom Fließtext getrennt (Absatzformat, Schriftgrad). Transkriptionssymbole werden sparsam eingesetzt, da die Texte lesbar bleiben sollen. Deshalb werden auch Kurzformen wie hab’s, ich hör’ nicht apostrophiert (z.B. habs, würds, frag); ein Anführungszeichen soll bei Eigennamen und direkter Rede im Zitat (s.u.) stehen. Satzzeichen werden z. T. auch nach Sinn und Betonung gesetzt; der Gedankenstrich wird nicht verwendet, da er mit dem Trennungsstrich für Satzabbrüche (s.u.) verwechselbar ist. Gekennzeichnet wurde wie folgt:
104 Bei der Wahl der Transkriptionssymbole und -regeln orientierte ich mich vor allem an Hopf/ Schmidt (1993: Anhang C2), Keppler (19952: 284), Mayring (2002: 85-103).
9 Datenaufbereitung + Schritte der Analyse
137
Interviewerin: I: oder Interviewerin. Kürzel für Befragte: Für jede befragte Person vergab ich ein Kürzel, hinter dem die Person nicht erkennbar ist (Anonymisierung). Das Kürzel steht im OriginalTranskript und nicht in Interviewzitaten in dieser Arbeit. Hier wurde in Zitaten mit Sprecherwechseln das Wort Befragte oder Befragter verwendet. Akustisch unverständlich: #...#, oder der vermutete Text: Bericht#erstattung# Betont gesprochen: Großbuchstaben, z.B. JA; das haben sie ABGESETZT Sprechlautstärke oder -geschwindigkeit: Ändert sich die Lautstärke oder die Geschwindigkeit auffallend, dann erfolgt ein Vermerk, z.B. [spricht leise], [spricht schneller]. Gleichzeitiges Sprechen, Zwischenbemerkungen: (I: mhm), z.B. Befragte: Ich mag die Sendung nicht (I: mhm), und deswegen sehe ich sie nicht. Direkte Rede und Eigennamen im Interviewtext: ein Anführungszeichen, z.B.: Da hab ich ‘nein’ gesagt und habe die Sendung ‘Big Brother’ ausgeschaltet. Weil das Anführungszeichen überwiegend hierfür reserviert ist, wird es nicht gesetzt bei Kurzformen wie: ich habs im TV gesehen; obs ne gute Sendung ist? Wort- / Satzabbrüche: Trennungsstrich, z.B.: das hab ich gesehAuslassungen durch Befragte (Unvollständiges): (…), z.B. da hab (ich) gesagt. Pausen: [kurze Pause], [längere Pause]. Tonfall und Bedeutung: Sollte der Tonfall dem Gesagten eine Bedeutung verleihen, die dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und die zum Verständnis wichtig ist, so wird dies vermerkt. Z.B. mhm [fragend]; Fernsehleute sind was Besonderes [zynisch]. Zitatkürzungen: Bei der Ergebnisdarstellung in dieser Arbeit wurden Zitate zum Teil leicht gekürzt. Diese Auslassungen sind durch drei Punkte … kenntlich gemacht. Falsche Formulierungen und Dialektfärbungen: Um der Authentizität willen werden falsche Ausdrucksweisen (Grammatik, Worte) belassen und Dialektfärbungen nach Gehör verschriftet, z.B. falsches Wort Kinderschändler. Erläuterungen in Zitaten: […] Text, der innerhalb von Zitaten in eckigen Klammern steht, stammt von der Verfasserin. Der Text dient der Verdeutlichung und besseren Lesbarkeit der Aussagen, z.B. da hab ich dann ständig [zum Ehemann] gesagt.
9.2 Schritte der Analyse Die Datenanalyse setzte in gewissem Sinne während der Interviewführung ein. Das heißt, das, was hier auffiel, wurde notiert und in der späteren Analyse berücksichtigt. Diese begann, nachdem ein Transkript vollständig vorlag, und so
138
9 Datenaufbereitung + Schritte der Analyse
bildete die Betrachtung des Einzelfalls den ersten Schritt (vgl. Pkt. 7.4 ‘Grounded Theory’). Es wurden die Interviewverläufe sowie auffällige Merkmale zu den Einzelfällen notiert und der Interviewtext hinsichtlich der forschungsrelevanten Fragen (vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’) bearbeitet. Allein für diese Fragen (und nicht für den gesamten Interviewtext) wurden Paraphrasierungen textgetreu und in eigenen Worten formuliert. Hierdurch verdichtete sich das Textmaterial, und bestimmte Muster oder Argumentationen von Befragten traten hervor. Danach ging es um die Benennung von Themen und Kategorien, die die Passagen der Interviewtexte und ihre Paraphrasierungen enthielten. Die Themen und Kategorien wurden so lange wie möglich textnah, dann fachsprachlich formuliert. So, d.h. empiriegleitet, entstand ein Kategorienschema. Durch die Themen- oder Kategorienbildung konnten die Texte geordnet und verglichen werden, und zwar sowohl auf der Einzelfallebene als auch über die Befragten hinweg. Bei der Analyse oder dem Vergleich der Textausschnitte (Textsynopsen) rückte die sequenzielle Bearbeitung insofern in den Hintergrund, als jetzt nicht mehr der gesamte Interviewtext betrachtet wurde. Der Gesamtblick wurde jedoch vor den Entscheidungen für die Ergebnisse erneut eingenommen, um die Ergebnisse daran zu messen. Die Vorgehensweise soll am Beispiel für die Ärgeranlässe und Reaktionen verdeutlicht werden: Für jeden Einzelfall arbeitete ich die Ärgeranlässe und Reaktionen heraus, einmal solche, die sich auf den Fernsehinhaltsärger bezogen, dann solche, die sich auf den Ärger rund ums Fernsehen bezogen. Zweierlei Vergleichsarbeiten waren jetzt durchzuführen: Die Ausprägungen zum Ärger über Fernsehinhalte (hier: Anlässe und Reaktionen) wurden mit denen zum Ärger rund ums Fernsehen sowohl auf der Einzelfallebene als auch über alle Befragten hinweg (Fallvergleiche/-kontrastierungen) etwa hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Ähnlichkeiten, Paradoxien verglichen. So sollten neue Erkenntnisse gewonnen oder Fragen beantwortet werden wie etwa: Ist Inhaltsärger für Fall xy genauso bedeutsam wie Ärger rund ums Fernsehen (Einzelfallanalyse)? Und wie ist diese Frage zu beantworten, wenn man alle Befragten betrachtet (Fallvergleiche)? Bei den Auswertungsarbeiten wurde nicht auf Software für qualitative Forschung zugegriffen, da die Studie sehr explorativ angelegt ist (zu den Grenzen der computergestützen Analyse vgl. etwa Mayring 20038: 116f.). Eingesetzt wurde (freilich) ein Textverarbeitungsprogramm. Kodierungsbeispiele für die Kategorien Anlässe und Reaktionen sollen an dieser Stelle nicht aufgeführt werden, da die Kapitel 11 (‘Anlässe’) und 12 (‘Reaktionen’) ausführliche Belegzitate enthalten. Anders ist dies für die Unterkategorien wie etwa Häufigkeit und Intensität des Ärgers. Beispielzitate hierfür finden sich in Anhang III.
TEIL IV ANALYSE UND ERGEBNISSE
10 Die Stichprobe
10.1 Soziodemografische Daten Die Stichprobe umfasst 20 Befragte, wobei 13 Frauen und 7 Männer an der Befragung teilgenommen haben. Das Alter der Befragten betrug zum Zeitpunkt der Interviews durchschnittlich 37 Jahre. Tabelle 5: Alter der Befragten Altersgruppen N 20-29 Jahre 9 30-39 Jahre 4 40-49 Jahre 5 50-59 Jahre 2 Gesamt 20
Anteil 45 % 20 % 25 % 10 % 100 %
Die Schulbildung der Befragten setzt sich wie folgt zusammen: Tabelle 6: Schulbildung der Befragten Bildungsabschlüsse Hauptschulabschluss Realschulabschluss Abitur Fach-/Hochschulabschluss Gesamt
N 4 3 6 7 20
Anteil 20 % 15 % 30 % 35 % 100 %
Die berufliche Situation reicht von der Phase der Berufsausbildung bis zum Vorliegen von Mehrfachqualifikationen. Fünf der Befragten mit Abitur befinden sich am Ende einer akademischen Erstausbildung, d.h. im (Haupt-)Studium. Fünfzehn der zwanzig Befragten verfügen über einen Berufsabschluss, wobei vier Befragte mehrfach qualifiziert sind. Zehn der 15 Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung gehen einer beruflichen Tätigkeit nach, während
142
10 Stichprobe
sich für fünf Befragte mit Berufsabschluss die Situation wie folgt darstellt: Zwei Befragte sind zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos. Eine Befragte ist Hausfrau und Mutter. Eine andere Befragte ist Hausfrau und Mutter und zugleich erwerbsunfähig. Sie wird von einer Berufsbetreuerin betreut. Eine weitere Befragte hat nach dem Abitur und nach Abschluss einer Berufsausbildung ein Studium aufgenommen und ist zum Zeitpunkt des Interviews Studentin. Den Familienstand der Befragten gibt die folgende Tabelle wieder: Tabelle 7: Familienstand der Befragten N
Anteil
Ledig
4
20 %
Ledig, mit Partner/in zusammenlebend
4
20 %
11
55 %
1
5%
20
100 %
Verheiratet Getrennt lebend, und mit Kindern Gesamt
Neun Befragte hatten Kinder. Die Anzahl der Kinder zeigt die nächste Tabelle: Tabelle 8: Befragte mit Kind oder Kindern Befragte Anzahl der Kinder 4 1 2 2 2 3 1 4 9 Die Stichprobe wies einige Besonderheiten auf: a) Einige der Befragten standen in engerem Kontakt zueinander. So nahmen vier Paare und ein Freundschaftspaar an der Befragung teil. Von drei Paaren war mir vor der Erhebung bekannt, dass sie verheiratet sind. Bei einem Paar stellte sich im Interview heraus, dass es unverheiratet ist und die Personen zusammenleben. Ebenso erfuhr ich erst im Interview, dass zwei Männer unter den Befragten miteinander befreundet sind und sich in Köln eine Wohnung teilen. Es können Vor- und Nachteile damit verbunden sein, wenn Paare an einer Befragung teilnehmen, auch wenn die Personen einzeln interviewt werden. Nachteilig könnte sein, dass die Stichprobe weniger variiert, ist es doch ein (un-
10 Stichprobe
143
widerlegter) sozialpsychologischer Befund, dass Personen in Paar- oder Freundschaftsbeziehungen einander ähnlich sind. Vorteilhaft könnte sein, dass die Paardynamik in der Fernsehsituation der Interviewerin deutlicher vor Augen tritt, wenn die Sichtweisen derer vorliegen, die an der Situation beteiligt waren. Das könnte die Auswertung bereichern. Als weitere Besonderheit ist denkbar, dass die Befragten sich über das Interview austauschen, sobald eine der beiden Personen interviewt worden ist. Die Antworten würden damit nicht mehr allein in der Interviewsituation generiert. Als positiv könnte sich daran erweisen, dass die Befragten durch den persönlichen Austausch eine größere Klarheit über einzelne Fragen gewinnen und dies dem Interview zugute kommen kann. Grundsätzlich ist jedoch ein vorheriger Austausch möglichst zu vermeiden. Bei den Befragten, von denen ich erst im Interview über ihre persönliche Verbindung erfuhr (zwei Paare), konnte ich diese möglichen Effekte nicht kontrollieren. Bei zwei anderen Paaren konnte ich den Austausch über den Interviewverlauf ausschließen, indem ich pro Paar einen Tag vereinbarte, an dem die Befragung stattfinden sollte. Das heißt, ich interviewte zwei einander nahe stehende Personen an einem Tag. Da die Befragten an dem jeweiligen Interviewtag verschiedenen beruflichen Terminen nachzukommen hatten, lag für mich an diesem Tag eine genügend große Pause zwischen den Interviews, es war aber nicht so viel Zeit, dass die Befragten Gelegenheit zum Austausch gehabt hätten. Bei einem Paar führte ich beide Interviews an einem Nachmittag durch. b) Die Stichprobe war ausgerichtet auf deutsche Personen (vgl. Pkt. 8.1 ‘Vorüberlegungen zu den Personenprofilen’). Eine der Befragten ist russlanddeutscher Abstammung (Kasachstan). Während des Interviews tauchten keinerlei sprachliche Probleme auf, da die 24-jährige aufgrund ihrer deutschen Mutter zweisprachig aufgewachsen ist und seit neun Jahren (zum Interviewzeitpunkt) in Deutschland lebt. Diese Merkmale rechtfertigten, die Daten dieses Interviews in die Auswertung einzubeziehen. Die folgende Tabelle gibt einen ‘Überblick über die Stichprobe’.
144
10 Stichprobe
Tabelle 9: Überblick über die Stichprobe (alle Angaben zum Zeitpunkt der Interviews – Erhebungszeitraum 2002-2003) Fall Al-
1
GeSchulabter schlecht schluss 25 w Abitur
2
47 w
Realschule
3
32 w
Universität
4
55 w
5 6
28 w 48 w
7
39 w
y Lehramt (Realschule) y Arzthelferin y Staatl. gepr. Hauswirtschaft. Hauptschule y Friseurin Fachhoch- y Drogistin ySozialarbeischule (FH) terin Hauptschule y Bekleidungsfertigerin
8
39
m Realschule
9
56
10
41
m FH + Universität m Universität
11
48 w
12
41
13
24 w
Hauptschule y Friseurin
Friseurin
14
30 w
Hauptschule y Verkäuferin
Hausfrau, Mutter
15
21 w
Realschule
16
23
17
24 w
18 19 20
23 26 w 24
Berufausbildung/en y Augenoptikerin
Ausgeübter Beruf Studentin
y Zahntechnikerin y Malerin
y Zahntechnikerin (freiberuflich) y PferdepensionLeiterin y Freie Mitarbeit im sozialen Dienst y Malerin y Küsterin (Teilzeit) y Diplom-Handelslehrerin Lehrerin
Universität
Volkshochschuldozentin Arzthelferin Friseurin selbständige Berufsbetreuerin Erwerbsunfähig; Hausfrau, Mutter arbeitslos
y Metallarbeiter und Weiterbildung: CNCZerspanungsmechaniker y Dipl.-Ingenieur Dozent Fachschule y Lehramt y Dipl.-Handelslehrer Lehrer
Fachhoch- y Kinderpflegerin yErschule (FH) zieherin ySozialpäd. m Universität y Theologe
Lehrkraft Pfarrer
y Friseurin
arbeitslos
m Abitur
---
Student
Abitur
---
Studentin
m Abitur Abitur m Abitur
-------
Student Studentin Student
10 Stichprobe
145
10.2 Medienausstattung und Sehtyp Alle Befragte konnten ein umfassendes Programmangebot empfangen. Fünf Befragte verfügten über einen Kabelanschluss, vierzehn über einen SatellitenEmpfänger, eine Befragte wohnte an einem Berg und konnte auf diese Weise viele Programme empfangen. Die Anzahl der verfügbaren Fernsehgeräte beträgt pro Haushalt durchschnittlich 1,65. In neun Haushalten steht ein Fernsehgerät. In weiteren neun Haushalten gibt es zwei Geräte, wobei zwei dieser Haushalte studentische Wohngemeinschaften sind. In zwei Haushalten, ebenso wieder Wohngemeinschaften von Studierenden, sind drei bzw. vier Geräte vorhanden. Sehhäufigkeit. Die Befragten sollten ihre Sehhäufigkeit einschätzen. Anzugeben war, wie häufig pro Tag, pro Woche und wann im Tagesverlauf sie durchschnittlich fernsehen. Anhand aller Angaben wurden dann die Sehtypen ermittelt. Die Operationalisierung von Sehtypen aufgrund von Selbsteinschätzungen und der quantitativen Höhe des Fernsehkonsums ist nicht unproblematisch (vgl. Bonfadelli 2000: 158-162; vgl. zum Problem der Selbsteinschätzung Kap. 6 ‘Methode’). Es kann zum Beispiel sein, dass ein Fernsehgerät eingeschaltet ist, ohne dass die Inhalte dauerhaft verfolgt werden, denkbar ist auch, dass ein Musikkanal gewählt wird, um ihn radioähnlich zu nutzen und so fort. Dies sehend wurden neben den quantitativen Selbsteinschätzungen auch die Angaben der Befragten, die sie innerhalb des Interviews machten, hinzugezogen. Auch dies löst das Problem nicht grundsätzlich, aber es verbreitert hier die Entscheidungsgrundlage. In einigen Fällen hatten sogar die Befragten selbst im Laufe des Interviews ihre Einschätzungen revidiert.105 Vier Sehtypen wurden mit folgenden Zuordnungen gebildet. Der TVKonsum ist:
wenig:
mäßig:
hoch: extrem:
Es wird 1,5 oder weniger Stunden an einem Tag ferngesehen, dabei wird nicht täglich ferngesehen; Es wird mehr als 1,5 und bis zu 3 Stunden an einem Tag ferngesehen, i. d. R. täglich; Es wird mehr als 3 und bis zu 4 Stunden täglich ferngesehen; Es wird mehr als 4 Stunden täglich ferngesehen;
105 Ein Befragter drückt sich so aus: „Es wird wahrscheinlich auch so sein, dass … wir doch mehr fernsehgucken als wir denken, also als ich da angekreuzt hab, es kann sein, dass es länger dauert, dass wir mehr-, dass ich länger-, wenn man alles… zusammen zählt, dass es doch länger ist als eineinhalb Stunden“ (Fall 10).
146
10 Stichprobe
Es ergibt sich für die zwanzig Befragten folgende Verteilung: Tabelle 10: Sehtyp Der Fernsehkonsum ist …
N
Anteil
…wenig
3
15 %
…mäßig
14
70 %
…viel
1
5%
…extrem viel
2
10 %
20
100 %
Es zeigt sich, dass die Stichprobe mit 70 Prozent mehrheitlich Personen umfasst, die mäßig häufig, also in der Regel täglich zwischen 1,5 und 3 Stunden, fernsehen. Drei Personen (15 %) sehen wenig fern, eine Person hat einen hohen, und zwei Personen haben mit mehr als vier Stunden einen extrem hohen Fernsehkonsum. Die Gruppen setzen sich wie folgt zusammen: Von den Wenigsehenden (3 Personen) sind zwei Personen sehr hoch gebildet, eine Person hat einen mittleren Bildungsabschluss und arbeitet überwiegend freiberuflich (siehe Tabelle 9, Fall 2). Die mäßig Fernsehenden (14 Personen) bestehen zu 36 Prozent (5 Befragte) aus sehr hoch Gebildeten, 43 Prozent (6 Befragte) sind hoch gebildet, 7 Prozent (1 Befragte) haben einen mittleren Bildungsabschluss, und 2 Prozent (2 Befragte) sind gering gebildet. Die viel sehende Person ist gering gebildet und erwerbsunfähig. Von den extrem viel Sehenden (2 Personen) ist eine Person gering gebildet und Hausfrau und Mutter eines mehrfach behinderten Kindes. Die andere Person hat einen mittleren Bildungsabschluss und ist seit langer Zeit arbeitslos.
11 Anlässe
11.1 Kapitelüberblick und Hinweise In diesem Kapitel werden die Anlässe zusammengetragen und besprochen, die bei den Befragten Fernsehärger hervorriefen. Dabei werden zwei Ärgerbereiche unterschieden: Einerseits geht es um Ärger durch inhaltliche oder formale Aspekte des Fernsehangebots (Pkt. 11.2), andererseits um Ärger, dessen Ursache in Situationen ‘rund ums Fernsehen’ liegt (Pkt. 11.3). In Kapitel 11 wird die Art der Anlässe berichtet, und in Kapitel 13 werden sie verglichen und tiefer gehend betrachtet. Zur Anzahl und Betitelung der Unterkapitel und Kategorien bedarf es folgender Informationen: Für jeden der beiden oben genannten Ärgerbereiche wurden sieben Unterkapitel (Pkte. 11.2.1 bis 11.2.7 und 11.3.1 bis 11.3.7) gebildet. Dass die Anzahl der Unterkapitel übereinstimmt, ist ein Auswertungsergebnis, es wurde nicht mit einer bestimmten theoretischen Absicht herbeigeführt. Bei den Anlässen rund ums Fernsehen (Pkt. 11.3) bezeichnen die Titel der Unterkapitel zugleich die jeweilige Art des Ärgeranlasses. Dies ist bei den Anlässen zu den Fernsehangeboten (Pkt. 11.2.) anders. Hier stellen die Titel der Unterkapitel eher Ärgerthemen (z.B. Gewalt) als Ärgeranlässe (z.B. Gewalt ist ein Normbruch) dar, das bedeutet, die Themen sind nicht identisch mit den Ärgeranlässen.106 Diese werden am Ende eines jeden Unterkapitels benannt und schließlich in Pkt. 11.2.8 explizit zusammengestellt. Dort zeigt sich dann – dieses Ergebnis darf vorweggenommen werden –, dass für den Ärger über das Fernsehangebot fünf Anlasskategorien gebildet wurden, während es für den Ärger rund ums Fernsehen sieben Kategorien sind (vgl. Punkte 11.2.8 und 11.3.8, die Überblicke über die Anlässe geben). Kategoriebildung. Welche Kriterien bei der Kategoriebildung zur Identifikation von Ärger zu berücksichtigen waren, wurde in Kapitel 6 erläutert. Kriterien für die Ärgerauslösung werden auch innerhalb des Ergebnisberichts be106 Warum in der Überschrift das Ärgerthema (z.B. Werbung) und nicht der eigentliche Anlass steht, und die Frage, wie in dieser Arbeit damit verfahren wurde, habe ich in Punkt 1.3.2 ‘Hinweise zu den Kapiteln 11 und 12’ dargelegt und begründet.
148
11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote
nannt, wo die Befragten zitiert und deren Worte analysiert werden. Beispiele zur Kodierung von ‘Häufigkeit’ und ‘Intensität’ des Ärgers enthalten die Tabellen A1+A2 im Anhang III. Die Befragtenzitate enthalten gelegentlich mehrere Anlässe zugleich. So ist denkbar, dass sich jemand sowohl über unrichtige Inhalte einer Berichterstattung ärgert als auch über die Art, wie ein Moderator die Inhalte darbietet. Beide Anlässe wurden kategorisiert und in verschiedenen Kapiteln besprochen. Die Interviewtexte hingegen konnten nicht immer in solch strenger Weise reduziert und auf verschiedene Kapitel verteilt werden, gelegentlich enthält ein Befragtenzitat also mehr als nur jenen Anlass, auf den sich ein Kapitel konzentriert. Zur Notation der Zitate vgl. Pkt. 9.1 ‘Datenaufbereitung’. – Jetzt sollen die Befragten zu Wort kommen.
11.2 Fernsehangebote und Ärger 11.2.1 Programmgestaltung 11.2.1.1
Werbung
Zwölf der zwanzig Interviews enthalten das Thema Werbung. Vier dieser zwölf Befragten empfinden Werbung als störend, wobei das Ausmaß von der puren Feststellung: „Ach, die stören mich auch“ (Fall 2) bis hin zu stark empfundener Störung reicht: „Ich finde sie ganz furchtbar störend“ (Fall 6). Freilich bedeutet eine Störung noch nicht zugleich Ärger. Dieser wird bei neun Befragten sichtbar. Deren Grundaussage ist, dass Werbung stört und verärgert. Dabei tragen verschiedene Faktoren zum Ärger bei: Bei einigen gereicht allein die Unterbrechung einer Sendung zum Ärger, bei anderen ist es neben der Unterbrechung auch der Werbeinhalt, wieder andere ärgern sich erst ab einer bestimmten Menge und Qualität von Werbung. Der Bericht soll mit den Worten eines Befragten beginnen, der sich ärgert über die WERBE-UNTERBRECHUNG: „Befragter: Also was mich natürlich ärgert sind diese dauernden Werbeunterbrechungen, das geb ich zu. Also wenn ich dann richtig rausgerissen werde aus ner Thematik…ja, das nervt schon ziemlich, das zerreißt eigentlich alles. [Etwas später:] Interviewerin: Wenn du dich über Fernsehinhalte ärgerst, kommen dir dann diese Inhalte vor…als wären diese Inhalte eine Zumutung? Befragter: also beispielsweise diese Werbeblöcke…das ist ne Zumutung, ja“ (Fall 10).
11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote
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Eine Befragte weist deutlich auf ihr Fernsehmotiv hin, wenn sie sagt, dass durch die Werbeunterbrechung „das Vergnügen getrübt“ (Fall 18) wird. UNTERBRECHUNG + INHALT. Zu der ärgerlichen Rezeptionsunterbrechung, die mit Werbung einhergeht, kommen ungemochte Inhalte (siehe dazu auch Pkt. 11.2.2 ‘Berichterstattung…’). So ärgert sich der folgende Befragte vor allem über Werbung mit erotischen Inhalten. Er kann dieser Werbung nicht ausweichen und fühlt sich durch diese Unausweichlichkeit bevormundet. Der Ärgeranlass liegt somit in der Einschränkung seiner Freiheit, wobei die Einschränkung vor allem inhaltlich (d.h. beim Thema Erotik) begründet ist. Wie wichtig ihm das Thema ‘Erotik in der Werbung’ ist, wird an seiner eingeschobenen, halb fragenden Bemerkung, dass er nicht wisse, ob dazu im Verlauf des Interviews noch eine Frage komme, deutlich: „Befragter: Was mich auch noch ganz stark nervt, ich weiß nicht, ob…da noch ne Frage kommt, das sind diese 0190er-Werbungen, die…immer ab elf Uhr kommen, das ist zum Beispiel etwas, das mich ganz, ganz arg nervt. Interviewerin: Warum nervt Sie das? Befragter: Das ist einfach so ne…Geschichte…dass ich selber entscheiden will, ob ich so was sehen will oder nicht,…da kommt dann auf einmal so…, zack, ma guckt irgendeinen Spielfilm,…und dann zack Werbung, und schon wird man bombardiert mit irgendwelchen…komischen…Werbeangeboten mit…erotischem Inhalt, und, und das will (ich) eben selber entscheiden, da fühl ich mich bevormundet, und das ärgert mich dann schon, und das find ich auch von der, von der Fernsehkultur her…verwerflich“ (Fall 16).
Der Befragte weist auf die Unausweichlichkeit hin: „Praktisch siehts ja meistens so aus, dass man…nicht genau weiß, wann geht … die Sendung wieder weiter, das heißt, man bekommt zwangsläufig immer etwas mit, weil man immer wieder reinguckt [um feststellen zu können]: ‘Aha, ist schon vorbei oder nicht?’“ (Fall 16; zu ‘Intimität und Erotik’ s. auch Pkt. 11.2.3).
Der Inhalt spielt auch für die folgende Interviewte eine Rolle, und zwar hinsichtlich der Verstehbarkeit. Die Befragte reagiert auf eine Werbeunterbrechung nicht grundsätzlich mit Ärger, denn manche Werbung „find ich dann zum Teil wirklich klasse gemacht“ (Fall 14). Anders ist dies, wenn verschiedene Faktoren zugleich auftreten: die Unterbrechung z.B. eines interessanten Filmes durch Werbung und gleichzeitig ein schwer zu verstehender Werbeinhalt. Hier reagiert die Befragte mit Ärger. „Aber in dem Moment, wenn ich jetzt eine Werbung sehe, und ich kapier nicht oder weiß nicht, was ich damit anfangen soll, das ist dann was, wo ich sag: ‘Für was läuft
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote das?’ …’Das können se sich sparen’. Und das ärgert mich dann, grad wenns wirklich dann auch irgendwas ist [ein Film], wo ich denke: ‘Scheiß Werbung’, und dann noch so ne blöde Werbung, oooohh“ (Fall 14).
MENGE + QUALITÄT. Auch für den folgenden Rezipienten ist Werbung durchaus interessant, Ärger über Werbung ist bei ihm abhängig von der Menge und der Qualität der Werbung: „Dumme Werbung... [etwas später:] schlechte Werbung, schlechte Werbung ärgert mich auch, Werbung an sich eigentlich nicht, also wenn…so n Spielfilm von extrem viel Werbung unterbrochen wird, dann ärgert mich das auch, das ist dann einfach schlecht, aber so gut gemachte Werbung oder so was, die find ich auch richtig klasse…schlechte Werbung, die ärgert mich, die ärgert mich auch, einfach weils schlechte Qualität ist einfach“ (Fall 20).
Dieser Befragte meint mit schlechter Qualität die Machart oder die Inhalte wie etwa, wenn mit Werbung Klischees bedient werden, oder „so eine schöne Welt“ (Unrealistisches, vgl. dazu Pkt. 11.2.2 ‘Berichterstattung …’) dargestellt wird. INSGESAMT zeigt sich, dass eine Werbeunterbrechung nicht grundsätzlich oder allein Verärgerung schafft. Manche Werbung gefällt. Ob es zu Verärgerung kommt, hängt von verschiedenen Bedingungen ab. So ist von Bedeutung, wie interessant das Medienangebot ist, das von der Werbung unterbrochen wird, wie sehr also Rezipienten das Thema oder die Medienhandlung weiterverfolgen wollen (z.B. Sportnachrichten, ein spannender Film). Ein weiterer Faktor kann die Menge der Werbeunterbrechungen sein, das heißt die Frage, wie häufig ein Film unterbrochen wird. Ferner sind die Werbeinhalte bedeutsam, sei es, dass der Inhalt nicht verstanden wird, sei es das Thema (z.B. Anstößiges, Unwahrheiten), sei es die Qualität der Inhaltsaufbereitung. Kommt es nun zu einer unerwünschten Unterbrechung, so wird diese von einigen Befragten als Störung des Vergnügens (Fernsehmotiv) und als Bevormundung empfunden, Ärger stellt sich ein. Hinter dem Ärger über Werbung stehen somit vor allem folgende Ärgeranlässe:
Störung der Rezeption (Unterbrechung durch Werbung), Beschneidung der Freiheit (Bevormundung), Verstöße gegen Normen und Werte (z.B. Inhalte sind anstößig oder unwahr), Subjektive Über- oder Unterforderung durch die Qualität des Medienprodukts (zu schwere oder langweilende Inhaltsaufbereitung). Die Überforderung führt zu dem Eindruck, ausgegrenzt zu sein oder nicht teilhaben zu
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können. Die Unterforderung zieht Langeweile nach sich. Beides kann zu Ärger führen.
11.2.1.2
Sendungen fallen aus, weg oder werden wiederholt
Zu Ärger kann führen, wenn gemochte Sendungen nicht mehr ausgestrahlt werden oder wegen außergewöhnlicher Ereignisse (z.B. Fußball-Weltmeisterschaften, Skispringen) ausfallen. Vier Befragte sprechen dies an. Das ABSETZEN EINER SENDUNG thematisiert etwa diese Befragte: „Also ich hab mich jetzt neulich geärgert, wo (die) meine Serie da abgesetzt haben, diese ‘King of Queens’, das hat mich total geärgert, weil die [Serie] war richtig gut. Und da hatt ich die ja so oft geguckt, und man hatte sich da so dran gewöhnt, hat die so eingebaut in den Tagesablauf, und dann guck ich so ins Heft, und da kam (die) eben nicht mehr [lacht]. Das hat mich geärgert“ (Fall 3).
SENDUNGEN FALLEN AUS – dazu äußert sich eine Befragte wie folgt: „Und zwar hab ich mich da geärgert, da hatten meine Kinder so bestimmte Sendungen, die ich auch sehr gut fand wie ‘Löwenzahn’ oder ‘die Sendung mit der Maus’, wenn dann irgendein sportliches Ereignis war wie Skispringen oder so, dann-, was wurde GESTRICHEN?! Die ‘Sendung mit der Maus’ oder ‘Löwenzahn’! Alles andere blieb, aber die Kinder(sendungen) haben sie- (gestrichen). [Etwas später:] Und was mich halt auch stört,…es ist ja nicht jeder sportbegeistert, zum Beispiel wenn Winterolympiade ist oder Fußballweltmeisterschaft,…ich treibe gerne Sport, ich gehe joggen, ich reite, aber ich interessier mich nicht dafür, ob die im Fernsehen jeden Tag hinterm Ball herrennen, und dass das so ne Priorität hat, dass man das so aufgedrückt kriegt, auch die Leute, die sich dafür nicht interessieren, dass alles verschoben wird, und wenn man aufwacht oder man anmacht kommt Skispringen oder Fußball, also das stört mich schon“ (Fall 2).
Erkennbar wird die subjektive Bedeutung und erlebte Einschränkung, wenn die Rezipientinnen die Programmänderung als ‘aufgedrückt’ bezeichnen oder als etwas, das ihnen weggenommen wird, nämlich wenn ‘meine Serie’ abgesetzt wird. WIEDERHOLUNGEN. Eine der zwanzig Befragten ärgert sich dann, wenn sie nach dem Einschalten einer Sendung bemerkt, dass es sich um eine Wiederholung handelt und es im Programmheft keinen Hinweis darauf gab. Dadurch wird unter anderem ihr Fernsehmotiv ‘spannende Unterhaltung’ vereitelt.
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote „Und was mich zum Beispiel auch noch ärgert, (das) ist mir grad eingefallen, wenn se irgendwie zum Beispiel Serien wiederholen, zum Beispiel ‘der Bulle von Tölz’. [Die Sendung] find ich total gut, und dann freu ich mich schon, dann les ich…im Heftchen, da kommt abends…’Bulle von Tölz’, da guck ich mir das [die Sendung] an, DA KENN ICH DAS SCHON! Weils halt irgendwo uralt ist, und ich weiß dann schon genau, wer dann da der Mörder ist und so, und das ärgert mich dann doch!“ (Fall 3).
INSGESAMT zeigt sich hier deutlich, wie eine zielführende Handlung (z.B. das Sehen einer Sendung) behindert wird. Diese Zielblockade ist ein wesentliches Element bei der Entstehung von Ärger (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion…’). Zu erkennen sind folgende ärgerauslösende Merkmale:
Störung des Tagesrhythmus und Behinderung des Fernsehwunsches oder -vergnügens (z.B. Sendungen fallen aus oder weg; keine ausreichende Information im Programmheft, diese lückenhafte Information weckt Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden wie z.B. dann, wenn im Programmheft nicht ausgewiesen ist, dass es sich bei einem Angebot um eine Wiederholung handelt); Beschneidung der (Wahl-)Freiheit und/oder Behinderung eines bestimmten Fernsehwunsches (Sendungen fallen aufgrund von großen Sportereignissen aus).
11.2.1.3
Angebotsextreme
Für fünf Befragte geben die Angebotsformen Anlass zu Ärger. Damit meinen sie, dass Sendungen wie zum Beispiel Quiz- oder Talkshows themenarm und -gleich, zuweilen auch zeitgleich auf verschiedenen Programmen zu finden sind. Als Zumutung empfindet dies die folgende Befragte: „Was ich also jetzt bei den Talkshows unmöglich finde, ist schon mal, dass sie eben ständig jetzt mit Vaterschaftstest…durch die Gegend ziehen, also das find ich mittlerweile schon übertrieben…die Themen, die werden immer wieder gewälzt, und immer wieder gewälzt, und immer mehr gewälzt,…die eine Woche kommt das, die nächste Woche kommt montags das, und die Woche drauf kommt schon wieder das Gleiche, es sind zwar dann immer wieder andere Leute, aber es geht wieder um das gleiche Thema, und irgendwann machts dann auch keinen Spaß mehr zu gucken.…es wird aber einfach auf die Dauer langweilig…überall mittlerweile, ja, bei allen Sendern, kann man sagen, immer wieder wiederholt, und wenn man Pech hat, hat man am gleichen Tag die ganzen Sendungen runtergerobbt mit dem Thema, das macht dann einfach keinen Spaß mehr“ (Fall 14).
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Eine andere Befragte argumentiert ähnlich: „Ständig dass es um die Prominenten geht, wer, wie viel, wann, wo, was ausgegeben hat, oder wer neue Schuhe gekauft hat oder sonst irgendwas, das interessiert uns ehrlich gesagt überhaupt nicht,…wenn man nämlich zur gleichen Uhrzeit abends einfach das Fernsehen anmacht, und man sieht ständig das Gleiche …das ärgert (mich) dann halt auch schon, das interessiert mich-, also mich persönlich nicht wirklich, ich wills einfach nicht sehen“ (Fall 5).
Prägnant drückt ein Befragter seinen Überdruss aufgrund der sich wiederholenden Talkshowthemen aus: „Irgendwann kommt immer wieder dasselbe…ach nee da kann man nicht mehr reingucken mit einer Zeit, da hat man die Nase voll“ (Fall 8).
INSGESAMT kritisieren die Befragten also an der Programmgestaltung, dass sie einseitig ist, dabei enthält sie zu viel desselben, und zwar quer über alle Kanäle. Diese Kombination von Themenauswahl und Sendezeiten wird als extrem bewertet; es wird ein Maß überschritten, was zugleich bedeutet, dass die Wahlfreiheit eingeschränkt wird. Daneben kommt es zu Überdruss, Langeweile und in der Folge Ärger, oder, als Variante des Ärgers, zu Unmut oder Entrüstung.
11.2.1.4
Sendezeiten und Wochenendprogramm
SENDEZEITEN. Sieben der zwanzig Befragten erwähnen die Sendezeiten als Ärgeranlass, drei Interviewausschnitte sollen dies wiedergeben. Zwei davon greifen auf, dass die als ‘interessant’ bewerteten Sendungen zu spät ausgestrahlt werden, der dritte Ausschnitt, dass gewisse Inhalte zu früh zu sehen sind. Dabei ist der Ärger über die zu frühe und zu späte Sendezeit mit unterschiedlichen Gründen verknüpft. „Also was mich immer, was mich oft ärgert, das ist die Programmgestaltung, dass ich Sendungen, die ich persönlich für wichtig halte,…dass die häufig einfach zu spät kommen (I: mhm)…dass diese Dinge zu spät oder zu ungünstigen Zeiten gesendet werden (I: mhm) und dass damit eigentlich…viele (Menschen) nicht erreicht werden…ich find es auch selber so ärgerlich, wenn so gute Sendungen so spät abends um elf oder so kommen, weil das mir auch selber ja persönlich auch oft zu spät ist, ne (I: ja), ich am nächsten Tag arbeiten muss, kann ich nicht bis um zwölf oder halb eins vorm Fernseher sitzen, nur um diese eine Sendung zu sehen da, ne, das ist es mir dann auch wieder nicht wert, ne. Also…von der Programmgestaltung her hab ich mich schon oft geärgert“ (Fall 6).
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote „Was ich auch so am Fernsehprogramm insgesamt n bisschen ärgerlich finde, ist eigentlich, also viele von den Sachen, die ich gerne sehen möchte, dann auch ganz spät kommen, irgendwie so erst um zwölf, ein Uhr, und dass wir den (Film) nicht di107 rekt gucken können, sondern den dann aufnehmen, und dann doch erstmal nicht dazu kommen, …[das Video] zu gucken“ (Fall 17).
Wird eine als gut oder wichtig bewertete Sendung spät ausgestrahlt, kann Ärger entstehen, weil man sie aufgrund des Ausstrahlungszeitpunkts nicht ansehen kann. Es ist denkbar, dass aus demselben Grund Ärger über eine zu frühe Sendezeit entsteht. In der Stichprobe nennt eine Befragte für ihren Ärger über die zu frühe Sendezeit allerdings einen anderen Grund. Es ist der Inhalt: die Erotik. Die Interviewte ärgert sich darüber, dass „manche…dieser Sex-Sendungen schon ziemlich früh laufen,… auch für [d.h. wegen der] die Kinder, aber wenige Kinder gehen so früh ins Bett, die gucken auch um elf noch Fernsehen, und da läuft das halt, ne. Das ist nicht so unbedingt gut“108 (Fall 13).
DAS ANGEBOT AN WOCHENENDEN ODER FEIERTAGEN beklagen zwei Befragte, wobei die zweite Stellungnahme zugleich die Sendezeit als Ärgeranlass enthält. „Da kommt wirklich nur Mist im Fernsehen … sonntags nachmittags, wenn man dann mal Zeit hat zum Fernsehgucken, kommt nur Mist manchmal“ (Fall 15).
Das ärgert die Befragte – so antwortet sie auf meine Nachfrage – „nicht immer eigentlich, aber schon oft irgendwie“ (Fall 15). Eine andere Befragte äußert sich wie folgt: „Die Wochenendprogramme sind abends eine Katastrophe (I: mhm). Billig, blöd, also bis auf die Nachrichten überhaupt nicht mein Fall (I: mhm). Also wobei ich jetzt nicht das ganze Programm meine, [nur] bis zu einer bestimmten Zeit, wo ich ins Bett gehe, danach kommt oftmals eigentlich erst das, was mich interessiert“ (Fall 4). 107 Die Sendung aufzunehmen, ist bereits eine Reaktion, und Kapitel 12 geht näher darauf ein. Diese Reaktion wird dennoch hier erwähnt, weil das Erfahrungswissen, dass eine aufgenommene Sendung aus Zeitgründen nicht immer am nächsten Tag gesehen werden kann, mit dem Ärger über die zu späte Ausstrahlung verquickt ist. 108 Das Thema ‘Sex im Fernsehen’ hatte die Befragte bereits zu einem früheren Interviewzeitpunkt angesprochen. Schon dort zeigte sie, dass ihr das Thema am Herzen lag. Nun griff sie es erneut auf. Die Formulierung „auch für Kinder“ deutete ich als einen Hinweis darauf, dass weitere Gründe die Stellungnahme der Befragten ausmachten. Deshalb verweilte ich jetzt bei dem Thema. Zum Ergebnis siehe den Abschnitt 11.2.3 ‘Intimität und Erotik’.
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INSGESAMT steht hinter den Klagen über die Sendezeiten und das Wochenendprogramm als Ärgeranlass der vereitelte Wunsch nach Fernsehen oder bestimmten Fernsehmotiven.
11.2.2 Berichterstattung und Informationsdarbietung Bei etwas mehr als der Hälfte der Befragten (12) lösen die Berichterstattung und die Informationsdarbietung Ärger aus. Die Befragten machen deutlich, worauf sie bei der Berichterstattung und Informationsdarbietung Wert legen: Erweckt ein Beitrag den Eindruck, dass er parteiisch ist oder ‘Stimmung schürt’, dass er unausgewogen, einseitig, unvollständig, oberflächlich oder unehrlich ist oder dass er keine neuen Informationen bringt, kann dies zu Ärger führen. Zusätzlich dann, wenn der Anteil des Unwesentlichen in der Berichterstattung als zu groß oder ein Ereignis als ‘aufgebauscht’ wahrgenommen wird, ist eine Ärgerreaktion möglich. Dabei ist es unerheblich, ob ein Beitrag, der in der beschriebenen Weise wahrgenommen wird, innerhalb einer der täglichen Nachrichtensendungen platziert ist, in einer Dokumentation oder in einem anderen Sendungsformat. Ferner gehen schwer oder nicht verstehbare Inhalte mit Ärger einher. Die Befragten drücken all das Gesagte wie folgt aus. UNAUSGEWOGENE, UNFAIRE BEITRÄGE. Zwei Befragte ärgern sich, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass die Berichterstattung unfair oder unausgewogen ist. Im nächsten Interviewausschnitt äußert eine Befragte Ärger über die Berichterstattung zu den Ereignissen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Im April 2002 lief dort ein Schüler Amok, dabei kamen 17 Menschen zu Tode. Als Lehrerin – in der Berufsrolle liegt der persönliche Bezug zur Sache –, ärgert sie sich über die Erfurt-Medienberichte aus zwei Gründen. Der Erste ist die ungerechtfertigte „Schuldzuweisung [wie etwa]… ‘die Schule und die Gesellschaft hat halt da irgendwie versagt’“ (Fall 3).
Der zweite Grund ist, dass die Lehrer in den Berichten nicht erwähnt wurden: „Befragte: In diesen ganzen Berichten…, dass da echt irgendwie zig Lehrer ums Leben gekommen sind, das hat überhaupt keine Rolle gespielt… da ham se da immer drei Schülernamen… hergehalten und äh die Geschichten erzählt, aber dass da halt ganz viele … Familienmütter und Väter da gestorben sind-: ‘No ja, das war halt Pech’ [zynisch], so ungefähr, und das hat mich total aufgeregt. Interviewerin: Und die Situation mit Erfurt, die hat dich geärgert, weil du das auch aus eigener, äh ja beruflicher-
156
11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote Befragte: Ja na klar.… Also das fand ich…nicht fair irgendwie. Klar, da bin ich natürlich jetzt beruflich vorbelastet“ (Fall 3).
KEINE NEUEN INFORMATIONEN enthielten – so die folgende Befragte – zeitweise die Berichte zum 11. September 2001, dem Tag der Flugzeugattentate in den USA. Im letzten Satz des folgenden Interviewausschnittes tritt die Motivblockierung, die für Ärger kennzeichnend ist, deutlich zutage: „Bei diesem 11. September, das fand ich auch ganz furchtbar, dass es da irgendwie n ganzen Tag mit dreieinhalb Bilder irgendwie eine Sondersendung nach der anderen gemacht haben. Also die wussten ja alle nix. Die ganzen Sender. S wusst ja keiner was, und aber immer und immer-, ja, das fand ich, das fand ich auch ärgerlich,…immer dasselbe gesagt und gezeigt…das bringt einen auch nicht weiter, so“ (Fall 3).
UNEHRLICHE INFORMATIONEN verärgern eine Befragte. Sie sieht es als Angriff auf ihre Berufsrolle als Friseurin, wenn mit Werbung zu Friseurprodukten „was versprochen wird, was theoretisch gar nicht möglich ist…und praktisch auch nicht möglich, also es GIBTs einfach nicht, weil dann hätten wir [als Friseure das Produkt]…schon eher gehabt. Interviewerin: Ja, haben Sie so ein Beispiel? Befragte: Diese komische Bürste, die sich von alleine bewegt [und die Frisur herstellt].…Ich finde das immer furchtbar…ich bin ehrlich meinen Kunden gegenüber, und wenn die dann so was sehen-; ich steh-, ich quäl mich da [im Salon] drei Stunden ab, und die (Kundinnen) sehen so was [in der Fernsehwerbung], und dann denken die: ‘He, warum [kann sie als Friseurin das nicht]’? Das, das ärgert mich dann schon“ (Fall 5).
Die Befragte erklärt – die Falschaussage der Werbung korrigierend –, dass mit dem Werbeprodukt eine Frisur nicht schnell und einfach, sondern nur mit größerem zeitlichen Aufwand hergestellt werden könne, und die Frisur halte nur für kurze Zeit und nicht so lange, wie die Werbung es verspreche, „darum find ichs Verarschung…Das kann mich zum Wahnsinn treiben“ (Fall 5). NEBENSÄCHLICHES, PHRASEN. Zwei Befragte ärgern sich über den hohen Anteil des Unwesentlichen, zumal dann, wenn es „aufgebauscht“ wird wie etwa in Berichten der Sportschau. Hier ist vor allem der freie Zugang zu bestimmten Sportinformationen (Motiv) gestört, der Rezipient muss auf die gewünschten Informationen warten. „Es geht einfach immer weniger um den Sport selber, und immer mehr um die Randerscheinungen, also welche Wochendates der Fußballspieler hatte, und… was
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er…auf seinem Hemdchen unter dem Trikot stehen hat und warum,…also es geht nur noch vielleicht so 70 Prozent um das Spiel und 30 Prozent sind Randbereiche…, die werden aufgebauscht bis zum Geht-nicht-mehr. Das interessiert mich einfach nicht. Und das find ich einfach nicht stringent genug. Das ärgert mich. Plus diese blöden Werbepausen, diese Blöcke. Da ist ein bisschen Ohnmacht [bei dem Befragten]…dann schon mit im Spiel“ (Fall 10).
VORGEFERTIGTE MEINUNGEN, VEREINFACHTE, PARTEIISCHE, EINSEITIGE INFORMATIONEN können zum Ärgeranlass werden (2 Befragte). Wie die Rezipientin des folgenden zweiten Interviewausschnitts deutlich macht, beschneidet eine vorgefertigte Meinung ihren Bildungswillen (Motiv). „Ja also generell ärgert mich am Fernsehen, dass…es immer mehr trivialisiert …stattfindet, auch…in den öffentlich-rechtlichen Sendern, und das ärgert mich sehr. Also dass auch Nachrichtensendungen immer mehr Meinung kundtun und ja diese Nachrichtensendungen auch so… n buntes Schatzkästlein sind, wo dann viel so Klatschnachrichten drin sind, das ärgert mich ziemlich“ (Fall 19). „Befragte: Also Fernsehen ist für mich meistens ein Mittel, um mich zu informieren…, und wenn es dann so parteiisch ist, oder, ja, so einseitig ist, so ne Stimmung macht in ne bestimmte Richtung, dann bin ich darüber total verärgert, ja. Interviewerin: Warum? Befragte: Weil ich mich…in meinem Bildungswillen nicht ernst genommen fühle, ja. …Ich möchte mir selbst ne Meinung bilden, und will nicht die Meinung vorgefertigt kriegen, also ich möchte eigentlich die Fakten dazu hören, ja“ (Fall 11).
OBERFLÄCHLICH, KURZLEBIG, VERKÜRZT, ÜBERTRIEBEN, POPULISTISCH sollten Informationen im Fernsehen aus der Sicht zweier Befragter nicht sein: „Und dann allgemein ruft Fernsehen Ärger bei mir hervor, …weil ichs oft als furchtbar oberflächlich empfinde, kurzatmig und oberflächlich, also alles wird verkürzt dargestellt, alles wird aufgebauscht wie verrückt, also Nachrichten werden aufgebauscht, wird n riesen Ding draus gemacht, n Tag später hört man nichts mehr davon, ist wieder uninteressant, also diese Kurzlebigkeit und Oberflächlichkeit ja und auch aus meiner Sicht ein extremer Populismus, den das Fernsehen betreibt, ärgert mich auch zutiefst, was [d.h. dass Fernsehen so ist] aber ja logisch ist, weil es ja um Einschaltquoten geht, und da muss man immer die Mehrheitsmeinung vertreten, das, was gerade das Volk bewegt“ (Fall 12).
SCHWER VERSTEHBARE INHALTE. Die folgende Befragte ärgert sich, wenn sie Inhalte nicht verstehen kann (s. auch Pkt. 11.2.1.1 ‘Werbung’). Wenn also ein Medieninhalt (z.B. Werbung, Film) schwierig zu verstehen ist, oder wenn es der Rezipientin nach einer Rezeptionsstörung nicht mehr gelingt, der Handlung zu
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folgen, dann ärgert sie sich. Der Ärger bezieht sich auch darauf, dass sie bei ihrem Ehemann nachfragen muss. In folgendem Interviewausschnitt spricht sie von ihrem Ärger über die Sendung ‘AkteX’, die sie von Beginn an nicht sehr mochte, und „zum Schluss fand ichs noch schlimmer, weil da kam ICH überhaupt nicht mehr durch, weil dann alles so verworren war...da hab ich dann ständig [zum Ehemann] gesagt…: ‘Was war denn jetzt wieder? Was soll denn das? Was ist denn da wieder?’, wo ich dann ständig…aufgeklärt werden musste drüber,…und das sind dann auch so Filme, wo ich mich drüber ärger, wo ich sag: ‘Hee, jetzt musst du dich erst wieder mal aufklären lassen, damit du da wieder ein bisschen durchsteigst’, und das nächste Mal war es das gleiche Spiel wieder, weil …ich nicht von Anfang an mit reingucken konnte oder so,…also solche Filme hasse ich ganz und gar, wenn ich 109 dann überhaupt nicht mehr klar komme“ (Fall 14).
INSGESAMT liegen dem Ärger über die Berichterstattung folgende Anlässe zugrunde:
Verstöße gegen Normen, Werte, Tugenden (z.B. mangelnde Fairness, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit in der Berichterstattung); Beschneidung von Freiheit bezüglich des freien Bildungswillens (z.B. vorgefertigte Meinungen behindern die Freiheit, sich eine eigene Meinung bilden zu können; dies sehen Befragte mitunter als Verstoß gegen journalistische Regeln); Blockierung des Wunsches nach Informationen (z.B. keine neuen, zu viele nebensächliche, nicht tiefgründige, nicht verstehbare Informationen).
Die beiden letzten Positionen – i.e. der Wunsch, sich eine eigene Meinung bilden zu wollen, und der nach Information – überschneiden sich. Zum einen kann eine Information aufgrund einer oberflächlichen (nicht tiefgründigen) Aufbereitung wie eine vorgefertigte Meinung erscheinen. Zum anderen kann in den Wünschen zugleich ein Hinweis auf journalistische Grundsätze für das Verfassen einer 109 An dieser Stelle fügt sie – mit zum Teil derber Wortwahl – an, dass der Grund für die Rezeptionsunterbrechung ihr kleines Kind ist. Das Kind ist mehrfach behindert. Durch die Versorgungsverpflichtung, die zugleich eine hohe, auch mit Ärger verbundene Belastung darstellt, kann sie manche Sendungen nicht in voller Länge und ungestört sehen. Fernsehen hat für die Rezipientin einen hohen Stellenwert, sie kann als Vielseherin charakterisiert werden. Wenn sich die Rezipientin nun darüber ärgert, dass sie einer Filmhandlung nach einer Rezeptionsunterbrechung nicht mehr folgen kann, so ist es durchaus möglich, dass dem Ärger nicht allein die mangelnde Verstehbarkeit des Medieninhalts zugrunde liegt, sondern auch die familiäre Situation.
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Nachricht gesehen werden. Gemeint sind die so genannten Nachrichtenfaktoren110 und somit Eigenschaften, die eine mediale Information enthalten sollte, damit sie interessant ist. Bei der Beschreibung der Ärgeranlässe zur Berichterstattung könnte der Eindruck entstehen, dass es Befragten darum geht, darzustellen, wie Informationen dargeboten werden müssen und dabei eher ich-distanziert bleiben, es also einen persönlichen Anteil nicht gibt. Sicherlich kann man davon ausgehen, dass Rezipienten über die Wahrung von Werten und Normen bei einer Berichterstattung wachen und so eine eher allgemeine, ich-distanzierte Perspektive einnehmen. Doch es treten persönliche Bezüge hervor. Zum Beispiel gibt es zwei Befragte, die durch bestimmte Medieninhalte ihre Berufsrolle in Frage gestellt sehen. Die eine Befragte ist Friseurin (siehe ‘unehrliche Informationen’, Fall 5), die andere Lehrerin (siehe ‘unausgewogene, unfaire Beitrage, Fall 3). Zur Erinnerung: die Friseurin beklagt unehrliche Informationen zu Friseurprodukten in der Werbung, weil dadurch der Eindruck entsteht, als sei das Herstellen aufwändiger Frisuren leicht möglich. Die Lehrerin beklagt, dass die Reporter bei dem Bericht über einen Amokläufer an einer Schule kaum über die Betroffenheit der Lehrenden, sondern fast ausschließlich über die der Schüler berichtet hatten. Das empfand die Lehrerin als ungerecht und unsachgemäß, die Berichterstatter (als Verantwortliche) hätten dies anders machen können (Verantwortlichkeitszuschreibung).
11.2.3 Intimität und Erotik Elf Interviews enthalten die Themen Intimität (8) und Erotik (3). Einige Befragte lehnen Erotiksendungen oder Erotikbestandteile innerhalb von Medienbeiträgen (z.B. Spielfilme, Werbeblöcke) ab, insbesondere dann, wenn diese Inhalte zeitlich in den früheren Abendstunden ausgestrahlt werden. Ebenso erregen solche Inhalte Ärger, die als Überschreitung von (Intimitäts-)Grenzen wahrgenommen werden wie etwa in der Sendung ‘Big Brother’, oder wenn in Talkshows sehr persönliche Erlebnisse der oder durch Studiogäste offenbart werden. INTIMITÄT. Eine Befragte (Fall 1) äußert ihren Unmut und Ärger über Fernsehbeiträge, in denen Geburten oder Operationen zur Brustvergrößerung gezeigt werden. Wie sehr medial dargestellte Geburtsszenen eine Grenzüberschreitung 110 Vgl. Schulz (1997) und Kunkel (1998: 80), der prägnant sagt, dass Nachrichtenfaktoren „für die journalistische Einschätzung dessen, was wichtig und deshalb berichtenswert ist, entscheidend“ sind. Eine Nachricht wird zum Beispiel interessant, wenn sie neu, bedeutsam, emotional, eindeutig, überraschend ist.
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darstellen, macht die Befragte sehr deutlich mit der Formulierung, dass Geburt für sie etwas „sehr Heiliges“ ist. Beim Sehen solcher Inhalte ärgert sie sich und erlebt „in gewisser Art und Weise“ Scham, es berührt sie seltsam peinlich. Ihre Bestürzung wird nicht nur durch ihr gesteigertes Redetempo spürbar, sondern sie zeigt sich auch in häufigen Satzunterbrechungen und Äußerungen wie etwa „och nee“ – das nachfolgende Zitat gibt ihre Entrüstung und ihren Ärger über Geburten vor der Kamera wieder: „Befragte: Was…mir zu weit geht, sind diese Schwangerschaften und dieses Kinderkriegen vor der Kamera (I: ja)…das find (ich) absolut unwürdig… (I: ja)…(das) Allerletzte..., ich weiß nicht, wie die sich da vorkommen müssen, wenn da die Geburt-, also das find ich-, nee, wär mir, wär mir persönlich viel, viel, viel, viel, viel zu intim, und diese Situation da vor der Kamera, nee, das find ich das Allerletzte [lacht leicht]. Interviewerin: Mhm, mhm, mhm. Das ist ne Zumutung. Befragte: Ja, das, das ist eindeutig…ne Zumutung. Das würde ich meinem Kind nicht antun wollen. Wenn ich später, wenn ich das, also wenn ich in meinem Alter rausfinden würde, dass meine Mutter sich damals-, das fänd ich so furchtbar. [Etwas später:] ICH find das für MICH peinlich, also das ist ein ganz komisches Gefühl, ich finde das peinlich für diese Frau [vor der Kamera] (I: ja. Sie schämen) und dann… also dann, dann, och nee. Interviewerin: Sie schämen sich für die- [fragend] Befragte: Ja, im Endeffekt schon, ja (I: ja), in gewisser Art und Weise schon, weil ich das so was von blöd-, das-, also nee [beide lachen], also für mich ist Geburt was sehr Heiliges, und deswegen find ich, das ist nicht schön, wenn man so was im Fernsehen zeigen muss. Interviewerin: Es ist zu #intim# eigentlich (Befragte: ja) ne GrenzeBefragte: Also das find ich dann noch schlimmer als irgendwelche Sexfilme oder so“ (Fall 1).
Auch sieben andere Befragte nehmen Anstoß an Medienthemen, die in sehr persönlicher Weise dargeboten werden (z.B. Sexualität, Schwangerschaft, Vaterschaft, Paarkonflikte, Entbindung). Mediengespräche über Themen dieser Art, präsentiert vor allem in Nachmittagstalkshows, werden von einigen Befragten als unerträglich empfunden, und zwar bereits dann, wenn andere (z.B. Haushaltsmitglieder) die Sendung sehen und sie selbst zufällig in den Fernsehraum kommen und das Bildschirmgeschehen mitbekommen. Die Fernsehgespräche – so ein Befragter – „kann ich nicht ertragen, das kann ich echt nicht ertragen“, das ist etwas, „das mich tierisch ärgert“ (Fall 20). Ähnlich ergeht es einer Befragten, wenn sie aus beruflichen Gründen zu einer Klientin kommt, die eine solche Sendung eingeschaltet hat: „Da krieg ich das automatisch mit, also da merk ich rich-
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tig, wie in mir schon Ärger hochsteigt“ (Fall 2). Verärgerung schafft dabei das zu hohe Maß an Offenheit in der (Fernseh-) Öffentlichkeit, also das „Sich-derÖffentlichkeit-Preisgeben“ (Fall 8) sowie das in der Öffentlichkeit gezeigte unangemessene Verhalten: „Wenn sich die Leute einfach hinsetzen und…über ihre Probleme reden, die eigentlich größtenteils niemanden was angeht, und dann sich halt auch so benehmen im Fernsehen“ (Fall 13).
Nach Meinung der Befragten benehme man sich nicht einmal zu Hause in dieser Weise, und so auch nicht „im Fernsehen, wo tausende Leute zuschauen! Und dann die…intimsten Sachen da erzählen, wo niemanden was angeht, oder…wie sie sich überhaupt benehmen, oder wie sie aussehen, also die Gäste, die dann reinkommen und sich da vorne hinsetzen“ (Fall 13).111
Als grenzüberschreitend wird zum Beispiel die Sendung ‘Big Brother’ empfunden. Über Sendungen wie diese hat sich ein Befragter „wirklich aufgeregt“ (Fall 18), er bezeichnet Sendungen dieser Art abschätzig als „Menschenzoo“, als „Käfiggeschichten“, und sein Ärger richtet sich dabei nicht gegen die Sendung, sondern „gegen die Institution an sich“ (Fall 18), das heißt gegen die Medienanstalten. EROTIK. In drei Interviews wird Erotik thematisiert. Einmal sind es Erotiksendungen als solche, die Ärger erregen, einmal sind es Erotikbestandteile oder -szenen in Spielfilmen oder Werbeblöcken. Ich beginne mit dem Ärger über Erotiksendungen, den eine Befragte äußert. Die Befragte findet Sendungen „mit Sex und alles…besonders schlimm“ (Fall 13) und ärgert sich zugleich über deren zeitlich frühe Ausstrahlung (vgl. Pkt. 11.2.1.4 ‘Sendezeiten…’). Sie begründet ihren Ärger damit, dass sie negative Auswirkungen sieht auf y die Kriminalität (Kinderschändung, Sexualmorde): „Ja kein Wunder, dass es die ganzen Sexualmörder gibt oder diese Kinderschändler (sic!), ne, wenn [das mit den Frauen] so offen dargestellt wird im Fernsehen, ne“ (Fall 13).
111 Beinahe wortgleich formulieren es die Fälle 2 und 4.
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y das Zusammenleben von Mann und Frau (Verlust von Intimität, Förderung des ‘Verbotenen’): „Dass es eigentlich nichts Persönliches, nichts Intimes mehr gibt, dass…eigentlich ziemlich offen und frei darüber gesprochen wird, dann ist es ja für die anderen, die vielleicht mal was Neues haben wollen, ist nicht mehr interessant, na und dann greifen die[se anderen] auf irgendwas, was verboten ist, oder was nicht so offen präsentiert wird im Fernsehen, und das ist eigentlich schade, dass diese Sexualität zwischen Mann und Frau so normal geworden ist“ (Fall 13).
y das Selbstbewusstsein der Frau, da der eigene Körper eher nicht so schön ist wie der medial präsentierte Körper. Hier tritt der Bezug des Ärgers zur Befragten – eine Frau – besonders hervor. Sie lehnt Erotiksendungen ab, „weil … dadurch einfach alles schlimmer gemacht wird in diesem täglichen Leben, ja, die zeigen diese schönen Frauen dort, und die Männer sind, sag ich mal, [ohnehin] schon drauf fixiert, und diese jungen Mädchen, auch Frauen, wenn die sehen, die Männer geiern da um solche schönen Frauen, dann kriegt man ja selbst Komplexe, man muss ja schon [ein gutes] Selbstbewusstsein haben! Wenn man nicht so viel besitzt, und dann auch noch so was im Fernsehen zeigt, erwarten Männer irgendwo schon von dir so was, und …(die) Folge davon (ist)…, dass die jungen Mädchen an Bulimie erkranken und magersüchtig sind, es sind die Folgen davon, weil sie so schön sein wollen, wie sie [die Frauen in den Erotikfilmen]. Aber im Endeffekt [d.h. in Wirklichkeit] sind die ja gar nicht so schön, ich… komm ja [als Friseurin] auch aus der Branche, wo ich … kreativ arbeiten kann, und ich weiß ja, wie es gemacht wird, damit die [Frau im Film] so toll aussieht, und ist ja in Wirklichkeit gar nicht so, aber erklär das mal (einem) 15jährige(n Mädchen), die das sieht und genauso aussehen will, ne, und das ist schade, weil alles, schon viel durch so was kaputt gemacht wird“ (Fall 13).
y die Kinder, für die solche Sendungen nicht gut seien (Fall 13; vgl. auch Pkt. 11.2.1.4 ‘Sendezeiten…’; ähnlich auch Fall 16, s. u. in diesem Kapitel). Bei diesen Begründungen ist schwer zu trennen, was Ärgerursache und -reaktion ist. Die gedankliche Aktivität, die Analyse der möglichen Folgen (wie z.B. Kinderschändung, Sexualmorde), die bei dieser jungen Frau einsetzen, sind auch den Reaktionen zurechenbar (vgl. Pkt. 12.2.3 ‘Intimität und Erotik’). Auch erotische Bestandteile (Szenen) in Medienangeboten können als Grenzüberschreitung empfunden werden und daher – wie bei zwei Befragten – zu Ärger führen. „Das lieb ich auch nicht an Filmen, wo einfach so penetrant in Situationen rein gegangen wird, in Liebesszenen rein gegangen wird, dass du das Gefühl hast, du stehst an der Schlafzimmertür, und, und, und beglotzt Leute in einer Situation, wo du sel-
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ber auch nicht beglotzt werden willst. Das find ich also auch-, missfällt mir, ist mir unangenehm“ (Fall 4).
Ein anderer Befragter lehnt weniger Erotikfilme, als vielmehr erotische Bestandteile in der Werbung (vgl. Pkt. 11.2.1.1 ‘Werbung’) oder in Programmangeboten ab, deren Themen nichts mit Erotik zu tun haben, für die aber Erotik verwendet wird. Denn während er die Erotikfilme gezielt meiden kann, fühlt er sich bei Einspielungen erotischer Inhalte gezwungen und überrumpelt, etwas sehen zu müssen, was er nicht sehen möchte, er fühlt sich seiner freien Entscheidung beraubt. „Befragter: Aber jetzt einfach auch ganz unvermittelt in irgendwelchen Magazinen oder Beiträgen Erotik-Darstellungen…, wo man gar nicht mit rechnet, das ärgert mich dann immer (I: ja, mhm), weil ich ja das immer gerne selber entscheiden will: ‘Will ich das sehen oder nicht’. Und wenn ich jetzt weiß, das ist ne Erotik-Sendung, dann weiß ich, okay, da gehts um Erotik, da kann ich entscheiden, will ich das sehen oder nicht. Guck ich aber n Magazin und da wird so was dargestellt, dann fühl ich mich ähm überrumpelt. [etwas später:] Also es ist ja eigentlich ne Überflutung, weil man kann nachts ab zwölf Uhr mindestens alle Kanäle durchzappen, und es [die Erotik] ist da. Also das heißt, man kann dem fast gar nicht entgehen (I: mhm), da ist das Angebot so groß, dass mans zwangsläufig mitbekommt. Von dem her denk ich, dass man da fast schon keine Wahl mehr hat,…ansonsten denk ich, kann sich dem keiner entziehen oder kaum, oder schwierig. Interviewerin: Finden Sie denn …, dass das ne Zumutung ist? Befragter: DAS ist ne Zumutung, ja“ (Fall 16).
Darüber hinaus ist er „auch generell dagegen, dass … dafür im Fernsehen Werbung gemacht wird … [spricht leiser] find ich nicht nötig“ (Fall 16).
Der Befragte begründet seine Position auf folgende Weise. „Das find ich auch von der von der Fernsehkultur her … verwerflich. …weil das eben auch Kinder sehen können“ (Fall 16; ähnlich Fall 13, s.o.; vgl. auch Pkt. 11.2.1.4 ‘Sendezeiten…’).
Die in diesem Kapitel genannten Ärgeranlässe bestehen vorrangig in Verstößen gegen Normen und Werte, indem öffentlich (Intimitäts-)Grenzen überschritten werden. Die bei dem Thema ‘Intimität und Erotik’ empfundene Bedrängnis der Befragten tritt deutlich hervor. Sie sehen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt, und
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sie erleben die Inhalte zum Teil als Angriff auf ihre Persönlichkeit und ihr Privatleben. Das heißt, sie befürchten verschiedene negative Wirkungen auf die eigene Person (z.B. Selbstbewusstsein als Frau) und auf die Gesellschaft (z.B. erhöhte Gewalt). So wollen also Befragte sehr persönliche Anliegen (z.B. Selbstwertschutz) sowie allgemeine Normen und Werte geschützt wissen, wenn sie sich gegen Inhalte zu ‘Intimität und Erotik’ wenden.
11.2.4 Gewalt, Blut, Katastrophen Vier Befragte reagieren mit Ärger und anderen Emotionen (z.B. Ekel), wenn sie zum Beispiel in den Nachrichtensendungen brutale, blutige Szenen oder Bilder zu menschlichen Katastrophen sehen. Beklagt wird auch die Gewalt112 in Kindersendungen. Eine Befragte bezieht sich auf Bilder von Katastrophen oder Menschen in absoluter Not: „Das berührt mich so sehr, …das kann ich nicht ertragen“ (Fall 4). Hier wird die subjektiv empfundene Grenzüberschreitung deutlich erkennbar. Ähnlich äußert sich eine andere Befragte. Sie empfindet es vor allem bei den Tagesnachrichten als Zumutung, wenn Berichte über Krisengebiete oder Katastrophen mit Bildern versehen sind, die persönliche Gegenstände von Betroffenen zeigen: „Die blutigen…Klamotten…quasi noch die zerfetzten Teile [von Menschen]… und dann um zehn nach sieben. Ne. Oder jetzt gestern mit diesem Flugzeugabsturz,…die Schuhe, die dann rumliegen, SO[lche] Sachen zeigen die dann, also das find ich wirklich n Ding, und da sitzen dann bestimmt auch viele … Kind[er vor dem Fernsehgerät]“ (Fall 3).
Dabei spielt für die Befragte eine Rolle, dass es sich nicht um fiktionale, sondern um reale Bilder handelt, mit denen sie zudem unerwartet konfrontiert ist: „Das find ich ne Zumutung, muss ich echt sagen. Also ich mein, wenn ich mir irgendn Krimi oder irgend n Horrorfilm angucke, da weiß ich, was mich erwartet, a-
112 Hier soll nicht definiert werden, was unter Gewalt zu verstehen ist. Es wurde auch im Interview nicht nachgefragt, was die Befragten unter Gewalt verstehen. Sie danach zu fragen, sah ich nicht als erforderlich und förderlich an, denn entscheidend ist, welche Begründung die Befragten dafür liefern, dass sie sich über Gewaltdarstellungen ärgern. So kann es durchaus sein, dass die Befragten eine Auffassung von Gewalt zugrunde legten, die einer wissenschaftlichen Definition nicht standgehalten hätte.
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ber…Nachrichten…sollten anders sein, sollten nicht so…auf Blut getrimmt sein“ (Fall 3).
Auf meine Nachfrage, wie es für sie persönlich sei, erläutert die Befragte: „Mich stört das persönlich. Also mich stört das persönlich, ich sitz da oft beim Abendessen oder komm vom Abendessen oder…echt, das find ich total eklig. Und ich kann so was halt auch nicht gut sehen, und ich will, ich will das auch nicht unbedingt sehen, und…ich muss nicht jeden Tag die Bilder sehen von den Kindern, die (bei Selbstmordattentaten) da zerrissen werden und so, also das find ich, das find ich total übel“ (Fall 3).
Während in den vorangegangenen Interviewausschnitten die Art der medialen Präsentation auf die Subjekteigenschaften treffen (z.B. fremdes Leid nicht ertragen oder Blut nicht sehen können), liegen die Akzente im folgenden Fall etwas anders. Hier wird nicht Kritik an Darstellungsweisen oder am Medium Fernsehen als vielmehr an der dargebotenen Sache geübt. So ärgert sich die folgende Befragte, wenn sie Nachrichten zu Gewalt gegen Kinder wie etwa Kindesmord oder -misshandlung sieht. „Wenn ich dann halt so sehe-, wie viele Elternteile kämpfen, dass sie überhaupt Kinder kriegen können, und andere haben nichts Besseres zu tun, wie ihre Kinder umzubringen, zu misshandeln.…Ich hab das also selber im Verwandtenkreis [erlebt], wo ich halt…sehr oft dazwischen gegangen bin…wo ich dann wirklich sagen muss, das kann ich nicht akzeptieren, das will ich auch nicht akzeptieren“ (Fall 14).
Eine befragte Rezipientin ärgert sich über Gewalt in Kinderfilmen (z.B. in Serien, in Zeichentrickfilmen): „Diese Gewalt, das sieht man ja echt total oft da in so Zeichentrick. Also da könnte ich mich halt wirklich…drüber aufregen“ (Fall 15).
Sie begründet ihren Ärger mit einer Erfahrung. So zeige ein Kind aus ihrem Bekanntenkreis ein deutliches Nachahmungsverhalten, wenn es Kindersendungen mit gewalthaltigen Inhalten gesehen habe. 113 INSGESAMT lässt sich sagen, dass Ärger über (reale) Gewalt fraglos verstehbar ist, da Gewaltanwendung ein klarer Verstoß gegen Normen und Werte ist. Anders ist dies bei Berichten und Bildern zu Katastrophen. Hier könnten Rezipienten zum Beispiel Mitleid oder Bestürzung erleben und bei diesen Gefühlen verharren. Dass es (überdies) zu Ärger oder Ekel kommt, hängt weniger mit dem 113 Eine weitere Befragte lehnt die „Brutalität“ in Zeichentrickfilmen zwar deutlich ab, jedoch kann dem Interviewtext ein eindeutiger Hinweis auf Ärger nicht entnommen werden.
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Ereignis zusammen als damit, dass eine subjektive Grenze des Ertragbaren oder der Bereitschaft zum Betrachten dieser Bilder überschritten wird. Die Gestaltung der Medienbilder kann daran beteiligt sein. So werden die Opfer von Katastrophen aus ihrer Anonymität gehoben, indem persönliche Gegenstände (z.B. blutige Strümpfe) gezeigt werden. Dadurch ist der Betrachter näher am Leid der Opfer, er wird stärker auf der Gefühlsebene angesprochen, und wie sich empirisch zeigen lässt, werden personalisierte und emotionalisierte Nachrichten besser erinnert als sachlich beschreibende Meldungen.114 Befragte können also mit einer höheren Anteilnahme reagieren, aber auch – wie in dieser Studie – mit Ärger und Ekel, ein Befund, der sich ähnlich auch bei Unz, Schwab und Winterhoff-Spurk 2002 ergibt (vgl. auch Kap. 2 ‘Stand der Forschung’). Wann die Grenze des Ertragbaren erreicht ist, wann anteilnehmend, wann mit Ärger oder Ekel und somit abwehrend reagiert wird, dürfte von Subjekt zu Subjekt variieren. Sicher ist: Einige Befragte dieser Studie wollen nicht gezwungen sein, Bilder dieser Art zu sehen, sie wünschen sich Sachinformation, was bedeutet, dass eine Distanz zum Schicksal anderer gewahrt bleiben soll, dass also die Befragten den Betroffenen (emotional) nicht zu nahe kommen wollen.
11.2.5 Produktionsseite und Aspekte der Machart Unter den Ärgeranlässen finden sich in 14 Interviews 17-mal (Mehrfachnennungen) solche, die sich auf die Produktionsseite von Filmen oder ihre Machart beziehen. Wird bekannt, dass Tiere bei bestimmten Filmproduktionen Qualen erleiden und dass dies von den Produzenten in Kauf genommen wird, so kann es zu Ärger kommen (1 Befragte), weil Tierquälerei ein Normverstoß ist (z.B. Gewalt gegen Lebewesen, Unversehrtheit des Lebens). Zu Ärger kommt es auch, wenn Rezipienten den Eindruck gewinnen, dass ein auf erfundenem Inhalt basierender Medienbeitrag als wahrheitsgemäß deklariert wird (2 Befragte). Beispielsweise werden Talkshows genannt, für die Gesprächsteilnehmer veranlasst werden, die Unwahrheit zu äußern. Ferner entsteht Ärger, wenn eine Sendung nicht zu dem gewünschten oder potentiell möglichen Ergebnis führt (3 Befragte). Auch die Qualität oder das Niveau von Medienangeboten können verärgern, wenn Rezipienten sich dadurch zum Beispiel über- oder unterfordert fühlen. Das 114 Dies belegt einmal mehr eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Gewis. Nachrichten werden nach 24 Stunden kaum noch erinnert. „Die höchsten Erinnerungsraten haben Nachrichten, die einen emotionalen Aspekt haben und mit starken Bildern präsentiert werden“ (FAZ, 14.7.2004). Zu Faktoren wie Subjektivierung und Personalisierung von Medienbeiträgen vgl. Schulz (1997).
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Gefühl der Überforderung kann sich einstellen, weil Inhalte intellektuell als zu schwierig empfunden werden (1 Befragte), aber auch dadurch, dass ein Medienbeitrag mit bestimmten Inhalten überfrachtet ist (z.B. zu viele soziale Missstände innerhalb einer Serie; 1 Befragter). Die Überforderung durch Überfrachtung kann sich zudem in ihr Gegenteil, die Unterforderung, verkehren (1 Befragter), weil die Inhalte in der Sicht des Betrachters absurden Charakter annehmen. Aber auch anders als mit Inhaltsüberfrachtung kann begründet werden, warum eine Sendung oder eine Filmhandlung als zu anforderungsarm wahrgenommen wird. Davon berichten sechs Befragte, wobei ein Befragter klarstellte, dass „eigentlich“ Selbstärger (und nicht Ärger über den Film) die Folge sei, wenn er einen Film frühzeitig als „stumpf“ bewertet und ihn dennoch bis zum Ende verfolgt habe (Fall 20; vgl. Pkt. 11.3.4 ‘Das eigene Fernsehverhalten’). Die genannten Ärgeranlässe offenbaren – abgesehen von dem Anlass der Tierquälerei – vergleichsweise spezifische Fernsehmotive. Betrachten wir das Gesagte jetzt im Einzelnen. TIERQUÄLEREI (I.E. VERSTOß GEGEN DIE UNVERSEHRTHEIT DES LEBENS): „Was mich beim Fernsehen so ärgert, wenn zum Beispiel so Tiere so benutzt werden, [um] da irgendwelche effektvollen Stellen im Fernsehen da zu gestalten, da denk ich immer: ‘Wie haben die das gemacht? Das muss ja Tierquälerei gewesen sein eigentlich’. [Etwas später:] Zum Beispiel wenn übers Eis (Pferde) mit der Kutsche laufen, das bricht ein, da sieht man die Pferde da verschwinden“ (Fall 2).
Die Befragte nennt ein weiteres Beispiel: „(In) einem Film, in dem viele Spinnen vorgekommen sind,…und zwar sind das alles ähm Vogelspinnenarten gewesen, die benutzt wurden, und damit sie den Film drehen konnten,…haben die praktisch n halben Regenwald leer geräubert nach diesen Exemplaren, weil da [bei den Dreharbeiten] immer wieder welche umgekommen sind, es war zu kalt und zu trocken, oder die sind da nicht ernährt worden oder zertreten worden oder weggelaufen und nicht mehr gefunden worden, das ärgert mich also nachhaltig“ (Fall 2).
ERFUNDENES ALS TATBESTAND VORGEBEN; UNREALISTISCHES. Zwei Befragte ärgern sich über die vorgetäuschte Wahrheit. Da sie sich dabei auf Richterserien und Talkshows beziehen, kann als Fernsehmotiv zum Beispiel der „Nutzen für das eigene Leben“ oder die „Informationssuche“ gesehen werden. „Diese Richterserien da, also da könnt ich mich total drüber aufregen, weil das wirklich alles nur gelogen ist und nur Schauspieler sind, also das find ich total doof.
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote [Etwas später:] Ich find das halt irgendwie doof, weil das nur erfunden ist, und solche Sachen gibts teilweise auch gar nicht (I: mhm), ja das ist halt wirklich alles total unrealistisch“ (Fall 15).
Eine andere Befragte verfügt über nähere Informationen zur Machart von bestimmten Talkshows, weil ein Arbeitskollege ihres Mannes die Studiogäste persönlich kannte: „[Weil] wir hier jetzt durch Zufall eben bei einem Pärchen mitgekriegt haben, dass das gar nicht so ist,…was sie alles [in der Talkshow] gesagt haben, und äh zwei Wochen später waren sie [das Pärchen] in einer anderen Sendung, da haben sie [das Pärchen] genau das Gegenteil erzählt, und [die Befragte weiß das] durch meinen Mann eben oder [dessen] …Arbeitskollegen…, die haben den [das Pärchen] gekannt. Wie viele [Leute] sitzen (hier)…in der Show und da in der Show …, es hat mittlerweile auch nichts mehr mit der Realität zu tun, meiner Meinung nach ist das mittlerweile auch alles nur noch gestellt“ (Fall 14).
ERGEBNIS EINER SENDUNG IST UNBEFRIEDIGEND. In den folgenden Äußerungen der Befragten zeigt sich das Fernsehmotiv der ‘Informationssuche’; das erwartete Ergebnis wird als vereitelt wahrgenommen. Es entstehen Ratlosigkeit und Ärger. „Diese Wissenschafts-, oder diese gewollten Wissenschaftssendungen wie ‘Galileo’ oder so …, dann ärgert mich, dass diese Berichte so teilweise so unvollständig sind, und dann sitzt man so vorm Fernsehen, denkt so [am Ende der Sendung]: ‘Und jetzt?!’. Also es wird ein Kommentar oder wird irgendein Beitrag gegeben, aber…irgendwie fehlt die Pointe…[Am Ende einer solchen Sendung fragt sich die Befragte]: ‘Ja, schön [zynisch]! Was fang ich jetzt damit an?’ Das ärgert mich, dass diese Berichte nicht vollständig sind oder dann kein Ergebnis bringen, sie bringen die Information, aber irgendwie…das Ergebnis nicht“ (Fall 1).
Das fehlende Ergebnis beklagen auch zwei Rezipientinnen bei der von Michel Friedman geführten Talksendung. Sie ärgern sich unter anderem darüber, dass er seine Talkgäste nicht ausreden lässt (vgl. auch Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’), und sie sehen dies auch als Ursache für „ein unbefriedigendes Diskussionsergebnis“ (Fall 4). Eine der beiden Rezipientinnen kommt zu dem Schluss: „Da könnte man eigentlich viel mehr so rausholen, und (Friedman) macht eigentlich immer nur so ne sehr hektische Labershow“ (Fall 6; ähnlich auch Fall 4).
In dieser Äußerung klingt an, dass die unbefriedigende Situation vermeidbar wäre – ein Aspekt, der für Ärger bedeutsam sein kann (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’).
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ANFORDERUNG IST UNANGEMESSEN. Rezipienten ärgern sich, wenn ein Medienangebot sie emotional und/oder intellektuell unter- oder überfordert. Kritisiert wird dabei etwa die Machart oder die Qualität des Medienangebots. Drei Befragte beziehen sich auf Krimis. Hier zeigt sich das Fernsehmotiv der ‘Suche nach spannender Unterhaltung’. So lehnen diese drei Interviewten verärgert solche Krimis ab, „Die völlig schlecht gemacht sind,…das ist nachher alles so offensichtlich“ (Fall 3). „Wenn nach ner Viertelstunde klar ist [wer der Mörder ist]…oder wenn die Story schlecht ist oder die Schauspieler miserabel oder so“ (Fall 10). „Beim Tatort zum Beispiel ärger ich mich in letzter Zeit, dass die auch unheimlich bescheuert aufgemacht sind, also dass da nicht mehr so n qualitätvoller Film abgeliefert wird, sondern irgendwie billig zusammen montiert“ (Fall 19).
