Andrea Hausmann · Jana Körner (Hrsg.) Demografischer Wandel und Kultur
Andrea Hausmann Jana Körner (Hrsg.)
Demografi...
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Andrea Hausmann · Jana Körner (Hrsg.) Demografischer Wandel und Kultur
Andrea Hausmann Jana Körner (Hrsg.)
Demografischer Wandel und Kultur Veränderungen im Kulturangebot und der Kulturnachfrage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15857-0
Inhalt
Ziel und Struktur des Sammelbandes ................................................................. 7 Andrea Hausmann / Jana Körner Teil A
Der demografische Wandel in Deutschland und die Kultur
Die demografische Entwicklung in Deutschland ............................................. 15 Christian Kutzner Der demografische Wandel und die Kultur – was haben beide miteinander zu tun? .............................................................................................................. 35 Matthias Dreyer Teil B
Demografischer Wandel und Kulturpolitik
Herausforderungen und Handlungsoptionen für die Kulturpolitik angesichts des demografischen Wandels ........................................................................... 51 Norbert Sievers Wenn Statistik droht, Politik zu machen – der demografische Wandel und seine Herausforderungen für die Kulturpolitik ................................................. 71 Kristina Volke Von der Kulturentwicklungsplanung zur „Kulturabwicklungsplanung“? Kulturelle Planungen im Kontext des demografischen Wandels ..................... 83 Iken Neisener Kulturpolitik im Kontext von Demografie und räumlicher Markenbildung .. 107 Gerhard Mahnken
6 Teil C
Inhalt Demografischer Wandel und Kulturmanagement
Implikationen des demografischen Wandels für das Marketing von Kultureinrichtungen ................................................................................................. 149 Andrea Hausmann „Kultur für alle“ in einer gebildeten, ungebundenen, multikulturellen und veralteten Gesellschaft? Der demografische Wandel und seine Konsequenzen für die kulturelle Partizipation ......................................................... 149 Susanne Keuchel Die Phantasie ist ewig jung. Kulturelle Bildung im Alter .............................. 177 Kim de Groote / Flavia Nebauer Potenziale von Kooperationen als Präventiv- und Anpassungsstrategie zur Gestaltung des demografischen Wandels im Kulturbereich ........................... 203 Patrick S. Föhl
Autorenverzeichnis ........................................................................................ 229
Ziel und Struktur
7
Ziel und Struktur des Sammelbandes Der demografische Wandel bezeichnet Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, die plakativ mit den Begriffen „älter“, „bunter“ und „weniger“ auf den Punkt gebracht werden können. Die dahinter liegenden Prozesse wie steigende Lebenserwartungen, steigende Zuwanderungen und sinkende Geburtenraten werden die Kultur- und Freizeitmärkte künftig vor erhebliche Herausforderungen stellen. Trotz der Dringlichkeit des Themas sind die Überlegungen zu den Folgen des demografischen Wandels für die Kulturlandschaft bislang jedoch noch nicht sehr weit gediehen. Zum einen liegt noch wenig Zahlenwerk vor. Zum anderen wurde das Thema zunächst nur zögerlich von der Kulturpolitik, den Kulturinstitutionen und der Öffentlichkeit aufgegriffen. Wichtige Anstöße gaben in den vergangenen Jahren Vorreiter wie zum Beispiel die Stiftung Niedersachsen (Tagung „Kultur und demografischer Wandel“, 2005), das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (Fachgesprächsreihe „Demografischer Wandel – Konsequenzen für die kulturelle Infrastruktur“, 2005) und das NRW KulturSekretariat (Tagung „Kultur und Alter“, 2006) Um die Diskussion über die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kultur weiter voranzutreiben und mögliche Handlungskonzepte aufzuzeigen, veranstaltete die Juniorprofessur für Kulturmanagement an der EuropaUniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) am 16. November 2007 das 1. VIADRINA KULTURMANAGEMENT SYMPOSIUM zum Thema „Der demografische Wandel und seine Bedeutung für das Kulturangebot und die Kulturnachfrage“. Zahlreiche Kulturpolitiker, Kulturschaffende und Kulturwissenschaftler diskutierten gemeinsam Perspektiven, Chancen und Risiken im Spannungsfeld zwischen Kultur und Demografie. Für stichhaltige Informationen und spannende Debatten sorgten Referenten aus den Bereichen Tourismus, Kreativwirtschaft, kommunale und regionale Kulturpolitik, Demografieforschung und Kulturmanagement. Die Fragestellungen bezogen sich auf die wahrnehmbaren und absehbaren Veränderungen in der kulturellen Infrastruktur in Deutschland, die Aufgaben und Handlungsoptionen der Kulturpolitik, die Herausforderungen für die Kultureinrichtungen und bereits bestehende Strategien bei der Angebotsgestaltung. Der vorliegende Band liefert im Nachgang der Tagung einen Querschnitt durch diese Themen. Die Beiträge, die nachfolgend im Überblick vorgestellt werden, geben wichtige Impulse und zeigen konkrete Richtungen auf, wie auf den demografischen Wandel in der Kultur reagiert werden kann. Kutzner bietet in seinem Beitrag empirisches Zahlenmaterial als Ausgangspunkt der Diskussion rund um den demografischen Wandel und seinen bereits spürba-
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Andrea Hausmann / Jana Körner
ren und möglichen Auswirkungen auch auf die Kultur. Er liefert einen Überblick über die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur (Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung, hoher Migrantenanteil, Entleerung einzelner Regionen) in Deutschland und beleuchtet die Ursachen (geringe Geburtenzahlen, steigende Lebenserwartung, Zuwanderung, Abwanderung aus wirtschaftlich schwachen Gebieten) für diese Entwicklungen. Anhand der Daten gibt Kutzner einen erst Ausblick auf die grundlegenden Herausforderungen angesichts der demografischen Veränderungen, mit denen sich die Kulturschaffenden und die Kulturpolitik auseinandersetzen (werden) müssen. Dreyer stellt die Zusammenhänge zwischen den demografischen Entwicklungen und den Veränderungen in der Kulturlandschaft vertiefender dar. Er diskutiert hierbei insbesondere die Folgen für die Kulturpolitik und -finanzierung, die Veränderungen in der Besucherstruktur kultureller Einrichtungen und die neuen Bedürfnisse der Nachfrager sowie die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen (kulturellen) Engagements angesichts einer zunehmenden Anzahl älterer Menschen. Handlungsoptionen für die Kulturförderung sieht Dreyer u. a. in der gezielten Förderung von Projekten mit Bezug zum demografischen Wandel. Zudem verweist er auf die Notwendigkeit seitens der Kulturpolitik, über die Verteilung kultureller Angebote zwischen bevölkerungsarmen Gebieten und den Zentren nachzudenken. Für die Kultureinrichtungen benennt er Kooperationen als einen beschreitbaren Weg im Umgang mit den demografischen Herausforderungen und den sich hieraus ergebenden Veränderungen in der Nutzerstruktur. Sievers beschäftigt sich dezidiert mit den Herausforderungen für die Kulturpolitik. Hierbei verweist er darauf, dass Veränderungen in der Besucherstruktur von Kultureinrichtungen Auswirkungen auf die Fördermittelvergabe haben (werden). Mit Blick auf die kulturelle Infrastrukturplanung thematisiert er das regional und hinsichtlich der einzelnen Sparten unterschiedlich ausgeprägte Problem der Unterauslastung kultureller Einrichtungen und die damit verbundenen Handlungsnotwendigkeiten wie Konzentration, Rückbau oder gar Schließung solcher Einrichtungen. Handlungsoptionen für die Kulturpolitik sieht er zum einen in der Stärkung der kulturellen Bildung, um ein nachwachsendes Publikum für die kulturellen Einrichtungen zu sichern. Zum anderen wird es notwendig sein, das kulturelle Angebot entsprechend der sich abzeichnenden veränderten Interessenlagen (variierender Konsum von E- und U-Kultur) weiterzuentwickeln sowie flexibler zu gestalten und dezentral anzubieten. Dabei ist angesichts des hohen Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland auch eine interkulturelle Ausrichtung in der Angebotsgestaltung zu berücksichtigen.
Ziel und Struktur
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Volke fokussiert die demografische Situation in Ostdeutschland. Sie informiert über das Engagement kultureller Akteure, die außerhalb kulturpolitischer Regularien Projekte zum Erhalt der Kultur im ländlichen Raum Ostdeutschlands initiieren und betreuen. Ihrer Ansicht nach liegt gerade in dem freiwilligen Engagement und der Teilhabe der Akteure und Einwohner vor Ort die besondere Chance, den Wandel mittels Kultur zu gestalten. Diese Form kulturellen und zivilgesellschaftlichen Engagements könne einer Gemeinde und ihren potentiellen Akteuren jedoch nicht von oben (konzeptionell) oktroyiert werden, sondern würde sich nur von unten heraus entwickeln. Neisener bespricht in ihrem Beitrag das Instrument der kulturellen Planung und die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen angesichts der demografischen Veränderungen in der Gesellschaft. Sie arbeitet die Bestandteile von Kulturentwicklungsplanungen heraus und erläutert, wie im Rahmen derartiger Planungen die gesamte Kulturlandschaft einer analytischen Betrachtung unterzogen werden kann. In diesem Zusammenhang geht sie vertiefend auf die Bestandsaufnahme und Analyse als Bestandteile von Kulturentwicklungsplanungen ein. Abschließend verschweigt sie jedoch auch nicht die Schwierigkeiten (bspw. in Bezug auf Kosten- und Zeitaufwand), auf die innerhalb kultureller Planungsprozesse gegebenenfalls reagiert werden muss. Sie resümiert, dass Kulturentwicklungsplanungen mittels einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit, der Einbeziehung der Bevölkerung und der künstlerisch-kulturellen Bereiche im Sinnes des Erhalts und nicht in erster Linie des Abbaus von Kultur erfolgreich vorgenommen und umgesetzt werden können. Mahnken führt anhand der raumstrukturellen Veränderungen in Brandenburg die Bedeutung kulturell kodierter Räume und die Herausbildung lokaler Identitäten für das Image und somit die Anziehungskraft (Stichwort: Standortfaktor) einer Region aus. In diesem Zusammenhang konstatiert er, dass es Aufgabe der Kulturpolitik ist, lokale Selbstorganisation zu fördern und Prozesse der lokalen oder regionalen Selbst- und Fremdbestimmung (im Spannungsfeld zwischen Standortkonkurrenz und Kooperationen) zu unterstützen. Zudem sei es wichtig, kulturpolitische Aushandlungsräume (wie bspw. die Brandenburger Regionalgespräche) zu schaffen, in denen neue Strategien und Instrumente im Umgang mit den demografischen Wandlungsprozessen erarbeitet werden können. Grundsätzlich geht es dem Autor dabei um die Suche nach Antworten auf lokaler und metropolitaner Ebene in einem raumübergreifenden Sinne. Er verweist auf die Bedeutung kulturräumlicher Dachmarken (als Ergebnis eines sog. Public Branding) und diskutiert am Beispiel des Konzepts der Hauptstadtregion die Vor-,
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Andrea Hausmann / Jana Körner
Nachteile und künftigen Herausforderungen (Verbindung von Makro- und Mikroebene/Beachtung regionaler Disparitäten). Hausmann beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf das Marketing von Kultureinrichtungen. Damit ergänzt sie die aktuelle Diskussion, die oft auf einer rein deskriptiven Ebene bleibt, um konkrete Überlegungen zur künftigen Ausgestaltung der Austauschbeziehungen von kulturellen Anbietern und Nachfragern. Ihre Analyse zeigt dabei deutlich, dass es nicht eine allgemeingültige Strategie für den angemessen Umgang mit dem älter, bunter und weniger werdenden Publikum geben kann, sondern dass vielmehr jede Kultureinrichtung gefordert ist, ihre ganz individuelle Strategie unter Berücksichtigung der jeweils konkreten Situation (Standort, Zielgruppen, Leistungsangebot etc.) zu finden. Verschiedene Maßnahmebündel zum Umgang mit den demografischen Veränderungen werden aufgezeigt. Keuchel vermittelt in ihrem Beitrag anhand der Studien des Zentrums für Kulturforschung in Bonn aktuelle Fakten zur Struktur der kulturell aktiven Bevölkerung in Deutschland. Sie führt aus, inwiefern sich junges und älteres Publikum in seiner kulturellen Teilhabe (Nutzungsintensität, Spartenpräferenzen, künstlerisch-kreative Tätigkeiten, Besuchsmotive) unterscheidet. Hieraus resümiert sie, wie das Kulturangebot mit Blick auf ein wachsendes älteres Publikum und gleichzeitig junge Nachfrager künftig gestaltet werden kann. De Groote und Nebauer greifen das Thema kulturelle Bildung im Alter auf. Sie verdeutlichen die Bedeutung kultureller Bildung für die kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen und beschreiben dabei zwei wesentliche Konzepte: Bildung in den Künsten und Bildung durch die Künste. Des Weiteren erläutern die Autorinnen die Zusammensetzung der Trägerlandschaft kultureller Bildung und zeigen an praktischen Beispielen Kooperationsmöglichkeiten auf. Darüber hinaus liefern sie dem Leser praktische Beispiele, anhand derer die vielfältigen Möglichkeiten innerhalb kultureller Bildungsprojekte mit alten Menschen (auch generationsübergreifend und interkulturell) deutlich werden. Zudem zeigen sie auf, inwiefern die Potenziale älterer Menschen mittels Selbstorganisation und freiwilligem Engagement in der kulturellen Bildungslandschaft ihre Entsprechung gefunden haben (z.B. Seniorenakademien). Last but not least beschäftigt sich Föhl mit der zunehmenden Bedeutung von Kooperationen im Kulturbereich angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und stagnierenden/schrumpfenden öffentlichen Haushalte. Er führt den Leser an die Begrifflichkeiten heran und erläutert Ziele und Formen (interkom-
Ziel und Struktur
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munale Zusammenarbeit, Regional Governance) von Kooperationen. Zudem stellt er anschaulich dar, welche Gestalt Kooperationen annehmen können (Informationsaustausch bis Totalfusion). Des Weiteren bespricht der Autor, wie vielfältig und auf welchen Ebenen Kooperationen eingegangen werden können (zeitlich, rechtlich, regional oder interkommunal, zwischen Kultur und Wirtschaft etc.). Er liefert abschließend eine Art Checkliste für die erfolgreiche Ausgestaltung einer Kooperation. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Wechselverhältnis von Kultur und Demografie noch in einem Anfangsstadium befindet. Daher kann und soll mit dem vorliegenden Band kein Anspruch darauf erhoben werden, abschließende Antworten auf alle Fragen liefern zu können. Vielmehr geht es darum, wesentliche Entwicklungen und Handlungsnotwendigkeiten aufzuzeigen, erste Lösungsansätze zu verdichten und für die Herausforderungen an die Kultur im Umgang mit den demografischen Veränderungen in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren. Zu konstatieren ist, dass angesichts des Nebeneinanders von wachsenden und schrumpfenden Regionen und den somit unterschiedlichen Auswirkungen des demografischen Wandels differenzierte Betrachtungen angestellt werden müssen. Es ist weitere Forschung von Nöten, damit adäquate Handlungskonzepte für die unterschiedlichen Regionen und ihre Kultureinrichtungen entwickelt werden können. Die Herausgeberinnen danken den Autoren dieses Bandes und Referenten des 1. VIADRINA KULTURMANAGEMENT SYMPOSIUMS für ihr tatkräftiges Engagement.
Frankfurt (Oder), im August 2008
Andrea Hausmann und Jana Körner
Teil A
Der demografische Wandel in Deutschland und die Kultur
Christian Kutzner
Die demografische Entwicklung in Deutschland
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung: Grundsätzliches ......................................................................... 17 2 Die Situation in Deutschland – Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur .................................................................................. 18 2.1 Wir werden „älter“ und „weniger“ ..................................................... 19 2.2 Wir werden „bunter“ .......................................................................... 24 3 Unterschiede zwischen Ost- und West-Deutschland .................................. 25 4 Fazit für die Betrachtung des Kulturmarktes .............................................. 31 Quellenverzeichnis ........................................................................................... 33
Demografische Entwicklung in Deutschland
1
17
Einleitung: Grundsätzliches
Grundsätzlich beschäftigt sich die demografische Forschung mit dem Leben, Werden und Vergehen menschlicher Bevölkerungen. Sie setzt sich sowohl mit ihrer Zahl als auch mit ihrer Verteilung im Raum auseinander und untersucht die Faktoren, insbesondere auch die sozialen, die für Veränderungen verantwortlich sind. Die Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten in Zustand und Entwicklung der Bevölkerung werden vor allem mit Hilfe der Statistik erfasst und gemessen. In Deutschland ist die demografische Forschung unterrepräsentiert. Während es in Frankreich 50, in Italien 20, in Belgien und den Niederlanden jeweils zehn und in Spanien fünf Lehrstühle für Bevölkerungswissenschaft gibt, sind es in Deutschland nur drei (wovon einer nicht besetzt ist). Auch die außeruniversitäre Forschung ist schwächer als in anderen Ländern vertreten. Hintergrund ist die dunkle deutsche Vergangenheit, denn die Nationalsozialisten haben die Bevölkerungswissenschaft nachhaltig für ihre Ideologie missbraucht, um eine angebliche „Dominanz der eigenen Rasse“ gegenüber Anderen zu erklären und um sich „Lebensraum im Osten“ zu verschaffen. Im Jahre 2002 wurde der 304-Seiten starke Abschlussbericht der EnqueteKommission des Deutschen Bundestages „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“ vorgelegt. Seitdem wurde das Thema in vielen Publikationen aufgegriffen. In den Medien sind diverse Aspekte des demografischen Wandel hinreichend, so sollte man meinen, behandelt worden. In Wellenbewegungen kommt die Debatte immer wieder in Schwung und zeigt uns, wie facettenreich die Einwirkungen und Auswirkungen einer sich verändernden Bevölkerungsstruktur sein können und aus welch unterschiedlichen Blickwinkeln der Wandel betrachtet wird. Neben der Frage nach der Erhaltung der sozialen Sicherungssysteme – nach der Renten-, Kranken-, Pflege- sowie der Arbeitslosenversicherung – werden zunehmend die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso wie die Gesamtausrichtung der Familienpolitik betrachtet. Zudem wird verstärkt das Augenmerk auf die möglichen Auswirkungen auf die Innovationskraft einer Industrienation gelenkt. Nicht zuletzt spielt im Kontext der Integrationsdebatte die Zuwanderung eine zunehmende Rolle. Trotz dieser Konjunktur in der Berichterstattung und den einmal mehr, einmal weniger tief gehenden Diskussionen, die zudem sehr kontrovers geführt werden können, hat ein großer Teil der Gesellschaft von den Folgen der sich verändernden Bevölkerungsstrukturen noch keine klare Vorstellung. Groß ist unser Beharrungsvermögen, groß unsere Angst vor Veränderungen lieb gewon-
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Christian Kutzner
nener Systeme und Strukturen, sodass es manchmal allzu leicht fällt, von einem „Mythos Demographie“ (Verdi 2003) zu sprechen. Einer Umfrage aus dem Jahr 2003 zufolge hatten 52 Prozent der Deutschen noch nie den Begriff „demografischer Wandel“ gehört. Es gab damals, mit Ausnahme weniger Fachbeiträge, kaum Veröffentlichungen über die demografische Entwicklung Deutschlands auf regionaler Ebene. Das hat sich durch eine Reihe von Publikationen geändert. Eine davon liegt diesem Beitrag zugrunde: Die demografische Lage der Nation des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (Kröhnert/Medicus/Klingholz 2006, 2007).
2
Die Situation in Deutschland – Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur
Im Folgenden sollen zunächst einmal die Grundzüge der demografischen Veränderungen beleuchtet werden. Fast alle Länder Europas und viele führende postindustrielle Nationen außerhalb Europas erleben derzeit fundamentale demografische Umwälzungen. In den meisten Nationen Europas liegen die Geburtenraten unter jenem Niveau von 2,1 Kindern je Frau, das für eine stabile Bevölkerungsentwicklung nötig wäre (vgl. Abb. 1). Die Menschen leben deutlich länger als je zuvor, und in der Folge verändern sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen der jungen, ökonomisch aktiven Bevölkerung und jener im Pensionsalter in einigen Ländern dramatisch.
Abb. 1: Kinderzahl pro Frau (internationaler Vergleich) (Quelle: United Nations Population Division)
Demografische Entwicklung in Deutschland
2.1
19
Wir werden „älter“ und „weniger“
Deutschland führt diese Entwicklungen an, und zwar aus verschiedenen Gründen: Zum einen sind die Geburtenraten hierzulande sehr früh sehr tief gefallen. Seit Anfang der 1970er Jahre sank in beiden Staaten des geteilten Deutschlands die Kinderzahl je Frau unter 2,1 (vgl. Abb. 2). Im Westen liegt sie seither nahezu unverändert bei 1,3 bis 1,4 Kindern. Im Osten Deutschlands nähert sie sich nach einem historischen Tiefstand von 0,8 Kind pro Frau nach dem Mauerfall diesem Wert wieder an. Deutschland zählt somit, mit 1,4 Kindern je Frau, zu den an Nachwuchs ärmsten Ländern der Welt – und das schon seit den 1970er Jahren.
Abb. 2: Entwicklung Kinderzahl pro Frau seit 1955 (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Seit also fast 40 Jahren liegt die Zahl der Kinder je Frau weit unter dem Niveau, das nötig wäre, um ohne Zuwanderung langfristig die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Jede nachwachsende Generation ist bei einer Fertilitätsrate von 1,4 Kindern je Frau daher um ein Drittel kleiner als die vorangegangene. Seit Mitte der 1970er Jahre ersetzt jede Kindergeneration die ihrer Eltern nur noch zu zwei Drittel: 100 Mütter haben unter diesen Bedingungen 66 Töchter, 44 Enkeltöchter und nur noch 30 Urenkelinnen. Deutschland befindet sich somit in einer sich beschleunigenden Phase des Bevölkerungsrückganges. Während auf dem Gipfel des Babybooms in den 1960ern jährlich über 1,3 Millionen Kinder auf die Welt kamen, waren es 2006 weniger als 680.000 Neugeborene pro Jahr (vgl. Abb. 3). Erst 2007 kam es wieder zu einem leichten
20
Christian Kutzner
Anstieg der Neugeborenenzahlen, was sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die neu ausgerichtete Familienpolitik zurückführen lässt. Lange hatten die Deutschen nur wenige Kinder; aber heute haben bereits wenige Eltern wenige Kinder (vgl. Abb. 4). Die Jahrgangsstärke hat sich also binnen weniger Jahrzehnte nahezu halbiert, was zu einer Entwicklung führt, die gemeinhin unterschätzt wird.
Abb.3:
Geburtenzahlen in Deutschland (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung)
Abb.4:
4 Pyramiden von 1950 bis 2050 (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Dieses Phänomen kann handfeste Konsequenzen nach sich ziehen. Die Auswirkungen auf das uns wichtige Wohlfahrtsniveau – also auf das, was wir erwirtschaften und uns leisten können – wird die Gesellschaft spüren, wenn sie nicht handelt, wenn sie die Veränderungen nicht wahrnimmt und nicht die notwendigen Maßnahmen einleitet. Betrachten wir die Erwerbstätigkeit: Wenn die Zahl der Erwerbstätigen bei einer steigenden Anzahl Nicht-Erwerbstätiger sinkt, belastet dies in der Folge die sozialen Sicherungssysteme – oder die Nebenkosten der Arbeit müssen steigen, oder die Lebensarbeitszeit muss erhöht werden. Jedenfalls kann der
Demografische Entwicklung in Deutschland
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Schwund an Menschen im produktiven Alter negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft haben. Die ökonomische Entwicklung einer Gesellschaft wird aus drei Quellen gespeist: Dem Produktionskapital, der Zahl der Arbeitskräfte und dem technischen Fortschritt. Seit Anfang der 1990er Jahre stagniert die Zahl der Erwerbstätigen, stieg dann leicht an, wird aber bald schon aus demografischen Gründen sinken (auch wenn wir hier justieren können, indem beispielsweise das Erwerbspotenzial aus anderen Ländern gespeist wird). Wirtschaftswachstum kann dann bei gleich bleibendem Produktionskapital nur noch durch technischen Fortschritt erzielt werden. Ob jedoch die alternden Erwerbstätigen beim Erfinden mit den viel jüngeren Bevölkerungen etwa in Frankreich, den USA, in Indien oder China werden Schritt halten können und ob notwendige Investitionen nicht dort statt in einem stark alternden Land getätigt werden, ist keineswegs sicher. Selbst wenn sich das Produktionskapital erhöht, wird es vermutlich dort investiert werden, wo die jungen agilen Arbeitskräfte in einer großen Zahl vorhanden sind. In Deutschland hingegen lebt heute bereits ein Viertel der Gesamtbevölkerung im (derzeitigen mittleren) Pensionsalter von etwas über 60 Jahren. Im Jahr 2050 werden 37 Prozent aller Deutschen die 60 überschritten haben. Entsprechend wenige Erwerbstätige stehen dann beispielsweise zur Finanzierung der Rentenversicherung aber auch für ordentliche Steuereinnahmen bereit (Kutzner, C. 2008). Während hierzulande die Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen, die normalerweise überwiegend zur Wertschöpfung einer Gesellschaft beiträgt, zwischen 2005 und 2050 um 38 Prozent kleiner werden wird, wird sich die Gruppe der über 80-Jährigen den Bevölkerungsvorausschätzungen des Statistischen Bundesamtes zufolge verdreifachen. 2050 dürfte jeder achte Deutsche über 80 Jahre alt sein (vgl. Abb. 5).
Abb. 5
Entwicklung der Zahl der unter 6- und über 80-Jährigen Einwohner (Quelle: Statistisches Bundesamt)
22
Christian Kutzner
Eine Gesellschaft wird älter, wenn sie über einen so langen Zeitraum wenige Kinder bekommt, vorausgesetzt die Zuwanderung wirkt nicht als Jungbrunnen. Aber auch dieser ist nicht von unbegrenzter Dauer, denn die Zuwanderer kommen zwar in der Regel im frühen Erwerbsalter, sind also im Durchschnitt jünger als die Gesamtbevölkerung – aber sie selbst altern natürlich auch und tragen so zu einem steigenden mittleren Alter aller Bürger bei. Zugleich leben die Menschen heute auch deutlich länger als je zuvor. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist seit 1970 um etwa 10 Jahre gestiegen, 30 Jahre haben wir im gesamten vergangenen Jahrhundert hinzugewonnen. Grund dafür ist eine verbesserte medizinische Versorgung, eine verbesserte Ernährung und bessere Arbeitsbedingungen. Man kann davon ausgehen, dass die Lebenserwartung auch weiterhin durch medizinische Fortschritte ansteigen wird. Ein im Jahr 2050 geborenes Mädchen kann den Prognosen des Statistischen Bundesamtes zufolge 88, ein Junge 84 Jahre alt werden (vgl. Abb. 6).
Frauen
Männer
Abb. 6: Lebenserwartung bei Geburt, ab 2005 Prognose (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Jetzt könnte man fragen: Was soll’s? Wir werden älter, und das ist gut, und außerdem haben wir die Kinderarmut in den vergangenen 30 Jahren auch nicht negativ wahrgenommen, warum jetzt auf einmal? Tatsächlich haben wir von der Kinderarmut sogar profitiert. Denn seit Anfang der 1970er Jahre wurden hierzulande rund zehn Millionen Kinder weniger geboren, als es der Fall gewesen wäre, wenn die Kinderzahl je Frau auf dem bestandserhaltenden Niveau von 2,1
Demografische Entwicklung in Deutschland
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geblieben wäre. Die entsprechenden Investitionen in Bildung und Erziehung, Schulen und Spielplätze haben wir – zumindest im Westen Deutschlands – gespart. Dabei geht es, vorsichtig geschätzt, um eine Summe von mindestens zwei Billionen Euro, wenn man eine mittlere Investition von 200.000 pro Kind zugrunde legt, die etwa hälftig von Eltern und Staat aufgebracht wird. Als in den 1980ern und 1990ern des vergangenen Jahrhunderts die große Gruppe der Babyboomer ins Berufsleben trat, musste diese Gruppe nur für wenige Kinder jedoch noch nicht für viele Alte aufkommen. Die eingesparten zwei Billionen Euro flossen allerdings nicht in einen Nachhaltigkeitsfonds, mit dem man für eine Alterssicherung hätte gewährleisten können, sondern im Wesentlichen in den Konsum. Dies ist der Grund dafür, dass die heute mittlere und ältere Generation über eine hohe Lebensqualität und einen enormen Wohlstand verfügt, beides aber für die heute jüngere Generation nicht mehr gesichert ist (Kröhnert 2007). Denn so günstig wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten wird die demografische Situation auf absehbare Zeit nicht mehr sein. Die künftigen Versorgungslasten, wie auch die erheblichen Staatsschulden, die sich in den Jahren der demografischen Sorglosigkeit aufgetürmt haben, werden die heute jüngeren Jahrgänge zu tragen haben, die zahlenmäßig immer dünner besetzt sind. Zu der für Deutschland unvermeidlich starken Zunahme des Anteils älterer Menschen tritt ein weiteres Phänomen: das des Bevölkerungsrückgangs (vgl. Tab. 7).
Abb. 7: Natürliche Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zwischen 1950 und 2050 (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Künftig wird die Zahl der Sterbefälle deutlich steigen, während jene der Geburten weiter sinkt. Der natürliche Saldo, also die Differenz zwischen Geburten-
24
Christian Kutzner
und Sterberate, ist in Deutschland seit dem Jahr 1972 negativ, es sterben also mehr Menschen als geboren werden. Seit diesem Zeitpunkt müsste die Bevölkerung Deutschlands aus natürlichen Gründen abnehmen. Dass sie das nicht getan hat, sondern bis 2003 noch um rund 4,5 Millionen gewachsen ist, haben wir einzig der Zuwanderung aus dem Ausland zu verdanken.
2.2
Wir werden „bunter“
Deutschland ist seit geraumer Zeit ein Einwanderungsland, auch wenn Politik und Gesellschaft dies lange nicht wahrhaben wollten. Bis ins Jahr 2002 konnten die Zuwanderer den Sterbeüberschuss in Deutschland ausgleichen. Seit dem Jahr 2003 aber vermögen sie den natürlichen Bevölkerungsschwund nicht mehr zu bremsen. Deutschlands Bevölkerung hat begonnen zu schrumpfen. Im Jahr 2003 nahm die Bevölkerung um lediglich 5.000, danach aber in steigender Tendenz um 30.000, 60.000 und schließlich im Jahr 2006 um 130.000 ab. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Zuwanderer von weniger als 80.000 im Jahr 2005 auf weniger als 30.000 in 2006 gesunken. Das Statistische Bundesamt rechnet in seiner Bevölkerungsvorausberechnung mit einer durchschnittlichen jährlichen Netto-Zuwanderung von 200.000 Personen (Variante 1 – W 2, „mittlere“, Obergrenze), die in etwa dem langjährigen Mittel entspricht. In diesem Fall würde sich die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2050 von heute 82 auf dann 74 Millionen verringern. Kämen jedoch jedes Jahr lediglich 100.000 Migranten (Variante 1 – W1, „mittlere“, Untergrenze), würde die Bevölkerung sogar auf 69 Millionen sinken. Letzteres ist aus diversen Gründen nicht unwahrscheinlicher. Ganz ohne Einwanderung würden im Jahr 2100 nur noch rund 25 Millionen Menschen in Deutschland leben. Durch Zuwanderung kann also nur eingeschränkt eine Milderung des Bevölkerungsschwundes erwartet werden. Die Zahl der heute in Deutschland lebenden Ausländer hat von drei Millionen in den 1970er Jahren auf 7,3 Millionen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zugenommen und liegt seither konstant auf diesem Niveau. Dahinter steht jedoch kein Ende der Zuwanderung, sondern eine andere Einwanderungspolitik: Seither ist es für Ausländer einfacher geworden, einen deutschen Pass zu erhalten, und in Deutschland geborene Kinder können mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen. Bedeutender für die Fragen der Integration, auch im Bereich des Kultursektors, ist jedoch die große Zahl der bereits heute in Deutschland lebenden 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Gruppe stellt weltweit die zweitgrößte Migrantenpopulation nach der in den Vereinigten Staaten dar.
Demografische Entwicklung in Deutschland
25
Sie setzt sich zusammen aus Aussiedlern, Ausländern und eingebürgerten Zuwanderern. Auch mit gebremster Zuwanderung würde der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund weiter steigen. Denn obwohl die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland nur 18,6 Prozent ausmachen, bekommen sie ein Drittel aller Kinder (Daten aus dem Mikrozensus 2005). Der Anteil der unter Fünfjährigen mit Migrationshintergrund liegt heute bereits in sechs Städten – ausnahmslos in Westdeutschland – bei über 60 Prozent (Nürnberg, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Stuttgart, Wuppertal, Augsburg) (Statistisches Bundesamt 2005). Die Integration von Menschen aus anderen Ländern und deren Nachkommen ist somit eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben des Landes. Dass sie bislang nicht gelingt, zeigt sich unter anderem an der Tatsache, dass 40 Prozent der unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund keinerlei Berufsausbildung haben und nur drei Prozent der Migranten die Universität erreichen.
3
Unterschiede zwischen Ost- und West-Deutschland
Die Verteilung der Menschen mit Migrationshintergrund im Bundesgebiet ist sehr unterschiedlich. Wegen der oben beschriebenen Zusammensetzung kann hier nicht genau gesagt werden, wie sie sich im Bundesgebiet verteilen. Jedoch ist davon auszugehen, dass die Verteilung ähnlich ist wie bei den Ausländern. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung der einzelnen Bundesländer reicht von 1,9 Prozent in Sachsen-Anhalt bis hin zu 14,1 Prozent in Hamburg (vgl. Abb. 8). Dabei zeigen alle fünf neuen Bundesländer Werte zwischen 1,9 und 2,8 Prozent auf. Sie sind im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen mit 10,8 Prozent, Baden-Württemberg mit zwölf Prozent, Berlin mit 13,4 Prozent und in Hamburg sogar mit 14,1 Prozent extrem gering (Kröhnert/ Morgenstern/ Klingholz 2007).
26
Christian Kutzner
Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung, BBR Ausländeranteil in % 2004 16,0 14,1 13,4 12,8 12,0 11,4 10,8
14,0 12,0 9,4
10,0 7,7
8,0
2,0
Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung, BBR Ausländeranteil in % 2004
6,7 5,3
6,0 4,0
8,4
2,6 2,8 1,9 2,0 2,3
Abb.8:
Berlin
Hamburg
Bremen
Hessen
Baden-Württemberg
Bayern
Nordrhein-Westfalen
Saarland
Niedersachsen
Rheinland-Pfalz
Sachsen
Schleswig-Holstein
Brandenburg
Thüringen
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen-Anhalt
0,0
Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung nach Bundesländern (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung)
Diese unterschiedliche Verteilung ist darin begründet, dass es zu DDR-Zeiten kaum Zuwanderung gab. In der Bundesrepublik wurden in den 1960er Jahren massiv Zuwanderer angeworben, die sich zumeist in Städten, wo sie für die industrielle Produktion benötigt wurden, ansiedelten. Die später gekommenen Zuwanderer haben sich meist dort niedergelassen, wo sie schon Netzwerke, sprich Bekannte und Verwandte, vorfanden. Diese große Bevölkerungsgruppe ist in die Überlegungen zu einer Ausrichtung des Kulturangebots zu berücksichtigen – zumal sie wächst. Deutschland ist in gewisser Weise ein Vorreiter der demografischen Zukunft anderer post-industrieller Staaten. Besonders in einem Teil des Landes – in den neuen Bundesländern – kann man Phänomene des demografischen Wandels studieren, die viele europäische Länder und Regionen in den kommenden Jahren ebenfalls zu meistern haben, und zwar auch Gebiete in Deutschlands Westen. Die neuen Bundesländer sind somit zum Labor für demografische Veränderungen geworden.
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Die ehemalige DDR verzeichnete zwar nach der Phase des „Pillenknicks“ in den frühen 1970er Jahren zunächst aufgrund massiver familienpolitischer Maßnahmen einen Anstieg der Geburtenraten. Nach dem Fall der Mauer aber haben die neuen Bundesländer mit einer Fertilitätsrate von 0,8 Kindern je Frau den niedrigsten Wert erlebt, der weltweit jemals in einem Land registriert wurde. Zusätzlich sind seither über 1,5 Millionen, vorwiegend junge und talentierte Menschen abgewandert, insbesondere Frauen. Heute ist Deutschlands Osten die Region mit dem größten Mangel an jungen Frauen europaweit. Die zurückbleibenden jungen Männer haben häufig eine geringe Bildung, sind arbeitslos und zwangsläufig ohne Partnerin – eine Mischung, die wenig einladend für die Zuwanderung junger Frauen ist. Ein Grund für die selektive Frauenabwanderung sind die eklatanten Bildungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. In den neuen Bundesländern machen Frauen zu 50 Prozent häufiger Abitur als ihre männlichen Altersgenossen. Dafür schaffen die jungen Männer doppelt so oft wie die Frauen nicht einmal den Hauptschulabschluss. Folglich haben es Frauen mit ihrer besseren Qualifikation deutlich einfacher als Männer, anderenorts eine Beschäftigung zu finden. Und weil Frauen in Deutschland im Allgemeinen einen Partner suchen, der sich zumindest auf gleicher sozialer Augenhöhe befindet, treibt auch die Partnerwahl die jungen Frauen zur Abwanderung (Kröhnert/Klingholz 2007).
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Abb. 9: „Pyramiden“ Baden-Württemberg und Sachsen, Anteil der jeweiligen Altersklassen in Prozent der Gesamtbevölkerung, 2000 (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung)
Abb. 10: „Pyramiden“ Baden-Württemberg und Sachsen, Anteil der jeweiligen Altersklassen in Prozent der Gesamtbevölkerung, 2020 (Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung)
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Niedrige Kinderzahlen, eine steigende Lebenserwartung, die Abwanderung aus wirtschaftsschwachen Gebieten und die Zunahme an Menschen mit Migrationshintergrund sind die Gründe für die sich radikal verändernde Bevölkerungsstruktur in Deutschland. Von diesem demografischen Wandel sind die Regionen allerdings ganz unterschiedlich betroffen. Die Bevölkerungspyramiden von Sachsen und Baden-Württemberg zeigen beispielhaft die Entwicklung je eines west- und ostdeutschen Bundeslandes für die Jahre 2000 sowie die Prognose für 2020 (vgl. Abb. 9 und 10). Dabei wird deutlich, dass noch nach dem Mauerfall die Bevölkerung der ehemaligen DDR jünger war als im Westen der Republik. Die Erklärung liegt in der bereits erwähnten DDR-Familienpolitik, deren Ziel es seit Ende der 1970er Jahre war, die Geburtenrate auf ein stabiles, bestandserhaltendes Niveau anzuheben. Denn im Osten wie im Westen waren die Kinderzahlen je Frau während des so genannten Pillenknicks zu Beginn der 1970er Jahre von 2,5 auf 1,4 abgesunken. Familien wurden vom DDR-Regime bevorzugt behandelt. So gab es zum Beispiel einen zinslosen Kredit von 7.000 Mark für jedes Ehepaar bis zum 29. Lebensjahr, der vom Staat beim ersten Kind um 1.000, beim zweiten um 1.500 und beim dritten um 2.500 Mark getilgt wurde. Zudem gab es zwischen Rügen und dem Erzgebirge eine flächendeckende Versorgung mit Kinderkrippen und -gärten. In Westdeutschland reagierte die Regierung nicht auf den drastischen Rückgang der Kinderzahlen und investierte folglich nicht in familienpolitische Maßnahmen zur Erhöhung der Fertilität. Entsprechend bleibt der Pillenknick in Baden-Württemberg (wie in den anderen alten Bundesländern) als dauerhafte Erscheinung in der Bevölkerungspyramide bestehen, während er sich in Sachsen (wie in den anderen neuen Bundesländern) nur als kurze, vorübergehende Delle abzeichnet. Die leichte Verstärkung der Jahrgänge nach dem Pillenknick in Baden-Württemberg ist einzig auf das „Echo“ der geburtenstarken Elternjahrgänge aus der „Babyboom-Generation“ zurückzuführen. Doch im Verlauf der 1980er Jahre reagierten die DDR-Bürger immer weniger auf die staatliche Familienpolitik und der Trend zu mehreren Kindern je Frau ging zurück. Zur Wende bekamen die Frauen in Ost und West wieder etwa gleich wenige Kinder. Die Wiedervereinigung bescherte dem Osten Deutschlands dann einen dramatischen Geburteneinbruch. Die Menschen hatten mit einem mal völlig neue private und wirtschaftliche Optionen. Viele waren wegen der wirtschaftlichen Umbrüche verunsichert, verzichteten auf Nachwuchs oder schoben die Planung für eine Familie zunächst hinaus. In Sachsen war 1994 das absolute Tief bei den Kinderzahlen zu verzeichnen. Seither steigen die Kinderzahlen je Frau im Osten wieder, erreichen allerdings nicht das Niveau des Westens.
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Auch in Baden-Württemberg ging die absolute Zahl der Kinder seit der Wende fast kontinuierlich zurück. Und zwar zwangsläufig, denn bei 1,4 Kindern je Frau ist – wie eingangs ausgeführt – jede Nachwuchsgeneration etwa um ein Drittel kleiner als die der Eltern. Zudem sinkt durch die Entwicklung in der Vergangenheit kontinuierlich die Zahl der potenziellen Eltern. Allein durch Zuwanderung aus dem Ausland – und zu einem guten Teil auch aus den neuen Bundesländern – lässt sich der natürliche Schwund in Baden-Württemberg kaschieren. Tatsächlich wird, trotz niedriger Kinderzahlen, die Bevölkerung der ökonomisch florierenden Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern auf absehbare Zeit weiter wachsen. Sie allein haben im Zeitraum zwischen 2000 und 2004 rund 60 Prozent der Ost-West-Wanderer aufgenommen. Was für den wirtschaftsstarken Süden der Republik ein Gewinn ist, spiegelt das Problem des Ostens wider: In Sachsen dünnen sich die Jahrgänge der bis zu 40-Jährigen durch die Abwanderung junger Familien immer weiter aus. Von 2015 an wird es dann zu einem weiteren Rückgang der ohnehin schon extrem niedrigen Kinderzahlen kommen, denn es fehlen die Mütter, die nach der Wende gar nicht erst geboren wurden. Beide Bundesländer altern aufgrund der steigenden Lebenserwartung, die in Baden-Württemberg allerdings höher liegt als in Sachsen. Während in BadenWürttemberg die Frauen im Mittel 82,5 und die Männer 76,9 Jahre alt werden, erreichen sie in Sachsen ein Alter von 81,6 respektive 75,0 Jahren. Durch den Kindermangel macht sich die Überalterung jedoch im Osten weitaus stärker bemerkbar als im Westen. In Sachsen werden im Jahr 2020 rund 52 Prozent aller Menschen über 50 und 21 Prozent über 70 Jahre alt sein. In BadenWürttemberg werden es nur 44 Prozent beziehungsweise 15 Prozent sein. Die unterschiedlich starke Alterung wird einen entscheidenden Einfluss auf die zukünftige Produktivität und Innovationskraft der beiden Bundesländer haben – und damit auf die weitere ökonomische Entwicklung. Alle neuen Bundesländer haben Bevölkerung verloren, nur die Umlandkreise größerer Städte wie Berlin, Wismar, Rostock oder Halle konnten Bewohner hinzugewinnen. Auch im Westen sind viele Menschen aus den Städten ins Umland gezogen. Und auch hier sind Bevölkerungsverluste bereits in einzelnen Großregionen zu erkennen – vor allem im Saarland, im Ruhrgebiet und in Südostniedersachsen. Dieser Trend setzt sich in der Prognose bis 2020 fort: Die neuen Bundesländer ebenso wie die Regionen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze und die genannten Regionen, die besonders unter dem wirtschaftlichen Strukturwandel der letzten Jahrzehnte zu leiden hatten, haben weiterhin mit starken Verlusten zu rechnen. Bevölkerungswachstum findet fast nur noch dort statt, wo Menschen hinziehen – vor allem in den Umlandgebieten der Städte. Die Mitte Deutschlands wird zusehends leerer.
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In allen ostdeutschen Bundesländern sank zwischen 1995 und 2003 die Zahl der Erwerbstätigen. Am schlimmsten betroffen sind hier die alten Industriegebiete wie die Chemieregion um Halle und Bitterfeld, die Lausitz oder die Randregionen Thüringens. Doch auch die ländlichen Regionen haben massive Verluste zu verschmerzen: Die Uckermark und die Prignitz in Brandenburg sowie die sachsen-anhaltinische Altmark verloren mehr als 10 Prozent ihrer Erwerbstätigen (Kröhnert/ Medicus/Klingholz 2007).
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Fazit für die Betrachtung des Kulturmarktes
Kulturpolitik und Kulturinstitutionen sehen sich künftig tiefgreifenden demografischen Veränderungen ausgesetzt und stehen vor großen Herausforderungen. Folgende Aspekte seien zum Abschluss zusammenfassend genannt: 1. Obwohl Größe und Struktur der Bevölkerung einen großen Einfluss auf die Nutzung der öffentlichen und privaten Infrastruktur haben, werden demografische Veränderungen bei Planungsprozessen nach wie vor unzureichend berücksichtigt. Das gilt für die Energie- und Wasserversorgung, für die Verkehrs- und Bildungsplanung ebenso wie für kulturelle Einrichtungen wie Kinos, Bibliotheken, Theater bis hin zu Museen. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aber nutzen je nach Alter und Bildungsstruktur verschiedene Kulturangebote. 2. Die Altstädte von Görlitz oder Quedlinburg beispielsweise wurden aufwändig und teuer saniert, ohne zu beachten, dass sie in Regionen liegen, die bereits 20 Prozent ihrer ursprünglichen Bevölkerung verloren haben und bis zum Jahr 2020 nochmals einen solchen Verlust zu erwarten haben. Sachsen-Anhalt hat zwar bundesweit den höchsten Anteil an Weltkulturerbestätten, gleichzeitig aber auch die höchsten Bevölkerungsverluste aufzuweisen. Mit anderen Worten: Zahllose Kulturdenkmäler im Osten werden im Vergleich zu Neuschwanstein oder der Loreley sehr wenig besucht. 3. Angesichts der leeren öffentlichen Kassen, die wir in den kommenden Jahren wieder zunehmend zu erwarten haben, wird eine flächendeckende Subventionierung von Schrumpfungsregionen nicht mehr möglich sein. Weil man aber Kulturerbestätten nicht einfach verlegen kann, sollte man schlüssige Konzepte erarbeiten, um Besucherströme zu diesen kulturellen Zentren auf „grüner Wiese“ umzuleiten. Dies sollte eingefordert werden, wenn öffentliche Gelder in hohen
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Maßen in die Kulturförderung gehen. Nur bei einem Mindestmaß an Nutzern lässt sich die Ausgabe öffentlicher Mittel rechtfertigen. 4. Allerdings kann ein gutes Angebot an kulturellen Einrichtungen die Qualität eines Standortes auch verbessern. Kulturelle Einrichtungen können so die Auswirkungen des demografischen Wandels in Schrumpfungsregionen mildern. Entweder weil sie eine Abwanderung bremsen oder weil sie wirtschaftliches Potenzial durch Tourismus eröffnen. Hier sei das Beispiel „Bollywood an der Bergstraße“ genannt. Dort hat es die Verwaltung des hessischen Landkreises Bergstraße geschafft, das mittelalterliche Stadtbild von Heppenheim international zu vermarkten. In der Folge werden mittlerweile ganze BollywoodFilmproduktionen in der Stadt gedreht, was wiederum verstärkt kaufkräftige indische Touristen in diese Region zieht. Das Beispiel zeigt, wie sehr das Standortmarketing auf klassische Ressourcen wie Kulturgüter zurückgreifen kann, wie sehr es sich aber auch an künftigen Wachstumsmärkten wie asiatischen Reisenden orientieren muss. 5. Ohne den Nachwuchs zu vergessen, sollte man bedenken, dass ältere Menschen eine wachsende Zielgruppe werden, die heute noch recht wohlhabend und ausgabefreundlich sind, viel reisen und sich anders für Kultur interessieren als ihre Vorgängergenerationen. Dies sind die Altersgruppen, die zum ersten Mal von der Bildungsexpansion der sechziger Jahre profitiert haben. Vorher gab es keine zehn Prozent Abiturienten – danach über 30 Prozent. Die Kombination von Bildung und Geld wird einen enormen Einfluss auf die Kulturnutzung haben – in der Marktforschung werden die Älteren nicht umsonst „Best Ager“ oder „Silver Ager“ genannt. 6. Menschen mit Migrationshintergrund sind eine wachsende Gruppe in der Bevölkerung, die schon heute fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Sie hat sicherlich andere Ansprüche an das Kulturangebot. Museen und Theater, Opernhäuser und Bibliotheken haben sich auf diese neue Zielgruppe bis dato noch nicht ausreichend eingestellt.
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Quellenverzeichnis Deutscher Bundestag (2002): Schlussbericht der Enquête-Kommission „Demographischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik“ Drucksache 14/8800, veröffentlicht unter: http://dip.bundestag.de/btd/14/088/1408800.pdf (Abfrage am 14. März 2008). Klingholz, R. (2008): Onlinehandbuch des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Demografische Herausforderungen Deutschlands und Europas, veröffentlicht unter: http://www.berlin-institut.org/online_handbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/ regionale_dynamik/deutschland/deutschland_und_europa.html (Abfrage am 19. März 2008). Kröhnert, S./Medicus, F./Klingholz, R. (2006): Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? München. Kröhnert, S./Medicus F./Klingholz, R. (2007): Die demografische Lage der Nation, 3.Aufl., München. Kröhnert, S./Klingholz, R. (2007): Not am Mann, Berlin. Kröhnert, S./Morgenstern, A./Klingholz, R. (2007): Talente, Technologie und Toleranz – wo Deutschland Zukunft hat, Berlin. Kröhnert, S. (2007): Zur demografischen Lage der Nation, veröffentlicht unter: http://www.bpb.de/themen/WM0Z6D,0,0,Zur_demografischen_Lage_der_Nation.html (Abfrage am 29. Februar 2008). Kutzner, C. (2008): Onlinehandbuch des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: „Wir haben ein Erkenntnisproblem, nicht nur ein Umsetzungsproblem“, Interview mit Norbert Walter, veröffentlicht unter: http://www.berlin-institut.org/newsletter/48_20_Maerz_2008.html.html#Artikel2. Robert Bosch Stiftung (Hg.)(2005): Starke Familie – Bericht der Kommission „Familie und demographischer Wandel“, Stuttgart. Statistisches Bundesamt (2006): Leben in Deutschland – Mikrozensus 2005, veröffentlicht unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/Mikroze nsus/Mikrozensus__06,templateId=renderPrint.psml (Abfrage am 19. März 2008). Statistisches Bundesamt (2006): Bevölkerung Deutschlands bis 2050, 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, veröffentlicht unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/Bevoelk erungsentwicklung/bevoelkerungsprojektion2050,property=file.pdf (Abfrage am 20. März 2008). Sütterlin, S. (2008): Onlinehandbuch des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung: Deutschland ist eines der Kinderärmsten Länder der Welt, veröffentlicht unter: http://www.berlin-institut.org/online_handbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/regionale_ dynamik/deutschland.html (Abfrage am 18. März 2008). ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (2003): Mythos Demografie, veröffentlicht unter: http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/doku/04_gesetze/gesetzgebung/2003/2003_ 10_verdi_mythos_demografie.pdf (Abfrage am 18. Februar 2008).
Matthias Dreyer
Der demografische Wandel und die Kultur – was haben beide miteinander zu tun?
Inhaltsverzeichnis 1 Kunst, Kultur und demografischer Wandel – ein spät entdecktes Thema .. 37 2 Grundsätzliche Wechselwirkungen zwischen Kunst, Kultur und demografischem Wandel ............................................................................ 37 2.1 Kulturfinanzierung ............................................................................. 38 2.2 Veränderte Besucher- und Nutzerstrukturen ...................................... 39 2.3 Erweiterung der Diskussion zur Kultur als „weichem Standortfaktor“ um eine demografische Komponente ..................................... 41 3 Konsequenzen für die Akteure des kulturellen Sektors .............................. 42 4 Demografischer Wandel als Thema für die Kulturpolitik und das Kulturmanagement – Strategische Erfolgsfaktoren .................................... 44 5 Fazit: Demografischer Wandel als Chance für den kulturellen Sektor ....... 45 Quellenverzeichnis ........................................................................................... 47
Demografischer Wandel und Kultur
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Kunst, Kultur und demografischer Wandel – ein spät entdecktes Thema
Der demografische Wandel ist eine der drängendsten Herausforderungen der Gegenwart. Er wird häufig umschrieben mit der Kurzformel „Älter – Bunter – Weniger“. Dahinter verbergen sich die wesentlichen demografischen Trends: die Alterung der Gesellschaft, die interne und externe Migration sowie die sinkende Bevölkerungszahl als Folge insbesondere einer zu niedrigen Geburtenrate. Zur Vertiefung dieser demografischen Veränderungen und zu den wesentlichen empirischen Eckdaten sei auf die einschlägige Literatur verwiesen (Bertelsmann Stiftung 2006, Ulrich 2006, Kröhnert, van Olst, Klingholz 2004, Birg 2003 und 2000, siehe auch den Beitrag von Kutzner in diesem Band). Dieses „Älter, Bunter, Weniger“ hat gravierende Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Seit Längerem werden die Auswirkungen z.B. auf die Sozialversicherungssysteme, den Arbeitsmarkt oder den Immobiliensektor diskutiert (Deutscher Bundestag 2002). Letztlich kann sich kein Sektor der demografischen Entwicklung entziehen – auch nicht die Kunst und Kultur. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Wechselbeziehung zwischen Kunst, Kultur und demografischem Wandel fand lange Zeit nicht statt. Erst seit Kurzem beschäftigt sich der kulturelle Sektor mit dieser Fragestellung (Stiftung Niedersachsen 2006, Hippe/Sievers 2006, Institut für Landes- und Entwicklungsforschung 2005). Das ist erstaunlich, denn eigentlich sind Kunst und Kultur Seismografen gesellschaftlicher Entwicklungen bzw. sollten es sein. Die Sensibilität für dieses Thema hat mittlerweile stark zugenommen. Etliche Veranstaltungen haben sich der demografischen Herausforderung an die Kultur angenommen und einzelne Facetten dieses Themenfeldes vertieft, wie z.B. die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einbeziehung älterer Menschen in die Kultur und in die kulturelle Bildung (Ermert/Lang 2006), die Auswirkungen der demografischen Trends auf das Kulturangebot und die Kulturnachfrage in den neuen Bundesländern (Hausmann/Körner 2007) oder die Integrationsprobleme des Kultursektors bzw. die Handlungsmöglichkeiten für mehr Integration im Kunst- und Kulturbetrieb. Mittlerweile liegen erste einschlägige Publikationen vor.
2
Grundsätzliche Wechselwirkungen zwischen Kunst, Kultur und demografischem Wandel
Bei der Frage, was Kunst, Kultur und demografischer Wandel miteinander zu tun haben, gilt es zunächst einmal zu klären, ob überhaupt eine Wechselbeziehung besteht. Oder sind die Auswirkungen einseitig, so dass nur veränderte
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Bedingungen für die Produktion und Konsumption von Kunst und Kultur entstehen? Die demografischen Entwicklungen lassen sich vergleichsweise gut quantifizieren. Schwieriger ist es, Kunst und Kultur in Bezug zur Veränderung der Altersstruktur oder zum zunehmenden Migrantenanteil zu setzen. Nachzuvollziehen ist, dass die demografische Entwicklung Konsequenzen für Besuchszahlen oder Publikumsstrukturen hat (Zimmermann 2006, Vogels 2006, Meyer 2003). Nur sehr schwer zu führen ist dagegen der Nachweis, dass Kunst und Kultur ihrerseits demografische Entwicklungstrends und deren Determinanten beeinflussen. Für den kulturellen Sektor lassen sich grundsätzlich folgende Konsequenzen festhalten:
2.1
Kulturfinanzierung
Die demografische Entwicklung wird den ohnehin schon bestehenden finanziellen Druck auf kulturelle Einrichtungen und Kulturschaffende erhöhen. Die direkten Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Erlösen aus Zusatzangeboten können infolge geringerer Besuchszahlen oder veränderter Besucherstrukturen sinken (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages 2006). Indirekt kann ein Rückgang beim Steueraufkommen der öffentlichen Hand die angespannte Situation der Kulturfinanzierung noch verschärfen. Schätzungen rechnen mit einem geringeren kommunalen Steueraufkommen zwischen 500 € bis zu gut 1.000 € je verlorenem Einwohner pro Jahr (Meyer 2006). Einem kulturellen Angebot auf hohem Niveau werden – als Teil der öffentlichen Infrastruktur – weiter schrumpfende Budgets gegenüberstehen. Um die Qualität des bestehenden kulturellen Leistungsspektrums bei sinkenden Mitteln erhalten zu können, muss die Effizienz der Kulturproduktion erhöht werden. Die Möglichkeiten für Produktivitätszuwächse im kulturellen Sektor sind aber durch dessen spezifische Produktivitätsbedingungen nur begrenzt vorhanden (Baumol/Bowen 1966). Es stellt sich deshalb die Frage nach strukturellen Veränderungen und Fokussierungen innerhalb der kulturellen Infrastruktur. Das betrifft die stärkere Nutzung von Kooperationen, die Bündelung von Angeboten aber auch die Schließung von Einrichtungen (Stratmann 2006). Im Zusammenhang mit der Finanzierung kommt auch die Verteilung kultureller Angebote zwischen den Städten und der Peripherie auf den Prüfstand (Dreyer/Hübl 2007). Dies ist in den neuen Bundesländern bereits heute eine relevante Frage, wenn die sinkenden Bevölkerungszahlen in verschiedenen Regionen Ostdeutschlands betrachtet werden. Dabei wird es auch darum gehen,
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was unter kultureller Grundversorgung zu verstehen ist und was angesichts der veränderten Umfeldbedingungen vorgehalten werden kann. Das beschränkt sich nicht auf den Abzug aus der Fläche mit dem Wegbruch kultureller Angebote auf dem Land. Auch in den (ostdeutschen) Zentren wird diese Debatte zu führen sein, weil sich die Struktur des Kulturpublikums durch die demografischen Trends wandelt.
