WEGE DER FORSCHUNG
DAS PROBLEM
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DER UNGESCHRIEBENEN LEHRE PLATONS BEITRAGE
ZUM VERSTANDNIS
DER PLATONISCHEN
PRINZ...
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WEGE DER FORSCHUNG
DAS PROBLEM
-
DER UNGESCHRIEBENEN LEHRE PLATONS BEITRAGE
ZUM VERSTANDNIS
DER PLATONISCHEN
PRINZIPIENPHILOSOPHIE
1972 WISSENSCHAFTLICHE
BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT
WI SSE N 5 CHAFTLICHE
BUCHG
DARMSTADT
ESE LLSCHAFT
Speusippos, Xenokrates und die polemische Methode Aristoteles (1945). Van Harold Cherniss . Probleme der spateren Philosophie Cornelia J. de Vogel .
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(1949). Van 41
Ober das Verhaltnis von literarischem werk und ungeschriebener Lehre bei Platon in der Sicht der neueren Forschung (1965). Van Enrico Berti,
88
Platons Diairesis der I deen und Zahlen in der Deutung von Julius Stenzel (1929). Van Hans Leisegang .
133
Pia tons philosophisches System (1931). Van Heinrich Gomperz .
159
Neue Fragmente aus ITEPI TAfA80Y Wilpert
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9 Bestellnummer:
4315
Schrift: Linotype Garamond, 9/11
© 1972
by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Sarz: Carl Winter,
Darmstadt
Druck: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Einband: C. Fikentscher, Darmstadt Printed
(1941). Van Paul
in Germany
Die Spatphase der Philosophie Platons und ihre Interpretation durch Leon Robin (1948). Van Cornelia J. de Vogel.
201
'Eine neue Rekonstruktion der ungeschriebenen Lehre platons (1964). Von Enrico Berti.
240
III. Teil: Zur Interpretation des platonischen Schri/lwerks vom Horizont der ungeschriebenen Lehre Untersuchungen uber die Bedeutung und Stellung der Physik in der Philosophie Platons (1918). Von Leon Robin.
261
Die Dialektik des platonischen Seinsbegriffs (1931). VonJulius Stenzel
299
Eine Elementenlehre Paul Wilpert
316
im platonischen Philebos (1953). Von
Platons Menon und die Akademie Gaiser.
(1964). Von Konrad
Uber den Zusammenhang von Prinzipienlehre und Dialektik bei Platon. Zur Definition des Dialektikers Politeia 534 B-C (1966). Von Hans Joachim Kramer.
329
394
Die einschneidende Bedeutung der bis heute fortwirkenden Tat Schleiermachers 1, das dialogische Schriftwerk Pia tons in den Mittelpunkt aller Bemiihungen urn ein genuines Versdndnis dieses Philosophen zu riicken und damit die indirekte Oberlieferung seiner ungeschriebenen oder, wie man damals sagte, ,esoterischen' Lehre zu ". Vergleiche zu den Abkurzungen der Sekundarliteratur die Bibliographie am Schlug des Bandes. Soweit nicht anders vermerkt, wird nach der jeweils letzten Auf/age zitiert. 1 F. Schleiermacher, Einleitung zu seiner dtsch. Dbersetzung: Platons Werke I 1, Berlin 1804 (21817), 11-15 (= 31855, 10-13 [jetzt bei Gaiser, Platonbild 6-9J), wies dam it - ebenso wie F. Schlegel, Die Entwicklung der Philosophie in zw61f Buchern I, K61ner Vorlesung 1804-1805 (Krit. Ausg. X II, 1964, 211) - die Vorstellung zuruck, Platons ,esoterische', d. h. ,geheime' Philosophie sei sein ,eigentliches System' gewesen. Diese Auffassung hane die Forschung der Neuzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weitgehend beherrscht. Vergleiche etwa J. Brucker, Historia critic a philosophiae a mundi incunabilis ad nostram usque aetatem deducta I, Leipzig 1742, 659-663 (s. ders.: Schediasma historicophilosophicum de convenientia numerorum Pythagorae cum ideis Platonis harumque ex ill is origine supplemento Historiae De Ideis inserviens ab ejusdem Historiae auctore conscriptum, in: H. G. Schelhornii AmoeniTates Literariae, quibus variae observationes, scripta item quaedam anecdata & variora opuscula exhibentur VII, Frankfurt-Leipzig 1727,173-250, u.a.m.); D. Tiedemann, Geist der spekulativen Philosophie II, Marburg 1791, 192-198; W. G. Tennemann, System der Platonischen PhilosophieI, Leipzig 1792, 114, 128-141. II (1794), 295-298; ders.: Geschichte der Philosophie II, Leipzig 1799, 205-222; J. G. Buhle, Lehrbuch cler Geschichte der Philosophie und einer kritischen Literatur derselben II, G6tTingen 1797, 45-50, 54, 86. - Man vergleiche zur Problemgeschichte uberhaupt die grundlegenden Ausfiihrungen yon Kramer, APA 17 if., 380if., 481 f., und Gaiser, PI. U. L. 15if., sowie die Forschungsuberblicke bei de Vogel (u. 41 if.), Oehler (97-107), Berti (88if., 240-242) und Wilpert (316 f.).
entwerten, diagnostiziert F. A. Trendelenburg mit folgenden Satzen: "Bevor die bestimmte, in sich folgerichtige und luckenlose Reihenfolge yon Platons Dialogen aufgewiesen war, in der der jeweils folgende auf dem vorhergehenden gleichsam wie auf seinem Fundament aufruht und der spatere den fruheren verdeutlicht, geschah es haufiger, dag die Interpreten der Philosophiegeschichte zu gewissen geheimen Lehrvortriigen (arcanas scholas) Platons sozusagen selbstverstandlich ihre Zuflucht nahmen, wenn sie meinten, etwas Obskures und Zusammenhangloses in den Dialogen gefunden zu haben. Denn die schwierigeren Stellen wiesen auf diese Lehrvortrage hin, deren geheime (reconditam) Philosophie Platon sich und seinen Vertrauten vorbehalten habe, wahrend er nur die Dialoge, die mehr andeuteten als auseinandersetzten, einem grogeren Publikum zuganglich gemacht habe. Diese Vorstellung yon einer Art geheimen (secretae) und, wie man sie nannte, esoterischen (esotericae) Philosophie mugte zuruckgewiesen werden, wenigstens sofern sie sich ausschliefllich yon unechten oder zweifelhaften Zeugnissen herleitete und durch Dialogstellen belegt wurde, deren Sinn man zu dem Zweck entstellt hatte. Und wenn manche dies so betrieben, dag sie wegen dieser Geheimlehre den Zusammenhang und die inhaltliche Obereinstimmung der Dialoge vernachlassigten oder der genauen Bestimmung yon PIa tons Gedanken enthoben zu sein glaubten, ja dag sie Platon sogar eine in den Dialogen irgendwie verborgene Verleugnung (tectam quandam dissimulantiam) oder angstliche Zuruckhaltung (timidam occultationem) seiner wahren Ansicht unterstellten, verdiente deren Methode gewig scharfe Zurechtweisung. Als diese alteingewurzelte Auffassung jedoch aufgegeben war und man sich bemuhte, Platon aus Platon zu verstehen, gelang es dem augerordentlichen Scharfsinn vor all em eines Mannes, die innere und notwendige Verbindung der Dialoge PIa tons zu erkennen und so dessen einzelne Lehrmeinungen, die zuvor zersplittert oder nur durch ein augeres Band miteinander verknupft waren, in einen einzigen Systementwurf wiedereinzuordnen (uni formae et suo ordini redderentur). Indessen verfallen die Gelehrten, wiihrend sie sich an diesem herrlichen Platon-Bild ergotzen und untereinander wetteifern, es zu einer gleichsam absoluten und ausgefeilten Vollkommenheit zu bringen, bereits in den entgegengesetzten Fehler, sich
mit Platons Schriften allein zufrieden zu geben und alles, was daneben noch iiber seine Lehren iiberliefert wird, zu verschmiihen, als ob dies blofle Erfindungen (commenta) seiner Nachfolger wiiren." 2
Der damit drohenden Verkurzung des Platon-Bildes fast der gesamten antik-abendlandischen Oberlieferung um eine entscheidende Dimension suchten Trendelenburg und andere mit den zahlreichen Zeugnissen entgegenzutreten, in denen Aristoteles und ebenso die antiken Kommentatoren seiner Pragmatien anspielend-referierend immer wieder auf diese nicht-literarisch, d. h. nur innerschulisch mitgeteilte Prinzipienlehre (= aYQuljJu Il6Y~Uta) des Akademiegriinders Bezug nehmen 3. Doch wahrend sich die Platon-Forschung im 2 Platonis de ideis et numeris doctrina ex Aristotele i1!ustrata, Leipzig 1826, 1 f. (Obersetzung und Kursivierung yom Hrsg.). Die Basis yon Trendelenburgs eigenem Rekonstruktionsversuch der ungeschriebenen Lehre bilden die aristotelischen Referate vor allem in der Metaphysik und Physik, die er fiir durchaus zuverlassig halt (irrefiihrend Wilpert, u. 169 f.). Denn im Gegenzug zu Brucker, Tennemann usw. verwirlt er grundsatzlich aile Hinweise des platonischen Schriltwerks selbst, so z. B. das Zeugnis des damals in seiner Echtheit zumeist angezweifelten VII. Brie/es 341 C-E, 342A, 344D oder das des Phaidros 275Cff. (s. jedoch das Stellenregister unter dies en Titeln). Bei diesem Verzicht auf die Heranziehung yon prinzipientheoretisch relevanten Stellen des platonischen Schriltwerks handelt es sich freilich nur urn die forschungsgeschichtlich notwendige Reaktion auf die Exzesse der neuplatonischen Dialog-Allegorese, die aus Platon nicht nur einen neupythagoreischen Zahlenmystiker machen wollte, sondern vor allem in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit auch einen Vorlaufer der christlichen Offenbarung (vg!. hierzu Leibniz, u. A. 47). So hat Trendelenburg nach dieser grundsatzlichen Abgrenzung spater auch selbst wieder eine Beziehung des platonischen Dialogwerkes auf die Prinzipienlehre angenommen (De Platonis Philebi consilio, Berlin 1837, bes. 17). 3 Vg!. Yon Trendelenburg z. B. auch: Aristoteles de anima libri tres, Jena 1833, 220-234 (Berlin 21877 [Nachdruck: Graz 1957], 181-192); ferner W. T. Krug, Geschichte der Philosophie alter Zeit, vornehmlich unter Griechen und Romern~ Leipzig 1815, 205; Ch. A. Brandis, Diatribe academic a de perditis Aristotelis libris de ideis et de bono sive philosophia, Bonn 1823, pass.; ders.: Ober die Zahlentheorie der Pythagoreer und Platoniker, Rhein. Mus. f. Philo!., Gesch. u. griech. Philos. 2, 1828, 208-241, 558-587; ders.: Handbuch d. Gesch. d. Griechisch-Romischen
Zeitalter des Historismus mit breiter Front gegen die systematischen Momente des Schleiermacherschen Platon-Bildes wandte, bewahrte sie gerade dessen Relativierung der antiken Berichte tiber Platons innerakademische Prinzipienlehre in modifizierter Form, indem sie diese als Ausdruck der spates ten Phase seines Denkens verstand 4. Erst in Philosophie II 1, Berlin 1844, 180-182, 315-322; Ch. H. Weisse, De Platonis et Aristotelis in constituendis summis philosophiae principiis differentia, Leipzig 1828, pass.; ders.: Aristoteles Physik. Obers. u. m. Anmerkungen begleitet, Leipzig 1829, 271-276, 393-405, 431-450, 471-474; ders.: Aristoteles von der Seele und von der Welt. Obers. u. m. Anmerkungen begleitet, Leipzig 1829, 123-143. - Auf den erst en Blick konnte man meinen, die gesamte Geschichte der Platon-Rezeption von der Klteren Akademie bis zur Gegenwart sei durch den mehrmaligen Gezeitenwechsel zwischen einer aporetischen (,sokratischen') und einer systematischprinzipientheoretischen (,neuplatonischen') Auffassung bestimmt gewesen. In Wirklichkeit ist das Verhaltnis zwischen diesen beiden polaren Deutungen jedoch viel komplexer und dialektischer. So wuBten z. B. die Vertreter der Mittleren und Neueren Akademie, obwohl sie PIa tons Philosophie als reinen Skeptizismus interpretierten, yon gewissen innerakademischen mysteria (Cicero, Lucullus 60; vgl. zu diesem Ausdruck schon bei Platon Gaiser, u. 347f.), so daB selbst hier ein "unterirdischer Oberlieferungsstrang" der ungeschriebenen Lehre wirksam gewesen sein dlirfte (vgl. Kramer, UGM 29 f. A. 30; ders.: AP A 479 f. A. 195; Ferner K. Praechter, Die Philosophie des Altertums, Tlibingen 131953, 331 f.; zusammenfassend Gaiser, QP 35-39). 4 So schon der nach gewissen Vorlaufern eigentliche Archeget der genetischen Platon-Deutung K. F. Hermann, Geschichte und System der Platonischen Philosophie I, Heidelberg 1839, 552-554, der sich die Auseinandersetzung mit der platonischen Prinzipienlehre S. 710 A. 744 flir den - nicht mehr erschienenen - II. Teil vorbehalten hatte. An dessen Stelle tritt der 1839 gehaltene Vortrag, Dber Plato's schriftstellerische Motive, pub!. in: K. F. Hermann, Gesammelte Abhandlungen u. Beitrage zur class. Lit. u. Altertumskunde, Gottingen 1849, 281-305 (jetzt auch bei Gaiser, Platonbild 33-57). - Wahrend E. Zeller (Hegelianer aus der ,Tlibinger historischen Schule' der Theologen F. Ch. Baur und D. F. Strauss [Das Leben Jesu 1. 2., Tlibingen 1835/6]), Die Darstellung der Platonischen Philosophie bei Aristoteles, in: Platonische Studien, Tlibingen 1839 (N achdruck: Amsterdam 1969), 197-300, zunachst noch ganz im Banne Schleiermachers dazu beitragen wollte, "das Gespenst eines esoterischen
unscrcm Jahrhundert gelang es Gelehrten wie L. Robin, .J. Burnet, W. Jaeger, A. E. Taylor, .J. Stenzel, Sir David Ross, H. Gomperz, O. Becker, O. Toeplitz, Ph. Merlan, M. Gentile, W. van der Wielen, P. Wilpert, C. .J. de Vogel u. a., die Existenz und die philosophische Relevanz der ungeschriebenen Lehre Platons zu erharten, die verstreuten antiken Zeugnisse dartiber quellenkritisch zu sammeln und in mtihcvollen Interpretationen zu erschliegen und damit insgesamt noch innerhalb der entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise den Geltungsbereich jener Theorie wieder bis auf die Abfassungszeit des Parmenides vorzuverlegen 5. Indessen gibt es kein Zeugnis Platonismus zu verscheuchen" (300), sah er sich spater, Die Philosophie der Griechen. Eine Untersuchung liber Charakter, Gang und Hauptmomente ihrer Entwicklung II, Tlibingen 1846,141A. 1,210-217,221-227,237-244, 316 f., 332 (weitere stark vermehrte Auflagen unter dem Titel: Die Philosophic der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung II 1, zuletzt Leipzig 51922 [Nachdruck: Darmstadt 1963], 484-487, 726, 747-762, 946-951,998), durch die Zeugnisse der indirekten Oberlieferung genotigt, Pia tons "angebliche Geheimlehre" yon den Idealzahlen wenigstens als die "spatere Gestalt seiner Lehre" etwa zur Abfassungszeit der Nomoi anzuerkennen. Vgl. Ferner F. Susemihl, Die genetische Entwickelung der platonischen Philosophic II 2, Leipzig 1860 (Nachdruck: Osnabrlick 1967), 507-559: "Die spatere Form der platonischen Lehre nach der Darstellung des Aristoteles ... ". So konnte sich in der zweiten Halfte des vorigen Jahrhunderts trotz der geradezu kanonischen Geltung der Zellerschen Ansichten auch in dieser Frage immerhin eine gewisse prinzipientheoretische Unterstromung der Platon-Forschung erhalten; vergleiche u. a. F. Ueberweg, Ober die platonische Weltseele, Rhein. Mus. 9, 1854, 37-84; H. Siebeck, Platens Lehre yon der Materie, in: Untersuchungen z. Philosophie d. Griechen, Freiburg 21888, 49-106; G. Schneider, Die platon. Metaphysik auf Grund der im Philebus gegebenen Principien in ihren wesentlichsten Zligen dargestellt, Leipzig 1884. 5 Der ,Neuhegelianer' L. Robin (s. Kramer, GF 149 A. 139; vgl. auch den Nachruf yon P.-M. Schuhl, Critique. Revue Generale des Publications Fran~aises et Etrangeres III, 1947, 196-202) hat zwar in seinem ersten We,k Idees et Nombres (1908) bewuBt jeglichen Rlickgriff auf Platens Dialoge gemieden (s. u. 269 A. 10; vgl. auch de Vogel, u. 45 A. 5, 207). Doch erscheint es schon in Anbetracht seines meisterhaften (u. 261-298 in wesentlichen Ausziigen wiedergegebenen) Aufsatzes yon 1918 unverstandlich, wenn Cherniss, ACP A, Foreword XIX f. A. 5, Robin vorwirft, er
aus der Antike, das ausdriicklich berichtet, Platon habe seine Prinzipienlehre unter dem Titel Uber das Cute nur einmal, und zwar habe den Vergleich der aus Aristoteles rekonstruierten Prinzipienlehre mit PIa tons Dialogwerk auch in seinen spateren Arbeiten "niemals durchgefiihrt". Da diese Abhandlung friiher in unseren Bibliotheken sehr selten greifbar war und auEerdem interessierte Wissenschaftler durch ihre sachlichen Schwierigkeiten zumeist abgeschreckt haben diirfte, wurde sie yon der deutschen Forschung kaum beriicksichtigt, bis sie Kramer, Gaiser und Happ - auf den Hinweis des Hrsg.s 1967 - gebiihrend verwerteten. Die einschlagigen Arbeiten Yon J. Stenzel, der nach dem Urteil yon W. Jaeger (Gnom. 12, 1936, 108-112; Humanist. Reden u. VOrtrage, Berlin 21960, 135 f.; Scripta Minora I, Rom 1960, 295 f.) zwischen den Weltkriegen in Deutschland am ehesten berufen war, die philologische und die philosophische Platon-Forschung in sich zu vereinen, resultieren aus einer ebenso intensiven wie extensiven Auseinandersetzung mit der neukantianischen Platon-Deutung Natorps und beziehen sowohl die damalige Lebensphilosophie als auch zuletzt noch die Fundamentalontologie Heideggers in produktiver Eigenstandigkeit mit ein. - Der ,Neuscholastiker' P. Wilpert (so H. Gauss, Philosoph. Handkommentar zu den Dialogen Platos III 2, Bern 1961, 148; vgl. den Nachruf mit Bibliographie Yon A. Zimmermann, AGPh 50, 1968, 2-11) hat das Hauptverdienst, un sere Zeugnisse fiir IIqll Tuya{tou durch die - nach dem Vorgang u. a. Yon Heinze (1892), Corn ford (1932; vgl. dazu Kramer, u. 427 A. 79) und Merlan (1934; vgl. dazu de Vogel, u. 60) - vollstandige Heranziehung und Auswertung des Sextus-Berichtes (= Test. Plat. 32 Gaiser) urn das graEte und geschlossenste Referat vermehrt zu haben (s. ders.: u. 166-200; vgl. auch die Darstellung der platonischen Prinzipienlehre im AnschluE an den Sextus-Bericht bei Oehler, u. 112 if.). Oberholt ist mittlerweile nicht nur - nach den Spezialuntersuchungen yon Theiler (Einheit und unbegrenzte Zweiheit yon Plato bis Plotin) und Gaiser (QP 63-83; s. auch u. 391 f.) - Wilperts quellenkritische Analyse dieses Zeugnisses, sondern vor all em auch seine Spatdatierung yon IIEgl Tuya{tou. Das letztere gilt ebenfalls fiir den urn die Erforschung der platonischen Prinzipienlehre hochverdienten Ph. Merlan (Bibliographie: Ztschr. f. philos. Forschung 22, 1968, 139-145; vgl. AGPh 51, 1969, 127), dessen Lehrer H. Gomperz in dem u. 159-165 abgedruckten, durch die Ungunst der Zeiten lange vergessenen Beitrag (vgl. Happ, Hyle 178 A. 519) bereits die Fesseln einer einseitig genetischen Betrachtungsweise abgestreift hatte (vgl. auch A. 7, 22). - Zu den iibrigen Gelehrten vergleiche die Angaben in der am SchluE des Bandes angefligten Auswahlbibliographie.
erst im hohen Alter, vorgetragen 6. Vielmehr liegen Indizien vor, da6 Platon wenigstens in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens die Totalitat des Seienden (einschlie61ich der Ideen qua Idealzahlen) aus dem Zusammenwirken zweier gegensatzlicher Prinzipien: des "Einen" als Form und der "unbestimmten Zweiheit" als ,Materie'
6 Dem Bericht des Aristoxenos, Harmonika II p. 30-31 Meibom (= Test. Plat. 7 Gaiser), laEt sich nicht eindeutig entnehmen (vgl. Burkert, W. u. W. 17 A. 21; Gaiser, PI. U. L,2 582 f. m. A. 2), ob Platon die uxgoam
Dberprinzip an, so ergibt sich auf hoherer Ebene wiederum die gleiche Aporie: Dieses eine Dberprinzip muB, da es seinerseits ja das Prinzip von verschiedenen Proportionen der Verbindung von EV und a6QLOtO~ oua~ ist, entweder selbst in sich gespalten sein - oder aber wiederum ein Gegen-Dberprinzip aus sich ausgliedern usw. usf. Wenn das menschliche Denken dieser antinomischen Zirke1dialektik jedoch nicht entrinnen kann, liegt die Vermutung nahe, daB Pia tons ungeschriebene Lehre grundsatzlich die monistische wie die dualistische Moglichkeit offenhielt und daB daher insgesamt jede diesbeziigliche Aussage nur als ,hypothetischer Entwurf' verstanden werden sollte20• Wenn aber schon die Prinzipien selbst dem Hypoweisend einzugehen: "Eine letzte ,Begrundung' ware nur dann gegeben, wenn hinter den Antinomien, die in der Gegensatzlehre beschlossen sind, ein umfassender Grund sichtbar wiirde, der beides - Sein und Nichtsein, Peras und Apeiron - in sich enthielte." [Korrekturzusatz: C. F. v. Weizsacker vertritt in seinem gerade erschienenen Werk, Die Einheit der Natur (IV 6, 476, 491), im Zusammenhang einer quantentheoretischen Parmenides-Interpretation ebenfalls die Auffassung, daB in der platonischen Zwei-Prinzipien-Lehre ein "fundamentales Paradox" liege, daB sich andererseits aus einem etwaigen EVMonismus die Vielheit nur urn "den Preis des Widerspruchs" ableiten lasse.] 20 Wenn Aristoteles unmittelbar vor der A. 18 angefiihrten Stelle (Met. A 5, 986 a 15-21) "andere" (vgl. ETEQOL liE a 22) Pythagoreer erwahnt, die aus dem EVals Gerad-Ungerades die Zahlen und aus diesen wiederum die Welt entstehen lieBen, so scheint damit ein erster monistischer Ansatz vorzuliegen (dualistische Deutung auch dieser Stelle z. B. bei Burkert, W. u. W. 30-34). Und es durfte das philosophische Problem, wie sich dieser Monismus zu dem Systoichien-Dualismus verhilt, noch nicht damit gelost sein, daB man ihn durch den EinfluB der doch sonst als dualistisch iiberlieferten Ev-Lehre Platons zu erklaren sucht und daher erst ins vierte Jahrhundert datiert (so de Vogel, Theorie de I' "AJtELQov34 f. [= Philosophia 391 f.]; vgl. auch Gaiser, u. 340 A. 18). Auch scheint die Yon Burkert (a. 0.) aufgewiesene Verwurzelung dieser Ev-Lehre in den kosmogonischen My then '110m bisexuellen Phanes eher fur einen recht friihen Ursprung zu sprechen. In der neupythagoreischen Literatur jedenfalls, zuerst bei Alexandros Polyhistor (bei Diog. Laert. VIII 25), kommt eine monistische Henologie klar zum Vorschein, wie sie dann vor allem bei Plotin gegeben ist. So gibt es denn auch fiir die monistische Stelle im Sextus-
thetischen bzw. Aporetischen Raum geben, so ist klar, da~ auch das Ableitungssystem im ganzen niemals als starr in sich abgeschlossenes System betrachtet werden kann, sondern nur als ein van vornherein offenes System oder besser: als eine Denkmethode, die in inhaltlich sehr verschiedener Weise vollziehbar ist21• Yon diesem Punkt fiillt nun auch einiges Licht auf die Frage der Einheit und/oder Entwicklung des platonischen (Prinzipien- )Denkens iiberhaupt. Grundsiitzlich ist ja die Verabsolutierung der dem Historismus entstammenden genetischen Betrachtungsweise ebenso eine petitio principii wie die entgegengesetzte Annahme, ein Philosoph habe nur einen einzigen, bereits in jungen Jahren konzipierten Bericht (§ 261), die Yon den meisten Interpreten (s. Wilpert, u. 193 f.; ders.: Friihschriften 173-176; Sir D. Ross, PI. Th. 1. 186; Burkert, W. u. W. 19 A. 32, 48 A. 6, 52 A. 31; Happ, Hyle 141 f.) als unplatonischer Einschub angesehen wird, genaue Parallelen bis in den einzelnen Ausdruck hinein im neupythagoreischen Schrifhum (Nachweise bei Kramer, UGM 320 A. 478). Trotzdem diirfte Gaiser in Anbetracht der sachlichen Problematik, die eben schon durch die Antinomien im Parmenides bezeugt wird, im Recht sein, Platons Prinzipienlehre nicht einfach auf die Alternative Monismus-Dualismus festzulegen (PI. U. 1. 12 f., 65, 200 f., 317, 338 A.8, 340 A. 14, 352 A. 54, 390 A. 170/1,356 A. 67; vgl. ders.: QP 65, 67, 79; vgl. Ferner auch Kramer zur .i\lteren Akademie, UGM 332-334) und den Entwurfscharakter des Ableitungssystems im ganzen zu betonen. 21 Da der fiir die Prinzipienlehre Platons schon vor Jahrzehnten verwendete Begrilf des Systems (vgl. u. a. H. Gomperz) immer wieder zu schwerwiegenden MiBverstandnissen AniaB gegeben hat, als ob es sich hierbei urn einen monolithischen Dogmatismus mit ,Systemzwang' handele, sei z. B. auf die Ausfiihrungen verwiesen, die Oehler (u. 111, 119-122) nach dem Vorgang yon E. Holfmann, Der gegenwartige Stand der Platonforschung, Anhang zu Zeller, Phil. d. Griech. II 15, 1059 If. - nochmals zur holfentlich endgiiltigen Klarung dieser Frage gemacht hat; vgl. Ferner auch Kramer, GF 140 f. Die Feindschaft gegen den Systembegrilf entspringt weder erst der Existenzphilosophie (Jaspers) noch der Reaktion auf den Zusammenbruch der groBen Systeme des deutschen Idealismus in der zweiten Halfte des vorigen Jahrhunderts (Nietzsche), sondern bereits der Friihromantik; man vergleiche z. B. F. Schlegel, Philosophie des Plato, a. O. (s. A. 1) 209 f.; Charakteristik des Plato (Pariser Vorlesung yom Januar 1804), Krit. Ausg. XI, 1958, 118-120.
Systementwurf und sei lediglich durch die Endlichkeit des menschlichen Verstandes gezwungen, diesen sukzessiv, d. h. in lebenslanger Arbeit, mit allen seinen Veriistelungen und Implikationen zu entfalten 22. Vielmehr kann die Entscheidung dariiber, ob in dem 22 Da es hier leider nicht moglich ist, die philosophische Problematik der Kategorie Entwicklung iiberhaupt aufzurollen, sei nur soviel bemerkt: Als scheinbar fraglose Grundvoraussetzung und Errungenschaft des positivistischen Biographismus und Psychologismus hat dieser Begrilf auch in der modernen Platonforschung immer wieder eine verhangnisvolle Rolle gespielt, sofern man unter Entwicklung nicht die Entfaltung zur Entelechie hin verstand, sondern eine letztlich zufallige Aufeinanderfolge yon Zwangsreaktionen auf die verschiedensten Gegebenheiten. In Wahrheit diirfte jedoch das Verhaltnis zwischen der Verwirklichung der inneren Form und der Pragung durch auBere Einfliisse allgemein etwa der Beziehung entsprechen, die im Timaios 47 E If. zwischen dem zielgerichteten voiiC; und der &vuyx1] als seiner "Mitursache" (vgl. bereits Ph aid. 99 B, Politik. 287 D) besteht. Dagegen verfahrt die ,geisteswissenschaftliche' Interpretation gerade dieser Stelle im Zeichen eines gleichsam mechanistischen Historismus beispie1sweise so: Platon las nach der ersten Abfassung seiner teleologischen Theorie der Gesichtswahrnehmung (45 Bff.) Demokrit - und sah sich ,plotzlich' genotigt, darauf p. 47 E If. (vgl. bereits die entsprechende ,Digression' 45 B-46 E in der uns vorliegenden Ausarbeitung) den ,atomistischen' Ananke-Teil folgen zu lassen. - Obwohl nun Stenzel sein erstes Platon-Buch programmatisch mit Goethes Wort "von der gepragten Form, die lebend sich entwickelt" (vgl. u. 134) erolfnete, verfiel selbst er mit seinem Zwei-Perioden-Ansatz noch zu sehr dem Bann der genet ischen Betrachtungsweise (vgl. jedoch u. A. 25). So charakterisierte H. Gomperz, Platons Selbstbiographie 43 f., den Platon der zeitgenossischen Forschung als einen Denker, "der seine Meinungen aile paar Jahre abandert, ... dessen Oberzeugungen in jedem seiner Werke anders schillern und iiber dessen Lehre wir zuletzt nur das eine sagen diirften, daB er namlich, als er dies eine Gesprach schrieb, dies lehrte, als er aber jenes andere verfaBte, jenes, - so daB also yon einer ,Einheit in Platons Denken' .,. iiberhaupt nicht die Rede sein konnte". Infolgedessen war es nach der iiber ein Jahrhundert wahrenden ,Atomisierung' des platonischen Denkens recht sinnvoll, als Korrektur dieser forschungsgeschichtlichen Einseitigkeit die Einheit dieser Philosophie durch den Versuch einer moglichst umfassenden prinzipientheoretischen Synopsis wiederherzustellen, wie dies nach dem Vorgang yon Gomperz und Gadamer vor
Denken eines bestimmten Philosophen grundlegende Widerspriiche, ja sagar Briiche vorliegen, nur durch auBerst geduldiges, selbstkritisches Vergleichen aller erreichbaren Zeugnisse getroffen werden 23. Wendet man dies zunachst auf das platonische Schriftwerk an, so zeigt sich, daB selbst die Aporetik der Friihdialoge, in denen es urn die Definition bestimmter Tugenden geht, keineswegs echt ist, sondern daB Platon hier, wie vor allem ein Vergleich mit der Politeia leicht erweisen kann, die Lasung jeweils absichtlich zuriickhalt24• Sodann muBten auch diejenigen Gelehrten, die wie z. B. allem Kramer (AP A) und Gaiser (PI. U. L.) unternommen haben. Dabei war Kramer bemiiht, den im obigen Sinne miBversdndlichen Begriif der ,Entwicklung' iiberhaupt aufzugeben und durch die Vorstellung einer fortschreitenden ,Artikulation' (s. APA, Begriifsregister S. 592 s. v.) zu ersetzen. Noch deutlicher steuern diese beiden Forscher in ihren spateren Publikationen eine ausgewogene Synthese zwischen Einheit und Entfaltung des platonischen Denkens an (s. u. A. 29 sowie Kramers "Einschrankung des Entwicklungsgedankens" u. S. XLVII). 23 Bei diesen vermeintlichen Widerspriichen ist immer zu fragen, ob es sich dabei nicht urn bloBe ,Aspektverschiedenheiten' handelt (vgI. Gaiser, PI. U. L.2 579-581). Insbesondere ist methodisch vor einer eilfertigen Feststellung yon ,unaufhebbaren Widerspriichen' zunachst stets davon auszugehen, daB diese miteinander ,unvereinbaren' Aussagen Platons vielleicht doch unter Anwendung der hierarchischen Betrachtungsweise sich als sinnvoller Zusammenhang erweisen. Dies hat C. J. de Vogel z. B. bei dem Problem des Verhaltnisses yon seins-transzendenter Idee des Guten (Rep. 508 E-509 C), welt-transzendentem Demiurgen (= voil~ Tim. 29 D if., vgI. 39 E 7, 47 E 4 u. 0.) und der voil~-haften Weltseele als weltimmanenter Ursache (Phil. 30 A-D) vorbildlich geleistet (Theorie de I' "AltHQOV23f. [= Philosophia 379-381 in leicht erweiterter und modifizierter Form]). Das ist Freilich das Verfahren der meist verponten ,neuplatonischen' Platon- Exegese! 24 Statt zahlreicher Titel sei hier nur der Aufsatz von W. Schulz, Das Problem der Aporie in den Tugenddialogen Platos (Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschr. f. H.-G. Gadamer zum 60. Geb., Tiibingen 1960, 261-275) genannt, in dem dieser Sachverhalt vor allem am Laches exemplarisch demonstriert wird. Ein Motiv dieser ,Zuriickhaltung' diirfte man mit Stenzel und anderen darin sehen, daB Platon in den Friihdialogen noch den philosophischen Typos des Sokrates im Sinne des oll\a OUXEil\m~literarisch moglichst getreu zur Darstellung bringen will.