Zwei weitere Befragte115 äußern ihren Ärger über die Vorabendserie ‘Marienhof’, die sie immer gerne gesehen hatten, so gerne, dass sie die Serie mit dem Videorekorder aufzeichneten, wenn sie die Serie zum Ausstrahlungszeitpunkt nicht sehen konnten. Wie massiv einer der beiden Befragten die Überfrachtung mit themenähnlichen Inhalten empfunden hatte, drückt er mit dem Wort „Bombardierung“ (Fall 16, siehe nächstes Zitat) aus. Er sah die Sendung – so sein Fernsehmotiv – „einfach zur Entspannung“, aber die Sendung sei für ihn „zu platt“ geworden. „Interviewerin: Mhm, mhm, weil Sie denken, Sie kennen schon alles jetzt? Befragter: Ja. Auch die die Themen, die…da behandelt werden, die sind äh mittlerweile so sozialkritisch geworden, das (ist) auch so ne Häufung von Sozialkritik, dass es einfach dann äh keine Sozialkritik mehr (ist), sondern ne Bombardierung wurde. So auf ne einfache Formel gebracht: wenn in…45 Minuten …praktisch…ne Diskussion um Minderheiten aufgebaut werden, [das heißt, es] kommt ein Schwarzer, ein Schwuler, ein Aids-Kranker, einer der Krebs hat, einer stirbt, und die Mutter und Vater lassen sich scheiden, und das Kind klaut. Also das ist dann einfach zu viel, da das ist dann so realitätsfern, dass ich danach einfach sag: ‘Das, das, was zuviel ist, ist zuviel’ [lacht, Interviewerin lacht auch]“ (Fall 16). 115 Die Befragten sind einander bekannt. Sie sind Studierende und leben in einer Wohngemeinschaft. Dass sie einander kennen, stellte sich für mich erst im Interview (und nicht schon bei der Stichprobenbildung) heraus. Die Befragten wurden einzeln und unmittelbar hintereinander interviewt. Das heißt, sie hatten keine Zeit für einen Austausch über das Interview. Beide sprachen im Interview ihre Erfahrung mit der Serie an, über die sie freilich im Vorfeld des Interviews gesprochen haben mögen.
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In dieser Überfrachtung kann zugleich eine Form der Über- wie der Unterforderung gesehen werden. Während für Fall 16 ein Maß des Erträglichen überschritten war, benennt sein Mitbewohner eher die ihm fehlende Anforderung hinsichtlich der Serie: „Wenns mich n bisschen mehr gefordert hätte, wahrscheinlich würd ich heut noch davor hocken“ (Fall 18, vgl. auch oben ‘Unrealistisches’).
Ein weiterer Befragter berichtet, dass er – weil er Angefangenes auch zu Ende bringen möchte – einen für ihn schon früh erkennbar anspruchslosen Film dennoch zu Ende gesehen habe. In dem Interview denkt er über die Situation nach, äußert, sich geärgert zu haben, und kommt zu dem Schluss, dass es sich „eigentlich“ um Selbstärger handele. Nach dieser Feststellung im Interview ist seine weitere Wortwahl ich-distanziert (z.B. „man“). Darin deutet sich unter anderem die bekannte und allzumenschliche Zurückhaltung oder auch Abneigung an, sich über sich selbst zu ärgern (vgl. zum Selbstärger Pkt. 11.3.4 ‘Das eigene Fernsehverhalten’). Vielleicht schränkt er aufgrund einer solchen selbstschützenden Abneigung die eigene Verantwortungsübernahme durch das Wörtchen ‘eigentlich’ wieder ein: „Also wenn ich einmal so ne, so ne Geschichte irgendwie angefangen hab… dann möchte ich auch wissen,…wie s zu Ende geht. …Meistens kann man sich da bei so…ganz stumpfen Film(en) …das Ende ja schon denken, man ist dann enttäuscht,…oder man ist einfach verärgert…, eigentlich ärgert man sich über sich selber, weil man...nicht die Konsequenz hatte, einfach auszumachen. …Da kann man eigentlich dem Fernsehen…oder dem Film…ja kein Vorwurf machen, das ist einfach n schlechtes Angebot, und man selber war so dämlich und hat das auch noch nachgefragt“ (Fall 20).
Aber nicht nur, wenn ein Medienangebot zu anforderungsarm ist, kann es zu Ärger kommen, sondern auch wenn es nicht auf Anhieb verstehbar ist (vgl. Pkte. 11.2.1.1 ‘Werbung’ und 11.2.2 ‘Berichterstattung…’). „Es ist manchmal einfach, dass die Werbung so blöd gemacht ist, ähm wo…wo ich die Werbung mir paar Mal angucken muss, bis ich erst mal kapier, was die Werbung von mir will, oder was sie mir damit sagen will“ (Fall 14).
Eine mangelnde Qualität und Anforderung der Kindersendung ‘Teletubbies’ empören und verärgern die folgende Befragte. Die Sendung sei als Sprechlernsendung deklariert, habe aber zu eher gegenteiligen Effekten bei ihren kleinen Cousins geführt:
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„Was ich auch furchtbar fand (sind) diese ‘Teletubbies’ da, ähm meine Cousins, die waren klein, und die haben dann auch wirklich-,…also die haben halt wirklich angefangen, wieder so Baby-Sprache zu sprechen (I: mhm), weil die das so cool fanden mit den Teletubbies und haben das nachgeäfft [lacht leicht]. Also das fand ich halt-, und das sollt ja wirklich so eine Sprechlernsendung- (sein)“ (Fall 15).
PRODUKTIONSSEITE WIRD SICHTBAR. Die folgenden zwei Wortbeiträge enthalten ein Gemisch von Ärgeranlässen. Darunter sind Anlässe wie Angebotsextreme oder (dadurch) fehlende Medienangebote, die den Rezipienteninteressen entsprechen. Über Anlässe dieser Art wurde weiter oben berichtet (vgl. Pkt. 11.2.1.3 ‘Angebotsextreme’). Hier wird beleuchtet, wie es zu Ärger kommt, wenn Rezipienten den Eindruck gewinnen, dass es bei einer Sendung mehr um die Produktions- und weniger um die Nachfrageseite, das heißt um die Mediennutzer, geht. Im ersten Wortbeitrag geht es um einen vom Produktanbieter verfolgten wirtschaftlichen Zweck, der für die Rezipientin erkennbar wird oder zu stark hervortritt. Es ist zwar ein Allgemeinplatz, dass Medienanstalten auch Wirtschaftsunternehmen sind. Allerdings mag die Rezipientin dies bei der Rezeption nicht spüren, ist es doch nicht ihr Motiv fernzusehen, um einem Wirtschaftsunternehmen zu dienen. „Befragte: Was mich ärgert…diese Wissenssendungen, also ich, ich find das schade, wenn…ein Sender damit anfängt (I: mhm) ähm so eine Sendung auf n Markt zu schmeißen, es läuft gut, und alle machens dann nach (I: mhm). Interviewerin: Also wie ‘Wer wird Millionär?’ so was meinen Sie jetzt? Befragte: Genau. … also diese Tendenz ärgert mich auch, dass es einer schmeißts auf den Markt, und alle anderen machens nach. Interviewerin: Und warum ärgert Sie das? Befragte: Na ja, ich, ich denk mal, ja, da wird so offensichtlich, dass es nur um die Kommerzialisierung (I: mhm) geht, und, und (ich) glaub, es gibt viele Bereiche, die dann im Fernsehen auch gut aufgehoben wären, aber die dann nicht gebracht werden (I: mhm). Also dass es sowieso gute interessanten Sendungen geben könnte, viel mehr (I: mhm), und die kommen aber gar nicht (I: ja), weil so was halt keine Werbeeinnahmen garantiert“ (Fall 19).
Die folgende Rezipientin ärgert sich, weil sie nicht genügend neue Information erhält. Sie führt das darauf zurück, dass die Medienanbieter sich nicht um neue Nachrichten bemühen, sondern daran interessiert sind, mit denselben Nachrichten auf verschiedene Darstellungsweisen „Zeit zu füllen“ (Fall 3): „Manchmal ärgerts mich halt auch ähm jetzt zum Beispiel früher hab ich halt sehr viel Nachrichten und so geguckt,…da fand ich das auch immer sehr informativ,…inzwischen hab (ich) aber immer so das Gefühl,…die erzählen einem immer
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote alles nur dasselbe, also das ärgert mich dann auch, also ich hab immer so das Gefühl, also es wird gar nicht mehr richtig informiert, sondern die versuchen halt so ihre Zeit zu füllen, das ärgert mich manchmal,…die erzählen einem manchmal ne ganze Woche irgendwie im Grunde dasselbe und verpackens halt dann immer nur, aber die Bilder sind immer dieselben, und das ärgert mich dann schon“ (Fall 3).
INSGESAMT ergibt sich beim dem Thema ‘Produktionsseite und Machart’, dass Befragte Fernsehangebote ablehnen, die sie als einseitig überfrachtet wahrnehmen. Ferner sollten die Inhalte ethischen Ansprüchen genügen, neue Informationen und Ergebnisse bieten und so gestaltet sein, dass sie die Neugier des Zuschauers aufrechterhalten und er nicht das Gefühl hat, dass er das Ende vor dem Ende eines Films schon fast sicher weiß (vgl. auch Pkt. 11.2.2 ‘Berichterstattung…’). Daneben mögen Rezipienten nicht mit den Umständen der Produktionsseite in Berührung kommen. So sind Medienunternehmen zwar auch Wirtschaftsunternehmen, aber das sollte Medienprodukten nicht angemerkt werden. Ist dies alles nicht der Fall, kommt es zu Gefühlen wie Unter- oder Überforderung, Langeweile gefolgt von Ärger.
11.2.6 Personen und Situationen Hier gibt es ein recht auffälliges Ergebnis: Eine einzige Befragte gibt an, dass es für sie keinen Ärger über Medienpersonen gebe. Der Grund der Wenigseherin: „Dazu kenn ich die zu wenig. Dann müsst ich das ganz regelmäßig gucken“ (Fall 11).
Demgegenüber nennen alle übrigen Befragten der Stichprobe, das sind 19 der 20 Befragten, als Ärgeranlässe bestimmte Situationskonstellationen und norm- oder rollenbrüchige Verhaltensweisen von Personen, und zwar von Moderatoren und Politikern genauso wie von Gästen in Shows oder in anderen Formaten. Zu normbrüchigem und rollenwidrigem Verhalten zählt etwa, wenn Moderatoren das ‘Publikum einheizen’, anstößige Worte wählen, sich lustig machen, andere nicht ausreden lassen oder räumlich zu nahe kommen. Ähnlich formulieren es Berghaus und Staab aufgrund ihrer Studie: „Der in den Augen der Zuschauer ideale Moderator wahrt zu seinen Gästen eine gewisse Distanz, ohne die Vertrautheit zu vernachlässigen; er respektiert sie, gibt sich aber dennoch relativ ungezwungen“ (Berghaus/Staab 1995: 179). Wenn nun im Folgenden diese Art der Anlässe aufgegriffen wird, so soll damit nicht gesagt werden, dass es allein diese Anlässe sind, die den Ärger hervorrufen. Denn häufig speist sich Ärger nicht aus einer einzigen Quelle, sondern
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aus mehreren (vgl. Weber 1994: 137). Dies klingt in einigen Interviewtexten an. So kann Ärger durch das Verhalten des Moderators und ein ungenügendes Diskussionsergebnis (vgl. zur Ergebnisvereitelung Pkt. 11.2.5 ‘Produktionsseite…’) entstehen. In diesem Abschnitt werden Äußerungen zu Medienpersonen und -situationen herausgefiltert und deren Bedeutung für Ärger ins Zentrum gerückt. SITUATIVE FAKTOREN – HIER: RÄUMLICHE ENGE. Die Bedeutung der räumlichen Gegebenheiten für Ärger ragt bei der Sendung ‘Vorsicht Friedman!’ deutlich heraus. Die Sendung wurde von drei Befragten erwähnt, zwei von ihnen griffen zu der Redewendung „auf die Pelle rücken“ (Fälle 3 und 6) und drückten damit die zu große räumliche Nähe, die Bedrängnis und damit eine Teilerklärung für Ärger aus: „Befragte: Also…klassisches Beispiel ‘Friedman’, da krieg ich die Krise. Den kann ich überhaupt nicht sehen, den Typen. Interviewerin: Und warum, kannst du das mal so n bisschenBefragte: Weil das immer so aggressionsgeladen ist, also ich find allein die Situation, wie die sich da auf der Pelle sitzen auf diesem Sofa, das find ich so unangenehm“ (Fall 3).
VERHALTENSVERSTÖßE IN DER MODERATORENROLLE. Verärgerung ruft hervor, wenn Moderatoren gegen ihre Rolle verstoßen, was vermeidbar wäre. Eine Befragte formuliert ihre Rollenerwartung, wonach ein Moderator von Talkshows „normal…eigentlich die Leute nur ins Gespräch bringen“ (Fall 3), keine eigenen Vorträge halten oder Meinungen äußern sollte (Fall 3). Andere Befragte weisen darauf hin, dass ein/e Moderator/in sich nicht in den Mittelpunkt stellen oder inszenieren sollte und eine Diskussionsrunde nicht auf eine Weise leiten, dass sie unruhig wird oder entgleist. Vielmehr sollte man die Gäste ausreden lassen, nicht dazwischenreden, Themen nicht vorzeitig abbrechen, um so zu einem akzeptablen Diskussionsergebnis zu gelangen. Michel Friedman und Sabine Christiansen sind Medienfiguren, die nach Auffassung und zum Ärger einiger Befragter diese Kriterien nicht erfüllen. Zu Michel Friedman: „Dann immer dieses Gegeneinander, keiner lässt den anderen ausreden,…der (Friedman) peitscht das immer so hoch, dass die so richtig aggressiv alle werden,…, das find ich so unmöglich, und das ärgert mich [lacht] dann auch richtig. [Etwas später:] Also ich find das von der ganzen Atmosphäre da so schlimm,… ich reg mich dann selber so auf [lacht]“ (Fall 3). „Wenn so jemand seinen Talkshow-Gästen ständig über den Mund fährt, ja also nicht ausreden lässt und dann so ein unbefriedigendes Diskussionsergebnis dabei he-
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote rauskommt, weil einfach die Leute ihre Sätze nicht zu Ende reden können, also so was find ich auch ganz dämlich“ (Fall 4).
Zu Sabine Christiansen: „Das ist zu viel Durcheinander, … die Christiansen produziert sich auch so stark, die ist auch oft nicht in der Lage, die Runde zu leiten vernünftig, quatscht auch dazwischen“ (Fall 9). „Christian-, Sabine Christiansen, weil die hat immer die besten Studiogäste, aber sie hat einfach keine Art zu moderieren, sie kanns einfach nicht. Und das ärgert mich tierisch, weil dann-, jeder redet durcheinander, und das geht überhaupt nicht mehr um das Thema, und sie kann sich nicht durchsetzen, das ärgert mich maßlos, ja, das find ich einfach traurig“ (Fall 10). Zu Moderatoren im Allgemeinen: „Die Moderatoren, die Moderatoren … manche sind sehr überheblich, …oder sind auch manchmal frech“ (Fall 13; siehe auch die nachfolgenden Ausführungen).
VERSTÖßE GEGEN ALLGEMEINE NORMEN UND WERTE. Verärgerung berichten einige Befragte über normbrüchige und wertverletzende Äußerungsformen von Studiogästen und von Showmastern. Dazu zählt etwa, wenn Witze persönlichkeitsverletzend sind. Verärgert reagieren einige Befragte auch, wenn Werte wie Arbeit, Erfolg und Leistung in Frage gestellt werden, sei es durch Worte, sei es durch Verhalten. Folgende Showmaster, Sendungen oder Medienereignisse wurden genannt, an denen sich Ärger entzündete. y Angriffe auf den Selbstwert durch Stefan Raab: „Die Streitkultur oder Umgangskultur mit, mit anderen Menschen ist manchmal mir ähm zu niveaulos, …einfach zu zotenhaft…. Also moralisch find ichs verwerflich oder dass einfach ähm Menschen in ihrer Persönlichkeit zu stark getroffen werden, also wo die Witze unter die Gürtellinie gehen. Da wirds äh, das sind solche Sachen, wo ich mich dann drüber aufrege“ (Fall 16).
y Angriffe auf den Wert der Arbeit durch Studiogäste in Talkshows: „Ja, also diese Sendungen, die ärgern mich schon, [zum Beispiel]…als Arbeitslose setze ich mich halt da hin und behaupte einfach, alle anderen wären blöd, wenn sie arbeiten würden“ (Fall 13; ähnlich auch Fall 15).
y Angriffe auf Werte wie Wahrheit/Wahrhaftigkeit oder Leistung, die als Voraussetzung für Erfolg gilt, ziehen Ärger nach sich. Zum Beispiel sehen Befragte übliche Verhältnismäßigkeiten beschädigt, wenn jemand allein durch seine Prä-
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senz im Fernsehen und ohne eine Leistung erbracht zu haben zu Ruhm oder Geltung gelangt. Ein Befragter führt als Beispiel die Sendung ‘Big Brother’ an: „Da hats mich dann (geärgert), weil nur die Deppen da im Fernsehen sind, die sonst ja…nichts auf die Beine groß gebracht … [Der Befragte sagt etwas zynisch:] Sofort sind das ganz andere Menschen, nur weil sie dort im Fernsehen sind! [Etwas später:] Also dieses Geilsein auf dieses Bekanntsein, und dass das [Alltägliche] dann plötzlich was anderes ist, das ärgert mich schon, weil das die schiere Dummheit ist, das ärgert mich, Dummheit, das ärgert mich halt“ (Fall 9).
Etwas später versucht der Befragte erneut, den Ärger zu begründen: „Die Menschen, die sich da so produzieren wollen und so tun, als ob sie die großen Geister wären! So[lche vermeintlich geistreichen] Gespräche werden da auch geführt, so krampfhaft“ (Fall 9).
Die folgende Befragte ärgert sich über Anke Engelke. Dabei zeigt sich, wie sich verschiedene Ärgeranlässe überlagern. Erstens ‘mit Blödsinn viel Geld verdienen’, zweitens ‘Ungerechtigkeit’, weil – so die Befragte – sie selbst für ihre Dummheit kein Geld erhalte, drittens Antipathie aus verschiedenen weiteren Gründen (s.u. Stichwort ‘Antipathie/Abneigung’): „Manche sind halt wirklich so blöd und verdienen halt ihre Kohle (da)mit, und unsereins kann blöd sein und sitzt hier rum und verdient keine Kohle (da)mit, gelle [lacht verhalten], also das ist schon-, mich ärgert das so auch manchmal, dass die dann wirklich noch mit so blödsinnige Sachen, was kein Hand und Fuß hat, die da Geld mit machen“ (Fall 7).
y Ärger entsteht ferner durch unangemessenes Verhalten von Verantwortungsund Kompetenzträgern (Verletzung der Professionalitätsnorm, d.h. es wird z.B. gegen Respekt, Verbindlichkeit, Wertschätzung oder das Bemühen um eigene Kompetenz verstoßen; 2 Befragte). Bei einem Befragten, der sich auf ein Interview mit einem namhaften, inzwischen verstorbenen Politiker bezieht, liegt der Ärger stärker in der politischen Sache begründet und mischt sich mit dem über die mediale Darbietung: „Und ich hab das (Interview) auch damals mit meinem WG-Mitbewohner angeschaut, und wir waren beide der Meinung, dass das halt eben jetzt nicht tragbar ist, was er [der Politiker] gesagt hat, und ich war dann so aufgebracht innerlich“ (Fall 18).
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Eine Befragte bezieht sich auf das ‘TV-Kanzlerduell’ im Jahr 2002 mit den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber: „Diese Diskussion der beiden zukünftigen Kanzler, die wollt ich mir gerne ansehen. Die fand ich [dann] so langweilig…, die standen steif wie die Klötze. [Etwas später:] Es war langatmig, langweilig, und auch-, haben die denn niemanden, der die bisschen betreut?!“ (Fall 2)
Etwas später im Interview antwortet die Befragte auf die Frage, ob dies Ärger gewesen sei: „Ja, direkt, das war direkt schon ein Ärger, weil ich gedacht hab: ‘Meine Güte, die sollen unser Land ja irgendwann…vertreten, auch in der Welt,… wir erwarten was von denen’,…ich hab zwei Rhetorikkurse mal besucht, einfach um Situationen gewachsen zu sein. Und als ich die beiden da gesehen hab, da hab ich gedacht: ‘Das, was ich da [in den Rhetorikkursen] gelernt hab, dass man locker steht, dass man die Leute auch mal anguckt, dass man sich selber [einander] mal anguckt,…davon haben die wohl noch nichts gehört’, und das, was sie gesagt haben, das waren immer diese stereotypen Sätze, die sie runtergeleiert haben… Und da hab ich mich schon auch geärgert“ (Fall 2).
ANTIPATHIEN / ABNEIGUNG. Die Antipathien oder Abneigungen gegenüber Personen können in deren physischer Erscheinung begründet liegen, in Gestik, Mimik oder im Verhalten (Manieren, Benehmen): „Wenn ich allein nur die Leute da schon sehe“ (Fall 15). Dabei sind es meist mehrere Eigenschaften, die die Antipathie bedingen, was sich zum Beispiel in der Formulierung äußert, dass es ‘die Art’ (z.B. Fall 7) eines Menschen ist, die zur Abneigung oder Ablehnung führt. Hinzu kommen kann eine paradoxe Verquickung der Personeigenschaften mit Werten, das heißt eine negative Eigenschaft gereicht einer Person zum Vorteil, der sich gemäß der Norm nicht einstellen dürfte, so etwa ‘mit Dummheit viel Geld verdienen’, was als ungerecht wahrgenommen werden kann (s.o.). Es folgen die Sichtweisen der Befragten: Ärger über Nachrichtensprecher durch deren Mimik, Wortwahl oder Kleidung formuliert folgende Befragte: „Also es gibt…Leute, die ich nicht gerne sehe, ähm weil mir ihre Mimik oder ihr vor allen Dingen auch, manchmal auch ihre Aufmachung und äh oftmals ihre …Wortwahl nicht gefällt (I: mhm). Es gibt so ne saloppe Art, bei…Nachrichtensprechern gibts so eine saloppe Art mit viel Füllwörtern, die ich ganz blöde finde (I: mhm). Und ähm ja also das würde, das missfällt mir, ja!“ (Fall 4).
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Ärger über Medienfiguren durch deren Verhalten (Benehmen) oder äußere Erscheinung. Zu Sabine Christiansen und ihr Verhalten: „Die produziert sich auch so stark“ (Fall 9). „Bei der Sabine Christiansen ärgert mich die absolut,…nach meiner Wahrnehmung, absolut fehlende Authentizität. Die ist kein bisschen authentisch, die ist auf keinen Fall sie selber, sondern sie spielt in ihren Anmoderationen immer fürchterlich vor sich hergetragen so eine Rolle“ (Fall 12).
Zu Anke Engelke und Harald Schmidt und deren Verhalten und äußere Erscheinung: „Über die Anke Engelke hab ich mich mal geärgert jo, weil ich die eh [d.h. ohnehin] nicht mag,… aah, DIE mag ich nicht, und den Harald Schmidt (I: mhm) äääh, der ist so eklig [beide lachen] iiih-. Hier: So einen ekligen Mann wie den hab ich noch nicht kennen gelernt wie der ist, dann die langen knochigen Finger, äääh, die er hat, den find ich wirklich-, das ist ganz schlimm,…den mag ich nicht, uah (I: ja, ja) Schmalzlocke [beide lachen]“ (Fall 7).
Etwas später im Interview geht es um die Frage, wie es zu dieser Antipathie gegenüber Anke Engelke kommt. Die Befragte antwortet: „Das ist die Art“ (Fall 7), und sie führt weiter aus, dass Engelke mit Blödsinn Geld verdiene. Der genaue Wortlaut hierzu ist weiter oben (S. 175) unter ‘Angriffe auf Wahrheit/Wahrhaftigkeit und Leistung’ wiedergegeben; s. auch Frage der Gerechtigkeit in Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige…’. Ein anderer Befragter hegt eine Antipathie gegen Harald Schmidt, unter anderem deshalb, weil dieser sich über alles lustig macht: „Ach der Geisteskranke [beide lachen]. Den Schmidt, aaach Kerle, den konnt-, den hätten sie lieber drüben lassen sollen, wirklich wahr, den Schmidt...den Schmidt, also den Schmidt… [etwas später:] vergackt [d.h. macht sich lustig] der auch alles,…was grad in die Quere kommt“ (Fall 8).
Auch die Lebenseinstellungen von öffentlichen Personen, oder die (fiktiven) Lebenshaltungen, die Medienfiguren repräsentieren, können zu Antipathie führen oder zum Anlass für Ärger werden. Dies geschieht wohl vor allem dann, wenn sie zu den Anschauungen des Betrachters im Gegensatz stehen.
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11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote „Inge Meysel, die ist für mich ein wandelnder Vorwurf (I: mhm). Die Mutter Beimer eigentlich auch. [Etwas später:] Die Inge Meysel und die Mutter Beimer…sind mir so unangenehm und ärgerlich, weil sie halt… Persönlichkeiten repräsentieren und Lebenshaltungen, die mir völlig widerstreben“ (Fall 12).
ZUSAMMENGEFASST zeigt sich hinsichtlich der medialen ‘Personen und Situationen’, dass Befragte die räumliche Enge auf dem Fernsehschirm als unangenehm empfinden, zumal dann, wenn Diskutanten in räumlicher Enge heftig streiten. Was die Medienfiguren betrifft, so werden deren Rollen-, Norm- und Wertverstöße mit Ärger beantwortet. Aus Sicht der Befragten sollten sich beispielsweise Moderatoren nicht zu sehr in Szene setzen oder eine Diskussionsrunde so leiten, dass durcheinander gesprochen wird. Außerdem sollten Medienfiguren (z.B. Showmaster, Kabarettisten) sich nicht persönlichkeitsverletzend äußern oder über alles lustig machen. Die Antipathie und der Ärger werden gefördert durch missfallende Merkmale der äußeren Erscheinung, des Verhaltens, der Lebensanschauung und so fort. Vor allem beim Ärger über das Verhalten von Medienpersonen kommt die Form des Beobachtungsärgers (vgl. Pkt. 4.2 ‘Formen und Entstehung von Ärger’) zum Tragen.
11.2.7 Sonstige Fernsehärgeranlässe und aversive Reize Durch drei weitere Anlassarten kann Fernsehärger entstehen. Zum einen geht es um die Einhaltung von Gerechtigkeit (Wert), so etwa in Spielshows. Zum anderen kann Ärger entstehen, wenn man eine Sendung verpasst hat. In diesem Fall entsteht der Ärger nicht – wie überwiegend geäußert – aufgrund einiger Missfälligkeiten am Medienprodukt, sondern es ist gerade umgekehrt: Das Medienprodukt gefällt, und man ärgert sich, es verpasst zu haben. Schließlich werden aversive Reize als ärgerprovozierend genannt. Zu diesen drei Formen sollen die Befragten zu Wort kommen. GERECHTIGKEIT.116 In dem folgenden Interviewausschnitt bezieht sich ein Befragter auf die Quiz-Sendung ‘Wer wird Millionär?’, moderiert von Günther Jauch. Der Grundsatz der Show ist, dass Millionär wird, wer alle Fragen beantworten kann. Das kann in der Sicht von Zuschauern bedeuten, dass nur ein kluger Kopf gewinnen soll. In dieser Annahme liegt zugleich der Ärgeranlass verborgen.
116 Vgl. auch Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’ unter dem Absatz ‘Verstöße gegen Normen und Werte’, Stichwort ‘Angriffe auf Werte wie Wahrheit/Wahrhaftigkeit oder Leistung’.
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Zunächst zu den Spielregeln der Quiz-Show: Der Höchstgewinn beträgt eine Million Euro und wird ausgezahlt, wenn ein Kandidat 15 Fragen richtig beantwortet. Beantwortet er weniger als 15 Fragen, fällt die Gewinnsumme geringer aus. Das heißt, jede Frage ist mit einem Geldgewinn verknüpft: Je schwieriger die Frage, je größer der Betrag. Pro Frage gibt es vier Antwortalternativen, und der Kandidat muss die richtige Antwort daraus wählen. Kann er eine Frage nicht sogleich beantworten, stehen ihm drei oder vier Joker (Hilfen) zur Verfügung: alle Personen oder eine Person aus dem Studiopublikum, ein Telefonpartner, zwei Antwortvorgaben wegstreichen lassen (i.e. der ‘50-50-Joker’). Sind diese Joker nicht hilfreich oder alle verbraucht, kann der Kandidat das Spiel beenden oder eine Antwort raten. Ist diese falsch, dann ist das Spiel für den Kandidaten (manchmal mit Gewinneinbußen) beendet, und ein anderer Kandidat kommt zum Zuge. Der Ärgeranlass: Dass das Spiel in dem Sinne gerecht bleibt, dass Unwissende chancenlos bleiben und Kluge gewinnen, ist für einen Befragten im Fernsehärgerinterview wichtig. Er bezieht sich auf eine Quiz-Situation, in der ein Kandidat bereits bei einer gering dotierten Frage einen Joker einsetzte. „Befragter: Ah ja, das ist doch wahr. Das regt mich-, das regt mich jetzt [im Augenblick der Interviewsituation!] wieder auf…aach, da suchen die [Veranstalter] sich die letzten Heuler aus,…und da haben sie [die Kandidaten] Glück, weil sie mal irgendeine leichte Frage beantworten,…manchmal wissen sie nicht mal die 100Euro-, die 100-Euro-Frage, da müssen sie schon einen Joker einsetzen, da werde ich wahnsinnig. [Etwas später im Interview:] Es ist manchmal-, ah, da könnt ich mich jetzt [er rückt unruhig auf dem Stuhl hin und her] schon wieder aufregen, das ist so ein Ding, wo ich mich aufregen kann (I: ja). Sie müssen das halt mal miterleben, Sie müssen da mal gucken und müssen sichs mal angucken…und dann müssen Sie sich mal die Leute angucken, die da sitzen und müssen Sie mal gucken, wenn die Fragen stellen, wie sich manche teilweise sich da anstellen wirklich, wie wirklich die letzten Menschen, und dann lesen Sie sich mal die Fragen durch, und dann lesen Sie sich die vier Antworten durch, und dann sagen Sie mir sofort-, sie [die Zuschauer/in] wissens [die Antwort], sie wissens genau, sie wissen…, und teilweise stehen die [Kandidaten] da, und die wissen gar nichts (I: mhm, mhm). So. Und dann find ichs…auch nicht schlecht, wenn sie dann gleich rausfliegen. Fertig. Solche Leute kann man da nicht gebrauchen. So denk ich. Interviewerin: Ist dann gerecht. Befragter: Ist dann gerecht“ (Fall 8).117 117 Dieselbe Ärgersituation beschreiben Berghaus und Staab (1995: 12) in ihrer Studie „FernsehShows auf deutschen Bildschirmen“. Darin heißt es: „Zuschauer ärgern sich, wenn Kandidaten ohne entsprechende Leistung hohe Preise kassieren“. Vgl. auch Kap. 2.
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VERPASSTE SENDUNG. Die folgende Befragte hält einen Ärgeranlass für denkbar,118 der in dieser Klarheit bisher nicht von Interviewten genannt wurde. Gemeint ist der Ärger darüber, dass man eine Sendung verpasst hat.119 Die Befragte sagt über sich, dass sie meist sehr gezielt fernsehe, und sie möge es nicht, ungewollt an einer Sendung ‘hängen zu bleiben’. Gleichwohl kommt dies vor, und sie schildert, dass sie zufällig den ersten Teil einer zweiteiligen Sendung gesehen habe, die ihr dann gefallen habe. Aber „bedauert hab ich das nicht, es hat mich ja wirklich interessiert, ne. Also es hat mich gefreut, im Gegenteil, hat mich gefreut, dass ich das dann so durch Zufall doch gesehen hab, nämlich wenn ich das dann am nächsten Tag vielleicht in der Zeitung gelesen hätte oder ein paar Tage später die zweite Folge gesehen hätte, dann hätts mich vielleicht sogar geärgert, dass ich die erste nicht gesehen hab“ (Fall 6).
Es ist denkbar, dass sich der Ärger in diesem Fall auch auf die eigene Person richtet, was hier allerdings nicht entschieden werden kann. Zum Ärger über ‘das eigene Fernsehverhalten’ vgl. Pkt. 11.3.4. AVERSIVE REIZE. Weiter oben (vgl. Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’) erwähnten Befragte aversive Reize wie etwa die äußere Erscheinung einer Person oder deren Manieren. Solche Eigenschaften wurden zusammen mit anderen Erwartungen (z.B. an die Moderatorenrolle) bewertet, das heißt, diese aversiven Reize waren weder die alleinige noch die Hauptärgerquelle. Anders ist es bei zwei Befragten, für die allein der aversive Reiz zu Ärger führt. Gemeint sind zu laute und schrille Geräusche. So erwähnt eine Befragte zum Beispiel als Ärgernis, wenn die Lautstärke am Fernsehgerät zu hoch eingestellt ist oder wenn Werbung eingespielt wird, die in der Regel lauter als der von der Werbung unterbrochene Film ist. Eine andere Befragte erträgt Geräusche bei Autorennen nicht, die sich ihr Ehemann im Fernsehen ansieht: „Befragte: Was ich auch nicht mag, das ist [holt tief Luft] Rallye, Rallye [verdreht die Augen]. Interviewerin: [lacht] Ralley, Ralley, ja. Befragte: Grade so dieses, wo Schumacher mitfährt (I: mhm). Wenn ich das höre zwei, drei Runden…[Befragte verzieht das Gesicht; I: lacht] ooouuuu [I: lacht] wooouuuu (I: wie kommt denn das?) Ich kann das nicht hören, ich vertrag das einfach 118 Zu diesem Anlass ist es nicht gekommen. Eine Befragte nannte ihn als Möglichkeit, und deshalb soll er in dieser Arbeit Erwähnung finden, freilich ohne ihn bei der Auszählung zu berücksichtigen. 119 Vgl. Pkt. 11.2.1.4 ‘Sendezeiten und Wochenendprogramm’, wo dieser Anlass tendenziell berührt wird. Das heißt, Sendezeiten kollidieren mit der Zeitplanung der Rezipienten.
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nicht. (I: mhm)…Wenn ich dann hier unten auf der Couch gelegen hab und geschlafen, und der [Ehemann] hat das angemacht, da bin ich hoch geschreckt“ (Fall 14).
Insgesamt sind Ungerechtigkeit und aversive Reize wie schrille, laute Geräusche in der Ärgerforschung gut belegte Ärgeranlässe (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’).
11.2.8 Die Ärgerthemen und die Anlässe hinter den Themen im Überblick Die 20 Befragten ärgern sich über Fernsehinhalte, die in sieben Themen gruppiert und dargestellt wurden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über diese Themen und die Anzahl ihrer Nennungen. Tabelle 11: Ärgerthemen beim Fernsehangebot Ärgerthemen beim TV-Angebot 1. Programmgestaltung a) Werbung b) Sendungen fallen aus, weg oder werden wiederholt c) Angebotsextreme d) Sendezeiten und Wochenendprogramm 2. Berichterstattung 3. Intimität und Erotik 4. Gewalt, Blut, Katastrophen 5. Produktionsseite und Aspekte der Machart 6. Personen und Situationen 7. Sonstige
Nennungen 9 4 5 7
25 12 12 4 17 18 3 91
In den Abschnitten 1.3.2 ‘Hinweise zu den Kapiteln 11 und 12’ und 11.1 ‘Kapitelüberblick und Hinweise’ wurde dargelegt,120 dass mit der Benennung des Ärgerthemas nicht zwingend der eigentliche Ärgeranlass bezeichnet ist. Zuweilen wohnen die Anlässe den Themen inne, so dass die Anlässe herausgefiltert werden mussten. Dies wurde am Ende eines jeweiligen Themenabschnitts (Pkte. 120 In Abschnitt 1.3.2 wurde zudem begründet, warum sowohl implizite (i.e. Ärgerthemen) als auch explizite Anlässe für Fernsehärger in dieser Arbeit zur Sprache kommen.
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11.2.1 bis 11.2.7) durchgeführt, und die folgende Tabelle enthält nun die herausgearbeiteten Ärgerquellen. Dabei stellt die Spalte „Entsprechende Position in Tab. 11“ den Bezug zur obigen Tabelle, das heißt zu den Ärgerthemen, wieder her, sie deutet also darauf hin, welcher Ärgeranlass zu welchem Ärgerthema gehört. Tabelle 12: Ärger durch formale und inhaltliche Aspekte des Fernsehangebots – explizite Anlässe Ärgeranlässe
Entsprechende Position in Tab. 11
Ereignisse
1. Störung der Rezeption z.B. • Werbepause
1a
9
2. Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit z.B. •Sendungen fallen aus •erfundenes als Tatbestand vorgeben •eigene Meinungsbildung wird behindert
1a-d 2 5
39
3. Verstöße gegen allgemeine Normen und Werte sowie gegen persönliche Grenzen z.B. •anstößige oder unwahre Inhalte •mangelnde Fairness oder Ehrlichkeit •Gewalt •Persönlichkeitsverletzendes Verhalten durch Medienfiguren (Geringschätzung, Missachtung)
1a 2-7
32
4. Verstöße gegen Rollenaufgaben (Medienanbieter) z.B. •Moderator stellt sich zu sehr ins Zentrum •Fernsehsender wollen eher Zeit füllen und weniger informieren, so dass dieselben Informationen häufiger anzutreffen sind.
5-6
5
5. Sonstige z.B. •Antipathie •aversive Reize
6-7
6 91
11 Anlässe für Ärger über TV-Angebote
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Wie in Tabelle 12 zu sehen ist, sind die Anlassarten in fünf Kategorien geordnet, insgesamt nannten die Befragten 91 Ärgerereignisse. Geordnet nach den Häufigkeiten ergibt sich folgende Reihenfolge der Anlassarten:
Ärger aufgrund von Programmvorlieben wird 39-mal berichtet (43 %), Normverstöße werden 32-mal erwähnt (35 %), Störungen der Rezeption verärgern 9-mal (10 %), Sonstige erhalten 6 Nennungen (7 %), Rollenverstöße der Medienanbieter werden 5-mal angesprochen (5 %).
Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse zusammengefasst und theoretisch eingeordnet.
11.2.9 Fazit In diesem Kapitel ging es um die Frage, ob und warum es zu Ärger über inhaltliche oder formale Aspekte des Fernsehangebots kommt. Die 20 Befragten nannten sieben verschiedene Themen und Merkmale des Fernsehangebots wie etwa die Themen Erotik oder Gewalt. Hinter den Themen verbergen sich die Ärgeranlässe, die in fünf Kategorien gefasst wurden. So ärgerten sich die Befragten über vereitelte Programmvorlieben, Normverstöße, Störungen der Rezeption, Rollenverstöße der Medienanbieter und ‘sonstige’ Anlässe. Dabei berichteten die Befragten am häufigsten Ärger aufgrund von vereitelten Programmvorlieben und Normverstößen. Begleitende Gefühle und subjektives Erleben.121 Einige Befragte erlebten zusammen mit Ärger Gefühle wie Langeweile, Ekel, Traurigkeit oder Ohnmacht, und Unlust stellte sich ein (s. auch Kap. 12 ‘Reaktionen’). Die Befragten erlebten das Bildschirmgeschehen als ‘unangenehm’, es hat ihnen ‘missfallen’ – dies sind für das Ärgererleben und die Begleitgefühle recht typische Formulierungen (vgl. Pkt. 4.5 ‘Ärger und subjektives Gefühl’). Ärger, Wut, Unmut, Empörung, Entrüstung. Bei den Ärgeranlässen beschreiben Befragte zwar unterschiedliche Intensitätsgrade (vgl. zu Intensitäten auch Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer’), von Wut spricht jedoch – dies ist bemerkenswert – nur eine einzige Befragte (Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige…’). Außerdem
121 Die Gefühle und das Erleben können Ursache, Bestandteil sowie eine Folge von Ärger sein. Daher werden sie sowohl hier als auch in Kapitel 12 ‘Reaktionen’ (zusammengefasst in 12.2.8) erwähnt.
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zeigen sich ärgerähnliche, sinnverwandte Formen wie Unmut, Entrüstung, Empörung. Verantwortungszuschreibung. Sofern es konkrete Medienfiguren sind (vgl. Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’), benennen die Befragten namentlich die für den Ärger verantwortliche Person (z.B. Harald Schmidt). Bei den anderen Anlässen gibt es einen Befragten, der benennt, dass sich sein Ärger ‘gegen die Institution an sich’ (i.e. Medienanstalt) richtet. Ansonsten fällt auf, dass die Befragten dieser Studie bei der Verantwortungszuschreibung zu allgemeinen Formulierungen greifen wie „da wurden Tiere benutzt“, „dumme Werbung ärgert mich“ oder „die Kindersendungen haben sie gestrichen“. Man könnte fragen, wer die Tiere benutzt, wer für Filme oder Werbung verantwortlich zeichnet. Die Verantwortlichen sind – das ist das implizite Wissen – die Mitarbeiter/innen in und für Fernsehanstalten. So werden sie wohl deshalb nicht konkret genannt, eben weil Befragte es für selbstverständlich halten, dass nur die Produktanbieter verantwortlich sein können. Dass sie nicht namentlich genannt werden, könnte auch daran liegen, dass mehrere und nicht einzelne Personen für ein Medienprodukt verantwortlich und die Personen nicht sichtbar und den Rezipienten in der Regel nicht bekannt sind. Ärgerformen. Ärger über Fernsehangebote nimmt nicht die Form des Selbstärgers an, was nicht überrascht, da bei der Gestaltung des Bildschirmgeschehens keiner der Befragten mitgewirkt hat. Vielmehr ärgerten sich die Befragten darüber, dass ihnen selbst oder anderen Personen, das heißt Medienfiguren, zum Beispiel etwas Inakzeptables widerfuhr. Sind andere geschädigt, ist der Ärger zu einem großen Teil Beobachtungsärger (zu Ärgerformen vgl. Pkt. 4.2 ‘Formen und Entstehung von Ärger’). Fazit und theoretische Einordnung. Ganz allgemein und somit quer über alle Anlässe zeigt sich, dass der Wunsch nach einem ungetrübten Fernseherlebnis gestört wurde. Was ein ungetrübtes Fernseherlebnis ausmacht, hängt unter anderem davon ab, inwieweit subjektive Fernsehmotive erfüllt wurden. Solche Motive können sein, dass man mit Fernsehen entspannen möchte, dass man durch das Medium Informationen, Ablenkung, Spannung, Kurzweiligkeit (und nicht etwa Langeweile) sucht. Dass Motive dieser Art beim Fernsehen von Bedeutung sind, ist kein neues Ergebnis. Vielmehr wurde im Rahmen der Forschungen zum Nutzen- und Belohnungsansatz auf vielfältige Motive hingewiesen (vgl. Pkt. 3.2 ‘Uses and Gratifications Approach’), und in dieser Hinsicht kommt der Ansatz hier zum Tragen. Das bedeutet, Ärger kann sich einstellen, wenn die Fernsehmotive nicht erfüllt werden. Nun zeigt das Kapitel, dass es auch andere Gründe haben kann, wenn beim Fernsehen Ärger entsteht, und diese Anlässe mischen sich teilweise mit denen, die den Fernsehmotiven zuzurechnen sind. So entsteht Ärger etwa dann, wenn
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allgemeine Normen und Werte oder persönliche Grenzen und Wünsche im Rahmen von Fernsehsendungen infrage gestellt oder behindert werden. Dies geben die Befragten zu erkennen, indem sie etwa sagen, dass sie sich beim Fernsehen durch bestimmte Medienangebote oder -themen bedrängt, bevormundet oder gezwungen fühlen. Was die Medienfiguren betrifft, so lehnen die Befragten beispielsweise Verstöße gegen Verhaltensregeln vehement ab. Außerdem ziehen sie soziale Vergleiche zu Medienfiguren (vgl. Pkt. 3.5 ‘Soziale Vergleichsprozesse’). Stellen sie dabei Ungleichheiten in dem Sinne fest, dass die Medienfigur günstiger dasteht als sie selbst, obwohl gleiche Voraussetzungen gegeben sind (Ungerechtigkeit), dann reagieren die Befragten verärgert. Aus Sicht der Ärgerforschung ergeben sich mit dem Ärger über Fernsehinhalte keine neuen Anlassarten, und die Befunde stehen im Einklang mit den ärgertheoretischen Ansätzen (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). Insofern weichen die Anlässe für Fernsehinhaltsärger nicht von denen im ‘sonstigen Leben’ ab. Welche Anlässe speziell rund ums Fernsehen Ärger auslösen, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.
11.3 Ärger in der Rezeptionssituation und durch Fernsehen im Allgemeinen 11.3.1 Störung der Rezeption Es ist kennzeichnend für die Situation des gemeinsamen Fernsehens (im privaten Rahmen), dass man währenddessen jederzeit sprechen oder etwas anderes tun kann. Möglich sind etwa Kommentierungen, Informationsfragen, Ausrufe sowie Nebengespräche oder -tätigkeiten (vgl. etwa Hepp 1998); sie können als störend empfunden werden. Zehn Befragte erwähnen solche Störungen der Rezeption als Anlass für ihren Ärger. Dabei werden zwei Situationstypen erkennbar: Einmal tragen sich die Störungen in Situationen zu, worin mehrere Personen versammelt sind und entweder alle gemeinsam fernsehen oder vor allem die befragte Person die Aufmerksamkeit auf den Fernsehinhalt richtet. Diese Aufmerksamkeit wird nun gestört durch Geräusche oder Gespräche der anwesenden Personen. Als störend kann auch empfunden werden, wenn andere Anwesende in einer Werbepause mit der Fernbedienung das Programm wechseln und deshalb der Zeitpunkt der Filmfortsetzung verpasst wird (vgl. dazu auch Pkt. 11.3.4 ‘Das eigene Fernsehverhalten’). Der zweite Situationstyp ist eine Besuchs- oder Telefonsituation, genauer: Während man fernsieht kommt überraschend Besuch oder ein Telefonat. In jeder dieser Situationen wird der Wunsch oder das Ziel behindert, dem Fernsehangebot zu folgen und den dargebotenen Inhalt zu hören.
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ANDERE PERSONEN REDEN. Von Störungen durch das Reden anderer berichten vier Befragte. Stellvertretend soll hier eine Befragte zu Wort kommen: „Was ich nicht leiden kann…wenn ich eine Nachrichtensendung gucke oder [etwas,] was mich wirklich interessiert, und es sitzt einer daneben, der ständig-, also man kann schon mal was dazu sagen, das ist klar (I: mhm), aber der ständig reinredet (I: ja), dann [die Befragte spitzt die Lippen und macht einen Pfeifton]... Das mag ich nicht! Das ärgert mich dann, ne, weil ich dann wirklich mal was hören will, eine Information will oder einfach mal zuhören will und dann so abgelenkt bin, dass ich das dann einfach nicht richtig mitkriege“ (Fall 6).
UNRUHE UND NEBENGERÄUSCHE stören und verärgern zwei andere Befragte: „Wenn er [der Ehemann] dann irgendwas in die Hand nimmt und Krach macht, eine Tüte oder eine Flasche oder sonst irgendwas, das, DAS kann mich dann schon ärgern (I: ja)…Oder wenn er als [d.h. dauernd] hin und herräumt, oder dem Kleinen seine Spielsachen dann noch wegräumt [Befragte verdreht die Augen], das macht mich nervös macht mich so was, oder wenn er sich grade hingesetzt hat und [sagt:] ‘Ach ich muss noch mal’ und wieder hingesetzt und: ‘Ach ich wollt ja’, mmm [Grollstimme] das kann ich nicht leiden,…weil das ist dann eine Unruhe um mich rum, die ich dann abends einfach nicht mehr brauche, die hab ich den ganzen Tag gehabt. [Etwas später im Interview:] Das kann mich dann schon-, vor allem ist das immer an Stellen, wo ich es [den Fernsehinhalt] dann mal interessant finde, und dann [sie imitiert das Tütenknistern], das gibt dann so ein Krach, DAS stört mich ganz mächtig“ (Fall 5). „Immer wenn was Spannendes ist, fängt der [Hund] an zu bellen, dass ich mein eigenes Wort nicht verstehe (I: mhm)…Und das ärgert mich wahnsinnig. Nämlich wenn ich mal da sitze, will ich ja auch was gucken, dann will ich ja da zuhören…und dann kläfft plötzlich der Hund, weil die Türglocke geht, dann reißt der ja hier ab,…da muss ich den erst beruhigen. [Etwas später im Interview:] Das Drumherum ärgert mich schon. Wenn ich dann fernsehen möchte, ich sitze da unten [Küche, Ess- und Wohnbereich sind ein offener Raum, wobei der Wohnbereich auf einer tieferen Ebene liegt, zu dem Treppenstufen führen]. Wenn…einer…die Spülmaschine ausräumt, du glaubst gar nicht, wie das da unten [im Wohnbereich] stört! [Etwas später im Interview:] Ich guck dann nie konzentriert, egal was da eigentlich ist…Das Geklapper mit der Spülmaschine…wenn ich mal in Ruhe n guten Film gucken will, grade Filme die spannend sind, da kommts ja oft auf, grad auf den Moment an, wo da drinnen [er zeigt auf die Küche] klapper, klapper, klapper ging, ne. Jetzt hast du es [den Fernsehinhalt] nicht gehört [dann fragt er sich:] ‘Was hat er jetzt gesagt? Worum gings?’ [beide lachen leicht] So. Das ärgert mich dann“ (Fall 9).
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ZAPPEN. Eine andere Art der Unruhe und Rezeptionsstörung berichten zwei Befragte. Sie ärgern sich, wenn in einer Werbepause andere Anwesende zur Fernbedienung greifen und zappen. Die Unruhe kann durch den schnellen Bildund Tonwechsel empfunden werden (Fall 14) sowie dadurch, dass der Beginn der Filmfortsetzung versäumt wird (Fall 15). „Ich kanns aber auch nicht leiden, wenn da jemand durch die Gegend schaltet, wenn Werbung ist, und alle Programme da durchzappt.…Mein Vater, der nimmt die Fernbedienung und schaltet da hoch und runter, und dann, ja dann hat schon wieder das Programm angefangen, man hat die ersten drei Minuten verpasst, so ungefähr [Etwas später im Interview:] Das macht einen irgendwie nervös, dieses Umgeschalte“ (Fall 15).
UNANGEMELDETER BESUCH (zwei Befragte) oder ein ankommendes TELEFONAT kann die Rezeption stören (eine Befragte). Was den Besuch betrifft, hängt es einer Befragten zufolge von der Art des Besuches ab, ob sie sich ärgere: „Es kommt auf den Besuch drauf an (I: mhm), ja (I: mhm), es gibt ja netten oder weniger- [beide lachen], also angenommen, es kommen Freunde oder nette Bekannte oder so, dann, nee, dann ärgert mich das nicht, dann find ich es vielleicht ein bisschen schade, ne, aber dann ärgert mich das nicht in dem Sinne, dann freue ich mich, dass die Leute da sind. Kommt irgendjemand Unangenehmes oder Unangenehmeres und unangemeldet, und ich möchte mal wirklich so richtig gerne was gucken, dann find ich das schon ärgerlich“ (Fall 6).
Ein anderer Befragter ärgert sich eher weniger über die Störung, als vielmehr darüber, dass die Besucher unangemeldet und für die Befragten überraschend und unvorbereitet kommen (Verstoß gegen die Höflichkeitsnorm). FESTZUHALTEN BLEIBT, dass eine Störung der Rezeption dann vorliegt, wenn andere im Fernsehraum anwesende Personen reden oder auf andere Weise Unruhe oder Geräusche verursachen oder wenn überraschend Besuch kommt oder das Telefon klingelt.
11.3.2 Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit Neun Befragte berichten davon sich zu ärgern, wenn sie für ihre Programmauswahl kritisiert werden oder wenn sie das Programm nicht selbst bestimmen können (Einschränkung der Eigenständigkeit und Freiheit). Die Situation ist verschärft, wenn andere eine Sendung mit der Fernbedienung suchen. In einigen Fällen vermischen sich die Konfliktebenen: Es geht nicht mehr allein um das Programminteresse, sondern zudem um die Beziehungsdynamik.
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PROGRAMMAUSWAHL DURCH ZAPPEN. Erfolgt die Programmauswahl nicht über eine Fernsehzeitschrift, sondern mit Hilfe der Fernbedienung (Zappen), dann ist die Situation häufig so, dass eine Person die Fernbedienung in den Händen hält und zappt, während eine oder mehrere andere Anwesende zusehen. Wollen diese sich an der Auswahl beteiligen, dann kann das problematisch werden, denn wer die Fernbedienung benutzt, legt bei der Inhaltserkennung oder -auswahl Kriterien an, die von anderen Anwesenden häufig nicht geteilt oder auf Anhieb verstanden werden. Kriterien desjenigen, der daneben sitzt, finden kaum Raum, und das Mitverfolgen der Inhalte oder das Mitauswählen wird behindert. Der folgende Befragte zieht einen Vergleich zum Autofahren: Fahrer vs. Beifahrer. „Was ich nicht ausstehen kann, ist, wenn sie [Ehefrau]-, sie wirft mir das ja auch vor, dass ich manchmal so durch die Gegend zappe, ja, aber das stimmt gar nicht, ich mach das gar nicht, SIE macht das immer (I lacht). Schlimm ist ja auch immer, der, der die, der diese Fernbedienung in der Hand hat-, das ist so wie auf dem Beifahrersitz. Unmöglich#. [Etwas später im Interview:] Also, wir sind sehr unterschiedlich schnell, also sie zappt, finde ich, viel, viel schneller durch als ich. Ich weiß gar nicht, wieso sie so schnell erkennt, ob die Sendung gut oder schlecht ist. Die haut da in einem Tempo durch, und wenn ICH da jetzt mal sitze, dann, dann, dann findet sie, ICH bin zu schnell…Ja, und das find ich n bisschen bissch- negativ“ (Fall 10).
PROGRAMMAUSWAHL WIRD KRITISIERT ODER BEHINDERT. In seiner Freiheit eingeschränkt und persönlich kritisiert fühlt sich auch der folgende Befragte: „Wenn andere Personen dabei sind, ärgere ich mich, wenn ich dann nicht selber bestimmen kann...Oder wenn natürlich auch andere Personen sagen: ‘Eeh, jetzt guckt (der) schon wieder Sport, das will ich aber nicht’, und so. Dann schalten die um oder maulen eben rum oder so was, dann ärgere ich mich“ (Fall 20).
EINIGUNG AUF EIN PROGRAMM IST NICHT IMMER ÄRGERFREI ODER MÖGLICH. Beim gemeinsamen Fernsehen müssen sich die Fernsehnutzer häufig auf eine Sendung einigen. „So muss man…schon immer en Kompromiss dann auch finden. So das ist manchmal ärgerlich“ (Fall 19). Der Kompromiss ist also nicht immer ärgerfrei oder möglich. So ärgert sich eine Befragte, „wenns…Unstimmigkeiten gibt, was geguckt werden soll oder so. Der [Ehemann], der guckt sein…Börsensender da, den kann ich echt-, das find ich grausig, da laufen dann unten immer diese Börsenkurse oder Videotext ständig, also das. Der ärgert mich total“ (Fall 3).
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Unmöglich ist eine Einigung aufgrund der Programmwahl des Ehemannes der nächsten Befragten: „Also ärgern tuts mich dann eben, wenn ich mal selber was gucken will und ich wieder wegen diesem Schrott auf Deutsch gesagt äh es nicht gucken kann“ (Fall 14).
Ebenso wenig gelingt eine Einigung in folgendem Fall, wobei hier die Paardynamik in den Vordergrund tritt.122 Die Befragte schildert, dass ihre Schwiegereltern aufgrund unterschiedlicher Programmvorlieben ein zweites Fernsehgerät gekauft haben. Auf die Frage, wie sich die Situation in der eigenen Ehe darstelle, prustet sie und erläutert Folgendes: „Befragte: Mein Mann ist etwas hitziger, ne, in der Hinsicht, wenn ich jetzt sag: ‘Okay, ich möchte jetzt das mal sehen’, ne, dann wird das vielleicht [vom Ehemann] falsch irgendwie aufgefasst, [lacht leicht] ne, und dann: ‘Aach, sieh, was du willst!’ und geht er halt. Dann geht er halt. Fertig. … Interviewerin: Ja, ja. Und wenn er dann geht? Sind Sie dannBefragte: Ich bin dann bös…Weil es geht aber eher nicht ums Fernsehen, sondern um den Typ und Charakter und wie er reagiert darauf. Es geht eher…darum [lacht]…Ärger aufs Fernsehen dann eigentlich weniger“ (Fall 13; vgl. zu dem Wunsch nach gemeinsamem Fernsehen Pkt. 11.3.3 ‘Verstöße gegen Fernsehregeln und Wunsch nach gemeinsamer Fernsehzeit’).
Auch in folgendem Fall werden beim Aufeinanderprallen der jeweiligen Fernsehinteressen Charakteristika der Ehe sichtbar. Eine Befragte schildert, dass ihr Ehemann bei Werbepausen zu zappen beginnt, was sie ablehnt. Zum einen stört sie die mit dem Zappen verbundene Unruhe (vgl. auch Pkt. 11.3.5 ‘Störung einer Tätigkeit’) und außerdem, dass der Mann ihre Programmwünsche nicht berücksichtigt (vgl. auch Pkt. 11.3.6 ‘Geringschätzung und Missachtung’). Die Interessenorientierung und die Paardynamik sind hier also verquickt.
122 Dass Fernsehen ein Auslöser für Konflikte in der Ehe oder Familie sein kann, deren Ursachen in der Regel woanders liegen, darauf hat Maletzke 1959 hingewiesen. Auch in anderen Studien (vgl. z.B. Hackl 2001) zeigt sich dieser Befund sowie der, dass Konflikte über den Umgang mit den Medien ausgetragen werden (vgl. Goodman, Irene F. 1983: Television’s Role in Family Interaction. A family Systems Perspective. Journal of Family Issues, 4/1983/2, S. 405-424, zit. nach Barthelmes/Sander 1990: 39; dies. 1997). Zu Fernsehen als Austragungsort für Beziehungskonflikte vgl. auch Fall 14 in diesem Abschnitt, Fall 4 in Pkt. 11.3.6 ‘Geringschätzung’ sowie Fall 5 in Pkt. 11.3.7 ‘Sonstige’ und zu allen diesen Fällen die entsprechenden Abschnitte in Kapitel 12.
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11 Anlässe für Ärger rund ums Fernsehen „Das ist äh so ein blödes Ding von ihm einfach, ich mein,…er kann sich halt auch zu nichts richtig entscheiden, was er jetzt da gucken will, und dann ist der halt in diesen fünf Minuten, sag ich mal jetzt, fast nur am rummachen [zappen], und das ist es, was mich so unwahrscheinlich stört. Wo ich dann mal sag: ‘Schalt noch mal zurück, das möchte ich grad mal gucken’, äh das interessiert ihn zu neunzig Prozent auch nicht so, ob ich da jetzt mal reingucken will oder nicht. [Etwas später im Interview:] Ich mein, das weiß er, dass mich das unwahrscheinlich ärgert. Abstellen tut ers auch nicht. Ich kanns nicht abstellen, und von daher ist das für die Werbung immer wieder neuer Ärger“ (Fall 14).
INSGESAMT zeigt sich, dass die unterschiedlichen Programmpräferenzen mit Ärger einhergehen können. Zwei Gründe kristallisieren sich heraus: Zum einen gibt es Ärger, weil die eigenen Wünsche kritisiert werden oder man diese zurückstellen oder in disputähnlichen Verhandlungen durchsetzen muss, zum anderen, weil man das Verhalten missbilligt, das Beteiligte in solchen Aushandlungssituationen zeigen. Einige Befragte fühlen sich in solchen Situationen in ihrer Handlungsfreiheit oder Eigenständigkeit beschnitten. In der Art und Weise, wie Befragte das Programm aushandeln, zeigen sich beziehungsdynamische Aspekte.
11.3.3 Verstöße gegen Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘gemeinsamer Fernsehzeit’ Sieben Befragte berichten darüber, wie in ihrem Lebensumfeld unterschiedliche Fernsehregeln aufeinander treffen können, seien es Regeln in pädagogischer Hinsicht (Kindererziehung), seien es Regeln bezüglich der Art und Weise des Umgangs mit dem Fernsehen als Erwachsene. Unter anderem sind es Fragen des wie oft, wann und was ferngesehen werden sollte. Es handelt sich nicht um ein explizit ausgearbeitetes Reglement, auf das in einer Gemeinschaft alle zugreifen. Sondern es sind eher Regeln, die entweder sehr individuell sind (z.B. ‘Nie am Morgen fernsehen’) oder die sich in einer Gemeinschaft (unausgesprochen) ergeben haben.123 Wird nun gegen Regeln verstoßen oder fehlen solche oder sind die Auffassungen widerstrebend, dann kann Ärger entstehen. Die Meinungen dazu, wie Fernsehen genutzt werden sollte, sind teilweise mit der Auffassung verknüpft, dass Fernsehen eine gemeinsame Aktivität sein sollte – gleichsam eine Verkörperung des Wunsches nach Gemeinsamkeit. Dem123 Die Feststellung, dass „Medienhandeln in der Familie sowie Prozesse der medienbezogenen Interaktion nach expliziten und impliziten Regeln“ stattfinden, findet sich auch bei Goodmann, zit. nach Barthelmes/Sander (1990: 39, 129; die Quellenangabe zu Goodman enthält Anm. 122).
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gemäß kann Fernsehen den Wunsch nach Gemeinsamkeit umfassen und bedienen, ihn aber auch vereiteln. Was nun Gemeinsamkeit beim Fernsehen bedeutet, wann dieser Wunsch trotz Beieinanderseins im Fernsehzimmer vereitelt ist, und welchen Fernsehregeln gefolgt wird, formulieren einige Befragte wie folgt. FERNSEHREGELN. Eine persönliche Regel ist für einen Befragten, dass am Sonntagmorgen oder generell auch mittags nicht ferngesehen werden soll, andernfalls rege er sich auf, reagiere mit Ärger: „Also das ist für mich n absolutes Tabu, sonntagmittags Fernseh zu gucken, also das ist für (mich) sozusagen ne Kapitulation…auch sonst mittags“ (Fall 18).
Eine weitere Befragte habe bei der Erziehung ihrer Kinder darauf geachtet, dass diese einen geringen Fernsehkonsum hatten. Sie habe Hobbys und das Spiel mit Gleichaltrigen gefördert – immer fernsehfrei. Sie sah diese Regeln durch andere Mütter verletzt. Konkret: Wenn die Kinder sich trafen, hätten die anderen Mütter den Kindern fernzusehen erlaubt, was die Befragte also ablehnte und worüber sie sich ärgerte. „Befragte: Also ich habe meine Kinder eigentlich nachmittags so gut wie gar nicht fernsehen lassen. Ich habe das sehr reglementiert, aber ich habe eben feststellen müssen, dass sie dann eben, wenn sie mit anderen Kindern zusammen waren, dort ferngesehen haben. Interviewerin: Mhm. Was dich dann auch verärgert hat? Befragte: Natürlich hat mich das verärgert, nicht (wahr)! Mich hat aber vor allen Dingen verärgert-, das ist ja nicht Schuld des Fernsehens, sondern Schuld der, der Eltern, die das zulassen. Bei uns wurde das nicht zugelassen, dass, wenn meine Kinder Freunde da hatten, ferngesehen wurde. Dafür braucht man keine Freunde einladen, fand ich, sondern die sind da für andere Aktivitäten“ (Fall 4).
Auch das Maß der Fernsehzuwendung kann zu Problemen führen. Zwei Befragte berichten von Ärger über Haushaltsmitglieder, die sehr häufig fernsehen woll(t)en. In einem Fall (Fall 11) besteht das Problem aktuell nicht mehr, es bestand, als der inzwischen erwachsene Sohn 13 Jahre alt war (Pubertät). In dem anderen Fall (Fall 7) richtet sich der Ärger auf einen arbeitslosen Ehemann. Sowohl die Mutter des Jungen als auch die Ehefrau des arbeitslosen Mannes beklagen, dass der Fernseher ständig eingeschaltet (gewesen) sei oder der Wunsch nach Fernsehen übermäßig geäußert worden ist oder werde. Im Falle des 13jährigen berichtet die Mutter, dass sie Ängste gehabt habe. Sie habe Entwicklungsstörungen für den 13-Jährigen sowie für dessen jüngere Geschwister befürchtet, wenn sie als Mutter von ihrer Fernsehregel (i.e. ‘man sollte wenig und gezielt fernsehen’) abweiche und zu viel Fernsehzeit erlaube und die Kinder
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somit (zu) häufig vor dem Fernsehgerät sitzen würden. So habe sie die Fernsehzeit für die Kinder begrenzt, und es kam zu Auseinandersetzungen (vgl. zu den Reaktionen Pkt. 12.3.3 ‘Verstöße gegen Fernsehregeln…’). Die Ehefrau (Fall 7) des arbeitslosen und extrem viel sehenden Mannes sieht negative Auswirkungen eines ständig laufenden Fernsehgerätes auf die Kommunikation zwischen den Eheleuten sowie auf die gemeinsame kleine Tochter. Bei der Ehefrau ist eine Besonderheit hinsichtlich des Ärgerobjektes zu beobachten. Das heißt, der Ärger richtet sich nicht (mehr) allein auf das Verhalten des Ehemannes, sondern zugleich auf das Fernsehgerät.124 Mit ihren Worten: „Befragte: Der Ärger ist überhaupt diese Kiste da. Interviewerin: Und inwiefern? Befragte: Ich weiß es nicht, ich mag das, das ganze Teil gar nicht mehr so...Also ich mein, es stört wirklich alles, das zerstört alles, das Fernsehen. Die Kommunikation, das ist alles einfach im Eimer, es gibt nur noch einen Knopfdruck und…die Fernbedienung sowieso. … ich mag Fernsehen nicht mehr, überhaupt nicht mehr“ (Fall 7).
Die Befragte beschreibt die Situation näher und drückt die Häufigkeit und Intensität ihres Ärgers aus, indem sie ihre Ärgerreaktion in die Nähe einer Ärgersucht rückt: „Das ist halt, dass dann mein Mann so stur dann davor sitzt auch und dann nichts mehr abrafft oder so…. Wenn ich dann was sage, und das Ding läuft, da hört er mich sowieso nicht (I: ach so), oder er will es nicht hören, also er ist so abgelenkt, total abgelenkt, und manchmal kommt mir es vor, als wenn der in das Fernsehen da rein kriecht. Echt so wie so eine Sucht kommt mir das, wie, wie eine krankhafte Sucht ist das irgendwie schon. Bei mir kommt mir die Sucht vor wie ne Ärgersucht, dass ich süchtig bin nach Ärger, weil ich mich als [ständig] da drüber aufrege“ (Fall 7).
In beiden Familien kommt hinzu, dass eine räumliche Ausweichmöglichkeit nicht besteht. Sieht man einmal von dem Konfliktthema Fernsehen ab und geht allein von dieser räumlichen Bedingung aus, dann liegen die Konflikte darin, dass die Nicht-Fernseh-Interessierten ihren Interessen wie Lesen oder Telefonieren (Mutter des 13-Jährigen) nicht uneingeschränkt nachkommen können (vgl. dazu Pkt. 11.3.5 ‘Störung einer Tätigkeit’). Das betrifft auch den Wunsch nach 124 Christiane Hackl berichtet in ihrer Studie „Fernsehen im Lebenslauf“ von einem ähnlichen Fall: der Lebensgefährte einer Befragten ist Vielseher. Auch hier zeigt sich, wie groß die Wut ist und wie sich (auch deshalb?) der Hass (auch) auf das TV-Gerät richtet: „Manchmal habe ich ihn gehaßt, den Fernseher“ (Hackl 2001: 241).
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Ruhe, Kommunikation oder Gemeinsamkeit (Ehefrau) – hier ist allerdings eine Gemeinsamkeit im Sinne des Zusammenseins ohne Fernsehen gemeint. FERNSEHREGELN UND DER WUNSCH NACH GEMEINSAMKEIT. In folgendem Fall zeigt sich die Verquickung der persönlichen Auffassung darüber, wie man das Fernsehen nutzen sollte (Regel), mit dem Wunsch nach Gemeinsamkeit: „[Der Ehemann] geht oftmals als erstes zum Fernsehen,…wenn er von der Arbeit kommt,…guckt sich dann die Nachrichten an, während ich noch mit Haus und Hof zu tun habe, und das ärgert mich insofern, als ich es eben nicht kommunikativ finde und blöde finde und ein bisschen stupide…das würde ICH nicht machen…ich finde das doof“ (Fall 4).
Etwas später beschreibt sie, wie es ihrer Meinung nach sein sollte, nämlich „dass man vielleicht auch eine Aufgabe übernimmt, die mich entlasten würde, so dass das Ziel des gemeinsamen sich vors Fernsehen zu begeben…viel realistischer auch für mich würde. JA. (I: mhm) Wenn ich also noch…was draußen [im Garten] zu tun habe, könnte er zum Beispiel, so stell ich mir das vor, den Tisch decken für n gemeinsames Abendbrot und nicht sich…alleine vor die Glotze hocken. So würde ich mir das wünschen. So würde ich das auch anstreben … also das Gemeinsame, das Zusammensein beim Essen und beim Fernsehen, das würde ich als zentrales Ziel sehen“ (Fall 4; ähnlich auch Fall 7).
Was unter Gemeinsamkeit hinsichtlich der Freizeitbeschäftigung Fernsehen verstanden wird, differiert. Einige Befragte formulieren Auffassungen oder Regeln dazu, wann Gemeinsamkeit beim gemeinsamen Fernsehen hergestellt ist. Augenfällig ist, dass es sich nicht um Gemeinsamkeit handelt, sobald eine Person den Fernsehraum verlässt, zum Beispiel weil sie die eingeschaltete Sendung ablehnt. So ärgerte sich eine Befragte über ihre Freundin in folgender Situation: „Befragte: Also neulich war das zum Beispiel der Fall, ähm dass ich dann Harald Schmidt gucken wollte, und dann ist sie am Aufstöhnen: ‘Mach aus, ich halt das nicht aus’ (I: mhm). [Etwas später im Interview:] Also meistens ist es dann so,…dass sie ungefähr ne halbe Minute mitguckt und dann auch so n bisschen schmunzelt, aber dann schon rausgeht,…also dass wir das dann nicht zusammen gucken. Interviewerin: Und wenn sie rausgeht, ärgert Sie das dann oderBefragte: Ja, weil ich mir eigentlich denke, der [Harald Schmidt] hat auch schon witzige Passagen, und ähm eigentlich ähm haben wir [die Befragte und ihre Freundin] auch n ähnlichen Humor und dass sie [die Freundin] sich darüber genauso also ja äh freuen könnte (I: mhm)…Das würd ich schon netter finden, wenn wir das zusammen dann gucken (I: mhm, mhm)“ (Fall 19).
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Aber auch dann, wenn alle Personen bei laufendem Fernsehen vereint bleiben, muss es sich aus der Sicht einzelner noch nicht um Gemeinsamkeit handeln, weil es sein kann, dass sich die Personen verschiedenen Tätigkeiten widmen (Zeitung lesen, Stricken, Schlafen etc.). Gemeinsamkeit bedeutet also für einige Befragte, wenn alle Anwesenden die Aufmerksamkeit auf das Fernsehgeschehen richten. Auch wer diese Meinung nicht teilt, kann in eine Ärgersituation geraten, so etwa der nächste Befragte: „sehr oft vor, dass ich beim Fernseher einschlafe und daraufhin dann … den Ärger meines WG-Partners zu spüren bekomme…, weil er Wert drauf legt, dass man, also wenn man schon gemeinsam Fernseh schaut, auch dass man aktiv daneben sitzt, obwohl ich nicht mit ihm spreche während des Films (I: mhm), und aber wenn ich dann einschlafe, ist er also wirklich pikiert, was ich nicht nachvollziehen kann“ (Fall 18).
11.3.4 Das eigene Fernsehverhalten Sechs Befragte ärgern sich über ihr eigenes Fernsehverhalten, das heißt sie ärgern sich über sich selbst. Zwei dieser sechs Befragten erläutern, dass sie nach eigener Auffassung zu häufig fernsehen. Drei Befragte ärgern sich über sich selbst: zwei von ihnen, wenn sie an einer Sendung unbeabsichtigt hängen bleiben,125 einer, wenn er einen Film bis zum Ende gesehen habe, dessen enttäuschendes Ende er antizipiert habe und das dann auch eingetreten sei. In diesen Fällen ist der Ärger immer verknüpft mit dem unguten Gefühl, Zeit verschwendet zu haben. Schließlich kommt im Folgenden eine Befragte zu Wort, die sich über sich ärgert, wenn sie in einer Werbepause zappt und nicht pünktlich zur Fortsetzung des Films zurückschaltet. Im Folgenden werden diese Fälle ausführlicher betrachtet. ZU HÄUFIGES FERNSEHEN. Im vorigen Abschnitt wurde der Ärger besprochen, der durch einen sehr hohen Fernsehkonsum einzelner Haushaltsmitglieder entstanden war. In diesem Abschnitt üben die Befragten nicht Kritik an Haushaltsmitgliedern, sondern an sich selbst, wie etwa der nachfolgende Befragte:
125 Ein Befragter ärgert sich nicht, wenn er mal einen Film zu Ende gesehen hat, von dem er dann enttäuscht war. Erstens ist es seine Fernseherfahrung, dass Filme enttäuschend sein können, zweitens war es ein Stück Freizeit: „Das spielt da keine Rolle…Ich wollte ja halt fernsehen, und ich weiß ja, es [der Inhalt] ist ja halt oft nichts, man ist enttäuscht, dann ist das halt so, aber es ist ja halt Freizeit, dann spielt das ja keine Rolle“ (Fall 9).
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„Befragter: Es kommt mir schon manchmal so vor, dass…ich, dass wir [er und seine Ehefrau] doch mehr fernsehen gucken als wir denken…, ärger ich mich dann manchmal, dann ärger ich mich bisschen, ja. Aber das ist mehr meine Entscheidung, die mich da bisschen- nicht der [Fernseh-]Inhalt. Interviewerin: Ah ja, das ist der Ärger über dich selbst, dass du es nicht gepackt hast, Manns genug zu sein, das Ding auszumachen. Befragter: Genau. Das stimmt…kann ja Frau Christiansen auch nix für“ (Fall 10).
Ähnlich beschreibt es eine andere Befragte: „Befragte: Eigentlich guck ich schon ganz gerne fern, muss ich sagen, ärger mich aber manchmal selber darüber ähm, wenn ich viel fernsehe (I: mhm), also grade so diese Serien am Nachmittag ‘Verbotene Liebe’ und ‘Marienhof’ denke ich, das muss eigentlich nicht sein (I: mhm), weil…ich halt denk, das ist kein hoher Bildungswert, den man sich da zulegt, es ist halt n bisschen Entspannung (I: mhm) und ja dass man mitreden kann, aber eigentlich auch was, was fünfzehnjährige Mädchen machen [lacht, beide lachen]. Interviewerin: Das heißt, Sie ärgern sich über sich selbst dann? Befragte: Ja, schon n bisschen (I: ja). Aber es…hat dann auch n Suchtfaktor, so, dass man in diesen Geschichten dann drin bleibt“ (Fall 19).
HÄNGEN BLEIBEN. Zwei Befragte ärgern sich über sich selbst, wenn sie unbeabsichtigt an einer Filmgeschichte hängen bleiben, was aber äußerst selten vorkomme (vgl. Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität und Dauer’). Aber auch, wenn es einem bewusst ist, dass man ‘hängen bleibt’, wenn also absichtlich eine zufällig vorgefundene Filmgeschichte bis zum Ende verfolgt wird, kann Selbstärger entstehen, nämlich dann, wenn „man wusste, so und so gehts aus, und man hat … trotzdem die ganze Zeit da verbracht, und äh ja ist dann einfach är-, eigentlich ärgert man sich über sich selber, weil man äh nicht die Konsequenz hatte, einfach auszumachen“ (Fall 20).
Die Wortwahl der Befragten ist teilweise ich-distanziert (z.B. „man“). Darin deutet sich unter anderem die bekannte und allzumenschliche Zurückhaltung oder auch Abneigung an, sich über sich selbst zu ärgern. SELBSTVERSCHULDET DEN BEGINN DER FILMFORTSETZUNG VERPASSEN. Eine Befragte ärgere sich über sich selbst, wenn sie in einer Werbepause zappe und dadurch zu spät zur Filmfortsetzung schalte. Wenn andere zappen – etwa ihr Lebensgefährte oder ihr Vater –, und das Ende der Werbepause werde versäumt, dann sei sie zwar auch verärgert, aber wenn es ihr selbst passiere,
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11 Anlässe für Ärger rund ums Fernsehen „ärgert mich das auch, dann ärgerts mich noch mehr wie wenns jemand anderes gemacht hat. Interviewerin: Ach ja. Und warum ärgert Sie das noch mehr? Befragte: Weil ichs ja dann gemacht hab (I: ach so) und das eigentlich nicht mach, so umschalten…, ich schalt dann höchstens vielleicht mal von RTL auf ProSieben oder so, aber nicht alles durch [wie der Vater]“ (Fall 15).
11.3.5 Störung einer Tätigkeit Sieben Befragte ärgern sich, wenn ein eingeschaltetes Fernsehen sie dabei beeinträchtigt, eine Tätigkeit auszuüben. In den Berichten der Befragten stellt sich die Situation so dar, dass sie sich zusammen mit anderen Haushaltsmitgliedern im Wohnzimmer aufhalten, wo auch das Fernsehgerät steht. Auch wenn es – wie in einem Fall – für die Fernsehinteressierten ein zweites Fernsehgerät im Haus (z.B. im Schlafzimmer) oder für die Nicht-Fernsehinteressierten eine räumliche Ausweichmöglichkeit gibt, so ist die übliche Situation wie folgt: Verschiedene Personen halten sich im Wohnraum auf, allerdings mit verschiedenen Interessen der Beschäftigung. Die einen wollen fernsehen, andere wollen lesen, ruhen oder telefonieren – Interessen, die nicht unbedingt vereinbar sind. Vier Befragte fühlen sich in ihrem Wunsch zu ruhen gestört, wenn andere mit der Fernbedienung durch die Programme schalten (zappen). Eine weitere Befragte stört das Zappen beim Lesen, das heißt beim Ausüben einer konzentrierten Tätigkeit. Die Befragte hebt hervor, dass sie sich nicht durch das eingeschaltete Fernsehgerät als solches gestört fühle, sondern durch den mit dem Zappen verbundenen Geräuschwechsel (verschiedene Lautstärken, Stimmen, Actiongrade usw.), wodurch die Ablenkung größer sei.126 Zum Zappen sagt sie: „Das hass ich [beide lachen]. Das hass ich. [Etwas später:] So lange (zappen), bis ich was finde? Nee“ (Fall 6).
Sie beschreibt, wie sie Fernsehen bewertet und kommt auf das Zappen zurück: „Das regt mich auf…Das regt mich auf…du hast ja immer so einen bestimmten Geräuschpegel im Hintergrund, der stört mich beim Zeitung lesen, aber der (Geräusch126 Die störenden Geräuschwechsel, die mit dem Zappen einhergehen, lassen sich als aversive Reize einordnen. Aversive Reize wurden bereits im Kapitel zum Inhaltsärger angesprochen (vgl. Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige’). Während es dort allein der Reiz war, der Unbehagen und Ärger auslöste, steht hier das Handeln einer Person (Zappen) als Ursache für den Ärger im Vordergrund.
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pegel) wechselt ständig…Jedes Mal muss ich mich im Unterbewusstsein darauf aber irgendwie einstellen. Und das stört mich dann (I: ja). Dieses ständige Wechseln (I: ja), ne. Es stört mich nicht, wenn da ein Film läuft oder eine Musiksendung oder so, ne,…wenn das da so ein…gleich bleibender Lautpegel ist, das stört mich das nicht, aber dieses ständige Wechseln“ (Fall 6).
In dem zitierten Fall ist der Ärgeranlass das Zappverhalten des Familienmitgliedes und die damit einhergehenden Geräuschwechsel. Demgegenüber ärgern sich weitere fünf Befragte auch dann, wenn andere Haushaltsmitglieder das Fernsehgerät eingeschaltet haben, ohne dass diese durch Zappen die Geräuschkulisse verstärken. Diese fünf Befragten fühlen sich in ihrer Absicht zu lesen, zu telefonieren oder zu ruhen gestört.127 Besonders schwierig ist die Situation, wenn keine räumliche Ausweichmöglichkeit vorhanden ist oder sich alle Beteiligten am selben Ort (d.h. im Wohnzimmer) aufhalten möchten. Der Wortlaut der verschiedenen Befragten gleicht sich, und so zitiere ich stellvertretend zwei Befragte. Ein männlicher, bibliophiler Befragter ärgere sich, wenn er lese und „wenn jetzt meine Partnerin was guckt, laut, was ich überhaupt nicht sehen will. [Etwas später:] Interviewerin: Aber das ist doch nicht so n irrsinnig großer Ärger oder stört dich nicht so sehr? Befragter: Doch, das stört mich schon, also das mag ich nicht, ich, also ich will nix sehen müssen, oder gezwungen sein, da was von zu hören, wenn ich das absolut net will, das stört mich total“ (Fall 12).
Ähnlich drückt es diese Befragte aus, deren 13-jähriger Sohn fernsehen wollte: „Ich hab mich sehr gestört gefühlt, dadurch äh, weil ich abends eigentlich gerne gelesen habe, Zeitung gelesen habe, oder-, wir hatten damals auch kein tragbares Telefon, das heißt, ich hab auch sehr gerne im Wohnzimmer abends telefoniert mit diversen Leuten, und das alles ging dann plötzlich nicht“ (Fall 11).
11.3.6 Geringschätzung und Missachtung Acht Befragte berichten, im Zusammenhang mit Fernsehen eine Form der Geringschätzung und Missachtung erfahren und sich darüber geärgert zu haben. Es 127 Außerdem stören manche Befragte die Geräusche des eingeschalteten Fernsehgerätes, wenn sie sich mit anderen Personen unterhalten möchten. Vgl. dazu Pkt. 11.3.6 ‘Geringschätzung und Missachtung’.
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sind Fernsehsituationen, in denen sich die Befragten ihrer Redefreiheit beschnitten (2 Befragte) und sich so oder auf andere Weise unwürdig behandelt fühlen (6 Befragte). Geschildert werden drei Situationstypen: Der erste ist, dass verschiedene Personen vor dem laufenden Fernsehgerät vereint sind, und eine Person (hier: die/der Befragte) möchte etwas sagen. Dies kann etwas sein, das sich auf den Fernsehinhalt bezieht, es kann auch etwas anderes sein. Die adressierte Person empfindet das Reden als störend beim Verfolgen der Fernsehinhalte und winkt ab oder unterbindet auf andere Weise den Kommunikationsversuch. Beide Personen können verärgert reagieren: Die eine Person ärgert sich über die Störung der Rezeption (was Punkt 11.3.1 darstellt), die andere über das Abgrenzungsverhalten, das das vorliegende Kapitel aufgreift. Daneben gibt es einen zweiten Situationstyp, von dem fünf Befragte berichten. Hier handelt es sich um eine Besuchssituation, das heißt, Befragte sind zu Gast, und der oder die Gastgeber lassen das Fernsehgerät laufen. Die dritte Situation hat eine Befragte erlebt. Sie erhielt einen Anruf, und die anrufende Person ließ das Fernsehen lautstark laufen, diese telefonierte also und sah gleichzeitig fern. In allen Situationen reagieren die Befragten verärgert, weil sie sich nicht würdig behandelt fühlen, sondern geringschätzig und missachtet. Zu den beschriebenen Situationen sollen nun die Befragten zu Wort kommen. REDEWUNSCH VS. REZEPTIONSWUNSCH. Zwei Befragte ärgern sich, wenn sie in ihrem Redewunsch zurückgewiesen werden (Beschneidung der Redefreiheit). Aus Sicht der Befragten bewertet die adressierte Person die Fernsehinhalte höher als die Ansichten der Befragten (Geringschätzung). Dabei verärgert die Befragten nicht nur die Zurückweisung ihres Redewunsches, sondern auch das Verhalten, also die Art und Weise, wie dem eigenen Wort Einhalt geboten wird. Ein Befragter berichtet, dass dessen Ehefrau entweder sage: „Sei mal ruhig“ oder sie winke ab (Fall 9). Hier wird das Gefühl der Geringschätzung zusammen mit der als harsch empfundenen Geste des Redeabbruchs beklagt. „Ich hab ja auch was zu sagen, ne [lacht]. Aber sie hört dann lieber [die Worte der Fernsehakteure]… als das, was ich sage. Das kann ich nicht leiden. [Etwas später:] Diese Bewegung (I: ach so), diese Armbewegung [er meint die abwinkende, Einhalt gebietende Geste], das ist unhöflich mir gegenüber...ich würd das NIE machen. [Etwas später:] Ich finde-, zumal das ist-, GAR nichts zu sagen, nur SOO machen [er macht erneut die Geste] das find ich, ist unhöflich…Man könnt ja sagen: ‘Moment mal, lass mich grad noch’, das könnt man ja sagen (I: ja), das wär nicht so unhöflich [beide lachen]. Ich lass mich dann unterbrechen, und, na ja, dann ärger ich mich vielleicht n bisschen“ (Fall 9).