2.2 Veränderte Besucher- und Nutzerstrukturen Die zunehmende Alterung, der steigende Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und interregionale Wanderungsbewegungen verändern traditionelle Publikumsstrukturen. Tradierte Nachfragepotenziale brechen weg; neue kulturelle Bedürfnisse entstehen (Dreyer/Wiese 2004). Alterung der Gesellschaft Unsere Gesellschaft wird älter; der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung nimmt ab. Dadurch wird sich das Nachfrageverhalten nach kulturellen Leistungen z. T. wandeln. Denn: Kulturnutzer tragen abhängig von ihrem Lebensalter unterschiedliche Bedürfnisse an die Kulturinstitutionen und -anbieter heran. Zudem sind je nach Lebensphase die Voraussetzungen verschieden ausgeprägt, kulturelle Angebote wahrzunehmen und Kultureinrichtungen zu besuchen. In der Kindheits- und Jugendphase wird das individuelle Kulturverständnis geprägt; in diesem Zeitraum werden die Grundlagen für den Zugang zur Kultur geschaffen. Vor allem die traditionellen Kultureinrichtungen sehen sich dadurch einer Art „Sandwich-Position“ ausgesetzt: Sie müssen den Spagat meistern, die rasch zunehmende Zielgruppe der älteren Menschen zu bedienen. Gleichzeitig dürfen sie nicht die Jüngeren als das zukünftige Publikum verlieren. Angesichts dieser Herausforderung sein eigenes Profil zu bewahren, setzt ein professionelles Kulturmanagement voraus. Zentralen Stellenwert haben aber vor allem die kulturelle Bildung und Vermittlung gegenüber allen Zielgruppen – nicht nur gegenüber Kindern und Jugendlichen (Hippe/Sievers 2006, Keuchel/Wiesand 2006, Ermert 2006). Das war eines der wesentlichen Ergebnisse einer Tagung der Stiftung Niedersachsen, die sich 2005 mit der demografischen Herausforderung an die Kultur auseinandergesetzt hat (Stiftung Niedersachsen 2006); dies bestätigen internationale Erfahrungen (Huysmanns 2006, Jedwab 2006).
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Matthias Dreyer
Migration und Integration Ähnlich lässt sich für die Migration bzw. die Integration argumentieren. In diesem Zusammenhang nur von Deutschen und Nichtdeutschen zu sprechen, würde der Komplexität des Themas nicht gerecht. Hinter dem Begriff Migration verbirgt sich – regional unterschiedlich ausgeprägt – eine hohe ethnische Vielfalt. Insbesondere in den urbanen Zentren wird der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund drastisch steigen; damit geht eine umfassende Integrationsaufgabe einher (Bommes 2006). Diese wird auch kulturell zu leisten sein. Der Großteil der Institutionen des kulturellen Sektors – unabhängig ob in den alten oder neuen Bundesländern – steht dem noch weitgehend unvorbereitet gegenüber. Wie bei der Veränderung der Altersstruktur sollte der kulturelle Sektor auch hinsichtlich der Migration gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Mit gezielten kulturellen Angeboten oder mit der Vermittlung und Anerkennung kultureller Identitäten kann ein Beitrag zur Integration geleistet werden. Der kulturelle Sektor kann z.B. die Migration und Integration selbst zum Inhalt künstlerischer Produktion wählen oder die kulturellen Angebote und Leistungen an der Zielgruppe der Migranten ausrichten. Wirtschaftlich betrachtet stellen Migranten für kulturelle Einrichtungen ein Marktpotenzial dar. Sie können geringere Besuchszahlen anderer Zielgruppen kompensieren; die Arbeit mit Migranten kann aber auch zu einem möglichen Kriterium öffentlicher Kulturinvestitionen oder der Einwerbung privater Fördermittel werden. Ein Aspekt wird selten direkt in Verbindung mit der Migration erörtert: der Brain-Drain. Auch die Abwanderung von Humankapital ist in die Überlegungen zur demografischen Herausforderung – als eine spezielle Ausprägung – einzubeziehen. Die Pflege und Entwicklung des Human-Kapitals ist die Grundlage für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft. Gefordert ist nicht nur die Wissenschaftspolitik, die den Rahmen für Forschung und Wissenschaft setzt. Der Umgang mit den intellektuellen Kapazitäten schließt auch die Künstler ein. Kunst und Kultur bilden den Nährboden für das Kreativitätspotenzial und das innovative Klima von Städten und Regionen. Die Platzierung von Kunstschulen oder Stipendiatenstätten kommt ins Blickfeld. Zusätzliche Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement Als letzter Punkt der Auswirkungen des demografischen Wandels auf den kulturellen Sektor sei auf das bürgerschaftliche Engagement hingewiesen. Aufgrund der größeren zeitlichen Unabhängigkeit älterer Menschen und durch eine zunehmende (räumliche) Mobilität dieser Altersgruppe entstehen zahlreiche An-
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knüpfungspunkte für den kulturellen Sektor. Mit der Umkehr der Alterspyramide erweitern sich die Möglichkeiten für die Einbindung ehrenamtlichen Engagements. Auf die Notwendigkeit, die organisatorischen Rahmenbedingungen fortzuentwickeln und zu verbessern, innerhalb derer Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten älterer Menschen für die Gesellschaft genutzt werden können, kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden (Dreyer/Meiners 1998). Eines ist bei allen drei Aspekten zu berücksichtigen: Die demografische Entwicklung weist erhebliche regionale Differenzen auf. Die Geburtenhäufigkeit und Wanderungsbewegungen und damit die künftige Bevölkerungszahl und die Altersstruktur unterscheiden sich regional genauso wie der Migrantenbesatz. Die Migration hat in den alten Bundesländern eine viel höhere Brisanz als in den neuen Bundesländern, wo sich die Integrationsproblematik im Wesentlichen auf die größeren Zentren beschränkt. Dafür drängen in den ostdeutschen Ländern im Vergleich zu Westdeutschland bereits viel stärker die Entleerung bzw. Überalterung von ganzen Standorten und Regionen. Eine kulturpolitische Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld setzt deshalb eine fundierte und differenzierte Kenntnis der Fakten voraus. Situationsanalysen und die Ableitung von Handlungsempfehlungen für den kulturellen Sektor können nur in Kenntnis der jeweils spezifischen Ausgangsbedingungen z.B. der verschiedenen Regionen Ostdeutschlands entwickelt werden.
2.3
Erweiterung der Diskussion zur Kultur als „weichem Standortfaktor“ um eine demografische Komponente
Soweit der Überblick zu möglichen Folgen des demografischen Wandels auf den kulturellen Sektor – was ist aber mit der anderen Wirkungsrichtung? Gehen von Kunst und Kultur auch Einflüsse auf (regionale) demografische Trends aus? Zu dieser Fragestellung liegen keine belastbaren empirischen Ergebnisse vor. Referenten und Autoren tun sich mit der Behandlung einer möglichen Ausstrahlung des kulturellen Sektors auf demografische Entwicklungen schwer bzw. blenden diese aus. Trotz der Schwierigkeiten ist dieser Punkt zu thematisieren, weil er auch Chancen für den kulturellen Sektor birgt. Ein regionalökonomischer Ansatz kann hier Hilfestellung leisten. Seit Jahren weisen Kulturinstitutionen – auch zur Rechtfertigung der öffentlichen Kulturfinanzierung – auf ihre Bedeutung als „weicher Standortfaktor“ hin. Diese Argumentation kann um eine demografische Komponente erweitert werden. Angesichts von Bevölkerungsrückgang oder Entleerungstendenzen von Regionen wird auf Überkapazitäten der kulturellen Infrastruktur hingewiesen. Schließungen von Kultureinrichtungen sind
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längst kein Tabuthema mehr. Die Frage kann aber auch umgekehrt gestellt werden: Können nicht mit einer Umschichtung oder einer gezielten Investition in kulturelle Angebote einer Region demografische Entwicklungen, wie z.B. Abwanderungen, umgekehrt, aufgehalten oder zumindest abgemildert werden? Sind angesichts der demografischen Prognosen nicht gerade antizipierende Investitionen in den Kulturbereich erforderlich? Besteht anstelle eines Überhangs nicht eine falsche Verteilung der Kultureinrichtungen? Eng damit verbunden ist die Bedeutung kultureller Angebote als Instrument präventiver Sozialpolitik. Gerade mit Blick auf die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft oder die Integrationsproblematik bieten sich für den kulturellen Sektor Handlungsoptionen. Mit einem Beitrag zum sozialen Klima einer Region oder zum Image eines Standortes sind natürlich auch Auswirkungen auf lokale demografische Trends verbunden. Diese externen Effekte kultureller Produktion sind jedoch nur schwer nachzuweisen.
3
Konsequenzen für die Akteure des kulturellen Sektors
Die demografischen Veränderungen sind für alle Akteure des kulturellen Sektors von Relevanz. Kulturpolitik, Kulturschaffende, Kulturinstitutionen und Kulturförderer müssen die Entwicklungstrends in ihren Entscheidungen und Planungsprozessen berücksichtigen. Kulturpolitik Kunst und Kultur sind in Deutschland überwiegend Sache der Länder und Kommunen und werden im Wesentlichen aus Steuermitteln finanziert (Hetmeier/Wilhelm 2006). Durch die demografischen Veränderungen werden sich die finanziellen Restriktionen verstärken. Notwendig ist deshalb eine „strategisch ausgerichtete Politik im kulturellen Sektor“. Gerade bei der Verteilung kultureller Angebote zwischen den ländlichen Regionen und den Zentren werden sich zukünftig Fragen nach einem Überangebot der Muse stellen. Nicht alles in Kunst und Kultur ist planbar – und sollte es auch nicht sein. Die Kulturpolitik als zentrales steuerndes Element der Kultur in Deutschland muss sich aber mehr denn je über ihre Zielrichtung und Förderschwerpunkte im Klaren sein (Brinckmann/Richter 2006).
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Kulturförderer Ähnliche Überlegungen gelten für nicht staatliche Kulturförderer, wie z.B. Kulturstiftungen. Diese stehen bei dieser Frage erst noch am Anfang. Zwei Ansatzpunkte seien für Kulturförderer hervorgehoben: Zum einen ist es die Förderung von Projekten mit direktem inhaltlichem Bezug zum demografischen Wandel. Hierzu zählen z.B. kulturelle Vorhaben, die sich dem Thema Integration widmen oder Angebote, die intergenerative Aspekte aufgreifen. Durch Projektunterstützungen wird für das Thema sensibilisiert, der Erkenntnisstand verbessert und werden Lösungsansätze ermöglicht. Zum anderen sind es Entscheidungen, bei denen es um die Schaffung und den Erhalt kultureller Strukturen geht. Auch Kulturförderer müssen die demografische Komponente prüfen und in relevanten Fällen in ihre Bewertungen einbinden. Das gilt für die Errichtung oder Erweiterung der kulturellen Infrastuktur genauso wie für die „laufende Bespielung“ vorhandener Einrichtungen. Es wäre schwer zu rechtfertigen, mit knappen Ressourcen dauerhafte Strukturen zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, für die zukünftig keine Nachfragepotenziale (mehr) bestehen. Eines können private Kulturförderer in diesem Zusammenhang aber nicht leisten: an die Stelle der öffentlichen Hand treten. Sie können nur eine ergänzende Funktion in der Kulturförderung wahrnehmen. Kulturpolitische Schwerpunktsetzung unter Berücksichtigung demografischer Rahmenbedingungen ist originäre Aufgabe öffentlicher Kulturpolitik. Kultureinrichtungen Der Wettbewerb der Kulturanbieter um die Kulturnutzer – bereits jetzt ein anspruchsvolles Unterfangen – wird sich durch den demografischen Wandel verschärfen; Kulturnutzer werden immer mehr zum begehrten Wesen (Siebenhaar 2004). Für Kultureinrichtungen sind die demografischen Veränderungen deshalb im Wesentlichen eine Herausforderung an die Ausgestaltung ihres Leistungsspektrums und an das zugänglich machen für die verschiedenen Nutzergruppen. Ein Begriff, der für die Kultureinrichtungen in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist die Kundenbindung (Klein 2001). Insbesondere das Kulturmanagement und das Kulturmarketing sind gefordert (vgl. hierzu auch den Beitrag von Hausmann in diesem Band). Hierzu zählen Konzepte, wie z.B. die Zielgruppenorientierung, eine lebensphasenorientierte Nutzerbindung (Dreyer/Wiese 2004, Klein 2001, Günter/John 2000) oder der weite Bereich der kulturellen Bildung und Vermittlung. Bei all diesen Ansätzen ist entscheidend, dass sich eine Kulturinstitution selbst „treu bleibt“ und sie ihr
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eigenes Profil schärft und wahrt (Dreyer/Wiese 2002). Dann kann es auch gelingen, die demografischen Veränderungen als Chance für sich zu nutzen.
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Demografischer Wandel als Thema für die Kulturpolitik und das Kulturmanagement – Strategische Erfolgsfaktoren
Für den kulturellen Sektor gibt es keinen Königsweg beim Umgang mit den demografischen Veränderungen. Zu unterschiedlich sind die demografischen Umfeldbedingungen und die Voraussetzungen bei den Akteuren. Es lassen sich aber grundsätzliche Erfolgsfaktoren formulieren: Kooperation Demografie ist ein Querschnittsthema, das sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche zieht. Kunst und Kultur können einen wichtigen Beitrag zur Lösung der demografischen Herausforderungen leisten, wie z. B. mit interkulturell ausgerichteten Angeboten bei der Integration. Um nachhaltige Wirkungen erzielen zu können, müssen aber verschiedene Partner aus dem kulturellen Sektor, dem Bildungswesen oder dem sozialen Sektor zusammenarbeiten. Erweiterte Anforderungen und Erwartungen an Kunst und Kultur gehen einher mit der Notwendigkeit neuer und intensiverer Partnerschaften. Kooperationen z.B. in Form von Ausstellungsverbünden oder der Zusammenarbeit bei der Öffentlichkeitsarbeit sind nicht neu (Hilgers-Sekowsky 2006). Im Hinblick auf die demografische Herausforderung geht es aber um Partnerschaften, die sich nicht nur auf das Verteilen von Ausstellungsflyern beschränken, sondern mit denen Konzepte entwickelt und Ressourcen gebündelt werden (Stratmann 2006). Erfolgreiche Kooperationen setzen dabei gleich starke Partner voraus, die ihre eigenen Kompetenzen einbringen. Abwägung zwischen Grundversorgung und Nischenangebot Die „kulturelle Grundversorgung“ war in der kulturpolitischen Debatte ein viel diskutiertes Thema. Dies schließt die Fragen ein, ob in allen (dezentralen) Regionen ein umfassendes kulturelles Angebot vorgehalten werden kann. Eine Alternative wäre, Nischenangebote zu kreieren und sich auf enge inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu beschränken. Ein Problem solcher kultureller Nischenangebote kann sein, dass sich diese von der Bevölkerung vor Ort „abkoppeln“. Gerade die „Verankerung“ kultureller Einrichtungen an ihrem Standort erhält aber zunehmend Gewicht für deren Existenz. Eine klassische Form, dies zu fördern, sind Fördervereine mit der Einbindung regionaler Multiplikatoren.
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„Nische“ und „Multifunktionalität“ von Kultureinrichtungen müssen dabei nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen. Eine Kultureinrichtung – die eher einen begrenzten Anteil von Kulturnutzern anspricht – hat Möglichkeiten, ihr Zielgruppenspektrum mit entsprechenden Angeboten zu erweitern und ihre Präsenz und Etablierung vor Ort zu stärken. Ausgleich im Spannungsfeld von Kontinuität und Flexibilität Die Auseinandersetzung mit dem Wechselverhältnis von Kunst, Kultur und Demografie findet im Spannungsfeld von Kontinuität und Flexibilität statt; hier muss ein sinnvoller Ausgleich gefunden werden. Demografische Trends sind i. d. R. nicht das Ergebnis kurzfristiger Verhaltensänderungen in der Gesellschaft. Ihnen liegen langfristige Entwicklungen zugrunde; in der Demografie ist zudem die Time-Lag-Problematik sehr stark ausgeprägt. Diese zeitliche Perspektive muss bei den zu gestaltenden Maßnahmen Berücksichtigung finden. Das Thema „Demografischer Wandel“ darf kein hastiger Diskussionspunkt auf der kulturpolitischen Agenda sein. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist die kontinuierliche Berücksichtigung der demografischen Entwicklung; Maßnahmen und Handlungen werden keine kurzfristigen Wirkungen zeigen. Es muss ein längerfristiger Zeithorizont zugrunde gelegt werden. Den demografischen Faktor in kulturpolitische Überlegungen einzubeziehen bedeutet nicht, zusätzliche dauerhafte Strukturen aufzubauen. Gerade Projekte und Maßnahmen, die sich mit den verschiedenen Facetten des demografischen Wandels auseinandersetzen und bei denen Kunst und Kultur mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zusammenarbeiten, haben oftmals temporären Charakter. Zu überdenken ist, inwieweit der Aspekt der Flexibilität bei der Aufteilung von Fördermitteln größeres Gewicht erhalten sollte und kann. Auch bei einem solchen Vorgehen kann die angesprochene Kontinuität gewährleistet werden – bezogen auf die angesprochenen Zielgruppen, die zu behandelnden Themen und auf die Kulturschaffenden selbst. Dabei ist der Erfolg entsprechender Maßnahmen nicht ohne Investition zu erzielen – in die kulturelle Bildung und Vermittlung bei den Nutzern genauso wie in die Qualifikation des eigenen Personals.
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Fazit: Demografischer Wandel als Chance für den kulturellen Sektor
Die Fragestellungen zum Wechselverhältnis zwischen Kunst, Kultur und demografischem Wandel sind nicht alle neu. Es gibt keine „demografiefreie Zeit“; Demografie findet immer statt. Das galt schon, als Malthus vor über 200 Jahren seine „Principles of Population“ formuliert hat (Malthus 1798). Und auch nach-
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folgende Generationen werden sich mit diesen Fragen in anderen Zusammenhängen zu befassen haben. Gegenwärtig gewinnen die demografischen Trends durch ihre Schnelligkeit und durch ihre Dimension an Nachdruck. Zudem sind die gesellschaftlichen Systeme und Strukturen stark von demografischen Determinanten abhängig – wenn allein die finanzielle Dimension betrachtet wird. Die Akteure des kulturellen Sektors sollten diese Herausforderung aktiv aufgreifen. Ebenso wie die demografischen Veränderungen dabei nicht alle neu sind, beginnt die Debatte zu Handlungsalternativen nicht bei Null. Es sind Konzepte und erprobte Ansätze vorhanden. Das Rad muss nicht vollständig neu erfunden werden. Die ostdeutschen Bundesländer könnten hier eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen. Sie haben bereits jetzt mit demografischen Umfeldbedingungen umzugehen, die in den alten Bundesländern erst in kommenden Jahren eine vergleichbare Brisanz erhalten werden. Hier kann von Vorteil sein, dass die Strukturen im kulturellen Sektor noch etwas offener sein mögen und mit Blick auf den demografischen Wandel ein besseres Experimentierfeld für neue Formen kultureller Angebote bieten. Diese Entwicklung in den neuen Bundesländern zu verfolgen, ist deshalb von großem Interesse. Die Darstellung und der Transfer von Best-Practice-Beispielen gäbe sicherlich eine gute Grundlage für alle Beteiligten. Insofern sind die demografischen Trends eine Herausforderung für Kunst und Kultur; sie bilden aber kein Horrorszenario. Sie sind vielmehr eine Entwicklung, die vielfältige Chancen bietet und zu einem gestalterischen Umgang einlädt – zum Nutzen der Kunst und Kultur und der Demografie.
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Teil B
Demografischer Wandel und Kulturpolitik
Norbert Sievers
Herausforderungen und Handlungsoptionen für die Kulturpolitik angesichts des demografischen Wandels1
Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 5 6
Vorbemerkung ............................................................................................ 53 Der demografische Wandel und mögliche Folgen ...................................... 54 Altersdemografie und Kulturpolitik – Wo liegen die Probleme? ............... 59 Was kann (kultur-)politisch getan werden .................................................. 60 Neue/alte Aufgaben für die Kulturpolitik ................................................... 63 Schlussbemerkung ...................................................................................... 69
Quellenverzeichnis ........................................................................................... 70
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Teile des Beitrages von Herrn Dr. Norbert Sievers sind bereits veröffentlicht in: Wolfgang Hippe/Norbert Sievers (2006): Kultur und Alter. Kulturangebote im demografischen Wandel, herausgegeben vom NRW KULTURsekretariat, Essen.
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Vorbemerkung
Die Beschäftigung mit der Frage der demografischen Entwicklung ist gesellschafts- und kulturpolitisch nicht ganz leicht. Über die Interpretation und Bewertung der Fakten und Prognosen streiten sich die „Gelehrten“ auch heute noch, ideologische Grabenkämpfe eingeschlossen, und ist diese Hürde genommen, bleibt immer noch die skeptische bis defätistische Haltung: Was kann Kulturpolitik schon daran ändern? Man gerät leicht in Gefahr, in bereit liegende Fallen zu treten. Da ist etwa die Konservativismusfalle, die jene gerne aufstellen, die das Thema Demografie nur im Zusammenhang mit nationalsozialistischer Mutterkreuzideologie sehen können. Andererseits ist aber auch vor der Alarmismusfalle zu warnen, in die man durchaus geraten kann, wenn man allzu stark die negativen Folgen des demografischen Wandels betont. Denn zunächst ist vor die Klammer zu ziehen, dass die Tatsache, dass die Menschen heute – zumindest in den wohlhabenden Staaten – älter werden und länger gesund bleiben, ein gesellschaftlicher Fortschritt ist. Viele Menschen können ihn erleben und genießen. Aber es gibt auch hier Schattenseiten, weil diesen vielen Menschen noch mehr gegenüberstehen, die dieses Glück nicht haben, die auf Grund von Krankheit und Geldknappheit an der Multioptionsgesellschaft im Alter eben nicht teilhaben können. Es ist Aufgabe demokratischer Politik, auch diese Menschen in den Blick zu nehmen – auch in der Kulturpolitik. Gerade im Alter wird deutlich, wie soziale Exklusion und kulturelle Exklusion eine unheilige Allianz eingehen. Kulturpolitik sollte dies zum Thema machen und sich an den Prinzipien der Chancengleichheit, Teilhabegerechtigkeit und Lebensqualität für alle Menschen orientieren. Diesen Anspruch gilt es auch in der Kulturpolitik wieder kenntlich zu machen und dies nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Thema Alter, denn auch am Umgang einer Gesellschaft mit dem Alter und ihren alten Menschen erweist sich, welche Kultur sie hat. Es wird nicht leicht sein für die Politik, sich dem Thema angemessen zuzuwenden. Allen Absichtsbekundungen zum Trotz haben wir noch keine positiven Altersbilder im Kopf. Auch wenn die Werbung langsam die Zielgruppe der Alten als Kunden entdeckt, stecken doch gerade die politischen Akteure mental noch im Gesellschaftsbild früherer Jahrzehnte. Es ist ihnen nicht zu verdenken: Die heute 40 bis 60-Jährigen, also die politisch aktive Generation, bildet den Kern der Babyboomer-Generation. Sie haben in ihrem Leben nur eine Gesellschaft kennen gelernt und sie mit gestaltet, die nicht nur auf die Attribute der Jugendlichkeit sehr viel Wert gelegt hat, sondern die auch vergleichsweise jung war. Aber genau das ändert sich jetzt und zwar in einem enormen Tempo. Damit geht ein Wertewandel vornehmlich bei den älteren Menschen einher, der von
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vielen dieser Akteure schwer zu verarbeiten sein wird: mehr Entschleunigung statt Beschleunigung, mehr Erinnerung statt Zukunftsorientierung, mehr Sinn statt Erlebnis. Das Alter hat seine eigene Melodie und seine eigenen Themen und die werden in Zukunft auch in der Kulturpolitik stärker präsent sein als es ihr lieb sein wird.
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Der demografische Wandel und mögliche Folgen
Wenn vom demografischen Wandel die Rede ist, folgt alsbald die Beschreibung: Wir werden weniger, älter und bunter. Damit sind in der Tat die wichtigsten Veränderungen benannt. Hier die wichtigsten Daten und Trends (vgl. hierzu auch den Beitrag von Kutzner in diesem Band): Wir werden weniger: Die Weichen für die demografische Entwicklung in den nächsten 40 Jahren sind – so scheint es – unumkehrbar gestellt. Die Bevölkerung in Deutschland wird bis 2050 bei einem angenommenen jährlichen Wanderungsüberschuss von 200.000 Menschen (was eine eher unrealistische Bruttozuwanderung von ca. 600.000 Menschen p.a. voraussetzen würde) um ca. 7,5 Millionen, bei einem Zuwanderungssaldo von Null um ca. 20 Millionen Menschen abnehmen. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wird eine Schrumpfung auf 50 Millionen, im schlimmsten Fall, also ohne positiven Zuwanderungssaldo, auf 32 Millionen Menschen erwartet, wenn die Geburtenrate auf konstant niedrigem Niveau von durchschnittlich 1,4 Kindern bleibt (vgl. Abb. 1) (Kaufmann 2007, S. 34f.). Diese Entwicklung vollzieht sich nicht gleichförmig, sondern – regional differenziert – in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Tempo. Schon jetzt gibt es ein Nebeneinander wachsender und schrumpfender Regionen und Gemeinden. Von Schrumpfung sind vor allem die ostdeutschen Länder betroffen, aber auch strukturschwache Gebiete wie z.B. das Saarland, die Rhön, der Harz, Nordhessen und das Bayerische Fichtelgebirge (Kocks 2007, S. 31-35; Klingholz 2006, S. 41).
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Abb. 1: Deutschland – Bevölkerungsstand 1950 bis 2000 und Vorausberechnungen bis 2050 bzw. 2100 (Quelle: Kaufmann 2007, S. 35)
Wir werden älter: Ohne gravierende Veränderung der Geburtenrate und des Zuwanderungssaldos wird der so genannte Altenquotient sich bis zum Jahr 2050 in etwa verdoppeln. Das bedeutet, dass dann 100 Personen im erwerbsfähigen Alter ca. 80 Senioren gegenüberstehen werden, wenn die Altersgrenze bei 60 Jahren angenommen wird, was dem bisherigen faktischen Berufsaustrittsalter entspricht. Gleichzeitig geht der Jugendquotient, also das Verhältnis der Kinder und Jugendlichen zu den Personen im erwerbsfähigen Alter, bis zum Jahr 2020 zurück, um dann in etwa konstant zu bleiben. Wir haben es also mit einer drastischen Verschiebung im Generationenverhältnis zu tun, die zu einer Überalterung respektive „Unterjüngung“ der Bevölkerung führt. Gleichzeitig erhöht sich die Anzahl der alten und hoch betagten Menschen, weil die Lebenserwartung bei Männern (80 J.) und Frauen (84 J.) – bei besserer Gesundheit – weiter steigt (Kaufmann 2007, S. 35).
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Jugendquotient 0-20/20-60 Altenquotient 60+/20-60
Abb. 2: Deutschland – Entwicklung der Jugend- und Altenquotienten 19502050 (Quelle: 1950-2000: Statistisches Jahrbuch; 2010-2050: 10. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Variante 5)
Wir werden bunter: Bei einem angenommenen Einwanderungsüberschuss von ca. 200 Tausend Menschen pro Jahr – davon geht die 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus – wird der Anteil der Migranten einschließlich ihrer Nachkommen und einschließlich der schon heute in Deutschland lebenden Menschen mit einem Migrationshintergrund bis 2050 auf rund 30 Prozent im Schnitt zunehmen. In Städten wie Frankfurt/Main und München ist dieser Anteil schon jetzt erreicht. Bereits im Jahr 2010 sollen in den Ballungsräumen ca. 50% der unter 25-jährigen Menschen in Deutschland einen Migrationsintergrund haben. In den Kindergärten ist dies schon jetzt der Fall. Stadtteile mit einem Anteil von 50 und mehr Prozent an Migranten aus einer Vielzahl von Nationen mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen sind schon heute keine Seltenheit mehr. Diese Daten und Fakten sollen nicht erschrecken. Aber man sollte sich schon im Klaren darüber sein, welche problematischen
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wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen damit verbunden sind oder sein können, wenn es nicht gelingt, die Migranten sozial, wirtschaftlich und kulturell zu integrieren. Welche politischen Folgen sind auf Grund dieser Entwicklung zu erwarten? Sozialpolitisch ist zunächst zu konstatieren, dass die Renten in Zukunft so sicher nicht sind, wie es gelegentlich noch behauptet wird. Die so genannte „Altenlast“ wird nicht zuletzt aufgrund der Verrentung der „Babyboomer-Generation“ (1955-1970) ab 2015 rapide ansteigen und erst ab 2050 zum Stillstand kommen. Der Anteil der über 65-Jährigen wird sich von 1990 bis zum Jahr 2030 von 15% auf knapp 30% nahezu verdoppeln. Dieses „Kippen der Generationenbalance“ führt voraussichtlich zu weiteren Eingriffen in den „Generationenvertrag“ mit der Konsequenz sinkender Renten und möglicherweise auch einer weiteren Aufschiebung des Rentenalters. Auf Grund der höheren Lebenserwartung wird der Anteil der 80-, 90- und 100-jährigen Menschen stark steigen. Eine Folge davon ist, dass die Sozial- und Gesundheitskosten weiter wachsen werden – und dies vor dem Hintergrund, dass die Renten und die Ausgaben für die Nachkommen von einer immer weniger werdenden Zahl von Erwerbstätigen erwirtschaftet werden müssen. Sozialkulturell ist damit zu rechnen, dass aufgrund der niedrigen Geburtenrate die familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen weiter erodieren. Damit bröckelt nicht nur ein für die Gesellschaft konstitutives Solidarpotenzial, sondern auch ein verlässliches Netz der alltäglichen Kommunikation, der Sozialisation und nicht zuletzt der häuslichen Pflege im Alter. Noch werden die pflegebedürftigen alten Menschen überwiegend im familiären Zusammenhang betreut. Doch die Schere zwischen pflegebedürftigen alten Menschen einerseits und den Angehörigen, die theoretisch pflegen könnten, geht immer weiter auseinander. Zu bedenken ist auch, dass die gesellschaftliche Integration – bei allen Vorteilen multikultureller Städte und Milieus – noch lange nicht gelöst ist und auch in Zukunft schwierig sein wird, wenn mehrere hundert Tausend Migranten jährlich zuwandern sollten und auf westliche Werte, Qualifikationsstandards und die Landessprache vorbereitet werden müssten. Schließlich ist es eine noch offene Frage, welche gesellschaftlich-kulturellen Auswirkungen die Tatsache haben wird, dass immer mehr Menschen nahe an ihrem Lebensende leben. Trotz der erheblich besseren Gesundheit und Teilhabemöglichkeiten alter Menschen werden die Themen der Alten und des Alterns in Politik und Gesellschaft an Bedeutung zunehmen – bis hin zu ethischen Fragen, die schon heute unter dem Stichwort der Biopolitik diskutiert werden. Gesellschaftspolitisch ist wohl kein „Krieg der Generationen“ oder „Methusalemkomplott“ zu erwarten wie ihn der FAZ-Herausgeber Frank Schirrma-
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cher (2004) prophezeit hat, aber ein neuer Kampf um Ressourcen allemal. Fragen der intergenerativen Verteilungsgerechtigkeit werden auf den politischen Agenden schon bald ganz oben stehen und sensible ideologische Fragen berühren. In der Familienpolitik erleben wir bereits einen Vorgeschmack: Die seit langem überfällige Besserstellung der Familien respektive der Lebensgemeinschaften mit Kindern verweist auf den ebenso grundlegenden wie politisch folgenreichen Zusammenhang der demografischen Entwicklung: Je mehr alte Menschen zu versorgen sind, desto mehr Nachwuchs ist langfristig erforderlich, ob die Versorgung nun öffentlich oder privat erfolgt. Schon deshalb sind eine nachhaltige Veränderung der Transfersysteme und der Ausbau öffentlich finanzierter Dienstleistungen für Familien mit Kindern nötig und dies ist ohne Umverteilungen nicht zu haben. Diese Debatte wird andere Themen aus ihren Spitzenpositionen in der politischen Relevanzskala verdrängen. Auch die Kulturpolitik wird davon betroffen sein. Volkswirtschaftlich gilt es auf einen Zusammenhang hinzuweisen, der in den öffentlichen Debatten bisher kaum thematisiert wird: Eine konstant niedrige Geburtenrate gepaart mit dem bisherigen Unvermögen der Politik, den jungen Menschen die bestmöglichen Erziehungs- und Qualifizierungsvoraussetzungen zur Verfügung zu stellen, entzieht der Gesellschaft Humankapital und begründet die Gefahr einer nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstumsschwäche. Der Sozialwissenschaftler und Ökonom Franz Xaver Kaufmann (2007, S. 38f) plädiert deshalb im Einklang mit international renommierten Wirtschaftswissenschaftlern dafür, den „Unterhalt, die Erziehung und die Qualifikation von Kindern nicht mehr als Konsum, sondern als Investition (zu) betrachten“. Er hat ausgerechnet, dass unter diesem Gesichtspunkt allein die niedrige Geburtenrate zwischen 1972 und 2000 einer „Investitionslücke“ von 2500 Milliarden Euro gleichkommt. Wer der Sozialwissenschaft nicht vertraut und den Wirtschaftsinstituten mehr Glauben schenkt, dem sei gesagt, dass es auch hier namhafte Vertreter gibt, die davon ausgehen, dass z.B. Frankreich aufgrund der bekannt höheren Fertilitätsrate Deutschland voraussichtlich Mitte dieses Jahrhunderts an Wirtschaftkraft eingeholt haben wird. Kommunalpolitisch schließlich ist die demografische Entwicklung von nicht minder großer Brisanz. Wenn etwa Städte wie Frankfurt an der Oder, Halle, Schwerin oder Magdeburg bis zum Jahr 2015 bis zu 35% ihrer Bewohner seit 1993 verloren haben werden, aber auch Essen mit voraussichtlich 17% Bevölkerungsverlust (= ca. 100.000 Einwohner!) im gleichen Zeitraum nicht gerade blendend dasteht, dann sind damit finanzpolitisch und infrastrukturpolitisch gravierende Probleme verbunden. Charakteristisch dafür sind nicht nur die kumulierenden Effekte sich gegenseitig verstärkender Problementwicklungen wie etwa die geringeren Steuereinnahmen auf der einen Seite und die Unteraus-
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lastung der Infrastruktureinrichtungen bei steigenden Kosten andererseits, sondern die Geschwindigkeit und Radikalität in der Strukturanpassungen erforderlich werden.
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Altersdemografie und Kulturpolitik – Wo liegen die Probleme?
Ja und ...? wird angesichts dieser Entwicklungen häufig gefragt: Was hat das alles mit Kulturpolitik zu tun? Wo liegen die Probleme und was kann sie tun? Sicherlich kann Kulturpolitik an der demografischen Entwicklung im Allgemeinen nicht viel ändern, wenn Politik daran überhaupt etwas zu ändern vermag. Dennoch muss und kann sie auf die Folgen reagieren. Und dies geschieht auch schon. Wir befinden uns gewissermaßen bereits in der Anfangsphase einer durch die demografischen Fakten und den Strukturwandel der Gesellschaft beeinflussten Kulturpolitik und dies nicht nur mit Blick auf die Fragen der Migration/Integration, sondern auch hinsichtlich der Altersentwicklung, die hier im Vordergrund steht. Alter ist ein Thema der Kulturpolitik geworden und dies aus guten Gründen. Die Schrumpfung der Bevölkerung ist auch für die Kulturpolitik ein Fakt und wird sich selbstverständlich auswirken in der Besucherstruktur der Kultureinrichtungen und bei Investitionsentscheidungen für neue Institute. In den ostdeutschen Bundesländern ist das Thema Rückbau kultureller Einrichtungen kein Tabu mehr und wird richtigerweise als Gestaltungsaufgabe ernst genommen. Die Schüler und Schülerinnen der ca. 2000 Schulen, die in den ostdeutschen Bundesländern seit der Wende auf Grund geringerer Schülerzahlen geschlossen worden sind, fehlen natürlich auch in den Museen, den Musikschulen und später auch in den Theatern und Konzerthäusern. Und wer zur Kenntnis nimmt, dass etwa in den ostdeutschen Bundesländern ab 2015 nur noch eine „halbierte“ Elterngeneration ins potenzielle Elternalter kommt (Klingholz 2006, S. 41), kann sich vorstellen, was dies für die Kultureinrichtungen kurz-, mittelund langfristig bedeutet. Es gibt dann keinen politisch plausiblen Grund mehr, weshalb Kindergärten und Schulen geschlossen werden und die kulturelle Infrastruktur unangetastet bleiben sollte. Die Unterauslastung der kulturellen Infrastruktur ist also ein mögliches Problem, mit dem sich die Kulturpolitik beschäftigen muss. Aber genau damit wird sie an einer empfindlichen Stelle getroffen, denn erstens ist dieses Problem sektoral (also spartenspezifisch) und regional sehr unterschiedlich ausgeprägt und zweitens kommen die Begriffe Schrumpfung und Rückbau im Sprachschatz der Kulturpolitiker kaum vor. Die Begründungsmuster der Kulturpolitiker sind mindestens seit dreißig Jahren (zumindest im Westen) auf Wachstum aufgebaut.
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Ihrer Meinung nach konnte und kann es gar nicht genug kulturelle Angebote geben. Deshalb ist Rückbau in ihren Augen ein Sakrileg. Das erschwert den kulturpolitisch vernünftigen Umgang mit diesem Problem. Auch die Differenzierung zwischen boomenden Regionen, die noch einen Zusatzbedarf an kulturellen Angeboten für sich reklamieren und auch bezahlen können, und „abgehängten“ Regionen sowie den kulturellen Einrichtungen, die zunächst noch von der Alterung der Gesellschaft profitieren können (z.B. Theater- und Konzerthäuser), und denjenigen, die ein junges Publikum haben, ist politisch schwer zu vermitteln. Der Konsens der kulturpolitischen Akteure, der bislang ein Garant ihres Erfolges war, wird dadurch belastet. Probleme gibt es jedoch nicht nur auf Grund einer möglichen Unterauslastung der kulturellen Infrastruktur, die im Übrigen nicht allein durch die demografische Entwicklung verursacht wird, sondern auch einem Wandel der kulturellen Interessen und der Zunahme der (kommerziellen) Kultur- und Medienangebote geschuldet ist. Problematisch ist auch die Altersstruktur des Publikums. Die „Konzerte im Silbersee“ sind längst kein Randphänomen mehr und betreffen auch nicht mehr nur die Klassikanbieter. Fast überall im Kulturbereich prägen ältere und alte Menschen heute schon das Bild des Kulturpublikums; es sei denn, das Programm richtet sich explizit an jüngere Leute. Für das Management der Einrichtungen ist diese Situation nicht einfach zu lösen. Die Versuchung ist groß, das Programm nach den Interessen der älteren Generation auszurichten. Dann wären die Häuser heute voll, aber womöglich in 20 bis 30 Jahren leer. Bieten sie aber Neues an und wenden sie sich an die vergleichsweise kleine Gruppe derjenigen jungen Menschen, die dieses goutieren, sind die Ränge vielleicht schon heute nur noch halb gefüllt, was in der gegenwärtigen finanziellen Lage ein großes Risiko ist. Andererseits: Orientieren sie sich zu sehr am mainstream und den Unterhaltungsbedürfnissen der Menschen, wird man der Kulturpolitik vorhalten, ob denn dies die Aufgabe der öffentlichen Hand sei. Wie man es auch dreht und wendet, es bleibt ein Dilemma, für dessen Lösung es kein probates und für alle gültiges Konzept gibt.
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Was kann (kultur-)politisch getan werden
Was kann Kulturpolitik angesichts der demografischen Entwicklung tun? Sie gehört sicherlich nicht zu den politisch bedeutenden Instrumenten, mit denen etwa die Geburtenrate angehoben werden könnte, um jenes „Humanvermögen“ (F.X. Kaufmann) – gemeint sind gut erzogene und gut ausgebildete Kinder und Jugendliche – zu bilden, auf das jede zukunftsfähige Gesellschaft angewiesen ist. Auch mit Blick auf eine Steuerung der Zuwanderung, sei es die Fernwande-
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rung oder die interregionale Binnenwanderung, ist sie eher irrelevant. „Ausstattungen mit Kultureinrichtungen bilden kein starkes Wanderungsmotiv“ (Göschel 2007, S. 37) – allen gut meinenden Mutmaßungen zum Trotz. Lediglich im Wettbewerb der Wachstumsregionen untereinander mögen sie eine gewisse Rolle spielen – wie z.B. bei der Elbphilharmonie in Hamburg oder Zeche Zollverein in Essen. Trotzdem ist die Kulturpolitik herausgefordert, sich der demografischen Frage zu stellen und darauf zu reagieren und die Voraussetzungen sind dafür so schlecht nicht. Noch nie zuvor gab es so viele ältere Menschen, die über so viel Zeit, Geld und Bildung verfügen konnten wie die heutigen Senioren und es werden immer mehr. Es gibt also ein großes Potenzial von Menschen, die prinzipiell für kulturelle Angebote und Aktivitäten ansprechbar sind. Die kulturellen Präferenzen dieser Alten haben sich allerdings verändert. Die Generation der Babyboomer ist mit einem anderen Kulturbegriff aufgewachsen. Hier ist das Popkultur- und „Soziokulturmotiv“ (Gerhard Schulze) stärker präsent als bei den heutigen Rentnern. Da die Kulturgewohnheiten sich mit dem Alter erfahrungsgemäß kaum verändern, ist davon auszugehen, dass die Formate der Sozio- und OFFKultur (Rock- und Jazzmusik, Kabarett, Freies Theater, Diskussionsveranstaltungen etc.) von der Altersentwicklung eher profitieren werden, während die Klassikanbieter auf Dauer größere Schwierigkeiten bekommen werden, ihre Veranstaltungen zu füllen. Die Programmatik der Soziokultur und die Ausrichtung ihrer Angebote (niedrigschwellig, offen) kommen den integrationspolitischen Herausforderungen möglicherweise eher entgegen als das Angebot der Hochkultur, wenn sie sich nicht gleichfalls anderen Kulturen oder kulturellen Traditionen gegenüber öffnet. Schließlich kann ihr kommunikativer und beteiligungsorientierter Charakter ein Vorteil sein, wenn es darum geht, neue kulturelle Angebotsstrukturen für die Gesellschaft der Zukunft zu entwickeln. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass soziale Netzwerke und darauf basierende Gelegenheitsstrukturen der sozialen Kommunikation ein knappes Gut werden. Wir brauchen daher Einrichtungen, die dafür den Rahmen, die Themen und die Anlässe herstellen. Mit der demografischen Entwicklung sind also nicht nur Probleme verbunden, sondern auch Entwicklungschancen. Auch hier gibt es Gewinner und Verlierer. Frank Schirrmacher sieht die Sinnhaftigkeit seines „Methusalem-Komplotts“ nicht zuletzt in der Erwartung begründet, dass die Generation der „Babyboomer“, die ab 2015 in Rente gehen wird, so etwas wie eine Kulturrevolution auslösen könnte, weil diese Generation, die sich durch so viele Innovationen und Veränderungen ausgezeichnet und einen „ganzen Planeten umgeformt und nach ihrem Antlitz geprägt“ hat (Schirrmacher 2004, S. 70), sicherlich ihre kul-
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turelle Hegemonie so schnell nicht abgeben wird und vor allem über die finanziellen Ressourcen verfügt2, um sich so manche Träume zu verwirklichen. Auch wenn Frank Schirrmacher mit seinem auflagenstarken Bestseller manches auf die Spitze getrieben haben mag, so ist diese Aussicht in diesem Punkt so unbegründet nicht.3 Das Erfahrungs- und Anspruchspotenzial der „Babyboomer“ ist groß und vor allem hat diese Generation es gelernt, ihre Interessen gesellschaftlich auch durchzusetzen. Wenn dem so ist, gibt es mit Blick auf die gut situierten und mobilen Alten kulturpolitisch keinen großen Handlungsbedarf. Sie sind in vielen Einrichtungen und Veranstaltungen ohnehin überrepräsentiert und können aus einer Vielzahl von kulturellen Angeboten auswählen. Für die Wirtschaftspolitik sieht dies anders aus. Das ökonomische Potential und die kulturelle Aufgeschlossenheit der Senioren und jungen Alten beflügelt z. B. in Nordrhein-Westfalen auch die Fantasie der politischen Akteure. So hat etwa die Landesregierung eine eigene Initiative „Seniorenwirtschaft“ gegründet, um die damit verbundenen weiträumigen und kaufkräftigen Märkte für neue Produkte zu erschließen. Es wird vermutet, dass ein proaktiver Umgang mit den Bedürfnissen und Interessen der Älteren bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze in NRW schaffen kann. Hochgerechnet auf das Bundesgebiet – so wird prophezeit – könnten sogar 900.000 Arbeitsplätze in der Seniorenwirtschaft in den nächsten zwei Jahrzehnten entstehen. Damit wäre dieser Wirtschaftssektor der Bereich mit dem größten Wachstumspotenzial. Die Bereiche Kultur, Tourismus und Freizeit sind dabei von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die angedeuteten Optionen, die hier nicht weiter verfolgt werden können, beinhalten auch für die Kulturpolitik Chancen. Insofern ist der Kultusministerkonferenz sicherlich zuzustimmen, wenn sie feststellt, dass es gilt, den „in der politischen Debatte derzeit dominierende(n) Belastungsdiskurs, der einseitig problematische Folgen des Alterns der Gesellschaft betont“, zu überwinden, weil dies den Blick darauf verstellt, „dass die demografische Entwicklung als Chance für zukunftsweisende Entwicklungen begriffen und gestaltet werden kann“ (KMK 2004).
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Allein in den USA umfasst die Generation der „Babyboomer“ 75 Millionen Menschen, die die Kontrolle über 70 Prozent des Vermögens in den USA haben wird. Diese Zahlen lassen auch für Westeuropa erahnen, welche Marktmacht und politische Macht diese Generation in den westlichen Demokratien repräsentiert (Schirrmacher 2004, S. 68f.). Schirrmacher (2004, S. 70) bezieht sich in seiner Argumentation vor allem auf die Babyboomer in den USA, deren Leistungen in sozialen, technologischen und kulturellen Belangen er in den höchsten Tönen beschreibt. Mit Blick auf die sozialen und ökologischen Bewegungen in Westeuropa und mit Bezug auf die Kulturpolitik die Erweiterung des Kulturbegriffs erinnernd (Bedeutung der Rock- und Pop-Kultur) lässt sich vieles nachvollziehen.
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Neue/alte Aufgaben für die Kulturpolitik
Die Auswirkungen der demografischen (Alters-)Entwicklung machen sich vor allem auf der kommunalen Ebene bemerkbar und sind deshalb auch auf dieser Ebene zu bearbeiten. Sie hat nicht nur Folgen für die Kulturpolitik, sondern für fast alle Politikfelder. Handlungsbedarf gibt es nicht nur in der Sozial- und Gesundheitspolitik, sondern auch in der Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik sowie in der Stadtentwicklungs- und Infrastrukturpolitik, für die auch die soziale und kulturelle Infrastruktur von Bedeutung ist. Dennoch gibt es auch für die Kulturpolitik Möglichkeiten, auf die demografische Entwicklung zu reagieren und die Städte und Gemeinden in ihren Aktivitäten zu unterstützen. Im Folgenden werden konkrete Handlungsbedarfe der Kulturpolitik thematisiert und – mehr oder weniger assoziativ – einige Schlussfolgerungen und Ideen formuliert. Das Bürgerrecht auf Kultur aktualisieren Durch die demografische Entwicklung werden Fragen der (Verteilungs-)Gerechtigkeit zwischen Jungen und Alten, Armen und Reichen, Migranten und Einheimischen, Städten und Regionen, Wachstumszentren und Schrumpfungsgebieten etc. neu politisiert werden.4 Auch die Kulturpolitik wird damit konfrontiert sein. Deshalb macht es Sinn, die Forderung nach Teilhabegerechtigkeit wieder zu aktualisieren. Dies ist nicht nur gesellschaftspolitisch ein legitimer Anspruch, sondern liegt auch im Interesse der Kultureinrichtungen. Wenn es stimmt, dass 50% der Bevölkerung von den öffentlichen Kulturangeboten nicht erreicht werden und gerade mal 5-10% der Menschen zu den Stammbesuchern und Vielnutzern zählen, dann liegt es nahe, dass die Teilhabesteigerung der ohnehin kulturinteressierten Menschen ausgereizt sein könnte, zumal sich gerade der Anteil der Vielnutzer seit ca. 10 Jahren degressiv entwickelt. Vielversprechender als der intensivierte Wettbewerb um diese Gruppe wäre es dann womöglich, diejenigen Menschen für Kulturangebote zu gewinnen, die bisher nicht oder nur sehr selten kulturell aktiv sind. Das „Bürgerrecht Kultur“ ist heute nicht nur unter den Gesichtspunkten der kulturellen Chancengleichheit und der Verteilungsgerechtigkeit relevant, son4
Es ist davon auszugehen, dass die vom Freizeitforscher Horst W. Opaschowski (2005) diagnostizierte „kulturelle Spaltung“ zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern kultureller Angebote im Alter noch deutlicher hervortritt. Einkommen und Bildung und vor allem das im bisherigen Leben eingeübte 'Kulturverhalten' werden dann noch stärker die Teilhabe(chancen) definieren. Die erwartete soziale Polarisierung (Stichwort: Altersarmut; Ulrich Beck: „Brasilianisierung“) wird sich auch kulturell bzw. in der Nutzung kultureller Einrichtungen niederschlagen.
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dern auch deshalb, weil das kulturelle Kapital oder das Kreativpotenzial der Menschen für die multiethnische Wissensgesellschaft der Zukunft eine konstitutive Bedingung ist. Dass es zudem auch die Besucherstatistik der Kultureinrichtungen aufbessert, mag ein erwünschter Nebeneffekt sein. Die jungen Alten und die Senioren sind dafür eine interessante Zielgruppe, weil sie über mehr Bildung, mehr Geld und kulturelles Interesse verfügen als frühere Altengenerationen. Notwendig sind aktivierende Strategien, um neues Interesse für kulturelle Angebote zu wecken und damit Nachfrage zu erzeugen. Gegebenenfalls sollten auch Maßnahmen ergriffen werden, um finanzielle Teilhabebarrieren zu minimieren (z.B. kostenloser Eintritt in den Museen). Kulturelle Bildung stärken Nachfrageentwicklung beginnt mit kultureller Bildung. Wenn es richtig ist, dass die kulturellen Präferenzen und Interessen im Kindes- und Jugendalter ausgebildet werden, dann kann dies vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme nur bedeuten, diese Zielgruppe stärker in den Blick zu nehmen und für Kunst und Kultur zu interessieren. Die Intensivierung der ästhetischen Erziehung und kulturellen Bildung im schulischen und außerschulischen Kontext (z.B. auch im Rahmen der Ganztagsschulen) mit neuen Konzepten, die den veränderten Kulturbedürfnissen und Ausdrucksformen Rechnung tragen, müsste im Zentrum dieser Politik stehen, weil darin unbestritten eine öffentliche Aufgabe liegt, die glaubhaft mit der Aussicht verknüpft werden kann, das beschriebene Problem zu bearbeiten.5 Denn wer in jungen Jahren nicht für Kunst und Kultur interessiert wird, fehlt später aller Erfahrung nach auch in den Kultureinrichtungen („Kohorten-Effekt“). Deshalb ist die Intensivierung der kulturellen Bildung eine Möglichkeit, zu verhindern, dass die Schrumpfung der Bevölkerung nicht in gleichem Maße auch zu einer Schrumpfung des Publikums führt. Man darf allerdings nicht die Vorstellung haben, dass dies nach dem Prinzip des „Nürnberger Trichters“ funktioniert. Kulturelle Bildung führt nicht automatisch zu mehr Besuchen in den Kultureinrichtungen. Das ist auch nicht ihr primäres Ziel. Das Angebotsspektrum flexibilisieren Das Publikum in den Opern und Konzerthäusern (z. T. auch in den Theatern) ist überdurchschnittlich alt. Dies bestätigt schon die eigene Anschauung und die Statistik gibt ihr Recht. Vor allem im Bereich der klassischen Angebote überwiegen die „Grauköpfe“, weil ältere Menschen erfahrungsgemäß und durch die 5
Die großen Modellprojekte in NRW wie „Jedem Kind ein Instrument“, und „Schule & Kultur“ in NRW sind Beispiele für eine Kulturpolitik, die diesen Umstand ernst nimmt. Sie stehen für einen notwendigen Strategiewechsel von der Angebots- zur Nachfrageorientierung.
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Empirie gestützt eher das Gediegene und Klassische mögen. Wer daraus jedoch den Schluss zieht, dass dies auch in Zukunft so sein wird, täuscht sich. Gerade die Generation der sog. „Babyboomer“, die demnächst das Seniorenalter erreicht und dann über die wichtigen Ressourcen Geld und Zeit verfügt, um kulturelle Angebote zu nutzen, hat in einer Breite neue kulturelle Präferenzen für sich entdeckt, die durch Grenzüberschreitung, Wechsel der Genres und eben durch keine eindeutige Orientierung auf Klassik gekennzeichnet ist. Hier ist der Typus des „vagabundierenden Kulturhoppers“ (Opaschowski) zu Hause, der auf Abwechslung setzt, keinen Unterschied mehr macht zwischen E- und U-Kultur und diesen Habitus mit dem Rentenalter sicherlich nicht ablegen wird. Den Umfang und die durchaus vorhandene Kulturnähe dieser Generation sollten die Opernund Konzerthäuser also nicht voreilig als Hinweis dafür nehmen, dass die „Konzerte im Silbersee“ auch weiterhin ausverkauft sein werden, sondern sich frühzeitig auf die neue Interessenlage einstellen und andere Angebotsformen entwickeln. Auch auf dieser Handlungsebene ist die Nachfrage- und Kundenorientierung ein wichtiges Stichwort. Stationäre Einrichtungen wie Theater und Konzerthäuser setzen schon heute wieder verstärkt auf dezentrale Aktivitäten. Sie gehen aus ihren Häusern raus in die Stadtteile und Vororte, um neue und jüngere Besuchergruppen zu erschließen. Bei Infrastrukturplanungen den demografischen Faktor berücksichtigen Auch wenn die Vielzahl der kulturell interessierten alten Menschen in der Generation der „Babyboomer“ den Einrichtungen der Hochkultur noch einen gewissen zeitlichen Aufschub geben mag, sind Fragen der Auslastung und der Folgekosten aufgrund der demografischen Entwicklung schon heute entscheidend. Spätestens ab 2030, wahrscheinlich schon ab 2015 wird sich der Bevölkerungsrückgang – regional und sektoral unterschiedlich ausgeprägt – in den Kultureinrichtungen bemerkbar machen. Dies hat Folgen für die Infrastrukturplanung (Stichwort: Bedarfsanalysen), die Lage der Kultureinrichtungen (Zentralisierung versus Dezentralisierung), ihre Vernetzungs-/Kooperationsstruktur (Verbundsysteme, regionale Kooperation), ihre konzeptionelle Ausgestaltung (Nutzungsvielfalt), Finanzierung (Finanzierungsverbünde, teilöffentliche Finanzierung etc.) und den kulturpolitischen Koordinierungsbedarf (Programmabsprachen, kommunale Spezialisierung im regionalen Kontext). Auch über nichtstationäre, mobile Kulturangebote (sog. Bringestrukturen) könnte neu nachgedacht werden (vgl. auch KMK 2004, S. 3). Bedeutsam für die Infrastrukturplanung ist ferner, dass sie in den schrumpfenden Regionen nicht mehr auf Wachstum orientiert, sondern auf Optimierung und Konzentration ausgerichtet sein muss, die die Nachfragesituation und den finanziellen Rahmen bedenkt und einen problematischen Sog in eine Abwärtsspirale vermeidet. Aus alle dem folgt, dass es sinnvoll
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ist, sich des Instrumentes der Kulturentwicklungsplanung aus den 1970er Jahren wieder zu erinnern, um dem demografischen Wandel planvoll begegnen zu können. Eine Folge der demografischen Entwicklung ist, dass die prognostizierten Veränderungen (Schrumpfung, Überalterung/„Unterjüngung“, Internationalisierung) sehr schnell vor sich gehen und die Infrastrukturanpassungen deshalb auch schnell erfolgen müssen. Auch deshalb ist eine konzeptgestützte, planvolle Entwicklung der kulturellen Infrastruktur notwendig. 6 Sinnvoll wäre darüber hinaus die Einrichtung eines „Think Tanks“, der sich Gedanken darüber macht, wie die kulturelle Infrastruktur in einer alternden Gesellschaft aussehen müsste, die die Bedürfnisse nach Entschleunigung, Kommunikation, Erinnerung etc. bei eingeschränkter Mobilität im höheren Alter ernst nimmt. Regionale Disparitäten bearbeiten Die gleichzeitige Existenz von boomenden oder wachsenden Regionen und Städten und schrumpfenden Gebieten und Stadtteilen erfordert differenzierte kulturpolitische Strategien. Im ländlichen Raum wird man sicherlich nicht umhin kommen, Einrichtungen zusammen zu legen und intelligente Kooperationsformen zu entwickeln. Die Unterstützung der Vereinskultur und des bürgerschaftlichen Engagements wird hier in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Auch dafür bedarf es neuer Konzepte. Unter dem Gesichtspunkt der Auslastung sind hier Standorte zu wählen, die gut erreichbar sind und wo Menschen ohnehin zusammen kommen. Vom Programm her wird es sich anbieten, die Einrichtungen möglichst multifunktional auszurichten und ggf. mit kulturtouristischen Angeboten und Attraktionen zu verknüpfen. Dies erfordert ein ressortübergreifendes Denken und koordiniertes Handeln. Kulturangebote für Migranten öffnen Die Zusammensetzung der Bevölkerungen in den Städten wird sich immer mehr internationalisieren. Auch wenn es in dieser Frage deutliche regionale und kleinräumige Unterschiede gibt, so erwächst daraus doch eine integrationspolitische Aufgabe, an der sich auch die Kulturpolitik beteiligen muss. Die zunehmende Heterogenität der Bevölkerung erfordert eine stärkere interkulturelle Orientierung der kulturellen Einrichtungen und Infrastrukturen und eine deutliche Veränderung der Angebotsstrukturen. Darauf sind die Kommunen bislang nicht 6
Kulturentwicklungsplanungen und -konzepte haben zur Zeit wieder eine gewisse Konjunktur. Etliche Städte befassen sich damit und die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ hat Kulturentwicklungspläne sogar für Kommunen, Länder und den Bund gefordert.