Robin
oder
Stenzel
bemiiht waren, fiir die Periode nach der einer Prinzipienlehre zu erharten, zu ihrer eigenen Dberraschung immer wieder feststellen, daB entscheidende Denkmotive, etwa das der XOLV(J)vta TOOVyEvoov und damit das der hierarchischen Architektonik, bereits im Mittelwerk vorliegen2S• Was aber die Frage einer etwaigen Genesis cler Prinzipienlehre selbst betriffi, so gibt es in der gesamten antiken Dberlieferung nur eine Stelle, die yon zwei verschiedenen Phasen der platonischen Dialektik spricht und dabei die Konzeption der Idealzahlentheorie einem spateren Stadium zuweist. Nicht gesagt wird jedoch, daB diese Neuerung yon Platon erst im fortgeschrittenen Alter vorgenommen wurde, so daB grundsatzlich genauso eine friihere Datierung maglich ist26• Indessen selbst gesetzt, Platon habe diese Umformung erst
Politeia die Existenz
25 Vgl. Stenzel, Z. u. G. 175: "Die Verkniipfung yon EVund &6QuJ"to~ bu6.~ im Bereiche der Ideen kann merkwiirdigerweise in ihren Motiven am besten bereits aus einer Stelle des Staates [VII 523 D, 524 B] erlautert werden." VgI. ders., ebend.34 zum Phaidon sowie 93,101,149,152 f., 180, 182 zur Politeia. Ebenso zitiert Robin, u. 277, vgl. 273, als literarischen Beleg flir die /lETa!;u-Stellung des Mathematischen (s. dazu gegen die radikale Skepsis Yon Cherniss zuletzt Hrsg., Seele und Zahl in Platons Phaidon [Silvae, Festschr. f. E. Zinn z. 60. Geb., Tiibingen 1970, 271-288]) die Politeia, obwohl er sich sonst auf die Dialoge aus "Platons Alter" (u. 293) beschrankt, urn dessen "letzte Philosophie" zu erfassen. Man vergleiche auch seine Feststellung, Platon 80f. (s. auch de Vogel, u. 203), daB Phaidon 100 B if. bereits eine "Antizipation" der Lehre des Sophistes iiber die xOLvwvla TWVyEvwv vorliege und daB gegen Ende yon Rep. VI schon die hierarchische Seinsabstufung hervortrete (Platon 81-83; vgI. de Vogel, u. 80, 86,203,206). Vergleiche schlieBlich Wilpert, u. 171 A. 20; Friihschriften, z. B. 215 (Phaid.) und 128, 184 (Rep.). 26 Wahrend Wilpert, Friihschriften 16-18, vergleiche 24 f., 121 f., im Zuge seiner Spatdatierung yon IIEQL Tuya1}oil dazu neigte, diese Stelle, Met. M 4, 1078 b 9-11, als Indiz flir eine Abwandlung cler urspriinglichen Ideenlehre zur platonischen ,Altersphilosophie' hin aufzufassen, stimmen z. B. Kramer (APA 35 f., 337,422 A. 83, 434 m. A. 108/110,444 A. 133; GF 110 f.), Gaiser (PI. U. L. 294) und Oehler (u. 123-125) darin iiberein, daB hieraus keine sicheren chronologischen Riickschliisse zu ziehen sind. Man vergleiche auch die Ausfiihrungen Yon ]. Burnet, Greek Philosophy I 312 if., gegen die Spatdatierung der Prinzipienlehre.
z. Z. etwa des Mittelwerkes voUzogen, so ist damit die vorgangige Existenz einer Prinzipienlehre keineswegs ausgeschlossen. Denn man soIIte sich davor hiiten, die Prinzipien lediglich "als einen Appendix der Ideen-Zahlen zu betrachten" 27. Vielmehr wird das mit Sicherheit hinter der Politeia stehende Ev-Prinzip, mit dem Platan an die eleatisch-megarische Tradition ankniipft, durch das Problem der chronologischen Fixierung der Idealzahlen und ihres spezifischen Materialprinzips, der unbestimmten Zweiheit des Gro~en und Kleinen, gar nicht tangiert28• SinnvoII bleibt nur die FragesteIIung, ob Platons Prinzipienlehre sich von einer mehr eleatisierenden Friihphase erst zu ihrer pythagoreisierenden Reifeform, wie sie in den Berichten der indirekten Oberlieferung immer wieder zum Ausdruck kommt, entwickelt hat und ob damit das Gegenprinzip zunachst unmathematisch als blo~e Vielheit (nAij1JO~)anzusetzen ist29• 1m Kramer, GF 111 A. 20, 143 A. 122. In Anbetracht der bedeutsamen Rolle der mathematischen Wissenschaften in Rep. VI/VII fiir die Propadeutik zur Dialektik mochte man Freilich vermuten, daB die UO(lIOYO7A 33 - 258 A 27; Cherniss, I, S. 389-390 und Anm. 310. 70 Xenokrates, fragm. 68 (ed. Heinze); d. Cherniss, I, S. 11-12 zu Aristoteles, Topica 127B 13-17.
aber den Einwand auf solche Weise behandeln zum ersten, Platos grundlegende Vorstellung von der Bewegung einfach unbeachtet lassen, wonach diese nicht in Faktoren zerlegt werden konne, die seIber nicht Bewegung seien, weshalb das Prinzip I aller Bewegllngen die nicht reduzierbare Selbstbewegung sein miisse71; und es heif3t zum zweiten, dem Einwand gegen Platos Auffassung eine Giiltigkeit verleihen, die er nicht besitzt; denn falls es in der sich selbst bewegenden Seele ein Prinzip der Bewegung gabe, dann ware dieses Prinzip entweder ein unbewegter Beweger der sich nur scheinbar selbstbewegenden Seele, oder es allein ware wahrhaft Selbstbewegung und damit ex definitione auch allein Seele72. Aber Xenokrates trug diese Abweichung von Platos Seelentheorie nicht einfach als eigene Lehre vor, er schrieb sie vielmehr Plato seIber zu; und ware uns nur diese Zuschreibung allein erhalten, so hat ten die "Hoheren Kritiker", daran brauchen wir kaum zu zweifeln, auch sie als Hinweis auf jene Doktrin erklart, die Plato miindlich in der Schule gelehrt haben SOll73.Zum Gliick kennen wir das, was Xenokrates zur Rechtfertigung seiner Zuschreibung angefiihrt hat; es ist nicht die Vorlesung iiber das Gute, keine miindliche Unterweisung oder sogenannte "ungeschriebene Lehre", sondern eine Stelle im Timaeus den heute jeder lesen und mit der Auslegung des Xenokrates ver~ gleichen kann. In dieser Textstelle 74 beschreibt Plato die Seele als Verschmelzungseinheit der drei Faktoren: des Seins, des Gleichen und Verschiedenen, von denen jeder in der Mitte zwischen zwei Extremen liegt: zwischen dem unteilbaren und unwandelbaren Sein Gleichen und Verschiedenen auf der einen Seite und dem teilbare~ und zerstreuten Sein, Gleichen und Verschiedenen auf der anderen. Die erste dieser beiden Gruppen von Extremen besteht aus den
Ideen des Seins, der Gleichheit und der Verschiedenheit, drei der fiinf Ideen also, die im Sophistes bei der Erorterung der Ideenverflechtung als Beispiele eingefiihrt werden; zur zweiten Gruppe gehoren die erscheinungsmaf3igen "Zerstreuungen" oder "Nachahmungen" dieser Ideen im Raum: das Sein, die Gleichheit und Verschiedenheit der physischen Prozesse. So wird die Fahigkeit der Seele, Ideen und Phanomene zugleich zu begreifen, durch ihren zwischen beiden Existenzweisen vermittelnden Seinscharakter erklart. - Xenokrates jedoch behauptet, urn seine eigene Lehre Plato imputieren zu konnen, daf3 hier mit Gleichheit das Prinzip der Ruhe in der Seele und mit Verschiedenheit I das der Bewegung gemeint sei75; eine Interpretation, die selbst von seinem eigenen Schiiler Krantor, dem Autor des ersten wirklichen Ttmaeus-Kommentars 76, zuriickgewiesen worden ist. Plutarch77 hat sie spater unter Berufung auf eine Stelle im Sophistes leicht widerlegen konnen, wo Ruhe, Bewegung, Gleichheit, Verschiedenheit und Sein als unabhangig und voneinander unableitbar beschrieben werden. Und in der Moderne 78 ist sie als ein typisches Beispiel fiir die Methode durchschaut worden, mit der Xenokrates seine eigenen Lehren Plato unterschiebt. Xenokrates' Interpretation dieser Textstelle aus dem Timaeus ist jedoch mehr als ein Beispiel fUr die Methode, mit der er versucht haben mag, Plato das zu imputieren, was inWahrheit sein eigener Kompromif3 zwischen den Lehren Platos und denen des Speusippos war. In dieselbe Stelle las namlich Xenokrates auch noch seine eigene Theorie von der Seele als sich selbst bewegender Zahl hinein 79,- welche Lehre weder hier noch anderswo in den Dialogen 75 Xenokrates, fragm. 68 (ed. Heinze) = Plutarch, De Animae Procreatione in Timaeo (ed.G. Bernardakis, Leipzig, 1895), 1012D-F.
71Cf. Cherniss, I, 5.412-413. 72Cf. De Anima 409A 15-18, wo in Wahrheit eine Modifikation der Textstelle Physica 257B30-32 gegenXenokrates insTreffen geHihrt wird. 73Einige kommen selbst heute noch einer solchenAuffassung bedenklich nahe; d. Cherniss, I, Anm. 366. 74 Timaeus 35A-B; cf.Cherniss, 1,5.407-411, mit den Anm.337 und 339 und den dortigen Hinweisen auf Grube (Classical Philology, XXVII [1932],5.80-82), und Cornford (Plato's Cosmology,5.59-61).
76Zu Kramor d. DiogenesLaertius, IV, 24; beziiglichseinesKommentars d. Zeller, Die Philosophie der Griechen, Band II, Abt. 1, 5. 1019, Anm. 1; zu seiner Auslegungder Psychogonied. sein fragm. 4 (F. Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, Bd. III, Paris, 1881) = Plutarch, op. cit. 1012F-I013A. 77 Plutarch, op. cit. 1013D-E. 78Cf. Heinze, Xenokrates. Darstellung, 5. 66. 79Xenokrates, fragm. 68 (ed. Heinze).
ausgesprochen oder auch nur implizit enthalten ist80 und iiberdies von Aristoteles seIber stets scharf von Platos Seelenauffassung unterschieden wird81• Bei dieser Hineindeutung seiner Lehre in den Timaeus setzte Xenokrates das umeilbare Sein des Timaeus mit dem "Einen" oder der Einheit, das teilbare Sein aber mit der Vielheit oder "der unbestimmten Dyade" gleich und folgerte dann, daB, was Plato die Verschmelzung dieser beiden Momeme zu einer imermediaren Art des Seins nenne, nichts anderes sei als die Erzeugung der Zah182• Nun ist aber das unteilbare Sein des Timaeus die "Idee des Seins"; und der Sophistes erlaubt es, seine Identifizierung mit dem "Einen" mit Sicherheit auszuschlieBen. Die Unteilbarkeit, von der der Timaeus spricht, ist ein Merkmal jeder Idee, wie die Teilbarkeit das Kennzeichen der in der Erscheinungswelt zerstreuten Abbilder der Ideen ist. Es ist daher nicht moglich, das, was hier "teilbar" und "umeilbar" genannt wird, mit den Prinzipien der Zahl zu idemifizieren; und selbst wenn diese Moglichkeit bestiinde, wiirde das Resultat einer solchen "Verschmelzung" weder eine ideale noch eine mathematische Zahl ergeben konnen, da das Umeilbare zum Bereich der Ideen gehort, wahrend das Teilbare ausdriicklich der Er- I scheinungswelt zugeordnet wird. Aber es ist auch gar nicht notwendig, im einzelnen nachzuweisen, wie unhaltbar die xenokratische Imerpretation dieser Textstelle ist. Fiir unser Problem ist nur die Tatsache wichtig, daB Xenokrates hier eine gewohnliche Textstelle der Dialoge iiber die Ideen so interpretiert, daB er Plato seine eigene Theorie der vom Einen und der unbestimmten Zweiheit erzeugten Zahlen zuschreiben kann. Seine Identifizierung von Ideen und mathematischen Zahlen setzt demnach als platonische Theorie, von der sie abweicht, nicht die Idemifizierung aller Ideen mit der natiirlichen Zahlenreihe voraus, sondern eben die Ideemheorie, wie wir sie heute in den Dialogen nachlesen konnen. Selbst Aristoteles behauptet nicht, wenn er die Lehren des Xenokrates und Platos einander ausdriicklich gegeniiberstellt, Plato habe aIle Ideen mit nicht-mathematischen Zahlen idemi80 81 82
Cf. Plutarch, op. cit. 1013 C-D. Cf. Cherniss, I, App. IX (5.572-573). Xenokrates, fragm. 68 (ed. Heinze).
fiziert; er sagt lediglich, Plato habe die mathematischen Gegenstande von den "Ideen" oder von der "idealen Zahl" oder von der "Zahl unter den Ideen" 83 unterschieden, und verwendet also Formulierungen, welche aIle durchaus mit der Ideentheorie der Dialoge vereinbar waren. Und an einer Stelle macht er sogar zwischen beiden Theorien die Unterscheidung, Plato habe nicht - wie Xenokrates - die Idee der Linie mit einer Zahl gleichgesetzt84• Und diesen Unterschied zwischen Plato und Xenokrates scheint er im Auge zu haben, wenn er die Zahlen des Speusippos nicht von zwei verschiedenen Arten von Ideen-Zahlen, sondern einerseits von Ideen-Zahlen, andererseits von Ideen ohne Qualifikation abriickt8S• Speusippos und Xenokrates kannten also nur eine einzige platonische Ideenlehre: die der Dialoge; und diese platonische Lehre ist es auch, die Aristoteles zumindest an einigen Stellen den Lehrmeinungen der beiden vergleichend und unterscheidend gegeniiberstellt. Aber selbst wenn er nirgendwo eine andere im Auge gehabt hatte, so wiirde seine systematische Methode noch Verwirrung verursacht haben; denn in der platonischen Lehre gibt es sowohl Ideen von Zahlen als auch Ideen von andern Dingen; Aristoteles jedoch behandelt die letzteren gesondert und kritisiert dann den numerischen Aspekt der Zahlen-Ideen zugleich mit den Ideen-Zahlen des Xenokrates und den substan- I tialen, aber nicht idealen Zahlen des Speusippos. Wenn er in solchen Zusammenhangen von "idealer Zahl" spricht, laBt sich daher nicht entscheiden, ob diese "ideale Zahl" bloB als eine Klasse der Ideen in der in Frage stehenden 83 Metaphysica 1086A5-13 (in Zeile 12 lese ich 'tel ELbll XUL'tel I-lU{}l1I-lunxel [dvm] EUAOywr.; ExWQLOEV), 1083 B 1-8 (mit: 'toi:~ ELbll 'tOY o.QL{}I-l0VHYOUO'L ist Plato gemeint), 1076 A 19-21 (Plato setzt zwei Klassen an, 'tel~ lbEu~ XUL 'tou~ l-lu{}l1l-lunxOu~ o.Qd}l-lou~), 1090 B 20 1091 A 5 (Plato unterscheidet zwei Arten von Zahl, 'tOY 'tWV Elbwv [oder 'tOY Elbllnxov, d. Ross, Aristotle's Metaphysics, II, 5.459 zu 1086 A 4] und 'tOY l-lu{}l1l-lunxoV, 1090 B 33, 35, 37), 1069 A 34-36 ('tel E'Lbll xUL 'tel I-lU{}l1I-lUnxa), 1028 B 19-21 und 24-27 (Plato begreift 'tel E'Lbll XUL 'tel Ilu{}l1l-lunxa als zwei Arten von 5ein, Xenokrates dagegen behauptet, dall 'tel E'Lb!]XUL'tou~ o.QL{}I-lOU~ dasselbe seien). 84 M etaphysica 1036B 13-15; d. Cherniss, I, App. IX, 5.567-570. 85 Metaphysica 1080 B 26-28, 1083 A 21-24.
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Theorie verstanden werden soli, oder ob er andeuten will, daB alle Ideen in dieser Theorie Zahlen seien. Die Verwirrung wird noch dadurch weiter vergroBert, daB sich seine Kritik an Platos idealen Zahlen - obgleich er weiB, daB diese von den Ideen-Zahlen des Xenokrates verschieden sind - auf die Annahme stutzt, sie muBten, da sie ja doch Zahlen sind, ebenso wie die mathematischen Ideen des xenokratischen Kompromisses Vielheiten von Einheiten sein 86. Da er den Sinn von Platos idealen Zahlen nicht voll erfaBt hat, besteht durchaus die Moglichkeit, daB vieles von dem, was er uber sie ausfuhrt, uberhaupt nicht ein Zeugnis fur Platos Meinungen, sondern lediglich das Ergebnis seiner eigenen Fehlinterpretation ist. Daruber hinaus - und dies ist wohl der entscheidende Gesichtspunkt - hatte Aristoteles einen polemischen Grund fur die Reduktion aller platonischen Ideen auf die Identidit mit Zahlen; denn die selbstandigen, nicht wahrnehmbaren Wesenheiten des Speusippos und Xenokrates waren Zahlen, wenn auch Zahlen verschiedener Arten, und falls sich zeigen lieBe, daB die Platos auch Zahlen seien, dann konnte ein einziger systematischer Beweis, daB eine Zahl, gleich welcher Art, keine getrennte Existenz haben kann, eben weil sie eine Zahl ist, alle drei Theorien und jede ihrer moglichen Varianten widerlegen. Da diese Art systematischerWiderlegung die von Aristoteles bevorzugte polemische Methode ist, muB es wohl uberraschen, daB man der Tatsache ihrer Anwendung durch Aristoteles und dem Weg, auf dem sie die Analysen undWiedergaben der von ihm kritisierten philosophischen Doktrinen beeinfluBt, fast keine Beachtung geschenkt hat. Lassen Sie mich deshalb fur diese polemische Methode ein Beispiel anfuhren, eines von den vielen, die man wahlen konnte, aber eines, das fur unseren Zweck besonders geeignet ist, weil es zwar die Interpretation der platonischen Lehre betriffi, aber gerade nicht das Problem der Ideen und Zahlen. I 1m dritten Buch von De Caelo87 unternimmt es Aristoteles, die Zahl der einfachen Korper oder Elemente zu bestimmen; hierfiir 86 ]. Cook Wilson, op. eit., 5. 250-251; Robin, La Theorie pIa tonieienne, 5.439-441; siehe oben Anm. 6. 87 Zum folgenden ef. Cherniss, I, 5.141-145.
schlieBt er zunachst die Moglichkeit einer unbegrenzten Anzahl aus88 und beweist dann, daB ihre Zahl jedenfalls groBer als eins sein muB89. Obwohl er hier die Atomisten zusammen mit Anaxagoras als Vertreter der Theorie einer unbegrenzten ~nzahl v~n Elementen nennt, deutet er an, daB sie im rechten Wortsmn nur em Element kennen, weil sie Luft,Wasser usw. lediglich nach ihrer relativen GroBe voneinander scheiden 90 und durch diese Unterscheidungen nach GroBe und Gestalt die zugrunde liegende Substanz der Dinge identisch lassen, so daB aller Unterschied auf eine bloB quantitative Beziehung reduziert wird 91. Wenn nun Aristoteles daran geht, die Ein-Element-Theorie zu widerlegen, faBt er daher die Atomisten und Platoniker - die sonst haufig als Pluralisten eine gemeinsame Gruppe bilden 92 - stillschweigend mit den stofflichen Monisten zusammen und erhebt gegen beide den gleichen Einwand, namlich den, daB ihre Theorien alles auf quantitative Verhaltnisse zuriickfuhrten 03; denn es mache keinen U nterschied, ob man alle ubrige Realidit mit Hilfe der Dichte oder Feinheit oder mit Hilfe der relativen GroBe von einem einzigen Element ableite94• Da nun alle solche Theorien den Vorrang eines feineren Korpers zugestehen miiBten, sei nach der inneren Logik dieser Systeme - so argumentiert Aristoteles - inWahrheit das Feuer das Ursprungliche, selbst wenn Wasser, Luft oder irgendein dazwischen liegender Zustand als Element genannt wurden; denn das Feuer sei ja zugegebenermaBen der feinste aller Korper95• Nachdem er so alle monistischen Systeme gezwungen hat, das Feuer zu ihrem Element zu erklaren, scheidet er diejenigen, die ihm eine bestimmte Figur zuordnen, von denen, die es nicht tun. Zu den letzteren rechnet er Heraklit und seine 88 89 90 01 92
De Caelo 302 B 10- 303 B 8. Ibid. 303 B 9 - 304 B 22. Ibid.303AI4-16. Cf. ibid. 275 B 29 -276 A 6,304 B 11-21. De Generatione 315 B 28-30 (ef. 314 A 8-10), 325 B 24-33, De Caelo
305 A 33-35. 93 De Caelo 303 B 30 - 304 A 7, 304 A 18 - B 11. 94 Ibid. 303 B 22-30; d. 303 A 14-16 (Atomisten) 12-20 (Plato und die »Monisten"). 95 De Caelo 303 B 13-21.
und Physica
187 A
Anhanger, zu den erstgenannten Plato und Xenokrates; beide hatten die Pyramide zur Figur des Feuers gemacht; Plato die teilbare Pyramide, weil sie als scharfste und spitzeste Figur dem Feuer am besten entsprache, Xenokrates die unteilbare und kleinste Pyramide, weil das Feuer als der subtilste Karper, wie er meinte, auch den urspriinglichsten stereometrischen Karper zu seiner Figur I haben miiBteo~. - InWahrheit aber haben weder Xenokrates noch Plato nur ein einziges Element angesetzt, und Aristoteles ist sich dessen auch wohl bewuBt07• Er kann sie hier lediglich deshalb anfiihren, weil er der Meinung ist, die notwendigen Folgerungen aus ihren Theorien gezogen und so gezeigt zu haben, daB sie nur ein Element kennen, auch wenn sie seIber annehmen, mehr als eines anzuerkennen; und er fuhrt sie hier auch wirklich an, weil er dadurch, daB er nacheinander Xenokrates und Plato widerlegt, schlagend zu zeigen vermag, daB das eine Element iiberhaupt keine Figur haben kann. Wenn es eine hatte, ware es entweder teilbar oder unteilbar, und beides kann nicht der Fall sein. - Dann zeigt er in einer Widerlegung Heraklits, der dem Feuer keinerlei Figur zuordnet, daB das eine Element iiberhaupt nicht Feuer sein kann. Falls es das ware, wiirde es eine Figur haben oder nicht, und beides ist unmaglich. Da er aber bereits bewiesen hat, daB jeder, der ein einziges Element ansetzt, das Feuer zu diesem Element machen muB, hat er nunmehr den Nachweis erbracht, daB es nicht lediglich ein einziges Element geben kann. Auf diese Weise ist Aristoteles in der Lage zu beweisen, daB Platos Lehre notwendigerweise das Gegenteil von dem gewesen ist, was Plato selbst sagte und dachte, und er kann Plato widerlegen, indem er das allgemeine Prinzip widerlegt, das sich in dem manifestiert, was er fiir die notwendigen Folgerungen aus den Worten Platos halt. Nach Aristoteles aber muB Platos Theorie der selbstandigen Ideen das allgemeine Prinzip verkarpern, daB die Substantialitat unmittelbar mit der Universalitat in Korrelation steht; denn der einzig legitime Grund fiir die Trennung von Arten und 96 Ibid. 304 A 9-18. Zum Beweis, dag Plato und Xenokrates sind, d. Cherniss, I, S. 142-145. 97 Cf. De Caela 304 A 27, 29, 31-32; 304 B 1-2, 5.
gemeint
Einzelwesen liegt ja in der Universalitat der Arten. Da nun die allgemeinsten Pddikate Einheit und Sein sind, so ergibt sich als notwendige Folge aus der Absonderung der Allgemeinbegriffe, daB Einheit und Sein nicht nur selbstandige Ideen, sondern auch die substantialsten und hachsten Wesenheiten und die Prinzipien aller andern sind 08. Falls Einheit und Sein auf der anderen Seite nicht selbstandige Wesenheiten waren, kannte iiberhaupt kein AlIgemeinbegriff selbsdindig sein; und Aristoteles deutet an, daB eine von I den Widerlegungsweisen der ganzen Ideentheorie in dem Nachweis besteht, daB Einheit und Sein keine selbstandige und unabhangige Existenz haben kannen 00. Aristoteles selbst jedoch sieht im Wesen der Einheit das Prinzip der Zahl10o. Er behauptet, daB Einheit immer ein bestimmtes Einzelnes ist, d. h. das Pradikat eines bestimmten Subjekts, so daB die Zahlen, deren Prinzip sie ist, lediglich als gezahlte Dinge existieren. Ware die Einheit nicht immer "ein Einzelding", dann wiirden auch die Zahlen als Zahlen eine selbstandige Existenz haben, so daB, wenn das Eine eine Idee und ein Prinzip der Ideen ist, alle Ideen Zahlen sein mussen101• Die Wichtigkeit der absoluten Einheit, der Idee des Einen innerhalb der platonischen Lehre, braucht und sollte nicht bezweifelt werden. Jede Idee ist eine unwandelbare und unteilbare Einheit102; im Phi Ie bus werden die Ideen als "Henaden", "Monaden" und als "Einheiten" bezeichnet103; im Timaeus werden sie von ihren erscheinungsmaBigen Manifestationen dadurch unterschieden, daB jede "unteilbar" genannt wird, welche Bezeichnung dem Xenokrates AnlaB gab, seine eigene Herleitung der Zahlen vom Einen in den Absatz hineinzulesen 104. Und selbst dort im Sophistes, wo Plato die wechselseitige Beziehung der Ideen untereinander erlautert, betont er mit allem Nachdruck, daB jede Idee
Metaphysica 999 A 16-23,998 B 14-21, 1042A 13-16, 1069 A 26-28. Ibid. 1001 A 19-27 (d. Cherniss, I, S. 324-325), 1059 B 21-31. 100 Metaphysica 1016 B 18-21,1021 A 12-14,1052 B 15-24. 101 Ibid. 1054 A 4-13 (ef. Cherniss, I, S. 322-324). 102 Cf. Cherniss, Die Altere Akademie, 1966, S. 14 u. Anm. 24. 103 Philebus 15 A-B, 16 D-E. 104 Timaeus 35 A; d. oben S. 23-24. 98
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eine von jeder andern und von allen zusammen unterschiedene Einheit sei 105.Platos Ausflihrungen im Sophistes lassen liberdies erkennen: wie jeder Idee das Sein von der Idee des Seins und die Verschiedenheit von der Einzelidee der Verschiedenheit zukommt106 so mug ihr auch die Einheit von der Idee des Einen zukommen: Hier liegt der Ursprung - und man braucht gar nicht nach einem andern zu suchen - flir die Behauptung des Aristoteles, dag das Eine die Formalursache oder das Wesen der Ideen sei 107.Gewig impliziert diese Formulierung, dag jede Idee einen Komplex von Stoff und Form vorstellt, und sie impliziert damit zugleich eine Interpretation der Ideen, die im selben Sinne unplatonisch ist wie die aristotelische Identifizierung des Nicht-Seins im Sophistes mit dem Aufnehmenden oder stofflichen Substrat 107'. Die Formulierung selber ist jedoch nur das unvermeidliche Re- i sultat des aristotelischen Versuchs, Platos Lehre von der Idee des Einen als dem Prinzip der Einheit jeder Idee in die Terminologie seines eigenen Systems zu libersetzen. Immer wieder geht Aristoteles auf die gleiche Weise vor: er giegt die Aussagen aller anderen Philosophen in die Begriffe seiner eigenen Philosophie urn und behandelt dann das, was aus diesen so umgeformten Aussagen folgt, als deren "wahre Bedeutung". So betont er zum Beispiel, dag aIle seine Vorlaufer Gegensatze als ihre Prinzipien angenommen und von diesen aIle Realitat abgeleitet haben 108;dag Xenophanes die Einheit (als Prinzip) ansetzte und sie mit Gott identifizierte109; dag Anaxagoras eigentlich zwei letzte Prinzipien einflihren wollte: die Einheit und Verschiedenheit Platos, die dann mit Aristoteles' eigener Formalursache und unbestimmtem Stoffe identifiziert werden 110. Sophistes 257 A 5-6,259 B. Ibid. 255 E, 256 D 11- E 3. 107 Metaphysica 988 A 10-11 und B 1-6. 107' Cf. Cherniss, Die Altere Akademie, 1966, 5.30. 108 Cf. Metaphysica 1004 B 29-1005 A 2; cf. Cherniss, Aristotle's Criticism of Presocratic Philosophy (Baltimore, 1935), 5.47-50. 109 Cf. Metaphysica 986 B 21-24 und Cherniss, Aristotle's Criticism of Presocratic Philosophy, 5.201 Anm.228. 110 Metaphysica 989 A 30-B 21; cf. Cherniss, Aristotle's Criticism of Presocratic Philosophy, 5.236-237. 105
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Wenn die Idee des Einen auch in gewissem Sinne ein Prinzip Platos war, so war sie sicherlich kein Erzeugungsprinzip, auch nicht eines von Idealzahlen. Plato, der aus der Folge der natlirlichen Zahlen die idealen Zahlen gemacht und durchschaut hat, dag das Wesen einer jeden einfach ihre Stellung in dieser Reihe, dag die "Idee der Zahl" eben dieseZahlenreihe selber ist, und der das Vorher und Nachher in dieser geordneten Reihe sehr wohl von ontologischer Priori tat und Posterioritat zu unterscheiden wugte, hat die Ableitung idealer Zahlen in welchem Sinn auch immer gerade durch diese Zahlauffassung unmoglich gemacht; denn jedes Glied setzt hier ja die ganze Reihe voraus und wird von ihr auf gleiche Weise vorausgesetzt. Selbst Speusippos, der zwar das Eine als Prinzip ansetzte, es aber doch nur als Prinzip mathematischer Zahlen gelten lassen wollte111, dachte nicht im wortlichen Sinn an eine Erzeugung dieser abgesondert bestehenden Zahlen durch das Eine 112; und Xenokrates, der in den Timaeus seine cigene Erzeugungstheorie der Ideen-Zahlen als Vielheiten von Einheiten hineinlas, erklarte diese Erzeugung flir eine Form der Darstellung, deren man sich, ahnlich wie der geometrischen Konstruktionen, nur zur Verdeutlichung bediene 113. Aristoteles jedoch unternimmt es in seiner charakteristischen Manier zu beweisen, dag diese Manner - gleichgliltig, ob sie es bestreiten - wirklich der Auffassung I sein mligten, ihre ewigen Zahlen wlirden im wortlichen Sinne erzeugt114. Das ist seine Rechtfertigung daflir, dag er einen grogen Teil seiner Kritik an den verschiedenen Theorien der substantialen Zahl auf die Schwierigkeit richtet, die ihre Hervorbringung in sich birgt. Dies rechtfertigt aber noch keineswegs die Tatsache, dag er Platos ideale Zahlen in dieser Hinsicht derselben Kritik unterwirft wie die mathematischen Ideen des Xenokrates; dag er dies tut, ist ein klares Anzeichen daflir, dag er von Plato seIber liberhaupt keinen Bericht liber die Erzeugung von idealen Zahlen besessen hat 115. 111 Metaphysica 1091 B 22-25, 1083 A 20-24, 1028 B 21-24, 1085 B 4-10 (Cherniss, I, 131). 112 Cf. Speusippos, fragm. 46 (ed. Lang). 113 Xenokrates, fragm. 33 (ed. Heinze). 114 Metaphysica 1091 A 23-29. 115 Cf. Robin, La Theorie platonicienne, S. 439ff.; Ross, Aristotle's M eta-
Auch hat Plato die Idee des Einen nicht als immanentes Element in jeder Idee begriffen, deren Einheit sie bewirken soIl. Aristoteles aber kritisiert die Ideen der Einheit und des Seins so, als seien sie als Gattungen und als immanente Elemente zugleich gedacht gewesen 116. Einerseits behauptet er, die allgemeineren Ideen muBten sich zu den weniger allgemeinen so verhalten wie Gattungen und Unterscheidungsmerkmale zu den Arten, andererseits wendet er ein, daB die Gattungen, da sie ja als Ideen selbstandige Wesenheiten darstellten, die Ideen der Arten sein muBten; seien sie doch die \Vesensprinzipien der letzteren wie die Artideen die Wesensprinzipien der Einzeldinge sein sellen. Aristoteles behauptet also, die Idee des Lebewesens musse zur Idee des Menschen so stehen, wie diese Idee zum Einzelmenschen, die Idee des Einen musse sich zu jeder idealen Zahl so verhalten wie die letztere zu den Erscheinungszahlen 117, kurz, er vertritt die Auffassung, daB das Verhaltnis der Ideen untereinander gleicher Art sei wie das zwischen Ideen und Einzeldingen. Wie ich schon gezeigt habe (vgl. S. 13-17), entstand diese Vorstellung mitsamt der in ihr enthaltenen Schwierigkeit aus der Annahme, daB die mit Hilfe des Dihairesis-Verfahrens entwickelten Schemata die wirkliche Anordnung der Ideen wiedergeben soliten, die so als ontologische Hierarchie zutage treten wurde. Aber schon Aristoteles selbst und sein bester antiker Kommentator, Alexander, machen diese Annahme zweifelhafl; denn wenn es der Absicht ihrer Argumentation dienlich ist, lassen sie durchblicken, daB es fur Plato uberhaupt kein hoheres Prinzip als die Ideen seIber gegeben, daB keine Idee einen i ontologischen Vorrang vor einer anderen besessen habe und daB auch keine als Teil einer andern immanent gewesen seil18• Und dieser Zweifel
physics, I, S. LXI: "it is probable that Aristotle's account (scil.of the generation of the numbers) is based on Xenocrates rather than on Plato". 118 Cf. Metaphysica 998 B 9-14. 117 Ibid.991A29-31, 1083B33-35, 1085A 27-31. 118 Metaphysica 1075 B 17-20, 1031A 29-31 und B 1-2 1082A 35-36 1082B 31-33,1083 B 33-36. Cf. auch Alexander, In Aristot~lis Metaphysic~ Commentaria, S. 87,8-11 und 19-20; 105, 5-8 und 19-20' 110 17-18' Cherniss, I, App. VI, S. 516-517,524. ",
wird noch durch Plato selber bekraftigt, der uns im Sophistes 119 eine knappe, aber genaue Darstellung der Art und Weise hinterlassen hat, wie er das Verhaltnis der Ideen untereinander verstanden wissen wollte. Einige Ideen stehen nicht in Gemeinschafl untereinander, andere wohl; und diese letzteren unterscheiden sich wieder nach dem AusmaB ihrer Gemeinschaflsbeziehungen. Einige stehen nur mit wenigen anderen in Gemeinschafl, andere mit allen. Als Beispiele solcher miteinander kommunizierenden Ideen nennt hier Plato Sein, Verschiedenheit, Identitiit, Bewegung und Ruhe. Wie gewohnlich darauf bedacht, eine allzu fachliche Terminologie zu vermeiden, bezeichnet er dieses Verhaltnis als Gemeinschafl, Vermischung, Verflechtung, Einklang, Empfanglichkeit oder sogar als Teilhabe; obgleich nun das letztgenannte Wort yon ihm am haufigsten fUr die Bezeichnung des Verhaltnisses gebraucht wird, das zwischen den wahrnehmbaren Einzeldingen und einer Idee waltet, macht er doch klar, daB die Teilhabe einer Idee an einer anderen vollig verschieden ist yon der Teilhabe z. B. einzelner Menschen an der Idee des Menschen. In letzterem Fall ist die Beziehung einseitig; die Idee hat nicht am Einzelding teil und wird in keiner Weise yon der Teilhabe der Einzeldinge an ihr affiziertl20• 1m ersten Fall dagegen ist die Beziehung wechselseitig oder symmetrisch: die Idee des Seins hat an den Ideen teil, die auch ihrerseits an ihr teilhaben, gleichgultig ob diese nun - wie Bewegung und Ruhe weniger umfassend sind als sie selber oder gleich umfassend, was fur die Ideen der Identitat und Verschiedenheit zutrifltl21• Die Ausdrucke "Vermischung", "Gemeinschafl", "Verflechtung" sind deshalb auch geeigneter zur Bezeichnung dieser Beziehung als das Wort "Teilhabe"; aber selbst diese Ausdriicke treffen nicht genau das Gemeinte; denn die Ideen, welche sich vermischen oder durchdringen, bleiben darum nicht weniger getrennte, unvermengte und unteilbare Einheiten 122, da ihre Beziehungen untereinander in Wahrheit Sophistes 251 A - 259 D. Cf. Symposium 211 A-B. 121 Cf. Cherniss, I, Anm. 218; Corn ford, Plato's Theory of Knowledge, S. 256-257; 281, Anm. 2; 278-279. m Cf. Sophistes 257 A, 259 B, 258 C 3 und 257 D 4-5 (d. Cherniss, I, 119
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solche wechselseitiger logischer Voraussetzung und Vertraglichkeit sind. Dies beweist nicht nur, daB das zwischen den Ideen i waltende Beziehungsverhaltnis anderer Natur ist als das Verhaltnis zwischen Ideen und Einzeldingen, sondern zeigt auch, daB sich keine Idee so zu einer anderen verhalt wie ein Glied zum Ganzen oder die Gattung zu ihren Arten; denn in keinem dieser FaIle ist die Beziehung eine symmetrische. Auch unterscheidet ja Plato nirgendwo zwischen Gattung und Art innerhalb der Ideen; was aber Aristoteles Gattung, Unterscheidungsmerkmal und Art nennt, das sind fiir ihn alles wohlunterschiedene ideale Einheiten, jede anders als die anderen, jede mit Aspekten ausgestattet, welche die Existenz der andern voraussetzen oder mit ihnen vertraglich sind, aber jede unabhangigen Wesens und nicht vollstandig in die andern zerlegbar. Plato konnte also nicht die Absicht gehabt haben, mit der Anwendung seiner Dihairese eine ontologische Hierarchie der Ideenwelt aufzubauen. Der Sophistes und Politicus, die man heute als Handbiicher der Dihairese zu betrachten pflegt, zeigen vielmehr, daB sie fiir ihn eher ein heuristisches Prinzip war, ein Instrument Zur Erleichterung des Suchens nach einer bestimmten Idee, zur Unterscheidung dieser Idee yon anderen Ideen, zum Aufweis ihrer Implikationen und zu ihrer Identifizierung; sie zeigen auch, daB er sic sich nicht als Beschreibung der "Konstruktion" der Idee, ihrer Ableitung und ihrer konstitutiven Elemente vorstellte 123. Er charakterisiert diese Methode als ein zweckvolles Mittel, das Feld der Untersuchung systematisch einzuschranken 124, als ein Mittel freilich, dessen formale Anwendung allein moglicherweise zu einer Vielzahl yon Definitionen fiir dieselbe Sache fiihre, wenn man nicht die zusatzliche Kraft besitze, die wesentliche Natur des Gesuchten zu fassen 125. Kurz, die Dihairese scheint fiir Plato nur eine Hilfe fiir die Anamnese der Ideen gewesen zu sein 126, ein Verfahren, dessen Stufen eher die Bedeutung einer Sicherung gegen das Verfehlen der Anm. 174), Philebus 59 C, Timaeus 35 A (Cherniss, I, Anm.128 216]). 123 Politicus 258 C, Sophistes 235 B-C. 124 Politicus 261 E - 262 A. 125 Sophistes231C-232A. 126 Cf. Cherniss, I, Anm. 36.