Ähnlich ergeht es einer anderen Befragten. Sie berichtet,
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„dass ich mich immer dann ärgere, dass ich etwas sagen möchte zu irgendetwas beim Fernsehen und mein Mann mir über n Mund fährt: Ich soll still sein, und er wolle jetzt da fernsehen, das hören und sehen, das könne er nicht, wenn ich rede. Also darüber kann ich mich schrecklich ärgern. [Etwas später:] Ich finde, da muss auch noch Raum sein, dass man da was sagt, also so wahnsinnig wichtig kann das gar nicht sein, was da im Fernsehen läuft, dass man da jemand andern da, da in seiner Redefreiheit beschneidet (I: mhm)“ (Fall 4).
Etwas später begründet sie ihren Ärger mit diesen Worten: „Weil ich es so dumm finde, das Fernsehen über alles zu stellen, über die Kommunikation und äh ja und wahrscheinlich auch, nehm ich mal an, das Fernsehen über mich gestellt wird, dass das wichtiger ist als ich, als das, was ich sage. Das ärgert mich, das macht mich wütend“ (Fall 4).
Bei dieser Befragten ist der Fernsehkonflikt verwoben mit einem Paarkonflikt, wie sich später an ihrer Reaktion zeigen wird (vgl. Pkt. 12.3.6 ‘Geringschätzung und Missachtung’ sowie die Anmerkungen 122 und 128). DIE BESUCHSSITUATION. Fünf Befragte erlebten schon einmal eine Besuchssituation, in der die Gastgeber das Fernsehgerät laufen ließen. Die Befragten empfanden das als unhöflich und als Geringschätzung oder Missachtung ihrer Person. Die folgende Befragte versucht, dieses Gastgeberverhalten zu beschreiben, und sie bricht dabei fast jeden ihrer Sätze ab – ein Zeichen für ihre Betroffenheit und ihren Ärger. „Obwohl wir auch angemeldet waren, da lief der Fernseher, und da wurde nur der Ton abgestellt, ja, und der Fernseher lief weiter. Also das fand ich dann scho[spricht sehr leise] #...#, also das find ich eine-, dem Besuch gegenüber bisschen-, was- [spricht sehr leise] #...#. Wenn man Leute einlädt oder so, und man lässt den Fernseher weiterlaufen, das ist also-, (ich) weiß ja gar nicht-, will man den Besuch oder will man ihn nicht?!“ (Fall 6).
Mit deutlicher Wut reagiert die folgende Befragte, wenn sie bei den Schwiegereltern zu Besuch ist und diese das Fernsehgerät einschalten. „Befragte: Die gucken jeden Abend ab Schlag acht Fernsehen, egal wer da ist…. Wenn ich nur einen Abend da bin, dass die das Ding laufen lassen! Sie unterhalten sich trotzdem mit uns, ne, aber ich könnte auf-, die Wände hochgehen vor Wut. Entweder ich gucke Fernseh, oder ich unterhalte mich, und wenn ich jemanden nur einen Abend zu Besuch habe, ist es selbstverständlich, dass ich die Kiste ausstelle, es sei denn, es kommt wirklich mal was ganz Außergewöhnliches, und alle wollen es gerne sehen. Also bei uns in der Familie gibt es das auf keinen Fall, wenn wir Besuch haben und der Fernseher läuft, das ist etwas, das mich total kränkt. Und [der
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11 Anlässe für Ärger rund ums Fernsehen Ehemann] sagt immer: ‘Das brauchst du nicht. Das ist bei denen [Schwiegereltern] so, die wollen dich nicht damit beleidigen’, ne. Aber das kann ich nach fast 25 Jahren noch nicht kapieren. Interviewerin: Was ist es eigentlich, was einen da so ärgert? Befragte: Dass sie etwas anderes äh interessanter finden als das Gespräch mit mir, glaub ich. [Etwas später:] Dass ich denke…: ‘Sie mögen mich nicht’ oder ich weiß nicht was, ja. Ich weiß, das hat nichts mit mir zu tun, inzwischen weiß ich das, ja“ (Fall 11).
TELEFONSITUATION. Eine Befragte wird von einer Verwandten angerufen, diese lässt das Fernsehgerät während des Telefonats im Hintergrund laufen. Die Befragte ärgert sich. Sie schildert die Situation: „Wenn ich sage, ‘Och ich kann dich so schlecht verstehen, stell doch mal den Ton leiser’, dann sagt die [Verwandte]: ‘Och ist grad so spannend’“ (Fall 11).
Diese Schilderung bezieht sich bereits auf die Reaktion der Befragten, indem Sie die störende Lautstärke des Fernsehens anspricht (vgl. dazu Pkt. 12.3.6 ‘Geringschätzung…’). In dieser Reaktion – und deshalb berichte ich sie bereits hier – doppelt sich im Grunde der Ärgeranlass. Denn während sich die Befragte schon zu Beginn des Telefonats über den Geräuschpegel ärgert und sich nicht adäquat wertgeschätzt fühlt, wird mit der Antwort der Anruferin, dass der Medieninhalt gerade so spannend sei, die Wertschätzung in der Sicht der Befragten einmal mehr in Frage gestellt. VERÄRGERTE UND NICHT-VERÄRGERTE – EIN VERGLEICH. In der Stichprobe gibt es vier Befragte, die sich nicht daran stören, wenn im Hintergrund das Fernsehgerät läuft – sei es beim Telefonieren, sei es in der Besuchssituation. Hierfür gibt es sicherlich verschiedene Erklärungen, eine davon könnte in der Art der Fernsehnutzung liegen. Es fällt auf, dass diese vier Befragten das Fernsehgerät in einer Hinsicht genauso, in einer anderen Hinsicht anders als die oben zitierten Befragten nutzen. Übereinstimmend ist, dass sie durchaus Sendungen gezielt auswählen und sich diesen ausschließlich zuwenden. Verschieden ist, dass sie das Fernsehen als ‘Nebenbei-Medium’ nutzen: „Wenn ich jemanden besuche, das Fernsehen ist dann so was, was nebenbei läuft, aber eigentlich unterhält man sich über was anderes“ (Fall 13).
Die Befragten würden sich erst dann ärgern, wenn die Gastgeber ihre Aufmerksamkeit auf das Fernsehen richteten. „Also solange ich jetzt nicht das Gefühl habe, äh dass die Person mehr aufs Fernsehen achtet wie auf den Besuch, ist mir das egal. Also, na ich muss schon zugeben,
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bei mir läuft zu 90 Prozent auch irgendwas im Hintergrund, ob jetzt eben das Fernsehen ist oder das Radio, weil es sind doch öfters mal so jetzt grad diese Talkshows… hab ich sie laufen, nebenbei“ (Fall 14).
11.3.7 Sonstige Durch die nachfolgend aufgeführten Anlässe kommt es bei neun Befragten zu Ärger: (1) Lärmbelästigung durch das Fernsehverhalten des Nachbarn (2 Befragte) (2) Extremer Fernsehärger einer anderen Person (1 Befragter) (3) Beschneidung von persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und Autonomie (2 Befragte) (4) Ungleiche Rechte in der Paarbeziehung oder Fernsehen als Austragungsort von Beziehungsfragen (1 Befragte) (5) Sachtückenärger: das Fernsehgerät oder zugehörige Geräte sind defekt (3 Befragte) (1) Lärmbelästigung durch das Verhalten der Nachbarn. Zwei Befragte ärgern sich über den Nachbarn, weil dieser die Lautstärke seines Fernsehgerätes hoch einstellt und so mit dem Lärm (aversiver Reiz) die Befragten belästigt. „Dass der Nachbar über mir total laut fernsieht, das ärgert mich. Also das ärgert mich ziemlich [lacht, beide lachen], und auch die Nachbarn zu [der Wohnseite der Mitbewohnerin], die sehen auch unheimlich laut, ganz laut fern. Das ärgert mich auch“ (Fall 19). „Oder dass der Fernseher bei den Nachbarn eingeschaltet ist [lacht] und man alles mithört also“ (Fall 17).
(2) Extremer Fernsehärger einer anderen Person. Ein Befragter berichtet von einer ehemaligen Freundin, die sich stets so sehr über Fernsehinhalte aufgeregt habe, wie er es nicht verstehen konnte. Das habe dazu geführt, dass er sich über sie sehr geärgert habe. „Meine damalige Freundin…regt sich sehr gerne sehr schnell auf… Mit der Zeit war es dann so, dass ich mich auch aufgeregt habe [lacht, I lacht auch], aber nicht über die Szene [im Fernsehen], sondern dass meine Freundin mich aufgeregt hat (I: ja). [Etwas später:] Wars halt jetzt einfach nicht nachvollziehbar, diese Gefühlswallung, die man diesem Medium entgegenbringen konnte beziehungsweise der Person, die da drin war. Das war für mich nicht nachvollziehbar (I: ja), aber das hat dann ein-
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11 Anlässe für Ärger rund ums Fernsehen fach die Luft so n bisschen verschlechtert (I: ja), und deswegen war ich dann halt auch nach ner Zeit angenervt und nachdem das #...#genervt-, hat sich dann irgendwann in Ärger gesteigert (I: ja)“ (Fall 18).
(3) Beschneidung von persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und Autonomie. In der Herkunftsfamilie einer Befragten wurde Fernsehen prinzipiell abgelehnt. Die Befragte hatte somit keinen Zugang zu den Medieninhalten und infolge dessen nicht die gleichen Informationen wie ihre Freundinnen und Freunde in und außerhalb der Schule. Dadurch entstanden der Befragten Nachteile, und sie hatte Wut auf ihre Eltern, weil diese kein Fernsehgerät anschaffen wollten. „Mich hat das damals etwas isoliert, ich konnte bei vielen Dingen nicht mitreden (I: mhm), und das fand ich schlecht. Das wurde sogar in der Schule auch thematisiert, in Aufsätzen musste man Stellung nehmen zu diesem und jenem, auch zum Thema Fernsehen, ich konnte gar nicht Stellung nehmen,…weil ich einfach keine Ahnung hatte, und das finde ich auch ähm keine gute äh Regelung (I: ja), in einem Haushalt zu sagen: ‘PRINZIPIELL will ich dieses Medium aus meinem äh Leben verbannen’“ (Fall 4).
Die Befragte war dann hinsichtlich der schulischen Aufgaben „absolut hilflos, ne, ich war ausgeschlossen und hilflos, und das fand ich schon sehr schlecht. [Etwas später:] Und das hat mich auch wütend gemacht, ja. Aber nicht wütend auf Fernsehen, sondern wütend auf meine Eltern, weil die mir ein, eine Möglichkeit vorenthalten haben“ (Fall 4).
Eine andere Befragte ärgert sich über den Verstoß gegen ihren Willen in folgender Situation (mit einer Fernbedienung). Dort ist es so, „dass wir irgendwas geguckt haben und ich dann eigentlich will, dass, dass ausgeschaltet wird und dann meine Freundin dann einfach noch mal das ganze Programm durchgehen muss [lacht]“ (Fall 17).
(4) Ungleiche Rechte in der Paarbeziehung oder Fernsehen als Austragungsort von Beziehungsfragen. In einigen Interviews wird erkennbar, dass Fernsehen zum Austragungsort für Paar- oder Familienkonflikte werden kann, dass Fernsehen Auslöser für Konflikte sein kann, deren Ursache woanders liegt. Während in
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anderen Interviews128 der Paarkonflikt mit dem Fernsehkonflikt verwoben ist, rangiert der Paarkonflikt in einem Interview deutlich vor dem Fernsehkonflikt, so dass er hier separat besprochen wird. Der Grundkonflikt ist die wahrgenommene Ungleichheit zwischen der Befragten und ihrem Lebensgefährten. Die Befragte schildert ihr eigenes Verhalten und das des Lebensgefährten für die Situation, wenn beide fernsehen und plötzlich das Telefon klingelt – das Gespräch ist für den Mann: „Dann bleibt er sitzen meistens, dann muss ichs Fernsehen leiser machen oder den Ton aus, oder er machts schon selber, bleibt aber sitzen! Aber wenn ICH telefoniere, und ER Fernseh guckt, muss ich meistens rausgehen“(Fall 5).
Dass es der Befragten darum geht, die Paarkonstellation zu beeinflussen, wird besonders an der Reaktion sichtbar. Deshalb wird an dieser Stelle ausnahmsweise dem Kapitel „Reaktionen“ (vgl. 12.2.7 ‘Sonstige’) vorgegriffen. Zum Fall: „Manchmal“ fordert die Befragte den Mann auf, das Telefonat außerhalb des Fernsehzimmers fortzusetzen, damit sie den Film weiterverfolgen kann. Meistens ist es aber so, dass sie ihren Ärger ausdrückt, indem sie ein analoges Verhalten zeigt, indem sie ihren Freund also ärgert, um so sein Verhalten jetzt und auch mit Blick auf die Zukunft nachhaltig zu beeinflussen: „Ich gehe dann meistens eine rauchen, ja, aber das stört ihn wiederum, weil ich dann wieder rauche“ (Fall 5). Für die Befragte ist es in diesen Situationen – nicht immer, aber wohl doch (noch) häufig – vorrangig, das Verhalten des Mannes zu ändern, nachrangig ist der Film, denn sie bedauert es nicht, den Film versäumt zu haben. Das Versäumnis scheint überdies ihrer Bestrafungs- und Erziehungsstrategie zu dienen, das heißt, wenn der Mann am Ende seines Telefonats nach dem Filmverlauf fragt, „Befragte: dann sag ich: ‘Ja das kann ich dir nicht sagen, weil ichs nicht gehört hab, weil ichs nur gesehen hab’. Und dann guck ich ja auch meistens nicht hin, weil dann wird es ja eeh [d.h. ohnehin] uninteressant, wenn man nicht hört, was die Leute reden, ne, dann hat sich das erledigt, der Film. Interviewerin: Ja, und dann sind Sie nicht irgendwieBefragte: Nö. Das stört mich nicht. Interviewerin: Stört Sie nicht. Befragte: Nö. Interviewerin: Obwohl Sie lieber den Film gesehen hätten?! Befragte: Ja“ (Fall 5). 128 Neben der hier genannten Befragten (Fall 5) sind es die folgenden Befragten, bei denen der Fernsehkonflikt mit dem Paarkonflikt verwoben ist: Fälle 13 und 14 (beide in Pkt. 11.3.2 und 12.3.2), Fall 4 (Pkt. 11.3.6 und 12.3.6). Siehe auch Anmerkung 122.
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Hier zeigt sich also, wie die Beziehungsdynamik in die Fernsehsituation hineinragt und wie bei Fall 5 das Filminteresse hinter das Beziehungsinteresse tritt. (5) Sachtückenärger: das Fernsehgerät oder zugehörige Geräte sind defekt. Drei Befragte erwähnen, dass sie sich ärgern, wenn das Fernsehgerät defekt oder die zugehörigen Geräte (z.B. Fernbedienung, Videorekorder) nicht funktionstüchtig sind. Man darf wohl davon ausgehen, dass dies nicht nur für diese drei Befragten ein Ärgeranlass ist. Dass er nur von drei Befragten erwähnt wurde, könnte daran liegen, dass dieser Anlass auf der Hand liegt, deshalb keiner besonderen Erwähnung bedarf, vielleicht auch eher selten vorkommt. Gleichwohl gehört er dazu.
11.3.8 Die Anlässe im Überblick und Fazit In diesem Kapitel ging es um die Frage, ob und warum es zu Ärger in Situationen rund ums Fernsehen kommt. Die 20 Befragten nannten Anlässe, die in sieben Kategorien gefasst wurden. Der Überblick über die Anlässe mit jeweiligen Beispielen soll tabellarisch (Tabelle 13) gegeben werden. Tabelle 13: Ärgeranlässe in der Rezeptionssituation und durch Fernsehen im Allgemeinen Anlässe
Anzahl der Ereignisse 10
1.
Störungen der Rezeption, z.B. andere Anwesende reden
2.
Programmvorlieben, z.B. keine Einigung bei der Filmauswahl
9
3.
Verstöße gegen persönliche Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘Fernsehen als gemeinsamer Aktivität’, z.B. ein Familienmitglied sieht zu viel fern
7
4.
Das eigene Fernsehverhalten, z.B. zu häufiges Fernsehen
5.
Störung einer Tätigkeit, z.B. die Lautstärke des Fernsehgeräts, das Haushaltsmitglieder eingeschaltet haben, stört beim Lesen
10
6.
Geringschätzung und Missachtung, z.B. Gastgeber lassen das Fernsehgerät eingeschaltet
8
7.
Sonstige, z.B. defektes TV-Gerät oder Zubehör
9
6
59
In der Tabelle ist zu sehen, welche Anlassarten die meisten Nennungen erhalten. Von den insgesamt 59 Anlässen erhalten
11 Anlässe für Ärger rund ums Fernsehen
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Störungen der Rezeption und einer Tätigkeit gleich viele und insgesamt die meisten Nennungen: je 10 Ereignisse (je 17%). Ärger über vereitelte Programmvorlieben und ‘sonstige’ Anlässe wird je 9mal (je 15 %) berichtet, es folgt der Ärger über Geringschätzung und Missachtung: 8-mal (14 %) TV-Regelverstöße verärgern 7-mal (12 %), das eigene Verhalten 6-mal (11 %).
Begleitende Gefühle.129 In einem Fall wird als begleitendes Erleben die Hilflosigkeit genannt (vgl. Pkt. 11.3.7 ‘Sonstige’). Ärgerformen. Bei den genannten Ereignissen rund um das Fernsehen ärgern sich die Befragten zum einen über sich selbst (Selbstärger) und zum anderen unmittelbar über andere, da diese die eigenen Wünsche blockieren. Beobachtungsärger ist zwar in Situationen rund ums Fernsehen vorstellbar, aber in dieser Studie wird er nicht erwähnt. Ärger und Wut. Die Intensitätsgrade des Ärgers sind verschieden (vgl. Näheres dazu Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer’). Auffällig ist, dass häufiger, das heißt sechsmal, von Wut gesprochen wird (vgl. zur Anzahl der Nennungen auch Pkt. 12.3.8 ‘Reaktionen im Überblick…’), etwas, das bei den inhaltsbezogenen Anlässen ein einziges mal auftrat. Verantwortungszuschreibung. Bei den Ärgeranlässen fernab der Fernsehinhalte, wohl aber mit Bezug auf das Fernsehen, benennen die Befragten „Ross und Reiter“ der Ärgerursache.130 Das ist nicht überraschend, da es sich durchgehend um Situationen handelt, in denen die Subjekte und somit die den Ärger auslösenden Personen unmittelbar anwesend sind. Theoretische Bedeutung. Betrachtet man diese Anlässe mit Blick auf die Befunde der Ärgerforschung, so ergeben sich keine Unplausibilitäten, die Ergebnisse passen zu den theoretischen Grundannahmen (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). Möglicherweise ergeben sich situationsspezifische Sichtweisen, wenn man die Fernsehärgeranlässe, die in diesem Kapitel geschildert wurden, vergleicht mit denjenigen Anlässen, die sich auf das Medienangebot beziehen. Der Vergleich, der in Kapitel 13 durchgeführt wird, soll nicht geschehen, ohne zuvor die Reaktionen auf den Fernsehärger betrachtet zu haben. Um diese geht es im nächsten Kapitel. 129 Die Gefühle und das Erleben können Ursache, Bestandteil sowie eine Folge von Ärger sein. Daher werden sie sowohl hier als auch in Kapitel 12 ‘Reaktionen’ (zusammengefasst in 12.3.8) erwähnt. 130 Dies war bei den Anlässen, die die Fernsehinhalte betreffen, zum Teil eher indirekt gegeben (vgl. Pkt. 11.2.9 ‘Fazit’).
12 Reaktionen
12.1 Begriffsklärung: Ärgerreaktion, -bewältigung, -ausdruck Kapitel 12 soll darlegen, wie die Befragten auf ihren Fernsehärger reagieren. Vorab ist zu klären,131 was mit Reaktion gemeint ist, denn im Sprachgebrauch findet sich die Rede von ‘auf Ärger reagieren’, ‘Ärger bewältigen’, oder ‘Ärger ausdrücken’, kurz: Reaktion, Bewältigung und Ausdruck. Diese Begriffe beschreiben – so Weber (1994: 148) – durchaus dasselbe Geschehen, allerdings betonen sie daran je eigene Aspekte. REAKTION. Der Begriff Reaktion ist neutral und wird unspezifisch gebraucht. „Er bezeichnet alle physiologischen, expressiven, subjektiven, kognitiven und aktionalen Vorgänge, die zum einen bereits Bestandteil der Emotion sind, zum anderen der Entstehung von Ärger folgen“ (Weber 1994: 145; vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). AUSDRUCK. Mit ‘Ausdruck’ wird die äußere Form des Ärgers angesprochen. Er umschreibt, wie Ärger sichtbar wird oder nicht, wie er geäußert wird oder nicht.132 Äußerlich sichtbar wird Ärger beispielsweise mit Schreien, Mimik verfinstern oder Türen zuschlagen. BEWÄLTIGUNG (‘COPING’). Dieser Begriff ist eng mit dem Stresskonzept133 verknüpft, und die Bewältigungsforschung untersucht, wie Menschen Stresssituationen bewältigen. In der Alltagssprache schließt Bewältigung häufig den Erfolg ein, das heißt, wer davon spricht, etwas bewältigt zu haben, meint zugleich, es erfolgreich getan zu haben. Anders ist dies in der Bewältigungsforschung. Dort meint Bewältigung nicht so sehr den Ausgang, also die Frage, ob eine Person erfolgreich war oder gescheitert ist. Sondern es geht um die Art und Weise, wie man mit der internen oder externen Anforderung umgegangen ist. 131 Bei der Klärung der Begriffe beziehe ich mich vornehmlich auf Weber (1994). Dort ist auch eine vertiefende Diskussion der Begriffe zu finden. 132 Zu der problematischen Dichotomie ‘äußern’ und ‘nicht-äußern’ von Ärger vgl. Weber (1994: 145f., 160). 133 Um Stress handelt es sich per definitionem, wenn Menschen sich unangenehm (distress) oder angenehm (eu-stress) über- oder herausgefordert fühlen, wenn also ein Ungleichgewicht zwischen Anforderung und Reaktionsmöglichkeiten subjektiv wahrgenommen wird.
12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
207
Grundlegende Bewältigungsformen sind etwa Informationssuche, direkte Aktion, Aktionsaufschub und intrapsychische Verarbeitung (vgl. Städtler 1998: 124). Den Umgang mit den Anforderungen untersucht die Bewältigungsforschung anhand verschiedener Lebensereignisse (z.B. Krankheit, Trennung etc.), und sie nimmt auch Emotionen in den Blick. Denn wer eine herausfordernde oder belastende Situation zu bewältigen hat, hat gleichzeitig Emotionen zu bewältigen. Was den Ärger betrifft, so liegen ihm im Allgemeinen Widrigkeiten zugrunde. Es können Widrigkeiten und somit Ärgersituationen sein, die mit Stress einhergehen, denkbar sind auch stressfreie Ärgersituationen. Ob so oder so: Ärger verweist auf einen Missstand, und gemäß den Emotionstheorien veranlasst Ärger in der Regel zu einer Problemlösung. Diese sowie die Distress-Regulation werden als die Funktionen der Bewältigung angesehen. IN DIESER ARBEIT ist die Verwendung der Begriffe Reaktion und Bewältigung denkbar, um zu erfassen und zu beschreiben, wie die Befragten bei Fernsehärger denken, fühlen und handeln. Ich werde vor allem den neutralen Begriff Reaktion verwenden. Von dem Begriff Bewältigung sehe ich nicht grundsätzlich ab, ich werde ihn aber mit einer gewissen Zurückhaltung einsetzen. Warum? Der Begriff Bewältigung ist mit psychischer Belastung und Stress assoziiert. Dies sind Aspekte, die durchaus mit Fernsehärger einhergehen,134 doch ich kann sie vor Ablauf der Studie nicht grundsätzlich unterstellen. Es wird im Zuge der Auswertung zu entscheiden sein, ob Formen wie zum Bespiel eine ‘direkte Aktion’ (s.o. im Absatz ‘Bewältigung’) eine Reaktion oder (auch) eine Bewältigung ist. Physiologische Reaktionen werden nicht einbezogen, was ich in Punkt 6.1 ‘Qualitative Messung von Fernsehärger…’ ausführlich begründet habe. Sofern Befragte berichten, Fernsehärger zum Beispiel durch einen entsprechenden Blick auszudrücken, ist eine Facette des Ärger-Ausdrucks angesprochen, und sie wird freilich in die Auswertung einbezogen. Aber da diese Studie die expressiven Formen (Mimik, Gestik etc.) nicht systematisch untersucht (z.B. mit Videoaufnahmen), werden der Begriff ‘Ausdruck’ und seine Formen im Großen und Ganzen im Hintergrund bleiben. Nun sind Reaktionen immer auch von situativen und dispositionellen Faktoren bestimmt (vgl. etwa Lazarus, Averill, Opton 1977: 194). Dispositionelle Faktoren wie die individuelle psychologische Struktur und Persönlichkeitszüge sind mit der Studie nicht erfasst und können daher nicht einbezogen werden.
134 Dies äußerten Befragte im Rahmen meiner Probeinterviews, die ich vor der Studie durchführte, und es ist auch bekannt durch einige Medienstudien (z.B. Barthelmes/Sander 1997, Hackl 2001).
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
Einstellungen oder eigene Überzeugungen sowie situative Faktoren werden im Interview berührt oder thematisiert und entsprechend berücksichtigt. Methodisch ist bei der Erhebung von Reaktionen in dieser Studie zu berücksichtigen, dass Befragte das gedankliche Geschehen vermutlich kaum als Reaktion verstehen. Deshalb frage ich im Interview nicht nur „Wie reagieren Sie?“, sondern auch explizit: „Was denken Sie dann?“ (vgl. Kap. 6 ‘Methode’). Die Frage nach den Reaktionen zielt darauf zu erfahren, ob etwas, und wenn ja, was durch den Ärger in Gang gesetzt wird. Zunächst werden die Reaktionen der Befragten entlang der einzelnen Ärgerthemen betrachtet. Danach werden die Reaktionen in einer Übersicht zusammengestellt (Punkte 12.2.8 und 12.3.8). In Kapitel 13 werden die Reaktionen auf den Inhaltsärger verglichen mit denen auf den Ärger rund ums Fernsehen und ausgewählte Reaktionen vertieft besprochen.
12.2 Reaktionen auf Ärger über Fernsehangebote 12.2.1 Programmgestaltung 12.2.1.1
Werbung
Bei den Reaktionen auf den Ärger über Werbeunterbrechungen lässt sich auf eine Entwicklung (Gewöhnung) schließen.135 Das heißt, die Rezipienten haben Erfahrung mit Werbung gesammelt (Erfahrungswissen), und sie haben verschiedene Reaktionsweisen entwickelt. Diese sind wohl nicht alle, aber doch teilweise dem Ärger über Werbung geschuldet und ergeben sich aus den Interviews wie folgt. y Stimmungsverschlechterung / Unlustreaktion. Eine Befragte berichtet, durch die Werbeunterbrechung werde „das Vergnügen getrübt“, und „es macht keinen Spaß mehr“ (Fall 18). In diesen Anmerkungen spiegelt sich der Befund wider, wonach eine Unlustreaktion mit Ärger einhergeht (vgl. etwa Schmidt-Atzert 1996; vgl. auch Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’). y Schimpfen, fluchen oder „in sich hineingrummeln“ (Fall 19) sind Reaktionen, die zwei Befragte nennen. y Hinnehmen, sich abfinden, es ertragen. Mit der Gewöhnung daran, dass Werbung gesendet wird, und folgernd, dass dies wohl unabänderlich ist, entschließen 135 Die Feststellung, dass eine Entwicklung oder Gewöhnung stattgefunden hat, leite ich aus den Aussagen der Befragten ab. Sie ist nicht methodisch gewonnen, da dies eine Querschnittsuntersuchung ist.
12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
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sich fünf Befragte, die Werbepause hinzunehmen, sich damit abzufinden und sie zu ertragen. Dabei kann dies von einer y Situationsanalyse begleitet sein, bei der man zu ergründen versucht, warum ein Sender Werbung schaltet. Zwei Befragte tun dies in der Art wie die folgende Befragte: „Werbung ärgert ja schon manchmal…, aber ich sag mir dann selbst: ‘Na ja, wahrscheinlich muss das sein, weil es muss ja irgendwie das Ganze verkauft werden“ (Fall 13).
Den Grund für Werbeschaltungen zu kennen (z.B. Finanzierung), kann versöhnlicher stimmen, beschwichtigen, den Ärger mildern oder ihn hemmen, muss es aber nicht (s. Ende dieses Abschnittes). Die Werbung hinzunehmen bedeutet nicht zwingend, dass sie stets angeschaut wird. Eine Mischform wird praktiziert, wonach Befragte die Werbung mal verfolgen (s.o.), mal y vermeiden oder positiv wenden, das heißt etwas anderes, Positives machen (positive Umdeutung der Situation). Acht Befragte schildern das Geschehen: Man schaltet um oder durch die Programme (zappen), oder man belässt es bei dem Programm und stellt während der Werbesendung den Ton ab und unterhält sich mit Anwesenden, oder man holt etwas zu trinken oder zu essen oder sucht die Toilette auf. Hier zeigt sich die eingangs erwähnte Gewöhnung: Rezipienten verfügen über (ärgerliche) Erfahrungen mit der Werbepause, sie kennen deren Dauer und wissen, was in dieser Zeit gemacht werden kann. Die Pause wird somit gefüllt, die Befragten tun etwas, was sie ohne diese Pause nicht oder nur sehr ungern getan hätten, weil sie dann nämlich einen Teil der Filmhandlung versäumt hätten. In den Interviews äußern die Befragten nicht nur, dass sie sich an die Werbeunterbrechungen gewöhnt hätten, sondern auch, dass sie gelegentlich geradezu darauf warteten (1 Befragter): „Aber inzwischen bin ich auch schon so dran gewöhnt, dass die Werbung kommt, dass wenn im Öffentlich-Rechtlichen keine Werbung kommt, dass ich immer ganz verbiestert bin und denk: ‘Jetzt müsste eigentlich mal wieder ne Pause kommen, ich 136 muss mal auf Toilette’“ (Fall 10).
136 Man könnte hier einen zusätzlichen Ärgeranlass vermuten, i.e. das Wartenmüssen auf die Werbepause oder das Ende des Films. Dies wurde als potentieller Ärgeranlass im Interview nicht thematisiert, von der Interviewerin in diesem Interview vielleicht auch deshalb nicht, weil der Befragte sich bei der Äußerung humorvoll gab und so den Ärgerverdacht nicht nahe legte.
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
y Gefühl. Die Gewöhnung an eine neue Situation ist gleichsam ein Prozess. Er erstreckt sich über einen gewissen Zeitraum, in dem man versucht, die Regelmäßigkeiten und Bedingungen einer Situation freizulegen. Eine (Ärger-)Situation gut zu kennen ermöglicht es herauszufinden, ob sich Störendes positiv umdeuten (s.o.) oder gar völlig umgehen lässt. Ein solcher Prozess tritt bei einem Befragten deutlich hervor. Er bezieht sich auf die ARD-Sportschau, die viele Jahre ohne Werbung gesendet wurde. Als dann Werbepausen eingefügt wurden, wollte der Befragte den Spots entgehen. Er hatte versucht, eine Systematik oder Regelmäßigkeiten zu erkennen, woran er festmachen kann, wann Werbeblöcke eingespielt werden. Er blieb erfolglos, und so gesellte sich zu seinem Ärger das Gefühl der Hilflosigkeit. „ Also da fühl ich mich auch…relativ hilflos, weil diese Pausen, ähm da ist hab ich irgendwie kein System erkannt. [Manchmal kommt Werbung] nach einem [Fußball-]Spiel, manchmal in der Pause [Fußballhalbzeit], manchmal nach zwei Spielen. Ich hab den Eindruck, die Blöcke variieren, da fühl ich mich auch schon bisschen verärgert, ja das geb ich gerne zu, und da bin ich auch hilflos“ (Fall 10).
Weil die Schaltung der Werbepause für ihn unvorhersehbar blieb, hat er sich zum y zeitweiligen Verzicht auf die Sendung und für ein anderes Medium (Radio) entschlossen, später dann dazu, in die Sportschau y ab und zu rein zu sehen, überwiegend aber – bezüglich der Sportschau – dazu, y ein anderes Medium zu nutzen (hier: Radio). y Meiden von Sendern mit hohem Anteil von Werbung. Ein totaler Verzicht auf mit Werbung versehene Fernsehangebote wird von den Befragten nicht praktiziert, wohl aber versuchen drei Befragte, Sender zu meiden, die viel Werbung schalten. „Wenns geht guck ich aber im Ersten Programm, weil die nicht unterbrochen werden“ (Fall 9). „Ich versuch das zu vermeiden, das überhaupt noch zu gucken“ (Fall 6).
Das Kriterium dafür, dass man ausnahmsweise ein Angebot auf werbeintensiven Kanälen wahrnimmt, ist einer Befragten zufolge, „wenn das ein guter Film ist“ (Fall 19). Das ‘Werbefernsehen’ bleibt ambivalent, im Falle des sportbegeisterten Befragten vor allem hinsichtlich seiner Sportschau. Alle Einsicht, welchem Zweck die Werbung dient (z.B. zur Finanzierung), hilft diesem wie auch einem anderen
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Befragten nicht, der sich weniger über Werbung als solche, sondern besonders über die Werbung mit erotischen Inhalten ärgert. Sein Ärger bleibt, weil er sich solcher Werbeinhalte nicht vollständig entziehen kann. Denn wenn er wissen will, wann der unterbrochene Film wieder einsetzt, muss er auf den Fernsehschirm schauen, und so sieht er erotische Werbeinhalte „trotzdem zwangsläufig, weil ich eben … den Anfang des Films wieder nicht verpassen will“ (Fall 16). Dieser Befragte hat daher auch schon einige Male bei einem Sender angerufen und sich beschwert. Da das Inhaltliche, das heißt das Thema Erotik, hier bestimmend ist, gehe ich auf die Reaktion Beschwerde in Abschnitt ‘Intimität und Erotik’ (Pkt. 12.2.3) ein.
12.2.1.2 Sendungen fallen aus, weg oder werden wiederholt ABSETZEN. Eine Befragte hatte sich sehr über das Absetzen einer Sendung (Serie) geärgert, die sie gerne und deshalb regelmäßig sah, und an die sie also gewöhnt war. Als Reaktion auf ihren Ärger ist dem Interview eine Haltung des Bedauerns zu entnehmen. Schon zu einem frühen Zeitpunkt im Interview, nämlich bei der Frage: „Was sehen Sie mit Interesse?“, erwähnt die Befragte die Serie „Ähm, ‘King of Queens’, … ne ziemlich witzige Serie, … die ist ganz gut, läuft aber jetzt leider nicht“ (Fall 3). Über eine andere Reaktion auf den Ärger gibt das Interview keine Auskunft.137 Vermutlich strebte der Ärger nichts Weitergehendes an (wie z.B. eine Beschwerde an den Sender, was die Befragte bei einem anderen Ärgeranlass erwog – vgl. 12.2.2 ‘Berichterstattung…’). Erkennbar ist hier also allein das Bedauern im Zuge des Ärgers. SENDUNGEN FALLEN AUS. Dass zuweilen Kindersendungen ausfallen, wenn besondere (Sport-)Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft oder Olympische (Winter-)Spiele stattfinden, verärgerte zwei andere Befragte zu je verschiedenen Lebenszeitpunkten: die eine, als sie selbst ein Kind war, die andere als Mutter ihrer Kinder. Während die eine Befragte als Kind den y Impuls hatte, beim Sender anzurufen und sich zu beschweren, y schrieb die Mutter einen Beschwerdebrief. „Da hab ich gedacht: ‘Das kann ja nicht sein’, also da hab ich dann auch hingeschrieben. Das hat irgendwie…keine Resonanz gehabt. Da ging das aber auch unter, ich hab da nicht noch mal nachgehakt“ (Fall 2). 137 Vielleicht hat diese verheiratete Befragte ihrem Ehemann von ihrem Ärger darüber erzählt, dass die Serie abgesetzt wurde. Aber dies ist spekulativ, es ist nichts weiter als eine Vermutung aufgrund der sonst von der Befragten geschilderten Reaktionsweisen.
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Zu einem späteren Zeitpunkt hatte sie hinsichtlich der Programmgestaltung den Impuls zu einer Beschwerde, die sie aber lieber fernmündlich, das heißt per Hörertelefon, geäußert hätte. Eine solche Telefonnummer habe sie nicht finden können, ein Hörertelefon „würd ich wahrscheinlich häufiger benutzen“ (Fall 2). SENDUNGEN WERDEN WIEDERHOLT. Eine Befragte berichtet, dass sie sich ärgere, wenn Serien wiederholt würden und im Programmheft nicht kenntlich gemacht sei, dass es sich um eine Wiederholung handelt. Wenn sie dies dann im Verlauf des Sehens bemerke, entstehe zunächst eine schwierige Situation: „Ja das, also das ist dann echt schwierig,…weil dann hat man schon so den Abend-, man hat sich echt so drauf gefreut, also weil…das sind dann so Sachen, da freu ich mich dann auch drauf, so richtig guter Film,…der so ganz nett ist, dann hat mich sich irgendwie quasi schon so auf dem Sofa eingerichtet, und dann stellt man fest, man kennt ihn schon. Das ist blöd, also da ähm ist dann auch schlecht, einfach so sagen ähmmm: ‘Mist, jetzt schalt ich ab und geh lesen’ oder so. Das ist schwierig“ (Fall 3).
Wie sich zeigt, ist eine ruhige, konzentrierte Beschäftigung wie etwa ein Buch lesen zunächst schwierig. So folgt y die Suche nach einem alternativem Fernsehangebot (Zappen, TV-Zeitschrift), oder y Ausgehen als alternative, lebendigere, (weil wohl) besser ablenkende Beschäftigung. „Ja, was mach ich dann? Also meistens guckt man, ob noch was andres läuft, so ersatzmäßig. Und wenn gar nichts hilft ähm, wir haben es zum Beispiel auch schon so gemacht, wir sind dann echt raus gegangen, noch mal in die Kneipe [lacht] oder so, bloß um halt dann nicht zu Hause zu sitzen“ (Fall 3).
12.2.1.3 Angebotsextreme Wiederholen sich die Inhalte oder Themen auf einem Programm, oder sind sie deckungsgleich quer über viele Programme, so reagieren Zuschauer zuweilen mit Verärgerung. In dieser Stichprobe ärgern sich fünf Befragte, und sie reagieren wie folgt: y Darüber reden und Situationsanalyse. Eine Befragte beschreibt, wie sie sich darüber aufrege und austausche,138 wenn so häufig Filmberichte zur Lebensweise 138 Welche Bedeutung das Reden über verärgernde Fernsehereignisse hat, behandele ich eingehend in Abschnitt 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’
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von Prominenten zu sehen seien, für die sich die Befragte und ihr Freund nicht interessierten. „Dann können wir uns auch stundenlang aufregen manchmal, also wirklich das ausdiskutieren. Mein Freund sagt dann immer: ‘Das ist nicht unser Problem’. Da sag ich: ‘Ja, aber es wird irgendwann zum Problem, wenn man nämlich zur gleichen Uhrzeit abends einfach das Fernsehen anmacht, und man sieht ständig das Gleiche“ (Fall 5).
Eine andere Befragte analysiert die Situation: „Was mich ärgert…und zwar diese, diese Wissenssendungen (I: mhm), also ich, ich find das schade, wenn, wenn ein Sender damit anfängt (I: mhm), ähm so eine Sendung auf n Markt zu schmeißen, es läuft gut, und alle machens dann nach“ (Fall 19).
Weitere Reaktionen sind: y Das Fernsehgerät ausstellen und einer Alternativbeschäftigung zuwenden (3 Befragte) oder zu Bett gehen (1 Befragte). y Es kommt zur Unlust und Stimmungsverschlechterung, zu dem Gefühl der Langeweile und des Überdrusses: „Es wird aber einfach auf die Dauer langweilig, …das macht dann einfach keinen Spaß mehr“ (Fall 14), und ihre weitere Reaktion ist: y Umschalten und ein anderes Fernsehangebot wählen (1 Befragte). Dies trägt bei dieser Befragten Züge eines Bestrafungsverhaltens: „Dann sag ich dann: ‘Okay, da haben sie [die Medienanbieter] Pech, da guck ich halt irgendwas anderes’“ (Fall 14).
12.2.1.4 Sendezeiten und Wochenendprogramm Manche Sendungen kommen aus Sicht von sieben Befragten zu früh,139 manche zu spät, oder manche sind – etwa an Wochenenden – nicht ansprechend. Ich beginne mit SENDUNGEN ZU SPÄTERER STUNDE. Ist eine Sendung zu späterer Stunde platziert, und kommt es zu Ärger, so geschieht dies deshalb, weil auf die Sendung verzichtet werden und man sich zur Nachtruhe begeben muss, da man für die Verpflichtungen (Beruf, Familie) des nächsten Tages ausgeruht sein will. Um das interessierende Fernsehangebot nun doch nicht zu versäumen, kann man: y Die Sendung auf Videokassette aufzeichnen (2 Befragte). Diese Lösung besänftigt den Ärger allerdings nicht grundsätzlich, da sich ein Folgeproblem er139 Die Reaktionen der Befragten, die sich über eine zu frühe Ausstrahlung von Erotiksendungen ärgerte, werden in Abschnitt 12.2.3 ‘Intimität und Erotik’ dargestellt.
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gibt: Nicht immer ist gewiss, dass man (sogleich) Zeit finden wird, das Aufgenommene anzusehen. So schildert eine Befragte, dass sie und ihre Mitbewohnerin die Sendung „aufnehmen, und dann doch erstmal nicht dazu kommen, die wieder zu gucken“ (Fall 17). Nun gibt es in der Stichprobe auch einen Befragten, für den es kein Ärgeranlass ist, dass eine Sendung zu spät ausgestrahlt wird. „Wenns zu spät kommt, guck ich es nicht, fertig. Oder ich nehms auf, auf den Videorekorder“ (Fall 8).
Der Grund, warum es hier weder Ärger über das Verpassen der Sendung aufgrund der Sendezeit gibt, noch darüber, dass die Videoaufnahme zunächst ungesehen bleiben könnte, kann darin liegen, dass der Befragte keine zeitlichen Engpässe zu beklagen hat. Er ist zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos und deshalb in der Zeiteinteilung frei, er sieht nicht nur extrem viel fern, sondern eigenen Angaben zufolge häufig auch aus Langeweile. Dies kann zugleich bedeuten, dass sein Interesse an einzelnen Sendungen nicht sehr ausgeprägt ist und er sich deshalb leicht dagegen entscheiden kann. WOCHENENDPROGRAMM. Auch zu der Kritik des Wochenendprogramms gehört, dass interessierende Sendungen zu spät kommen. Daneben wird das Angebot an manchen Wochenenden pauschal als nicht ansprechend bewertet. Auf den Ärger hierüber folgen: y Resignation. Sie kommen zum Ausdruck in Äußerungen wie ‘Also man kann nicht mehr fernsehen’. Zwei Befragte sagen (sich) das, wenn ihnen das Wochenendprogramm missfällt: „Das sage ich mir gelegentlich am Wochenende, ja“ (Fall 4; ähnlich Fall 15). Eine dieser beiden Befragten hat zudem einen y Impuls, sich zu beschweren: „Am Wochenende ähm find ich es oft sehr, sehr ärmlich, was da geboten wird und, und würde gerne mal jemandem sagen: ‘Also ich weiß nicht, welchen Geschmack ihr da ansprecht, aber das ist doch eigentlich platt, was da kommt. Der anspruchsvolle Fernsehkunde hätte am Wochenende auch mal gerne was anderes als nur Soaps oder oder äh Talkshows billigster und plattester Art’“ (Fall 4).
Nach Auffassung dieser Befragten gibt es keine Möglichkeit, jemandem ihre Meinung sagen zu können, und das empfindet sie als ein „bisschen unbefriedigend“ (Fall 4). Widersprüchlich hierzu klingt im weiteren Verlauf dieses Interviews, dass die Befragte angibt, sich „noch keine Gedanken darüber gemacht“ (Fall 4) zu haben, was sie tun könnte. Diesen Widerspruch aufgreifend frage ich sie, warum sie sich noch keine Gedanken gemacht habe. Das Ergebnis des Gesprächs berichte ich in Abschnitt 13.4 ‘Beschwerde an eine Fernsehanstalt’.
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y Das Fernsehgerät ausschalten. Eine andere Befragte ärgert sich häufiger über das Programmangebot am Sonntag. Auf die Frage, was mit dem Ärger passiere, sagt sie: „Manchmal mach ichs aus“ (Fall 15). Diese Formulierung weckt die Frage, warum die Befragte nur ‘manchmal’ bei Ärger ausschaltet. Im Interview wurde diese Frage nicht weiter verfolgt, und so lässt sich nur spekulieren, wovon die Entscheidung, das Gerät auszuschalten, abhängt. Hängt es vielleicht von der Intensität des Ärgers ab? Oder liegt es daran, dass die Befragte keine Alternativen hat und sich aus dem aktuellen Angebot nun doch etwas auswählt, oder dass sie zu dem Zeitpunkt nicht alleine ist und eine andere Person durchaus Gefallen am Programm findet und fernsehen möchte? und so fort. y Ärger vergessen. Die Befragte vergisst jenen Ärger wieder, der durch das miserable Programmangebot am Sonntag entstanden war. Es ärgert sie nicht weitergehend.
12.2.2 Berichterstattung und Informationsdarbietung Das Fernsehen liefert Informationen, und die Befragten bewerten die Inhalte oder die Nachrichten nach ihren Maßstäben.140 Dazu zählt, ob eine Information fair und ehrlich aufbereitet ist, ob sie neu, bedeutsam (d.h. nicht nebensächlich), offen, tiefgehend und verstehbar ist. Die Befragten dieser Studie waren verärgert, wenn sie das eine oder andere Kriterium nicht erfüllt sahen, und sie reagierten wie folgt: y Gedanken während der Rezeption. Drei Befragte machen deutlich, dass sie während der Rezeption in Gedanken den Missstand tadeln oder einen inneren Dialog führen: Unfaire Berichte. An dem Bericht über den Amokläufer am Gymnasium in Erfurt wurde als unfair bewertet, dass allein die Schüler, nicht aber die Lehrkräfte als Leidtragende erwähnt wurden: „Weil ich halt immer nur gedacht hab: ‘Das muss doch nicht nur für die Schüler ganz, ganz furchtbar sein, da jetzt wieder hinzugehen, sondern, also fast ja noch schlimmer für die Lehrer, oder GENAUSO schlimm für die Lehrer’“ (Fall 3).
140 Hierbei unterstelle ich nicht, dass ein Zuschauer stets hochgradig informiert, konzentriert und kritisch fernsieht. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sich Zuschauer mal mehr, mal weniger intensiv den Inhalten zuwenden und – je nach Voreinstellung – einen vagen Eindruck bis hin zu einer differenziert begründeten Position haben können (vgl. dazu Kap. 5 ‘Alltags- und Medienemotionen – Theoretischer Bezugsrahmen dieser Arbeit’).
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Keine Neuigkeiten in den Berichten zum 11. September 2001: „Hab ich auch gedacht: ‘Das muss ja doch net sein, so n-, dann soll man halt warten, bis man ne neue Information hat und soll die dann bringen, aber nicht immer dasselbe wieder’“ (Fall 3).
Unehrliche Informationen in der Werbung über Haarstyling-Produkte, die ohne die Hilfe eines Friseurs aufwändige Frisuren herzustellen versprechen: „Da denk ich mir immer: ‘Klar, wenn ich [als Friseurin] das [die Frisur] mache, sieht das auch so aus [wie in der Werbung]’“ (Fall 5).
y Verschiedene Formen der Kommunikation, das heißt während der Rezeption Kommentare abgeben, Informationsfragen stellen, anderen Anwesenden oder jemandem nach der Rezeption von dem Ärgeranlass erzählen.141 Sieben Befragte sprechen ihre Gedanken aus. Sie wenden sich an im Raum anwesende Personen oder reden postrezeptiv über den Ärger durch Fernsehinhalte. Betrachten wir die Anlässe und Reaktionen der Befragten: Unehrliche Information bei Werbung über Haarstyling-Produkte: „Ich erzähle es meinem Freund. Der muss es dann immer aushalten. Der findet das immer so ganz lustig, und ich finde das immer so furchtbar…“ (Fall 5).
Bedeutsamkeit der Inhalte (Information) wird als untergraben wahrgenommen, wenn Nebensächliches oder Phrasen in einem Beitrag ausgebreitet werden: „Wo ich öfter dann auch äh irgendwie sage: ‘Ah verdammt, das ist schon #wieder# Schwachsinn’, das ist dann eher so beim Sport, wo man ja den Inhalt kommentiert“ (Fall 20).
Keine Offenheit, sondern vorgefertigte Meinungen; besondere (politische) Ereignisse: „Und da hab ich auch versucht, mit anderen drüber zu reden,…weil das halt auch so ein außergewöhnliches Thema war [Amoklauf eines Schülers in Erfurt]“ (Fall 3).
141 Welche Bedeutung die Gespräche über Fernsehereignisse haben, behandele ich eingehend in Abschnitt 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’.
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Diese Befragte macht deutlich, dass sie ein Thema dieser Art besser ‘ablegen’ könne, wenn sie darüber reden konnte. „Ja mir gehts halt eigentlich immer besser, wenn ich dann über so was geredet hab,…das…hab ich dann für mich auch noch mal geklärt, so die ganze Sache, und dann ist es eigentlich auch gut [lacht]… Ich kann das dann halt eher ablegen, so für mich, dass das nicht mehr so n Thema ist“ (Fall 3).
Zu Informationsfragen während des Fernsehens sieht sich eine Befragte (Fall 14) genötigt, wenn sie Medieninhalte nicht leicht erschließen kann, zumal dann nicht, wenn sie die Handlung nicht permanent verfolgen kann, weil sie durch die Fürsorge für ihr Kind zeitweise abgelenkt ist. y Hinnehmen und trotzdem fernsehen oder auf die Sendung verzichten und – wenn möglich – ausweichen auf andere Informationsquellen. Ein sportbegeisterter Befragter beklagt, dass die Kommentatoren vielfach sportferne Informationen und insofern also Nebensächliches äußern. Will der Befragte den Sport im Fernsehen sehen, dann „muss ichs hinnehmen“ (Fall 10). Zuweilen weicht er auf andere Informationsquellen wie das Radio aus, oder „dann ähm guck ich im Videotext, und hol mir die Ergebnisse da runter, dann seh ich eben, wie (e)s gelaufen ist, ja, also das ist äh, das hab ich auch schon gemacht (I: mhm). Also [der TV-Sender] Sat und ich, wir sind keine großen Freunde mehr“ (Fall 10).
y Angenehme Beschäftigung während der Rezeption verärgernder Inhalte. Eine Befragte, die sich über vorgefertigte Meinungen im Fernsehen ärgert, reagiert wie folgt. „Also höchstens ich fange an, dabei zu essen, ich geh dann raus, und hol mir was zu essen, oder so. Das, glaub ich, ist bei mir auch noch ne Reaktion, irgend noch was Angenehmes dabei machen [lacht verschmitzt]“ (Fall 11).
Essen oder Trinken während der Rezeption können dazu dienen, Gefühle unter Kontrolle zu halten. Mit anderen Worten: Es kann eine Form der situativen Gefühlskontrolle sein, eine „Dosierungstechnik“ hinsichtlich des Erlebens von Emotionen (vgl. Pette und Charlton 1997: 239, die dies für das Angsterleben während der Rezeption feststellen).
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12.2.3 Intimität und Erotik Private oder sehr persönliche Themen können Ärger erregen, wenn sie in der (Fernseh-)Öffentlichkeit offenbart werden. So ergeht es elf Personen in dieser Studie. Zunächst stelle ich dar, wie die Befragten auf ihren Ärger über intime Inhalte reagieren, danach geht es um die Reaktionen auf den Ärger über Erotik. Mit anderen Worten: Intimität und Erotik sind hier verschiedene Kategorien. INTIMITÄT. Zu intimen Inhalten zählt etwa, wenn Paare ihre Konflikte vor der Kamera austragen, konkreter: Ehepartner streiten wegen begangener Untreue, sexueller Probleme, ungeklärter Vaterschaft. Intimes wird auch offenbar, wenn die Kamera Einblicke in Operationssäle gewährt, wo Entbindungen oder Körperkorrekturen an Geschlechtsmerkmalen (Schönheits-OP’s) durchgeführt werden. y Gefühl. Zwei Befragte schildern, dass sie mit dem Gefühl der Scham oder Peinlichkeit reagieren, wenn sie etwa intime Offenbarungen in Talkshows hören oder privates Filmmaterial zu Entbindungen sehen. „Da schäm ich mich einfach für die Leute [in den Talkshows]. Für die schäm ich mich dann“ (Fall 20). „Also das ist ein ganz komisches Gefühl, ich finde das [die Entbindung vor der Kamera] peinlich für diese Frau“ (Fall 1).
y Hinsehen müssen für kurze Zeit. Zwei Befragte beschreiben, wie sie von dem Geschehen auf dem Bildschirm in Bann gezogen werden – der eine Befragte von Bildern einer Entbindung, die andere von einer Talkrunde zu intimen Themen und der Art, wie dort über die Themen gesprochen wird. Beide sind so gebannt, dass sie für kurze Zeit das Geschehen verfolgen (müssen): „Da bist (du) total perplex und guckst einfach hin und denkst: ‘Glaubst nicht, was du siehst’,…und dann schaltest du irgendwann um“ (Fall 13).
Wie sich in der Äußerung der Befragten zeigt, ist das Gebanntsein mit einer gedanklichen Bewertung verknüpft, und es folgt ein Vermeidungsverhalten, das heißt, beide Befragte schalten nach einiger Zeit um. Andere Befragte, die sich gleichermaßen ärgern, sprechen zwar nicht ausdrücklich von dem Gebanntsein, wohl aber von Gedanken und Vermeidungsstrategien: y Gedanken. Intime Inhalte lösen also vielfältige, teilweise bewertende Gedanken aus, auch weil in den Inhalten eine Grenzüberschreitung gesehen wird (5 Befragte).
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„Ich denke, dass es einfach gewisse Sachen gibt, die nicht ins Fernsehen gehören, die man zu Hause regeln sollte,…diese Leute da…eigentlich für die anderen ein Lacher ist (I: mhm), und ich wundere mich dann, äh was das für Menschen sind, die sich da reinsetzen und sich da auslachen lassen…, das frag ich mich dann auch oft…das frag ich mich wirklich oft, was das für Menschen sind, was in denen vorgeht, damit die sich dann da hinsetzen“ (Fall 13).
Ähnlich denkt ein anderer Befragter, als er eine Entbindung sieht: „Einerseits fand ichs ganz spannend, weil ich so was noch nie gesehen hab, andererseits hab ich gedacht: ‘Also irgendwo ist doch mal ne Grenze erreicht’“ (Fall 18).
Wieder ein anderer Befragter sagt prägnant: „Befragter: Was ich da denk? ‘Was sind das für arme Idioten!’ [lacht] Wirklich! Interviewerin: Und was machen Sie dann? Befragter: Klick, weiter bin ich“ (Fall 8).
Mit der Äußerung ‘arme Idioten’ werden die Studiogäste entwertet, etwas, das auch andere Befragte tun (Fälle 18 und 9). Außerdem zeigen sich – wie erwähnt: y Vermeidungsstrategien. Es wird um- oder ausgeschaltet, wenn eine Sendung überwiegend Einblicke in Persönliches liefert (6 Befragte). Zwei Befragte berichten davon, dass sie den Fernsehraum verlassen, und teilweise geschieht das eilig: „Ich seh dann nur zu, dass ich so schnell wie möglich wegkomm“ (Fall 2).
Keiner der zehn Befragten hat eine solche Sendung je zu Ende gesehen. Zwei Befragte greifen zu dem Begriff ‘Voyeur’, das heißt, sie lehnen es ab, wenn im Fernsehen Einblicke in sehr persönliche, intime Angelegenheiten gegeben werden, weil „man so das Gefühl hat, man ist ein Voyeur“ (Fall 4; siehe auch ‘Erotik’). Ein Befragter bezieht sich auf die Sendung Big Brother: „Irgendwie hab ich mich also bei dem #…# Voyeurismus irgendwie erwischt gefühlt, also…wie wenn man äh die ganze Zeit vor dem Schlüsselloch steht, und irgendwann hab ich dann doch (weggeschaltet)“ (Fall 18).
Immer wich man also nach einer mehr oder weniger kurzen Sehzeit der jeweiligen Sendung oder den Filmausschnitten aus. Bei solchen Sendungen kann es sich um abgeschlossene, einmalige Angebote (z.B. Spielfilm) handeln, und es können wiederkehrende Angebote mit aber variierenden inhaltlichen Schwerpunkten sein (z. B. Talkshows mit wechselnden Talkthemen). Für den Fall des
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regelmäßigen Angebots praktiziert ein Befragter ein Ausweichen auf Zeit. Das heißt, er weicht nicht der Sendung als solcher, sondern bestimmten Themen aus, y sieht also ab und zu mal rein: „Manchmal da guck ich gar nicht, manchmal, nächsten Tag guck ichs meistens auch nicht, irgendwann guck ich (I: mhm) wieder mal rein, ob es vielleicht besser ist“ (Fall 8).
y Kommunikation. Eine Befragte ist von Beruf Friseurin und berichtet, dass sie gelegentlich mit ihrer Kundschaft ins Gespräch142 über Fernsehsendungen kommt. Diese Gespräche werden von der Befragten nicht im Sinne einer Konfliktbewältigung lanciert, vielmehr ergeben sie sich gelegentlich, mal initiiert durch die Kundschaft, mal durch die Befragte. Dabei tauscht man mitunter die Bewertungen einander bestätigend aus. „Mit Kundschaft…wird mal darüber geredet, ausgetauscht, dann sag ich dann auch: ‘Schlimm, das hab ich mal gesehen’ oder: ‘Das hab ich mal gesehen’“ (Fall 13).
Einem anderen Befragten geht es um die Durchsetzung seines Standpunktes und damit um etwas mehr als allein um den Austausch von Bewertungen, als er sich über die Sendung ‘Big Brother’ ärgert. Er hat sich dafür eingesetzt, dass die Sendung in seiner Wohngemeinschaft nicht eingeschaltet wird (s.o. Vermeidungsstrategien). Er argumentiert medienkritisch und verwendet dabei das Bild ‘der Mülltrenner’: „Bei ‘Big Brother’, da hab ich mich aufgeregt, und das ging dann immer so weit, wenn jemand bei uns den Fernseher auf das [‘Big Brother’] umgestellt hat,…ich hab dann auch sozusagen ähm per Verdikt sozusagen durchgesetzt, dass wir das nicht gucken dürfen bei uns (I: ja), also, weil…dieser Menschenzoo oder so was (hat) mich persönlich so aufgebracht, das wollt ich also nicht unterstützen also (I: mhm), also wie die Mülltrenner: Das merkt kein Mensch, aber immerhin bei uns zu Hause [redet lachend weiter] wurde das nicht geguckt“ (Fall 18).
y Vergessen des Ärgers. Neun Befragte geben an, dass sie sich gedanklich oder emotional nicht weiter mit einem verärgernden Fernsehinhalt auseinandersetzen und den Ärger vergessen, sobald sie der Sendung entronnen sind. Um die Begründung herzuleiten, schildert eine Befragte eine Vergleichssituation, die sie beim Einkaufen erlebte. Sie wurde Zeugin, wie Eltern mit ihrem Kind grob und 142 Zur Bedeutung von Gesprächen über Fernsehereignisse vgl. Pkt. 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’.
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(somit) in einer Weise umgingen, „wie man das nicht mit Kindern machen sollte…Das, das verfolgt mich viel mehr als das jetzt im Fernsehen“ (Fall 3). Die Gründe vermutet sie in der Echtheit der Situation sowie in der Hilflosigkeit des Kindes, während die Studiogäste in Fernsehtalkshows eigenverantwortlich handelten: „Vielleicht weil das [beim Einkaufen] live war, vielleicht auch weils n Kind war, um das es ging, während im Fernsehen, das sind junge Leute, die gehen da freiwillig hin, die schmeißen sich das an den Kopf und haben aber wenigstens so viel Intelligenz, dass sie sich überlegen, ob sie das vor laufender Kamera machen, während dieses Kind ist ja hilflos den Eltern ausgeliefert“ (Fall 3).
EROTIK. Drei Befragte thematisierten als Ärgeranlass die Erotik im Fernsehen – einmal als Filmgattung, einmal als Bestandteil von Spielfilmen oder Werbung. Eine Befragte lehnt es ab, wenn das Fernsehen Einblicke in sehr persönliche Lebensbereiche gibt, dazu zählen auch erotische Situationen. Sie fühle sich dann als Voyeur (s.o., Fall 4). Diese Befragte wählt das y Wegschauen oder zum Partner schauen, wenn ein Medienbeitrag (Spielfilm) vereinzelt Szenen der ungewünschten Art enthält (Fall 4). y Beschwerde. Der Befragte, der sich gegen erotisches Filmmaterial in Magazinen und in der Werbung wendet, weil es dort kaum zu umgehen ist, hat einige Male bei einem Sender angerufen und sich beschwert. „Das war ein ne Magazinsendung, das lief irgendwie spätnachmittags oder früh abends, und die haben auch wieder irgendwelche Erotik-Darstellungen gezeigt, und da hab ich angerufen und hab gesagt, dass ich das nicht gut finde, weil das eben auch Kinder sehen können, und so weiter, also in dem Bereich, also drei, vier mal…ist es schon vorgekommen, jetzt in jüngster Zeit nicht mehr“ (Fall 16).
Warum er in jüngster nicht mehr angerufen hat, wollte ich genauer wissen, da es nach wie vor Erotik in der Werbung gibt und sie ihn weiterhin ärgern könnte. „Es ist immer nur ne Frage: ‘Wie brisant find ich das jetzt?’,…’Muss ich da jetzt anrufen?’. Also wenns mich wirklich sehr, sehr stark stört, dann ruf ich auch an, aber ähm, ähm wenn ich mich nur mal kurz aufrege, dann nicht“ (Fall 16).
Eine Rolle scheint, wie er später anmerkt, auch die Tageszeit zu spielen: „Nachts um eins oder zwei habe ich keine Lust [lacht] irgendwie zu telefonieren“ (Fall 16).
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Diese Antworten erfolgten auf Nachfragen und mögen einen Teil seiner Reaktion erklären. Gleichwohl verwundert, dass er, der sich gleich zu Beginn des Interviews sehr engagiert gegen Erotikeinspielungen und generell gegen Fernsehwerbung für Erotik aussprach, es jetzt „nur“ als Frage der Brisanz darstellt. Unterstellt, dass hier ein Ungleichgewicht in seinen Aussagen liegt, bieten sich verschiedene Erklärungen an: Es könnte ein Effekt der Art der Interviewführung sein, das heißt die Interviewerin versucht, in Bereiche vorzudringen, in die sie nach dem Willen des Befragten nicht vordringen soll, weil sie damit richtig oder falsch liegt. Eine weitere Möglichkeit könnte in einer Entlastung des Befragten gesehen werden: Damit ist gemeint, dass der Befragte bereits einige Zeit über das Thema ‘Erotik in der Werbung’ gesprochen hatte und es zu diesem Zeitpunkt des Interviews gelassener sehen kann. Diese Annahme würde freilich eine persönlichkeitsbedingte Fixierung des Themas oder in gewisser Weise einen ‘wunden Punkt’143 unterstellen, und das Fernsehärgerinterview wäre sicherlich nicht der angemessene Ort, tiefere Einblicke in Beweggründe auf jener Ebene zu gewähren. So wenig die Vermutungen hier bestätigt werden können, so sicher ist, dass einige Gründe dafür, dass der Befragte sich über die Erotikeinspielungen ärgert (Anlass) sowie dafür, warum er sich aktuell nicht mehr bei einem Sender beschwert (Reaktion), ungenau und verborgen bleiben. Das Nachfragen, Insistieren oder Anbieten von Interpretationsmöglichkeiten und der Offenheit für persönliche Gründe – alles Maßnahmen, die freilich nur begrenzt einsetzbar sind (Reaktanz) – förderten also keine weiteren Erkenntnisse über seine persönlichen Beweggründe zu Tage. Dies ist anders in folgendem Fall. y Gedanken. Die Befragte, die die (zeitlich frühe) Ausstrahlung von Erotikfilmen ablehnt, macht sich über die möglichen Auswirkungen der Filme Gedanken. Sie vermutet einen Zusammenhang zwischen der Filmnutzung und kriminellen Delikten (Kinderschändung, Sexualmorde), sieht für das Zusammenleben von Mann und Frau einen Verlust an intimer Neugier und Privatheit, und sie sieht ferner die Möglichkeit einer persönlichen Verunsicherung durch die Feststellung, dass der eigene Körper – verglichen mit dem medial präsentierten perfekten Körper – nicht so makellos ist. „Was…mir dann Gedanken macht bei so was, frag ich mich: ‘Ja kein Wunder, dass es ähm die ganzen Sexualmörder gibt oder diese Kinderschändler [sic!]’, ne, wenn,
143 „Wunde Punkte stehen für Situationen, die ich als ärgerauslösend wahrnehme, und im Extremfall keiner außer mir.“ Mit anderen Worten: „Nicht jeder Ärger sagt (…) etwas über mich aus. Ärger über Angriffe, die viele andere ebenso verletzen würden, offenbaren wenig von meiner Persönlichkeit. Anders ist es, wenn es um meine sehr privaten, personspezifischen Auslösekonstellationen geht“ (beide Zitate Weber 1994: 232).
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wenn das mit Frauen man so offen dargestellt wird im Fernsehen, ne, dass es ei eigentlich nichts Persönliches, nichts Intimes mehr gibt, dass es eigentlich ziemlich offen und frei darüber gesprochen wird, dann ist es ja für die anderen, die vielleicht mal was Neues haben wollen, ist nicht mehr interessant, na und dann greifen die auf irgendwas, was verboten ist, oder was nicht so offen präsentiert wird im Fernsehen, und das ist eigentlich schade, dass diese Sexualität zwischen Mann und Frau so normal geworden ist. [Etwas später:] Und diese jungen Mädchen, auch Frauen, wenn die sehen, die Männer geiern da um solche schönen Frauen, dann kriegt man ja selbst Komplexe“ (Fall 13; s. ihre Begründung ausführlich in Pkt. 11.2.3 ‘Intimität und Erotik’).
y Gefühl. Die Befragte verbindet mit öffentlich präsentierter Erotik den Verlust von Intimität und Privatheit (vgl. Pkt. 11.2.3 ‘Intimität und Erotik’) und spricht von Traurigkeit, und zwar in einem doppelten Sinn. Einmal bewertet sie damit die Fernsehinhalte, einmal bezeichnet sie damit ihr Erleben, ihr Gefühl: „Also das ist sehr traurig, muss ich sagen, das ist traurig, ja das macht mich dann traurig“ (Fall 13).
Das Gefühl der Traurigkeit bleibe, „wenn ich darüber nachdenke, ja, auf jeden Fall. Ja, dieses Gefühl bleibt“ (Fall 13).
y Vergessen des Ärgers. Nun ist es im Falle der Befragten so, dass sie ihren Ärger und diese Gedanken wieder vergisst. Sie erlebt das Thema nicht als belastend. Das Gefühl der Traurigkeit ist nur da, wenn sie an das Thema Erotik im Fernsehen denkt. Sie empfindet es als wohltuend, „mal mit jemand darüber“ (Fall 13) zu sprechen, aber es besteht dazu keine Notwendigkeit. „Befragte: Das ist jetzt kein Muss, … darüber zu sprechen. Ich muss das jetzt nicht verarbeiten (I: ja). Das ist, das verkraftet man irgendwie, sag ich mal so. Interviewerin: Ja, ja. Belastet Sie nicht. Befragte: Nee, nee, so sehr, dass ich darunter leide, würd ich nicht sagen. Interviewerin: Ähm, wenn Sie sich über so was ärgern, vergessen Sie das anschließend wieder, oder müssen Sie sich anstrengen, um das zu vergessen? Befragte: Nein. Interviewerin: Vergessen Sie? Befragte: Ja“ (Fall 13).
Auch der Befragte, der sich über Erotikwerbung ärgert, vergisst seinen Ärger. Er muss sich dazu nicht anstrengen, sondern der Ärger verfliegt „nach einer gewissen Zeit. (Ich) kann ihn aber wieder abrufen, wenn, wenn das Thema darauf kommt. Also was heißt ‘wieder abrufen den Ärger’, sagen wir, die Auseinandersetzung damit“ (Fall 16).
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12.2.4 Gewalt, Blut, Katastrophen Vier Befragte berichten von Ärger über Fernsehbilder mit Gewalt und Katastrophen, die sich real ereignet haben oder die in Kindersendungen zu sehen sind. Als Reaktionen nennen die Befragten: y Vermeidungsstrategien (weggehen, wegschauen, umschalten). Von den vier Befragten, die von Vermeidungsverhalten sprechen, sagt eine sehr deutlich: „Da muss ich weggehen, das kann ich nicht ertragen“ (Fall 4). Eine andere Befragte weist am Beispiel von Nachrichtensendungen darauf hin, dass sie ausweichen kann auf Programme, die in Nachrichten weniger persönliche Details (z.B. blutige Kleidung) zeigen, wenn bei einem Unglück Menschen zu Schaden kamen. y Gedanken / Situationsanalyse. Zwei Befragte beklagen Gewalt in Kindersendungen. Eine der beiden Befragten setzt sich damit auseinander und äußert sich ausführlicher. Sie wünscht sich eine Programmgestaltung, die gar keine gewalthaltigen Sendungen enthält, „oder wenn, [dann] sollts vielleicht nur einen Kanal geben, dann für Ältere, die sich das angucken wollen“ (Fall 15). Die Befragte plädiert also für eine klarere Trennung von gewaltfreien („irgendwas Liebes“, Fall 15) und gewalthaltigen Kindersendungen. Daneben nennt sie erzieherische Maßnahmen, wie sie sie für richtig halten würde: Wenn sie Kinder hätte, dann würde sie zum Beispiel Fernsehzeiten und vor allem Sendungen, die starke Züge von Gewalt tragen, beschränken. Weiter vertritt sie die Positionen: ‘Erst Hausaufgaben, dann Fernsehen’ und ‘Kein Fernsehen beim Essen’.144 y Böse werden (Gefühl) und die eigene Meinung äußern (Kommunikation).145 Eine Befragte ärgert sich, wenn sie Nachrichten zu Gewalt gegen Kinder hört. „Also das ist ein Punkt, wo ich sehr, sehr schnell aggressiv werde und wo ich auch ganz schnell mich nicht mehr so unter Kontrolle hab“ (Fall 14).
Damit meint sie, dass sie ihre persönliche Auffassung nicht zurückhalten kann,146 so wie sie es gegenüber einem Verwandten getan hat (vgl. Pkt. 11.2.4 ‘Gewalt, Blut, Katastrophen’). Bei Fernsehnachrichten dieser Art wird sie also ganz böse. Mehr über ihr Handeln wurde im Interview nicht transparent. Wenn man ihr 144 Man kann in dieser ‘Was-wäre-wenn’-Antwort eine Form der Fiktionalisierung sehen (vgl. Bergmann 1994: 123; Hepp 1998: 89) sowie eine Standortbestimmung dessen, was sinnvoll und ‘richtig’ ist und damit eine normative Antwort. 145 Zur Bedeutung des Redens über verärgernde Fernsehereignisse vgl. Pkt. 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’. 146 Durch die Erläuterung ihres Verhaltens wird deutlich, dass die Befragte das Wort ‘aggressiv’ nicht in dem in Pkt. 4.6.1 ‘Ärger und sinnverwandte Begriffe’ beschriebenen Sinne verwendet hat (s. dort).
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Handeln, das sie für die Realsituation in ihrer Verwandtschaft beschreibt (z.B. mahnen, schimpfen), überträgt auf die Fernsehsituation, dann ist denkbar, dass sie vor dem Fernsehschirm bei einer Nachricht zu Kindesmisshandlung schimpft.
12.2.5 Produktionsseite und Aspekte der Machart In der Kategorie ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’ konnten sechs Ärgeranlässe (Subkategorien) ermittelt werden (vgl. Pkt. 11.2.5 ‘Produktionsseite…’). Danach ärgern sich Rezipienten, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass
für Filmproduktionen Tiere gequält werden (Unversehrtheit des Lebens), Inhalte überfrachtet und unrealistisch sind, Unwahres als Wahres deklariert wird, das Ergebnis einer Sendung besser ausfallen könnte, eine Sendung die Rezipienten über- oder unterfordert oder die Ziele der Produktionsseite hervortreten und zu Lasten der Qualität einer Sendung gehen.
Die Reaktionen, die eine Befragte zu ihrem Ärger über Tierquälerei nannte, heben sich von den Reaktionen bei den anderen Anlässen ab. Deshalb werden die Reaktionen zum Ärger über Tierquälerei separat und zuerst, alle anderen dann gebündelt dargestellt. TIERQUÄLEREI (UNVERSEHRTHEIT DES LEBENS). Die Befragte schildert, dass sie eine Abneigung gegen Filmangebote habe, bei deren Produktion Tiere leiden müssen. Dies ist auch ein Grund für das y Meiden solcher Sendungen. Als Beispiel gibt sie Filme wie Western an, weil dort Pferde gequält würden. Der Ärger über Tierquälerei bei Filmproduktionen sei für die Befragte nachhaltig, und die Folge ist eine y gedankliche Beschäftigung: „Befragte: Da denk ich: ‘Das kann ja wohl nicht wahr sein!’ Interviewerin: Mhm, ja, mhm. Ist dir das dann anschließend nachgegangen? Befragte: Ja, so was, das geht mir dann schon nach. Interviewerin: Inwiefern? Befragte: Ja, wenn ich mir…Gedanken mache, wer so was zulässt, dass Tiere benutzt werden, um (sie) Menschen dann zum Vergnügen #…# zu geben“ (Fall 2).
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y Kommunikation. Es kommt auch zu Gesprächen147 mit Freunden. y Beschwerde. Sie würde sich gerne beschweren und wünscht sich ein Telefon für Zuschauer, das heißt einen Empfänger, bei dem sie sich telefonisch beschweren kann. Diesen Wunsch äußert die Befragte auf meine Frage, was sie am liebsten machen würde in einer solchen Situation. Was bleibt, ist das y Gefühl der Ratlosigkeit: „Das ärgert mich also nachhaltig. Da denk ich auch, da müsste man doch irgendwo was unternehmen können oder was gebündelt tun können. Also das, das kann ich nicht so ab-, ad acta legen, aber da fühl ich mich dann auch-, ja ich weiß dann nicht, was ich machen soll. Irgendwann gehts dann doch unter“ (Fall 2).
In diesem Interviewtext klingt zugleich an, dass das y Vergessen des Ärgers länger dauert. Der Ärger über diese Produktionsbedingungen wird zwar vergessen, aber sie kann ihn nicht einfach und sofort, sondern eben erst ‘irgendwann’ vergessen. Die Befragte vergleicht diesen Fernsehärger mit jenem über das ‘TV-Kanzlerduell’ (vgl. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’) und kommt zu dem Schluss: „Ja, das dauert dann bedeutend länger, und da denk ich auch immer wieder dran“ (Fall 2).
Der Grund, warum sie die Tierquälerei beschäftigt, und das ‘Kanzlerduell’ nicht, liegt darin, dass die Tiere hilflos, die Kanzlerkandidaten hingegen wehrfähig sind. WEITERE ÄRGERANLÄSSE. Die anderen Ärgeranlässe in der Kategorie ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’ führten zu folgenden Reaktionen: y Verzicht und Auseinandersetzung (Situations-/Filmanalyse). Zwei Befragte entschieden sich konsequent gegen eine Sendung (Serie). Diese Befragten – so erfuhr ich im Interview – teilen eine Wohnung und verfolgten über einen längeren Zeitraum gemeinsam die Vorabendserie ‘Marienhof’. Ärger stellte sich bei beiden ein, für den einen sind die Inhalte mit Sozialkritik überfrachtet, für den anderen sind sie (dadurch?) zu anforderungsarm (vgl. Pkt. 11.2.5 ‘Produktionsseite…’).
147 Zur Bedeutung von Gesprächen über verärgernde Fernsehereignisse vgl. Pkt. 13.3 ‘Über TVÄrger sprechen’.
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„Seit ähm drei vier Monaten guck ichs nicht mehr, also da hab ich ganz explizit gesagt, das, das schau ich nicht mehr, da hab ich den Videorekorder, die Programmierung gelöscht und wirds nicht mehr geschaut“ (Fall 16).
Die Befragten versuchten herauszufinden (Situations- oder Filmanalyse), warum sie regelmäßig diese Serie verfolgten. Drei Gründe kamen in Betracht: Gewohnheit, Neugier („weils halt ne Fortsetzungsgeschichte ist“, Fall 18) und ‘SichAufregen’. Ich bezeichne es vorsichtig als ‘ärgerliche Aufregung’: „Also ich hatte damals auch ähm mit meinem WG-Partner so ne Theorie aufgestellt, dass man mit Soap Operas sozusagen-, das Erste ist, dass man sich aufregt. STIMMT, ich reg mich über Soap Operas auf. Ja, dass man sich drüber aufregt, und wenn man sich über Soap Operas aufregt,… dann ist man sozusagen denen schon auf den Leim gegangen, wenn mans nächste Mal wieder anguckt, um sozusagen vor aller Welt ähm seine Aufregung dann zu zelebrieren. Ich glaub tatsächlich, deshalb wird Soap Operas geschaut ja [räuspert sich]“ (Fall 18).
Allerdings hat die unterstellte Bindungskraft filmisch erzeugter, ärgerlicher Aufregung offenbar ein Maß. Wird es überschritten, läuft ein Medienangebot Gefahr, dass die Rezipienten sich abwenden. Damit klingt erstmals eine doppelte Bedeutung von ärgerlicher Aufregung an: Ärger bindet und schafft Distanz, mit anderen Worten: Ärger vermag als filmisches Stilmittel die Zuschauer zu binden, aber ab einem gewissen Maß wenden sich Zuschauer ab – so im Falle der beiden Befragten: „Aber es gab da irgendwie n Maß, da haben wir uns so sehr aufgeregt, dass wir jetzt auch damit aufgehört haben, also irgendwann war dann Schluss, also da war meine Grenze erreicht“ (Fall 18).
Diesen Äußerungen zufolge scheinen die Häufigkeit und das Maß des Ärgers maßgeblich zur Entscheidung der Befragten gegen die Soap Opera beigetragen zu haben. Ansonsten berichten diese beiden zusammen mit anderen Befragten bei Ärger über Fernsehinhalte y verschiedene Formen des Sehverhaltens wie zufälliges, gelegentliches Sehen, ferner das Sehen von Teilen einer Sendung mit um- oder ausschalten (und zu Bett gehen, wenn es bereits spät ist, Fall 3), oder das ‘Trotzdemsehen’. Diese Verhaltensweisen, geschildert von neun Befragten, deuten darauf hin, dass die Befragten in ihren Entscheidungen gegen eine Sendung eher vage bleiben. Die Vagheit kommt sprachlich zum Ausdruck, wenn Befragte sagen, dass sie bestimmte Angebote ‘nicht unbedingt’ und ‘eigentlich im Grunde nicht gucken’ brauchen:
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote „Das tu ich mir halt auch nich, nich unbedingt an…wo ich dann sag: ‘Da brauchst Du gar nicht reingucken, ärgert dich’, oder…wo ich denk: ‘Da brauchst Du gar nicht gucken, das lohnt sich nicht’...Oder ‘Tatort’ aus Bremen zum Beispiel, das braucht man auch eigentlich im Grunde nicht gucken, weil das…meistens auch ziemlich schlecht (ist)“ (Fall 3).
Die Handlungsformen werden kombiniert. Eine Befragte gibt an, dass sie den Krimi ‘Tatort’ trotzdem sieht, ihn aber auch „mal nicht“ (Fall 19) gesehen hat (i.e. gelegentlich nicht sehen). Eine andere Befragte reagiert auf ihren Ärger über das unbefriedigende Ergebnis einer Wissenschaftssendung, die regelmäßig mit variierenden Themen ausgestrahlt wird, mit folgenden Verhaltensweisen: Trotzdemsehen. „Also beim nächsten Mal ärger ich mich genauso wieder, weil der das wieder so blöd gemacht ist“ (Fall 1).
Vermeidung, zufälliges Sehen und nur Teile sehen: „Befragte: Ich gucks auch nicht mehr. Interviewerin: Ach so. Gar nicht mehr? Befragte: Also wenn ich drauf schalte [Zappen] schon, aber ähm äh dann denk ich mir: ‘Ach das sind immer diese blöden Beiträge’, und dann ärger ich-, dann guck ichs nicht mehr (I: mhm). Dann erinnere ich mich wieder an den Ärger, und dann lass ichs [beide lachen leicht]. Interviewerin: Ja, ja, mhm. Also äh es kann aber sein, dass Sie, dass Sie noch mal so ein bisschen gucken und äh dann sagen Sie sich: ‘Nee, bis zum Ende, das mach ich nicht, das mach ich aus’. Befragte: Genau“ (Fall 1).
Wie sich zeigt, weicht man einer Sendung mit missliebigen Eigenschaften nicht ganz, sondern eher in Teilen aus. Dies hat sicherlich viele Gründe. Einer davon ist die Bedürfnisvielfalt, die beim Fernsehen eine Rolle spielt. So kann es zwar Ärger über die Machart eines Films geben, aber davon ist dann nicht ein Bedürfnis wie Zeitvertreib betroffen, dieses Bedürfnis wird erfüllt. Hinzu kommen Gründe wie sie etwa eine Befragte nennt: Sie sehe sich den ‘Tatort’ häufig trotzdem an, „weil ich hoffe, dass zwischendurch immer mal wieder ein guter dabei ist [beide lachen], weils auch eigentlich n schöner Abschluss der Woche ist: ‘Lindenstrasse’, kurze Pause und dann ‘Tatort’ gucken, ist auch wie so n Ritual eigentlich (Fall 19).