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ausreichend vorbereitet. Bislang sind Migranten in den Kultureinrichtungen kaum vertreten, obwohl sie interessiert sind. Vor allem gilt dies mit Blick auf die erste Generation der Migranten, die ab Ende der fünfziger Jahre angeworben wurden und ihren Lebensabend in Deutschland verbringen wollen. Für diese Bevölkerungsgruppe (Ende 2000: über 600.000 Personen; im Jahr 2030: voraussichtlich ca. 2,8 Millionen Personen) gibt es derzeit faktisch so gut wie keine Zugangsoptionen und auch keine entsprechenden kulturpolitischen Überlegungen. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der innergesellschaftliche, interkulturelle Dialog nicht nur eine humanitäre Geste ist, sondern eine Investition in die Zukunft eines Landes, das ohne Zuwanderung keine realistische Perspektive hat, den konstatierten Schrumpfungs- und Alterungsprozess der Gesellschaft mit all seinen sozialen, kulturellen und ökonomischen Folgen zu bewältigen. Deshalb muss gelten: Die Zukunft der Kulturpolitik ist interkulturell! Aktive Kulturteilhabe und kulturelle Breitenarbeit fördern Das klassische Bildungsbürgertum, aus dem sich traditionell die Stammbesucher der Kultureinrichtungen rekrutieren, ist immer weniger eine homogene Gruppe, sondern differenziert sich sozialstrukturell zunehmend aus. Das Kulturmarketing reagiert darauf mit immer ausgefeilteren Methoden der Adressatenansprache und der Besucherbindung. Sekundäre Anreize im Zusammenhang mit touristischen Angeboten kommen hinzu, um die Erlebnisorientierung der Menschen zu befriedigen. Daneben werden schon jetzt neue kulturelle Angebote entwickelt, die ihren Fokus nicht mehr auf Opern-, Theater- und Konzertbesuche legen, ohne deren Bedeutung damit schmälern zu wollen. Gerade im Bereich der Seniorenkulturarbeit entstehen derzeit interessante neue Ansätze, die das Interesse der Menschen an aktiver Teilhabe ernst nehmen und sie ermuntern und qualifizieren, selbst kulturell aktiv zu werden (vgl. hierzu auch den Beitrag von de Groote/Nebauer in diesem Band). Diese gilt es durch Engagement fördernde Einrichtungen und Konzepte zu unterstützen. Freizeitforscher sprechen bereits von einer Erschöpfung des erlebnisorientierten Kulturkonsums und prognostizieren die Entstehung einer „Sinngesellschaft“, in der kulturelle Beteiligung nicht mehr nur als „gute Unterhaltung“ gefragt ist, sondern als Tätigsein und als mentale Notwendigkeit, um in der Zukunft zurecht zu kommen. Dadurch eröffnen sich auch für die Einrichtungen des Kulturbetriebs neue Perspektiven (Romeiß-Stracke 2003, S.183). In den Vereinen und Einrichtungen der Breitenkultur sind viele ältere Menschen aktiv. Sie werden möglicherweise noch eine größere Bedeutung erlangen, wenn sie sich auf die Bedürfnisse der neuen Alten
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einstellen. Dafür sollten Hilfestellungen angeboten werden (z.B. die Fortbildung der ehrenamtlich Tätigen in diesem Bereich). Kulturmarketing und Kulturforschung verstärken Bislang gibt es kein gezieltes Kulturmarketing für ältere und alte Menschen – außer im Freizeitsektor und beim Kulturtourismus (vgl. hierzu auch den Beitrag von Hausmann in diesem Band). Ferner sind die empirischen Kenntnisse über die kulturelle Teilhabe von alten Menschen und deren kulturelle Bedürfnisse noch rudimentär. Hier bedarf es dringend der konzeptionellen Entwicklungsarbeit und der Ermöglichung aussagekräftiger Untersuchungen. 7 Sinnvoll sind auch Modellvorhaben, in denen praktisch erprobt wird, wie Senioren für kulturelle Angebote begeistert werden können. Es geht jedoch nicht nur um den Zugang zu Einrichtungen der Hochkultur, sondern auch um das vielfältige Aktivitätsspektrum der Breitenkulturarbeit, dessen Potenzial durch neue Konzepte sicherlich noch erweitert werden könnte. Nicht zuletzt die bekannte Tatsache, dass ältere und alte Menschen vor allem das Bedürfnis haben, zu kommunizieren und selbst aktiv zu werden, prädestiniert breitenkulturelle Infrastrukturen, um kulturelles Interesse und Engagement zu aktivieren. Hier wie in anderen Kulturbereichen auch fehlt es noch an Informationsangeboten und einer gezielten Fortbildung der Mitarbeiter. Altersarmut der kulturellen Akteure zum Thema machen Nicht nur die Gesellschaft altert, sondern auch die kulturellen Akteure, also die Künstler und die Aktiven in der freien und soziokulturellen Kulturszene. Viele dieser Menschen sind möglicherweise von Altersarmut betroffen. Die bescheidene finanzielle Situation der Künstler ist bekannt. Vergleichsweise unbekannt ist die Situation derjenigen Akteure, die in den 1970er und 1980er Jahren (häufig zum Einheitslohn) in den Soziokulturellen Zentren, kulturpädagogischen Einrichtungen, Künstlerhäusern etc. zum Teil Pionierarbeit geleistet haben. Die meisten von ihnen werden nicht allzu viel in die Rentenkasse eingezahlt haben und nach ihrem Berufsleben entsprechend schlecht dastehen. Dies gilt auch für die Akteure in den 'Betrieben' der sogenannten kleinen Kulturwirtschaft, die gegenwärtig so stark im Zentrum der kulturpolitischen Diskussion steht. Trotz 7
Grundsätzlich fehlt es in der Kulturpolitik an verlässlichen empirischen Untersuchungen zu den Kulturbedürfnissen älterer Menschen und deren Veränderungen. Notwendig wären darüber hinaus Studien und Recherchen, in denen zusammen getragen wird, welche Erfahrungen andere Länder und Regionen angesichts der in den westeuropäischen Ländern vergleichbaren demografischen Entwicklung gemacht haben und wie darauf kulturpolitisch reagiert wurde. Sinnvoll wären auch gezielte Beratungsangebote für Kommunen zu diesem Thema.
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der Umsatzzahlen hat sie eine soziale Schieflage, die noch nicht ausgeleuchtet und problematisiert worden ist. Die soziale Situation der kreativen Akteure im Alter sollte ein Thema der Kulturpolitik werden. Zunächst wäre es notwendig, sich über eine Befragung ein genaueres Bild der Situation zu verschaffen, um dann über Maßnahmen nachzudenken. Vielleicht ist ein Fonds sinnvoll, um soziale Härten abzufedern.
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Schlussbemerkung
Die beschriebenen Probleme und Anmerkungen sind nur einige Indizien dafür, dass Kulturpolitik sich neu „erfinden“ muss, um für das 21. Jahrhundert gewappnet zu sein. Nachfrageorientierung und mithin die Überlegung, warum die Menschen Kunst und kulturelle Angebote für ihr Leben benötigen, ist ein zentraler Ausgangspunkt dafür, wenn sie nicht auf die Engführung beschränkt bleibt, lediglich den vorhandenen Einrichtungen zusätzliches Publikum zu verschaffen. Um ihrer selbst willen muss es der Kulturpolitik um mehr als um vordergründige Bestandssicherung gehen: um ihre Neubegründung im Kontext einer veränderten Gesellschaft, in der es für den Kulturbetrieb nicht weniger Aufmerksamkeit und Aufgaben geben wird, aber ganz sicher andere Konzepte und neue Argumente geben muss. Die demografische Entwicklung zwingt die Kulturpolitik zum Umdenken. Es ist dringend geboten, dass sich die Kulturpolitik systematischer Gedanken darüber macht, wie sie die jungen und älteren Alten (aber auch die Migranten) in ihren verschiedenen Rollen (als Publikum, als Kunden, als Kulturschaffende, als Kulturvermittler und als Unterstützer) in ihre Überlegungen einbeziehen kann und ganz allgemein auf den demografischen Wandel reagiert, der allerdings regional differenziert ausgeprägt sein wird.
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Quellenverzeichnis Danielzyk, R. (2005): Auswirkungen des demographischen Wandels auf die kulturelle Infrastruktur, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch Kulturpolitik, Thema: Kulturpublikum, Bonn/Essen, S. 191-202. Göschel, A. (2007): Schrumpfung, demografischer Wandel und Kulturpolitik. Tendenzen und Herausforderungen, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 117, S. 35-39. Kaufmann, F.-X. (2005): Schrumpfende Gesellschaft. Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen. Frankfurt/Main. Keuchel, S. (2005): Das Kulturpublikum zwischen Kontinuität und Wandel – Empirische Perspektiven, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch Kulturpolitik, Thema: Kulturpublikum, Bonn/Essen, S. 111-127. Klingholz, R. (2006): Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Arbeit der deutschen Museen, in: Museumskunde, Band 71, 2/06, S. 40-45. Kultusministerkonferenz (KMK) (2004): Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kultur, Empfehlungen der Kultusministerkonferenz vom 16.09.2004 (unv. Ms.), Bonn. Opaschowski, H. W. (2005): Die kulturelle Spaltung der Gesellschaft. Die Schere zwischen Besuchern und Nichtbesuchern öffnet sich weiter, in: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch Kulturpolitik, Thema: Kulturpublikum, Bonn/Essen, S. 211-217. Reuband, K.-H. (2005): Sterben die Opernbesucher aus? Eine Untersuchung zur sozialen Zusammensetzung des Opernpublikums im Zeitvergleich, in: Klein, A./Knubben, Th. (Hrsg.): Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement 2003/2004, Baden-Baden, S. 123-139. Romeiß-Stracke, F. (2003): Abschied von der Spaßgesellschaft. Freizeit und Tourismus im 21. Jahrhundert, Amberg. Schirrmacher, F. (2005). Das Methusalem-Komplott, München. Sieben, Gerda (2005): Mehr ältere Menschen im Publikum! In: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hrsg.): Jahrbuch Kulturpolitik, Thema: Kulturpublikum, Bonn/Essen, S. 269-281.
Kristina Volke
Wenn Statistik droht, Politik zu machen – der demografische Wandel und seine Herausforderungen für die Kulturpolitik
Inhaltsverzeichnis 1 Der statistische Beleg: Der Osten Deutschlands als Sonderfall .................. 73 2 Politische Handlungsfelder in der Demografiedebatte: Welche Rolle spielt Kultur? .............................................................................................. 75 3 Neue Kernfragen für Kulturpolitik. Nicht nur: Wer finanziert die Kultur? Sondern auch: Wer rezipiert sie? ................................................................ 76 4 Krise als Ausgangspunkt kulturellen Handelns: Von kulturellen und anderen Akteuren ........................................................................................ 78 5 Neue Modelle – alte Leitfiguren: Was bedeutet die Demografiedebatte für arrivierte Themen der Kulturpolitik? .................................................... 79 Quellenverzeichnis ............................................................................................82
Wenn Statistik droht, Politik zu machen
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Es dürfte kaum eine vergleichbare Situation in der jüngeren Geschichte gegeben haben, in der Statistik zum Auslöser solch heftiger politischer Debatten wurde wie in den letzten Jahren. Der demografische Wandel hat wahrscheinlich nicht nur jedes publizistische Medium, sondern inzwischen auch jedes politische Gremium beschäftigt, und es überbieten sich Wissenschaftler und Journalisten darin, die von den Statistischen Ämtern prognostizierten Bevölkerungsveränderungen als Wandel unserer Gesellschaft auszumalen. Dabei variieren sowohl die Definitionen wie auch die Prognosen und Strategien. Je nachdem, ob in Ostoder in Westdeutschland, ob in Metropolen oder ländlichen Regionen, ob in so genannten Verlierer- oder Gewinnerregionen diskutiert und Rat gehalten wird, spitzt sich der relativ wertneutrale Ausgangsbegriff unter Umständen dramatisch zu: Aus der Ausgangsannahme des Bevölkerungsverlustes durch Geburtenrückgang bzw. anhaltend geringe Geburtenrate bei steigender Lebenserwartung (Grünbuch 2005) wird im Handumdrehen ein handfestes Negativszenario, das eigene Dynamiken einer andauernden Abwärtsschleife entwickelt. Längst ist dabei klar, dass das, was anfänglich als Aussicht auf die nächsten dreißig Jahre galt, in den meisten Städten und Regionen Ostdeutschlands längst Realität und damit eine Vorausschau auf die Zukunft Gesamtdeutschlands ist. Das dort zu beobachtende Szenario speist sich allerdings nicht nur aus der Verwirklichung der genannten Rahmenbedingungen, sondern aus ihrer Kombination mit zwei sozialpolitischen Trends, in deren Folge sich die Regionen in einem starken hierarchischen Gefälle massiv voneinander unterscheiden. Sie heißen anhaltende Massenarbeitslosigkeit und massive Ausbildungsdefizite durch das Fehlen von privatwirtschaftlichen Unternehmen und öffentlichen Trägern – was in immer mehr Regionen Ostdeutschlands zur Abwanderung von jungen und mittleren Generationen führt.
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Der statistische Beleg: Der Osten Deutschlands als Sonderfall
Die ostdeutsche Sondersituation, die nur in einigen wenigen Fällen eine Entsprechung in Westdeutschland findet, ist seit der Wiedervereinigung oft genug herausgestellt und ebenso oft angezweifelt worden. In der Demografiedebatte wird sie nun statistisch untermauert. Der Wegweiser demographischer Wandel 2020 der Bertelsmannstiftung etwa führte, um ein permanentes Negativranking im gesamtdeutschen Vergleich zu vermeiden, für ostdeutsche Städte und Regionen eigene Kategorien ein, die es gut meinenden Interpreten ermöglichen sollten, in den Schwankungen der eigentlich negativen Grundtendenz positive Trends zu erkennen. Doch selbst innerhalb dieses Subsystems zeigte die Studie deutlich, dass prosperierende Wirtschaftszentren und stabile Großstädte alle in
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Westdeutschland verortet werden. Im ländlichen Raum Ostdeutschlands werden gerade sechs von 165 Städten bzw. Gemeinden als prosperierend eingestuft. Fast alle von insgesamt 352 schrumpfenden Städten und Gemeinden mit hoher Abwanderung befinden sich in Ostdeutschland, und auch geringe Dynamik wird nur den wenigsten bescheinigt. Die zweite Großinstitution demografischer Forschung, das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, verstieg sich deshalb in seiner letzten Erhebung zu folgender Beschreibung und Empfehlung: „Überaus kritisch ist die Lage vielerorts in den neuen Bundesländern. Seit 15 Jahren verlassen junge Menschen den Osten und ein guter Anteil der dortigen Wirtschaftsschwäche könnte bereits auf das Fehlen einer aktiven, motivierten und gut qualifizierten jüngeren Bevölkerungsschicht zurückgehen. Selbst Kreise, in denen die Wirtschaftskraft deutlich wächst, können davon demografisch kaum profitieren. Die Kommunen bleiben bei sinkenden Einnahmen auf hohen Kosten einer überdimensionierten Infrastruktur sitzen und können vielerorts nur durch weitere Verschuldung die Ausgaben decken. (…) Inseln der Stabilität finden sich in den neuen Bundesländern ausschließlich im Umfeld wichtiger Großstädte. (…) Die Menschen machen somit vor, was die Politik erst langsam erkennt: dass sich angesichts des massiven Bevölkerungsrückgangs von alleine Leuchttürme, Zentren oder Kerne herausbilden, in denen der Erhalt wichtiger Infrastruktur lohnt“ (Berlin-Institut 2006, Zus. S. 4). Tatsächlich werden die Auswirkungen dieses demografischen Wandels in vielerlei Hinsicht unmittelbar sichtbar, am deutlichsten in den Kommunen. Die Budgets der öffentlichen Haushalte sinken in gleichem Maße, wie sie durch die Veränderung der Geburtenzahlen geringer werden bzw. wie die Steuern zahlende Bevölkerung abwandert. Die Ausgaben hingegen steigen, da soziale Sicherungssysteme überproportional beansprucht werden (Werding/Kaltschütz 2004). Langfristig verstärken sich die Negativtendenzen gegenseitig und werden zu einer „demografischen Falle“, aus der die Städte und Regionen nur noch schwer aus eigener Kraft herauskommen. Die sozialen Effekte des demografischen Wandels werden bisher nur vermutet und mit Stichpunkten wie sozialer Entmischung und Polarisierung, gesellschaftlicher Alterung, zunehmender Konkurrenz der Städte und Regionen beschrieben. Sicher ist einzig, dass die konkreten Effekte sich vor allem in ländlichen Regionen Ostdeutschlands viel dramatischer gestalten als die genannten Überschriften es vermuten ließen. Während wegen fehlender Rentabilität Buslinien stillgelegt und Bahnhöfe aufgegeben werden, finden klein- und mittelständische Unternehmen in den lokalen Kreisläufen kaum ein Auskommen. Längst gibt es Landstriche, in denen Dörfer bis auf wenige Alte leer gewohnt sind. Doch auch ohne massiven Bevölkerungsschwund verändert sich die Bevölkerungsstruktur. Die qualitative Seite des
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demografischen Wandels ist hinlänglich bekannt: Oft sind es die weniger Gebildeten, die sozial Benachteiligten, die Immobilen und von jeher Nichtvermögenden, die dableiben. Es liegt nahe, in ihnen die umstrittene „Unterschicht“ zu sehen – wobei das Schichtenmodell auf eine soziale Durchlässigkeit verweist, die in Ostdeutschland an einigen Orten bereits nicht mehr gegeben scheint. Fest steht, dass die Abwanderung im sozialen Gefüge der Städte und Regionen zu neuen Konstellationen führt, für deren Auswirkungen es bisher weder politische noch soziale Handlungsmodelle gibt.
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Politische Handlungsfelder in der Demografiedebatte: Welche Rolle spielt Kultur?
In solchen Szenarien ausgerechnet von der Kultur zu sprechen, liegt nicht unbedingt auf der Hand, und doch ist der Handlungsbedarf hier genauso groß wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Denn der demografische Wandel wirkt sich nicht nur auf das (weniger werdende) Publikum, sondern auch auf Produzenten und Konsumenten aus. Es darf vermutet werden, dass sich mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur bisher dominante Geschmacks-, Bildungs-, Verteilungs- und Informationswege und -gewohnheiten verändern. Die EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ stellte dazu fest: „Kulturschaffende sowie öffentliche und private Kultureinrichtungen sind vom demografischen Wandel betroffen. Er berührt ihre Zuschauer und Zuhörer, Käufer und Kritiker, Teilnehmer und Nachfrager sowie Akteure und Rezipienten in ihren Interessen und ihrem Geschmack, ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit (…), und ihren finanziellen Möglichkeiten, Kulturangebote wahrzunehmen (…). Damit stehen alle bisherigen Erfahrungswerte des Kulturbetriebes auf dem Prüfstand. Das schließt alle Inhalte, Organisationsformen, Finanzierungs- und Beteiligungsmöglichkeiten von bzw. an Kulturangeboten ein“ (Enquetebericht 2008, S.326). Die Kommission machte in ihrer Analyse deutlich, dass die entscheidende Aufgabe der Kulturpolitik darin besteht, neue Steuerungsmodelle im Sinne einer good governance zu entwickeln, die „auf die quantitativen Veränderungen der Bevölkerung reagieren und den sich verändernden Zielgruppen gerecht werden kann. Die große Herausforderung besteht darin, kulturelle Angebote trotz Bevölkerungsverlusten vorzuhalten, also in der Fläche präsent zu bleiben und sie zugleich den (finanziellen) Möglichkeiten der Stadt oder Region anzupassen“ (Enquetebericht 2008, S.327). Als Instrumente nennt sie (hier nur stichpunktartig wiedergegeben) interkommunale Kooperationen, Finanzierungszweckverbünde, die Einführung mobiler Angebote (Einsatz von Bibliotheksbussen, Wanderkinos, Bespielung von Theatern ohne eigene Ensembles durch freie Gruppen
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etc.), die Mehrfachnutzung von spartenübergreifenden Kulturstätten etc. Den Kulturbetrieben empfiehlt sie, im anstehenden Wandel selbst zum Akteur zu werden, dabei die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur als potenzielle Veränderungen des Publikums wahrzunehmen und dies entsprechend bei konzeptioneller Arbeit, bei der Gestaltung des Spielplans und der Vermarktung zu berücksichtigen. In der Vielfalt der genannten Instrumente, die auf kooperative und flexible Lösungsstrategien setzen, machte die Kommission deutlich, dass statistische Phänomene der Bevölkerungsentwicklung keineswegs statistisch beantwortet werden sollten und simple Regulierungen, wie sie etwa im oben zitierten Demografiebericht des Berlin-Instituts vorgeschlagen werden, keinen kulturpolitischen Lösungsansatz darstellen können. Dies bestätigen zunehmend Statistiken aus anderen Bereichen als der Bevölkerungsforschung. Eine Erhebung des Landesverbandes der Musikschulen Brandenburg e.V. aus dem Jahre 2007 etwa belegt, dass weniger Bevölkerung nicht weniger Nachfrage bedeutet, auch und vor allem nicht bei den problematischsten, weil am meisten dezimierten Nutzergruppen von Kindern und Jugendlichen. Im genannten Fall zeigen die Bevölkerungszahlen, dass die Altersgruppe der 4- bis 16-Jährigen im gesamten Land um etwa 15.000 sinkt, die Zahl der Musikschüler aber gleich blieb (MWFK/LV der Musikschulen Brandenburg 2007).
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Neue Kernfragen für Kulturpolitik. Nicht nur: Wer finanziert die Kultur? Sondern auch: Wer rezipiert sie?
Diese Entwicklung ist erfreulich und widerlegt die Notwendigkeit voreiliger Angebotsreduktionen – von der Hand zu weisen ist aber nicht, dass auf Dauer die Frage entsteht, für wen Kultur eigentlich noch vorgehalten werden muss. Damit wirft die demografische Debatte Fragen auf, die weder mit neuen Leitbildern noch mit Kulturentwicklungskonzeptionen zu beantworten sind. Die Tatsache, dass das klassische Kulturpublikum zuerst abwandert, weil es mit dem Weggang echte Chancen verbindet, ist dabei genauso unumstritten wie die Tatsache, dass auch das beste Management nicht vorhandene Ressourcen auch nicht besser zu verteilen hilft. Bedeutend sind deshalb Beobachtungen im kulturellen Bereich Ostdeutschlands, die Kulturproduktion und -rezeption aus einem ganz anderen Blickwinkel beleuchten und weniger von Kulturpolitik als vielmehr von Kulturpraxis in Ostdeutschland berichten. Ein erstaunliches Beispiel dafür ist die kleine Initiative „Dorf macht Oper“ in Klein Leppin, einem Dorf von gerade mal 80 Einwohnern in der Prignitz. Um
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den Faden zur demografischen Debatte konkret aufzunehmen, zitiere ich aus dem Gutachten zum demografischen Wandel in Brandenburg: „Die ländlichen Regionen außerhalb des Metropolengürtels, etwa die Prignitz, die Uckermark oder die Lausitz, treiben in eine Situation, für die bislang keine Lösungskonzepte vorliegen. Denn die zum Teil starken Verluste sind mittelfristig irreversibel. Wer zurückbleibt, ist oft sozial schwach, einkommensschwach, wenig mobil, häufig von Transferleistungen abhängig – also ein Versorgungsfall“ (BerlinInstitut o.J.). Eine Untersuchung für die Bahnreform konstatiert darüber hinaus, dass zwischen 2001 und 2020 noch einmal mit einem Bevölkerungsrückgang von etwa 35 Prozent zu rechnen ist. Was für die Region gilt, spiegelt sich in Klein Leppin erst recht wieder – vor allem, weil es sich um ein Dorf ohne eines der berühmten drei „Ks“ handelt, es also ohne Kirche, ohne Konsum, ohne Kneipe auskommen muss. Den einzigen Lebensmittelpunkt, den es hier gab, war ein alter Schweinestall, der kurz nach der Wende funktionslos wurde – und trotzdem weiterhin dominant die Mitte des kleinen Dorfes bestimmte. Diese Situation war für einen mit seiner Familie zugezogenen Musiker Anlass, einen kleinen Verein namens „Festland e.V.“ zu gründen, mit dem seit 2000 Kunstund Kulturveranstaltungen organisiert werden. Das Herzstück ist der alte, inzwischen leer geräumte und ohne jede technische Ausstattung verbliebene Schweinestall, in dem nun seit einigen Jahren eine kleine Opernproduktion aufgeführt wird, in der professionelle Musiker mit Anwohnern musizieren. Das hört sich vielleicht simpel an, ist aber eine ungeheure Leistung mit kaum hoch genug zu bewertendem Effekt auf das Dorf und die umliegenden Gemeinden – vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Debatte. Während das Orchester aus ehrenamtlich auftretenden Mitgliedern des Rundfunksinfonieorchesters Berlin besteht, wird der Chor aus Dorfbewohnern mit und ohne musikalische Erfahrung gestellt. Das Schauspielerteam ist gemischt aus Profis der freien Szene, Schauspielstudenten und Dorfbewohnern – jungen und alten. Die Initiatoren berichten, dass Kinder leicht zu gewinnen sind, wenn die Musiker in die Dorfschule gehen. Und wenn sie innerhalb einer Jugendkunstwerkstatt für das Bühnenbild verantwortlich sind. Das Wort „kulturelle Bildung“ wird dabei von keinem der Beteiligten benutzt, schließlich geht es den Musikern nicht darum zu missionieren, sondern um ein gemeinsames Erleben von Musik und um gemeinsames Engagement für den Ort. Die Kinder öffnen den Weg in die ganze Familie. Wichtig ist außerdem ein Fußballspiel zwischen der Orchester- und der Dorfmannschaft. Gemeinsam führten sie bisher den Freischütz und den Sommernachtstraum auf – und sie können sich nicht vorstellen, wie herrlich diese kleine Oper im Schweinestall ist. Beispiele wie Klein-Leppin lassen sich in Ostdeutschland viele finden (Volke 2006). Gemeinsam ist ihnen, dass in ihrem Zentrum Akteure stehen, die
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mit ihrem Tun starke inhaltliche und ästhetische Ideen verbinden, die mit der Krisensituation zu tun haben und direkt auf sie reagieren – also zur Not auch ohne öffentliche Infrastruktur, ohne oder mit nur wenigen Fördergeldern. Und die die Veränderungen, die der Bevölkerungsverlust mit sich bringt, nicht nur ernst nehmen, sondern auch zum Ausgangspunkt des eigenen künstlerischen Handelns machen.
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Krise als Ausgangspunkt kulturellen Handelns: Von kulturellen und anderen Akteuren
In der Sozialwissenschaft taucht seit einiger Zeit verstärkt der Begriff des social entrepreneurs, des sozialen Unternehmers, auf, um mit ihm einen nicht neuen aber unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten zu neuer Bedeutung gelangenden Akteurstyp zu beschreiben, der gerade in Krisengebieten und Krisensituationen Projekte verwirklicht, die zu einer entscheidenden, nachhaltigen Verbesserung des Lebens vor Ort beitragen. Gleich den klassischen Unternehmern agieren Sozialunternehmer mit dem Ziel, ein selbsttragendes Unternehmen zu etablieren – nur dass der Erfolg nicht in Profit, sondern in gesellschaftlichen Fortschritten wie Bildung, Umweltschutz, ländliche Entwicklung, Armutsbekämpfung, Menschenrechte, Gesundheitswesen, Behindertenpolitik und Kinderschutz (Bornstein 2005, S. 24) gemessen wird. Social entrepreneurs sind dabei gewiss ein typisch amerikanisches Konzept. Es ist vom Vertrauen auf die individuelle Kraft des Bürgers (Citoyen) und die Bürgergesellschaft geprägt, die aus eigener Kraft Erneuerung bringt. Der Staat bzw. seine Strukturen und Apparate sind dazu das genaue Gegenteil. Von ihnen wird keine Regeneration, kein Wandel erwartet. Genau das ist aber die besondere Qualität der Sozialunternehmer – die, an den Grenzen des Wohlfahrtsstaates agierend, den Bürgerstaat neu erfinden. Ihre gesellschaftliche Rolle wird deutlicher, bettet man die social entrepreneurs in den im Englischen gebräuchlichen Begriff der agents of change ein – eine Bezeichnung für Akteure, die in den verschiedensten gesellschaftlichen Feldern neue Konzepte des Handelns praktizieren, damit einen Wandel herbeiführen und treibende Kraft einer Gesellschaft, nicht zuletzt des Staates sein können. In dieser Eigenschaft besteht auch die Verbindung zu den „kulturellen Akteuren“, deren Außergewöhnlichkeit erst in der gesellschaftlichen Krisensituation sichtbar wird. Allen Akteuren gemein ist, dass sie die Krise als Herausforderung und ihre ästhetische Praxis als Möglichkeit, darauf zu reagieren, betrachten und dabei sowohl in Bezug auf die eigene künstlerische Praxis als auch in Bezug auf Rezeption und Partizipation ihrer Kunst innovativ handeln. Dabei geht es nicht darum, Kunst als Sozialarbeit zu betreiben, sondern um die beson-
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deren Möglichkeiten der Kunst und ein neues Verständnis von kultureller Teilhabe: Es geht nicht um „Publikum“, sondern darum, dass die, wie auch immer konkret aussehende, Beteiligung am Prozess/der Produktion zu einem Stück eigener Lebenserfahrung wird, zu einem Impuls der Veränderung. Das ist in Zeiten des demografischen Wandels eine nicht zu unterschätzende Chance und ein neuer, radikaler Begriff von Kultur bzw. den Aufgaben der Kulturförderung.
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Neue Modelle – alte Leitfiguren: Was bedeutet die Demografiedebatte für arrivierte Themen der Kulturpolitik?
Um die Figur des kulturellen Akteurs noch etwas deutlicher heraustreten zu lassen, soll an dieser Stelle ein (sehr kurzer) Rekurs auf kulturpolitische Begriffe und Denkmodelle gewagt werden: Die kulturpolitische Debatte hat sich in den letzten Jahren zentrale Begriffe gesucht, mit denen sie den veränderten Bedingungen von Kultur und ihrer Rezeption begegnen will. Die Kategorie „Publikum“ etwa signalisiert einen Paradigmenwechsel von einer Kulturpolitik aus der Sicht auf die künstlerischen und kulturellen Institutionen und deren Erhalt auf eine Sicht der Nutzer. Das ist ganz sicher wichtig und sinnvoll – die kulturellen Akteure deckt das jedoch nicht ab. Hier geht es nicht um „Rezipienten“, deren Alter oder kulturelle Vorlieben sich ändern, sondern es geht um Teilhabe; nicht um Konzepte für die Bevölkerung, sondern mit ihr. Der israelische Schriftsteller Aaron Appelfeld sagte anlässlich der Eröffnung des 7. Internationalen Literaturfestes in Berlin: „Menschen ändern sich nur, wenn sie selbst etwas erleben. Wir werden nicht klüger in Gedanken. Wir ändern uns woanders, vielleicht in den Beinen, irgendwo. Unsere Seele ist dann ein bisschen breiter geworden“ (Berliner Zeitung, 6.9.2007). Das entspricht den Erfahrungen der Autorin mit den kulturellen Akteuren. Ihr Erfolg speist sich aus Teilhabe, die allerdings sehr vielgestaltig sein kann und nicht unbedingt bedeutet, dass Laien Theater spielen oder in Museen nur noch Jugendkultur gezeigt wird. Es geht dabei natürlich auch um neue Methoden der Vermittlung – allerdings um eine, die neue Kontexte und Sinnhaftigkeiten erlaubt. In Bezug auf bürgerschaftliches Engagement bzw. Ehrenamt lässt sich sagen, dass kulturelle Akteure oft Ehrenamtliche sind – gerade in Ostdeutschland ist dieser Begriff jedoch häufig sinnwidrig, denn die Ehrenamtlichkeit bezeichnet hier einzig die Tatsache, dass die Künstler und Kunstvermittler, die etwas anstoßen und in die Wege leiten, oft kein oder nur sehr wenig Geld dafür bekommen. Unter anderen Umständen würden wir sie als „freie Szene“ bezeichnen.
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Dabei ist die beschriebene Haltung der kulturellen Akteure keineswegs auf freie Künstler oder Ehrenamtliche beschränkt. Vielmehr lassen sich zahlreiche Stadttheater finden, die diese Rolle bravourös ausfüllen. Und ein Museum: das Lindenau-Museum Altenburg, das mit der Ausstellung „Altenburg. Provinz in Europa“ in einer bisher einmaligen Vorgehensweise den gesellschaftlichen IstZustand, das tatsächliche Leben der Menschen vor Ort, zum Ausgangspunkt einer Ausstellung genommen und künstlerische Produktion hervorgerufen hat, die dem Wort von der zeitgenössischen, also in der Zeit entstandenen und auf die Zeit bezogenen Kunst eine ganz neue Bedeutung geben dürfte. Trotzdem gehört zur Geschichte dieser außergewöhnlichen Ausstellung auch ihr – partielles – Scheitern, denn die lokale Politik bekämpfte die künstlerischen Interventionen gerade, weil sie von der Krise ausgingen und damit scheinbar dem Image der Stadt schadeten. Die Details dieser Ausstellung sind hier nicht hinreichend zu beschreiben. Wichtig an ihnen ist der für Akteure so bedeutsame (kultur-)politische Counterpart, ohne den die besten kulturellen Akteure am Ende im Zweifelsfall scheitern müssen. Und damit ist auch die Crux des Modells „kulturelle Akteure“ beschrieben: Die Versuchung, kulturelle Akteure zu „machen“ ist ungeheuer groß. Auch von derlei Versuchen ist Ostdeutschland voll. Das Stichwort „interventionistische Kultur“ kann dafür als Überschrift gelten, es wird etwa in den beiden Internationalen Bauausstellungen, die in Ostdeutschland ausgerichtet werden, versucht. Sowohl die IBA Lausitz als auch die in Dessau wollen mit kulturellen Projekten in die gesellschaftliche Krise eingreifen und Prozesse in Gang setzen, die Identität und Identifikation, Kommunikationsstiftung über Kunstprojekte zum Ziel haben. Ein anderes Beispiel ist die Gräberpyramide mit Weltwunderanspruch im Landkreis Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt), in der es auch um nichts anderes als alternative Konzepte für ostdeutsche Regionen, um Sinnstiftung durch Kultur geht. In allen drei Fällen sind es aber so genannte „Konzepter“, die sich für den einen oder anderen Ort in Ostdeutschland möglichst radikale und pressetaugliche Ideen ausdenken. Sie werden finanziert in der Hoffnung, dass die Bevölkerung im Laufe der Debatte Gefallen daran findet und etwas „annimmt“ oder akzeptiert. Das bedeutet die Umkehrung dessen, was in diesem Beitrag von den kulturellen Akteuren skizziert wurde. Doch zurück zur demografischen Debatte. Die große Chance, die sich mit der demografischen Debatte verbindet, besteht darin, kulturpolitische Themen neu und radikal zu verhandeln. Kultur kann den demografischen Wandel nicht aufhalten. Aber sie kann, richtig verstanden und ausgeführt, besser als andere Politikfelder herstellen, was am schnellsten verloren geht: Teilhabe und Beteiligung, Engagement und Kommunikation, sie wirkt also im besten Sinne Demo-
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kratie erhaltend. Das gilt nicht nur für Ostdeutschland, aber besonders, jedenfalls im Moment.
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Quellenverzeichnis Berliner Zeitung (2007): Rede Aaron Appelfelds zur Eröffnung des 7. Internationalen Literaturfestes Berlin, Feuilleton vom 6. Sept. 2007. Bertelsmann Stiftung Gütersloh (2006): Wegweiser Demographischer Wandel 2020. Analysen und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden, veröffentlicht unter: http://www.aktion2050.de/wegweiser (Abfrage am 10. Mai 2008). Blümel, H. (2006): Demografischer Wandel – SPNV nur noch im Ballungsraum Westdeutschlands? Papier zur Bahnreform 2.0. Bornstein, D. (2005): Die Welt verändern. Social Entrepreneurs und die Kraft neuer Ideen, Deutsche Ausgabe Stuttgart 2005. Berlin-Institut (2006): Krönert, S./Medicus, F./Klingholz, R.: Die demographische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? Veröffentlicht unter: http://www.berlin-institut.org/berlin-institut_studie_2006.pdf (Abfrage am 28. April 2008). Berlin-Institut (2007): Klingholz, R./Steffens, M.L./Weber, A.: Gutachten zum demografischen Wandel in Brandenburg. Expertise im Auftrag des Brandenburgischen Landtages, Webversion, veröffentlicht unter: http://www.berlin-institut.org/studien/gutachten_zum_demografischen_wandel_im_land_ brandenburg.html (Abfrage am 9. März 2008). Grünbuch (2005): Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum GRÜNBUCH „Angesichts des demografischen Wandels – eine neue Solidarität zwischen den Generationen“ KOM (2005) 94, Brüssel 16.3.2005. KMK (2004): Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kultur, Empfehlung der Kulturministerkonferenz der Länder vom 16.9.2004. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg / Landesverband der Musikschulen Brandenburg e.V. (2007): Statistische Angaben zum Nutzerverhalten der Brandenburger Musikschulen. Werding, M./Kaltschütz, A. (2004): Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, IFO-Institut für Wirtschaftsforschung. Volke, K. (2006 a): Kulturelle Folgenabschätzung. Zum Zusammenhang von demografischem Wandel und „Unterschichten“. In: Kulturpolitische Mitteilungen IV/2006. Volke, K. (2006 b): Kultur und Krise. Über die Rolle kultureller Akteure in gesellschaftlichen Umbrüchen. In: Dümcke, C./Volke, K.: Entwicklung gestalten – Perspektiven für den kulturellen Wandel in Ostdeutschland und Vortrag auf dem Forum "Engagement für Kultur – Perspektiven in Ostdeutschland" der Kulturstiftung des Bundes am 29. und 30.6.2007 in Plauen, veröffentlicht unter: http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/main.jsp?articleID=3337&applicationID= 203&languageID=1.
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Von der Kulturentwicklungsplanung zur »Kulturabwicklungsplanung«? – Kulturelle Planungen im Kontext des demografischen Wandels
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................... 85 2 Kulturelle Planungen im Kontext des demografischen Wandels ................ 86 2.1 Drei Phasen kultureller Planungen ..................................................... 86 2.2 Herausforderungen für die Kommunalpolitik im Zeichen des demografischen Wandels ................................................................... 89 2.3 Der demografische Wandel in kulturellen Planungen ........................ 92 3 Anforderungen an kulturelle Planungen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ............................................................................ 94 3.1 Planungsbeteiligte und Gestaltungsraum ........................................... 94 3.2 Grundlagen und Bestandsaufnahme ................................................... 96 3.3 Analyse ............................................................................................ 100 3.4 Ziele und Maßnahmen ...................................................................... 101 3.5 Planungsumsetzung und Evaluation ................................................. 102 4 Resümee ................................................................................................... 103 Quellenverzeichnis ......................................................................................... 104
Kulturelle Planungen und demografischer Wandel
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Einleitung
Kulturelle Planungen auf kommunaler Ebene gewinnen vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem demografischen Wandel wieder zunehmend an Bedeutung. Dieser Bedeutungszuwachs manifestiert sich u. a. in zahlreichen Aussagen und Empfehlungen im Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages (Deutscher Bundestag 2007). „Älter, bunter, weniger“ (Stiftung Niedersachsen 2006) ist dabei längst keine Prognose mehr, sondern Realität, die die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte sowie die wachsenden Disparitäten zwischen den Regionen noch verschärft. Gleichfalls wird dadurch der sog. „Kulturkampf“ angeheizt, welcher sich in einem steigenden Begründungsbedarf für die öffentlichen Aufwendungen für Kultur äußert, als auch in einem Verteilungswettbewerb unter den einzelnen politischen Aufgabenbereichen (Wagner 2008b). Die beschriebenen Entwicklungen werden von Diskussionen begleitet, die sich mit der Gewährleistung kultureller Infrastruktur durch die öffentliche Hand beschäftigen, als auch mit neuen Steuerungsmodellen in der Kulturpolitik und öffentlichen Verwaltung. Diese insgesamt doch sehr pessimistischen Betrachtungsweisen sollten jedoch bei den Beteiligten nicht zu einer Lähmung führen. Vielmehr ist der demografische Wandel als Gestaltungsaufgabe zu betrachten. Bislang finden die demografischen Faktoren zwar noch wenig Eingang in die Praxis kommunaler kultureller Planungen, aber das erneute Interesse deutet darauf hin, dass dieser Gestaltungswille vorhanden ist. Obwohl die demografischen Veränderungen in der Kulturpolitik inzwischen vielfach thematisiert und diskutiert werden, gibt es bislang kaum konkrete kulturpolitische Strategien im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen, an denen sich Kulturentwicklungsplanungen orientieren können. Zudem vollziehen sich die demografischen Entwicklungen bei kleinräumlicher Betrachtung sehr unterschiedlich. Da jede Kommune ihr eigenes Profil hat und über andere Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten kultureller Aktivitäten verfügt, gibt es demzufolge kein »Einheitsrezept« zur Erstellung eines Kulturentwicklungsplanes. Auch die Ansätze vergangener Pläne, die an die kulturpolitischen Strategien ihrer jeweiligen Zeit geknüpft waren, können da nur begrenzt nützlich sein. Die Bedingungen kommunaler Kulturpolitik haben sich in den letzten Jahren so verändert, dass auf diese „weder mit den inhaltlich-konzeptionellen Zielsetzungen der Neuen Kulturpolitik der siebziger Jahre noch mit dem fröhlichen Pragmatismus der achtziger Jahre oder der Sparpolitik der neunziger Jahre reagiert werden“ kann (Wagner 2008b, S. 107). Die sinkenden Haushaltsbudgets für Kultur sollten demzufolge nicht dazu führen, dass Kulturentwicklungspläne zu „Kulturabwicklungsplänen“
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(Germer 2006) mit dem Schwerpunkt einer reinen Kostenreduzierung avancieren. Vielmehr sind spezifische Ansätze notwendig, die u. a. die Parameter der Bevölkerungsentwicklung stärker als bisher berücksichtigen und in Bezug zum kulturellen Angebot setzen. Im Prozess der Kulturentwicklungsplanung kann der Wandel als Chance begriffen werden, indem nicht nur problem-, sondern optionenorientiert neue Lösungsansätze generiert werden. So eröffnen sich durch die Herausforderungen auch Chancen, die teilweise „alten bürokratischen Ordnungen und Strukturen“ (Klein 2007), die nach wie vor viele öffentlich getragene Kultureinrichtungen und -verwaltungen prägen, zu hinterfragen und einen Perspektivwechsel einzuleiten. Unter dieser Prämisse können kulturelle Planungen ein hilfreiches Instrument sein und zur Sicherung und Entwicklung einer zukunftsfähigen kulturellen Infrastruktur beitragen. Im Folgenden sollen zu dieser Thematik einige Hinweise gegeben werden, was bei kulturellen Planungen auf kommunaler Ebene hinsichtlich des demografischen Wandels zu berücksichtigen ist. Bevor auf die Möglichkeiten der Herangehensweise eingegangen wird, sollen zunächst überblicksartig die Praxis kultureller Planungen beschrieben und anschließend die demografischen Entwicklungen mit ihren absehbaren Herausforderungen sowie sich abzeichnende Tendenzen kulturpolitischer Strategien dargestellt werden.
2 2.1
Kulturelle Planungen im Kontext des demografischen Wandels Drei Phasen kultureller Planungen
Die Vielzahl an verschiedenen Planungsansätzen, -typen und Begriffsverwendungen (z.B. Kulturkonzept, Kulturrahmenplan, Kulturfahrplan etc.) deuten darauf hin, dass ein unterschiedliches Verständnis bezüglich kultureller Planungen existiert. Obwohl es keine allgemeingültige Definition von Kulturentwicklungsplanung gibt, lassen sich grundsätzliche Kernbestandteile herausarbeiten, die in den meisten Ansätzen wiederzufinden sind (Morr 1999, S. 150; Richter 1992, S.3; Wagner 1997). Ein Kulturentwicklungsplan hat demnach folgende Bestandteile:
eine umfassende und differenzierte Bestandsaufnahme, eine ausführliche Analyse der Bestandsaufnahme, die kulturpolitischen Ziele einer Stadt, eines Kreises oder eines Landes und Prioritätensetzung, Maßnahmen, wie diese Ziele erreicht werden sollen, ggf. eine Auflistung der Personal-, Sach- und Investitionskosten und
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einen Zeitplan für die Finanzierung und Umsetzung der Maßnahmen.
Grundsätzlich wird mit Kulturentwicklungsplanung ein Prozess beschrieben, bei dem es nicht darum geht, Kultur zu planen. Vielmehr soll die planerische Grundlage und der Gestaltungsrahmen für die Entwicklung und Förderung eines vielfältigen kulturellen Lebens in der Kommune geschaffen werden. Die Praxis kultureller Planungen reicht nunmehr über dreißig Jahre zurück. In dieser Zeit haben sich die Zielsetzungen und Herangehensweisen von Kulturentwicklungsplanungen immer wieder verändert. So bestand Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre, die als erste Phase kultureller Planungsprozesse bezeichnet werden kann, die hauptsächliche Aufgabe in der Umsetzung von Zielen der kulturpolitischen Reformen. Im Zuge der Neuorientierung der Kulturpolitik standen bei diesen kulturellen Planungen die Leitbilder „Kultur für alle“ (Hoffmann 1979) und „Bürgerrecht Kultur“ (Glaser/Stahl 1983) im Mittelpunkt. Dabei waren vielfach Bedarfs- und Bedürfnisdiskussionen zentraler Gegenstand der ersten Kulturentwicklungsplanungen. Der Kulturentwicklungsplan der Stadt Osnabrück (1979) gilt als die erste umfassende Planung in Deutschland. Sie ist im Zusammenhang mit der Stadtentwicklungsplanung Osnabrück entstanden (Morr 1999, S. 128). In der zweiten Phase kultureller Planungen, Ende der achtziger Jahre, wurden inhaltliche Zielsetzungen der Demokratisierung und Partizipierung von Kultur vielfach abgelöst und Kultur zunehmend einer funktionalistischen Betrachtungsweise unterworfen. Eingebunden in ökonomische Zusammenhänge „wurden kulturelle Kompetenzen zur Bewältigung und sozial ›verträglichen‹ Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierungs- und Innovationsprozesse in Anspruch genommen“ (John 2008, S. 16). Nun spielte nicht mehr die Entwicklung neuer Aufgabenbereiche eine zentrale Rolle, sondern „Planung muß[te] überwiegend im Rahmen der vorhandenen Ressourcen stattfinden, ohne diese ausweiten zu können. Die Orientierung an Effektivitätsund Rationalisierungserfordernissen sowie an Kosten-Nutzen-Relationen auch im Kulturbereich engt[e] die Spielräume ein“ (Eichler 1988, S. 116). Der ursprüngliche Entwicklungsgedanke trat somit hinter dem „Strukturierungsaspekt“ (ebd.) zurück. Für die zweite Phase stehen Kulturentwicklungsplanungen in den Städten Ahlen (1988), Singen (1988) und Ludwigshafen (1989). In den neunziger Jahren nehmen vor allem auch in den Kreisen und Städten der ländlichen Räume kulturelle Planungen zu. Für Morr zeichnete sich bereits 1999 eine mögliche dritte Phase ab, die u.a. von folgenden Trends bestimmt sein würde (Morr 1999, S. 131f.):
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Der Bereich der Kulturarbeit wird vielfältiger und damit werden ganzheitliche Ansätze zunehmend bedeutender, z.B. Planungen im Rahmen von Stadtverbünden, überörtlichen Zweckverbänden, Kreisen etc., kommunikative und kooperative Aspekte (insbesondere Vernetzungen) werden bedeutsamer und sollten stärker in Planungsvorhaben berücksichtigt werden, die öffentlichen Kulturangebote treten immer häufiger hinter den Angeboten der privatwirtschaftlichen und gemeinnützigen Angebote zurück, die Aufgabenbereiche öffentlicher Kulturverwaltungen verändern sich aufgrund von Verwaltungsreformen (z.B. Produktbeschreibungen) und neuer Steuerungsmodelle, es gibt eine verstärkte Forderung nach Visionen und Leitzielen der Kulturpolitik seitens der Kulturpolitiker und Kulturpraktiker.
Diese schon damals von Morr aufgezeigten Trends erhalten ihre gegenwärtige Bestätigung bzw. ihren zunehmenden Einfluss im Schlussbericht der EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages (exempl. Deutscher Bundestag 2007, S. 91-96, 104, 219-228). Hier findet sich auch die zentrale Empfehlung, die kulturellen Planungsansätze entsprechend den neuen gesellschaftlichen Anforderungen zu modifizieren (vgl. ebd., S. 223). Zugleich lässt sich feststellen, dass die gegenwärtigen Planungs- und Diskussionsprozesse kommunaler Angebote und Kulturpolitik trotz der demografischen Auswirkungen wieder stärker von einem Entwicklungsgedanken geprägt sind. Dabei stehen sie im Kontext einer Neuorientierung der Kulturpolitik und der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen. Es ist demnach davon auszugehen, dass zukünftige Kulturentwicklungsplanungen sowohl Entwicklungs- als auch Strukturierungselemente beinhalten werden, um sich den komplexer werdenden Herausforderungen zu stellen. Die Kommune wird dabei im Rahmen einer „kooperativen Kulturpolitik“ (Sievers 1998) nicht als alleiniger Anbieter kultureller Leistungen gesehen, sondern als ein Akteur neben den freigemeinnützigen Trägern und den privaten Kulturakteuren. Folglich wird sie – stärker als bisher – die Rolle eines Moderators übernehmen (müssen), um Kooperationen zu stiften (s. zum Themenkomplex Kooperation/demografischer Wandel hier und für den gesamten Beitrag Aufsatz von Föhl in diesem Band) und koordinierend sowie vermittelnd tätig zu werden (Wagner 2008b).
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2.2
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Herausforderungen für die Kommunalpolitik im Zeichen des demografischen Wandels
Der demografische Wandel und seine Auswirkungen können im Wesentlichen mit den Stichworten Abnahme, Alterung und Internationalisierung der Bevölkerung beschrieben werden. Dabei ist die Bevölkerungsabnahme auf die natürlichen Bevölkerungsentwicklungen (niedrige Geburtenraten) und die Wanderungsbewegungen zurückzuführen. Letztere finden aus unterschiedlichen Motiven statt, wie z.B. der arbeitsplatzorientierten Fernwanderungen von strukturschwachen in dynamischere Regionen, sogenannte „Ruhestandswanderungen“ insbesondere in Gebiete mit hoher Lebensqualität und die Stadtflucht aus den Kernstädten in die suburbanen Räume (Danielzyk 2005, S. 196). Insbesondere die Abwanderung jüngerer Menschen aus den strukturschwachen Regionen, explizit in den neuen Ländern, stellt die Kommunen vor erhebliche Probleme. Das zeigt der hohe Altersdurchschnitt, begünstigt durch die gestiegene Lebenserwartung, die unterdurchschnittlich niedrige Geburtenrate und eine hohe Abwanderungsquote (Beetz 2006). Daneben lassen sich jedoch noch eine Reihe weiterer sozialer und gesellschaftlicher Herausforderungen darstellen, die Konsequenzen für kulturpolitische Ausrichtungen haben. Hierzu zählen z.B. die zunehmend individualisierten Lebensentwürfe, die soziale Polarisierung und die Entwicklungen neuer Kommunikationstechnologien bzw. -formen. Damit eng verknüpft ist ein verändertes Konsum- und Freizeitverhalten. Die aktuellen kulturpolitischen Debatten sind demnach von folgenden Problemstellungen bestimmt (vgl. hierzu auch die Beiträge von Dreyer und Hausmann in diesem Band):
Die demografischen Veränderungen hängen unmittelbar mit der Entwicklung der kommunalen Finanzkraft zusammen. Aufgrund sinkender Haushaltsbudgets kommt es zu Verteilungskonflikten. Insbesondere der Kulturbereich als freiwillige kommunale Leistung ist überdurchschnittlich von den finanziellen Auswirkungen betroffen. Die massive Konkurrenz zwischen Städten und Regionen um Einwohner führt zu Debatten über eine „Grundversorgung“ für eine verbleibende „Restbevölkerung“ (Göschel 2007) insbesondere in strukturschwachen Regionen. Die veränderte Bevölkerungs- und Altersstruktur hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach kulturellen Angeboten und die Auslastung der Kulturinstitutionen (Hippe/Sievers 2006).
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Der wachsende Leerstand in Dörfern und Städten gefährdet den Erhalt kulturhistorischer Bausubstanz wie z.B. Kirchen, Denkmäler, Archive und historische Sammlungen (Deutscher Bundestag 2007, S. 225f.).
Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden sich auf kleinräumiger Ebene sehr unterschiedlich ausweisen. In der Raumplanung und Regionalforschung wird davon ausgegangen, dass die Entwicklungen nicht homogen verlaufen, sondern es ein enges räumliches Nebeneinander von wachsenden und schrumpfenden Gemeinden geben wird (Sarcinelli/Stopper 2006). Insbesondere auf den ländlichen Kommunen lastet der Handlungsdruck, da sich die Erhaltung kultureller Infrastruktur in der Fläche kaum noch realisieren lässt. Aus den demografischen Fakten werden daher nicht nur inhaltliche Veränderungen im Kulturbereich notwendig, sondern es resultieren – wie oben dargestellt – auch Folgen für die Infrastruktur, die entweder darauf abzielen, die Breite und Qualität der Kultureinrichtungen der Finanzkraft anzupassen oder bewusst auf spezifische Angebotssegmente zu verzichten. An dieser Stelle sind sowohl Kulturpolitik und -verwaltung, als auch Kulturinstitutionen, Kulturschaffende und -akteure gefragt, den Wandel zu gestalten und ungeachtet solcher Szenarien auch Chancen zu ergreifen. So gibt es erfolgreiche Beispiele die zeigen, dass die Gestaltung des kulturellen Profils einer Region möglich bleibt (Deutscher Bundestag 2007, S. 223; Föhl/Neisener 2008). Der Diskussionsstand hinsichtlich des demografischen Wandels zu kulturpolitischen Folgerungen und zur strategischen Ausrichtung der Kulturpolitik ist allerdings noch sehr vage und diversifiziert. Auf Grundlage der zuvor getroffenen Aussagen liegt es jedoch nahe, dass zukünftig prioritär eine Doppelstrategie verfolgt werden wird/sollte, die zum einen eine Präventiv- (unter der Fragestellung: Wie kann dem demografischen Wandel entgegengewirkt werden? z.B. mittels Kinder-, Familien- und Seniorenpolitik) und zum anderen eine Anpassungsstrategie beinhaltet (d.h. in welchen Bereichen müssen strategische Anpassungen vorgenommen werden?) (Schmidt/Große Starmann 2006). Beide Strategien sind jedoch eher reaktiv und sollten deshalb mit einem Entwicklungsaspekt verzahnt werden, der es ermöglicht, vielmehr Optionen aufzuzeigen, wie neue Impulse zur mittel- bis langfristigen Verbesserung der Situation beitragen können (Leibnitz Institut 2006). Aus dem aktuellen kulturpolitischen Diskurs und jüngsten Veröffentlichungen zu dieser Thematik lassen sich Erkenntnisse für einen Strategienwandel ableiten, die richtungsweisend für kulturelle Planungsprozesse sein können (Auswahl):
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Aktivierende Kulturpolitik (Scheytt 2006; Sievers 2005). Förderung der kulturellen Bildung und des lebenslangen Lernens, da das Interesse am Kulturangebot eindeutig mit dem Bildungsstand korreliert (Deutscher Bundestag 2007, BLK 2004). Förderung und Stärkung des Bürgerschaftlichen Engagements (IFK 2001). Von einer Angebots- zu einer stärkeren Besucherorientierung (Klein 2007, S. 63; Kulturpolitische Gesellschaft 2006). Leitbild Governance der öffentlichen Verwaltung: Fokussierung auf kulturpolitische Ziele und kooperative Lösungsstrategien, die alle kulturpolitischen Akteure (staatliche, private und freigemeinnützige) mit einbezieht (Deutscher Bundestag 2007, S. 93; vertiefend Benz et al. 2007; zur Kooperationsdurchführung Föhl 2008). Weiterentwicklung von Kulturangeboten im Hinblick auf die Interessen und Bedürfnisse Älterer (exempl. Europäisches Netzwerk „Kultur und Alter“) und neue Wege in der Vermittlungs- und Zielgruppenarbeit (exempl. Knopp/Nell 2007). Integrationspolitik (exempl. Stiftung Niedersachsen 2006). Barrierefreiheit (exempl. Föhl et al. 2007). Generationsspezifische und -übergreifende Angebote von Kunst und Kultur haben ihr je eigenes Recht und sind weiterzuentwickeln (o.A. 2006, exempl. „mehrkultur55plus“). Stärkung der interkulturellen Kompetenz (mit Blick auf die Integration von Migranten) und der individuellen Kompetenz und Persönlichkeitsbildung bei Kindern und Jugendlichen (ebd.). Kulturpolitik in ländlichen Regionen als Strukturpolitik begreifen (Deutscher Bundestag 2007, S. 137-140). Abschied vom Wachstumsparadigma (Sarcinelli/Stopper 2006).