[5.215-
rechten Suchrichtung 1~7 als einer Reprasentanz der notwendigen Bestandteile der Idee besaBen; denn es mochte ja "langere" und "kiirzere" Wege geben, die zu demselben Resultat hinleiteten 128. Hier liegt auch der Grund dafiir, daB Plato seine Ideenkonzeption unverandert beibehalten und auch die Dihairesis-Methode weiter anwenden konnte, trotz der Behauptung des I Speusippos, daB beide miteinander unvereinbar seien (vgl. S. 13-17). Denn die Einwande des Speusippos, die auch Aristoteles iibernahm, geben der Dihairese eine Auslegung, die Plato nie vertreten und niemals anerkannt hat. Der Bericht im Sophistes zeigt jedoch noch auf andere Weise, daB Plato kein dihairetisches Schema ins Auge gefaBt hat, das eine ontologische Ideen-Hierarchie zum Ausdruck bringen sollte, ja daB er sich die Ideenwelt iiberhaupt nicht als eine solche Hierarchie hat denken konnen. Die Ideen des Seins, der Identitat und der Verschiedenheit sind als Einzelideen sowohl untereinander verschieden, wie auch alle gleich umfassend; sie stehen untereinander und mit jeder andern Idee in Kommunikation, und keine yon ihnen kann die Gattung der beiden anderen sein oder in irgendeinem Sinne Vorrang vor ihnen besitzen. - Was Ferner die minder umfassenden Ideen Ruhe und Bewegung betriffi, so sind auch sie, obgleich weniger universal im aristotelischen Sinn, keineswegs weniger unabhangig, grundlegend oder substantial als die drei umfassenderen Ideen. Sie haben Gemeinschaft mit jeder dieser andern drei, aber weder sind sie natiirliche Teile yon irgendeiner, noch gelangt Plato durch Dihairese zu ihnen. Selbst wenn man versuchen sollte, sie als Arten einer hoheren Gattung zu behandeln, gabe es keinen Grund dafiir, sie eher zu Arten einer der drei umfassenderen Ideen zu machen als zu Arten der beiden iibrigen. Die Ideen der Ruhe und Bewegung sind nicht abgeleitet yom Sein, van der Identitat oder der Verschiedenheit129, wie sie hier beschrieben werden; und keine dieser drei umfassenderen Ideen kann das letzte Prinzip sein, van Politicus 262 B. Ibid. 265 A, 266 E. 129 Zur Versicherung des Aristoteles, daB die Platoniker Bewegung mit dem 5toffprinzip, mit Andersheit, Ungleichheit und Nicht-5ein identifiziert haben, d. Cherniss, I, 5.384-385, Anm. 305, und 5.442-447. 127
128
dem die andern beiden sich her- oder ableiten. Denn jede ist das Prinzip cines Aspektes der beiden andern, ebenso wie sic das Prinzip dieses Aspektes in jeder andern Idee ist. Die fiinf Ideen des Sophistes konnten daher auch nicht in irgendeinem dihairetischen Schema angeordnet werden; und da drei von ihnen so umfassend sind, wie es eine Idee nur sein kann, war es bestimmt nicht Platos Absicht, die Ideen als von einem einzelnen idealen Prinzip hergeleitet darzustellen. Diese fiinf Ideen werden ausgewahlt, urn das Wesen der Gemeinschaft unter den Ideen zu illustrieren, und es wird I zugleich angedeutet, dag die Regeln, die fiir sie in dieser Hinsicht gelten, fiir aIle Ideen Geltung besitzen 130.Auch fiir die Idee des Einen - die so umfassend ist, wie die umfassendsten der hier erwahnten, wenn auch keineswegs umfassender - miissen sie daher in Geltung stehen. Die Idee des Seins, der Identitat und der Verschiedenheit sind wie jede andere Idee auf Grund ihrer Gemeinschaft mit der Idee des Einen jeweils eine; aber auch die Idee des Einen hat ihrerseits Existenz, Identitat und Verschiedenheit zufolge ihrer Gemeinschaft mit diesen drei Ideen. Also lagt sich das, was iiber diese drei gesagt wurde, auch von der Idee des Einen behaupten; sic ist darin Prinzip aller Ideen, dag sie in ihnen jeweils einen Aspekt begriindet, aber sie ist nicht Prinzip in dem Sinne, dag sich die andern Ideen auf irgendeine Weise von ihr herleiten oder dag sie eine "hohere" oder gar umfassendere Idee ist als aIle andern. Gewig konnte man der Idee des Einen gerade bei der Darlegung der ideal en Zahlen ein besonderes Gewicht zuschreiben, denn sic ist ja das Prinzip, das jede von ihnen zu einer unteilbaren Einheit macht, zu einer Einheit gemag ihrer unterschiedlichen Stellung innerhalb der natiirlichen Zahlenreihe; aber sie ist auch ein nicht minder wichtiges Prinzip fiir jede andere Idee; denn jede ist eine einzelne Wesenheit und nicht blog ein Brennpunkt aller Beziehungen, wie Speusippos die Substanzen begriffen hat, und selbst fiir die idealen Zahlen stellt sic kein wichtigeres Prinzip als jene Ideen dar, die einer jeden dieser Zahlen durch Teilnahme an ihnen Existenz, Identitat und Verschiedenheit verleihen.
Wie konnte dann jemand zu der Annahme gelangen, dag Plato das Eine zum hochsten Prinzip gemacht und aIle andern Ideen von ihm abgeleitet habe, wo doch bei ihm die Idee des Seins - urn von den andern im Augenblick abzusehen - ebenso umfassend ist und ja fiir die Idee des Einen selber das Prinzip der Existenz abgeben mug? Moderne Forscher, die ihm dieses Ableitungssystem und die damit zusammenhangende Theorie der Ideen-Zahlen zuschreiben, behaupten, Plato habe Einheit und Sein identifiziert; und als Gewahrsmann fiir diese Behauptung zitieren sic natiirlich Aristoteles131. Aber Aristoteles kann nicht verbergen, dag diese Identifizierung seine eigene Folgerung list - cine Folgerung iiberdies, die sich auf seine eigene Annahme griindet, dag sich die Ideen wie Gattungen und Arten zueinander verhalten miigten. Er sagt nirgendwo, Plato selbst habe Einheit und Sein identifiziert - ja, er berichtet iiber sic haufig so, als waren sic zwei verschiedene Ideen 132; gleichwohl behauptet er, dag sie als die Pradikate v~n allem un~ jedem die hochsten Gattungen sein miigten 133,dag S1eaber, well gleich umfassend, nicht wie Art und Gattung zueinander stehen kannten 134.Er hatte dies als Anzeichen dafiir nehmen soIlen, dag Plato die Ideen eben nicht so auffagte, als verhielten sic sich zueinander wie Gattungen und Arten, die aIle unter cine einzige letzte Gattung fielen. Da aber Aristoteles selber die Meinung vertrat, das Eine und das Sein seien zufolge ihrer wechselseitigen Implikation blog unterschiedliche Bezeichnungen fiir diesel~e Re~litat135, laste er statt dessen die Schwierigkeit, in welche lhn dlese Interpretation der Ideen gebracht hatte, durch die Annahme, Plato miisse Sein und Einheit als cine einzige Idee verstanden haben 136. 131 Cf. Robin, La Theorie platonicienne, 5.501-503, und J. A. Wahl, Etude sur Ie Parmenide de Platen (Paris, 1926),5.131. 132 Metaphysica 1001 A 4-24 (cf.Cherniss, I, Anm.228), 1089B4-8, 1060A36-B6 (wo das Eine weniger ausgedehnt als das 5ein genannt wird!), 996 A 4-8,1053 B 9-28 (beachte besonders Zeile 16-28). 133 Cf. Metaphysica 998 B 17-21, 1059B 27-31. 134 Topica 127A 26-34. 135 Metaphysica 1003B22-34, 1054A 13-19, 1061A 15-18; cf.Cher-
niss, I, Anm. 226. 136 Cf. ,0 EV 1\,0
ov in Metaphysica
998 B 9-11.
Die Verbindung von Sein und Einheit fand Aristoteles allerdings in Platos Parmenides 137, aber diese Verbindung ist Ergebnis und Folge cler Verflechtung aller Ideen mit den beiden Ideen der Einheit und des Seins; und es ist vollig ausgeschlossen, dag diese beiden als eine einzige Idee verstanden werden solIten, nicht nur, weil damit die im Sophistes niedergelegten Regeln verletzt wiirden, sondern auch, weil Plato ausdriicklich versichert, dag sie zwei Ideen seien und weil er den Parmenides wegen seiner Identifizierung des absoluten Seins mit der absoluten Einheit kritisiertl38• Die viel diskutierte Gleichsetzung des Einen und Guten hat einen ahnlichen Ursprung. Auch die Idee des Guten wiirde eine von diesen umfassendsten Ideen sein, obgleich keineswegs umfassender als die Ideen des Einen, des Seins und der Verschiedenheit; denn diese sind ja die Prinzipien auch ihrer Existenz als einer einzelnen von allen andern verschiedenen Idee. Nun wird Platos Idee des Guten in der Nikomachischen Ethik gerade deshalb kritisiert, weil sie eine einzelne Idee sei, denn Aristoteles ist der Auffassung, dag es nicht nur ein Gutes gibt, sondern deren mehrere 139. Da er dariiber hinaus auch behauptet, dag das I Gute ebenso viele Bedeutungen wie das Sein habe140, konnte man von ihm eigentlich die These erwarten, die Ideen des Guten und des Seins miigten fiir Plato identisch gewesen sein; und in der Tat versichert er einmal, dag Plato das Gute zu einem Akzidenz des Seins oder der Einheit gemacht habe141• An der einen und einzigen Stelle jedoch, wo er das Gute rundheraus mit der Idee des Einen identifiziert142, ist sein Grund hierfiir etwas Parmenides 141 E 9-12,144 C-E, 153 D-E. Ibid. 142 C 4-7, 142 D-E; Sophistes 244 B-D; cf. Cherniss, I, Anm. 226, und Cornford, Plato's Theory of Knowledge, S. 220-221. Cf. auch den Beweis, daB die Ideen des Seins und der Identitat nicht dasselbe sein konnen, Sophistes 255 B 8 if. 139 Ethica Nicomachea 1096A23-B7; cf.Cherniss, I, Anm.301. 140 Ethica Nicomachea 1096 A 23-27. 141 Metaphysica 988 B 6-16; cf. Cherniss, I, S.381-382 und Anm.300. 142 Metaphysica 1091 A 36-B 3 und B 13-15; cf. Cherniss, I, Anm. 301. Dies hat nichts zu tun mit der Feststellung in Respublica 509 B, daB "das Gute iiber das Sein hinaus ist nach Wiirde und Bedeutung" (buvuf.lEL), was nur besagt, daB "whereas you can always ask the reason for a thing's 137 138
anderer Art, wenn auch ebenso durchsichtig und willkurlich. Praktisch raumt er zwar ein, dag Plato diese Identifikation nicht ausdrucklich vollzogen habe; aber er behauptet zugleich, dag sie notwendigerweise in der Lehre impliziert sei, die das Gute zu einem Element von Ideen mache; denn daraus folge ja, dag sie ein Element idealer Zahlen sei und daher mit deren Prinzip, der Idee des Einen, identisch sein musse143• Nach einer solchen Beweisfuhrung also wurden auch Sein, Identitat, Verschiedenheit zusammenfallen, von denen allen Plato den Nachweis erbringt, dag sie gesonderte und singulare Ideen sein mussen. Dag Aristoteles seine Identifizierung der Idee des Guten mit der Idee des Einen durch einen solchen Beweisgang rechtfertigt, stutzt die Hypothese, mit der ich seine Identifizierung der Ideen Platos mit Zahlen erklaren mochte. Da er glaubte, das Wesen des Einen musse ein Prinzip der Zahl sein, und weil er zugleich annahm, die Dihairese sei als ontologisches Schema gedacht gewesen, in welchem die bestimmten Ideen von den allgemeinen abgeleitet wurden, glaubte er aus der Tatsache, dag das Eine ein Prinzip aller Ideen sei, mit Notwendigkeit schlieBen zu mussen, dag aile Ideen Zahlen seien. Darin mag er von Speusippos und Xenokrates beeinfluBt worden sein, die ja auch der Auffassung waren, daB das Eine nur ein Prinzip der Zahl sein konne, obwohl Speusippos zufolge dieser Annahme bestritt, dag die Wesenheiten, deren Prinzip das Eine sei, uberhaupt Ideen sein konnten 144, wahrend Xenokrates einen vermittelnden Weg einzuschlagen suchte, indem er die Ideen beibehielt und sic mit Zahlen identifizierte145; daruber aber kann kein Zweifel bestehen, daB die widerspruchsvolle Theorie, die Aristoteles dem Plato imputiert, nur einer Folgerung entsprang, die Aristoteles I seIber gezogen hat, und keine Lehre darstellt, die Plato in der
existence and the answer will be that it exists for the sake of its goodness, you cannot ask for a reason for goodness; the good is an end in itself" (Corn ford, Plato and Parmenides, London, 1939, S. 132). 143 Metaphysica 1091 B 20-22; cf. Ross, Aristotle's Metaphysics, II, S. 488 zu Metaphysica 1091 B 20. 144 Metaphysica 1091 B 22-25. 145 Ibid. 1086 A 5-11.
1m
Akademie vortrug. Grunde verrat uns das schon Aristoteles selber; denn zu Beginn seiner Kritik der verschiedenen Auffassungen yon substantialer Zahl, die sich seiner Meinung nach iiberhaupt vertreten lassen 146, unternimmt er es zu beweisen, daB die Ideen gar nicht existieren konnten, falls sie keine Zahlen waren 147; und dies beweist er mit dem Argument, daB die Prinzipien, die Plato annehme, eben die Prinzipien und Elemente der Zahl seien, so daB die Ideen - da sie ja weder friiher noch spater sein konnten als die so prinzipiierten Zahlen-mit diesen Zahlen selber identisch sein miiBten; andernfalls hatten sie iiberhaupt keine Prinzipien. Wenn ein Gegner eine These vertritt, die man zu widerlegen beabsichtigt, dann beginnt man nicht mit dem Nachweis, daB er diese These iiberhaupt vertritt. Dies tut man nur, wenn man ihn dadurch zu widerlegen wiinscht, daB man die Folgerungen aus seiner These widerlegt, die er selbst zu ziehen unterlaBt. Solcher Art ist hier das Verfahren des Aristoteles, eine Methode, die er gewohnlich anwendet. In diesem besonderen FaIle wie in einer guten Anzahl anderer, leiten sich seine Folgerungen yon einer Fehlinterpretation her. Wichtiger aber fiir unser Problem ist, daB es sich dabei urn die Fehlinterpretation der Lehre handelt, wie sie in den platonischen Dialogen steht. So ist der Plato, den die Kritik des Aristoteles und die heterodoxen Systeme des Speusippos und Xenokrates in verschiedenen Verzerrungen widerspiegeln, nicht ein hypothetischer Plato auf dem Katheder oder im Seminar, sondern der Plato der uns noch in vollem Urnfang erhaltenen Dialoge.
Cornelia
J. de Vogel, Problems concerning later Platonism. Mnemo,yne IV 2 (1949), p. 197-216; 299-318. Aus dem Englischen tiber,etzt yon Jtirgen Wippern.
PROBLEME DER SPKTEREN PHILOSOPHIE PLATONS"
Seitdem Trendelenburg in der ersten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts sein Buch iiber die idealen Zahlen Platons veroffentlicht hat, miissen diejenigen, die sich mit dem Studium der platoninischen Philosophie beschaftigen, sich selbst zwangslaufig die radikale Frage stellen: Kennen wir wirklich Platons Lehre? Diese Frage erhebt sich zuallererst auf Grund der Existenz einer gewissen Diskrepanz zwischen dem literarischen Werk Platons und dem, was Aristoteles uns iiber Platons Philosophie berichtet. Jedoch nicht nur daraus. Jene Frage griindet sich auch auf gewisse herabsetzende KuBerungen Platons selbst iiber Biicher und die Kunst des Schreibens. An erster Stelle haben wir hier die wohlbekannte Stelle im Siebenten Briefl zu erwahnen, wo Platon sagt: "Es gibt kein Buch yon mir iiber diese Dinge (m:QL
wahrend seine beiden Schiiler dies nicht taten. Aber nirgendwo sagt Aristateles, dag die Theorie, mit der wir hier beschaftigt sind, namlich dag die Linie auf die Zahl 2 zu beziehen ist, die Flache auf 3 und der Korper auf 4 ausschliefllich von Xenokrates gelehrt worden ist und nicht auch von Platan. Andererseits miissen wir, wenn wir die zitierte Stelle aus De anima betrachten, berner ken, dag an eben dieser Stelle Xenokrates' Lehre iiber die Seele, namlich dag die Seele eine sich selbst bewegende Zahl ist, scharf von der vorhergehenden Theorie unterschieden wird, die daher kaum auch Xenokrates zugeschrieben werden kann. Denn unmittelbar nach der Stelle, von der wir oben eine Obersetzung gaben, d. h. unmittelbar nach den Worten dill'] il' ot UQl{}flOL ODtot tWV rtQay~atwv ("und diese Zahlen", namlich 1, 2, 3, 4, "sind die Formen der Dinge"), fahrt Aristateles fort: ertd ilE xaL XlVl']tlXOV eMxEl ~ 'If'UXl]cIval xaL yvwQlonxov OVtW~, EVlOlOUVErtAE~av e~ u~<poiv, urto)(o.£" dm xUTa T~VytvWlV I-lfx(>lnDVEL(>l]I-lEVWV. Met. 6 b 11-15). Andere Stellen scheinen dagegen, wie gesagt, deutlich auszusprechen, daB Platon die Ideen selbst Zahlen nannte. In diesem Fall harte Platon maglicherweise die Zahl als das bestimmende Strukturelement der Idee verstanden, zugleich als den Grund ihrer Rationalitat, aber doch ganz ohne eine ontologische Abstraktion der Zahl yon der Idee im Sinne der gattungsmaBigen Differenzierung, also ohne ein ontologisches Friiher der Zahlen vor den Ideen. Die Ideen waren zahlenmaBig bestimmt, aber eben so, daB sie Zahlen waren und die Zahlen Ideen. In diesem Fall ware auch PIa tons eigene Ideenkritik sehr viel weniger einschneidend gewesen, als es durch den Bericht des Aristoteles den Anschein hat. Platon harte dann nur zu einem bestimmten Zeitpunkt plOtzlich den Zahlcharakter der Idee erkannt, d. h. ihre Funktion als synthetische Mannigfaltigkeit. Wie dem auch immer sei, sicher ist, daB die Erkenntnis der Idee und der Zahl als synthetischer Einheiten, als zusammengesetzter GraBen, die Reduktion weitertrieb bis zu den hachsten und ersten einheitstiftenden Prinzipien, die nach Platon die logisch-ontologische Letztbegriindung leisten. Die Ableitung dieser Grundprinzipien scheint Platon in verschiedenen Argumentationsreihen vorgenommen zu haben, Wle
durch die Oberlieferung bezeugt ist. Diese Ableitungen fiihrten ihn auf zwei Grundprinzipien, die Eins (~v) und die Unbestimmte Zweiheit (UO(>lGTO£, ouo.£,).Es sieht nicht so aus, als hatte Platon den Versuch gemacht, diesen Prinzipiendualismus durch einen Monismus zu iibersteigen, in der Weise, daB er die Unbestimmte Zweiheit aus der Eins hatte hervorgehen lassen. Jedenfalls sprechen die besten Quellen zugunsten einer I Zweiprinzipienlehre. Der leitende Gesichtspunkt war, daB aile Zahlen unter die Eins fallen. Jede Zahl ist eine, ist eine Einheit, aber Einheit einer Vielheit, und sie ist das nur durch ihre Teilhabe an der Eins. Der Eins entgegengesetzt scheint die Zweiheit. Sie setzte Platon als das Prinzip des Vielen und des Wenigen an, weil sie das Viel und das Wenig umfaBt, insofern das Doppelte ein Viel, das Halbe ein Wenig ist. Platon mamt auch bei dieser Zuriickfiihrung wieder yon dem Argument des Mitaufgehobenseins Gebrauch, indem er danach fragt, was an den Zahlen ohne ein Anderes gedacht werden kann, wahrend es selbst Bedingung fiir das Denken dieses Anderen ist. Diese Voraussetzung erfiillen ihm die Eins und die Zweiheit, die nun gemaB der platonischen Ineinssetzung yon logischer und ontologischer Priorirat vergegensrandlicht werden, also nicht mehr nur als Momente an jeder Zahl gedacht werden. Die Zweiheit ist Prinzip der Vielheit. Die Zwei ist der erste Fall einer Menge. Mit ihr nehmen aile anderen Vielheiten ihren Anfang. Sie selbst aber, als Zahl Zwei, ist bereits festgelegt, ist begrenzt. Sie selbst schreitet nicht fort zu unbestimmter Vervielfaltigung. Deshalb mamt Platon nicht sie, die Zahl Zwei, zum Prinzip der Vielheit, sondern die Unbestimmte Zweiheit. Wahrend die Eins als absolut Einfaches unteilbar ist, ist die Unbestimmte Zweiheit grundsatzlich unbegrenzt teilbar. Damit glaubt Platon die Prinzipien der Zahl gefunden zu haben und mit ihnen die Prinzipien alles Seienden. Es eriibrigt sich, die anderen Versuche der Prinzipienableitung, die Platon im Rahmen seiner Vorlesung (j ber das Cute unternommen hat, hier im einzelnen vorzufiihren. Sie aile bezeugen das groBe Vertrauen PIa tons in die Macht des Logos, seine Oberzeugung, durch die Analyse der Begriffe die Elemente des Wirklichen bestimmen zu kannen.
Dieser Analysis des AIls in seine letztbegriindenden Elemente folgte in Platons Vorlesung, wie es scheint, die Gegenprobe durch die Synthesis. Ihre Bewegung bestand in dem methodischen Hervorgang des Kosmos aus den beiden Urelementen, der Eins und der Unbestimmten Zweiheit, und durchIief aIle jene Stufen, die zuvor die Bewegung der Analysis in umgekehrter Richtung passiert hatte. Dem historischen NachvoIlzug steIlen sich dabei wegen der liickenhaften Oberlieferung Schwierigkeiten besonders auf der ersten Stufe in den Weg, wo es urn die Entstehung der Zahlen aus den beiden Urprinzipien des Einen und der Unbestimmten Zweiheit geht. Es sei hier auf die Spezialstudien zu diesem Problem verwiesen. Trotz entsprechender Versuche, die gemacht worden sind, scheint mir aber die Theorie von Oskar Becker iiber "Die dihairetische Erzeugung der platonischen Idealzahlen" (1931) bis heute unwiderIegt. I Mit der Erklarung der Genesis der Zahlen scheint auch fUr Platon die gro~te Schwierigkeit der Synthesis iiberwunden gewesen zu sein. Der Obergang von der Eins zur Zwei, zur Drei, zur Vier erklart Platon die Entfaltung des Punktes in die Dimensionalitaten, von der Zahl zur stereometrischen Raumlichkeit. Die mit dem Abstieg verbundene zunehmende Materialisierung scheint dann den Dbergang in die Korperlichkeit der Erscheinungswelt motiviert zu haben. Damit ist das Gedankengebaude von Pia tons Vorlesung Vber das Cute im Grundri~ wiedergegeben, soweit das die iiberlieferten Fragmente ermoglichen und soweit ein Consensus dariiber in der IIEQLTa:ya~ou-Forschullg besteht. Die strittigen Punkte sind in diese Skizze nicht aufgenommen worden. Unser Referat iiber IIEQLtuya~ou wird, so denke ich, geniigen, urn erkennen zu lassen, welches Zie! Platon in seiner Vorlesung verfolgte. Es ging urn die Erklarung der Welt durch letzte Elemente, urn die ZuriickfUhrung aIles Seienden auf den Ursprung und urn die Moglichkeit, die Entfaltung des Ursprungs zur WeItfiiIle zu verstehen. Es ging urn die Frage des Verhaltnisses von Einheit und Vie!heit, darum, das Viele aus dem Einen und das Eine fiir das Viele begreiflich zu machen. Aber es ging Platon nicht nur urn die ontologische Erklarung des Seins. Das EV ist ja das uyaMv, und dieses Faktum begriindet fiir Platon den Wert des Seins und das
Sein des Wertes. In diesem Ansatz wurzelt die axiologische Bedeutsamkeit der platonischen Ontologie. Und deshalb konnte Platon seiner Vorlesung gar keinen angemesseneren Tite! geben, als er es getan hat. V ber das Cute, unter diesen Titel lie~en sich auch aIle Dialoge Platons sinnvoll subsumieren. Es war das Thema seiner Philosophie. Die mittierweile stattliche Sammlung von Texten zu der Vorlesung bezeugt unwiderleglich, da~ Platon eine inhaltlich iiber die Dialoge hinausgehende Konzeption gehabt hat, die sich auch in ihrer gedanklichen Geschlossenheit und methodischen Strenge von dem Lehrgehalt der Dialoge unterschied. Der einstige, nun schon zwanzig Jahre zuriickliegende einsame Versuch von Cherniss, den Zeugniswert dieser Texte fUr die innerakademische Lehre Pia tons genereIl zu bestreiten, ist in der Forschung einer besseren Erkenntnis fast ganzlich zum Opfer gefaIlen. Bei dieser Lage der Dinge geht es iiberhaupt nur noch urn die Alternative, ob die Konzeption Pia tons, die in der Vorlesung ihren Ausdruck gefunden hat, an das Ende der Wirksamkeit Platons gehort und als ein sozusagen letzter, konzentrierter Kraftakt seines philosophischen Genius verstanden werden mu~ oder ob diese gro~e Konzeption die platonische Philosophie in Reinkultur ist, die auch schon hinter dem Dialogwerk steht, jedenfaIls mindestens von der Zeit der Politeia an. Das aIlein ist noch die Frage, urn die es heute im Ernst gehen kann. I Aber werfen wir noch einmal einen Blick auf die gro~e philosophische Konzeption von IIEQLtuya~ou im ganzen. Die einschlagigen Texte bezeugen iibereinstimmend das gewaltige Unternehmen Pia tons, in welchem er alle Wirklichkeitsbereiche auf die Wirksamkeit zweier Prinzipien zuriickfiihrte unci dann wiederum aus diesen als den Elementen aIles Seienden das Weltganze hervorgehen lie~. Diese Konstruktion Platons, fUr die Vorlesung hinreichend bezeugt, ist eine historische Tatsache. Man wird auch nicht umhinkonnen, diese Prinzipienlehre Pia tons, wie er sie in seiner Vorlesung vorgefiihrt hat, ein System zu nennen, wenn anders das Wort System iiberhaupt noch eine verbindliche Bedeutung haben solI. Unter einem philosophischen System verstehen wir, in moglicher Allgemeinheit formuliert, den Zusammenschlu~ eines Mannig-
faltigen zu einem einheitlichen und gegliederten, in sich geschlossenen Ganzen, in dem das Einzelne im Verhaltnis zum Ganzen und zu den Teilen die ihm gemage, bestimmte und bestimmbare Stelle einnimmt. Es ist eine nach einheitlichen Gesichtspunkten festgelegte Ordnung oder, wie Kant definiert, "die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee" (KdrV B 860). In diesem Sinne ist jede Philosophie, sofern sie Philosophie ist, ein System, und Hegel hat vollkommen recht, wenn er in den Niirnberger Schriften sagt: "Die Scheu vor einem System fordert eine Bildsaule des Gottes, die keine Gestalt haben solle. Das unsystematische Philosophieren ist ein zufalliges, fragmentarisches Denken, und gerade die Konsequenz ist die formelle Seele zu dem wahren Inhalt." (443) Es verstogt aber gegen die hermeneutischen Grundsatze, wenn man yon einem ganz bestimmten modernen Systembegriff ausgeht oder den Systembegriff in ganz bestimmter Weise definiert und dann verallgemeinernd behauptet, den Begriff des Systems hatte es in der antiken Philosophie, speziell aber bei Platon und Aristoteles, iiberhaupt nicht gegeben. Diese Methode ist unzulassig, und was sie suggerieren mochte, ist schlicht falsch. Es hat in der Antike schon ein Denken in Systemen gegeben, nicht nur in der griechischen Musiktheorie, Mathematik und Naturwissenschaft, in der Stoa und im Neuplatonismus, sondern auch bei Platon und Aristoteles. Beide verfiigen, was nur zu unbekannt ist, auch iiber das dazugehorige Wort, auat'Y]~a, das zuerst im Corpus Hippocraticum begegnet und hier den Begriff des natiirlichen Systems bezeichnet. Aber schon bei Platon bezeichnet das WOrt den Begriff des kiinstlichen Systems, also eines Systems, bei dem die Gesichtspunkte der Ordnung unabhangig yon der natiirlichen Ordnung yom Menschen aus Griinden der Zweckmagigkeit oder Obersichtlichkeit gewahlt sind. In diesem Sinne gebraucht Platon in den Nomoi 686 B 7 das Wort zur Bezeichnung des Biindnissystems der drei Dorerstaaten. Aristoteles gebraucht das WOrt in der Bedeu- I tung des kiinstlichen Systems in der Nikomachischen Ethik 1168 b 32 zur Bezeichnung der politischen Organisation einer Gesellschaft, der Verfassung eines Staates, und weist darauf hin, dag es immer der herrschende Teil ist, der das Ganze im hochsten Grade ist, wie beim Staat so auch bei jedem anderen System (nav aHo aua"tlwa); und
so sei es auch beim Menschen. In cler Poetik 1456 a 11 nennt Aristoteles das epische Dichtwerk ein System, das man nicht zu einer Tragodie umformen solle, da im Epos das Verhaltnis der einzelnen Teile untereinander und zum Ganzen ein anderes sei. Es ist iiberfliissig, diesen Nachweis weiterzufiihren. Die Ablehnung des Systemgedankens in seiner Anwendung auf die klassische griechische Philosophie hat ihren wahren Grund ganz irgendwo anders, namlich in der existenzphilosophischen Abwertung des Systemdenkens, die mit Kierkegaard und Nietzsche ihren Anfang nahm; Nietzsche hat bekanntlich den "Willen zum System" einen "Mangel an Rechtschaffenheit" und eine "Charakterkrankheit" genannt (WW VIII 64, XIV 354). Und so war es verstandlicherweise ein Hauptanliegen der jugendbewegten, der Georgeschen und der existenzphilosophischen Platon- und Aristotelesinterpretation cler zwanziger und dreigiger ] ahre, die angeblich yon jeglichem "welt- und lebensfremden" Systemdenken unbeschattete ]ugendfrische des griechischen Denkens zu verkiinden. Die Epiphanie cler griechischen Gotter stand bevor (: statt dessen kam Hitler). Gadamer hat jetzt in seiner Abhandlung iiber den Sieben ten Brief die damaligen Forschungsintentionen der meisten Platoninterpreten in Deutschland riickschauend in einer historisch hochst bedeutsamen Weise kritisch charakterisiert (S. 6). Diese geistesgeschichtlich bedingte Einstellung der Zwischenkriegsjahre wirkt noch immer nach, und diese Einstellung vor allem ist, wie mir scheint, der Grund, wenn der neue Versuch, das systematische Element der platonischen Philosophie im ganzen zu eruieren, als Absurclitat abgestempelt wird. Man kann diesem Unternehmen aber nicht einfach mit dem pauschalen Vorwurf begegnen, es systematisiere Platon. Platon selber hat systematisiert, hat seine Erkenntnisse in einer genialen Zusammenschau geordnet, uncl was in seiner Vorlesung 0 ber das Cute zum Vorschein kommt, ist ein philosophisches System par excellence. Auch hier kommt alles darauf an, die richtige Alternative zu finden; die besteht aber nicht zwischen dem sogenannten Frage-Denker Platon und dem "systematisierten Platon" (Perpeet), sondern allein zwischen clem systematischen Lehrgehalt der platonischen Philosophie und dem, was der verstehende historische Nach-
vollzug heute daraus macht. An diesem Punkt hane eine Kritik an der These vom esoterischen Platon anzusetzen. Nur wenn man auch den Lehrgehalt der Vorlesung Ober I das Gute wirklich zur Kenntnis nimmt, besteht die Gewahr flir eine angemessene Auseinandersetzung.