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Hier überlagern sich verschiedene Faktoren: Zum einen spielen Gewohnheiten (feste Wochenabläufe, Ritual) eine Rolle, zum anderen ist es das Erfahrungswissen, dass Inhalte mal gut und mal weniger gut sein können. Von Bedeutung dürfte auch sein, dass Zuschauer frei wählen können, ob sie sich eine Sendung ansehen oder nicht.148 Ein weiterer Grund, warum Befragte missliebige Sendungen nicht ganz und gar meiden, könnte auch mit der folgenden Reaktion zu tun haben: y Die Erwartungshaltung ändern. Eine Befragte, der öfter aufgefallen ist, dass eine regelmäßig ausgestrahlte Wissenschaftssendung nicht das gewünschte oder potentiell mögliche Ergebnis bringt, ändert ihre Erwartung gegenüber der Sendung: „Also was ich mir auch manchmal gedacht habe: ‘Die suchen einfach eine bestimmte Zielgruppe’…also ich sag immer: ‘Sendung mit der Maus für Große ist das ein bisschen’. [Etwas später:] Manchmal denk ich das (I: ja), ja, dass das einfach so für Leute sind, die sich so oberflächlich sich informieren (I: mhm) woll(en)“ (Fall 1).
y Beschwerdeimpuls. Ferner berichtet die Befragte von einem Beschwerdeimpuls: „Ich hab schon öfters mal gedacht, ob ich mal eine E-Mail schreibe, aber hab ich nie gemacht [beide lachen]“ (Fall 1).
Es bleibt also bei dieser Absicht, und y vergessen wird der Ärger. Den Ärger zu vergessen, geben alle Befragten an. Hinsichtlich der Frage, wie schnell der Ärger vergessen werden kann, gibt es einen Unterschied zwischen der Befragten, die sich über Tierquälerei ärgerte, und den anderen 16 Befragten, die Ärger anlässlich der Merkmale zur Produktionsseite und Machart äußerten. Während der Ärger über Tierquälerei eine Weile anhielt, vergaßen die anderen Befragten ihren Ärger schnell. Ich zitiere die Befragte, die von dem Beschwerdeimpuls sprach (s.o. Fall 1). Die Worte, mit denen sie begründet, warum sie nun doch keine E-Mail verschickt und den Ärger vergisst, gleichen den Worten der anderen Befragten: „Das ärgert mich auch immer nur in dem Moment (I: mhm), und wenn ich dann das was anderes gucke oder so, dann vergess ich das auch (I: ja). [Etwas später:] Wie gesagt, es ist jetzt nicht so ein so ein Ärgernis, was ich jetzt noch dann drei Stunden
148 Ist die Freiheit eingeschränkt, kann Ärger entstehen. Vgl. dazu Pkt. 11.2.3 ‘Intimität und Erotik’.
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote später mit mir rumschleppe, also (I: mhm) das hat mich in dem Moment geärgert (I: mhm), dann ist es auch gut“ (Fall 1).
y Über den Fernsehärger sprechen (Kommunikation). Für die Ärgeranlässe aus der hier besprochenen Kategorie ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’ geben 16 Befragte an, dass sie über ihren Fernsehärger reden. Dabei wird das ‘Darüber-Reden’ eher dem Zufall überlassen.149
12.2.6 Personen und Situationen Insgesamt 19 der 20 Befragten äußern Ärger durch Personen oder Situationen im Fernsehen (vgl. Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’). Darunter sind zwei Befragte, deren Ärger durch beides zugleich entfachte, das heißt Person- und Situationseigenschaften. Die Reaktionen dieser beiden Befragten werden zuerst und danach alle anderen besprochen. ÄRGER DURCH SITUATION UND PERSON. Zwei Befragte heben neben Eigenschaften der Medienperson auch situative Faktoren hervor. Beide Befragte – sie sind einander unbekannt – beziehen sich auf die von Michel Friedman geleitete und nach ihm benannte Sendung ‘Vorsicht Friedman!’. In Friedman’s Talkshow, die es aktuell nicht mehr gibt, wurden politische Themen mit Experten verschiedener politischer Couleur diskutiert. Dabei saßen die Diskutanten und der Moderator im Studio sehr eng beieinander, und die Kamera unterstrich diese Enge, indem sie die Personen in Nahaufnahmen zeigte. Diese räumliche Situation heben nun die beiden Befragten mit beinahe derselben Wortwahl hervor: „Wie die sich auf der Pelle sitzen auf diesem Sofa“ (Fall 3). Daneben ist es der Moderationsstil von Michel Friedman, der als Verstoß gegen die Moderatorenrolle wahrgenommen wird (vgl. Pkt. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’). Beides zusammen – die Situation und die Person – löst die folgenden Reaktionen aus, die ich in drei Phasen150 aufteile. Phase 1: Die Grundhaltung ist bei beiden Befragten, dass sie interessiert sind an den Themen der Sendung und den eingeladenen Diskussionspartnern. Deshalb schalten sie die Sendung ein, und sie sehen die Sendung zunächst häufiger und in voller Länge. Darauf folgt eine erste Distanzierung – Phase 2 –, das heißt, die Befragten gehen dazu über, 149 Zu den Gründen, warum das Reden eher zufällig erfolgt, sowie zur Bedeutung von Gesprächen über Fernsehinhalte vgl. Kapitel 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’. 150 Die drei Phasen leite ich freilich aus den Beschreibungen der Befragten ab, sie sind nicht mit Hilfe der Untersuchungsmethode erarbeitet, denn dies ist eine Studie im Querschnitt.
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y einen Teil der Sendung anzusehen und dann abzubrechen (ab-, umschalten). In Phase 3 wenden sie sich von der Sendung ab, das heißt: y Verzicht. Inzwischen schalten sie sie gar nicht mehr ein. „Das kann ich mir nicht angucken’’ (Fall 3). Das ‘Nicht-Können’ dieser Befragten drückt die Unerträglichkeit aus. Dies tritt auch bei der anderen Befragten deutlich hervor. Sie muss den Raum verlassen, wenn ein anderes Haushaltsmitglied ‘Vorsicht Friedman!’ sieht. Normalerweise bleibt diese Befragte in Situationen, in denen andere Familienmitglieder fernsehen wollen und sie selbst indes nicht, im Fernsehzimmer und wendet sich einer anderen Tätigkeit (z.B. Zeitung lesen) zu. Ist jedoch die Sendung ‘Vorsicht Friedman!’ eingeschaltet, kann sie also nicht im Raum bleiben. „Also es ist auch schon in letzter Zeit, der [Ehemann] wollte sichs dann noch mal angucken, dass ich dann in der Zeit auch raus aus dem Wohnzimmer bin und was anderes gemacht hab, oder ein Großteil der Sendung noch was anderes gemacht hab, weil, ja, mich das fast schon bisschen aufregt, so ne, so dieses Hektische und dieses Aufgedrehte, dass ich mir denke: ‘Nee, das musst du dir eigentlich nicht antun’“ (Fall 6).
Das Gefühl nach der Sendung. Als die Befragten die Sendung noch (bis zum Ende) gesehen hatten fühlte sich eine Befragte danach „schlecht“ und „ungehalten“ (Fall 3), die andere bedauerte die für die Sendung verbrachte Zeit: „Dann tuts mir leid eigentlich um die Zeit, die ich davor gehockt hab“ (Fall 6). Es folgt die Entscheidung, so etwas künftig nicht mehr anzusehen, und dann wird der y Ärger vergessen. Beide Befragten vergessen den Ärger: „Also es ist nicht so, dass es so ein Ärger ist, der mir Stunden nachgeht, so ist es nicht“ (Fall 6). PERSONBEZOGENE FAKTOREN. Alle Befragte, die Verstöße gegen die Moderatorenrolle und allgemeine Normen und Werte beklagen, zeigen Meidungstendenzen. Die Meidung kann sich auf die Medienperson beziehen oder auf die Sendung als Ganzes. Ein Befragter, der zwar den Moderationsstil von ‘Sabine Christiansen’ ablehnt, aber an den Diskussionsthemen der Sendung interessiert ist, entscheidet sich wie folgt: y Die Sendung trotzdem sehen und dabei die Moderatorin dulden: „Dann weiß ich ja immer, gerade in dieser Diskussion, weiß ich ja, gleich redet ja wieder ein anderer, ich bin ihr [Christiansen] ja nicht ständig ausgesetzt, sie moderiert ja eigentlich nur“ (Fall 12).
Während des Sehens von verärgernden Fernsehinhalten – so dieser wie auch weitere fünf Befragte – kommt es dazu, dass Rezipienten
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y lästern oder die Medienperson belehren, mahnen. Diese Form der Reaktion berichten sechs Befragte, und die Reaktion kann in Gedanken stattfinden oder hörbar. Hörbar äußert sich zum Beispiel eine Befragte vor dem Fernsehschirm. Ihr missfällt die Wortwahl einer Moderatorin, und es ist für die Befragte „sehr befreiend“ (Fall 4), wenn sie dies dann gelegentlich aussprechen kann: „Das kommt schon vor, dass ich dann sage: ‘Also Menschenskind, kannst du dich nicht mal anders ausdrücken, kannst du nicht mal den Satz in einer, in einer Form, in einer etwas gepflegteren Form präsentieren! Es hören dir so Viele zu! Ähm und, und du hast so einen schlottrigen Stil’. Jo. Das sag ich schon mal“ (Fall 4).
Ein anderer Befragter lästert, wenn Heribert Fassbender kommentiert: „Das lass ich dann ja auch während der Sendung öfters mal-, ich-, da halt ich ja auch nicht hinterm Berg, das sag ich auch meiner gesamten… Mitwelt [d.h. den anwesenden im Fernsehraum], was ich von ihm halte, und dann ist es auch gut“ (Fall 10).
Zu gedanklichen Titulierungen greifen fünf Befragte. Beispielhaft kommt hier ein Befragter zu Wort, der sich über Sabine Christiansen ärgert. Da „denk ich auch mal: ‘Blöde Kuh!’“ (Fall 9). Etwas weiter geht ein anderer Befragter. Er hat eine Maßnahme, die in dieser Studie einzigartig ist: y einen Fernsehschuh – ein weicher ‘Billigschlappen’ – gegen das TV-Gerät werfen. Der Befragte hatte sich sehr aufgeregt über die Äußerungen eines Politikers, die dieser in einem Interview gab. Der Befragte war dann so aufgebracht, „dass ich dann dem Luft gemacht hab, indem ich ähm unser bevorzugten Schlappen dafür [lacht kurz] gegen den Fernseher geworfen hab. So n Billigschlappen, damit der Fernseher nicht kaputt geht“ (Fall 18).
In diesen Verhaltensweisen (Lästern, Mahnen, Titulieren, Fernsehschuh-Werfen) zeigen sich deutlich parasoziale Interaktionen der Zuschauer mit den Medienfiguren (vgl. Abschnitt 3.4 ‘Parasoziale Interaktion und Beziehung’). In diesen Reaktionen kann ein ‘Sich-Distanzieren von der Emotion Ärger’ gesehen werden. Daneben zeigen sich Teil-Distanzierungen von der Sendung, es kommt zum y ‘Hin-und-wieder-Sehen’ oder zum ‘Fragmentsehen’ wie ‘Nur-mal-Reinsehen’ und dann Ab- oder Umschalten (15 Nennungen). Aber auch völlige Distanzierungen gibt es, wenn Befragte Sendungen y grundsätzlich meiden (Verzicht). Zwei Befragte, ein Ehepaar, hegen starke Antipathie gegen Harald Schmidt.
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„Den guck ich auch nie, also sobald der dann kommt da, auf Sat glaub ich kommt der ja auch, dann schalt ich weg“ (Fall 7). „Den Schmidt, den gucken wir ja grundsätzlich #...# nicht, den Schmidt, also den Schmidt, da könnt-, da könnt nichts Anderes kommen, dann würde ichs Fernseher aus dem Fenster schmeißen, bevor ich mir den angucke, nee“ (Fall 8).
Es gibt weitere Medienpersonen, die dem Paar unsympathisch sind. Doch es gibt verschiedene Grade der Antipathie. Bei beiden Befragten ist die Abneigung besonders ausgeprägt gegenüber Harald Schmidt, weniger bei Anke Engelke und Stefan Raab, so dass die weniger Sympathischen durchaus angesehen werden. „da guck ich mir lieber noch den anderen an…Stefan Raab“ (Fall 8).
Während also andere Medienpersonen, die dem Paar unsympathisch sind, gelegentlich gesehen werden, sind Zugeständnisse bei Harald Schmidt nicht möglich. y Beschwerdeimpuls. Einen Beschwerdeimpuls hatte eine Befragte nach dem Sehen einer Fernsehdiskussion (‘Presseclub’; Fall 3). Die Sendung kam regelmäßig, und ebenso regelmäßig missfiel der Befragten der Stil des Moderators. „Ich hatte dann auch manchmal schon überlegt, ob ich mal anruf oder mich mal beschwer oder so [lacht], und dann dacht ich aber auch, na ja, wahrscheinlich bringts auch nichts so… da hatt ich echt schon mal überlegt, ob ich mal anrufe, aber-, hinterher haben die immer so ne Zuschauernummer, wo man dann irgendwie Fragen stellen kann, und da hatt (ich) dann ich schon mal gedacht: ‘Rufst mal an, sagst das mal’, aber dann dacht ich: ‘Ach, s bringt dann auch nichts [lacht] und so“ (Fall 3).
Stattdessen blieb der Ärger nach der Sendung, und die Befragte wollte den y Ärger loswerden durch angenehme Fernsehangebote (1 Befragte): „Dann hab ich mich schon hinterher geärgert, und hab aber versucht, das möglichst schnell äh irgendwie wieder ähm loszuwerden, indem ich halt was anderes zum Beispiel noch geguckt hab, also was das wieder etwas aufhebt [lacht]. So. Irgendwie ne #Serie# oder so [lacht]“ (Fall 3).
y Kommunikation: Anderen von dem Ärger erzählen.151 Was geschieht mit dem Ärger, so wollte ich wissen, wenn jemand alleine ferngesehen und somit keine Möglichkeit habe, den Ärger unmittelbar gegenüber einer anderen Person zu 151 Zur Bedeutung von Gesprächen über verärgernde Fernsehereignisse vgl. Pkt. 13.3 ‘Über TVÄrger sprechen’.
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äußern.152 An eine solche Situation erinnert sich eine Befragte im Interview. Sie sehe alleine fern, wenn ihr Mann zum Sporttraining gehe, und es sei vorgekommen, dass sie eine Sendung mit der ihr unsympathischen Anke Engelke gesehen und sich über diese geärgert habe. „A ja gut, dann ärger-, hab ich mich halt geärgert, aber-, dann erwähn ich das e(in)mal, wenn er [Ehemann] heimkommt,…sag ich: ‘Die war ja wieder so doof heut!’“ (Fall 7).
Die Wortwahl153 der Befragten wie ‘hab ich mich halt geärgert’ und ‘erwähn ich das e(in)mal’ drückt eine Beiläufigkeit und Bedeutungslosigkeit aus und somit, dass dieser Ärger nicht als belastend erlebt wird und vergleichsweise (und anders als ihr Ärger rund ums Fernsehen) belanglos ist (vgl. Pkt. 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’). y Ärger vergessen. Der Ärger beschäftigt in der Regel keinen der 20 Befragten nach dem Ende einer Sendung. Der Ärger ist somit nicht nachhaltig, er wird vergessen.
12.2.7 Sonstige Aversive Reize sowie Ungerechtigkeit in einer Spielshow führten zu Ärger einiger Befragter. Deren Reaktionen werden im Folgenden dargestellt. UNGERECHTIGKEIT. Ein Befragter ärgert sich, wenn in der Sendung ‘Wer wird Millionär?’ ein Kandidat eher mit Glück und Hilfe als mit eigenem Wissen das Geld gewinnt. Der Befragte sieht sich die Sendung „natürlich“ trotzdem an, „weil ich schlauer bin als die“ (Fall 8). In dieser Äußerung tritt – so deutlich wie in keinem der anderen Interviews – die bindende und positive Kraft von Ärger hervor. Das heißt, der Rezipient erfährt eine Selbstaufwertung (Belohnung) durch die Feststellung, dass er es besser weiß.154 So kommt es zur Kommunikation, das heißt, während der Rezeption kommentiert der Befragte die Inhalte.
152 Damit unterstelle ich nicht, dass Ärger immer geäußert werden will oder werden sollte. Aber es kann – wie Ärgerstudien belegen – ein Bedürfnis sein, über einen Sachverhalt zu reden, der Ärger erzeugt. Im Interview sollte diese Möglichkeit berücksichtigt sein. 153 Nicht allein die Wortwahl drückt die innere Haltung oder Bewertung aus. Hinzu kommt die Stimmlage, die in dem Interviewausschnitt von Fall 7 ruhig, unengagiert, zurücknehmend war und so Belanglosigkeit des Ärgeranlasses ausdrückte. 154 Vgl. dazu Fichten (1992: 163): „Sich zu ärgern, enthält die Rückmeldung über das eigene Bessersein.“
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„Da sag ich schon [während der Rezeption zur Ehefrau]: ‘Der soll lieber zu Hause bleiben’. JA! DOCH! Der hat da nichts zu suchen. ECHT!“ (Fall 8).
Die Ärgerreaktion wie Kommentieren und Argumentieren bleibt – so der Befragte – in der Regel auf die Fernsehsituation beschränkt. Manchmal äußere der Befragte seine Meinung auch, wenn er mit anderen Menschen fernab der Fernsehsituation über diesen Ärgeranlass ins Gespräch kommt. Dies kann in seinem Sportverein sein, es hat sich aber auch im Interview zugetragen (vgl. Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige…’). Hier wurde er unruhig, regte sich auf, kommentierte und argumentierte. Vergessen des Ärgers. Auf die Frage, ob nach der Sendung noch Ärger bleibe, antwortet er: „Ach woher denn! (I: nee) Ach Quatsch da!“, er vergesse den Ärger „sowieso“ sofort wieder (Fall 8; vgl. zur Dauer des Ärgers auch Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer’). AVERSIVE REIZE. Laute und schrille Geräusche (z.B. Autorallye) thematisieren zwei Befragte. Als Reaktion auf die Lautstärke greift die Befragte zur Fernbedienung und reguliert die Lautstärke. Eine andere Befragte, deren Ehemann sich Autorennen im Fernsehen ansieht, wird wütend. Sie drückt ihre Wut aus, indem sie das Renngeräusch imitiert und der Ursache dann aus dem Weg geht: Sie verlässt den Raum. „Hab dann nur noch ‘en, en, en’ [Imitation des Rallye-Geräusches] gemacht. Ich war so aggressiv, dass ich stinkend aufgestanden bin und bin dann hoch und hab mich ins Bett gelegt. Und seitdem ist vorbei, wenn der [Ehemann] das nur anmacht, könnt ich schon aus der Haut fahren. Also das ist dann bei mir wirklich, das ist der einzige Moment, wo ich gleich wie eine Tarantel werde, wo ich nichts mehr, wo mich nichts halten kann [lacht]“ (Fall 14).
Die Befragte verwendet das Wort „aggressiv“. Wie in den Abschnitten 4.6 ‘Ärger und sinnverwandte Begriffe’ und 6.3 ‘Begründung des qualitativen Vorgehens’ dargelegt, wird dieses Wort bisweilen synonym verwendet für ‘sehr verärgert’, ‘sehr böse’ oder ‘sehr gereizt’. Die Verwendung ist bei dieser Befragten sehr deutlich erkennbar, zeigt sie doch ein – wenn auch wütendes – Rückzugsverhalten. – Vergessen des Ärgers: Der Ärger durch aversive Reize wird vergessen.
12.2.8 Die Reaktionen im Überblick und Fazit In diesem Kapitel wurden die Reaktionen auf den Inhaltsärger besprochen. Bei der Analyse erarbeitete ich sieben Reaktionskategorien. In der folgenden Tabelle
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
sind diese Reaktionen mit Beispielen und Anzahl der Nennungen zusammengestellt. Zur Tabelle und deren Interpretation weise ich auf Folgendes hin: Tabelle. Die Tabelle enthält eingeklammerte Ziffern, die auf die jeweilige Ärgerquelle verweisen und zugleich auf das Kapitel, in dem die betreffende Reaktion zur Sprache gekommen ist. Interpretation. Es kann in einer Ärgersituation zu verschiedenen Reaktionsweisen gleichzeitig kommen, oder es kann – etwa wenn eine Ärgersituation sich wiederholt oder ähnlich wie eine andere ist – mal diese, mal jene Reaktion auftreten. Insofern sind die Kategorien nicht grundsätzlich oder immer als Alternativen zu verstehen. Außerdem ist denkbar, dass die Befragten im Interview nur einen Teil ihres Verhaltensrepertoires berichtet haben. Schließlich ist einzuräumen, dass nicht allein die Ärgeremotion eine bestimmte Reaktion hervorruft, sondern dass weitere Faktoren etwa der Situation oder Person eine Rolle für die Wahl der Reaktion spielen können. Dies ist beim Blick auf die folgende Zusammenstellung der Reaktionen zu berücksichtigen.
*Mehrfachnennungen
3 Kommunikation: an den Verursacher gerichtet y Parasoziale Interaktion/Kommunikation (PSI): TV-Figur beschimpfen; mahnen; lästern (6) y Beschwerde bei Medienanstalt (1.2a, 3b) Kommunikation: im sozialen Umfeld y Schimpfen, fluchen (1) y Während und/oder nach der Rezeption die Meinung gegenüber Dritten äußern oder sich mit Dritten austauschen (1.2d, 2, 3, 4, 5, 6 7)
2 Gedanken / Situationsanalyse y Schimpfen in Gedanken (1, 6) y Bewerten (hier: entwerten) der (sich offenbarenden) Medienfiguren (3a) y Perspektive des anderen bedenken: Warum wird Werbung geschaltet? (1.1) Warum wird auf jene Weise berichtet? (2) y Sich Gedanken machen, analysieren und bewerten des eigenen Verhaltens: „Warum habe ich mir das angesehen?“ y Konsequenzen bedenken: Welche familiären oder gesellschaftlichen Folgen könnte Erotik im TV haben? (3b) Was bedeutet der Einsatz von Tieren (Tierquälerei)? (5)
1 Gefühlsbezogen oder gefühlsähnlich y Stimmungsverschlechterung, Unlust (1.1, 1.2d) y Langeweile (1.2d) y Böse (4) und wütend werden (7) y Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Ohnmacht (1, 5) y Traurigkeit (3b), Resignation (1.2f) y Ekel (4) y Scham (3a)
Tabelle 14: Reaktionen bei Ärger über TV-Angebote
39
24
13
*
1 Programmgestaltung 1.1 Werbung 1.2 (a) Sendungen fallen aus (b) Sendungen fallen weg (c) Sendungen werden wiederholt (d) Angebotsextreme (e) Sendezeiten (f) Wochenendprogramm 2 Berichterstattung 3 (a) Intimität (b) Erotik 4 Gewalt, Blut, Katastrophen 5 Produktionsseite und Machart 6 Personen und Situationen 7 Sonstige
Die in Klammern genannten Ziffern in der nebenstehenden Tabelle beziehen sich auf folgende Ärgerquellen:
*Mehrfachnennungen
7 Ärger vergessen (1-7)
6 Ablenkung / Kompensation des Ärgers y Ausgehen (1.2c); Raum verlassen (7) y Ärger loswerden wollen durch anderes TV-Angebot (6) y Angenehme Beschäftigung während der Rezeption (z.B. essen) (2) y Positiv umdeuten: zur Toilette gehen, Essen oder Getränk holen (1.1, 2)
30
8
15
85
Medienverhalten: ändern 4 y (Zeitweise) Verzicht auf Sendung (1, 2, 5, 6) y Grundsätzlich meiden (z.B. werbeintensive Sender 1.1; Tierquälerei 5) y Ab und zu ‘Reinsehen (1.1, 2, 6), in Teilen (Fragmente) oder zufälliges Sehen (5) y Um- oder ausschalten (1.2d + f; 3, 4, 6) und anders beschäftigen y Weggehen (Raum verlassen) (4, 6, 7) y Wegsehen (4) y Ein anderes Medium ganz oder teilweise nutzen (z.B. Radio) (1.1, 2) Medienverhalten: sonstiges y Eine Sendung auf Video aufnehmen (1.2e), wenn sie zeitlich unpassend läuft y Erwartungshaltung ändern (5), wenn die Inhalte hinter der Erwartung bleiben y Gebannt, fassungslos sein: hinsehen müssen für kurze Zeit (3a) y Einen Schuh gegen das TV-Gerät werfen (6) y Lautstärke regulieren (7)
Passiv bleiben 5 y Hinnehmen, sich abfinden, es ertragen (1.1, 1.2b mit Bedauern) und trotzdem sehen (2, 5, 6) y In sich ‘hineingrummeln’ (1) (s. auch Position 2 ‘Gedanken’) y Beschwerdeimpuls (1.2a, 5, 6)
*
Tabelle 14 (Fortsetzung): Reaktionen bei Ärger über TV-Angebote
1 Programmgestaltung 1.1 Werbung 1.2 (a) Sendungen fallen aus (b) Sendungen fallen weg (c) Sendungen werden wiederholt (d) Angebotsextreme (e) Sendezeiten (f) Wochenendprogramm 2 Berichterstattung 3 (a) Intimität (b) Erotik 4 Gewalt, Blut, Katastrophen 5 Produktionsseite und Machart 6 Personen und Situationen 7 Sonstige
Die in Klammern genannten Ziffern in der nebenstehenden Tabelle beziehen sich auf folgende Ärgerquellen:
12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
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Für die Reaktionen ergibt sich gemäß der Anzahl ihrer Nennungen die folgende Reihenfolge: Tabelle 15: Reaktionen bei Ärger über TV-Angebote mit Anzahl der Nennungen Medienverhalten 85 Kommunikation 39 Ärger vergessen Gedanken / Situationsanalyse Passiv bleiben Gefühl Ablenkung / Kompensation des Ärgers
30 24 15 13 8
Unter dem eingangs gemachten Vorbehalt sollen die Tabellen 14 und 15 nun besprochen werden. Die meisten Nennungen entfallen auf die Kategorie Medienverhalten (85). Hier ist das Geschehen vielfältig (vgl. Tabelle 14): Die Befragten sehen bei gewissen Inhalten weg oder in eine Sendung noch ab und zu mal rein, über die sie sich schon (häufiger) geärgert haben. Sie schalten um oder aus, wählen – zeit- und teilweise – bewusst andere Medien als Informationsquellen, meiden manche Inhalte grundsätzlich und verlassen zuweilen den Raum, wenn aus anderen Gründen das Fernsehgerät (mit missliebigen Inhalten) läuft. Diese Reaktionen stellen das Gros innerhalb der Rubrik ‘Medienverhalten’ dar. Daneben gibt es andere Formen des Medienverhaltens wie eine Sendung mit dem Videogerät aufzeichnen, die eigene Erwartungshaltung ändern, wenn die Inhalte hinter der Erwartung bleiben oder auch – was in dieser Stichprobe einzigartig war – einen weichen Schuh gegen den Bildschirm werfen, wenn sich Unerfreuliches oder besser: Ärgererregendes auf dem Fernsehschirm abspielt. Hinsichtlich der Reaktion ‘Erwartungshaltung ändern’ kommen Annahmen zum Tragen, wie sie sowohl Forscher aus der Ärgerforschung wie auch aus der Nutzen- und Belohnungsforschung formuliert haben. Den Appraisal-Theorien der kognitiven Ärgerforschung zufolge bewerten Subjekte ihr Umfeld kontinuierlich. Das heißt, Eindrücke werden gegebenenfalls korrigiert, Objekte neu bewertet, und dadurch können sich Emotionen verändern. Ähnlich, hier allerdings eng bezogen auf die Mediennutzung, argumentieren die Vertreter des Erwartung-Bewertung-Ansatzes, der sich innerhalb der Nutzen- und Belohnungsforschung herausgebildet hat (vgl. Pkt. 3.2 ‘Uses and Gratifications Approach’). Danach wirken die erhaltenen Gratifikationen auf die Erwartungen und Bewertungen zurück. Hier wurde also die Erwartungshaltung geändert aufgrund negativer Gratifikationen, und zwar
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12 Reaktionen auf Ärger über TV-Angebote
mit dem Ergebnis, dass das Medienangebot weiterhin – wenn auch vielleicht nicht mehr in derselben Regelmäßigkeit – wahrgenommen wird, dies aber jetzt ärgerfrei. Die Kategorie Kommunikation hat die zweithäufigsten Nennungen. Vor dem Fernsehschirm wird geschimpft, geflucht, gelästert, und es kommt vor, dass sich Rezipienten über eine Sendung fernab der Fernsehsituation unterhalten. Darüber hinaus wenden sich die Rezipienten auch an den Verursacher ihres Ärgers. Zum einen richten sie ihre Worte an die Medienfigur – ein Verhalten, das in dem Ansatz der parasozialen Interaktion (PSI) beschrieben wird (vgl. Pkt. 3.4 ‘Parasoziale Interaktion und Beziehung’) und das antagonistische Züge aufweist (z.B. Abwertungen von Personen; vgl. Tabelle 2 in Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’, S. 91). Zum anderen – und damit verlassen sie anders als bei PSI die Fernsehsituation – wendet man sich mit Briefen oder Anrufen an die Medienanstalten. Von Beschwerden machen im Allgemeinen nicht wenige Rezipienten Gebrauch, weshalb Medienanstalten Hörer- und Zuschauerredaktionen eingerichtet haben (vgl. etwa ARD Jahrbuch 2003: 75ff.). In der vorliegenden Studie sind es allerdings vergleichsweise wenige Befragte, die sich beschwert haben (vgl. Pkt. 13.4 ‘Beschwerde an eine Fernsehanstalt’). Eher ist es so, dass die Rezipienten – die Kategorie mit den dritthäufigsten Nennungen – den Ärger vergessen (30 Nennungen), und dies in der Regel recht schnell. Auch wenn es drei Befragte gibt, die sich mit bestimmten, sie ärgernden Fernsehthemen (Tierquälerei, Intimität) noch eine Weile postrezeptiv beschäftigen, so tritt auch dieser Ärger früher oder später in den Hintergrund und wird vergessen. Mit dem Ärger gehen Gedanken oder eine Situationsanalyse einher. Dabei gibt es ein buntes Spektrum von Gedanken.155 Es können die Personen auf dem Fernsehschirm beschimpft oder entwertet werden (PSI). Es können Fragen hinsichtlich des Handelns von Medienanstalten auftreten (z.B. Warum wird Werbung geschaltet?). Nicht zuletzt kann es zu Auseinandersetzungen kommen in der Weise, dass die gesellschaftlichen Folgen von bestimmten Medieninhalten (z.B. Erotik) erwogen werden. Sich Gedanken zu machen, kann als Aktivierung aufgefasst werden, aber auch als Passivbleiben in dem Sinne, dass das Denken keine weiteren erkennbaren Folgen hat. Passiv zu bleiben wird 15-mal erwähnt, dazu zählt etwa das Hin155 Wenn hier das gedankliche Geschehen aufgegriffen wird, so geschieht dies nicht im Sinne der Debatte um die Frage: ist bei der Entstehung von Ärger zuerst die Kognition oder die Emotion gegeben (zum Sequenzenproblem vgl. Pkt. 4.3 ‘Ärgerauslöser und soziale Kognition’). Vielmehr geht es vor allem um die gedankliche Aktivität, die einsetzt, wenn Ärger bereits entstanden ist.
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nehmen und Erdulden, das Trotzdemsehen und auch der Beschwerdeimpuls, weil ihm dann doch nicht nachgegeben wird. Passiv zu bleiben bedeutet nicht, dass Gratifikationen ausbleiben. Sie sind zum Beispiel deshalb möglich, weil eine Sendung nicht ausschließlich Ärger hervorruft. Siebenmal werden Reaktionen wie Ablenkung berichtet. Es sind Reaktionen mit kompensatorischem Charakter. Das heißt, die Rezipienten weichen einem verärgernden Medienangebot nicht allein aus (s. Rubrik ‘Medienverhalten’), sondern sie suchen gezielt eine Ablenkung von ihrem Ärger. Eine vergleichsweise intensive Reaktion ist es, das Haus zu verlassen und in ein Restaurant zu gehen. Bleiben die Rezipienten vor dem Fernsehschirm, so setzen sie angenehme Beschäftigungen wie essen oder trinken ein, um das Wohlbefinden zu fördern, oder sie versuchen – was besonders interessant ist – den Ärger loszuwerden durch ein besseres Fernsehangebot. Interessant ist an dieser Bewältigungsform, dass mittels desselben Mediums Ärger sowohl erzeugt als auch von ihm abgelenkt werden kann. Das geschieht freilich dadurch, dass ein anderer, erquicklicherer Inhalt gewählt wird – so einfach lässt sich in alltäglichen Ärgersituationen der Ärger wohl nicht regulieren. Schließlich ist die Ebene des Gefühls anzusprechen. Die Reaktionen auf dieser Ebene sind von anderer Qualität als die bisher beschriebenen, weil sie zugleich den Ärger fördern oder auslösen wie auch begleiten oder auf ihn folgen können. So geht mit Fernsehärger eine Stimmungsverschlechterung oder Unlustreaktion einher. Ferner gibt es Gefühle wie Langeweile, Ohnmacht, Hilf- und Ratlosigkeit, Resignation, Traurigkeit, Ekel und Scham. Man wird böse und wütend. INSGESAMT können die Reaktionen mit einer Formulierung beschrieben werden, die eine Befragte wählte: „So spektakulär wirds eigentlich nie“ (Fall 17). Das heißt, man wird durchaus böse oder wütend, aber aggressives Handeln bleibt im Allgemeinen aus, auch wenn es unter den Reaktionen eine Handlung gibt, in der ein aggressiver Aspekt gesehen werden könnte (‘Billigschlappen’ gegen den Fernsehschirm werfen). Nun zählt nicht allein, wie heftig Reaktionen sind. Lässt man dieses Kriterium beiseite, so zeigt sich eine gewisse Unruhe, die durch den Fernsehärger aufzukommen scheint. Die vergleichsweise stärkste und auch beachtliche Reaktion ist, dass Rezipienten aus dem Haus gehen oder den Raum verlassen müssen, um sich von dem Ärger durchgreifend ablenken zu können. Im Allgemeinen kommt es aber zu schwächeren Bewegungen vor dem Fernsehschirm. Die Reaktionen reichen von ‘trotzdem sehen’ bis dahin, dass sich Rezipienten von den verärgernden Medienangeboten zu distanzieren beginnen, zum Beispiel indem sie gewisse Sendungen nicht mehr ganz, sondern nur noch teilweise sehen. Es ist vielfach eine Distanzierung auf Zeit und seltener eine Distanzierung ganz und gar.
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Dieser Befund ist bemerkenswert, wenn man ihn an dem Ergebnis der Ärgerforschung misst, wonach Ärger zur Beseitigung der Störung tendiert. Eine echte, radikale Beseitigung der Ursache wäre etwa gegeben, wenn das Angebot aufgrund von Beschwerden verändert würde. In dieser Studie aber – und das dürfte kennzeichnend für den Fernsehärger sein – ist ein Arrangement mit der Situation die besänftigende Lösung. Dies ist bei Fernsehen nachvollziehbar, da einerseits Fernsehangebote in ihrer Gestaltung und andererseits die Beweggründe zum Fernsehen je nach Rezipient sehr verschieden sein können. Jemand mag zum Beispiel aus Gewohnheit Nachrichten sehen, und er sieht sie auch dann, wenn er sich über einen Beitrag ärgert. Eben weil es nur ein (kurzer) Teilbeitrag (Gestaltung) ist, wird die Sendung trotzdem gesehen. Wie eine Person mit dem Ärger über einen Fernsehbeitrag umgeht, hängt also von verschiedenen Faktoren ab, möglicherweise auch von der Häufigkeit und Intensität des Inhaltsärgers (vgl. Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer’). Eine echte, radikale Beseitigung der Ursache im oben genannten Sinn wäre zwar vorstellbar, aber wohl eher die Ausnahme. Wahrscheinlicher dürfte das teilweise oder völlige Meiden der Ursache (TV-Inhalt) sein. Denkbar ist auch, das TV-Gerät abzuschaffen – dazu hat der Ärger über die Fernsehinhalte allerdings keinen der Befragten in dieser Studie veranlasst (vgl. 13.7 ‘Exkurs: Fernsehgerät abschaffen’). Welche Bedeutung hat der Ärger für das Subjekt oder das soziale Miteinander? Bindet der Ärger die Zuschauer an das Medium? Die Reaktionen deuten darauf hin, dass der Inhaltsärger nicht zu den großen Ärger-Emotionen gehört, dass er nicht folgenschwer ist. Aber er muss deshalb nicht ohne Folge sein, bringt er einerseits doch Unruhe in das Medienverhalten und regt andererseits zum Beispiel zur Kommunikation an. Auch in dieser Hinsicht kann von einem ‘aktiven Zuschauer’ gesprochen werden. Auf die ‘Kommunikation’ gehe ich vertieft in Abschnitt 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’ ein. Bezogen auf das Medienverhalten zeigt sich beides: Bindung und Distanzierung. Die Distanzierungen von den Medienprodukten wurden häufiger thematisiert. Dabei ist eine Distanzierung nicht zwingend ein radikaler Verzicht. Das Fernsehen bleibt und mit ihm auch der Ärger über Fernsehangebote und der Ärger rund ums Fernsehen, der in seinen Reaktionen im Folgenden betrachtet werden soll.
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
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12.3 Reaktionen auf Ärger in der Rezeptionssituation und durch Fernsehen im Allgemeinen 12.3.1 Störung der Rezeption Wie sich zeigte (vgl. Pkt. 11.3.1 ‘Störung der Rezeption’), fühlen sich Rezipienten beim Fernsehen durch Gespräche oder Anmerkungen anderer, durch Unruhe und Nebengeräusche sowie durch unangemeldeten Besuch gestört und verärgert. Sie reagieren wie folgt auf diese Störungen. STÖRENDE GESPRÄCHE ODER ANMERKUNGEN beantworten die Befragten y auf der Ebene des Gefühls mit „unwirsch“ oder „sauer werden“ (Fall 6). y Kommunikation. Mit verbaler und nonverbaler Kommunikation wird das Gefühl ausgedrückt, wenn die Störung nach einer Weile nicht unterbleibt. Dabei muss auf Störungen oder Unterbrechungen schnell und kurz reagiert werden, weil längere Auseinandersetzungen oder Erklärungen das Ziel, den Fernsehbeitrag mitzubekommen, konterkarieren würden. Nonverbal wird das Wort des Störenden zum Beispiel mit abwinkender Geste unterbunden (Fall 9). Wenn die Befragten ihre Störer verbal zur Ruhe auffordern, dann variiert die Form von höflich bis schimpfen: „Seid bitte jetzt grad still!“ (Fall 1), „Halt mal den Mund!“ (Fall 6), „Seid doch ruhig!“ (Fall 7), „Schimpf ich mit ihr, sie soll jetzt endlich ruhig sein“ (Fall 8) oder einfach: „Pscht“ (Fall 6). Erzielen die Befragten damit nicht die gewünschte Wirkung, dann kann es zu Vorschlägen wie: „Dann geht doch lieber raus!“ (Fall 1) oder zu kurzen Wortwechseln kommen. Einen solchen Wortwechsel schildert eine Befragte, die sich über die lebhaften und fortdauernden Äußerungen ihres Mannes beim Verfolgen der Quizsendung ‘Wer wird Millionär?’ ärgert: „Dann sagt er: ‘Hast dus gesehen? Ich hätte jetzt wieder-, guck mal, ich hätt jetzt die Grenze schon da erreicht, wär schon da angelangt’. Sag ich: ‘Ei dann meeld dich doch! Faaahr hin!’ [Etwas später:] Der hört dann auch nicht auf. ‘Ich wollte dir das doch nur sagen’, sagt er dann immer. ‘Oooh’, sag ich: ‘Ich weeeiß doch, dass du alles weißt [lacht] oder fast alles’ (I: ja)“ (Fall 7).
y Gedanken und Stimmungsverschlechterung. Neben der verbalen Beseitigung der Störung kann es sein, dass innerlich ‘gesprochen’ wird. Wird das Gedachte ausgesprochen, dann entspricht es im Wortlaut nicht unbedingt dem Gesagten. Die Gedanken sind zum Teil derber, so etwa die eines Ehemannes, der viel fernsieht und deshalb häufig von seiner Frau angesprochen oder beschimpft wird, sobald er das Fernsehgerät einschaltet oder länger davor sitzt. Wenn er durch das Verhalten seiner Frau Inhalte versäumt, verschlechtert sich seine Stimmung:
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12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen „Befragter: Dann hab ich schon keine Lust mehr eigentlich. Interviewerin: Mhm, mhm. Was machen Sie dann? Befragter: Ja ich guck das, ich guck schon weiter, ja klar, denk aber: ‘Endlich, halt jetzt endlich das Maul’, genau das denk ich“ (Fall 8).
Zu seiner Frau sagt er dann, sie solle „endlich ruhig“ sein (s.o. Kommunikation). y Hinnehmen, kein weiteres Engagement. Weitergehende Gedanken zum Anliegen seiner Frau macht sich der extrem viel sehende Ehemann nicht. Er setzt sich also mit dem regelmäßig wiederkehrenden Vorfall nicht weiter auseinander, vielmehr denkt er: „Na ja, so ist sie halt, fertig, sie kann es eben nicht, und fertig“ (Fall 8). y Raum verlassen und ein TV-Gerät in einem anderen Zimmer nutzen. In manchen Haushalten sind mehrere Fernsehgeräte vorhanden, wobei es ein (Wohn-) Zimmer mit TV-Gerät gibt, in dem sich alle gemeinsam vorrangig aufhalten. Gelingt es dem Fernsehinteressierten nicht, die anderen Anwesenden zum Einstellen der Gespräche oder Kommentare zu bewegen, und ist ein zweites Fernsehgerät verfügbar, dann wird – nach einiger Zeit – darauf zurückgegriffen. Sieben Befragte tun dies, darunter ist der extrem viel sehende Ehemann, der hier zu Wort kommen soll: „Und wenn sie [Ehefrau] nicht ruhig ist, und es ist schon später, gehe ich einfach ins Bett, guck da weiter. Fertig. Leg ich mich hin und guck im Schlafzimmer. So. Und dann hör ich sie immer hier draußen schimpfen noch, aber das stört mich dann nicht“ (Fall 8).
UNRUHE UND NEBENGERÄUSCHE. Vier Befragte berichten, dass sie sich über Krach und Unruhe beim Fernsehen ärgern würden. Auch hier gibt es verschiedene Reaktionsweisen: y Böse werden. „Da kann ich auch bös werden…da werde ich dann böse bei“ (Fall 5). y Nonverbale Kommunikation. Ein wortloser Blick – dieser genügt im Falle einer Befragten. Ihr Lebensgefährte weiß diesen Blick adäquat zu deuten: „Er weiß, dass mich das stört, er kanns ja auch nicht leiden, und von daher brauch ich nur zu gucken“ (Fall 5).
y Verbale Kommunikation. Dazu zählt, zu meckern (Fall 15) oder den anderen freundlich darum zu bitten, leiser zu sein (Fall 9). Dann wird der y Ärger vergessen (Fall 7).
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
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y Klaps oder Strafe. In einem Fall erfolgt die Störung durch das Bellen des Hundes, worüber sich der Befragte sehr ärgert. Da „gibts dann auf die Schnute, oder ich schick den in den Keller“ (Fall 9). y Schweigen, abwarten, Ärger in sich hineinfressen, bagatellisieren. Nun kann es auch zur Rezeptionsstörung durch „das Geklapper“ (Fall 9) kommen, das entsteht, wenn eine andere Person die in Fernsehnähe befindliche Spülmaschine ausräumt. Da eine Spülmaschine häufiger ausgeräumt werden muss, kann diese Störung häufiger auftreten. Der darüber Verärgerte schweigt, wartet ab, bis die die Spülmaschine ausgeräumt ist. Da es die Ehefrau ist, die die Spülmaschine ausräumt, liegt es ihm fern, sie um geräuschärmeres Verhalten zu bitten. „Befragter: Das wäre ja geradezu albern, ich wüsst auch sofort, was ich da als Antwort bekäme. Interviewerin: Nämlich? Befragter: Jo: ‘Du sitzt da, was stellst du dir denn vor? Ich mach hier die Arbeit.’ [beide lachen]. So sinngemäß“ (Fall 9).
Der Konflikt bleibt: der Befragte fühlt sich sehr gestört, er sehe „nie konzentriert“ (Fall 9) fern. Im Interview erklärt und argumentiert er, warum die Störungen gegeben sind: Dort, wo das Fernsehgerät steht, befindet sich der Mittelpunkt der Familie. „Der Mittelpunkt ist ja nicht, dass man hier sitzt und Glotze guckt, sondern hier wird halt gelebt“ (Fall 9).
Er deutet an, dass man das Fernsehgerät an einem anderen Ort aufstellen könnte, doch er verwirft diesen Gedanken sogleich wieder. Beinahe widersprüchlich mutet es an, dass der Befragte im Interview zuerst seinen großen Ärger über die Störung beim Fernsehen äußert, um dann zu sagen, „das ist halt so, man kommt auch schnell wieder [in das Fernsehgeschehen] rein“ (Fall 9). Hier zeigen sich Züge einer Bagatellisierung und Beschwichtigung, wodurch seine Loyalität gegenüber seiner Familie aufrechterhalten bleibt. Zu den Rücksichtnahmen auf die familiäre oder wohnliche Situation kommt ein weiterer konfliktträchtiger Aspekt hinzu: Einerseits möchte der Befragte sehr gerne fernsehen, Fernsehen ist also von Interesse und im Moment des Fernsehwunsches wichtig. Andererseits hat er eine (sozial erwünschte) Auffassung verinnerlicht, wonach Fernsehen nicht zu hoch bewertet werden sollte. Die sozial erwünschte Antworttendenz kann freilich der Interviewsituation geschuldet sein. Was aber insgesamt deutlich wird, ist, wie der Befragte verstrickt und der Konflikt ungelöst bleibt.
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y Ablenkung, Alternativbeschäftigung. Zwei Befragte fühlen sich durch das Zappen gestört und verärgert. Während die eine Befragte meckert (s.o. Kommunikation, Fall 15), lenkt sich die andere Befragte ab: „Ich stehe dann meistens auf und mach dann halt-, grade eben in der Werbung bleib ich dann halt nicht da liegen zu neunzig Prozent und mach dann halt irgendwas“ (Fall 14).
So raucht sie zum Beispiel eine Zigarette. ÜBERRASCHENDER BESUCH. Wird die Rezeption durch überraschenden Besuch gestört, so wird der Ärger gegenüber den Besuchern nicht ausgesprochen. Er wird ausgehalten, zurückgedrängt, während man sich dem Besuch widmet. Dabei wird auf Fernsehen verzichtet, das Gerät wird ausgeschaltet – so die beiden Befragten, die in dieser Studie von Ärger über unangemeldeten Besuch berichteten. In dieser Studie kann über ein geschlechtsbezogenes Verhalten keine Aussage getroffen werden. Hierzu findet sich ein Ergebnis bei Hackl. Danach schalteten „Frauen den Fernsehapparat öfter als die Männer ab, wenn unerwartet Besuch kam“ (Hackl 2001: 221; zu Besuch, der erwartet wird, vgl. Pkt. 11.3.6 ‘Geringschätzung und Missachtung’).
12.3.2 Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit Die Ausgangsituation ist häufig so, dass sich mehrere Personen vor einem Fernsehgerät befinden. Wählt nun eine der Beteiligten eine Sendung aus, die einem oder den anderen nicht zusagt, so muss es nicht, aber es kann zu Ärger unter den Beteiligten kommen. Dort, wo es zu Ärger gekommen ist (9 Befragte), werden folgende Reaktionen berichtet: y Kommunikation (verbal) und böse sein. In allen neun Fällen kommt es zu Formen wie Bitten um Programmwechsel (Fall 3), Klagen und Meckern: „Ja, da meckere ich meistens…[Etwas später:] dass ich halt sag: ‘Müssen wir jetzt schon wieder das gucken’“ (Fall 14).
Eine Befragte (Fall 13) berichtet davon, dass sie böse sei und dass es zu kleinen Streitigkeiten komme. Dabei betont sie, dass es zu den Streitigkeiten nicht allein durch die Uneinigkeit bei der Programmwahl komme, sondern dass der Streit durch das für sie problematische Verhalten ihres Mannes befördert werde. Das Problem beschäftige sie auch nach dem Streit noch. Hier greifen Konflikte auf
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der Paarebene und solche beim Fernsehen ineinander (vgl. Pkt. 11.3.2 ‘Programmvorlieben…’). Die Kommunikation kann in einen Kompromiss münden (siehe Ende des Abschnitts). Tut sie es über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht, sehen Befragte folgende Möglichkeiten. y Zweites TV-Gerät anschaffen. Vier Befragte156 sehen im Kauf eines zweiten Fernsehgerätes die Lösung des Problems. Zwei der vier Befragten sind zum Interviewzeitpunkt in der Entscheidungsphase, das heißt, sie erwägen, ein zweites Fernsehgerät anzuschaffen. „Also wir hatten auch schon mal, das geb ich offen zu, ich hab auch schon mal überlegt, ob wir uns mal n zweiten Fernseher anschaffen, so für diese Sport- und Börsensendungen halt (I: mhm), mal sehn…[lacht]. Ja, weil, oft ist es zum Beispiel auch so-, weil das Fernsehen ja im Wohnzimmer ist, wenn wir dann Besuch kriegen oder so, und der andre will was gucken, das ist dann natürlich blöd, ne, … und dann ist es schon besser, man hat da noch n Fernseher woanders stehen“ (Fall 3).
Bei der nachfolgenden Befragten ist die Entscheidungsphase abgeschlossen, sie hat sich für einen zweiten Fernsehanschluss entschieden. Der Kauf des Gerätes steht noch bevor, er bedarf der Zustimmung des Ehemannes: „Deswegen habe ich jetzt einen zweiten Anschluss für oben [im Haus] beantragt, mal gucken, ob ich den dieses Jahr noch kriege von meinem Mann, weil ich gesagt hab: ‘Ich hab jetzt die Schnauze voll’. Wenn ich mal irgendwas gucken will [sagt 157 er]: ‘Ach nee, ich will heute Abend das gucken’“ (Fall 14).
Im Haushalt einer anderen Befragten gibt es bereits ein zweites Fernsehgerät. Die Familie kaufte das Gerät kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2002158, weil nicht alle Familienmitglieder an Fußball interessiert sind und es
156 Die Zahl könnte bei einer Stichprobe von 20 Personen gering erscheinen. Es muss berücksichtigt werden, dass die Hälfte der Befragten in Haushalten mit mehreren Fernsehgeräten lebt. So gibt es in Wohngemeinschaften Studierender häufig beides: ein gemeinsames Gerät sowie eines für jeden der Bewohner. Dies trifft auf sechs Fälle zu. In weiteren drei Fällen, in denen mehrere Geräte vorhanden sind, wurde im Interview nicht über den Grund der Anschaffung des zweiten Fernsehgerätes gesprochen. Möglicherweise ging dem Kauf kein Ärger voraus, oder es gab Ärger, und er ist inzwischen vergessen. 157 Mit dem Wort „beantragt“ ist nicht gemeint, dass der Anschluss bei einer Behörde beantragt wurde, sondern bei ihrem Mann. 158 Das Interview führte ich mit dieser Befragten etwa drei Monate nach der Fußballweltmeisterschaft 2002.
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schon bei der Fußball-WM 1998 vor allem zwischen den Söhnen und den Eltern zu Ärger kam. „Am Anfang wars DIE Entspannung! Wir haben das [TV-Gerät] vor der FußballWeltmeisterschaft gekauft, weil ich mir dachte: ‘Das, das steh ich nicht durch. Nochmal [wie 1998] so ne Fußball-Weltmeisterschaft im Wohnzimmer, ja!’ Und äh alle waren irgendwie erleichtert, dass wir jetzt noch n zweiten Fernseher hatten“ (Fall 11).
y Fernsehzeiten vereinbaren. Ein Ausweg aus Einigungsquerelen könnte darin bestehen, dass man Fernsehzeiten vereinbart. Diese Zeiten könnten sich an den Wünschen einzelner orientieren (z.B. die Frau sieht eine bestimmte Serie regelmäßig wochentags), oder man vereinbart relativ feste Fernsehtage, so dass einmal die eine, einmal die andere Person das Programm bestimmt. Eine Mischform hat das folgende Paar gefunden. „Wir haben es so geregelt, dass ich mittlerweile montags abends um viertel nach neun und eben donnerstags-, das sind meine Fernsehtage (I: mhm). Dienstags wird ausgeguckt, wer guckt ähm, mittwochs und freitags guckt er [Ehemann] grundsätzlich“ (Fall 14).
Diese Vereinbarung funktioniert nicht immer. „Jetzt hab ich den Montag relativ für mich halt, aber auch nicht immer, also ich muss schon zwischendurch selbst an meinen Tagen, wo ich Fernseh gucken darf, kämpfen, dass ich Fernseh gucken kann“ (Fall 14).
Eine Regelung dieser Art findet sich in keinem anderen Interview. Die Idee, Fernsehzeiten zu vereinbaren, wird in zwei anderen Interviews als nicht praktikabler Weg gesehen (Fälle 3 und 7). Auch für die oben zitierte Befragte ist die gefundene Vereinbarung nur eine vorübergehende Lösung. Diese soll nur so lange gelten, bis ein zweites Fernsehgerät vorhanden ist. y Raum verlassen. Sind die Programmwünsche unvereinbar, so entscheidet sich mancher Uninteressierte dafür, den Raum – wenn möglich – zu verlassen (5 Befragte). „Einer zieht, tritt den Rückzug an“ (Fall 3), und: „Ich flüchte dann ja immer“ (Fall 10), oder: „Geh ich halt“ (Fall 13; ähnlich Fall 20). y Uninteressiert mitgucken. Nun gibt es nicht immer eine Ausweichmöglichkeit, oder jemand möchte nicht in ein anderes Zimmer ausweichen. Der Uninteressierte kann dann zum Beispiel interesselos verfolgen, was sich ein anderer im Fernsehen ansieht:
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„Wenn er unbedingt seinen Mist guckt, dann muss ich entweder rausgehen, oder ich muss mitgucken, also gibt nur die Möglichkeit“ (Fall 14).
y Ablenken vom Inhalt, Alternativbeschäftigung. Der folgende Befragte berichtet von einer Situation, in der er das soziale Beieinandersein sucht und sich zu Personen gesellt, die fernsehen. Zusammen mit diesen verfolgt er das Medienangebot, über das er sich zu ärgern beginnt. Da sein oberstes Interesse das Beisammensein mit anderen ist, kann er nicht zu Reaktionen greifen, wie sie bisher beschrieben wurden wie z.B. den Raum zu verlassen. Auch uninteressiert mitzugucken kommt nicht in Betracht, da er den Medieninhalt nicht erträgt. So versucht er zum einen, sich von dem Fernsehbeitrag durch eine Alternativbeschäftigung abzulenken und zum anderen, sein negatives Urteil über die Sendung kundzutun und mit Argumenten (Kommunikation, s.o.) zu vertreten (vgl. auch Pkt. 13.3 ‘Über TV-Ärger sprechen’). „Wenn ne andere Person dabei ist, und ich mitgucken muss sozusagen, irgend ne Sache, die mich ärgern, dann nöl ich meistens rum und geb irgendwelche Kommentare ab und äh versuche, die andere Person davon zu überzeugen, dass das totaler Schwachsinn ist, was die da sieht, oder was wir da gucken, äh oder was ich auch ganz oft mache, weil wir ja in der Küche äh gucken dann, dass ich dann einfach-, damit ich, damit ich dann den Anblick [dessen auf dem Fernsehschirm] auch nicht ertragen muss, dann muss ich zwar noch das Geschwätz [im Fernsehen] ertragen, dass ich dann aufstehe und anfange zu spülen oder irgendwelche Sachen rumzuräumen, Hauptsache, ich muss das nicht sehen“ (Fall 20).
y Kompromiss. Neben den beschriebenen Reaktionen wollen Befragte freilich auch und vielleicht vor allem einen Kompromiss finden. Zwei Befragte beginnen, nach Sendungen zu suchen, die allen gefallen könnten. Einerlei, ob in einer Programmzeitschrift oder mit der Fernbedienung gesucht wird, bei der Suche bewerten die Beteiligten die einzelnen Fernsehangebote. Es ist „also manchmal so, dass wir, dass wir dann darüber diskutieren, also dass ich dann zum Beispiel sage: ‘Jetzt da war doch grad was Gutes, schalt doch mal zurück!’“ (Fall 17).
Ein Kompromiss kann auch darin bestehen, dass man das Fernsehgerät ausschaltet, wenn die Suche nicht zu einem einvernehmlichen Ergebnis führt. Ist das Gerät aus, existiert das Problem nicht mehr, und – so die Sicht einer Befragten – „es löst sich dann von selbst“ (Fall 17). Wenn hingegen eine Sendung ausgewählt wurde, so heißt das nicht unbedingt, dass sie allen Beteiligten gleichermaßen gefällt. Man gibt ‘zu und ab’: „Dann gucken wir dann das halt, und dann ist gut“ (Fall 3). Gab es zuerst Ärger um die die Programmentscheidung, so zeigen
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sich zugleich eher unkomplizierte, versöhnliche Verhaltensformen. Eine Befragte sagt: „So wichtig ist es uns dann auch nicht…Also mir ist es nicht so wichtig“ (Fall 3). Nun lässt sich fragen, warum es überhaupt zu Ärger kommt und die Suche nach einem Kompromiss einsetzt, wenn die Programmwahl letztlich doch nicht so wichtig ist. Ein Grund dürfte sein, dass bei einer Entscheidungsfindung hinsichtlich der Wahl des Programms nicht allein subjektive Fernsehwünsche verhandelt werden. Weitere Faktoren wie stille Vereinbarungen oder tiefer liegende Motive scheinen für das Verhalten eine Rolle zu spielen. Diese Vermutung legen Hinweise in zwei Interviews nahe. So ist es in der Ehe eines Befragten so, „dass jeder mal zu seinem Recht kommt“ (Fall 10). Die Kompromisse werden also beidseitig eingegangen, und so ist für Gerechtigkeit gesorgt. Gerechtigkeit ist hier das tiefer liegende Motiv. In dem zweiten Interview zeigt sich, wie Aufgabenverteilungen das Miteinander regeln. Konflikte bezogen auf die Programmauswahl sind „eher nicht so häufig, weil äh ja meine Mitbewohnerin…das dann auch immer [organisiert; lacht]. Interviewerin: Die organisiert das immer?! Befragte: Ja. [Spricht pikiert weiter:] Ich füg mich“ (Fall 19).
Mit einer solchen Vereinbarung ist einigen Konflikten beim Fernsehen vorgebeugt, auch Wünsche nach Gerechtigkeit können damit abgedeckt sein. Insgesamt dienen die Regeln dazu, das Zusammenleben (hier beim Fernsehen) zu organisieren. Regeln zu formulieren ist somit wohl nicht spezifisch für den Kontext Fernsehen, das heißt, sie werden nicht allein für die Aktivität des Fernsehens entwickelt, sondern auch für weitere Bereiche wie etwa für die Nutzung anderer Haushaltsgegenstände. Aber auch bei auf Fernsehen gerichteten Motiven kann es Motivverquickungen geben, wobei nicht über alle Motive explizit gesprochen wird. So können Personen zwar über die Programmwahl verhandeln, reden aber nicht ausdrücklich über das weitere Motiv, nämlich freie Zeit gemeinsam und angenehm verbringen zu wollen. Gleichwohl hat dieses Motiv bei der Entscheidungsfindung ein Gewicht. Denn die gemeinsame Zeit kann auch mit einem Programmangebot schön werden, das nicht allen Beteiligten vollauf gefällt, weil es noch andere angenehme Momente beim Fernsehen gibt wie etwa das gemütliche Zusammensein. Dies könnte erklären, warum die Entscheidung für ein Medienangebot nicht bei Ärger stehen bleiben muss. Ein Befragter beschreibt diese Situation so:
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„Wenn wir uns entschieden haben, meine Sendung wird geguckt,…dann bin ich natürlich auch dran interessiert, dass die Sendung einigermaßen ist. Wenn die dann überhaupt nix war, he [lacht], ist blöd ne [lacht, I lacht auch.]…Also ich seh das eigentlich positiver, denn ähm also wir sitzen dann eben auch ähm die Füße hoch, dann trinken (wir) n Weinchen dabei, und ähm manchmal essen wir auch Chips dazu…ja,…find ich manchmal ganz, find ich schon entspannend“ (Fall 10).
Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, als sei die Programmentscheidung völlig nachrangig. Auch wenn es ein Ziel ist, schöne gemeinsame Stunden beim Fernsehen zu verbringen, muss das Medienangebot alle Beteiligten auf irgendeine Weise ansprechen. Ist dies überhaupt nicht absehbar, kann das unter anderem dazu führen, dass das Fernsehgerät ausgeschaltet und etwas anderes, der Gemeinsamkeit dienendes unternommen wird.
12.3.3 Verstöße gegen Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘gemeinsamer Fernsehzeit’ Die Ansichten darüber, wie man das Fernsehen nutzt, können sehr verschieden sein. So habe ich in Punkt 11.3.3 von einem Befragten berichtet, für den der Sonntagmorgen oder die Nachmittage fernsehfrei bleiben müssen. Er vermeidet es „konsequent“ und „radikal“, zu diesen Zeiten das Fernsehgerät einzuschalten, andernfalls rege er sich auf (Selbstärger), wäre er „schlecht gelaunt“ (Fall 16). Hier gibt es also bereits ein dem Ärger vorbeugendes Verhalten, das darin besteht, das Fernsehgerät zu den entsprechenden Zeiten nicht einzuschalten. Vorbeugung ist nicht in allen Fällen ohne weiteres möglich, so etwa nicht bei zwei Befragten. Die eine Befragte ist Ehefrau eines extrem viel sehenden Mannes, die andere ist Mutter eines minderjährigen Sohnes (Pubertät). Betrachten wir zunächst die Reaktionen der Ehefrau. Wenn ihr Mann das Fernsehgerät einschaltet oder bereits eine Weile fernsieht, dann ereignen sich verschiedene Verhaltensweisen: Erst schimpfe sie, dann rauche sie auf dem Balkon eine Zigarette, „dann irgendwann werde ich auch als [d.h. zunehmend] lauter noch, und dann, obwohl ich erst eine geraucht habe, gehe ich grad wieder eine rauchen und koche mir noch einen Kaffee und schmolle erstmal dann da draußen [auf dem Balkon], und mecker dann vor mich hin noch“ (Fall 7).
Die Reaktionen sind somit: y schimpfen, lauter werden, y rauchen, Kaffee kochen,
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y schmollen, vor sich hinmeckern. y Drohen ist eine weitere Reaktion. Sie sagt zu Ihrem Mann, „dass ich fortlaufe. [Etwas später im Interview:] Am liebsten würde ich es mal, das Fernsehen, da runter über den Balkon werfen (I: mhm). Das habe ich auch schon gesagt (I: ja)“ (Fall 7).
y Ferner versucht sie mit Argumenten und Erklärungen den Ehemann zu erreichen: „Dass man halt bescheuert wird, sage ich dann eigentlich oft, dass ich langsam eine an der Klatsche habe, sage ich dann…, dass ich es nicht mehr ertrage,… dass es bescheuert ist, als [d.h. ständig] davor zu sitzen und als nur in die eckige Kiste zu gucken, und dass man so was therapieren kann, hab ich gesagt so schon, dass man da eine Therapie machen kann“ (Fall 7).
y Die Befragte führt eine Auseinandersetzung (Situationsanalyse), bei der sie ihr eigenes Verhalten und das des Mannes zu erklären und zu verstehen versucht. Für ihren Mann findet sie insofern Verständnis, als sie wisse „er ist halt arbeitslos, und ich mein, ich glaubs ihm ja, es ist ihm halt auch langweilig, gelle (I: ja). Aber da kann man doch sich als [d.h. dauernd] nicht nur vor das Fernsehen setzen“ (Fall 7).
Ihren starken Ärger sucht sie selbstkritisch mit Vorkommnissen in ihrer Kindheit zu erklären (Eigentheorie). „Aber ich glaub, das hat auch viel äh mit meiner Kindheit zu tun“ (Fall 7), und sie beschreibt eine Fernsehsituation aus ihrer Kindheit, eine Situation, die sie nicht mochte und verärgert hat.159 Ihre Auseinandersetzung mündet in eine y Lösungssuche (z.B. TV-Zeiten). „Jetzt so ein fest(es) Programm da machen, hier von da bis da guckt er, guckt er oder gucken wir und dann Ruhe, das ist doch auch Blödsinn irgendwo, das kann auch nicht gehen“ (Fall 7). 159 „Wir mussten halt früher die Herren bei uns daheim bedienen…, wenn samstags die Sportschau kam, und da standen die Mutter, die Oma und ich in der Küche und haben da gemacht und getan und die Herren im Wohnzimmer bewirtet. Wahrscheinlich ist das mit ein Frust, was dazu kommt noch, der sich bei mir aufgebaut hat dann noch. Und wenn ich aber, wenn ich selber mal was gucken wollte, ich durfte dann nicht gucken, ich wurde nicht bewirtet oder so, und das ist das wahrscheinlich, was auch dazu kommt noch, oder was mich halt so vielleicht so giftig gegen das ganze Ding macht“ (Fall 7).
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Alles bleibt also erfolglos, ihre Worte erreichen den Ehemann häufig nicht. So ist sie zweimal y wortlos tätig geworden. Einmal habe sie das Fernsehgerät ausgeschaltet, während der Ehemann fernsah, und ein andermal habe sie die Batterien aus der Fernbedienung entfernt und versteckt. Insgesamt ist es eine ungelöste Situation. Im Falle der Mutter des minderjährigen Sohnes (Fall 11) kam es zu folgenden Reaktionen: y Es gab Diskussionen zwischen Mutter und Sohn, und zwar „sehr viele“, „riesige“. Dazu zählte, dass der 13-jährige Sohn seine Mutter indirekt kritisiert habe, indem er das Verhalten der Mutter eines Freundes gelobt habe, weil diese ein tragbares Fernsehgerät ‘sogar’ mit ins Bügelzimmer genommen habe. Diese Kritik geht über die Diskussion des strittigen Fernsehthemas zwischen Mutter und Sohn hinaus, kann darin doch als Ärgeranlass eine Form der Geringschätzung oder ein Angriff auf den Selbstwert gesehen werden. Dazu passen die folgenden Reaktionen. y Gefühl. Die Befragte sagt, verletzt und verärgert, ja wütend gewesen zu sein. „Das war für ihn ne Zeitlang voll das Vorbild, diese Frau, darüber war ich wütend, ja, so was Blödes, ja“ (Fall 11).
y Kompromisse oder Verabredungen wurden gesucht, was auch nicht immer reibungslos verlief. Die Vereinbarungen betrafen den Fernsehinhalt und die Fernsehzeit, die Frage also: ‘was’ und ‘wie lange’ darf der Sohn fernsehen. y Ein zweites TV-Gerät wurde nach einiger Zeit gekauft, und später eine y Satelliten-Schüssel für den Sohn. Denn ohne diese zusätzliche Empfangsmöglichkeit konnte er nicht alle interessierenden Sendungen sehen, insbesondere Sport nicht, und so äußerte der Sohn das Anliegen, bei einem Freund fernsehen zu wollen. Hiermit stand der nächste Konflikt im Raum: Der Sohn war erst 15 Jahre alt, die Sportsendungen wurden abends ausgestrahlt, so dass der Sohn erst nach 23.00 Uhr zu Hause gewesen wäre – in den Augen der Mutter ist dies zu spät für einen Jugendlichen, der am nächsten Tag zur Schule zu gehen habe. Es folgte erneut eine Zeit der Dispute und Auseinandersetzung, bis die Eltern also dem Kauf der Satelliten-Schüssel zustimmten. Diese Auseinandersetzung mit dem Sohn sah die Mutter als „Machtkampf“, es sei für sie „belastend“ und mit „Ängsten“, Verletzungen und Wut verbunden gewesen (Gefühl). Rückblickend ist sie der Ansicht, dass sie das Problem nicht gelöst habe, aber durch das zweite Fernsehgerät und die Satelliten-Antenne war es „ein Stück weg von mir“, und die Situation wurde „erträglich“ (Fall 11). Diese beiden Berichte stellen innerhalb der Stichprobe Extremfälle dar. Die Reaktionspalette ist bei den anderen fünf Befragten, die sich über TV-Regel-
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verstöße ärgerten, schmäler, nur einzelne der oben genannten Reaktionen werden genannt. So wird vor allem diskutiert, argumentiert, oder man ist böse, wenn zum Beispiel der Wunsch nach gemeinsamer Fernsehzeit unerfüllt bleibt. Derartige Situationen sind nicht einmalig, und möglicherweise ist es eine Folge von solchen Ärgersituationen, dass die Befragten Strategien entwickeln, um den Ärger gar nicht erst (wieder) aufkommen zu lassen, ihm sozusagen vorzubeugen (vgl. auch Fall 4 in Pkt. 12.3.6 ‘Geringschätzung…’). So berichtet eine Befragte, sich schon häufiger gewünscht zu haben, mit ihrer Freundin (Mitbewohnerin) bestimmte Sendungen zu sehen. Zuweilen ärgerte sie sich, wenn der Wunsch unerfüllt blieb, und eine „Strategie ist vielleicht schon, dass wir sagen: ‘Na ja, dann gucken wir jetzt das, und danach gehen äh wir dann auch ins Bett’. Also wir haben das praktisch schon vorher so verabredet“ (Fall 17).
Verstöße gegen solche Verabredungen kommen vor, das heißt, insgesamt bleiben die ärgerträchtigen Situationen nicht einmalig, sie kehren wieder, aber vermutlich seltener als unter ‘strategielosen’ Bedingungen.
12.3.4 Das eigene Fernsehverhalten Sechs Befragte äußern Ärger über ihr eigenes Fernsehverhalten. Dazu zählt das zu häufige Fernsehen (2 Fälle), das Hängenbleiben an Sendungen (3 Fälle)160 und das Zappen mit der Folge, den Zeitpunkt der Filmfortsetzung zu versäumen (1 Fall). ZU HÄUFIGES FERNSEHEN. Zwei Befragte hatten berichtet, sich über sich selbst zu ärgern, wenn sie nach eigener Einschätzung zu häufig fernsehen. Konkreter: Hat man sich vorgenommen, Sport zu treiben und sieht stattdessen fern – so Fall 10 –, oder verbringt man eine Lernpause am Nachmittag damit, sich Serien anzusehen – wie im Fall 19 –, dann kommt Selbstärger auf. Es ist so, dass die Befragten sich nicht gut dabei fühlen: „Dann ist nicht so gut“ oder sich „leicht“ belastet fühlen (beide Zitate von Fall 10). Auch Selbstkritik ist möglich, wenn zum Beispiel nicht Sport getrieben, sondern ferngesehen wurde: „Also es ist schon manchmal das Gefühl, ähm ja das war jetzt nicht so gut von mir, und ich hätte was anderes machen können, vor allem Sport und so“ (Fall 10). 160 Es gibt einen Fall, der sich nicht ärgert, wenn er einen Film zu Ende gesehen hat, der enttäuschend endete. Vgl. dazu Pkt. 11.3.4 ‘Das eigene Fernsehverhalten’, Anmerkung 125, Fall 9.
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Die Befragten berichten keine weiteren Reaktionen. Dies bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass im Interview keine weiteren Reaktionen wahrnehmbar sind. Die Reaktionen können sich nämlich im Verlauf des Interviews vollziehen, sozusagen situationsimmanent, und deshalb werden die Reaktionen als solche nicht von den Befragten benannt. Zu fragen ist also: Welches Verhalten zeigen die Befragten im Interview? Könnte das Verhalten auch in der Fernsehsituation stattfinden, oder bleibt es allein auf die Interviewsituation beschränkt? Wie ist das Verhalten aus methodischer Sicht zu bewerten (sozial erwünscht)? Es folgt ein Blick in die Interviews. Die Befragte, die sich in ihrer Lernpause Serien ansieht, macht sich Gedanken, analysiert und bewertet die Situation und die Sendungen. „Grade so diese Serien am Nachmittag ‘Verboten Liebe’ und ‘Marienhof’ denke ich: ‘Das muss eigentlich nicht sein’, weil, ja weil ich halt denk: ‘Das ist kein hoher Bildungswert, den man sich da zulegt’“ (Fall 19).
Die Befragte fügt sogleich die Rechtfertigung an: „Es ist halt n bisschen Entspannung und ja dass man mitreden kann“ (Fall 19).
Dann zeigt sich erneut die kritische Haltung, wonach das „aber eigentlich auch was [ist], was 15-jährige Mädchen machen“ (Fall 19).
Allein die Einsicht (Kognition) kann die Befragte also nicht vom Sehen der Serien abhalten, die Einsicht fördert oder bedient möglicherweise (eher) den Konflikt. Schließlich wird die Hinwendung zum Fernsehen begründet: „Aber es ist hat dann auch n Suchtfaktor, so. Dass man in diesen Geschichten dann drin bleibt“ (Fall 19).
Die Begründung des Befragten, der sich gegen Sporttreiben und für Fernsehen entscheidet, lautet: „Ist einfach so fürchterlich bequem. Das ist so total bequem“ (Fall 10).
Betrachtet man die Aussagen der beiden Befragten weiter, dann zeigen sich in beiden Interviews emotional getönte Motive, die die Hinwendung zum Fernsehen beeinflussen. So beschreibt die Studentin, wie sie dazu kam, die Serien zu verfolgen. Angefangen habe es mit einer Mitbewohnerin, die gerade ihr Examen machte. „Das war dann so, haben wir uns zusammen immer vorn Fernseher gesetzt, n Käffchen getrunken und diese Serien geguckt. Das war eigentlich das, was wir auch so geteilt haben“ (Fall 19).
Ähnlich formuliert es der andere Befragte:
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In beiden Passagen zeigt sich die positive Seite wie ‘sich wohl fühlen’ und ‘Gemeinsamkeit’ beim Fernsehen. Dies könnte – wenigstens zum Teil – erklären, warum sich die Befragten nicht allein von medienkritischen Argumenten (Vernunftebene) leiten lassen. Dass sie die positive Seite, den Situationsgewinn darstellen, spricht meines Erachtens gegen ein rein sozial erwünschtes Antwortverhalten. HÄNGEN BLEIBEN. Drei Befragte reagieren mit Selbstärger, wenn sie – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – eine Sendung bis zum Ende verfolgen, die sie dann als ‘nicht gut’ bewerten. Alle drei Befragten bedauern die Zeit, die sie durch das Sehen der Sendung verbracht haben, besonders ärgerlich ist es, wenn man „wusste, so und so gehts aus, und man hat…trotzdem die ganze Zeit da verbracht“ (Fall 20).
Bei einer Befragten wird deutlich, dass sie ihre Motive nicht erfüllt sieht, und dies hinterlässt auf der Gefühlsebene, „dass ich dann Mühe habe, richtig befriedigt zu sein, ja?!“ (Fall 4)
Dies drückt sich – wie bei den anderen Befragten auch – in Gedanken aus: „Wo ich auch denke: ‘Das hättste auch anders machen können’“ (Fall 4),
oder im Wortlaut einer anderen Befragten: „‘Das war nun gar nicht nötig. Schade um die Zeit“ (Fall 6).
Die Reaktion eines anderen Befragten trägt Züge des Schimpfens, wenn er „denkt: ‘So, was für n Schwachsinn haste dir jetzt die letzten drei Stunden da angetan’“ (Fall 20).
Ob darin ein leichter Selbstvorwurf aufscheint, ist schwer zu entscheiden. Was auffällt, ist, dass die Befragten die Situation mit dem Gedanken abschließen: „Es war dann nicht so schlimm“ (Fall 20), „Morgen ist auch noch n Tag“ (Fall 4) oder: „Nee, so wichtig ist es nicht“ (Fall 6). Der Ärger wird vergessen. KEINE WEITEREN ÄRGERKONSEQUENZEN; ERKLÄRUNGSVERSUCHE. Die Frage, ob Konsequenzen aus dieser Erfahrung gezogen werden, verneint eine Befragte „Nee, so lernfähig bin ich nicht“ (Fall 6). Man lässt die Situation also auf sich beruhen, was daran liegen mag, dass sie nicht so wichtig genommen wurde. Wie kommt es, dass sie nicht so wichtig genommen wurde, dass der Ärger nicht größer war und die Befragten ihr Verhalten nicht ändern? Die Interviews geben Hinweise. Ein Befragter führt einen Persönlichkeitszug an. Es ist die tugendhafte
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Haltung, wonach man zu Ende bringen sollte, was man angefangen hat, oder mit seinen Worten: „Wenn ich einmal so ne, so ne Geschichte irgendwie angefangen hab oder so was, dann möchte ich auch wissen, wies zu Ende geht (I: mhm). [Etwas später:] Erst im Nachhinein kann mans dann vollständig beurteilen“ (Fall 20).
Eine andere Befragte weist auf die persönlichen Begleitumstände hin: „Es kommt ja immer aus der Situation heraus, ne, wie, wie und wodurch lässt man sich ablenken? Oder wie- was-, es ist auch bei dir selber, ne: Bist du müde? Bist du erschöpft? Oder hast keine Lust mehr eigentlich für andere Dinge, ne, und lässt dich nur zu gerne durch irgendwas ablenken, ne (I: mhm), vielleicht weil das andere auch nicht so ganz angenehm ist, was du da noch machen willst, musst oder so, ne [I: ja; beide lachen]. Das ist sehr unterschiedlich“ (Fall 6).
So gesehen gibt es einen subjektiven Gewinn daraus, hängen geblieben zu sein. Noch etwas könnte eine Rolle spielen: Es ist das Verhältnis der Häufigkeiten von schlechten und guten Fernseherlebnissen durch das Hängenbleiben. So ist es möglich, dass man sich am Ende freut, einen Film, wenn auch unbeabsichtigt, gesehen zu haben. Wäre man nicht zufällig auf den Film gestoßen und wäre nicht hängen geblieben, so kann es sogar ärgerlich sein, wenn man später erfährt, etwas Interessantes verpasst zu haben (vgl. Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige’, Absatz zu ‘Verpasste Sendung’, Fall 6). ZAPPEN UND DEN BEGINN DER FILMFORTSETZUNG VERSÄUMEN. Eine Befragte ärgert sich, wenn sie zappt und dadurch den Zeitpunkt der Filmfortsetzung verpasst. Sie ärgert sich, weil sie es normalerweise nicht mag, wenn jemand in einer Filmunterbrechung mit der Fernbedienung durch sämtliche Programme schaltet. Sie selbst schalte „höchstens vielleicht mal von RTL auf ProSieben oder so, aber nicht alles durch“ (Fall 15). Wenn sie dann selbst dabei nicht rechtzeitig zum Ausgangsprogramm zurückschaltet, ärgert sie sich. Der Ärger hält nicht lange an, er dauert „nur den Moment“. Was folgt, ist ein kurzes Schimpfen oder Fluchen in Gedanken: „Ich denk halt: ‘Mist, jetzt hats schon angefangen!’“ (Fall 15). Dann wird der Ärger vergessen.
12.3.5 Störungen einer Tätigkeit Zu Störungen einer konzentrierten Tätigkeit kommt es sieben Befragten dieser Studie zufolge, wenn sich verschiedene Personen im Raum aufhalten, und die einen wollen zum Beispiel ruhen, lesen oder telefonieren, während die anderen
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fernsehen wollen. Die Befragten reagieren auf verschiedene Weisen. Bei einer Befragten wird eine Reaktionskette sichtbar. Zunächst setzen Gedanken ein, später folgt eine verbale Äußerung. Auch die anderen Befragten äußern mit Worten ihren Wunsch nach Ruhe. Dies bedeutet nicht immer, dass das Fernsehgerät ausgeschaltet werden muss, sondern die Befragten haben andere Möglichkeiten gefunden, so dass jeder seiner Beschäftigung nachgehen kann. Beginnen wir mit der Befragten, von der zu erfahren war, dass ihrer Intervention eine gedankliche Beschäftigung vorausgeht. y Denken. Das schnelle Schalten durch die Programme (Zappen) bringt viele Geräuschwechsel mit sich. Eine Befragte schildert die Situation, dass sie Zeitung lesen möchte, während andere Anwesende zappen. Die Geräuschwechsel stören sie beim Lesen der Zeitung. „Ich denke dann: ‘Muss man mit aller Gewalt Fernseh gucken? Wenn man nichts findet, auf den ersten Blick so, muss dann man so lange durchzappen, bis man was findet und meint: ‘So, das müsste jetzt-, das kann ich gucken?’“ (Fall 6).
Es ist grundsätzlich vorstellbar, dass es bei solchen Gedanken bleibt, dass die Störung wortlos ertragen wird. Ab einem gewissen Maß, das von Subjekt zu Subjekt variieren dürfte, gehen die Reaktionen über die Gedanken hinaus. „Och manchmal, wenns mir zuviel wird, reagier ich auch“ (Fall 6). Gemeint ist, dass sie die Situation anspricht, dass sie y kommuniziert. Die Befragte sagt den ‘Inhabern’ der Fernbedienung mit einem deutlich auf ihren Ärger hinweisenden Unterton, „ob man sich vielleicht mal für irgendwas entscheiden könnte“ (Fall 6; ähnlich auch Fall 15). Entscheidet sich die adressierte Person für eine Sendung, dann sind die Geräusche weniger wechselhaft, und die Befragte kann sich auf das Lesen konzentrieren. Hier ist also beides gleichzeitig möglich, das heißt, die einen sehen fern, und die Befragte liest Zeitung. Ein anderer Befragter kann nicht lesen, wenn seine Frau gleichzeitig fernsieht. Er bittet seine Frau (Kommunikation), einen y Kopfhörer zu verwenden (Fall 12). Dieser Befragte hat also einen Weg gefunden, sich mit seiner Frau im selben Raum aufzuhalten, und beide können je verschiedene Tätigkeiten unbeeinträchtig ausüben (z.B. er liest, sie sieht fern). y Ist ein zweites Fernsehgerät im Haushalt vorhanden, dann besteht die Lösung darin, dass die ruhebedürftige Person auf die Alternative – das ist die Nutzungsmöglichkeit des zweiten Fernsehgerätes in dem anderen Raum – hinweist (Fall 11). Gibt es weder ein zweites Gerät, noch einen Kopfhörer oder die Idee, einen zu nutzen, oder werden keine weiteren Möglichkeiten erwogen, dann passiert einigen Befragten zufolge dreierlei:
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y es kommt zu Diskussionen oder Streit (Fälle 7, 11), y es gibt die Bitte, das Fernsehgerät auszuschalten (Fall 17), oder y der oder die Ruhesuchende verlässt den Raum (Fall 14). 12.3.6 Geringschätzung und Missachtung Zurückgewiesen und missachtet kann sich fühlen, wer beim Fernsehen etwas sagen möchte, und die adressierte Person unterbindet abrupt das Wort. Ärger ist die Folge. Dasselbe kann geschehen, wenn Gastgeber oder Anrufer ein Fernsehgerät – wenn auch im Hintergrund – laufen lassen. Im Folgenden werden die Reaktionen dargestellt, die Befragte für diese drei Situationen berichten. REDEWUNSCH VS. REZEPTIONSWUNSCH. Zwei Befragte berichten davon, wie sehr es sie verärgert, wenn ihr Redewunsch von den jeweiligen Ehepartnern zurückgewiesen wird. Der männliche Befragte ärgert sich sehr über die Verletzung der Höflichkeitsregel, wenn seine Frau eine abwinkende Geste macht. Dabei ist das Verletzende für ihn nicht, dass er schweigen soll, sondern es ist die Art des Verhaltens, die ihn verärgert. „Man könnt ja sagen: ‘Moment mal, lass mich grad noch’, das könnt man ja sagen, das wär nicht so unhöflich“ (Fall 9).
Der Befragte y schweigt und ärgert sich still in sich hinein und y ist beleidigt: „Dann bin ich immer n bisschen beleidigt oft“ (Fall 9). Eine andere Befragte (Fall 4) erlebt Ähnliches, das Redeverbot durch ihren Mann macht sie „wahnsinnig“ und „wütend“ (Fall 4). Da dies keine einmalige Situation ist, sondern es eine langjährige gemeinsame Fernseherfahrung gibt, haben sich verschiedene Reaktionsformen entwickelt, dies sind: y Ganz böse werden, y Beschimpfen des Ehemannes, das heißt, die Befragte zeige ihren Ärger offen. Das Beschimpfen helfe meist nicht, der Mann zische zurück. Deshalb beschimpfe sie ihn nur noch manchmal. Auch das y Argumentieren hat nicht weitergeführt: „Ja gut, also ich hab schon immer mal versucht zu sagen, dass das so wichtig nicht sein kann, das, was da gesehen wird, und dass man das ja auch jederzeit wieder bei einer neuen Nachricht sehen kann, also wenns die Tagesschau betrifft, dass es also in der Zeitung kommt, dass einem da überhaupt nichts entgeht. Aber das interessiert ihn dann eigentlich gar nicht“ (Fall 4).