Darüber hinaus sollten kulturelle Planungen als integrierte Planungen konzipiert werden, die weitestgehend alle kulturell-künstlerischen Bereiche mit einbeziehen sowie andere Felder der Kommunalpolitik wie Jugend-, Bildungs-, Sozialund Wirtschaftspolitik als auch Stadtmarketing (Wagner 2008b). In diesem Zusammenhang werden neue Anforderungen an Kulturentwicklungsplanung gestellt. Diese Leitlinien und Themenfelder machen aber auch deutlich, dass mit dem demografischen Wandel nicht „nur“ der Rückbau kultureller Infrastrukturen assoziiert werden sollte. Die besondere Herausforderung besteht vielmehr darin, „die freiwillige Leistung Kultur weiterhin vorzuhalten und dabei nicht nur unter der Maßgabe der Mitteleinsparung, sondern korrespondierend mit der Bevölkerungsentwicklung quantitative und qualitative Weichenstellungen vorzunehmen“ (Deutscher Bundestag 2007, 222). Kulturent-
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wicklungsplanungen sind somit als Teil des strategischen Kulturmanagements auf die „Entwicklung einer zukunftsfähigen kulturellen Infrastruktur“ (Wagner 2008, S. 176) ausgerichtet. Bevor einige Möglichkeiten für die Herangehensweise solcher Planungen aufgezeigt werden, soll zunächst beschrieben werden, wie der demografische Wandel in der derzeitigen kulturellen Planungspraxis Berücksichtigung findet und welche Chancen aber auch Grenzen dieses Steuerungsinstrument beinhaltet.
2.3 Der demografische Wandel in kulturellen Planungen Bisher fand der demografische Wandel, als ein externer Einflussfaktor, noch relativ wenig Berücksichtigung innerhalb von kommunalen kulturellen Planungen, obwohl sich das Thema unübersehbar in alle politischen Bereiche drängt. Nur wenige Bundesländer verstehen das Thema Kultur und Demografie als eigenständiges Handlungsfeld und haben dieses auf ihre Agenda gesetzt, wie z.B. Hessen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen (Deutscher Bundestag 2007, S. 219). In Brandenburg hat sich die Landesregierung beispielsweise frühzeitig mit den Auswirkungen des Wandels befasst. In einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe wurden zahlreiche politikfeldübergreifende Handlungsstrategien erarbeitet und dementsprechend förderpolitische Programme modifiziert (Ruben 2007). So wurden im Jahr 2004 in der Fortschreibung und Aktualisierung der Landesentwicklungskonzeption für das Land Brandenburg von 2002 die kulturpolitischen Implikationen des demografischen Wandels aufgegriffen. Kulturpolitische Prioritäten wurden dabei innerhalb eines Kooperationsmodells und im Diskurs zwischen Land, Kommunen und freien Trägern bestimmt. Die Evaluation der formulierten Ziele erfolgt seitdem in relativ kurzen Abständen von zwei Jahren (ausführlich Deutscher Bundestag 2007, S. 93-94). Mit diesem Ansatz sollen Kulturkonzeptionen von unten nach oben erarbeitet sowie eine relative Planungssicherheit für die verschiedenen Kulturträger gewährleistet werden. Ein wesentliches Ziel ist die Stimulation von regionalen Kooperationen, die ein gemeinsames Handeln und einen wirkungsvolleren Einsatz der Mittel über kommunale und ressortbezogene Verwaltungsgrenzen hinweg erlauben (Strittmatter 2002). Wie eingangs erwähnt, werden Kulturentwicklungsplanungen wieder zunehmend als Steuerungsinstrument bedeutsam. Der Schlussbericht der EnqueteKommission zeigt auf, welche Erwartungen in und Anforderungen an kulturelle Planungen gestellt werden. Diese Empfehlungen fließen in das nächste Kapitel mit ein. Neben diesen Zielen und Aufgaben erfüllen Kulturentwicklungspläne
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noch weitere, wichtige und nicht zu unterschätzende Funktionen (vgl. dazu auch Morr 1999, S. 183):
Der Prozess sensibilisiert für das Thema demografischer Wandel und für entsprechende Gesamtzusammenhänge, Kulturentwicklungspläne verschaffen einen Überblick über die gesamte Kulturlandschaft auf der Grundlage einer fundierten und detaillierten Bestandsaufnahme der kulturellen Infrastruktur, die Gegenüberstellung soziodemografischer Bevölkerungsdaten, gesellschaftlicher Einflussfaktoren und kultureller Angebote machen den Modifizierungs- und Anpassungsbedarf deutlich, ein eventuelles Überangebot oder eine Unterversorgung werden sichtbar gemacht, Überschneidungen oder Doppellungen im Kulturangebot werden sichtbar, die Einzugsgebiete von Kulturangeboten werden transparent gemacht, problematische Themen bzw. explizit gefährdete Bereiche, die ggf. einer gesonderten Untersuchung bedürfen, können explizit benannt werden, es werden Zieldiskussionen angestrebt, anhand derer Prioritäten und Akzente in der Kulturförderung gesetzt werden können, kulturpolitische Strategien bzw. deren Fehlen werden kritisch überprüft und erfahren Transparenz, es werden Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten aufgezeigt sowie Perspektiven für die Bündelung von Angeboten, es können gemeinsam Anpassungsstrategien und Maßnahmen zum Gegensteuern erarbeitet werden, ein sparten-, sektoren- oder sogar ressortübergreifender Diskussionsprozess kann in Gang gesetzt werden (z.B. zu gemeinsamen Herausforderungen und Lösungsstrategien), aus Kulturentwicklungsprozessen können Impulse, innovative Ideen und neue Lösungsansätze hervorgehen, ggf. wird ein Koordinationsbedarf kultureller Aktivitäten sichtbar, die Prioritätensetzung kann sich profilbildend auf eine Stadt oder Region auswirken, ein solcher Plan liefert Entscheidungs- und Argumentationshilfen.
Diese Auflistung an Vorteilen darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine Reihe an Planungshindernissen oder zumindest -schwierigkeiten gibt, die eine Planung im Vorfeld entscheidend beeinflussen können. Das können beispielsweise zu hoch gesteckte Hoffnungen sein, aber auch der Kostenfaktor oder der Zeitaufwand für die Erstellung kultureller Planungen spielen dabei eine erhebliche Rolle (Morr 1999, S. 169-182). Schwierigkeiten kann es
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auch beim ressortübergreifenden und vernetzenden Denken geben. Bei einer Kulturentwicklungsplanung, die im Sinne des Governance-Ansatzes möglichst alle Akteure der drei Sektoren mit einbezieht, ist ein erhöhter Diskussions- und Zeitbedarf einzurechnen. Die Erarbeitung kultureller Planungen erfordert zudem Professionalität sowie konkrete Kenntnisse und sollte nicht im Rahmen der laufenden Verwaltungsarbeit „miterledigt“ werden. Entsprechende Personalund Zeitressourcen sind dafür bereitzustellen und ggf. können auch externe Fachleute den Prozess unterstützen. Entscheidend ist jedoch das Bewusstsein darüber, dass Planungen eine Kulturpolitik vor Ort nicht ersetzen können (Morr 1999, S. 133).
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Anforderungen an kulturelle Planungen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels
Nachfolgende Gliederung orientiert sich an den von Morr aufgestellten möglichen Bestandteilen kultureller Planungen (Morr 1999, S. 165). Diese Bestandteile werden entsprechend vorgenannter Problemstellungen modifiziert und sinnvoll ergänzt. Die Gliederung stellt jedoch keine zeitliche Abfolge einer Kulturentwicklungsplanung dar. Den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen bilden die Bestandsaufnahme und die Analyse. Als Ausgangspunkt kultureller Planungen sollen hauptsächlich diese Bereiche vertieft werden.
3.1 Planungsbeteiligte und Gestaltungsraum Aktuelle Kulturentwicklungspläne fokussieren im Sinne des GovernanceAnsatzes nicht nur einzelne Institutionen, sondern erfassen den Kulturbereich einer Region als Ganzes. Eine solche Kulturentwicklungskonzeption wird in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren erarbeitet (Deutscher Bundestag 2007, S. 93). Eine Kommune sollte sich dabei neben privaten und freigemeinnützigen als ein Akteur unter anderen verstehen. Nach Ansicht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ verwirklicht sich die kulturpolitische Kooperation von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am besten im Rahmen einer landesweiten Kulturentwicklungsplanung. Allerdings ist abzuwägen, ob diese rechtlich institutionalisiert (z.B. Sächsisches Kulturraumgesetz) oder auf freiwilliger Basis (Brandenburg und Nordrhein Westfalen) erarbeitet werden soll (ebd., S. 104). Abgesehen von solchen Landesentwicklungskonzeptionen profitieren Nachbarkommunen von aufeinander abgestimmten Kulturentwicklungsplänen.
Kulturelle Planungen und demografischer Wandel
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Denkbar sind auch gemeinsame Planungen in interkommunaler Zusammenarbeit. In diesem Fall können beispielsweise gemeinsam Entwicklungsperspektiven auf der Grundlage der jeweiligen Bestandsaufnahmen entworfen werden. Überschneidungen und Doppelangebote werden sichtbar. Die Kommunikation der Partnerkommunen wird dabei erheblich gestärkt und Kooperationsbestrebungen intensiviert. Da der demografische Wandel im Sinne eines Querschnittsthemas in eine Vielzahl kommunaler Handlungsfelder hineinwirkt, gibt es zunehmend auf Städte-, Kreis- und Landesebene so genannte „Demografiebeauftragte“. Sie haben die Aufgabe, die Bevölkerungsentwicklung und Stadt- bzw. Regionalpolitik langfristig zusammenzubringen. Die Einbeziehung eines Demografiebeauftragten in kulturelle Planungsprozesse kann sich sehr positiv auswirken, da dieser an den Schnittstellen von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, freien Trägern und Bürgern arbeitet. Zum einen be- bzw. erhalten die Planungsbeteiligten den Blick auf andere kommunale Handlungsfelder. Daraus können sich weitere Vernetzungsmöglichkeiten oder Lösungsstrategien ergeben. Andererseits rückt Kultur neben anderen Bereichen wie z.B. Siedlungs- und Infrastruktur, Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Bildung und Kinderbetreuung mehr in das Zentrum kommunalpolitischer Aufmerksamkeit. Bei der Beteiligung der Öffentlichkeit am Planungsprozess wird grundsätzlich zwischen indirekter und direkter Planungsbeteiligung unterschieden. Bei der indirekten Form werden jeweils Vertreter, Repräsentanten oder Experten verschiedener Bereiche beteiligt (Morr 1999, S. 189). Bei der direkten Beteiligung können sich grundsätzlich alle Interessierten oder Betroffenen an der Planung beteiligen. Hier stellt sich die Frage, welches Maß an öffentlicher Beteiligung gewünscht und nach Ressourceneinsatz möglich ist. Erfolgversprechend scheint eine Mischform zu sein, die sowohl Expertenwissen einbezieht als auch einer interessierten Öffentlichkeit die Chance gibt, sich innerhalb einer öffentlich geführten Diskussion zu informieren und mit eigenen Vorschlägen einzubringen. Hier bieten sich „Runde Tische“, „Zukunftswerkstätten“ oder moderierte Bürgerforen an. Diese Form erfordert zwar einen größeren Planungsaufwand, erhöht aber die Legitimation entscheidend. Anzuführen ist die im Jahr 2005 angesetzte Kulturentwicklungsplanung der Stadt Freiburg, die sich für einen bürgerorientierten Beteiligungsprozess aussprach. In Workshops wurden mit über 300 Teilnehmern die gemeinsam erarbeiteten Schwerpunkte diskutiert und vertieft (Könneke 2007). Unter demografischen Gesichtspunkten sollten stärker als bisher Beteiligungsmöglichkeiten für unterschiedliche Gruppen und Akteure geschaffen werden, z.B. für Ältere, Migranten, Kinder und Jugendliche. Diese Gruppen fordern mitunter ihre Berechtigung an kultureller Teilhabe und Mitbestimmung zunehmend stärker ein. Das zeigt z.B. das Positionspapier des Seniorenbeirates zur
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demografischen und sozialen Entwicklung in Leipzig (Seniorenbeirat 2008). Berücksichtigt werden sollten auch die bereits in einem Beteiligungsprozess erarbeiteten Handlungspapiere, wie z.B. das Handlungskonzept interkulturelle Kulturarbeit der Stadt Mannheim (Schirra 2008). Das Einbeziehen der Öffentlichkeit führt nicht nur zu einer höheren Akzeptanz. Die erhobenen Daten über die kulturellen Bedürfnisse der Einwohner und verschiedenen Interessensgruppen erhalten besondere Bindungswirkung innerhalb eines von der Kommune verabschiedeten Kulturentwicklungsplanes. Allerdings ist dabei die Grenze der kommunalen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (Deutscher Bundestag 2007, S. 89f.).
3.2
Grundlagen und Bestandsaufnahme
Angesichts der demografischen Herausforderungen ist eine differenzierte und möglichst ausführliche Bestandsaufnahme unabdingbar. Mit der Bestandsaufnahme werden die wichtigsten Grundlagen für eine weitere Analyse und letztendlich für die Zielformulierung vorgelegt. Eine „vernetzte“ Herangehensweise gleich zu Beginn der Planung zahlt sich später aus, wenn es darum geht, weitere Entwicklungsperspektiven für die kulturelle Infrastruktur und kulturelle Aktivitäten zu planen und zu begründen (exempl. Neisener/Föhl 2007). Die folgende Tabelle vermittelt einen Überblick der Anforderungen an eine Bestandsaufnahme für einen Kulturentwicklungsplan unter dem Gesichtspunkt des demografischen Wandels. Grundlagen Beschreibung Aufgabenstellung der Planung und der Vorgehensweise
Beschreibung des Planungsgebietes und ggf. des Umlandes
Als Erstes sollten grundlegende Fragen geklärt und möglichst schriftlich festgehalten werden: Was soll mit dem Kulturentwicklungsplan erreicht werden? Gibt es Untersuchungsschwerpunkte, die im Mittelpunkt der Planung stehen? Über welchen Zeitraum soll der Prozess erfolgen? Wie ist die genaue Vorgehensweise und wer wird an dem Prozess beteiligt? Festzuhalten wäre ebenfalls, ob der Kulturentwicklungsplan in Kooperation und Abstimmung mit anderen Kommunen (IKZ) oder im Rahmen einer Landesentwicklungskonzeption erarbeitet werden soll oder vielleicht sogar eine Vorstufe/Vorarbeit für ein solches gemeinsames Planungsvorhaben darstellt. Folgende Daten zum Planungsraum erweisen sich für die spätere Analyse als sinnvoll: Fläche, Einwohnerstand, Bevölkerungsdichte, Lage, Verkehrsanbindung, Wirtschafts- und Strukturdaten, Arbeitslosenzahlen, Eckdaten zur Geschichte, Landschaft und Flächennutzung, Tourismus, administrative Gliederung.
Kulturelle Planungen und demografischer Wandel
Einwohnerentwicklung und Bevölkerungsstruktur
Bevölkerungsprognosen
Pendleraufkommen
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Gleichfalls sollte in der Planungsraumbeschreibung enthalten sein, welche Funktion eine Stadt erfüllt (z.B. Oberzentrum, Mittelzentrum) und welche Pflichten ihr dadurch zugeschrieben werden. Ebenso wichtig ist der Aspekt, ob der Planungsraum sich z.B. im Umland einer Metropol- bzw. Großstadtregion befindet, weil sich daraus mitunter Konsequenzen für als auch Zieldiskussionen über das „vorzuhaltende“ Kulturangebot, oftmals im Spannungsfeld verschiedener Ansprüche von „Einheimischen“ und „Zugezogenen“, ergeben. Die Einwohnerentwicklung und Bevölkerungsstruktur sind angesichts des demografischen Wandels besonders ausdifferenziert darzustellen. Es empfiehlt sich, folgende Fakten zu erfassen: Aktueller Bevölkerungsstand und Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund und Herkunft Bevölkerungsentwicklung der letzten 5-10 Jahre (Zuzüge/Fortzüge, Geburtenrate/Sterberate, Anteil Frauen/Männer) Bevölkerungszusammensetzung sichtbar machen (u. a. Polarisierungen, Milieubildungen), dabei nach Möglichkeit die Sozialräume der Stadt, des Kreises oder der Region beschreiben (Sozialraumanalysen der Sozial-/Jugendämter; hilfreich sind u. a. auch Materialien der Institute für Regionalentwicklung) Aufschlüsselung einzelner Altersgruppen (Hier ist im Einzelfall zu prüfen, welche Untergliederung sinnvoll ist. Es ist zudem wichtig, die Altersgruppen „ab 50 Jahre“ stärker als bisher auszudifferenzieren. Hier sind Pauschalisierungen unter Berücksichtigung veränderter biografischer Strukturen und Konzepte, wie z.B. lebenslanges Lernen, zu vermeiden.) Kartographien und grafische Darstellungen, wie z.B. Alterspyramide Inzwischen kann auf zahlreiche und verschiedentlich aufbereitete Materialien zu Bevölkerungsprognosen zurückgegriffen werden (Statistisches Bundesamt, Statistische Landesämter etc.). Darüber hinaus hat die Bertelsmann-Stiftung für alle Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern einen Wegweiser „Demographischer Wandel“ erstellt, in dem die aktuellen Trends und demografischen Entwicklungen bis in das Jahr 2020 aufgezeigt werden. Des Weiteren wurden in einer Analyse sog. 15 Demografietypen herausgearbeitet und differenzierte Handlungsempfehlungen abgeleitet. Dabei sollte beachtet werden, dass – auch wenn Prognosen mittlerweile mit ziemlicher Genauigkeit Vorhersagen treffen können – die Fehlerquote bei kleinräumlichen Betrachtungen für einzelne Gemeinden höher ist, da innerregionale Wanderungen stärkere Gewichtung erhalten (Birg 2005). Das Pendleraufkommen (sowohl Ein- als auch Auspendler) gewinnt an Relevanz für kulturelle Planungen, da das Pendeln in die Städte
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Leitbilder, Konzepte und weitere Planungen
Kultur und Stadtentwicklung
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Zeit kostet. Diese Zeit fehlt den Pendlern in ihrer Freizeit und Eltern mit ihren Kindern (Schmidt/Große Starmann 2006). Dieses Faktum sollte bei Kultur- und Freizeitangeboten und im Rahmen einer familienfreundlichen Politik Berücksichtigung finden. Kulturentwicklungsplanung sollte nicht isoliert von anderen Planungsprozessen betrachtet werden, da es Interdependenzen gibt, die berücksichtigt bzw. einbezogen werden sollten: Leitbilder, Landesentwicklungspläne, Regionalplanungen, Kreisentwicklungspläne, Masterpläne/Konzepte bzgl. Tourismus, Stadtentwicklung und -marketing, spartenspezifische Planungen wie z.B. Bibliotheksentwicklungspläne. Für den Kulturbereich relevant sind ebenfalls Schulentwicklungspläne, da Veränderungen des Bildungssystems (Ganztagsschulen) oder der Infrastruktur (Schulschließungen in Schrumpfungsregionen) große Auswirkungen auf das Kulturangebot haben. Es empfiehlt sich zu prüfen, inwieweit es sinnvoll sein kann, Kulturentwicklungsplanung in Zusammenhang mit der Stadt- bzw. Regionalentwicklungsplanung zu erarbeiten. Kulturelle Akteure können einen kreativen Umgang mit Schrumpfungsprozessen befördern und unterstützen (exempl. Liebmann/Robischon 2003). Diverse Stadtentwicklungsprogramme und Modellprojekte bieten darüber hinaus durchaus Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte, innerhalb eines integrativen Ansatzes eine kulturelle Planung zu erarbeiten. Als Beispiel sind hier zu nennen: INSEK-Integrierte Stadtentwicklungskonzepte in Brandenburg oder INRAS- Integrierte Regionale Anpassungsstrategie, welches als ein gemeinde- und themenübergreifendes Konzept zum Umgang mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen verstanden wird (Leibniz-Institut 2006).
Bestandsaufnahme Kulturbegriff
Kulturträger und -akteure
Für die kulturelle Planung sollte ein Arbeitsbegriff Kultur definiert werden (Morr 1999, S. 36). Es ist abzuwägen, ob die Arbeit mit einem sehr offenen und breiten Kulturverständnis im Rahmen einer aktivierenden und kooperativen Kulturpolitik sinnvoll ist. So könnten mitunter auch Potenziale und Akteure mit einbezogen werden, die sonst nur marginal Berücksichtigung finden würden. Ebenso wichtig ist es zu erfassen, ob es ein kulturelles Leitbild gibt oder Kultur im regionalen oder städtischen Leitbild verankert ist und welche Gewichtung diese einnimmt. Eine intensiv durchgeführte Bestandsaufnahme enthält kulturelle Institutionen, öffentliche als auch private Kultureinrichtungen, Vereine, Gruppen, Initiativen und Künstler (Morr 1999). Zunehmend wichtiger ist auch die Erfassung von kulturellen Netzwerken, Kooperationsverbünden, -börsen und Vermittlungsagenturen (Freiwilligenagenturen) und andere Akteurskonstellationen. Privatwirtschaftliche und freigemeinnützige Kulturanbieter sollten stärker als bisher im Sinne des Governance-Aspektes (aktivieren-
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Befragungen der öffentlichen, privaten und gemeinnützigen Kulturträger und -akteure
Kulturhaushalt
Tab. 1:
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der Staat) in die Bestandserfassung und -befragungen mit einbezogen werden. Aus dieser Perspektive liegt der Fokus nicht mehr auf einzelnen Organisationen, sondern auf interorganisatorischen Beziehungen und nichtstaatlichen Akteuren (Deutscher Bundestag 2007, S. 92). Eine bislang zum Teil noch unterschätzte kulturpolitische Größe stellen die Kirchen dar, die einen erheblichen Teil ihrer Mittel für kulturelle Aufgaben aufwenden (Zimmermann/Geißler 2007). Darüber hinaus können Daten zum ehrenamtlichen Engagement und zur Engagementbereitschaft im Kulturbereich die Bestandserfassung sinnvoll ergänzen. Bei den Befragungen der Kulturträger und Kulturakteure können hinsichtlich des demografischen Wandels folgende qualitativen Faktoren mit erfragt und erfasst werden: Bisherige Relevanz des Demografie-Themas Zielgruppenansprache und -ausrichtung Integration von benachteiligten oder bislang zu gering berücksichtigen Zielgruppen (z.B. Migranten, Senioren und Frauen) Vermittlungsangebote und -formen Barrierefreiheit / Zugänglichkeit Erreichbarkeit und Flexibilität (mobile Angebote) Einzugsgebiet Preisgestaltung Bereits bestehende Kooperationsstrukturen Modellprojekte (z.B. intergenerative Projekte) Einbindung und Arbeit von und mit Ehrenamtlichen Keinesfalls besteht Übereinstimmung darin, ob Kulturentwicklungsplanungen die Quantifizierung der Personal- und Sachmittelaufwendungen enthalten sollten (Morr 1999, S. 154). Hinsichtlich des demografischen Wandel gewinnen – wie in Kap. 2.1 beschrieben – „Strukturierungsaspekte“ wieder an Bedeutung. Es empfiehlt sich zumindest, das Verhältnis von institutioneller Förderung und Projektförderung sichtbar zu machen. Der größte Anteil der Kulturförderung ist nach wie vor vorrangig an öffentlich getragene Einrichtungen gebunden. Durch die zunehmende Konzentration auf die öffentlichen Einrichtungen fällt die Förderung von freien und innovativen Kulturprojekten weit zurück. Gerade freigemeinnützige Kulturakteure können im Umgang mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen Impulse geben, kreative Potenziale freisetzen und bürgerschaftliches Engagement binden. Diese können oftmals aber erst dann erfolgreich sein, wenn damit auch staatliche Anreize verknüpft sind. Hier sollte eine Verständigung darüber erfolgen, mit welchen Zielen, Strukturen und Schwerpunkten Kulturpolitik in der Kommune betrieben werden soll (Wagner 2008b).
Grundlagen und Bestandsaufnahme
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3.3
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Analyse
Für die weitere Bearbeitung der gesammelten Daten bieten sich je nach Planungsansatz und Form verschiedene Analysemethoden an, wie z.B. die systematische Auswertung von qualitativen Experteninterviews und eine Literatursowie Dokumentenanalyse. Bei der Literatur- und Dokumentenanalyse werden alle Unterlagen und Materialien ausgewertet, die eine hohe Relevanz für die kulturelle Planung aufweisen. Entsprechende Tiefenanalysen in ausgewählten Bereichen oder Stärken/Schwächen-Analysen einzelner Einrichtungen können die Bestandsaufnahme ergänzen. Neben den oben genannten Plänen und Konzepten anderer kommunaler Handlungsfelder können dies auch z.B. spartenspezifische Positionsoder Strategiepapiere sein, die sich bspw. mit dem demografischen Wandel und seinen Auswirkungen innerhalb einer Sparte beschäftigen (z.B. das Positionspapier des Rates für Soziokultur und kulturelle Bildung im Deutschen Kulturrat). Je detaillierter Aussagen zu einzelnen Bereichen gemacht werden können, umso besser sind die Voraussetzungen für politische Entscheidungen. Sinnvoll ist ebenfalls der „Blick über den Tellerrand“ und die Berücksichtigung von anderen Modellprojekten oder Best-Practice-Beispielen im Kontext der demografischen Entwicklungen, aus denen Erkenntnisse für die kulturelle Arbeit und Planung vor Ort abgeleitet werden können. Während der Bestandsaufnahme wird bereits teilweise schon Analysearbeit geleistet. Die herausfordernde Aufgabe besteht jedoch darin, die gesammelten Bevölkerungsdaten und die Bestandsaufnahme der Kulturangebote zusammenzuführen und aus dem komplexen Sachverhalt entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Dafür eignen sich SWOT-Analysen (SWOT= Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats), in der die Chancen und Risiken äußerer Einflussfaktoren, den Stärken und Schwächen der gesamten Kulturlandschaft einer Kommune bzw. des Planungsraumes gegenübergestellt werden. Darüber hinaus sind weitere Detailanalysen und individuelle Analysen möglich, wie z.B. Stadtoder Ortsteilanalysen, Potenzialanalysen und Vergleiche mit anderen Kommunen (exempl. Neisener/Föhl 2007; Föhl/Neisener 2008). Diese aufgeführten Methoden können einen umfassenden Überblick des IST-Zustandes der kommunalen Kulturlandschaft geben. Ein weiteres Instrument, welches sich im Kontext des demografischen Wandels anbietet, ist die Szenario-Analyse. Mit dieser Technik sollen ganz bewusst mehrere alternative Zukunftsbilder bzw. Szenarien z.B. einer Kulturlandschaft entworfen werden. Damit erhalten die Akteure die Möglichkeit, ihr eigenes Handeln auf nicht planbare Ereignisse in der Zukunft besser einzustellen. Diese Form setzt auf eine aktive Rolle der Akteure und unterstützt das He-
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rausarbeiten und Wahrnehmen von Optionen sowie Gestaltungsmöglichkeiten (Bea/Haas 2001, S. 274-280). Insgesamt sollte eine Auswertung der Daten vor dem Hintergrund einer stärkeren Bevölkerungs- und Nutzerorientierung und von Synergie- und Kooperationseffekten erfolgen.
3.4
Ziele und Maßnahmen
„Ziele sind essentieller Bestandteil von (kulturellen) Planungen“ (Morr 1999, S. 192). Sie sind deshalb notwenig, damit ein Plan auch tatsächlich Planungscharakter hat und nicht nur rein deskriptiv aus Bestandsaufnahmen und Analysen besteht. Auch die Zielfindung selbst ist ein Prozess. Kommunen, die explizit den demografischen Wandel zum Bestandteil kommunaler Planungen gemacht haben, verfügen meist schon über allgemeine demografiepolitische Ziele, die in einem Diskussionsprozess mit Experten und lokalen Akteuren herausgearbeitet wurden. Diese können für den kulturpolitischen Bereich eine Orientierungshilfe sein. So werden beispielsweise in dem Bielefelder Demografiekonzept sechs demografiepolitische Ziele für Bielefeld vorgeschlagen: 1. „Wir fördern Integration!“, 2. „Wir werden die familienfreundlichste Stadt in NRW!“, 3. „Wir wohnen zukunftsfähig!“, 4. „Wir lernen lebenslang!“, 5. „Wir gehen fit in die Zukunft!“, 6. „Wir wirtschaften für die Zukunft!“ (Tatje 2006). Die Stadt Oldenburg geht in ihrem Masterplan Kultur zwar nicht explizit auf den demografischen Wandel ein, sie benennt jedoch ganz konkret, welche Rolle sie der Kultur in gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen zuschreibt. So wird Kultur als integraler Bestandteil der gesamtstädtischen Politik verstanden, die aufgefordert ist, an Problemlösungen mitzuarbeiten (Schumacher 2008). „Denn die Künste und die Kultur werden bei der komplexen Gestaltung der Zukunft unserer Städte eine richtungsweisende und eine Orientierung gebende Schlüsselstellung erhalten“ (ebd., S. 11). In diesem Kontext wurden acht übergeordnete Aspekte herausgearbeitet, aus denen dann Leitlinien für die verschiedenen Handlungsfelder entwickelt wurden. Bei der Erarbeitung von Leitbildern und Leitlinien sollten grundsätzlich Chancen als auch allgemeine Entwicklungen und Herausforderungen berücksichtigt werden. So heißt es beispielsweise in den Leitlinien der Stadt Oldenburg: „1. Als kulturgeprägte Stadt im Nordwesten und Oberzentrum sowie als gewichtiger Partner in der ›Metropolregion Bremen/Oldenburg‹ vernetzt sich Oldenburg noch stärker mit den kulturellen Akteuren in der Region, insbesondere mit denen des Landes Niedersachsen sowie der Oldenburgischen Landschaft, und koordiniert seine Aktivitäten im Sinnes eines regionalen Konzepts“ (ebd.).
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Generell sind die strategischen Ziele von den operationalisierenden Zielen zu unterscheiden. Zielaussagen hinsichtlich des demografischen Wandels sollten dabei möglichst konkret und differenziert formuliert werden, wie z.B. „Stadtmuseum barrierefrei und für Migranten attraktiver gestalten“. Solche Teilziele lassen sich in verbindlichen Zielvereinbarungen mit den jeweiligen Kultureinrichtungen festhalten. Die erforderlichen Maßnahmen und Ressourcen sollten jedoch mit der Einrichtung abgestimmt und ggf. modifiziert werden, um unrealistische Vorstellungen einer Zielerreichung zu vermeiden. In regelmäßigen Abständen sollte geprüft werden, ob die Maßnahmen umgesetzt werden konnten (vertiefend zu Zielen Hartung 2003). Nicht alle Ziele können verwirklicht bzw. zeitgleich angegangen werden. Prioritätensetzungen sind daher unabdingbar, wenn auch nicht einfach. Im Sinne einer aktivierenden und kooperativen Kulturpolitik wäre es zudem sinnvoll, Förderinstrumentarien zu entwickeln, die angesichts der demografischen Veränderungen auf Synergien und Nachhaltigkeit abzielen und z.B. auch stärker an Netzwerke, Bündnisse und Initiativen geknüpft sind. So können beispielsweise Fördermittel an interkommunale Projekte gebunden werden, um Kooperationen unter Nachbarkommunen zu intensivieren, wie am Beispiel des SächsischBayrischen Städtenetz deutlich wird.
3.5
Planungsumsetzung und Evaluation
An dieser Stelle ist die Planung an einem Punkt angelangt, an dem sich zeigt, wieviele Akteure sich tatsächlich damit identifizieren und das Planungspapier mittragen. Die Gefahr ist groß, dass eine Planung anschließend in der Schublade verschwindet, wenn die Ziele zu hoch gesteckt sind oder stark von den im Planungsprozess erarbeiteten Zielen abweichen. Ein relativ offener Planungsansatz zeigt seine positive Wirkung in der hohen Akzeptanz der Beteiligten. Spätestens an dieser Stelle sollten noch einmal die Empfehlungen überdacht bzw. vertiefend geprüft und das Feedback der Akteure mit einbezogen werden. Bei größeren Maßnahmen in öffentlichen Kultureinrichtungen kann sich hier auch zusätzlich eine Machbarkeitsstudie anbieten (Föhl 2007). Damit ein Kulturentwicklungsplan tatsächlich auch Bindungswirkung entfaltet, sollte er auf kulturpolitischer Ebene in einem Beschluss münden. Zu beachten ist, dass Veränderungen Zeit brauchen und nicht alle Maßnahmen (gleichzeitig) umgesetzt werden können. Neben der Zielformulierung ist auch die Zielüberprüfung und Reflexion in regelmäßigen Abständen sinnvoll. Gleichfalls gewinnt die Wirkungsmessung von Maßnahmen und Projekten an Bedeutung (exempl. Ermert 2008), wenn es
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um die Nachhaltigkeit und Qualität kultureller Angebote geht oder darum, die Arbeit von Institutionen darzustellen und hinsichtlich ihrer Aufwand-NutzenWirkung Relation zu überprüfen. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Kulturentwicklungsplanung nicht dann beendet ist, wenn eine schriftliche Fassung der Planung vorliegt. Die Weiterentwicklung und Fortschreibung eines solchen Planes sollte von Anbeginn mitbedacht werden. Denn noch wichtiger als das erarbeitete Papier, ist der Prozess, in dem die zahlreichen Beteiligten mitgewirkt und ihre Vorschläge sowie Ideen eingebracht haben.
4
Resümee
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kulturentwicklungsplanung ein geeignetes Steuerungsinstrument darzustellen scheint, um kulturelle Angebote im Zeichen des demografischen Wandels aber auch anderer gesamtgesellschaftlicher Veränderungen einer strategischen Ausrichtung zuzuführen. Sofern im Wandel auch die Chancen gesehen werden, können kulturelle Planungen tatsächlich Entwicklungs- statt „Abwicklungscharakter“ aufweisen. Dies erfordert allerdings eine gewisse Offenheit gegenüber kulturellen Planungen und die Fähigkeit, auch ressortübergreifend nach strategischen und flexiblen Lösungsansätzen zu suchen. Je komplexer gesellschaftliche Zusammenhänge werden, umso wichtiger sind die kontinuierliche Beobachtung des gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds sowie die Reflexion der eigenen Ausrichtung und Handlungen. Dies gilt nicht nur für die Kulturpolitik und -verwaltung, sondern ebenso für die öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Kulturakteure. John bringt es abschließend und zusammenfassend treffend auf den Punkt: „Wer kulturelle Entwicklungen, gesellschaftliche Strömungen und Trends wahrnehmen, kritisch analysieren und dann die im Wandel liegenden Chancen, Spielräume und Perspektiven produktiv für sich nutzen möchte, muss noch erheblich extrovertierter, außenorientierter und sich wesentlich aktiver in die Umwelten einklinken“ (John 2008, S. 21).
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Gerhard Mahnken
Kulturpolitik im Kontext von Demografie und räumlicher Markenbildung „Ich konnte damals erst übermorgen starten.“ Karl Valentin
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................. 109 2 Kulturpolitische Standortbestimmung ...................................................... 110 2.1 Kulturräumliche Implikationen des Demografiebegriffs ................. 111 2.2 Reaktionen der Kulturpolitik auf die demografische Entwicklung im Land Brandenburg ...................................................................... 112 2.3 Raum, Kultur und Wissenstransfer über innovative Politikansätze .............................................................................................. 114 3 Public Branding und Kulturpolitik ........................................................... 118 4 Fazit .......................................................................................................... 123 Quellenverzeichnis ......................................................................................... 126
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Einleitung
Das Verhältnis von Kulturpolitik und demografischem Wandel hat sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zunehmend an Strategien räumlicher Aushandlungs- und Verteilungsprozesse orientiert. Bei genauerer Betrachtung treten hierbei vor allem zwei Rahmen gebende Themen in den Vordergrund: Die Kommunikation über Leitbilder und gleichwertige Lebensverhältnisse. Der demografische Wandel vollzieht sich unterdessen im Spannungsfeld von Neustrukturierungen und kultur-, sozial- sowie wirtschaftlicher Interaktionsdynamiken im Raum. Akteure des kulturellen Sektors müssen in diesem andauernden kulturräumlichen Transformationsprozess eine Flexibilität und ein Umdenken an den Tag legen, das vor Ort neue Wege zur Finanzierung der kulturellen Daseinsvorsorge generieren soll. Gleichzeitig geht es neben den Herausforderungen auf lokaler Ebene immer auch um die konzeptuelle Einbettung in einen überregionalen, europäischen kulturpolitischen Diskurs. Es ist abzusehen, dass durch die Folgen des Wandels in der Bevölkerungsstruktur respektive im Bevölkerungsrückgang die Bereitstellung von Leistungen zur Daseinsvorsorge massiv und dauerhaft gefährdet ist. Ein Ende dieser Krise ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Eher ist zu erwarten, dass sich durch die kontinuierliche Abnahme freiwillig bereit gestellter Dienstleistungen und Infrastrukturen raumrelevante Wechselwirkungen ergeben. Die Verkehrs-, die Wohnungs-, die Bildungs-, Wissenschafts- und last but not least die Wirtschafts- und Förderpolitik bedingen einander. Von daher ist eine neue Kulturpolitik auf allen räumlichen Bezugsebenen (lokal, regional, überregional) stärker als bisher auf Ressort übergreifende Sichtweisen und Kooperationen angewiesen. Besonders gilt dies für dünn besiedelte Regionen, weil sich hier mehrere Probleme überlappen. Eine größere Aufmerksamkeit gilt im Kontext der demografisch bestimmten Kulturpolitik bisher noch den neuen Bundesländern. In den raumwissenschaftlichen Debatten wird jedoch seit einiger Zeit darauf hingewiesen, dass Ostdeutschland hier die Rolle eines kulturpolitischen Seismographen übernimmt. Eingebettet in diesen demografisch bedingten Transformationsprozess ist inzwischen ein Wandel des Staatsverständnisses. Es ist nicht mehr der Wohlfahrtsstaat, in dem eine neue Kulturpolitik zu verorten wäre, sondern das Bild vom vorsorgenden und aktivierenden Gewährleistungs- und Verantwortungsstaat steht zunehmend im Vordergrund. Damit einher gehen höhere Erwartungen an die Zivilgesellschaft, in der mündige Bürgerinnen und Bürger mehr Selbstreflexion, mehr Selbstbeteiligung und mehr Selbstverantwortung übernehmen sollen. In diesem gravierenden Umstrukturierungsprozess spielen kommunikative Strategien sowie die Selbstbeschreibung und Fremdwahrnehmung von kulturel-
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len Räumen eine Rolle, weil einerseits ortsansässige Personengruppen gebunden und weil andererseits neue Bewohner und Unternehmen im globalen Wettbewerb um wirksame, kulturell kodierte Raumbilder angezogen werden sollen (vgl. Christmann 2004, S. 5)1. Die Bedeutung der Kultur rangiert in den Kommunen längst nicht mehr auf den hinteren Rängen der Standortpolitik. Nicht nur Familien schauen inzwischen sehr genau hin, in welchem Kulturraum sie dauerhafte Bindungen eingehen. Die Vorstandsvorsitzenden der Global Players gehen genauso vor. Wer sieht schon gern seine Zukunft in einem kulturell negativ überformten Raum? Die europäische Integration und die anhaltende Globalisierung der Ökonomie führen zu einer Verstärkung des Wettbewerbs auf mehreren Raumebenen gleichzeitig. Auch die Kulturpolitik der Städte und Regionen bewegt sich im permanenten Spannungsfeld zwischen Standortkonkurrenz und Kooperationen auf neue Strategien und Instrumente zu. In diesem Spannungsfeld entstehen kulturell kodierte Raumbilder, die sowohl nach innen als auch nach außen wirken. Die Schwierigkeit besteht hierbei darin, eine Balance zwischen gewollten und nicht gewollten Effekten zu erreichen.
2
Kulturpolitische Standortbestimmung
Die Kulturpolitik mit ihren Möglichkeiten und Grenzen steht seit jeher in einem direkten Zusammenhang mit strategischen und instrumentellen Ansätzen der regionalen Entwicklung. Gern wird sie bemüht wenn es darum geht, den Wert und die Identität gebenden Entwicklungspfade einer Stadt oder Region zu rekonstruieren und kenntlich zu machen. Kulturpolitik, so die Hauptthese dieses Beitrags2, trägt vor allem in Zeiten des demografischen Wandels einerseits we1
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Am Beispiel lokaler Kommunikation, Stadtkultur und städtischer Identität von Dresden konstatiert Christmann, dass Städte als Gegenbewegung in der Diskussion zur Auflösung der Stadt im Verlauf der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts „nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Städte-Wettbewerbs zunehmend kulturelle Angebote – darunter große Kulturveranstaltungen (‚Mega Events’) – als Instrumente einsetzten, um die Stadt attraktiv zu machen.“ In diesem Zusammenhang vgl. zudem den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland des Deutschen Bundestages (2007, S. 356 f.). Methodisch orientiert sich der Verfasser an einer Dokumenten- und Literaturanalyse sowie an teilnehmender Beobachtung wie zum Beispiel an den Brandenburger Regionalgesprächen oder an den groß angelegten Konferenzen zur Leitbildgenerierung in der „Hauptstadtregion“ in den Jahren 2005 und 2006. Die theoretischen Grundüberlegungen basieren auf dem Leitprojekt der Forschungsabteilung 3 „Wissensmilieus und Raumstrukturen“ mit einem Fokus auf das Forschungsmodul Public Branding des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Dieses Leitprojekt trägt den Titel „Wissensbasierte Stadtregionsentwicklungen“ und befasste sich mit sozialräumlichen Interaktionsprozessen vor dem Hintergrund wissensbasierter Stadtregionsentwicklungen und dem heuristischen Forschungskonzept der KnowledgeScapes von Ulf Matthiesen (2005a).
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sentlich zur Selbst- und Fremdbeschreibung und zur Standortbestimmung des sozialen und wirtschaftlichen Raums bei; gleichzeitig führt aber auch der demografische Wandel mit seinen Konsequenzen selbst zu einer Umdeutung und auch zu einer Erweiterung der kulturpolitischen Wirkungs- und Einflussmöglichkeiten. Kultur und Politik werden dabei immer mehr als Querschnittsressort gesehen, in dessen Kompetenzbereich neue Raumbilder und Raumbindungsstrategien wesentlich mitentwickelt werden können.
2.1
Kulturräumliche Implikationen des Demografiebegriffs
Die hauptsächlich mit Beginn des 21. Jahrhunderts einsetzende, viel zitierte Auseinandersetzung mit dem Problem einer Überalterung der Gesellschaft ist innerhalb des Demografiediskurses – obwohl sie bisher dominiert – womöglich nicht die prospektivste. Der Demografiediskurs braucht dringend eine konzeptuelle Erweiterung, die sich stärker als bisher mit neuen räumlichen Positionierungsansätzen befasst. Das wiederum hat mit kultur-, wirtschaft- und sozialräumlicher Identitätsbildung zu tun. Kulturpolitische Strategien stehen von daher immer auch in einem direkten Zusammenhang mit Identitätspolitiken und der Bildung raumbezogener Marken im Umfeld und in der Nachfolgediskussion über das so genannte Stadt- und Regionalmarketing. Ihnen wird unterstellt, sie könnten eine „Metafunktion“ im Umgang mit räumlicher Komplexität übernehmen (Ebert 2005, S. 576). Es wird angenommen, dass sich die Qualität der kulturellen Infrastruktur und des vorhandenen Angebotes positiv auf das jeweilige Image und den Markenbildungsprozess eines bestimmten Raumes auswirkt. Daraus, so eine weitere Annahme, entstehen Raumbindungseffekte für alte und neue Bewohner und auch für Unternehmen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein eher betriebswirtschaftlicher Fokus, wie er etwa im Stadt- und Regionalmarketing zu finden ist, bleibt nach Auffassung des Verfassers jedoch problematisch, weil er die Gefahr der Oberflächlichkeit und Inkompatibilität in sich birgt. Identität stiftende kulturräumliche Tiefenstrukturen, kommunikative Re-Konstruktionen, kulturelle Entwicklungspfade und differenzierte Selbstbeschreibungen durch Medien, Intermediäre und die Bewohner vor Ort kommen bei der betriebswirtschaftlichen Lesart zu kurz und bedürfen neuer flankierender und erweiterter Konzepte, die sich vermutlich am ehesten im kulturell kodierten Raum und über die Identifizierung lokaler Identitäten generieren lassen (Christmann: 35 f.).
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2.2
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Reaktionen der Kulturpolitik auf die demografische Entwicklung im Land Brandenburg
Die Kulturpolitik sieht in den vom demografischen Wandel betroffenen transformativen Räumen wie Berlin-Brandenburg anscheinend zunehmend ihren Bildungs- und Beschreibungsauftrag, der eine gründlichere Wahrnehmung und Reflexion des Lokalen ermöglichen und kulturräumliches Orientierungswissen bereit stellen soll. Ziel ist es dabei nicht zuletzt, Selbstorganisationsdynamiken auf lokaler Ebene zu befördern. In den Städten und Regionen geht es dabei inzwischen nicht mehr ausschließlich um die Steigerung des Kulturangebotes und der Kulturnachfrage, sondern auch um synergetische, interkommunale Kooperationsformen. Der Kulturpolitik wird im Demografiezusammenhang in besonderer Weise eine kooperative Gemeinschaftsaufgabe beigemessen (Land Brandenburg 2004, S. 1). Good Practices definieren sich von daher künftig sehr wahrscheinlich immer mehr durch Integrationsstrategien, die über den eigenen kulturbetrieblichen Tellerrand hinaus schauen. Das noch in den siebziger Jahren von Hilmar Hoffmann geprägte Diktum einer Kultur für alle bekommt in einer unübersichtlicher gewordenen metropolitanisierten Welt eine andere Bedeutung, indem die Suche nach stimmigen Raumbildern sowohl das neue als auch das in Vergessenheit geratene Kulturgut auf der lokalen und regionalen Ebene in Wert setzen und soweit wie möglich erhalten soll. Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung sind Anfang des 21. Jahrhunderts mehr oder weniger offen diskutiert worden, wobei sich der kulturpolitische Sektor in Brandenburg relativ früh den notwendig gewordenen Umstrukturierungsanforderungen stellte. In der Ergänzung der Kulturentwicklungskonzeption der Landesregierung Brandenburg aus dem Jahr 2004 wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Bedeutung einer dauerhaften kulturpolitischen Kommunikation zwischen Landesregierung, Kommunen und freien Trägern hingewiesen. Hierbei wird unterschieden zwischen (a)3 demografieneutralen Auswirkungen, die von der demografischen Raumentwicklung nicht direkt betroffen sind und deren „kulturhistorische Bedeutung“ sowie gesellschaftlicher und materieller Wert fortbestehen und (b)4 bewohnerverhaltensabhängigen Nutzungsbereichen, zu denen Einrichtungen gezählt werden, die unmittelbar von der Bevölkerungsentwicklung betroffen sind (Land Brandenburg 2004, S. 5). Betont wird von der Landesregierung, dass sich die kulturpolitischen mittelbaren Effekte stärker auf die gesamte kulturelle Substanz im Land Brandenburg auswirken als die unmittelbaren. „Das 3 4
Hierzu wird das so genannte immobile kulturelle Erbe gezählt wie Bau- und Bodendenkmale sowie Gedenkstätten. Hierunter fallen etwa Musikschulen, Theater, Bibliotheken, Galerien und soziokulturelle Zentren.
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betrifft in erster Linie die Möglichkeiten zur Finanzierung und Förderung von Kunst und Kultur durch Kommunen. Die tatsächlichen Veränderungen der kommunalen Finanzkraft sind von herausragender Bedeutung für Kultur und Kulturpolitik. Wird allein vom Status Quo ausgegangen, sind erhebliche Verwerfungen zu erwarten … Die mittelfristige Nachfrageentwicklung lässt sich wegen fehlender Erfahrungswerte nur schwer prognostizieren. Aus der heutigen Sicht müssen für die kulturellen und künstlerischen Angebote gerade im äußeren Entwicklungsraum zunehmende Probleme erwartet werden“, heißt es im Bericht der Landesregierung (Land Brandenburg 2004, S. 6). Nach dieser Phase der kulturpolitischen Transformation, die in Brandenburg auf Mitte des ersten Jahrzehnts datierbar ist, lassen sich Ende dieses Jahrzehnts und fast 20 Jahre nach der politischen Wende im ostdeutschen Flächenland Brandenburg kulturpolitische Reaktionen auf die demografische Entwicklung beobachten, die nach einer Zeit der Realisierung und Analyse der anstehenden Probleme nun nach Instrumenten sucht, die bereits vorhandenen kulturellen Disparitäten zwischen Agglomerationen und ländlichen Räumen entgegenwirken sollen. Zwei konzeptuelle Ansätze, die auf regionaler Ebene als strategischer Ausweg diskutiert werden, fallen hier in Brandenburg seit etwa 2006 zunehmend ins Gewicht des kulturpolitischen Diskurses: Die Kulturlandschaften (Wolf 2005, S. 534 f.; GL 2006a) und die Kulturwirtschaft. Dabei ist zu sehen, dass der Begriff der Kulturlandschaften Bestandteil des Europäischen Raumentwicklungskonzeptes5 ist und somit einen Orientierungsrahmen auf der Makroebene bietet. Gleichwohl bleibt er durch seine semantische Offenheit diffus, denn Kulturlandschaft ist nahezu jeder Raum, der durch Menschen überformt oder beeinflusst wurde. So gesehen ist Kulturlandschaft ein konzeptueller Grundbegriff, der auf lokaler Ebene mit Raumbildern und Raumvorstellungen gefüllt werden muss, damit er im Kontext kulturräumlicher Markenbildungsund Profilierungsstrategien sinnvoll, und das heißt vor allem spezifiziert, angewendet werden kann. In diesem Zusammenhang hat das Land Brandenburg eine Dachkampagne „Kulturland Brandenburg“ unter Federführung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) und des Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung (MIR) entwickelt, die seit 1998 unter einem jährlich wechselnden Thema landesweit realisiert wird. Damit sollen „neue Wege der Kulturpolitik und -förderung“ beschritten werden, um das kulturelle 5
Nach Auffassung der Europäischen Kommission (1999) zeichnen sich Kulturlandschaften wie folgt aus: Sie „… tragen durch ihre Eigenart zur lokalen und regionalen Identität bei und spiegeln die Geschichte und das Zusammenspiel von Mensch und Natur wider. Sie sind deshalb beispielsweise als touristische Anziehungspunkte von beträchtlichem Wert.“ (Zitiert nach GL 2006, S. 5). Im Bundesraumordnungsgesetz (ROG) wurde 1997 in § 2 Abs. 2 Nr. 13 folgender Grundsatz formuliert: „Die gewachsenen Kulturlandschaften sind in ihren prägenden Merkmalen sowie mit ihren Kultur- und Naturdenkmälern zu erhalten.“ (Vgl. Wolf 2005, S. 534).
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Erbe in den einzelnen Teilregionen zu befördern und um die kulturtouristischen Potenziale des Landes zu kommunizieren (Land Brandenburg 2001, S. 88). Der zweite Konzeptansatz, die Kulturwirtschaft nämlich, findet eine vergleichbare intensive Beachtung sowohl in der raumwissenschaftlichen als auch in der internationalen kulturwissenschaftlichen bzw. kulturpolitischen Debatte (vgl. hierzu kulturpolitische Mitteilungen IV 2007). Damit verbunden ist eine Diskussion über die so genannte kreative Klasse (Florida 2005), die in den Wachstums-, Beschreibungs- und Steuerungsszenarien für zukunftsfähige Städte und Regionen immer mehr Raum einnimmt. So hat etwa die Heinrich-BöllStiftung Brandenburg im Jahr 2007 eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema Kulturwirtschaft durchgeführt, die Anfang 2008 auf einer Abschlusstagung in Anwesenheit des Ministers für Wirtschaft des Landes Brandenburg in Potsdam das Spektrum der Kulturwirtschaft resümierend in den Blick nahm und ihr dabei als Entwicklungsansatz hervorragende Zukunftschancen prognostizierte. Inwieweit der kulturwirtschaftliche Ansatz nachhaltige Erfolge zeitigen wird, bleibt indes offen. Es werden inzwischen auch kritische Stimmen laut, die zwar durchaus anerkennen, dass Kulturpolitik und Kulturwirtschaft sich weiterhin wechselseitig bedingen sollen. Dennoch taucht hier die alte Angst auf, die Kulturpolitik könnte ökonomisch zu sehr in die Pflicht genommen werden und ihre Funktion als Mediatorin verlieren. Wagner mahnt in diesem Zusammenhang an, Kulturpolitik nicht zu sehr in die Nähe der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik zu stellen. Vielmehr müsse Kulturpolitik immer bemüht sein, „möglichst wenig direktiv und lenkend in die Autonomie der Künste und die Selbstzwecksetzung der Kultur einzugreifen – mit Inhalten und Werten, mit Sinn, Bedeutung und symbolischer Produktion …“ (Wagner 2008, S. 36).
2.3
Raum, Kultur und Wissenstransfer über innovative Politikansätze
Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, wie eng Kulturpolitik in einem Zusammenhang mit räumlicher Markenbildung steht, weil sie durch kulturelle Kodierungen bestimmt ist. Es handelt sich hierbei vermutlich um einen Koevolutionsprozess von Kultur, Wissen und Raum, der die kulturpolitische und kulturadministrative Praxis prägt und den Handlungsrahmen vorgibt. Sowohl das Kulturmanagement als auch die Kulturpolitik erleben im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel. Er ist zunehmend scharf getrennt und gekennzeichnet durch gravierende strukturelle Veränderungen im relationalen Gefüge zwischen den so genannten Kern-, Zwischen- und Peripherieräumen und durch neue funktionale und infrastrukturelle Verflechtungen, die durch Migrationsbewegungen bzw. durch Abwanderungen in und zwischen diesen
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Räumen entstehen. Dabei gerät das regionale Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Infrastruktur zunehmend aus dem Gleichgewicht und bringt neue räumliche Disparitäten hervor (BBR 2006). Das Hauptproblem besteht für die kulturellen Akteure in dieser Situation darin, dass es bisher kaum Orientierungs- und Erfahrungswissen darüber gibt, wie mit dieser sozialräumlichen Umstrukturierung vor dem Hintergrund der Demografiedebatte umzugehen sei. Hippe und Sievers kommen in ihrer Analyse des künftigen Verhältnisses von demografischer und infrastruktureller Entwicklung zu dem Ergebnis, wir befänden uns „gewissermaßen in der Anfangsphase einer durch die demografischen Fakten und den Strukturwandel der Gesellschaft beeinflussten Kulturpolitik, auch wenn sich vieles noch im Kontext von Akademie-Diskursen bewegt. Alter ist ein Thema der Kulturpolitik geworden. Auch die Schrumpfung der Bevölkerung wird sich selbstverständlich in der Besucherstruktur der Kultureinrichtungen auswirken und bei Investitionsentscheidungen für neue Einrichtungen eine Rolle spielen. In den ostdeutschen Ländern ist das Thema Rückbau kultureller Einrichtungen kein Tabu mehr und wird richtigerweise als Gestaltungsaufgabe ernst genommen … Schon deshalb liegt es im Eigeninteresse der Kulturpolitik und Kulturinstitute, sich diesen Fragen frühzeitig zu stellen“ (Hippe 2006, S. 88 f.). Kulturpolitik braucht nach diesem Verständnis zunächst einmal Orte, an denen sich frühzeitig Wissen darüber austauschen lässt, wie mit der Komplexität des demografischen Wandel umzugehen sei. Es fehlt den Städten und Regionen noch erheblich an Steuerungswissen und „die Konsequenzen für die kulturelle Infrastruktur bleiben in einigen Bereichen aufgrund der fehlenden empirischen Unterfütterung weitgehend hypothetisch“ (Hausmann 2007, S. 57). Es lassen sich in diesem Zusammenhang inzwischen Aushandlungsräume beobachten, in denen Strategien und Instrumente einer notwendig gewordenen neuen Kulturpolitik entwickelt werden. Eine der Arenen, in denen solche kontinuierlichen Aushandlungs- und Public-Branding-Prozesse im oben erläuterten Sinn seit längerer Zeit beobachtet werden können, sind die Brandenburger Regionalgespräche 6 des Leibniz6
Bei den Brandenburger Regionalgesprächen des IRS (siehe hierzu unter: www.irs-net.de) handelt es sich um eine informelle Diskursform, die das IRS seit vielen Jahren im halbjährlichen Turnus für Kulturschaffende, Politiker, Verwaltungsfachleute, Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter und Verbandsvertreter aus Brandenburg und auch aus Berlin anbietet. Das Hauptziel dieser kommunikativen Arena besteht darin, eine möglichst hierarchiefreie und kreative Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen der Stadt- und Regionalentwicklung zu inszenieren. Damit möchte das zur Leibniz-Gemeinschaft gehörende Institut, das eigentlich einen überregionalen Forschungsauftrag hat, auch vor der eigenen Haustür daran mitwirken, für regionale Entscheidungsträger und Akteure unterschiedlichster Couleur eine auf Kontinuität und Vertrauen angelegte Kommunikationskultur im sozialen Raum zu entwickeln. Die Regionalgespräche ergänzen die bestehenden formellen raumbezogenen Gremien im Land Brandenburg.