La£h man sich auf dieses Ernstnehmen ein, - und die philologischen Tatbestande empfehlen das zu tun, dann ist, wie eben ausgefiihrt wurde, die einzig mogliche Alternative die, ob es sich bei I1EQLtaya{}ov urn eine einmalige Altersvorlesung nach den Dialogen handelt oder ob es sich urn die Reihe der innerakademischen Lehrvortrage handelt, in den en Platon seine philosophische Konzeption in konzentrierter Form vermittelt hat. Urn zu einer Entscheidung zwischen diesen moglichen Losungen zu kommen, braucht man keine psychologische Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen. Man sollte sich lediglich daran erinnern, was man seiber empfand, als man zum erstenmal platonische Dialoge las, oder was man empfindet, wenn man nach der Lektiire aristotelischer Texte wieder in PIa tons Dialogen liest. Es ist das Gefiihl des Genarrten, das Gefiihl, dag man von jemand, der das Ganze weig, mit Absicht in dem Zustand dessen gehalten wird, der nur ein bigchen mehr als gar nichts weig, dag man es gewissermagen mit einem Eisberg zu tun hat, dessen sehr viel grogerer Teil unsichtbar ist, mit anderen Worten, dag hinter den Dialogen eine groge Konzeption steht, die alles in den Dialogen Gesagte umklammert und umgreifend zusammenhalt. Diese Vermutung, von der sich wohl kaum ein Leser Platons ganz wird freisprechen konnen, ist durch die neueste Forschung im Rahmen der uns zur Verfiigung stehenden Mittel der historischen Erkenntnis zur Gewigheit geworden, und ich behaupte, dag es heute moglich ist, klar zu sehen, wie die exoterische Lehre Platons in einer esoterischen Lehre verankert ist. Es ist das Verdienst von Kramer, diese Beziehung zum erstenmal in umfassender Weise aufgedeckt zu haben. Die Einwande, die von philologischer Seite bisher gegen sein Unternehmen crhoben wurden, sind nicht durchschlagend. Sie operieren weithin ohne neue
Gesichtspunkte und bestehen zumeist aus Argumenten, die Kra~er schon in seinem 1959 erschienenen Buch iiberzeugend entscharfl: hat. Kramer hat seinen philologischen Kritikern in dem Aufsatz "Retraktationen zum Problem des esoterischen Platon", Museum Helveticum 21, 1964, geantwortet und die Einwande glanzen? widerlegt und abgewiesen. Eine nochmalige Zusammenfassung selner Ergebnisse hat Kramer vorgenommen in. der Abhan~lung: Die Platonische Akademie und das Problem emer systemauschen Interpretation der Philosophie Platons", Kantstudien 55, 1964. . Wichtig sind vor allem die methodologischen Konsequenzen, dle sich aus dem neuen Ansatz ergeben und die zu bed enken sind. Das gilt vor I allem flir zwei Problembereiche: fiir. die ,,~laton~sche Frage" und fiir, wie ich sie nennen mocht~.' ~le ,:Anstotel~sche Frage", das heigt die Frage nach der Abhanglgkelt der anstotelischen Philosophie von der platonischen. Die Platonische Frage als die Frage, ob die Reihenfolge der Dialoge den Prozeg der allmahlichen Ausbildung der platonischen Philo sophie widerspiegelt oder ob sie das nicht tut, mug unter der Voraussetzung einer miindlichen Sonderlehre neu durchdacht werden. Der von Hermann in die Platonforschung eingefiihrten genetischen Auffassung stand von Anfang an jene andere, altere, von Schleiermacher neu begriindete Auffassung von der urspriinglichen Einheit des platonischen Denkens gegeniiber. Di.ese ~nsicht, ?ergemag die Abfolge der Dialoge didaktisch ~nd mcht bl~graph~schpsychologisch verstanden werden mug, ist 1m e~sten ~nttel dleses Jahrhunderts von Shorey, Jaeger und v. Armm mlt neuen Argumenten vertreten worden. Es ist auch Jaeger gewesen, der schon 1912 in seinen "Studien" darauf hingewiesen hat, dag es "doch stets ein bloger Notbehelf bleibt, wenn wir aus Mangel an anderen Quellen iiber Platos Ideenlehre oder Zahlenlehre aus seinen Dialogen Auskunfl: schopfen" (140). Durch den inzwischen erbrachten Nachweis der Existenz einer hinter den Dialogen stehenden, mehr oder weniger geschlossenen philosophischen ~onzepti~n P~atons haben die Dialoge ihre mutmamiche Zeugmskrafl: fur eme Entwicklungsgeschichte des platonischen Denkens vollends ei~gebiigt. Die Frage nach einer Entwicklung dieses Denkens ~ann smnvoll nur noch im Rahmen der esoterischen Philosophle Platons
gestellt werden. Ober eine solche Entwicklung wissen wir aber, bis auf eine einzige Angabe bei Aristoteles, gar nichts. Es empfiehlt sich daher aus hermeneutischen GrUnden, in bezug auf die philosophischen Theorien Platons eher mit Konstanten als mit Variablen zu operieren, mindestens mit Konstanten Uber grogere Zeitabschnitte hinweg. Dieses Verfahren hat sich ja auch in der Aristotelesforschung trotz aller entwicklungsgeschichtlichen Experimente bis heute am meisten bewahrt, wie das Gadamer schon 1928 vorausgesehen hat (vgl. Hermes 1928). Es spricht vieles fUr die Annahme, dag die verschiedenen Dialoge jeweils nur einzelne Aspekte der einheitlichen Konzeption darstellen, die Platon in ihrer systematischen Geschlossenheit und Ganzheit nur mUndlich im engeren Kreis der Akademie vorgetragen hat. Das veroffentlichte Dialogwerk und die innerakademische mUndliche Lehre verhielten sich dann, wollte man es in einem Bilde ausdrUcken, etwa so zueinander wie der rotierende Lichtkegel zu dem Leuchtturm, yon dem er ausgestrahlt wird. In diesem Bild kommt vergleichsweise auch der Umstand zum Ausdruck, dag das, was systematisch zusammengehort, bei der Obersetzung in die vermittelnde Darstellung ohnehin nur im Nacheinander vorgefUhrt wer- I den kann. Das hat nichts mit der Entwicklung des Denkens zu tun. Belege fUr so bedingte Zuriickhaltungen und vorbereitende Vorverweise gibt es bei Platon in FUlle. Die Frage nach der Bedeutung der Dialoge stellt sich unter diesen Voraussetzungen neu. Die Vermutung liegt nahe, dag die Dialoge das wirksamste Mittel sozusagen der tlffentlichkeitsarbeit der Akademie waren, Werbeschriften mit gleichzeitiger propadeutisch-protreptischer und doch wohl auch politischer Funktion, die Platons Willen zur Veranderung der Gesellschafl: und sein politisches Engagement dokumentieren. Der Gedanke an die Rolle, die im Gesamtwerk Sartres die Dramen spiel en, stellt sich m. E. hier lebhafl: ein. Auf jeden Fall scheint mir diese Art der Bedeutungsbestimmung der Dialoge noch am ehesten vereinbar mit der, aufs Ganze gesehen, doch faktisch vorhandenen inneren Einheit des platonischen Schrifl:werks. Diese Einheit hatte schon Schleiermacher konstatiert, aber er hat aus dieser Feststellung nicht die richtigen SchlUssegezogen, vielmehr auf Grund seiner Bewertung der Dialog-
form die Auffassung vertreten, dag Platon in der Gesamtheit der Dialoge seine Philosophie vollstandig zur Darstellung gebracht hat. Das hatte auch Hermann angenommen, allerdings unter Aufnahme des Entwicklungsgedankens. Aber fUr die, wie er meinte, in der letzten Lebensperiode Platons entwickelte Prinzipienlehre hat Hermann eine Esoterik in der Form mUndlicher Lehrvortrage in Anspruch genommen. Die Forschungsgeschichte nach Hermann ist im wesentlichen bestimmt worden durch die Synthese gerade der unwahrscheinlichen Elemente in den Theorien yon Schleiermacher und Hermann, namlich der Bestreitung des Esoterischen einerseits und der Anwendung der genetischen Betrachtungsweise andererseits. DemgegenUber ist der neue Ansatz yon Kramer ein Riickgriff auf die beiden wahrscheinlicheren Elemente ihrer Theorien, die These yon der Einheit des Gesamtwerkes und die These yon der Existenz einer esoterischen Sonderlehre, wobei die Moglichkeit einer Entwicklung im einzelnen grundsatzlich bejaht wird. Als sicheres Indiz fUr eine Wandlung in der platonischen Position wird man in der gesamten antiken Literatur jedoch nur ein einziges Zeugnis werten konnen, namlich den Beleg bei Aristoteles im Buch M der M etaphysik, wo die Lehre yon den Ideen-Zahlen yon einer alteren Fassung der Ideenlehre unterschieden wird. Aber man kann dieser Angabe nicht mehr entnehmen als die Nachricht, dag Platon yon irgendeinem Zeitpunkt an die Ideen als Zahlen interpretiert hat. Die Notiz des Aristoteles stUtzt sich allem Anschein nach auf die innerakademische Lehre PIa tons. Chronologisch lagt sich die Umformung des Ideenverstandnisses gar nicht festlegen. Ebensowenig kann man den durch die Il£QL Tuyafroii-Referate bezeugten Inhalt der Lehr- I vortrage bezUglich seiner zeitlichen Entstehung einfach aus GrUnden der Nachbarschafl: im Systematischen auf die Periode der dialektischen Spatschriften festlegen, weil sich langst herausgestellt hat, dag die wesentlichen LehrstUcke dieser Dialoge keineswegs erst dem spaten Platon vertraut waren. Andererseits ist damit nicht gesagt, dag die Il£QL Tuyafroii-Berichte schon fUr die Anfange platonischen Philosophierens gelten. Nur dieses ist damit gesagt, dag die Dialoge kein zuverlassiges Erkenntnismittel sind, wenn sie in den Dienst der entwicklungsgeschichtlichen Frage gestellt werden.
So ist also durch das Ernstnehmen und die genaue Erforschung der mitte1baren Platon-Oberlieferung ein neues Platon-Bild entstanden, das sowohl zu den entscheidenden Selbstzeugnissen Platons pagt als auch mit der antiken Bewertung yon Platons miindlicher Lehre iibereinstimmt.
Bei der zentralen Stellung Platons im Ganzen des anti ken Denkens hat die Wiederentdeckung der systematischen Form der platonischen Philosophie fiir unser Gesamtverstandnis der Philosophie des Altertums revolutionare Bedeutung. Die vorplatonische, aber noch mehr die nachplatonische griechische Philosophie erscheinen in einem helleren Licht. Es ist jetzt ganz deutlich, dag Platon mit seiner Prinzipienlehre an die Tradition der ArcheProblematik der Vorsokratiker ankniipft und eine neue Grundlegung der Philosophie des Ursprungs vollzieht. Mit seiner Hinzufiigung eines Gegenprinzips geht er iiber das EV des Parmenides hinaus und ermoglicht so die dialektische Bewegung, die den Zusammenhang alles Seienden mit dem Seinsgrund herstellt. Der hermeneutische Leitfaden dieser ontologischen Konzeption ist die sacherschliegende Rede im Miteinander und Gegeneinander des Gesprachs als des Ursprungs aller Dialektik. Darauf hat Gadamer (a. O. 31 f.) jetzt noch einmal verdeutlichend hingewiesen, denn dag es eine Lehre yon zwei Prinzipien ist, "gibt doch zu denken". Platon erzahlt hier keine "genealogischen Geschichten, wie sie die Friiheren erzahlten ... , sondern es ist der Sinn yon Sein, wie es sich im Logos einheitlich-vie1faltig darstellt, der auf diese Eins und Zwei zuriickfiihrt, ein Ganzes der Logoi, in dem sich die Ordnung des Seins eint und entfaltet, ein wahrhaftes Ganzes, das Freilich dem menschlich-endlichen Erkennen nur seiner Grundverfassung nach und nur im konkreten Vollzug sachlicher Zusammenhange erfahrbar ist". Maggebend sind die Strukturbegriffe des Logos, nicht die einer blogen derivativen Kosmologie. Dabei setzt Platon das vorsokratische Denken mQi qJ1J(J'E(j)~ durchaus fort, und daher nimmt sich die Wendung ltEQi lpU(JE(j)~ aXQu xui ltQWtU im Sieben-I ten Brief (344 D 4) tatsachlich wie ein Tite1 aus, und
es ist vielleicht sogar der Titel jener Schrift, die Dionys II. ehrgeizigerweise iiber die platonische Philosophie angefertigt hat, wie Gadamer (a. 0.30) andeutungsweise vermutet. Es ist gerade diese Arche- Thematik des esoterischen PIa ton, die in ihrer Durchfiihrung erkennen Higt, dag Platon der grogartige Abschlug des friihgriechischen Arche-Denkens ist. Schon mit Aristoteles bricht die aus dem Ursprung gedachte Einheit der platonischen Konzeption auseinander, urn freilich in veranderter Gestalt weiterzuwirken. Aristoteles gab ganz offensichtlich den ideentheoretischen Ansatz Pia tons in der Oberzeugung auf, dag mit den Mitteln bloger Begriffszerlegung kein Weiterkommen sei. Er iiberw~nd. nich.t den begriindungstheoretischen Ansatz Pia tons, sondern he~ Ihn emfa~ liegen urn sich denjenigen Aufgaben zuzuwenden, die er als die richti~eren erkannt zu haben glaubte. Wissenschaftsgeschichtlich und erkenntnistheoretisch war dieser Obergang yon Platon zu Aristoteles, wie es uns heute scheinen will, notwendig fiir das Zustandekommen der modernen mathematischen Naturwissenschaft. Wahrscheinlich war erst eine jahrhundertelange Beschaftigung mit der Physik des Aristoteles notig, urn dann seit dem 17. Jahrhundert die Mathematisierung der Phanomene zu vollziehen, was der Sache nach einem Riickgriff auf Platon gleichkommt. Deshalb ja auch die besondere Aktualitat der platonischen Methode heute bei den Versuchen einer philosophischen Grundlegung der Naturwissenschaften, im besonderen der Physik. Tatsachlich wurde die Bedeutung des platonischen Ansatzes durch die Hinwendung des Aristoteles zu den Phanomenen gar nicht in Mitleidenschaft gezogen oder gar vernichtet, auch nicht geschichtlich. Das beweist am besten die Tatsache des Neuplatonismus, dem es fast ausnahmslos gelang, die Losungen, die Aristoteles fiir seine speziellen Frag~stellungen gefunden hatte, in das System der erneuerten platomschen Metaphysik ohne sonderliche Anstrengungen einzubauen. Die Forschung hat sich allzu lange yon der Vorstellung beherrschen lassen, dag der Neuplatonismus nur eine Philosophie der Verbiegungen urspriinglich platonischer Gedanken sei. Die Zukunft wird immer deutlicher zeigen, wie falsch diese Annahme war4•
1m Gegenteil: wir werden eines Tages iiberrascht sein zu sehen, wie gering an Zahl und Gewicht die wirklich originaren Beitrage des Neuplatonismus gewesen sind. Der Neuplatonismus kniipft an die bis in die romische Kaiserzeit I ununterbrochen wirksam gebliebene Tradition der miindlichen Lehren Platons an. Der Neuplatonismus ist die erste Platon-Renaissance in weltgeschichtlichem Stil. Ich werde in einem anderen Zusammenhang bald zeigen konnen, wie der esoterische Platon in der Philosophie des Mittelalters im griechischen Osten, bei den Byzantinern, weitergewirkt hat - bis in die italienische Renaissance hinein. Damit ist, so meine ich, auch deutlich, dag es sich heute bei dem Unternehmen der Erschliegung und Rekonstruktion der innerakademischen Lehren Platons nicht urn das handelt, was man gerne abwertend eine sogenannte neuplatonische Interpretation Platons nennt. Dieser Vorwurf iibersieht die Tatsache, dag das neue Bild des esoterischen Platon sich auf Zeugnisse stiitzen kann, die einer Oberlieferung entnommen sind, welche direkt oder indirekt auf Platon selbst zuriickgeht. Es ist vielmehr so, dag das mit Hilfe dieser Belege gewonnene Platon-Bild die neuplatonische Platoninterpretation vielfach bestatigt. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, dag in der weiteren Erschliegung und Interpretation yon Texten zur miindlichen Lehre Platons die zentrale Aufgabe der Platonforschung in der nahen Zukunft bestehen wird. Das Thema ist zu gewaltig, die Folgen fiir unser Gesamtversdndnis der europaischen Philosophiegeschichte und Philosophie zu einschneidend, als dag wir nach den neuesten Vermutungen einfach wieder zur Tagesordnung iibergehen konnten. Es ist die Aufgabe, die uns allem Anschein nach in dieser forschungsgeschichtlichen Situation aufgegeben ist. Was wir als Geschichte der Philo sophie verstehen, ist zu einem erheblichen Teil personliche Vision. Und doch ist es mehr als eine der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, Amsterdam 1964, bestiitigt diese Aussage vollauf. VgI. auilerdem den ebenfalls soeben erschienenen Aufsatz von Willy Theiler, Einheit und Unbegrenzte Zweiheit von Plato bis Plotin. In: Isonomia. Studien zur Gleichheitsvorstellung im griechischen Denken. Hrsgg. von J. Mau u. E. G. Schmidt, Berlin 1964, 89-109.
personliche Vision. Es gibt Grundelemente der historischen Erfahrung, die sogenannten Fakten, iiber die sich aIle oder die meisten oder die besten Sachversdndigen einig sind, ganz gleich, wie uneinig man sich in der Deutung ist. Die Deutung aber wird yon Historiker zu Historiker und yon Generation zu Generation wechseln. Was in vierzig Jahren bei der Beurteilung der Philosophie Platons besondere Bedeutung hat, wird vielleicht nicht dasselbe sein, was wir heute fiir bedeutsam halten. Aber es geht heute primar nicht urn das, was in vierzig Jahren vielleicht wahr sein konnte; es geht darum, jetzt nicht an den Ufern der Geschichte zu stehen und zu versuchen, die Flut der neuen Erkenntnisse zuriickzuhalten. Die Erforschung der Geschichte der griechischen Philosophie ist nun endlich wieder in Deutschland so in Bewegung gekommen, wie das seit den zwanziger Jahren, seit der Zeit eines Jaeger, Stenzel und v. Arnim, nicht mehr der Fall gewesen ist. Man sollte dieses Phanomen als das ansehen, was es seiner Natur nach ist: als das Epiphanomen einer neuen Epoche der Forschung. In dieser Epoche der Forschung wird der Philosophiehistoriker, der weig, was er tut, Systemanalytiker sein.
ZUR REKONSTRUKTION DER UNGESCHRIEBENEN LEHRE
PLATONS DIAIRESIS IN DER DEUTUNG
DER IDEEN UND ZAHLEN VON JULIUS STENZEV
Allen [... J Modernisierungen Platons von irgendeinem "System" aus, die nicht zu Platon hin, sondern von ihm fortfiihren, stehen jetzt als heilsames Gegengewicht die Arbeiten von Julius Stenzell gegeniiber, der es sich zur Aufgabe stellte, "den Sinn der Ideenlehre, der durch die neuere Platonforschung immer problematischer geworden ist, in ihrer historischenWirklichkeit zu erfassen" [Studien ... , S. 1J. Ais das wichtigste Ergebnis stellte sich ihm heraus, daB der "Begriff" gar nicht am Anfang, sondern am Ende der platonischen Entwicklung steht, die nicht von dem Begriff zur Idee, sondern von der Idee zum Begriff fortschreitet. Die Entwicklung ist dabei keine von Dialog zu Dialog methodisch fortgehende, sie ist vie1mehr ". [Anmerkung des Herausgebers: Da dieser Beitrag aus dem groEeren Zusammenhang eines Buches stammt, muEte ein eigener Tite! sinngemaE fur ihn erganzt werden. Ferner hat der Herausgeber vor allem die Stellenangaben der Stenze!-Zitate jeweils in eckigen Klammern hinzugefiigt.] 1 Zur Logik des Sokrates (Jahresb. d. schles. Gesellsch. fur vater!' Kultur 1917). - Studien zur Entwicklung der platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristote!es. Arete und Diairesis. Mit einem Anhang: Literarische Form und philosophischer Gehalt des platonischen Dialoges (1917). Der EinfluE der griechischen Sprache auf die philosophische Begriffsbildung (Neue Jahrb. f. d. klass. Altertum 1921). Uber den Aufbau der Erkenntnis im VII. platonischen Brief (Sokrates 1921). Zahl und Gestalt bei Platon und Aristoteles (1924). Uber den Zusammenhang des Dichterischen und Religiosen bei Platon (Schles. Jahrb. II, 1925). Zur Entwicklung des Geistbegriffs in der griechischen Philosophie (Die Antike T, 1925). Der Begriff der Erleuchtung bei Platon (Die Antike II, 1926). Platon. Der Erzieher (1928).
Zu verstehen im Sinne Goethes als gepragte Form, die lebend sich enrwickelt: "Die Einheit des platonischen Werkes beruht auf einer scharf ausgepragten Form, die Dinge zu sehen und wissenschaftlich zu. erfassen - diese Form ist die Idee, die Anschauung. Die Entwl:~lung beruht .1 auf dem vedinderten Objektkreis, auf dem jeweIhg das Hauptmteresse Pia tons ruht; das gegensrandliche Denken ist seinem Wesen nach abhangig yon der Struktur des Gegenstandes, an dem es vorzugsweise sich ausbildet." [Studien " " S. 1]. Die platonischen Dialoge teilen sich in solche, bei denen das Interesse PIa tons liberwiegend auf ethisch-praktischem, und in solche, bei denen es auf theoretisch-naturphilosophischem Gebiete liegt, eine Teilung, die sich schon an der Stellung des Sokrates im Dialog ?emerkbar macht; denn in der ersten Reihe ist er die Hauptfigur, m der zweiten Tritt er immer mehr zurlick. In der ersten Periode erscheinr das Eidos als Idee des Guten, der ein metaphysisches Sein zukommt und die sich aus dem spezifisch griechischen Arete-Begriff erklart als Ursache im doppelten Sinne des Grundes und zugleich des Zweckes. In der zweiten Tritt sie auf als Substrat der "Konstanz der Arten" im naturwissenschaftlichen Klassenreich, wie sie die Methode der Begriffsspaltung (OW[QEaLl;) zu erfassen sucht, urn das einzelne Wirkliche wissenschaftlich zu begreifen. Wichtiger als dieses in groBen Zligen nach Stenzeis eigener Zusamm~nfassu~g dargestellte Ergebnis sind die Einzelbeobachtungen und dIe aus emer sorgfaltigen Interpretation der Texte gewonnenen besonderen Einsichten, auf denen sich das Ganze aufbaut. Zunachst muBte ein Hindernis aus dem Wege geraumt werden: die Darstellung der Enrwicklung der platonischen Philosophie aus der Sokratik, wie sie Aristoteles gibt. Wie die anderen historischen Uberblicke, die wir bei Aristoteles finden, erweist sich auch dieser als falsch oder Zum mindesten schief2. Aristoteles hatte erklart3: "I?a er (Platon) namlich in seiner ersten Periode schon ganz frlih mit Kratylos und der Meinung Heraklits, daB alles Sinnliche besrandig flieBe und es keine Wissenschaft davon gabe, vertraut geworden war, so hieit er diese Ansicht auch flir die Folge fest. Da 2
Vgl.K.Reinhardt,
a Met. A 6,987 a f.
Parmenides (1916) 169.
sich aber Sokrates mit den sittlichen Fragen I befaBte und die ganze Natur beiseite lieB, hier aber in der Ethik das Allgemeine suchte und als Erster sein Augenmerk auf Begriffsbestimmungen richtete, so zollte er ihm Beifall und meinte auf Grund jener Ansicht, das Definieren habe anderes zum Gegenstande, nichts Sinnliches; denn eine allgemein gliltige Bestimmung irgendeines sinnenfalligen Dinges sei unmoglich, da diese sich ja bestandig anderten. Er nun gab jener Art des Seienden den Namen Ideen und lehrte, daB die sinnlichen Dinge neben denselben bestanden und aile yon Ihnen den Namen hatten." Stenzel schlieBt sich der Darstellung Maiers an 4, der das Wesen der sokratischen Methode nicht im "Definieren", sondern in der unermlidlichen Betonung des Vorhandenseins der Tugend, des Guten und Gerechten und im Erweis ihrer Existenz durch das sittliche Handein sah. Platon kommt es zunachst darauf an, dieses Gute zu erfassen, aber nicht im Begriff, sondern in der unmittelbaren Anschauung durch eine Hinwendung der Seele, ein anschauendes Denken, auf das vor allem die Worte hindeuten, die er zum Ausdruck dieses Erfassens braucht: toeLv, EtllEvm, tllEa, £loot;. Es handelt sich nicht urn die Gewinnung eines allgemeinen Begriffs durch Abstraktion aus einer Reihe yon konkreten Einzelfallen, sondern umgekehrt urn eine aller Einzelerkenntnis vorausgehende Intuition, einen Einblick in ein yon der Welt der konkreten Dinge vollig verschiedenes Reich, aus dem die Erkenntnis des reinen Wesens geholt werden muB, urn dann das konkrete Einzelne zu dem AlIgemeinen in Beziehung zu setzen. Zunachst wird die Art, wie das Einzelne zum Allgemeinen in Beziehung steht, wie es an ihm "teilhat" am Beispiel der Mathematik erlautert: "Wer den Menon und Phaidon kennt, weiB, daB die Teilnahme des Einzeinen am AlIgemeinen yon Platon am liebsten an mathematischen Gebilden aufgezeigt wird. Charakteristisch flir die mathematische Anschauung ist es, daB der einzelne Fall nicht nur andre Faile gleicher Art, sondern etwas schlechterdings I anderes, "Hoheres" vertritt, ein unmittelbar Gewisses. Von einer Abstraktion aus den Einzelfallen auf das Allgemeine kann also gar keine Rede sein; vieimehr muB gerade an den mathematischen Problemen auch dem archaischen
Denken klar werden, daB erst mit Hilfe eines Hoheren das Einzelne er~annt v.:erden kann als das, was es ist, wie der Phaidon sagt, "als selend gesle?elt." werden kann; und da andrerseits das Allgemeine, Yon dem Wlr hler sprechen, das Mathematische im weitesten Sinne sich fUr das ursprungliche Denken schwer in einer begrifflichen Fas~ sung, einer Definition darstellen, sondern viel leichter in einer Ansc~auung vorst~llen l1iBt, so liegt in diesem Denken der stete Zug, wieder zum Emzelnen, Zum Anschaulichen zUriickzukehren dort sich uber den Inhalt des Allgemeinen mit einem Schlage zu 'informieren, in einer Sicht, !H~ [bE~, durch einen Oberblick. Dies ist die ;taAlvtOvo~ uQ[WVla der Idee, die ihren Entwicklungsgang bestimmen wird." [Studien ... , S. 14]. Wie in der Mathematik gibt es auch in der Ethik ein UnmittelbarGewisses, das in seiner Reinheit und Einzigkeit erfaBt werden solI. Wie die unvollkommenen gezeichneten mathematischen Figuren, so sind alle einzelnen sittlichen Taten, alle guten und schonen Menschen, in deren Personlichkeit Gutes in die Erscheinung tritt, nur Stufen auf dem Wege zum Hochsten, das sich in ihnen nie vollkommen verwirklicht. "Waren also die Ideen an das Einzelne geknupft, an die angeschaute Form und Gestalt, an der das Allgemeine erfaBt wurde, so muBte es das Grundbestreben des Philosophen sein, nun diese so merkwurdig fest mit dem Einzelnen verwachsene Form selbst an sich, fur sich, eben nicht an dem Einzelnen zu erf:ssen; denn es war die Voraussetzung des gesamten platonischsokrauschen Denkens, daB aus dem ewig veranderlichen Strom des Werdens schlechterdings nichts Bleibendes, dem Gedanken FaBbares stammen konne; bei den ethischen Objekten des Guten und Schonen muBte sic~ dieser Trieb Zur vollen Transzendenz, zur religiosen Metaphyslk verst1irken, und die logischen I Tatsachen der Mathematik werden in diesen Zusammenhang versichernd und best1itigend aufgenommen." [Studien ... , S. 15.] Sie sind und bleiben aber hier nur Beispiel fur etwas anderes Hoheres. Von der sokratisch-platonischen Ethik aus l1iBt sich Ferner verstehen, daB das hochste Gute zugleich Grund und Ziel aller aQET~ 5, aber auch das hochste Wissen, die Wissenschaft als solche ist; denn
die Sittlichkeit bestand schon bei Sokrates im Wissen urn das Gute. Gerade die Identifizierung yon Ethik und Wissen, ja Wissenschaft sollte der platonischen Philosophie gef1ihrlich werden. 1m Sinne des Sokrates war alles Gute ein Wissen, nach Platon sollte nun auch alles Wissen gut sein. Die Schwierigkeiten beginnen in dem Augenblicke, wo die Wissenschaften nicht mehr wie die Mathematik dazu herangezogen werden, ethische Sachverhalte zu erkl1iren, sondern das Interesse an jeder Wissenschaft iiberhaupt und ihrer Begrundung sich verselbst1indigt und aus den Ideen wissenschaftliche Begriffe werden. "Diesen Schritt" sagt Stenzel [Studien ... , S. 28], "muB man in seiner ganzen Schwierigkeit fur Platon zu begreifen suchen. Er ringt - nicht um die Idee, die ist seinem Geiste gem1iBsondern er ringt urn den so viel einfacher erscheinenden Begriff." ]etzt, nach der Politeia, treten die Fragen auf, die nicht fur die Ethik wohl aber fur die wissenschaftliche Erkenntnis beantwortet werd:n mussen, die Fragen nach der absoluten Existenz der Ideen, nach dem Verh1iltnis ihrer Einheit zur Mannigfaltigkeit des an ihr Teilhabenden, nach dem Sinn dieser Methexis 6, eine Frage, in der zugleich das Chorismosproblem 7 enthalten ist, und die nach der im Theaitetos umstrittenen, im Sophistes definierten wahren und falschen Meinung. Stenzel zeigt, wie diese Probleme nach- I einander und nebeneinander auftauchen und sich immer mehr zu der Hauptfrage verdichten: Wie kann die eine Idee zugleich Vieles sein und wie konnen die Ideen aneinander teilhaben? Die Losung aller dieser Fragen bringt die im Sophistes ausdrucklich als "neu" eingefiihrte Methode der Begriffsspaltung, des xm;' E'ibll btaLQELa{}m. "Nach der Terminologie des Staates muBte sich die neue Aufgabe so darstellen: L1iBt sich das Wissen urns Allgemeine verbinden mit der Vorstellung des Einzelnen? Kann die M~a durch das spezifische Mittel der Wissenschaft, den A6yo~, dargestellt,
8 D. h. der Beziehung, in der der Begriff zu den Gegenstanden steht, die unter ihn fallen, z. B. der Begriff "Mensch" zu den einzelnen wirklichenMenschen. 7 Unter Chorismos versteht Platon die Kluft, die zwischen der Ideenwelt und den einzelnen, wirklichen Dingen liegt, auf die sich die Ideen beziehen.
als wahr erwiesen werden? Die Dialektik des Staates besaB auch in ihrem absteigenden Verfahren kein Mittel zur Losung dieser Aufgabe. Das Elbot; und die bOsa gehorten nach dem Staate verschiedenen Welten an, sie bedurften beide einer radikalen Umgestaltung." [Studien ... , S. 56]. Es ist Stenzels Hauptverdienst, diese Methode der Begriffsspaltung in ihrem eigentlichen, noch recht primitiven Sinn dargestellt und yon allen nachplatonischen antiken und vor allem den modernen Zutaten gereinigt zu haben. Nur wird der Leser bei ihm die Anschaulichkeit vermissen, die gerade fur Platon so wesentlich war. Daher habe ich es versucht, in meinem Buche "Denkformen" [1928, S. 201 ff.] im AnschluB an Stenzels Analysen - allerdings zu anderen Zwecken - yon der Anschauung auszugehen. Man muB eine solche durchgefuhrte blaLQEatt; gesehen haben, urn sie voll zu verstehen. Darum solI auch hier die ganze ErkHirung an die beigefugte Zeichnung angeschlossen und moglichst vereinfacht werden. Naturlich ist es immer miBlich, der Interpret eines Interpreten zu sein; aber ich hoffe, daB dies den Forschungen Stenzels und ihrem Verstandnis in weiteren Kreisen nicht nachteilig, sondern forderlich sein wird. Da meine Ausfuhrungen sich mit denen Stenzels nicht decken, kann durch sie niemandem das Studium seiner Bucher erspart werden, der uber Platon heute mitreden will. Aus padagogischen Grunden, oder wie es yon Platon hieB blbaol'((XALat; EVExa, wahle ich die blaLQEOlt; des Begriffs der i bClOl'~fl1'], wie sie im Dialog Politikos durchgefuhrt wird. Platon beginnt mit einer Hypothese, die stillschweigend zugegeben wird, mit dem Satz, daB die Staatskunst jedenfalls eine Wissenschaft sei. Damit ist die Idee gewonnen, an der die Teilung vollzogen werden solI; es ist der Begriff der Wissenschaft uberhaupt. Die Wissenschaft als solche zerfallt zunachst in rein erkennende (YVOlonxai) Wissenschaften, wie z. B. die Arithmetik, und in praktisch angewandte (JtQaxnxai) wie die Baukunst und alles Handwerk, zu dem Kenntnisse gehoren. Da die ganze Teilung immer nur urn des Begriffs des Staatsmannes willen unternommen wird, ist nun daruber zu entscheiden, zu welcher der beiden Wissenschaftsarten der Staatsmann in Beziehung steht. Da er praktisch mit seiner Hande Arbeit und mit seinem ganzen Leibe fur die Erhaltung des Staates weniger tun kann als
mit seiner Einsicht und der Kraft der See!e, gehort die Staatskunst zu den erkennenden Wissenschaften. Die praktischen Wissenschaften scheiden damit yon der weiteren Bearbeitung aus, die bei den erkennenden fortzusetzen ist, da nur sie fur die Gewinnung des Begriffs des Politikos etwas leisten. Es gilt nun einen weiteren Einteilungsgrund zu finden, der in der gewunschten Richtung weiter fuhrt. Dies geschieht auf Grund folgender Oberlegung: Wie ein Baumeister seine Erkenntnisse nicht se!bst durch seine eigene Arbeit in die Tat umsetzt, sondern seinen Arbeitern auf Grund seiner Erkenntnis und seines Wissens auf dem Gebiete der Mathematik Befehle erteilt, 60 auch der Staatsmann. Darum mussen die erkennenden Wissenschaften weiter eingeteilt werden in befehlende (EJtll'aXnxai) und bloB urteilende (xQll'lXaL). Die Staatskunst gehort zu den Befehle erteilenden. Befehle aber geben oft auch die Herolde oder Diener eines Konigs in dessen Auftrage. Zu ihnen gehort der Staatsmann nicht; er gibt nicht Befehle weiter, er ist selbst Ursprung und Ursache des Befehls. Darum ist seine Wissenschaft aUl'EJtl:taXnX~ und unterscheidet sich dadurch yon allen anderen, auf deren nahere Charakterisierung wieder verzichtet wird, weil sie fUr die Gewinnung der I Definition des Staatsmannes nichts leisten. Durch den Begriff des Befehlens wird zugleich ein weiterer Einteilungsgrund gewonnen. Aile Befehle werden gegeben, damit etwas geschehen, etwas "werden" soil (YEveOEWt; nVOt; EVExa). Alles, was zur yeVEalt;, zur Schopfung gehort, ist entweder beseelt oder unbeseelt. Der Staatsmann hat es nur mit Lebendigem zu tun. Am Lebendigen muB also die Teilung in Gattungen fortgesetzt werden. Die lebendigen Wesen werden teils einze!n aufgezogen, teils leben sie gemeinsam und werden in Herden gezuchtet. Da es sich im Staat urn das Gemeinschaftsleben handelt, bezieht sich die Staatskunst auf die XOlVOl'QOlpLa. Die in Gemeinschaft gezuchteten Wesen zerfallen i.n solche, die auf dem Lande, und in solche, die im Wasser leben; die auf dem Lande lebenden in solche, die FuBe, und in solche, die Fluge! haben; die mit FuBen versehenen in ZweifuBer und VierfuBer, die ZweifuBer in nackte und gefiederte. Zu den nackten gehort der Mensch, und damit ist Platon am Ul'OflOV Elbo;. ange!a~gt, dem hier, wo es sich urn die Staatskunst handelt, mcht welter zerlegbaren Begriff. Der Mensch ist ein nacktes, zweifuBiges,
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.. yaQ EV ltQci:nw~ aim'> Ealml> EO'nv LO'ov.Die aVLcr01:l]~aber findet sich in der llltEQoxi] %ai nAEl'\IJL~, denn ungleich sind Dinge, welche iibertroffen werden und iibertreffen. Aber auch dazu bildet der obige Hermodortext die Parallele, der jedoch die beiden Stufen der avaywy~ verwischt. Dagegen bietet sich yon selbst ein Text Alexanders aus dem schon erwahnten Referat zum Vergleich: 1: bLx.aLwt; aTQE~Aoua{}aL" x.ai Ta TOLaUTax.ax.a x.ax.oLt; Evav-rLa EaTLv. TO bE ~aQv 1'4>xou~QabEL x.ai TO flEAav T4>AEUX.4> Wt; ouMTEQa OU6ETEQOLt; Evav-rLa EaTL. TWV EvavTLwv uQa Ta flEV Wt; aya{}a x.ax.oLt; Evav-rLa EaT[' Ta I 6E Wt; x.ax.a x.ax.oLt;·Ta bE Wt; OMETEQOlt; ouMTEQa (III, 104-5 = div. 27 Mutschmann).
Das ist nun, wie es scheint, etwas ganz anderes als die Gruppe der Evav-rLa bei Hermodor und Sextus. Diese scheint sich nur mit der ersten Art der hier unterschiedenen Gegensatze zu decken. Die Beispiele gut - schlecht erscheinen an allen drei Stellen, das Paar gerecht - ungerecht bei Diogenes und Sextus. Die anderen beiden Gruppen des Diogenes aber enthalten eine feinere Unterscheidung im Rahmen der kontraren Gegensatze, welche die beiden anderen Berichterstatter in ihrem graBeren Zusammenhang auBer acht lassen. Noch klarer wird das Verhaltnis der drei Berichte, wenn wir die aristotelische Einteilung beiziehen. Sehr ausfiihrlich auBert er sich Stenzel, der diese Stelle in der zweiten Auflage von Zahl und Gestalt stark heranzieht, bemerkt, daB hier das Leitmotiv des Folgenden gegeben ist (S. 158). Aber dieser Satz ist platonisch in einem vie! starkeren Sinn als Stenzel ahnen konnte. In der eben behande!ten Ableitung der Prinzipien erweist sich die Gruppe der Substanzen als schlechterdings dem EVzugeordnet, wahrend die anderen Gruppen an der unbestimmten Zwei teilhaben. Platonisch ist es auch, wenn Aristote!es diese Erorterung des Einheitsbegriffs abschlieEt mit der Bemerkung: a(lX~ OOv tOU yvwatou itwt Exuawv to EV 1016b20. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Gl~ichsetzung der Ruhe mit dem w(lLa~lEvov,der xlvllaL~ mit der aO(lLatla in der fruharistotelischen Topik zu vcrweisen (Z 4 142 a 19-21).
im ~ der Metaphysik iiber die verschiedenen Arten der Gegensiitze. Zuniichst erfolgt eine erste Gliederung: UVtLXELf-lEvaHYETaL un[qJaOL~ %aL Tuvan[a xaL Ta j[Qa~ TL xaL OTEQ't']OL~xaL E!; 6)v xaL EL~ a EoxaTa, olov aL YEVEOEL~%at qJitoQa[ (1018a 20-22). Wir brauchen
uns mit der viel erorterten letzten Gruppe dieser Einteilung nicht zu beschiiftigen. Wichtig ist fur uns vor all em die terminologische Feststellung, wonach UVtLXELf-lEVOVeinen Gattungsbegriff bildet, zu dem Ta Evan[a und j[Qa~ tL Artbegriffe sind. Diese Terminologie ist durch das ganze aristotelische Schrifhum fest45• Fur die EvaVT[a aber bringt Aristoteles wieder mehrere Unterteilungen, unter den en sich auch die des Diogenes befinden 46. Es ist fur uns bel anglos, welche Verfeinerungen Aristoteles selbst bei diesen Begriffsverhiiltnissen angebracht hat. Es geniigt die Feststellung, daB das Verhiiltnis zwischen UVtLXELf-lEVOV,Evan[ov, ltQa~ TL bei Aristoteles offensichtlich von Anfang an festliegt, moglicherweise also bereits akademischen Ursprungs ist. Vergleichen wir mit diesem Ergebnis die Texte bei Hermodor und Sextus, so zeigt sich, daB Hermodor die Zusammenfassung des Evan[ov und ltQa~ tL unter einen einheitlichen Gattungsbegriff kennt, den er Freilich nicht als UVtLXELf-lEVOV,sondern als It(lO~ E-rEQa bezeichnet, was offensichtlich dasselbe meint. Sextus dagegen liiBt diesen Oberbegriff aus und erwiihnt gleich die beiden Arten des Evan[ov und j[Qa~ TL. Wenn aber Alexander in seinem Bericht aus IIE(lL Tuyaitov neb en die Substanz TO UVtLXELf-lEVOVsetzt, so hat er damit nicht die Art des EvavTlov im Auge, sondern die gemeinsame Gattung des Evan[ov und ltQa~ tL 47. Zugleich bietet er eine Stiitze fur unsere Vermutung, daB die aristotelische Einteilung auf Platon zuruckgeht. Diogenes dagegen Eefert als willkommene Ergiinzung eine weitere Unterteilung der Gruppe der EvavT[a. I DaB die Diairesis der Evan[a ursprunglich mit der Einteilung des gesamten Seinsbereichs eng zusammenhing, zeigen die im Codex 45 Vgl. Met. I 4 1055 a 38-b 1; 7 1057 a 36-7; Top. B 2 109 b 17-20; Kat. 10 11 b 17-9. 46 fj, 10 1018 a 25-35. Die Einteilung des Diogenes fand sich nach dem Zeugnis des Simplikios auch in dem aristotelischen Werk J'tEeLUV'tLXELf!EVWV, vgl. fro 124 R. 47 Vgl. oben Anm. 21.
