»Durch die neuen Waffen ist das möglich geworden, wovon man glaubte, es sei nur mit Atomwaffen machbar.« Colin Powel
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»Durch die neuen Waffen ist das möglich geworden, wovon man glaubte, es sei nur mit Atomwaffen machbar.« Colin Powel
Paul Virilio Krieg und Fernsehen Aus dem Französischen von Bernd Wilczek
Vergessen – verschwunden
Der Golfkrieg 1993
Es ist fast so wie auf Rene Magrittes Bild L' Anniversaire: Ein riesiger freischwebender Felsbrocken versperrt den Horizont, nun den Horizont eines Krieges, der mit dem Löschen der letzten brennenden Ölquellen in der Wüste Kuweits vergessen worden ist. Der schon aus dem Blick geratene Golfkrieg entschwindet mit der Geschwindigkeit eines Meteoriten, der die Erde gestreift hat, in die weite Leere des kollektiven Bewußtseins. Den während hundert langer Tage buchstäblich überbelichteten Krieg hätte dann schließlich das gleiche Schicksal ereilt wie die täglichen Nachrichten. Der Golfkrieg - der erste Fernsehkrieg der Geschichte -sollte nicht der Gesetzmäßigkeit des Genres entkommen : kaum gesehen, hat man Nachrichten schon wieder aus dem Blick verloren. Man könnte glauben, das elektronische Verfahren der sogenannten BILDKOMPRIMIERUNG, mit dessen Hilfe die Speicherung von Informationen möglich ist, habe zunächst zur historischen Komprimierung und schließlich zum Verschwinden des Ereignisses beigetragen! Dieser zweidimensionale Krieg, der um eine dritte Dimension erweitert wurde, die der Zeit nämlich, der Echtzeit der Fernsehsendungen, dieser über den Bildschirm wahrgenommene Weltkrieg in Kleinformat ist untrennbar verbunden mit seiner kathodischen Einrahmung, so daß er künftig nur noch auf dem Speichermedium der Videokassetten vorhanden ist, die heutzutage neben WARGAME und NINTENDO vertrieben werden. Da, wo die gekonnte Chronologie der Geschichtsbücher die Fakten der antiken Kriege bis hin zum Zweiten Weltkrieg zerlegte und ordnete, findet sowohl durch die auf dem Bildschirm gezeigte sorgfältig ausgewählte Bildeinstellung als auch im Augenblick der
Ausstrahlung eine Umstrukturierung der Berichterstattung über einen Konflikt statt, der sich durch seine Schnelligkeit der öffentlichen Analyse entzieht. Diejenigen Journalisten oder Diplomaten, die immer noch glauben, daß man warten müsse, um Geschichte niederzuschreiben, haben sich leider im Zeitalter geirrt. Es stellt sich in der Tat die Frage, wie vom historischen Standpunkt aus betrachtet die Miniaturisierung dieses Krieges analysiert werden kann, eines totalen Krieges, bei dem der lokale Raum durch eine globale und augenblickliche militärische Verwaltung zum Verschwinden gebracht wurde. Wie ist es möglich, einen so dichtgedrängten und vor allem so kurzen Konflikt, bei dem sich die Kommunikationsund Aufklärungswaffen sowie die Fernsteuerungstechniken gegen die Massenvernichtungswaffen durchsetzten, zu erklären, gewissenhaft und klar darzulegen? Da man nicht mehr wie früher die Grenzen des »Realraums« der Schlacht festlegen konnte, hat man die »Echtzeit« der kriegerischen Auseinandersetzung rigoros verkürzt und kontrolliert. Wegen der Verschiebung der klassischen Geostrategie in das unendlich Kleine des elektromagnetischen Bereichs muß der künftige Historiker in erster Linie mit der Wellenfunktion der Waffensysteme sowie mit den zum Einsatz kommenden Hertzschen Anlagen vertraut sein, bevor er behaupten kann, etwas von der Wirkung der Waffen zu verstehen! Als VERKLEINERTES MODELL einer großen militärischen Konfrontation besitzt der Golfkrieg alle rätselhaften Merkmale einer Maquette im Verhältnis zum »wirklichen Objekt«, das es darstellen soll. Sieben Jahre, nachdem Ronald Reagan 1983 das SDI-Programm ins Leben gerufen hat, wurde der Golfkrieg als dessen verkleinertes Modell gleichzeitig zu einem werbewirksamen Krieg für die siegreichen amerikanischen Waffensysteme und zu einem Versuchskrieg, zu einem strategischen Experiment, bei dem das Schicksal Kuweits weniger interessierte als die praktischen Ergebnisse eines Tests, der einerseits auf möglichst kleiner Fläche, andererseits in möglichst kurzer Zeit durchgeführt wird. Hieraus erklärt sich die herausragende Bedeutung der