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Instituts für Regionalenwicklung und Strukturplanung/IRS (Dokumentation unter www.irs-net.de). Die Befunde der vergangenen Jahre zeigen, dass eine integrierte Kulturentwicklung vor allem regional passfähig sein muss und dass zum Beispiel die gesellschaftliche Gruppe der neuen Alten in den kommenden Jahren immer mehr an wirtschaftlicher und politischer Macht gewinnen wird 7. Dafür müssen sie besser qualifiziert werden, um kulturell aktiv sein zu können. Ein Problem stellt offenkundig die Qualitätssicherung im Angebot der kulturellen Institutionen dar. Fachleute bewerben sich inzwischen nicht mehr so oft in kulturellen Institutionen, weil diese den Gehaltsvorstellungen eines qualifizierten Personals nicht entsprechen könnten. Ein Lösungsweg wird nun darin gesehen, Senioren zu qualifizieren, um die jetzt schon deutlichen Lücken in der kulturellen Infrastruktur auszugleichen. Auch ist in den Regionalgesprächen vorgeschlagen worden, zu erwägen, ob ältere Menschen sich immer nur ehrenamtlich einbinden oder ob sie künftig nicht auch besser gegen Bezahlung tätig sein können. Senioren sind so gesehen nicht nur Konsumenten, sondern auch Produzenten von Kultur. Es scheint geboten, die Koordinationsleistungen für ehrenamtliche Ältere stärker zu fördern. Erst dann ist eine sinnvolle und qualifizierende Kooperation von Ehrenamtlichen und Fachkräften in kulturellen Einrichtungen möglich. Insofern geht es bei der Bewältigung des demografischen Wandels immer auch um die Synergien zwischen Kultur- und Bildungsmarketing. Im Verlauf der Regionalgespräche griff zunehmend die Erkenntnis um sich, dass sich soziale Räume vor allem auf zwei sehr heterogenen kulturräumlichen Ebenen identifizieren lassen: einerseits auf der lokalen und andererseits auf der metropolitanen Identitätsebene. Kulturpolitische und kulturadministrative Arbeit und das Kulturmanagement vor Ort finden somit in einem neuen Raumtypus statt, der gegenüber herkömmlichen Raumvorstellungen nicht mehr nur als Ort beschreibbar ist. Wir haben es künftig vermutlich stärker mit hybriden Räumen zu tun, die kulturelle Kontexte sowohl lokal als auch in einem Zusammenhang von übergeordneten, größeren Verantwortungsgemeinschaften umfassen. Hier geht es über die bisherigen regionalen Kooperationsformen hinaus um eine Raumpolitik, die an der Organisation einer übergreifenden Zusammenarbeit von starken und schwachen Räumen interessiert ist, die immer stärker und großräumiger miteinander verflochten und aufeinander angewiesen sind. Dies erfor7
Nach demoskopischen Berechnungen zufolge wird sich der „Anteil der über 65-Jährigen in Deutschland von 1990 bis zum Jahr 2030 von 15 auf knapp 30 Prozent nahezu verdoppelt haben. Aufgrund der hohen Lebenserwartung wird der Anteil der 80-, 90- und 100-jährigen Menschen stark steigen. Eine Folge davon wird sein, dass die Sozial- und Gesundheitskosten explodieren- einmal ganz abgesehen davon, dass die Renten und die Ausgaben für die Nachkommen von einer immer weniger werdenden Zahl von Erwerbstätigen erwirtschaftet werden müssen“ (Hippe 2006, S. 86 f.).
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dert neben der Stärkung vorhandener Potenziale auch das Herausarbeiten gemeinsamer Interessen und die Identifikation lohnender gemeinsamer Projekte. Darüber hinaus gilt es, den Dialog über räumliche Entwicklungstrends und -strategien zu fördern, um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Gesamtregion zu stärken sowie eine zukunftsfähige und nachhaltige Raumentwicklung zu befördern. „Vor allem die elf Metropolregionen müssen sich ihrer wachsenden Verantwortung für künftige Entwicklungsperspektiven ihrer großräumigen Verflechtungsräume bewusst sein“ (BBR 2006, S. 59). Die kulturräumlichen Kontexte und Besonderheiten dieses neuen Typs kennen wir erst in Umrissen und es fällt auf, dass die Suche nach belastbaren, kulturell geprägten Raumbildern überall redundant und bisweilen unbeholfen verläuft. Traditionelle Marketingstrategien scheinen inzwischen an ihre Wirkungsgrenzen zu stoßen, weil sich diverse Raumbilder überschneiden, widersprechen, wiederholen, weil die strategischen Zielsetzungen austauschbar sind und weil sie ständig der Gefahr ausgesetzt sind, dass es zu einem negativ besetzten Raumbild kommen kann, weil die Friktionen zwischen Fremd- und Eigenbild ignoriert oder tabuisiert werden. Hier ist nun – bei aller Autonomie – auch die Kulturpolitik gefragt, die angesichts der viel zitierten knappen Kassen unbeirrt die Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur im Auge behalten und den demografischen Gegebenheiten Rechnung tragen soll. Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier geht es bei der Einführung des Begriffs der hybriden Raumstruktur nicht um ein theoretisches Konstrukt, sondern um einen neuen raumkulturellen nicht im eigentlichen Sinn territorialen Typus, der zwischen den oben genannten Raumebenen angesiedelt und auch deswegen relevant ist, weil es den demografischen Wandel in einem großräumig umspannenden Sinn zwar strukturell gibt; er äußert sich jedoch von Region zu Region und von Stadt zu Stadt verschieden. Im Grunde bezeichnet demografischer Wandel ja kein neues Phänomen, denn Wirkungszusammenhänge zwischen Bevölkerungsstruktur, Arbeitsplätzen, Flächen-, Raumund Infrastruktur hat es in anthropogen überformten Räumen mit unterschiedlicher Intensität immer gegeben. So gesehen geht es also vielmehr um die kulturräumliche Komplexität und Neubestimmung der europäischen Metropolregionen und der kulturellen Austauschprozesse in und zwischen ihnen. Heterogenität ist dabei in der Binnen- und Außenkommunikation das übergreifende Merkmal und muss auf unterschiedlichen Raumebenen spezifisch gedeutet werden. Darin liegt vermutlich das Paradox des kulturell kodierten räumlichen Markenbildungsprozesses. Die Marke darf weder das Besondere noch das Allgemeine eines Kulturraums außen vor lassen.
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3
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Public Branding und Kulturpolitik
Angesichts der oben skizzierten kulturräumlichen Kontextbedingungen lässt sich vermuten, dass herkömmliche, auf individuelles und lokales Wachstum ausgerichtete Strategieansätze auch für die kulturelle Praxis nicht mehr ausreichen, um der sozialen und kulturräumlichen Komplexität gerecht zu werden. Dichotomien wie ländliche oder städtische Ebene bzw. Zentrum und Peripherie müssen offenkundig überdacht werden und bringen neue Akteurskonstellationen hervor. Im IRS wurde in diesem Zusammenhang ein Forschungs- und Beratungsansatz entwickelt, den ich im Folgenden als Public Branding bezeichne (vgl. Abb.1).
Abb. 1: Public Branding (Quelle: Leibniz -Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung)
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Mit Public Branding sind für den hier diskutierten Zusammenhang einer demografisch orientierten Kulturpolitik konzeptuelle Verbindungen sowie innovative Netzwerke und Milieus im Umfeld von Kulturbetrieben, wissensbasierten und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen im sozialen Raum gemeint. Ziel des Konzeptes Public Branding ist es, den Entstehungsprozess einer gemeinsamen kulturräumlichen Dachmarke zu reflektieren, die durchaus genügend Raum für die Entwicklung von einzelnen Submarken des Lokalen zulässt. Das Public steht für Bottom-Up-Kommunikation im Sinne von Beteiligung, Einmischung, Integration, Aushandlung und das Branding für Top-Down-Kommunikation im Sinne politisch-administrativ gesteuerter Markenstrategien. Der entscheidende Unterschied zwischen Public Branding und Stadt- respektive Regionalmarketing ist: Es geht hier nicht vorrangig um die Außenwirkung einer räumlichen Marke. Ebenso stehen hier Grundsatzfragen der sozialräumlichen Binnenkommunikation im Mittelpunkt des Erkenntnis- und Steuerungsinteresses. Ein solcher Fokus auf die Prozess- und Interaktionsdynamiken lässt sich am hier diskutierten Fallbeispiel nicht nur an der oben zitierten Kulturentwicklungskonzeption des zuständigen Kulturressorts belegen. Auch die Staatskanzlei des Landes Brandenburg hat eine spezielle Unit ins Leben gerufen, die das Demografiethema Ressort übergreifend kommuniziert und sie hat in ihrem Demografiebericht im Jahr 2005 ausdrücklich auf die neue Rolle der Kultur hingewiesen. Ein „erhebliches Gewicht“ misst die Landesregierung öffentlichen und auch privaten Dienstleistungen bei, die die Lebensqualität von Senioren und deren aktive Einbindung und Selbständigkeit verbessern (Staatskanzlei Brandenburg 2005, S. 11). Für den kulturellen Sektor bedeutet die so genannte Überalterung der Gesellschaft eine gravierende Umsteuerung und auch die Notwendigkeit, neue raumpolitische Steuerungsoptionen zu entwickeln. Allein von 1990 bis 2002 hat die Zahl der Brandenburgerinnen und Brandenburger, die 65 Jahre oder älter waren, um 126.000 auf 440.000 Personen zugenommen. Sie ist damit um 40 Prozent gestiegen (Staatskanzlei Brandenburg 2005, S.5). Zur Bereitstellung der kulturellen Infrastruktur setzt das Land Brandenburg deshalb inzwischen verstärkt auf die schon erwähnten interkommunalen Kooperationen sowie Institutionen- und Ressort übergreifende Steuerungsansätze. Public Branding gewinnt in diesem Kontext an Bedeutung, weil es vor Ort die konzeptionelle Orientierung auch an einer großräumigeren Verantwortungsgemeinschaft bietet. Im hier diskutierten Fallbeispiel ist es diejenige räumliche Gemeinschaft des Flächenlandes Brandenburg und des Stadtstaates Berlin. Ein gemeinsames Markendach bildet das im Jahr 2006 verabschiedete Leitbild der Hauptstadtregion. Seitdem verläuft der Etablierungsprozess dieser räumlichen Marke mit ihren Stärken,
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Schwächen, Hemmnissen und Chancen. Zu den Schwächen können im Untersuchungsraum der langwierige Annäherungsprozess zwischen den Akteuren und Teilregionen dieses transformativen Raums mit seinen heterogenen Konstellationen und das Fehlen von Industrieunternehmen gerechnet werden. Als Stärke der Hauptstadtregion wird jedoch die außergewöhnlich hohe Dichte an kulturellen oder wissensbasierten Einrichtungen gezählt. Kultur und Wissen sind für Brandenburg somit beides: Die Voraussetzung zur Selbstbeschreibung und der Standortfaktor, wenn es darum geht, Wissen (Jähnke und Mahnken 2007) sowie kulturelle Potenziale in den Markenfokus dieser Metropolregion „mitten in Europa“ zu stellen (GL 2006 b, S. 8 ff.). Verschärfend zur demografischen Entwicklung kommt eine sozialräumliche Veränderung hinzu, die sich zwar noch relativ unbemerkt vollzieht, die aber für den kulturellen Sektor ebenfalls eine prägende Rolle spielt. Neben den medial tauglichen und mit üppigem Zahlenwerk unterlegten Schlagworten „Überalterung, Geburtenrückgang und Abwanderung“ verkoppelt sich mit der demografischen Entwicklung nämlich der normative Profilierungsprozess der europäischen Metropolregionen. Unübersehbar ist inzwischen, dass der demografische Wandel in metropolitanen Räumen durch disparate Entwicklungen zwischen Verdichtungsräumen und dünn besiedelten Regionen gekennzeichnet ist. Hier helfen Strategien nicht weiter, die vorrangig um Ausgleich bemüht sind und der Heterogenität des Raumes nicht genügend Rechnung tragen. Der viel zitierte metropolitane Raum bringt mit der Maxime ‚Stärken stärken’ zwar neue Akteursebenen, Anforderungen und konzeptionelle Herausforderungen hervor. Doch er birgt auch die Gefahr, vorhandene Disparitäten zwischen Agglomerationsräumen und ländlichen Räumen zu verschärfen, weil er hybride Raumkonstruktionen und deren Entwicklungschancen zu vernachlässigen droht. Besonders betroffen sind dabei die so genannten peripheren Gebiete mit wenig Bevölkerung und ungenügenden Partizipationsmöglichkeiten an metropolitanen Kulturangeboten, weil die Bewohner älter und immobiler werden. Die technische und die kulturelle Infrastruktur ist nicht so zu halten, wie es erforderlich wäre. Hier schält sich mittlerweile die schon weiter oben angesprochene Querschnittsaufgabe ab: Nämlich diejenige, die zum Beispiel zwischen Bildungs-, Infrastruktur-, Verkehrs- und Kulturpolitik liegt. Die Herausforderung für eine moderne Kulturpolitik liegt vor dieser Kulisse darin, innovative Konzepte für die kulturelle Daseinsvorsorge zu erarbeiten. Keine Frage: Letztendlich geht es dabei immer erst einmal vor Ort um die sinnvolle und gerechte Verteilung von finanziellen Ressourcen, weil die Steuerungsverantwortung vorwiegend in den Kommunen liegt. Es geht aber zunehmend auch darum, Lösungsstrategien für die sich seit Jahren schon abzeichnende Problematik der Herausbildung von abgehängten
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homogenen Milieus in peripheren Räumen zu entwickeln. Diese Milieus sind über Leitbildprozessdynamiken unter dem Dach der Hauptstadtregion zwar konzeptionell einbezogen und dem demografischen Wandel soll „mit räumlich differenzierten Konzepten und Maßnahmen in allen Politikfeldern“ begegnet werden (GL 2006 b, S. 21). Abgehängte Bevölkerungsteile existieren jedoch zu großen Teilen in einem Metropolraum, der etwa in der Westprignitz, in der nördlichen Uckermark oder auch in der Lausitz durch das Fehlen und kontinuierliche Wegfallen kultureller Infrastrukturen virtuell ist. Die Strategien und Instrumente einer integrierenden Raumpolitik müssen deshalb vermutlich in einem nächsten Schritt nun von der symbolischen Kultur-Politikebene der Metropolregion den Sprung auf die faktisch gegebene Situation vor Ort schaffen. Dabei ist nach Einschätzung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zu sehen, dass im Prozessverlauf der metropolitanen Selbstverortung im so genannten peripheren Raum „jede Beschwörungsformel, jeder übertriebene Optimismus … von Bürgern und Medien erfahrungsgemäß rasch entlarvt“ werden „und … zu verstärkter Skepsis“ führen kann. „Wo einerseits eine Schule geschlossen wird, andererseits aber von der hohen Industriedichte geschwärmt wird, ist die Kommunikation gescheitert … Diese Entwicklung wird dazu führen, dass sich der immer noch herrschende Optimismus von gleichwertigen Lebensverhältnissen als Fehleinschätzung erweisen wird. Das aber muss kein Anlass für Pessimismus sein: Denn gleichzeitig steigen die Chancen, in Brandenburg eine grundlegende Wende einzuleiten, die zur Lösung anderer Probleme beitragen kann, unter denen die Gesellschaft heute leidet (Stichwort Nachhaltigkeit). Wir halten demnach eine noch offensivere Öffentlichkeitsarbeit als bislang für notwendig … Die empfohlene Kommunikationsstrategie stützt sich dabei auf drei Säulen: auf die bisher praktizierte Vermittlung des Sachverhalts durch die Politik, auf die Ausschreibung von Zukunftswettbewerben und auf die schnellstmögliche Einrichtung von Modellregionen … Es geht darum, eine Diskussion ins Rollen zu bringen, die Innovationskräfte der Gesellschaft weckt“ (Berlin-Institut 2007, S. 58).
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Abb. 2: Kulturpolitik im metropolitanen Raum (Quelle: Leibniz -Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung)
Der Raum Berlin/Brandenburg ist durch die sozial- und kulturräumlichen Disparitäten zwischen Zentralraum und Peripherieraum ein besonders krasses Beispiel für die sich formierenden Metropolregionen. Die hier zu Tage tretenden Probleme des räumlichen Konstrukts der Metropolregion können aber auf Dauer nicht allein der kulturellen Verteilungslogik auf ‚Zentrale Orte’ folgen. Zentrale Orte sind zwar normative regionale Mittel- und Oberzentren und ein „raumordnerisches Instrument, mit dem die Leistungserbringung der Daseinsvorsorge räumlich organisiert wird“ (ARL 2006, S.5; Blotevogel 2005, S. 1307) und die
Kulturpolitik – Demografie und räumliche Markenbildung
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Grundlage für die Siedlungs- und Infrastruktur bildet ein bundesweites Netz dieser Zentralen Orte. Kultureinrichtungen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Altenheime, Schulen und Bildungseinrichtungen unterschiedlichster Couleur sind und bleiben jedoch die Entscheidungs- und Standortfaktoren derjenigen, die über ihre Familien und Unternehmen Ideen und Kapital auch in periphere Räume tragen können, die nicht in dieses normative Schema hineinpassen. Die Kulturpolitik sieht sich in unserem Fallbeispiel Brandenburg vor dem Dilemma, aus fiskalischen Zwängen heraus kulturelle Infrastrukturen nach der Logik der Zentralen Orte zu fördern obwohl damit die Gefahr verbunden ist, dadurch weitere Wegzüge, Leerstände und Schwund zu verursachen. Vor diesem Hintergrund werden inzwischen auch auf bundespolitischer Ebene innovative Netzwerke und Förderinstrumente diskutiert, um auch diejenigen besonderen Orte zu fördern, die etwa durch Raumpioniere in Wert gesetzt werden können und die aus der Logik der politisch definierten Wachstumskerne heraus zu fallen drohen. Nach Matthiesen sind damit kleine Akteursnetze gemeint, „die wir in Ermangelung eines besseren Begriffs eben Raumpioniere nennen. Mit diesem Begriff bezeichnen wir Personen und kleine Netze, die auf eigene Verantwortung in die leer laufenden, funktionsausgedünnten Regionsteile der ostdeutschen Flächenländer hineingehen und für diese Räume neue Funktionen erfinden – zwischen ‚low tech’, Ökolandbau, Kunsthandwerk, Neuen Medien etc. Darunter finden sich ganz unterschiedliche Professionen und Existenzen, etwa rückgekehrte ostelbische Landadels-Familien-Mitglieder, Design- und Wissensarbeiter, Künstler, Kulturlandschaftentwickler etc.“ (Matthiesen 2007, S. 116 f.).
4
Fazit
Zwar haben sich die Lebensverhältnisse nach der Herstellung der Deutschen Einheit insgesamt und gerade auch in den neuen Bundesländern positiv entwickelt. Zu den Erfolgen der raumbezogenen Politik werden vor allem „Verbesserungen im Wohn- und Wohnumfeldbereich, in der Infrastrukturausstattung sowie in der Umweltqualität“ gezählt (ARL 2006, S. 4). Dennoch können diese Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass die regionalen Disparitäten in Ostdeutschland aber auch in der Bundesrepublik insgesamt zugenommen haben. Auffällig dabei ist, wie sich neuerdings prosperierende Räume direkt neben solchen Räumen entwickeln, die von Stagnation betroffen sind. Die raumwissenschaftliche Community spricht hier vom Nebeneinander der „Wachstumsund Schrumpfungsprozesse(n)“ (ARL ebd.), das für eine innovative Kulturpolitik künftig die konzeptuelle Ausgangslage darstellen wird. Die sozialräumlichen Kontextbedingungen der Kulturpolitik haben sich vor diesem Hintergrund im
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Gerhard Mahnken
ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts dramatisch verändert. Es lässt sich am exemplarischen Fall Brandenburg ein Prozessverlauf nachzeichnen, in dem die Kulturpolitik hier die räumliche Tragweite der demografischen Entwicklung im Vergleich zu anderen Ressorts relativ früh zur Kenntnis genommen und reagiert hat. Während das Thema Demografie etwa seit dem Jahr 2003 kontinuierlich in seiner politischen Bedeutung ernst genommen wird, fehlt es gleichwohl an belastbaren metropolitanen Leitbilddiskursen und an erprobten Aushandlungsräumen vor allem in den peripheren Teilregionen. Es bleibt die Aufgabe, eine strukturierte und vor Ort – d.h. auf lokaler Ebene – kulturräumliche Orientierung und ein kulturräumliches Gesamtverständnis zu befördern, das bei den Bewohnern auf Glaubwürdigkeit stößt. Die Analyse der in diesem Beitrag zitierten Dokumente belegt die hohe Bedeutung, die der Kulturpolitik bei der Generierung von raumrelevantem Orientierungswissen innerhalb des Demografiediskurses beigemessen wird. Der Fall Brandenburg zeigt aber auch, dass der Förderfokus und das kulturpolitische Augenmerk auf Netzwerke verstärkt werden muss. Hier deutet sich insgesamt, auch auf bundespolitischer Ebene, eine Umorientierung an: Die Förderung der strategischen Kommunikation zwischen kulturellen Akteuren im Raum gewinnt angesichts neuer europäischer Raumkonstrukte und den damit zusammenhängenden Vorstellungen über neue Verantwortungsgemeinschaften immer mehr an Bedeutung. Kulturelle Einrichtungen werden zu räumlichen Wertevermittlern und Beschreibungsinstanzen. Sie können vor diesem Verständnis Lücken zwischen räumlicher Binnen- und Außenkommunikation ausfüllen. Die Kulturpolitik kann mit ihren komplexen sozialräumlichen Zugängen eine Querschnittsfunktion übernehmen, indem sie ein neues, hybrides Verständnis des Raumes befördert. Das kann über die Einbringung von Ideen und kulturell kodierten Raumbildern in metropolitane Strategien der Selbstbeschreibung geschehen. Durch ihren per se kommunikativen Charakter kann sie, die Kulturpolitik, im Konzept des Public Branding strukturelle Kopplungen herstellen zwischen Teilräumen, Institutionen und Ressorts. Kulturpolitik ist nach diesem Verständnis maßgeblich mitbeteiligt am demografisch geprägten Entstehungsund Etablierungsprozess der europäischen Metropolregionen. Sie muss sich dabei keineswegs so verhalten, dass sie normativen Vorgaben (etwa Metropolraum, Kreativwirtschaft, Kulturlandschaft) affirmativ folgt. Vielmehr kann sie eine Funktion als kritische Beobachterin in den komplexen Prozessverläufen des sich überall umstrukturierenden sozialen Raumes mit übernehmen. Sie kann Bindeglied sein zwischen den kulturellen Deutungsmöglichkeiten. Und sie kann Sinnzusammenhänge herstellen zwischen heterogenen Sozialräumen. Kulturpo-
Kulturpolitik – Demografie und räumliche Markenbildung
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litik übernimmt somit auch eine wichtige Rolle in der Diskussion um Strategien des Disparitätenausgleichs. Ein hiermit verbundenes, komplex verstandenes und kulturell unterlegtes Public Branding könnte in Zukunft noch wesentlich mehr dabei helfen, disparate Teilräume einander näher zu bringen. Es hat beste Vorraussetzungen, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Raumbindungen mit Leben zu erfüllen. Vor allem aber bietet ein kulturell unterlegtes Public Branding die Chance, einen öffentlichen Blick für innovative soziale und kulturelle Räume zu entwickeln. Es kann den alten Gegensatz von Zentrum und Peripherie neu deuten. Die hiermit verbundene Rolle der Kulturpolitik als Mediatorin im Umstrukturierungs- und Demografieprozess wird uns im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vermutlich weiter im Bann halten und noch viele Forschungsfragen aufwerfen. Gleichwohl wird an der Schwelle zu dieser nächsten Phase schon erkennbar, wie die Kulturpolitik in Zukunft zur Glaubwürdigkeit regionsinterner Brands beitragen kann, indem sie eine Frühwarnfunktion für Entwicklungen im sozialen Raum übernimmt.
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Gerhard Mahnken
Quellenverzeichnis Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL). Gleichwertige Lebensverhältnisse: eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe neu interpretieren! Positionspapier Nr. 69, Hannover 2006. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Gutachten zum demografischen Wandel im Land Brandenburg. Expertise im Auftrag des Brandenburgischen Landtages, Berlin 2007. Blotevogel, H. (2005): Zentrale Orte, in: Handwörterbuch der Raumordnung, S. 1307 ff., Hannover. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Perspektiven der Raumentwicklung in Deutschland, Bonn/Berlin 2006. Christmann, Gabriela B. (2004): Dresdens Glanz, Stolz der Dresdner. Lokale Kommunikation, Stadtkultur und städtische Identität, Wiesbaden. Ebert, Chr. (2005): Identitätsorientiertes Stadtmarketing, in: Meffert, Heribert et al.: Markenmanagement. Identitätsorientierte Markenführung und praktische Umsetzung, S. 564-587, Wiesbaden. Florida, R. (2005): The Flight of the Creative Class, New York. GL (2006 a): Gemeinsame Landesplanungsabteilung der Länder Berlin und Brandenburg (GL). Kulturlandschaften. Chance für die regionale Entwicklung in Berlin und Brandenburg, Potsdam. GL (2006 b): Gemeinsame Landesplanungsabteilung der Länder Berlin und Brandenburg (GL). Leitbild Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, Potsdam. Hausmann, A. (2007): Das Publikum von morgen. Herausforderungen des demografischen Wandels für Kulturbetriebe, in: kulturpolitische mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der kulturpolitischen Gesellschaft. Nr. 117. II/ 2007, Kulturpolitik und Demografie, S. 57, Bonn. Hippe, W./Sievers, N (2006): Kultur und Alter. Kulturangebote im demografischen Wandel, Essen. Hoffmann, Hilmar (1979): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt. Jähnke, P./Mahnken, G. (2007): Wissen als Faktor der Leitbildgenerierung in der Metropolregion Berlin-Brandenburg-Strategien, Optionen, Konflikte, in: Raumforschung und Raumordnung. Nr. 6, S. 489-501, Bonn und Hannover. Kultur in Deutschland (2007): Schlussbericht der Enquete-Kommission. Deutscher Bundestag. 16. Wahlperiode. Drucksache 16/7000, Berlin. Kulturpolitische Mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der kulturpolitischen Gesellschaft. Nr. 117. II/ 2007. Kulturpolitik und Demographie, Bonn 2007. Kulturpolitische Mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der kulturpolitischen Gesellschaft. Nr. 119. IV/ 2007. KULTURwirtschaft – KulturPolitik, Bonn 2007. Land Brandenburg (2001): Bestandsaufnahme Kultur im Land Brandenburg. Vorschlag für Prioritäten. Kulturentwicklungskonzeption. Landtag Brandenburg. 3. Wahlperiode. Konzeption der Landesregierung. Gem. Beschluss des Landtags vom 05.04. 2001. Nr. 3/2528B. Drucksache 3/4506. Land Brandenburg: Kulturentwicklungskonzeption der Landesregierung Brandenburg – Bericht 2004, veröffentlicht unter: www.mwfk.brandenburg.de (Abruf am 12. März 2008). Mahnken, G. (2006): Wissensnetze im Kontext von räumlich-strategischer Kommunikation und Public Branding: Eine heuristische Forschungsperspektive auf den Fall Brandenburg/Berlin. Working-Paper, Erkner. Matthiesen, U. (2007): Wissensmilieus in heterogenen stadtregionalen Räumen Ostdeutschlands – zwischen Innovationsressourcen und kulturellen Abschottungen, in: Koch, Gertraud und Warneken, Bernd Jürgen (Hrsg.): Region – Kultur – Innovation. Wege in die Wissensgesellschaft, Wiesbaden, S. 83-122. Matthiesen, Ulf: (2005a): KnowledgeScapes. Pleading for a Knowledge Turn in Socio-Spatial Research. Working Paper, Erkner.
Kulturpolitik – Demografie und räumliche Markenbildung
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Teil C
Demografischer Wandel und Kulturmanagement
Andrea Hausmann
Implikationen des demografischen Wandels für das Marketing von Kultureinrichtungen
Inhaltsverzeichnis 1 Einführung ................................................................................................ 133 2 Fakten des demografischen Wandels und ihre Bedeutung für die Kultur ........................................................................................................ 134 3 Konsequenzen für das Marketing von Kultureinrichtungen ..................... 137 3.1 Maßnahmen für die Entwicklungstendenz „älter“ ........................... 140 3.2 Maßnahmen für die Entwicklungstendenzen „bunter“ und „weniger“ ......................................................................................... 142 4 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................. 145 Quellenverzeichnis ......................................................................................... 146
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
1
133
Einführung
Der Begriff des „demografischen Wandels“ bezieht sich auf die zum Teil dramatischen Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, die in den nächsten Jahrzehnten viele europäische Länder in ihren Grundfesten erschüttern werden. 1 Auch in Deutschland rückt das Thema zunehmend in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und wissenschaftlichen Forschung. Aufgrund der Tatsache, dass die vom demografischen Wandel induzierten Auswirkungen in alle Gesellschaftsbereiche hineinreichen, ist die Forschung dabei entsprechend vielfältig, wie die nachfolgende Auflistung einiger aktuellerer Arbeiten zum Thema zeigt:
Demografischer Wandel und Arbeitsmarkt (Priebe 2006), Demografischer Wandel und Tourismus (Haehling von Lanzenauer/Klemm 2006), Demografischer Wandel und Mediennutzung (Rosenstock/Schubert/Beck 2006), Demografischer Wandel und soziale Sicherungssysteme (Löbbert 2007), Demografischer Wandel und internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (Höhn/Dorbritz 2007), Demografischer Wandel und Sport (Hartmann 2007).
Angesichts dieser grundsätzlichen thematischen Bandbreite überrascht es allerdings, dass forscherseits noch immer relativ wenig Beachtung findet, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die kulturelle Infrastruktur und Nachfrage haben wird. Eine der wenigen Vorreiter, die dieses Thema frühzeitig aufgegriffen haben, waren neben der Kulturpolitischen Gesellschaft und dem Deutschen Kulturrat unter anderem die Stiftung Niedersachsen und die EuropaUniversität Viadrina, die 2005 bzw. 2007 in ihren jeweiligen Tagungen das Thema zum Schwerpunkt gemacht haben; auch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat in ihrem Abschlussbericht einige Überlegungen zum Thema vorgestellt (EK 2007, S. 219ff.). Nichtsdestotrotz steht der Kulturpolitik und den Kulturanbietern auch weiterhin nur eine übersichtliche Zahl an einschlägigen Untersuchungen zur Verfügung. 1
In vielen, aber nicht in allen mit Deutschland vergleichbaren Staaten zeichnen sich ähnliche Entwicklungen ab. Viele westlich orientierte Gesellschaften haben Geburtenraten unter dem bestandserhaltenden Niveau und nahezu alle rechnen mit steigenden Lebenserwartungen. Die Alterung ist ein weltweites Phänomen. Europäische Länder mit geringeren Bevölkerungsrückgängen als in Deutschland sind Großbritannien (höhere Zuwanderung) sowie Frankreich und die skandinavischen Staaten (höhere Geburtenrate) (FDW 2005, 4).
134
Andrea Hausmann
Zudem bleibt die Diskussion im Kulturbereich oftmals noch auf einer rein deskriptiven Ebene, explikative Untersuchungen mit konkreten Handlungsempfehlungen, vor allem auch im Hinblick auf den Umgang mit den älter, bunter und weniger werdenden Nachfragern, sind seltener zu finden. Es ist Ziel der nachfolgenden Ausführungen, einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke zu leisten. Dazu werden zunächst die wesentlichen Fakten des demografischen Wandels mit Blick auf ihre Bedeutung für die Kultur vorgestellt. Im Anschluss an diese grundsätzliche Analyse des Zusammenhangs von demografischem Wandel und kulturellem Angebot bzw. kultureller Nachfrage gilt es zu untersuchen, welche Maßnahmen des Marketing im Kontext dieser Entwicklungen greifen können, um die Zukunft der Einrichtungen zu gestalten. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit und einem Ausblick auf weitere notwendige Forschungsaktivitäten.
2
Fakten des demografischen Wandels und ihre Bedeutung für die Kultur
Die Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen wird mit einer Fülle von empirischen Untersuchungen (u. a. Bertelsmann Stiftung 2006, Statistisches Bundesamt 2006, Kröhnert/Medicus/Klingholz 2006) unterfüttert, die in ihren untersuchten Zeithorizonten und konkreten Ergebnissen allerdings häufig voneinander abweichen. Damit ist es oftmals schwierig, Aussagen miteinander zu vergleichen und eindeutige Erkenntnisse zu gewinnen. Unabhängig von den Unterschieden im Detail kristallisieren sich jedoch einige Kernthesen zu den unter heutigen Bedingungen wahrscheinlichen Konsequenzen des demografischen Wandels in Deutschland heraus (vgl. hierzu auch den Beitrag von Kutzner in diesem Band), die zwangsläufig auch von erheblicher Bedeutung für die kulturelle Infrastruktur sein werden. So nimmt die Alterspyramide aufgrund der steigenden Lebenserwartung und einer gleichzeitig anhaltend niedrigen Geburtenrate zunehmend eine „Zwiebel- oder Urnenform“ an. Die Bevölkerung in Deutschland wird damit stark altern; Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden künftig eine Minderheit darstellen (vgl. Tab. 1).
„älter“
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
Tab. 1:
135
Einheit
2005
2050
Δ (+/-)
Durchschnittliches Alter der Bevölkerung
Jahre
42
50
+
Lebenserwartung Männer/Frauen
Jahre
76/82
84/88
+
Bevölkerung über 65 Jahre
Prozent
19
30
+
Bevölkerung unter 20 Jahre
Prozent
20
15
–
„Älter“ – Prognosen für Deutschland (Statistisches Bundesamt 2006)
„weniger“
Es ist offenkundig, dass mit dieser Umkehr der Alterspyramide neue Anforderungen auf die Kultureinrichtungen zukommen. Sie werden sich bei der Ausgestaltung ihres Serviceangebots, aber zum Beispiel auch im Zuge ihrer Kommunikations- und Werbemaßnahmen in höherem Maße auf die besonderen Bedürfnisse und das kulturelle Informations- und Nutzungsverhalten eines älteren Publikums einstellen müssen (Meyer 2005, S. 8; Huysmans 2006, S. 183). Gleichzeitig wird es die schrumpfende Gruppe jüngerer Menschen in Zukunft schwerer haben, ihre kulturellen Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen. Wird die junge Generation allerdings nicht ausreichend in ihren Interessen angesprochen, besteht die Gefahr, dass sie nicht mehr frühzeitig an die Einrichtungen herangeführt und damit auch nicht langfristig gebunden werden kann (vgl. hierzu auch den Beitrag von Keuchel in diesem Band). Des Weiteren wird die Bevölkerung in Deutschland bei einer Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklungen (deutlich) schrumpfen (vgl. Tab. 2); jede Kindergeneration wird um ein Drittel kleiner sein als die ihrer Eltern.
Tab. 2:
Einheit
2005
2050
Δ (+/-)
Einwohner
Personen (in Mio.)
82,4
69 - 74
–
Geburtendefizit (Differenz zwischen Gestorbenen und Geborenen)
Personen (in Tsd.)
144
570 600
–
Geburtenziffer in Deutschland
Kind pro Frau
1,4
1,2 - 1,6
–/+
„Weniger“ – Prognosen für Deutschland (Statistisches Bundesamt 2006)
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Andrea Hausmann
Vor allem in den weniger dicht besiedelten Regionen und von Abwanderung bzw. Binnenmigration betroffenen Städten wird sich die Kürzungsspirale für die Kultureinrichtungen weiter drehen, da sich der finanzielle Handlungsspielraum vieler Kommunen durch die Schrumpfungsprozesse nochmals verringert (weniger Steuereinnahmen, sinkende Zuweisungen aus dem interkommunalen Finanzausgleich etc.). Diese Situation erschwerend kommt hinzu, dass weniger Besucher ceteris paribus auch zu sinkenden eigenen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Spenden etc. führen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Dreyer in diesem Band). Dabei wird vor allem die Aufrechterhaltung jener Kultureinrichtungen erschwert, die über einen nur begrenzten Einzugsbereich verfügen, wie zum Beispiel die primär an der Bevölkerung vor Ort ausgerichteten Breitenangebote (Stadtbibliotheken, Musikschulen, Jugendkultureinrichtungen etc.). Ein Bevölkerungsrückgang wird hier zu einem entsprechenden Rückgang der Auslastung führen, wenn der Einzugsbereich nicht erweitert, die Nutzungsintensität nicht erhöht und/oder keine neuen Zielgruppen im vorhandenen Einzugsbereich mobilisiert werden können (vgl. hierzu Kapitel 3). Etwas entspannter sieht die Situation allein bei jenen Kultureinrichtungen aus, die über einen überregionalen Einzugsbereich verfügen und kulturtouristisch genutzt werden (Hausmann 2007, S. 56). Neben den bereits genannten Trends lässt sich ebenfalls prognostizieren, dass sich die Bevölkerungsstruktur verändern und aufgrund von Zuwanderungen zunehmend multi-ethnischer und heterogener wird (vgl. Tab. 3). In Großstädten wie Berlin oder Köln wird bereits im nächsten Jahrzehnt die Mehrheit der Jugendlichen über einen Migrationshintergrund verfügen. Prozentuale Veränderung der Gesamtbevölkerung (in %)
Gesamtbevölkerung Anteil Deutscher (%)
Anteil Ausländer (%)
2002
0,0
91,4
8,6
2010
0,7
90,4
9,6
2020
0,4
88,5
11,5
2030
-1,6
86,7
13,3
2040
-4,8
84,9
15,1
2050
-9,0
83,0
17,0
Tab. 3:
„Bunter“ – Veränderungen der Gesamtbevölkerung relativ zu 2002 (von Lanzenauer/Belousow 2007, S. 19)
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
137
Durch diese Veränderung der Bevölkerungsstruktur wird es zu einer Ausdifferenzierung des Kulturverständnisses kommen, da viele Migranten andere Erfahrungen und Bedürfnisse aus ihrer Ursprungskultur mitbringen. Dies wird zwangsläufig auch (programmatische) Auswirkungen auf die Kultureinrichtungen haben, die sich vermehrt mit der Frage beschäftigen müssen, mit welchen Maßnahmen die wachsende Gruppe der Zuwanderer stärker als bisher einbezogen werden kann. Allerdings wird diese Herausforderung vor allem die Institutionen in den alten Bundesländern betreffen, da sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung in den neuen Bundesländern schon seit 1992 auf einem niedrigen Niveau (zwischen 2,1% und 2,8%) eingependelt hat und ein Anstieg nicht zu erwarten ist (Destatis 2006). Eine weitere Konsequenz des demografischen Wandels wird sich in Veränderungen bei den Haushalts- und Familienstrukturen ausdrücken; so wird zum Beispiel die Zahl der Haushalte bei einem gleichzeitigen Rückgang der Haushalts- und Familiengröße ansteigen. Gleichzeitig führen Prozesse der gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung zu einer Neuformulierung von Normen und Werten. Auch hierdurch wird die Art und Intensität der kulturellen Teilhabe beeinflusst: Durch die Individualisierung wird ein Prozess der Auflösung ehemals fester Gruppen bewirkt, Familienstrukturen verlieren an Bedeutung (Meyer 2005, S. 12). So wird es für die Großstädte der Zukunft typisch sein, dass dort überproportional viele Singles leben. Diese Erkenntnisse können von den Kultureinrichtungen sowohl bei der Entwicklung von Kernleistungen als auch bei der Ausgestaltung zusätzlicher Serviceangebote genutzt werden. Darüber hinaus findet eine Pluralisierung von sozialen Milieus und Lebensstilen statt. Zukünftige Generationen werden ihre kulturellen Interessen breit streuen; die meisten Kulturnutzer werden weniger an eine bestimmte Form oder Sparte gebunden sein, sondern begeistern sich für ganz unterschiedliche Kulturangebote. Hieraus werden sich zum Beispiel auch Konsequenzen für zukünftige Maßnahmen der Besucherbindung und der Leistungsbündelung ergeben (Hausmann 2007, S. 55).
3
Konsequenzen für das Marketing von Kultureinrichtungen
In den vorangegangenen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Auswirkungen des demografischen Wandels auch und gerade von Bedeutung für die kulturelle Infrastruktur sind. Welcher Handlungsbedarf kann nun daraus für den Umgang mit dem Publikum von morgen abgeleitet werden? Bevor diese Frage aus Sicht des Marketing beantwortet wird, gilt es zunächst zu betonen, dass die Tatsache einer „Älter-bunter-weniger“-Gesellschaft nicht zu einem strategielo-
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Andrea Hausmann
sen „Ad hoc“-Handeln führen darf und es auch kein Patentrezept gibt, das für alle Einrichtungen gleichermaßen geeignet ist. Vielmehr muss Berücksichtigung finden, dass nicht jede Kulturinstitution in gleichem Ausmaß vom demografischen Wandel betroffen sein wird. Während sich so manche Einrichtung mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sehen wird, bleibt die Situation in anderen Institutionen (zunächst) stabil oder sie werden sogar von den Auswirkungen profitieren können. Da diese Spaltung in Gewinner und Verlierer des demografischen Wandels von einer Vielzahl verschiedener Faktoren abhängig ist, kommt ein jeder Kulturbetrieb nicht umhin, zunächst mit Hilfe geeigneter Analysemethoden den eigenen Handlungsspielraum auszuloten, um künftige Entwicklungen und daraus resultierende Erfordernisse realistisch abschätzen zu können. Eine solche Situationsanalyse (Meffert 2007) sollte neben einer Bestandsaufnahme im eigenen Haus auch ein Bild von den Wettbewerbern (bzw. möglichen Kooperationspartnern) und Zielgruppen geben. Im Kontext des hier interessierenden Themas wären unter anderem die in Tabelle 4 aufgeführten Fragen zu berücksichtigen.
Ressourcenanalyse Über welches Profil und Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition) verfügt der Kulturbetrieb? Welches (Service-)Angebot wird derzeit vorgehalten und welche Leistungen werden davon künftig mehr oder weniger nachgefragt? Auf welchen Säulen steht die Finanzierung derzeit und wie kann sie unter den Bedingungen des demografischen Wandels gesichert werden? Wie wird sich die Mitarbeiterstruktur in den nächsten Jahren verändern? Welche Qualifikationen und Kompetenzen müssen in den nächsten Jahren ausgebaut werden? Wie ist die demografische und sonstige Situation am Standort der Kultureinrichtung und wie wird sie sich künftig verändern? ¾ Wirtschaftslage, Verschuldungsquote der Kommune, Kaufkraft, Arbeitslosenquote, Bevölkerungsentwicklung, Wanderungsbilanz, (kultur-)touristische Erschließung, Aktivitäten des Standort- und Tourismusmarketing etc. ...
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
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Zielgruppenanalyse Wie sieht die Struktur der derzeitigen Zielgruppen aus (Alter, Wohnort etc.) und was bedeutet dies im Kontext des demografischen Wandels in Zukunft? Wo werden Zielgruppen möglicherweise wegbrechen? Welche Zielgruppen können künftig noch angesprochen werden? Wie hoch ist die Nutzungsintensität der derzeitigen Besucher und lässt sie sich künftig noch erhöhen? Lassen sich durch Produktentwicklung neue Nutzer ansprechen? Über welches Einzugsgebiet verfügt der Kulturbetrieb und lässt sich dieses in Zukunft noch ausweiten? Wie hoch ist das kulturtouristische Potenzial des Kulturbetriebs (Besucherpotenzial innerhalb der 2-Stunden-Fahrtzeit-Grenze etc.)? ... Analyse der Wettbewerber / Kooperationspartner Wie sieht die Wettbewerberstruktur derzeit aus und wird sie sich möglicherweise künftig verändern? Mit welchen Maßnahmen und Strategien reagieren die Wettbewerber auf den demografischen Wandel? Welche Partnerschaften bestehen bereits oder können künftig eingegangen werden, um das eigene Leistungsprogramm der Kultureinrichtung sinnvoll zu ergänzen und abzurunden? ¾ Partnerschaften mit sozialen/karitativen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden ¾ Einbindung der eigenen Einrichtung in Stadt- und Regionalmarketingkonzepte ¾ Kontakte zu touristischen und sonstigen Leistungsträgern aus der Privatwirtschaft ¾ Partnerschaften mit anderen öffentlichen und privaten Kulturanbietern ...
Tab. 4:
Situationsanalyse im Kontext des demografischen Wandels
Besteht Klarheit über die eigene Ausgangssituation so können in einem nächsten Schritt geeignete Marketingmaßnahmen für den Umgang mit den Auswirkungen des demografischen Wandels ausgearbeitet werden. Dabei kann eine konzeptionelle Differenzierung nach „älter“, „bunter“, „weniger“ sinnvoll sein, da alle drei Entwicklungstendenzen jeweils ganz auf die Zielgruppen zugeschnittene Maßnahmen erfordern (die allerdings in der späteren Umsetzung aufeinander abgestimmt werden müssen).
140
3.1
Andrea Hausmann
Maßnahmen für die Entwicklungstendenz „älter“
Die Zielgruppe der Älteren zeichnet sich im Allgemeinen durch eine gewisse Kauf- bzw. Besuchserfahrenheit und Qualitätsorientierung aus. Viele der älteren Käufer stehen dem Konzept der „Marke“ aufgeschlossen gegenüber, da eine Marke für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität eines Produkts steht. Gleichzeitig sind ältere Menschen aufgrund ihrer Konsum- und Lebenserfahrung anspruchsvoller, zum Teil auch kritischer und „diskussionsfreudiger“, sie erwarten eine respektvolle Behandlung vom Servicekontaktpersonal mit entsprechender Beratungsqualität (Turocha 2007, S. 272). Aus diesen Charakteristika lässt sich für das Marketing von Kultureinrichtungen bereits eine grundsätzliche strategische Stoßrichtung für die Bearbeitung dieses Segments ableiten: Profilierung der Institution als Marke mit eindeutigen Qualitätsmerkmalen und hoher Dienstleistungsorientierung. Neben den bereits genannten Merkmalen verfügen ältere Menschen aufgrund physischer Veränderungen (z.B. verminderte Aufnahmefähigkeit, Einschränkungen bei der Mobilität) über bestimmte Erwartungen an die Produktund Leistungspolitik von Anbietern. Hier kann ein Blick über den Tellerrand hilfreich sein, der zeigt, wie andere (auch kommerzielle) Dienstleistungsbetriebe auf diese Anpassungserfordernisse reagieren: Die Karstadt Warenhaus AG will sich zum Beispiel mit einer verbesserten Orientierung (Kundenleitsystem etc.), mehr Sitzgelegenheiten, niedrigeren Regalen und einer veränderten Produktpalette auf die Bedürfnisse einer überalterten Gesellschaft einstellen (Pache 2003). Weitere Anforderungen älterer Menschen, auf die der Großkonzern entsprechend reagieren will, sind große, klare Schriften, übersichtliche Farbgestaltungen, eine sehr gute Akustik und eine Leistungserstellung ohne Hektik. Andere Unternehmen, wie z.B. auch die Deutsche Bahn, achten auf eine einfache Bedien- bzw. Nutzbarkeit ihrer Produkte sowie auf Komfort und Bequemlichkeit (Restani/Dannenberg 2007, S. 118; Engel/Rausch 2007, S. 258.). Manche dieser Zugeständnisse werden auch für den Kulturbereich sinnvoll sein, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass die älteren Generationen überdurchschnittlich viel für Kultur ausgeben und die privaten Konsumausgaben für Kultur bis 2050 nach Auffassung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ noch steigen werden (EK 2007, S. 222). Dabei darf die Gruppe der älteren Menschen allerdings nicht als eine homogene Masse betrachtet werden, die ohne Differenzierung nach demografischen Merkmalen und anderen Segmentierungskriterien bedient werden kann (vgl. hierzu auch den Beitrag von de Groote/Nebauer in diesem Band). So haben Gesundheit/physische Konstitution, Lebensalter – unterschieden werden in der Regel junge Senioren (50 bis 64 Jahre), ältere Senioren (60 bis 75 Jahre) und
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
141
alte Senioren (75 Jahre und älter) (Pries 2007, S. 42) –, Ausbildung/Beruf, Erfahrungen, Einkommen etc. entscheidende Auswirkungen auf die Lebenseinstellung (z.B. Aktivität vs. Passivität im Alter) und das Besuchs- und Nutzungsverhalten. Eine große Gemeinsamkeit besteht allerdings darin, dass eine Vermarktung unter Einsatz von Formulierungen wie „Generation 50plus“, „Best Ager“ oder „Silver Customer“ häufig ihre Wirkung verfehlt, da sich viele der „neuen“ Senioren mit dem Hinweis auf ihr Alter oder die damit einhergehenden Veränderungen (silberne bzw. graue Haare etc.) nicht identifizieren wollen – denn „alt sind immer nur die anderen“ (Witt 2006, S. 66). Akzeptanz für Kommunikations- und Werbemaßnahmen entsteht eher durch Authentizität und Glaubwürdigkeit, eine klare Sprache, Humor und die Verwendung von generationenübergreifenden Bildern sowie Szenen, die Vitalität, Gemeinschaft, Geselligkeit und Lebensfreude darstellen (Restani/Dannenberg 2007, S. 118). Neben dieser zielgruppenspezifischen Anpassung der Kommunikationspolitik schneiden marktorientierte Kultureinrichtungen wie die Kunsthalle Bremen auch Teile ihrer Produkt- und Leistungspolitik entsprechend zu. So bietet die Kunsthalle in Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden und anderen sozialen Diensten spezielle Bildungsangebote für „Erwachsene im Seniorenalter“ an. Hierzu gehören neben Vorträgen zur Kunstgeschichte unter Gleichgesinnten auch Kunstbetrachtungen für demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen in den Museumsräumen sowie mobile Angebote für ältere Menschen, denen der Weg in die Kunsthalle aus gesundheitlichen Gründen zu beschwerlich ist (Kunsthalle Bremen 2008). Weitere Ideen, die sich in der Literatur finden, um älteren Menschen den Zugang und die Nutzung von Kulturangeboten durch eine entsprechende Anpassung von Serviceleistungen zu erleichtern sind unter anderem: Anpassung der Anfangszeiten von (zielgruppenspezifischen) Veranstaltungen, Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr (auch und gerade am späteren Abend), Länge der Pausen zwischen den Stücken, bauliche Beschaffenheit von Gebäuden (Barrierefreiheit), Schulung von Personal, Anpassung von Einführungsveranstaltungen, Übersichtlichkeit von Informationen etc. (Zimmermann 2006, S. 3; Witt 2006, S. 66). Die Seniorenkulturarbeit sollte sich allerdings nicht darin erschöpfen, mögliche Zusatzleistungen an die veränderten Bedürfnisse anzupassen. Denn aufgrund der weiter schwindenden kommunalen Finanzkraft müssen sich die Nutzer an der Ermöglichung kultureller Leistung künftig stärker beteiligen. Damit aber wird sich nicht nur das Absatz-, sondern auch das Beschaffungsmarketing in den kommenden Jahren vermehrt um die Einbindung älterer Menschen kümmern müssen. Hier gilt es die aktive Kulturpartizipation älterer Menschen stärker anzuregen, sie entsprechend zu qualifizieren und ihr Know-how und ihre Fähigkeiten stärker im Ressourcenmanagement von Kulturbetrieben zu berück-
142
Andrea Hausmann
sichtigen. So können ältere Menschen mit entsprechendem Know-how und Engagement als ehrenamtliche Volunteers etwa im Aufsichtsdienst, als Vorführer oder im Museumsshop dabei helfen, das kulturelle Angebot langfristig zu sichern. Insgesamt wird es künftig eine spannungsreiche Aufgabe im Rahmen des Marketing der Kultureinrichtungen sein, mit entsprechenden Maßnahmen die Potenziale der Älteren – als passive wie auch als aktive Konsumenten (s. u.) – zu nutzen und auf ihre spezifischen Merkmale (Zeitbudget, kulturelle Biographie, Kompetenzen etc.) einzugehen, ohne dabei die Zielgruppe der jugendlichen Minderheit zu vernachlässigen. Denn sie sind wiederum die Besucher von morgen und nur wer frühzeitig an Kunst und Kultur herangeführt wird, nutzt diese Angebote auch in späteren Jahren (vgl. Kapitel 2). Damit aber müssen sich die Einrichtungen der Herausforderung stellen, sowohl dem Nutzungsprofil der älteren Generation zu entsprechen als auch den Anforderungen der jüngeren Generation – wobei sich, das sei hier betont, diese beiden Aspekte durchaus nicht ausschließen müssen, sind die „neuen“ Senioren doch vielfach aufgeschlossener und – auch im übertragenen Sinne – wendiger als frühere Generationen (Hausmann 2007, S. 56).
3.2
Maßnahmen für die Entwicklungstendenzen „bunter“ und „weniger“
Neben diesen Maßnahmen als Reaktion auf eine „älter“ werdende Gesellschaft, müssen sich Kultureinrichtungen aller Couleur auch mit dem Thema einer „bunter“ bzw. heterogener werdenden Bevölkerung auseinandersetzen. Anders als zum Marketing für ältere Menschen liegen hierzu bislang jedoch nur sehr wenige Untersuchungen vor. Im Hinblick auf die stärkere Einbeziehung von Migranten sind sich die Experten bislang eigentlich nur darüber einig, dass es zwar aus demografischen Gründen für den Kulturbereich unumgänglich ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, die klassischen Kulturinstitutionen und die kommunale Kulturpolitik jedoch nur unzulänglich auf den wachsenden Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund vorbereitet sind (Klingholz 2006b, S. 42; Tutucu, E./Kröger, F. 2006, S. 39; Emmerich 2008). Aus Sicht des Marketing ist es dabei wesentlich, dass auch die Migranten keine homogene Gruppe darstellen, sondern vielmehr in heterogene, in sich klar abgrenzbare Teilsegmente aufgeschlüsselt werden müssen. Neben Menschen mit osteuropäischer Zuwanderungsgeschichte, finden sich zum Beispiel Personen mit türkischem, südeuropäischem oder asiatischem Hintergrund und damit mit ganz unterschiedlichen Herkunftskulturen. Wie eine aktuelle Studie des Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen (LDS
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
143
NRW) zeigt, macht sich der konkrete Migrationshintergrund etwa bei der Bekanntheit bestimmter kultureller Einrichtungen oder beim Interesse an bestimmten Arten von Kulturveranstaltungen durchaus bemerkbar (LDS NRW 2007). Auch die Ergebnisse des Jugend-KulturBarometers deuten auf diese Unterschiede bei der kulturellen Partizipation in Abhängigkeit vom jeweiligen Migrationshintergrund hin (vgl. hierzu auch den Beitrag von Keuchel in diesem Band). Welche Marketingempfehlungen lassen sich nun vor dem insgesamt eher dürftigen Forschungsstand derzeit überhaupt ableiten? Erfahrungen aus den USA, die die Autorin im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der University of Texas at Austin gewinnen konnte, deuten darauf hin, dass ein wichtiger Schritt die Kontakt- und Kooperationsanbahnung mit den entsprechenden Netzwerken einer bestimmten Migrantengruppe und den dortigen Führungspersönlichkeiten, die auch als Multiplikatoren fungieren, umfasst. Des Weiteren zeigen Erfahrungen aus den Niederlanden, dass der Einsatz so genannter „Kulturscouts“ erfolgsversprechend verlaufen kann. Kulturscouts sind jugendliche Migranten, die in ihrer eigenen Referenzgruppe zu den „Wortführern“ gehören und andere in ihrer Begeisterung für kulturelle Angebote mitziehen können (Huysmans 2006); auch hier greift wieder der Multiplikatoreneffekt. Um den Erfolg des Marketing zu erhöhen, ist es in jedem Fall sinnvoll, die Maßnahmen mit der Hilfe von Mitarbeitern zu entwickeln und umzusetzen, die über einen Migrationshintergrund verfügen; gerade hier liegt aber noch ein zentrales Problem vieler Kultureinrichtungen, die häufig eben keine Mitarbeiter mit Zuwanderungsgeschichte in Schlüsselpositionen wie zum Beispiel der Pädagogik beschäftigen (Emmerich 2008). Last but not least müssen sich Kultureinrichtungen auch mit dem Thema des „weniger“ auseinandersetzen. Bei der Suche nach geeigneten Antworten auf eine de facto schrumpfende Gesellschaft können die aus dem klassischen Marketing (Ansoff 1966, S. 13ff.) bekannten vier Marktfeldstrategien (vgl. Tab.5) als Überlegungshilfe herangezogen werden. Märkte
Dienstleistungen
Tab. 5:
gegenwärtig neu
gegenwärtig
neu
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
Dienstleistungsentwicklung
Diversifikation
Marktfeldstrategien
144
Andrea Hausmann
Bei der Marktdurchdringung konzentriert sich der Kulturbetrieb darauf, bereits bestehende Märkte und Zielgruppen mit bereits bestehenden Angeboten zu versorgen – der Kulturbetrieb versucht also, für seine Leistungen trotz insgesamt schrumpfender Märkte möglichst viele Nachfrager zu finden (Hausmann 2005, S. 89). Dies geht zum Beispiel über die Erhöhung der Nutzungsfrequenz bei den eigenen Kunden (mehr Besuche pro Spielzeit eines Theaters, mehr Belegungen von museumspädagogischen Kursen pro Teilnehmer, mehr Ausleihen in der Bibliothek pro Nutzer etc.) oder durch Abwerbung von Kunden anderer Kultur- und Freizeitwettbewerber (durch Schnupperangebote, Kooperationen, innovative Leistungen, Verkaufsförderungsaktionen und andere Kommunikationsmaßnahmen). Demgegenüber wird im Rahmen der Marktentwicklungsstrategie von Seiten des Kulturbetriebs versucht, für die gegenwärtigen Leistungen einen oder mehrere neue Märkte zu finden. Zur Realisierung dieser Zielsetzung können zum Einen neue Verwendungszwecke („new uses“) für bereits bestehende Leistungen geschaffen werden (so sind im Rahmen dieser Strategie in der Vergangenheit Museums- und Bibliotheksräume als repräsentative Orte für Firmenfeste und private Feierlichkeiten genutzt worden). Zum Anderen kann das Ziel der Marktentwicklung durch die Gewinnung neuer Besuchersegmente („new users“) erreicht werden. Wie bereits in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden ist, können dies zum Beispiel Migranten sein, die zwar über eine grundsätzliche Kulturaffinität verfügen, bislang jedoch zum Beispiel noch nicht den Zugang zum Kulturbetrieb gefunden haben; hier wären im Zuge des Marketing die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Barrieren zu identifizieren und durch entsprechende Maßnahmen abzubauen. Ein anderes Beispiel für eine Maßnahme zur Marktentwicklung sind die „Casual Concerts“ des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (DSO), die mit den eingespielten Ritualen des Musikbetriebs gebrochen haben und damit auch bisherige Noch-Nicht-Besucher ansprechen wollen. Diese "Casual Concerts" beginnen später als gewöhnlich, dauern nur knapp eine Stunde, alle Karten kosten gleich viel, es gibt freie Platzwahl und explizit keine Kleiderordnung. Die Besucher sind anschließend zur After-Concert-Lounge in einen trendigen Berliner Club eingeladen (Berliner Zeitung 2007). Die Strategie der Dienstleistungsentwicklung verfolgt wiederum das Ziel, für das bestehende Publikum neue Leistungen zu entwickeln, um die Besucher in Zeiten des demografischen Wandels möglichst eng an das Haus zu binden und nicht an andere Kultur- und Freizeitwettbewerber zu verlieren. Eine solche Dienstleistungsentwicklung hat zum Beispiel die Kunsthalle Bremen mit ihren speziellen (mobilen) Angeboten für ältere Menschen vorgenommen (vgl. Kapitel 3.1). Bei der Diversifikationsstrategie werden wiederum neue Dienstleistun-
Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
145
gen für neue Märkte und Zielgruppen entwickelt. Ein Beispiel für diese Strategie ist das Führungskräfteseminar des RIAS Jugendorchesters, bei dem Manager aus der Wirtschaft lernen, ein Orchester zu dirigieren, um auf diese Weise in einem außergewöhnlichen Rahmen mehr über Menschenführung, Motivation, Zielfindung, Körpersprache und Impulsgebung zu erfahren (RIAS 2000).