Marcianus erhaltenen Divisiones Aristoteleae. Wie die Ausgabe Mutschmanns zeigt, decken sich die meisten der dort gebotenen Gliederungen mit denen des Diogenes, der ja auch am Anfang und am Ende seiner Diairesen Platons den Namen des Aristoteles nennt. Man hat daraus wohl mit Recht geschlossen, daB eine aristotelische Diairesensammlung die Quelle des Diogenes bildete. Solche Sammlungen sind in allen Schrifl:verzeichnissen des Stagiriten erwiihnt48• Unter dem, was der Marcianus an Sondergut uber Diogenes hinaus bietet, findet sich auch eine nochmalige Diairese der Evan[a49• Sie beginnt: IhaLQoVVTaL Ta Evan[a OUTW~.TWV OVTWVTWV f-lEV EOtL tL Evan[ov, TWV bE ou. XQuoip f-lEv yaQ xaL uvitQwmp %aL Lf-laT[q> xaL Toi~ TOLO{,TOL~ oubEv EOtLV EvavTlov, UQETTIbE xaL uyaitip xaL itEQf-lip EOtL TL Evan[ov' uyaitip f-lEVyaQ EvavT(Ov TO xaxav, U(lETTIbE %ax[a, itEQf-lip bE '¢uXQav. TWV Evan[wv TO[VUVaUTwv Ta f-lEV£x.oua[ TL uva f-lEOOV,Ta bE ou. Hier sind wie bei Sextus die EvavTla von den Substanzen abgehoben, und wie dort spielt bei der Bestimmung der Evanta die Frage des f-lEOOVeine Rolle. Nur hatte dieses bei Sextus dazu gedient, die EvavTta von den ltQa~ tL zu unterscheiden, wiihrend der Marcianus unter den EvavTta selbst einen Unterschied in der Frage des f-lEOOVfeststellen will. Freilich gelingt ihm das nur schlecht. Ais
einziges Beispiel, wo ein Mittleres moglich sein 5011, weiB er das Paar uyaMv-xaxav zu nennen, ohne aber das Mittlere selbst zu bezeichnen. Man kann sich weder nach platonischer noch nach aristotelischer Auffassung ein solches f-lEOOVzwischen gut und bose denken. Wir haben hier wohl eine der Verschlimmbesserungen des Schulbetriebs, von dem ja gerade der Marcianus ein trauriges Zeugnis ablegt50• Trotz dieser Verstiimmelung aber ist diese Diairesis in unserem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung, vermag sie doch die Einordnung der Diairesis der EvavT[a in die umfassendere des Seienden, wie sie Sextus voraussetzt, ebenso zu zeigen, wie die Bedeutung des f-lEOOVin der Bestimmung der EvavT[a, die Sextus in ihrem ursprunglichen Sinn erhalten hat. 1m weiteren Verlauf bringt 48
49 50
Vgl. dariiber Mutschmann im Vorwort seiner Ausgabe XVIII. (68) S. 65-66 Mutschmann. Vgl. Mutschmann praef. XXXIII-XXXV.
dann diese Divisio (68) eine Dreiteilung der fvuvcLa, die sich genau mit der eben besprochenen Stelle bei Diogenes und ihrer Parallele im Marcianus (23) deckt. Wichtiger ist in unserem Zusammenhang die zweite Stelle bei Diogenes. Seine Darstellung der Lehre PIa tons schliefh mit einer Einteilung des Seienden: TCDVOVTCDV Tel ~EV f(m xafr' EaUTa, Tel OE ltQo~ n J.EynaL. tel ~Ev oiiv xafr' EaUtel AEyo~Eva fonv, ooa fV tn EQ~'Y]VElLcrTOlJ). Aber wahrend [von Platon, p. 28 A] schon gesagt worden ist, daB die intelligiblen Wesenheiten das Modell sind, auf das Gott seine Augen gerichtet hat, urn sein Werk zu verwirklichen, sieht man nirgends - weder vorher noch nachher -, daB GOtt die vollkommenste der intelligiblen Wesenheiten ist. Es durfte verwunderlich sein, daB eine fur diesen Punkt entscheidende Behauptung nur als Nebensachlichkeit eingefuhrt wurde.
Genauer: Das Modell, nach dem Gott arbeitet, ist das ewige Lebewesen, das aIle intelligiblen Lebewesen in sich einsehlieBt, wie unsere Welt als Abbild dieses Lebewesens aIle sinnlich wahrnehmbaren Lebewesen in sich einschlieBt (30 CD; 37 D). Aber die Seele wurde vor dem Korper gebildet (34 C), sie ist wahrhaftig der Seinsgrund des Korpers, und sie ist ihrem Wesen nach ein Intellekt. Darf man deshalb nicht annehmen, daB die Lehre des Timaios in der beri.ihmten Formulierung des Aristoteles, die Seele sei nach den Platonikern "der Ort der Ideen" (De anima III 4, 429a27-28) genau zusammengefaBt ist? Zweifellos darf man darunter nicht verstehen, daB das absolute Sein der Ideen in der Seele sei; als Dazwischenliegendes kann sie nicht identisch sein mit dem "i.iberhimmlisehen Ort", urn den es im Phaidros I geht und in dem die absoluten Wesenheiten die Fi.ille ihrer leuehtenden Existenz besitzen. Aber vielleicht berechtigt die Analogie zu der Annahme, daB es auch eine Seele des ewigen Lebewesens oder des Universums der Ideen gibt, in der man die konigliche Seele und den koniglichen Intellekt des Zeus wiederfindet, wovon der Philebos spricht (30 D)29. Man konnte dann von dieser Seele sagen, sie sei der Ort der Ideen an sieh. Andererseits hat die Seele als eigentlich dazwischenliegende Realitiit nicht nur Verbindung zum Intelligiblen, sondern auch zum sinnlich Wahrnehmbaren. In den Bewegungen, die sie gemaB dem Kreis des "Selbigen" und gemaB dem Kreis des "Verschiedenen" (37 A-C; vgl. 36C und 42E-44D) durchliiuft, urteilt sie in bezug auf das sinnlich Wahrnehmbare, d. h. in bezug auf die Wesenheit, die sich im korperlichen Werden teilt, wie in bezug auf das Unteilbare und auf das Verni.inftige; und in beiden Fallen sagt sie, womit jedes Ding identisch und wovon es nach allen Beziehungen oder Kategorien, unter denen diese Identitiit und diese Differenz betrachtet werden konnen, verschieden ist. Xenokrates sagt also zu 29 Vgl. die ja so umstrittene Stelle des Sophistes (248 E - 249 C), wo Platon fragt, wie man dem Sein, das auf vollkommene Weise ist (n{l rruvn),wc; ovn), die Bewegung, das Leben und das Denken verweigern ki:innte. Damnter verstehe ich das intelligible Universum, das ewige Lebewesen des Timaios: Es hat das Leben, d. h. eine Seele, und die Bewegung, die diese Seele sich selbst gibt, ist das absolute Denken, das mit den absoluten intelligiblen Wesenheiten, die seine Objekte sind, identisch ist.
Recht, da~ das "Selbige" und das "Verschiedene" der Bewegungskraft der Seele entsprechen. Man darf im i.ibrigen hierbei nicht vergessen, da~ diese Bewegung der Seele nicht, wie Krantor30 meinte, nur Erkenntnis sei. Man hat in der Tat schon gesehen, da~ die Bewegung des Intellekts ein anderer Aspekt der Gestirnumlaufe des Himmels oder der Bewegungen der Stimme auf der Tonleiter ist. Nun sagen wir, die Seele wurde als Objekt ihres eigenen Denkens und in ihrer inneren Konstitution betrachtet, insofern sie etwas Erkanntes ist; und da die Seele eine Zwischenstellung hat, wird dieses Erkannte bald die Teilbarkeit des sinnlich Wahrnehmbaren, z. B. die unzahlbare Mannigfaltigkeit der Himmelskorper und die scheinbare Irregularitat ihrer Bewegungen, bald die Unteilbarkeit des Intelligiblen oder die Zahlen und die Figuren sein, auf die das Denken diese Mannigfaltigkeit und diese Diversitat zuri.ickfi.ihrt. Aber jetzt handelt es sich bei dem "Selbigen" und dem "Verschiedenen" eigentlich urn die I Bewegung, durch die die Seele innerhalb der Unbestimmtheit des Nicht-Seins, des Verschiedenen, der Unbegrenztheit Grenzen zieht und Spezifikationen schaff!:: Spezifikation durch Reduktion einer unbegrenzten Vielheit einzelner unterschiedener Dinge auf die Einheit einer gleichen Gattung31, wenn sie [die Seele] mit dem Teilbaren in Beri.ihrung tritt; Spezifikation 30 Ober diese Ansichten vgl. Plutarch, ibid. Kap. 3, 1013 B; er lehrt uns, Eudoros Yon Alexandrien, ein Platoniker yom Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, habe die Deutungen des Xenokrates und Kramor miteinander verbunden. Dieser [KramorJ scheint (in der ersten Halfte des dritten Jahrhunderts) der erste Kommemator Platons gewesen zu sein; Eudoros widmete sich derselben Interpretationsarbeit. 31 Siehe die Forme1n, die dazu dienen, die Gattung zu bezeichnen (30 C): "Lebewesen, die in einer partikularen Form einbegriffen sind" (nov ... EV [1E(lOU'; ELOU 1tE<jJuxonDv), "Lebewesen, die - einzc1n oder gattungsmaJlig - als Teile des ewigen Lebewesens aufgefaJlt werden", das alle intelligiblen Lebewesen in sich umfaJlt (oil b' Eon TaHu ~0u xul't' EV xui xunl YEvYJ ~IO(lIU). Oder weiter (57 CD) heiJlt es hinsichtlich der Verschiedenheiten des Zustandes, die die ersten Korper durchlaufen: "die verschieden spezifizierten Gattungen dieser Korper" (Ev TOt,; ELOEOLV UlJTCOVETE(lU '" yEVYJ; TU EV TOI,; E'iOEaL yEVYJ). Vgl. 59B: "eine Gattung, die nur aus einer einzigen Art besteht" ([10VOUOE,; yEVO';).
~iner absoluten Wesenheit in bezug auf andere absolute Wesenheiten oder Bestimmung ihrer hierarchischen Ordnung, wenn sie mit dem Unteilbaren in Beri.ihrung kommt. "Selbiges" und "Verschiedenes" beziehen sichdeshalb besonders auf die Erkenntnisfunktion der Seele. Zusammenfassend: Das Unteilbare, das Teilbare, die dazwischenliegende Wesenheit - das ist der Gesichtspunkt der Konstitution der Seele; unter der Form eines durch sich selbst beweglichen und nach den Zahlen der Harmonie bestimmten geometrischen Raumes vereinigt sich in ihr die sinnlich wahrnehmbare Korperlichkeit mit den "hoheren Prinzipien", die in bezug auf den unteilbaren Raum die idealen Zahlen und die ideal en Figuren darstellen. Hinsichtlich des "Selbigen" und des" Verschiedenen" handelt es sich urn den Gesichtspunkt der spezifischen Funktion der Seele: der erkennenden Seele, die mit ihrem Objekt, bald mit der intelligiblen Unteilbarkeit, bald mit der sinnlich wahrnehmbaren Teilbarkeit, in Beri.ihrung tritt und diese so durch Spezifikation erkennt. In ihrer Erkenntnisfunktion durch Spezifikation kann man die Seele deshalb den Zwischenort zwischen den Ideen und den sinnlich wahrnehmbaren und korperlichen Erscheinungen nennen. Andererseits hangt die Funktion der Seele yon ihrer Konstitution ab: Deshalb la~t sich die Funktion der Spezifikation in der am tiefsten dringenden Analyse auf die Mathematik zuri.ickfi.ihren, deren Zwischennatur sich in der Seele verwirklicht. So find en wir in ihr die verschiedenen Gesichtspunkte wieder, die in der hierarchischen Totalitat des Seins unterschieden wurden: den Gesichtspunkt der Qualitat oder der Bestimmung und den grundlegenden Gesichtspunkt der Quantitat oder des Ma~es. Aber wir fi'1den sie in einer dazwischenliegenden Form wieder: Einerseits finden wir sie hinsichtlich der quantitativen Relationen mit der Arithmetik, Geometrie, Harmonik und Astronomie wieder, die wirklich zur Seele gehoren; andererseits hinsichtlich der qualitativen Relationen mit der Dialektik, I die die Gesetze der wechselseitigen Beziehungen unter den Gattungen und der Klassifikation bestimmt, die die Einzelwesen nach ihren Xhnlichkeiten und ihren Verschiedenheiten gruppiert. Wenn diese HypotheseI' zutreffen, stimmt die Lehre des Timaios vollig mit der des Sophistes, Politikos und Philebos i.iberein. Die Ideen bleiben - das sagt der Timaios mit aller Deutlichkeit - absolute Wesenheiten und
Modelle. Aber die Kritik des Parmenides stellte die transzendente Dialektik in Frage. Das Hauptproblem der Philosophie besteht fortan darin, die Beziehungen unter den Ideen, die als Mischungen des "Selbigen" und des "Verschiedenen" betrachtet werden, als Bestimmungen des Nicht-Seins aufzudecken und, da auf der anderen Seite ein rechtes MaB das Gesetz dieser Mischungen ist, iiberdies die mathematische Relation, die dieses MaB darstellt, zu bestimmen. Das sind die zwei Aspekte der Dihairesismethode nach dem Sop histes und dem Philebos. Das absolute Intelligible steigt gewissermaBen herab in die hahere Erkenntnis, die das reinsteWerk des Intellektes ist. Aber das Denken in der Seele ist nicht nur reine geistige Schau (vou~), es ist auch diskursive Verstandestatigkeit oder eigentliche Erkenntnis (EmOt~f!l], vgl. 37 C). Das sinnlich Wahrnehmbare, das selbst auch eine Mischung yon "Selbigem" und "Verschiedenem" ist, wird sich, nachdem es durch die qualitative Operation der Spezifikation entwirrt und geklart worden ist, ebenfalls in quantitative Relationen schicken, da es in der Seele Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie gibt. So finder ein umgekehrter ProzeB wie vorher statt: Das sinnlich Wahrnehmbare erhebt sich dann zur Intelligibilitiit der Erkenntnis. Dies ist ein miihsamer Aufstieg; denn wahrend das Intelligible das natiirliche Objekt des Intellektes ist, bedeutet das sinnlich Wahrnehmbare an sich nur Verwirrung und Veranderung, kurz: das, wovon das Denken eigentlich fern ist. Und zweifellos meint Platon dies, wenn er sagt, bei der Bildung der Seele widersetze sich die Natur des "Verschiedenen" der Mischung und die gattliche Kunst iibe Zwang darauf aus, urn es mit der Natur des "Selbigen" in Einklang zu bringen (35 A). Die Erkenntnis im engeren Sinn fiigt der sinnlich wahrnehmbaren Natur Gewalt zu, um sie auf ihre mathematischen Gesetze zuriickzufiihren; sie ist ein Kunstwerk des Denkens, ellle "Demiurgik", eine Herstellung und eine Erfindung. [... ] I
Am Ende dieser Untersuchungen iiber die Bedeutung der platonischen Physik und den Platz, den sie im Lehrgebaude einnimmt,
machte ich kurz die befcilgte Methode und die Hauptergebnisse, zu denen ich m. E. gekommen bin, in Erinnerung rufen. 1m Mittelpunkt einer solchen Untersuchung stand notwendigerweise der Timaios. Aber dieses Werk erkt:irt - aus welchem Grund auch immer - nicht alles, was es allgemein und als Postulate oder Prinzipien der spezifischen Fragestellung, der es gewidmet ist, andeutet. Wenn man diese Darstellung durch Anleihen in anderen Dialogen vervollstiindigen muB, diirfen es nur Dialoge sein, die I wie der Timaios in Platons Alter fallen. Nun, der Sophistes zusammen mit dem Politikos und der Philebos liefern iiber die wesentlichsten Punkte, die im Timaios angesprochen werden, wenigstens einige Aufklarungen. Fiir das, was Werke, wo die Lehre eher zusammengefaBt und angewandt als dargelegt und entwickelt ist, nicht ausdriicklich genug geben, erschien es schlieBlich legitim, die akademische und peripatetische Tradition, d. h. die uns bekannten Deutungen der ersten Nachfolger Platons und insbesondere das, was uns Aristoteles iiber den miindlichen Unterricht seines Lehrers mitteilt, heranzuziehen. Diese vergleichende Methode erlaubt uns, wie es scheint, zuallererst, der Lehre yon den idealen Zahlen und den idealen Figuren, wie sie sich aus den Zeugnissen des Aristoteles in Wechselbeziehung mit den mehr oder weniger durchsichtigen Andeutungen des Timaios und des Philebos ergibt, ihren Platz im System anzuweisen. Die Lehre, urn die es sich handelt und die uns Platon in keiner seiner Schriften entwickelt hat, ist ein wesentlicher Bestandteil seiner letzten Philosophie, wie sie uns die in Frage kommenden Dialoge wiedergeben. Nur durch diese ungeschriebene Lehre laBt sich verstehen, wie sich bei Platon die Ideenlehre - urspriinglicher Ausdruck einer Logik der Spezifikation - mit der mathematisierenden Theorie und sein Idealismus mit seinem Mechanismus vereinigen. Ohne sie versteht man schlecht, wie sich im Timaios eine ganze geometrische und mechanistische Physik mit der Behauptung der Realitat der Ideen, yon rein qualitativ bestimmten Wesenheiten, vertragt. Aber yon dem Augenblick an, wo fiir die sinnlich wahrnehmbaren Substanzen und ihre Qualitiiten die Notwendigkeit eines intelligiblen und ebenso qualitativ bestimmten Archetyps oder Modells zugegeben wird, miissen die arithmetischen und geometrischen Relationen, auf die
sie sich zurlickflihren, anscheinend ebenso auf Modelle und essentielle Typen zurlickbezogen werden; diese "hoheren Prinzipien", auf die der Timaios ebenso feierlich wie ratselhafl: anspielt, waren folglich die idealen Zahlen und die idealen Figuren. So findet man dieselbe Beziehung der Unterordnung, die man im Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren zwischen der Qualitat und der Quantitat findet, wobei diese der ersteren als erklarende Zwischenstufe dient, im Bereich des Intelligiblen wieder; die idealen Zahlen und die idealen Figuren sind Bindeglieder zwischen den Prinzipien, dem Einen und dem Unbegrenzten, [(und den Ideen)J, wie die mathematischen Zahlen und Figuren Bindeglieder zwischen den Ideen und den sinnlich wahrnehmbaren Dingen sind. In jedem Fall erklaren sie, nach welchen Gesetzen diejenigen "Mischungen" konstituiert sind, die die einen und die I anderen sind. Nun entsprechen aber diese Andeutungen des Aristoteles genau dem, was der Philebos nahelegt. Die Diskussion beginnt dort mit dem Gedanken einer wohlberechneten Verbindung der Begrenzung mit dem Unbegrenzten und der genauen Bestimmung des letzteren durch die erstere; sie erstreckt sich auf die partikulare Verbindung yon Lust und Wissen, aus der das Gute des menschlichen Lebens entspringen kann; sie flihrt dazu, das MaB als ersten Aspekt des hochsten und unerreichbaren Guten anzusetzen, als Bedingung der Schonheit und der Wahrheit: das MaB, d. h. die rechte Proportion zwischen OberschuB und Mangel, die genaue Begrenzung des Unbegrenzten. Hier erkennt man liberdies, warum die Physik fUr eine sekundare Wissenschafl: gehalten werden kann und daB sie ferner, wenn sie dies ist, yon den hochsten Stufen des Seins nicht isoliert werden darf. In der Tat drangt sich kein Begriff dem Interpreten Platons energischer auf als der einer Hierarchie des Seins, einer Reihe yon vorhergehenden und nachfolgenden Begriffen, die yom Einfachen ausgeht32• Ausgehend yom Einen oder yom Guten oder yom MaB und liber die Zweiheit des GroBen und Kleinen, liber die Unbestimmtheit und die Unbegrenztheit flihrend verketten sich die Syn-
thesen miteinander, wobei sie sich immer mehr verflechten. Aber im Hinblick auf die liberragende Stellung des ersten Begriffes bedeuten Spatersein und Verflechtung offensichtlich Inferioritat, das Abhangige und das Zusammengesetzte konnen nicht denselben wert haben wie das Unabhangige und das Einfache. Die einfachsten dieser Synthesen, deren Mischung oder Zusammenfligung den hochsten Grad an Genauigkeit hat, das sind die idealen Zahlen. Die idealen Figuren setzen schon eine groBere Komplexitat in den Relationen voraus, sie fligen den Relationen, die die Zahlen konstituieren, etwas hinzu. Danach kommen die qualitativ bestimmten Wesenheiten, die Ideen, die von den vorhergehenden Synthesen die Gesetze ihrer Zusammenfligung erhalten. Es gibt bei ihnen ein wahres Werden, aber ein Werden, das nicht mit der Teilung der Zeit einhergeht; es gibt da Systeme von Bewegungen, aber diese vollenden sich in einem unteilbaren Raum; es gibt da einen "art" , aber er ist nicht der geteilte art. Eben das legen uns der I Timaios und die ausdrlicklicheren AusfUhrungen des Aristoteles nahe. So legt sich auf jeder seiner Etappen in diesem Stadium der Konstitution des Seins das Werden in einfachen und unveranderlichen Formen fest: in unteilbaren Zahlen und Figuren, in absoluten und ewigen Ideen, die nicht an einem art sind, endgliltigen Synthesen in der vollkommenen Genauigkeit ihrer Proportionen. Es kommt jedoch ein Moment, wo die Verschlingung der Synthesen libermaBig vermehrt ist und wo auch die Schwierigkeit zunimmt, genau ihre Proportionen festzulegen. Dieser Moment zeigt sich zugleich durch einen neuen Charakter des Ortes an, der von da an der gemaB den Korpern teilbare Raum ist, und durch einen neuen Charakter des Werdens, das sich nach den Augenblicken der Zeit aufteilt. Wir kommen nun von der intelligiblen Ordnung zu der des sinnlich Wahrnehmbaren, die durch eine abweichende Modalitat in der synthetischen Konstitution des Seins charakterisiert wird. Aile Synthesen, die sich in der ersteren Ordnung gebildet hatten, finden sich in der zweiten wieder, jedoch als entstellte Ab-
32 Dieser Begriff nimmt in der aristotelischen Darstellung der Theorie der Ideenzahlen einen groEen Platz ein: Die Platoniker, sagt Aristoteles, nahmen keinerlei allgemeine Gattung oder Idee der Dinge an, in denen es das Vorher und das Nachher gibt. Das heiEt, daE jedes dieser Dinge
und insbesondere jede der zehn fundamental en Zahlen eine Idee ist oder eine bestimmte Gattung. Vgl. Theorie Platonicienne des Idees et des Nombres ... , S. 126 und 5.612-616 (Anm. 152); vgl. S. 154-171 und S. 197f.
bilder; an die Stelle der permanenten und in ihrer eigenen Natur fur immer festgelegten Wesenheiten tritt der unaufhorliche Wechsel der sinnlich wahrnehmbaren Qualitaten; an die Stelle des in jedem Augenblick stabilisierten Werdens tritt ein stan dig un stabiles Werden. Zugleich wird die Notwendigkeit eines demiurgischen Wirkens sichtbar: Es ist notig, in dieses unbegrenzt bewegliche Chaos yon Bestimmungen die Harmonie zu bringen; es ist notwendig, dieses Chaos nach den Zahlen und den Figuren zu regeln, damit es ein Kosmos, d. h. eine Anordnung wird. Das ist die Aufgabe des Abbildes der idealen Zahlen und der idealen Figuren, das die Zahlen der Arithmetik und der Musik, die Figuren und Proportionen der Astronomie sind. Das findet sich nun aber alles in der Seele, wo es Gott angesiedelt hat wie an einem mathematischen Ort des Unteilbaren und des Teilbaren, damit sie als Zwischenglied zwischen der Ordnung des Intelligiblen und des sinnlich Wahrnehmbaren dient. Diese unterscheidet sich yon jener deshalb nicht grundsatzlich: Sie ist nur ihr Reflex, ihr Abbild, und zwar in ihrem Gehalt wie durch ihre Prinzipien, und die Mathematik der Seele verbindet diese bei· den Modalitaten des Seins miteinander, sie laf~t die zweite an der Intelligibilitat der ersten teilnehmen. Daraus ergibt sich, daB der physikalische Mechanismus yon Platon nicht wie derjenige der Atomisten ein Mechanismus sein kann, der danach strebt, sich selbst zu genugen und eine umfassende Erklarung dessen herbeizubringen, worauf er sich bezieht. Die nach und nach in der unbegrenzten I Beweglichkeit der raumlich ausgedehnten und teilbaren Materie festgelegten Bewegungen sind [... ] ein Abbild anderer Bewegungen, die hierarchisch in der unbegrenzten Beweglichkeit einer anderen, zwar raumlich ausgedehnten, aber unteilbaren Materie festgelegt sind. Das intelligible Universum ist Bewegung, Leben und Denken, und ich furchte, es ist falsch, in dem platonischen Idealismus eine Art transzendenter Logik und statischer Ontologie zu sehen 33. Es gibt ein mechanisches Geschehen im Intelligiblen, das nur die reine Bewegung des Denkens ist, insofern es absolut ist, d. h. insofern es frei ist yon den Bedingungen, 33 Wie es Bergson im letzten Kapitel seiner L'Evolution creatrice, 1907, S. 341-355, anscheinend tut.
die Platon die Ordnung der Notwendigkeit nennt und die die Teilung der Zeit und die Teilung des Raumes sind. Der sinnlich wahrnehmbare Mechanismus hangt yon diesem hoheren Mechanismus ab, und die Physik, die den ersteren untersucht, ist mittels des Mathematischen eine Hinleitung zur Dialektik, die sich mit dem zweiten befaBt: Die Gesetze der Verbindung der Gattungen, die der Gegenstand dieser Disziplin sind, drucken sich in einer verwirrten und getrubten Form in den Gesetzen des unaufhorlichen Austausches der Qualitaten aus, der sich durch die Substitution der Gestalten vollzieht. Aber im einen wie im anderen Fall ist der Beweger oder die bewirkende Ursache eines besonderen Mechanismus immer das formale Element der Synthese: Allgemein fur die Mechanismen der intelligiblen Ordnung ist es das Eine, das MaB, das Gute; fur die Mechanismen der sinnlich wahrnehmbaren Ordnung die intelligiblen Essenzen oder die Ideen; schlieBlich auf einer zweiten und dann auf einer dritten Stufe GOtt und die Seele, urn, wenn das Bedurfnis danach fuhlbar wird, die Determination in Organisation umzuwandeln. Deshalb laBt sich Platons Mechanismus nur als ein Dynamismus verstehen, der ein Dynamismus der Form ist. Die Form allein handelt, und ihr Wirken ist immer aktuell. In seiner Philosophic wie in der des Aristoteles ist kein Platz fUr ein eigencs und unabhangiges Wirken der Materie. Anstatt ein Prinzip des Widerstandes und der Irrealitat zu sein, ist die Materie fur Platon das Aufnehmende der Form, die notwendige Bedingung ihres Wirkens, da sie in der Tat ihr Gegenstand und ihr Sitz ist. Freilich nehmen die Verwicklungen nur in dem MaBe zu, wie sich die Synthesen mit der unbegrenzten Teilbarkeit des Raumes und der Zeit vervielfachen. Folglich konnen fremde Ursachen auf die Konstituierung eines jeden mechanischen Systems EinfluB nehmen, die qualitativ spezifizierte Natur, die dessen Ausdruck ist, truben und ins Gegenteil wenden, indem sie die gewohnliche Ordnung oder die Proportion seiner Elemente verandern. I Aber Platons Optimlsmus will nicht, daB diese Storungen unbehebbar sein konnen; er glaubt an die Vortrefflichkeit der bewegcnden Wirkung der Form. Wcnn die Irregularitat und die Unordnung nicht rein scheinbar sind, konnen sie wenigstens nur vorubergehend sein, und man muB immer mit der Ruckkehr zur Harmonie des Normalzustandes rechnen.
Das letzte Wort der Philosophie Plawns ist also hierarchische Ordnung und Harmonie. Wenn es auch nicht gestattet ist, eine antike Lehre in die Begriffe einer modernen Philosophie zu iibertragen und dabei Entwiirfe dieser zu verwenden, darf man sich vielleicht doch fragen, ob es nicht Jahrhunderte spater analoge Eingebungen und gemeinsame Bestrebungen des philosophischen Denkens geben kann. So gesehen fand sich nicht so sehr bei Kant, wie man geglaubt hat34, der beste Geist der platonischen Philosophie wieder, eher bei Descartes in der Verbindung seines geometrischen Mechanismus mit der Behauptung der Oberlegenheit des absoluten Denkens und der einfachen Wesenheiten, die dessen Gegenstand sind; bei Leibniz in seinem optimistischen und deterministischen Dynamismus, wenn sie [Descartes und Leibniz] auch sonst durch ihren analytischen Charakter yon dem Platons verschieden sind; aber zweifellos vor all em bei Malebranche. Von allen grog en Cartesianern kann er am ehesten in Plawns Denken einfiihren, denn er konnte die Pragung des augustinischen Denkens und der ganzen Tradition, yon der dies durchdrungen war, am tiefsten aufnehmen. Ich bin mir bewugt, dag diese Erwagungen ohne ausreichende Rechtfertigung und in der Form einer summarischen Andeutung unvorsichtig und gewagt erscheinen miissen. Wenigstens eine Schlugfolgerung kann man am Ende dieser Untersuchungen jedoch mit einiger Sicherheit ziehen: Bei der Untersuchung der Philosophie Plawns darf die Physik nicht als Nebensache angesehen werden, die unabhangig und zum Oberflug hinzugefiigt ist. Gerade weil der Gegenstand der Physik auf der letzten Stufe der konstitutiven Synthese des Seins steht, befindet sie sich auf der erst en Stufe der Analyse, durch die sich das Sein auf seine wahren Prinzipien zuriickfiihren lagt. Die Physik erlaubt es, von der grog ten Verflechtung der Prinzipien ausgehend diese zu entwickeln und ihre Relationen da, wo sie in hoherem Grade konkret und reichhaltig sind, wahrzunehmen. 34 Dies ist die These von P. Natorp in seinem Buch Platos Ideenlehre, 1903, [21921], dessen Untertitel lautet: Eine Einfiihrung in den IdeaIismus; siehe z. B. S. 146, 159,382.
Julius Stenzel, Metaphysik
des Altertums, Miinchcn und Berlin: R. Oldcnbourg 1929/1931, S.128-139.
DIE DIALEKTIK DES PLATONISCHEN SEINSBEGRIFFS
Die Kritik an der sog. Ideenlehre im Parmenides ist geschichtliche Ankniipfung an den Eleatismus. Miihsam genug ist sie augerlich hergestellt durch die Begegnung des ganz alten Parmenides mit dem ganz jungen Sokrates und wird programma tisch als Diskussion des Seinsbegriffes bezeichnet. Die erste These einer eben verlesenen Schrifl: des Zenon wird zum Anlag einer Diskussion genommen. Sie lautet: wenn das Seiende vieles ist, so mug es sowohl ahnlich als unahnlich sein - und das ist unmoglich. I Dieser Nachweis solI negativ - so deutet Sokrates die Absicht Zenons (etwas zu ernst, wie dieser nachher erklart) - die These des Parmenides beweisen, dag das All eins ist (128 b). Vom ersten Augenblick an wird das Sein von dem Begriff der Ahnlichkeit aus erortert, von demjenigen Begriff, den die vergangene Phase der Ideenlehre fiir ihre Form der mimetischen Teilhabe ungepriift verwandt hatte; der Sophistes leitet seine ganze Seinsproblematik ab aus einer Erorterung des Mimesisbegriffes und schlieEt mit einer genaueren Definition des Nachahmenden, des fUfl1']Ti)~, als der Definition des Sophisten. Der Polltlkos setzt neu die Begriffe des Vorbildes, des Paradeigma und des Ahnlichen fest, und zwar in der Form, in der sie die Philosophie von Platons Nachfolger Speusipp beherrschen. Dies muE man festhalten; diese Rahmenprobleme werden gegeniiber den behandelten Seinsfragen meist unge~iihrlich vernachHissigt, obwohl sichtlich der Angelpunkt der platol1lschen Entwicklung hier liegt, namlich die Ankniipfung an die offen gebliebenen Fragen der Idee des Guten und des zu ihr gehorigen Padeiabegriffes. Und sofort wendet Sokrates die Erorterung auf das mit der Mimesisform der Ideenlehre gegebene Phanomen der Spannung zwischen den Seinsspharen, des Chorismos. Die Partikel XWQl~, abgetrennt, .beher~scht d!e folgende Erorterung. Sokrates fragt zunachst, ob Zenon I1lcht Wle er em Eidos der Ahnlichkeit und Unahnlichkeit von den ahnlichen und un-
ahnlichen Dingen unterscheide, die an diesem mehr oder weniger Anteil haben. Diese Dinge der Wirklichkeit konnten sehr wohl eins und vieles ahnlich und unahnlich, ruhend und bewegt sein - so hatte Sokrates in de; Tat auch Staat IV 437 d iiber die Vereinigung yon Bewegung und Ruhe ref1ektiert. Aber die Frage ist, ob auch die Khnlichkeit selbst unahnlich, ob das Eins an sich Vieles werden konne; ich wurde mich wundern, schlielh Sokrates, wenn auch diese Ideen "vermischt" und gesondert werden konnten, wenn diese "Verlegenheit der Verf1echtung", der wir leicht bei den sichtbaren Dingen begegnen, auch bei dem vorliegt, was nur mit dem schlieBenden Verstande (Aoyt
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R. S. Bluck, a; a. O. 254. 26 Freilich kommt der M ysterien- Vergleich bei Platon gelegentlich auch vor, ohne daG eine direkte Beziehung auf die hochsten Gegenstande der Philosophie beabsichtigt ware. Aber es handelt sich bei diesem Vergl~ich fiir Platon doch stets darum, auf die - immerhin zum Wesen der PhJ!osophie gehorende - Spannung zwischen den naheliegenden, leicht faGbaren
Hinweis des Sokrates duch wohl nur dann, wenn die als besonders gut bezeichnete Definition irgendwie grundsatzlich wichtig und auf das hochste Ziel des Philosophierens bezogen ist. Zu eben diesem Ergebnis hat nun bereits unsere vorausgehende Untersuchung gefi.ihrt. Sokrates hebt gerade die Begriffsbestimmung hervor, die den Peras-Begriff enthalt und ausdri.icklich an der Dimensionenfolge orientiert ist, also die Definition, die besonders deutlich auf das Formprinzip und damit I auf das Wesen der Arete hinzielt. 1m Blick auf diesen weitreichenden Zusammenhang wird voll verstandlich, daB Sokrates hier eine ,Einweihung in Mysterien' in Aussicht stellt - und zugleich kann man sich denken, weshalb er vorerst, im Rahmen des Gesprachs mit Menon, aIle weiteren Aufschlusse ironisch zuri.ickhalt27.