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Das Ziel bei der Argumentation ist letztlich nicht, den Ehemann insofern zu verändern, dass er sich nicht mehr gestört fühlt durch ihre Wortäußerungen oder dass er den Fernsehinhalt nicht mehr so wichtig nimmt. Wichtig ist der Befragten, Achtung zu erfahren. Das heißt, wenn der Ehemann „sagen würde: ‘Ich war vorhin ungehalten, ich habe dir das Wort abgeschnitten’, dann würde ich mich geachtet fühlen in der Situation, und dann wäre das gegessen, dann wäre das egal“ (Fall 4).
Sie berichtet weitere Reaktionsweisen: y Still vor sich hin ärgern ist die Verhaltensweise, die sie meistens mache, sowie y Ablenkung suchen. Es könne sein, dass sie die Ablenkung außerhalb des Fernsehraumes suche (Raum verlassen) oder dass sie sitzen bleibe und sich durch den Fernsehinhalt den Ärger wieder „‘runtercoolen“ lasse (Fall 4). y Verdrängen des Ärgers. Ablenkung kann der Befragten helfen, aber nicht immer kann sie den Ärger (dann) vergessen. Dann nämlich, „wenn ich mich heftig geärgert hab, muss ich mich anstrengen, den Ärger zu vergessen. Bin eher so ein nachtragender Mensch, und ähm, wenn ich mich geärgert habe, muss ich mich bemühen, das zu verdrängen“ (Fall 4).
y Arrangieren mit der Situation. Da das Verhalten des Ehemannes unabänderlich ist, habe die Befragte versucht, sich mit der Situation zu arrangieren. Dies bestehe darin, dass sie auf den Wunsch des Ehemannes Rücksicht nehme und das Grundproblem, nämlich die Missachtung, zumindest beim gemeinsamen Fernsehen nicht mehr so hoch bewerte. (Denn) sie habe festgestellt, dass Kränkungen derselben Art auch in anderen Situationen häufiger vorkommen würden, und dass sich andere Situationen besser als die Fernsehsituation eignen würden aufzubegehren. „Sagen wir einfach,…es ist es nicht wert, so zu sehr aufgewertet zu werden als Problem. Das Grundproblem ist ja, dass man den anderen nicht gelten lässt, wenn man ihm über n Mund fährt, ne. Es ist im Prinzip eine Missachtung. Und die passiert ja nicht nur da [während des Fernsehens], die passiert ja auch in anderen Bereichen. Und es gibt bessere Gelegenheiten für mich, darauf hinzuweisen und äh es auszudiskutieren“ (Fall 4).
Somit ist dieser Konflikt nicht spezifisch für die Fernsehsituation, sondern sie ist einer von mehreren Austragungsorten für diesen Konflikt. Damit zeigt sich erneut das Phänomen, dass Fernsehen ein Auslöser für Konflikte in der Ehe oder
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Familie sein kann, deren Ursachen in der Regel woanders liegen (vgl. auch die Abschnitte 11.3.2 ‘Programmvorlieben…’, 11.3.7 und 12.3.7 beide: ‘Sonstige’). Im Falle der Befragten ist das Problem für die Fernsehsituation zwar nicht grundsätzlich gelöst, aber „im Laufe der Jahre, da entwickelt man für sich selber auch Strategien, dass man eben das nicht mehr so dicht an sich ranlässt, ne, dass es einen nicht mehr so heftig ärgert“ (Fall 4).
Wenn sich indes die Situation ereigne, stehe der Abend unter einem nicht so guten Licht, wenn sie sich geärgert und es nicht geäußert habe, sondern es still in sich getragen habe. Der Abend sei im Allgemeinen dadurch belastet. BESUCHSSITUATION. Ist man zu Besuch und die Gastgeber stellen oder lassen das Fernsehgerät an, dann ist das ein Verhalten, worüber sich einige Befragte ärgern. Um eine vergleichbare Situation handelt es sich für jemand, der einen Anruf erhält, und die anrufende Person lässt im Hintergrund das Fernsehgerät lautstark laufen. Bei der Analyse der Reaktionen in der Besuchssituation fällt auf, dass die Befragten ihre Reaktionen an der Art oder dem Zweck des Besuchs orientieren. So gibt es Besuche, denen eine Einladung vorausgegangen ist und die dem geselligen Zusammensein dienen sollen. Dann gibt es Besuche, bei denen es darum geht, dass man etwas auf dem Herzen hat und eine Person aufsucht, mit der man das Problem besprechen möchte. Schließlich erfolgen manche Besuche aus beruflichen Gründen, so etwa, wenn eine Berufsbetreuerin ihre Klienten oder ein Pfarrer seine Gemeindeglieder besucht.161 Die Befragten reagieren wie folgt: y Nichts sagen, sich still ärgern (Gedanken). Drei der fünf Befragten äußern ihren Ärger nicht, wenn sie zu Besuch sind und die Gastgeber lassen das Fernsehgerät laufen. Ein Befragter sagt: „Dann denk ich mir meinen Teil“ (Fall 9). Hier beziehen sich die Befragten auf eine private Besuchssituation, die zum Zwecke des gemütlichen Beisammenseins arrangiert wurde. Für die private Situation orientieren sich die Befragten in ihrem Verhalten im Allgemeinen an der Regel: „Ich bin ja bei ihnen zu Besuch, und da muss ich mich ja anpassen“ (Fall 11).
161 Denkbar sind freilich auch andere beruflich bedingte Besuche, wie etwa durch Versicherungsvertreter, Ärzte beim Hausbesuch und so fort. Diese Fälle kommen in der Stichprobe nicht vor. Im Sinne eines beruflichen Besuchs kann auch die Interviewsituation verstanden werden. Bei keinem der Befragten, die ich zum Interviewen zu Hause aufsuchte, war ein Fernsehgerät eingeschaltet.
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y Darum bitten, das Gerät auszuschalten. Wie sich zeigt, bitten die Befragten eher dann darum, dass das Gerät ausgeschaltet werden möge, wenn es ein Besuch aus beruflichen Gründen ist. Dem berufsbedingten Besuch wohnt eine Triftigkeit inne. Deshalb erlauben sich diese nicht-privaten Besuchspersonen, die Bitte um ungeteilte Aufmerksamkeit auszusprechen. Nun gibt es in der Stichprobe eine Befragte, die ihre Freundin bat, das Gerät auszuschalten. Dies ist zwar eine private Besuchssituation, doch ihr Zweck unterscheidet sich von dem Besuch aus geselligem Anlass, der Zweck ist eher vergleichbar mit dem, der dem Besuch aus Berufsgründen zugrunde liegt. Zum einen suchte sie die Freundin auf, weil sie aus triftigen persönlichen Gründen mit ihr reden musste. Zum anderen ist es die Seltenheit oder zeitliche Knappheit des Besuches, die für sie rechtfertigen, sich von der Freundin die volle Aufmerksamkeit zu wünschen. „Also wenn ich jetzt einfach so heute zu jemand kommen würde, würde es mich vielleicht nicht so stören, aber neulich Abend war ich mal nach der Arbeit bei meiner Freundin, und da lief das Fernsehen, und ich wollte mal reden, und da kam irgendwas [im Fernsehen], und da hab ich dann schon gesagt: ‘Mach doch das jetzt mal aus!’. Weil [spricht lauter] WENN ICH MAL DA BIN (I: mhm), LÄUFT DAS DING DA oder was! (I: ja). Aber so-, wenn…man sich dann schon mal sieht, weil man hat ja im Prinzip überhaupt keine Zeit mehr (I: ja), dann find ichs halt schon besser, wenn es aus ist, es sei denn, man sagt halt wirklich abends mal: ‘Ja, du kommst zu mir, und wir gucken mal eine Runde Fernseh (I: Ja. Ja.). Aber wenn man jetzt wirklich halt nur DIE halbe Stunde nach der Arbeit mal Zeit hat, mal kurz hinzufahren, dann halt nicht (I: mhm, mhm)“ (Fall 15).
y Gefühl. Eine Besuchsform ist der Familienbesuch. So beschreibt eine Befragte, wie sie zusammen mit ihrem Mann dessen Eltern besuchen. Diese schalten regelmäßig um zwanzig Uhr das Fernsehgerät ein. Anfangs fühlte sich die Befragte dadurch unwillkommen, missachtet und deshalb sehr verärgert, und sie wurde wütend, sie fühlte sich gekränkt, beleidigt: „Und ich fühl mich richtig beleidigt“ (Fall 11). Die Befragte äußerte diesen Ärger gegenüber den Schwiegereltern nicht, weil sie sich an die Hausregeln der Gastgeber anzupassen pflegt. Stattdessen kam es zum y Reden mit Dritten. Sie besprach die Situation später mit ihrem Mann, der in dem Fernsehverhalten seiner Eltern keinen Affront gegen sie als Schwiegertochter sah. Seine Eltern seien so. y Alternativbeschäftigung. Nun wiederholten sich diese Familienbesuche und damit auch der Tagesablauf. Für die Befragte sei es auch noch nach vielen Jahren der Erfahrung mit den Schwiegereltern unangenehm und ärgerlich, wenn diese das Fernsehgerät einschalten, obwohl Besuch im Hause ist. Daher habe die Be-
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fragte Strategien entwickelt, um der Situation zu entkommen. Sie denke bereits vor den Besuchen über Ausweichmöglichkeiten nach, das heißt darüber, welcher Alternativbeschäftigung sie nachkommen könne, wenn die Schwiegereltern das Fernsehgerät einschalten. So sagt sie den Schwiegereltern zum Beispiel, dass sie in ein anderes Zimmer gehe und lese, oder dass sie Bekannte im Ort besuche, oder spazieren gehe (mit ihrem Mann) „und solche Dinge und versuche abzuhauen“ (Fall 11). TELEFONSITUATION: Eine Befragte der Stichprobe schilderte die Situation, dass eine Anruferin das Fernsehgerät während des Telefonats im Hintergrund lautstark laufen ließ. Die Befragte sei darüber verärgert. Sie fühle sich y beleidigt, gekränkt (Gefühl): „Ich bin dann richtig beleidigt, ne“ (Fall 11). Die Befragte versucht, die Situation zu verändern und richtet an die Anruferin die y begründete Bitte (Kommunikation): „‘Och, ich kann dich so schlecht verstehen, stell doch mal den Ton leiser’ (Fall 11).
12.3.7 Sonstige Die Kategorie Sonstige umfasst fünf Anlässe: Lärmbelästigung durch ein zu lautes Fernsehgerät des Nachbarn, extremer Fernsehärger einer anderen Person, Beschneidungen von Entwicklungsmöglichkeiten und Autonomie, ungleiche Rechte (Fernsehen ist hier ein Austragungsort von Beziehungsfragen) sowie Sachtückenärger (technische Geräte funktionieren nicht). Folgende Reaktionen werden berichtet: y Die Sache auf sich beruhen lassen. Von Ärger über ein zu lautes Fernsehgerät des Nachbarn berichteten zwei Befragte. Beide hatten sich entschieden, nicht einzugreifen, dem jeweiligen Nachbarn von dem Ärger nichts zu sagen und ihn nicht darum zu bitten, das Gerät leiser zu stellen. Bei beiden Befragten – sie sind einander unbekannt –, ist der Nachbar ein alter Mann. Die Befragten nennen verschiedene Begründungen für ihre Entscheidung, sich nicht zu beschweren. Einmal führen sie die altersbedingte Situation des Mannes an, die die Befragten mitfühlend bewerten. Außerdem entlasten sie den Mann durch die Auffassung, dass das Haus hellhörig sei und außerdem der Ärger im Grunde nicht zu groß sei. „Der ist halt über achtzig, und da, weiß nicht, kann man halt auch nicht so viel machen“ (Fall 19). „Alte Mann ist,…der wohl sonst auch gar nicht mehr Fernsehen könnte #…# also ist, glaub ich, auch relativ hellhörig so im Haus also (I: mhm, mhm). Dann ja also ärgern wir uns schon darüber, aber dann auch nicht so, dass wir jetzt sagen würden jetzt, er soll den Fernseher jetzt leiser stellen #…# das Einzige, was er noch hat“ (Fall 17).
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Ein Befragter hat sich über den aus seiner Sicht extremen Fernsehärger seiner Freundin geärgert. Konkrete Reaktionen für solche Fernsehsituationen berichtet er nicht, wohl aber, dass er inzwischen nicht mehr mit dieser Freundin liiert sei. Bei der Trennung dürfte ihre Neigung zu starken Reaktionen eine Rolle gespielt haben, denn sie zeigten sich nicht allein beim Fernsehen, sondern „auch sonst so…also solche cholerischen Wutausbrüche sind mir fremd, also, in hohem Maße“ (Fall 18). Wenn also nicht nachvollzogen werden kann, weshalb sich eine Person so stark ärgert, und wenn (deshalb) das aufbrausende, gereizte Verhalten als unangemessen empfunden und grundsätzlich abgelehnt wird, dann kann das zur eigenen Verärgerung führen mit der Folge, dass man solchen Situationen (oder Menschen) entkommen möchte. Dies ist nicht spezifisch für Fernsehärger, wie z.B. aus Neurotizismus-Studien bekannt ist. Ein anderer Anlass für Ärger ist die Beschneidung von Entwicklungsmöglichkeiten und Autonomie. Darin beschnitten fühlten sich zwei Befragte, die eine, weil ihre Freundin gegen ihren Willen durch die Programme zappt, die andere, weil sie in der Zeit, als sie Schülerin war, Nachteile dadurch hatte, dass ihre Eltern das Fernsehen ablehnten und deshalb keines kaufen wollten. Die Befragte, deren Freundin zappt, ärgert sich zwar, richtet aber zugleich ihre Aufmerksamkeit auf die Fernsehinhalte. So geht es zwischen den beiden Freundinnen darum, welches Programm interessant sein könnte (vgl. 12.3.2 ‘Programmvorlieben…’). Die Befragte, deren Eltern das Fernsehen ablehnten und verboten haben, benennt deutlich die Hilflosigkeit und Wut, die sie gegenüber den Eltern empfunden hatte. Weitere Reaktionen berichtet sie nicht (und die Interviewerin hat sie nicht erfragt). Was also mit der Wut geschah – etwa Reden mit Dritten, Aufbegehren gegen die Eltern, die Wut in sich tragen, heimlich Fernsehen – bleibt verborgen. Einige Konflikte, die sich beim Fernsehen zeigen, sind weniger fernseh- als vielmehr beziehungsbedingt, Fernsehen ist hier der Austragungsort von Beziehungsfragen. In einem Fall (Fall 5) geht es um ungleiche Rechte. Weil es bei der Befragten besonders die Reaktionen sind, die die Ungleichheit zum Ausdruck bringen, wurde der Anlass mitsamt den Reaktionen bereits in Punkt 11.3.7 ‘Sonstige’ dargelegt. Da dort der Fall ausführlich dargestellt ist, werden hier der Ärgeranlass und die Reaktionen knapp zusammengefasst. Die Befragte ärgert sich darüber, dass der Ehemann sich ein Verhalten zugesteht, das er der Befragten nicht zugesteht. Das Grundthema sind die ungleichen Rechte, ist die Ungerechtigkeit. Als Beispiel nennt die Befragte die Situation, dass beide fernsehen und das Telefon klingelt. Das Gespräch ist für den Mann. Er bleibt im Fernsehzimmer (Wohnzimmer) und stellt das Fernsehgerät leise oder möchte, dass seine Freundin den Ton abstellt. Die Befragte hingegen
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
265
müsse das Fernsehzimmer verlassen, wenn sie ein Telefonat erhalte. Sie reagiert auf den Mann wie folgt: y Auffordern, den Raum zu verlassen. Die Befragte fordert ihren Mann auf, das Gespräch an einem anderen Ort zu führen. Allerdings mache sie das nur „manchmal“. y Rache (‘Zurück-Ärgern’). Dieses Verhalten wähle die Befragte „meistens“ (Fall 5). Sie tut etwas, das der Mann nicht mag, das ihn ärgert: Sie raucht eine Zigarette auf der Terrasse, was er vom Wohnraum aus sehen kann. y Bestrafen. Am Ende des Telefongesprächs erkundigt sich der Mann nach dem Verlauf des Films. Diese Auskunft kann sie ihm nicht geben, weil das Fernsehgerät leise gestellt war oder weil sie auf der Terrasse ihre Zigarette geraucht hat und den Film deshalb nicht sehen konnte. Sie gibt ihm dann mit einem deutlichen Unterton zu verstehen, dass sie ihm den Filmverlauf nicht erzählen könne. Der entgangene Inhalt ist die Strafe für ihn, für die Befragte wurde er ein Sanktionierungsmittel, und so bedauere sie es nicht, den Film versäumt zu haben. Dies mache sie – wie gesagt – nicht immer so, bisher aber wohl meistens. Beim Sachtückenärger ärgern sich die Befragten über nicht funktionierende Geräte. Wie man dann reagiert, wurde in den Interviews nicht vertieft. Es muss gehandelt werden, und was zu tun ist, dürfte klar sein: Das Gerät muss repariert oder erneuert werden.
12.3.8 Die Reaktionen im Überblick und Fazit Im Folgenden werden die Reaktionen auf den Ärger rund ums Fernsehen im Überblick dargestellt. Dabei sind sie in acht Kategorien gefasst. Auch hier gilt, was bereits in Abschnitt 12.2.8 für die tabellarische Darstellung als auch für die Interpretation der Kategorien und Anzahl der Nennungen angemerkt wurde: Tabelle: In der folgenden Tabelle sind die Reaktionen mit Beispielen und Anzahl der Nennungen zusammengestellt. Darüber hinaus enthält die Tabelle Ziffern (in Klammern), die auf die jeweilige Ärgerquelle verweisen und zugleich auf den Abschnitt, in dem die betreffende Reaktion zur Sprache gekommen ist. Interpretation. Es kann in einer Ärgersituation zu verschiedenen Reaktionsweisen gleichzeitig kommen, oder es kann – etwa wenn eine Ärgersituation sich wiederholt oder ähnlich wie eine andere ist – mal diese, mal jene Reaktion auftreten. Insofern sind die Kategorien nicht grundsätzlich als Alternativen zu verstehen. Außerdem ist denkbar, dass die Befragten im Interview nur einen Teil ihres Verhaltensrepertoires berichtet haben. Dies ist beim Blick auf die Tabelle zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund soll die folgende Tabelle betrachtet werden.
43
Kommunikation: an den Verursacher gerichtet y Bitten um Ruhe: höflich, freundlich; strenger, mit Unterton auffordern (1, 5, 6) y Bitten, Raum zu verlassen (7) y Bitten um Programmwechsel (2) y Klagen (2), Meckern (1, 2), Schimpfen (1, 6), Leichtes (4) oder lautes (3) Schimpfen y Streitigkeiten (kleinere) (3, 2, 5) y Argumentieren (3, 6), Sich-Erklären (3), Kompromisssuche (z.B. Fernsehzeiten) (2, 3, 5) y Drohen (3) y Abwinkende Geste (nonverbale Kommunikation) (1) y Wortloser Blick (1), Schmollen (3) (nonverbale Kommunikation) (1) Kommunikation: im sozialen Umfeld y mit Dritten reden (6)
3
*Mehrfachnennungen
20
Gedanken / Situationsanalyse y Fluchen (4) oder Schimpfen in Gedanken (1), kurzes Schimpfen (4) y Sich Gedanken machen, Analysieren und Bewerten des eigenen Verhaltens (4, 7) y Bewerten des Verhaltens der anderen (5) y Perspektive des anderen bedenken (3) y Sich selbst kritisieren oder vor sich selbst rechtfertigen (4) y Konsequenzen bedenken (3) y Ärger aktiv loswerden wollen durch ‘Sich-gut-Zureden’ (6)
2
23
Gefühlsbezogen oder gefühlsähnlich y Stimmungsverschlechterung, Unlust (1) y Beleidigt sein (6) y Sauer, unwirsch werden (1), Böse werden oder sein (1, 3,) ganz böse sein (6), wütend sein (7,3) y Nicht gut fühlen (4) y Bedauern der vor dem Fernsehschirm verbrachten Zeit (4) y Hilflosigkeit (7)
*
1
Tabelle 16: Reaktionen bei Ärger rund ums Fernsehen
7
2 3 4 5 6
1
Rezeptionsstörungen, Krach / Unruhe Programmvorlieben TV-Regelverstöße Eigenes TV-Verhalten Störung Tätigkeit Geringschätzung, Missachtung Sonstiges
Die in Klammern genannten Ziffern beziehen sich auf folgende Ärgerquellen:
22
15
3 5 5
4 Medienverhalten oder -ausstattung ändern y 2. Gerät nutzen (1, 5), Anschaffung (erwägen) (2, 3), Satellitenschüssel installieren (3) y Kopfhörer nutzen (5) y Raum verlassen und Alternativbeschäftigung (2, 5, 6,7) y Fernsehzeiten vereinbaren (2) y TV ausschalten y Verhindern, dass jemand fernsieht, z.B. dem Fernsehenden das Fernsehgerät ausschalten (3), Batterien aus Fernbedienung entfernen (3)
5 Passiv bleiben y Schweigen und Ärger in sich hineinfressen, in sich hineinärgern (1, 6) y Vor sich hinmeckern (3) y Bagatellisieren (1) y Hinnehmen: arrangieren mit Situation (6), uninteressiert mitgucken (2), nichts sagen und Verständnis aufbringen (z.B. älterer Herr als Nachbar) (7)
6 Ablenkung / Kompensation des Ärgers y Rauchen, Kaffee kochen (3) y Ablenkung suchen durch TV oder andere Tätigkeiten (6)
7 Ärger vergessen y Ärger vergessen (4)
8 Sonstiges y Bestrafen (7), Klaps (Hund) (1) y Rache (7) y Strategien zur Ärgervorbeugung für den Fall des Wiederauftretens des Ereignisses
*Mehrfachnennungen
*
Tabelle 16 (Fortsetzung): Reaktionen bei Ärger rund ums Fernsehen
7
2 3 4 5 6
1
Rezeptionsstörungen, Krach / Unruhe Programmvorlieben TV-Regelverstöße Eigenes TV-Verhalten Störung Tätigkeit Geringschätzung, Missachtung Sonstiges
Die in Klammern genannten Ziffern beziehen sich auf folgende Ärgerquellen:
268
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
Für die Reaktionen ergibt sich gemäß der Anzahl ihrer Nennungen die folgende Reihenfolge: Tabelle 17: Reaktionen bei Ärger rund ums TV mit Anzahl der Nennungen Kommunikation 43 Gefühl 23 Medienverhalten 22 Gedanken / Situationsanalyse 20 Passiv bleiben 15 Sonstige 5 Ärger vergessen 5 Ablenkung / Kompensation des Ärgers 3 Unter dem eingangs formulierten Vorbehalt sollen die Tabellen 16 und 17 nun besprochen werden. Die meisten Nennungen entfallen auf die Kategorie Kommunikation. Höflich oder in strengerem Ton wird das Unterlassen einer Störung eingefordert. Es wird geschimpft, geklagt, argumentiert, auch gestritten und gedroht. Ferner kommt es zu nonverbalen Formen wie ein viel sagender Blick, ein Schmollgesicht oder eine deutliche Geste. Die Kommunikation geht aber auch über die Fernsehsituation hinaus. So werden etwa die familiären Probleme, die mit Fernsehen einhergehen können, mit Dritten besprochen. Die zweithäufigsten Nennungen enthält die Kategorie Gefühl. Die Reaktionen auf dieser Ebene – hierauf wurde schon häufiger hingewiesen – können zugleich den Ärger auslösen wie auch begleiten oder auf ihn folgen. So geht mit dem Ärger rund ums Fernsehen zum Beispiel eine Stimmungsverschlechterung und Unlustreaktion einher. Ferner äußern Befragte, beleidigt oder böse und wütend zu sein, auch das Gefühl der Hilflosigkeit wird angesprochen. Gemäß der Anzahl der Nennungen steht an dritter Stelle das Medienverhalten. Befragte versuchen Konfliktsituationen zu lösen, indem sie die Medienausstattung ändern. Wollen verschiedene Haushaltsmitglieder verschiedene Sendungen sehen, hilft ein zweites Fernsehgerät. Wollen sie sich im selben Raum aufhalten, und eine Person möchte zum Lesen eine ruhige Umgebung, während die andere fernsehen möchte, so hilft es, einen Kopfhörer zu nutzen. Scheiden diese Möglichkeiten aus, dann kann die fernsehuninteressierte Person den Raum verlassen oder dafür sorgen, dass die andere Person nicht fernsieht. Das gedankliche Geschehen ist dabei rege. Die verärgerte Person bewertet das Verhalten der sie ärgernden Person wie auch ihr eigenes. Es wird innerlich
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
269
geschimpft und verhandelt, und man versucht, den Ärger loszuwerden, indem man sich selbst gut zuredet. In diesen Reaktionen sind antagonistische Züge erkennbar (z.B. Abwertungen von Personen; vgl. Tabelle 2 in Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’, S. 91). Nicht immer wird der Ärger geäußert. Passiv bleiben einige Befragte insofern, als sie die Situation bagatellisieren, hinnehmen und sich (still) arrangieren. Einige fressen den Ärger in sich hinein, was als antagonistische Reaktion verstanden werden kann. Zuweilen wird Verständnis für den Störer aufgebracht, so etwa im Falle eines alten, hörgeschädigten Nachbarn. Fünf Fälle ergreifen sonstige Maßnahmen gegen den Störer. Sie bestrafen ihn oder rächen sich an ihm, und der durch sein lautes Gebell störende Hund erhält einen Klaps. Auch hier sind antagonistische Züge erkennbar. Außerdem berichten Befragte davon, aus Situationen zu lernen und Strategien zu entwickeln, damit bei Wiederauftreten der Konfliktsituation der Ärger gar nicht erst oder nicht ausgeprägt aufkommen muss. Ärger vergessen. Der Ärger rund ums Fernsehen wird zwar auch vergessen, aber je nach Situation dauert das Vergessen des Ärgers länger, es ist mühsamer. Dort, wo es schwieriger ist, den Ärger zu vergessen, kann es hilfreich sein, sich abzulenken oder den Ärger zu kompensieren. Von solchen Verhaltensweisen berichten drei Befragte. Sie suchen etwa gezielt andere Tätigkeiten auf oder sorgen für ihr Wohlbefinden, indem sie etwas (Warmes) trinken oder essen. INSGESAMT ergibt sich, dass die Befragten überwiegend dazu tendieren, die Ärgerursache zu beseitigen oder Wege zu finden, die die Ärgersituation erträglich machen. Formen von Passivität oder Kompensation werden auch, aber weniger häufig erwähnt. Ob so oder so: eine Lösung für eine Ärgersituation findet sich oft nicht ein für allemal, sondern einige Situationen kehren wieder, müssen erneut einer Lösung zugeführt werden, und wieder bleibt es eine Lösung einzig für den Moment. Eher wenige Situationen können als grundsätzlich gelöst gelten. Dies ist etwa dann gegeben, wenn ein Kopfhörer genutzt wird, so dass die eine Person lesen, die andere fernsehen kann, oder wenn sich die Beteiligten vornehmen, sich nicht mehr so sehr an der Ärgerursache zu reiben, ihr weniger Bedeutung beizumessen. Das Fernsehgerät ganz abzuschaffen und damit die Ursache des Übels beseitigt zu haben, hat keiner der Befragten erwogen. Eine Befragte hatte mit der Abschaffung zwar gedroht, doch es war in der akuten Ärgersituation eher eine verzweifelte als eine ernst gemeinte Drohung, und so blieb es bei der Gebärde. Der Ärger ist mitunter intensiv, aber aggressives Handeln bleibt – abgesehen von dem Klaps auf die Hundeschnute – im Allgemeinen aus. Stattdessen wird viel kommuniziert, angefangen von der freundlichen Bitte bis hin zum Streit. Entsprechend wird der Ärger mal besser, mal schlechter vergessen, wohl
270
12 Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen
auch deshalb, weil in einem Streit familiäre Konstellationen und persönliche Eigenschaften verhandelt werden. Eine interessante Reaktion ist, die Konzentration auf die Fernsehinhalte zu richten, um sich von dem Ärger abzulenken. Interessant ist daran die doppelte Eigenschaft der Fernsehinhalte: Einerseits können sie eine ärgerträchtige Gesprächssituation vor dem Fernsehschirm hervorrufen (z.B. ein Rezipient möchte zu einem Mitrezipienten etwas über die Inhalte sagen, der Mitrezipient fühlt sich dadurch beim Verfolgen der Inhalte gestört), andererseits können die Inhalte dazu genutzt werden, sich von dem Ärger (wieder) abzulenken. Welche Bedeutung könnte dem Ärger rund ums Fernsehen zugeschrieben werden? Innerhalb der Studie gab es zwei Extremfälle, bei denen der Ärger rund ums Fernsehen einen großen Raum einnahm. In beiden Fällen handelt es sich um die Auseinandersetzung mit Familienangehörigen, die sehr viel fernsehen (wollten). Der Ärger bringt dort das familiäre Gefüge ins Ungleichgewicht, er ist also sehr zentral. Daneben gibt es Befragte, die – obwohl es regelmäßig zu Ärger rund ums Fernsehen kommt –, den Fernsehärger vergleichsweise weniger wichtig nehmen. Eine Befragte äußert lapidar: „Sonst könnten wir uns gleich scheiden lassen“ (Fall 14). Kapitel 13 wird unter anderem vertieft der Frage nachgehen, unter welchen Bedingungen Fernsehärger mehr oder weniger subjektiv wichtig ist. An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass das Fernsehen neben all seinen von Nutzern gesuchten Eigenschaften auch Konfliktstoff und damit Ärger in die Haushalte bringt. Dies variiert von Haushalt zu Haushalt, und verschiedene Faktoren sind dabei wohl im Spiel. Vielleicht spielt auch die Häufigkeit des Fernsehärgers eine Rolle. Im folgenden Kapitel sollen verschiedene Faktoren näher betrachtet werden, darunter sind auch die Variablen Häufigkeit, Intensität und Dauer des Ärgers.
13 Vertiefungen
13.1 Vergleich der Anlässe und Reaktionen 13.1.1 Anlässe Ein zentrales Interesse in dieser Arbeit ist es herauszufinden, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen dem Fernsehärger als Medienemotion und dem als Alltagsemotion gibt. Hierzu werden die jeweiligen Anlässe und Reaktionen miteinander verglichen. Dabei wird allein die Art der Anlässe und Reaktionen betrachtet. Auf Ausprägungen wie Häufigkeit, Intensität und Dauer gehe ich in Punkt 13.2 ein. Begonnen wird mit den Fernsehärgeranlässen, die in der folgenden Tabelle einander gegenüber stehen. Tabelle 18: Vergleich der Ärgeranlässe Ärger durch TV-Angebote
Ärger durch häusliche TV-Situationen
1. Störung der Rezeption, z.B. • Werbepause
1. Störungen der Rezeption, z.B. • andere reden, machen Krach
2. Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit, z.B. • Sendungen fallen aus • eigene Meinungsbildung wird behindert
2. Programmvorlieben oder die Beschneidung der Eigenständigkeit und Freiheit, z.B. • Anwesende wollen etwas anderes sehen
3. Verstöße gegen allgemeine Normen und Werte sowie gegen persönliche Grenzen, z.B. • anstößige oder unwahre Inhalte • mangelnde Fairness • Gewalt • Persönlichkeitsverletzendes Verhalten von Medienfiguren (´ Geringschätzung)
3. Verstöße gegen persönliche Fernsehregeln und den Wunsch nach ‘Fernsehen als gemeinsamer Aktivität’, z.B. • Was, wann, wie oft wird ferngesehen
272
13 Vertiefungen -- Vergleich der Anlässe
Tabelle 18 (Fortsetzung): Vergleich der Ärgeranlässe Ärger durch TV-Angebote 4. Das Rollenverhalten der Medienanbieter, z.B. • Fernsehsender wollen eher Zeit füllen und weniger informieren, so dass dieselben Informationen häufiger anzutreffen sind • Moderator stellt sich zu sehr ins Zentrum –xxx– – siehe Punkt 3 in dieser Spalte –
5. Sonstige, z.B. • aversive Reize • Antipathie
Ärger durch häusliche TV-Situationen 4. Das eigene Fernsehverhalten, z.B. • zu häufiges Fernsehen
5. Störung einer Tätigkeit 6. Geringschätzung und Missachtung, z.B. • Persönlichkeitsverletzendes Verhalten von Mitrezipienten 7. Sonstige, z.B. • aversive Reize • extremer TV-Ärger anderer • Beschneidung der persönl. Entwicklung • Sachtückenärger
Anmerkung zu Tabelle 18: Kursiv gesetzte Zeichen weisen auf Unterschiede hin. Die Gemeinsamkeiten lassen sich in fünf Kategorien finden. Erstens kann sowohl ‘auf’ wie ‘vor’ dem Bildschirm die Rezeption gestört werden. Auf der einen Seite ist dies etwa die Werbepause, auf der anderen Seite das Verhalten eines Mitrezipienten (Reden, Tütenrascheln etc.). Zweitens können auf beiden Seiten die Programmvorlieben konterkariert werden. Auf der Angebotsseite ist das etwa dann der Fall, wenn Sendungen aus dem Programm genommen werden, auf der Nachfrageseite, wenn Haushaltsmitglieder andere Sendungen sehen wollen. Hier wie da sind die Interessen verschieden und vereiteln den eigenen Fernsehwunsch. Drittens beklagen die Befragten Verstöße gegen Normen, Werte, persönliche Grenzen und Regeln. Allerdings fällt ein Ungleichgewicht auf. Danach werden beim Medienangebot deutlich vielfältigere Normen- und Wertverletzungen wahrgenommen als bei inhaltsunabhängigem Fernsehärger. Dies überrascht nicht, da die Medieninhalte vielfältiger sind als die Situationstypen rund um das Fernsehen. Hier kommt es vornehmlich zu der subjektiven Einschätzung, ungerecht oder geringschätzig behandelt oder missachtet worden zu sein. Viertens wird das Verhalten kritisiert. Einerseits ist es das eigene Fernsehverhalten, andererseits ist es das Verhalten der Medienanbieter (z.B. Produzenten, Modera-
13 Vertiefungen -- Vergleich der Reaktionen
273
toren) hinsichtlich ihrer Funktionen oder Aufgaben. Beide könnten es besser machen: Der Rezipient könnte weniger fernsehen und stattdessen beispielsweise mehr Sport treiben; die Moderatoren könnten sich weniger wichtig nehmen, die Journalisten mehr Informationsvielfalt bieten. Fünftens finden wir auf beiden Seiten zum Beispiel aversive Reize. Unterschiede lassen sich in zwei Positionen der Tabelle finden. Ein Unterschied bezieht sich auf den Anlass ‘Störung einer Tätigkeit’. Während die Geräuschkulisse eines eingeschalteten Fernsehgerätes eine Person stören und verärgern kann, weil sie nicht fernsehen, sondern einer anderen Tätigkeit nachgehen möchte, gibt es das Umgekehrte nicht. Das heißt, eine Person, die lesen, Radio hören oder auch staubsaugen möchte, kann eine Medienfigur nicht bei ihrer Tätigkeit (z.B. Moderieren einer Sendung) stören. Störbar sind nur die vor dem Fernsehschirm Versammelten. Nun würde eine Person, die nicht fernsehen möchte, kaum einen Moderator für die Störung verantwortlich machen. Vielmehr würde als Verursacher ein Mitrezipient, der fernsieht, herangezogen. Gleichwohl weist dieser Ärgeranlass eine Spielart der Parasozialität auf etwa dadurch, dass mancher Moderator besser, mancher schlechter bei der fernsehabgewendeten Tätigkeit ertragen oder willentlich ausgeblendet werden kann (z.B. Michel Friedman, vgl. 11.2.6 ‘Personen und Situationen’). Ferner lässt sich als Unterschied der Sachtückenärger nennen. Er wird von Rezipienten einzig als inhaltsunabhängiger Anlass für Ärger genannt. Vorstellbar ist der Sachtückenärger aber auch auf der Inhaltsseite etwa dann, wenn bei einer Live-Sendung die Akustik aufgrund nicht funktionierender Mikrofone oder in einer Nachrichtensendung die Übertragung von Ereignissen aus fernen Ländern wegen technischer Pannen gestört ist. Störungen durch technische Defekte wurden nur von wenigen Rezipienten und nur bezogen auf die Empfangsgeräte berichtet, (technische) Störungen auf der Seite der Fernsehanbieter wurden gar nicht erwähnt. Die Gründe dafür könnten darin liegen, dass diese Anlässe geradezu selbstredend Ärger nach sich ziehen und gleichzeitig selten vorkommen, so dass sie gar nicht ‘der Rede wert’ sind. Insgesamt zeigen sich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Der nächste Abschnitt vergleicht die Reaktionen.
13.1.2 Reaktionen In diesem Abschnitt geht es um den vergleichenden Blick auf die Art der Fernsehärgerreaktionen. Sie sind in folgender Tabelle zusammengestellt.
274
13 Vertiefungen -- Vergleich der Reaktionen
Tabelle 19: Vergleich der Reaktionen auf Fernsehärger… 1
2
3
…durch TV-Angebote Gefühlsbezogen oder gefühlsähnlich y Stimmungsverschlechterung y Unlust y Böse werden y Hilflos, ratlos, ohnmächtig y Traurigkeit, Resignation y Langeweile y Ekel y Scham
…durch häusliche TV-Situationen Gefühlsbezogen oder gefühlsähnlich y Stimmungsverschlechterung y Unlust y Böse, sauer, unwirsch, wütend werden y Hilflosigkeit y Nicht gut fühlen y Bedauern der vor dem Fernsehschirm verbrachten Zeit y beleidigt sein
Gedanken / Situationsanalyse y Schimpfen in Gedanken y Bewerten (hier: entwerten) der (sich offenbarenden) Medienfiguren y Perspektive des anderen bedenken (Warum wird Werbung geschaltet? Warum wird auf jene Weise berichtet?) y Sich Gedanken machen, analysieren und bewerten des eigenen Verhaltens mit Selbstkritik: „Warum habe ich mir das angesehen?“ y Konsequenzen bedenken (Welche familiären oder gesellschaftlichen Folgen könnte Erotik im TV haben?)
Gedanken / Situationsanalyse y Schimpfen oder Fluchen in Gedanken y Bewerten des Verhaltens der anderen (zappen) y Perspektive des anderen bedenken
Kommunikation
tan den Verursacher gerichtet
y Parasoziale Interaktion (Kommunikation) (PSI): TV-Figur beschimpfen; mahnen; lästern y Beschwerde bei Medienanstalt
y Sich Gedanken machen, analysieren, bewerten des eigenen Verhaltens y Sich vor sich selbst rechtfertigen y Ärger aktiv loswerden wollen durch sich gut zureden y Konsequenzen bedenken (zu viel fernsehen hat negative Folgen für ein Kind) Kommunikation
tan den Verursacher gerichtet
y Klagen, Meckern, Schimpfen, leichtes oder lautes Schimpfen y Bitten um Ruhe: höflich, freundlich; streng y Bitten, Raum zu verlassen y Bitten um Programm wechsel y Streitigkeiten (kleinere)y Argumentieren, sich erklären, Kompromisssuche (z.B. Fernsehzeiten) y Drohen y Schmollen tim sozialen Umfeld y Abwinkende Geste (nonverbale y Schimpfen, fluchen Komm.) y Während und/oder nach der Rezeptiy Wortloser Blick (nonverbale Komm.) on die Meinung gegenüber Dritten äußern oder sich mit Dritten austautim sozialen Umfeld schen y mit Dritten reden Anmerkung zu Tabelle 19: Kursiv gesetzte Zeichen weisen auf Unterschiede hin.
13 Vertiefungen -- Vergleich der Reaktionen
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Tabelle 19 (Fortsetzung): Vergleich der Reaktionen auf Fernsehärger… …durch TV-Angebote
…durch häusliche TV-Situationen
4
Medienverhalten ändern y (zeitweise) Verzicht auf Sendung y Grundsätzlich meiden (z.B. werbeintensive Sender; Tierquälerei) yAb und zu ‘reinsehen, in Teilen (Fragmente) oder zufälliges sehen y Um- oder ausschalten+ anders beschäftigen y Weggehen (Raum verlassen) yWegsehen y Ein anderes Medium ganz oder teilweise nutzen (z.B. Radio) Medienverhalten: sonstige y Eine Sendung auf Video aufnehmen, wenn sie zeitlich unpassend läuft y Erwartungshaltung ändern, wenn Inhalte hinter Erwartung bleiben y Gebannt, fassungslos sein: hinsehen müssen für kurze Zeit y Einen Schuh gegen TV-Gerät werfen
Medienverhalten oder -ausstattung ändern y 2. Gerät nutzen oder Anschaffung erwägen, Satellitenschüssel installieren y Kopfhörer nutzen y Raum verlassen und Alternativbeschäftigung y Fernsehzeiten vereinbaren y TV ausschalten y Verhindern, dass jemand fernsieht (z.B. dem Fernsehenden das Fernsehgerät ausschalten, Batterien aus Fernbedienung entfernen)
5
Passiv bleiben y Hinnehmen, sich abfinden, es ertragen (mit Bedauern) und trotzdem sehen y In sich ‘hineingrummeln’ y Beschwerdeimpuls
Passiv bleiben y Schweigen und Ärger in sich hineinfressen, in sich hineinärgern y Vor sich hinmeckern y Bagatellisieren y Hinnehmen: arrangieren mit Situation, uninteressiert mitgucken; nichts sagen und Verständnis aufbringen (älterer Herr als Nachbar)
6
Ablenkung, Kompensation des Ärgers y Ausgehen y Angenehme Beschäftigung während der Rezeption (z.B. essen) y Ärger loswerden wollen durch anderes TV-Angebote y Positiv umdeuten: zur Toilette gehen, Essen oder Getränk holen
Ablenkung, Kompensation des Ärgers y Rauchen, Kaffee kochen y Ablenkung suchen durch TV oder andere Tätigkeiten
7
Ärger vergessen
Ärger vergessen
8
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Sonstige y Bestrafen, Klaps (Hund) y Rache y Strategien zur Ärgervorbeugung für den Fall des Wiederauftretens des Ereignisses Anmerkung zu Tabelle 19: Kursiv gesetzte Zeichen weisen auf Unterschiede hin.
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13 Vertiefungen -- Vergleich der Reaktionen
Gemeinsamkeiten finden sich in sieben Kategorien. Der Ärger wird begleitet von anderen Gefühlen wie etwa Hilflosigkeit, oder es kommt zu gefühlsähnlichen Reaktionen wie Stimmungsverschlechterungen. Und weiter: Die Befragten schimpfen in Gedanken oder denken über den Anlass und dessen Konsequenzen nach, sie kommunizieren auf verschiedene Weisen, wobei sich für die Art der Kommunikation Unterschiede ergeben (s.u.). Abgesehen davon stimmen die Reaktionen insofern überein, als die Befragten ihr Medienverhalten oder die Medienausstattung ändern oder diese anders nutzen. Bei den Formen des Medienverhaltens zeigen sich auf beiden Seiten auch stärkere, beinahe recht massive Reaktionen. Bei einem missfallenden Inhalt wird ein (weicher, den Bildschirm schützenden) Schuh gegen das Fernsehgerät geworfen, bei Ärger rund ums Fernsehen greift man zu Maßnahmen, die ein anderes erwachsenes Haushaltsmitglied am Fernsehen hindern sollen. Eine weitere aktive, allerdings weniger massive Handlung ist, sich von dem Ärger abzulenken, aber auch das Gegenteil ist möglich: passiv bleiben. Schließlich vergessen die Befragten den Ärger. Insgesamt zeigen sich bei den gleichartigen Reaktionen keine Auffälligkeiten. Unterschiede finden sich in fünf Kategorien. Kategorie 1: Gefühlsebene. Hier fällt auf, dass es bei Ärger über TVAngebote zu Ekel, Scham und Langeweile kommt, nicht hingegen bei Ärger rund ums Fernsehen. Ein weiterer Unterschied auf der Gefühlsebene besteht in dem Gefühl, beleidigt zu sein durch das Verhalten einer anderen Person. Das Gefühl der Beleidigung wird allein für die häusliche TV-Situation berichtet, nicht jedoch in Bezug auf TV-Inhalte (Figuren). Kategorie 2: Gedanken / Situationsanalyse. Für den Ärger rund ums Fernsehen berichten Befragte, dass sie aktiv versuchen, den Ärger loszuwerden. Sie reden sich in Gedanken gut zu, beruhigen sich selbst. Dies findet sich bei dem Inhaltsärger in dieser Deutlichkeit nicht. Möglicherweise spielen die Anlassart und (damit) die Intensität oder auch die Häufigkeit des Ärgers eine Rolle (vgl. Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit…’). Kategorie 3: Kommunikation. Wie bei den Gemeinsamkeiten berichtet, wird geschimpft und geklagt, mal richtet sich die Beschwerde an die Medienperson, mal an die das Fernsehen ebenso nutzenden Haushaltsmitglieder. Verschieden sind nun die Kommunikationsmöglichkeiten, wenn es um Streitigkeiten geht oder das Bitten um Abstellen der Störung. Mit Anwesenden lässt sich zum Beispiel streiten, was mit einer Medienfigur in der Rezeptionssituation nicht möglich ist.162 Ebenso wenig wird in den Interviews von Drohungen oder nonverba162 Auseinandersetzungen mit Medienfiguren dürften auch bei interaktiven Fernsehformen nur bedingt möglich sein. Diese Gesprächssituation wurde in den Interviews allerdings nicht angesprochen.
13 Vertiefungen -- Vergleich der Reaktionen
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len Formen der Kommunikation gegenüber einer Medienfigur berichtet. Was bleibt ist, dass man die Medienperson anspricht, und somit kommuniziert man parasozial. Ein anderer Unterschied betrifft das Lästern. Während über Medienangebote zuweilen gelästert wird, wird das Lästern bei Ärger durch Situationen rund ums Fernsehen nicht erwähnt. Schließlich ergibt sich ein Unterschied hinsichtlich des Schmollens. Es taucht bei den inhaltsbezogenen Ärgerreaktionen nicht auf. Das überrascht nicht, da Schmollen ein Demonstrationsverhalten ist, das nur dann effektiv ist (z.B. Aufmerksamkeit gewinnen), wenn es einen Empfänger hat. Diesen gibt es auf der Medienangebotsseite nicht, und so lässt sich das Schmollen nicht mit dem Konzept der parasozialen Interaktion erfassen. Kategorie 4: Medienverhalten. In der Tabelle zeigt sich, dass Rezipienten auf Sendungen (zeitweise) verzichten, wenn sie sich über sie geärgert haben. Der Verzicht taucht als Reaktion auf Ärger rund ums Fernsehen nicht auf. Nicht alle, aber viele Formen des Medienverhaltens, die Befragte auf ihren Inhaltsärger zeigen, tragen Züge von Distanzierungen vom Medium. Demgegenüber zeigen sich bei dem Ärger rund ums Fernsehen viele Verhaltensformen, die darauf zielen, die Hinwendung zum Medienangebot zu ermöglichen. Kategorie 6: Ablenkung. Hier fällt auf, dass Befragte einzig bei Ärger durch Medienangebote mit positiven Umdeutungen reagieren, wobei sich die positive Umdeutung allein bei der Ärgerquelle ‘Werbung’ findet. Die Umdeutung besteht im Füllen der Werbepause mit verschiedenen Tätigkeiten, das heißt, an die Stelle des Negativen wird etwas Positives gesetzt. Nun gibt es bei den Reaktionen auf den Ärger rund ums Fernsehen ebenso den Griff zu Getränken, etwas Essbarem oder einer Zigarette. Hier ist dies allerdings nicht im Sinne einer positiven Umdeutung zu verstehen, sondern eher im Sinne einer Selbstbesänftigung, -belohnung, Ablenkung oder Kompensation. Kategorie 8: Sonstige. Bei Ärger rund ums Fernsehen gibt es Reaktionsweisen, die es bei Ärger über Fernsehinhalte nicht gibt. Dort ist weder von Rache die Rede noch von Bestrafen. Das ist nicht überraschend, denn während Menschen im persönlichen Umfeld bestraft werden können, ist eine Bestrafung von Medienfiguren oder -anstalten außer im Rahmen von Stalking eher schwer vorstellbar. Freilich kann man einem Medienprodukt die Aufmerksamkeit entziehen, indem man eine Sendung nicht mehr einschaltet oder das Fernsehgerät abschafft – ob dies subjektiv als Bestrafung verstanden wird, wäre zu belegen. Unter Sonstige findet sich als weitere Reaktion, dass Befragte Strategien zur Ärgervorbeugung entwickeln. Dieses Verhalten wurde nicht explizit bei den Reaktionen auf den Ärger über Fernsehangebote genannt, es lässt sich dort jedoch entdecken. So könnte das Medienverhalten vor allem dort, wo es sich als Distanzierung vom Mediengeschehen zeigt, zugleich dem Ärger vorbeugen. So schaltet man etwa um, wenn die Inhalte (wieder) zu verärgern drohen, man ver-
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13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
zichtet auf die Sendung, oder man nutzt ein anderes Medium (Radio), damit man sich nicht wieder ärgern muss. Für die beiden Ärgerbereiche ‘Fernsehangebote’ und ‘Ärger rund ums Fernsehen’ deuten sich in den Reaktionen unterschiedliche Tendenzen an: Wer sich über Fernsehangebote ärgert, tendiert dazu, die Ursache zu meiden oder sich durch Angenehmes die Situation erträglich zu machen, wer sich unabhängig vom Inhalt ärgert, tendiert zur Beseitigung der Ursache. Mit anderen Worten: Bei dem Ärger über Fernsehinhalte wählen Rezipienten tendenziell ein Arrangement mit der Situation, bei dem Ärger rund ums Fernsehen reicht allein ein Arrangement – je nach Anlass – nicht aus. Hierbei spielen wohl auch Faktoren wie Häufigkeit und Intensität des Ärgers eine Rolle. Um diese Faktoren sowie um die Dauer des Ärgers geht es im folgenden Abschnitt.
13.2 Häufigkeit, Intensität und Dauer des Fernsehärgers 13.2.1 Ziel der Analyse und methodische Anmerkungen In den Abschnitten 13.2.2 ‘Ärger über Fernsehangebote’ und 13.2.3 ‘Ärger rund ums Fernsehen’ werden Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Dimensionen des Fernsehärgers (Häufigkeit, Intensität, Dauer) und Variablen wie Bildung und Sehtyp hergestellt. Das ZIEL ist zum einen, separat für beide Ärgerformen Hypothesen im Sinne einer Charakterisierung zu entwickeln. Zum anderen sollen die beiden Ärgerformen anhand dieser Befunde und Hypothesen verglichen (Pkt. 13.2.4) werden, unter anderem um Aussagen über deren Alltagsrelevanz treffen zu können. Der Auswertung sollen einige METHODISCHE ANMERKUNGEN vorangestellt werden: Die 20 Befragten nannten 86 auswertbare Ärgerereignisse bei den Fernsehinhalten,163 dies ergibt umgerechnet auf eine/n Befragte/n, dass jede/r durchschnittlich 4,3 Ereignisse berichtete. Nun wird in den folgenden Analysen zum Beispiel der Zusammenhang von ‘Ärger und Bildung’ betrachtet. Wenn dabei jedes Ärgerereignis mit dem Bildungsniveau seines Erzählers verknüpft wird, entsteht bei 86 Ereignissen der Eindruck, als seien es zugleich 86 (anstatt 20) Befragte. Es handelt sich bei diesem empirischen Sachverhalt um ein Mehrebenenproblem.164 Die ‘künstliche’ Vermehrung der Anzahl der Befragten hätte 163 Bei dem Ärger rund ums Fernsehen sind es 54 Ereignisse; durchschnittlich berichtet eine befragte Person 2,7 Ereignisse. 164 Die Beratung zu diesem Problem erhielt ich von Prof. Dr. Dieter Ohr, dem ich an dieser Stelle einmal mehr dafür danke.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
279
etwa durch die Bildung von Mittelwerten pro Befragten umgangen werden können. Allerdings verklären sich dadurch die Resultate, was in dieser Studie besonders ins Gewicht fallen würde, da ihre Fallzahl bei 20 Befragten liegt und damit klein ist. Die Ergebnisse sind in dieser Studie differenzierter und somit die Daten in der Analyse besser ausgeschöpft, wenn man – wie im Folgenden – die ‘künstliche’ Vermehrung der Fallzahlen zulässt, das heißt, wenn man sich auf die berichteten Ereignisse (und nicht auf die Befragten) bezieht. Was dies bedeutet soll vor einer weiteren Kommentierung am Beispiel der Fälle 1 und 2 (s. Tabelle 20) erläutert werden. Tabelle 20: Befragte oder Ereignisse – Beispiel zur Wahl der Datenbasis Anlassart Fall 1 2
Rezeptionsstörung -
Normverstoß
1 manchmal 3 selten 4
Vereitelte Programmvorlieben 1 oft 1 selten 2
Rolle Medienanb.
Sonstige
-
-
2 4 6
Zählweise und Eigenschaften der Ereignisse: Fall 1 ärgert sich über zwei Ereignisse, erstens über einen Normverstoß, zweitens über einen vereitelten Programmwunsch. Fall 2 ärgert sich über drei Normverstöße und über ein Ereignis aus dem Bereich ‘vereitelte Programmvorlieben’. Beide Fälle berichten zusammen 6 Ereignisse. Die Ereignisse können inhaltlich verschieden wie auch gleicher Art sein. So entfallen in obiger Tabelle auf die Normverstöße insgesamt vier Ereignisse, und es ist denkbar, dass diese vier Ereignisse inhaltlich völlig unterschiedliche Sachverhalte beinhalten wie etwa geringschätziges Verhalten des Moderators, Erotik, Gewalt, Intimität. Ferner kann es sein, dass sich Fall 1 über Gewalt (in Kindersendungen) ärgert, und eines oder auch mehrere der von Fall 3 genannten Ereignisse gehören unter anderem zum Thema Gewalt (z.B. Gewalt in Kindersendungen, Gewalt in Nachrichten). Weitere Varianten sind möglich. Auch bei den vereitelten Programmvorlieben kann es verschiedene Kombinationen geben. Fall 1 könnte sich über eine ausgefallene Sendung und Fall 2 über eine einseitige Berichterstattung ärgern. Vorstellbar ist aber auch, dass sich beide Fälle über ein Ereignis derselben Art ärgern wie etwa über eine ausgefallene Sendung. Insgesamt gilt, dass alle Ereignisse pro befragter Person sowie über alle Befragten hinweg gezählt wurden (vgl. Tabelle 20 rechte Spalte ‘’). Untersuchungseinheit: Als Untersuchungseinheit sind die Ereignisse (und nicht die Befragten/Fälle) anzusehen. In obiger Tabelle sind es insgesamt 6(!) Ereignisse, die von 2(!) Befragten stammen. Die erste Person gibt bei den Normverstößen für ein Ereignis die Häufigkeit ‘manchmal’ an, und die zweite Person
280
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
gibt für 3 Ereignisse jeweils die Häufigkeit ‘selten’ an. Weniger aufschlussreich wäre bei nur zwei Befragten die folgende Aussage: 50 Prozent der Befragten ärgern sich ‘selten’ und 50 % ‘manchmal’ über Normverstöße. Gehaltvoller wird die Aussage, wenn der Bezug bei den Ereignissen liegt: Von den vier Ereignissen aus der Kategorie ‘Normverstöße’ rufen 25 Prozent (1 Ereignis) ‘manchmal’ und 75 Prozent (3 Ereignisse) ‘selten’ Ärger hervor. Hier zeigt sich, was weiter oben gesagt wurde, nämlich dass die Ergebnisse differenzierter werden, wenn auf die Ereignisse Bezug genommen wird. Dabei bleibt der Tatbestand, dass mitunter mehrere Ereignisse von einer Person berichtet werden, was bedeuten kann, dass diese Ereignisse in ihren Eigenschaften weniger variieren, als wenn jedes Ereignis von einer anderen Person berichtet worden wäre. Insgesamt besteht der Ertrag der ereignisbezogenen Auswertung darin, dass die Muster (z.B. Verteilungsmuster) klarer hervortreten und die Untersuchungsdaten in größerem Maße verwertet werden. Bei der Lesart der ausgewerteten Daten ist stets zu berücksichtigen, dass den Auswertungen eine kleine Fallzahl zugrunde liegt, auch wenn man – wie hier – auf der Ebene der Ereignisse analysiert und dadurch eine größere Fallzahl verfügbar ist, als wenn man auf Basis der Befragten analysierte. Das bedeutet, dass sich die Muster immer auch zufällig ergeben haben können. Sämtliche Annahmen, die im Folgenden formuliert werden, unterliegen also diesem ‘Unsicherheits’-Vorbehalt.
13.2.2 Ärger über Fernsehangebote Die Befragten nannten 91 Fernsehinhalte, über die sie sich ärgerten. Davon können 86 in die Auswertungen einbezogen werden. Wie HÄUFIG ärgern sich die Befragten über die von ihnen berichteten Ereignisse? Die Häufigkeitskategorien sind ‘selten’, ‘manchmal’, ‘oft’ und ‘sehr oft’. Sie wurden gemäß den Interviewtexten gebildet. Beispiele zu dieser Kategoriebildung enthält Anhang III. Die folgende Abbildung stellt die Häufigkeitsangaben der Befragten dar.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
281
Abbildung 2: Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote 50 40 TV-Ereig30 nisse in % (N=86) 20 10
41
40
13
7
0 selten
manchmal oft ich ärgere mich ...
sehr oft
Von den insgesamt 86 Anlässen kommt der Ärger über 35 Anlässe (41 %) ‘selten’ vor. Bei 34 Ärgeranlässen (40 %) sagten die Befragten, dass sie sich ‘manchmal’ ärgern. Elf Anlässe (13 %) führen ‘oft’ zu Ärger, und ‘sehr oft’ tritt Ärger über sechs Ereignisse (7 %) auf. Das Gros der Nennungen entfällt mit 80 Prozent auf die Kategorien ‘selten’ und ‘manchmal’, die Häufigkeiten ‘oft’ und ‘sehr oft’ erhalten zusammen 20 Prozent der Nennungen. – Welche Angebote sind es, die selten, manchmal, oft oder sehr oft Ärger hervorrufen? Die nächste Grafik bildet die Häufigkeiten zu den Anlassarten ab. Abbildung 3: Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote nach Anlassart
Störung Rezeption
22
Programmvorlieben
Normverstöße Rolle Medienanbieter
78
57 26
17
20 52
20
Sonstige
(N=9)
13
(N=35)
10
(N=31)
20
60 67
6
17
17
(N=5)
(N=6)
in % der Ereignisse je Anlassart
selten
manchmal
oft
sehr oft
282
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Lesehilfe zu Abbildung 3 am Beispiel des Anlasses „Störung der Rezeption“: Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, nannten die Befragten insgesamt 86 Ärgerereignisse. Neun davon „(N=9)“ sind Rezeptionsstörungen. Von diesen neun Ereignissen rufen 22 % (absolut 2 Anlässe; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) selten Ärger hervor, 78 % manchmal (absolut 7). Weil je Anlassart prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Anlassart auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Es ist zu sehen, dass Ärger über Störungen der Rezeption, zu dem es vor allem durch Werbung kommt, ‘selten’ (22 % der Ereignisse) oder ‘manchmal’ (78 % der Ereignisse) auftritt, die Kategorien ‘oft’ und ‘sehr oft’ haben keine Einträge. Auffällig ist, dass im Vergleich zu allen anderen Anlassarten einzig bei der Rezeptionsstörung diese beiden Häufigkeiten – ‘oft’ und ‘sehr oft’ – nicht besetzt sind. Möglicherweise liegt es daran, dass sich die Rezipienten weitgehend an Werbeunterbrechungen gewöhnt haben. Ärger über vereitelte Programmvorlieben oder Beschneidungen der Eigenständigkeit und Freiheit kommt überwiegend selten (57 %) vor. Dies ist anders bei den Normverstößen: Hier entfallen 52 Prozent der Ereignisse auf die Kategorie ‘manchmal’ und 26 Prozent auf ‘selten’. Die Verteilung ist ähnlich für den Ärger über Rollenverstöße der Medienanbieter (20 % selten, 60 % manchmal). Die Anlässe aus der Kategorie Sonstige kommen mehrheitlich selten vor (67 %), auf ‘manchmal’ und ‘oft’ entfallen je 17 Prozent der Ereignisse, die Häufigkeit ‘sehr oft’ erwähnen die Befragten hier nicht. Die Datenmenge ist zu gering, als dass man eine Tendenz sicher ableiten könnte. Daher soll mit der gebotenen Vorsicht eine Einschätzung anhand der vorliegenden Daten vorgenommen werden. Sie hat hypothetischen Charakter, das heißt, die nachfolgend genannten Zusammenhänge wären in einer Studie mit einer großen Fallzahl zu überprüfen. Möglicherweise kommt es zu Ärger anlässlich 1. der Störung der Rezeption 2. der Programmvorlieben 3. der Normverstöße 4. der Rolle der Medienanbieter
mäßig häufig (manchmal bis selten), selten, mäßig häufig, mäßig häufig.
INTENSITÄT. Wie sehr erleben die Befragten ihren Ärger? Als Kategorien ermittelte ich aus den Interviewtexten die Ärgerintensitäten ‘wenig’, ‘ziemlich’, ‘sehr’ (vgl. zu dieser Kategoriebildung Tabelle A2 im Anhang III). Es ergibt sich folgendes Bild.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
283
Abbildung 4: Intensität des Ärgers über TV-Angebote nach Anlassart
Störung der Rezeption Programmvorlieben
Normverstöße
11
89
31
60
42
16
42
Rolle Medienanbieter
20
80
Sonstige
9
17
67
17
(N=9)
(N=35)
(N=31)
(N=5)
(N=6)
in % der Ereignisse je Anlassart (N=86)
wenig
ziemlich
sehr
Lesehilfe am Beispiel des Anlasses „Störung der Rezeption“: Zu dieser Anlassart nannten die Befragten 9 Ereignisse „(N=9)“. Von diesen neun Ereignissen rufen 89 % (absolut 8 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) wenig und 11 % sehr intensiven Ärger hervor. Weil je Anlassart prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Intensitätsniveaus je Anlassart auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Abbildung 4 zeigt, dass sich die Befragten insgesamt eher ‘wenig’ intensiv ärgern. Vor allem bei den Anlässen ‘Störung der Rezeption’ und ‘Rolle der Medienanbieter’ ist der Ärger wenig intensiv (89% und 80%). Es folgen die vereitelten Programmvorlieben (60 %) sowie Anlässe aus der Kategorie ‘Sonstige’ (67%), und von den Normverstößen erregen nur 42 Prozent wenig intensiven Ärger. Hierüber fällt der Ärger – und dies unterstreicht die Bedeutung von Normen – intensiver aus, in 42 Prozent dieser Anlässe ist der Ärger ‘ziemlich’ ausgeprägt. Ebenfalls vergleichsweise intensiv verärgern vereitelte ‘Programmvorlieben’ (31 % ziemlich), während die Intensität ‘ziemlich’ gar nicht bei den ‘Rezeptionsstörungen’ und den ‘Rollenverstößen durch Medienanbieter’ zu finden ist. Zu ‘sehr’ ausgeprägtem Ärger kommt es bei allen Anlassarten, aber diese Intensität hat bei allen Anlassarten die kleinsten Anteile. HÄUFIGKEIT ° INTENSITÄT. Die folgende Abbildung soll darüber informieren, wie sich alle Ärgerereignisse zu TV-Angeboten über die Anlassarten vertei-
284
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
len. Gleichzeitig soll sie den Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Intensität illustrieren. Abbildung 5:
Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote (in Prozent – Basis: 86 Ärgerereignisse)165
Häufigkeit Anlassart
selten
1. Störung der Rezeption
bb
2. Programmvorlieben
bbbbb bbbbb bbbbb b à bbbbb
3. Normverstöße
manchmal bbbbb bb à bbbb
à 4. Rolle Medienanbieter
b
5. Sonstiges
bbbb
oft
bbbb
Ã
bbbbb bbb Ã
b
b
b
à b
Ã
bbbb Ã
sehr oft
ÃÃ Ã
Erklärung der Intensitäts-Symbole: b wenig ziemlich à sehr Ein Symbol entspricht einem Prozentpunkt (gerundet). Zu den exakten Daten vgl. Tabelle A6 im Anhang III
In Abbildung 5 fällt auf, was bereits in Abbildung 4 erkennbar war: Der wenig intensive Ärger überwiegt, das heißt, das Symbol des ‘wenig’ intensiven Ärgers [b] ist am häufigsten zu sehen. Beinahe um die Hälfte weniger sieht man das Symbol zum ‘ziemlich’ starken Ärger [ ], das Schlusslicht bildet der ‘sehr’ aus-
165 Das bedeutet, die Verteilung der Ärgerereignisse zu TV-Angeboten erfolgt hier nicht nach der Anlassart (das wären Zeilenprozente), sondern alle 86 Ereignisse sind in ihrer Gesamtverteilung auf die Anlassarten dargestellt. Das soll am Beispiel der Normverstöße verdeutlicht werden: Von den 86 Ereignissen entfallen 5% auf selten und wenig intensiv verärgernde Normverstöße (5xb), 4% auf selten und ziemlich intensiv (4x ) und 1% auf selten und sehr intensiv (1xÃ) verärgernde Normverstöße (vgl. auch Tab. A6 im Anhang III).
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
285
geprägte Ärger [Ã]. Insgesamt ist der Ärger somit nicht sehr intensiv, er ist eher ‘wenig’ ausgeprägt. Zusammenfassend und in Zahlen ausgedrückt ergibt sich: b wenig intensiver Ärger bei ziemlich starker Ärger bei à sehr starker Ärger bei Gesamt:
50 Ärgerereignissen, das sind 25 Ärgerereignissen, das sind 11 Ärgerereignissen, das sind 86 Ärgerereignisse
58 % aller Ereignisse; 29 % aller Ereignisse; 13 % aller Ereignisse; 100 %
Von Intensität zu Intensität halbieren sich die Häufigkeiten geradezu. Beim Blick auf die jeweiligen Spalten fallen Besonderheiten in der Verteilung auf: Tabelle 21: Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote selten manchmal oft sehr oft b 24 = 69 % b 20 = 59 % b 4 = 36 % b 2 = 33 % b 50 = 58 % 8 = 23 % 11 = 32 % 6 = 55 % 25 = 29 % à 3= 8% à 3= 9% à 1 = 9 % à 4 = 67 % à 11 = 13 % 35 = 100 % 34 = 100 % 11 = 100 % 6 = 100 % 86 = 100 % Erklärung der Intensitäts-Symbole: b wenig ziemlich à sehr
Die Mehrheitsverhältnisse – so zu sehen in Tabelle 21 – sind bei den Häufigkeiten ‘selten’ und ‘manchmal’ so, dass jeweils der ‘wenig’ intensive Ärger dominiert. Dieses Bild ändert sich bei den ‘oft’ und ‘sehr oft’ vorkommenden Anlässen wie folgt: Bei den Ereignissen, die ‘oft’ Ärger auslösen, liegt die Intensität ‘ziemlich’ an erster Stelle (55 %). Von den ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgerereignissen rufen sogar 67 Prozent ‘sehr’ intensiven Ärger hervor. Da der starke Ärger hier auffallend häufig genannt wird, soll er näher betrachtet werden. [Ã]: Hinsichtlich des starken Ärgers zeigt sich zweierlei: Erstens fällt beim Blick auf die vier Häufigkeiten auf, dass der starke Ärger in der Kategorie ‘sehr oft’ am meisten genannt wird (67 %), die Kategorie ‘selten’ enthält 8 Prozent, bei ‘manchmal’ und ‘oft’ sind es je 9 Prozent. Es könnte folgender Zusammenhang bestehen: Je häufiger ein verärgernder Anlass vorkommt, je intensiver fällt der Ärger darüber aus.166 Es wird darauf zu achten sein, ob sich ein solcher Zusammenhang auch bei dem ‘Ärger rund ums Fernsehen’ findet (vgl. Pkt. 13.2.3). Zweitens fällt auf, dass sich der starke Ärger vornehmlich bei den 166 Gemeint ist freilich, dass mit steigender Auftrittswahrscheinlichkeit eines verärgernden Ereignisses auch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Intensität steigt. Auch die folgenden Hypothesen sind im Sinne von Wahrscheinlichkeiten zu verstehen. Um der besseren Lesbarkeit willen sind sie häufig sprachlich vereinfacht.
286
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Normverstößen und den Programmvorlieben relativ gleichmäßig über die vier Häufigkeitskategorien verteilt (vgl. Abb. 5).167 Auch in dieser Hinsicht wird darauf zu achten sein, ob sich eine solche Verteilung bei dem Ärger rund ums Fernsehen ergibt. BILDUNG UND ÄRGER ÜBER TV-ANGEBOTE. Mit dem Grad der Bildung gehen verschiedene Formen und Motive der Fernsehnutzung einher (vgl. Pkt. 8.1 ‘Vorüberlegungen zu den Personenprofilen’). Wie die Variable Bildung mit Fernsehärger zusammenhängen könnte, soll hier näher betrachtet werden. In der Stichprobe (N=20) gehören 20 Prozent der Befragten zu den gering Gebildeten, 15 Prozent sind Personen mit mittlerem Bildungsabschluss, 30 Prozent sind hoch und 35 Prozent sehr hoch gebildet (vgl. Kap. 10 ‘Die Stichprobe’). Die folgende Abbildung spiegelt die Anlassarten bezogen auf das Bildungsniveau wider. Dazu rufe ich in Erinnerung, dass hier 86 Ärgerereignisse zugrunde liegen, da durchschnittlich 4,3 Ereignisse je Person berichtet wurden (zur Wahl der Datenbasis, die hier in Ereignissen besteht und nicht in Befragten, vgl. Pkt. 13.2.1 ‘Ziel der Analyse…’). Abbildung 6: Ärger über TV-Angebote nach Bildung in % 50
Störung Rezeption 45
45 45
45
Programmvorlieben
43
40
43
Normverstöße
35
Rolle Medienanbieter
32
35 30
Sonstige
27
25 20
17 14
15 10 5
9
13 10
9
7
4 0
0 0
0
0 gering
(N=22)
mittel
(N=11)
hoch
(N=23)
sehr hoch (N=30)
Bildungsniveau
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebil167 Bei der Zuordnung ‘sehr oft’ nannten die Befragten unter anderem Sendungen, die regelmäßig (z.B. täglich, wöchentlich etc.) ausgestrahlt werden (z.B. bestimmte Talkshows, Serien).
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
287
deten berichtet 22 Ereignisse „(N=22)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 22 Ereignissen 32% (absolut 7 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) auf vereitelte Programmvorlieben entfallen. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Anlassarten je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
In Abbildung 6 fällt beim Vergleich der Bildungsgruppen hinsichtlich der Anlässe auf, dass die Rolle der Medienanbieter als Ärgeranlass nicht bei Personen mit geringem und mittlerem Bildungshintergrund auftaucht, während es bei den hoch Gebildeten vier Prozent der Ereignisse und gut dreimal so viele (13 %) bei den sehr hoch Gebildeten sind. Möglicherweise thematisieren Personen mit geringerer (i.e. geringe, mittlere) Bildung die Seite der Medienanbieter weniger. Was die Störungen der Rezeption betrifft, so beträgt ihr Anteil bei den hoch Gebildeten 17 Prozent, wohingegen die Anteile zu diesem Anlass in den anderen drei Bildungsgruppen bei sieben und neun Prozent liegen. Der große Anteil bei den hoch Gebildeten könnte sich mit Blick auf die Zusammensetzung der Gruppe klären: Sie setzt sich ausschließlich aus um in Wohngemeinschaften lebenden Studierenden zusammen (6 Befragte). Somit ist die Gruppe etwa hinsichtlich des Lebensstils recht homogen. Die Personen gehen zum Beispiel vielen Freizeitbeschäftigungen nach, und sie sehen nicht selten nachts fern, mitunter auch deshalb, weil sie es am Tag zeitlich nicht schaffen. So könnten sich die Studierenden über die Verlängerung der Fernsehzeit durch Werbung etwa deshalb ärgern, weil ein Film nicht ununterbrochen verfolgt werden kann und/oder weil sich die Nachtruhe oder Zeit für andere Interessen verkürzt. Für die Programmvorlieben und Normverstöße zeigt sich, dass die Anteile dieser Anlässe in allen Bildungsgruppen am größten sind, allerdings gibt es kleine Unterschiede. Was die vereitelten Programmvorlieben betrifft, so entfallen hierauf 32 Prozent der Ereignisse bei Befragten mit geringer Bildung. In den anderen Bildungsgruppen liegen die Anteile bei 43 und 45 Prozent. Dass in der Gruppe der gering Gebildeten der Anteil der Nennungen am kleinsten ist, könnte damit zu tun haben, dass diese Bildungsgruppe leichter Alternativen im TV-Angebot findet. Ärger über Normverstöße berichten am häufigsten die Befragten mit geringem und mittlerem Bildungsniveau mit jeweils 45 Prozent der Nennungen. Demgegenüber schwächt sich der Anteil der Ereignisse bei den hoch und sehr hoch Gebildeten mit 35 und 27 Prozent etwas ab. Möglicherweise handhaben höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete Normverstöße (im TV) anders (z.B. aufgrund einer größeren sozialen und so auch persönlichen Stabilität oder Selbstsicherheit). Ärgerereignisse zur Kategorie Sonstige stammen allein von den gering Gebildeten (14 % der Ereignisse) und den sehr hoch Gebildeten (10 % der Ereignisse).
288
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
BILDUNG ° HÄUFIGKEIT DES INHALTSÄRGERS. Die folgende Abbildung 7 stellt den Zusammenhang zwischen dem Bildungshintergrund der Befragten und der Häufigkeit des Ärgers über Fernsehinhalte dar. Abbildung 7: Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote nach Bildung – in Prozent der Ereignisse (N=86) 3 9
18
13 9
9
23
sehr oft 55 43
37
manchmal
73 36
gering
mittel
(N=22)
(N=11)
oft
35
37
hoch
sehr hoch
(N=23)
(N=30)
selten
Bildungsniveau
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebildeten berichtet 22 Ereignisse „(N=22)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 22 Ereignissen 36% (absolut 8; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) auf seltenen Ärger entfallen. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Eingedenk der Tatsache, dass die Auswertungen auf kleinen Fallzahlen beruhen und die Muster teilweise dem Zufall geschuldet sein können (vgl. Pkt. 13.2.1 ‘Ziel der Analyse und methodische Anmerkungen’), werden die Häufigkeiten der vier Bildungsniveaus miteinander verglichen. Dabei fällt auf, dass die Gruppe der Befragten mit mittlerem Bildungsniveau von den anderen drei Gruppen hinsichtlich der Ereignisse, die selten Ärger hervorrufen, deutlich abweicht. Während die Anteile bei den gering, hoch und sehr hoch Gebildeten mit 36, 35 und 37 Prozent nahezu gleich groß sind, beträgt der Anteil der selten verärgernden Ereignisse bei Personen mit mittlerem Bildungsabschluss 73 Prozent – eine Gruppendiskrepanz, die nicht auf Anhieb plausibel erklärbar scheint. Betrachtet man die Anteile der Häufigkeiten ‘selten’ und ‘manchmal’ zusammen, dann
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
289
könnte angenommen werden, dass sich Personen mit geringerem (i.e. geringer, mittlerer) Bildungsabschluss wahrscheinlich eher seltener über Fernsehangebote ärgern als höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete (1). Auch das Pendant lässt sich erkennen, und zwar sind die Anteile des häufiger (i.e. ‘oft’, ‘sehr oft’) vorkommenden Ärgers bei den hoch und sehr hoch Gebildeten größer als bei den geringer (i.e. gering, mittel) Gebildeten. (2). Dies ergibt sich, wenn man den ‘oft’ vorkommenden Ärger betrachtet, und es ergibt sich, wenn man den ‘oft’ addiert mit dem ‘sehr oft’ vorkommenden Ärger in den Gruppen betrachtet. Zu einem anderen Schluss kommt man, wenn man die Anteile des ‘sehr oft’ auftretenden Ärgers vergleicht. Hier ergibt sich, dass mit höherer (i.e. hoch, sehr hoch) Bildung die Anteile des sehr häufigen Ärgers kleiner werden (3). Erklärungsversuche. Wie lassen sich die Verteilungsmuster erklären? Eine Erklärung für die Annahme (1), wonach geringer (i.e. gering, mittel) Gebildete sich weniger häufig ärgern könnten, wäre, dass sie weniger hohe Ansprüche an die Inhalte haben oder dass die Inhalte zumeist den Ansprüchen entsprechen, so dass es seltener zu Enttäuschungen der Ansprüche und Ärger über Inhalte kommt. Die Annahme (2), wonach sich höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete häufiger als geringer (i.e. gering, mittel) Gebildete über Fernsehangebote ärgern, ist schwieriger zu erklären, da zwei Argumente gegeneinander stehen: (A) Es ist denkbar, dass hoch und sehr hoch Gebildete anspruchsvoller sind, dass sie ihre Ansprüche eher enttäuscht sehen und sich deshalb häufiger ärgern. Sie könnten sich sagen: „Wenn ich schon einmal fernsehe, dann sind mir die Inhalte auch vergleichsweise wichtig“. (B) Dagegen könnte sprechen, dass höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete dem Fernsehen eine geringere Bedeutung zumessen und sich deshalb weniger häufig ärgern. Diese beiden Argumentationsweisen müssen einander nicht widersprechen, wenn man sie auf das Maß der Häufigkeit bezieht: So zeigt sich in Abbildung 7, dass die Anteile des ‘oft’ vorkommenden Ärgers mit der Bildung zunehmen. Hier würde das Argument (A) greifen, kurz: Fernsehen erfüllt nicht die Ansprüche der höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildeten. Demgegenüber nehmen die Anteile des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers mit zunehmender Bildung ab (Befund 3) – hier könnte das Argument (B) greifen, das heißt, die höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildeten lassen eine so hohe Ärgerhäufigkeit nicht zu, weil das Medium dazu in subjektiver Sicht nicht wichtig genug ist. – Die Annahmen und ihre Begründungsmuster wären zu überprüfen. BILDUNG ° INTENSITÄT DES INHALTSÄRGERS. Betrachtet man die Intensität des Ärgers im Zusammenhang mit dem Bildungsniveau, so zeigt sich in der nachfolgenden Abbildung, dass der wenig intensive Ärger in drei der vier Bildungsgruppen dominiert. Dabei sind die Anteile beinahe gleich groß: Sie liegen bei den gering bis hoch Qualifizierten jeweils bei über 60 Prozent, allein bei den
290
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
sehr hoch Qualifizierten fällt der Anteil mit 47 Prozent kleiner aus. In dieser Gruppe liegt der Anteil der Ereignisse, die ‘ziemlich’ verärgern, bei 40 Prozent, während es in den anderen Gruppen jeweils ein (knappes) Viertel ist. Die Anteile für starken Ärger über Fernsehinhalte sind bei Befragten mit geringem und mittlerem Bildungsniveau kleiner (9% und 8%) als bei hoch und sehr hoch Qualifizierten (17 % und 13 %). Abbildung 8: Intensität des Ärgers über TV-Angebote nach Bildung (in Prozent) 9
9
23
27
17
22
13 40
sehr ziemlich 68
64
61 47
gering
mittel
hoch
sehr hoch
(N=22)
(N=11)
(N=23)
(N=30)
Bildungsniveau
wenig
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebildeten berichtet 22 Ereignisse „(N=22)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 22 Ereignissen 68% (absolut 14 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) wenig intensiven Ärger hervorrufen. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Intensitätsniveaus je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Unter dem Vorbehalt, dass die Verteilungsmuster eine geringe Datenbasis haben und sie somit auch der Zufall mitverursacht haben kann, werden folgende Annahmen formuliert:
Es könnte bei Personen mit geringem und mittlerem Bildungsabschluss wahrscheinlich zu größeren Anteilen des wenig intensiven Fernsehinhaltsärgers kommen. Hoch und sehr hoch gebildete Personen könnten eher als geringer (i.e. gering, mittel) Gebildete größere Anteile des intensiveren Inhaltsärgers verbu-
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
291
chen, wobei bei den sehr hoch Gebildeten der Anteil des ‘sehr’ intensiven Ärgers kleiner ist als bei den hoch Gebildeten. Der Unterschied ist hier gering, und offen bleibt, ob er zufällig ist. Diese Annahmen passen zu den obigen (siehe ‘Bildung ° Häufigkeit’), und sie lassen sich auf dieselbe Weise begründen: So könnten sich zum Beispiel höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete häufiger und auch intensiver ärgern, weil die Wahrscheinlichkeit höher sein dürfte, dass die Erwartungen der höher Gebildeten eher enttäuscht werden könnten als die der geringer Gebildeten (zur weiteren Begründung und Differenzierung siehe ‘Erklärungsversuch’ bei ‘Bildung ° Häufigkeit’). Überdies könnte die Variable ‘Häufigkeit’ eine vermittelnde Rolle spielen, da sich in dieser Studie andeutete, dass häufigerer Ärger zugleich der intensivere zu sein scheint und umgekehrt (vgl. Häufigkeit ° Intensität). SEHTYP ° HÄUFIGKEIT DES INHALTSÄRGERS. Von der Stichprobe wurden 15 Prozent den Wenigsehern zugeordnet, 70 Prozent sehen mäßig häufig fern, 5 Prozent viel und 10 Prozent extrem viel (zur Zusammensetzung der Gruppen nach Bildung vgl. Pkt. 10.2 ‘Medienausstattung und Sehtyp’). Die nächste Abbildung zeigt unterschiedliche Verteilungsmuster der Häufigkeiten nach Sehtyp. Abbildung 9: Häufigkeit des Ärgers über TV-Angebote nach Sehtyp (in Prozent) 11 22
8
9
16 50 45
sehr oft oft
40
manchmal
67 50
45
viel
extrem viel
36
wenig
mäßig
(N=9)
(N=62)
(N=4)
Fernsehkonsum
selten
(N=11)
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „wenig“ Sehenden: Die Gruppe der wenig Sehenden berichtet 9 Ereignisse „(N=9)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 9 Ereignissen 67% (absolut 6 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) wenig intensiven Ärger hervorrufen. Weil
292
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Sehtyp auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Bei den Wenigsehern ist der Anteil des seltenen Ärgers mit 67 Prozent am größten, und dieser Anteil ist größer als bei allen anderen Sehtypen, wobei die Differenz zu den mäßig Sehenden am größten ist. Betrachtet man allein diese beiden Sehtyp-Gruppen, dann ergäbe sich die Annahme, dass Wenigsehende sich seltener ärgern als die mäßig häufig Fernsehenden. Erklärungsversuch: Beide Bildungsgruppen sind in ihrer Zusammensetzung so, dass sie mehrheitlich aus sehr hoch Gebildeten bestehen. Vielleicht sind die Wenigsehenden – aus welchen Gründen auch immer – bei der Auswahl der Sendungen strenger als die Mäßigsehenden, so dass die gewählten Sendungen die Erwartungen eher erfüllen und Ärger in geringerem Umfang auftritt. Demgegenüber ist denkbar, dass Mäßigsehende bei der Entscheidung für eine Sendung ‘weichere’ Kriterien anwenden, nicht aber die für die Bewertung der TV-Inhalte. – Dass mit geringerer (i.e. wenig, mäßig) Sehhäufigkeit eine geringere (i.e. selten, manchmal) Ärgerhäufigkeit verknüpft sein könnte, zeigt sich außerdem beim Vergleich der Gruppe der ‘viel’ mit der der ‘extrem viel’ Sehenden. Erklärungsversuch: Vielleicht ist Fernsehen für die ‘extrem viel’ Sehenden subjektiv bedeutsamer als für die ‘viel’ Sehenden, und vielleicht erklärt ein solcher – vermutlich gradueller – Unterschied den Zusammenhang, falls er nicht dem Zufall geschuldet ist. Beim Blick auf alle vier Bildungsgruppen lassen sich Ähnlichkeiten zwischen den Gruppen der ‘extrem viel’ und der ‘wenig’ Sehenden ablesen, da in beiden Gruppen die Summe der Anteile des ‘selten’ und ‘manchmal’ auftretenden Ärgers etwa 90 Prozent beträgt, die je verbleibenden rund 10 Prozent unterscheiden sich graduell (Wenigsehende ‘oft’, extrem viel Sehende ‘sehr oft’). Erklärungsversuch: Die Ähnlichkeiten dürften je Gruppe unterschiedlich begründet sein. Es ist empirisch gut belegt, dass Inhalte für formal niedriger Gebildete subjektiv bedeutsamer sind (vgl. Pkt. 8.1 ‘Vorüberlegungen zu den Personenprofilen’). In dieser Stichprobe zählen zu den extrem viel Sehenden die eher gering Gebildeten. So ist denkbar – diese Sicht legen auch die Interviewdaten nahe –, dass der Ärger (vor allem der sehr häufige) in der Gruppe der extrem viel Sehenden mitunter dadurch begründet ist, dass die Inhalte für diesen Sehtyp eine höhere persönliche Bedeutung haben als für Wenigsehende, die vielleicht eher ich-distanziertere Bewertungsmaßstäbe anlegen und sich deshalb zudem nicht ‘sehr oft’ (sondern maximal ‘oft’) ärgern. Stellt man nun die Gruppen der ‘wenig’ und ‘mäßig’ Fernsehenden den Gruppen der ‘viel’ und ‘extrem viel’ Sehenden gegenüber, dann lässt sich Folgendes feststellen: Bei den viel und extrem viel Sehenden sind die Anteile des
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
293
weniger häufigen (i.e. selten und manchmal addiert) vorkommenden Ärgers knapp am größten, die Anteile des häufigeren (i.e. oft und sehr oft addiert) Ärgers am kleinsten. So gesehen könnte der folgende, vielleicht generelle Zusammenhang zwischen Ärger und Sehtyp bestehen: Bei denjenigen, die mehr fernsehen, kommt es wahrscheinlich seltener zu Ärger. Mit anderen Worten: Wer (gerne und) viel fernsieht, ärgert sich auch seltener. SEHTYP ° INTENSITÄT DES INHALTSÄRGERS. Für die Intensitäten des Ärgers zeichnet die nächste Abbildung ein recht klares Bild. Die Anteile des wenig intensiven Ärgers wachsen mit der Sehhäufigkeit. Demgegenüber verringern sich die Anteile des ziemlich intensiven Ärgers. Anteile für sehr intensiven Ärger finden sich einzig bei den mäßig und extrem viel Sehenden. Dabei ist der Anteil des sehr intensiven Ärgers bei den extrem viel Sehenden kleiner als bei den mäßig Sehenden. Anhand dieser Werte ist denkbar, dass es bei Personen, die häufiger (i.e. viel, extrem viel) fernsehen, größere Anteile an Ereignissen gibt, die wenig intensiven Ärger hervorrufen, und kleinere Anteile mit ziemlich intensivem Ärger. Diese Annahme passt zu einer der obigen, die lautete: Wer mehr fernsieht, dürfte sich weniger häufig ärgern (s. Sehtyp ° Häufigkeit). Abbildung 10: Intensität des Ärgers über TV-Angeboten nach Sehtyp (in Prozent) 16
55
9 25
9
29 sehr ziemlich 75
44
82
55
wenig
wenig
mäßig
viel
extrem viel
(N=9)
(N=62)
(N=4)
(N=11)
Fernsehkonsum
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „wenig“ Sehenden: Die Gruppe der wenig Sehenden berichtet 9 Ereignisse „(N=9)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 9 Ereignissen 44% (absolut 4 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) wenig intensiven Ärger hervorrufen. Weil
294
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Intensitätsniveaus je Sehtyp auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Erklärungsversuch. Für die kleinen Anteile des sehr intensiven Ärgers (bei den mäßig und extrem viel Sehenden) könnte es verschiedene Gründe geben, und die Argumentation könnte ähnlich zu der sein, die unter ‘Sehtyp° Häufigkeit’ geführt wurde (siehe ausführlich dort). Sie soll hier verkürzt aufgegriffen werden. So könnten sich die extrem viel Sehenden – allesamt gering gebildet –, über die Inhalte stärker ärgern, weil sie die Inhalte für das eigene Leben wichtiger nehmen. Dies könnte auch auf solche Befragte aus der Gruppe der mäßig Sehenden zutreffen, die ebenso geringer (i.e gering, mittel) gebildet sind. Andere Befragte der mäßig Sehenden könnten sich aufgrund von anderen als ich-zentrierten Bewertungsmaßstäben sehr ärgern. Dass hier zwei Erklärungen für möglich gehalten werden, liegt also daran, dass die Gruppe der mäßig Fernsehenden zu 79 Prozent aus hoch bis sehr hoch und zu 21 Prozent aus geringer (i.e. gering, mittel) Gebildeten besteht und mit den Bildungsniveaus unterschiedliche subjektive Bewertungen von Fernsehinhalten einhergehen. Demgegenüber sind bei den wenig und viel Sehenden keine Ereignisse verzeichnet, die sehr intensiven Ärger hervorrufen. Für die Wenigsehenden könnte gelten, dass sie diese Ärgerintensität gar nicht erst zulassen, weil sie Fernsehinhalte nicht so hoch bewerten oder weil sie aufgrund eines sehr gezielten Auswahlverhaltens solchen Inhalten, die sehr verärgern würden, nicht begegnen. Bei den viel Sehenden lässt sich das Ausbleiben des sehr intensiven Ärgers nicht plausibel erklären. Am ehesten dürfte es sich hier um einen Zufallsbefund handeln etwa deshalb, weil es einzig eine Befragte ist, die die (vier) Ereignisse berichtet und bewertet (vgl. Pkt. 10.2 ‘Medienausstattung und Sehtyp’). DAUER. Für die Dauer des Ärgers gibt es eine Schlüsselkategorie. Abweichungen von dieser Kategorie bestätigen eher die Regel. So möchte ich Ärger über Fernsehinhalte als MOMENT-ÄRGER bezeichnen. Zwölf der zwanzig Befragten sagen explizit und acht Befragte implizit, dass der Ärger gewöhnlich nur einen kurzen Moment andauere, nur so lange wie sie das Geschehen auf dem Bildschirm sehen. Ändert sich der Inhalt, oder schalten die Befragten ab oder um, oder sind die Befragten auf andere Weise nicht mehr mit dem Ärgerereignis konfrontiert, dann ist der Ärger entweder unmittelbar oder nach sehr kurzer Zeit verflogen. Hier der Wortlaut zweier Befragter: „Befragte: Das ärgert mich auch immer nur in dem Moment (I: mhm), und wenn ich dann das was anderes gucke oder so, dann vergess ich das auch (I: ja), also…mir kommt nicht nachmittags irgendwann in den Sinn: ‘Mensch, das hat mich so geärgert, jetzt muss ich das was dran ändern’ (I: ja). Das passiert nicht [beide lachen]. Also nee.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
295
Interviewerin: Das passiert Ihnen nicht. Aber unmittelbar nach der Sendung sind Sie ja noch ein Stück verärgert? Befragte: Ja“ (Fall 1).
Ein Befragter berichtete, dass er sich aufrege, wenn Kandidaten in der Sendung ‘Wer wird Millionär?’ leichte Fragen nicht beantworten könnten. Und weiter: „Meistens reg ich mich auch gleich wieder ab (I: Ach so). Das ist halt nur …manchmal bei bestimmten Fragen [in der Sendung ‘Wer wird Millionär?’], bei so leichten Fragen“ (Fall 8).
Er sehe sich die Sendung immer wieder an, „auch wenn ich mich ärger“ (Fall 8). Auf die Frage, ob nach der Sendung noch Ärger bleibe, antwortet er: „Ach woher denn (I: Nee). Ach Quatsch da“ (Fall 8). Er vergesse den Ärger „sowieso“ sofort wieder. „Das ist nur für einen Moment (I: ja). Aber sonst normal überhaupt nicht. [Etwas später:] In dem Moment reg ich mich darüber auf, aber danach ist es weg“ (Fall 8).
Vier Befragte formulieren Ausnahmen von dieser auch für sie zutreffenden Regel, dass der Ärger nur einen Moment dauere. Ausnahmen sind, wenn Ärgerereignisse regelmäßig auftauchen (z.B. die Serie könnte zum wiederholten Male inhaltlich besser sein; die Erotikwerbung stört zum wiederholten Male beim Fernsehen). Auch wenn eine Sendung aufgrund bestimmter interessierender Sachgebiete eingeschaltet wurde und deren Darbietung dann aus bestimmten Gründen missfallen hat, kann der Ärger darüber auch über die Sendung hinaus andauern – aber auch hier eher kurzzeitig. Ferner führt Ärger über Themen wie Tierquälerei bei der Filmproduktion oder Erotik bei einigen Befragten zu einer (inneren) Beschäftigung mit dem Thema, die über die Sendung hinaus andauert – allerdings ebenfalls für begrenzte, für kurze Zeit oder hin und wieder, wenn das Ereignis ins Gedächtnis kommt. Insgesamt sei es aber so, dass der Ärger nur einen Moment dauere.
13.2.3 Ärger rund ums Fernsehen In diesem Abschnitt sollen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Dimensionen des Ärgers rund ums Fernsehen (Häufigkeit, Intensität, Dauer) und den Variablen Bildung und Sehtyp untersucht werden. Die daraus entstehenden Hypothesen sollen dazu beitragen, den Ärger rund ums Fernsehen zu charakterisieren.
296
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Die Befragten nannten 59 Ärgerereignisse rund ums Fernsehen, von denen 54 in die Auswertungen einbezogen werden können. Eine befragte Person berichtet somit durchschnittlich 2,7 Ereignisse. Methodisch wird bei der Auswertung in derselben Weise verfahren wie bei den Auswertungen zum Inhaltsärger. Zur Erinnerung: Die Anzahl der Ärgerereignisse (und nicht die Anzahl der Befragten) stellen die Berechnungsbasis dar (vgl. Pkt. 13.2.1 ‘Ziel der Analyse und methodische Anmerkungen’). HÄUFIGKEITEN. Die Häufigkeitskategorien ‘selten’, ‘manchmal’, ‘oft’ und ‘sehr oft’ wurden gemäß den Interviewtexten gebildet. Beispiele zu dieser Kategoriebildung enthält Tabelle A1 im Anhang III (vgl. auch Anm. 171). Die Verteilung der Häufigkeit ist in Abbildung 11 zu sehen. Wie sich zeigt, ärgern sich die Befragten über 21 Ereignisse (39 %) ‘selten’. Dies ist die Häufigkeitskategorie mit den meisten Nennungen. ‘Manchmal’ ärgern sich Befragte über 13 Ereignisse (24 %), 3 Ereignisse (6 %) lösen ‘oft’ Ärger aus. Die Einschätzung ‘sehr oft’ wird 17 Ärgerereignissen (31 %) zugeordnet. Abbildung 11: Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen 50 40
39 31
Anz. der Ereig-30 nisse in % 20 (N=54) 10
24
6
0 selten
manchmal oft ich ärgere mich ...
sehr oft
Welche Situationen oder Anlässe sind es, die ‘selten’, ‘manchmal’, ‘oft’ oder ‘sehr oft’ Ärger hervorrufen? Abbildung 12 gibt davon ein Bild.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
297
Abbildung 12: Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Anlassart
Störung Rezeption
Programmvorlieben
10
30
37,5
37,5
TV-Regelverstöße
40
20
(N=10)
25
43
57
(N=8)
(N=7)
selten Eigenes Verhalten
Störung Tätigkeit
33
67
30
30
40
(N=6)
(N=10)
manchmal oft sehr oft
Geringschätzung
Sonstige
50
40
12,5 12,5
25
60
(N=8)
(N=5)
in % der Ereignisse je Anlassart
Lesehilfe am Beispiel des Anlasses „Störung der Rezeption“: Wie eingangs berichtet, nannten die Befragten insgesamt 54 Ärgerereignisse. Davon entfallen auf Rezeptionsstörungen 10 „(N=10)“. Von diesen zehn Ereignissen rufen 30 % (absolut 3 Anlässe; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) selten Ärger hervor, 10 % manchmal (absolut 1), 20 % (absolut 2) oft und 40 % (absolut 4) sehr oft. Weil je Anlassart prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Anlassart auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Wie in Abbildung 12 zu sehen ist, kommt es zu Störungen der Rezeption vergleichsweise häufig. Zwanzig Prozent der Anlässe aus dieser Kategorie ereignen sich oft, vierzig Prozent sehr oft. Ähnlich ist die Verteilung bei ‘sonstigen’ Anlässen (40% oft, 60 % sehr oft). Bei den anderen Anlässen (Tätigkeitsstörung, TV-Regelverstöße, Programmvorlieben, Geringschätzung, eigenes Verhalten) dominieren die Häufigkeiten selten und manchmal. Das eigene Verhalten ist überdies der einzige Anlass, bei dem es weder oft noch sehr oft und auch über-
298
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
wiegend selten (67 %) zu Ärger kommt. Dies passt zu dem Befund aus der Ärgerforschung, wonach man sich über sich selbst nicht gerne ärgert. Die Datenmenge ist zu gering, als dass man eine Tendenz sicher ableiten könnte. Daher soll mit der gebotenen Vorsicht eine Einschätzung anhand der vorliegenden Daten vorgenommen werden. Sie hat hypothetischen Charakter, das heißt, die nachfolgend genannten Zusammenhänge wären in einer größer angelegten Studie zu überprüfen. So kommt es zu Ärger anlässlich 1. der Störung der Rezeption 2. der Programmvorlieben 3. der TV-Regelverstöße 4. des eigenen Verhaltens 5. der Störung einer Tätigkeit 6. der Geringschätzung
sehr oft, mäßig häufig (zwischen manchmal und oft), mäßig häufig (zwischen manchmal und oft), selten, sehr oft, mäßig häufig (zwischen manchmal und oft).
INTENSITÄT. Als Kategorien ermittelte ich aus den Interviewtexten die Ärgerintensitäten ‘wenig’, ‘ziemlich’, ‘sehr’ (zur Kategoriebildung vgl. Tabelle A2 im Anhang III). Abbildung 13 zeigt, dass der Ärger der Befragten bei vier der sieben Anlassarten überwiegend wenig intensiv ausgeprägt ist. Dies sind die Anlässe aus der Kategorie Sonstige (60%), Störung einer Tätigkeit (60%), Programmvorlieben (75%) und eigenes Verhalten (100%). Bei Ärger über das eigene Verhalten ist ‘wenig intensiv’ sogar die einzig genannte Intensität. Mit einer einzigen Intensität reagieren die Befragten auch bei dem Ärger über geringschätziges Verhalten. Hier ist der Ärger allerdings immer ‘sehr’ intensiv.168
168 Dieses Ergebnis ist nicht – wie man annehmen könnte – einem Kodierungsartefakt geschuldet. Zum Beispiel berichten einige Befragte, dass sie sich immer dann sehr ärgern, wenn sie zu Besuch sind und die Gastgeber lassen das Fernsehgerät laufen. Immer dann also, wenn sich die Situation ereignet, fühlen sich die Befragten gering geschätzt, und ihr Ärger ist intensiv.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
299
Abbildung 13: Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Anlassart
Störung Rezeption
50
30
75
Programmvorlieben
TV-Regelverstöße
20
25
14
43
Eigenes Verhalten
43
100
(N=10)
(N=8)
(N=7)
(N=6)
w enig ziemlich sehr
Störung Tätigkeit
60
100
Geringschätzung
Sonstige
40
60
(N=10)
(N=8)
40
(N=5)
in % der Ereignisse je Anlassart
Lesehilfe am Beispiel des Anlasses „Störung der Rezeption“: Die Befragten nannten insgesamt 54 Ärgerereignisse, auf Rezeptionsstörungen entfallen 10 „(N=10)“. Von diesen zehn Ereignissen rufen 50 % (absolut 5 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) wenig, 20 % (absolut 2) ziemlich und 30 (absolut 3) sehr intensiven Ärger hervor. Weil je Anlassart prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Intensitätsniveaus je Anlassart auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Bei beiden Anlässen – eigenes Verhalten und Geringschätzung – kommt es zu den Intensitäten ‘wenig’ bzw. ‘sehr’ unabhängig davon, ob der Ärger selten, manchmal, oft oder sehr oft vorkommt – dies ist in Abbildung 14 zu sehen. Abbildung 14 informiert darüber, wie sich alle Ärgerereignisse rund ums Fernsehen über die Anlassarten verteilen (vgl. Anmerkung 169 auf der nächsten Seite). Gleichzeitig soll sie den Zusammenhang HÄUFIGKEIT ° INTENSITÄT illustrieren.
300
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Abbildung 14: Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen (in Prozent – Basis: 54 Anlässe)169 Häufigkeit
selten
manchmal
oft
sehr oft
Anlassart 1. Störung Rezeption
bbbb
2. Programmvorlieben
bbbbb b
3. TV-Regelverstöße
bbbbb b
4. Eigenes Verhalten
bbbbb bb
bbbb
5. Störung Tätigkeit
bbbbb b
bbbbb b
6. Geringschätzung
ÃÃÃÃÃ ÃÃ
ÃÃÃÃ
7. Sonstige
bb
ÃÃ
bb
bbbbb b
bb ÃÃÃÃ ÃÃÃÃ ÃÃÃÃÃ Ã
bb ÃÃ
ÃÃÃÃÃ ÃÃ ÃÃ
ÃÃ bbbb ÃÃ
Erklärung der Intensitäts-Symbole: b wenig ziemlich à sehr Ein Symbol entspricht einem Prozentpunkt (gerundet) Zu den exakten Daten vgl. Tabelle A7 im Anhang III
In der vorstehenden Abbildung zeigt sich wie schon in Abbildung 13, dass die Symbole des wenig intensiven [b] und des starken [Ã] Ärgers überwiegen. Der ziemliche [ ] Ärger, die Intensität zwischen wenig und stark, ist kaum zu sehen. Insgesamt dominiert der wenig intensive Ärger. Zusammenfassend und in Zahlen ausgedrückt ergibt sich: 169 Die Verteilung der Ereignisse erfolgt hier nicht nach der Anlassart, sondern alle 54 Ärgerereignisse rund ums Fernsehen sind in ihrer Gesamtverteilung auf die Anlassarten dargestellt. Das soll am Beispiel der Rezeptionsstörung für die Spalte des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers verdeutlicht werden: Von den 54 Ereignissen entfallen 2% auf sehr oft und wenig intensiv verärgernde Rezeptionsstörungen (2xb), 2% auf sehr oft und ziemlich intensiv (2x ) und 4% auf sehr oft und sehr intensiv (4xÃ) verärgernde Rezeptionsstörungen (vgl. auch Tab. A7 im Anhang III).
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer b wenig intensiver Ärger bei ziemlich starker Ärger bei à sehr starker Ärger bei Gesamt:
301
29 Ärgerereignissen, das sind 54 % aller Ereignisse; 3 Ärgerereignissen, das sind 6 % aller Ereignisse; 22 Ärgerereignissen, das sind 40 % aller Ereignisse; 54 Ärgerereignisse 100 %
Beim Blick auf die Summe jeweiligen Spalten lassen sich Besonderheiten in der Verteilung (Mehrheitsverhältnisse) der Ärgerintensitäten erkennen. Die folgende Tabelle 22 gibt einen Überblick: Tabelle 22: Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen (Spaltenprozente) selten b 15 = 71 % 1= 5% Ã 5 = 24 % 21 = 100 %
manchmal b 10 = 77 % Ã 3 = 23 % 13 = 100 %
Erklärung der Intensitäts-Symbole:
oft
sehr oft
b 1 = 33 % 1 = 33 % Ã 1 = 33 % 3 = 100 %
b 3 = 18 % 1= 6% Ã 13 = 76 % 17 = 100 %
b 29 = 54 % 3= 6% Ã 22 = 40 % 54 = 100 %
b wenig
ziemlich
à sehr
Tabelle 22 zeigt, dass die Ärgeranlässe, über die sich die Befragten selten und manchmal ärgern, weitgehend wenig intensiven Ärger (71 % und 77%) mit sich bringen. Die Mehrheitsverhältnisse ändern sich deutlich bei den sehr oft170 auftretenden Ärgeranlässen: Hier entfallen 76 % der Nennungen auf starken Ärger, mit weitem Abstand (58 Prozentpunkte) folgt der wenig intensive Ärger (18 %), ziemlichen Ärger löst ein Ereignis aus (6 %). Da die stark verärgernden Ärgeranlässe hier einen vergleichsweise hohen Anteil einnehmen und dominieren, soll näher auf sie eingegangen werden. [Ã] Hinsichtlich des starken Ärgers fällt in Abbildung 14 einmal mehr auf, dass er bei der Anlassart Geringschätzung (Normverstoß) ausschließlich(!) zu finden ist (vgl. auch Abbildung 13 mit Kommentierung). Außerdem ist zu erkennen, dass Ärger quer über alle Anlässe vor allem dann intensiv ist, wenn die Anlässe sehr oft vorkommen, sich wiederholen (vgl. Tabelle 22 sowie rechte Spalte in Abb. 14). So ärgert sich zum Beispiel ein Befragter sehr oft und regelmäßig darüber, dass er nicht ungestört fernsehen kann, wenn seine Ehefrau die 170 Bei den ‘oft’ vorkommenden Anlässen weisen die Anteile der Intensitäten ‘wenig’, ‘ziemlich’ und ‘sehr’ mit je 33 Prozent die gleiche Größe auf. Diese Daten können hinsichtlich der Mehrheitsverhältnisse nicht sinnvoll interpretiert werden. Der Verteilung der Intensitäten in dieser Häufigkeitskategorie liegen nur drei Ereignisse zugrunde.
302
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Spülmaschine ausräumt (Störungen der Rezeption). Eine andere Befragte ärgert sich sehr oft und regelmäßig darüber, wenn ihr Mann unmittelbar nach der Berufsarbeit das Fernsehgerät einschaltet. Dies sind also Anlässe, die regelmäßig und oft wiederkehren.171 Folgender Zusammenhang könnte – wie schon bei dem Inhaltsärger – bestehen: Je häufiger ein verärgernder Anlass vorkommt, desto intensiver fällt wahrscheinlich der Ärger darüber aus. BILDUNG UND ÄRGER RUND UMS FERNSEHEN. Die nächste Abbildung spiegelt die Anlassarten bezogen auf das Bildungsniveau wider. Abbildung 15: Ärger rund ums Fernsehen nach Bildung
Störung der Rezeption Programmvorlieben TV-Regelverstöße Eigenes Verhalten Störung Tätigkeit Geringschätzung Sonstige
in % 45 40
40 35 30 25 20
20 20 20
1717
23
20 20 20
20 14
13
15 8 8
10 5
27
25
25
0
0 gering (N=12)
9
7
mittel (N=5)
5 0
0
00
14 9
hoch (N=15)
sehr hoch (N=22)
Bildungsniveau
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebildeten berichtet 12 Ereignisse „(N=12)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. 171 Mit der Zuordnung ‘sehr oft’ ist eine empirische Schwierigkeit verbunden. Ob die Anlässe, die regelmäßig auftreten, tatsächlich auch sehr oft auftreten, kann angezweifelt werden. Denn etwas, das regelmäßig auftritt, kann zuweilen als ‘sehr oft’ auftretend wahrgenommen werden, muss aber faktisch nicht sehr oft vorkommen. Dieses Problem löste ich, indem ich die Angaben der Befragten dann der Kategorie ‘sehr oft’ zuordnete, wenn sie es sagten UND zugleich der Anlass auch auf eine hohe Auftrittswahrscheinlichkeit schließen ließ. So ist es zum Beispiel möglich, dass eine Spülmaschine in einer vierköpfigen Familie in der Regel recht oft ausgeräumt werden muss.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
303
Das heißt zum Beispiel, dass von 12 Ereignissen 25% (absolut 3; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) auf Störung der Rezeption oder einer Tätigkeit entfallen. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Anlassarten je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Auffällig ist, dass sich von allen Bildungsgruppen einzig die gering Gebildeten nicht über das eigene Fernsehverhalten ärgern. Möglicherweise thematisieren Personen dieser Bildungsgruppe ihr Fernsehverhalten nicht, während dies die formal höher (i.e. mittel, hoch, sehr hoch) Gebildeten tun, sei es, weil sie die Probleme des Fernsehkonsums eher sehen, sei es, weil andere Interessen mit dem Fernsehinteresse konkurrieren. Klagen über Störungen der Rezeption und einer Tätigkeit (s. zu Tätigkeitsstörung weiter unten) stellen insgesamt vergleichsweise große Anteile. Was die Ereignisse zu Rezeptionsstörungen betrifft, so finden sie sich in allen Bildungsgruppen, wobei die Anteile der Ereignisse bei den Personen mit geringer und mittlerer Bildung größer sind (25% und 40%) als bei den hoch und besonders den sehr hoch Gebildeten (20% und 9%). Dies könnte damit erklärbar sein, dass die Fernsehinhalte für Personen mit geringerem (i.e. gering, mittel) Bildungshintergrund subjektiv wichtiger sind und der Fernsehwunsch daher ausgeprägter ist, so dass Störungen eher bedeutsam sind (zur TV-Nutzung nach Bildung vgl. Pkt. 8.1 ‘Vorüberlegungen zu den Personenprofilen’). Beinahe das Gegenstück dazu stellen die Ergebnisse zu dem Anlass Geringschätzung dar. Hier sticht die Gruppe der sehr hoch Gebildeten – allesamt Akademiker – hervor, von denen einige im Interview zum Beispiel die Auffassung betonten, dass Fernsehinhalte nicht Vorrang vor persönlichen Gesprächen haben sollten.172 27 Prozent der Ereignisse entfallen in dieser Gruppe auf Geringschätzung, während der Anteil bei den Personen mit geringer und mittlerer Bildung bei 8 und 20 Prozent und damit niedriger liegt. Eine Ausnahme sind die hoch Gebildeten, bei denen der Anlass nicht vorkommt. Diese Gruppe besteht ausschließlich aus Studierenden, die in Wohngemeinschaften leben. Möglicherweise ist mit der Art der ‘Lebens- oder Zweckgemeinschaft auf Zeit’ eine Lebensweise und Einstellung verbunden, durch die es weniger zu dem Gefühl der Geringschätzung beim Fernsehen kommt.
172 Das Gefühl, geringschätzig behandelt worden zu sein, kam bei Befragten etwa dann auf, wenn sie sich zusammen mit weiteren Personen im Fernsehzimmer aufhielten, und diese anderen einzig den Fernsehinhalt verfolgen wollten und einen Gesprächswunsch (barsch) zurückwiesen. In der Sicht der Zurückgewiesenen wird Fernsehen durch die anderen zu wichtig genommen, wichtiger als das eigene Wort, als die gesprächssuchende Person selbst.
304
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Die Anteile der Ereignisse, die auf Störungen einer Tätigkeit entfallen, sind – außer bei den hoch Gebildeten – vergleichsweise groß, und sie liegen in allen drei Bildungsgruppen bei 20 bis 25 Prozent. Dass der Anteil der Ereignisse in der Gruppe der hoch Gebildeten (i.e. Studierenden) mit 7 Prozent besonders niedrig ausfällt, könnte an der Situation in deren Wohngemeinschaften liegen. Dort hat jede Person ein eigenes Zimmer hat, wo sie ungestört ihren Tätigkeiten nachgehen kann. Ärger aufgrund von TV-Regelverstößen und vereitelten Programmvorlieben findet sich nicht bei den Personen mit mittlerer Bildung,173 bei den gering und hoch Gebildeten betragen die Anteile für beide Anlassarten je 17 und 20 Prozent. Am kleinsten sind die Anteile der Ereignisse zu diesen Anlassarten bei den Akademikern (9% TV-Regelverstöße, 14 % Programmvorlieben). Verschiedene Gründe dürften für diese Muster eine Rolle spielen. Unterstellt man, dass Fernsehen für sehr hoch Gebildete – die Akademiker – im Allgemeinen weniger bedeutsam ist, dann ist denkbar, dass es weniger Probleme mit Fernsehregeln und mit der Einigung auf eine Sendung gibt. Zu dieser Argumentation scheint nicht zu passen, dass in der Gruppe der hoch Gebildeten die jeweiligen Anteile für TV-Regelverstöße und Programmvorlieben höher (20 %) liegen. Die Personen dieser Gruppe befinden sich aber in einer anderen Lebenssituation als die Akademiker der Stichprobe. Während die Akademiker verheiratet sind und (daher) eher homogene soziale Bedingungen im Familiengefüge (ohne oder mit Kinder/n) vorliegen, handelt es sich bei den hoch Gebildeten ausschließlich um Studierende, die in Wohngemeinschaften leben. Es könnte somit sein, dass in den Wohngemeinschaften durch das Zusammensein sehr unterschiedlicher Menschen inhomogene Ansichten und Interessen aufeinander treffen. BILDUNG ° HÄUFIGKEIT. Den Zusammenhang zwischen dem Bildungshintergrund der Befragten und der Häufigkeit des Ärgers stellt die nächste Abbildung 16 dar.
173 Dies ist hier nicht plausibel erklärbar. Es dürfte wohl damit zu tun haben, dass es in der Stichprobe nur drei Personen mit diesem Bildungsniveau gibt und diese drei Personen insgesamt nur fünf Ereignisse berichten.
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
305
Abbildung 16: Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Bildung (in Prozent der Ereignisse)
13
20
7
58
20
20
32
5
32
sehr oft oft manchmal
25
60
60 32
selten
17 gering (N=12)
mittel (N=5)
hoch (N=15)
sehr hoch (N=22)
Bildungsniveau
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebildeten berichtet 12 Ereignisse „(N=12)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 12 Ereignissen 17% (absolut 2; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) selten, 25 % (absolut 3) manchmal, 58% (absolut 7) sehr oft verärgern. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Beim Vergleich der Bildungsgruppen fällt erstens auf, dass bei den gering Gebildeten die Anteile der Häufigkeiten deutlich anders verteilt sind als bei den anderen Bildungsgruppen. So ragt zum Beispiel der Anteil des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers mit 58 Prozent heraus, er beträgt in den anderen Gruppen 20, 13 und 32 Prozent. Der 32-Prozentanteil findet sich bei den sehr hoch Gebildeten, so dass man zweitens sagen könnte, dass sich einerseits die Extremgruppen (i.e. gering und sehr hoch Gebildete), andererseits die beiden dazwischen liegenden Gruppen (i.e. mittel und hoch Gebildete) in ihren Verteilungsmustern ähnlicher sind. Für die Gruppenähnlichkeiten sind zweierlei Erklärungen denkbar, auf die jetzt eingegangen werden soll. Danach wird es um den Befund gehen, der sich für die Gruppe der gering Gebildeten ergab. (1) In einer allgemeinen Sicht ließe sich für das ähnliche Verteilungsmuster in den Extremgruppen argumentieren, dass Fernsehen für die gering Gebildeten eine höhere Bedeutung haben könnte als für die sehr hoch Gebildeten (i.e. Aka-
306
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
demiker). Wie in Abbildung 15 gesehen, entfallen bei den gering Gebildeten vergleichsweise viele Ereignisse auf den Anlass der Rezeptionsstörung, bei den Akademikern ist dies die Geringschätzung. Das könnte etwa – verkürzt gesagt – bedeuten, dass für die einen der Fernsehwunsch im Vordergrund steht und für die Akademiker vor allem das soziale, von gegenseitiger Achtung getragene Miteinander beim gemeinsamen Fernsehen. Beide Interessen sind gleichermaßen störanfällig, was die relativ ähnlichen Verteilungsmuster erklären könnte (2) Demgegenüber ist auch denkbar, dass beide Bildungsgruppen dem Fernsehwunsch dieselbe Wertigkeit zuweisen, so etwa dann, wenn es um eine konkrete Sendung geht. Wer eine bestimmte Sendung gerne sehen möchte, bewertet diesen Wunsch sicherlich als wichtig, und wird dieser Wunsch blockiert, dann kann es zu Ärger kommen. So lässt sich also annehmen, dass die gering und die sehr hoch Gebildeten sich ähnlich häufig rund ums Fernsehen ärgern – mal aufgrund unterschiedlicher, mal aufgrund gleicher Anlassarten und Wertsetzungen. Ähnlich zu sein, bedeutet nicht, gleich zu sein, und so unterscheiden sich die gering Gebildeten von den sehr hoch Gebildeten zum Beispiel dadurch, dass der Anteil der ‘sehr oft’ verärgernden Ereignisse (58%) beinahe doppelt so groß ist wie bei den sehr hoch Gebildeten, das heißt den Akademikern (32%). Überdies ist der Anteil des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers bei den gering Gebildeten größer als bei allen anderen Bildungsgruppen. Vielleicht drückt sich darin aus, dass der Fernsehwunsch bei den gering Gebildeten bedeutsamer und so auch störanfälliger ist als bei den anderen Bildungsgruppen. So könnte angenommen werden, dass es bei den gering Gebildeten nicht nur häufiger als bei sehr hoch Gebildeten (i.e. Akademikern), sondern auch häufiger als bei den anderen Bildungsgruppen zu Ärger kommt. Für die Annahme spräche, dass höher (i.e. mittel, hoch, sehr hoch) Gebildeten – und darunter insbesondere Akademikern – das Fernsehen im Allgemeinen weniger wichtig ist und dass sie seltener fernsehen (siehe Sehtyp ° Häufigkeit), so dass der Konflikt seltener auftritt. Hinzu kommen könnte, dass die höhere Bildung eine kompetentere Handhabung von Konflikten mit sich bringt, was in Situationen (rund ums TV), die durch Unmittelbarkeit gekennzeichnet sind, eine größere Rolle spielen könnte als in solchen, in denen Unmittelbarkeit nicht gegeben ist (z.B. bei Ärger über TV-Inhalte). Für diese Argumentation spricht auch, wenn man einzig die gering, mittel und hoch Gebildeten miteinander vergleicht. Mit steigendem Bildungsniveau steigen die Anteile des weniger häufig (d.h. ‘selten’ und ‘manchmal’ zusammengefasst) vorkommenden Ärgers. Nun nehmen diese Anteile bei den Akademikern wieder etwas ab und die der Häufigkeiten ‘oft’ und ‘sehr oft’ zu, womit die Akademiker den Personen mit geringem und mittlerem Bildungsabschluss näher rücken. Da-
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
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mit käme wieder die obige Argumentation für die Ähnlichkeitsbehauptung in Frage. In einer Folgeuntersuchung mit einer großen Fallzahl (z.B. Bevölkerungsstichprobe) ließen sich die Häufigkeitsverteilungen, die hier immer auch zufällig zustande gekommen sein können, testen. Genauer: Es könnte geprüft werden, ob sich die Extremgruppen (i.e. gering und sehr hoch Gebildete) im Vergleich zu den mittel und hoch Gebildeten in der Ärgerhäufigkeit ähnlicher sind. Die gering Gebildeten – auch dies wäre zu testen – könnten eine besondere Stellung insofern einnehmen, als sie sich häufiger rund ums Fernsehen ärgern als die anderen Bildungsgruppen.174 BILDUNG ° INTENSITÄT DES ÄRGERS RUND UMS FERNSEHEN. Die Verteilung der Intensitäten – zu sehen in der nächsten Abbildung 17 – gleicht in ihrem leicht kurvilinearen Bild der Verteilung der Häufigkeiten. Durch dieses ähnliche Bild könnte sich erneut andeuten, dass Häufigkeit und Intensität zusammenhängen, dass also zum Beispiel mit der Häufigkeit eines Ärgeranlasses auch die Ärgerintensität steigt. Somit käme der Variablen ‘Häufigkeit’ eine vermittelnde Bedeutung zu. Der Blick auf die Abbildung zeigt ferner, dass in den Extremgruppen die Anteile des sehr intensiven Ärgers recht groß sind. Dabei sind die Anteile bei den gering Gebildeten etwas größer als bei den sehr hoch Gebildeten (i.e. Akademikern), doch en gros ähneln sich die Verteilungen der Intensitäten in den beiden Gruppen. Die Ursache dürfte für die gering Gebildeten eine andere sein als für die sehr hoch Gebildeten. Auf den hiesigen Zusammenhang könnte die Argumentation übertragen werden, die zur Ähnlichkeitsannahme beim Zusam174 Getestet werden könnte auch die Hypothese, wonach mit steigendem/fallendem Bildungsniveau der Ärger rund ums Fernsehen abnimmt/zunimmt. Die vorliegenden Daten legen diese Annahme allerdings nicht eindeutig nahe, was mit der Stichprobe, genauer: mit der Zusammensetzung vor allem der Gruppe mit mittlerer und der mit hoher Bildung zusammenhängen könnte. Die Gruppe mit mittlerem Bildungsabschluss besteht aus drei Personen mit formal gleichen Schulabschlüssen, aber es sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Eine Person ist freiberuflich tätig (Fall 2, Zahntechnikerin, Malerin, sozialer Dienst, Leiterin einer Pferdepension), eine andere ist Friseurin, zum Interviewzeitpunkt seit einigen Tage arbeitslos (Fall 15), die dritte Person ist langzeitarbeitsloser Metallarbeiter (Fall 8; vgl. zu den Fällen Tab. 9 in Kap. 10). Die Freiberuflerin sieht wenig (Fall 2), die Friseurin mäßig häufig (Fall 15), der arbeitslose Metallarbeiter extrem viel fern (Fall 8). Überdies stammen die fünf Anlässe dieser Gruppe von zwei der drei Personen, das heißt, die Freiberuflerin nannte keinen Anlass. Die Person, die extrem viel fernsieht, wies einem Anlass die Häufigkeit ‘sehr oft’ zu, die anderen vier Anlässe wurden von der mäßig fernsehenden Person als ‘selten’ (3 Anlässe) und ‘oft’ (1 Anlass) eingeschätzt. – Die Besonderheit in der Gruppe der hoch Gebildeten ist, dass sie sich ausschließlich um in Wohngemeinschaften lebenden Studierenden zusammensetzt (6 Befragte). Vielleicht erklärt sich der starke Anstieg der Anteile des ‘seltenen’ und ‘manchmal’ vorkommenden Ärgers durch die Homogenität dieser Gruppe.
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13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
menhang ‘Bildung ° Häufigkeit’ formuliert wurde. Danach spielt es eine Rolle, dass Fernsehen in einer allgemeinen Sicht für gering Gebildete bedeutsamer sein kann als für sehr hoch Gebildete und sich daraus unterschiedliche Ärgeranlässe mit aber ähnlichen Ärgerintensitäten ergeben. Denkbar ist ferner, dass bezogen auf Wünsche wie etwa, eine bestimmte Fernsehsendung sehen zu wollen, die Ärgeranlässe (z.B. Störungen des Fernsehwunsches) und Intensitäten ähnlich sind (zur Argumentation siehe ausführlich unter ‘Bildung ° Häufigkeit’). Bei der behaupteten Ähnlichkeit soll jedoch nicht übersehen werden, dass bei den gering Gebildeten der Anteil des sehr intensiven Ärgers größer ist als bei den sehr hoch Gebildeten und den anderen beiden Bildungsgruppen. Es ist vorstellbar, dass sich hierin eine größere subjektive Bedeutung des Fernsehens spiegelt. Insgesamt wären also die Annahmen zu überprüfen, dass die Intensitäten in den Extremgruppen ähnlich sind, und dass die gering Gebildeten insgesamt die größten Anteile sehr intensiven Ärgers verzeichnen. Abbildung 17: Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Bildung (in % der Ereignisse)
20
67
59
20
sehr 100
17
60
wenig 41
17 gering (N=12)
ziemlich
mittel
(N=5)
hoch
(N=15)
sehr hoch (N=22)
Bildungsniveau
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „gering“ Gebildeten: Die Gruppe der gering Gebildeten berichtet 12 Ereignisse „(N=12)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 12 Ereignissen 17% (absolut je 2 Ereignisse; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) ‘wenig’ intensiven Ärger hervorrufen. Dasselbe gilt für den ziemlichen Ärger. 67% (absolut 8) der Ereignisse verärgern ‘sehr’. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Intensitäts-
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
309
niveaus je Bildungsgruppe auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Des Weiteren fällt die Gruppe der hoch Gebildeten auf, da hier einzig wenig intensiver Ärger verzeichnet ist. Dies lässt sich nicht plausibel erklären, denn warum sollten sich alle anderen, nur nicht die hoch Gebildeten, intensiver ärgern. Es mag also ein Zufallsbefund sein, der mit der Homogenität der Gruppe – alle studieren und leben in Wohngemeinschaften – zusammenhängen könnte. Überdies könnten die Variablen ‘Bildung’ und ‘Intensität’ des Ärgers wie folgt zusammenhängen: Eine höhere (i.e. hoch, sehr hoch) Bildung könnte mit einer geringen (wenig) Intensität, eine geringere (i.e. gering, mittel) Bildung mit einer stärkeren (ziemlich, sehr) Intensität verknüpft sein. Diese Sicht ergibt sich allerdings nur dann, wenn man die Bildungsgruppen mit geringem und mittlerem Bildungsniveau denen mit hohem und sehr hohem Niveau gegenüberstellt. Die Erklärung dürfte vielschichtig sein. Zum einen ist denkbar, dass mit höherer Bildung ein größeres Potential an Fähigkeiten der Konflikthandhabung verknüpft ist. Eine gute Konfliktfähigkeit könnte in Situationen rund ums Fernsehen, die durch Unmittelbarkeit gekennzeichnet sind, eine größere Rolle spielen als bei Ärger über Fernsehinhalte. Zum anderen könnten die Ärgeranlässe rund ums Fernsehen bei höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildeten deswegen weniger ins Gewicht fallen, weil für sie – wenn es stimmt – Fernsehen subjektiv weniger zentral ist. SEHTYP ° HÄUFIGKEIT. Von der Stichprobe (N=20) wurden 15 Prozent den Wenigsehern zugeordnet, 70 Prozent sehen mäßig fern, 5 Prozent viel und 10 Prozent extrem viel (vgl. Pkt. 10.2 ‘Medienausstattung und Sehtyp’). In der nächsten Abbildung zeigt sich ein sehr deutlicher Unterschied zwischen denjenigen, die viel oder extrem viel fernsehen, und jenen, die wenig bis mäßig häufig fernsehen. Vor allem die Häufigkeiten in den Gruppen der viel und extrem viel Sehenden sind recht ähnlich.
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13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Abbildung 18: Häufigkeit des Ärgers rund ums Fernsehen nach Sehtyp (in Prozent) 16 43
8
100
80
sehr oft
29 15
43
oft manchmal
47 20
wenig
mäßig
(N=7)
(N=4) (N=38) Fernsehkonsum
viel
selten
extem viel (N=5)
Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „Wenigsehenden“: Die Gruppe der wenig Sehenden berichtet 7 Ereignisse „(N=7)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 7 Ereignissen 43% (absolut 3; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) selten, 15 % (absolut 1) manchmal, 43% (absolut 3) sehr oft verärgern. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der einzelnen Häufigkeiten je Sehtyp auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
Beim Vergleich der Gruppe der ‘wenig’ und ‘mäßig’ Fernsehenden zeigt sich, dass in beiden Gruppen die Anteile des selten und manchmal vorkommenden Ärgers dominieren, wenn man diese beiden zusammenrechnet. Dabei sind diese Anteile bei den mäßig Fernsehenden etwas größer (76%) als bei den Wenigsehenden (58%). Allein beim Blick auf diese beiden Gruppen ließe sich annehmen, dass sich die mäßig Sehenden weniger häufig ärgern als die Wenigsehenden. Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich ansatzweise auch aus dem Vergleich der Gruppe der viel Sehenden mit der der extrem viel Sehenden. Diese auf Teilgruppen bezogenen Annahmen könnten vielleicht so erklärt werden, dass gegenüber Konflikten rund ums Fernsehen, die bei einer höheren (i.e. viel, extrem viel) Sehhäufigkeit wohl auch häufiger auftreten könnten (nicht müssen), eine größere Toleranz entwickelt wird. Dieses Argument würde auf Gruppen bezogen, die – wie hier miteinander verglichen – sich hinsichtlich der Sehhäufigkeit oder der sozialen Merkmale kaum unterscheiden. Dort, wo die Gruppenunterschiede größer werden, oder auch im Sinne einer allgemeinen Behauptung, scheint die obige Annahme nicht zu greifen. Wenn
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
311
man die Gruppen der ‘wenig’ und ‘mäßig’ Sehenden denen der ‘viel’ und ‘extrem viel’ Sehenden gegenüberstellt, ergibt sich die folgende, m. E. überzeugendere Annahme: Die wenig und mäßig Sehenden dürften sich wahrscheinlich seltener rund ums Fernsehen ärgern als die viel und extrem viel Sehenden. Vorbehaltlich der Unsicherheit der Daten zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Ärgerhäufigkeit mit der Sehhäufigkeit ab der Gruppe der viel Sehenden. Es ist denkbar, dass das Medium in einem Mehrpersonenhaushalt – alle Befragten dieser Stichprobe leben in Mehrpersonenhaushalten – häufiger zum Thema werden kann, wenn es häufiger eingeschaltet wird. Dazu würde passen, dass mit einer stärkeren Nutzung eine höhere subjektive Bedeutung des Fernsehens verbunden ist, so dass Behinderungen bei der Erfüllung des Fernsehwunsches auch eher mit Ärger beantwortet werden kann (Ärgerrelevanz). Diese Erklärung dürfte also vor allem für Personen gelten, die recht viel fernsehen wollen und in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Bei den wenig oder mäßig häufig Sehenden hingegen könnte es sein, dass die geringere Bedeutung, die Fernsehen für sie hat, dazu führt, dass das Gerät seltener eingeschaltet wird und dass Konflikte weniger häufig auftreten. In einer größer angelegten Folgestudie wären somit zwei Hypothesen zu klären: Dies ist zum einen diejenige, dass viel und extrem viel Sehende eine höhere Ärgerhäufigkeit haben als wenig und mäßig Sehende. Zum anderen gibt es die Hypothese für die in den Eigenschaften näher beieinander liegenden Gruppen, das sind einerseits die wenig und die mäßig Sehenden, andererseits die viel und extrem viel Sehenden – jeweils soll geprüft werden: Wer weniger sieht, ärgert sich häufiger. SEHTYP ° INTENSITÄT. Die Verteilung der Intensitäten nach Sehtyp ist leicht kurvilinear und gleicht der der Häufigkeiten (vgl. Abb. 19). Das kann – hier einmal mehr – damit zusammenhängen, dass Häufigkeit und Intensität korrelieren, dass zum Beispiel mit der Häufigkeit eines Ärgeranlasses auch die Intensität steigt. Somit würde die Variable ‘Auftrittshäufigkeit’ eines Ärgerereignisses hier vermittelnd wirken.
312
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Abbildung 19: Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen nach Sehtyp (in Prozent der Ereignisse)
29 71
5
75
60 sehr ziemlich
66 29
wenig (N=7)
mäßig (N=38)
25
40
viel
extrem viel
(N=4)
wenig
(N=5)
Fernsehkonsum Lesehilfe am Beispiel der Gruppe der „wenig“ Sehenden: Die Gruppe der Wenigsehenden berichtet 7 Ereignisse „(N=7)“. Diese bilden die Grundlage der Prozentuierung. Das heißt zum Beispiel, dass von 7 Ereignissen 29% (absolut 2; die absoluten Zahlen sind in der Abbildung nicht zu sehen) ‘wenig’ und 71 % (absolut 5) ‘sehr’ verärgern. Weil pro Gruppe prozentuiert wurde, addieren sich die Prozente der Intensitätsniveaus je Sehtyp auf 100; geringe Abweichungen sind durch Rundungen bedingt.
In der Abbildung fällt auf, dass in den Extremgruppen (i.e. die wenig und die extrem viel Sehenden) die Anteile des wenig und sehr intensiven Ärgers ähnlich groß sind. Dieser Ähnlichkeit dürften unterschiedliche Begründungen zugrunde liegen. Das heißt, die ‘wenig’ und die ‘extrem viel’ Sehenden könnten sich unter anderem aufgrund je verschiedener Anlässe und Bedeutungen, die sie dem Fernsehen zumessen (minimal vs. sehr bedeutend), ähnlich intensiv ärgern (vgl. dazu auch die Ergebnisse und Überlegungen zu ‘Sehtyp ° Häufigkeit’). Und so ist folgende Annahme vorstellbar: Die Verteilung der Ärgerintensitäten könnte in beiden Gruppen gleich sein, wobei es so sein könnte, dass die Wenigsehenden etwas größere Anteile des intensiveren Ärgers verbuchen als die extrem viel Sehenden. Plausibel wäre dies etwa mit einem Wechsel in der subjektiven Bewertung zu erklären: Während Wenigsehende dem Fernsehen im Allgemeinen eine geringe Bedeutung zumessen, tun sie dies nicht, wenn sie sich für eine konkrete Sendung entscheiden. Diese Sendung ist ihnen dann wichtig, wodurch die Fernsehsituation konfliktanfälliger ist. Vielleicht reagieren Wenigsehende in
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
313
dieser Situation, die obendrein tendenziell einer Ausnahmesituation gleichkommen kann, intensiver als es extrem viel Sehende tun. Fasst man die ‘wenig’ und ‘mäßig’ Sehenden zusammen und stellt sie den ‘viel’ und ‘extrem viel’ Sehenden gegenüber, dann würde sich Folgendes ergeben: Die wenig und mäßig Sehenden verbuchen kleinere Anteile des ziemlich und des sehr intensiven Ärgers als die viel und extrem viel Sehenden. Vielleicht – so ließe sich annehmen – ärgern sich die viel und extrem viel Sehenden insgesamt eher (i.e. zu größeren Anteilen) intensiv(er). Für die Annahme könnte dieselbe Argumentation herangezogen werden, wie sie bei der Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang ‘Sehtyp ° Häufigkeit’ formuliert wurde. Hierzu zählte etwa, dass vor allem all jene, die viel und sehr viel fernsehen möchten, dem Fernsehen eine höhere subjektive Bedeutung beimessen und es deshalb häufiger zum Thema machen, so dass der Ärger intensiv ist, wenn sich dem Fernsehwunsch etwas entgegenstellt. DAUER. Für eine Befragte kam es nicht zu Ärgerereignissen rund um Fernsehen. Sie ist Wenigseherin und nie so stark an Fernsehsendungen interessiert, dass sie zum Beispiel einen Fernsehwunsch gegenüber Familienmitgliedern mit Ärger durchsetzen müsste. Mit ihren Kindern gab es aus erzieherischer Sicht ebenfalls keinen Ärger, auch keinen, den sie hätte schlichten müssen. Dies war nach den Schilderungen der Befragten sowohl so, als es nur einen Fernseher im Familienhaushalt gab, als auch, als die Kinder eigene Geräte hatten. Bei allen anderen Befragten kommt es zu Ärger rund ums Fernsehen. Die Ärgerdauer wurde nicht für alle Anlassarten separat erfragt. So sind die Antworten überwiegend allgemeiner Art, das heißt summarisch. Dabei zeigt sich zweierlei: Ärger über Anlässe wie Störungen der Rezeption oder das eigene Verhalten bleibt für alle 19 Befragte auf die Auslösesituation begrenzt. Er wird in der Regel sofort wieder vergessen, vor allem dann, wenn die Störung schnell beseitigt werden kann. Möchte also jemand einen Fernsehinhalt lückenlos verfolgen, wird dabei aber von einer anderen anwesenden Person angesprochen, so kann diese Störung der Rezeption durch ein Bitten um Ruhe oder ein ‘Pscht!’ abgewendet werden. Ist für die an dem Fernsehinhalt interessierte Person der Ärger vorüber, so kann er für manche gesprächssuchende Person noch bestehen. Denn einige Befragte erleben etwa ein ‘Pscht!’ oder eine abwinkende Geste als Geringschätzung ihrer Person. Das Gefühl, gering geschätzt oder missachtet zu werden, löst länger anhaltenden Ärger aus. „Dann ist der Abend für mich-, steht unter einem-, weiterhin unter einem nicht so guten Licht, weil ich mich dann eben geärgert habe und das auch nicht rauslassen konnte. Das wird ja auch nicht zugelassen sozusagen, es sei denn, ich verschwinde,
314
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer aber trotzdem, es wären alles, alles nur Variationen, ich habe mich geärgert“ (Fall 4).
Mit dieser Befragten sind es insgesamt drei Befragte, bei denen der Ärger durch Geringschätzung länger anhält. Länger anhaltend ist der Ärger auch bei Ärgeranlässen, die die Erziehung von Kindern oder den massiven Fernsehkonsum des Ehemannes betreffen. Dieser Ärger dauert nicht nur länger, sondern er ereignet sich regelmäßig, zuweilen täglich neu. Bei der Erziehung eines Kindes mag das Auftreten des Ärgers beschränkt bleiben auf eine Lebensphase, bei einem erwachsenen viel Sehenden Familienmitglied kann dies genauso, muss aber nicht so sein. Eine weitere Befragte (Fall 13) ärgert sich sehr über das Verhalten ihres Ehemannes, der sich bei der Auswahl des Fernsehprogramms kaum kompromissbereit zeigt und der schnell böse und beleidigend wird oder beleidigt ist. Auch dieser Ärger beschäftigt die Befragte über die Situation hinaus, auch weil sie nach verschiedenen Versuchen, die Situation zu verändern, keine Möglichkeiten mehr dazu sieht (vgl. Pkte. 11.3.2 und 12.3.2 ‘Programmvorlieben und…’). Anders reagiert eine andere Befragte. Auch sie ärgert sich regelmäßig über das Fernsehverhalten ihres Ehemannes, aber sie vergisst diesen Ärger recht schnell wieder. In einer ihrer Äußerungen deutet sich, man könnte sagen: eine ‘Ökonomie des Ärgers’ an, das heißt, das baldige Vergessen begründet sie lapidar: „Sonst könnten wir uns gleich scheiden lassen“ (Fall 14). Diese beiden Personen haben sicherlich ihren je eigenen Umgang mit der Situation. Doch diese Sichtweise scheint nicht auszureichen, um die Reaktionen zu verstehen. Ein näherer Blick auf die beiden Befragten zeigt, dass diejenige, die sich sehr und anhaltend über das Verhalten ihres Mannes ärgert, ein großes Bedürfnis hat, mit diesem zusammen zu sein, das Fernsehen soll dabei das verbindende Medium darstellen (Fall 13). Im Falle der Befragten, die den Ärger über das Verhalten ihres Mannes sogleich wieder vergessen kann, richtet sich das Interesse auf das Fernsehangebot und weniger auf das Zusammensein mit dem Ehemann (Fall 14). So hat sie auch eine Lösung für ihre Problem gefunden: Ein zweites Fernsehgerät soll gekauft werden. Insgesamt lässt sich annehmen, dass die Ärgerdauer mit der Ärger- und Anlassart variiert. Recht deutlich wird erkennbar, dass vor allem Ärger, der durch eher perönlichkeitsverletzendes Verhalten ausgelöst wurde, länger anhält. Dies passt zu dem Befund, wonach Selbstwertverletzungen besonders gravierend für die Betroffenen sind (vgl. Weber 1994: 227ff.) sowie dazu, dass in subjektiver Sicht besonders wichtige Anlässe mit der Ärgerdauer und -intensität zusammenhängen (vgl. Clore 1994 und den nächsten Punkt).
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
315
13.2.4 Vergleich In diesem Abschnitt sollen die Befunde zum Ärger über TV-Inhalte verglichen werden mit denen des Ärgers rund ums Fernsehen. Dabei ist einmal mehr hervorzuheben, dass die Befunde auf kleinen Fallzahlen beruhen und die Verteilungsmuster auch auf Zufälligkeit beruhen können. Alle Annahmen und Vergleiche unterliegen diesem Vorbehalt. – Zunächst werden die HÄUFIGKEITEN besprochen und in folgender Abbildung dargestellt. Abbildung 20: Vergleich der Häufigkeiten des Ärgers über TV-Angebote und Situationen rund ums TV (in Prozent der Ereignisse) 50
41
39
40
40
30
31 24
20
13
10
6
7
0 selten
manchmal
oft
sehr oft
ich ärgere mich... TV-Angebot
Um TV herum
Das Gemeinsame für Ärger durch TV-Angebote einerseits und Ärger durch Situationen rund ums Fernsehen andererseits ist, dass er mehrheitlich selten vorkommt. Verschieden ist die weitere Reihenfolge der Häufigkeiten: Während beim Inhaltsärger an zweiter Stelle die Häufigkeit ‘manchmal’ steht, ist dies bei dem Ärger rund ums Fernsehen die Kategorie ‘sehr oft’. Rund ums Fernsehen ist der Anteil des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers mehr als viermal so groß wie beim Ärger über TV-Inhalte. INTENSITÄT.175 Gemeinsam ist für die beiden Ärgerbereiche, dass der Ärger vorwiegend wenig intensiv ist (vgl. Abb. 4 und 13). Ein Unterschied bezieht auf den ‘ziemlich’ und ‘sehr’ ausgeprägten Ärger. Der ‘sehr’ intensive Ärger steht bei dem Ärger über TV-Angebote an dritter, bei dem Ärger durch Situationen rund ums Fernsehen jedoch an zweiter Stelle. Der Anteil ist zudem recht groß. 175 Beim Vergleich der Intensitäten des Ärgers rund ums Fernsehen mit denen des Inhaltsärgers wird unterstellt, dass es sich um vergleichbare Größen handelt.
316
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Das könnte erstens bedeuten, dass der starke Ärger in den Situationen rund ums Fernsehen eine größere Rolle spielt als bei dem Inhaltsärger. Zweitens sind bei dem Inhaltsärger alle drei Intensitätsausprägungen besetzt, während man für den Ärger rund ums Fernsehen beinahe sagen könnte: Entweder ist der Ärger wenig oder eben sehr intensiv. Dies wird in folgender Abbildung anschaulich. Abbildung 21: Vergleich der Intensitäten wenig
ziemlich
TV-Angebotsärger
58 %
29 %
Ärger rund ums TV
54 %
6%
Sehr 13 %
40 %
In der Abbildung wird erkennbar, dass beim Inhaltsärger die Anteile stetig fallen, und bei dem Ärger rund ums Fernsehen liegen die größten Anteile an den Rändern, das heißt, die Werte sind U-förmig verteilt. Im nächsten Schritt wird der Zusammenhang von Häufigkeit und Intensität betrachtet. HÄUFIGKEIT ° INTENSITÄT. Beim Blick auf den Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Intensität legen die Daten beider Ärgerbereiche die Vermutung nahe, dass mit der Auftrittshäufigkeit eines Anlasses auch die Intensität des Ärgers steigen könnte (vgl. z.B. Tabelle 21, S. 285 und 22, S. 301). Somit könnte die Auftrittshäufigkeit des Ärgers für die Intensität bedeutend sein. Eine weitere Gemeinsamkeit zeigt sich in den Abbildungen 5 und 14 bezüglich der Stärke des Ärgers: Der starke Ärger häuft sich bei denselben oder vergleichbaren Anlässen. Bei dem Inhaltsärger sind dies besonders die Normverstöße, bei dem Ärger rund ums Fernsehen ist dies die Geringschätzung, also ebenfalls ein Normverstoß. Diese Anlässe dürfen wohl als besonders wichtig für Personen bezeichnet werden. Wird etwas verletzt, was subjektiv besonders bedeutend ist, wird die Reaktion darauf wohl intensiver sein – einen solchen Zusammenhang formuliert auch Clore (1994). BILDUNG ° HÄUFIGKEIT. Beim Vergleich der beiden Formen des Fernsehärgers bezogen auf das Bildungsniveau weisen die Daten auf Unterschiede hin. In der nachfolgenden Tabelle 23 sind mögliche Annahmen zusammengetragen. Zunächst zum Inhaltsärger: Hier ist zu vermuten, dass geringer (i.e. gering, mittel) Gebildete in größerem Umfang Ereignissen begegnen, die selten verärgern (vgl. Abb. 7). Dies könnte damit zu tun haben, dass die geringer (i.e. gering, mittel) Gebildeten mit den Fernsehinhalten einverstanden sind und somit wohl auch gerne und häufiger fernsehen.176 Ärger würde – wenn man ihn als negative 176 Es ist empirisch nachgewiesen, dass das Bildungsniveau und die Sehhäufigkeit korrelieren. Mit steigendem Bildungsniveau nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass jemand wenig fernsieht,
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
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und abzulehnende Emotion versteht – dieses Vergnügen trüben und daher gegebenenfalls den Fernsehkonsum verringern. So gesehen passen ein häufiger Ärger über Fernsehinhalte und ein hoher Fernsehkonsum nicht zusammen. Eher passt es zusammen, dass es, allgemein ausgedrückt, häufiger zu Ärger über Fernsehinhalte kommt, wenn das Bildungsniveau höher ist. Als eine Begründung ist denkbar, dass höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete höhere inhaltliche Ansprüche haben, die zuweilen unbedient bleiben. Eine höher (i.e. hoch, sehr hoch) gebildete Person könnte ihren Ärger mit den Worten begründen: „Wenn ich schon einmal fernsehe, dann ist es auch noch schlecht“.177 Dass nun bei den hoch und sehr hoch Gebildeten der Anteil des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers relativ klein ist, könnte etwa damit zu tun haben, dass sie Fernsehen nicht sehr wichtig nehmen und deshalb diese Häufigkeit nicht zulassen. – Da in der Argumentation die Sehhäufigkeit eine Rolle spielt, sollte sich das Muster bei dem Zusammenhang Sehtyp und Ärgerhäufigkeit wieder finden (s.u.). Tabelle 23: Übersicht über Annahmen zu ‘Bildung ° Häufigkeit’ des Fernsehärgers Ärger über TV-Angebote
Ärger rund ums Fernsehen
(1) Personen mit geringem und mittlerem Bildungsabschluss verbuchen wahrscheinlich größere Anteile des weniger häufig vorkommenden (‘selten’ + ‘manchmal’) Ärgers als höher Gebildete.
(1) Personen mit geringem Bildungsabschluss verbuchen wahrscheinlich größere Anteile des häufiger (oft, sehr oft) vorkommenden Ärgers als Personen der anderen Bildungsgruppen (mittel, hoch, sehr hoch Gebildete).
(2) Bei hoch und sehr hoch Gebildeten sind die Anteile des häufiger (‘oft’ + ‘sehr oft’) vorkommenden Ärgers wahrscheinlich größer als bei den geringer (i.e. gering, mittel) Gebildeten, die Anteile allein des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers allerdings kleiner als bei geringer Gebildeten.
(2) Bei gering und sehr hoch Gebildeten dürften (im Vergleich zu den mittel und hoch Gebildeten) die Verteilungsmuster der Ärgerhäufigkeit ähnlicher sein. Dabei könnten die Anteile des häufiger (i.e. oft, sehr oft) vorkommenden Ärgers bei den gering Gebildeten etwas größer als bei den sehr hoch Gebildeten sein.
und umgekehrt nimmt die Wahrscheinlichkeit des Vielsehens zu, je geringer das Bildungsniveau ist (vgl. Berg/Ridder 2002). Dieses Bild zeigt sich auch in dieser Studie (vgl. Tab. A3, Anhang III). 177 Hierin kann auch eine gewisse Regelmäßigkeit (Häufigkeit) der Erfahrung gesehen werden, das heißt, es müsste sich nicht um ein einmaliges Ereignis handeln, so dass es auch in dieser Hinsicht zu dem Zusammenhang ‘Ärgerhäufigkeit und Intensität’ passen würde.
318
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
Hinsichtlich des Ärgers rund ums Fernsehen (vgl. Tabelle 23) kann zum einen (1) angenommen werden, dass vor allem Personen mit geringem Bildungsabschluss sich häufiger (i.e. oft, sehr oft) ärgern als Personen der anderen Bildungsgruppen (i.e. mittel, hoch, sehr hoch Gebildete). (2) Zum anderen lässt sich aus dem Vergleich der vier Bildungsgruppen ablesen, dass sich die gering und die sehr hoch Gebildeten vermutlich ähnlich häufig ärgern, auch wenn die gering Gebildeten etwas größere Anteile des ‘sehr oft’ vorkommenden Ärgers aufweisen. Beide Annahmen sind – wie weiter oben ausführlich dargelegt – argumentativ vertretbar. Für (1) könnte sprechen, dass das Fernsehen für gering Gebildete eine höhere Bedeutung hat als für höher Gebildete, so dass das Medium für gering Gebildete besonders konfliktträchtig sein könnte. Bei dieser Argumentation ist außerdem die Sehhäufigkeit von Bedeutung. Wer geringer (i.e. gering, mittel) gebildet ist, sieht mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mehr fern. Wer mehr fernsieht, kann zum Beispiel häufiger dabei gestört werden. Mit anderen Worten: Fernsehen nimmt einen größeren Raum ein, und so kann er auch eher zur Quelle von Ärger werden. Auch diese Sichtweise müsste sich durch Analysen bei der Variablen ‘Sehtyp’ bestätigen (s.u.). Für die Annahme (2) könnte sprechen, dass sich die Ähnlichkeit mit den möglicherweise entgegengesetzten Bewertungen des Fernsehens erklärt. Einerseits spielen unterschiedliche Anlassarten eine Rolle. Zum Beispiel könnten die gering Gebildeten eher verärgert reagieren, wenn sie an der Rezeption gehindert werden, und die sehr hoch Gebildeten (i.e. die Akademiker) eher, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass andere, im Fernsehzimmer anwesende Personen die Fernsehkommunikation höher schätzen als die Kommunikation zwischen den Anwesenden. Doch auch Akademiker können sich über Rezeptionsstörungen ärgern. So mögen zwar Akademiker dem Fernsehen in einer allgemeinen Sicht weniger Bedeutung zumessen, doch wenn die Situation konkret ist, das heißt, wenn sie sich für eine Sendung entschieden haben, dann ist ihnen ihr Wunsch wichtig und somit stör- und ärgeranfällig. BILDUNG ° INTENSITÄT. Die Verteilungen beim Zusammenhang ‘Bildung ° Intensität’ sind ähnlich wie die bei dem Zusammenhang ‘Bildung ° Häufigkeit’ (vgl. auch Abb. 8 und 17). Die folgende Tabelle 24 bietet eine Übersicht über mögliche Annahmen zu den Zusammenhängen. Wie für den Inhaltsärger in Punkt 13.2.2 (‘Ärger über Fernsehangeobte’) beschrieben wurde, ärgern sich zum Beispiel höher (i.e. hoch, sehr hoch) Gebildete im Vergleich zu geringer (i.e. gering, mittel) Gebildeten häufiger, etwa weil die Wünsche der höher Gebildeten an das Fernsehen mitunter unerfüllt bleiben. Dieser Ärger ist nun zugleich intensiver. Das könnte zum einen damit zu tun haben, dass Häufigkeit und Intensität korrelieren könnten (z.B. je häufiger ein Ärgerereignis auftritt, je intensiver fällt der Ärger aus). Zum anderen ist denkbar,
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dass die vereitelten Erwartungen in der emotionalen Reaktion stärker ins Gewicht fallen etwa mit dem Argument: ‘Wenn ich schon einmal fernsehe, dann ist es auch noch schlecht’ (vgl. Anm. 177). Überdies zeigt sich, dass der Anteil des ‘sehr intensiven’ Ärgers bei den sehr hoch Gebildeten (Akademiker) wieder kleiner wird. Hierin könnte zum Ausdruck kommen, dass die Grundhaltung von Akademikern gegenüber dem Fernsehen unverträglich mit der Intensität ‘sehr’ ist, dieser Intensität geben Akademiker im Zusammenhang mit Fernsehen also wahrscheinlich kaum Raum. Tabelle 24: Übersicht über Annahmen zu ‘Bildung ° Intensität’ des Fernsehärgers Ärger über TV-Angebote
Ärger rund ums Fernsehen
(1) Gering und mittel Gebildete verbuchen wahrscheinlich größere Anteile mit wenig intensivem Ärger.
(1) Gering Gebildete dürften im Vergleich zu den anderen Bildungsgruppen größere Anteile des sehr intensiven Ärgers aufweisen.
(2) Bei hoch und sehr hoch Gebildeten kommt es wahrscheinlich zu größeren Anteilen von intensiverem (‘ziemlich’, ‘sehr’) Ärger, wobei der Anteil des ‘sehr’ intensiven’ Ärgers bei den hoch Gebildeten größer als bei den sehr hoch Gebildeten sein dürfte.
(2) Bei den gering und sehr hoch Gebildeten dürfte die Verteilung der Ärgerintensitäten ähnlich sein. Dabei könnten die Anteile des sehr intensiven Ärgers jeweils recht groß sein, zudem bei den gering Gebildeten etwas größer.
Für dem Ärger rund ums Fernsehen lässt sich aufgrund der Daten vermuten, dass – so Annahme 2 – die Verteilung der Ärgerintensitäten bei gering und sehr hoch Gebildeten ähnlich sind, dass bei beiden der Anteil des sehr intensiven Ärgers überwiegt und dieser etwas größer bei den gering Gebildeten ist. Insgesamt könnten – gemäß Annahme 1 – die gering Gebildeten im Vergleich zu den anderen Bildungsgruppen die größten Anteile sehr intensiven Ärgers davontragen. Für den hohen Anteil des sehr intensiven Ärgers bei den gering Gebildeten lässt sich argumentieren, dass dieser deshalb so groß ist, weil für diese Bildungsgruppe – wenn es stimmt – Fernsehen subjektiv bedeutsamer als für Personen mit höherer (i.e. hoch, sehr hoch) Bildung ist. Dies ist allerdings für Befund (2) zu differenzieren. Die ähnlichen Intensitäten könnten mit unterschiedlichen Anlassarten verknüpft sein, die mal mit einer allgemeinen, mal mit einer konkreten Wertsetzung des Fernsehens verbunden sind. Genauer: Wer eine bestimmte Sendung sehen möchte, der betrachtet diese Sendung (konkrete Wertsetzung) und
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13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
seinen Fernsehwunsch als wichtig. Wem hingegen gemeinsame Stunden am wichtigsten sind und das Fernsehen nicht besonders wichtig ist, sondern für den Wunsch nach Gemeinsamkeit ‘nur’ ein Mittel zum Zweck ist (allgemeine Wertsetzung), derjenige kann sich ärgern, wenn Mit-Fernsehende nicht die Gemeinsamkeit, sondern den Fernsehinhalt akzentuieren und etwa Nebengespräche ablehnen. Situationen wie die beschriebenen könnten in den Gruppen der gering sowie der sehr hoch Gebildeten in besonders ausgeprägter Weise zu Buche schlagen und so die ähnlichen Intensitäten erklären. SEHTYP ° HÄUFIGKEIT. In der folgenden Tabelle sind die Annahmen aufgeführt, auf die die Daten hinzuweisen scheinen. Tabelle 25: Übersicht über Annahmen zu ‘Sehtyp ° Häufigkeit’ des Fernsehärgers Ärger über TV-Angebote
Ärger rund ums Fernsehen
(1) Wenig und mäßig Sehende ärgern sich wahrscheinlich häufiger (oft, sehr oft) als viel und extrem viel Sehende.
(1) Wenig und mäßig Sehende ärgern sich wahrscheinlich weniger häufig (selten, manchmal) als viel und extrem viel Sehende.
Teilgruppenvergleich: a) Wenig vs. mäßig Sehende b) viel vs. extrem viel Sehende Für a) und b) könnte gelten: Wer jeweils weniger fernsieht ärgert sich weniger häufig.
Teilgruppenvergleich: a) Wenig vs. mäßig Sehende b) viel vs. extrem viel Sehende Für a) und b) könnte gelten: Wer jeweils weniger fernsieht ärgert sich häufiger.
Für den Inhaltsärger ist denkbar, dass wenig und mäßig Sehende größere Anteile des häufigeren (i.e. ‘oft’ und ‘sehr oft’) verbuchen als die viel und extrem viel Sehenden. Dies ist plausibel zu erklären: Ärger als negative Emotion würde die Motivation fernzusehen konterkarieren, und so ärgert sich wahrscheinlich weniger, wer (gerne) viel fernsieht. Die sich aus den Teilgruppenvergleichen ergebenden Aussagen, wonach sich diejenigen weniger ärgern, die weniger fernsehen, könnten damit zusammenhängen, dass sich die jeweiligen Gruppen hinsichtlich der sozialen Merkmale ähneln und hinsichtlich der Sehhäufigkeit geringfügig unterscheiden. Durch diesen graduellen Unterschied könnten Wertmaßstäbe deutlicher zutage treten, die in einer allgemeinen Sicht gegebenenfalls verwischen. Zum Beispiel sind in den Gruppen der wenig und mäßig Fernsehenden vergleichsweise viele Akademiker. Es ist denkbar, dass diejenigen, die wenig Fernsehen, eine erwartungsgerechtere Programmwahl treffen, als diejenigen, die mäßig sehen. Diese sehen
13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
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also mehr, könnten aber die Inhalte genauso wie die Wenigsehenden bewerten, und so würde sich der häufigere (i.e. oft, sehr oft) Ärger begründen. Bei dem Ärger rund ums Fernsehen zeigt sich für wenig und mäßig Sehende, dass die Anteile des weniger häufigen (i.e. selten, manchmal) Ärgers bei ihnen größer sind als bei den viel und extrem viel Sehenden. Diese Annahme ist mit der Begründung plausibel, dass dort, wo deutlich mehr ferngesehen wird, die Möglichkeit größer ist, dass es zu Ärger rund ums Fernsehen kommt, eben weil Fernsehen dort einen größeren Raum einnimmt und für die Subjekte bedeutsamer sein dürfte. Daneben wurde eine Aussage aufgrund von Teilgruppenvergleichen formuliert. Verglichen wurde einerseits die Gruppe der wenig mit der der mäßig Sehenden, andererseits die der viel mit der der extrem viel Sehenden. Die Daten lassen vermuten, dass sich weniger ärgert, wer mehr sieht. Diese Vermutung steht nun konträr zu der obigen (verkürzt: Wer weniger sieht, ärgert sich weniger). Hier dürften die geringen Gruppenunterschiede hinsichtlich der sozialen Merkmale und der Sehhäufigkeit eine Rolle spielen. Mäßig Sehende könnten sich deswegen weniger ärgern, weil sie Fernsehen nicht so streng bewerten wie Wenigsehende. Analog könnte sich die Situation für die viel und extrem viel Sehenden darstellen. SEHTYP ° INTENSITÄT. In der folgenden Tabelle 26 sind die Annahmen, die aus der Datenanalyse zum Zusammenhang ‘Sehtyp ° Intensität’ hervorgegangen sind, zusammengestellt. Die Annahme zum Inhaltsärger, wonach die Anteile des wenig intensiven bei Personen größer sind, die häufiger (i.e. oft, sehr oft) fernsehen, ist plausibel. Würde sich jemand, der viel fernsieht, auch häufig ärgern, so würde er vermutlich nicht mehr viel fernsehen. Mit der sinkenden Ärgerhäufigkeit sinkt demnach auch die Ärgerintensität (i.e. Korrelation von Häufigkeit und Intensität). Umgekehrt könnten die Anteile mit intensiverem (i.e. ziemlich, sehr) Ärger bei denjenigen größer sein, die weniger (i.e. wenig, mäßig) fernsehen. Deren Ansicht könnte sein: ‘Wenn ich schon einmal fernsehe, dann möchte ich auch etwas Gutes sehen; immer dann, wenn ich fernsehe, ist es nicht gut’. Für den Ärger rund ums Fernsehen könnte es sein, dass Personen, die viel oder extrem viel fernsehen, in größerem Umfang Ereignissen begegnen, die intensiver (i.e. ziemlich, sehr) verärgern (1). Diese Annahme lässt sich wie folgt rechtfertigen: Wer mehr (z.B. viel, extrem viel) fernsieht, gibt Fernsehen einen breiteren Raum und nimmt es vermutlich auch wichtiger. Damit erhöht sich wohl die Wahrscheinlichkeit, dass Fernsehen zum Anlass für Ärger werden kann. Der häufiger (i.e. oft, sehr oft) auftretende Ärger ist zugleich intensiver, und umgekehrt ärgern sich diejenigen wohl wenig(er) intensiv, die weniger (i.e. wenig, mäßig) fernsehen. Die jeweiligen Intensitätsgrade können – wie schon mehrfach
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13 Vertiefungen -- Häufigkeit, Intensität, Dauer
festgestellt – mit der Häufigkeit zusammenhängen. Ferner dürften subjektive Wertsetzungen eine Rolle spielen. Das heißt, was weniger wichtig genommen wird, erregt möglicherweise weniger intensiven Ärger. Tabelle 26: Übersicht über Annahmen zu ‘Sehtyp ° Intensität’ des Fernsehärgers Ärger über TV-Angebote
Ärger rund ums Fernsehen
(1) Personen, die häufiger (viel und extrem viel) fernsehen, dürften im Vergleich zu wenig und mäßig Sehenden größere Anteile des wenig intensiven Ärgers verbuchen und kleinere Anteile mit ziemlich oder sehr intensivem Ärger
(1) Personen, die häufiger (viel und extrem viel) fernsehen, dürften im Vergleich zu wenig und mäßig Sehenden größer Anteile des intensiveren (i.e. ziemlich, sehr) Ärgers aufweisen als wenig und mäßig Sehende. (2) Wenig und extrem viel Sehende könnten eine ähnliche Verteilung der Intensitäten des sehr und wenig intensiven Ärgers aufweisen. Dabei dürfte der Anteil des sehr intensiven Ärgers jeweils am größten sein. Außerdem könnten die Anteile des intensiven (ziemlich, sehr) Ärgers bei den Wenigsehenden etwas größer als bei den extrem viel Sehenden sein.
Dieser Erklärung könnte die Datenlage insofern widersprechen, als die Intensitäten in den Extremgruppen (i.e. wenig vs. extrem viel Sehende) ähnlich ausfallen und darauf hindeuten, dass Wenigsehende größere Anteile des intensiveren (i.e. ziemlich, sehr) Ärgers aufweisen. Eine Begründung könnte sein, dass sich hier die Wertsetzungen mischen, je nach dem, um welchen Ärgeranlass es sich handelt. Wer den Wunsch hat, eine Sendung zu sehen und dabei gestört wird, wird sich über die Störung ärgern – dies dürfte für die gering und die sehr hoch Gebildeten gleichermaßen gelten, diese wie jene legen Wert auf die Sendung, auf Fernsehen. Bezogen auf eine konkrete Sendung kann Fernsehen also wichtig sein, auch wenn Fernsehen vielleicht in einer allgemeinen Sicht für ein Subjekt keinen hohen Stellenwert besitzt. Überdies können diese unterschiedlichen Wertsetzungen auch innerhalb einer Situation zum Tragen kommen: Wer nicht zuvorderst fernsehen, sondern sich unterhalten will, und wer in diesem Wunsch zurückgewiesen wird, weil die andere Person den Fernsehinhalt verfolgen möchte, der wird mit Ärger reagieren. Die eine Person mag sagen: ‘Der Fernsehinhalt
13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
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ist mir im Augenblick wichtig’ (konkrete TV-Bewertung). Die andere Person: ‘So wichtig wie mein Wort kann Fernsehen doch nicht sein!’ (allgemeine TVBewertung). Da die Bewertungen des Fernsehen bei den gering und den sehr hoch Gebildeten jeweils besonders ausgeprägt sein dürften, könnte der Ärger in beiden Gruppen ähnlich intensiv ausfallen. DAUER. Während der Ärger über Fernsehinhalte in der Regel sehr kurz dauert und daher als Momentärger bezeichnet werden kann, gilt dies für den Ärger rund ums Fernsehen nur bedingt. Hier variiert die Dauer mit der Anlassart von Momentärger bis hin zu länger andauerndem Ärger. Dies ist vor allem bei Selbstwertverletzungen gegeben. – Insgesamt wären die in diesem Abschnitt (Pkt. 13.2.) berichteten Annahmen in einer Studie mit einer größeren Fallzahl zu testen.
13.3 Über TV-Ärger sprechen 13.3.1 Kennzeichen und Art der Kommunikation Auf ihren fernsehbezogenen Ärger reagieren die Befragten unter anderem damit, dass sie – ich formuliere es zunächst offen und etwas abstrakt – sich verbal äußern, es kommt zu kommunikativen Akten (vgl. Kap. 12 ‘Reaktionen’). Mit allen 20 Befragten sprach ich über deren Kommunikationsverhalten. Ob Befragte mit anderen über verärgernde Fernsehinhalte reden, berichteten die Befragten entweder von sich aus oder angeregt durch meine darauf gerichtete Frage. Ferner fragte ich, was das Reden hinterlasse, konkreter: ob es ein Gefühl der Erleichterung sei. Der Hintergrund für diese Frage ist, dass Gespräche über Ärger verschiedene Zwecke haben können. Wird der Ärger oder die ärgerauslösende Situation als belastend empfunden, so kann ein Gespräch im Sinne der Konfliktbearbeitung geführt werden. Ferner kann ein Gespräch dazu genutzt werden, die eigene Meinung und Absicht deutlich zu machen oder dazu, – ähnlich wie bei einem Smalltalk – in eine Interaktion zu treten oder eine Gesprächspause zu füllen (z.B. beim Friseur). Im Folgenden wird herausgearbeitet, inwiefern der Ärger über Fernsehinhalte die Rezipienten – während des Fernsehens und danach – zum Reden mit anderen veranlasst, um welche Kommunikationsform es sich dabei handelt und welche Folgen das Reden für das subjektive Empfinden hat. Hiermit sollten weitere Aussagen über die subjektive Bedeutung des Fernsehinhaltsärgers möglich werden. Zum Gesprächsverhalten während des gemeinsamen Fernsehens berichten 19 Befragte, wie sie sich bei Ärger über Fernsehinhalte ‘meistens’ oder im Allgemeinen verhalten, das heißt, die Verhaltensbeschreibungen sind losgelöst von
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13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
einer konkreten Fernsehsituation. Einzig ein Befragter bezieht sich auf eine konkrete Situation. Berücksichtigend, dass die summarischen Verhaltensbeschreibungen weit in der Überzahl sind und dass summarische Beschreibungen nicht dasselbe sind wie auf konkrete Situationen bezogene, sollen sie mit der gebotenen Vorsicht miteinander verglichen werden. Zunächst geht es um den Befragten, der nicht beschreibt, wie er sich im Allgemeinen, sondern konkret bei der Sendung ‘Wer wird Millionär?’ verhält, wenn er Verhaltensweisen von in der Sendung zu sehenden Akteuren als unpassend und unrichtig (emotional) bewertet. Der Befragte war teilweise nicht sehr redselig, so dass ich Interviewfragen ausführlicher formulieren musste. „Interviewerin: Haben Sie das Bedürfnis, das [d.h. die Kritik] dann auch zu äußern in dem Moment, also dass Sie sagen: ‘Ich muss jetzt mal was sagen, ach die sind ja so schrecklich blöd!’ Oder können Sie im Grunde genommen auch davor [d.h. vor dem Fernsehgerät] schweigen dazu. Befragter: Nee. Interviewerin: Das müssen Sie dann sagen? Befragter: Jo [lacht leicht]“ (Fall 8).
Für diesen Befragten ist eine Äußerung unausweichlich, sobald er sich während des Sehens der Quiz-Sendung (über Ungerechtigkeiten) ärgert. Somit sticht hier das Merkmal der Bedrängnis hervor, das sich mit theoretischen Annahmen zum Ärger vereinbart (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion…’). Es nimmt ein Maß an, das zu einer unmittelbaren (verbalen) Reaktion zu nötigen scheint. Eine Spur von Bedrängnis artikulieren – wenn auch nicht ganz so offensichtlich – die anderen 19 Befragten, die ihr Verhalten summarisch beschreiben, also so, wie es ‘meistens’ ist. Als Beispiel soll der folgende Befragte zu Wort kommen. Er bezieht sich bei seiner Verhaltensbeschreibung auf Fernsehinhalte, die er „ethisch“ und „moralisch“ (Fall 16) als verwerflich bewertet. „Und dann bin ich der Meinung, dass man dazu, dazu auch ähm öffentlich Stellung nehmen muss, also dass man, wenn jetzt mehrere Leute in einem Raum sind, diese Sendung sehen, und keiner sagt was, dann fühl ich mich n bisschen verpflichtet zu sagen: ‘Ich find das schlecht (I: ja) aus den und den Gründen’ (I: mhm)“ (Fall 16).
Zur Äußerung seiner Meinung oder eines Kommentars als „spontaner Ausdruck von Unzufriedenheit“ (Fall 16) fühlt er sich also „verpflichtet“ (Fall 16), eine gewisse Notwendigkeit (Bedrängnis, Dringlichkeit) scheint somit gegeben zu sein. In folgendem Interviewausschnitt gibt es nicht nur das Anzeichen für Bedrängnis, sondern als weiteres Merkmal das der Gelassenheit. Der Befragte beschreibt und begründet sein ärgerbedingtes Kommentieren beim Fernsehen:
13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
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„Befragter: Wenn ne andere Person dabei ist und ich mitgucken muss sozusagen, irgend ne Sache, die mich ärgern, dann nöl ich meistens rum und geb irgendwelche Kommentare ab und äh versuche, die andere Person davon zu überzeugen, dass das totaler Schwachsinn ist, was die da sieht, oder was wir da gucken.… Interviewerin: …Sie nölen rum, haben Sie gesagt. Kann es denn auch sein, dass Sie äh mit anderen darüber reden, oder ist das einfach nur so n Kommentar abgeben, und der verpufft dann irgendwie oder-? Befragter: Ja meistens ist es, wenn die anderen was gucken wollen (I: mhm), dann eigentlich eher so n Kommentar abgeben,…weil äh man kann die Leute ja nicht überzeugen, also wenn die das [d.h. Talkshows am Nachmittag] gucken wollen, dann sind die dann auch rationalen Argumenten oder so was nicht zugänglich. Das [Interesse] ist ja auch subjektiv, die bewerten das eben anders, die mögen das, und dann gucken sies eben, und deswegen ist es dann einfach nur meistens n Kommentar, um meinen Ärger kundzutun, aber man kann mit denen dann drüber nicht…vernünftig reden und diskutieren, und deswegen lohnt sich das dann nicht, was da zu investieren. Also natürlich, eigentlich könnt…man sich auch den Kommentar sparen, aber äh irgendwie muss müssen die anderen ja wissen: ‘Hier, dem gefällt das nicht’, und vielleicht beziehen sie ja [das]…mit ein“ (Fall 20).
Hinsichtlich der Bedrängnis richte ich zunächst den Blick auf den letzten Satz des Interviewausschnitts: „Irgendwie muss müssen die anderen ja wissen: ‘Hier, dem gefällt das nicht’“. Es sind die Worte ‘muss müssen’, in denen eine gewisse Bedrängnis aufscheint. Darüber hinaus enthält die Aussage eine Unstimmigkeit, die ebenfalls mit Bedrängnis in Zusammenhang gebracht werden kann. Zunächst sagt der Befragte, dass er mit seinem Kommentar seine Mitrezipienten von der schlechten Qualität des Medienprodukts „zu überzeugen“ versuche. Nach meiner Nachfrage sagte er dann, dass man die Leute „nicht überzeugen“ könne. Die Antwort des Befragten vor meiner Nachfrage legt die Vermutung nahe, dass es im Moment des Ärgers einen Anreiz zu einer Reaktion wie etwa einer Meinungsäußerung – hier im Sinne eines Überzeugungsversuches – zu geben scheint. Der zweite Teil seiner Antwort ist bedachter oder ‘vernünftiger’, was vermutlich eine Folge der Nachfrage ist. Die Verfeinerung liegt darin, dass der Befragte jetzt sein Alltagswissen oder Situationsverständnis formuliert, nämlich dass Fernsehinteressen subjektiv und kaum oder gar nicht beeinflussbar sind, und gemäß dem Motto ‘Über Geschmack kann man nicht streiten’ belässt er es beim ‘Rumnölen’ und einem Kommentar. An dieser Stelle verketten sich die Merkmale Bedrängnis und Gelassenheit. Der Ärger motiviert wohl zur Meinungsäußerung, aber die Situationseinschätzung führt den Befragten dazu, nichts Weitergehendes zu „investieren“, sondern Gelassenheit walten zu lassen. Weitere Folgen hat der Ärger hier also nicht oder muss er wohl nicht haben. Die Frage, ob die Befragten ihren Ärger während der Rezeption stets auf irgendeine Weise (z.B. mit Worten, Blicken, Gesten, Unruhe) äußern, kann mit
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13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
den Daten dieser Untersuchung nicht beantwortet werden. Sollte es nun so sein, dass die Befragten dem Fernsehärger auch mit einer gewissen Gelassenheit begegnen, so könnte mit dem Merkmal der Gelassenheit eine unausgesprochene Facette anklingen, nämlich die subjektive Bedeutsamkeit des Ärgers. Nicht das faktische Tun, also die Art, wie der Ärger geäußert wird, ist das alleinige Thema in den Antworten der Befragten, sondern es schwingt der (eher geringe) Wert mit, der der Ärgerursache und dem Ärger beigemessen wird. Dies zeigt sich auch in den Beschreibungen der postrezeptiven Mediengespräche sowie in den Antworten auf die Frage, ob das ‘Reden’ über verärgernde Fernsehinhalte mit Erleichterung einhergehe (vgl. 13.3.2 ‘Der Meinungsaustausch und das Gefühl danach’). Auf beides – die postrezeptiven Gespräche und das Gefühl danach – gehe ich im Folgenden ein, um dann zu einer Gesamteinschätzung zu kommen. Verärgernde Fernsehinhalte können auch fernab der Rezeptionssituation in Gesprächen auftauchen. Für die Kommunikation nach dem Fernsehen sind die Antworten der Befragten recht einhellig und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Alle 20 Befragten kennen Gesprächssituationen, in denen es um zurückliegende und mit Ärger verbundene Fernsehinhalte geht. Zur Art der Kommunikation heben die Befragten hervor, dass es sich um eine Art (Meinungs-)Austausch handele und nicht, wie ein Befragter betont, um ein Gespräch (s.u. Fall 20). Überdies wird ein solcher Austausch nicht gezielt gesucht, sondern der Austausch findet eher gelegentlich statt, und dies zuweilen auch nur dann, wenn es jemanden gibt, der dasselbe Medienangebot gesehen hat.178 Das kann angesichts der Fülle von Sendungen selten vorkommen, muss es aber nicht, da nach Aussagen der Befragten die Freunde ähnliche Sendungen wählen – ein Sachverhalt, der sich mit sozialpsychologischen Erkenntnissen zu Freundschaftsbeziehungen deckt (vgl. etwa Forgas 1995). Kommt es zu einem solchen Meinungsaustausch, so wird nicht unbedingt das Ziel angestrebt, Einfluss auf andere zu nehmen. Neun Befragte, die sehr ins Persönliche gehende Sendungen ablehnen und sich über solche Sendungen ärgern, erwägen nicht, Einfluss auf diejenigen auszuüben, die sich die Sendungen ansehen, etwa aus folgendem Grund: „Das würde keinen Zweck haben, die guckt das gerne“ (Fall 2).
178 Freilich wird auch über Fernsehbeiträge gesprochen, wenn der TV-Beitrag einem oder mehreren Gesprächsteilnehmern nicht bekannt ist. Dann kommt es zu Wissensabklärungen, die Sendung und der Zeitpunkt der Ausstrahlung werden mehr oder weniger ausführlich beschrieben (vgl. dazu Angela Keppler 1995, z.B. S. 227, 249). Nun ist es aufwändiger, einen Fernsehinhalt erst zu erläutern, um dann die eigenen Gedanken dazu darzulegen. Deshalb ist denkbar, dass eher oder lieber über Fernsehinhalte geredet wird, die den Gesprächsteilnehmern bekannt sind, während die unbekannten eher oder schneller fallen gelassen werden.
13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
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Die Kommunikationsform wird also von den Befragten klar benannt: Es handelt sich bei einem Mediengespräch um einen Meinungsaustausch. Was sich überdies hinsichtlich der Kriterien der Bedrängnis und der Gelassenheit andeutet, soll anhand der Interviewtexte präzisiert werden. Zunächst fällt auf, dass die Befragten zur Beschreibung ihres postrezeptiven Gesprächsverhaltens Worte wählen wie ‘sich unterhalten’, es dem anderen ‘erzählen’, die eigene ‘Meinung sagen’, oder dass sie den Ablauf einer solchen Gesprächssituation schildern. „Meistens ist es ja dann weniger n Gespräch, sondern eher so: ‘Ja find ich auch’ (I: mhm) oder: ‘Mann, das war wieder so was von grottendämlich’ (I: mhm) oder so was, oder so: ‘Ja ja, ha ha, die sind so doof’. Und das wars dann (I: ja). Also…ich mein, man kann das ja irgendwie schlecht ausdiskutieren oder so (I: ja), man tauscht ja immer nur Meinungen aus, und das wars, und da kann man ja nicht irgendwie richtig oder falsch dann herbei diskutieren…wie gesagt, so Meinungsaustausch: ‘Das und das war einfach wirklich unter aller Sau’ (I: mhm). Das passiert dann schon öfter, vor allem, wenn man natürlich dasselbe gesehen hat dann, dann äh: ‘Haste das und das dann und dann gesehen?’ (I: mhm) ‘Ja.’ ‘Ooh, wie schlecht war denn das’, ‘Ja genau’, ‘Hehehe’, fertig“ (Fall 20).
Eine andere Befragte berichtet von Gesprächen mit ihrer Freundin: „Das kommt ja auch vor, dass sie [die Freundin] das Gleiche guckt wie ich, und ja aber dann erst…[eine] Woche später drüber reden, und dann, dann fällt einem das wieder ein, aber nicht so, dass ich drüber nachdenke oder so, oder sie sagt dann: ‘Hast du das gesehen?’, dann sag ich: ‘Ja’, dann sagt sie: ‘Das war blöd, gell?’, dann sag ich: ‘Ja’. Und so ist das halt umgedreht auch so, das #auch# schon, aber ärgernemem [d.h. nein]“ (Fall 5).
Diese Befragte schließt mit den Worten: „aber ärgern- emem“, und im Zitat darüber versprachlicht der Befragte (Fall 20) mit ‘hehehe’ ein hämisches Lachen, womit die Erlebnisqualität und das Vergnügen zum Ausdruck kommen (vgl. Hepp 1998: 62 sowie Pkt. 13.6 ‘Exkurs: Ärger und Spaß’). Beide Äußerungen verweisen auf die erfolgten Distanzierungen zum Ärger, für die sicherlich auch der zeitliche Abstand zwischen dem Sehen der Sendung und der Gelegenheit, darüber zu reden, eine Rolle spielt. Es zeigt sich, dass der Ärger über einen längeren Zeitraum nicht erhalten bleibt, und die Befragten denken nicht über den Ärger nach. Der Ärger bedrängt sie über die Zeit nicht, er und die dazugehörige Situation geraten in den Hintergrund oder in Vergessenheit, die Befragten bleiben eher gelassen. Prägnant sagt eine weitere Befragte, dass „man dann mal mit jemand darüber spricht. Aber das ist jetzt kein Muss“ (Fall 13). Ein Gespräch über den Ärger muss also nicht sein, es kann und darf sein, und findet es statt, dann geht es um den Austausch der Bewertungen. Die Emotion Ärger ist in der
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Gesprächssituation nicht mehr gegeben, zumindest nicht so, wie in der Entstehungssituation vor dem Fernsehschirm. So sagt die Befragte, die sich über Falschinformationen in Werbung zu Frisurprodukten ärgert: „Der Ärger ist auch nur in dem Moment, wo ich das sehe da, bei meinen Kunden [im Friseursalon] ärgert es mich dann schon nicht mehr“ (Fall 5).
Zwischenbilanz. In den Interviewtexten gibt es Anzeichen für eine gewisse Bedrängnis wie auch – etwas undeutlicher – Formen der Gelassenheit gegenüber den Ärgerereignissen bei den Fernsehinhalten. Die Befragten kommunizieren, und möglicherweise fühlen sie sich dazu gedrängt, wenn auch geringfügig. Gespräche zur Konfliktbearbeitung lassen sich allerdings bei Ärger über Fernsehinhalte in den Interviews nicht erkennen, ebenso wenig die Absicht, andere Personen in ihren Programmvorlieben zu beeinflussen. Was also geschieht, ist, dass Befragte ihren Standpunkt aussprechen, begründen und gegebenenfalls durchsetzen (z.B. gegenüber anderen im Fernsehzimmer Anwesenden). Diese Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass der verärgernde Fernsehinhalt und der Ärger sowie ein Gespräch darüber subjektiv nicht bedeutsam sind.179 Doch meines Erachtens trügt der Schein, was ich im nächsten Abschnitt darlegen werde.
13.3.2 Der Meinungsaustausch und das Gefühl danach Eine Interviewfrage lautete: „Was hinterlässt es, wenn Sie über einen verärgernden Fernsehinhalt gesprochen haben? Ist es ein Gefühl der Erleichterung?“ Diese Fragen wurden nicht gestellt für die Situationen, in denen es zu inhaltsunabhängigen Fernsehärger kam. Für den inhaltsabhängigen Fernsehärger bezogen sich die Fragen vor allem auf postrezeptive Gesprächssituationen. Nur bei
179 Wie berichtet, überlassen die Befragten das Sich-Austauschen eher dem Zufall. Das gilt allerdings nicht für alle verärgernden Fernsehereignisse. Eine Ausnahme seien, so eine Befragte, außergewöhnliche (politische) Ereignisse wie zum Beispiel der Amoklauf eines Schülers an einem Gymnasium in Erfurt im Jahr 2002 oder der terroristische Anschlag auf die USA am 11. September 2001. Bei Ereignissen wie diesen suche die Befragte gezielt das Gespräch. Nun, solche Ereignisse werden zwar durch Medien, so auch durch das Fernsehen, transportiert, und Ärger wie etwa über eine einseitige Berichterstattung lässt sich dem Medium zuordnen, allerdings sind solche Ereignisse politisch und gesellschaftlich von solch tragender Bedeutung und Brisanz, dass der Ärger (und das Entsetzen) meines Erachtens wohl eher in der Sache als beim berichtenden Medium zu beheimaten ist. Ärger dieser Art ordne ich nicht vorrangig dem Medium zu, nur einzelne Aspekte wie etwa der Ärger über die Art der Berichterstattung möchte ich als Fernsehärger bezeichnen.
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einem Interviewteilnehmer konnte ich die Fragen zusätzlich für die Situation während der Rezeption stellen. Um diesen soll es zunächst gehen. SPRECHEN WÄHREND DER REZEPTION. Ein Befragter (Fall 8) gibt an, dass er sich über Ungerechtigkeiten in der Sendung ‘Wer wird Millionär?’ ärgere (vgl. Pkt. 11.2.7 ‘Sonstige’), und dass er – wie zu Beginn des vorigen Abschnittes (Pkt. 13.3.1 ‘Kennzeichen…’, Fall 8) berichtet – diesen Ärger unmittelbar während der Sendung verbal äußern müsse. Zweimal frage ich dann im Interview nach der Wirkung, die das Aussprechen seines Ärgers hinterlasse, einmal, ob es ‘erleichtere’, später, ob es ‘entlaste’. Die Antwort lautet in beiden Fällen gleich, hier ist einer der beiden Interviewausschnitte: „Interviewerin: Erleichtert Sie das dann? Befragter: Jo. [kurze Pause:] Ah ja, das ist doch wahr“ (Fall 8).
Er bejaht also, dass es ihn erleichtere, seinen Ärger geäußert zu haben, und mit einem „Ah ja, das ist doch wahr“ (Fall 8) leitet er zu einer ausführlichen Erläuterung seines Standpunktes über, den er bereits früher im Interview dargelegt hatte.180 Dass er den Standpunkt an dieser Stelle im Interview erneut aufrollt, lässt einmal mehr auf eine gewisse Bedrängnis schließen (s. Pkt. 13.3.1 ‘Kennzeichen und Art der Kommunikation’), und die Verbalisierung des Ärgerthemas schafft die Erleichterung oder – anders ausgedrückt – eine Distanzierung zum eigenen Erleben. SPRECHEN NACH DER REZEPTION. Bei demselben Befragten tritt das Drängende nicht mehr in Erscheinung, als es um das Erleben hinsichtlich des Meinungsaustauschs nach der Rezeption geht. Kommt es durch den Austausch (trotzdem) zu einem Gefühl der Erleichterung? Das in der Interviewfrage enthaltene Wort ‘Erleichterung’ wird von diesem Befragten sowie von neun weiteren nicht aufgegriffen, von dem Gefühl einer Erleichterung wird also nicht ausdrücklich gesprochen. Stattdessen antwortet dieser sowie
sechs weitere Befragte mit Umschreibungen, wonach man mal ‘drüber schwätzt’, sich mal ‘unterhält’, es kein miteinander Reden, sondern ein Austausch sei, jeder seine eigene Meinung habe. Eine Befragte antwortet bei der Frage nach dem Gefühl der Erleichterung nicht direkt, sondern mit einem Verweis auf die Häufigkeit von Fernsehärger-Gesprächen: Sie kämen selten vor (Fall 17).
180 Seine Erläuterung ist in Abschnitt 11.2.7 ‘Sonstige TV-Ärgeranlässe’ abgedruckt und besprochen.
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13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen Zwei Befragte präzisieren, dass sie sich in dem Sinne erleichtert fühlen, als „man nicht alleine da steht und denkt: ‘Ja, so sehen die anderen das doch auch’“ (Fall 1; ähnlich auch Fall 10).181
In den übrigen zehn Fällen lautet die Antwort auf die Frage nach dem Gefühl der Erleichterung ausdrücklich: Nein. Die Begründung: „Nä, also so wichtig ist mir das alles nicht (I: mhm). Das…hat nicht so den Stellenwert, dass es so wichtig ist, und dass ich dann darüber reden MUSS, und dass ich dann auch ne Erleichterung verspüre, wenn ich das gesagt habe, nee, das ist zu stark, …. das ist eigentlich nicht so-, so wichtig ist es nicht“ (Fall 10). „Befragte: ‘Erleichterung’, das würd ich jetzt zu gravierend bezeichnen, ist zu gravierend. So ist es nicht. Interviewerin: So wichtig ist es nicht. Befragte: Nee, so wichtig ist es nicht“ (Fall 2).
Zwei Befragte fügen dem entschiedenen ‘Nein’ je eine Erläuterung des Erlebens hinzu. Die eine Befragte sagt, dass sie das Medienthema besser ablegen könne, wenn sie darüber gesprochen habe (Fall 3), die andere Befragte, dass sie sich „ausgeglichener“ fühle, wenn sie jemandem von dem verärgernden Fernsehinhalt „erzählt“ habe (Fall 19). Insgesamt zeigt sich deutlich, dass ein Mediengespräch nicht das Gefühl der Erleichterung hinterlässt, und mit diesem Befund kommt man der subjektiven Bedeutung von Fernsehärger und einer Eingrenzung des emotionalen Erlebens folgendermaßen näher. Das Wort ‘Erleichterung’ ist in diesem Zusammenhang mit ‘psychischer Entlastung’ konnotiert. So zielt im Fernsehärgerinterview die Frage, ob man aufgrund des Fernsehärgers mit einer anderen Person rede, auf psychische Entlastung durch Gespräche. Gemeint ist also das Reden im Sinne einer Auseinandersetzung mit einem belastenden Ärgerereignis. Die Befragten machen deutlich, dass ihre Mediengespräche weniger einer subjektiv empfundenen Entlastung dienen. Vielmehr ist es eine Kommunikation im Sinne von Erzählungen oder Unterhaltungen, bei der die Befragten also ‘anderen erzählen’ oder sich darüber unterhalten und austauschen, was sie im Fernsehen gesehen und wie sie es (emotional) bewertet haben. 181 Andere Befragte geben an, dass sie nach einem Meinungsaustausch in der Regel eher Bestätigung, aber durchaus auch Widerspruch erfahren. Der Widerspruch mache ihnen nichts aus, über Bestätigung freuten sie sich. Ob die Rückmeldungen nun so oder so sind, von einem Gefühl der Erleichterung wird in diesem Zusammenhang außer von den beiden im Text erwähnten Befragten nicht gesprochen.
13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
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Bleibt man dabei, dass Gespräche über Fernsehärger eben doch mit Entlastung einhergehen können – konzedierend, dass es sich dabei nicht um psychische Entlastung handelt –, so ist zu fragen, welcher Art die Entlastung ist? Dazu möchte ich eine Formulierung von Quasthoff (1980: 149f., vgl. Fiehler 1990: 230f.) aufgreifen und sie für die Gesprächssituation bei Fernsehärger präzisieren. Quasthoff unterscheidet Erzählungen danach, ob sie psychischer oder kommunikativer Entlastung durch Verbalisierung dienen. Psychische Entlastung werde bei starken Emotionen gesucht, kommunikative bei weniger großen Ereignissen, die aber dennoch eine emotionale Beteiligung im Erleben dieses Ereignisses einschlössen. Für die Emotion ‘Fernsehärger’ möchte ich von dem Begriff ‘kommunikative Entlastung’ absehen, da es fast tautologisch ist, wenn man sagt, dass die kommunikative Entlastung durch Kommunikation (Verbalisierung) herbeigeführt wird. Stattdessen schlage ich die Formulierung ‘mental-gefühlsbezogene Entlastung oder Distanzierung’ vor, die sich durch Kommunikation erreichen lässt. Die Unterscheidung von psychischer und kommunikativer – oder wie hier – mental-gefühlsbezogener Entlastung mag analytisch sein, „doch sie macht sehr deutlich, dass emotionales Erleben Erzählungen motivieren kann“ (Fiehler 1990: 231). So gesehen könnte Fernsehärger dazu beitragen182, Medienthemen in Gespräche aufzunehmen, und in diesem Sinne verstehe ich die Beschreibungen der Befragten (siehe Schlussfolgerungen nach dem nächsten Absatz).183 In diesem Zusammenhang kommt eine soziologische Perspektive zum Tragen. Diese Sicht eröffnet sich nach Jean-Claude Kaufmann (1999), wenn man bei der Auswertung der Interviews etwa auf ständig wiederkehrende Sätze achtet, deren Bedeutung der französische Soziologe wie folgt betont: „Je banalisierter ein Gedanke ist, je stärker er im Impliziten verhaftet (und gleichzeitig sozialisiert) ist, um so größer ist sein strukturierender Einfluss auf das Gesellschaftliche. Es sind die banalsten und beiläufigsten Sätze, die gesellschaftlich gesehen die wichtigsten sind“ (Kaufmann 1999: 141).
182 Wenn ich hier von ‘beitragen’ spreche, so deshalb, weil Medienemotionen, resp. Fernsehärger, i. d. R. nicht in einer Reinform vorliegen, sondern beim Fernsehen kommt es zu Emotionsgemischen. 183 Weniger speziell für Gespräche über Fernsehärger als vielmehr grundsätzlich halte ich es für denkbar, dass Formen der Entlastung eine Rolle in Mediengesprächen oder bei Bezugnahmen auf Medien spielen. Denn Medieninhalte können in Gesprächssituationen etwa für Belehrungen herangezogen werden („das haben sie auch im Fernsehen gesagt“) oder zum Füllen von Gesprächspausen, sie können von Spannungen und Konflikten ablenken, kontroverse oder gemeinsame Ansichten und Einstellungen zu Tage fördern, und so nicht zuletzt ein Wir-Gefühl herstellen oder erhalten (vgl. Keppler 1995; Hepp 1998).
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13 Vertiefungen -- Über TV-Ärger sprechen
Sätze dieser Art häuften sich bei der Frage, ob ein Gespräch über Fernsehärger mit dem Gefühl der Erleichterung verbunden sei. Diese Sätze lauteten – und zwar bei allen Befragten mit beinahe demselben Wortlaut: „So wichtig ist das alles nicht“. Wenn die Befragten der Fernsehärgerstudie also sagen, dass sie verärgernde Fernsehereignisse nicht so wichtig nehmen, dass sie darüber nicht reden müssen und sich (höchstens) ‘mal unterhalten’, so kann dies faktisch so sein, oder man kann darin ein sozial erwünschtes Antwortverhalten sehen. Sicher ist, dass eine Unterhaltung stattfindet, und deshalb halte ich weder die Medienereignisse und den damit verbundenen Ärger noch die Unterhaltung darüber für bedeutungslos. Denn bedenkt man, dass Ärger häufig auftritt, wenn ‘irgendetwas zuwider läuft’, so könnte das Sprechen darüber in den Subjekten eine ‘Ordnung’ (wieder) herstellen, die ‘Welt wieder in Ordnung bringen’. Das kann für intensiv erlebten Ärger genauso gelten, wie für weniger großen, und ist nicht nur psychologisch, sondern auch soziologisch relevant. Dazu passt, was Berger und Luckmann aus soziologischer Sicht über eine Unterhaltung sagen: „Das notwendigste Vehikel der Wirklichkeitserhaltung ist die Unterhaltung. Das Alltagsleben des Menschen ist wie das Rattern einer Konversationsmaschine, die ihm unentwegt seine subjektive Wirklichkeit garantiert, modifiziert und rekonstruiert“ (Berger / Luckmann 1990: 163).
Dies zeigt sich auch deutlich bei Kommunikationsformen wie dem gemeinsamen Lästern (vgl. Hepp 1998: 83 und Pkt. 13.6 ‘Exkurs: Ärger und Spaß’). Alles in allem komme ich zu zwei Schlussfolgerungen: Den Ärger über Fernsehinhalte halte ich keineswegs für belanglos, auch wenn er im subjektiven Empfinden nicht zu den großen (Ärger-)Emotionen zählen mag und die Befragten die dem Ärger zugrunde liegende Sache – vorgeblich oder tatsächlich – weniger wichtig bewerten mögen. Seine maßgebliche Bedeutung scheint darin zu liegen, dass er eine stärkere Bewusstheit184 für die Inhalte schafft (vgl. Izard 1999), diese länger im Gedächtnis verhaftet und zum Sprechen, zu kommunikativen Äußerungen, Erzählungen motiviert, die ihrerseits ihre soziologische Bedeutung haben. 184 Dass Ärger eine Bewusstheit für bestimmte Themen oder Situationen mit sich bringt, ist keine neue Erkenntnis. Sie zeigt sich in den Interviews direkt und indirekt. Direkt ablesbar wird sie etwa bei Befragten, die explizit Formulierungen wählen wie diese: „Das kommt mir dann wieder ins Bewusstsein, wenn ich dann mich über so ne Einzelsendung aufrege“ (Fall 16); „Es wird mir einfach bewusst, dass die Welt einfach nur schlimmer wird“ (Fall 13); „Weil mir dann ja auch noch mal so bewusst wird: So, jetzt hätt ich ja auch was anderes machen können“ (Fall 17).
13 Vertiefungen -- Beschwerde
333
Wenn nun die Ärgerursache zum Gesprächsthema wird, dann finden – wie gesagt – in dem Gespräch unter anderem Selbstvergewisserungen statt und ‘die Welt wird Stück um Stück geordnet’. Dies bewirkt zugleich und in der Regel eine Distanzierung von der Emotion. Bemerkenswert ist nun folgender Zusammenhang: Eine Distanzierung bedeutet freilich nicht, dass die Ursache des Ärgers beseitigt wäre, doch es gibt den Befund, dass Ärger üblicherweise zur Beseitigung der Ursache tendiert (vgl. Pkt. 4.4 ‘Ärger und Handeln’). Für den Fernsehärger wurde zweierlei festgestellt: Ärger, der in der Rezeptionssituation oder durch Fernsehen im Allgemeinen entsteht, tendiert zur Beseitigung der Ursache, Ärger durch Fernsehinhalte normalerweise nicht (vgl. als Überblick die Pkte. 12.2.8, 12.3.8 beide: ‘Reaktionen im Überblick’; 13.1.2 ‘Reaktionen’ im Vergleich). Dies dürfte auch dann gelten, wenn man Beschwerden an einen Fernsehsender als Beseitigungsversuch auffasst, denn davon machen in dieser Stichprobe nur wenige Befragte Gebrauch, und dies auch nur selten. Das folgende Kapitel handelt ausführlich davon.
13.4 Beschwerde an eine Fernsehanstalt 13.4.1 Gründe für oder gegen eine Beschwerde An alle Teilnehmer der Fernsehärgerstudie richtete ich die Frage, ob sie sich schon einmal bei einer Fernsehanstalt beschwert hätten. Drei der zwanzig Interviewten bejahten die Frage, wobei für zwei der drei Befragten Folgendes gilt: Der eine sagt, sich schon mehrfach beschwert zu haben, die andere, dass es neben einer Beschwerde auch schon einmal eine Beschwerdeabsicht gegeben habe, die aber folgenlos bleiben musste, da die Befragte nicht die Telefonnummer einer Zuschauer-Hotline finden konnte. Drei weitere Befragte dachten schon einmal daran (Impuls), sich zu beschweren, sie haben es aber dann unterlassen. Vierzehn Befragte verneinen, einen Beschwerdeimpuls gehabt oder sich beschwert zu haben. Tabelle 27: Beschwerde Ja Nein, aber Impuls Nein *Mehrfachnennungen
N* 3 3 14
Warum beschweren sich einige, warum andere nicht?
334
13 Vertiefungen -- Beschwerde
BESCHWERDE. Als Ärgerauslöser – dies zur Erinnerung – nannten die drei sich wehrenden Personen erstens die unausweichliche, weil in der Werbung enthaltene Erotik (vgl. Pkte. 11.2.1.1 ‘Werbung’ und 11.2.3 ‘Intimität und Erotik’), zweitens war es das Ausfallen von Kindersendungen aufgrund eines außerordentlichen Sportereignisses (vgl. Pkt. 11.2.1.2 ‘Sendungen fallen aus…’), und drittens teilte eine Befragte einem Fernsehsender brieflich mit, dass eine Kindersendung nicht kindgerecht sei.185 Die Befragten fühlten sich also zu einer Beschwerde bewogen, und diese war von folgenden subjektiven Einschätzungen getragen: Tabelle 28: Argumente für eine Beschwerde 1. Erfolg oder Wirksamkeit wird antizipiert 2. Wichtige Sache 3. Engagement für Schutzbefohlene 4. Dauer und Intensität des Ärgers müssen groß genug sein
N 1 1 1 2
(1) Erfolg / Wirksamkeit. Der Befragte, der sich schon mehrfach per Brief oder Anruf beschwert hat, orientiert sich an „der Faustregel: ‘Ein Anruf zählt für tausend Zuschauer’, so nach dem Motto, dass man als Einzelner eben manchmal vielleicht auch irgendwie auch ne Auswirkung auslösen kann, indem man eben einfach seine Meinung äußert“ (Fall 16).
Das heißt, der Befragte hofft auf eine gewisse Wirksamkeit seiner Beschwerde. – Die beiden anderen Befragten sprechen den Aspekt der Wirksamkeit einer Beschwerde nicht ausdrücklich an. Das muss nicht bedeuten, dass die Wirksamkeitsannahme nicht vorhanden gewesen ist. Es lässt sich nur mutmaßen, dass die wie auch immer geartete Aussicht auf Erfolg als Antriebsfeder zur Beschwerde bei den beiden Befragten eine Rolle gespielt haben könnte. Daneben ist denkbar, dass die Befragten, indem sie sich beschweren, eine Genugtuung empfinden – 185 Die Befragte machte diese Kindersendung während des gesamten Interviews nicht zum Thema. Die Sendung erwähnte die Befragte allein bei der Frage, ob sie sich schon einmal bei einem Sender beschwert habe. Das Gespräch habe ich dann hinsichtlich dieser Kindersendung nicht vertieft. Zwei Gründe spielten hierfür eine Rolle: Erstens lag die Beschwerde zum Zeitpunkt des Interviews 15 Jahre zurück, und ich hatte während des Interviews den (am Gesprächstext belegbaren) Eindruck, dass die Befragte dieser Situation keine große Bedeutung mehr zumaß. Zweitens lag bereits ein intensives und etwas mehr als einstündiges Gespräch hinter mir und der Befragten, so dass mir ein erneutes ‘Aufrollen’ der Ärgerthematik hinsichtlich der Kindersendung nicht angebracht schien (Redundanz).
13 Vertiefungen -- Beschwerde
335
ein Ziel, das Ärger erstrebt (vgl. Fichten 1992: 107). Während in dieser Hinsicht die Interpretation spekulativ bleibt, lassen sich durch eine Gesamtbetrachtung der beiden Interviews (Feinanalyse) die folgenden Beweggründe benennen. (2) Wichtige Sache. Es ist ein Merkmal von Ärger, dass ihm eine in subjektiver Sicht ‘wichtige’ Sache zugrunde liegt. Insofern müsste der Aspekt der ‘wichtigen Sache’ als die conditio sine qua non nicht gesondert besprochen werden. Dennoch wird darauf eingegangen, weil sich hier zwei Ebenen vermischen: die subjektive Einstellung zum Fernsehen und die zum Ärgerereignis. Wie wichtig das mediale Ereignis genommen wird, ist also offenbar damit verknüpft, wie Fernsehinhalte bewertet werden. So spricht etwa die Befragte, die die Kindgerechtheit einer Kindersendung bezweifelt hatte (Fall 11), im Interview über ihre Einstellung zu Fernsehinhalten. Sie hebt hervor, dass sie – anders als ihre heranwachsenden Kinder – viele Inhalte sehr ernst nehme und sich mitunter über die Fernsehinhalte ärgere, während „die Kinder, die machen sich lustig, wenn ich mich über Fernseh aufrege [beide lachen; etwas später:] ‘Ach nimms doch nicht so ernst! War doch nur im Fernsehen’, sagen die“ (Fall 11).
Die Beschwerde zu der Kindersendung lag zur Zeit des Interviews etwa 15 Jahre zurück, und damals waren die Kinder der Befragten klein. In der Verantwortung für ihre Kinder sah sich die Mutter – von Beruf Erzieherin – die Kindersendung zusammen mit ihren Kindern an und bewertete die Sendung schließlich als kindungerecht. Außerdem führte sie zu jener Zeit Kurse zur Fernseherziehung durch – Fernsehen war in der Sicht der Befragte damals noch mehr als heute kein unbedeutsames Thema, die Inhalte seien oder waren wichtig zu nehmen.186 Dass die Sache ‘wichtig’ war, kann, muss aber nicht mit dem folgenden Aspekt zusammenhängen. (3) Engagement für Schutzbefohlene. Die Befragte, die beklagte, dass die Kindersendungen wegen besonderer Sportereignisse ausgefallen sind (Fall 2), setzte sich als Mutter für ihre Schutzbefohlenen ein und schrieb einen Beschwerdebrief. Das Thema der Wehrhaftigkeit tritt im Verlauf des Interviews von Fall 2 auch in Bezug auf andere Fernsehereignisse auf. Sind es hier die wehrlosen Kinder, so sind es andernorts im Interview zum Beispiel wehrlose Tiere (Tierquälerei, vgl. Pkt. 11.2.5 ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’). (4) Dauer und Intensität des Ärgers müssen groß genug sein. Zwei Befragte weisen auf die Dauer und / oder Intensität des Ärgers als Entscheidungshilfe hin: 186 Angebote wie Spielfilme zählen zu den Ausnahmen, die Befragte nimmt Spielfilme nicht wichtig.
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13 Vertiefungen -- Beschwerde „Also, wenns mich wirklich sehr, sehr stark stört, dann ruf ich auch an, aber ähm, ähm wenn ich mich nur mal kurz aufrege, dann nicht“ (Fall 16; vgl. Pkt. 12.2.3 ‘Intimität und Erotik’).
Diese Begründung überschneidet sich mit Punkt ‘(2) wichtige Sache’, denn nur etwas, das wichtig ist, dürfte „sehr, sehr stark“ stören können. KEINE BESCHWERDE. Siebzehn Befragte gaben an, dass sie sich noch nicht bei einem Fernsehsender beschwert haben, darunter sind auch drei Personen, die außerdem einen Beschwerdeimpuls hatten, dem sie dann nicht nachgegeben haben. Für die Entscheidung gegen eine Beschwerde werden sechs Gründe erkennbar. Sie sind in folgender Tabelle aufgeführt und werden danach besprochen. Tabelle 29: Argumente gegen eine Beschwerde 1. Man kann ausweichen und „jeder soll machen was er will“ 2. Erfolglosigkeit oder Unwirksamkeit wird antizipiert 3. Unwichtige Sache 4. Aufwand zu groß; Bequemlichkeit 5. Erwartungshaltung 6. Unsicherheit über Auswirkung einer Beschwerde *Mehrfachnennungen
N* 17 8 6 6 3 2
(1) Ausweichen. Die siebzehn Befragten, die sich noch nie bei einem Sender beschwert haben, sehen für sich die Möglichkeit, dem ägererregenden Inhalt ausweichen zu können. Sie können ab- oder ausschalten, sich den unliebsamen Sendungen also entziehen. Mit beinahe identischer Wortwahl sagten die Befragten: „Ich muss mir das ja nicht angucken (I: mhm). [Etwas später:] Das guck ich dann nicht…, das guck ich mir dann nicht an“ (Fall 9).
Überrascht war ich von der Formulierung zweier Befragter: „Die sollen machen, was die wollen, aber ich mache, was ich will“ (Fall 5). „Ich denke, ich lass die das machen, was die wollen, ich meine, wenn sie das gut finden. Ich akzeptier das einfach, ich finds nicht gut, aber (das ist) jedem ist überlassen[, was er tut]“ (Fall 13).
13 Vertiefungen -- Beschwerde
337
Diese beiden Antworten entsprachen nicht meiner Erwartung, zumal die Befragten sich zuvor über bestimmte Fernsehinhalte recht verärgert zeigten. Wie könnten die Antworten also zu verstehen sein? Der französische Soziologe JeanClaude Kaufmann untersuchte in seiner qualitativen Studie „Frauenkörper – Männerblicke“ (1996), wie Menschen über das Verhalten an Badestränden denken. Bei der großen Mehrheit seiner dreihundert befragten Personen stieß er auf den Satz: „Jeder kann tun, was er will, aber…“ (Kaufmann 1996: 239; s. auch Kaufmann 1999: 148). Dieser Satz enthält den Freiheitsgedanken und durch seinen – wie Kaufmann formuliert – ‘doppelten Boden’ einen weiteren Aspekt. Hier die Worte Kaufmanns zu dem Satz: ‘Jeder kann tun, was er will, aber...’: „Der erste Teil des Satzes (bringt; Anm. M.-R.) eine explizite Ebene zum Ausdruck, hier wurden allgemeine Prinzipien verkündet: wir sind eine freie und demokratische Gesellschaft, jeder sollte tun und lassen können, was er will. Aber eine Gesellschaft kann nicht ohne Normen funktionieren. In demokratischen Gesellschaften (im weitesten und nicht nur im politischen Sinne) sind die Individuen dazu aufgefordert, ihre Werte frei zu wählen und sich selbst ihre Identität zu konstruieren, und sie haben hierfür offiziell auch alle Freiheiten. Normen müssen deshalb heimlicher und unausgesprochener Natur sein oder können nur in Form eines undeutlichen Murmelns formuliert werden. Und tatsächlich formulierten die Leute im zweiten Teil des Satzes undeutlich murmelnd und voller Bedauern alle möglichen Einschränkungen dieses kurz zuvor postulierten allgemeinen Freiheitsprinzips. Darüber hinaus zeigte sich, dass es sich hier um Einschränkungen handelte, die strikt zu beachten waren und einen ganz genauen Rahmen dessen absteckten, was zu tun normal war und was nicht – bei weitem kann nicht jeder tun was er will. Aufgrund dieser Beobachtungen formulierte ich das Modell einer (notwendigerweise) doppelbödigen Sprache in demokratischen Gesellschaften“ (Kaufmann 1999: 148).
Diese Überlegungen lassen sich meines Erachtens auf die Fernsehsituation übertragen. Mit Kaufmann (1996: 240) ergibt sich dann folgender Gedanke: „Individuelle Freiheit ist das absolute offizielle Gesetz, auf dem sich gründet, was den Geist“ bei der Tätigkeit Fernsehen ausmacht.187 Betrachtet man die eingangs zitierten Aussagen der Befragten in diesem Licht, dann äußert sich darin also die Vorstellung von der individuellen Freiheit, und bei der Begründung ihres Ärgers ‘murmeln’ sie, was normgerecht ist. Dies ist nun das generelle Denkmuster der 17 Befragten, das nicht dadurch außer Kraft tritt, dass es in Einzelsituationen nicht greift. So ist etwa der Ärger über Werbung oder der Ärger über Erotikwerbung eine solche Ausnahme- oder 187 In der Strandstudie Kaufmanns (1996: 240) lautet der Teilsatz: „…, was den Geist des Strandes ausmacht“.
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13 Vertiefungen -- Beschwerde
Grenzsituation. Hier kann man nicht uneingeschränkt dem Anlass des Ärgers ausweichen, denn wer einen Film oder eine Sportsendung sehen möchte, dem hilft die Möglichkeit des Um- oder Ausschaltens nicht, wenn Werbung ein Bestandteil der Sendungen ist. (2) Erfolglosigkeit. Acht Befragte sind der Meinung, dass eine Beschwerde nicht zu einem Erfolg führen würde, dass ein Beschwerdebrief wohl im Papierkorb des Empfängers landen würde. „Ja, ich weiß nicht, ob das so was bringen würde, wenn man da anruft und sagt: ‘Also eure Beiträge sind einfach Schrott’“ (Fall 1). „Ich hatte dann auch manchmal schon überlegt, ob ich mal anruf oder mich mal beschwer oder so [lacht], und dann dacht ich aber auch: ‘Na ja, wahrscheinlich bringts auch nichts so’“ (Fall 3).
Als Gründe für die Erfolglosigkeit führen acht Befragte ihr Medienwissen an, wonach die Quote zähle und nicht die Meinung eines einzelnen Zuschauers. „Es gibt ja nur ein Kriterium beim Fernsehen,…das ist die Quote (I: mhm), es muss verkauft werden“ (Fall 12). „Ich weiß nicht, ob das was bringt: Einer allein. Wenns mich sehr ärgern würde, dann würde ich vielleicht auch schreiben“188 (Fall 5). „Ich bin so ein kleines Rädchen“ (Fall 4, siehe auch unter (3)).
Die anderen Personen, die sich nie bei einem Sender beschwert haben, sprachen den Aspekt der Erfolglosigkeit einer Beschwerde nicht an. (3) Unwichtige Sache. Bei den oben besprochenen Argumenten für eine Beschwerde (vgl. Tabelle 28 mit Erläuterungen) gibt es die Begründung, dass der Anlass des Ärgers eine wichtige Sache sei. Hier findet sich nun das Gegenstück: Eine Beschwerde wird nicht initiiert, weil die Sache unwichtig ist. Es liegt in der Natur des Ärgers, dass er nur bei in subjektiver Sicht wichtigen Anlässen auftritt. Dennoch werden die beiden Bewertungen (d.h. wichtig, unwichtig) angeführt, und dabei mischen sich zwei Ebenen: die Bewertung des Fernsehens und die des Ärgeranlasses (siehe ausführlicher die Erläuterung 2 zu Tabelle 28). – Sechs
188 Hier kommt die Dimension der Ärgerintensität und die ‘Wichtigkeit der Sache’ (siehe Tab. 28 ‘Argrumente für eine Beschwerde’) zur Sprache. Zur Intensität des Ärgers vgl. auch Abschnitt 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer des Fernsehärgers’).
13 Vertiefungen -- Beschwerde
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Befragte geben an, dass Fernsehen im Allgemeinen oder der Ärger über einen bestimmten Inhalt letztendlich zu unwichtig sei, um sich zu beschweren. „Das ist es mir nicht wert. [Etwas später:] Weil Fernsehen für mich nicht so wichtig ist, investiere ich dann da auch keine Arbeit rein“ (Fall 6). „Hab ich noch nicht gemacht, weils mir auch nicht wichtig genug ist“ (Fall 10).
Es kann widersprüchlich klingen, wenn Befragte einerseits sagen, dass sie sich über verschiedene Fernsehinhalte ärgern, andererseits aber nicht mit einer Beschwerde reagieren. So hat eine Befragte angegeben (Fall 4, vgl. Pkt. 12.2.1.4 ‘Sendezeiten und Wochenendprogramm’), dass sie gerne mal jemandem sagen würde, wie schlecht sie das Wochenendprogramm finde, sich aber „noch keine Gedanken darüber gemacht“ (Fall 4) habe, was sie tun könnte. Diesen Widerspruch aufgreifend fragte ich sie, warum sie sich noch keine Gedanken gemacht habe. Ihre Antwort enthält verschiedene Gesichtspunkte: „Weil das Fernsehen für mich, von mir so weit weg ist, irgendwie ist das so ne Institution, ähm die irgendwie so abgehoben ist von meinem alltäglichen Leben. Und dann würd ich wahrscheinlich auch denken: ‘Na ja Gott, ich bin so n kleines Rädchen. Wenn ich denen schreibe, das wandert eeh [d.h. ohnehin] gleich in den Papierkorb’ [I: lacht]. Und ähm die würden mich gar nicht wahrnehmen“ (Fall 4).
Die Befragte nimmt also erstens eine Gewichtung des Fernsehens für das eigene Leben vor mit dem Ergebnis: Das Fernsehen ist vergleichsweise nicht sehr wichtig. Zweitens antizipiert die Befragte die Aussichtslosigkeit einer Beschwerde (s.o.). So passt es zusammen, dass die Situation zwar unbefriedigend, aber doch ohne weitere Auseinandersetzung (d.h. Lösungssuche) bleiben kann. Hinzu kommt, dass die Befragte später im Interview sagt, dass sie an der unbefriedigenden Situation etwas ändere, indem sie ein anderes Programm wähle, das heißt, sie weicht aus (s. unter (1)). Geändert wird also das eigene Verhalten, die Quelle des Problems bleibt. (4) Aufwand zu groß; Bequemlichkeit. Für die zuletzt erwähnte Befragte sowie für vier weitere spielt der Aufwand, der mit dem Schreiben eines Beschwerdebriefes zusammenhängen könnte, eine Rolle. So „ist es sicher immer auch ein Stück Bequemlichkeit, dass man sich nicht aufrafft, weil man auch die Adresse gar nicht parat hat, man müsste sich richtig drum bemühen“ (Fall 4).
340
13 Vertiefungen -- Beschwerde „Also Beschwerdebrief oder so Sachen sind natürlich immer so mit….Kosten [d.h. zeitlicher Aufwand und nicht materielle Kosten] verbunden und dafür-, eigentlich ist es nicht konsequent, weil es ärgert mich schon, aber das dann aktiv umzusetzen, das ist dann wieder n gr- n weiter Schritt (I: mhm)… wenn man das per Mail einfach machen könnte, dann hätt ich das vielleicht schon mal gemacht oder so, mailen: ‘Was habt Ihr da wieder für einen Müll produziert.’ Aber die haben dann wahrscheinlich irgend n Filter und der wirfts dann raus [I: lacht]“ (Fall 20).
Interessant an diesem Interviewausschnitt ist folgender Befund: Der Befragte drückt aus, dass er noch nicht versucht hat, eine E-Mail-Anschrift bei einem Fernsehsender herauszufinden, das heißt, er ist einem Ärger durch Fernsehinhalte bisher nicht(!) weiter nachgegangen. Hätte er das getan, wüsste er, dass die Fernsehsender durchaus eine E-Mail-Anschrift für Zuschauermeinungen und -anfragen anbieten. Möglicherweise war ihm der Anlass nicht wichtig genug, denn selbst bei Kenntnis einer E-Mail-Anschrift hätte er nur ‘vielleicht’ eine Beschwerde verfasst. Ein Befragter führt zeitliche Umstände an, das heißt, wenn er nachts fernsehe und sich ärgere, rufe er nicht bei einem Sender an, weil er nachts dazu „keine Lust“ (Fall 16) habe. (5) Erwartungshaltung. Ein Befragter lehnt es kategorisch ab, einen Beschwerdebrief zu schreiben, da er die Inhalte nicht anders erwarte, so unbefriedigend die Inhalte zeitweise für ihn auch seien. „Würd ich nie machen. Ich hab ja schon Leserbriefe an Zeitungen geschickt. Das ist aber was ganz anderes. Ich würde nie, niemals n Beschwerdebrief zum Fernsehsender schicken. Warum Beschwerdebrief? Ich weiß ja schon vorher, dass Fernsehen eigentlich Scheiße ist, also dass ich vom Fernsehen nicht viel erwarten kann, ne“ (Fall 12).
Zwei andere Befragte ändern gegenüber dem Programmangebot ihre Erwartungshaltung, wodurch der Ärger dann nicht „so weit geht“ (Fall 1), dass sie einen Beschwerdebrief verfassen müssten. Einer der beiden sagt lapidar: „Ist dann für andere gedacht“ (Fall 9). Ausführlicher äußert sich die andere Befragte, die sich häufiger über das unbefriedigende Ergebnis der Wissenschaftssendung ‘Galileo’ ärgert (vgl. Pkt. 12.2.5 ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’). Einen Beschwerdebrief zu schreiben „wär vielleicht mal sinnvoll, muss man ehrlich sagen, so wenn man sich das mal überlegt, man ärgert sich ja wirklich jedes Mal drüber, wenn mans dann doch mal guckt, weil es [das heißt das schwache Ergebnis der Sendung] ist wirklich auffallend, und ähm ja dann denkt man: ‘Ja och bringt das [Sich-Beschweren] was?’, das ist halt die große Frage.
13 Vertiefungen -- Beschwerde
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Interviewerin: Warum? Befragte: Ja, ich weiß nicht, ob das so was bringen würde, wenn man da anruft“ (Fall 1).
Jetzt spricht die Befragte darüber, dass sie ihre Erwartungshaltung ändert (vgl. dazu auch Pkt. 12.2.5 ‘Produktionsseite und Aspekte der Machart’): „Befragte: Also was ich mir auch manchmal gedacht habe, die suchen einfach eine bestimmte Zielgruppe. [Etwas später:] Interviewerin: Also dass Sie sagen, Sie sind gar nicht die Zielgruppe und wahrscheinlich ist es gar nicht für Sie gedacht? Befragte: Manchmal denk ich das (I: ja)“ (Fall 1).
(6) Unsicherheit über Auswirkung einer Beschwerde. Zwei Befragte sind sich unsicher darüber, wie ihre Beschwerde bei dem Sender aufgefasst würde, welche Folgen sie haben könnte, und wie die Empfänger dann über die Befragten denken würden. „Befragte: Wenn man da jetzt so richtig kritisieren-, da ein Brief hinschreibt? Ob das so gut ankommt? [Etwas später:] Weiß ja nicht, was die dann denke, wenn da so ein kritisierender Brief ankommt? Interviewerin: Was könnten die denn denken? Befragte: Weiß ich nicht [lacht]. Interviewerin: Meinen Sie, die wären IhnenBefragte: ‘Fernsehfeindlich’ [lacht, beide lachen] (I: ach so). Kann doch sein dann, oder? Ich weiß es ja auch nicht, ich habe es ja noch nie probiert“ (Fall 7).
Die folgende Befragte kann sich vorstellen, einen Leserbrief zu schreiben, wenn sie die Anschrift der Sender leichter herausfinden könnte. Außerdem sei es die Bequemlichkeit, die sie vom Schreiben abhalte (s. unter (4)), und es sei „sicher auch ein Stück Unsicherheit, ob man da überhaupt in der Weise richtig liegt, wie man das beurteilt, ob man sich so exponieren sollte. Und dann kommt hinzu, dass ich in meinem Leben einen einzigen Leserbrief geschrieben habe oder sehr wenig geschrieben habe, oder aber ich erinnere mich an einen,…an eine…Zeitung hab ich den geschrieben, und der hat ganz heftige Konsequenzen-, das ist sehr ausgeartet, da hats dann sehr viele Leserbriefe dazu gegeben, und ähm meine Kinder habens das sogar ausbaden müssen (I: mhm) äh ständig, und…diese Erfahrung, die lässt einen natürlich dann auch Abstand nehmen“ (Fall 4).
So tragen diese Gründe dazu bei, dass die beiden Interviewten von einer Beschwerde eher absehen.
342
13 Vertiefungen -- Beschwerde
13.4.2 Wer beschwert sich? – Soziale Merkmale Drei Personen dieser Stichprobe haben sich schon einmal bei einem Fernsehsender beschwert. Dies erfolgte per Brief und per Anruf. Die sozialen Merkmale der drei Personen sind wie folgt: Tabelle 30: Wer beschwert sich? – Soziale Merkmale Fall Nr.
Geschlecht
Alter
16
männlich
23
Höchster Bildungsabschluss Abitur
Augenblickliche Familienstand berufliche Tätigkeit
2
weiblich
47
Realschule
Sozialer Dienst, Getrennt lebend, Zahntechnik, Malerin 3 Kinder
11
weiblich
48
Fachhochschule
Lehrkraft an Berufs- verheiratet, 3 schulen Kinder
Student Hauptstudium.
Ledig, keine Kinder
Es lassen sich auf Basis dieser drei Personen freilich keine empirisch gesicherten Aussagen formulieren, sondern mit der gebotenen Vorsicht allein die Auffälligkeiten benennen. Zunächst fällt auf, dass sich zwei Frauen und ein Mann schon einmal beschwert haben. Daneben sind die Bildungsabschlüsse zusammen mit den beruflichen Tätigkeiten eher höher angesiedelt. Hinsichtlich des Merkmals ‘Bildung’ kann ein Vergleich zu einer Befragten mit geringem Bildungsniveau gezogen werden. Diese Befragte hat nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung als Bekleidungsfertigerin absolviert und ist zum Zeitpunkt des Interviews berufsunfähig. Sie gab an, sich noch nie beschwert zu haben, und sie äußert Zweifel, ob eine Beschwerde bei den Empfängern einen guten Eindruck hinterlassen würde (vgl. Interviewausschnitte im vorigen Punkt 13.4.1 ‘Gründe…’ unter Absatz (6) Unsicherheit über Auswirkungen einer Beschwerde). Es wäre zukünftig zu prüfen, ob oder inwiefern ein Merkmal wie etwa die Variable Bildung dazu beiträgt, dass sich jemand beschwert. Eine Hypothese könnte etwa lauten, dass eine Beschwerde umso wahrscheinlicher initiiert wird, wenn die Person höher gebildet ist – vielleicht, weil eine bessere Bildung einer Person Sicherheit in der Argumentation verleiht, die Schwellenangst minimiert und also den Mut fördert, sich öffentlich zu äußern.
13 Vertiefungen -- Soziale Situation
343
13.5 Die Rolle der sozialen Situation für Fernsehärger Da Ärger eine soziale Emotion ist (vgl. Kap. 4 ‘Ärger als Alltagsemotion’), und da in Fernsehstudien die soziale Situation häufig kaum berücksichtigt ist189, thematisierte ich die Rolle der sozialen Situation für Fernsehärger durch die folgende Frage: „Ärgern Sie sich eher, wenn Sie alleine fernsehen, oder eher, wenn weitere Personen anwesend sind?“ Die Frage hält offen, ob sich der Ärger auf die Fernsehinhalte oder Anlässe rund ums Fernsehen bezieht. Die folgende Tabelle gibt zunächst einen Überblick über die Verteilung der Antworten: Tabelle 31: Soziale Situation und Ärger Ärgern Sie sich eher, wenn Sie alleine fernsehen, oder eher, wenn Sie zusammen mit anderen fernsehen?
N
1. eher alleine
1
2. eher mit anderen
2
3. unerheblich Keine Daten
13 4
(1) Eher alleine. Eine Befragte bezieht sich auf ihr eigenes Verhalten und das – hier wohl ärgerliche – Gefühl des Bereuens. „Ich glaub, also diese Situation, dass ich irgendwas gucke und das dann nachher bereue, das ist eher, wenn ich allein bin eigentlich, also ich glaub, weils, weils dann auch eher so ist, dass ich irgendwie aus Langeweile was einschalte, was ich ähm wenns jetzt offensichtlich ne bessere Alternative gäbe in dem Moment, auch nicht machen würde, und das ist schon eher, wenn ich alleine bin anschließend“ (Fall 17).
Es geht also um den Selbstärger, der hier mit der Emotion der Reue einhergeht. In diesem Fall könnte man sagen, dass die Anwesenheit anderer (soziale Situati189 Vgl. Pkt. 1.2 ‘Ziele’ und Kap. 2 ‘Forschungsstand’; vgl. Hepp 1998: 99; Keppler 1995: 217f. Man kann sich der sozialen Situation mit verschiedenen Methoden annehmen. Häufig werden Gespräche beim oder über Fernsehen aufgezeichnet (vgl. etwa Keppler 1995, Holly/Püschel/Bergmann 2001, Hepp 1998), oder es wird die Methode der teilnehmenden Beobachtung eingesetzt. In der vorliegenden Arbeit wurde die soziale Situation im Rahmen des Interviews thematisiert und auf diese Weise exploriert.
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13 Vertiefungen -- Soziale Situation
on) geradezu zum Schutz gegen solchen Ärger wird. Denn wenn die Mitbewohnerin zu Hause ist oder wenn die Zusammenlebenden gemeinsam fernsehen wollen, wird das Gerät eher nicht aus Langeweile eingeschaltet, zu Selbstärger mit Reue kommt es dann eher nicht. (2) Eher mit anderen. Zwei Befragte ärgern sich eher, wenn andere Personen anwesend sind. Sie begründen das damit, dass es durch die Anwesenheit mehrerer Personen leichter zu Störungen bei der Rezeption oder bei einer konzentrierten Arbeit kommen kann. Hier werden also die Ärgeranlässe in der Rezeptionssituation angesprochen und nicht die der Fernsehinhalte. Diese kommen im nächsten Absatz zur Sprache. (3) Unerheblich. Über einen Fernsehinhalt ärgern sich dreizehn Befragte unabhängig davon, ob sie alleine fernsehen oder ob weitere Personen anwesend sind. Dennoch ist die Anwesenheit anderer Personen nicht unwesentlich, und zwar hinsichtlich des Verhaltens und auch des emotionalen Erlebens. Wenn die Rezipienten alleine fernsehen und sich dabei ärgern, dann schalten sie um oder ab. Wie sich das Fernsehverhalten ändert und auf das emotionale Erleben wirkt, sobald andere Personen beim Fernsehen hinzukommen, beschreibt eine Befragte: „Befragte: Also ich denk, wenn ich allein guck, ist die Toleranz höher. Denk ich schon, weil da guck ich auch…nicht so beständig. Wenn ich allein gucke, da schalt ich auch viel früher mal um… Interviewerin: Und wenn jemand dabei ist, dannBefragte: Ja, dann ärgerts mich-, ja was heißt, obs mich mehr ärgert-, aber dann setz ich mich da mehr mit auseinander, dass mich das ärgert, weil ich das dann natürlich auch ausspreche, weil man dann da drüber redet, und dann wird das häufig auch äh irgendwo einem klarer, dass man [es] eigentlich furchtbar findet“ (Fall 3).
Durch die Anwesenheit weiterer Personen ändert sich bei dieser Befragten zum einen das Fernsehverhalten, das heißt, es wird beständiger ferngesehen, nicht so schnell oder häufig das Programm gewechselt. Zum anderen gibt diese Befragte – und dasselbe zeigt sich auch bei den anderen Befragten – beim gemeinsamen Fernsehen dem Ärger über Fernsehinhalte eher Raum, so dass er bewusster wird. Den Worten der Befragten zufolge kommt es also zu einer
höheren Bewusstheit für den Fernsehinhalt, höheren Bewusstheit für Ärger, weil darüber gesprochen wird (Ärgerreaktion) höheren Beständigkeit beim Verfolgen eines Fernsehinhalts (Fernsehverhalten),
und diese drei Aspekte greifen ineinander.
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Für das Zeigen einer Reaktion auf Fernsehärger spielt also die Anwesenheit anderer eine Rolle, und für die Art der Reaktion ist es nicht gleichgültig, welche Personen anwesend sind. So sagt eine Befragte, dass sie sich zwar auch mit ihrem Lebensgefährten zusammen aufrege, aber noch lieber mit ihren Freundinnen, weil das Gespräch dann ausführlicher sei. „Ja wir unter Frauen können da halt besser über die ablästern und sich aufregen, weil die Männer, die schwätzen da mal drüber, und gegessen ist es“ (Fall 15).
Bei dieser Befragten dauert die Ärgerreaktion also am längsten, wenn sie zusammen mit ihren Freundinnen fernsieht, sie ist eher kurz, wenn sie mit ihrem Lebensgefährten fernsieht. Wenn sie alleine vor dem Fernsehschirm sitzt, „Nee, da denkt man das nur mal, aber ja, was will man da großartig-, wenn man da allein sitzt“ (Fall 15).
Dasselbe verdeutlicht auch die folgende Befragte, und sie führt einen interessanten Vergleich an, nämlich den Vergleich ihres Verhaltens bei Ärger und bei Freude. Die Befragte (Fall 1) schließt aus, sich alleine vor dem Fernsehgerät zu ärgern, und sie meint damit, dass sie keine Ärgerreaktionen äußere. Seien andere anwesend, lasse sie zuerst ihrem „Ärgernis Luft… dann sag ich: ‘Och ist das bescheuert’“ (Fall 1), und dann äußere sie den Wunsch um- oder auszuschalten. Wenn sie alleine fernsehe, schalte sie um, äußere den Ärger nicht. Kurz darauf vergleicht sie den Ärger (i.e. die Ärgerreaktion) mit der Freude: „Ich lache aber alleine vorm Fernsehen“ (Fall 1). Diese Äußerung unterstreicht einmal mehr den sozialen Aspekt der Emotion Ärger. Beim Blick auf die Interviewtexte fällt auf, dass die Befragten ihre Reaktionen beschreiben. Demzufolge scheint ‘Sich-Ärgern’ eng mit den Reaktionen verknüpft zu sein. So gesehen erweist sich Ärger in zweierlei Hinsicht als soziale Emotion: erstens hinsichtlich des Tatbestandes, dass er meistens durch eine andere Person ausgelöst wird, zweitens hinsichtlich des Fernsehverhaltens. Konkreter: Die Aufmerksamkeit für die Inhalte steigt, wenn zusammen mit anderen das Fernsehgeschehen verfolgt wird. Die Emotion Fernsehärger wird deutlicher wahrgenommen, weil man sie in Anwesenheit anderer eher äußert und weil sie durch das Äußern wiederum klarer zutage tritt. Dazu passt, was Louis Zurcher (1983) durch seine Begleitung von Spielern eines Football Endspiels herausfand:
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13 Vertiefungen -- Ärger und Spaß „Das Erleben der einzelnen Emotionen hängt eng mit ihrer kommunikativen Manifestation zusammen, die selbst wiederum Auswirkungen auf das emotionale Erleben hat.“190
Die Anwesenheit einer anderen Person scheint also zu befördern, dass Fernsehärger konturierter wahrgenommen wird, weil er geäußert werden kann. Er hat sozusagen einen Empfänger, gewinnt dadurch mehr Raum und wird gegenständlicher. Die Zusammenhänge sind in der folgenden Abbildung 22 dargestellt. Abbildung 22: Die Bedeutung der Anwesenheit anderer für die Wahrnehmung von Fernsehinhalten und das Erleben von Ärger
TV-Inhalte werden aufmerksamer und beständiger verfolgt (TVVerhalten)
Emotionen durch Fernsehinhalte werden deutlicher wahrgenommen
Ärgerreaktionen werden geäußert, weil andere als Empfänger anwesend sind
Einige Befragte sprechen an, dass das Reagieren, das heißt das Sich-Aufregenmit-Anderen, mehr Spaß mache oder ein größerer Genuss sei, als wäre man alleine. Damit wird das Thema ‘Ärger und Spaß’ berührt, das Gegenstand des nächsten Kapitels ist. 13.6 Exkurs: Ärger und Spaß Zu den ungeklärten, widersprüchlichen Phänomenbeschreibungen des Ärgers gehöre, so Weber (1994: 272), dass er einerseits quälend, negativ, belastend 190 Das Zitat stammt aus Hepp (1998: 100). Hepp gibt ein Ergebnis wieder, das aus einer Studie stammt von Louis A. Zurcher (1983): Social Roles. Conformity, Conflict and Creativity. London: Thousand Oaks, New Delhi.
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erlebt werde, andererseits genussvoll. Einen Faktor, mit dem man der genussvollen Facette beim Erleben einer gemeinhin negativen Emotion (z.B. Ärger) näher kommen könnte, benennt Dörner (1985). Für ihn ist die Erzeugung von positiven Emotionen „immer verbunden mit einer Vermehrung der Kontrolle oder mit der Bestätigung der Tatsache, daß man Kontrolle über einen bestimmten Realitätsbereich hat“ (Dörner 1985: 173).
Nun muss sich Ärger nicht zu einer positiven Emotion wandeln, wenn er mit Kontrolle einhergeht. Aber als Genuss fördernden Bestandteil sieht ihn auch Weber (1994). Sie vertritt die These, „daß es die mit dem Ärger verbundenen Gefühle der Energetisierung sind, das Gefühl, Kontrolle zu haben und Bäume ausreißen zu können, sich wunderbar aktiv zu fühlen. Es ist das schiere Erleben von Intensität“ (Weber 1994: 272).
In der Energetisierung sieht sie „eine der wesentlichen Erlebnisqualitäten des Ärgers“ (Weber 1994: 272). Da Fernsehen Ärger hervorruft und auch nachweislich Vergnügen stiftet (vgl. Dehm 1984), soll die Verknüpfung, das heißt, die Frage des Genusses oder Spaßes am Ärger, in der Fernsehärgerstudie nicht unberücksichtigt bleiben, wohl aber nur exkursorisch und versuchsweise behandelt werden. Zu fragen ist, (ob oder) unter welchen Bedingungen Ärger über Fernsehinhalte auch vergnüglich oder spaßig sein kann? Um das Thema ‘hedonistischer Ärger’ zu explorieren nahm ich folgende Fragen ins Interview auf: Macht Ihnen der Ärger über die(se) Fernsehinhalte auch Spaß? Wie finden Sie das, dass man vor dem Fernsehgerät drauflosschimpfen kann?191 Es kam zu klaren, unerwarteten, widersprüchlichen sowie auf den ersten Blick unpassenden Antworten. Dabei verwendeten die Befragten Worte wie ‘ärgern’, ‘schimpfen’ und ‘lästern’, die inhaltlich nicht identisch sind. Deshalb finden sich in der folgenden Tabelle 32 die Aussagen der Befragten in deren Wortgebrauch (i.e. ärgern, schimpfen, lästern). Danach folgt die Diskussion der Aussagen.
191 Bei dieser Frage erläuterte ich, dass eine Medienfigur das Schimpfen des Rezipienten nicht hören kann, da die Figur nicht real anwesend ist.
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13 Vertiefungen -- Ärger und Spaß
Tabelle 32: Ärgern, Schimpfen, Lästern vor dem Fernsehschirm – ein Genuss? Eher zustimmende Aussagen Schimpfen macht Spaß Schimpfen ist befreiend Gemeinsam ärgern macht Spaß, das hat was Verbindendes
N* 5 2
Eher ablehnende Aussagen Schimpfen macht keinen Spaß --
N* 1 --
2
Ärger ist Ärger, er macht keinen Spaß
1
Gemeinsam lästern macht Spaß
6
Man macht mal eine unflätige Bemerkung, aber das macht keinen Spaß
6
* Mehrfachnennungen. – Zum Grund für die gestrichelte Linie s. S. 353. SCHIMPFEN MACHT SPAß. Schimpfen ist eine häufige Reaktion auf Ärger (vgl. Weber 1994, z.B. S. 154), und es überrascht weder, dass sie auch bei Fernsehärger auftritt, noch, dass Schimpfen als befreiend empfunden werden kann. Erklärungsbedürftig ist, dass Schimpfen – und damit auch Ärger – Spaß machen kann. Dies bekunden einige Befragte, zwei sollen im Folgenden zu Wort kommen. Ein Befragter schimpft, wenn die Kandidaten der Sendung ‘Wer wird Millionär?’ bereits bei niedrig ‘vergüteten’, leicht beantwortbaren Fragen Hilfe in Anspruch nehmen müssen und dadurch weiterkommen oder Geld gewinnen. Auf die Frage, ob ihm das Schimpfen vielleicht auch Spaß mache, sagt er unmissverständlich: „Befragter: Klar macht mir das Spaß. Interviewerin: Ja?! Also dann hat der Ärger ja noch so ein Spaßmoment. Befragter: Ja, ja der Spaßmoment ist der, der [Kandidat] ist rausgeflogen, ich hab die Antwort gewusst, und ich bin schlauer als der“ (Fall 8).
Ähnlich antwortet eine Befragte, die sich als Friseurin über Werbung zu Frisurprodukten ärgert, wenn sie feststellt, dass das Produkt mit unhaltbaren Versprechungen beworben wird (vgl. Pkt. 11.2.2 ‘Berichterstattung und Informationsdarbietung’). Dann schimpft sie, und auf die Frage, ob ihr das Spaß mache, antwortet sie: „Befragte: Jo. Weil ich recht hab. Interviewerin: Wem gegenüber haben Sie denn Recht? Befragte: Oder sagen wir so: Weil ich es besser weiß. Ich mein, ich weiß, dass die Firmen das Produkt verkaufen wollen, dass die so eine Werbung machen dafür, aber das ist Verarschung, das ärgert mich… . Interviewerin: Und dann macht es auch Spaß!? Befragte: Jo. Gehts mir besser“ (Fall 5).
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Die Antwort: „Jo. Gehts mir besser“ bestätigt nicht perfekt die Frage nach dem Spaß, eher legt die Antwort andere Auslegungsmöglichkeiten nahe. Ohne diese zu erwägen wird doch in beiden Interviewtexten deutlich, dass – und dies ist als spaßförderndes Element festzuhalten – sich die Befragten im Recht fühlen, es besser wissen. Hier zeigt sich der Befund, wonach sich zu ärgern eine Rückmeldung über das eigene Bessersein enthält, was zugleich als Aufwertung der eigenen Person verstanden werden kann (vgl. Fichten 1992: 163). Etwas anders geartet ist der Ärgeranlass und der Ärger bei einer anderen Befragten. Sie berichtet von einem freudig getönten Ärger, den sie beim Verfolgen der Serie ‘Frauenknast’ empfindet, und zwar dann, wenn in der Filmhandlung ein ‘Böser’ hinterhältig und böswillig agiert. „Interviewerin: Ja. Macht Ihnen das dann auch Spaß, sich da so aufzuregen. Ist da so was. OderBefragte: Ich weiß nicht, ja manchmal vielleicht schon…ich glaub, da ist schon Freude, wenn ich mich da aufrege [lacht schallend], dass ich mich freudig aufrege, weiß ja auch nicht. Das ist ja schon wie Sarkasmus oder so [lacht schallend]. … Interviewerin: Wie fühlen Sie sich denn nach so einer Sendung, wenn Sie die jetzt gesehen haben, und Sie haben sich da auch so aufgeregt? Befragte: Ei gut, ich fühl mich schon erleichtert, dass ich nicht in so einem Bau [d.h. Gefängnis] da drin sitze, also das ist schon-, gelle, dass man die Fenster aufmachen kann, rausgehen, also das [d.h. im Gefängnis eingesperrt zu sein] stell ich mir ganz furchtbar vor. Das ist zwar da schön gespielt manchmal, auch gemacht, aber ich denk mir mal, unbedingt da [im Gefängnis] drin sein möchte ich trotzdem nicht“ (Fall 7).
Die Befragte spricht von Freude oder freudiger Aufregung und von Erleichterung darüber, dass sie frei und nicht wie die Frauen der Filmhandlung inhaftiert ist. Ohne auf die Implikationen von Freude hier näher einzugehen, könnte für die Freude am Ärger und damit die Mischung dieser beiden Emotionen nun Folgendes vermutet werden: Vielleicht kann die Befragte Freude beim Sehen der Medienhandlung empfinden, weil es ein anteilnehmender Ärger (Beobachtungsärger) ist und keiner, in den sie persönlich involviert ist, UND weil sie weiß, dass das Böse nicht Wirklichkeit, sondern Fiktion ist. Für diese Sichtweise spricht auch eine Antwort derselben Befragten, als sie an anderer Stelle über einem anderen Ärgeranlass (d.h. das Verhalten der Medienfigur Anke Engelke) spricht und ich frage, ob sie ihren Ärger über die Komikerin Anke Engelke später einfach vergesse: „Das vergess ich schon einfach. Das ist ja kein Mensch, der bei mir lebt hier oder so, ich hab ja nichts mit der eigentlich zu tun, oder mit dem (Harald) Schmidt, gelle, mit dem hab ich ja jetzt nichts-, kein Kontakt oder so“ (Fall 7).
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13 Vertiefungen -- Ärger und Spaß
Die Rezipientin und die Medienfigur sind in zweifacher Hinsicht einander fern: zum einen räumlich, zum anderen bezogen auf die Lebenswelten. Sich über eine Medienfigur zu ärgern, bedeutet zugleich, dass das Ärgerereignis und der Ärger für die Rezipientin folgenlos bleiben. Vielleicht trägt zu dem Spaß am Fernsehärger also auch hier wieder das sichere Wissen bei, dass man von der medial bedingten Ärgersituation in aller Regel letztlich doch nicht (unmittelbar) persönlich betroffen ist. Darüber hinaus werden zwei weitere Bedingungen für Spaß in folgendem Interviewausschnitt erkennbar: „Weil außerdem kann sie [die Medienfigur Anke Engelke] sich ja in dem Moment auch nicht wehren. Ich glaub, da macht einem das auch bisschen Spaß noch mal, wenn es, wenn es ein zwei Mal ist“ (Fall 7).
Einerseits zeigt sich in dem Zitat das Gefühl, Kontrolle zu haben. Zu diesem Gefühl kann es den vorliegenden Daten zufolge aus zwei Gründen kommen. Das Gefühl kann sich erstens einstellen, weil die Medienfigur wehrlos bleibt und man also keine Gegenwehr befürchten muss. Zweites kann es sich einstellen, weil man der medial bedingten Ärgersituation in der Regel nicht sehr lange ausgesetzt ist oder bleiben muss, weil man um das eintretende Ende der Sendung oder um den baldigen Wechsel von Bildern oder Themen weiß, weil man recht schnell also wieder abgelenkt wird oder wegschalten kann.192 Andererseits zeigt sich in dem Zitat als Bedingung für Spaß (am Schimpfen), dass er begrenzt ist („wenn es ein zwei Mal ist“), Spaß bedarf also der Begrenzung, sonst ist es kein Spaß mehr.193 ÄRGER UND SCHIMPFEN MACHEN KEINEN SPAß. Nun gibt es zwei Befragte, die dem Ärger und dem Schimpfen vor dem Fernsehschirm nichts Positives abgewinnen können. Es sei ja auch „ne Freiheit, zu sagen, was man denkt, auch in dem Ton, den man möchte, aber von dem mach ich eigentlich nicht Gebrauch, weil es führt zu nichts und… ist irgendwie, ist nicht so das Wahre“ (Fall 20). Befragte: „Ärger zum Spaß? Nee, also wenn ich mich ärger, dann ärger ich mich, also dann ist es Ärger. 192 Das Zitat enthält einzig den Hinweis auf die Wehrlosigkeit der Medienfigur. Die darauf folgende Schlussfolgerung ist aus dem Zitat nicht ableitbar. Sie wird erwähnt, weil sie aufgrund der Reaktionen plausibel scheint (vgl. Kap. 12 ‘Reaktionen’, zusammenfassend Pkt. 12.2.8). 193 Fernsehangebote sind zeitlich immer begrenzt, und so könnte die Begrenzung ein Bestandteil sein, der auch den Spaß beim Fernsehen – ob Ärger oder nicht – befördert.
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Interviewerin: Dann ist es Ärger, und der macht auch kein Spaß. Befragte: Nee“ (Fall 1).
Die Haltung dieser Befragten kann, muss aber nicht im Widerspruch zu dem zuvor Gesagten stehen. Bei der Interpretation der Aussagen dieser und der vorgenannten Befragten ist zu sehen, dass sie unterschiedliche Bezüge nehmen. Die Befragten, die Spaß am Schimpfen äußern, haben konkrete Anlässe vor Augen (‘Wer wird Millionär?’; Frisurprodukt in der Werbung; Anke Engelke), während die hier zitierten Befragten eine allgemeine, von konkreten Situationen losgelöste Aussage formulieren. Aussagen zur selben Frage, aber mit verschiedenen Bezügen sind nur bedingt vergleichbar. Das zeigt sich, wenn man die Interviewtexte verschiedener Befragter vergleicht, es zeigt sich aber auch auf der Ebene des Einzelfalls. Auch dort beziehen sich die zwanzig Befragten mal auf konkrete Fernsehereignisse, mal darauf, wie es im Allgemeinen ist. Wenn sie über ihren Fernsehinhaltsärger reden wie er im Allgemeinen ist, dann kommt dabei heraus, dass er kaum bis gar nicht ins Gewicht fällt. Sprechen sie über konkrete Medienangebote, so spielt Ärger durchaus eine Rolle.194 Aufgrund dieser verschiedenen Bezugnahmen kann aus beiden Zitaten ein Widerspruch zu der Haltung, dass Schimpfen Spaß macht, nicht vorbehaltlos abgeleitet werden. Hinzu kommt, dass die Aussage von Fall 20 durch das Wort ‘eigentlich’ eingeschränkt ist. Sieht man von einem Vergleich der Interviewtexte ab und betrachtet die Aussage von Fall 20 erneut, so lässt sich ein Grund dafür entdecken, dass dem Befragten das Schimpfen keinen Spaß bereitet. Der Befragte verknüpft das Schimpfen bei allgemeinem Ärger mit einem Ziel, denn er sagt, dass er bei Fernsehinhaltsärger nicht schimpfe, „weil es führt zu nichts“ (Fall 20). Hier fehlt die Möglichkeit, ein Ziel im Sinne einer Veränderung zu erreichen – dies ist zugleich ein entscheidendes Ärgermerkmal, wie sich beim Thema Lästern zeigen wird. Während also beiden Befragten der Ärger oder das Schimpfen keinen Spaß bereitet, erleben sie – wie sie an anderer Stelle äußern – Spaß beim Lästern. Das ist nach Auffassung von Fall 20 allerdings nicht mit Ärger verbunden. Dem Zusammenhang zwischen Ärger und Lästern wird im Folgenden nachgegangen. LÄSTERN. Nach Bilandzic (2004: 70) werde beim Lästern anlässlich der Fernsehinhalte auf TV-Personen, Töne oder Bilder verwiesen und eine negative Bewertung geäußert. Hepp (1998) sagt zum Bewerten und Lästern: 194 Bei allem tragen auch situative Faktoren (jemand sieht alleine oder mit anderen fern, s.u. und vgl. Pkt. 13.5 ‘Die Rolle der sozialen Situation’) oder auch subjektive Faktoren (z.B. Selbstbewusstsein, persönliche Ärger- oder Humorneigung, soziale Merkmale usw.) dazu bei, ob jemand (genüssliche Seiten am) Ärger erlebt. Daten, die detaillierte Aussagen über subjektive Faktoren ermöglichten, liegen in dieser Studie nicht vor.
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13 Vertiefungen -- Ärger und Spaß „Bei beiden stehen alltagsweltliche Werte im Mittelpunkt, die die Zuschauer verhandeln, intersubjektivieren und sich gegenseitig bestätigen. Als aggressivere Form der Bewertung geht das Lästern (…) weiter, es geht darum, ein Wir-Gefühl zu konstituieren, denn ‘nichts vereint mehr als das Herziehen über einen Dritten’“ (Hepp 1998: 88, vgl. auch Bergmann 1987, 1994).
Alltagswerte – so Hepp (1998: 89) weiter – würden übertreibend, typisierend und moralisierend im Lästergespräch thematisiert. Hinzuzufügen ist, dass durch das Lästern eine (emotionale) Distanzierung zum Geschehen hergestellt oder ausgedrückt sowie Kontrolle gewonnen wird. Wer lobt oder tadelt, hat Kontrolle, hat Distanz. So ist Lästern auch verbunden mit dem Selbstbewusstsein und der Selbstbestätigung. „Jugendliche tratschen und lästern besonders gern über andere, wenn es um Bereiche geht, die sie selbst versunsichern“, sagt der Jugendpsychologe Helmut Wetzel (zit. nach Oberhessische Zeitung 2002: 18). Wer lästert, kann das in der Absicht tun, jemandem zu schaden, häufig ist das aber nicht das Ziel. Es mag Zufall sein, dass Hepp bei seiner eben zitierten Charakterisierung des Lästerns das Wort ‘aggressiv’ verwendet. Interessant ist an seiner Formulierung, dass sie Lästern und Aggression verknüpft, und damit gegebenenfalls Lästern und Ärger, da Aggression (ein Verhalten) und Ärger (eine Emotion) zuweilen in Verbindung stehen (vgl. Pkt. 4.6.2 ‘Ärger und Aggression’). Es ist zu klären, in welchem Verhältnis Lästern und Ärger stehen, auch deshalb, weil die Befragten einen uneinheitlichen Sprachgebrauch haben: Die einen sagen, sich gemeinsam ärgern mache (keinen) Spaß, die anderen, gemeinsam lästern mache (keinen) Spaß (siehe Tabelle 32). Eine Nähe von Lästern und Ärger kann allein aufgrund dieses Sprachgebrauchs freilich nicht angenommen werden, denn er kann sich zum Beispiel durch die Interviewfrage ergeben haben. Doch der Blick auf die Wortart führt weiter. Es fällt auf, dass die Befragten die Worte ‘ärgern’ und ‘lästern’ im Sinne von Verben gebrauchen. Meine Interpretation ist, dass die Befragten mit ‘Lästern’ ein Verhalten beschreiben, und mit den Worten ‘sichärgern’ meinen sie ebenso ihre Reaktion (Verhalten).195 Mehr noch: Ich nehme an, dass mit der Formulierung ‘Sich-Ärgern’ hier gar das Lästern gemeint ist, zumal die Befragten angeben, dass sie beim Fernsehen kommentieren, fluchen, Witze machen. Diese Verhaltensformen sind hier eher dem Lästern zuzuordnen. Die Vermutung wird dadurch gestützt, dass einige Befragte das Ärgern (ein Verhalten) oder den Ärger (eine Emotion) von Lästern (ein Verhalten) abgrenzen, wie etwa der nachfolgende Befragte: 195 Auf diesen Wortgebrauch bin ich bereits in Punkt 13.5 ‘Rolle der sozialen Situation’, S. 345, eingegangen.
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„Das ist ja auch kein Ärger, das würd ich nicht als Ärger definieren, sondern das ist eigentlich eher-, ja äh, keine Ahnung, das ist Witzeln vorm Fernseher einfach oder über das, was man da geboten bekommt, also das ist kein Ärger in dem Sinne“ (Fall 20).
Ein Kriterium zur Unterscheidung von Lästern und Ärger könnte sich in folgendem Interviewausschnitt andeuten. Auf die Frage, ob Äußerungen beim Verfolgen von Quizsendungen wie ‘Nun mach doch! Sags schon!’ eher lästern als ärgern sind, antwortet eine Befragte: „In gewisser Art und Weise schon, weil dann fängt man ja nicht nur an zu sagen: ‘Ah die weiß es nicht’ oder: ‘Jetzt komm mach hin’, sondern äh: ‘Die hat aber auch eine unmögliche Bluse an’ [lacht] oder so kommt dann auch noch mal, also dann artet das manchmal sogar in Lästern aus, ja“ (Fall 1).