4
Zusammenfassung und Ausblick
Der demografische Wandel zeigt sich mit ersten deutlichen Anzeichen in der Gesellschaft. Deutschland wird älter, weniger und bunter werden. Wenngleich manche Entwicklungen schon als unumkehrbar gelten, so scheinen doch auch noch Weichenstellungen möglich und letztlich sind nicht alle Auswirkungen des demografischen Wandels bis ins Detail erforscht. Insbesondere fehlt es an (empirischen) Untersuchungen zu den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die kulturelle Infrastruktur. In den vorangegangenen Ausführungen ist dabei deutlich geworden, dass die demografischen Veränderungen auch für die Kultureinrichtungen von großer Bedeutung sein werden. In Zukunft werden die aufgrund der Bevölkerungsschrumpfung weniger gewordenen Nutzer kultureller Leistungen deutlich älter sein als heute. Entsprechend müssen sich die Institutionen vor allem bei der Gestaltung ihrer Zusatz- bzw. Serviceleistungen, aber auch im Zuge ihrer Informations- und Kommunikationsmaßnahmen auf die Anforderungen dieser veränderten Gesellschaft von morgen einstellen. Eine besondere Herausforderung wird es dabei sein, über die erforderlichen Maßnahmen für die künftig hohe Zahl an älteren Menschen nicht die Minderheit der jungen Kulturnutzer zu vergessen und diese mit entsprechenden Maßnahmen frühzeitig an die Einrichtungen zu binden. Die im Rahmen dieses Beitrags gewonnenen theoretischen Erkenntnisse sollten in einem nächsten Schritt in empirische Studien einfließen, um angepasst, ergänzt und weiterentwickelt werden zu können. Von besonderem Forschungsinteresse wäre dabei eine vertiefende Beschäftigung mit den kulturellen Interessen und Präferenzen, dem tatsächlichen Besuchsverhalten und den konkreten Besuchsbarrieren von Migranten. Darüber hinaus sollten die altersbedingten Änderungen im Besuchs- und Nutzungsverhalten näher untersucht werden. Auch die Identifizierung und Zusammenstellung von so genannten „good practices“, die Kultureinrichtungen in Deutschland und anderen Ländern bereits eingeleitet haben, um auf den demografischen Wandel angemessen vorbereitet zu sein, wäre ein wichtiger nächster Forschungsschritt.
146
Andrea Hausmann
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Demografischer Wandel und Marketing von Kultureinrichtung
147
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Susanne Keuchel
„Kultur für alle“1 in einer gebildeten, ungebundenen, multikulturellen und veralteten Gesellschaft? Der demografische Wandel und seine Konsequenzen für die kulturelle Partizipation
Inhaltsverzeichnis 1 Welche Bevölkerungsgruppen sind in Deutschland kulturell aktiv? ........ 151 2 Wie unterscheiden sich Jung und Alt in ihrer kulturellen Teilhabe? ........ 157 2.1 Zur Intensität der Kulturnutzung ...................................................... 158 2.2 Zu den kulturellen Spartenpräferenzen ............................................ 161 2.3 Zur Wahrnehmung künstlerisch-kreativer Bildungsangebote .......... 165 2.4 Zur unterschiedlichen Zielgruppenansprache ................................... 167 3 Fazit: Zielgruppenspezifische, altershomogene, intergenerative oder interkulturelle Angebotskonzepte? Welche Maßnahmen empfehlen sich für den künftigen Erhalt des Kulturpublikums? ................................ 171 Quellenverzeichnis ......................................................................................... 174
1
Hoffmann 1979.
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
151
Die Bevölkerung wird älter2, multikultureller3 (Bundesministerium des Inneren 2006), gebildeter (Statistisches Bundesamt 2006b) und ungebundener (Beck 1986) – in Deutschland wie auch allgemein in Europa (United Nations Population Division DESA 2006, S. 2f). Dieser soziodemografische Wandel hat Konsequenzen für alle gesellschaftlichen Entwicklungen und Lebensbereiche. Welche Auswirkungen hat jedoch der demografische Wandel auf die zukünftige kulturelle Teilhabe unserer Gesellschaft? Und wie bereitet sich der kulturelle Sektor auf die neuen Anforderungen einer sich wandelnden Bevölkerung vor? Will man diese Fragen beantworten, muss man zunächst einen Blick werfen auf die aktuelle kulturelle Partizipation der Bevölkerung und einzelner Teilgruppen in Deutschland:
1
Welche Bevölkerungsgruppen sind in Deutschland kulturell aktiv?
Einer der Haupteinflussfaktoren auf die kulturelle Partizipation in der Bevölkerung ist die (Schul-)Bildung. Diejenigen, die heute kulturell aktiv und interessiert sind, haben eine hohe Schulbildung. Dies ist mittlerweile unabhängig davon, ob sie sich für so genannte klassische oder populäre Kulturformen interessieren (Keuchel 2005a, S. 121f; Mandel 2006). Frühere Beobachtungen verschiedener Kulturinteressen für verschiedene Bildungs- bzw. Einkommensgruppen (Bourdieu 1982) – die Abiturienten als Fans der Beatles und die jungen Arbeiter als Fans der Rolling Stones – sind vielfach obsolet. In Amerika wurden konkret und schon recht früh Auflösungsprozesse von der Zuordnung spezieller Kulturstile zum gesellschaftlichen Status einer Person beobachtet. Vielmehr wird der Kulturbesuch allgemein, egal ob E- oder U-Kultur, ein Statussymbol. Dieses gesellschaftliche Phänomen kursiert im kulturwissenschaftlichen Diskurs auch unter dem Begriff des “kulturellen Allesfressers“ (Peterson / Kern 1996, S. 900-907). In Deutschland sind diese Barrieren in dieser überzeichneten Art vielleicht noch nicht ganz so aufgebrochen wie in Amerika. Dennoch verwischen hier Grenzen in der Wahrnehmung von U- und E-Kultur und kulturelle 2
3
Das Statistische Bundesamt geht in seinen aktuellen Bevölkerungshochrechnungen von einem anteiligen Anstieg der 65-Jährigen und Älteren bis 2030 von aktuell 19% auf 29% der Gesamtbevölkerung aus (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007, S. 22f; Statistisches Bundesamt 2006a). Einzelne Regionen, etwa einige Städte des Ruhrgebiets, verzeichneten schon im Jahr 2000 einen Anteil von rund 40% bis 50% Migranten unter den jungen Menschen (Strohmeier 2002, S. 54, Tabelle 9). Danielzyk geht davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten nahezu alle größeren Städte Deutschlands eine ähnlich gelagerte Bevölkerungszusammensetzung ausweisen werden (Danielzyk 2005, S. 190-201).
152
Susanne Keuchel
gesellschaftliche Partizipation, also kein isolierter kultureller Medienkonsum, wird immer stärker eine Frage der Bildung. Dies gilt in besonderem Maße für die junge Bevölkerung, denn die Vermittlung des Elternhauses spielt in der kulturellen Bildung heute eine ähnlich wichtige Rolle, wie bei der schulischen Bildung. (Keuchel 2004a, S. 75ff) 4. Der Zugang zum Abitur ist ähnlich abhängig vom Bildungsniveau der Eltern wie das Kulturinteresse. Die folgende Übersicht verdeutlicht, dass es für Eltern mit hoher Schulbildung weitgehend selbstverständlich ist, mit den eigenen Kindern Theater, Museen oder Konzerte zu besuchen, was für Eltern mit niedriger Schulbildung nur eingeschränkt gilt: hoch Bildung der Eltern
Gemeinsamer Kulturbesuch mit den Eltern? eher hoch
ja mittel
nein
eher niedrig niedrig 0%
Übersicht 1:
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
bisheriger gemeinsamer Kulturbesuch der Eltern mit ihren Kindern differenziert nach der Schulbildung der Eltern (Quelle: ZfKf / GfK 2004, 1. Jugend-KulturBarometer)
Erschwerend kommt hinzu, dass die Schule in Deutschland zur Zeit kaum einen Ausgleich in der kulturellen Vermittlung leistet. Gerade einmal 73% der Gymnasiasten bzw. Abiturienten haben nach dem 1. Jugend-KulturBarometer (Ebd.) schon mindestens einmal mit der Schule eine kulturelle Veranstaltung besucht. Bei den Hauptschülern liegt dieser Anteil gerade einmal bei 40%. Speziell mit der weiterführenden Schule besuchten sogar nur 15% der Hauptschüler ein Theater, ein Museum oder ein Konzert im Rahmen einer schulischen Veranstaltung. Eine Schulleiterbefragung von Ganztagsschulen bestätigt die Tendenz des fehlenden Austauschs von Schulen und Kultureinrichtungen (Keuchel 2007, S. 97ff). Solange der Theater-, Museums- oder Konzertbesuch nicht im Lehrplan als Pflichtveranstaltung verankert ist, darf man nicht darauf bauen, dass Schule elterliche Vermittlungsdefizite ausgleichen kann. Dabei zeigen die Analysen des 1. Jugend-KulturBarometers, dass der Stellenwert des Elternhauses für die kulturelle Vermittlung wesentlich bedeutender ist und nachhaltiger wirkt als schuli4
Befragt wurden bundesweit 2.625 junge Leute im Alter von 14 bis 24 Jahren.
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
153
sche Vermittlungsbemühungen. Hier nehmen Eltern eine wichtige Vorbildfunktion ein (Keuchel 2005b). Die Pisa-Studie (PISA-Konsortium Deutschland 2007) veranschaulicht, dass dies nicht nur auf die kulturelle Bildung zutrifft, sondern auf alle Bildungsbereiche. Überraschend spielt neben der Schulbildung auch das Geschlecht eine wichtige Rolle bei der kulturellen Partizipation. Dies gilt jedoch vor allem für den Zugang zu klassischen Kulturangeboten, wie Museum, Theater, Oper, klassisches Konzert oder kulturellen Bildungsangeboten, wie selbst Theater spielen oder das Erlernen eines Musikinstruments. Vor allem in der jüngeren Bevölkerung sind hier Frauen besonders aktiv. Ist der Frauenanteil bei Musiktheaterbesuchern und klassischen Konzertbesuchern noch relativ ausgeglichen, erhöht sich dieser deutlich bei der jungen Bevölkerung unter 25 Jahren, wie dies nachfolgend Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage in der so genannten Rheinschiene (Keuchel / Zentrum für Kulturforschung 2003) 5 zeigen: 100%
Bevölkerung in der Region Rheinschiene
80%
Geschlecht ...
männlich weiblich
60% 40% 20% 0%
Klassische Musikkonzerte Interessenten und Besucher von ... 100%
Oper
Bei den unter 25-Jährigen in der Region
Musicals
Geschlecht ...
männlich weiblich
80% 60% 40% 20% 0%
Klassische Musikkonzerte Interessenten und Besucher von ...
Übersicht 2:
Oper
Musicals
Interessenten und Besucher klassischer Musikkonzerte, Oper und Musicals in der Region Rheinschiene differenziert nach Geschlecht (Quelle: ZfKf / OmniQuest 2001)
5
Die Rheinschiene ist eine Region in Deutschland, die die Städte Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg und die umliegenden Landkreise umfasst. Befragt wurden insgesamt 4.491 Bürger dieser Region ab 14 Jahre.
154
Susanne Keuchel
Für den Bereich der künstlerisch-kreativen Tätigkeiten dieser Altersgruppe in der Freizeit verdeutlicht das 1. Jugend-KulturBarometer die Dominanz weiblicher Angebotsnutzung. Zwei Drittel der künstlerisch-kreativ Aktiven unter 25 Jahren, die ihr Hobby im Rahmen einer kulturellen Bildungseinrichtung ausüben, sind weiblich (Keuchel 2004a, S. 47). Unabhängig vom Alter erhöht sich der Anteil weiblicher Besucher zudem, sofern man diesen in Relation setzt zur Häufigkeit des Besuchs kultureller Angebote. Vergleichbare Ergebnisse liefern weitere Untersuchungen, wie beispielsweise die Besucherumfragen des Deutschen Bühnenvereins.6 In eben zitierter Rheinschienen-Umfrage konnte zudem in einer Analyse der kulturell Mobilisierbaren in Form einer Kulturtypologie einer von acht Typen herausgearbeitet werden, der als Begleiter tituliert wurde, sich nicht primär für die besuchten Kulturinhalte interessiert und zu 82% männlich ist (Keuchel / Zentrum für Kulturforschung 2003, S. 75ff). Ein Generationenvergleich legt nahe, dass das Interesse der männlichen Bevölkerung an klassischen Kulturangeboten früher stärker ausgeprägt gewesen ist. So lag der männliche Anteil unter den Opernbesuchern bei den 65-Jährigen und Älteren 1994 bei 55%, 2005 vergleichsweise nur noch bei 45%. Welche Ursachen stehen hinter dem zunehmenden Desinteresse der männlichen Bevölkerung an Kunst und Kultur? Ein möglicher Grund liegt im Status, den diese Aktivitäten in unserer heutigen Gesellschaft einnehmen. Vor der allgegenwärtigen Präsenz der Medien waren Kunst und Kultur treibende Kräfte im gesellschaftlichen Leben, die in der öffentlichen Wahrnehmung einen höheren Stellenwert hatten als ihnen dies in der heutigen Medienwelt zugestanden wird. Klassische Kultur wird fast ausschließlich in den wenigen Kultursendern oder nur zu unattraktiven Sendezeiten präsentiert. Sport, aber auch Pop-/Rockkünstler genießen dagegen eine ganz andere mediale Aufmerksamkeit. Dem „Popstar“ wird in den Medien in der Regel ein höherer Stellenwert eingeräumt als dem Schriftsteller oder Dirigent, was Männer mit ihrem oftmals (immer noch) höheren Drang nach „beruflichem Erfolg im Sinne von persönlicher Karriere und die Nähe zur gesellschaftlichen Macht in Politik, Wirtschaft oder Kultur“ (Brandes 2002) in ihren kulturellen Neigungen ggf. stärker beeinflusst. Nur 18% der jungen Leute meinen demgemäß, dass Kunst eine Wertanlage sei und der Kulturbesuch „zum guten Stil“ gehöre (Keuchel 2004b). Ein weiterer Grund für die Abnahme des männlichen Kulturpublikums liegt unter Umständen in der Tatsache, dass junge, gebildete Bevölkerungsgrup-
6
So zeigen selbst unter den Nichtbesuchern kultureller Veranstaltungen junge Frauen ein allgemein positiveres Verhältnis zu Kulturangeboten als junge Männer (Skopos, Institut für Marketing der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2003, S. 4f).
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
155
pen zunehmend ungebunden sind und in Single-Haushalten7 leben. Sind Frauen in festen Beziehungen in der Regel der Multiplikator, der Männer im Rahmen der gemeinsamen Freizeitgestaltung zum Besuch eines „klassischen“ Musikevents drängt, ist in „moderneren“ ungebundenen Beziehungen vielleicht auch eine unabhängige Freizeitgestaltung möglich, die eher interessensbestimmt und im Falle der Männer somit eher jenseits des klassisch orientierten Kultursektors verläuft. Im KulturBarometer 50+8, einer Analyse und repräsentativen bundesweiten Befragung der 50-Jährigen und Älteren in Deutschland, die das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) durchführte, konnte beobachtet werden, dass ein wesentliches Merkmal der kulturaktiven Generation 50+ ist, einen festen (Ehe-)Partner zu haben. Migration als alleiniger Faktor spielt bei der kulturellen Partizipation der Bevölkerung bemerkenswerterweise eine untergeordnete Rolle. Zwar fehlt es an empirischen Studien, um die Gründe im Detail zu analysieren, aber die Ergebnisse des Jugend-KulturBarometers und anderer Studien zu Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund (Sinus-Sociovision GmbH 2007b; Cerci 2007) legen nahe, „dass die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland keine homogene Population sind“ (Cerci 2007, S. 52). So ist die kulturelle Partizipation der jungen Menschen mit Migrationshintergrund sehr unterschiedlich im Kontext ihrer bzw. der Herkunftsländer ihrer Eltern. Junge Leute mit islamischem Migrationshintergrund haben erwartungsgemäß weniger klassische Sparteninteressen im europäischen Kulturkreis als die deutsche Jugend. Jedoch haben junge Leute mit osteuropäischem Migrationshintergrund anteilig mehr klassische Sparteninteressen als deutschstämmige junge Menschen. Es konnten auch Jugendliche mit Migrationshintergrund aus anderen Ländern beobachtet werden, die sich zum Teil allgemein deutlich kulturinteressierter zeigen als die deutschstämmigen jungen Leute. Aufgrund der Stichprobengröße, die lediglich altersspezifisch den Anspruch auf einen repräsentativen Querschnitt legte und nicht auf die Vielfalt der Migrationshintergründe, konnten im 1. Jugend-KulturBaro7
8
Bereits 2005 lag der Anteil an Ein-Personen-Haushalten in Deutschland bei 38% und dominiert damit alle anderen Haushaltsformen. Nach der Trendvariante der Haushaltsvorausberechnung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder wird dieser Anteil bis 2020 auf 41% weiter anwachsen (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2007). Zentrale Themen dieser Untersuchung sind, analog zu den Fragen des 1. JugendKulturbarometers, die differenzierte Betrachtung der Sparteninteressen der Generation 50+, die Ausdifferenzierung der Lebenssituation, aktuelle künstlerische Aktivitäten, Neigungen und Interessenlagen im Alter. Weiterhin werden zur Entwicklung von Marketingstrategien Hintergründe, Begleitpersonen und sonstige Kontexte des Kulturbesuchs aufgegriffen. Außerdem werden Fragen thematisiert, wie die grundsätzliche Bereitschaft, sich auch ehrenamtlich im Kultur- und Bildungsbereich zu engagieren oder das Interesse, im Alter künstlerisch aktiv zu werden. Befragt wurden bundesweit 2.000 Personen ab 50 Jahre (Keuchel /Wiesand 2008).
156
Susanne Keuchel
meter keine weiteren vertretbaren Differenzierungen im Kontext der Herkunftsländer unternommen werden. 80%
Mindestens schon einmal besucht ...
70%
14-18-Jährige in ...
60%
Deutschland
Ungarn
50% 40% 30% 20% 10% 0%
Museum/Austellung
Übersicht 3:
Theater
Rockkonzert
Klassikkonzert
Mindestens ein Besuch der 14- bis 18-Jährigen in Ungarn und Deutschland bei folgenden Kulturangeboten (Quelle: Soziologisches Institut der ungarischen Akademie der Wissenschaften 2003/Ungarisches Nationalinstitut für Jugendforschung 2002; ZfKf/GfK 2004)
Die Daten legen jedoch nahe, dass die Wertvorstellungen und die Kulturnähe des Herkunftslands einen wichtigen Einfluss haben auf die Kulturpartizipation, wobei hervorgehoben werden muss, dass die Daten auch nahe legen, dass junge Menschen aus Deutschland nicht unbedingt kulturinteressierter sind als in anderen Ländern. Deutlich wird dies auch in der vorausgehenden Übersicht, welche den Vergleich der Kulturbesuche bei der deutschen und ungarischen 9 Jugend zwischen 14 und 18 Jahren zeigt. Im 1. Jugend-KulturBarometer konnte zudem beobachtet werden, dass junge Menschen mit einem Elternteil aus einem anderen Land und einem deutschen Elternteil besonders kulturell aktiv und künstlerisch-kreativ sind, was möglicherweise an einer stärkeren Sensibilisierung für kulturelle Zusammenhänge und Unterschiede dieser Gruppe liegt, wie sie sich aus der alltäglichen Konfrontation und Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ergibt. Auch wurde speziell im Jugend-KulturBarometer deutlich, dass die (Schul) Bildung – und hier vor allem wieder die Schulbildung der Eltern – bei jungen Leuten mit Migrationshintergrund eine entscheidende Rolle spielt beim Zugang zu Kunst und Kultur. Eine aufgrund der Fallzahl sehr explorative und mit Vor9
Landesweite Befragung „Kultur 2003“ des Soziologischen Instituts der ungarischen Akademie der Wissenschaften (3.400 ungarische Bürger im Alter von 14 bis 70 Jahren, davon 1.169 zwischen 14 und 30 Jahren) (Inkei 2004, S. 58-66).
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
157
sicht zu interpretierende Auswertung ergab, dass junge Leute mit islamischem Migrationshintergrund und einem Elternteil mit Abitur, sich anteilig eher für eine klassische Hochkultursparte interessieren als junge Leute mit vergleichbarer Elternkonstellation aus Deutschland. Der Migrationshintergrund als Einflussfaktor für die kulturelle Partizipation ist also sehr differenziert zu betrachten. Dass dieser einen Einfluss besitzt, ist jedoch nicht zu leugnen. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor für die kulturelle Teilhabe ist natürlich das Alter – dies jedoch weniger im Kontext des allgemeinen Kulturinteresses als vielmehr im Kontext spezieller Kulturinteressen. Die Ergebnisse des 8. KulturBarometers zeigen auf, dass sich das Kulturinteresse an Angeboten der Region im Sinne eines breiten Kulturbegriffs bei den Generationen anteilig kaum unterscheidet (ZfKf /GfK 2005)10. Die junge Generation ist sogar etwas interessierter am Kulturgeschehen ihrer Region als die Bevölkerungsgruppe 50+, die in der Markt- und Konsumforschung als sehr mobil und kulturaktiv eingestuft und dargestellt wird (Gesellschaft für Konsumforschung 2002; BBE Unternehmensberatung 2007). Differenziert man jedoch das Kulturinteresse der älteren Bevölkerung, indem man die Altersgruppen weiter aufschlüsselt in die Gruppe der 50-bis 59Jährigen, die der 60- bis 69-Jährigen und die der über 70-Jährigen, wird schnell deutlich, wie es zu diesem Ergebnis kommt. Speziell die Altersgruppe der über 70-Jährigen interessiert sich zu einem großen Anteil gar nicht mehr für die Kulturangebote der Region und verwischt somit die Ergebnisse. Gründe für dieses Desinteresse der 70-Jährigen und Älteren sind vermutlich körperliche Gebrechen, eingeschränkte Mobilität und unter Umständen teilweise auch einsetzende Altersarmut. Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch zwischen Jung und Alt beim Zugang zu Kunst und Kultur und den Spartenpräferenzen, wie dies im folgenden Kapitel ausführlicher dargestellt wird.
2
Wie unterscheiden sich Jung und Alt in ihrer kulturellen Teilhabe?
Die Unterschiede, die sich in der Kulturnutzung der jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen manifestieren, können vor allem auf vier Bereiche fokussiert werden: der Intensität der Nutzung von Kulturangeboten, den spartenspezifischen Präferenzen, den Formen der kulturellen Auseinandersetzung, 10
Befragt wurden bundesweit 2.035 Personen ab 14 Jahre.
158
Susanne Keuchel
der Öffentlichkeitsarbeit und der zielgruppenspezifischen Anspracheformen.
Wie sich hier Differenzen, aber auch Schnittmengen gestalten, dies wird exemplarisch durch eine Gegenüberstellung der Interessen und Gewohnheiten der unter 25-Jährigen und der sogenannten „Generation 50+“ in eben genannten Bereichen veranschaulicht. Dabei sollte jedoch speziell bei der Charakterisierung der „Generation 50+“ beachtet werden, dass man auch hier nicht mehr von einer Generation sprechen kann. Es gibt hier die gesundheitlich eingeschränkten über 70-Jährigen auf der einen Seite, aber auch die mobilen, noch im Beruf stehenden 50- bis 59-Jährigen auf der anderen Seite, welche sich in ihrem kulturellen Verhalten teils sehr deutlich unterscheiden, wie dies auch die schon erwähnte ZfKf-Studie „KulturBarometer 50+“ (Keuchel / Wiesand 2008) zeigt.
2.1
Zur Intensität der Kulturnutzung
Die gängige Meinung, die Bevölkerung 50+ sei im Vergleich zur Jugend oder der Gesamtbevölkerung kulturell besonders aktiv, lässt sich nur bedingt bejahen. Etwa ein Viertel der Bevölkerung 50+ sind regelmäßig Besucher der Kultureinrichtungen, unter 5% sogenannte „Intensivnutzer“. Damit entspricht die Besuchsfrequenz der Bevölkerung 50+ weitgehend der, die für die Bevölkerung allgemein beobachtet werden kann. 11 Differenziert man jedoch die Bevölkerung 50+ nach ihren einzelnen Altersgruppen, lässt sich für den Teil der unter 65Jährigen eine höhere Besuchshäufigkeit kultureller Angebote feststellen, welche in der Gesamtheit durch erhöhte Nichtbesucher-Anteile unter den Älteren, hier der 70-Jährigen und Älteren in der Bevölkerung 50+, wieder ausgeglichen werden.
11
Armin Klein geht davon aus, dass drei bis fünf Prozent der Bevölkerung zu den sogenannten Intensivnutzern zu zählen sind (Klein 2002).
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
45%
159
Gesamt 50-59 Jahre 60-69 Jahre 70 Jahre u. älter
40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%
sehr stark
Übersicht 4:
stark
einigermaßen
eher wenig
überhaupt nicht keine Angabe
Vergleich des Kulturinteresses der älteren Bevölkerung in der Rheinschiene (Quelle: Keuchel / Zentrum für Kulturforschung 2003; ZfKf / Omniquest 2001)
Es sind anteilig vor allem die 70-Jährigen und Älteren in der Bevölkerung, die sich überhaupt nicht für das Kulturgeschehen interessieren und am Kulturleben partizipieren. Vermutete Gründe hierfür liegen in der erschwerten Mobilität und gesundheitlichen Gebrechen, dem Fehlen von Begleitpersonen oder vielleicht auch in der zunehmenden Altersarmut. Dies bedeutet letztlich: Will man die gesamte Bevölkerung 50+ für Kulturaktivitäten gewinnen, die anteilig in der Bevölkerung an Bedeutung und Präsenz zunehmen wird, muss man zusätzliche Serviceangebote in Erwägung ziehen, die eben skizzierten Barrieren entgegensteuern, wie beispielsweise eine Bestuhlung von Museen oder Rockkonzerten, das Einrichten von Fahrdiensten oder eines Begleitvermittlungsservice. Stellt man die bisherige Kulturnutzung der jungen und der alten Bevölkerungsgruppen gegenüber, kann ein weiterer spannender Aspekt analysiert werden: Der Anteil der Bevölkerung, der noch nie ein Kulturangebot besucht hat, ist bei den 14- bis unter 25-Jährigen (Keuchel 2004a) genauso hoch, wie bei den Älteren in der Bevölkerung 50+. Diese erstaunliche Kontinuität, die auch bereits für andere Aspekte des Kulturlebens in Zeitvergleichen festgestellt wurde (Keuchel 2005a), erhärtet die Vermutung, dass der Grundstein für kulturelle Teilhabe vor allem im Kindes- und Jugendalter gelegt werden muss, ansonsten scheitern in der Regel spätere Vermittlungsbemühungen. Auch wenn ein Teil der Älteren in der Bevölkerung 50+ aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen und Altersgebrechen nicht mehr aktiv am gesellschaftlichen Kulturleben partizipiert, ist die Bevölkerung 50+ insgesamt den-
160
Susanne Keuchel
noch allein aufgrund ihrer engen Bindungsbereitschaft für die Kultureinrichtungen derzeit besonders attraktiv. So zeigt sich bei der Bevölkerung 50+ ein deutlich ausgeprägteres Interesse an der langfristigen Planung ihrer Kulturbesuche, als dies für die junge Generation beobachtet werden kann, was den Kultureinrichtungen eine gewisse Kalkulationssicherheit ermöglicht. In diesem Sinne sind es auch die älteren Bevölkerungsgruppen – und nicht die Jungen – die sich am ehesten an ein Abonnement binden lassen (Keuchel 2006). Plane gerne länger als 2 Wochen im Voraus Bevorzugte Planungszeiten für Kulturbesuche ...
Plane gerne 1-2 Wochen im Voraus
Bevölkerung insg. in der Rheinschiene Unter 25 Jahre
Plane gerne 2-3 Tage vorher Entscheide gerne spontan am selben Tag
50 bis 64 Jahre
Meine Wünsche hierzu wechseln 65 Jahre und älter
Ist mir egal/ weiß nicht 0%
Übersicht 5:
5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45%
Planungsverhalten bei Kulturbesuchen in der Region „Rheinschiene“ (Quelle: ZfKf / OmniQuest 2001)
Ein weiterer Punkt, der die Attraktivität zumindest eines kleinen Teils der Bevölkerung 50+ ausmacht, sind die Ausgaben, die dieser bereit ist, für Kultur zu tätigen. Aufgrund der generell stärkeren Bindung der Bevölkerung 50+, zum Beispiel durch Abonnements, kann man bereits vermuten, dass bei dieser Bevölkerungsgruppe auch die Ausgaben für Kultur höher sind. Vergleicht man die Ausgaben der Gruppe der 50- bis 64-Jährigen mit denen der jungen Leute in der
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
161
Rheinschiene-Umfrage von 2001, so stellt man fest, dass gerade bei der Kategorie von mehr als 250 € die erstgenannte Gruppe besonders stark vertreten ist. 12
2.2
Zu den kulturellen Spartenpräferenzen
Wie sieht es nun allgemein mit dem Interesse der verschiedenen Altersgruppen an einzelnen Kultursparten aus? Die folgende Übersicht gibt hierzu einen Überblick:
12
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert einen Anstieg der durchschnittlichen Ausgaben für Freizeit, Kultur und Unterhaltung pro Haushalt bis 2050 um ein Drittel. Mit Blick darauf, dass gerade die ältere Generation hier überdurchschnittlich viel investiert, geht das DIW davon aus, dass Menschen im Alter von 60 Jahren und älter bis 2050 mehr als 41% der Kaufkraft in diesem Bereich bilden werden (Deutscher Bundestag 2007).
162
Susanne Keuchel Musik Film Comedy
Literatur / Bücher lesen Musical Tanz Museen / Ausstellungen Bildende Kunst
Interesse an folgenden Sparten ...
Modernes Theater
Jugend-KulturBarometer 14bis 24 Jahre
Kabarett
Bevölkerung 25 bis 49 Jahre
Klassisches Theater Bevölkerung 50 Jahre u. älter
Oper 0%
Übersicht 6:
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Interesse an speziellen Kultursparten im Generationsvergleich (Quelle: ZfKf / GfK 2004; 2005)
Musik ist generationsübergreifend die beliebteste Sparte. Allerdings ist an dieser Stelle eine klare Trennung zu machen zwischen dem Bereich der populären Musikstile, wie Rock oder Pop, der von den jüngeren und mittleren Bevölkerungsgruppen explizit favorisiert wird, und dem Klassikbereich, der mittlerweile besonders von der Bevölkerung 50+ bevorzugt wird. Es stellt sich hier die Frage, ob die Vorliebe für klassische Musik sich mit der heutigen Konkurrenz einer fest etablierten und von den Medien unterstützten Jugendkultur (Zinnecker 2005) erst im Alter entwickelt oder aber, ob man die Musikpräferenzen aus einer früheren Lebensphase mitnimmt. Diese Frage wird in den letzten Jahren intensiv diskutiert und konnte lange Zeit nicht beantwortet werden, da ein Zeitvergleich der musikalischen Präferenzentwicklung der Generationen über einen größeren Zeitraum fehlte. Mit dem 8. KulturBarometer (ZfKf / GfK 2005) des Zentrums für Kulturforschung, das 2005 durchgeführt wurde, können jedoch erstmals schon in einem 10-jährigen Rückblick deutliche Aussagen zu dieser Thematik getroffen werden, ebenso wie mit dem vorliegenden Alterskohortenvergleich von Hamann (Hamann 2005, S. 10). So ist der Anteil in der Bevölke-
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
163
rung, der mindestens ein klassisches Konzert innerhalb der letzten 12 Monate besuchte, im Zeitvergleich der Jahre 1994 und 2005 in allen Altersgruppen, auch in den mittleren Altersgruppen, also der Elterngeneration, aber auch der jungen Bevölkerung 50+ deutlich zurückgegangen (Keuchel 2005; Reuband 2007, S. 15-21). Lediglich bei den 65-Jährigen und Älteren kann ein leichter Zugang verzeichnet werden. Bei dem Konzertbesuch im Bereich Rock, Pop, Jazz kehren sich die Verhältnisse um. Besonders deutliche Zuwächse können hier bei den 50- bis 64-Jährigen beobachtet werden, die mittlerweile auch im Alter den Besuch solcher Veranstaltungen nicht scheuen, was auch die sogenannten „Mehrgenerationen-Konzerte“, wie die der Rolling Stones belegen (Niejahr 2007; Terhag 2005, S. 21ff). 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% -10%
Besuch mindestens eines klassischen Konzertes (E-Musik) innerhalb eines Jahres
18-24 Jahre
70%
25-34 Jahre
35-49 Jahre
50-64 Jahre
Besuch mindestens eines Rock-/Pop-/ Jazzkonzertes innerhalb eines Jahres
60%
1993/94 2004/2005
65 Jahre und älter
1993/94 2004/2005
50% 40% 30% 20% 10% 0% -10%
18-24 Jahre
Übersicht 7:
25-34 Jahre
35-49 Jahre
50-64 Jahre
65 Jahre u. älter
Besuch mindestens eines klassischen Konzerts bzw. mindestens eines Rock-, Pop- oder Jazzkonzerts innerhalb der letzten 12 Monate in der Bevölkerung 1994 und 2005 (Quelle: ZfKf / Infas 1994; ZfKf / GfK 2005)
164
Susanne Keuchel
Dass sich die kulturellen Sparten- und Stilinteressen wandeln und nicht altersspezifisch festgelegt sind – Klassik und Oper für die Altengeneration oder Pop und Film für die junge Generation – belegt beispielsweise auch das altersspezifische Interesse für Film (vgl. Übersicht 6), das im Präferenzvergleich sowohl bei den jüngeren und mittleren Altersgruppen gleichermaßen auf Platz zwei steht. Differenziert man zudem die ältere Bevölkerungsgruppe nach ihren einzelnen Altersgruppen, wird deutlich, dass es wiederum vor allem die 50- bis 59Jährigen sind, die sich für die Kunstsparte Film interessieren, während bei der älteren „Generation 50+“ hier (noch) eine geringe Akzeptanz besteht. Bei der Bevölkerung 50+ zur Zeit allgemein sehr beliebt und im Präferenzen-Ranking auf Platz zwei sind vor allem Museen und Ausstellungen. Sich nicht unmittelbar auf die Sparteninteressen auswirkend, aber in diesem Kontext interessant und daher erwähnenswert, sind die Unterschiede zwischen den Generationen bezüglich der persönlichen Definition des Begriffs „Kultur“. Während die Bevölkerung 50+ mit Kultur vor allem das (klassische) Theater verbindet, erstaunt auf den ersten Blick die mehrheitliche Nennung der unter 25-Jährigen von „Kultur der Länder und Völker“ als persönliche Definition von Kultur. Hierin spiegelt sich der soziodemografische Wandel unserer Gesellschaft. Aufgewachsen in einer zunehmend multikulturellen und globalisierten Gesellschaft (Bemerburg / Niederbacher 2007), scheint der alltägliche Austausch und Kontakt zu unterschiedlichen kulturellen Kontexten für die junge Generation in einer Weise selbstverständlich zu sein, wie dies für die Bevölkerung 50+ historisch bedingt nicht möglich ist. Gerade mit Blick auf die aktuellen Diskussionen um Integration und Aufnahmegesellschaft bieten sich hier Möglichkeiten, die ältere Bevölkerung über den Dialog mit der Jugend und intergenerativen Kulturprojekten auf die künftig noch zunehmende Kulturenvielfalt in Deutschland vorzubereiten; denn Integration, sowohl allgemein als auch in der Kulturlandschaft, ist niemals ein einseitiger Prozess.13
13
Die fehlende Einbeziehung von MigrantInnen in Planung und Durchführung von Kulturangeboten ist eines der größten Defizite [des Kulturbetriebs]. Viel zu oft planen wohlmeinende Kulturveranstalter für die MigrantInnen, anstatt mit den MigrantInnen gemeinsam Projekte zu entwickeln (Graser 2005, S. 295).
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
2.3
165
Zur Wahrnehmung künstlerisch-kreativer Bildungsangebote
Wurde die kulturelle Teilhabe der verschiedenen Altersgruppen vorausgehend ausschließlich betrachtet aus der Perspektive der Rezeption, werden im Folgenden die Aktivitäten im Bereich eigener künstlerisch-kreativer Ausdrucksformen untersucht.14 Stellt man die Zahlen derer, die ein künstlerisches Hobby in der Freizeit ausüben, von 1973 denen von 2005 gegenüber, so kann man für alle Altersgruppen feststellen, dass es einen regelrechten Boom des Interesses an künstlerischkreativen Aktivitäten in der Freizeit gibt (Graser 2005, S. 41). Für die junge Generation der unter 25-Jährigen zählen künstlerische Hobbys gemeinsam mit Sport und Computer zu den deutlich verbreitetsten Hobbyaktivitäten. Aber auch bei den 50-Jährigen und Älteren haben die Anteile der Hobbyaktivisten im Bereich Kunst und Kultur von 13% auf 24% in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen (Keuchel 2004a). Für die Älteren ist es besonders interessant, zu erfahren, in welchem Lebensabschnitt diese Gruppe ihren Zugang zu eigenen künstlerischen Ausdrucksformen gefunden hat. Die folgende Übersicht 8 zeigt den Zeitpunkt erster künstlerischer Aktivität bei der heutigen Bevölkerung 50+. Das Interesse an einer eigenen kreativen Tätigkeit wird demnach eher selten erst in den Rentenjahren geweckt, wobei die Zeitanfänge innerhalb der Bevölkerung 50+ sehr unterschiedlich sind. Viele der heute 50- bis 59-Jährigen haben erst während der Berufs- und Familienjahre angefangen, künstlerisch-kreativ tätig zu sein. Ein möglicher Grund dafür ist die Infrastruktur zur Zeit ihrer Kindheit und Jugend, also in der Nachkriegszeit. Die vergleichsweise späte Berührung der Bevölkerung 50+ mit eigenen künstlerischen Ausdrucksformen steht im Gegensatz zum gegenwärtigen Trend der Gesamtbevölkerung hin zu einer immer früheren Konfrontation mit Kunst und Kultur.
14
Wobei immer im Hinterkopf behalten werden muss, dass – wie im 1. Jugend-KulturBarometer nachgewiesen – künstlerisch-kreative Kulturbeschäftigung und die rezeptive Kulturteilnahme stark untereinander korrelieren; ohne dass man dabei jedoch eindeutig sagen könnte, was hierbei nun „Huhn“ und was „Ei“ ist. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die eigene künstlerisch-kreative Hobbytätigkeit – zumindest bei Teilen – auch ein nachhaltiges rezeptives Kulturinteresse nach sich ziehen kann; so beispielsweise, wenn es gelingt, Jugendliche im Alter ab 16 Jahre erstmalig für künstlerisch-kreative Tätigkeiten zu begeistern (Keuchel 2004a; Graser 2005, S. 90).
166
Susanne Keuchel
Übersicht 8:
Zeitpunkt erster künstlerischer Aktivität in der Freizeit – außerhalb der Schule – bei der Bevölkerung 50+ nach dem 7. KulturBarometer (ZfKf / GfK 2001) 15 (Quelle: ZfKf /GfK 2001)
Spannend ist in diesem Kontext auch die Frage nach der inhaltlichen Form der künstlerischen Ausdrucksformen, die speziell die ältere Bevölkerungsgruppe pflegt. Oder anders ausgedrückt für die Bevölkerung 50+, bei deren älteren Teilen man immer auch den körperlichen Gesundheitszustand in der Beurteilung des kulturellen Verhaltens mitberücksichtigen muss: Welche Aktivitäten trauen sich die Älteren im Alter (noch) zu, wenn sie vorab noch keinen künstlerischen Hobbyaktivitäten nachgegangen sind? Als künstlerische „Einstiegsdroge“ wird von den Rentnern derzeit vor allem das Singen bevorzugt, gefolgt von Basteln und Gestalten und Aktivitäten im Bereich der Bildenden Kunst. Das Erlernen eines Musikinstruments traut sich bisher dagegen die aktuelle ältere Generation im Alter kaum noch zu. Ähnliches gilt für Tanzen, Ballett und Theaterspielen, vermutlich auch aus Angst vor körperlichen Unzulänglichkeiten im Alter. Das schon erwähnte KulturBarometer 50+ (Keuchel / Wiesand 2008) zeigt jedoch 15
Befragt wurden bundesweit insgesamt 2.522 Bürger ab 14 Jahre.
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
167
auf, dass sich in der heutigen Bevölkerung 50+ auch hier ein Wandel vollzieht im Kontext der Bewältigung neuer Anforderungen im Alter, speziell auch künstlerischer Anforderungen. Das Spielen eines Instruments, sowie Basteln und Fotografieren zählen dagegen bei der Jugend zu den meist praktizierten künstlerisch-kreativen Tätigkeitsfeldern (Keuchel 2004a, S. 44). Was verdeutlicht, dass es hier durchaus auch gemeinsame inhaltliche Schnittmengen zwischen den Generationen gibt. Aufgrund des deutlich gestiegenen Interesses der Bevölkerung 50+ an künstlerisch-kreativen Angeboten, der Möglichkeiten und Chancen von generationsübergreifenden Angebotskonzepten (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW und Institut für Bildung und Kultur 2007; Jacobs 2006) sollten letztlich auch kulturpolitische Überlegungen angestellt werden, in wie weit man die Angebotsstrukturen der außerschulischen kulturellen Bildungseinrichtungen für neue Zielgruppen und Konzeptformen erweitern kann. 16 Das gestiegene Interesse der Bevölkerung 50+ eröffnet zugleich auf mittlere Sicht die Chance, kulturelle Bildungseinrichtungen trotz des demografischen Wandels in ihrer Infrastruktur optimal auszulasten.
2.4
Zur unterschiedlichen Zielgruppenansprache
Will man seine Zielgruppen adäquat ansprechen, ist es wichtig, mehr über die Erwartungen an und die Motivation für den Kulturbesuch des Einzelnen zu erfahren. Hier stellt sich die Frage: Gibt es unterschiedliche Erwartungen und Motive im Zugang zu Kunst und Kultur bei den Generationen? Betrachtet man die Besuchsmotive, die die jungen und alten Bevölkerungsgruppen für den Besuch von Kulturangeboten nennen, unterscheiden sich diese, im Gegensatz zu den Präferenzen beim Planungsverhalten oder bei Sparteninhalten, nur punktuell, wie dies der folgenden Übersicht entnommen werden kann.
16
„Die so genannte demographische Veränderung bildet als erweiterte Zielgruppe für Musikverein und Musikschule die Senioren im 3. Lebensabschnitt heraus, die aktiv als Neueinsteiger oder als Wiedereinsteiger Musik lernen und aktiv musizieren wollen, dies sicher auch in der Gemeinschaft. Hier gilt es zu überlegen, inwieweit auch gemeinschaftliches Vorgehen von Laienmusik und Musikschule sinnvoll erfolgen kann." (Pannes 2007, S.104).
168
Übersicht 9:
Susanne Keuchel
Motivation für den Kulturbesuch in den verschiedenen Altersgruppen (Quelle: ZfKf / GfK 2005)
Bei den 14- bis 24-Jährigen wird jedoch deutlich, dass sie Kunst und Kultur nicht ganz so unterhaltsam einschätzen wie die Bevölkerung 50+ und demgemäß den Unterhaltungswert weniger als Motivationsgrund für den Kulturbesuch ansehen. Dieses Phänomen kann man nicht zuletzt auf die strenge gedankliche Unterteilung von E- und U-Kultur zurückführen, die in den letzten Jahrzehnten speziell in Deutschland vielfach genutzt wurde, um den Anspruch auf öffentliche Förderung zu begründen. Für die Bevölkerung impliziert die Bezeichnung E-Musik für Klassische Musik jedoch einen ernsten Charakter und die Gegenüberstellung von U-Musik, wie Rock oder Pop, einen ausschließlichen Anspruch auf Unterhaltung, was fachlich und inhaltlich nicht gerechtfertigt ist (Mandel 2006, S. 10f; Keuchel 2004c, S. 8ff). Nichtsdestotrotz bildet der Wunsch nach guter Unterhaltung auch für die Jugend den wichtigsten Grund, ein Kulturangebot zu besuchen.
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
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Fast ebenso wichtig ist es speziell für die jungen Leute, bei Kulturbesuchen etwas live zu erleben, also der Wunsch nach Authentizität als Motiv des Kulturbesuchs. Dieser Wunsch ist in der älteren Generation weniger ausgeprägt als bei der jungen. Diese Differenz lässt sich nicht zuletzt damit erklären, dass die jungen Leute zunehmend in einer virtuellen Welt leben (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) 2007), so dass das Live-Erlebnis für sie einen positiven Gegenpol darstellt. Auch hier kann man jedoch analog zu den Spartenpräferenzen beobachten, dass die jüngere Bevölkerung 50+ auch schon stärkeres Interesse für das Live-Erlebnis zeigt. Zu einem allgemeinen Trend scheinen sich die Erwartungen „Spaß und Action“ in Kombination mit dem Kulturerlebnis zu entwickeln (Schulze 1992), was die unter 25-Jährigen als sehr wichtig ansehen, aber auch die mittlere Altersgruppe, die 25- bis 49-Jährigen. Den 65-Jährigen und Älteren kommt es dagegen vor allem auf eine gute Atmosphäre beim Kulturbesuch an. Beim 1. Jugend-Kulturbarometer wurden ebenfalls Maßnahmen analysiert, wie man Kulturangebote speziell für mittelmäßig- bis nicht-kulturinteressierte Jugendliche attraktiver gestalten kann. Als wichtigster Faktor wird hierbei, nach der Senkung der Eintrittspreise, das Bedürfnis nach einem jugendgerechten Ambiente genannt. Damit zeichnet sich in diesem Punkt eine Reibungsfläche zu den Erwartungen der Älteren ab. Beiden Altersgruppen ist eine gute Atmosphäre und ein entsprechendes Ambiente sehr wichtig. Die Vorstellung darüber, wie dieses Ambiente aussieht, unterscheidet sich jedoch bei Jung und Alt. Unterschiede in der altersspezifischen Zielgruppenansprache können auch beim Informationsverhalten oder bei bevorzugten „Ticketmodellen“ beobachtet werden. Neben der entscheidenden, allerdings schwierig steuerbaren Mund-zuMund-Propaganda17 bilden Plakate und das Internet für die junge Generation die zentralen Informationsquellen, mit denen sie sich über Kultur- und Freizeitangebote informieren. Zwar zeigt sich im 1. Jugend-KulturBarometer, dass das Internet aktuell „nur“ an vierter Stelle der derzeit tatsächlich genutzten Informationsmedien steht18, doch im Ranking der bevorzugten Medien rangiert es bereits an zweiter und unter den bevorzugten Möglichkeiten für den Ticketerwerb sogar an erster Stelle. Dem gegenüber spielt das Internet für die Bevölkerung 50+ eine 17
18
Sowohl in der Umfrage in der Rheinschiene-Region als auch im 1. Jugend-KulturBarometer wurden Gespräche mit Freunden und Bekannten als die wichtigste Informationsquelle für einen Kulturbesuch bestimmt. Zu diesem Multiplikatoreneffekt kommt weiterhin der bereits beschriebene, positive Aspekt der Steigerung der Besuchsmotivation, sofern mögliche Begleiter zu einem Kulturbesuch im unmittelbaren Umfeld einer Person vorhanden sind (Keuchel 2004a, S. 115; Keuchel / Zentrum für Kulturforschung 2003, S. 195ff). Noch vor dem Internet stehen Gespräche mit Freunden und Bekannten, sowie Plakate und Radio als derzeit vorwiegend zur Information über Kulturveranstaltungen genutzte Kanäle (Keuchel 2004a, S. 115).
170
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deutlich untergeordnete Rolle. Gemäß des bereits skizzierten Planungsverhaltens für Kulturbesuche, setzt die ältere Generation im Kartenkauf (noch) traditionell auf die öffentlichen Vorverkaufsstellen und telefonische Vorbestellungen. Eine Ausnahme bilden hier abermals die unter 60-Jährigen der Bevölkerung 50+. Diese stehen in der Regel im aktiven Berufsleben und nutzen daher den Computer weit intensiver als der ältere Teil dieser Bevölkerungsgruppe. 19 Speziell im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit gilt übrigens anzumerken, dass auch die Bevölkerung mit Migrationshintergrund oftmals nur sehr ungenügend als konkrete Zielgruppe von Kultureinrichtungen angesprochen wird. So genügt es eben nicht, einer Kulturveranstaltung das Etikett „migrationsspezifisch“ anzuheften20, sondern es muss auch über geeignete Medien und Kanäle den Weg in die jeweilige Community finden (Keuchel et al. 2003). Eine wichtige Rolle spielt hierbei die jeweilige Muttersprache – auch für Migranten, die die deutsche Sprache gut beherrschen (Graser 2005, S. 289-298). Positivbeispiele wie die „Stuttgarter interkulturelle Programmzeitschrift“, welche neben Deutsch auch in Türkisch und Russisch veröffentlicht wird, erreichen eben nicht nur aufgrund ihrer besseren (Sprach-)Verständlichkeit ein breites Publikum, sondern auch, weil sie ein deutliches Zeichen setzen, dass sich der Kulturbereich die Teilnahme eines Publikums verschiedenster kultureller Hintergründe wünscht und diesem offen gegenüber steht.21
19 20
21
Dem gegenüber stehen gerade einmal 11% der 70-Jährigen und Älteren, welche überhaupt als Computernutzer zu bezeichnen sind (Media Perspektiven 2006). Wobei eine so deutliche Zielgruppendefinition ohnehin immer ambivalent zu bewerten ist. Denn was vom Kulturbetrieb als gut gemeintes Integrations- und Teilhabeangebot gedacht ist, kann durch eine derartige Klassifizierung unter Umständen ins segregierende Gegenteil umschlagen. Eine gelungene Verbindung aus Senioren- als auch Migrantenarbeit hat das museum kunst palast gemeinsam mit der Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit in Düsseldorf umgesetzt. Interessierte und freiwillige Senioren werden hierbei sowohl dafür geschult, Gruppen im Museum zu begleiten, als auch als Keyworker das Angebot des Museums in die unterschiedlichen Lebensräume verschiedener Alters- und Bildungszielgruppen zu tragen – mit erstaunlichen Erfolgen: selbst sonst eher schwierig zu erreichende Bevölkerungsgruppen, wie die in Düsseldorf anteilig große japanische Diaspora, konnten durch die intensive Netzwerkarbeit der Keyworker und kulturelle Bildungsangebote in japanischer Landessprache erreicht werden (museum kunst palast 2006).
Demografischer Wandel und kulturelle Partizipation
3
171
Fazit: Zielgruppenspezifische, altershomogene, intergenerative oder interkulturelle Angebotskonzepte? Welche Maßnahmen empfehlen sich für den künftigen Erhalt des Kulturpublikums?
Während sich für die Ansprüche der verschiedenen Generationen an Kunst und Kultur bei der Besuchsmotivation kaum Unterschiede ausmachen lassen, kommt es bei den inhaltlichen Sparteninteressen als auch bei der Bewertung von Serviceangeboten, wie ansprechendes Ambiente, bevorzugte Ticketingformen oder Medien, zu teils deutlichen Differenzen. Daher ist es durchaus ratsam, sich bei intergenerativen Zielgruppenkonzepten auf die gemeinsamen Schnittmengen zu konzentrieren und ergänzend auch zielgruppenspezifische, altershomogene Angebotsstrukturen zu entwickeln, die den Interessen und Erwartungen nur der jungen Zielgruppe oder nur der Älteren entsprechen, um auf der einen Seite ein Nachwuchspublikum zu binden und auf der anderen Seite ein verlässliches, bewährtes Publikum zu halten. Es empfiehlt sich daher, zweigleisig oder besser noch mehrgleisig bei der Angebotsgestaltung zu „fahren“. Wobei die vorausgehend analysierte kulturelle Interessenslage der jungen Bevölkerung 50+ verdeutlicht, dass sich die altersspezifischen Differenzen langfristig wieder angleichen werden. Denn speziell für die 50- bis 59-Jährigen lässt sich festhalten, dass diese in ihrem kulturellen Verhalten eine Art Scharnier bilden zwischen Alt und Jung, da diese sowohl Angebote junger, moderner Kunstformen besuchen als auch klassische Kulturangebote, der Fokus jedoch vor allem auf Erfahrungen gesetzt wird, die man in jungen Jahren erlebte. Dieser Generationswechsel in der älteren Bevölkerung wird Konsequenzen haben für die künftigen Rahmenbedingungen der gesamten Kulturlandschaft. Denn während sich die aktuelle Bevölkerung 50+ noch gerne bindet und im Voraus plant und somit den festen Kern der Abonnementkundschaft bildet, herrschen vor allem bei jungen Kulturbesuchern, aber zunehmend auch bei den 50- bis 59-Jährigen, Flexibilität und Spontaneität vor. Kurzfristig nutzbare Ticketingformen, allen voran der Kartenerwerb im Internet, werden damit zunehmend wichtiger, auch für die ältere Bevölkerung. Auch in Bezug auf die öffentliche Außendarstellung von Kulturanbietern sowie Informationen über deren Angebote, ist ein professionell gemachter Internetauftritt schon jetzt nicht mehr wegzudenken. Dennoch muss hierbei stets der Spagat gewagt werden zwischen Jugend-Orientierung und weiterer Bindung und Ansprache der Bevölkerung 50+
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als verlässliche Gruppe, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten anteilig in der Bevölkerung zunehmen wird. Gleiches gilt für die Auswahl der einzelnen Spartenangebote. Während sich die Jugend eher populär-kulturell orientiert, bevorzugt die Generation 50+ weiterhin klassische Kultursparten. Dennoch muss das Kulturleben für die Zukunft einen Mittelweg finden zwischen klassischen Angeboten und einem Wandel hin zu neueren Kunstsparten, die im Idealfall sowohl das Nachwuchspublikum als auch die sich verjüngende Bevölkerung 50+ ansprechen. Auf keinen Fall sollten sich die Bemühungen der Kultureinrichtungen allein auf eine Zielgruppe konzentrieren. Dies sollte allein deshalb nicht geschehen, weil sich – wie vorhergehend gezeigt – die Kulturinteressen ebenso wie das Planungsverhalten von Zielgruppen, hier: der älteren Bevölkerungsgruppen, durchaus ändern und verjüngen können. Gerade die klassischen Kulturhäuser täten daher gut daran, sich von ihrer teils einseitigen Zielgruppenfixierung auf ältere Besucher zu lösen und sich vermehrt der Jugend aber beispielsweise auch Migranten als Publikum von Morgen zu öffnen. Ein Ansatz wäre hierbei, den Unterhaltungsaspekt auch der so genannten „E-Kultur“ zu betonen, um diese gerade auch für die jüngere Generation (wieder) interessanter zu gestalten. Eine weitere Möglichkeit speziell jugendliche Besuchergruppen zu mobilisieren und zu binden, ist deren Ansprache über eigene künstlerisch-kreative Aktivitäten. Aber auch für die Bevölkerung 50+ ist der Ausbau künstlerisch-kreativer Freizeitangebote relevant. Aufgrund des Booms an künstlerischen Hobbyaktivitäten werden künftige Mitglieder der Bevölkerung 50+ voraussichtlich weit ausgeprägtere Vorkenntnisse in diesem Bereich besitzen, an welche es für den Kulturbetrieb anzuschließen gilt. Auch hier muss man jeweils sehr sorgfältig prüfen, ob diese eher in intergenerativen oder altershomogenen Angebotsstrukturen realisiert werden sollen. Ähnliches gilt für die Zielgruppenansprache der Migranten im Kunst und Kulturbereich. Während es für das Kulturmarketing sinnvoll sein kann, sich hier eng an der Zielgruppe zu orientieren und beispielsweise Veranstaltungshinweise in der jeweiligen Landessprache oder in den der Community eigenen Medien zu veröffentlichen, wie zum Beispiel der in Deutschland auflagenstarken Zeitung „Hüriyjet“, so kann eine zu ausgeprägte Zielgruppenansprache für kulturelle Bildungsangebote auch einen Negativeffekt haben. Dies gilt für die, von der jüngeren Generation 50+ oftmals als stigmatisierend empfundenen, „Seniorenangebote“ ebenso, wie für die unter Umständen eher Segregation nach sich ziehenden „Migrantenangebote“. Dieser Gefahr entgehen kann man, wenn zusätzlich Kulturangebote ins Leben gerufen werden, die interkulturelle und intergenerative Aspekte miteinander verbinden. Denn gerade im Hinblick auf die Multikulturalität unserer Gesellschaft können die Älteren der Bevölkerung 50+
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von der globalisiert denkenden Jugend profitieren, ebenso wie die jüngere Generation von den Erfahrungen der Älteren. Bei aller Zielgruppenorientiertheit, die für den grundsätzlichen Erhalt und im besten Fall den Ausbau des Kulturpublikums wichtig ist, darf im Umgang mit dem Kulturpublikum nicht vergessen werden, dass es heute "die" Generation 50+ ebenso wenig gibt, wie „die“ Jugend oder „den“ Migranten, sondern es sich um Individuen mit unterschiedlichen Milieuzugehörigkeiten (Sinus Sociovision 2007a) handelt, die trotz gemeinsamer soziodemografischer Merkmale wie Alter, Bildung oder Migrationshintergrund, doch über eine breite Palette sehr unterschiedlicher Verhaltensmuster und Interessensschwerpunkten verfügen. In diesem Sinne gilt es, die Bedürfnisse, Motivation und Erwartungen des aktuellen und künftigen Kulturpublikums genau zu kennen und zu reflektieren und der Vielschichtigkeit dieser unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ein ebenso vielschichtiges Kulturangebot entgegen zu stellen. Kultur kann weder die Ursachen noch die Folgen des demografischen Wandels ändern oder abschwächen, sie kann jedoch ein Instrument sein, mit dem Wandel bewusst umzugehen, ihn individuell und gemeinschaftlich zu bewältigen. (Deutscher Bundestag 2007, S. 227)
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Susanne Keuchel
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Kim de Groote und Flavia Nebauer
Die Phantasie ist ewig jung. Kulturelle Bildung im Alter
Inhaltverzeichnis 1 Bildung in den Künsten und durch die Künste ........................................... 180 2 Die Bildungslandschaft kultureller Bildung für Ältere ............................ 182 3 Entwicklungslinien und -perspektiven ..................................................... 188 3.1 Eine bunte Bildungslandschaft für eine heterogene Generation 50+ . 188 3.2 Kreative Potenziale des Alters ........................................................... 192 3.3 Querdenken und Netzwerkbildung ..................................................... 196 3.4 Ausblick ............................................................................................. 198 Quellenverzeichnis ........................................................................................ 201
Kulturelle Bildung im Alter
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Herr A. singt seit zehn Jahren im Kirchenchor. Frau M. ist Mitglied eines Literaturkreises und arbeitet ehrenamtlich in der Gemeindebücherei. Herr und Frau N. treffen sich einmal im Monat beim „Blauen Montag“ im Düsseldorfer Schauspielhaus mit RegisseurInnen, SchauspielerInnen und DramaturgInnen, um über aktuelle Aufführungen zu diskutieren. Frau S. nimmt mit anderen BewohnerInnen des Seniorenheims regelmäßig an Angeboten der Seniorenkunstwerkstatt teil. Herr P. besucht im Rahmen des „Kultur auf Rädern“Programms mit einem „Museum im Koffer“ ältere Menschen zuhause. Allen diesen kulturell aktiven Menschen ist gemeinsam, dass sie über 50 Jahre alt sind und dass Kunst und Kultur im ihrem Leben einen wichtigen Platz einnehmen. Kulturelle Teilhabe eröffnet die Chance, sich auch im Alter weiter zu entwickeln und jenseits von Verwertbarkeitsfragen etwas zu tun, das „Sinn“ macht. Angesichts der Prognosen, nach denen im Jahr 2050 etwa 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland über 60 Jahre alt sein werden, und diese 60Jährigen im Durchschnitt noch etwa 20 Lebensjahre erwarten (Bundesamt für Statistik 2006, S. 42ff.), hat die gegenwärtige Altersbildung den Anspruch, die mit dem demografischen Wandel einhergehenden Herausforderungen unterstützend zu begleiten. Bildungs- und Kulturbereich sind neben Gesundheitsund Sozialbereich in besonderer Weise gefordert zu zeigen, wie der gesellschaftliche Zuwachs an Lebenszeit positiv gestaltet werden kann. Denn es kommt nicht darauf an, wie alt wir werden, sondern wie wir alt werden. Kulturelle Bildung ermöglicht Teilhabe an Kunst und Kultur. Durch kulturelle Bildung werden Menschen an Kunst und Kultur herangeführt und zu einer intensiveren Beschäftigung mit einem künstlerisch-kulturellen Thema angeregt. Sie werden so zu aktiv Kulturausübenden oder auch zu kompetenten Rezipienten. Aktive Kulturnutzung ist – auch und gerade im Alter – Schlüssel zu sozialer Integration und Beteiligung und hilft, Lebensqualität zu erhalten. Möglichst vielen Menschen auch im Alter kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, stellt eine Zukunftsaufgabe dar. Hier besteht bildungspolitischer Handlungsbedarf. So hat die Enquete-Kommission des Bundestags „Kultur in Deutschland“ konstatiert, dass gerade in der kulturellen Bildung bei Angeboten für Erwachsene und SeniorInnen ein großer Nachholbedarf besteht, der im Zuge der Alterung der Gesellschaft gravierender wird (Deutscher Bundestag 2007, S. 224). Kulturelle Erwachsenenbildung muss daher politisch und finanziell gestärkt werden. Im Folgenden möchten wir zunächst skizzieren, was kulturelle Bildung speziell im Leben älterer Menschen bedeuten kann. Es folgt eine Darstellung der kulturellen Bildungslandschaft mit dem Fokus auf ältere Menschen als Nutzer, Besucher, Teilnehmer sowie Produzenten und Anbieter kultureller Bildung. Es sollen dann drei Schlaglichter auf die Frage geworfen werden,
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welche schon länger feststellbaren Trends die Bildungslandschaft entscheidend mit prägen. Anhand einiger Beispiele soll veranschaulicht werden, wie kulturelle Bildung mit, für und von Älteren erfolgreich in die Praxis umgesetzt wird.