Erscheinungen und der eigentlichen Wahrheit hinzuweisen. In Betracht kommen besonders die folgenden Stellen: Gorgias 497 C: das Verhaltnis yon ,wichtig' und ,unwichtig' im Gesprach wird mit dem Unterschied zwischen ,groBen' und ,kleinen' Mysterien verglichen (vgl. Euthyd. 277 D); Theaitet 155 E-156 A: eine yon Sokrates kritisierte Lehre (ProtagorasDemokrit?) wird ironisch-scherzhaft als ,Mysterium' behandelt (vielleicht auch, weil grundsatzlich Wichtiges darin tatsachlich enthalten ist?, vgl. 156 A 3 a!!X~); Symposion 209E-212C: philosophischer Aufstieg zum Urgrund des Schonen als ,Einweihung'; Phaidros 249 C/D: Philosophie als ,Emhusiasmos'. Ferner ist zu erinnern an die platonische Vorstellung, das Philosophieren sei als ein Prozell der ,Reinigung' (Xa\hl!!aL~) zu verstehen (Phaidon, Sophistes 266 D), sowie an den haufigen Vergleich mit der magischen ,Beschworung' (EJt4bELv, auch Menon 80 A). - An sich ist der Vergleich zwischen philosophischer Erkenntnis und ,mystischer' Einweihung bei Platon nicht neu (vgl. bes. Aristophanes, Wolken 143. 250 if. u. o. [Hinweis Yon W. Haase]). Er wird aber im AnschluB an die eigenen Aussagen Pia tons spaterhin ublich zur Kennzeichnung des hochsten Zieles gerade der platonischen und aristotelischen Philosophie (vgl. z. B. Ps.Platon, Epinomis 986 ClD; Aristoteles, Eudemos Fr. 10 Ross, De philosophia Fr. 15 Ross). Einen genaueren Oberblick bietet die Darstellung yon P. Boyance, Sur les Mysteres d'Eleusis, REG 75, 1962, 460-482 (bes. 460174: L'Epoptie Eleusienne et les Philosophes). 27 Eine formal ahnliche Wendung des ,Zuruckhaltens' findet sich in der Politeia (VI 506 D 7), und zwar im Blick auf die ,Idee des Guten' (an' i;mJ)~ [Ai]OUXot6~ T' EaO~WL,Jt!!o\fU[AOU[AEVO~ bE ... ); vgl. auch Politeia VI
Der mittlere Teil des Dialogs bringt das beri.ihmte Lehrgesprach des Sokrates mit einem jungen Sklaven 28. Dieser wird Schritt fi.ir Schritt zu der Erkenntnis gefuhrt, daB in der Diagonale des Quadrats die Seite des doppelt so groBen Quadrats zu sehen ist. Das an sich einfache mathematische Beispiel wird interessant, wenn man der Inkommensurabilitiit zwischen Seite und Diagonale des Quadrats (Verhaltnis 1: Y 2) nachgeht. Hieri.iber wird nun zwar im Dialog nicht besonders gesprochen. Aber durch die Terminologie, die Sokrates bei seinen Fragen unauffallig beni.itzt, ist der entscheidende Sachverhalt fur den aufmerksamen Betrachter klar genug bezeichnet. Sokrates fragt namlich nur am Anfang, wie viele FuB die gesuchte Strecke messe (noaoL noIlE£" 82 C/D), dann aber: wie graj1 oder wie lang sie sei (nYiALKll faTLv, 82 D 7. 83 E 1). Damit ist offenbar einem bestimmten mathematischen Sprachgebrauch Rechnung getragen, an den sich auch Euklid halt: Der Begriff noao£, ist auf direkt zahlenmaBig faBbare GroBen beschrankt, wahrend mit nYiALxYi sowohl kommensurable als auch inkommensurable (rationale 497 DIE. VII 533 A. - Vielleicht darf man auch die Begriife !tv und Jtona, die hier wie beilaufig im Zusammenhang mit dem Hinweis auf ,Mysterien' gebraucht werden, auf die platonischen Prinzipien beziehen: Sokrates bemerkt (77 A), er konne wohl nicht "viel" Derartiges sagen, und fordert dann Menon auf, beim Definieren nicht mehr "Vieles" aus dem "Einen" zu machen (xat nauam noAM. nOLWV EX TOU fv6~) [Hinweis yon H. ]. Kramer]. - Liegt etwa auch eine gewisse Beziehung auf die Akademie in dem Satz, den Sokrates im weiteren Verlauf des Gesprachs einmal vorbringt (89B): "Wenn die Arete cpuaEL ware, sollte man die Begabten einschlieBen, daB sie nicht verdorben werden" (vgl. Politeia VI 494 A if.)? 28 Eingehende Interpretation dieses Lehrgesprachs bei J. Stenzel, Platon der Erzieher, 147 if., wo besonders die den ganzen Dialog beherrschende Vorstellung des ,Lernens' als eines umfassenden Verstandigungsprozesses herausgearbeitet wird. Vgl. zum Sinn des hier postulierten apriorischen Wissens auch O. Becker, Mathematische Existenz, 1927,679 if.
und I irrationale) Gri:j{~en bezeichnet werden kannen 29. _ Den gleichen Sinn hat es, wenn Sokrates mehrmals nicht nach der ,Grage', sondern sozusagen nach der Art der gesuchten Linie fragt (anola fOTlV, uno no[aC;; 82E5. 83C4. DID). Denn damit wird zum Ausdruck gebracht, dag die fragliche Grage, da sie im Verhaltnis zu der zahlenmagig gegebenen Seite inkommensurabel ist, von anderer ,Art' ist als diese30. - Und eben dasselbe liegt schlieglich auch in der Aufforderung an den Sklaven: "Wenn du die Seite nicht der Zahl nach angeben willst, dann zeige doch, von welcher Linie aus das doppelte Quadrat entsteht" (x.at cL Jl~ ~OUA£LuQL1'tJl£i:v, uHa o£i:~ov uno nOlac;, 84 AI). Damit ist unverkennbar angedeutet, dag die gesuchte Grage grundsiitzlich nicht durch ,Zahlen' bestimmt werden
kann.
Dem zuerst gezeichneten Quadrat gibt Sokrates die Seitenlange 2 (Fug), also den Flacheninhalt 4. Wahrscheinlich ist diese Grage (und nicht 1) deshalb gewahlt, weil dadurch ein weiterer Schritt der Anniiherung an den gesuchten "U7ert (Flacheninhalt 8) maglich wird: zuerst die Seitenlange 4 (Flache 16), dann 3 (9). Nach diesen beiden Schritten ist klar, dag die gesuchte Strecke grofJer als 2 und kleiner als 3 sein muK Schon nach dem ersten Versuch bemerkt Sokrates in diesem Sinne (83 D), das Gesuchte sei doch wohl grofJer (Jl£[~wv) als 2 und kleiner (EAaTTWV) als 4. Sein Vorgehen erinnert 29 Dies ist bereits ausgesprochen bei ]. Stenzel (Zahl und Gestalt ... , 31959,167/8), der hier eine Beobachtung Yon O. Toeplitz wiedergibt. 30 VgI. Euklid, Elem. V, def. 3 (nach Eudoxos): Logos ist das ,so oder so geartete' Verhaltnis zweier homogener GroBen in bezug auf ihre Erstreckung (Aoyor; fcai bUo f!Eydhiiv Of!OYEVliiv'I] XaTa Jt1']AlXOT1']Ta JtOla oJ(Ealr;). Noch deutlicher Heron, Defin. p. 140 Heiberg: Eine rationale Linie ist nach Erstreckung und ,Art' (Qualitat) bekannt, eine gegebene nur nach Erstreckung und GroBe; denn auch irgendwelche irrationalen Linien konnen gegeben sein ('I] f!EV !?1']T't)xai Jt1']J.lXOT1']Tl xai JtOlOT1']TlYVOl(l!f!1'] f.OT!V,'I] IlE llol'tELoa Jt1']AlXOT1']Tl xai f!EYEl'tElf!ovov' xai ya(l Eta! TlVEr;aAoyol IlEllof!Evul).- E. de Strycker vermutet (Gnomon 35,1963,146 Anm. 3), auch das WOrt rJ.~XElsei hier (84C 1) schon als mathematisches Fachwort gebraucht, also entsprechend der Terminologie Theaitets (vgI. Theait. 148 B 1) in implizitem Gegensatz zu IlUVUf!El (quadriert).
somit an die Methode der fortschreitenden EinschliefJung von irrationalen Gragen durch rationale Werte. Dieses Verfahren hat den mathematischen Sinn, dag der von beiden Seiten her eingegrenzte Wert in bestimmten Fallen als irrational erwiesen werden kann, wenn sich zeigt, dag der Prozeg der Approximation unendlich ist. Eine derartige Einschliegung findet vor allem bei der sogenannten ,Wechselwegnahme' statt, die den Mathematikern zur Zeit Platons dazu diente, die gemeinsame Mageinheit von zwei Strecken zu ermitteln oder aber, wo sich I die wechselseitige Abziehung ins Unendliche fortsetzen lagt, die Inkommensurabilitat festzustellen: Migt wenn man unter zwei ungleichen Gragen abwechselnd im~er die kleinere von der grofJeren wegnimmt, der Rest niemals genau die vorhergehende Grage, so miissen die Gragen inkommensurabel sein" (Euklid, Elern. X 2)31. - Aller Wahrscheinlichkeit 31 Auf diesem Wege kann auch die Gleichheit von Verhaltnissen (Logoi) festgestellt werden. Denn zwei Verhaltnisse sind offenbar dann gleich (a:b = c:d), wenn sich bei beiden die gleiche Art der WechseIwegnahme ergibt. Eine entsprechende Definition ist bei Aristoteles zitiert (Top. VIII 3, 158 b 33/5): GroBen haben den gleichen Logos, wenn sie die gleiche Wechselwegnahme haben. Dieser Satz ist mit ziemlicher Sicherheit Theaitet zuzuschreiben (vgI. O. Becker, Eine voreudoxische Proportionenlehre ... , Quellen u. Stud. z. Gesch. d. Mathern., B 2, 1933, 311-333). - Auch die allgemeine Definition der Verhaltnisgleichheit, auf der Eudoxos seine riihmlich bekannte Proportionenlehre aufbaute, setzt den Grundgedanken voraus, daB die zu bestimmende Proportion durch groBere und klein ere rationale Werte eingegrenzt werden kann. Die Definition des EudoXOiSlautet bei Euklid (Elem. V, def. 5): "Man sagt, daB GroBen in demse1ben Verhaltnis stehen, die erste zur zweiten wie die dritte zur vierten, wenn bei beliebiger Vervielfachung die Gleichvielfachen der ersten und dritten gegeniiber den Gleichvielfachen der zweiten und vierten, paarweise entsprechend genommen, entweder zugleich grafter oder zugleich gleich oder zugleich kleiner sind." Denselben Sachverhalt kann man nun, urn die Vorstellung des EinschlieBens noch deutlicher herauszubringen, auch folgendermaBen formulieren: Zwei Verhaltnisse sind gleich, wenn gleiche rationale Grenzwerte sie in beliebiger Annaherung einschlieBen [Hinweis yon K. Bartels und L. Huber]. Vnter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Annahme an Wahrscheinlichkeit, daB zwischen der Proportionenlehre des Eudoxos und dem zweiten Prinzip der platonischen Philosophie
nach kannte Plawn, als er den Menon schrieb, bereits das eine oder andere spezielle Verfahren, eine irrationale Groge wie Y2 durch die (als unendlich zu erweisende) Einschliegung zu bestimmen: etwa das in der Politeia erwahnte Verfahren mit den ,Seiten- und Diagonalzahlen' oder die Methode, die auf der Einschiebung des arithmetischen und harmonischen Mittels beruht32• J Ferner ist anzunehmen, dag man sich in der Akademie schon damals mit dem Problem einer genauen und moglichst vollstandigen Klassifizierung der irrationalen GrofJen beschaftigte. Vor all em der mit Plawn befreundete Mathematiker ?heaitet hat sich, wie wir wissen, mit dem Ausbau der Theorie des Irrationalen beschaftigt. Die erhaltenen Zeugnisse sprechen dafi.ir, dag hier zwei Entwicklungsphasen zu unterscheiden sind, yon denen die erste im Menon bereits vorausgesetzt werden darf, wahrend die zweite vermutlich etwas spater anzusetzen ist, vielleicht erst in den letzten Lebensjahren Theaitets (also spatestens urn 370 v. Chr.). ("Unbestimmte Zweiheit" oder "GroBes-und-Kleines") eine enge Beziehung besteht. Platon war sicher ebenso wie Eudoxos interessiert an dem Nachweis, daB jeder Logos in bestimmter Weise gekennzeichnet ist als ,gleich' oder als ,graBer-und-kleiner' in bezug auf das System der ganzen Zahlen, was bedeutet, daB sich die Zahlen als die eigentlich maBgebenden GraBen herausstellen. 32 Eriauterung der beiden Approximationsverfahren bei O. Becker, Das mathematische Denken der Antike, 1957, 65. 67/8. Wahrend die eine Methode yon Platon selbst erwahnt wird (Politeia VIII 546 C 4/5), ist die andere, die mit den drei ,Mitteln' arbeitet, in platonischem Zusammenhang nicht ausdrucklich belegbar. Vielleicht ist sie an der mathematischen Stelle in der Epinomis vorausgesetzt (990E-991 B). Jedenfalls spielt die Theorie der drei ,Mittel' bei Platon eine wichtige Rolle (vgI. Test.PI. 20. 35c m. Anm.). Obrigens darf wohl vermutet werden, daB es mit dem entsprechenden mathematischen Annaherungsverfahren an yT zusammenhangt, wenn bei der platonischen Ideen-Dihairesis wahrscheinlich (vgI. Pl. U. L. 125 if.) zuerst nach dem arithmetischen und dem harmonischen Mittel geschnitten wurde, bis schIieBlich beim Obergang zum ,Atom on Eidos' ein irrationales Verhaltnis eintrat (nach Politikos 266 A das Verhaltnis 1: y~ also das geometrische Mittel zwischen 1 und 2, das man durch Einschiebung des arithmetischen und harmonischen Mittels approximativ bestimmen kann).
Ober den erst en wichtigen Schritt zur genauen definitorischen Erfassung und Einteilung der irrationalen Grogen berichtet Platon bekanntlich selbst in dem Dialog, den er Theaitet gewidmet hat (?heait. 147D-148B). Es handelt sich hier urn die dreifache Unterscheidung zwischen direkt zahlenmagig erfagbaren, also ohne weiteres (linear) kommensurablen Grogen (f,l~XEL aUf,lf,lEtQOL, z. B. 1: 2), quadriert (flachenhaft) kommensurablen Grogen (OUVUf,lEL aUf,lf,lEtQOL, z. B. 1: Y2) und nur in der dritten Potenz (korperlich) kommensurablen Grogen (z. B. 1: };2). Dari.iber hinaus war sicher zur Zeit des Menon auch schon die Existenz yon irrationalen Grogen noch komplizierterer Art bekannt. Dafi.ir spricht wahrscheinlich eine Stelle im Hippias Maior, an der hohere (komplexe) irrationale Grogen, wie sie etwa bei der ,stetigen Teilung' auftreten, erwahnt werden33• - Die genaue Abgrenzung dieser komplizierteren Grogen ist aber vermutlich erst etwas spater gelungen, als Theaitet die irrationalen Linien yon der Art der ,Mediale', der ,Binomiale' und der ,Apotome' systematisch untersuchte und darstellte34• I Hippias Maior 303 B (vgI. Pl. U. L. 370/1). Bei dem Versuch, in dem ProzeB der immer weiter ausgreifenden Erfassung der irrationalen GraBen einzelne Phasen zu unterscheiden, gilt es in den sparlich erhaltenen Zeugnissen vor aHem auf die Terminologie zu achten, in der sich die Entwicklung widerzuspiegeln scheint. Ursprunglich wurden die Ausdrucke uAoyOL und UQQ1]TOL wohl einfach auf aIle Verhaltnisse oder GraBen angewandt, die nicht zahlenmaBig zu bestimmen waren. Als dann durch die Unterscheidung yon irrationalen GraBen bestimmter Art das eigentlich ,Verhaltnislose' und ,Unbestimmbare' gleichsam weiter zuruckgedrangt werden konnte, gebrauchte man diese Ausdrucke nicht mehr fur die jeweils eindeutig erfaBten GraBen. Und hier lassen sich wahrscheinlich noch zwei Hauptschritte erkennen. (a) Zunachst wurden auch die quadriert kommensurablen GraBen als (>1]Tul bezeichnet; als UQQ1]TOL galten folglich nun nur noch die komplizierteren irrationalen GraBen (vgI. Theaitet 147 D -148 B, Hippias Maior 303 B). (b) Als danach Theaitet die ,Mediale', ,Binomiale' und ,Apotome' bestimmen konnte (bezeugt durch ein Eudemos-Zitat bei Pappos; Test.PI. 20), wurde die Bezeichnung uAoyOL auch auf diese nicht mehr angewandt (vgI. Ps.Aristoteles, De lin. insec. 968 b 19/20). - Euklid allerdings setzt die Grenze zwischen (>1]TO-; und UAOYO-; schliemich doch wieder zwischen den quadriert kommensurablen und den komplizierteren GraBen an. 33
34
Mit welchem philosophischen Interesse kannte nun Platon den Ausbau der Theorie yon den irrationalen GraBen verfolgt haben? 1m Menon will Sokrates an dem Beispiel der Quadratverdoppelung erklaren, worin i.iberhaupt der Vorgang des Lernens und Erkennens besteht: darin namlich, daB das yon Anfang an in der Seele latent vorhandene Wissen ins BewuBtsein gehoben wird. In der Tat ist der Sachverhalt, nach dem Sokrates den Sklaven fragt, nicht eigentlich empirisch an der in den Sand gezeichneten Figur abzulesen; man kann ihn nur theoretisch wirklich einsehen. Dies gilt jedenfalls urn so mehr, je ldarer und allgemeiner man das Wesentliche - die Inkommensurabilitat yon Seite und Diagonale - erfassen will 35. So ist es auch zu verstehen, daB Sokrates bemerkt, die spezielle mathematische Erkenntnis mi.isse durch immer neues, folgerichtig weiterfi.ihrendes Fragen und Nachdenken erganzt und befestigt werden 36. Es kommt also darauf an, den einzelnen Fall mehr und mehr im graBeren Ganzen zu sehen. Dies ist maglich, wenn - wie Sokrates sagt (81 D 1) - in der Gesamtardnung der 35
DaB
es zwischen
Seite
und
Diagonale
sames MaB gibt, kann man niemals nur
theoretisch,
erkHirt,
mit
die Einsicht
auch das zuniichst sich dagegen
des Sklaven unbekannte
wiihrend
das Bedenken,
kenntnis
geleitet,
spriichspartner Sokrates
beweise,
Wesen
Sklave
wiihrend
die
also
auf iihnlichem
erkennen Beispiel
durch
bleibe
hinausfuhre.
Wissenden
nach der Arete
be fan den, reicht
nicht zu. Wenn
aller
Dinge
folgerichtig
zur
Wege so liiBt
im Bereich
daruber
einen
Sokrates
konne,
sich bei der Frage
Moglichkeit,
sondern
daB man
nach der Arete
,Verwandtschafl:'
gemein-
Wenn
der Arete
werde
kein
Wahrnehmung,
erfassen.
das geometrische
in der Aporie selbst
Auge',
die Frage
der
angenommene
Seinsordnung
,inneren
nicht einwenden,
der Anschauung, Auch
dem
des Quadrats
durch sinnliche
gibt,
zur
Er-
beide
Ge-
es die von liegt
Wahrheit
[to,
Menon
fri.ihen Schriften zu den ken, obgleich es im einzelnen kaum mehr maglich sein wird, die Entwicklung zu verfolgen, die sich hier im 37
85 C, dazu
98 A (Festbinden
ah:ia,). Das mathematische
Wissen Ursachen
der aArJ1'}~, bO~a durch soIl nach
platonischer
zuruckgefuhrt
im Euthydemos (290 B/C) heiBt es, die Mathematiker gebnisse den Philosophen zur Auswertung ubergeben
werden.
Wichtig
war
mathematischen
fortzu-
verschiedenen (was
schIieGIich auf ubermathematische
VII 528 C 5).
bin dung zwischen der mathematischen Logos-7heorie und der dialektischen Seinslehre haben wir uns doch schon in der Zeit der
in der
schreiten. 36
Physis alles mit allem durch eine gewisse ,Verwandtschafl:' verbunden ist. Damit ist schon I im Menon die Ansicht ausgesprochen, die dann in der Politeia (VII) ausfi.ihrlicher entwickelt wird: Der Weg der Erkenntnis fi.ihrt yon der mathematischen Einzelbeobachtung zur Gesamtheit des mathematischen Wissens und zur ,Zusammenschau' der verschiedenen mathematischen Disziplinen (Menon 85 E: JtEQL mioYjr; YEW!lETQlu; ... xHL nov Ci.Hwv !lul'lYjWJ:rwv umivnuv) und schlieBlich yon hier aus zu einer aile Dinge einbeziehenden systematischen und noetischen Erkenntnis der hachsten Ursachen. Gerade auch die an dem Beispiel yon Seite und Diagonale des Quadrats zu beobachtende Inkommensurabilitat hat Platan, wie einige Dialogstellen andeutungsweise zeigen, in diesem groBen philosophischen Zusammenhang gesehen. Die verschiedenen Arten yon irrationalen GraBen scheinen - zusammen mit der Struktur der Dimensionenfolge - in der Akademie eine wichtige Rolle gespielt zu haben bei der ErschlieBung und Darstellung der im Seinsaufbau geltenden Beziehungen. Die Entfaltung des Seienden zwischen Peras und Apeiron, Ideen und Erscheinungen lieB sich im Blick auf die Abstufung der Logoi yon den rational en zu den in immer haherem Grade irrationalen GraBen abbildhafl:, aber exakt beschreiben37• - Die systematische Ausfi.ihrung dieser Konzeption kannen wir Freilich mit einiger Sicherheit nur fi.ir den spaten Platan nachweisen. Aber die Anfange einer solchen Ver-
t.OyllJ-
Ansicht Schon
muBten ihre Er(vgI. bes. Politeia
fur
Formen
nicht
die philosophisch-systematische
Logostheorie
linear
der Inkommensurabilitiit
kommensurabel
kommensurabel
sein).
der irrationalen
GroBen
Ihre
Klassifizierung
Seinsweise
dieser
schrittweise
von
nissen
entfernen"
Das war
GroBen den
Brauchbarkeit
sicher der enge Zusammenhang ist,
besondere
finden fur
muBte, Platon
herausstellte,
rationalen,
(Mathematische
durch
den
und der Dimensionenfolge
kann
quadriert
Interesse,
korperlich
am Studium
O. Becker klar erkannt:
so wichtig,
in der Abstufung, ,Zahlen'
oder
das Platon
hat zuerst deshalb
Existenz,
der
zwischen
"weil
ausdruckbaren
1927,
576).
sie die
in der sie sich Verhiilt-
engen Wechselverhaltnis von Philosophie und Fachmathematik vollzogen haben mu638• Auch in dieser Hinsicht geht Platon offenbar i.iber pythagoreische Ansatze, die er aufgreifen konnte, entschieden hinaus. Nach wie vor I soli zwar den Zahlen die beherrschende Stellung eingeraumt werden. Aber in der konsequenten Einbeziehung der irrationalen Gro6en bekundet sich ebenso wie in der dimensionalen Abstufung zwischen Peras und Apeiron die eigenti.imlich platonische Absicht, zwischen Ideen (Zahlen) und Erscheinungen (Korpern) ontologisch zu unterscheiden und damit das Problem des Zusammenhangs und Obergangs ins Zentrum der philosophischen Ontologie zu stellen 39.
standen - offenbar es i.iberall
Proportion,
wieder in dem Sinne, da6 das ,MaW, indem Form und Ordnung begri.indet, zugleich
Ursache und Inbegriff aller Arete ist40• In speziell mathematischer Hinsicht mu6te freilich aus der Entdeckung der Inkommensurabilidt die Folgerung gezogen werden, da6 es ein gemeinsames Ma6 aller Gro6en nicht geben konne41• 1m I Rahmen seiner philosophischen Prinzipienlehre sucht Platon aber trotzdem an dem Gedanken festzuhalten, da6 die ganze Seinsordnung auf ein absolut gi.iltiges, einheitliches ,Ma6' bezogen sein mi.isse. Er konnte dies behaupten, ohne mit mathematischen Ergebnissen in Konflikt zu geraten, indem er den Unterschied
zwischen rationalen und irrationalen Gropen als Seinsunterschied Es bleibt noch die Frage zu beantworten, ob vielleicht auch das Beispiel der Quadratverdoppelung, ahnlich wie die Definitionen im ersten Teil des Dialogs, etwas beitragt zum Hauptproblem des ganzen Gesprachs, zum Verstandnis der Arete. Diese Vermutung findet in der Tat eine gewisse Bestatigung, wenn man der grundsatzlichen Bedeutung des mathematischen Beispiels nachgeht. Denn aus der Beobachtung der mathematischen Inkommensurabilitat ergibt sich mit Notwendigkeit die Frage, inwiefern i.iberhaupt ein allgemeingi.iltiges ,MaW existiere. Platon aber hat, wie aus spateren Dialogstellen ziemlich klar, aus fri.iheren immerhin andeutungsweise hervorgeht, das ,Gute selbst' als das hochste, exakteste ,Map' ver38 In unserem Zusammenhang ist bemerkenswert, da~ gerade auch dem im Menon behandelten Beispiel der Quadratverdoppelung im Rahmen der (spateren) platonischen Seinslehre eine allgemeinere Bedeutung zukam. 1m Politikos (266 A) ist zu lesen, ein bestimmter Schnitt bei der Ideendihairesis solIe nach dem Verhaltnis yon Seite und Diagonale ausgefiihrt werden (vgI. dazu Pl. U. L. 129 ff.). 39 Die Pythagoreer kannten, nach der DarsteIIung des Aristoteles, eine derartige Seinsdifferenzierung nicht. - Unter den Philolaos-Fragmenten findet sich ein Text (Fr. B 11 D.-K.), in dem eine prinzipieIIe Unterscheidung und Einordnung der Logos-Arten vorausgesetzt ist. Aber dieses Stuck hat als nachplatonisch zu gelten (vgI. W. Burkert, a. a. O. [0. Anm. 3] 252 ff.). Es erinnert auffallend an die platonische Lehre yon einer Vermittlung der Seele zwischen Gegensatzen wie Zahl und korperlicher Erscheinung, rational und irrational (vgI. Test.PI. 67 b).
auffa6te und so jeweils das Ma6gebende oder Me6bare als das in hoherem Grade Seiende dem Irrationalen und Unbestimmten gegeni.iberstellte42• Auf diese Weise wurde es sogar moglich, die philosophische Ansicht von einem gemeinsamen ,Ma6' aller Dinge unter ausdri.icklicher Berufung auf die mathematische Logos- Theorie zu begri.inden: die verschiedenen Arten von mathematischer Inkommensurabilitat lie6en sich auf den allgemeinen philosophischen Prinzipiengegensatz von Peras und Apeiron (Sein und Nichtsein) zuriickfiihren. 40 An das Gute als ,exaktestes MaW ist wohl schon im Protagoras (356 E - 357B) gedacht. Deutlich zeigt sich diese Vorstellung dann in der Politeia (VI 504 B ff. uxeiBELu - flb:eov - f] "tou uym'tou t6EU). Die spateren Formulierungen sind gelegentlich hochst pragnant: "Fur uns ist Gott das Map aller Dinge" (Nomoi IV 716 C) - "Das Gute ist das allerexakteste Map" (AristoteIes, Politikos Fr. 2 Ross) - "Gott mipt aIle Dinge besser, als die Einheit die Zahlen mi~t" (bei Pappos; Test.PI. 67b). Die ganze platonisch-aristotelische ,Ma~-Ethik' beruht auf diesem Gedanken (vgI. H. J. Kramer, Arete bei Platon und Aristoteles, bes. 547/8 mit weiteren BelegsteIIen). 41 Die mathematische Lehre, rational-me~bare Gro~en gebe es an sich (xuW mh6.) nur konventionell (ltEI1EL),namlich je nachdem wie die Ma~einheit gewahlt wird, Kommensurabilitat und InkommensurabiIitat aber seien als Relation (neb; CDJ'llAu)jeweils sachlich notwendig (qJ1JI1EL), wird bei Pappos ausfuhrIich dargelegt (vgI. Pl. U. L. 376 Anm. 139). 42 Auf dieser Vorstellung beruht besonders auch die platonische Lehre von den ,Atom-Linien' (Pl. U. L. 158-163, Test.PI. 36).
Geometrische Hypothesis zur Einbeschreibung einer Flache in einen Kreis (86 E-87 A)
a) Begriff
und Methode
der Hypothesis
Das Beispiel im dritten Teil des Dialogs erweist sich schon bei der ~rage, wa.s sp~ziell marhematisch gemeint isr, als schwierig. Sicher 1st, daB h1er em bestimmtes geometrisches Problem unter Zuhilfenahme einer grundlegenden Voraussetzung oder Bedingung gelOst werden sol1, und zwar gilt es, die Frage zu entscheiden, ob eine ~ege?en~ Flache (die etwa als Rechteck oder Quadrat vorgelegr 1st) m emen ebenfalls gegebenen Kreis als Dreieck einbeschrieben werden kann oder nicht. Es handelt sich also merhodisch urn eine Fallunterscheidung (griechisch: Dihorismos), durch die man insrand geserzt werden sol1, verschiedene Moglichkeiren klar voneinander abzugrenzen 43. Nicht so leicht aber isr zu sagen, wie die im Text angegebene ,Voraussetzung' oder ,Hypothesis' sachlich verstanden werden muB. I Wir beginnen mit der begriffsgeschichtlichen Vorfrage, was unter einer Hypothesis zur Zeit Platons im allgemeinen versranden worden ist. Zugleich ist zu fragen, ob etwa Platon selbsr auf das wissenschaftlich-mathematische Verstandnis der Hypothesis-Methode und des Hypothesis-Begriffs eingewirkt hat. Diese Vermutung wird dadurch nahegelegt, daB die spatere, nachplatonische Anwendung des Hypothesis-Begriffs im mathematischen Bereich nicht ohne weiteres mit dem ubereinstimmr, was sich uber den vorplatonischen Sprachgebrauch feststellen laBt.
43 Dag sich gerade die mit der Akademie Platons in Verbindung ~tehenden Mathematiker fiir solche "Fallunterscheidungen" interessierten, 1st bezeugt. So durch Eudemos (Fr. 133 Wehrli = Test.PI. 15) fiir den Mathematiker Leon (TOV AEOVTa •.• bWQlrJf!OU; ElJQElV, 1tOTE buvclTOV ErJn TO ~l]TOUf!EVOV 1tQO~Al]f!U xui 1tOTE UV allTO
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IlHo au, fi abUvaTov itaitELv.
l'itoitEflEVO;
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001
TO OUfl~aLVOV mQi Tii; fVTuoEW; whou fit; TOV XlIX).OV, E'in a~~~vauf den Durchmesser des Kreises bezogen werden sollen. Zur Rechtfertigung dieser Ansicht lafh sich aber immerhin folgendes anfuhren. Der ubliche Begriff fur den Kreisdurchmesser - Ol(i~ET!.>O~ - ware an sich nicht weniger miBverstandlich, weil er ebensogut die Diagonale eines Rechtecks bezeichnen kann. Und wenn man es fur unmoglich halt, daB sieh das WOrt m!TOUnicht auf das im gleichen Satz genannte xw!.>lov, sondern auf den vorher erwahnten Kreis bezieht, wird man sich vielleicht dazu entschlieBen konnen, statt auwu aufgrund einer an sich geringfugigen Textanderung aii WV(Wll) zu sehreiben. Danach ware zu ubersetzen: "... wenn diese Flache eine solehe ist, daB einer, der sie an die gegebene Linie jener anderen Figur [namlieh des Kreises] anlegt ... " 56. Die groBte Bedeutung aber hat schlieBlich der sachliehe Einwand, daB die geometrische Konstruktion, die bei der vorgesehlagenen Textinterpretation verlangt zu werden scheint, nicht mit Zirkel und Lineal ausfiihrbar ist. Der jeweils zu bestimmende Punkt P (s. Fig. 1) liegt auf einer Hyperbel (mit dem Kreisdurchmes- : ser und einer Seite des Rechtecks als Asymptoten), die den Kreis schneidet oder beruhrt, wenn die Einbeschreibung moglich ist. Das Problem fuhrt also, in dieser Weise angefaBt, zu einer Gleichung vierten Grades. Das heiBt: die Entscheidung der Frage, ob die Einbeschreibung der gegebenen Flaehe moglieh ist oder nicht, ist mit den der damaligen Geometrie verfiigbaren Mitteln nicht zu erreichen, wenn die Hypothesis in dem oben wiedergegebenen Sinne verstanden werden soll; jedenfalls ist die dabei verlangte Flachenanlegung geometrisch nicht ohne weiteres ausfuhrbar. Da aber andererseits im platonischen Text deutlich gesagt ist, die Hypothesis fuhre zur Be-
56 Mit Recht hat O. Becker bemerkt, daB mhou im Text nicht zu halten ist, wenn es sich urn den Kreisdurchmesser handeln soli (Das mathematische Denken der Antike, 85 Anm. 20; Archiv f. Begr.-gesch. 4, 1959, 211 Anm.2). Er schHigt vor, Ul!TOzu schreiben, "urn dem transitiv zu verstehenden rrugun[vuvTu. ein Akkusativ-Objekt zu geben". Aber das Objekt des Anlegens ergibt sich leicht aus dem Zusammenhang (orov ... ), wahrend mho syntaktisch kaum annehmbar ist und die Beziehung auf den Kreisdurchmesser ebensowenig ermoglicht (vgl. u. Anm. 63).
antwortung der gestellten Frage, scheint die bisher angenommene Erklarung dem Text nicht gerecht zu werden 57. Aus dieser Aporie wird man jedoch, wenn wir reeht sehen, herausgefuhrt, sowie man sich daranmacht, das im Text gestellte mathematische Problem genauer zu erfassen. Zunaehst ist zu bemerken, daB nieht eigentlich verlangt ist, die vorgelegte Flaehe wenn moglieh durch geometrische Konstruktion in den Kreis als Dreieck einzubesehreiben; vielmehr soll entschieden werden, ob die Einbeschreibung moglich ist oder nieht. Da nun die Mogliehkeit der Einbesehreibung selbstverstandlieh davon abhangt, ob die Flaehe groBer ist als das groBtmogliche Dreieck im Kreis oder nieht, entsteht mit der gestellten Aufgabe die Frage, welches Dreieck im Kreis das Maximum darstelLt. Wir wissen, daB es das gleiehseitige Dreieck ist, das diese Eigenschaft hat. Jeder Mathematiker wiirde deshalb - damals wohl ebenso wie heute - die vorgelegte Frage der Einbeschreibbarkeit praktisch tinfach dadurch entseheiden, daB er die gegebene Flaehe mit dem Flaeheninhalt des in den gegebenen Kreis einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks vergleiehen wurde58• Hier- I fur ist lediglich eine gewohnliehe, leieht zu bewerk-
57 Vgl. O. Becker, Das mathematische Denken '" 85/6; Th. L. Heath, A History of Greek Mathern., I 298-303. - DaB die Hypothesis (nach dem Verstandnis von Heath, Becker u. a.) an sich die Losung einer biquadratischen Gleichung verlangt und daB die entsprechende Konstruktion mit Zirkel und Lineal nicht ausHihrbar ist, hat A. Heijboer (a. a. O. 94/5) mit Recht eingewendet. Man kann dieses Bedenken nicht einfach beiseite schieben (so jetzt wieder E. de Strycker, a. a. 0.146); aber der Widerspruch lOst sich, wie wir glauben, auf, wenn man beachtet, daB im Text weder gefordert ist, die angegebene Hypothesis musse schon aUein und ohne weitere Bestimmung die Entscheidung des Problems ermoglichen, noch auch, die Flache musse als gieichschenkliges (oder sonstwie bestimmt geformtes) Dreieck in den Kreis einbeschrieben werden. 58 DaB das gleichseitige Dreieck den fur die Entscheidung der im Text formulierten Frage maBgeblichen Fall darstellt, ist naturlich schon ofters ausgesprochen worden (vgl. z. B. S. H. Butcher, Journ. Phil. 17, 1888, 219/25; W. Ettelt, Mathematische Beispiele bei Platon, Gymnas. 68,1961, 141). Zugleich wurde meist mit Recht festgestellt, daB diese Voraussetzung im platonischen Text nicht selbst zur Hypothesis gemacht werde. Dagegen
stelligende Flachenanlegung erforderlich (vgl. u. Fig. 4). Warum ist nun aber davon im Text nicht die Rede? Warum wird dort nicht einfach auf das gleichseitige Dreieck als den entscheidenden Fall hingewiesen? Eine Erklarung dafiir ist unschwer zu hnden. Die dem Problem zugrunde gelegte Hypothesis soll offenbar eine unzweifelhaft und sicher giiltige Voraussetzung darstellen, wahrend die Annahme, da~ das gleichseitige Dreieck das gro~te im Kreis ist und folglich als der ma~gebliche Grenzwert fiir die Entscheidung der Alternativfrage (ob die Einbeschreibung moglich ist oder nicht) zu gelten hat, zunachst eine blo~e Behauptung ware, die ihrerseits einer genaueren Erlauterung und Beweisfiihrung bediirfte. Die allgemeine Giiltigkeit der Hypothesis, die Sokrates im Auge zu haben scheint, ist leicht zu verihzieren; vorausgesetzt ist lediglich der ,Satz des Thales' (das Dreieck im Halbkreis ist rechtwinklig) und der ,Hohensatz' (die Hohe im rechtwinkligen Dreieck ist die mittlere Proportionale zwischen den Hypotenusenabschnitten). Wesentlich schwieriger ist es dagegen, das gleichseitige Dreieck als das maxima Ie zu erwelsen. War nun zur Zeit des Menon oder gar friiher - so ist weiter zu fragen - die Tatsache, da~ das gleichseitige Dreieck im Kreis das gro~te ist, schon mathematisch sicher bewiesen? Ganz einfach ist der Beweis nicht zu fiihren - was wohl auch den Anla~ dazu gegeben hat, zunachst eine allgemeinere Hypothesis aufzustellen 59. ging friiher F. Diimmler (Akademika, 1889, Anh. IV: Ein mathematischer Lehrsatz in Platons Menon ... , 260/8) yon der Annahme aus, im platonischen Text sei yom gleichseitigen Dreieck die Rede. Ebenso neuerdings wieder E. Stamatis (Platon 27/8, 1962, 315/20; engl. Auszug einer schon 1951 in der gleichen Zeitschr. erschienenen Abhandlung), dessen an sich interessante ErkHirungen sich mit dem Wortlaut der Stelle nicht direkt verbinden lassen (vgl. R. S. Bluck, a. a. 0.460/1). - Das Richtige hat, wie wir meinen, im Ansatz schon A. S. L. Farquharson (a. a. O. 23) gesehen, wenn er dem Sinne nach sagt: Sokrates beginne mit einer beliebig angenommenen Linie, erwarte aber stillschweigend, daB man dann weiterschlieBe auf das gleichseitige Dreieck als den eigentlich entscheidenden Fall. 59 Zunachst konnte man meinen, ein Beweis zur Bestimmung des maximalen Dreiecks im Kreis sei mit den damals verfiigbaren geometrischen
Aber es besteht die Moglichkeit, den Sachverhalt mit gewohnlichen Mitteln zu beweisen. I 1m Sinne einer indirekten Beweisfiihrung konnte man folgenderma~en argumentieren: Bei jedem Dreieck au~er dem gleichseitigen la~t sich zeigen, da~ es nicht das gro~te ist. Man kann namlich sonst in jedem Fall iiber einer Seite des Dreiecks die ungleichen Schenkel gleich machen (indem man die Dreiecksspitze auf dem Kreis verschiebt) und dabei die Hohe des Dreiecks vergro~ern. Nur beim gleichseitigen Dreieck ist diese Vergro~erung der Hohe (und damit des Inhalts) nicht moglich, also ist es selbst das absolut gro~te60. _ In noch strengerer Form aber fiihrt der folgende Beweisgang direkt zum gleichen Zie!' Auszugehen ist yon einem Satz, der in den Elementen Euklids (VI 27) speziell hergeleitet wird: "Von allen Rechtecken, die man an eine feste Strecke so anlegen kann, da~ ein Rechteck fehlt, welches einem iiber ihrer Halfte gezeichneten ahnlich ist und ahnlich liegt, ist das iiber der Halfte angelegte, das selbst dem fehlenden ahnlich ist, das gro~te." Dieser Satz la~t sich auf den Fall des gro~ten Dreiecks im Kreis anwenden 61,wenn man durch den Punkt P des gleichseitigen Dreiecks (s. Fig. 2) die Tangente AB an den Kreis zeichnet. Die Tangente begrenzt in A und B die verdoppelten Seiten des Rechtecks (schrafhert), das dem gleichseitigen Dreieck der Gro~e nac~ntspricht. (Bei jedem anderen Dreieck ware die Verbindungslinie AB zwischen den verdoppelten Seiten des flachengleichen Rechtecks keine Tan- I gente, sondern eine den Kreis schneidende Linie.) Nach dem angefiihrten Satz gilt nun: Wandert der Punkt P auf der Tangente, so werden die Rechtecke nach beiden Seiten hin (zu A und zu B) Methoden nicht moglich gewesen. Denn das gleichseitige Dreieck ist als grofhes Dreieck im Kreis dadurch ausgezeichnet, daB die entsprechende Hyperbel (der geometrische Ort fiir die Eckpunkte aller flachengleichen Rechtecke) den Kreis nur in einem Punkt beriihrt, wahrend sich bei kleineren Flachen zwei Schnittpunkte erg eben, bei groBeren die Kurve auBerhalb des Kreises verlaufl: (vgl. o. Fig. 1). 60 Diesen Beweis erwahnt A. S. L. Farquharson, a. a. O. 23. 61 Wahrscheinlich erfolgte die Anwendung zuerst bei der noch einfacheren Aufgabe, das Quadrat als das groj!te in den Kreis einbeschreibbare Rechteck zu bestimmen.
kleiner. Da nun aber der Kreisbogen innerhalb der Tangeme verlauft, werden die Rechtecke in noch haherem Grade kleiner, wenn der Punkt P auf der Kreisperipherie wandert. Folglich ist das gleichseitige Dreieck, das so groB ist wie das Rechteck mit dem urspri.inglich angenommenen Punkt P, das groBte im Kreis.
Fig. 2
Wenn also auf diesem Wege zu beweisen ist, daB das gleichseitige Dreieck den entscheidenden, maBgeblichen Vergleichsfall fi.ir das im Text gestellte mathematische Problem bildet, ist bemerkenswert, daB die geometrische Konstruktion, die zu dem Beweis erforderlich ist, an die Figur erinnert, die oben (s. Fig. 1) zur Erklarung der im Text beschriebenen Hypothesis dienen soUte. Jedenfalls ist nun klar, wie jene Erklarung gegeniiber dem Einwand, da~ die so verstandene Hypothesis nicht zur Lasung des gestellten Problems fi.ihren kanne, sachlich zu rechtfertigen ist. Die Hypothesis stellt, so wie sie oben nach der i.iblichen Auffassung erklart worden ist, nur eine allgemeine Voraussetzung oder Bedingung dar, die noch einer genaueren Eingrenzung bedarf, wenn sie zur Lasung des Problems fi.ihren solI. Die Hypothesis, die wir dem Text entnehmen kannen, bietet eine zweifellos richtige, hinreichende und notwendige Bedingung fi.ir die Entscheidung des mathematischen Problems, aber sie la~t die Frage nach dem eigentlich bestimmenden Grenzfall noch offen. Die entscheidende Determinierung ergibt sich, wenn man fragt, in welchem Fall das an den
Kreisdurchmesser angelegte Rechteck ein Maximum bildet. Es ist anzunehmen, daB die Mathematiker, auf die sich Sokrates beruft, zugleich schon an den maBgeblichen Spezialfall des gleichseitigen Dreiecks dachten: die angegebene Hypothesis kann nur als ein erster Schritt, als eine grundlegende, aber noch der genaueren Bestimmung bedi.irftige Voraussetzung verstanden werden. Eine zweite, speziellere Hypothesis erweist sich als unumganglich: die gegebene Flache ist einbeschreibbar, wenn sie nicht graBer ist als das gleichseitige Dreieck in dem gegebenen Kreis. Und diese zweite Hypothesis verlangt den Beweis dafi.ir, daB das gleichseitige Dreieck in der Tat den entscheidenden Maximalwert darstellt. Der GraBenvergleich zwischen der gegebenen Flache und dem gleichseitigen Dreieck im Kreis ist dann schlieBlich ohne Schwierigkeit maglich, ebenso die Einbeschreibung selbst (wenn dafi.ir keine bestimmte Form des Dreiecks vorgeschrieben ist). Insgesamt di.irfte also wichtig sein, daB I die Lasung des gestellten Problems nur auf dem Umweg i.iber eine weitere Hypothesis und deren Begri.indung maglich ist, daB dieser vollsrandige Weg zur Lasung aber durch die angegebene Hypothesis sinnvoll vorgezeichnet wird. (2) Da jedoch, wie oben gezeigt worden ist, gewisse sprachliche Bedenken, ob die bisher behandelte mathematische Erklarung der Hypothesis dem Text zu entnehmen ist, nicht ganz yon der Hand zu weisen sind, soll nun noch eine andere Auslegungsmaglichkeit entwickelt werden, die sich noch enger an den Wortlaut des griechischen Textes halt. Wir kannen dabei ankni.ipfen an die Arbeiten yon A. S. L. Farquharson (1923, modifiziert yon R. S. Bluck, 1961) und A. Heijboer (1955), deren Ergebnisse wir vom Text her noch weiter zu vereinfachen und sachlich zu prazisieren suchen. Kennzeichnend ist fUr die im folgenden vorgetragene Auslegung, daB sie yon vornherein die im Text beschriebene Hypothesis als eine zwar unmittelbar evidente und allgemein giiltige, aber nicht vallig bestimmte Voraussetzung versteht. 1m Sinne der beabsichtigten neuen Auslegung ist der fragliche Satz des Textes folgendermaBen wiederzugeben: Die Einbeschreibung der gegebenen Flache ist maglich, wenn sie an irgendeine in den Kreis gezeichnete Linie (Sehne) so als Rechteck (oder
Parallelogramm) angelegt werden kann, daB daneben (an dieser Linie) noch Raum iibrigbleibt fiir ein ebensolches (d. h. ebenso groBes) Rechteck (oder Parallelogramm)ti2.
Mit cler Formulierung JW(lu TljV ooflfi:aav aUTO'll Y(l(1Il~t;IV soIl also wiederum eine Linie des Kreises bezeichnet sein, nun aber nicht der Durchmesser, sondern eine zunachst beliebig angenommene ! Sehne. Das Wort mhou bleibt allch bei dieser Deutung schwierig, so daB es sich auch hier empfiehlt, die Beziehung auf den Kreis durch die Konjektur TOU(TOll) klarzlIsteIlen 63. ]edenfalls aber
uu
82 Man kann sachlich ebenso gut verlangen, daB die Flache an die Halfte der Sehne anzulegen ist. Die Bedingung fUr die Einbeschreibbarkeit ware dann darin zu sehen, daB die der Sehne gegenuberliegende Seite des Rechtecks nicht ganz auBerhalb des Kreises verlaufen darf. Das Dreieck kann dann noch leichter eingezeichnet werden, da aile drei Punkte auf dem Kreis mit der Anlegung schon gegeben sind (vgl. u. Fig. 4). Wahrscheinlich ist es erlaubt, den Text sofort in diesem Sinne zu verstehen. Denn es durfte als selbstverstandlich vorausgesetzt sein, daG die Bedingung des ,Dbrigbleibens' einer ebensogroGen Flache nur dann sinngemaB erfullt ist, wenn die Spitze des so konstruierten Dreiecks nicht auGerhalb des Kreises liegt. 83 Sprachlich ware zu fordern, daB sich mhou auf das im gleichen Satz genannte X,W(ltOV bezieht. Dann aber kann jedenfalls nicht eine Seite der Flache in ihrer ursprunglich etwa vorgelegten Form gemeint sein, sondern nur eine fur sie zum Zweck der Anlegung im Kreis gewahlte Linie (vgl. R. S. Bluck, a. a. O. 446. 458/9: "the line given for it", "the line given in its case"). Da dieser Sinn aus dem Text aber nicht ohne Zwang zu gewinnen ist, muG der Wortlaut der Oberlieferung angezweifelt werden. _
laBt sich behaupten, daB mit einer Wendung wie Tl]V oottEi:aav y!?allll~V nach einem gewohnlichen mathematischen Sprachgebrauch trotz des bestimmten Artikels nicht etwas bestimmt Gegebenes, sondern etwas beliebig oder irgendwie Vorgelegtes bezeichnet wird. Da wir diesen Sprachgebrauch, der besonders bei Euklid zu beobachten ist, schon fiir Platon annehmen konnen, wird man hier an ,irgendeine', so oder so gewahlte Linie (im Kreis) denken diirfen64• In der entsprechenden Zeichnung (0. Fig. 3) hat man sich also die Kreissehne, an die das Redneck angelegt wird, zunachst als nicht eindeutig bestimmt vorzustellen. Nicht naher bestimmt ist auch die andere, zu der Kreissehne senkrechte Seite des Rechtecks. Es ist jedoch leicht zu sehen, daB diese Seite zweckmaBigerweise nicht langer sein darf als die Mittelsenkrechte iiber der Sehne im Kreis. Freilich ist diese Bedingung im Text nicht besonders zum Ausdruck gebracht. Anscheinend gilt als selbstversdndlich, daB die Spitze des konstruierten Dreiecks nicht auBerhalb des Kreises liegen darf. Man kann die Hypothesis, die wir nunmehr im Text ausgedriickt finden, auch folgendermaBen wiedergeben: Die Einbeschreibung ist moglich, wenn es im Kreis eine Linie (Sehne) gibt, an die sich die gegebene Flache (als Rechteck) so anlegen laBt, daB daneben noch Raum bleibt fiir eine (mindestens) ebenso groBe Flache (wobei die zu der Sehne senkrechte Seite des Rechtecks nicht langer sein darf als die Mittelsenkrechte im Kreis). - Diese Formulierung macht klar, daB die Hypothesis, wenn sie so verstanden wird, durchaus eine notwendige und hinreichende Bedingung fiir die Entscheidung des i gestellten Problems angibt. Zugleich erhebt sich damit aber Oder sollte ulnou an unserer Stelle (wie ofters bei Platon) in der Bedeutung ,hier', ,ebenda' gebraucht sein? Dann ware einfach zu verstehen: ". " wenn man die Flache an eine hier (namlich im gegebenen Kreis) angenommene Linie anlegt ... ". 64 Dies wurde besonders hervorgehoben yon O. Becker (Archiv f. Begr.gesch. 4, 1959,210/1. 222 Anm. 5). Die fur uns ungewohnliche Verwendung des bestimmten Artikels kommt im Griechischen auch im auBermathematischen Sprachgebrauch vor, so etwa bei Klearch, Fr. 63 (p. 28,5 Wehrli): uno TOU bO{tEVTO; Y(la~tlluTo; = "von einem irgendwie (beliebig) gegebenen Buchstaben aus" (vgl. dazu R. Kassel, Hermes 91, 1963, 58/9).
auch unausweichlich die Frage, wie die Linie im Kreis yon Fall zu Fall gewahlt werden solI. Nun ist leicht einzusehen, dag eine sichere Entscheidung in jedem Fall nur dann getroffen werden kann, wenn man yon der Seitenlinie des grogtmoglichen einbeschriebenen Dreiecks ausgeht. Sofern man als bekannt voraussetzen darf, dag das gleichseitige Dreieck das grogte ist, ergibt sich yon hier aus alles weitere ohne Schwierigkeit: Die Anlegung der gegebenen Flache (an die im Kreis leicht zu ermittelnde maximale Seitenlinie) geschieht, wie die Darstellung zeigt (Fig. 4), aufgrund des Sachverhalts bei Erganzungsparallelogrammen - oder, griechisch ausgedriickt, durch den ,Gnomon' (vgl. Euklid, Elem. I 43). Am einfachsten werden wir das Rechteck an die Halfte der Kreissehne anlegen, urn dann zu priifen, ob die gegeniiberliegende Rechteckseite (verlangert) den Kreis schneidet oder beriihrt - was bedeutet, dag die Einbeschreibung moglich ist (s. Fig. 4) - oder ob sie augerhalb des Kreises verlauft, so dag sich die Einbeschreibung als unmoglich erweisen wiirde.
Freilich ist nun auch hier wieder, ebenso wie bei der zuvor untersuchten Erklarungsmoglichkeit, zu bemerken, daG vom gleichseitigen Dreieck im Text nicht die Rede ist. Die Begriindung, die wir dafUr schon oben gegeben haben, gilt nicht weniger fUr die neu vorgeschlagene Auslegung des Textes; und wir kommen so insgesamt zum gleichen Ergebnis wie vorher. Die spezielle Voraussetzung, dag das gleichseitige Dreieck den eigentlich determinierenden Fall zur Losung des Problems darstellt, wird offenbar deshalb nicht selbst zur Hypothesis gemacht, weil sie ihrerseits erst bewiesen werden
muK Dagegen ist in der Hypothesis, die der Text ausdriicklich formuliert, eine ohne weiteres annehmbare, sicher giiltige, grundlegende Bedingung fUr die Losung des mathematischen Problems zu erkennen. Und wenn die beschriebene Hypothesis auch den speziellen Sachverhalt, yon dem die Entscheidung im besonderen abhangt, nicht ausdriicklich enthalt, so fiihrt sie doch, sachgemag betrachtet, mit Notwendigkeit auf die genauere Determination hin. Die genauere Bestimmung lagt sich als zweite Hypothesis hinzufLigen und durch einen besonderen Beweisgang sichern. r
Unabhangig
davon,
welchen
yon den beiden
besprochenen
An-
satzen zur Interpretation des Textes man nun bevorzugen wird, wird man wohl das neu gewonnene Gesamtverstandnis der im Menon beschriebenen mathematischen Aufgabe iibernehmen miissen, da es gleichermaGen in der Konsequenz der beiden speziellen Hypothesis-Erklarungen liegt. DiesesGesamtverstandnis des mathematischen Beispiels darf nun auch deshalb als iiberzeugend gelten, weil es - wie im folgenden ausgefiihrt werden soll- klar erkennbar macht, daG das mathematische Problem methodisch und sachlich fiir die weitere Behandlung der Arete aufschluGreich ist. Denn im weiteren Zusammenhang des Dialogs zeigt Sokrates fUr die Arete, wie eine zunachst noch unbestimmte Hypothesis auf Bedingungen, die in hoherem Mage sicher sind, zuriickgefiihrt wird.
a) Das Hypothesis-Verfahren Der ganze SchluGteil des Dialogs beruht auf der durch den platonischen H ypothesis- Begriff gekennzeichneten Denkstruktur. Platon versteht unter Hypothesis-wie wir noch einmal zusammenfassend sagen konnen - eine Voraussetzung des Denkens, die selbst noch als priifungsund sicherungsbediirftig zu gelten hat. Eine Priifung ist nach zwei Seiten hin moglich: namlich zum einen in Richtung auf einfachste, absolut giiltige Ursachen und Elemente (,Weg nach oben'), zum anderen in Richtung auf die konkreten, empirisch feststellbaren Befunde (,Weg nach unten'). Die Hypothesis
vermittelt also zwischen den hochsten Prinzipien und den jeweiligen Phanomenen. I~ Menon wird nun nach dieser Methode die Frage untersucht, ob dIe Arete lehrbar ist oder nicht. Die dabei zuerst aufgestellte, zentrale Hypothesis lautet: Arete ist Wissen (oder als Bedingung: nur wenn Arete Wissen ist, ist sie lehrba;-). Als iibergeordnete Voraussetzung hierfiir wird dann der Satz eingefiihrt: Arete ist gut (oder als Bedingung: wenn Arete gut ist, kommt sie, wie alles Gute und Niitzliche, durch Wissen zustande). Auch diese Feststellung gilt als Hypothesis, allerdings als eine in hoherem Grade sichere (allTl"] ~ tmoftWle; [lEVEL ~[li:v, ayaMv aUTO dvm, 87 D 3). Mit dem Begriff des ,Guten' ist an der vergleichbaren Stelle in der Politeia (VI 510 B ff.) das absolut Hochste, nicht mehr weiter Zuriickfiihrbare (aVUJloftETOV) bezeichnet. Wenn demgegeniiber der Satz ,Arete ist I gut' im Menon als Hypothesis gilt, so bedeutet dies vermutlich daB dieser Satz hier noch nicht als endgiiltig sicher, sondem imme; noch als vorlaufig verstanden werden soIl. In der Tat ist zu berner ken, daB hier das Cute nur unter dem besonderen Aspekt des N utzlichen ((!JCPEAl[lov) erscheint, so daB eine noch allgemeinere Begriindung des hypothetischen Satzes ,Arete ist gut' in einem umfassenden Begriff des Gutseins durchaus denkbar ist. AuBerdem wird die Hypothesis ,Arete i~t Wissen' im Verlauf des Gesprachs auch nach der anderen Seite hin, namlich an der empirischen Erfahrung gepriift. Aus der Hypothesis, so scheint es, muB sich folgerichtig ergeben, daB Lehrer und Schiiler des Arete- Wissens vorhanden sind. Da diese Konsequenz aber, wie sich bei einer k~itischen U~schau herausstellt, durch die Erfahrung nicht bestatigt wlrd, soIl dIe Hypothesis selbst ais unhaltbar aufgegeben werden. Sokrates kommt so schlieBlich zu der Ansicht, daB es Arete auch ohne Wissen, aufgrund unbewuBt richtiger Meinung (Doxa) geben miisse. Freilich wird dann am SchluB des Dialogs - sehr bedeutungsvoll - auf die Moglichkeit hingewiesen, es konnte vielleicht doch einen Lehrer des Arete-Wissens geben (... d [l~ Tte; Ell"] Towihoe; TWV JlOAlTtXWV aV/)Qwv oIoe; xat UAAOV JlOlljam JloJ.tTtXOV, 100 A). In der Tat ist klar, daB die Hypothesis ,Arete ist Wissen' noch nicht grundsatzlich widerlegt ist, wenn eben im Augenblick oder unter gewohnlichem Gesichtspunkt keine Lehrer und Schiiler der Arete
aufzufinden sind. Vielmehr muB die Hypothesis als berechtigt gelten, sobaid doch irgendwo ein echtes Lehren und Lemen des Guten in Erfahrung gebracht wird. Damit verweist der ganze hypothetische Gedankengang deutlich - der Sache nach - auf die Frage, worin ein sicheres Wissen yom Wesen des Guten bestehen konnte, und zugleich - der protreptischen Wirkung nach - auf die ,Schule' PIa tons und ihren Anspruch, die politische Arete auf ein bestimmtes Wissen griinden zu konnen. 1m Riickblick auf das geometrische Beispiel, mit dem Sokrates die hypothetische Erorterung des Arete-Problems einleitete, muB nun auffallen, daB sich die zur Losung der mathematischen Aufgabe notwendigen Denkschritte mit den wesentlichen Schritten des Gedankengangs, der dem Arete-Problem gilt, koordinieren lassen. Die Entsprechung laBt sich in einfacher Form durch eine schematische Gegeniiberstellung (s. S. 382) verdeutlichen. Das mathematische Beispiel und die darauf folgende Behandlung des Arete-Problems stehen also in einem Verhaltnis wechselseitiger Erhellung. Eine Ahnlichkeit des Beweisverfahrens laBt sich vor allem I fiir den ,Weg nach oben' aufzeigen. Aber auch bei der Priifung der Hypothesis nach unten ist eine bezeichnende Obereinstimmung festzustellen. Die Hypothesis ,Arete ist Wissen' kann durch die empirische Erfahrung nicht bestatigt, aber - wie am SchluB angedeutet wird - auch nicht endgiiltig widerlegt werden. Bei dem mathematischen Problem entspricht dieser empirischen Kontrolle der Versuch, die geforderte Entscheidung in einem speziellen Fall durch Ausprobieren anhand einer geometrischen Zeichnung zu finden. Dabei zeigt sich erstens, daB man die zunachst unbestimmte Hypothesis genauer prazisieren muB, urn in jedem Fall zu einer Entscheidung zu gelangen. Zweitens erhebt sich dariiber hinaus die Frage, ob die Lasung in jedem Fall durch geometrische Konstruktion gefunden werden kann. Und hier stellt sich nun in mathematischer Hinsicht eine ahnliche Schwierigkeit ein wie bei der empirischen Suche nach dem Arete- Wissen. Man muB einsehen, daB es gerade in dem besonders interessanten Grenzfall der maximalen einbeschreibbaren Flache unmaglich ist, die Entscheidung durch Ausprobieren an der Figur zu find en. Daher
DAS MATHEMATISCHE PROBLEM
I
Zuruckfuhrung auf erste, elementare Voraussetzungen.
unbedingt giiltige Prinzipien
Beweis dafiir, daB das groBte in den Kreis einbeschreibbare Dreieck das gleichseitige ist
I
DAS PROBLEM DER ARETE
Wesen des Guten (MaBgebende Einheit)
Bestimmte Delamination.
zweite, iibergeordnete Hypothesis
erste Hypothesis
Wie verhalt sich die Flache zum gleichseitigen Dreieck im Kreis? 1st sie groBer, kleiner oder gleich graB? Allgemeingultige, hinreichende und notwendige, aber noch nicht genau bestimmte Voraussetzung.
"Wenn man die Flache an eine Linie im Kreis so anlegen kann, daB ... " einbeschreibbar / nicht einbeschreibbar empirische Erfahrung
1st die Emscheidung in jedem Fall durch Konstruktion moglich?
"Arete ist gut" folglich besteht sle III einem Wissen (gut = niitzlich)
"Arete ist Wissen" Wenn dies zutriffi, ist sie lehrbar ...
lehrbar / nicht lehrbar
konnte man auch bei dem mathematischen Problem yon der Empirie aus bezweifeln, ob iiberhaupt in jedem Fall eine sichere Emscheidung moglich ist und ob die aufgestellte Hypothesis, die dazu dienen solI, zu Recht besteht. Die Schwierigkeit ist hier wie beim Arete-Problem nur zu iiberwinden, wenn man sich klar macht, daB die eindeutige Entscheidung grundsatzlich nicht im Bereich der Empirie, sondern nur im Bereich der theoretischen Erkenntnis fallen kann. Denn was das mathematische Beispiel angeht, so laBt sich nur durch theoretische Oberlegung, und zwar durch eine Zuriickfiihrung der gegebenen Linien und Hachen auf Zahlen und Zahlenbeziehungen, allgemein klarlegen, daB es ein groBtes Dreieck in jedem Kreis gibt und wie sich eine bestimmte Flache dazu verhalt: ob sie groBer oder kleiner oder gleich groB ist. b) Das Mitt/ere zwischen clem Grv/Jeren um/ clem K/eineren
Damit stehen wir schlieBlich auch hier wieder vor der Frage, ob das geometrische Beispiel vielleicht nicht nur methodisch, sondern auch sachlich fiir das Arete-Prablem aufschluBreich ist. Will Platan auch im SchluBteil des Dialogs durch den angefi.ihrten mathematischen Sachverhalt auf eine ,maBgebende Einheit' hinweisen, in der zugleich das Wesensmerkmal der Arete gesehen werden so1l65? In I der Tat hat sich uns bei der Gegeni.iberstellung ergeben, daB dem grundlegenden Satz i.iber die Arete, der auf das Gute selbst hinzielt ("Arete ist gut"), die Einfi.ihrung des gleichseitigen, regelmafiigen Dreiecks als der emscheidenden Instanz entspricht. Sollte der damit nahegelegte Vergleich zwischen dem Wesen der Arete und dem einen, ausgezeichneten Sonderfall des geometrischen Problems vielleicht beabsichtigt sein? Wir haben schon bemerkt, daB sich gerade das gleichseitige Dreieck als der emscheidende Grenzfall des Problems durch praktische Konstruktion nicht sicher fassen laBt. Und darin schien uns eine Entsprechung zu liegen zu dem Ergebnis der Arete-Untersuchung, wonach sich auch das echte 65
Gibt es Lehrer und Schi.ilerder Arete? I
einen
P. Friedlander ,symbolischen'
F. Diimmler noetische
Wit
die Frage,
Sinn
habe,
ob die geometrische offen
[so o. Anm. 58J geauGerte
U rbild aller Dreiecke
(PIa ton,
Ansicht,
hin, konnte
Hypothesis
IF, 326).
auch
Die
hier weise Platon
freilich nicht befriedigen.
Yon
auf das
Arete- Wissen nicht ohne weiteres empirisch feststellen laBt. Dieser vorlaufige Eindruck soli nun noch etwas weiter ausgedeutet werden, obwohl uns der vorliegende Text dafur kaum mehr eine Handhabe bietet. (1) Die in dem mathematischen Beispiel gestellte Frage fuhrt drei Moglichkeiten vor Augen: Die gegebene Flache kann entweder grofter sein als das maximale Dreieck im Kreis oder kleiner oder gleich graft. Dabei stellt die ,mittlere' Moglichkeit, daB namlich die fragliche Flache ,gleich' groB ist, den besonders wichtigen ,Grenzfall' dar. In diesem Verhaltnis zwischen grofter - gleich - kleiner oder auch Mehr - Mitte - weniger sind nun aber die Begriffe zu erkennen, mit denen Platon das Wesen der Arete zu kennzeichnen ptlegt. Denn immer wieder erscheint in den Dialogen und noch Jcutlicher in den Retlexen Jer miindlichen Lehre PIa tons das Cute als das Mittlere (!tEaov) zwischen den ,unbegrenzt' vielen Moglichkeiten zum Croften und zum Kleinen hin (Zuviel und Zuwenig, i'rrE(l~oAlj und EAAmjnc;). DaB Platon nicht erst spater, sondern schon zur Zeit des Menon das Wesen der Arete in diesem Sinne verstand und durch mathematische Analogien zu verdeutlichen suchte, zeigt sich an einer Stelle im Protagoras (356 E-357 B). Dort vergleicht Sokrates die fur die Wahl des Guten erforderliche Meftkunst mit der Lehre yon den Zahlen, da es hier wie dort darauf ankomme, uber Mehrund- Weniger sowie besonders auch uber das Verhaltnis des RelativUnbestimmten zur an sich maBgebenden Gleichheit (i)JlE(l~oAlj / EvliELa und taot'Y)C;) Bescheid zu wissen 66.I 66 Ober relative und normbezogene Me~kunst ,m Protagoras: H. J. Kramer, Arete bei Platon und Aristoteles, 490/1 (u.o.). Auch an anderen Dialogstellen verweist Platon mit der Beziehung zwischen ,gro~' und ,klein' auf das Prinzip der unbestimmten Relativitat im Gegensatz zum Prinzip der Eiuheit und Gleichheit oder Mitte. So noch deutlicher als im Protagoras in der Politeia (VII 524 B - 525 A); vielleicht auch bei der Definition des Begriffs ,Farbe' im Menon (76 D 112, vgl. 83 CID). - Da~ Platon gelegentlich auch Yon Gro~e und Kleinheit ,an sich' spricht (Phaidon 100E-I01B; Parmen. 131C-132B), braucht dieser Vorstellung nicht zu widersprechen. Denn in gewisser Hinsicht tritt das Relative schon im Ideen-Bereich auf, namlich als ,Zweiheit' und Logos'.
Das Hypothesis-Beispiel im Menon scheint demnach insofern fur das Verstandnis der Arete aufschluBreich zu sein, als hier die gleichseitige, regelmaBige Form das Mittlere und MaBgebende darstellt - so wie nach der platonischen ,Wertstruktur' das Gute als die entscheidende ,Mitte' und ,Grenze' zwischen den unendlich vielfaltigen Moglichkeiten des Mehr-oder- Weniger begriffen werden so1l67. (2) Sucht man, wie es zur vollstandigen mathematischen Klarung des Sachverhalts erforderlich ist, die fur das angegebene geometrische Problem wichtigen GroBenbeziehungen zahlenmaBig zu erfassen, so stellt sich heraus, daB hier inkommensurable GroBen hoherer Art vorkommen. Vor aHem zeigt sich die entscheidende Funktion des gleichseitigen Dreiecks auf diese Weise mit besonderer Deutlichkeit. 1st namlich in einem Kreis mit dem Radius = r die Seite des einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks = a und sein Flacheninhalt = F, so gilt: a=
}V3-. V3-' fF
r=
~-V3' Vl
1st also die gegebene Flache als Rechteck mit rationalen Seiten vorgelegt, so muB sich als Seite des entsprechenden regelmaBigen Dreiecks eine irrationale GroBe yon der Form der ,Mediale' ergeben. Und weiter: wenn die Seiten des Rechtecks mit dem Radius des Kreises (linear oder quadriert) kommensurabel sind, kann die Flache keinesfalls als gleichseitiges Dreieck einbeschrieben werden, 67 Auf diese Grundvorstellung lassen sich jedenfalls die schon oben, bei der Erklarung der aXi)f,lu-Definition, angegebenen einfachen mathematischen Beispiele beziehen: ungerade und gerade Zahlen, Quadrat und Rechteek, die drei Arten yon Winkeln (vgl. o. Anm. 19); ebenso der Unterschied zwischen rationalen und irrationalen Gro~en (Ma~gleichheit und Ma~verschiedenheit, Einschlie~ung yon Gro~en durch Grenzwerte). Wichtig ist auch, da~ die entsprech~nden Begriffe fur die Harmonielehre von Bedeutung sind: die musikalischen Intervalle als ,rationale' Verhaltnisse zwischen dem irrationalen ,Mehr-oder-Weniger' (worauf ich in dem O. Anm. 20 genannten Aufsatz genauer eingehe).
son- I dern muB entweder kleiner oder groBer sein. DaB also gerade in dem Grenz/all des gleichseitigen Dreiecks eine hahere lnkommensurabilitat auf tritt, konnte bedeutungsvoll sein, wenn man sich daran erinnert, daB auch das Gute - als hochstes ,MaW aile nur relativ erfaBbaren Erscheinungen transzendiert. (3) Wie schon bei der Erklarung der Definitionen im ersten Teil des Dialogs zu berner ken war, hat Platon wahrscheinlich in dem Verhaltnis zwischen ,kreisjormig' und ,geradlinig' ein besonders wichtiges Paradeigma fiir den Prinzipicngegensatz yon Peras und Apeiron gesehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt konnte also schlieBlich die Beziehung zwischen Kreis, Rechteck und einbeschriebenem Dreieck eine allgemeinere Bedeutung crhalten. Die Einbeschreibung yon Figuren in den Kreis spielte bekanntlich eine wesentliche Rolle bei den Bemiihungen urn einen Flachenvergleich zwischen Kreis und geradlinig begrenzten Figuren (Problem der Kreisquadratur). Dabei hat sich friiher oder spater, wahrscheinlich aber schon vor der Abfassungszeit des Menon, klar herausgestellt, daB die Annaherung an den Kreis durch einbeschriebene Polygone mit immer groBerer Eckenzahl auf einen unendlichen ProzeB hinauslauft und daB eben darin eine grundsatzliche Vcrschiedenheit zwischen Kreisform und Geradlinigkeit zum Vorschein kommt68. Die hier zu beobachtende lnhomogenitat reicht, so mt:Bte 68 Besonders bemerkenswert ist der Versuch Brysons, den Kreis zugleich mit einbeschriebenen und umbeschriebenen Polygon en zu erfassen. Wahrscheinlich sol1te dabei grundsatzlich postuliert werden, daB es eine mit dem Kreis flachengleiche geradlinig begrenzte Figur iiberhaupt gibt (vgl. O. Becker, Quel1en u. Stud. z. Gesch. d. Math., B 2, 1933, 369-387 u. i5.). An dieser Fragestel1ung ki:innte Platon das Problem der ,Stetigkeit' kennengelernt haben (vgl. Parmen. 161 D. 165 A: das ,Gleiche' beim Obergang yom Gri:iBeren zum Kleineren; dazu wohl auch Epist. VII 343A: fundamentaler Gegensatz zwischen rund und geradlinig). - Sobald durch derartige Untersuchungen klargeworden war, daB ein direkter Flachenvergleich zwischen Kreis und geradlinig begrenzten Figuren mit gewi:ihnlichen Mitteln undurchfiihrbar ist, konnte die Forderung aufgestel1t werden, nun mi:iglichst al1e sonstigen Figuren oder Kurven als ,Mischungen' aus dem Kreis und der geraden Linie als den beiden Urkurven herzuleiten. Diese Aufgabenstel1ung stimmt wohl nicht nur zufal1ig mit der Absicht
man erkenncn, in noch groBere Tiefen als die Inkommensurabilitat etwa yon der Art der ,Mediale', die bei bestimmten Schnittverhalt- I nissen genau zu erfassen ist. Urn so mehr aber konnte Platon in dem Spannungsverhaltnis zwischen Kreis und gerader Linie jenen Urgegensatz yon Peras und Apeiron, Einheit und unbestimmter Vielheit am Werk sehen. Bei unserer ,Zuriickfiihrung' der im Menon besprochenen Hypothesen sind wir damit zu einem letzten Ausblick gelangt. Denn an dieser Stelle fiihrt die Betrachtung offen bar iiber den Bereich des nur So-Seienden (ltoi6v T[ fonv) hinaus zum Seienden selbst (auTo xait' aUTO T[ ltOT' Eonv)60. Hier geht es nicht mehr darum, ob eine vorgelegte Flache in einen gegebenen Kreis einbeschrieben werden kann oder nicht, sondern urn das "U:7esen des Dreiecks, des Rechtecks, des Kreises und letzten Endes urn das Runde und das Gerade selbst, die - man denke an die Beschrankung der Konstruktionsmittel auf ,Zirkel und Lineal' - als einfachste und allgemeinste Voraussetzungen (uQXa[) der geometrischen Phanomene verstanden werden konnen. Und was die Arete betriffi, so geht es an dieser Stelle nicht mehr darum, ob sie lehrbar ist oder nicht, sondern urn das Wcsen des Guten, auf dem jedes mogliche Wissen yon der Arete beruht. Beide Probleme, das mathematische und das ethische, sind also, wenn wir recht sehen, dadurch bestimmt, daB man bei der folgerichtigen Auflosung des zunachst Komplizierten und Unbestimmten schlieBlich jene maBgebende Einheit erreicht, in der auch Platons iiberein, die Obergangsstufen zwischen Peras und Apeiron mi:iglichst vol1standig zu ermitte1n (vgl. Philebos 16 C if.). 1m gleichen Sinne spricht etwa auch Aristoteles yon kreisfi:irmiger, geradliniger und ,gemischter' Bewegung (De caelo I 2, 268 b 17-20). - Auch diese mathematischen Aspekte werden durch die jetzt vorliegende philosophische Interpretation yon H.-G. Gadamer wesentlich erhel1t: Dialektik und Sophistik im siebenten platonischen Brief, SB Heidelberg, phil.-hist. Kl. 1964, 2, bes. 17-19. 69 Vgl. 71 B. 86 DIE. 87 BID. 100 B. Es handelt sich also kaum urn eine "Nachlassigkeit des Ausdrucks" (H. P. Stahl, a. a. 0.412/3), wenn bei der ersten Hypothesis (Arete ist Wissen) noch yon ltolov TL und TOlovbE gesprochen wird (87 B/C); denn es ist anzunehmen, daB erst die zweite Hypothesis (Arete ist gut) an den Bereich des reinen Seins heranfiihren solI.