Hier deutet sich an, dass Ärger auf sein Ziel gerichtet bleibt, Ablenkungen davon (z.B. die unmögliche Bluse) lässt er kaum zu, würden ihn vielleicht auch konterkarieren. Demgegenüber lenkt das Lästern von dem unveränderbaren und ärgerlichen Moment ab, es strebt eher nach Entspannung oder Erleichterung und weniger nach Veränderung. Es lässt sich also annehmen, dass das Verb ‘sich ärgern’ in den Interviews der Bedeutung ‘lästern’ nahe- oder gleichkommt, dass ‘sich ärgern’ also im Sinne des Lästerns gebraucht wird, wenn die Befragten angeben, sich am gemeinsamen ärgern zu erfreuen. Um diese Annahme optisch zu kennzeichnen, trennt in obiger Tabelle 32 eine gestrichelte Linie die Positionen ‘gemeinsam ärgern macht Spaß’ und ‘gemeinsam lästern macht Spaß’. Nimmt man beide Positionen zusammen, dann sind es acht Befragte, denen das Lästern Spaß bereitet. Diesen Acht stehen sechs Personen gegenüber, denen das Lästern keinen Spaß bereitet. Auf beides soll eingegangen werden, um weiter Aufschluss über den Zusammenhang von ‘Ärger – Lästern – Spaß’ zu erhalten. Es fällt auf, dass diejenigen, die Spaß am Lästern äußern (acht Befragte), Situationen beschreiben, in denen sie mit Freunden fernsehen oder sich mit Freunden über das Gesehene austauschen. Fünf Befragte leben in Wohngemeinschaften (Studierende), wo es häufiger zum gemeinsamen Fernsehen kommt, drei Befragte treffen in ihrer Freizeit häufig Freunde, ein Befragter bezieht sich auf Sportsendungen oder Sportereignisse (z.B. Fußball-WM), die er sich zusammen mit Freunden ansieht. Es ist ein Merkmal des Lästerns, dass es zusammen mit anderen geschieht. Dazu passt, dass eine Befragte prägnant sagt: „Alleine läster ich nicht mit mir“ (Fall 1). Sechs Befragten macht das Lästern keinen Spaß. Die Befragten beziehen sich auf Situationen, in denen sie alleine oder zusammen mit Ehepartnern fern-
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sehen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass auch diese Befragten lästern, aber das Lästern scheint hier eine untergeordnete Rolle zu spielen und/oder nicht im Lichte des Spaßes gesehen zu werden. Dies mag damit zusammenhängen, dass sich die Befragten nicht in einem Freundeskreis befinden, sondern im Kreise der Familie oder alleine fernsehen. Neben sozialen Merkmalen (der Situation) gibt es einen weiteren Gesichtspunkt, der im Ärgeranlass selbst zu liegen scheint. Dies erläutert die folgende Befragte: „Wenn Geschichten so doof sind, das dann richtig Spaß macht, jetzt bei ‘Verbotene Liebe’ und ‘Marienhof’, wenn da Geschichten so richtig doof sind, und man lästert dann so n bisschen über diese Geschichten und wie doof die eigentlich aufgezogen werden, da macht das, da macht das Spaß, aber so dieses aufregen, dass Werbeblöcke dazwischengeschaltet werden, das macht eigentlich auch keinen Spaß mehr, weil da fifindet man sich auch eher schon damit ab, so“ (Fall 19).
Worüber es sich zu lästern lohnt, ist nicht unabhängig vom Ärgeranlass. Dass Werbung geschaltet wird, ist eine unabänderliche Tatsache. Die Gründe dafür, warum es Werbung gibt, sind bekannt (Finanzierung), sie bieten auch – anders als bei den Seriengeschichten – keine weiteren persönlichen Anknüpfungspunkte, eine Diskussion oder Äußerung erübrigt sich. Hiermit sind die Grenzen des Spaßes erreicht, Lästern oder Schimpfen machen ‘keinen Spaß mehr’. Dass den einen das Lästern Spaß bereitet, den anderen hingegen nicht, hat somit wohl vor allem mit der sozialen Situation und sozialen Merkmalen der Personen wie auch mit dem Ärgeranlass selbst zu tun. Zu sehen ist ferner, dass alle Befragte nicht in der Absicht lästern, jemandem zu schaden. Hinsichtlich des Ärgers fällt auf, dass er im Augenblick des (nicht bösartigen) Lästerns kaum zu erkennen ist. Das mag daran liegen, dass er für Lästern keine Rolle spielt – dann wäre die Annahme, dass Lästern und Ärger zusammenhängen, zu verwerfen. Es kann aber auch daran liegen, das Lästern entweder noch vor der vollen Entfaltung der negativen Emotion einsetzt oder es eine Umformung der negativen Emotion ist. LÄSTERN – HUMOR – ÄRGER. Mit folgender Aussage rückt ein Befragter den Ärger und das Amüsement in unmittelbare Nachbarschaft. „Der Auftritt von Frau Feldbusch bei der Johannes B. Kerner-Show (I: ja),…man hat sich… natürlich geärgert über die ähm über diese Dame, und andererseits hat man sich auch amüsiert (I: ja)“ (Fall 18).
Es ist unstrittig, dass Humor ein Gegenspieler des Ärgers oder zumindest sehr hilfreich bei der Ärgerbewältigung ist (vgl. Weber 1994: 248). Humor ist nicht
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dasselbe wie Zynismus, Sarkasmus und Ironie. Diese Formen sind eher als der Humor die Bestandteile des Lästerns. Dennoch könnte das Lästern über Medienfiguren mit einer Portion Humor verknüpft sein. Der Grund könnte in der Art des Bekanntschaftsverhältnisses liegen. Bergmann (1994: 123) weist auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Klatsch über Medienfiguren und dem Klatsch über bekannte Personen im Umfeld einer Person hin. Beim Klatsch über persönlich Bekannte wird zwar Kritik geäußert, aber man belässt es nicht dabei, sondern mildert oder revidiert die harten Äußerungen. So fügt ein Klatschakteur seiner Entrüstung (‘die ist abends immer unterwegs’) auch das mildernde Verständnis für das Verhalten des Klatschobjekts an (‘Na ja, sie hat ja auch niemanden zu Hause’). Anders ist dies beim Klatsch über Medienfiguren. „Hier besteht zwischen den am Klatsch Beteiligten kein reziprokes, sondern ein einseitiges Bekanntschaftsverhältnis, mit der Konsequenz, dass zwar auf die gleiche rhetorisch übertriebene Weise Skandalisierung betrieben wird, häufig jedoch das ‘Gegengift’ – ein Zeichen von Verständnis und Rücksichtnahme für das Klatschopfer – ausbleibt“ (Bergmann 1994: 123).
Darin, dass die Rezipienten beim Medienklatsch zumindest gegenüber den Medienfiguren sozial entpflichtet sind, könnte ein Freiraum oder eine Freiheit liegen. Freiheit ist eine Voraussetzung für Humor, und so bietet der Medienklatsch die Chance auf eine soziale Lücke, in der der Humor seinen Sitz haben könnte. So gesehen würden sich im Lästern über Medienfiguren – anders als im Lästern über persönlich Bekannte (z.B. Nachbarn, Arbeitskollegen) – Formen wie Sarkasmus, Ironie oder Zynismus mehr oder weniger mit Humor vereinen und gegebenenfalls das (diebische) Vergnügen (am Ärger oder Schimpfen) steigern. ÄRGER – LÄSTERN – SPAß. Der Spaß wurde von den Befragten eher nicht bei dem Stichwort Ärger verortet, sondern bei den Reaktionen wie Lästern oder Schimpfen. So lässt sich eine Aussage über die Beziehung von Ärger und Spaß am ehesten entlang der Reaktionen treffen. Meines Erachtens ist Schimpfen nahe am Ärger, während das Zusammenspiel von Lästern und Ärger aufgrund der Datenlage undeutlich bleibt. Es konnte ein Kriterium ermittelt werden, das das Lästern von dem Ärger unterscheidet: Ärger braucht und verfolgt ein Ziel, lässt sich nicht (gerne) abbringen, während Lästern nicht unbedingt nach einer äußerlichen Veränderung strebt. Mehr noch: Möglicherweise enthält das Lästern das Eingeständnis, nichts verändern zu können, und so kann im Zuge des Lästerns von Ärgerthemen und deren Zielsuche abgesehen und die Aufmerksamkeit auch auf weitere Themen (z.B. die hässliche Bluse) gerichtet werden. Wann tritt Lästern ein? Möglicherweise liegt das Lästern nach dem Spürbarwerden und vor der vollen Entfaltung der negativen Emotion, wobei negative oder Abneigungsemo-
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tionen196 das Lästern fördern und sich dann dahinter verbergen oder auch dadurch verwandeln. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Ärger und Lästern ging es auch darum, einige Merkmale aufzuspüren, die den Spaß oder Genuss beim Schimpfen (Ärger!) und Lästern (Ärger?) verstehbar machen. Die Analyse der Interviews ergibt folgende Faktoren:
Der Ärgeranlass muss genügend Punkte enthalten, an die die Akteure anknüpfen können. So bietet etwa die Werbung als Gestaltungselement keinen oder kaum Anreiz zu Gesprächen, Werbeinhalte dagegen durchaus. Anwesenheit anderer, Gemeinschaft, Öffentlichkeit. Spaß scheint eine Öffentlichkeit zu benötigen, zumindest vergrößert sie den Spaß. Die Befragten machten deutlich, dass das Schimpfen und Lästern keinen Spaß mache, wenn sie alleine fernsehen, während es zusammen mit anderen Spaß mache. Diese anderen sind (vielleicht) eher Freunde und weniger Ehepartner oder Lebensgefährten, zumindest könnte der Spaß bei Freunden bewusster erlebt werden. Die Art der Gemeinschaft könnte somit ein Faktor sein, der den Spaß an der Ärgerreaktion fördert. Ruch (2000) befasst sich mit dem Thema Erheiterung und berichtet nachgewiesene hemmende und fördernde Faktoren für das Lachen oder Lächeln. Meines Erachtens wären diese Faktoren analog für den Spaß zu prüfen. Dies sind soziale, individuelle und organismische Faktoren. Zu den sozialen Merkmalen der anwesenden Personen zählen etwa Geschlecht, Modellverhalten, Bekanntheitsgrad, soziale und räumliche Nähe. Die individuelle Geisteshaltung ist insofern bedeutsam, als jemand, der ernst oder nachdenklich gestimmt ist, weniger zum Spaß neigen wird, als jemand der spielerisch eingestellt ist. Organismische Faktoren moderieren die Auslösung der Erheiterung, es sind „Aspekte wie das Aktivationsniveau, der Grad der Spannung oder Entspannung, Müdigkeit, Krankheit, oder Intoxikation durch Alkohol bzw. andere psychoaktive Substanzen“ (Ruch 2000: 236).
Begrenzung. Spaß bedarf der Begrenzung. Beim Fernsehen hat man das sichere Wissen, dass man der Ärgersituation nicht lange ausgesetzt ist oder bleiben muss. Man kann aus-, umschalten, den Raum verlassen oder auch getrost abwarten, denn man weiß, wann die Sendung zu Ende ist oder dass die Bilder, Themen oder Medienfiguren wechseln.
196 Hierzu zählt freilich Ärger, aber auch Emotionen wie Ekel, Furcht, Neid, Eifersucht und andere mehr gehören dazu.
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Die Energetisierung. Beim Fernsehen energetisiert zu sein, bedeutet zugleich, dass die Befragten sich emotional vom Mediengeschehen angesprochen fühlen. Wer sich ärgert und schimpft (oder lästert), fühlt sich aktiv. Spaß zu haben macht ebenso lebendig. Das Aktiviert-Sein bei Ärger könnte somit – wie Weber (1994) vermutet – eine spaßbringende Facette (bei Ärger über TV-Inhalte) sein. Die Überzeugung, im Recht oder besser zu sein. Diese kann beflügeln, weil es als Aufwertung der eigenen Person empfunden werden kann. Ferner mag sie Gefühle von Macht oder Kontrolle fördern. Diese können sich beim Schimpfen vor dem Fernsehschirm überdies dadurch einstellen, dass die Medienfigur sich nicht wehren kann, vom Klatschobjekt also kein Widerstand befürchtet werden muss, denn es kann die Schimpfworte, die über es ergossen werden, nicht hören, und es ist räumlich weit entfernt.197 Beim Lästern nähren sich Gefühle von Macht und Kontrolle wohl auch durch das mit dem Lästern erzielte Wir-Gefühl. Folgenlosigkeit des Ärgers. Der Ärger über die Medienfigur bleibt subjektiv folgenlos, man ist in der Regel nicht persönlich von dem Ärgeranlass betroffen, denn die Medienfigur und das Ärgerereignis sind fern. Darunter fällt auch eine Form von Ärger, die ich als ‘teilnehmenden Ärger’198 bezeichne. Hier verfolgt ein Zuschauer eine Filmhandlung und bewertet das Handeln einer Figur (z.B. des Schurken) mit der entsprechenden Emotion. Übertragen auf den Alltagsärger könnte das bedeuten, dass Facetten des Ärgergenusses besonders dort auftreten, wo die Konsequenzen des Ereignisses für die eigene Person als relativ konfliktfrei und gering eingeschätzt werden – was wiederum mit dem Gefühl der Kontrolle verbunden sein kann. Konfliktarm könnten etwa ‘kleinere’ Ärgeranlässe (z.B. beim Einkaufen, teilweise in der Erziehung) oder Situationen mit Beobachtungsärger sein wie auch solche mit Ärger, der nicht empfunden wird, aber aufgrund einer sozialen Rollenfunktion (z.B. im Geschäftsleben) demonstriert werden muss (vgl. Pkt. 4.2 ‘Formen und Entstehung von Ärger’). Ziellosigkeit der Ärgerreaktion. Hier ist das Ergebnis zweigeteilt: Das Schimpfen bei Fernsehärger macht einigen Befragten Spaß, weil es nicht
197 Weitere Fernsehsituationen sind denkbar, die mit Macht und Kotrolle verknüpft sein können. So etwa, wenn Rezipienten bei einem Krimi die Handlung durchschauen (der wissende Zuschauer). Zum einen spielt Ärger dabei zunächst keine Rolle, zum anderen wären die Konzepte Macht und Kontrolle hier näher zu bestimmen. 198 Sich wie der Fernsehakteur zu ärgern, würde im Rahmen des Konzepts ‘Parasoziale Interaktion’ mit „role-taking“ bezeichnet. Das heißt, der Rezipient versetzt sich in die Fernsehakteure hinein.
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13 Vertiefungen -- TV-Gerät abschaffen um eines Zieles willen wie etwa die Beseitigung des Ärgeranlasses erfolgen muss.199 Ein Befragter äußert hingegen, dass ihm aufgrund des fehlenden Zieles (z.B. etwas bewirken, verändern) das Schimpfen keinen Spaß bereite. Diejenigen, die schimpfen, verhalten sich zu dem medialen Ärgeranlass auf dieselbe Weise, als wäre der Anlass nicht durch den Fernsehschirm getrennt, also gegenwärtig, aber – und das dürfte für das Erleben des Spaßes am Schimpfen bei Fernsehärger wichtig sein – man wird nicht in die Pflicht genommen und ist (auch deshalb) die (kleine) Anspannung schnell wieder los.
Damit sind einige Aspekte angesprochen, die zum Spaß am Schimpfen oder am Ärger beitragen und die Ärger oder Ärgerreaktionen zu einem positiven Erleben werden lassen können. Ein Befragter soll das letzte, resümierende Wort haben. Für ihn war der Gedanke, dass man vor dem Fernsehgerät schimpfen kann, ohne dass die Medienfiguren dies hören, neu, und sich darüber freuend fand er die Worte: „Das ist wie lästern…ohne dafür bezahlen zu müssen“ (Fall 18). 13.7 Exkurs: Fernsehgerät abschaffen „Kleiner Tipp: Schaffen Sie Ihr Fernsehgerät ab! Das habe ich gemacht, seitdem gibt es keinen Ärger mehr. Wenn Sie das auch machen, haben Sie vielleicht viel Arbeit gespart!“ Diese Worte stammen nicht von einem Befragten, sie stammen von einem mir bis heute unbekannten Mann. Er saß zufällig in demselben Café wie meine Kollegin und ich, und er hörte unserem Gespräch zu, in dem ich davon berichtete, eine Studie über Fernsehärger durchführen zu wollen (vgl. auch Pkt. 8.1 ‘Vorüberlegungen zu den Personenprofilen’). Seine Worte erreichten mich noch weit im Vorfeld der Fragebogenkonstruktion, die ich gegen seinen Rat dann doch vornahm. Mehr noch: Sein Einwurf bestärkte mich, die folgende Frage in die Untersuchung aufzunehmen: Haben Sie schon einmal überlegt, das Fernsehgerät abzuschaffen?
199 Dass das Schimpfen dazu dienen kann, eine Spannungsentladung oder Entlastung herbeizuführen kann freilich ein beiläufiges Ziel des Schimpfens sein. Ferner kann der Spannungsabbau zum separaten und bewussten Ziel werden, vor allem dann, wenn die Spannung hoch ist. Hier soll der Spannungsabbau nicht als bewusstes Ziel unterstellt werden, weil von einer hohen Spannung (Intensität) bei den Befragten dieser Studie nicht auszugehen ist (s. Pkt. 13.2 ‘Häufigkeit, Intensität, Dauer…’).
13 Vertiefungen -- TV-Gerät abschaffen
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Die Frage richtete ich an 18 der zwanzig Befragten, und die Antworten verteilen sich wie folgt: Tabelle 33: Fernsehgerät abschaffen Ja
nein
Keine Angaben
8
10
2
DIE GRÜNDE. Das auffällige Ergebnis ist: Kein Befragter hat je aufgrund von Fernsehärger daran gedacht, das Fernsehgerät abzuschaffen. Die acht Befragten, die sich mit dem Abschaffungsgedanken trugen, hatten die folgenden Gründe:200
die Gebühren: Sie sind zu teuer (Fall 1); die Kinder: Weil Fernsehen für die Entwicklung der Kinder nicht förderlich ist (Fälle 2, 6, 9); das eigene Fernsehverhalten: Es wird zu viel ferngesehen (Fall 3, 10);201 Selbstverständnis: Zwei Studenten sagten, dass sie der Verführung durch das Fernsehen entgehen möchten, weil sie angehende Akademiker seien, sich als solche verstehen wollen, was bedeutet, dass man anstelle von Fernsehen mehr Bücher liest (Fälle 16, 18).
Neun der zehn Befragten,202 die noch nicht daran gedacht haben, ihr Fernsehgerät abzuschaffen, begründen das wie folgt:
TV ist eine Quelle der Zerstreuung (Fall 4), der Ablenkung (Fall 15); TV ist unterhaltsam (Fälle 7 und 19); TV ist ein Informationsmedium (Fälle 5 und 19): ‘Man kann mitreden’; TV bietet Filme, die z.B. im Kino nicht mehr zu sehen sind (Fall 9); TV ist ein Freizeitmedium, Zeitvertreib, Beschäftigung.
200 Begründungen wie diese nannten auch Befragte in der Nichtfernseher-Studie von Sicking (2000). 201 Hier könnte der Eindruck eines Widerspruchs entstehen, wenn gesagt wird, dass die Einschätzung, zu viel fernzusehen, ärgerfrei bleibt, denn in der Arbeit zählte genau dies zu den Ärgeranlässen (vgl. Pkt. 11.3.4 ‘Das eigene Fernsehverhalten’). Aber nicht jeder ärgert sich darüber, wenn er zu viel fernsieht, und eben diese unter den Befragten sind hier gemeint und nicht die sechs Befragten, die sich über ihr eigenes TV-Verhalten ärgern. 202 Ein Befragter (Fall 17) hat keine Begründung genannt, und die Interviewerin hat keine erfragt.
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13 Vertiefungen -- TV-Gerät abschaffen „Ich tu halt schon gerne mal lesen, aber ich könnts mir halt nicht vorstellen, wenn man irgendwie kein Fernseher hat, dass man dann nur lesen muss oder was weiß ich, was soll man da auch sonst machen?“ (Fall 15). „Wenn man alleine ist, denkt man, man kriegt den Tag nicht rum“ (Fall 14). „UM GOTTES WILLEN! Ich würde STERBEN wahrscheinlich, also fürs Fernsehen sterb ich gerne, also ohne Fernsehen: NIEMALS. Man ist so dran gewöhnt!“ (Fall 8). „Nur jeden Abend mit meinem Freund zusammen sitzen und reden, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Das geht nicht irgendwie“ (Fall 5).
TV gibt das Gefühl, nicht alleine zu sein (Fälle 13, 14, 15); Gewohnheit (Fälle 8, 14); TV-Nutzung ist freiwillig: Man kann ja ausschalten (Fall 12); Andere Familienmitglieder wollen ein TV-Gerät (Fall 7).
Zudem erläutern einige Befragte ihre Begründungen etwa damit, dass man sich ja nicht nur ärgere (Fall 10), dass es manchmal auch schön sei, wenn man sich nach einem Tag einfach vor das Fernsehen setzen könne (Fall 2) oder konkret bezogen auf die Sendung ‘Wer wird Millionär?’ ärgere man sich ja nicht einzig, sondern man ist auch erstaunt: „Dann sagt man: ‘Ou, das hätt ich aber jetzt nicht gewusst’, so, also dann ist man manchmal erstaunt, was dann doch die Leute wissen“ (Fall 1). ZUSAMMENGEFASST zeigen sich in den Begründungen erstens einige Fernsehmotive. Zweitens wird formuliert, dass es von den Nutzenden abhängt, ob sie fernsehen oder nicht (‘man hat dazu die Freiheit’). Schließlich wird deutlich, dass Fernsehentscheidungen je nach Lebenssituation (i.e. Ehe, Familie) nicht von einer Person alleine getroffen werden können. Insgesamt ist es also bei diesen Befragten so, dass Fernsehen nicht nur Anlass zum Ärger ist, dass es – im Gegenteil – auch Gutes bietet. Aus diesem Grund muss man es also nicht abschaffen. Aus den Antworten auf die Abschaffungsfrage lässt sich zwar nicht ableiten, dass Ärger eine Rolle bei der Entscheidung spielt, das Fernsehgerät abzuschaffen. Demgegenüber gaben einige Befragte in den Interviews zu erkennen, dass der Abschaffungsgedanke in einer akuten Ärgersituation zwar aufkeimt, er aber dann doch nicht ernst gemeint ist. Eine Folgeuntersuchung sollte Klarheit darüber schaffen, ob Ärger bei der Abschaffungsfrage beteiligt ist oder ob nicht.
14 Zusammenfassung und Schluss
Wie denken, handeln und fühlen Personen, wenn sie sich über Fernsehen ärgern, was bedeutet also Fernsehärger für das Subjekt? Dies war die Frage dieser Arbeit, und es sollten – so das Ziel – auf der Grundlage von (zwanzig) qualitativen Interviews Hypothesen entwickelt werden. Die Forschungsfrage wurde vor dem Hintergrund emotions-, medien- und sozialpsychologischer, kommunikationswissenschaftlicher sowie soziologischer Theorieansätze verfolgt. Unterschieden wurden zwei Formen oder Bereiche von Fernsehärger: einmal der Ärger über Fernsehinhalte, dann der Ärger rund ums Fernsehen. Der eine wurde als Medienemotion, der andere als Alltagsemotion aufgefasst. Für beide Ärgerformen wurden zunächst separat (1) (2) (3)
die Anlässe, die Reaktionen, die Häufigkeit, Intensität und Dauer
ermittelt. Sodann wurden beide Ärgerformen hinsichtlich der unter (1)-(3) genannten Kategorien und Dimensionen verglichen. Anschließend ging es um Zusammenhänge zwischen Fernsehärger und (4) (5) (6) (7) (8)
der Frage, ob und inwiefern über den Ärger gesprochen wird, Beschwerden an eine Fernsehanstalt, die Rolle der sozialen Situation, Spaß, die Möglichkeit, das Fernsehgerät abzuschaffen.
Der Reihe nach werden im Folgenden die Kernbefunde und Hypothesen berichtet. (1) ÄRGERANLÄSSE. Die Befragten ärgern sich rund ums Fernsehen und über Fernsehinhalte, wenn sie bei der Rezeption gestört werden, wenn sie nicht sehen können, was sie möchten oder wenn Mitrezipienten oder Moderatoren sich geringschätzig verhalten oder Grenzen überschreiten. Dazu zählt auch, wenn zu tiefe Einblicke in die Privat- oder Intimsphäre durch das öffentliche Auge des Fernsehens gewährt und diese oder andere Angebote als Verstöße gegen Normen
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14 Zusammenfassung und Schluss
oder Regeln wahrgenommen werden. Ferner ärgern sich die Befragten, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass Medienanbieter andere als vorgebliche Motive bei der Programmgestaltung haben (z.B. die Anbieter senden häufig dieselbe Nachricht, weil sie Zeit füllen anstatt informieren wollen). Auch aversive Reize rufen Ärger hervor, so etwa, wenn die Werbung oder das Fernsehgerät des Nachbarn zu laut sind. Drei Anlassarten betreffen allein den Ärger rund ums Fernsehen. Zu Selbstärger kommt es, wenn die Befragten etwa meinen, zu viel fernzusehen. Zweitens löst es Ärger aus, wenn jemand zum Beispiel nicht lesen kann, weil ihn das laufende Fernsehgerät stört. Drittens sind es defekte Fernsehgeräte oder Zubehör (Sachtückenärger), die den Ärger hervorrufen. Insgesamt stimmen die Anlässe zu beiden Arten von Fernsehärger mit Anlässen überein, die die Ärgerforschung zutage gefördert hat. Das Spektrum ist hier wie dort breit. Neben dieser allgemeinen Feststellung ist das Besondere für Fernsehärger festzuhalten: Beim Vergleich der Fernsehärgerformen fällt auf, dass die Befragten beim Medienangebot deutlich vielfältigere und quantitativ mehr Norm- und Wertverletzungen nennen als bei inhaltsunabhängigem Fernsehärger. Die Analyse der Anlässe für Fernsehärger weist zum Teil auf Motive, die die Rezeptionsforschung benannt hat, zum Teil mischen sich diese mit solchen, die im Allgemeinen typisch für Ärger sind. Zudem finden sich bei Fernsehangeboten eher als bei Situationen rund ums Fernsehen ärgerähnliche Formen wie Entrüstung, Empörung oder Unmut. Ferner wird bei Fernsehinhaltsärger kaum, bei Ärger rund ums Fernsehen häufiger von Wut gesprochen. Dieser Befund wird – unter anderem – in den folgenden Schritten (2) und (3) vertieft. (2) REAKTIONEN. Für beide Ärgerformen zeigen sich vielfältige Reaktionsweisen. So gibt es gefühlsbezogene Reaktionen wie Unlust, Bösewerden oder Hilflosigkeit. Ekel, Scham und Langeweile waren allein als Reaktionen bei Ärger über Fernsehinhalte zu finden, Beleidigt-Sein allein bei Ärger rund ums Fernsehen. Außerdem sind die Befragten gedanklich aktiv: Sie analysieren und bewerten die ärgerträchtigen Situationen und schimpfen. Hinzu kommt, dass sich die Befragten bei Ärger rund ums Fernsehen innerlich selbst gut zureden und sich zu beschwichtigen versuchen, etwas, das sie in dieser Deutlichkeit für ihren Fernsehinhaltsärger nicht äußern. Dieser Unterschied könnte darauf hindeuten, dass Fernsehinhaltsärger subjektiv weniger schwerwiegend erlebt wird als der Ärger rund ums Fernsehen. Für diese Annahme, die in einer Studie mit einer großen Fallzahl zu prüfen wäre, sprechen auch die Auswertungen zu der Frage, ob Gespräche über TV-Ärger geführt werden (s. unter (4) Über Fernsehärger sprechen).
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Abgesehen von den inneren Dialogen wird rege kommuniziert. Handelt es sich um eine Ärgersituation rund ums Fernsehen, dann schmollen, schimpfen, meckern, mahnen die Befragten, und sie klagen ihre Wünsche ein. Ärgern sie sich über Medienfiguren (z.B. Moderatoren), so beschränkt sich die (parasoziale) Kommunikation auf Formen wie das (Be-)Schimpfen oder Lästern. Das Lästern fand sich allein unter den Reaktionen auf den Fernsehinhaltsärger und das Schmollen wiederum allein bei dem Ärger rund ums Fernsehen. Dass das Schmollen zum Beispiel nicht als Reaktion auf das Verhalten von Medienfiguren von den Befragten genannt wird, überrascht nicht, da das Schmollen einen greifbaren Adressaten benötigt. Erst wenn dieser gegenwärtig ist, kann es seine Wirkung entfalten. Mit anderen Worten: Die Person, die schmollt, findet zum Beispiel nur dann Entlastung oder Spannungsentladung, wenn sie merkt, dass eine andere Person dem Schmollen Aufmerksamkeit schenkt. Es soll hier nicht vertieft werden, was passiert, wenn die Aufmerksamkeit der schmollenden Person nicht in der gewünschten Weise zuteil wird. Vielmehr bleibt festzuhalten, dass sich bei einer Reaktion wie dem Schmollen die Grenzen des Konzeptes der parasozialen Interaktion zeigen. Darüber hinaus gibt es Ärgersituationen, in denen die Befragten in dem Sinne passiv bleiben, als sie das Übel hinnehmen, vor sich hinmeckern, den Ärger in sich hineinfressen. Eine andere Reaktion ist, den Ärger zu kompensieren oder sich von ihm abzulenken. Beispiele hiefür sind, dass man etwas Schmackhaftes isst, den Raum verlässt oder ausgeht. Das Ausgehen als relativ starke Reaktion geschieht wohl vor allem dann, wenn eine Vorfreude auf eine Sendung besonders ausgeprägt war und der Film dann entweder ausfällt oder eine Wiederholung und den Rezipienten bekannt ist. Eine große Bandbreite an Reaktionen zeigen die Befragten auch in ihrem Medienverhalten. Bei Ärger über Fernsehinhalte wird zum Beispiel ab- oder umgeschaltet, weggesehen, gelegentlich wieder ‘reingesehen oder ein anderes Medium wie zum Beispiel ein Radio genutzt. Manch einer ändert auch die Erwartungshaltung, um bei der Sendung verweilen zu können. Nun gibt es unter den Reaktionen auf Ärger rund ums Fernsehen auch das Abschalten des Gerätes, etwa dann, wenn sich zwei Rezipienten nicht auf ein Programm einigen können. En gros dürfte – so die Annahme – bei der Frage, welche Sendung ausgewählt wird, das übergeordnete Ziel sein, alles zu tun, um unbeeinträchtigt fernsehen zu können und eben nicht ausschalten zu müssen. Ferner werden Strategien gegen das Aufkommen von Ärgersituationen entwickelt (Vorbeugemaßnahmen). Das geschieht etwa dort, wo in der Sicht der Befragten eine Situation unabänderlich zu sein scheint (z.B. der Ehemann mag nicht angesprochen werden, wenn er fernsieht; die Strategie der Frau ist, dass sie den Ehemann dann nur noch selten anspricht). So versucht man also vorzubeu-
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gen, damit die Situation nicht in ein gegenseitiges Verletzen mündet, sie also möglichst ärgerfrei oder der Ärger in seiner Intensität gering bleibt. Aggressive Reaktionen bleiben eher aus. Ein aggressiver Aspekt könnte darin gesehen werden, dass der bellende Hund einen Klaps auf die Schnute bekommt (Ärger rund ums TV) oder ein weicher ‘Billigschlappen’ gegen den Fernsehschirm geworfen wird (Inhaltsärger). Insgesamt können die Reaktionen als mäßig oder – angelehnt an die Worte einer Befragten – als ‘unspektakulär’ bezeichnet werden. Eine vergleichsweise starke Reaktion ist, wenn Befragte das Haus verlassen, das heißt ausgehen (s.o.). Viele Reaktionen auf den Inhaltsärger tragen Züge von Unruhe und Distanzierungen, während bei dem Ärger rund ums Fernsehen Verhaltensformen dominieren, die darauf zielen, die ungestörte Hinwendung zum Medienangebot zu ermöglichen. Unterschiedliches zeigt sich außerdem hinsichtlich der Frage, ob es den Befragten um eine Beseitigung der Ursache geht, wenn sie sich über Fernsehen ärgern. Für den Ärger über Fernsehinhalte lässt sich dies nicht klar erkennen, wohl aber für den Ärger rund ums Fernsehen. Zukünftige Forschung könnte überprüfen, ob es Rezipienten bei Ärger über Fernsehinhalte genügt und ob es spezifisch für Fernsehinhaltsärger ist, sich mit der Situation zu arrangieren, während dies bei Ärger rund ums Fernsehen in der Regel und je nach Anlass nicht ausreichen dürfte. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass Rezipienten ihren Ärger früher oder später vergessen (zur Ärgerdauer siehe auch den nächsten Absatz). (3) HÄUFIGKEIT, INTENSITÄT UND DAUER. Für die Analysen zu Häufigkeit und Intensität wurden die Aussagen der Befragten analysiert, die sie zu den jeweiligen Ärgerereignissen machten. Für die Häufigkeit ergibt sich bei der Alltags- und bei der Medienemotion Fernsehärger, dass Ereignisse zu beiden mehrheitlich selten vorkommen. Allerdings fällt hinsichtlich der Häufigkeitskategorie ‘sehr oft’ auf, dass der Anteil der Ereignisse, die sehr oft Ärger auslösen, beim Ärger rund ums Fernsehen dreimal so groß wie beim Inhaltsärger ist. Die Intensitäten fallen bei beiden Ärgerformen mehrheitlich gering aus. Aber auch hier gibt es einen Unterschied. Während man für Ärgerereignisse rund ums Fernsehen beinahe sagen kann, dass sie entweder ‘wenig’ oder ‘sehr’ intensiv verärgern, gibt es bei dem Inhaltsärger nicht wenige Ereignisse, die auch ‘ziemlich’ verärgern. Genauer: An erster Stelle stehen, weil am häufigsten genannt, Ereignisse, die ‘wenig’ intensiv verärgern, um die Hälfte weniger Ereignisse rufen ‘ziemlichen’ Ärger hervor und wieder um die Hälfte weniger sind es Ereignisse, die ‘sehr’ intensiven Ärger auslösen. Verknüpft man die Intensität mit der Häufigkeit, dann lässt sich für beide Ärgerbereiche annehmen, dass der Ärger umso intensiver sein dürfte, je häufiger ein Anlass vorkommt. Das bedeutet für den Alltagsärger, der häufiger als der
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Inhaltsärger ‘sehr oft’ vorkommt (s.o.), dass er zugleich intensiver Ärger sein dürfte. In den Daten zeigt sich, dass sich der sehr intensive Ärger bei denselben oder vergleichbaren Anlässen häuft: Dies sind bei dem Inhaltsärger besonders die Normverstöße, bei dem Ärger rund ums Fernsehen ist dies die Geringschätzung, also ebenfalls ein Normverstoß. Bei der Geringschätzung und dem Ärger über die eigene Person sind sich die Befragten in der vorliegenden Studie einig: Auf Normverstöße reagieren sie mit sehr intensivem Ärger, und über sich selbst ärgern sich die Befragten nur selten und wenig intensiv. Das bestätigt den Befund aus der Ärgerforschung, wonach man sich über sich selbst nicht gerne ärgert. In einem weiteren Schritt wurden die Variablen Bildungsniveau und Sehtyp einbezogen. Für den Inhaltsärger (Medienemotion) lässt sich den Analysen zufolge annehmen, dass Personen mit geringem und mittlerem Bildungsniveau eher selten oder manchmal Anlass zum Ärger haben, und der Ärger ist weniger intensiv. Die hoch und sehr hoch Gebildeten stellen beinahe das Gegenstück dar. Demnach wäre die Annahme prüfen, dass sie in größerem Umfang Ereignissen begegnen, über die sie sich oft oder sehr oft ärgern. Hier fällt der Ärger eher intensiver (ziemlich, sehr) aus. – Wenn man die Analyse zusätzlich hinsichtlich des Sehtyps betrachtet, ergibt sich, dass die wenig und mäßig Sehenden offenbar in größerem Umfang als die viel und die extrem viel Sehenden auf Ereignisse stoßen, die häufiger (i.e. oft, sehr oft) verärgern. Die viel und extrem viel Sehenden dürften sich im Vergleich zu den wenig und mäßig Sehenden zudem in größerem Umfang wenig intensiv ärgern. – Die Annahmen sind plausibel, wenn man etwa unterstellt, dass die Inhalte den gering und mittel Gebildeten eher gefallen als den hoch und sehr hoch Gebildeten, so dass die einen mehr, die anderen weniger Anlass zu Ärger haben könnten. Dies passt auch zu dem Zusammenhang von Sehhäufigkeit und Ärgerhäufigkeit sowie -intensität. Denn es ist kaum oder nur für Ausnahmefälle vorstellbar, dass jemand, der viel fernsieht, sich zugleich häufig und intensiv über die Inhalte ärgert. Fast spiegelbildlich fallen die Annahmen für den Ärger rund ums Fernsehen aus. Hier legen die Analysen die Vermutung nahe, dass gering Gebildete in größerem Umfang als mittel, hoch und sehr hoch Gebildete auf Ereignisse stoßen, die oft oder sehr oft Ärger auslösen. Was die Ärgerintensität betrifft, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass bei den gering Gebildeten der Umfang der Ereignisse, die sehr intensiven Ärger hervorrufen, größer ist als bei den anderen Bildungsgruppen. Außerdem deutet die Analyse auf die Annahme hin, dass die Verteilung der Ärgerhäufigkeiten und -intensitäten bei den gering und den sehr hoch Gebildeten ähnlich sein könnte. Dabei dürften in beiden Gruppen die Anteile des oft und sehr oft sowie des sehr intensiven Ärgers vergleichsweise groß sein. Dieses Muster scheint nicht unplausibel, und eine Sichtweise wäre, dass
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unterschiedliche Anlässe den Ärger auslösen könnten. So könnten sich zum Beispiel die gering Gebildeten (häufiger und intensiver) ärgern, wenn ihr Rezeptionswunsch gestört wird, und die sehr gut Gebildeten, wenn jemand dem Fernsehen eine höhere Aufmerksamkeit schenkt, als dem Wunsch, sich (bei laufendem Fernsehgerät) zu unterhalten. – Wenn man die Analyse zusätzlich hinsichtlich des Sehtyps betrachtet, ergibt sich, dass wenig und mäßig Sehende sich weniger häufig (i.e. selten, manchmal) ärgern als viel und extrem viel Sehende. Diese dürften sich – so eine weitere Annahme – also nicht nur häufiger, sondern auch in größerem Umfang intensiver (i.e. ziemlich, sehr) ärgern. Außerdem zeigte sich, dass die wenig und die extrem viel Sehenden ähnliche Verteilungsmuster hinsichtlich der Ärgerintensitäten hatten. Diese Muster sind wie folgt erklärbar: Wer mehr fernsieht, gibt dem Fernsehen einen breiteren Raum und nimmt es wohl subjektiv wichtiger. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Fernsehen zum Ärger werden kann. Bei den Wenigsehern könnte es so sein, dass zwar das Fernsehen in einer allgemeinen Sicht subjektiv keine zentrale Bedeutung besitzt, wohl aber der konkrete Fernsehwunsch. Wer sich eine Sendung gezielt ausgesucht hat, ist wohl auch daran interessiert, sie ungestört sehen zu können. Eine Hinderung daran erzeugt Ärger, zumal der Fernsehwunsch bei Wenigsehenden eine besondere Wertigkeit besitzen könnte, eben weil er selten ist. Aus den Angaben zur Dauer des Ärgers lässt sich vermuten, dass der Inhaltsärger (Medienemotion) in einer allgemeinen Sicht deutlich kürzer anhält als der Ärger rund ums Fernsehen (Alltagsemotion). Mehr noch: Für den Inhaltsärger gibt es eine Schlüsselkategorie, wonach er als „Momentärger“ bezeichnet werden kann. Die Ergebnisse zu Häufigkeit, Intensität und Dauer für beide Formen von Fernsehärger legen die Vermutung nahe, dass der Inhaltsärger subjektiv weniger relevant ist, während der Ärger rund ums Fernsehen subjektiv und familiär stärker zu Buche schlagen, breitere Spuren hinterlassen dürfte. Außerdem zeigt sich, wie wichtig es ist, über konkrete Anlässe mit Befragten ins Gespräch zu kommen. In den Gesprächen wird deutlich, dass mal eine allgemeine Bewertung („Fernsehen ist Nebensache“), mal eine Bewertung mit einem konkreten Bezug („diese Sendung will ich jetzt ungestört sehen“) bestimmend sein kann, zudem können beide Bewertungen miteinander verquickt sein. Dies ist auch für Fragen zur sozialen Wünschbarkeit bedeutsam, das heißt, wer sagt, Fernsehen sei für ihn unwichtig, muss also nicht zwingend sozial erwünscht geantwortet haben. (4) ÜBER FERNSEHÄRGER SPRECHEN. Ärger kann belastend sein, so dass Gespräche gesucht werden. Ob dies für den Ärger über Fernsehinhalte zutrifft, und ob das Reden darüber eine Erleichterung mit sich bringt, wurde in der vorliegenden Studie gefragt. Die Antwort: Der Ärger über Fernsehinhalte motiviert durchaus zu Gesprächen. Allerdings machen die Befragten deutlich, dass es zu solchen
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Gesprächen eher zufällig kommt, es sich dabei nicht um ‘Problemgespräche’, sondern um einen Meinungsaustausch handele. Das Gefühl der Erleichterung hinterlässt ein solcher Austausch in der Regel nicht. Es geht also nicht um psychische Entlastung, sondern – und dies dürfte typisch für Ärger über Fernsehangebote sein – um mental-gefühlsbezogene Entlastung. Der Ärger über Fernsehinhalte zählt somit wohl nicht zu den belastenden Emotionen, und doch scheint er nicht bedeutungslos zu sein. Seine Bedeutung könnte darin liegen, dass er eine stärkere Bewusstheit für die Inhalte schafft, diese länger im Gedächtnis verhaftet und zum Reden oder Erzählen darüber motiviert. Dadurch wiederum wird eine Distanzierung zur Emotion erreicht und zugleich die Welt wieder Stück um Stück geordnet, worin sich ein soziologisches Moment spiegelt. (5) BESCHWERDE AN EINE FERNSEHANSTALT. Drei Befragte hatten sich schon einmal bei einer Fernsehanstalt beschwert, siebzehn hingegen noch nie. Für eine Beschwerde entschieden sich die Befragten, wenn sie die Angelegenheit als wichtig einschätzten, weil / und Schutzbefohlene betroffen waren (z.B. Kinder, wenn Kindersendungen abgesetzt wurden). Weitere Kriterien für eine Beschwerde sind, wenn die Ärgerintensität hoch genug war und wenn der Beschwerde Erfolg oder Wirksamkeit zugemessen wurde. Gegen eine Beschwerde sprachen sechs Gründe. Die Beschwerde könnte ins Leere laufen oder sogar bewirken, dass sie dem eigenen Ansehen schadet, die Angelegenheit wird als unwichtig, sich zu beschweren als zu aufwändig und die eigene Erwartungshaltung als falsch eingeschätzt. Schließlich sehen die Befragten die Möglichkeit, dass man bestimmten Fernsehangeboten ausweichen kann verbunden mit der Haltung: ‘Jeder soll mach was er will, ich mache, was ich will’. Dies stimmt freilich nicht, denn sonst würden sich die Befragten nicht ärgern; der Satz hat einen doppelten Boden, worin dieser besteht, wurde in Punkt 13.4.1 ‘Beschwerdegründe’ ausgeführt. Einige soziale Merkmale der drei Personen, die sich beschwerten, wurden betrachtet. Zwei der Befragten waren Frauen, sie hatten Kinder, und sie sowie der männliche Befragte hatten eher eine höhere Bildung. Es wäre zu überprüfen, ob eine höhere Bildung eine Beschwerde wahrscheinlicher macht und ob sich die oben genannten Gründe für oder gegen eine Beschwerde bestätigen lassen. (6) ÄRGER UND SPAß. Fernsehinhalte können Vergnügen stiften und Spaß machen, und – wie die vorliegende Arbeit zeigt – auch verärgern. Dass Ärger im Allgemeinen auch genussvoll erlebt werden kann, ist bekannt, nur wissen wir darüber noch wenig. Bei Fernsehinhalten, die also Vergnügen und Ärger auf sich vereinen, bietet sich die Verknüpfung an, dass Fernsehangebotsärger auch Spaß machen könnte. Dieser Zusammenhang sollte zumindest exkursorisch und eher versuchsweise bedacht werden. Entsprechend sind die Kriterien, die die Analyse
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ergab, als vorsichtige Annäherung an das Thema ‘Spaß oder Genuss am Ärger’ zu verstehen. Diejenigen Befragten, die sich beim Gespräch über ‘Ärger und Spaß’ nicht auf einen konkreten Medieninhalt bezogen, sondern den Fernsehärger eher grundsätzlich bewerteten, äußerten, dass ihnen Ärger keinen Spaß mache. Anders sind die Aussagen, wenn sie sich auf einen konkreten Fernsehinhalt beziehen. Danach könnten vor allem folgende Kriterien zum Spaß am Ärger beitragen: Die Verärgerten fühlen sich im Recht, weil sie es besser wissen. Dies könnte das Gefühl, Kontrolle zu haben bestärken. Die Kontrolle hat in der Fernsehsituation – möglicherweise anders als in anderen Alltagssituationen – eine besondere Eigenschaft: Sie wird nicht nur dadurch gefördert, sondern obendrein besonders abgesichert, dass die Befragten keine Konsequenzen befürchten müssen, wenn sie vor dem Fernsehschirm schimpfen, denn die Medienfigur kann das Schimpfen nicht hören und nicht darauf reagieren. Hinzu kommt, dass man sich – fast spielerisch – einfach um des Ärgerns willen ärgern kann, das heißt, ein Ziel muss nicht verfolgt werden. Förderlich, wenn nicht sogar eine Voraussetzung für den Spaß am Ärger dürfte (auch) die Anwesenheit anderer sein. Denkbar ist ferner, dass das Maß der Selbstbetroffenheit, das bei Fernsehereignissen (Inhalte) im Allgemeinen vergleichsweise gering bleiben dürfte, eine Rolle für den Spaß am Ärger spielt. Überträgt man dies auf Alltagssituationen, so könnte es vielleicht am ehesten der Beobachtungsärger sein, bei dem sich so etwas wie Spaß einstellt. Welche Ärgerform es auch immer ist, die Energetisierung geht mit allen einher; dasselbe gilt für Spaß. Die Energetisierung könnte den Spaß am Ärger fördern, und erst recht noch einmal dann, wenn Ärger und Spaß tatsächlich zusammen gefunden haben. (7) DIE ROLLE DER SOZIALEN SITUATION. Bei Fernsehärger rund ums Fernsehen ärgert sich eine der 20 Befragten eher, wenn sie alleine ist, da sie dann geneigt ist, aus Langeweile und Alleinsein das Gerät einzuschalten – etwas, das sie eigentlich ablehnt und das nicht passiert, wenn die Mitbewohnerin zu Hause ist. Zwei Befragte ärgern sich eher, wenn sie mit anderen zusammen fernsehen, da es zum Beispiel eher zu Störungen kommen kann, wenn mehrere Personen im Fernsehzimmer versammelt sind. Hinsichtlich des Ärgers über Fernsehangebote geben die meisten Befragten zwar an, dass sie sich unabhängig davon ärgern, ob sie alleine oder zusammen mit anderen fernsehen. Allerdings ist die Anwesenheit anderer nicht ohne Belang. So kommt es bei diesen Befragten zu einer höheren Bewusstheit sowohl für den Fernsehinhalt als auch für den Ärger darüber, weil über beides – den Inhalt und den Ärger – gesprochen werden kann (Ärgerreaktion). Außerdem kommt es zu einer höheren Beständigkeit beim Verfolgen eines Fernsehinhalts (Fernsehverhalten). Diese drei Aspekte greifen ineinander. Was die Situation des Alleinsehers und dessen Beständigkeit betrifft, gibt es den
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Hinweis einer Befragten, dass sie eher weg- oder abschalte, wenn sie sich zu ärgern beginne und dabei alleine vor dem Fernseher sitze. Künftige Forschung könnte die Zusammenhänge überprüfen und der Frage nachgehen, wie das subjektive Erleben ist, wenn sich in einer Fernsehgemeinschaft mehrere Personen ärgern. Gemessen an den unter (2) genannten Reaktionen ist denkbar, dass sich die Emotion durch ‘die Mitärgerer’ reguliert oder abflaut. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Ein Grund, der eng mit der sozialen Situation zusammenhängen dürfte, könnte sein, dass man sich vor dem Fernsehschirm über das Ärgerliche eines Ereignisses einig ist und so bestätigt fühlen kann. (8) ABSCHAFFUNG DES FERNSEHGERÄTES. Der Befund scheint klar: Kein Befragter hat je aufgrund von Fernsehärger ernsthaft erwogen, das Fernsehgerät abzuschaffen. Ein Befragter sagte zwar, dass er die Frage nach der Abschaffung des TV-Gerätes erwartet und sich darauf vorbereitet habe. Aber in seinen Aussagen lässt sich Ärger als Triebfeder für seine Abschaffungsüberlegungen nicht sicher feststellen. Befragte, die eine Abschaffung des Fernsehens erwogen, begründeten dies etwa damit, dass die Gebühren zu teuer sind, dass die Kinder oder auch die Befragten selbst zu viel fernsehen.203 Die Befragten nannten in diesem Zusammenhang auch Gründe, die gegen eine Abschaffung des Fernsehgerätes sprachen. Erstens spielt die familiäre Situation eine Rolle, das heißt, andere Familienmitglieder wollen ein Fernsehgerät. Argumentiert wird auch damit, dass man nicht fernsehen muss, sondern die Freiheit dazu hat. Drittens nennen die Befragten Gründe, wie sie die Fernsehmotivforschung (Nutzen- und Belohnungsansatz) gut belegt hat, und dabei zeigt sich ein wichtiger Aspekt. Positiv wird gesehen – das ist identisch mit Befunden der Motivforschung –, dass Fernsehen etwa der Zerstreuung, der Information, des Zeitvertreibs und der Geselligkeit dient. Einige Gründe haben sogar eine doppelte Ausrichtung, die in dieser Arbeit zum Tragen gekommen ist. So bezieht sich etwa der Grund, dass man sich beim oder durch Fernsehen nicht alleine fühlt (Geselligkeit), erstens auf die Person, die alleine vor dem Fernsehgerät sitzt und die durch das Verfolgen des Mediengeschehens das Gefühl hat, nicht alleine zu sein. Zweitens kann gemeint sein, dass man zusammen mit anderen fernsehen kann.204 Dies sind allesamt Faktoren, die ärgerträchtig sein können – das zeigt sich in der vorliegenden Arbeit. Was sich wider Erwarten nicht zeigt ist, dass Fernsehärger im Zusammenhang mit der Abschaffung des TV-Gerätes stehen kann. Eine Erklärung könnte darin bestehen – und dies ist der oben angesprochene 203 Hier könnte der Eindruck eines Widerspruchs entstehen, da einige Befragte angaben, sich über das eigene Fernsehverhalten (i. e. zu viel fernzusehen) zu ärgern. Vgl. dazu Anm. 201. 204 Wie sich bei den Ärgeranlässen zeigte, kann Ärger sogar dadurch entstehen, wenn der Wunsch nach gemeinsamer Fernsehzeit vereitelt wird.
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14 Zusammenfassung und Schluss
wichtige, in dieser Arbeit zudem bewusst ausgeklammerte Aspekt –, dass man sich beim Fernsehen nicht nur ärgert, sondern zum Beispiel auch freut. Dennoch: Die Stichprobe war klein, und so sollte der Zusammenhang von Fernsehärger und dem Abschaffen des Fernsehgerätes in einer größer angelegten Studie geprüft werden, mehren sich doch die Nichtfernseher (Sicking 2000). ZUM SCHLUSS. Es bleibt dabei: Fernsehen ruft Ärger hervor. Solange sich jemand ärgert, ist er in Kontakt mit der Sache oder der Person, die den Ärger verursacht. Erst wenn der Ärger ein bestimmtes Maß übersteigt, wird offenbar der Kontakt reduziert oder abgebrochen. Wie die vorliegende Studie zeigt, bietet das Fernsehen hier einen großen Spielraum: Die Ärgerhäufigkeiten, -intensitäten und -dauer variieren je nach Anlass, die Reaktionen auf Fernsehärger sind vielfältig, dabei scheinen – und das ist das Besondere und Entscheidende – diese Variationen und diese Vielfalt, ja dieser Spielraum bei dem Ärger über Fernsehinhalte größer zu sein als bei Ärger rund ums Fernsehen. Aus der Analyse lässt sich somit schließen, dass der Ärger über Fernsehinhalte in der subjektiven Bedeutung dem Ärger rund ums Fernsehen nachgeordnet ist. Neben diesem globalen Ergebnis hat die vorliegende Studie eine im ersten Kapitel der Arbeit gegebene Einschätzung bestärkt. Danach ist es für die Ärgerwie für die Medienforschung aussichtsreich, Fernsehärger zukünftig in seiner doppelten Ausrichtung – i.e. Ärger bezogen auf TV-Inhalte sowie bezogen auf Situationen rund ums Fernsehen – zu untersuchen, einmal also als Medienemotion, einmal als Alltagsemotion und schließlich beide Emotionen im Vergleich. Das ist das Ergebnis dieser Studie, und es wäre nicht zustande gekommen, wäre ich der Empfehlung des Café-Besuchers gefolgt, der zu Beginn von Abschnitt ‘Fernsehgerät abschaffen’ (Pkt. 13.7) zu Wort kam. Er riet mir, das Fernsehgerät einfach abzuschaffen und auf die Studie zu verzichten. Das wäre ärgerlich gewesen.
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WEBER, Hannelore (1999): Ärger und Aggression. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 30, Heft 2/3, 139-150 WEBER, Hannelore / PIONTEK, Rosemarie (1995): Geschlechtsunterschiede in der Bewältigung von Ärger – ein Mythos? Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, Bd. III, Heft 1, 59-83 WEBSTER, James G. / WAKSHLAG, Jacob J. (1983): A Theory of Television Program Choice. Communication Research, 10, 430-446 WHITESELL, Nancy Rumbaugh / HARTER, Susan (1996): The Interpersonal Context of Emotion: Anger with Close Friends and Calssmates. Child Development, 67, 13451359 WIEDEMANN, Peter (1995): Gegenstandsnahe Theoriebildung. In: Flick, Uwe / Kardorff, Ernst von / Keupp, Heiner / Rosenstiel, Lutz von / Wolff, Stephan (Hrsg.): Handbuch qualitative Sozialforschung. Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Weinheim: Beltz, PVU, 440-445 WINDAHL, Sven (1981): Uses and Gratifications at the Crossroads. Mass Communication Review Yearbook, 2, 174-185 WÜNSCH, Carsten (2002): Unterhaltungstheorien. Ein systematischer Überblick. In: Früh, Werner: Unterhaltung durch das Fernsehen. Eine molare Theorie. Konstanz: UVK, 15-46 WULFF, Hans J. (1996): Parasozialität und Fernsehkommunikation. Medienpsychologie, 8, Heft 3, 163-181 ZENTNER, Marcel R. / SCHERER, Klaus R. (2000): Partikuläre und integrative Ansätze. In: Otto, Jürgen H. / Euler, Harald A. / Mandl, Heinz (Hrsg.): Emotionspsychologie. Ein Handbuch. Weinheim: PVU, 151-164 ZILLMANN, Dolf (1983): Transfer of Excitation in Emotional Behaviour. In: Cacioppo, John T. / Petty, Richard E. (Eds.): Social Psychophysiology: A Sourcebook. New York: Guilford Press, 215-240. ZILLMANN, Dolf (1985): The Experimental Exploration of Gratifications form Media Entertainment. In: Rosengren, Karl Erik / Wenner, Lawrence A. / Palmgreen, Philip (Eds.): Media Gratifications Research. Current Perspectives. Beverly Hills, London, New Delhi: Sage, 225-239 ZILLMANN, Dolf (1988): Mood management through communication choices. American Behavioural Scientist, 31, No. 3, 327-340 ZILLMANN, Dolf / BRYANT, Jennings (Eds.) (1985a): Selective Exposure to Communications. Hillsdale, NJ: Erlbaum ZILLMANN, Dolf / BRYANT, Jennings (1985b): Affect, Mood, and Emotion as Determinants of Selective Exposure. In: Zillmann, Dolf / Bryant, Jennings (Eds.): Selective Exposure to Communications. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 157-190 ZILLMANN, Dolf / BRYANT, Jennings (1994): Entertainment as Media Effect. In: Bryant, Jennings / Zillmann, Dolf (Eds.), Media Effects. Advances in Theory and Research. Hillsdale, New Jersey: Erlbaum, 437-461 ZILLMANN, Dolf / KNOBLOCH, Silvia (2000): Das Nachrichtenschauspiel: Reaktionen auf Ereignisse um Prominente und Interessengruppen in den Nachrichten. In: Schorr, Angela (Hrsg.): Publikums- und Wirkungsforschung. Ein Reader. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 295-313
Anhang I - Info-Blätter für Befragte
389
Anhang Ia INFORMATIONSBLATT für Befragte in Alsfeld (Hessen) Ärger rund ums Fernsehen Worum geht es?
Vielleicht haben Sie sich schon einmal geärgert es geht über Fernsehinhalte oder über jemanden, der Sie beim Fernsehen stört, oder oder oder. Vielleicht ärgern Sie sich aber auch überhaupt nicht, wenn es ums Fernsehen geht. Für beide Fälle gilt: ich würde gerne mit Ihnen darüber reden.
Befragung
An der Untersuchung arbeite ich im Rahmen meiner Doktorarbeit. Um Ihre Meinung kennenlernen zu können, sollen Interviews durchgeführt werden.
Anonymität
Das Interview bleibt anonym. Sie brauchen während des Interviews weder Name noch Anschrift anzugeben. Was zählt ist einzig Ihre Meinung. Weil es unmöglich ist, sich alle Gesprächs-Details zu merken, soll das Interview aufgenommen werden. Anschließend schreibe ich es ab. Auch dabei sichere ich Ihnen Anonymität zu: sollten Sie Namen oder Orte nennen, so werden diese in der Abschrift geändert. Das gesamte Interviewmaterial bleibt in meiner Hand, ich gebe es nicht weiter.
Dauer
Das Interview dauert etwa eine Stunde (maximal 1,5 Stunden).
H Geschenk
Natürlich will ich mich für Ihre Teilnahme an meiner Studie mit einem kleinen Präsent bei Ihnen bedanken.
Kontakt
Christine Meinhardt-Remy Straße der Interviewerin / Verfasserin Wohnort der Interviewerin / Verfasserin Telefonnummer der Interviewerin / Verfasserin E-Mail-Anschrift der Interviewerin / Verfasserin
390
Anhang I – Info-Blätter für Befragte
Anhang Ib INFORMATIONEN für Befragte in Köln Die Infos wurden per Email an Studierende (Universität Köln) versandt. Alle sind im Studium fortgeschritten und nehmen an einem Forschungspraktikum teil Liebe Teilnehmerin, lieber Teilnehmer des Forschungspraktikums, Dr. Dieter Ohr hat Sie darüber informiert, dass ich – Christine Meinhardt-Remy – im Rahmen meiner Dissertation eine Befragung durchführen möchte zum Thema:
‘Ärger rund ums Fernsehen’. Vielleicht haben Sie sich ja schon einmal geärgert über Fernsehinhalte oder über jemanden, der Sie beim Fernsehen stört, oder oder oder. Vielleicht ärgern Sie sich aber auch überhaupt nicht, wenn es ums Fernsehen geht. In beiden Fällen: Gerne würde ich mit Ihnen darüber reden. Dauer:
Das Gespräch dauert etwa 1 Stunde (maximal 1,5 Stunden)
Ort:
Universität Köln
Anonymität / Datenschutz: Das Interview bleibt anonym. Sie brauchen während des Interviews weder Name noch Anschrift anzugeben. Was zählt ist einzig Ihre Meinung. Weil es unmöglich ist, sich alle Gesprächs-Details zu merken, soll das Interview aufgenommen werden. Anschließend schreibe ich es ab. Auch dabei sichere ich Ihnen Anonymität zu: sollten Sie Namen oder Orte nennen, so werden diese in der Abschrift geändert. Das gesamte Interviewmaterial bleibt in meiner Hand, ich gebe es nicht weiter. Wann:
2. oder 4. Woche im Juni 2002. Zur Terminvereinbarung würde ich mich bei Ihnen melden: über E-Mail oder Telefon.
Über Ihre Mitarbeit würde ich mich sehr freuen, und ich wäre Ihnen für eine kurze Nachricht per Email dankbar. Vielleicht könnten Sie mir dabei Ihre Telefonnummer mitteilen. Natürlich will ich mich für Ihre Teilnahme an meiner Studie mit einem kleinen Präsent bei Ihnen bedanken. Mit herzlichem Gruß Christine Meinhardt-Remy Anschrift der Interviewerin / Verfasserin Telefonnummer der Interviewerin / Verfasserin E-Mail-Anschrift der Interviewerin / Verfasserin
Anhang II – Interview
391
Anhang II INTERVIEW Auf dem Tisch liegen Kärtchen, pro Kärtchen sind Fernsehangebote (z.B. Spielfilm, Oper, Sport etc.) vermerkt. Außerdem liegen zwei Programmzeitschriften. I. Angaben zur Person
Alter Geschlecht (männlich /weiblich) Schulabschluss: keinen Abschluss Hauptschulabschluss Realschulabschluss Abitur Universitäts- / Fachhochschulabschluss Beruf / Berufswunsch Haushalt: Anzahl der Personen Herkunftsfamilie bzw. Teil der Herkunftsfamilie Eigener Haushalt: Wohngemeinschaft oder andere Form Wohnort: Kleinstadt, Dorf, Großstadt Nebenberufliche Aktivitäten (Ehrenamt); Hobby, Freizeitgestaltung
II. Angaben zum aktuellen und allgemeinen Befinden Aktuell:
Würden Sie bitte beschreiben, wie Sie sich im Augenblick fühlen? Skala: „In diesem Moment fühle ich mich...“
Anleitung: Im folgenden Teil finden Sie eine Reihe von Feststellungen, mit denen man sich selbst beschreiben kann. Bitte lesen Sie jede Feststellung durch, und wählen Sie aus den vier Antworten diejenige aus, die angibt, wie Sie sich jetzt, d.h. i n d i e s e m M o m e n t, fühlen. Kreuzen Sie bitte bei jeder Feststellung die Zahl unter der von Ihnen gewählten Antwort an. Es gibt k e i n e r i c h t i g e n oder f a l s c h e n Antworten. Überlegen Sie bitte nicht lange und denken Sie daran, diejenige Antwort auszuwählen, die Ihren a u g e n b l i c k l i c h e n Gefühlszustand am besten beschreibt
392
Anhang II – Interview
Gefühl in diesem Moment: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
überhaupt nicht Ich bin ungehalten................................... 1 Ich bin wütend......................................... 1 Ich bin sauer............................................ 1 Ich bin enttäuscht .................................... 1 Ich bin zornig .......................................... 1 Ich aufgebracht........................................ 1 Ich bin schlecht gelaunt........................... 1 Ich könnte vor Wut in die Luft gehen ..... 1 Ich bin ärgerlich ...................................... 1 Ich könnte laut schimpfen ....................... 1
Allgemein:
ein wenig
ziemlich
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
sehr
3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Würden Sie bitte beschreiben, wie Sie sich im Allgemeinen fühlen? Skala: „Im Allgemeinen fühle ich mich...“
Anleitung: Im folgenden Teil finden Sie eine Reihe von Feststellungen, mit denen man sich selbst beschreiben kann. Bitte lesen Sie jede Feststellung durch, und wählen Sie aus den vier Antworten diejenige aus, die angibt, wie Sie sich i m a l l g e m e i n e n fühlen. Kreuzen Sie bitte bei jeder Feststellung die Zahl unter der von Ihnen gewählten Antwort an. Es gibt k e i n e r i c h t i g e n oder f a l s c h e n Antworten. Überlegen Sie bitte nicht lange und denken Sie daran, diejenige Antwort auszuwählen, die am besten beschreibt, wie Sie sich i m a l l g e m e i n e n fühlen. fast nie Ich werde schnell ärgerlich ......................................1 Ich rege mich leicht auf............................................1 Ich bin ein Hitzkopf .................................................1 Es macht mich zornig, wenn ich vor anderen kritisiert werde......................................1 Ich bin aufgebracht, wenn ich etwas gut mache und ich schlecht beurteilt werde....................1 Wenn ich etwas vergeblich mache, werde ich böse .1 Ich koche innerlich, wenn ich unter Druck gesetzt werde............................................................1 Wenn ich gereizt bin, könnte ich losschlagen ..........1 Wenn ich wütend werde, sage ich häßliche Dinge ...1 Es ärgert mich, wenn ausgerechnet ich korrigiert werde........................................................................1
Gefühl im Allgemeinen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
manchmal oft 2 2 2
3 3 3
fast immer 4 4 4
2
3
4
2 2
3 3
4 4
2 2 2
3 3 3
4 4 4
2
3
4
Quelle beider Skalen: Schwenkmezger, Peter / Hodapp, Volker / Spielberger, Charles D. (1992): Das State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar. STAXI, Handbuch. Bern: Huber, 42
Anhang II – Interview
393
III. Angaben zur Medienausstattung und zum Medienverhalten Medien-Ausstattung zu Hause Technischer Empfang: Können Sie Kabel- oder Satelliten-TV empfangen? Wie viele TV-Geräte sind in Ihrem Haushalt vorhanden? Standort der Geräte: Haben Sie ein Gerät für sich allein? Wenn ja: wo? (Raum/Ort näher bestimmen: Ist dies ein Schlaf-/Wohnraum?) Gibt es einen Fernseher für alle im Haushalt Lebenden? (WG, Familie etc.) Fernsehverhalten, -interesse, -situation Wie häufig sehen Sie pro Woche etwa fern? Täglich, jeden zweiten, dritten Tag, sonstiges Wie lange sehen Sie durchschnittlich pro Tag fern? Oder wenn Sie fernsehen, wie viele Stunden sehen Sie dann durchschnittlich? Bis 1 Stunde, 1-2 Stunden, 2-3 Stunden, 3-4 Stunden, mehr als 4 Stunden Wann im Tagesverlauf sehen Sie fern? Eher morgens, mittags, abends, verschieden Nebenbei fernsehen: Lassen Sie den Fernseher einfach laufen und sehen gar nicht hin? Wenn Ja: Was machen Sie dann (nebenbei)? Wie lange läuft er nebenbei? Haben Sie selbst oder andere den Fernseher eingeschaltet / Lief er bereits? Welche Programme / Kanäle lassen Sie so nebenbei laufen? TV-Vorlieben: Was sehen Sie mit Interesse? (Sehen Sie es regelmäßig?) Was interessiert Sie nicht? Wo sehen Sie nur mal so rein?
evtl. Kärtchen einsetzten, wenn Antwort schwer fällt oder erfolgt ist (zur Vervollständigung)
Soziale Situation: Sind Sie beim Fernsehen fast immer alleine, eher alleine, manchmal alleine; manchmal mit anderen, eher mit anderen, fast immer mit anderen Wann sehen Sie eher alleine, wann eher mit anderen zusammen fern? Wenn Sie frei wählen können, wie ist ihre Wunschsituation beim Fernsehen? (z.B. zusammen mit anderen, aber es wird geschwiegen...)
394
Anhang II – Interview
IV. Leitfragen zum Fernsehärger Einstieg: Ärgeranlässe
Wir wollen über Fernsehen und Ärger, der damit verbunden sein kann, sprechen. Haben Sie sich schon einmal über Fernsehen geärgert? Ärger also, an dem das Fernsehen in irgendeiner Weise beteiligt war! Alternativ: Sie sagten vorhin, dass Sie sich geärgert haben über… Sie hatten eben angedeutet, dass Sie sich über Fernsehen ärgern. Hinweis zur Frage nach Ärgeranlässen: Die zwei genannten Fragemöglichkeiten werden gewählt, das heißt, die Frage wird entweder offen formuliert, oder die Interviewerin knüpft an einen Ärgerhinweis an, den Befragte bei dem Gespräch über das Fernsehverhalten (s. III) gegeben haben. Dort, wo kein Hinweis erkennbar ist und den Befragten auf die offene Frage eine Antwort schwer fällt, wird Hilfestellung gegeben (Zeitschrift, Beispiele geben wie Ärger über Sendung, Schauspieler, Moderatoren oder Ärger mit Kindern, wenn andere dazwischen reden, Programmentscheidung etc.). Hinweis zur Fortführung des Interviews: Bei Antworten zu TV-Inhalten t zunächst weiter mit A – INHALTE Bei Antworten zu Situationen ums TV herum t zunächst weiter mit B – SITUATIONEN
A – INHALTE Ärgersituation: Können Sie die Fernseh-Situation mal beschreiben? Wie war das? Was hat Sie daran geärgert? Häufigkeit, Intensität, Dauer: Wie häufig kommt das vor? Wie sehr ärgern Sie sich? Wie lange dauert der Ärger? Hinweis: diese Frage bei passender Gelegenheit stellen und auch nur dann, wenn von den Befragten dazu keine Angabe gemacht werden. Soziale Situation: Ärgern Sie sich eher, wenn Sie alleine fernsehen oder wenn weitere Personen im Raum sind, oder ist dies unerheblich?
Anhang II – Interview
395
Reaktionen: Was denken Sie, wenn Sie sich über etwas im Fernsehen ärgern / geärgert haben?
Was tun Sie? (Hier ggf. das Zappen ansprechen)
Wie fühlen Sie sich nach einer Sendung, über die / bei der Sie sich geärgert haben?
Kommt es vor, dass Sie mit jemandem über den Ärger sprechen? Wenn Sie mit anderen darüber reden, was kommt dann meistens dabei heraus? Was hinterlässt es, wenn sei mit anderen darüber gesprochen haben? Ist es ein Gefühl der Erleichterung?
Haben Sie schon einmal bei einem Sender beschwert (Zuschauerbrief, Mail, Anruf)? Wenn ja: wie war das? Wenn nein: Hätten Sie dies am liebsten schon einmal getan?
Haben Sie sich schon einmal überlegt, das Fernsehgerät ganz abzuschaffen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Versuchen Sie, Ihren Ärger zu vergessen oder vergessen Sie ihn einfach?
Ggf. fragen: Sagen Sie sich: ich hätte es ja nicht ansehen müssen?
Ggf. fragen: Sagen Sie sich: man kann nicht mehr fernsehen (Resignation)?
Wie finden Sie es, dass man vor dem Fernsehgerät d’rauf-los-schimpfen kann? Machen Sie davon Gebrauch?
Macht Ihnen der Fernsehärger vielleicht auch Spaß?
Könnten Sie eine allgemeine Bewertung des Fernsehens formulieren.
Wenn Sie sich ärgern über Fernsehinhalte, kommen Ihnen die Inhalte dann vor, als wären sie eine Zumutung? Kommt es Ihnen so vor, dass man an den Angeboten nichts ändern kann, dass man die Inhalte hinnehmen, ja, erdulden muss?
396
Anhang II – Interview
B – SITUATIONEN UMS FERNSEHEN HERUM Kommen wir zu den Situationen vor dem oder rund ums Fernsehen. Ärgeranlässe: Gibt oder gab es da (schon einmal) Ärger? Wenn ja, können Sie die Situation mal beschreiben? Wie ist oder war das? (Hinweis zu dieser Frage s.o. „Einstieg…“.) Häufigkeit, Intensität, Dauer: t Wie unter „A-Inhalte“ Soziale Situation: Gibt es etwas, das Sie verärgern kann, wenn Sie mit anderen zusammen fernsehen? Reaktion: Was denken Sie dann? Was machen Sie dann? Wie reagieren Sie? Ggf. fragen: Haben Sie schon einmal überlegt, ein weiteres Fernsehgerät anzuschaffen?
C – SONSTIGE
Ist es schon einmal vorgekommen, dass Ihr Ärger durch das Fernsehen vergrößert wurde oder ausgelöst wurde? Wird Ihr Ärger im Alltag im allgemeinen durch das Fernsehen kleiner? Wenn Sie sich im Alltag ärgern, hilft Ihnen dann das Fernsehen? Inwiefern?
D– NACHGESPRÄCH Skala wird ausgefüllt: „TV-Motive: Warum sehen Sie fern?“ (s. nächste Seite) Abschlussfragen: Ist Ihnen vielleicht im Laufe des Gesprächs noch etwas eingefallen, was Sie noch sagen möchten? Wie war es für Sie, interviewt zu werden? Gab es etwas, das Sie gestört hat? Gab es etwas, was Ihnen besonders gefallen hat? Was hat Sie bewogen, an der Befragung teilzunehmen? Dank und Geschenkübergabe.
Anhang II – Interview
397
Gründe – Warum sehen Sie fern? Bitte kreuzen Sie an: Trifft… völlig eher zu zu
Ich sehe fern,… weil fernsehen ein fester Bestandteil meines Tagesablaufs ist weil fernsehen für mich eine gute Unterhaltung ist weil ich erfahren möchte, was in der Welt alles los ist und passiert weil ich mich ablenken will von dem, was ich gerade tun muss von den Tageseindrücken = abschalten usw. weil aufregende Sendungen kommen um mitreden zu können um mich zu entspannen weil sonst niemand da ist, mit dem ich mich unterhalten oder etwas unternehmen kann. (Ist dies gelegentlich der Grund oder eher regelmäßig?) weil mir langweilig ist weil ich gerne ganz bestimmte Personen (z.B. Moderatoren, Schauspieler, Sportler usw.) sehen möchte. aus Gewohnheit weil der Fernsehapparat soundso eingeschaltet ist weil ich dadurch neue Erfahrungen mache weil ich dadurch von anderen lernen kann. weil fernsehen spannend ist weil ich im Fernsehen sehe, dass andere die gleichen Probleme haben wie ich weil ich dadurch meine Ruhe vor anderen habe weil ich dann nicht das Gefühl habe, dass ich alleine bin bzw. weil dann jemand bei mir ist weil ich damit dann unmittelbar an den Geschehnissen der Welt teilnehme weil es ganz gut ist/tut, andere Menschen zu sehen und deren Stimme zu hören
Quelle: Gleich (1997: 319 f.; leicht verändert)
teils / eher teils nicht zu
überhaupt nicht zu
398
Anhang III – Kodierungen und Tabellen
Anhang III KODIERUNGEN und TABELLEN KODIERUNG ‘HÄUFIGKEIT’. Die Anlässe, die die Befragten nannten, wurden hinsichtlich ihrer Auftrittshäufigkeit kodiert (sofern Angaben dazu vorlagen). Bei der Kodierung der Häufigkeit des Ärgers war zu berücksichtigen, dass Personen sich mal auf regelmäßig wiederkehrende Sendungen (z.B. Nachrichten, Serien) bezogen, mal auf Einzelsendungen. Dies wurde bei der Kodierung insofern bedacht, als das gesamte Interview hinsichtlich der Angaben zu Fernsehhäufigkeit, -umgebung, -verhalten, oder auch der Gesamteinschätzung, die Befragte für ihren Fernsehärger abgaben (summarische Einschätzung), betrachtet wurde. Tabelle A1: Beispiele für die Kodierung der ‘Häufigkeit’ des Fernsehärgers Häufigkeit des Ärgers selten
manchmal
oft
sehr oft
Ärger über Fernsehinhalte
Ärger rund ums Fernsehen
Dass ich mich richtig geärgert hab, das ist auch wirklich selten (Fall 3).
Gibt’s eigentlich eher selten…so einmal im Monat (Fall 17).
Das ist nur…manchmal bei bestimmten Folgen (Fall 8).
Aber das Gequatsche manchmal, das regt mich halt-, das ärgert mich dann schon ein bisschen (Fall 7). Weil oft ist es zum Beispiel auch so, wenn…wir dann Besuch kriegen (Fall 3). Frage der Interviewerin nach der Häufigkeit der Rezeptionsstörung: Jeden Tag (Fall 8).
Was mich oft ärgert, das ist die Programmgestaltung …(Fall 6). Zu viele Talkshows halt, glaub ich mittlerweile…jeden Abend kommt mittlerweile auf irgendeinem Programm Kinderkriegen, das find ich furchtbar (Fall 5).
KODIERUNG ‘INTENSITÄT’. Bei der Kodierung der Intensität des Ärgers war zu berücksichtigen, dass Personen mit Über- oder Untertreibungen arbeiteten. Somit lassen sich die Aussagen nicht immer wörtlich nehmen, sondern sind am Interviewkontext, dem Tonfall und der Mimik zu orientieren. So gab es beispielsweise einen Befragten, der sich vergleichsweise intensiv zu der Medienfigur Dieter Bohlen äußerte, genauer: zu dessen gewinnbringender Selbstvermarktung und Promotionsabsicht. Der Befragte sagte: „So ein bisschen wurmt mich das“ (Fall 9). Die Dauer des Gesprächs zu diesem Thema und die Intensität des Ärgers, die
Anhang III – Kodierungen und Tabellen
399
ich während des Gesprächs wahrnahm, deckten sich nicht mit der Äußerung, wenn man sie ausschließlich und wörtlich nimmt. Nach Berücksichtigung des Kontextes und bei sequenzieller Bearbeitung des Interviewtextes wurde die Intensität ‘ziemlich’ kodiert. Daneben gab es freilich Formulierungen, die sich wortgetreu kodieren ließen. Die folgende Tabelle gibt Beispiele: Tabelle A2: Beispiele für die Kodierung der ‘Intensität’ des Fernsehärgers Intensität des Ärgers
Ärger über Fernsehinhalte
Ärger rund ums Fernsehen
Sicher ärgert es mich ein bisschen (Fall 9).
Also es ist schon manchmal das Gefühl, ähm ja das war jetzt nicht so gut von mir, und ich hätte etwas anderes machen können … dann ärger ich mich bisschen (Fall 10). Aber das war ne ziemlich heftige Zeit (Fall 11).
wenig
ziemlich
sehr
Frauenknast zum Beispiel, da ärgert mich auch ziemlich viel … da reg ich-, steiger ich mich dann auch rein und reg mich dann auch da drüber so auf (Fall 7). Das hat mich total geärgert (Fall 3).
Ich könnte die Wände hochgehen vor Wut (Fall 11).
Das ärgert mich dann schon … DAS kann mich zum Wahnsinn treiben dann (Fall 5).
Manchmal werd ich ganz böse, als das macht mich wahnsinnig, … das ärgert mich, das macht mich wütend (Fall 4).
Tabelle A3: Bildung ° Sehhäufigkeit (absolut und in Prozent. Die Prozente sind auf Basis aller 20 Befragten) Sehhäufigkeit Bildung
wenig absolut %
gering mittel hoch sehr hoch
1
5%
2 3
10% 15 %
mäßig
viel
absolut % 2 10 % 1 5% 6 30 % 5 25% 14 70 %
absolut % 1 5%
1
5%
extrem viel absolut % 1 5% 1 5%
2
10 %
absolut % 4 20 % 3 15 % 6 30% 7 35% 20 100%
400
Anhang III – Kodierungen und Tabellen
Tabelle A4: Ärger über TV-Angebote nach Bildung Bildungsniveau Anlassart
gering
mittel
absolut %
absolut %
absolut
2
9%
1
9%
4
2. Programmvorlieben 7
32 %
5
45 %
10 45 %
5
45 %
1. Störung Rezeption
3. Normverstöße 4. Medienanbieter 5. Sonstige
3
hoch
sehr hoch
%
absolut
17 % 2
7%
9
10
43 % 13
43 %
35
8
35 % 8
27 %
31
1
4% 4
13 %
5
3
10 %
6
%
14 %
22 100%
11 100 %
23
absolut
100 % 30 100%
86
Tabelle A5: Ärger rund ums Fernsehen nach Bildung Bildungsniveau Anlassart
niedrig absolut
%
mittel
hoch
sehr hoch
absolut %
absolut
absolut %
absolut
2
3
20 %
2
9%
10
1.Störung Rezeption
3
25 %
2. Programmvorlieben
2
17 %
3
20 %
3
14 %
8
3. TV-Regelverstöße
2
17 %
3
20 %
2
9%
7
4. Eigenes Verhalten
40 %
%
1
20 %
2
13 %
3
14 %
6
1
7%
5
23 %
10
6
27 %
8
1
5%
5
22 100 %
54
5. Störung Tätigkeit
3
25 %
1
20 %
6. Geringschätzung
1
8%
1
20 %
7. Sonstige
1
8%
12 100 %
3 5 100 %
20 %
15 100 %
Anhang III – Kodierungen und Tabellen
401
Abbildung A6: Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers über TV-Angebote (absolut und in Prozent. Die Prozente sind auf Basis aller 86 Ärgeranlässe ermittelt) Häufigkeit Anlassart
selten
manchmal
absolut
%
2
2,3 % b Ã
6 1
7% 1,2 %
2. Programm vorlieben
b 14 5 Ã 1
16,3 % b 6% 1,2 % Ã
3 3 1
3,5 % b 3 3,5 % 3 1,2 %
3,5 % 3,5 %
3. Normverstöße
b Ã
4 3 1
4,7 % b 3,5 % 1,2 % Ã
7 8 1
8% b 1 9% 2 1,2 % Ã 1
1,2 % 2% 1,2 %
4. Rolle Medienanbieter
b
1
1,2 % b
3
3,5 %
5. Sonstige
b Ã
3 1
3,5 % b 1,2 %
1
1,2 %
1. Störung der Rezeption
b
35 b 24 8 Ã 3 35
40,7 %
absolut
oft
34
27,9 % b 20 9,3 % 11 3,5 % Ã 3 40,7 % 34
Erklärung der Intensitäts-Symbole:
%
39,5 %
abso- % lut
1
abso- % lut
b
1 1,2 %
Ã
1 1,2 %
b
1 1,2 %
Ã
2
Ã
1 1,2 %
2%
1,2 %
11 13 %
23,3 % b 4 4,7 % 12,8 % 6 6,9 % 3,5 % Ã 1 1,2 % 39,5 % 11 12,8 %
b wenig
sehr oft
ziemlich
6
7%
b 2
2,3 %
à 4 6
4,7 % 7,- %
à sehr
402
Anhang III – Kodierungen und Tabellen
Abbildung A7: Anlassart, Häufigkeit und Intensität des Ärgers rund ums Fernsehen (absolut und in Prozent. Die Prozente sind auf Basis aller 54 Ärgeranlässe ermittelt) Häufigkeit Anlassart
selten
manchmal
oft
absolut
%
absolut
b
2
3,7 % b
1
Ã
1,9% b
1
1,9 %
2. Programm vorlieben
b
3
5,6 % b
3
5,6 %
3. TV-Regelverstöße
b
3 1
5,6 % 1,9 %
4. Eigenes Verhalten
b
4
7,4 % b
2
3,7 %
5. Störung Tätigkeit
b
3
5,6 % b
3
5,6 %
6. Geringschätzung
Ã
1. Störung der Rezeption
4
21 b 15 1 Ã 5 21
absolut
7,4 % Ã
2
3,7 % Ã
b Ã
1 1
1,9 % 1,9 %
13
24,1 %
7. Sonstige
%
38,9 %
27,8 % b 10 1,9 % 9,3 % Ã 3 13 39 %
Erklärung der Intensitäts-Symbole: b wenig
18,5 % b 1 1 5,6 % Ã 1 24,1 % 3
sehr oft %
1 1,9 % 1 1,9 %
1 1,9 %
absolut
%
b Ã
1 1,9 % 1 1,9 % 2 3,7 %
Ã
2 3,7 %
Ã
3 5,6 %
Ã
4 7,4 %
Ã
1 1,9 %
b Ã
2 3,7 % 1 1,9 %
3 5,6 %
17 31,5 %
1,9 % 1,9 % 1,9 % 5,7 %
b 3 5,6 % 1 1,9 % Ã 13 24,1 % 17 31,6 %
ziemlich
à sehr