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Bildung in den Künsten und durch die Künste
Wer das Arbeitsleben hinter sich hat, für den ist Bildung nicht mehr an berufliche Verwertung gebunden. Bildung lohnt sich dennoch, denn der Ruhestand hat längst seinen Charakter als „Restzeit“ verloren. Vielmehr ist für diese eigenständige Lebensphase der Entwurf neuer biografischer Projekte notwendig und für die meisten stellt sich die Frage, wie sie sich am sozialen Leben beteiligen können, in neuer Form (Sommer et al. 2004, S. 13). Kunst und Kultur bieten hier ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Kulturelle Bildung findet dann statt, wenn kulturpädagogische Arbeitsformen eingesetzt werden, um Ziele allgemeiner Bildungsarbeit zu verfolgen, oder wenn künstlerische Kompetenzen vermittelt werden. In Anlehnung an Bamford (2006) soll im Folgenden zwischen „education in the arts“, Bildung in den Künsten, und „education through the arts“, Bildung durch die Künste, unterschieden werden. „education in the arts“: In kulturpädagogischen Angeboten können Wissen und Fertigkeiten zum Verständnis und zur Ausübung künstlerisch-kreativer Arbeit in den Kunstsparten Bildende Kunst, Musik, Literatur etc. erworben werden. So werden viele Ältere zum Beispiel durch den Besuch von kunsthistorischen Seminaren zu Kennern bestimmter Epochen, andere werden in Theatergruppen, Chören oder literarischen Schreibwerkstätten selbst kreativ. Da während der Berufsphase gewünschte Aktivitäten und Interessen häufig zurückgestellt bzw. Kompetenzen unfreiwillig vereinseitigt wurden, besteht ein Nachholbedarf, in der nachberuflichen Phase eigene kreative Potenziale zu entfalten und sich neue Erlebnismöglichkeiten und kulturelle Bedeutungszusammenhänge zu erschließen (Kade 2007, S. 77). Dies gilt allerdings eher für diejenigen, die bereits in früheren Jahren Erfahrungen im Bereich Kunst und Kultur sammeln konnten. So hat das Kulturbarometer 50+ des Zentrums für Kulturforschung ergeben, dass die „kulturunerfahrenen“ Älteren nur schwer Zugang zu Kulturangeboten finden – der Anteil von „Neueinsteigern“ unter älteren Menschen liegt bei 1 % (Zentrum für Kulturforschung 2008, S. 87). Auf der anderen Seite ist die Bildungsmotivation im Alter sehr hoch. So ist die Mehrheit der vom Zentrum für Kulturforschung Befragten im Alter zwischen 50 und 70 Jahren heute davon überzeugt, dass künstlerische Fertigkeiten durchaus noch im Alter erlernbar sind (Zentrum für Kulturforschung
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2008, S. 96). Ein Drittel der aktuell nicht künstlerisch Aktiven zeigt Interesse für entsprechende Angebote (Zentrum für Kulturforschung 2008, S. 91). „education through the arts“: Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur kann durch den Erwerb von Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit auch in vielen anderen Arbeits- und Lebenszusammenhängen Wirkung entfalten. Im Medium der Künste finden Lern- und Auseinandersetzungsprozesse des Menschen mit sich, seiner Umwelt und der Gesellschaft statt. Ältere Menschen werden mit Veränderungen, Zuschreibungen und biografischen Wendepunkten konfrontiert und zu Anpassungsprozessen herausgefordert. Kunst und Kultur können dazu beitragen, diese Veränderungsprozesse, die damit zusammenhängenden Fragestellungen und Emotionen mit künstlerischen Mitteln zu thematisieren, zu reflektieren, zu kommunizieren und zu verarbeiten (Sieben 2005, S. 5). In Analogie zu den sensiblen Phasen, die von Maria Montessori für das Kinder- und Jugendalter formuliert wurden, bezeichnet Nell das Alter als eine „sensible Phase für Sinnfragen und Lebensauswertung“, die durch die Beschäftigung mit Kunst und Kultur, schöpferisches Tun und soziales Engagement entscheidend gefördert werden kann (Nell 2007, S. 101). Viele kulturelle Bildungsangebote für Ältere haben einen Biografiebezug, da davon ausgegangen wird, dass das „Lernen im Alter oft mit einem bilanzierenden Rückblick ein(setzt), von dem aus die Vergangenheit rekonstruiert, die Gegenwart gestaltet und die Zukunft im Alter entworfen werden kann“ (Kade 2007, S. 128). Ausgangspunkt des Lernens kann auch ein als Krise erlebter biografischer Wendepunkt wie das Ende des Berufslebens oder der Verlust des Partners sein (ebd.). Künstlerisch-kulturelle Methoden eignen sich besonders gut für das biografische Arbeiten, so werden z. B. Erzählungen und Gedichte verfasst oder Theaterstücke entwickelt, die durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte entstanden sind. Kultur ist zudem ein gutes Vehikel, um Generationen zusammenzubringen und das Lernen miteinander und voneinander anzuregen. In intergenerationellen Projekten können Ältere einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem sie ihr kulturelles Gedächtnis weitertragen, anderen vermitteln oder mit den jüngeren Generationen reflektieren.
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Die Bildungslandschaft kultureller Bildung für Ältere
Die Bildungslandschaft kultureller Bildung für Ältere in Deutschland hat eine überaus komplexe Struktur37. Kulturelle Bildung wird von den verschiedensten Trägern an unterschiedlichsten Lernorten durchgeführt, sie erreicht unterschiedliche Zielgruppen, arbeitet mit einer Vielzahl von Konzepten unter Verwendung unterschiedlicher Medien. Kulturelle Bildung findet in altershomogenen oder altersheterogenen Gruppen statt und immer häufiger auch mit dem Anspruch interkultureller und intergenerationeller Kulturarbeit. Ältere engagieren sich zudem in steigendem Maße ehrenamtlich und in selbstorganisierter Form und tragen in vielfältiger Weise selbst zu einer lebendigen Bildungs- und Kulturlandschaft bei.
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Das Institut für Bildung und Kultur hat im Jahr 2007 einen Überblick über die wichtigsten Praxisfelder im Bereich „Kulturelle Bildung im Alter“ und die bestehenden Entwicklungen, Trends sowie Bedarfe erstellt (vgl. de Groote/Nebauer 2008). Auf der Grundlage von Experteninterviews, Sekundäranalyse und Feldrecherche wurde erstmalig in Deutschland mit Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine umfassende bundesweite Bestandsaufnahme der kulturellen Bildungslandschaft mit dem Fokus auf ältere Menschen erstellt. Über die Definition der Begriffe und Festsetzung von Altersgruppen und Lebensphasen besteht in der Literatur keine Einigkeit, vielmehr werden „Zielgruppen Älterer funktional differenziert, um wirtschaftliche, gesundheits-, bildungs- und ordnungspolitische Aufgaben bearbeiten zu können“ (Kade 2007, S. 16). Wir verstehen „Alter“ als einen Lebensabschnitt nach der Erwerbs- bzw. Familienphase.
Kulturelle Bildung im Alter
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Abb. 1: Praxisfelder kultureller Bildung für ältere Menschen Die Abbildung 1 ist ein Versuch, die Vielfalt der Anbieter zu systematisieren. In der Praxis sind die Institutionen keineswegs immer eindeutig zu verorten. Einige Institutionen sind an der Schnittstelle zwischen zwei Feldern aktiv, wie etwa die soziokulturellen Zentren und die kirchliche Kulturarbeit. Auch würde sich manche Institution möglicherweise, nach ihrem Selbstverständnis gefragt, anders einordnen. Von den Anbietern kultureller Bildung werden verschiedene Gruppen älterer Menschen erreicht. Bedeutung und Umfang der Angebote der verschiedenen Felder werden in der Grafik nicht erfasst. Die Anbieter kultureller Bildung für Ältere haben grob drei Ausrichtungen:
Kunst und Kultur, Erwachsenenbildung und Soziales und Gemeinwesen.
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Selbstorganisierte Aktivitäten sind in allen Praxisfeldern zu finden bzw. auch institutionsunabhängig. Sie sind für den Kulturbereich von großer Bedeutung. Bedeutsam sind auch die vielfältigen Kooperationsbeziehungen zwischen Einrichtungen, die unterschiedlichen Praxisfeldern angehören. Auf beide Aspekte wird weiter unten noch näher eingegangen. Kunst & Kultur Kultureinrichtungen wie Museen, Theater, Bibliotheken u. a. haben ihrem Selbstverständnis nach einen Bildungsauftrag. Als Folge des demografischen Wandels sehen sich öffentliche und private Einrichtungen der Hoch- und Breitenkultur vermehrt mit der Zielgruppe der Älteren konfrontiert. Sie arbeiten deshalb verstärkt zielgruppen- und altersspezifisch. Lernen findet in diesen Einrichtungen zum einen als nonformales, selbstgesteuertes Lernen statt, zum anderen bieten viele ein kulturpädagogisches Programm an. Es handelt sich dabei um didaktisch aufbereitete Rahmenprogramme zu kulturellen Veranstaltungen sowie kulturpädagogische Angebote, die zu eigenschöpferischer Aktivität anregen. So betreiben beispielsweise einige öffentliche Theater Laientheaterensembles für Ältere oder binden ältere Laien in Profiproduktionen ein. Museen bieten neben Führungen die Möglichkeit an, selbst kreativ zu werden. Kulturpädagogische Einrichtungen sind auf die Vermittlung kultureller Bildung spezialisiert, also z.B. Musik-, Mal- und Kunstschulen, Medienzentren, Literaturhäuser und -büros, Kreativhäuser, Tanzschulen. Sie befassen sich mit der Vermittlung von künstlerischen Methoden und Techniken sowie der Anleitung zur künstlerischen Reflexion. Ursprünglich konzentrierte sich ein Großteil dieser Einrichtungen bei ihrer Arbeit ausschließlich auf Kinder und Jugendliche – viele tun dies heute noch. Die meisten Institutionen sind aber prinzipiell allen Altersgruppen geöffnet, und zunehmend spielt die Zielgruppe der Älteren bei ihrer Programmplanung eine Rolle. Im privaten Sektor sind einige Einrichtungen entstanden, die auf Angebote für Ältere spezialisiert sind. Im Feld der öffentlichen Medien ermöglichen Fernsehen, Internet, Zeitschriften oder Radio auch nicht mobilen älteren Menschen eine Teilhabe an Kultur und Gesellschaft. Meist sind dies rezeptive Angebote, z. B. Kulturprogramme oder virtuelle Museumsrundgänge im Internet. Öffentlich-rechtliche Medienanstalten treten zudem als Kulturveranstalter mit Konzert- und Veranstaltungsreihen in Erscheinung. Neben rein rezeptiven Angeboten existieren aber auch Bildungsangebote der öffentlichen Medien, z.B. in Form des ELearning oder des Funkkollegs.
Kulturelle Bildung im Alter
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Soziales & Gemeinwesen Im Bereich „Soziales & Gemeinwesen“ werden traditionell Angebote für Ältere gemacht und so liegen hier langjährige gerontologische und geragogische Erfahrungswerte und Erkenntnisse vor. Ein Blick auf die Geschichte der Altersbildung zeigt, dass Ältere in der Nachkriegszeit zunächst als defizitäre Randgruppe galten. So ging Altersbildung in Altenhilfe- bzw. Altenarbeit auf. Die Hauptakteure sind Kommunen, kirchliche und caritative Einrichtungen. Gerade für hochaltrige Personen sind die Angebote innerhalb der Altenhilfe von großer Bedeutung. Wie das Zentrum für Kulturforschung (2008, S. 21) im KulturBarometer 50+ herausgestellt hat, sind viele Senioren, die in Seniorenheimen wohnen, gesellschaftlich isoliert. Jenseits von Pflege und Versorgung können mit kulturellen Bildungsangeboten die Potenziale älterer Menschen und die Möglichkeiten, an Gesellschaft teilzuhaben, gestärkt werden. Aus diesem Grund sollte die kulturelle Bildungsarbeit hier intensiviert werden. Kulturelle Bildung findet in diesem Feld u. a. in Alters-, Senioren-, Pflegeheimen, Altenclubs, Altentagesstätten, Begegnungsstätten, im betreuten Wohnen, Seniorenstiften und Altentreffs statt. Auch die ambulante Altenpflege ergänzt ihre Dienstleistungen z. B. durch die Vermittlung einer Begleitung zu kulturellen Bildungsveranstaltungen. Anbieter sind hier die Kommunen, Wohlfahrtsverbände und private Anbieter. Auch in therapeutischen Einrichtungen und Einrichtungen der Rehabilitation, z. B. psychiatrischen und gerontologischen Kliniken oder Gefängnissen, werden häufig kunsttherapeutische Methoden eingesetzt. Eine Differenzierung zwischen sozialarbeiterischen, therapeutischen und reinen Bildungsangeboten ist schwierig. In Einrichtungen der Rehabilitation und Therapie gibt es zudem Angebote in Form eines Kulturprogramms, z. B. Besuche von Ausstellungen. Bei den Angeboten in diesem Feld wird nicht zwingend eine Altersdifferenzierung der Angebote im Vorhinein vorgenommen. Neben Alterung ist die Migration ein zentraler Aspekt des demografischen Wandels. Ältere Migranten sind in der Gesamtbevölkerung die am stärksten wachsende Gruppe. Kultur spielt bei der Integration von Migranten eine entscheidende Rolle, da über sie kultureller Austausch stattfinden kann und sie einen Weg zur Verständigung verschiedener Bevölkerungsgruppen darstellt. Allerdings sind die klassischen kulturellen Institutionen und Infrastrukturen wie auch die kommunale Kulturplanung auf den wachsenden Anteil von Migranten nur unzureichend vorbereitet. Ältere Migranten werden bislang von Seiten der deutschen Kultur- und Bildungseinrichtungen wenig beachtet und kaum systematisch in die Angebotsentwicklung einbezogen. Dies heißt allerdings nicht, dass sie keinerlei Vorerfahrungen mit Kulturangeboten haben. Kultur, häufig in Form von Heimat-Kulturpflege und als Anlass für geselliges
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Beisammensein, war immer wichtiger Bestandteil des Lebens. Migrantenselbstorganisationen nehmen hier als Orte für kulturelle Bildung eine Schlüsselstellung ein. Orte, die schon seit langem Anlaufstellen für Menschen mit Migrationshintergrund sind und deren Angebote auch in Bezug auf Kultur und kulturelle Bildung vergleichsweise häufig frequentiert werden, sind Wohlfahrtsverbände, kirchliche sowie soziokulturelle Einrichtungen. Ein überaus wichtiger Akteur sind die Kirchen. Mit zunehmendem Alter wird die persönliche Verbundenheit mit der Kirche stärker. In der evangelischen Kirche sind beispielsweise über acht Millionen der Kirchenmitglieder 60 Jahre und älter und stellen somit knapp ein Drittel der Kirchenmitgliedschaft. Über den Gottesdienst hinaus beteiligen sich 50 Prozent der Über-60-Jährigen am kirchlichen Leben (Schulz 2006, S. 17). Kirchengemeinden sind daher insbesondere für ältere Menschen von Bedeutung. Zudem bieten sie einen niedrigschwelligen Zugang zu Bildungs- und Kulturangeboten. Kulturelle Bildungsangebote in der gemeindeorientierten (Alten-)Arbeit sind zum einen in den Gemeinden verortet, so z.B. in einem der vielen Alten- bzw. Seniorenkreise oder in einem der vielen generationenübergreifenden Kirchenchöre. Zum anderen werden gemeinsame Ausflüge organisiert, z.B. in Museen, Theater oder zu Sehenswürdigkeiten anderer Städte. Schnittstelle Kunst & Kultur und Soziales & Gemeinwesen Während von der kirchlichen Gemeinde- und Altenarbeit in erster Linie praktizierende Mitglieder profitieren, erreicht die kirchliche Kulturarbeit viele Menschen auch außerhalb der Gemeinde, auch wenn die Angebote in ihrem inhaltlichen und pädagogischen Profil stark vom kirchlichen Kontext geprägt sind. Die Angebote sind meist nicht dezidiert als Senioren-Angebote ausgeschrieben, werden aber sehr stark von Älteren frequentiert. Beispiele für die kirchliche Kulturarbeit sind Bibliotheken/Büchereien, Kunstmuseen oder Kulturkirchen. Die kirchliche Kulturarbeit verdient im Hinblick auf die kulturelle (Bildungs-)Beteiligung älterer Menschen auch aus einem anderen Grund verstärkte Aufmerksamkeit: Eine Vielzahl älterer Menschen trägt ehrenamtlich zum Erhalt des Kulturangebots bei. Vor allem im ländlichen Raum stellt die Kulturarbeit der Kirchengemeinden eine der ganz wenigen Möglichkeiten dar, aktiv am kulturellen Leben teilzunehmen. An der Schnittstelle von Kunst & Kultur und Soziales & Gemeinwesen sind auch die soziokulturellen Zentren einzuordnen. Der Begriff „Soziokultur“ hebt die Trennung zwischen Kultur und Gesellschaft auf. Alle Bevölkerungsgruppen sollen Zugang zu Kultur haben, diese aber auch mitgestalten. Kultur soll in diesem Sinne demokratisiert werden, sie wird stets in einen gesellschaftspolitischen Kontext gestellt. Soziokulturelle Zentren sind dadurch ge-
Kulturelle Bildung im Alter
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kennzeichnet, dass sie in ihren Programmen und Angeboten die Besonderheiten des jeweiligen lokalen Umfelds und die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner des Stadtteils aufgreifen und gemeinsam mit den Akteuren vor Ort weiterentwickeln. Sowohl generationenübergreifende als auch generationenspezifische Arbeit gehören in soziokulturellen Zentren zum Programm. Für Ältere haben soziokulturelle Zentren eine hohe Bedeutung, auch wenn Seniorenarbeit nur eines ihrer Tätigkeitsfelder darstellt. Der Großteil der Zentren ist in den 1970er und 1980er Jahren entstanden. Diejenigen, die bei der Gründung eines Zentrums im Jugendalter waren, kommen zunehmend ins Seniorenalter und verspüren eine Verbundenheit zur Institution. Erwachsenenbildung Die Erwachsenenbildung ist ein eigenständiger Bildungsbereich, der neben der Schul-, Berufs- und Hochschulbildung als vierte Säule im Bildungssystem gilt. Sie legt den Schwerpunkt auf allgemeine, politische und kulturelle Bildung, wobei die Grenzen fließend sind. Volkshochschulen, kirchliche Erwachsenenbildungseinrichtungen, Seniorenstudium und Seniorenakademien spielen im Feld der Erwachsenendbildung für Ältere eine dominante Rolle. Volkshochschulen verstehen sich als öffentliche Dienstleistungszentren, die ein flächendeckendes Weiterbildungsangebot für alle an Weiterbildung interessierten Bürger in der Kommune gewährleisten. Sie halten ein breites, vielseitiges und erschwingliches Angebot vor und erfüllen eine integrative Funktion in Bezug auf die Einbindung von Menschen verschiedener Generationen. Von jeher umfasst die Angebotspalette der Volkshochschulen auch Angebote der kulturellen Bildung. Etwa 17 Prozent der Teilnehmer des Programmbereichs „Kultur – Gestalten“ sind über 50 Jahre alt. Ältere sind auch eine sehr wichtige Zielgruppe für die kirchliche Erwachsenenbildung. Für einen Großteil der Teilnehmer ist der Kirchenbezug der Angebote nicht ausschlaggebend für ein Interesse an einer Veranstaltung, sondern eher die Qualität der Angebote. Kirchliche Erwachsenenbildungseinrichtungen sehen sich hier als gleichberechtigte Partner im Gesamtfeld der Erwachsenenbildung. Bessere Möglichkeiten sinnvollen Lebens, Erweiterung der Fähigkeiten zu verantwortlichem Handeln und Partizipation an allen gesellschaftlich relevanten Entscheidungsprozessen sind wichtige Zielsetzungen. Darüber hinaus geht es darum, Grundfragen des Glaubens zu reflektieren. Neben den Heimvolkshochschulen sind die Akademien, (Familien-)Bildungsstät-ten und Bildungswerke die wichtigsten Anbieter kirchlicher Erwachsenenbildungsarbeit. Viele deutsche Universitäten halten mittlerweile Studienangebote für Senioren bereit. Sie öffnen ausgewählte Lehrveranstaltungen für die älteren Stu-
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dentInnen oder bieten eigens für sie zusammengestellte Programme mit Vorlesungen, Seminaren und einer pädagogischen Begleitung an. Zudem gibt es an die Hochschulen angegliederte Universitäten des dritten Lebensalters sowie Sommerakademien. Die kulturelle Erwachsenenbildung spielt jedoch an deutschen Hochschulen eine untergeordnete Rolle. Größere Bedeutung haben die Hochschulen aufgrund ihrer Forschungstätigkeit für die Wissenserweiterung hinsichtlich der Lebensphase Alter, für die Entwicklung und Durchführung innovativer Bildungsprogramme für ältere Erwachsene sowie neuer Formen des bürgerschaftlichen Engagements. In der außeruniversitären Bildung hat sich seit den 1990er Jahren die neue Form der Seniorenakademien durchgesetzt. Die meisten Seniorenakademien sind selbstorganisiert entstanden und werden maßgeblich durch Ehrenamtliche getragen. Gerne nehmen die Älteren die Möglichkeit zur Eigeninitiative wahr und bieten selbst Veranstaltungen an. Schnittstelle Kunst & Kultur und Erwachsenenbildung Viele Anbieter kultureller Bildung für Ältere erhalten eine öffentliche Förderung. Daneben entstehen an der Schnittstelle von Kunst & Kultur und Erwachsenenbildung privatwirtschaftliche Anbieter, die auf die Entwicklungen des demografischen Wandels reagieren und Ältere als Zielgruppe entdecken, wie beispielsweise Veranstalter kulturtouristischer Angebote. Reisen führen zu Kulturstätten, kulturellen Veranstaltungen oder in fremde Kulturen und werden oft mit dem Erlernen einer Fremdsprache, einer eigenen künstlerischen Tätigkeit oder Führungen mit Raum für Diskussionen verknüpft. Bildungsreisen werden auch von Volkshochschulen, Bildungswerken, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden angeboten.
3 3.1
Entwicklungslinien und -perspektiven Eine bunte Bildungslandschaft für eine heterogene Generation 50+
Bei der „Generation 50+“ handelt es sich aufgrund der großen Altersspanne und angesichts der Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen und Lebensumständen um eine in sich sehr differenzierte Bevölkerungsgruppe. Soziale, personale und finanzielle Ressourcen können sehr ungleich verteilt sein. Während auf der einen Seite viele Ältere gebildeter, gesünder und finanziell besser gestellt sind als Ältere früherer Generationen, ist das Leben im Alter für viele andere durch Armut, Beeinträchtigungen und Einsamkeit gekennzeichnet.
Kulturelle Bildung im Alter
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Damit es möglich wird, auf die vielfältigen kulturellen Interessen und unterschiedlichen Beteiligungschancen der „Generation 50+“ einzugehen, bedarf es einer breiten Träger- und Programmstruktur und eines breiten Spektrums von Altersbildungskonzepten mit alternativen didaktischen und methodischen Ansätzen. „Neue Generationen“ von Älteren zeichnen sich durch einen höheren Bildungsgrad, vielfältige Kompetenzen und einer zunehmenden Bereitschaft zum Engagement aus. Viele wollen auch im Alter lernen und schrecken vor anspruchsvollen Inhalten nicht zurück. In allen untersuchten Praxisfeldern kultureller Bildung existieren sowohl altershomogene als auch altersheterogene Angebote38. Beide Angebotsformen haben ihre Berechtigung und werden nachgefragt. Bei vielen Themen wirkt eine Ausschreibung als „Senioren-Angebot“ jedoch eher abschreckend – insbesondere wenn man jüngere und fitte Ältere erreichen will. Viele Anbieter vermeiden daher inzwischen das Etikett „Generation 50+“, stattdessen wird in der Ausschreibung das zielgruppenorientierte pädagogische Konzept widergespiegelt, mit dem vor allem die Interessen und Bedürfnisse älterer TeilnehmerInnen berücksichtigt werden. Im Zuge einer größeren Nachfrageorientierung öffnen sich Orte der Hochkultur und entwickeln neue Konzepte für ein älteres Publikum, so zum Beispiel das Schauspiel Dortmund. Das Interesse an generationenübergreifendem Arbeiten wird dort aufgegriffen. Theaterprojekte mit Laien am Schauspiel Dortmund In jeder Spielzeit führt das Schauspiel Dortmund ein Projekt mit Laien durch. Regie und Ausstattung leisten Profis.
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Allgemein muss man bei generationenübergreifenden Bildungsangeboten beachten, dass Lernziele und -interessen sich häufig voneinander unterscheiden: Ältere bereiten sich nicht auf den Arbeitsmarkt vor, sie haben weniger Zeitdruck, sie interessieren sich für andere Fragestellungen als jüngere Menschen und integrieren das neue Wissen auf andere Weise in ihren Erfahrungsschatz und in ihr Leben als junge Menschen. Bei Angeboten, bei denen Kunst und Kultur im Mittelpunkt stehen, sind Konflikte zwischen den Generationen weniger wahrscheinlich. Treten Konflikte in altersgemischten Gruppen auf, so können diese auch produktive Lernanlässe sein – dies zeigen viele intergenerationelle Projekte im Kulturbereich. Zudem zeigt die Erfahrung, dass ein fruchtbarer Dialog auf gleicher Augenhöhe meist Prozesse der Selbstvergewisserung der Gruppen voraussetzt. Dies ist umso wichtiger, je größer die kulturellen, alters- oder bildungsspezifischen Differenzen zwischen den Generationen sind. „Erst wenn Eigenerfahrung bzw. die Gruppenidentität gefestigt sind, kann auch auf stabiler Basis eine Konfrontation mit den Generationsdifferenzen aufgenommen werden“ (Kade 2007, S. 194).
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Im ersten Laienprojekt mit Senioren spielten 60- bis 77-Jährige Frank Wedekinds „frühlings erwachen“. Die Senioren schlüpfen hier in die Rollen von Jugendlichen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und treten jenseits der Tragödie eine emotionale Zeitreise ins Gestern und Morgen an. In der aktuellen Inszenierung mit Laien treffen Senioren zwischen 62 und 81 Jahren und Jugendliche zwischen 19 und 26 Jahren in Shakespeares „König Lear“ aufeinander. Gemeinsam setzen sich die Spieler mit dem Generationenkonflikt, mit Bildern von Jugend und Alter und dem Verlust von Identität und Funktionen auseinander. www.theaterdo.de/event.php?evt_id=606 (Stand: 28.04.08)
Von der Kulturwirtschaft und dem Bildungsmarkt werden die „neuen Alten“ mehr und mehr als attraktive Zielgruppe entdeckt und gezielt angesprochen. Kaum entwickelt sind Angebote kultureller Bildung für ältere Menschen aus weniger bildungsnahen Kreisen. Hier fehlen Programme zur Ermutigung und Anregung Älterer, sich (wieder) in Lernprozesse zu begeben. Wenig berücksichtigt werden bei der Planung von Bildungs- und Kulturangeboten auch weniger mobile und finanziell gut gestellte Ältere. Insbesondere Hochaltrigen droht Vereinsamung und soziale Isolation, wenn die eigene körperliche oder geistige Mobilität nachlässt. Aufsuchende Angebote gibt es derzeit nur vereinzelt. Dass ein Arbeiten mit künstlerisch hohem Anspruch durchaus auch mit älteren Menschen möglich ist, die aufgrund eingeschränkter Mobilität und geringer finanzieller Ausstattung am „normalen“ Kulturangebot ihrer Stadt nicht partizipieren, zeigt in nachahmenswerter Weise die Seniorenkunstwerkstatt Oldenburg. Dieser Bildungsanbieter verfolgt statt eines sozialpädagogischen, einen dezidiert kulturpädagogischen Ansatz.
Seniorenkunstwerkstatt Werkschule Oldenburg, Werkstatt für Kunst und Kulturarbeit e.V. In der „Seniorenkunstwerkstatt“ der Werkschule Oldenburg bieten freischaffende KünstlerInnen und KeramikerInnen Kurse für HeimbewohnerInnen und SeniorInnen aus dem Stadtteil vor Ort an. Dabei bewegt sich die Arbeit stets an der Schnittstelle von künstlerischer Arbeit und Gemeinwesenarbeit. So wird die Arbeit auch an SeniorInnen gerichtet, denen ein Zugang zu Kultur und kultureller Bildung erschwert ist. Körperlich eingeschränkte SeniorInnen werden mithilfe eines Abholdienstes zum Angebot gebracht. Auch SeniorInnen, die sich den Kulturbetrieb in der Stadt aufgrund ihres geringen Einkommens nicht leisten können, können an den Angeboten teilnehmen.
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Die künstlerische Arbeit als solche wird als absoluter Wert begriffen und ins Zentrum des Geschehens gestellt: die Schulung der Wahrnehmung, die Auseinandersetzung und Erfahrung des Einzelnen mit Materialien, das Erleben von Bildern, Formen und Farben. Gearbeitet wird in aufeinander aufbauenden Arbeitsverläufen, die an bestehende Fähigkeiten der einzelnen Beteiligten anknüpfen und behutsam zwischen der individuellen Ausdruckssuche und dem handwerklichen Umsetzungsvermögen vermitteln. www.werkschule.de/html2/documents/Seniorenkatalog_07_LR1.pdf (Stand: 28.04.08)
Obwohl die älteren MigrantInnen einen immer größeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen, werden sie als Zielgruppe bislang von Kulturanbietern kaum angesprochen. Was für die Migranten allgemein gilt, gilt in noch größerem Maße für die älteren Migranten: Es liegen so gut wie keine Kenntnisse bezüglich ihrer kulturellen Interessen und Beteiligungswünsche vor. Dringend notwendig ist eine stärkere interkulturelle Orientierung, diese reicht von der interkulturellen Öffnung für Migranten durch eine angepasste Programmplanung bis zur stärkeren Einbindung von Migranten in die Entwicklung kultureller Konzepte und in Entscheidungsprozesse. Gute Praxisbeispiele zeigen, dass Angebote interkulturellen Lernens gelingen können und dass der kulturellen Bildung eine besondere Bedeutung für den interkulturellen Dialog zukommt. Im Bereich der kulturellen Bildungsarbeit von, für und mit Migranten sind Projekte ohne die Kooperation und Vernetzung verschiedener Akteure aus dem Kultur-, Bildungs- und Migrationsbereich nicht denkbar. Ein solches Projekt ist das vom Institut für Bildung und Kultur und seinen Partnern durchgeführte Weltmusikprojekt „Polyphonie“:
Polyphonie – Stimmen der kulturellen Vielfalt kubia im Institut für Bildung und Kultur e.V, GSP – Gem. Gesellschaft für Soziale Projekte des Paritätischen und das niederländische Euro+Songfestival. In Zusammenarbeit mit den Duisburger Philharmonikern. Polyphonie bietet Amateur-SängerInnen die Möglichkeit, ihr Talent in Workshops mit Unterstützung von professionellen Musikern und Musikpädagogen weiter zu entwickeln und sich dann als Solisten mit ihrem persönlichen Lied vor großem Publikum an einem Ort der Hochkultur zu präsentieren. Beim ersten Konzert im Mai 2008 im Theater Duisburg wurden 17 SolistInnen aus 13 Ländern von einem Ensemble aus Mitgliedern der Duisburger Philharmoniker und Weltmusikern begleitet. Seinen Abschluss findet das Projekt in einem großen Gesangsfestival im Jahr 2010. Durch diese Veranstaltung werden ältere MigrantInnen konkret an der Gestaltung des Kulturhauptstadtjahres „Ruhr 2010“ beteiligt. Ziel des Projekts ist es zudem, Kenntnisse
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über die kulturellen Interessen, Gewohnheiten und Beteiligungswünsche älterer Menschen mit Migrationsgeschichte zu erhalten sowie didaktisch-methodische Konzepte für zielgruppenorientierte kulturpädagogische Angebote zu entwickeln. www.polyphonie.eu (Stand: 28.04.08)
3.2
Kreative Potenziale des Alters
Ältere wollen nicht nur als Konsumenten angesprochen werden, sondern ihre Freizeit selbstbestimmt gestalten und eigenschöpferisch aktiv werden. Eine Vielzahl von selbstorganisierten Bildungsformen zeigt, dass ältere Menschen (oft mit einem guten Bildungshintergrund) zunehmend ihre Bildungsinteressen auf der Basis eigener Ressourcen umsetzen. Individuell oder im Freundeskreis werden vorhandene Kulturinteressen gepflegt oder ausgeweitet. In einigen Fällen geschieht dies angeschlossen an Institutionen. Viele arbeiten ehrenamtlich in kulturellen Zusammenhängen und genießen hier die Chance zu intergenerationellen Erfahrungsmöglichkeiten. Volkshochschulen, private Anbieter und soziokulturelle Träger reagieren auf diesen Trend, greifen Ideen auf und nehmen sie in ihre Angebotspalette mit auf. Die Wissensressourcen, das Erfahrungswissen der Älteren und ihre Fähigkeiten zur Selbstorganisation bergen ein großes Potenzial, das durch gezielte fachliche Unterstützung erschlossen und in kommunale und regionale Zusammenhänge integriert werden kann. Viele der Institutionen sind auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen und können ohne deren Einsatz nicht aufrechterhalten werden. Zusätzlich kann hierdurch die Publikumsbindung gefördert werden, denn die eigene Betätigung stärkt die Identifikation mit der Institution. Die Vielfalt von kulturellen Selbstorganisationen ist sehr groß: Es gibt viele kleine Projekte, die kaum in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten, wie zum Beispiel Musikgruppen, die sich regelmäßig zum Musik machen treffen. Viele Vereine haben klein angefangen und zählen nun zu den größten ihrer Art, wie z. B. der Verein Aktive Senioren Leipzig. Initiiert wurde der Verein im Jahr 1990 von einer 65-jährigen Ärztin, gegründet von einer Handvoll Frauen und Männer, und ist nun mit über 1.000 Mitgliedern der größte nach der Wende entstandene Seniorenverein Sachsens. Pro Woche werden ca. 20 Veranstaltung im geistig-kulturellen Bereich und 80 Veranstaltungen im Bereich Sport selbstorganisiert angeboten. Andere Initiativen wurden zur Aufrechterhaltung eines städtischen Angebots gegründet, wie z. B. kleine Bibliotheken, die geschlossen werden sollten, aber an deren Erhalt die Bürger so interessiert waren, dass sie dies selbstorganisiert in die Hand genommen haben.
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Auch der Boom der Seniorenakademien – eine relativ neue Institutionsform – belegt die große Bereitschaft älterer Menschen zu Eigeninitiative und -engagement. Sie bestehen zum großen Teil erst seit den 1990er Jahren. Viele wurden ehrenamtlich geschaffen. Auch heute noch werden die Angebote in diesen Institutionen vorrangig durch Ältere selbst organisiert. Der hohe Anteil ehrenamtlicher Arbeit Älterer und selbstorganisierter Tätigkeiten zeigt eine große Teilnehmerorientierung dieser Institutionen (Sommer et al. 2004, S. 96). Es ist schwierig, „typische“ Inhalte der Seniorenakademien zu bestimmen. Ein bevorzugter Themenbereich selbstorganisierter Tätigkeiten von Älteren ist die Kultur bzw. die kulturelle Bildung. Der Großteil der Einrichtungen bietet ein breites Themenspektrum an, ist für aktuelle Trends offen und reagiert auf die Nachfrage der Teilnehmer (Sommer et al. 2004, S. 174). Einige Einrichtungen zeichnen sich durch eine thematisch eindeutige Ausrichtung aus, bei einem Teil dieser Einrichtungen geschieht dies zum Zwecke der Profilbildung, bei anderen ist dies der Einflussnahme durch Trägereinrichtung oder Förderer geschuldet. Der Angebotskomplex „Kunst, Musik, Konzerte, Museen“ steht bei einer Befragung von 30 Seniorenakademien an zweiter Stelle (Sommer et al. 2004, S. 95). Einige Seniorenakademien haben eine dezidiert kulturelle Ausrichtung. Eine Seniorenakademie, die selbstorganisiert geführt wird, ist der gemeinnützige Verein „dritter frühling e.V.“ in Berlin.
dritter frühling e.V., Berlin „Kultur als Lebenselixier“ – unter diesem Motto bietet der Verein künstlerische Werkstätten und Seminare für „Menschen mit Lebenserfahrung“ an. Die Teilnehmer sind zwischen 50 und 80 Jahren alt. Im Jahr 1997 initiierte das Kulturamt Berlin-Neukölln in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Berlin das Projekt „Dritter Frühling – Kreativität im Alter“. Die Neuköllner Senioren waren so begeistert vom kreativen, künstlerischen und kulturellen Angebot, dass 2002 die Dozenten aus dem Projekt heraus den Verein „dritter frühling e.V.“ gründeten. Heute wird das Angebot durch neun professionelle Künstlerinnen und Kulturpädagoginnen, die teilweise auch über 50 Jahre alt sind, ehrenamtlich und selbstorganisiert gestaltet. Durch Spenden, Teilnehmerbeiträge und finanzielle Unterstützung durch das Kulturamt Neukölln können Materialkosten und kleine Honorare finanziert werden. Die Angebote des gemeinnützigen Vereins reichen von digitalen Fotoworkshops, Theaterwerkstätten, Malseminaren, Keramikworkshops, Schreibwerkstätten über Exkursionen, Lesungen und Ausstellungen mit denn Ergebnissen aus den künstlerischen Werkstätten bis hin zu intergenerationellen und interkulturellen Projekten.
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In den Werkstattseminaren werden mit verschiedenen künstlerischen Medien allgemeine und/oder persönliche Themen bearbeitet und neu erlebt. Besonders spannend sind die intergenerationellen Begegnungen. In der Generationen-Werkstatt „When I´m 64“ trafen beispielsweise zehn Mädchen des interkulturellen Mädchentreffs Reinickendorf auf Teilnehmerinnen der Werkstattseminare und Theaterkurse des „dritten frühlings“. Mit verschiedenen kreativen und künstlerischen Medien tauschten sich die beiden Gruppen über Träume, (geheime) Wünsche und Probleme eines Mädchens von damals und heute aus. Dargestellt wurden die Gegenüberstellungen über Tanz, Theater, Schreiben, Fotografie, Zeichnen und Computer. www.dritter-fruehling.de (Stand: 28.04.08)
Selbstorganisierte Tätigkeiten sind ein Teilbereich von ehrenamtlichen Tätigkeiten. Der Begriff der Selbstorganisation betont, dass die Tätigkeiten aktiv und eigenverantwortlich durchgeführt werden. Es handelt sich um gemeinsame Aktivitäten, die mit anderen Interessierten in einer Gruppe realisiert werden. Eine Gemeinnützigkeit ist nicht zwingend gegeben. Während beim bürgerschaftlichen Engagement im Vordergrund steht „etwas für andere tun zu wollen“, kann bei Selbstorganisationen die Motivation auch sein „etwas für sich selbst“ tun zu wollen. Nicht alle Selbstorganisationen sind an Institutionen angeschlossen. Hier wird den Aktiven aber oft Raum geboten. Freiwilliges Engagement liegt im Trend. Das Engagement der Älteren nahm laut Freiwilligensurvey im Kulturbereich im Zeitvergleich zu (Geiss 2007, S. 6). Viele der Engagierten sind bereit, ihr Engagement noch auszuweiten. Dieses Engagementpotenzial könnte von den Kulturinstitutionen besser genutzt werden. Es sollte versucht werden, die Älteren, die zu einem Engagement bereit wären, zu erreichen und zu motivieren, um das Angebot zu erweitern oder aufrecht zu erhalten – wobei dieser Prozess vorbereitet und entsprechend begleitet werden muss. Fortbildungen für Ehrenamtliche – bisher, speziell im Bereich Kultur und Musik, nur vereinzelt vorhanden – müssen ausgeweitet werden. Die Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit hat Fortbildungskonzepte für ältere Menschen entwickelt und erprobt, die auf freiwillige Aufgaben in der Kulturarbeit vorbereiten.
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Fortbildungskonzepte der Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Nordrhein Die Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit hat gemeinsam mit Senioren zahlreiche Fortbildungskonzepte mit und für Senioren entwickelt, die für eine freiwillige Tätigkeit im Überschneidungsbereich von kultureller und sozialer Arbeit qualifizieren. Großer Wert wird darauf gelegt, dass bei den Tätigkeiten das Verhältnis von Geben und Nehmen ausgeglichen ist. Die Tätigkeiten sollen für andere Menschen einen Wert und Nutzen haben, aber zentral ist, dass etwas gefunden wird, das Spaß macht und das der Person persönlich am Herzen liegt. Hier entstehen Strukturen und Angebote, auf die die Engagierten selbst im hohen Alter zurückgreifen können. Eines dieser Fortbildungskonzepte ist der Kulturführerschein®, der in enger Zusammenarbeit mit den Kultureinrichtungen in Düsseldorf (Schauspielhaus, Stadtmuseum, Kunstsammlung NRW, Theatermuseum, museum kunst palast) realisiert wird. Das Schulungsprogramm erstreckt sich über einen Zeitraum von ca. zwölf Monaten. Es umfasst sieben Seminarveranstaltungen und sechs Praxistage. In der Theoriephase werden – auf kreative Art und Weise – allgemeine Einführungen in unterschiedliche Kulturbereiche vermittelt (Malerei, Musik, Theater, Film, Fotografie, Tanz), die durch Exkursionen in Kultureinrichtungen und Vorträge professioneller Kräfte vertieft werden. In der Praxisphase haben die Kursteilnehmer/innen die Aufgabe, allein oder in kleinen Gruppen Kulturveranstaltungen zu planen, umzusetzen und zu dokumentieren. Nach Abschluss der Fortbildung erhalten die Teilnehmer/innen den Kulturführerschein®. Teilnehmer des Multiplikatorenprogramms erhalten zusätzlich ein Zertifikat, das sie berechtigt, Inhalt und Methoden des Fortbildungsprogramms weiter zu vermitteln. www.ekir.de/eeb-nordrhein/pisa (Stand: 28.04.08)
Es reicht nicht aus, nur die Ehrenamtlichen weiterzubilden. Es muss auch hauptamtliches Personal für den Umgang mit engagierten Älteren geschult werden. Das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen ist zu thematisieren: Wie können Ältere das bestehende Angebot ergänzen und unterstützen? Welche Rollen können sie übernehmen? Wie kann eine sinnvolle Rollenverteilung zwischen Hauptamtlichen und Freiwilligen im Kulturbereich aussehen? Ehrenamtliches Engagement ist also kein Weg zur Einsparung finanzieller Mittel. Zudem besteht der Bedarf an besseren Informations- und Beratungsangeboten über Möglichkeiten des kulturellen ehrenamtlichen Engagements auf kommunaler und überregionaler Ebene. Hierdurch könnten ältere Interessierte gewonnen, Erfahrungen ausgetauscht und Arbeitsweisen weiter entwickelt werden. Im Feld der Selbstorganisation besteht v. a. der Wunsch nach Vernetzung und Kooperation der Aktiven, aber auch nach Information und Beratung.
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3.3
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Querdenken und Netzwerkbildung
Zwischen den Anbietern von kultureller Bildung für Ältere aus den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales finden bereits viele Kooperationen statt. So werden gemeinsam Projekte von kulturellen und karitativen Trägern durchgeführt, man hilft sich mit Räumen aus oder bei der Suche nach qualifizierten Lehrkräften. Musikschulen oder Kunstwerkstätten bieten Aktivitäten in Seniorenheimen an, Seniorenakademien organisieren in Kooperation mit Theatern Gespräche mit dem Regisseur oder mit Schauspielern. Auch die Erschließung neuer Lernorte (z. B. eine Exkursion des Malkurses in den Botanischen Garten und die Glyptothek, Besuche von Künstlerateliers, „Blicke hinter die Kulissen“ in Theater und Oper) gehören schon seit längerem zum „Tagesgeschäft“ der Volkshochschulen. Nach Stang werden Kooperationen und Vernetzung im Bereich der kulturellen Bildung in Zukunft an Bedeutung zunehmen. „Je stärker auch die Kultureinrichtungen als Anbieter im Bereich der Kulturellen Bildung auftreten, desto wichtiger wird es werden, gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, wenn man die Kulturelle Bildung insgesamt nicht schwächen will. [...] Hier werden in Zukunft Kooperations- und Vernetzungsmodelle benötigt, die Synergieeffekte schaffen und der Kulturellen Bildung zu einer besseren Profilierung verhelfen“ (Stang 2005, S. 148).
Häufig ist allerdings festzustellen, dass sich die Träger in einer Konkurrenzsituation befinden oder sich überhaupt nicht kennen. Chancen, die in Absprachen und Kooperationen liegen, werden hier verpasst. So könnte durch Abstimmungen ein Überangebot ähnlicher kultureller (Bildungs-)Angebote in sich überlagernden Einzugsgebieten vermieden und eine besser Positionierung auf dem Markt erreicht werden. Durch die Zusammenarbeit verschiedener Akteure und die Zusammenlegung unterschiedlicher Expertise und Ressourcen können innovative Projekte realisiert werden. Ein Beispiel für die erfolgreiche Kooperation verschiedener Akteure ist das Projekt „Erinnern-Vergessen: Kunststück Demenz“: Erinnern-Vergessen: Kunststück Demenz Gemeinnützige Gesellschaft für Soziale Projekte (Projektgesellschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW), Schlosstheater Moers und Verein Lebens-Kunst e.V. Erinnern-Vergessen war der Titel einer Kampagne zum Thema Demenz. Es gab vier Theaterprojekte, bei denen professionelle Schauspieler mit dementiell erkrankten Menschen auf der Bühne agierten. Über das Theaterspiel wurde versucht, einen Zugang zu und ein Verständnis für das Leben Demenzerkrankter und deren Angehörigen zu bekommen. Auf der Bühne wurden sowohl die Biografie als auch Versorgungsproblematiken thematisiert. Zudem gab es Kinder-
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theater für Kinder und dementiell erkrankte Menschen, Hauslesungen in Haushalten von Dementen, Ausstellungen, Dokumentarfilme und Diskussionen. In Zusammenarbeit mit der Musikschule Moers musizierten Jugendliche in Hauskonzerten für dementiell erkrankte Menschen. www.erinnern-vergessen.de (Stand: 28.04.08)
Fließend ist der Übergang von sporadischen, projektbezogenen Kooperationen und kontinuierlichen Vernetzungen, die systematisch einen Erfahrungsaustausch, das Lernen voneinander und die Erschließung neuer Lernorte ermöglicht. Derartige Vernetzungen existieren im Kulturbereich nur in Teilbereichen bzw. regional. In der Seniorentheaterkonferenz NRW findet ein fachlicher Austausch zwischen aktiven Seniorentheatern statt: Seniorentheaterkonferenz NRW Seit 2001 treffen sich kontinuierlich Theatergruppen und Spielleiter zur Seniorentheaterkonferenz NRW. Ziel dieser Konferenz ist ein kontinuierlicher Informations- und Erfahrungsaustausch. Gemeinsam werden Projekttage und Workshops sowohl für die Spielleiter als auch für Ensemblemitglieder organisiert und durchgeführt Die Seniorentheater dieser Konferenz sind in der freien Szene tätig. Sie sind mit ihren Stücken mobil und werden von Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden und anderen Veranstaltern zu Gastspielen eingeladen. So werden die Senioren(theater) in ihrer besonderen kulturellen und sozialen Bedeutung überregional gestärkt. Diese Vernetzung aktiver Seniorentheater in der freien Szene ist in Deutschland einzigartig. In Baden-Württemberg wurde nach dem Vorbild der Seniorentheaterkonferenz NRW das Senioren- und Generationentheaterforum gegründet. www.seniorentheaterkonferenz-nrw.de (in Vorbereitung)
Im Europäischen Netzwerk age-culture.net sind derzeit 22 Partner aus neun Ländern zusammengeschlossen. Sie alle sind als Kulturschaffende, Kulturproduzenten oder Kulturvermittler im Arbeitsfeld Kultur im Alter tätig.
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age-culture.net koordiniert vom Institut für Bildung und Kultur e.V., Remscheid Der demografische Wandel betrifft ganz Europa. Das Erfahrungswissen und kulturelle Gedächtnis der heutigen Generation von älteren Europäern ist eine wichtige Ressource für den europäischen Zusammenhalt und birgt ein großes Potenzial für die Verständigung zwischen den Kulturen und Generationen. age-culture.net macht auf die kulturellen und wirtschaftlichen Chancen des demografischen Wandels und seine Auswirkungen auf die Kulturpraxis aufmerksam. Die Ausrichtung von Kulturangeboten auf die Interessen und Bedürfnisse von älteren Menschen trägt zu einer besseren Lebensqualität im Alter bei. Das Netzwerk will den Zugang Älterer zu Kultur und kultureller Bildung in Europa durch Interessenvertretung, Information, Weiterbildung und Vernetzung verbessern. Das Netzwerk ist eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen. www.age-culture.net (Stand: 28.04.08)
3.4
Ausblick
Eine Vielzahl von Einrichtungen kultureller Bildung sprechen mehr und mehr auch die älteren Generationen gezielt an und bedienen sie mit Angeboten. Die Nachfrage übersteigt aber eindeutig das Angebot, und vielerorts fehlen nachfrageorientierte Konzepte. Eine Herausforderung für die Zukunft ist es, möglichst vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen älterer Menschen eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Dabei ist es unabdingbar, die älteren Menschen für sich selbst sprechen zu lassen. Die Beantwortung der Frage, welche Interessen, Bedürfnisse und Beteiligungswünsche sie haben, sollte nicht im Reich der Spekulation bleiben. Befragungen vor Ort durch die Kulturanbieter selbst und größer angelegte wissenschaftliche Untersuchungen könnten Licht ins Dunkel bringen. Des Weiteren sind unseres Erachtens sowohl die Entwicklung einer Disziplin „Kulturelle Altersbildung“ und eine diesbezügliche Professionalisierung, als auch eine bildungspolitische Offensive notwendig: Angesichts der Pluralisierung von Lebenslagen und der stetigen Individualisierung von Lebensläufen entstehen allgemein für die Altersbildung neue Anforderungen. Die traditionelle Altersbildung muss sich weiterentwickeln, bewährte Konzepte reflektieren und neue didaktische Erkenntnisse in ihre Arbeit integrieren. Das bereits breite Spektrum muss noch erweitert werden, dazu
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ist die Berücksichtigung der Bedürfnisse neuer Generationen Älterer sowie die Entwicklung niederschwelliger Angebote notwendig. Die kulturelle Bildung ist vor allem mit Blick auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen entstanden. Eine „Kulturelle Altersbildung“, die die Praxis der kulturellen Bildung mit, für und von Ältere/n wissenschaftlich untersucht, gibt es bisher nicht. Kulturelle Altersbildung muss sich, unter dieser oder einer anderen Bezeichnung, erst noch zu einer Teildisziplin der Erziehungswissenschaft entwickeln. Über die spezifischen Besonderheiten einer kulturellen Bildung von Älteren ist wenig bekannt, so fehlen didaktische und methodische Konzepte für die Arbeit mit älteren Menschen sowie eine fachliche Zuspitzung auf Lernformen in den verschiedenen Kunstsparten. Dabei gäbe es eine Vielzahl von Bezügen zu anderen Fachdisziplinen, deren jeweilige Erkenntnisse zum Themenfeld zu integrieren wären. Hauptbezugspunkte sind die Kulturpädagogik und die Geragogik. Die kulturelle Bildung mit, für und von ältere/n Menschen ist für beide Disziplinen bislang eher ein Randthema. Mit Blick auf die Integration von Migranten und für die notwendige interkulturelle Kompetenz in der Gesellschaft wachsen kultureller Bildung neue Aufgaben zu. Kulturelle Bildung, die auch auf nonverbalen Ausdrucksformen basiert, bietet Integrationschancen, die stärker ins Blickfeld rücken sollten. Bei der Entwicklung niederschwelliger Angebote sind neue Bildungskonzepte notwendig, die verschiedene Ansätze miteinander verbinden. Eine Rolle können hier Konzepte aus der Geragogik, Kulturpädagogik, Sozialpädagogik und -arbeit, Konzepte für bildungsferne Gruppen sowie Konzepte interkulturellen Lernens spielen. Ein Austausch zwischen Experten verschiedener Fachrichtungen könnte zu einem fruchtbaren Dialog führen, durch den kulturelle Bildungsangebote für Ältere qualitativ hochwertiger und interessanter werden könnten. Und schließlich müssten die Erkenntnisse in Fortbildungsmodule für die in den verschiedenen Praxisfeldern kultureller Bildung tätigen MitarbeiterInnen einfließen. Auch bildungspolitisch muss dem Thema „Kulturelle Bildung im Alter“ mehr Aufmerksamkeit und Fördermittel zuteil werden. Je nach Bundesland wird kulturelle Bildung in unterschiedlichem Maße gefördert. Einige Landesministerien fördern kulturelle Bildung für Senioren ausschließlich im Rahmen der institutionellen Förderung von Volkshochschulen oder kulturpädagogischen Einrichtungen wie Musikschulen. Unsere Befragung der zuständigen Landesministerien zeigt: Die Förderung könnte zielgruppen- und bedarfsorientierter sein. So ist kulturelle Bildung für ältere Migranten bislang nur selten ein Förderschwerpunkt. Auch bei der Förderung spezieller Angebote für Senioren im vierten Lebensalter besteht ein großes Defizit (de Groote/Nebauer 2008, S.