Die Interpretation der drei mathematischen Textstellen hat im ganzen die Erwartung bestatigt, dag dem Dialog Menon einiges zu entnehmen ist iiber die mathematischen Bestrebungen der Akademie - und vor allem: dag fiir Platon schon damals ein innerer Zusammenhang bestand zwischen der philosophischen Frage nach dem ,Guten' und bestimmten mathematischen Vorstellungen. Die drei in diesem Dialog angefiihrten Beispiele werfen willkommenes Licht auf den Gesamtbereich des damals verfiigbaren mathematischen Wissens: Struktur der Dimensionalitat (ZahlLinie - Flache - Korper), Logostheorie (Kommensurabilitat und Inkom- I mensurabilitat), geometrische Fallunterscheidungen und Beweismethoden (Hypothesis, Dihorismos). Zugleich sind damit die Hauptthemen der mathematischen Forschung zur Zeit Platons bezeichnet: Ausbau der Planimetrie und Stereometrie, Proportion enlehre und Klassifizierung der irrationalen Grogen, systematische Herleitung der komplizierten Kurven aus den einfachsten Voraussetzungen, Axiomatisierung der Mathematik insgesamt70• - Das philosophische Interesse, mit dem Platon die mathematischen Untersuchungen verfolgte, wird verstandlich, wenn man sieht, dag die verschiedenen Aspekte der mathematischen Problematik eng miteinander zusammenhangen: iiberall lagt sich eine Spannung zwischen Einheit und Vielheit, Gleichmagigkeit und Ungleichmagigkeit, Bestimmtheit und Unbestimmtheit beobachten. Das aber bedeutet, dag die Mathematik fiir Platon die Moglichkeit bot, das Verhaltnis zwischen Peras und Apeiron, das die gesamte Seinsordnung zu begriinden scheint, wie an einem Modell zu studieren.
1m Mittelteil des Dialogs spricht Sokrates die Ansicht aus, alle in der Physis vorkommenden Erscheinungen und Gesetzmagigkeiten miigten sich als miteinander verwandt erkennen lassen (81 D 1). Was Platon in dieser Oberzeugung, dag alles Seiende aus einem gemeinsamen Ursprung stammt, und damit auch in der Erwartung, dag alles im Grunde einheitlich erklart werden kann, besonders bestarkt hat, zeigten uns die in das Gesprach eingefiigten mathematischen Beispiele. Es ist offenbar die Erkenntnis, dag die Mathematik eine systematische Grundlage - wir konnen auch sagen: einen Hypothesis-Bereich - fiir die Erschliegung der ganzen Seinsordnung bereitzustellen vermag. Durch die im Menon vorgefiihrte Denkform der Hypothesis wird offenbar eine systematische Vermittlung zwischen dem Bereich der einzelnen Erscheinungen und den allgemeinen Ideen moglich. Der ,Chorismos' zwischen der Welt des Werdens und Vergehens und der Welt des gleichbleibend Seienden kann auf diese Weise sprachlich, mathematisch und dialektisch iiberbriickt werden. Schon fiir die Zeit des Menon erweist sich damit der gewohnliche Aspekt der I Ideenlehre (die Idee als die allgemeine Wesenheit gegeniiber der Vielheit der Erscheinungen) als bloger Spezialfall einer umfassenden, durchgehend auf den Prinzipiengegensatz von Einheit und Vielheit bezogenen Seinslehre. Mit dem Hypothesis-Begriff, der im Menon auftaucht, ist aber nicht nur auf die Moglichkeit einer systematischen Vermittlung hingewiesen, sondern auch die Verbindlichkeit des systematischen Denkens in bezeichnender Weise eingeschrankt. In einem ,System" das aus einem Geflecht von Hypothesen besteht, ist kein Satz absolut giiltig, sondern jeder mug immer wieder daraufhin gepriifl: werden, ob er mit den Phanomenen einerseits und mit den allgemeinsten Prinzipien andererseits zusammenstimmt71• Auch die Art und die Sicherheit des Funktions-
70 Besonders deutlieh spiegelt sieh in den platanischen Dialogen die Entwicklung der Stereometrie wider: Menon 76 A (Problem des Ubergangs zwisehen den Dimensionen); Phaidon 110 B (Erwahnung des Dodekaeders); Politeia VIII 528 A-D (Forderung eines systematisehen Ausbaus); VIII 546 B/C (,Hoehzeitszahl', vgI. Pl. U. L. 409/12); Theaitet 147 B (Inkommensurabilitat bis zur dritten Potenz); Timaios (Theaitets genaue Konstruktion der flinf regelmaBigen Kerper kosmologiseh ausgewertet).
71 Es ist also unstatthafl:, gegen den Systembegriff bei Platan das Moment des philosophischen Nichtwissens anzufiihren. Die starke und weitgehend verwirkliehte Tendenz zur Systembildung widerstreitet bei Platan nieht der Einsieht, daB die Erkenntnismegliehkeiten des Mensehen begrenzt sind. 1m Gegenteil: gerade weil das mensehliehe Denken (zum Untersehied yom gettliehen Nus, in dem Subjekt und Objekt der Erkenntnis eins sind) nieht unmittelbar liber die Gesamtheit des Seienden verfiigt,
fiir alles Unbegrenzt- VieWiltige der Grund seines Bestehens, seiner Ordnung, seiner Erkennbarkeit gegeben ist.
zusammenhangs zwischen zwei Hypothesen kann, wie schon die besprochenen Beispiele zeigen, sehr verschieden sein; die Begriindung der einen durch die andere mag etwa auf dem Wege der Verallgemeinerung, der Spezifizierung, der Erganzung, der Prazisierung, der Induktion oder der Deduktion geschehen. Und die gleiche Hypothesis kann einerseits als grundlegende Voraussetzung, andererseits als Ziel del' Beweisfiihrung fungieren. ]a, gerade bei der Anwendung des Hypothesis- Verfahrens in seinem mehrfachen Richtungssinn - Analysis und Synthesis, Weg hinauf und Weg hinab - mufhe sich immer wieder die beunruhigende Frage einsteIlen, wo denn nun das eigentlich Begriindende zu suchen sei: im Allgemeinen oder im SpezieIlen, im empirisch Vorhandenen oder im theoretisch ErschlieBbaren, in den einfachsten Elementen oder im komplexen Ganzen - oder vielleicht in einem noch wesentlich Anderen, das aIle diese Gegensatze gleichermaBen iiberragt? Daher heiBt es denn auch bei Aristoteles (E. N. I 4, 1095 a 30ff.) yon Platon nicht nur, er habe sich bemiiht, den Zusammenhang zwischen Erscheinungen und Ideen aufsteigend und absteigend zu ermitteln, sondern auch, er habe dabei immer wieder die Frage gestellt und gepruf!, in welcher Rich- ! tung sich die Untersuchung jeweils am besten bewege: "von den Prinzipien her oder zu ihnen hin?".
einem Lehrer der politischen Arete gefragt wird, ist dies unverkennbar. Dort, in der Schule Platons, hat sich die Entwicklung yon der pythagoreischen ,Prinzipienlehre' und ,Kosmologie' zu der systematischen Verbindung yon Mathematik und Ontologie, wie sie besonders bei Aristoteles fiir Platon bezeugt ist, im wesentlichen voIlzogen 72. In den Dialogen spiegelt sich dieser EntwicklungsprozeB nur unvollstandig wider; doch scheint sich im Menon immerhin so viel davon zu zeigen, daB wir sagen konnen: Schon in diesel' Zeit war Platon dabei, die pythagoreischen Lehren iiber Peras und Apeiron wissenschaftlich weiterzufiihren und grundsatzlich mit der sokratischen Frage nach dem ,Guten' Zll verbinden.
Der Aufsatz ist hier gegeniiber del' urspriinglichen Fassllng (1964) inhaltlich nicht verandert. Ais iiberholt betrachte ich den Hinweis
72
Die
engere
Fall
seit
del' ersten
,platonische'
Yon dem sachlichen ZlIsammenhang zwischen den mathematischen Beispielen und dem iibergeordneten Problem der Arete ist im Menon nicht ausdriicklich die Rede. DaB es dennoch statthaft ist, diese Beziehungen hervorzuheben, ergibt sich yon selbst, wenn man den akademischen Hintergrund der literarischen Darstellung beriicksichtigt. Auf die Schule hin konvergieren gleichsam die im Dialog nur angedeuteten, nicht ganz allsgezogenen Linien. ZlImal in dem Motiv del' ,Einweihung' (76 E) und am SchlllB des Dialogs, wo nach
aber
Brief
auch, wenn
entnehmen, Mine
es einen systematischen
liiufig orientieren
kann.
matik
wie den del' Sprache,
System
del' Prinzipienlehre
in dem sich erfassen liiik
die
Entwurf,
So verstand
Realitiit
an dem es sich wenigstens
Platon
vor-
den Gesamtbereich
del' Mathe-
aber ebenso auch das umfassende
ontologische
als ein abbildhaft
an
sich unvollkommenes widerspiegelt
und
Modell'
appr~ximati~
PIa tons
wird
Reise
(etwa
er hier
daB Phtons
(was
sonstwie nicht
uV{tQOJ1tOL'tuih;u
Kreis
v. Chr.). Freilich
del' Pythagoreer
sie best and auf jeden -
nicht
Wenn
del' zweite
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berichtet,
kann
man
Lehre in den Grundsatzen
wesentlich
niimlich aus del' Sicht des Jahres
Elotv yue
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Zutreffendes
philosophische Jahre
mit
Werke
390/88
echt sein sollte
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seit del' ist;
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(Epist. II 314 A/B):
364 festgestellt
uxrpwoTE~
worden
ist), ihm
xut rr),E[ou~, Ouvu'tot
~Ll\VflU{tELV,
I\uvu'tot I\E flVl]f!ovEuOm xut ~uoUV[OUVTE~ rr6.vTll rru.VT(j)~xeLvm, YEQOVTE~ ~I\l] xut OUXEAU'tT(j) 't e LUX 0 V't U
10
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qJuotv T(). flEV TOTE u.mOTOTUTU M~UVTU dVUL VUV:TLOTOTUTUxut bUeYEOTCnu qJU[VEO{tUL,a. 1\10 'tOTE mO'to'tuTU, Zusammenhang
braucht
Bekanntschaft
reicht sichel' bis in die Zeit del' fruhen
mit pythagoreischen
lich bei dem Gedanken jedoch
-
im Sinne
nend,
daB
die
Erlebnisse
dachten,
wiihrend
sprachen, Platon
wenn einfach
(81 A-D).
Differenzierung sie yon
einer
an ein Leben
eher eine andere,
Seele meint (vgl. R. S. Bluck, a. a. O. 62/5).
Ein weiterer
zeigt sich im Menon bekannt-
del' ,Seelenwanderung'
del' ontologischen
Pythagoreer,
fruhere
vuv TOUVUVT[OV.-
Lehren
Auch hier ist es
Pia tons -
bezeich-
Wiedererinnerung
an
in vergangener
Zeit
unkorperliche
Daseinsweise
del'
(0. Anm. 18) auf die Traditionsgeschichte des Sextus-Berichtes; dazu liegt inzwischen eine genauere Untersuchung vor in meinem Beitrag i.iber "Quellenkritische Probleme der indirekten Platoni.iberlieferung" (in: Idee und Zahl, Abh. Heidelb. Akad. d. Wiss., phil.hist. Kl. 1968, S. 31-84). Zu den Grundfragen der Interpretation des platonischen Schriftwerks im Rahmen der Schule PIa tons ist erneut kurz Stellung genommen im Nach'Vort zur zweiten Auflage von "Platons Ungeschriebene Lehre" (1968). Der vorliegende Beitrag ist rezensiert worden von F. Kraffi (Mathematical Review 33,1967,210/11) und M. Timpanaro Cardini (Rivista di filol. 94, 196b, 357/60). Die italienische Rezensentin befafh sich kritisch mit der schwierigen Stelle Menon 86E-87 A, Zli der sie sich bereits fri.iher geauBert hatte (Sull' ipotesi geometric a del Menone, Parola del Passato 6, 1951, 40119). Sie stimmt mit mir methodisch darin i.iberein, daB die im platonischen Text angegebene Hypothesis nicht in jedem Fall zur Entscheidung der gestellten Frage ausreicht. Die unterschiedliche Auffassung von auwu (Frau Timpanaro Cardini halt die o. Anm. 63 bezweifelte Deutung fi.ir moglich) kann man auf sich beruhen lassen. Nicht annehmbar finde ich jedoch den erneut vorgetragenen Erklarungsversuch, als ob mit der im Text beschriebenen Hypothesis nur ein Spezialfall herausgegriffen ware (die Anlegung eines Quadrates an den halben Durchmesser des Kreises), worauf dann unter Umstanden weitere hypothetische MaBnahmen folgen sollten. Dagegen ist zu sagen, was schon R. S. Bluck (Plato's Meno, 1961, 451152) eingewendet hat. Obrigens treffen die Einwande von Bluck grundsatzlich auch den ahnlichen, aber schon sicherer auf einen allgemeingi.iltigen Satz zielenden Auslegungsversuch von M. Gueroult (Sur Ie locus mathematicus du Menon, Bull. de la faculte des lettres de Strasbourg 13, 1935, 173/80. 218/26), der erklart: Die einzubeschreibende Flache ist als Quadrat vorgelegt, und die Einbeschreibung ist moglich, wenn beim Anlegen an den Durchmesser des Kreises noch eine quadratische Flache i.ibrigbleibt. Auch bei dieser Auffassung wi.irde die Hypothesis nur i.iber die Moglichkeit der Einbeschreibung in den Halbkreis, nicht in den Kreis entscheiden. Der inzwischen erschienene wichtige Kommentar von J. Klein (A Commentary on Plato's Meno, Chapel Hill, University of North
Carolina Press, 1965) geht besonders auch auf die mathematischen Aspekte des Dialoges ein, laBt jedoch das Verhaltnis zur Schule Platons unbeachtet. Die mathematischen Beispiele sind dementsprechend nur in ihrer methodischen Funktion erfaBt. Nicht ganz i.iberzeugend sind Kleins Bemerkungen zu den beiden Definitionen von (1xii~a.Die erste Definition (Gestalt ist, was stets mit Farbe zusammenhangt) solI Sokrates gewahlt haben, weil er fur die Arete die analoge Definition "was stets mit Wissen zusammenhangt" erwarte (S. 60. 70). Daher sei es auch diese Definition und nicht die zweite, streng geometrische, auf die Sokrates besonderen Wert legt (S. 70; ebenso, wenn auch mit anderer Begri.indung, R. G. Hoerber, Phronesis 5, 1960, 96/7). Gegen diese Ansicht sprechen jedoch sachliche Bedenken sowie die Stelle Menon 79 D (vgl. o. S. 348 mit Bluck, a. O. 254). Problema tisch ist Ferner die Erklarung, an dem oberflachlich argumentierenden Gesprachspartner Menon zeige Platon, daB die Seele fi.ir die Anamnesis eine der dritten Dimension entsprechende ,Tiefe' brauche (S. 186/7. 189/90). Damit verbindet Klein sogar die stereometrischen Abschnitte in Politeia VII und im Timaios (S. 192/9). An dem eigentlich platonischen Sinn der Dimensionsbegriffe scheint mir diese Interpretation vorbeizugehen; man sieht, daB auf die Kontrolle durch die Zeugnisse der indirekten Oberlieferung nicht verzichtet werden kann. Zu der geometrischen Hypothesis erklart Klein, der mathematische Sinn sei bei Platon nicht genau zu erkennen (S. 206/8), es besti.inde aber eine vollstandige Analogie zum Arete-Problem: Wie die Flache in den Kreis einbeschrieben werden kann, wenn sie einer anderen Flache im Kreis gleicht, so kann die Arete in die Seele eingefi.igt werden, wenn sie etwas anderem in der Seele gleicht namlich dem Wissen (S.208/9, vgl. Menon 87 A-C). Freilich handelt es sich bei der geometrischen Hypothesis urn zwei Flachen nebeneinander, bei der Arete darum, ob sie selber so etwas wie Wissen ist. Falls jedoch die genaue Entsprechung tatsachlich von Platon beabsichtigt ist, unterstutzt dies die Auffassung, daB die mathematischen Beispiele und das Problem der Arete auch sachlich aufeinander bezogen werden sollen.
VON
OBER DEN ZUSAMMENHANG PRlNZlPIENLEHRE UND DlALEKTIK BEl PLATON
Die Aussagen Platons im Phaidros und im 7. Brief lassen erkennen, daB Platon die Hauptstlicke seiner Philosophie dem mlindlichen Unterricht in der Akademie vorbehalten hat2• Dieser Unterricht reicht nach den Andeutungen des Briefes mindestens bis in die 60er Jahre des 4. Jahrhunderts, I nach den en des Phaidros bis in die I Der folgende Aufsatz wurde bereits im Sommer 1960 niedergeschrieben. Er ist fur die Drucklegung noch einmal iiberarbeitet worden. Er stellt einen Beitrag dar zu der in meinem Platon-Buch (Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der platonischen Ontologie, Abh. Heidelb. Ak. d. Wiss. 1959, 6, im folgenden AP A) S. 519 Anm. 60 geforderten Kommentierung der Bucher V-VII der Politeia auf Andeutungen und Voraussetzungen innerakademischer Lehre hin (vg!. die Fragestellung fUr Pol. 534 B f. dort S. 545 Anm. 109). 2 Seit meiner letzten Stellungnahme (Retraktationen zum Problem des esoterischen Platon, Mus. Helv. 21, 1964, 137-167, im folgenden: Retraktationen) haben sich fur die These eines esoterischen Platonismus neu ausgesprochen: H. G. Gadamer, Dialektik und Sophistik im siebentcn platonischen Brief, Sitzungsber. Heidelb. Ak. d. Wiss. 1964/2, S. 6, 29 ff.; E. Berti, Riv. di Filo!' 92, 1964, 337ff.; ders., Riv. crit. di Storia delia Filosofia 20, 1965, 231 ff. [in diesem Sammelband oben S. 88 if.]; M. Untersteiner, Studi Platonici, II "Carmide", Acme 18, 1965, 19 if., bes. 22 if., 48 ff.; ders., Riv. di Filol. 93, 1965,247; ders., Riv. crit. di Storia delia Filos.20, 1965; 51; K.Oehler, Neue Fragmente zum esoterischen Platon,Hermes 93, 1965, 397 if.; clers., Der entmythologisierte Platon. Zur Lage cler Platon-
Periode der Politeia 2:urlick3. Platans literarisches Hauptwerk liber Staatsverfassung steht dabei zur innerakademischen Lehre in einem besonders engen Verhaltnis: Es ist liber ein Jahrzehnt nach der Grlindung der akademischen Schule verfafh und publiziert word~n und muB darum wie damals auf dem Hintergrund der Akademle gesehen werden. Es gipfelt ferner in der Eroffnung des uyaMv aUTO im 6. und 7. Buch, und unter dem TitelltEQi TOUuya{}ou hat Platan auch in der Akademie seine mlindliche Lehre vorgetragen. Weiter-
forschung, Zeitschrif1: f. philos. Forschung 19, 1965, 393-420 [.in diese~ Sammelbd. o. S. 95-129]; H. M. Baumgartner in: Parusia, Studlen z. phllosophie Pia tons und z. Problemgeschichte d. Platonismus, Festgabe f. J. Hirschberger, hrsg. v. K. Flasch, Frankfurt/M. 1965, 89ft; H. ~:pp, Gnomon 37 1965,357; O. Gigon in: Lexikon der Alten Welt, ZunchStuttgart (Artemis) 1965, 2366 f. s. v. ,Platon', 883 f. s. v. ,Ethik'; K: Vretska, Anzeiger f. d. Altertumswissenschaf1: 18, 1965, 33 if.; zur JtE~l Tu:yu{}ou-Dberlieferung Ferner W. Theiler, Einheit und unbegrenzte Zwelheit yon Plato bis Plotin, in: Isonomia, Studien z. Gleichheitsvorstellung im gr. Denken, hrsg. v. J. Mau und E. G. Schmidt, Bin. 1964, 91 An~. 2 (gegen Vlastos). Zu verzeichnen sind Ferner zwei Aufsatze ~on K. Gaiser, die den Zusammenhang zwischen Schrif1:werk und ungeschnebener Leh~e Platons in wichtigen Punkten weiter aufhellen: Platons Menon und die Akademie, Arch. f. Gesch. d. Philos. 46/3,1964,241 if. [in diesem Sammelband o. S. 329if.], und Platons Farbenlehre, in: Synusia fUr Wolfgang Schadewaldt, Pfullingen 1965, 173 ff., sowie einschlagige Partien n:eines Buches "Der Ursprung der Geistmetaphysik. Unters. z. Gesch. d. Plato111Smus zwischen Platon u. Plotin", Amsterdam 1964 (im folgenden UGM). Ablehnend haben sich im gleichen Zeitraum geauEert (noch ohne Kenntnis meiner ,Retraktationen'): W. J. Verdenius in der Besprechung meines Pia tonBuches (APA, vg!' oben Anm. 1) in der Mnemosyne IV 1:, 1964, 311, ~~d G. J. de Vries in dem Aufsatz: Marginalia bij een esotensch~ Plat?, TIJ.dschrif1: voor Philosophie 26, 4, 1964, 709-719, mit denen Ich mlch h:er leider nicht auseinandersetzen kann. Wahrend die Irrtiimer yon Verde111us offen zutage liegen, enthalt der sachliche Beitrag yon de Vries i~ einzelnen durchaus diskutable und weiterfUhrende Gedanken und verdlent darum in jedem Faile Beachtung. Seine kritischen Einw.endungen ~iirden jedoch selbst dann wenn sie richtig waren, nicht ausrelchen, urn die Ablehnung der These eines esoterischen Platonismus zu rechtfertigen. :1 APA 22 f., 478 f., Retraktationen 148, 164.
hin grenzt die Aussage des Phaidros gerade die Politeia yon der innerakademischen Lehre ab und stellt dadurch mitte1bar einen Bezug zwischen beiden her4• Hinzu treten ausdriickliche Zeugnisse der Zuriickhaltung in den mittleren Biichern der Politeia se1bst, die vorzugsweise das Wesen des uyaMv betreffen5• Verwandte Andeutungen find en sich 435 D und 611 B/C fiir das wahre Wesen der Seele, 530 D 1 fiir die Kinetik, 532 D 4 f. fiir den akademischen Unterricht in den mathematischen Fachern sowie 533 A fiir die Dialektik. Der Zusammenhang mit Forschung und Lehre der Akademie wird augerdem greifbar in der Behandlung der Stereometrie im 7. und der kosmischen Zahl im 8. Buchs. Versucht man, unter diesen Voraussetzungen das Sonnengleichnis am Ende des 6. Buches (506Eff.) aufzulOsen und das &.yaMv bedingungsweise durch das EV der miindlichen Lehre zu ersetzen, so gelangt man auf eine einfache Grundstellung, aus der sich die verschiedenen Funktionen des &.yaMv leicht ableiten lassen: Das Ur-Eine bewirkt in den Dingen iiberall Einheit, Einssein, Einheitlichkeit, die sich unter dem Seinsaspekt als I Diskretheit, Identitat und Beharrung, unter dem Wertaspekt als Ordnung der Teile eines Ganzen, unter dem der Erkennbarkeit als Umgrenztsein, Diskretion und Identitat darstellt. Die Schwierigkeit, wie das &.yaMv Seins-, Wert- und Erkenntnisprinzip sein 5011, ist demnach IOsbar, wenn man das &.yaMv ins EV der miindlichen Lehre zuriick-
4 Phaidros 276 E, vgl. 278 C 3, dazu W. Luther, Gymn. 68, 1961, 536 f., Retraktationen 148. 5 506 D 8ff.: &J.).:, JJ !-lUXU(lWl, ui,.ro !-lEvTLJtOT' fOTL TUyU'l}QVfUOOl!-lEV TO VUV dVUl - JtHov YU(l !-l0l qJUIVETUL11 XUTU T~V JtU(lOUOUV O(l!-l~V fqJlXEO{}Ul TOU yE bOXOUVTO~f!-lOL TU vuv, 509C71f.: 'Af..f..U !-l~V .. , OlJXVUyE UJtOf..EIJtOl.- MljbE O!-llX(lOVTOIVlJV, EqJlj, JtU(lUf..lJtU~. - OI!-lUL !-lEV... XULJtOf..u. Vgl. APA 136 Anm. 213, 389, 392. 6 Dazu E. Sachs, Die fiinf platonischen Korper, Phil. Unters. 24, 1917, 183; zuletzt ausfiihrlich K. Gaiser, Platons ungeschriebene Lehre, Stuttgart 1963, 409 If. Anm. 251, 420 Anm. 268, 460, 468 f. (Komm.). [- Weitere Anspielungen (z. B. auf das Argument yom "dritten Menschen" Pol. X 597 C) verzeichnet M. Untersteiner, Platone, Repubblica, Libro X, Napoli 19663, 122 If., 168 f., 246 u. 0.]
nimmt 7; zugleich ist die Ordnungsvorstellung der platonischen Staats- und Seelenlehre in der Politeia in ihrem inneren Zusammenhang mit dem uyaMv und EV verstehbar geworden 8.
1m folgenden sollen an Hand einer anderen, annahernd gleichwertigen Stelle des 7. Buches diese Ergebnisse befestigt und dabei die innerakademischen Voraussetzungen yon Pia tons literarischem Hauptwerk we iter aufgedeckt werden. Nach den Gleichnissen yon Sonne, Linie und Hohle und ihrer Erlauterung durch den Bildungsgang der Philosophen fagt Platon Pol. 534 Weg und Zie1 des Erziehungsprozesses kurz zusammen. Der Fortschritt gegeniiber dem 6. Buch liegt darin, dag das Bildhafte zuriickgelassen und die wissenschaftliche Paideia schon vorausgesetzt ist; Platon spricht darum hier iiber das &'ya{h)v sachlicher und direkter. Die Erfassung des &'ya{h)v wird dabei genauer beschrieben als irgendwo sonst in der Politeia9 und in den Schriften Platons iiberhaupt: 534 B 3 TH xut blUf..EXTLXOV XUf..EL~TOVf..oyov EXUOTOlJf..U!-l~UVOVTU TTi~OUOLU~;xut TOV!-l~ EXOVTU,xu{}' ooov UV !-l~ EXUf..6yov 5 uUTaf!fdp,
Reihe
charakteristisch
UOTEQOV und
x a T a a cpa l Q EO l V altO TOU ElTa
v). Dieselbe
urn die Einfachheit die
vo~oavTE~,
dann
Relationen
oAOV hervor72•
flEQO~ und
noch yon
xat einmal dabei
treten
It(>OTEQOV und
Vollstandiger
Kelsos VII 42; Alb., Didask. c. X 5/6 L.; Plotin
TEAE1Jwieder,
noch
und
VI 7, 36, 6 if.
Quis rer. div. her. 131, De somn. I 186 if., zur ltQOOfrEOL~ opif. m. 49, De leg. spec. II 212, vgl. UGM 270 if.; Plut., Quaest. Plat. III 1001 Ff.; Max. Tyr., Dial. XIII b; Attikos fro 2, 7 Baudry; Clem., Strom. V 11; 71,2. Vgl. Longin fro 8, 7. 70 Z. B. Enn. V 3, 17,38; VI 8, 21, 26 if. Weitere Belege und systemati69
Philon,
sche Einordnung UGM 343 if. m. Anm. 553/54/55. 71 Vgl. UGM 351 Anm. 581. 72
n
p. 165, 30 if. Hermann:
auwu'
a f! E Qij TE bla
TO yaQ f! E (>0 ~ xat
OU f!EQO~. xat
TOE;
'to E It l It E b 0 v It Q 0 TE Q 0 v t] TO 0 W f! a,
yaQ
y (>a f! f! ~ It Q 0 T E (? 0 v t] TO EltlltEbov.
Metaph. t11019a It (?0 T E (>a
xat
TO f!~ etvUl It Q 0 TE Q 0 v
0 U It Q 0 TE (>0 v UltuQXEL TOUT01J,
1-4:
...
U 0 't E (?a,
bE aVE1J EXElvwv f!~' Walzer U. Ross: aLna
To. bE xaTa ooa
Vgl.
Z.
B. grundsatzlich
CPUOLVxat
lovbEXETUl etval
n blUlQEOEL Ex(?iiw
ouolav
xat
lj
Arist.,
sc. AEyETUl
aVEll aAAwv,
ExElva
II A a 't Wv, Protreptikos fro 5 a TE f!UAAOVTa ltQoTEQa 'twv UOTE(?WV' ExElvwv
yaQ aVUlQ01Jf!EvWVaVUlQELTUl 'to. T~V ouotav
E; EXElVWVEXOVTU,fA~ x 1']
die
dimensionaler
Abstraktion
noch
Stromata
negativ
Clemens
als
I
und schlieElich
V 11; 71, 2 mit
bestimmbaren
ist, wie 74.
und Ideen
altELQO~ b1Jo.~ als Gegenprinzip
wegung ausgeschlossen
stellung
sich im einzelnen
des Didaskalikos
im 10. Kapitel
zum ltQww~
nachweisen
yon
und
Philon,
zu den Zahlen
Cl~mens,
nur
auch in der hellenistischen
Zusammenhang
etwa
der
forme! in bezug auf das Eine: acpEAE ltaVTa ("LaE alles weg") gehort in diesen Zusammenhang 70. Wahrend sich die ubrigen Wege in etwas Form
den
De somniis I 186if. mit dem Aufstieg zum xoouo~ V01']TO~,oder Plutarch, Quaestiones Platonicae 1001 F f. mit Prinzip
Umkehrung
auch ltQOO{}EOL~oder
ohne
Alexandria,
auf69•
Clemens
1m Zentrum
68.
avaA1JOL~, als deren
(bei Plotin
auch se!bstandig,
Philon
und
oder
werden
EV und
bei
Albinos,
Gottheit, und
f!ova~
yon
yon der
pradiziert
acpUlQElv der
dem
Aufstieg
hat
se!bst,
zur
-
reinen,
u. a. Ruhe und Be-
der wir
zum Einen gegenubersteht,
wissen: 73.
leitende
Bel
daE
Clemens
Plutarch
Begriif
der
und Dar-
Die lehre
Verbindung belegt
ganzen
von
matische demie
gemacht
und
Erfassung
des
selbst
Herkunfl: mente
des
Hinzu
Wir kehren
von
sich
Gewonnene
auf
Es handelt der auch
kann,
fur
uyu{t6v,
Die
Vermutungen
zum
Prinzip
Zuruckfuhrung Gattung,
wahr-
die
sondern
Fur
die
Aka-
wahrend
in der
Prinzip
abstrahiert
die
die
Doku-
vor,
dabei
gegen-
bei Albinos76•
Doxographie,
die Platon
Analysis
in Ver-
und
tung,
zuruck die
sich
und
stellen
Abgrenzung dabei
zunachst
schon
fur
die dem
uyutlOv
darum,
Elementen-Metaphysik,
d. h. ob neben
die Frage, des
macht,
auf
die
wir
die
als
ob
Zahl
im
aus
und
fuhrt
Politeia-Periode
ange-
wie
generalisierenden
Auf-
Magstab,
{,it 0 I. E l (f' {}10v 01Hl EL0 V [on nlv
fLOVU, OJ, EilTEtV {}EOlV EXOUOU,~,
{}EOlV, VOEtTUl ftovu,
...
U(f'd.OVTE,
nicht
504 B if.
o
IH
...
ft ~ EO T l Y VW Q l 0 U VTE ;.
aller
vier Belege UGM
Studien
don
S.55
fiir
auf Platons
i\
1>10XUL x l v 1]0 l V
[VV01]TEOV.Vergleich
bei Plutarch
lTEQL TUYU{}OUbekannten
0 T U0 l V
und Einordnung
auch W. Theiler
im gr. (Aufstieg
Denken, -
Abstieg)
(zusammenfassend
Lehre 454 f. Komm.), Jailt aber die Parallelbericht des Sextus hervortreten.
BIn.
Ideenlehre
in:
entspricht
deutlicher
PI.
76
p. 165, 16 H.:
Gegenstande
handelt,
deutet
a0; widerspricht (an'
die
i. B.).
Stelle
der
die
iibrigen
Sokrates
(vgl. Pol. 450 B, Tim. 68 B) den geringeren
redners
wollte,
I p. 285 f. Kr. die vorliegende
selbstverstandlich mit
77
der
lassen
die beides gleich gut decken kann,
sie wie
erscheinen
als 00, XEXWQlOftEVU, vgl.
Pol. 534B auch die dihairetisch-defini-
ayu{}Ov
(l>lU Tii, aLULQE<Jl;),vgl. dazu
als
oben S. 418 Anm. 57. Wenn
Aead. Philos. Index Here. c. Y p. 15 ff. Mekler (UVU/,U<Jl; Y 14 p.17,lM.); D.L.III24 (uVU),UOl;); Prod. in Eucl.Elem. p.211,18ff. neben
Einen
Derivate
kein
Transzendenz im
wird,
liegende
75
(avuAuol,
in der
tEAElOV und
Auslosung
als Zeugnis
1964,
Gaiser,
vom
die liegt
verschiedentlich
Grundsatzlich
torische
lTEQLTUYU{}OUzuriickgehenden
Anm. 121, vgl. dazu
z. Gleichheitsvorstellung
Doppelbewegung
Tll VO~OEL
106 ff., vgl. 271 f. Zur Plutarch-Stelle
einer (iiber Xenokrates?) lieferung
oxiiftu
o/.w,
zwar
nach
mathematischen
das
angedeutet
und
so11,
fUV
UftfJ yE nu nQOOUYOlftEV