verschiedenen Massenkommunikationsmittel, mit deren Hilfe der Welt dieses Schauspiel vorgeführt wurde, und infolgedessen auch der Werbecharakter der Operationen, die in dieser Region der Erde durchgeführt wurden. Der moderne Mensch hat es nicht nur vermocht, Motoren, Maschinen und Mikroprozessoren zu miniaturisieren, sondern er hat es auch noch geschafft, den Krieg zu verkleinern. Nachdem er seit mehr als zwanzig Jahren an das Zusammenschrumpfen einer vom Weltraum aus beobachteten Welt gewöhnt ist, verfügt er auch über die Mittel, einen Weltkrieg beinahe bis auf ein Nichts zu verkleinern. »Das beste Mittel, das Unendliche wiederzugeben, besteht darin, es in einem winzig kleinen Ding wiederzugeben; die Versuchung der westlichen Welt ist das Kleinformat.« Das erklärte kürzlich der Schriftsteller Pietro Citati. Indem der totale Krieg zu einem »intensiven« und nicht mehr wie einst zu einem »extensiven« Krieg gemacht wird, hat der postmoderne Mensch sogar das Ausmaß der Gewalt auf seine kleinstmögliche Ausdrucksform reduziert: auf ein Bild. Die Horizontlinie der gewaltigen Schlachten ist plötzlich auf den Maßstab des Bildschirms zusammengeschrumpft. War der totale Krieg früher ein »geophysikalischer«, so ist er jetzt zu einem »mikrophysikalischen« geworden. Durchzieht die Faszination durch die Miniaturisierung im übrigen nicht das gesamte wissenschaftliche Denken und seine lapidaren Formeln: E = mc2? Ist sie nicht eine Konstante der experimentellen Wissenschaften, die den Krieg zu einem »elementaren«, d.h. ATOMAREN Krieg machten? Diese Feststellung wird noch durch einen anderen Gesichtspunkt erhärtet: Mit dem seit kurzem zu beobachtenden Niedergang der traditionellen militärischen Begriffe Offensive und Defensive, der sich aus dem Verlust der Überlegenheit der Bodenstreitkräfte ergibt, ist es zu einer Auflösung der Dialektik des Kampfes gekommen, den man sich auf dem Schlachtfeld liefert, wobei Unmittelbarkeit und Allgegenwart der verschiedenen zum Einsatz kommenden Mittel zu einer vollkommenen Verfälschung
sowohl der geostrategischen Begriffe von VOR und HINTER der Front als auch der chronostrategischen Begriffe von VOR- und NACHKRIEG führten. Während die Revolution der physischen Fortbewegungsich gerade mit derjenigen der mikrophysikalischen Übertragungen verbunden hat, ist bereits der Beginn einer dritten Revolution erkennbar: die der TRANSPLANTATIONEN, die sich der Verpflanzung, der Implantation interaktiver Bauelemente in das Innere von programmierten Automaten wie den MARSCHFLUGKÖRPERN vom Typ TOMAHAWK verdankt, die während des Golfkriegs massiv zum Einsatz kamen. Man gibt sich nicht mehr damit zufrieden, daß die Fernsteuerung in Echtzeit den Zeitraum praktisch auf Null reduziert, der bisher notwendigerweise verstrich, bis die Aktion durchgeführt werden konnte. Denn die Einsetzung der technischen Instrumente für die unmittelbare Wahrnehmung und Entscheidung in das Innere der Waffensysteme hebt die klassische Unterscheidung zwischen INNEN und AUSSEN auf und führt auf diese Weise eine stillschweigende Fusion zwischen dem Raum außerhalb und dem innerhalb der Maschine herbei ... Aus diesem Grunde findet der wirkliche Krieg nicht mehr allein auf dem geographischen Aktionsfeld statt, sondern in erster Linie und wesentlich außerhalb des Feldes, d.h. im Inneren der Apparate wobei die Echtzeit der sogenannten INTERAKTIVEN Maßnahmen den Primat über den realen Raum der technischen Konfiguration der Waffe erlangt. Hieraus erklären sich die berühmten »Störmanöver«, mit denen gewissermaßen die integrierten Schaltkreise der gegnerischen Waffenelektronik angegriffen werden und die sich nicht mehr mit Begriffen wie Offensive und Defensive beschreiben lassen, weil die unmittelbare Interaktion der elektromagnetischen Bündel nicht mehr Bestandteil der »strategischen« oder »taktischen« Dispositive von Aktion oder Reaktion ist. Vor diesem Hintergrund wird sogar das allen technischen Systemen zugrundeliegende Gesetz des geringsten Aufwandes überholt, denn paradoxerweise ist es gerade die Abwesenheit jeder
vom Menschen wahrnehmbaren Aktion, die sich gegen die gängige Angriffs- oder Verteidigungsaktion durchsetzt: Insbesondere anläßlich der Probleme; die Computerviren bereiteten, konnte man feststellen, daß der »Eingang« und der »Ausgang« von Daten die herkömmlichen Begriffe von »Ansturm« oder »Flucht« ersetzen. Bei den Waffensystemen oder der »intelligenten« Munition wie etwa den Raketenabwehrraketen vom Typ »Patriot« handelt es sich vor allem um ein waffentechnisches Ökosystem, das zur Umgebung, in der die militärische Auseinandersetzung stattfindet, überhaupt keine Beziehung hat. Wie kann man unter diesen extremen Bedingungen noch die Hoffnung hegen, über einen längeren Zeitraum hinweg den Akteur vom Zuschauer oder den Zivilisten vom Krieger zu unterscheiden? Die Kopplung, ja die Konfusion der Informationsund Kontrollsysteme der öffentlichen Meinung wird unumgänglich. Schließlich haben die Akteure/Zuschauer anläßlich dieser exotischen militärischen Konfrontation, bei der die Vorherrschaft der Weltraumaufklärung vollkommen war, den Einsatz der ersten REINEN WAFFEN der Geschichte erlebt. Es handelt sich dabei um Waffen, die den Gegner weniger durch ihr Zerstörungspotential ausschalten als vielmehr durch die Unterbindung jeder militärischen Aktion größeren Ausmaßes. Der Golfkrieg war ein Mikrokonflikt, bei dem es sich noch nicht einmal mehr als notwendig erwies, den Feind bzw. dessen Feldherrn zu vernichten oder sein Territorium zu besetzen, um den Sieg davonzutragen ... Während die Abschreckung zwischen Ost und West etwa vierzig Jahre lang die Vorstellung von einem niemals durchführbaren Krieg glaubhaft erscheinen ließ und die Atombombe als ein Mittel angesehen wurde, mit dessen Hilfe das Entsetzliche eines Weltkrieges zu verhindern sei, bringt das Ende des »Kalten Krieges« ein neues Konzept zum Vorschein: die »reinen Waffen«, die bei ihrem Einsatz im wesentlichen dieselben schrecklichen Auswirkungen auf die Psyche haben sollen wie die Atomwaffen im Zeitalter der Abschreckung. Diese Waffen führen also angeblich zum gleichen Ergebnis: zur Lähmung des Feindes und zur Handlungsunfähigkeit seiner militärischen Führung, und das nicht mehr dank der
Leistungsfähigkeit eines Projektils und seiner mörderischen explosiven Ladung, sondern dank seiner Geschwindigkeit und außerordentlichen Genauigkeit sowohl hinsichtlich der Zielsicherheit oder der Überwachung der Feindbewegungen als auch hinsichtlich eines möglich geworde nen Schlages, der selektiv und heimlich zugleich auszuführen ist. Ein Schlag, der ein wenig der Behandlung bösartiger Tumore mit Laserstrahlen ähnelt. Mit anderen Worten: Operationen, bei denen sich der Gebrauch eines Skalpells erübrigt... Ein Schlag, der so wirkungsvoll und so schmerzlos ist, daß er die Lebensgewohnheiten des Patienten eigentlich überhaupt nicht beeinträchtigt, so daß dieser nach dem Eingriff seine Aktivitäten wieder aufnehmen kann, ganz so, als sei nichts geschehen. Hieraus ergibt sich auch die Bedeutung einer rigorosen Eingrenzung des Operationsfeldes auf eine sehr kleine Fläche und auf einen möglichst kurzen Zeitraum, so daß selbst die aufmerksamsten Beobachter (ob Journalisten oder nicht) nichts anderes darin sehen können als Feuer! Darüber hinaus erklärt sich so auch der Einsatz eines drastischen Rahmens der für das »Massenpublikum« bestimmten Bilder und Nachrichten. Dabei handelt es sich um einen Einsatz, der, sollten wir uns nicht in acht nehmen, schon bald zu einer fortschreitenden Militarisierung nicht nur der wissenschaftlichen Erkenntnisse führen wird — die sich bereits seit dem Aufschwung des militärischindustriellen Komplexes etabliert hat -, sondern gerade auch der allgemeinen Nachrichtenquellen. Im Zeitalter der absoluten Vorherrschaft »selektiver Kommunikationswaffen« können Nachrichten nicht mehr lange offenstehen für eine Kritik, die sich auf dem Wege der Ausdrucksvielfalt der Massenkommunikationsmittel artikuliert. Zudem ist in naher Zukunft mit dem Auftauchen eines echten MILITÄRISCHEN NACHRICHTENKOMPLEXES zu rechnen, für den die Rolle von CNN und des vom Pentagon kontrollierten Journalistenpools während des Golfkrieges ein erstes Symptom gewesen sein dürfte. Seit nunmehr ungefähr einem Jahrzehnt haben die
Verteidigungsinstanzen der freien Welt — insbesondere in Frankreich - um den von General Pinatel geführten militärischen Nachrichtendienst herum die Einrichtung eines Systems zur Nahüberwachung der Medien vorbereitet, damit, wie man damals sagte, die negativen Auswirkungen terroristischer Aktionen unterbunden werden könnten, die somit ihrerseits den Medieneffekt von Attentaten einkalkuliert haben. Auf der anderen Seite hat der 1984/85 von General Westmoreland gegen den Fernsehsender CBS angestrengte Prozeß ein Licht auf den unter politischem Blickwinkel verhängnisvollen Niederschlag einer Berichterstattung geworfen, der es freisteht, die schmutzigsten Aspekte eines Krieges wie dem in Vietnam (das Massaker von My Lai, drogenabhängige Soldaten...) aufzudecken. Mit dem Golfkrieg, aber auch schon vorher mit der Intervention auf der Karibikinsel Grenada oder in noch jüngerer Zeit in Panama wurde der Frage der Kontrolle über das Medienumfeld vom amerikanischen Oberkommando absolute Priorität eingeräumt. Auch wenn der Dramatisierung einer schon hinreichend verworrenen internationalen Situation kein Vorschub geleistet werden soll, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß diese Feststellung bezüglich der allgemeinen Krise der Masseninformation weniger auf ein Problem des ideologischen Bezugsrahmens der Denk- und Anschauungsweisen nach dem Zerfall des kommunistischen Machtblocks zurückzuführen ist als vielmehr auf die entscheidende Weiterentwicklung von elektronischen und computergesteuerten Waffensystemen während eines Krieges, bei dem die Schnelligkeit der Aufklärung und der Überwachung in Echtzeit den Sieg über das klassische, gestaffelte Manöver der Bataillone auf dem Schlachtfeld davongetragen hat. Erklärte Admiral Gorschkow, der Prophet des Un tergangs der sowjetischen Macht, nicht vor einigen Jahren: »Der Gewinner des nächsten Krieges wird derjenige sein, der es am besten versteht, das elektromagnetische Spektrum auszunutzen.«
Was läßt sich heute vom Sieger der Zeit nach Beendigung des Kalten Krieges noch sagen, außer daß nicht mehr nur die militärischen Telekommunikations- und Störmittel von dieser
übertriebenen Ausnutzung der Wellen betroffen sind, sondern auch schon diejenigen des zivilen Bereichs ... Nach dem Zeitalter der Zensur und der Propaganda ist jetzt die Zeit der strategischen Desinformation und der Meinungsmanipulation angebrochen. In der Nachfolge des »totalen Krieges«, der einst auf dem Meer eingeleitet wurde, um dann auf dem Land Fuß zu fassen, hebt nun das Zeitalter des NODALEN KRIEGES an, dessen erste Umrisse sich vor zwei Jahren im elektromagnetischen Äther über dem Persischen Golf abgezeichnet haben. Es steht außer Frage, daß der kleine Bildschirm, nun, wo ihm Schlachtfelder und Kriegsschauplätze fehlen, in Zukunft noch viele unangenehme Überraschungen und so manche optische Täuschung »politischer Art« für uns bereithält. [Virilio, Paul. „Vergessen – verschwunden, Der Golfkrieg 1993“ aus Krieg und Fernsehen. Wien: Carl Hanser Verlag München, 1993. S. 145 – 155.]