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59f.). Die Enquete-Kommission des Bundestags „Kultur in Deutschland“ empfiehlt, den Bundesaltenplan als bundesweites Förderinstrument stärker auch für die kulturelle Bildung von älteren Menschen zu nutzen (Deutscher Bundestag 2007, S. 405). Das Alter der anderen vermittelt uns immer eine Antizipation unseres kommenden Alters, stellte der Philosoph Michel Philibert fest. Altern ist nicht nur ein naturgegebener Prozess, sondern immer auch Ergebnis von gesellschaftlichen Diskursen über das Alter. Wie die jüngeren Generationen heute über Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten älterer Menschen denken, welche Optionen ältere Menschen haben, um an der Gesellschaft teilzuhaben, gibt einen Vorgeschmack darauf, was morgen auf uns zukommt.
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Quellenverzeichnis Bamford, Anne (2006): The Wow Factor. Global research compendium on the impact of the arts in education, München. Bubolz-Lutz, E. (2004): Bildung im Alter. Ansätze – Erfahrungen – Herausforderungen, veröffentlicht unter: fogera.de/files/pdf/publik/Bubolz-Lutz_Bildung_im_Alter_2004.pdf (Abfrage am 23.01.08). Bundesamt für Statistik (2006): 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Annahmen und Ergebnisse, Wiesbaden, veröffentlicht unter: https://www.ec-destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?CSPCHD=00410001000 14hb1daFY003074623385&cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1019439 (Abfrage am 23.01.08). de Groote, K./Nebauer, F. (2008): Kulturelle Bildung im Alter. Eine Bestandsaufnahme kultureller Bildungsangebote für Ältere in Deutschland, München. Deutscher Bundestag (2007): Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. 16. Wahlperiode. Bundestagsdrucksache 16/7000 vom 11.12.2007, veröffentlicht unter: http://dip.bundestag.de/btd/16/070/1607000.pdf (Abfrage am 18.12.07). Deutscher Kulturrat (2007): Kulturelle Bildung. Eine Herausforderung durch den demografischen Wandel. Stellungnahme des Deutschen Kulturrates. In: kultur – kompetenz – bildung. Konzeption Kulturelle Bildung. Regelmäßige Beilage zu politik & kultur, Ausgabe 8, S. 3-4. Geiss, S. (2007): Freiwilliges Engagement im Engagementbereich „Kultur und Musik“. Hauptergebnisse der Freiwilligensurveys 1999-2004 im Auftrag der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, München. Kade, S. (2007): Altern und Bildung. Eine Einführung, Bielefeld. Nell, K. (2007): Keywork lernen – Fortbildungskonzepte für die Gewinnung und Qualifizierung von Keyworkern, in: Knopp, R./Nell, K. (Hrsg.), S. 77-116. Schulz, C. (2006): Kirche im Fokus. Die Partizipation der Älteren im Spiegel der Mitgliedschaftsuntersuchungen. In: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der EKD (EAfA) (Hrsg.): Platz für Potenziale? Partizipation im Alter zwischen alten Strukturen und neuen Erfordernissen. Referate, Statements und Beiträge des Symposions am 07.06.2006, Hannover, S. 17-22. Sieben, G. (2005): Das Leben jenseits der 50 beflügelt die Fantasie. In: politik und kultur. Zeitung des Deutschen Kulturrates, H. 11/12, S. 5-6. Sommer, C./Künemund, H./Kohli, M. (2004): Zwischen Selbstorganisation und Seniorenakademie. Die Vielfalt der Altersbildung in Deutschland, Berlin. Stang, R. (2005): Kulturelle Erwachsenenbildung. Entwicklungen und Herausforderungen am Beispiel der Volkshochschulen. In: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2005, Band 5, Bonn, S. 143-149. Zentrum für Kulturforschung (2008): KulturBarometer 50+. „Zwischen Bach und Blues ...“ – Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage, Bonn.
Patrick S. Föhl
Potenziale von Kooperationen als Präventiv- und Anpassungsstrategie zur Gestaltung des demografischen Wandels im Kulturbereich
Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Bedeutungsgewinn von Zusammenarbeit .............................. 205 2 Ziele und Formen von Kooperationen im Kontext des demografischen Wandels...................................................................................................... 208 2.1 Theoretische Ausführungen: Ziele und Formen ................................ 208 2.1.1 Interkommunale Zusammenarbeit .......................................... 209 2.1.2 Regional Governance ............................................................. 211 2.1.3 Verschiedene Ausformungen und Intensitätsgrade von Kooperationen ........................................................................ 213 2.2 Kooperationsmöglichkeiten ................................................................. 216 3 Hinweise zur Gestaltung von Kooperationen ............................................... 220 4 Resümee ........................................................................................................ 222 Quellenverzeichnis .......................................................................................... 225
Potenziale von Kooperationen
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Einführung: Bedeutungsgewinn von Zusammenarbeit
Das Thema Kooperation erlebt derzeit eine rasante Entwicklung in der deutschen Kulturlandschaft sowie in vielen anderen öffentlichen und privaten Handlungsfeldern. Dabei kann allerdings nicht die Rede von einem neuen Ansatz sein. So wurden bspw. im 20. Jahrhundert immer wieder vertiefende Diskussionen um Kooperationen und Fusionen im Kulturbereich geführt. Die zahlreichen Debatten Ende der 1920er Jahre zu den geplanten öffentlichen Theaterkooperationen und -fusionen sind nur ein Beleg dafür und mit den Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise (Schwarzer Freitag) auf die öffentlichen Gebietskörperschaften zu erklären. Gegenwärtig erhält das Thema allerdings besondere Schubkraft. Angesichts der stagnierenden oder gar rückläufigen öffentlichen Kulturförderung und in Anbetracht nachhaltiger gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen (z.B. Individualisierungsprozesse, verändertes Freizeitverhalten), sollen durch Kooperationen fiskalische, aber auch künstlerische und weitere Synergien mobilisiert und neue Wege beschritten werden (exempl. Föhl/Huber 2004; Föhl 2008). Eine der wesentlichen gesellschaftlichen Umwälzungen stellen der demografische Wandel und seine Effekte dar. Dazu zählen u. a. (Deutscher Bundestag 2002b; Deutscher Bundestag 2008, S. 325; Hoppenstedt 2006, S. 8):
schrumpfende Städte und Regionen, voranschreitende Alterung der Gesellschaft und Umkehr der Alterspyramide, soziale Polarisierung (Entmischung und starke Milieubildung), kulturelle Veränderungen durch Binnenwanderung, Abwanderung junger Menschen aus strukturschwachen Regionen und Migration von Ausländern in die Ballungsgebiete.
Vor dem Hintergrund dieser Auswirkungen und stagnierender/sinkender Steuereinnahmen entstehen Anpassungserfordernisse (s. Auswahl unten), denen sich vor allem die Kommunen zu stellen haben (Adam 2006, S. 106f.):
Der Bevölkerungsrückgang führt generell zu Tragfähigkeitsproblemen (z.B. ÖPNV, Handel, Dienstleistungen, öffentliche Infrastruktur). Die Altersstrukturverschiebungen bewirken Schwankungen beim altersspezifischen Infrastrukturbedarf und erschweren dessen langfristige Planung. Es entstehen somit auch neue/diversifizierte Anforderungen an öffentliche Leistungen und (Kultur-)Angebote sowie deren Zugänglichkeit (u. a. altersgerechte bzw. barrierefreie Infrastrukturen und Angebote).
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Patrick S. Föhl
Die Zunahme der Migration und Internationalisierung erfordert Einrichtungen für Integrationsaufgaben bzw. den Aufbau entsprechender Kompetenzen in vorhandenen Institutionen (vor allem in Stadtregionen).
Leicht verspätet, aber inzwischen mit gewaltiger Schlagkraft, wird der demografische Wandel mit seinen Chancen und Risiken in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen in Deutschland diskutiert. In diesem Zusammenhang ist unterdessen eine Vielzahl an Veröffentlichungen erschienen, die sich speziell mit den demografischen Herausforderungen für die Kultur auseinandersetzen und auf die an dieser Stelle zur Vertiefung verwiesen sei (Deutscher Bundestag 2008, S. 322-335; Hippe/Sievers 2006; Kulturpolitische Mitteilungen 2007a und b; Stiftung Niedersachsen 2006). Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen sowie zukünftigen Auswirkungen des demografischen Wandels werden die Motive und Ziele und die damit verbundenen Hoffnungen und Herausforderungen von Kooperationen besonders deutlich. So müssen die Kommunen trotz angespannter Haushalte ein stetig wachsendes Bündel an Dienstleistungen und Angeboten vorhalten, und dies für immer individuellere Anforderungen von Bürgerseite. Dazu gehören insbesondere soziale Leistungen, aber auch und nicht zuletzt ein Kulturangebot für die stetig ansteigende Zahl älterer Menschen. Ferner ist ein zielgruppengerechtes kulturelles Angebot für Kinder und Jugendliche sowie weitere Fokusgruppen vorzuhalten (z.B. Migranten, Touristen). Zusätzlich befinden sich gegenwärtig zahlreiche Kreise und Gemeinden aufgrund des demografischen Wandels in einem kostenintensiven interkommunalen Wettbewerb um Einwohner, in dem Kultur als sog. weicher Standortfaktor ebenfalls eine Rolle spielt. Allerdings zeichnet sich ab, dass die Aufrechterhaltung des heutigen Niveaus an kommunaler Infrastruktur alleine und im bloßen Wettbewerb mit anderen kaum gelingen kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass angesichts der kommunalen Verpflichtungen und des steigenden Kostendrucks viele Angebote – wenn überhaupt – zukünftig nur noch in Abstimmung (z.B. Aufgabenverteilung und Vermeidung von Konkurrenz), im Verbund oder durch eine gemeinsame Leistungserstellung aufrecht zu erhalten sind. In diesem Kontext gewinnt das Thema Kooperation im Allgemeinen und die interkommunale Zusammenarbeit im Besonderen an Bedeutung. Das gilt auch für die Theorie der (Regional) Governance, die das Thema Kooperationen hauptsächlich sektorenübergreifend betrachtet und Notwendigkeiten für eine stärkere Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Akteure formuliert. So wird es in Anbetracht der immensen Herausforderungen – vor allem in den strukturschwachen Regionen – allein nicht ausreichen, wenn sich die Kommunen untereinander abstimmen und zusammenschließen. Vielmehr
Potenziale von Kooperationen
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sollten privatwirtschaftliche (z.B. Unternehmen) und privat-gemeinnützige (z.B. Vereine) Akteure in eine gemeinsame Leistungserstellung einbezogen und zudem noch ungenutzte Wirkungsfähigkeiten des bürgerschaftlichen Engagements aktiviert werden. Hier gilt es, die Krise als Chance zu begreifen und gerade das wachsende Potenzial der Älteren bei der Ermöglichung von Kulturangeboten zu mobilisieren. Dass die gegenseitige Bedeutungsrelevanz von Kooperationen und demografischem Wandel zunimmt, belegt auch die wachsende Anzahl an Veröffentlichungen (exempl. Adam 2006; Frauenholz et al. 2005) und der stetig wiederkehrende Hinweis in Ansprachen, Vorträgen und Leitfäden. Ebenso weisen aktuelle Tagungsprogramme auf das gesteigerte Interesse bzgl. der aufgeworfenen Thematik hin. Dazu zählen Veranstaltungen wie »Interkommunale Kooperation – neue Impulse durch den demographischen Wandel?« des Deutschen Instituts für Urbanistik (28./29. April 2008 in Berlin), oder »Kultur und Alter«, eine Tagung, die das KULTURsekretariat Wuppertal gemeinsam mit der Kulturpolitischen Gesellschaft und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW durchgeführt hatte (23./24. November 2006 in Bielefeld). Bei dieser Veranstaltung wurde ein Schwerpunkt auf die »Chancen der Kooperation von Kultur- und Sozialbereich im demographischen Wandel« gesetzt. Ein weiterer Indikator für die – erhoffte – Wirkungskraft von Kooperationen zur Bewältigung verschiedener Folgen des demografischen Wandels ist die zunehmende Anzahl an Gutachten und Arbeitspapieren, die diesem Thema einen Untersuchungsschwerpunkt beimessen (exempl. Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2005; Neisener/Föhl 2007; Föhl/Neisener 2008). Im Folgenden werden im Kontext des demografischen Wandels ausgewählte Formen der Zusammenarbeit und Möglichkeiten, aber auch Grenzen von Kooperationen aufgezeigt. Damit soll ein erster überblicksartiger Beitrag zur Systematisierung und zur Sichtbarmachung der verschiedenen Ausprägungen des Themenkomplexes für den Kulturbereich geleistet werden. Aufgrund der zentralen Relevanz der Thematik sind zukünftig entsprechende Vertiefungen hinsichtlich der Leistungspotenziale (Möglichkeiten und Grenzen), der Anforderungen (Know-How, Machbarkeitskriterien, finanzielle Unterstützung etc.) und eine empirische Verdichtung notwendig.
208
2
2.1
Patrick S. Föhl
Ziele und Formen von Kooperationen im Kontext des demografischen Wandels Theoretische Ausführungen: Ziele und Formen
Der Kooperationsbegriff ist von einer Vielfalt existierender Definitionen und Interpretationen geprägt: Bündnis, Strategische Allianz, Kollaboration, Arbeitsgemeinschaft und Partnerschaft sind nur einige Umschreibungen, die für den Oberbegriff Kooperation stehen, in ihrer Form jedoch teilweise abgrenzbar sind. Im Verlauf dieses Beitrages werden ausgewählte Handlungsansätze und Kooperationsformen im Kontext des demografischen Wandels vorgestellt. Kooperationen im Kulturbereich sind generell von folgenden Merkmalen gekennzeichnet (Jansen 2001, S. 110; Morschett 2003, S. 389):
Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehreren Partnern (zumeist vertraglich fixiert), die rechtlich selbstständig sind. Austausch (bzw. Einbringung) von Ressourcen, Wissen und Fähigkeiten zwischen den Partnern. Entstehung auf freiwilliger Basis. Gemeinsames Ziel ist es, die – vorwiegend wirtschaftliche und u.U. auch künstlerische – Position eines jeden Partners zu verbessern bzw. zu erhalten. Die Einrichtungen weisen dieselben bzw. miteinander kompatible Ziele bzgl. der Kooperation auf. Im Vergleich zum Alleingang bestehen größere Chancen auf eine Zielerreichung.
Kooperationen bieten als vorausschauende Antwort (Präventionsstrategie) und/oder als Reaktion (Anpassungsstrategie) auf die Herausforderungen des demografischen Wandels – theoretisch – eine Vielzahl von Lösungsansätzen, die jedoch von Fall zu Fall auf ihren Sinn bzw. Unsinn, also ihre Machbarkeit hin zu überprüfen sind (Föhl 2007a). Überblicksartig lassen sich im Kontext der demografischen Herausforderungen folgende ausgewählte Kooperationsziele bzw. -hoffnungen anführen:
Angebote durch gemeinsame Entwicklung und Durchführung von Leistungen und/oder Teilleistungen aufrechterhalten. Schrumpfung und Rückbau durch zentrale oder dezentrale Konzentrationen bewältigen.
Potenziale von Kooperationen
209
Integration von Einwanderern durch Öffnung und Vernetzung der Angebote vorantreiben, bzw. Aufbau von Integrationseinrichtungen in Kooperation mehrerer Träger. Neue Partner für gemeinsame Leistungserstellung finden (z.B. Public Private Partnerships und Steigerung des bürgerschaftlichen Engagements). Sparten- und sektorenübergreifender (Ideen-)Austausch im Kulturbereich zur gemeinsamen Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Sparten- und sektorenübergreifende Vernetzung im Kulturbereich (z.B. Rückgriff auf gemeinsame Ressourcen). Sparten- und sektorenübergreifende Kooperation z.B. mit Schulen, Hochschulen, Senioreneinrichtungen, Familiennetzwerken, Heimatvereinen (z.B. Austausch, gemeinsamer Veranstaltungen, gemeinsames Marketing, sinnvolles ergänzen). Effizienzsteigerung und Risikoverteilung durch Zusammenarbeit (z.B. gemeinsamer Einkauf von barrierefreien Applikationen zur Erzielung höherer Rabatte). Modelle zur Ergänzung und Bündelung unterschiedlicher Angebote/Einrichtungen. Arbeitsteilung mehrerer Partner. Unterstützung und Initiierung einer generellen Beteiligungskultur. Gemeinsame Akquise von öffentlichen Fördermitteln für Kooperationsprojekte.
Diese und zahlreiche weitere Ziele lassen sich – potenziell – mit unterschiedlichen Formen der Kooperation umsetzen. Im Folgenden werden zunächst die Ansätze der interkommunalen Zusammenarbeit und der Regional Governance im Kontext des demografischen Wandels vorgestellt. Darauf folgt jeweils eine Übersicht von konkreten Kooperationsformen und -möglichkeiten.
2.1.1
Interkommunale Zusammenarbeit
Der demografische Wandel sowie seine gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen wirken unmittelbar und ausnehmend auf die Kommunen ein (Horn/Köppen 2007). Vor diesem Hintergrund und der Finanznot der Kommunen, entwickelt die interkommunale Zusammenarbeit derzeit große Dynamik hinsichtlich ihrer Umsetzung (z.B. Region Hannover), aber insbesondere bzgl. zahlreicher Planungen bzw. Glaubensbekenntnisse und der Bereitstellung öffentlicher Fördermittel zur Beschleunigung entsprechender Kooperationsprozesse. Allerdings muss auch hier darauf hingewiesen werden, dass das Thema
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Patrick S. Föhl
interkommunaler Zusammenarbeit ebenfalls eine langjährige Geschichte vorzuweisen hat. So können bspw. die Gebietsreformen der 1960 und 70er Jahre, die zu zahlreichen Kommunalfusionen und Eingemeindungen führten, in diesen Themenbereich eingeordnet werden. Seitdem ist dieses strategische Instrument kommunaler Steuerung stetig in der Diskussion geblieben (z.B. ganz zentral nach der deutschen Wiedervereinigung). Unter interkommunaler Zusammenarbeit versteht man die Zusammenarbeit von Kommunalverwaltungen (Schneider 2005). Hierzu zählen bspw.
die regionale Entwicklungszusammenarbeit (z.B. Vermarktung einer Region, anstatt einer direkter Konkurrenz zwischen den Kommunen) und ein gemeinsamer Betrieb und/oder Absprachen hinsichtlich öffentlicher Infrastruktureinrichtungen sowie kommunaler Dienstleistungen (z.B. Abfallentsorgung, Wasser- und Abwasserversorgung, Sozial-, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Rettungsdienste, Kindergärten).
Die bereits vorhandenen Erfahrungen der Kommunen, die sich auf eine deutlich sinkende Leistungsfähigkeit vor allem bei freiwilligen Leistungen wie Kultur einstellen müssen, erhöhen die Bereitschaft, zu ungunsten der eigenen Autonomie, aber zum strategischen Erhalt von kommunaler Infrastruktur, vermehrt auf die interkommunale Zusammenarbeit mit den Nachbarn zu setzen: »Wenn Wachstum und Schrumpfung oder ein unterschiedliches Ausmaß von Schrumpfung kleinräumig in enger Nachbarschaft anzutreffen sind, dann ist es nicht nur naheliegend, sondern auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen stärker als bisher geboten, funktional eng verflochtene Räume aus planerischer Sicht als Einheit aufzufassen« (Müller/Siedentop 2004, S. 29, zit. nach Sarcinelli 2006). Interkommunale Zusammenarbeit kann für die Kommunen ein wichtiges Instrument darstellen, um sich den Folgen des demografischen Wandels entgegenzustellen oder diese zumindest abzulindern. Durch die Bündelung von Ressourcen, Kräften und Know-How, besteht die Chance, Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen zu erzielen, die mit anderen Rationalisierungsmaßnahmen nicht mehr erreichbar scheinen. Grundsätzlich sind sehr verschiedene Formen der interkommunalen Kooperation möglich. Sie reichen von wenig institutionalisierten Formen (Abstimmung der Angebote, Bürgermeisterkonferenz, Arbeitsgemeinschaften etc.), über Kooperationsverträge (z.B. gemeinsame Bespielung eines Bürgersaals), bis hin zu stark institutionalisierten Formen (z.B. Ämterzusammenlegung, Zweckverband, gemeinsame Kapitalgesellschaften). Dabei sollte der Blick nicht allein auf den demografischen Wandel gerichtet werden. Angesichts der aktuellen Herausforderungen bieten interkommunale Kooperationen und die Stärkung der Region als einer wichtigen Handlungs-
Potenziale von Kooperationen
211
ebene der Zukunft zahlreiche Möglichkeiten, verkrustete Strukturen aufzubrechen und eine rein staatliche Lenkung sowie kommunale Egoismen zu überwinden (Diller 2002). In diesem Sinne sind auch die zunehmend eingerichteten landespolitischen Anreizsysteme zu verstehen, die den häufig noch einseitigen (aber generell notwendigen) Blick auf die interkommunale Konkurrenz auf zukunftsfähige Kooperationskonzepte lenken und belohnen wollen (Oppen et al. 2005). So sind bspw. mit dem »Niedersächsischen Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit« (NKomZG) vielfältige organisatorische Möglichkeiten der – freiwilligen – Zusammenarbeit eröffnet und Grundlagen für die Förderung interkommunaler Zusammenarbeit durch das Land gelegt worden. Davon können auch die kommunalen Kultureinrichtungen profitieren, wenn sie sich entsprechendes Gehör verschaffen und in die Demografie-Debatte einbringen (Deutscher Bundestag 2008, S. 334). Ebenso sind – wie bspw. in Hessen – Kompetenzzentren von Landesseite in Planung, die interessierte Kommunen beim Aufbau von Kooperationen unterstützen und beraten. Entsprechend ist davon auszugehen, dass zukünftig z.B. Bedarfszuweisungen an Kommunen stärker an interkommunal abgestimmte Lösungen und demografiefeste Planungen gebunden werden (Sarcinelli 2006). Als Verweis auf Best-Practice-Beispiele soll abschließend der Bundeswettbewerb »kommKOOP« angeführt werden. Hier wurde im Jahr 2006 das Thema der interkommunalen Kooperation aufgegriffen. Von 167 eingereichten Beiträgen wurden 52 als beispielgebend und innovativ bewertet. Die Beiträge spiegeln das breite Spektrum kommunaler Aufgaben und dokumentieren die individuellen Lösungsansätze der handelnden Akteure vor Ort in Bezug auf die interkommunale Zusammenarbeit (http://www.bbr.bund.de).
2.1.2
Regional Governance
Seit Mitte der 1980er Jahre hat die Region einen enormen Bedeutungsgewinn zu verzeichnen. Das gilt sowohl für das privatwirtschaftliche, als auch für das öffentliche Denken und Handeln. Die Region soll u. a. Konsequenzen des sich auflösenden Nationalstaates und der demografischen Herausforderungen abfangen, den Menschen räumliche Verankerung und Identität sichern, sowie brachliegende Potenziale benachbarter Gemeinden mobilisieren (Diller 2002, S. 42). Auch der Begriff Regional Governance hat in den beschriebenen Zusammenhängen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Bei Regional Governance handelt es sich um eine Form der kooperativen Politik, die eine sys-
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Patrick S. Föhl
temübergreifende Zusammenarbeit von Akteuren der Politik (und Verwaltung), Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft oder auch innerhalb einzelner Sektoren bei der regionalen Entwicklung anregt und/oder ermöglicht. Dabei kommt es zur losen, koordinierten oder gar formalisierten Zusammenarbeit zwischen mehreren rechtlich selbstständigen Akteuren in einer Region. Die Akteure verfolgen ein gemeinsames Ziel oder miteinander kompatible Ziele (Kleinfeld et al. 2006; Benz et al. 2007). Über die Möglichkeiten der reinen Synergiebildung hinaus, z.B. auf den Ebenen der gemeinsamen Leistungserstellung (bspw. gemeinsame Projekte und dadurch geteilter Mitteleinsatz), oder des partnerschaftlichen Marketings, sind Potenziale von Regionen vor allem im Bereich der Innovationen vorhanden (Know-How-Austausch etc.). Dabei wird Region nicht als Raum mit politischen Grenzen verstanden, sondern als Kultur-, Funktions- und Handlungsraum. So können sich in Regionen zwischen verschiedenen Akteuren innovative und kreative Milieus (Koengeter 2001) bilden. Auf diese Weise sollen Herausforderungen wie der demografische Wandel durch die Kombination verschiedener Denk-, Arbeits- und Lösungsansätze gemeinsam – besser – gelöst werden. Dabei müssen die Akteure bzw. zumindest ein Teil der Kooperationspartner innovations- und umsetzungsbezogen agieren, um ggf. auch etwas schwerfälligere, aber interessante Partner zu aktivieren und gemeinsame Projekte realisieren zu können. Der Regional Governance-Ansatz scheint im Kontext des demografischen Wandels vor allem zielführend, da er öffentliche, privat-gemeinnützige und auch private regionale Akteure zusammenführt, um inhaltliche sowie finanzielle Synergien zu mobilisieren bzw. zu aktivieren. Denn angesichts der Auswirkungen des demografischen Wandels, insbesondere auf die strukturschwachen Regionen, können weder die öffentliche Hand, noch die lokalen privatgemeinnützigen und privaten Akteure ihre Angebote auf dem jetzigen Niveau alleine aufrechterhalten. Hier sind sinnvolle Vernetzungen und die Vermeidung von Doppelungen bzw. von unproduktiver Konkurrenz geboten. So kann z.B. im Rahmen von Kulturentwicklungsplanungen und Kulturkonzepten ermittelt werden, in welchen Bereichen Überschneidungen von Kulturangeboten, sinnvolle Vernetzungspotenziale oder aber eine Unter- bzw. Überversorgung vorhanden sind (s. Beitrag von Iken Neisener in diesem Band). Anschließend kann im Sinne der Koordination eine Neujustierung der Kulturlandschaft unter folgenden Fragestellungen stattfinden (Neisener/Föhl 2007): Wer hält welches Angebot vor, wo müssen wir uns zusammentun, welche Leistungen müssen öffentlich gefördert bzw. getragen werden?
Potenziale von Kooperationen
213
Resümierend lässt sich konstatieren, dass es bislang keine abgrenzbare Definition von Regional Governance gibt, sondern zahlreiche Annäherungen (Fürst 2006). Konsens dürfte auch dahingehend bestehen, dass der Kooperationsgedanke als Handlungsoption einer Fixierung auf Konkurrenz als dem Treiber Markt orientierter Konzepte (Wettbewerb) und dem staatlichen Handeln (Hierarchie) zwischengeschaltet wird (ebd., S. 39). Zwischen Gesellschaft, Markt und Staat, aber auch innerhalb einzelner Sektoren, finden sich vorwiegend Projekte, die zur Regionalentwicklung bzw. zum Erhalt der Region beitragen sollen. Im Sinne des aktivierenden Staates (Bandemer/Hilbert 2005) bzw. der aktivierenden Kulturpolitik (Sievers 2005) kann in diesen Räumen die Zunahme von Selbstorganisation und Verflechtung beobachtet bzw. befördert werden. Dadurch entsteht eine Hilfe zur Selbsthilfe und eine Abwendung vom prinzipiellen öffentlichen Versorgungsdenken, das sich unter den Einwirkungen des demografischen Wandels nicht aufrechterhalten lässt. Mit entsprechender Unterstützung (z.B. Projektförderung, Weiterbildung, Infrastruktur) kann die öffentliche Hand als Partner einen Prozess von unten nach oben anregen, der zum Erhalt kultureller Infrastruktur, auch bei sinkenden Steuereinnahmen, führt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich Entscheidungszentren verschieben können, wenn z.B. immer mehr Funktionen vom Staat auf Private übergeben werden (Fürst 2006, S. 39). Hier muss sichergestellt werden, dass die ehemals öffentlichen Leistungen nach wie vor zielgruppen- und bedarfsgerecht angeboten werden. Die Anwendung des (Regional) Governance-Gedankens bzw. -Modells kann je nach Konstellation der Akteure und der regionalen Ausgangssituation verschiedene Handlungsfelder der Zusammenarbeit im Kontext des demografischen Wandels in Gang setzen: Regionale Partnerschaften (Zusammenarbeit aller drei Akteursgruppen), die den Governance-Ansatz im Kern widerspiegeln, interkommunale Zusammenarbeit, Bürgerorientierung/Partizipationsmöglichkeiten, Bürgerschaftliches Engagement, Corporate Citizenship, Public Private Partnerships und Unternehmensnetzwerke (Frauenholz et al. 2005, S. 12-17).
2.1.3
Verschiedene Ausformungen und Intensitätsgrade von Kooperationen
In der Praxis können Kooperationen – analog zu den obigen Ausführungen – unterschiedliche Ausformungen annehmen, die sich je nach Ziel, Inhalt und Intensität unterschiedlich darstellen. Im Kultursektor werden mehrere Modelle der Zusammenarbeit erfolgreich angewendet, seien es nun Kooperationen zwischen Kommunen, zwischen Kultureinrichtungen oder Partnern aus verschiedenen Bereichen. Dazu zählen z.B. die ad-hoc geprägte strategische Zusam-
214
Patrick S. Föhl
menarbeit, formalisierte Kooperationen in Einzelfragen (z.B. Strategische Allianzen), bis hin zu gemeinsamen Serviceeinheiten im Vertrieb oder der Produktion (z.B. durch Teilfusion) und der eigentlichen Zusammenlegung von ganzen Organisationen (Totalfusion). Diese unterschiedlichen Integrationstypologien eröffnen zahlreiche Kooperations- bzw. Fusionsmöglichkeiten als Reaktion auf die Effekte des demografischen Wandels. Für die Einteilung der Zusammenarbeit je nach unterschiedlichem Intensitätsgrad bietet sich folgendes Modell an:
Abb. 1: Zusammenarbeitsmodell (ansteigender Intensitätsgrad der Kooperation) (Quelle: Föhl/Huber 2004, S. 55)
Dabei können Kooperationen grundsätzlich zwischen allen Partnern stattfinden, mit denen sich sinnvolle Synergien (hinsichtlich Machbarkeit) und gemeinsame bzw. miteinander kompatible Ziele finden lassen. Zur Systematisierung möglicher Partner aus verschiedenen Bereichen, bietet sich folgende Einteilung an (Föhl 2008, S. 5):
Horizontale Kooperation: zwischen zwei oder mehreren Einrichtungen, die ein gleiches oder ähnliches Produkt anbieten (z.B. zwischen zwei Jugendkunstschulen). Vertikale Kooperation: zwischen Einrichtungen, die auf einer vor- oder nach gelagerten Wertschöpfungskette liegen (z.B. Touristeninformation im Front-Desk-Bereich eines Stadtmuseum). Laterale Kooperation: die Produkte der Partner weisen keinen bzw. nur einen sehr geringen Bezug zueinander auf (z.B. Dachmarketingnetzwerk aller Kultur- und Freizeitanbieter einer Region). In größeren Projekten mit mehreren Partnern kann es zu Vermischungen dieser Ebenen kommen.
Potenziale von Kooperationen
215
Zusätzlich ist zu bedenken, dass die Kooperationen innerhalb eines Sektors (z.B. Kooperation zwischen zwei öffentlichen Bibliotheken und einem öffentlichen Stadtmuseum) und/oder sektorenübergreifend (z.B. Kooperation einer öffentlichen Musikschule, mit einem privat-gemeinnützigen Musikverein und einem privaten Musikgeschäft) stattfinden können. Auf die einzelnen Ausformungen von Kooperationen (Netzwerk, Strategische Allianz, Joint Venture, kapitalbasierte Zusammenarbeit etc.) kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Stattdessen findet sich im Folgenden ein morphologischer Kasten, der für die Bestimmung der Art einer möglichen Zusammenarbeit herangezogen werden kann. Hieraus können die gewünschten Elemente einer zukünftigen Zusammenarbeit exzerpiert werden, um die angestrebten Dimensionen deutlich zu machen bzw. um vorhandene Kooperationen zu beschreiben: Kooperationsrichtungen
horizontal
vertikal
lateral
innerhalb eines Sektors (z.B. privat)
sektorenübergreifend
innerhalb eines Ressorts (z.B. Kultur)
ressortübergreifend
Hauptauslöser
intrinsisch
extrinsisch
Anzahl der Partner
bilaterale Bindung
multilaterale Bindung
Größe der Partner
kleiner
rechtliche Grundlage
nicht-vertraglich (z.B. Absprachen)
vertraglich
Zeitaspekt
einmalig
regelmäßig
gleich
sporadisch
befristet Kooperationsbereiche
Vordergrund (z.B. Marketing)
Perspektiven
Finanzen
größer
dauerhaft
unbefristet Hintergrund (z.B. Produktion und Einkauf) Kunde
Entwicklung
Vorder- und Hintergrund Personal
Input
Output
Outcome
Grad der Intensität
Informationsaustausch
gemeinsame Planung und Strategie
gemeinsames Vorgehen/Steuerung
Raumaspekt
lokal
Tab. 1:
regional
national
Bestimmungskriterien für die Art einer Kooperation (Quelle: Föhl 2008, S. 8)
international
216
2.2
Patrick S. Föhl
Kooperationsmöglichkeiten
Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel finden sich bereits einige Kooperationsprojekte in der Praxis, ebenso wie zahlreiche Vorschläge und Ideenskizzen. Zudem sind viele weitere Optionen denkbar. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Kreativität zur Bildung von Kooperationen keine Grenzen gesetzt sind und eine systematische Einteilung in verschiedene Hauptkategorien wenig zielführend ist. Deswegen sei auf den obigen morphologischen Kasten verwiesen, der durch die jeweilige Zusammensetzung der Faktoren (und durch etwaige Erweiterungen) eine systematische Erfassung einer Kooperation ermöglicht. Im Folgenden werden ausgewählte Kooperationsmöglichkeiten stichpunktartig vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine Sammlung verschiedener Ansätze und Ideen. Da zahlreiche Bereiche und Themen miteinander verknüpft sind und in interdependenten Austauschbeziehungen stehen, können Wiederholungen und wiederkehrende Verweise nicht vermieden werden.
Beispiele
Kurzerklärungen in Stichpunkten
Dimensionen
Regionale Partnerschaften: Kommune, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
Die (Ko-)Produktion (ehemals) öffentlicher Leistungen durch Staat/Kommune, Wirtschaft und Zivilgesellschaf zielt darauf ab, dass regionale Akteure gemeinsam Fragen der Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung hinsichtlich der demografischen Herausforderungen angehen. Daraus können Verantwortungsgemeinschaften der drei Akteursgruppen für lokale und regionale Belange entstehen (Fuchs et al. 2002, zit. nach Frauenholz et al. 2005, S. 16). Bsp.: »Nachhaltigkeitsregion Isernhagener Land« oder Strategie »Stadt-Region Braunschweig 2030plus«. Siehe auch zentral Regional Governance.
Know-HowTransfer und Integration
Austausch über bereits durchgeführte Maßnahmen alle Kombinabzgl. demografischer Herausforderungen (»Vonein- tionen mögander lernen«) und Einrichtung von Arbeitsgruppen, lich auch sparten- und sektorenübergreifend. Einbindung bspw. von Migranten oder älteren Menschen in den Konzeptions- und Produktionsprozess von spezifischen Angeboten. Die Mitarbeiter können auf diese Weise kontinuierlich ihre Konzepte und Vermittlungs- bzw. Hilfsangebote auf deren »Nutzen« überprüfen (z.B. Barrierefreiheit). Die anvisierten Zielgruppen dagegen werden aktiv als »Spezialisten« an der Erstellung von Kulturangebo-
sektoren-, sparten- und ressortübergreifend
Potenziale von Kooperationen
Beispiele
Kurzerklärungen in Stichpunkten ten beteiligt. Ein solcher Dialog dient der Qualitätssicherung und der Integration / Partizipation der spezifischen Zielgruppen bei der Erstellung von Kulturangeboten.
217
Dimensionen
In diesem Zusammenhang können auch verstärkte Kooperationen z.B. mit Behindertenverbänden, mit Seniorenvereinen (zum Themenblock Kooperation / Barrierefreiheit: Föhl 2007b) oder Migrantenvereinigungen anvisiert werden (gegenseitiger Austausch, kontinuierliche Beratung etc.). Siehe zusätzlich den Keywork-Ansatz (Knopp/Nell 2007). Ebenfalls denkbar ist der Aufbau eines Netzwerkes verschiedener Kultur- und Freizeiteinrichtungen, die sich auf die Ansprache z.B. älterer Menschen spezialisieren (gemeinsame Zielvereinbarung, Marketing, Evaluation bzgl. Barrierefreiheit). Bsp.: Netzwerk Naturzentren in NRW. Interkommunale Kooperationen
Siehe zum Inhalt oben. Bsp.: Zweckverband Schwalm-Eder-West. Hintergrund der Kooperation sind die Folgen des demografischen und strukturellen Wandels im ländlichen Raum im Norden Hessens.
öffentlicher Sektor
Public Private Partnership
Public Private Partnerships können einen gemeinsamen Beitrag zur Bewältigung alter und neuer kommunaler Aufgaben ermöglichen (Hausmann 2005). Bsp.: Initiativkreis Ruhrgebiet, »reson e.V.«, div. PPP-Projekte der Klassik Stiftung Weimar (Föhl 2007c).
öffentlicher und privater Sektor (ggf. auch 3. Sektor)
Gemeinsame Angebote bzw. Angebotsabsprachen
Häufig finden sich gleiche oder ähnliche Angebote in alle Kombinationen möggroßer Nähe zueinander. Hier sollte eine gemeinlich same Koordinierung (z.B. terminliche Überschneidungen) oder ggf. auch eine Aufgabenverteilung – entsprechend – der Zielgruppen stattfinden (Neisener/Föhl 2007). Kommunen sollen mit ihren Einrichtungen und mit ihren freien Trägern neue Konzepte für kulturelle Angebote entwickeln, die auf die Veränderungen der Bevölkerung reagieren, neue Zielgruppen erschließen und das Leben in der Kommune und Region attraktiv gestalten. Kulturelle Angebote sollten so organisiert werden, dass sie bei geringerer Zahl auch in der Fläche präsent sind. Dies kann gelingen, wenn der Einzugsbereich durch Kooperationen vergrößert wird und sie
218
Beispiele
Patrick S. Föhl
Kurzerklärungen in Stichpunkten dort stattfinden, wo sie gut erreichbar sind. Ebenfalls ist die Einführung mobiler Angebote mit mehreren Partnern zu prüfen (z.B. mobile Bibliothek) (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2005, S. 58).
Dimensionen
Altersgerechte Formen der Information und Werbung werden eine zunehmende Bedeutung erlangen (ebd.). Hier könnten in Arbeitsgruppen gemeinsame Angebote und barrierefreie Werbemittel erarbeitet werden (inhaltlicher Austausch und Kostensynergien). Abseits der bestehenden Spiel- und Kulturstätten sollten kulturelle Leistungen zusehends dort stattfinden, wo Menschen zusammenkommen und z.B. mit Schul-, Ganztagsschul-, Jugend- oder Sozialeinrichtungen und auch kommerziellen Teilen der Infrastruktur – vom Handel bis zu den touristisch wichtigen Orten – verzahnt werden (ebd.). Diese Kooperationen können auch zu weiteren KombiAngeboten führen (Gemeinsamkeiten entdecken). Zugleich sollten sich die Einrichtungen für derartige Kooperationen auch in den eigenen Räumlichkeiten öffnen. Bsp.: »Seniorentheaterplattform NRW«, »Uckermärkische Bühnen Schwedt«. Ebenso werden zunehmend verschiedene soziale und kulturelle Dienstleistungen unter einem Dach vereint. Bsp.: Mehrgenerationenhaus »Haus der Begegnung« in Nauen (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2007, S. 66f.). Erhöhung des Besucherservice
Kombitickets für barrierefreie Angebote in der Region (z.B. mehrere Museen und Fahrkarte des ÖPNV).
alle Kombinationen möglich
Spezielle Angebote für die Anfahrt z.B. in Kooperation mit dem ÖPNV. Bsp.: Theaterbus der »Uckermärkischen Bühnen Schwedt«. Informationen aus einer Hand: z.B. gemeinsames Programmheft vieler Kultureinrichtungen und weiterer Partner einer Region für barrierefreie bzw. altengerechte Angebote (Transparenz). Bündelung der Angebote an einem Ort (z.B. Mehrgenerationenhaus). Bürgerschaftliches Engagement
Bürgerschaftliches Engagement leistet einen immensen Beitrag für das kulturelle Angebot. Auf-
vor allem Zivilgesell-
Potenziale von Kooperationen
Beispiele
Kurzerklärungen in Stichpunkten grund des demografischen Wandels wird die Zahl derer, die sich ehrenamtlich engagieren können/wollen exponentiell ansteigen. Allerdings müssen diese Potenziale mobilisiert und sichtbar gemacht werden. Dies ist z.B. durch die gemeinsame Ansprache und Koordination mehrerer Einrichtungen, z.B. aus dem Kultur- und Sozialbereich, leistbar (Deutscher Bundestag 2002a). Bsp.: Freiwilligenagentur Cottbus (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2007, S. 62f.).
219
Dimensionen schaft
Bürgerorientierung
Der Bürger kann als aktiver Mitgestalter und Koproduzent kommunalpolitischer Lösungen noch stärker in entsprechende Prozesse eingebunden werden (Roth 2002): »In Bürgerforen (z.B. Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen), Planungszellen, Mediationsverfahren und lokalen Agendaprozessen können Bürger an Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt, in selbst verwalteten Freizeit-, Kultur- und Senioreneinrichtungen, in Bürgerinitiativen und Freiwilligenzentren als Mitgestalter gefragt und eingebunden werden« (Sarcinelli 2006). Bsp.: Agendagruppen in der Stadt Teltow, »braunschweiger forum«, Bürgerverein Perleberg e.V. (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2007, S. 56f.), Akademie 2. Lebenshälfte (ebd. 68f.).
öffentlicher Sektor und Zivilgesellschaft
Corporate Citizenship
Bürgerschaftliches Engagement von und durch Unternehmen verfolgt zwei Ziele: 1. Gemeinwohlorientierung durch zeitlich-personelle Unterstützung durch Mitarbeiter des Unternehmens (Corporate Volunteering) und/oder 2. materielle Unterstützung (Corporate Giving) (Frauenholz 2005, S. 15). Diese Möglichkeiten wurden im Kulturbereich bislang kaum ausgeschöpft. Bsp.: Kooperationsvereinbarung zwischen Rolls-Royce Deutschland und Humboldt-Gymnasium Potsdam (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2007, S. 82f.).
privater Sektor
Unternehmensnetzwerke / Qualifizierung
öffentlicher Verbesserung des Images einer Region (z.B. durch gemeinsame Dachmarke), um qualifizierte Arbeits- und privater Sektor kräfte gewinnen zu können. Bsp. »Senior sucht Junior« in der Region Braunschweig (vgl. Frauenholz 2005, S. 16), Mentorenprogramm der Industrie- und Handelskammer Cottbus (Staatskanzlei des Landes Brandenburg 2007, S. 74f.).
220
Patrick S. Föhl
Beispiele
Kurzerklärungen in Stichpunkten
Regionale Wachstumskerne
Kostenreduktion
Dimensionen
Räumlich-sektorale Fokussierung von Landesmitteln alle Sektoren zur Erzielung höherer Wachstumseffekte. Insgesamt (insb. öffentliwurden 15 Wachstumskerne in Brandenburg gebil- cher Sektor) det (Landesregierung Brandenburg 2005). Siehe zahlreiche Maßnahmen oben. Gemeinsamer Einkauf, z.B. barrierefreier Applikationen, zur Erzielung höherer Rabatte.
alle Kombinationen möglich
Einrichtung gemeinsamer Infrastruktur (z.B. Regionalmagazine für kleine und mittlere Museen zur Bewahrung von gefährdetem Kulturgut; Deutscher Bundestag 2008, S. 182). Fusionen
Tab. 2:
3
Kultureinrichtungen werden sich auf ein verändertes Interesse an ihren Angeboten einstellen müssen. Es ist abzusehen, dass vor allem in strukturschwachen Regionen Aufgaben und Funktionen von bislang getrennt betriebenen Einrichtungen zu fusionieren sind, um die kulturellen Leistungen weiterhin anbieten zu können (Föhl/Huber 2004).
alle Kombinationen möglich (vor allem horizontal)
Kooperationsmöglichkeiten im Kontext des demografischen Wandels (Auswahl)
Hinweise zur Gestaltung von Kooperationen
Wie der vorstehende Text zeigt, sind Kooperationen in aller Munde und bieten eine Vielfalt an Möglichkeiten, dem demografischen Wandel produktiv zu begegnen. Allerdings machen Kooperationen nicht immer Sinn und sie binden zusätzliche Ressourcen, bevor sie ihre potenziellen Synergien entfalten. Zugleich kann es Faktoren geben, die trotz einer generell als machbar einzustufenden Kooperation, diese nahezu unmöglich machen. Dazu zählt z.B. die Angst um den Verlust der lokalen Identität oder politische Rivalitäten zwischen den jeweiligen Trägergemeinden. Auch wenn eine Kooperation in Gang gesetzt werden konnte, so sind viele Faktoren bei der Vorbereitung, Durchführung und ggf. Beendigung der Kooperation zu berücksichtigen. Auf diese kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden (zur Vertiefung: Dickerhof/Gengenbach 2006; Föhl 2008;
Potenziale von Kooperationen
221
Schuh et al. 2005). Im Anschluss folgt eine stichwortartige Sammlung wichtiger Schlüsselfaktoren für die Gestaltung einer Kooperation:
Kooperationen sollten partnerschaftlich auf gleicher Augenhöhe stattfinden, damit sie Erfolgspotenziale mobilisieren können. Die Freiwilligkeit der Kooperation ist ein zentraler Erfolgsfaktor (von unten nach oben). Die Machbarkeit sollte bei intensiveren Kooperationen grundsätzlich hinsichtlich strategischem, kulturellem, fundamentalem und organisatorischem Fit überprüft werden (Föhl 2007a und 2008). Strategisches und unternehmerisches Denken befördert eine Kooperation. Umwelt/Infrastruktur müssen zentral berücksichtigt werden (u. a. Entfernungen, ergänzen sich die jeweiligen Infrastrukturen bzw. passen diese zueinander). Kooperative Systeme stellen hohe Anforderungen an die Empathie und die Lernfähigkeit der involvierten Akteure. Intensive Kooperationsprojekte verursachen zusätzliche Kosten und können/sollten öffentlich unterstützt werden. Kooperationen müssen wie komplexe Projekte koordiniert werden. Festlegung der Prozesse (Zeitplan, Inhalte etc.) und Aufgabenverteilung legen den Grundstein für einen effizienten Kooperationsablauf. Interne und externe Kommunikation sind wichtige Schlüssel zum Erfolg. Alle Beteiligten müssen die Gründe für die Kooperation kennen, um sich mit dieser identifizieren bzw. arrangieren zu können. Behutsamer Umgang mit regionalen Identitäten. Kooperationen können den Blick auf weitere Gemeinsamkeiten und Themen weiten. Absichtserklärung, klare Ziele und Verträge: Nachhaltigkeit garantieren und Integrationstiefe festlegen. Verständigung auf gleiche Normen und Standards in der Aufgabenerfüllung. Es sollte von Anbeginn geklärt werden, wie eine etwaige Beendigung der Kooperation vonstatten geht. Zusammenfassung: Die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer Kooperation: 1. Gemeinsame Sprache = Verständnis, 2. Gemeinsame Projekte/Interessen = Inhalt, 3. Gemeinsame Erfolge = Ergebnis (Scheytt 2005, Bl. 14).
222
4
Patrick S. Föhl
Resümee
Die dargestellten Formen und Möglichkeiten von Kooperationen bilden eine wesentliche strategische Option für Kultureinrichtungen, den demografischen Wandel und seine Effekte zu nutzen und positiv zu gestalten. Forscher in den USA gehen sogar so weit, dass sie das 21. Jahrhundert zum »age of alliances« ausrufen. Sie sind davon überzeugt, dass der Grad der Kooperationsfähigkeit vor allem von öffentlichen/privaten Non-Profit-Einrichtungen zukünftig über deren Existenz entscheiden wird (exempl. Austin 2000, S. 1-17). Es wird also zukünftig für Regionen und Städte mitentscheidend sein, in welcher Form und in welchem Maße sie Kooperationsprozesse in Gang setzen werden bzw. können (Frauenholz et al. 2005, S. 18). Dabei geht es allerdings nicht »nur« um die Lösung der demografischen Herausforderungen, schließlich steht der gesamte Kulturbereich mit all seinen Mechanismen, Einflussfaktoren und Wechselbeziehungen vor einem Paradigmenwechsel (Klein 2007). Es ist davon auszugehen, dass Kooperationen generell einen gewichtigen Beitrag zu den anstehenden Veränderungs- und Reformprozessen im Kulturbereich leisten können. Da Kooperationen an gewachsenen Strukturen »rütteln«, diese offen legen und hinterfragen, stellen sie auch immer eine Intervention dar. Demnach bieten der Auslöser bzw. die Herausforderung (demografischer Wandel) und die mögliche Antwort (Kooperation) gemeinsam eine Chance, Innovations- und Veränderungsprozesse in Gang zu setzen, die im Alltagsgeschäft sonst nicht möglich wären. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass Kooperationen nicht per se als Allheilmittel Anwendung finden und den Blick auf andere Lösungsansätze versperren. Denn Kooperationen sind nur sinnvoll, wenn die Rahmenverhältnisse stimmen. So sollte auch der Wettbewerb nach wie vor eine Option darstellen, jedenfalls dort, wo er zielführend scheint, bspw. um qualitative Verbesserungen voranzutreiben (z.B. im Hochschulwesen). Zu einer solchen Strategie gehören dann häufig auch wieder Kooperationen. Beide Pole können sich demnach sogar gegenseitig bedingen (Schreyögg/Sydow 2007). Es ist entsprechend davon auszugehen, dass sich die ohnehin schon komplexen Akteurskonstellationen im Kulturbereich durch die zuvor beschriebenen Entwicklungen noch weiter ausdifferenzieren. Um die gewünschten synergetischen Effekte und ein Optimum an Ressourceneinsatz zu erreichen, scheint vor allem die Kulturpolitik zunehmend gefordert zu sein, Einfluss auf diese Beziehungsgeflechte zu nehmen (Sievers 2005). Dabei kann sie verschiedene Rollen einnehmen: z.B. als aktiver Mitgestalter und Partner, als Förderer von innovativen Kooperationsideen, als Lobbyist, der neue Beziehungsgeflechte für die Kultur herstellt und als Koordinator, der Kooperationen eine Plattform bietet (z.B. Anlaufstelle, Infrastruktur und Weiterbildungsmöglichkeiten).
Potenziale von Kooperationen
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Abschließend sollen in einer Übersicht zentrale Potenziale und mögliche Gefahren von Kooperationen hinsichtlich der Mobilisierung von positiven bzw. der Milderung von negativen Effekten des demografischen Wandels aufgeführt werden (Auswahl): Bereiche künstlerisches Angebot
Potenziale mögliche Neupositionierung neue künstlerische Möglichkeiten/Horizonte Stärken bündeln / gegenseitiges Ergänzen neue Sichtweisen durch soziale Inklusion Öffnung (z.B. Kooperation von Stadttheater, Freier Szene, Seniorentheatergruppe)
Publikum
Erschließung neuer Besuchergruppen Verbesserung Besucherservice erweiterte, lukrativere Angebote (z.B. für Migranten) oder Angebotserhalt
mögliche Gefahren Verwischen der eigentlichen Stärken gemeinsame Ziele sind unklar Qualitätsverlust durch interne Konkurrenz »Entprofessionalisierung« (Ehrenamt ersetzt sukzessive festen Mitarbeiterstamm) Ablehnung der Allianz bzw. des künstlerischen Angebots Identitätsverlust
zielgruppengerechter Zuschnitt der Angebote und Möglichkeiten der stärkeren Einbeziehung des Publikums Verbesserung der Zugänglichkeit durch gemeinsame Standards Politik
produktivere Zusammenarbeit Entgegenkommen, da gegenseitiger Veränderungswillen bewiesen wurde Überwindung staatlicher Hierarchien zugunsten eines kooperativen Handeln
betriebswirtschaftlich
Einsparpotenziale/Prozessoptimierung Einführung wirtschaftlicherer Strukturen »Voneinander lernen« (interdisziplinär, sparten- und sektorenübergreifend) Steigerung Förder- und Fremdmittelakquise / Ehrenamt stärkere Verhandlungsposition gegenüber
Vernachlässigung der Kommunikation (wenn Allianz von Seiten der Politik oktroyiert wurde) Kooperationsgegner erlangen politische Mehrheit Mehrkosten bspw. bei den Transportkosten (die die Einsparungen teilweise wieder aufheben können) Finanzierungsfragen verdecken andere, wichtige Bereiche
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Bereiche
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Potenziale Dritten (z.B. Lieferanten) Ressourcenbündelung und -austausch Risikoverteilung Vermeidung unnötiger Konkurrenz
mögliche Gefahren Ressourcenverbrauch für unnötige Aufgaben (u. a. bei fehlender Machbarkeitsstudie, Zielvereinbarungen) Ausschalten der Konkurrenz durch Integration verhindert ggf. notwendigen Wettbewerb
Management
Verbesserung von Entscheidungen durch breitere Verwertung von Lerneffekten Veränderungen durchsetzen Unabhängigere Strukturen Neuordnung von überkommenen Hierarchien Aneignung einer Krisenmanagementkompetenz
aufwendige Zielfindungsund Abstimmungsprozesse unprofessionelles Kooperationsmanagement verunsichert und frustriert (v. a. Mitarbeiter, Kunden, Leitung) Überlastung von Leistungsträgern mangelndes Know-how (dadurch u. a. Vernachlässigung der Integrationsarbeit) unrealistische Erwartungen
Mitarbeiter
Motivationssteigerung durch Aufbruchstimmung / ggf. Arbeitsplatzerhalt evtl. besteht die Möglichkeit neue Aufgabenfelder zu erschließen
Tab. 3:
Motivationsverlust Identifikationsschwierigkeiten mit der Partnereinrichtung
Potenziale und mögliche Gefahren von Kooperationen im Kontext des demografischen Wandels
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Autorenverzeichnis Dr. Matthias Dreyer, geb. 1967, Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover, Gründungsmitglied des Arbeitskreises Museumsmanagement, Stiftung Freilichtmuseum am Kiekeberg, Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg, der Leibniz Universität Hannover und der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in den Bereichen Non-Profit-Management, Museumsmanagement und Stiftungsmanagement, seit 2001 Leiter der Verwaltung der Stiftung Niedersachsen Patrick S. Föhl, geb. 1978 in Berlin-Kreuzberg, Diplom-Kulturarbeiter, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Gründer der Forschungsgruppe »Regional Governance im Kulturbereich« am Studiengang Kulturarbeit der FH Potsdam, Doktorand bei Prof. Dr. Armin Klein, Institut für Kulturmanagement, Ludwigsburg, Lehrbeauftragter im In- und Ausland sowie freier Kulturberater im Netzwerk für Kulturberatung, Berlin. Seit 1996 verschiedene Tätigkeiten in Kultureinrichtungen (u. a. Jüdisches Museum Berlin, Klassik Stiftung Weimar und Stiftung Schloss Neuhardenberg); Arbeits-, Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Strategisches Kulturmanagement, insbes. Kooperationen und Fusionen sowie Kulturmarketing, Ausstellungsmanagement und Kulturfinanzierung. Kim de Groote, Dipl. Päd., und Flavia Nebauer, Dipl. Soz., M.A. Erwachsenenbildung, sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen beim Institut für Bildung und Kultur im Arbeitsfeld kubia – Europäisches Zentrum für Kultur und Bildung im Alter, Remscheid. Prof. Dr. Andrea Hausmann, geb. 1972 in Düsseldorf, Diplom-Kauffrau, Juniorprofessorin für Kulturmanagement und wissenschaftliche Leiterin des Studiengangs Kulturmanagement und Kulturtourismus an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Gründerin der ArtRat | Marketing- und Managementberatung, Herausgeberin der Buchreihe „Kulturmanagement und Kulturpolitik“. Arbeits-, Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Strategisches Kulturmanagement, Kulturmarketing, Cultural Entrepreneurship, Kulturtourismus, Demografischer Wandel Dr. Susanne Keuchel, Stellvertretende Direktorin des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf), Bonn.
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Autorenverzeichnis
Jana Körner, geb. 1979, Diplom-Kulturwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juniorprofessur für Kulturmanagement der EuropaUniversität Viadrina Frankfurt (Oder) und Koordinatorin des Masterstudiengangs Kulturmanagement und Kulturtourismus Christian Kutzner, Büroleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter, BerlinInstitut für Bevölkerung und Entwicklung Gerhard Mahnken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner, www.irs-net.de Iken Neisener, geb. 1975 in Elsterwerda, Diplom-Kulturarbeiterin und Werbekauffrau, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe »Regional Governance im Kulturbereich« am Studiengang Kulturarbeit der FH Potsdam, freie Kulturberaterin im Netzwerk für Kulturberatung, Berlin. Arbeits-, Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Strategisches Kulturmanagement und Kulturförderung, insbesondere Erarbeitung von Kulturkonzeptionen und Potenzialanalysen, Kultur in ländlichen Regionen, Kulturmarketing sowie Veranstaltungs- und Kongressmanagement. Dr. Norbert Sievers, geb. 1954, Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V., Bonn, darüber hinaus Geschäftsführer des Fonds Soziokultur und Vertreter der Kulturpolitischen Gesellschaft im Deutschen Kulturrat (Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung); Mitglied des Vorstands des Haus der Kultur. Kristina Volke, geb. 1972, ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Studien und Texte zum kulturellen Wandel und zum Wandel von Kunst und Kultur in Ostdeutschland sowie zur Rolle von Kultur im Zusammenhang von gesellschaftlicher Entwicklung. Sie war vier Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ und arbeitet seit 2007 als Referentin in der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages.